Das Zeitalter der Ambiguität: Vom Umgang mit Werten und Normen in der Frühen Neuzeit [1 ed.] 9783412521226, 9783412521202

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Das Zeitalter der Ambiguität: Vom Umgang mit Werten und Normen in der Frühen Neuzeit [1 ed.]
 9783412521226, 9783412521202

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hillard von thiessen

das zeitalter der ambiguität Vom Umgang mit Werten und Normen in der Frühen Neuzeit

Hillard von Thiessen

Das Zeitalter der Ambiguität Vom Umgang mit Werten und Normen in der Frühen Neuzeit

BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Cie. KG, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Güstrow, Dom/Wandgrab des Herzogs Ulrich III. Aufnahmeformat/Filmsize: 6 × 9 cm © akg-images/Bildarchiv Monheim Zu diesem Grabmal als Monument der Ambiguität siehe S. 130 f. Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Korrektorat: Anja Borkam, Jena Satz: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-412-52122-6

Inhaltsverzeichnis Vorwort  ......................................................................................................................... 

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1. Mehrdeutigkeit und Ambiguität  .....................................................................  Zum Einstieg: Die Werte- und Normenordnung vormoderner Gesellschaften  ..............................................................................  Begriffliche Vorklärungen  . . .................................................................................  Kultur und Ambiguität  .................................................................................  Werte und Normen  .. ...................................................................................... 

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2. Normative Zentrierung  ......................................................................................  Der Aufstieg normativer Systeme und ihre Erforschung  . . .........................  Der mittelalterliche Ursprung der frühneuzeitlichen Normenordnung  .............................................................................................  Die Frühe Neuzeit als Epoche der Disziplinierung? Ein kurzer Forschungsüberblick  .. ...............................................................  Religiöse Normen  . . ...............................................................................................  Die Frage des Seelenheils: Frömmigkeit und religiöse Normen im Hoch- und Spätmittelalter  ....................................................................  Konfessionsbildung und Konfessionalisierung  .......................................  Gemeinwohlorientierte Normen  ......................................................................  Der Aufstieg gemeinwohlorientierter Normen: Kommunale und fürstliche Herrschaft  .....................................................  Organisation von Herrschaft und Konzentration von Wissen  .. .........  Empowering Interaction  ..............................................................................  Soziale Normen  .. ...................................................................................................  Vermittlungswege und Entwicklungsbedingungen sozialer Normen  . . .  Die Wertebasis sozialer Normen: Ehre  ....................................................  Soziale Gruppen und Beziehungsformen I: Familie und Verwandtschaft  .. ......................................................................  Soziale Gruppen und Beziehungsformen II: Patronage und Freundschaft  . . ......................................................................  Passagen und Stationen: Soziale Rollen und soziale Normen im Lebenslauf  . . ................................................................................................ 

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35 38 49 51 56 70 71 81 88 90 92 96 101 106 111

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Inhalt

3. Normensysteme in Interaktion I: Glaube und Frömmigkeit im normativen Spannungsfeld der „Welt“  . . ...................................................  Ist Gott verpflichtbar?  .........................................................................................  Zucht und Moral  ..................................................................................................  Grabmalskultur und Totenkult  .........................................................................  Konversionen und der Diskurs der Authentizität  ........................................  Religion, Politik und Herrschaft  . . .....................................................................  Der Fürst zwischen Staatsräson und Priesterkönigtum  .......................  Geistliche als Seelenführer und Wächter der Herrschaften  ................  Die irdische und die transzendente Sphäre rücken zusammen: Mit Gott und dem Teufel rechnen  ............................................................  4. Normensysteme in Interaktion II: Fürstengesellschaft und Staatenwelt  .. .............................................................  Mächte und Macht in gedachten Ordnungen  ..............................................  Der Spitzenplatz in der europäischen Fürstenhierarchie: Konkurrierende Universalismen  .......................................................................  Dynastische Akteure in der Fürstengesellschaft  ...........................................  Außenverflechtung zwischen langfristigen Bindungen und kurzfristiger Bestechung  . . ...........................................................................  Politik als männlich markiertes Handlungsfeld mit weiblichen Akteuren  .................................................................................................................  5. Normensysteme in Interaktion III: Dienst am Fürsten – Dienst für den Staat  . . ...................................................  Personale Loyalitäten, Teilhabe an Herrschaft und Dienst­reglements: Behörden und Beamte in der Frühen Neuzeit  ..............................................  Diplomaten  ............................................................................................................  Korruption  . . ............................................................................................................  Favoriten  .................................................................................................................  6. Umgehen mit normativer Uneindeutigkeit  .. .................................................  Situative Vereindeutigung  ..................................................................................  Normative Übererfüllung  ...................................................................................  Kasuistik und organisierte Heuchelei  . . ............................................................  Indifferenz  ..............................................................................................................  Interkulturelle Praktiken: Inklusiver Eurozentrismus und seine Grenzen  .. ..............................................................................................  Zwischenfazit: Kulturen der Ambiguität  .. ...................................................... 

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216 218 229 246 260 271 272 280 292 301 309 317

Inhalt

7. Die Moderne: Ein Zeitalter der Eindeutigkeit?  ..........................................  Moderne und Vereindeutigung: Ausdifferenzierung von Handlungsfeldern und Disambiguierung  . . .............................................  Korruption und Patronage im Übergang zur Moderne  ..............................  Politik und Staat  ...................................................................................................  Fachliche und berufliche Differenzierung: Funktionseliten  ......................  Die Sphäre des Privaten  . . ....................................................................................  Religion im Übergang zur Moderne  ...............................................................  Die Wirtschaft als eigenes Normensystem  ....................................................  Exklusiver Europazentrismus  ............................................................................  Fazit: Das Zeitalter der Ambiguität und die Moderne  . . ............................. 

7 321 324 327 332 337 345 350 352 355 358

Literatur  ........................................................................................................................  365 Register  .. ........................................................................................................................  440 Personenregister  ....................................................................................................  440 Ortsregister  .. ...........................................................................................................  445

Vorwort Dieses Buch wurde möglich durch ein Forschungsstipendium im Rahmen des

THEORIA Kurt von Fritz-Wissenschaftsprogramms des Ministeriums für Bil-

dung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern, das eine Freistellung von Lehre und Administration für das Akademische Jahr 2017/2018 bedeutete und mir gestattete, mich für diesen Zeitraum voll auf das Manuskript zu konzentrieren. Das ist ein sehr hoch einzuschätzender Arbeits- und Denkfreiraum in einer Zeit, in der administrative Erfordernisse im Universitätsalltag immer mehr Raum einnehmen. Das Förderprogramm war im Wesentlichen eine Idee des seinerzeitigen Bildungsministers des Landes, Mathias Brodkorb – eine sehr gelungene und produktive Initiative, die sowohl die Finanzierung von sozial- und geisteswissenschaftlichen Promotions- und Postdoc-Projekten ermöglichte als auch Professoren ein Sabbatical vom Unialltag gewährte. Patrick Schmidt hat mich dankenswerterweise im Freijahr ganz hervorragend in der Lehre vertreten. Der Text hat viel durch Gespräche mit Freundinnen und Freunden bzw. Kolleginnen und Kollegen in Rostock und auswärts gewonnen. Hervorheben möchte ich vor allem Jens Ivo Engels, Marc von der Höh, Arne Karsten, Oliver Plessow, Matthias Pohlig und Julia Zunckel. Weiterhin zu ­nennen sind die Studierenden des Seminars „Lüge – Verstellung – Kasuistik. Vom Umgang mit Normenkonflikten in der Frühen Neuzeit“. Höchstleistungen hat Franziska Neumann erbracht, deren fulminante Korrekturleseleistungen und Kommentare gar nicht hoch genug eingeschätzt werden können und deren engagierte und effektive Organisationsarbeit für den Rostocker Frühneuzeittag 2019 und am Lehrstuhl mich so weit entlastete, dass ich trotz Dekansamt den Text nach und nach für die Publikation überarbeiten konnte. Meiner bewährten Studentischen Hilfskraft Line Ahrens, die ebenfalls das Manuskript korrekturgelesen und den Frühneuzeittag mitgestaltet hat, gebührt ebenso ein großer Dank. Dann kam die Corona-Krise und verzögerte die Fertigstellung noch einmal erheblich. Für ihre geduldige Begleitung des Publikationsvorhabens von Seiten des Böhlau Verlags gerade in dieser Zeit bin ich Dorothee Rheker-Wunsch sehr dankbar. Auch die Erfahrungen kultureller Ambiguität in der Welt der Universität des frühen 21. Jahrhunderts haben das Projekt beeinflusst. Menschen, mit denen ich mich über die Eigenheiten dieser Welt austauschen und Vergleiche mit der Frühen Neuzeit diskutieren konnte, sind deshalb ebenfalls an dieser Stelle zu nennen, in Freiburg Hannes Berger, Eva Dade, Birgit Emich, ­Wolfgang ­Reinhard und Philipp Rößler, in Bern Christian Windler, André Holenstein, K ­ aspar H ­ irschi und Tanja Bührer, in Köln Karl-Joachim Hölkeskamp, Moritz ­Isenmann, Michael ­Kaiser und Michael Rohrschneider sowie in Rostock ­Wolfgang Bernard, ­Tilman von Brand, Sven Bruhn, Patrick Kaeding, Katja Koch, Stefan Kroll, Hans-Uwe

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Vorwort

­ ammel, C L ­ hristian Schmitt-Kilb, Daniela Wild und Stephanie Wodianka. Besonders hervorheben möchte ich aber die beiden Geschäftsführerinnen, mit denen ich über Jahre intensiv zusammenarbeiten durfte und von denen ich sehr viel über Handlungsspielräume und Ambiguitäten, Kasuistik und Pragmatik in der universitären Welt gelernt habe und mit denen ich über Analogien und Diffe­ renzen zwischen sozialen Konfigurationen in der Frühen Neuzeit und dem Soziotop der (­ post-)modernen Universität diskutieren konnte: Susanne Bochert am Historischen Insti­tut der Universität zu Köln und Juliane Lanz an der Philo­ sophischen Fakultät der Universität Rostock. Ihnen beiden ist dieses Buch mit großer Dankbarkeit für die höchst angenehme und freundschaftliche Zusammenarbeit gewidmet. Rostock, 16. September 2020 Hillard von Thiessen

1. Mehrdeutigkeit und Ambiguität Zum Einstieg: Die Werte- und Normenordnung vormoderner Gesellschaften Dieses Buch befasst sich mit einem Abschnitt der Geschichte Europas – der Frühen Neuzeit, dem Zeitraum vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Als eigene Epoche oder doch zumindest Teilepoche der Neuzeit wird sie seit etwa der Mitte des 20. Jahrhunderts angesehen.1 Seit den 1960er Jahren wurden verstärkt Lehrstühle eingerichtet, die sich exklusiv dieser Zeitspanne widmen. An den meisten Historischen Instituten im deutschsprachigen Raum gehört heute eine solche Professur zur Grundausstattung. Und doch brauchte es Jahrzehnte, bis die Frühe Neuzeit tatsächlich als Epoche mit besonderen Charakteristika begriffen wurde. Zunächst hatte sie eher als Übergangszeitraum gegolten, als Vorphase der eigentlichen, in die Gegenwart mündenden Neuzeit, als, um ein vielzitiertes Diktum des Münchener Historikers Winfried Schulze zu nennen, „Musterbuch der Moderne“.2 Gegen diese Perspektive der Modernisierung wurde unter dem Einfluss der Alltags- und Mentalitätsgeschichte im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts eine neue Sicht entwickelt. Sie wird heute unter der Bezeichnung Kulturgeschichte zusammengefasst und hat die historische Forschung in den letzten gut zwanzig Jahren grundlegend verändert. Ihre Vertreter betonen die Andersartigkeit, ja Fremdheit der frühneuzeitlichen Gesellschaften im Vergleich zu denen der Moderne. Damit wird der Zeitraum zwischen der Reformation und den Atlantischen Revolutionen von der Moderne abgegrenzt und die Phase des Übergangs in die Moderne auf eine Entwicklung von wenigen Jahrzehnten, die „Sattelzeit“, konzentriert. Die Frühe Neuzeit mutiert in dieser Sicht von der in die Zukunft weisenden „Frühmoderne“ zu einem Teil der auch das Mittelalter oder zumindest seine letzten zwei bis drei Jahrhunderte mit umfassenden „Vormoderne“. Diese Großepoche sei durch statische Gesellschaftsvorstellungen und eher verdeckte gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Dynamiken und Entwicklungen gekennzeichnet gewesen. Doch ob Modernisierungsperspektive oder Kulturgeschichte – grundsätzlich stimmen beide Sichtweisen in dem Befund der Gleichzeitigkeit von Statik und Dynamik der Frühen Neuzeit oder Vormoderne überein, wenn sie auch unterschiedliche Akzente setzen. In diesem Buch wird einerseits die Problematik von Statik und D ­ ynamik aufgegriffen und andererseits die Frage nach den Epochencharakteristika der Frühen Neuzeit neu gestellt. Zu diesem Zweck sollen die Ergebnisse der 1 Zur Entstehung der Epochenkonzeption siehe Schulze: Entwicklung, 4 ff. 2 Schulze: Entwicklung, 9.

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Mehrdeutigkeit und Ambiguität

­kulturwissenschaftlichen Forschung, die das Bild von den drei Jahrhunderten nach 1500 in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten massiv verändert haben, aufgegriffen werden, um zu einer Darstellung der Merkmale der Epoche aus der Perspektive der für sie gültigen Normen und Werte zu gelangen. Die große Stärke der Kulturgeschichte besteht darin, dass sie zur Deutung der Vergangenheit auf Ansätze und Theorien aus anderen Disziplinen zurückgreift, und zwar vor allem der Anthropologie und der Soziologie. Ihre Schwäche liegt darin, dass sie zwar recht effektiv ältere Geschichtsbilder und Annahmen dekonstruiert hat, sich aber, von einigen Ausnahmen abgesehen, mit Synthesen, die eine Epoche darstellen, noch schwertut. Das hängt mit einem generellen Misstrauen gegenüber größeren historischen Entwürfen, gegenüber „Meistererzählungen“, zusammen. Verschiedene kulturgeschichtliche Ansätze bzw. „Turns“ 3 haben die Methodik des Faches spürbar verändert und neue Forschungsgebiete erschlossen, für deren Relevanz bis dahin weder die traditionelle Politikgeschichte noch die strukturorientierte Sozialgeschichte Verständnis aufzubringen vermocht hatte. Wie markant dieser historiographische Einschnitt war, wird beispielsweise daran deutlich, dass sich die Politikgeschichte bis vor wenigen Jahrzehnten nicht für Patronage und informelle Beziehungen interessiert hat, womit beispielsweise historische Korruptionsforschung, wie sie heute betrieben wird, noch kaum möglich war. Doch meines Erachtens muss sich auch die Kulturgeschichte auf dem Feld der Erklärung größer angelegter historischer Fragen – nach Epochen und Räumen, ihren Charakteristika und ihren Grenzen, nach den Ursachen und dem Verlauf historischer Prozesse – bewähren und zu Synthesen und Überblicksdarstellungen gelangen.4 Dieses Buch soll dazu einen Beitrag leisten. Im Folgenden wird die europäische Frühe Neuzeit bzw. die Vormoderne somit als eigenständige Epoche dargestellt, die sich fundamental vom modernen Europa unterschied. Die Moderne ist dabei nicht der Bewertungsmaßstab und wird auch nicht als Ziel der historischen Entwicklung angesehen; die vormoderne Normenordnung soll in ihren eigenen Logiken dargestellt und nicht als Vorstufe oder Nachklang einer anderen Epoche bewertet werden. Damit wird nicht die Geschichte der Frühen Neuzeit, sondern in Form eines durch Beispiele aus der Forschung angereicherten überlangen Essays eine Geschichte dargestellt, also ein 3 Einen Überblick über die Turns bietet Bachmann-Medick: Cultural Turns. 4 Vgl. dazu den Appell von Lynn Hunt (Hunt: Kulturgeschichte, 324): „Ich argumentiere, schematisch ausgedrückt, dass turns nicht ausreichen; sie bieten nicht die Roadmap, die eine Meistererzählung oder ein Paradigma für die Forschung darstellen. Jeder l­ inguistic, cultural, spatial, translational usw. turn hat zwar wichtige neue Gebiete entdeckt und aufregende neue Perspektiven für die Forschung eröffnet. Ich will deren Verdienste keineswegs bestreiten. Meine Sorge ist jedoch, dass wir durch Aufgabe des Terrains der Paradigmen und der Metaerzählungen den Weg freimachen für jene, die weniger umsichtig oder mit größerem Eifer ihre Urteile fällen.“

Die Werte- und Normenordnung vormoderner Gesellschaften

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möglicher Zugang zum Verständnis dieser Epoche und ihrer Eigenart auf der Basis eines bestimmten methodischen Zugangs entwickelt. Es wird nicht (wie bei vielen älteren Forschungsrichtungen) die Sphäre politischer und militärischer Entscheidungen an erste Stelle gesetzt und es werden auch nicht übermächtige Strukturen skizziert, die historische Akteure konditionierten. Vielmehr soll die Perspektive dieser Akteure im Zentrum der Darstellung stehen. Sie alle handelten vor dem Hintergrund von Normen und Werten, die zu untersuchen bedeutet, ihre Wahrnehmungen, ihre Handlungsspielräume und ihren Anteil an historischem Wandel zu ermitteln. Dabei ist zu beachten, dass diese Normen und Werte zu einem Teil standes- und geschlechtsspezifisch waren – wohl gab es einen gemeinsamen Normen- und Wertehorizont, doch je nach der gesellschaftlichen Position (in Bezug auf Rang, Geschlecht, Alter und Berufsgruppe) historischer Akteure sind erhebliche Variationen im Hinblick auf deren Wertehorizonte und die an sie gerichteten Handlungserwartungen festzustellen. Normen und Werte bilden zudem nie ein harmonisches Ganzes, sondern produzieren auch Widersprüche, mit denen Akteure umgehen müssen. Wie dies geschieht, ist historisch variabel. Gesellschaftlicher Wandel manifestiert sich besonders auffällig in ­Veränderungen in den Umgangsweisen mit derartigen Widersprüchen. Die Untersuchung des Normen- und Wertehorizonts von Gesellschaften ist folglich besonders gut geeignet, das Verhältnis von Statik und Dynamik neu abzuschätzen. Meine zentrale These lautet, dass die Bereitschaft und Fähigkeit von Akteuren, mit normativen Widersprüchen umzugehen, im Übergang zur Moderne deutlich abnahm. Oder mittels eines (weiter unten noch näher zu erläuternden) psychologischen Fachterminus ausgedrückt: Um 1800 ist eine signifikante Reduktion von Ambiguitätstoleranz zu beobachten. Wenn im Folgenden die Frühe Neuzeit als „Zeitalter der Ambiguität“ beschrieben wird, dann bedeutet das weder, dass wertmäßige und normative Widersprüche oder Mehrdeutigkeiten erst in dieser Zeit entstanden, noch, dass die Moderne im Gegensatz zur Vormoderne mit einem widerspruchsfreien, vereindeutigten Werte- und Normensystem aufwarten konnte. Man kann sogar ganz im Gegenteil zu dem Schluss gelangen, sie sei gerade an der Herstellung eines solchen gescheitert. Es bedeutet vielmehr, dass die Frühe Neuzeit – zum Teil unter Einschluss des späten Mittelalters – durch eine Konkretisierung und Autorisierung von Normen gekennzeichnet war, die in viel stärkerem Maße als zuvor Handlungserwartungen schufen, mit denen die historischen Akteure umzugehen hatten. Konkreter gesagt: Glauben und Religiosität wurden beispielsweise zunehmend an Normen wie der Verpflichtung zur aktiven Teilnahme an bestimmten Riten und der Befolgung frommer Verhaltensweisen gemessen, die auch die Gestaltung des Alltags berührten. Religionszugehörigkeit, so die Erwartung, sollte gelebt, durch bekenntnishafte Handlungen manifestiert und idealerweise verinnerlicht werden. Gleichzeitig sahen sich Akteure mit anderen Handlungserwartungen konfrontiert: Die zu Staaten wachsenden

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Mehrdeutigkeit und Ambiguität

­Gemeinwesen erließen Gesetze und Verordnungen, die das Zusammenleben im Sinne des Gemeinwohls in bis dahin unbekanntem Ausmaß regelten und denjenigen, die diese gesetzten Regeln verletzten, mehr oder weniger effektiv mit Sanktionen drohten. Sanktionen gegen Normbrüche waren aber auch von der unmittelbaren sozialen Umgebung zu gewärtigen, die ebenfalls oft sehr deutliche Erwartungen an das Handeln ihrer Angehörigen hatte: Familien, Netzwerke, Nachbarschaften und berufliche oder ständische Genossenschaften hatten eine normative Funktion, die sie unmittelbar – face to face – auch durchzusetzen vermochten. Auch diese informellen Erwartungen wurden in der Frühen Neuzeit konkreter. Die Konkretisierung von Handlungserwartungen schuf unweigerlich Widersprüche, wenn, um nur ein einfaches Beispiel zu nennen, ein städtischer Bürger auf der Straße unter den Augen und Ohren seiner Nachbarn beleidigt wurde. Um sein soziales Ansehen zu wahren, hatte er seine Ehre zu verteidigen, und dies demonstrativ und notfalls mit Gewalt, womit er aber einerseits die Rechtsordnung verletzte und andererseits gegen das christliche Friedensgebot verstieß. Widersprüche dieser Art fanden sich auf allen Ebenen frühneuzeitlicher Gesellschaften, und sie nahmen in dem Maße zu, in dem Normen konkreter formuliert und energischer eingefordert wurden. Akteure mussten daher Strategien und Handlungsweisen entwickeln, um derartigen Widersprüchen und Mehrdeutigkeiten zu begegnen. Wie sie dies taten, was die Konstellation konkurrierender Normensysteme für Folgen für die Gesellschaft insgesamt hatte und wie Ambiguität sowohl gesellschaftliche Statik begünstigte als auch Dynamik und Wandel, ist Thema dieses Buches. Im 18. Jahrhundert nahm die Akzeptanz von normativen Widersprüchen und Mehrdeutigkeit ab. Die Schaffung von Eindeutigkeit war eines der Kernziele der Aufklärung und wurde auch zur Aufgabe des Staates. Wie dieser Wandel vonstattenging und wie er die Erwartungen an Akteure und ihre Handlungsspielräume veränderte, wird ebenfalls zur Sprache kommen. Normativ eindeutige Gesellschaften ohne Ambiguität standen indes nicht am Ende dieser Entwicklung. Das Leitbild von Eindeutigkeit einer in Kategorien eingeteilten, rational geordneten Welt blieb zwar für lange Zeit – mindestens bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts – ausgesprochen wirkmächtig, kann aber auch als eine Lebenslüge der Moderne gelten. In jüngster Zeit, in der „Postmoderne“, scheint ein pragmatischerer, gelassenerer Umgang mit normativen Widersprüchen (wieder) möglich zu sein, wobei aber einstweilen offenbleiben muss, ob dies überhaupt ein langfristiger Trend ist. Denn auch Konflikte um die Werte- und Normenordnungen nehmen derzeit global in bedrohlichem Ausmaß zu. Gerade deshalb ist es aufschlussreich, sich mit dem voraufklärerischen Normenhorizont zu befassen, nicht nur, weil er einen Kontrast zum modernen Gebot der Eindeutigkeit darstellt, sondern auch, weil der Vergleich zwischen den Normenhorizonten verschiedener Epochen europäischer Geschichte den teleologischen Blick auf den historischen

Die Werte- und Normenordnung vormoderner Gesellschaften

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Pfad des westlich-aufgeklärten Europa einer Prüfung unterzieht. Möglicherweise war die Normenordnung der Moderne nur ein kurzzeitiger, auf den „Westen“ beschränkter Sonderweg. Um zu erläutern, was unter Ambiguität als gesellschaftlichem Phänomen und kulturellem Merkmal zu verstehen ist, soll ein kurzer Blick auf eine vermeintlich ganz andere Normenwelt geworfen werden, die islamischer Gesellschaften in der Vormoderne. Im Vergleich erweist sich der Kontrast zwischen beiden normativen Kulturräumen als geringer als erwartet. Denn auch in islamischen Gesellschaften finden sich ähnliche, wenn auch den christlich-europäischen Verhältnissen nicht vollkommen entsprechende Umgangsweisen mit normativer Mehrdeutigkeit. Und auch in islamischen Gesellschaften fand in den letzten zwei bis drei Jahrhunderten ein drastischer Wandel des Normenhorizonts statt. Unsere Wahrnehmung islamischer Gesellschaften ist stark durch die Gegenwartserfahrung der so genannten Islamisierung bestimmt.5 Dieses schillernde politische Schlagwort bestimmt aktuelle Debatten und hat auch massiv zur Wandlung der politischen Kultur und des gesellschaftlichen Klimas in den Demokratien der westlichen Welt beigetragen. Verstanden wird unter Islamisierung gemeinhin die zunehmende Orientierung islamischer Gesellschaften oder Gruppen an strengen religiösen Normen, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringen, vom Recht über die Politik bis in den Alltag. Die Erfahrung einer Polarisierung zwischen der europäisch-christlichen Welt und der als radikal anders und bedrohlich wahrgenommenen Sphäre des Islam wird in heutigen Debatten nicht selten verabsolutiert und in die Vergangenheit rückprojiziert. Das geschieht nicht nur in politischen Debatten. Auch in der Geschichtswissenschaft findet sich bisweilen die Annahme, vormoderne islamische Gesellschaften, vor allem im Nahen Osten, seien besonders stark religiös geprägt gewesen. Dabei ist jüngst darauf hingewiesen worden, dass allein schon der Begriff „islamische Geschichte“ proble­ matisch ist, weil er a priori von der Dominanz des Religiösen ausgeht und eine gewisse Einheitlichkeit der islamischen Welt und deren grundlegende Differenz zur christlich-europäischen Kultur nahelegt.6 Damit wird ausgeblendet, dass sich der Stellenwert, vor allem aber der Umgang mit Religion gerade in der islamischen Welt in der Moderne radikal verändert hat. In diese Kerbe schlägt der Münsteraner Islamwissenschaftler Thomas Bauer mit seinem 2011 erschienenen Buch Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islam.7 Bauer unterscheidet zwischen der klassischen islamischen Welt von Ägypten über den Iran bis Afghanistan, die er zeitlich zwischen 900 und 1500 einordnet, und den islamischen Gesellschaften in diesem Raum in der Moderne, 5 Vgl. z. B. Hafez/Schmidt: Wahrnehmung. 6 Höfert: Europa, 582 f. 7 T. Bauer: Kultur.

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Mehrdeutigkeit und Ambiguität

also in etwa in den letzten zwei Jahrhunderten. Gemeinsames Merkmal der Gesellschaften dieser Region sei nicht nur die Religion, sondern auch die Verwendung des Arabischen als Schriftsprache gewesen. In der klassischen Periode seien die Bereiche des Rechts, der Religion, der Sprache, der Literatur und der Politik sowie Vorstellungen über Sexualität und der Umgang mit dem Fremden gekennzeichnet gewesen „durch eine gelassene Hinnahme von Vielfalt und Mehrdeutig­keit“.8 Diese ausgeprägte „Ambiguitätstoleranz“ habe sich besonders markant im Rechtswesen gestaltet. Über Jahrhunderte, so Bauer, bestanden vollkommen unvereinbare Rechtsmeinungen nebeneinander, die von verschiedenen Schulen vertreten wurden. Die Justiz habe sich zudem einander ausschließenden Rechtsvorschriften gegenübergesehen. So hätten beispielsweise Rechtshandbücher in Afghanistan die Steinigung von Ehebrechern vorgesehen, aber die Vollstreckung dieser Strafe durch eine Reihe weiterer Vorschriften unmöglich gemacht.9 Dass man mit derlei Widersprüchen offenbar recht gut leben konnte, ist nach Bauer wesentlich auf die koranische Lesartenlehre zurückzuführen. Sie betrachte den Koran von vornherein als ein mehrdeutiges Buch mit breiten Interpretationsspielräumen, für das – um die Vielfalt nicht ausufern zu lassen – schließlich sieben unterschiedliche Lesarten kanonisiert worden seien. Es sei dem Prinzip der – eingehegten – Vielfalt also selbst in der islamischen Theologie Rechnung getragen worden.10 Und schließlich kann der Umgang mit Fremden als Paradebeispiel für Praktiken der Mehrdeutigkeit angesehen werden. Denn in islamischen Staatswesen sei nichtislamischen Gemeinschaften eine rechtliche Stellung zugewiesen worden, die sie einerseits in die herrschende Rechtsordnung integriert, andererseits jedoch durch Restriktionen wie auch spezielle Privilegien marginalisiert und ausgegrenzt habe. Auffallenderweise habe der arabisch-islamischen Welt zumeist der Ehrgeiz gefehlt, religiöse Eindeutigkeit durch Bekehrungszwang durchzusetzen.11 Dieser selbstverständliche Umgang mit Mehrdeutigkeit und Widersprüchen bedeutete nicht deren grenzenlose Akzeptanz, sondern war – wie im Falle der letztlich auf sieben festgelegten koranischen Lesarten – auch von ­Bemühungen um Einhegung von Ambiguität gekennzeichnet; Bauer spricht von „Ambiguitätszähmung“. Er meint damit Prozesse der Disambiguierung, die Mehrdeutigkeit begrenzten, ohne aber das Prinzip der Mehrdeutigkeit aufzugeben, weil dies als Verlust wahrgenommen wäre. Ambiguität wurde gepflegt, aber ­„überschaubar und sozial handhabbar“ gehalten.12 Diese Kultur sei der islamischen Welt ­spätestens im 19. und 20. Jahrhundert nach und nach abhandengekommen und 8 T. Bauer: Kultur, 14. 9 T. Bauer: Kultur, 60. 10 T. Bauer: Kultur, 45 f. und 78. 11 T. Bauer: Kultur, 357, 360 und 366. 12 T. Bauer: Kultur, 57.

Die Werte- und Normenordnung vormoderner Gesellschaften

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in ­„Ambiguitätsintoleranz“ umgeschlagen – mit dem aggressiven Islamismus der Gegenwart als Kulminationspunkt. Denn in der Moderne habe sich der Islam in Auseinandersetzung mit den politischen Ideologien europäischer Herkunft selbst ideologisiert. Die Akzeptanz für Vielfalt, das kontrollierte Zulassen von alternativen Deutungen sei umgeschlagen in ein zunehmend intolerantes Klima der Forderung nach alternativloser Eindeutigkeit, in der beispielsweise die Praxis der kanonisierten alternativen Koranauslegungen in Misskredit geraten ist. Politik darf aus der Sicht islamistisch gesinnter Zeitgenossen nicht als Feld mit eigenen Logiken neben der Religion bestehen, sondern hat sich ihr zu unterwerfen. Dies geht einher mit einem zunehmenden moralischen Rigorismus, der weit in den Alltag reicht. Modernisierung habe für islamische Kulturen die Vernichtung von Ambiguität bedeutet, eine klare Hierarchisierung von Werten und habe letztlich Hass oder Verachtung von Ambiguitätstoleranz hervorgerufen.13 So überzeugend und anregend diese Interpretation auch ist, so ist sie doch meines Erachtens in einem Punkt zu hinterfragen. Thomas Bauer sieht nicht nur eine elementare Differenz zwischen vormoderner Ambiguität und moderner Ambiguitätsfeindlichkeit in islamischen Gesellschaften, sondern kontrastiert auch die Akzeptanz von Mehrdeutigkeit in klassischen islamischen Gesellschaften mit der Ambiguitätsintoleranz europäischer Gesellschaften seit der Antike. Bereits bei Aristoteles sei eine Kritik an zweideutiger Sprache zu finden, worin sich ein abendländisches Ideal der Eindeutigkeit manifestiere.14 Dieses sei dann vom mechanistischen Denken des Rationalismus und noch stärker durch die Aufklärung auf die Spitze getrieben worden, welche die eine, vermeintlich eindeutige Wahrheit zu erkennen gesucht habe.15 Das christliche Europa habe infolgedessen der Mehrdeutigkeit von vornherein mit Skepsis gegenübergestanden und diese schließlich, ab etwa 1600, endgültig zu beseitigen versucht. Diese Deutung, die von einem grundsätzlichen Kontrast zwischen zwei Kulturräumen in der Vormoderne ausgeht, hat durchaus einiges für sich, doch wird meines Erachtens die kulturelle Differenz zwischen dem ambiguitätstoleranten Islam und dem mehrdeutigkeitsfeindlichen christlichen Europa übermäßig konturiert. So nachvollziehbar Bauer den Bruch zwischen dem klassischen Islam und dem ideologisierten Islamismus darstellt, so unterschätzt er doch die Brüche zwischen dem vormodernen und dem modernen Europa. An dieser Stelle setzt das vorliegende Buch an. Es geht von der grundlegenden These aus, dass die Gesellschaften im lateinchristlichen Europa mit normativen Widersprüchen pragmatischer und selbstverständlicher umgingen, als dies ihre 13 T. Bauer: Kultur, 15 f. und 53 f. 14 T. Bauer: Kultur, 31. 15 T. Bauer: Kultur, 32.

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Mehrdeutigkeit und Ambiguität

Nachfahren in der Moderne taten. Insoweit liegt ein Parallelbefund zu den von Thomas Bauer geschilderten Verhältnissen in der klassischen islamischen Welt vor; dort wie im christlichen Europa ist ein erhebliches Maß an Ambiguitätstoleranz zu finden.16 Allerdings unterscheidet sich die vormoderne christlich-europäische Ambiguitätstoleranz in einem entscheidenden Punkt von der des klassischen Islam: Während dort laut Bauer bei vielen Akteuren eine grundsätzliche Akzeptanz der Koexistenz von unterschiedlichen und zum Teil widersprüchlichen Weltdeutungen, Werten und daraus abgeleiteten Regeln und Handlungserwartungen zu finden war, fehlte diese Grundhaltung gelassener Hinnahme von Widersprüchen im Westen weitgehend. Ambiguitätstoleranz im christlichen Europa war das nolens volens zustande gekommene Resultat des Umgangs mit widerstreitenden Normen und Werten. Akteure in diesem Raum sahen sich viel stärker energisch ausformulierten Handlungserwartungen gegenüber als ihre Zeitgenossen in islamischen Gesellschaften. Werte und Normen koexistierten nicht einfach, sondern befanden sich in einer zumindest latenten Konfliktsituation. Normenkonkurrenz stellte Akteure im frühneuzeitlichen Europa immer wieder vor die Notwendigkeit, sich zwischen widerstreitenden, gleichermaßen gültigen Handlungserwartungen zu entscheiden. Aus dieser potenziell konfliktiven Grundkonstellation heraus entstanden Umgangsweisen mit Werte- und Normenkonflikten, die sich dann im Ergebnis nicht fundamental von denen im klassischen Islam unterschieden. Auch das christliche Europa erlebte insoweit ein „Zeitalter der Ambiguität“, das sich aber konfliktträchtiger, prekärer und auch dynamischer als das des klassischen Islam gestaltete. Das lateinchristliche Europa ist der kulturelle Raum, der in diesem Buch behandelt wird. Gemeint ist damit die Gesamtheit der Gesellschaften in Europa, die sich bis zur Reformation zur römisch-katholischen Kirche bekannten und sich dann in verschiedene Konfessionen und kleinere religiöse Gruppen aufspalteten. „Kulturraum“ ist ein heikler Begriff, weil er eine Geschlossenheit und Abgrenzbarkeit suggerieren kann, die aus Sicht der neueren kulturhistorischen Forschung so nie gegeben war. Kulturen haben keine festen Außengrenzen, sie sind in der Regel vielfältig und variantenreich und werden von Akteuren je nach gesellschaftlicher Position, nach Geschlecht, sozialem Stand, Glauben und Alltags­ erfahrung auf je eigene Weise angenommen. Sie unterliegen zudem ständigen Prozessen des Wandels und der Vermischung, sind also grundsätzlich hybrid und haben insoweit keinen reinen Kern und ebenso wenig bastardisierte Ränder. ­Kulturen bieten Identifikationsangebote, legen Weltsichten nahe und eröffnen den in ihnen lebenden Akteuren Handlungskorridore – in denen diese sich meist 16 Zur Kritik am Kontrast zwischen islamischer Ambiguitätstoleranz und christlicher Ambiguitätsintoleranz mit Bezug auf das Mittelalter siehe: M. Münkler: Ambiguität, 119.

Die Werte- und Normenordnung vormoderner Gesellschaften

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in eingegrenzter Weise bewegen, aber nicht synchron.17 Wenn im Folgenden von „Europa“ die Rede ist, dann im Sinne eines variantenreichen kulturellen Grundmusters. Wolfgang Reinhard hat darauf hingewiesen, dass von einer gemeinsamen politischen Kultur Europas insoweit die Rede sein könne, als die Gemeinwesen in weiten Teilen des Kontinents auf einen institutionellen Grundbestand hätten zurückgreifen können, der überwiegend auf die römische Kirche zurückzuführen sei.18 Ein mehr oder weniger spannungsreiches Verhältnis von Staat und Kirche, eine durch unterschiedlich ausgeprägte Begrenzungen von Herrschaft gekennzeichnete politische Kultur und die Koexistenz zahlreicher Gemeinwesen, die sich zwar nicht als gleichrangig verstanden, von denen aber seit dem Mittelalter keines auf Dauer die anderen zu dominieren vermochte, sind kulturelle Charakteristika dieses Raumes. Auch die gemeinsame Erfahrung der konfessionellen Spaltung kann als Merkmal genannt werden. „Europa“ kann darüber hinaus als ein Raum verdichteter Beziehungen und relativ intensiven wirtschaftlichen, kulturellen und – friedlichen wie kriegerischen – politischen Austausches betrachtet werden. Aus pragmatischen Gründen werden im Folgenden nur die lateinchristlichen Gesellschaften, nicht aber die verstreut auf dem Kontinent wohnenden Juden behandelt. Ein Vergleich der Ambiguität christlicher und jüdischer Kulturen wäre zweifellos sehr reizvoll, kann hier aber nicht geleistet werden; Gleiches gilt für christlich-orthodoxe Gesellschaften. „Europa“ soll im Sinne der „dezentrierenden“ Geschichtsschreibung 19 als ein Raum unter vielen verstanden werden; als ein Raum, der kein scharf nach außen abgegrenzter „Container“ war und auch nicht ist, sondern vielmehr mit anderen Räumen in Verbindung stand und dessen Kultur nicht ohne eine Vielzahl von Austauschprozessen mit Akteuren außerhalb dieses Raumes zu verstehen ist – und der auch anders hätte definiert werden können, wenn das Judentum, das orthodoxe Christentum oder der Islam im Sinne einer Geschichte monotheistisch geprägter Kulturen mit einbezogen worden wären.20 Aufgrund ihrer Vielgestaltigkeit, zahlreicher äußerer Einflüsse und ihrer Wandlungsfreudigkeit sind Kulturen stets Setzungen, die räumlich oder ethnisch nur mit einer gewissen Willkür einzugrenzen sind. Sie können aber pragmatisch anhand gemeinsamer Merkmale beschrieben werden – die vormoderne Umgangsweise mit Widersprüchen und Mehrdeutigkeiten im frühneuzeitlichen lateinchristlichen Europa stellt ein solches Merkmal dar. Der in diesem Buch behandelte Zeitraum wird bewusst in seinem Anfang nicht klar eingegrenzt, auch wenn im Kern die Frühe Neuzeit behandelt wird. 17 Zur komplexen Geschichte des Begriffs „Kultur“ in der Historiographie vgl. Vaughan: Kultur. 18 Reinhard: Zusammenfassung, 436. 19 Davis: Dezentrierende Geschichtsschreibung. 20 Vgl. etwa Borgolte: Über europäische und globale Geschichte, 59.

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Doch wird teilweise auch das Spätmittelalter mit einbezogen, also die zwei bis drei Jahrhunderte vor 1500, da dieser Zeitraum für die Formation der zu behandelnden Normenordnung entscheidend war und kein klarer Bruch im Übergang zum 16. Jahrhundert auszumachen ist. Hingegen wird der Schnitt, mit dem der behandelte Zeitraum endet, schärfer gesetzt. Denn dass die europäischen Gesellschaften um 1800 einen fundamentalen und relativ raschen Wandel im Hinblick auf die Gesellschaftsstrukturen, die Wahrnehmung der Welt und die politische Kultur erfuhren, ist mittlerweile mit guten Gründen die Mehrheitsmeinung der kulturhistorischen Frühneuzeitforschung. Damit hat sich die Frühe Neuzeit von der Neuesten Zeit oder Moderne entfernt, während sie ein Stück weit mit dem späten Mittelalter zur „Vormoderne“ zusammengewachsen ist. Die ständisch organisierte und hierarchisch gedachte Gesellschaft, die Einheit von Familie, Wohnen und Arbeiten im „Ganzen Haus“, die lange Kontinuität von Institutionen und Körperschaften wie Städten, Zünften und Universitäten und die Selbstverständlichkeit des Glaubens an Gott und das ewige Leben sind Merkmale dieses langen Zeitraumes.21 Das Verhältnis von Statik und Dynamik ist seit langem ein zentrales Debattenthema der Frühneuzeithistoriographie.22 Einer statisch angelegten und gedachten Sozialordnung standen in der Frühen Neuzeit Entwicklungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen gegenüber, die diese Statik unter Druck setzten, unterliefen und mitunter zur Fiktion werden ließen. Gerade dann, wenn man die Fremdheit der Frühen Neuzeit betont, wenn man die Vergangenheit mit „ethnologischem Blick“ betrachtet, sie also als grundsätzlich anders, fremd und deutungsbedürftig auffasst,23 sollten nicht nur die Andersartigkeit und ihre vergangenen Regeln und Logiken im Sinne der „Dichten Beschreibung“24 erklärt werden, sondern auch ihr Entwicklungspotenzial. Denn geht man von der Fremdheit historischer Gesellschaften aus, dann muss es auch Entwicklungen und Prozesse gegeben haben, die – vorläufig – bis ins anders strukturierte Hier und Jetzt geführt haben. Entscheidend bei der Untersuchung historischer Prozesse ist aber, nicht einfach Entwicklungslinien von der Vergangenheit in die Gegenwart zu ziehen. Denn in einer derart teleologischen, rein vom Ziel gedachten Perspektive würden die zahlreichen historischen Umwege, Sackgassen, Alternativen und zufälligen Entwicklungen unter den Tisch fallen. Indem Entwicklungen und die P ­ rozesshaftigkeit der Geschichte in den Blick genommen werden, wird nicht einfach nur eine Vorgeschichte der Moderne gezeichnet, die uns über direkte Entwicklungslinien 21 Jaser: Lieber „Tausend Jahre Verlegenheit“?, 85 ff. 22 Neuhaus: Frühe Neuzeit, 1. 23 Medick: „Missionare im Ruderboot?“; die Debatte um die Fremdheitsperspektive kurz zusammengefasst bei Stollberg-Rilinger: Symbolische Kommunikation, 491. 24 Geertz: Dichte Beschreibung.

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zum besseren Verständnis der gewordenen Gegenwart verhilft. Vielmehr soll im Folgenden eine andere, in steter Veränderung begriffene Gesellschaftsform beschrieben werden, die im behandelten Zeitraum aber eine gewisse Systemstabilität aufwies in Form eines bestimmten Werte- und Normenhorizonts. „Systemstabilität“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht Statik, sondern Veränderung innerhalb des Systemtyps, also Wandel innerhalb der Grenzen eines kulturellen Systems, das nicht aufgesprengt, mithin nicht durch eine grundlegend andere Gesellschaftsform ersetzt wird. Vor und insbesondere nach dieser Phase lassen sich markante Transformationen erkennen, die als historische Beschleunigungsphasen zu verstehen sind. In diesen Zeiträumen wandelte sich die Gesellschaft so fundamental, dass von einer neuen Gesellschaftsform gesprochen werden muss, mit der ein grundsätzlich anderes Werte- und Normensystem entstand. Statt einer linearen Fortschrittserzählung geht es also um historische Kontraste und unterschiedliche Geschwindigkeiten historischer Entwicklung.25 Dieses Buch geht in vier Schritten vor. Zunächst soll im zweiten Teil der Aufstieg von Werten und Normen – eingeteilt in drei Normensysteme – im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit beschrieben werden; angesichts der ­langen Vorgeschichte der frühneuzeitlichen Normenordnung sind in diesem Teil auch die Jahrhunderte vor 1500 zu berücksichtigen. Dabei wird es darum gehen, warum bzw. durch welche Kräfte und mit welchen Folgen sich Wertehorizont und Normenkompass wandelten. In diesem Zusammenhang sollen Werte und Normen, wie noch näher zu erläutern sein wird, nicht als Idealgebilde verstanden werden, die auf menschliches Handeln einwirkten, sondern als Vorstellungen vom Guten und Schlechten, die wesentlich durch das menschliche Handeln selbst hervorgebracht, verfestigt, verworfen oder verändert werden. Es wird also keine idealistische, sondern eine handlungsorientierte bzw. praxeologische Perspek­tive eingenommen. Vorstellungen und Ideen einerseits und Handlungsweisen anderer­ seits wirken aufeinander ein. Anschließend sollen die verschiedenen Normensysteme in drei Teilen in Interaktion untersucht und die dabei auftretenden Widersprüche und Konflikte behandelt werden. Dies soll beispielhaft anhand von drei Handlungsfeldern geschehen, 25 Nachdem die traditionellen Modelle vom Aufstieg des rationalen Westens an Überzeugungskraft eingebüßt haben, stehen Ansätze, die sich explizit mit historischem Wandel beschäftigen, oft unter dem Generalverdacht der eurozentrischen Fortschrittserzählung. Gegen dieses grundlegende Misstrauen gegen historische Prozesskategorien hat sich jüngst Barbara Stollberg-Rilinger in einem Appell gewendet: „Ohne die forschungspraktische Berechtigung von ,dichten Beschreibungen‘ und mikrogeschichtlichen Zugriffen abwerten zu wollen: Was nottut, ist eine umsichtige, spielerische und unbefangene Reflexion über die geschichtstheoretische Validität und die historiographische Repräsentation langfristigen historischen Wandels, und zwar ohne Berücksichtigung voreingenommener kulturalistischer Sagbarkeitsregimes.“ Stollberg-Rilinger: Die Frühe Neuzeit, 4.

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für welche die Forschungslage jeweils besonders gut ist und die auch Vergleiche zwischen verschiedenen Gesellschaften im lateinchristlichen Europa zulässt: Glaube und Frömmigkeit; die (sozio-)politische Ordnung Europas zwischen dynastischen Beziehungen und Staatenwelt; die Regierungen und Behörden der wachsenden Staatswesen. Der zeitliche Schwerpunkt dieser Teile liegt in der Frühen Neuzeit, und zwar vor allem auf dem 16., 17. und frühen 18. Jahrhundert, einem Zeitraum, der als Höhepunkt des „Zeitalters der Ambiguität“ und als Phase besonders ausgeprägter Normenkonkurrenz gelten kann. Dabei wird nicht nur zu fragen sein, auf welchen Handlungsfeldern sich Akteure gegensätzlichen und widersprüchlichen Handlungserwartungen ausgesetzt sahen und wie sie auf diese Herausforderungen reagierten. Vielmehr sollen auch konvergente Überlagerungen von Normen betrachtet werden, denn die Koexistenz verschiedener Normensysteme produzierte nicht nur Widersprüche, sondern unterschiedliche Normen konnten sich auch gegenseitig verstärken. Wenn beispielsweise die Kirche die Heiligung des Sonntags und in diesem Zusammenhang vor allem den regelmäßigen Kirchgang erwartete, dann war das eine legitime, aber vielleicht nicht wirklich durchschlagende Handlungserwartung, zumal wenn auch das Wirtshaus sonntags geöffnet hatte. Wenn aber das ganze Dorf oder die Nachbarschaft von ihren Angehörigen erwartete, dass diese als Teil der Gestaltung des Sonntags den Gottesdienst besuchten, dann haben wir es nicht nur mit einer religiösen, sondern auch mit einer sozialen Norm zu tun. In einem derartigen Fall ist es wahrscheinlich, dass die Mitglieder der entsprechende Erwartungen hegenden Gemeinschaft von vornherein mit dieser Handlungserwartung aufwuchsen, also entsprechend sozialisiert wurden. Der Besuch des Gotteshauses wird so zur unhinterfragten Selbstverständlichkeit, die sich als Folge der Überlagerung und gegenseitigen Verstärkung zweier Normensysteme verfestigt hat. Das Beispiel des Kirchgangs zeigt auch, dass der Umgang mit Handlungserwartungen nicht im Sinne immer wieder neu und ergebnisoffen getroffener Entscheidungen erfolgt. Vielmehr bilden sich Handlungspfade heraus, die oft unreflektiert befolgt werden. Das gilt besonders für die Überlagerung von Normen, betrifft aber auch widerstreitende Handlungserwartungen. Denn da solche ein Alltagsphänomen darstellten und folglich die Akteure häufig unter Entscheidungsdruck setzten, entwickelten diese bewusst oder unbewusst Routinen und Strategien – und akzeptierten damit normative Mehrdeutigkeit, mithin: entwickelten Ambiguitätstoleranz. Die Umgangsweisen mit Normenkonkurrenz sind der Gegenstand des sechsten Teils. Es werden darin verschiedene Verhaltensstile und -weisen identifiziert, derer sich Akteure in einer von Normenkonkurrenz gekennzeichneten Welt befleißigten. Daran schließt sich die Frage an, ob dieser Katalog von Verhaltensweisen tatsächlich typisch für unsere vormodernen Vorfahren war und wie groß der Unterschied von Verhaltensspielräumen und Handlungslogiken zwischen vormodernen und modernen Akteuren tatsächlich ist. Zu

Begriffliche Vorklärungen

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diesem Zweck wird im letzten Teil zunächst dargestellt, wie sich der Normenhorizont im Übergang zur Moderne – im 18. und frühen 19. Jahrhundert – veränderte und wie auf vielen Handlungsfeldern das Bestreben nach Eindeutigkeit Ambiguitätstoleranz unter Druck setzte. Bezüglich des Normenhorizonts und der Bereitschaft, Mehrdeutigkeit zu akzeptieren, kann meines Erachtens von einem grundlegenden Systemwechsel gesprochen werden. Der moderne, auf Eindeutigkeit und klare Kategorien gepolte Normen- und Wertehorizont veränderte die politische Kultur ebenso wie das soziale Leben und die Frömmigkeit sowie die mit ihnen verbundenen Rollenmodelle. Inwieweit dem Zeitalter der Ambiguität eine Epoche der Eindeutigkeit folgte, ist abschließend, nicht zuletzt unter Würdigung der Widersprüche, welche die Moderne produzierte, zu diskutieren. Ist die Moderne als Abkehr von einer Kultur der Ambiguitätstoleranz zu werten? Und wie ging sie mit ihrer eigenen Mehrdeutigkeit und Widersprüchlichkeit um? Das Postulat der grundsätzlichen Andersartigkeit der Vormoderne ist also abschließend noch einmal auf den Prüfstand zu stellen.

Begriffliche Vorklärungen Kultur und Ambiguität

In diesem Buch wird nach der „Kultur“ einer Zeit gefragt, es befasst sich also mit der Vergangenheit als einer eigenen Logiken folgenden Welt, in der uns vertraute Begriffe und Handlungsweisen mitunter in ganz anderen Kontexten stehen. Kultur­ geschichte geht vom Menschen aus und betrachtet ihn einerseits als ein von der Kultur, in der er lebt, geprägtes Wesen, das aber andererseits durch sein Handeln auch Kultur hervorbringt und damit verändert. Kultur umfasst dabei den gesamten Bereich der menschlichen Erfahrung und der aus ihr hervorgehenden Äußerungen.26 Kultur ist folglich ständigem Wandel unterworfen, also weder ein statisches Gebilde noch ein – wie Hegels „Volksgeist“ – überzeitlich vorhandenes Wesen, sondern Produkt von Handlungsweisen; sie wird zwischen Akteuren „ausgehandelt“. Praktiken stehen daher im Zentrum vieler kulturhistorischer Forschungen, und die „praxeologischen“ Ansätze haben die Frage von Kontinuität und Wandel in der Geschichte wieder belebt. Neues, so die gemeinsame Grundlage dieser Forschungen, entsteht aus Handlungen, und zwar im Sinne des Zusammenspiels von Einzelhandlungen vieler Akteure, die teils einfach eingespielten Mustern folgen, teils aber auch kreativ handeln oder sich widerständig verhalten. Menschliches Handeln wird also weder als in Strukturen festgezurrt betrachtet noch auf Aktivitäten von 26 Zusammenfassend Tschopp: Die Neue Kulturgeschichte.

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Individuen reduziert. Es verläuft nicht chaotisch und völlig unvorhersehbar, ­sondern wird durch Handlungsspielräume begrenzt, die bestimmte Handlungsmuster nahelegen. Akteure wissen in der Regel um diese Handlungsspielräume, was aber noch lange nicht heißt, dass sie ihnen stets folgen. Denn um Ziele zu erreichen, setzen sie ihr Wissen ein, umgehen Regeln oder tun so, als ob sie sich an diese halten, missachten sie bisweilen und sondieren, wie stark sie dadurch Sanktionen ausgesetzt sind. Soziales Leben wird in praxeologischer Perspektive dynamisch gedacht, und Aushandlung bedeutet, dass die Grenzen der Handlungsspielräume immer wieder ausgetestet und damit verändert werden. Handlungserwartungen müssen sich folglich in den Dynamiken der Gesellschaft bewähren.27 Stehen Individuen unterschiedlichen oder gar unvereinbaren Handlungserwartungen gegenüber, dann müssen sie mit diesem Problem umgehen. Das kann unbewusst – etwa über eingespielte Handlungsroutinen – oder in bewusster Entscheidung geschehen. Wie bereits dargelegt, gehe ich davon aus, dass Menschen in frühneuzeitlichen Gesellschaften Europas mehr als zuvor unterschiedlichen Handlungserwartungen ausgesetzt waren und diese zudem in besonders konkreter und fordernder Weise an sie herangetragen wurden. Das heißt nicht, dass diese Handlungserwartungen grundsätzlich widersprüchlich zueinander sein mussten. Doch es stieg das Ausmaß an normativen Widersprüchen, an gegensätzlichen und unvereinbaren Handlungserwartungen. Der Modus, das „Wie“ des Umgehens von Akteuren mit derartigen Anforderungen ist das zentrale Thema dieses Buches. Der oft geforderten Eindeutigkeit – im religiösen Bekenntnis, im Verhältnis zur Obrigkeit, im Umgang mit dem sozialen Umfeld – standen Praktiken ­gegenüber, mittels derer Akteure nicht auf die getreue Umsetzung der an sie gerichteten Anforderungen zielten, sondern die ihnen im Umgang mit widersprüchlichen Verhaltensanforderungen dienlich waren. Dieser Modus des Umgangs mit Widersprüchen kann mit Thomas Bauer als „kulturelle Ambiguität“ bezeichnet werden. Während der Begriff Ambiguität Mehrdeutigkeit, Doppelsinn und Vagheit umfasst, ist „kulturelle Ambiguität“ in einem breiteren Sinn zu verstehen als die Summe der Verhaltensformen bzw. -muster im Umgang mit Mehrdeutigkeit, die zu deren grundsätzlicher Akzeptanz beitragen: „Sprache, Gesten und Zeichen lassen Eindeutigkeit vermissen, Handlungen müssen interpretiert, Normen ausgelegt werden, einander widersprechende Werte müssen miteinander versöhnt oder unversöhnt nebeneinander toleriert werden.“28 Man findet „Doppeldeutigkeit, wo man heute Eindeutigkeit erwarten würde, und Unausgetragenheit, wo man heute eine definitive Entscheidung für nötig halten würde“.29 27 Brendecke: Von Postulaten zu Praktiken; Freist: Historische Praxeologie; Füssel: Per­ spektiven. 28 T. Bauer: Kultur, 17. Vgl. auch Cavarzere: Workings, 383. 29 Stollberg-Rilinger: Des Kaisers alte Kleider, 85.

Begriffliche Vorklärungen

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Der kulturelle Modus der Ambiguität führte im lateinchristlichen Europa der Vormoderne dazu, dass Mehrdeutigkeiten keine besonders ausgeprägte innere Zerrissenheit und schwere Gewissenskonflikte von Individuen auslösten. Vielmehr besaßen viele Akteure in von Ambiguität geprägten Gesellschaften die Fähigkeit, Uneindeutigkeiten in einer Situation zu ertragen und mit ihnen kreativ umzugehen; sie waren vergleichsweise „ambiguitätstolerant“.30 Sie konnten auf Handlungsweisen zurückgreifen, mit denen sie Widersprüche zwischen konkurrierenden Handlungserwartungen akzeptierten, entschärften, einhegten, überspielten, ignorierten oder gar zu ihrem Vorteil ausnutzten. Daher bestand meistens keine Notwendigkeit, Widersprüche und Mehrdeutigkeiten zu eliminieren – das ist eine fundamentale Differenz zur Moderne. Akteure im frühneuzeitlichen Europa näherten sich damit in ihren Verhaltensmustern den von Thomas Bauer beschriebenen Angehörigen islamischer Gesellschaften der Vormoderne an: Sie erlangten eine gewisse Ambiguitätstoleranz.31 Es handelt sich dabei um eine generelle, die gesamte Gesellschaft – also nicht nur besonders befähigte Individuen – erfassende kulturelle Praxis. Ambiguitätstoleranz ist historisch wandelbar, nicht nur in islamischen, sondern auch in den lateinchristlichen Gesellschaften. Sie ging hier wie dort in der Moderne zum Teil verloren bzw. wurde verleugnet und schlug auf einigen Handlungsfeldern in Ambiguitätsintoleranz um. Das Ausmaß an Ambiguitätstoleranz ist demnach ein zentrales gesellschaftliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Früher Neuzeit und Moderne. Allerdings dürfen wir uns die frühneuzeitliche Ambiguitätstoleranz nicht zu harmonisch vorstellen. Es war bereits die Rede davon, dass dem christlicheuropäischen Umgang mit widerstreitenden Werten und Normen die Gelassenheit fehlte, die sich nach Thomas Bauer zumindest phasenweise bei islamischen Akteuren dieser Zeit findet. Ambiguitätstoleranz war im christlichen Europa zwar weit verbreitet, galt aber an sich nicht als tugendhaft. Sie war kein Ideal, dem zu folgen Ansehen einbrachte, sondern wurde mehr oder weniger offen ausgeübt, um mit Widersprüchen umzugehen. Sie konnte durchaus effektiv verteidigt werden, aber sie war immer auch angreifbar. Denn schon in der antiken Moralphilosophie tauchen sinceritas und veracitas als Verhaltensideale auf – Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit waren gefordert. Menschen sollten also idealerweise einem authentischen, an eigenen Überzeugungen orientierten und Verstellung vermeidenden Verhaltensstil folgen.32 Bereits einer der Kirchenväter, Augustinus, 30 M. Münkler: Ambiguität, 119, die kritisiert, dass „kulturelle Ambiguität“ den Begriff „Ambiguitätstoleranz“ bei Thomas Bauer weitgehend absorbiere. 31 Vgl. auch die Definition von Ambiguitätstoleranz in Giesers: Zwischen Ambiguität und Integrität, 41 („Fähigkeit die Vieldeutigkeit der komplexen Realität ertragen zu können“). 32 Benthien/Marthus: Einleitung, 1 ff.

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führte diese Auffassung in das Christentum ein, ja radikalisierte sie: Er forderte von den Christen unbedingte Wahrheitsliebe; die Lüge komme einer Rebellion gegen die Ordnung Gottes gleich. Scholastische Theologen, vor allem Thomas von Aquin, nahmen eine etwas moderatere Position ein, wenn sie Wahrhaftigkeit als eine sittliche Grundhaltung ansahen, die aber in einem Wechselverhältnis zu anderen Tugenden stehe: Zwar schulde der Christ seinem Schöpfer Aufrichtigkeit und Vermeidung der Lüge, doch Liebe und Klugheit geböten bisweilen ein Abweichen von reiner Wahrhaftigkeit. Die Umstände seien zu betrachten: Wer einen Mitmenschen vor einer unerträglichen Wahrheit bewahren wolle oder um sein Leben fürchten müsse, sei zu einem gewissen Maß an Verstellung berechtigt, wenn nicht sogar aufgefordert.33 Hier deutet sich das noch näher darzustellende Prinzip der Kasuistik an, das heißt die Prüfung der Umstände im Fall eines Normenkonflikts. Das Gebot der Aufrichtigkeit stand einer gelassenen Ambiguitätstoleranz entgegen. Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit und Reinheit wurden immer wieder in Stellung gebracht gegen einen allzu laschen Umgang mit Werten und Normen. Mehrdeutigkeit stand im Generalverdacht der Unaufrichtigkeit und damit in Spannung mit dem christlichen Bekenntnis. Im Rechtfertigungsdekret des 1563 abgeschlossenen Trienter Konzils wurde der Versuch unternommen, das Problem mittels theologischer Logik aus der Welt zu schaffen: Die göttlichen Gebote seien für jeden (katholischen) Christen stets erfüllbar, denn Gott als allmächtiger Schöpfer verlange vom Menschen nichts Unerreichbares und führe ihn nicht in Situationen, die keinen Ausweg böten. Dass die Dinge in der Praxis komplizierter lagen, zeigen die sich das ganze folgende Jahrhundert erhebenden Debatten um die Frage, wie Moral und normative Widersprüche konkret miteinander vereinbar seien.34 Europäisch-christliche Ambiguitätstoleranz war also durch ein Nebeneinander von Praktiken und teils schroff entgegengesetzten Idealen gekennzeichnet. Allein schon mit dieser Grundkonstellation umzugehen, zwang Individuen gewissermaßen zu Ambiguitätstoleranz. Sie evozierte aber auch immer wieder den Ruf nach Disambiguierung, nach der Auflösung von Widersprüchen und Mehrdeutigkeit durch die Schaffung von klaren, eindeutigen Normen. Ambiguität im lateinchristlichen Europa war daher prekärer als im vormodernen Islam.

33 Danneberg: Aufrichtigkeit, 70 ff.; Schockenhoff: Zur Lüge verdammt?, 43 ff. 34 Schockenhoff: Zur Lüge verdammt?, 90 ff. Zu meditativer Literatur als Trägerin des Aufrichtigkeitspostulats im nachtridentinischen Katholizismus siehe Wodianka: Silberblick, 110 ff.

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Werte und Normen

Bevor wir uns der vormodernen Werte- und Normenordnung und ihrer Ambiguität zuwenden, sind noch einige weitere Begriffe zu klären, die überwiegend aus der soziologischen Forschung stammen. Dass Werte umstritten sind, versteht sich für einen Zeitgenossen des frühen 21. Jahrhunderts von selbst; dass Wertekonflikte Gesellschaften massiv belasten können, ebenfalls. Werte sind zentrale Elemente der Kultur einer Gesellschaft. Es handelt sich bei ihnen um bewusste oder auch unbewusste Vorstellungen vom Wünschenswerten. Meist sind sie relativ stabil, aber nicht unveränderbar; letztlich stellen sie soziokulturelle Konstruktionen dar, die in kommunikativem Handeln entstehen. Sie werden kollektiv geteilt – von einer Gesellschaft insgesamt oder von Gruppen in ihr –, und sie sind abstrakter Natur. Das bedeutet, dass sie keinen direkten Handlungsbezug haben; was für Handlungsweisen aus Werten abzuleiten ist, kann durchaus umstritten sein. Genau das macht ihre Stabilität aus – sie müssen sich nicht fortwährend im sozialen Leben in konkreten Handlungssituationen bewähren. Sie sind gewissermaßen unscharf und haben gerade deshalb eine hohe integrative Wirkung in einer Gesellschaft. Sich auf sie zu berufen, verleiht dem eigenen Handeln Legitimität und kann der Durchsetzung von Interessen behilflich sein.35 Vormoderne Akteure reflektierten kaum über Konflikte zwischen Werten, weil sie im Prinzip davon ausgingen, dass die Welt als vom allmächtigen Gott geschaffene Ordnung grundsätzlich harmonisch gestaltet war. Das heißt aber nicht, dass es keine Konflikte um Werte gab; sie wurden aber als Deutungskonflikte wahrgenommen. Diese betrafen nicht die Werte selbst, sondern die aus ihnen abzuleitenden Tugenden, die als Verbindungsglieder zwischen der abstrakten Welt der gegebenen Werte und dem Feld menschlichen Handelns dienten. Tugenden sind Leitbilder des Handelns; sie betreffen charakterliche Eigenschaften und Handlungsdispositionen eines Individuums oder auch einer Gruppe. Beispielsweise sind Mönche und Nonnen bestimmten, aus den Werten der Demut und der Enthaltsamkeit abgeleiteten Tugenden verpflichtet, etwa dem Verzicht und dem Maßhalten im Sinne sexueller Enthaltsamkeit oder der Vermeidung von Völlerei. Auch Tugenden verliehen menschlichem Handeln Legitimation und wurden aufgrund ihrer direkten Wertebindung kaum prinzipiell in Frage gestellt, konnten aber durch übermäßige Befolgung überstrapaziert werden und in Maßlosigkeit umschlagen.36 Tugenden waren auch als jeweils gottgefällige Alternativmodelle denkbar, die sehr gegensätzliche Handlungsmuster legitimieren konnten. Das 35 Hoffmann-Rehnitz: Normenkonflikte; Peuckert: Werte; Stollberg-Rilinger: Einleitung [Wertekonflikte – Deutungskonflikte], 9 f. und 15. 36 Siep: Streit, 147; Stollberg-Rilinger: Einleitung [Wertekonflikte – Deutungskonflikte], 297.

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galt beispielsweise für die vita contemplativa der Mönche und Nonnen und die vita activa eines Handwerkers oder Kaufmanns. In beiden Fällen handelt es sich um tugendgeleitete Lebensmodelle, die zwar vollkommen gegensätzlich waren, aber beide als legitim galten; ob diese Tugendentwürfe als gleichgewichtig gelten konnten, war allerdings umstritten.37 Demnach standen die Zeitgenossen des vormodernen Europa unter einem gemeinsamen Wertehorizont, der ihnen verschiedene Pfade tugendhaften Lebens eröffnete, je nach gesellschaftlicher Rolle. Das Tugendspektrum ermöglichte es, eine sich ausdifferenzierende Gesellschaft wertmäßig zusammenzuhalten. Mit den Normen gelangen wir schließlich auf die konkrete Ebene menschlichen Handelns. Ihre Leistung besteht darin, Werte und Tugenden zu konkretisieren und auf die Handlungsebene zu übersetzen. Sie können als Handlungserwartungen verstanden werden, welche von der Gesellschaft oder bestimmten Gruppen auf der Basis der für sie geltenden Werte an Individuen und Gruppen gerichtet werden. Sie sind also allgemein akzeptierte und daher verbindliche Vorschriften für menschliches Handeln.38 In der Rechtswissenschaft und im Alltagsverständnis werden Normen oft mit Rechtsnormen gleichgesetzt, also mit schriftlich fixierten Rechtsvorschriften. In diesem Verständnis wird zwischen der Rechtsnorm und der Rechtswirklichkeit unterschieden. Dabei wird oft übersehen, dass menschliches Handeln selbst in der von weitreichender Verrechtlichung gekennzeichneten Gegenwart nur zu einem relativ geringen Teil direkt von Rechtsnormen bestimmt wird. Mindestens so bedeutsam wie diese sind Handlungserwartungen der sozialen Umgebung, die zwar Rechtsnormen entsprechen können, aber nicht müssen, zumal sie auch Handlungsformen betreffen, die gar nicht rechtlich geregelt sind. So ist keinem Rechtstext zu entnehmen, dass man sich per Handschlag begrüßt, und doch wird diese Handlung in vielen europäischen Gesellschaften erwartet und gegebenenfalls eingefordert. Normen in diesem Sinne sind praktisch allgegenwärtig – für den Freiburger Soziologen Heinrich Popitz ist die Gesellschaft nur normativ konstruiert vorstellbar und menschliches Handeln immer dann, wenn es in Interaktion mit anderen stattfindet, mit Normen verbunden. Denn wenn Menschen mit anderen kommunizieren, sind sie stets auch mit deren Handlungserwartungen konfrontiert und werden sich auf irgendeine Weise darauf einstellen. Das bedeutet nicht, dass Akteure stets bewusst mit den Erwartungen anderer rechnen. Normen können auch infolge von Sozialisation habitualisiert werden, das heißt, sie werden internalisiert und damit zur nicht mehr reflektierten 37 Schmitt: Welche Geschichte, 30 f. 38 Diese Definition orientiert sich an Peuckert: Norm, soziale, 213. Peuckert verwendet dabei den Begriff „soziale Normen“ der in diesem Buch in einem engeren Sinne verstanden wird. Zur Begriffsklärung siehe den folgenden Absatz zu den verschiedenen Kategorien von Normen.

Begriffliche Vorklärungen

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Selbstverständlichkeit. Normen sind insoweit sehr leistungsfähig und nützlich, als sie Akteure von der Notwendigkeit entlasten, immer wieder für jede Situation passende Handlungsweisen zu entwerfen.39 Normen sollen im Folgenden in drei Gruppen eingeteilt werden, u­ nterschieden nach den Werten, von denen sie abgeleitet werden, nach Zentren der Normsetzung, also Akteuren, die sie auf bestimmten Wegen der Vermittlung durchzusetzen suchen, und nach gesellschaftlichen Feldern, auf denen sie Gültigkeit beanspruchen. Handlungserwartungen religiösen Ursprungs, die das Verhältnis der Gläubigen zu Gott oder allgemeiner zur Sphäre des Transzendenten betreffen, werden als religiöse Normen bezeichnet. Sie basieren auf dem Wert des Glaubens an die göttliche Überlieferung, mithin den Glaubenswahrheiten. Sie werden vor allem von religiösen Gemeinschaften vertreten und eingefordert, und zwar auf schriftlichem Wege wie auch performativ in Ritualen. Normen, die das Zusammenleben von Menschen in einem Gemeinwesen auf einer abstrakteren Ebene betreffen, sollen gemeinwohlorientierte Normen genannt werden. Das Gemeine Beste ist der Wert, von dem sie abgeleitet werden. Sie werden von staatlichen Organen erlassen und kommen oft, um ihnen Legitimität zu verleihen, auf dem Weg vorgeschriebener Verfahren zustande. Verschriftlichung verleiht ihnen Autorität und Dauer. Als soziale Normen schließlich sollen all diejenigen Handlungserwartungen bezeichnet werden, die sich aus dem alltäglichen sozialen Zusammenleben ergeben und die von Gemeinschaften getragen werden. Der zentrale Wert dieses Normensystems ist die Ehre. Die Autorität sozialer Normen beruht auf dem Konsens der sozialen Gemeinschaft und auf der Eingebundenheit des Individuums in seine soziale Umgebung. Maßgeblich von ihr hängt ab, ob und in welchem Umfang dem Individuum Ehre zugesprochen wird. Soziale Normen werden in der Regel nicht verschriftlicht, aber gewissermaßen im Negativ sichtbar, wenn ihre Übertretung Sanktionen auslöst. Der Begriff soziale Normen ist insoweit missverständlich, als in der soziologischen Forschung – zum Beispiel bei Heinrich Popitz – praktisch alle uns hier interessierenden Normen als „soziale Normen“ bezeichnet werden.40 In diesem sehr umfassenden Verständnis fallen unter diesen Begriff alle Vorschriften, die das Handeln von Menschen betreffen – in Abgrenzung etwa von technischen Normen wie der DIN . Hier wird jedoch zur Unterscheidung von religiösen und gemeinwohlorientierten Normen ein engeres Verständnis von sozialen Normen vertreten im Sinne von Handlungserwartungen, die in sozialen Gemeinschaften jenseits der Ebene von staatlichen und kirchlichen Institutionen gelten. Generell können Normen natürlich auch durch Gewalt gegen den Willen der ­Normempfänger erzwungen werden, 39 Popitz: Soziale Normen. Vgl. zusammenfassend auch Peuckert: Norm, soziale. 40 Auf dieses Problem weist hin: Emich: Normen, 84, Fußnote 3.

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genießen aber eine wesentlich größere Autorität und sind langlebiger, wenn sie bei diesen als legitim gelten.41 Die Leser werden möglicherweise ein viertes Normensystem, dessen Nennung sie hier erwartet hätten, vermissen, das ökonomische. Tatsächlich kann mit gutem Grund angenommen werden, dass in der Moderne eine Sphäre marktwirtschaftlichen Handelns entstanden ist, die das Verhalten der in ihr handelnden Akteure massiv geprägt hat. Die Steigerung der Produktivität im Sinne einer optimalen Ausnutzung und Verteilung von Ressourcen mit dem Ziel allgemeinen Wohlstands ist der Wert, der hinter den ökonomischen Normen steht; schließlich ist Effizienz selbst zu einem Wert avanciert, der wirtschaftliches Handeln bestimmt.42 Indes fehlte diese eigene Wertebasis – trotz einiger Denkansätze in diese Richtung – dem wirtschaftlichen Handeln bis zum 18. Jahrhundert. Die Vormoderne brachte funktionierende überregionale und schließlich globale Gütermärkte hervor, die in gewissen Grenzen für bestimmte Waren Preis- und Mengenelastizität erlaubten.43 Und es lassen sich mit den Niederlanden spätestens ab dem 16. Jahrhundert und nachfolgend Teilen Englands auch Regionen ausmachen, in denen die Wirtschaftsund Sozialstrukturen stark von der Exportorientierung bestimmt waren – ganz zu schweigen von einigen der atlantischen Kolonien. Doch diesen Dynamiken und ökonomischen Spezialisierungen zum Trotz war der überwältigenden Mehrheit der Zeitgenossen allein schon der Gedanke an rein ökonomische Logiken fremd. Wirtschaftliches Handeln blieb damit stets in andere Werte- und Normensysteme eingebettet: „Der eigennützige Maximierer von materiellem Gewinn ist [in der Vormoderne] als allgemeines Handlungsmodell empirisch nicht nachweisbar.“44 Dementsprechend waren es die Träger anderer Normensysteme, welche das wirtschaftliche Handeln normativ rahmten: Das Wirtschaften von Bauern und Handwerkern diente primär der standesgemäßen Versorgung. Darüber h ­ inaus überdurchschnittlichen Gewinn zu erwirtschaften, galt auf dem Land wie in von zünftischer Mentalität geprägten Städten oftmals als verdächtig. Man spricht von einer „Ökonomie der begrenzten Ziele“.45 Auch wo auf weniger traditionelle Weise gewirtschaftet wurde, blieb die Notwendigkeit der normativen Einbettung wirtschaftlicher Logiken bestehen. Antoine de Montchrestien, Autor des Traicté de l’œconomie politique (1615), stellt zwar fest, dass wirtschaftlicher Eigennutz ein Motor des Wohlstands sein könne, insistiert aber dennoch, dass wirtschaftliche Tätigkeit stets zum Wohl der Gemeinschaft reguliert werden müsse; der Herrscher 41 Forst: Herausbildung, 8. 42 Burkhardt: Modernität; ders.: Verhaltensleitbild; Engels: Vom vergeblichen Streben, 233 ff.; Schulze: Vom Gemeinnutz. 43 Freitag: Markt, 382. 44 Seiser: Wein, 165. 45 Kriedte/Medick/Schlumbohm: Industrialisierung, 98.

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solle für Verteilungsgerechtigkeit sorgen.46 Vor ähnlichen Problemen stand die katholische Kirche im Umgang mit dem mittelalterlichen kanonischen Zinsverbot. Sie entwickelte Umgangsweisen mit Krediten, war also nicht grundsätzlich kapitalfeindlich, um den „rechten Gebrauch“ des Geldes zu sichern. Dem Argument, dass kreditorische Finanzpraktiken durchaus dem allgemeinen Wohlstand dienten, stand die Vorstellung gegenüber, dass sie die Gesellschaft moralisch untergrüben, also ganz im Gegenteil nicht dem Gemeinwohl zuträglich seien und zudem das Seelenheil der Beteiligten schädigten.47 Auch wenn frühneuzeitliche Finanzmärkte durch eine bemerkenswerte Flexibilität im Umgang mit moralisch unter Verdacht stehenden Praktiken gekennzeichnet waren, so bleibt doch festzuhalten: Im Gegensatz zur Moderne, in der ebenfalls um die Frage der Eingrenzung wirtschaftlicher Normen gerungen wurde, konnte der Homo oeconomicus nicht zu einem wohlstandsverheißenden Idealbild aufsteigen – denn sein Handeln war in vormoderner Perspektive nicht wertgebunden. Die hier vorgenommene Klassifikation von Normen ist eine analytische. Das bedeutet, dass die Einteilung von Normen in die drei genannten Gruppen ihrer Beschreibung und der Untersuchung ihres Wirkens dient; in der frühneuzeit­lichen Alltagswelt kam es ständig zu Überlagerungen und Vermischungen zwischen ihnen. Die idealtypische Einteilung der vielfältigen ­Handlungserwartungen in drei Normensysteme ermöglicht es, Normenkonflikte und die von ihnen ausgelösten Dynamiken gewissermaßen aus der rückblickenden Vogelperspektive des Historikers auf vergangene Gesellschaften zu untersuchen. Die historischen Akteure bedienten sich nicht dieser Begrifflichkeit und hatten auch keine Vorstellung von Normensystemen. Denn sie gingen von der Fiktion eines harmonischen Wertehimmels aus, unter dem es, wie geschildert, keine Werte- und Normenkonflikte gab, sondern nur das Unvermögen des sündhaften Menschen, die göttliche Werteordnung aufrechtzuerhalten und Tugenden zu folgen. Um Konflikte und Widersprüche zwischen Handlungserwartungen in der Frühen Neuzeit zu beschreiben und zu analysieren, bedarf es daher einer modernen Terminologie. Werte und Normen wirken in Gesellschaften über die Vielzahl der in ihnen lebenden Individuen und Gruppen und deren Wahrnehmungen und Handlungen, sind also keine aus sich heraus aktiv werdenden Gebilde. Und doch war und ist es durchaus so, dass sich Individuen durch sie gebunden fühlen und dass sie ein bestimmtes Verhalten nahelegen. „Normativität“ – das fortwährende Handeln von Individuen entsprechend bestimmten Normen bzw. daraus entstandene Handlungsmuster – entsteht, weil Individuen einerseits bestimmte Handlungsweisen als legitim erachten. Sie erkennen also die Rechtfertigung einer Norm an und richten sich daher nach ihr. Diese Rechtfertigung kann als „eine Art B ­ indung ohne 46 M. Isenmann: Zwischen nationalen Handelsinteressen und universaler Solidarität, 174 ff. 47 Zunckel: Kontroverse.

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Fessel“ verstanden werden.48 Damit wird freilich vorausgesetzt, dass die Befolgung einer Norm bewusst, auf der Basis von Reflexion erfolgt. Das war und ist aller Wahrscheinlichkeit nach die Ausnahme. Doch dürfte – um etwas genereller und weniger an der Reflexion über die Legitimität einzelner Handlungsschritte orientiert zu formulieren – zumindest die Annahme, sich in einer grundsätzlich gerechtfertigten Normen- und Werteordnung zu bewegen, Individuen veranlassen, sich im Großen und Ganzen konform zu den an sie herangetragenen Handlungserwartungen zu verhalten oder doch wenigstens diesen Eindruck zu erwecken. Akteure verhalten sich auch deshalb normgerecht, weil in einer stabilen und einigermaßen konsistenten Normenordnung konformes Verhalten in der Regel belohnt wird – und zwar mit Vertrauen. Vertrauen in Personen entsteht aus guten Erfahrungen mit deren Handeln in der Vergangenheit, das daher auch für die Zukunft angenommen wird. Es handelt sich also, um die klassische Definition von Georg Simmel aufzugreifen, um „die Hypothese künftigen Verhaltens, die sicher genug ist, um praktisches Handeln darauf zu gründen“.49 Eine Person, die über einen solchen Vertrauenskredit verfügt, vermag als Resultat ihres normenkonformen, vertrauensbildenden Handelns stabile soziale Beziehungen aufzubauen. Damit verfügt sie über größere Handlungsmöglichkeiten. Pierre Bourdieu spricht vom inkorporierten „symbolischen Kapital“ des Ansehens und der Vertrauenswürdigkeit, das in andere Kapitalformen getauscht werden kann, etwa in soziales Kapital in Form von personalen Beziehungen, oder in ökonomisches Kapital, also materiellen Gewinn.50 Ein Akteur kann folglich seine Interessen besser durchsetzen, wenn er normenorientiert handelt und auf diese Weise sowohl sein soziales Standing verbessert als auch sein Handeln als legitim darstellen kann. So entsteht ein Wechselspiel aus Normen und Interessen.51 Indes ist normgerechtes Verhalten in den meisten Fällen nicht das Ergebnis des rationalen Kalküls der Erwartungen anderer und des daran anzupassenden eigenen Handelns. Denn Akteure wachsen in bereits bestehenden normativen Ordnungen auf, werden also entsprechend sozialisiert. Bourdieu hat das Ergebnis dieser Lern- und Konditionierungsprozesse als Habitus bezeichnet. Der Habitus stellt bei ihm ein System von Dispositionen und Handlungsschemata dar, welches das Denken, die Wahrnehmung und die Handlungen von Akteuren vorstrukturiert. Damit ist nicht eine starre, marionettenartig-automatische Regelhaftigkeit gemeint, sondern eine generelle und kaum mehr reflektierte Orientierung an den Werteorientierungen und Verhaltensstandards einer Gesellschaft. Habitus ist demnach implizit, er ist ein Wissen um die Praktiken in der Gesellschaft, dessen 48 Forst: Herausbildung, 8. 49 Simmel: Soziologie, 393. 50 Seine Kapitaltheorie kurz zusammengefasst in: Bourdieu: Kapital. 51 Waquet: Kommentar, 572 f.

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sich die Akteure kaum mehr bewusst sind, solange sie nicht in konkreten Entscheidungssituationen zur Reflexion darüber gezwungen werden. Nach Abschluss der Sozialisation ist der Habitus fest mit einer Person verbunden und legt ihr Wahrnehmungs- und Handlungskorridore nahe.52 Diese „Inkorporation“ unterscheidet den Habitus von einem weiteren zentralen Begriff aus der Verhaltenssoziologie, der sozialen Rolle. Anders als der Habitus ist sie nicht fest mit einem Akteur verbunden, sondern austauschbar. Sie wird daher von einem rollentragenden Akteur in der Regel deutlich stärker reflektiert, als dies beim Habitus möglich ist. Eine Rolle stellt ein Bündel von Verhaltenserwartungen dar, die an den Inhaber einer sozialen Position von Bezugsgruppen herangetragen werden. Die Rollen eines Individuums sind also wesentlich dafür verantwortlich, welche Handlungserwartungen von wem an es herangetragen werden. Und sie gehen auf die soziale Position eines Akteurs zurück, die mit bestimmten Verhaltenserwartungen verbunden ist. Es kann sich beispielsweise um eine Position in einem Familienverband handeln – an den Vater werden andere Handlungserwartungen gerichtet als an seine Frau oder seine Kinder. Auch ein Amt, eine Würde, ein Beruf oder eine Stellung in einem informellen sozialen Beziehungsgeflecht, etwa die eines Freundes, eines Patrons oder eines Klienten, sind Beispiele für soziale Positionen. Eine soziale Position ist dabei nicht gleichbedeutend mit einer Rolle: An den als Beispiel genannten Familienvater richten seine Eltern, seine Frau, seine Kinder und sein Gesinde jeweils spezifische Handlungserwartungen; in seiner sozialen Position nimmt er also je nach sozialer Beziehung verschiedene Rollen ein. Die daraus resultierenden unterschiedlichen Erwartungen können, müssen aber nicht in Widerspruch zueinander geraten. Die Vielfalt der Rollen in einer sozialen Position ist aber geeignet, die Reflexion über das Ausfüllen dieser Rollen zu befördern. Hinzu kommt, dass ein Individuum die meisten seiner Rollen nicht lebenslang einnimmt – das betrifft zum Beispiel die im Familienverband, die sich mit Alter und Familienstand ändern, aber auch zum Beispiel Amtsrollen, die erst dann auszufüllen sind, wenn eine Person ein bestimmtes Amt übernimmt, und mit dem Ausscheiden aus dem Amt enden. Akteure können ihre Rolle bewusst gestalten, aber auch derart in einer Rolle aufgehen, dass sie jede Distanz zu ihr verlieren.53 Rollen bringen Dynamik in das Handeln von Akteuren. Auch wenn die soziale Lage eines Individuums in der Vormoderne von Geburt an stark vorherbestimmt war und Aufstiegsmöglichkeiten (und soziale Abstiege) zwar möglich, aber vergleichsweise selten waren, sorgten allein schon die verschiedenen Positionen, die man im Laufe seines Lebens in der eigenen Familie einnahm, für einen ständigen 52 Bourdieus Habituskonzept wird zusammengefasst in: Bohn: Habitus, 22 ff. und 31 ff. 53 Dahrendorf: Homo sociologicus; Goffman: Interaktionsrituale, 10 ff.; ders.: Wir spielen alle Theater; Peuckert: Rolle, soziale.

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Rollenwandel. Dennoch war dieser sozial begrenzt: Ein junger Adliger mochte seinen Eltern Gehorsam schulden und fand sich zu Beginn seines Lebens in einer dienenden Rolle, doch lernte er auch schon sehr früh, dass er Erwachsenen aus dem Dritten Stand gegenüber – angefangen mit den Domestiken und weiter zu Klienten oder abhängigen Bauern – bereits vor der Mündigkeit eine überlegene Stellung genoss. Insoweit erwuchs eine durch seine soziale Stellung bedingte Identität, die sich durch alle Rollen zog, die er einnahm. Hier liegt ein entscheidender Unterschied zwischen Vormoderne und Moderne vor: Während die Identität bis ins 18. Jahrhundert stark standes- und gruppengebunden blieb, wurde sie im Übergang zur Moderne zumindest dem Anspruch nach zu einer subjektiven Angelegenheit. Die neue Betonung der Einzigartigkeit jedes Menschen und der Autonomie des Selbst erweiterte die Handlungsoptionen und die Identitätsangebote enorm. Die Forderung nach einer möglichst authentischen und stimmigen individuellen Identität überfrachtete den Menschen allerdings mit einem Entscheidungsdruck, dem seine vormodernen Vorfahren weniger ausgesetzt gewesen waren. Nichtsdestoweniger setzte die Verschiedenheit von Rollen und Handlungserwartungen auch schon vor 1800 Akteure unter Entscheidungsdruck, wie noch zu zeigen sein wird. Sie mussten sich aber nicht wie das autonome Subjekt der Moderne auf einem unübersichtlichen Markt der Identitätsangebote zurechtfinden, sondern konnten klarer vorstrukturierten Rollenmodellen folgen. Und sie waren weniger als der moderne Mensch dem Anspruch ausgesetzt, eine stimmige, möglichst widerspruchsfreie Identität zu leben, sondern ihnen wurde vielmehr in der Regel ein größeres Ausmaß an Ambiguität im Wechsel zwischen verschiedenen Rollen zugestanden. Dass sie überhaupt verstärkt Handlungserwartungen ausgesetzt waren, ist mit dem Aufstieg normativer Systeme zu erklären. Seit dem späten Mittelalter wurde intensiver als zuvor über menschliche Verhaltensmaßstäbe diskutiert, und das auf verschiedenen Feldern. Um dieses Phänomen – den Aufstieg von Normensystemen – und seine Ursachen wird es nun gehen, wobei zunächst kurz der Fokus auf das hohe und späte Mittelalter gesetzt wird.

2. Normative Zentrierung Der Aufstieg normativer Systeme und ihre Erforschung Der mittelalterliche Ursprung der frühneuzeitlichen Normenordnung

„Aufstieg normativer Systeme“ bedeutet, dass Handlungserwartungen an Akteure von verschiedenen Seiten her und in unterschiedlichen Handlungsfeldern konkreter gefasst und eingefordert wurden. Man kann auch von einer Ausdifferenzierung von Normensystemen sprechen: Indem zu verschiedenen Handlungsfeldern jeweils passende Normen entwickelt und zugeordnet wurden, konkretisierten und spezifizierten sich auch die Rollen je nach Feld, wobei allerdings, wie noch zu erläutern sein wird, die Abgrenzungen zwischen den Handlungsfeldern noch sehr lückenhaft blieben. Der Aufstieg der Normensysteme war das Ergebnis gesellschaftlicher Differenzierung und damit eines Prozesses, für dessen Ursprünge wir weit vor den Beginn der Neuzeit zurückgehen müssen. Auch wenn das Mittelalter auf den ersten Blick auf einer festgefügten Werteordnung zu ruhen schien – ständische Ungleichheit mit klarer, basaler Aufgabenteilung zwischen den Ständen auf der Grundlage der angenommenen göttlichen Ordnung –, so war diese Werteordnung doch auf sehr heterogenen Traditionslinien aufgebaut. Zum einen war die christliche Tradition stark und stellt die Christianisierung der Spätantike und des frühen Mittelalters einen Grundtatbestand dar, der die Sicht auf die Welt veränderte und elementare Handlungsanweisungen für jeden Christen mit sich brachte. Hinzu kommen zwei weitere Traditionslinien. Vor allem der Adel berief sich auf stammes- und kriegergesellschaftliche Traditionen. Diese entsprachen zwar seiner in der Dreiständelehre ausformulierten Funktion – er hatte das Schwert zum Schutz von Kirche und Gemeinen zu führen. Doch stand diese gesellschaftliche Aufgabe zum Teil in direktem Gegensatz zu christlichen Werten und Verhaltensgeboten. Außerdem waren antike Traditionen, insbesondere im Bereich des Rechts und in der Vorstellung, es gebe eine Trennung zwischen der Sphäre des Gemeinwesens und den sozialen Beziehungen (publicus vs. privatus), nicht vollständig untergegangen und wurden in mehreren Schüben, beginnend mit der karolingischen Renaissance, wiederbelebt.1 Damit war auch der Wertehorizont des Mittelalters von Brüchen gekennzeichnet, die allerdings zunächst unter dem Dach des gemeinsamen christlichen Bekenntnisses noch weitgehend ausgeglichen werden konnten. Das änderte sich mit der wachsenden Ausdifferenzierung der christlichen Gesellschaften im ­„langen 1 Althoff: Ethik, 37.

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12. Jahrhundert“. Gemeint ist damit die vor dem 12. Jahrhundert einsetzende und bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts reichende Phase demographischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Dynamik. Diese Entwicklung, die im Mittelmeerraum zuerst einsetzte, erfasste weite Teile Europas. Die Bevölkerung des mittelalterlichen Europas wuchs in dieser Zeit signifikant an, begünstigt durch eine Klimaerwärmung, den Ausbau der landwirtschaftlich genutzten Fläche und technische Verbesserungen auf dem Agrarsektor. Zwar blieben die mittelalterlichen Gesellschaften agrarisch geprägt – noch um 1500 waren deutlich über 80 Prozent der europäischen Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig –, doch in den Städten entstanden neue, spezialisierte Gewerbe und bildeten sich Knotenpunkte des expandierenden Handels und der mit ihm aufsteigenden Geldwirtschaft. Die mittelalterliche Urbanisierung hatte zur Folge, dass sich neue soziale Gruppen in die Ständeordnung einfügen mussten. Zu Reichtum gelangte Kaufleute, städtische Ratseliten, Bürger mit dem Anspruch auf Partizipation in der städtischen Politik, in Zünften organisierte Handwerker und prekär lebende Angehörige der städtischen Unterschichten handelten in jeweils eigenen Lebenswelten, die sich nicht nur untereinander deutlich unterschieden, sondern auch von den Lebensumständen der Masse der ländlichen Bevölkerung. An den Universitäten, deren erste Gründungen in Italien und Frankreich in diese Phase fallen, entstand zudem mit dem Gelehrtenstand eine soziale Formation, die nur noch schwer in die herkömmliche Ständeordnung einzuordnen war, zumal wenn die Universitäten von Adligen wie auch Angehörigen des Dritten Standes frequentiert wurden. Damit ist in den Städten des hohen und späten Mittelalters bereits eine ausgeprägte gesellschaftliche Differenzierung zu finden.2 Als Folge dieser Konstellation wurden unterschiedliche Handlungsfelder mit bestimmten auf den jeweiligen Handlungsbereich zugeschnittenen Aufgaben und Regeln geschaffen. Dies führte zu Wertedisparitäten und einer Segmentierung der Normenordnung. Im Hinblick auf die Geschichte der Werte und Normen kann dieser Zeitraum als entscheidende Phase des Übergangs hin zu einer Normenordnung angesehen werden, die bis zum 18. Jahrhundert vorherrschend sein sollte.3 Die Ausdifferenzierung der Normensysteme und die Wirkung der gesellschaftlichen Dynamiken auf die Normenordnung sind beispielsweise beim Klerus zu beobachten.4 Dessen Aufgaben veränderten sich: In den Städten gestaltete sich die Seelsorge anspruchsvoller und komplizierter, waren doch die unterschied­lichen Bedürfnisse der verschiedenen sozialen Gruppen zu bedienen: Ein reicher, in Zinsgeschäften involvierter Kaufmann war von anderen Sorgen um sein Seelenheil geplagt als ein Handwerker oder ein Tagelöhner. Nicht minder problematisch 2 Zu klassischen soziologischen Differenzierungstheorien: Schimank: Theorien, 25 ff. 3 Rexroth: Transformationen, 74 f. 4 Die nachfolgenden Ausführungen nach Rexroth: Transformationen.

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war die Frage der Lebensführung des Klerus, der in seiner Rolle als vorbildhaft seine Schafe weidender Hirte zu einer mit materiellen Versuchungen gespickten und von vielfältigen sozialen Verpflichtungen durchzogenen Welt eigentlich Distanz halten sollte. Die Klerikalisierung der Kirche war die Antwort auf dieses Problem: Sie diente der Betonung der Würde der Diener der Kirche, der Stabilisierung der Standesgrenzen und entsprach durchaus auch den Erwartungen der meisten Laien. Denn diese sahen sich zumindest in den Städten zunehmend mit dem Problem konfrontiert, dass die offenkundige Vielzahl der Lebensweisen auf Erden die Frage nach ihrer jeweiligen Gottgefälligkeit und damit dem Seelenheil aufkommen ließ. Derartige drängende Fragen konnten aber nur glaubwürdige Priester beantworten – und das heißt: Geistliche, die ihr Amt nicht nur rituell korrekt ausübten, sondern die als Priester lebten. Es ist insoweit nicht überraschend, dass der Zölibat, die Ehelosigkeit der Priester, im 12. Jahrhundert zur Pflicht erklärt wurde 5 – was gleichwohl nicht mit der flächenhaften Durchsetzung dieser Lebensregel verwechselt werden darf. Es differenzierten sich somit unterschiedliche Rollenmodelle je nach gesellschaftlicher Position im Hinblick auf Stand, Geschlecht, Lebensalter und Berufsgruppe aus – die Vorstellung, wie ein Priester zu handeln und leben hatte, ein Gelehrter, ein Kaufmann, ein städtischer Bürgermeister, eine Handwerkergattin, ein Geselle oder eine adlige Witwe, konkretisierte sich. Diese Konkretisierungen vereinfachten das Leben nicht unbedingt, da sich mitunter Rollen auseinander­ entwickelten, die sich in einer Person vereinten. Geistliche, die sich auch als Gelehrte verstanden, hatten beispielsweise die Gehorsamspflicht gegenüber der Kirche mit der Neugier des Gelehrten zu vereinbaren. Nicht minder problematisch war der Tatbestand, dass das christliche Normen- und Wertesystem zwar für alle Christen gleichermaßen galt, aber mit den unterschiedlichen Lebensweisen und Rollenmodellen in Einklang gebracht werden musste. Derartige Spannungen befanden sich im Hochmittelalter gewissermaßen noch im Embryonalstadium; in der Frühen Neuzeit sollten sie allgegenwärtig werden und können somit als Epochenmerkmal betrachtet werden. Dabei hatte der Medienwandel um 1500 eine Katalysatorwirkung, indem er der Vermittlung von Normen neue Wege wies. Er ist zu Recht als „Kommunikationsrevolution“ bezeichnet worden. Zum einen beschleunigte sich der bis dahin relativ langsam voranschreitende Trend der Verschriftlichung. Indem sich Lese- und Schreibfähigkeiten ausweiteten und die Vervielfältigung und Verbreitung von Texten durch das Druckwesen ungemein vereinfacht wurde, konnten auch normative Texte gleichförmig und überregional zirkulieren. Sie wurden damit aus der Unmittelbarkeit der Face-to-Face-Kommunikation auf eine abstraktere Ebene gehoben.6 5 Zapp: Zölibat. 6 Schlögl: Politik beobachten.

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Und normative Zentren – Kirchenleitungen, staatliche Regierungen und Behörden – konnten ihre normativen Erwartungen an ihre Angehörigen oder Untertanen effektiver verbreiten. Das gilt allerdings auch für Kritik an diesen Zentren, die, wie die Reformation zeigt, zuweilen ebenfalls enorme Durchschlagskraft entfaltete und Gegennormen – etwa Luthers Gnadenlehre – rasant zu verbreiten vermochte. In jedem Fall ist festzuhalten, dass Lehren und Normen, wenn sie printmedial verbreitet werden, besser auf Dauer gestellt sind, denn in größerer Auflage gedruckte Texte lassen sich nur mit sehr hohem Aufwand wieder aus der Welt schaffen.7 Die Frühe Neuzeit als Epoche der Disziplinierung? Ein kurzer Forschungsüberblick

Dass die Frühe Neuzeit ein ausgesprochen normatives Zeitalter war und die Ansätze mittelalterlicher Ordnungssetzung in dieser Epoche gewissermaßen ihren Gipfelpunkt erreichten, ist für weite Teile der Forschung lange Zeit eine ausgemachte Sache gewesen. Nicht Ambiguität, sondern Normierung und Disziplinierung standen für Jahrzehnte im Mittelpunkt der Frühneuzeitforschung. Diese Forschungstradition soll an dieser Stelle kurz vorgestellt werden, zumal viele ihrer Ergebnisse, wenn auch in veränderter, kulturgeschichtlicher Akzentuierung, in dieses Buch eingegangen sind. Kulturgeschichtliche Ansätze haben das Verständnis von Normdurchsetzung in der Frühen Neuzeit in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten weitgehend verändert; das von ihnen entwickelte Aushandlungsparadigma wird daher anschließend vorgestellt. Nach diesem historiographischen Einschub soll dann in den folgenden Kapiteln der Aufstieg der verschiedenen Normensysteme beschrieben und mit Beispielen illustriert werden. Die Masse der Christen bzw. Untertanen, so der Tenor der Forschung zwischen den 1960er und frühen 1990er Jahren in vereinfachender Darstellung, sei in den drei Jahrhunderten vor der Französischen Revolution von kirchlichen und staatlichen Erzwingungsapparaten diszipliniert worden, bis aus ihnen zunächst konfessionell korrekt handelnde und glaubende Katholiken oder Protestanten und dann folgsame Untertanen geworden seien. Aus dieser Sicht ist die Frühe Neuzeit Vorgeschichte oder „Inkubationszeit“8 der Moderne, die – in Fabriken, in Ämtern, im alltäglichen, von strengen Zeitregimes gegliederten Leben – des disziplinierten Menschen bedurft habe. Dabei standen zunächst staatliche Disziplinierungsprozesse im Zentrum der Aufmerksamkeit historischer Forschung. Der Aufstieg fürstlicher Autorität bis hin zum „Absolutismus“ des 17. und 18. Jahrhunderts galt 7 Behringer: Im Zeichen des Merkur; Hoffmann-Rehnitz/Oelze: Zur Transformation, 77 f.; North: Einleitung, XII f. 8 Münch: Einleitung, 15.

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als eine der wichtigsten und den modernen Staat gewissermaßen vorbereitenden Entwicklungen der Frühen Neuzeit, deren letzte zwei Jahrhunderte daher oft als „Zeitalter des Absolutismus“ apostrophiert wurden. Der Fürstenstaat der Frühen Neuzeit habe – anders als der auf Vasallentreue beruhende mittelalterliche Personenverbandsstaat – auf der Einherrschaft des Fürsten basiert, der Zwischeninstanzen wie die Stände geschwächt oder beseitigt habe, um schließlich direkt von jedem Untertanen Gehorsam einzufordern.9 In den 1960er Jahren hat Gerhard Oestreich diese Vorstellungen konkretisiert, weiterentwickelt und auch – unter Einschluss des späten Mittelalters – neu in Form eines Verlaufsmodells periodisiert. Er argumentierte nicht nur politik-, sondern auch ideen- und sozialhistorisch und prägte den Begriff der „Sozialdisziplinierung“, der für die weitere Forschung sehr einflussreich wurde. Sein Ausgangspunkt ist, dass staatliche Verwaltungs- und Erzwingungsapparate in der Frühen Neuzeit allein noch nicht in der Lage gewesen seien, die Masse der Untertanen zu folgsamem und diszipliniertem Verhalten zu bewegen. Dass dies letztlich dennoch gelungen sei, erachtet er als das Resultat psychologischer Strukturveränderungen, die zur Internalisierung von Normen geführt hätten und der Akzeptanz von Herrschaft dienlich gewesen seien. Dieser Prozess habe einen mittelalterlichen Vorläufer gehabt, den Oestreich als „Sozialregulierung“ bezeichnet. Darunter versteht er den Versuch der spätmittelalterlichen Stadtregierungen, das Zusammenleben in den immer komplexer werdenden urbanen Gesellschaften mittels Ordnungen und Erlassen zu regeln. Auf diese Weise seien die Einwohner der Städte zunehmend daran gewöhnt worden, dass ihr Zusammenleben und ihre Handlungsspielräume durch die Obrigkeit festgelegt wurden. Darauf aufbauend habe der frühneuzeitliche Fürstenstaat anschließend die Regulierung des gesamten Lebens von der Geburt bis zum Tod, von der Kleidung bis zur Festkultur, in der Stadt wie auf dem Land übernommen. Oestreich geht davon aus, dass einer derart kleinteiligen Normierung der Gesellschaft nur deshalb Erfolg beschieden gewesen sei, weil die Einstellungen der Menschen und damit ihre Verhaltensweisen auf lange Sicht verändert worden seien. Die von oben gesetzten Normen seien internalisiert worden, das heißt, sie seien zunächst als ethisch und praktisch gerechtfertigt dargestellt und dann nach und nach so selbstverständlich geworden, dass sie nicht mehr hinterfragt worden seien. Staatliche Ordnungssetzung sei gewissermaßen auf leisen Sohlen gekommen und habe sich gerade deshalb sehr nachhaltig etabliert.10 Die Schwäche dieses Ansatzes besteht darin, dass unklar bleibt, wie bewusst und zielgerichtet Sozialdisziplinierung von staatlichen Akteuren vorangetrieben wurde. Oestreich befasst sich im frühneuzeitlichen Teil 9 Beiträge zur älteren Absolutismusdebatte in: Hubatsch (Hrsg.): Absolutismus. 10 Oestreich: Strukturprobleme; ders.: Stoizismus; vgl. auch die Zusammenfassung des Modells bei Behrens: „Sozialdisziplinierung“, 38 ff.

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seines Modells zudem vor allem mit dem Wandel von Verhaltensdispositionen des Adels; worin der Zusammenhang zwischen der kommunalen spätmittelalterlichen Sozialregulierung und der Disziplinierung des Adels bestand und wie dessen neostoizistisches Verhaltensideal dann wiederum auf die übrigen Stände übergriff und in wie sich dabei das Verhältnis zwischen Internalisierung zu Repression gestaltete, bleibt unklar.11 Nichtsdestoweniger blieb die Idee eines sich entwickelnden Selbstzwangs, der zu Sozialdisziplinierung führte, in der Forschung für mehr als zwei Jahrzehnte aktuell. Diskutiert wurde dieses Grundmodell in etlichen Varianten, unter anderem in den Debatten über Norbert Elias’ Modell des „Prozesses der Zivilisation“, das, in den 1930er Jahren entwickelt, mit einer Verspätung von mehreren Jahrzehnten in der Geschichtswissenschaft diskutiert wurde. Elias vertritt die These, dass sich aus der gesellschaftlichen Differenzierung in der Frühen Neuzeit ein Zwang zur Regulierung ergeben habe, der die Normierungsprozesse der Sozialdisziplinierung gewissermaßen anonym ausgelöst habe. Mehr noch als Oestreich konzentriert Elias sich auf die Verhaltensdisziplinierung des Zweiten Standes, und zwar insbesondere die des höfischen Adels. Auch bei ihm bleibt die Frage ungeklärt, wie diese dann in die unteren Stände diffundierte.12 Ein weiterer äußerst einflussreicher Theoretiker der Geschichte der Disziplinierung, Michel Foucault, lässt die Frage nach dem Auslöser von Disziplinierungsprozessen ebenfalls offen. Seinem Modell nach gab es durchaus Akteure, die Disziplinierung auf repressivem Wege beförderten. Doch diese Entwicklung sei nicht durch ein Machtzentrum, das syste­matische Disziplinierungsabsichten hegte, orchestriert worden, sondern durch Diskurse und die damit einhergehende Veränderung von Denkstrukturen getragen worden. Auf diese Weise sei in der Frühen Neuzeit ein komplexes und effizientes System von Überwachung, Kontrolle und Bestrafung entstanden. Repression steht dabei neben einem diskursiven Wandel, der Norm von Devianz, das heißt von Normübertretung sauber trennte und Letztere zu beseitigen trachtete.13 Weniger zurückhaltend in Bezug auf die maßgeblichen Akteure der Disziplinierung sind Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling, die das bis heute in der Geschichtswissenschaft einflussreiche Paradigma der „Konfessionalisierung“ entwickelt haben. Sie gehen davon aus, dass die mit der Reformation entstandenen Konfessionskirchen ihre Anhänger stärker an sich binden wollten, um in der konfessionellen Konkurrenzlage zu bestehen. Wie diese Bindung erreicht 11 Zu Rezeption und Kritik des Ansatzes Oestreichs zusammenfassend: Freitag: Missverständnis. 12 Elias: Über den Prozeß; ders.: Die höfische Gesellschaft. 13 Statt das umfangreiche Œuvre Foucaults hier zu nennen, sei auf die folgende Zusammenfassung seiner Bedeutung für das Disziplinierungsparadigma verwiesen: Behrens: „Sozialdisziplinierung“.

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wurde bzw. werden sollte, ist im Kapitel über die religiösen Normen näher zu diskutieren. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass Ziel und Ergebnis der Konfessionalisierung die Entstehung von konfessionellen Großgruppen gewesen sei. Deren Angehörigen sei ein klares Bewusstsein ihrer konfessionellen Zugehörigkeit vermittelt worden, gestützt durch den Erwerb von Grundwissen über die konfessionsspezifischen Glaubenswahrheiten und bekräftigt durch die Schaffung und Durchsetzung konfessionsspezifischer Riten und Verhaltensweisen. Derart disziplinierte und geprägte Individuen – Reinhard und Schilling greifen in diesem Zusammenhang den Begriff der Sozialdisziplinierung auf – gaben sich somit auch im Alltag stets aufs Neue als Angehörige ihrer Konfession zu erkennen. Von den Lehren der Konkurrenzkonfessionen seien sie so weit als möglich ferngehalten worden. Über diese intendierten Folgen der Konfessionalisierung hinaus hätten die Konfessionskirchen entgegen ihrer Ursprungsabsicht auch die Staatsbildung befördert, indem sie homogene Untertanenverbände geschaffen und über Kirchenbücher erstmals auch weitgehend erfasst hätten. Disziplinierung und Kontrolle hätten also letztlich dem Aufstieg des Staates gedient, weil sie ihm – ohne dies zu beabsichtigen – die disziplinierten und kontrollierten Untertanen beschert hätten, die er gebraucht habe.14 Aus dieser Perspektive hat die Konkretisierung und konfessionelle Zuspitzung religiöser Normen Modernisierungsprozesse in der Frühen Neuzeit nicht nur begünstigt, sondern ausgelöst. Der Vorstellung, es seien vor allem die aufsteigenden Fürstenstaaten auslösende Akteure der Sozialdisziplinierung gewesen oder es habe sich um anonyme, systemisch bedingte Prozesse gehandelt, stellen die Vertreter des Konfessionalisierungsparadigmas ihre These vom disziplinierenden Wirken der Konfessionskirchen entgegen. „Sozialdisziplinierung“ wie „Konfessionalisierung“ sind Konzepte, in denen die Eliten in Staat und Kirche als normsetzende Akteure auftreten, wohingegen die Masse der Gläubigen und Untertanen als Normempfänger angesehen werden. Sie sind demnach Objekte von Normierung und Disziplinierung, die entweder über Repression oder über eine langfristig angelegte Internalisierung von Normen erfolgte. Eine ganze Reihe von Phänomenen der Frühen Neuzeit wurde in dieser Sichtweise gedeutet: So wurde diskutiert, ob eine weitgehend autonome, über Generationen mündlich tradierte „Volkskultur“ durch die „Elitenkultur“ regelrecht kolonisiert und verdrängt worden sei.15 Die Hexenverfolgung wurde als besonders gewaltförmiger Ausdruck dieses Vorgangs interpretiert, ergänzt um 14 Aus den zahlreichen Publikationen zum Konfessionalisierungsparadigma seien an dieser Stelle herausgegriffen: Reinhard: Zwang; H. Schilling: Die Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft. 15 Muchembled: Kultur; Schindler: Widerspenstige Leute. Kritisch zum Konzept der Dichotomie Volkskultur vs. Elitenkultur Freitag: Volks- und Elitenfrömmigkeit, 2 ff.

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eine geschlechtergeschichtliche Perspektive: Männliche Herrschaft bricht traditionelles weibliches Heilwissen und verdrängt magische Praktiken.16 Dieses Topdown-Schema wurde vor allem in der Debatte zur Konfessionalisierung frühzeitig kritisiert. Dabei verlor das Konzept der Sozialdisziplinierung an Glaubwürdigkeit und änderte sich das Verständnis von Konfessionalisierung grundlegend. Zentraler Angriffspunkt der Kritik war die Vorstellung, Eliten hätten eine eigenständige Volkskultur mit den Mitteln der Repression und gegen den Willen ihrer Träger beseitigt. Denn weder lässt sich ein Masterplan für ein solches Vorhaben ausfindig machen, noch ist überhaupt eine derartig schroffe Abgrenzung zwischen Elitenund „Volks“-Kultur nachweisbar. Magische Vorstellungen beispielsweise finden sich in allen Bevölkerungsschichten: So, wie einfache Leute auch von gelehrter Magie fasziniert waren und mit ihr experimentierten, so verbreitet waren vermeintlich volkstümliche Vorstellungen in der Elite. Und konfessionelle Disziplinierung traf sowohl bei den einfachen Christen als auch im Adel auf Widerspruch, während sich andererseits die Bereitschaft zu konfessioneller Übererfüllung religiöser Normen ebenfalls in allen Ständen fand. Die simple Trennlinie „Volk“ vs. Eliten erwies sich somit als nicht tragfähig, und die Vorstellung von einer über Jahrhunderte, bis in das Konfessionelle Zeitalter stabilen Volkskultur passt eher in die nationalistische Gedankenwelt des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, als dass sie in frühneuzeitlichen Quellen nachweisbar wäre. Die Forschung reagierte auf diese wachsenden Zweifel, indem sie, vor allem in den 1990er Jahren, den Disziplinierungserfolg von Staat und Kirche grundsätzlich hinterfragte. Der Erfolg der Normdurchsetzung wurde untersucht, indem normative Vorgaben, wie sie Staat und Kirche machten, mit der Realität der alltäglichen Praktiken verglichen wurden – mit dem Ergebnis, dass im Großen und Ganzen das Scheitern von Normierungsbestrebungen konstatiert wurde. Demnach war es den Konfessionskirchen nicht flächendeckend gelungen, homogene Großgruppen zu schaffen, in denen die vorgeschriebenen Riten willig zelebriert und die gelehrten Glaubenswahrheiten internalisiert, geschweige denn die Identitäten der Gläubigen auf ihre Konfessionszugehörigkeit ausgerichtet wurden. Ein konkretes Beispiel für Forschungen dieser Art stellt die Analyse von Visitationsprotokollen aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (im Weiteren einfach „Reich“) des 17. Jahrhunderts im Vergleich zu den Trienter Konzilsdekreten der Kirche dar, welche die Maßstäbe für die katholische Konfessionalisierung gesetzt hatten. Unternimmt man einen solchen Vergleich, liegt der Schluss nahe, dass die Konfessionalisierung grandios scheiterte. Visitationen wurden durch bischöfliche Kommissionen unternommen, welche die einzelnen Pfarreien einer Diözese bereisten und das theologische Wissen des Pfarrers, den Stand der Liturgie 16 G. Becker et al. (Hrsg.): Aus der Zeit der Verzweiflung.

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sowie den Zustand der dafür nötigen Geräte und Kleidungsstücke überprüften und auch die Gläubigen nach ihren Praktiken und ihrer Ansicht über das geistliche Personal befragten. In den dabei produzierten Akten finden sich vor allem im frühen 17. Jahrhundert – mithin ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Trienter Konzils – recht häufig theologisch halbgebildete Pfarrer, Fehler in der Liturgie, verschimmelte Hostien (nach katholischer Lehre nichts weniger als der unverwesliche Leib Christi), baufällige Kirchen und „Pfarrkinder“, die weder ihrem Hirten Respekt zollten noch sich ihrer Konfession sicher waren.17 Nicht viel besser erging es der Staatsbildung in der Forschung um die letzte Jahrtausendwende: Der vermeintlich absolute Fürstenstaat beteiligte demnach, anstatt die von loyalen Verwaltungsapparaten gestützte Herrschaft des Fürsten durchzusetzen, den Adel an der Macht und scheiterte an der flächenmäßigen Durchsetzung seiner Autorität. Er sei weit mehr auf den Konsens seiner Eliten wie auch der Masse seiner Untertanen angewiesen gewesen, als die Selbstdarstellung der Fürsten vermuten lasse. Es ergab sich damit für den Staat wie für die Kirche das Bild einer erheblichen „Norm-Praxis-Differenz“.18 Damit stand allerdings die Frage im Raum, wie unter diesen Umständen die Staatsbildung überhaupt vor sich gegangen war. Wie, so fasste Achim Landwehr dieses Dilemma zusammen, konnte der Staat einerseits immer wieder in seinen zentralen Anliegen – Schaffung eines einheitlichen Staatsvolkes, Zentralisierung von Herrschaft, allgemeine Besteuerung, Durchsetzung von Normen mittels des Rechts – scheitern, während doch andererseits ein genereller Trend der Verdichtung von Staatsgewalt unbestreitbar war?19 Und wie waren angesichts eines weitgehendes Scheiterns des Staatsbildungsprozesses in der Frühen Neuzeit noch die Entstehung des modernen Staates und das Ausmaß seiner Autorität im 19. und 20. Jahrhundert zu erklären?20 Die Lösung dieses Dilemmas ergab sich mit einer Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes und dem kulturgeschichtlichen Perspektivwechsel der Forschung. Mit ihm wurde die Annahme eines grundlegenden Unterschieds ­zwischen Norm und Praxis in Frage gestellt. Die Ebene der Praxis bzw. des Handelns steht demnach mit der der Normen in einem engen, zirkulären Wechselverhältnis. Zwar ist Handeln, wie beschrieben, durch Normen weitgehend strukturiert, doch diese Strukturen existieren ihrerseits nur aufgrund beständiger ­Handlungen – 17 Beispiele aus der umfangreichen Literatur zu Visitationen: T. P. Becker: Konfessionalisierung; Menne: Herrschaftsstil; Schlögl: Bedingungen; Schnabel-Schüle: Kirchenleitung; Zeeden/Lang (Hrsg.): Kirche und Visitation. 18 Schwerhoff: Devianz, 400. 19 So der empirisch umfänglich belegte generelle Befund bei Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt. 20 „Ist man davon überzeugt, daß ‚der Staat‘ ‚vor Ort‘ täglich versagte, müßte man eine künstlich anmutende Grenze zwischen dem Staat vor 1800 und demjenigen nach 1800 einführen.“ Landwehr: „Normdurchsetzung“, 150.

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­ andlungen, welche die bestehenden Strukturen bzw. Normen reproduzieren, H verändern oder bisweilen auch verwerfen. Anders gesagt: Jeder Akteur in einer Gesellschaft sieht sich deren normativen Strukturen gegenüber und bewegt sich zumeist in durch diese Strukturen vorgegebenen Handlungskorridoren. Aber jeder kommunikative Akt – und damit jede Form sozialen Handelns – stellt diese Strukturen auch auf die Probe. Sie sind darauf angewiesen, durch Handlungen aktualisiert, man könnte auch sagen: am Leben gehalten zu werden. Auch Handlungen sind damit normativ; die Ebene der Praxis steht nicht einer Ebene des Normativen gegenüber, sondern ist ein Teil von ihr. Gehen Akteure mit Normen um, ist dies demnach Teil von Normierungsprozessen. Aus dieser Perspektive ist die Frage nach der Durchsetzung von Normen, wie sie in Bekenntnisschriften, Konzilsbeschlüssen, Ordnungen und Gesetzen formuliert wurden, schlichtweg falsch gestellt. Es geht nicht um die buchstabengetreue Umsetzung von Ordnungen und Gesetzen oder die Frage, welcher Grad an Vollständigkeit der Durchsetzung erreicht wurde, sondern vielmehr darum, wie sich Normen im gesellschaftlichen „Kräftefeld“ des Umgangs mit ihnen bewähren und verändern.21 Diese abstrakten Ausführungen können anhand eines konkreten Handlungsfeldes beispielhaft erläutert werden: dem der Herrschaft. Auch Herrschaft wird in kulturgeschichtlicher Perspektive nicht als gegeben betrachtet, sondern als Ergebnis von Praktiken angesehen – von „Aushandlung“. Herrschaft war in der Frühen Neuzeit aufgrund der begrenzten Machtmittel des Staates – begrenzte Menge und Verfügbarkeit von Ordnungskräften, relativ geringe Präsenz staatlicher Vertreter in der Peripherie, begrenzte Bindung der Funktionsträger an das staatliche Gemeinwesen – auf die Kooperation zumindest von einigen der ihr Unterworfenen angewiesen. Zwang zur Durchsetzung von Herrschaft wurde durchaus angewandt, aufgrund der damit verbundenen finanziellen und legitimatorischen Kosten und Risiken aber in der Regel erst als Ultima Ratio. Zumeist gingen fürstlichen Anordnungen Beratungen und Anfragen an die Betroffenen voraus. Zudem verfügten die Untertanen über die Möglichkeit, auf dem Wege von Bittschriften ihre Anliegen direkt an ihren Herrscher heranzutragen. Außerdem konnten sie sich an lokale Funktionsträger wenden. Das bedeutet, dass Untertanen in Herrschaftsprozesse einbezogen waren, wenn auch nicht als gleichgewichtige Akteure. Der Begriff Aushandeln impliziert also kein horizontales Verhältnis.22 Aushandlung setzt keine 21 Den Begriff des Kräftefelds führte Alf Lüdtke in die deutschsprachige Geschichtswissenschaft ein (Lüdtke: Einleitung, 12 ff.); einflussreich für das kulturgeschichtliche Verständnis des Verhältnisses von Handeln und Struktur war vor allem: Giddens: Konsti­tution; aufgegriffen wurde es u. a. von Achim Landwehr (Landwehr: „Normdurchsetzung“); vgl. auch Stollberg-Rilinger/Neu: Einleitung [Alles nur symbolisch?], 16. 22 Braddick: State Formation, 69; Brakensiek: Herrschaftsvermittlung, 1 ff. Wolfgang ­Reinhard hat moniert, dass das deutsche „aushandeln“ im Gegensatz zum englischen to

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Harmonie am runden Tisch voraus, sondern kann ausgesprochen konfliktförmig verlaufen. In ihren Augen inakzeptable Anordnungen ihres Herrschers quittierten Untertanen auch einmal mit dem Verprügeln eines örtlichen Amtsmannes – im Sinne der Übermittlung einer symbolischen Botschaft an ihren Fürsten, dass er ihre Konsensbereitschaft überzogen habe. „Aushandeln“ bedeutet, dass die beteiligten Akteure im Prinzip darauf zielen, eine Übereinkunft zu finden, also grundsätzlich zu Kooperation bereit sind – wenn die dazu gewählten Mittel auch auf beiden Seiten nicht unbedingt friedlicher Natur sind, weder auf der Seite der Untertanen noch auf der des Staates, wenn dieser etwa „Rädelsführer“ von Unruhen hinrichten ließ.23 Aushandlung ist als permanenter Kommunikationsprozess zu verstehen, betrifft also nicht nur Auseinandersetzungen oder Verhandlungen über konkrete herrschaftliche Maßnahmen oder Forderungen der Untertanen. Sie stellt einen Modus dar, der permanent das Verhältnis zwischen Obrigkeiten und den von ihr Regierten sowie die Art und Weise des Umgangs zwischen beiden bestimmt. Damit wird der Gegensatz zwischen Normgebern und Normempfängern aufgelöst, denn nicht nur die obrigkeitliche oder kirchliche Setzung produzierte Handlungserwartungen, sondern ebenso der Umgang der Untertanen oder Gläubigen mit ihnen. Gesetzte Normen sind nur „im Dialog mit der ‚Wirklichkeit‘“ denkbar.24 Mehr noch: Auch das Alltagsleben produzierte Normen, die in der Kommunikation in sozialen Gemeinschaften entstanden, sich bewähren mussten und gegebenenfalls so verstetigt wurden, dass sie zu Selbstverständlichkeiten geronnen. Diese Art von Handlungserwartungen des Alltagslebens und der sozialen Beziehungen sind in der hier vertretenen Diktion „soziale Normen“. Wir finden also die Aushandlung von Normen auf allen Ebenen und in den drei Normensystemen, die in diesem Buch behandelt werden. Die Frühe Neuzeit als normatives Zeitalter zu betrachten bedeutet in kulturgeschichtlicher Perspektive, nicht allein den Blick auf die Machtzentren – Staat und Kirche – zu werfen, lediglich deren normative Bemühungen nachzuverfolgen und dann vom Erfolg dieser Normierungen auszugehen. Vielmehr interessiert die Frage nach dem „Wie“ des Umgangs mit Normen, nach der Interaktion zwischen Akteuren und nach Widersprüchen und Überlagerungen zwischen Normensystemen – und nach kultureller Ambiguität als generellem Umgangsmodus im Kräftefeld unterschiedlicher Handlungserwartungen.25 Der Aufstieg normativer Systeme bedeutete nicht nur, dass deren Autorität wuchs, sondern brachte es auch mit sich, dass es zu Konkurrenzen und Überlagerungen zwischen ihnen kam. negotiate genau diese egalitäre Konnotation habe und insoweit in die Irre führe (­ Reinhard: Zusammenfassung, 434). 23 N. Weber: Praktiken, 563. 24 Dürr: Herrschaft, 338. 25 Vgl. hierzu die ähnlichen Überlegungen von Vec: Multinormativität, 165.

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Wie bereits dargelegt, ist der Aufstieg der Normensysteme eine Folge und Begleiterscheinung der wachsenden Ausdifferenzierungen der europäischen Gesellschaften seit dem Hochmittelalter, womit ein historischer Langfristtrend begründet wurde, der bis in die Gegenwart reicht. Entscheidend für die Fragestellung des vorliegenden Buches ist, dass diese Differenzierungsprozesse zwar unterschiedliche Handlungsfelder und mit ihnen befasstes Personal hervorbrachten, aber dass die Abgrenzung zwischen diesen Handlungsfeldern unvollständig blieb. Handlungsfelder überlappten sich und mit ihnen auch die Rollen der in ihnen Tätigen. Solange sich ein Dorfpfarrer mit eigener Landwirtschaft über Wasser halten musste, war er nicht nur Spezialist auf dem Gebiet der Seelsorge, sondern auch ein Bauer unter vielen, mithin Teil der ländlich-agrarischen Gemeinschaft. Solange bestimmte Ämter im Fürstendienst dem Adel vorbehalten waren, galten dort nicht nur Dienstreglements (wenn es denn solche schon gab) oder gar ein gemeinwohlorientiertes Dienstethos, sondern vor allem adlige Werte und Handlungslogiken. Das bedeutet aber nicht, dass Rollenanforderungen wie die des Gemeindeseelsorgers oder des Amtsträgers im Fürstendienst einfach von den sozialen Logiken überrollt wurden. Denn die gemeinwohlorientierten Normen dienten den aufsteigenden Staatswesen und ihren wachsenden Verwaltungen als Legitimation für die Ausweitung ihrer Herrschaft und Regelungskompetenz. Damit aber wurden in Ordnungen und Traktaten Maßstäbe gesetzt, auf die sich auch die Untertanen berufen konnten und die von Rivalen und Gegnern von Amts- und Würdenträgern genutzt werden konnten, um deren Legitimität und Ansehen anzugreifen oder gar ihren Sturz herbeizuführen. Deutlich wird somit erneut: Normensysteme gewinnen an Autorität und Wirkungsmacht, indem Akteure sie aufgreifen, sich in ihren Handlungen an ihnen orientieren bzw. dies zu tun vorgeben oder sie als Maßstäbe an das Handeln anderer anlegen oder ihre Inte­ ressen mit ihnen durchsetzen. Das kann auch bedeuten, dass Normen und Rollen unterschiedlicher Herkunft sich gegenseitig verstärken: Ein Pfarrer, der in seiner Gemeinde auch sozial integriert war und das Vertrauen der Angehörigen seiner Pfarrei als Seelsorger wie als Nachbar genoss, konnte als von seinen dörflichen Mitbewohnern anerkannter Mittelsmann die Interessen seiner Gemeinde nach außen gegenüber dem Bischof und der landesherrlichen Verwaltung vertreten – die Rollen als Seelsorger und als durch Bildung und Amt herausgehobener Dorfbewohner konnten also zum Nutzen beider Hand in Hand gehen. Und das soziale Selbstverständnis eines Adligen mochte diesen zwar auf den ersten Blick nicht gerade als idealen Mann der Verwaltung erscheinen lassen, brachte es jedoch mit sich, dass er kraft seiner Autorität als Angehöriger des Zweiten Standes Anordnungen seines Fürsten durchsetzen und Aufgaben an Personal delegieren konnte. Auch hier verstärkten sich die Rollen als Angehöriger einer sozialen Führungsschicht und als Fürstendiener gegenseitig. „Normenkonkurrenz“

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bedeutet, dass bei ­derartigen Überlappungen Widersprüche auftreten konnten, aber keineswegs mussten. Normenkonkurrenz ist als ein latenter Spannungszustand zu verstehen, der auch überspielt, ignoriert oder harmonisiert werden konnte, ja mitunter von Akteuren gar nicht wahrgenommen wurde. Verstärken sich dabei überlappende Normen gegenseitig, dann haben wir es mit Normenkonvergenz zu tun.26 Wir kommen damit nun zu den einzelnen Normensystemen, die als Folge der im Hoch- und Spätmittelalter verstärkt einsetzenden gesellschaftlichen Differenzierungsprozesse aufstiegen. Damit einher ging ein zunehmender Bedarf nach Ordnung, nach Regelung des Lebens durch Handlungsmodelle. Der Erlanger Kirchenhistoriker Berndt Hamm bezeichnet diesen Prozess als „normative Zentrierung“, definiert als „die Ausrichtung von Religion und Gesellschaft auf eine orientierende und maßgebende, regulierende und legitimierende Mitte hin“.27 Darunter ist eine Tendenz der Orientierung an zentralen, legitimationsstiftenden und Sicherheit versprechenden Werten zu verstehen. Diese Werte sollten, in Normen übersetzt, das Leben bestimmen. Eine derart starke legitimatorische Kraft hatte in der Vormoderne nur die Religion, mithin das Christentum. Eindeutigkeit, Klarheit und Ordnung ließen sich im irdischen Leben nur durch Orientierung an der Wahrheitsnorm der Heiligen Schrift und den Glauben an die erlösende Passion Christi gewinnen. Wie noch zu zeigen sein wird, veranlasste nicht zuletzt die Sorge um das individuelle Seelenheil, also die Furcht des einzelnen Christen vor Fegefeuer und Hölle, Gläubige zur Orientierung an Normen, mittels derer der christliche Glaube gelebt werden konnte. Verhaltensmodelle, welche die konkrete Lebensführung an christlichen Verhaltensgeboten ausrichteten, galten als attraktiv, weil eine derartige Disambiguierung der Lebensführung die Reinigung von dem Seelenheil schädlichen Einflüssen versprach. Peter Burschel hat diese starke Orientierung hin zu Ordnung und Disambiguierung als Streben nach „Reinheit“ beschrieben und für die Zeit um 1500 „eine geradezu unheimliche und zudem bemerkenswert nachhaltige Konjunktur von Reinheitsdiskursen, Reinheitsmodellen und Reinheitspraktiken“ ausgemacht.28 Reinheit avancierte zu einem alle sozialen Felder umfassenden kulturellen Code. In seinen Bahnen entwickelte sich die Reformation als eine Reinigung des G ­ laubens 26 Ein alternativer Ansatz, derartige Verschränkungen und Überlappungen zu untersuchen, ist die in jüngster Zeit in die historische Frühneuzeitforschung eingeführte Intersektionsanalyse. Sie untersucht unterschiedliche Kategorien, mit denen in Gesellschaften soziale Differenz hergestellt wird (z. B. Geschlecht, Amt, Stand, Patronage, Konfession und Beruf ) und fragt vor allem nach Wechselwirkungen und Verwobenheiten (intersections) zwischen diesen Kategorien. Vgl. Emich: Normen; Bähr/Kühnel (Hrsg.): Verschränkte Ungleichheit. 27 Hamm: Normative Zentrierung, 164. 28 Burschel: Erfindung, 35.

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von unreiner, die reine Lehre verwässernder theologischer Tradition. Der Calvinismus kann als Gipfelpunkt religiöser Reinheitsbestrebungen gelten, ging es ihm doch einerseits auf der Seite der Theologie um die konsequente Vollendung der Reformation und auf der Seite des christlichen Lebens um die Schaffung klarer Verhaltensstandards und moralischer Dispositionen, um so die Reinheit der Abendmahlsgemeinde sicherzustellen. Und auch das Konzil von Trient setzte sich zum Ziel, die Glaubenswahrheiten der katholischen Kirche klar und unmissverständlich darzulegen und der Seelsorge wie dem Leben der katholischen Christen eindeutige Maßstäbe zu geben. Derartige Reinheitskonzepte finden sich im Übergang zur Neuzeit aber auch auf anderen Feldern, namentlich dem des Humanismus mit seinem Bestreben, sittliche Vervollkommnung über Bildung zu erreichen. Dazu war auch eine klare, reine Sprache erforderlich: das klassische, von mittelalterlichen Unreinheiten zu reinigende Latein als Mustervorlage, aber auch die über Wörterbücher und Grammatiken nun in eindeutige Form gebrachten Volkssprachen im Europa jenseits der Alpen. Weiterhin sind die geradezu exzessiven Bemühungen der weltlichen Obrigkeiten zu nennen, das Leben ihrer Untertanen in seinen komplexen sozialen Auffächerungen durch Vereindeutigung zu bändigen: Standes- und Berufszugehörigkeit sollten am Verhalten und an der Kleidung klar erkennbar sein und dies durch „Policeyordnungen“ festgeschrieben werden – die sichtbare Welt wäre so das reine Abbild ihrer hierarchischen Sozialordnung geworden. Diese Bemühungen, Uneindeutigkeit in Eindeutigkeit zu überführen, waren alles andere als folgenlos, aber letztlich nicht erfolgreich. Sie erlaubten die rasante Verbreitung der Reformation, aber führten nicht zur Vereindeutigung des Glaubens: Nicht eine an Haupt und Gliedern reformierte Kirche war das Ergebnis von Luthers Initiative, sondern die Koexistenz dreier Konfessionen in Feindschaft. Auch das Reformprogramm des Humanismus transformierte zwar die Gelehrtenkultur, doch verlor diese durch die Konfessionsspaltung an Geschlossenheit. Im Übrigen blieb die Idee sittlicher Vervollkommnung allein schon deshalb Utopie, weil sie sich nur auf eine kleine Bildungselite beschränkte und damit den Gelehrtenstand eher von anderen sozialen Gruppen abgrenzte, als dass Bildung in diese hätte hineinwirken können. Und auch die Policeyordnungen fürstlicher und städtischer Verwaltungen blieben allein schon deshalb in ihrer Wirkung begrenzt, weil die Gesellschaft sich dynamischer entwickelte und ausdifferenzierte, als dies eine Kleiderordnung abzubilden vermochte hätte. Nicht Vereindeutigung und Vereinheitlichung waren insoweit das historische Ergebnis der „normativen Zentrierung“, sondern Widersprüche, Unklarheiten, Abgrenzungen und Deutungskämpfe bis hin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die Frühe Neuzeit war damit beides: das Zeitalter der Reinheit, der Eindeutigkeit, der Normierung und der zumindest angestrebten Disambiguierung – aber ebenso (und gerade deshalb) die Epoche der Ambiguität, der Widersprüche und der Konflikte. In ihr trafen

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„Ordnungssehnsucht“29 als Reaktion auf Deutungskämpfe und Ambiguität im alltäglichen Umgang mit normativen Widersprüchen aufeinander.30 Doch bevor Widersprüche und Normenkonkurrenzen behandelt werden, sollen zunächst die drei Normensysteme, ihr Aufstieg, ihre Träger und die Grenzen ihrer Wirkung dargestellt werden.

Religiöse Normen Für die Zeitgenossen der Frühen Neuzeit gab es – zumindest bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts – in ihrer Wahrnehmung nur eine Normenordnung, und das war die von Gott geschaffene. Werte wie Normen waren besonders legitim, wenn sie auf die Heilige Schrift zurückzuführen waren. Als Christ zu handeln, galt als selbstverständlich, und letztlich war jedes legitime Handeln christlich. Gottes Schöpfungsordnung war unhinterfragbar gut und Widersprüche in ihr das Resultat menschlicher Unvollkommenheit seit dem Sündenfall. Diese Weltsicht erklärt auch den ausgeprägten Konservatismus der Vormoderne: Nur mit großen Anstrengungen, so die allgemeine Auffassung, vermochte die mit der Erbsünde belastete Christenheit die Schöpfungsordnung aufrechtzuerhalten, mit einer gleichwohl absteigenden Tendenz. Nur im Rückgriff auf das Alte, dem Schöpfungsakt Näherstehende, war Besserung zu erreichen; Wandel und Reform mussten mit dem Rückgriff auf das Alte gerechtfertigt werden. Altes Herkommen – Anciennität – bildete einen Wert an sich.31 Der Begriff religiöse Normen ergibt auf den ersten Blick keinen Sinn, waren doch alle Normen mehr oder weniger direkt religiös begründet. Er soll hier aber dennoch als analytischer Begriff Verwendung finden, um Handlungserwartungen, die direkt das Verhältnis zu Gott betrafen, von solchen, die nur indirekten Bezug zur Religion hatten, abzugrenzen. Als religiöse Normen sollen im Folgenden diejenigen Handlungserwartungen gelten, welche die Sphäre des Sakralen betreffen und damit die Kommunikation mit Gott umfassen. Darunter fallen aus theologischen Glaubenssätzen abgeleitete Verhaltensmaßstäbe ebenso wie liturgisch korrektes Verhalten, sei es in der Kirche oder bei religiösen Akten außerhalb des Kirchenraums, etwa in Prozessionen. Darüber hinaus ist damit der etwas diffusere Handlungsbereich der „Frömmigkeit“ gemeint. Unter diesen Begriff fallen diejenigen Elemente der Lebensgestaltung, die sich auf die Religion beziehen 29 Dürr: Herrschaft, 249. 30 „Die Frühe Neuzeit war nicht das Reich der Klarheit. Sie war vielmehr im Gegenteil ‹obskur› und musste beständig um Klarheit kämpfen.“ Büttgen: Was heißt konfessionelle Eindeutigkeit?, 32. 31 Schäufele: Zur Begrifflichkeit, 20 ff.

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und die im Alltag bewusst oder habitualisiert als religiöse Handlung erscheinen.32 Derartige Akte galten insoweit als Kommunikation mit Gott, als sie von den Gläubigen in der Regel als gottgefällig angesehen wurden. Im katholischen Verständnis waren sie zudem als gute Werke gnadenwirksam, in protestantischer Sicht förderten sie Heilssicherheit. Dieser direkte Bezug zur Religion verlieh den religiösen Normen einen herausragenden Stellenwert. Sie direkt und bewusst zu übertreten, stellte den Betreffenden nicht nur außerhalb der kirchlichen Ordnung, sondern wurde rechtlich wie sozial sanktioniert. Offen areligiöses Verhalten traf bis Ende des 17. Jahrhunderts in der Regel auf schroffe Ablehnung und wurde hart bestraft. Denn auf derartige Handlungen drohte die Strafe Gottes zu folgen, und zwar nicht nur für den Delinquenten selbst, sondern auch für die gesamte soziale Gruppe oder kirchliche bzw. politische Gemeinschaft, die Blasphemie zuließ und nicht konsequent bekämpfte.33 Auseinandersetzungen über die Bekenntnisgrundlagen christlichen Handelns hingegen waren in der konfessionell gespaltenen Welt sehr präsent. Gerade wegen des hohen legitimatorischen Werts und des absoluten Wahrheitsanspruchs religiöser Normen wurden diese Auseinandersetzungen oft mit besonderer Bitterkeit und Härte geführt – mussten aber dort, wo verschiedene religiöse Gruppen miteinander oder nahe beieinander lebten, im Alltag gebändigt werden. Gerade bei religiösen Normen stand folglich der Anspruch auf Reinheit und Disambiguierung der faktischen Ambiguität des Alltags gegenüber. Der Produzent religiöser Normen war im Verständnis vormoderner Akteure Gott selbst; ihre Wertebasis war die von Gott offenbarte Wahrheit. Vermittelt wurde sie durch die Heilige Schrift und interpretiert durch die Theologie, deren Lehren sich wiederum in den Ritualen der Liturgie spiegelten. Damit konnten religiöse Normen auf einen schriftlich fixierten Wissensbestand zurückgreifen, der im Kernbereich der göttlichen Offenbarung nicht direkt angreifbar, gleichwohl interpretationsbedürftig war. Die Grundsatzproblematik religiöser Normen bestand damit in dieser Doppelung von schriftlich fixierter Offenbarung und dem Deutungskampf um ihre Auslegung, der sich zudem nie allein auf den Kreis von kirchlichen Theologen begrenzen ließ – dazu war die Relevanz religiöser Normen für den einzelnen Christen und sein Heil zu groß. Aus diesem Grund hatten theologische Debatten einen Hang zum Grundsätzlichen und ging von ihnen ein weit in die Gesellschaft reichendes Konfliktpotenzial aus.34 Und ebenfalls aus diesem Grund waren Träger und Produzenten religiöser Normen nicht nur Geistliche als kirchlich approbierte religiöse Spezialisten, sondern auch die 32 Diese Einteilung orientiert sich an den Definitionen von „Glaube“ und „Frömmigkeit“ bei: Hamm: Bürgertum, 18, Fußnote 10. 33 Piltz/Schwerhoff: Religiöse Devianz, 33 f. 34 v. Thiessen: Normenkonkurrenz, 256 f.

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Gläubigen, die, gleichgültig, welcher Konfession sie angehörten, selbst direkt mit dem Transzendenten in Verbindung traten, eigene Vorstellungen von Frömmigkeit hatten, Angebote der Seelsorge selektiv nutzten und ihre Ansprüche betreffs religiöser Vermittlungsleistungen an die Geistlichkeit richteten. Trotz der unbestrittenen Legitimität religiöser Normen ist die Frage, wie weit sie das Leben vormoderner Menschen bestimmten, wie also ihre Reichweite zu beurteilen ist, umstritten. Diese Problematik soll – zunächst noch ohne näher auf ihren Stellenwert im Kräftefeld der Normenkonkurrenz einzugehen, was Aufgabe der mittleren Teile dieses Buches (3 bis 5) sein wird – in diesem Kapitel in zwei Abschnitten diskutiert werden, und zwar zunächst mit Bezug auf die vorreformatorische Zeit und anschließend für das Konfessionelle Zeitalter. Dabei ist vor allem nach den Ursachen der Autorität religiöser Normen, nach der Wirkung religiöser Disziplinierung und nach der Bedeutung von Aushandlung zwischen unterschiedlichen Akteuren auf dem Feld des Religiösen zu fragen. Die Frage des Seelenheils: Frömmigkeit und religiöse Normen im Hoch- und Spätmittelalter

Dass religiöse Normen in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters an Bedeutung gewannen und in der Frühen Neuzeit mindestens bis um 1700 eine anhaltend hohe Relevanz behielten, mag auf den ersten Blick überraschen. Zu etabliert sind das Klischee der „tiefen“ Religiosität der mittelalterlichen Menschen und die Vorstellung eines langen Säkularisierungsprozesses als Merkmal der Neuzeit. Das christliche Bekenntnis war zwar eine Selbstverständlichkeit in hochmittelalterlichen Gesellschaften, doch war in den frühen Jahrhunderten des ­Mittelalters Frömmigkeit noch weniger stark mit konkreten Verhaltensstandards verbunden als in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Dass Frömmigkeit nicht nur angemessenes Verhalten im Kirchenraum umfasste, sondern sich auch im alltäglichen Leben ausdrücken sollte und dass christliche Verhaltensweisen für das individuelle Seelenheil zuträglich waren, war eine Vorstellung, die im Laufe des Hochmittelalters an Relevanz gewann. Zunehmend setzte sich die Auffassung durch, dass der einzelne Christ selbst für seinen Heilsstatus verantwortlich sei.35 Erst mit dieser Individualisierung von Frömmigkeit kann von einem auch für Laien relevanten religiösen Normensystem gesprochen werden, das über basale Verhaltensanforderungen, wie sie etwa die Zehn Gebote darstellten, hinausging. Religiosität wurde eine Frage der Lebensführung. Als, wie oben beschrieben, die städtischen Gesellschaften immer komplexer wurden, eine Vielzahl von Berufsgruppen und Lebensweisen, Armut und Reichtum auf engem Raum koexistierten, 35 Vollmer: Weltgerichtsportal, 201.

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änderte sich auch die Vorstellung vom Seelenheil und vom Jenseits. Verfügten im frühen Mittelalter selbst Mönche nur über eine recht unklare Vorstellung vom Verbleib der Seelen der Christen nach dem Tod, so gewann diese Frage in den folgenden Jahrhunderten an Aktualität.36 Wie war es beispielsweise um das Seelenheil der wachsenden Zahl der Reichen bestellt, über deren Aussichten, in den Himmel zu gelangen, die Heilige Schrift wenig ermutigende Stellen enthält? Und wie würden die zahlreichen kleineren Sünden, die in einer differenzierten und in Ansätzen auch schon durchaus konsumfreudigen Gesellschaft lauerten, von Gott bewertet werden? Unbestritten war, dass, wie in der Bibel verkündet, Gott die Guten belohnen und die Bösen bestrafen würde. Aber wann dies geschehen würde – unmittelbar nach dem Tod oder erst zum Jüngsten Gericht –, war unklar. Weiterhin stellte sich die Frage, welches Schicksal die zahlreichen durchschnittlichen Christen, die non valde boni, nach dem Tod zu erwarten hatten.37 Antworten lieferte eine komplexe Jenseitstheologie, die aus verschiedenen Bibelstellen und älteren theologischen Ansätzen das Konzept des Fegefeuers entwickelte und 1336 per päpstlichem Lehrentscheid zum verbindlichen Glaubensgut erklärt wurde. Letztlich kann die Fegefeuertheologie als eine Antwort auf die soziale Differenzierung in der irdischen Welt gewertet werden: Wenn es in ihr nicht gerecht zuging und wenn nicht alle Lebensweisen gleichermaßen gottgefällig sein konnten, dann war zu erwarten, dass die Seelen seitens des gerechten Gottes entsprechend diffe­ renziert beurteilt wurden. Anstelle der Alternative von Himmel oder Hölle trat demnach die Vorstellung einer sehr viel abgestufteren Behandlung der Seele, der je nach Neigung der „Seelenwaage“, welche die Schwere der Sünden angab, ein transzendenter Aufenthaltsort zugewiesen wurde. Zur Wahl standen nun drei Orte: Himmel, Hölle und Fegefeuer. Der direkte Einzug von der Seelenwägung in den Himmel war nach verbreiteter Auffassung nur den wenigen vorbehalten, die weitgehend von Sünde unbefleckt blieben oder die – wie der Schächer zur Rechten Jesu – besondere Reue- und Bekenntnisleistungen vollbracht hatten. Die hartnäckigen und reuelosen Sünder hingegen wurden – wie der Schächer zur Linken – direkt in die Hölle zur ewigen Verdammnis gewiesen. Auf Fegefeuer laute, so die Vermutung, das Urteil aber am häufigsten. Dorthin werde die Masse der von alltäglichen Verfehlungen belasteten Seelen für eine ihrer Sündenbilanz entsprechenden Zeit zur Reinigung geschickt, bevor sie schließlich in den Himmel eingehen könnten. Genau genommen wurde das Gericht über die Seelen mit diesem Konzept gedoppelt: Zunächst, unmittelbar nach dem leiblichen Tod, bestimmte das „Partikulargericht“ über den vorläufigen Aufenthalt der Seele. Da Gott nicht irrte, konnte das Gericht am Jüngsten Tag dann allerdings nur noch 36 Dinzelbacher: Sterben/Tod: Mittelalter, 246 f. 37 Jezler: Jenseitsmodelle, 17 f.

