Das Verhältnis von Wirtschaft und Verwaltung in Bayern während der Anfänge der Industrialisierung (1834-1868) [1 ed.] 9783428494279, 9783428094271

Das Zusammenwirken der Kräfte in Wirtschaft und Verwaltung in Bayern am Beginn der Industrialisierung ist Thema dieser S

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Das Verhältnis von Wirtschaft und Verwaltung in Bayern während der Anfänge der Industrialisierung (1834-1868) [1 ed.]
 9783428494279, 9783428094271

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IRENE BURKHARDT

Das Verhältnis von Wirtschaft und Verwaltung in Bayern während der Anfänge der Industrialisierung (1834-1868)

Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte In Verbindung mit Rainer Fremdling, Carl-Ludwig Holtfrerich, Hartmut Kaelble und Herbert Matis herausgegeben von Wolfram Fischer

Band 64

Das Verhältnis von Wirtschaft und Verwaltung in Bayern während der Anfänge der Industrialisierung

(1834-1868)

Von

Irene Burkhardt

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Burkhardt, Irene: Das Verhältnis von Wirtschaft und Verwaltung in Bayern während der Anfänge der Industrialisierung (1834-1868) I Irene Burkhardt.Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte; Bd. 64) Zug!.: Erlangen, Nümberg, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-09427-1

Alle Rechte vorbehalten

© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0588 ISBN 3-428-09427-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

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Geleitwort Über die Industrielle Revolution ist viel geschrieben worden. Der Begriff selber wird heute mehr zur Benennung einer Epoche verwendet als zur präzisen Beschreibung jenes wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Wandels - der eigentliche Untergang des "ancien regime" - aus dem erst die modeme Welt und modemes Wirtschaften entstand. Verlorengegangen ist bei solcher Sicht allzu oft das Verständnis für die Unterschiede, die das Phänomen transparent machen: Die Industrielle Revolution traf überall in Europa auf andere Voraussetzungen und lief nicht nur zeitlich versetzt ab, sondern höchst unterschiedlich - mit entsprechend verschiedenen Wirkungen und Folgen bis heute, viele Variationen über ein einziges Grundthema. Eine dieser Variationen ist Thema dieses Buches: Voraussetzungen, Widerstände und Durchsetzung der Industrialisierung in Bayern. Der Blick geht daher auf die Entwicklung wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Denkens der Regierung und die auf sie einwirkende öffentlich-politische Diskussion. Die Quellengrundlage ist breit genug: die Akten des "Ministeriums des Innern", des "Ministeriums des Handels und der öffentlichen Arbeiten" (seit 1848), des "Ministeriums des k. Hauses und des Äußern", die Nachlässe Ludwigs I. und Max 11., die Verhandlungen des Landtags und eine große Zahl zeitgenössischer gedruckter Werke und Schriften - der öffentliche politische Diskurs. Entstanden ist daraus eine anspruchsvolle, aufschlußreiche Untersuchung über die Durchsetzung liberaler und moderner Wirtschaftsauffassungen in Politik und Gesellschaft - die intellektuelle Grundlage der Industriellen Revolution überhaupt und ihrer administrativen Umsetzung in Bayern. Das beginnt mit einem Blick auf die Ausgangssituation des Königreiches Bayern - ein "wesentlich landwirthschaftlicher Staat" (Innenminister von Oettingen-Wallerstein 1837), zwar mit Wachstumschancen auf dem Felde des Maschinenbaus, dem es aber im gesamten Bereich der Montanindustrie an den Voraussetzungen fehlte. 1841 lag die Bevölkerungsdichte in Bayern knapp unter dem Durchschnittswert für den Deutschen Bund. Bis 1870 war Bayern typisches Auswanderungsland - Hinweis auf die vergleichsweise langsam verlaufende industrielle Entwicklung. Interessant ist die bayerische Adam-SmithRezeption, die sich von individualistischen und liberalen Ansätzen viel erwartete, während doch die Lebenswelt von der Industrialisierung noch kaum transformiert war.

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Entsprechend hohe liberale Hoffnungen verbanden sich mit dem Regierungsantritt Ludwigs I. (1825). Liberalere Handhabung des Gewerbegesetzes seitdem schien dies auch zu bestätigen. Unter anderem unter dem Eindruck der JuliRevolution in Paris (1830) und des Hambacher Fests (1832) entschloß sich der Monarch jedoch zu einem Stil "persönlichen Regiments", in dem wirtschaftsund gesellschaftspolitische Vorsicht überwog. Im Streit zwischen Fabrikanten und Gemeinden um liberale oder restriktive Praxis der Ansässigmachung ergriff der Staatsrat aus pragmatischer Einsicht in die vorindustrielle Gesellschaftsstruktur und aus Furcht vor revolutionsverdächtigen Tendenzen die Partei der Gemeindevertreter. Noch 1837 verweigerte der Landtag der Bildung einer Aktiengesellschaft zur EinfUhrung einer englischen Flachsspinnmaschine die Zustimmung. 1841 beschied das Ministerium des Innern den Antrag eines Augsburger Fabrikanten auf Gründung eines "Vereins fUr Fabriken, Manufacturen, Künste und Gewerbe in Teutschland" negativ. Zwischen 1831 und 1849 fielen stets 60 Prozent der Fördermittel aus dem bayerischen Industrie- und Kulturfonds der Landwirtschaft zu. Bei allem wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Traditionalismus reagierten doch Monarch, Ministerium und zusehends die Mittelbehörden auf der Ebene der Kreisregierungen mit regelrechtem Modernisierungsdruck auf die Konkurrenzsituation, die durch den norddeutschen Zusammenschluß zum Deutschen Zollverein (1834) entstand. 1833 wurde als Geschäftsabteilung des Innenministeriums ein Statistisches Büro gebildet, das die Leistungskraft des Landes erfassen und der Regierung zu Entscheidungsgrundlagen verhelfen sollte. Handelskammern sollten seit 1842 die Abstimmung innerhalb des Deutschen Zollvereins erleichtern. 1830 bereits hatte der König die regelmäßige Veranstaltung von Industrieausstellungen angeordnet. Die Anregung zur ersten gemeinsamen Industrieausstellung der Zollvereinsstaaten (1844) ging von Bayern aus. Sichtbar wurde die zwiespältige, aber keineswegs anti-modernistische Haltung der bayerischen Regierung auch in der Entscheidung über die Finanzierung des Baus der wichtigen Eisenbahnlinien 1840: Aus Mißtrauen gegen Aktiengesellschaften und der Angst vor großen Mengen frei beweglichen Kapitals übernahm sie der Staat. Kennzeichnend fUr die Industriepolitik der Regierungszeit Ludwigs 1., so das Resümee, war nicht Obstruktion, sondern nur Verzicht auf Förderung aus Furcht vor den unabsehbaren, jedenfalls bedrohlichen gesellschaftlichen Konsequenzen des Modernisierungsprozesses. Vor allem der fUr die Landesentwicklung unentbehrliche und rasch voranschreitende Eisenbahnbau machte jedoch solche Vermeidungsstrategie zusehends anachronistisch: Der Handeisverkehr wurde beschleunigt, die Hindernisse der Industrie aber blieben. In dieser Situation suchten die Fabrikanten zunehmend die Unterstützung der Kreisregierungen, die denn auch die restriktive, im Grunde auf der mittelalterlichen Zunftverfassung beruhende Ansässigmachungspraxis der Gemeinden immer

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mehr als Schranke der Mobilität und als Hindernis wirtschaftlicher Aktivität empfanden. Denkmustern der Aufklärung folgend, setzten sich die Beamten der Mittelbehörden rur planvolle Modernisierung, staatliche Industrieförderung und geregelten Umbau der Gesellschaft ein, vor allem für liberales Bürgerrecht und liberalen Vollzug des Gewerbegesetzes. Helfen sollten auch modeme Grundsätze des Leistungs- und Konkurrenzdrucks. 1840 gelangte Innenminister Abel zu der weiterfUhren den Erkenntnis - seine Kollegen in der Europäischen Union, 150 Jahre später, werden sie sich erst noch schmerzlich erarbeiten müssen - daß "der Reichthum jedes Landes nicht dann am besten fortschreitet, wenn es alles selbst erzeugt, was es bedarf, sondern wenn der Consument seine Bedürfniße mit dem geringsten Aufwand aufs beste zu befriedigen vermag." Doch aus Furcht vor sozialen Verwerfungen, die keine Sozialpolitik ausgleichen konnte, hielt der Staat noch am Bündnis mit den Gemeinden und den alten Grundsätzen der Nahrungsökonomie fest. Um so unerwarteter traf die bayerische Regierung die Revolution von 1848/49 und die Erkenntnis, daß sie sich für die schlechteste aller Welten entschieden hatte: Rücksichtnahme auf die Handwerker-Klientel und das vergehende BUrgertum des ancien regime brachte gesellschaftlich keine Beruhigung, wirkte aber auf die wirtschaftliche Entwicklung wie ein Bremsklotz. Die Regierung betrieb nun intensiv Ursachenforschung und ließ sich Ende 1849 Bericht erstatten Uber die HintergrUnde der Märzbewegung. Den Berichten der Kreisregierungen, die hier ausgewertet werden, war vor allem zu entnehmen, daß nicht etwa die Arbeiter, sondern die bedrängten Handwerker und die unzufriedenen Gesellen überall als radikales Element in Erscheinung getreten waren. Den Augsburger Fabrikarbeitern wurde sogar bescheinigt, "ihrer konservativen und loyalen Haltung wegen eine wahre Stütze für Ruhe und Ordnung in der Stadt" gewesen zu sein. Die Erkenntnis gab endlich den Blick frei auf die Gesellschaft, wie sie wirklich war, auf die Veränderung ihrer Struktur und darauf, daß die alten Institutionen nicht mehr genügten: Wer sollte nach Abschaffung der ZUnfte und dem Entstehen einer neuen Arbeiterklasse die soziale Verantwortung übernehmen? Aus monarchischer Sorge um die Untertanen und aus Sorge um die Monarchie machte sich König Max 11. "die Behebung der Notlage der unteren Volksklasse" zur Aufgabe. Er umgab sich mit liberalen Beratern und suchte nach Wegen, die gesellschaftliche der wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen - und dabei staatliche Ordnung zu bewahren. Nach und nach entdeckten er und seine Berater noch nicht das Instrumentarium, aber schon die neuen Aufgaben moderner Sozialpolitik: Prävention der Verarmung, Verantwortung für das Bildungswesen, Schutz des Eigentums und Durchsetzung dessen Sozialpflichtigkeit. Von besonderer Bedeutung war, daß der Monarch die modeme Definition des Begriffs "Arbeit" als eigenständigem Produktionsfaktor, als Ware, die dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterlag, übernahm und dabei erkannte, wie

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Geleitwort

die Phänomene "Arbeit" und "Pauperismus" zusammenhingen: Aufgabe des Staates war nicht mehr Sicherung der Nahrung, sondern Beschaffung von Arbeit. Mit der Entdeckung der Betätigungsfelder staatlicher Sozialpolitik einher ging bei den bayerischen Liberalen die Abkehr von den Dogmen der reinen Lehre Adam Smiths, die sie anhand der besonderen Bedingungen im eigenen Staate überprüften. Ihre Kritik am klassischen Liberalismus gipfelte in der Forderung nach staatlicher Sozialpolitik an Stelle karitativer Mildtätigkeit. Dirigistische Eingriffe in das als komplex und labil erkannte wirtschaftliche Gleichgewicht lehnten allerdings auch die sozialen Liberalen um Max 11. ab. Simple Rezepte wie "Minimallohn" oder das "Recht auf Arbeit", die mit dem Begriff des "Arbeitsmarktes" und der eben erworbenen Vorstellung von der "Freiheit der Arbeit" als Grundbedingung gesteigerter Arbeitsproduktivität unvereinbar waren, wurden verworfen. In dem Maße, in dem das Verständnis rur die Voraussetzungen modemen Wirtschaftens wuchs, schwand auf Seiten der Regierung das Mißtrauen gegenüber dem neuen Mittelstand, "dem Bürgerstande der größeren Städte" nämlich, den Ministerpräsident von der Pfordten 1859 als "den Träger des Handels und der Industrie und damit des modemen Reichthums" bezeichnete. Die Regierung wechselte von der Seite des Handwerkerstandes - der "in die modeme bürgerliche Welt hineinragenden Ruine des alten Bürgerthums" (Wilhelm Heinrich Riehl) - auf die Seite des neuen, industriellen Mittelstandes. Die Unvereinbarkeit zwischen alter und neuer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung wurde deutlich. Für die Einruhrung der Gewerbefreiheit - nach deren Einführung in Österreich und Württemberg 1860 war Bayern einer der letzten Staaten mit beschränkenden Regelungen - bedurfte es jedoch eines Gesetzes und dafür der Mitwirkung des Parlaments. Die Regierung hielt sich bedeckt, beschränkte sich auf Planung und war vorbereitet, als 1861 mehrere Nürnberger Abgeordnete im Landtag tatsächlich einen entsprechenden Antrag einbrachten. Er wurde mit knapper Mehrheit abgelehnt. Angenommen wurde schließlich ein unter Mitwirkung der Regierung fonnulierter Kompromißvorschlag zugunsten liberalen Vollzuges des geltenden Gewerbegesetzes, damit, so die eindeutige Zielsetzung des Ministeriums, "der Übertritt zur Gewerbefreiheit mit Schonung herbeigeführt" werde. Die Vollzugsinstruktion der Regierung von 1862 gab dann eine ganze Reihe von Gewerben frei und hob die strikte Trennung zwischen Gewerbe und Industrie auf. Folge solcherart verunklarter Rechtslage war, daß in den Auseinandersetzungen zwischen Gemeinde und neuem Mittelstand immer öfter die Appellationsinstanz, die Kreisregierungen nämlich, in Erscheinung trat. Modell einer fortschrittlich gesonnenen Mittelbehörde, die zur Einführung der Gewerbefreiheit auf dem Vollzugswege nun ihren Spielraum bis zur Grenze ausschöpfte, war die