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die einmal getroffene Entscheidung bestätigen – die Apokalypse als Moment der Entscheidung über das Heil wurde damit entwertet zugunsten des individuellen Partikulargerichts unmittelbar nach dem Tod.38 Für die Gläubigen bedeutete dies, dass die Entscheidung über ihr individuelles Schicksal im zweiten, ewigen Teil ihres Lebenslaufs nicht mehr in der abstrakten Ferne des Jüngsten Tages lag, sondern sehr nahe an das eigene Lebensende rückte und auf diese Weise eine drängende Aktualität erhielt. Für den französischen Mentalitätshistoriker Philippe Ariès markiert die Verbreitung der Idee des Fegefeuers den ersten Bruch in der Geschichte des Todes seit der Christianisierung. Dieser habe einen Systemwechsel vom „gezähmten Tod“ zum „Tod des Selbst“ herbeigeführt. Gezähmt sei der Tod zunächst gewesen, weil er rituell habe bewältigt werden können und von der unspezifischen Vorstellung eines Weiterlebens nach dem Tode begleitet gewesen sei. Inwieweit Ariès hier den Schrecken des Todes zu sehr herunterspielt, muss an dieser Stelle offenbleiben. Sehr plausibel erscheint gleichwohl sein Befund, dass mit der Verbreitung der Vorstellung vom Fegefeuer das individuelle Seelenschicksal in den Vordergrund rückte und zunehmend in den irdischen Teil des Lebenslaufs hineinwirkte.39 Denn indem die Gläubigen nun davon ausgingen, dass ihr Verhalten im irdischen Leben direkte Auswirkungen auf ihr Schicksal nach dem Tod hatte und die höchstrichterliche Entscheidung darüber unmittelbar nach Lebensende erfolgte, nahm die Bedeutung gottgefälligen Verhaltens und der Vermeidung sündhafter Handlungen zu. Damit wuchs die Relevanz des Klerus und seiner Seelsorge. Die Priester erhielten die schwierige Aufgabe zugewiesen, einzelne Sünden nach ihrer Schwere zu beurteilen und entsprechende Bußleistungen zu bemessen. Das Genre der Bußbücher florierte daher besonders im späten Mittelalter ebenso wie das der Beichtsummen als Orientierung für Priester.40 Die Individualisierung des Seelenheils hatte somit zwei gegensätzliche Wirkungen, die gleichwohl beide Handlungserwartungen in der „Welt“ veränderten. Auf der einen Seite sind die disziplinierenden Wirkungen auf die Gläubigen offensichtlich. Indem das Seelenheil an Verhaltensstandards gekoppelt wurde, stieg die Bedeutung, ja der Nutzen religiöser Normen an. Der einzelne Christ trug auf diese Weise eine stärkere Verantwortung für sein Heil, gelenkt durch sein Gewissen. Um eine reine Top-down-Disziplinierung der Kirche gegenüber den Laien handelte es sich dabei nicht, da die Idee des Fegefeuers auch schon vor ihrer Erhebung zum kirchlichen Glaubensgut von der Laienfrömmigkeit aufgegriffen worden war; Laien und Klerus wirkten in diesem Fall eher gegenseitig aufeinander ein. Auf der anderen Seite konkretisierten und erweiterten sich die 38 Dinzelbacher: Sterben/Tod: Mittelalter, 246 f.; Jezler: Jenseitsmodelle. 39 Ariès: Studien, 19 ff.; sein Modell auch zusammenfassend in: A. Hahn: Tod, 71 ff. 40 Maihold: Legitimation, 55.

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Handlungserwartungen an die Priester, die ihren „Beichtkindern“ die Navigation durch die sündhafte Welt erleichtern sollten und die Gnadenmittel der Kirche zum Erlass von Sünden anboten. Damit war aber neben der Verchristlichung des Alltags ein alternativer Weg für die Gläubigen aufgezeigt, und zwar der der regen Nutzung der kirchlichen Sakramente von Abendmahl, Beichte und Ablass, wobei die Beichte ein Sakrament darstellte, das über die Regung des Gewissens durchaus einer Verchristlichung des Lebens im Sinne von Selbstkontrolle gegen die Sünde dienlich sein konnte.41 Auf diese Weise entstanden als Folge veränderter Jenseitsvorstellungen verschiedene religiöse Verhaltensstile, die auch in der Frühen Neuzeit zu finden sind und sich seit der Reformation auch entlang der konfessionellen Grenzen auseinanderentwickelten. Die wohl spektakulärste Folge der Ausdifferenzierung von Frömmigkeit im hohen und späten Mittelalter war die mendikantische Ordensreform, die mit den Gründungen der großen Bettelorden – Karmeliten, Franziskaner, Dominikaner, Augustiner-Eremiten – um 1200 einen Höhepunkt erreichte. Ihre sehr rasche Verbreitung und ihr offenkundig hohes Ansehen bei den Laien zeigen, dass ihr Ideal – die Christus-Nachfolge über die strikte Orientierung an den religiösen Tugenden der Demut und der Armut – gesellschaftliche Funktionen erfüllte und entsprechend nachgefragt wurde. Worin dieser Erfolg lag und was er für den Stellenwert religiöser Normen der Laien bedeutete, wird weiter unten noch diskutiert werden.42 Der im 14. Jahrhundert nach Europa gelangenden Pest wird in der Regel ebenfalls eine fundamentale Wirkung auf die Relevanz religiöser Normen zugeschrieben. Es erscheint aber auch plausibel, der Erfahrung des jähen und massen­ haften Todes nur eine Verstärkung oder Modifizierung bereits bestehender Trends zuzuschreiben. Neben dem Schrecken, der von der rasanten Verbreitung der Pest ausging, war vor allem der kurze Zeitraum zwischen Ansteckung und Tod problematisch, stand er doch einer angemessenen Sterbevorbereitung entgegen. Denn viele Gläubige vertraten im Gefolge der Individualisierung des Seelenheils die Auffassung, dass zur Vorbereitung auf den Tod eine allmähliche Abwendung von der „Welt“ gehöre und damit eine Zuwendung zu religiösen Normen. Die ideale Sterbevorbereitung umfasste die abschließende Regelung der irdischen Angelegenheiten; Streitigkeiten waren beizulegen und den Feinden zu verzeihen, um dann die Seele auf Gott auszurichten. Gelinge dies, habe die Seele gute Aussichten, ihre Sündenbilanz noch kurz vor dem Scheiden aus dem irdischen Leben aufzubessern und der göttlichen Gnade teilhaftig zu werden. Dieser „gute Tod“ konzentrierte die Orientierung an religiösen Normen auf die letzte Phase 41 Maihold: Legitimation, 55. 42 Im Kapitel „Zucht und Moral“ des Teils 3 und im Kapitel „Normative Übererfüllung“ des Teils 6.

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des Lebens – wenn der Tod nicht, wie etwa bei der Pest, „jäh“ kam und eine adäquate Sterbevorbereitung unterband. Der Vorstellung, auf dem Sterbebett die Seelenbilanz noch einmal fundamental aufbessern zu können, stand somit die Furcht gegenüber, im jähen Tod diese Möglichkeit zu verpassen.43 Auch für dieses Problem fanden sich sehr unterschiedliche Lösungen. Die anspruchsvollste war es, der Gefahr des plötzlichen Todes durch eine Ausweitung der Sterbevorbereitung, der ars moriendi, auf das ganze Leben als ars vivendi zu begegnen und der „Welt“ und ihren Regeln mit Distanz zu begegnen. Doch der contemptus mundi, wie er etwa von Laienbruderschaften mehr oder weniger konsequent gepflegt wurde, blieb ein religiös-normatives Konzept für wenige; er stand dem Lebensmodell der Ordensleute nahe.44 Die andere, einfachere Lösung fand sich in der Aktivierung postmortaler Gnadenleistungen: Trotz des bereits erfolgten Spruchs auf dem Partikulargericht galt es als möglich, den Heilsstatus der Seele eines Verstorbenen durch bestimmte gute Werke noch aufzubessern und damit die Zeit im Fegefeuer zu verkürzen. Dies geschah über die Spendung von Seelmessen oder den käuflichen Erwerb eines päpstlichen Ablasses. Damit allerdings wurden der Druck auf ein an religiösen Normen orientiertes Leben und auch die Bedeutung des guten Todes gemindert. Problematisch war allerdings, dass auch schon die Zeitgenossen diskutierten, ob mit derartigen Angeboten nicht die blasphemische Erwartung geweckt werde, man könne Gott selbst das Heil abkaufen. Gleichwohl waren viele dieser Stiftungen für das Seelenheil durchaus auch fromme Werke der Nächstenliebe, die etwa dem Lebensunterhalt armer Witwen oder Studenten oder der Finanzierung von Klöstern dienten. Die Wirkung des Stiftungswesens für verstorbene Seelen war alles in allem ambivalent: Es förderte religiöse Normen ebenso wie es ihre Relevanz für die Lebensführung relativierte, ja sogar umkehrte.45 Um 1500 zeigte die Landkarte europäischer Frömmigkeit ein sehr buntes Bild: Die Sorge um den guten Tod und das ewige Leben hielt unvermindert an. Sie führte zu einem Ausbau der Formen kalkulatorischer Religiosität, der aber nicht nur auf Zustimmung stieß, sondern auch schon vor der Reformation Grundsatzkritik an deren Wirksamkeit aufkommen ließ und damit bei vielen Heilsun­ sicherheit generierte. Laienbewegungen wie die devotio moderna und der Mystik zuzuordnende Gruppen suchten hingegen Christus-Nähe über praktische Frömmigkeitsformen und spirituelle Übungen. Sie wirkten auch in die Kirche, trugen zu Reformdiskussionen bei und kritisierten die in ihren Augen zu wenig an den Bedürfnissen der Gläubigen ausgerichtete kirchliche Liturgie. Die Bettelorden 43 Dinzelbacher: Präsenz, 33 ff.; Rudolf: Ars moriendi I, 144. 44 Dinzelbacher: Sterben/Tod: Mittelalter, 253; Wollgast: Zum Tod im späten Mittelalter, 13. 45 Dinzelbacher: Präsenz, 37 f.; Jezler: Jenseitsmodelle, 22 f.

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waren im lateinchristlichen Europa weit verbreitet, sodass spätestens seit dem Spätmittelalter von einer flächendeckenden Seelsorge und christlichen Unterweisung gesprochen werden kann. Vor allem die Predigt als Medium der Vermittlung von Glaubenswahrheiten und Verhaltensrichtlinien gewann mit ihnen an Bedeutung. Mochte bis dahin die Christianisierung oberflächlich gewesen sein – spätestens seit dem 13. Jahrhundert lässt sich dies nicht mehr behaupten.46 Reformdebatten in der Kirche, in den Orden und unter Laien können als ein Symptom für das Grundproblem angesehen werden, die heilswirksamen und daher konkreter gefassten religiösen Normen in der Auseinandersetzung mit der „Welt“ zu leben. Von einer generellen Abnahme der Bedeutung religiöser Normen im Gefolge der Renaissance kann kaum die Rede sein. In der Kirche, vor allem in ihrem römischen Zentrum fanden sich Verweltlichungstendenzen im Klerus neben lebhaft geführten Reformdebatten und gelebter Frömmigkeit. Eine Krise der Kirche kann in Teilen Europas um 1500 durchaus diagnostiziert werden – sie war aber nicht ein Ausdruck des Nachlassens der Relevanz religiöser Normen, sondern vielmehr ihrer Vitalität und ihrer Vielgestaltigkeit. Letztere allerdings wurde von vielen Zeitgenossen durchaus als Belastung empfunden. Dies kann als eine Ursache für den zunächst durchschlagenden Erfolg der Reformation gesehen werden – sie versprach über ein klares theologisches Konzept und daraus abgeleitete Lebens- und Verhaltensmaßstäbe Disambiguierung und damit Sicherheit auf dem Feld des Religiösen. Konfessionsbildung und Konfessionalisierung

Zweifellos stellt die Reformation einen Einschnitt in der Geschichte der religiösen Normen dar. Dieser betrifft aber nur bedingt deren Relevanz – denn das religiöse Normensystem genoss vor wie nach dem Auftreten der Reformatoren eine herausragende Stellung. Der Stellenwert frommer Lebensführung nahm sogar noch zu. Nichtsdestoweniger stellte die Reformation viele Aspekte der spätmittelalterlichen Frömmigkeit in radikaler Weise auf den Kopf. Sie dekonstruierte das Fegefeuer als irreales Konstrukt und verstellte mit der Ablehnung der Werkfrömmigkeit nicht nur den Weg in den Himmel über gute Werke, sondern entzog auch den Mittlern zwischen den Gläubigen und Gott ihre Rolle, das heißt den Priestern und den Heiligen. In dieser Hinsicht stellt die Reformation eine ruckartige Disambiguierungsleistung dar und sie bot Eindeutigkeit statt verwirrender Vielfalt auf dem Weg zum Heil. Die sola-Theologie Luthers – sola scriptura, sola gratia, sola fide / Wahrheit allein in der Schrift, Seligkeit allein durch die Gnade Gottes und Erlangung derselben allein durch den Glauben – drückt dies bemerkenswert klar aus.47 46 Menzel: Predigt, v. a. 367 ff. 47 Schorn-Schütte: Reformation, 30.

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Doch die Reformation erbrachte letztlich nicht die Disambiguierung, welche ihre Anhänger von ihr erhofften, wenn sie scharf zwischen wahrer und falscher Lehre unterschieden. Statt einer Vereindeutigung der Frage des Heils bildete sich eine Konkurrenzsituation zwischen drei die Glaubenswahrheit jeweils für sich in Anspruch nehmenden konfessionellen Großgruppen (katholische Kirche, lutherische und reformierte Kirchen) heraus, ergänzt von kleineren, oft unter Verfolgungsdruck stehenden Gemeinschaften. Auf die vielfältige und etwas chaotische Pluralität der spätmittelalterlichen Frömmigkeit folgte die Abgrenzung zwischen verfeindeten und innere Geschlossenheit anstrebenden Blöcken. Diese waren kaum mehr bereit, in den von ihnen dominierten Gebieten konfessionelle Minder­ heiten zuzulassen, vermochten diese konfessionelle Flurbereinigung aber nicht immer durchzusetzen. Religiöse Normen wurden zunehmend konfessionalisiert und sollten der Markierung des konfessionellen Besitzstandes und Bestätigung der jeweiligen Glaubenswahrheit in Abgrenzung gegen die Fremdkonfessionen dienen. Wenn sich die von Irrtümern geläuterte Reinheit des Glaubens schon nicht in der gesamten lateinischen Christenheit durchsetzen ließ, dann strebten die Konfessionskirchen dies doch wenigstens im eigenen Einflussbereich an; damit erhöhte sich der auf die Gläubigen gerichtete religiöse Konformitätsdruck. Reformation und Konfessionalisierung sind als „zweite Brennstufe“ des Christianisierungsprozesses bezeichnet worden.48 Auch wenn diese Zählung hinterfragt werden kann – nach der eigentlichen Christianisierung in Spätantike und frühem Mittelalter als erster Stufe gibt es gute Gründe dafür, das Wirken der Bettelorden im Hoch- und Spätmittelalter bereits als zweite Stufe anzusehen –, so reflektiert sie doch ein wesentliches Resultat der Forschung zur Konfessionalisierung: die „Parallelitätsthese“. Gemeint ist damit, dass die drei rivalisierenden Konfessionen in etwa im gleichen Zeitraum mit ähnlichen Mitteln und vergleichbaren Wirkungen das Normengefüge der lateineuropäischen Gesellschaften weit über den Bereich des Religiösen hinaus veränderten. Gegenseitige Abgrenzung erbrachte demnach paradoxerweise vergleichbare Resultate. Diese Wirkung ist, wie bereits dargelegt, von Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling als Modernisierung interpretiert worden, als eine Wegbereitung für den modernen Staat. Die jüngere Forschung argumentiert vorsichtiger und geht von weitreichenden, aber nicht primär in die Moderne gerichteten gesellschaftlichen Transformationen aus.49 Am Beginn dieses Prozesses standen Bekenntnisse und Klarstellungen. Die Anhänger der Reformation waren bestrebt, durch die Ausformulierung ihrer Glaubenslehren in Abgrenzung zu Praktiken, die sie als Missbräuche verstanden, 48 H. Schilling: Nation, 102; Schwerhoff: Hexen, 200. 49 Ehrenpreis/Lotz-Heumann: Reformation, 67 ff.; Reinhard: Gegenreformation, 230 ff.; ders.: Zwang, 258 ff.; H. Schilling: Konfessionalisierung von Staat, Kirche und Gesellschaft, 1 ff.

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Klarheit zu erreichen und sich Legitimation zu verschaffen. Dies taten sie auch, indem sie einen direkten Bezug der Reformation zur Urkirche herstellten und die Papstkirche als nunmehr zu überwindenden Irrweg darstellten.50 Die katholische Kirche hingegen verwies auf ihre ununterbrochene Traditions- und Institutionslinie seit Christi Zeiten. Sie begriff sich zu keinem Zeitpunkt als Konfessionskirche, mutierte aber faktisch zu einer solchen. Denn auch sie sah sich veranlasst, auf dem Konzil von Trient ihre Glaubenswahrheiten klarzustellen, zu fixieren und gegen die Konkurrenzkonfessionen abzugrenzen: Als „Erneuerung durch selektive Tradition“51 ist dieses Vorgehen bezeichnet worden, das gewissermaßen eine Konfessionskirche wider Willen schuf. Alle Konfessionen fassten ihre Grundwahrheiten in Glaubensbekenntnissen eingängig und leicht auswendig zu lernen zusammen. Eine Klarheit des Bekenntnisses wurde allerdings selbst in der katholischen Kirche bestenfalls annäherungsweise erreicht, denn die zahlreichen Trienter Konzilsdekrete bildeten kein kohärentes Programm aus einem Guss – entsprechend komplex gestaltete sich ihre Umsetzung in die Praxis. Außerdem bestand die katholische Kirche aus zu vielen unterschiedlichen Akteursgruppen, von denen manche, wie beispielsweise die verschiedenen Ordensgemeinschaften, mitunter scharf miteinander konkurrierten und sich in dogmatischen Fragen – etwa der der unbefleckten Empfängnis Mariens – bisweilen verbissen bekämpften.52 Trotz dieser Vielstimmigkeit aus den Reihen der katholischen Kirche bleibt doch festzuhalten, dass Trient bestimmte Leitvorstellungen begünstigte, worunter die Stärkung der kirchlichen Hierarchie und ein seelsorgerischer Aktivismus, der das Rollenbild von Pfarrern und Bischöfen veränderte, zu zählen sind.53 Diese Erfahrung unvermeidbarer binnenkonfessioneller Pluralität teilte die katholische Kirche mit den protestantischen Konfessionen. Denn diese bekamen ihre Lehrstreitigkeiten nie vollständig unter Kontrolle. Kaum waren die Lehren Luthers verbreitet worden, wehrte sich der Reformator bereits gegen – aus seiner Sicht – Fehlinterpretationen von „Schwärmern“, die ihrerseits den Anspruch erhoben, seine Ansätze konsequent weiterzudenken. Hinzu kam, dass weitgehend parallel zu Luthers Reformation und teilweise von ihr inspiriert in Zürich eine weitere, von Huldrych Zwingli in Gang gesetzte Reformbewegung entstand, womit die Reformation von vornherein zwei Zentren aufwies, die bei aller 50 Pohlig: Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. 51 Brückner: Neuorganisation, 8. 52 Das gilt beispielsweise für die Auseinandersetzungen um die Dogmatisierung der unbefleckten Empfängnis Marias. Paul V. Borghese wusste sich angesichts der Schärfe der Auseinandersetzung 1617 nicht mehr anders zu helfen, als per Dekret weitere öffentliche Debatten zu dieser Frage zu verbieten; die Erklärung zum Dogma sollte erst 1854 durch Pius IX. erfolgen. Broggio: Orthodoxy, 78 f.; Giordano: Introduzione, 91. 53 Reinhard: Barockkatholizismus, 420.

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gemeinsamen Kritik an der römischen Kirche jeweils eigene Wege einschlugen und sich auch rituell – vor allem im Verständnis und in der Form des Abendmahls – unterschieden. Die Erwartungen der Gläubigen und der politische Druck, unter dem die Verfechter der Reformation im Reich standen, veranlassten diese, einen überregionalen Konsens in den wesentlichen Glaubensfragen zu suchen und auszuformulieren. Auf diese Weise eine Brücke zwischen der Wittenberger und der Zürcher Reformation zu schlagen, gelang zwar 1529 in Marburg nicht, zustande kam aber 1530 die Confessio Augustana als grundlegendes Bekenntnis der lutherischen Reichsstände.54 So groß diese Konsensleistung auch war, so flammten doch Lehrstreitigkeiten in den folgenden Jahrzehnten immer wieder auf: „Das Luthertum war die ruheloseste […] Konfession.“55 Der folglich nur bedingt erfolgreichen Gewinnung von Klarheit in der Lehre folgte die institutionelle Verfestigung, die in allen drei Fällen auch bedeutete, dass Kirche und Staat zusammenrückten. Dabei entstanden unterschiedliche Formen kirchlicher Organisation – die teilweise zentralisierte Papstkirche, die lutherischen Landeskirchen und die zum Teil landeskirchlich, zum Teil auf Gemeindebasis organisierten reformierten Kirchen. In allen drei Fällen aber wurden das Personal und die Gläubigen institutionell stärker an die Kirche gebunden und die kirchliche Mitgliedschaft über Kirchenbücher – ein Kontrollinstrument, das erst mit der Konfessionalisierung flächendeckende Verbreitung fand – auch relativ effektiv kontrolliert.56 Auch rituell und habituell wurde die Konfessionszugehörigkeit gefestigt. Riten wurden in Liturgie-Ordnungen fixiert und religiöse Praktiken vorgeschrieben, empfohlen oder verboten. Damit wurde die Konfessionszugehörigkeit im Verhalten der einzelnen Gläubigen sichtbar: Katholiken bekreuzigen sich mit Weihwasser, Protestanten unterlassen dies; Katholiken nehmen an Prozessionen teil, Protestanten gehen zu Betstunden. Religion wird über derartige, teilweise in den Habitus übergehende Verhaltensweisen performativ wirksam, das heißt, der konfessionell korrekt handelnde Christ zeigt nicht nur, welcher Konfession er angehört, sondern diese Handlungen machen ihn auch zum Katholiken, Lutheraner oder Reformierten. Besonders auf diesem Feld wird deutlich, wie stark Konfessionszugehörigkeit mit Handlungserwartungen verbunden wurde. Obwohl also auf diese Weise unterschiedliche Handlungsstile entlang konfessioneller Grenzlinien entstanden, haben wir es wiederum mit einem Parallelprozess zu tun: Derartige Bemühungen gab es bei allen Konfessionen.57 54 Schorn-Schütte: Reformation, 36 ff. 55 Kaufmann: Geschichte der Reformation, 704. 56 Zur Kontrollfunktion von Kirchenbüchern: Behrisch: Alteuropa, 203. 57 Zur Schaffung von Realität durch performative Kommunikationsakte: Stollberg-­ Rilinger: Symbolische Kommunikation, 495; zur Bedeutung von Riten als Ausdruck

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Noch deutlicher wird der parallele Verlauf der Konfessionalisierung im Bereich der Kirchenzucht und, eng verbunden damit, bei der Zurückdrängung magischer Praktiken. Dieses Feld kann als Paradebeispiel für den Aushandlungscharakter religiöser Normen angesehen werden, die eben nicht einfach nur top-down von Kirchenleitungen implementiert wurden, weshalb es etwas ausführlicher b­ ehandelt wird. Die Unterbindung magischer Praktiken und die Verdrängung magischer Vorstellungen hatten sich alle drei Konfessionen auf ihre Fahnen geschrieben. Dazu war allerdings erst einmal zu definieren, wo die Grenzen zwischen illegitimer Magie und gewünschter Frömmigkeit lagen. Denn obwohl es schon zu Beginn der Neuzeit eine lange Tradition der kirchlichen Abgrenzung gegen magische Praktiken gab, wurden diese Kategorien in der alltäglichen Praxis von den Gläubigen aus kirchlicher Sicht doch häufig vermischt.58 Das galt etwa für Segensprüche, die der Heilung von Krankheiten dienten, oder für die Kombination von geweihten Gegenständen mit magischen Objekten wie Erde von einer Hinrichtungsstätte oder Amuletten, um bestimmte Wirkungen zu erzielen.59 Diese Überlagerungen und Hybridisierungen zu bekämpfen und bei den Gläubigen ein Unrechtsbewusstsein gegenüber den inkriminierten magischen Praktiken durchzusetzen, war Ziel aller Konfessionen. Wiederum haben wir es mit einem Phänomen der disambiguierenden Reinigung zu tun: Religion und Magie sollten strikt getrennt und magische Praktiken durch Kriminalisierung unterbunden werden. Frömmigkeit sollte sich in Praktiken ausdrücken, die in respektvoll-flehentlicher Disposition ausgeführt wurden und die sich in dieser Weise ausschließlich an Gott bzw. (aus katholischer Sicht) Mittler zu ihm wandten. Magie hingegen wurde unterstellt, nicht etwa verborgene Naturkräfte zu aktivieren, sondern den Teufel auf den Plan zu rufen. Sie wurde damit mit dem Feind der Christenheit und Gottes schlechthin in Verbindung gebracht. Magische Praktiken bedeuteten folglich Verrat an Gott, dessen Zorn erregt zu werden drohte; allein schon diese Gefahr legitimierte ihre Verfolgung durch die weltliche Justiz. Während die protestantischen Konfessionen eher dazu neigten, die Gläubigen auf Gottvertrauen, Stärkung im Gebet und Geduld im Leiden zu verpflichten, war der katholische Ansatz ein anderer. Er lenkte die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf alternative, gottgefällige Wege der Alltagsbewältigung, die der katholischen Kirche als Verwalterin der Sakramente zur Verfügung standen. Gebärende etwa sollten von Priestern geweihte Wachsamulette tragen, statt bestimmte Steine oder hausgefertigte Amulette anzulegen. In ihren Alltagsnöten sollten die Gläubigen der ­Konfessionszugehörigkeit und Medium der Bindung an eine Konfession: R ­ einhard: Zwang, 266. 58 Zur Unterscheidung von Religion und Magie: Mauss: Entwurf; Petzold (Hrsg.): Magie und Religion. 59 v. Thiessen: Kapuziner, 428 ff.

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nicht auf obskure Sprüche, magische Spezialisten mit Glaskugeln oder „Hexenbanner“ zurückgreifen, sondern Hilfe bei den Heiligen suchen.60 Der Charme dieser Art von Verchristlichungsoffensive lag darin, dass den Gläubigen alternative, Gott, der Kirche und auch der weltlichen Obrigkeit wohlgefällige Alternativen geboten wurden, sie auf diese Weise an ihre Konfessionskirche gebunden und sich von deren heilsbringendem Potenzial überzeugen konnten. Der Nachteil bestand darin, dass die katholische Kirche zwar lehrte, dass ihre Gnaden­mittel nur dann Wirkung entfalteten, wenn sie demütig-­flehend angewendet würden, doch gerade dieser Aspekt bei den Gläubigen wenig Beachtung fand. Es war zwar ein Gewinn für die katholische Kirche und ihr Heilsmonopol, wenn die Gläubigen nach Erleiden eines Diebstahls nicht mehr zu einem Wahrsager gingen, sondern in einem Kloster ein Gebet an den Heiligen Antonius von Padua in Auftrag gaben, der als Spezialist für die Wiedererlangung verlorener Güter galt. Sich an ihn zu wenden bedeutete aber noch lange nicht, dass die eigentlich geforderte flehentliche Disposition gegenüber der Sphäre des Sakralen durchgesetzt worden war – eher war das Gegenteil der Fall. Denn seine transzendenten Hilfeleistungen wurden von vielen Ortspredigern geradezu marktschreierisch angepriesen. Das war der Bindung der Laien an die Kirche und deren Mittel zwar durchaus dienlich, doch das derart propagierte, allzu automatisch erscheinende Wirkverständnis von Gebeten und Sakramentalien verwischte die Grenzen zwischen Religion und Magie erneut und bot Kritik von protestantischer Seite Angriffsflächen.61 Dieses Beispiel macht deutlich, dass religiöse Normen nicht einfach von der Kirche verordnet und dann mehr oder weniger inbrünstig geglaubt und befolgt wurden. Sie mussten vielmehr mit den Lebenswelten der Gläubigen kompatibel sein und wurden daher von kirchlicher Seite an die Erwartungen der Laien angepasst – die damit Teil des religiösen Normsetzungsprozesses, mithin nicht nur Normenempfänger waren. Die Kirchen waren zwar die wichtigsten Träger religiöser Normen, standen aber in Aushandlungsprozessen mit den Laien, die somit zu den Normproduzenten zu zählen sind. Hinzu kommt, dass selbst die katholische Kirche aufgrund der Konkurrenz zwischen den verschiedenen Orden und der Koexistenz von Ordens- und Weltgeistlichen in der Seelsorge den Gläubigen gegenüber in vielen Situationen nicht als übermächtige, geschlossen auftretende Organisation gegenübertrat. Eher erschien sie als ein vielgestaltiges Gebilde, das alternative Möglichkeiten bot und deren Binnenkonkurrenzen ausgenutzt werden konnten. Da die Dichte an Ordensniederlassungen im späten 16. und 17. Jahrhundert nach den Einbrüchen der Reformationszeit wieder zunahm, konnten die Laien oftmals wählen, welche Art von Katholizismus sie bevorzugten. 60 v. Thiessen: Kapuziner, 428 ff. 61 v. Thiessen: Kapuziner, 386 ff.

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Im Bereich der Magiebekämpfung zielte die protestantische Seite stärker auf die innere Selbstdisziplinierung der Gläubigen. Allerdings ist die Gegenüberstellung protestantischer Innerlichkeit gegen katholische Ritenorientierung zu einfach. An Konfessionsgrenzen und in gemischtkonfessionellen Gebieten frequentierten protestantische Gläubige mehr oder weniger offen Klöster, erwarben Sakramentalien und schickten mitunter gar ihre Kinder auf Jesuitenschulen. Wenn die Möglichkeit dazu bestand, dann nutzten auch noch im 17. Jahrhundert Gläubige das religiöse Angebot über die Konfessionsgrenzen hinweg. Das relativiert die Annahme, die Konfessionalisierung habe weitgehend flächendeckend konfessionell korrektes Verhalten herbeigeführt und so starke konfessionelle Identitäten geschaffen, dass konfessionelle Grenzüberschreitungen unmöglich wurden.62 Diese Vermutung wird dadurch bekräftigt, dass lutherische Gebetbücher bisweilen eine der Anpreisung der Hilfeleistungen der Heiligen vergleichbare Strategie verfolgten: Schon ihre Titel suggerierten den Gläubigen, dass von einem korrekt gesprochenen Gebet ähnliche Wirkungen ausgehen würden wie von den magischen Mitteln, die durch Gebete verdrängt werden sollten. Wenn etwa der Ulmer Pfarrer Bonifacius S ­ töltzlin sein 1652 erschienenes Trost- und Gebetbuch für schwangere Frauen Geistlicher Adlerstein titulierte, dann drückte er damit aus, dass die darin enthaltenen Gebete eine ähnliche Wirkung entfalten würden wie der als Amulett von Schwangeren getragene so genannte Adlerstein. Diesem wurden Kräfte zugesprochen, die eine schmerzarme Geburt ermöglichten. Auch das von ihm verfasste und sehr populäre Geistliche Donner- und Wetterbüchlein von 1650 folgte diesem Muster: Es plädierte für den Einsatz von Gebeten gegen Wetterunbilden, weil diese mindestens ebenso wirksam seien wie magische Mittel.63 Und auch zu Wundern hatten lutherische Geistliche zuweilen ein positives Verhältnis, wenn sie etwa Heilquellen als „Wunder­brunnen“ interpretierten, die als Gnadengeschenke Gottes den Kranken Heilung brachten. Dabei grenzten sie sich sowohl gegen das katholische Wunderverständnis als auch gegen die aufkommenden naturwissenschaftlichen Erklärungen ab. Ausgangspunkt dieser Bemühungen war aber die Laienreligiosität, welche die Geistlichen dazu veranlasste, sich den Quellkult in lutherischem Sinne anzueignen und auf diese Weise den Heilung suchenden Gläubigen ein in ihrem Sinne theologisch korrektes Aneignungsangebot zu machen.64 Ein genauer Blick auf die religiösen Praktiken der Gläubigen wie auch die Propagierung religiöser Normen durch Seelsorger relativiert also die von den Vertretern des Konfessionalisierungsparadigmas angenommene Fundamentaldisziplinierung. Auf der anderen Seite finden sich bei allen Konfessionen auch Hinweise auf eine stärkere Internalisierung religiöser Normen, die weit über die H ­ abitualisierung 62 v. Greyerz et al. (Hrsg.): Interkonfessionalität. 63 Medick: Weben, 471 f. und 543 ff. 64 Lotz-Heumann: Pfarrer, 202 ff.

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konfessioneller Alltagsriten hinausging. Alle Konfessionen setzten tiefer an und erreichten damit zumindest einen Teil ihrer Gläubigen. Der oben genannte Geistliche Adlerstein mochte seinen Leserinnen zwar ein nahezu automatisches Wirkverständnis von Gebeten in Geburtsnöten nahelegen, er argumentierte aber auch anspruchsvoller und gewissermaßen doppelgleisig: Ein Gebet möge zwar Erleichterung bringen, noch wichtiger sei aber moralisches und körperliches Wohlverhalten, und dies nicht nur in der Phase der Schwangerschaft. Ein sittlich gemäßigtes Leben war insoweit die beste Vorbereitung für eine komplikationsfreie Geburt; Unsittlichkeit hingegen begünstige Geburtsnöte.65 Es ist in der Forschung nach wie vor umstritten, ob dieser tiefergehende, auf die Verchristlichung des Alltags zielende Ansatz tatsächlich auf breiter Front über äußerliche Anpassungen an religiöse Normen und den zunehmenden Rückgriff auf kirchliche Mittel in Alltags­ nöten hinaus Verhaltensdispositionen und Mentalitäten veränderte. Ein wesentliches Element zur Veränderung von Verhaltensdispositionen, das sich bei allen drei Konfessionen ebenso wie bei kleineren religiösen Gruppierungen findet, ist das Gewissen.66 „Gewissen“ war gleichsam die individuelle Instanz der Selbstprüfung des eigenen Verhältnisses zu Gott – und damit ein „Ort der menschlichen Erfahrung der Mensch-Gott-Beziehung“.67 Wie bereits erläutert, spielte das Gewissen bei der Individualisierung des Seelenheils im Hoch- und Spätmittelalter eine wichtige Rolle. Mit der Reformation änderte sich seine Rolle: Die Regung des Gewissens hatte nun konfessionsübergreifend zunehmend die Funktion der Verinnerlichung und Festigung des Glaubensbekenntnisses. Luther hatte auf dem Reichstag zu Worms 1521 mit seinem Auftritt vor dem Kaiser das heroische Idealbild eines aufgrund seines Gewissens handelnden Christen dargeboten: Das Gewissen rechtfertigte das unerschrockene Eintreten für den eigenen, durch Einklang mit der göttlichen Offenbarung als wahr erkannten Glauben. Das Gewissen forderte demnach dazu auf, religiöse Werte und Normen kompromisslos an die erste Stelle zu setzen. Auch wenn ein derart weitreichender Heroismus des Bekenntnisses kein für alle Christen attraktives, geschweige denn praktikables Verhaltensmodell war, so war die Berufung auf das Gewissen doch geeignet, auch im Alltag konfessionell-religiösen Normen ein größeres Gewicht zu geben. Denn der „Imperativ des Gewissens“68 konnte dazu genutzt werden, Eindeutigkeit in normativ unklaren Situationen zu schaffen. Er konnte Entscheidungen ­rechtfertigen, bei denen religiöse Normen vor andere gestellt wurden, und sei es auch nur, um andere Erwartungen und Ansprüche abzublocken. Er 65 Gleixner: Todesangst, 80 f. 66 Zur Geschichte des Gewissens mit Bezug auf die Stärkung der Autorität religiöser Normen: Kittsteiner: Gewissen, 18 f. 67 Bock: Konversionen, 332 f. 68 Maissen: Jeanne d’Albret, 380.

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konnte beispielsweise den Konfessionswechsel oder die Wahl des Ehepartners oder eine Scheidung von ihm rechtfertigen, etwa wenn er einen unchristlichen Lebenswandel führte. Er konnte aber auch eine dezidiert christliche Lebensführung oder den Eintritt in die geistliche Laufbahn legitimieren. Die bei allen drei Konfessionen hochgeschätzte Kategorie des Gewissens bescherte den Gläubigen wie dem kirchlichen Personal wirksame Argumente für eine Disambiguierung ihres Verhaltens zugunsten religiös-konfessioneller Normen – sei dies nun vorgeschoben oder authentisch. Dennoch war das Gewissen für die Konfessionen ein zweischneidiges Instrument: Zwar war es der religiösen Selbstkontrolle der Gläubigen und damit der Internalisierung religiöser Normen dienlich, doch konnte diese Kontrolle entgleiten und Gläubige veranlassen, die Zustände in der eigenen Glaubensgemeinschaft zu kritisieren oder sich gar einem anderen Bekenntnis zuzuwenden. Auch beim Gewissen findet sich das Spannungsfeld zwischen parallelen Entwicklungen bei allen Konfessionen und der Herausbildung konfessionskultureller Spezifika wieder. Als Konfession des Gewissens schlechthin gilt gemeinhin das reformierte Bekenntnis. Ursache ist die auf Jean Calvins theologischen Überlegungen basierende Prädestinationslehre. Sie befasst sich mit dem Problem, dass einerseits nach der Heiligen Schrift nicht alle, sondern nur ein Teil der Seelen der göttlichen Gnade teilhaftig werde. Wie Luther geht auch Calvin davon aus, dass die Seligkeit vom sündigen Menschen nicht verdient werden kann, sondern allein von Gottes Gnade abhängt. Damit entfiel bei beiden protestantischen Richtungen eine entscheidende Motivation zu christlicher Lebensführung – die Annahme der Verdiensthaftigkeit guter Werke. Bei Luther wie bei Calvin kann allein der Glaube zu Heilsgewissheit führen, wobei Calvin aber stärker als Luther betont, dass Gottes Ratschluss unergründlich und der Abstand zwischen dem einzelnen Gläubigen und seinem Schöpfer nahezu unüberwindlich sei. Gott habe schon zu Anbeginn der Zeiten festgelegt, wer zu den Geretteten und wer zu den Verdammten gehöre. Auch wenn Calvin betonte, dass die wahrhaft Glaubenden ihrer Erwählung sicher sein dürften, trat das Problem der Heilsungewissheit im Calvinismus doch weit ungezähmter auf als bei den anderen Konfessionen. Denn der einzelne Gläubige konnte nichts mehr zu seiner Erwählung beitragen. Er konnte aber, um der Ungewissheit über den zweiten Teil seines Lebenslaufs zu entgehen, nach Symptomen forschen, ob er zu den Erwählten gehörte. Die Befähigung zu einem gottgefälligen, sündenarmen Leben und die Fähigkeit zu einem starken, aufrichtigen Glauben konnten als solche Zeichen gewertet werden. Auf diese Weise wurde paradoxerweise ausgerechnet die Konfession, die am striktesten die Werkgerechtigkeit ablehnte, zur „Religion des Anstands“,69 69 U. Rublack: Reformation, 146.

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die ihre Angehörigen zu konstanter Selbstprüfung aufforderte. Das calvinistische Gemeindeleben war darauf ausgelegt, den Gläubigen den Eindruck zu vermitteln, zu einer von Gott auserwählten Gruppe zu gehören. Das war sehr anspruchsvoll. Von den Gemeindemitgliedern wurde energischer als bei anderen Konfessionen nicht nur rituell korrektes Verhalten im Gottesdienst eingefordert, sondern ­darüber hinaus auch die tatsächliche Kenntnis der Heilslehre und ein konsequent sittlicher Lebenswandel. Die Gemeinde sollte sich durch Reinheit auszeichnen, was sich einerseits in Verhaltensstandards im alltäglichen Leben ausdrückte und andererseits durch einen konsequent bereinigten Kirchenraum symbolisiert wurde, aus dem alle Elemente entfernt worden waren, die von der wahren Glaubenserkenntnis abzulenken drohten und als Götzendienst betrachtet werden konnten. Dementsprechend wurden Bilder beseitigt, die Kanzel in den Mittelpunkt des Kirchenraums gestellt und Musik auf den Psalmengesang a capella beschränkt. Wer sich diesen strengen Anforderungen nicht zu unterwerfen vermochte, wurde bestraft, bis hin zum Ausschluss vom Abendmahl oder gar von der Gemeinde. Die übrigen Mitglieder konnten sich durch diese Exklusionspraktiken umso sicherer fühlen, zu den Auserwählten zu gehören. Diese Gewissheit, mochte sie zu erlangen auch anstrengend sein, machte einen Gutteil der Attraktivität der reformierten Konfession aus.70 Der Erfolg dieses Konzepts einer Anstandsreligion ist auch damit zu erklären, dass in den Gemeinden ein sittlicher Lebenswandel zum selbstverständlichen sozialen Verhaltensstil wurde, also nicht nur den religiösen, sondern auch den sozialen Normen zuzurechnen war. Dieser Alltagselitismus beförderte die Resistenz calvinistischer Gläubiger gegen Repressionen und Verfolgung – denn Standhaftigkeit gegen konfessionelle Gegner, zumal, wenn sie als Kräfte des Teufels wahrgenommen werden konnte, ließ sich leicht als Zeichen der Auserwähltheit interpretieren. Derart resistente Gemeinden fanden sich etwa in der église du desert in Frankreich, wo einige von ihnen in abgelegenen Gebieten, etwa im Massif Central, allen Verfolgungen zum Trotz bis zur Gewährung von Religionsfreiheit in der Französischen Revolution durchhielten.71 Generell waren konfessionelle Minderheiten, die sich gezwungen sahen, im Verborgenen zu agieren, oder Repressionen ausgesetzt waren, oft bemerkenswert entschlossen, bei ihrem Bekenntnis zu bleiben. Das ist nicht zuletzt damit zu erklären, dass Religion auch Sinnangebote zur Bewältigung von Leiden bereitstellte und erlittene Verfolgung der Festigung der eigenen Heilsgewissheit und einer konfessionellen Identität förderlich sein konnte, solange sie von einer Gruppe getragen wurde. Druck von außen konnte also dazu führen, dass religiöse Gemeinschaften ein sehr ausgeprägtes Konfessionsbewusstsein entwickelten. In ihnen wurde dann die Pflege konfessionell korrekten Verhaltens zu 70 U. Rublack: Reformation, 143 ff. 71 Chambon: Protestantisme, 89 ff.

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einer Angelegenheit der Gemeinschaft in Verbindung mit Gott, auch gegen die eigene Obrigkeit.72 Während in reformierten Gemeinschaften die Verchristlichung des Alltags vor allem eine Angelegenheit der Gemeinde war, lagen die Dinge in der katholischen Kirche, aber auch in lutherischen Gemeinden anders. Die lutherische Theologie hatte zwar über die Vorstellung vom Priestertum aller Gläubigen dem Klerus seine exklusive Rolle genommen, doch über die Vorbildfunktion des Pfarrers bzw. des Pfarrhauses dem örtlichen Geistlichen und zum Teil auch seiner Frau ein erhebliches Maß an religiöser und sozialer Autorität beschert. Protestantische Geistliche waren insoweit Träger eines „geistlichen Sonderbewußtseins“73 und nahmen die Rolle von „religiösen Spezialisten“74 in ihrer Gemeinde ein. In der katholischen Kirche spielten Priester, wie schon erwähnt, als Vermittler von Glaubenswahrheiten und konfessionellen Normen eine größere Rolle. Die Verbesserung der Ausbildung des mit der Seelsorge betrauten Personals war zwar ein Anliegen aller Konfessionen,75 doch stand die katholische Kirche darüber hinaus vor der Notwendigkeit, ihren Anspruch als unentbehrliche Heilsinstanz für die Gläubigen mit einem besser ausgebildeten und seelsorgerisch aktiveren Klerus unter Beweis zu stellen. Gerade in diesem Bereich allerdings stieß die Kirche an ihre Grenzen. Denn man hatte zwar auf dem Konzil von Trient die Einrichtung von Priesterseminaren in jeder Diözese beschlossen, verfügte aber weder über die Mittel noch über die Energie, ein derartig kostspieliges und organisatorisch anspruchsvolles Bildungsprogramm flächendeckend durchzuführen. Erst im 18. Jahrhundert – unter verstärktem staatlichem Druck – sollte sich dies ändern. Indes fand sich bis dahin eine andere, durchaus effektive Lösung: Die Verbreitung der Gesellschaft Jesu über das katholische Europa und der Aufbau von Schulen und Kollegien, ergänzt durch von Jesuiten geleitete Universitäten, sorgten in weiten Teilen des katholischen Europa für eine markante Verbesserung der Priesterausbildung. Dies galt auch im Hinblick auf die Vermittlung doktrinärer Sicherheit: Die Bildungs­anstrengungen des Ordens zielten auf Klarheit und Abgrenzung und waren somit geeignet, eine neue Priestergeneration zu prägen, die einen wieder selbstbewusst auftretenden Katholizismus vertrat.76 Damit wandelte sich auch das Rollenbild von Priestern nachhaltig. Als Mittler zur Sphäre des Sakralen sollte sich der Hirte in seiner Lebensweise von der seiner Schafe unterscheiden, 72 So etwa bis ins 18. Jahrhundert in Oberösterreich. Siehe Scheutz: Zentralverwaltung, 369. 73 Schorn-Schütte: Geistlichkeit, 20. 74 Dornheim: Pfarrer, 255. 75 Reinhard: Konfession, 181. 76 Broggio: Orthodoxy, 67 und 71; Friedrich: Jesuiten, 234 ff. und 286 ff.

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und zwar eben nicht nur der Ordenspriester, sondern auch der einer Gemeinde vorstehende Weltpriester. Das blieb zwar in schlecht bepfründeten Pfarreien schwierig, in denen der örtliche Geistliche nicht selten von milden Gaben seiner „Pfarrkinder“ abhängig war, doch ist eine allmähliche Änderung der Verhaltensstandards von Priestern zu erkennen. Der Verzicht auf das Konkubinat von Priestern – im 16. Jahrhundert beispielsweise im Bistum Münster trotz des Zölibatgebots eine noch übliche Lebensform – konnte dort in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts weitgehend durchgesetzt werden, etwa hundert Jahre nach dem Trienter Konzil.77 Dabei scheinen weniger die immer wieder erfolgenden Mahnungen der Bischöfe, sondern vielmehr die durch die neuen Orden verschobenen Verhaltensstandards entscheidend gewesen zu sein. Das Rollenbild des Weltpriesters näherte sich ein Stück weit dem des Ordenspriesters an, und zwar vor allem deshalb, weil die Orden selbst einen Reformprozess durchlaufen hatten und entweder über ein regelstrenges (wie vor allem die Kapuziner) oder stark selbstdiszipliniertes Leben (wie die Jesuiten) die Sakralität ihrer Stellung glaubhaft machten. Damit setzten diese Orden neue Maßstäbe der priesterlichen Lebensführung, welche die Jesuiten an Ausbildungsstätten für Schüler wie für Priesterkandidaten auch direkt vermittelten.78 Auf diese Weise wurde ein neues Rollenbild etabliert, das katholische Priester vom Alltag und von den sozialen Logiken des profanen Zusammenlebens stärker abgrenzte und die Kirche bzw. Seelsorge als Feld mit eigenen Handlungslogiken etablierte. Eine konsequente Vereindeutigung des Handlungsfeldes Seelsorge wurde damit zwar nicht erreicht – zu sehr blieben vor allem bei Weltpriestern soziale Normen handlungsleitend, sei es im alltäglichen Umgang mit den Gläubigen, sei es in der Form von nepotis­ tischen Praktiken –, wohl aber die Konstruktion eines von religiösen Normen dominierten Handlungsbereichs und Rollenmodells des Priesters.79 Der neue Priestertypus hatte auch direkte Wirkungen auf die Frömmigkeit der Laien oder doch wenigstens eines Teils von ihnen. Das theologisch selbstbewusste Auftreten der Jesuiten und ihre auf Abgrenzung vom Protestantismus zielende Predigtweise vermittelten nicht nur Sicherheit, sondern sprachen einige der Gläubigen offenkundig sehr an. Die Anpreisung der Kraft von Heiligen, die auch bei Jesuiten zu finden ist, mochte zwar einer Verinnerlichung konfessioneller Werte entgegenstehen, doch neue Formen der Seelsorge waren durchaus geeignet, zur Internalisierung konfessioneller Normen und Werte beizutragen. Dazu zählt vor allem die Beichtpraxis. Jeder katholische Christ konnte selbst entscheiden, ob er die Beichte bei seinem Gemeindepfarrer oder einem Ordensgeistlichen ablegte. Die Folge war eine gewisse Konkurrenz unter den mit Beichtfakultät 77 Laqua-O’Donnell: Women, 169 ff. 78 Friedrich: Jesuiten, 142 f. 79 Vgl. Schlögl: Differenzierung.

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a­ usgestatteten Priestern an einem Ort. Vor allem die Jesuiten profilierten sich als ­Beichtväter, die auf individuelle Bedürfnisse der Beichtenden eingingen und sich ihnen als „Seelenführer“ anboten. Ihre Beichtgespräche zielten nicht nur auf Gnadenerwerb durch Absolution, sondern stellten darüber hinaus ein Beratungsangebot für die religiöse Orientierung der Laien dar, die ihr inneres Seelenleben offenbarten. Die Beichte hatte damit eine geradezu therapeutische Funktion, die den einzelnen Gläubigen über eine individuell auf ihn zugeschnittene Ermahnung und Ermutigung zu einer stärker an religiösen Normen orientierten Lebensführung motivierte. Die Individualisierung des Seelenheils wurde damit auf die Spitze getrieben und das Gewissen als Instanz zur Kontrolle der eigenen Lebensführung aktiviert.80 Dieses Konzept erreichte zwar nie die gesamte Bevölkerung, war aber geeignet, die Bedeutung religiöser Normen in katholischen Gesellschaften spürbar zu steigern und Erwartungen an konfessionell korrektes Verhalten zu konkretisieren. In diesem Modell traf sich die katholische Konfessionalisierung mit der protestantischen – das Modell der Verinnerlichung religiöser Normen ist insoweit konfessionsübergreifend zu finden. Das katholisch-jesuitische Modell der Beichte war vom Ergebnis her der Internalisierung religiöser Normen in ähnlich ausgeprägter Weise dienlich wie der Disziplinierungsdruck der reformierten Gemeinde und die Gewissensappelle lutherischer Geistlicher, wenn es auch vermutlich nur einen Teil der Gläubigen erreichte. Obgleich die Frömmigkeitsstile im Europa der Konfessionalisierung recht vielgestaltig blieben, fallen doch markante Unterschiede zum etwas chaotischen Nebeneinander verschiedener Formen von Religiosität in der vorreformatorischen Zeit auf. In allen drei Konfessionen ist das Bemühen um die Ausformulierung von Bekenntnissen, die Maßstäbe für konfessionell korrektes Verhalten boten, zu erkennen. Damit entstanden große Bekenntnisgruppen, die territorial gebunden waren. Zum Regelfall entwickelte sich in der Frühen Neuzeit, dass an einem Ort oder in einem Territorium ein Bekenntnis klar überwog. Eine weitgehende Abschottung dieser Bekenntnisgebiete gegeneinander gelang allerdings nur eingeschränkt – am ehesten noch auf der Iberischen Halbinsel und im südlichen Italien. Denn es gab zum einen zu viele Ausnahmen von der Regel der Monokonfessionalität: bikonfessionelle Orte, vor allem im Reich; Handelsstädte, und zwar vor allem solche mit Hafen, in denen sich Vertreter anderer Konfessionen oder Religionen als Minderheiten aufhielten; Gebiete mit starken konfessionellen Minderheiten wie in Teilen des südlichen Frankreich, im nördlichen England oder einigen alpinen Regionen Österreichs; und Territorien, in denen mangels Vorhandensein staatlicher Zentralgewalt keine Konfession das Übergewicht erlangt hatte wie in den nördlichen Niederlanden, bis in das frühe 17. ­Jahrhundert in Polen und 80 Friedrich: Jesuiten, 202 ff.

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in Transsilvanien. Zum anderen waren die Grenzen zwischen den konfessionellen Gebieten zu durchlässig, um eine Abschottung voneinander durchzusetzen, und die Zensur zu ineffektiv. Zudem ist Konfessionalisierung keineswegs nur mit der Verbreitung des von oben dekretierten Glaubensguts und daraus abgeleiteter Verhaltensgebote gleichzusetzen; religiöser Wandel ergab sich vielmehr auch aus von den Gläubigen bzw. Laien energisch eingeforderten und oft mitgestalteten Klarstellungen. Der Autoritätsgewinn religiöser Normen in konfessioneller Einfärbung beruhte nicht vorrangig auf der Disziplinierung einer Schar von Gläubigen, die im religiösen Pluralismus des Spätmittelalters die Orientierung verloren hatte, sondern auf dem Zusammenwirken von Geistlichen und Gläubigen und der gemeinsamen Überzeugung von der grundsätzlich hohen Legitimität religiöser Normen. Damit blieb trotz der Territorialisierung der Bekenntnisse ein dezentraler Aspekt bestehen; wie die konfessionellen Normen umgesetzt wurden, hing von den Aushandlungen vor Ort ab. „Local Religion“ hat William Christian dieses Phänomen genannt und für das Spanien des 16. Jahrhunderts untersucht. Ihm zufolge wurde der Katholizismus vor Ort in Anpassung an die lokalen Verhältnisse gewissermaßen für die Laien vor Ort übersetzt; die Kirche beschränkte sich darauf, gegen Exzesse (beispielsweise obskure lokale Heiligenkulte) vorzugehen.81 Als genereller Trend bleibt aber festzuhalten: Frömmigkeit und Sittlichkeit prägten von der Reformation bis weit in das 17. Jahrhundert einen Diskurs, der einen stärkeren moralischen Rigorismus beförderte. Damit änderten sich auf lange Sicht Handlungsspielräume, etwa für das Verhalten im Kirchenraum, für das Austragen von Konflikten, für Formen der Geselligkeit, für diverse Praktiken der Alltagsbewältigung, für die Frage, welche Kleidung als angemessen erachtet wurde. Dabei entstanden zumindest ansatzweise unterschiedliche „Konfessionskulturen“,82 die aber – aufgrund der beschriebenen Dezentralität – weniger blockförmig waren, als dies die frühe Konfessionalisierungsforschung angenommen hat. Der neue religiöse Rigorismus richtete sich vor Ort oft weniger gegen die jeweils feindlichen Konfessionen – ihre Vertreter waren durch die Territorialisierung des religiösen Bekenntnisses entweder schwer greifbar oder in ihrer Existenz rechtlich gesichert oder wegen der durch sie aufrecht erhaltenen Handelsbeziehungen zu nützlich, um sie zu bekämpfen, oder sie praktizierten ihre Riten im Untergrund. Stattdessen richteten sich die Energien auf die Reinigung der eigenen Heilsgemeinschaft und damit gegen diejenigen, die man als Gegner einer bereinigten christlichen Lehre in den eigenen Reihen ansah: Blasphemiker und Hexen. Sie waren die „perfekte Verkörperung des anderen“, also der Kräfte, die sich vermeintlich gegen einen Normenwandel hin zu einer jeweils k­ onfessionell 81 Christian: Local Religion. 82 Der Begriff nach Kaufmann: Geschichte der Reformation, 702 ff.

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gefärbten Verchristlichung richteten. Peter Burschel betont, dass der Diskurs der Reinheit immer auch vom Diskurs der Unreinheit begleitet wurde; mit der Konfessionalisierung wuchs auch die Angst vor dem Wirken des ärgsten Feindes der Christenheit und seiner vermeintlichen Verbündeten, der Hexen. Sie bildeten eine Projektionsfläche für Vorstellungen von religiöser und moralischer Unreinheit. Das Anschwellen der Hexenverfolgung im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert kann mit Gerd Schwerhoff als eine Reaktion auf eine Verschiebung des Normenhorizonts hin zu einer stärkeren Gewichtung religiöser Normen im Alltag gesehen werden.83 Auf die Frage, wann genau diese Phase besonders großer Durchschlagskraft religiöser Normen anzusetzen ist, wer die führenden Akteure dabei waren und was diese Entwicklung für den Normenhorizont insgesamt und die Ambiguitätstoleranz von Akteuren bedeutete, ist in den Teilen zu Normensystemen in Interaktion zurückzukommen.84

Gemeinwohlorientierte Normen Ähnlich wie religiöse Normen zielen auch die gemeinwohlorientierten Normen auf das Wohl einer größeren Gemeinschaft, die auch dem Einzelnen nützlich ist. Sie betreffen das Zusammenleben in politisch zusammengeschlossenen Gemeinschaften oberhalb der Ebene der informellen sozialen Nahbeziehungen und die Verhaltensstandards derer, die in einem Gemeinwesen ein Amt bekleiden und damit Macht ausüben sowie Kontrolle über die Verteilung von Ressourcen haben. Gemeinwohlorientierte Normen regulieren somit das Handlungsfeld des Politischen, betreffen also die Regeln von Gemeinwesen. Auch wenn in der zeitgenössischen Auffassung Herrschaften in der Frühen Neuzeit Teil der von Gott geschaffenen Ordnung waren, basierten die von ihnen ausgehenden Regeln doch nicht auf göttlicher Überlieferung, sondern waren menschengemacht. Gerade deshalb bedurften sie eines höheren legitimatorischen Aufwands als religiöse Normen. Dieser Rechtfertigungsdruck spiegelt sich auch in der Bezeichnung „gemeinwohlorientierte Normen“: Ihr Aufstieg war eng an den Gemeinwohldiskurs und damit an den Wert des Gemeinwohls bzw. des gemeinen Besten gekoppelt, der ihnen – und über sie politischer Herrschaft – Legitimation verlieh. Es lassen sich zwei größere Handlungsfelder ausmachen, die unter den Begriff der gemeinwohlorientieren Normen fallen. Zum einen sind politisches Handeln betreffende Normen zu nennen, also Handlungsmaßstäbe für diejenigen, die auf dem Feld des Politischen agieren und die ihre Machtausübung b ­ etreffen. 83 Schwerhoff: Böse Hexen. 84 Im Abschnitt „Die irdische und die transzendente Sphäre rücken zusammen: Mit Gott und dem Teufel rechnen“ des Kapitels „Religion, Politik und Herrschaft“ in Teil 3.

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Dabei kann es sich um ethische Begrenzungen der Machtausübung, symbolische Repräsentationen von Herrschaft oder institutionelle und verfahrensmäßige Regeln handeln. Zum anderen sind zu den gemeinwohlorientierten Normen auch Regeln zu zählen, die an die Masse der Untertanen oder Bürger zum Zwecke des gedeihlichen Zusammenlebens und der Wahrung der Ordnung gerichtet sind. Dabei handelt es sich um die Felder des Rechts und der Policey. Im Handlungsfeld Recht ging es vor allem um die Interpretation und Abwägung verschiedener Rechtsquellen. Rechtsetzung kann zwar als zentrales Kennzeichen des modernen Staates gelten,85 doch war die Vormoderne durch einen Pluralismus konkurrierender Rechtsquellen und -autoritäten gekennzeichnet. Herrschaftsrechte verschiedener Art, territoriale Hoheitsrechte und Jurisdiktionen standen nebeneinander. Zudem konkurrierten kirchliches und weltliches Recht. Recht bildete dementsprechend kein konsistentes System, sondern war eher eine Fundgrube für die Begründung von Ansprüchen oder deren Abwehr.86 Diese Rechtspluralität ist ein Beispiel für Konkurrenz innerhalb eines Normensystems. Die Policey hingegen war ein Instrument, mittels dessen ein Gemeinwesen die gute Ordnung durch eine kleinteilige Interventions- und Steuerungstechnik zu stabilisieren suchte. Die Angehörigen eines Gemeinwesens erschienen dabei als steuerungsbedürftige und formbare Objekte, die über eine Vielzahl von Regelungen zum Verhalten im öffentlichen Raum zu Teilen eines harmonischen, hierarchisch gedachten Ganzen modelliert werden sollten. Dies geschah über Policeyordnungen; sie waren sowohl Ausdruck konkreter obrigkeitlicher Ordnungs- und Steuerungstechnik als auch einer ideellen Überhöhung, die auf das öffentliche Wohl zielte. Das Ziel der guten Ordnung legitimierte somit die Mittel, die Obrigkeiten auf dem Weg dorthin einsetzten.87 Folglich soll nun zunächst die Legitimation der Ausweitung obrigkeitlicher Herrschaft in den Blick genommen werden. Der Aufstieg gemeinwohlorientierter Normen: Kommunale und fürstliche Herrschaft

Der Aufstieg der gemeinwohlorientierten Normen verlief in etwa zeitlich parallel zur Konkretisierung der religiösen Handlungserwartungen. In beiden Fällen wirkten die Dynamiken und gesellschaftlichen Differenzierungen des hohen und späten Mittelalters als Katalysatoren und auch die gemeinwohlorientierten Normen gewannen zunächst vor allem in Städten an Bedeutung, ausgehend von 85 Holenstein: Umstände, 1. 86 Günther: Normativer Rechtspluralismus. 87 Härter: Gesetzgebungsprozeß; ders.: Policey; Härter/Stolleis: Einleitung; Iseli: „Bonne police“, 16 und 43 ff.; Landwehr: Rhetorik.

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Italien. Dort avancierte die Idee des „Gemeinwohls zu einer zentralen politischen Ordnungskategorie, welche Regierungshandeln und Eingriffe in das soziale und wirtschaftliche Leben rechtfertigte. Die zentrale Argumentationsfigur des Gemeinwohldiskurses besteht in der Annahme, dass der gute Zustand eines Gemeinwesens insgesamt auf das Wohlbefinden aller seiner Glieder ausstrahlt. Eine derartige Ordnung, in der das „Gemeine Beste“ (bonum commune) Mittel und Ziel der Regierung ist, dient demzufolge letztlich allen, die ihr angehören, stellt also einen „Gemeinen Nutzen“ (utilitas publica) her. Die Orientierung am Gemeinwohl wird auf diese Weise zum entscheidenden Kriterium für eine gute Regierung und damit zur Pflicht der Herrschenden – und damit auch zum Maßstab, den die von ihr Regierten an diese richten. Ebenso dient die Denkfigur des Gemeinwohls der Delegitimation von Eigennutz und Partikularinteressen 88 – mitunter auch denen des Fürsten selbst, wenn dieser, wie beispielsweise im Jagdrecht, über Ordnungen und Gesetze offenkundig Eigeninteressen auf Kosten seiner Untertanen durchsetzte.89 Zunächst war das Gemeinwohl ein im städtisch-kommunalen Raum angewandtes Konzept, das städtischen Regierungen Autorität und Legitimation verleihen sollte; über eine gute Ordnung zu verfügen, galt als der Ehre und dem Ansehen einer Stadt förderlich.90 Der Gemeinwohldiskurs erlaubte es Kommunen, sich bei der Regelsetzung nicht nur auf das alte Herkommen, also den Wert der Anciennität, sondern auch auf Nützlichkeit zu berufen. Damit trug er wesentlich zum Aufstieg der Vorstellung eines Handlungsfeldes des Politischen bei. Indem darüber hinaus im späten Mittelalter in weiten Teilen Europas die Schriftlichkeit in der städtischen Verwaltung und Ordnungssetzung an Bedeutung gewann, konnte Regeln Dauerhaftigkeit und Stabilität verliehen werden. Behandelten städtische Räte zunächst vor allem Einzelfälle und kamen nach Diskussion des Falles zu einer bestimmten Entscheidung, führte der Rückgriff auf das Speichermedium Schrift dazu, dass auf zurückliegende Erlasse Bezug genommen werden konnte. Gleichzeitig wuchs damit das Bewusstsein, dass es der Rat selbst war, der Recht und Ordnung gestaltete, die insoweit nicht nur auf Herkommen und Tradition zurückzuführen waren. Seine Normen wurden damit als Ergebnis willkürlicher Setzungsakte wahrgenommen – legitimiert durch die Orientierung am gemeinen Wohl.91 Schriftlichkeit trug also wesentlich zur Stabilisierung gemeinwohlorientierter Normen bei und war auch der Emanzipation bzw. Wiederentdeckung der Politik als eigenes Handlungsfeld dienlich. Damit konnten sich Obrigkeiten bei ihrer Entscheidungsfindung auf abstrakte Werte berufen. Erleichtert wurde 88 E. Isenmann: Notion; Schulze: Vom Gemeinnutz, 596 ff. 89 Nowosadtko: Fauna, 340. 90 E. Isenmann: Notion, 114 f. 91 Hoffmann-Rehnitz/Oelze: Zur Transformation, 79 ff.

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ihnen dies durch die politische Theorie und die von Gelehrten geprägte Sprache der Traktate, Gesetze und sonstigen Rechtsdokumente.92 Über die schriftliche Verbreitung des Gemeinwohldiskurses stieg seine Verfügbarkeit – er wurde zur zentralen kommunalen Argumentationsfigur. Er schuf einen Grundbestand von gemeinsamen Wertvorstellungen zumindest der mit Bürgerrecht ausgestatteten Einwohner einer Stadt – Frieden, Eintracht und Recht galten als solche Leitwerte und vermochten bis zu einem gewissen Grad auch soziale und politische Ungleichheiten zu überbrücken.93 Doch gerade weil diese zentralen Werte, auf die mitunter plakativ auf Stadttoren hingewiesen wurde,94 einen „binnengemeindlichen Minimalkonsens“ darstellten,95 konnten sie in Interessenkonflikten aufgerufen und der Gegenseite vorgehalten werden. Auf das Gemeinwohl beriefen sich im späten Mittelalter wie in der Frühen Neuzeit Rats- und Patrizieroligarchien ebenso wie Gruppen in der Stadt, die sich von der Beteiligung an der Macht ausgeschlossen sahen und sich nun ihrerseits zu Hütern der guten städtischen Ordnungen gegen die partikularen Interessen erklärten. Diese zentrale Stellung des Gemeinwohldiskurses in Debatten und Auseinandersetzungen über die politische Ordnung der Stadt kann als Symptom seiner Etablierung gelten – wer Interessen durchsetzen wollte, musste sich auf das abstrakte Gemeinwohl berufen, um sein Anliegen legitim erscheinen zu lassen.96 Träger gemeinwohlorientierter Normen waren demnach in den Kommunen Regierende wie Regierte. Die Verschriftlichung gemeinwohlorientierter Normen und die gelehrten Debatten über sie bereiteten den Weg für ihre Rezeption auch außerhalb des städtischen Milieus. Mit größerer Selbstverständlichkeit als kommunale Rats­ regierungen betrachteten sich fürstliche Herrschaften als Teil der gottgewollten Ordnung. Mit der im späten Mittelalter einsetzenden und sich in der Frühen Neuzeit beschleunigenden Verdichtung fürstlicher Herrschaft 97 wuchs gleichwohl 92 E. Isenmann: Notion, 111. 93 Vgl. z. B. Postel: Sozialstruktur, 357. 94 Das galt besonders für den Wert der Eintracht. Um zwei norddeutsche Beispiele zu nennen: Am äußeren Holstentor Lübecks war seit 1585 auf der Außenseite der Spruch „Pulchra res est pax foris et domi concordia“ angebracht (Hauschild: Frühe Neuzeit, 366; auf dem erhaltenen mittleren Holstentor heute verkürzt wiedergegeben als „concordia domi foris pax“), während in Rostock auf dem 1577 nach Konflikten mit dem Landesherrn wiedererrichteten Steintor zu lesen war: „Intra te concordia, publica felicitas perpetua“ (Münch: Bürger, 74; auch dort heute leicht abgewandelt). 95 Hamm: Bürgertum, 57. 96 E. Isenmann: Notion, 127; am Beispiel Lübecks noch im 18. Jahrhundert: Lokers: Stadtgesellschaft, 152 und 155. 97 Dieser von Stefan Brakensiek vorgeschlagene Begriff wird an dieser Stelle dem Terminus „Staatsbildung“ vorgezogen, „denn nirgends ist ein Demiurg zu erkennen, der planvoll

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auch ihr Legitimationsbedarf. Dies galt umso mehr, als dieser Prozess Verlierer produzierte, und zwar zunächst vor allem im Adel, dessen Handlungsfreiheit durch die Ausdehnung fürstlicher Macht beschränkt wurde.98 Um den Machtgewinn der Fürsten zu rechtfertigen, betonte deren Herrschaftsapologetik besonders die religiöse Grundierung fürstlicher Herrschaft: Die Stellung des Herrschers sei gottgewollt, er herrsche Dei gratia, von Gottes Gnaden. Diese Formel war bereits im 13. Jahrhundert Bestandteil fürstlicher Titulaturen geworden.99 Symbolisch wurde sie in verschiedenen Monarchien – so in Frankreich, England und im Reich – durch die Salbung ausgedrückt.100 Doch selbst dort, wo auf diese Weise keine Sakralität fürstlicher Herrschaft postuliert wurde, wie etwa in Spanien, betrachtete der Fürst die Sicherung des Seelenheils seiner Untertanen und den Schutz der Kirche als seine zentralen Aufgaben.101 Das Feld des Politischen war somit eng an das des Religiösen gebunden. Allein schon deshalb waren der Schaffung eines abgesteckten und autonomen Handlungsfeldes des Politischen Grenzen gesetzt. Neben den genannten legitimatorischen Stützen begünstigten vor allem zwei Faktoren den Aufstieg fürstlicher Herrschaft: die Versuche der Zentralisierung des Rechts und die Konzentration von Ressourcen in der Hand des Fürsten. Bereits im 11. und 12. Jahrhundert hatte die „juristische Revolution“ der Wiederentdeckung des Römischen Rechts für eine neue Grundlage der Fürstenherrschaft gesorgt. Mit „Römischem Recht“ ist die systematische Kodifizierung des Rechts gemeint, die der oströmische Kaiser Justinian in Auftrag gegeben hatte und die 533/534 abgeschlossen wurde. Im 11. Jahrhundert wurde die einzige erhaltene Handschrift dieses Corpus Juris aufgefunden und von Juristen bearbeitet, das heißt kommentiert, womit auch der Aufstieg eines professionellen Juristenstandes eingeleitet wurde. Ein konsistentes und überregional gültiges Rechtssystem war im mittelalterlichen Europa bis dahin nicht in Gebrauch gewesen. Das Recht hatte im frühen und zu Beginn des hohen Mittelalters kein selbständiges Regelungssystem dargestellt, sondern aus einer Vielzahl von Gewohnheitsrechten und lokalen Rechtssetzungen bestanden; Rechtsnormen und soziale Normen gingen praktisch ineinander über. Das Römische Recht hingegen war umfassend und überregional angelegt. Seine und zielbewußt einen Staatsbildungsprozeß gesteuert hätte“. Brakensiek: Akzeptanzorientierte Herrschaft, 405. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass auch Wolfgang Reinhard, wenn er von „Staatsbildung“ spricht, keinen intendierten, von bestimmten Herrschern zielbewusst vorangetriebenen Prozess meint, sondern vielmehr das Folgeprodukt einer Vielzahl von Handlungen, die das Endprodukt – den modernen Staat – nicht im Sinn gehabt hatten: „Wie der größere Teil der Geschichte ist auch der Staat Ergebnis nichtintendierter Nebenwirkungen.“ Reinhard: Zusammenfassung, 431. 98 Blockmans: Geschichte der Macht, 309. 99 Seresse: Politische Normen, 90. 100 Bloch: Könige. 101 Aldea Vaquero: Iglesia, 168 ff.; Bosbach: Monarchia, 73 ff.

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Rezeption führte aber nicht zu einer konsequenten Vereinheitlichung des Rechts, sondern setzte eine neue Rechtsquelle neben andere – wie bereits erwähnt, war eine derartige Vielfalt ein Merkmal vormodernen Rechts. Das Römische Recht wurde in ein Kräftefeld unterschiedlicher Rechtstraditionen eingespeist. Es begünstigte aber die Anlage von konsistenten Rechtssystemen, konsequent vor allem von der Kirche aufgegriffen, deren Juristen ein systematisches Kirchenrecht schufen, das 1234 erstmals veröffentlicht wurde. Daneben entstanden die Rechtssysteme der europäischen Monarchien und wurden das stark gewohnheitsrechtlich geprägte Lehnsrecht und das Recht auf Grundherrschaft weiterentwickelt ebenso wie die Rechtssysteme autonomer Städte und das Handelsrecht.102 Für die gemeinwohlorientierten Normen bedeutete die Rezeption des Römischen Rechts, dass ein einigermaßen homogenes Rechtssystem bereitstand, das fürstlicher Herrschaft Argumente für eine Zentralisierung des Rechts in ihrem Territorium lieferte. Es stellte die legitimatorische Grundlage für die Errichtung fürstlicher Justizapparate bereit, die allerdings bis zum 18. Jahrhundert weder die vollständige Vereinheitlichung des weltlichen Rechts noch die Verdrängung autonomer lokaler Gerichte adliger Herren und kommunaler Körperschaften erreichten. Mehrdeutigkeit und Vielfalt blieben folglich für die Rechtspraxis bestimmend. Gerade deshalb musste sich Herrschaft durch Recht- und Ordnungssetzung etablieren und legitimieren, sei es über gesetzgebende Tätigkeit, über den Aufbau und die Pflege des Justizapparates oder die Erstellung von Policeyordnungen. Die Konzentration knapper Ressourcen in der Hand des Fürsten und deren Verteilung stellt eine weitere Grundlage des Ausbaus fürstlicher Herrschaft dar. Zugänge zu knappen Gütern bzw. Mitteln zu kontrollieren, bildet ein zentrales Element politischer Ordnungen.103 Diese Ressourcen waren unterschiedlicher Natur. Als oberster Feudalherr konnte der Fürst Grundbesitz und damit verbundene Herrschaftsrechte verleihen, er konnte Titel vergeben, sozialen Aufstieg mittels Nobilitierung, der Verleihung höherer Adelstitel oder der Aufnahme in einen Ritterorden symbolisch vollziehen und Kostenbeihilfen oder andere materielle Vergünstigungen gewähren. Herrschaftsverdichtung wurde vor allem ab dem 15. Jahrhundert über eine derartige Ressourcenkonzentration erreicht, weil sie adlige Führungsschichten und bürgerliche Aufsteiger in den wachsenden Verwaltungen an den Herrscher band. Sie machte die Höfe, die sich zu regelrechten Marktplätzen entwickelten, auf denen begehrte Ressourcen gehandelt wurden, für den Adel attraktiv.104 Freigebigkeit galt als eine der Tugenden des Fürsten; allein schon die Hoffnung auf seine Gaben war der Stärkung seiner Stellung dienlich.105 102 Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt, 282 ff. 103 Teuscher: Zuerst die Herrschaft, 420. 104 Horowski: Preis, 71. 105 Peck: Patronage, 13.

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Indem für fürstliche Gaben Treue und Dienste eingefordert wurden, durchdrang allerdings eine Gabentauschlogik die frühneuzeitlichen Monarchien. Das bedeutet, dass soziale Logiken die Bestrebungen durchkreuzten, den Herrscher als sakrale und außerhalb der Bindungen des sozialen Lebens stehende Figur hervorzuheben: Die Rolle des Fürsten als Patron, an den die Fürstendiener und Untertanen konkrete Erwartungen richteten, stand in Konflikt zu seiner Inszenierung als über den Untertanen stehender Herrscher. Das Feld des Politischen war im System personaler fürstlicher Herrschaft damit auch gegenüber dem des Sozialen kaum abgrenzbar. Zudem gerieten Fürsten durch ihre umfangreichen, durch die Einnahmenseite nicht ausreichend gedeckten Ausgaben in ein Geflecht finanzieller Abhängigkeiten von Krediteuren.106 Dennoch kann, ja muss von einem Feld des Politischen, für das andere Regeln als für das des Sozialen und das des Religiösen konstruiert wurden, in der Frühen Neuzeit die Rede sein. Denn den dargelegten Überschneidungen zwischen den Feldern des Politischen, des Sozialen und des Religiösen standen in der Frühen Neuzeit erhebliche Anstrengungen gegenüber, ein politisch-gemeinwohlorientiertes Handlungsfeld zu definieren und als eigene, disambiguierte Handlungssphäre zu konstruieren, in der religiöse und soziale Normen nur nachrangige oder gar keine Geltung beanspruchen konnten. Dies geschah vor allem auf zwei Wegen: mittels symbolischer Repräsentation von Herrschaft und über die politische Theorie. Beispiele fürstlicher Selbstdarstellung über Porträts, Architektur, Gartenanlagen und diverse Machtsymboliken fehlen in keinem Schulbuchkapitel zum in diesem Genre oft noch so genannten „Zeitalter des Absolutismus“. Diese Darstellungsweisen sind gleichwohl nicht einfach als Abbildung der herrschaftlichen Realität zu verstehen, sondern als symbolische Inszenierungen. Als solche waren sie jedoch in der Tat nicht nur schöner Schein, sondern bewirkten etwas in symbolischer Kommunikation. Sie machten Herrschaftsansprüche plausibel und verbreiteten diese über die Wiedergabe in Drucken überregional. Herrschafts­ repräsentation war insoweit ein wesentlicher Teil von Herrschaft. Die Darstellung von Königsmacht schuf affektive Bindungen, stellte den König als Herrscher dar, an den Untertanen sich wenden konnten, und versah die Monarchie mit der „Aura der Notwendigkeit“.107 Der große Vorteil dieser Art der Darstellung von Herrschaft lag nicht zuletzt darin, dass sie inhaltlich vage blieb. Der Fürst stellte sich als machtvoller und legitimer Herrscher dar und plausibilisierte damit seine Machtstellung, ohne dies mit politischen Inhalten konkretisieren zu müssen.108 106 Descimon/Guéry: Un État des temps modernes, 187. 107 L. Schilling: Absolutismus, 197; zur Kommunikation von Herrschaft Freist: Einleitung: Staatsbildung, 5 f.; zur Herrschaftsfunktion von symbolischer Kommunikation StollbergRilinger: Symbolische Kommunikation, 505. 108 Stollberg-Rilinger: Symbolische Kommunikation, 519; dies./Neu: Einleitung, 15 f.

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Der Kunst als „gezielt eingesetzte[m] Instrument zur Legitimation, Fundamentierung, Intensivierung und Dynamisierung von Macht und Status“ bedienten sich in besonders spektakulärer Weise Herrscherfamilien, die in Konkurrenz zu anderen erst einmal den Beweis erbringen mussten, dass sie ihres herausgehobenen Status würdig waren und die Macht nur zeitlich befristet ausüben konnten: Das war nirgendwo sonst so ausgeprägt der Fall wie in der Wahlmonarchie des Kirchenstaates. Dort traf ein besonders hohes Niveau an künstlerisch sublimierter Herrschaftsrepräsentation mit der Konkurrenz zwischen Adelsfamilien zusammen. Der Verwandtschaftsverband des jeweils regierenden Papstes zog für die begrenzte Zeit seines Pontifikats alle Register der Selbstdarstellung, auch, um nach Ende des Pontifikats die künstlerische Grundlage für dessen Nachruhm zu legen.109 Nicht vage und affektiv, sondern konkret und zum Teil sehr praxisorientiert widmete sich die politische Theorie der Legitimation und dem Ausbau fürstlicher Herrschaft sowie der Konstruktion einer Handlungssphäre des Politischen, und zwar vor allem seit dem 16. Jahrhundert. Das gilt insbesondere für den politischen Aristotelismus, der auf der Grundlage von Aristoteles’ Politik argumentierte und die christliche Ethik nicht als bindend für politisches Handeln betrachtete. Mit der Tacitus-Rezeption fand eine auf Machttechniken fixierte Darstellungsweise Eingang in den gelehrten Politikdiskurs; sie konzentrierte sich auf die Frage des Erhalts und Ausbaus von Macht.110 Auf dieser Grundlage wurden Staat und Politik als Handlungsfeld denkbar, in dem allein die „Staatsräson“ galt. Herfried Münkler versteht dieses Konzept als Motor eines tiefgreifenden Wandels, als „eine weitreichende Rechtsdurchbrechungsbefugnis […], kraft derer der neuzeitliche Staat die alte Ordnung substantiell aushöhlte und zerstörte“; damit sei auch der Weg geebnet worden für eine abstrakte Vorstellung von Staatsmacht, die nicht mehr an die Person des Fürsten gebunden gewesen sei.111 Ziel sei eine Sphäre religiös und ethisch weitgehend ungebundener Handlungsfreiheit gewesen, die der Sicherung und dem Ausbau staatlicher Macht nach innen und außen gedient habe und in der sich das Verhältnis der Staatsmacht zu ihren Untertanen im Wesentlichen auf Befehl und Gehorsam reduziert habe. Auf der Basis dieser Denkfiguren entstand seit dem 16. Jahrhundert die neue Souveränitätslehre. Souveräne Akteure im europäischen Mächtesystem wurden von einigen Völkerrechtsgelehrten – hervorzuheben sind Alberico Gentili und Hugo Grotius – als diejenigen definiert, die keine Macht über sich anerkennen mussten, mithin den völkerrechtlichen Status einer unabhängigen Herrschaft genossen. Dieser Ansatz bedeutete eine Abkehr von der gewachsenen Ordnung eines graduellen Rangsystems komplexer Abhängigkeitsverhältnisse und 109 Karsten: Künstler, Zitat 124. 110 Seresse: Politische Normen, 268 ff. 111 H. Münkler: Im Namen des Staates, 167.

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­ errschaftsbeziehungen. Er sah stattdessen eine Zweiteilung vor, die nur noch H Souveräne und Untertanen kannte, ohne Graubereiche und Zwischenstufen zuzulassen.112 In der Theorie war der Herrscher nach innen den Beherrschten keine Rechenschaft mehr schuldig. Das zeigt sich besonders auf einem Feld, auf dem Fürsten bis dahin besonderen Wert auf die öffentliche Darlegung der Motive ihres Handelns gelegt hatten: dem des Krieges. Die Notwendigkeit der Begründung und ethischen Rechtfertigung des Krieges trat zurück hinter der Frage, wer berechtigt war, einen Krieg zu erklären und zu führen.113 Der Krieg wurde somit formalisiert und als Feld definiert, auf dem allein souveräne Akteure bestimmen durften. Damit verloren die ethischen Begrenzungen des Krieges an Bedeutung: Von den von Thomas von Aquin formulierten Grundprinzipien des Krieges blieb in der Theorie nur eines übrig: die Berechtigung allein des Inhabers fürstlicher Autorität zum Kriegführen (auctoritas principis). Hingegen entfielen die Bindung der Kriegserklärung an einen gerechten Grund (iusta causa) und die aufrechte Gesinnung (recta intentio). Tatsächlich versuchte Ludwig XIV. von Frankreich in den 1670er Jahren, dieses Modell für einige Zeit in der Praxis durchzusetzen, indem er Kriege erklärte, ohne sich, wie es bis dahin Gepflogenheit gewesen war, durch Angabe der Gründe dafür zu rechtfertigen. Er handelte damit demonstrativ als souveräner König, der sich weder gegenüber der Fürstengesellschaft noch gegenüber seinen Untertanen erklären musste und der das Kriegführen als geeignetes Mittel ansah, seinen Ruhm zu mehren. Bezeichnenderweise vermochte er jedoch diese Selbstinszenierung als ungebundener Herrscher, der auf der europäischen Bühne als Mars erschien, nicht durchzuhalten. Bereits 1688 kehrten die Begründungen auch in französische Kriegserklärungen zurück und auch gegenüber den Untertanen wurde der Gang zu den Waffen wieder gerechtfertigt – so, wie es sein wichtigster Gegenspieler, Kaiser Leopold I., stets getan hatte, was dessen Ansehen und Autorität im Reich dienlich gewesen war.114 Mit anderen Worten: Die ethisch bereinigte Staatsräsonlehre war auf dem Feld des politischen und kriegerischen Handelns weder in der europäischen Öffentlichkeit noch gegenüber den Untertanen europäischer Herrscher konsensfähig. In der geschilderten radikalen Form blieb die Staatsräsonlehre selbst auf dem Feld der politischen Theorie im 16. und 17. Jahrhundert die Idee einer Minderheit. Die meisten Verfasser politischer Traktate beharrten auf der Bindung von Herrschaft an generell gültige Werte und Normen, und zwar solcher religiöser, gemeinwohlorientierter wie sozialer Provenienz. Das gilt namentlich für Jean Bodin, dessen berühmte Six livres de la République von 1576 die Bedeutung fürstlicher Souveränität für die innere Stabilität eines Landes – auch dies ein ­politischer 112 Berridge: Grotius, 54; Stollberg-Rilinger: Höfische Öffentlichkeit, 150. 113 Gotthard: Krieg, 72 und 84 f. 114 Tischer: Mars.

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Wert, zumal in Zeiten innerer Auseinandersetzungen in Frankreich – h ­ ervorhoben. Doch weder sollte der Fürst uneingeschränkt, ohne Kontrollinstanzen herrschen noch ethisch ungebunden. Bodin stellte sich den Fürsten stattdessen als Haus­ vater vor, der über seine Untertanen mit Strenge, aber unter Achtung alter Privilegien und christlicher Grundsätze herrscht.115 Italienische und spanische Autoren entwickelten im 16. und frühen 17. Jahrhundert eine – in ihren Augen – „wahre Staatsräson“, in der sie fürstliches Handeln an Herrschertugenden banden. Die Mittel mochten im Einzelfall auch Täuschung und Zwang umfassen, aber die Ziele mussten moralischer Natur sein.116 Dieser Strang des Staatsräsondiskurses diente also gerade nicht der Konstruktion eines autonomen Feldes des Politischen, sondern band es an religiöse Werte. Auch von Depersonalisierung von Herrschaft kann in diesem Diskurs kaum die Rede sein, denn er formulierte ja Handlungserwartungen an fürstliche Personen und nicht an ein abstraktes Staatsgebilde. Einen Systemwechsel hin zu einem System souveräner, nach innen wie außen an rationalem Machtkalkül orientierter Staatswesen führte der Souve­ ränitäts- und Staatsräsondiskurs nicht herbei. Seine Disambiguierungsleistungen sind nachweisbar, begünstigten beispielsweise die Konzentration von Autorität in der Person des Fürsten und eine gewisse Zentralisierung von Herrschaft, blieben aber insgesamt begrenzt; die Ambiguität fürstlicher Herrschaft wurde mittels der moderaten Staatsräsonlehre gezähmt, aber nicht beseitigt. Die politische Kultur zeichnete sich durch eine Ambivalenz aus zwischen Konsensorientierung politischer Herrschaft und dem Argument, dass dem Fürsten Zwang und Gewalt als Herrschaftsmittel zumindest dann zustanden, wenn der kranke Körper des Gemeinwesens einer Rosskur bedurfte, um wieder ins Lot zu kommen. Dieses Notstandsargument wurde vor allem im 17. Jahrhundert zur Ausweitung fürstlicher Herrschaft genutzt und vermochte die Konsensorientierung bisweilen auszuhebeln. Denn unter dem Eindruck der innen- wie außenpolitischen Konfliktdichte des konfessionellen und „eisernen“ Zeitalters gewann die Vorstellung an Plausibilität, straffe fürstliche Herrschaft müsse um der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Sicherheit willen auch auf Kosten althergebrachter Privilegien, Gewohnheiten und Modi der Konsensfindung durchgesetzt werden. Ein solches Konzept des „Durchregierens“ per Notrecht findet sich bereits im Römischen Recht und mit dessen Rezeption auch im Rechtsdenken des Mittelalters.117 Die konfessionellen Spannungen, der wachsende Rüstungswettlauf, in dessen Verlauf allein schon Defensivmaßnahmen wie der Festungsbau kleinere politische Akteure finanziell und organisatorisch überforderten, und das damit

115 Opitz: Souveränität; Schmale: Gesellschaft, 694. 116 Fernández Santamaría: Reason; Peer Schmidt: Universalmonarchie. 117 Vgl. die Überlegungen bei M. Isenmann: Legalität, 377 f.

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wachsende Sicherheitsbedürfnis 118 legitimierten ein fürstliches Notrecht. Damit wurde das Prinzip der Reziprozität von Herrschaft zunehmend von fürstlichen Ansprüchen auf Gehorsam der Untertanen durchbrochen. Die politische Rolle der Stände als Wächter über die Einhaltung der geltenden Rechtsordnung und als Verteidiger althergebrachter Privilegien geriet in die Defensive gegenüber einer fürstlichen Obrigkeit, die zunehmend die Treue, den Respekt und den Gehorsam ihrer Untertanen einforderte; zusammengefasst wurde diese Erwartungshaltung an die Beherrschten im Begriff der disciplina.119 Die Berufung auf die necessitas, auf die Notwendigkeit, zum Zwecke der Sicherung des Landes, seiner Ordnung und des Seelenheils seiner Bewohner über bestehendes Recht hinwegzusehen, hatte somit durchaus eine normverändernde Wirkung. Sie begünstigte eine Tendenz der Autonomisierung des Feldes des Politischen und eine Stärkung fürstlicher Zentralen. Allerdings neigten Landesfürsten in den meisten Fällen dazu, aus Legitimitätsgründen einen abrupten Bruch in der politischen Kultur zu vermeiden.120 Inwieweit auch städtische Ratsoligarchien und Führungsschichten – etwa in den Freien Städten des Alten Reichs – den Staatsräsondiskurs und die Notstandsargumentation verstärkt einsetzten, um sich als patriarchale Führung zu inszenieren und sich von den nach Mitregierung strebenden Gruppen in der Bürgerschaft abzusetzen, muss an dieser Stelle offenbleiben. Es scheint aber, dass sie dies nicht so konsequent wie die Fürsten tun konnten, weil sie immer dem kommunalen und konsensualen Ideal von Freiheit und Einheit verpflichtet blieben.121 Dass Konsensorientierung – nicht nur fürstlicher, sondern auch städtischer Obrigkeiten – ein handlungsleitender Maßstab blieb, hing nicht nur mit den potenziell hohen Kosten von Zwangsmaßnahmen zusammen, sondern war auch religiös begründet. Denn Einigkeit galt als Zustand der Annäherung an Gottes Ordnung und als Zeichen einer guten Regierung, Dissens und Konflikt hingegen als Symptom einer Krise des Gemeinwesens, wenn nicht gar des Wirkens des Teufels. Die „Kultur des Konsenses“ lastete keineswegs nur als Handlungserwartung auf den Untertanen bzw. Bürgern, indem deren Zustimmung zu obrigkeitlichen Anordnungen erwartet wurde. Vielmehr war die Herstellung von Konsens eine Kernaufgabe jeder Herrschaft.122 118 Zum Begriff der „Sicherheit“ siehe Schorn-Schütte: Sicherheit; im Hinblick auf die „Bellizität“ im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts außerdem Tischer: Sicherheit. 119 Blickle: Der Gemeine Nutzen, 99 ff. 120 Die Langfristigkeit der Wirkung dieser Argumentationsfigur betont am Beispiel des unter brandenburgischer Herrschaft stehenden Herzogtums Kleve-Mark: Seresse: Politische Normen. 121 Mörke: Anmerkungen. 1 22 Zur „Kultur des Konsenses” vgl. die zusammenfassenden Ausführungen in StollbergRilinger: Maria Theresia, 209 und 562 f.

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Organisation von Herrschaft und Konzentration von Wissen

Dass staatliche Herrschaft seit dem späten Mittelalter an Autorität und Durchschlagskraft gewann und damit ihre Macht ausbaute im Sinne der Verbesserung der Chance, den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen und Gehorsam zu finden,123 ist auch auf den teils zielgerichteten Ausbau neuer Organisations- und Kommunikationsformen zurückzuführen. Diese dienten nicht allein der Ermächtigung staatlicher Herrschaft durch Effizienzsteigerung, sondern hatten auch – begrenzte – disambiguierende Effekte, indem sie konkurrierende Handlungserwartungen aus Organisationen zurückdrängten und zentralen Einrichtungen einen Vorsprung an Wissensressourcen gegenüber nichtstaatlichen Akteuren bescherten. Damit geht es im Folgenden nicht mehr vorrangig um die Legitimation von Machtausübung, sondern um Techniken, die sie begünstigten und die dazu beitrugen, wenigstens ansatzweise ein eigenlogisches Handlungsfeld für Herrschaft zu schaffen. Fürstliche und kommunale Verwaltungen wuchsen seit dem Spätmittelalter deutlich und standen damit vor der Herausforderung, dieses Wachstum organisa­ torisch zu bewältigen. Beispiele dafür gibt es viele.124 Als Paradebeispiel soll hier allerdings eine nichtstaatliche Organisation dienen, die 1540 gegründete Gesellschaft Jesu. Sie stand gleichwohl vor der Herausforderung, ihre rasant wachsende und geographisch weit ausgreifende Gemeinschaft zu organisieren. Sie konnte dafür – anders als im Fall der Staatswesen – auf keine bestehenden Strukturen zurückgreifen, weshalb sie, wie Markus Friedrich betont, als besonders geeigneter Beispielsfall gelten kann, um darzustellen, wie weitgehend zentralisierte Organisation im 16. Jahrhundert gedacht wurde und umgesetzt werden konnte – und wo die Grenzen derartiger Organisationen und ihrer Disambiguierungsleistungen in einer von Normenkonkurrenz geprägten Kultur lagen.125 Ihrem Selbstverständnis nach waren die Jesuiten ein aktivistischer Seelsorgeorden, der einerseits den in die Defensive geratenen Katholizismus nach innen stärken, andererseits durch Mission in und außerhalb Europas verbreiten sollte. Im Hinblick auf die zu bewältigenden räumlichen Distanzen standen die Jesuiten damit vor sogar noch größeren Problemen als die meisten weltlichen Herrschaften im 16. Jahrhundert. Die herkömmlichen Organisationsformen von Ordensgemeinschaften waren als Modell zur Bewältigung dieser Aufgabe nur bedingt hilfreich; dies veranlasste die 123 Zu Definitionen von (Staats-)Macht und Herrschaft, ausgehend von Max Weber und Michael Mann siehe Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt, 17. 124 Vgl. das Kapitel „Herrschaftsaufbau und Institutionenbildung“ in Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt, 125 ff. 125 Die folgenden Ausführungen nach Friedrich: Der lange Arm Roms? und ders.: Die Jesuiten.

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Jesuiten, neue Wege zu gehen. Diese betrafen vor allem die Ordensspitze, an der ein auf Lebenszeit gewählter und in seinem Handeln nicht durch eine Ordensversammlung kontrollierter General stand. Damit ähnelte das Modell der ­Jesuiten einer Wahlmonarchie. Es war darüber hinaus in einem Ausmaß auf Zentralisierung und Entlokalisierung ausgerichtet, wie es bei weltlichen Herrschaften zumindest bis in das frühe 18. Jahrhundert kaum zu finden war. Die Grundidee des jesuitischen Organisationsmodells war, dass eine zentrale Entscheidungsinstanz und klar gegliederte Hierarchien im Orden dessen Effizienz erhöhten. Da die Jesuiten stärker als andere Ordensgemeinschaften dem Prinzip der verinnerlichten Selbstdisziplin seiner Mitglieder folgten, ging man davon aus, dass weder Machtmissbrauch an der Spitze drohte, noch ernsthafte Störungen in der Befehlskette zu erwarten waren. Das wichtigste Herrschaftsmittel des Generals war sein Wissen über die Geschehnisse im Orden. Mittels dieses Überblickswissens vom „hohen Turm“, so eine gängige Metapher, sollte er, ungestört von Rücksichtnahmen auf partikulare Interessen, Entscheidungen zum Wohle des Ordens treffen. Um stets über die wichtigsten Vorgänge im Orden informiert zu sein und seine Anordnungen in diesen zu tragen, bedurfte es hierar­ chisch gegliederter Kommunikationsstrukturen. Schriftliche Kommunikation war Mittel des Wissenserwerbs und der Herrschaftsausübung. Um von allen Teilen des Ordens, sei es in Europa, in den amerikanischen Kolonien oder in China, einigermaßen vergleichbare Kenntnis zu erlangen, wurde der Informationstransfer standardisiert: Die Ordenszentrale verschickte gleich gestaltete Fragebögen an die Provinziale, um möglichst objektive informationes über die einzelnen Ordensmitglieder zu erhalten. Diese an die Zentrale zurückzusendenden Bögen bildeten die Grundlage der sorgsam geführten Personalakten des Ordens. Sie basierten auf jeweils vier Beurteilungen, die andere Jesuiten über einen Ordensbruder vor Ort verfasst hatten. Diese gingen aber nicht direkt an den General, sondern gelangten zunächst zum Provinzial, also zum Vorsteher einer Ordensprovinz, der seinerseits die vier ihm zur Seite gestellten consultatores befragte, dann ein Personaldossier erstellte und dieses dann an die Zentrale nach Rom schickte. Auf diese Weise sollte ein von personalen Bindungen und Rücksichtnahmen befreiter Fluss von Sachinformationen die Zentrale erreichen – dies entsprach dem Prinzip des Verwaltungsschriftwechsels. Dieses Ausmaß an rational durchdachter, am Ziel der Effizienz und der Ausschaltung sozialer Erwägungen orientierter Organisation ist schon für sich genommen bemerkenswert und war in dieser Konsequenz auch tatsächlich neu. Natürlich funktionierte diese Struktur nicht vollumfänglich und wurde ihr im Herrschaftsalltag viel Sand ins Getriebe gestreut. Bei aller Zentralisierung war das jesuitische Informations- und Herrschaftssystem doch massiv auf Zuarbeiten aus den Provinzen und Ordensniederlassungen angewiesen. Auf allen Ebenen nutzten die Berichterstatter ihre Informationspflicht, um eigene Interessen und

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Anliegen an die Zentrale zu leiten, verpackt als Sachinformationen. Das Partikulare war insoweit aus dem Orden nicht zu verbannen. Auch an der Spitze der Gesellschaft Jesu selbst war das Entscheidungshandeln weniger von planvollem Vorgehen als von einem „Stakkato jeweils individuell getroffener Einzelentscheidungen geprägt“.126 Dabei stellten vor allem konkurrierende und von Interessen der Provinzen oder einzelner ihrer Vertreter bestimmte Informationsbestände ein Problem dar. Die Zentralisierung des Ordens musste daher wieder begrenzt werden, indem der Informationsfluss auf wenige, für die Ordensleitung wichtige Themenbereiche eingeschränkt wurde, während die Provinzen zunehmend Kompetenzen erhielten, Angelegenheiten selbst, ohne Rücksprache mit der Zentrale zu regeln. Das jesuitische Organisations- und Herrschaftsmodell war damit keineswegs gescheitert. Auch wenn es „unentschlossen zwischen der […] Idee eines einzigen global homogenen Herrschaftsbezirks und dem Zugeständnis einer notwendigen Binnengliederung dieser universalen Handlungssphäre“127 schwankte, blieb es im Prinzip bis zur vorläufigen Aufhebung des Ordens im Jahr 1773 bestehen. Was es auszeichnete, war der Aufbau einer Infrastruktur, die darauf angelegt war, eine eigene Sphäre rationaler Organisation und Herrschaft zum Zwecke der Durchsetzung grundlegender Ziele zu schaffen. Und dieser Aufbau orientierte sich am Ziel der Effizienzsteigerung und der Ausschaltung partikularer Tendenzen. Er war zwar teilweise an älteren Modellen wie denen der Bettelorden wie auch an den Erfahrungen weltlicher Herrschaften – namentlich der spanischen Kolonialverwaltung – orientiert, die aber den Zielen des Societas Jesu gemäß umgestaltet wurden. Damit wurde, ungewöhnlich für die auf der Hochschätzung des Alten beruhende Mentalität des 16. und 17. Jahrhunderts, bewusst etwas Neues geschaffen – das aber dem „konservativen“ Ziel des Erhalts der römischen Kirche diente. Die Standardisierung von Informationen in Kombination mit dem jesuitischen Verhaltensideal der indifferentia – das heißt der Nichtberücksichtigung von sozialen Verpflichtungen und partikularen Interessen – sollte methodisch eine im Sinne der Ziele des Ordens bereinigte Handlungssphäre schaffen, stellte also eine erhebliche, wenn auch keineswegs perfekte und durchgreifende Disambiguierungsleistung dar, mit der den Herausforderungen räumlich ausgedehnter Herrschaft alles in allem begegnet werden konnte. Auch die von den Jesuiten ausgehende symbolische Wirkung ist nicht zu unterschätzen: Die neuen Organisationsstrukturen verliehen ihr einen Nimbus von Effizienz, Macht und auch Skrupellosigkeit. Damit wird auch die Ambivalenz der Konstruktion einer Sphäre rationalen und methodisch durchstrukturierten politischen Handelns deutlich: Ihr wurden erhebliche Machteffekte zugetraut, doch galt sie vielen als illegitim. 126 Friedrich: Der lange Arm Roms?, 194. 127 Friedrich: Der lange Arm Roms?, 394.

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Auch das Sammeln und Horten von Wissen schuf einen der Herrschaft zuträglichen Nimbus. Dies lässt sich am Beispiel der frühen Geschichte des Archivwesens darstellen. Auf diesem Feld war im 16. Jahrhundert die spanische Krone führend. Das 1540 von Karl V. gegründete und in den nachfolgenden Jahrzehnten unter Philipp II. eingerichtete zentrale Kronarchiv in Simancas war der erste Versuch, systematisch und intendiert einen Wissensspeicher als Herrschaftsinstrument und Basis für politische Entscheidungen aufzubauen.128 Simancas sollte insoweit als entscheidendes Instrument einer „Wissenspolitik“ dienen; Herrschaft über eine wachsende Zahl von Gebieten sollte von der Erfassung umfassenden Wissens über diese begleitet sein. Zu diesen Wissensbeständen zählten die komplexen Rechtsverhältnisse im Bereich der spanischen Monarchie. Die Krone sammelte in ihrem Archiv unter anderem Dokumente, die ihre Rechtsansprüche gegenüber ihren Vasallen dokumentierten, und sie schuf sich mit dem Archiv eine Referenzinstanz, auf deren Sammlungen von Rechtsfällen im Streitfall auch die Untertanen selbst zurückgriffen. Damit konnten auch lokale und intermediäre Gewalten, die über keine vergleichbaren Wissensbestände verfügten, umgangen und entmachtet werden. Das Archiv als Langzeitgedächtnis von Regierung und Verwaltung hatte folglich eine machtpolitische Funktion; es diente der Verrechtlichung, Institutionalisierung und Zentralisierung der königlichen Herrschaft. Inwieweit diese aktiviert wurde, hing wesentlich von der Organisation des Archivs ab. Dass sich Philipp II. dessen bewusst war, zeigt seine 1588 erlassene Archivordnung, in welcher die Arbeitsschritte des Archivars und seiner Mitarbeiter – vom Klassifizieren und Verzeichnen über das Lagern und Wiederfinden der Dokumente – detailliert dargelegt werden. Die Standardisierung von Arbeitstechniken sollte der Effizienz der Verwaltungsarbeit dienen. Letztlich blieb die Idee des umfassenden Erwerbs und der Verfügbarmachung von Informationen gleichwohl eine Wissensutopie. Beschränkt blieb sie ohnehin auf Kastilien. Das darüber hinausgehende Projekt einer Kompilation sämtlicher im spanisch beherrschten Teil der Neuen Welt geltenden Gesetze versandete in den 1560er Jahren ebenso wie das einer fragebogenbasierten Erfassung der Herrschafts- und Rechtsverhältnisse in Mexiko und Peru. Zwar war schriftbasierte Datenerhebung aufgrund der durch den Druck erleichterten Standardisierung der Befragung rein mündlichen Techniken weit überlegen, doch die schiere Menge des zu erfassenden Materials ließ das Unternehmen scheitern. Auch die enormen geographischen Entfernungen stellten ein erhebliches Problem dar: Ein lokaler Beamter in der Neuen Welt arbeitete Tausende von Kilometern und Monate an Brieflaufzeit von der Zentrale entfernt. Erhielt er die Aufforderung, Bericht zu erstatten, nutzte er dies ebenso wie ein Jesuitenprovinzial dazu, seine Anliegen 128 Die nachfolgenden Ausführungen zu Simancas nach Grebe: Akten; zu den überseeischen Kolonien Brendecke: Imperium.

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an die Zentrale zu formulieren, Fragen entsprechend seinen Interessen umzuinterpretieren, misszuverstehen, zu ignorieren oder, wenn es opportun erschien, besonders eifrig zu beantworten – stets in dem Wissen, dass ihn Rückfragen kaum früher als nach einem Jahr erreichen würden. Auch die Standardisierung der Arbeitstechniken in Simancas stieß an ihre Grenzen. Der erste Archivar, Diego de Ayala, verwendete einige Energie auf die Errichtung eines funktionierenden Archivs und kann durchaus als ein Fürstendiener bürokratischer Prägung bezeichnet werden. Seine Tätigkeit war ausgesprochen spezialisiert; sie basierte vor allem auf eigener Erfahrung, die dann auch in der Instruktion von 1588 ihren Niederschlag fand. Damit sollte die persönliche Erfahrung des ersten Archivars über das Medium Schrift auf Dauer in die Organisation des Archivs eingehen – aus einer vom Wissen eines einzelnen Fürstendieners abhängigen Institution wäre dann eine nach abstrakten Regeln funktionierende Behörde geworden. Was allerdings fehlte, war eine s­ ystematische Archivarsausbildung von Seiten der Krone, um auf diese Weise zukünftige Archivare zur Arbeit mit der Instruktion zu befähigen. Stattdessen wurde der Posten des Archivars faktisch vererbt und das Wissen vom Vater an den Sohn weitergegeben. Da allerdings der zweite Archivar der Ayala-Dynastie bereits 1611 starb und dessen jüngster Sohn Juan, der zu seinem Nachfolger designiert war, zu diesem Zeitpunkt erst sechs Jahre alt war, war die Erfahrungskette bereits nach zwei Generationen unterbrochen. Da es zudem nicht gelang, die Behörden der Krone zu regelmäßigen Abgaben von Schriftgut an das Archiv zu bewegen, blieb das Kronarchiv eine Idee, die im Prinzip erst im 19. und 20. Jahrhundert zu einem funktions­ fähigen, nun der Geschichtswissenschaft dienlichen Wissensspeicher wurde. Wie schwierig sich auch andernorts die Organisation von Archiven gestaltete, zeigt ein bemerkenswertes Beispiel aus England: Im zentralen Regierungsarchiv im Londoner Tower vermochte man 1706 angeblich nicht einmal den letzten bedeutenden internationalen Friedensvertrag, den von Rijswijk, zu finden, der erst neun Jahre zuvor geschlossen worden war.129 Dennoch gilt für das Archiv von Simancas im Prinzip das Gleiche wie für den „hohen Turm“ der Jesuiten: Es handelt sich um Organisationsformen, die mit dem Ziel der Sammlung und Auswertung von Informationen gegründet worden waren. Für sie wurden organisationsförmige Strukturen entwickelt, die für den weiteren Aufbau des Behördenwesens wichtig waren und die gewissermaßen Testläufe für die systematische Nutzung von Schriftmedien darstellten. Es haperte noch am methodischen Umgang mit größeren Wissensbeständen und in beiden Fällen standen behördlichen Organisationslogiken personale Bindungen und Rücksichtnahmen gegenüber. Man könnte darin ein grundsätzliches ­Problem von 129 Pohlig: Informationsgewinnung, 676 f.

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Organisationen im Zeitalter der Ambiguität sehen, legt damit aber den Maßstab der modernen Organisationsgesellschaft an. Alles in allem zeichnen sich frühneuzeitliche Verwaltungen durch ein Nebeneinander und Ineinandergreifen von behördlichen Organisationslogiken und personalen Beziehungsmustern aus, das keineswegs grundsätzlich kontraproduktiv für das Verwaltungshandeln wirkte und das praktisch alternativlos war. Die Behörde als elaboriertes Modell stand spätestens ab dem 16. Jahrhundert zur Verfügung. Und mit der Zunahme an Regelungsbereichen, für die sich fürstliche Regierungen zuständig sahen, wuchsen die Apparate, differenzierten sich allmählich nach Arbeitsfeldern auf – was eine sachlogische Spezialisierung zumindest nahelegte – und erfassten immer größere Handlungsbereiche der Untertanen. Bis sich die Behördenapparate europäischer Staaten dem Idealtypus moderner Verwaltung, wie ihn Max Weber formuliert hat, tatsächlich annäherten, sollte allerdings noch viel Zeit vergehen. Nach Weber zeichnet sich eine Behörde durch sachbezogene, standardisierte und entpersönlichte Organisation aus. Der Behördenmitarbeiter ist Teil einer formalen Organisation und nicht eines Personenverbandes und demnach dem Staat und dem Amt in abstrakter Dienst- und nicht in personaler Dienertreue verbunden. Die Konkurrenz mit sachfremden Normen, insbesondere sozialen Handlungserwartungen, soll auf diese Weise ausgeschaltet werden.130 Das Problem mit Webers Modell besteht nicht zuletzt darin, dass es einen auch im 19. und 20. Jahrhundert in Reinkultur kaum erreichten Idealzustand entwirft. Weber beschreibt insoweit idealtypisch eine historische Langfristtendenz, aber keinen realen Zielpunkt der Verwaltungsgeschichte. Inwieweit Verwaltungen im Übergang zur Moderne ihren Charakter grundlegend änderten und dem Weber’schen Idealtypus deutlich näherkamen, wird noch zu diskutieren sein. Für die Frühe Neuzeit gilt in jedem Fall, dass die Behörde als Ort sachlogischer Entscheidungen und rational gestalteter Verfahrensabläufe durchaus denkbar war und in Ansätzen entstand. Doch frühneuzeitliche Behörden ließen sich nicht als Sphäre mit weitgehend eigenen Logiken und Regeln auf Dauer betreiben. Gewissen Spezialisierungstendenzen zum Trotz fehlte es in ihnen an klar abgegrenzten Arbeitsfeldern, in denen rein sachlogisch und ohne Ansehen der Person, kurz: rein auf der Basis gemeinwohlorientierter Normen gearbeitet wurde. Behörden blieben von Normenkonkurrenz geprägte Handlungsfelder. Ein Weg, Amtsträger in Behörden, aber auch Untertanen zu loyalem Verhalten und zur gewissenhaften Ausübung ihrer Pflichten zu bewegen, war der Eid. Im Kern stellt er eine Anrufung Gottes dar, der als Zeuge für ein bestimmtes Versprechen, eine Verpflichtung oder eine Behauptung bemüht wird und als Garant ihres Wahrheitsgehalts dient. Damit setzt der Vereidigte sein Seelenheil 130 Zusammenfassung des Konzepts Webers in Emich: Formalisierung, 81 ff.

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zum Pfand. Ein Untertanenverhältnis oder das Versprechen, sein Amt korrekt auszuführen, wird über den Eid insoweit sakramental bekräftigt. Bürgereide in Städten, abgeleistet an Schwörtagen, verpflichteten die Bürger zu Eintracht und Gehorsam gegenüber dem Rat.131 Auch in diesem Fall dient eine religiöse Norm – der Gehorsam gegenüber Gott – als Stützmittel weltlicher Herrschaft.132 Untertanen- und Bürgereide listeten die Verpflichtungen der Eidleistenden gegenüber der Herrschaft mitunter sehr konkret auf. Zu ihnen konnte beispielsweise die Pflicht der Untertanen bzw. Bürger gehören, Normbrüche gegenüber der Herrschaft an diese zu melden.133 Natürlich war der Eid keine Garantie, dass der Schwörende sich fortan vollumfänglich an seine derart bekräftigten Verpflichtungen halten würde. Er stärkte aber gemeinwohlorientierte Normen, indem er, um beim eben genannten Beispiel zu bleiben, Denunziationen abweichenden Verhaltens legitimierte. Das bedeutet weniger, dass die Untertanen aus reinem Verpflichtungsgefühl gegen ihre Obrigkeit Delinquenten anzeigten, als vielmehr, dass sie über ein legitimes Argument verfügten, Regelübertretungen von Feinden und Rivalen dem herrschaftlichen Gericht zu melden. Für Amtsträger – beispielsweise Richter – eröffnete der Amtseid auch die Möglichkeit, sich ungelegenen sozialen Verhaltenserwartungen mit Verweis auf ihre eidlich bekräftigten Verpflichtungen zu entziehen. Der Jurist und Literat Justus Möser hat dies auf den Punkt gebracht, indem er den Eid als „anständige Entschuldigung“ gegenüber Freundschaftsdiensten bezeichnet hat.134 Darin drückt sich auch die Säkularisierung des Eides aus, der im Laufe des 17. Jahrhunderts zu einem politischen Gelübde mutierte, hinter dem die gleichwohl bis heute optional praktizierte Anrufung Gottes („So wahr mir Gott helfe“) zurücktrat.135 Der Eid wurde von Amtspersonen als Argument genutzt, um sich lästige Bittsteller vom Hals zu halten, was gerade nicht bedeutet, dass diese Amtsträger prinzipiell Begünstigungen ablehnten. Er konnte aber auch dienlich sein, ein Amtsideal zu stärken, das den Habitus eines treuen und allein dem Gemeinwohl verpflichteten Fürstendieners generierte.136 Auch der Eid entfaltete seine Wirksamkeit folglich in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Handlungserwartungen und war Gegenstand von Aneignungen derer, die ihn leisteten. Auch er war ein Mittel, gemeinwohlorientierte Normen zu stärken, ohne damit faktisch ein Handlungsfeld schaffen zu können, in dem exklusiv die Normen des Fürstendienstes galten. 131 H.-C. Rublack: Norms, 32. 132 Prodi: Eid. 133 Matthias Weber: ‚Anzeige‘, 589 f. 134 Zitiert nach: Stollberg-Rilinger: Die Frühe Neuzeit, 16. 135 Prodi: Eid, 29 f. 136 Zur „Amtsnatur“ als Habitus, der ein gemeinwohlorientiertes Amtsideal beförderte, am spanischen Beispiel Martín Romera/Brendecke: Oficio.

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Empowering Interaction

Die Konzentration von Wissensressourcen in fürstlicher bzw. staatlicher Hand hatte, um noch einmal zusammenzufassen, zwei wichtige Effekte: Die Sammlung von Wissen verlieh Organisationen den Nimbus eines Wissens- und Machtvorsprungs, und sie förderte den Bedarf nach Nutzung dieses Wissensbestandes durch die Untertanen. Auf diese Weise konnte der Fürst sich als allwissender Herrscher mit überlokaler Autorität inszenieren. Allein schon die diffuse Vermutung, er und seine Verwaltung verfügten über einen Wissensvorsprung, stellte eine Machtzuschreibung dar. Dass der Herrscher oder Ordensgeneral die dort gehorteten Wissensressourcen seinen Untergebenen mitunter zur Nutzung anbot, widerspricht dem nicht. In Rechtsstreitigkeiten konnten Untertanen der spanischen Krone beispielsweise um Abschriften von Rechtsdokumenten bitten. Indem die Untertanen sich an die Krone wandten, um deren Wissensspeicher für eigene Angelegenheiten anzuzapfen, bestätigten sie die Autorität und Funktionalität ihrer Obrigkeit. Mit der Herrschaft zu kommunizieren, sich in bestimmten Angelegenheiten an sie zu wenden und ihr Schiedsrichterfunktionen zuzuschreiben, ermächtigte diese: In der Forschung wird dies mit dem Begriff der empowering interaction 137 ausgedrückt. Der Begriff setzt bei der oben bereits gestellten Frage an, wie das Phänomen der Verdichtung der Staatsgewalt zu erklären ist, wenn sich über Ansätze ­hinaus keine Blaupause der Staatsbildung finden lässt. André Holenstein beschreibt Herrschaftsverdichtung als einen interaktiven Prozess zwischen einer Herrschaft und ihren Untertanen, von dem alle Beteiligten profitieren. Wie oben bereits dargelegt, bietet die Konzentration bestimmter in fürstlicher bzw. staatlicher Hand liegender Ressourcen die Möglichkeit, sie den Untertanen zur Nutzung anzubieten, ihnen also nahezulegen, sich zur Beförderung ihrer Einzelanliegen an die Herrschaft zu wenden. Einerseits wird die Ressourcen- und Machtkonzentration der Zentrale legitimiert, wenn die von ihr Beherrschten an deren Ressourcen teilhaben können.138 Andererseits verdichtet sich aber die Win-win-Logik der Einzelfälle auf Dauer zu einer strukturellen Verfestigung von Herrschaft. Denn jede Nutzung macht die Herrschaft ein Stück weit selbstverständlicher; man spricht von „Aggregation“. Aggregation hat strukturelle Folgen: Sie verändert langfristig die Spielregeln im Verhältnis der Herrschaft zu den Untertanen, sie legitimiert die Arbeit der herrschaftlichen Verwaltung, lässt deren Befugnisse zunehmend als plausibel und gegeben erscheinen und fördert damit die Staatsbildung. Die Akzeptanz von Herrschaft förderte demnach ihre Entfaltung.139 137 Holenstein: Introduction. 138 Braddick: State Formation, 69. 139 Neu: Koordination. Vgl. auch Brakensiek: Akzeptanzorientierte Herrschaft.

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Drei Beispiele für eine derartige Aggregation zugunsten fürstlicher Herrschaft und ihre Grenzen sollen kurz zur Sprache kommen: Justiznutzung, B ­ ittschriften und Denunziationen. Indem Untertanen, die bis dahin ihre Konflikte weitgehend unter sich oder auf dem Forum eines dörflichen Rügegerichts ausgetragen hatten, sich nun auch an die herrschaftlichen Gerichte wandten, bestätigten sie den Geltungsanspruch des überregional gültigen Rechts und die Rolle des Staates als seinen Träger. Justiz­ nutzung stärkte auf lange Sicht die Institution des Gerichts und bestätigte die Vertretung gemeinwohlorientierter Normen durch den Staat und seine Rolle als Mediator für soziale Konflikte, die innerhalb der sozialen Gemeinschaften nicht mehr zu lösen waren.140 Einen etwas komplexeren Fall von Aggregation stellen Bittschriften von Untertanen an ihren Fürsten dar. Erbaten Untertanen etwas von ihrer Herrschaft, dann appellierten sie in diesen Schreiben an die gemeinwohlorientierte Rolle ihres Fürsten als Landesvater.141 Sie bestätigten und legitimierten damit zwar immer wieder seine Herrschaft (darin liegt die Aggregation), verbanden dies aber auch mit Forderungen: Wenn der Fürst ein guter Landesvater sei, dann lasse er seine Untertanen auch keinen Mangel leiden. Auf diese Weise konnte, wie Jens Ivo Engels am Beispiel von Suppliken an den französischen König im frühen 18. Jahrhundert dargelegt hat, der Monarch regelrecht zu Leistungen verpflichtet werden. Die Selbstinszenierung des Königs als unverpflichtbarer Herrscher von Gottes Gnaden stieß in diesem hinter einer untertänigen Sprache verborgenen Anspruchsdiskurs an ihre Grenzen.142 Denunziationen durch Nachbarn schließlich stellten Win-win-­Situationen zwischen dem Staat und einigen Untertanen auf Kosten anderer her. Sie waren für zentrale Institutionen deshalb so wertvoll, weil sie auf diesem Weg in lokale Gesellschaften eindringen konnten; vielfach waren Obrigkeiten bei der Durchsetzung bestimmter Normen auf die Hilfe von Denunzianten geradezu ­angewiesen. Ein besonders eindrückliches Beispiel für eine auf Denunziationsbereitschaft setzende Organisation stellt die Spanische Inquisition dar. Sie war eine staatliche Behörde, die überwiegend mit Geistlichen bestückt war und deren Aufgabe in der Bewahrung des reinen Glaubens durch Verfolgung religiöser Devianz lag. Das damit angestrebte Ziel religiöser Reinheit galt als dem Gemeinwohl dienlich. Die Inquisition war dort erfolgreich, wo auch vor Ort der Wunsch bestand, religiöse Uniformität durchzusetzen, oder wo lokale Konflikte so gravierend waren, dass sie auch über Denunziationen gegenüber Visitatoren der Inquisition ausgetragen wurden. Betroffen waren vor allem moriscos, das 140 Freist: Einleitung: Staatsbildung, 2 f. 141 Dürr: Herrschaft, 338. 142 Engels: Königsbilder, 21 ff.

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heißt Menschen christlichen Bekenntnisses, deren Vorfahren Muslime ­gewesen waren oder die selbst vom Islam zum Christentum konvertiert waren. Ihnen wurde unterstellt, weiterhin ihrem Herkunftsglauben anzuhängen. Als Indizien dafür galten soziale Praktiken religiösen Ursprungs wie die Verschleierung oder der Verzicht auf den Verzehr von Schweinefleisch. Während die Inquisition in einigen Gemeinden – nämlich dort, wo die Katholizität als Teil der lokalen Identität galt – viele Hinweise auf derartige Verhaltensweisen erhielt, scheiterte sie weitgehend in geschlossenen morisco-Dörfern, in denen die Denunziationsbereitschaft nur sehr gering war.143 Damit wird noch einmal ein grundsätzliches Problem bei der Durchsetzung gemeinwohlorientierter Normen durch den Staat in der Frühen Neuzeit deutlich: Sie litten unter einem gewissen Vollzugsdefizit, vor allem dann, wenn es um ihre gleichmäßige Durchsetzung in der Fläche des Fürstenstaates ging. Wo die Nutzung staatlicher Institutionen ausblieb oder nur mit Zurückhaltung erfolgte, vermochten sich Aggregationseffekte nicht oder nur begrenzt zu entfalten. So bleibt als Resümee des Aufstiegs gemeinwohlorientierter Normen und der Konstruktion eines Handlungsfeldes des Politischen ein ambivalentes Bild: Zweifel­los gewann zentrale fürstliche Herrschaft an Autorität und wurden in der Frühen Neuzeit Infrastrukturen und Kommunikationssysteme der Macht aufgebaut; Herrschaft als eigenlogisches Handlungsfeld war ein denk- und sagbares Konzept. Doch gelang es nicht bzw. nur ansatzweise, einen abgeschotteten Arkanbereich politischer Entscheidungen zu schaffen. Weder gelang es Obrigkeiten, sich den sozialen, auf dem Prinzip des do ut des beruhenden Erwartungen ihrer Untertanen zu entwinden, noch konnten sie bis in das 18. Jahrhundert hinein auf ihre religiöse Legitimation als Stützfaktor verzichten. Politik und Herrschaft standen damit mitten im Kräftefeld der Normenkonkurrenz – eine Problematik, die weiter unten, im Teil zum Fürstendienst, noch zu vertiefen ist.

Soziale Normen Soziale Normen unterscheiden sich in zwei wesentlichen Punkten von den religiösen und gemeinwohlorientierten Normen: Sie werden weitgehend informell und nicht auch zusätzlich auf formalem Wege vermittelt, und sie werden in der Regel nicht verschriftlicht, weshalb sie im öffentlichen Diskurs wenig vorkommen.144 Sie werden daher auch kaum theoretisch reflektiert, sondern sind als 143 Dedieu: Administration; Domínguez Ortiz/Vincent: Historia; Dreßendörfer: Islam; Windler: Religiöse Minderheiten, 111 ff. 144 Grüne: Konsistenzerwartungen, 137; Schmitz: Normenkonkurrenz, 78.

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„soziales Wissen“ – verstanden als „unsystematische[r], ­selbstverständliche[r] Vorrat lebensweltlichen Denkens“145 ‒ im Alltag einer Gesellschaft oder in bestimmten Gruppen vorhanden. Man findet beispielsweise kaum Traktate über Patronage oder die informellen Regeln des Gabentauschs; nur Handlungserwartungen in ethisch idealisierten Sozialbeziehungen, etwa der Freundschaft, sind in nennenswertem Umfang Gegenstand der gelehrten Traktatliteratur.146 Nichtsdestoweniger sind auch soziale Normen wertebasiert; ihr zentraler Wert ist die Ehre. Soziale Normen sind grundsätzlich dezentraler angelegt als religiöse und gemeinwohlorientierte und bilden kein geschlossenes und fixiertes System, sondern es handelt sich bei ihnen um Handlungserwartungen und daraus abgeleitete Praktiken, die den Lebensbedingungen und der Sozialstruktur einer Gruppe angepasst sind. Entsprechend der sozialen Lage von Akteuren waren sie in verschiedene Rollenmodelle aufgefächert, je nach Geschlecht, Stand, Alter und materiellen Bedingungen. Sie waren aus diesem Grund variantenreicher als etwa religiöse Normen, die potenziell für alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichermaßen galten. Dieses Variantenspektrum sozialer Handlungserwartungen findet sich im lateinchristlichen Europa der Frühen Neuzeit nahezu flächendeckend. Wenn soziale Normen als soziales Wissen bezeichnet werden, bedeutet das nicht, dass sie in mehr oder weniger unveränderter Form beständig weitertradiert wurden. Da ihnen die schriftliche Fixierung fehlt, können sie stillschweigend außer Gebrauch geraten oder verändert werden. Dies geschieht dann, wenn Übertretungen sozialer Handlungserwartungen nicht mehr von der sozialen Umgebung sanktioniert werden. Das Ausmaß der Bereitschaft der Angehörigen einer sozialen Gemeinschaft, eine soziale Norm einzufordern oder wieder einzusetzen, ist für den Grad ihrer Geltung entscheidend.147 Wie die religiösen und gemeinwohlorientierten Handlungserwartungen waren auch die sozialen Normen zwar Handlungsfeldern zugeordnet – der Familie, der Nachbarschaft, der Berufsgruppe, der Standesgruppe etc. –, die jedoch nach außen nicht sauber abgrenzbar waren. Sie standen in vielen Handlungszusammenhängen in Interaktion mit religiösen und gemeinwohlorientierten Normen. So orientierten sich soziale Normen oft auch an christlich-religiösen Erwartungshaltungen und ethischen Grundwerten. Die wachsende Bedeutung religiöser und gemeinwohlorientierter Normen ging gleichwohl keineswegs auf Kosten der sozialen Handlungserwartungen. Vielmehr veränderten sich diese in der Interaktion mit und Konkurrenz zu den anderen Normensystemen und konkretisierten sich auf verschiedenen Feldern. Viele soziale Handlungserwartungen wurden teils seit dem späten Mittelalter, teils im Verlauf der Frühen Neuzeit energischer als vorher eingefordert; auch 145 Mulsow: Reise, 186. 146 Droste: Erziehung, 38. 147 Popitz: Soziale Normen, 71; vgl. auch Piltz/Schwerhoff: Religiöse Devianz, 20.

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in sozialen G ­ ruppen stieg der Konformitätsdruck, wuchs mithin die Autorität sozialer ­Normen. Dies wird weiter unten insbesondere am Beispiel von Rollenerwartungen in Verwandtschaftsverbünden dargelegt. Wir haben es beim Normenhorizont des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit demnach mit dem parallelen Aufstieg dreier Normensysteme zu tun, nicht aber mit der Verdrängung eines tradiert-archaischen, informellen (sozialen) Normensystems durch zwei aufsteigende (das religiöse und das gemeinwohlorientierte). Vermittlungswege und Entwicklungsbedingungen sozialer Normen

Die hohe Autorität sozialer Normen liegt vor allem in der Unmittelbarkeit ihrer Vermittlung begründet. Frühneuzeitliche Individuen waren stark in soziale Gruppen eingebunden, und zwar in dem Sinne, dass individuelle Lebensentfaltung keinen Wert an sich darstellte, sondern eher mit Untugenden wie Ungehorsam oder Hoffart verbunden wurde. Freiräume zur ungebundenen Entfaltung des Selbst standen kaum zur Verfügung; hingegen bot das Leben in sozialen Gemeinschaften anerkannte Rollenmodelle, die dem eigenen Ansehen und Überleben dienlich waren. Deren Auswahl war freilich begrenzt – die Masse der Zeitgenossen in der Frühen Neuzeit nahm soziale Rollen ein, die ihnen von ihrem sozialen Umfeld zugewiesen wurden, was keineswegs immer konfliktfrei ablief. Eine Rückzugssphäre des Privaten war zudem bis ins 18. Jahrhundert nicht vorhanden und sollte auch darüber hinaus noch lange der Luxus höherer Schichten bleiben. Akteure standen demnach stets unter Beobachtung ihrer sozialen Umgebung – im Haushalt, in der Nachbarschaft oder der Dorfgemeinschaft, unter den lokalen Standesgenossen oder in der Zunft. Die Möglichkeit, eine soziale Regelverletzung zu verbergen, ist unter solchen Umständen gering, zumal lokale „Anwesenheitsgesellschaften“ über ein normatives Elefantengedächtnis verfügten 148 – Devianz drohte also auf Dauer die soziale Stellung eines Individuums zu schwächen. In der face to face society besteht permanent ein direkter, geradezu synaptischer Kontakt zwischen ihren Angehörigen. Eine derartige „Vergesellschaftung unter Anwesenden“ zeichnet sich durch Kommunikationsstrukturen aus, in denen sich alle Beteiligten gegenseitig beobachten und um diese Beobachtung wissen; das Wissen um die lokalen Handlungserwartungen bestimmt damit direkt das Handeln der Akteure. Sanktionen bei Übertretungen von Normen erfolgen oft direkt und unmittelbar.149 148 „Early modern society had an elephantine memory.“ Laqua-O’Donnell: Women, 126; vgl. auch Kieserling: Kommunikation, 48 ff. 1 49 Zum Konzept der „Vergesellschaftung unter Anwesenden“ Schlögl: Kommunikation, S 164 ff.; ders.: Bedingungen, 259 ff. Zur Rezeption (und gleichzeitig als prägnante Zusammenfassung des Konzepts) siehe z. B. Stollberg-Rilinger: Predigt.

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Derartige Verhältnisse fanden sich keineswegs nur in Dörfern, in denen das „Dorfauge“150 auf die Einhaltung der informellen Regeln des Zusammenlebens achtete, sondern beispielsweise auch in lokalen Adelsgesellschaften. In diesen hatte die gegenseitige Beobachtung die Funktion, über standesgemäßes Verhalten im Sinne der Abgrenzung von Niederrangigen zu wachen. Außerdem standen potenzielle Heiratskandidaten unter besonderer Beobachtung. Wer sich den Handlungserwartungen entsprechend verhielt, konnte auf eine gute Partie hoffen.151 Die soziale Kontrolle in solchen Gemeinschaften, das heißt die Reaktionsbereitschaft von Mitgliedern der Gruppe auf abweichendes Verhalten, war dementsprechend hoch.152 Die Unmittelbarkeit von Kommunikation stellt einen hohen Integrations- und Konformitätsdruck her. Differenzen in der Sache sind in derartigen sozialen Verhältnissen stets an Differenzen zwischen Personen geknüpft und dabei ausbrechende Konflikte vor allem deshalb heikel, weil sie die Ehre der betroffenen Personen berühren. Anwesenheitsgesellschaften neigen daher eher zu Konfliktvermeidung und Ausgleich, um die Gemeinschaft aufsprengenden Friktionen zu entgehen.153 Es gab aber Wege, auch unter derartigen kommunikativen Bedingungen Konflikte aus der Unmittelbarkeit der Konfrontation zwischen zwei Personen oder sozialen Gruppen herauszunehmen. Denn Normübertretungen konnten auch rituell von der Gemeinschaft insgesamt gebrandmarkt werden. Dann standen sich bei der Sanktionierung abweichenden Verhaltens nicht zwei Gegner agonal gegenüber, sondern der Normübertreter war der Kritik der gesamten sozialen Gruppe durch in deren Sinne handelnde Vertreter ausgesetzt. Dies geschah über Rügebräuche, die an bestimmten Tagen von einer Gruppe, meistens den jungen, unverheirateten Männern, kollektiv und ritualisiert durchgeführt wurden. Sie konfrontierten den Normübertreter mit dem Tatbestand, dass sein Verhalten von der Gemeinschaft nicht mehr toleriert wurde und er mit dem Ausschluss aus ihren Solidarbeziehungen rechnen musste. Der Vorteil der Ritualisierung liegt in der Abstrahierung des Konflikts: Die Rügung hob den Konflikt auf eine generelle Ebene, womit die personale Konfrontation ausblieb.154 Eine solche Abstrahierung durch Ritualisierung konnte aber nur gelingen, wenn es eine weitgehend geschlossene Dorf- oder Nachbarschaftsöffentlichkeit gab, die es den jungen Männern erlaubte, als Vertreter des Gruppenkonsenses aufzutreten. Die entsprechende Meinungsbildung erfolgte ebenfalls über direkte Kommunikation, oft zwischen den Frauen des Dorfes, und 150 Holzem: Katholische Konfessionalisierung, 279. 151 Frie: Adelsgeschichte, 401; Lesemann: Liebe, 197. 152 Zum Begriff der „sozialen Kontrolle“ mit Bezug auf soziale Gemeinschaften in der Frühen Neuzeit Piltz/Schwerhoff: Religiöse Devianz, 19; vgl. auch Dinges: Justiznutzungen. 153 Schlögl: Politik beobachten, 598; Walz: Kommunikation, 222. 154 Davis: Reasons; Eibach: Haus, 86.

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zwar durch die Verbreitung von Gerüchten, Nachreden und Verdächtigungen. Ihr, um einen zeitgenössischen Begriff zu bemühen, „Weibergeschwätz“ hatte die Funktion, die lokalen Normen zu stabilisieren.155 Bestand ein solcher Konsens aber nicht – etwa weil sich soziale Parteien und Patronagesysteme im Dorf heraus­gebildet hatten oder die Wirtschafts- und Lebensverhältnisse auseinanderdrifteten – und traten soziale Konflikte auf, die nicht durch Ausgleich in der Gemeinschaft lösbar waren, dann war es nicht unwahrscheinlich, dass Konfliktbeteiligte die Hilfe einer Instanz außerhalb ihrer Lebenswelt suchten. Dann schlug die Stunde der Justiz. „Justiz“ bedeutete allerdings nicht unbedingt, dass ein Konflikt aus der sozialen Lebenswelt auf eine Bühne gehoben wurde, in der nach abstrakten Rechtskriterien geurteilt wurde. Lokale Gerichte waren nicht selten durch das Bemühen auf Ausgleich zwischen den Parteien unter starker Beteiligung lokaler Akteure geprägt. Dies gilt beispielsweise für die im Südwesten des Reichs verbreiteten dörflichen Rüg- oder Dinggerichte. Ihr normativer Horizont stellte eine Mischform zwischen der an sozialen Normen orientierten Anwesenheitsgesellschaft und der nach abstrakten Rechtsnormen urteilenden Justiz dar. Durch Justiznutzung wird der Staat als Akteur sichtbar – doch oft vermittelt über hybride Broker wie Vögte, die in der Regel stark in die lokalen Lebenswelten eingebunden waren.156 Justiznutzung ist unter derartigen Bedingungen nur begrenzt der Verbreitung gemeinwohlorientierter Normen dienlich, sondern kann vielmehr auch bedeuten, dass rechtsprechende Akteure sozialen Erwägungen bei der Urteils- oder Kompromissfindungen Raum geben. Auf diese normativ uneindeutige Konstellation wird im Kapitel über Behörden und Beamte zurückzukommen sein. Der Konformitätsdruck in sozialen Gemeinschaften ist auch auf eine für die agrarisch dominierte Mangelökonomie typische Wirtschaftsmentalität zurückzuführen, das Summenkonstanzdenken. Es geht von einer im Großen und Ganzen gleichbleibenden Menge an Gütern aus, die zirkulieren. Gewinn ist in einem solchen System nur zulasten anderer möglich und folglich ethisch bedenklich. In großen Teilen der ländlichen Welt Europas dominierten zumindest bis ins frühe 18. Jahrhundert noch landwirtschaftliche Betriebseinheiten, deren primäres Ziel die Selbstversorgung der in ihnen Arbeitenden war. Diese Selbstversorgung wurde zwar durch Produktion für begrenzte Märkte ergänzt, bestimmte aber das wirtschaftliche Denken. Im Auf und Ab der Ernten waren Knappheit und die Endlichkeit der zu erwirtschaftenden Mengen wiederkehrende Erfahrungen in der „Gesellschaft beschränkter Ressourcen“157 und wirkten prägender als Vermehrung und Wachstum.158 Überschüsse Einzelner wurden in einer derart 155 Krug-Richter: Weibergeschwätz; Laqua-O’Donnell: Women, 110; Schulte: Gerede. 156 Holenstein: Umstände, 24. 157 Schulze: Ständische Gesellschaft, 15. 158 Schlögl: Bedingungen, 242.

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geprägten Lebenswelt eher in demonstrativ geteiltem Konsum verbraucht – etwa über ein großes Fest – als akkumuliert oder auf den Markt gebracht.159 Hinzu kam die Grundauffassung, dass jeder ständischen Position in der Gesellschaft ein bestimmter Modus der Konsumption entsprach. Das schon von dem Soziologen und Ökonomen Werner Sombart beschriebene Prinzip des „standesgemäßen Auskommens“ bzw. der „standesgemäßen Nahrung“ beruhte auf der Vorstellung einer sozial statischen Gesellschaft. In dieser bedeutete Bedarfsdeckung, einen der eigenen sozialen Position gemäßen Konsumstil zu pflegen.160 Spätestens seit dem Aufstieg des Handels im hohen Mittelalter wurde ein solcherart statisches soziales und wirtschaftliches Denken allerdings in Teilen der Gesellschaft durchbrochen. Nicht nur Kaufleute konnten sich ein derartiges Wirtschaften schlicht nicht leisten, sondern auch in der Landwirtschaft der Frühen Neuzeit findet sich eine ganze Reihe von Beispielen für bewusst auf Überschuss und Export ausgerichtetes agrarisches Wirtschaften. In einigen Regionen mit vergleichsweise hohem Urbanisierungsgrad wie den Niederlanden oder Teilen Nord- und Mittelitaliens wäre die Versorgung der Städte anders gar nicht möglich gewesen. Auch der Adel mochte zwar auf die gewinnorientierten „Pfeffersäcke“ in den Handelsstädten herabsehen, war sich aber in England oder im Hinterland der südlichen Ostseeküste nicht zu schade, für einen überregionalen Markt zu produzieren und dabei Profite einzustreichen. Adlige Handels- und Gewerbeverbote wurden im europäischen Vergleich sehr unterschiedlich gehandhabt und bestanden nicht flächendeckend. Vor allem die generelle Wirtschafts- und Kapitalkrise des 17. Jahrhunderts veranlasste viele Obrigkeiten, derartige Verbote oder Einschränkungen zu lockern.161 Und schließlich erlaubten Aufstiegskanäle, etwa im Dienst von Staat oder Kirche, Individuen und ihren Familien, ihr Einkommen und ihr Ansehen zu mehren. Gerade daran zeigt sich die breite Fächerung und die Ausdifferenzierung sozialer Normen in der Frühen Neuzeit: Während in wenig marktorientierten ländlichen Milieus vielfach auch das soziale Leben als „Nullsummenspiel“ gedacht wurde und soziale Stabilität ein hohes Gut darstellte, sozialer Aufstieg hingegen verdächtig war,162 sah dies bei den neuen Funktionseliten ganz anders aus. Sie mochten bei einigen ihrer Zeitgenossen in schlechtem Leumund stehen, betrachteten ihre Erfolgsgeschichte selbst aber als verdienstvoll und der Ehre ihres Familienverbandes zuträglich.163 Soziale Normen konnten also ganz unterschiedliche Stoßrichtungen annehmen und Werte bedienen, je n ­ achdem, 159 Burkhardt: Verhaltensleitbild; Foster: Peasant Society. 160 Vgl. das Kapitel „Die vorkapitalistische Wirtschaftsgesinnung“ in: Sombart: Kapitalismus, 29 ff.; zusammenfassend Stollberg-Rilinger: Handelsgeist, 274. 161 Stollberg-Rilinger: Handelsgeist. 162 Schlögl: Bedingungen, 242 f. 163 Brakensiek: Juristen, 269.

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ob sie der Stabilisierung einer traditionellen lokalen Gemeinschaft oder der Ehre eines aufsteigenden Familienverbandes dienten. Damit ist nun zunächst auf die Wertebasis sozialer Normen einzugehen, um dann soziale Gruppen und die mit ihnen verbundenen Beziehungsformen in den Blick zu nehmen. Die Wertebasis sozialer Normen: Ehre

Die Autorität und Attraktivität sozialer Normen liegt, wie bereits angedeutet, nicht zuletzt darin begründet, dass sich an ihnen zu orientieren dem symbolischen Kapital der Ehre zuträglich war. Ehre war ein sozialer Grundwert in Form einer Zuschreibung von Anerkennung und Wertschätzung, die in Akten der Kommunikation bzw. in sozialer Interaktion vermittelt wurde: Ehre besaß, wer als ehrenhaft angesehen wurde. Derart wahrgenommen zu werden bedeutete, über einen sozialen „Kredit“ zu verfügen, das heißt als vertrauenswürdig zu gelten. Einer vertrauenswürdigen Person wurde zugetraut, sich den mit ihrer sozialen Position verbundenen Handlungserwartungen gemäß zu verhalten. Ehre kann demnach als verhaltensleitender Code definiert werden. Als ehrenhaft zu gelten bedeutete auch, über ein größeres Quantum an sozialen Chancen zu verfügen, also beispielsweise eine gute Position auf dem Heiratsmarkt einzunehmen, an wirtschaftlichen oder finanziellen Transaktionen beteiligt zu werden oder der nachbarschaftlichen Solidarität würdig zu sein; Ehrenhaftigkeit zahlte sich also aus. Oder um es in der Diktion Pierre Bourdieus auszudrücken: Das symbolische Kapital der Ehre war in andere Kapitalformen konvertierbar, etwa in soziales oder wirtschaftliches Kapital.164 Ehre war auch an soziale Gruppen gebunden. Die durch Geburt und Zugehörigkeit zu einem Stand, einer Familie oder einer Berufsgruppe erworbene Teilhabe an der Ehrbarkeit der Gruppe hatte das Individuum durch entsprechende Verhaltensweisen unter Beweis zu stellen. Es musste eine individuelle Reputation durch die Pflege von in der Gruppe positiv besetzten Eigenschaften aufbauen. Individuelle Ehre war dem Ansehen innerhalb der Gruppe förderlich und erweiterte das in eine Person gesetzte Vertrauen. Bei Kaufleuten wären derartige Eigenschaften beispielsweise Redlichkeit, Mäßigung, Fleiß und Leistungsbereitschaft.165 Ehre war zudem geschlechtsspezifisch. Die weibliche Ehre war vor allem sexuell konnotiert; die ehrbare Frau hatte vor ihrer Verheiratung die Jungfräulichkeit zu wahren und sich auch als Ehefrau an den Idealen der Reinheit und der Zucht zu orientieren.166 Körperliche Gewalt auszuüben war hingegen Männern vorbehalten und in Konflikten bisweilen auch geboten, wohingegen Auseinandersetzungen zwischen Frauen 164 Fuchs: Um die Ehre, 29; Schreiner/Schwerhoff: Verletzte Ehre, 5 ff. 165 Poettering: Handel, 245 ff. 166 Schreiner/Schwerhoff: Verletzte Ehre, 18.

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eher ­verbal ausgetragen wurden.167 Allerdings war der männliche Gewalthabitus außerhalb militärischer Aktivitäten weitgehend auf die Lebensphase der Adoleszenz beschränkt, wie weiter unten, im Abschnitt zu vormodernen Lebensläufen, noch zu erläutern sein wird. Ehrkonflikte zeigen, dass Ehre nicht einfach wie ein Sparguthaben angehäuft werden konnte, sondern auch Herausforderungen und einem gewissen Wettbewerb ausgesetzt war. Wer über Ehre verfügte, musste auch bereit sein, sie zu verteidigen. Der idealen Vorstellung, dass jede Position in der Ständegesellschaft über ein gewisses Potenzial an Ehrkapital verfügte und daran angepasstes ehrenhaftes Verhalten dem Ansehen des Positionsträgers zuträglich war, stand die Logik von Ehrkonflikten gegenüber. Ehrangriffe waren so häufig, weil sie mit Alltagskonflikten verbunden waren. Auseinandersetzungen um Schulden, Erbschaftskonflikte, Spannungen zwischen Nachbarn oder die Rivalität zweier Männer um eine Frau konnten durch herausfordernde Gesten oder Worte rasch die Ehre der Beteiligten tangieren. Ein Angriff auf die Ehre eines Menschen, mit dem sich ein Akteur im Streit über etwas befand, bot diesem die Möglichkeit, den Konflikt auf eine neue Ebene zu heben und eine Klärung in direkter Auseinandersetzung zu erzwingen. Denn einem öffentlichen Ehrangriff konnte der Herausgeforderte nicht ohne Gefahr des Ehrverlusts ausweichen; er wurde unter unmittelbaren Handlungsdruck gesetzt, weil seine soziale Position zur Disposition stand. Auf diese Weise wurde ein agonaler Verhaltensstil gefördert; Ehre konnte permanent Tests der Bewährung unterzogen werden und Akteure damit zu scharfen Reaktionen – verbal oder auch unter Einsatz körperlicher Gewalt – veranlassen. Ehrkonflikte konnten aber auch ritualisiert werden und der Gruppenbildung dienlich sein, wenn etwa verschiedene soziale Gruppen (wie Studenten und Gesellen) einander maßen oder innerhalb einer Gruppe Wettkampfspiele veranstaltet wurden, die der Aushandlung der inneren Hierarchie der Gruppe dienten. Diese Art der aggressiven Imagepflege konnte gleichwohl auch aus dem Ruder laufen und in körperliche Gewalt bis hin zu Verletzungen und Totschlag eskalieren.168 In der Forschung ist umstritten, wie groß das dynamische Potenzial derartiger Ehrkonflikte einzuschätzen ist und ob es sich bei ihnen mehr um eine gewaltförmige Fassade handelte, hinter der tatsächlich soziale Statik vorherrschte. Denn gerade weil Ehrkonflikte potenziell gefährlich für die Stabilität einer sozialen Gruppe waren, standen Mechanismen zur Verfügung, um sie wieder zu entschärfen, etwa über die Vermittlung von Nachbarn oder die lokale Gerichtsbarkeit, der es mehr um Konsensfindung und Konfliktbereinigung als um Brandmarkung und Verurteilung Einzelner ging.169 Welches 167 Krug-Richter: Konflikte; dies./Mohrmann (Hrsg.): Praktiken; Loetz: Zeichen. 168 Ludwig: Von Scherzen und Duellen, 377 f. 169 Während Rainer Walz in Dörfern des 16. und 17. Jahrhunderts eine agonale Kultur ausmacht (Walz: Kommunikation), erachtet Ralf-Peter Fuchs das Konfliktpotenzial von

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destruktive Potenzial Ehrkonflikten dennoch innewohnte, zeigen Hexenprozesse, deren Ausgangspunkt ehrmindernde „Besagungen“ einer Person als Hexe waren und die im schlimmsten Falle einen Dominoeffekt von Beschuldigungen und Hinrichtungen in Gang setzen konnten.170 Die vergleichsweise hohe Konfliktbereitschaft frühneuzeitlicher Akteure ist nicht zuletzt damit zu erklären, dass das hierarchische Denken für die Akteure zentral war. Das gesamte Alltagsleben war „durch ein Netz von symbolischen Regeln strukturiert, welche die Rangordnung Tag für Tag aufs Neue reproduzierten“.171 Kommunikation zwischen Akteuren machte immer auch deren Rangverhältnisse offensichtlich, sei es über die Kleidung, Gebärden und Gesten oder Grußformeln. Dem fiktiven Ideal nach gab es eine sehr fein gegliederte hierarchische Ordnung von Personen und Gruppen, in der jeder seinen Platz einnahm und sich dieser Position entsprechend in Relation zu anderen zu verhalten hatte. Durch rang­ gemäße Verhaltensweisen sollte die Rangordnung gewissermaßen lesbar gemacht und stabilisiert werden.172 Doch in der alltäglichen sozialen Realität war die Ausformung der Rangordnung umstritten und trafen konkurrierende Geltungs­ ansprüche aufeinander. Die vielfältigen Ausdrucksformen von Hierarchien – die Sitzordnung in der Zunftstube, der Platz in der Prozession, die Sitzbank in der Kirche, die Art der Kleidung – waren Foren potenzieller und öffentlich ausgetragener Konflikte um die Rangordnung.173 So umstritten und unscharf die alltäglich performativ hergestellte Rangordnung innerhalb des Dritten Standes auch sein mochte, so sehr war doch der Adel bemüht, seinen Stand klar von den „Gemeinen“ abzuheben. In der Forschung hat lange die Vorstellung von einer generellen Krise des Adels im 16. Jahrhundert dominiert. Die aufkommende Geldwirtschaft habe das auf Grundbesitz beruhende Modell adligen Wirtschaftens in Frage gestellt, während andererseits der Aufstieg nichtadliger Funktionsträger im Fürstendienst seine Stellung als politische Führungsschicht herausgefordert habe. Der Adel habe sein lokales Gewaltmonopol und sein Ansehen eingebüßt und sich fürstlicher Herrschaft unterordnen müssen; selbst die Definition der Standeszugehörigkeit sei zunehmend in fürstliche Hände geraten.174 Die jüngere Forschung hat dieses Niedergangsmodell mittlerweile weitgehend verworfen und betont, dass der Adel flexibel und erfolgreich auf die Herausforderungen zu Beginn der Neuzeit zu reagieren vermocht habe. Es sei ihm gelungen, durch partielle Anpassung – etwa die Pflege eines spezifisch Ehrkonflikten als überschätzt (Fuchs: Um die Ehre, 26 f.). 170 Gersmann: Injurienklagen. 171 Stollberg-Rilinger: Symbolische Kommunikation, 508. 172 Dinges: Der „feine Unterschied“, 57 f. 173 Füssel: Gelehrtenkultur, 2 f.; Stollberg-Rilinger: Symbolische Kommunikation, 508. 174 Stone: Crisis.

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adligen Bildungsideals und die Bereitschaft des Eintritts in den Fürstendienst unter Wahrung seiner exklusiven gesellschaftlichen Stellung und seiner lokalen Machtbasis – die Krise abzuwehren. In der „Dialektik von Kritik und Legitimation“175 behielt der Adel die Oberhand. Mehr noch: Die Frühe Neuzeit, insbesondere des 17. Jahrhunderts, kann als Zeitalter sozialer und kultureller Dominanz des Adels in praktisch ganz Europa angesehen werden. Diese „Rearistokratisierung“ beruhte im Kern auf standesspezifischen sozialen Normen, die als Praktiken der Distinktion fungierten. Distinktion bedeutet die Sichtbarmachung der eigenen sozialen Position in Abgrenzung zu anderen, niederrangigeren Gruppen zum Zweck der Festigung sozialer und symbolischer Grenzen.176 Der „kulturelle Sieg“177 des Zweiten Standes manifestierte sich nicht zuletzt darin, dass bürger­liche Aufsteiger, die nobilitiert wurden, es in der Regel eilig hatten, sich der adligen Lebensweise anzupassen und den Makel ihrer gemeinen Herkunft vergessen zu machen.178 Adlige Wertvorstellungen und daraus abgeleitete Verhaltensnormen hatten daher über den Adel hinaus auch auf bürgerliche Eliten eine erhebliche Ausstrahlung. In reichen Handelsstädten etwa praktizierten bürgerliche Führungsschichten einen adligen Lebensstil, indem sie ihre Heiratskreise abgrenzten, exklusive Formen der Geselligkeit pflegten und Landgüter erwarben – auch ihr Ziel war gemeinhin die Nobilitierung.179 Adliger Statuskonsum (stets in Spannung zum wirtschaftlich gebotenen Ideal guter Hausökonomie) diente insoweit zwar der Distinktion und Abgrenzung, verwischte aber auch die Grenzen zwischen dem Adel und wohlhabenden Angehörigen des Dritten Standes, die ihren Lebensstil aristokratisierten. Andererseits setzten die Distinktionspraktiken den Niederadel unter erheblichen Druck, vor allem dort, wo er sehr zahlreich war und auf wirtschaftlich schwachen Füßen stand. Das war vor allem in der nördlichen Hälfte Spaniens und in Polen der Fall. Kastilische Adlige, die kaum anders als Bauern lebten, konnten den Verhaltens- und Distinktionsstandards ihres Standes nicht mehr folgen und sahen sich dann der Gefahr des sozialen Abstiegs ausgesetzt. „Abstieg“ bedeutete in diesem Fall, dass sie nicht mehr von ihrer sozialen Umgebung als Adlige angesehen wurden, aus adligen Heiratskreisen herausfielen und mangels adliger Reputation vor Gericht ihre Steuerbefreiung – das wichtigste 175 Paravicini: Interesse, 21 f. 176 P.-M. Hahn: Geburtsstand, 213. 177 Asch: Legitimation, 14. 178 Asch: Rearistokratisierung; ders.: Legitimation, 5 und 12; Jouanna: Legitimierung; ­Thompson: Nobility; G. Walther: Adel, 365 f.; Yun Casalilla: Aristocracy; Zmora: Monarchy. 179 Vgl. z. B. die exklusive „Zirkelgesellschaft“ in Lübeck, eine spätmittelalterliche Gründung, die in den 1580er Jahren ihren Höhepunkt erlebte: Dünnebeil: Zirkel-Gesellschaft; oder die Berner Patrizierschicht, die sich zunehmend von der Stadtgesellschaft abschloss und das republikanische Gleichheitsideal nur noch unter ihresgleichen pflegte: N. Weber: Republik, 235.

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Zeichen der Zugehörigkeit zum Adel gegenüber der Krone – nicht halten konnten.180 Dass Rang, Stand und Ehre sichtbar sein und performativ immer wieder bestätigt werden mussten, mithin auf sozialen Normen beruhten, unterstreicht dieses Beispiel ex negativo. Einen besonderen Fall performativer adliger Statusbehauptung stellt das Duell dar. Es ist sowohl ein Beispiel für die Bedeutung von sozialen Distinktionsnormen als auch für das ambivalente Verhältnis des Adels zum Recht. Die Unterwerfung des Adels unter die Entscheidungsgewalt von Gerichten ist Teil seiner Integration in den Fürstenstaat und seiner – nicht ganz vorbehaltlosen – Anerkennung des fürstlichen Gewaltmonopols. Er war dem Recht freilich allein schon deshalb in anderer Weise unterstellt als die „gemeinen“ Untertanen, weil er über eine eigene Gerichtsbarkeit verfügte, womit vermieden wurde, dass Angehörige des dritten Standes über Adlige urteilten; auch das Recht folgte insoweit sozialen Regeln der Distinktion. Insgesamt blieb der Umgang des Adels mit dem Recht lange Zeit doppeldeutig; einerseits nutzten Angehörige des Zweiten Stands Gerichte in inneradligen Auseinandersetzungen und auch in Streitfällen mit ihrem jeweiligen Landesherrn, andererseits hielten sich standesspezifische Praktiken, die sowohl das Recht als auch religiöse Normen verletzten.181 Das Duell war keine überkommene Form der Ehrverwaltung, sondern entstand in Ablösung der Fehde im 16. Jahrhundert als neues und zunehmend ritualisiertes Instrument adliger Ehrverteidigung. Es stellte folglich eine Anpassung des Adels an die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols dar, und zwar nicht im Sinne einer Unterwerfung, sondern einer modifizierten Form von Devianz gegen Rechts- und Glaubensnormen. Das Duell konnte wesentlich diskreter durchgeführt werden als eine Fehde; Duellverbote, die so alt wie das Duell selbst sind, waren daher nur schwer durchzusetzen. Das Duell drückte den Anspruch des Adels aus, Ehrkonflikte standesintern, ohne Hinzuziehung staatlicher Instanzen, zu regeln. Im Sinne der Ehrlogiken lag sein entscheidender Vorteil darin, dass es – im Gegensatz zu einem Sieg vor Gericht – dem Gekränkten unmittelbar Satisfaktion verschaffte und somit seine Ehre für die Standesgenossen (und im Falle seines Überlebens auch für ihn selbst) sichtbar wiederherstellte.182 Kirche und Staat betrachteten die Duellpraxis als eine Herausforderung, gegen die vorzugehen war. Die französische Krone führte in den 1620er und 1630er Jahren eine regelrechte Antiduellkampagne durch, in deren Verlauf einzelne Duellanten sogar hingerichtet wurden.183 Doch derartige Phasen der Duellbekämpfung wechselten mit solchen stillschweigender Duldung. Solange sich die Beteiligten 180 Thompson: Nobility, 179 ff. 181 Wieland: Selbstzivilisierung, 346. 182 Garnier: Injurien, 543; Ludwig (Hrsg.): Duell. 183 Asch: Ehre, 373.

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einig waren, dass ihnen diese Art der standesgemäßen Ehrverwaltung zustand, blieb die Bekämpfung des Duells ineffektiv. Insgesamt scheinen die kirchlichen Kampagnen gegen das Duell auf Dauer erfolgreicher gewesen zu sein als die staatlichen. Die kirchliche Argumentation, der zufolge es eine Verachtung des Christentums darstelle, das von Gott geschenkte Leben geringer zu achten als die Reputation,184 fand zunehmend Anklang bei einem Adel, der seinen Gewalthabitus zugunsten eines höfischen Verhaltensstils zurückschraubte. Sowohl die Konfessionalisierung als auch der Aufstieg der höfischen Kultur als kultureller Leitstern des Adels begünstigten die Durchsetzung des Verhaltensideals des honnête homme. Der Adel verringerte mit diesem Verhaltensstilwechsel das Ausmaß an Devianz in seinem Verhaltensstil. Auch wenn der Erfolg von Duellverboten schwer abzuschätzen ist, kann davon ausgegangen werden, dass das Duell im 18. Jahrhundert in weiten Kreisen des Adels nicht mehr als standesgemäße Konfliktform, sondern als Devianz, als Ausdruck eines Übermaßes an Ehrgefühl galt.185 Soziale Gruppen und Beziehungsformen I: Familie und Verwandtschaft

Träger, Vermittler und Foren der Aushandlung sozialer Normen sind die Vergesellschaftungsformen, denen sich Individuen zugehörig fühlen. Als primäre soziale Bindungskategorie und daher bezüglich ihrer Integrationskraft stärkste soziale Gruppe kann die Verwandtschaft angesehen werden. Die Familie stellte eine für die Identität ihrer Angehörigen zentrale Lebens-, Arbeits- und Erinnerungs­ gemeinschaft dar. Es spricht einiges dafür, dass die von Vertretern der älteren Mentalitätsgeschichte wie Philippe Ariès und Edward Shorter vertretene Annahme gering ausgeprägter emotionaler Beziehungen zwischen Mutter bzw. Eltern und Kind in der Vormoderne nicht haltbar ist. Für den sehr zugespitzt argumentierenden Shorter ist die Mutterliebe eine Erfindung der Moderne.186 Wiewohl sich die Annahme eines Wandels der emotionalen Grundlage familiärer Beziehungen und des Familienbilds sowie der Geschlechterbeziehungen in der Familie im Übergang zur Moderne als durchaus tragfähig erwiesen hat,187 lassen sich Familien in der Frühen Neuzeit doch keineswegs auf reine Zweckverbände reduzieren. Verwandtschaftsverbände unterlagen in der Vormoderne einem fundamentalen Strukturwandel. Sie formierten sich in engem Zusammenhang mit dem Staatsbildungsprozess, dem Wandel der ökonomischen Grundbedingungen und 184 Piltz/Schwerhoff: Religiöse Devianz, 25; Schwerhoff: Duell, 225. 185 Asch: Ehre, 373 f.; ders.: Nobilities, 75 f. 186 Ariès: Geschichte; Shorter: Geburt, 256; zu dieser Debatte zusammenfassend Jarzebowski: Loss. 187 Borscheid: Geld; Mitterauer/Sieder (Hrsg.): Patriarchat.

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rechtlichen Veränderungen im hohen und späten Mittealter neu, und zwar besonders ausgeprägt im westeuropäischen Adel. Diesem Wandel sozialer Gruppenbildung passten sich auch die sozialen Normen an.188 Aus bilateral organisierten Sippen entwickelten sich patrilinear strukturierte Dynastien.189 Letztere erlaubten nur noch die männliche Erbfolge. Diese wurde dann vielerorts auf die Primogenitur zugespitzt, bei welcher der Besitz der Familie zum größten Teil an einen Haupterben ging. Auf diese Weise wandelten sich die großen und nach außen kaum abgrenzbaren Sippen zu einem sozialen Verband, in dem klare Hierarchien herrschten und der einen deutlich kleineren Personenkreis umfasste. Entferntere Verwandte, aber auch in andere Familien einheiratende Töchter wurden im Zuge dieser Entwicklung marginalisiert. Die Abstammungslinie gewann an Bedeutung. Während die Sippen eine weitgehend auf die Lebenden beschränkte Gemeinschaft gewesen waren, nahm der Bezug auf die Vorfahren – und zwar insbesondere die männlichen – nun einen großen Raum ein. Vor allem Adelsfamilien wurden nun als generationenübergreifende Verbände wahrgenommen, in denen Standesqualität, Ehre und Besitz weitergereicht wurden. Diese Familienstrukturen können als Anpassungsleistungen an veränderte Rahmenbedingungen gesehen werden, die zur dauerhaften Absicherung in Rechtsnormen gegossen wurden. Sie dienten einerseits der wirtschaftlichen Stabilisierung von Adelsfamilien, die zunehmend über vererbbaren Landbesitz erfolgte. In Konkurrenz zur städtischen Wirtschaft und zu anderen Adelsfamilien war die Sicherung und besser noch Ausweitung dieser Besitzgrundlage wichtig für den Erhalt von Wohlstand und Status. Zudem waren mit Landbesitz zunehmend Herrschaftsrechte verbunden; wo sich die Grundherrschaft durchsetzte, passten sich adlige Familien zumeist mit dem patrilinearen Modell an. Der Wandel familiärer Strukturen hin zu Abstammungsverbänden dürfte in weiten Teilen Mittel- und Westeuropas die Relevanz familiärer Bindungen und der mit ihnen verbundenen Handlungserwartungen deutlich erhöht haben. Mit der Vereindeutigung der Zugehörigkeit zu einem Familienverband wurde das Individuum in eine Gruppe integriert, die über ihre (patrilinearen) Vorfahren über eine gemeinsame Geschichte verfügte; besonders im Adel förderte dies ein Gemeinsamkeits- und Identitätsbewusstsein. Es wurde visualisiert durch Wappen, Genealogien, Grabmäler und Urkunden in Familienarchiven und bekräftigt durch die Semantik der Blutsverwandtschaft.190 Auf diese Weise wurde das Bewusstsein 1 88 Benigno: Mirrors; vgl. die Zusammenfassung seiner Thesen in Zunckel: Kontroverse, 164, Fußnote 81. 189 Die Ausführungen in den folgenden zwei Absätzen nach Harding: Ahnenproben; Morsel: Geschlecht, 21 f.; Spieß: Familie und Verwandtschaft, 489 ff.; Teuscher: Verwandtschaft, 87. 190 Teuscher: Verwandtschaft, 96 ff.

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gepflegt, der einzelne Mensch sei in eine genealogische Kette eingebunden.191 Die Inszenierung als durch Reinheit des Blutes ausgezeichneter Sozialverband war nicht zuletzt den Herrschaftsansprüchen des Adels dienlich und fand auch Nachahmung in den Städten in Form von Patriziaten. Diese grenzten sich als Schicht führender ratsfähiger Geschlechter von der Masse der Bürger ab.192 Die Relevanz familiärer Zugehörigkeit für frühneuzeitliche Akteure und der sich daraus ergebenden Verpflichtungen lässt sich besonders deutlich am römischen Beispiel darstellen: Für den besonders gut erforschten Pontifikat Pauls V. Borghese (1605 – 1621) lassen sich die Ausgabenprioritäten der Kirchenführung detailliert nachvollziehen. Christian Windler hat auf der Basis von Arbeiten zu den Finanzen dieses Pontifikats 193 die Ausgaben für Familienförderung und -repräsentation mit denen für die Mission – einer religiösen Kernaufgabe der römischen Kurie – verglichen und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die vom Kardinalnepoten verwalteten Familienfinanzen und die Patronage der Borghese das Finanzvolumen der Propagandakongregation um etwa des Zehnfache, die der Inquisitionsbehörde sogar um das Zwanzigfache überstiegen. Ein Vergleich mit dem Pontifikat Alexanders  VII. Chigi (1655 – 1667) ergibt ähnliche Resultate.194 Deutlicher kann die Relevanz sozialer Normen im Vergleich zu religiösen und gemeinwohlorientierten Handlungserwartungen kaum ausgedrückt werden. Repräsentationsbedürfnisse des Führungspersonals stellten demnach selbst an der Spitze der katholischen Kirche Ausgaben für genuin religiöse Zwecke weit in den Schatten. Diese Zahlen sind zweifellos auch dadurch zu erklären, dass zwischen den führenden Familien in Rom eine erhebliche Repräsentationskonkurrenz bestand, und es wird noch festzustellen sein, dass derartige Priorisierungen der Familienförderung nicht unumstritten waren. Doch die sozialen Prioritäten, die sich in diesen Zahlen ausdrücken, sind eindeutig. Familiäre Bindung und das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit nahmen tenden­ ziell desto mehr ab, je entfernter der Verwandtschaftsgrad war. In einer besonderen Situation befanden sich in eine Familie eingeheiratete Frauen: Sie standen vor der Wahl, entweder ganz in den Familienverband, in den sie eingetreten waren, aufzugehen, oder weiterhin auch ihre Herkunfts-Familienidentität zu pflegen.195 Das Bewusstsein, einem Generationen überspannenden Solidarverband anzugehören, der über eine gemeinsame Ehre verfügte, schuf starke Verpflichtungen, die auf dem Einzelnen lasteten, und dies keineswegs nur in adligen Familien. Solange individuelle Selbstentfaltung keinen Wert an sich darstellte, war die 191 Imhof: Welten, 50. 192 Dies zeigt sich auch in der Begräbnis- und Memorialkultur; vgl. Dörk: Tod. 193 Reinhard: Papstfinanz; V. Reinhardt: Kardinal Scipione Borghese. 194 Windler: Missionare, 40 f. 195 Jendorff: Eigenmacht, 626 ff.

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Übernahme einer sich aus verwandtschaftlichen Beziehungen ergebenden Rolle ethisch geboten. Der Erhalt des Verbandes und die Mehrung seines materiellen, sozialen und symbolischen Kapitals, mithin die Wahrung der wirtschaftlichen Grundlage und der Ehre des Familienverbandes als Ganzes, stellten zentrale Werte dar. Dies war die Essenz einer gemeinsamen Familienstrategie, der sich alle ihre Mitglieder verpflichtet fühlen sollten. Die Familie bildete in diesem Sinne eine gemeinsame Ökonomie, die alle Mitglieder verband und zu deren Mehrung beizutragen eine soziale Pflicht darstellte. Sich der Familienräson unterzuordnen, war eine soziale Norm, die mit der Formation der patrilinearen Familien massiv an Autorität gewann. Außerdem bestimmte die Familie den Handlungsrahmen des Erreichbaren für seine Mitglieder: Was ein Familienmitglied im Leben erreichen konnte, hing wesentlich von seiner Verwandtschaft, ihren materiellen Ressourcen und sozialen Beziehungen ab und natürlich auch von deren Bereitschaft, sich für eines ihrer Mitglieder einzusetzen.196 Demnach hatten sich Kinder in der Regel den Heiratsplänen ihrer Eltern zu fügen, sie hatten den ihnen zugedachten Lebensund Karriereweg zu gehen und gegebenenfalls auch kurzfristig umzusatteln, um Lücken zu füllen, wenn vorzeitige Tode von Verwandten die Familienökonomie zu beeinträchtigen drohten. Innerfamiliäre Arbeitsteilung setzte die Familienökonomie auf verschiedene Standbeine.197 Auf der anderen Seite konnten weniger erfolgreiche Mitglieder eines Verwandtschaftsverbandes auf Unterstützung hoffen; gerade bei adligen Familien, die über die entsprechenden Ressourcen verfügten, gab es eine Art kollektive Haftung für die einzelnen Mitglieder, die der Hilfe ihrer Verwandten bedurften, allein schon um die Ehre des Gesamt­ familienverbandes zu wahren.198 Natürlich stellte der innerfamiliäre Erwartungsdruck an seine Mitglieder, die ihnen zugedachten Rollen zu erfüllen, keineswegs nur innerfamiliäre Stabilität, Eintracht und Frieden her. Gerade aufgrund des Konformitätsdrucks und des Aufeinanderangewiesenseins drohten schwelende Konkurrenzsituationen zwischen nahen Verwandten, für die es im Grunde keine legitime Form des Austrags gab, zuweilen aus dem Ruder zu laufen. Erbfragen waren schon in der Frühen Neuzeit besonders konfliktträchtig und auch Vater-Sohn-Beziehungen oft durch Spannungen gekennzeichnet. Konflikte konnten beispielsweise aufkommen, wenn der Sohn frühzeitig einen Status erreichte, der den seines Vaters übertraf und damit die innerfamiliäre Hierarchie auf den Kopf stellte.199 Eine mindestens ebenso heikle Situation entstand, wenn das Familienoberhaupt durch sein Verhalten 196 Jendorff: Eigenmacht, 621. 197 Ago: Giochi, 256; Schläppi: Akteure, 68; ders.: Diplomatie; Teuscher: Verwandtschaft, 87 ff. 198 Asch: Adel, 112. 199 Asch: Adel, 109 f.

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den Status seiner Familie gefährdete und seine Nachfahren vor die Wahl stellte, entweder die Minderung ihrer Lebens- und Karrierechancen in Kauf zu nehmen oder aber den Gehorsam gegenüber dem Vater aufzukündigen.200 Die Familie war gerade wegen der rigorosen Rollenverteilung ein Ort, an dem Interessen aufeinanderprallten und daraus resultierende Konflikte mehr oder weniger erfolgreich beigelegt werden konnten. Die Familie als Austragungsort von Generationen- und auch Geschlechterkonflikten 201 passt nicht zu einem von Teilen der Geschichtswissenschaft lange gepflegten Bild, das die Familie als Ort patriarchaler Herrschaft gezeichnet hat. Zweifellos war Patriarchalismus, das heißt die Überordnung des Mannes über die Frau und des „Hausvaters“ über die Familie, ein religiös legitimierter Grundwert vormoderner Gesellschaften. Er ist allerdings von einem Teil der Forschung überzeichnet worden. Dem von Otto Brunner entwickelten Modell des Ganzen Hauses zufolge stand die Gewalt des „Hausvaters“ über die Familie als Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft des Hauses in Analogie zur Herrschaft des Fürsten über seine Untertanen, die wiederum in der Stellung Gottes über die Menschen eine Entsprechung fand. „Familie“ wird von Brunner nicht nur als Verwandtschaftsverband verstanden, sondern umfasst auch die im Haus mit lebenden und arbeitenden Menschen wie das Gesinde und sonstige Inwohner.202 Zweifellos war das Haus ein hochgradig von sozialen Normen durchdrungener Raum, zumal von der mehr oder weniger freiwilligen Übernahme bestimmter Rollen im Haushalt das Funktionieren der häuslichen Ökonomie und damit das Überleben seiner Mitglieder abhing. Allerdings ist das Bild des herrschaftlichen Hauses, in dem der Hausvater über die Angehörigen der familia gebot und das Haus damit gewissermaßen als absolute Monarchie im Kleinen regierte, eine Überzeichnung. Denn zum einen band auch die Rolle des Hausvaters diesen an Normen – sein Rollenmodell, das des rechten Hausvaters, war hochgradig verpflichtend.203 So hatte er das Haus in fleißiger Arbeit zu führen und sich so weit als möglich friedlicher Mittel im Umgang mit den ihm Untergebenen zu bedienen. Zum anderen ist die Stellung der Hausmutter von Brunner stark unterschätzt worden. Beide, Hausvater und Hausmutter, bildeten im Alltag des Wirtschaftens ein „Arbeitspaar“, das auf Arbeitsteilung und gemeinsame Verantwortung ausgelegt war, wie Heide Wunder betont hat.204 Zwar 200 Beispiele für derartige Konflikte finden sich beispielsweise in der Verwandtschaft von Günstlingsministern, die sich von ihrem Clanchef von dem Moment an absetzten, da seine Stellung als Vertrauter des Königs wankte. Vgl. beispielsweise zwei spanische Fälle Elliott: Count-Duke, 618 ff.; v. Thiessen: Herrschen. 201 Bastl: Tugend, 151. 202 Brunner: Das „ganze Haus“. 203 H.-R. Schmidt: Hausväter, 215. 204 Wunder: Er ist die Sonn’, sie ist der Mond.

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hatte der Mann das Züchtigungsrecht über die Frau und war nach außen – vor allem juristisch – der Repräsentant des Hauses. Nach innen aber hatte auch die Hausmutter erhebliche Gestaltungsmacht, ja galt die Ausnutzung dieses Spielraums als soziale Norm, da die Familienökonomie am besten arbeitsteilig gestaltet wurde. Die Frau war demnach gewissermaßen die Mitregentin des Mannes. Rollenerwartungen lasteten demnach auf allen Mitgliedern des Hauses, und sie waren zu einem erheblichen Teil geschlechtsspezifisch.205 Ihre Verbindlichkeit liegt auch darin begründet, dass das Haus keinen geschlossenen Kosmos darstellte, sondern, wie Joachim Eibach es formuliert hat, ein „offenes Haus“ war. Als solches war es nachbarschaftlicher Beobachtung ausgesetzt und konnte Ziel der oben beschriebenen Rügebräuchen der Anwesenheitsgesellschaft werden.206 Soziale Normen konnten auf diese Weise auf zwei Ebenen ihre Geltung im Ganzen Haus durchsetzen: in der Face-to-Face-Kommunikation des alltäglichen Kontakts im Haus und auf dem Wege der Beobachtung durch die Nachbarschaft. Soziale Gruppen und Beziehungsformen II: Patronage und Freundschaft

Nach der Verwandtschaft als primärer, qua Geburt erworbener Grundform sozialer Beziehungen ist an zweiter Stelle die Patronage zu nennen. Bei Patron-Klient-Verhältnissen handelt es sich um ungleiche, informelle Sozialbeziehungen, die durch Reziprozität geprägt sind. Das bedeutet, dass die Beziehungsform der Patronage für beide Seiten verpflichtenden Charakters ist, wenn auch Art und Umfang dieser Verpflichtungen rollenabhängig sind: Der Klient wie der Patron sahen sich gleichermaßen unter Verpflichtungsdruck, aber die Erwartungen, worin diese Verpflichtungen bestehen, differieren zwischen ihnen. Patron-Klient-Beziehungen sind nach der Verwandtschaft die wohl am häufigsten anzutreffende soziale Beziehungsform der Frühen Neuzeit. Patronage und Verwandtschaft gingen ineinander über, denn auch innerfamiliäre Beziehungen waren überwiegend hierarchischer Natur, mithin von Ungleichheit geprägt. Die Beziehung eines Familienvorstands zu einem entfernten Verwandten konnte daher eher den Charakter eines Patronage- als den eines Verwandtschaftsverhältnisses annehmen. Gabentausch und das Prinzip der Reziprozität stellen in praxeologischer Perspektive den Kern von Sozialbeziehungen dar. In Patron-Klient-Beziehungen treten sie vergleichsweise offensichtlich auf, doch auch Verwandtschaftsverhältnisse und Freundschaften sind von ihnen geprägt. Soziale Beziehungen können als fortlaufende Gabentauschketten angesehen werden. Der französische Sozialanthropologe Marcel Mauss hat mit seiner Theorie des Gabentauschs einen bis heute sehr intensiv rezipierten Ansatz vorgelegt, der kultur- und ­zeitübergreifend 205 H.-R. Schmidt: Hausväter. 206 Eibach: Haus.

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anwendbar ist. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Beobachtung, dass der Austausch von Gaben in vielen Kulturen dem Schein nach freiwillig, tatsächlich jedoch streng obligatorisch ist. Eine Gabe anzunehmen bringt die Verpflichtung mit sich, diese zu erwidern. „Gabe“ ist dabei als ein sehr weiter Begriff zu verstehen, der sehr unterschiedliche Ressourcen betrifft. Gaben sind nicht nur materielle Geschenke, die zu bestimmten Anlässen überreicht werden. Vielmehr umfasst dieser Begriff auch Bekundungen von Höflichkeit und Anteilnahme, Gesten, kommunikative Akte wie das Schreiben und Versenden eines Briefes, die Abstattung eines Besuchs, eine Einladung, Gastlichkeit oder die Bekundung von Vertrauen.207 Etwas zu geben bedeutet, dem Gegenüber zu kommunizieren, dass man Vertrauen in ihn setzt und damit in eine Beziehung mit ihm tritt, deren Aufrechterhaltung sich im fortlaufenden Gabentausch ausdrückt. Das gebende ego setzt das beschenkte alter damit einem „sanften Zwang“ aus. Entsteht auf diese Weise eine Gabentauschkette, entwickelt sich zwischen den Beteiligten Vertrauen im Sinne der positiven Zukunftserwartung, dass sich der jeweils andere auch in Zukunft an seine Verpflichtungen halten werde.208 Eine durch Gabentausch angebahnte Beziehung zwischen zwei Personen wird so zu einer Bindung, die aufrechtzuerhalten schließlich einen Wert an sich darstellt und als Treue wahrgenommen wird. Bindungen konnten auf diese Weise derart gefestigt werden, dass die Beteiligten ihren Fortbestand als vollkommen selbstverständlich erachten. Dies gilt umso mehr, als die Aufrechterhaltung einer langfristigen Beziehung der Ehre der Beteiligten zuträglich war. Patronage war insoweit auf Dauerhaftigkeit angelegt und konnte sogar vererbt werden – etwa wenn sich der Erbsohn den Klienten seines Vaters nach dessen Tod genauso verpflichtet fühlte wie der Verstorbene und die Klienten ihn als neuen Patron betrachteten.209 Auch wenn der Patron mehr in den Gabentausch einspeist, als der Klient zurückzugeben in der Lage ist, so sind doch beide sozialen Positionen ehrenhaft und ist der Klient nicht der Erwartung ausgesetzt, mit dem Niveau der Gaben des Patrons mitzuhalten. Ganz im Gegenteil darf er gerade dies nicht tun, weil er damit die Position des Patrons in Frage stellen würde. Beide unterstehen demnach gleichermaßen der Pflicht zu geben, wenn auch der Wert der zu leistenden Gaben differiert. Patronage stellte gewissermaßen die informelle Seite der hierarchischen Gesellschaftsordnung der Frühen Neuzeit dar und stabilisierte sie. Der Patron bekräftigt durch großzügiges Geben seinen Rang, während dem weniger potenten Klienten die Möglichkeit bleibt, seine Ehre durch Erfüllung seiner untergeordneten, aber reputablen Rolle zu mehren und damit der ­Kliententugend 207 Mauss: Gabe. 208 Berking: Schenken, 52 ff.; Eisenstadt/Roniger: Patrons, 30 und 53; Hannig: Ars donandi. 209 v. Thiessen: Vertrauen.

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der Treue und Loyalität zu entsprechen – und von den Ressourcen des Patrons zu profitieren.210 Es liegt nahe, die Frage zu stellen, wie stark die Bindung zwischen Patron und Klient einzuschätzen ist und ob sie eher als emotionale Nahbeziehung oder als Interessenverbund zu werten ist, auch im Vergleich zur Beziehungskategorie Verwandtschaft. Der französische Historiker Roland Mousnier interpretiert Patro­nagebeziehungen der Frühen Neuzeit, die er als informelles Erbe der ­mittelalterlichen Feudalbeziehungen ansieht, als stark emotional aufgeladene Bindungen. Sie hätten sich durch ausgeprägte Empfindungen von Treue und gegenseitiger Verpflichtung ausgezeichnet.211 Sharon Kettering hingegen erachtet diese Deutung als zu idealistisch. Patronage könne nicht auf eine emotionale Bindung reduziert werden, sondern habe vor allem den Interessen der Beteiligten, denen des Patrons wie denen des Klienten gedient.212 Heiko Droste wiederum bezweifelt, dass von einem weitgehenden und auf grundsätzlichem Konsens beruhenden Interessenausgleich zwischen Patron und Klient die Rede sein könne. Vielmehr hätten beide Seiten versucht, für ihre jeweiligen Ziele und Bedürfnisse die andere Seite auf deren Kosten einzuspannen. Aufgrund der dabei aufkommenden Interessenkonflikte seien Patronagebeziehungen im Vergleich zu Verwandtschaftsbeziehungen instabiler und konfliktgeladener.213 Tatsächlich sind viele Fälle dokumentiert, in denen Klienten Patrone wechselten (patron switching), Mehrfachbindungen zu verschiedenen Patronen eingingen und diese gegeneinander auszuspielen suchten. Auf sie und die mit ihnen verbundenen Normenkonflikte wird im Teil zur Fürstengesellschaft zurückzukommen sein. Letztlich lässt sich bei der Analyse frühneuzeitlicher Patronagebeziehungen emotionale Bindung nicht gegen die Verfolgung von Interessen ausspielen – man findet für beides zahlreiche Beispiele. Die in Briefen zwischen Patron und Klient verwendete Sprache der Patronage zeichnet sich durch eine sehr gefühlsbetonte Wortwahl aus – Klienten überschlugen sich ihrem Patron gegenüber vor Dankbarkeit für erhaltene Gaben und bekundeten ihre Treue bis in den Tod; Patrone versicherten umgekehrt ihren Klienten, wie sehr deren Schutz und Wohlergehen ihnen am Herzen liege. Irritierend erscheint allerdings, dass sich derartige Äußerungen auch zwischen Personen finden, die sich nie begegnet waren und nicht viel voneinander wussten.214 Die Sprache der Patronage deshalb einfach als Heuchelei abzutun, wäre jedoch überzogen. Vielmehr drückte sie aus, dass beide Seiten gewillt waren, sich im Grundsatz an die mit Patronage verbundenen Regeln zu 210 Berking: Schenken, 71 ff. und 85 ff. 211 Mousnier: Fidélités. 212 Kettering: Patrons, 18 ff. 213 Droste: Erziehung, 28. 214 Emich et al.: Stand, 239 ff.; vgl. auch dies.: Staatsbildung, 34.

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halten. Und sie beeinflusste das Handeln der Akteure in Patronagebeziehungen, denn sie band sie an die mit der Patronage verbundenen sozialen Normen und bettete hierarchische Beziehungen in einen Verhaltenscode ein, der für beide Seiten Verpflichtungen mit sich brachte und ihrer Ehre zuträglich war. Wenn ein Klient inbrünstig bekundete, auch sein Leben für den Patron einzusetzen, bedeutete dies nicht, dass er tatsächlich in den Tod zu gehen beabsichtigte, sondern dass er sich seiner Rolle als Klient bewusst war und vom Patron ebenfalls rollengemäßes Verhalten erwartete. Angebote von Klienten an ihren Patron und Beschwörungen der Treue waren im Sinne einer Mentalität der Reziprozität damit immer auch Ausdruck von Verhaltenserwartungen an den Patron.215 Patronage konnte durchaus mit Emotionen und starken Gefühlen sozialer Bindung verbunden sein, sie musste es aber nicht. Sie konnte ebenso zur Durchsetzung von Interessen oder zur Gestaltung eines Hierarchieverhältnisses genutzt werden, das nicht durch besondere personale Nähe gekennzeichnet war. Entscheidend ist, dass Patronage als ein Set sozialer Regeln die ungleichen Beziehungen in der Ständegesellschaft an einen Wertehorizont band, sie somit stabilisierte und ein mehr oder weniger weitreichendes Vertrauen zwischen den Beteiligten herstellte. Patronage war eine außerordentlich flexibel einsetzbare Beziehungsform, die in vielen Zusammenhängen und auf sehr unterschied­lichen Handlungsfeldern frühneuzeitlicher Gesellschaften zu finden ist. Sie war beispielsweise ein Mittel, Akteure in der Peripherie an soziopolitische Zentren wie Höfe und Verwaltungen zu binden und lokale Interessen an die Orte der politischen Entscheidungsfindung zu tragen.216 Patronage bot auch die Gelegenheit, adlige Freigebigkeit zu inszenieren 217 oder die lokale Macht von Adligen durch Mobilisierung ihrer Klientel zu demonstrieren 218. Sie war geeignet, die Integration von Territorien in einen Herrschaftsverband voranzutreiben 219 und soziale Ungleichheit erträglich, ja sogar der Ehre der Beteiligten zuträglich zu gestalten. Schon allein diese Aufzählung macht deutlich, dass Patronage vielfach in Feldern auftrat, die nicht nur von sozialen Normen bestimmt waren, sondern auch von gemeinwohlorientierten. Besonders deutlich wird dies, wenn sich das formale Verhältnis zwischen Fürst und Untertanen mit den informellen sozialen Logiken der Patronage vermischte. Dann konnte, wie bereits im Kapitel zu den gemeinwohlorientierten Normen angedeutet, der Anspruch des Fürsten untergraben werden, sozial unverpflichtbar außerhalb des Gabentausches zu stehen und nur „Gnaden“ zu gewähren, mithin Gunstbezeugungen, die außerhalb der 215 Herman: Language; Mauelshagen: Netzwerke. 216 Kettering: Brokerage; Rowlands: Patronage, 81; Windler: Städte. 217 Davis: Gesellschaft, 29 ff.; Neuschel: Word, 198. 218 Kettering: Clientage; Kühner: Selbstinszenierung. 219 Emich: Integration.

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do-ut-des-Logik standen.220 Die Bindung der Untertanen an ihren Herrscher kann als eine Kombination von Herrschafts- und Patronageverhältnis verstanden werden. Über die Inszenierung des Fürsten als Landesvater wurde auch eine Analogie zu einem Verwandtschaftsverhältnis hergestellt. Über die sozialen Beziehungsformen wurde der Fürst in reziproke Verpflichtungslogiken eingebunden. Der Fürstenstaat der Frühen Neuzeit basierte somit auch auf sozialen Handlungserwartungen. Noch schillernder als die Patronage ist eine weitere Beziehungsform, die Freundschaft. Nach der Einteilung von Wolfgang Reinhard, der vier verschiedene soziale Verflechtungsformen unterscheidet (Verwandtschaft, Patronage, Freundschaft, Landsmannschaft), besteht der wesentliche Unterschied zwischen Freundschaft und Patronage darin, dass Erstere gleichrangige, Letztere vertikale Beziehungen betrifft.221 Gleichrangigkeit war allerdings ein in der hierarchisch gedachten Ständegesellschaft selten anzutreffendes oder doch in vielen Fällen prekäres Phänomen. Zeitgenossen der Frühen Neuzeit waren eher bereit, Rangunterschiede wahrzunehmen als Ranggleichheiten anzuerkennen. Selbst auf sozialen Feldern, in denen ein Ideal von Gleichheit bestand, finden sich mehr oder weniger verborgene Hierarchien. Das gilt etwa für die „Gelehrtenrepublik“, die fiktive Gemeinschaft der Gelehrten, die sich kommunikativ über den Austausch von Wissen, Naturalien und Artefakten organisierte und der das Ideal der Gleichheit der am gelehrten Diskurs Beteiligten zugrunde lag.222 Doch trotz aller Bekundungen von Freundschaft und Ebenbürtigkeit war gerade die res publica litteraria ein Handlungsfeld, auf dem um Rang und Ansehen gerungen wurde. Die Gleichheit war eine Fiktion, hinter der sich zahlreiche Abhängigkeiten verbargen, die bei den Netzwerken großer Patrone der Gelehrtenwelt wie Leibniz nicht selten offensichtlich wurden.223 Anders als Patronage war der Begriff Freundschaft bzw. amicitia in der Frühen Neuzeit bereits geläufig und wurde auch literarisch reflektiert. Dabei schlossen frühneuzeitliche Traktatschreiber an die antike Debatte an. Freundschaft war, um zwei besonders herausragende Beispiele zu nennen, bereits in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles und in Ciceros Laelius sive de amicitia behandelt worden. Beide unterschieden die „wahre“, ideell aufgeladene Form der Freundschaft, die auf gegenseitiger individuell-personaler Wertschätzung und Verbundenheit beruhe, von der alltäglichen und pragmatischen Zweckfreundschaft, die auf dem Reziprozitätsprinzip gegenseitiger Erwartungen basiere.224 Die zweite Variante kann, 220 Droste: Im Dienst der Krone, 277 f.; Engels: Königsbilder, 21 ff.; Peck: Patronage, 14. 221 Reinhard: Freunde und Kreaturen. „Verflechtung“. 222 Füssel: Gelehrtenkultur, 8; Mauelshagen: Netzwerke, 119. 223 Gädeke: Leibniz; Goldgar: Impolite Learning, 3. 224 Garnier: Amicus, 3.

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dem Modell Reinhards folgend, als horizontale Variante der Patronage gelten. Adlige Denker des 16. Jahrhunderts wie Michel de Montaigne und Baldassare Castiglione griffen diese Unterscheidung auf und äußerten sich überzeugt, dass die Zweckfreundschaft die alltägliche Variante darstelle, hingegen die „wahre“ und innige, von einem Gleichklang zweier Seelen bestimmte Freundschaft nur äußerst selten, wenn überhaupt anzutreffen sei.225 Vollkommen abgekoppelt vom Gabentauschdenken war indes auch die idealisierte Variante der Renaissance nicht; auch innige Freundschaft bedurfte des Austausches von Gaben als Zeichen der Zuneigung.226 Dass es unterschiedliche Freundschaftsvorstellungen gab und der Begriff vieldeutig war, machte ihn gerade attraktiv. Eine Person als Freund zu adressieren, war ein performativer Akt, der eine soziale Beziehung an allerdings vage bleibende Werte band. Welche konkreten Handlungserwartungen damit verbunden waren, war noch weniger klar als in Patronagebeziehungen. Diese Vagheit machte den Begriff auch in ungleichen Beziehungen einsetzbar; die Verwendung des Begriffs Freund in Quellen ist somit nicht unbedingt ein Hinweis auf eine horizontale Beziehung, wie Beispiele aus dem französischen und italienischen Adel zeigen. Dabei wurde der Begriff in der Regel nur in eine Richtung verwendet: Der Patron konnte einen Klienten auszeichnen oder ihm eine Geste besonderer Höflichkeit und Gunstbezeugung erweisen, indem er ihn als „Freund“ ansprach oder anschrieb. Umgekehrt wäre dies eine Anmaßung gewesen.227 Die Assoziation mit dem hochstehenden Ideal machte den Begriff für den Adel attraktiv, der zu der Vorstellung neigte, eine über interessenbasierten Gabentausch hinausgehende Freundschaft sei nur in seinen Reihen möglich. Der adlige Freundschaftsbegriff weist allerdings einen grundlegenden Unterschied zur idealisierten „wahren“ Freundschaft auf: Adlige amicitia basierte zum einen weniger auf Intimität als vielmehr auf Loyalität, und sie konnte auf den gesamten Familienverband ausgedehnt werden im Sinne einer generationenübergreifenden Freundschaft zwischen zwei adligen Häusern.228 Passagen und Stationen: Soziale Rollen und soziale Normen im Lebenslauf

Ein Lebenslauf in der Frühen Neuzeit umfasste im Regelfall mehrere grundlegende soziale Rollenwechsel. Die Erwartungen an ein ehrenhaftes und gottesfürchtiges Leben wandelten sich je nach Lebensalter und, damit zusammenhängend, sozialer Position. Auf diese Weise wurden jeder Lebensphase bestimmte Rechte und 225 Annoni: Amicizia, 472 ff.; Kühner: Freundschaft im französischen Adel, Abs. 4. 226 Davis: Gesellschaft, 32 ff. 227 Kühner: Politische Freundschaft, 115; Reinhard: Freunde und Kreaturen. Historische Anthropologie. 228 Kühner: Politische Freundschaft, 106 ff.

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Pflichten sowie dazu passende Verhaltensweisen zugeordnet. Das vormoderne Individuum durchlief in seinem Leben eine Sequenz von Zuständen, in denen es, je nach Geschlecht, Stand, Beruf und sozialem Umfeld bestimmte Positionen und damit verbundene Rollen einnahm. Zwischen diesen Phasen waren Übergänge und Wendepunkte zu meistern, die zum Teil mittels Riten bewältigt wurden, zum Teil eher implizit und fließend waren.229 Das Leben war durch „Passagen und Stationen“230 gekennzeichnet, beginnend mit der Geburt und der Taufe als erste rite de passage. Sie diente nicht nur dazu, das Neugeborene in die Gemeinschaft der Gläubigen aufzunehmen, sondern war auch eine unerlässliche Voraussetzung, einen anerkannten Platz in der sozialen Gemeinschaft zu erlangen.231 Die Wahl der Paten konnte zudem Patronagebeziehungen gleich schon zu Beginn des Lebens stiften.232 In der Kindheit trennten sich die Wege der geschlechts-, aber auch der standesspezifischen Lebensläufe. Die Erziehung von Mädchen war außerhalb des Adels in den meisten Fällen auf ihre zukünftigen Rollen im Haus ausgerichtet. Die deutlich höheren Alphabetisierungsraten von Jungen sprechen eine deutliche Sprache. Kinder auf dem Land und auch in städtischen Handwerkerhaushalten waren oft frühzeitig in die Arbeitsprozesse eingebunden, worunter die Schulbildung litt. Adlige Kinder hingegen – vor allem die männlichen – lernten Selbstkontrolle, wurden mit adlig-höfischen Verhaltenskodizes vertraut gemacht und erhielten eine im Idealfall breitangelegte Bildung vermittelt, an der nicht selten auch Mädchen teilhatten.233 Der Übergang in die Jugend war zumeist fließend, die gleichwohl bei männlichen Heranwachsenden mitunter mit Übergangsriten eingeleitet oder in verschiedene Teilphasen gegliedert wurde. Auf dem Land fand oft eine rituelle Aufnahme in die örtliche Gruppe werdender bzw. junger Männer statt, oft in Anlehnung an Bräuche aus dem Handwerk. Auch die Aufnahme in die örtliche Gesellenschaft war mit derartigen Ritualen verbunden, die sich ähnlich zudem bei Studenten finden. Die Jugendphase des männlichen Geschlechts, vor allem die Gesellen- und Studienzeit, stellte einen liminalen Zeitabschnitt dar, in dem die Jugendlichen ein Stück weit neben der Normenordnung standen bzw. in dem sie diese regelmäßig übertraten, ohne sie damit aber grundsätzlich anzugreifen. Für männliche Jugendliche war der Lebensabschnitt zwischen Geschlechtsreife und Verheiratung von einer Gewaltkultur gekennzeichnet. Diese war aber in der Regel nicht zügellos – auch wenn Ältere dies bisweilen durchaus so empfanden –, sondern Ausdruck einer hochgradig normativen geschlechtsspezifischen „Jugendkultur“ 229 Gukenbiehl/Kopp: Alter, 20; Kohli: Lebenslauf, 157 f. 230 v. Greyerz: Passagen. 231 v. Greyerz: Passagen, 67 f. 232 Alfani: Allianzen. 233 v. Greyerz: Passagen, 75 ff.; MacHardy: Capital, 43 ff.

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und zum Teil stark ritualisiert. In keinem anderen Lebensalter war der Druck, auf Herausforderungen gewaltförmig zu reagieren, so groß wie in dieser Phase. Denn es ging darum, die Stellung in der Peergroup zu halten. Barbara Krug-Richter hat dieses Muster als „fragile Männlichkeit“ bezeichnet.234 Die adoleszente Gewaltkultur wurde demnach in einer Weise kanalisiert, dass sie den Normenhorizont der Gesellschaft zwar scheinbar herausforderte, tatsächlich aber insgesamt stabilisierte. Jugendgruppen wachten über die lokale normative Ordnung, bedienten sich dabei aber Mittel, die eigentlich als deviantes Verhalten anzusehen waren. Sie achteten einerseits darauf, dass ihre Mitglieder sich den Gruppennormen entsprechend verhielten, also Bräuche der Geselligkeit, ausgedrückt nicht zuletzt durch die Trinkkultur, pflegten und die Grenzen des erlaubten Sexualverhaltens einhielten. Mehr oder weniger organisierte Schlägereien mit den männlichen Jugendlichen anderer Dörfer – zum Beispiel auf Kirchweihfesten – und gemeinsam durchgeführte Streiche stärkten das Zusammengehörigkeitsgefühl und die lokale Identität. Gemeinsam begangene Devianz hatte also auch in diesen Fällen eine sozial stabilisierende Funktion. Darüber hinaus aber traten sie als „kommunales Gewissen“ auf.235 Als Träger der bereits geschilderten Rügebräuche prangerten sie in dieser Rolle lokale Normübertreter rituell öffentlich an, und zwar vor allem solche, die ihre Rolle in der Familie missachteten. Dabei handelte es sich beispielsweise um gewalttätige Ehemänner und dominante Ehefrauen. Besonderen Anstoß erregten bei den Jugendlichen Ehen, bei denen der Altersabstand der Verheirateten sehr groß war, denn wenn ältere Männer jüngere Frauen heirateten, engten sie den Heiratsmarkt für die Adoleszenten ein. Aus ähnlichen Gründen wurden auch unverheiratete Frauen, wenn sie eine gewisse Altersgrenze überschritten, rituell verspottet.236 Im städtischen Raum waren die Jugendgruppen ausdifferenzierter und ihre gemeinsame Rolle als lokales Gewissen war weniger eindeutig. Ein bedeutender Unterschied zum Land war die größere Mobilität, wenn Gesellen auf Wanderschaft gingen und dabei in der Regel weiter herumkamen als Knechte und Mägde. Handwerksgesellen bildeten oft Bruderschaften, die teils in Konkurrenz zueinander standen, teils aber auch gemeinsam auftraten und ein städtisches Unruhepotenzial bildeten, das von Obrigkeiten gefürchtet wurde. Diese betrachteten Vergemeinschaftungen von Gesellen als potenzielle Gefahr für die öffentliche Ordnung, zumal sich Gesellenproteste in vielen Fällen an obrigkeitlichen Maßnahmen entzündeten oder eine Aufforderung an den Rat darstellten, in bestimmter Weise zu handeln. Dabei ging es den Gesellen gemeinhin keineswegs um den Umsturz der herkömmlichen Ordnung; sie verteidigten sie vielmehr. So traten 234 Krug-Richter: Konflikte, 265. 235 Eibach: Haus, 86. 236 Davis: Reasons; v. Greyerz: Passagen, 111 ff.; Mitterauer: Sozialgeschichte, 165 f.

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sie für die Rechte der Zünfte ein – was sie ab dem späten 17. Jahrhundert häufig mit der kommunalen Wirtschaftspolitik in Konflikt brachte –, verteidigten die Vorstellung von der standesgemäßen Nahrung gegen wirtschaftliches Wachstumsdenken und rügten auch religiöse Abweichungen.237 Der Raum der Stadt war sozial, wirtschaftlich und politisch ab einer gewissen Größe und wirtschaftlichen Bedeutung zu ausdifferenziert, als dass er, wie auf dem Land, von einer Jugendgruppe repräsentiert werden konnte, die soziale und gemeinwohlorientierte Normen gewissermaßen als deckungsgleich ansah. Damit manifestierten sich in Gesellenunruhen oft innerstädtische Konflikte und konnten die Gesellen nicht unbedingt auf das weitgehende stillschweigende Einverständnis der Älteren bauen, wie es in der Regel im Dorf der Fall war. Besonders komplex war die Situation in Universitätsstädten, in denen die Studenten eigene Jugendgruppen bildeten, die oft in Rivalität zu den Gesellen standen und deren deviantes Verhalten sehr zum Verdruss der städtischen Justiz durch ihre Zugehörigkeit zum Rechtsraum der Universität begünstigt wurde.238 Die Normenhorizonte der Geschlechter klafften in der Adoleszenzphase besonders weit auseinander. Im Gegensatz zum offensiven Auftreten der werdenden Männer war für ihre Altersgenossinnen Passivität ein Verhaltensideal, und dies vor allem in sexueller Hinsicht: Jungfräulichkeit bis wenigstens kurz vor der Heirat stellte ihr wichtigstes symbolisches Kapital dar, das zu bewahren entscheidend für ihre Stellung auf dem Heiratsmarkt war.239 Trotz des Auseinanderdriftens der Normenhorizonte zwischen den Geschlechtern in der Jugendphase entstanden damit keineswegs inkompatible Jugendkulturen, sondern vielmehr komplementäre. So kamen vor allem auf dem Land beide Geschlechter bei Feierabendbräuchen, die oft von unverheirateten Frauen organisiert wurden, zusammen. Diese Spinnoder Lichtstuben und Tanzveranstaltungen dienten der Organisation und auch Überwachung der Werbung und bereiteten damit den Übergang in die nächste Lebensphase vor.240 Während bei jungen Frauen das Ideal der Jungfräulichkeit und die Phase der Werbung trotz der verfeinerten Vergesellschaftungsformen des Adels ständeübergreifend im Grunde vergleichbar waren – adlige Frauen heirateten allerdings im Durchschnitt deutlich früher –, war die Jugendphase junger männlicher Adliger im Laufe der Frühen Neuzeit zunehmend durch eine standesspezifische Form der Mobilität bestimmt. Die Kavalierstour, die zunehmend zum Standard für junge adlige Männer wurde, deren Familien sich dies leisten konnten, führte diese über einen längeren Zeitraum in die Fremde, zumeist unter anderem nach Italien, an Höfe, Universitäten und Akademien. Ihr Zweck 237 v. Greyerz: Passagen, 124 ff. 238 Siebenhüner: Zechen. 239 v. Greyerz: Passagen, 141. 240 Medick: Spinnstuben; Mitterauer: Sozialgeschichte, 171 ff. und 187 ff.

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lag in der Erweiterung der Bildung, vor allem in den Bereichen Architektur und Sprachen, der Verfeinerung der Manieren, der Kenntnis der verschiedenen Varianten europäischer Adelskultur und der Knüpfung oder Bestätigung sozialer Beziehungen. Die jungen Männer, die oft in kleinen Reisegruppen unter Aufsicht eines Tutors unterwegs waren, besuchten befreundete Familien, schlossen unterwegs Freundschaften und dienten mitunter auch für einige Zeit als Pagen an einem fremden Hof, was eine Patronagebeziehung zu dem dortigen Fürsten oder zu führenden Personen der Hofgesellschaft anbahnen konnte. Es ging mit anderen Worten um den Erwerb sozialen Beziehungskapitals. Die Grand Tour war einerseits eine Zeit gewisser Freiheit, wenn die jungen Männer in der Ferne, weitab von der Kontrolle ihrer Familie und der Beobachtung durch die lokale Adelsgesellschaft unterwegs waren und zum Beispiel sexuelle Erfahrungen sammelten, andererseits aber auch eine Zeit der Prägung und Disziplinierung, etwa durch die Eingliederung in das Leben an fremden Höfen.241 Deutlicher als der Beginn der Jugendphase war der Eintritt in das Erwachsenenalter rituell markiert: mit der Heirat. Um volle gesellschaftliche Anerkennung im Leben zu erreichen, war die Verheiratung unerlässliche Voraussetzung, solange man nicht den Weg der geistlichen Berufung einschlug und Priester, Mönch, Nonne oder Stiftsdame wurde. Ehelosigkeit war in der „Welt“ verpönt, und die Ehe war der einzige Ort legitimer Sexualität, von unmittelbar vorehelichem Geschlechtsverkehr einmal abgesehen. Dieser war, wenn er von einem Eheversprechen begleitet war, sozial, wenn auch nicht kirchlich akzeptiert. Als ausgewachsener Mensch in der „Welt“ unverheiratet zu bleiben, bedeutete, die Jugendphase nie vollständig abzuschließen. Erst mit der Ehe traten die jungen Leute aus dem Rechtsbereich des Hauses ihrer Eltern heraus. Die Eheschließung als kirchlicher Ritus und die Hochzeitsfeier einschließlich der Hochzeitsnacht oder des unmittelbar vorehelichen Beischlafs als sozialer Ritus des Übergangs situierten die Verheirateten folglich in der Rechts- und Sozialordnung neu. Sie wurden in die sozialen Positionen des Arbeitspaares eingesetzt, womit sich ihr Normenhorizont grundlegend veränderte. Mit der Ehe endete die liminale Phase der Normübertretung der Männer und der Bewahrung der Jungfräulichkeit der Frauen. Eheleute waren Träger der Normenordnung, die sie durch ihr Verhalten und Auftreten repräsentierten und reproduzierten. Dieser Wandel drückte sich nicht zuletzt in der Kleidung aus, besonders auffällig bei Frauen mit dem Anlegen der Haube. Aber auch Männer änderten ihren Kleidungsstil, wie wir aus dem Trachtenbuch des Hauptbuchhalters Jacob Fuggers, Matthäus Schwarz (1497 – ca. 1574), wissen. Es beinhaltet über einhundert Porträts, die Schwarz von sich bis zu seinem 63. Lebensjahr anfertigen ließ und die ihn jeweils in ­unterschiedlicher 2 41 Conrads: Ritterakademien; Giese: Studenten; Kühner: Politische Freundschaft, 229 ff.; Leibetseder: Kavalierstour; ders.: Hand; Stannek: Brüder.

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Normative Zentrierung

Kleidung zeigen. Zweifellos waren seine intensive Beschäftigung mit Bekleidung und die Vielfalt seiner Garderode außergewöhnlich, doch passte er seinen Kleidungsstil als verheirateter Mann ganz den Konventionen an. Ließ er sich als Junggeselle oft in bunter und auffälliger, nicht selten aufreizender Kleidung darstellen, änderte sich dies schlagartig mit der Hochzeit. Mit der Entscheidung zur Heirat ließ er sich einen neuen Mantel anfertigen und bevorzugte fortan dunkle und gedeckte Kleidung, die an der spanischen Mode orientiert war. Er bildete damit seine soziale Rolle als Ehemann ab: Als Familienvater ließen ihm seine soziale Position und seine Ehre nicht mehr den vestimentären Spielraum, den er über die Kleidung in der Jugendphase ausgelebt hatte.242 Frauen traten, wenn sie im Kindbett lagen, in einen liminalen Zustand ein, der sie für Wochen außerhalb des Alltags und seiner Sozialbeziehungen setzte und in dem sie in der Regel nur Geschlechtsgenossinnen um sich hatten. Die Wiederaufnahme in die Gemeinschaft nach Ende der Kindbettzeit erfolgte oft in ritualisierter Form, wobei der erste Kirchgang der Mutter eine besondere Bedeutung hatte.243 Mit dem Alter veränderte sich der Normenhorizont erneut, mal fließend, mal unversehens. Im Gegensatz zu den vorhergehenden Phasen glich sich nun der Normenhorizont zwischen den Geschlechtern wieder an, denn Männer wie Frauen neigten in der letzten Lebensphase dazu, religiösen Normen mehr Beachtung als vorher zu schenken, auch wenn dies bei Frauen ausgeprägter gewesen zu sein scheint. Im Fall von Matthäus Schwarz geschah dies abrupt, und zwar nachdem er einen Schlaganfall erlitten hatte. Daraufhin richtete er seinen Kleidungsstil auf seine neue, auf das Ende des irdischen Lebens hin ausgerichtete Lebensweise aus: Die Farben seiner Kleidung wurden noch gedeckter, kombiniert aber auch mit weißen Elementen, die Glauben und Demut symbolisierten.244 An Wandlungen dieser Art manifestiert sich die in der Vormoderne noch weitgehend selbstverständliche Vorstellung von einer Zweiteilung des Lebenslaufs in einen irdischen und einen transzendenten Teil. Die Spätphase des irdischen Lebens diente der Vorbereitung auf den transzendenten, womit sich die normativen Prioritäten zugunsten religiöser Normen und mitunter einer gewissen Weltdistanz veränderten. Sie endete mit dem Tod – idealerweise, wie bereits dargelegt, dem guten Tod, der eine Hinwendung zu Gott bedeutete und das sterbende Individuum aus dem Wirkungsbereich der sozialen Normen entließ. Zusammenfassend ist bezüglich der sozialen Normen festzuhalten, dass sie als informelle Regeln des Zusammenlebens zweifellos epochenübergreifend eine hohe Bedeutung aufweisen, ihre Relevanz und Omnipräsenz mithin eine 242 U. Rublack: Dressing Up, 33 ff., vor allem 62 f. 243 v. Greyerz: Passagen, 47 ff. und 68. 244 U. Rublack: Dressing Up, 68 ff.

Soziale Normen

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­anthropologische Konstante darstellen. Sie wurden im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit keineswegs von den aufsteigenden gemeinwohlorientierten und religiösen Normen verdrängt, sondern gewannen gerade in Interaktion mit ihnen sogar eher noch an Bedeutung. Patronagebeziehungen etwa erreichten im Gefolge der Staatsbildung und der Ressourcenkonzentration in der Hand von Fürsten und adligen Eliten eine erhebliche Relevanz bei der Verteilung von Ressourcen und Bindung von Untertanen an die fürstliche Zentrale oder ihre regionalen Vertreter. Hinzu kommt, dass sich mit dem Wandel der Familienstrukturen und des Erbrechts im späten Mittelalter Rollenerwartungen an Mitglieder in patrilinearen Verwandtschaftsverbänden konkretisierten und ihre Befolgung deutlich energischer eingefordert wurde. Und schließlich sorgten die zunehmende Hierarchisierung und Ausdifferenzierung der Ständegesellschaft im 16. und 17. Jahrhundert dafür, dass Distinktionspraktiken essenzielle Bedeutung erlangten. Die an Stand, Geschlecht, Beruf und soziale Gruppe gebundene Stellung eines Akteurs im komplexen und komplexer werdenden Hierarchiesystem musste ebenso wie die daran gebundene individuelle Ehre stets aufs Neue performativ hergestellt werden. Damit entstand ein erheblicher sozialer Konkurrenzdruck, der es erforderte, über soziale Praktiken die eigene gesellschaftliche Stellung zu verteidigen. Besonders deutlich wird dies bei Ehrkonflikten. Auf dem Handlungsfeld der Ehre stellten soziale Normen einen Handlungsimperativ dar, den zu ignorieren Ausgrenzung und Verschlechterung der Lebenschancen bedeutete.

3. Normensysteme in Interaktion I: Glaube und Frömmigkeit im normativen Spannungsfeld der „Welt“ Nach der Vorstellung der einzelnen Normensysteme, ihrer Träger, ihrer Entwicklungsbedingungen und ihrer Vermittlungswege kommen wir nun zu Handlungsfeldern, auf denen Normen unterschiedlicher Herkunft gleichzeitig Gültigkeit beanspruchen konnten. Entscheidend dabei ist, dass einerseits Handlungserwartungen der drei Normensysteme an Autorität gewannen und konkretisiert wurden, es andererseits aber an Handlungsfeldern mangelte, in denen ein Normensystem exklusiv oder wenigstens vorrangig zur Geltung kam. So wurden schon um 1500 Dienstreglements für Behörden erstellt, die sach- und kriterienorientiertes Handeln ohne Ansehen der Person postulierten. Doch war ihr Innenleben faktisch weit weniger an dieser gemeinwohlorientierten „Schauseite“1 orientiert, sondern vielfach von sozialen Hierarchien, Rücksichten und Beziehungslogiken bestimmt. Mit den wachsenden Verwaltungen hatte sich somit das Handlungsfeld Behörde etabliert, in dem jedoch soziale und gemeinwohlorientierte Normen ebenfalls gültig waren. Die Frühe Neuzeit erscheint damit als ein Zeitalter, in dem Normensysteme und Handlungsfelder nicht aufeinander abgestimmt waren; die beiden Ebenen bildeten gewissermaßen zwei nicht zueinander passende Schablonen. Nicht anders im Fall der religiösen Normen: Selbst im Handlungsfeld Kloster hatten sie keine exklusive Gültigkeit (was allerdings bereits seit dem Hochmittelalter ein Grundproblem klösterlichen Lebens vieler Orden gewesen war), im Alltag kollidierten sie oder überlagerten sich ständig mit sozialen Normen und im Bereich der politischen Praxis mit gemeinwohlorientierten Handlungserwartungen. Doch Normenkonkurrenz bedeutet nicht, dass widersprüchliche Handlungserwartungen vor allem dysfunktionale Wirkungen entfalteten, indem sie Akteure in Entscheidungsnot brachten, Konflikte auslösten oder dauerhafte Spannungszustände hervorriefen. Normenkonkurrenz soll vielmehr verstanden werden als ein latenter Zustand im Sinne einer Konstellation, die durch den parallelen Aufstieg unterschiedlicher Normensysteme entstanden war, zwischen denen potenziell Konflikte aufkommen konnten und zuweilen auch ausbrachen. Nichtsdestoweniger konnten Normen unterschiedlicher Provenienz durchaus auch konfliktfrei koexistieren oder sich gegenseitig verstärken. Anhand des Kirchgangs ist dies eingangs dargestellt worden: Wenn der Besuch des Gottesdienstes nicht nur ein religiöses Gebot, sondern auch eine von der Nachbarschaft erwartete Selbstverständlichkeit (mithin: soziale Norm) ist, wird dies der Frequenz des Gottesdienstbesuchs dienlich sein und Akteure nicht in Entscheidungsnot bringen, ganz im Gegenteil. 1 Neumann: Ordnung.

Glaube und Frömmigkeit

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Derartige Normenkonvergenzen legen also Akteuren bestimmte Handlungsweisen sehr nahe. Es ist dann allerdings im Einzelfall schwer zu entscheiden, welchem Normensystem derartige Handlungserwartungen zuzurechnen sind – der Kirchgang als selbstverständlicher Teil des Sonntags muss ja gerade aufgrund dieser Verselbständlichung nicht unbedingt als religiös motivierte Handlungsweise gelten.2 Weiterhin ist zu beachten, dass selbst akute Normenkonflikte bisweilen eher Ausdruck einer „hintergründige[n] Komplementarität“ denn einer Rivalität sind.3 Korruptionsdebatten, die sich an der Wahrnehmung eines Übermaßes an Befolgung sozialer Handlungserwartungen im Handeln von Akteuren im Staatsdienst entzündeten, können auch als Ausdruck einer erfolgreichen Integration von Eliten in den Staatsdienst betrachtet werden. Und der Tatbestand, dass ein erheblicher Teil des Verwaltungspersonals an Vorgesetzte über Patron-Klient-Beziehungen gebunden war, mochte zwar die Entstehung einer rein sachrational arbeitenden Idealbürokratie behindern, sorgte aber für loyal arbeitendes Personal und erleichterte den Aufbau von Verwaltungsapparaten. Und schließlich konnten Konflikte über Normen auch erhebliche gesellschaftliche Dynamiken auslösen und zum Wunsch nach Disambiguierung von Widersprüchen führen; darauf wird bei der Behandlung von Korruptionsdebatten zurückzukommen sein. Um die aus der Grundkonstellation von Normenkonkurrenz hervorgehenden Widersprüche, Überlagerungen, Konflikte und Konvergenzen darzustellen, wird nun die Perspektive gewechselt. Nach der überblicksartigen Beschreibung abstrak­ ter, im Interesse der Analyse zu Systemen gebündelten Gruppen von Normen sollen nun Handlungsfelder identifiziert und beschrieben werden, auf denen die Normensysteme im Handeln der Akteure aufeinandertrafen. Es wird daher im Folgenden eine akteurszentrierte und mit Beispielen operierende Perspektive eingenommen. Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie die Akteure auf potenziell widersprüchlichen Handlungsfeldern agierten. Bedeutete die Konstellation von Normenkonkurrenz eine Erweiterung der Handlungsoptionen, zwischen denen situativ von Fall zu Fall gewechselt wurde, oder setzte sie Akteure vor allem unter Entscheidungsdruck? Denn sich im Fall der parallelen Gültigkeit verschiedener Normen für eine Handlungsoption zu entscheiden, bedeutete häufig auch, gegen andere Handlungserwartungen zu verstoßen und gegebenenfalls Sanktionen zu gewärtigen. Gerade solcher Druck konnte Aggregationsprozesse fördern, das heißt Handlungspfade nahelegen, um derartige Entscheidungskonflikte durch Standardisierung für die Zukunft zu entschärfen. Auf diese Weise würde auch normativer Wandel verstetigt werden. Angesichts der Ubiquität von latenter Normenkonkurrenz in der Frühen Neuzeit muss sich die Analyse und Beschreibung der Interaktion oder Kollision von 2 Vgl. Piltz/Schwerhoff: Religiöse Devianz, 26. 3 Grüne: Konsistenzerwartungen, 138.

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Normensysteme in Interaktion I

Normensystemen auf einige besonders aufschlussreiche und von der Forschung bereits gut dokumentierte Beispielsfelder beschränken. Drei solcher Beispielsfelder sollen im Folgenden zur Sprache kommen. Zunächst wird es um Religiosität in der „Welt“ gehen. Dabei wird zu klären sein, wie sich veränderte Standards von Frömmigkeit und religiös begründeter „Zucht“ im Handeln der Gläubigen zeigten und inwieweit sie soziale Normen veränderten oder sich an ihnen abschliffen. Neben der Reichweite der Kirchenzucht in den Alltag wird auch nach der identi­ tären Kraft der Konfessionen gefragt, und zwar vor allem anhand von Konversionen. Weiterhin wird ein Bereich behandelt, in dem soziale und religiöse (dazu mitunter auch gemeinwohlorientierte) Normen besonders spektakulär aufeinanderprallten: die Grabmalskultur und der Totenkult. Bekundungen des Glaubens und das Bedürfnis nach Repräsentation standen auf diesem Feld spannungsreich nebeneinander. Und schließlich wird es um das komplexe Verhältnis von Religion, Herrschaft und Politik gehen. Das dann folgende Kapitel widmet sich der „großen“ Politik, dem Mächtesystem und der Fürstengesellschaft. Diskutiert werden die normativen Verschränkungen zwischen einer zumindest in der Theorie als autonom gedachten Sphäre der Politik, den sozialen Handlungslogiken der Fürstengesellschaft und den religiös begründeten Konzepten universaler Herrschaft. Das anschließende Kapitel führt uns in den Arbeitsalltag der Fürstendiener in den wachsenden Verwaltungs- und Regierungsinstitutionen. Behandelt werden das Selbstverständnis von Eliten im Fürstendienst und die Frage, wie Amtsträger zu loyalem Handeln veranlasst werden konnten bzw. inwieweit sich ein Ethos der Amtsführung in Konkurrenz zu sozialen Erwartungen an Amtsträger etablieren konnte – und inwieweit dieses Spannungsfeld in Korruptionsdebatten thematisiert und verändert wurde.

Ist Gott verpflichtbar? In ihrer Biographie Maria Theresias beschreibt Barbara Stollberg-Rilinger das Verhältnis der Kaiserin zu ihrem Schöpfer als ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Gabentauschverhältnis. Mit gewisser Selbstverständlichkeit sei die habsbur­ gische Herrscherin davon ausgegangen, dass sie als Mitglied einer gottesfürchtigen Dynastie in göttlichem Auftrag handle. Gott selbst habe dem Haus Habsburg über Jahrhunderte Beistand geleistet und seinen Aufstieg ermöglicht. Den frommen Herrscher, der seine Stellung als göttlichen Auftrag verstehe, leite Gott an und verleihe diesem die Fähigkeit, sein Amt richtig auszuüben. Nach Überzeugung der Kaiserin griff Gott immer wieder in die Geschehnisse der Welt zu ihren Gunsten ein, gewährte ihr etwa nach der langen Phase der Prüfung des Österreichischen Erbfolgekrieges schlussendlich Waffenglück oder ließ Gegner ihrer Reformen gerade zur rechten Zeit sterben. Diese Zeichen göttlicher Gunst betrachtete die

Ist Gott verpflichtbar?

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Kaiserin – das ist der entscheidende Punkt – als verdient, denn schließlich trage ihre Regierung ja zur Steigerung des Ruhms des Allerhöchsten bei.4 Auf eine derartige Weise wurde die Beziehung der Gläubigen zur Sphäre des Transzendenten – entgegen der theologischen Grundpositionen aller Konfessionen – der Logik sozialer Beziehungen unterworfen. Und nicht nur die „einfachen“ Gläubigen, sondern auch das Oberhaupt einer Herrscherdynastie betrachtete Gott als letztlich in do-ut-des-Logiken eingebunden. Die Annahme, eine „rechenhafte Vergeltungserwartung“5 sei das Merkmal einer „Volksreligiosität“ der breiten Massen,6 ist angesichts der ständeübergreifenden Verbreitung dieser Vorstellungen nicht haltbar.7 „Vom Herrscherhaus bis zum Stallknecht, vom Gottesgelehrten bis zur Dienstmagd“ bestand religiöse Praxis vor allem aus drei Komponenten: Sicherung des Seelenheils, Hilfe für Alltagsprobleme und Gewinnung von Trost.8 Die beiden letztgenannten Funktionen betrafen Handlungsfelder des Alltags, in denen sich religiöse Normen im Spannungsfeld mit anderen Normen und sozialen Logiken befanden. Wenn nicht einmal die Vorstellung von der Allmacht Gottes und seiner Unverpflichtbarkeit gegenüber den Gläubigen konsequent durchzusetzen war und dies selbst bei den Spitzen der Gesellschaft kaum gelang, dann erscheint die Konstruktion einer Handlungssphäre des Glaubens, die von den profanen Regeln der „Welt“ unberührt war, praktisch unmöglich. Unter frühneuzeitlichen christlichen Theologen war das Konzept einer strikten Trennung zwischen dem Sakralen und dem Profanen häufig zu finden, stellt im interreligiösen Vergleich allerdings eine Ausnahme dar. Es ist weder dem vormodernen Islam eigen noch in dieser Schärfe in indischen, chinesischen und afrikanischen Kulturen zu finden.9 Im lateinchristlichen Europa hingegen baute sich mit dem Aufstieg der religiösen Normen und ihrer zunehmend energischen Einforderung, sei es über Ordensreformen, die Reformation oder die Konfessionalisierung, eine grundsätzliche Spannung zwischen theologisch begründeten Forderungen und der Alltagsgebundenheit von Religion auf. Frömmigkeit als praktizierte Religion war daher von Normenkonkurrenz gekennzeichnet, von Diskrepanzen zwischen den religiösen Bekenntnissen und theologischen Konzepten einerseits und der religiösen Praxis andererseits. Der theologische Sakralitätsdiskurs war zwar verfügbar und wurde von Geistlichen gegen Profanisierungstendenzen oder zur 4 Stollberg-Rilinger: Maria Theresia, 219. 5 Freitag: Volks- und Elitenfrömmigkeit, 282. 6 Freitag: Volks- und Elitenfrömmigkeit, 25 f. und 290 ff.; Hsia: Sakralisierung, 57 f.; vgl. auch Weiss: Volkskunde, 305 ff.; Weiss spricht von „brauchmäßig geregelte[n] Beziehungen zu Gott“ (305). 7 Schreiner: Laienfrömmigkeit, 27 ff. 8 Brückner: Neuorganisation, 7 f. 9 Matthes: Was ist anders an anderen Religionen?, 22.

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Normensysteme in Interaktion I

Betonung ihrer Abgrenzung von der „Welt“ angeführt, doch auf der Ebene der Alltagsreligiosität der großen Mehrheit der Gläubigen und selbst von Geistlichen dominierte statt religiös-konfessioneller Reinheit Normenkonkurrenz. Dies ist nun an Beispielen darzulegen. Zu betonen ist vorweg, dass Normenkonkurrenz im religiösen Handlungsfeld zwar im Prinzip ein konfessionsübergreifendes Phäno­men darstellte, jedoch erhebliche Unterschiede zwischen den Konfessionen festzustellen sind. Die katholische Konzeption der Kirche als Vermittlerin des Heils, in der die Ebene des Transzendenten für die Gläubigen über den Empfang von Sakramenten und die Anrufung von Heiligen im Gebet kommunikativ relativ leicht erreichbar war, bot mehr Anlass für Gabentauschsituationen und do-ut-des-Denken, als dies bei anderen Konfessionen der Fall war. So stand der unnahbare Allmächtige, wie ihn der Calvinismus imaginierte, weit weniger in Sozialbeziehungen mit den Gläubigen als die fürsorgliche Gottesmutter. Bei den nun zu diskutierenden Beispielsfeldern wird daher auch der konfessionelle Aspekt zu beachten sein.

Zucht und Moral Der Reinheitsdiskurs der Konfessionen zielte auf die Veränderung des Alltagsverhaltens. Andreas Holzem hat, ausgehend vom Beispiel des Fürstbistums M ­ ünster, ein Mehrphasenmodell der (katholischen) Konfessionalisierung vorgeschlagen. Demnach sei zunächst, vom Ende des 16. bis zum 17. Jahrhundert, eine „Multiplikatorengeneration“ herangewachsen, die auf eine Verchristlichung des Lebens gezielt habe. Sexualität, Vorstellungen vom angemessenen Verhalten im Kirchen­ raum und generell an kirchlichen Feiertagen sowie die Zurückdrängung magischer Praktiken seien die Kernpunkte gewesen. Auf lange Sicht habe dieses Vorhaben tatsächlich einen kulturellen Wandel herbeigeführt, sodass eine Reihe von religiösen Verhaltenserwartungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts schließlich breite Akzeptanz gefunden hätten. Regelmäßig und tatsächlich für die ganze Dauer des Gottesdienstes in die Kirche zu gehen und sich dort in angemessener Weise ehrfurchtsvoll zu verhalten, wurde nun, wie bereits erläutert, als selbstverständlich erachtet; das „Dorfauge“ bzw. die nachbarschaftliche Öffentlichkeit wachte über die Einhaltung dieser Handlungserwartungen. Eine religiöse Verehrungshandlung war damit gleichzeitig eine soziale Norm geworden; diese Überlagerung zweier Normensysteme verstärkte die Verbindlichkeit der entsprechenden Handlungserwartungen und verselbständlichte sie bis hin zur Habitualisierung: „Man“ geht unhinterfragt am Sonntag in die Kirche. Diese normative Verschmelzung war nach Holzem im frühen 18. Jahrhundert weitgehend abgeschlossen. Die Konfessionalisierung ist demnach als ein allmählicher Akkulturationsprozess zu werten, der Verhaltensmaßstäbe verschob. Allerdings betont auch Holzem, dass

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diese Verchristlichungstendenzen ihre Grenzen hatten. Zum einen seien sie äußerlich geblieben – ein grundsätzlicher Wandel des Verhältnisses der Gläubigen zur Sphäre des Religiösen sei nicht nachweisbar. Dieser Befund korrespondiert mit der bereits eingangs geschilderten unbefangenen Einordnung Gottes oder Heiligen in do-ut-des-Verhältnisse mit den Gläubigen. Die Verschmelzung religiöser und sozialer Normen mochte also die Autorität bestimmter Handlungserwartungen stärken, sie sorgte aber auch dafür, dass die Gläubigen keine abgetrennte Sphäre des Sakralen wahrnahmen.10 Zum anderen stieß die Verchristlichung der Gesellschaft aber auch an G ­ renzen, wenn sie die Logiken des Zusammenlebens oder ihre ökonomische Grundlage berührte. Dann erwiesen sich nicht selten soziale Normen oder wirtschaftliche Interessen als stärker. Dies gilt zum Beispiel für den Bereich der Sexualität. Die Kirchen forderten eine scharfe Trennung zwischen gebotener Zucht und zu bekämpfender Unzucht. Dabei ging es um die Veränderungen der Vorstellung von „Moral“, mithin der gesellschaftlichen Bewertung von bestimmten Verhaltensweisen vor dem Hintergrund religiöser Normen.11 Tatsächlich waren auf dem Handlungsfeld der Sexualität zumindest im 16. Jahrhundert religiöse und soziale Normen nicht deckungsgleich; dieser Umstand war Kirchenvertretern durchaus bewusst. Dies betraf vor allem die nichtgenerative und die außer- bzw. voreheliche Sexualität. Während wir über die gesellschaftliche Bewertung von Masturbation in der Frühen Neuzeit relativ wenig wissen,12 sieht es bei der vorehelichen Sexualität anders aus. Allein schon aus ökonomischen Gründen war eine Schwangerschaft ohne Heiratsversprechen riskant und wurde daher in der Regel nicht akzeptiert. Denn die Mutter hatte ihr Kind zu versorgen, und dies war in sozial akzeptierter Weise nur dann möglich, wenn sie über eine „Stelle“ verfügte, das heißt, wenn sie als verheiratete Frau einem Haushalt angehörte, dessen Einkommen ihr die Mutterrolle wirtschaftlich erlaubte. Dieses Prinzip des European Marriage Pattern machte die Heirat von sozioökonomischen Rahmenbedingungen abhängig, wodurch das Heiratsalter relativ hoch und die Phase legitimer Reproduktion begrenzt war.13 Darüber hinaus wurde die voreheliche Schwangerschaft von Dorfgemeinschaften und Nachbarschaften oft dann akzeptiert, wenn die Beteiligten anschließend heirateten und die Ehe dann ökonomisch tragfähig war. Vorehelicher Beischlaf galt zudem als legitime Form von Brautwerbung. War der Mann allerdings nicht bereit, die von ihm erwarteten Konsequenzen einer vorehelichen Vaterschaft zu ziehen, musste er soziale Ausgrenzung ebenso wie gerichtliche Verfolgung befürchten. Die derart schwanger gewordenen Frauen standen allerdings 10 Holzem: Katholische Konfessionalisierung, 268 ff. 11 Loetz: Probleme, 207. 12 Loetz: Probleme, 228 f. 13 Mitterauer: Grundtypen, 83 f.

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vor einem gravierenderen Problem, galt doch ihre an die Jungfräulichkeit gebundene Ehre als befleckt.14 Alles in allem waren ökonomische Faktoren auf diesem Feld die entscheidenden und blieben dies auch, wie Forschungen zur Sexualität in der Frühen Neuzeit nahelegen, ungeachtet der konfessionsübergreifend geäußerten kirchlichen Kritik an einer derart ökonomisch bestimmten Sexualmoral.15 Dass auf diesem Feld eine Veränderung sozialer Normen im Sinne der Konfessionskirchen weitgehend ausblieb, ist auch darauf zurückzuführen, dass die Kriminalisierung vorehelicher Sexualität nur relativ zaghaft implementiert wurde. Gerichte neigten oft dazu, es bei Strafandrohungen zu belassen und die Versorgung von Mutter und Kind sicherzustellen; sie bewegten sich damit weitgehend auf der gleichen Ebene wie die sozialen Gemeinschaften.16 Es gibt allerdings auch Beispiele dafür, dass weltliche Gerichte schon im späten 16. Jahrhundert von der Findung von Kompromissen zum Zweck der Sicherung des Lebensunterhalts der Beteiligten zu einer Moralisierung der sexuellen Unzucht übergingen und diese härter bestraften.17 Für das 18. Jahrhundert häufen sich diese Befunde, wie etwa die konsequente Verfolgung solcher Fälle in Zürich und Basel zeigt.18 Trotz einer Tendenz zur Einschränkung vorehelicher Sexualität im Sinne einer religiös motivierten Moralisierung blieben die herkömmlichen sozialen Normen auf diesem Gebiet dominant, weil sie eng mit den alltäglichen Überlebensnotwendigkeiten und der Stabilität der sozialen Ordnung verbunden waren. Auch die Prostitution erfreute sich in den meisten Ländern Europas trotz Kriminalisierung einer generellen gesellschaftlichen Duldung.19 Eine andere Durchschlagskraft religiöser Normen wäre bei der Zucht von Ordensleuten zu erwarten. Hier lässt sich tatsächlich ein Prozess der Disambiguierung feststellen. Ein interessantes Beispiel stellt die strengere Durchsetzung der klösterlichen Klausur in Münster in den Jahrzehnten nach dem Konzil von Trient dar, die Simone Laqua-O’Donnell untersucht hat. Die Bullen Circa pastoralis (Pius V., 1566) und De sacribus virginibus (Gregor XIII., 1572) konzentrierten die Reformbemühungen auf die Frauenklöster, bei denen auf die strenge Einhaltung der Klausur zu achten war, baulich wie in den täglichen Praktiken. Insbesondere war der Kontakt mit Männern weitgehend abzubrechen.20 Während in den meisten männlichen Ordenszweigen seelsorgerischer Aktivismus im Dienst 14 Loetz: Probleme, 223 ff. 15 Holzem: Katholische Konfessionalisierung, 279.; Loetz: Probleme; Mitterauer: Mütter, 13 ff. 16 Laqua-O’Donnell: Women, 84 ff. 17 Burghartz: Zeiten, 118 f.; Roper: The Holy Household, 158 ff. 18 Loetz: Probleme, 209 f. 19 Loetz: Probleme, 213 ff. 20 Muschiol: Frauenklöster, 109.

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der Wiedererstarkung des Katholizismus dominierte und zuweilen in Konflikte mit dem Ideal der Distanz zur „Welt“ geriet,21 wurde eine derartige Ambivalenz bei Frauenklöstern nicht mehr geduldet. Gegen entsprechende Eingriffe in ihr Klosterleben wehrten sich die Nonnen mehrerer Klöster in Münster energisch. Sie argumentierten eher sozial als religiös, was sich gegenüber Ordens- und Kirchenoberen als Schwäche erwies. Sie verwiesen auf ihre guten Kontakte in die Stadt, die ihnen für ihr wirtschaftliches Überleben über Stiftungen und testamentarische Schenkungen dienlich waren. Eine strengere Klausur aber kappe diese Kontakte und sei ihrer Popularität abträglich. Darüber hinaus würden auf diese Weise die Beziehungen zu ihren Familien unterbrochen. Ihre Identität beruhte demnach nicht nur auf ihrer Ordenszugehörigkeit, sondern auch auf ihrer Familienmitgliedschaft. Besonders stark pochten die Nonnen des Benediktinerinnenkonvents St. Marien Überwasser auf derartige Doppelidentitäten. Dieses Kloster war das angesehenste Frauenkloster in der Stadt, nicht etwa wegen des religiösen Eifers seiner Insassinnen, sondern aufgrund von deren sozialem Rang: Im Kloster – das zudem mit dem Gründungsjahr 1040 auch noch das symbolische Kapital der Anciennität als ältestes Kloster für sich verbuchen konnte – lebten Nonnen, die aus adligen Familien ganz Westfalens und dem städtischen Patriziat Münsters stammten. Als 1614 eine Klosterreform mittels bischöflicher Visitation durchgesetzt werden sollte, stemmten sich die Nonnen mit dem Argument dagegen, als Adlige nicht den gleichen Disziplinar- und Kontrollmaßnahmen unterworfen werden zu dürfen wie gewöhnliche Ordensleute. Bezeichnenderweise suchten sie im Domkapitel Unterstützung, dessen Mitglieder ebenfalls dem Zweiten Stand angehörten. Dieser Konflikt zeigt, dass Ordensfrauen in Münster um 1600 noch in einer Gemengelage sozialer und religiöser Normen und Werte lebten. Ihre von Ambiguität gekennzeichnete Stellung zwischen Welt und sakraler Sphäre war aber für die nachtridentinische Kirche nicht mehr tragbar. Gleichzeitig wollten die Beteiligten jedoch einem direkten Konflikt aus dem Wege gehen – sie strebten daher an, einen grundsätzlichen Wandel des Klosterlebens im Konsens herbeizuführen. Es musste also ein gesichtswahrender Kompromiss gefunden werden, der die Ehre der adligen Nonnen ebenso wahrte wie die Reform weiterführte. Dieser bestand darin, dass die Ordensfrauen auf herkömmliche Weise im Kloster weiterleben durften, hingegen neu aufzunehmende Nonnen sich den strengeren Klausurregeln zu unterwerfen hatten. Die beiden Gruppen wurden in unterschiedlichen Teilen des Klosters untergebracht. Damit hatten die Visitatoren, die sehr behutsam vorgingen, sozialen wie religiösen Aspekten Rechnung getragen. Bezeichnenderweise wurde auf die Bedenken der Nonnen anderer Klöster gegen 21 Das betraf zum Beispiel die Kapuzinerprovinzen im deutschsprachigen Raum, in denen im 17. Jahrhundert scharfe Konflikte um die Regelobservanz und die Missions- und Seelsorgeaktivitäten ausgefochten wurden. Siehe Linden: Regelobservanz.

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Reformen weniger Rücksicht genommen – darin spiegelt sich die soziale Norm der exklusiven Behandlung des Adels.22 Interessanterweise gingen die kirchlichen Reformvertreter offenbar davon aus, sich auf lange Sicht durchsetzen zu können, weshalb die Verzögerung der Reform hinnehmbar erschien. Denn sie konnten auf einen Wertewandel bauen, der um 1600 schon in Gange war und nach dem Dreißigjährigen Krieg voll durchschlug. Selbst wenn die soziale Herkunft der Insassinnen eines Klosters auch weiterhin dessen Rang dienlich war, irrten die Münsteraner Nonnen der älteren Generation doch in einem entscheidenden Punkt: Die strengere Klausur beeinträchtigte keineswegs das Ansehen der Ordenshäuser und ebenso wenig ihre wirtschaftliche Grundlage. Tatsächlich waren es gerade die strengen Orden wie die Klarissen, die in Testamenten von Münsteranern bedacht wurden. Ein ähnlicher Befund ergibt sich bei den Männerklöstern: Hier wurden vor allem die in der Seelsorge besonders aktiven Orden ( Jesuiten) oder diejenigen, die Seelsorge und strenges Ordensleben zu kombinieren verstanden (Franziskaner-Minoriten), bevorzugt bedacht.23 Die Sakralisierung des Klosterraums durch Verschärfung der Regelobservanz war der Glaubwürdigkeit von Ordensgeistlichen zuträglich. Auch wenn also das Verhältnis der Laien zu Heiligen, ja zu Gott selbst von sozialen Logiken mitbestimmt blieb, so erwarteten die Gläubigen doch von den Mittlern zur Sphäre des Transzendenten eine gewisse Weltferne, eine dauerhafte Randständigkeit und damit ein Leben, das schwerpunktmäßig von religiösen Normen bestimmt sein sollte.24 Auf die sich damit abzeichnende Arbeitsteilung – Normenkonkurrenz in der „Welt“, Disambiguierung zugunsten religiöser Normen bei einigen religiösen Virtuosen – wird im Kapitel zu normativer Übererfüllung zurückzukommen sein. Der Unwille der Überwasser-Nonnen, sich Disziplinierungsmaßnahmen zu unterziehen, lässt eine gewisse Distanz auf Seiten des Zweiten Standes gegenüber allzu strikten religiösen Verhaltensmaßstäben erkennen. Das Verhältnis des Adels zu den verschärften religiösen Verhaltensmaßstäben der Konfessionalisierung war ausgesprochen komplex und vielgestaltig. Offenkundig standen Verhaltensnormen des Zweiten Standes in teilweise schroffem Gegensatz zu christlichen Tugenden. Das betrifft insbesondere die humilitas (Demut), die einem Stand, der sich zu Herrschaft und Führung geboren betrachtete und der seine sozial exklusive Stellung durch einen entsprechenden Verhaltensstil sichtbar und damit plausibel machen musste, nicht gut anstand. Adel und Kirchen konnten diesen Grundsatzwiderspruch nur durch gegenseitigen Verzicht auf die rigorose Durchsetzung ihrer jeweiligen Verhaltensanforderungen lösen, und das bedeutet auch: durch 22 Laqua-O’Donnell: Women, 24 ff. 23 Laqua-O’Donnell: Women, 54 ff. 24 v. Thiessen: Randständigkeit.

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Akzeptanz von Ambiguität. Die Konfessionskirchen bestanden darauf, dass auch Adlige gegenüber ihren Vertretern und im Kirchenraum mit einer gewissen Demut auftraten. Dabei ließ der Kirchenraum genügend Möglichkeiten der Distinktion, sei es durch adliges Familiengestühl oder, wie noch zu zeigen sein wird, über die Konzeption von Grabmälern. Aufgabe der Geistlichen blieb es, den Umschlag eines standesbedingten (und insoweit akzeptablen) Demutsdefizits in inakzeptable superbia (Hochmut) anzuprangern. Damit wurde die Spannung zwischen der adligen Wertewelt und dem christlichen Tugendhimmel auf Fälle individuellen Fehlverhaltens reduziert, die kasuistisch zu behandeln waren.25 Doch immer wieder schlug derart individualisierte Kritik an Exzessen einzelner Adliger in Grundsatzkritik am Frömmigkeitsdefizit des Zweiten Stands um: Vor allem die Adelskritik des 16. Jahrhunderts ging bisweilen so weit, dem Stand als Ganzem ein Desinteresse an Religion oder Heuchelei vorzuwerfen.26 Das Grundproblem des Adels mit der Konfessionalisierung war der Anspruch der Kirchen, dass sich alle Christen gleichermaßen ihren Lehren und ihren Verhaltensanforderungen zu unterwerfen hätten. Indes bot die Konfessionalisierung dem Adel auch neue, seine Stellung bekräftigende Rollenmodelle an. Zudem stellte keine der Konfessionskirchen die Grundannahme, dass soziale Hierarchien Teil der Schöpfungsordnung seien, in Frage. Dem Adel wurde es insoweit leicht gemacht, sich auf den veränderten Stellenwert religiöser Normen einzustellen und auf unterschiedliche Weisen auf die Konfessionalisierung zu reagieren. Das adlige Kriegerethos konnte beispielsweise als Ausdruck von Demut uminterpretiert werden, wenn Adlige sich der Christenheit bzw. einem ihre Werte vertretenden Fürsten als Streiter für den wahren Glauben zur Verfügung zu stellten. Auf diese Weise konnte die Tugend der Demut mit dem Kriegerethos versöhnt werden, ja war sogar als Mittel der Distinktion einsetzbar. Die Türkenkriege stellten ein Aktionsfeld für den Adel dar, auf dem er die Legitimität seiner gesellschaftlichen Position derart unter Beweis stellen konnte.27 Auch offerierte die Konfessionalisierung dem Adel religiöse Rollenmodelle, die seiner herausgehobenen gesellschaftlichen Stellung entsprachen. Etliche der bedeutenden katholischen Kirchenreformer des 16. und 17. Jahrhunderts – beispielsweise Carlo Borromeo, Pierre de Berulle und François Fénelon – waren Adlige.28 Adlige Frauen übernahmen andererseits oftmals die Pflege der Religiosität in ihrer Familie und waren nicht selten besser als ihre in der „Welt“ aktiven Männer in der Lage, den Glauben ihres Verwandtschaftsverbandes in voller Konsequenz zu leben.29 Und 25 Althoff: Ethik, 44 f.; Asch: Nobilities, 61 f. 26 Asch: Nobilities, 68 f. 27 Kalning: Wertekonflikte, 82 f. 28 Asch: Nobilities, 64. 29 Asch: Selbstinszenierung, 78.

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nicht zu vergessen ist, dass die Norm des Festhaltens am eigenen Glauben dem Adel die Möglichkeit gab, den Widerstand gegen fürstliche Herrschaftsansprüche zu legitimieren. Das gilt vor allem für protestantische Adlige in katholischen Ländern wie Österreich und Frankreich.30 Alles in allem zeigt sich, dass der Adel auf die Konfessionalisierung und die Moralisierungsbestrebungen der Kirchen sehr vielschichtig reagierte, ja sich mitunter sogar an die Spitze solcher Bewegungen zu setzen vermochte. Die Reformtätigkeit Carlo Borromeos in seiner Erzdiözese Mailand, der er von 1565 bis zu seinem Tod im Jahre 1584 vorstand, kann als Musterbeispiel einer solchen Führungsrolle genommen werden. Mailand galt zu seinem Amtsantritt als religiös heruntergekommener Ort. Borromeo verfolgte einen aktivistischen, zielgerichteten und gegenüber Widerständen wenig zimperlichen Ansatz, wenn es darum ging, Klöster zu einem regelgerechten Leben zu bewegen, Reformorden in das Erzbistum zu holen, die Ausbildung des Weltklerus zu verbessern, die karitativen Leistungen der Kirche auszuweiten und die Laien an die derart reformierte Kirche zu binden sowie ihren Lebenswandel zu verchristlichen. Seine Selbststilisierung als sich seiner Autorität bewusster Hirte, der zur Ehre ­Gottes zu Höchstleistungen bereit und fähig war, stellte eine Variante eines adligen Lebensmodells dar. Als geistliche Führungsperson von Adel stellte Borromeo sich in den Dienst der Kirche, um sie rastlos umzugestalten. Dabei ging die religiöse Tugend der Demut auch in seinem Fall Hand in Hand mit dem sozialen Wert des Ruhms. Nicht nur, dass Carlo Borromeo zeitlebens neben seiner geistlichen Tätigkeit auch starken Familiensinn bewies und über die Heiratspolitik seines Verwandtschaftsverbandes ebenso wachte wie über ihre Besitztümer. Er war folglich eben gerade kein auf die Sphäre des Sakralen konzentrierter Geistlicher, sondern Seelen­hirte und Familienvorstand in einer Person. Anders gesagt: Er nahm seine beiden Verpflichtungen bzw. die sich daraus ergebenden Rollen gleichermaßen ernst, ohne dass dies den Zeitgenossen besonders aufstieß. In gewissem Sinne übererfüllte er beide Rollen parallel und entsprach damit einem adligen Rollenbild, nämlich dem der mit selbstverständlicher Autorität und Entschlossenheit versehenen Führungsperson, die durch ihr Tun die Spitzenstellung des Zweiten Standes in der sozialen Hierarchie bestätigte. Hinzu kommt, dass die Erinnerung an sein Wirken als tridentinischer Musterbischof – zumal nach seiner bereits 1610 erfolgten Heiligsprechung – auch dem Ruhm der Familie ausgesprochen dienlich war. Auf Veranlassung seines Cousins, des Kardinals Federico Borromeo, wurde in Arona, Carlos Geburtsort, eine 34 Meter hohe, begehbare Kolossalstatue aus Bronze errichtet, die seit 1698 weithin sichtbar und respektheischend über den Lago Maggiore blickt. So ließ sich die Erinnerung an die 30 Asch: Nobilities, 64; MacHardy: Capital, 68 ff.

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humilitas und caritas des Musterbischofs mit der Pflege des Ruhms der Familie Borromeo trefflich verbinden.31 Auch offenkundige Normenkonkurrenz ließ sich bändigen und nutzbar machen.

Grabmalskultur und Totenkult Die Kolossalstatue von Arona stellt ein besonders bemerkenswertes Beispiel für die Bedeutung der Memoria an herausragende Angehörige für einen Verwandtschaftsverband dar. Das Gedenken an die Leistungen und das Ansehen einer Einzelperson wurden auf diese Weise in den Dienst ihrer Familie gestellt. Der Aufstieg des genealogischen Denkmodells, das Familien als Abstammungsverbände imaginierte, wertete die Vorfahren auf; das Andenken an sie wurde als symbolisches Kapital genutzt. Während die Statue von Arona allein schon aufgrund ihrer Ausmaße einen kuriosen Ausnahmefall darstellt, gab es einen Ort, an dem sich für Familien eine offensichtliche Gelegenheit ergab, die eigene Memoria zu pflegen: das Grabmal. Die Indienstnahme des Begräbnisplatzes für die Bedürfnisse der Lebenden machte Elitengrabmäler zu multifunktionalen Orten. Grabmäler können daher als Paradebeispiele für Normenkonkurrenz angesehen werden: Religiöse, gemeinwohlorientierte und soziale Normen kreuzten sich in ihnen und gaben nicht selten Anlass zu Normen- und Wertekonflikten, die einen tiefen Einblick in den Normenhorizont frühneuzeitlicher Eliten gewähren.32 Die primäre Funktion des Grabmals ist eine religiöse. Mit dem Wandel der Jenseitskonzeptionen im hohen und späten Mittelalter wurde die Grabstätte zu einem Ort, der dem Gebetsgedenken für Verstorbene dienlich war. Dahinter steht die Auffassung, dass Gebete möglichst vieler Personen, seien es Angehörige oder hierzu durch Stiftungen und Verträge verpflichtete Geistliche, dem Seelenheil von Verstorbenen auch postmortal dienlich seien. Zwar waren die Gebete nicht an Grabmäler gebunden, doch stellten diese einen Ort dar, der offenkundig geeignet war, die Lebenden an ihre Verpflichtungen den Toten gegenüber zu erinnern.33 Damit wurden Gräber zu Orten der Kommunikation mit der Sphäre des Trans­zendenten, die dementsprechend als sakraler Ort auszustatten waren. Mit der Absage an die Vorstellung vom Fegefeuer im Gefolge der Reformation entfiel in protestantischen Gebieten allerdings diese Funktion des Gebetsgedenkens. Gräber blieben gleichwohl auch dort Orte der Erinnerung und des Gebets – und somit Stätten des Andenkens an Personen, die über den Tod hinaus in sozialen Beziehungen zu den Lebenden standen. 31 Zunckel: Erbe. 32 Bredekamp et al.: Vom Nutzen des Todes, 12. 33 Illi: Wohin die Toten gingen, 300 ff.; Karge/Klein: Grabkunst, 12 f.

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Der Besuch eines Grabmals hatte folglich auch eine soziale Funktion. Der Totenkult betraf in der Frühen Neuzeit gruppengebundene, sich primär als Angehörige eines Familienverbandes ansehende Individuen. Demgemäß folgte er nicht nur religiösen, sondern auch, wenn nicht sogar hauptsächlich, sozialen Logiken. Die Erinnerung an einen verstorbenen Verwandten betraf nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart und Zukunft einer Familie. Grabmäler generierten ähnlich wie die Statue von Arona symbolisches Kapital, indem die von ihnen ausgehende Erinnerung an einzelne Vorfahren in den Dienst der Ehre einer Familie genommen wurde. Damit folgte die Gestaltung von Grabmälern konfessionsübergreifend den sozialen Logiken der Ehre, dem Bedürfnis nach Repräsentation und diente der Schaffung von Identität.34 Familiengrabmäler und -kapellen wurden zu „Knotenpunkte[n] lokaler Selbstdarstellung“.35 Die Darlegung der Leistungen der Toten auf dem Grabmal musste allerdings nicht zwangsläufig zu seiner Profanierung führen, konnten diese Leistungen doch auch auf dem Feld der Frömmigkeit erbracht worden sein. Allerdings beschränkten sich frühneuzeitliche Grabmalsgestaltungen selten auf diesen religiösen Aspekt. Auf den Epitaphien von Ratsherren in der Lübecker Marienkirche etwa finden sich einerseits zahlreiche Attribute und Symbole von Religiosität: Schädel und Skelette, die auf die Vergänglichkeit des irdischen Lebens hinweisen, Figuren von Stiftern in Gebetshaltung, Kreuzigungsszenen und Texte, die auf die Frömmigkeit des Verstorbenen hinweisen. Mindestens ebenso ins Auge fallen aber andererseits Darstellungen sozialer Distinktion wie Kleidung, Wappen mit umfangreichen Verzierungen und Texte, welche die Ämter und Würden der Verstorbenen aufzählen. Tugendallegorien dienen ebenso der Propagierung bestimmter Verhaltensmodelle wie der Überhöhung der verstorbenen Personen.36 Zudem stellen Grabmäler dann, wenn Wappen und bisweilen auch genealogische Tafeln die familiäre Herkunft des Verstorbenen abbilden, den sozialen Rang einer Familie augenfällig unter Beweis, sei es mit Bezug auf ihre Ratsfähigkeit oder ihren Adelsstand. Ein besonders augenfälliges Beispiel ist das Grabmonument des 1603 verstorbenen Herzogs Ulrich von Mecklenburg und seiner beiden Gattinnen, Elisabeth von Dänemark und Anna von Pommern, im Güstrower Dom. Die Figuren der drei Toten knien vor großflächigen Stammtafeln mit Wappen, Namensinschriften und Büsten ihrer Vorfahren.37 Dabei tritt die Darstellung der genealogischen Zusammenhänge derart in den Vordergrund, dass die religiösen Symboliken des Grabmals nachrangig erscheinen. Diese Darstellung ist 34 Behrmann/Karsten/Zitzlsperger: Vorwort, IX; van Dülmen: Kultur, Bd. 1, 227; Hengerer: Einleitung, 6; Kohn: Repräsentationsbedürfnis. 35 Michalsky: Porosität, 122. 36 Hauschild: Kirchengeschichte, 349 f.; Wilde: Epitaphien. 37 Slenczka: ‚Alteuropa‘, 238. Vgl. das Titelbild dieses Buches.

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kein E ­ inzelfall: Für die Funktion der herkunftsbasierten Statusbekräftigung einer Familie auf einem Grabmal finden sich in Europa zahlreiche Beispiele, und zwar sowohl für katholische wie für protestantische Familien.38 Grabmäler boten viele Möglichkeiten der symbolischen Überhöhung der Toten und ihres Hauses, von der raffinierten Verbindung religiöser Elemente mit solchen, die der Glorifizierung und der Darstellung von Standesqualität dienten, bis hin zu einer den Betrachter geradezu überwältigenden „ostentativen Unbescheidenheit“.39 Gerade Emporkömmlinge, deren neu erworbener Status noch der Bekräftigung bedurfte und die ihre bescheidenere Herkunft vergessen machen wollten, nutzten diese Funktion, wie zum Beispiel Günstlingsminister, die ihre herausgehobene soziopolitische Stellung der Gunst ihres fürstlichen Herrn zu verdanken hatten. Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür sind die Grabmalsfiguren von Francisco Gómez y Sandoval, Herzog von Lerma, und seiner Gattin ­Catalina de la Cerda. Lerma war von 1598 bis 1618 der Günstlingsminister Philipps  III. von Spanien. Bei den Skulpturen handelt sich um zwei lebensgroße vergoldete Bronzestatuten. Die beiden werden knieend und betend dargestellt, ranggemäß als Herzog und Herzogin gekleidet. Doch der Aspekt der Demut – die kniende Gebetshaltung – wird dadurch konterkariert, dass die beiden Plastiken offensichtlich an einem fürstlichen Vorbild orientiert sind: Karl V., Philipp II. und ihre Verwandten werden im Escorial ganz ähnlich dargestellt. Der Günstlingsminister, der sich über den Adel zu erheben trachtete, richtete sich in seiner Selbstdarstellung somit nach seinem fürstlichen Herrn – und beging damit einen Normbruch, indem er seinen Rang dem seines Herrn künstlerisch gleichsetzte.40 Auch andere Favoritengräber können als Versuche gewertet werden, durch symbolische Überhöhung die herausgehobene Stellung des nächsten Vertrauten des Herrschers zu demonstrieren: So ließ George Villiers, Herzog von Buckingham und Günstlingsminister sowohl James’ I. als auch Charles’ I. von England, eine prunkvolle Grablege in Westminster Abbey errichten, wo bis dahin nur Könige und ihre Verwandten beerdigt worden waren.41 Nach der Mitte des 17. Jahrhunderts wagten Herrschervertraute derartige Selbstüberhöhungen kaum noch – ein Hinweis darauf, dass der Abstand zwischen Herrscher und Adel größer wurde und den Tabubruch herrschergleicher Darstellung nun endgültig zu gewagt erscheinen ließ. Dass aber das Distinktionsbedürfnis von Favoritenfamilien keineswegs nachließ, zeigt sich darin, dass Fürsten in verschiedenen Fällen die soziale Überhöhung ihrer Favoriten selbst in die Hand nahmen, nun aber als gewährte Gnade und 38 Andersson: Tod; Banner: Rooms; Llewellyn: Monuments, 272; ders.: Honour, 180; V. ­Reinhardt: Produktivität, 2; Michalsky: Zur Rolle der Frau, 75. 39 Zitzlsperger: Grabmal, 39. 40 Banner: Patronage, 58 f.; Behrmann: Gräber, 134 und 77; v. Thiessen: Grabmalsfiguren. 41 Asch: Begräbniskultur, 264.

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Ausdruck der Milde des Herrschers gegenüber seinen treuen Kreaturen. So ließ Ludwig XIV. für Henri de la Tour d’Auvergne, Marschall von Turenne, in St. Denis eine künstlerisch herausragende Grabstätte errichten, während L ­ udwig XV. für seinen Erzieher und Ersten Minister, den Kardinal Hercule de Fleury, eine Grabmalskonzeption öffentlich ausschreiben ließ; 1768 wurde das Grabmal in der ­Kirche Saint-Louis de Louvre errichtet.42 Günstlingsgrabmäler wirkten bereits auf die Zeitgenossen ausgesprochen ambivalent. Sie konnten einerseits Königsnähe und Dienstbereitschaft für den Fürsten ausdrücken, insoweit also durchaus eine Unterordnung unter den Herrscher symbolisieren. Neben die Funktion der Verbreitung des Ruhms einer Familie trat dann die Glorifizierung des Fürstendienstes und der Monarchie. Tatsächlich wurde beispielsweise im Frankreich des 17. Jahrhunderts in Grabmalsinschriften oft auf die Ämter der Verstorbenen im Dienst der Krone und deren Treue zum König hingewiesen.43 Eine ähnliche Entwicklung, wenn auch mit Schwerpunkt im 18. Jahrhundert, ist bei Adelsgrabmälern in Wien zu erkennen.44 Die mit dem Grab- und Totenkult schon lange verbundene politisch-dynastische Funktion – die Ausdruck fand in der Darstellung der Kontinuität der Herrscherdynastie in Grabmälern 45 und in den Toten- und Begräbnisritualen von Herrschern, dem pompe funèbre 46 – wurde damit auf die Fürstendiener ausgeweitet. Doch die symbolische Überhöhung von Personen und Familien über ihren eigentlichen Stand hinaus blieb problematisch. Mochte sich darin auch die fürstliche Verfügungsmacht über den Stand ihrer Untertanen ausdrücken, so wirkten derartige Monumente doch auf viele Zeitgenossen maßlos und wurden von ihnen eher als Versuch gewertet, den Makel der Illegitimität eines zu raschen Aufstiegs oder des Genusses einer zu einseitigen herrscherlichen Begünstigung zu übertünchen. Nach dem sozialen Summenkonstanzdenken der Zeit konnte ein rasanter sozialer Aufstieg nur zulasten anderer geschehen sein – anderer, die sich als Opfer dieser Dynamik und der Bevorteilung Einzelner zulasten vieler sahen, die vom Gnadenfluss des Herrschers ferngehalten worden waren. Sie konnten sich auch darauf berufen, dass die an der Herkunft, den Leistungen, dem Ruhm und der Herrschertreue der Verstorbenen orientierten Gräber Ausdruck sündhafter superbia war: Es blieb „das sichtbare Sich-Rühmen der Mächtigen in strenger denkenden Milieus suspekt“.47

42 Bertrand: Grabmäler, 288 f. 43 Bertrand: Grabmäler, 283. 44 Hengerer: Adelsgräber. 45 Michalsky: Strategien. 46 Woll: Pompe. 47 V. Reinhardt: Produktivität, 3.

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Diese Form der Normenkollision zwischen religiösen und soziopolitischen Darstellungsformen wird besonders am Beispiel der Grabmalsplanungen für Kaiser Maximilian I. deutlich. Dieser hatte zunächst bestimmt, in einem einfachen Eichensarg ohne nennenswerten Pomp begraben zu werden. Damit wurde die dem Sterbenden angemessene Abkehr von der Welt ausgedrückt. Wäre dieses Konzept umgesetzt worden, dann hätte ein ausschließlich an religiösen Normen orientiertes, den sozialen Rang und die politische Stellung des Kaisers vollkommen außer Acht lassendes, ja ihre Bedeutung geradezu negierendes Begräbnis stattgefunden. Eine derart weitgehende Disambiguierung der Sepulkralkultur war aber aus verschiedenen Gründen kaum denkbar. Denn eine Dynastie konnte kaum auf eine derart günstige Gelegenheit zur Darstellung ihrer Kontinuität wie Beerdigungs- und Trauerfeierlichkeiten verzichten – um der Plausibilisierung der Thronfolge und der Legitimität der Dynastie willen. So kam es auch im Falle des Habsburgers zu ganz anderen Formen des Totengedenkens. Angeblich widerrief der Kaiser seine Anordnungen kurz vor dem Tod und bestimmte die Errichtung einer stark den Repräsentationslogiken folgenden und seine Ahnen mit darstellenden Grabstätte, die dann tatsächlich, wenn auch unvollendet, in der Hofkirche zu Innsbruck aufgestellt wurde.48 In einem anderen Fall, dem der Grablege des 1645 verstorbenen Kardinals Francesco Cennini, war dessen Familie mit deren symbolischer Aussage so unzufrieden, dass sie ein weiteres Grabmal errichten ließ, das anders als das erste stark auf die Repräsentationsfunktion ausgerichtet war. Cennini entstammte einer sienesischen Familie des niederen Adels und hatte nach einem Studium beider Rechte die geistliche Laufbahn eingeschlagen, die ihn schließlich nach Rom führte. Dort trat er in den Dienst der Borghese, der Familie des Papstes Paul V., bewährte sich in verschiedenen kurialen Ämtern und wurde von Paul V. 1621 zum Kardinal erhoben. Cennini verstand sich vor allem als treuer Diener dieser Familie.49 Wie sehr er seine soziale Rolle verinnerlicht hatte, wird an den Anweisungen deutlich, die er für die Ausstattung seiner Grablege gab: Er ließ sich zu Füßen seines Herrn, Pauls V., in der Grabkapelle der Borghese in Santa Maria Maggiore in Rom bestatten. An diesem ostentativen Ausdruck klientelärer Unterordnung nahmen seine Nachfahren Anstoß. Sie errichteten ihrem Vorfahren über zwanzig Jahre nach dessen Tod noch ein aufwendig gestaltetes Marmorgrabmonument in der Titularkirche seines Kardinalats, San Marcello in Rom. Während seine Kardinals- und Bischofswürde in einer Inschrift hervorgehoben wurde, ist keinerlei Hinweis auf seine Patronsfamilie zu finden. Damit erinnern an ihn in Rom zwei Sepulkralmonumente mit vollkommen gegensätzlichen Aussagen. Die Konkurrenz zweier unterschiedlicher sozialer Rollen – die des treuen Klienten und die des 48 Schmid: Sterben, 203 ff. 49 Emich: Gemeinsamkeiten, 299, Anm. 32.

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Angehörigen einer adligen Familie – tritt in diesem Fall besonders offen zutage: Nach Auffassung der Familie des Kardinals stellte dessen erstes Grabmonument eine Überbetonung klientelärer Unterordnung zulasten des adligen Repräsentationsbedürfnisses dar und bedurfte daher der Ergänzung.50 So schroff sich in diesem Fall unterschiedliche Varianten symbolischer Kommunikation von Grabdenkmälern auch gegenüberstanden, so waren frühneuzeitliche Akteure doch in vielen Fällen in der Lage, sie produktiv miteinander zu kombinieren. Sie begegneten dem Vorwurf, eine zu prunkvolle Grabmalsgestaltung sei sündhaft und dem Seelenheil des Verstorbenen unzuträglich, mit einer adressatenorientierten Aufspaltung des Totengedächtnisses. Demnach zielte die Schaufassade des Ruhms auf Grabmonumenten nur auf die irdischen Betrachter, während Christus dem am Jüngsten Tage Auferstandenen in ganz anderer Form zu Gesicht bekommen werde: gewandet etwa in einen Franziskanerhabit, dem Symbol der Demut schlechthin. Für den Adel in Madrid im 16. Jahrhundert beispielsweise sind zahlreiche testamentarische Verfügungen belegt, die nach dem Tod eine Einkleidung in den Habit des Heiligen F ­ ranziskus bestimmten. Ganz Vorsichtige wollten sogar in die Habite zweier Orden eingekleidet werden, um so in den Genuss der Fürsprache beider Ordensgründer zu kommen.51 Auf diese Weise war tatsächlich – allerdings nicht frei von Heuchelei und in Erwartung, dass Gott dies verzeihe – religiösen wie sozialen Normen, der Demut wie der Repräsentation durch zwei parallele Inszenierungen des Toten Genüge getan. Die in derartigen Arrangements zum Ausdruck kommende Spannung zwischen diesen verschiedenen Polen der Grabmalssymbolik war gleichwohl immer wieder Anlass zu Vorstößen der Disambiguierung, und das bedeutet in diesem Fall: zur Zurückdrängung der sozialen zugunsten der religiösen Normen. Ein konfessioneller Vergleich ist hier sehr aufschlussreich. Während dem Betrachter römischer Grabmäler Normenkonkurrenz grell gegenübertritt und auch die Epitaphien wohlhabender lutherischer Ratsherren oft mit ihrer Repräsentationsfreudigkeit auffallen, bietet die reformierte Grabmalskultur ein anderes Bild. Sie ist zumindest phasenweise von der weitgehenden Verdrängung sozialer Selbstdarstellung im Kirchenraum geprägt, wofür sich sowohl im höfischen als auch im städtischen Umfeld Beispiele finden. So nahm Friedrich  III . von der Pfalz Anstoß am Grabmal seines 1559 verstorbenen lutherischen Bruders und Vorgängers Ottheinrich, das dieser in der Heidelberger Heiliggeistkirche hatte errichten lassen. Friedrich, genannt „der Fromme“, war aus eigener Bibellektüre zum reformierten Bekenntnis gelangt, das mit seiner Herrschaft in der Kurpfalz 50 Emich: Tot in der zweiten Reihe, 193; zu Cenninis Vita und Ämterlaufbahn: Giordano: Introduzione, 167 ff. 51 Eire: From Madrid to Purgatory, 107 ff.

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eingeführt wurde. Teil dieser kirchlichen Veränderungen war die „Reinigung“ des Kirchenraums von Bildern. Das aufwendige und zudem mit spärlich bekleideten Frauenfiguren verzierte Grabmal seines Vorgängers ließ er zwar am Platz, veranlasste aber, dass es mit schwarzen Tüchern verhängt wurde. Der calvinistische Ansatz der Reduktion des Kirchenraums auf die Gebetsfunktion ließ sich mit der zudem teilweise profanen Bilderfülle eines fürstlichen Grabmals nicht vereinbaren.52 Nicht alle reformierten Nachfahren Friedrichs III . sollten sich allerdings derart zurückhaltend bei der Gestaltung ihrer Grabmäler verhalten. Auch im calvinistischen Kirchenraum findet sich mithin die Konkurrenz zwischen religiöser Erbauung und sozialer bzw. politischer Repräsentation. Dennoch lassen sich deutliche Unterschiede ausmachen: Die reformierte Sepulkralkultur ließ sozialen Normen erkennbar weniger Raum, ohne diese auf lange Sicht vollkommen aus der Kirche verdrängen zu können; sie verbrachte auf diesem Feld größere Disambiguierungsleistungen als die anderen Konfessionen. Dieser Befund wird durch den Vergleich mit dem Umgang mit Grabmälern in reformierten Städten der Schweiz bestätigt, wo die Statusrepräsentation im Kirchenraum noch schärfer bekämpft wurde. Bern beispielsweise ließ seit 1529 überhaupt keine individuellen Grabmäler in den Kirchen mehr zu. Alle Verstorbenen, gleich welcher Herkunft, waren auf dem Totenacker zu begraben. Grabplatten in den Kirchen wurden zerstört oder umgedreht und als Bodenbelag weiterverwendet. In Bestimmungen dieser Art gingen reformierte Rigidität und das Ideal republikanischer Gleichheit aller Bürger Hand in Hand. Indes ließ sich eine derartig radikale Verbannung sozialer Repräsentationsbedürfnisse auf Dauer nicht durchalten. Das Beisetzungsverbot in Kirchen wurde schon seit den 1570er Jahren in den Kirchen von Dörfern und kleineren Städten des bernischen Gebiets hier und da wieder missachtet. Im frühen 17. Jahrhundert wurde es allmählich wieder üblich, dass sich dort Landvögte, Pfarrherren, Kirchenpatrone und Angehörige von Adelsfamilien bestatten ließen. Wie schon vor der Reformation wurden diese Monumente mit dem Wappen des Verstorbenen versehen. Auch Epitaphien wurden wieder an Kirchenwände angebracht, nachdem der Kleine Rat Berns selbst 1601 mit einem Gedenkepitaph für den Stadtgründer, Herzog Berthold V. von Zähringen, den Anfang gemacht hatte; auf dieser Erinnerungstafel waren neben dem Stadtwappen auch die Wappen der damaligen Mitglieder des Kleinen Rats zu sehen. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts wurden schließlich in einigen Dorfkirchen sogar wieder Grabkapellen angebaut. Auf lange Sicht hatte damit in der Memorialkultur die Repräsentationsfunktion wieder Boden gutgemacht, auch wenn das republikanische Gleichheitsideal noch so stark war, dass in den Kirchen der Stadt Bern die Selbstdarstellung der führenden Familien über 52 Hepp: Friedrich III. von der Pfalz.

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Epitaphien tabu blieb.53 Eine ganz ähnliche Tendenz lässt sich in Zürich feststellen, wo mit der Einführung der Reformation in den 1520er Jahren alle Arten von sichtbarem individuellem Totengedenken abgeschafft wurden. Auch dort hatte eine derartige Rigorosität keinen Bestand: Die führenden Familien der Stadt setzten zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch, wieder Epitaphien zum Gedenken an ihre Angehörigen errichten zu dürfen.54 Die Grabmalskultur der Frühen Neuzeit stellt somit ein besonders m ­ arkantes Beispiel für die Konkurrenz, Überlagerung und Interaktion von Normensystemen dar. Der Impetus der Reinigung des Kirchenraums ist bei allen Konfessionen feststellbar, bei den bilderkritischen Reformierten allerdings besonders ausgeprägt. Zumindest dort, wo Reformation und städtischer Republikanismus aufeinandertrafen, wurde die soziale Repräsentation über Grabmäler für einige Zeit unterbunden. Verfügungen gegen profane Elemente in der Sepulkralkultur wurden im Übrigen auch vom Oberhaupt der katholischen Kirche im Rahmen der tridentinischen Erneuerung erlassen. Doch war die Konkurrenz zwischen den Adelsfamilien in Rom derart stark, dass die römische Elite auf Grabmonumente als Mittel der Darstellung ihres Standes nicht verzichten wollte und sich damit auch durchsetzte. Dagegenstehende Regeln wurden stillschweigend außer Kraft gesetzt. Der Papst als Oberhaupt der Kirche mochte um die Einhaltung religiöser Normen besorgt sein, doch da er selbst faktisch das Oberhaupt eines Familienverbandes war, sah er sich angesichts seiner sozialen Verpflichtungen außerstande, den religiösen Rigorismus, den seine kirchliche Rolle nahelegte und den Kirchenreformer forderten, konsequent umzusetzen. Letztlich war die Normenkonkurrenz in der Sepulkralkultur Ausdruck der Vielfachfunktion von Grabmälern, und zwar in allen Konfessionskulturen. Diese betraf vor allem die Eliten. Denn mit der wachsenden Bedeutung des genealogischen Denkens im Adel, aber auch bei sozialen Aufsteigerfamilien, wuchs die Notwendigkeit, auf Medien der Darstellung der eigenen Abstammung und der Erinnerung an besonders bedeutende Vorfahren zurückzugreifen – und mit den religiösen Aussagen von Grabmälern zu konkurrieren. Die Grabmalskultur blieb damit auf lange Sicht ein Feld ausgeprägter Ambiguität, das zwar Ziel von Disambiguierungsbestrebungen war, die sich aber auf Dauer nicht oder nur eingeschränkt durchzusetzen vermochten. Grabmäler blieben damit normativ umkämpft, ähnlich wie auch die hier aus Platzgründen nicht behandelten Leichenpredigten, die zwischen Trost-, Ermahnungs- und Repräsentationsfunktion schwankten.55

53 Kehrli: Grabmäler. 54 Illi: Wohin die Toten gingen, 115 f. 55 Zu Leichenpredigten vgl. z. B. Düselder: Umgang und die Beiträge in: Dickhaut (Hrsg.): Leichenpredigten.

Konversionen und der Diskurs der Authentizität

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Konversionen und der Diskurs der Authentizität Konflikte um die Reinhaltung des konfessionell gebundenen Glaubens finden sich auch auf einem anderen Feld, das ebenfalls zu konfessionellen Vergleichen einlädt: dem Glaubenswechsel. Der Übergang von einer Konfession in eine andere war im von konfessionellen Grenzen und Kontaktzonen durchzogenen Europa keine Seltenheit. Dass Konversionen als Wechsel zwischen zwei Glaubenswelten inszeniert wurden, kann als Indikator für einen gewissen Erfolg der Konfessionalisierung gewertet werden. Denn wenn der Übergang von einer Konfession zur anderen eine markante Grenzüberschreitung darstellt, dann setzt das voraus, dass deutlich unterscheidbare Glaubenssysteme entstanden waren.56 Wie weit diese Grenzziehung die konfessionelle Gebundenheit von Akteuren festigte, wird allerdings weiter unten noch zu hinterfragen sein. Der propagandistische Wert von Konversionen in der Auseinandersetzung zwischen den Konfessionen führte unweigerlich dazu, dass sie Gegenstand von Deutungskämpfen wurden. Damit sind Konversionen quellenmäßig gut belegt und stark von Stereotypen und sehr strikten Handlungserwartungen geprägt. Wer sich einem Glaubenswechsel unterzog, stand unter starkem Druck, den Erwartungen der Vertreter der Konfession, der er sich zuwandte, zu entsprechen. Vor allem, wenn es sich um eine bekannte und sozial hochgestellte Person handelte, wurde der Akt des Glaubenswechsels oft öffentlichkeitswirksam zelebriert. Zum Protestantismus Übertretende hielten mitunter eine öffentliche Revokationspredigt, in der sie ihren Schritt theologisch begründeten und sich von ihrem vorherigen Glauben distanzierten.57 Gelehrte Konvertiten verfassten zusätzlich bisweilen Revokationsschriften, die in den Druck gingen.58 Das Genre verlangte, dass der Konvertit – den Erwartungen der aufnehmenden Gruppe entsprechend – bekundete, seinen Glaubenswechsel aufrichtig, das heißt aus religiöser Überzeugung vollzogen zu haben. Diese Authentizitätserwartung samt der damit verbundenen Begründungslast war im Protestantismus besonders ausgeprägt, doch auch in der katholischen Kirche zu finden. Auch wenn es dort Geistliche waren, welche die Konversion auf der Kanzel begründeten, so wurde doch auch dort vom Konvertiten erwartet, dass er seine Entscheidung aus rein religiösen Motiven getroffen hatte. Entscheidend für einen Glaubensübertritt zum Katholizismus war die Teilhabe am sakramentalen Gnadenschatz der Kirche. Aber zu den Sakramenten zugelassen und damit in die katholische Kirche aufgenommen wurden auch Konvertiten zum Katholizismus erst, nachdem sie in den Glaubenswahrheiten unterrichtet worden waren und der damit befasste Geistliche zu der Überzeugung gelangt war, dass der Konvertit ­tatsächlich aus 56 Bock: Konversionen, 383; Lotz-Heumann/Mißfelder/Pohlig: Indifferenz, 239 f. 57 Schunka: Transgressionen. 58 Horstkamp: Konversionsschriften.

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innerer Einsicht handelte.59 Alle Konfessionen suchten diejenigen vom Glaubensübertritt auszuschließen, die aus nichtreligiösen Motiven die Konfession wechseln wollten. Denn der Vorwurf des lauwarmen Opportunismus stand bei einer Konversion stets im Raum. Der Konvertit wurde vor allem von den Vertretern seiner Herkunftskonversion verdächtigt, nur in Hoffnung auf eine Heirat, ein Amt oder materielle Vorteile, aus sozialen Rücksichtnahmen oder politischen Erwägungen heraus den Glaubenswechsel vollzogen zu haben und seine religiöse Aufrichtigkeit nur vorzutäuschen.60 Diese Kritik an der Aufrichtigkeit von Konvertiten, die sich im Falle von Gelehrten- und Fürstenkonversionen zu polemischen Debatten in der Traktatliteratur steigern konnte, setzte bei einem Grundproblem der Konversionen an: In ihnen prallten religiöse Authentizitätsdiskurse und die uneindeutige, von Normenkonkurrenz geprägte Lebenswelt aufeinander. Die Forderung nach religiöser Eindeutigkeit, nach einem Glaubenswechsel ausschließlich auf der Basis der Einsicht in die Wahrheit eines Glaubenssystems war zwar hochgradig legitim – das machte sie zu einer scharfen Waffe im Deutungskampf um die Konfessionswechsel. Diese Forderung reflektiert einen Diskurs von Religion als einem autonomen Handlungsfeld. Und gemäß diesem Diskurs konnten systemfremde Handlungsweisen – etwa soziale Rücksichtnahmen – als eine illegitime Funktionalisierung von Religion angeprangert werden.61 Wiederum haben wir es mit einem Reinheitsideal zu tun – in diesem Fall dem Ideal der rein aus religiösen Motiven getroffenen und deshalb authentischen Entscheidung für den Konfessionswechsel. Doch im Grunde war diese Forderung unerfüllbar. Denn Konvertiten befanden sich in einer Situation struktureller Uneindeutigkeit. Aufrichtigkeit im Sinne ausschließlicher Orientierung an religiösen Motiven war kaum lebbar, die Vermischung mit anderen Motiven und sozialen oder politischen Umständen hingegen unvermeidbar. Glaubenswechsel fanden daher allem Anschein nach nur selten aus ausschließlich religiösen Motiven statt.62 Konversionen sind damit besonders als Untersuchungsfeld für frühneuzeitliche Normenkonkurrenz und für Ambiguitätstoleranz als ihr Resultat geeignet. Sie demonstrieren die Wirkmächtigkeit und das Erregungspotenzial religiöser Authentizitätserwartung ebenso wie die Schwierigkeit, eine Entscheidung zum Glaubenswechsel unbeeinflusst von sozialen und mitunter auch politisch-gemeinwohlorientierten Normen zu treffen, und die verbreitete Akzeptanz dieses Faktums. Es ist daher stets nach dem Kontext einer frühneuzeitlichen Konversion zu fragen, wobei mit „Kontext“ das soziale, politische und wirtschaftliche Umfeld des Konvertiten gemeint ist. Aufgrund der Gruppengebundenheit ­frühneuzeitlicher 59 Zu diesem Verfahren: v. Thiessen: Konversionsbereitschaft. 60 Lotz-Heumann/Mißfelder/Pohlig: Indifferenz, 239 f. 61 Mißfelder: Konversion, 178. 62 Bock: Konversionen, 375.

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Individuen war der Spielraum für eine autonome, persönliche Glaubensentscheidung gering.63 Das betraf in besonderer Weise die einfachen Untertanen, von denen erwartet wurde, dass sie dem Glauben ihrer Herrschaft folgten. Im Reich war dieses Prinzip – von Ausnahmen abgesehen – seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 rechtlich verankert. Ein Wechsel der Konfession (oder auch die Verweigerung des Konfessionswechsels nach Konversion des Herrschers oder einer mit einem Konfessionswechsel verbundenen Erbfolge) bedeutete demnach nicht selten Emigration oder Verfolgung. In beiden Fällen war die ­Trennung vom sozialen Umfeld damit verbunden, sofern nicht ganze Gruppen konvertierten. Zumeist standen Individuen der Erwartung gegenüber, der gleichen Konfession wie ihre Familie, ihr Patron und ihre Herrschaft anzugehören. Das bedeutet, dass eine Konversion angesichts eines solchen Erwartungshorizonts eine „Bündelung von Armutsrisiken“ mit sich brachte: den Verlust von Heimat, Familie, Besitz und Schutz.64 Die Konversion der Ehefrau war für den Mann beispielsweise ein Scheidungsargument.65 So stellte der Kapuziner Valeriano Magni in einem Schreiben vom Juni 1653 an die römische Propagandakongregation, die für die Koordinierung der katholischen Mission zuständig war, fest, dass es eine besondere Herausforderung darstelle, Personen niederen Standes zur Konversion zu bewegen, weil sie schwer aus ihren sozialen und herrschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen zu lösen seien.66 Im Einzelfall kann eine Konversion allerdings auch als Ausbruch aus bestehenden Bindungen gedeutet werden. Dann stand dem Konvertiten das Argument der Gewissensentscheidung vor Gott zur Verfügung, vor der irdische Rücksichtnahmen – soziale Normen oder der Gehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit – zurückzustehen hatten. Konversionen kamen – wenig überraschend – dort häufiger vor, wo Konfessionsgrenzen aufeinandertrafen oder Angehörige verschiedener Konfessionen zusammenlebten. Wo ein ständiger Kontakt zwischen unterschiedlichen Konfessionsangehörigen bestand, waren Konversionen oft weniger riskant, ja können sogar als die Folge sozialer Handlungserwartungen gedeutet werden; dementsprechend war soziale Isolation dann nicht ihre Folge. Dies betraf vor allem Einheiraten in fremdkonfessionelle Familien, die von ihrem neuen Mitglied die Anpassung seines Glaubens an den ihren erwarteten. Diese alltäglichen Konversionen, die noch wenig erforscht sind und für die wir über nur wenige Quellen verfügen, dürften in der großen Mehrheit der Fälle eher soziale als religiöse Hintergründe haben. Ihre Verbreitung deutet auf Grenzen in der Reichweite des auf Distanz und Unterscheidbarkeit hinauslaufenden Diskurses der K ­ onfessionskirchen hin. Bei 63 Lotz-Heumann/Mißfelder/Pohlig: Konversion, 30. 64 Bock: Konversionen, 285. 65 Bock: Konversionen, 271 ff. 66 Völkel: Konversion, 235.

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weitem nicht jeder Christ des konfessionellen Zeitalters sah sich den Glaubenswahrheiten seiner Kirche derart verpflichtet, dass ihm ein Wechsel zu einer anderen Konfession ernste Gewissensprobleme bereitete. In der Abwägung zwischen den sozialen Chancen, welche die Heirat in eine Familie anderen Glaubens bot, und dem potenziellen Gewissensproblem des Konfessionswechsels fiel die Wahl nicht selten zugunsten der sozialen Chancen aus. Es musste sich dann zudem auch keineswegs um eine Entscheidung gegen religiöse und allein zugunsten sozialer Normen handeln, da alltägliche Glaubensformen in einigen konfessionellen Misch- und Grenzgebieten ausgesprochen hybrid waren. Das gilt vor allem für die Niederlande 67 und Ostfriesland 68, Teile des von Konfessionsgrenzen besonders stark durchzogenen Südens des Reichs, darunter vor allem gemischtkonfessionelle Reichsstädte,69 und ist auch für das Poitou nachgewiesen worden 70. In solchen Fällen empfanden Konvertiten ihren Glaubenswechsel nicht als dramatischen Bruch. Die jüngere Glaubensforschung hat aus derartigen Befunden geschlossen, dass die konfessionelle Identitätsbildung breiter Bevölkerungskreise überschätzt worden sei und die Alltagsgebundenheit des Glaubens seine Hybridisierung auf Kosten konfessioneller Eindeutigkeit bewirkt habe.71 Einen Sonderfall stellen Konversionen auf dem Sterbebett dar. Entschied sich ein Mensch im Bewusstsein des nahen Todes, den Glauben zu wechseln, so befand er sich in einer anderen normativen Situation als eine Person, die mitten im Leben und Alltag stand und für die eine Konversion möglicherweise soziale oder wirtschaftliche Verheißungen bedeutete. Ein Sterbender hatte das irdische Leben weitgehend hinter sich gebracht und sah nun das Partikulargericht vor sich, auf dem über sein ewiges Leben entschieden wurde. Sich in dieser Situation für eine Konversion zu entscheiden, war ein höchst folgenreicher Akt. Gegenüber Gott war die Konversion zum wahren Glauben die letzte Chance, die Seele zu retten. Darin lag auch die Botschaft für die Lebenden: Ein Glaubenswechsel auf dem Sterbebett war geeignet, als eine hochgradig authentische, mithin ambiguitätsfreie Entscheidung für eine Konfession wahrgenommen zu werden. Denn der Sterbende band seine Konversion direkt an sein Seelenheil. Auf dem Sterbebett konnte demnach dem Authentizitätsgebot der Konfessionskirchen tatsächlich ohne Einschränkung entsprochen werden, denn für Sterbende galt die Normenkonkurrenz der Welt nur noch wenig.72 Aus diesem Grund hatte eine solche 67 Kooi: Conversion. 68 Grochowina: Indifferenz; dies.: Bekehrungen. 69 Corpis: Geography; Volkland: Konfession. 70 Luria: Boundaries. 71 Siebenhüner: Glaubenswechsel. 72 Vgl. zum Sterbebett den Abschnitt „Die Frage des Seelenheils: Frömmigkeit und religiöse Normen im Hoch- und Spätmittelalter“ im Kapitel „Religiöse Normen“ in Teil 2.

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­ onversion bzw. die Behauptung, eine solche habe stattgefunden, einen hohen K propagandistischen Wert für die Konfession, der sich der Sterbende zuwandte bzw. zugewandt haben sollte. Das galt beispielsweise für das Sterben des konfessionell hybriden, auf Seiten der Protestantischen Union im Dreißigjährigen Krieg kämpfenden Söldnergenerals Peter Ernst II. von Mansfeld. Über ihn wurde verbreitet, auf dem Totenbett noch zum Katholizismus konvertiert zu sein.73 Die Konversion als radikaler innerer Einstellungs- und Bewusstseinswandel und Bruch mit der eigenen Vergangenheit 74 dürfte in der Frühen Neuzeit eher die Ausnahme gewesen sein. Denn ein solches Konzept setzt voraus, dass der Glaube eine Person derart erfasst, dass sie alle anderen Erfahrungen und Bindungen hintanstellt. Eine so weitgehende Disambiguierung zugunsten einer radikalen religiösen Orientierung vermochten die meisten Konvertiten in der Frühen Neuzeit nicht zu leisten. Das bedeutet nicht, dass es nicht sehr „ernst“ gemeinte Konversionen in der Frühen Neuzeit gab und dass manche Konvertiten nicht auch tatsächlich erhebliche Risiken für ihre Entscheidung eingingen. Aber selbst ein religiös überzeugter Konvertit wie der spätere böhmische Oberstkanzler Wilhelm Slawata, dessen Konversion zum Katholizismus 1597 einen schweren Konflikt und Bruch mit seinem Vater auslöste und der anschließend stets eine schroff antiprotestantische Position einnehmen sollte, wagte nicht einfach den ungesicherten Sprung ins Dunkle aus Gottvertrauen. Seine Konversion wurde durch die Eingliederung in das Netzwerk einer großen katholischen Familie vorbereitet, was ihm prompt den Vorwurf des sozialen Opportunismus durch seinen erbosten Vater einbrachte.75 Vor ähnlichen Legitimationsproblemen standen auch die im frühen 17. Jahrhundert noch recht zahlreichen hugenottischen Adligen in Frankreich. Sie gerieten in den 1620er Jahren unter zunehmenden Druck, zum Katholizismus zu konvertieren, nicht zuletzt, weil sie nur dann Ämter im Dienst der Krone erlangen konnten. Zwar bemühten sie sich, ihren Glaubenswechsel als religiös authentisch darzustellen, doch kombinierten sie diese Begründung mit einer anderen, auf dem Wert der Treue zu ihrem fürstlichen Herrn aufbauenden Argumentationsfigur: Ihre Hinwendung zur „wahren“ Kirche finde auf weltlicher Seite eine Entsprechung in der Aufnahme in den Dienst des Allerchristlichsten Königs. Nicht Opportunismus liege damit vor, sondern die Kombination von Glaubenswechsel und Wandlung zum bon français, der seinem König treu diente. Auf diese Weise überspielten sie die Pressionen des Authentizitätspostulats, indem sie einen Fall von Werte- und Normenkonvergenz konstruierten – Hinwendung zum wahren Glauben und Treue zum König. Dass auch dieses Narrativ aus der Sicht derjenigen, welche die Treue zur reformierten Kirche für den höchsten 73 M. Kaiser: Zwischen „ars moriendi“, 341 f. 74 Pollack: Überlegungen, 49 ff. 75 Mat’a: Von der Selbstapologie zu Apologie.

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Wert hielten, Ausdruck von Opportunismus war, versteht sich von selbst. Mit der Stabilisierung der Monarchie befanden diese sich allerdings in einer immer hoffnungsloseren Minderheitsposition.76 Dass auch ihre Zeitgenossen davon ausgingen, dass viele frühneuzeitliche Konvertiten mit dem Glaubenswechsel vor allem ihre Lebenschancen verbessern wollten – indem sie durch Heirat eine „Stelle“ in einer Familie erlangten oder das Bürgerrecht in einer Stadt erhielten, um sich dort eine Existenz aufzubauen –, ist indirekt durch den Umgang weltlicher und geistlicher Obrigkeiten mit Konversionswilligen belegt. Denn dieser Umgang war von Misstrauen und Skepsis geprägt, wie Heike Bock am Beispiel des reformierten Zürich und des katholischen Luzern festgestellt hat. Beide Städte waren außerordentlich zurückhaltend bei der Einbürgerung von Konversionswilligen. Der Gewinn für die eigene Konfession und die Bestätigung ihrer Wahrheit durch Konversionen wog offenbar geringer als die Abwehr der Zuwanderung von Fremden, die vor dem Hintergrund des Summenkonstanzdenkens bedeutete, dass begrenzte ökonomische Ressourcen auf mehr Einwohner zu verteilen waren. Tatsächlich wurde die Einbürgerung von Konvertiten fast nur in solchen Fällen vorgenommen, in denen die Konvertiten bereits eine respektable soziale Stellung vorweisen konnten. In Zürich hatten Geistliche, die zur reformierten Konfession wechseln wollten, die besten Chancen auf den Erwerb des Bürgerrechts. Denn sie erfuhren durch die Einbürgerung keinen sozialen Aufstieg, womit der sonst latente Opportunismusvorwurf nicht griff. Außerdem war natürlich der propagandistische Wert des Übertritts eines katholischen Priesters zur reformierten Lehre hoch.77 Generell kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die auch von den Zeitgenossen gestellte Frage nach den „wahren“ Motiven von Glaubenswechslern zumindest aus geschichtswissenschaftlicher Sicht falsch gestellt ist. Die Äußerungen von Konvertiten über ihren Glaubenswechsel, wie sie in Revokationspredigten, Ritualen der Abschwörung und Aufnahme oder in Konversionsschriften zu finden sind, folgten den an sie gerichteten äußeren E ­ rwartungen. Im Moment des rituell vollzogenen Glaubenswechsels und im Fall seiner schriftlichen Begründung bedienten sich praktisch alle Konvertiten einer Topik des Bruchs. Sie griffen damit auf einen Diskurs zurück, der ihre Wandlung als einen Weg beschreibt, der von wachsenden Glaubenszweifeln über die Erkenntnis des Irrtums bis hin zur Zuwendung zum „wahren“ Glauben als Antwort auf den Ruf Gottes verläuft. Diese Redeweise von der Konversion ist als situative Vereindeutigung einer komplexen normativen Konstellation für den Moment des Übertritts zu verstehen. Einen zuverlässigen Zugriff auf das Innere der Konvertiten, auf ihre Motive, Gefühle und Ängste, bieten diese Äußerungen und ­Handlungen 76 Mißfelder: Zum König konvertieren. 77 Bock: Konversionen, 198 und 216.

Religion, Politik und Herrschaft

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nicht – sie inszenieren Authentizität lediglich, weil der Glaubenswechsel, aus welchen Gründen und Umständen er auch immer vollzogen wurde, nur so erfolgen konnte. Dass der Konfessionswechsel oft mit einem Milieuwechsel verbunden war, dass er möglicherweise das Ergebnis von Heiratsverhandlungen war, dass er mit sozialen Integrations- und Aufstiegshoffnungen verbunden war, dass gegebenenfalls die Integration in einen neuen Klientelverband eingeleitet wurde, alle diese den Zeitgenossen weithin bekannten Faktoren der Ambiguität einer Konversion mussten für den Moment des Übertritts und in seinem öffentlichen Begründungsdiskurs zurücktreten – dies zu akzeptieren oder doch wenigstens hinzunehmen, verlangte den Zeitgenossen ein erhebliches Maß an Ambiguitätstoleranz ab.78 Einerseits bedeutete ein Konfessionswechsel immer, dass sich der Konvertit mit seiner Zielkonfession auseinandersetzen musste. Er wurde über ihre zentralen Glaubenswahrheiten aufgeklärt und musste sich ihren Riten und Gepflogenheiten anpassen. Andererseits kann der Vereindeutigungsdiskurs durchaus als Fall von organisierter Heuchelei bezeichnet werden, der den Gegnern der Konversion stets argumentative Munition lieferte. Diese wurde dann, wenn es sich um einen prominenten Konvertiten mit hohem Aufmerksamkeitsfaktor handelte, auch öffentlichkeitswirksam eingesetzt, etwa im Fall von Herrscherkonversionen, die – man denke allein an Heinrich  IV . von Frankreich – mit Opportunismusvorwürfen geradezu vermint waren.79 Die Gleichzeitigkeit von weithin akzeptierter Normenkonkurrenz und scharfer Kritik an ihr ist im Fall der Konversionen noch frappanter als bei der Grabmalskultur. Damit wurde der Authentizitätsdiskurs der Konfessionen immer wieder aufs Neue bestätigt, ohne dass sich an der Ambiguität im Umgang mit Konversionen und Konvertiten grundlegend etwas änderte.