Geleitwort

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Regierung von Mittelfranken. Getragen von der Unterstützung aus dem Lager des liberalen Bildungsbürgertums, dem sie selber angehörten, setzten die Beamten alles daran, Wege zu bahnen. Regelmäßig entschieden sie gegen die beschwerdefUhrenden Gewerbsmeister, die, jeder Neuerung abhold, sich in ihrer Behaglichkeit nicht stören lassen wollten. Die Regierung in München mahnte gelegentlich zur Besonnenheit, griff aber nicht ein. In Preußen wie in anderen Ländern arbeitete liberale wirtschaftliche und geseIlschaftspolitische Gesetzgebung dem Wandel vor, sich stützend auf liberale Theoreme. In Bayern, so die starke These, folgte dieser Prozeß gründlicher und schmerzhafter Erfahrung. Während die preußische Reformgesetzgebung dem Erkenntnis- und Erfahrungsprozeß vorgriff, zogen es die Bayern vor, erst zu beobachten und die gesellschaftlichen Folgen des wirtschaftlichen Wandels zu bedenken und dann zu handeln. Das liberale bayerische Gesetzespaket, das 1868 im Zusammenhang mit der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes erging, folgte der großen preußischen Reformgesetzgebung erst nach einem halben Jahrhundert. Dafür stand es am Ende eines Erkenntnisprozesses und enthielt damit weiterfiihrende Ansätze zu staatlicher Sozialpolitik. Erlangen, im August 1998 Michael Stürmer

Vorwort Zeiten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels konfrontieren die Beteiligten mit neuen Aufgaben und Anforderungen - eine Beobachtung, die heute ebenso gültig ist wie im 19. Jahrhundert, als die Industrialisierung von England ausgehend auf den europäischen Kontinent übergriff und Deutschland erfaßte. Daß Modernisierungsprozesse durchaus nicht gleichmäßig oder nach einheitlichem Muster verlaufen und mit Krisenerscheinungen verbunden sein können, läßt sich gegenwärtig im nationalen wie im internationalen Vergleich feststellen. Im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts gilt dasselbe bereits für die einzelnen Staaten innerhalb des Deutschen Bundes, wo erhebliche Unterschiede im Entwicklungsverlauf der Industrialisierung offenkundig werden. So erscheint ein Blick auf Bayern gerade deshalb aufschlußreich, weil hier die Voraussetzungen rur und die Entscheidungen der Akteure in Wirtschaft und Verwaltung anders gelagert und motiviert waren als in Preußen. Veränderungen zwingen gleichzeitig zum Umdenken. Daher richtet die Untersuchung ihr Augenmerk gleichermaßen auf die Faktizität der Entscheidungen wie auf die ihrer Motivation zugrunde liegenden und darin zum Ausdruck kommenden Einstellungen. Die Anregung zu dieser Studie erhielt ich von Herrn Prof. Dr. Michael Stürmer, bei dem ich mich sehr herzlich für die Betreuung der Arbeit bedanken möchte. Er hat deren Entstehung mit wohlwollender Aufmerksamkeit verfolgt und unterstützt. Zu großem Dank verpflichtet bin ich Herrn Prof. Dr. Günther Lottes. Zahlreiche Gespräche und Diskussionen mit ihm haben mich darin bestätigt, die Ebene des mentalen Bewußtseinswandels anhand des theoretischen Diskurses dieser Zeit zu verfolgen, und haben somit maßgeblich die Struktur des Aufbaus geprägt. Ferner bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Anselm DoeringManteuffel und Herrn Prof. Dr. Manfred Hanisch rur viele wertvolle Hinweise und Ratschläge. Weiterhin möchte ich Herrn Prof. Dr. Werner K. Blessing rur seine Tätigkeit als Zweitgutachter sowie Herrn Prof. Drs. Dr. h.c. Wolfram Fischer rur die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der "Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte" danken.

Vorwort

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Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der besuchten Archive und Bibliotheken sei fUr ihre Mithilfe bei der Beschaffung des Quellenmaterials gedankt. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, daß alle Primärquellen in Orthographie und Interpunktion dem Original entsprechend zitiert werden, zur Hervorhebung verwendete Sperrungen oder Unterstreichungen jedoch durch Kursivdruck gekennzeichnet sind. Bedanken möchte ich mich auch bei all denen, die mich während dieser Zeit begleitet und bestärkt haben, namentlich bei Frau Helga Weißenfels und bei Frau Gabriele Lottes. Mein besonderer und herzlicher Dank gilt hierbei meinen Eltern, deren Geduld und Unterstützung ganz erheblichen Anteil am Zustandekommen der Arbeit tragen. Nicht zuletzt danke ich Frau Beate Ackermann, welche rasch und sachkundig die Druckvorlage fUr die Herausgabe im Verlag gestaltet und mir damit viele Mühen abgenommen hat. Die Arbeit wurde in der vorliegenden Fassung im Wintersemester 1994/95 vom Fachbereich Philosophie, Geschichte und Sozialwissenschaften der Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Fürth, im Januar 2001 lrene Burkhardt

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung ............................................................................................................... 17 I.

Erläuterung des Vorhabens ................................................................................ 17

II. Forschungsstand und Quellen lage ..................................................................... 23

B. Produktions- und Standortfaktoren als Prämissen für wirtschaftspolitische Strategien. Wirtschaftliche, gesellschaftliche und demographische Rahmenbedingungen ........................................................................................................... 27 I.

Bayerns "Grundausstattung": Bevölkerung und Bodenschätze ......................... 28

H. Erwerbs- und Wirtschaftsstruktur in den einzelnen Kreisen .............................. 32 1Il. Konjunktur, Handel und Infrastruktur ............................................................... 39 C. Von der Gründung des Zollvereins zur Revolution. Wirtschaft und Staat un-

ter Ludwig I. 1834-1848 ........................................................................................ 43 I.

Unterschiedliche Positionen: Wirtschaftsliberalismus und katholische Sozialphilosophie in Süddeutsch land .................................................................... 43

l. Smith-Rezeption und -Kritik. Vom Umgang mit der klassischen Lehre der Nationalökonomie ................................................................................. 43 2. Das Ordokonzept der katholischen Sozialphilosophie in der theoretischen Diskussion ......................................................................................... 50 3. Die populärwissenschaftliche Fortschrittsfeindlichkeit der "HPBI" ............ 56 II. Das Dilemma des Monarchen: Dynamisierung der Wirtschaftsstruktur bei Festschreibung der Gesellschaftsordnung .......................................................... 59 I. Monarchisches Selbstverständnis und wirtschaftspolitische Ohnmacht der Mittelbehörden ...................................................................................... 59 2. Die Verunsicherung der Gewerbetreibenden durch die Konkurrenz ........... 63 3. Die Koalition von Monarchie und Gewerbe - Erhalt des staatstragenden "alten" Mittelstandes ................................................................................... 67 4. Erkenntniswert und Interpretation der Wirtschaftsstatistik: Priorität agrarischer oder gewerblicher Interessen? .................................................. 71 5. Neue Tätigkeitsfelder des Staates im Dienste der Wirtschaft: Zollverein und Infrastruktur.......................................................................................... 76

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Inhaltsverzeichnis 6. Wirksamkeit von und Resonanz auf indirekte Förderrnitte1... ..................... 82 7. Zielkonflikte der amtlichen Wirtschaftshilfe ............................................... 88 IIl. Die Wirtschaft zwischen Einschränkung und Entgrenzung............................... 94 1. Industrieförderung - das Anliegen einer aufgeklärten Bürokratie ............... 94 2. Der Vollzug des Gewerbegesetzes durch die Mittelbehörden ..................... 98 3. Die bewegenden Kräfte des Fortschritts .................................................... 103 4. Schranken der Mobilität als Hindernisse wirtschaftlicher AktivitäL. ....... 111

D. Wirtschaftspolitik im Zeichen der Sozialpolitik (1848-1868) ........................... 121 I.

Der konservative Neuerer: Gesellschaft, Wirtschaft und "soziale Frage" aus der Sicht des Monarchen ................................................................................. 121

1. Die Krise der Gesellschaft und ihre ökonomischen Ursachen ................... 121 2. Veränderte Gesellschaftsstruktur als Folge wirtschaftlichen Wandels ...... 129 3. Modernisierung und soziale Politik in der Herrschaftskonzeption Max' 11. ...................................................................................................... 134 11. Zögernde Anerkennung und Relativierung des Marktprinzips........................ 138

1. Restaurative Gesellschaftsmodelle in der Sackgasse ................................. 138 2. Die "gesetzliche Freyheit": Liberalisierung im Wirtschaftsbereich verbunden mit sozialstaatlicher Intervention .................................................. 149 3. Der Staat als Garant ökonomischer Kompetenz bei F. B. W. Herrnann .... 155 4. Individuelle Wirtschaftsinteressen und staatlicher Gemeinsinn ................ 159 IIl. Die neue Bewertung des Faktors "Arbeit" ........................................................ 168 1. Die Trennung von Arbeit und KapitaL .................................................... 170 2. Arbeit, Gesellschaftsordnung und "soziale Frage" aus bayerischer Sicht. 173 3. Die Entdeckung des Arbeiters als Konsument .......................................... 184 E. Wirtschaft und Verwaltung unter Max 11........................................................ 191 I. MinisterialbUrokratie zwischen Kommerz und Kameralismus ........................... 191

1. Außenhandelspolitik und Produktionsstruktur.. ........................................ 191 2. Wirtschaftswachstum und Unternehmereinfluß ......................................... 200 3. Konkurrenzfllhigkeit der Industrie und Arbeitsbeschaffung. ..................... 206 11. Das Einsickern der Theorie in neue Leitlinien des Regierungshandelns ......... 212 I. Der neue Mittelstand im Blickfeld ............................................................ 212

Inhaltsverzeichnis

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2. Wende in der Gewerbepolitik und das Ende der Koalition von Monarchie und Gemeinde .................................................................................... 221 III. Die Regierung von Mittelfranken als Beispiel einer fortschrittsorientierten Behörde ........................................................................................................... 227 I. Die Konfrontation von Meistem und Gesellen oder: Wohl erworbene Rechte gegen Recht auf Erwerb ................................................................ 229 2. Der Handel als drängendes Element... ....................................................... 234 3. Erziehung zur Konkurrenz durch die Regierung von Mittelfranken ......... 236 4. Das liberale Umfeld oder Das Ende der Behaglichkeit ............................. 240 F. Schluß ................................................................................................................... 247 G. Quellen- und Literaturverzeichnis. ..................................................................... 251 I.

Ungedruckte Quellen ....................................................................................... 251

11. Gedruckte Quellen ........................................................................................... 252 III. Sekundärliteratur ............................................................................................. 257 H. Register ................................................................................................................. 269 Personenregister..................................................................................................... 269 Ortsregister ............................................................................................................ 272 Sachregister ........................................................................................................... 274

Abkürzungen Abg. ADB Beil.-Bd. Fol. Frhr. GG GWGes. GWU HPBI HZ MA MEW MF Mfr. MH Min.Ass. Mlnn MJ NBay. NDB OBay. Ofr. Opf. r. d. Rh. Reg. Reg.Präsident Reg.Rat Regierungsbezirke Schwaben Ufr. Verh. d. Kammer d. Abg. Verh. d. Kammer d. RR VJSW VO ZBLG

Abgeordneter Allgemeine Deutsche Biographie Beilagen-Band Folio Freiherr Geschichte und Gesellschaft Gewerbegesetz Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland Historische Zeitschrift Staatsministerium des k. Hauses und des Äußern Marx Engels Werke Staatsministerium der Finanzen Mittelfranken (= Rezatkreis) Staatsministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten Ministerialassessor Staatsministerium des Innern Staatsministerium der Justiz Niederbayern (= Unterdonaukreis) Neue Deutsche Biographie Oberbayern (= Isarkreis) Oberfranken (= Obermainkreis) Oberpfalz und Regensburg (= Regenkreis) rechts des Rheins Regierung Regierungspräsident Regierungsrat mit den Bezeichnungen bis 1837 in Klammem: Schwaben und Neuburg (= Oberdonaukreis) Unterfranken und Aschaffenburg (= Untermainkreis) Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten Verhandlungen der Kammer der Reichsräte Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Verordnung Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte

A. Einleitung I. Erläuterung des Vorhabens Jede Arbeit, die sich mit Bayern im Zeitalter der Industrialisierung befaßt, muß von einigen Grundkonstanten ausgehen, über die allgemeiner Konsens in der Forschung besteht und die hinreichend nachgewiesen sind. Zum einen ist dies der Tatbestand, daß in Bayern zwar ein Industrialisierungsprozeß zu beobachten ist, welcher jedoch wesentlich langsamer und mit einer flacheren Kurve verläuft als in anderen deutschen Staaten und weit in das 20. Jahrhundert hineinreicht. Der Terminus "Industrielle Revolution" wird daher rur Bayern als unbrauchbar zurückgewiesen; I stattdessen verwenden Claus Grimm wie Karl Bosl in diesem Zusammenhang de)1 Begriff der "geminderten Industrialisierung".2 Dies beschreibt den Zustand durchaus zutreffend angesichts der nachweislichen Faktoren, daß Bayern sehr viel länger überwiegend agrarisch strukturiert war, die Industrieansiedlung sich auf wenige eng umgrenzte Räume beschränkte und die Rohstoftbasis rur die erste Industrialisierungsphase von "Kohle und Stahl" eine denkbar ungünstige Ausgangslage bot. Als Bezugspunkt wird - ob ausgesprochen oder nicht - der Industrialisierungsverlauf in England oder in seiner induzierten Form in Preußen idealtypisch gesetzt und daran die Entwicklung in Bayern gemessen. Der Vergleich mit Preußen liegt nahe, wenn es um Fragen der Handelspolitik und des Zollvereins geht, wird aber häufig auch dann gewählt, wenn der Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Modernisierungsprozeß erörtert wird. Hervorgehoben wird hierbei die im Vergleich zu Preußen relative Rückständigkeit der Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur in den süddeutschen Verfas-

I K. Bosl, Die "geminderte" Industrialisierung in Bayern, in: Aufbruch ins Industriezeitalter, Bd. 1, hrsg. von C. Grimm, S.22-39, hier v.a. S. 22, S.23, S.36; genauso Möckls Fazit: K. Möckl, König und Industrie, in: Aufbruch ins Industriezeitalter, Bd. 2, hrsg. von R. A. Müller, S. 33; vgl. dazu H. Mauersberg, Geschichte der bayerischen Wirtschaft vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, in: H. Reuther (Hrsg.), Wirtschaft und Wirtschaftsverwaltung in Bayern, Bonn oJ., S. 11-38. 2 K. Bosl, Die "geminderte" Industrialisierung in Bayern, S. 23, S. 25, S. 36; C. Grimm, "Industriezeitalter" - eine geschichtliche Epoche, in: Aufbruch ins Industriezeitalter, Bd. 1, S. 16: "Die bayerische Sonderentwicklung zeigt sich als eine verspätete und geminderte Industrialisierung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts."