Religion, Politik und Herrschaft Der Fürst zwischen Staatsräson und Priesterkönigtum

Die Person des Fürsten kann als markanter Knotenpunkt der Überlagerung der Handlungsfelder des Politischen, des Religiösen und des Sozialen verstanden werden. Dabei ist die religiöse Legitimation von Obrigkeit, ausgehend von der grundsätzlichen Annahme, dass fürstliche Herrschaft von Gott eingesetzt oder doch wenigstens gewollt war, ein besonders eingängiges Beispiel für die Konvergenz von Werte- und Normensystemen. Dass Herrschaft ein Teil der göttlichen Ordnung, mithin von Gottes Gnaden war, stellte eine starke Argumentationsfigur 78 Völkel: Konversion, 231 ff. 79 Deventer: Konversion, 168; Love: Blood.

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Normensysteme in Interaktion I

dar.80 Der göttliche Ursprung von fürstlicher Herrschaft und damit die Unterstellung von Herrschaft unter ein christliches Werte- und Normengerüst wurde in bildender Kunst und Architektur wieder und wieder dargestellt – man denke nur an den Escorial, der als Kombination von Kloster und Palast die enge Verbindung zwischen Kirche und königlicher Herrschaft symbolisierte.81 Unruhen und Aufständen wurde von weltlichen Obrigkeiten daher oft, wenn auch nicht in jedem Fall erfolgreich, mit Rückgriff auf sakrale Symbole und religiöse Handlungen entgegengewirkt. So schickten italienische Obrigkeiten Protestierenden im 17. Jahrhundert bisweilen Priester mit Kruzifixen, Reliquien und geweihten Hostien entgegen.82 Allerdings bedeutet die Bindung von Herrschaft an christliche Grundwerte auch, dass dann, wenn die Untertanen herrschaftliches Handeln nicht mehr im Einklang mit christlichen Verhaltensgeboten gedeckt sahen, Widerstand gegen die Obrigkeit religiös legitimiert werden konnte: „Die religiösen Ansprüche und die religiösen Inanspruchnahmen des frühneuzeitlichen Staates hatten das Potential, sowohl diesen Staat als auch die Staatsfeinde, oder richtiger: die Feinde der Herrschaftsträger, zu sakralisieren.“83 Dieser Befund gilt nicht nur für fürstliche, sondern auch für kommunale Herrschaft, wozu vor allem für das Alte Reich Forschungen vorliegen. Schon die spätmittelalterliche Stadt verstand sich nicht nur als Ort weltlich-kommunaler Herrschaft, sondern zunehmend auch als „verdichtete Sakralgemeinschaft“.84 Religiöse und gemeinwohlorientiert-kommunale Normen sollten sich ergänzen, zumal die Stadt als Heilsgemeinschaft Gott als ein Kollektiv gegenüberstand und über rituelle Sakral­ handlungen mit der Sphäre des Transzendenten kommunizierte.85 Von Stadt­räten organisierte karitative Einrichtungen, vor allem für die Armenfürsorge, sind ebenfalls Ausdruck des Zusammengehens von städtischem bonum commune und religiös begründetem Dienst am Nächsten.86 Wie im Falle fürstlichen Gottesgnadentums war die religiöse Legitimierung kommunaler Herrschaft aber zweischneidig: Sie veranlasste Stadträte, sich als von Gott eingesetzte Obrigkeiten zu inszenieren und Kritik an ihrer Stellung mit religiösen Argumenten zurückzuweisen, doch sie aktivierte ebenso Widerstand und heizte auch soziopolitische Konflikte in Städten an. Das galt umso mehr für die Reformation, deren Gemeindeverständnis eine Affinität zu ­kommunalen Gemeindestrukturen aufwies und somit 80 U. Rublack: Staatlichkeit, 348. 81 Eire: From Madrid to Purgatory, 344. 82 Dillinger: Attentate, 239. 83 Dillinger: Attentate, 240. 84 Hamm: Bürgertum, 81. 85 Gerteis: Städte, 115; Moeller: Reichsstadt, 12 f. und 49; Postel: Sozialstruktur, 346; Roeck: Idealstaat, 394 ff.; Troßbach: Unterschiede, 118. 86 Rabeler: Handeln, 13.

Religion, Politik und Herrschaft

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­bürgerschaftliche ­Mitregierung nahelegte.87 Auf mittlere Sicht sollte allerdings die lutherische Obrigkeitslehre eher die Stellung des Rates stärken, wohingegen die reformierte Konfession die Mitregierung durch Bürgerschaft oder Zünfte begünstigte. Bezeichnenderweise erwies sich die Anziehungskraft des Calvinismus gerade in oberdeutschen Städten mit starken Zünften als groß.88 Generell erfuhr die religiöse Rechtfertigung von Herrschaft mit der Reformation eine Aufwertung durch Konkretisierung, denn das Bekenntnis zu einer bestimmten Konfession bedeutete eine Festlegung auf bestimmte theologische Lehren. Für den Fürsten war die Trennung von Kirche und Welt seit der Reformation in seinem Handeln noch weniger umsetzbar als vorher. Luthers Reformation mochte zwar auf eine solche Trennung zielen, verstanden auch als Reinigung der Kirche und des Glaubens von allen weltlichen Interessen, doch das Resultat der Glaubensspaltung war das Gegenteil davon, nämlich eine „Verzahnung“ beider Bereiche.89 Umstritten war, inwieweit das allgemein geteilte Ziel christlich-­konfessioneller Herrschaft bisweilen auch des Einsatzes von Methoden bedurfte, die Gottes Geboten widersprachen. In der gelehrten Debatte des 16. und 17. Jahrhunderts über das Verhältnis von Religion und Politik forderten einige eine eng an religiöse Normen gebundene politica christiana, während andere, dem Spätaristotelismus zuzuordnende Autoren eine Spannung zwischen christlicher Moralität und auf prudentia (Klugheit) beruhender Regierungspraxis sahen. Die Herrschenden müssten einen Mittelweg wählen, der christliche Moral nie aus den Augen verliere, aber nicht absolut setzte. Auch die Funktionalisierung von Religion für die Politik im Sinne eines Legitimations- und Stabilisierungsfaktors fand mit Justus Lipsius’ an Tacitus anschließendem Werk Eingang in den Diskurs. Dass allerdings damit die Religion Dienerin der Politik sein sollte, war für die meisten Zeitgenossen der Frühen Neuzeit, vor allem bis zum späten 17. Jahrhundert, nicht akzeptabel.90 Das galt auch für die Fürsten selbst – denn in einer Welt, in der auch jeder Fürst sein Seelenheil und damit den zweiten, transzendenten Teil seines Lebenslaufs im Blick behalten musste, kam die Nutzung des Glaubens allein für weltliche Ziele einer Selbstverdammung gleich. Insoweit war es zwar durchaus denkbar, Politik gewissermaßen auf der operativen Ebene zu säkularisieren, also ihre Mittel, nicht aber ihre Ziele weitgehend von der Religion zu lösen.91 Eine Lösung 87 Brady: Class; Scribner: Unity. 88 Hamm: Bürgertum, 138; Postel: Sozialstruktur, 352. 89 Schorn-Schütte: Kommunikation, 282. 90 Schorn-Schütte: Obrigkeitskritik, 198 f. 91 Cornel Zwierlein betrachtet die Entwicklung einer auf „Empirie und Reflexivität“ basierenden Politikplanung als entscheidende Innovation der beginnenden Neuzeit. Zwierlein: Discorso.

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Normensysteme in Interaktion I

von einem an die göttliche Ordnung gebundenen Zielhorizont von Politik, wie sie mit dem Namen Machiavelli verbunden wurde, war hingegen für fast alle Autoren der politischen Traktatliteratur illegitim, ja geradezu eine Ausgeburt des Teufels.92 Den politischen oder konfessionellen Gegner des Machiavellismus zu bezichtigen, war demnach eine schlagkräftige rhetorische Waffe – die eindrücklich demonstriert, dass Politik ohne jede Bindung an die Religion bis in das späte 17. Jahrhundert kaum akzeptiert werden konnte. Damit waren der Konstruktion eines eigenen Logiken folgenden, von anderen Normen freien Handlungsfeldes der Politik Grenzen gesetzt. Doch ebenso wenig konnte der weltliche Fürst als eine Art Priesterkönig handeln, der sein politisches Handeln allein nach christlichen Geboten ausrichtete. Denn wenn auch Herrschaftslegitimation nicht ohne Anleihen bei der Religion auskam, so konnte der Fürst doch nicht darüber hinwegsehen, dass er als Herrscher und Gesetzgeber einerseits sowie als Mitglied einer Dynastie andererseits Handlungserwartungen erfüllen musste, die nicht genuin religiöser Natur waren. Besonders deutlich wird das auf einem den Konversionen nahen Handlungsfeld, der Entscheidung eines Fürsten für oder gegen die Reformation. Dabei handelte es sich um nichts weniger als eine religiöse Grundsatzentscheidung, die aber auch in ein Geflecht anderer Faktoren, Motive und Rollen- bzw. Handlungs­erwartungen eingebettet war.93 Auch ein Fürst, der sich nach intensiver Auseinandersetzung mit Luthers Theologie aus religiöser Überzeugung der Reformation angeschlossen hatte, wie etwa 1528 Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach-Kulmbach, war in seiner Rolle als Fürst gezwungen, viele Faktoren und Akteure im Blick zu behalten. In seinem Fall waren dies an erster Stelle der Fortbestand seiner Dynastie, weiterhin sein Verhältnis zum landständischen Adel und schließlich seine Beziehungen zum Kaiser. Aus Rücksicht auf Letzteren blieb er daher dem Schmalkaldischen Bund fern, was ihm den Vorwurf des Opportunismus und der religiösen Lauheit einbrachte.94 Indes bewegte er sich lediglich mit Vorsicht in einem Spannungsfeld radikal unterschiedlicher Handlungserwartungen. Die Ambiguität seines Handelns war vor allem darauf zurückzuführen, dass er versuchte, sein Gewissen und die Sicherung der Zukunft s­ einer Dynastie miteinander zu vereinbaren. Darin war er durchaus erfolgreich. Im Reich agierten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts viele Fürsten in einem ähnlichen Kräftefeld von Handlungserwartungen. Manche waren bereit, für ihre religiösen Überzeugungen erhebliche Risiken einzugehen – und das bedeutete: bestimmte Handlungserwartungen zugunsten religiöser Normen hintanzustellen –, während andere wesentlich gewandter agierten, dann allerdings oft auch 92 Gilbert: Machiavellism. 93 Kohnle/Richter: Einleitung, 10. 94 Stiebert: Georg von Brandenburg-Ansbach-Kulmbach.

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massiver Kritik ausgesetzt waren.95 Sie alle aber mussten einen Handlungsweg finden, mittels dessen sie sowohl ihr Seelenheil als auch ihre Dynastie sicherten, mithin einen potenziellen Zielkonflikt bändigen. Vollkommen unvereinbar waren diese beiden Faktoren keineswegs; so ließ sich die energische Einführung der Reformation als Erfüllung der Rolle des für seine Untertanen sorgenden Landesvaters darstellen und konnte für die Außendarstellung einer Dynastie nützlich sein.96 Die Einführung des wahren Glaubens war demnach dem Frieden und der guten Ordnung dienlich.97 Ebenso konnte die Sicherung der Dynastie auch als Beitrag zur Stabilisierung der gottgewollten Ordnung interpretiert werden. Hinzu kommt, dass die scharfe konfessionelle Profilierung eines Fürsten nach innen wie nach außen zwar durchaus der Bündnispolitik zuträglich sein konnte, aber auch Risiken für die Außenbeziehungen im konfessionellen Zeitalter barg. Das calvinistische Netzwerk, das fürstliche Akteure und konfessionelle Minderheiten miteinander verband, ist ein Beispiel dafür, wie ein gemeinsamer Gegner – die katholischen Mächte – der Stärkung von grenzüberschreitenden Bindungen und der Integration selbst sehr peripherer Akteure dienlich war.98 Republiken und Fürsten, die sich in diesem Netz als Knotenpunkte zu etablieren vermochten, etwa die niederländischen Generalstaaten 99, die Kurpfalz 100 oder die Landgrafschaft Hessen-Kassel 101, konnten ihr Gewicht im europäischen Mächtesystem ausbauen. Dies geschah allerdings um den Preis einer religiösen Aufladung von Konflikten, die eine Dynastie im Fall einer Niederlage gegen einen konfessionellen wie politischen Gegner in akute Existenznot bringen konnte – so etwa die pfälzischen Wittelsbacher nach der Niederlage am Weißen Berg im Dreißigjährigen Krieg. Die konfessionelle Aufladung von Mächtekonflikten konnte das Moment der dynastischen Solidarität, das an der prinzipiellen Legitimität der Herrschaft auch von Kriegsgegnern nicht rüttelte, untergraben. 95 Als Beispiel für „religiöse Überzeugungstäter“ können die Fürsten Wolfgang von Anhalt und Albrecht von Mansfeld gelten (Kohnle: Wolfgang von Anhalt), während Herzog Joachim II. von Brandenburg Dynastie- und Herrschaftssicherung an erste Stelle setzte (Adler: Joachim II. von Brandenburg). 96 Das gilt beispielsweise für die Kurpfalz unter Friedrich III., der das reformierte Bekenntnis einführte. Vgl. Hepp: Friedrich III. 97 Auf diese Weise begründete Jeanne d’Albret (1528 – 1572) die Einführung der Reformation in Béarn und dem von ihr beherrschten Teil von Navarra. Sie verband damit ihre ausgeprägte individuelle Glaubensüberzeugung mit ihrer Rolle als Fürstin. Siehe Maissen: Jeanne d’Albret. 98 Externbrink: ,Internationaler Calvinismus‘; Gräf: „International Calvinism Revisited“; Murdock: Calvinism; Prestwich (Hrsg.): International Calvinism. 99 Arndt: Das Heilige Römische Reich. 100 Rüde: England. 101 Gräf: Konfession; Gräf: Hofschule; Gräf: Collegium Mauritianum.

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Nur wenige Fürsten im konfessionellen Zeitalter nahmen tatsächlich die Rolle eines Theologen, ja eines Propheten ein und beschränkten sich damit nicht auf den Schutz des wahren Glaubens, sondern traten auch aktiv bei der Ausformulierung von Glaubensgrundsätzen auf; bei weltlichen Fürsten war dieses Rollenmodell nur im Protestantismus umsetzbar. Jakob I. von England, VI. von Schottland inszenierte sich zum Beispiel als Autor immerwährender Weisheiten, indem er theologische Bücher verfasste. Problematisch war allerdings, wenn diese dann kritisch in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, da die Krone die Rezeption der Werke des Königs nicht kontrollieren konnte; der Nimbus des Priesterkönigs nahm auf diese Weise Schaden. Für die Außenbeziehungen der englischen Krone unter Jakob erwies es sich zudem als problematisch, dass er den Papst in seinen Druckwerken als Antichrist bezeichnet hatte. Diese verschriftlichte Positionierung bedeutete in seinen letzten Regierungsjahren eine erhebliche Belastung der Beziehungen der englischen Krone zu katholischen Fürsten gerade in dem Moment, als die Niederlage des Schwiegersohns Jakobs, des „Winterkönigs“ Friedrich V. von der Pfalz, eine die Konfessionsgrenzen überschreitende Neuorientierung erforderte.102 Letztlich produzierte die Bündelung der Rollen des fürstlichen Herrschers und des Theologen so viele Widersprüche und Probleme, dass sie nur selten in die Praxis umgesetzt wurde. Geistliche als Seelenführer und Wächter der Herrschaften

Auch die große Mehrheit der Fürsten, die nicht den Anspruch erhoben, als Theologen zu gelten, mussten die sich aus der Verzahnung des (Sozio-)Politischen mit dem Religiösen ergebenden Rollen- und Handlungswidersprüche einhegen. Die Rolle des Fürsten als Schutzherr des wahren Glaubens war nach Johannes Burkhardt ein legitimierender „Stützfaktor“ für die Ausübung und den Ausbau fürstlicher Herrschaft und somit dem Staatsbildungsprozess dienlich.103 Die konfessionellen Konflikte bekräftigten diese religiöse Rolle noch. Das gilt für die spanischen und österreichischen Habsburger ebenso wie für Elisabeth I. von England, die sich als Integrationsfigur zu stilisieren wusste, in der nationale und konfessionelle Elemente verschmolzen.104 Es war für die große Mehrheit der Fürsten des 16. und zumindest der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts jedoch nicht einfach eine Sache politischer Opportunität, sich als Verteidiger des Glaubens zu inszenieren. Vielmehr standen sie in ihrer politischen Rolle als Herrscher wie in ihrer religiösen Rolle als (konfessionell gebundene) Christen ihrer eigenen Auffassung nach Gott gegenüber – so wie auch noch im 18. Jahrhundert die eingangs 102 Pečar: König. 103 Burkhardt: Friedlosigkeit, 548. 104 Weiand: Elisabeth I., 148 f.

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dieses Teils erwähnte Maria Theresia. Insoweit ist die Wertung religiöser Legitimation als „Stützfaktor“ der Staatsbildung problematisch, da sie das Feld des Religiösen zu einem sekundären Faktor reduziert, der dem Handlungsfeld des Politischen nützlich war. Doch kein Fürst, der davon ausging, nach seinem Tod an seinen Sünden gemessen zu werden, konnte auf Dauer auf diese Weise denken. Fürsten mussten daher darauf bedacht sein, dass ihr Handeln auf dem Feld des Politischen nicht ihr Seelenheil gefährdete. Zu diesem Zweck bedurften sie religiöser Spezialisten, deren Aufgabe darin bestand, das fürstliche Handeln nach dem Maßstab religiöser Gebote zu bewerten. An katholischen Höfen fiel diese Aufgabe den Beichtvätern von Fürsten zu, mitunter ergänzt von Hofpredigern. Protestantische Fürsten begnügten sich in der Regel mit Letzteren. Während sich die protestantischen Hofprediger in der Regel auf die Beratungs- und Ermahnungsfunktion beschränkten, war der Aufgabenbereich der katholischen Beichtväter komplexer. Für sie war der Fürst als individueller katholischer Christ ein „Beichtkind“, dessen Sündenbekenntnisse sie im Beichtgespräch abwogen und dessen Gewissen und Sündenbilanz sie durch die Absolution und damit verbundene Bußleistungen entlasteten.105 Der sakramentale Charakter der Beichte bedingte das persönliche Zwiegespräch zwischen Fürst und Beichtvater, das Letzterem einen exklusiven Zugang zum Herrscher garantierte und im Idealfall den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses ermöglichte. Heikel war die dem Beichtenden eigentlich übergeordnete, ihn belehrende und auf seine Reue und Zerknirschung (contritio) zielende Position des Beichtvaters.106 Im Beichtgespräch wechselte der Fürst damit situativ in eine dem Beichtvater untergeordnete Rolle. Verfasser von Traktaten über fürstliche Beichtväter rechtfertigten dessen situative Überordnung mit dem Rollenbild der biblischen Propheten, deren weiser Rat den israelitischen Königen die göttliche Wahrheit vermittelt habe.107 Der Fürst war gleichwohl nicht irgendein beichtender Christ, sondern eine qua Amt in ihrer Seele besonders gefährdete Person. Denn er hatte viele folgenreiche Entscheidungen zu treffen, welche die christliche Moral und Gerechtigkeit betrafen. Aufgrund des hohen fürstlichen Sündenpotenzials reichte es nicht aus, wenn der Beichtvater im Beichtgespräch die bereits begangenen Sünden der ihm überantworteten Seele evaluierte. Vielmehr musste er bereits präventiv tätig werden als Berater in allen das fürstliche Seelenheil betreffenden Fragen. Und das bedeutete: Ob er dies nun wollte oder nicht, nahm der Beichtvater nicht nur die Rolle des Seelenführers ein, sondern auch die eines politischen Beraters, der Erwägungen und Entscheidungen des Fürsten in vielen Bereichen seines Handelns als Herrscher kommentierte. Seine Beratungsgegenstände reichten von 105 Hepworth/Turner: Confession, 22. 106 A. Hahn: Zur Soziologie der Beichte, 408. 107 N. Reinhardt: Voices, 245 ff.

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­Kriegserklärungen über Fragen der Besteuerung, die Vergabe von Ämtern und Titeln bis zur Gewährung von Gunstbezeugungen. Es war insoweit nur konsequent, wenn Beichtväter in fürstlichen Beratungsgremien vertreten waren wie im Staatsrat der spanischen Monarchie oder dem Conseil privé du roi in Frankreich.108 Damit lud der Beichtvater allerdings genau den Normenkonflikt auf sich, von dem er den Fürsten entlastete: Er war in seiner Rolle als Seelenführer der Normen- und Wertewelt des Religiösen verpflichtet, nahm aber an Beratungen in politischen Gremien teil und war in der Regel auch in die Hofgesellschaft integriert. Sein Zugang zum König machte ihn zum Anlaufpunkt für diejenigen, die über ihn das Ohr des Königs zu erreichen hofften, und er konnte auf diese Weise sogar an die Spitze einer Hoffaktion gelangen.109 Infolge dieser Einbindung in die höfische Gesellschaft drohte die Gefahr, dass sich der fürstliche Beichtvater angesichts der politischen Bedeutung seines religiösen Amtes in den Stricken der Welt verfing. Die Prophetenrolle des Beichtvaters basierte auf einer Orientierung am Transzendenten und einer gewissen Distanz zu den Niederungen weltlicher Politik und soziopolitischer Rivalitäten. Genau an dieser Distanz fehlte es vielen fürstlichen Beichtvätern. In der Gesellschaft Jesu, die eine ganze Reihe Gewissensführer von Fürsten stellte, wurde diese Problematik auf den Generalkongregationen seit 1565 intensiv diskutiert.110 Erst 1608, auf der sechsten Generalkongregation, rangen sich die Jesuiten dazu durch, die Frage, auf welchen Feldern die Beichtväter nicht tätig sein sollten, generell zu regeln: Er [der Beichtvater] soll sich hüten, sich in die auswärtigen und politischen Angelegenheiten zu verwickeln. Vielmehr soll er sich allein das angelegen sein lassen, was das Gewissen des Fürsten betrifft oder sich darauf bezieht, oder andere unzweifelhaft fromme Werke.111

Hilfreich für die moraltheologische Praxis war diese Formulierung nicht, denn sie definierte einerseits das Gewissen des Fürsten als Arbeitsbereich des Beichtvaters, um aber gleichzeitig einen entscheidenden Teilbereich davon wieder aus der Beichtpraxis auszuschließen. Kaum ein Fürst hätte mit einem jesuitischen Beichtvater, dessen Kompetenzbereich in dieser Weise eingeschränkt war, etwas anfangen können; und kein Beichtvater hätte seiner Aufgabe, den Fürsten vor schweren Sünden zu bewahren, angesichts solcher Einschränkungen entsprechen können. Derart impraktikable Formulierungen dokumentieren das Unvermögen, die Vorstellung von einem separaten, von der „Welt“ zu scheidenden 108 N. Reinhardt: Voices. 109 Das gilt beispielsweise für Luis de Aliaga, den Beichtvater Philipps  III. von Spanien: v. Thiessen: Diplomatie und Patronage, 113. 110 Die nachfolgenden Ausführungen nach Bireley: Hofbeichtväter. 111 Zitiert nach Bireley: Hofbeichtväter, 403.

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Handlungsfeld des Religiösen in die Praxis umzusetzen. Im Ergebnis wurde eine Handlungsanweisung formuliert, die einem religiösen Ideal entsprach, das nicht durchsetzbar war. Diese Paradoxie ist nicht als Ausdruck bewusster Heuchelei oder Ignoranz misszuverstehen. Vielmehr sind derartige Handlungsanweisungen weniger als konkrete Handreichungen für die Praxis denn als Warnungen vor den Gefahren von Normenkonkurrenz zu begreifen. Derartige Formulierungen stellen Kompromisse zwischen dem Ordensideal der Jesuiten, das diese zu einer gewissen Weltferne verpflichtete, und ihrem seelsorgerischen Aktivismus dar. Einer generellen und für das Selbstverständnis der Societas Jesu unverzichtbaren Norm wird so grundsätzlich die Reverenz erwiesen, obwohl sich alle Beteiligten bewusst waren, dass die Beichtväter sie unweigerlich übertreten würden. Auch nachfolgende Präzisierungen der Bestimmungen von 1608 brachten wenig Klarheit in ein Feld, das sich nun einmal nicht eindeutig regeln ließ. 1615 nahm man einen erneuten Anlauf: Die jesuitischen Beichtväter sollten sich aus Verträgen zwischen Fürsten und Erbfolge- und Kriegsfragen heraushalten und außerdem auf keinen Fall beim Fürsten Gunsterweise für Bittsteller empfehlen, die an sie herangetreten waren. Gerade letztere Regelung demonstriert die Gefahren der Integration von Beichtvätern in die Hofgesellschaft und ihr Faktionengefüge: Sie wurden damit zu Mittlern der Gunsterweise des Fürsten, was die Ordensleitung als Profanierung des geistlichen Amtes betrachtete. Die Versuche der jesuitischen Ordensleitung, ihre Fürstenbeichtväter aus politischen Konflikten und profanen Angelegenheiten herauszuhalten, scheiterten im Dreißigjährigen Krieg schließlich spektakulär. Zwei der zentralen Akteure dieses Krieges, Herzog Maximilian von Bayern und Kaiser Ferdinand II., griffen auf den Rat von Beichtvätern aus der Gesellschaft Jesu zurück, Ersterer auf Adam Contzen, Letzterer auf Wilhelm Lamormaini. Beide Jesuiten engagierten sich über ihren Aufgabenbereich als Seelenführer hinaus in den Faktionskämpfen im Umfeld des Fürsten und wurden jeweils Wortführer einer militant-katholischen Faktion. Beide Beichtväter nahmen damit mehrere, zum Teil widersprüchliche, aber miteinander verbundene Rollen ein: die eines Seelenführers, die eines politischen Beraters und die eines in die Rivalität der Faktionen im Umfeld des Herrschers involvierten höfischen Akteurs. Die in der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges besonders enge Verflechtung zwischen dem politischen und dem religiösen Handlungsfeld einerseits und andererseits die soziopolitische Struktur des Hofes, in der soziale Konflikte und politische Gruppenbildung miteinander verzahnt waren, zog die beiden politisch-konfessionell aktiven Beichtväter in einen Sog von Auseinandersetzungen, Widersprüchen und Rollenkollisionen. Auf dem Regensburger Kurfürstentag im Jahr 1630 wurde dies offensichtlich, als die beiden Beichtväter politisch unvereinbare Vorhaben gegeneinander ausfochten. Ihr Konflikt entzündete sich an der Frage, wie sich der Kaiser gegenüber Wallenstein verhalten sollte. Contzen drängte auf dessen Ablösung, während Lamormaini die gegenteilige

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Position vertrat. Beide beschuldigten sich gegenseitig beim Ordensgeneral, eine Einigung der katholischen Kräfte verhindert zu haben; Contzen verfasste sogar anonym ein antihabsburgisches Pamphlet. Beide Beichtväter machten sich durch ihr politisches Engagement angreifbar und der offene Konflikt zwischen ihnen machte ihre Position vollends unhaltbar – das politische Engagement delegitimierte ihre religiöse Rolle. Damit war das Modell des politisch aktiven Beichtvaters stark beschädigt. Die beiden Jesuiten verloren daher in den auf den Prager Frieden von 1635 hinführenden Verhandlungen, in denen an der Entschärfung des konfessionellen Konflikts gearbeitet wurde, an Einfluss. Nachfolgend gingen Beichtväter zumeist deutlich zurückhaltender mit politischen Fragen um. Die Beichtväter mussten sich stärker auf ihre genuine Rolle als Gewissensprüfer eines individuellen Christen zurückziehen, um den politischen Gefahren ihres Amtes zu entgehen. Diese Disambiguierung der Funktion des Beichtvaters wurde durch ihre Beschränkung auf das Gewissen der „Privatperson“ des Fürsten zumindest ansatzweise erreicht. Der Rückgang der Bedeutung des Faktors Konfession zumindest in den Außenbeziehungen erleichterte diese Beschränkung. Während politische Entscheidungen in den letzten zwei Dritteln des 17. Jahrhunderts immer weniger Gegenstand der Gespräche zwischen Fürst und Beichtvater wurden, ohne allerdings vollkommen aus dem Aufgabenbereich des Beichtvaters zu verschwinden, nahm die Sorge des Beichtvaters um die individuelle Lebensführung des Fürsten zu.112 Beichtväter des 18. Jahrhunderts akzeptierten zunehmend, dass sie in der Sphäre des Politischen wenig auszurichten hatten, und konzentrierten ihre Energien stattdessen auf die Moralisierung des Lebenswandels ihres Beichtkinds, was sie und andere Geistliche im Umfeld des Königs zu natürlichen Gegnern fürstlicher Mätressen machte.113 Auf diese Weise war eine begrenzte Trennung zwischen der Handlungssphäre des Politischen und der des Religiösen entstanden. Das Politische galt immer weniger als ein Bereich, über das Geistliche, die mit dem Seelenheil der Herrscher betraut waren, urteilen konnten. Wenn auch von einer faktischen Autonomie des Politischen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch keine Rede sein kann, so war doch eine gewisse Abtrennung dieses Handlungsfeldes von den Anforderungen religiös begründeter Moral und konfessioneller Parteilichkeit festzustellen, die sich an den Aufgabenbereichen der fürstlichen Beichtväter besonders markant zeigt. Eine in Teilen parallele Entwicklung lässt sich im Protestantismus feststellen. Auch dort war das Verhältnis zwischen der weltlichen Obrigkeit und den 112 N. Reinhardt: Voices, 303 und 347. 113 Das zeigt sich etwa angesichts einer ernsten Erkrankung Ludwigs XV. von Frankreich im Spätsommer 1744, die seinen Almosenier François de Fitz-James, Bischof von S ­ oissons, veranlasste, die Vertreibung der Mätresse aus dem Umfeld des Königs zu fordern. Vgl. Engels: Königsbilder, 184.

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Geistlichen hierarchisch ambivalent. Im Sinne der Dreiständelehre bestand eine Aufgabenteilung zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt, die gleichwohl Überschneidungen und wechselseitige Kontrolle bedingte. Unbestritten war auf lutherischer Seite, dass die weltliche Obrigkeit ihre Herrschaftsgewalt von Gott empfangen hatte. Herrschaftsausübung war daher an die göttlichen Gebote gebunden, und die Obrigkeit hatte als Schutzherrin der Kirche zu wirken. Geistliche hatten die Aufgabe, auf die getreue Erfüllung der Herrschaftspflichten durch die Obrigkeiten zu achten.114 Der norddeutsche Reformator Johannes Bugenhagen bezeichnete dieses Wächteramt als „wachen Dienst am weltlichen Regiment“.115 Dabei handelte es sich um ein in eine Dienstrhetorik gekleidetes Widerstandsrecht in den Händen der lutherischen Geistlichen. Sie bildeten damit qua Amt eine normüberwachende Elite und waren als solche für die Gestaltung der gesellschaftlichen Ordnung mitverantwortlich und zu Obrigkeitskritik geradezu aufgefordert. Das Verhältnis zwischen ihnen und der Obrigkeit war insoweit durch ein bisweilen schwieriges Mit- und Gegeneinander gekennzeichnet.116 Direkte Kritik am obrigkeitlichen Handeln von der Kanzel aus ist besonders gut für den städtischen Raum untersucht. Dass Prediger gegenüber Stadträten vermutlich tatsächlich kritikfreudiger waren, dürfte mit der geringeren sozialen Distanz zwischen ihnen und den die Kommune Regierenden zusammenhängen. Die städtische Geistlichkeit kam meistenteils in etwa aus dem gleichen Milieu wie die Ratsherren. Hofprediger ließen sich demgegenüber lieber von Zeit zu Zeit allgemein über die Sündhaftigkeit der adlig-höfischen Lebensweise aus,117 was den Vorteil bot, keine mächtigen Personen im Umfeld des Fürsten oder gar den Fürsten selbst angreifen zu müssen. Städtische Prediger hingegen wagten eher einen Konflikt mit der Ratsobrigkeit und brachten ihre Kritik am weltlichen Regiment oder an den Sünden ihrer Mitbürger direkter zum Ausdruck. Auch wenn ihre direkt religiös legitimierte Amtsrolle im Grundsatz kaum zurückzuweisen war, hatten sie doch auch Rücksichten zu nehmen, und zwar zum einen auf die Ehre der von ihnen angeprangerten Sünder, zum anderen auf den Wert der Eintracht, der öffentliche Obrigkeitskritik begrenzte. Protestantische Prediger waren damit einem grundlegenden Normen- und Rollenkonflikt ausgesetzt: Sie gehörten keinem eigenen geistlichen Stand an, sondern waren Bürger, die ein geistliches Amt ausübten. Als solche aber standen sie unter dem weltlichen Schwert und waren dem Rat – jedenfalls aus dessen Sicht – zu Loyalität ­verpflichtet. Doch dieser Loyalitätsforderung nachzukommen hätte die Wächterfunktion, die für das Selbstverständnis vieler Prediger eine zentrale Kategorie darstellte, bis zur 114 Schorn-Schütte: Kommunikation, 307. 115 Zitiert nach Schorn-Schütte: „Papocaesarismus“, 237. 116 Dürr: Simonie, 273; Schorn-Schütte: Obrigkeitskritik, 208. 117 Schorn-Schütte: Geistlichkeit, 35.

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Unkenntlichkeit beschnitten. Im nachreformatorischen Stralsund etwa forderte der Rat die Geistlichkeit auf, ihr Recht auf Mitwirkung an der Gestaltung des Gemeinwesens in Einklang mit dem weltlichen Regiment auszuüben – klar tritt hier ein Grundpfeiler der politischen Kultur der Frühen Neuzeit zutage, die Konsensorientierung. Der Wert der Eintracht war nur schwer mit dem Rollenbild mahnender und kompromisslos die reine Wahrheit verkündender Propheten in Einklang zu bringen, was immer wieder zu Konflikten und Misshelligkeiten zwischen Rat und Predigern führte.118 Die Stadt Stralsund stellt ein besonders eingängiges Beispiel für das „Problem­ dreieck Rat – Gemeinde – Prädikanten“ dar. Dort erwuchs aus Anlass des „Augsburger Interims“ ein Konflikt zwischen den auf konfessionelle Reinheit ­pochenden Predigern und dem Kompromissen offenen Rat. Das Interim war eine 1548 erlassene Verfügung Kaiser Karls V., die nach seinem Sieg im Schmalkaldischen Krieg gegen ein Bündnis protestantischer Reichsstände die kirchlichen und die Glaubenspraxis betreffenden Verhältnisse vorläufig, bis zu einem gesamtkirchlichen Konzil, regeln sollte. Es enthielt einige Zugeständnisse an die Protestanten – vor allem den Laienkelch –, orientierte sich aber im Wesentlichen an der katholischen Lehre.119 Die Stralsunder Prediger erachteten das Interim als einen Angriff auf das evangelische Bekenntnis und damit als Anlass, in ihrer religiösen Wächterrolle die kompromisslose Zurückweisung des Interims zu fordern. Der Rat hingegen wollte einen derart provokativen Akt gegenüber dem Reichsoberhaupt vermeiden; die Ratsmitglieder orientierten sich an einer politischen Kultur, die direkte Konfrontation so weit als möglich vermied und offenem Dissens durch eine Verzögerungstaktik auswich.120 Letztlich verfolgten beide städtischen Akteursgruppen das gleiche Ziel: die Umsetzung des Interims zu verhindern. Für beide war die Treue zur Konfession handlungsleitend. Sie bedienten sich aber unterschiedlicher Mittel, die in diesem Fall zu einer innerstädtischen Konfrontation führten. Beide handelten zudem in unterschiedlichen Rollen mit jeweils eigenen Normenhori­zonten und Interessen. Für viele protestantischen Prediger (nicht nur in S ­ tralsund) konnte das Interim als Angriff aus Gründen des Gewissens nur schroff zurückgewiesen werden; denn sonst hätten sie in ihrer Wächterfunktion versagt und die reine Lehre Gottes verraten. In Grundfragen des Glaubens durfte es demnach keine Ambiguität bzw. keine Kompromisse geben, und sei sie auch nur taktisch bedingt. Die städtischen Ratsherren hingegen konnten flexibler agieren und sahen durch das forsche Vorgehen der Prediger zudem einen anderen hohen Wert, die innerstädtische Eintracht, gefährdet und zudem die Stadt der Gefahr von kaiserlichen Strafmaßnahmen ausgesetzt. 118 Schorn-Schütte: „Papocaesarismus“, 236. 119 Zum Interim: Schorn-Schütte (Hrsg.): Interim. 120 Berwinkel: Macht, 145 und 179 ff.

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Während der Stralsunder Fall einen Rollenkonflikt in einer politisch-konfessionellen Krisensituation darstellt, schwelte weiter westlich, im mecklenburgischen Rostock, ein Dauerkonflikt, der das Spannungspotenzial zwischen Prediger und Rat erhöhte und die Glaubwürdigkeit der religiösen Grundierung des Wächteramts in Zweifel zog. Die Stadt an der Warnow genoss weitgehende Freiheiten gegenüber der Landesherrschaft, die aber über die Prediger gewissermaßen einen Fuß in die Stadt setzen konnte. Denn diese unterstanden nicht der städtischen Jurisdiktion, sondern der des herzoglichen Landesherrn. Gewählt wurden sie jedoch vom Rat und von der Gemeinde. Das Verhältnis der Stadt zu ihrer Landes­ herrschaft war im späten 16. Jahrhundert von Spannungen gekennzeichnet. Hinzu trat ein politischer Dauerkonflikt zwischen der Bürgerschaft bzw. Teilen von ihr und dem Rat, bei dem es um die Mitbestimmung in der Stadtregierung ging. In diesem komplexen politischen Spannungsverhältnis bedeutete die Kritik von Predigern an der Politik des Rates nicht nur die Aktivierung der Wächterfunktion der Geistlichen, sondern auch einen potenziell gefährlichen Angriff auf die soziopolitische Führungsposition des Rates. Denn der Rat sah hinter derartiger Kritik stets auch den herzoglichen Landesherrn und mitunter die Bürgerschaft am Werke, womit die Frage des geistlichen Wächteramts einen eminent politischen Anstrich erhielt: Die Zurückweisung geistlicher Kritik und notfalls Ausweisung ihrer Verursacher bedeuteten auch die Verteidigung der städtischen Freiheiten gegen landesherrliche Eingriffe und eine Notmaßnahme zur Wahrung der kommunalen Eintracht.121 Der Rostocker Fall illustriert, dass das Wächteramt, das eigentlich ein religiöses Korrektiv gegenüber der weltlichen Obrigkeit darstellte, infolge der Verzahnung zwischen der politischen und der religiösen Handlungssphäre Teil eines politischen Konflikts wurde. Wie die Beichtväter hatten auch die lutherischen Mahner auf der Kanzel erhebliche Probleme, ihre religiöse Rolle tatsächlich frei von politischen Implikationen zu halten. Auch die prophetischen Wahrer konfessioneller Reinheit waren einer erheblichen Normenkonkurrenz ausgesetzt, die ihre Rolle beschädigen konnte. Die irdische und die transzendente Sphäre rücken zusammen: Mit Gott und dem Teufel rechnen

Die Beispiele für eine derart zugespitzte Vorstellung von der geistlichen Wächterfunktion betreffen vor allem den Zeitraum von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, fallen zeitlich also – wenig überraschend – mit der Hochphase der konfessionellen Auseinandersetzung zusammen. In dieser Zeit ist bei vielen Akteuren ein Wandel in der Wahrnehmung der Welt festzustellen, welche die 121 Strom: Das Rostocker Geistliche Ministerium; ders.: Kirchenzucht.

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Relevanz und Durchschlagskraft religiös motivierter Argumente und Positionen begünstigte; damit erreichte die Autorität religiöser Normen einen Höhepunkt. Das Beharren auf ihrer Wächterrolle und die mitunter auffallende Bereitschaft von Geistlichen, in Glaubensfragen entgegen dem für die Öffentlichkeit geltenden Konsenspostulat ihre Stimme zu erheben, ist auch damit zu erklären, dass sie stärkere Kräfte hinter sich vermuteten als über ihre Kritik empörte Ratsherren. Die konfessionelle Konfliktsituation und das Ringen um letztgültige Wahrheiten begünstigten auf Seiten der politisch Handelnden die Wahrnehmung des Eingreifens Gottes wie auch seines Widersachers, des Teufels, in der Welt. Es lag für die Akteure im späten 16. und noch mehr im frühen 17. Jahrhundert nahe, davon auszugehen, dass die konfessionellen Spannungen in der irdischen Welt ihre Entsprechung in der Sphäre des Transzendenten hatten. Dass eine Auseinandersetzung über Grundfragen des Glaubens und über die Zukunft der Christenheit Gott gewissermaßen kalt ließ und seinen Gegenspieler, den Teufel, nicht reizte, war kaum denkbar. Ganz im Gegenteil begünstigten die Spannungen zwischen den Konfessionen apokalyptische Vorstellungen, denen zufolge die Konfessionsspaltung ein Symptom des nahen Weltendes war, das sich auch durch zunehmende und in der irdischen Welt erfahrbare Aktivitäten transzendenter Akteure andeutete. Am Kampf zwischen den Konfessionen, so die weitverbreitete Ansicht, waren irdische ebenso wie transzendente Akteure beteiligt. Für die Jahrzehnte um 1600 gibt es viele Belege dafür, dass die Sensibilität der Christen für göttliche Wunderzeichen und Prodigien bzw. die Bereitschaft, alle möglichen Erscheinungen als solche wahrzunehmen, massiv anstieg.122 Damien Tricoire hat dargelegt, dass die politisch Handelnden angesichts der vermuteten Aktivitäten Gottes in der irdischen Welt diese in ihr politisches Handlungskalkül mit einzubeziehen suchten, ja sogar bestrebt waren, aus der vermuteten himmlischen Unterstützung für gottgefällige Ziele Gewinn zu schlagen. Himmel, Hölle und Welt wurden von vielen Akteuren als ein großes, zusammenhängendes Schlachtfeld wahrgenommen. Eine solche Wahrnehmung, die nach Tricoire in Europa zwischen 1620 und 1640 ihren Höhepunkt erreichte, begünstigte eine aktivistische, den Krieg als legitimes, ja unerlässliches Mittel miteinbeziehende Politik der Polarisierung und der Auseinandersetzung.123 Religiöse und politische Handlungsimperative konnten im Einzelfall regelrecht miteinander verschmelzen, wenn der Kampf gegen einen Gegner anderen Glaubens nicht nur als innerweltliche Auseinandersetzung, sondern auch als Dienst am Glauben und Pflicht gegenüber Gott angesehen wurde. Paradoxerweise führte gerade diese Verschmelzung dazu, dass auch die ­Methoden der Auseinandersetzung rauer wurden und die moralische Einhegung des Verhaltens im Krieg sprengten. 122 Klingebiel: Apokalyptik; v. Krusenstjern: Prodigienglaube. 123 Tricoire: Mit Gott rechnen, 10 f.

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Tricoires auf die Außenbeziehungen fokussierender Ansatz erscheint auch auf anderen Feldern obrigkeitlichen Handelns weiterführend. Denn auch nach innen begünstigte die Vorstellung, dass die Christenheit durch den Teufel bedroht oder die Intervention des strafenden Gottes zu befürchten sei, ein aktivistisches Auftreten von Obrigkeiten, die ihrer religiösen Schutzfunktion gerecht zu werden suchten. Der Teufel als in der Welt gegen Gott und die Christen wirkende Schreckfigur wurde bereits von den Reformatoren, die ihn mit dem Papsttum identifizierten, stark gemacht. Im späten 16. Jahrhundert aber war die Annahme, er betreibe aktiv Wühlarbeit in der Welt und bediene sich dabei menschlichen Hilfspersonals, vielerorts, vor allem im von religiösen Spannungen betroffenen Reich, zum Allgemeingut geworden.124 Dabei richtete sich der Verdacht des Bündnisses mit dem Teufel weniger gegen die Angehörigen anderer Konfessionen, die eher als Opfer der von ihm in die Welt gebrachten Irrtümer angesehen wurden, als vielmehr auf Feinde in den eigenen Reihen. Es galt, Menschen aufzuspüren, die mit dem Teufel eine Verbindung eingegangen waren und von ihm befähigt wurden, schweren Schaden anzurichten – Hexen.125 Zweifellos ist die Hexenverfolgung als multikausales Phänomen zu betrachten, dessen Ursprünge bis in das späte Mittelalter zurückreichen.126 Ihre Hauptphase reicht in West- und Mitteleuropa von den 1560er bis in die 1630er Jahre 127 und ist gekennzeichnet durch wiederholt auftretende regionale Verfolgungswellen mit Massenprozessen.128 Die Hexenforschung hat herausgearbeitet, dass das Zusammentreffen obrigkeitlicher Verfolgungsbereitschaft und eines Verfolgungsdrucks von Seiten der Untertanen dazu führte, dass die Bekämpfung vermeintlicher Hexen ein erhebliches Ausmaß erreichte – im Reich, das sich durch eine relativ hohe Verfolgungsdichte auszeichnete, ist von mindestens 30.000 ­Hinrichtungen auszugehen. Erklärungsbedürftig ist nach wie vor, warum ein vollkommen aus der Luft gegriffenes, an sich evident kontrafaktisches Deliktbild sowohl von vielen Obrigkeiten als auch von einem großen Teil ihrer Untertanen in einem bestimmten Zeitraum als plausibel angesehen wurde. Vor allem im Reich ist der Umschlag des Hexenbildes von einem von der Elite eher belächelten und von der Masse der Bevölkerung kaum rezipierten Phantasieprodukt einiger Geistlicher zu Beginn des 16. Jahrhunderts 129 zu einem akuten Bedrohungsszenario einige Jahrzehnte später bemerkenswert. Kritik an der Hexenverfolgung wurde zwar auch in 124 Levack: Hexenjagd, 105 ff.; Venard: Angst, 1074 und 1078 f. 125 Schormann: Städtische Gesellschaft, 180 f. 126 Schwerhoff: Rationalität, 47 ff.; Cohn: Demons. 127 Behringer: Hexen, 180 ff.; Larner: Witchcraft, 42; Levack: Hexenjagd, 180. 128 Die Prozesswellen sind mustergültig am Beispiel Südwestdeutschlands untersucht worden: Midelfort: Witch Hunting. 129 Behringer: Hexen, 77.

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dieser Hauptphase geäußert,130 konnte sich jedoch für einige Jahrzehnte in vielen Teilen Europas nur schwer Gehör verschaffen.131 Neben einer Reihe weiterer Faktoren – etwa der Klimaverschlechterung der „Kleinen Eiszeit“132 – dürfte die Bereitschaft zur Wahrnehmung transzendenter Eingriffe in eine von religiösen Spannungen gekennzeichnete Welt wesentlich zur wachsenden Akzeptanz des Hexenglaubens und damit zu einem Klima der Verdächtigung und Verfolgung beigetragen haben. Auch die bereits beschriebenen Bemühungen der Konfessionskirchen sowie der weltlichen Obrigkeiten um eine Verchristlichung der Gesellschaft erscheinen in diesem Licht als Teil einer Auseinandersetzung mit dem Erzfeind der Christenheit, womit die Verfolgung von Hexen als Beitrag zur Reinigung der eigenen konfessionellen Gruppe angesehen werden kann. Konfessionelle Lauheit und abweichendes Verhalten wurden von den Verfassern von Hexentraktaten nicht selten mit der Hexerei in Verbindung gebracht, denn der Teufel suche bei den Glaubensschwachen Verbündete, um der Christenheit zu schaden.133 Bezeichnenderweise war die Forderung nach Hexenverfolgung auch Thema der Kanzelreden von Geistlichen, protestantischer wie katholischer. Nicht selten erinnerten Prediger die Obrigkeiten an ihre Pflicht, die Feinde Christi mit Härte zu verfolgen.134 Es entstand damit ein Handlungsbereich für die obrigkeitliche Justiz, die von den beunruhigten Untertanen gedrängt, wenn nicht sogar massiv unter Druck gesetzt wurde, um dem Treiben der Hexen Einhalt zu gebieten.135 Diese Art der empowering interaction schuf zunächst eine Win-win-Situation: Die weltliche Obrigkeit bzw. ihre Gerichte konnten als ordnungswahrende und die Gläubigen schützende Instanz auftreten, während die Untertanen ihre Ängste ernst genommen sahen. Diese betrafen allerdings zumeist den Bereich des Schadenzaubers, während die Justiz und die Geistlichen eher das Delikt des Teufelspakts interessierte. Die mittlerweile zahlreichen jüngeren Untersuchungen zu Hexenprozessen zeigen, dass viele Denunziationen vermeintlicher Hexen eine längere Vorgeschichte aufwiesen und ihren Ursprung in sozialen Konflikten hatten.136 Offensichtlich lag, wie Gerd Schwerhoff jüngst festgestellt hat, die Attraktivität des Hexenglaubens für viele Akteure darin, individuelle Interessen mit den höheren Weihen einer religiösen Pflicht zu verbinden. Insoweit haben wir es bei 130 Lehmann/Ulbricht (Hrsg.): Gegner. 131 Behringer: Hexen, 314 ff.; Schormann: Hexenprozesse, 34. 132 Behringer: Kulturgeschichte, 173 ff.; Lehmann: Auswirkungen. 133 Bailey: Demons; Oplinger: Politics; Voltmer: Netzwerk, 498 f. 134 Behringer: Hexen, 132. 135 Falk: Vom unzeitigen Rennen, 286 und 298; Labouvie: Zauberei, 42 und 82 ff.; Rummel: Bauern. 136 Ahrendt-Schulte: Schadenzauber; Falk: Vom unzeitigen Rennen, 285 ff.; Gersmann: Injurien­klagen; Labouvie: Zauberei, 98 und 166 ff.; Macfarlane: Witchcraft, 111 f., 151 ff. und 194 ff.; Monter: Witchcraft, 132 ff.; Thomas: Religion, 547 ff.; Walz: Hexenwahn.

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der Hexenverfolgung mit einer Überlagerung unterschiedlicher Handlungsebenen zu tun: Soziale Konflikte wurden durch die Einschaltung der Justiz in die Sphäre eines dem Gemeinwohl förderlichen Tuns gehoben, das dem Erhalt der religiösen und moralischen Ordnung diente.137 Gottgefälliges Handeln war angesichts der unmittelbaren Präsenz des Transzendenten nicht ein Ausdruck von weltfremder Frömmigkeit, sondern die Parteinahme in einem Kampf, der – etwa über das Wirken des Teufels und die Abwehr seiner irdischen Verbündeten – bis in den Alltag reichte und die Relevanz religiöser Normen stärkte. Nicht alle Akteure dürften zwar in gleicher Weise von apokalyptischen Endzeiterwartungen erfasst worden sein, doch allein schon der vom Schadenzauber ausgehende Schrecken wirkte auf viele Zeitgenossen. Letztlich scheiterte die Hexenverfolgung zu einem guten Teil an sich selbst. Denn zumindest die großen und kaum mehr kontrollierbaren Massenprozesse, insbesondere die um 1630 in den fränkischen Hochstiften Bamberg und Würzburg,138 ließen Zweifel an der Hexenverfolgung wachsen. Auf dem Kurfürstentag zu Regensburg im gleichen Jahr wurden die Bamberger Verfolgungen daher scharf kritisiert und ein kaiserliches Mandat gegen die Würzburger Hexenprozesse erlassen. Die offensichtlichen Missbräuche der Massenprozesse hatten Verfolgungsgegnern Munition geliefert und führten zum vorläufigen Erliegen der großen Hexenprozesse in Süddeutschland.139 Darin äußerte sich eine generelle crisis of confidence gegenüber dem Handeln der Justiz in diesem Deliktfeld. Denn die ständige Ausweitung des Kreises der Verdächtigen durch „Besagungen“ zog eine wachsende Zahl von Personen in die Mühlen der Justiz, die nicht dem Stereotyp der Hexe entsprachen. Wenn in wachsender Zahl Angehörige wohlhabender Schichten, Männer und sogar Ratsherren oder fürstliche Amtsträger unter Verdacht gerieten und hingerichtet wurden, wuchs einerseits die Angst vieler, selbst zum Ziel einer Hexereibeschuldigung zu werden, während andererseits das Vertrauen der Justiz in die Zuverlässigkeit ihrer eigenen Mittel sank. Da die Hexerei als Sonderverbrechen, als gegen die göttliche Majestät gerichtetes crimen exceptum gewertet wurde, fand in vielen Fällen ein über das übliche Verfahren hinausgehender Einsatz der Tortur statt. Gestanden aber in größerer Zahl gefolterte Personen, die dem Milieu der Richter nahestanden oder bei denen der Verdacht wenig plausibel erschien, konnten Prozesse rasch zusammenbrechen. Die Befürchtung, einen massenhaften Justizmord zu begehen, konnte dann die Annahme, eine gefährliche Verschwörung unter Führung des Erzfeindes der Christenheit zu bekämpfen, unterminieren.140 Und die sozialen Funktionen der 137 Schwerhoff: Hexen, 191 ff. 138 Peters: Folter, 94. 139 Behringer: Hexen, 328. 140 Midelfort: Witch Hunting.

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Hexenverfolgung – der Sündenbockmechanismus und die Nutzung der Prozesse zur Anschwärzung von Gegnern in sozialen Konflikten – traten dann hinter einer allgemeinen Wahrnehmung der Dysfunktionalität und Gefährlichkeit der Prozesse zurück. Die Denkfigur des in der Welt aktiven und mit menschlichen Verbündeten operierenden Teufels verlor angesichts dieser Erfahrungen – auf breiter Front ab etwa 1630, aber mit erheblichen regionalen Unterschieden 141 – an Überzeugungskraft. Damit war ein Generator der Steigerung der Bedeutung religiöser Normen zum Stillstand gebracht worden. Die Annahme, die finale Auseinandersetzung zwischen Gott und dem Teufel stehe bevor und verlange von jedem Christen eine eindeutige Positionierung, büßte ebenso an Plausibilität ein wie die Vermutung, dass Gott selbst in erheblichem Ausmaß in die Welt eingreife und sich den Menschen mitteile. Für die große Masse der lateinischen Christen in Europa behielten religiöse Normen allein schon deshalb eine große Bedeutung, weil sie weiterhin davon ausgingen, nach dem Ende ihres irdischen Daseins daran gemessen zu werden, wie sie als Christen gelebt hatten. Doch die Angst vor den Gegnern der Christenheit und die Furcht vor einem strafenden Gott verloren ihre handlungsleitende Kraft, womit die jahrzehntelange Hochkonjunktur des religiösen Normensystems endete. Der Handlungsdruck, auch das alltägliche Leben am Glauben auszurichten und sich konfessionell zu positionieren, nahm deutlich ab und Ambiguität im Sinne eines Lavierens oder Austarierens von Normen im alltäglichen Handeln tendenziell wieder zu. Wer in dieser Entwicklung nicht mitgehen mochte, dem stand im Katholizismus aber weiterhin das formalisierte Lebensmodell des religiösen Spezialisten in einem Orden zur Verfügung, während im Protestantismus Gruppen von Erweckten in Abgrenzung zur lauen Masse eine dezidiert fromme Lebensführung zu praktizieren trachteten – und damit allerdings von einem nun weniger ausgeprägt religiösen Umfeld nicht selten als deviant wahrgenommen wurden. Auf diesen Aspekt wird im Kapitel über die normativen Übererfüller zurückzukommen sein. Glaube und Frömmigkeit hatten, um zu einem vorläufigen Resümee zu gelangen, eine ausgesprochen hohe Bedeutung in frühneuzeitlichen Gesellschaften, und religiöse Normen einen herausragenden Stellenwert. Sie boten autoritative und attraktive Rollenmodelle, etwa das des prophetischen Glaubenswächters, des Reformbischofs, des den wahren Glauben einführenden oder verteidigenden Fürsten, des frommen Gläubigen oder auch des Hexenrichters. Sie verliehen ihren Trägern Einfluss, Legitimität und vermutlich auch Selbstgewissheit; solche Akteure traten dann regelrecht als Multiplikatoren oder Anwälte einer 141 Vgl. die Beiträge im Sammelband Lorenz/Bauer (Hrsg.): Ende.

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­ ormativen Zentrierung zugunsten zentraler religiöser Handlungserwartunn gen auf. Die Grundkonstellation wachsender konfessioneller Spannungen und Unsicher­heiten im Europa des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts boten ihnen besonders gute Entfaltungsmöglichkeiten, und dies auf vielen Ebenen: in der Politik, in der Seelsorge und in der alltäglichen Frömmigkeitspraxis. Doch ihr Wirken war keineswegs nur disambiguierend, entweder im Sinne des Schaffens einer Sphäre des Religiösen, die klarer vom Profanen abgegrenzt ist, oder mit dem Ziel der Verchristlichung der gesamten Gesellschaft wie etwa in Calvins Genf. Nicht selten schufen sie statt Vereindeutigung und Reinigung neue Widersprüche und verlangten Akteuren auf einem Feld Ambiguitätstoleranz ab, das doch eigentlich durch Eindeutigkeit und Authentizität gekennzeichnet sein sollte. Die Konfessionalisierung veränderte durchaus die Spielregeln und Handlungsmöglichkeiten für Akteure in der Frühen Neuzeit, aber zu einer grundlegenden Entflechtung und Vereindeutigung verschiedener Handlungsfelder, namentlich des Religiösen, kam es vor dem 18. Jahrhundert nicht. Das hat verschiedene Gründe, die unterstreichen, warum es sinnvoll ist, mit der „Brille“ der Ambiguität auf die Konfessionalisierung zu blicken. Erstens: Träger der normativen Zentrierung waren eher Rollen als Akteure. Diese Akteure aber waren multiple Rollenträger, deren Wirken damit weniger eindeutig war, als der Blick auf einzelne ihrer Rollen nahelegt. Carlo Borromeo als Nepotismus praktizierender Reformbischof ist hierfür ein Paradebeispiel. Zweitens: Akteure waren aufgrund dieser Rollenvielfalt gefordert, relativ rasch und unspektakulär zwischen unterschiedlichen Verhaltensanforderungen zu wechseln und Widersprüche dabei zu ignorieren oder zu überspielen – das heißt Ambiguitätstoleranz zu zeigen. Das gilt etwa für Konvertiten, welche die Authentizität ihres Glaubenswechsels in der Kirche inszenierten, bevor sie in den von Ambiguität gekennzeichneten Alltag zurückkehrten. Sie verfügten über diese Flexibilität, weil sie in eine Gesellschaft sozialisiert worden waren, in der weniger die authentische Einheit der Person als vielmehr die getreue Erfüllung einer Rolle gefragt war. Damit beschränkte sich die Reichweite der konfessionellen Disambiguierung nicht selten auf eine situative und damit zeitbegrenzte Eindeutigkeit des Augenblicks und waren konfessioneller Identitätsbildung Grenzen gesetzt. Und drittens: Besonders durchsetzungsstark waren religiöse Normen dann, wenn sie in Konvergenz mit anderen Handlungserwartungen standen. Diese Art einer sich gegenseitig verstärkenden und relativ widerspruchsfreien Intersektionalität findet sich vor allem in den reformierten Städten der Eidgenossenschaft, die über eine ausgeprägte kommunalistische Kultur verfügten; dann gingen Stadtrepublikanismus und religiöse Zucht Hand in Hand und vermochten den Raum der Stadt kulturell im Sinne einer Verchristlichung zu wandeln. Doch selbst in derartigen Fällen mündete eine religiös gefärbte normative Zentrierung nicht in die Schaffung von Räumen normativer Eindeutigkeit auf Dauer. Denn einerseits

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Normensysteme in Interaktion I

führte das Ausgreifen strikter religiöser Verhaltenserwartungen auf von ihnen bis dahin weniger erfasste Handlungsfelder zu neuen Widersprüchen, Konflikten und Ambiguitäten. Das betrifft etwa das Bedürfnis des Adels, sich im Kirchenraum zu repräsentieren, auch kirchlichen Verboten zum Trotz; oder in besonders ausgeprägter Weise die Beichtväter von Fürsten, deren seelsorgerische Aufgabe sie in genuin politische Angelegenheiten zog, die sie eigentlich zu meiden hatten und deren Position bei Hof sie in soziale Beziehungslogiken zog. Und schließlich ist nochmals darauf hinzuweisen, dass auch die sozioökonomischen Grundkonstellationen der Vormoderne normativer Zentrierung Grenzen setzten, und zwar die kulturellen Verhaltensmuster vormodernen Wirtschaftens und das hierarchische Bauprinzip der Stände- und der Geschlechterordnung. Akteure, nicht nur solche des Adels, waren darauf bedacht, ihre soziale Position zu halten oder zu verbessern, weshalb der moralische Rigorismus der Konfessionalisierung dann seine Grenzen fand, wenn er dieses Grundbedürfnis in Frage stellte, etwa im Bereich der Sepulkralkultur. Gerade, aber keineswegs nur ländliche Gesellschaften nahmen religiöse Normen nur selektiv bzw. verändernd auf und gaben Konventionen, die mit ihrem ökonomischen Überleben und ihrem Zusammenleben verknüpft waren, nicht leichtfertig auf. Das diese Regeln überwachende „Dorfauge“ wirkte daher vor Ort oft normierender als etwa Vertreter der Kirche, und mündliche Face-to-Face-Kommunikation war nicht selten wirksamer als Traktatliteratur oder Synodal­beschlüsse, wie wir am Beispiel des vorehelichen Beischlafs gesehen haben.

4. Normensysteme in Interaktion II: Fürstengesellschaft und Staatenwelt Mächte und Macht in gedachten Ordnungen Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Ambiguität und normativer Verdichtung soll nun anhand der Betrachtung eines ganz anderen Handlungsfeldes vertieft werden, dem der Außenbeziehungen und des Mächtesystems. Die klassische Meistererzählung der internationalen Geschichte klassifiziert die Frühe Neuzeit als Epoche der Formierung des europäischen Staatensystems. Die neuzeitliche europäische Mächteordnung habe das mittelalterliche Ordo-Denken, das heißt die Vorstellung von der politischen Einheit des christlichen Europa unter Papst und Kaiser, überwunden. An die Stelle der – in der politischen Realität stets von Konflikten und Rivalitäten herausgeforderten – Konzeption einer sakralen res publica christiana sei das von Staaten gebildete Mächteeuropa entstanden. In ­diesem hätten die sich festigenden und gegeneinander abgrenzenden Staaten teils in direkter Rivalität, teils über Bündnisse und Absprachen ihre jeweils eigenen Interessen, das heißt ihre Staatsräson verfolgt. Diese habe im Kern in der Konsolidierung und dem Ausbau der eigenen Machtstellung bestanden, was nicht zuletzt auf Kosten schwächerer Akteure gegangen sei; insoweit sei die Frühmoderne auch eine Phase der politischen Flurbereinigung gewesen. Eine Chance, sich in diesem Mächtesystem zu behaupten, habe demnach nur gehabt, wer seine eigenen Machtressourcen in Konkurrenz zu anderen Akteuren zu bündeln verstanden habe, was nicht zuletzt eine Konzentration der Macht- und Entscheidungsressourcen im Innern bedingt habe. Kontroll- und Zwischeninstanzen wie Ständeversammlungen seien damit unter Druck geraten, während der Staat – und das heißt in der Frühen Neuzeit in den meisten Fällen: die monarchische Herrschaft – die Außen- und Finanzpolitik weitgehend in seine Hände bekommen und gegen andere Akteure abzuschirmen vermocht habe.1 Die legitimatorischen Begründungen dieses neuen Verständnisses, den Staatsräsondiskurs und die Souveränitätslehren, haben wir im Kapitel über die gemeinwohlorientierten Normen bereits kennengelernt. In dieser Sichtweise sind die Außenbeziehungen ein Feld, auf dem besonders früh normative Vereindeutigungsarbeit geleistet wurde. Die religiöse Begründung des Staatensystems habe mit dem Aufstieg des Mächtesystems an Plausibilität verloren und damit das Handeln auf dem Feld der Außenbeziehungen nach und nach 1 Eine sehr differenzierte und aktualisierte Version des Mächteparadigmas findet sich in H. Schilling: Formung, 20 f.; vgl. auch Duchhardt: Friedens- und Ordnungskonzepte, 134; Malettke: Grundlegung, 28 f.; vgl. auch Buzan/Little: International Systems, 4 und 274.

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Normensysteme in Interaktion II

von den Fesseln religiöser Handlungsbegründungen gelöst. Und mit dem Aufbau von Staatsapparaten sei ein Umfeld entstanden, in dem Politik zunehmend rational und zielorientiert geplant worden sei. Die personalen, zwischendynastischen Beziehungen seien somit zu Beziehungen zwischen abstrakten S ­ taatswesen transformiert worden, die in Konkurrenz zueinander nach Machterweiterung gestrebt hätten. Damit habe sich Außenpolitik zu einem eigengesetzlichen, von religiösen wie sozialen Erwägungen befreiten (mithin disambiguierten) Handlungsfeld entwickelt, in dem Machtlogiken und strategisches Kalkül dominiert hätten. Die Frühe Neuzeit ist aus dieser Sicht die Epoche, in der sich ­staatliche Machtpolitik zunehmend ungestört von konkurrierenden Normen entfalten konnte und in der diese Mächtepolitik die europäische Ordnung prägte. Wann dieser Durchbruch kam und wie tiefgreifend er tatsächlich war, ist gleichwohl umstritten. Oft wird der Westfälische Frieden als ein solcher Einschnitt gesehen. Er sei als Durchbruch bei der Schaffung einer Staatenwelt zu werten, deren Akteure rechtlich gleichberechtigt als souveräne Staatswesen agiert hätten. Mit dem Verhandlungsmarathon in Münster und Osnabrück habe die Diplomatie zudem moderne Formen der zwischenstaatlichen Kommunikation entwickelt, die Denkfigur der Autonomie des Politischen verstärkt und damit auch dem Völkerrecht einen ersten Durchbruch verschafft. Es habe seither in Spannung zum Mächteegoismus die internationalen Beziehungen reguliert.2 Vor allem in der angloamerikanischen Politologie, seltener in der Geschichtswissenschaft wird die Ordnung der souveränen Staaten als „Westfälisches System“ bezeichnet. Dass dieser Begriff in der Historiographie nie breiten Anklang gefunden hat, hängt damit zusammen, dass viele ihrer Vertreter die Durchbruchswirkung des Westfälischen Friedens für die Staatenordnung relativ zurückhaltend einschätzen. Stattdessen sehen sie die Bestimmungen von Münster und Osnabrück als eine Etappe in einem langen Prozess der Säkularisierung und Verstaatlichung der internationalen Beziehungen.3 In normativer Perspektive sei demnach entscheidend gewesen, dass die Westfälischen Friedensverhandlungen den maßgeblichen Akteuren bewusst gemacht hätten, dass in den Außenbeziehungen andere Regeln gälten als in sozialen Beziehungen,4 womit in Münster und Osnabrück eine normative Disambiguierungsleistung im Sinne einer Vereindeutigung der für das Feld des Politischen gültigen Regeln vollbracht worden sei. Das Paradigma des werdenden Mächteeuropa ist nach wie vor sehr stark in der öffentlichen Wahrnehmung und auch im fachlichen Diskurs präsent. Seine wichtigste Leistung besteht in der Historisierung der Außenbeziehungen, indem es 2 Kleinehagenbrock: Ideen; H. Schilling: Krieg. 3 Vgl. zu dieser Perspektive maßgeblich Duchhardt: „Westphalian System“; ders.: Das „Westfälische System“; Steiger: Friede. 4 Duchhardt: „Verortung“, 12.

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Staaten nicht einfach als ahistorische Einheiten betrachtet, die in einer Welt agieren, auf der das im Prinzip immer gleiche Spiel der Machtbeziehungen staatlicher oder staatsähnlicher, geschlossen auftretender Akteure wie auf einem Billard­tisch aufgeführt wird.5 Es kann mittlerweile weitgehend als Konsens in der Frühneuzeithistoriographie gelten, dass Staaten als Akteure in den Außenbeziehungen ihren Charakter im Laufe der 300 Jahre zwischen 1500 und 1800 änderten und damit die europäische Ordnung fundamentalen Wandlungsprozessen unterworfen war. Doch das Paradigma weist auch Schwächen auf. So hat Johannes Burkhardt die hohe Kriegsdichte der Frühen Neuzeit mit dem Zusammentreffen „defizitäre[r] Problembereiche des werdenden Staates“6 erklärt, die jeweils kriegstreibend gewirkt hätten. Der Fortbestand einer hierarchischen Ordnung anstatt eines Nebeneinanders gleichberechtigter Staaten wird entsprechend als „Egalitäts­ defizit“ gewertet, das Prinzip personaler Fürstenherrschaft statt institutionalisiertbürokratischer Staatlichkeit als „Institutionalisierungsdefizit“ bezeichnet und die Bedeutung konfessionellen Denkens und Handelns in den Außenbeziehungen als „Autonomiedefizit“ qualifiziert.7 Wiewohl Burkhardts Analyse der einzelnen kriegstreibenden Faktoren sehr differenziert ist und seinerzeit bahnbrechend war, muss doch seine Wertung von Faktoren als defizitär, die zu einer bestimmten Zeit handlungsleitend waren, problematisiert werden. Denn sie verengt Geschichte auf eine Interpretation und eine Entwicklungsrichtung und sie entwertet historische Wahrnehmungen und Handlungsweisen, die nicht in das Schema der großen Entwicklungslinie passen. Sie führt damit auch zu einer sehr einseitigen Perspektive, indem sie sich beispielsweise primär für Staaten als außenpolitisch handelnde Einheiten interessiert und damit auch nur Akteuren in staatlichen Diensten ihre Aufmerksamkeit widmet. Zudem werden bevorzugt moderne Begrifflichkeiten verwendet, die nicht unbedingt geeignet sind, die vormodernen Gegebenheiten zu beschreiben. Bereits der Begriff Staatensystem ist, wie noch näher zu erläutern sein wird, problematisch, weil er Assoziationen weckt, die am voll ausgebildeten Staat der Moderne orientiert sind. Letztlich führt eine solche Perspektive zu anachronistischen Urteilen, weil ein erheblicher Teil der historischen Realität ausgeblendet wird.8 Hinzu kommt, dass Bezeichnungen wie ­„Mächteeuropa“ und 5 Zum Ansatz der Schule des „Realismus“ bzw. „Neorealismus“, der zufolge Staaten als rationale und interessengeleitete Akteure auf dem Feld der internationalen Beziehungen agieren, und dies epochenübergreifend und beispielsweise auch im Mittelalter Fischer: Feudal Europe. Zum rankeanischen Konzept der Idealisierung von machtorientierter auswärtiger Politik, die exklusiv von Staaten als mehr oder weniger überzeitlich verstandenen Akteuren betrieben wird, Daniel: Historiker; Mollin: Internationale Beziehungen, 6 ff. 6 Burkhardt: Friedlosigkeit, 514. 7 Burkhardt: Friedlosigkeit, 515 ff. 8 Conze: Jenseits von Männern und Mächten, 51; Osiander: Sovereignty; Teschke: Myth.

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Normensysteme in Interaktion II

„europäische Staatendiplomatie“ die Perspektive auf das christliche Europa verengen und es als einen abgegrenzten diplomatischen Handlungs- und Entwicklungsraum konstruieren. Diese Fokussierung lässt außer Acht, wie stark gerade interkulturelle Begegnungen und Konfrontationen die Außenbeziehungen in Europa prägten und veränderten.9 Im Folgenden soll eine andere Herangehensweise an die Geschichte der Außenbeziehungen in der Frühen Neuzeit gewählt werden. Sie fragt nach der „gedachten Ordnung“ (M. Rainer Lepsius), nach dem kollektiv geteilten Bild, das sich die Zeitgenossen von der politischen Ordnung, in der sie lebten, machten. Derartige Deutungen von der Ordnung der Welt stellen verhaltensleitende Realitätsbilder dar. Akteure verhalten sich in einer Weise, die sich aus ihrer Wahrnehmung der Welt ergibt. In diese Wahrnehmung und in das daraus abgeleitete Handeln gehen kulturelle Vorstellungen und damit auch ein bestimmter Normen- und Wertehorizont ein.10 Die Beschäftigung mit Werten und Normen in den Außenbeziehungen ist demnach kein realitätsfremdes Glasperlenspiel schöngeistiger Kulturhistoriker, die den harten Fakten der Machtlogiken von Außenpolitik auszuweichen suchen, indem sie sich mit dem minderrelevanten Wandschmuck kultureller Deutungen und Praktiken beschäftigen. Derartige Einwände implizieren die Vermutung, „Macht“ stelle gewissermaßen eine Essenz dar, die aus dem menschlichen Handeln heraus als eine schiere Größe herauspräpariert werden könne.11 Doch Macht als das Vermögen, Interessen durchzusetzen, Ressourcen in Konkurrenz zu anderen zu gewinnen oder zu mehren, den eigenen Willen gegen den Widerstand anderer durchzusetzen und in Deutungskämpfen die Oberhand zu gewinnen, kommt nicht im normativ luftleeren Raum vor. Macht ist stets eingebettet in kulturelle Vorstellungswelten. Macht offen um der Macht Willen anzustreben und auszuüben, ist nur unter einem enormen Einsatz von Erzwingungsressourcen möglich. Interessen durchzusetzen gelingt eben nicht nur durch den Einsatz „jener Mittel, die jeweils die Macht zur Verfügung stellt“,12 sondern ist gekoppelt an kulturell bestimmte Handlungsrahmen. Personale Akteure, die Macht ausüben, tun dies nicht als ungebundene Individuen, sondern als kulturell geprägte Wesen. Ihr angestrebter Machterwerb dient nicht allein eigener Interessenbefriedigung oder Ressourcengewinnung, sondern ist stets an einen ü­ berindividuellen Rahmen 9 Flüchter: Den Herrscher grüßen?, 21. 10 Der Begriff geht auf die Nationsforschung zurück; Rainer Lepsius charakterisiert moderne Nationen als „gedachte Ordnungen“ (Lepsius: Interessen, 233); zur Anwendung des Begriffs auf „internationale“ Systeme Conze: Jenseits von Männern und Mächten, 51. 11 Beispiele für Grundsatzkritik am Ansatz der Kulturgeschichte des Politischen stellen dar Kraus/Nicklas: Einleitung, 4 f.; Rödder: Kleider, 686. 12 Nicklas: Macht, 7.

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gebunden. Die normative Sozialisation der Machtausübenden ist daher ebenso zu berücksichtigen wie die Einbindung von Akteuren in soziale, politische oder religiöse Gruppen, die bestimmte Werte und Normen vertreten. Wer Macht zu gewinnen wünscht, kann dies schwerlich allein und ohne Berücksichtigung der Handlungserwartungen anderer tun. Macht muss für diejenigen, über die sie ausgeübt wird oder die an ihr beteiligt werden, begründet und plausibilisiert werden. Selbst noch die repressivste Diktatur des 20. Jahrhunderts kam nicht ohne die Bindung an eine politische Ideologie aus, die mit großem Aufwand propagandistisch verbreitet wurde. Und auch populistische Politiker des frühen 21. Jahrhunderts müssen denen, die ihnen folgen, eine wertbasierte Verheißung bieten, sei dies nun der Wiederaufstieg einer Nation oder die Entmachtung einer vermeintlich korrupten oder gesellschaftlich abgehobenen Elite. Auch wenn diese Begründungen von Machtausübung bisweilen vorgeschoben sein mögen, so ist offenbar doch zumindest der Anschein einer Wertebindung von Macht unerlässlich. Wenigstens ein Teil der Beherrschten und der Kollaborateure will überzeugt sein, etwas Größerem als der Macht an sich zu dienen. Die positive Konnotation des Begriffs Wert als Vorstellungen vom Wünschenswerten 13 sollte zudem nicht den Umstand verdecken, dass Werte ausgesprochen umkämpft sein können und ein von einer Gruppe hochgehaltener Wert für eine andere einen Unwert oder gar eine tödliche Bedrohung darstellen kann. In der Rivalität zwischen Konfessionen, Nationen oder gar imaginierten „Rassen“ tritt dies klar zutage. Außenbeziehungen unter dem Aspekt des Werte- und Normenhorizonts zu untersuchen, bedeutet demnach nicht, dem Ringen um Macht und Einfluss auszuweichen, sondern vielmehr, den kulturell bedingten Handlungsrahmen der Machtausübung zu verstehen, die Handlungsräume von Akteuren zu vermessen und deren zeitspezifische Bindungen und Überzeugungen zu verstehen. Damit stellt sich auch die Frage nach dem Wandel in der Geschichte von Machtbeziehungen und der Veränderung der Wahrnehmung der soziopolitischen Ordnung im Europa der Frühen Neuzeit. Diese soll nun für das 16. und 17. Jahrhundert dargestellt werden, also für den Zeitraum vor dem Durchbruch grundlegender Wandlungsprozesse in den Außenbeziehungen, wozu vor allem die Etablierung der Denkfigur einer Gleichgewichtsordnung und die zunehmende Depersonalisierung von Herrschaft zu zählen sind. Auch auf diesem Feld können, wie im Kapitel über die gemeinwohlorientierten Normen bereits geschildert, normative Vereindeutigungsleistungen und Ansätze ausgemacht werden, ein Handlungsfeld, das des Politischen, abzugrenzen. Aber sie schufen keine Eindeutigkeit, sondern brachten Normenkonkurrenz hervor. Denn das europäische Mächtesystem war eine politische wie auch eine soziale Ordnung, die religiös legitimiert war. Auch in ihr gingen aus 13 Stollberg-Rilinger: Einleitung [Wertekonflikte – Deutungskonflikte], 9.

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der Grundkonstellation der Normenkonkurrenz ausgeprägte Ambiguität und Rollenvielfalt hervor, die Akteuren ein erhebliches Maß an Ambiguitätstoleranz abverlangte. Um dies zu erklären, ist zunächst zu erläutern, wie die Zeitgenossen des 16. und 17. Jahrhunderts die europäische Ordnung wahrnahmen.

Der Spitzenplatz in der europäischen Fürstenhierarchie: Konkurrierende Universalismen Orientiert man sich an der „gedachten Ordnung“ Europas im 16. und 17. Jahrhundert und konzentriert sich dabei weniger auf die zukünftige Entwicklung dieser Ordnung hin zu einem Staatensystem, sondern auf ihren Zustand und ihre Wahrnehmung in diesem Zeitraum, dann war die politische Ordnung Europas in der Frühen Neuzeit gleichzeitig eine soziale. Die uns vertrauten Kartendarstellungen, in denen staatliche Territorien jeweils gleichmäßig mit einer Farbe ausgefüllt und Grenzen als durchgezogene Linien dargestellt werden, entsprechen eher der mental map des modernen Betrachters als der gedachten Ordnung vormoderner Akteure. Denn den staatlichen Gemeinwesen der Frühen Neuzeit fehlte es an vielen Merkmalen, die den modernen Staat des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts auszeichnen sollten. Dazu gehören eine gleichmäßig das ganze Staatsgebiet erfassende Machtdurchdringung, die Einheitlichkeit des Rechtsraums, die weitgehende staatsbürgerliche Gleichheit der Angehörigen des Staates und die völkerrechtliche Gleichrangigkeit souveräner Staaten. Betrachtet man das politische System im Europa der Frühen Neuzeit aus dieser Perspektive, muss es in der Tat als unfertig und defizitär erscheinen. Im Folgenden soll es daher nach zeitgenössischen Maßstäben als eine „Fürstengesellschaft“ (société des princes) 14 beschrieben werden, das heißt als ein System, dessen Hauptakteure überwiegend fürstliche Herrscher waren, ergänzt durch einige Republiken, teils städtischer, teils ständischer Natur. Fürstliche Herrschaft stellte den Normalfall dar,15 weshalb der politische und wirtschaftliche Erfolg einiger Republiken, insbesondere der Republik der Vereinigten Provinzen der Niederlande, die Zeitgenossen eher irritierte. Die zentralen politischen Einheiten der frühneuzeitlichen Fürstengesellschaft waren die Dynastien, mithin soziale Gruppierungen mit politischer Funktion und Legitimation. Damit war das Feld der Außenbeziehungen von Ambiguität zwischen sozialen und politischen Normen und Interessen gekennzeichnet. Dynastien als Akteure waren Mächte in der europäischen Ordnung, repräsentierten und regierten Staatswesen und agierten auch als Familienverbände. Die mit Akteuren in derartiger Rollenvielfalt bestückte „internationale“ Ordnung folgte – 14 Bély: Société. 15 Bély: Société, 7.

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auch – sozialen Logiken und wurde als Teil der göttlichen Schöpfungsordnung gesehen, war dementsprechend religiös legitimiert. Wie die Ständegesellschaft war sie hierarchisch organisiert unter dem Dach der als Einheit gedachten res publica christiana. „Hierarchisch organisiert“ bedeutet, dass diese Ordnung als Rangordnung zu verstehen ist, in der jeder Akteur einen bestimmten Rangplatz einnahm und dass an ihrer Spitze Positionen vorgesehen waren, welche die Einheit – die lateinische Christenheit – repräsentierten und sichern sollten. Dieses Konzept wurde auch biblisch begründet. Im Buch Daniel deutet dieser jüdische Prophet einen Traum des babylonischen Königs Nebukadnezar, in dem dieser eine große Statue gesehen hatte, die aus vier verschiedenen Materialien bestand, deren Wert von oben (Gold) nach unten (Ton und Eisen) abnahm. Diese Materialien, so Daniel, seien als Abfolge von vier Weltreichen zu verstehen, deren Qualität sich sukzessive vermindere. Das Römische Reich und seine Nachfolger sind in dieser Deutung als das vierte und letzte Reich zu verstehen, von dessen Existenz der Fortbestand der irdischen Welt abhängt. Seinem Untergang folgt der Jüngste Tag. Doch bis es so weit war, stand ein Universalherrscher in Nachfolge der römischen Kaiser an der Spitze der christlichen Fürstengesellschaft.16 Derartige Vorstellungen von einer korporativen Einheit der Christenheit werden gemeinhin mit dem Mittelalter verbunden, gewannen jedoch um 1500 nochmals an Bedeutung und behielten, der Konfessionsspaltung zum Trotz, für die Wahrnehmung der europäischen Ordnung bis zum Ende des 17. Jahrhunderts eine erhebliche Relevanz. Die Gegenüberstellung von universalistischem Mittelalter und dem Staatenpluralismus der Frühen Neuzeit stellt eine Vereinfachung dar, welche die Vitalität universalistischer Vorstellungen unterschätzt.17 Waren bereits die Rangplätze in der Ständegesellschaft umkämpft, so galt dies umso mehr für die Fürstengesellschaft und in besonderer Weise für die Spitzenpositionen unter den Fürsten. Das hierarchische Ordnungsprinzip begünstigte Konflikte, die Züge sozialer Ehr- und Rangauseinandersetzungen annahmen. Sie illustrieren die soziopolitische Natur der vormodernen Mächteordnung besonders deutlich und zeigen, wie stark Akteure auf dem Feld der Außenbeziehungen in sozialen Kategorien dachten, ja denken mussten und wie sehr dieses Denken die gedachte europäische Ordnung bis weit in das 17. Jahrhundert formte. Daher sollen nun die Rangordnung und die um sie ausgefochtenen Konflikte näher betrachtet werden. Das Grundsatzproblem der Ordnung bestand darin, dass zwar die meisten Akteure die Vorstellung des Prinzips der Rangordnung teilten, ihre Ausgestaltung, das heißt die Zuordnung der einzelnen Rangplätze, jedoch umstritten war. Das zeigt sich besonders deutlich an ihrer Spitze. Nach der Überwindung des Großen 16 Burkhardt: Pyramide, 52. 17 Bosbach: Monarchia, 19 ff.; Kampmann: Einführung, 33.

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Abendländischen Schismas unternahm die römische Kurie einen erneuten Anlauf, den Pontifex Maximus in seiner Stellung als arbiter, das heißt als Schiedsrichter über den weltlichen Fürsten, zu etablieren. In dieser Rolle war es die Aufgabe des Papstes, Streitigkeiten unter den christlichen Fürsten zu schlichten, um die derart vereinte Christenheit zum Krieg gegen das Osmanische Reich mit dem Ziel der Eroberung des Heiligen Landes zu rüsten.18 Die Bulle Inter cetera Alexanders VI., die 1493 die Demarkationslinie zwischen dem spanischen und dem portugiesischen Herrschaftsbereich in der Neuen Welt festlegte bzw. deren ein Jahr später erfolgte Modifizierung im spanisch-portugiesischen Vertrag von Tordesillas kann als ein Höhepunkt der Durchsetzung des päpstlichen arbiter-Anspruchs betrachtet werden.19 Ausdruck der Schiedsrichterrolle war darüber hinaus das diplomatische Zeremoniell am päpstlichen Hof, wo besonders viele auswärtige Gesandte aufeinandertrafen. Rom erhob den Anspruch, durch die zeremonielle Behandlung der einzelnen Gesandten die Rangordnung der europäischen Fürsten darzustellen und zu konstituieren. 1504 wurde eine diplomatische Zeremonialordnung unter Papst Julius II. entwickelt, welche die Hierarchie der Mächteordnung festlegen und sichtbar machen sollte.20 Mit der Reformation änderten sich die Entfaltungsbedingungen der arbiterRolle drastisch, da die protestantische Seite dem Papsttum überhaupt keine Bedeutung mehr in der europäischen Ordnung zumaß. Die Plünderung Roms durch kaiserliche Landsknechte im sacco di Roma des Jahres 1527 stellte den Tiefpunkt des Ansehens des Papsttums und der Glaubwürdigkeit einer über den Fürsten stehenden Schiedsrichterrolle dar. Es gelang den römischen Pontifices jedoch, unter konfessionellen Vorzeichen ihre herausgehobene Schiedsrichterstellung zumindest für den katholischen Teil der christianitas wieder zu festigen. Insbesondere der Abschluss des Konzils von Trient unter päpstlicher Führung war dem Prestige der römischen Kurie zuträglich. Die architektonische Umgestaltung Roms als „heiliger Hof“ in Nachfolge von Jerusalem in den Jahrzehnten nach Trient sollte diesen Anspruch jedem Besucher der Stadt des Papstes augenfällig machen.21 Noch deutlich komplexer und konfliktträchtiger stellte sich die Frage der Besetzung der Spitze der weltlichen Fürstenhierarchie dar. Ansprüche auf eine Führungsposition in der Fürstengesellschaft wurden meistens mit rangzuweisenden Titeln begründet, wobei der Kaisertitel hierfür in Fortführung mittelalterlicher Ordnungsvorstellungen besonders geeignet erschien. Wie vital die Kaiseridee noch war, zeigt ihre Wiederbelebung durch Karl V. Der Kaiser war seiner Auffassung nach nur dem Papst untergeordnet, was sich in der Krönung 18 Bosbach: Monarchia, 69. 19 Kohler: Expansion, 282. 20 Visceglia: Ceremoniale, 120 ff.; Zunckel: Rangordnungen, 106 f.; vgl. auch Fletcher: City. 21 Zunckel: Rangordnungen.

Der Spitzenplatz in der europäischen Fürstenhierarchie

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Karls durch den Papst ausdrücke. Doch beide hätten als Vikare Christi dessen Wiederkehr vorzubereiten, der Papst als geistliches Oberhaupt, der Kaiser hingegen an der Spitze der weltlichen Hierarchie. Der Kaiser stehe demnach über der ganzen Christenheit als universaler Herrscher. Die Einheit der christlichen Welt unter seiner Führung wurde mit dem Begriff der Universalmonarchie ausgedrückt. Die Entdeckung und Eroberung der Neuen Welt wurde in dieses traditionelle Konzept über die Devise Karls, plus oultre, eingebaut. Die Ausdehnung des spanisch-kaiserlichen Imperiums nach Westen, über die herkömmliche Begrenzung der Welt hinaus, wurde als providenzielles Ereignis gedeutet. Die Entdeckung und Bekehrung der amerikanischen „Heiden“ konnte in dieser Logik ebenso als Bestätigung der kaiserlichen Führungsstellung gewertet werden wie der Gewinn der Reichtümer der Neuen Welt und die damit verbundene Ressourcen- und Machtsteigerung. Die enorme Zusammenballung von in kurzer Zeit ererbten und eroberten Herrschaften wurde von der kaiserlichen Propaganda als Manifestation des Eingreifens Gottes selbst interpretiert, als ein Auftrag, die zerstrittene Christenheit unter kaiserlicher Führung zu einigen. Am Beginn der Neuzeit steht mithin die Wiederbelebung der christlichen Einheitsidee und des religiösen Fundaments weltlicher Herrschaft.22 Auch wenn Karl V. mit seinem universalistischen Projekt letztlich scheiterte, so setzte er doch Maßstäbe für die universalistische Begründung von Herrschaft für etwa anderthalb Jahrhunderte. Bis zum späten 17. Jahrhundert – und damit noch über 1648 hinaus – blieb die Denkfigur des Universalismus vital und beanspruchten verschiedene Fürsten mehr oder weniger explizit die arbiter-Position an der Spitze der europäischen Fürstengesellschaft. Die europäische Ordnung war in diesem Zeitraum gekennzeichnet durch – letztlich stets vergebliche – Anläufe verschiedener Kandidaten zur Durchsetzung ihrer Führungsstellung in der Fürstengesellschaft. Zumeist wurden diese Ansprüche religiös begründet. So bestritt die französische Krone den kaiserlichen Universalanspruch, indem sie für sich die Nachfolge Karls des Großen in Anspruch nahm. Weiterhin führten die französischen Könige seit der Mitte des 15. Jahrhunderts den Titel „Allerchristlichster König“ (rex christianissimus) und konnten auf das Sakralität ausdrückende Ritual der Salbung der Könige mit dem „heiligen Öl“ verweisen. Während das französische Königtum gottgegeben sei, werde der Kaiser lediglich von Menschen gewählt.23 Mit Ludwig XIV. stand in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein Herrscher bereit, der sich machtpolitisch in der Lage wähnte, diese Ansprüche auch tatsächlich umzusetzen.24 Auch der spanische U ­ niversalismus konnte sich auf 22 Bosbach: Monarchia; Yates: Astraea, 1 ff. und 22 f. 23 Haran: Lys; Moeglin: Kaisertum; Ulbert: Habsburger, 246 ff.; Windler: Könige; Yates: Astraea, 121 ff. 24 Appuhn-Radtke: Sol; Malettke: Aufstieg; Rohrschneider: Präzedenzstreben.

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einen Titel berufen, hatte doch Papst Alexander VI. 1496 ­Ferdinand von Aragon und Isabel von Kastilien in Ansehung der Eroberung Granadas und der Mission in der Neuen Welt den Titel „Katholische Könige“ (reyes católicos) verliehen. Nach der Teilung des Herrschaftsbereichs Karls V. zwischen König P ­ hilipp II. von Spanien und Kaiser Ferdinand I. argumentierte die spanische Seite, dass angesichts des sehr viel größeren Machtbereichs des spanischen Königs die Rolle des Schwerts der Kirche auf diesen übergegangen sei.25 Im Dreißigjährigen Krieg sollte sich der spanische Führungsanspruch einerseits am gewachsenen kaiserlichen Selbstbewusstsein reiben, während andererseits Gustav  II. Adolf eine protestantische Variante universaler Herrschaft propagieren ließ, den „Gotizismus“. Dieser behauptete die Herkunft der Schweden von den Goten der Völkerwanderungszeit.26 Die konkurrierenden Ansprüche auf die Spitze der Fürstenhierarchie stellten im 16. und 17. Jahrhundert einen wesentlichen konfliktverschärfenden Faktor in den zwischenfürstlichen Beziehungen dar.27 Bisweilen wurde der Anspruch auf Universalherrschaft nicht nur auf rangzuweisende Titel und religiöse Riten und Verdienste zurückgeführt, sondern auch auf die Verfügung über Machtressourcen, auch wenn eine allein auf Machtfülle basierte Argumentation nur wenig legitimatorische Wirkung entfaltete. So pochten die Apologeten des spanischen Führungsanspruchs unter Philipp II. nicht nur auf die Größe seines Herrschaftsgebiets und seine Machtfülle, sondern ebenso auf seine dezidierte Katholizität; sie qualifiziere ihn zur Führung des Schwerts für die Kirche.28 Als weitere argumentative Grundlage für eine politische Führungsstellung konnte zudem die Qualität der von einem Fürsten beherrschten „Nation“ (natio) bzw. der patria herangezogen werden, wofür die Humanisten des 16. Jahrhunderts Argumente geliefert hatten.29 Die Konkurrenz der Universalmächte war alles in allem noch stark an Dynastien sowie religiöse Begründungen gebunden, doch es zeigt sich auch bereits die Tendenz, Argumente aus anderen Feldern heranzuziehen. Trotz der grundsätzlichen Akzeptanz des Hierarchiesystems in der Fürsten­ gesellschaft und der Annahme, die christianitas stelle eine herrschaftsübergreifende Einheit dar, blieb der Universalismus immer umstritten und wurde die monarchia universalis von vielen Zeitgenossen des 16. und 17. Jahrhunderts mit Hybris und Machtmissbrauch gleichgesetzt.30 Ein Strang der französischen Kritik am ­kaiserlichen Universalismus – insbesondere dem Karls V. – bestritt, dass seit den 25 Bosbach: Monarchia, 83 und 91 f.; Windler: Könige. 26 Svennung: Geschichte. 27 Burkhardt: Pyramide. 28 Stradling: Europe. 29 Hirschi: Wettkampf. 30 Die folgenden Ausführungen zur Kritik am Universalismus nach Bosbach: Monarchia, 57 ff.

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fränkischen Reichsteilungen nach Karl dem Großen überhaupt noch ein einzelner Herrscher Anspruch auf die Nachfolge des römischen Imperators erheben könne; der Kaisertitel ist in dieser Logik Usurpation, und das Hierarchiesystem wird damit zumindest bezüglich seiner Spitze grundsätzlich in Frage gestellt. Andere Kritiker des kaiserlichen oder spanischen arbiter-Anspruchs griffen zwar nicht die Rangordnung selbst und die Vorstellung eines Herrschers an seiner Spitze an, bescheinigten allerdings den Prätendenten für diese Position, dass sie ihrer Spitzenstellung nicht würdig seien oder es ihnen an der Befähigung fehle, sie auszuüben. Derartige Kritik richteten beispielsweise einige deutsche Protestanten gegen den Kaiser oder den spanischen König. Die Legitimität des spanischen Universalismus wurde im späten 16. Jahrhundert von protestantischen Flugschriftenautoren im Reich und in den Niederlanden mit Hinweis auf das in schwärzesten Farben dargestellte Wirken der Inquisition in Zweifel gezogen 31 – im Zentrum dieser Argumentation stand in diesen Fällen nicht der Vorwurf der Usurpation, sondern der der Tyrannei, also des normwidrigen Missbrauchs von Herrschaft. Die Kritik an universalistischen Herrschaftskonzepten bestätigt, dass die Masse der Debattenteilnehmer grundsätzlich von der Vorstellung einer hierarchisch gestaffelten Ordnung ausging – es war ihre konkrete Ausgestaltung, die zu Konflikten Anlass gab. Ein solches Ordnungsmodell stellte im Übrigen kein Spezifikum des lateinchristlichen Europa dar, sondern war der eurasische Regelfall. Universalismus ist folglich kein an die christliche Religion gebundenes Phänomen und muss auch nicht in jedem Fall überhaupt religiös begründet sein. Herrschertitel mit universalen Ansprüchen trugen auch beispielsweise der russische Zar, der osmanische Sultan, der persische Schahanschah und der chinesische Kaiser. Sie alle gingen im Prinzip davon aus, dass neben ihnen auf der Welt kein gleichrangiger Herrscher regierte. Über das diplomatische Zeremoniell an der Hohen Pforte waren lateineuropäische Akteure mit der osmanischen Variante des Universalismus direkt konfrontiert.32 Eine Ursache für die wachsende Bedeutung des fürstlichen Rangbewusstseins und seiner wachsenden Konfliktträchtigkeit liegt in der Verdichtung zwischenfürstlicher Kontakte seit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Damit stieg die Wahrscheinlichkeit, dass sich Gesandte verschiedener Herrscher oder Republiken begegneten. Angesichts des hierarchischen Ordnungsmodells mussten diese Begegnungen – ausgehend vom erwähnten römischen Zeremoniell von 1504 – entsprechend des Rangverhältnisses der durch die Gesandten vertretenen Herrscher gestaltet werden. Denn der Gesandte eines Herrschers war im diplomatischen Zeremoniell als dessen Abbild zu behandeln, und diese symbolische Behandlung galt als rangzuweisend für den durch seinen Gesandten vertretenen Fürsten. Damit wurde das diplomatische Zeremoniell zu einer Bühne, auf der die 31 v. Lüneburg: Inquisition; Peer Schmidt: Universalmonarchie, 232 ff. 32 Işiksel: Relations, 54; Strohmeyer/Spannenberger: Einleitung, 20.

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Rangordnung zwischen den christlichen Fürsten öffentlich in Präzedenzkonflikten ausgefochten wurde. An Botschafterbegegnungen war abzulesen, in welchem Verhältnis die von ihnen repräsentierten Fürsten zueinanderstanden.33 Das Hautproblem des diplomatischen Zeremoniells bestand darin, dass auf seiner Bühne ausgetragene Rangkonflikte den synaptischen und sozialen Logiken der „Vergesellschaftung unter Anwesenden“ folgten. Das bedeutet, dass es sich um eine unter Beobachtung und dem Wissen um diese Beobachtung stattfindende Kommunikationssituation handelte, in der die beteiligten Akteure als Präsenz­ medien fungierten und performative Handlungen vollbrachten. Mit anderen Worten: Das diplomatische Zeremoniell schuf einen zeitlich und örtlich begrenzten Raum, in dem jede Geste, jedes Wort und auch jede erwartete, aber unterlassene oder verzögerte Handlung eine Bedeutung haben und einen Zustand bestätigen, verändern oder herstellen konnte.34 Damit veränderte die Durchsetzung des Vortritts oder ein zu weites Entgegenkommen bei der Begrüßung im diplomatischen Zeremoniell bereits die Rangbeziehung zwischen durch ihre Diplomaten vertretenen Herrschern. Die besondere Brisanz des Zeremoniells lag darin, dass es in der Regel vor Publikum stattfand. Damit stieg der Druck auf die am Zeremoniell Teilnehmenden, denn ihr Handeln wurde von Dritten wahrgenommen und gegebenenfalls mittels Distanzmedien wie Briefen oder Flugschriften in der europäischen Öffentlichkeit verbreitet. Ein Fehltritt oder eine Auseinandersetzung im Zeremoniell wurden somit rasch überregional bekannt. Ein Gesandter, dem der von seinem Herrn beanspruchte Rang verweigert wurde, fand sich dementsprechend in einer ausgesprochen diffizilen Situation.35 Da die Rangordnung in der Fürstengesellschaft stets umstritten war, traten Rangstreitigkeiten von dem Moment an vermehrt auf, da sich Diplomaten häufiger vor Publikum begegneten. Dies war zunächst vor allem an italienischen Höfen der Fall. Tatsächlich kam es bereits 1459 auf dem Kongress von Mantua über die Frage des Vorrangs zu einem Streit zwischen dem französischen und dem kastilischen Gesandten.36 Die römischen Bemühungen um die Festlegung der Ordnung im diplomatischen Zeremoniell im frühen 16. Jahrhundert trugen nicht zur Entspannung der Konflikte bei, da sie Verlierer produzierten, die eine Verteidigung des ihnen ihrer Auffassung nach zustehenden Rangplatzes als Frage der Ehre ihrer Dynastie verstanden; die Ordnung war folglich u­ nweigerlich umstritten und damit praktisch nicht zu fixieren.37 Die Diplomatie erhielt auf diese Weise 33 Levin: Agents; Visceglia: Ceremoniale. 34 Schlögl: Kommunikation; Stollberg-Rilinger: Symbolische Kommunikation, 495; Stollberg-­ Rilinger: Zeremoniell, 94 f. 35 Ago: Carriere, 147 f. 36 Roosen: Ceremonial, 461 ff. 37 Roosen: Ceremonial, 457; Stollberg-Rilinger: Zeremoniell, 108 und 117.

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einen agonalen Zug, und Rangfragen beschäftigten Fürsten und ihre Regierungen in zuweilen geradezu obsessiver Weise.38 Damit gewannen die für Ehrkonflikte typischen agonalen Logiken handlungsleitende Bedeutung in zwischenfürstlichen Beziehungen. Gesandte als Vertreter ihrer Herren mussten stets darauf bedacht sein, Zurücksetzungen abzuwehren. Es war ihre repräsentative Kernaufgabe, den Rang ihres jeweiligen fürstlichen Herrn notfalls mit Mitteln der Gewalt zu verteidigen. Ehrverteidigung – eine soziale Norm – wurde so zu einer zentralen und konfliktträchtigen politischen Kategorie. Besonders erbittert und langandauernd wurde ein solcher Präzedenzstreit zwischen der französischen und der spanischen Krone ausgetragen. Der geschilderte Fall von 1459 kann als Vorgeschichte eines bis in die 1660er Jahre anhaltenden Dauerkonflikts gesehen werden. Die Unmöglichkeit, eine stabile Hierarchie zu entwickeln, wird am Beispiel dieser Konfliktkonstellation besonders augenfällig. Gegeneinander standen in diesem Falle zwei Dynastien, die beide den Anspruch erhoben, Führungsmacht des katholischen Europa zu sein, wobei die spanische Seite allerdings den zeremoniellen Vorrang des Kaisers nicht antastete. Wie bereits erläutert, verfügten sowohl die Allerchristlichste Majestät als auch der Katholische König über Titel, die ihnen einen hohen Rang in der Fürstenpyramide garantierten. Dabei hatte die französische Krone die besseren Karten auf eine Vorrangstellung, war sie doch in der päpstlichen Zeremonialordnung von 1504 direkt hinter dem Kaiser und somit vor den Kronen der Iberischen Halbinsel eingeordnet worden, was 1516 durch eine Bulle Leos X. nochmals bestätigt wurde.39 Philipp II. nahm im Rahmen seiner Selbstinszenierung als Schwert der Kirche einen erneuten Anlauf, die Präzedenz seiner Gesandten gegen die des französischen Rivalen durchzusetzen, allerdings mit nur eingeschränktem Erfolg. Allein die Absenz französischer Botschafter an den meisten Höfen Europas während des Bürgerkrieges in Frankreich in den 1570er und 1580er Jahren ermöglichte es Philipps Botschaftern, im Zeremoniell die Präzedenz zu genießen, sofern kein kaiserlicher Botschafter vor Ort war. Mit der wieder zunehmenden Präsenz französischer Diplomaten seit der Herrschaft Heinrichs  IV. aber flammten die Rangkonflikte zwischen den Vertretern beider Herrscher wieder auf. In Rom wussten sich die beiden Botschafter nicht anders zu helfen als zu der informellen Übereinkunft zu gelangen, bei zeremoniellen Anlässen abwechselnd zu erscheinen und somit Begegnungen zu vermeiden.40 Ein ähnliches Vorgehen ist während des Westfälischen Friedenskongresses zu beobachten; dort vermieden es die spanischen Gesandten, gleichzeitig mit ihren französischen ­Kollegen bei Einzügen neu eintreffender Diplomaten oder bei Prozessionen zugegen

38 Rohrschneider: Reputation. 39 Levin: World Order, 237 f. 40 Levin: World Order, 245 ff.

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zu sein.41 Am Kaiserhof hingegen, wo dem spanischen Botschafter Präzedenz vor dem französischen gewährt wurde, sah sich die französische Krone zum Ausweichen veranlasst. Dies geschah allerdings auf andere Weise: Ludwig XIV. schickte statt eines Botschafters nur einen Residenten nach Wien, mithin einen Diplomaten mit deutlich niederem Dienstrang. Damit konnte die Präzedenz für den spanischen Botschafter uminterpretiert werden als Ausdruck der Differenz des Dienstrangs zwischen den beiden Diplomaten. Der Rang des Königs blieb trotz nachrangiger Behandlung seines Vertreters auf diese Weise unangetastet.42 Absenzregelungen oder eine derartige Verlagerung der Hierarchieunterschiede auf die Dienstränge der Gesandten waren die einzige Möglichkeit, Präzedenzkonflikten und ihren potenziell gravierenden politischen Folgen auszuweichen. Dergleichen Rangauseinandersetzungen zwischen Diplomaten betrafen keineswegs nur das spanischfranzösische Verhältnis und führten dazu, dass eine gewisse Konfliktbereitschaft zu den Qualifikationen für Diplomaten auf exponierten Posten zählte – allerdings auch die Bereitschaft, mittels pragmatischer Arrangements Auseinandersetzungen durch Nichtbegegnung der fürstlichen Repräsentanten zu umgehen. Dennoch: Selbst die mehr oder weniger zufällige Begegnung in der Kutsche auf der Straße konnte zu Gewalthandlungen führen, wenn keine der beiden Parteien der anderen die Vorfahrt gewähren wollte. Die Folge war, dass bei Rangeleien oder gewagten Überholmanövern wiederholt Tote zu beklagen waren, wie dies in Rom noch bis in das frühe 18. Jahrhundert wiederholt vorkam.43 Der Präzedenzstreit zwischen der spanischen und der französischen Krone allerdings endete im Jahr 1662 mit einer spanischen Niederlage. Vorher, 1659 beim Abschluss des Pyrenäenfriedens zwischen den beiden Kronen, hatte man sich noch auf strikte Gleichrangigkeit einigen können. Im Grunde war dies ein französisches Entgegenkommen, das notwendig war, um den Abschluss des von beiden Seiten gewünschten und für Frankreich vorteilhaften Friedens zu ermöglichen. Der junge Ludwig XIV. allerdings suchte anschließend die Präzedenzfrage ein für alle Mal in seinem Sinne zu lösen und nahm dafür einen Vorfall zum Anlass, der sich am 10. Oktober 1661 in London zutrug. Dort hatte beim Einzug des neuen schwedischen Botschafters die Kutsche des Vertreters des spanischen Königs seinem französischen Kollegen den Weg abgeschnitten und sich im anschließenden Gerangel an der Spitze behauptet. Dabei kamen mehrere Personen zu Tode. Wiederum lief damit eine politische bzw. diplomatische Auseinandersetzung vor den Augen der medial vernetzten Öffentlichkeit nach den agonalen Logiken eines Ehrkonflikts ab. Der in seiner Ehre gekränkte französische König ließ diese Zurücksetzung nicht auf sich beruhen und drohte seinem spanischen Schwager 41 Rohrschneider: Friedenskongress, 233. 42 Malettke: Aufstieg, 16. 43 Polleroß: Kunst, 367 ff.

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mit Krieg, wohl wissend, dass dieser nicht in der Lage war, erneut die Waffen zu erheben. Somit blieb Philipp IV. keine andere Wahl, als einen Sonderbotschafter zu Ludwig XIV. zu schicken, der diesem eine Entschuldigung und die Zusicherung, die französische Präzedenz fortan zu akzeptieren, überbrachte.44 Ludwigs Interpretation dieses sofort auch bildmedial verbreiteten Vorgangs lässt sich in seinen Memoiren nachlesen: Die Huldigung, die mir zuteil wurde, […] war eine Huldigung von König zu König, von Krone zu Krone, die auch bei unseren Feinden keinen Zweifel darüber aufkommen lassen konnte, unser Haus sei das erste der ganzen Christenheit.“45

Der „Londoner Kutschenstreit“ ist ein eindrückliches Beispiel für die Fortdauer des Hierarchiedenkens und ihrer agonalen Logiken über 1648 hinaus. Doch zeigt er auch, dass die realitätsstiftende Wirkung des Zeremoniells ihre Grenzen hatte. Die Zurücksetzung seines Gesandten im Zeremoniell war für einen Fürsten nach wie vor eine so ernste Angelegenheit, dass eine energische Gegenreaktion unausweichlich war. Die Kriegsdrohung Ludwigs erinnerte die spanische Seite allerdings daran, dass ein Sieg im Zeremoniell nur dann dauerhaft rangzuweisend war, wenn dahinter die Verfügbarkeit ausreichender Machtressourcen stand. Genau diese fehlte im von Krieg und Wirtschaftskrisen erschöpften Spanien, womit ­Philipp IV. zum Einlenken gezwungen war – das wiederum auf zeremonielle Weise in einer öffentlichen Audienz beim französischen König erfolgte und genauso wie der Vorfall in London umgehend medial verbreitet wurde. Der Londoner K ­ utschenstreit ist ein besonders markantes Beispiel für die Ambiguität der Außenbeziehungen in der frühneuzeitlichen Fürstengesellschaft. In ihr interagierten fürstliche Familien, die eine bestimmte Rangposition anstrebten oder verteidigten und die ihr Ansehen zu wahren bemüht waren. Insoweit weisen die Präzedenzkonflikte Merkmale sozialer Ehrkonflikte auf. Dass derartige Konflikte mitunter über zwischendynastische Heiraten mehr oder weniger nachhaltig gelöst wurden bzw. solche Heiraten Friedensschlüsse symbolisierten, zeigt, dass die beteiligten Akteure zumindest zum Teil in sozialen Kategorien dachten. Doch die Ressourcen und Machtmittel, über die sie verfügten, strategische und geopolitische Aspekte sowie der Tatbestand, dass Fürsten sich auch als Vertreter einer patria oder einer natio verstanden, deren Interessen zu verteidigen waren, hob derartige Konflikte gleichzeitig in die Sphäre des Politischen. Die F ­ ürstengesellschaft war eine ambige soziopolitische Ordnung, in der soziale und politische Normen gleichermaßen galten und ineinander verschränkt waren. 44 Malettke: Aufstieg, 16; Rohrschneider: Friedenskongress, 229 ff. 45 Zitiert nach Rohrschneider: Friedenskongress, 235.

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Dynastische Akteure in der Fürstengesellschaft Wie sich fürstliche Akteure in dieser soziopolitisch geprägten Ordnung bewegten und welche Bedeutung soziale Normen für ihre Handeln im Verhältnis zu anderen Faktoren hatten, soll nun näher an vier Beispielsfeldern betrachtet werden: Zunächst werden dynastische Heiraten und die daraus resultierende Erbfolgefragen im Mittelpunkt stehen. Anschließend sind die Herrschaftsverhältnisse in von einer Dynastie beherrschten Konglomeraten von Territorien („Zusammen­ gesetzte Monarchien“) zu analysieren. Danach ist der soziale bzw. personale Aspekt des Souveränitätskonzepts zu beleuchten und abschließend wird die Bedeutung der informellen Regeln der Patronage für zwischenfürstliche Beziehungen ausgelotet. Dabei geht es darum, das Ineinanderwirken von sozialen und politischen Handlungsfaktoren als gemeinsames Merkmal der politischen Kultur im lateinchristlichen Europa dieses Zeitraums zu beschreiben, und zwar ausgehend von der mental map der Zeitgenossen, das heißt der Wahrnehmung der europäischen Ordnung und ihrer Nutzung durch überwiegend dynastische Akteure. Die „Beförderung von Stamm, Rang und Namen“46 war ein wesentliches Motiv zwischendynastischer Heiraten, deren Planung dementsprechend große Aufmerksamkeit fand. Soweit es der jeweils verfügbare Heiratsmarkt hergab, strebten dynastische Akteure die Verheiratung auf etwa gleichem Rangniveau an; das galt ­zumindest für den erbenden Sohn, während Nachgeborene sich bisweilen mit deutlich niederrangigeren Heiratspartnern zufriedengeben mussten. Doch auch derartige Heiraten konnten dem sozialen Kapital einer Dynastie nützlich sein, indem durch sie Klientelverhältnisse angebahnt oder intensiviert wurden. Für den fürstlichen Nachwuchs war die Heirat eine wichtige, ehrzuweisende Schwelle in eine neue Lebensetappe. Heiraten hatten in allen Ständen einen sozialstrategischen Aspekt, ging es doch um die Mehrung des Ansehens und möglichst auch die Erhöhung des Rangs, die Sicherung und Erweiterung von Besitz und Einnahmen sowie die Knüpfung oder Stärkung von sozialen Beziehungen. Durch eine geschickte und von den Wechselfällen des Lebens nicht gestörte Heiratspolitik konnten Dynastien auf längere Sicht ihre Herrschaftsgebiete arrondieren und Allianzen stiften oder bekräftigen. Das Bestreben nach in etwa gleichrangigen Heiraten schränkte allerdings den Bewerberkreis ein; hinzu kam, dass interkonfessionelle Heiraten schwierig anzubahnen waren und oft bei den Untertanen auf Widerwillen stießen. Dynastien an der Spitze der Fürstengesellschaft hatten somit nur eine sehr begrenzte Auswahl bei der Suche nach angemessenen Kandi­datinnen und Kandidaten für die Verheiratung ihres Nachwuchses. Die wiederholten inzestuösen Heiraten zwischen 46 Stollberg-Rilinger: Maria Theresia, 186.

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den ­österreichischen und spanischen Habsburgern im 16. und 17. Jahrhundert illustrieren die Folgen dieser Problematik. Die Alternative bourbonisch-habsburgischer Heiraten führte gleichwohl ebenfalls zu Komplikationen. Denn wer nur aus einem kleinen Kreis von rangnahen Kandidaten der Fürstengesellschaft wählen konnte, landete unweigerlich auch bei Familien, die in Rivalität, wenn nicht gar Feindschaft zu der eigenen standen. Diese Konstellation ist im Fall französisch-spanischer Heiraten besonders augenfällig. Denn einerseits wurde das Verhältnis zwischen den Herrschern Frankreichs und Spaniens schon im 16. Jahrhundert als traditionelle Feindschaft wahrgenommen, die über die geschilderten Rangkonflikte hinausging. Viele Akteure – gerade auch Diplomaten – empfanden eine grundsätzliche Differenz zwischen Spaniern und Franzosen, die mitunter protonational essenzialisiert wurde.47 Dieser Konstruk­tion von unterschiedlichen Eigenschaften zweier nationes zum Trotz war die Heirat zwischen Habsburgern und Bourbonen eine immer wieder ventilierte und zuweilen auch umgesetzte Option. Nicht selten war sie mit Hoffnungen auf die Stiftung einer Allianz zwischen den beiden Rivalen und damit eine Überwindung ihrer Feindschaft verbunden.48 Das betrifft insbesondere die französisch-spanische Doppelhochzeit des Jahres 1615, an deren Beispiel auch die begrenzte Bedeutung von Heiraten für zwischendynastische Friedensprojekte dargelegt werden kann. Sie war Ausdruck der unter Philipp  III. betriebenen Friedenspolitik, mit der die spanische Dominanz über Europa erhalten und eine Auseinandersetzung mit der französischen Krone vermieden werden sollte. Umsetzbar war sie allerdings erst, nachdem zwei Akteure gestorben waren: zum einen 1611 die Gattin Philipps III., Margarethe von Österreich, die für das eintrat, was bereits das Ziel ihrer eigenen Heirat – sie war die Cousine ihres Mannes – gewesen war: die Kräftigung der dynastischen und politischen Bindungen zwischen den beiden Zweigen des Hauses Habsburg und der Erhalt der Option der Zusammenführung der habsburgischen Herrschaften in eine Hand, falls eine Linie aussterben sollte. Der andere Todesfall war 1610 der Heinrichs  IV. von Frankreich, der kein Interesse für die Verbindung mit einer Dynastie aufbrachte, die seine schärfsten Gegner im Bürgerkrieg, die militant katholische Partei, unterstützt hatte. Nach dem Tod beider jedoch kam das Heiratsprojekt zustande, das einem interdynastischen Tauschhandel glich: Der junge französische Thronfolger, Ludwig  XIII., für den seine Mutter noch die Regentschaft ausübte, wurde mit Anna, der Tochter Philipps III., getraut. Und der Sohn 47 Burkhardt: Konfession, 145 f.; Rohrschneider/Strohmeyer (Hrsg.): Wahrnehmungen; ­Rohrschneider: Tradition; Beiderbeck: Feindbilder. 48 Generell zum Stellenwert des dynastischen Denkens in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit Kampmann et al.: Einleitung, v. a. 2 f.; H. Schilling: Formung, 22; S ­ pagnoletti: Intrecci; Strohmeyer: Kommunikation, 111.

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des spanischen Königs, der zukünftige Philipp IV., heiratete I­ sabelle de Bourbon, die Schwester Ludwigs XIII.49 Die politische Wirkung dieser Doppelbindung war gleichwohl bereits auf mittlere Sicht gering. Die spanisch-französische Rivalität flammte bereits im folgenden Jahrzehnt wieder auf. Zu offensichtlich lag die Aufrechterhaltung der spanischen Dominanz über Europa nicht im Interesse der französischen Krone, und dies sowohl aus machtpolitischen Erwägungen als auch im Hinblick auf die Reputation der französischen Krone. Eingeheiratete Mitglieder fremder Dynastien wurden in solchen Fällen zu misstrauisch beobachteten potenziellen Störfaktoren der Außenpolitik. Damit aber war ihr Handlungsspielraum massiv eingeschränkt und konnte sich die bindende Wirkung von Heiratsallianzen nicht entfalten. Zudem betrieben beide Kronen eine ambivalente, verschiedene Optionen für die Zukunft fördernde Heiratspolitik, welche die allianzstiftende Wirkung der Doppelhochzeit von 1615 verwässerte. Die zweite Tochter Heinrichs IV. wurde 1618 mit dem Erbsohn des Herzogs von Savoyen, Viktor Amadeus (1587 – 1637, Herzog ab 1630) vermählt und damit just mit dem italienischen Fürsten, der wenige Jahre zuvor die militärische Dominanz der spanischen Monarchie ins Wanken gebracht hatte.50 Im Fall der jüngeren Schwester Annas hingegen, Maria Annas (1606 – 1646), wurden, nachdem sich ein Heiratsprojekt mit dem englischen Thronfolger Karl zerschlagen hatte, wieder die innerdynastischen Beziehungen mittels Heirat gestärkt. Sie vermählte sich 1631 mit dem zukünftigen Kaiser Ferdinand  III. in Wien.51 Der Faktor dynastischer Solidarität war allein schon aufgrund derart widersprüchlicher Heiratsstrategien nur sehr bedingt handlungsrelevant. Zu viele handlungsleitende Faktoren wirkten auf das dynastische Handeln ein, als dass dieses einer klaren Linie folgen konnte. Neben familiärer und dynastischer Solidarität waren dies machtpolitische und strategische Erwägungen, denen Staatsräte, die mitunter als Korrektiv fürstlicher Dynastieorientierung wirkten, Gehör verschafften. Hinzu kamen gerade in der Hochphase der Konfessionalisierung auch konfessionelle Abgrenzungen. Wie schon oben angedeutet, war zudem mit Überfremdungsängsten der Untertanen bzw. der Stände zu rechnen, wenn Mitglieder mächtiger fremder Dynastien einheirateten. Die beiden letztgenannten Faktoren verzögerten beispielsweise die erwähnte innerhabsburgische Heirat von 1631, weil Kaiser Ferdinand II. mit Rücksicht auf die Reichsstände darauf achten musste, nicht als spanischer Parteigänger wahrgenommen zu werden.52 Sind die dynastischen Heiratsbeziehungen in ihrer allianzstiftenden Wirkung nicht zu überschätzen, so bestimmten sie dennoch in einer Hinsicht die 49 Feros: Kingship, 214; Williams: Lerma, 1618, 315 f. 50 Pérez Bustamante: España, 265. 51 v. Wurzbach: Maria Anna von Spanien. 52 Ernst: Madrid und Wien, 311 f.

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­ usgestaltung der europäischen Ordnung sehr massiv: in Bezug auf Erbfolgefragen. A Heiraten zwischen Dynastien betrafen immer auch Erbfragen, denn die Beteiligten erwarben Erbansprüche, die sich auch auf Herrschaften bezogen. Dass viele Dynastien eine breitgestreute Heiratspolitik vorzogen, diente dem Zweck, potenzielle Erbansprüche zu sammeln. Auf keinem Gebiet werden die Konsequenzen des Systems personaler Herrschaft für die europäische Ordnung so deutlich wie auf dem der Erbfolgekonflikte. Nicht Staaten und Territorien waren selbständig handelnde Akteure in den Außenbeziehungen, sondern Dynastien, die Herrschaft über Personen und Territorien ausübten. Dynastische Akteure bedachten diesen Faktor bei der Anbahnung von Eheverbindungen stets mit. Mitunter konnten solche Ehen nur dann zustande kommen, wenn einer der Eheleute auf einen Teil seines Erbes ausdrücklich verzichtete. Starb eine Dynastie aus oder konnte im Fall einer Thronfolge eine andere Partei Erbansprüche auf bestimmte Herrschaftsrechte anmelden, so beschwor dies nicht selten bewaffnete Konflikte herauf. Denn abgesehen davon, dass die Inanspruchnahme des Rechts, ein bestimmtes Territorium zu erben, einen Machtgewinn bedeutete (also der Staatsräson entsprach), war es auch eine Frage der Reputation, einen Anspruch, den man für die eigene Dynastie geltend machen konnte, auch durchzusetzen. Erbfolgefragen, die sich zu Kriegen ausweiteten, waren dementsprechend ein wesentlicher Faktor für die Kriegsdichte im frühneuzeitlichen Europa. Starb ein Herrscher, der ein größeres Konglomerat von Territorien regierte, ohne Erbfolge, traten unwillkürlich verschiedene Erbkandidaten auf den Plan und konnte der Erbgang zu einer fundamentalen Veränderung des Mächtesystems insgesamt führen, ja seine Stabilität überhaupt bedrohen.53 Das war auf besonders dramatische Weise im Spanischen Erbfolgekrieg (1701 – 1714) der Fall, mit dem die Logiken dynastischer Herrschaft gewisser­maßen überstrapaziert wurden. Der relativ frühe Tod des stets kränklichen spanischen Königs Karls II. am 1. November 1700 und seine Zeugungsunfähigkeit waren für sich genommen bereits Folgen dynastischer Heiratsmuster, dürfte sein körperlicher Zustand doch als Inzestfolge der wiederholten innerhabsburgischen Heiraten anzusehen sein.54 Seine ungeklärte Nachfolge und mehrere unzeitige Todesfälle führten dazu, dass die europäische Mächteordnung vollends aus den Fugen zu geraten drohte. Es bahnte sich eine Konstellation an, die der des europäischen Mächte­ systems im frühen 16. Jahrhundert ähnelte: eine Dynastie oder gar ein Herrscher an der Spitze eines übergroßen Herrschaftskonglomerats, dessen Ressourcen die aller anderen Fürsten bei weitem übertraf, sei der Erbe des spanischen Thron nun ein Bourbone oder ein Habsburger. Diese Aussicht machte nochmals d ­ eutlich, wie 53 Kunisch: Der Nordische Krieg, 9 f. 54 Viele Zeitgenossen deuteten die Kränklichkeit und Zeugungsunfähigkeit Karls II. allerdings als Folge einer Verhexung: Mar Rey Bueno: El hechizado.

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sehr ein dynastisch organisiertes Mächtesystem von U ­ nkalkulierbarkeit bestimmt war – Thronfolgen ließen sich anstreben, unterlagen aber letztlich dem Zufall von Geburten und Todeszeitpunkten. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren die maßgeblichen Akteure allerdings nicht mehr bereit, derartige Zufälligkeiten einfach hinzunehmen, da sie die politische Ordnung als gestaltbar erachteten; die Bewahrung herkömmlicher Herrschaftsrechte und das Durchsetzen alter Ansprüche in Konkurrenz zueinander widersprachen einem Politikmodell, das auf die Herstellung einer stabilen Ordnung nach rationalen Kriterien zielte. Der Friede von Utrecht, mit dem 1713 das Ende des Spanischen Erbfolgekrieges eingeleitet wurde, stellt eine Zäsur in der Geschichte der Außenbeziehungen dar, indem er die potenziell destabilisierenden und kriegsfördernden Wirkungen des dynastischen Mächtesystems einhegte. Dynastische Ansprüche wurden nun in kollektiver Verantwortung der europäischen Mächte so geregelt, dass keine übergroßen Machtbereiche mehr entstehen konnten und Konflikte durch Ausgleichsvereinbarungen und Gebietstausch vermieden wurden. Utrecht bedeutet bei weitem noch nicht eine Disambiguierung der Außenpolitik im Sinne einer Überwindung des dynastischen Denkens, und die in diesem Frieden skizzierte Ordnung sollte noch wiederholt durch Erbfolgekriege in Frage gestellt werden. Doch wurde die Idee etabliert, dass dynastische Ansprüche durch Ausgleich versöhnt werden könnten und dass ein bewusst gestaltetes Gleichgewichtssystem der politischen Stabilität des Kontinents dienlich sei. Diese Vorstellung von der rationalen und von Mächtelogiken getragenen Ordnung trat damit neben das dynastische Denken, ohne es schon zu verdrängen; doch die sozialen Normen des dynastischen Denkens mussten sich den machtlogischen Anforderungen des Gleichgewichtsdenkens anpassen.55 In der Fürstengesellschaft waren nicht Territorien und Gemeinwesen die Akteure, sondern die Dynastien, welche Herrschaft über Gemeinwesen und Territorien ausübten – und zwar in vielen Fällen über mehrere. Der Normalfall von Herrschaft in der dynastisch geprägten Frühen Neuzeit war dementsprechend kein (Proto-)Nationalstaat, an dessen Spitze ein Fürst stand, sondern ein Fürst, der über ein Konglomerat von Herrschaften regierte. Diese wiesen jeweils eigene Traditionen, eigene Rechtssysteme, eigene Institutionen, besondere Privilegien, eigene Kirchenstrukturen und bisweilen sogar eigene Bekenntnisse auf. Die Gemeinsamkeit dieser Herrschaftsteile beschränkte sich mitunter weitgehend auf die sie regierende Dynastie. Der König von Schottland etwa war seit 1603 auch König von England, doch es bestanden bis in das frühe 18. Jahrhundert (und zum Teil darüber hinaus) nebeneinander zwei Parlamente, zwei Staatsreligionen und zwei Rechtssysteme fort. Die spanische Monarchie, die als Musterfall einer solchen „Zusammengesetzten Monarchie“ (Composite Monarchy) beschrieben worden ist, 55 Malettke: Hegemonie, 461 ff.; Kampmann: Friedensschluss.

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bestand aus einer ganzen Reihe von unterschiedlichen Territorien, die in jeweils eigenen rechtlichen Beziehungen zu ihrem Fürsten standen. Staatsbildung in einem solchen System bedeutete in der Regel, dass die Dynastie ein Kernterritorium (im spanischen Fall Kastilien) relativ zentral regierte, während periphere Provinzen sich teils sehr weitreichender Freiheiten und Privilegien erfreuten. Die Folge war, dass zum Beispiel die Steuerbelastung für die einzelnen Territorien außerordentlich unterschiedlich ausfiel. Selbst in einer vergleichsweise konsolidierten Fürstenherrschaft wie der französischen stand jede Provinz in besonderen, durch bestimmte Rechte, Gewohnheiten und Privilegien gekennzeichneten Beziehungen zu ihrem König. Große einheitliche Rechtsräume sucht man daher in den frühneuzeitlichen Monarchien noch vergeblich.56 Für die Außenbeziehungen hatte dies gravierende Konsequenzen. Die einzelnen Länder des Herrschaftsverbands einer Composite Monarchy bzw. die Vertreter von deren Ständen hatten oft sehr unterschiedliche Interessen und Erwartungen an das außenpolitische Handeln ihres Fürsten, je nach ihrer geographischen Lage, ihrem Verhältnis zu benachbarten Herrschaften und ihren Wirtschafts- und Handelsstrukturen. Weit vom fürstlichen Herrschaftszentrum entfernt gelegene Provinzen wie etwa die Freigrafschaft Burgund, die bis 1678 der spanischen Monarchie angehörte, oder noch im 18. Jahrhundert das Fürstentum Neuchâtel, das von 1707 bis 1806 unter der Herrschaft der preußischen Krone stand, hatten ein massives Interesse daran, nicht in militärische Konflikte ihres Landesherrn hineingezogen zu werden. Denn sie waren aufgrund ihrer peripheren Lage von ihm kaum zu schützen. Es war daher für derartige Herrschaften, die bereits für die Regelung ihrer inneren Angelegenheiten über weitgehende Autonomie verfügten, sehr wichtig, auch in den Außenbeziehungen eigene Wege gehen zu können. Manche von ihnen schlossen – in der Regel mit Einverständnis ihres Landesherrn – eigene Neutralitätsverträge mit benachbarten Herrschaftsträgern ab. Mitunter führten sie – wie etwa die Stände und führenden Familien von Neuchâtel – eine eigene, formale wie informelle Kanäle nutzende Diplomatie, die weitgehend unabhängig von der des Landesherrn agierte. Mittels einer derartigen „zusammengesetzten Diplomatie“ war beispielsweise „lokaler Frieden im Krieg der Souveräne“ möglich.57 Tatsächlich verblieb das Fürstentum im Siebenjährigen Krieg (1756 – 1763) im Zustand des Friedens, obwohl das angrenzende Frankreich mit Preußen im Krieg stand. Mehr noch: Während sich Truppen aus Neuchâtel nicht auf preußischer Seite am Krieg beteiligten, musste Friedrich II. feststellen, 56 Elliott: Europe; Koenigsberger: Dominium Regale. 57 N. Weber: Interessen, 595 ff. (erstes Zitat 595) und 446 (zweites Zitat); vgl. auch generell zur Außenpolitik Zusammengesetzter Monarchien: Windler: Außenbeziehungen; weitere Beispiele für Neutralitätsabsprachen von Provinzen in Chanet/Windler (Hrsg.): Ressources.

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dass sich unter den Gefangenen aus dem französischen Heer auch einige seiner eigenen Untertanen aus dem Neuenburger Fürstentum befanden – sie waren auf der Basis alter Solddienstbeziehungen des Fürstentums zur französischen Krone in deren Dienste gelangt.58 In diesem Fall kollidierte offensichtlich die Norm der Treue zum Landesherrn mit dem Bestreben, Privilegien zu wahren und die herkömmlichen Solddienstbeziehungen zu pflegen. Auch wenn der Kampf gegen den eigenen Landesherrn auf der Basis der von diesem gewährten Privilegien einen Extremfall darstellte, so war eine derartige „zusammengesetzte Diplomatie“ doch eine adäquate Form der Außenbeziehungen in der Fürstengesellschaft. Sie basierte auf dem Prinzip der Vielgestaltigkeit von Herrschaftsverhältnissen in der Composite Monarchy und spiegelt auch die eingeschränkte Machtdurchdringung fürstlicher Herrschaft in der Peripherie. Im Kern beruhte die Zusammengesetzte Monarchie auf den personalen Treueverpflichtungen der einzelnen Untertanen zu ihrem Fürsten, die aber je nach Teilherrschaft in ganz unterschiedliche Rechtsund Privilegienverhältnisse eingebettet war. Die Person des Monarchen bzw. die Legitimität seiner dynastisch legitimierten Herrschaft hielt diese Gebilde zusammen. Ein Monopol der Außenpolitik ließ sich in ihnen aber nicht konsequent durchsetzen – die einzelnen Provinzen und Herrschaften verfügten zum Teil über erhebliche Freiräume in der Gestaltung eigener Außenbeziehungen. Und diese Freiräume waren in den Augen der Vertreter dieser Reichsteile Ausdruck ihres guten Rechts gegenüber dem Herrscher.59 Ein derartiges System ist inkompatibel mit der Vorstellung souveräner Staaten, deren jeweilige Regierungszentrale allein befugt ist, diplomatische Beziehungen zu unterhalten. Dass zusammengesetzte Diplomatie bis weit in das 18. Jahrhundert praktiziert wurde, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auf dem Handlungsfeld der Außenbeziehungen schon im 17. Jahrhundert Entwicklungen gab hin zu einer Ordnung, die stark zwischen souveränen Akteuren in den Außenbeziehungen und solchen, denen diese Qualität versagt bliebt, unterschied. Das wird vor allem am Legationsrecht sichtbar. Dabei handelt es sich um das Recht, Botschafter zu senden und zu empfangen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts galt das Legationsrecht zunehmend als das entscheidende Attribut der Zugehörigkeit zum exklusiven Kreis der souveränen Akteure und markiert damit einen ersten, noch keineswegs finalen Durchbruch des Souveränitätsdenkens in den Außenbeziehungen.60 Aus diesem Grund sahen sich Akteure der Fürstengesellschaft verstärkt veranlasst, sich ihrer Souveränität zu versichern. Auch wenn die Ablösung der Vorstellung vom Hierarchiesystem zugunsten einer Ordnung rechtlich gleichrangiger Akteure 58 N. Weber: Interessen, 480 ff. 59 Windler: Außenbeziehungen, 600 ff. 60 Stollberg-Rilinger: Höfische Öffentlichkeit, 156 ff.

Dynastische Akteure in der Fürstengesellschaft

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nur sehr langsam erfolgte, gewann doch die Frage, wer zum exklusiven Kreis der souveränen Akteure zählte, schon seit dem Westfälischen Frieden an Bedeutung; im 18. Jahrhundert wiesen dann Verhältnisse wie die im Fürstentum Neuchâtel einen Ausnahmecharakter auf. Akteure waren dabei vor allem Fürsten und Dynastien, nicht Territorien und Staaten. Das Souveränitätskonzept löste die Fürstengesellschaft nicht ab, sondern strukturierte sie um. Seine Disambiguierungsleistung bestand somit darin, an die Stelle der komplexen Hierarchien eine klare Trennlinie zu ziehen und die legitimen Akteure in der europäischen Ordnung rechtlich gleichzustellen. Dieses neue Strukturprinzip verbannte aber noch nicht die sozialen Logiken personaler Beziehungen aus der Mächteordnung. Souveränität war zunächst, wie André Krischer betont, ein sozialer Status. Sie war eine durch Herrschertitel begründete völkerrechtliche Stellung einer fürstlichen Dynastie, die niemanden über sich anerkennen musste. Im Besitz eines solchen Titels konnte ein Fürst erwarten, ein „Höchstmaß an sozialer Schatzung“ zu erfahren, das heißt Anerkennung als souveräner Akteur im diplomatischen Zeremoniell zu erfahren.61 Problematisch war die neue Sichtweise auf die europäische Ordnung vor allem für die Reichsfürsten, deren Souveränität in Zweifel stand – denn sie hatten den Kaiser als Lehnsherrn über sich. Der Gefahr, nicht mehr als vollwertige Akteure auf der diplomatischen Bühne anerkannt zu werden, begegneten einige von ihnen mit dem Griff nach einer Königskrone. Denn königliche Würden galten als unbestrittener Ausdruck von Souveränität. Sie mussten allerdings außerhalb des Reichs erworben werden. Die auffälligen Bemühungen mehrerer größerer Reichsfürsten um königliche Würden um 1700 sind folglich als Symptom eines Systemwandels zu werten. Erfolgreich bei diesem Rennen zur Sicherung der Souveränität waren der sächsische Kurfürst August der Starke, der 1697 zum polnischen König gewählt wurde, und der brandenburgische Kurfürst Friedrich  III., der sich 1701 zum König in Preußen (also eines Territoriums außerhalb des Reichs) krönen durfte.62 Dass Souveränität als sozialer Status verstanden wurde, machte es für Republiken schwieriger, diesen Status zu beanspruchen. Venedigs Königswürde war mit den von der Seerepublik eroberten Inseln Zypern und Kreta verbunden,63 weshalb die Gesandten der Serenissima die honores regii auf den großen Friedenskongressen des mittleren und späten 17. Jahrhunderts zugebilligt bekamen.64 Die Übertragung der Souveränitätszuweisung von Kronen und Dynastien auf Staatswesen sollte erst in einem weiteren Schritt in der Sattelzeit erfolgen. Bis dahin blieb die europäische Ordnung primär eine Fürstengesellschaft und damit ein von 61 Krischer: Souveränität, 13 f. (Zitat 13). 62 Krischer: Souveränität, 16; Stollberg-Rilinger: Honores Regii. 63 Eickhoff: Selbstbehauptung. 64 Linnemann: Bildlichkeit, 36.

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ausgeprägter Ambiguität gekennzeichnetes soziopolitisches System, wenn auch mit Disambiguierungstendenzen, die auf mittlere Sicht eine rationale, an Machtoder Gemeinwohlaspekten orientierte Politik stärkten und soziale Erwägungen und Regeln allmählich aushöhlten. Ein Aspekt von Ambiguität in zwischenfürstlichen Beziehungen, der im R ­ ahmen des Übergangs zum Souveränitätssystem zurückgedrängt, aber nicht konsequent beseitigt wurde, ist der der grenzüberschreitenden Patronage. Zwischenfürstliche Beziehungen wurden in der Frühen Neuzeit mitunter auch als Patronagebeziehungen verstanden und gestaltet, was bedeutet, dass in ihnen die entsprechenden sozialen Logiken Geltung beanspruchen konnten. Grenzüberschreitende Patronage findet sich in praktisch ganz Europa auf verschiedenen Ebenen. Zwischenfürstliche Beziehungen konnten die Form von Patronage annehmen, wenn die Verfügbarkeit über Ressourcen und die Machtstellung zwischen zwei Herrschern dauerhaft ein deutliches Gefälle aufwies. Die politische Rolle eines Fürsten war keineswegs per se mit der sozialen Rolle eines Klienten unvereinbar und die Beachtung von mit der Patronage verbundenen Werten wie Treue und Schutz galt für die Beteiligten als ehrzuweisend. Allerdings war der Übergang von legitimer Patronage zu illegitimer Einflussnahme des Patrons fließend, und zwar insbesondere dann, wenn sich die Patronage eines potenten Fürsten über seinen fürstlichen Klienten hinaus auch auf dessen Amtsträger und Mitglieder der Hofgesellschaft erstreckte; dann war die Grenze zwischen der Pflege (legitimer) „guter Korrespondenz“ zu Bestechung, Korruption und Hochverrat kaum mehr auszumachen. Besonders viele Beispiele für zwischenfürstliche Patronageverhältnisse finden sich in den Beziehungen der großen westeuropäischen Monarchien – der französischen und der spanischen Krone – nach Italien und in das Reich. Italienische Dynastien, die über kleinere Territorien herrschten wie die Medici über die Toskana, die Gonzaga über Mantua, die Este über Modena, das Haus Savoyen über das gleichnamige Herzogtum und die Farnese über Parma, lehnten sich entweder an eine der beiden großen Monarchien an oder betrieben eine Schaukelpolitik zwischen ihnen. Der Weg der Anlehnung an eine auswärtige Großmacht folgte zu guten Teilen den sozialen Logiken der Patronage, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Beteiligten bestrebt waren, stabile personale Bindungen aufzubauen. Prinzen des Klienten wurden an den Hof des Patrons geschickt, dort als Pagen eingesetzt und in der dortigen Hofkultur sozialisiert. Mitunter dienten sie später im Militär des Patrons und waren diesem auch deshalb nützlich, weil sie ihm Truppen aus ihrer Heimat zuführten. In einigen Fällen wurden auch Heiratsverbindungen solcher Prinzen oder Prinzessinnen mit nachgeborenen Söhnen oder Töchtern des Patrons angebahnt.65 Die französische Krone hatte seit dem 65 Spagnoletti: Principi.

Dynastische Akteure in der Fürstengesellschaft

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mittleren 16. Jahrhundert konsequent und über die Konfessionsgrenze hinweg Beziehungen zu verschiedenen Reichsfürsten und Adelsfamilien aufgebaut, die ähnlich wie die zwischenfürstliche Patronage der spanischen Krone in Italien auf Langfristigkeit angelegt war; zu ihren wichtigsten Klienten zählten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Herzöge der sächsisch-ernestinischen Linie und der Landgraf von Hessen.66 Wie im Fall der spanischen Patronage waren bei der Etablierung von Beziehungen mit dem französischen Patron Pensionszahlungen von großer Bedeutung. Weitere Gaben der auswärtigen Patrone waren Würden und Ordensmitgliedschaften – der Orden vom Goldenen Vlies war beispielsweise eine bei auswärtigen Fürsten und Hochadligen sehr begehrte Patronageressource,67 denen der seit dem frühen 17. Jahrhundert auswärtigen Fürsten offene Orden vom Heiligen Geist der französischen Krone etwas nachstand.68 Zwischenfürstliche Patronagebeziehungen waren für beide Seiten nützlich: Die Dynastien der kleineren italienischen staterelli konnten etwa durch die Anlehnung an den mächtigen spanischen Patron Sicherheit und Schutz erlangen, was zumindest so lange funktional war, wie die pax hispanica über Italien anhielt. Die überwiegend protestantischen Reichsstände, die Kontakte mit der französischen Krone pflegten, taten dies, um ihre Stellung gegenüber dem Kaiser zu behaupten und ihre Konfession – paradoxerweise mit Hilfe eines fremdgläubigen Patrons – zu sichern. Als problematisch für die französische Patronage erwiesen sich allerdings die zunehmende Unzuverlässigkeit ihrer Pensionszahlungen während der Hugenottenkriege und die Erosion ihrer Machtstellung in dieser Zeit. Gewalthandlungen der Krone gegen Hugenotten irritierten die protestantischen Reichsfürsten zusätzlich. Aufgeben aber wollten sie diese Beziehungen dennoch nicht, zumal angesichts des wachsenden Bedrohungsgefühls im Reich. Unter Heinrich  IV . gewann die grenzüberschreitende Patronage der französischen Krone wieder an Schwung, und zwar sowohl in Italien als auch im Reich.69 Pensionen wurden nun, nach der finanziellen Konsolidierung Frankreichs, wieder zuverlässiger gezahlt. Heinrich  IV. vermochte sich geschickt, nicht zuletzt mit Hilfe von protestantischen Diplomaten, als Patron der bedrängten Protestanten im Reich zu inszenieren. So sehr er gegenüber der katholischen Kirche und dem spanischen Rivalen auf die Authentizität seiner Konversion zum Katholizismus pochte, so sehr versicherten seine diplomatischen Vertreter doch den protestantischen Reichsständen, dass er seine alten konfessionellen Überzeugungen nicht gänzlich aufgegeben habe und sich verpflichtet fühle, zum Erhalt des Protestantismus beizutragen. Die Ambiguität von Glaubenswechseln wusste die französische 66 Handschuher: Reich, 46 ff. 67 Blockmans: Goldenes Vlies. 68 Metzler: Pensionspolitik, 52. 69 Kohlndorfer-Fries: Diplomatie; Metzler: Mikropolitik, 12 ff.

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Diplomatie unter dem ersten Bourbonenkönig voll auszuspielen – so sehr, dass einzelne Diplomaten wie der Protestant Jacques Bongars den Dienst quittierten, weil das Changieren zwischen Betonung der Katholizität des Königs und seiner Förderung des Protestantismus ihren politisch-konfessionellen Grundüberzeugungen zu sehr zuwiderlief.70 In zwischenfürstlichen Beziehungen war die Logik der Patronage immer nur ein Aspekt sehr mehrdeutiger Praktiken; sie kam also nicht als rein soziale, sondern stets als von Ambiguität gekennzeichnete Praxis daher, indem sich die Felder des Politischen, des Sozialen und mitunter des Religiösen überlagerten. Politische Interessen waren Teil des Erwartungshorizonts in diesen Beziehungen, ohne dass sie in den meisten Fällen als allein interessegeleitete Relationen verstanden werden können. Die Bindung von Klienten an die Dynastie des Patrons über Heiraten und Patenschaften, die Sozialisierung von Prinzen an seinem Hof und die Annahme von Diensten in seinem Militär konstituierten Gabentauschund Bindungslogiken, die weitgehend denen der Patronage entsprachen. Der für Patronage konstitutive Erwartungshorizont von Gabe und Gegengabe lässt sich in den zwischenfürstlichen Patron-Klient-Verhältnissen nachweisen, und zwar vor allem dann, wenn einer der Beteiligten sein Gegenüber an den do-ut-des-Charakter ihrer Beziehung erinnerte, indem er eine Gegengabe einforderte. Dies war eigentlich ein Normbruch, denn die Fiktion der Freiwilligkeit des Gabentausches war konstitutiv für ein bewährtes Patronageverhältnis. Die in Patron-KlientBeziehungen durchaus vorhandenen gegenseitigen Erwartungen hatten unausgesprochen zu bleiben. So handelte sich der Florentiner Großherzog Francesco de’Medici den Ärger König Philipps II. von Spanien ein, als er einem Geschenk für den König eine Liste von ihm besonders geschätzter Edelsteine beifügte – ein solcher Wink mit dem Zaunpfahl widersprach dem Ethos der Patronage. In diesem Fall sah sich der Patron zwar veranlasst, die seiner Rolle gemäße Großzügigkeit walten zu lassen, doch nicht ohne seinerseits den Großherzog subtil auf dessen Normbruch hinzuweisen: Er ließ mit einiger Zeitverzögerung einen wertvollen Smaragd nach Florenz schicken, der allerdings ausdrücklich nicht für den Großherzog, sondern für seine Gattin bestimmt war.71 Zwischenfürstliche Patronage war systemisch instabil, weil auf die Beziehungen zwischen Fürsten und Herrschaften noch andere Kräfte und Faktoren einwirkten, die mindestens so starken Handlungsdruck erzeugten wie die sozialen Normen der Patronage. Fürsten waren primär am Wohlergehen und an der Reputation ihrer Dynastie und der Stabilität – und damit auch Legitimität – ihrer Herrschaft interessiert. Diese Handlungsmotivation reichte in das Feld des Politischen und forderte interessegeleitetes Handeln, das bisweilen keine Rücksicht 70 Kohlndorfer-Fries: Diplomatie. 71 Kubersky-Piredda/Salort Pons: Geschenkwesen, 152 ff.

Dynastische Akteure in der Fürstengesellschaft

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auf Klienten oder Patrone erlaubte, und seien die Beziehungen zu ihnen auch noch so bewährt. Gerade Fürsten an der Spitze kleinerer Herrschaften gerieten leicht in den Sog von schwer zu kontrollierenden Auseinandersetzungen stärkerer Mächte und mussten daher im Interesse ihres eigenen politischen Überlebens die Außenbeziehungen flexibler gestalten, als das auf Dauerhaftigkeit angelegte Ethos der Patronage dies eigentlich erlaubte. Patronage als sozial akzeptierte Beziehungsform bot ihnen zwar die Möglichkeit, ihre Interessen an bestehende Normen zu binden und ihnen damit Legitimität zu verleihen; bewährten sich derartige Beziehungen für eine gewisse Zeit, wuchs in der Regel auch das Vertrauen zwischen Patron und Klient.72 Die Stabilität von Patronagebeziehungen zwischen Fürsten hing jedoch stark von dem Nutzen ab, den sie den Beteiligten brachte; zwischenfürstliche Patronage hatte damit einen deutlich utilitaristischen Zug. Stabile Patron-Klient-Verhältnisse konnten sich vor allem dann entwickeln, wenn ein mächtiger Patron über einen längeren Zeitraum weitgehend unangefochten über eine bestimmte Region als Ordnungsmacht auftreten konnte; dann wurde der Sog, sich ihm als Klient zu unterstellen, sehr stark. Dies gilt beispielsweise, wie schon angedeutet, für das spanisch dominierte Italien in den Jahrzehnten um 1600.73 Klienteläre Treuerhetorik hatte dann nicht zuletzt die Funktion, den mächtigen Patron zu Gunsthandlungen zu bewegen. Ebenso konnten sich relativ stabile Patronageverhältnisse entwickeln, wenn kleinere Herrschaften unter Druck eines mächtigeren Herrschers gerieten, der für sie aber aus bestimmten Gründen nicht als Patron in Frage kam bzw. dessen Machtentfaltung eines Gegengewichts bedurfte. Für einige protestantische Reichsstände war dies der Fall: Für sie war der Kaiser aus konfessionellen Gründen und aus Sorge um den Verlust ihrer Freiheiten als Patron inakzeptabel. Sie wandten sich daher der französischen Krone zu, deren Rivalität zum Haus Habsburg stärker wog als ihre Konfessionspolitik. Das Patronageverhältnis diente dann als Gegengewicht zur Lehnsbeziehung zum Reichsoberhaupt. Politisch oder wirtschaftlich krisenhafte Verhältnisse beeinträchtigten die Stabilität zwischenfürstlicher Patronage mitunter erheblich. Verlor ein fürstlicher Patron an Verfügungsgewalt über Ressourcen oder traten Konkurrenten auf den Plan, standen fürstlichen Klienten unterschiedliche Handlungsoptionen zur Verfügung und waren diese mitunter auch bereit, außerhalb klientelärer Bindungserwartungen zu handeln. Die Optionen reichten von fortdauernder Treue zum herkömmlichen Patron in der Hoffnung auf bessere Zeiten über Mehrfachbindungen zu verschiedenen Patronen bis hin zum Wechsel des Patrons. Patro­ne, die neu auftraten oder nach einer Schwächephase ihre auswärtige Klientel wieder aufbauen wollten, konnten schwerlich auf bewährte Treuebeziehungen 72 Haug: Außenbeziehungen, 219 ff. 73 Spagnoletti: Principi.

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setzen und versuchten, über gute Angebote Klienten zu gewinnen. Dementsprechend konnte unter direkter patronaler Rivalität für einige Zeit eine regelrecht marktförmige Patronagekonkurrenz entstehen. Da diese aber dem Ethos der Patronage widersprach und in vielen Fällen Patron wie Klient an der Stabilität ihrer Beziehung Interesse hatten, war eine derartige Phase der Instabilität oft von begrenzter Dauer. Entsprechend bediente sich die französische Diplomatie, die sich bei der Suche nach Klienten im Reich wiederholt in einer derartigen Situation befand, auch der Freundschaftssemantik: Indem man amis umwarb, suchte man den französischen König als einen Patron zu inszenieren, der sich des Wertes und der Normen der rhetorisch zur Freundschaft gesteigerten Patro­ nage bewusst war.74 Fürstliche Klienten orientierten sich bei ihrer Wahl eines Patrons auch daran, wie ihre Rivalen oder Verbündete handelten. Die Wahl des Patrons war insoweit keinesfalls nur von Zufällen abhängig, sondern auch durch bestehende Feind- und Freundschaften bestimmt. Patronagenetzwerke bildeten daher oft bestehende Rivalitäten ab; verfeindete Klienten strebten gemeinhin zu unterschiedlichen Patronen. In Italien war dies in den 1620er Jahren der Fall, als die französische Krone politisch, militärisch und auf dem Feld der Patronage aktiver auftrat und die Phase spanischer Dominanz beendete. Die Folge war, dass einige italienische Fürsten wieder Anlehnung an Frankreich suchten. Italien wurde damit wieder, wie schon im 15. und frühen 16. Jahrhundert, ein Feld der Patronagekonkurrenz auswärtiger Mächte, wobei die spanische Patronage zum Teil durch die des Kaisers und die Reaktivierung von Lehnsbeziehungen einiger Fürsten zu ihm ersetzt wurde. Im Reich änderte sich die Situation in den 1650er Jahren. Mit dem zunehmenden Ausgreifen der französischen Machtpolitik nach Osten wandelte sich das Verhältnis der Krone Frankreichs zu den Reichsständen und zu Adligen im Reich grundlegend: Während einige sich auf die Seite des Stärkeren, also Ludwigs XIV. stellten, sahen andere ab den 1660er Jahren die dezentrale Ordnung des Reichs in politischer wie konfessioneller Hinsicht eher vom expandierenden französischen König als vom Kaiser bedroht. Entsprechend verfehlte die auf Wahrung der Ordnung des Reichs gerichtete Selbststilisierung des Kaisers ihre Wirkung nicht; die französische Patronage erhielt zunehmend die Konnotation von Unterwerfung, und ihre Klienten galten als Verräter am Reich. Die bis dahin mehr oder weniger akzeptierten Klientelbeziehungen von Reichsständen zum französischen König verloren ihren ehrzuweisenden Charakter. Das französische Klientelnetzwerk erlitt damit erheblichen Schaden, während sich die kaiserliche Position nach dem Tiefpunkt von 1648 wieder stabilisierte.75 74 Haug: Außenbeziehungen, 57. 75 Haug: Außenbeziehungen, 65 ff.; ders.: Vertrauen.

Außenverflechtung

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Außenverflechtung zwischen langfristigen Bindungen und kurzfristiger Bestechung Grenzüberschreitende Patronage fand in noch größerem Umfang auf einer zweiten Ebene statt, und zwar der der Beziehungen zwischen dem Fürsten eines Landes und den Untertanen eines anderen Landes. Diese Beziehungen wurden zum Teil geheim gehalten, was einleuchtenderweise vor allem dann der Fall war, wenn sie zwischen Ländern, deren Herrscher in Rivalität oder Feindschaft zueinanderstanden, unterhalten wurden. In solchen Fällen lag der Vorwurf des Verrats, der Spionage oder der Käuflichkeit nahe. Patronage und Spionage gingen ineinander über: Informationsbeschaffung wurde zu großen Teilen über informelle Kontakte organisiert. Informanten stellten sich selbst oft als Klienten im Dienst eines fremden Herrschers dar, mit dem sie sich in einem do-ut-des-Verhältnis sahen, das sich nicht nur auf den einfachen materiellen Austausch von Informationen gegen Bezahlung beschränkte. Die Sprache der Patronage konnte auch in solchen Fällen Vertrauen schaffen und Bindungen hervorrufen, die Patron und Klient gegeneinander verpflichteten und eine Stabilität schufen, die dem Interesse beider Seiten entsprach. Neben diesen patronageförmigen Beziehungen, deren soziale Legitimation natürlich im ausgespähten Land nicht überzeugte, bemühten sich Regierungen und militärische Akteure, die geheime Informationsbeschaffung systematischer zu gestalten und auf Dauer gestellte Strukturen aufzubauen. Es entstanden private Informations- und Spionagebüros, deren Dienste von Kaufleuten, Militärs und Regierungen abonniert werden konnten, es wurden Ämter, die mit der Spionagekoordination befasst waren, geschaffen, und Regierungen versuchten, die Verarbeitung einlaufender Informationen besser zu organisieren. Doch diesen Ansätzen der Institutionalisierung zum Trotz blieb die geheime Informationsbeschaffung ein Feld, das vor allem von Improvisation und personalen Vertrauensbeziehungen gekennzeichnet war. Patronage als Vertrauens- und Bindungsgenerator blieb auf dem Feld des geheimen Wissenserwerbs unentbehrlich.76 Ein weiterer Bereich grenzüberschreitender Patronage war die Pflege von Beziehungen in ein fremdes Land, um dort Personen oder soziale Gruppen an den eigenen Herrscher zu binden und diese als Multiplikatoren für dessen Ziele zu nutzen. Auf diese Weise sollten politische Entscheidungen beeinflusst und das Gefüge von Parteien und Faktionen zum eigenen Nutzen verändert werden. Netzwerke dieser Art überspannten praktisch ganz Europa, fanden aber je nach politischem System sehr unterschiedliche Entstehungs- und Entfaltungsbedingungen vor. An Fürstenhöfen war es die Aufgabe von Diplomaten, zu maßgeblichen 76 Akkerman: Postmistress; Alford: Spies; Barber: Espionage; Carnicer García/Marcos Rivas: Sebastián de Arbizu; Daybell: Gender; Eickhoff: Selbstbehauptung; Pohlig: Geheimnis; v. Thiessen: Außenpolitik, 57 ff.

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Akteuren in den Regierungs- und Verwaltungsgremien und in der Hofgesellschaft Beziehungen zu knüpfen und nach Möglichkeit daraus Beziehungen gegenseitiger Verpflichtung wachsen zu lassen, die dem Informationserwerb dienlich waren und mit denen man politischen Einfluss ausüben konnte. Der Nachteil dieses Vorgehens bestand allerdings darin, dass eine derartige Beziehungspflege wechselseitig war. Dementsprechend schöpften nicht nur Diplomaten Informationen aus ihrem Dienstort ab oder beeinflussten dort die Politik, sondern waren ihrerseits Ziel der Beeinflussung und der Informationsgewinnung.77 Auf diese Problematik wird bei der Diskussion von Korruption in der Diplomatie zurückzukommen sein. Während die Mitglieder der Hofgesellschaft oder Angehörige von Regierung und Verwaltung einer Erbmonarchie stets darauf achten mussten, nicht die Gunst ihres Fürsten zu verlieren, wenn sie auswärtige Patronagebeziehungen pflegten, sah dies in Wahlmonarchien, Republiken und dezentral organisierten Herrschaften mit einem starken ständischen Element anders aus. Bei ihnen handelte es sich um Gemeinwesen, „deren Verfassung eine intensivere Anteilnahme an den internen Parteiverhältnissen geradezu herausforderte“.78 Solche Räume gesteigerter Außenverflechtung waren das Reich, und zwar vor allem die geistlichen Herrschaften, die Eidgenossenschaft, Graubünden, die Niederlande, der Kirchenstaat und Polen-Litauen. In diesen Ländern fanden auswärtige Patrone aus verschiedenen Gründen besonders leicht Klienten und konnten auswärtige Klientelbindungen zumindest phasenweise sehr offen, ja mitunter geradezu ostentativ inszeniert werden. Anhand von vier Beispielen sollen die unterschiedlichen Varianten von Außenverflechtung und der Stellenwert von sozialen Werten und Normen in ihnen dargestellt werden. Zunächst wird am Beispiel Polens im späten 17. und 18. Jahrhundert dargelegt, wie auswärtige Einflussnahme so weit führte, dass Parteiungen und Faktionen sich primär nach ihrer Orientierung an auswärtigen Patronen definierten. Im polnischen Fall führte diese Konstellation zu einer eklatanten Schwächung des Landes, generierte massive Abhängigkeiten von auswärtigen Herrschern und ruinierte das Ansehen von Teilen des Adels im Land. Ein auf den ersten Blick ähnliches Beispiel, der Kirchenstaat und die römische Kurie, soll anschließend dazu dienen, das normative Spannungsfeld zwischen Treue zu auswärtigen Patronen, sozialen Rivalitäten innerhalb der Elite und Normen, welche auswärtige Verflechtungen delegitimierten, auszuloten. Das dritte Beispiel, die Außenverflechtung der Eidgenossenschaft, illustriert, wie, ganz im Gegensatz zu Polen, der Ressourcenfluss aus auswärtigen Klientelbeziehungen unter bestimmten Umständen gerade nicht destabilisierend auf ein politisches System wirkte, sondern vielmehr die Staatsbildung förderte und regionale Eliten stärkte; zum 77 v. Thiessen: Roles. 78 K. Müller: Gesandtschaftswesen, 300.

Außenverflechtung

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Zweck des Vergleichs wird dabei noch einmal auf den römischen Adel und seine Außenverflechtung zurückzukommen sein. Das letzte Beispiel schließlich, der Handels- und Finanzplatz Genua, betrifft Kreditbeziehungen zwischen Fürsten und auswärtigen Klienten. Das Paradebeispiel für ein Gemeinwesen, das durch auswärtige Patronage regelrecht unterminiert wurde, stellt Polen-Litauen im späten 17. und im 18. Jahrhundert dar. Das Interesse auswärtiger Mächte an diesem Land war in seiner Verfassung als Wahlmonarchie mit starkem Adel begründet. Auswärtige Fürsten versuchten mittels Geldgeschenken, Pensionen, Titeln und Ordensmitgliedschaften das Wahlverhalten in ihrem Sinne zu beeinflussen. Obwohl einige polnische Adlige auswärtige Würden – etwa die Mitgliedschaft im Orden vom Goldenen Vlies – durchaus begehrten, war deren Bedeutung in der polnischen Adelsgesellschaft im 16. Jahrhundert noch sehr gering, ja vielfach verpönt. Zu dieser Zeit waren die Interessen des Adels noch stark regional orientiert. Der polnische Adel hatte ein ausgeprägtes ständisches Eigenbewusstsein und vergleichsweise egalitäre Binnenstrukturen; auf dieser Basis konnte sich kein Repräsentationswettbewerb, befeuert durch auswärtiges Kapital, entfalten. Zudem standen die meisten Adligen auf wirtschaftlich relativ sicherer Basis durch die Einnahmen aus dem florierenden Getreidehandel. Auf ausländische Pensionen waren sie daher nicht angewiesen. Damit beschränkte sich die auswärtige Einflussnahme weitgehend auf die Königswahlen, wobei es sich eher um Ad-hoc-Bestechung und kurzfristige Einflussnahme handelte als um Parteibildung; langfristige Vertrauensbeziehungen auf Patronagebasis entstanden kaum. Der entscheidende Wandel in der polnischen Außenverflechtung fand im späten 16. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts statt. In dieser Zeit geriet die polnische Adelsgesellschaft zunehmend in den Sog des französisch-habsburgischen Gegensatzes. Beide auswärtigen Kronen arbeiteten mit dem Mittel der Patronage und bauten nach und nach gezielt Netzwerke auf, deren Angehörige allerdings lange noch als notorisch unzuverlässig galten; es fehlte in der polnischen Adelsrepu­blik noch am Patronageethos in Außenbeziehungen. Dass diese Parteienbildung langfristig doch noch erfolgreich war, hing mit der Patro­nage der französischen oder habsburgischen Gattinnen der Könige zusammen. Sie bildeten Hofparteien, die mit Ressourcen ihrer jeweiligen Herkunftsdynastie aufgebaut wurden und nach und nach die gesamte Adelsgesellschaft erfassten. Die Ausweitung der Ressourcen des polnischen Königshofs und eine gezielte Patronage­politik bereiteten damit die Bahn für eine Öffnung der polnischen Adelsgesellschaft für auswärtige Klienten.79 Da der auswärtige Ressourcenfluss je nach Herkunft des Königs und der Königin allerdings immer wieder unterbrochen wurde, fehlte es den polnischen ­Adelsfaktionen noch 79 Bues: Patronage.

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im 18. Jahrhundert an langfristiger Stabilität in der Außenorientierung. Königswahlen und Bündnisdiskussionen im polnischen Reichstag wurden daher von den Großmächten immer wieder massiv mit Bestechungen beeinflusst.80 Nicht zuletzt aufgrund der peripheren Lage Polens im europäischen Mächtesystem und der immer nur begrenzten Bereitschaft der auswärtigen Patrone, ihre Beziehungen dorthin dauerhaft zu pflegen, konnte sich keine stabile Patronagekultur entfalten; wenn überhaupt von Patronage die Rede sein kann, dann handelte es sich im polnischen Fall um eine sehr marktförmige und bereits für viele Zeitgenossen in Polen normativ zweifelhafte Variante. Es fehlte an Vertrauen in einen dauerhaften Ressourcenfluss bzw. an der Bereitschaft, einen solchen zu garantieren. Ganz andere Verhältnisse fanden auswärtige Patrone in Rom und im Kirchen­ staat vor; sie sind zudem besonders gut erforscht, weshalb dieses Beispiel ausführlicher erläutert werden soll. Die Adelsgesellschaft des Kirchenstaats war hochkompetitiv, was auf die spezielle Struktur der römischen Wahlmonarchie zurückzuführen ist. Anders als die polnischen Könige wurden die Päpste der Frühen Neuzeit nicht aus den Reihen der großen Dynastien, sondern aus denen des mittleren und höheren Adels Italiens gewählt. Denn andernfalls drohte der Kirchenstaat zu einem Satellitenstaat einer auswärtigen Monarchie herabzusinken, die kurialen römischen Netzwerke kaltgestellt und die Rolle des Papstes als neutraler padre comune über der katholischen Christenheit irreparabel beschädigt zu werden. Der Pontifikat eines ihrer Angehörigen stellte für die italienischen Adelsfamilien eine einzigartige Gelegenheit dar, sich im Hochadel zu etablieren. Dazu standen die erheblichen Ressourcen zur Verfügung, welche die Kirche und der Kirchenstaat boten, ergänzt noch durch Gaben auswärtiger Fürsten. Dieser Ressourcenfluss, der in Ämter, Titel, Kunstwerke und Architektur investiert wurde, mithin vor allem der Repräsentation diente, setzte den alteingesessenen Adel des Kirchenstaates unter erheblichen Druck. Er löste ein Ausmaß an adliger Repräsentationskonkurrenz aus, das im europäischen Vergleich einzigartig gewesen sein dürfte.81 Die Notwendigkeit, zur Erhaltung des eigenen Standes an diesem Wettlauf des Statuskonsums mitzuhalten, begründete das große Interesse von Adelsfamilien des Kirchenstaates und weiter Teile Italiens – die über Kardinäle aus ihren Reihen auch in Rom vertreten waren – an auswärtigen Ressourcen. In Rom überlagerten sich zwei klienteläre Ordnungssysteme: Das eine orientierte sich am jeweils regierenden Papst. Seine Klientel stand fast immer in Rivalität zu der des vorhergehenden Papstes, die sie von Ämtern, Würden und Einnahmen verdrängt hatte.82 Das andere Ordnungssystem hingegen basierte auf B ­ eziehungen römischer Adliger 80 K. Müller: Gesandtschaftswesen, 316. 81 Karsten: Künstler; V. Reinhardt/Büchel (Hrsg.): Kreise. 82 Reinhard: Freunde und Kreaturen. „Verflechtung“, 146 ff.

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und Kleriker zu auswärtigen Herrschern, wobei auch in Rom der französische und der spanische König die bedeutendsten auswärtigen Patro­ne waren. Anders als in Polen wies die grenzüberschreitende Patronage im Kirchen­staat aber schon zu Beginn der Neuzeit eine lange Geschichte auf. In Rom standen traditionelle, bis in das späte Mittelalter zurückreichende Bindungen einiger Adelsfamilien zu bestimmten auswärtigen Fürsten neben sehr volatilen Beziehungsverhältnissen. Auswärtige Patronage war, anders als in Polen, nicht von grundsätzlich zweifelhafter Legitimität und wurde öffentlich sichtbar gemacht. Das geschah beispielsweise, wenn Adelsfamilien das Wappen ihres Patrons an ihren Palästen anbrachten. Botschaftereinzüge und Feste waren Anlässe, um die Stärke der Klientel eines auswärtigen Fürsten öffentlich zu demonstrieren; bei solchen Anlässen Präsenz zu zeigen, war Klientenpflicht. Vertrauen war allerdings auch in römischen ­­Patron-Klient-Beziehungen ein rares Gut, da sich auswärtige ­Patrone oft nicht sicher sein konnten, ob die Bindung eines ihrer Klienten nicht durch innerrömische bzw. inneritalienische Bindungen und Rivalitäten überlagert wurde. Dennoch waren sich die Akteure des Ideals der Dauerhaftigkeit von Patronagebindungen auch in der Stadt des Papstes bewusst und war der Wechsel eines Patrons eine ausgesprochen heikle Angelegenheit. Dieser Umstand zeigt sich besonders im Vergleich der klientelären Verhaltens­ stile unterschiedlicher römischer Adelsfamilien, die in Beziehungen zu auswärtigen Patronen standen. Drei von ihnen sollen an dieser Stelle kurz verglichen werden: die Colonna, die Orsini und die Caetani. Alle drei, aus deren Reihen in der Frühen Neuzeit kein Papst gewählt wurde, standen vor dem oben beschriebenen Problem, in der Status- und Ressourcenkonkurrenz mit den aufsteigenden Papstfamilien mithalten zu müssen, was sie einerseits durch finanziell vorteilhafte Heiraten mit diesen homines novi bewerkstelligten (die dadurch das symbolische Kapital der Akzeptanz durch den alten Adel gewannen), andererseits durch die Pflege von Beziehungen mit den genannten auswärtigen Patronen. Die Orsini versuchten sich in einer Art klientelärer Schaukelpolitik, indem sie Beziehungen zu mehreren auswärtigen Herrschern pflegten und somit Ressourcen unterschiedlicher Provenienz zu erlangen hofften. Dieses Vorgehen ist nicht unbedingt als klientelärer Machiavellismus zu werten, sondern war der Not geschuldet. Denn die Orsini reagierten damit auf die bereits beschriebene Schwäche ihres traditionellen Patrons, der französischen Krone, die sich immer weniger in der Lage sah, auswärtigen Klienten Ressourcen zukommen zu lassen. Die Orsini suchten daher nach Alternativen, ohne sich gleich von ihrem traditionellen Patron abzuwenden, in der Hoffnung, dieser würde dereinst zu alter Stärke und Freigebigkeit zurückfinden. Doch ein derartiges Verflechtungsverhalten, das darauf hinauslief, Patrone gegeneinander auszuspielen, zahlte sich nicht aus. Vielmehr verloren die Orsini an Ansehen und Vertrauen, mit dem Ergebnis, dass sich auch die Patrone nicht mehr an Absprachen mit ihnen gebunden fühlten; eine ihnen 1620 gewährte

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spanische Pension in der beträchtlichen Höhe von 6000 Dukaten im Jahr sollte beispielsweise nie ausgezahlt werden.83 Damit waren das Ansehen der Orsini und ihr Handlungsspielraum gegenüber auswärtigen Patronen zurückgegangen, weil sie sich nicht an die informellen Regeln gehalten hatten. Einen Kontrast zu diesem riskanten Verflechtungsstil stellt der der Colonna, der traditionellen Rivalen der Orsini, dar. Sie banden sich im Laufe des 16. Jahrhunderts eng an die spanische Krone; so eng, dass diese Patron-KlientBeziehung schließlich so selbstverständlich wurde, dass an eine Beendigung des Verhältnisses kaum mehr zu denken war. Die Erfahrung generationenübergreifender Treue schuf ein grundsätzliches Vertrauen zwischen Patron und Klient und wirkte als sozialer Kitt. Die Colonna schickten oft Erbsöhne aus ihren verschiedenen Linien als Pagen an den spanischen Hof, womit die auswärtige Patronagebindung Teil der Sozialisation wurde. Später übernahmen diese dann Ämter in der spanischen Monarchie und wurden darüber hinaus mit Titeln, Pensionen und materiellen Begünstigungen vom spanischen König bedacht. Treue zur spanischen Krone ging so für Jahrzehnte in die Identität dieses Familienverbandes ein. Dass die Colonna derart erfolgreich das mit dem adligen Selbstverständnis verbundene Ideal der Kliententreue zu kultivieren verstanden, ist freilich auch darauf zurückzuführen, dass ihr Patron stets Ressourcen bieten konnte und auch seinerseits mit zunehmender Selbstverständlichkeit in der Patronsrolle stand. Wie ein Patronswechsel mit dem Ideal der Treue und den gegenseitigen Verpflichtungen im Patron-Klient-Verhältnis zu vereinbaren war, demonstriert das dritte Beispiel, das sich auf die Caetani bezieht. Auch sie waren traditionell Klienten der französischen Krone gewesen und vom Ausbleiben der Gaben und des Schutzes des auswärtigen Patrons seit den 1560er Jahren betroffen. Ihnen aber gelang eine klienteläre Rochade, weil sie diese als konform mit sozialen und religiösen Normen zu gestalten vermochten. Angehörige dieser Familie nahmen 1571 am Krieg der „Heiligen Liga“ gegen das Osmanische Reich teil, die aus dem Kirchenstaat, Venedig und der spanischen Monarchie bestand, wobei Letzterer das Oberkommando übertragen war. Auch in der siegreichen Schlacht von Lepanto kämpften sie. Dieses erinnerungskulturell wichtige Ereignis, das in der Tradition der Kreuzzüge gesehen wurde, nutzten sie, um sich fortan mit Verweis auf die geleisteten Dienste der spanischen Krone anzunähern und die Kontakte mit dem vorherigen Patron, dem französischen König, auszudünnen. Dass die französische Krone der Heiligen Liga ferngeblieben war und insoweit den Erwartungen an einen christlichen Patron nicht entsprochen hatte, bescherte den Caetani eine ehrenhafte Begründung für ihren Patronswechsel.84 83 Metzler: Mikropolitik, 128 ff. 84 Reinhard: Amici e creature. Politische Mikrogeschichte; Rivero Rodríguez: Servicio; Signorotto: Aristocrazie; v. Thiessen: Vertrauen.

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Deutlich wird an den drei römischen Beispielen, wie wichtig der anhaltende gegenseitige Ressourcenaustausch für die Aufrechterhaltung der Patronagebeziehungen war – die Schwäche der französischen Krone, die angesichts der inneren Wirren in Frankreich nicht mehr in der Lage war, Ressourcen nach Italien zu transferieren, führte zum Kollaps ihrer Patronagerolle. Deutlich wird aber auch, dass die Wahrnehmung eines Mangels an Treue den Ruf und damit die Ehre eines Klienten untergraben konnte. Zweifellos gilt gerade für die Angehörigen des Adels in der Frühen Neuzeit, dass ihr Denken zuvörderst um ihren Familienverband, dessen Ansehen und Prosperität kreiste; die „Logik von Haus und Familie“ war primär handlungsleitend.85 Die Bindung an den Patron kam daher zumeist erst an zweiter Stelle, und dies selbst bei den über Generationen im gleichen Patronageverhältnis stehenden Familien. In der Hierarchie der sozialen Werte und Normen stand die Familien- vor der Klientenbindung. Aber – und auch das zeigen die Beispiele eindrücklich – die für das kostbare symbolische Kapital der Ehre so wichtige Pflege und Inszenierung der Treue in Patronageverhältnissen durfte darüber nicht vernachlässigt werden. Die Kunst für adlige Klienten bestand darin, sich als vertrauenswürdig zu inszenieren und dies nach Möglichkeit mit den Interessen der eigenen Familie zu vereinbaren; dabei konnte die Rolle des treuen Klienten für Akteure in einigen Fällen so wirkmächtig werden, dass sie in ihr aufgingen. Die Konkurrenz zwischen auswärtigen und innerrömischen Beziehungen und Bindungen führte allerdings dazu, dass auswärtige Patrone ihren Klienten erhebliche Freiräume lassen mussten. Selbst bei der Papstwahl konnten auswärtige fürstliche Patrone nicht unbedingt erwarten, dass an sich treue Klienten ihre Kandidaten wählten, konnte es doch stets vorkommen, dass innerrömische Feindschaften einem solchen Wahlverhalten entgegenstanden. Derartige Fälle von Bindungskonkurrenz waren in Rom alltäglich. Auswärtige Patronage in der ewigen Stadt bedeutete demnach, eine möglichst große Anhängerschaft teils zweifelhafter Zuverlässigkeit zu gewinnen, um in Konkurrenz zu anderen Mächten nicht ins Hintertreffen zu geraten. Rom war ein Ort, an dem gleichzeitig das soziale Ethos der Patronage hochgehalten und die damit verbundenen Regeln im Einzelfall immer wieder verletzt wurden. In der ewigen Stadt wurden zu viele Ressourcen vermakelt, die Entscheidungen der päpstlichen Kurie waren für katholische Fürsten zu wichtig, und zu viele politisch bedeutsame Akteure waren gleichzeitig vor Ort, als dass ein auswärtiger Patron dieses Feld hätte ignorieren können. Da im Kardinalskollegium in der Regel auch Angehörige anderer italienischer Dynastien wie auch der maßgeblichen Familien der Seerepubliken Venedig und Genua vertreten waren, blieb Rom bis weit in das 17. Jahrhundert hinein eine diplomatisch-politische und damit eben auch klienteläre Drehscheibe. 85 Stollberg-Rilinger: Maria Theresia, 186; vgl. auch Neuschel: Word, 97.

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Vor allem aber war Rom der Ort, an dem das Oberhaupt der katholischen K ­ irche gewählt wurde. Ein Gutteil der Motivation zum Aufbau einer Klientel in Rom, der auch möglichst viele Kardinäle angehörten sollten, lag für auswärtige Patrone in der Beeinflussung der Papstwahl. Konklaven waren gewissermaßen die Stresstests der klientelären Strukturen im Kardinalskollegium und auch der Regeln der Patro­ nage überhaupt. Bevor die Türen des Konklaves verschlossen wurden, wechselten daher erhebliche, von den Diplomaten vor Ort hektisch beschaffte Geldmittel den Besitzer, sodass immer wieder ein situativer Zusammenbruch des Normengefüges zu beobachten war: Patronagebeziehungen kippten in kurzfristige Bestechung um und das Vertrauen der auswärtigen Patrone bzw. ihrer diplomatischen Vertreter in die Treue ihrer Klienten war unter dem Druck der bevorstehenden Wahlentscheidung offenkundig gering.86 Indes standen die Kardinäle im Konklave nicht nur im Spannungsfeld unterschiedlicher und gegebenenfalls widersprüchlicher sozialer Bindungen. Denn religiöse Normen legten eine ganz andere Grundlage ihrer Wahlentscheidung nahe. Dem religiösen Anspruch nach wurde im Konklave die göttliche Vorsehung wirksam, die sich der kardinalizischen Wähler nur als Mittel bediente. Die Kardinäle waren verpflichtet, bei der Wahl eines Pontifex Maximus ihrem Gewissen zu folgen. Mit diesem Anspruch war gleichwohl wenig gewonnen: Denn nicht nur die Wahl eines besonders geeigneten und religiös qualifizierten Kandidaten für die Leitung der Kirche war eine Sache des Gewissens, sondern auch die Treue und Dankbarkeit gegenüber dem Patron, der die Wahl eines bestimmten Kandidaten erwartete oder gar selbst zur Wahl stand. Im Konklave sahen sich die Kardinäle folglich ebenso starken wie widersprüchlichen Handlungserwartungen ausgesetzt.87 Dass die klientelären Handlungserwartungen bei der Papstwahl wirkmächtig blieben, lag auch an der von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis 1621 häufigsten Wahlform, der so genannten Adorationswahl. Rechnete ein Faktionsführer im Konklave auf eine Mehrheit für seinen Kandidaten, so musste die Wahl nicht über Abstimmung entschieden werden, sondern konnte auch mittels einer von den Wählern geleisteten Verehrungshandlung gegenüber diesem Kandidaten erfolgen: Die Kardinäle verbeugten sich dann nacheinander vor dem Kandidaten und leisteten den Fußkuss, bis die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreicht war. Das bedeutete, dass die Wähler ihre Wahlentscheidung vor den Augen des mutmaßlich zukünftigen Papstes und des Faktionsführers offenbarten. In dieser Situation lastete ein erheblicher Druck auf den Wählern, sich dem zukünftigen Papst als Anhänger zu empfehlen und dem jeweiligen Faktionsführer gegenüber ihre Treue zu beweisen. Mit anderen Worten: Die Adorationswahl war ein ­Disziplinierungsmittel in den Händen des Führers der stärksten Kardinals­faktion.88 86 Dandelet: Spanish Rome, 35; v. Thiessen: Diplomatie und Patronage, 333 ff. 87 Wassilowsky: Konklavereform, 15. 88 Wassilowsky: Konklavereform, 102 und 119 f.

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Und sie stärkte auch den Einfluss auswärtiger Patrone im Konklave, denn die Papstwähler konnten sicher sein, dass mehr als nur ein indiskreter Kollege über ihr Wahlverhalten Bericht erstatten würde.89 Nicht von ungefähr setzte die von Kirchenreformern lange geforderte Wahlreform des Jahres 1622 am Wahlprozedere an: Sie führte die geheime „Skrutinalwahl“ ein und verlangte von jedem Wähler, vor dem Altarfresko des Jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle zu schwören, nur nach seinem Gewissen vor Gott zu stimmen. Die Intention dieses Verfahrens war es, das Gewissen auf seine religiöse Komponente, auf die Verantwortung vor Gott und der Kirche gegenüber, zu beschränken, mithin die Wahlmotivation zu disambiguieren. Soziale Bindungen sollten damit aus der Wahlentscheidung ausgeklammert werden, die zudem von den Faktionsführern nicht mehr kontrolliert werden konnte; eine Zurückdrängung der klientelären Wahlmotivation gelang tatsächlich auf mittlere Sicht.90 Das römische Konklave ist somit ein Beispiel für ein sehr umkämpftes Handlungsfeld, in das Normen in direkter Konkurrenz einwirkten – und auch dafür, dass den Zeitgenossen die Natur dieses Normenkonfliktes, wenn sie ihn auch nicht so bezeichneten, bewusst war und dass sie gezielt Maßnahmen einzuleiten verstanden, die zu einer Vereindeutigung der Wahlmotivation führten. Wahlen waren aufgrund ihres potenziell kontingenten Verlaufs und des unmittelbaren Entscheidungsdrucks Herausforderungen für die normative Ordnung und begünstigten Misstrauen und deviantes Verhalten, wie die Vorgänge von Adhoc-Bestechung in Rom selbst gegenüber bewährten Klienten zeigen. Dementsprechend waren nicht nur in Rom, sondern auch andernorts Wahlen Momente eines normativen Kräftemessens. Koadjutor- und Bischofswahlen im Reich etwa standen oft im Spannungsfeld zwischen der Einflussnahme politisch interessierter Akteure, klientelären Logiken und religiösen Normen. Begünstigung und Bestechung von Wählern kollidierten mit dem Simonieverbot und das Prinzip standesgemäßer Versorgung von Adligen im Kirchendienst mit der Wahl des besten Hirten für die Gläubigen.91 Indes soll es im dritten Beispiel nun um ein wiederum ganz anders gestaltetes und deutlich profaneres Feld der Außenverflechtung gehen, die Eidgenossenschaft. Sie war für auswärtige Diplomaten wegen ihrer soziopolitischen Komplexität und Undurchschaubarkeit geradezu berüchtigt. Gleichzeitig aber war das Interesse auswärtiger Fürsten an der Pflege von Beziehungen mit den dortigen Eliten sehr groß. Denn die Schweiz, und zwar vor allem die durch beständigen ­Geburtenüberschuss gekennzeichneten alpinen Orte der Innerschweiz, boten 89 v. Thiessen: Diplomatie und Patronage, 333 ff.; Visceglia: Factions, 105 ff. 90 Wassilowsky: Konklavereform, 260 ff. 91 Grüne: Konsistenzerwartungen, 131 ff.

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ein sehr begehrtes Exportgut: junge Männer, die sich als Söldner verdingten. ­ ußerdem waren die der Eidgenossenschaft benachbarten Monarchien daran inteA ressiert, die im Ruf der Wehrhaftigkeit stehenden eidgenössischen Orte wie Bern oder Zürich im Kriegsfall neutral zu halten. Beide Aspekte führten dazu, dass sich die französische und die spanische Monarchie, ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch andere Mächte, um den Aufbau von dauerhaften Beziehungen in die Eidgenossenschaft bemühten. Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts schwand das Interesse fremder Mächte an dieser Region, da sich die Rekrutierungs­praktiken der Heere änderten und das militärische Potenzial der eidgenössischen Orte als weniger bedrohlich angesehen wurde.92 Faktisch wurden die Orte bzw. Kantone der Eidgenossenschaft von Familienoligarchien dominiert. Mit Soldunternehmern aus ihren Reihen wurden Soldverträge geschlossen. Für politische Geschäfte mussten sich Diplomaten an die Tagsatzung, die Versammlung der Abgesandten der Orte begeben.93 Das Interesse auswärtiger Herrscher an den Solddiensten, ihre Bereitschaft, dafür in erheblichem Umfang zu investieren und die finanzielle Abhängigkeit der Orte in der Innerschweiz vom Solddienstgeschäft führten zur Entstehung einer Zone der Außenverflechtung, und zwar vor allem im katholischen Teil der Eidgenossenschaft. Die mit Solddienstunternehmern dort geschlossenen Verträge können als Teil grenzüberschreitender Gabentauschbeziehungen interpretiert werden.94 Es entstand ein in der Struktur teilweise mit dem Kirchenstaat vergleichbares System, in dem einige Soldunternehmerfamilien generationenübergreifende Bindungen zu einer auswärtigen Macht unterhielten. Auf diese Weise bildete sich im 17. Jahrhundert ein allerdings instabiles „Zweiparteiensystem“:95 Ein Teil der Solddienstunternehmer machte seine Geschäfte mit der spanischen, ein anderer Teil mit der französischen Krone. In solchen Fällen konnte Vertrauen durch das Alter der Beziehungen entstehen. Derart an eine Krone gebundene Familien lieferten dann nicht nur regelmäßig Söldner, sondern traten auch als Multiplikatoren in ihrem Ort und an den Tagsatzungen für ihren auswärtigen Patron auf. Politische Willensbildung in der Schweiz des 16. und 17. Jahrhunderts erfolgte damit zumindest in ihrem katholischen Teil stets unter Beteiligung auswärtiger Mächte. Diese Parteibildung hatte auch einen starken innenpolitischen bzw. sozialen Aspekt, neigten doch – wiederum ähnlich wie im Kirchenstaat – rivalisierende Familien dazu, sich für unterschiedliche Patrone zu entscheiden, womit ihre Gegnerschaft nur noch verstärkt wurde. Andererseits konnte es gerade auf den Tagsatzungen vorkommen, dass der Klient einer auswärtigen Macht nicht 92 Windler: Pensionen, 111. 93 Würgler: Verflechtung. 94 Würgler: Verflechtung, 82 ff. 95 Behr: Diplomatie, 260 f.

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in deren Sinne handelte, weil Bindungen zu Akteuren im eigenen Land oder zu schließende politische Kompromisse dem entgegenstanden. Auffallend ist, dass die Vertrauensbasis der auswärtigen Patron-Klient-Beziehungen in der Eidgenossenschaft deutlich schmaler war als in Italien bzw. im Kirchenstaat. Das lag nicht daran, dass die eidgenössischen Soldhändlerfamilien stärker marktförmig, das heißt am besten Angebot orientiert handelten, als dies die italienischen Adelsfamilien taten. Vielmehr waren die Erwartungen der zumeist adligen Diplomaten und der fremden Regierungen an die klienteläre Treue ihrer eidgenössischen Klienten von vornherein geringer als an italienische Adlige, weil Erstere aus Sicht auswärtiger Herrscher und ihrer Diplomaten nicht an der höfisch-adligen Kultur und ihrem Wertehorizont teilhatten. Mochten Herrscherhöfe auch in moralischer Hinsicht in schlechtem Ruf stehen, doch galten bei ihnen die sozialen Regeln adliger Kultur, wozu auch das Ethos der Patronage einschließlich des Wertes der Treue gehörte. Die Verankerung in diesem Werte- und Normenhorizont trauten auswärtige Gesandte eidgenössischen Akteuren grundsätzlich nicht zu. Die Monarchie erschien ihnen als Garant einer an adligen Werten orientierten Normenordnung, die sie einem republikanischdezentralen Gemeinwesen nicht zuschrieben. Die undurchschaubaren Verhältnisse, die Notwendigkeit, nichtadlige Akteure mit teuren Banketten zu umwerben, und die stets direkt mit Gegenleistungen verbundenen Absprachen und Kompromisse, für die eidgenössische Akteure unter fürstenstaatlichen Diplomaten berüchtigt waren, wurden mit diesem angenommenen Mangel an Wertorientierung erklärt.96 Diese Deutung konnte auch als Ausrede genutzt werden, wenn Diplomaten ihr Scheitern in Verhandlungen auf der Tagsatzung damit erklärten, dass es ihrem Gegenüber an Ehre gefehlt habe.97 Aneinander gebunden waren die Solddienstfamilien und die auswärtigen Fürsten bzw. ihre Vertreter durch das gegenseitige Interesse an ihren Ressourcen und weniger durch eine gemeinsame ethische Grundlage auf der Basis sozialer Normen. Solddienstfamilien konnten dabei in starke Abhängigkeit zu auswärtigen Patronen geraten, da sie die fremden Zahlungen zum Statuskonsum und für ihre Patronage vor Ort nutzten; ein Abbruch derartiger Beziehungen hätte ihre soziale und politische Stellung auf einen Schlag erschüttert.98 Diese Beziehungen dienten im Übrigen nicht nur den Solddienstfamilien selbst, da ein Teil des auswärtigen Geldes auch an die Kantone floss und den bemerkenswerten eidgenössischen Sonderfall einer „Staatsbildung ohne direkte Steuern und stehendes Heer“ ermöglichte.99

96 Windler: Pensionen, 114; ders.: Diplomatie als Erfahrung, 13 ff. 97 Windler: Diplomatie als Erfahrung, 42 f. 98 Schläppi: Akteure, 32; Windler: Pensionen, 121. 99 Schläppi: Diplomatie, 103; Windler: Diplomatie als Erfahrung, 11 (dort auch das Zitat).

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Es bleibt zu klären, weshalb die Außenverflechtung katholischer Orte sehr viel ausgeprägter war als die der protestantischen. Dies hatte nicht nur konfessionelle Hintergründe, sondern auch wirtschaftliche. Die Innerschweiz war im Gegensatz zu ihren nördlichen Nachbarn, die wirtschaftlich breiter aufgestellt waren, schlichtweg vom Soldgeschäft zur Wahrung ihres Wohlstands abhängig. Dennoch ist diese Deutung nur die halbe Wahrheit. Denn in der unterschiedlichen Ausprägung der Außenverflechtung zwischen reformierten und katholischen Orten spiegeln sich auch unterschiedliche politische Kulturen, die sowohl gemeinwohlorientierte als auch religiöse Wurzeln hatten. Die Abhängigkeit der katholischen Orte vom Solddienst verstärkte bereits vorhandene Unterschiede nur noch. In Städten wie Bern, Zürich und Basel war, wie bereits dargestellt, schon vor der Reformation ein starker Gemeinwohldiskurs verankert gewesen, der politisches Handeln an das Wohl der patria band und partikulare Interessen unter den Verdacht stellte, der Gemeinschaft zu schaden. Dieser Diskurs gewann durch das auf Moralisierung und Selbstheiligung des christlichen Gemeinwesens zielende theologische Programm der Reformatoren noch an Gewicht. In Bern gerieten daher beispielsweise in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die vom spanischen König einzelnen Ratsherren gewährten burgundischen Salzkonzessionen in Misskredit. Es handelt sich bei diesen Konzessionen um die Gewährung regelmäßiger Salzlieferungen aus der unter spanischer Herrschaft stehenden Freigrafschaft Burgund zum Vorzugspreis. Eine derartige Begünstigung Einzelner durch einen fremden Herrscher galt in einer politischen Kultur als nicht mehr akzeptabel, in der die Verpflichtung der Ratsherren gegenüber dem eigenen Gemeinwesen absolut gesetzt wurde. Gabentauschförmige Verpflichtungen gegenüber Auswärtigen kamen somit in den Ruf des Verrats am Gemeinwohl. Daher konnten auswärtige Pensionen nur noch im Geheimen angenommen werden, was nur wenige Ratsherren wagten; französische Pensionen für einzelne Berner sind im frühen 17. Jahrhundert gar nicht mehr nachweisbar. Damit war nur noch die Stadtrepublik als Ganzes legitimiert, Beziehungen zu auswärtigen Herrschern zu unterhalten – sie verstand sich zunehmend als souve­räner Akteur, der partikulare Beziehungsstränge nicht mehr dulden konnte. Ein gemeinwohlorientierter Republikanismus hatte somit in Kombination mit dem reformierten Ideal der Selbstheiligung zu einer Trennung von Handlungsfeldern geführt: Außenbeziehungen wurden relativ weitgehend „verstaatlicht“ und partikulare Akteure aus ihnen verdrängt. Damit konnte sich im Gegensatz zu katholischen Kantonen in den reformierten Orten kein „Zweiparteiensystem“ entwickeln. Ursachen dieser Auseinanderentwicklung der politischen Kulturen waren, um dies noch einmal zu betonen, nicht nur konfessionelle und gemeinwohlorientierte Motive, sondern auch unterschiedliche wirtschaftliche und finanzielle Ausgangsvoraussetzungen. In reformierten Städten wie Bern wurde damit eine für die Frühe Neuzeit ungewöhnlich w ­ eitgehende

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­ isambiguierung des Handlungsfeldes zwischenstaatlicher Beziehungen von D sozialen Einflussnahmen erreicht.100 Abschließend ist das genuesische Beispiel zu nennen. Das klassische politikhistorische Narrativ wertet die Geschichte der ligurischen Handelsrepublik in der Frühen Neuzeit als Phase des Niedergangs. Im Spätmittelalter und frühen 16. Jahrhundert sei sie von Faktionskämpfen innerlich zerrüttet gewesen, wobei die Parteiungen sich zunehmend an auswärtigen Mächten orientiert hätten. Mit der Dominanz der spanischen Partei sei Genua schließlich in Abhängigkeit vom Katholischen König geraten. Tatsächlich befand sich die Stadt im 16. Jahrhundert, vor allem nach 1528, weitgehend im politischen Fahrwasser der spanischen Monarchie und unterhielten führende genuesische Familien Klientelbeziehungen zu den spanischen Habsburgern. In diese Verbindungen vermochten die genuesischen merchant bankers allerdings Leistungen einzuspeisen, deren Wert sie der spanischen Krone für Jahrzehnte unentbehrlich machte: Sie verfügten über eine Infrastruktur, mit welcher sie kurzfristig Ressourcen und Kredite mobilisieren konnten – mithin genau die Mittel bereitstellen konnten, deren die spanische Monarchie so dringend bedurfte. Die Abhängigkeit fürstlicher Herrschaft von Kreditfinanzierung ermöglichte Netzwerken aus Kaufleuten und Bankiers, sich zu ihrem eigenen Vorteil unentbehrlich zu machen. Sie offerierten im Kreditbereich Konditionen, die kein Konkurrent zu überbieten vermochte. Die Pflege ihrer Beziehungen zum iberischen Kreditnehmer wirkte sich nicht nur förderlich auf die Machtstellung der genuesischen Finanzoligarchie aus, sondern war auch Handel und Wohlstand der ligurischen Stadt bzw. des Handelsstaates dienlich. Gemeinwesen, Handel und Finanzwesen gingen gewissermaßen Hand in Hand. Die aus Sicht der Kirche mitunter fragwürdigen Finanzpraktiken konnten somit als Beitrag zum Gemeinen Besten der patria gerechtfertigt werden. Das ­Patron-Klient-Verhältnis erweist sich in diesem Fall als eine macht-, handelsund finanzpolitische Symbiose. Dass letztlich doch die Krone der Patron blieb und die Finanzkaufleute trotz des Ausmaßes der Ressourcen, die sie aufzubieten vermochten, nicht über den Status als Klienten hinauskamen, hing nicht nur mit dem ungleich höheren sozialen Status des spanischen Königs zusammen. Vielmehr blieb Genua militärisch von der spanischen Ordnungsmacht abhängig. Die zunehmend expansive Politik des Hauses Savoyen bedrohte Ligurien von Norden; entsprechend beunruhigt reagierte die genuesische Elite auf die Probleme der spanischen Monarchie im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts, den unruhigen Herzog Karl Emanuel I. in die Schranken zu weisen. Die evident gewordene Schwäche des spanischen Protektors bedeutete, dass das do-ut-des-Verhältnis zwischen dem spanischen König sowohl gegenüber Genua als politischer Einheit als auch 100 Windler: Pensionen, 126 ff.

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gegenüber den führenden Klienten in der Stadt gestört war. Eine Vertrauenskrise war die Folge, die mit dem spanischen Staatsbankrott von 1627 einen Höhepunkt fand. Er traf mehrere genuesische Bankhäuser und den Finanzplatz als Ganzen schwer. Damit war nochmals deutlich geworden, dass die Fürstenstaaten in den Beziehungen zu ihren Kreditgebern letztlich die stärkeren Akteure waren. „Nochmals“ war dies der Fall, weil auch der Aufstieg der Genuesen als Finanziers der spanischen Habsburger mit einem Staatsbankrott, dem von 1557, verbunden war; durch ihn hatten sie die bis dahin dominierenden Fugger verdrängen können.101 Nichtsdestoweniger war Staatsbildung in der Frühen Neuzeit ohne die Dienste der Kreditgeber nicht denkbar und wurde über weitreichende informelle Netzwerke organisiert, in deren Kern die Patronagebeziehungen zwischen der Krone und ihren Geldgebern standen. Die Beispiele zur Verflechtung mittels grenzüberschreitender Patronage bieten ein ausgesprochen vielgestaltiges Bild. Das gemeinsame Merkmal der dargestellten Beispiele ist, dass über die Außenverflechtung soziale Logiken im Handlungsfeld der Außenbeziehungen und der Staatsbildung wirkten und vor dem 18. Jahrhundert kaum von einer konsequenten Verstaatlichung von Außenbeziehungen gesprochen werden kann. Außenbeziehungen erweisen sich somit auf allen Ebenen als von Ambiguität geprägtes Handlungsfeld, in dem soziale und gemeinwohlorientiert-politische Normen gleichermaßen galten; selbst für Beziehungen zu Krediteuren gilt dies, auch wenn im Falle von Staatsbankrotten soziale Logiken vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten der Finanzierung staatlicher Gemeinwesen und fürstlicher Herrschaften kaum noch zählten. Dieser Zustand führte nicht unbedingt zu akuter Normenkonkurrenz, sondern war überwiegend von Normenkonvergenz gekennzeichnet, da soziale Handlungserwartungen und Logiken durchaus der Festigung politischer Beziehungen dienlich und der Staatsbildung förderlich sein konnten.

Politik als männlich markiertes Handlungsfeld mit weiblichen Akteuren Die soziopolitische Ambiguität der Außenbeziehungen und der Diplomatie erlaubte, ja bedingte die Beteiligung von Akteuren in diesem Feld, die nach der Mehrheitsmeinung der politischen Theorie der Zeit von der Sphäre des Politischen eigentlich ausgeschlossen waren: Frauen. Ihre aktive Beteiligung an den Außenbeziehungen ist Ausdruck und Folge der Struktur der Fürstengesellschaft als Handlungsfeld interagierender Herrscherfamilien und der Bedeutung des 101 Bitossi: Addio; Schnettger: Grenzen; Zunckel: Geschäftsleute; dies.: Kontroverse.

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Hofs als Arena politischer Willensbildung. Dass sich in der Frühen Neuzeit trotz des Aufbaus von Regierungsorganen und diplomatischen Apparaten, mithin von Einrichtungen, in denen nur Männer als Amtsträger wirkten, und trotz des Staatsräsondiskurses der politischen Theorie keine geschlossene Handlungssphäre des Politischen und kein Arkanbereich mit spezifischen Regeln und der Begrenzung der Mitwirkung auf einen kleinen Kreis von Fachmännern herausdifferenzierte, ist an der Handlungsmacht weiblicher Akteure in den Außenbeziehungen besonders deutlich zu erkennen. Während weibliche Akteure faktisch tatsächlich in einer ganzen Reihe von Rollen – als Angehörige von Dynastien, Mitglieder der Hofgesellschaft und Gattinnen von Gesandten und sehr selten sogar als bestallte Diplomatinnen – in Außenbeziehungen involviert waren, sprachen viele Autoren Frauen die Fähigkeit und die Legitimität ab, auf dem Feld des Politischen zu wirken. Die Diskrepanz zwischen misogyner Diskurstradition und den Einflussmöglichkeiten von Frauen auf dem Feld des Politischen ist bemerkenswert; trotzdem war die Agency von Frauen in einem Mächtesystem, das vor allem aus interagierenden Dynastien bestand, systemimmanent. Diese ausgeprägte Form von Normenkonkurrenz war bedingt durch das Ineinandergreifen des Handlungsfeldes der Familie, in der Frauen legitimerweise eine erhebliche Rolle spielten, und des Feldes des Politischen.102 Dieses Ineinandergreifen ist auf verschiedenen Ebenen zu finden: in den dynastischen Familienverbänden, in der höfischen Gesellschaft, in der Frauen als Hofdamen, Vertraute des Fürsten sowie Mitglieder adliger Familienverbände eine große Rolle spielten, und schließlich auch in der Diplomatie. Allein in Republiken lagen die Dinge anders: Dort konnten Frauen nicht in führende Ämter gelangen oder als Regentinnen Macht ausüben.103 Gelehrte Traktate konstruierten das Feld des Politischen überwiegend – wenn sie sich überhaupt mit dem Faktor Geschlecht beschäftigten – als ein männliches. Sie begründeten dies mit der allgemeinen, auf die Schöpfung zurückzuführenden Geschlechterordnung, der zufolge die Frau im Vergleich zum Manne minderwertig und ihm daher untergeordnet sei. Die bereits von antiken Autoren konstru­ierten Geschlechtercharaktere begründeten die Herrschaftsrolle des Mannes zusätzlich; ihm wurden Rationalität, Stärke und Bereitschaft zu aktivem Handeln zugesprochen, während weibliches Handeln durch Schwäche und unkon­trollierte Emotionalität oder Passivität gekennzeichnet sei. Diese Vorstellung von Geschlechtereigenschaften spiegelte sich auch im positiven Recht, dem zufolge die Ehefrau dem Ehemann prinzipiell untergeordnet war.104 Dass die 102 Keller: Frauen und Politik, 2. 103 Davis: Frauen, 191 f.; Tischer: Botschafterin, 308 f. 104 Hartmann: Geschlechterordnung, 137 f.; Keller: Frauen und Politik, 2; Wunder: Normen, 59 f.

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soziale P ­ raxis gleichwohl eher auf ergänzenden Rollen im Sinne des Arbeitspaares angelegt war, ist bereits im Abschnitt zu Familie und Verwandtschaft dargelegt worden. Im 16. Jahrhundert, unter dem Eindruck der Herrschaft mehrerer Königinnen, der Regentschaft von Königinmüttern wie etwa von Caterina de’Medici in Frankreich und dem wiederholten Auftreten von weiblichen Mitgliedern von Dynastien in Verhandlungen – man denke allein an den „Damenfrieden“ von Cambrai 1529 –, intensivierte sich diese Debatte. Namentlich Jean Bodin sah die Regierungsgewalt des Mannes als der gottgewollten Stellung des Hausvaters nachgebildet; im Staat wie im Haushalt löse weibliche Herrschaft, die gegen die Natur sei, Unfrieden aus und schwäche das Staatswesen. Dieser Diskurs ist auch als Versuch zu werten, das Politische als Handlungsraum vom Sozialen abzugrenzen und damit weibliche Akteure auszuschließen; allein ließ die soziopolitische Realität der Fürstengesellschaft die Umsetzung derartiger Entwürfe nicht zu.105 Zudem gab es auch stets einen Gegendiskurs, der weibliche Herrschaft verteidigte und unter anderem mit dem Argument operierte, dass die Möglichkeit weiblicher Erbfolge im Falle des Fehlens eines männlichen Erben die Stabilität monarchischer Herrschaft sichere; vor allem im England des 16. Jahrhunderts stieß dieses Argument auf offene Ohren.106 An der grundsätzlichen rechtlichen Benachteiligung von Frauen im Erbrecht in allen europäischen Ländern änderte sich allerdings nichts; unter anderem in Frankreich blieben sie von der Thronfolge ganz ausgeschlossen. Wirkungsvoll war der misogyne Diskurs zudem insoweit, als dem politischen Handeln von Frauen ein grundsätzliches Legitimationsdefizit anhaftete. Selbst legitim auf den Thron gelangte Herrscherinnen befanden sich in einer prinzipiell defensiven Position und sahen sich in ihren Regierungsorganen – nicht aber bei Hof – ausschließlich Männern gegenüber.107 Weibliches Handeln im Feld des Politischen zog leicht an Stereotypen orientierte Kritik auf sich. Die grundsätzliche Annahme, dass Frauen von ihren Leidenschaften getrieben seien und daher irrational handelten, spiegelte sich in Wahrnehmungen von Herrschsucht und Maßlosigkeit in der Verfolgung persönlicher Interessen. Auch findet sich häufig der Vorwurf, Frauen umgingen offizielle Kanäle, spielten die eigentlich mit der Politik befassten Minister aus, täuschten selbst den Fürsten und suchten über diskret eingefädelte Intrigen Einfluss auszuüben und Konkurrenten zu stürzen. Viele dieser Vorwürfe wurden auch gegen Männer erhoben, galt doch die höfische Gesellschaft vielen Zeitgenossen als ein Ort, an dem derartige Verhaltensweisen zuhauf vorkamen, was als Zeichen mangelnder Moralität der Hofkreise gewertet wurde. Richtete sich eine derartige Kritik gegen Frauen, galt allerdings 105 Hartmann: Geschlechterordnung, 141 f.; Opitz: Staatsräson, 234 ff. 106 Hassauer: Streit; Maihofer: Querelle; Opitz: Staatsräson, 230 ff. 107 Hartmann: Geschlechterordnung, 142; Keller: Mit den Mitteln, 241 f.

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die Geschlechtszugehörigkeit als Ursache ihres devianten Handelns.108 Politisch handelnde Frauen konnten so leicht in eine Sündenbockrolle geraten. Dies gilt in besonderer Weise für Mätressen, die beliebte Angriffsziele waren, wenn es darum ging, Fehlentscheidungen des Fürsten zu kritisieren, ohne den Herrscher direkt anzugreifen.109 Politischer Einfluss weiblicher Akteure konnte als Despotismus gedeutet werden, das heißt als illegitimes und nicht wertebasiertes politisches Handeln, das die dazu eigentlich berechtigten (männlichen) Akteure überspiele.110 Derartige Angriffe und Argumentationsmuster erwecken den Eindruck, dass Frauen auf dem Feld des Politischen zwar aktiv waren, sich aber auf informelle Wege beschränken mussten. Die Geschlechterforschung hat sich zeitweise des Begriffs der informellen Macht bedient, um das Zerrbild von weiblicher Ohnmacht gegenüber männlicher Herrschaft zu korrigieren. Nicht Ohnmacht, sondern das Vermögen, über Aushandlung auf inoffiziellen Wegen politische Ziele zu erreichen, sei für weibliche Machtausübung in der Vormoderne charakteristisch gewesen.111 Diese Sichtweise hat zweifellos viel dazu beigetragen, weibliche Handlungsspielräume in der politischen Kultur der Frühen Neuzeit besser zu verstehen, läuft aber Gefahr, eine überzogene Dichotomie zu konstruieren: zwischen formaler Herrschaft als männlicher und informeller Machtausübung als weiblicher Sphäre. Angesichts der großen Bedeutung von Patronage und Verwandtschaft auf dem Feld des Politischen ist es zum einen nicht sinnvoll, männliches Handeln auf die formale Ebene zu beschränken, da Männer ebenso informelle soziale Rollen einnahmen und durch sie politisch wirkten. Zum anderen kann weibliches Handeln nicht auf die informelle Ebene beschränkt werden, wenn Fürstinnen und Hof­ damen qua Amt politisch tätig waren.112 Daher sollen nun die verschiedenen Rollen und Handlungsbereiche skizziert werden, die Frauen – überwiegend solche des Adels und der Herrscherdynastien – Aktivitäten auf dem Feld des Politischen erlaubten. Dabei soll auch stets nach der Legitimität der Rolle und mit ihr verbundenen Normenkonflikten gefragt werden. Am offensichtlichsten übten Frauen als regierende Fürstinnen eine politische Rolle aus. Wo das Erbrecht es zuließ, konnten Frauen direkt die Thronfolge antreten, wenn kein männlicher Nachfolger gleichen Verwandtschaftsgrades vorhanden war. Beispiele finden sich in der Frühen Neuzeit etwa in England, Schottland und Schweden sowie, ermöglicht durch die Pragmatische Sanktion von 1713, im österreichischen Erzhaus. Fürstinnen, die durch Erbfolge auf den Thron gelangt 108 Vgl. Bastian: Verhandeln, 322. 109 Dade: Madame de Pompadour, 12 f. 110 Vgl. Dade: Madame de Pompadour, 162. 1 11 Hohkamp: Macht; Wunder: Herrschaft; zusammenfassend Hartmann: Geschlechterordnung, 136. 112 Hartmann: Geschlechterordnung, 137.

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waren, konnten zur Rechtfertigung ihrer herausgehobenen Stellung neben dem Erbrecht zwei weitergehende Argumente ins Feld führen; und zwar zum einen das Gottesgnadentum ihrer Herrschaft und zum anderen den Aspekt der politischen Stabilität: Wer an der Legitimität ihrer Herrschaft zweifle, stelle die dynastische Ordnung in Frage und riskiere einen Bürgerkrieg.113 Heirateten sie, konnte es zu einem Rollenkonflikt mit ihrem Gatten kommen. Denn dann wurde offensichtlich, dass die dynastische Ordnung, der zufolge die rechtmäßige Erbin regierte, quer zur Geschlechterordnung lag, die den Mann vor die Frau setzte. Diese Problematik konnte umgangen werden, indem eine Fürstin ganz auf die Heirat verzichtete, wie Elisabeth I., oder indem der Gatte sich demonstra­tiv und öffentlich gegenüber der regierenden Fürstin zurücknahm, wie Franz Stephan von Lothringen gegenüber Maria Theresia. Der Preis, den er für dieses betreffs des Geschlechterverhältnisses normwidrige Verhalten zahlen musste, war ein Ansehenverlust und ein Rückzug von Teilen des formalen bzw. zeremoniellen Hoflebens, in das seine Rolle als machtloser Mann nur schwer einzuordnen war; Gesandte etwa gingen ihm daher lieber ganz aus dem Weg.114 Die Rolle der Fürstin war einfacher und widerspruchsfreier zu gestalten, wenn sie durch Heirat eines Thronfolgers oder regierenden Fürsten in diese Stellung gelangt war. Auch Fürst und Fürstin bildeten ein Arbeitspaar, das sowohl auf Unterordnung als auch auf Kooperation und ergänzenden Rollenzweisungen beruhte.115 Der Erhalt der Dynastie war ihr gemeinsames Ziel; die Zeugung von Nachkommen, darunter auch männlicher Thronfolger, stellte die offensichtlichste Aufgabe der Fürstin dar. Aus der Eindeutigkeit dieser Rollenerwartung resultierte allerdings ein erheblicher Erwartungsdruck, der sich angesichts der vielen Schwangerschaften oft lebenszeitverkürzend auswirkte.116 Wie die Fürstin weitere Rollen neben ihrem Ehemann auszufüllen vermochte, hing wesentlich vom Verhältnis zu ihrem Gatten und von den Beziehungen zu ihrer Herkunftsdynastie ab. Kam eine Fürstin oder Gattin des Thronfolgers an dessen Hof, war sie oft starkem Anpassungsdruck ausgesetzt. Am französischen Hof wurden auswärtige Prinzessinnen symbolisch an ihr neues höfisches Umfeld durch eine Umkleidezeremonie (remise) angepasst. Sie hatten sich darüber hinaus an das Hofzeremoniell ihrer neuen Umgebung zu gewöhnen, durften oft nur wenige oder gar keine ihrer angestammten Hofdamen behalten und waren aufgrund ihrer fremden Herkunft nicht selten erheblichem Misstrauen von Seiten der Hofgesellschaft ausgesetzt. Die remise symbolisierte klar die Anpassungserwartungen an die 113 Keller: Frauen und Politik, Abs. 20. 114 Stollberg-Rilinger: Maria Theresia, 150 ff. 115 Keller: Frauen – Hof – Diplomatie, 35; Keller: Frauen und Politik, Abs. 20. Für das Spätmittelalter Averkorn: Arbeitspaar; vgl. auch Earenfight: Partners. 116 Spieß: Unterwegs, 32 ff.

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Fürstin.117 Meisterte sie diese und wurden ihre Kontakte zum ­Herkunftshof nicht aus politischem Misstrauen auf ein Minimum reduziert, konnte ihr die Scharnierposition zwischen zwei Dynastien bzw. Höfen jedoch zu einer erheblichen politischen Bedeutung verhelfen. Eine derartige Rolle in zwischendynastischen Beziehungen war ambivalent: Sie war legitim, denn es handelte sich um Kontakte zur eigenen Verwandtschaft, mithin um die Pflege sozialer Beziehungen, aber auch eminent politisch, weil damit gleichzeitig Beziehungen zwischen zwei Mächten gepflegt wurden. Im Falle von Spannungen oder gar Kriegen zwischen beiden Seiten konnten diese Kontakte an Verrat grenzen, aber auch einen nützlichen Kommunikations- und Verhandlungskanal öffnen.118 Auch andere weibliche Angehörige einer Dynastie konnten in den zwischendynastischen Beziehungen aktiv sein. So unterhielt am spanischen Hof um 1600 ein ganzes Netzwerk von Frauen Kontakte zu ihren österreichischen Verwandten. Neben der Königin Margarethe, der Frau des Königs Philipp  III ., waren dies die in Madrid im Kloster der Descalzas Reales residierende Kaiserin Maria von Österreich, eine Tochter Karls V., die mit Kaiser Maximilian II . verheiratet gewesen war, und deren Tochter Margarethe, die im selben Kloster als Nonne lebte. Ihr Netzwerk bildete ein Gegengewicht zu dem des Günstlingsministers Lerma, der wenig an der Pflege der Beziehungen zwischen den beiden habsburgischen Hauptlinien interessiert war.119 Es bestand allerdings stets die Gefahr, dass derart aktive Frauen von Gegnern solcher Kontakte als Intrigenspinnerinnen abgestempelt wurden, die den König in ihrem Sinne manipulierten – die Prekarität weiblichen Handelns auf dem Feld des Politischen zeigt sich daran, dass Argumente gegen ihren Einfluss, die auf ihrem Geschlecht beruhten, stets leicht zur Hand waren.120 Ein weiteres Handlungsfeld, das Fürstinnen in Außenbeziehungen für sich beanspruchen konnten, war das der Heiratspolitik. Der Wunsch nach vorteilhaften Heiratsverbindungen für die Kinder war eine legitime soziale Handlungsmotivation, die politische Implikationen hatte, ging es doch auch um die Bildung oder Bekräftigung von Allianzen durch Heiraten. Nicht selten waren die Heiraten Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen Hoffaktionen; entscheidend für die Handlungsspielräume von Fürstinnen war, dass sie sich in ihrer Mutterrolle an derartigen Auseinandersetzungen beteiligen konnten.121 Auch innenpolitisch 117 Landes: Remise; Zanger: Scenes. 118 Bastian/Dade/Ott: Weibliche Diplomatie?, 105; Sánchez: Empress; Schwarz: Handlungsräume; Spieß: Unterwegs, 35. 119 Sánchez: Empress; weitere Beispiele für die Aktivitäten von weiblichen Mitgliedern von Dynastien in Außenbeziehungen in Keller: Frauen – Hof – Diplomatie. 120 Spagnoletti: Intrecci, 33. 121 Norrhem: Im Dienste; Waquet: Schlussbetrachtung, 260.

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konnte die Fürstin eine erhebliche Rolle spielen, indem sie als „erste ­Fürsprecherin“ für Anliegen der Untertanen an den Fürsten auftrat und damit die fürstliche Patronage, Ämterverteilung und Entscheidungen beeinflusste.122 In protestantischen Herrschaften forderte das Rollenbild der Fürstin als „Landesmutter“ von dieser geradezu, sich die öffentlichen Angelegenheiten zu eigen zu machen. So, wie die Hausmutter des Ganzen Hauses Sorge für die Ordnung des Haushaltes zu tragen hatte und in dieser Funktion Weisungsbefugnisse gegenüber anderen Familienmitgliedern wie dem Gesinde hatte, so sollte sie sich auch an der Seite des Fürsten um die Aufrechterhaltung der rechten Ordnung kümmern und ihren Gatten beraten.123 Starb der Fürst vor der Fürstin und war der Thronfolger noch minderjährig, konnte die Fürstin zudem als Regentin treuhänderisch an der Spitze des Fürstenstaates stehen. In Erweiterung ihrer Mutterrechte war eine solche Form zeitlich begrenzter Herrschaft legitim, wenn sie auch in der Regel von den Untertanen wie in der Fürstengesellschaft als Phase politischer Schwäche wahrgenommen wurde. Es handelte sich aber nichtsdestoweniger um eine im System der Fürstengesellschaft angelegte Herrschaftsrolle.124 Zu den stärksten Konkurrenten der Fürstin um das Ohr des Fürsten und damit den Einfluss auf seine Entscheidungen zählten neben Günstlingen bei Hof und in den Regierungsorganen Mätressen. Sie konnten die Königin als engste weibliche Vertraute des Königs verdrängen,125 was nochmals unterstreicht, wie sehr weib­liche Handlungsspielräume in der Politik vom Verhältnis zum Fürsten oder auch zu anderen männlichen Entscheidungsträgern abhingen. Mätressen bewegten sich im Grenzbereich zwischen Formalität und Informalität. Bei ihnen handelt es sich in vielen Fällen nicht nur oder nicht mehr um Sexualpartnerinnen des Fürsten, sondern auch um Vertraute, die für einen längeren Zeitraum Zugang zum König genossen. Madame de Pompadour etwa, die langjährige Mätresse ­Ludwigs XV . von Frankreich, war für den unsicheren König nach einigen Jahren vor allem eine vertraute Beraterin. Gegenüber anderen Frauen, mit denen der König Sexualkontakte pflegte, war sie durch ihren Titel einer maitresse en titre hervorgehoben. Die derart institutionalisierte Mätresse konnte in eine Rolle wachsen, die der des Günstlingsministers ähnlich war. Das gilt beispielsweise für die langjährige Mätresse und confidante de roi Ludwigs  XIV ., Madame de Maintenon.126 Wie später auch Madame de Pompadour nutzte sie ihren Zugang zum König, um Empfehlungen weiterzugeben und sich zu politischen Entscheidungen zu äußern. Als Maklerinnen fürstlicher Gunst traten sie damit ebenso 122 Keller: Mit den Mitteln, 228. 123 Keller: Mit den Mitteln, 227. 124 Earenfight: The King’s Other Body, 23; Schraut: Frauen, 10. 125 Daniel: Zentrum, 214. 126 Bastian: Verhandeln, 280; Dade: Madame de Pompadour, 80.

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in Erscheinung wie die Königin bzw. verdrängten sie aus dieser Position. Sie waren in der Regel in eine Hoffaktion integriert, deren Interessen sie g­ egenüber dem König vertraten. Ihre Nähe zum König bescherte ihnen eine derart herausragende mikropolitische Position, dass sie, wie Madame de ­Maintenon, faktisch die Führung einer solchen Faktion übernehmen und Karrieren ihrer Anhänger dann gezielt fördern konnten.127 Madame de Pompadour setzte sich wiederholt in Personalfragen gegen Minister durch.128 Erst in jüngster Zeit hat die Forschung sich dem Thema einflussreicher Mätressen zugewandt und ihren Einfluss wie auch die mit ihnen verbundene Legitimationsproblematik untersucht.129 ­Andrea Weisbrod wertet den Typus der einflussreichen Mätresse als eine Variante der soziopolitischen Gattung des Günstlingsministers,130 auf die noch zurückzukommen sein wird.131 Über ihre Vertrauensbeziehung zum König waren die beiden hier genannten Mätressen, Madame de Maintenon und Madame de Pompadour, auch an der Gestaltung der Außenbeziehungen beteiligt. Das hatte in beiden Fällen seine Ursache darin, dass Diplomaten die Mätressen als Kommunikationskanal zum König schätzten. Es erschien ihnen wichtig, eine Person gewogen zu halten, die das Ohr des Königs hatte, zumal im Fall der beiden genannten Mätressen bekannt war, dass sie auch über die auswärtigen Angelegenheiten auf dem Laufenden gehalten wurden. Unter Ludwig  XV. wurde die nahezu amtliche Stellung der maitresse en titre und ihre Beteiligung an (außen-)politischen Angelegenheiten sogar im höfischen Zeremoniell ausgedrückt: Kam ein neuer Botschafter an den französischen Hof, wurde er durch den introducteur des ambassadeurs zunächst der königlichen Familie und dann der Mätresse vorgestellt. Madame de Pompadour avancierte auch faktisch zu einer Schnittstelle zwischen den Diplomaten und dem König. Der Vorteil, mit ihr im Austausch zu stehen, lag nicht zuletzt darin, dass ihr gegenüber Projekte und Überlegungen unverbindlicher angedeutet und Vorschläge unterbreitet werden konnten, als dies in offiziellen Gesprächen mit Amtsträgern der Regierung möglich war. Auf diese Weise erfolgte beispielsweise die Anbahnung des renversement des alliances, das heißt die Knüpfung eines Bündnisses zwischen der französischen Krone und dem Haus Habsburg unter Beteiligung der Pompadour. Ein Teil der Vorgespräche zur Beendigung der t­ raditionellen Feindschaft zwischen den beiden Dynastien fand in ihren Gemächern und unter ihrer Anwesenheit statt. Der Vorteil eines solchen Vorgehens lag darin, dass einerseits eine bessere Geheimhaltung erreicht werden konnte, andererseits die 127 Bastian: Verhandeln, 41 f.; Bryant: Partner. 128 Dade: Madame de Pompadour, 119 ff. 129 Göse: Aufstieg; Horowski: Erbe; Oßwald-Bargende: Mätresse; Ruby: Mätresse. 130 Weisbrod: Macht. 131 Vgl. das Kapitel „Favoriten“ in Teil 5.

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Gespräche aber noch lange auf einer unverbindlicheren Ebene gehalten werden konnten: Es blieb für beide Seiten im Fall des Scheiterns der Ausweg, darauf zu verweisen, dass es gar keine offiziellen Verhandlungen, sondern nur Gespräche im informell-höfischen Kontext gegeben habe.132 Ein vergleichbarer Befund ergibt sich für Madame de Maintenons Rolle in einer ähnlich diffizilen Angelegenheit, den Beziehungen Ludwigs XIV. zu seinem Enkel Philipp V., dem ersten bourbonischen König von Spanien. Nach dem Regierungsantritt Philipps wurde die Verbindung zwischen den beiden bourbonischen Höfen über zwei Kanäle aufrechterhalten: den diplomatischen über die Botschafter und einen informellen zwischen Madame de Maintenon und der Hofdame der spanischen Königin, Marie-Anne de Trémoille, Witwe des Herzogs von Orsini und daher Madame des Ursins genannt. Sie stammte aus dem französischen Hochadel und war nach dem Tod ihres Gatten in Rom als Informantin für den französischen König tätig gewesen. Es gelang ihr, diesen davon zu überzeugen, dass sie die für Philipp V. von der französischen Krone ausersehene Gattin, Marie Louise von Savoyen, nach Madrid begleiten sollte, um anschließend zu ihrer Ersten Kammerdame (camarera mayor) ernannt zu werden. In dieser Position erwarb sie das Vertrauen der jungen Königin und des Königs, womit sie in doppelter Loyalität zwischen dem französischen König und dem spanischen Königspaar stand. Wesentlich zur Festigung ihrer Stellung in Spanien trugen ihre Erfahrungen im Hofleben und ihre Netzwerke bei. Ihr Briefwechsel mit Madame de Maintenon, den Corina Bastian untersucht hat, erfüllte eine Vielzahl von Funktionen und beanspruchte die Beteiligten in verschiedenen Rollen. Für den französischen König diente er als Kontrollinstrument über den politisch bisweilen unberechenbaren Enkel, der von Versailles aus betrachtet ein politischer Satellit war. Gleichzeitig stellte die Korrespondenz einen Informationskanal zwischen den beiden Höfen in der bewegten Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges dar, mittels dessen politische Probleme und auch Misshelligkeiten offener angesprochen werden konnten, als es in der offiziellen Diplomatie geraten schien. Zudem konnten die beiden Damen in zumeist indirekten Formulierungen die wechselseitigen Erwartungen der beiden Herrscher aneinander thematisieren und auch Kritik an der jeweils anderen Seite äußern, ohne dass dies gleich als Affront zu betrachten war, da der jeweils Kritisierte nicht direkt angesprochen wurde. Beide Damen betrieben im Übrigen auch eine intensive Kontaktpflege mit Vertretern der offiziellen diplomatischen Beziehungen; zwischen Madame des Ursins und dem französischen Botschafter am spanischen Hof bestand eine nicht immer konfliktfreie Arbeitsteilung in der Kommunikation mit Versailles. Insgesamt erwies sich die Korrespondenz zwischen der Hofdame und der Mätresse als krisenfester als die 132 Dade: Madame de Pompadour.

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diplomatischen Beziehungen: Im Sommer 1709 sah sich die französische Krone veranlasst, den diplomatischen Kontakt mit dem spanischen Hof abzubrechen. Angesichts schwerer militärischer Rückschläge reagierte der französische König auf die Forderung der Alliierten nach Verzicht auf die bourbonische Herrschaft über Spanien mit einer weitgehenden Kappung des Kontakts zwischen beiden Kronen – abgesehen von der Korrespondenz der beiden Damen, die aufgrund ihrer informellen Natur diskret weitergeführt werden konnte.133 Lässt man die Beispiele der in die Außenbeziehungen involvierten Mätressen und Hofdamen Revue passieren, so fällt auf, dass sowohl Fürsten als auch Diplo­maten und Amtsträger der beteiligten Regierungen das Vorhandensein politischen Sachverstands bei den genannten Frauen voraussetzten und ihn eifrig in Anspruch nahmen – und damit den verbreiteten misogynen Diskurs ignorierten. Die genannten Frauen wurden von Staatssekretären informiert, von Fürsten instru­iert und Diplomaten suchten sie zu Gesprächen politischen Inhalts auf, die oft dazu dienten, bestimmte Anliegen über die Frauen vor den Herrscher zu bringen. Gleichwohl fällt auf, dass vor allem die Bedeutung der Madame de Pompadour in den Korrespondenzen der Gesandten relativ selten und dann oft nur kursorisch erwähnt wurde. Mitte des 18. Jahrhunderts war es für Gesandte zwar noch relativ selbstverständlich, Kontakte zu Mätressen und Hofdamen zu politischen Zwecken zu pflegen, doch thematisierten sie die Nutzung derartiger Kanäle der Information und der Beeinflussung in der offiziellen Korrespondenz seltener, als dies in der Diplomatie etwa des 17. Jahrhunderts der Fall gewesen war.134 Das kann als ein Zeichen für eine stärkere Trennung formaler und informeller Ebenen in Politik und Diplomatie und einer Abgrenzung zwischen Politik und Hof gesehen werden. Indes sahen sich auch schon Madame de Maintenon und Madame des Ursins genauso wie später Madame de Pompadour von Zeit zu Zeit genötigt, auf ihre Verstandesschwäche als Frauen zu verweisen sowie ihr geschlechtsbedingtes Unvermögen, politische Angelegenheiten zu durchschauen, zu betonen. Sie übten sich damit in der Rhetorik der devotionalen Selbstverkleinerung. Diese ist durchaus auch bei Männern zu finden, etwa in der Kommunikation von Amtsträgern mit dem Fürsten oder mit Vorgesetzten, doch wurde sie nur von Frauen mit dem Hinweis auf ihr Geschlecht verwendet.135 Um im Feld des Politischen agieren zu können, mussten Frauen auf diese Art die grundsätzliche Ordnung der Geschlechterhierarchie anerkennen, um dann ihr Handeln gewissermaßen als umstandsbedingten Einzelfall darzustellen – der freilich in der höfischen Gesellschaft faktisch keinesfalls ungewöhnlich war.136 Die Frauen 133 Bastian: Verhandeln. 134 Vgl. z. B. v. Thiessen: Diplomatie und Patronage, 106 ff. 135 Bastian: Verhandeln, 247 f. 136 Vgl. Davis: Frauen, 197 f.

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wiesen auf ihren Zugang zum Herrscher hin, auf Gespräche mit Diplomaten und auf Anweisungen des Königs, um ihr Wissen und ihre Kühnheit, politische Ratschläge zu erteilen, zu begründen. Sie nutzten den Verweis auf ihre S ­ chwäche auch, um Kritik abzuwehren oder Konflikte zu entschärfen. Die Möglichkeit, sich zur Not hinter ihre Geschlechterrolle zurückzuziehen, aber dennoch Einfluss auszuüben, machte ihren Einsatz in den Außenbeziehungen so wertvoll: Ihre Aktivitäten konnten im Zweifelsfall kleingeredet, ignoriert oder herabgewertet werden, was beim Handeln offiziell agierender Diplomaten sehr viel schwieriger war. Informelle Kanäle, sei es zwischen Frauen oder unter Beteiligung von Frauen, konnten zudem flexibler gestaltet werden, waren weniger der Beobachtung ausgesetzt und in der Regel auch weniger an die Regeln des Protokolls gebunden. Das informelle Handeln von Frauen in den Außenbeziehungen war Teil des Systems der Diplomatie; das Zusammenspiel verschiedener Ebenen in der Diplomatie trug wesentlich zu ihrer Funktionalität bei. Und dass Frauen auf diesem Feld handeln konnten, hatten sie Ämtern bei Hof, ihrer Integration in Hoffaktionen, ihrer Vertrauensbeziehung und ihrem Zugang zum Fürsten und letztlich auch ihrem (hoch-)adligen Stand zu verdanken, der ihnen überhaupt erst den Zugang zum Hof und in den Umkreis des Fürsten ermöglichte. Es waren also zum Teil formale Rollen, die informelle Agency in den Außenbeziehungen ermöglichten. An dieser Stelle ist nochmals zu betonen, dass das Feld des Politischen in der Frühen Neuzeit durch seine Verklammerung mit den zwischendynastischen Beziehungen von sozialen Beziehungen überlagert war und damit legitime Handlungsfelder von Frauen betraf. Diese Faktoren vermochten den misogynen Diskurs zu überspielen. Dass dieser gleichwohl nie ganz im Bewusstsein der Akteure fehlte, zeigt sich nicht zuletzt in ihrem offenkundig paradoxen Verhalten: Diplomaten und Amtsträger in Regierungen klagten mitunter über den Einfluss von Hofdamen auf ihren Arbeitsbereich, um ihn dennoch fleißig zu nutzen; und Frauen wie Madame de Pompadour oder auch die als Botschaftergattin politisch sehr aktive sächsische Gräfin Catharina Wackerbarth (1670 – 1719) bedienten sich in ihren Briefen oft jäher Wendungen zwischen der Beteuerung ihrer Schwäche und energisch vorgetragenen Ratschlägen samt Hinweisen ­darauf, wie gut sie informiert seien.137 Über die soziopolitische Ambiguität des hier beschriebenen Handlungsfeldes hinaus setzten im Übrigen alle hier beispielhaft beschriebenen Frauen ihren Einfluss auch dafür ein, Verwandte zu begünstigen und ihre Klienten zu versorgen. Das war einerseits ein Handeln gemäß sozialer Normen, andererseits aber auch ein für ihren eigenen Machterhalt unerlässliches Vorgehen – denn vor allem die beiden genannten Mätressen agierten auch als Patroninnen und mussten, um diese Stellung zu halten, ihre Klienten mit Gaben 137 Dade: Mätresse, 289 f.; Pons: Catharina Gräfin Wackerbarth, 84.

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befriedigen.138 Auch wegen dieser Normenkonvergenz war die Koexistenz oder besser Verschränkung sozialer und politischer Handlungsweisen und Rollen im System personaler Herrschaft so stabil. Insgesamt fällt auf dem Feld der Außenbeziehungen die Gleichzeitigkeit der Konstruktion eines politischen Handlungsfeldes – über das Legationsrecht, den Staatsräsondiskurs und das Souveränitätsprinzip – mit der Persistenz der dynastischen Ordnung der Fürstengesellschaft auf. Soziale Beziehungsmuster mussten dabei keineswegs im Widerspruch zu den Zielen von Machtpolitik stehen, wie das Beispiel der grenzüberschreitenden Patronagebeziehungen zeigt, oder wie die Indienstnahme von informellen Akteuren in der Diplomatie unterstreicht. Andererseits vermochte sich weit in das 18. Jahrhundert allen Ansätzen zum Trotz kein normativ vereindeutigtes Handlungsfeld der „großen“ Politik herauszubilden; vielmehr drückten soziale Fährnisse und Konflikte der europäische Ordnung dieser Zeit ihren Stempel auf und waren handlungsleitend, wie vor allem die Proble­ matik der Erbfolgekonflikte zeigt. Gerade der Einfluss weiblicher Akteure im Bereich der Außenbeziehungen lässt eine erhebliche Kapazität des Überspielens von Widersprüchen und auch der Ausnutzung von Ambiguität erkennen – dass Normenkonkurrenz in Ambiguitätstoleranz mündet, wird an diesem Beispiel besonders deutlich. Dies sollte sich in der Sattelzeit allerdings grundlegend ändern, worauf im letzten Teil dieses Buches zurückzukommen sein wird.

138 Bastian: Verhandeln, 220.

5. Normensysteme in Interaktion III: Dienst am Fürsten – Dienst für den Staat Ist der frühneuzeitliche Hof von personalen Beziehungsmustern und der Verschränkung von politischen Entscheidungen mit sozialen Figurationen gekennzeichnet, so hat die Verwaltung tendenziell eine stärkere Ausrichtung auf ­sachlogisches und verfahrensorientiertes Handeln. Damit soll nicht behauptet werden, dass der Hof ein freies Spiel der sozialen Kräfte zuließ, die aus der Verwaltung herausgehalten werden konnten. Ganz im Gegenteil war der Hof ein hochgradig durchstrukturiertes Feld, auf dem die Akteure sich in zeremoniell vorgegebenem Rahmen in einer komplexen Hierarchieordnung mit zu großem Teil formalisierten, zum Teil auch informell über den adligen Verhaltensstil durchgesetzten Handlungsanforderungen bewegten. Der Unterschied zwischen Hof und Verwaltung besteht weniger im Grad der Strukturiertheit durch ­Verfahren. Entscheidend ist vielmehr, dass der Hof an sich durch soziopolitische Normenkonkurrenz und die Rivalität um Ressourcen geprägt war, während die Verwaltung dem Anspruch und zumeist auch der Intention nach normative Vereindeutigung im Sinne der Schaffung eines an gemeinwohlorientierten Normen ausgerichteten Handlungsfeldes anstrebte. Der Hof war eine soziopolitische Figuration, in der soziale Repräsentation, Verflechtung, Ressourcenverteilung und politische Willensbildung aufeinandertrafen. Behörden hingegen waren zuvörderst dafür geschaffen worden, bestimmte Sachprobleme mittels institutionalisierter Verfahren zu lösen. Ein Hinweis darauf, dass Behörden deutlich anders organisiert waren als Höfe und insbesondere ihre Mitgliedschaft enger definiert war, zeigt sich in der weitgehenden Absenz von Frauen in der Verwaltung. Behörden waren männlich dominierte Arbeitsbereiche; Ausnahmen von dieser Regel und die Bedeutung von „Arbeitspaaren“ in der Verwaltung werden allerdings noch zu diskutieren sein. Auch wenn also eine grundsätzliche Differenz zwischen dem Handlungs­ bereich Hof und dem der Verwaltung auszumachen ist, so ist an dieser Stelle nochmals zu betonen, dass die berühmte Definition der Behörde von Max Weber – als formale Organisation, deren Mitarbeiter dem Staat und dem Amt in abstrakter Dienst- und nicht in personaler Dienertreue verbunden sind und aus der folglich soziale Handlungserwartungen ferngehalten werden – für die Frühe Neuzeit zumindest nicht vollumfänglich greift. Weber selbst hat seine Definition auf die Moderne zugeschnitten. Auf Behörden in frühneuzeitlichen Fürstenstaaten, die auf dem Prinzip der personalen Herrschaft aufbauten, zielt hingegen sein Modell der „patrimonialen Verwaltung“: „Ihrem Wesen nach ruht sie nicht auf der Dienstpflicht für einen sachlichen, unpersönlichen ‚Zweck‘ und der Obödienz gegenüber abstrakten Normen, sondern gerade umgekehrt: auf

Dienst am Fürsten – Dienst für den Staat

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streng persönlichen Pietätsbeziehungen“.1 Schon diese Definition deutet darauf hin, dass auch die vormoderne Verwaltung ein Ort erheblicher Normenkonkurrenz war bzw. ein Feld, an dem Disambiguierung im Sinne einer Versachlichung, Standardisierung und Entpersönlichung ihrer Arbeit auf systemische Grenzen stieß. Denn Behörden waren keineswegs Handlungsräume, die soziale Normen generell fernhalten konnten; das betrifft insbesondere Patronage, aber auch Verwandtschaftsbindungen. Um dieses Grundproblem geht es in diesem Teil. In welchem Ausmaß vermochten sich in Behörden standardisierte Arbeitsweisen zu etablieren, die soziale Logiken und Rücksichtnahmen aus ihrem Entscheidungs­ gang verbannten, inwiefern vermochte also die frühneuzeitliche Bürokratisierung als Teil der Staatsbildung einen primär gemeinwohlorientierten, s­achlogisch geprägten Handlungsraum schaffen? Wie weit reichten soziale Logiken, Abhängigkeiten und Verpflichtungen in die alltägliche Arbeit von Behörden? Inwiefern vermochten sich im System personaler Herrschaft der Fürstenstaaten bereits abstrakte, am Staatsdienst orientierte Rollenmodelle zu entwickeln? Um diese Fragen zu beantworten, soll zunächst das Verhältnis der Verwaltungsapparate zum Hof betrachtet und die Reichweite und Funktionalität personaler Loyalitäten in der Verwaltung untersucht werden. In diesem Zusammenhang ist nach dem Ethos der Amtsführung in frühneuzeitlichen Verwaltungen zu fragen. Dabei ist ein Blick auf den Verwaltungsalltag zu werfen. In jüngster Zeit hat sich die Verwaltungsgeschichte der Frühen Neuzeit zu einem innovativen Forschungsfeld entwickelt, das in diesem Kapitel zu sichten ist. Anschließend sollen noch einmal Akteure der Außenverflechtung fokussiert werden, diesmal allerdings die Diplomaten. Denn die Diplomatie steht einerseits seit langem im Ruf, ein Motor der Staatsbildung und der Entwicklung eines eigenen Handlungsfeldes des Politischen gewesen zu sein, während sich andererseits gerade die diplomatische Tätigkeit zu einem guten Teil in der höfischen Gesellschaft abspielte, mithin auf einem besonders stark von Normenkonkurrenz gekennzeichneten Feld. Ein Seitenblick auf das Militär betrifft ein Feld, das erst in jüngster Zeit in den Blick der Forschung zu Normenkonkurrenz vor allem in Hinblick auf Patronagestrukturen geraten ist. Schon seit einiger Zeit hingegen wird die Stellung des Favoriten bzw. Günstlingsministers in der Forschung analysiert, der für den Fürsten die Verwaltung koordinierte und den Hof kontrollierte und dominierte. In seiner Stellung kulminierte Normenkonkurrenz geradezu, weshalb ihm ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Die in ihm zu schildernden, teils dramatischen Normenkonflikte leiten in das letzte Kapitel dieses Teils über, der sich mit Korruptionsdebatten in der Frühen Neuzeit beschäftigt. Dort werden die Wahrnehmung von normativer Ambiguität durch die Zeitgenossen und die 1 Max Weber: Herrschaft, 580.

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Reichweite ihrer Ambiguitätstoleranz angesichts offensichtlicher Kollisionen sozialer und politischer Rollen diskutiert.

Personale Loyalitäten, Teilhabe an Herrschaft und Dienst­reglements: Behörden und Beamte in der Frühen Neuzeit Hof und Verwaltung mochten zwei Bereiche bilden, in denen im Prinzip unterschiedliche Handlungslogiken galten, doch sie blieben eng miteinander verklammert. Die von der älteren Literatur zur Staatsbildung postulierte Trennung von Hof und Verwaltung – das going out of court – ist in Ausmaß und Wirkung überschätzt worden.2 Hofdienst und Dienst in der Verwaltung konnten allein schon deshalb nicht konsequent voneinander getrennt werden, weil das rare Gut der Gunst des Herrschers bei Hof verteilt wurde und die maßgeblichen Personen in Regierung und Verwaltung ihrer bedurften, um im Amt erfolgversprechend agieren zu können. Das Spitzenpersonal aus Regierung und Verwaltung war daher in der Regel auch bei Hof präsent und in die höfischen Faktionen und die dort vermakelte Patronage eingebunden.3 Die Rekrutierung des übrigen Personals erfolgte oft ebenfalls durch Patronage und unter Berücksichtigung der Kategorie Verwandtschaft; bestimmte Stellen – die Leitung des spanischen Kronarchivs von Simancas ist ein Beispiel dafür 4 – wurden mitunter über Generationen von Vater zu Sohn weitergereicht. Da politisches Vertrauen unter den Bedingungen vormoderner Gesellschaften primär als personales Vertrauen (und nicht oder zumindest nicht vorrangig als abstraktes Systemvertrauen) zu verstehen ist,5 war ein derartiges Vorgehen bei der Besetzung von Stellen ebenso rational wie zielführend. Da Amtsträger nicht selten ihre Söhne mit ihrer dienstlichen Tätigkeit vertraut machten, begünstigte die faktische „Vererbung“ oft durchaus befähigte Kandidaten für ein Amt. Ämter waren zudem noch kaum in einem Pflichtenheft definiert, sondern wurden in ihren Anforderungen nicht selten an den jeweiligen Amtsinhaber angepasst. Das gilt selbst für die französischen Intendanten, die unter Ludwig XIV. als Vertreter der Krone in die Provinz geschickt wurden und in der Forschung lange als Speerspitze der Zentralisierung und Bürokratisierung 2 Nach Jeroen Duindam stellt das Ausbleiben einer Trennung von Hof und Verwaltung ein Spezifikum der europäischen Frühen Neuzeit dar, im Gegensatz zu den asiatischen Großreichen: Duindam: Dynasties; zusammenfassend: Pečar: Dynastien, 62. 3 Asch: Introduction, 17 ff.; Elias: Die höfische Gesellschaft, 9; R. A. Müller: Fürstenhof, 17 ff.; Rodríguez-Salgado: Honour, 76 f.; Thompson: Background, 14. 4 Vgl. den Abschnitt „Organisation von Herrschaft und Konzentration von Wissen“ im Kapitel „Gemeinwohlorientierte Normen“ in Teil 2. 5 Haug: Vertrauen, 221.

Personale Loyalitäten, Teilhabe an Herrschaft und Dienstreglements

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in Frankreich galten. Auch ihre Kompetenzen waren nicht generell geregelt, sondern wurden an jeden neuen Amtsinhaber angepasst; und die meisten Intendanten hatten ihre Bestallung der Empfehlung eines Patrons bei Hofe zu verdanken.6 Über die Verflechtungskategorien Patronage oder Verwandtschaft eine Stelle in einer Behörde erlangt zu haben, war Ausdruck einer Amtskultur, in der Vertrauen auf der Basis personaler Beziehungen zwischen dem Fürsten bzw. der fürstlichen Regierung, der Behördenspitze und den Mitarbeitern sowie innerhalb der Mitarbeiterschaft für die Funktionsfähigkeit der Behörde unerlässlich war. Zudem musste im Rahmen der Bürokratisierung der Staatsapparate das Kunststück fertiggebracht werden, den Adel, der sich als natürliche Elite verstand, in ein System einzubinden, das auf die Funktionalität der Verwaltung ausgelegt war. Aus der Sicht des Adels bedeutete Fürstendienst ihm zustehende Teilhabe an Herrschaft. Aus der Perspektive des Fürsten ging es darum, die soziale Elite an sich zu binden und sie seinem Machtmonopol zu unterstellen. Im Gegenzug dazu bot der Fürst dem Adel die Stabilisierung ihrer gesellschaftlichen Führungsstellung in der ihm unterstellten Sozialordnung, zumal die ständische Hierarchie letztlich auch fürstliche Herrschaft rechtfertigte. Adliger Fürstendienst stellte eine Win-win-Situation für den Fürsten wie den Adel dar, wenn dem Adel die Spitzenplätze in Regierung und Verwaltung vorbehalten blieben, wenn diese der Wahrung seiner Distinktion dienlich waren, wenn er für seinen Eintritt in den Dienst des Fürsten den Zugriff auf Ressourcen zur Förderung seiner Klientel erhielt und wenn ihm ein gewisser Freiraum für die Verfolgung eigener Interes­ sen gewährt wurde. In dieses System behördlicher Rekrutierung und Hierarchie passten keine allzu strengen Zugangskriterien wie Eingangsexamina oder ähnliche formale Beschränkungen. Dennoch war vom Adel eine gewisse Anpassungsleistung gefordert. Dazu gehörte für eine Reihe von Amtspositionen ein Jurastudium, das allerdings nicht abgeschlossen sein musste. Gefordert waren weiterhin ein korrektes, eher höfischen Regeln folgendes Auftreten und – damit eng verbunden – das inkorporierte Kapital der Autorität über niederrangige Mitarbeiter. Behörden hatten somit recht unterschiedliche, zum Teil nicht explizit geäußerte Funktionen: Sie dienten der Stabilisierung der politischen wie sozialen Ordnung, und sie stellten ein Handlungsfeld von Patronage dar.7 Behörden waren folglich Handlungsfelder, die auch von der Gabenkultur in Form sozialer Verpflichtungen auf Gegenseitigkeit geprägt waren. Auch wenn dies unter den Bedingungen personaler Herrschaft keineswegs grundsätzlich kontraproduktiv war, schuf es doch eine Sphäre systemischer, wenn auch nicht selten latenter Normenkonkurrenz. Während in den Verwaltungen offenbar eine große Bereitschaft herrschte, Normenkonflikte zwischen Dienstanforderungen und sozialen 6 Iseli: „Bonne police“, 362. 7 Asch: Nobilities; Droste: Erziehung, 23 ff.; Zmora: Monarchy, 6.

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Rücksichtnahmen zu übersehen, zu überspielen oder ihnen mit Indifferenz zu begegnen, zeigten sich Autoren von Traktaten über das Behördenwesen mit d ­ ieser Konstellation weit weniger glücklich. In der Traktatliteratur wurde intensiv diskutiert, inwieweit strengere Auswahl- und Zugangskriterien für den Staatsdienst dessen Mängeln Abhilfe verschaffen würden.8 Das Bewusstsein, dass Amtshandeln und soziale Normen in einem Spannungsverhältnis standen, ist somit klar nachzuweisen. Es koexistierten zwei Diskurse und Diskursebenen, die im Widerspruch zueinander standen. Ein Diskurs forderte ein an abstrakten Regeln, Fachkompetenz und Sachgerechtigkeit orientiertes Amtshandeln. Er findet sich nicht nur in Traktaten, sondern durchaus auch in obrigkeitlichen Erlassen und in Stellenbeschreibungen; auch diente er der Konstruktion einer „Schauseite“ der Verwaltung, um Vertrauen in ihre Arbeit hervorzurufen.9 Ein anderer Diskurs, der so gut wie gar nicht in Druckmedien propagiert wurde, kam hingegen in Eingaben und Bittschriften zur Anwendung und lässt sich auch aus dem alltäglichen Verwaltungshandeln erschließen: Er war an der Erfüllung sozialer Handlungserwartungen orientiert. Wir finden somit auch im frühneuzeitlichen Behördenwesen die jeweils typischen Vermittlungswege für soziale und gemeinwohlorientierte Normen. Beide existierten parallel. In einer Verwaltung, die stark von sozialen Verhaltenslogiken durchzogen war, vermochte sich ein Ethos der sachorientierten Amtsführung ohne Ansehen der Person nicht durchzusetzen und wäre auch dysfunktional für die Staatsbildung gewesen. Die Stellung und der Rang eines Mitarbeiters in einer frühneuzeit­ lichen Behörde waren wesentlich von sozialer Herkunft und sozialem Ansehen geprägt, ergänzt und verstärkt durch seine informelle Position in Netzwerken.10 Patronagebeziehungen durchzogen nicht nur die Verwaltung und gestalteten das Verhältnis zwischen der oberen Hierarchieebene und den Mitarbeitern. Auch die niederen Ränge in der Verwaltung wurden von Personen besetzt, die durch ihre Amtseinkünfte und ihren Einfluss bzw. ihre Entscheidungsgewalt qua Amt über Ressourcen verfügten, die sie selbst anderen gegenüber in die Position eines ­Patrons erhoben. Daraus erwuchsen auch Begehrlichkeiten von Verwandten, die zu befriedigen als soziale Norm nicht per se illegitim war. Der Versuch, Verwandte und Klienten mit Posten in der Verwaltung zu versorgen, war nicht ungewöhnlich und wurde mitunter sehr offen betrieben. Das Salär des Amtsträgers war im Übrigen nur ein Teil seiner Einkünfte. Amtsträger blieben auf vielen Positionen bis weit in das 18. Jahrhundert auf Nebeneinkünfte angewiesen und auf Gaben ihres Patrons bzw. seine wissende Nachlässigkeit im Fall der Überprüfung der Amtsführung; die Pflege der 8 Droste: Erziehung, 25. 9 Neumann: Ordnung. 10 Elliott: Introduction, 6; Kettering: Patrons, 209 und 224 ff.; Koenigsberger: Patronage, 146 f.

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­ eziehungen zu seinem Patron hatte folglich für einen Amtsträger hohe Priorität.11 B Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass eine frühneuzeitliche Behörde aufgrund der sie durchziehenden sozialen Logiken vollkommen ineffizient arbeitete. Birgit Emich hat in ihrer Untersuchung der Verwaltung des Kirchenstaats im frühen 17. Jahrhundert unterschiedliche formale und informelle Rollenanforderungen an das Personal in den einzelnen Bereichen der Verwaltung identifiziert. Wer im Stab des Kardinalnepoten arbeitete, dessen Aufgabe ohnehin im Wesentlichen im Management der Patronage der Papstfamilie bestand, musste sich vor allem anderen durch bedingungslose Kliententreue und Parteilichkeit auszeichnen. Von Sekretären, die in anderen Bereichen der kirchenstaatlichen Verwaltung tätig waren, wurden hingegen Sachverstand, Fachkenntnisse und bürokratische Effizienz erwartet. Natürlich mussten auch die Sekretäre loyal handeln, doch waren sie vor allem ausgebildete, versierte Fachleute. Umgekehrt mussten auch die Klienten im Stab des Nepoten über wenigstens basale Fertigkeiten im Verwaltungshandeln verfügen, wäre andernfalls doch die Patronage der Papstfamilie im Chaos versunken. Beide, Klienten wie Sekretäre, erhielten Gunstbeweise für ihr Tun, mithin waren beide in das Patronagesystem der Papstfamilie eingebunden und beide pflegten Beziehungen zu Klienten, Verwandten, Landsleuten und Förderern, denen sie verpflichtet waren.12 Die Normen der Patro­nage standen der sachgerechten und effizienten Arbeit der Verwaltung auch deshalb nicht grundsätzlich entgegen, weil zur Klientenpflicht auch die Bewährung im Amt gehörte. Offenkundige Missbräuche und exzessive Begünstigungen zu Lasten Dritter hingegen beeinträchtigten, wenn sie zutage traten, auch die Reputation des Vorgesetzten und Patrons, der derlei Praktiken duldete. Es war also eine Frage des Maßes von sozialer Begünstigung, ob Patronage in der Verwaltung den Zeitgenossen akzeptabel schien oder nicht; diese Frage wird weiter unten im Kapitel über Korruptionsdebatten noch einmal aufgegriffen werden. Offenkundig war der Gemeinwohldiskurs in der Verwaltung also keinesfalls wirkungslos, sondern begrenzte das Ausmaß von Patronage und Begünstigung. Das gemeinwohlorientierte Idealbild des korrekt arbeitenden Beamten konnte darüber hinaus auch von Amtsträgern genutzt werden, um überbordende soziale Ansprüche an sie, sei es von zu forschen Klienten oder von Personen, denen sie nicht verpflichtet waren oder sein wollten, mit Verweis auf die gemeinwohlorientierte Gegennormen abzuwehren.13 Patronage, die Arbeit der wachsenden Verwaltungen und die Staatsbildung standen dementsprechend in einem zwar keineswegs widerspruchsfreien, im Großen und Ganzen aber symbiotischen Verhältnis. Patronage bescherte dem Staat loyale Mitarbeiter, während der Staat, indem er Patronen 11 Plumpe: Korruption, 39. 12 Emich: Bürokratie, 401 ff. 13 Vgl. z. B. für Spanien Brendecke/Martín Romera: Oficio.

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Ressourcen zur Verfügung stellte, das System der Patronage regelrecht befeuerte und ihr Handlungsbereiche eröffnete. Dass Patronage in frühneuzeitlichen Gesellschaften ubiquitär war, ist nicht zuletzt eine Folge des Ausbaus von Staatlichkeit und des Aufbaus von Verwaltungsapparaten. Damit wuchsen die Ansprüche, die sich aus sozialen Normen ergaben, und stieg die Zahl der Beziehungen, denen diese Normen zugrunde lagen, mit der Staatsbildung. Nach diesen eher allgemeinen Ausführungen soll nun unter Zuhilfenahme des soziologischen Theorieangebots ein detaillierterer Blick auf den Arbeitsalltag von Behörden und Amtsträgern unter den Bedingungen von Normenkonkurrenz geworfen werden, und zwar anhand eines Beispiels aus dem englischen Flottenamt in London. André Krischer hat die Tagebücher eines der führenden Mitarbeiter des Amtes, des durch sein bemerkenswertes Diarium bekannten Samuel Pepys, für die Jahre von 1663 bis 1666 ausgewertet. Methodisch greift Krischer auf verschiedene organisationssoziologische Ansätze zurück.14 Es geht ihm vor allem darum zu ermitteln, in welchem Verhältnis die Struktur und die Arbeitsabläufe einer Verwaltungsbehörde zu den sozialen Verhaltensweisen der in ihr Arbeitenden standen. Wir haben bereits festgestellt, dass über die Rekrutierung und die personalen Bindungen innerhalb einer Behörde soziale Handlungserwartungen präsent waren, ja geweckt wurden, Behörden also in der Frühen Neuzeit nicht dem Weber’schen Idealtypus der Bürokratie als entpersönlichte Organisation entsprachen. Die Vorstellung einer allmählichen Eliminierung sozialer Verhaltenslogiken aus behördlichen Organisationen in einem langen Prozess der Rationalisierung und Professionalisierung erscheint damit umso zweifelhafter, und dies auch für die Moderne. Neoinstitutionalistische Organisationstheorien greifen diese generelle Diskrepanz zwischen der formalen Struktur einer Organisation und ihrer realen, alltäglichen Arbeitspraxis auf. Behördliche Organisationen stellen demnach nur scheinbar abgeschottete Sphären sachgerecht-unpersönlicher Arbeit dar; sie befinden sich permanent in Prozessen des Austauschs und der Angleichung an ihre sozialen Umwelten. Menschen, die im Arbeitsalltag interagieren, bedienen sich dabei elementarer sozialer Verhaltensweisen.15 Auch Niklas Luhmanns Theorie formaler Organisationen berücksichtigt das Eindringen nichtformaler Verhaltenserwartungen in formalisierte Strukturen wie Behörden. Nach Luhmann definieren sich formale Organisationen stärker durch ihre Mitgliedschaft als ihren Zweck. An die Mitglieder wird eine Reihe von formalen Handlungserwartungen gestellt, darunter die Indienststellung der Arbeitskraft zum Wohle der Organisation, die Ausführung von Weisungen entsprechend der inneren Hierarchie der 14 Krischer: Förmlichkeit. 15 Krischer: Förmlichkeit, 103, bezugnehmend auf March/Simon: Organizations; Meyer/ Rowan: Organizations.

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Organisation, die sachgerechte Verwendung von Mitteln und Verschwiegenheit über alle internen Angelegenheiten gegenüber der Außenwelt. Die Grundproble­ matik dieses Katalogs von formalisierten Normen besteht nach Luhmann darin, dass er nicht vollständig durchsetzbar ist. Dies ist allein schon deshalb der Fall, weil vollkommene Regeltreue dem Wohl der Gesamtorganisation gar nicht von Nutzen, sondern sogar schädlich wäre. Vielmehr traten die über die Interaktion zwischen den Mitgliedern der formalen Organisation in diese getragenen sozialen Verhaltenserwartungen dazu bei, die Arbeitsfähigkeit der Organisation zu erhalten. Die vollständige Formalisierung einer Organisation stößt hingegen an praktische Grenzen und dies selbst unter den gesellschaftlichen Bedingungen der Moderne; Formalität ist ohne Korrektive und das kreative Potenzial der Informalität nicht praktikabel.16 Betrachtet man nun mit Krischer vor dem Hintergrund dieser Überlegungen das englische Flottenamt in der Mitte des 17. Jahrhunderts, dann fällt zunächst auf, dass die an die dortigen Mitarbeiter gerichteten offiziellen, in Instruktionen und Bestallungsdokumenten ausformulierten Verhaltenserwartungen nur sehr grobmaschig waren; sie regelten nur einen Teil der Arbeitsabläufe in der Behörde. Damit waren die Angehörigen der noch jungen Organisation – sie war erst 1660 gegründet worden – gezwungen, die Verwaltung durch das Austesten von Verhaltensweisen und die Einführung von Verhaltensroutinen zu gestalten. Damit schufen sie „überhaupt erst den Rahmen für Zusammenarbeit, die in der Verwaltung im Wesentlichen aus kommunikativen Zumutungen bestand, für die es in den frühen Stadien der Organisationsbildung aber noch keine Bewältigungsroutinen, noch keinen Büroalltag gab“.17 Die Kompetenzbereiche der vier leitenden Ämter des Flottenamts waren nicht genau voneinander abgegrenzt, was der gegenseitigen Kontrolle dienlich war. Weiterhin koexistierten zwei Beziehungsstrukturen: Einerseits bestand eine relativ einfache, formale Hierarchie der Ämter (Leitungsämter und nachgeordnete Chargen), andererseits waren einige der Mitglieder der Behörde durch Patronagebeziehungen miteinander verbunden und einander verpflichtet. Die erstgenannte Struktur zwang in Kombination mit den Arbeitsaufgaben alle Mitglieder zu kontinuierlicher Kommunikation im Sinne eines „unvermeidlichen Miteinanders“. Die Patronagebeziehungen führten dazu, dass einige Mitarbeiter bestimmten Kollegen bevorzugt Dienste leisteten und andere Kontakte auf ein dienstlich gefordertes Minimum beschränkten. Auch wenn soziale Beziehungsformen damit einen Teil der Interaktion bestimmten, war die formale Amtsstruktur doch keineswegs nur Fassade. Denn die Behörde war relativ klein, und ihre Mitglieder waren zu regelmäßigem Austausch in Besprechungen in Form von Ratssitzungen verpflichtet. Auf diesen Sitzungen wurde 16 Krischer: Förmlichkeit, 103 f., unter Bezug auf Luhmann: Funktionen, 34 ff. 17 Krischer: Förmlichkeit, 115.

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ein Kommunikationsstil gepflegt, der im Interesse aller der Arbeitsfähigkeit der Behörde dienlich sein sollte. Denn diese zu erhalten, war sowohl Amtspflicht als auch soziale Norm gegenüber den Kollegen. Auf diese Weise entstand ein Kommunikationsstil, der darauf angelegt war, gegebenenfalls auftretende Spannungen zwischen den Mitarbeitern abzubauen, Bloßstellungen zu vermeiden und Probleme, welche den Fortgang der Arbeit gefährdeten, einer Lösung zuzuführen. Dabei bedienten sich die Mitglieder eines Höflichkeitsstils, den sie aus dem ihnen überwiegend vertrauten höfischen Verhaltenskontext übernahmen. Da sich Problemlösungen mitunter im kleineren Kreis besser als in der formal vorgesehenen großen Runde finden ließen, wurden zunehmend informelle Praktiken eingeführt und zu Handlungsroutinen ausgebaut, die zwar nicht dem Reglement entsprachen, aber dem Organisationszweck zuträglich waren; Informalität wurde auf diese Weise formalisiert. Oft ging es bei diesen Besprechungen darum, fachlichen Rat einzuholen und eigene Fehler oder solche von Mitarbeitern zu verbergen – das Bloßstellen in großer Runde wäre einem Angriff auf die Ehre des Betroffenen gleichgekommen und hätte agonale Reaktionsmuster auslösen können, die eine weitere Zusammenarbeit erschwert hätten. In Luhmanns Begrifflichkeit handelt es sich hier um einen Fall von „brauchbarer Illegalität“: „Formale Wege werden im Sinne des Organisationszwecks informal umgangen.“18 Der theoriegeleitete Einblick in das englische Flottenamt in den ersten Jahren seines Bestehens, wie ihn André Krischer vornimmt, ist vor allem deshalb faszinierend, weil er jenseits des idealisierenden Gemeinwohldiskurses und der Überinterpretation der Wirkungsmacht obrigkeitlicher Reglements erlaubt, die Praktiken und die Entstehung von Handlungsroutinen im behördlichen Raum nachzuzeichnen. Krischer charakterisiert die von ihm beschriebene Behörde als ein „organisiertes Sozialsystem“.19 Es zeichnete sich durch eine Überlagerung von formalen und informell-sozialen Verhaltenserwartungen an die Amtsträger aus; die formalen Amtsobliegenheiten schufen also keine „totale Rolle“, der sich Amtsträger vollumfänglich verpflichtet fühlten. Die sozialen Praktiken machten die behördliche Organisation dabei überhaupt erst funktionstüchtig, wohingegen ein Dienst rein nach Vorschrift geradezu Obstruktion bedeutet hätte. Informelles und an sozialen Normen orientiertes Handeln ist dabei nicht mit Klüngeleien und Korruption gleichzusetzen; vielmehr wurde der soziale Verhaltensstil der Oberschichten in diesem Fall eingesetzt, um die Behörde arbeitsfähig zu erhalten. Zwar haben wir es damit wiederum mit einem Fall zu tun, in dem soziale und gemeinwohlorientierte Normen in geradezu symbiotischer Weise ineinander­ griffen, doch geschah auch dies nicht ohne ernstere Fälle von akuter Normenkonkurrenz. Denn Pepys nutzte soziale Verhaltenserwartungen nicht nur dazu, 18 Krischer: Förmlichkeit, 116; Krischer bezieht sich auf Luhmann: Funktionen, 304 ff. 19 Krischer: Förmlichkeit, 118.

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die Kollegialität in der Behörde zu pflegen, sondern auch zur eigenen Bereicherung. Er war zwar eifrig bemüht, die formalen Erwartungen an ihn als einer der Behördenleiter zu erfüllen, und wurde von schlechtem Gewissen gepackt, wenn ihm dies misslang. Doch nahm er häufig entgegen eines ausdrücklichen Verbots Geschenke an.20 Auf die Problematik der Geschenkannahme ist im Kapitel über Korruption zurückzukommen. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass in einer Gesellschaft, die von latenter Normenkonkurrenz gekennzeichnet war, Normenkonvergenz rasch in eine akute Konkurrenz von Verhaltenserwartungen umschlagen konnte. Die Wirkung von Formalisierung ist offenkundig komplizierter, als die Forschung lange angenommen hat. Die Einführung formaler Regeln produzierte nicht automatisch Sphären, in denen sach- und verfahrensgetreu sowie abgeschlossen von der sozialen Umwelt gearbeitet wurde.21 Das Beispiel des Flottenamts betrifft eine Behörde mit mehreren Leitern und einem Mitarbeiterstab; viele Amtsträger allerdings arbeiteten in wesentlich übersichtlichen Verhältnissen und durchaus nicht immer oder zumindest nicht hauptsächlich in exklusiv für dienstliche Angelegenheiten vorgesehenen Räumlichkeiten. Das war insbesondere dann der Fall, wenn der Amtsträger allein, ohne einen größeren Verwaltungsstab, die Herrschaft in der Provinz vertrat. Verwaltung fand dort zu großen Teilen im Haushalt der Amtsträger statt, mit Folgen auch für den normativen Rahmen ihres Verwaltungshandelns, welches auf diese Weise gegenüber der sozialen Umwelt noch weniger abgegrenzt war als im Londoner Flottenamt. Ulrike Ludwig hat sich systematisch mit dem „Homeoffice“ frühneuzeitlicher Amtspersonen beschäftigt. Eines ihrer Ergebnisse ist, dass über die im eigenen Haushalt durchgeführten amtlichen Tätigkeiten – für deren Erledigung auch amtliche Unterlagen in größerem Umfang im Haushalt gelagert werden mussten – die Ehefrau des Beamten oft in die Amtsgeschäfte eingebunden war. War der Gatte außer Haus, empfing sie Bittsteller, gab Auskünfte, kopierte Dokumente und bearbeitete die Post. Auch in Haushalten von Amtsträgern finden sich somit Arbeitspaare.22 Vor allem aber stand der Beamte in der Provinz seiner sozialen Umwelt näher und der Zentrale der Herrschaft, der er diente, wesentlich ferner als ein Behördenmitarbeiter im Zentrum eines Fürstenstaates. Er war daher nicht nur Vertreter der Herrschaft gegenüber den im Amtsbezirk lebenden Untertanen, sondern in vielen Fällen vertrat er auch die Interessen der Untertanen gegenüber der Herrschaft. Lokale Amtsträger können daher als Scharnier zwischen dem Fürsten und seinen Behörden auf der einen und den Untertanen auf der anderen Seite angesehen werden. Wenn sie über gute Beziehungen zur Zentrale verfügten – etwa 20 Krischer: Förmlichkeit, 110 f. 21 Stollberg-Rilinger: Die Frühe Neuzeit, 10. 22 Ludwig: Verwaltung, 196 f.

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wenn sie dort einen Patron hatten – und gut in lokale Beziehungsnetze vor Ort eingebunden waren, konnten sie als „Makler der Macht“ Interessen zwischen Zentrale und Peripherie austarieren und Aushandlungsprozesse steuern. An ihnen lag es, den Geltungsbereich staatlicher Normen und die Interessen und Ansprüche der Untertanen in Einklang zu bringen.23 Die „Aushandlung“ von Herrschaft findet sich in der Praxis der Zentrum-Peripherie-Beziehungen somit besonders markant bei den lokalen Amtsträgern. Sie spielten eine entscheidende Rolle in einem politischen System, in dem Herrschaft zumeist als interaktiver, interessenausgleichender Vorgang praktiziert wurde.24 Sie befanden sich in einer derart ambivalenten Rolle, weil ihr Ansehen, ihre soziale Stellung und ihr Einkommen sowohl auf staatlichen Quellen als auch auf ihren Beziehungen vor Ort beruhten.25 Sie waren einerseits Beauftragte des Fürsten, hatten diesem ihr Amt zu verdanken und waren verpflichtet, ihre Dienstaufgaben gemäß den Festlegungen in Bestallungsbriefen und Instruktionen zu verrichten.26 Auf der anderen Seite stand ihre Integration in die lokale Gesellschaft, die auch im Fall lokaler Amtsträger bedeutete, soziale Beziehungen auf Gegenseitigkeit einzugehen und damit zum Ziel sozialer Handlungserwartungen zu werden. Auch wenn diese Art des going native bisweilen von den Vorgesetzten in der Zentrale mit Misstrauen registriert wurde, war sie für das Staatswesen und seine Herrschaftspraxis doch äußerst nützlich. Es war Teil des Systems von Herrschaft in der Frühen Neuzeit und hochgradig funktional, dass den Amtsträgern vor Ort weite Spielräume zugestanden wurden. Denn Landesverwaltungen verfügten in der Regel über geringe Durchgriffsmöglichkeiten in der Provinz. Die großen Entfernungen erlaubten der Zentrale nur mit zeitlicher Verzögerung, auf Vorgänge in der Peripherie zu reagieren. Unterschiedliche Rechtsräume und jeweils ortstypische Privilegien machten es der Zentrale zudem schwer, die lokalen Verhältnisse richtig einzuschätzen. Als Folge dieser Konstellation erwartete die herrschaftliche Zentrale in der Regel gar nicht, dass lokale Beamte sich als Durchsetzer der Interessen der Herrschaft versuchten, sondern nahm deren Berücksichtigung lokaler Interessen von vornherein billigend in Kauf.27 Es stärkte die Akzeptanz von Herrschaft, wenn ihr lokaler Vertreter im Amtsvollzug kasuistisch handelte, das heißt die Folgen obrigkeitlicher Anordnungen auf die lokalen Verhältnisse abwog, gegebenenfalls Anpassungen vornahm oder Vollzugsprobleme an die Obrigkeit meldete. Zwar erweiterten und verfeinerten die fürstlichen Behörden ihre Kontrollmechanismen im Laufe der Frühen Neuzeit – zu diesen zunehmend 23 Brakensiek: Amtsträger, 50; U. Rublack: Staatlichkeit, 349 und 369. 24 Härter: Vorwort, VIII f.; Holenstein: Handeln. 25 Landwehr: Policey, 64 f. 26 Brakensiek: Praktiken, 174. 27 Brakensiek: Amtsträger, 58 f.

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engmaschig angewandten Verfahren gehörten die regelmäßige Berichtspflicht an die Zentrale, die Rechnungskontrolle und die periodisch vorgenommene Visitation durch Revisoren aus der Zentrale, bei der auch Untertanen Beschwerden gegen Amtsträger vorbringen konnten. Doch diese Maßnahmen wurden oft nicht mit letzter Konsequenz durchgeführt. Kontrollen der Amtsträger mangelte es an Regelmäßigkeit und Konsequenz.28 Letztlich gebrach es dem frühneuzeitlichen Staat bzw. den Fürsten oder Regierungen in den meisten Fällen an dem Willen, ihre Ressourcen konsequent für die Durchstrukturierung der Verwaltung einzusetzen. Im Ergebnis zeichnete sich der Herrschaftsalltag der politischen Ordnung in den europäischen Fürstenstaaten üblicherweise durch das Bemühen aus, ihn in für die Untertanen akzeptabler Weise zu gestalten. Stefan Brakensiek hat dafür die Bezeichnung „akzeptanzorientierte Herrschaft“ geprägt. Sie wurde über institutionalisierte Kommunikations­ kanäle und Mittelsleute zwischen der Herrschaft und den Beherrschten umgesetzt. Gerichtsverfahren, Bittschriften, Visitationen und lokale Amtsträger als Mittler sorgten dafür, dass Anliegen von „unten“ nach „oben“ gelangten. Das bedeutet nicht unbedingt, dass diesen tatsächlich entsprochen wurde, aber doch zumindest, dass die Untertanen in den Herrschaftsprozess eingebunden waren, dass sie über das „Fundamentalrecht des Gehörfindens“ verfügten.29 Für die Herrschaft fungierte der lokale Beamte wie ein Sensor der Funktionalität ihrer Anordnungen, für die lokale Gesellschaft hingegen als ein Puffer gegenüber Zumutungen der Obrigkeit. Die Einbindung der fürstlichen Amtsträger in die lokalen Gemeinschaften und die daraus resultierenden Bindungen waren also für die Akzeptanz von Herrschaft und damit auf lange Sicht auch für ihren Ausbau funktional. Selbst relativ zentralisierte Organisationen wie beispielsweise die Spanische Inquisition ließen ihren lokalen Kommissären einen breiten Spielraum bei der Umsetzung von Vorschriften. Ihre Rückmeldungen an den Inquisitionsrat in Madrid führten mitunter zur Neugestaltung von Regeln. Sie vertraten dabei nicht selten die Interessen lokaler Akteure, mit denen sie sozial verflochten waren, zum Beispiel von Händlern, die sich durch Maßnahmen der Inquisition in ihrem Geschäft behindert sahen und über die Kommissäre Erleichterungen erreichen konnten.30 Hingegen basierte die englische Variante akzeptanzorientierter Herrschaft, der self government at the king’s command direkt auf der Beteiligung der lokalen Eliten an der Herrschaft, indem ihnen Ämter im Namen der Krone verliehen wurden. Der Staat machte sich somit auf diese Weise ihre lokale Eingebundenheit und ihre Autorität vor Ort zunutze.31 28 Brakensiek: Praktiken, 174 f.; Ludwig: An- und Abwesenheit, 122. 29 Brakensiek: Akzeptanzorientierte Herrschaft (Zitat 401). 30 Sonkajärvi: Kommissäre, 178. 31 Hindle: Law.

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Amtsträger, die zunächst länger in der Zentrale gedient hatten und dann in die Provinz geschickt wurden, wo sie auf keine etablierten sozialen Bindungen zurückgreifen konnten, lernten zumeist schnell, sich der lokalen Gesellschaft als Mittler zur Zentrale zu empfehlen. Denn auch diese „Fallschirmspringer“, die wie die französischen Intendanten unvermittelt in die Provinz geschickt wurden, konnten es sich nicht leisten, vor Ort als Einzelkämpfer der Durchsetzung von Staatlichkeit aufzutreten, waren sie doch wie alle anderen Einwohner an ihrem Dienstort auf die sozialen Solidaritätsnetze angewiesen. Die meisten von ihnen waren bestrebt, durch Vernetzung lokalen Kredit zu erwerben.32 Lokale Beamte, die mit ihrer Scharnierfunktion umzugehen wussten, konnten sich einen erheblichen Gestaltungsspielraum schaffen. Sie mussten beiden Seiten, der lokalen Gesellschaft wie der Herrschaft, demonstrieren, dass sie deren jeweilige Interessen und Ansprüche verstanden und so weit als möglich umzusetzen suchten, ohne sich in einseitige Abhängigkeiten von einer Seite zu begeben und sich damit bei der anderen Seite unglaubwürdig zu machen.33 Problematisch war dabei die Einkommensstruktur der Beamten. Wie schon erwähnt, machten ihre festen monetären Gehälter nur einen Teil ihrer Einnahmen aus. Ergänzt wurden sie durch Naturalien, die Nutzung von Ländereien und ihnen zustehende Untertanendienste sowie Sporteln. Das bedeutete, dass die Untertanen für einen Teil der Tätigkeit des örtlichen Amtmanns aufkommen mussten; Missbräuche oder auch nur der Verdacht, er verlange mehr, als ihm zustehe, konnten das Ansehen eines Amtsmannes und die Bereitschaft der Untertanen, für ihn aufzukommen, empfindlich beeinträchtigen. Das galt umso mehr, als viele lokale Beamte mit der Einziehung landesherrlicher Abgaben und Steuern und der Einforderung von Diensten für die Herrschaft befasst waren. Derartige Ämter boten folglich erhebliche Gelegenheiten zur Bereicherung und zur Begünstigung. Geradezu unter Generalverdacht, derartige Amtsmissbräuche zu begehen, standen Inhaber von Kaufämtern. Denn der Ämterkauf nötigte Amtsinhaber geradezu, die Untertanen auszupressen. Wer ein Amt käuflich erwarb, musste diese Investition anschließend über Gewinne aus seiner Amtstätigkeit wieder erwirtschaften. Der Ämterkauf hatte für den Staat den Vorteil, dass ihn die Amtsausübung zunächst nichts kostete, sondern vielmehr Einnahmen bescherte. Er ermöglichte somit den Ausbau der Verwaltung mit geringen Kosten, rechnete sich jedoch auf Dauer nicht. Denn die im Amt eingenommenen Gelder gingen zu guten Teilen an den Amtsinhaber und nicht in die Staatskasse. Vor allem aber delegitimierte das System der Kaufämter, das vor allem im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts, aber auch in vielen anderen Gemeinwesen praktiziert wurde, den Einzug 32 Brakensiek: Amtsträger, 55 f.; zu den Intendanten unter Ludwig XIV.: Chaline: ­Ludwig XIV., 48. 33 U. Rublack: Staatlichkeit.

Diplomaten

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von staatlichen Steuern und Abgaben, da diese ja für die Untertanen ersichtlich in die Taschen der Amtsträger flossen.34

Diplomaten Das Arbeitsfeld von Diplomaten war in mancherlei Hinsicht herausfordernder als das von Amtsträgern im „Innendienst“ des Fürstenstaates: Diplomaten hatten erhebliche Repräsentationskosten zu tragen, die in der Regel nicht durch ihr Salär gedeckt waren, von ihnen wurde erwartet, sich in der Hofgesellschaft am Dienstort zu vernetzen und Gabentauschverhältnisse einzugehen, ohne dabei in Abhängigkeiten und Loyalitätskonflikte zu geraten, und ihr Handeln war aufgrund der großen Entfernung ihres Dienstortes von ihrem Dienstherrn nur schwer zu kontrollieren. Sie waren mit anderen Worten in erheblichem Ausmaß unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Anforderungen und auch Versuchungen ausgesetzt – im diplomatischen Dienst war die Konkurrenz zwischen gemeinwohlorientierten und sozialen Handlungserwartungen potenziell noch um einiges stärker, als dies im Innendienst der Verwaltung der Fall war. Wir kehren daher nochmals auf das Gebiet der Außenbeziehungen zurück, nun aber mit Blick auf die dort tätigen Fürstendiener, die für die erfolgreiche Amtsausübung eines gehörigen Maßes an Ambiguitätstoleranz bedurften. Gerade an ihrem Beispiel lässt sich die ambiguitätsfördernde Wirkung von Normenkonkurrenz aufzeigen. Der Handlungs- und Normenhorizont frühneuzeitlicher Gesandter soll im Folgenden über ihre Praktiken erschlossen werden und unter Berücksichtigung ihres Arbeitsfeldes, der Fürstengesellschaft und den fürstlichen Höfen. Dabei kann auf die mittlerweile sehr produktive Forschungslandschaft der Neuen Diplomatiegeschichte zurückgegriffen werden, die überwiegend nach der Praxis der Diplomatie fragt.35 Diplomaten ist von der Forschung lange Zeit eine führende Rolle in den Prozessen der Staatsbildung und der Modernisierung von Amtsausübung durch Professionalisierung zugesprochen worden;36 in deutlich differenzierterer Form geschieht dies auch heute noch.37 Damit ist zu fragen, inwieweit die Ausdifferenzierung diplomatischer Methoden ein Handlungsfeld geschaffen hat, das von einem Ethos der Fachprofessionalität getragen wurde und in dem b­ erufsspezifische 34 Brauneder: Korruption, 90 f.; Engels: Politische Korruption in der Moderne, 323; ­Quarthal: Korruption, 43. 35 Sowerby/Hennings: Introduction; v. Thiessen: Geschichte. 36 Anderson: Rise; Mattingly: Diplomacy; ders.: Embassies. 37 Bély: Paix; Externbrink: Politik; H. Schilling: Konfessionalisierung und Staatsinteressen; Gräf: Kräfte.

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Regeln so wirksam waren, dass sie das Selbstverständnis, den Habitus und die Handlungsspielräume des dort tätigen Personals prägten. Mit anderen Worten: Gelang in der Diplomatie die Konstruktion eines nach außen abgeschlossenen Handlungsfeldes des Politischen, aus dem die Konkurrenz mit anderen, vor allem sozialen Normen weitgehend ausgeschaltet wurde? Diese Frage wäre von der älteren Forschung vermutlich unisono bejaht worden, während sie in der Neuen Diplomatiegeschichte überwiegend verneint wird. Einige ihrer Vertreter lehnen bereits den Begriff Diplomaten für Gesandte in der Frühen Neuzeit ab, weil er einen hohen Grad an Fachprofessionalität impliziere, wie sie zwar für das moderne, doch keineswegs für das frühneuzeitliche Gesandtschaftswesen typisch sei.38 Die ältere Diplomatiegeschichte habe teilweise die Verhältnisse der Moderne auf die Frühe Neuzeit rückprojiziert.39 Der Begriff Diplomatie selbst wurde tatsächlich erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts regelmäßig verwendet – die großen Traktate über Diplomatie, die in der Frühen Neuzeit erschienen, kannten ihn noch nicht.40 Diplomatie soll hier als epochenübergreifender Begriff für die Pflege der Außenbeziehungen mittels dafür bestallten und in fremde Länder geschickten Personals, das mit bestimmten Kompetenzen und Vollmachten ausgestattet wurde, verwendet werden. Der Begriff soll somit ausdrücklich nicht nur die moderne Form des Gesandtschaftswesens, sondern auch ältere Formen erfassen, mithin Diplomatie avant la lettre. Aller Kritik am Professionalisierungsparadigma zum Trotz lässt sich nicht bestreiten, dass die Diplomatie im Europa der Frühen Neuzeit einen Schub an Veränderungen erfuhr und in vorher nicht gekannter Weise institutionalisiert wurde. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts entstand in Europa ein Netz von Gesandtschaften, die nicht mehr ad hoc und anlassbezogen zu Verhandlungen an einen anderen Hof oder in eine andere Stadt geschickt wurden und nach Vollendung ihrer Mission, auf die ihre Vollmachten zugeschnitten waren, wieder zurückkehrten.41 Ausgangspunkte des Systems der Dauergesandtschaften waren die Hohen Pforte in Istanbul und die italienischen Gemeinwesen, und Anlässe seiner Ingangsetzung waren Handelsinteressen, die Notwendigkeit, interkulturelle Beziehungen zu organisieren,42 sowie, vor allem in Italien, die gegenseitige 38 Den Verzicht auf den Begriff Diplomatie für das frühneuzeitliche Gesandtschaftswesen hat Christian Windler in der von Jan Hennings und Florian Kühnel geleiteten Sektion Provincializing European Diplomacy: Die globale Entstehung der Diplomatie auf der Arbeitstagung der deutschen Frühneuzeithistoriker (Heidelberg 2015) vorgeschlagen; vgl. v. Thiessen: Geschichte, 321. Zur Problematik des Begriffs siehe auch Sowerby/ Hennings: Introduction, 2. 39 Conze: Jenseits von Männern und Mächten, 51. 40 Paulmann: Diplomatie, 47 f.; H. M. Scott: Diplomatic Culture. 41 Péquignot: Diplomatie. 42 Berridge: Origins, 17 ff.; Kühnel: Westeuropa, 257.

Diplomaten

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Beobachtung in einem potenziell instabilen Machtsystem.43 Diplomatie wurde somit im Kern zu einem permanenten System der zwischenhöfischen und zwischenstaatlichen Beziehungspflege, die vor allem dazu diente, ­Informationskanäle zu unterhalten.44 Ergänzt wurden die Dauerbotschaften aber auch weiterhin durch anlassbezogene und auf eine Aufgabe bzw. einen Verhandlungsgegenstand beschränkte Gesandtschaften und Missionen, die einem primär symbolischen Zweck dienten.45 In rechtlicher Hinsicht wies die frühneuzeitliche Diplomatie einige Kontinuitäten zu dem hoch- und spätmittelalterlichen Ad-hoc-System auf – das gilt für die Immunität von Diplomaten, den Nachweis ihrer offiziellen Entsendung durch Beglaubigungsschreiben und die Definition ihres Verhandlungsspielraums durch Instruktionen und Vollmachten.46 Hingegen änderten sich die Aufgaben, die Rollen und die Handlungsspielräume von Diplomaten durch die Einführung permanenter Gesandtschaften deutlich. An sie wurden neue Aufgaben gestellt. Permanente Gesandte standen in regelmäßigem Kontakt zum Herrscher, zu dem sie geschickt worden waren, und zu den führenden Personen an seinem Hof, mit denen sie möglichst gute Beziehungen pflegen sollten, sie hatten Verhandlungen zu führen, ihren Dienstherrn im Zeremoniell zu repräsentieren und vor allem mussten sie über alle politisch relevanten Entwicklungen an ihrem Dienstort berichten, wozu Netzwerke von Informanten zu unterhalten und Kontakte zu Vertrauenspersonen zu pflegen waren. All das hört sich sehr nach der Herausbildung eines beruflichen Handlungsfeldes an, für das bestimmte Regeln galten und das besondere Fertigkeiten und ein spezialisiertes Wissen erforderte. Doch bis weit in das 18. Jahrhundert kann weder von einer strukturierten Karrierelaufbahn in der Diplomatie die Rede sein, noch wurden Diplomaten systematisch auf ihre Tätigkeit vorbereitet, noch strebten sie überhaupt einen über einige Jahre hinausgehenden Verbleib in dieser Tätigkeit an.47 In dieser Hinsicht entschied sich die Diplomatenausbildung nur graduell von der für andere Tätigkeiten im Fürstendienst; wie bereits erläutert, waren auch dort berufsspezifische Ausbildungsgänge kaum zu finden. Damit soll aber keineswegs behauptet werden, dass angehende Gesandte unvorbereitet in den diplomatischen Dienst gingen. Doch waren die von ihnen verlangten Fertig­keiten nur zu einem kleinen Teil tatsächlich berufsspezifischer Natur. Nachwuchsdiplo­ maten erlernten sie durch die Erziehung und Ausbildung im adlig-höfischen Kontext. Ein wesentlicher Teil der Anforderungen an Diplomaten war ­sozialer und 43 Mattingly: Embassies. 44 Frigo: Politica estera. 45 Dazu zählten z. B. die „Obödienzgesandtschaften“ nach Rom, mit denen katholische Fürsten einem neu gewählten Papst ihre Aufwartung machten. Vgl. A. Koller: Konflikt. 46 Reitemeier: Außenpolitik, 38 ff. 47 Kugeler: Zur Theorie, 208 f.

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s­ ymbolisch-habitueller Natur. Das korrekte Auftreten bei Hof und die Beherrschung der Sprache des Zeremoniells waren essenziell. Allein schon adlig zu sein und über die damit verbundene soziale Autorität und den dazugehörenden Habitus zu verfügen, war vor allem an den größeren Höfen und im Dienst der ranghöheren Monarchen Europas von eminenter Bedeutung. Über diese Autorität zu verfügen, war die Grundlage für alle weiteren Kenntnisse und Fertigkeiten, die ein Diplomat aufbieten sollte. Vor allem für die Spitzenposten der Diplomatie zählte zuvörderst die Fähigkeit, auf dem sozialen und zeremoniell strukturierten Handlungsfeld des Hofes zu reüssieren.48 Für rein zeremonielle Gesandtschaften, die allein dazu dienten, einem auf den Thron gelangten Herrscher oder einem neu gewählten Papst die Aufwartung zu machen, reichten diese Fähigkeiten sogar ganz aus.49 Die Alltagsarbeit der Korrespondenzen, der Verhandlungen auf niederer Ebene und der rechtlichen Expertise erledigten hauptsächlich die niederen Chargen, wobei es sich zumeist um Klienten des Gesandten handelte, die mit ihm an den Dienstort gekommen waren. Festangestellte Botschaftsmitarbeiter waren mitunter zwar vorhanden, genossen aber oftmals nicht das Vertrauen des Botschafters, das auf bewährten personalen Beziehungen ruhte.50 Rang war für den Außendienst eine weit bedeutendere Komponente als für den Innendienst einer Monarchie. Dies erklärt den hohen Adelsanteil unter Gesandten; souveräne Fürsten sandten fast nur Hochadlige an die wichtigsten Höfe als Botschafter.51 Schon seit dem 16. Jahrhundert ist die Vorstellung belegt, dass der soziale Rang eines Botschafters als Ausdruck der Wertschätzung zu verstehen war: Einen hochadligen Botschafter zu entsenden bedeutete, einem anderen Herrscher ein Kompliment zu machen.52 Diese Funktion machte sich beispielsweise die englische Krone zunutze, als sie zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Beziehungen zu Brandenburg-Preußen im Verlauf des Spanischen Erbfolgekrieges zu festigen suchte und zutreffend davon ausging, dass der erst jüngst in den Königsrang aufgestiegene Friedrich I. für eine symbolische Bekräftigung seiner Souveränität besonders empfänglich sein werde. Daher wurde Baron Raby, als Peer Angehöriger des Hochadels, nach Berlin geschickt, wo er es dann auch in der Tat vermochte, gute Beziehungen zum König aufzubauen. Den aufwendigen Lebensstil des Botschafters am Dienstort verstand Friedrich als Ausdruck der Anerkennung seiner Königswürde.53 Umgekehrt erachtete es der schwedische König als einen Affront, dass der sächsische Kurfürst August der Starke ihm 1701 48 Krischer: Syndici, 221. 49 v. Thiessen: Diplomatie und Patronage, 141. 50 Mori: Culture, 25. 51 H. M. Scott: Diplomatic Culture, 75 f. 52 Berridge: Guicciardini, 35 f.; Black: Diplomats, 21. 53 Naujokat: England, 68 ff.

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mit Aurora von Königsmarck eine Sondergesandte in sein Hauptquartier schickte, die dessen Mätresse gewesen war. Er weigerte sich, sie überhaupt nur zu empfangen, da er nicht nur ihr Geschlecht, sondern auch ihre sündhafte Vergangenheit als Ausdruck von Geringschätzung von Seiten des Kursfürsten erachtete; ihre adlige Herkunft konnte diesen Makel nicht aufwiegen.54 Der Anteil der Adligen im diplomatischen Dienst stieg im Laufe der Frühen Neuzeit sogar noch an. Hatte es vor allem im frühen 16. Jahrhundert auch etliche humanistisch gebildete Gesandte gegeben, die zum Teil bürgerlicher Herkunft waren,55 nahm deren Anteil zumindest in den bedeutenderen Gesandtschaften bis zum 17. Jahrhundert deutlich ab 56. Diese Entwicklung zeigt, dass der hohe Stand des Gesandten seine Repräsentationsfunktion stützte. Auch niederländische Gesandte, die oft bürgerlicher Herkunft waren, sahen sich veranlasst, adlighöfische Verhaltensformen anzunehmen, und stiegen zum Teil in den Adel auf.57 Bürgerliche Gesandte standen an den großen Höfen zunehmend vor dem Problem, dass ihre Unkenntnis der dortigen Gepflogenheiten und ihre mangelnde Akzeptanz in der höfischen Gesellschaft Kommunikationsbarrieren schuf.58 Nichtsdestoweniger wurde von Diplomaten außer auf rein zeremoniellen Missionen mehr als nur die Zurschaustellung von Rang und Habitus erwartet. Die adlige Erziehung vermittelte derartige Fähigkeiten, wurden junge Adlige doch in Grundlagen von Geschichte, Geographie und Recht ausgebildet. Die Kavalierstour war ein Mittel, diese Kenntnisse zu vertiefen, zumal sie oft auch Universitätsbesuche umfasste, und außerdem die jungen Adligen mit anderen Höfen und Adelsgesellschaften vertraut zu machen.59 Darüber hinaus erhielten sie Gelegenheit, Erfahrungen als diplomatische „Volontäre“ zu sammeln, wenn sie einen Diplomaten auf einer Mission als „Kavalier“ begleiteten oder für einige Zeit an einer Botschaft dienten. Derartige Engagements erlangten sie in der Regel durch Beziehungen, sei es zu Verwandten oder zu Patronen. Ihre ­eigentliche Tätigkeit war zwar eher zeremonieller Natur – ihr Auftreten diente gewissermaßen der repräsentativen Rahmung des Botschafters. Doch sie konnten ihren Aufenthalt auch zur Gewinnung politischer Erfahrungen nutzen und darüber hinaus Kontakte in die Adelsgesellschaft vor Ort knüpfen.60 Über die durch adlige 54 Pons: Catharina Gräfin Wackerbarth, 66. 55 Zum Typus des humanistischen Gesandten Externbrink: Humanismus; KohlndorferFries: Diplomatie, 262 f. 56 Gräf: Kräfte, 9. 57 van de Pol: From Doorstep to Table, 78. 58 Das betraf beispielsweise im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert Gesandte von Hanse­ städten am spanischen Hof. Vgl. Weller: Partner, 344. 59 Mori: Culture, 152. 60 K. Müller: Gesandtschaftswesen, 245.

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Erziehung und Sozialisation angeeigneten Fertigkeiten hinaus war der Diplomat auf training on the job angewiesen.61 Neben der alltäglichen Erfahrung stand ihm zudem bereits seit dem späten Mittelalter das Genre der diplomatischen Traktatliteratur zur Verfügung. Allerdings waren diese Werke, die sich mit der Tätigkeit von Gesandten befassten, bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts nur bedingt als praktische Ratgeber für die diplomatische Tätigkeit zu gebrauchen. Sie stellten die Praxis der Diplomatie oft anhand historischer, zu guten Teilen in die Antike zurückgehender Beispiele dar und konstruierten damit eine ideale Figur des Diplomaten, die einem Wunschbild getreuen Fürstendiensts gleichkam. Tugendkataloge legten Gesandten nahe, jeglichen Bestechungs- und Einflussversuchen ebenso aus dem Wege zu gehen wie die offene Lüge zu vermeiden. Es ging in den frühen Traktaten also nicht nur um die Dienstrolle des Gesandten, sondern auch um ihn als Christen, der in der von Verstellung gekennzeichneten Welt des Hofes sein Seelenheil zu wahren hatte. Die Autoren waren sich demnach bewusst, dass die Tätigkeit als Diplomat in einen Zielkonflikt mit christlichen Verhaltensgrundsätzen geraten konnte. Bedeutend waren diese Werke darüber hinaus zunehmend – vor allem seit dem 17. Jahrhundert – als Nachschlagewerke für Gepflogenheiten des diplomatischen Zeremoniells an verschiedenen Höfen und für das Völkerrecht.62 Auch wenn somit die Traktatliteratur nur zum Teil als Handreichung für die alltägliche diplomatische Tätigkeit zu verstehen ist, so thematisierte sie doch ein Problem, dem jeder Diplomat ausgesetzt war: das der Normenkonkurrenz, des Navigierens zwischen verschiedenen Handlungserwartungen und Bindungslogiken. Eine der Ursachen dieser Normenkonkurrenz ist in der Bezahlung der Gesandten zu finden. Im Prinzip konnten sie genauso wenig von ihrem Salär leben wie viele Beamte im Innendienst, wobei unter „leben“ ein standesgemäßes Auftreten zu verstehen ist, das sowohl der Ehre des Diplomaten wie auch dem Ruhm seines Herrn dienlich war. Auf den ersten Blick erscheint die Bezahlung frühneuzeitlicher Diplomaten vollkommen dysfunktional: Selbst wenn man die zahlreichen Klagen in Bittbriefen von Diplomaten an ihre Staatssekretariate, in denen diese in dramatischer Weise über ihre Verschuldung klagten, als übertrieben wertet, bleibt doch der Befund, dass sich Diplomaten im Dienst in sehr vielen Fällen verschuldeten. An größeren Höfen mit hohem Repräsentationsaufwand war das praktisch immer der Fall. Oft erhielten sie zu Beginn ihrer Tätigkeit und mitunter auch später zu besonderen Anlässen noch zusätzliche Finanzhilfen, doch auch diese vermochten ihre Ausgaben nicht auszugleichen. Das Grundproblem der Finanzierung der Diplomatie war sozialen Ursprungs; es beruhte auf dem Zwang zur Repräsentationskonkurrenz. Adligen war diese Problematik grundsätzlich 61 Black: Diplomats, 32. 62 Chaline: Ambassadeur; Kugeler: Zur Theorie.