2 Burkhardt

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A. Einleitung

sungsstaaten, was in die These mündet, daß Preußen wirtschaftlich liberal und politisch konservativ gewesen sei, Süddeutschland dagegen politisch liberal und wirtschaftlich konservativ. 3 Tatsächlich führte Bayern als einer der letzten Staaten des ehemaligen Deutschen Bundes erst 1868 die Gewerbefreiheit ein. Während also in Preußen eine freiheitliche Gewerbeverfassung am Beginn der Phase der Umstrukturierung des Produktionssektors stand, markierte sie in Bayern den Schlußpunkt. Die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Strukturwandels können damit jedoch nicht zufriedenstellend erklärt werden. Barbara Vogel bewertet zum Beispiel die Gewerbefreiheit in Preußen als eine "bürokratische Modernisierungsstrategie", welche die letztlich geplante Gesellschaftsreform unterstUtzten sollte. Ziel der Reformen sei nicht die finanzielle und machtpolitische Sanierung des Staates gewesen, sondern "eine von modemen Prinzipien getragene Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung",4 wobei im Produktionssektor die Gewerbefreiheit eben diesen Prinzipien entsprochen habe. Der vom Staat ausgeübte Modernisierungsdruck erscheint so als logische Folge der durch die Reformgesetze ausgelösten Veränderungsdynamik. 5 Wie sehr sich die preußische Bürokratie als "allgemeiner Stand" zu dieser Aufgabe berufen tUhlte und umgekehrt aus dieser Arbeit ihr Selbstverständnis bezog und welche Widerstände ihr dabei entgegengesetzt wurden - während die Teilhaber der alten Gesellschaftsordnung gegen die Reformen opponierten, kritisierten die neuen bürgerlichen Gesellschaftsgruppen die Bevormundung durch die Verwaltungsorgane -, hat Koselleck eindrücklich geschildert.6 Mit seiner Studie über Baden 7 hat Wolfram Fischer den Beweis getUhrt, daß der Staat mit Hilfe seiner Bürokratie eine tendenziell vergleichbare Modernisierungsstrategie auf dem Gebiet der Wirtschaft betreiben konnte, welche dieselben gesellschaftspolitischen Auswirkungen zeitigte, obwohl die Gewerbefreiheit 3 W. Zorn, Gesellschaft und Staat im Bayern des Vormärz, in: W. Conze (Hrsg.), Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815-1848, Stuttgart 21970, S. 141; W. Conze, Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft im Vormärz, in: W. Conze (Hrsg.), Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815-1848, S. 241 ff.; Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, München 31985, S. 79, S. 333 ff., S. 344 ff. Die Zuspitzung der These referiert W. Fischer, Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft in Deutschland am Beginn der Industrialisierung, in: Kyklos 14 (1961), S. 340. 4 B. Vogel, Die "allgemeine Gewerbefreiheit" als bürokratische Modernisierungsstrategie in Preußen, in: D. Stegmann u.a. (Hrsg.), Industrielle Gesellschaft und politisches System, Bonn 1978, S. 59-78, hier v.a. S. 78. 5 U. P. Ritter, Die Rolle des Staates in den FTÜhstadien der Industrialisierung, Berlin 1961; I. Mieck, Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806-1844, Berlin 1965. 6 R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, Stuttgart 31981; 8. Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit, Göttingen 1983. 7 W. Fischer, Der Staat und die Anfänge der Industrialisierung in Baden 1800-1850, I. Bd., Berlin 1962.

I. Erläuterung des Vorhabens

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1862 den Schlußpunkt unter diese Entwicklung setzte. Läßt sich diese Schlußfolgerung auch auf Bayern übertragen?

Übereinstimmung besteht darin, daß sich in Bayern während des gleichen Zeitraums ebenfalls der Übergang von einer traditional-ständischen zu einer bürgerlich-liberalen Ordnung vollzog. Bezüglich der Industrialisierung habe es "alle Stadien durchgemacht und alle Symptome erlebt",8 wenngleich in geringerem Umfang. Die Rolle, die der Staat dabei spielte, wird als eher defensiv bewertet. Zorn gelangt in seinem knappen Abriß der bayerischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte zu dem Urteil, daß die Industrialisierung vor allem auf die Leistung privater Unternehmer zurUckzufllhren sei, wogegen vom bayerischen Staat nur mittelbare Förderung ausgegangen sei. 9 In dieser Allgemeinheit kann die Feststellung keineswegs überraschen, weil es gerade Kennzeichen des Staates im 19. Jahrhundert ist, daß er sein direktes Engagement, wie er es zur Zeit des Merkantilismus gepflegt hatte, zurUckzieht. Fischer nennt dementsprechend vier Funktionen, die der Staat im Verhältnis zur Wirtschaft einnahm: die des Gesetzgebers, des Administrators (dazu rechnet er auch die Infrastruktur), des Unternehmers sowie des Konsumenten. 10 Je mehr jedoch der die "Glückseligkeit" aller anstrebenden polizeistaatlichen Gängelung der Wirtschaft die Begriffe von Freiheit und Schutz des Eigentums entgegengehalten wurden, desto stärker wurden die direkten Eingriffe des Staates im Produktionssektor kritisiert und in den Hintergrund gedrängt. Stattdessen traten die sozialen Folgen des Industrialisierungsprozesses in den Blickpunkt des Interesses. Mehr durch die Berichte aus England beeindruckt als bereits durch die demographische Entwicklung erfordert, ließ die Furcht vor einem Fabrikproletariat schon früh den Ruf nach gegensteuernden Maßnahmen laut werden. Auch in Bayern fanden sich bald warnende Stimmen wie etwa die Franz von Baaders, welche auf die sozialen Probleme hinwiesen und staatliches Handeln einforderten.

8 K. Bosl, Die "geminderte" Industrialisierung in Bayern, S. 36. G. Schwarz spricht gar von einem "technischen Fortschrittsdefizit, das Bayern das ganze 19. Jahrhundert hindurch beibehielt"; ders., "Nahrungsstand" und "erzwungener Gesellenstand", Berlin 1974, S. 20. 9 W. Zorn, Kleine Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns 1806-1933, München 1962, S. 79. 10 W. Fischer, Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft in Deutschland am Beginn der Industrialisierung, hier v.a. S. 346 ff. Die insgesamt bescheidene Leistung des Staates bei der FTÜhindustrialisierung konstatiert allgemein auch H.-V. Wehler, Der Aufstieg des Organisierten Kapitalismus und Interventionsstaates in Deutschland, in: H. A. Winkler (Hrsg.), Organisierter Kapitalismus, Göttingen 1974, S. 48.

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A. Einleitung

Charakteristisch für die Entwicklung in Deutschland ist daher die in einem frühen Stadium der Industrialisierung formulierte Idee des "Sozialstaates", wie sie sich etwa bei Lorenz von Stein Mitte des 19. Jahrhunderts andeutete, und deren praktische Aufnahme. 11 Zugleich begannen nämlich die Regierungen der deutschen Staaten, den Forderungen nach aktivem Eingreifen nachzukommen und diesen Bereich des HandeIns für sich zu entdecken, was Fischer zu dem Schluß gelangen läßt, daß der Staat über die Sozialpolitik wieder zu seiner alten Rolle des aktiven Gestalters des Wirtschaftslebens zurückgekehrt sei. 12 Der Terminus "Sozialpolitik", der datUr in der Literatur verwendet und auch von mir gebraucht werden wird, darf keinesfalls im Sinne des weitverzweigten Sicherungssystems verstanden werden, welches mit dem Sozialstaatsbegriff des 20. Jahrhunderts korrespondiert. Zutreffender wäre die Bezeichnung "soziale Politik", die Riehl geprägt hat,13 da sich der Staat mit sehr vielfiiltigen Problemen konfrontiert sah, tUr deren Lösung er noch kein Instrumentarium entwickelt hatte. Die Eingliederung der neu entstehenden Fabrikarbeiterschaft erforderte gesellschaftliche Reformen, während Maßnahmen der sozialen Sicherung an die Stelle der zerbrechenden korporativen Unterstützungssysteme treten mußten. Wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen sind also im Zeitalter der Industrialisierung immer eng aufeinander bezogen und lassen sich in einigen Bereichen, wie etwa der Förderung von Bildung, sowieso kaum voneinander trennen. Die Betrachtung dieser beiden Aspekte des Modernisierungsprozesses erweist sich gerade tUr Bayern als ergiebige und angemessene Perspektive, weil durch die Verknüpfung der Bestimmungen tUr Konzessionserteilung und Ansässigmachung Wirtschafts- und Sozialpolitik schon qua Gesetz und Verordnung miteinander gekoppelt waren und sich überlappten. Wie in allen anderen Staaten wurde in Bayern als Ziel der Erhalt und die Stärkung der Macht des Staates angestrebt. Genauso wurde jedoch spürbar, daß eine neue Zeit anbrach, in welcher die alten Muster in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr galten. Wie Gall feststellt, gab es aber "offenbar sehr verschiedene Wege in die Modeme .... Mehr und mehr trat jetzt der konservative Interventionsstaat konkurrierend neben den reformerischen". 14 11 Exemplarisch flir Werke zu diesem Themenkreis sei hier genannt: G. A. Ritter, Der Sozialstaat, MUnchen 1989. 12 W. Fischer, Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft, S. 360. Ähnlich konstatiert H.-U. Wehler eine "atemberaubende Ausdehnung der Staatsfunktion", die sich als "moderne Interventionspolitik" von der älteren staatlichen Wirtschaftspolitik unterscheidet. In: ders., Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen "Deutschen Doppelrevolution" 1815-1845/49, MUnchen 1987, S. 611. IJ W. H. Riehl, Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik, Bd. 2: Die bUrgerliche Gesellschaft, Stuttgart 21854, S. 5. 14 L. Gall, Zu Ausbildung und Charakter des Interventionsstaats, in: W. Pöls (Hrsg.), Staat und Gesellschaft im politischen Wandel, Stuttgart 1979, S. 12.

I. Erläuterung des Vorhabens

21

Dabei war das erst 1806 in den Kreis der Königreiche aufgerückte Bayern mit seinem durch erhebliche Gebietsgewinne vergrößerten und vor allem in nördliche Richtung ausgeweiteten Territorium zunächst in eine kräftige Reformphase eingetreten. Während der Montgelas-Ära waren die alten feudalen Strukturen beseitigt und durch eine rational gegliederte Bürokratie ersetzt worden, die den Integrations- und Modernisierungsprozeß durchführte. Dieser wirkte sich auf den Bereich der Wirtschaft schon allein durch das vergrößerte Handels- und Marktgebiet aus, in dem 1807 die Binnenzölle abgeschafft, 1809 Maße, Münzen und Gewichte vereinheitlicht und die Verkehrswege ausgebaut wurden. Dazu kam eine relativ freiheitliche Gewerbeordnung, mit der das Konzessionssystem eingeführt wurde. Diese tiefgreifenden Reformen führten zwar in erstaunlich kurzer Zeit zur Ausformung einer einheitlichen Staatsnation. Gerade in diesem großen Erfolg sieht Blessing jedoch die Ursache dafür, daß "die modeme Bürokratie des monarchischen 19. Jahrhunderts bald in eine teil konservative Strategie" verfiel,15 um den dadurch ausgelösten Modernisierungsprozeß in seiner Eigendynamik zu bremsen. Schwarz macht hingegen den Traditionalismus für jenen Immobilismus im Handwerk verantwortlich, welcher es der Fabrikindustrie gegenüber immer mehr ins Hintertreffen und dadurch in die Krise geraten ließ, wobei er einräumt, daß dies genau der Mentalität im Handwerkerstand entsprochen habe. 16 Tatsächlich standen in Bayern von Anfang an die gesellschaftlichen und sozialen Folgen im Vordergrund der Diskussion über den ökonomischen Fortschritt, obwohl der demographische Druck vergleichsweise schwächer und der Anteil der Fabrikbevölkerung prozentual niedriger waren als in Preußen. Aber hier prägte Franz von Baader den Begriff des "Proletärs" und stellte ein Monarch, Max 11., die "soziale Frage" ins Zentrum seiner Regententätigkeit. Der bayerisch-württembergische Zollverein seit 1828 und das massive Interesse Bayerns am Deutschen Zollverein 1834 sind hinreichende Belege dafür, daß andererseits die wirtschaftlichen Erfordernisse der Zeit nicht verkannt wurden. Die vorliegende Studie untersucht daher das Verhältnis des Staates zum wirtschaftlichen Modernisierungsprozeß im Spannungsverhältnis von Wahrung der Gesellschaftsordnung und Lösung der sozialen Frage. Hatte unter diesen Prämissen der Fortschritt überhaupt eine Chance? Ausgangspunkt der Untersuchung wird eine knappe Faktenanalyse der in Bayern verfügbaren Kräfte und Ressourcen sein, vor deren Hintergrund die folgenden Ausführungen gesehen werden müssen. 15,W. K. Blessing, Staatsintegration als soziale Integration, in: ZBLG 41 (1978), S.700. 16 G. Schwarz, S. 223 f.