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vertraut. Sie mussten, wie wir bereits im Abschnitt zur Ehre gesehen haben, auf Statuskonsum bedacht sein, denn Stand wurde nicht nur ererbt, sondern musste auch gelebt und repräsentiert werden. Im diplomatischen Dienst aber potenzierte sich dieses Problem, weil der adlige Gesandte einen über ihm stehenden Rangträger, einen Fürsten, verkörperte. Dessen Rang galt es im öffentlichen Auftreten, über die Kleidung, bei Banketten und mit Hilfe einer ansehnlichen Entourage darzustellen. Vor allem an Höfen, die sich durch eine besonders ausgeprägte Repräsentationskonkurrenz auszeichneten, konnte der Zwang zu Statuskonsum ruinöse Züge annehmen. Der Finanzbedarf der römischen Botschaft beispielsweise war bei kaiserlichen Diplomaten geradezu berüchtigt.63 Nicht selten wurde der Dienstantritt eines Diplomaten verzögert, weil er sich gezwungen sah, um Verbesserungen seiner finanziellen Ausstattung zu verhandeln, bevor er sich in die kostentreibende Arena der höfisch-diplomatischen Öffentlichkeit aufmachte.64 Indes wurde eine gewisse Verschuldung während des diplomatischen Dienstes von vielen Diplomaten hingenommen, ja erwartet. Denn die Gesamtbilanz ihrer Tätigkeit sah anders aus als eine rein finanzielle Kostenrechnung. Sie kalkulierten nicht nur mit dem Gehalt, sondern auch mit anderen Kapitalformen. Ihnen ging es längerfristig um die Mehrung ihres sozialen, symbolischen und finanziellen Kapitals.65 In sozialer Hinsicht war eine Gesandtschaft an einen fremden Hof lohnend, weil Kontakte in die dortige Adelsgesellschaft geknüpft und vielleicht sogar Heiratsbeziehungen angebahnt werden konnten. Das symbolische Kapital eines Adligen, sein Ansehen, wurde allein schon durch seine Rolle als Verkörperung des Fürsten erhöht. Auch der Erwerb eines fremden Adelstitels war nicht ausgeschlossen. In finanzieller Hinsicht mochten die Einnahmen aus dem Salär für das Amt zwar nicht mit den – gleichwohl dem symbolischen Kapital der Ehre zuträglichen – Repräsentationsausgaben mithalten, doch bot der Hof am Dienstort möglicherweise Gelegenheiten der Bereicherung. Und den fürstlichen Herrn zu repräsentieren konnte auch der Selbstdarstellung des eigenen Familienverbands dienlich sein, wenn etwa das Tafelsilber der Botschaft mit dessen Wappen versehen wurde.66 Zudem gingen die Adligen, wie erwähnt, nicht davon aus, lebenslang als Diplomaten tätig zu sein. Für sie war der Dienst als Diplomat ein Sprungbrett, um anschließend auf lukrativere hohe Posten im Innendienst der Monarchie versetzt zu werden, wo sie sich finanziell wieder erholen konnten. Bewährten sie sich, konnten sie auf einen Sitz in einem Ratsgremium, einen Gouverneurs- oder Vizekönigsposten oder ein Ministeramt hoffen. Deutlich wird damit, dass die knapp kalkulierte finanzielle Ausstattung des Dienstes auch ein 63 Polleroß: Kunst, 305 f. 64 K. Müller: Gesandtschaftswesen, 182 f. 65 Windler: Symbolische Kommunikation, 176. 66 Jacobsen: Luxury, 13 f.

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Mittel der Disziplinierung für Diplomaten darstellte – sie mussten in der Gunst des Fürsten bleiben, denn auf dessen Gnaden waren sie nach Ende ihrer Dienstzeit angewiesen. Sehr problematisch konnte sich die Lage für Diplomaten entwickeln, die ihren Patron bei Hof verloren bzw. einer Hoffaktion angehörten, die an Einfluss verlor. Andererseits konnte sich kein Fürst eine weitgehende Nichtberücksichtigung der Karrierewünsche seiner Diplomaten leisten, denn damit hätte er den diplomatischen Dienst insgesamt unattraktiv bzw. zu riskant gemacht. Alles in allem lässt sich ein reziprokes do-ut-des-Verhältnis zwischen dem Dienstherrn und seinen Diplomaten erkennen: Für geleistete Dienste, die dem Ansehen des Fürsten dienlich gewesen waren und für die er erhebliche Geldmittel investiert hatte, erwartete der adlige Fürstendiener eine Gegengabe in Form einer Versetzung auf eine lukrative und ranghohe Stelle, die neben seinem Ansehen dann auch seinen Finanzen dienlich war.67 Im Großen und Ganzen erscheint damit die frühneuzeitliche Diplomatie als ein funktionales System, das dem Herrscher weitgehend loyale Gesandte und adligen Diplomaten ein ihrem Stand zuträgliches und unter Berücksichtigung der verschiedenen Kapitalarten zumeist auch einträgliches Arbeitsfeld bot. Was diese Art der Diplomatie allerdings nur in eingeschränktem Maße hervorbrachte, war eine feldspezifische Fachprofessionalität. Eine solche war gleichwohl über die genaue Kenntnis des jeweiligen diplomatischen Zeremoniells bei Hof und über Kenntnisse des Völkerrechts hinaus auch gar nicht gefragt. Denn „Diplomatie vom type ancien“68 war ein multifunktionales, ebenso politisches wie soziales Arbeitsfeld, in dem die Gesandten eine ganze Palette von Rollen gleichzeitig spielten. Sie waren Vertreter und Repräsentanten ihres Herrn, den sie in Audienzen, Verhandlungen, geheimen Gesprächen und öffentlich im Zeremoniell zu vertreten hatten. Sie waren Informanten und Berichterstatter, die sich daher mit den sozialen, politischen, militärischen und wirtschaftlichen Verhältnissen ihres Dienstlandes vertraut machen mussten. Sie waren Agenten für die Person des Fürsten und für seine Angehörigen, denen sie Kunstgegenstände, Künstler, diverse Luxuswaren sowie seltene Tiere und Pflanzen besorgten.69 Sie waren Interessenvertreter ihrer Landsleute vor Ort, eine Aufgabe, die Diplomaten auch heute noch ausüben. Bisweilen traten sie auch als Vertreter ihres Herkunftsortes, seiner Adelsgesellschaft oder der Provinz, aus der sie stammten, auf.70 Und sie waren Adlige, von denen erwartet wurde, dass sie ihr inkorporiertes Kapital der Standeszugehörigkeit und 67 Köhler: Strategie, 212; K. Müller: Gesandtschaftswesen, 197 ff.; Polleroß: Kunst, 308. 68 Begriff nach v. Thiessen: Diplomatie vom type ancien. 69 Häberlein/Jeggle (Hrsg.): Grundlagen; N. Weber: Geschenke. 70 Vgl. zum Beispiel die aus Neuchâtel stammende, weiter unten im Haupttext erwähnte Familie Chambrier. Zwei ihrer Angehörigen traten, nachdem Neuchâtel im frühen 18. Jahrhundert preußisch geworden war, in den diplomatischen Dienst des preußischen

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der Beherrschung des höfischen Verhaltensstils dazu einsetzten, am Hof vielfältige Kontakte zu pflegen, bis hin zur Beteiligung an Hoffaktionen und damit zur Beeinflussung der Politik des Landes, in das sie geschickt wurden. Der kaiserliche Sondergesandte Ferdinand von Harrach, der 1697/1698 an den spanischen Hof geschickt wurde, hatte sogar den expliziten Auftrag, eine Hoffaktion aufzubauen, welche auf eine habsburgische Thronfolge hinwirken sollte.71 Mitunter gelang es Diplomaten sogar, zu Vertrauenspersonen des Herrschers aufzusteigen und auf diese Weise zu einer dominanten politischen Kraft am gastgebenden Hof zu werden.72 Die soziale Nähe der adligen Gesandten zu fremden Hofgesellschaften wurde somit für politische Ziele in Dienst genommen. Für Diplomaten war dieser Teil ihres Dienstes umgekehrt auch deshalb attraktiv, weil die dabei geknüpften Kontakte auch der eigenen Familie oder Klientel dienlich waren. Denn Diplomaten waren vor allem Angehörige eines Familienverbandes. Die Bedeutung dieser Rolle und die mit ihr verbundenen Handlungserwartungen sind nun etwas näher zu betrachten. Der Verwandtschaftsverband hatte in ihren Aufstieg und auch ihre Dienstausübung Mittel von nicht unerheblichem Umfang gesteckt, von der Erziehung bis hin zum Gewähren von Aushilfen oder Krediten für ausgebliebene Gehaltszahlungen oder außergewöhnliche Repräsentationsausgaben. Allein schon aus diesem Grund stand ein Diplomat nicht nur in der Loyalitätsverpflichtung gegenüber seinem Dienstherrn, sondern auch in der Schuld seines Familienverbandes. Daher war es zumindest aus seiner Sicht legitim, dass er Dienstausübung und Familienförderung miteinander verband. Ein Diplomat wie der Nuntius Bernardino Spada, der von 1623 bis 1626 den Heiligen Stuhl bei der französischen Krone vertrat, nahm selbstverständlich zwei seiner Neffen mit auf die Mission, um sie „zu großen Dingen zu führen“. Er verstand seine Mission mindestens so sehr als Familiengeschäft wie als diplomatische Tätigkeit und nutzte seinen Dienst wiederholt zur Förderung seiner Familie. Die guten Beziehungen, die er zum französischen König geknüpft hatte, nutzte er auch, um die Versorgung seiner Neffen zu sichern. Der Fürsprache Ludwigs  XIII. war es zu verdanken, dass er die Aufnahme eines Neffen in den Malteserorden erreichte.73 Wie sehr Diplomatie selbst noch über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus ein Familiengeschäft war, zeigt nicht zuletzt das Beispiel der Neuchâteler Adelsfamilie Königs ein und verstanden sich stets auch als Vertreter ihrer patrie, mithin Neuchâtels. Vgl. N. Weber: Diplomaten, 152 f. 71 López i Camps: Embajada. 72 In eine solche Position gelangte zeitweise der kaiserliche Gesandte Graf Seckendorff am Hof des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I.; er zog allerdings massive Kritik auf sich und verlor das Vertrauen des Königs, als er versuchte, die Heiratspolitik der Hohenzollern zu dirigieren. Vgl. K. Müller: Gesandtschaftswesen, 297. 73 Karsten: Familienbande (Zitat 45).

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Chambrier, aus deren Kreis zwei, Jean de Chambrier (1686 – 1751) und Jean-Pierre Chambrier d’Oleyres (1753 – 1822), in preußische diplomatische Dienste traten. Ersterer wurde nach Paris geschickt und verbrauchte dort zwar den größten Teil seines Vermögens, nutzte aber auch rastlos seine vor Ort geknüpften Kanäle zur Begünstigung seiner Familie, sei es in einer Erbschaftangelegenheit oder bei der Beschaffung des Postens eines französischen Legationsrates für einen Neffen. Vor allem aber gewährte der preußische König ihm in Anerkennung seines Dienstes den Freiherrentitel, womit seine Familie fortan im Neuenburger Adel hervorstechen konnte. Jean-Pierre nutzte seinen Einfluss und seine Verbindungen als Gesandter in Turin ebenfalls dazu, Angehörigen Posten und Titel zu verschaffen. Unter ihm war die preußische Gesandtschaft in Savoyen die „Schaltzentrale“ des Hauses Chambrier.74 Es spricht viel dafür, dass die Familienbindung vieler Diplomaten deutlich vor ihrer Bindung an den Dienstherrn rangierte. Richelieu hielt aus diesem Grunde Geistliche für die besseren Diplomaten, weil sie über weniger soziale Bindungen verfügten und vor allem keine Kinder (allerdings, wie Bernardino Spada, oft Neffen) zu versorgen hätten.75 Zumeist wurde die Begünstigung der Verwandtschaft vom Dienstherrn toleriert, denn sie war, wie dargelegt, Teil des Systems der frühneuzeitlichen Diplomatie und machte den auswärtigen Fürstendienst für Adlige erst attraktiv. Der Familienverband eines Gesandten war zudem in der Regel in die Repräsentationsfunktion der Botschaft, die im Kern der Haushalt des Botschafters war, eingebunden. Auch der Botschafter und seine Frau bildeten ein Arbeitspaar, wenn die Gattin Kontakte zu Frauen bei Hof oder anderen Botschaftergattinnen pflegte oder sogar an informellen Verhandlungen beteiligt war.76 Doch die verwandtschaftlichen Bindungen und daraus resultierenden Handlungserwartungen konnten auch direkt mit der Loyalität gegenüber dem Dienstherrn kollidieren. Mitunter stellten Diplomaten Familieninteressen direkt vor die Interessen des Dienstherrn. Einer solchen Verhaltensweise machte sich der Nuntius Antonio Caetani (1566 – 1624) schuldig. Er hatte vom Kardinalnepoten Scipione Borghese den Auftrag erhalten, den spanischen König dazu zu bewegen, dem Neffen des Papstes, Marcantonio Borghese, die Würde eines Granden zuzusprechen. Es handelte sich für die Papstfamilie um ein äußerst wichtiges Projekt zur Sicherung ihrer hochadligen Stellung über das Pontifikatsende hinaus. Nicht, dass Caetani sich nicht um diesen Auftrag bemüht hätte, aber sehr viel engagierter kümmerte er sich um den Erwerb eben jener Würde für seinen eigenen Neffen, und dies im Herbst 1616 auch mit Erfolg. Da es sich um eine selten an Auswärtige ­vergebene Auszeichnung h ­ andelte, s­ anken 74 N. Weber: Diplomaten, 148 ff. 75 Berridge: Richelieu, 79. 76 Averkorn: Arbeitspaar; Bastian/Dade/Ott: Weibliche Diplomatie?, 112; Jacobson: Luxury, 60; Keller: Mit den Mitteln, 239 f.; Tischer: Botschafterin, 307.

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damit die Chancen der Borghese auf den Grandat. Zwar erwies sich dieser Pessimismus als übertrieben – Caetanis Nachfolger vermochte seinem Dienstherrn die erhoffte spanische Gabe doch noch zu verschaffen –, doch hatte Caetani seine Familieninteressen offenkundig vor die der Papstfamilie gestellt. Dass sein päpstlicher Dienstherr sich dieser Illoyalität bewusst war, bekam der Nuntius zwei Jahre später nach seiner Rückkehr nach Rom zu spüren: Er erhielt weder die nach Dienstende üblichen finanziellen Beihilfen noch lukrative Ämter. Stattdessen hatte er die ewige Stadt zu verlassen, um sich in seine Diözese Capua nördlich Neapels zurückzuziehen. Allein der Tod des Papstes Ende Januar 1621 und der Beginn eines neuen Pontifikats, indem er seine Ämterlaufbahn fortsetzen konnte, bewahrte die Familie vor dem Ruin, denn natürlich hatte sich auch Antonio ­Caetani im auswärtigen Dienst verschuldet. Dieses Beispiel unterstreicht insoweit nicht nur die Bedeutung von Familienstrategien im Denken von Diplomaten, sondern auch die damit verbundenen Risiken. Denn ihre finanzielle Abhängigkeit von ihrem Dienstherrn begrenzte ihren Handlungsspielraum und zwang sie zu einer Dienstausübung, in der die Familienbindung nie offen vor der loyalen Ausübung des Dienstes für den eigenen Herrscher rangieren durfte. Dass Nuntius Caetani dies doch wagte, dürfte mit der speziellen soziopolitischen Konstellation an der römischen Kurie zu tun haben: Er konnte hoffen, nach einer Durststrecke wieder in die Dienste des nächsten Papstes zu gelangen, der sich auf der Suche nach loyalen Mitarbeitern gerne nach von seinem Vorgänger geschassten Amtsträgern umsah.77 In Erbmonarchien bestand eine solche Aussicht nicht. Ließen sich auf diese Weise also in den meisten Fällen soziale Handlungs­ erwartungen und Fürstendienst funktional und nach allgemeiner Auffassung ­legitim miteinander verbinden, sah dies im Falle von Patronagebindungen von Diplomaten bisweilen anders aus. Viele Diplomaten nahmen Pensionen des Fürsten an, an dessen Hof sie geschickt worden waren, und dies oft heimlich. Die Heimlichkeit solcher Geldleistungen machte sie erst recht verdächtig und als Missbrauch eines öffentlichen Amtes zu partikularem Nutzen, mithin als Korruption, kritisierbar, wenn sie denn bekannt wurden.78 Anders sah es mit den öffentlich überreichten Geschenken für Diplomaten aus, die zum Beispiel vor dem Weggang eines Botschafters als Abschiedsgabe überreicht wurden. Derartige Gaben wurden weniger als Beeinflussungs- und Bindungsversuch, sondern als Ehrerbietungen und symbolische Darstellung fürstlicher Freigiebigkeit gesehen; allein schon deshalb mussten sie öffentlich sein. Diese Form der Geschenkpraxis war so lange nicht grundsätzlich kritisierbar, wie Diplomatie mit der höfischen Kultur eng verbun­ radmesser den war.79 Wert und Beschaffenheit des Geschenks wurden auch als G 77 v. Thiessen: Diplomatie und Patronage, 172 ff. 78 Suter: Korruption, 169. 79 Köhler: Strategie, 238; Stollberg-Rilinger: Zur moralischen Ökonomie, 197 ff.

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der Beziehungen zwischen dem schenkenden Fürsten und dem Dienstherrn des beschenkten Diplomaten betrachtet; zur Anbahnung eines verpflichtenden Gabentauschverhältnisses des Diplomaten zu einem fremden Fürsten taugten sie nicht.80 Die Pensionen hingegen waren deutlich heikler, zumal die regelmäßigen Zahlungen die Empfänger immer wieder in Bringschuld setzten. Wir haben bereits gesehen, dass die Annahme auswärtiger Pensionen in reformierten Städten der Eidgenossenschaft verboten und schließlich weitgehend unterbunden wurde.81 Andererseits wurde an fürstlichen Höfen immer wieder diskutiert, ob Pensionen wirklich ein geeignetes Mittel der grenzüberschreitenden Beeinflussung darstellten. Das betraf zu Beginn des 17. Jahrhunderts beispielsweise die französische und die spanische Krone, in deren Regierungsgremien einerseits über die mangelnde Zuverlässigkeit der derart gewonnenen Klienten geklagt wurde, während man andererseits wegen der Konkurrenzsituation zwischen den beiden Mächten auf dieses Mittel der leisen Einflussnahme auch nicht verzichten mochte.82 Es ist kaum zu rekonstruieren, ob auswärtige Pensionen Entscheidungsträger bei Hof zu einem bestimmten politischen Verhalten veranlassten oder nicht. Wenn etwa Robert Cecil, der maßgebliche Mann am Hof Jakobs I. von England im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts, Geschenke des spanischen Botschafters und eine Pension des spanischen Königs erhielt, dann war das noch nicht unbedingt die Ursache für die relativ spanienfreundliche Politik der englischen Krone in dieser Zeit, zumal auch makropolitische Rahmenbedingungen (die als bedrohlich wahrgenommene Außenpolitik der französischen Krone) und die Faktionenverhältnisse am englischen Hof (Cecil stand zur frankophilen Hoffaktion in Gegnerschaft) diese Politik nahelegten. Wenn der spanische Botschafter Pedro de Zúñiga äußerte, er glaube, dass die spanischen Gaben Cecil immerhin von all den antispanischen Taten abhielten, die er eigentlich im Sinn habe, dann lässt sich der Eindruck einer gewissen Skepsis auf spanischer Seite über die Reichweite ihrer finanziellen Beeinflussungsversuche nicht von der Hand weisen.83 Eine andere, zuweilen dysfunktionale Wirkung der Patronagebindungen von Diplomaten lässt sich hingegen klarer rekonstruieren. Sie betrifft Beziehungen von Diplomaten in ihr Herkunftsland. Zwar standen Diplomaten im Dienst eines Fürsten oder einer Republik und war ihre Berufung in vielen Fällen das Ergebnis familiärer Förderung, doch dass sie ihren Posten erlangt hatten, war häufig das Resultat von Patronage. Denn die Postenvergabe erfolgte zwar nicht ohne Berücksichtigung von Kompetenzen und Eignung, war aber zumeist auf 80 Duchhardt: Abschiedsgeschenk. 81 Vgl. das Kapitel „Außenverflechtung zwischen langfristigen Bindungen und kurzfristiger Bestechung“ in Teil 4. 82 Metzler: Mikropolitik; v. Thiessen: Diplomatie und Patronage, 299 ff. 83 Loomie: Sir Robert Cecil.

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das Wirken einer einflussreichen Person im Umfeld des Fürsten zurückzuführen. Die Postenvergabe war ein wesentlicher Inhalt des Ringens von Hoffaktionen um Einfluss. Viele Diplomaten waren daher einem bestimmten Patron oder einer Gruppe von Unterstützern zu Dank verpflichtet und standen mit diesen in einem Gabentauschverhältnis. Damit war ein Diplomat auch auswärtiger Vertreter einer informellen Gruppe bei Hof, was vor allem dann problematisch werden konnte, wenn an einer Botschaft oder in einer Delegation Klienten unterschiedlicher Faktionen tätig waren. Ein besonders eingängiges Beispiel betrifft die französische Delegation auf dem Westfälischen Friedenskongress. Ihr standen Claude de Mesmes, Comte d’Avaux (1595 – 1650) und Abel Servien (1593 – 1659) vor. Beide stammten aus altem Adel. D’Avaux hatte bereits eine ungewöhnlich lange diplomatische Karriere hinter sich und war vermögend und angesehen. Hohe Regierungsämter im „Innendienst“ der Monarchie erlangte er aber erst 1642, nach dem Tod Richelieus, dessen Klient er nie gewesen war. Er stand selbst als Patron an der Spitze einer Klientel, unter der sich viele Diplomaten befanden. Zwar hatte er kein gutes Verhältnis zu dem nach Richelieu bestimmenden Mann am Hof, Mazarin, konnte dies aber durch gute Beziehungen zum Staatssekretär Brienne ausgleichen. Sein Rivale Servien stand, da er erst 1641 den Grafentitel erlangt hatte, sozial unter ihm, machte dies aber durch seine sehr guten Kontakte zu den jeweils führenden Personen bei Hof wett. Serviens Karriere, die ihn bis in das Amt eines Staatssekretärs für Kriegsangelegenheiten geführt hatte, war wesentlich der Förderung Richelieus zu verdanken gewesen. Nachdem er als Folge einer Intrige zeitweise in Ungnade gefallen war, gelang es ihm, sich Mazarin anzudienen und dessen Förderung zu erreichen. Sein Glück war es, dass Mazarin d’Avaux als einen potenziellen Rivalen um die Gunst des Königs betrachtete. Über seinen Neffen Hugues de Lionne, der die diplomatischen Nachrichtenkanäle nach Frankreich kontrollierte, wurde Servien daher bevorzugt mit Informationen versorgt, während d’Avaux sich zunehmend kaltgestellt fand. Mazarin bildete sich seine Meinung vor allem anhand von Serviens Berichten. Schließlich wurde d’Avaux vor Ende des Kongresses abberufen. Patronage hatte entschieden, wer die Arbeit der Delegation bestimmte.84 Es finden sich weitere Beispiele dafür, dass Diplomaten von Rivalen mit besseren Verbindungen an den Herkunftshof regelrecht von Nachrichtenkanälen abgeschnitten wurden oder dass Rivalitäten zwischen ihnen offen ausbrachen. Auf dem Kongress von Nimwegen (1676 – 1679) beispielsweise, einem der großen Friedenskongresse des 17. Jahrhunderts, brachen zwischen den Mitgliedern der französischen Delegation wiederholt Konflikte aus, in deren Verlauf sich die einzelnen Delegierten an ihre jeweiligen Patronagenetzwerke in der Heimat wandten, um Unterstützung zu erhalten.85 84 Tischer: Diplomaten; vgl. auch Rohrschneider: Tradition, 265 f. 85 Köhler: Strategie, 218.

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Die Signifikanz dieser Beispiele ist auch darin begründet, dass die Effizienz der französischen Diplomatie unter Ludwig  XIV. als „geschliffene[s] Instrument der Interessenpolitik“86 in der Historiographie einen hervorragenden Ruf genießt und sie sich tatsächlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und im frühen 18. Jahrhundert gegenüber anderen diplomatischen Apparaten bei der Aushandlung vorteilhafter Friedensverträge als überlegen erwies.87 Es bleibt damit festzuhalten, dass die Bindung der frühneuzeitlichen Diplomatie an die soziopolitische Struktur des Hofes und die Ubiquität von Patronage die Bildung eines geschlossenen diplomatischen Corps im Sinne einer fachprofessionellen Berufsgruppe mit ausgeprägtem Eigenbewusstsein und Gruppensolidarität nicht zuließ. Diplomatie erfuhr zumindest bis ins frühe 18. Jahrhundert keine Disambiguierung im Sinne der Konstruktion eines Handlungsfeldes des Politischen, sondern blieb, wie die Fürstengesellschaft als Ganzes, von soziopolitischen Vorstellungen und Praktiken sowie einer ausgeprägten Rollenvielfalt der in ihr Handelnden geprägt. Diplomaten waren es daher gewohnt, von einer Rolle in die andere zu schlüpfen, um gleichzeitig als treue Diener ihres fürstlichen Herrn, als ehrbewusste Adlige, als im Zeremoniell gewandte Höflinge und als treusorgende Familienmitglieder zu gelten. Normenkonkurrenz setzten Diplomaten in einigen Fällen in geradezu gewagte Rollenwechsel um, für die es allein schon zur Schonung des eigenen Gewissens eines erheblichen Ausmaßes an Ambiguitätstoleranz bedurfte. Präzedenzstreitigkeiten und generell die hierarchische Organisation der Fürstengesellschaft, die sich in der Diplomatie spiegelte, ließen zudem ein Gefühl der Gemeinsamkeit zwischen den Mitgliedern verschiedener Gesandtschaften, ja mitunter selbst innerhalb einer Gesandtschaft nur bedingt aufkommen. Und wenn ein Gefühl von Gemeinsamkeit zu konstatieren ist, dann eher das der gemeinsamen Zugehörigkeit zum Adel als europäischer Führungsgruppe, mit dem adlig-höfischen Verhaltenskodex als kultureller Klammer.88 Dies gilt umso mehr, als Staatssekretariate diese Rivalitäten gerne zur Kontrolle des diplomatischen Personals nutzten, denn Diplomaten waren oft bereit, ihre Kollegen zu denunzieren. Auch waren die niederen Chargen bisweilen angehalten, mit der Zentrale geheime Korrespondenzen über die Amtsführung ihres Vorgesetzten zu führen.89 Auf diese Weise konnte eine gewisse Disziplinierung der in der Ferne arbeitenden Gesandten erreicht werden, die oft nicht wussten, wer alles über sie in die Heimat berichtete, und stets darauf achten mussten, nicht 86 H. Schilling: Konfessionalisierung und Staatsinteressen, 131. 87 Duchhardt: Gleichgewicht, 77. 88 Sofer: Diplomatic Corps, 31. 89 Ein Beispiel für eine derartige Berichtsfunktion der niederen Chargen wie auch informeller Agenten findet sich an der spanischen Botschaft in Rom im frühen 17. Jahrhundert: v. Thiessen: Außenpolitik, 60.

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durch offenkundiges Fehlverhalten die Gunst ihres Dienstherrn zu verlieren. Diese Konstellation dürfte dafür gesorgt haben, dass ihnen die Gefahren ihrer Rollenvielfalt bewusst blieben. Am ehesten können die Gesandten der christlich-europäischen Mächte beim osmanischen Sultan als diplomatisches Corps gelten, das sich durch gemeinsame Werte, Interessen und ein gewisses Maß an Solidarität untereinander auszeichnete. Die gemeinsame Erfahrung des Lebens in einer kulturell fremden Umgebung wurde noch dadurch verstärkt, dass die Diplomaten alle in einem separaten Viertel, dem nördlich des Goldenen Horns gelegenen Pera lebten. Ihr soziales Leben spielte sich weitgehend in dieser Diplomatengesellschaft ab. Auch wenn es unter ihnen Spannungen gab und die den französischen Gesandten am Sultanshof zumeist gewährte zeremonielle Bevorzugung gegenüber denen des Kaisers den europäischen Präzedenzkonflikt auch an den Bosporus trug, ergaben sich doch immer wieder Gelegenheiten für ein gemeinsames Auftreten und gemeinsame Interessenvertretung. Dies betraf den rechtlichen Status der Gesandten und Bemühungen um die Freilassung von Kollegen, die mitunter im Fall von Spannungen zwischen dem Sultan und ihrem Dienstherrn als Geiseln behandelt wurden.90 Die Rollenvielfalt von Diplomaten und ihre Fähigkeit zum Rollenwechsel ließen sich im Übrigen durchaus produktiv in Verhandlungen einsetzen. Das betraf vor allem die soziale Rolle des in der Adelskultur verwurzelten honnête homme und die primär politische Rolle als Fürstendiener und Beauftragter eines Staatswesens, als ministre public. Das Wechselspiel dieser Rollen in der Diplomatie des späten 17. Jahrhunderts hat Matthias Köhler anhand der Verhandlungen auf dem Friedenskongress von Nimwegen untersucht. Die großen Friedenskongresse des 17. und frühen 18. Jahrhunderts, beginnend mit den Westfälischen Friedensverhandlungen, werden in der historischen Forschung traditionell und nicht zu Unrecht als Meilensteine der Institutionalisierung von Diplomatie gesehen, auch wenn diese den soziopolitischen Grundcharakter der Diplomatie vom type ancien nicht signifikant veränderten. Die Verhandlungssituation, in der verschiedene Delegierte in wechselnden Konstellationen miteinander kommunizierten, verlangte von den Beteiligten eine erhebliche Organisations- und Aggregationsleistung. Zeremonielle Begegnungen mussten so geregelt (und notfalls umgangen) werden, dass agonale Präzedenzkonflikte vermieden wurden, Verhandlungsweisen und -strategien mussten entwickelt und verstetigt werden. Indes erforderte Diplo­matie (und erfordert bis heute) aufgrund der oft komplexen Interessenlagen der Beteiligten und der Gefahr des Ausbruchs von Konflikten, die den Fortgang von Verhandlungen in Frage stellten, einen flexiblen Umgang der 90 Rudolph: Ottoman Empire, 174 ff.

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­ erhandelnden miteinander, der sich nicht nur auf formale Verfahren beschränkte. V Auch für die Diplomatie gilt, dass mit dem Ausbau formaler Regeln das Handlungsfeld der Informalität mitwuchs und das Informelle zum System gehörte.91 In Nimwegen wurden in Situationen, in denen die Verhandlungen stockten, die politisch-formalen und sozialen Rollen kombiniert eingesetzt. Um die Wirkung von Vorschlägen auf die Gegenseite unverbindlich auszutesten und Konflikte zu vermeiden, wechselten alle Beteiligten ihre Rolle als offizielle Diplomaten gegen die des honnête homme; in diesem Modus galt die Unverbindlichkeit des Gesprächs unter Freunden. War man auf diese Weise einer Lösung nähergekommen, der alle Seiten zustimmen konnten, war die Rückkehr auf die Ebene der offiziellen Verhandlungen angezeigt, um nunmehr in formalen Rollen die auf informeller Ebene erreichten Ergebnisse verbindlich festzuhalten.92 Dieses Wechselspiel der Rollen, das wir bereits im Umgang mit einflussreichen Mätres­ sen kennengelernt haben, beherrschten viele Diplomaten und sie nutzten es für unterschiedliche Ziele in verschiedenen Situationen. Diplo­maten konnten Verhandlungen verzögern oder die Gegenseite in Verlegenheit bringen, wenn sie vorgaben, in ihrer Ehre gekränkt zu sein oder wenn sie gezielt die Ehre eines anderen Diplomaten herausforderten. Ein solcher Affront konnte entweder dramatisiert werden, indem er als Ehrangriff auf den Dienstherrn des betroffenen Diplomaten gewertet wurde, oder man konnte ihn kleinhalten, indem er nur auf die persönliche Ehre des Herausgeforderten bezogen wurde. Das Changieren zwischen den Rollen erfolgte, wie diese Beispiele zeigen, oft über Formen symbolischer Kommunikation, deren Interpretation Spielräume ließ. Allerdings konnten gerade Ehrkonflikte die Beteiligten auch in Rollen zwingen, deren agonale Handlungslogiken kaum mehr zu kontrollieren waren.93 Letztlich musste der frühneuzeitliche Diplomat wie ein Adliger bei Hof Rollenspieler auf einem von Ambiguität geprägten Feld sein. Abschließend sei ein kurzer Exkurs zu einem anderen Handlungsfeld des Fürstendienstes erlaubt, auf dem der Adel dominierte, dem Militär. Im Gegensatz zur Diplomatie ist die Bedeutung von sozialen Normen und damit das Ausmaß von Normenkonkurrenz auf diesem Gebiet bislang vergleichsweise wenig erforscht. Das liegt auch daran, dass das Selbstbild des Adels mit dem militärischen Fürstendienst relativ leicht in Einklang zu bringen war, standesspezifische soziale Normen und Fürstendienst also durchaus bestens vereinbar waren. Militärdienste des Adels gelten als klassisches Beispiel für den eine Win-win-Konstellation darstellenden Kompromiss zwischen Adel und Fürstenherrschaft zu Beginn der Neuzeit: Der 91 Bastian: Verhandeln, 431. 92 Köhler: Strategie, 213 f. 93 Brauner: Ehrenmänner; Haug: Verhandlung, 537 ff.; Köhler: Strategie; Waquet: Kommentar.

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Adel akzeptierte das fürstliche bzw. staatliche Gewaltmonopol und erhielt dafür die Gelegenheit, standesgemäß und unter Wahrung seiner gesellschaftlichen Spitzenstellung in den Fürstendienst einzutreten.94 Militärischer Ruhm war damit nicht mehr auf eigene Faust zu erlangen, sondern über eine Karriere im fürstlichen Militär. Der Fürst sicherte sich die Loyalität des Adels, indem er diesem weitgehend die kommandierenden Ränge überließ, ihm mithin ein Handlungsfeld reservierte, das der adligen Ehre zuträglich war.95 Diese Begünstigung war funktional für den Staat, denn die inkorporierte Autorität adliger Kommandeure war der Durchsetzung von Gehorsam im Militär dienlich.96 Erst in der jüngeren Forschung wird der Tatbestand stärker thematisiert, dass Patronage auch in den vermeintlich formal durchstrukturierten Heeren der Frühen Neuzeit allgegenwärtig war. Auch das Militär war damit ein von unterschiedlichen sozialen Normen durchzogenes Handlungsfeld. Patronage war dabei in den meisten Fällen kein systemwidriger Fremdkörper im Militär, sondern stützte es; wir haben es also zumindest zum Teil mit einem Fall von Normenkonvergenz zu tun. Die Rekrutierung von Soldaten erfolgte oftmals unter Zuhilfenahme der Klientel des Führungspersonals, und die Beziehungen zwischen Kommandierenden und niederen Rängen hatten oftmals den Charakter von Patron-Klient-Beziehungen. Selbst im vermeintlich straff top-down organisierten preußischen Heer nutzten Obristen ihre Kompetenzen zur Stellenvergabe und die Verfügung über die Ressourcen ihres Regiments als Patronageressourcen. Die Krone selbst, und dies auch noch unter Friedrich II., betrachtete Offiziersstellen als ein Patronagemittel, das eingesetzt wurde, um beispielsweise kleinere Reichsstände als Verbündete zu gewinnen. Die Vergabe von Offiziersstellen war damit stark an die dynastischen und politischen Interessen des Herrschers gebunden, wobei militärische Kompetenzen mitunter außer Acht gelassen wurden. Dies war für den eigentlichen Zweck des Militärs, die Bereitschaft zum Krieg, so lange nicht dysfunktional, wie der größere Teil des Führungskaders tatsächlich über militärische Kompetenzen und die Autorität zu kommandieren verfügte, während der kleinere Teil dem Zweck des Aufbaus und der Pflege einer Klientel im Reich diente.97 Ähnliche Befunde liegen auch für das französische Heer unter Ludwig  XIV. vor.98 Eine strikt leistungsorientierte Postenvergabe und Beförderungspraxis scheint sich in den europäischen Heeren erst im späten 18. Jahrhundert nach und nach durchgesetzt zu haben, wobei die technischen Bereiche des Militärs dabei Vorreiter waren; sie galten auch als weniger vornehm und hatten einen vergleichsweise geringen 94 Asch: Nobilities; Zmora: Monarchy, 6. 95 Asch: Nobilities, 1 ff. 96 G. Schmidt: Voraussetzung, 447. 97 Winkel: Netz. 98 Rowlands: Patronage.

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Adelsanteil.99 Jay Smith hat für das 18. Jahrhundert in Europa eine generelle Tendenz zur Bürokratisierung des Militärs ausgemacht. Im französischen Militär habe die Ministerialbürokratie seit dem Spanischen Erbfolgekrieg zunehmend die Vergabe von Posten, Ehrungen und Pensionen übernommen, während die personale Bindung des Offiziers an den König in Konkurrenz zu einem auf das Vaterland ausgerichteten Dienstethos oder einer berufsmäßigen Auffassung des Militärdienstes getreten sei.100 Zumindest der Tendenz nach wären demnach zum Ende der Frühen Neuzeit soziale Handlungserwartungen im Militär auf dem Rückzug, wenn auch noch keineswegs verschwunden, wie allein schon der hohe Anteil des Adels in den militärischen Führungsrängen über Ende des Ancien Régime hinaus bezeugt.

Korruption Wir haben gesehen, dass die Überlagerung sozialer und gemeinwohlorientierter Normen im Fürstendienst neben Konvergenzen Widersprüche zwischen Dienstreglements und Formalisierungsregeln einerseits und der von sozialen Bindungen und Verhaltenserwartungen geprägten Praxis andererseits schuf. Akteure im Fürstendienst und Fürsten selbst mussten folglich soziale und gemeinwohlorientierte Handlungsanforderungen austarieren; vollkommen ausweichen konnten sie keinem der beiden Normensysteme. Dabei entstanden von Ambiguität geprägte Handlungsfelder, in denen, wie nun zu zeigen sein wird, vor allem die Frage des Maßes, der Art des Abgleichs unterschiedlicher Normen darüber entschied, ob Handeln von Amtsträgern als legitim erschien oder nicht. Mit „Maß“ ist wohlgemerkt kein fester Wert gemeint, sondern eine je nach Kontext von der sozialen Umwelt oder Öffentlichkeit empfundene Größe. Es lässt sich demnach ein solches Maß zwar nicht quantifizieren, aber doch die Kommunikation über die Frage nachvollziehen, was als maßvoll und was als maßlos empfunden wurde. Ob Begünstigungen als maßlos wahrgenommen wurden, war auch eine Frage der Deutungsmacht, die keinesfalls immer an der Seite der politischen Macht zu finden war, wie noch zu erläutern sein wird. Wenn aber patrimoniale Amtsführung ein insgesamt funktionaler, der Staatsbildung und der Arbeit von Verwaltungen alles in allem zuträglicher und damit weithin akzeptierter Verhaltensstil war, kann dann unter solchen gesellschaftlichen Umständen von Korruption überhaupt die Rede sein? Einige Vertreter der historischen Korruptionsforschung haben argumentiert, dass erst im Übergang zur Moderne die Ausschaltung sachfremder, aus personalen Beziehungen herrührender Normen aus dem Verwaltungshandeln 99 Vgl. z. B. zum kursächsischen Heer Dethloff: Offizierskorps, 126. 100 Smith: Culture; zusammenfassend Wrede: Adel, 452.

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möglich gewesen sei und damit erst seither eine konsequente Trennung zwischen der öffentlichen und der privaten Handlungssphäre habe herbeigeführt werden können. Diese „Unschuldsthese“ geht davon aus, dass in der Frühen Neuzeit soziale Bindungen noch so selbstverständlich in das Amtshandeln hineingewirkt hätten, dass es an Unrechtsbewusstsein und an Skandalisierungspotenzial bei derartigen Normenkonflikten gefehlt habe. Korruption in der Moderne wird in dieser Perspektive folgerichtig als Ausdruck eines Modernisierungsdefizits verstanden und als Rückfall in vormodernes Verhalten gewertet. Sie trete auf, wenn vormals alltägliche und weithin akzeptierte Handlungsweisen unter einem veränderten Normenhorizont weitergeführt würden, in dem sie keine Legitimität mehr beanspruchen könnten und strafbare Handlungen darstellten.101 Vertreter der „Adaptionsthese“ sehen Korruption als Übergangsphänomen eines Modernisierungsprozesses, der sich durch funktionale Differenzierung ausgezeichnet habe. In dessen Verlauf seien strengere moralische, rational begründete Standards an Amtsträger gerichtet worden, an welche diese erst einmal hätten gewöhnt werden müssen. Korruption steige unter derartigen Bedingungen unweigerlich an, bis die neuen Standards durchgesetzt seien, der öffentliche Handlungsraum mithin von sozialen Handlungserwartungen im Sinne einer Disambiguierung gereinigt worden sei.102 Auch Zeitgenossen in der Sattelzeit haben auf diese Weise argumentiert, etwa im England des späten 18. Jahrhunderts. Reformkräfte forderten, Bereicherungspraktiken lokaler Eliten und die Vergabe von Sinekuren mit grundlegenden politischen Reformen zu überwinden.103 Auf diesen Wandel wird im Teil zur Sattelzeit zurückzukommen sein. Aus diesen Debatten zu schließen, dass erst im Übergang zur Moderne von Korruption die Rede sein könne, erscheint jedoch voreilig. Gegen eine solche Annahme spricht allein schon die Existenz zahlreicher Korruptionsdebatten seit dem hohen Mittelalter; sie konnten sich auf die Definition von Straftatbeständen wie Bestechung und Eidesleistungen durch Amtsträger beziehen, die schwören mussten, keine Unterschlagungen zu begehen und keine Geschenke anzunehmen.104 Dieser Befund stellt auch die Adaptionsthese in Frage, erscheint eine vom hohen Mittelalter bis in die Sattelzeit angesetzte Übergangsperiode von weit über 500 Jahren doch sehr weit gestreckt. Hinzu kommt, dass Korruptionsdebatten auch noch im 21. Jahrhundert und mit keineswegs verminderter, 101 van Klaveren: Erscheinung; J. C. Scott: Corruption. Kritisch diese Positionen zusammenfassend Engels: Politische Korruption in der Moderne, 321 ff.; Patzelt: Konkurrenz und Korruption, 83 f. 102 Treml: Korruption, 255; Waquet: Corruption, 7 ff. 103 Harling: Rethinkung; Harling: Waning; Hellmuth: Why Does Corruption Matter?; Rubinstein: End. 104 M. Isenmann: Korruption, 209 ff.; Waquet: Corruption, 12.

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sondern vielmehr vor allem seit den 1990er Jahren verstärkter Intensität geführt werden, ja Korruption seither in vielen Gesellschaften als ein ubiquitäres Phänomen wahrgenommen wird.105 Setzen wir also noch einmal neu an, und zwar, indem wir den Blick auf die Kritik an sozialer Verflechtung von Eliten und daraus hervorgehenden Begünstigungspraktiken richten, ausgehend von der Feststellung, dass Begünstigungen, die sich aus sozialer Verflechtung ergaben, einerseits oft offen und keineswegs verschämt gewährt wurden, aber andererseits von einigen Zeitgenossen auch nicht einfach als selbstverständlich hingenommen wurden. Günther ­Wassilowsky hat am Beispiel von Kritik an Begünstigungs- und Bereicherungspraktiken der römischen Elite im 17. Jahrhundert darauf hingewiesen, dass selbst in einem soziopolitischen System, in dem die Begünstigung von Verwandten oder Klienten geradezu ostentativ betrieben wurde, eine „(partielle) Inakzeptanz von Verflechtung“ zu konstatieren sei.106 Korruption wurde dementsprechend als deviante und kriminelle Praxis auch in der Vormoderne wahrgenommen, wenn auch nur selten unter diesem Begriff. Korruption kann es immer dann geben, wenn es die Vorstellung eines Handlungsbereichs des Öffentlichen gibt, für den andere Regeln als für den des Sozialen definiert werden.107 Dann können diese Regeln als Verhaltensmaßstäbe herangezogen werden, um das Handeln von Amtsträgern zu bewerten. Das heißt noch nicht, dass diese Regeln absolute Gültigkeit erlangen, sondern vielmehr, dass sie sich neben den sozialen Handlungserwartungen etablieren – genau das war in der Frühen Neuzeit der Fall. Amtshandeln wird damit ein Feld der Normenkonkurrenz. Die Koexistenz sozialer und gemeinwohlorientierter Normen im Handeln im öffentlichen Raum bzw. Dienst war keine gelassen hingenommene Selbstverständlichkeit, und sie war zwar auch, aber keineswegs immer und unter allen Umständen funktional. Sie war Anlass für Debatten über korrekte Amtsausübung, führte bisweilen zum Sturz oder gar zur Hinrichtung von Amtsträgern und löste politische Dynamiken und Revolten bis hin zum Umsturz der herrschenden Ordnung aus. Korruptionsdebatten können daher als Paradefall vormoderner Normenkonkurrenz herangezogen werden, denn in ihnen manifestierten sich Widersprüche als Folge der Überlappung von Handlungsfeldern, welche die Zeitgenossen unter bestimmten Umständen nicht hinzunehmen bereit waren. Zu diskutieren sein wird auch, inwieweit Korruptionsdebatten grundlegende gesellschaftliche und politische 105 Vgl. den historisch vergleichenden Entwurf einer Geschichte der Korruption von Jens Ivo Engels, der von der Frühen Neuzeit bis in das 20. Jahrhundert reicht: Engels: Geschichte. Zur Intensivierung von Korruptionsdebatten in den letzten drei Jahrzehnten: Engels: Alles nur gekauft?, 143 ff. 106 Wassilowsky: Vorsehung, 72. 107 Schuller: Probleme, 373 f.

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Dynamiken auslösten, bis hin zur Veränderung des soziopolitischen Systems insgesamt, oder ob sie eher Begleiterscheinungen eines relativ stabilen Systems von Normenkonkurrenz waren, dessen Widersprüche sie sichtbar machten, aber nicht überwanden. Zunächst aber ist der Begriff Korruption zu klären, wobei eine Definition zu finden ist, die auch für den vormodernen Normenhorizont geeignet ist. Die gängigste Definition lautet: „Korruption ist der Mißbrauch eines öffentlichen Amtes zum privaten Nutzen.“108 Für die Vormoderne ist sie aus zwei Gründen problematisch: Einerseits setzt sie die Existenz zweier getrennter Sphären voraus, des Öffentlichen und des Privaten. Wie wir bereits gesehen haben, bestand eine klare Abgrenzung derartiger Sphären im System personaler Herrschaft nicht. Andererseits stellt sie die korrekte Amtsausübung der illegitimen Nutzbar­machung des Amtes durch den Amtsträger gegenüber. Sie blendet damit aus, dass ein A ­ mtsträger, der Personen, die ihm sozial nahestehen, begünstigt, dies nicht unbedingt aus Gründen der eigensüchtigen Vorteilsnahme tut, sondern auch manifeste soziale Verpflichtungen dahinterstehen können. Die Standarddefinition ergreift einseitig Partei für die staatlich-öffentliche Perspektive. Sie lässt außer Acht, dass Begünstigung unter den Bedingungen frühneuzeitlicher Normenkonkurrenz nicht nur Devianz war, sondern auch aus legitimen Erwägungen erfolgen konnte. Wenn, um nochmals auf Günther Wassilowsky zu rekurrieren, Verflechtung partiell inakzeptabel war, dann bedeutet das auch, dass sie je nach Umständen durchaus akzeptiert wurde, also nicht per se illegitim war. Auch der Ansatz einer sehr weit gefassten, die Begriffe öffentlich und privat vermeidenden Definition auf der Basis des Agent-Prinzipal-Modells führt nicht weiter. Die Vertreter dieses Modells argumentieren, dass ein Amtsträger, der Agent, von seinem Dienstherrn, dem Prinzipal, in seine Position gesetzt wurde und in dessen Auftrag Macht verliehen bekommt, die er regelgerecht, definierten Pflichten gemäß, auszuüben hat. Zwischen beiden besteht also ein Vertrag, den der Agent verletzt, wenn er einen Dritten, im Modell Klient genannt, regelwidrig begünstigt und damit seine Macht missbraucht. Korruption ist demnach die Verletzung des Vertrags zwischen Prinzipal und Agent.109 Das Problem dieses Ansatzes ist seine Unterkomplexität, geht er doch von einem isoliert zu betrachtenden Verhältnis zwischen einem Prinzipal und seinem Agenten aus. Er berücksichtigt nicht die Konstellation des Auftretens mehrerer konkurrierender Prinzipale, denen sich vormoderne Amtsträger häufig gegenübersahen.110 Ein Diplomat etwa stand seinem eigentlichen Dienstherrn, dem für ihn z­ uständigen 108 Engels/Fahrmeir/Nützenadel: Einleitung, 11; vgl. auch Noack: Politische Korruption, 6. 109 Graeff: Prinzipal-Agent-Modelle; zusammenfassend: Grüne: Ansätze, 21. Angewendet wurde dieses Modell in Gorißen: Korruption; Suter: Korruption. 110 Kerkhoff et al.: Dutch Political Corruption, 445; Welskopp: Korruption, 222.

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Staatssekretär oder Minister, und gegebenenfalls noch einem Patron bei Hof gegenüber und war darüber hinaus zudem noch – im Sinne sozialer Normen legitimerweise – Agent für seinen Familienverband. Für die Frühe Neuzeit erscheint ein die Grundsituation der Normenkonkurrenz berücksichtigender konstruktivistischer Korruptionsbegriff geeigneter. Er geht von Korruption als einem historisch wandelbaren Bewertungsphänomen aus; die Definition von Korruption muss demnach jeweils an die untersuchte Epoche und die herrschenden gesellschaftlichen und normativen Verhältnisse angepasst werden.111 Demnach ist Korruption ein als illegitim wahrgenommenes Verhalten eines Amtsträgers, der über das akzeptable Maß hinaus die Ressourcen, über die er in seiner Amtsposition verfügt, zu partikularen Zwecken verausgabt. Mit Ressourcen sind nicht nur monetäre Mittel, sondern auch Wissen über amtliche Vorgänge, Entscheidungskompetenzen und Einfluss auf Stellenvergaben gemeint. Unter Verausgabung zu partikularen Zwecken ist die Verwendung von öffen­tlichen Ressourcen zugunsten von Empfängern zu verstehen, die diese Ressourcen nicht aufgrund ihrer amtlichen Rolle oder aufgrund von abstrakten Kriterien der Ressourcenvergabe erhalten, sondern infolge sozialer Nähe und Verpflichtung oder aber auch schlicht zur eigenen Bereicherung. „Das akzeptable Maß“ stellt keine eindeutig zu bestimmende Größe dar, sondern die Wahrnehmung von Maßlosig­keit durch Dritte, die stark von den jeweiligen Rahmenbedingungen und vom Verhältnis der wahrnehmenden Personen zum Amtsträger abhing. Korruption wurde demnach zum einen als individuelles Fehlverhalten gewertet; dabei galt in aristotelischer Tradition, dass ein an sich tugendhaftes Verhalten (etwa die Förderung von sozial Nahestehenden) durch Maßlosigkeit in Untugend bzw. in christlicher Diktion in Sünde umschlagen konnte. Der von seinen Leidenschaften beherrschte Mensch neigte demnach dazu, das richtige, tugendhafte Maß zu missachten.112 Korruption konnte aber, ebenfalls in antiker Tradition, über den individuellen Sündenfall ­hinaus als auch systemisches ­Problem betrachtet werden im Sinne eines allgemeinen sittlichen Verfalls und einer Krankheit des politischen Körpers.113 Diese Vorstellung war einerseits mit dem christlich-augustinischen Geschichtsbild kompatibel, nach dem der sündhafte Mensch die von Gott geschaffene Welt nur verschlechtern könne und diese sich mithin in einem steten Niedergangsprozess befinde.114 Seit dem 16. Jahrhundert ist dieses Korruptionsverständnis auch im Sinne des Verfalls von Institutionen und Staatswesen nachweis­bar. Korruption wurde damit zu einem Argument für politische Oppositionsbewegungen. Die Fronde, die vor allem vom Adel ­getragene 111 Vgl. hierzu die Überlegungen in: Engels: Geschichte, 18. 112 Waquet: Corruption, 87. 113 Bluhm/Fischer: Einleitung, 10 ff.; Euben: Corruption, 220; Steiert: „Korruption“. 114 Schäufele: Zur Begrifflichkeit, 20 ff.

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Aufstandsbewegung gegen Jules Mazarin, seine Steuerpolitik und seine Zentra­ lisierungsbestrebungen, bediente sich beispielsweise dieser delegitimierenden Argumentationsfigur.115 Korruption konnte auch als Verletzung religiöser Normen begriffen werden, weshalb Korruptionskritik und Gesetze oder Verordnungen gegen Korruption mitunter auch religiös begründet wurden; die Antikorruptionsgesetzgebung im nachreformatorischen Bern etwa rekurriert auf die göttliche Ordnung, die durch korrupte Praktiken verletzt werde. Hier liegt ein Fall von Normenkonvergenz vor: Die gesetzliche Norm wird durch Berufung auf religiöse Standards verstärkt.116 Das Prinzip reformierter Selbstheiligung scheint für solche Formen der Überlagerung religiöser und gemeinwohlorientierter Normen besonders gute Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten, wie bereits am Beispiel der Außenverflechtung reformierter Städte gezeigt wurde. In frühneuzeitlichen Korruptionsdebatten manifestiert sich die Ambivalenz von Patronage und Verwandtenförderung: An sich akzeptierte Praktiken werden unter bestimmten Bedingungen als korrupt kritisiert. Infolge der Verschränkung der Handlungsfelder des Sozialen und des Politischen lassen sich keine klaren Grenzen zwischen Patronage, Schenkkultur und Korruption ziehen. Doch lassen sich drei Kriterien identifizieren, die geeignet sind, Konturen in diesen Graubereich zu bringen und die erklären, warum es bisweilen zu einem Umschlag von der Akzeptanz bestimmter Praktiken zu ihrer Kriminalisierung kam. Erstens ist das bereits genannte Kriterium des Maßes zu nennen. Korruptionsdebatten entstanden häufig, wenn Akteure den Eindruck hatten, dauerhaft und systematisch von Ressourcen, vor allem Ämtern, ausgeschlossen zu sein, während andere aufgrund ihrer sozialen Nähe zu denjenigen, welche die Verteilungsmacht über diese Mittel hatten, bevorzugt wurden. Dabei stand dann weniger der Einsatz von Patronage an sich in der Kritik als vielmehr ihr als maßlos wahrgenommener Umfang und die daraus resultierende Ungerechtigkeit. In Amsterdam etwa brach 1676 ein Konflikt über die Ämterverteilung aus, weil sich Teile der städtischen Elite durch eine herrschende Faktion von der Ämtervergabe weitgehend ausgeschlossen sahen. Die benachteiligten Gruppen nutzten eine Debatte über das Verteilungssystem der Ämter für Korruptionsvorwürfe, waren aber bereits im folgenden Jahr wieder zufriedengestellt, als ihnen ein verbessertes System bessere Chancen bot. Die Ämter wurden vor wie nach diesem Konflikt innerhalb einer herrschenden Ratsoligarchie verteilt; der Unterschied lag darin, dass die Begünstigung im neuen System breiter gestreut war und damit akzeptabel erschien. Auch für Hamburg sind derartige Konflikte untersucht worden. Wie in Amsterdam zielten Neuregelungen der Ämtervergabe dort nicht darauf, Patronage bei der Ämtervergabe auszuschalten und das oligarchische Regierungssystem zu 115 Gembicki: Corruption, 10 und 15 f. 116 Schmitz: Normenkonkurrenz, 67.

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überwinden, sondern waren vielmehr geeignet, den Kreis der Profiteure innerhalb der Oligarchien auszuweiten. Damit wurde das herrschende System letztlich stabilisiert.117 Das Muster, dass das Ausmaß von Patronage, nicht aber Patronage an sich kritisiert wurde, findet sich in frühneuzeitlichen Korruptionsdebatten relativ häufig. Am Beispiel der Günstlingsminister wird es im folgenden Kapitel noch weiter zu diskutieren sein. Zweitens ist ein weiteres Kriterium, das für die Wahrnehmung einer Handlung als korrupt relevant war, die Heimlichkeit. Wenn Patronage legitim war, dann konnte sie öffentlich sichtbar erfolgen, ja sie wurde mitunter geradezu demonstrativ betrieben. Denn die Rollen als Patron wie als Klient waren im Prinzip ehrzuweisend und sollten daher auch sichtbar sein. Im Umkehrschluss galten geheim geleistete Begünstigungen als verdächtig. Valentin Groebner hat am Beispiel oberdeutscher und eidgenössischer Städte des Spätmittelalters dargelegt, dass es zumindest dort eine begriffliche Unterscheidung zwischen legitimen, öffentlich überreichten Gaben gab und solchen, die heimlich den Besitzer wechselten. Erstere wurden als schenck bezeichnet. Bei ihnen handelte es sich um Geschenke, die Amtleuten zum neuen Jahr, aufgrund besonderer Anlässe oder in Anerkennung besonderer Leistungen übergeben wurden; sie wurden zuweilen sogar penibel in Stadtrechnungen vermerkt. Diese Art von Gaben leitete keinen Gabentausch ein, sondern diente zumeist der Anerkennung des Rangs und des Amtes des Beschenkten; oder sie war als Gebühr für bestimmte amtliche Dienstleistungen zu verstehen, die aber in der Regel nicht als illegitime Begünstigungen galten. Sie machten einen beträchtlichen Teil des Einkommens der Amtsträger aus. Als nicht akzeptabel galten hingegen die heimlich übergebenen miet, worunter Gaben zu verstehen waren, für die eine Gegenleistung erwartet wurde und die in der Regel heimlich geleistet wurden. Sie als Amtsträger anzunehmen und sich auf diesen verborgenen Gabentausch einzulassen, bedeutete Verrat am gemeinen Gut und bedrohte die Ordnung insgesamt.118 Groebners Beispiele beziehen sich allerdings auf Kommunen der Eidgenossenschaft, in denen, wie bereits dargelegt, ein besonders strenger Gemeinwohldiskurs dominierte, der Kritik an Patronage von Amtspersonen und ostentativem Statuskonsum von sozialen Eliten begünstigte. Während Heimlichkeit als Kriterium für Illegitimität auch andernorts zu finden war, war die Akzeptanz gabentauschbasierter Patronagebeziehungen von Amtsträgern andernorts größer. Drittens galten ad hoc geleistete Zahlungen, die nicht als Teil einer schon länger andauernden Sozialbeziehung zu verstehen waren, grundsätzlich als verdächtig. Denn sie konnten schwerer mit sozialen Verpflichtungen legitimiert werden und ihnen fehlte der legitimierende Anstrich der Anciennität der bewährten 117 Lindemann: Politics; zusammenfassend: Engels: Geschichte, 76 f. 118 Groebner: Angebote; ders.: Geschenke, 122; vgl. auch Ludwig: Verwaltung, 193 f.

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­ ertrauensbeziehung. Der für die Patronagekultur zentrale Wert der Treue hatte bei V ad hoc geleisteten Geldgeschenken offenkundig keine Bedeutung; damit lag der Verdacht des Erkaufens von Vorteilen sehr nahe. Geldgeschenke galten in den meisten Zusammenhängen auch als Verehrungsleistungen als unangemessen. Der marktförmige Charakter monetärer Leistungen, sofern sie nicht die Form einer regelmäßig gezahlten Pension hatten, war mit dem Ethos der Patronage unvereinbar.119 Auch wenn sich somit Kriterien identifizieren lassen, nach denen die Legitimität von Gaben für Amtsträger bewertet wurde, so bleibt doch festzuhalten, dass Gaben zumeist mehrdeutig waren. In frühneuzeitlichen Patronagekulturen war es selbstverständlich, dass Gaben verpflichteten. Dies war an sich kein skanda­löses Faktum, sondern ein legitimes Prinzip der Vertrauensbildung in personalen Beziehungen. Gaben für Amtsträger ließen sich damit in den meisten Fällen, je nach Umständen mehr oder weniger überzeugend, auf der Grundlage des sozialen Normensystems rechtfertigen. Umgekehrt aber konnte jede Gabe an einen Amtsträger auch als illegitimer Versuch der Beeinflussung und Vorteilsnahme gewertet werden. Das war für die betroffenen Amtsträger aus verschiedenen Gründen gefährlich. Denn der Patronagediskurs war – für soziale Normen typisch – ein impliziter, sich aus dem Wissen um soziale Verhaltenserwartungen ergebender Diskurs. Patronage wurde praktiziert, die mit ihr verbundenen Verhaltenserwartungen wurden weitgehend akzeptiert, und Patronage war in den Handlungen von Akteuren auch öffentlich sichtbar. Doch sie wurde über diese Sichtbarmachung hinaus kaum thematisiert und so gut wie gar nicht theoretisch reflektiert. Anders der gemeinwohlorientierte Diskurs: In Schriftmedien, vor allem Traktaten, äußerten sich gelehrte Autoren über die normativen Anforderungen an Amtsführung. Gesetze und Ordnungen regelten mehr oder weniger detailliert (und nicht immer realistisch) Standards des Handelns in öffentlichen Ämtern.120 Der öffentliche Diskurs war damit von Standards der Perfektion bestimmt, die überwiegend nicht eingehalten wurden, wohl aber von Fall zu Fall eingefordert werden konnten. Damit aber war Patronage im öffentlichen Diskurs nur schwer zu verteidigen, doch von denjenigen, die sich durch sie benachteiligt glaubten, umso leichter zu kritisieren. Aus diesem Befund ist geschlossen worden, dass sich bereits in der Frühen Neuzeit eine Hierarchie der Normensysteme entwickelt habe: Amts- und gemeinwohlorientierte Normen seien den sozialen Normen übergeordnet gewesen.121 Dieser Eindruck mag allerdings vor allem dadurch entstehen, dass gemeinwohlorientierte Normen in der historischen Forschung besonders leicht zugäng­lichen Druck­medien propagiert wurden, wohingegen sich die Bedeutung ­sozialer N ­ ormen 119 Engels: Politische Korruption in der Moderne, 320 ff.; Engels: Geschichte, 78. 120 Grüne: Ansätze, 26; Grüne/Tölle: Corruption, 50. 121 Grüne: Ansätze, 33; Slanička: Erziehung.

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vor allem aus der aufwendigen Rekonstruktion der sozialen Praxis erschließt. Außerdem ist zu bedenken, dass auch im öffentlichen Diskurs in der Regel nicht die Patro­nage an sich kritisiert wurde, sondern ihr Missbrauch zulasten des Gemeinwohls. Und selbst wenn diese Kritik bisweilen so weit ging, dass Patronage ­angesichts der geforderten gemeinwohlorientierten Perfektion im Verhalten von Amtsträgern nicht mehr praktizierbar gewesen wäre, so hatte sie diese Wirkung eben gerade nicht: Korruptionskritik, so grundsätzlich sie mitunter auch geäußert wurde, drängte zumindest bis weit in das 17. Jahrhundert Patronage bzw. die Autorität sozialer Normen nicht entscheidend zurück. Amtshandeln blieb von der Koexistenz sozialer und gemeinwohlorientierter Normen gekennzeichnet, und dies in allen Konfessionskulturen, von der römischen Kurie bis zu Verwaltungen in den Niederlanden.122 Es scheint, dass allein die beschriebene Konvergenz religiöser und gemeinwohlorientierter Normen, wie sie in den kommunalen Kulturen reformierter Städte in der Eidgenossenschaft zu finden ist, dort wenigstens zeitweise die Akzeptanz von Patronage im öffentlichen Raum deutlich verminderte. Korruptionskritik war gleichwohl überall eine scharfe Waffe im Ringen um Posten und Einfluss, denn mit ihr konnten Gegner angeschwärzt und bisweilen aus dem Amt getrieben werden. Für einzelne Amtsträger konnte es sehr gefährlich werden, wenn sie mit einem Mal an den Verhaltensstandards des Perfektionsdiskurses gemessen wurden, hinter dem ja schriftlich fixierte Rechtsquellen und oft auch noch eine Eidesleistung standen. Ein Beispiel aus der Diplomatie illustriert diese Fährnisse: Gastón de Moncada, Marqués de Aytona, war 1606 als spanischer Botschafter an den Heiligen Stuhl berufen worden. Zwei Jahre später stand er auf diesem Posten der familienorientierten Personalplanung des Günstlingsministers des spanischen Königs, des bereits erwähnten Herzogs von Lerma, im Weg, der seinem Neffen, Francisco Ruiz de Castro, Conde de C ­ astro, diesen Posten zu verschaffen wünschte. Es kam ihm daher nicht ungelegen, dass zu dieser Zeit Gerüchte aus Rom an den spanischen Hof getragen wurden, Aytona schmeichle sich beim Papst ein, um für seine Verwandten Vorteile zu erheischen – die Kardinalswürde für seinen Bruder und eine Heiratsdispens für seinen ältesten Sohn. Aytona wurde vorgeworfen, er sei dem Papst in Jurisdiktionsstreitigkeiten zwischen Kirche und Staat in Hoffnung auf die genannten Vergünstigungen entgegengekommen und habe damit die spanische Position in dieser für die Krone sehr wichtigen Frage geschwächt. Inwieweit diese Vorwürfe zutrafen, ist unklar. Die Effektivität und auch Perfidie derartiger Gerüchte lagen darin, dass sie selten völlig substanzlos waren. Denn es war üblich, ja Teil des Systems, dass Botschafter in Rom beim Papst Vergünstigungen für ihre Angehörige erbaten. Indem Gesandten ein gewisser Freiraum zur Bereicherung an den vor Ort v­ erfügbaren 122 Kerkhoff: Corruption in the Netherlands, 91.

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Ressourcen gewährt wurde, blieb, wie bereits erläutert, der kostenträchtige diplomatische Dienst für Adlige attraktiv. Doch indem sie diesen Freiraum ausnutzten, verletzten sie die Regeln perfekter Dienstausübung, wie sie in Traktaten und Instruktionen gefordert wurde. Aytona entging einer Bestrafung und fiel auch nicht in Ungnade, doch seine Versetzung als Vizekönig nach Sizilien im Jahr 1609 und die Entsendung des Neffen des Günstlingsministers auf den römischen Botschafterposten wurden durch diese vermutlich inszenierte Affäre erleichtert.123 Ob eine Handlung als korrupt bewertet wurde oder nicht, hing in derartigen Fällen wesentlich von den Machtverhältnissen ab. Die Streuung von Gerüchten oder gar Korruptionsanklagen sind in vielen Fällen weniger als Hinweis darauf zu verstehen, dass eine bestimmte Person sich in besonders auffälliger Weise korrupter Praktiken schuldig gemacht hatte, sondern eher das Zeichen mangelnden Schutzes durch einen mächtigen Patron. Verloren Faktionen bei Hof an Einfluss, so zeigte sich dies nicht selten darin, dass deren Angehörige sich Korruptionsvorwürfen ausgesetzt sahen.124 Mitunter traten neue Hoffaktionen oder die neuen maßgeblichen Personen im Umfeld eines neu auf den Thron gelangten Herrschers mit dem Anspruch auf, die Korruption ihrer Vorgänger zu beseitigen, um so neuen politischen Projekten und ihrer Personalpolitik Legitimität zu verleihen.125 An der Praxis der Verwandtenbegünstigung durch Amtsträger änderten derartige Vorgänge auch auf längere Sicht wenig. Zu stark waren die Erwartungen von Angehörigen, Klienten und Freunden, aus der Dienstposition eines ihnen sozial nahestehenden Akteurs Vorteile zu gewinnen, während diese Form der Bereicherung staatlicherseits zumeist toleriert wurde.126 Auf dieser informellen und impliziten Ebene waren es nicht die gemeinwohlorientierten, sondern die sozialen Normen, welche die Oberhand behielten, und zwar auch deshalb, weil dies für den Fürstendienst letztlich funktional und der Staatsbildung dienlich war. Wie wenig der gemeinwohlorientierte Antikorruptionsdiskurs Praktiken zu ändern vermochte, zeigt vor allem das heikle Feld der Richterbestechung. Richter als Vertreter des Fürsten in seiner Rolle als Wahrer des Rechts standen in der Verantwortung, ihre Urteile auf der Basis von Gesetzen und Ordnungen zu fällen, dabei allerdings eine Prüfung der (sozialen) Umstände nicht zu unterlassen. Über diese Kasuistik hinaus durfte ihr Urteil aber nicht durch die Parteien in einem Verfahren beeinflusst werden. In England mussten Richter daher schon seit 1344 schwören, keine größeren Geschenke von Verfahrensbeteiligten 123 v. Thiessen: Roles, 55 f. 124 Vgl. Engels: Politische Korruption und Modernisierungsprozesse, 38. 125 Das betrifft z. B. die Thronfolge Philipps IV. von Spanien, dessen Günstlingsminister, der Graf-Herzog von Olivares, sich von dem Vorgängerregime auf diese Weise absetzen wollte. Vgl. Elliott: Count-Duke, 41 ff. 126 Auch das gilt für das Regime von Olivares: Elliott: Count-Duke, 135 ff.

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anzunehmen. Ein Blick auf die Praktiken zeigt gleichwohl, dass diese Standards nicht eingehalten wurden. Richter nahmen routinemäßig Geschenke von Prozessbeteiligten – nicht selten von beiden Parteien – an. Damit brachen sie ihren Eid, sicherten sich aber ein ausreichendes Einkommen, denn diese Geschenke machten angesichts des relativ kärglichen, von der Krone gezahlten Salärs einen erheblichen Teil ihrer Einnahmen aus. In vielen Fällen war diese Praxis so selbstverständlich, dass tatsächlich davon ausgegangen werden kann, dass die Gaben als Respektsbekundung vor ihrem Amt angesehen wurden und die Urteilsfindung nicht beeinflussten. Das Faktum des Bruchs des Eides ist gleichwohl nicht von der Hand zu weisen.127 Auch die Richter des Reichskammergerichts empfingen regelmäßig Geschenke von den Prozessparteien, die als symbolische Anerkennung ihrer Autorität zu verstehen waren, doch konnte die Annahme dieser Gaben ebenso als Bestechlichkeit interpretiert werden und sie war in diesem Verständnis ein schweres Vergehen.128 Im Fall der Beschenkung von Richtern ignorierten sowohl die Gebenden wie auch die Nehmenden bewusst dieser Handlung explizit entgegenstehende Normen, womit ein durch Eid bekräftigtes Verbot über Jahrhunderte ständig umgangen wurde. Ausgeprägte Ambiguitätstoleranz nimmt in diesen Fällen die Form organisierter Heuchelei 129 an. Damit drängt sich die Frage auf, aus welchen Gründen sich diese Konstellation des Ignorierens einer Normenkollision über einen so langen Zeitraum halten konnte. Es ist mit anderen Worten die Systemfunktionalität korrupter oder doch wenigstens ambivalenter Praktiken zu diskutieren. Die Korruptionsforschung weist schon seit längerem darauf hin, dass Korruption eine Ventilfunktion habe: Bestimmte gesellschaftliche Bedürfnisse, die für den Zusammenhalt der Sozial- oder Staatsordnung von Bedeutung seien, könnten nur in der Illegalität oder unter Ausnutzung mehrdeutiger Grauzonen befriedigt werden.130 Wie wir bereits in den Kapiteln über die Amtsträger gesehen haben, war das Angewiesensein von Amtsträgern auf zusätzliche, über ihr Salär hinausgehende Einnahmen ein weitverbreitetes Phänomen. In diesen Fällen dienten Korruption und normative Ambiguität sogar der Staatsbildung, denn sie verschafften den Amtsträgern ein ausreichendes Einkommen. Weiterhin ist zu bedenken, dass die soziale Ordnung der Ständegesellschaft Amtsträgern Verhaltensweisen nahelegte, die als Korruption gewertet werden bzw. in Korruption umschlagen konnten. Die soziale Pflicht der Versorgung von Verwandten und Klienten ist bereits genannt worden. Hinzu kommen Vorstellungen über 127 Prest: Corruption. 128 Engels: Politische Korruption in der Moderne, 326. 129 So wertet André Krischer diese Praktiken (Krischer: Korruption, 325). Zu diesem Begriff vgl. das Kapitel „Kasuistik und organisierte Heuchelei“ in Teil 6 dieses Buches. 130 Brauneder: Korruption, 89.

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­ tatuskonsum. Dass Standeszugehörigkeit durch einen entsprechenden Lebensstil S darzustellen war, machte Amtsträger besonders anfällig für korruptes Verhalten. Die soziale Ordnung der Ständegesellschaft begünstigte mithin Korruption in starkem Ausmaß. Solange Sozialordnung und Amtshandeln noch miteinander verschachtelt waren und beispielsweise die Autorität eines Amtsträgers mit seinem sozialen Rang verknüpft war, erschien diese Problematik kaum lösbar – oder anders gesagt: galt sie ambiguitätstoleranten Zeitgenossen als akzeptabel und daher gerade als nicht problematisch, solange sie nicht in Maßlosigkeit umschlug.131 Und solange die Staatsbildung in Kooperation mit sozialen Eliten erfolgte, war das Interesse an einer konsequenten Verfolgung derartiger Praktiken über Einzelfälle hinaus gering. Weiterhin dienten korrupte und ambivalente Praktiken dem Erhalt der gesellschaftlichen Ordnung, und zwar vor allem der Stabilisierung der Stellung von Eliten, aber auch der Versorgung von Niederrangigen mit Ressourcen. Einen besonderen Fall stellen derartige Praktiken im Zusammenhang mit Wahlen dar. Wahlen von Amts- und Würdenträgern setzten Akteure aufgrund ihres ungewissen Ausgangs unter Druck – jedenfalls solange sie geheim abliefen. Wir haben bereits am Beispiel der Konklaven in Rom gesehen, wie Faktionsführer die Geheimhaltung von Papstwahlen blockierten und im Vorfeld von Konklaven die normative Ordnung, die Bestechung verbot, regelrecht kollabierte.132 Wahlen standen in Spannung zu sozialen Bindungen und Normen und brachten Instabilität in die soziopolitische Ordnung, denn mit ihnen wurde die Besetzung von Ämtern und Pfründen vom Zufall des Wahlergebnisses abhängig, statt ein Resultat der Förderung derer zu sein, die sich (idealerweise) in sozialen Beziehungen durch Treue und damit Vertrauenswürdigkeit ausgezeichnet hatten. Dem Argument der römischen Konklavereformer der 1620er Jahre, dass geheime Wahlen der Gemeinwohlorientierung der Wähler dienlich seien und soziale Störfaktoren ausschalteten, stand die Denkfigur entgegen, dass Wahlmanipulationen der Stabilität der politischen und sozialen Ordnung dienten und dementsprechend durchaus als Förderung des gemeinen Besten betrachtet werden könnten. Diese uns fremde Argumentationsweise findet sich besonders markant im frühneuzeitlichen Venedig. Dort wurden Wahlen in einem Umfeld abgehalten, in dem unterschiedliche soziale und politische Interessen aufeinandertrafen. Dem Gesetz nach war Wahlbestechung verboten, während sich die regierende Oligarchie auf das Ideal des buon governo, des gemeinwohlorientierten Regierens berief, das allein sie garantiere. Um das politische System stabil und gemeinwohlorientiert zu halten, sollte eine Machtkonzentration in der Hand einiger weniger b­ esonders 131 Waquet: Corruption, 74 und 83. 132 Siehe in Teil 4, Kap. „Außenverflechtung zwischen langfristigen Bindungen und kurzfristiger Bestechung“.

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einflussreicher Familien und Faktionen allerdings verhindert werden. Es galt, eine Balance des politischen Einflusses verschiedener Gruppen in der Stadt aufrechtzuerhalten. Genau in diesem Punkt aber lag sowohl der Vorteil als auch das Problem geheimer Wahlen: Das venezianische Wahlverfahren war äußerst komplex – es wurde durch das Ziehen von Kugeln in einem zweistufigen Verfahren eine gewisse Anzahl von Kandidaten bestimmt, die dann in einem dritten Schritt per Los für die zu besetzenden Ämter ausgewählt wurden. Dieses Verfahren sollte Begünstigungen verhindern und Legitimität stiften. Allerdings konnte der Zufall der Entscheidung auch dazu führen, dass bestimmte Gruppen in der Stadt einen überproportionalen Einfluss erhielten oder andere für eine Wahlperiode ausgeschlossen waren. Aus diesem Grund wurden die Wahlen im Vorfeld, bei der Auswahl der auf die Kugeln zu schreibenden Namen, manipuliert. Dieses von einer kleinen Gruppe im Geheimen durchgeführte Vorgehen sollte die Balance zwischen den Adelshäusern der Stadt sichern, die Karriereplanungen ihrer Angehörigen vorhersehbarer gestalten und auch den Aufstieg neuer Familien regulieren, deren Ambitionen tatsächlich mitberücksichtigt wurden. Es ging bei den venezianischen Wahlmanipulationen um den Erhalt eines Konsenses. Zu diesem Zweck wurden auch soziale Aufstiegsdynamiken einkalkuliert und damit eine politische Symbiose zwischen mächtigen Adelshäusern, verarmten Familien und Aufsteigern ermöglicht. Wahlkorruption kanalisierte damit in diesem Fall soziale Dynamik ebenso wie politische Partizipationsansprüche und wirkte system­stabilisierend. Dass das vorgeschriebene Verfahren letztlich nur eine Fassade war, war den meisten beteiligten Akteuren bewusst. Grundsätzlich Anstoß daran genommen wurde aber erst zum Ende des 18. Jahrhunderts, als die Wahlmanipulationen als Ausdruck von Dekadenz begriffen wurden.133 Wahlen können auch jenseits der spektakulären Beispiele aus Rom und Venedig als Hotspots von Normenkonkurrenz und Korruption angesehen werden. Stets ging es darum, Zufälligkeiten im Sinne des Stabilitätserhalts einzugrenzen und einen mehr oder weniger fairen Ausgleich zwischen den Kräften zu schaffen, die um die Besetzung einer Stelle rangen. Dabei wurden wie in Venedig Regeln bewusst gebrochen, umgangen oder großzügig ausgelegt. Dies betrifft selbst Pfarrer­wahlen.134 Bei Bischofs- und Koadjutorwahlen im Reich kam noch hinzu, dass von der „richtigen“ Entscheidung mitunter der Fortbestand des Katholizismus in einer Diözese abhing und außerdem mächtige Dynastien nachgeborene Söhne standesgemäß mit der Bischofswürde auszustatten beabsichtigten. Sie konnten darauf pochen, dass ihre Autorität der Sicherung der Konfession zuträglich sei, ein vor allem im Nordwesten des Reichs durchaus plausibles Argument, das die Wittelsbacher sehr erfolgreich einsetzten. Damit befanden sich die ­Wähler 133 Nützenadel: Serenissima corrupta. 134 Dürr: Simonie.

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und ihre Hintermänner im Spannungsfeld zwischen dem Simonieverbot, der ­ esidenzpflicht (wenn sie einen Bischof wählten, der bereits einer oder mehreren R Diözesen vorstand) und ihren soziopolitischen Bindungen an die Dynastien, aus deren Reihen die Kandidaten kamen.135 In allen genannten Beispielen zeigen sich ein weithin fehlendes Schuldbewusstsein und die auffallend große Bereitschaft, selbst offenkundige normative Widersprüche zu übergehen. Die Ursache dieses flexiblen Umgangs oder schlichtweg Ignorierens explizit festgeschriebener Regeln bis hin zur organisierten Heuchelei kann mit der Bedeutung von Perfektionsdiskursen für gemeinwohlorientierte und auch religiöse Normen erklärt werden. Wir haben bereits im Zusammenhang mit den älteren Traktaten zur Diplomatie gesehen, dass diese das Bild eines idealen Gesandten entwarfen, das in vollumfänglicher Umsetzung nicht praxistauglich war. Indes war die Absicht der Traktatautoren auch gar nicht, die Realität der Amtsausübung darzustellen oder praktikable Ratschläge für die alltägliche Amtsausübung zu liefern. Ihnen ging es vielmehr darum, über das disambiguierte Idealbild des gemeinwohlorientierten und auf sein Seelenheil bedachten Amtsträgers auf Rollenkonflikte hinzuweisen. Sie schufen damit einen auch in gesetzlichen Bestimmungen oder Dienstordnungen zu findenden Perfektionsdiskurs, der gewissermaßen als Gegengewicht zu den sozialen Normen, die auf die Dienstausübung einwirkten, zu verstehen ist. Amtsausübung bedeutet in dieser Logik, in Kenntnis beider Diskurse die Balance zwischen den unterschiedlichen Regelsystemen bzw. Handlungserwartungen zu halten. Ein Amt in angemessener Weise auszuüben, bedeutete demnach nicht, konsequent dem gemeinwohlorientierten Normensystem zu folgen – das wäre sogar als maßlos erschienen und war zudem kaum praktikabel, da ja, wie dargelegt, das Besoldungssystem vieler Ämter auf Ergänzung durch Bereicherung angelegt war. Maßlos wäre es auch gewesen, weil die Nichtberücksichtigung der Wünsche sozial Nahestehender durch Amtsträger als Devianz, ja Herzlosigkeit und Mangel an Nächstenliebe wahrgenommen worden wäre. Amtsausübung und das Balancieren zwischen Normensystemen bedeutete folglich, kasuistisch je nach Umständen zu handeln. Für frühneuzeitliche Zeitgenossen war das weniger ungewöhnlich und weniger aufwendig, als dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn sie waren es gewohnt, als Christen der Logik der Kasuistik zu folgen, das heißt die Gebote Gottes so weit zu befolgen, wie es soziale Verhaltenserwartungen zuließen, ohne in den Ruf zu geraten, eine bigotte religiöse „Betschwester“ oder ein „Betbruder“ zu sein. Auch diese religiöse Kasuistik erforderte ein erhebliches Maß an Heuchelei und Ignoranz, denn ­immerhin bedeutete sie, hochgradig legitime und für das eigene Seelenheil relevante Verhaltensgebote fallweise zu ignorieren 135 Grüne: Heuchelei.

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oder abzuschwächen. Aber sie war ein alltäglicher Ausdruck von Ambiguitätstoleranz, wurde letztlich auch vom K ­ lerus akzeptiert und scheint die Gläubigen nicht grundsätzlich zu der Auffassung gebracht zu haben, der Hölle verschrieben zu sein. Wenn demnach sogar Gott ein Auge angesichts der Normenkonkurrenz im irdischen Leben zudrückte, so war es nur angemessen, das Gleiche vom Fürsten oder vom Vorgesetzten im alltäglichen Amtshandeln zu erwarten.

Favoriten Korruptionsvorwürfe und -debatten hatten demnach eine Ventil- und Korrektivfunktion in einem grundsätzlich stabilen System normativer Ambiguität. Nahmen die Zeitgenossen bei Amtsträgern jedoch fortwährende Maßlosigkeit der Begünstigung und der Patronage wahr, konnte sich eine Situation ergeben, in der Patronage- und Korruptionskritik soziale und politische Dynamiken bis hin zu einem Systemwechsel auslöste. Derartige Dynamiken sollen in diesem Kapitel nun abschließend an einem Kreis von Personen dargestellt werden, die solchen Vorwürfen besonders häufig ausgesetzt waren: Vertrauenspersonen des Herrschers, die als Favoriten bzw. Günstlingsminister sowohl über eine herausragende politische Macht als auch über sehr umfangreiche Patronageressourcen verfügten. An ihrem Beispiel lässt sich darstellen, wie stark gerade der fürstliche Hof von Normenkonkurrenz gekennzeichnet war und wo für die Zeitgenossen der Frühen Neuzeit die Grenze des Akzeptablen zwischen legitimer Patronage und Verwandtenförderung einerseits und Korruption andererseits lag. Heiko Droste hat die Wahrnehmung der Illegitimität seiner Stellung als ein Grundmerkmal des Favoriten bezeichnet.136 Günstlingsminister bzw. Favoriten waren Personen, die im Auftrag des Fürsten die Regierungsarbeit und die Ressourcenverteilung koordinierten. Ihre herausragende soziale wie politische Stellung beruhte darauf, dass sie das Vertrauen des Fürsten genossen, über einen weitgehend unbegrenzten Zugang zu ihm verfügten und den Zugang Dritter zu ihm weitgehend zu kontrollieren vermochten.137 Sie übten damit eine Macht aus und hatten eine Herrschaftsstellung inne, die nicht die ihre war, sondern die sie treuhänderisch für den Fürsten ausübten.138 Das war gleichzeitig ihre Stärke und Schwäche: Sie waren von der Gunst des Herrschers abhängig, denn ihre Stellung war kein Amt, sondern ruhte allein auf ihrer B ­ eziehung zum Fürsten, die theoretisch jederzeit beendet werden konnte.139 136 Droste: Favoritendiskurs, 66. 137 Brockliss: Remarks, 279. 138 Tomás y Valiente: Poder, 141. 139 Asch: Schlußbetrachtung, 517 f.

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Starb der Herrscher, folgte der Sturz seines Favoriten zumeist auf dem Fuße.140 Seine Stellung als Vertrauter und Vertreter des Herrschers war im Kern eine informelle, die jedoch so gut wie immer offiziell abgesichert wurde. Dies geschah in fast allen Fällen durch Hofämter, die den ständigen Zugang zum Herrscher erlaubten, oft in Kombination mit Spitzenpositionen in Regierung und Verwaltung.141 Solange ein Favorit das Vertrauen des Herrschers genoss, verfügte er über eine Machtstellung, die ihn aus der Hofgesellschaft heraushob. Er bildete gewissermaßen das Scharnier zwischen dem Fürsten, der Hofgesellschaft und der Regierung und war auch zwischen dem Fürsten und seinen Untertanen insgesamt positioniert. Der Zeitraum von der Mitte des 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts ist als das „klassische Zeitalter des Favoriten“ bezeichnet worden. In dieser Zeit erlangte eine ganze Reihe von Favoriten in den europäischen Monarchien eine Machtposition, welche die ihrer meisten spätmittelalterlichen Vorgänger in den Schatten stellte und welche die Ersten Minister des 18. Jahrhunderts nur in Ausnahmefällen erringen konnten.142 Die prominentesten Beispiele für Günstlingsminister sind in Frankreich Richelieu 143 unter Ludwig XIII . und Mazarin 144 in der Zeit der Regentschaft der Mutter Ludwigs XIV . sowie im ersten Jahrzehnt der Regierung des jungen Königs. Für Spanien sind der Herzog von Lerma 145 unter Philipp III . und der Graf-Herzog von Olivares 146 unter Philipp IV . zu nennen. Prominentestes Beispiel aus England ist George Villiers, seit 1623 Herzog von Buckingham,147 der zum Favoriten Jakobs I. aufgestiegen war und ungewöhnlicherweise seine herausgehobene Stellung auch unter dessen Sohn und Nachfolger Karl I. halten konnte, ehe er 1628 ermordet wurde. Auch im Reich finden sich zahlreiche Beispiele für Favoriten, sowohl des Kaisers als auch von Reichsfürsten.148 Dass im genannten Zeitraum ein Bedarf nach einer derartigen Position entstanden war, gilt als Folge der zunehmenden politischen und administrativen Zentralisierung in den frühneuzeitlichen Fürstenstaaten. Der Aufstieg des F ­ avoriten 140 Asch: Schlußbetrachtung, 523. 141 Asch: Favorit, 25. 142 Asch: Schlußbetrachtung, 529 f.; Bérenger: Enquête; Brockliss: Remarks, 279 f. 143 Bergin/Brockliss (Hrsg.): Richelieu; Bergin: Rise; ders./Brockliss: Introduction, 1 ff.; ­Elliott: Richelieu and Olivares; Moote: Richelieu; Parrott: Army; Ranum: Words; Sturdy: ­Richelieu and Mazarin. 144 Ranum: Words; Sturdy: Richelieu and Mazarin. 145 Feros: Kingship; Gómez Rivero: Lerma; v. Thiessen: Herrschen; Williams: Favourite. 146 Elliott: Count-Duke; ders.: Richelieu and Olivares; ders. (Hrsg.): La España; v. Thiessen: Der entkleidete Favorit; Thompson: Valido. 147 Aylmer: Buckingham; Lockyer: Life; Peck: Patronage; dies.: Favour. 148 Kaiser/Pečar (Hrsg.): Der zweite Mann. Vgl. für Vertraute von Fürsten im Reich um 1500 auch Hirschbiegel: Nahbeziehungen.

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war auch eine direkte Reaktion auf die dadurch entstandenen Normen- und ­Rollenkonkurrenzen. Denn mit der Festigung der Autorität und Reichweite fürstlicher Herrschaft wuchsen sowohl die zentralen Verwaltungsapparate als auch die Hofgesellschaften, und zwar sowohl im Hinblick auf die Zahl der dort zu findenden Personen als auch mit Bezug auf die Ressourcen, die dort verwaltet bzw. vermakelt wurden. Die Verwaltungen differenzierten sich zudem zunehmend nach Arbeitsbereichen aus. Der Günstlingsminister war gewissermaßen der Manager, der im Auftrag des Fürsten sowohl die Verwaltungsarbeit überwachte und koordinierte als auch die Hofgesellschaft dominierte.149 Er stand in der Regel an der Spitze der führenden Hoffaktion. Entweder hatte sich diese gebildet, nachdem er zum Vertrauten des Fürsten aufgestiegen war, oder aber es war einer Faktion gelungen, einen der ihren zum Vertrauensmann des Herrschers aufzubauen, wobei diese Vertrauensbeziehung häufig bis in dessen Zeit als Thronfolger zurückreichte.150 Der Favorit ist folglich auch ein Produkt der Konkurrenz um die Gunst des Fürsten; er ist ein Resultat des Prinzips von Gunsterweisung und Gunstentzug bei Hof.151 Indem er die Spitzenposten der Verwaltung mit seinen Vertrauensleuten besetzte und diese wiederum ihre Klienten bevorzugten, sorgte er für die Loyalität der Verwaltung – um den Preis allerdings, dass im Falle des Sturzes des Günstlingsministers auch ein Teil des Verwaltungspersonals ausgewechselt werden musste.152 Sein Klientelnetzwerk – das durch seine Verfügung über Ressourcen oft erheblich wuchs – reichte in der Regel über den Hof hinaus bis in die Provinzen und diente damit auch der Integration der Peripherie in den Fürstenstaat.153 Seine Stellung als Vertrauensperson des Herrschers bescherte ihm ein Durchsetzungsvermögen, welches das eines im Fürstendienst aufgestiegenen Verwaltungsleiters oder Staatssekretärs bei weitem überstieg.154 Die bereits beschriebene Verzahnung von Hof und Verwaltung spiegelt sich in seiner Doppelrolle als mächtigster Höfling und Verwaltungsmanager. Der Günstlingsminister nahm, wie Birgit Emich betont, ebenso wie der Kardinalnepot eine „im doppelten Sinne staatstragende Rolle“ ein: Er verkörperte patrimoniale wie auch behördliche Regierungsweisen und bildete damit eine „Schnittstelle traditioneller und vormoderner Herrschaftspraktiken“.155 149 Benigno: Sombra, 9; Emich: Gemeinsamkeiten, 298; Thompson: Background, 20; Tomás y Valiente: Validos, 39 f. 150 Asch: Schlußbetrachtung, 520; Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt, 169. 151 Hirschbiegel: Zur theoretischen Konstruktion, 34; Winterling: Fürstenhof, 37 ff. 152 So beispielsweise nach dem Sturz des Sandovalclans um den Herzog von Uceda mit dem Tod Philipps III.: Kamen: Spain, 202. 153 Lind: Friends; Thompson: Background, 15. 154 Emich: Bürokratie, 21; Tomás y Valiente: Validos, 54. 155 Emich: Bürokratie, 14 f. (Zitate 15).

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Damit erlaubte der Günstlingsminister dem Fürsten, sich aus den Niederungen der Verwaltungsarbeit zurückzuziehen, und entlastete ihn von der Notwendigkeit, Personalentscheidungen selbst zu treffen. Dieser Rückzug war der Konstruktion des Fürsten als eines von den Alltagsgeschäften entrückten Herrschers und seiner Erhebung deutlich über den Adel dienlich.156 Der Günstlingsminister wurde auf diese Weise nahezu zum Alter Ego des Herrschers,157 zum eigentlichen Anlaufpunkt für Bittsteller und zum Ziel von Kritik an Entscheidungen der fürstlichen Regierung; er stand damit gewissermaßen in der Funktion eines „Blitzableiters“.158 Dies war er umso mehr, als die Verwaltung der fürstlichen Patronage auch die Zurückweisung der Ansprüche vieler Aspiranten auf fürstliche Förderung bedeutete – in dieser Hinsicht wirkte der Günstlingsminister als Filter, der dem Fürst ersparte, selbst Bitten um Gnaden abzulehnen und damit potenzielle Kritik am Herrscher auf sich zog.159 Nicht alle Fürsten gewährten ihren Favoriten den gleichen Spielraum. Einige Herrscher bemühten sich, die Fäden selbst in der Hand zu behalten, indem sie einer Vertrauensperson nie vollständig die Kontrolle der Geschäfte überließen oder ihre Gunst mal mehr der einen Person oder Faktion und mal mehr der anderen schenkten, also eine Art unkalkulierbare Balance zwischen den wichtigsten Einflussgruppen in ihrem Umfeld herstellten. Dies galt beispielsweise für den spanischen König Philipp II., der erst in seinen letzten Lebensjahren die Praxis aufgab, nach Möglichkeit selbst über alle die Krone betreffenden administrativen Vorgänge informiert zu werden und zu entscheiden und nie einer Hoffaktion auf Dauer die Kontrolle über die Geschäfte zu überlassen.160 Der rey papelero („Papierkönig“) überlastete sich damit allerdings auf lange Sicht – womit auch die Notwendigkeit der Entlastung des Herrschers von den Mühen der Bürokratie evident wurde. Auch galt eine derartige Arbeitsweise mit der Würde des Herrschers kaum noch vereinbar.161 Ludwig XIV. entschied sich 1661, nach dem Tod Mazarins, zwar zur „Alleinregierung“. Doch bestand diese gerade nicht darin, dass er sich selbst mit dem Regierungs- und Verwaltungsalltag abplagte, sondern dass er seine Gunst zwischen verschiedenen Vertrauenspersonen (einschließlich der Mätresse, wie wir gesehen haben) aufteilte.162 Im „Zeitalter des Favoriten“ aber setzten etliche Herrscher auf eine Vertrauens­ person, der sie jeweils für längere Zeit die Führung der politischen Geschäfte, die 156 Asch: Schlußbetrachtung, 522. 157 Asch: Introduction, 23 f. 158 Tomás y Valiente: Validos, 66 f.; vgl. auch Thompson: Background, 19. 159 Peck: Patronage, 49; Asch: Hofstruktur, 256 ff. 160 Boyden: Courtier; Escudero: Felipe II; Rodríguez-Salgado: Court. 161 Brockliss: Remarks, 287 ff.; Thompson: Background, 15 f. 162 Horowski: Erbe.

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Koordination der Verwaltung und die Kontrolle des Faktionengefüges bei Hof überließen. Die Stellung dieser Favoriten war derart von normativen Widersprüchen geprägt, dass sie als Musterbeispiel besonders ausgeprägter Normenkonkurrenz gelten kann – und zwar derart ausgeprägt, dass die meisten Favoriten trotz der Funktionalität ihrer Position für die Staatsbildung früher oder später daran scheiterten: „Der Favorit ist ein Grenzgänger zwischen unterschiedlichen sozialen und politischen Wertesystemen, er profitiert von dieser Ambivalenz, fällt ihr aber auch oft zum Opfer.“163 Das lag natürlich nicht zuletzt an ihrer bereits genannten „Blitzableiterfunktion“ begründet. Der Topos des schlechten Ratgebers des Herrschers geht auf die Antike zurück und stand auch in der Frühen Neuzeit stets bereit. Der Fürst, so dieser Diskurs, werde von selbstsüchtigen Personen seines Umfelds mit schmeichlerischen Reden umgarnt und auf diese Weise zum Werkzeug von deren Eigeninteressen.164 Dieser Topos war auch deshalb so überzeugend, weil er die Ressourcenkonkurrenz bei Hof spiegelte und denen, die sich vom Gnadenfluss des Herrschers ausgeschlossen sahen, eine Erklärung dafür bot und Munition gegen ihre Gegner lieferte, ohne auf den Fürsten selbst zielen zu müssen. Dem Anspruch nach musste der Fürst für alle Untertanen erreichbar sein, damit diese ihm über Bittschriften oder in Audienzen ihre Anliegen und Beschwernisse mitteilen konnten. Wenn der Favorit diese Kanäle gewissermaßen verstopfte oder selbst diese fürstliche Rolle ausübte, brachte dies in der Wahrnehmung der Untertanen wie auch der unterlegenen Hoffaktionen die politische Balance und Legitimität der Monarchie aus dem Lot. Die Ohren und Augen des Monarchen sollten direkt auf die Untertanen gerichtet sein und nicht durch andere Personen, die über Eigeninteressen verfügten, blockiert werden.165 Die Faktion um Matthäus Lang von Wellenburg (1468 – 1540), dem wichtigsten Vertrauten im Umfeld Kaiser Maximilians I., wurde als „Hecke“ bezeichnet, was die Vorstellung ausdrückte, der Kaiser werde von seinen Untertanen durch die Aktivitäten dieser Gruppe abgeschirmt und sei unerreichbar geworden.166 Dass der Favorit stattdessen seine eigene Verwandtschaft und Klientel bevorzugte, verstärkte umso mehr den Eindruck der Ungerechtigkeit seines Handelns. Mitunter wurden als Ursache der herausragenden Stellung des Favoriten auch unzulässige Beziehungen zum Herrscher vermutet, etwa ein homosexuelles Verhältnis, was in Einzelfällen auch zugetroffen haben dürfte.167 Letztlich handelte der Favorit mit Bezug auf seine Begünstigungspraktiken im Prinzip kaum anders als andere Patrone, mit dem gewichtigen Unterschied allerdings, dass ihm Ressourcen in 163 Asch: Schlußbetrachtung, 525. 164 Althoff: Verwandte, 15 f. 165 Álvarez-Ossorio Alvariño: Agente, 199. 166 Hirschbiegel: Nahbeziehungen, 162 ff. 167 Asch: Schlußbetrachtung, 527.

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ungleich größerem Ausmaß zur Verteilung zur Verfügung standen, und diese Ressourcen die der Krone waren, die nach allgemeiner Auffassung eben nicht hauptsächlich auf der Basis sozialer Normen verteilt werden durften. Die Patronage des Favoriten hatte daher grundsätzlich eine Tendenz zur Maßlosigkeit auf Kosten vieler. Sie war nicht nur „blindes“ Handeln im Sinne der Erfüllung an ihn herangetragener Handlungserwartungen, sondern durchaus auch eine Machttechnik, wenn der Favorit Vertrauenspersonen in Schlüsselstellungen positionierte, um sich der Loyalität des Verwaltungs- und Regierungsapparats zu versichern. Oft wurden diese Klientelverbände gezielt durch Heiraten in den alten Adel erweitert, um potenzielle Opponenten einzubinden und die eigene Legitimationsbasis zu erweitern.168 Damit ergab sich in besonders ausgeprägter Weise das Problem, dass eine eigentlich selbstverständliche und weitverbreitete Praxis – die Besetzung von Ämtern mit Vertrauten, mithin Verwandten oder Klienten – ab einem gewissen Umfang als illegitim wahrgenommen wurde.169 Die weitgehende Monopolisierung der fürstlichen Ressourcenverteilung durch Favoriten bot sich daher als zentraler Angriffspunkt auf die Legitimität ihrer Stellung an. Der Vorwurf der persönlichen Bereicherung der Favoriten, der auch in der Historiographie häufiger zu finden ist, muss hingegen relativiert werden. Tatsächlich waren viele Favoriten zur Zeit ihres Sturzes hoch verschuldet.170 Das lag einerseits daran, dass sie die meisten Ressourcen, über die sie Verfügung erhielten, sogleich an ihre Verwandten, Klienten und solche, die sie für ihr Netzwerk gewinnen wollten, weitervermakelten. Andererseits suchten viele Favoriten ihre herausgehobene Stellung zwischen Fürst und Hochadel durch entsprechenden Statuskonsum zu plausibilisieren. Besonders auffallend ist dies bei Lerma und Buckingham, die einen Repräsentationsstil pflegten, der dem des jeweiligen Königs ähnelte. Lerma begab sich darüber hinaus mit seinem gewagten Versuch, seine Familie auf einer neuen Ebene in der Ständeordnung nahe der Herrscherdynastie und oberhalb des Adels zu positionieren, auf ein sehr gefährliches Terrain. Denn seine ostentativ dargestellte Rolle als Mentor und Freund des Königs implizierte die Verwischung von Rangschranken und offenbarte zudem ein Ausmaß an sozialem Aufstieg, das inakzeptabel war. Sich als Freund des Herrschers zu inszenieren, bedeutete, Gleichrangigkeit mit dem Fürsten zumindest anzudeuten und damit sozialer Hybris zu verfallen.171 In seiner Tragödie La privanza y la caída de don Álvaro de Luna (Die Günstlingsherrschaft und der Fall des Don 168 Asch: Schlußbetrachtung, 528 f.; Moote: Richelieu, 31. 169 Asch: Schlußbetrachtung, 526. 170 Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt, 168 f. 171 Asch: Schlußbetrachtung, 517 f.; zur Inszenierung des Günstlingsministers als Freund des Herrschers am Beispiel des Herzogs von Lerma: Feros: Duque de Lerma; Feros: Twin Souls.

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Álvaro de Luna) von 1601 lässt Damián Salucio de Poyo einen Pagen nach dem Sturz des Favoriten resümieren, dass dessen größter Fehler gewesen sei, dass der Mond (der Favorit) die Sonne (den König) überstrahlt habe. Álvaro de Luna (†1453) war der Favorit Johanns II . von Kastilien gewesen und wegen Hochverrats enthauptet worden; die Tragödie zielte freilich vor allem auf Lerma, den zeitgenössischen Favoriten.172 Noch schärfere Gegenreaktionen von Seiten des alten Adels, aber auch der breiten Masse der Untertanen löste der Aufstieg von Nicht- oder Niederadligen zu Favoriten des Herrschers aus, die dann in der Regel zur Legitimierung ihrer herausgehobenen soziopolitischen Stellung in den Hochadel erhoben wurden. Die Geschwindigkeit derartiger Aufstiege irritierte die Zeitgenossen und wurde vom etablierten Hochadel als Bedrohung seiner Exklusivität und als Anschlag auf die hergebrachte Ordnung empfunden.173 Ein besonders markantes Beispiel ist der bereits erwähnte George Villiers, ein Niederadliger, der 1616 zum Favoriten Jakobs I. aufstieg. Der König erhob ihn 1617 zum Earl, 1619 zum Marquis und 1623 sogar zum Herzog von Buckingham.174 Ein derartiger Sprung bis in die Spitze des Hochadels war nicht nur in einer im Prinzip auf Statik beruhenden Gesellschaft schwer zu vermitteln, er untergrub auch die Rolle des Königs als Herr über den Adel und seine Titel. Der Eintritt des Adels in Fürstendienste war ja nicht zuletzt unter der Maßgabe erfolgt, dass der Fürst die exklusive Stellung des Zweiten Standes wahrte und nicht durch die Förderung sozialer Mobilität in Frage stellte. Das Verhältnis des Favoriten zum Hochadel war dementsprechend selten ungetrübt. War er ein sozialer Aufsteiger, machte ihn allein schon dieser Tatbestand bei den Spitzen des Adels verhasst, gehörte er stattdessen dem Hochadel an, stieß die einseitige Förderung seiner Verwandten, Freunde und Klienten diejenigen seiner Standesgenossen vor den Kopf, die diesem Kreis nicht angehörten und sich von Ämtern und Würden ausgeschlossen sahen. Die legitimatorischen Schwachstellen des Favoriten waren den Zeitgenossen und auch vielen Günstlingsministern selbst durchaus bewusst. In der Traktat­ literatur zu Günstlingen – ein Genre, das vor allem im frühen 17. Jahrhundert florierte – wurde oft darauf hingewiesen, dass der Fürst seine Aufgaben zwar nicht ohne einen Vertrauten oder einige wenige Vertrauenspersonen in seinem Umfeld erfüllen könne. Diese müssten ihre Stellung aber mit Klugheit – prudentia – ausfüllen, der Kardinaltugend der politisch Verantwortlichen. Und das bedeutete unter anderem, dass sie in der Förderung seiner Vertrauten Zurückhaltung üben und in seiner Amtsführung und Selbstdarstellung Tugendhaftigkeit einhalten mussten. Auch wenn die Traktatliteratur einen idealisierten Diskurs pflegte, so 172 Ostermann: Aufstieg, 253. 173 Asch: Schlußbetrachtung, 528. 174 Lockyer: Life; Parry: Golden Age.

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trug sie doch zur Konstruktion eines neuen Favoritentypus bei. Dieser zeichnete sich durch maßvollere Patronagepraktiken und politischen Aktivismus aus sowie durch das Bemühen, die Krone gegenüber partikularen Gewalten zu stärken. Dieser Idealtyp eines Favoriten kann als politisch-gemeinwohlorientierter Favorit bezeichnet werden, dem es mehr oder weniger durchgreifend gelang, die sozialen und die gemeinwohlorientierten Normen in Balance zu bringen. Ihm steht der Idealtyp des höfischen Favoriten entgegen, der – wie Lerma – politische Aktivitäten eher an Vertrauenspersonen delegierte, sich vor allem als höfisch versierte Vertrauensperson des Königs inszenierte und dessen Patronage häufig als maßlos wahrgenommen wurde. In der Historiographie hat der erstgenannte Idealtypus den deutlich besseren Ruf, wobei lange Zeit übersehen worden ist, dass auch er ohne Verwandtenförderung und Klientelpolitik nicht auskam. Als Musterbeispiel kann Armand-Jean du Plessis, Kardinal und Herzog von Richelieu, gelten. Auch wenn das Bild des Kardinals als Mastermind des französischen Absolutismus mittlerweile etwas relativiert worden ist, da sein Beitrag zur Staatsbildung stärker auf Improvisation als auf langfristiger Planung beruhte, steht seine politische Bedeutung doch außer Frage. Er vermochte sich effektvoll als Vertreter der Staatsräson gegen die partikularen Interessen anderer zu inszenieren und damit den traditionell negativ geprägten Topos des Favoriten gewissermaßen umzudrehen. Dem alten Hochadel verhasst, gelang ihm, sich als „desinteressierter“, das heißt nicht von sozialen Normen geleiteter, sondern allein dem Gemeinwohl verpflichteter Staatsmann darzustellen. Auch Richelieu übte eine Entlastungs- und Blitzableiterfunktion für den König aus, indem er jene Rücksichtslosigkeit in der Durchsetzung der Staatsräson walten ließ, die dem König in dieser Schärfe nicht gut zu Gesicht gestanden hätte.175 Der abweisende Gestus seiner bekannten Porträts drückt genau diese Rolle aus; dabei half auch seine hohe geistliche Würde, die diese Desinteressiertheit besser ausdrückte als der höfische Habitus eines Lerma oder Buckingham. Das ändert nichts daran, dass auch Richelieu seine Verwandtschaft intensiv förderte und mit Vertrauenspersonen regierte, die er massiv begünstigte. Der Grundkonstellation der Normenkonkurrenz konnte auch er nicht entkommen, vermochte sich jedoch als jemand darzustellen, der die damit zusammenhängenden Probleme zum Wohl der fürstlichen Herrschaft im Griff hatte und der klare Prioritäten zugunsten der politischen Rolle des Favoriten setzte.176 An seinem Beispiel zeigt sich, dass makropolitische Ziele Favoriten und Netzwerken Glaubwürdigkeit verliehen. Der Zusammenhalt von Netzwerken bei Hof und ihre Legitimität wurden gestärkt, wenn über den Machterhalt und die Pflege des höfischen Lebens eine makropolitisch-gemeinwohlorientierte Agenda 175 Asch: Favorit, 38. 176 Bergin: Rise; Bergin/Brockliss: Introduction; Moote: Richelieu.

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vorlag.177 Tatsächlich zählt Richelieu zu den Favoriten, deren Karriere mit einem natürlichen Tod, also weder dem Sturz (auch wenn er diesem in einigen Fällen nur knapp entging) noch der Hinrichtung oder Ermordung endete. Sein Zeitgenosse und außenpolitischer Gegenspieler, der Graf-Herzog von Olivares, ging 1621 noch einen Schritt weiter. Er versuchte die legitimatorischen Fallstricke der Favoritenposition zu umgehen, indem er sich als Reformer und Gegenbild des korrupten Vorgängerregimes in Szene setzte. Während er den unter Philipp III. dominanten Sandoval-Clan als korrupt brandmarkte und einigen seiner Vertreter den Prozess machen ließ, präsentierte er sich selbst als gemeinwohlorientierter Saubermann, dessen Rolle darin bestehe, den König von der Alltagsarbeit des Regierens zu entlasten, ohne ihn in den Schatten zu stellen. Dieses Vorgehen war insoweit etwas riskant, als es nicht nur die Familie des Vorgänger-Favoriten anschwärzte, sondern auch dem Ansehen des verstorbenen Königs, Philipps III., wenig dienlich war. Andererseits nutzte Olivares den Erneuerungskreislauf der Monarchie geschickt, also die Erwartungen der Untertanen an einen neuen Herrscher. Die Korruption und Stagnation des Vorgängerregimes, so Olivares’ Argument, habe der Reputation der Monarchie geschadet, die nun wiederhergestellt werden müsse. Um ihr wieder die angemessene Autorität nach innen und außen zu verschaffen, sei ein umfangreiches Reformprogramm vonnöten. Die 1621 tatsächlich weitverbreitete Auffassung, dass unter Philipp III. maßlose Begünstigung und Korruption Einzug gehalten hätten, nutzte Olivares, um bemerkenswerte Reformdynamiken in Gang zu setzen, die letztlich auf nichts weniger als einen Umbau der Monarchie zielten. Denn um eine neue, aktivistische Außenpolitik zu finanzieren, müssten die verschiedenen Teile des spanischen Imperiums gleichermaßen an den Kosten für das Militär beteiligt und die bis dahin geltende einseitige Belastung Kastiliens beendet werden. Damit allerdings stellte Olivares, den Anforderungen der necessitas 178 folgend, die Struktur der Zusammengesetzten Monarchie in Frage, in der die einzelnen Königreiche und Provinzen jeweils eigene Privilegien gegenüber der Krone genossen, aus denen sich ihre unterschiedlichen Verpflichtungen ergaben. Letztlich scheiterte dieses Programm an zu vielen Widerständen, doch bleibt festzuhalten, dass Olivares den Korruptionsdiskurs genutzt hatte, um erhebliche politische Dynamiken in Gang zu setzen. Die Notwendigkeit der Reform hatte er mit der Behauptung, die Dekadenz der Lerma-Periode müsse überwunden werden, für viele Zeitgenossen überzeugend dargelegt. Und er hatte geschickt mit Rücksicht auf die gegenüber Neuerungen kritische politische 177 Diese Überlegungen nach Guzzi-Heeb: Revolte. Guzzi-Heeb untersucht den Zusammenhalt von Netzwerken allerdings in deutlich kleinerem Maßstab als auf der Ebene von Favoritennetzwerken; er befasst sich mit lokalen Netzwerken und ihrem Zusammenhalt im Val des Bagnes im Wallis. 178 Vgl. das Kapitel „Gemeinwohlorientierte Normen“ in Teil 2.

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Kultur als Reformziel die Bewahrung (conservación) der Monar­chie genannt.179 Gleichzeitig aktivierte und erweiterte er auf diese Weise seine Klientel, für die das Reformprogramm Teil ihrer Identität wurde; die Rolle als Reformer, die viele der Anhänger Olivares’ einnahmen und die sie auch in ihrer Außendarstellung einsetzten, entwickelte dabei eine erhebliche Eigendynamik. Problematisch an der Inszenierung des politisch aktiven Günstlings war allerdings, dass eine derart geprägte Rolle bei Eintreten wiederholter Misserfolge rasch unglaubhaft werden konnte. Im Fall von Olivares waren dies die sich zuspitzenden Krisen der spanischen Monarchie ab der zweiten Hälfte der 1630er Jahre. Als die zunächst durchaus glanzvolle Fassade politischer Erfolge verblasste und parallel zu militärischen Niederlagen eine Wirtschafts- und Finanzkrise die Untertanen traf, nahmen diese verstärkt wahr, dass auch der politisch aktive Favorit mit Patro­nage und Verwandtenförderung operierte; tatsächlich unterschieden sich seine Machttechniken nicht wesentlich von denen Lermas, waren aber in der Erfolgsphase seiner Politik besser legitimiert und wurden daher weniger als Problem wahrgenommen.180 Zudem bröckelte auch der Zusammenhalt seines Netzwerks in der Krisenphase. Das gemeinsame politische Ziel als Integrationsfaktor schwand und damit auch die Machtbasis des politischen Favoriten.181 Im England des frühen 17. Jahrhunderts löste die Erfahrung maßloser Favoritenpatronage noch weit stärkere und ganz anders geartete politische D ­ ynamiken aus. Unter den frühen Stuarts setzte gewissermaßen die Blitzableiterfunktion des Favoriten aus, womit die Kritik an der Herrschaftsweise von Favoriten direkt auf die Krone durchschlug. Der englische Fall zeichnet sich durch einige Besonderheiten aus, die diesen Prozess der Delegitimation begünstigten. Unter Jakob I. und Karl I. gelang es Favoriten wiederholt, für längere Zeit die Patronage der Krone weitgehend unter ihre Kontrolle zu bekommen. Mit dem Parlament war aber eine Institution vorhanden, die Korruptionsvorwürfen eine öffentlichkeitswirksame Bühne bot. Wiederholt wurden Amtsträger aus der Klientel des jeweiligen Favoriten und mitunter auch diese selbst wegen verschiedener Vergehen vor dem Parlament angeklagt. 1626 war es dann soweit, dass in einem Verfahren gegen den Herzog von Buckingham – ihm wurden der Verkauf von Ämtern und die Erpressung von Amtspersonen vorgeworfen – auch der König, Karl I., angegriffen wurde. Er habe seinen Favoriten mit Gunstbezeugungen und Titeln überhäuft und damit Mittel der Krone zweckentfremdet. Dass der König selbst in das Fadenkreuz der Korruptionskritik geriet, hing auch damit zusammen, dass 179 Elliott: Count-Duke, 47, 113, 180, 242 f., 279 ff. und 561. Vgl. ähnliche Befunde zu zumindest phasenweise politisch aktiven Favoriten der frühen Stuarts in England: Asch: Bild, 152 f. 180 Stradling: Philip IV, 41; Thompson: Valido, 320. 181 Elliott: Count-Duke, 618 ff.

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ihm und weiten Teilen der Hofgesellschaft Sympathien für den Katholizismus unterstellt wurden. Korruptions- und Hofkritik vermengten sich in der Folge mit dem verbreiteten Antikatholizismus, womit die Korruptionskritik auch auf den Kanzeln im Land verbreitet wurde. Dass Karl I. den Favoriten seines Vaters übernommen hatte, dem im Übrigen ein homoerotisches Verhältnis zu diesem unterstellt wurde, dämpfte die sonst üblichen politischen Erneuerungshoffnungen aus Anlass einer Thronfolge. Auch die Ermordung Buckinghams im August 1628 brachte für die Krone keine wesentliche legitimatorische Entlastung. Es fällt vielmehr auf, dass der Aufstieg eines vormaligen Kritikers Buckinghams, des Earl of Strafford (1593 – 1641), zum neuen Vertrauten des Königs kaum Hoffnungen auf ein „sauberes“ Regiment aufkommen ließ, das wie Olivares in Spanien die Missbräuche der alten Regierung abstellen würde. Ganz im Gegenteil wurde Strafford, der sich gegen Buckingham als honest patriot inszeniert hatte, nun Verrat vorgeworfen, weil er sich von der Krone in Dienst nehmen lasse.182 Offenbar war der Hof und mit ihm die Krone in der Sicht einer wachsenden Zahl von Untertanen in kaum mehr heilbarer Weise mit Korruption befleckt. Der mit der Favoritenkritik aufkommende Korruptionsdiskurs griff in England auf die Krone über, womit er eine Änderung der politischen Verfassung bis hin zur gewaltsamen Beseitigung des Königs denkbar machte.183 In England entstand damit eine Konstellation, in welcher Korruptionskritik letztlich – in Kombination mit anderen Faktoren und Entwicklungen – in eine revolutionäre Situation umschlug. Auf der puritanischen Seite gingen der Gemeinwohldiskurs und religiöse Reinheitsvorstellungen Hand in Hand in dem Bestreben, den politischen Körper einer grundsätzlichen Kur zur Heilung zu unterziehen, indem der korrupte Hof mitsamt dem König herausgeschnitten wurde. Der englische Fall demonstriert damit das dynamische Potenzial des Korruptionsdiskurses, das sich allerdings in der Frühen Neuzeit ansonsten nicht in derart drastischer und systemverändernder Weise (die ja selbst in England nicht von Dauer war) entfalten konnte.

182 Asch: Bild, 161 ff. 183 Croft: Patronage, 417; Peck: Patronage, 208.

6. Umgehen mit normativer Uneindeutigkeit Nachdem wir am englischen Beispiel gewissermaßen das Maximum des gesellschaftlichen, politischen und auch religiösen Dynamisierungspotenzials von Normenkonkurrenz kennengelernt haben, soll jetzt die Perspektive gewechselt werden. Nun stehen nicht mehr die Konkurrenzen, Kollisionen und Konvergenzen von Normen im Fokus, sondern die Umgangsweisen von Akteuren mit Normenkonkurrenz. Damit rückt nun der Begriff der kulturellen Ambiguität wieder in den Blick, verstanden als Modus des Umgangs mit mehrdeutigen und von Spannungen zwischen Normen gekennzeichneten Konstellationen. Das entscheidende Merkmal der normativen Ordnung der Frühen Neuzeit besteht darin, dass verschiedene Handlungsfelder wie das Recht, das Amt, die Familie oder die Religion zwar diskursiv konstruiert waren, aber, wie dargestellt, starke Überlappungen aufwiesen. Es spricht sehr viel dafür, dass Normenordnungen menschlicher Gesellschaften Eindeutigkeit im Sinne klar abgetrennter, jeweils normativ klar definierter Handlungsfelder nicht hervorzubringen vermögen. Die Gleichzeitigkeit der Einforderung normativ eindeutigen Verhaltens mit der ausgeprägten Überlappung des Geltungsbereichs der Normen hebt die Frühe Neuzeit jedoch besonders hervor. Es soll nun danach gefragt werden, wie Menschen mit dieser Konstellation umgingen und wie sich unter den Bedingungen frühneuzeitlicher Normenkonkurrenz kulturelle Ambiguität als Folge der Koexistenz und Konkurrenz nicht ausdifferenzierter Normensysteme entwickelte. Welche Verhaltensmuster und Verhaltensstile lassen sich also bei frühneuzeitlichen Akteuren identifizieren, mit denen sie widersprüchlichen oder uneindeutigen Verhaltenserwartungen begegneten? Und wie wirkten umgekehrt diese Verhaltensmodi auf die Normenordnung? Die zentrale These dieses Buches lautet, dass Ambiguitätstoleranz ein kulturelles Grundmuster frühneuzeitlicher Gesellschaften im lateinchristlichen Europa darstellte. Es prägte die Handlungs- und Denkmuster vormoderner Akteure, sodass von einer Kultur der Ambiguität gesprochen werden kann. Da allerdings die vormoderne Ambiguität vor dem Hintergrund des Ideals der Reinheit und der Eindeutigkeit prekär blieb, standen Akteuren auch gegenläufige, an Eindeutigkeit orientierte Verhaltensmodelle zur Verfügung, deren Verbreitung und Bedeutung für die Normenordnung zu diskutieren sein wird. Frühneuzeitliche Gesellschaften zeichnen sich aus durch die Koexistenz von vielen Akteuren, die sich ambiger Verhaltensregister bedienten, und einer mitunter durchaus einflussreichen Minderheit, die dem Ideal normativer Eindeutigkeit und Authentizität folgte. Viele der im Folgenden dargestellten Verhaltensmuster sind keineswegs nur in der Frühen Neuzeit oder der Vormoderne zu finden und teilweise auch gar nicht als typisch für sie zu bezeichnen. Charakteristisch für das Zeitalter der Ambiguität ist aber ihre Wirkung auf die Normenordnung, die daher neben der

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Beschreibung der Verhaltensmodi mitzuberücksichtigen ist; außerdem sind die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Verhaltensmustern bzw. der sich ihrer bedienenden Akteure zu diskutieren.

Situative Vereindeutigung Normenkonkurrenz mochte darin bestehen, dass Akteure sich häufig mit unterschiedlichen Handlungserwartungen konfrontiert sahen, doch in vielen derartigen Situationen orientierten sie sich eindeutig und stets an einer Handlungsoption und befolgten diese dann konsequent. Eine derartige Rahmung einer Situation im Hinblick auf eines von mehreren Normensystemen wird als „situative Vereindeutigung“ bezeichnet.1 Eine solche konnte zum einen auf die bewusste Entscheidung eines Akteurs zurückgehen, in einer bestimmten Situation einen bestimmten Handlungspfad einzuschlagen. Oder aber ein Handlungszusammenhang, der potenziell verschiedene Handlungsoptionen bot, konnte, weil dies Konvention war, die Befolgung bestimmter Verhaltensweisen so nachdrücklich nahelegen, dass Akteure diese mit Selbstverständlichkeit befolgten. Dann ist von einem bewussten Handlungskalkül gar nicht auszugehen. Situative Vereindeutigung verlangt von Akteuren bisweilen, sich abrupt aufeinanderfolgend unterschiedlichen Normensystemen gemäß zu verhalten. Dies ist an sich kein Spezifikum der Frühen N ­ euzeit. In der Moderne werden solche Rollenwechsel aber durch klarere Abgrenzungen zwischen Handlungsfeldern vereinfacht. Der moderne Verwaltungsbeamte mochte in seiner Behörde sachgerecht und ohne Ansehen der Person arbeiten, wechselte diese Rolle aber im häuslichen Familienkreis oder im Verein gegen eine ganz andere ein. Problematisch ist dabei allerdings, dass derartige Rollenwechsel mit der Vorstellung einer stimmigen, authentischen, die eigene Identität ausdrückenden Persönlichkeit in Einklang gebracht werden müssen.2 Für Akteure der Frühen Neuzeit stellte sich ihr Verhaltensrahmen etwas anders dar. Die noch unscharfen Abgrenzungen zwischen verschiedenen Handlungsfeldern und die Multinormativität in vielen Situationen erschwerten potenziell die Entscheidung, welchem Verhaltensstil in einer gegebenen Situation zu folgen war. Doch andererseits waren vormoderne Akteure weniger von dem Ideal belastet, einem stimmigen, ihre authentische Identität vermittelnden und bekräftigenden Lebensstil zu folgen. Handeln in vormodernen Verhältnissen war, wie bereits dargelegt, stark von vorgegebenen sozialen Rollen und den damit verbundenen Handlungserwartungen bestimmt. Vor einem solchen Erwartungshorizont ist es für Akteure wichtiger, in einer Situation rollengemäß zu handeln, als die 1 Neu: Koordination, 135. 2 Amrein: Einleitung.

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j­ eweilige Rolle an die eigene Persönlichkeit anzupassen; nur mussten Akteure eben mitunter entscheiden, für welche Rolle sie optierten. Frühneuzeitliche Akteure waren es demnach gewohnt, sich rasch an Rollenanforderungen in bestimmten Handlungszusammenhängen anzupassen, zumal dann, wenn sie an der Spitze der Gesellschaft standen und mit sehr unterschiedlichen Rollen jonglieren mussten. Barbara Stollberg-Rilinger hat dies am Beispiel von Maria Theresia dargestellt. Von Kindesbeinen an war die Kaiserin gewohnt, zwischen der formalen, öffentlich sichtbaren „Vorderbühne“ und der informellen, nur einem kleinen Personenkreis zugänglichen „Hinterbühne“ zu wechseln und dabei jeweils den angemessenen Verhaltensstil anzunehmen.3 Gerade der Hof als zeremoniell durchstrukturierter Raum, in dem jede Geste, jedes Wort und auch jede erwartete, aber unterlassene Handlung Zeichencharakter besaß und Rang und Status zumaß, bedurfte Zonen der Informalität, in denen die Akteure von diesem Handlungsdruck entlastet waren. Im Alltagsleben der Kaiserin ebenso wie anderer Herrscher standen zeremoniell anspruchsvolle „Galatage“ neben dem weniger konsequent durchstrukturierten höfischen Alltagsbetrieb und waren die Verhaltensregeln in den öffentlich zugänglichen Räumen strenger als in den inneren Gemächern.4 Die höfischen Eliten waren derartige Rollenwechsel gewohnt. Es war darüber hinaus auch möglich, ganz aus seiner Rolle als Herrscher oder Hochadliger zu schlüpfen und sich im Inkognito gewissermaßen in einer Ersatzrolle zu bewegen. Dabei ging es zumeist gar nicht darum, unerkannt zu bleiben. Hauptzweck des Inkognitos war vielmehr die Entlastung von den Regeln des zeremoniellen Auftretens. Die Beteiligten wussten in den meisten Fällen, wen sie vor sich hatten, behandelten diese Person aber, als wäre sie eine andere – ­Inkognito war demnach eine Fiktion, die im Falle von Reisen eines Fürsten auch der Schonung seiner Finanzen dienlich war, minderte sie doch den zeremoniellen Aufwand erheblich.5 Die Fähigkeit zum raschen Rollenwechsel ermöglichte in vielen Zusammenhängen situative Vereindeutigungen, Anpassungen und auch normative Arbeitsteilungen zwischen verschiedenen Akteuren, die den Umgang mit Normenkonkurrenz erleichterten und normative Ambiguität einhegten. Situative Vereindeutigung bedeutet mithin nicht nur, dass Akteure in einem bestimmten Handlungszusammenhang geschlossen einen bestimmten Verhaltensstil annahmen, sondern konnte auch in ein ergänzendes Zusammenspiel verschiedener sozialer Rollen münden. Die normative Rahmung von Handlungszusammenhängen erfolgte nach unterschiedlichen Kriterien. Diese können in zeitlicher Differenzierung bestehen – zu bestimmten Zeiten war ein bestimmter ­Verhaltensstil 3 Stollberg-Rilinger: Maria Theresia, 38. 4 Stollberg-Rilinger: Maria Theresia, 352. 5 Barth: Inkognito, 150 f.

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einzuhalten, wie etwa das zeremonielle Auftreten an Galatagen. Oder aber die Differenzierung war räumlicher Natur – an bestimmten Orten war ein bestimmtes Verhalten angemessen und galten andere Verhaltensweisen als verpönt. Auch konnten (und können) durch Verfahren virtuelle oder auch an Örtlichkeiten gebundene Räume entstehen, in denen die Orientierung an bestimmten Rollen angezeigt war. Das gilt etwa für das Gericht. Diese verschiedenen Formen der situativen Anpassung bzw. des Rollenwechsels sollen nun näher betrachtet werden, bevor wir uns der normativen Arbeitsteilung zuwenden. Rollenwechsel über die Zeit waren – jedenfalls in katholischen und lutherischen Gesellschaften – praktisch jedem Akteur in der Frühen Neuzeit vertraut und selbstverständlich. Denn alle lebten im Rhythmus des Kirchenjahres, das aus einem mehrschichtigen Wechsel von sakral aufgeladenen und eher profanen, „normalen“ Zeiträumen bestand. Diese Erfahrung eines steten Wandels in den religiösen Verhaltensanforderungen mochte dazu beigetragen haben, dass frühneuzeitliche Akteure sich mitunter bemerkenswert pragmatisch im Spannungsfeld der konfessionellen Religiosität bewegten. Die vorösterliche Fastenzeit, das Osterfest, in katholischen Regionen Fronleichnam und konfessionsübergreifend die Adventszeit und die Weihnachtsperiode waren Zeiträume, in denen religiöse Normen stärker als sonst Geltung beanspruchten (und in Teilen der Gesellschaft bis heute beanspruchen) und in der die Gläubigen zu besonderen Askeseleistungen – das vorösterliche und adventliche Fasten – in Vorbereitung auf religiöse Feste und den damit verbundenen Empfang des Sakraments angehalten waren. Jede Woche wurde der Sonntag als Zeitraum gestaltet, in dem Frömmigkeitshandlungen einen größeren Stellenwert als im Rest der Woche beanspruchten. Das Prinzip der normativen Arbeitsteilung findet sich damit auch im religiösen Alltag: Besonders im katholischen Verständnis wurden zu bestimmten Zeiten besondere Verdienste durch Leistungen der Frömmigkeit erworben, die dem Durchschnittsgläubigen über die stärker vom Alltag und von den Anforderungen der „Welt“ geprägten Zeiträume hinweghalfen. Die katholische Kirche machte sich diese Logik zunutze, indem sie „Volksmissionen“ organisierte; sie stellten eine Kombination von zeitlicher und räumlicher Differenzierung dar. Diese Aktionen konzentrierter Frömmigkeit waren im 16. Jahrhundert von Jesuiten im westlichen Mittelmeerraum entwickelt worden und verbreiteten sich, getragen auch von anderen Ordensgemeinschaften, über das ganze katholische Europa. Derartige Missionen liefen folgendermaßen ab: Ordensgeistliche kamen in eine Stadt und stülpten dort für eine beschränkte Zeit – in der Regel eine Woche – die normative Ordnung komplett um. In diesem Zeitraum wurde der übliche Alltag unterbrochen, die Geschäfte ruhten, und es wurden Predigten gehalten, die zu Umkehr und Buße aufriefen. Es traten sozial hochgestellte Personen aus der Stadt in ärmlicher Kleidung auf, verziehen ihren Feinden öffentlich und entschuldigten sich bei allen, denen sie Unrecht getan

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hatten. Im Grunde folgten sie dem beschriebenen Verhaltensmodell ­Sterbender, die den guten Tod inszenierten und die „Welt“ hinter sich ließen. Die Mission endete mit einer Predigt über das Verzeihen und dem Schwur der Zuhörer, fortan der Kirche treu zu sein und ihre Lehren zu befolgen. Das Ziel dieser spektakulären Form der Seelsorge waren kathartische Bekehrungseffekte, die eine intensivierte Frömmigkeit auf Dauer installieren sollten.6 Auch wenn der langfristige Erfolg oder Misserfolg derartiger Aktionen schwer abzuschätzen ist, sind doch Zweifel an seiner Durchschlagskraft angebracht. Die Volksmissionen brachten eher einen zusätzlichen Akzent in das Kirchenjahr und wurden von den Beteiligten und Zuschauern genutzt, mittels Werken ostentativer Frömmigkeit die Bilanz ihres Seelenheils aufzubessern, ohne damit eine grundlegende Vertiefung religiöser Disposition zu bewirken.7 Die Volksmissionen sind damit ein Beispiel für eine situative Vereindeutigung von Zeit und Raum, in dem für einen bestimmten Zeitraum lokal begrenzt exklusiv religiöse Normen galten, ohne dass dies die Normenordnung insgesamt veränderte. Derartig ausgeprägte situative Vereindeutigungen scheinen generell ein Merkmal des Katholizismus gewesen zu sein, der auf diese Weise durch Sequenzen normativer Eindeutigkeit zugunsten der Religion es den Gläubigen ermöglichte, im Alltagsleben außerhalb dieser Zeiträume in Normenkonkurrenz zu leben, ohne dass dies zulasten des Seelenheils ging. Ganz anders war der Ansatz in reformierten Gemeinden, und zwar insbesondere in Genf, der Hochburg des Calvinismus: Dort wurden in den 1540er Jahren alle kirchlichen Festtage abgeschafft und somit die zeitliche Arbeitsteilung unterbunden. Auf diese Weise sollte anstelle der Konzentration von Frömmigkeitsleistungen auf bestimmte Zeiträume eine Endlosschleifte religiöser Erbauung gesetzt werden, in der das Verhalten im Alltag kontinuierlich religiös bestimmt blieb. Gegliedert war das Jahr nur durch vier annähernd gleichmäßig über das Jahr verteilte Abendmahlsfeiern (Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Anfang September), wobei der Zeitraum zwischen diesen Festen jeweils der Vorbereitung auf sie diente: Das Kirchenjahr war damit – auch wenn die Abendmahlsfeiern sich überwiegend an den herkömmlichen großen Festen orientierten – gewissermaßen verflacht und forderte zu permanenter Selbstprüfung der Frömmigkeit auf.8 Es versteht sich von selbst, dass dieses System nicht dauerhaft konsequent aufrechterhalten werden konnte. Doch zeigt sich in ihm ein grundsätzlich anderer Ansatz, der eine zeitlich begrenzte Entlastung von religiösen Normen durch Arbeitsteilung ablehnte und stattdessen auf eine stets hervorgehobene Relevanz religiöser Verhaltensweisen im Alltag zielte. 6 Camporesi: Fear, 26 ff.; Châtellier: Religion. 7 Heinz: Mitwirkung, 238 ff. 8 Grosse: Liturgie, 292 f.

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Einen gänzlich anderen Versuch situativer Vereindeutigung zugunsten eines Normensystems finden wir in staatlichen Bürokratien – die Einrichtung formalisierter Verfahren. Verfahren können der normativen Disambiguierung von Handlungszusammenhängen dienlich sein, indem sie Arbeitsabläufe fixieren, die auf die sach- oder regelgemäße Lösung von Aufgaben und Problemen ausgerichtet sind und festlegen, wer als Träger eines bestimmten Amtes an Verfahrensabläufen mit welchen Kompetenzen beteiligt ist. Bürokratische Verfahren fördern demnach die Depersonalisierung von Entscheidungsabläufen, das heißt, sie begünstigen sachgerechte Entscheidungen zulasten von sachfremden Einflüssen – mit anderen Worten: Sie fordern die Orientierung an gemeinwohlorientierten Normen auf Kosten der sozialen. Die Anlage von Akten erlaubt den Nachvollzug und damit die Überprüfung von Bearbeitungs- und Entscheidungsvorgängen und lässt personale Aspekte – den Stand der Betroffenen und die sozialen Beziehungen der Beteiligten – in den Hintergrund treten. Die explizite, schriftliche Ausformulierung von Verfahrensregeln schließlich stabilisiert diese Regelungen, und die Inszenierung von Verfahrenstreue schafft Legitimität 9 – so jedenfalls der Anspruch bürokratischer Verfahren. Die reale Implementation von Verfahren gestaltete sich in der Frühen Neuzeit – und auch in der Moderne – gleichwohl komplexer und stellt somit auch ein Beispiel für die Grenzen situativer Vereindeutigung dar. Wir haben bereits festgestellt, dass Formalisierung in der Regel keine vollumfängliche normative Vereindeutigung im Sinne der Ausschaltung sachfremder Erwägungen und informeller Beziehungen generierte.10 Denn eine Organisation funktioniert nur, wenn ihren Mitgliedern neben den formalen Regeln informelle Aus- und Schleichwege zur Verfügung stehen, um auf formale Leerstellen, Regelkollisionen oder Fehlwirkungen als Folge von Formzwängen zu reagieren und sie im Interesse der Organisation insgesamt zu bereinigen.11 Informalität wächst demnach in Prozessen der Formalisierung mit, womit eine durchgreifend und konsequent formalisierte Organisation kaum entstehen kann; „Formalität und Informalität sind zwei Seiten ein und derselben Medaille“.12 Unter den Bedingungen frühneuzeitlicher Normenkonkurrenz bestand damit ein Einfallstor für soziale Normen in die bürokratische Praxis. Die jüngere, nach dem Wechselspiel zwischen Regularien, Idealbildern und Praktiken in den wachsenden Verwaltungen fragende Forschung zeichnet daher ein sehr 9 Emich: Formalisierung; 81 ff.; Krischer: Legitimation; Schlögl: Politik beobachten, 588; Stollberg-Rilinger: Die Frühe Neuzeit. 10 Im Kapitel „Personale Loyalitäten, Teilhabe an Herrschaft und Dienstreglements: Behörden und Beamte in der Frühen Neuzeit“ in Teil 5. 11 Emich: Formalisierung, 83; Ludwig: Verwaltung, 188; Stollberg-Rilinger: Die Frühe Neuzeit. 12 Stollberg-Rilinger: Praktiken, 633.

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differenziertes Bild von der alltäglichen Verwaltungspraxis. ­Barbara StollbergRilinger hat auf dieser Basis eine Reihe von Thesen zur Reichweite von Formalisierung in der Frühen Neuzeit und ihrem Verhältnis zu informellem Handeln aufgestellt. Sie betont, dass Formalisierung nicht zu einer Einengung der Handlungsoptionen, sondern ganz im Gegenteil zu ihrer Pluralisierung geführt habe. Neue formale Regeln wurden nicht in jedem Fall befolgt. Akteure konnten sich zwar fortan auf einen formalen Standpunkt stellen, nahmen sich aber gleichwohl in vielen Fällen die Freiheit, gegen formalisierte Regeln zu verstoßen. Wenn die Frühe Neuzeit als die Epoche bezeichnet werden kann, „in der das Entscheiden einerseits zunehmend formalisiert wurde und damit andererseits neue – komplementäre – Sphären des Informellen entstanden“,13 dann ist zu fragen, in welchem Ausmaß und auf welche Weise die Prozesse der Bürokratisierung und Formalisierung situative Vereindeutigungen zugunsten gemeinwohlorientierter Normen unter Zurückdrängung sozialer Handlungserwartungen in Gang setzten. Dies wird sich kaum quantifizieren lassen. Es bleibt aber festzuhalten, dass Formalisierung Handlungserwartungen schuf und – etwa über Dienstreglements, aber auch in der Traktatliteratur – dauerhaft fixierte, die, wie im Kapitel zur Korruption bereits erläutert, einen öffentlichen Diskurs begünstigten, der zur formalen Seite tendierte und informale Handlungen als Korruption angreifbar machte.14 Die Existenz dieses Diskurses und die Anwendung formaler Verfahren in Behörden veränderten Rollenerwartungen an Amtsträger, die von ihren Vorgesetzten eingefordert wurden und deren Missachtung sanktioniert werden konnte. D ­ arüber hinaus konnten Amtsträger sich hinter diese ausformulierten dienstlichen Rollen­erwartungen auch zurückziehen, um Ansprüche – etwa Forderungen nach Begünstigung von Seiten ihnen sozial nahestehender Personen – abzuwehren. Prozedurale Vorschriften in Behörden konnten so als „amtszentrierte Distanznormen“ (Niels Grüne) genutzt werden, mittels derer sich Amtsträger sozialen Verhaltenserwartungen entzogen und Bittsteller vom Leibe hielten. Verfahrensgeleitetes Handeln auf Schriftbasis wies darüber hinaus noch den Vorteil auf, dass es die Wachstumsgrenzen sozialer, auf Face-to-Face-Kontakt beruhender sozialer Interaktionssysteme überwand.15 Gutachten auswärtiger, meist universitärer Juristen, die in Gerichtsprozessen hinzugezogen wurden, brachten beispielsweise in den Prozessverlauf ein Element hinein, das (zumeist jedenfalls) von lokalen sozialen Beziehungen und Bindungen unbeeinflusst war – nicht unbedingt im Sinne der Nichtberücksichtigung sozialer Umstände, aber doch im Sinne einer sozialen Unabhängigkeit von den Verfahrensbeteiligten.16 13 Stollberg-Rilinger: Praktiken, 634. 14 Stollberg-Rilinger: Die Frühe Neuzeit, 9 ff. 15 Emich: Formalisierung, 85. 16 Ludwig: An- und Abwesenheit, 122.

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Formale Verfahren brachten ­mithin einen Aspekt sachgerechten und begrenzt depersonalisierten Vorgehens in das Handeln von Behörden und Institutionen, das heißt, sie ermöglichten fallweise eine situative Vereindeutigung, indem sie entsprechende Handlungskorridore nahelegten. Doch sie schufen keinen konkurrierenden Normen verschlossenen Raum, in dem Bürokratien nach rationalen Kriterien wirkten. Es mangelte in der Frühen Neuzeit, in Behörden wie vor Gericht, an Verfahrensautonomie.17 Für die Durchsetzung eines amtsorientierten Verhaltensstils war jedoch noch ein anderer Aspekt von Bedeutung: Das Rollenmodell des regel- und sachgerecht arbeitenden Amtsträgers war vorhanden und abrufbar – und damit auch nutzbar.18 Die Rollenmodelle guter Amtsträger – als sachorientierter Beamter, als unbestechlicher Richter, als frommer Priester etc. – waren zudem zur Selbststilisierung geeignet, da sie als ehrzuweisend galten. Selbst an der von sozialen Normen und Normenkonkurrenz geprägten römischen Kurie war dies der Fall: Römische Staatssekretäre stellten sich, wenn sie ein Grabmal für sich k­ onzipierten, in der Regel nicht als Klienten ihres Herrn, sondern als dessen gewissenhafte, sachgerecht und gemeinwohlorientiert arbeitende Diener dar. Die Erfüllung einer formalen Rolle (bzw. die Behauptung, sie erfüllt zu haben) wurde auf diese Weise zur Steigerung des symbolischen Kapitals des Ansehens der Familie des Verstorbenen genutzt – ein Fall von Konvergenz gemeinwohlorientierter und sozialer Normen und auch von nachträglicher Disambiguierung zugunsten einer formalen Rolle aus sozialen Interessen heraus.19 Auf diese Weise wurde durchaus kein eindeutiger normativer Raum Behörde geschaffen und mutierten Amtsträger nicht zu gemeinwohlorientierten Idealtypen, aber es wurde doch ein amtsorientiertes Rollenmodell etabliert, dessen Attraktivität darin lag, dass es sich auch sozial, aufgrund der mit ihm verbundenen Ehrzuweisung, auszahlte. Das heißt nicht, dass es konsequent befolgt wurde, aber doch, dass seine Befolgung durch Amtsträger in bestimmten Situationen wahrscheinlicher wurde. Es schuf somit einen Möglichkeitsraum für situative Vereindeutigung. Was allerdings in der Frühen Neuzeit noch ausblieb, war der Durchbruch eines konsequenten, das Amtshandeln und den Amtsträger als Ganzes erfassenden amtszentrierten Verhaltensideals in der Praxis, das geeignet war, das Eindringen sozialer Normen in die Amtssphäre weitgehend abzuwehren. Dazu war die Ubiquität der sozialen Normen noch zu ausgeprägt und die Grenze zwischen Amtssphäre und sozialen Verpflichtungen noch zu durchlässig. Somit überlappte sich das Rollenmodell des idealen Amtsträgers noch mit den Verhaltenserwartungen sozialer Provenienz. Nicht selten sahen sich Amtsträger daher zu kasuistischer Abwägung 17 Krischer: Verfahren. 18 Grüne: Dimensionen, 225 f. und 231; Krischer: Verfahren, 220. 19 Emich: Tot in der zweiten Reihe, 190 ff.

Situative Vereindeutigung

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­veranlasst – auf diesen ­Verhaltensmodus im Umgang mit Normenkonkurrenz wird noch ­zurückzukommen sein. Die Verwaltung blieb ein Ort der Normenkonkurrenz, aus dem das Soziale und das Informelle nicht zu verbannen waren. Und der frühneuzeitliche Staat und seine Verwaltungen wuchsen nicht auf Kosten des sozialen Normensystems, sondern bezogen es mit ein. Situative Vereindeutigung bedeutete in den bis zu diesem Punkt dargelegten Beispielen, dass Akteure in einer gewissen Situation, an einem gewissen Ort oder in einem bestimmten Zeitraum gemeinsam einem Verhaltensstil bzw. Rollenmodell folgen. Doch ließen sich auch unterschiedliche Rollen arbeitsteilig kombinieren. Das Paradebeispiel für eine derartige normative Arbeitsteilung stellt die Familie dar. Wir haben bereits im Kapitel zu den sozialen Normen gesehen, dass Familienmitglieder im Laufe ihres Lebens ihre sozialen Rollen wechselten und damit auch in unterschiedlichen Normenhorizonten lebten. Die arbeitsteilige Kombination von Rollen, die sich je nach Lebensalter und Geschlecht in Verwandtschaftsverbänden zusammenfanden, ermöglichte es einer Familie, Normenkonkurrenz und widerstreitende Verhaltensanforderungen gemeinsam produktiv zu bewältigen. Die für eine soziale Gruppe gültigen Normen wurden auf diese Weise auf unterschiedliche individuelle Rollenträger verteilt, die jeweils bestimmte Normen und mitunter auch bestimmte Formen von Devianz stärker auslebten als andere. Das galt in besonderer Weise für den Adel, der sehr unterschiedliche Formen adliger Verhaltenserwartungen unter einen Hut zu bringen hatte. Während beispielsweise junge Männer das adlige Kriegerideal lebten, pflegten und repräsentierten Frauen mit ihren Frömmigkeitspraktiken die Religiosität der Familie und sorgten zum Nutzen aller Angehörigen für die Teilhabe am göttlichen Heil. Auch dann, wenn das von den Frauen getragene Bekenntnis der Familie in den Strudel konfessioneller Auseinandersetzungen geriet und die gesellschaftliche Position des Verwandtschaftsverbandes gefährdete, konnten derart arbeitsteilige Arrangements sehr nützlich sein. Häufiger als Männer lehnten Frauen unter Berufung auf ihr Gewissen eine Konversion energisch ab.20 Sie konnten sich dies freilich auch eher leisten, weil ihre Religiosität diskreter ausgeübt wurde als die der stärker in der Öffentlichkeit agierenden Männer. Frauen konnten damit gewissermaßen zu den Hütern des „eigentlichen“, verborgen zu haltenden Bekenntnisses der Familie avancieren. Im französischen Bürgerkrieg des späten 16. Jahrhunderts war es oft die Rolle adliger Frauen, den Glauben ihrer Familie in voller Konsequenz zu leben, während sich ihre Männer opportunistischer verhielten.21 Auch bei katholischen Adelsfamilien in England verlief die religiöse Arbeitsteilung zumindest teilweise geschlechtsübergreifend: Die exponierteren und für den Krondienst in Frage kommenden Vertreter des Familienverbandes – 20 Bastl: Tugend, 111. 21 Asch: Selbstinszenierung, 78.

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der Familienvater und der älteste, den Besitz erbende Sohn – bekannten sich z­ umindest äußerlich zur Anglikanischen Kirche, wohingegen die übrigen Kinder und die Ehefrau am Katholizismus festhielten und ihn heimlich praktizierten. Auf diese Weise konnten der Familienvorstand und sein Nachfolger weiter Ämter im Dienst der Krone ausüben, Besitz, Vermögen und Status wurden gewahrt und die (oppositionelle) religiöse Tradition dennoch weitergeführt.22 Eine andere Form konfessioneller Arbeitsteilung, angepasst an den dortigen politischen und religiösen Flickenteppich, findet sich im Reich. Dort bekannte sich mitunter ein Zweig einer Familie zur protestantischen, ein anderer zur katholischen Konfession. Auf diese Weise konnten beide Linien Konflikte mit ihrem jeweiligen Landesherrn vermeiden und sich in unterschiedlichen Patronagekreisen vernetzen, dabei aber dennoch in Kontakt bleiben, um gegebenenfalls ihre Interessen gemeinsam zu vertreten.23 Derartige Arrangements verlangten den Akteuren ein erhebliches Maß an Heuchelei und ein ausgeprägtes Vertrauen in das göttliche Verständnis für derartige religiöse Spagatleistungen ab. Nicht immer brachten alle Beteiligten diese Ambiguitätstoleranz auf; konfessionelle Konflikte konnten Familien auch regelrecht zerreißen oder bestehende Rivalitäten vertiefen. Dass sich aber relativ viele Familien zu dieser Form religiöser Arbeitsteilung bereitfanden und diese mitunter über etliche Generationen fortführten, ist ein deutlicher Hinweis ­darauf, dass die Grundkonstellation der Normenkonkurrenz das Aufkommen von Ambiguitätstoleranz begünstigte.

Normative Übererfüllung Ambiguitätstoleranz mochte ein kulturelles Merkmal frühneuzeitlicher Gesellschaften sein, der Blick auf Konflikte wie die um die konfessionelle Ausrichtung von Familien zeigt aber deutlich, dass keineswegs alle Akteure zu normativen Spagatleistungen und situativen Anpassungen bereit waren. Vielmehr scheuten einige Individuen keine Mühe und nahmen bisweilen auch soziale Isolation in Kauf, um bestimmte normative Erwartungen kompromisslos zu erfüllen. In diesen Fällen haben wir es mit einem an normativer Eindeutigkeit ausgerichteten Lebensstil zu tun, der als Symptom für die Prekarität der Ambiguitätstoleranz lateinchristlicher Gesellschaften der Frühen Neuzeit gewertet werden kann. Denn diese normativen Übererfüller erinnerten ihre Zeitgenossen daran, dass Eindeutigkeit ein Ideal darstellte und normative Lauheit nicht als Tugend galt. In ihrem Verhaltens- und mitunter auch Lebensstil manifestierte sich das klare Votum für ein Normensystem unter Hintanstellung der anderen. Allerdings blieb ein solcher 22 Asch: Selbstinszenierung, 86 f. 23 Bastl: Tugend, 116.

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Weg – vor allem, wenn er das ganze Leben oder einen langen Lebensabschnitt betraf – einer Minderheit vorbehalten, die sich damit zudem aus der Sicht vieler ihrer Mitmenschen ein gutes Stück außerhalb des Normenhorizonts der Masse stellte. Entweder wurde diese einseitige normative Orientierung als maßlos und somit deviant erachtet oder aber sie galt als nützlich für die Gesellschaft und hatte sogar normative Entlastungseffekte für die Masse der in Normenkonkurrenz und Ambivalenz Lebenden. Derartige Fälle einer das Ansehen einer Person oder Gruppe fördernden normativen Übererfüllung betrafen auffallenderweise ganz überwiegend das religiöse Normensystem. Die besonders hohe Legitimität religiöser Handlungserwartungen wird damit erneut deutlich. Sich ihnen bevorzugt und zulasten anderer Normen zuzuwenden, war im Prinzip akzeptabel und funktional; für andere Normensysteme galt dies weitaus weniger. Sich der Sphäre des Sakralen zu widmen und der Welt asketisch zu entsagen, war schon seit dem frühen Mittelalter mit dem Aufstieg des Ordenswesens ein in der Christenheit anerkanntes Lebensmodell, das zudem auf antike Vorbilder zurückgreifen konnte.24 In protestantischen Gesellschaften war dieser Weg der vorrangigen Orientierung an religiösen Normen mit der Abschaffung des Ordenswesens zwar versperrt worden, sollte aber durch die Vorstellung von der „Erweckung“ Einzelner zum Glauben ersetzt werden. Mit der Übererfüllung gemeinwohlorientierter Normen waren Meriten schwerer zu ernten als mit religiöser Virtuosität. Zwar war das Gemeinwohl ein hoher Wert, aber für das gemeine Beste, den fürstlichen Herrn oder das Vaterland zu leiden oder gar zu sterben, war weniger angesehen, als sein Leben für den Glauben zu geben; im Katholizismus galt der Märtyrertod gar als Königsweg zur Heiligkeit.25 Hingegen brachte beispielsweise der militärische Dienst zumindest in den unteren Rängen nur wenig Anerkennung ein: Die Gleichgültigkeit frühneuzeitlicher Gesellschaften gegenüber Kriegsinvaliden zeigt dies deutlich.26 Auch die einseitige Übererfüllung sozialer Normen kam rasch an die Grenzen des Akzeptablen und wurde als Devianz angesehen – als Ehrsucht, als Korruption oder als Hoffart und Eitelkeit. Damit sind nun vor allem die Implikationen normativer Übererfüllung im Bereich des Religiösen zu diskutieren und ist das Paradox aufzulösen, dass soziale Selbstmarginalisierung durch einseitige Orientierung an religiösen Normen Ansehen hervorrufen konnte und ihr gar für die Gesellschaft insgesamt förderliche Wirkungen zugesprochen wurden. Arnold van Gennep hat auf die 24 Frank: Geschichte, 1 ff. 25 Zur Wahrnehmung des Martyriums in der Frühen Neuzeit und zum Martyrium als Königsweg zur Heiligkeit: Burschel: Tode; Burschel: Sterben; Ilg: Constantia; Sieger: Heiligsprechung; Weinstein/Bell: Saints. 26 Patrick Schmidt: Bettler, 246 ff.

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­sakrale ­Dimension von gesellschaftlicher Randständigkeit hingewiesen: In v­ ielen ­Gesellschaften seien Personen, die sich in einer Situation gesellschaft­ licher ­Isolation oder in einem Schwellenritus (rite de passage) befunden hätten, als der Sphäre des Sakralen nahestehend und daher mit bestimmten Kräften versehen wahrgenommen worden. Gerade ihre Schwäche und Randständigkeit habe ihre Stärke ausgemacht, sie ermächtigt und in die Gesellschaft zurückgewirkt.27 Auch das Konzept der geistlichen Berufung des Priesters baut auf dieser Logik auf: Der Ruf Gottes, die vocatio, die der Priesterkandidat verspüren soll, bedeutet eine Abkehr von den Regeln der Welt und muss nicht selten gegen die Vorstellungen der eigenen Familie erst einmal durchgesetzt werden.28 Stärker noch gilt dies für die Berufung zum Eintritt in einen Orden. Während der Weltpriester zwar durch die Weihen und den Zölibat zur Abkehr vom normativen Horizont der Welt verpflichtet ist, zeichnet sich das Modell der Ordensgeistlichkeit doch durch eine ungleich konsequentere Abtrennung von der Welt in Form permanenter sozialer Randständigkeit zugunsten der Konzentration auf die sakrale Rolle aus. Die Verhaltensgebote von Ordensleuten orientierten sich nicht an der „Welt“, sondern am Transzendenten. Vor allem das Armutsgebot bedeutete eine „Institutionalisierung des Schwellenzustandes“, und zwar insbesondere in seiner mendikantischen Variante.29 Während im Prinzip alle Ordensangehörigen zu Armut im Sinne des Verzichts auf eigenen Besitz verpflichtet waren, erstreckte sich die Besitzlosigkeit der Mendikanten auf den gesamten Orden. Dieses den üblichen gesellschaftlichen Regeln entgegenstehende Leben, das unbedingtes Gottvertrauen ausdrückt, sicherte den Mendikanten ihre Rolle als Mittler zum Sakralen. Sie wirkten vom Rand der Gesellschaft in deren Mitte – jedenfalls solange die Gläubigen überzeugt waren, dass die Ordensleute gemäß ihrer Regel lebten, also „Regelobservanz“ einhielten, und dass diese Lebensform tatsächlich gottgefällig war. Die Mendikanten wirkten in die Gesellschaft zurück, indem sie ein Beispiel für die Umkehr, das heißt die Orientierung an religiösen Normen boten und sich vor allem aber den vielen, die sich zu einer derartigen Lebensführung außerstande sahen, als Seelsorger und Vermittler zur Sphäre des Sakralen anboten. Konkret bedeutete dies, dass sie als Prediger die christliche Botschaft besonders glaubhaft vermittelten, als Beichtväter und als Sterbebegleiter nachgefragt wurden und für die Gläubigen die Kommunikation mit den Heiligen und Gott selbst übernahmen, sei es über Gebete oder Seelmessen für das Heil von Verstorbenen; das glt besonders für die Franziskaner.30

27 van Gennep: Übergangsriten, 34 f. und 112. 28 Davis: Boundaries. 29 Turner: Ritual; vgl. auch Roest: Franciscans, 434. 30 Hamm: Reformation, 16.

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Diese Vorstellungen lassen wiederum das Konzept einer normativen Arbeitsteilung erkennen: Die religiöse Übererfüllung einiger regelstrenger Ordensleute – Max Weber hat für sie den Begriff der „religiösen Virtuosen“ geprägt 31 – gestattet den vielen, trotz ihres Lebens in normativer Ambivalenz von der Nähe der Übererfüller zur Sphäre des Transzendenten zu profitieren, mit dem Ziel der Sicherung ihres Seelenheils. Um diese Rolle von Mittlern zum Transzendenten glaubhaft ausfüllen zu können, bedurfte es einer Lebensführung, die klar eine Orientierung zum Jenseits hin erkennen ließ und die sich markant vom Leben der Alltagschristen unterschied. Weltpriester vermochten diese Rolle aufgrund ihrer zu großen Nähe zum ambivalenten Alltag in der „Welt“ nicht in vergleichbarer Glaubwürdigkeit auszufüllen. Das Modell der Arbeitsteilung über Rückgriff auf normative Übererfüller legitimierte einerseits streng nach religiösen Normen ausgerichtete klösterliche Lebensmodelle, konservierte jedoch andererseits die Normenkonkurrenz und Ambiguität des Alltags. Denn sie beschränkte die strikte Befolgung religiöser Normen auf die regelstrengen Orden und erlaubte den Christen, die nur die foi ordinaire 32 befolgten und lebten, über die Nutzung der seelsorgerischen und sakramentalen Angebote der ordensmäßig organisierten Übererfüller trotz ihres normativ ambivalenten Lebens die Teilhabe am Heil. Im Katholizismus der Frühen Neuzeit wurde dieses Konzept der normativen Arbeitsteilung nochmals aktualisiert und verstärkt. Die beiden großen neu erstandenen Reformorden des 16. Jahrhunderts, die Jesuiten und die Kapuziner, griffen es auf und perfektionierten es. Die Kapuziner verstanden sich als wahre Nachfolger des Heiligen Franziskus, dessen Regel von den Franziskanern, ihrerseits aufgespalten in verschiedene Ordenszweige, nicht mehr konsequent vertreten werde. Die strenge Regelobservanz war, wie bereits erläutert, die Grundlage ihrer Glaubwürdigkeit und ihrer Wirkung auf die Gläubigen.33 Neben einem strikten Besitzverbot sorgten eine relativ strenge Klosterklausur, das Auftreten in grobem Habit und mit wenig gepflegtem Bart, eine gewisse Reserviertheit gegenüber Bildung als „eitlem Wissen“, ihr Engagement in der Seelsorge von Gefangenen und Hinzurichtenden und ein mitunter todesmutiger karitativer Einsatz, namentlich in der Pestpflege, dafür, dass der Orden als glaubwürdig und daher als effektiver Mittler zum Transzendenten wahrgenommen wurde.34 Andere Orden, namentlich die regelstrengere Richtung der Franziskaner und die Karmeliten, o­ rientierten 31 Max Weber: Aufsätze, 545; vgl. auch Ebertz/Schultheis: Einleitung, 25 ff. 32 So die Bezeichnung des Glaubens(lebens) der Masse der Christen durch Montaigne, das er von der religiösen, von Gott direkt inspirierten foi vive abgrenzt, die nur wenigen gegeben sei. Vgl. Mißfelder: Konversion, 175. 33 Ilg: Kapuziner, 226; v. Thiessen: Randständigkeit. 34 Elpert: Kapuziner; Roest: Franciscans, 434; v. Thiessen: Randständigkeit; Wendland: Geschulte Bettler?; Walser: Kapuzinerklöster, 5.

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sich ihrem Beispiel, mit der Folge, dass auch sie von den Gläubigen als ­Seelsorger intensiv nachgefragt wurden.35 Klöster, die diesen strengen Maßstäben nicht folgten, wurden hingegen von den Gläubigen weniger frequentiert.36 Das Beispiel der regelstrengen Kapuziner wirkte damit auch auf das Lebensmodell und die Regelstrenge anderer Orden. Andererseits unterminierten die strengen Orden aber auch den Ansatz der Katholischen Reform, die Sakralität der Weltpriester stärker herauszustreichen. Denn indem die Gläubigen mit den regelstrengen Ordensgemeinschaften Geistliche zur Verfügung hatten, die für ihr Seelenheil wirkten und den Kontakt zum Transzendenten herstellten, nahmen sie die Weltpriester eher als christliche Funktionäre ohne besonders ausgeprägte Sakralität wahr. Das Arbeitsteilungsmodell mit den regelstrengen ­Ordensleuten als religiösen Virtuosen unterlief somit nicht nur das Ziel der Katholischen Reform, die Verchristlichung des Alltags durchzusetzen, sondern stand auch der Sakralisierung der Weltpriester im Wege. Einen Sonderfall stellen die Jesuiten, der zweite große Orden der Katholischen Reform dar. Ihr Rollenmodell religiöser Virtuosität basierte gerade nicht, wie bei den reformierten Bettelorden, auf der Perfektionierung des traditionellen Bettelordenswesens, sondern auf einer anderen Form von Distanz gegenüber der „Welt“: Ihr Ideal der indifferentia baute, wie bereits dargelegt, auf Selbstdisziplinierung durch spirituelle Übungen, die dem einzelnen Jesuiten als Schild gegen die Versuchungen und Verstrickungen der Welt dienen sollten.37 Jesuiten sollten derart gewappnet auf kontemplative Elemente des Ordenslebens – das gemeinsame Chorgebet etwa – verzichten können, um sich ganz der Seelsorge zu widmen; sie waren gewissermaßen contemplativus in actione.38 Mehr als bei den franziskanischen Bettelorden hatte diese Form des religiösen Virtuosentums ambivalente Wirkungen auf die Gläubigen: Den Jesuiten fehlte die ostentative Demutshaltung, was ihnen viel Kritik und den Vorwurf des Hochmuts einbrachte.39 Sie waren aber andererseits als spirituelle Führer für die Laien in Bruderschaften, vor allem den Marianischen Kongregationen, sehr erfolgreich. Ihr Ansatz war es, über die Vermittlung spiritueller Erfahrungen und die Erweckung des christ­ lichen Gewissens eine höhere Gewichtung religiöser Normen auch im Alltag der 35 Das lässt sich beispielsweise für die Stadt Münster anhand von Testamenten nachweisen: Laqua-O’Donnell: Women, 54 ff. 36 So z. B. die der Franziskaner-Oberservanten in den Niederlanden: Roest: Franciscans, 434. 37 Friedrich: Jesuiten; Switek: Eigenart. 38 Bireley: Neue Orden, 148. 39 Bachmann/Schwarz: Kritik; Niemetz: Strategien, 179; die jesuitische Hoffart war ein beliebtes Argument gegen die Errichtung von Niederlassungen der Jesuiten, vgl. z. B. Weiss: Reformorden, 248.

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Durchschnittschristen zu erreichen. Die Jesuiten verbreiteten damit unter den Laien, die diese Angebote annahmen, eine Spiritualität, die zwar das Virtuosentum der Ordensangehörigen nicht erreichen konnte, der Verchristlichung des Alltagslebens aber durchaus dienlich war. Denn indem sie im späten 16. und im 17. Jahrhundert eine konfessionsbewusste Elite formten, zogen sie Multiplikatoren für die Katholische Reform heran.40 Da sich die Jesuiten auch massiv in der Priesterausbildung engagierten, erfassten sie auch die Weltpriester.41 Ein erheblicher Teil der Laien betrachtete die Jesuiten allerdings auch als Lieferanten von Sakramentalien und Mittler zu den Heiligen, nahmen ihre indifferentia also als äquivalent zu der ostentativen Demut der strengen Mendikanten wahr, mithin als Variante der religiösen normativen Übererfüllung.42 Damit allerdings ermöglichten auch die Jesuiten den weniger ambitionierten Gläubigen den Verbleib in ihrer ambivalenten Normenwelt im Vertrauen auf die heilsamen Vermittlungsleistungen der Virtuosen. Selbstverständlich standen weder Mendikanten noch die Jesuiten vollkommen außerhalb der Normenkonkurrenz der „Welt“. Sie mussten mit weltlichen Obrigkeiten ins Einvernehmen kommen, sie agierten bei Auseinandersetzungen mit anderen Orden mitunter nach den agonalen Logiken von Ehrkonflikten und sie pflegten Beziehungen zu Gönnern und Förderern, die als Patronage anzusehen sind.43 Dennoch wurde ihnen das Rollenmodell des religiösen Virtuosen bzw. Übererfüllers abgenommen, weil ihre Lebensweise sich klar von der der Laien unterschied. Dass das religiöse Virtuosentum die beschriebene Wirkung entfalten konnte, ist vor allem auch darauf zurückzuführen, dass es in feste Regeln gegossen war und somit klare Erwartungshorizonte und Maßstäbe schuf. Damit war es kontrollierbar, was nicht zuletzt für die kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten ein wichtiger Aspekt war, denn Personen und Gemeinschaften, die sich einer direkten Beziehung zum Transzendenten rühmten, waren für die bestehende Ordnung nicht vollkommen ungefährlich. Die Täufer, „Sekten“ und „Schwärmer“ des 16. und 17. Jahrhunderts erinnerten Obrigkeiten wiederholt daran, dass von religiösen Virtuosen auch Dynamiken des Umsturzes der sozialen und politischen Verhältnisse ausgehen konnten. Deswegen war es von großer Bedeutung, dass Personen, denen eine exzeptionelle Beziehung zur Sphäre des Transzendenten zugesprochen wurde, in ihrer Wirkung eingehegt wurden. Das gilt auch für Heilige, deren transzendente Rolle als Fürsprecher und Wundertäter zum Wohle der Gläubigen im Kapitel über die religiösen Normen bereits Thema war. In einer Welt, in der das Transzendente präsent und e­ rfahrbar 40 Châtellier: Europe; Hsia: Society, 76 ff.; Rolle: Die Marianischen Kongregationen. 41 Schindling: Bildungsreform, 172 f. 42 Friedrich: Jesuiten, 153 ff. 43 Brändle: Auf Seiten der Obrigkeit; Ilg: Kapuziner, 229 ff., v. Thiessen: Kapuziner, 451 ff.

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war und in die Gott selbst eingriff, war es nur plausibel, dass ein sehr ­kleiner Kreis von Menschen in besonderer Weise in der Gnade Gottes stand und auch andere von diesem Gnadenstand profitieren konnten.44 Heilige waren als „Diener Gottes“ per Definition Übererfüller religiöser Normen, und dies noch weit über das bei Weltpriestern und Ordensleuten übliche Maß hinaus. Gleichzeitig war es kein Zufall, dass im konfessionellen Zeitalter vor allem Priester und Nonnen heiliggesprochen wurden. Denn in ihren Reihen waren aus kirchlicher Sicht in einer Zeit, in der die Sakralität des geistlichen Personals stärker hervorgehoben wurde, Heilige am ehesten zu suchen. An ihrem Beispiel lässt sich die Wirkung, die von normativen Übererfüllern auf die Gesellschaft insgesamt ausgeht, besonders markant darstellen, wie auch die damit verbundenen Widersprüche sichtbar werden. Heiligen wurden „heroische Tugenden“45 zugesprochen, das heißt, sie erfüllten christliche Verhaltensgebote unerschrocken und entschlossen im Übermaß. Dieses Übermaß konnte sich auf unterschiedlichen Gebieten entfalten, etwa in der Ordensgründung oder -reform, der Mystik, der tatkräftig angepackten Reform einer Diözese, der Mission, dem Martyrium oder auf dem Feld der caritas.46 Heilige waren für die Masse der Gläubigen Vorbild und Beispiel, wenn auch ihr Ausmaß an Begnadung mit heroischen Tugenden von keinem Normalsterblichen erwartet werden konnte. Eher ging es um die Demonstration der Gottgefälligkeit bestimmter Verhaltensweisen als Anstoß zu einer Verchristlichung des Lebenswandels.47 Darüber hinaus galten Heilige als Boten der Wahrheit, als Bestätiger des katholischen Glaubens, den sie, vor allem wenn sie Priester waren, verkündigten, der sich in ihren Tugenden spiegelte und der durch die Wunder, die sie vollbrachten, gewissermaßen von Gott selbst bewiesen wurde. Damit boten sie der Kirche konfessionelle Selbstvergewisserung, was eine Kontrolle der Heiligsprechung umso wichtiger machte. Die Kanonisationsverfahren wurden 1625 und 1634 in zwei Schritten strengeren Kriterien unterworfen, strikt formalisiert und der Zuständigkeit einer kurialen Behörde, der Ritenkongregation, anvertraut. Das Verfahren stellte eine evidenzbasierte Überprüfung eines Kriterienkatalogs dar, wobei vor allem die herausragenden Tugendgrade und ihnen zugesprochene, zu Lebzeiten oder nach dem Tod bewirkte Wunder überprüft wurden. Man ging davon aus, dass die Heiligen nach ihrem Tod unmittelbar in den Himmel aufstiegen und dort im Angesicht Gottes als Fürsprecher für die Gläubigen wirkten.48 In der Regel wurde zunächst 44 Eliade: Das Heilige, 19 und 23. 45 Hofmann: Tugend. 46 Burke: Wie wird man ein Heiliger der Gegenreformation?, 61 f.; Hsia: Gegenreformation, 165 ff. 47 Venard: Formen, 1071. 48 Angenendt: Heilige, 81.

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die Seligsprechung vorgenommen, die lokale Kulte zuließ, der dann gegebenenfalls die Heiligsprechung folgte.49 Auf Seiten der Gläubigen dominierte die Wahrnehmung der Heiligen als Wundertäter und Nothelfer, als „Therapie- oder Schutzheilige“.50 Zuweilen forderten die Gläubigen energisch die Selig- und Heiligsprechung von Menschen, von denen sie glaubten, Wunder erfahren zu haben und auf deren weiter zu erwartende Wundertätigkeit sie Hoffnungen setzten. Das Engagement für die Heiligsprechung war gewissermaßen die Gegengabe derer, die meinten, Wunder erlebt und von ihnen profitiert zu haben.51 Der Versuch, die Heiligen als Agenten der Verchristlichung des Lebens einzusetzen, blieb halbherzig, zumal ihre Therapie- und Schutzfunktion allein schon gut geeignet war, die Gläubigen an die Kirche zu binden. Damit ist die Wirkung der Heiligen auf die Masse der Durchschnittschristen mit der der Ordensgeistlichen vergleichbar: Die Vorbild- und Disziplinierungsfunktion der Heiligen trat hinter ihre Funktion als Helfer und Fürsprecher zurück.52 Das komplexe Verfahren der Heiligsprechung war dem Ansehen der schlussendlich Heiliggesprochenen durchaus dienlich, denn damit war eine auch für die Gläubigen wichtige Grenze gezogen zwischen normativen Übererfüllern, deren Handeln man als Ausfluss der Gnade Gottes sah und deren Gnadenstand für andere nutzbar war, und Sonderlingen, deren Übererfüllung eher als Devianz und Vernachlässigung sozialer Pflichten zu werten war, wenn nicht gar als Betrug.53 Jean-Michel Sallmann charakterisiert Heilige als Borderline-Fälle: „Der Heilige ist eine besondere Figur, deren Verhalten sich deutlich von den gesellschaftlichen Gewohnheiten abhebt und von den Zeitgenossen oft nur schwer ertragen wird“.54 Frauen, die durch mystische Erfahrungen in den Ruf der Heiligkeit kamen, standen in einer besonders schwierigen Situation, zumal sie auch Grenzen ihrer Geschlechterrolle überschritten. Entweder prüfte die Ritenkongregation nach ihrem Tod die Einleitung eines Heiligsprechungsverfahrens oder die Inquisition sah sich schon zu ihren Lebzeiten zur Überprüfung ihrer Rechtgläubigkeit veranlasst.55 Die von 49 Burke: Wie wird man ein Heiliger der Gegenreformation?, 55 f.; Sieger: Heiligsprechung, 83 ff.; Weinstein/Bell: Saints, 141 ff. 50 Châtellier: Einführung, 391. 51 Hsia: Gegenreformation, 182 f. und 213. Jean-Michel Sallmann zählt für Neapel von 1540 bis 1750 allein 105 Männer und Frauen, die im Ruf der Heiligkeit standen. Nur sechs von ihnen wurden heilig- und weitere sieben seliggesprochen. Sallmann: Der Heilige, 561. 52 Geary: Humiliation, 123; Harvolk: Heiligenverehrung; Weinstein/Bell: Saints, 5; Wilson: Introduction, 26. 53 Dinzelbacher: Heilige, 15. 54 Sallmann: Der Heilige, 570; vgl. auch Roeck: Außenseiter, 53. 55 Burschel: Tode, 78 ff.; Wunder: Konfession, 185 f.

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der Kirche gezogene Grenze zwischen Heiligen und Menschen, denen dieser Status nicht zugesprochen wurde, war eine künstliche und hing von Zufällen, Opportunitäten und Konjunkturen ab.56 Im Protestantismus fehlte diese Grenze, womit sich die Einordnung und Bewertung religiöser Übererfüllung besonders schwierig gestaltete. Das Modell des Heiligen hatte im Protestantismus keinen Platz mehr, einerseits weil ein Übermaß an Tugenden aufgrund der Ablehnung der Werkgerechtigkeit keine Garantie für einen direkten Aufstieg in den Himmel bot, andererseits weil der einzelne Gläubige in direkter Kommunikation zu Gott stand und nicht auf die Vermittlungsleistungen von Heiligen zurückgreifen musste. Dennoch finden sich auch in protestantischen Gesellschaften Übererfüller religiöser Normen. Was ihnen allerdings fehlte, war ein dem Mönchtum vergleichbares Rollenmodell. Grundsätzlich bestand in protestantischen Gesellschaften durchaus die Erwartung, dass die Lebensführung zu guten Teilen an religiösen Normen orientiert sein sollte, doch nicht, um den eigenen Seelenstatus zu verbessern, sondern aus eigenem Antrieb, als Ausdruck des Glaubens. Der Anspruch des Protestantismus an die Gläubigen war, dass sie ihr Leben freiwillig, aus Respekt vor Gott und in dem Bestreben, ihren Glauben zu leben, verchristlichten, ohne dafür Vorteile für das ewige Leben zu erwarten. Letztlich bedeutete das, eine Balance zwischen verschiedenen Normen zu halten, die nicht ernstlich zulasten des Religiösen gehen durfte; religiöse, soziale und gemeinwohlorientierte Normen sollten für ideale protestantische Christen eine Einheit darstellen. Besonders ausgeprägt findet sich diese Vorstellung im Calvinismus, dem zufolge der Dienst am Gemeinwohl gleichzeitig religiöse Pflicht war, die, wie im Kapitel zur situativen Vereindeutigung erläutert, im gesamten Kirchenjahr gleichermaßen zu befolgen war. Der – für die praktische Umsetzung sehr hochgesteckte – Ansatz der reformierten Konfession bestand stärker als bei Lutheranern darin, die Normenordnung durch Hierarchisierung zu harmonisieren; reformierte Christen sollten normativ weitgehend widerspruchsfrei unter primärer Orientierung an religiösen Normen leben. Die lutherische Konzeption hingegen ging eher von unterschiedlichen Handlungsfeldern und Normen aus, die so weit als möglich in Balance zu bringen waren. Wie die Balance zu halten oder die primär religiöse Lebensweise allen Anfechtungen zum Trotz umzusetzen war, war eine Frage des individuellen Gewissens. Es konnte Akteure dazu bewegen, sich weitgehend von der „Welt“ abzuwenden und das eigene Leben vor allem im Verhältnis zu Gott zu sehen. Solche individuellen religiösen normativen Übererfüller orientierten sich primär an religiösen Handlungsmaximen und setzten damit zwar genau um, was von der Kanzel als Lebensideal verkündet wurde, isolierten sich damit aber von der Gesellschaft. Ein besonders eingängiges Beispiel eines solchen Übererfüllers 56 De Certeau: Schreiben, 205 f.

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hat Gerd Schwerhoff analysiert, und zwar die Vita des aus Obernai im Elsass stammenden Kannegießers Augustin Güntzer (1596 – ca. 1657). Dieser verfasste ein aufschlussreiches Selbstzeugnis: Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben.57 Er erläutert darin seine eigene Heilsmethodik, mittels der er sich weitgehend von der „Welt“ abschloss, wobei er insbesondere Rituale des sozialen Lebens mied, weil er sie als sündhaft ablehnte; dazu gehörten beispielsweise das gemeinsame Essen und Trinken. Krankheiten, Unglücksfälle und Erfahrungen von Ablehnung seines Lebensstils interpretierte er als Beleg für seine Erwählung. In der Wahrnehmung seiner sozialen Umgebung war er damit ein Sonderling und Abweichler. Sein Rigorismus brachte ihm folglich eine randständige Position ein; statt Anerkennung seiner Tugendleistungen zu erfahren, manövrierte er sich in eine Position des sozialen Separatismus. Die Flucht aus der Lebensweise der vielen, die pragmatisch mit Normenkonkurrenz umgingen, zugunsten des Versuchs, ein religiöses Idealleben zu führen, brachte ihm in der „Welt“ keine Meriten ein.58 Sein Beispiel zeigt deutlich, dass mit „Ideal“ in der Frühen Neuzeit keine Optimierung der Lebensführung gemeint war, sondern ein im realen Leben (außerhalb der Klosterklausur) kaum erreichbarer und aufgrund seiner normativen Einseitigkeit auch gar nicht wünschenswerter Lebensstil. Das Ideal war demnach die reine, von normativen Konkurrenzen ungetrübte Umsetzung bestimmter Handlungsmaximen. Es bot Orientierung im Sinne eines wertebasierten Maßstabs, an den man sich annähern konnte, von dessen konsequenter Umsetzung man aber guttat abzusehen. Überwinden konnten religiöse Übererfüller die soziale Isolation durch Vergemeinschaftung unter ihresgleichen. Die Bildung einer religiösen Gemeinschaft war der Bestätigung ihres Lebensstils dienlich und löste auch den ­W iderspruch zwischen religiösen und sozialen Normen auf, denn die Gemeinschaft gab sich eigene, stark an religiösen Maximen orientierte soziale Normen; in seiner Gemeinschaft galt der einzelne religiöse Virtuose nicht mehr als deviant. Derartige Gruppenbildungen führten, wenn sie Bestand hatten, entweder in die kollektive Absonderung von der Gesellschaft oder mündeten in die Formation einer Elite; dann stellten die Übererfüller ihre religiöse Verve in den Dienst des Gemeinwohls. Der erste Fall betrifft etwa die Täufer, die sich nach der Niederlage im Bauernkrieg in Form von abgesonderten Gemeinschaften zurückzogen, allerdings nicht unbedingt räumlich, sondern vor allem innerlich, in Anlehnung an Johannes 17: „in der Welt, aber nicht von der Welt“. Auf diese Weise konnte der ­Devianzvorwurf 57 Dieser Lebensbericht liegt ediert vor: Augustin Güntzer: Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben. Die Autobiographie eines Elsässer Kannengießers aus dem 17. Jahrhundert. Hrsg. und komm. v. Fabian Brändle und Dominik Sieber. Unter Mitarbeit v. Roland E. Hofer und Monika Landert-Scheuber. Köln/Weimar/Wien 2002. 58 Schwerhoff: Transzendenz.

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mit der Heiligen Schrift umgekehrt werden: „Aus der Perspektive der ‚Devianten‘ sind also die anderen die ‚Devianten‘“.59 Entsprechend übernahmen die englischen Quintomonarchisten die gegen sie gerichtete Spottbezeichnung Fanaticks selbst und betrachteten sich als das Häuflein Aufrechter (persevering remnant), das Gottes Geboten verpflichtet blieb.60 Die Wahrnehmung der eigenen Auserwähltheit war auch ein zentraler Grund für den Zusammenhalt der Quäker unter der Verfolgung während der Herrschaft der späten Stuarts.61 Auswanderung in die neuenglischen Kolonien bot zudem auch die Möglichkeit der räumlichen Separierung von der Restgesellschaft. Sowohl Absonderung als auch Elitenbildung mit starker Wirkung in die Gesellschaft findet sich bei einer für die Geschichte des Protestantismus wichtigen Gruppierung bzw. Glaubens- und Lebensrichtung, dem Pietismus. Der Pietismus entstand bezeichnenderweise genau in dem Moment, als der Impetus der Konfessionalisierung nachließ. Noch im Jahrzehnt nach dem Dreißigjährigen Krieg lassen sich im Reich konfessionsübergreifend Beispiele von kirchlicher Seite dafür finden, über Predigt, Katechese und (in katholischen Orten) Wallfahrten und Prozessionen die Alltagsfrömmigkeit zu intensivieren.62 Nach dem Versanden dieser Verchristlichungsoffensive nahmen auf protestantischer Seite zu Beginn der 1670er Jahre die sogenannten collegia pietatis einen erneuten, nun aber nicht obrigkeitlich lancierten Anlauf zur stärkeren Orientierung des Lebens an christlichen Geboten, zunächst in Frankfurt am Main und bald auch andernorts. Es handelte sich um eine religiöse Bewegung, die sich von der Praxis der Durchschnittschristen abheben und nicht auf äußerlichen konfessionellen Konformismus beschränken wollte. Vollkommen neu war dieses Phänomen nicht, denn es hatte auch schon vorher vielerorts Gruppen gegeben, die dem lauen Alltagschristentum eine verinnerlichte und teilweise auf spirituellen Erfahrungen beruhende Frömmigkeit entgegensetzten; sie wurden bisweilen heftig angefeindet und von der Kirche als Bedrohung angesehen.63 Mit der wesentlich von dem Frankfurter Pfarrer Philipp Jakob Spener inspirierten Frömmigkeitsbewegung, die durch dessen Erbauungsbuch Pia desideria von 1675 überregionale Aufmerksamkeit erhielt und sich rasant 59 v. Schlachta: Erzählungen, Zitat 316. 60 Pietsch: Schwert, 194 ff. 61 Pietsch: Schwert, 198 ff. 62 So beispielsweise in Freiburg im Breisgau mit dem Aufbau, teils auch der Wiedererrichtung einer regelrechten Sakrallandschaft aus kleinen Wallfahrtskirchen um die Stadt (v. Thiessen: Kapuziner, 114 ff.) und in Rostock, wo die Prediger der Stadt konzertiert eine Verchristlichung des Lebenswandels ihrer Bewohner forderten (Strom: Katalog; ders.: Kirchenzucht); vgl. auch zu den Versuchen protestantischer Geistlicher, sich nach dem Dreißigjährigen Krieg gegen Tendenzen der Entkonfessionalisierung zu stemmen: Schorn-Schütte: Geistlichkeit, 25. 63 Vgl. z. B. für Lübeck Strom: Early Conventicles.

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ausbreitete, wurde aus den kleinen, von ihrer Umwelt verfolgten Zirkeln eine überregionale Gruppe mit ausgeprägtem Eigenbewusstsein.64 Zwar zielte der Pietismus auf eine Verchristlichung der Gesellschaft, war aber auch auf Abgrenzung und Exklusion ausgerichtet. Anders als die katholischen Modelle – sowohl die Orden als auch die Marianischen Kongregation für Laien – baute der Pietismus nicht auf formalen Strukturen, sondern auf informellen Netzwerken auf; brief­ liche Vernetzung spielte dabei eine große Rolle.65 Die Pietisten verstanden sich als Mitglieder einer Seelengemeinschaft der Erweckten. Sie sahen im sozialen Leben der Masse der weniger beseelten Zeitgenossen zahllose Ansätze für Sündhaftigkeit. Der Eitelkeit der „Welt“ setzten sie das Ideal religiöser Inbrunst entgegen. Was ihnen weitgehend fehlte, war das kasuistische Verständnis für eine Kultur der Ambiguität. Für die meisten ihrer Zeitgenossen galten sie als eher befremdliche Frömmler, die sie vor allem durch ihren Ansatz, laue Christen zu „vermahnen“, als sozial unverträglich ansahen.66 Der Pietismus pendelte damit zwischen einer auf die ganze Gesellschaft zielenden Reformbewegung und einer vom Rest der Gesellschaft mit Irritation betrachteten Gemeinschaft der wenigen Erweckten. Auch intern zeigten sich mit dem weiteren Wachstum dieser Bewegung bald Risse zwischen Reformern, Radikalen und Separatisten. Erstere zielten auf eine generelle Reform von Kirche und Frömmigkeit, die Zweitgenannten lehnten die bestehenden Kirchenstrukturen schroff ab, während Letztere auf demonstrative Distanz nicht nur zu Kirchenvertretern, sondern auch zu ihrer Gemeinde gingen und durch deviantes Verhalten gegenüber der Masse ihrer Zeitgenossen auffielen.67 Der Pietismus wurde damit zu einer Bewegung zwischen Norm und Devianz. Seine Verfolgung durch kirchliche und weltliche Obrigkeiten war mit Schwierigkeiten verbunden, weil die pietistische Kritik an lauer Frömmigkeit und die rigorose Ethik der Pietisten den geltenden religiösen Normen ja weitgehend entsprach. Wo Pietisten dennoch als Ruhestörer verfolgt wurden, zeigte sich, dass sich weltliche und zum Teil auch kirchliche Obrigkeiten weitgehend mit dem äußerlich konformen Durchschnittschristentum und der alltäglichen Normenkonkurrenz begnügten. Damit ist eine gewisse Verschiebung des Normenhorizonts in protestantischen Gesellschaften zu erkennen: Die Pietisten verfolgten ein Verchristlichungsprogramm, das mit dem Abflauen der Konfessionalisierung bzw. ihrer Beschränkung auf äußerliche Konformität zunehmend als überzogen und unruhestiftend angesehen wurde, ja als Ausdruck von Devianz galt.68 Dass damit aber keine allgemeine Entwertung religiöser Normen verbunden war, zeigt 64 Eißner: Devianz, 333 f. 65 Eißner: Pietismus, 82 ff.; Lehmann: Definition, 85 f. 66 Eißner: Devianz, 338 f.; Schwerhoff: Transzendenz, 59 f. 67 Eißner: Pietismus, 87 ff. 68 Eißner: Pietismus, 343 ff.

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die andere, gesellschaftsverändernde Seite des Pietismus. Denn er wirkte dort, wo er sich etablierte, maßgeblich in die Gesellschaft hinein. Dann vermochte er verinnerlichte Frömmigkeit auch als Motor des Einsatzes für das Gemeinwohl zu aktivieren und zu legitimieren. Die Universität Halle stellt das Musterbeispiel für eine derartige Wirkung des Pietismus dar, der sowohl eine enge Verbindung mit der Frühaufklärung hatte als auch loyale Staatsdiener für die preußische Verwaltung hervorbrachte – und damit allerdings eher den Stellenwert gemeinwohlorientierter als religiöser Verhaltensgebote hob, ja ein neues Rollenmodell gemeinwohlorientierter Amtsführung verbreitete.69 Eine derart weitreichende gesellschaftliche Wirkung ging von Übererfüllern religiöser Normen im Katholizismus seltener aus; dort überwog eine Konstellation der Arbeitsteilung zwischen religiösen Virtuosen und Durchschnittschristen. Die Virtuosen wirkten zwar – über ihre Vorbild- und Mittlerfunktion – in die Gesellschaft im Sinne einer gewissen Hebung religiöser Verhaltensstandards und einer Bindung der Laien an die Kirche, doch konservierten ihre Rollen die Normenordnung nach dem Ende der Hochphase der Konfessionalisierung stärker, als dass sie sie veränderten. Normative Übererfüllung bestätigte alles in allem eher die geltende Normenordnung, als dass sie diese herausforderte. Sie war damit ein integraler Bestandteil der durch Ambiguität gekennzeichneten Gesamtordnung.

Kasuistik und organisierte Heuchelei Normative Übererfüllung war ein systemstabilisierender Ausnahmefall, Balanceund Maßhalten im Umgang mit normativen Ambivalenzen und Widersprüchen hingegen gewissermaßen der Standardverhaltensmaßstab frühneuzeitlicher Akteure.70 Das rechte Maß zu finden und im Spannungsfeld widerstreitender Normen die richtigen Entscheidungen zu treffen, war vor allem, mit besonderem Fokus auf das Seelenheil, Aufgabe der Moraltheologie. Mit der Konkretisierung von Verhaltensgeboten auf verschiedenen Feldern stieg der Bedarf nach Gewissensführung. Denn das Grundproblem der in einer von Normenkonkurrenz und Ambiguität geprägten sozialen Umwelt lebenden Christen bestand darin, ihr Seelenheil bzw. die Zuversicht in ihre Erwähltheit zu wahren. Die hohe Relevanz christlicher Kasuistik war auf die Vorstellung vom ewigen Leben und von der Seelenwägung direkt nach dem Tod zurückzuführen, in der die irdische Lebensbilanz über die Qualität des zweiten Teils des Lebenslaufs, des transzendenten, entscheiden würde. Kasuistik hatte einen die christliche Lebensführung entlastenden Effekt. Sie stellte eine Prüfung der Umstände von Handlungen eines Individuums dar, indem sie diese 69 Hammerstein: Geschichte, 26; Schindling: Bildung, 39. 70 Vgl. auch Schwerhoff: Transzendenz, 58.

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mit religiösen Verhaltensgeboten in Beziehung setzte und in religiöser Perspektive erlaubte Verhaltensweisen für bestimmte Situationen ermittelte. Als theologisches Bewertungssystem war sie vor allem im Katholizismus vertreten, weil der Priester derartige Prüfungen in seiner Funktion als Mittler zwischen den Gläubigen und der Sphäre des Transzendenten vornahm. In protestantischen Gesellschaften hatte der einzelne Christ eine höhere Selbstverantwortung; sein Verhalten sollte durch sein eigenes Gewissen geleitet werden. Doch konnte er dabei auf den Rat der Trostliteratur, von Pastoren und der Gemeinde zurückgreifen.71 Die Kasuistik geht grundsätzlich von der Annahme aus, dass jeder für sein Heil im Rahmen seiner Lebensbedingungen sorgen könne. Damit wird eine Vielfalt von Lebensund Frömmigkeitsformen als legitim und dem Seelenheil zuträglich angesehen. In Zwangslagen dürfe sich der Christ zudem außergewöhnlicher, eigentlich sündhafter Mittel bedienen, um eine Bedrohung des eigenen Lebens abzuwehren oder eine andere unschuldige Person zu schützen. Erlaubt waren demnach die verschleiernde, „dissimulierende“ Rede, also ein passives und defensives Verbergen von Tatbeständen unter Vermeidung der direkten Lüge und Täuschung, und – wenn auch keineswegs unumstritten – der geheime Gedankenvorbehalt (reservatio mentalis).72 Gemeint ist damit, dass man einen Teil seiner Rede zurückbehält, der für die Wahrheit einer Aussage unerlässlich gewesen wäre; die Aussage erhält wegen ihrer Unvollständigkeit einen anderen Sinn. Man erklärt beispielsweise einem Bettler: „Ich habe kein Geld“, und denkt sich dabei: „Für dich.“73 Die Grenze des Akzeptablen für die meisten Zeitgenossen wurde dann eindeutig überschritten, wenn über die verschleiernde Rede hinaus aktiv und explizit getäuscht wurde. Die glatte Lüge, die „Simulation“, galt in allen moraltheologischen Abhandlungen als verwerfliches und das Seelenheil beschädigendes Verhalten.74 Dissimulation und gedanklicher Vorbehalt waren in den Augen vieler Geistlicher, vor allem aus den Reihen der Jesuiten, als alltagstaugliche und gerade noch gottgefällige Verhaltensangebote geeignet, die breite Masse der Gläubigen im Rahmen des Möglichen, das heißt unter Bedingungen der Normenkonkurrenz, auf dem Pfad der christlichen Tugend zu halten. Kasuistik in der Praxis bedeutete also die Prüfung der jeweiligen Handlungskontexte im Einzelfall. Auch wenn die kasuistische Ratgeberliteratur im 17. Jahrhundert eine große Verbreitung fand, so war die kasuistische Methode doch gleichwohl umstritten. Ein erheblicher Teil 71 Zur religiösen Funktion des Gewissens siehe den Abschnitt „Konfessionsbildung und Konfessionalisierung“ des Kapitels „Religiöse Normen“ in Teil 2. 72 Schockenhoff: Zur Lüge verdammt?, 90 ff.; Stollberg-Rilinger: Einleitung [Konfessionelle Ambiguität], 10. 73 Schockenhoff: Zur Lüge verdammt?, 92 f. 74 Danneberg: Aufrichtigkeit, 62; Stollberg-Rilinger: Einleitung [Konfessionelle Ambiguität], 11 f.

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der Geistlichkeit lehnte sie als „Laxismus“ ab, als eine gar zu nachlässige Form der Seelenführung, die stets nach Entschuldigungen für eigentlich sündhaftes Handeln suche. Es ist hier nicht der Ort, im Detail auf die moraltheologischen Debatten einzugehen. Entscheidend ist, dass die kasuistische Methode zwar von den Gläubigen angenommen wurde, doch immer umstritten blieb. Das zeigt vor allem das Beispiel der jesuitischen Beichtväter: So beliebt sie bei vielen Gläubigen aufgrund ihrer individuell-kasuistischen Methode waren, so erfolgreich war doch auch die Kritik an ihrer moraltheologischen Praxis: Die von Blaise Pascal (1623 – 1662) in seinen Lettres provinciales gegen die Jesuiten scharfzüngig erhobenen Vorwürfe, ihr Laxismus entschuldige Sünden und verderbe die Moral, wurden trotz Verbots weithin rezipiert und festigten den Topos vom jesuitischen Beichtvater als gefälligem, doch verschlagenem Moraltheologen. Dabei wurde übersehen, dass beispielsweise die reservatio mentalis auch unter Jesuiten stark umstritten war.75 Die für die kulturelle Ambiguität im christlichen Europa typische Gleichzeitigkeit der energischen Einforderung von Normen und des flexiblen Umgangs mit ihnen – das Grunddilemma der frühneuzeitlichen Normenordnung – spiegelt sich in diesen moraltheologischen Debatten. Sie beweisen nicht nur das Unbehagen an einer generellen Nachlässigkeit gegenüber religiösen Verhaltenserwartungen, dem durch umso größeren religiösen Eifer zu begegnen sei, sondern auch die weite Verbreitung einer kasuistischen Mentalität, die sich auf viele Handlungsfelder erstreckte, im Bereich der Religion aber besonders heikel war. Akzeptanz von Kasuistik konnte zumindest auf der Ebene der Traktatliteratur dann leicht kippen, wenn der Verdacht aufkam, dass religiöse Normen im Spannungsfeld der Welt als verhandelbar dargestellt wurden und damit vernachlässigt werden konnten. Doch diejenigen, die hingegen zu klaren Bekenntnissen und zu Eindeutigkeit in Theologie und seelsorgerlicher Praxis aufriefen, beförderten damit paradoxerweise indirekt nur umso mehr den Zwang zu Doppeldeutigkeit und Verstellung im weniger von religiöser Reinheit geprägten Alltag. Denn die kasuistische Mentalität war eine Folge der Konkretisierung von religiösen Handlungserwartungen und ihrer zunehmend energischen Einforderung. Diese brachte Strategien des Verschleierns, Arrangierens, Ausweichens, Verbergens, Heuchelns und Verstellens hervor,76 und dies nicht nur mit Bezug auf die religiöse Praxis. Kasuistik entlastete frühneuzeitliche Akteure auf vielen Handlungsfeldern, war also mitnichten auf das Feld des Religiösen beschränkt. Ein Beispiel stellt das Feld fürstlicher Herrschaft dar. Der Fürst stand vor der Herausforderung, mit seinen verschiedenen Rollenbildern als Herrscher zu jonglieren. Als Landesvater hatte er auf die Ökonomie seines Landes zu achten, mithin die Ausgaben unter 75 Danneberg: Aufrichtigkeit, 48 f.; Schockenhoff: Zur Lüge verdammt?, 96; Skoeries: Nikodemismus. 76 Stollberg-Rilinger: Einleitung [Konfessionelle Ambiguität], 11 f.

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Kontrolle zu halten, als Gnadenquell für die Untertanen aber largitas zu zeigen. Als strenger oberster Richter war es seine Aufgabe, die Schärfe des Rechts zum Wohle aller anzuwenden, aber seine Rolle als milder Herrscher legte ihm nahe, Begnadigungen und Strafnachlässe zu gewähren. Zudem war das Recht kein flächendeckend gültiger Maßstab, sondern durch Privilegien und gewohnheitsrechtliche Ausnahmen gewissermaßen durchlöchert und daher nicht gleichmäßig zur Anwendung zu bringen.77 Gerade gegenüber der adligen Elite war die Milde des Herrschers trotz des juristischen Prinzips, dass die Strafe umso schwerer ausfalle, je höher der Rang sei, zumeist politisch geboten. Denn finanziell stark belastende oder die Ehre beeinträchtigende Strafen konnten ganze Familienverbände ruinieren, deren Beteiligung an der Herrschaft der politischen Stabilität eines Landes diente.78 Es war folglich nach Maßgabe der Umstände und unter Berücksichtigung der Folgen zu entscheiden – kasuistisch. Nicht anders der Umgang mit Normen in der herrschaftlichen Verwaltung und vor Gericht: „Partialität und Selektivität“ kennzeichnete die staatliche Normanwendung.79 Die bereits beschriebene Mittlerfunktion der lokalen Amtsträger zwischen Untertanen und dem Herrscher bzw. seinen Behörden ist Ausdruck und Mittel dieser kasuistischen Umsetzung von Herrschaft. Die Amtsträger waren einerseits Schaltstellen, über die Ordnungs- und Gesetzesnormen zu den Untertanen getragen wurden. Sie waren andererseits auch die Instanz, die – im Auftrag des Herrschers und in Erfüllung einer patriarchalen Rolle gegenüber den Untertanen – die Auswirkungen dieser Normen auf die lokalen Lebenswelten überprüften bzw. von den Untertanen auf Probleme der Umsetzung hingewiesen wurden. Damit fand eine Abwägung der sozialen und wirtschaftlichen Umstände vor Ort statt. Dysfunktionale Wirkungen obrigkeitlicher Normen wurden im Idealfall an die Zentrale zurückgemeldet, während die flexible Handhabung dieser Normen den Alltag darstellte. Auch Suppliken hatten eine derartige Rückmeldefunktion. Der Schärfe der Rechtsnormen und der Ordnungen stand damit systemisch die Abweichung von ihnen entgegen. Sie erfolgte fallweise im Spannungsfeld zwischen verschiedenen Normen und unter Berücksichtigung von speziellen Umständen. Kasuistischer Herrschaftsvollzug bedeutete die ständige Aushandlung von Ausnahmen und Vergünstigungen.80 Daraus folgt auch, dass Historiker sich bei der Analyse von Rechtsquellen stets bewusst sein müssen, dass sie damit nur einen Aspekt einer sehr viel komplexeren Normenwelt vor Augen haben. Wenn etwa der Erbsohn eines Bauernhofs in einer Grundherrschaft nach dem Tod seines Vaters zur Zahlung eines Drittels des Hofwertes verpflichtet war, bedeutet das 77 Holenstein: Umstände, 37 f. 78 Waquet: Corruption, 167 und 192 f. 79 Holenstein: Umstände, 44. 80 U. Rublack: Staatlichkeit, 361.

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nicht, dass er diese Summe tatsächlich aufbringen musste, sondern nur, dass dieses Drittel der Forderung des Grundherrn vor Überprüfung der Umstände entsprach. „Gnädige Herrschaften“ neigten dazu, im Regelfall Nachlässe zu gewähren, mit anderen Worten: Die vermeintliche Ausnahme stellte den Regelfall dar.81 Ein weiteres Beispiel stellen die oft drastischen Strafandrohungen in Prozessordnungen dar: Sie symbolisierten die Schärfe des Rechts, die der Delinquent im ärgsten Fall zu spüren bekommen würde – aber das Urteil erfolgte in der Regel unter starker Berücksichtigung der sozialen Umstände. Geprüft wurden vor Gericht nicht nur die Umstände des Tathergangs, sondern auch die sozialen Hintergründe der Beteiligten, die nicht selten für das Urteil den entscheidenden Faktor darstellten. Das Recht war demnach vor Gericht prinzipiell verhandelbar und die Orientierung an seinen Bestimmungen mitnichten der einzige Weg, um zu einem Urteil zu gelangen. Rechtsnormen waren ein relevanter Faktor unter mehreren: Gnade war integraler Teil der Rechtspraxis, und ob sie zur Geltung kam, war eine Frage der Aushandlung und hing vor allem vom sozialen Umfeld des Delinquenten ab. Gnadenbitten von Verwandten, Freunden, Standesgenossen oder Korporationen wurden vor Gericht als Anzeichen der sozialen Akzeptanz des Delinquenten gewertet und hatten oft strafmildernde Wirkung. Das galt auch dann, wenn der Delinquent eine soziale Rolle ausübte, die erwarten ließ, dass bei Verhängung einer Ehren- oder Körperstrafe gegen ihn noch weitere Personen in Mitleidenschaft gezogen würden – der Hausvater, von dessen Ansehen und Arbeitsfähigkeit die Ökonomie eines Hauses mit etlichen Angehörigen abhing, oder der einzige Erbsohn hatten besonders gute Aussichten auf ein gnädiges Urteil.82 Diese Form der Kasuistik stand in Spannung zum Gleichheitsprinzip des Rechts. Iustitia, dargestellt mit Augenbinde, symbolisierte dieses Prinzip der Orientierung allein an Rechtsnormen, das bisweilen von den Untertanen auch sehr energisch eingefordert wurde, etwa im „Bauernkrieg“ des frühen 16. Jahrhunderts. Dennoch urteilten Richter in der Regel sehr stark, ja oft primär unter Berücksichtigung der sozialen Rollen der Verfahrensbeteiligten. Die Autonomie des Verfahrens im Gerichtsprozess reichte nicht so weit, als dass die sozialen Rollen vor Gericht verblasst wären. Die steigende Autorität sozialer Normen in einer auf die Wahrung von Rang und Ehre ausgelegten hierarchischen Gesellschaft zeigte sich somit auch vor Gericht. Die große Bedeutung sozialer Umstände in gerichtlichen Verfahren ist auch darauf zurückführen, dass die Justiz primär als Instrument der Konfliktregelung verstanden wurde. Gerade wenn es darum ging, lokale Auseinandersetzungen zu schlichten, war darauf zu achten, die Ehre und die wirtschaftliche Grundlage der Beteiligten zu schonen. Kasuistik vor Gericht bedeutete im Übrigen nicht, dass die Prozesse in jedem Fall vergleichsweise 81 v. Thiessen: Leben, 47 ff. 82 Bulst: Normen, 5 f.; Schwerhoff: Devianz, 391 und 401 ff.; Waquet: Corruption, 192.

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glimpflich für die Beschuldigten ausgingen: Mitunter mussten das Gericht und die Obrigkeit beweisen, dass sie auch die Schärfe des Rechts anzuwenden bereit waren, um ihre Legitimität und Autorität zu unterstreichen. Aber selbst diese Fälle lassen den Einfluss sozialer Hintergründe und kasuistischen Denkens auf die Prozesspraxis erkennen, waren doch besonders häufig Delinquenten von harten Urteilen betroffen, denen die soziale Vernetzung vor Ort fehlte.83 Kasuistik zu akzeptieren und zu betreiben bedingt die Bereitschaft, über Regelungen hinwegzugehen, explizit ausformulierte und an sich gültige Bestimmungen außer Acht zu lassen und manifeste Widersprüche zu ignorieren oder umzuinterpretieren. Mit anderen Worten: Kasuistik ist der Versuch, Normen durch ­Anpassung an die Umstände lebbar zu machen und aus normativen Widersprüchen die Spannung zu nehmen, ohne die Normen grundsätzlich zu missachten; es handelt sich um eine Form der Ambiguitätszähmung. Mit Kasuistik ist ein gewisses Maß an institutionalisierter Heuchelei verbunden. Und natürlich ist frühneuzeitlichen Zeitgenossen nicht entgangen, dass kasuistische Abwägung trefflich für eigene Interessen oder zur Abwehr von Ansprüchen genutzt werden konnte. Um die kasuistische Mentalität zu verstehen, muss an dieser Stelle auf den Begriff der „organisierten“ bzw. „institutionalisierten Heuchelei“ näher eingegangen werden. Geprägt worden ist diese Bezeichnung als Organization of Hypocrisy von der Organisationssoziologie, die sich auf systemische Heuchelei in modernen Organisationen bezieht 84 und mittlerweile auch von der Frühneuzeitforschung aufgegriffen worden ist.85 Die stark negative Konnotation, die dieser Begriff intuitiv hervorruft, sollte nicht seinen analytischen Wert verdecken. Denn gemeint ist mit ihm ausdrücklich nicht Scheinheiligkeit als individuelle moralische Verfehlung, sondern vielmehr eine systemische und kollektive Form des Ignorierens von Widersprüchen, „eine in der Struktur der Organisation angelegte, von ihr geradezu erzwungene und daher stillschweigend kollektiv geteilte Heuchelei“.86 Zu dieser Form von Heuchelei neigen Akteure, wenn Institutionen oder gesellschaftliche Verhältnisse an sie unvereinbare Ansprüche stellen. Dann laufen Sprechen und Handeln nur lose gekoppelt nebeneinander her. Auf diese Weise können die Normen der Institution aufrechterhalten werden, auch wenn die Mitglieder in ihrem Handeln ständig dagegen verstoßen (müssen).87 83 Eibach: Gleichheit; Schwerhoff: Devianz, 401 ff. 84 Brunsson: Organization; Meyer/Rowan: Organizations. 85 Rehberg: „Fiktionalität“; Reinhard (Hrsg.): Touren; Stollberg-Rilinger: Organisierte Heuchelei. 86 Stollberg-Rilinger: Organisierte Heuchelei, 99. 87 Stollberg-Rilinger: Organisierte Heuchelei, 99.

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Frühneuzeitliche Akteure waren derartigen Situationen infolge der Ubiquität konkurrierender Rollenerwartungen häufig ausgesetzt. Organisierte Heuchelei bezieht sich folglich für die Frühe Neuzeit nicht nur auf das Handeln auf bestimmten Feldern – etwa in einer Behörde, die an ihre Mitglieder widersprüchliche, umständliche oder impraktikable Verhaltensanforderungen richtete –, sondern ist als ein gesellschaftlich umfassendes Phänomen zu verstehen. Damit ist nicht gemeint, dass Akteure in der Frühen Neuzeit bigotter oder verschlagener als solche der Moderne waren. Vielmehr war für sie das Ignorieren oder Überspielen von normativen Widersprüchen ein alltägliches Phänomen, dem sie dementsprechend tendenziell mit größerer Selbstverständlichkeit und einem geringeren Problembewusstsein begegneten, als dies bei modernen Menschen mutmaßlich der Fall ist. Natürlich bieten derartige Verhältnisse Akteuren auch die Möglichkeit, zu eigenem Nutzen mit Widersprüchen zu spielen. Akteure der Frühen Neuzeit waren nicht in einer kasuistischen Mentalität „gefangen“, sondern Kasuistik war selbstverständlicher Teil ihres Verhaltensrepertoires – mal unreflektiert, mal genau durchdacht, mal um ein normatives Entscheidungsproblem ohne Schaden zu lösen und mal um sich selbst geschickt einen Vorteil zu verschaffen oder aus der Affäre zu ziehen. Eine in der Frühen Neuzeit besonders häufig anzutreffende Form der Diskrepanz zwischen Sprache und Handlung ist die verbale, demonstrative Anerkennung einer Norm, die jedoch im Handeln der sich derart äußernden Person nicht beachtet wird. Der eigenen Devianz gegenüber tritt ein solcher Akteur mit bemerkenswerter Nonchalance auf.88 Besonders markante Beispiele finden sich in den bereits erwähnten Debatten über Richterkorruption. Ambiguitätstoleranz auf gleich mehreren Ebenen zeigt sich in der Causa Francis Bacon (1561 – 1626). Bacon hatte sich bei verschiedenen öffentlichen Auftritten als wortgewaltiger Gegner der Korruption profiliert, der Amtsträger ermahnte, keine Geschenke anzunehmen. Umso bemerkenswerter erscheint es, dass im Jahr 1621 ausgerechnet gegen ihn der Vorwurf erhoben wurde, das getan zu haben, wovor er andere gewarnt hatte: als Richter und Lordkanzler Geschenke von Parteien anzunehmen. Die Vorwürfe selbst waren Teil einer Intrige, mit welcher der Favorit des Königs, der Herzog von Buckingham, von eigenen Verfehlungen ablenken wollte. An diesem Fall zeigt sich also auch das bereits diskutierte Muster, dass Korruptionsvorwürfe eher als Zeichen von Ungunst und mangelnder Absicherung in Netzwerken denn als Symptom für besonders ausgeprägte Bestechlichkeit zu sehen sind. Bacons Bestürzung über diese Vorwürfe war vermutlich echt: Er verteidigte sich mit dem gängigen Argument, dass keines der Geschenke ein von ihm gesprochenes Urteil beeinflusst habe. Außerdem habe er die Gaben öffentlich angenommen und sei 88 Krischer: Korruption, 312; Stollberg-Rilinger: Die Frühe Neuzeit, 8.

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sich daher keiner Schuld bewusst. So zutreffend seine Einschätzung gewesen sein dürfte, einer vollkommen üblichen Praxis gefolgt zu sein, so wenig half ihm dies allerdings in dem Impeachment-Verfahren, das gegen ihn vor dem Parlament angestrengt wurde. Dort nämlich urteilten keine zu kasuistischer Abwägung bereiten Richter, sondern vielmehr Abgeordnete, die von der grundsätzlichen Korruption des herrschenden Regimes bereits vollauf überzeugt waren. In dieser Situation zählte nicht Ambiguitätstoleranz, sondern Bacon wurde – ganz, wie Buckingham dies im Sinn gehabt hatte – zu einer negativen Symbolfigur, der nun der Wortlaut des Gesetzes entgegengeschleudert wurde. Er wurde folglich zu einer Geld- und Haftstrafe verurteilt, von der er allerdings vom König begnadigt wurde. Letztlich konnte er also doch noch vom flexiblen Umgang mit Normen durch den Herrscher profitieren, der sich in diesem Fall für die Rolle des milden Gnadenquells entschied. Seine politische Karriere war gleichwohl am Ende, und viele Kritiker der Krone sahen ihre Annahme, dass mit den Stuarts die Korruption Einzug in England gehalten habe, bestätigt. Entscheidend an diesem Fall ist, dass Bacon sich in seinem Handeln als Richter einer Kasuistik bediente, der seine öffent­ lichen Äußerungen widersprachen, und dass seine Verteidigungsstrategie darauf aufbaute, dass man ihm diese Diskrepanz nachsehen werde.89 Der Fall Bacon zeigt damit, dass die kasuistische Praxis in der Frühen Neuzeit Akteure in eine prekäre Position setzte. Die organisierte Heuchelei, die weithin akzeptierte Widersprüche trug, konnte dann zusammenbrechen, wenn unter bestimmten Umständen nicht mehr der kasuistische, sondern der stets auch verfügbare Perfektionsdiskurs 90 die Überhand bekam. Im Fall Bacons hatten die politischen Spannungen und die moralisch aufgeladene Hof- und Favoritenkritik das Ansehen der ganzen Regierung beschädigt und den Ruf nach einer grundsätzlichen politischen Reinigung laut werden lassen, die keine Ambiguitätstoleranz mehr zuließ, sondern rigide Disambiguierung einforderte. Es war frühneuzeitlichen Akteuren offenbar relativ problemlos möglich (wenn auch nicht vollkommen risikofrei), einerseits einer Norm die Reverenz zu erweisen und ihre Befolgung im Rahmen eines Perfektionsdiskurses einzufordern, andererseits aber im Praxisfall der alltäglichen Normenkonkurrenz mit einer mitunter butterweichen Kasuistik auszuweichen. Hierfür gibt es viele Beispiele. In Teilen der spanischen Monarchie, unter anderem in Aragon, war es Usus, dass Amtsträger und Gremien königliche Anordnungen mit der Formel „Ich achte sie, aber ich vollziehe sie nicht“ (acato pero non cumplo) zur Kenntnis nahmen. Sie bestätigten damit grundsätzlich die Herrschaft des Königs und die Gültigkeit seiner Anordnungen, erklärten sich aber nichtsdestoweniger selbst für berechtigt, derartige Anweisungen nicht auszuführen, wenn sie regionale 89 Krischer: Korruption, 312 f. 90 Vgl. zum Perfektionsdiskurs das Kapitel „Korruption“ in Teil 5.

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­ rivilegien und Gewohnheitsrechte verletzten, Unruhen auszulösen drohten, P nicht zu den lokalen Verhältnissen passten oder ihre Umsetzung inopportun war. Diese Art des Nichtausführens einer im Prinzip anerkannten Norm war ein probates Mittel, Herrschaft in einer Zusammengesetzten Monarchie zu organisieren. Denn in derartigen Herrschaftsverbänden war die lokale Rechts- und Privilegiensituation der Zentrale nicht selten schlichtweg unbekannt; die Möglichkeit, ohne Loyalitätsbruch Anordnungen zurückzuweisen, war dem Zusammenhalt der Monarchie zuträglich. Sie öffnete Gelegenheiten für Aushandlungen, mit denen konsensuale Lösungen erreicht werden konnten, und bot der Krone die Chance, Konflikten ohne Autoritätsverlust auszuweichen. Auch im frühneuzeitlichen Ungarn bestand die einer ganz ähnlichen Logik gehorchende Möglichkeit, Anordnungen „mit Respekt zu den Akten“ (cum respectu ad actas) zu legen, das heißt, sie abzuheften und dann zu ignorieren.91 Es handelt sich wohlgemerkt um ein offiziell anerkanntes Verfahren und nicht um ein informelles Umgehen von Normen. Das Alte Reich schließlich bildete eine soziopolitische Ordnung, in der jede verfassungsmäßige Regel und jedes Ordnungsprinzip gleich wieder durch Ausnahmen und Sonderfälle außer Kraft gesetzt wurde. Für das Reich gilt, dass praktisch die ganze (sozio-)politische Ordnung eine kasuistische war.92 In einer politischen Kultur, die Verfahren wie die am spanischen und ungarischen Beispiel geschilderten zuließ und in der es politische Ordnungen gab, deren Dickicht von Ausnahmen, Privilegien und rechtlichen Zweifelsfällen niemand mehr vollkommen durchschaute, stellte das bewusste Nichtausführen von Normen durch Amtsträger keine Ausnahme dar. Es eröffnete Amtsträgern auch weite Möglichkeiten dilatorischen Handelns gegenüber als inopportun empfundenen Anweisungen ihres Dienstherrn, indem dessen Anweisungen immer wieder mit Verweis auf Besonderheiten der lokalen Verhältnisse verzögert oder verwässert wurden.93 Auf diese Weise wurden Normen und Rollen, vor allem solche gemeinwohlorientierter Natur, trotz Nichtbefolgung im Prinzip aufrechterhalten, denn ihre grundsätzliche Gültigkeit wurde immer wieder bestätigt. So wurde auch die Koexistenz von unterschiedlichen Normen und wurden die mit ihnen verbundenen Widersprüche in bestimmten Handlungsfeldern regelrecht konserviert, denn es kam ja zu keiner Auflösung der normativen Widersprüche. Man denke beispielsweise an die Kirchenreformer im frühneuzeitlichen Rom, die eine hochangesehene „moralisch respektierte Minderheit“ darstellten. Ihre Worte wurden gehört und ihr religiöser Eifer anerkannt, ihre Vorstellungen aber nur 91 Reinhard: Lügengesellschaft, 29. 92 Stollberg-Rilinger: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, 10; dies.: Organisierte Heuchelei, 98 und 110. 93 Holenstein: Umstände.

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selten umgesetzt.94 Darin drückt sich die bis in das frühe 18. Jahrhundert anhaltende Parallelität der hohen Autorität religiöser Normen – die Bezeichnung der Kirchenreformer als „Eiferer“ (zelanti) war zumeist positiv konnotiert – und der alltäglichen Konstellation der Normenkonkurrenz aus. Und gelang es den zelanti doch einmal, ihre Vorstellungen über Einzelfälle hinaus – man denke an die Konklavereform von 162295 – auf breiter Front umzusetzen, so folgte daraus doch keine grundlegende Änderung der Normenordnung. Ein weiteres Beispiel stellt die bemerkenswerte Kombination von Unterwürfigkeit und Renitenz von Amtsträgern gegenüber ihrem fürstlichen Herrn dar: Im Schriftverkehr mit ihren Hofkammerräten machte etwa Maria Theresia immer wieder die Erfahrung, dass deren Devotionsformeln oft nur leidlich kaschierten, dass ihre Anordnungen nicht umgesetzt worden waren.96 Zu erinnern ist schließlich an dieser Stelle noch einmal an die devotionale Selbstverkleinerung von politisch aktiven Frauen, die der Norm weiblicher Zurückhaltung in der Politik in Briefen die Reverenz erwiesen, aber im folgenden Absatz dann konkrete politische Vorschläge formulierten.97

Indifferenz Kasuistik bedeutet die grundsätzliche Anerkennung von Normen unter Austarierung ihrer Reichweite und situativer Zurückstellung oder Abmilderung ihrer Befolgung im Falle normativer Konkurrenzen. Indifferenz hingegen stellt die Relevanz einer Norm insgesamt durch Nichtbeachtung in Zweifel. Indifferenz ist im Grunde keine Handlungsweise, sondern die Absenz einer solchen, oder sie manifestiert sich in Handlungsweisen, die bestimmte Normen ignorieren oder ihnen zumindest eine geringe Relevanz zuschreiben. Dass Indifferenz hier dennoch aufgeführt wird, hat den Grund, dass sie Auswirkungen auf die Normenordnung hat. Denn während Kasuistik bestehende Normenhorizonte insgesamt stützt, weil sie Normen auch im Fall der Nichtbefolgung grundsätzlich bestätigt, droht Indifferenz Normen auszuhöhlen. Indifferenz stellt somit dann, wenn sie nicht nur von einzelnen Akteuren ausgeht, potenziell eine Herausforderung an die herrschende Normenordnung dar. Wird hingegen nur ein einzelner indifferenter Akteur, der seiner Gleichgültigkeit gegenüber einer 94 V. Reinhardt: Schatten, 12 f. (Zitat 12). 95 Vgl. die Ausführungen zu dieser Konklavereform im Kapitel „Außenverflechtung zwischen langfristigen Bindungen und kurzfristiger Bestechung“ in Teil 4. 96 Stollberg-Rilinger: Maria Theresia, 192. 97 Vgl. hierzu die entsprechenden Ausführungen im Kapitel „Politik als männlich markiertes Handlungsfeld mit weiblichen Akteuren“ in Teil 4.

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Norm sichtbar Ausdruck verleiht, von seiner sozialen Umwelt zurechtgewiesen und sein Handeln somit als deviant gebrandmarkt, tritt der gegenteilige Effekt ein: Die Gültigkeit einer Norm wird bestätigt oder in das Gedächtnis zurückgerufen.98 An dieser Stelle geht es um eher „stille“ Veränderungen des Normenhorizonts, indem Normen unter bestimmten Umständen an Handlungsrelevanz und an Legitimität verlieren, mithin von Akteuren als nicht mehr wichtig angesehen werden. Auffallenderweise ist Indifferenz in der Frühen Neuzeit bislang fast ausschließlich am Beispiel religiöser Normen untersucht worden. Das bedeutet nicht, dass ausgerechnet die an sich durch herausragende Legitimität ausgezeichneten religiösen Normen für Akteure letztlich weniger bedeutend waren als andere. Es scheint aber, dass Indifferenz gegenüber sozialen Normen unter den Bedingungen der Kommunikation unter Anwesenden einen besonders schweren Stand hatte, zumindest wenn sie nur von einzelnen Akteuren ausging. Wer in der Face-to-Face-Society die Relevanz einer anerkannten Norm in Zweifel stellt, hat unmittelbare Sanktionen zu erwarten, womit das stille Ausscheiden einer Norm aus dem Handlungsrepertoire eher unwahrscheinlich ist und, wie oben beschrieben, Indifferenz rasch in Devianz münden kann. Und tritt eine Norm in einer sozialen Gruppe gewissermaßen stillschweigend außer Kraft, so ist dies eine wenig auffällige, in den Quellen nur dann dokumentierte Entwicklung, wenn die Obrigkeiten hieran Anstoß nehmen und Maßnahmen ergreifen; ergeben sich dagegen Widerstände, ist wiederum eher von Devianz als von Indifferenz zu sprechen. Insgesamt steht die Erforschung von Indifferenz somit vor einem Quellenproblem. Anders religiöse Indifferenz. Sie steht seit den Debatten über die Reichweite der Konfessionalisierung im Interesse der Forschung, und die Quellenlage ist besser. Dabei finden sich bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kaum Hinweise auf eine grundsätzliche Gleichgültigkeit gegenüber dem christlichen Glauben als solchem. Im Gegensatz dazu ist die Zahl der Befunde, die auf eine Indifferenz gegenüber konfessionellen Unterschieden hindeuten, recht groß. Und es finden sich ebenfalls Indizien dafür, dass Akteure in bestimmten Handlungsfeldern die Reichweite religiöser Normen aufgrund des von ihnen ausgehenden Konfliktpotenzials in Frage stellten. Dies betrifft beispielsweise Autoren, die unter dem Eindruck der konfessionellen Spannungen, vor allem während des Bürgerkriegs in Frankreich im späten 16. Jahrhundert, eine stark diesseitig orientierte Klugheit propagierten und die desintegrierende Wirkung konfessionellen Denkens für den Staat kritisierten; sie wurden politiques oder politici genannt, was negativ gemeint war. Statt konfessionellem Eifer setzten sie auf ­Pragmatismus und 98 Peuckert: Verhalten, abweichendes, 335 f.; Peuckert: Norm, soziale, 214; Piltz/Schwerhoff: Religiöse Devianz, 20 f.; V. Reinhardt: Normenkonkurrenz, 52.

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­ ompromissfindung in konfessionellen Fragen. Sie hierarchisierten die NormenK ordnung für das Handlungsfeld des Politischen zulasten der religiösen Normen. Ihr Denken sprengte den üblichen Rahmen von Kasuistik und situativer Anpassung in Normenkonflikten, weil einige von ihnen einen Raum des Politischen konzipierten, in dem religiös-konfessionelle Erwägungen bestenfalls einen nachrangigen Stellenwert hatten. Das heißt keineswegs, dass sie areligiös dachten, aber doch, dass sie das Feld des Politischen teilweise zu disambiguieren suchten, indem sie konfessionelle Fragen in politischen Handlungskontexten ­hintanstellten und damit deren Relevanz negierten.99 Auch Verfassern von Klugheitslehren, die eine situationsgebundene Anpassung (versatilitas) normativen Verhaltens an die jeweiligen Umstände im Interesse des Überlebens in einer spannungsgeladenen Welt propagierten, wurde Indifferenz gegenüber religiösen Normen und Werten vorgeworfen. Namentlich der Jesuit Baltasar Gracián (1601 – 1658), Verfasser des 1647 erschienenen Oráculo manual y arte de prudencia, galt vielen als Vertreter einer von religiösen Normen wenig beeindruckten Weltklugheit, die allerdings weder in seinem Orden noch in der Kirche konsensfähig waren. Zum Ende seines Lebens erhielt er Publikationsverbot.100 Die Beispiele zeigen somit auch, dass das offene Eintreten für eine Nichtbeachtung oder Hintanstellung religiöser Normen für viele Zeitgenossen inakzeptabel war. Indifferenz gegenüber religiösen Normen, öffentlich ausgedrückt, wurde folglich von der großen Mehrheit der Zeitgenossen als eine Form von Devianz betrachtet und kritisiert. Dieser Diskursstrang höhlte somit die Bedeutung religiöser Normen letztlich nicht aus, sondern bestätigte sie in der Sicht vieler Zeitgenossen über die an solchen Ansichten geäußerte Kritik. Doch nicht nur auf dem Höhenkamm der Traktatliteratur, sondern auch im alltäglichen Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher religiöser Ausrichtung lassen sich deutliche Anzeichen für Indifferenz gegenüber konfessionellen Lehren und Unterschieden finden. Der alltägliche interreligiöse Umgang, die „Umgangsökumene“ bzw. ecumenity of everyday life 101, zeichnete sich durch eine Vielzahl von praktischen Kompromissen und Anpassungen aus. Oft forderten lokale Gemeinschaften soziale Normen deutlich energischer ein als religiöse Verhaltensgebote. Gläubige am Niederrhein und in Münster zeigten sich im 16. und 17. Jahrhundert beispielsweise bemerkenswert gleichgültig gegenüber Priestern, die den Zölibat missachteten und mit einer Konkubine zusammenlebten, tolerierten aber übermäßigen Alkoholgenuss oder Streitsucht ihres Seelenhirten nicht. Offensichtlich bedeutete für sie die Verletzung sozialer ­Verhaltenserwartungen 99 Barner: Aufrichtigkeit, 179 f.; Reinhard: Humanismus, 296 ff. 100 Danneberg: Aufrichtigkeit, 45 f. 101 Frijhoff: Katholieke toekomstverwachting; zusammenfassend J. Müller: Orthodoxie, 268 f.

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einen weit ärgeren Missstand als die Missachtung kirchlicher Gebote.102 Auch Untersuchungen zum Alltagsleben in Gemeinden in England lassen einen Vorrang sozialer vor religiösen Normen im Alltag erkennen: Die von der Anglikanischen Kirche geforderte Praxis, vom Abendmahl ausgeschlossene Angehörige einer Gemeinde auch aus dem sozialen Leben auszuschließen, wurde kaum befolgt. So zeigten sich anglikanische Christen oft wenig gewillt, den nachbarschaftlichen Kontakt mit religiös Devianten, insbesondere von Nachbarn, die katholischer Tendenzen verdächtigt wurden, einzuschränken.103 Wo Nachbarschaften interkonfessionell oder gar interreligiös waren und man wirtschaftlich aufeinander angewiesen war, herrschte in vielen Fällen ein pragmatisches getting along 104 zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften vor. Und selbst im konfessionell vermeintlich zerrissenen Irland der 1620er und 1630er Jahre waren Akteure anglikanischer wie katholischer Konfession bereit, die konfessionellen Differenzen zu ignorieren, wenn es ihren sozialen oder wirtschaftlichen Interessen entsprach.105 Dass gerade wirtschaftliches Aufeinanderangewiesensein religiöser Indifferenz förderlich war, lässt sich besonders markant am Beispiel des südpolnischen R ­ zeszów darstellen. Diese Stadt war gekennzeichnet durch eine ausgeprägte religiöse Heterogenität: Es lebten in ihren Mauern vor allem Katholiken und Juden zu etwa gleichen Anteilen, außerdem gab es einige Protestanten. In den Zünften fanden sich sowohl Christen als auch Juden; die religiösen Unterschiede wurden weitgehend ignoriert, auch wenn das rituelle Leben der Zunft eine Reihe dezidiert katholischer Elemente aufwies. Vor Gericht kamen die Glaubensdifferenzen nur selten zum Tragen und das Bekenntnis war für die Urteilsfindung zumeist irrelevant. Nur gegenüber protestantischen Neusiedlern verhielt sich vor allem die katholische Bevölkerung in Einklang mit ihren Geistlichen abweisend; das entscheidende Motiv dafür dürfte aber kein religiöses, sondern die Abwehr wirtschaftlicher Konkurrenz gewesen sein.106 Damit wird deutlich, dass es sich bei der „Umgangsökumene“ nicht um eine Form von Toleranz aus grundsätzlicher Einsicht in das Lebensrecht anderer Bekenntnisse handelte, sondern um ein pragmatisches und nicht bedingungsfreies Anpassen an wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen. Wenn das alltägliche Aufeinanderangewiesensein auch Nachbarn anderer Glaubensbekenntnisse betraf, dann neigten frühneuzeitliche Akteure in vielen – keineswegs allen – Fällen dazu, religiöse Konflikte und konfessionelle Verhaltensgebote so 102 Flüchter: Zölibat; Laqua-O’Donnell: Women, 167 ff. 103 Walsham: Zu Tisch mit Satansjüngern, 298. 104 Sheils: ,Getting on‘; Robert Scribner spricht von „tolerance of practical rationality“, siehe Scribner: Preconditions, 38. 105 Bähr: Migration. 106 Kleinmann: Reden, 381 ff.

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weit als möglich zu ignorieren. Dass soziale Normen der Nachbarschaftlichkeit in solchen Fällen oft Vorrang hatten, führt noch einmal eine der Ursachen für die Autorität sozialer Normen vor Augen – sie dienten nicht zuletzt dazu, das alltägliche Wirtschaften und letztlich das Überleben zu sichern. Umgangsökumene bedeutet nicht zwingend, dass es an konfessionellen Identitäten und am Wissen über Glaubenswahrheiten fehlte. Der Faktor Konfession bestimmte lediglich nicht das Handlungsfeld des nachbarschaftlichen Zusammenlebens. Die Umgangsökumene war somit in den meisten Fällen situativ begrenzt, und die Gläubigen vermochten zwischen ihren Rollen als konfessionell gebundene Christen und als Nachbarn in sozialen Beziehungen zu changieren und sahen darin keine Widersprüche. Beispiele aus den Niederlanden zeigen, dass Gläubige innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft oft einen strengen Konfessionalismus vertraten, hingegen in der bi- oder multikonfessionellen Öffentlichkeit keine Probleme damit hatten, auch an Riten anderer Konfessionen im Sinne einer „allgemeinen christlichen Frömmigkeit“ teilzuhaben und über Konfessionsgrenzen hinweg soziale Beziehungen zu pflegen.107 Andreas Pietsch hat dafür plädiert, das Nebeneinander von gesteigerter Eindeutigkeit, Ambiguität und situativ begrenzter Indifferenz als Ergebnis des Konfessionalisierungsprozesses zu begreifen, der eben nicht nur konfessionelle Normativität und Abgrenzung hervorgebracht habe, sondern, in Interaktion mit anderen Normensystemen, auch alltägliche Kompromisse und Anpassungen.108 Diese situative Begrenzung bedeutet auch, dass das alltägliche interreligiöse Zusammenleben stets prekär blieb und Indifferenz abrupt in religiöse Agonalität umschlagen konnte. Die situativ begrenzte Variante von Indifferenz war demnach nicht geeignet, konfessionelle Normen auf Dauer abzuschwächen. Ein derartiger Umschlag wurde beispielsweise ausgelöst, wenn wirtschaftliche Konflikte zwischen religiös differenten Gruppen aufkamen oder demonstrative religiöse Handlungen einer Gruppe als Ehrangriff von einer anderen Gruppe wahrgenommen wurden. In solchen Fällen verschmolzen soziale, religiöse und wirtschaftliche Konflikte. Dann schaukelten sich mitunter Provokationen und Gegenprovokationen nach der Logik von Ehrenhändeln bis hin zu Gewalthandlungen auf.109 Eine weitergehende, nicht situativ begrenzte religiöse Indifferenz, die auf Dauer religiöse Identitäten abschwächte, ist bislang nur für wenige Regionen und Städte nachgewiesen worden, zu nennen sind Ostfriesland, Emden und Teile der Niederlande; sie betrifft nur interkonfessionelle Beziehungen, nicht zum Beispiel solche zu Juden oder Muslimen. Dort ging die konfessionelle Indifferenz so weit, dass in erheblichen Teilen der Gesellschaft von 107 J. Müller: Orthodoxie, 269 (dort auch das Zitat); Pollmann: Bond. 108 Pietsch: Messbesuch, 266. 109 Leibetseder: Alltag, 244 f.

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einer ­Entkonfessionalisierung im Sinne einer grundsätzlichen Gleichgültigkeit gegenüber konfessionellen Unterschieden die Rede sein kann, die zu religiösen Praktiken führte, die konfessionelle Grenzen mit Leichtigkeit und je nach Interessenlage überschritten.110 Ob tatsächlich Bevölkerungen flächendeckend vor dem Ende des 17. Jahrhunderts zu einer derart ausgeprägten Transkonfessionalität willens und fähig waren und dies nicht doch nur eine begrenzte Zahl von Akteuren betrifft, muss allerdings einstweilen offenbleiben. Deutlich wird auch, dass die Bereitschaft zu transkonfessionellem Handeln stark von anderen Faktoren, sozialen wie wirtschaftlichen, abhing.111 Einen Raum potenzieller religiöser Indifferenz bildet die Diaspora. Kaufleute etwa, die sich einige Zeit oder auf Dauer in der konfessionellen Fremde niederließen, bedienten sich bisweilen transkonfessioneller Verhaltensweisen. Hamburger Kaufleute lutherischer Konfession, die in Portugal lebten, traten beispielsweise örtlichen Bruderschaften bei und konvertierten mitunter zum Katholizismus, wobei einige von ihnen nach der Rückkehr an die Elbe wieder zum Protestantismus zurückwechselten. Andere integrierten sich vollständig in die katholische Gesellschaft Portugals, womit die Diaspora zur Heimat wurde. Interessanterweise findet sich dieser religiöse Pragmatismus nicht bei portugiesischen Kaufleuten, die entweder Juden waren oder als conversos galten (das heißt zum Katholizismus konvertiert waren oder von Konvertiten abstammten) und in Hamburg lebten. Sie gingen nicht in der dortigen lutherischen Gesellschaft auf und zeigten kaum einmal das Bedürfnis zur Konversion zum lutherischen Protestantismus. Die Schwelle zwischen Judentum und Christenheit erwies sich in diesem Fall als zu groß, und zwar in der Wahrnehmung beider Seiten.112 Anpassung an Riten und Gebräuche anderer, nichtchristlicher Religionen waren im lateinchristlichen Europa schwer vermittelbar, wie nicht zuletzt der „Ritenstreit“ zeigt. Er betrifft die Frage, inwieweit sich christliche Missionare äußerlich an Riten und Gebräuche in ihren Missionsgebieten anpassen durften. Vor allem die Chinamission der Jesuiten stand dabei im Fokus. Ihre kulturelle „Akkomodationsmethode“ wurde zwar zeitweise vom Papst zugelassen, doch der Ritenstreit endete mit einem weitgehenden Verbot der Konzeption der kulturellen Anpassung durch die römische Kurie im frühen 18. Jahrhundert. Die Akkomodation war dabei selbst innerhalb der Gesellschaft Jesu stets umstritten gewesen und bot anderen Orden einen Angriffspunkt gegen die jesuitische Konkurrenz.113 110 Grochowina: Indifferenz, v. a. 71 f. 111 Um derartige Beziehungen und Wechselwirkungen zu analysieren, stellt die Intersektionsanalyse ein geeignetes Instrument dar. Vgl. Bähr: Migration. 112 Poettering: Handel, 327 ff. 113 Reinhard: Unterwerfung, 638 ff. Die praktische Komplexität der Akkomodation im Alltag der Chinamission stellt unter Einbezug der Geschlechterbeziehungen eindrücklich

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Entgegenkommender war die katholische Kirche bis in das frühe 18. Jahrhundert in Fragen des Umgangs mit Christen anderer Konfessionen in der persischen Diaspora. Unter bestimmten Umständen waren den wenigen katholischen Christen dort Grenzüberschreitungen erlaubt bis hin zur communicatio in sacris, das heißt zur Teilnahme an nichtkatholischen kirchlichen Riten unter Einschluss des Gebrauchs der Sakramente. Voraussetzung war – womit wir wieder in den Bereich der Kasuistik gelangen – die reservatio mentalis des Gläubigen, mithin seine Erkenntnis der mutmaßlichen Irrtümer der anderen Konfession und seine innere Distanzierung davon. Gleichzeitig beförderte diese Praxis aber auch konfessionelle Indifferenz, denn sie stellte die persönliche Glaubenspraxis des Individuums vor die konfessionsspezifischen Riten. Die römische Kirche relativierte damit im Grunde ihren Anspruch, alleinige Vermittlerin des Heils über die Sakramente zu sein. Communicatio in sacris kann als ein pragmatisches, den Umständen der Diaspora geschuldetes Entgegenkommen der Kirche zugunsten der Gläubigen verstanden werden und auch als eine Anerkennung der guten Beziehungen zwischen Christen unterschiedlicher Bekenntnisse dort.114 Sie betraf auch den Umgang katholischer Missionare mit Ostchristen. In Außenposten der katholischen Mission wie etwa im persischen Neu-Djulfa bei Isfahan entwickelte sich durch den ständigen Umgang von katholischen Karmelitermissionaren mit armenischen orthodoxen Christen ein gesamtchristliches Gemeinschaftsgefühl, das nicht zuletzt aus den Zwängen des Aufeinanderangewiesenseins einer kleinen Gruppe in der religiös-kulturellen Fremde entstanden war. Innerchristliche Differenzen erschienen in dieser Perspektive als nachrangig und führten zu einer konfessionellen Indifferenz, die einerseits Voraussetzung für das Fortbestehen der Mission war, andererseits aber mit dem absoluten Wahrheitsanspruch der Kirche und dem Rollenbild des Ordensgeistlichen kollidierte.115 Interessant ist, dass die Akzeptanz von communicatio in sacris am Ende des 17. Jahrhunderts und im frühen 18. Jahrhundert abnahm – eine Parallelentwicklung zur wachsenden Ablehnung der Akkomodationsmethode. Die römische Kurie zeigte immer weniger Bereitschaft, lokalen Vorstellungen und Praktiken entgegenzukommen, und war dementsprechend bestrebt, in ihren von mehrdeutigen Praktiken gekennzeichneten Peripherien Disambiguierungsprozesse durchzusetzen. Konkurrenz zwischen Orden oder Profilierungsabsichten einzelner Ordensmitglieder sorgten dafür, dass mittels Denunziation das Wissen über derartige Praktiken in die römische Zentrale gelangte – auch dies ein Fall von empowering interaction, die zentralen Akteuren erlaubte, normierend in die Peripherie zu wirken. dar: Amsler: Jesuits. Zur Kritik anderer Orden an der Akkomodation, die den Spielraum für transkulturelle Arrangements einengte: Windler: Zugehörigkeiten. 114 Windler: Zugehörigkeiten, 316 f. 115 Windler: Zugehörigkeiten, 318 und 334 ff.

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Die Kirche zog mit verschiedenen Verboten gegen communicatio in sacris im frühen 18. Jahrhundert – endgültig 1729 – die Grenzen des Erlaubten deutlich enger. Eine konsequente Durchsetzung dieses Verbots hätte allerdings die Fortexistenz von Missionen und Klöstern in der Diaspora in Frage gestellt, denn diese blieben auf die soziale wie religiöse Interaktion mit Christen unterschiedlicher Kirchenzugehörigkeiten angewiesen. Rom befand sich in einem Zielkonflikt: Reinheit der Lehre oder Fortbestand von Missionen. In dieser Zwickmühle reagierte das Heilige Offizium, also die römische Inquisitionsbehörde, in einer als Beispiel für organisierte Heuchelei zu wertenden Weise: der Praxis des Nichtentscheidens. Es bedurfte dieses Auswegs, da das Heilige Offizium die Instanz war, welche die Glaubenswahrheiten der Kirche verpflichtend definierte. Gingen Anfragen aus den Missionen zu den interreligiösen Praktiken in Rom ein, waren diese als zu prüfende Zweifelsfälle (dubia) zu behandeln. Einer Entscheidung im Sinne der strengeren, auf die Wahrung der Reinheit des Glaubens und der sakramentalen Praxis fixierten Linie ging man aus dem Weg, indem man gar keine Antwort schickte. Dies geschah entweder, indem die Behörde den Beschluss fasste, nicht zu antworten, oder die Unterlagen einfach stillschweigend nicht weiterbehandelte. Denn hätte man sich in derartigen Streitfragen auf eine Seite geschlagen, wäre unweigerlich Schaden entstanden: Entweder hätte die Kirche ihre eigenen Glaubenswahrheiten ignoriert oder den Fortbestand der Mission und damit die sakramentale Versorgung von Diasporachristen gefährdet.116 Im Ergebnis blieben die Missionen Orte religiöser Uneindeutigkeit und situativ bedingter Indifferenz gegen konfessionelle bzw. religiöse Abgrenzung. Abschließend ist noch ein besonderer Fall von Indifferenz zu nennen, und zwar die Einnahme einer Haltung von gelassener Gleichgültigkeit gegenüber den Widersprüchen der Welt. Ein solcher Weg galt mit dem Aufstieg des Neostoizismus ab dem späten 16. Jahrhundert als ein zunehmend akzeptables Verhaltensmodell, vor allem für politisch Verantwortliche (deren Orientierung an der Staatsräson so legitimiert werden konnte), für Gestürzte und politisch Gescheiterte (die so ihren Fall in die Einflusslosigkeit zu sublimieren vermochten) und für Gelehrte. Letzteren erlaubte ein Diskurs der Abgeschiedenheit, sich als Mitglieder einer eigenen res publica litteraria zu imaginieren und zu inszenieren, in der andere Regeln als für den Rest der Gesellschaft galten und in welcher der Wissensdrang der Gelehrsamkeit nicht durch Hierarchien und konfessionelle Konflikte beeinträchtigt werden sollte. Diese Vorstellung war eine durchaus wirkmächtige Fiktion, die den Austausch zwischen Gelehrten über Konfessionsgrenzen hinweg und den produktiven Gabentausch mit Manuskripten, Büchern, Artefakten und Naturalien erleichterte. Die Gelehrtenrepublik war gleichzeitig 116 Windler: Zugehörigkeiten, 334 ff.

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eine ­Wertegemeinschaft und ein Kommunikationssystem, das Wissenszirkulation begünstigte.117 Auch wenn sie alles andere als hierarchiefrei war 118 und die Konfessionsgrenzen für viele Gelehrte keineswegs irrelevant waren 119, meinten doch etliche von ihnen, in einer von der übrigen Gesellschaft zu unterscheidenden Normenwelt zu leben, gewissermaßen in einer imagined community. Und sie richteten ihr Verhalten auch mehr oder weniger konsequent danach aus 120 – was auch hieß, allgemein gültige Normen zu ignorieren. Ihrem Ansehen war dies allerdings nur eingeschränkt dienlich, war die Kritik an gelehrten „Pedanten“, die weltfremdes Wissen verwalteten oder die religiöse Wahrheit geringschätzten, doch über die gesamte Frühe Neuzeit weitverbreitet.121 Nicht wenige Gelehrte versuchten dieser Selbstmarginalisierung durch Anpassung an ein stärker dem Adel verpflichteten Lebensideal, wie es etwa von dem Hallenser Christian Thomasius propagiert wurde, zu entgehen.122 Damit allerdings gaben sie den Anspruch, in einer Gruppe mit eigenen Normen und Werten zu leben, ein Stück weit auf. Alles in allem zeigt sich, dass Indifferenz eher ein Nischenphänomen war bzw. situativ begrenzt praktiziert wurde. Ihre normenaushöhlende Wirkung konnte sich somit nur sehr eingeschränkt entfalten; die Normenordnung der Frühen Neuzeit wurde durch Indifferenz zumindest vor dem 18. Jahrhundert nicht grundsätzlich herausgefordert.

Interkulturelle Praktiken: Inklusiver Eurozentrismus und seine Grenzen Die Beispiele zu Indifferenz in interreligiösen Beziehungen lassen einen grundlegenden Unterschied zwischen innerchristlichen Beziehungen und solchen zwischen christlichen und nichtchristlichen Akteuren erkennen. Zweifellos war die Wahrnehmung von Fremdheit Letzteren gegenüber in den meisten Fällen ausgeprägter, wobei Fremdheitswahrnehmungen zwischen Faszination, Neugier, Abwehr und Feindschaft oszillierten. In diesem Kapitel soll die Frage gestellt werden, wie grundlegende kulturelle und religiöse Differenzen von lateinchristlichen Akteuren, die in von Ambiguität gekennzeichneten Gesellschaften lebten, 117 Bosse: Gelehrte Republik, 62 ff.; Bots: Respublica litteraria, 32 f.; Chartier: Der Gelehrte, 155 f.; Füssel: Grenzen, 418 f.; Mauelshagen: Netzwerke, 119; Stuber: Brief, 315; Wallnig: Tu es für die Gelehrtenrepublik. 118 Gädeke: Leibniz; Jancke: Patronage, Stegemann: Patronage. 119 Krieger: Gelehrtenkommunikation, 288. 120 Füssel: Einleitung, 8; ders.: Gelehrtenkultur, 9; Goldgar: Impolite Learning, 3. 121 Chartier: Der Gelehrte, 122 f.; Füssel: Gelehrtenkultur, 380 f. 122 Füssel: Gelehrtenkultur, 60 f.

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in ­interkulturellen Beziehungen wahrgenommen wurden. Dabei kann auf Forschungen der jüngeren Diplomatiegeschichte zurückgegriffen werden, die sich des Feldes der interkulturellen Beziehungen und Praktiken seit etwa zwei Jahrzehnten sehr intensiv angenommen hat. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Wahrnehmungen des Fremden und interkulturellen Praktiken christlich-europäischer Diplomaten im Osmanischen Reich. Seit dem Fall Konstantinopels war die Wahrnehmung des Osmanischen Reichs von einem Narrativ des Antagonismus geprägt. Über Druckwerke wurde der Diskurs der Türkengefahr geprägt und das Osmanische Reich als gefährlicher, Christen unterdrückender Gegner dargestellt. Osmanische Siege und Berichte von „Türkengräueln“ gegen Christen wurden einerseits als Zeichen der anbrechenden Endzeit gewertet. Sie wurden aber auch für politische Strategien genutzt, und zwar vor allem von den Habsburgern, die sich als Kämpfer gegen die „Türkengefahr“ im Dienste der gesamten Christenheit inszenierten.123 Ein Strang der Diplomatiegeschichte hat diesen Diskurs als handlungsleitend, ja konditionierend für die Wahrnehmung und den Umgang lateinchristlicher Akteure mit Muslimen im Allgemeinen und dem Osmanischen Reich im Besonderen dargestellt. Die kulturellen und religiösen Gegensätze seien „enorm und wohl auch unüberwindlich“124 gewesen und hätten eine durch grundlegendes Misstrauen gekennzeichnete Feindschaft des Osmanischen Reichs mit den christlichen Mächten gestiftet. Nicht einmal die französische Krone, deren Gesandte im Vergleich zu denen des Kaisers an der Hohen Pforte bevorzugt behandelt wurden, habe sich von diesen Negativstereotypen trennen können.125 Derart essenzialisiert, habe die Feindschaft zum Osmanischen Reich Feindbilder und Wahrnehmungen von Alterität innerhalb der Christenheit bei weitem übertroffen. Dem entgegen steht ein anderer Ansatz, der das Osmanische Reich und die christliche Fürstengesellschaft als Teil einer „gemeinsamen Welt“ betrachtet. Diese habe sich in der Frühen Neuzeit durch vielfältige Formen des Vernetzung und des Austausches ausgezeichnet;126 Daniel Goffman spricht von einer Greater European World bzw. Greater Western World, in der Christen und Muslime zwar zwei unterschiedlich religiös geprägte Großgruppen gebildet hätten, deren Verhältnis jedoch im Wesentlichen symbiotischer Natur gewesen sei und deren Kulturen viele Analogien aufgewiesen hätten.127 Faktisch sei das Osmanische Reich in die europäische Mächteordnung „eingerückt“.128 Auch im Hinblick auf die politische 123 Höfert: Den Feind beschreiben. 124 Petritsch: Dissimulieren, 160. 125 Hochedlinger: „Freundschaft“, 109 und 112. 126 Faroqui: Ottoman Empire, 25 f. 127 Goffman: Ottoman Empire; zusammenfassend M. Koller: Das Osmanische Reich, 78. 128 Dierks: Friedensbild, 313.

Interkulturelle Praktiken: Inklusiver Eurozentrismus und seine Grenzen

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Struktur lassen sich derartige Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen erkennen, weist das Osmanische Reich doch zum Beispiel auch Merkmale einer Zusammengesetzten Monarchie auf, in der sich die Reichsteile mehr oder weniger ausgeprägt selbst verwalteten.129 Außerdem war der Sultan ebenso wie die großen christlichen Fürsten ein Herrscher mit universalen Ansprüchen.130 Und die Rechtssysteme des lateinchristlichen Europas einerseits und des osmanischen Einflussbereichs andererseits waren insoweit kompatibel, als sich Analogien zwischen ihnen finden lassen und es im Kontakt zwischen ihnen zu hybriden Rechtspraktiken bzw. zur Übernahme von rechtlichen Standards der jeweils anderen Seite kam.131 Dass die Integration des Osmanischen Reichs bzw. des Sultans in die europäische Fürstengesellschaft allerdings an Grenzen stieß, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass es zu keinem christlich-muslimischen Konnubium kam: Die Verheiratung etwa einer Habsburger Prinzessin mit einem Osmanen war undenkbar,132 und dergleichen scheint auch auf osmanischer Seite nie in Erwägung gezogen worden zu sein. Der Vorschlag von John-Paul A. Ghobrial, das Osmanische Reich als Teil eines gesamteuropäischen Kulturraums, einer vast world of sociability, zu betrachten, erscheint gerade angesichts der religiösen Differenzen und der sehr viel dichteren sozialen Beziehungsnetze innerhalb des lateinchristlichen Europa im Vergleich zu osmanisch-christlichen Verbindungen überzogen.133 Dieses unklare Bild, das zwischen grundlegender Feindschaft und politischer und wirtschaftlicher Integration changiert, ist jüngst anhand einer Akteursgruppe, und zwar von Diplomaten, die in islamischen Ländern Dienst taten, neu ausgeleuchtet worden: Wie nahmen diese die kulturellen Verhältnisse an ihrem Dienstort wahr, wie gingen sie mit kulturellen Differenzen um und wie berichteten sie darüber? Grundsätzlich kommen fast alle diese Studien zu dem Ergebnis, dass Diplomaten im Osmanischen Reich die beschriebenen Feindbilder rezipiert und mehr oder weniger weitgehend geteilt und dass sie die Erfahrung von Fremdheit an ihrem Dienstort gemacht hätten. Differenzen ergeben sich aber in der Frage, ob und wie stark diese Fremdheitserfahrungen ihr Handeln konditionierten und welche Funktionen der Diskurs der Fremdheit hatte. Dabei haben sich in der Forschung zwei Schulen herausgebildet.134 Die eine geht von psychologischen Wahrnehmungs- und Stereotypenkonzepten aus,135 unterzieht 129 Kühnel: Westeuropa, 263. 130 Strohmeyer/Spannenberger: Einleitung, 20; Işiksel: Relations, 54. 131 Dierks: Friedensbild, 316. 132 Stollberg-Rilinger: Maria Theresia, 485. 133 Ghobrial: Whispers, 72. 134 Zusammenfassend dargestellt von: Köhler: Strategie, 70 f. 135 Z. B. Strohmeyer: Wahrnehmungen; Reinhard: Historische Anthropologie frühneuzeitlicher Diplomatie.

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also die ­Stereotypenannahmen der älteren Forschung einer theoretisch fundierten Überprüfung. Die andere verwendet einen praxeologischen Kulturbegriff, der Kulturen nicht als geschlossene und nach außen abgegrenzte Einheiten, sondern als wandelbare und deutungsoffene Systeme von Bedeutungen betrachtet, zwischen denen in interkulturellen Beziehungen Hybridisierungen und wechselseitige Anpassungen auftreten.136 Beide Schulen setzen die Wirkung der Fremdheitsstereotypen auf die Wahrnehmungsmuster der Diplomaten und die interkulturelle diplomatische Praxis nicht absolut, nehmen aber unterschiedliche Akzentuierungen vor. Die mit den Stereotypenkonzepten arbeitenden Untersuchungen betonen die Häufigkeit von Topoi der Alterität in diplomatischen Korrespondenzen und schließen daraus, dass Diplomaten von ihnen stark geprägt gewesen seien. Allerdings sei die Diffe­renzerfahrung, die sich in derartigen Formulierungen spiegelt – etwa die immer wiederkehrende Bezeichnung der Osmanen als „Erbfeind“ oder der häufig zu findende Topos mangelnder Vertragstreue osmanischer Akteure –, nicht absolut gewesen und habe auch zu keiner Schwarz-Weiß-Malerei geführt. Diplomaten seien durchaus in der Lage gewesen, sachlich und analytisch über die Verhältnisse in der Fremde zu berichten – sie hätten allerdings erhebliche Schwierigkeiten dabei gehabt, die fremde Kultur in ihren Logiken zu begreifen. Gleichwohl seien sie in Grenzen bereit gewesen, nach kulturellen Gemeinsamkeiten und unterschiedlichen Graden von Fremdheit zu suchen, nicht zuletzt um Ansatzpunkte für angemessene und zielorientierte Kommunikationsformen in der Fremde zu finden.137 Die praxeologische Schule relativiert die Wirkung der Stereotypen und Topoi der Fremdheit auf diplomatische Akteure sehr viel stärker. Ihre Vertreter kontex­ tualisieren die häufigen Äußerungen in diplomatischen Korrespondenzen, die an Fremdheitsstereotypen orientiert sind, und fragen nach ihren Gebrauchsfunktionen. Denn Gesandtenberichte seien als Teil eines Dialogs zwischen den Gesandten und ihren Regierungen zu verstehen. Die Diplomaten waren bestrebt, ihr Handeln als loyal und zielorientiert darzustellen und für Misserfolge und Rückschläge möglichst überzeugende Erklärungen und Ausreden zu finden.138 Hierfür waren die Betonung der kulturellen Differenzen und der Rückgriff auf Stereotype wie Unzuverlässigkeit oder gar Verschlagenheit fremder Akteure besonders gut geeignet. Die Stereotypen können demnach in vielen Fällen als „situativ einsetzbare Gebrauchsformen“ gelten, mit denen man Misserfolge plausibilisieren, ­Gegner 136 Z. B. Brauner: Kompanien; Burschel/Vogel (Hrsg.): Audienz; Sowerby/Hennings (Hrsg.) Practices; Windler: La diplomatie comme expérience; Windler: Diplomatie als Erfahrung. 137 Strohmeyer: Kategorisierungsleistungen; Strohmeyer: Wahrnehmungen. 138 Yɪldɪz: Campaign, 156.

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anschwärzen sowie Verständnis für Verzögerungen und Fehlschläge h ­ ervorrufen konnte.139 Damit sei in den Gesandtenberichten zwar durchaus kulturelle Differenz konstruiert worden, aber eben mit bestimmten Absichten, während die Praxis häufig von Verflechtung und interkulturellem Pragmatismus gekennzeichnet gewesen sei.140 Die Diplomaten waren demnach in der Lage, sich auf die fremden Verhältnisse einzustellen, sich ihnen teilweise anzupassen, wenn nötig auch kulturelle Differenzen zu überspielen sowie mit kulturellen Missverständnissen und unterschiedlichen Deutungen flexibel umzugehen. Der entscheidende Punkt der Argumentation der praxeologischen Schule ist, dass sich bei den europäischen Akteuren in der Regel keine Essenzialisierung von kulturellen Unterschieden und Feindbildern findet, sondern ein pragmatischer Umgang mit kultureller Differenz vorherrschte, selbst wenn man sich als grundsätzlich kulturell und religiös überlegen betrachtete. Es steht also die diskursive Bestätigung der Differenz einem bemerkenswerten Pragmatismus in der Praxis gegenüber, der zuweilen an die interkonfessionelle „Umgangsökumene“ in Europa erinnert. Diese Kombination von grundsätzlicher kultureller Überlegenheitswahrnehmung mit „Pragmatismus der Interaktion“141 hat Jürgen Osterhammel als „inklusiven Europazentrismus“ bezeichnet. Er bezieht diesen Begriff vor allem auf das 18. Jahrhundert und die Asienwahrnehmung der Aufklärung, während Christian Windler und Christina Brauner ihn als Wahrnehmungs- und Handlungsmodus von Akteuren in interkulturellen Beziehungen in der Frühen Neuzeit insgesamt, in Abgrenzung zur Moderne, verstehen. In beiden Fällen bedeutet „inklusiver Eurozentrismus“, dass Akteure von der Grundannahme eigener kultureller Überlegenheit ausgingen, die jedoch im Einzelfall korrigierbar oder relativierbar war und nicht zu einem Überlegenheitsgestus und einem kulturellen Sendungsbewusstsein führte, welches das Eingehen auf fremde kulturelle Verhältnisse und das Umgehen mit ihnen – im Sinne von partieller Anpassung und Aushandlung – grundlegend behinderte.142 Als Musterbeispiel inklusiven Eurozentrismus kann die kulturelle Mittlerrolle von Konsuln europäischer Mächte im Maghreb gelten, die Christian Windler untersucht hat. Sie hätten ganz darauf gesetzt, kulturelle Missverständnisse und Spannungen durch Aushandlung zu entschärfen oder zu beseitigen und seien dabei außerordentlich pragmatisch und auch weitgehend unbelastet von den Regeln europäischer Diplomatie vorgegangen. In der Regel selbst sozial am Wirkungsort vernetzt, hätten sie zusammen mit ihren Verhandlungspartnern eine „Kultur des 139 Haug: Vertrauen, 239 (Zitat 239); Windler: Diplomatie als Erfahrung. 140 Kühnel: Westeuropa, 255 f. 141 Vogel: Gut ankommen, 162. 142 Brauner: Schlüssel, 226; Osterhammel: Entzauberung, 380; Windler: Interkulturelle Diplo­ matie.

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Aushandelns partieller Normen“ entwickelt,143 in der beide Seiten um die kulturellen Muster der Gegenseite und Möglichkeiten, mit ihnen umzugehen, wussten. Differenzen im Gabentauschverständnis – Gaben von Gesandten galten in osmanischer Tradition als Tributleistungen, im westlich-europäischen Verständnis hingegen als Ausdruck der Freigebigkeit eines mächtigen Herrschers – seien vermieden worden, indem Konsuln Geschenke als Privatpersonen und nicht in der offiziellen Rolle als chargés d’affaires überreichten. Auseinandersetzungen um Begriffsdeutungen seien durch das gezielte Verwenden mehrdeutiger Bezeichnungen umgangen worden und mitunter hätten beide Seiten gegensätzliche Interpretationen einfach nebeneinander stehen lassen. Die Methode der Konsuln war demnach die einer Ambiguisierung ihres Verhältnisses zu maghrebinischen Akteuren, und sie seien (ebenso wie ihre Verhandlungspartner) dabei in der Lage gewesen, in den Logiken der fremden Kultur zu denken, diese in ihr Kalkül miteinzuziehen und sich auch partiell an diese Logiken anzupassen.144 Wolfgang Kaiser hat Konsuln im südlichen Mittelmeerraum, denen ein „Leben im Wendemantel“ der geschickten Anpassung an die örtlichen Verhältnisse gelang, als „kulturelle Chamäleons“145 bezeichnet. Etwas komplexer gestalteten sich die interkulturellen Beziehungen am Sultanshof in Istanbul, einem Hotspot interkultureller Diplomatie. Das Zeremoniell an der Hohen Pforte selbst bestand aus Elementen alttürkischer, islamischer, byzantinischer und lateinchristlicher Traditionen und stellte somit für sich bereits ein transkulturelles Phänomen dar.146 Bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatten sich die Rituale der Begegnung zwischen lateinchristlichen Diplomaten und osmanischen Amts- und Würdenträgern weitgehend eingespielt und bestand somit ein zunehmend verfestigtes diplomatisches Zeremoniell.147 Die damit aufkommende Routine darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das diplomatische Zeremoniell an der Hohen Pforte erhebliche Fallstricke und Interpretationsunterschiede betreffs der Bedeutung seiner Zeichen für Diplomaten aus dem christlichen Europa bereithielt. Wie beide Seiten damit umgingen, zeigt, wie interkulturelle Begegnungen vor dem Hintergrund des „inklusiven Europazentrismus“ – dem ein im Prinzip auch inklusiver Osmanozentrismus gegenüberstand – funktionierten und wo diese Funktionalität an Grenzen stieß.

143 Windler: Tribut, 53. 144 Windler: Tribut; vgl. auch Jaspert/Kolditz: Außenbeziehungen, 51. Vgl. zur Verwendung uneindeutiger Begriffe am Beispiel der Diplomatie am Sultanshof auch Dierks: Friedensbild, 330 f. 145 W. Kaiser: Politik, 310. 146 Burschel: Einleitung, 15; Hanß: Udienza, 208. 147 Vogel: Marquis, 228.

Interkulturelle Praktiken: Inklusiver Eurozentrismus und seine Grenzen

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Besonders heikel war der Gabentausch zwischen dem Sultan und christlichen Herrschern, vertreten durch Botschafter, deren unterschiedliche kulturelle Interpretationen nicht so leicht überspielt werden konnten wie in den konsularischen Beziehungen im Maghreb. Insbesondere im Verhältnis zum Kaiser versuchte die osmanische Seite, die Überordnung des Sultans über den Kaiser auf zeremonieller Ebene auszudrücken, indem die kaiserlichen Gesandten zu einer Verbesserung der mitgebrachten Präsente gedrängt wurden, um diese dann als Tributleistungen interpretieren zu können. Auffällig an diesem Ringen um die Interpretation von Gaben ist vor allem, dass es sowohl Ebenen kultureller Verständigung und Gemeinsamkeit gab – etwa das Wissen um die rangsetzende Kraft zeremonieller Akte und Zeichen – als auch Bereiche, in denen die Interpretation der zeremoniellen Zeichen vollkommen auseinanderging, vor allem betreffs der Bedeutung des Gabentausches. Bisweilen führte dies zu Missverständnissen und nicht immer sahen sich die Beteiligten in der Lage, die Vorstellungen und Absichten der Gegenseite zu erfassen.148 Mindestens ebenso häufig aber spielten beide Seiten mit diesen kulturellen Differenzen und versuchten sie in ihrem Sinne auszunutzen oder umzudeuten. Gesandte christlicher Herrscher reagierten etwa auf osmanische Forderungen nach Verbesserung der Präsente, indem sie betonten, dass die kaiserlichen Gaben freiwillig und aus Großmut erfolgt seien, mithin die Freigiebigkeit der kaiserlichen Majestät ausdrückten.149 Eine effektivere Gegeninterpretation fanden französische und ihnen folgend auch andere europäische Gesandte im 18. Jahrhundert, als sie zunehmend Uhren als Geschenke boten, die als Symbol technischer Überlegenheit ausgelegt werden konnten und zudem noch (für die christlich-europäische Seite) wirtschaftlich nützlich waren, schufen sie doch im Osmanischen Reich einen Markt für technische Produkte europäischer Herkunft.150 In der interkulturellen Diplomatie an der Hohen Pforte – und in vergleichbarer Form auch am Mogulhof 151 – finden sich folglich Missverständnisse und mitunter auch das Unvermögen, fremde kulturelle Logiken zu erfassen, neben dem geschickten Umgang mit Differenzen zum eigenen Vorteil und partiellem Einverständnis und Übereinkommen durch Aushandlung. Das Rollenverständnis der Botschafter, die den Rang ihres Herrn im Zeremoniell und eben auch im Gabentausch abzubilden und zu verteidigen hatten, begrenzte freilich die Handlungsspielräume und die inter- oder gar transkulturelle Flexibilität der europä­ ischen Gesandten.

148 Burschel: Sultan, 420. 149 Vogel: Gut ankommen, 174 f.; Windler: Tribut, 47. 150 Windler: Tribut, 48. 151 Flüchter: Den Herrscher grüßen?

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Umgehen mit normativer Uneindeutigkeit

Deutlich zu betonen ist, dass der interkulturelle Pragmatismus auf bestimmte Akteursgruppen beschränkt war, die in bestimmten Umständen und unter bestimmten Machtverhältnissen agierten. Nachgewiesen ist er bei den besonders gut untersuchten lateinchristlichen Diplomaten im Osmanischen Reich als auch in Beziehungen von Diplomaten und Händlern mit Akteuren im subsaharischen Afrika und in Fernost sowie an der nordamerikanischen Frontier.152 Es handelte sich dabei um Akteure, die aufgrund ihrer Funktion als Mittler agierten und die Vorteile davon hatten, wenn sie einen gewissen kulturellen Pragmatismus walten ließen bzw. ihre kulturelle Borniertheit begrenzten. Wie noch zu zeigen sein wird, änderte sich dieser Modus der Interkulturalität im Übergang zum 19. Jahrhundert. Ein völlig anderes Bild interkultureller Beziehungen ergibt sich bereits in der Frühen Neuzeit in vielen Kolonien und wirtschaftlich oder politisch abhängigen Gebieten, in denen wirtschaftliche Ausbeutungsinteressen, ein protorassistisches Überlegenheitsgefühl und militärische Überlegenheit zusammenkamen und in denen der Einsatz brutaler Gewalt nicht selten war. Von inklusivem Eurozentris­mus konnte dort kaum die Rede sein, vielmehr entwickelte sich dort ein „zum Rassismus gesteigerte[r] Ethnozentrismus“, der wenig zu Reflexion über eigene kulturelle Anpassungsleistungen Anlass gab.153 Nicht zu vergessen ist zudem, dass Stereotypisierungen von Fremden und in kultureller Sicht anderen auch im vormodernen Europa keine Seltenheit darstellten und keineswegs nur außereuropäische Menschen betrafen. Man denke allein an die Essenzialisierung antijüdischer Feindbilder durch christliche Europäer und Ausschreitungen gegen sie bis hin zu Pogromen, insbesondere im Spätmittelalter. Auch das seit der Reformation und dem Niederländischen Unabhängigkeitskrieg verbreitete negative Spanienbild der leyenda negra als eines von der Grausamkeit der Inquisition und der kolonialen conquista geprägten Landes und Volkes stellt eine alterisierende Toposbildung dar, das bis hin zur Infragestellung der Zugehörigkeit Spaniens zur europäischen Christenheit ging. Selbstverständlich handelt es sich bei diesem Topos auch um eine aus konfessionellen und politischen Motiven genutzte Gebrauchsform, die gleichwohl eine erhebliche Eigendynamik entwickelte und Langlebigkeit aufwies.154 Inklusiver Eurozentrismus war demnach auf bestimmte Akteursgruppen in spezifischen Kontexten beschränkt. Seine Signifikanz für die Beschreibung der Frühen Neuzeit liegt darin, dass er im Übergang zur Moderne durch ein grundlegendes Überlegenheitsgefühl ersetzt wurde, das, wie noch zu zeigen sein wird, den Pragmatismus auch der Akteursgruppen, für die inklusiver Eurozentrismus in der Frühen Neuzeit nachgewiesen worden ist, im interkulturellen Umgang erschwerte. 152 Borschberg: Lost in Translation?; Brauner: Schlüssel; Kirchberger: Tausch. 153 Reinhard: Unterwerfung, 364 f. und 1309 f. (Zitat 1310). 154 Reinhard: Konstruktion.

Zwischenfazit: Kulturen der Ambiguität

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Zwischenfazit: Kulturen der Ambiguität Nach der Darstellung der verschiedenen Umgangsweisen mit Ambiguität und Normenkonkurrenz stellt sich nun die Frage, inwieweit sich Varianten einer europäischen Kultur der Ambiguität ausmachen lassen. Nach dem Stand der Forschung kann dies nur skizzenhaft erfolgen, doch zeichnet sich ein Bild unterschiedlicher Ausprägungen einer solchen Kultur ab. Peter Burke unterscheidet im Europa der Frühen Neuzeit idealtypisch „zwei Kulturen“: Die eine sei katholisch, höfisch und adlig geprägt gewesen und habe sich besonders markant in der Kunst des Barock repräsentiert, die andere sei protestantisch, republikanisch und bürgerlich geprägt gewesen und habe sich vor allem im klassizistischen Stil ausgedrückt.155 In Ersterer sei eine besonders ausgeprägte Ambiguitätstoleranz zu verorten, Letztere hingegen sei als eher ambiguitätsfeindlich anzusehen. Natürlich ist Burke bewusst, dass kein Riss das frühneuzeitliche Europa in zwei normative Zonen teilte, denn in Europa gab es zuhauf auch katholische Bürger, protestantische Höfe, katholische Republiken und protestantische Adlige. Dennoch lassen sich Handlungsfelder identifizieren, die eine vergleichsweise ausgeprägte Normenkonkurrenz aufwiesen und Akteuren eine größere Ambiguitätstoleranz abverlangten als andere. Dazu zählt der fürstliche Hof, der durch extreme Konkurrenz um soziale, symbolische und materielle Ressourcen gekennzeichnet war, die Akteure zur Vernetzung und zur Verstellung zwang, und dies umso mehr, als sich das Handeln im Rahmen des höfischen Zeremoniells und des adlig-höfischen Verhaltenskodex abspielte. Die personellen Überschneidungen zwischen Hof und Bürokratie trugen diese besonders ausgeprägte Normenkonkurrenz auch in die Verwaltung, die wesentlich durch Patronagebeziehungen geprägt war, ihren Mitgliedern aber überzeugender als der Hof auch das Rollenbild des gewissenhaften Amtsträgers bot. Eine abgegrenzte Sphäre gemeinwohlorientierter Sachentscheidung konnte auf diese Weise gleichwohl nicht entstehen. Auch die für die Administration in vielen Fürstenstaaten typischen Kaufämter dienten der Konservierung von Normenkonkurrenz, und dies gerade auch in Verwaltungen außerhalb der Zentren. Denn Amtsträger, die als Kreditgeber ihren Dienstherrn finanziell entlasteten, indem sie Ämter käuflich erwarben oder Dienstausgaben vorstreckten, sahen sich kaum bereit, in die Rolle des gewissenhaften Beamten zu schlüpfen, es sei denn als Fassade und zur Abwehr von Korruptionsverdächtigungen. Dass Venalität in frühneuzeitlichen Verwaltungen so weit verbreitet war, war eine Folge der ubiquitären Finanzierungsprobleme der Fürstenstaaten. Diese waren nicht zuletzt auf die soziopolitische Ambiguität der Fürstengesellschaft zurückzuführen. Denn diese beförderte zwei ausgesprochen 155 Burke: Fassaden, 129.

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kostentreibende Faktoren der frühneuzeitlichen Staatsbildung: die ständig steigenden Militärausgaben als Folge der sich verschärfenden Mächtekonkurrenz und die ebenfalls enorme Höhen erreichenden Repräsentationskosten, die eine Reaktion auf die Status- und Repräsentationskonkurrenz zwischen den Dynastien darstellten. Indem zudem der Aufbau der meisten Staatsapparate auf einem Kompromiss zwischen Adel und Krone beruhte und dem Adel Betätigungsfelder an der Spitze sicherte, wurde die hierarchische Sozialordnung konserviert, ja die Bedeutung von Rangunterschieden noch gesteigert. Soziale Normen blieben damit sowohl in der „Staatenordnung“, die im Kern eine Fürstengesellschaft war, wie im Staatsapparat selbst, der von Standes- und Patronage- bzw. do-ut-des-Beziehungen zwischen verschiedenen Ebenen von Amtsträgern und ihrem jeweiligen Dienstherrn durchzogen war, relevant und standen teils in Konkurrenz, teils in Konvergenz zu gemeinwohlorientierten Handlungserwartungen. In Republiken stellt sich die normative Gemengelage etwas, aber in vielen Fällen doch nicht grundsätzlich anders dar. Dabei hatte sich bereits im hohen Mittelalter in städtischen Republiken in Italien, beispielsweise in Florenz, ein Amts- und Öffentlichkeitsverständnis herausgebildet, das Amtsführung und Ämtervergabe von sozialen Bindungslogiken abzutrennen versuchte, mithin die Amtssphäre konsequent zu disambiguieren trachtete. Vor dem Hintergrund der erbitterten Rivalitäten lokaler Familien wurden Wahl- und Losverfahren entwickelt und darüber hinaus die Spitzen von Verwaltung und Justiz in die Hände befristet tätiger und rechenschaftspflichtiger Auswärtiger gelegt, der so genannten Podestaten. Bestand hatte dieses System allerdings nicht; es verschwand wieder im späten Mittelalter, weil es missbrauchsanfällig war und lokale Familien mitunter doch einen der ihren dauerhaft an die Spitze des Gemeinwesens zu stellen vermochten.156 Nichtsdestoweniger stellt das Podestatensystem einen bemerkenswert ausgefeilten und konsequenten Ansatz dar, eine am Ideal des Gemeinen Besten orientierte Stadtregierung zu installieren und Faktionskämpfe in der Kommune zu vermeiden. Häufiger scheinen allerdings Arrangements zwischen Familien getroffen worden zu sein mit dem Ziel der Aufteilung der Herrschaft. Damit entstanden Ratsoligarchien – wie am Beispiel Venedigs bereits erläutert. Diese bildeten in vielen Städten, vor allem im Reich, ein sozial abgeschlossenes Patriziat, das sich dem Adel in seinem Lebensstil annäherte und bisweilen auch in den Zweiten Stand aufstieg; mitunter wurde, wie in Venedig, auch ein gewisses Ausmaß an sozialer Dynamik im Sinne des Aufstiegs neuer Familien in die ratsfähige Schicht zugelassen. Eine andere Entwicklung trat jedoch dann ein, wenn kommunale Traditionen des gemeinen Nutzens theologisch aufgeladen wurden, wie in den reformierten 156 M. Isenmann: Korruption, 217 ff.

Zwischenfazit: Kulturen der Ambiguität

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Schweizer Kommunen Genf, Bern und Zürich. Indem das Gemeinwohl mit der Botschaft des Evangeliums begründet und damit gemeinwohlorientierte und religiöse Normen kombiniert wurden, konnte ein Ethos entstehen, das Patronage aus dem Regierungs- und Verwaltungsalltag zurückdrängte, und zwar vor allem dann, wenn sie auch grenzüberschreitend auftrat – wie wir gesehen haben, galt ab dem späten 16. Jahrhundert die Annahme auswärtiger Pensionen in Zürich und Bern als Verrat an der patria wie auch als religiöse Devianz. Die Überlagerung von religiösen und gemeinwohlorientierten Normen konnte demnach zumindest auswärtige Patronagebeziehungen derart delegitimieren, dass sie zur Ausnahme wurden. Indem kommunale Traditionen zusätzlich religiös gerechtfertigt wurden, vermochten sie soziale Normen aus bestimmten Handlungsbereichen tatsächlich zurückzudrängen. Das Beispiel der Grabmalskultur zeigt allerdings, dass diese Disambiguierung nur eingeschränkt von Dauer war – selbst in reformierten Städten mit ausgeprägt kommunalistischer Kultur war die Darstellung familiärer Ehre und Memoria ein Wert, den Verbote nur bedingt zurückdrängen konnten. Auch reformierte Städte mit ausgeprägtem Kommunalismus waren demnach von Normenkonkurrenz und einer Kultur der Ambiguität geprägt. Allerdings unterschied sich ihr Normenhorizont deutlich von katholischen Gesellschaften, und zwar auch städtischen, in der Eidgenossenschaft. Insoweit lassen sich nicht Kulturen der Ambiguität von Räumen konsequenter Disambiguierung und normativen Vereindeutigung unterscheiden, sondern vielmehr unterschiedliche Ausprägungen von Normenkonkurrenz und Ambiguitätstoleranz ausmachen bzw. unterschiedliche Reichweiten von Disambiguierung. Normenkonkurrenz stellte somit ein flächendeckendes Merkmal frühneuzeitlicher Gesellschaften dar, wenn auch in Varianten und unterschiedlichen Ausprägungen. Die unterschiedlichen Umgangsweisen mit Normenkonkurrenz entfalteten sich vor dem Hintergrund nicht konsequent ausdifferenzierter Funktionssysteme und Handlungsfelder. Sie stellten Handlungsmodi von Akteuren dar, die in Familienverbänden, als Patrone oder Klienten, als konfessionelle Christen, in Staatswesen als Untertanen, Amtsträger oder Herrscher agierten, die ihnen jeweils Rollen oder Handlungsspielräume zuwiesen und nicht selten auch dezidiert einforderten, deren Geltungsbereiche aber nicht trennscharf abgegrenzt waren. Damit war es für Akteure in der Frühen Neuzeit eine Alltagserfahrung, mit normativen Überlappungen und Ambivalenzen umzugehen, und diese Erfahrung war in vielen Bereichen so alltäglich, dass ihnen dies in den meisten Fällen keine Probleme bereitete oder gar Gefühle besonderer Zerrissenheit verursachte. Vielmehr reagierten die meisten Akteure mit Ambiguitätstoleranz auf normative Ambivalenzen und Überlagerungen. Auf diese Weise wurde kulturelle Ambiguität das Merkmal von Gesellschaften, in denen normative Eindeutigkeit als Ideal zwar präsent war, aber nur von einer Minderheit gelebt wurde, welche die Normenordnung als Ganzes nicht herausforderte, sondern eher bestätigte. Situative

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Vereindeutigung und kasuistische Abwägung waren gewissermaßen die Standardumgangsformen mit Normenkonkurrenz, normative Übererfüllung hingegen der Weg einer Minderheit, welcher von der Mehrheit entweder als Devianz oder als bewundernswerter und für sie mitunter auch nutzbringender Sonderweg angesehen wurde. Es ist aber auch ein Merkmal der frühneuzeitlichen Normenordnung, dass in bestimmten Kontexten, etwa in Korruptionsdebatten, Ambiguitätstoleranz in die Forderung normativer Eindeutigkeit umschlagen konnte – derartige Umschwünge zeigen die Prekarität kultureller Ambiguität, die stets in Spannung zu Eindeutigkeitsvorstellungen stand. Die Frühe Neuzeit stellt sich insoweit als „Zeitalter der Ambiguität“ dar. Sinn ergibt diese Bezeichnung jedoch nur, wenn sie gegen andere Epochen und ihre Charakteristika abgrenzbar ist. Der Prozess der normativen Zentrierung kann als Abgrenzungsmerkmal zwischen dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit gelten – allerdings mit einer langen, weit in das Mittelalter zurückreichenden Übergangsperiode der Formierung von Normensystemen. Inwieweit sich die Normenordnung im Übergang zur Moderne so fundamental änderte, dass kulturelle Ambiguität nicht mehr als gesellschaftliches Grundmerkmal betrachtet werden kann, ist nun zu diskutieren. Lässt sich ein deutlicher Kontrast zwischen frühneuzeitlicher bzw. vormoderner Ambiguität und moderner Vereindeutigung und Disambiguierung ausmachen?

7. Die Moderne: Ein Zeitalter der Eindeutigkeit? Die These, dass die Frühe Neuzeit ein Zeitalter besonders ausgeprägter Ambiguität war, setzt die Annahme voraus, dass die Moderne sich im Hinblick auf den Normenhorizont und den Umgang mit Normen deutlich von ihr unterschied. Ob die Jahrzehnte um 1800 als Phase eines grundlegenden Wandels der religiösen, gesellschaftlichen und politischen Ordnung im lateinchristlichen Europa anzusehen sind, wird in der Forschung schon lange und kontrovers diskutiert. Tatsächlich hat die kulturgeschichtliche Wende, wie eingangs erläutert, die Annahme eines grundlegenden kulturellen Bruchs um 1800 in Europa eher bestärkt.1 Das ist aber keineswegs unwidersprochen geblieben, etwa mit Hinweis auf den kontinuierlich verlaufenden, die gesamte Neuzeit einnehmenden Prozess der Bildung des modernen Staates.2 Zudem ist bis vor kurzem bei den Frühneuzeithistorikern eine gewisse „Schwellenangst“3 zu konstatieren gewesen. Die Frühe Neuzeit ist zwar zunehmend als eine von der Moderne distinkte Epoche angesehen worden, doch hat sich die kulturgeschichtliche Forschung mehr auf die Analyse der vormodernen Verhältnisse und ihrer Fremdheit als auf Wandlungsprozesse des Übergangszeitraums zwischen Frühneuzeit und Moderne konzentriert.4 Erst in jüngster Zeit ändert sich dies und wird die Sattelzeit dezidiert als Zeitraum fundamentaler kultureller Umbrüche in akteurszentrierter Perspektive untersucht. Dennoch sind Studien, die nach dem Wandel der Normenordnung im Übergang in die Moderne fragen, noch vergleichsweise rar gesät. Wir wissen mittlerweile viel über das Verhältnis von normativen Diskursen und Praktiken in der Frühen Neuzeit und können auf ein breites Theorieangebot und eine unübersehbare Vielfalt von empirischen Studien zur Normenordnung der Moderne zurückgreifen. Woran es allerdings noch weitgehend fehlt, sind Studien, die den Übergang zwischen Vormoderne und Moderne über einen längeren Zeitraum in akteurszentrierter Perspektive nachvollziehen und die vielfach vermutete Differenz zwischen den Normenordnungen der beiden Epochen an Beispielsfeldern überprüfen. Insoweit mangelt es trotz der Ergebnisse einiger im Folgenden heran­ zuziehenden Pionierstudien für die Beschreibung dieses Übergangs noch an der empirischen Grundlage. Wiewohl einige bereits vorgelegte akteurszentrierte Studien darauf hindeuten, dass um 1800 tatsächlich eine Reduktion von Ambiguitätstoleranz stattfand, bleiben noch viele Fragen offen. Zu bedenken ist nicht 1 Stollberg-Rilinger: Alteuropa-Konzept, 56. 2 Reinhard: Alteuropa, 262. 3 Hoffmann-Rehnitz: Geschichte, 671. 4 Eine kulturgeschichtliche Theorie des gesellschaftlichen Wandels in der Sattelzeit fordert ein Hoffmann-Rehnitz: Geschichte, 672.

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zuletzt, dass Theorien und Begriffe, die zur Analyse von kultureller Ambiguität in der Frühen Neuzeit von der Forschung aufgegriffen worden sind, zu großen Teilen aus der Handlungs- und Institutionensoziologie stammen, mithin aus Forschungszusammenhängen, die sich mit der Moderne befassen. Das gilt beispielsweise für Theorien zu sozialen Rollen, den Begriff der organisierten Heuchelei oder Ansätze zum Verhältnis von Formalität und Informalität. Kulturelle Ambiguität in der Moderne ist insofern schon länger ein Forschungsgegenstand, wenn auch noch selten unter Verwendung dieses Begriffs. Schon allein dieser Befund macht deutlich, dass eine einfache, trennscharfe Abgrenzung zwischen der ambiguitätstoleranten Frühen Neuzeit und der durch Vereindeutigung geprägten Moderne problematisch ist. Nun sollen daher einige Ansätze, die sich mit der Moderne als Epoche der Vereindeutigung befassen, gesichtet und mit Befunden aus der historischen Forschung in Bezug gesetzt werden. Dieser Teil des vorliegenden Buches stellt eine Skizze dar, die nach Wandlungsprozessen in der Normenordnung fragt und diskutiert, inwieweit die Sattelzeit im Übergang zur Moderne um 1800 als Periode der Abkehr europäischer Gesellschaften von kultureller Ambiguität zu verstehen ist bzw. wie weitreichend der kulturelle Wandel in normengeschichtlicher Hinsicht war. Es orientiert sich an Handlungsfeldern, deren zunehmende Abgrenzung voneinander ein Kennzeichen des zu beschreibenden kulturellen Wandels war. Dass die Zeit um 1800 eine Phase beschleunigten Wandels auf verschiedenen Gebieten darstellte, kann dabei als Mehrheitsmeinung in der Geschichtswissenschaft, und zwar insbesondere der deutschsprachigen, gelten. Die erste grundlegende geschichtswissenschaftliche Theorie eines Wandels um 1800 kam aus der Begriffsgeschichte: Reinhart Koselleck beschrieb in seiner Einleitung zu dem Monumentalwerk der Geschichtlichen Grundbegriffe 1972 einen fundamentalen Bedeutungswandel der politisch-sozialen Terminologie ab der Mitte des 18. Jahrhunderts. Dieser habe einen von Koselleck bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts angesetzten Prozess beschleunigten Wandels ausgelöst, in dem der „Erfahrungshorizont beweglich“ geworden sei. Die „Grunderfahrung des Fortschritts“ habe die vormoderne statische, auf Bewahrung ausgerichtete Mentalität ersetzt. Die Zukunft wurde Koselleck zufolge damit eine politisch veränderbare, die nicht mehr am Jüngsten Tag endete, sondern um deren Gestaltung verschiedene politische Richtungen rangen. Verfassungsbezeichnungen wie „Republik“, die im Ancien Régime Zustände der Regierung beschrieben hätten, seien zu geschichtsphilosophischen Bewegungsbegriffen und zum Ausdruck von Ideologien avanciert, die in die Zukunft gewiesen hätten.5 Im Hinblick auf das Zeitverständnis und die Ideologisierung der Politik, begleitet von einer grundlegenden Veränderung der 5 Koselleck: Einleitung, XV (erstes Zitat) und XVII (zweites Zitat); vgl. auch: ders.: ‚Neuzeit‘.

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Semantik der politischen Sprache, hat sich die Vorstellung von der Formierung der Moderne und einem in Europa auszumachenden Epochenbruch im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert weitgehend durchgesetzt. Allerdings wird die europäische Moderne mittlerweile als ein Gesellschaftsund Politikmodell unter mehreren betrachtet. Wie entscheidend die europäische Moderne für die Wandlung der Welt im 19. Jahrhundert tatsächlich war und ob die Zeit um 1800 auch in globalgeschichtlicher Perspektive als grundstürzende Umbruchsphase gelten kann, ist daher umstritten.6 Historiker des 19. Jahrhunderts betonen zudem, dass für die Vormoderne typische Denkmuster und Ordnungselemente sehr langlebig gewesen seien. Das 19. Jahrhundert ist demnach nicht einfach als Zeitraum der Ablösung des Ancien Régime durch die moderne Gesellschaft zu verstehen, sondern als Epoche der Koexistenz sehr unterschied­ licher Gesellschaftsmodelle. Der Zusammenbruch der ständischen Gesellschaft im Zeitalter der Französischen Revolution habe weder schlagartig noch evolutionär zu einer modernen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft geführt, sondern eine Gesellschaftsformation hervorgebracht, in der neben modernen auch viele traditionelle oder behutsam an veränderte Verhältnisse angepasste Elemente Bestand gehabt hätten. Man denke etwa an das „Obenbleiben“ des Adels, die anhaltende, ja wieder zunehmende Bedeutung konfessioneller Bindungen in vielen Regionen oder auch die Traditionslinien vom Reformabsolutismus zum frühen Liberalismus.7 Für diese Gesellschaftsform sind die Bezeichnungen „Übergangsgesellschaft“8 und „Neuständische Gesellschaft“9 vorgeschlagen worden. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es einseitig ist, die Gesellschaften des 19. Jahrhunderts allein am Maßstab der Rationalität, der Säkularisierung und der Individualisierung zu messen.10 Es bleibt aber auch festzuhalten, dass eine ganze Reihe von kulturellen Grundmustern, die für das Ancien Régime konstitutiv waren, im Laufe des 18. und frühen 19. Jahrhunderts ein für alle Mal ihre Dominanz und ihre Selbstverständlichkeit verloren: Zu diesen zählen die Selbstverständlichkeit des christlichen Bekenntnisses in seinen konfessionellen Varianten und die Annahme, dass auf das kurze irdische das ewige Leben folge und dass der irdischen Welt bestimmt sei, im Jüngsten Gericht unterzugehen; weiterhin die Wahrnehmung der Monarchie als „normale“ Staatsform und von Verfassungen als politische Zustände und nicht Verheißungen auf eine bessere Zukunft; außerdem die hierarchische Ständeordnung und das mit ihr verbundene Statusdenken 6 Frie: ‚Bedrohte Ordnungen‘, 102 f.; Kirchberger: Sattelzeiten, 672 f. und 677; Osterhammel: Periodisierung, 61 ff.; Zöllner: Frühe Neuzeit, 486. 7 Duchhardt et al.: Eliten, 25; Welskopp: Sattelzeitgenosse, 348 f. 8 Dipper: Übergangsgesellschaft. 9 Blänkner/Paul: „Neuständische Gesellschaft“. 10 Frie: ‚Bedrohte Ordnungen‘; ders.: Adelsgeschichte, 415.

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Die Moderne: Ein Zeitalter der Eindeutigkeit?

(keineswegs aber Statusdenken an sich); und schließlich die grundlegende Skepsis gegenüber Neuerungen und eine auf Bewahrung ausgelegte Mentalität. Die hier aufgezählten kulturellen Elemente und Annahmen verschwanden nicht, wurden jedoch seit der Sattelzeit massiv herausgefordert und vermochten die Kultur der aufkommenden Moderne nicht mehr nachhaltig zu prägen. Was dieser Wandel, der wesentlich durch Prozesse funktionaler Differenzierung befördert wurde, für die Ambiguitätstoleranz von Akteuren bedeutete, soll nun anhand von Beispiels­ kategorien beschrieben werden.

Moderne und Vereindeutigung: Ausdifferenzierung von Handlungsfeldern und Disambiguierung Zygmunt Bauman hat die Klassifizierung und Fragmentierung der Welt als bedeutendste Leistung der Moderne bezeichnet. Mehrdeutigkeit und Uneindeutigkeit würden in modernen Gesellschaften bekämpft in dem Versuch, der Welt eine eindeutige Struktur zu geben. Akteure in der Moderne zeichneten sich, so Bauman, geradezu durch eine Obsession der Kategorisierung und ein auf klare Zuordnung fixiertes, binäres Denken aus, ganz im Gegensatz zum kasuistischen, Graubereiche abwägenden Denken der Mehrheit der Akteure der Vormoderne. Die Moderne, beginnend mit der Aufklärung, führe geradezu einen „Krieg gegen Ambivalenz“. Wie Koselleck geht Bauman vom Wandel der Sprache aus, deren Funktion der Benennung und Einordnung von Objekten und Zuständen auf Unzweideutigkeit ziele, auf saubere Trennungen durch klare Definitionen und die Einteilung von Objekten in Klassen und Kategorien.11 Der im 18. Jahrhundert einsetzende Versuch der Biologie, die komplexe Masse der Lebewesen zu einem konsequent durchstrukturierten und hierarchisierten System zu ordnen, der Taxonomie, kann als besonders eingängiges Beispiel genannt werden: Jedes Lebewesen wird, vereinfacht dargestellt, einer (gegebenenfalls in Unterarten aufgeteilten) Art zugeordnet, die wiederum einer Gattung angehört, welche Teil einer Familie ist, über der eine Ordnung steht, die schließlich einer Klasse als höchster Ordnungskategorie im Reich der Pflanzen oder Tiere zugehörig ist. Auf diese Weise lässt sich jede Form des Lebens punktgenau in einer Systematik lokalisieren und mit einem wissenschaftlichen Namen bezeichnen.12 Bauman – unter Bezug auf Derridas Philosophie der Unentscheidbarkeit und ähnlich wie Bruno Latour – betont allerdings, dass das Bestreben nach konsequenter Vereindeutigung und Disambiguierung zum Scheitern verurteilt sei. Denn jede Bemühung 11 Bauman: Moderne; vgl. auch Engels: Politische Korruption und Modernisierungsprozesse, 40; Engels: Vom vergeblichen Streben, 220. 12 Vgl. Ereshefsky: Evolution.