22

A. Einleitung

Der Untersuchungszeitraum setzt ein mit dem Jahr 1834, als Bayern im Deutschen Zollverein sein wirtschaftliches Gesicht vom Süden und Südosten abkehrte und es mehr und mehr dem Norden und Nordwesten zuwandte. 17 Er endet 1868, als mit dem liberalen Gesetzespaket die Phase der Auseinandersetzung um die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung beendet wurde. Eine Zäsur bildet das Revolutionsjahr 1848, nicht nur als Kulminationspunkt an der "Nahtstelle der nicht mehr zusammenfallenden Lebensordnungen 'bürgerliche Gesellschaft' und 'StaatlII ,18 sondern weil mit dem Regentenwechsel auch ein Kurswechsel der politischen Leitlinien verbunden war. Für jede der beiden Phasen werden zuerst anhand der theoretischen Diskussion die Leitlinien des wirtschafts- und gesellschaftspolitischen HandeIns dargesteHt und geklärt, welcher Spielraum sich daraus für den ökonomischen Sektor ergibt. An einem zentral bedeutsamen Begriff wie dem der "Arbeit" kann exemplarisch anhand der veränderten Begriffskonnotation der Wandel im Verhältnis von Staat und Wirtschaft nachvollzogen werden. Weiter muß gefragt werden, welche konkreten Fördermaßnahmen der Staat zur Erreichung seiner Ziele einsetzte, wo er Druck in Richtung Modernisierung der Produktions- und Sozialstrukturen ausübte, auf welche Widerstände er stieß oder ob er gar in Erwartung solchen Widerstandes seine Ziele zurücksteckte. Dabei müssen die strukturellen Unterschiede zwischen Altbayern und den neubayerischen Gebieten bedacht werden, zum al die sich herausbildenden Industriezentren und ehemaligen Reichsstädte Nürnberg und Augsburg zu den 1806 neu hinzugewonnenen Gebieten gehörten, während die altbayerischen Kreise traditioneHe Agrarlandschaften umfaßten. Wenn es um die grundsätzliche Position des Staates geht, soll dieser Aspekt nicht weiter ausdifferenziert werden. Er spielt jedoch insofern eine Rolle, als die Regierung von Mittelfranken als Beispiel für eine Mittelbehörde herausgegriffen und hierbei abzuklären sein wird, inwiefern sie exemplarisch stehen kann oder inwieweit ihre Ansichten im Zusammenhang mit den spezifischen Erfordernissen des Regierungsbezirkes stehen. Der Rheinkreis wird wegen seiner vom rechtsrheinischen Bayern abweichenden SondersteHung aus der Untersuchung ausgeklammert, da ansonsten Verallgemeinerungen unzulässig wären. Dagegen erweist sich die gesonderte Betrachtung der verschiedenen Ebenen der Verwaltung - Monarch, Regierung, Kreisregierungen, Gemeindebehörden als dringend erforderlich, um die jeweiligen Zuständigkeitsbereiche getrennt halten, noch mehr aber, um voneinander abweichende Positionen herausarbeiten

\7 S. dazu E. Schremmer, Die Wirtschaft Bayerns. Vom hohen Mittelalter bis zum Beginn der Industrialisierung. Bergbau - Gewerbe - Handel, München 1970. .. \8 W. Zorn, Probleme und Quellen der bayerischen Sozialgeschicht~ im 19. Jahrhundert, in: Bayern. Staat und Kirche. Land und Reich, München 1961, S. 357.

11. Forschungsstand und Quellenlage

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und gegenüberstellen zu können. Anschließend wird zu zeigen sein, wo Übereinstimmungen zu gemeinsamen Strategien ruhrten oder wo kontroverse Ansichten aufeinandertrafen und wie beides - Konflikt oder Konsens - Modernisierung verhindern oder befl>rdern konnte. Die Studie wird somit einen Beitrag zur Klärung eines Problems leisten, welches laut Lothar Gall sowohl die Zeitgenossen bewegte wie rur den Historiker von Interesse ist, "ob diese oder jene Entscheidung, Initiative, Maßnahme nun mehr den Zielen konservativer Vorwärts verteidigung diente, ob sie bewußt und bejahend zukunftsorientiert war oder aber ob sie sich mit mehr oder minder zwingender Logik aus dem historischen Prozeß selber, aus System- und Sachzwängen ergab".19

11. Forschungsstand und Quellenlage Ein vergleichbar umfassendes Standardwerk wie das Eckart Schremmers, in dem "Die Wirtschaft Bayerns" vom hohen Mittelalter bis an die Schwelle zum Industriezeitalter nach Sparten wie hinsichtlich ihrer Strukturen betrachtet wird,2° liegt rur das 19. Jahrhundert nicht vor. Wolfgang Zorn erhebt mit seiner "Kleine[n] Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns 1806-1933,,21 gar nicht erst den Anspruch, mehr als einen knappen Überblick geben zu wollen, wie ihn ähnliche Aufsätze von Kar1 Bosl oder Hans Mauersberg ebenfalls vermitteln. 22 Während in der älteren Literatur die Wirtschaft meist unter dem Blickwinkel der Staats- und Diplomatiegeschichte oder der Auseinandersetzung um die Gewerbeordnung abgehandelt wird,23 befassen sich neuere Arbeiten, vor allem aus der Schule Kar! Bosls, verstärkt mit den Veränderungen der Strukturen im Produktionssektor sowie der Mentalitäten der Produzenten. 24 Die Gesetzgebung wird dann vielfach als dem tatsächlichen gesellschaftlichen Wandel nachgeordnet betrachtet, wodurch der Staat in einer eher reagierenden als agierenden Position gesehen wird. Ein gutes Beispiel hierrur ist Edward L. Shorters Studie

L. Gall, Zu Ausbildung und Charakter des Interventionsstaats, S. 13. E. Schremmer, Die Wirtschaft Bayerns. 2\ W. Zorn, Kleine Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns. 22 K. Bosl, Der technische Fortschritt in Bayerns Staat und Gesellschaft, in: ders., Bayern, hrsg. von J. Jahn, München 1981, S. 301-319; H. Mauersberg, Geschichte der bayerischen Wirtschaft vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, S. 11-38. 23 Arbeiten wie M. Doeberl, Bayern und die wirtschaftliche Einigung Deutschlands, München 1915; A. Popp, Die Entstehung der Gewerbefreiheit in Bayern, Leipzig 1928. 24 G. Schwarz, "Nahrungsstand" und "erzwungener Gesellenstand", Berlin 1974; M. Bergmeier, Wirtschaftsleben und Mentalität, München 1990. \9

20

A. Einleitung

24

"Social Change and Social Policy in Bavaria, 1800-1860"/5 die aus der Perspektive "von unten" eine sehr umfassende und aufschlußreiche Darstellung der durch die Industrialisierung ausgelösten Spannungen und Risse im Gesellschaftsgefuge bietet. Zur weiteren Erhellung der sozialen Lage kann die Literatur zum Armutsund Pauperismusproblem herangezogen werden. 26 Die "soziale Frage" hat Günther Müller zum zentralen Thema seiner Ausführungen gemacht,27 das er allerdings einseitig vom Standpunkt der monarchischen Fürsorge aus betrachtet. Horst Hesse geht dagegen in seiner Arbeit über die "sogenannte Sozialgesetzgebung,,28 sehr viel differenzierter auf den Problemdruck, die Gestaltungsprinzipien und die Umsetzung der legislativen Maßnahmen ein. Die große Bandbreite der Werke über die Entwicklung einzelner Gewerbe und Produktsparten in bestimmten Städten oder Regionen erlaubt es, für die faktische Untermauerung der Fallbeispiele auf gesicherte Forschungsergebnisse zuruckzugreifen. 29 Dabei ist Michael Birnbaums Betrachtung des Münchener Handwerks 30 ein gelungenes Beispiel dafür, wie anhand einer Detailstudie allgemeingültige Aussagen über die politische und gesellschaftliche Brisanz des wirtschaftlichen Strukturwandels getroffen werden können. Die beiden bereits genannten Aufsätze von Karl Bosl und Kurt Möckl im Katalog zur Ausstellung "Aufbruch ins Industriezeitalter,,31 verweisen ebenfalls wieder mehr auf die politische Seite des Industrialisierungsprozesses sowie die gestalterische Rolle des Staates, also des Monarchen und der Bürokratie. Mit

25

E. L. Shorter, ebd., 2 Bde., Diss. Cambridge (Mass.) 1967.

26 Beispielsweise H. KIebeI, Das Pauperproblem in der Zeit des Spätmerkantilismus und beginnenden Liberalismus in Bayern, Diss. München 1955; A. Baumann, "Armuth Ist Hier Wahrhaft Zu Haus ... ", München 1984. 27 G. Müller, König Max 11. und die soziale Frage, München 1964; ders., König Maximilian 11. und die soziale Frage, in: König Maximilian 11. von Bayern 1848-1864, hrsg. vom Haus der Bayerischen Geschichte, Rosenheim 1988, S. 175-186. 28 H. Hesse, Die sogenannte Sozial gesetzgebung Bayerns Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts, München 1971. 29 Aus der Fülle der Titel: M. Held, Das Arbeitsverhältnis im Nürnberger Handwerk von der Einverleibung der Stadt in Bayern bis zur Einführung der Gewerbefreiheit, Stuttgart/Berlin 1909; A. Jegel, Die wirtschaftliche Entwicklung von Nürnberg-Fürth, Stein und des Nürnberger Raumes seit 1806, Nürnberg oJ.; G. Eibert, Unternehmenspolitik Nürnberger Maschinenbauer (1835-1914), Stuttgart 1979; R. Gömmel, Wachstum und Konjunktur der Nürnberger Wirtschaft (1815-1914), Stuttgart 1978; P. Schröder, Die Entwicklung des Nürnberger Großgewerbes 1806-1870, Nürnberg 1971. 30 M. Birnbaum, Das Münchener Handwerk im 19. Jahrhundert (1799-1868), Diss. München 1984. 31 K. Bosl, Die "geminderte" Industrialisierung in Bayern, S.22-39; K. Möckl, S. 13-36.

11. Forschungsstand und Quellen lage

25

seiner Analyse der Ausstattung und der Vergabepraxis bei den bayerischen Industrie- und Kulturfonds hat Mauersberg bereits ein Segment staatlicher Maßnahmen auf seine Wirksamkeit hin überprüft. 32 Das tUr die vorliegende Untersuchung ausgewertete Quellenmaterial umfaßt sowohl handschriftliche Archivalien wie zeitgenössisches gedrucktes Quellenmaterial. Von den Ministerialakten wurden die Bestände des Innenministeriums und ab 1848 - des Handelsministeriums bearbeitet, soweit sie Industrie und Gewerbe generell betreffen. Aus den sehr zahlreichen Faszikeln zu einzelnen Gewerbearten oder Fabriken wurden bewußt nur einige wenige Beispiele zur Verdeutlichung ausgewählt, um die Thematik nicht ausufern zu lassen. Auf der Ebene der Monarchen und der Regierung gewähren die Akten des Geheimen Hausarchivs der Wittelsbacher weitergehende Erkenntnisse über Problembewußtsein und Entscheidungsfindung der Regenten und bilden somit eine unerläßliche Ergänzung. Gerade zur Zeit Max' 11. finden sich hier zahlreiche Gutachten von Regierungsmitgliedern, Verwaltungsbeamten und Industriellen. Die Kreisregierungen werden durch von ihnen angeforderte Auskünfte, regelmäßige Erhebungen oder Stellungnahmen bereits in den Ministerialakten repräsentiert. Ergänzend werden tUr die Fallstudie in Mittelfranken Bestände des Staatsarchivs in Nürnberg tUr die mittlere sowie tUr die unterste Behördenebene herangezogen. Genauso starkes Gewicht kommt in der Arbeit den gedruckten Quellen zu. Die Diskussion über den Modernisierungsprozeß wurde ja nicht nur in den Amtsstuben getUhrt oder in Eingaben artikuliert. Wir befinden uns in einer Zeit, in der die öffentliche Verbreitung der gegensätzlichen Ansichten in Druck- und Zeitschriften als durchaus wirksame Waffe in der Auseinandersetzung geführt wurde. Pro und contra Gewerbefreiheit, Industrialisierung ja oder nein, Fluch oder Segen des Fortschritts mit all seinen Auswirkungen auf die Gesellschaft das waren Fragen, die publikumswirksam erörtert wurden. Hierzu werden allerdings nicht die Tageszeitungen betrachtet, was eine eigene Untersuchung erfordern würde/ 3 sondern Druck- und Zeitschriften, in denen sich Sozialkritiker, Ökonomen, Verwaltungsbeamte und andere kritische Beobachter mit ihrer Beurteilung der Wandlungsprozesse und ihren Vorschlägen zu

32 H. Mauersberg, Bayerische Entwicklungspolitik 1818-1923. Die etatmäßigen bayerischen Industrie- und Kulturfonds, München 1987. JJ Vgl. etwa H.-P. Franck, Zunftwesen und Gewerbefreiheit. Zeitschriftenstimmen zur Frage der Gewerbeverfassung im Deutschland der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Diss. Hamburg 1971.

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A. Einleitung

Wort meldeten. Zur Verortung ihrer Positionen werden theoretische Werke von Nationalökonomen oder Sozialphilosophen herangezogen. Für die quantitative Erfassung der industriellen Entwicklung werden ausschließlich die gedruckten Berichte des statistischen Büros verwendet, zumal hier bereits eine Anzahl aufschlußreicher Auswertungen vorliegt, deren Ergebnisse übernommen werden können. 34

34

S. dazu die angefllhrte Sekundärliteratur in Kap. B.

B. Produktions- und Standortfaktoren als Prämissen ("Ur wirtschaftspolitische Strategien. Wirtschaftliche, gesellschaftliche und demographische Rahmenbedingungen Das Jahr 1834 als Ausgangspunkt der Untersuchung markiert mit dem Inkrafttreten des Zollvereins zugleich ein wirtschaftlich bedeutsames Datum. Als einer der Gründungsstaaten dem Zollverein von Anfang an zugehörend, blieben somit für Bayern die außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen während des gesamten behandelten Zeitraums annähernd konstant. Zudem lassen Bayerns Initiative und Engagement hinsichtlich des Zustandekommens dieses einheitlichen Zollgebietes auf ein nachhaltiges Interesse an der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes schließen. Einige andere Projekte, die zur gleichen Zeit verwirklicht wurden, scheinen das Bild eines entschlossen den Weg des technischen und industriellen Fortschritts beschreitenden Staatswesens zu bestätigen: Im Jahr 1833 wurde ein eigenes statistisches Büro eingerichtet. Im selben Jahr hatte sich eine Aktiengesellschaft zum Bau einer Eisenbahnverbindung zwischen NUrnberg und FUrth konstituiert, welche 1835 als erste Anlage dieser Art in Deutschland in Betrieb gehen konnte. Ein Jahr vorher war der Bau einer Kanalverbindung vom Main zur Donau beschlossen, ebenfalls 1835 die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank gegründet worden. Dieser erste Eindruck wird jedoch bei näherem Hinsehen relativiert. Den Anstoß zur Gründung der Hypotheken- und Wechselbank hatte in erster Linie das unzureichende Kreditangebot für die kapitalschwache Landwirtschaft gegeben. I Während sich der umstrittene Kanalbau als Lieblingsprojekt des Königs umfassender Förderung erfreuen konnte, mußte die Eisenbahn ihren Rang als Verkehrsmittel der Zukunft vorerst noch unter Beweis stellen. 2

I K. Möckl, S. 25: "Ihre Hauptaufgabe war es, zu erträglichen Zinsen der Landwirtschaft Kredite zur Verfügung zu stellen." Im selben Tenor und mit Belegen zur finanziellen Situation der Landwirtschaft: W. Zorn, Kleine Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns, S. 39. 2 H.-P. Schäfer, Die Entstehung des mainfränkischen Eisenbahn-Netzes, Teil 1: Planung und Bau der Hauptstrecken bis 1879, Würzburg 1979; hier v.a. Kap. 3.1.2: Staatliche Kanal- und Schiffahrts-Präferenzen als Hemmnis mainfränkischer Eisenbahnprojekte, S. 66 ff.; G. Witt, Die Entstehung des nordostbayerischen Eisenbahnnetzes, Diss.

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B. Produktions- und Standortfaktoren

Eine knappe Skizze des Wirtschaftsraums Bayern auf der Grundlage statistischen Quellenmaterials und darauf basierender Auswertungen will daher zunächst zeigen, von welchen Voraussetzungen Wirtschaft und Verwaltung ausgehen und mit welchen Fakten sie rechnen konnten und mußten. Dabei wird keine umfassende Zustandsbeschreibung angestrebt. Vielmehr sollen die für das Land charakteristischen Merkmale und gravierende Unterschiede zwischen den einzelnen Kreisen herausgestellt werden, sofern sie für die Wirtschaftsentwicklung relevant waren.

J. Bayerns "Grundausstattung": Bevölkerung und Bodenschätze Noch 1826 war Gottlieb Grabuth in seinem "Handbuch der Statistik des Königreichs Bayern" der festen Überzeugung: "Mit Produkten aus allen drei Reichen der Natur [er meinte damit Pflanzen-, Tier- und Mineralreich / 1.8.1 ist das schöne Königreich sehr gesegnet, und zwar hat fast der eine Theil Baierns immer das, was der andere braucht, so daß dieses gelobte Land die Idee eines geschlossenen Staates am Leichtesten realisieren könnte.") Diese Formulierung weckt sofort die Assoziation an Fichtes Werk "Der geschlossene Handelsstaat" und verrät damit die Affinität zur idealistischen Weitsicht. Grabuths Urteil darf deshalb jedoch keineswegs als ideologisch verzerrt oder bloße Wunschvorstellung abqualifiziert werden. Sein Befund konnte - den vorindustriellen Maßstäben des ersten Viertels des 19. Jahrhunderts gemäß - objektiver Betrachtung durchaus standhalten. Als erster wichtiger Punkt kann festgehalten werden, daß in Bayern die Selbstversorgung mit Grundnahrungsmitteln gewährleistet war. Aus einer Rede, mit der Innenminister Fürst von Oettingen-Wallerstein am 4. September 1837 der Kammer der Abgeordneten die Lage der bayerischen Volkswirtschaft vor Augen führte, ging hervor, daß bei Getreide - mit Ausnahme des Roggens - eine Mehrproduktion von fast einem Viertel des Verbrauchs erzielt wurde. 4 Die nie-

Erlangen-Nürnberg 1968, S. 15 ff.; H. Gollwitzer, Ludwig I. von Bayern, München 1986, S. 657 ff. Als Indiz dafür können auch die vielfachen Erinnerungen Ludwigs I. an das Kanalbauprojekt im Briefwechsel mit seinem Innenminister von Schenk (Sept. 1828 bis Mai 1831) gewertet werden. S. Stichwort "Kanal, Donau=Main" in: M. Spindler (Hrsg.), Briefwechsel zwischen Ludwig I. von Bayern und Eduard von Schenk 1823-1841, München 1930. J G. Grabuth, Handbuch der Statistik des Königreichs Bayern, 2. Ausg., Regensburg 1826, S. 38 f. 4 Rede des k. Staatsministers des Innern Fürst von Oettingen-Wallerstein am 4.9.1837, in: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten 1837, 15. Bd., S. 480 ff.

I. Bayerns "Grundausstattung"

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derbayerische Ebene galt als die Kornkammer Bayerns; umfangreiche Anbauflächen gab es außerdem im nördlichen Schwaben, und rein quantitativ gesehen lieferte auch Oberbayern bedeutsame Erträge. Hinzu kamen der Flachsbau - vor allem in den nördlichen Gebieten mit ihren unfruchtbaren Böden bei rauhem Klima -, die Hopfenkultur mit dem Zentrum um Spalt, Hersbruck und Altdorf sowie der Tabakanbau, ebenfalls in Mittelfranken vorherrschend. Diese pflanzlichen Rohprodukte wurden - genau wie die Wolle - im Inland gewerblich weiterverarbeitet. Als Energieträger boten sich an manchen Standorten die vorhandenen Wasserkräfte zur Nutzung an. Außerdem verfiigte Bayern mit seinen ausgedehnten Waldungen über ausreichend Holz. Ausgesprochen schlecht verhielt es sich dagegen mit den Rohstoffen unter Tage, was Wiest mit den Worten umschreibt: "An Bodenschätzen ist Bayern nicht eben reich. ,,5 Bei der Kohle blieb trotz Neuerschließung von Vorkommen die Förderquote während des gesamten Zeitraums gering. Zu nennen wären hier nur die qualitativ hochwertigen Steinkohlelager bei Bamberg/Stockach und die Gruben bei Stockheim im Landgericht Kronach, die überwiegend aus Braunkohle bestehenden Vorkommen in der Oberpfalz sowie die Pechkohle an einigen Orten in Oberbayern wie Miesbach, Penzberg, Tölz und Murnau. Wiests Feststellung, daß erst mit der gesteigerten Verwendungsmöglichkeit der Kohle deren Vorkommen in Bayern knapp erscheinen mußten, kann ebensogut für das Eisenerz gelten. Während Grabuth das Eisen noch überall im Überfluß vermutet hatte, kamen tatsächlich zu den bereits bekannten und ausgebeuteten Eisenerzlagern in der Oberpfalz um Amberg, Sulzbach, Neunburg, in Altbayern bei Traunstein und in Oberfranken keine neuen Funde hinzu. Dies soll anhand einiger Zahlen verdeutlicht werden, die für das Ende des Untersuchungszeitraums berechnet wurden. Dazu wurden die Steinkohle-, die Braunkohlen- und die Eisenerzförderung in den Jahren 1861 und 1870 miteinander verglichen. Während die Quote bei Steinkohle nahezu konstant blieb, vervierfachte sie sich bei der Braunkohle; die Eisenerzgewinnung verdoppelte sich immerhin noch.

Die Prozentzahlen wurden nach den dortigen Angaben (ohne Rheinkreis = Pfalz), S. 487 ff., errechnet. Für die folgenden Ausführungen vgl.: G. Grabuth, S. 14 ff. und S. 44 ff.; W. Zorn, Kleine Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns S. 13 f.; H. Wiest, Die Entwicklung des Gewerbes des rechtsrheinischen Bayern in der Frühzeit der deutschen Zolleinigung, Diss. München 1970, S. 6 ff. 5 H. Wiest, S. 6.

B. Produktions- und Standortfaktoren

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Werden sie jedoch zur Gesamtförderung innerhalb des Deutschen Bundes beziehungsweise Preußens in Beziehung gesetzt, ergeben sich folgende Prozentanteile: 6

Steinkohle Braunkohle Eisenerz

1861 1870 1861 1870 1861 1870

prozentualer Anteil der Fördennenge Deutscher Bund Preußen 1,55 % 1,86% 0,83 % 0,95 % 0,98% 1,37% 2,26% 2,81 % 3,17 % 5,75% 2,53 % 3,63 %

Die Zahlen belegen eindrucksvoll die in dieser Hinsicht besseren Voraussetzungen Preußens und die beinahe zu vernachlässigenden Quantitäten der bayerischen Förderung. Gerade bei den für die Industrialisierung besonders wichtigen Rohstoffen Steinkohle und Eisenerz gingen die Anteile sogar noch zurück, und das nicht infolge Vernachlässigens der Rohstoffindustrie, sondern als Folge schlichten Mangels. Dies erhärtet Wiests These, wonach das Fehlen des wichtigen Grundstoffs Kohle "die Wirtschaftsentwicklung im Betrachtungszeitraum deutlich beeintlußt,,7 habe. Für die Porzellan-, Keramik- und Glasherstellung war die Rohstoffsituation dagegen ausgesprochen günstig. Die benötigten mineralischen Ausgangsmaterialien fand sie in Oberfranken, der Oberpfalz und Niederbayern vor. Die Ausstattung an Rohstoffen und natürlichen Vorkommen sowie die geographische Lage - im Falle Bayerns die Binnenlage ohne eigene Zugänge zu den Meeren - waren Vorgaben, die noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts als relativ unvariable und daher bestimmende Größen hingenommen wurden. Dies hatte zu der Überzeugung geführt, daß sich ein Staatswesen überhaupt nur dann gedeihlich entwickeln könne, wenn die Bevölkerung in einem richtigen Verhältnis zu den natürlichen Ressourcen des Landes stünde. Deshalb soll hier ein Blick auf die Bevölkerungsentwicklung im Zeitraum von 1834 bis 1868170 geworfen werden.

6 Die Prozentangaben wurden berechnet nach den Zahlenangaben in: Bayerns Entwicklung nach den Ergebnissen der amtlichen Statistik seit 1840, hrsg. vom K. Statistischen Landesamt, München 1915, S. 35 (= Kap. IV, Tab. 3 a); W. Fischer/ 1. Krengel/J. Wietog, Sozial geschichtliches Arbeitsbuch, Bd. I, München 1982, S. 63 ff. (= 2. Kap., Tab. 3 a-c). 7 H. Wiest, S.9. Ebenso E. M. Spilker, Bayerns Gewerbe 1815-1965, München 1985, S. 279, vgl. auch S. 353 f.

I. Bayerns "Grundausstattung"

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1841 ordnete sich Bayern mit einer Bevölkerungsdichte von 57 Einwohnern pro Quadratkilometer durchaus im Mittel ein (Vergleichszahl für den Deutschen Bund: 60). Damit lag es über Hannover (45) und dem Königreich Preußen (54), allerdings schon deutlich unter Mittelstaaten wie Sachsen (115), Württemberg (85) und Baden (84) sowie mit sichtbarem Abstand hinter den preußischen Industrieregionen in den Provinzen Sachsen (65), Westfalen (69), Schlesien (71) und dem Rheinland (97).8 Die Entwicklung folgte dem allgemeinen Trend, einem konstanten Bevölkerungswachstum, welches nur Ende der 40er Jahre infolge der krisenhaften und revolutionären Situation sowie Mitte der 50er Jahre markante Einbrüche aufwies. Im Vergleich zu Preußen fiel die Zunahme jedoch nicht nur absolut, sondern auch prozentual geringer aus. Die jährliche durchschnittliche Zuwachsrate schwankte in Bayern zwischen 0,37% und 0,81 %, in Preußen zwischen 1,19% und 1,92%. Selbst die Krisenjahre, die in Bayern praktisch zu einem Nullwachstum führten (0,06%), machten sich in Preußen weniger gravierend bemerkbar (0,45%). Das lag auch an der Wanderungsbilanz, die in Preußen bis zu den Revolutionsjahren positiv war, während sich Bayern bereits ein Jahrzehnt früher vom Einwanderungs- zum Auswanderungsland gewandelt hatte. 9 1870 lag die Bevölkerungsdichte in Bayern mit 64 Einwohnern pro Quadratkilometer schon signifikant unter der des ehemaligen Deutschen Bundes (75) und nun hinter Preußen (87).10 Wanderungsbewegungen sind deshalb so aufschlußreich, weil sie als unmittelbarste Reaktion auf die Einschätzung der Lebensverhältnisse in einem Land interpretiert werden können. Während günstige Aussichten Zuwanderer anlokken, forcieren schlechte Konditionen den Entschluß, ein Land zu verlassen. Eine Aufschlüsselung der Auswanderungsrate nach den einzelnen Kreisen läßt innerhalb Bayerns unterschiedliche Tendenzen sichtbar werden: Während die Quote in Ober- und Niederbayern weit, in Schwaben, der Oberpfalz und Mittelfranken noch deutlich unter dem Durchschnitt lag, fiel sie in Ober- und Unterfranken signifikant erhöht aus. 11

Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, Bd. I. S. 4 I (= I. Kap., Tab. 15 a). Nach den Tabellen über Einwohnerzahl und Bevölkerung für das Königreich Bayern ohne Pfalz (= Tab. 8, S. 75 ff.) und für das Königreich Preußen insgesamt (= Tab. 33, S. 225 tf.), in: Quellen zur Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftsstatistik Deutschlands 1815-1875, hrsg. von W. Köllmann, Bd. I, Boppard 1980. 10 Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, Bd. I, ebd. 11 Aus der Wanderungsstatistik 1835/36 bis 1861/62 (unter Abzug der Zahlen für die Pfalz), in: Die Bewegung der Bevölkerung im Königreiche Bayern in den fünf Jahren 1857/58 bis 1861/62 mit Rückblicken auf die 22 Jahre 1835/36 bis 1856/57. hrsg. vom k. statistischen Bureau, München 1863, S. 72-75. 8

9

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B. Produktions- und Standortfaktoren

Neben einer Aussage über Mobilität und Bodenständigkeit der Bevölkerung läßt dies Rückschlüsse auf deren Existenzgrundlagen und -verhältnisse zu. Denn abgesehen von politischen, religiösen oder persönlichen Motiven war es in den meisten Fällen die Hoffnung auf bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, weiche die Menschen zum Verlassen der Heimat - zumal zur Auswanderung nach Amerika - bewog. Um diese Vermutung überprüfen zu können, soll die Sozialund Wirtschaftsstruktur der sieben Kreise des rechtsrheinischen Bayern einer differenzierten Betrachtung unterzogen werden.