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um klare Bestimmung und Zuordnung eines Objekts beruhe auf Deutungen, schaffe neue Zweifelsfälle, führe zur Identifizierung weiterer zu klassifizierender Objekte und damit zu neuem Entscheidungsdruck. Mit jeder Entscheidung über eine Lösung derartiger Zweifelsfälle steige der Anteil der Deutung im System. Noch schwieriger wird es, wenn neue Erkenntnisse Neufassungen oder Anpassungen der Ordnung insgesamt erfordern, die wiederum Deutungen darstellen.13 So musste beispielsweise Carl von Linnés 1758 entwickelte Taxonomie, die noch weitgehend statisch ausgelegt war, an das System Darwins angepasst werden, das einen Wandel der Arten postulierte. In jüngerer Zeit wiederum stellen Erkenntnisse der Genetik diese Einteilung erneut in Frage; mittlerweile wird auch in der Biologie eine Debatte über die Brauchbarkeit der Taxonomie überhaupt geführt. Letztendlich wird damit aus dem Kampf für die Vereindeutigung der Ordnung ein ständiges und nie zu einem definitiven Ende führendes Ringen gegen Formen der Ambivalenz, die durch die Klassifikationsbemühungen überhaupt erst entstanden sind.14 Ähnlich argumentiert Thomas Bauer, welcher eine „moderne Disposition zur Vernichtung von Vielfalt“ ausmacht, die aber nie zum Erfolg gelange, weil Ambiguität unvermeidbar sei: „Die Welt ist voll von Ambiguität“, und ihre Vereindeutigung sei ein „höchst energieaufwendig[es]“ und aussichtsloses Unterfangen.15 Mit dieser skeptischen Sicht auf die Möglichkeiten moderner Disambiguie­ rung soll aber nicht die Leistung der Klassifizierung und Vereindeutigung für die Entwicklung moderner Gesellschaften in Zweifel gezogen werden. Das Eindeutigkeitsideal der Moderne mag zwar unerreichbar sein, doch schon das vom Rationalismus des 17. Jahrhunderts in Gang gesetzte Streben nach Gewissheit, der Versuch, die wichtigsten Felder menschlicher Erkenntnis auf eine eindeutige, klare und sichere Grundlage zu stellen, war als Motor des Wandels europäischer Gesellschaften in Aufklärung und Moderne äußerst folgenreich.16 Denn die Vereindeutigungs- und Differenzierungsprozesse schufen, allen ihren Defiziten zum Trotz, höchst leistungsfähige und weitere Veränderungen begünstigende Strukturen. Das gilt vor allem für Prozesse funktionaler Differenzierung im Sinne der Schaffung oder Konturierung von Teilsystemen, die jeweils nach den Anforderungen an ihre eigene, spezifische Funktion gestaltet sind. Sie bewirkten Effizienzsteigerung, generierten Vertrauen in eine zumindest scheinbar vorhersagbare und kontrollierbare Ordnung und begünstigen technische und wissenschaftliche Innovationen.17 13 Bauman: Moderne, 11 ff., 34 und 299 f.; vgl. auch Latour: Wir sind nie modern gewesen. 14 Zu diesen Debatten siehe Ereshefsky: Solution. 15 Bauer: Vereindeutigung, 12 ff., Zitate 12 und 14. 16 Toulmin: Kosmopolis, 122 ff. 17 Engels: Vom vergeblichen Streben, 222.

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Moderne funktionale Differenzierung generierte eine deutlich stärkere Abtrennung zwischen Handlungsfeldern als in der Vormoderne. In den einzelnen Feldern galten jeweils auf ihre Anforderungen zugeschnittene feldspezifische Regeln, welche die normativen Anforderungen an diejenigen, die sich in einem bestimmten Handlungsfeld bewegten, veränderten. Standardsetzung ist demnach eine Begleiterscheinung der modernen funktionalen Differenzierung, mitsamt ihrer „dunklen“ Seite, der Ausgrenzung und Aussonderung des Anderen. Indem Kasuistik nicht mehr als legitimes Mittel erscheint und Kategorientrennung zur Aufgabe wird, wächst – so die mittlerweile klassische Devianztheorie von Michel Foucault – auch der Abstand zwischen normativem und deviantem Handeln. Denn wenn das Handeln in einem Feld nicht mehr unter Rückbindung auf unterschiedliche Normensysteme erfolgt, werden Akteuren gewissermaßen argumentative Auswege, Normabweichungen zu rechtfertigen, verstellt: Wenn der Verstoß gegen eine Norm nicht mehr durch Verweis auf die Gültigkeit einer Gegennorm gerechtfertigt werden kann, dann kann ein solches Verhalten nur noch als Devianz bewertet werden. Um nochmals auf Zygmunt Bauman zu verweisen: „Intoleranz ist deshalb die natürliche Neigung der modernen Praxis. Konstruktion von Ordnung setzt der Eingliederung und der Zulassung Grenzen. Sie verlangt nach der Verneinung der Rechte – und der Gründe – all dessen, was nicht assimiliert werden kann – nach der Delegitimierung des A ­ nderen.“18 Foucaults Devianztheorie wird allerdings mittlerweile in der Forschung mit wachsender Skepsis beurteilt. Beispielsweise sei die Differenz zwischen Diskriminierungspraktiken etwa gegenüber geistig oder körperlich beeinträchtigten Menschen in der Frühen Neuzeit und Ausgrenzungsbestrebungen in der Moderne überschätzt worden; die Diskriminierung des Andersartigen ist demnach mitnichten eine Erfindung der Moderne. Allerdings lässt sich seit dem 18. Jahrhundert eine zunehmend systematische Herangehensweise im Umgang mit Kranken und Beeinträchtigten erkennen, die sich in Zentralisierung, Spezialisierung und Formalisierung ausdrückt, indem sich etwa staatliche Behörden und die akademische Medizin des Problems annahmen und spezialisierte Institutionen schufen.19 Dies führte auf einer ganzen Reihe von Handlungsfeldern tatsächlich zu einer Delegitimierung und Zurückdrängung bis dahin akzeptierter oder üblicher Praktiken, mithin auch zu einer normativen Disambiguierung. Diese Handlungsfelder und der sich in ihnen abzeichnende Wandel sollen nun in den Blick rücken, beginnend mit der Disambiguierung von Amt, Politik und Staat, um dann das Feld des Privaten und das der Religion zu betrachten. Darüber hinaus ist zu diskutieren, ob für das Feld wirtschaftlichen Handelns ein eigenes, auf seine Bedürfnisse und Logiken zugeschnittenes Werte- und Normensystem 18 Bauman: Moderne, 22. 19 Vgl. z. B. Lindemann: Medicine; Patrick Schmidt: Bettler.

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entstand. Und schließlich ist nach den Folgen der Disambiguierungsprozesse im Übergang zur Moderne für Wahrnehmungen und Praktiken in interkulturellen Beziehungen zu fragen.

Korruption und Patronage im Übergang zur Moderne Ein besonders markantes Beispiel stellen Korruptionsdiskurse und -wahrnehmungen dar, und zwar vor allem im Hinblick auf die Legitimität von Patronage. Mit der Aufklärung erfuhr die Wahrnehmung von Korruption einen grundlegenden Wandel. Sie wurde immer weniger als ein Resultat menschlicher Schwäche und Sündhaftigkeit angesehen, sondern stattdessen zunehmend als Phänomen einer zu überwindenden Vergangenheit betrachtet. Dieser Wandel ist Ausdruck und Folge des Geschichts- und Menschenbilds der Aufklärung. Der Geschichtsverlauf ist demnach nicht mehr als ein langsamer Niedergangsprozess der irdischen Welt bis zu ihrem Untergang im Jüngsten Gericht zu verstehen, sondern wird als eine dynamische Folge von Zeitaltern begriffen, in denen der Mensch mal mehr (in Antike und Renaissance), mal weniger (im Mittelalter und im konfessionellen Zeitalter) energisch und kreativ die Gestaltung der Welt in Angriff genommen habe. Fortschritt wird damit zur Aufgabe der aufgeklärten Menschheit, und zwar insbesondere im Hinblick auf seine Moralität. Damit wurde moralische Perfektion zu einem zentralen Projekt für die Verbesserung der Menschheit. Perfektion wandelte sich von einem vom sündhaften Menschen kaum zu erreichenden Ideal, das nur einige normative Übererfüller ernsthaft anstrebten, zu einem für den aufgeklärten Menschen erstrebenswerten und erreichbaren Zustand. Reformen waren nach Überzeugung der Aufklärer der Weg zur Verwirklichung dieses hehren Zieles. Felder der Reform fanden sich überall: in der Sozial- und Wirtschaftsordnung wie auch in der politischen Verfassung. Die Handlungsfelder der Politik und der Verwaltung waren daher von Praktiken, die dem Perfektionsideal nicht entsprachen, und Handlungserwartungen, die Amtsträger zu deviantem Verhalten verführten, zu reinigen. Korruption galt zunehmend als ein skandalöses und zu bekämpfendes Überbleibsel des Ancien Régime. Diese Art der Korruptionswahrnehmung lieferte die Argumente entweder für die radikale Beseitigung der alten Ordnung oder für ihre grundlegende Reform von oben. Mit der Korruptionskritik am Ancien Régime legitimierten Revolutionäre in Nordamerika und Frankreich ihr Handeln ebenso wie Staatsreformer im Dienst des Fürsten und schließlich auch Vertreter des Frühliberalismus in weiten Teilen Europas. Damit gerieten nicht nur Praktiken der kurzfristigen Bestechung, die schon im Ancien Régime kriminalisiert worden waren, in den Blick der Reformer, sondern auch die bis dahin innerhalb eines gewissen Maßes weitgehend akzeptierten Patronagepraktiken. Patronage und überhaupt informelle Beziehungen gerieten permanent und deutlich stärker

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unter Druck, als dies im Ancien Regime der Fall gewesen war. Aus den staatlichen Behörden waren informell vermittelte soziale Bindungen und Verbindlichkeiten so weit als möglich zu eradizieren, weil soziale Normen in Behörden als grundsätzlich systemwidrig galten. Und zu diesem Zweck waren nicht nur einzelne Personen, die sich maßloser Begünstigung schuldig gemacht hatten, anzuklagen oder eine höfische Faktion zu entmachten, sondern grundlegende Reformen in Gang zu setzen, die den Charakter von Amtsrollen und Verwaltungen sowie des Staates insgesamt und auf Dauer verändern sollten.20 Die Affäre Warren Hastings, der 1772 Generalgouverneur der britischen East India Company geworden war, stellt ein gutes Beispiel für die veränderte Wahrnehmung von Korruption dar. Hastings galt zunächst als Nationalheld, hatte er doch das Britische Empire in Indien erweitert. Doch die Stimmung schlug um, als Edmund Burke 1785 gegen ihn ein Impeachment-Verfahren wegen Korruptionsverdachts vor dem Parlament einleitete. Obwohl Hastings schließlich, nach einem sieben Jahre andauernden Verfahren, freigesprochen wurde, kann Burke als der eigentliche politische und moralische Gewinner des Prozesses angesehen werden. Denn er deckte ein System von Bereicherung und Verschleierung durch Amtsträger im britisch regierten Indien auf, das als Ausdruck einer überkommenen Ordnung, als Old Corruption angesehen wurde, die zudem durch die kulturellen Verhältnisse in Indien noch befördert worden sei. Über Zeitungsberichte wurden die korrupten Praktiken skandalisiert und auf diese Weise ein neues, strengeres Amtsverständnis popularisiert. Gaben, die der Anerkennung von Amtsträgern galten, waren der Öffentlichkeit nun kaum mehr vermittelbar und wurden eindeutig der Korruption zugeordnet.21 Entscheidend ist, dass dieses Verfahren auf weit mehr zielte als auf die Person Warren Hastings. Es griff Begünstigungs- und Gabentauschpraktiken grundsätzlich an und delegitimierte die Doppelrolle der Ostindienkompanie, die als private Handelsgesellschaft in Übersee auch staatliche Aufgaben ausübte und sogar Kriege führte. Diese Zwitterkonstruktion der Kompanie passte ebenso wie Hastings’ offen betriebene Bereicherung in Indien immer weniger in eine Zeit, die eine deutliche Trennungslinie zwischen der privaten und der öffentlichen Sphäre zog und welche die beschriebenen Praktiken und Strukturen als ein anachronistisches Überbleibsel einer überkommenen gesellschaftlichen und politischen Ordnung betrachtete. Stattdessen war das Handeln von Amtsträgern in Verwaltungen und Akteuren in der Politik zu vereindeutigen: Soziale Normen waren nicht mehr mit gemeinwohlorientierten 20 Bernsee: Corruption; Engels: Geschichte, 177; Emich: Handlungsspielräume, 225; Engels: Politische Korruption in der Moderne, 346; Hoffmann-Rehnitz: Geschichte, 665; G ­ embicki: Corruption, 49 ff.; Kerkhoff: Corruption in the Netherlands, 91; Wagenaar et al.: Conclusion, 131 ff. 21 Krischer: Korruption.

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Handlungserwartungen auszutarieren, sondern vielmehr waren soziale Normen ganz aus dem Handlungsfeld Behörde fernzuhalten.22 Insoweit reichte die Kritik auch noch deutlich weiter als die in den Korruptionsverfahren unter den frühen Stuarts bzw. hatte eine andere Stoßrichtung. Korruptionsverfahren und -debatten im England der 1620er Jahre hatten, wie wir gesehen haben, einen wesentlichen Beitrag zur Delegitimation und letztlich zeitweiligen Abschaffung der Monarchie über die Kritik an der Bereicherung von Favoriten geführt.23 Anders als in den Debatten seit den 1780er Jahren aber ging es dabei nicht um die intendierte Schaffung von etwas Neuem, sondern um die Heilung des politischen Körpers durch Entfernung einer in den Augen vieler Zeitgenossen durch Sündhaftigkeit degenerierten Dynastie bzw. die (zeitweilige) Ersetzung der Monarchie durch eine religiös legitimierte Tugenddiktatur. Ende des 18. Jahrhunderts hingegen wurde keine Debatte über die Folgen der Sünden der politisch Verantwortlichen geführt, sondern eine Reformdebatte angestoßen, die das Problem der Korruption durch die Durchsetzung eindeutiger Handlungssphären politisch zu lösen trachtete. Dieser Reformimpetus, der Glaube, eine neue Ordnung schaffen zu können und dabei das Alte hinter sich zu lassen, setzte erhebliche Dynamiken frei; in Großbritannien stellen sie gewissermaßen die Initialzündung einer langen Phase von Reformen dar. Im Hinblick auf die Staatsform war das Ergebnis dieses Reformprozesses zwar weniger radikal – die Monarchie blieb in modernisierter Form erhalten –, doch der Ansatz, mittels Reformen den Staat und die gesellschaftliche Ordnung gezielt und systematisch weiterzuentwickeln, war in dieser intendierten Form ein neues Phänomen. Dass seit dem späten 18. Jahrhundert Korruptionskritik radikaler und massen­ wirksamer geäußert wurde, hing nicht zuletzt mit der wachsenden Bedeutung der Presse zusammen. Dies war bereits in der Affäre Hastings der Fall gewesen und sollte sich im Europa des 19. Jahrhunderts so intensivieren, dass die Presseberichterstattung den Verlauf und die Wahrnehmung von Korruptionsdebatten massiv veränderte. Sie bestimmte zunehmend die Verlaufsformen von Korruptionsdebatten durch ihre Skandalisierung, als „Abfolge von Enthüllung, Empörung und Ahndung“. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufsteigende Massenpresse erreichte über publikumswirksame Darstellungen von skandalträchtigen Handlungen mit pikanten Details nicht nur, dass das Inte­ resse der Leser an derartigen Vorgängen stärker geweckt wurde, sondern trug mit eindeutigen ­moralischen und politischen Bewertungen das Perfektionsideal als reale, aber skandalöserweise immer wieder durch korrupte Eliten enttäuschte Handlungserwartung in die Bevölkerung. War Korruption um 1800 zumindest 22 Engels: Geschichte, 200 ff. 23 Vgl. das Kapitel „Korruption“ in Teil 5 und das Kapitel „Kasuistik und organisierter Heuchelei“ in Teil 6.

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auf dem ­europäischen Kontinent noch ein Debattenthema der Eliten gewesen, so wurde es im Laufe des folgenden Jahrhunderts immer weiter schichtenübergreifend rezipiert. Damit trug auch der moderne Medienwandel zu einer schärferen Konturierung der Grenze zwischen Norm und Devianz im Handeln im Amt und in der Politik bei und popularisierte Vorstellungen, die von der aufgeklärten Elite ein Jahrhundert zuvor entwickelt worden waren.24 Problematisch an diesem neuen Perfektionsideal war gleichwohl, dass es letztlich nicht in dem Maße ein geschlossenes Handlungsfeld schuf, wie es die durch Kasuistik nicht mehr zu verwässernden Rollenerwartungen eigentlich verlangten. Ein konsequenter Ausschluss sozialer Handlungserwartungen aus Verwaltung und Politik erwies sich als Fiktion. Patronage und Korruption verschwanden damit nicht aus Behörden, sondern zogen sich in eine Grauzone zurück, in der sie für die Öffentlichkeit unsichtbar blieben – um umso größere Skandalisierung hervorzurufen, wenn sie dann doch ans Tageslicht kamen. Denn Politik und auch das Innenleben von Behörden beruhten auch in der Moderne (und bis auf den heutigen Tag) zu einem guten Teil auf personalen Beziehungen und auf informellen Verbindungen. Problemlösungen werden häufig jenseits der Dienstwege gefunden, und Gefallensleistungen schaffen Abhängigkeiten, die als Klientelismus bezeichnet werden können. „Keine politische Karriere im 19., 20. oder einem beliebigen anderen Jahrhundert ist ohne persönliche Netzwerke denkbar.“25 Bedeutet dies, dass im Hinblick auf die Geschichte der Korruption der moderne Vereindeutigungsdiskurs an der gleichen Klippe zerschellte wie vor ihm der frühmoderne Perfektionsdiskurs? Denn das Problem, dass strengen Verhaltensforderungen kein konsequent von konkurrierenden Handlungserwartungen bereinigter Handlungsraum zur Verfügung stand, war bereits aus der Frühen Neuzeit bekannt und ein Generator für Normenkonkurrenz. Allerdings erwies sich, wie weiter unten, im Kapitel zu den Funktionseliten, darzustellen sein wird, das aus dem Vereindeutigungsdiskurs abgeleitete moderne Dienstethos doch als deutlich wirkmächtiger als die in der Frühen Neuzeit gängigen Selbstbilder frühneuzeitlicher Amtsträger. Dazu trug nicht zuletzt die Überzeugung bei, dass durch entsprechende Reformen eine neue gesellschaftliche Ordnung geschaffen werden könne, die Defizite in der Umsetzung von Reformen als in naher Zukunft zu beseitigende Überbleibsel der Vergangenheit erscheinen ließ. Das scheinbar greifbar gewordene Perfektionsideal veränderte grundlegend und mittels der Presse schichtenübergreifend den Umgang mit Korruptionsvorwürfen und zwang viele Formen der Begünstigung und der Patronage, die in der Frühen Neuzeit noch teilweise öffentlich sichtbar hatten praktiziert werden können, zum Rückzug in die oben genannte Grauzone von Hinterzimmern. Allen ­Enttäuschungen und 24 Engels: Geschichte, 293 f. (Zitat 293). 25 Asch/Emich/Engels: Einleitung, 30; Engels: Geschichte, 189 f. (Zitat 190).

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neuen Skandalen zum Trotz: Der Perfektionsdiskurs behielt die Deutungsmacht in den Korruptionsdebatten der Moderne, das heißt, er blieb der gesellschaftlich geforderte Maßstab, ohne kasuistischen Bewertungen Raum zu geben. Es fand gewissermaßen eine für das Selbstverständnis moderner Akteure schmerzhafte Disambiguierungsleistung statt, die sich (bis in die Gegenwart) als erstaunlich resistent gegenüber der Erfahrung realer Normenkonkurrenz erwies. Darüber hinaus veränderte Patronage in der Moderne ihre Gestalt und wurde, je nach den gesellschaftlichen Verhältnissen, variantenreicher. Mit dem Wachstum staatlicher Verwaltungen und dem Aufstieg moderner Parteiapparate entstand neben traditionellen Formen von Patronage die „Organisationspatronage“. Bei ihr handelte es sich um Begünstigungssysteme für die Mitglieder und Anhänger von Parteien, Verbänden und Gewerkschaften. Das Verhältnis zwischen sozialer Bindung und inhaltlichem Organisationszweck wurde gegenüber der Frühen Neuzeit gewissermaßen umgedreht: Die locker zusammengesetzten Hoffaktionen und Patronagenetzwerke der Frühen Neuzeit beruhten überwiegend auf sozialen Vertrauensbeziehungen, die mitunter über Generationen gepflegt worden waren. Gemeinsame politische Ziele konnten dabei als zusätzliches Mittel der Bindung und der Förderung einer Gruppenidentität nützlich sein. In der Organisationspatronage war bzw. ist es umgekehrt: Das Mitglied einer modernen Institution ist an diese nicht über Personenvertrauen gebunden, sondern über den politisch-ideologischen Organisationszweck. Patrone in einer solchen Organisation – etwa Parteisekretäre oder Gewerkschaftsfunktionäre – waren (bzw. sind) als Personen austauschbar. Ihre Aufgabe, die auch in der Begünstigung von Mitgliedern etwa durch die Versorgung mit Ämtern bestand, konnte ebenso durch ihren Nachfolger im Amt ohne Bruch weitergeführt werden.26 Schon im 18. Jahrhundert finden sich Beispiele für derartige Formen von Organisationspatronage. Der Orden der Illuminaten etwa, eine in den 1770er Jahren in Bayern gegründete geheimbündlerische Organisation, stellte eine Gemeinschaft von Anhängern der Aufklärung dar, deren Ziel es war, die Verwaltung im Sinne der neuen Ideen zu modernisieren. Ihre Mitglieder suchten dieses Ziel über Vernetzung und Koordination voranzutreiben, in Bayern wie auch grenzübergreifend. Mit dem Staatsminister Montgelas gelangte, nachdem die Organisation bereits verboten worden war, eines ihrer ehemaligen Mitglieder sogar an die Spitze der Regierung und förderte gezielt die Karrieren ehemaliger Illuminaten.27 Im 19. Jahrhundert waren es Parteien, die mittels derartiger mikropolitischer Mittel ihre Anhänger begünstigten, Personal für staatliche Verwaltungen rekrutierten und regionale Eliten an die Zentrale banden. Gerade in ländlichen Regionen konnten sich lokale Patronsfamilien, die über Kontakte in die Zentrale ­verfügten, 26 Engels: Geschichte, 144. 27 Engels: Geschichte, 144.

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mitunter über mehrere Generationen in einer derartigen Stellung halten, sodass Personenvertrauen (in den lokalen ­Patron und seine Familie) sich mit Systemvertrauen (in Parteistrukturen) mischte.28 Patro­nage passte sich folglich an die Anforderungen moderner Organisationen und die Ideologisierung des politischen Feldes an, verschwand aber keineswegs. Die veränderte Korruptionskommunikation in der Sattelzeit und in der Moderne ist ein deutlicher Hinweis auf massive Disambiguierungsbestrebungen auf dem Feld des Politischen und der Verwaltung. Die Überwindung der Korruption durch politische Reformen wurde denkbar und energisch eingefordert; neu war die historisierende Wahrnehmung von Korruption und Patronage, welche diese Phänomene als Zeichen von Rückständigkeit wertete und damit als Anachronismen delegitimierte. Die Untersuchungen zur Organisationspatronage zeigen gleichwohl, dass diese Disambiguierung ihre Grenzen hatte und Patronage sich wandelte, jedoch nicht verschwand. Der angestrebte Zustand gemeinwohlorientierter Perfektion blieb unerreichbar, aber die Fiktion, ihn erreichen zu können, wirkte dynamisierend sowohl für Reformvorhaben in Politik und Verwaltung als auch, wie noch zu zeigen sein wird, für das Selbstbild von Amtsträgern.

Politik und Staat Die Disambiguierung des Handlungsfeldes des Politischen und der staatlichen Herrschaft durch Zurückdrängung konkurrierender Normen war ein zwar kaum vollständig erreichbares, aber nichtsdestoweniger planvoll und systematisch vorangetriebenes Projekt staatlicher Verwaltungen, das folgenreich war. Mit dem Durchbruch des Reformdenkens der Aufklärung im 18. Jahrhundert und einem Wandel des Selbstverständnisses von Akteuren in staatlichen Verwaltungen schlug der Staatsbildungsprozess von einem nichtintendierten, keiner Blaupause folgenden Prozess zu einem zumindest von einem Teil der maßgeblichen Akteure planvoll vorangetriebenen Vorhaben um. In etwas dramatisierender Sprache bringt Zygmunt Bauman diesen Vorgang auf den Punkt: Der moderne Staat entstand als eine missionierende, bekehrende, Kreuzzüge führende Macht, die entschlossen war, die beherrschten Bevölkerungen einer gründlichen Kontrolle zu unterwerfen, um sie in eine ordentliche Gesellschaft zu transformieren, die den Vorschriften der Moderne entsprach. Die rational geplante Gesellschaft war die erklärte causa finalis des modernen Staates. Der moderne Staat war ein Gartenbau betreibender Staat.29 28 Engels: Geschichte, 112 ff. 29 Bauman: Moderne, 41.

Politik und Staat

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Betrachten wir nun die Bedingungen und Voraussetzungen dieses grundlegenden Wandels, die Mittel, mit denen dies geschah, und die Konsequenzen für den Normenhorizont europäischer Gesellschaften. Eine erhebliche Rolle spielte wiederum der Medien- und Kommunikationswandel, der im 18. und 19. Jahrhundert auf dem Feld des Politischen wirksam wurde. Zum einen wurde die mündliche Anwesenheitskommunikation, wie sie etwa in Städten im Reich für die Verkündung von und die Erinnerung an Ordnungen und Bestimmungen genutzt wurde, durch schriftliche Kommunikationsformen weitgehend verdrängt. Diese Ablösung kann als ein sehr langfristiger, die gesamte Frühe Neuzeit umfassender Prozess betrachtet werden, der im 18. Jahrhundert aber noch einmal beschleunigt wurde.30 Die Ausweitung von Schriftlichkeit und die fortlaufende Verstetigung und Beschleunigung des Transports von Schriftgut wurden auch zur politischen Erfassung des Raums genutzt. Kommunikation über schriftliche Medien entlastete die Ordnungssetzung der Obrigkeiten vom unmittelbaren Konsensdruck der Anwesenheitskommunikation,31 begünstigte aber auch den Aufstieg der Presse ab dem 17. Jahrhundert, die sowohl als Propagandamaschine des Staates (als Paradebeispiel gilt die Gazette de France) eingesetzt wurde als auch als Medium der Reflexion der Beteiligung aller Stände am politischen Diskurs dienlich war.32 Von einem permanenten Wechselspiel von Öffentlichkeit, Herrschaftskritik und Herrschaftslegitimation kann allerdings erst im 18. Jahrhundert die Rede sein.33 Die Ausweitung der Schriftkommunikation trug mithin auf unterschiedliche Weisen der Herausbildung eines eigenlogischen Feldes des Politischen bei: Sie diente zum einen zur überregional gleichmäßigen Verbreitung obrigkeitlicher Anordnungen und der Abschirmung herrschaftlicher Entscheidungen von Kommunikation unter Anwesenden. Zum anderen förderte sie die Ausbildung einer überregionalen, teilweise überstaatlichen politischen Öffentlichkeit, die über Politik reflektierte und diskutierte und auf diese Wiese ebenfalls einen Beitrag dazu leistete, dass das Politische als ein Handlungsfeld eigener Logik angesehen wurde. Mit der „zweiten Kommunikationsrevolution“ im 19. Jahrhundert, die mit der Einrichtung von Telegraph, Telefon und einem beschleunigten und regelmäßigen interkontinentalem Briefverkehr einherging, wurden diese Prozesse weiter beschleunigt. Der Staat rückte näher an seine Bürger und an seine Amtsträger heran;34 und 30 So endeten in norddeutschen Städten die „Burspraken“, die öffentliche mündliche Verkündigung von Ordnungen, nachdem ihre Frequenz bereits vermindert worden war, in Lübeck beispielsweise endgültig 1809. Siehe Kruse: Burspraken, 158. 31 Schlögl: Politik beobachten; zusammenfassend auch Pietsch: Druckhaus, 382. 32 Vogel: Diplomatie, 78 ff. 33 Freist: Öffentlichkeit. 34 North: Einleitung, XII und XVI f.

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diese allerdings umgekehrt auch an ihn, wie wir bereits am Beispiel der Korruptionsberichterstattung gesehen haben. Für die stärkere Konturierung des Feldes des Politischen als eigenlogische Sphäre staatlichen Handelns war wesentlich das Naturrechtsdenken der Aufklärung verantwortlich. Es ging von der Fiktion eines ursprünglichen Vertragsschlusses aus, in dem die Individuen ihre Freiheit aufgegeben oder eingeschränkt hatten, indem sie ein Gemeinwesen schufen und sich seiner Gewalt unterwarfen. Dieses Gemeinwesen hatte den Auftrag, eine Ordnung zum Wohle aller zu schaffen. Die politische Ordnung erschien damit als ein Gestaltungsraum, der nach rationalen Prinzipien auszustatten war. Entscheidend ist dabei, dass das bestehende Gewohnheitsrecht keinen Wert an sich hatte, sondern auf den Prüfstand gestellt und gegebenenfalls abgeschafft oder reformiert wurde. Damit standen grundsätzliche Rechtsbestände zur Disposition.35 Politik und Recht wurden so zu Feldern der gemeinwohlorientierten Gestaltung, auf denen weder Rücksicht auf Bestehendes genommen werden sollte noch politikfremde Normen Geltung beanspruchen durften. Damit stand auch die Sozialordnung zur Disposition, und zwar vor allem die herkömmliche Führungsstellung des Adels, der nun als parasitär kritisiert wurde; seine auf Herkommen beruhende privilegierte Stellung geriet unter Begründungszwang.36 Auch die Legitimität des monarchischen Herrschers veränderte sich mit diesem Wandel: Tradition war kein ausreichender Legitimationsgenerator mehr. Vielmehr hatte auch der Fürst dem Gemeinwohl nützlich zu sein: Der Monarch hatte ein Staatsamt auszufüllen.37 Damit traten die sozialen Aspekte fürstlicher Herrschaft – das dynastische Denken – und seine religiöse Legitimation hinter die politische Rolle zurück. Besonders früh wurde diese Tendenz der Hierarchisierung der Rollen des Fürsten zugunsten seiner politischen Funktion in der europäischen Ordnung sichtbar. Die personal strukturierte Fürstengesellschaft wurde im Rahmen der Mechanisierung des politischen Denkens schon seit dem späten 17. Jahrhundert zunehmend weniger als eine soziopolitische Ordnung als vielmehr als ein mechanisches System gedacht, das in Balance zu bringen war, um es zu befrieden. Leibniz begründete den Entwurf eines europäischen Gleichgewichtsmodells in seinem „Sekuritätsgutachten“ von 1670 mit physikalischen Grundsätzen und sollte damit auf lange Sicht Schule machen.38 Im 18. Jahrhundert stieg die Denkfigur der Balance zum Paradigma des politischen Denkens auf, mit dem weitere universalistische Bestrebungen abgewehrt werden sollten; der Friede von Utrecht 35 Stollberg-Rilinger: Maria Theresia, 536 f. 36 Paravicini: Interesse, 21 f. 37 Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt, 122 ff. 38 Braun: Frieden, 300 f.

Politik und Staat

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(1713) ist ein Beispiel dafür.39 Die europäische Mächteordnung wurde damit zu einem Objekt rationaler Planung mit dem Ziel ihrer Stabilisierung. Unbekümmert von herkömmlichen Herrschaftsrechten wurde die Staatenordnung zum Zweck der Friedenssicherung und des Machtgewinns einiger Staaten umgestaltet und wurden staatliche Territorien neu zugeschnitten. Seit dem frühen 18. Jahrhundert wurden in Friedensverträgen Territorien ausgetauscht und „arrondiert“ und Dynastien auf der politischen Landkarte verschoben.40 Die Bindung staatlicher Herrschaft an eine legitime Dynastie wurde damit geschwächt zugunsten der Vorstellung vom Staat als abstrakter politischer Einheit, die sich in das nach rationalen Prinzipien und Machtlogiken gestaltete internationale System einfügte. Konsequent disambiguiert wurde die europäische Mächteordnung damit allerdings keineswegs. Das Nebeneinander von religiösen, sozialen und politischen Legitimationsfiguren und fürstlichen Rollenmodellen blieb zumindest in den Staaten, die über die Sattelzeit hinaus Monarchien blieben, erhalten, allerdings mit einer deutlichen Hierarchisierung zugunsten der politischen Rolle von Herrschern. Insoweit kann von einer begrenzten Disambiguierung des Feldes der Herrschaft gesprochen werden. Auch nach innen gewann das mechanistische und auf Traditionsbestände keine Rücksicht nehmende Politik- und Staatsverständnis im Laufe des 18. Jahrhunderts an Bedeutung. Im Reich ist dies vor allem am Aufstieg der Kameralwissenschaft und der Staatswissenschaften an den Universitäten zu sehen. Die Kameralisten betrachteten den Staat als ein rationales System, das, zu höchster Perfektion gebracht, einem Uhrwerk gleichen sollte. Der Staat als eine nach rationalistischen Prinzipien gestaltete Maschine sollte von der Zentrale aus gelenkt werden, um auch die kleinsten Zahnräder des Staatsapparates im hintersten Winkel der Provinz in Gang zu setzen. Ziel war es, auf diese Weise das Einkommen des Staates zu erhöhen, und zwar insbesondere über die Förderung der Wirtschaft und die Straffung der Verwaltung.41 Von diesen Lehren geprägte Absolventen gelangten in die staatlichen Verwaltungen und dienten den Reformregierungen des „Aufgeklärten Absolutismus“. Reformer wie etwa Friedrich Wilhelm Graf von Haugwitz (1702 – 1765) in der Habsburgermonarchie setzten Dynamiken in Gang, welche die Verwaltung und die Untertanen unter einen permanenten Perfektions- und Veränderungsdruck stellten.42 Allerdings erwies sich die Übernahme des logisch aufgebauten Systems der Kameralisten in die politische Praxis als übergroße Herausforderung. Eine historisch gewachsene Herrschaft wie etwa die der Habsburger entzog sich der straffen, an Zweckmäßigkeit orientierten 39 Vgl. das Kapitel „Dynastische Akteure in der Fürstengesellschaft“ in Teil 4. 40 Duchhardt: Gleichgewicht. 41 Stollberg-Rilinger: Staat. 42 Stollberg-Rilinger: Maria Theresia, 244 f.

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Durchstrukturierung durch zentrale Reformen. In der Praxis stellten sich Reformen wie die eines Haugwitz in den 1740er Jahren sehr viel improvisierter und auch chaotischer dar als das durchstrukturierte Ideal. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass die Haugwitz’schen Reformen eine Veränderungsdynamik in Gang setzten, die gerade dadurch in Gang gehalten wurde, dass sie nicht an das kameralistische Perfektionsideal heranreichten: „Die Reformen produzierten Probleme, auf die mit neuen, ähnlichen Reformen reagiert wurde, die wiederum ähnliche Probleme produzierten, und so fort.“43 Mit anderen Worten: Politik setzte die traditionelle soziopolitische Welt in Bewegung und stellte sie permanent auf den Prüfstand. Derart mechanistische Vorstellungen begünstigten die Depersonalisierung von Politik und Herrschaft ebenso wie ihre Zentralisierung. Indem Herrschaft rational und nicht mehr mit dem Herkommen und der göttlichen Weltordnung begründet wird, traten die Sozialordnung und der Staat auseinander. In einem System, das auf optimale Nutzbarmachung ausgelegt war, gerieten herkömmliche Rechte und damit die hierarchische Sozialordnung insgesamt unter Druck. Ein Generator der Legitimierung und Durchsetzung zentraler bürokratischer Herrschaft auf rationalen Grundlagen war die Statistik. Ihr Beitrag zum Wandel der politischen Kultur und Praxis in Europa ist jüngst von Lars Behrisch vermessen worden.44 Die moderne Statistik stellt eine generalisierte Erkenntnisform dar, die eine Summe von erhobenen Einzeldaten zu einem abstrakten „Aggregat“ verarbeitet und dieses als Grundlage für Erkenntnis, Planung und Argumentation nutzt. Sie geht damit über Datensammlungen in Kirchenbüchern, Konskrip­tions- und Steuerlisten, die seit dem späten Mittelalter erstellt wurden, und auch das System der informationes in der Gesellschaft Jesu weit hinaus. Eine derartige Datenverarbeitung wurde in Europa auf breiter Front ab den 1760er Jahren als Methode der Politikplanung verwendet, in einigen Ländern, namentlich in England, auch schon deutlich früher. Sie diente der „politischen Ökonomie“, das heißt der staatlichen Lenkung ökonomischer und demographischer Entwicklungen. Ein derartiger Ansatz setzt nach Behrisch voraus, dass Staaten nicht mehr nur als rechtliche, militärische, konfessionelle und administrative Einheiten wahrgenommen werden, sondern auch als wirtschaftliche und demographische Größen. Der Fürst bzw. seine Regierung nahmen dabei die Rolle von Verwaltern eines staatlichen Wirtschaftsraumes ein und nutzten Statistiken als Medium, um genauere Kenntnis über die Ressourcen, das heißt vor allem die Produktions- und Konsumptionsfaktoren des von ihnen regierten Gebietes zu erhalten. Diese „politische Arithmetik“ veränderte mit ihren abstrakten Zahlenreihen, so Behrisch, die Wahrnehmung des Landes durch die es Regierenden und 43 Stollberg-Rilinger: Maria Theresia, 244 f. 44 Die folgenden Ausführungen nach Behrisch: Alteuropa; ders.: Zahlen.

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Verwaltenden. ­Statistische Abstraktion habe die Vorstellung eines homogenen Herrschaftsraumes befördert, denn sie habe lokale Eigenarten, rechtliche Sonderregelungen und Privilegien, ständische Unterschiede und konfessionelle Differenzen ausgeblendet. Stattdessen habe die Statistik in ihrer vereinheitlichenden und funktionalisierenden Optik funktionale Zusammenhänge sichtbar gemacht und staatliche Maßnahmen der ökonomischen, fiskalischen und demographischen Steuerung nahegelegt, und zwar ohne Rücksicht auf altes Herkommen und rechtliche oder soziale Besonderheiten. Die Einwohner eines Staates traten in der Statistik als im Prinzip gleichwertige Einheiten der Produktion und der Konsumption auf. Das hierarchische Prinzip der Ständegesellschaft wurde auf diese Weise unterlaufen. Einerseits eröffnete sich der Staat damit den Zugriff auf immer weitere gesellschaftliche Bereiche, in denen er über Statistiken Handlungsbedarf für politische Steuerung und Intervention nachwies. Andererseits setzte er sich auf diese Weise geradezu unter Zugzwang, Strategien für die Zukunftsplanung zu entwickeln. Der Aufstieg der modernen Statistik trug somit wesentlich dazu bei, dass Politik ihren reaktiven und bewahrenden Charakter verlor und stattdessen die zukünftige Gestaltung des Staatswesens in den Blick nahm – und dies in vereinheitlichender, zentral geleiteter Weise. Die Einführung der Statistik als Instrument der Herrschaft erforderte die Professionalisierung von Verwaltungsapparaten. Sie ist ein Beispiel für eine generelle Tendenz der Zentralisierung und Vereinheitlichung des Verwaltungshandelns, das abstrakten Kategorien folgte und Normen und Logiken, die mit ihren gemeinwohlorientierten Zielen konkurrierten, auszuschließen trachtete. Indes dürften gerade für das 18. und frühe 19. Jahrhundert die Wirkungen der Verwaltungsreformen, so ambitioniert sie auch formuliert waren, nicht überschätzt werden. Den organisatorischen Veränderungen in Behörden, die auf eine klare Zuordnung von Zuständigkeiten und die Ausdifferenzierung verschiedener, jeweils bestimmte Fachkompetenzen erfordernder Arbeitsbereiche zielten, stand eine in vielen Ländern noch lange gehaltene Dominanz des Adels in den Spitzenpositionen der Verwaltung entgegen, womit soziale Hierarchien und Handlungslogiken in Verwaltungen nur allmählich an Bedeutung verloren.45

Fachliche und berufliche Differenzierung: Funktionseliten Gleichzeitig finden sich aber einige Hinweise darauf, dass sich ab dem späten 18. Jahrhundert das Rollenverständnis von Amtsträgern veränderte. Angehörige bestimmter Berufsgruppen verstanden sich zunehmend als Träger einer 45 Engels: Vom vergeblichen Streben, 222; Frie: Adelsgeschichte, 402.

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­professionsspezifischen, akademisch geprägten Fachkultur, die ihr berufliches Handeln bestimmte und die zu Abgrenzungen gegen Personen führte, die mit ihnen konkurrierten, aber nicht über bescheinigte Qualifikationen verfügten. Ein Beispiel für eine solche Gruppe von professionellen Spezialisten, die sich als eine „Berufselite“ verstand und die mit staatlicher Hilfe nicht- oder semiprofessionelle Konkurrenten aus ihrem Arbeitsfeld verdrängte, stellen akademisch ausgebildete Ärzte dar. Ihr Aufstieg vollzog sich mit staatlicher Unterstützung und nahm in der Sattelzeit deutlich an Fahrt auf. Die vormoderne Medikalkultur war durch einen ausgeprägten medizinischen Pluralismus gekennzeichnet gewesen. Die Anbieter medizinischer Dienstleistungen waren zahlreich: Kranke konnten sich an akademisch ausgebildete Ärzte, eher als Handwerker zu bezeichnende Chirur­ gen, Bader und Wundärzte, Geistliche, die Sakramentalien zu Heilzwecken verbreiteten, Apotheker, Hebammen, magische Dienstleister beiderlei Geschlechts und sonstige Laien mit bestimmten Fertigkeiten wenden. Eine scharfe Grenze zwischen professioneller und „Laienmedizin“ lässt sich vor dem 18. Jahrhundert nicht ziehen. Schon die Vorstellungen von den Ursachen von Krankheiten gingen weit auseinander, von den Therapien ganz zu schweigen.46 Akademisch gebildete Ärzte waren somit Akteure auf einem kompetitiven Dienstleistungsmarkt, in dem sie sich durch Angriffe auf nicht entsprechend ausgebildete Konkurrenten als „Kurpfuscher“ zu behaupten suchten, nicht wesentlich anders als Handwerker, die ihren regulierten Arbeitsbereich gegen nichtzünftische „Bönhasen“ oder „Pfuscher“ verteidigten.47 Einen grundlegenden Wandel im Sinne einer Verdrängung der Konkurrenten erreichten die Ärzte für lange Zeit ebenso wenig wie die Handwerker; die Akteursvielfalt der Medikalkultur der Frühen Neuzeit blieb bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts erhalten, als sich die Gewichte endgültig zugunsten der akademischen Medizin verschoben. Dieser Prozess wird als „Medikalisierung“ bezeichnet. In seinem Verlauf wurde der medizinische Pluralismus der Vormoderne von einer Deutungsdominanz der akademischen Medizin abgelöst, die von studierten Medizinern ausschließlich männlichen Geschlechts als vom Staat begünstigte Träger der Krankenversorgung getragen wurde. Sie betrachteten die Heilung von Krankheiten als ihren exklusiven Arbeitsbereich; staatliche Institutionen griffen, abgesehen von zertifizierten Hebammen, allein auf sie zurück. Flankiert und weitergeführt wurde diese Entwicklung durch den Aufbau einer medizinischen Infrastruktur im 19. Jahrhundert und die Förderung der medizinischen Fakultäten an den Universitäten. Entscheidend für die Durchsetzung der Medikalisierung war die zunehmende Regulierung des medizinischen Feldes durch den Staat, der die Sicherstellung der 46 Lindemann: Medicine; López Terrada: Medical Pluralism; Stolberg: Medizin; ders.: Homo patiens; Strocchia: Women; v. Thiessen: Medikalkultur. 47 Whaley: Women, 54 ff.; Rotzoll: Medizin.

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Krankenversorgung durch professionelles Personal als seine Aufgabe ansah. Indem er die akademische Ausbildung von Ärzten förderte und das Gesundheitswesen ausbaute und regulierte, schuf er hervorragende Entwicklungsbedingungen für die Herausbildung eines professionellen beruflichen Selbstverständnisses. Damit wurde die Krankenversorgung zu einem von einer Funktionselite bestimmten und nichtakademische Konkurrenten ausschließenden Handlungsfeld, das durch die medizinischen Innovationen der Moderne und ihre Heilerfolge zudem massiv an Legitimation gewann.48 In der Medikalisierung spiegeln sich zwei Entwicklungen im Übergang zur Moderne, die eindeutige Rollenbilder generierten und damit Beispiele für Disambiguierung und Begrenzung von Normenkonkurrenz darstellen; diese Prozesse betrafen aber keineswegs nur das Handlungsfeld der Medizin. Zum einen handelt es sich um den Wandel von der vormodernen Gelehrtenkultur zur modernen Wissenschaft, zum anderen um den Aufstieg von Funktionseliten und des „berufsständischen Prinzips“. Die Herausbildung von Fachdisziplinen ist eine besonders folgenreiche Entwicklung in der Gelehrtenwelt des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Dieser Zeitraum kann als eine Epoche der Spezialisierung und Institutionalisierung des Wissens gelten. Die barocken Universalgelehrten wurden endgültig von gezielt akademisch ausgebildeten Spezialisten abgelöst, die sich auf ein bestimmtes Fach konzentrierten. Während in der alten Welt der Gelehrsamkeit der Bestand des Wissens noch als endlich gegolten hatte und gelehrte Tätigkeit vor allem das Sammeln, Beschreiben und Verwalten des Wissensbestandes umfasste, so änderte sich dies mit dem Wandel hin zur Kultur der Wissenschaft, die mit der Vorstellung eines unendlichen und vielgestaltigen Wissensuniversums verbunden war. Wissensbestände wurden nun durch Entdeckung und Forschung beständig erweitert und ließen sich nicht mehr durch einzelne Universalgelehrte überblicken, sondern bedurften der Bearbeitung durch eine Vielzahl von kooperierenden und konkurrierenden Spezialisten.49 Im Rahmen dieser Neuordnung der Wissensordnung wurde an Universitäten und Akademien über jeweils auf einen Wissensbereich bezogene Methoden diskutiert und wurde festgelegt, welche Erkenntniswege für einen bestimmten Fachbereich angemessen waren. Damit entstanden Fachdisziplinen mit jeweils auf sie zugeschnittenen Fachkulturen, die vom wissenschaftlichen Personal Spezialisierung verlangten.50 Gleichzeitig grenzten sich diese wissenschaftlichen Spezialisten gegen Laien und „Privatgelehrte“ ab, die den fachlichen Anforderungen nicht entsprachen bzw. nicht über die geforderten Universitätsabschlüsse verfügten. Wissenschaft wurde als Selbstzweck 48 Frevert: Krankheit; Goubert: Medikalisierung; Loetz: „Medikalisierung“; Loetz: Vom Kranken zum Patienten. 49 Burke: Papier, 136; Koyré: From the Closed World; Rexroth: Praktiken, 12. 50 Hammerstein: Wandel, 342 f.; Kempe: Korrespondenzen, 421.

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etabliert, abgegrenzt von populärem Wissen, unsystematischer Liebhaberei und (idealerweise) auch geschäftlichen Interessen.51 Eine Ausnahme stellte allerdings die britische Wissenschaftskultur dar, in der Laien ausdrücklich ermuntert wurden, Wissenschaft zu betreiben, und in der Diplomaten, Pfarrer oder adlige Abenteurer als Experten auftraten.52 Auf dem Kontinent wurde aber in der Regel von approbierten Wissenschaftlern festgelegt, „was als wissenschaftlich gelten darf“.53 Diese Festlegung erfolgte sowohl auf informellem Wege über Korrespondenzen und die gegenseitige Anerkennung als Mitglieder der sich ausbildenden Welt der Wissenschaft 54 als auch auf institutionellem Wege über die Mitgliedschaft in Akademien und Professuren an Universitäten sowie über Publikationen in anerkannten wissenschaftlichen Periodika 55. An Universitäten wurden Lehrstühle fachlich denominiert und bildeten sich Fachbereiche heraus.56 Der Staat als diese Entwicklungen vorantreibender Akteur förderte in seinen Augen nützliche Fächer, seien es die Kameralwissenschaft, die erneuerten Naturwissenschaften oder technische Disziplinen.57 Die Wissenschaft etablierte sich damit nach und nach als ein (allerdings nicht von staatlicher Beeinflussung freies) Handlungsfeld mit eigenen Logiken und mit einem auf die jeweiligen Disziplinen spezialisierten Fachpersonal, das nach fachlichen Kriterien von Fachpersonen ausgewählt wurde oder doch zumindest werden sollte. Die Zeit der regelrechten Vererbung von „Erbprofessuren“ an „Familienuniversitäten“ ging hingegen im frühen 19. Jahrhundert zu Ende.58 Ein Handlungsfeld, das noch in der Frühen Neuzeit stark von den hierarchischen Logiken der Ständegesellschaft und sozialen Normen der Verwandtschafts- und Klientelbindungen bestimmt war, wurde zu einem gegen wissenschaftsfremde Handlungserwartungen stärker abgeschirmten Feld.59 Natürlich gab es auch an den Universitäten des 19. Jahrhunderts sehr ausgeprägte soziale Hierarchien, (Organisations-)Patronage, Begünstigung und Gabentauschbeziehungen, aber diese konnten sich nur noch im Schatten wissenschaftlicher Kriterien und sachgerechter Begründungen entfalten – soziale Normen und Interessen traten diskret in das Halbdunkel informeller Absprachen und fingierter Begründungen, die auf Sachgerechtigkeit bestanden. Auch religiöse Bindungen waren ein Faktor, der noch 51 Bensaude-Vincent/Blondel: Introduction, 2; Füssel: Grenzen, 414. 52 Taschwer: Vom Kosmos zur Wunderwelt, 76 f. 53 Mulsow/Rexroth (Hrsg.): Was als wissenschaftlich gelten darf; vgl. auch: Ferrone: Wissen­ schaftler, 168. 54 Kempe: Korrespondenzen, 421; Stuber: Journal. 55 McClellan: Science, XIX ff. 56 Burke: Papier, 112 ff. 57 van Dülmen/Rauschenbach (Hrsg.): Macht; Füssel: Auf dem Weg; McClellan: Science, 13 ff.; R. A. Müller: Geschichte, 61. 58 Schindling: Bildung, 24. 59 Füssel: Gelehrtenkultur, 402.

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im 19. und teilweise auch 20. Jahrhundert in die Wissenschaft wirkte, wenn man etwa an die konfessionellen Gegensätze in der Geschichtswissenschaft denkt.60 Wissenschaft blieb insoweit ein Feld begrenzter Ambiguität zwischen sozialen und bisweilen auch religiösen Normen sowie politischer Beeinflussung einerseits und den Regeln der jeweiligen Fachkultur sowie dem Ethos wissenschaftlichen Arbeitens andererseits, doch mit klarer Gewichtsverschiebung zugunsten des letztgenannten Normensystems, während Bezüge insbesondere zu sozialen Handlungserwartungen kaum mehr (öffentlich) sagbar waren. Die zweite disambiguierende Wirkung, die sich besonders in der Medikalisierung zeigt, die aber auch andere Berufsgruppen betrifft, besteht in der Ausbildung von Funktionseliten, die sich als Gruppe mit spezifischen Kompetenzen verstanden, als „Berufstand“. Sie waren als spezialisierte Funktionsträger in einem bestimmten Bereich in einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Arbeitswelt tätig. Gemäß dem „berufsständischen Prinzip“ (Lothar Gall) begründete sich ihre gesellschaftliche und berufliche Stellung nicht mehr aus ihrer Herkunft („geburtsständisches Prinzip“), sondern aus ihren durch Ausbildung oder Studium erworbenen fachlichen Kompetenzen und ihrem an Normen korrekter Dienstausübung orientierten Handeln.61 Träger dieses neuen Selbstverständnisses waren vor allem bürgerliche Beamte, die allerdings nicht in jederlei Hinsicht als Musterbeispiele für ein Dienstverständnis nach der Definition von Max Weber gelten können. Als klassisches Feld der Genese eines dienstpflichtbewussten Beamtentums gilt der preußische Staat. Dort wurden bereits frühzeitig – unter Friedrich Wilhelm I. (1713 – 1740) und Friedrich II. (1740 – 1786) – Maßnahmen ergriffen, die das patrimoniale Amtsverständnis durch ein bürokratisches ersetzen sollten. Hauptansatzpunkt war die Begrenzung lokaler Vernetzung von Beamten. Aus diesem Grund sollten diese nicht in ihrer Heimatregion dienen und regelmäßig räumlich versetzt werden. Auf diese Weise wurden soziale Vernetzungen von Amtsträgern vor Ort allerdings kaum unterbunden. Denn faktisch wechselten nicht Einzelpersonen den Dienstort, sondern ganze Gruppen von Amtsträgern mit sozialer Vernetzung untereinander. Fachkompetenz war vor allem unter Friedrich Wilhelm I. noch ein zweitrangiges Kriterium für die Anstellung von Beamten, ging es ihm doch vor allem um die Versorgung von Kriegsinvaliden im Staatsdienst, während die Spitzenposten nach wie vor dem Adel vorbehalten waren. Eine fachliche Prüfung der Anwärter für den höheren Verwaltungsdienst fand erst seit 1770 statt, also in den späten Jahren der Herrschaft Friedrichs  II. Nach und nach wurden die Laufbahnen reguliert, mit der Folge, dass für eine Reihe von Amtspositionen das 60 Markus Völkel fasst die stark romorientierte katholische Kirchengeschichte unter den „Gegengeschichten“ gegen den historistischen (und zunehmend nationalistischen) Mainstream. Vgl. Völkel: Geschichtsschreibung, 299. 61 Gall: Bürgertum, 82 ff.

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Durchlaufen der Referendariats- und Assessorenzeit Voraussetzung wurde. Erst im Allgemeinen Landrecht von 1794 wurde höheren Beamten die Anstellung von Verwandten in untergeordneten Positionen verboten, während Ämterpatronage noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein geduldet wurde. In der preußischen Verwaltung zeigt sich damit noch lange ein stark von Ambiguität geprägtes Bild, in dem allerdings gemeinwohlorientierte Normen peu à peu an Bedeutung zulasten sozialer Handlungserwartungen gewannen. Ämterpatronage konnte bis zum frühen 19. Jahrhundert nur aus Teilen der Verwaltung zurückgedrängt werden. Soziale Normen waren allein schon deshalb in der Verwaltung noch lange präsent, weil sich viele Amtsträger eher als Diener des Königs denn des Staates ansahen, das Verhältnis zu ihrem Dienstherrn mithin noch als ein personales Dienerverhältnis verstanden. Robert Bernsee hat allerdings darauf hingewiesen, dass in der preußischen Verwaltung von einem regelrechten Generationenwechsel die Rede sein kann, der vor allem nach der Niederlage gegen Napoleon von 1806 einsetzte. Die Krise des preußischen Staates und der sich daraus ergebende Reformbedarf legten ein strengeres gemeinwohlorientiertes und auf Professionalisierung beruhendes Amtsverständnis nahe. Zunehmend gelangten Personen in die Verwaltung, die institutionalisierte Bildungs- und Laufbahnwege absolviert und welche die Erfahrung gemacht hatten, dass der Erwerb von Fachkompetenz das berufliche Vorankommen ermöglichte. Ihr Selbstverständnis war an einem Leistungsideal orientiert, das in Opposition zum alten patrimonialen Amtsverständnis stand. Auf diese Weise setzte sich – auf dem Land allerdings teilweise nur sehr langsam – tatsächlich ein neues, weitgehend an gemeinwohlorientierten Dienstnormen ausgerichtetes Dienstethos durch.62 Flankiert wurde seine Durchsetzung auch durch Gehaltserhöhungen. Damit wurde das System der Mehrfachfinanzierung von Amtsträgern durch Salär, Amtseinkünfte und Bereicherung zugunsten der Konzentration auf den gestiegenen Lohn verändert. Das Angewiesensein auf Nebeneinkünfte entfiel somit, was ebenfalls der Disambiguierung der Amtsführung im Sinne der Zurückdrängung der herkömmlichen Schenkpraxis dienlich war. Bezeichnenderweise war auch das 1768 erlassene strikte Verbot der Annahme von Geschenken für Beamte in der Reichshofkanzlei durch Kaiser Joseph II. von Gehaltserhöhungen begleitet, die in diesem Fall den Ausfall durch die Geschenke allerdings nicht ausgleichen konnten.63 Einen Sonderfall der beruflichen Differenzierung stellt die Diplomatie dar. Ist sie in der älteren Forschung als ein Feld betrachtet worden, in dem sich besonders früh ein fachspezifisches Berufsethos entwickelt habe, bewertet die jüngere Forschung diese Entwicklungen mehrheitlich deutlich zurückhaltender. 62 Bernsee: Legitimität; vgl. auch H.-W. Hahn: Bürgertum, 60. 63 Ehrenpreis: Korruption, 285.

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Auf der einen Seite waren die Außenbeziehungen ein Feld, das auf der Ebene der Regierungsbehörden tatsächlich schon recht früh – überwiegend in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts – als Bereich etabliert wurde, der von eigenen Behörden mit zunehmend spezialisiertem, allerdings nicht fachspezifisch ausgebildetem Personal behandelt wurde. Schon Ende des 17. Jahrhunderts entstand im Frankreich Ludwig XIV . ein Außenministerium, gefolgt von Spanien (1714), Savoyen (1717), Russland (1719/1720), Brandenburg-Preußen (1728), der Habsburgermonarchie (zwischen 1742 und 1753) und schließlich Großbritannien (1782). Damit war ein Schritt im Hinblick auf die Institutionalisierung der Außenpolitik als eigenem Handlungsfeld getan, wobei aber nicht übersehen werden darf, dass die außenpolitische Meinungsbildung nach wie vor in einem Wechselspiel zwischen dem fürstlichen Hof und den Behörden ablief.64 Dementsprechend war der Hof nach wie vor ein wichtiges Einsatzfeld von Diplomaten, die daher auch weiterhin vor allem nach standesspezifischen Kriterien ausgewählt wurden. Erst zum Ende des 18. Jahrhunderts koppelten sich die Höfe allmählich von der politischen Entscheidungsfindung ab, was sich unter anderem darin zeigt, dass in Instruktionen für Diplomaten die Hofgesellschaft nur noch sehr kursorisch erwähnt wird. Diplomatie wurde damit tendenziell enthöflicht und politisiert – und gleichzeitig vermännlicht, denn mit dem Rückgang der Bedeutung der Höfe ging Frauen ein Aktionsraum in den Außenbeziehungen verloren.65 Auch Diplomatengattinnen büßten dann vor allem im 19. Jahrhundert Handlungsautonomie ein und sahen sich zunehmend auf repräsentative und häusliche Aufgaben beschränkt.66 Tendenzen hin zu einer berufsständischen Selbstwahrnehmung von Diplomaten sind vor dem Ende des 18. Jahrhunderts gleichwohl noch schwach. Immerhin ein zentrales Arbeitsgebiet der Diplomaten, die Verhandlung, wurde seit dem frühen 18. Jahrhundert zusehends als ein berufstypisches Arbeitsfeld, als eine „Kunst“ im Sinne einer „gesonderte[n] Praxis mit eigenen Verfahrensweisen und spezialisiertem Personal“ angesehen.67 So wird sie jedenfalls in einem der bekanntesten Diplomatietraktate des 18. Jahrhunderts, De la manière de negocier avec les souve­ rains von François de Callières (1716), dargestellt. Trotz einiger Vereinfachungen und Idealisierungen der Tätigkeit von Diplomaten ist Callières’ Traktat deutlich praxisorientierter als seine Vorgänger in diesem Genre; es kann in Teilen als Lehrbuch der Diplomatie, mithin als Vermittlungsmedium von berufsspezifischem Wissen angesehen werden.68 Doch mangels eines geregelten Ausbildungskanons 64 H. M. Scott: Diplomatic Culture, 62 ff.; zu Russland auch Schaub: Wahrnehmungen, 333. 65 Nolde: Was ist Diplomatie, 195 f. 66 Waquet: Schlussbetrachtung, 267. 67 Waquet: Verhandeln, 115. 68 Waquet: Verhandeln.

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mussten sich Diplomaten ihr Arbeitsfeld zu guten Teilen auch weiterhin im Sinne von Learning by Doing aneignen. Interessanterweise wurde dieser Zustand staatlicherseits zunehmend als ein Problem betrachtet, dem mit der Gründung oder Förderung von Diplomatenschulen begegnet wurde. Da es gleichwohl noch an der Bereitschaft mangelte, diese Institutionen dauerhaft zu finanzieren, und ihr Besuch nicht zu einer Einstellungsvoraussetzung in den diplomatischen Dienst wurde, gingen viele dieser Schulen binnen Kurzem wieder ein. Lediglich die 1701 gegründete römische Accademia dei Nobili Ecclesiastici erwies sich unter den frühen Gründungen als langlebig, blieb damit aber für etliche Jahrzehnte eine Ausnahme in Europa. Erst einige Diplomatenschulen aus der Mitte des Jahrhunderts hatten für längere Zeit Bestand – unter anderem die Orientalische Akademie in Wien 1754. Diese Einrichtungen dienten vor allem der Ausbildung des Gesandtschaftspersonals unterhalb der Ebene der Botschafter.69 Alles in allem blieb das Gesandtschaftswesen des 18. Jahrhunderts somit eine Diplomatie vom type ancien. Tendenzen der beruflichen Spezialisierung und Professionalisierung vermochten sich allein schon deshalb kaum zu entfalten, weil Adlige, die in den Außendienst ihres Herrschers traten, diese Tätigkeit auch weiterhin zumeist nur als einen Abschnitt ihrer Karriere, nicht aber als eine lebenslang auszuübende Profession betrachteten. Die in vielen Fällen noch aus ihrer Klientel rekrutierten Mitarbeiter folgten ihnen von Dienstort zu Dienstort und hatten damit auch nicht die Aussicht auf eine Beschäftigung im Gesandtschaftswesen auf Dauer.70 Ansätze der Zurückdrängung der Dominanz des Adels, des höfischen Verhaltenskodex, wie sie die „revolutionäre Diplomatie“ der Vereinigten Staaten und der französischen Republik in den 1790er Jahren umzusetzen versuchte, blieben ein Zwischenspiel.71 Die Modernisierung der Diplomatie im Sinne der Ausbildung einer berufsspezifischen Fachkultur und der Etablierung von geregelten Laufbahnen blieb dem 19. Jahrhundert vorbehalten, wobei der Adelsanteil signifikant höher blieb als in anderen Bereichen des Staatsdienstes. Der Adel und sein, nun allerdings weniger höfisch orientierter Verhaltensstil dominierten weiterhin die Diplomatie, womit nach wie vor auch bestimmte soziale Normen diesen Berufszweig kennzeichneten. Dennoch schuf die allmähliche Professionalisierung des ­diplomatischen Berufsstandes durchaus einen berufsspezifischen esprit de corps – Diplomaten­ ­betrachteten 69 Zu den Diplomatenschulen des 18. Jahrhunderts allgemein v. Thiessen: Diplomaten, 23; zur römischen Akademie von 1701 Procaccini di Montescaglioso: Accademia; Prudhomme: Académie; Regoli: Ercole Consalvi, 126 ff. 70 Vgl. die Ergebnisse des Sammelbandes Kühnel/Vogel (Hrsg.): Zwischen Domestik und Staatsdiener. 71 Belissa: Diplomatie; Bruley: Personnell, 159 ff.; Frey/Frey: Attack; Köhler: Anerkennung. Amsler/Harrison/Windler (Hrsg.): Transformations.

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sich demnach zunehmend als Angehörige einer spezialisierten Berufsgruppe und nicht mehr einfach nur als Hochadlige im Fürstendienst, zumal sie sich auch vermehrt berufsspezifisch ausbilden ließen.72 Die semiinformellen Agenten hingegen galten nun nicht mehr als Teil des diplomatischen Personals.73 Motoren der Staatsbildung waren Diplomaten im Übrigen auch im 19. Jahrhundert nicht. Selbst wenn sie sich nicht mehr als Fürstendiener, sondern Vertreter eines abstrak­ten Staates ansahen, bildeten sie eine dezidiert konservative und oft wenig modernitätsaffine Gruppe, die auch gegenüber dem stärker werdenden Nationalismus eine ambivalente Position einnahm – der Vorstellung der Zugehörigkeit zu einer transnationalen Berufselite stand die Selbstwahrnehmung als Vertreter einer Nation und ihrer spezifischen Kultur entgegen.74

Die Sphäre des Privaten Die stärkere Durchsetzung des gemeinwohlorientierten Amtsverständnisses war nur deshalb möglich, weil amtliche Belange stärker von sozialen Handlungserwartungen abgeschirmt werden konnten. Dies war eine Folge des allmählichen Auseinanderdriftens öffentlicher und sozialer bzw. partikularer Belange, das heißt der stärkeren Wahrnehmung einer eigenen Handlungssphäre des Privaten in Abgrenzung zu der des Öffentlichen. Die Zuordnung von gemeinwohlorientierten Normen in die öffentliche Sphäre und von sozialen Normen in den privaten Raum von Familie, Liebe und Freundschaft wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts in Teilen der Gesellschaft handlungsleitend. Die Ursachen dieser Entwicklung sind vielfältig. Unter anderem unterminierte der Aufstieg der modernen Kapitalwirtschaft die Doppelrolle des Ganzen Hauses als Ort der Produktion und des Zusammenlebens – wo der Arbeitsplatz des Mannes außerhalb des eigenen Wohnraums lag, war die Trennung von privater und beruflicher Sphäre kein sehr großer Schritt mehr. Allerdings betraf dies weniger die ländliche Bevölkerung – Bauern, Handwerker, Tagelöhner und Gesinde – als vielmehr einen Teil der städtischen Gesellschaft, und zwar vor allem das Bürgertum, im 19. Jahrhundert aber auch die wachsende Arbeiterschaft. Die Familie galt damit nicht mehr selbstverständlich als der Grundbaustein der gesamten Gesellschaft (auch wenn diese Sichtweise von der konservativen Seite des politischen Spektrums weiterhin vertreten wurde), sondern bildete eine nach außen zunehmend abgegrenzte Einheit, in der andere Regeln als im öffentlichen Raum galten.75 Der Staat wurde abstrakter gedacht, als 72 Mößlang/Riotte: Introduction; Otte: Nobility. 73 Félicité: Anstellung, 67. 74 Mößlang/Riotte: Introduction, 12 ff.; Paulmann: Diplomatie, 52. 75 Eibach: Haus, 89; v. Greyerz: Passagen, 20, 189 f. und 232; Schmale: Gesellschaft, 693.

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eine politisch-gemeinwohlorientierte Handlungssphäre, und wurde zunehmend mit der Nation assoziiert, die eine eigene Legitimität und ein eigenes Existenzrecht beanspruchte, das unabhängig von einer Herrscherdynastie bestand. Der Staat als Abstraktum wurde zum Normalfall, ebenso wie die Familie als Ort intimer Sozialbeziehungen. Während erstgenannte Konzeption im Prinzip aus der Frühen Neuzeit stammte, jedoch in der soziopolitisch strukturierten Fürstengesellschaft nicht konsequent durchgesetzt werden konnte, war das zweitgenannte Ideal ein Produkt der bürgerlichen Gesellschaft. Von einem generellen Rückgang der Relevanz verwandtschaftlicher Bindungen, wie dies zeitweise von der Familiengeschichtsforschung angenommen worden ist, kann zumindest für die Sattelzeit und das 19. Jahrhundert keine Rede sein. Verwandtschaft wurde in den genannten Milieus zur Privatsache, schuf aber gerade deshalb im engeren Verwandtschaftskreis umso stärkere, emotional aufgeladene Bindungen.76 Edward Shorter hat diese Entwicklung als einen Wandel der Familie von der Reproduktionseinheit zur gefühlsmäßigen Einheit bezeichnet.77 Daraus sollte allerdings auch nicht das Missverständnis entstehen, dass erst im 18. Jahrhundert „tiefere“ Gefühle zwischen Familienangehörigen aufkamen; diese These lässt sich über vormoderne Selbstzeugnisse leicht falsifizieren. Vielmehr musste die alteuropäische Familie die Anforderungen der Produktion mit denen des sozialen Zusammenlebens im Interesse des eigenen Ansehens und des eigenen Überlebens in Einklang bringen. Die „privatisierte“ Idealfamilie der Moderne war hingegen von dieser Anforderungsvielfalt entlastet und insoweit ein Raum, in dem die Pflege der Sozialbeziehungen an erster Stelle stand. Die Familie galt damit zwar als ein gegenüber der Öffentlichkeit abgegrenzter, aber nichtsdestoweniger weiter stark normativ bestimmter Raum. Das Ideal der bürgerlichen (Kern-)Familie war dabei handlungsleitend, was vor allem an den Geschlechterbeziehungen zu erkennen ist. Denn in der Familie zeigen die verschärften Rollenzuweisungen zwischen den Geschlechtern, wie sich neue, an die Trennung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten angepasste, hochgradig wirksame Rollenbilder entwickelten. Die für das Bürgertum zunehmend bestimmend werdende „stille Hintergrundsrolle der Hausfrau“78 war Ausdruck einer Polarisierung der Geschlechterrollen. Sie wurden trennschärfer gedacht, weshalb Ausnahmen von der Regel als deutlich weniger akzeptabel erschienen. Das galt vor allem für Frauen, deren Handlungsräume stärker vereindeutigt und vor allem begrenzt wurden als die der Männer. Politisches Handeln von Frauen war nur noch dann legitim, wenn es aus der Not heraus und ohne Ambitionen auf Machtausübung geschah – der Mythos um die sich für ihren Mann und den Staat „aufopfernde“ Königin Luise und ihre 76 Mathieu: Verwandtschaft, 226; Sabean: Kinship. 77 Shorter: Geburt, 17. 78 v. Greyerz: Passagen, 186.

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Stilisierung als „reine“, von Interesse an Macht und Politik freie Frau drückt diese Sichtweise sehr deutlich aus.79 Auch wenn weibliche Erbfolgen – man denke insbesondere an die britische Königin Victoria – auch in der Moderne vorkamen, so wurde Politik doch dezidiert männlich, der Raum der Familie und des Haushaltes hingegen weiblich gedacht und dieser Unterschied essenzialisiert – nicht zuletzt durch den Rückgriff auf biologistische Erklärungsmuster der sozialen Rollenmodelle. Rollenmodelle wie die Hausfrau, die sich liebevoll und fürsorglich um Mann und Kinder kümmert und mit Sparsamkeit und Fleiß den Haushalt führt, wurden als natürliche, angeborene Charakterzüge gedeutet. Fehlten sie, wurde dies als psychischer Defekt, ja Krankhaftigkeit angesehen.80 Männerrollen basierten ebenfalls auf als geschlechtstypisch wahrgenommenen Charakterzügen und Fähigkeiten wie Tatkraft, Mut, Umsicht und Weitblick und ließen die vollständige Vermännlichung der Politik folglich biologisch begründet erscheinen. Männern wurde durchaus auch Emotionalität zugesprochen, die aber ebenfalls geschlechtsspezifisch zugeordnet wurde. So galten die „vernünftige“ Freundschaft oder Kameradschaft und der passionierte Einsatz für eigene, im Wettbewerb mit anderen errungene Ziele als Ausdruck von Maskulinität.81 Die Polarisierung der Geschlechtercharaktere brachte zudem eine Umdeutung sexueller Devianz mit sich, und zwar insbesondere der Homosexualität. Sie wurde von einer sündhaften Verhaltensweise zu einem grundlegenden, das Individuum korrumpierenden Defekt umgedeutet und herabgewertet. Der homosexuelle Mann galt als männlichen Rollenbildern nicht gewachsen.82 Mit dem Bedeutungsrückgang des Hofes als politischer Bühne verlor zudem ein politischer Handlungsraum weiblicher Akteure am Ende des 18. Jahrhunderts massiv an Bedeutung. Die (ohnehin nie hohe) Akzeptanz von politisch aktiven Mätressen sank massiv,83 während höfische Verhaltensweisen zunehmend als effeminiert und damit dem männlichen Habitus unzuträglich erachtet wurden. Gunst und sogar Patronage galten damit zunehmend als eigentlich weibliche Verhaltensweisen bzw. Handlungsfelder und wurden entsprechend abgewertet und in Gegensatz zu männlicher Professionalität gesetzt.84 Die im 18. Jahrhundert aufkommende Forderung nach „Natürlichkeit“ des Verhaltens bedeutete nur scheinbar eine Abkehr von der Befolgung vorgegebener Rollenmodelle und eine Hochschätzung der Entfaltung individueller P ­ ersönlichkeiten. 79 Förster: „reine Frau“. 80 v. Greyerz: Passagen, 185 f.; Landes: Women, 65 ff. und 94; Opitz: Einflussnahme, 131. 81 Bastian et al.: Einleitung, 12; Schläppi: Zwischen Familiensinn und Kriegsrausch. 82 Hengerer: Kategorie, 233. 83 Schraut: Frauen, 21 f. 84 Diesem Muster folgte beispielsweise bereits Joseph II. 1773 in einer Denkschrift – wohlgemerkt in der Zeit der Doppelherrschaft mit seiner Mutter. Stollberg-Rilinger: Maria Theresia, 556 f.

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Denn sie setzte neue Verhaltensmaßstäbe und normative Grenzen. Das Ideal einer authentischen Natürlichkeit, als Forderung explizit erhoben etwa von Rousseau, sollte Handeln vereindeutigen. Der höfische, von Täuschung gekennzeichnete und auf äußeren Schein ausgerichtete Verhaltenskodex war abzulegen und der Ausdruck des Menschen sollte nicht mehr im Gegensatz zu seinen Gefühlen stehen, sondern frei von affectation, von Unnatürlichkeit sein; das Äußere sollte dem Inneren entsprechen und es nicht verdecken. Damit entstand ein ebenso einflussreicher wie hochgradig paradoxer Diskurs, dem zufolge das von den ständischen Schranken und dem Druck gruppenkonformen Verhaltens (vermeintlich) befreite Individuum nach Authentizität streben solle, das heißt sich der eigenen Natur und Persönlichkeit gegenüber treu verhalten müsse.85 Der Authentizitätsdiskurs ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels, in dessen Verlauf sich die durch die Ständegesellschaft vorgegebenen Gruppenzugehörigkeiten auflockerten und soziale Schranken öffneten, womit sich dem Individuum in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft die Möglichkeit zu einer an eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten orientierten Selbstverwirklichung bot. Auch Vorstellungen von Ehre waren im Übergang zur Marktgesellschaft immer weniger an soziale Zugehörigkeit und stärker an individuelle Leistung gebunden.86 Die Lebensläufe moderner Individuen waren demnach für eigene Gestaltung offener als die ihrer vormodernen Vorfahren.87 Damit waren Lebenswege weniger vorgezeichnet und konnten mitunter tatsächlich stärker auf individuelle Fähigkeiten und Vorlieben ausgerichtet werden, mit einer allerdings sehr bedeutenden Einschränkung: Die stärkere Konturierung der Geschlechterdifferenz und die Zurückdrängung weiblicher Akteure aus der öffentlichen Sphäre begrenzte deren Entfaltungsmöglichkeiten erheblich. Sozialen Aufstieg konnten somit in einer rechtlich zunehmend egalitären Gesellschaft vor allem Männer mit besseren Erfolgsaussichten aktiv anstreben, während Frauen vielfach auf den indirekten Aufstieg über Heirat angewiesen waren. Ein entscheidender Aspekt aber ist, dass soziale Dynamik als legitim und zunehmend auch erstrebenswert galt. Damit nahm die Autorität bestimmter sozialer Normen ab, wenn auch nicht in allen Teilen der Gesellschaft gleichermaßen. Vorgegebenen Rollen in Familienverbänden konnten Akteure leichter eigene Vorstellungen entgegensetzen, da eine wirtschaftlich immer dynamischere und in Berufsgruppen weiter ausdifferenzierte Gesellschaft die Möglichkeit solcher individuellen Wege zuließ, ja forderte. Auch die soziale Umgebung eines Individuums in einer solchen Gesellschaft war weniger vorgegeben, als dies in der Vormoderne zumeist der Fall gewesen war. Das bürgerliche F ­ reundschaftsideal des 18. und frühen 19. Jahrhunderts spiegelt dies deutlich: Es orientierte sich am Ideal der 85 Benthien/Marthus: Einleitung, 13; Reichardt: Zeithistorisches, 58. 86 Schreiner/Schwerhoff: Verletzte Ehre, 27. 87 Pohlig: Individuum, 268 ff.

Die Sphäre des Privaten

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„wahren Freundschaft“, das in der antiken Tradition bis dahin als höchst seltener Ausnahmefall angesehen worden war, und erklärte es zum Maßstab, der umsetzbar und anzustreben sei: Nicht mehr die Gebundenheit an diejenigen, denen man aus verschiedenen Gründen sozial verpflichtet und auf die man in materieller und symbolischer Hinsicht zum Überleben und zur Wahrung der Ehre angewiesen war, sollte entscheidend sein, sondern ehrlich empfundene Sympathie und emotionale Tiefe bis hin zur Seelenverwandtschaft, die nun auch als erreichbar galt. Freundschaft sollte von Fesseln traditionaler und von außen vorgegebener Gebundenheit befreit werden, zugunsten von Freiwilligkeit, Zweckfreiheit und nicht mehr materiell, sondern emotional verstandener Gegenseitigkeit.88 Es ist wenig überraschend, dass derart hochfliegende Ideale nur in Teilen der Gesellschaft Platz finden konnten, nämlich dort, wo Akteure sich dieses Maß an Freiheit leisten konnten. Allerdings hatte das bürgerliche Freundschaftsideal als alte Zwänge und Normen überwindendes Handlungsmodell durchaus eine weit in die Gesellschaft hineinreichende Ausstrahlung. Doch ist die Individualisierung, die in diesen Vorstellungen zum Ausdruck kommt, eher als ein Wandel auf dem Feld der sozialen Normen zu verstehen als eine Befreiung von ihnen. Denn Vorstellungen von individueller Authentizität führen vor allem zur Bildung von neuen Handlungserwartungen und Gruppenzwang: „Man will zwar zeigen, dass man einzigartig ist, kann das aber nur erreichen, wenn man den gesellschaftlichen Vorstellungen von Einzigartigkeit gerecht wird.“89 Authentizität ist demnach ein für das Selbstbild von Individuen und ihre Handlungsweisen hochwirksamer Mythos. Der Authentizitätsdiskurs implizierte den Auftrag an das Individuum, getreu seiner einzigartigen Persönlichkeit zu leben und zu handeln und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten zu nutzen. Damit schuf er neue Handlungsund Lebensmodelle, entwertete er traditionelle Bindungen und vorgegebene gesellschaftliche Positionen und schuf ebenso Freiräume wie neue Zwänge; der dem Authentizitätsideal folgende Mensch bleibt ein Rollenspieler, wenn auch die Auswahl von Rollen größer wurde und weniger vorgegeben war. Und der Authentizitätsdiskurs provozierte Widerspruch und beförderte die Entwicklung von Gegenkonzepten, die neue, beispielsweise an der Nation orientierte Kollektividentitäten mit nicht minderem Erfolg propagierten. In normengeschichtlicher Hinsicht ist der Authentizitäts- und Individualisierungsdiskurs noch aus einem anderen Grund sehr interessant: Er lässt das Bestreben erkennen, wirtschaftliche Zwänge und Abhängigkeiten von sozialen Beziehungen zu trennen – ganz anders als im Ganzen Haus, in dem diese Kategorien eng miteinander verwoben waren. Damit aber wurde die Herausbildung einer eigenen Sphäre ökonomischer Logiken begünstigt – darauf wird gleich noch zurückzukommen sein. 88 Kühner: Politische Freundschaft, 313 ff.; Maurer: Freundschaftsbriefe, 72. 89 Reinhard: Lügengesellschaft, 113.

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Die Moderne: Ein Zeitalter der Eindeutigkeit?

Religion im Übergang zur Moderne Eine weitere, für den Wandel der Normenordnung ab dem 18. Jahrhundert entscheidende Entwicklung ist der Verlust der Verbindlichkeit christlicher Vorstellungen, und zwar insbesondere mit Bezug auf das Jenseits. Erstmals die L ­ ibertins im späten 17. Jahrhundert, dann auf breiterer Front verschiedene Vertreter der Aufklärung bezweifelten oder bestritten die Realität des Partikulargerichts und des ewigen Lebens.90 Damit geriet eine wesentliche Ursache für die Autorität religiöser Normen im (irdischen) Leben in Zweifel: die weithin geteilte Annahme, dass die Befolgung religiöser Normen entweder Konsequenzen für den zweiten, ungleich längeren Teil des Lebenslaufes eines Individuums haben würde oder dass die Fähigkeit zu religiöser Lebensführung als Indiz für Auserwähltheit zu werten sei. Hinzu kommt, dass die Allgegenwart des Todes im Laufe des 18. Jahrhunderts abnahm; der Tod wurde aus dem Leben zunehmend ausgegrenzt und war damit weniger eine Alltagserfahrung als vorher.91 Räumlich wurden die Toten regelrecht ausgelagert, von den Kirchhöfen im Zentrum von Dörfern und Städten auf Friedhöfe, die vor den Toren der Stadt oder am Rand von Dörfern angelegt wurden. Das Sterben und die Trauerfeierlichkeiten für den Verstorbenen wurden zunehmend zu Ereignissen, die in der Sphäre des Privaten stattfanden, also ihren lokalen Öffentlichkeitscharakter verloren.92 Auch Hinrichtungen waren immer seltener öffentlich zelebrierte Ereignisse, bei denen die Zuschauer gegebenenfalls Zeuge von erbaulichen „Persona-Wechseln“ von Delinquenten zu reuigen Sündern werden konnten, sondern wandelten sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu „Akt[en] größtmöglicher Diskretion“.93 Auch die Medikalisierung des Todes verbannte ihn aus dem Alltag. In vormodernen Sterbekonzepten galten Geistliche als Experten des Todes und hatten sich die Ärzte vom Sterbebett zurückzuziehen, wenn der Sterbende sich mit Hilfe des Pfarrers auf den Übergang zum ewigen Leben vorzubereiten wünschte. Im Übergang zur Moderne aber trat die medizinische Versorgung von Sterbenden mit dem Ziel, ihr Leiden zu verringern oder gar noch ihr Leben zu retten, neben die geistliche Betreuung oder verdrängte sie sogar.94 Die Privatisierung und Verweltlichung des Sterbens kann auch als Ausdruck von Individualisierung verstanden werden. Tradierte Sterberiten verloren ihre Verbindlichkeit und die zunehmende Orientierung an religiösen Normen im Alter ihre Selbstverständlichkeit. Das christliche Sterben nach dem Modell 90 A. Hahn: Tod, 77 ff.; Kessel: Sterben/Tod, 265; McManners: Reflections. 91 Philippe Ariès spricht vom „verbotenen Tod“ der Moderne: Ariès: Studien, 57 ff. 92 Düselder: Umgang, 88 ff. 93 Martschukat: Inszeniertes Töten, 6. 94 Kessel: Angst, 160.

Religion im Übergang zur Moderne

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des guten Todes verlor damit an handlungsleitender Kraft. Diese Entwicklungen fanden natürlich nicht gleichzeitig und sofort auf breiter Front statt, traten aber vielerorts ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf.95 Schwieriger als der Rückgang der Verbindlichkeit von Jenseitsvorstellungen ist eine generelle Abnahme von Religiosität nachweisbar. Die Privatisierung des Todes bedeutete nicht, dass die Akteure ihren christlichen Glauben verloren hatten, sondern können durchaus auch als Ausdruck einer – nicht alle Teile der Gesellschaft gleichermaßen erfassenden – Individualisierung des Christentums ­verstanden werden. Indem der Glaube auf lange Sicht stärker als eine Privatangelegenheit begriffen wurde, die individuell ausgelebt wurde, schwand zwar tendenziell die Bindekraft kollektiver Glaubensriten, aber nicht unbedingt der Glaube. Der Kult der Innerlichkeit des Pietismus hatte im Protestantismus diese Entwicklung vorbereitet, wohingegen im Katholizismus eine derartige Individualisierung angesichts der Bedeutung kollektiver Riten und der Vermittlungsfunktion der Kirche zum Heil nur eingeschränkt möglich war. Konfessionsübergreifend sind aber Differenzierungs- und Disambiguierungsprozesse auszumachen. Religiöse Normen wurden zunehmend als eigener Handlungsbereich gedacht und von anderen Feldern abgetrennt. Das betrifft nicht nur eine Glaubenspraxis, die sich in privat gepflegte Innerlichkeit zurückzog. Denn schon die Staatskirchenpolitik aufgeklärter Herrscher in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – besonders ausgeprägt in Österreich ab den 1760er Jahren – zielte darauf, die Sphären des Religiösen und des Politischen so sauber wie möglich zu trennen. Während der Staat sich immer weniger als Träger oder Förderers eines religiösen Bekenntnisses betrachtete, wurde die Kirche auf ihr „Kerngeschäft“, die Verwaltung der Sakramente und die religiöse Instruktion und Tröstung der Gläubigen, zurückgedrängt.96 Die auf bestimmten Politikfeldern ab dem 17. Jahrhundert festzustellenden Säkularisierungstendenzen – namentlich der Bedeutungsverlust des Faktors Konfession in den Außenbeziehungen – wurden damit im späten 18. Jahrhundert ungleich zielgerichteter, konsequenter und systematischer vorangetrieben. Religion und Glauben konnten so zunehmend als etwas vom Alltag abgesondertes und Ernstes wahrgenommen werden, mithin als separater Handlungsbereich, der nicht mehr Sache weltlicher Gewalten war.97 Unbestreitbar sind allerdings im 19. Jahrhundert auch gegenläufige Entwicklungen von großer Wirkungsmacht festzustellen. Insbesondere für den Katholizismus kann von einer erneuten Verzahnung zwischen dem Religiösen und dem Politischen als Folge der Ideologisierung politischer Auseinandersetzungen 95 Düselder: Umgang, 95; Kessel: Sterben/Tod, 266. 96 Die umfangreiche Literatur zur österreichischen Staatskirchenpolitik, vor allem unter Joseph II., fasst zusammen Stollberg-Rilinger: Maria Theresia, 604. 97 Matthes: Was ist anders, 25.

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Die Moderne: Ein Zeitalter der Eindeutigkeit?

­gesprochen werden. Wo sich Milieus bildeten, die geschlossen gegen Angriffe auf die Stellung der katholischen Kirche von Seiten staatskirchlich und liberal denkender Akteure auftraten, diente das Bekenntnis zur Konfession auch als Mittel, politische Konflikte auszutragen. Olaf Blaschke hat für diese Entwicklungen den Begriff des „zweiten konfessionellen Zeitalters“ verwendet, die sich allerdings wesentlich stärker im Katholizismus – und zwar vor allem im bürgerlichen Milieu – als bei den protestantischen Konfessionen gezeigt hätten, die in keinem vergleichbarem Konflikt mit staatlichen Akteuren gestanden hätten.98 So bleibt festzuhalten, dass die Autorität und Legitimität religiöser Normen seit dem 18. Jahrhundert tendenziell im Schwinden begriffen war. Indem ein von religiösen Bekenntnissen und der christlichen Weltdeutung unberührtes Leben denkbar und durchführbar wurde, verschwand ein Grundpfeiler frühneuzeitlicher Normenkonkurrenz: die Selbstverständlichkeit des (wenn auch in Konfessionen aufgespaltenen) christlichen Glaubens und die durch Jenseitsvorstellungen gestützte herausragende Legitimität religiöser Normen.

Die Wirtschaft als eigenes Normensystem Während das religiöse Normensystem im Übergang zur Moderne für einige Akteure an Relevanz verlor, stieg auf der anderen Seite ein neues Normensystem auf: das der Wirtschaft. Natürlich war auch die Wirtschaft bereits in der Vormoderne ein Handlungsfeld, das bis zu einem gewissen Grad eigenen Logiken und Handlungsmaßstäben folgte. Doch es ist, wie eingangs erläutert, in diesem Buch nicht als eigenes Normensystem der Vormoderne klassifiziert worden, weil es – im Gegensatz zu den drei genannten Normensystemen – nicht an ideelle Grundwerte gebunden war. Wirtschaftliches Handeln mochte nützlich, um nicht zu sagen überlebenswichtig sein, trug aber für sich genommen weder zum Seelenheil bei (wie die Befolgung religiöser Normen), noch war es ehrzuweisend (wie die sozialen Normen). Zudem befand es sich in einem ambivalenten Verhältnis zum Gemeinwohl, weil es für die Gemeinschaft schädlichen Egoismus zu entfesseln drohte. Das Handeln nach rein wirtschaftlichen Logiken galt in verschiedener Hinsicht als deviant, stand es doch in Spannung zu christlichen Tugenden wie der caritas und konnte einen Adligen die Standeszugehörigkeit kosten. „Krämerseelen“ mochten Wohlstand erwirtschaften, taugten aber nicht als vorbildhaftes Rollenmodell. Demensprechend konnten Kaufleute, Bankiers und Unternehmer in der Vormoderne nicht, wie in der Moderne, zu gesellschaftlichen Leitfiguren, zu „Archetypen der Moderne“ aufsteigen.99 98 Blaschke: Das 19. Jahrhundert; Pollack: Analyse, 492; Schulze Wessel: Das 19. Jahrhundert. 99 Eckert: Händler, 41.

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Damit blieb es bis weit in das 17. Jahrhundert bei einer ein gewisses Maß an organisierter Heuchelei erfordernden Spannung zwischen einer der Wirtschaft keinen Eigenwert zuschreibenden Wertewelt und dem offenkundigen Nutzen wirtschaftlicher Praktiken, nicht zuletzt für staatliche Finanzen. Punktuell ist durchaus eine positive Konnotation von Gewinnstreben in der Frühen Neuzeit festzustellen, vor allem wenn es staatlichen Einnahmen (und damit dem Gemeinwohl) zuträglich war.100 Auch existierte die Denkfigur des Gemeinnutzes, der aus der Summe des eigennützigen Handelns vieler entsteht, spätestens seit dem 16. Jahrhundert. Doch derartige Konzepte, wie etwa die Bienenfabel von Bernard Mandeville (1670 – 1733), vermochten die grundsätzliche Normenordnung und die moralische Skepsis gegenüber wirtschaftlicher Gewinnsteigerung noch nicht zu ändern.101 Dass nicht die Tugend, sondern die kleinen Laster der vielen Grundlage des Gemeinwohls sein konnten, war ein nicht konsensfähiger Gedanke, und zwar vor allem deshalb, weil er explizit in der Bibel formulierten religiösen Normen widersprach. Solange religiöse Normen über eine an sich nicht hinterfragbare herausragende Legitimität verfügten, wohnte dem rein materiellen Gewinn kein direkter ideeller Wert inne. Der Nutzen wirtschaftlichen Handelns musste folglich mit anderen normativen Konzepten – etwa dem des „ehrbaren Kaufmanns“ – verbrämt werden. Dass die Wirtschaft zum Ende der Frühen Neuzeit hin zunehmend als ein Handlungsfeld mit eigenem Wertehintergrund angesehen wurde, ist aber keineswegs nur auf den Rückgang der Relevanz religiöser Normen zurückzuführen. Vielmehr kommt auch der Erfahrung von vorher kaum gekanntem Wachstum der Wirtschaft und vor allem des Handelsvolumens eine große Bedeutung zu. Derartige Erfahrungen wurden vor allem in „Handelsstaaten“ wie den Niederlanden und England gemacht, wobei der ungleiche Handel mit den Kolonien und die aus ihm geschöpften Gewinne eine wesentliche Rolle spielten. Dass die oft wenig ethische Art und Weise, wie diese Gewinne zustande kamen, außer Sichtweite der meisten europäischen Akteure lag oder zumindest bequem ignoriert werden konnte, mag dabei förderlich gewesen sein. Entscheidend bei der Umwertung wirtschaftlichen Handelns war die Wahrnehmung des wirtschaftlichen Feldes als wachstumsfähig. Denn solange der Wirtschaftskreislauf als geschlossenes System angesehen wurde, in dem eine begrenzte Menge an Gütern zirkulierte, wurde, wie bereits dargelegt,102 Gewinn letztlich auf Kosten anderer erwirtschaftet. Anders sieht es aus, wenn man die Möglichkeit des Wachstums der Wirtschaftsleistung in Rechnung stellt. Diesen Ansatz verfolgten ab dem frühen 18. Jahrhundert auf breiter Front die Vertreter des Physiokratismus. Sie gingen davon aus, dass die 100 Neumann: Ordnung. 101 Schulze: Vom Gemeinnutz, 604 ff. 102 Im Abschnitt „Vermittlungswege und Entwicklungsbedingungen sozialer Normen“ des Kapitels „Soziale Normen“ in Teil 2.

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Produktion von Gütern gesteigert werden konnte, und zwar in der Landwirtschaft über die Steigerung der Bodenfruchtbarkeit. Die Steigerung der Produktivität wurde damit zu einem wirtschaftlichen Verhaltensleitbild.103 Generalisiert für das Handlungsfeld Wirtschaft insgesamt wurde es schließlich von Wirtschaftstheoretikern wie Adam Smith. Laut Smith war das eigennützige „Streben des Menschen nach besseren Lebensbedingungen“ die „Ursache und Quelle des öffentlichen Wohlstandes“. Das Gemeinwohl wurde demgemäß weniger durch bewusst ethisches Handeln befördert als vielmehr durch die „unsichtbare Hand“ der Wirtschaft.104 Wirtschaftswachstum wurde damit zu einem zentralen Ziel und Merkmal moderner Gesellschaften. Produktivität, Effizienz und Wohlstandsmehrung waren die Leitwerte eines neu entstehenden Normensystems. Um diese Effekte voll entfalten zu können, sollten, so die Vertreter des aufsteigenden Wirtschaftsliberalismus, die Dynamiken des Handlungsfeldes Wirtschaft nicht durch andere Normen beeinträchtigt werden. Derartige Vorstellungen hatten weitreichende Folgen für das Ansehen ökonomischen Handelns und die Bewertung von Gewinnen und schufen einen wirkmächtigen Diskurs, der die Befreiung des wirtschaftlichen Feldes von Beschränkungen und Beeinflussungen durch wirtschaftsfremde Akteure und Regeln forderte. Die Annahme eines grundlegenden Wandels des Verhältnisses von Wirtschaft und Gesellschaft im Übergang zur Moderne – oft mit der Industriellen Revolution als Zeitraum und Motor des Wandels – ist seit langem Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Debatten. Zu nennen ist insbesondere die Theorie der Embeddedness von Karl Polanyi. Laut Polanyi war die Wirtschaft bis zur Entstehung des selbstregulierenden Marktes – zeitlich im frühen 19. Jahrhundert angesetzt – in die Gesellschaft „eingebettet“, mit anderen Worten: In traditionellen Gesellschaften sei das Wirtschaftsverhalten überlagert von religiösen, politischen und sozialen Normenfeldern. Mit der „Großen Transformation“ nach 1800 sei die Wirtschaft aus dieser Einbettung herausgelöst worden (Disembeddedness/ „Entbettung“).105 Allerdings ist es bis in die Gegenwart bei einem gewissen Misstrauen gegen eine vollständige Entfesselung dieses Normensystems geblieben. Ein Unbehagen gegen reines Gewinnstreben manifestiert sich beispielsweise in eingrenzenden Normen und Tugenden, wie sie von der Wirtschaftsethik formuliert werden.106 Polanyi selbst betont, dass die für die Gesellschaft zerstörerischen Wirkungen des entfesselten Marktes politische Gegenmaßnahmen, wie etwa Arbeitsschutz- und Sozialgesetze, ausgelöst hätten.107 103 Burkhardt: Modernität, 199; Burkhardt: Verhaltensleitbild, 288. 104 Zit. nach Schulze: Vom Gemeinnutz, 602. 105 Polanyi: The Great Transformation. Vgl. auch Schrader: Relevanz. 106 Engels: Vom vergeblichen Streben, 235 f. 107 Vgl. Schrader: Relevanz, 5 f.

Exklusiver Europazentrismus

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Die vollständige Abgrenzung eines Handlungsfeldes, in dem allein wirtschaftliche Normen gelten, ist demnach nicht erfolgt. Die Debatte über das Verhältnis des wirtschaftlichen Handlungsfeldes zu nichtökonomischen Normensystemen in der Moderne ist zudem offenkundig nicht abgeschlossen.108 Festzustellen ist gleichwohl, dass mit der Tendenz der Entbettung wirtschaftlichen Handelns von nichtökonomischen Faktoren von der Etablierung eines wirtschaftlichen Normensystems, das auf dem Wert der Effizienz basierte, ausgegangen werden kann. Und auch die Ausdifferenzierung eines wirtschaftlichen Handlungsfeldes, in dem in weiten Teilen eine normative Disambiguierung im Sinne einer vorrangigen, wenn auch nicht absoluten und nie unumstrittenen Gültigkeit wirtschaftlicher Normen stattfand, erscheint plausibel.

Exklusiver Europazentrismus Die Tendenzen der Vereindeutigung und der Schaffung klarer Kategorien und Zuordnungen betrafen auch interkulturelle Beziehungen. Die Trennlinie zwischen Zivilisation und Rückständigkeit bzw. Barbarei wurde um 1800 zunehmend schärfer gezogen, und diese Grenze verlief nicht nur zwischen christlichen und anderen Gesellschaften, sondern in der Perspektive der Vertreter der Aufklärung auch mitten durch die europäischen Gesellschaften hindurch. Denn viele Aufklärer betrachteten sich selbst als eine Elite inmitten von zu zivilisierenden ­Barbaren, denen es (noch) am Vermögen rationaler Erkenntnis und dem Mut zum Überwinden alter Traditionsbestände mangelte. Entsprechend konnte das aufklärerische Programm zur Bildung des „unwissenden“ Volkes Züge eines „Selbst­ kolonisierungsunternehmens“ annehmen. Das Projekt der Aufklärung beförderte die Essenzialisierung gerade der Gegensätze – aufgeklärt vs. abergläubisch, fortschrittlich vs. zurückgeblieben, gebildet vs. unwissend, zivilisiert vs. ungehobelt –, welche die Aufklärer im Rahmen ihrer zivilisatorischen Mission aufzuheben gedachten. Das Ziel der Aufklärung der breiten Massen rückte auf diese Weise in weite Ferne und beförderte auf Seiten der aufgeklärten Elite die Wahrnehmung von Überlegenheit.109 Die Vertreter der Aufklärung waren daher anfällig für herabwertende Stereotypen und Feindbilder nicht nur gegenüber der „einfachen“ Bevölkerung, sondern noch stärker gegenüber fremden Ländern und Kulturen. So aktivierten und aktualisierten einige Vertreter die topische Vorstellung von Spanien als eines rückständigen, von religiösem Fanatismus geprägten Landes, das zu keiner weitreichenden Kulturleistung mehr fähig sei. Auch die Wahrnehmung des östlichen Europa als unterentwickelt und barbarisch durch Aufklärer im westlichen 108 Beckert: The Great Transformation; Granovetter: Economic Action. 109 Tricoire: Selbstkolonisierung, 132 ff.

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Teil des Kontinents baute auf älteren Wahrnehmungen von Andersartigkeit auf und verabsolutierte diese zur Bestätigung der eigenen Überlegenheit.110 Und der von weiten Teilen der Elite des Landes getragene und in die Gesellschaft insgesamt hineinwirkende britische Zivilitätsdiskurs bewertete fremde Gesellschaften nach einem binären Schema als entweder civil oder barbarous.111 Diese Sichtweise, welche die Bevölkerung ganzer Länder pauschal kategorisierte, schuf schroffe, schwer zu überwindende, über die Stereotypisierungen der Frühen Neuzeit hinausgehende, essenzielle Gegensätze, während sie die Überlegenheit der eigenen Nation als Kultur- und Abstammungsgemeinschaft bestätigte. Die kulturelle Neugier der Aufklärer gegenüber fremden Gesellschaften schlug damit in den letzten Dezennien des 18. Jahrhunderts tendenziell in ein kulturelles Überlegenheitsbewusstsein um. Die hierarchisierenden Kategorisierungsbestrebungen, das Projekt, die Welt in eine systematische Ordnung zu bringen, erfassten damit auch die Wahrnehmung anderer Länder, Kulturen und Menschen. Auch der moderne Nationalismus baute auf einem derartigen Wahrnehmungsmuster auf: Das Bestreben, dem Staat und seinen als nationale Einheit verstandenen Bewohnern eine homogene Struktur zu geben, bedeutete, alle Gruppen, die in diese nicht hineinzupassen schienen, als „Minderheiten“ und damit als einen Störfaktor nationaler Einheit wahrzunehmen. Intoleranz und nationaler Assimilationsdruck waren insoweit auch ein Ergebnis der Ordnungssehnsucht der Moderne.112 Noch stärker galt dies für ein zivilisatorisches Überlegenheitsdenken europä­ ischer Akteure gegenüber außereuropäischen Gesellschaften und Gemeinwesen. Der oben beschriebene vormoderne inklusive Europazentrismus ging zwar von der grundlegenden Überlegenheit europäischer Kultur aus, doch waren Akteure unter bestimmten Umständen bereit, diese Hypothese von Fall zu Fall abzuschwächen und sich an fremde kulturelle Verhältnisse anzupassen. Dieser pragmatische Umgang mit Interkulturalität schlug um 1800 in einen exklusiven Europazentrismus um. Auch interkulturell agierende Akteure wie Diplomaten, Händler, Militärs und reisende Gelehrte betrachteten nun zunehmend die Überlegenheit Europas als kaum mehr hinterfragten Tatbestand. Sie nahmen diese Überlegenheit auf den Feldern von Sittlichkeit und Moral, von politischer Kultur sowie von Technologie und Wissenschaft wahr. Außereuropäische Gesellschaften wurden in dieser Perspektive zu rückständigen, kaum fortschrittsfähigen und von der Zivilisationsentwicklung Europas und seinen überseeischen Siedlungskolonien hoffnungslos abgekoppelten Gesellschaften, die sich zur Kolonisierung geradezu anboten. Selbst der „Orient“, also in erster Linie osmanische und m ­ aghrebinische 110 Holste: Wechselspiel; Kaps: Erfindung; Pečar: Einführung. 111 Pernau: An ihren Gefühlen sollt ihr sie erkennen, 253 f. und 280 f. 112 Bauman: Moderne, 168; Engels: Vom vergeblichen Streben, 221.

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Gesellschaften, mit denen seit langem dichte kulturelle, wirtschaftliche und politische Beziehungen bestanden, wurde so zum Objekt einer Zivilisationsmission, die sich anschickte, im Namen des Fortschritts die Welt zu verändern, eine Welt, in der es in dieser Sicht eine klare Grenze zwischen Zivilisierern und zu Zivilisierenden gab.113 Es versteht sich von selbst, dass diese Sichtweise eine Fiktion darstellte, doch eine außerordentlich wirkmächtige, die Rollenmodelle von Akteuren in interkulturellen Beziehungen veränderte. Vor allem für die französische Diplomatie und ihr Verhältnis zum Osmanischen Reich sowie zu maghrebinischen Herrschaften ist die These vom Umschlag zum exklusiven Europazentrismus mittlerweile eingehend untersucht worden. Französische Diplomaten akzeptierten demnach ab dem frühen 19. Jahrhundert den bis dahin im Mittelmeerraum üblichen Rechtspluralismus immer weniger, das heißt, sie waren nicht mehr bereit, auf die rechtlichen Verhältnisse an ihrem Dienstort einzugehen und in pragmatischer Weise Kompromisse zwischen unterschiedlichen Rechtsvorstellungen auszuhandeln. In ihren Augen konnte das europäische öffentliche Recht universale und absolute Gültigkeit beanspruchen. Diplomaten – seien dies Gesandte oder Konsuln – agierten damit weniger als Broker zwischen unterschiedlichen Kulturräumen, die (ebenso wie ihre Verhandlungspartner) kulturelle Missverständnisse umgingen und partielles Einverständnis herstellten. Im Rahmen der Essenzialisierung der kulturellen Unterschiede waren die Wahrnehmung kultureller Differenz und die Abwertung fremder Kulturen vielmehr so stark geworden, dass der islamische Kulturkreis für viele diplomatische Akteure kaum mehr anders als eine rückständige Gegenwelt erfahren wurde.114 Ein solcher Wandel ist auch für britische Diplomaten um 1800 nachgewiesen worden. Auch sie sahen sich ab dem späten 18. Jahrhundert zunehmend als Herolde einer überlegenen Zivilisation. Dies betraf vor allem, aber nicht nur ihren Umgang mit außereuropäischen Kulturen bzw. dem Osmanischen Reich. Auch die Wahrnehmung der Gesellschaften des Westens und Südens des europäischen Kontinents durch britische Diplomaten änderte sich, wenn auch nicht in einem derartigen Ausmaß. So wurden Frankreich und Italien seit den 1770er Jahren zunehmend als Länder wahrgenommen, deren mutmaßlich effeminierte und gekünstelte Kultur im Gegensatz zur britischen Männlichkeit stehe.115 Auch in diesem Fall findet sich eine verstärkte Wahrnehmung von Gegensätzen, die sich von der bis dahin dominierenden Vorstellung von einer viele Gemeinsamkeiten aufweisenden Adelskultur, in der sich Diplomaten bewegten, deutlich unterschied.

113 Osterhammel: Entzauberung; Windler: Interkulturelle Diplomatie. 114 Windler: Tribut, 33 und 51; ders.: Interkulturelle Diplomatie, 458 ff. 115 Black: Diplomats, 14 f.; Mori: Culture, 55 f.

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Die Moderne: Ein Zeitalter der Eindeutigkeit?

Fazit: Das Zeitalter der Ambiguität und die Moderne Zweifellos war die Sattelzeit eine Phase, die von gesellschaftlichen, politischen, religiösen und ökonomischen Transformationsprozessen und einer Beschleunigung historischen Wandels gekennzeichnet war. Abschließend ist noch einmal die Frage zu stellen: Brachten diese Prozesse in den Jahrzehnten um 1800 auch eine neue Normenordnung hervor? Kann behauptet werden, dass kulturelle Ambiguität als gesellschaftliches, eine Epoche kennzeichnendes Merkmal so stark zurückging, so sehr von Vereindeutigungs-, Perfektions- und Authentizitätspostulaten verdrängt wurde, dass vom Ende eines Zeitalters der Ambiguität die Rede sein kann? Damit kehre ich zur Ausgangsthese dieses Buches zurück, die besagt, dass die Bereitschaft und Fähigkeit von Akteuren, mit normativen Widersprüchen umzugehen, in der Frühen Neuzeit deutlich ausgeprägter war als in der Moderne und aus diesem Grund die Frühe Neuzeit als Zeitalter der Ambiguität bezeichnet werden kann. In der Rolle eines advocatus diaboli gegen meine Argumentation lässt sich auch ein ganz anderes Narrativ entwickeln. Demnach wäre kulturelle ­Ambiguität eine Konstante in menschlichen Gesellschaften ab einem gewissen Komplexitätsgrad und veränderten sich zwar die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Ambiguität im Übergang zur Moderne, doch bliebe das Phänomen der Gleichzeitigkeit von ausgeprägter kultureller Ambiguität und Forderung nach Vereindeutigung epochenübergreifend bestehen. Es gäbe demnach zwar unterschiedliche Rahmenbedingungen und unterschiedliche kulturelle Muster im Umgang mit kultureller Ambiguität, die geeignet wären, Epochen oder kulturelle Räume zu beschreiben und voneinander zu unterscheiden – doch in einer solchen Perspektive fände im Hinblick auf kulturelle Ambiguität in der Sattelzeit kein grundlegender Systemwechsel statt. Denn sowohl in der Vormoderne als auch in der Moderne war das energisch ausformulierte Bemühen, Uneindeutigkeit in Eindeutigkeit zu überführen, zwar ein Generator für gesellschaftliche Wandlungsprozesse, aber nichtsdestotrotz im Kern erfolglos. Das in diesem Buch beschriebene Spannungsverhältnis zwischen dem Ideal der Eindeutigkeit und der von Ambiguität gekennzeichneten Praxis würde demnach in der Moderne lediglich eine Neuauflage mit ähnlichem Ergebnis erfahren. Um noch einmal zum Zweck des Vergleichs mit den Disambiguierungsprozessen im Übergang zur Moderne die langfristigen normengeschichtlichen Wirkungen der Reformation und der Konfessionalisierung zusammenzufassen: Die Reformation führte nicht zu einer die gesamte Christenheit erfassenden Reinigung der Lehre, orientiert an wenigen zentralen normativen Fixpunkten, sondern zu einer Spaltung der Christenheit und zu einer Pluralität, ja Unübersichtlichkeit von Heilsangeboten. Und die Konfessionalisierung vermochte zwar für einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten die Autorität religiöser Normen zu stärken, löste sie aber keineswegs aus der Konkurrenz mit anderen Normen heraus und brachte

Fazit: Das Zeitalter der Ambiguität und die Moderne

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zudem binnenkonfessionelle Pluralität nie unter Kontrolle. Die Konfessionskirchen schufen demnach allem Bekenntnisdruck und Disziplinierungsimpetus zum Trotz keine geschlossenen Großgruppen. Mehr noch: Bekenntniszwang und der Anspruch, konfessionell korrektes Verhalten auch im Alltag durchzusetzen, führten nicht zu Disambiguierung, sondern förderten Verhaltensmodi wie Kasuistik, Verstellung und Heuchelei. Sie förderten demnach kulturelle Ambiguität. Damit soll nicht die historische Bedeutung von Reformation und Konfessionalisierung in Zweifel gezogen, aber doch darauf hingewiesen werden, dass das intendierte Ziel der Konfessionskirchen nach Schaffung von dogmatischer und die Glaubenspraxis betreffender Eindeutigkeit hinter ihren nichtintendierten Wirkungen – darunter nicht zuletzt ihr Beitrag zur Staatsbildung – deutlich zurückstand. Die Diskrepanz zwischen dem Anspruch auf Eindeutigkeit und Reinigung einerseits und realer Normenkonkurrenz andererseits findet sich auch auf vielen anderen Handlungsfeldern, von denen in diesem Buch beispielsweise die Regeln der Amtsführung oder der Souveränitätsdiskurs behandelt wurden. Dieser Befund spricht nur dann für die These vom Zeitalter der Ambiguität, wenn die Disambiguierungsoffensiven der Aufklärung und der wachsenden Staatswesen ab dem 18. Jahrhundert erfolgreicher waren als die der Vormoderne. Indes finden sich, wie dargelegt, etliche Hinweise für eine ernüchternde Bilanz der modernen Bestrebungen zu Vereindeutigung. Der Krieg gegen die Ambivalenz ging auf vielen Feldern letztlich keineswegs siegreich aus, wie auch die im Teil zur Sattelzeit aufgeführten Beispiele zeigen. Das Korruptionsverständnis mochte sich ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verschärfen, doch der energisch vorgetragene Perfektionsdiskurs brachte letztlich keine von sachfremden Erwägungen und sozialen Rücksichtnahmen gereinigte Sphäre des Amtshandelns und der Politik hervor. Vielmehr erwies er sich – bis in die Gegenwart – als erstaunlich enttäuschungsresistent gegenüber den Erfahrungen realer Normenkonkurrenz. Dieses Festklammern der Öffentlichkeit an Perfektionsstandards, die kaum einzuhalten waren, offenbart eine Lebenslüge der Moderne. Der Überzeugung, aus Normenkonkurrenz resultierendem korruptem Verhalten könne im Rahmen des gesellschaftlichen Fortschritts auf lange Sicht Einhalt geboten werden, steht bislang die Persistenz von sozialen Normen und partikularen Bereicherungspraktiken auf diesem Feld entgehen. Auch der bereits weit vor dem 18. Jahrhundert einsetzende Langfristtrend der Formalisierung von Verwaltungen brachte nicht den Staat (und andere Organisationsformen) als nach rationalen Kriterien laufendes, personale Aspekte ausschaltendes Uhrwerk hervor. Vielmehr wächst, wie dargelegt, mit Prozessen der Formalisierung immer auch die Ebene des Informellen, da ohne den Rückgriff auf informelle Praktiken die Funktionalität einer formalen Organisation gefährdet ist. Damit ist das Disambiguierungspotenzial formalisierter Organisationen begrenzt und bleibt stets ein Einfallstor für soziale Normen in bürokratische Apparate offen. Auch der Aufstieg des ökonomischen

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Normensystems, so lässt sich weiterhin einwenden, bewirkte nicht die Schaffung einer disambiguierten Sphäre der Wirtschaft, in der allein die Leitwerte Produktivität, Effizienz und Mehrung des Kapitals Geltung beanspruchen konnten. Dagegen sprechen allein schon die Existenz von Familienunternehmen, in denen auch soziale Normen gelten, und das weite Feld der Wirtschafts- und Sozialpolitik, dessen Ziel darin besteht, die gesellschaftlichen Folgen rein wirtschaftlicher Logiken abzufedern. Auch für die Moderne gilt demnach, dass das Bestreben nach Vereindeutigung sich an den Widersprüchen, die sie unweigerlich produzierte, und an den sozialen Logiken des alltäglichen Lebens abschliff. Ein Zeitalter der Eindeutigkeit folgte der Frühen Neuzeit nicht. Die Moderne produzierte, um noch einmal auf Zygmunt Bauman zurückzukommen, zuhauf Widersprüche, die ihren Anspruch auf Disambiguierung zu guten Teilen aushebelte. Viele ihrer Zeitgenossen wollten (und wollen) dies allerdings noch weit weniger wahrhaben als ihre frühneuzeitlichen Vorfahren. Blickt man auf die Akteure und ihren Umgang mit normativen Widersprüchen und Abgrenzungen von Handlungsfeldern, zeigt sich allerdings ein deutlicher Unterschied zwischen der Frühen Neuzeit bzw. der Vormoderne und der Moderne. Die Rahmenbedingungen für kulturelle Ambiguität veränderten sich in der Sattelzeit grundlegend. Damit sind nun die zentralen Argumente noch einmal in akteurszentrierter Perspektive zusammenzufassen und zuzuspitzen, die dafür sprechen, dass um 1800 entscheidende Wandlungsprozesse auszumachen sind, welche die Annahme eines Bruchs in der Normenordnung und der kulturellen Disposition zu Ambiguität rechtfertigen. An erster Stelle ist ein fundamentaler Wandel in der Normen- und Wertewelt zu nennen, der ihre Tektonik massiv veränderte: der Wegfall der Selbstverständlichkeit des christlichen (wenn auch konfessionell aufgespaltenen) Bekenntnisses und damit der Verlust der legitimatorischen Spitzenstellung des religiösen Normensystems. Indem das christliche Bekenntnis zu einer Option unter verschiedenen Weltanschauungen wurde, verblasste nicht nur die Annahme, die Gestaltung des irdischen Lebens werde Folgen für das in Ewigkeit haben. Es schwand damit auch die für viele Christen elementare Grunderfahrung, mit offenkundigen Widersprüchen leben zu müssen bzw. diese einzuhegen: mit Widersprüchen, die sich aus dem Unvermögen des infolge Sündhaftigkeit schwachen Menschen ergaben, einer unhinterfragbar gültigen, weil von Gott selbst gewollten und geschaffenen basalen Normenordnung zu genügen. Dieser Grundwiderspruch zwischen göttlicher Forderung und eigenem Ungenügen löste erhebliche Dynamiken aus, war aber ebenso Grundlage der trotz ihrer Prekarität letztlich stabilen Konstellation der frühneuzeit­lichen Normenordnung. Die von Gott gesetzten Normen mochten für einzelne normative Übererfüller Ansporn sein und entfalteten in der Reformation eine dynamisierende Sprengkraft, doch für die Masse der Christen bedeutete ihr Spannungsverhältnis zum sozialen Leben auf Dauer, sich zu arrangieren – um

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ein Leben zu führen, das bei allen Kompromissen doch nicht in der Hölle endete. Damit teilten die meisten Zeitgenossen der Frühen Neuzeit die Erfahrung, die Anforderungen eines hochgradig legitimen Normensystems nicht vollumfänglich erfüllen zu können und mittels kasuistischen und situativen Lavierens einen Weg zwischen Heilsunsicherheit und den Anforderungen des sozialen Lebens zu finden. Diese kasuistische Mentalität ist ein zentrales Merkmal der Frühen Neuzeit und prägte das Verhältnis der meisten Akteure zu Handlungserwartungen unterschiedlicher Art. Dass die Kirche – insbesondere die katholische, am wenigsten reformierte Glaubensgemeinschaften – angesichts dieses Unvermögens Auswege und Tröstungen anbot und den Weg der Gläubigen zum Heil trotz deren Schwäche offenhielt, prägte den Umgang mit normativen Erwartungen fundamental, und zwar keineswegs nur mit religiösen. Es bildete sich damit ein Umgang mit Perfektionsdiskursen und normativen Forderungen heraus, der nicht nur die Frömmigkeit, sondern auch viele andere Handlungsfelder erfasste und der Perfektion generell – als Christ, als Amtsperson, als Fürst, als sozialer Rollenträger – als einen Idealzustand betrachtete, der nur von wenigen (mitunter, wie bei Heiligen, zum Nutzen der vielen) erreicht werden konnte und sollte. Durchschnittsakteure vermochten sich diesem Ideal bestenfalls anzunähern und waren gut beraten, mehr auch gar nicht anzustreben, wenn sie nicht maßlos erscheinen wollten. Kasuistik und situative Vereindeutigung in Kombination mit einem Balancehalten zwischen Normen waren damit der übliche Handlungsmodus frühneuzeitlicher Akteure. Er brachte den flexiblen Umgang mit Handlungsanforderungen mit sich und förderte Ambiguitätstoleranz. Damit erreichten die Akteure eine Zähmung von Ambiguität, mit der sie leben und (im Hinblick auf die Aussichten auf das Jenseits) sterben konnten; und die sich zwar potenziell spannungsvoller gestaltete als die vormodern-islamische Variante kultureller Ambiguität, wie sie Thomas Bauer beschreibt, die aber durchaus vergleichbare Umgangsformen mit normativen Widersprüchen hervorbrachte. Diese Mentalität verlor ihr Fundament von dem Moment an, da die Grundüberzeugung von der sündhaften Schwäche des Menschen von einem anthropologischen Optimismus herausgefordert wurde, der Perfektion nicht mehr als hehres Ideal, sondern als reales Ziel und als Auftrag zur Besserung des Menschengeschlechts betrachtete. Damit schwand bei vielen Akteuren die Toleranz gegenüber lauen Kompromissen und wurde das menschliche Unvermögen, normativen Anforderungen zu genügen, als zu überwindende Schwäche angesehen. Dieses Ansinnen mochte auf lange Sicht scheitern und neue Widersprüche produzieren, aber viel entscheidender ist, dass es trotzdem im Hinblick auf den Umgang mit normativen Widersprüchen langfristig wirksam war. Es untergrub die kasuistische Mentalität und damit die Akzeptanz von Ambiguität. Infolgedessen war der Impetus des Perfektionsdiskurses der Aufklärung viel radikaler als das religiöse Vereindeutigungsprojekt der Reformation oder der Disziplinierungsansatz der

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Konfessionalisierung. Letztere gingen stets vom sündhaften, schwachen Nachkommen Adams aus, Ersterer hingegen hegte weitreichende Erwartungen an die Perfektionierung der Menschheit. Das bedeutet nicht, dass nicht auch derart optimistische Erwartungen durch ihr Scheitern kulturelle Ambiguität hervorrufen können, doch wird diese nur noch als Defizit, als etwas eigentlich zu Überwindendes betrachtet und nicht als Resultat der menschlichen Natur seit dem Sündenfall. Zeichnete sich demnach die Frühe Neuzeit durch eine offen ausgetragene Spannung zwischen Kasuistik und Perfektionsdiskurs aus, in welcher die Kasuistik die Praxis dominierte, sie aber stets durch die Berufung auf Perfektionsund Reinheitsideale herausgefordert werden konnte, änderte sich diese Konstellation im Übergang zur Moderne. Nun wurde das offene Bekenntnis zur Kasuistik schwieriger und gewann ein auf Reform und Wandel ausgerichteter Perfektionsdiskurs die Überhand. Und dieser Diskurs veränderte massiv die Erwartungen an menschliches Handeln. Kulturelle Ambiguität wurde auf diese Art und Weise ein kaum mehr akzeptabler bzw. der zu überwindenden Vergangenheit zugerechneter Handlungsmodus. Die Widersprüche im Normenhorizont verschwanden nicht, ja es wurden sogar im Streben nach Vereindeutigung ständig neue produziert, aber der Umgang mit ihnen ist weniger durch ambigue Verhaltensmuster wie Kasuistik oder situative Vereindeutigung gekennzeichnet als vielmehr durch Verdrängung und grundsätzliches Festhalten am Perfektionsideal. Kulturelle Ambiguität sollte nicht mehr bloß gezähmt, sondern überwunden werden. Eng zusammenhängend mit diesen Entwicklungen steht die Grunderfahrung des Fortschritts und des Wandels gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Strukturen. Damit verloren die Grundmuster der Gesellschaft und der politischen Kultur des Ancien Regime ihre Selbstverständlichkeit und wurden gegebene Verhältnisse nicht mehr einfach hingenommen. Dieser fundamentale Wandel des Bildes von der Gesellschaft und der Art, wie sie zu regieren war, aktivierte Akteure zu revolutionären Handlungen, war aber ebenso ein Legitimationsinstrument und eine Blaupause für den beschleunigten Ausbau der Staatsgewalt, die nun intendiert und planmäßig erfolgte. Es war nicht neu, dass der Staat sich über seinen Nutzen für die ihm Angehörenden legitimierte, doch der Auftrag, die politische Ordnung und die Gesellschaft rational zum Nutzen aller umzugestalten, löste neue Dynamiken seines Wachstums und seiner Zuständigkeitsbereiche aus. Der nun geforderte Blick auf das Staatsgebiet und seine zukünftige Gestaltung begünstigte massiv die Ausdifferenzierung von Verwaltungsapparaten und förderte die Ausbildung eines neuen Amtsverständnisses. Ebenso wuchs der Bedarf nach spezialisierten Leistungen von Wissenschaft und Wirtschaft. Das Ergebnis war eine Beschleunigung funktionaler Differenzierung in vielen Bereichen der Gesellschaft. Entscheidend scheint mir dabei der Glaube vieler Akteure an die Wirksamkeit dieser Differenzierungs- und Wachstumsprozesse im Hinblick auf die Normenordnung zu sein. Die Erfahrung einer rasanten ökonomischen und

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technischen Entwicklung machte die Entstehung auch einer neuen normativen Differenzierung glaubhaft, in der klare Abgrenzungen von Handlungsfeldern getroffen wurden und in der Überlappungen ein Epiphänomen darstellten, das als schwindendes Überbleibsel der Vergangenheit deutbar war. Daraus lässt sich die These entwickeln, dass die verstärkte Ausdifferenzierung von Handlungsfeldern und Rollenmodellen gerade so stark war, dass sie in Kombination mit der Zukunftserwartung einer als Fortschritt empfundenen Verstärkung dieses Prozesses Akteuren erlaubte, über dessen Defizite und Widersprüche hinwegzusehen und an die Realität disambiguierter Handlungsfelder zu glauben. Diese Art der Wahrnehmung kann als Erklärung dienen für die Blindheit moderner Akteure gegenüber Normenkonkurrenz auf vielen Feldern und die Annahme, die aus ihr resultierende kulturelle Ambiguität stelle gewissermaßen einen Restbestand vergehender gesellschaftlicher Zustände dar oder resultiere aus der kriminellen Energie Einzelner. Hinzu kommt, dass verstärkte Abgrenzungen zwischen Handlungsfeldern durch idealtypische Rollenbilder plausibilisiert und popularisiert wurden – das gilt für den unbestechlichen Beamten, die in der Pflege von Heim und Herd aufgehende Hausfrau oder den seinem Vaterland bis in den Tod dienenden Soldaten. Indem derartige Rollenbilder als erstrebenswert und erreichbar, ja ihre Umsetzung in vielen Fällen als Pflicht der mit ihnen betrauten Akteure angesehen wurden, avancierten sie zu handlungsleitenden Maßstäben für weite Teile der europäischen Gesellschaften, wenn auch nicht in allen Regionen in gleichem Umfang. Abweichungen, so häufig sie auch vorkamen, konnten als Rückfall in anachronistische Verhaltensmuster oder als Fall individueller Devianz oder Kriminalität angesehen werden. Entsprechende Praktiken mussten verborgen bleiben und dem Blick der Öffentlichkeit entzogen werden; kamen sie dennoch ans Licht, setzten sie den oben, im Kapitel zu Korruption und Patronage im Übergang zur Moderne beschriebenen Skandalisierungsmechanismus in Gange, welcher der Bestätigung des Perfektionsmaßstabs durch die öffentlichkeitswirksame Brandmarkung von Abweichungen von ihm dienlich war. Insoweit ist es sehr plausibel, dass kulturelle Ambiguität als Handlungsmodus in Gesellschaften ab einem gewissen Komplexitätsgrad unvermeidbar ist, doch in der Moderne nicht mehr von Ambiguitätstoleranz, die auf einer Kultur der Kasuistik beruhte, die Rede sein kann. Eher ignorierten und verleugneten Gesellschaften der Moderne kulturelle Ambiguität. Daher endete das Zeitalter der Ambiguität im Übergang zur Moderne. Trotz einer Vielzahl von alten und neu produzierten normativen Widersprüchen wurde die Moderne kein zweites Zeitalter der Ambiguität. Dazu waren das ambiguitätsfeindliche Perfektionsideal und die von ihm abgeleiteten Rollenmodelle in vielen Handlungsbereichen zu wirkmächtig. Die Moderne erscheint als ein Zeitalter beschleunigter funktionaler Differenzierung, die vereindeutigte Rollenmodelle für verschiedene Handlungsbereiche hervorbrachte, die von vielen Akteuren geglaubt und mehr oder weniger

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konsequent befolgt wurden. Etliche Grenzziehungen – Mann und Frau, Amtsund Privatperson, Wissenschaft und Laieninteresse – wurden schärfer konturiert. Kulturelle Ambiguität konnte offen nur noch in Ausnahmefällen vertreten werden. Hierin liegt ein fundamentaler Unterschied zwischen Vormoderne und Moderne: In der Vormoderne war kulturelle Ambiguität in Form von Rücksichtnahme auf die Schwäche des Menschen nach dem Sündenfall, von kasuistischer Abwägung und von Bemühungen des Maßhaltens vertretbar und bewegte sich im Rahmen der Werte- und Normenordnung, wenn auch immer wieder von Perfektionsdiskursen herausgefordert. Ambiguität im Umgang mit Normenkonkurrenz brachte Akteuren nicht unbedingt besondere Meriten ein, war aber ein akzeptierter, ja erstrebenswerter Verhaltensstil für die Masse der Akteure. Auf diese Weise befanden sich die unterschiedlichen Normensysteme in einer Art bewegten Balance, in der trotz des Legitimitätsvorsprungs religiöser Normen in der Praxis keines auf Dauer überwog. Das machte die Systemstabilität des Zeitalters der Ambiguität aus.

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Literatur

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Register Personenregister Albrecht VII., Graf von Mansfeld-­ Hinterort ​147 Albret, Jeanne d’ ​147 Alexander VI. Borgia, Papst ​170, 172 Alexander VII. Chigi, Papst ​103 Aliaga, Luis de ​150 Anna von Pommern, Herzogin von Mecklenburg ​130 Anna von Österreich, Königin von Frankreich ​179  f. Antonius von Padua OFM ​61 Ariès, Philippe ​53, 101, 350 Aristoteles ​17, 77, 110, 145, 250 Aubigné, Françoise d’, Madame de Maintenon ​210 – 213 August der Starke, Kurfürst von Sachsen, König von Polen ​185, 232 Augustinus von Hippo ​25, 250 Ayala (Familie) ​85 Ayala, Diego de ​85 Ayala, Juan de ​85

Borghese, Marcantonio ​238 Borghese, Scipione ​238 Borgia / Borja, Rodrigo → Alexander VI. Borgia, Papst Borromeo (Familie) ​129 Borromeo, Carlo ​127 f., 161 Borromeo, Federico ​128 Bourbon (Dynastie) ​179, 181, 188, 212 f. Bourdieu, Pierre ​32 f., 96 Brakensiek, Stefan ​73, 227 Brauner, Christina ​313 Brunner, Otto ​105 Buckingham, Herzog von → Villiers, George, Herzog von Buckingham Bugenhagen, Johannes ​153 Buoncompagni, Ugo → Gregor XIII. Buoncompagni, Papst Burke, Edmund ​328 Burke, Peter ​317 Burkhardt, Johannes ​148, 165 Burschel, Peter ​47, 70

Bacon, Francis ​298  f. Bastian, Corina ​212 Bauer, Thomas ​15 – 18, 24 f., 361 Bauman, Zygmunt ​325, 326, 332, 360 Behrisch, Lars ​336 Bernsee, Robert ​342 Berthold V., Herzog von Zähringen ​135 Berulle, Pierre de ​127 Blaschke, Olaf ​352 Bock, Heike ​142 Bodin, Jean ​78 f., 206 Bonaparte, Napoleon → Napoleon I., Kaiser der Franzosen Bongars, Jacques ​188 Borghese (Familie) ​103, 133, 239 Borghese, Camillo → Paul V. Borghese, Papst

Caetani (Familie) ​195  f. Caetani, Antonio ​238  f. Callières, François de ​343 Calvin, Jean ​64, 161 Castiglione, Baldassare ​111 Castro, Francisco Ruiz de, Graf von Castro, Herzog von Taurisano ​254 Cecil, Robert, Graf von Salisbury ​240 Cennini, Francesco ​133  f. Cerda, Catalina de la, Herzogin von Lerma ​ 131 Chambrier (Familie) ​236, 238 Chambrier, Jean de ​238 Chambrier d’Oleyres, Jean-Pierre ​238 Chigi, Fabio → Alexander VII. Chigi, Papst Cicero, Marcus Tullius ​110

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Personenregister Colonna (Familie) ​195  f. Contzen, Adam ​151  f. Daniel, alttestamentar. Prophet ​169 Darwin, Charles ​325 Derrida, Jacques ​324 Droste, Heiko ​108, 260 Duindam, Jeroen ​218 Elias, Norbert ​40 Elisabeth von Bourbon, Königin von Spanien ​180 Elisabeth von Dänemark und Norwegen, Herzogin von Mecklenburg ​130 Elisabeth I., Königin von England ​148, 208 Emich, Birgit ​221, 261 Engels, Jens Ivo ​89, 248 Ernestiner (Dynastie) ​187 Este (Dynastie) ​186 Farnese (Dynastie) ​186 Fénelon, François ​127 Ferdinand I., Kaiser ​172 Ferdinand II., Kaiser ​151, 180 Ferdinand II., König von Aragon ​172 Ferdinand III., Kaiser ​180 Fitz-James, François de ​152 Fleury, Hercule de ​132 Foucault, Michel ​40, 326 Franz I. Stephan, Kaiser ​208 Friedrich I., König in Preußen ​232 Friedrich II., König in bzw. von Preußen ​ 183, 245, 341 Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg ​ 185 Friedrich III., Kurfürst von der Pfalz ​134 f., 147 Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz ​148 Friedrich, Markus ​71 Friedrich Wilhelm I., König in Preußen ​ 237, 341 Fuchs, Ralf-Peter ​97 Fugger (Familie) ​204 Fugger, Jacob ​115

Gall, Lothar ​341 Gennep, Arnold van ​281 Gentili, Alberico ​77 Georg, Markgraf von BrandenburgAnsbach-Kulmbach ​146 Ghislieri, Michele → Pius V. Ghislieri, Papst Ghobrial, John-Paul A. ​311 Goffmann, Daniel ​310 Gonzaga (Dynastie) ​186 Gracián y Morales, Baltasar SJ ​303 Gregor XIII. Buoncompagni, Papst ​124 Groebner, Valentin ​252 Grotius, Hugo ​77 Grüne, Niels ​277 Güntzer, Augustin ​289 Gustav II. Adolf, König von Schweden ​172 Guzmán, Gaspar de, Graf-Herzog von Olivares ​255, 261, 268 ff. Guzzi-Heeb, Sandro ​268 Habsburg (Dynastie) ​120, 133, 148, 152, 179 f., 181, 189, 193, 203 f., 209, 211, 237, 310, 311, 335, 343 Hamm, Berndt ​47 Harrach, Ferdinand von ​237 Hastings, Warren ​328  f. Haugwitz, Friedrich Wilhelm Graf von ​ 335 f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich ​23 Heinrich IV., König von Frankreich ​143, 175, 179 f., 187 Hennings, Jan ​230 Hohenzollern (Dynastie) ​237 Holenstein, André ​88 Holzem, Andreas ​122 Hunt, Lynn ​12 Isabel I., Königin von Kastilien ​172 Jakob I., König von England ​131, 148, 240, 261, 266, 269 Joachim II. Hector, Kurfürst von Brandenburg ​147

442 Johann II., König von Kastilien und León ​ 266 Johannes, Evangelist ​289 Joseph II., Kaiser ​342, 347, 351 Julius II. della Rovere, Papst ​170 Justinian I., byzantinischer Kaiser ​74 Kaiser, Wolfgang ​314 Karl der Große, Kaiser ​171, 173 Karl I., König von England ​131, 180, 261, 269 f. Karl II., König von Spanien ​181 Karl V., Kaiser ​84, 131, 154, 170 ff., 209 Karl Emanuel I., Herzog von Savoyen ​180, 203 Kettering, Sharon ​108 Köhler, Matthias ​243 Königsmarck, Aurora von ​233 Koselleck, Reinhart ​322, 324 Krischer, André ​185, 222 ff., 256 Krug-Richter, Barbara ​113 Kühnel, Florian ​230 Lamormaini, Wilhelm ​151 Landwehr, Achim ​43  f. Lang von Wellenburg, Matthäus ​264 Laqua-O’Donnell, Simone ​124 Latour, Bruno ​324 Leibniz, Gottfried Wilhelm ​110, 334 Leo X. Medici, Papst ​175 Leopold I., Kaiser ​78, 190 Lepsius, M. Rainer ​166 Lerma, Herzog von → Sandoval y Rojas, Francisco Gómez, Herzog von Lerma Linné, Carl von ​325 Lionne, Hugues de ​241 Lipsius, Justus ​145 Loménie, Henri-Auguste de, Graf von Brienne ​241 Ludwig XIII., König von Frankreich ​179 f., 237, 261 Ludwig XIV., König von Frankreich ​78, 132, 171, 176 f., 190, 210, 212, 218, 228, 242, 245, 261, 263, 343

Register Ludwig XV., König von Frankreich ​132, 152, 210 f. Ludwig, Ulrike ​225 Lüdtke, Alf ​44 Luhmann, Niklas ​222  ff. Luise von Mecklenburg-Strelitz, Königin von Preußen ​346 Luna, Álvaro de ​265 f. Luther, Martin ​38, 48, 56, 58, 63 ff., 145, 146 Machiavelli, Niccolò ​146 Magni, Valeriano OFMCap ​139 Maintenon, Madame de → Aubigné, Françoise d’, Madame de Maintenon Mandeville, Bernard ​353 Mann, Michael ​81 Margarethe vom Kreuz OSCl, Erzherzogin von Österreich ​209 Margarethe von Österreich, Königin von Spanien ​179, 209 Maria, Kaiserin, Witwe Maximilians II. ​ 209 Maria Anna von Spanien, Kaiserin ​180 Maria Christina von Frankreich, Herzogin von Savoyen ​180 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen ​120, 149, 208, 273, 300 Marie Louise von Savoyen, Königin von Spanien ​212 Mastai-Ferretti, Giovanni Maria → Pius IX. Mastai-Ferretti, Papst Mauss, Marcel ​106 Maximilian I., Kaiser ​133, 264 Maximilian I., Kurfürst von Bayern ​151 Maximilian II., Kaiser ​209 Mazarin, Jules ​241, 251, 261, 263 Medici (Dynastie) ​186 Medici, Caterina de’, Königin von Frankreich ​206 Medici, Francesco de’, Großherzog der Toskana ​188 Medici, Giovanni de’ → Leo X. Medici, Papst

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Personenregister Medici, Maria de’, Königin von Frankreich ​ 179 Mesmes, Claude de, Graf von Avaux ​241 Möser, Justus ​87 Moncada, Gastón de, Markgraf von Aytona ​254  f. Montaigne, Michel de ​111, 283 Montchrestien, Antoine de ​30 Montgelas, Maximilian von, Graf ​331 Mousnier, Roland ​108 Münkler, Herfried ​77 Napoleon I., Kaiser der Franzosen ​342 Nebukadnezar II., neubabylonischer König ​ 169 Oestreich, Gerhard ​39  f. Orsini (Familie) ​195  f. Orsini, Flavio I., Herzog von Bracciano ​ 212 Osterhammel, Jürgen ​313 Ottheinrich, Kurfürst von der Pfalz ​134 Pascal, Blaise ​294 Paul V. Borghese, Papst ​58, 103, 133 Pepys, Samuel ​222, 224 Peter Ernst II., Graf von Mansfeld ​141 Peuckert, Rüdiger ​28 Philipp II., König von Spanien ​84, 131, 172, 175, 188, 263 Philipp III., König von Spanien ​131, 150, 179, 209, 261, 262, 268 Philipp IV., König von Spanien ​176 f., 180, 255, 261 Philipp V., König von Spanien ​212 Pietsch, Andreas ​305 Pius V. Ghislieri, Papst ​124 Pius IX. Mastai-Ferretti, Papst ​58 Plessis, Armand-Jean du, Herzog von Richelieu ​238, 241, 261, 267 f. Poisson, Jeanne-Antoinette, Madame de Pompadour ​210 f., 213 f. Polanyi, Karl ​354

Pompadour, Madame de → Poisson, Jeanne-Antoinette, Madame de Pompadour Popitz, Heinrich ​28  f. Ranke, Leopold von ​165 Reinhard, Wolfgang ​19, 40 f., 44, 57, 74, 110 f. Richelieu, Herzog von → Plessis, ArmandJean du, Herzog von Richelieu Rovere, Giuliano della → Julius II. della Rovere, Papst Sallmann, Jean-Michel ​287 Salucio del Poyo, Damián ​266 Sandoval y Rojas (Familie) ​262, 268 Sandoval y Rojas, Cristóbal Gómez, Herzog von Uceda ​262 Sandoval y Rojas, Francisco Gómez, Herzog von Lerma ​131, 209, 254, 261, 265 – 269 Savoyen (Dynastie) ​186, 203 Schilling, Heinz ​40 f., 57 Schulze, Winfried ​11 Schwarz, Matthäus ​115  f. Schwerhoff, Gerd ​70, 158, 289 Scribner, Robert ​304 Seckendorff, Friedrich Heinrich von, Graf ​ 237 Servien, Abel ​241 Shorter, Edward ​101, 346 Simmel, Georg ​32 Slawata, Wilhelm ​141 Smith, Adam ​354 Smith, Jay ​246 Sombart, Werner ​95 Spada, Bernardino ​237  f. Spener, Philipp Jakob ​290 Stöltzlin, Bonifacius ​62 Stollberg-Rilinger, Barbara ​21, 120, 273, 277 Tacitus, Publius Cornelius ​77, 145 Thomas von Aquin ​26, 78 Thomasius, Christian ​309 Tour d’Auvergne, Henri de la ​132

444 Trémoille, Marie-Anne de („Madame des Ursins“) ​212  f. Tricoire, Damien ​156  f.

Register

Victor Amadeus, Herzog von Savoyen ​180 Victoria, Königin von Großbritannien und Irland, Kaiserin von Indien ​346 Villiers, George, Herzog von Buckingham ​ 131, 261, 265, 266 ff., 269 f., 298 f. Völkel, Markus ​341

Walz, Rainer ​97 Wassilowsky, Günther ​248  f. Weber, Max ​81, 86, 216, 222, 283, 341 Weisbrod, Andrea ​211 Weiss, Richard ​121 Wentworth, Thomas, Baron Raby ​232 Wentworth, Thomas, Graf von Strafford ​ 270 Windler, Christian ​103, 230, 313 Wittelsbach (Dynastie) ​147, 258 Wolfgang, Fürst von Anhalt-Köthen ​147 Wunder, Heide ​105

Wackerbarth, Catharina ​214 Wallenstein, Albrecht Wenzel Eusebius von ​151

Zúñiga, Pedro de ​240 Zwierlein, Cornel ​145 Zwingli, Huldrych ​58

Ulrich, Herzog von Mecklenburg ​130

445

Ortsregister

Ortsregister Ägypten ​15 Afghanistan ​15, 16 Afrika ​121, 316 Alpen ​48, 68, 199 Amerika ​82, 84, 170 ff., 316, 327 Amsterdam ​251 Anhalt ​147 Ansbach ​146 Aragon ​172, 299 Arona ​128  ff. Asien ​218, 316 Atlantik ​11, 30 Augsburg ​139, 154 Bamberg ​159 Basel ​124, 202 Béarn ​147 Berlin ​232 Bern ​99, 135, 200, 202, 251, 319 Böhmen ​141 Brandenburg (Markgrafschaft) ​80, 147, 185, 232, 343 Brandenburg-Ansbach-Kulmbach (Markgrafschaft) ​146 Burgund (Freigrafschaft) ​183, 202 Cambrai ​206 Capua (Bistum) ​239 China ​82, 121, 173, 305 Dänemark ​130 Deutschland → Heiliges Römisches Reich deutscher Nation Eidgenossenschaft → Schweiz Elsass ​289 Emden ​305 England ​30, 68, 74, 85, 95, 131, 148, 180, 182, 206, 207, 222 ff., 227, 232, 240, 247, 255, 261, 269 f., 279, 289, 298, 304, 329, 353 Erlangen ​47 Escorial ​131, 144

Florenz ​188, 318 Fränkisches Reich ​173 Frankfurt am Main ​290 Frankreich ​36, 38, 53, 65, 68, 74, 78 f., 89, 100, 106, 108, 111, 128, 132, 141, 143, 150, 171, 172, 174 – 177, 179 f., 183 f., 186 – 190, 193, 195 ff., 200, 202, 206, 208, 210 f., 212 f., 218, 228, 237, 238, 240, 241 f., 243, 245, 246, 261, 267, 279, 302, 310, 323, 327, 333, 343, 344, 356, 357 Freiburg im Breisgau ​28, 290 Genf ​161, 275, 319 Genua ​193, 203  f. Granada ​172 Graubünden ​192 Großbritannien ​328 f., 340, 343, 346, 356 f. Güstrow ​130 Halle an der Saale ​292, 309 Hamburg ​251, 306 Heidelberg ​134 Heiliges Römisches Reich deutscher Nation ​42, 59, 63, 68, 73, 74, 78, 80, 94, 139, 140, 144 f., 146, 154, 157, 159, 172 f., 176, 180, 185 ff., 189 f., 192, 199, 245, 252, 256, 258, 261, 280, 290, 300, 318, 333, 335, 342 Hessen ​187 Hessen-Kassel (Landgrafschaft) ​147 Iberische Halbinsel ​68, 175, 203 Indien ​315, 328 Innsbruck ​133 Iran ​15 Isfahan ​306 Istanbul ​230, 310, 314 Italien ​36, 68, 72, 79, 95, 111, 114, 144, 174, 180, 186 f., 189 f., 194, 197, 201, 230, 318, 357 Jerusalem ​170

446 Kastilien ​84, 99, 172, 174, 183, 266, 268 Kirchenstaat ​77, 192, 194 ff., 200 f., 221 Kleve-Mark (Herzogtum) ​80 Konstantinopel → Istanbul Kreta ​185 Kulmbach ​146 Kurpfalz ​134, 147, 148 Lago Maggiore ​128 Lepanto ​196 Ligurien ​203 Litauen ​192  f. London ​176 f., 222, 225 Lothringen ​208 Lübeck ​73, 99, 130, 290, 333 Luzern ​142 Madrid ​134, 209, 212, 227 Maghreb ​313 ff., 356 f. Mailand (Erzbistum) ​128 Mansfeld ​147 Mantua ​174, 186 Marburg ​59 Massif Central ​65 Mecklenburg ​130, 155 Mexiko ​84 Modena ​186 Münster (Bistum bzw. Fürstbistum) ​67, 122 Münster (Stadt) ​15, 124 ff., 164, 284, 303 Navarra ​147 Neapel ​239, 287 Neuchâtel (Fürstentum) ​183 ff., 236, 237 f. Neu-Djulfa ​306 Neuengland ​290 Niederlande ​30, 68, 95, 140, 147, 168, 173, 192, 233, 254, 284, 305, 316, 353 Niederrhein ​303 Nimwegen ​241, 243  f. Obernai ​289 Österreich ​66, 68, 120, 128, 148, 179, 207, 209, 351

Register Osmanisches Reich ​127, 170, 173, 196, 243, 310 ff., 314 ff., 356 ff. Osnabrück ​164 Ostsee ​95 Ostfriesland ​140, 305 Parma ​186 Pera ​243 Persien ​173, 307 Peru ​84 Poitou ​140 Polen ​68, 99, 185, 192 – 195, 304 Pommern ​130 Portugal ​170, 305 Prag ​152 Preußen ​183, 185, 232, 236, 237 f., 245, 292, 341 f., 343 Regensburg ​151, 159 Rijswijk ​85 Römisches Reich (Antike) ​169, 173 Rom ​56, 82, 103, 133 f., 136, 139, 170, 172 – 176, 192 f., 194 f., 197 ff., 212, 231, 235, 239, 242, 248, 254 f., 257 f., 278, 300, 306 ff., 341, 344 Rostock ​73, 155, 290 Russland ​173, 343 Rzeszów ​304 Sachsen ​185, 187, 214, 232, 246 Savoyen ​180, 186, 203, 212, 238, 343 Schmalkalden ​146, 154 Schottland ​148, 182, 207 Schweden ​172, 176, 207, 232 Schweiz ​135, 161, 192, 199 – 202, 240, 252, 254, 319 Siena ​133 Simancas ​84  f., 218 Sizilien ​255 Spanien ​69, 74, 79, 83, 84, 87, 88, 89, 99, 105, 116, 131, 148, 150, 170 – 173, 175 ff., 179 f., 181 ff., 186 – 190, 195 f., 200, 202, 203 f., 209, 212 f., 218, 221, 227, 232, 233, 237, 238 f., 240, 242, 246, 254, 255, 261, 263, 268 ff., 299 f., 316, 343, 355

447

Ortsregister St. Denis ​132 Stralsund ​154 Tordesillas ​170 Toskana ​186 Transsylvanien ​69 Trient ​26, 42 f., 48, 58, 66 f., 124, 170 Türkei → Osmanisches Reich Turin ​238 Ungarn ​300 Utrecht ​182, 334 Venedig ​185, 196, 257 f., 318 Vereinigte Staaten von Amerika ​344 Versailles ​212

Warnow ​(Fluss) ​155 Westfalen ​125 Westminster ​131 Wien ​132, 176, 180, 344 Wittenberg ​59 Worms ​63 Würzburg ​159 Zürich ​58 f., 124, 136, 142, 200, 202, 319 Zypern ​185