11. Erwerbs- und Wirtschaftsstruktur in den einzelnen Kreisen Seiner Struktur nach war Bayern zweifellos "ein wesentlicher landwirthschaftlicher Staat" 12, wie es sein damaliger Innenm inister 1837 formulierte. In der zeitgenössischen wirtschaftspolitischen Diskussion wurde es vielfach kurz als "Agrarland" apostrophiert. Dies änderte sich bis zur Jahrhundertmitte nicht, im Gegenteil: Während sich von 1840 bis 1852 der Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung konstant hielt (1840: 56,62%, 1852: 56,69%), sank im gleichen Zeitraum die Quote der im sekundären Bereich Tätigen von 34,67 auf 34,13 Prozentpunkte ab. Zudem hatte dieser Sektor einen Schwund bei den Selbständigen mit Haus- oder Grundbesitz und gleichzeitig eine Zunahme bei den Nebenerwerbslandwirten zu verzeichnen. 13 Helga Wiest will darin sogar die Anzeichen "einer gewissen Re-Agrarisierung der bayerischen Wirtschaft,,14 erkennen. Auffällig ist auch die Korrelation mit den Auswanderungszielen: Während in den wanderungsarrnen Gebieten (OBay, NBay, Schwaben) die Ströme in andere deutsche Bundesstaaten und nach Amerika annähernd gleich stark sind, zieht es aus der Oberpfalz und Mittelfranken deutlich mehr (vier- bis fünfmal so viele), aus Ober- und Unterfranken fast alle nach Amerika. Das ändert sich allerdings nach der Jahrhundertmitte. In den Jahren 1850/51 bis 1854/55 kommt es in allen Kreisen zu einem starken Anstieg der Auswanderung nach Amerika, was unter anderem damit zusammenhängen kann, daß diese erst ab 1845 durch das bayerisch-amerikanische Freizügigkeitsabkommen legalisiert war. Die personelle und berufliche Zusammensetzung sowie die Motive der Auswanderer hat für Oberbayern eingehend untersucht: F. Blendinger, Die Auswanderung nach Nordamerika aus dem Regierungsbezirk Oberbayern in den Jahren 1846-1852, in: ZBLG 27 (1964), S. 431-487. 12 Innenminister v. Oettingen-Wallerstein am 4. September 1837, in: Verh. d. Kammerd. Abg. 1837, 15. Bd., S. 522. 13 G. Kolb, Strukturelle Wandlungen im wirtschaftlichen und sozialen Gefüge der Bevölkerung Bayerns seit 1840, Diss. Erlangen 1966, S. 63 ff. bzw. Tab. IV, Va und b im Anhang. Kolb rechnet zur landwirtschaftlichen Bevölkerung: Gutsbesitzer, Pächter, Verwalter; Landbau-Tagelöhner mit und ohne Haus- oder Grundbesitz, Gesinde. Zur

11. Erwerbs- und Wirtschaftsstruktur

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Erst in den beiden darauffolgenden Jahrzehnten bis zur ReichsgrUndung läßt sich ein beginnender Strukturwandel mit einem Rückgang von 5% im primären zugunsten der beiden anderen Sektoren registrieren. 15 Giebels differenzierte Auswertung des Zahlenmaterials der Zollvereinszählung des Jahres 1833, dem Ausgangspunkt dieser Untersuchung, läßt die unterschiedlichen Profile der Sozialstruktur in den einzelnen Kreisen hervortreten. 16 Die Beschäftigtenzahlen bestätigen wiederum die Dominanz des primären Sektors in Niederbayern bei einem sehr geringen Anteil selbst der gemischtgewerblichen Betriebe. Das Gegenstück dazu bildete Mittelfranken, wo der von der Landwirtschaft lebende Teil der Bevölkerung am kleinsten, die Zahl der reinen Gewerbebetriebe jedoch am höchsten war. Die Waage hielten sich reine Gewerbe- und Nebenerwerbsbetriebe nur in Mittelfranken und in Oberbayern, wenngleich in letzterem auf deutlich niedrigerem Gesamtniveau. In allen anderen Kreisen übertraf die Zahl der vermischten die der reinen Gewerbebetriebe beträchtlich. Da dieser Mischtyp wohl fast ausschließlich auf dem Land angesiedelt gewesen sein dürfte, läßt sich daraus auf eine vorwiegend ländliche Prägung des Produktionssektors rUckschließen. Der geringe Prozentsatz abhängiger Arbeiter in diesem Bereich ist ein zusätzlicher Beleg dafür, daß solche Produktionseinheiten meist als Familienbetriebe geführt wurden, also nur eine schmale Ertragsbasis boten. Die Gewerbeverhältnisse in Bayern können nach Giebels Darstellung für das Jahr 1833 so zusammengefaßt werden: bei umfangreicher Diversifikation arbeiteten die Gewerbe fast ausschließlich für die Inlandsnachfrage. Davon nahm allein schon die Versorgung mit den Gütern des täglichen Bedarfs einen hohen Prozentsatz in Anspruch. Aber auch das bei weitem führende Weberhandwerk, zu dieser Zeit noch vor allem die Leinenweberei, produzierte nur in geringem

Abteilung 11 "Von Mineralgewinnung, Gewerben, Industrie und Handel Lebende" zählen: Selbständige mit und ohne Haus- oder Grundbesitz; zugleich gewerbetreibende Landwirte, Pächter, Verwalter; Gehilfen, Gesellen, Lehrlinge, Dienstboten; städtische Tagelöhner. Innenminister v. Oettingen-Wallerstein führte in seiner Rede am 4.9.1837 folgende Zahlen an: Ohne die nichtansässigen Tagelöhner seien tätig in I. der reinen Landwirtschaft 43,8 % 11. der gemischten Landwirtschaft a) mit sekundärem Gewerbebetrieb 11,4 % b) mit vorherrschendem Gewerbebetrieb 9,9 % 111. den reinen Gewerben 12,2 % der Bevölkerung. In: Verh. d. Kammer d. Abg. 1837, 15. Bd., S. 484 ff. 14 H. Wiest, S. 85. 15 G. Kolb, Tab. VIII im Anhang; Anteile 1871: Landwirtschaft 51,67%, sekundärer Sektor 37,27%, tertiärer Sektor 11,06%. 16 H. R. Giebel, Strukturanalyse der Gesellschaft des Königreichs Bayern im Vormärz 1818-1848, Diss. München 1971, S. 108 ff. 3 Burkhardt

B. Produktions- und Standortfaktoren

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Umfang für den Außenhandel. Luxusartikel mußten, trotz der flir den gehobenen Konsum fertigenden Gewerbe in der Residenzstadt München, importiert werden. Diese Struktur blieb während der Vormärzzeit unverändert. Wiests Tabelle auf der Basis der Zollvereinszählung von 1847 zeigt wiederum die Textilindustrie mit Abstand an der Spitze, gefolgt vom Nahrungs- und Genußmittelsektor. Das metallverarbeitende sowie das Baugewerbe nahmen nach der Verarbeitung pflanzlicher und tierischer Rohstoffe die Ränge fünf und sechs ein. Glas-, Keramik- und Papierindustrie bewegten sich bei Werten um 1,5%, während Mechanikergewerbe und Chemische Industrie mit 0,6% beziehungsweise 0,5% äußerst dürftig repräsentiert waren. 17 Bei genauerem Hinsehen werden allerdings Unterschiede und Produktionsschwerpunkte in den einzelnen Kreisen sichtbar. Das eindeutige Zentrum der Gewerbe, sowohl nach Zahl, Umfang und Vielfalt, bildete in Oberbayern die Haupt- und Residenzstadt München. 1833 war jeder sechste Gewerbebetrieb des Regierungsbezirkes im dortigen Stadt- und Landkreis konzentriert und sorgte für ein breites Warenangebot bis hin zu Luxusgütern in den Bereichen Feinkost, Mode oder Möbel. Die einzigartige und herausragende Gewerbestruktur war also durch die Ansprüche der Konsumenten in der Regierungs- und Verwaltungsmetropole bedingt. Deshalb ist es richtig, wenn Birnbaum flir München infolge des Fehlens der Schwerindustrie den Begriff "Industrialisierung" ablehnt. 18 Die Ansiedelung von Fabriken und großen Etablissements in der Hauptstadt wurde wegen der damit verbundenen Arbeiterbevölkerung als besonderes Sicherheitsrisiko eingestuft und daher im Einzelfall streng geprüft. 19 Doch war dies keine münchnerische Besonderheit. In anderen Residenzstädten wurde ebenso darauf geachtet, ein mögliches Protest- und Unruhepotential aus verarmten Massen gar nicht erst entstehen zu lassen.

Ebd., S. 171 ff.; H. Wiest, S. 261 ff.; Tab. 24. S. 262. Für die folgenden Ausflihrungen vgl. ebd., vor allem die sehr ausflihrliche und detaillierte Untersuchung dieses Zeitraums von Helga Wiest. 18 M. Birnbaum, Das Münchener Handwerk im 19. Jahrhundert (1799-1868), Diss. München 1984, S. 32. 19 Noch am 20.11.1858 referierte der Innenminister von der Pfordten in seiner Darlegung die Willensäußerung des Königs, wonach eine Vermehrung der fluktuierenden Arbeiterbevölkerung zu vermeiden sei. Insbesondere in der Residenzstadt seien seiner Meinung nach alle Anlässe zu Störungen oder Aufregung zu verhindern, wie sie jedoch beim Vorhandensein eines mehr oder weniger großen Bevölkerungsanteils von Fabrikarbeitern stets latent drohen würden, sobald diese von Lohnkürzungen oder -ausfall betroffen wären. In: GHAM Max 11. 80-4-298, Gesuch des Fabrikbesitzers Borst in München et Consorten um die Concession zur Errichtung einer Aktiengesellschaft zum Betriebe einer Baumwollspinnerei und Weberei bei München, (= Nr. 50.1.26). 17

11. Erwerbs- und Wirtschaftsstruktur

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Dennoch kann Giebel auf eine Vielzahl großgewerblicher Anstalten verweisen. Die amtliche Statistik registrierte zum Beispiel im Jahr 1847 unter der Rubrik "Eisenbahnwagen- und andere Wagen-Fabriken" drei Betriebe mit 144 Arbeitern. Insgesamt waren in Münchner Fabriken 2044 Arbeiter beschäftigt und 15 bampfmaschinen mit zusammen 99 PS installiert. In Nürnberg wurden im selben Jahr 2481 Arbeiter sowie neun Dampfmaschinen mit 76 PS gezählt, in Augsburg allerdings bereits 5574 Arbeiter und zwölf Dampfmaschinen mit 130 PS. zo Die Hauptstadt verschloß sich zwar keineswegs dem technischen Fortschritt, wies aber gleichwohl keinerlei Merkmale einer Industriemetropole auf. Im oberbayerischen Umland dominierte die Agrarproduktion. Obschon das Mechanikergewerbe in diesem Kreis stärker vertreten war als in Mittelfranken oder Schwaben, war doch die Verarbeitung pflanzlicher Rohstoffe der alles beherrschende Sektor. Dazu gehörte eine stattliche Anzahl von Zimmerleuten, was wohl mit der regionalspezifischen Bauweise zu erklären ist. Ein auffallend gewichtiges Potential bildeten aber auch die Verfertiger von Holzspielwaren, die - ebenso wie die Musikinstrumentenbauer - vor allem im Berchtesgadener Land angesiedelt waren und für den Export fertigten. Niederbayern zerfiel in zwei Regionen unterschiedlicher Prägung. Südlich der Donau ein reines Agrarland, fand sich nördlich der Donau eine Gewerbestruktur ähnlich der in den angrenzenden Gebieten Oberfrankens und der Oberpfalz vor. Der Oberpfalz verleiht Giebel - wenngleich mit Einschränkungen - das Prädikat der am stärksten industrialisierten Gegend. Tatsächlich konnte dieser Kreis zu Beginn des Untersuchungszeitraums bereits auf eine lange Tradition als Zentrum der Schwerindustrie zurückblicken. 21 Offensichtlich fand sie dort die günstigsten Bedingungen innerhalb Bayerns vor, denn bis zur Jahrhundertmitte hatte sich die Konzentration auf diesen Standort weiter verstärkt: 1847 war hier über die Hälfte der bayerischen Hochöfen installiert; Mitte der 20er Jahre war es erst gut ein Drittel gewesen?Z Trotz aller Expansions- und Modernisierungsbemühungen konnte der eisenschaffende Sektor einem Vergleich mit den entstehenden Montanregionen an

20 Die Bevölkerung und die Gewerbe des Königreichs Bayern nach der Aufnahme vom Jahre 1861, die Gewerbe in Vergleichung mit deren Stande im Jahre 1847, hrsg. vom k. statistischen Bureau, München 1862; Tafel XVI. Fabriken etc., Dampfmaschinen und mechanische Kräfte in den unmittelbaren Städten ... nach den Erhebungen fUr die Jahre 1861 und 1847, S. 80, S. 102/103 (München), S. 144/145 (Nürnberg, Augsburg). 21 E. Schremmer, S. 326 ff. 22 H. Wiest, S. 190; vgI. auch S. 187 ff., S. 267 f. sowie die Tabellen zur regionalen Verteilung der Betriebe, Arbeiter und Anlagen in der eisenschaffenden Industrie, Tab. 17 b, S. 184 (Mitte der 20er Jahre), Tab. 18, S. 192 bzw. Tab. IV.2., S. 390 (1847).

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B. Produktions- und Standortfaktoren

Rhein und Ruhr immer weniger standhalten, wie die bayerische Schwerindustrie insgesamt der Konkurrenz aus Preußen, England und Belgien unterliegen mußte. Denn an der geringen Ergiebigkeit der Vorkommen hätten selbst intensive Fördermaßnahmen oder entsprechende Schutzzölle nichts zu ändern vermocht. Günstig war die Rohstoftlage dagegen für die zahlreichen keramischen und Glasfabriken. Eine ganze Reihe Fürther Spiegelglashersteller kooperierte daher eng mit Glashütten in der Oberpfalz. 23 In Schwaben spielte der Textilsektor eine herausragende Rolle. Laut Angaben der Kreisregierung im Verwaltungsbericht 1830/33 waren Leinwand- und Baumwollweberei im ganzen Kreis verbreitet; Manufakturbetrieb bestand allerdings nur für die Weiterveredelung in Kattun- und Leinwandfiirbereien und -druckereien. 24 Schon in der kurzen Zeit von eineinhalb Jahrzehnten kündigte sich hier jedoch ein Wandel infolge technischer Innovationen an: Die 1847 in Bayern gezählten 954 Maschinenstühle für Baumwollgewebe standen ausschließlich in Schwaben mit dem Resultat, "daß die Produktivität der Arbeit in Schwaben infolge des größeren Einsatzes von Realkapital weit höher lag als in Oberfranken.,,2s Dasselbe galt für die Baumwollspinnerei, deren Mechanisierung ebenfalls in Schwaben am weitesten fortgeschritten war. Langfristig erwies sich überdies die Baumwollindustrie als zukunftsträchtiger denn die Leinenproduktion, was den Investitionen in diesem Bereich zusätzliche Rentabilität verlieh. 26 Völlig anders war die Textilindustrie in Oberfranken strukturiert, wo das Zentrum ihrer Produktion lag und sie das Gewerbeprofil am nachhaltigsten prägte. 1847 gab es hier in der Baumwollweberei viermal so viele Betriebseinheiten wie in Schwaben, die zudem mehr Arbeiter beschäftigten, so daß deren Zahl sogar fünfmal so hoch lag. Darüber hinaus war der Kreis führend in der Leinenindustrie, die sich fast ausschließlich auf Oberfranken und Oberbayern

23 Nach Zorns Angaben besaßen um 1860 die Fürther Spiegel fabrikanten 17 Schleifwerke in der Oberpfalz. W. Zorn, Kleine Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns S.51. 24 Bericht der k. Regierung des Oberdonaukreises, in: BayHStA MInn 15466. (= Industrie des Kreises im allgemeinen. Stand, Charakter und Fortschritte derselben.) 25 H. Wiest, S. 122. 26 Die Entwicklung der Baumwollweberei vgl. ebd., S. 104 ff. (v.a. Tab. 12, S. 121), der Baumwollspinnerei S. 122 ff. (v.a. Tab. 13, S. 130). Die Innovations- und Investitionsfreude schwäbischer Textilfabrikanten vornehmlich in Augsburg, Kaufbeuren und Kempten bescheinigt W. Zorn, Kleine Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns, S. 50; ders., Handels- und Industriegeschichte BayerischSchwabens 1648-1870, Augsburg 1961, S. 144 ff., S. 176 u. S. 186. Zur ungünstigen Situation in der Leinenindustrie ebd., S. 179 ff. oder H. R. Giebel, S. 245 ff.

11. Erwerbs- und Wirtschaftsstruktur

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konzentrierte. Die Spinnereien verzeichneten dagegen keine herausragenden Kapazitäten, zumal deren Mechanisierung erst in den Anfiingen steckte. 27 Letzteres kennzeichnete den gesamten Textilsektor des Kreises. Als Indiz dafür kann die erstaunlich hohe Zahl der Meister oder für eigene Rechnung arbeitenden Personen angesehen werden. Aber auch in den sogenannten Fabriken registrierte die Statistik fast ausnahmslos Handwebstühle, was damit zusammenhing, daß in Oberfranken der großgewerbliche Verband zumeist über das Verlagssystem hergestellt wurde und nur in seltenen Fällen in zentralisierten Produktionsstätten ablief. Diese Organisationsstruktur kann nicht zuletzt als Beleg für den Mangel an Kapital und Investitionsbereitschaft in dieser Region gewertet werden. Aus der daraus resultierenden technischen Rückständigkeit erwuchs mit der Zeit eine Krisenanfiilligkeit. Daneben konzentrierte sich in Oberfranken die keramische Industrie, die hier überwiegend in größerem Maßstab betrieben wurde. Die generell schwache Gewerbestruktur Unterfrankens offenbart sich exemplarisch daran, daß der Nahrungs- und Genußmittelsektor nicht nur innerhalb des eigenen, sondern auch im Vergleich zu den anderen Kreisen den höchsten Stellenwert erreichte. 28 Das signalisiert, daß die Deckung des Grundbedarfs der Bewohner im Vordergrund stand, obwohl der Regierungsbezirk mit dem Main über eine natürliche Verbindung zu Industrie- und Handelszentren verfügte und deshalb von Anfang an in die Verkehrsplanung von Kanal und Eisenbahn eingebunden war. Andererseits wurde das Gebiet von extrem strukturschwachen Regionen wie der Rhön und dem Spessart durchzogen, wo nicht einmal die Landwirtschaft etwas zur Linderung der Probleme beitragen konnte. Demgegenüber verkörperte Mittelfranken die bayerische Gewerberegion schlechthin. Ein großer Teil der Gewerbe war ausgesprochen exportorientiert, was umgekehrt bedeutende Einfuhren verlangte, weil sich die Produktion nur in

27 Laut Zollvereinszählung 1847 stellten sich die Verhältnisse so dar: - Baumwollweberei Ofr.: 87 Betriebe. 16027 Arbeiter (= 184.22 Arb./Betr.) Schwaben: 21 Betriebe. 3 180 Arbeiter (= 15 \,43 Arb./Betr.) - Leinenweberei Ofr.: 10 Betriebe. 405 Arbeiter Bayern: 30 Betriebe. 858 Arbeiter. Nach: H. Wiest. Tab. [1.1.11. S. 355. Zur Organisation und Ausstattung des Textilsektors vgl.: Die Bevölkerung und die Gewerbe des Kgr. Bayern .... die Gewerbe in Vergleichung mit deren Stande i.J. 1847. S. 64 ff. 28 Vgl. die Zahlen bei H. Wiest. Tab. 24, S. 262. Der Durchschnittswert lag in Bayern bei 18, I %. In Unterfranken erreichte er jedoch die Quote von 21.2% und wurde von keinem anderen Gewerbesektor übertroffen, was in keinem anderen Kreis der Fall war.

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B. Produktions- und Standortfaktoren

einigen Fällen - wie etwa der Tabakfabrikation oder der Bierbrauerei - auf heimische Grund- und Ausgangsstoffe stützte. Das gewerbliche Profil wurde unverkennbar von der Metallverarbeitung geprägt, die sich nicht nur auf die gewöhnlichen Erzeugnisse der Schlosser, Schmiede und die Herstellung von Werkzeugen und Geräten rur die Landwirtschaft beschränkte. Die Tradition der "Nürnberger Waren" gründete sich von alters her auf die Leistungen der Drahtzieher, Metallschlager, Rot- und Zirkelschmiede, Feilenhauer, Zinngießer, Goldschmiede und nicht zuletzt auf die Verfertigung von Blech-, insbesondere Spielwaren. Dazu kamen die Nadler in Nürnberg und Schwabach. Überdurchschnittlich vertreten waren außerdem die Papier- sowie die Chemische Industrie. Bei letzterer schlug vor allem der bedeutende Anteil der großgewerblichen Produktion, etwa im Bereich der Farbenherstellung von Ultramarin und Bronzen und der Bleistiftfabrikation, zu Buche. Dieser knappe Abriß kann genügen, um zu zeigen, daß der Verwaltung kein einheitlicher Gewerbe- und Industriekomplex gegenüberstand. Es ist daher anzunehmen, daß sie entsprechend der unterschiedlichen Strukturen mit ebenso verschiedenen Problemen und Interessenlagen konfrontiert wurde. Schon innerhalb des größten Sektors, der Textilindustrie, differierten die Erfordernisse erheblich je nachdem, weIche Materialien bevorzugt wurden, wie die Produktion organisiert und wie weit die Mechanisierung fortgeschritten war. Im Metallbereich stellte sich die Situation gerade umgekehrt dar. Die industriellem Standard am ehesten genügende Eisenindustrie der Oberpfalz konnte nicht einmal die heimischen Nachfrage befriedigen. Dagegen war das metallverarbeitende Gewerbe in Mittelfranken imstande, seine Exportchancen zu wahren, obwohl es vorwiegend handwerklich organisiert und die Produktion stark diversifiziert war. Es mutet zunächst wie ein Widerspruch an, wenn dort Mitte des 19. Jahrhunderts noch immer galt, was Rudhart 1827 in seiner statistischen Untersuchung geradezu als das Wesen der Nürnberger Industrie ausgemacht hatte: daß diese eben "nicht in großen Fabriken, sondern von vielen selbstständigen Meistem betrieben wird und daß diese Meister Handwerksleute sind und bleiben.,,29 Wenn ein Verwaltungsfachmann wie Rudhart in diesen Produktions-

29 I. Rudhart, Ueber den Zustand des Königreichs Bayern nach amtlichen Quellen, 2. Bd., Erlangen 1827, S. 31. Die Aussage Rudharts wird durch die Gewerbestatistik belegt. Vgl. dazu neuere Untersuchungen von R. Gömmel, Wachstum und Konjunktur der Nürnberger Wirtschaft (1815-1914), Bamberg 1978, S. 44 ff., v.a. Schaubild 7, S.47; ebenso ex negativo P. Schröder, Die Entwicklung des Nürnberger Großgewerbes 18061870, Nürnberg 1971, v.a. Kap. 11, S. 23-33.

III. Konjunktur, Handel und Infrastruktur

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formen "deutsche Art und Weise noch am meisten,,30 praktiziert fand, wirft dies eine Frage auf, der im Lauf der Arbeit nachgegangen werden soll: Welche Vorstellung herrschte innerhalb der bayerischen Bürokratie bezüglich der Organisationsform der Wirtschaft? Ein Problem anderer Art resultiert aus der unterschiedlichen Struktur des sekundären Sektors in den einzelnen Regierungsbezirken. Bürokratischem Handeln eignet stets der Zug an, gleichartige Bedingungen zu schaffen, um Vorschriften und Verordnungen möglichst gleichmäßig anwenden zu können. Max Weber benennt dies mit den Kategorien der Einheitlichkeit und der berechenbaren Regeln. 31 Deshalb sind die Verwaltungsmaßnahmen daraufhin zu prüfen, ob eher der allgemeine GUltigkeitsanspruch der Gesetze und Verordnungen oder die situationsgerechte Entscheidung im Einzelfall im Vordergrund stand. Konkret kann dies daran gemessen werden, ob zukunftsträchtigen Industrien und aussichtsreichen Standorten besondere Förderung beziehungsweise umgekehrt Problemregionen direkte oder indirekte Unterstützung zuteil wurde.

111. Konjunktur, Handel und Infrastruktur Die gewerbliche Produktion Gesamtbayerns wurde eindeutig von der Konsumgüterindustrie beherrscht, wobei die Textilherstellung die Spitzenposition einnahm. Das deckt sich mit den Ergebnissen von Sprees Untersuchung der Konjunkturzyklen der deutschen Wirtschaft. Er konstatiert filr das Jahr 1840 im Bereich der Konsumgüter den höchsten Entwicklungsstand und den weitaus größten Wertschöpfungsanteil innerhalb der Sparte Industrie und Handwerk. Der Textilindustrie sei dabei eine Schlüsselposition zugekommen, ohne daß sie allerdings je die Funktion eines Leitsektors hätte übernehmen können. 32 Tatsächlich hat die Textilindustrie in Deutschland nie die Position eines "Ieading

30 Ignatz Rudhart (1790-1838), gelernter Jurist, wird von Shorter als "liberal bureauerat" bezeichnet, eine Gesinnung, deretwegen er in Konflikt mit dem Ministerium geriet. Nachdem er 1819-22 Ministerialrat im Finanzministerium und zugleich Direktor des statistischen Büros gewesen war, wurde er nach Würzburg strafversetzt. Als späterer Regierungsdirektor in Regensburg und Regierungspräsident des Unterdonaukreises (1832-36) war er zugleich Abgeordneter der 11. Kammer. Hierfur billigt ihm Gollwitzer das Prädikat eines "gemäßigt liberalen, ungewöhnlich sachkundigen OppositionsfUhrers" zu. In dieser Position stand er auf der Seite der BefUrworter einer freiheitlichen Gewerbegesetzgebung. E. L. Shorter, Social Change and Social Policy in Bavaria, 1800-1860, 2 Bde., Diss. Cambridge (Mass.) 1967, S.65; H. Gollwitzer, S. 386. Zum Lebenslauf allg. W. Schärl, Die Zusammensetzung der bayerischen Beamtenschaft von 1806 bis 1918, Kallmünz 1955, S. 211, Nr. 328; ADB 29, S. 459-465. 31 M. Weber, Grundriß der Sozialökonomik, 111. Abteilung: Wirtschaft und Gesellschaft, 3. Aufl., 2. Halbbd., Tübingen 1947, S. 661.

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B. Produktions- und Standortfaktoren

sectors" ausruHen können wie in England mehr als ein halbes Jahrhundert früher, was seine Ursache nicht zuletzt in der qualitativ wie quantitativ überlegenen englischen Konkurrenz hatte. In den 1840er Jahren beobachtet Spree in Deutschland nur einen kurzen und schwachen Wirtschaftsaufschwung Mitte des Jahrzehnts. Bereits 1846 geriet jedoch die von den Agrarpreisen abhängige Konsumgüterindustrie infolge der Agrarkrise in die Rezession. Im Jahr darauf wurde auch die eigentlich von der Reallohnentwicklung unabhängige Schwerindustrie davon erfaßt, nachdem die Bereitschaft zu Investitionen im Eisenbahnbau nachgelassen hatte, so daß Ende des Jahres 1847 der Aufschwung schon wieder zusammengebrochen war. Hinsichtlich dieser Entwicklung ergeben sich noch keine auffallenden Differenzen im Vergleich zwischen Bayern und dem übrigen Deutschland. Allerdings kündigte sich in Deutschland mit höheren Wachstumsraten und größerem Investitionsvolumen bereits die später überragende Bedeutung der Schwerindustrie an. 33 Wie gezeigt, verfugte Bayern aber im gesamten Montanbereich nur über geringe Wachstumsmöglichkeiten; allein im Maschinenbau lagen Entwicklungschancen. Zorn gelangt daher zu dem Resümee: "Nach Beschäftigtenzahl und allgemeiner wirtschaftlicher Bedeutung überwog in Bayern stets die 'Leitindustrie' der ersten Industrialisierungsperiode, die Textilindustrie. ,,34 Folglich wurden in Bayern die wirtschaftlichen Konjunkturlagen weiterhin maßgeblich von der Konsumgüterindustrie beeintlußt, die wiederum in weit höherem Maß und unmittelbarer den Schwankungen des ReaHohnniveaus unterworfen war. Dieses Problem konnte auf zwei Wegen gelöst werden: einmal mittels einer Steigerung der Agrarproduktion, um die Lebensmittelpreise zu stabilisieren - eine Aufgabe, rur die in Bayern mit den Reformgesetzen des Jahres 1848 konsequent und erfolgreich die grundrechtlichen Voraussetzungen geschaffen wurden. 35

32 R. Spree, Die Wachstumszyklen der deutschen Wirtschaft von 1840 bis 1880, Berlin 1977, S. 141 f. Für die folgenden Ausführungen zur Konjunktur der 1840er Jahre vgl. ebd., S. 320 ff. 33 Ebd., S. 141 und S. 163 ff. Noch 1840 war die Schwer- im Vergleich zur Konsumgüterindustrie schwach entwickelt gewesen. "Bergbau und Hüttenindustrie hatten jahrzehntelang nahezu stagniert und nur geringfügige produktionstechnische Fortschritte erzielt; der Maschinenbau existierte nur in ersten bescheidenen, überwiegend handwerklich organisierten Ansätzen." (S. 163) 34 W. Zorn, Kleine Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns, S. 49 f. 35 Grundsätzlich war die Leibeigenschaft mit der bayerischen Verfassung von 1808 aufgehoben worden. Durch die Gesetzgebung von 1848 wurden die letzten Reste, wie z.B. die Patrimonialgerichtsbarkeit, beseitigt. Die Grundentlastung zog sich zwar über das ganze 19. Jh. hin. Die Gesetze des Jahres 1848 brachten aber eine entscheidende

III. Konjunktur, Handel und Infrastruktur

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Als anderer Ansatzpunkt hätte sich angeboten, möglichst viele dazu geeignete Zweige der Konsumgüterbranche zur Exportfähigkeit oder zumindest so weit zu entwickeln, daß sie im Vergleich mit ausländischen Produkten bestehen konnten. Immerhin eröffuete der Zoll verein einen vergrößerten Binnenmarkt. Umgekehrt war dadurch die bayerische Textilindustrie der mächtigen Konkurrenz aus Vereinsländern wie Rheinpreußen, Sachsen oder Baden unmittelbar ausgesetzt. Überdies forderte die gemeinsame Außenhandelspolitik des Zollvereins den Mitgliedsstaaten Kompromißbereitschaft ab. So zum Beispiel in der Frage der Garnzölle, die während der 40er Jahre ständigen Anlaß zum Streit gegeben hatte, der erst 1846 mit deren Anhebung ausgeräumt werden konnte. Bayern stand dabei auf der Seite der eher schutzzöllnerischen Bestrebungen im Süden gegen den tendenziell meist freihändlerisch orientierten Norden. 36 Aber selbst innerhalb des Landes wurden durchaus konträre Argumente vertreten je nachdem, ob mehr dem günstigen Materialbezug der Webereien oder dem Schutz beim Aufbau leistungsfiihiger Spinnereien das Wort geredet wurde. Wiest wertet denn auch die hohen Einfuhrzölle auf Baumwollgewebe als wichtige Hilfe beim Aufbau der mechanischen Baumwollspinnereien und -webereien in Schwaben, wenngleich auf der anderen Seite die\. traditionelle Tuchherstellung damit noch stärker unter Konkurrenzdruck geriet. 37 An anderer Stelle vertritt sie zwar die Ansicht, daß sich aufgrund der innerbayerischen Probleme die vom Zollverein erwarteten positiven Auswirkungen auf die Gewerbe zunächst nicht im erhofften Umfang erfüllten. Dennoch wurde die Notwendigkeit seines Fortbestehens trotz aller Kontroversen nie grundsätzlich in Zweifel gezogen. Dabei wog sicher das ganz praktische Kalkül mit, daß ohne den Zollverein die Pfalz isoliert und die Handels- und Verkehrsverbindung mit dem linksrheinischen Bayern sehr erschwert gewesen wäre. 38 Eine Rolle dürfte aber auch gespielt haben, daß die traditionellen HandeIswege Bayerns nach Osten und Südosten durch die österreich ische Hochzollpolitik erheblich behindert waren, weshalb sich der bayerische Handel verstärkt

Erleichterung, indem sie eine Reihe von Abgaben entschädigungslos strichen. Nach: M. Spindler (Hrsg.), Bayerische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, München 1978, S. 740 f; W. Zorn, Kleine Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns, S. 39 f 36 Zur Auseinandersetzung auf der Ebene des Zoll vereins: H. Best, Interessenpolitik und nationale Integration 1848/49, Göttingen 1980, S. 46 ff., S. 62 ff; H.-W. Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984, S. 119 f 37 H. Wiest, S. 280 f.; vgl. auch S. 89 ff., S. 104 ff. und S. 122 ff. Für das Folgende s. ebd., S. 283. 38 Daß solche Überlegungen beim Zustandekommen des Zollvereins eine Rolle spielten bestätigt M. Doeberl, Bayern und die wirtschaftliche Einigung Deutschlands, München 1915, S. 53.

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B. Produktions- und Standortfaktoren

dem Norden und Nordwesten zuwandte und um Absatzmöglichkeiten bis hin nach Nordamerika bemühte. Die Linienfllhrung der sich eben als Verkehrsmittel der Zukunft ankündigenden Eisenbahn schien dieser Neuorientierung zu folgen. Nach der Pionierstrekke Nümberg-Fürth und der 1844 eröffneten Städteverbindung AugsburgMünchen wurden als Grundkoordinaten des bayerischen Eisenbahnnetzes zunächst eine Nord-Süd-Trasse und, von dieser bei Bamberg abzweigend, eine Anschlußlinie nach Westen geplant. Bereits Ende des Jahres 1848 hatte die Ludwigs-Süd-Nord-Bahn bei Hof die sächsische Grenze erreicht und von dort über PI auen und Leipzig Verbindung mit dem sächsischen Eisenbahnnetz. Als Endpunkt war im Süden Lindau anvisiert, also der Eintritt in den Alpenraum über die Schweiz. Mit der bei Bamberg abzweigenden Querverbindung über Würzburg und Aschaffenburg nach Frankfurt sollte der Weg an den Rhein und zu den Eisenbahnlinien im Norden und Westen Deutschlands gebahnt werden. 39 Die Diagonale von Nordwest nach Südost bildete der Donau-Main-Kanal, ein Lieblingsprojekt des Monarchen, welches maßgeblich auf Verlangen König Ludwigs I. zustandegekommen war. Zwar erwies sich der Kanal letztlich als unrentabel und der Eisenbahn unterlegen. Auf österreichischer Seite war zu dieser Zeit aber auch kein Bahnvorhaben erkennbar gewesen, das eine Anschlußmöglichkeit geboten hätte. Interessen, Erwartungen und Auswirkungen, die sich mit dem modemen Verkehrsmittel Eisenbahn verknüpften, werden noch in den Ausfllhrungen zur Wirtschaftsentwicklung zur Sprache kommen. An dieser Stelle muß die Darstellung der real bei der Verwirklichung von Wirtschaftszielen zur Verfllgung stehenden Güter um die theoretische Seite des wirtschafts- und sozialpolitischen Diskurses ergänzt werden, da jede Verwaltungsentscheidung ebenfalls eine Synthese aus praktisch Machbarem und idealiter Anzustrebendem darstellt.

39 S. Karte "Das deutsche Eisenbahnnetz 1850", in: H.-P. Schäfer, S. 141. Vgl. auch Th. Löwenstein, Die bayerische Eisenbahnbaupolitik bis zum Eintritt Deutschlands in die Weltwirtschaft 1825 bis 1890, Berlin 1927, S. 7 ff.

C. Von der Gründung des Zollvereins zur Revolution. Wirtschaft und Staat unter Ludwig I. 1834-1848 In Bayern bietet sich wegen des Regentenwechsels das Revolutionsjahr 1848 als Zäsur geradezu an. Daß dies auch im Wirtschaftsleben einen Einschnitt markierte, lag nicht nur am damit verbundenen quantitativ meßbaren Konjunktureinbruch. Vielmehr wurde durch die Krisensituation ein Bewußtseinswandel bei Wirtschaftsbürgern und Verwaltung in Gang gesetzt, der eine Entwicklung vom Verharren bei alten ökonomischen Strukturen hin zu Veränderungen begünstigte. Zudem bedeutete die Thronfolge von Ludwig I. zu Max 11. auch einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik. Die Furcht vor einer Revolution übte einen tiefgreifenden Einfluß auf Ludwigs Politik aus, so daß sein Regierungsstil merklich vom Gedanken der Vermeidung einer Revolution geprägt wurde, die sich dadurch dennoch nicht vermeiden ließ. Um die gesellschaftspolitische Komponente der Position des Staates der Wirtschaft gegenüber präzise erfassen zu können, wird zunächst ein Blick auf den wissenschaftlichen Diskurs geworfen. Zwar werden theoretische Konzepte nie in Reinform in aktuelle Tagespolitik umgesetzt. Die beiden nachfolgend dargestellten konträren Standpunkte spiegeln aber in klarer Ausformung die in Bayern vorhandenen gegensätzlichen Positionen wider. Sie lassen somit Argumente und Motive erkennen, die letztlich auch in Regierungshandeln und Verwaltungsentscheidungen einflossen, selbst wenn sie dort nicht in der Begründung dargelegt wurden.

J. Unterschiedliche Positionen: Wirtschaftsliberalismus und katholische Sozialphilosophie in Süddeutschland 1. Smith-Rezeption und -Kritik. Vom Umgang mit der klassischen Lehre der Nationalökonomie Im Verlauf des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts hatte sich die klassische liberale Lehre auch in Deutschland als fester Bestandteil des Literaturkanons der Nationalökonomie etablieren können. Über die bloße Rezeption der Thesen und besonders der Werke ihres Hauptvertreters Adam Smith hinaus erfolgte

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nunmehr die erste kritische Auseinandersetzung und Umformung der Lehrsätze. Marie-Elisabeth Vopelius macht fiir solche Modifizierung den Einfluß der tradierten kameralistischen Lehrsysteme und Staatsverwaltungspraktiken verantwortlich; zusätzlich hätten die territorialen Zersplitterungen und Eigentümlichkeiten Deutschlands den Geltungsbereich von vorneherein eingeschränkt. l Damit wird verständlich, warum sich laut Winkel die Spuren der Smith-Rezeption am ehesten "im Schrifttum und praktischen Wirken der deutschen, vor allem preußisch-norddeutschen Beamtenschaft der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts,,2 finden. Der Geist der Aufklärung drang in Bayern ebenfalls durch in dem Bemühen, wissenschaftliche Erkenntnisse dem praktischen Anwender zugänglich und bekannt zu machen, etwa verbesserte Anbau- und Betriebsmethoden in der Landwirtschaft oder fortschrittliche Produktionstechniken und -methoden im Gewerbe. Periodika wie zum Beispiel das "Kunst- und Gewerbe-Blatt" - seit 1815 vom polytechnischen Verein für das Königreich Bayern herausgegeben - oder Dinglers "Polytechnisches Journal" sollten über technische Neuerungen und neue Verfahrensweisen auf dem Produktionssektor informieren und dadurch die Gewerbetreibenden zur Weiterbildung und Nachahmung animieren. Der Nationalökonom Karl Heinrich Rau3 weitete diese Bestrebungen auf theoretische Erkenntnisse aus. Sein "Lehrbuch der politischen Oekonomie" konzipierte er ausdrücklich nicht nur für den akademischen Unterricht, sondern suchte seine Adressaten ebenso im "denkenden Geschäftsmanne, sowohl aus dem Gewerbsstande, als im Staatsdienste".4 Die von ihm ab 1834 herausgegebene Zeitschrift "Archiv der politischen Oekonomie und Polizeiwissenschaft" sollte ihn bei seinem typisch aufklärerischen Vorhaben unterstützen, Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Im Werk K. H. Raus werden Einfluß und Relativierung des Smithschen Lehrgebäudes deutlich sichtbar. Von Smith übernahm er den Ansatz, wonach sich wissenschaftliche Lehrsätze nicht mehr auf den Bereich des Hauswesens oder der Gemeinde beschränkten, sondern die größere Einheit eines Volkes oder einer Nation als zusammenhängendes Wirtschaftssystem betrachtet wurde.

I

M.-E. Vopelius, Die altliberalen Ökonomen und die Reformzeit, Stuttgart 1968,

S.2. 2 H. Winkel, Die deutsche Nationalökonomie im 19. Jahrhundert, Darmstadt 1977, S. 18 f. J Karl Heinrich Rau (1792-1870); geboren in Erlangen, dort Studium, Promotion, Privatdozent, später Professor für Staatswirtschaft. 1822 folgte er einem Ruf an die Universität Heidelberg; von dort aus 1833, 1835, 1837 und 1839 Mitglied der I. Kammer in Baden, 1848 im Frankfurter Vorparlament. Nach: ADB 27, S. 380-385. 4 K. H. Rau, Lehrbuch der politischen Oekonomie, I. Bd., Heidelberg 1826, S. VII f.

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"Nur ein größerer Raum, ein Land, kann sich wirthschaftlich geschlossen in einiger Vollkommenheit erhalten."s Die Nation wurde zum Gegenstand der Volkswirtschaftslehre oder Nationalökonomie, die sich allmählich "zur eigentlichen Zentraldisziplin der umgestalteten kameralistischen Fächer,,6 entwickelte. In der Postulierung allgemeingültiger Lehrsätze folgte Rau - gleich Smithder naturrechtlichen Tradition, jedoch nicht uneingeschränkt. Ebenso wichtig war ihm die Berücksichtigung der jeweiligen Landesverhältnisse, denn "jedes Land hat auch seine besondere Naturbeschaffenheit, jede Gegend sogar die ihrige; die Grundgesetze äußern sich also in tausend verschiedenen Zusammensetzungen".' Daher müßten die volkswirtschaftlichen Grundsätze "immer aus der Erfahrung abgeleitet werden" und "historische und statistische Thatsachen"g beachten. Gegen den universalistischen Geltungsanspruch der Smithschen Theorie setzte Rau die empirische Kenntnis der spezifischen Vorbedingungen des jeweiligen Landes und begrenzte damit andererseits den Geltungsbereich der Volkswirtschaftslehre auf je eine bestimmte Nation. Dem lag eine Denkfigur zugrunde, von der später die Historische Schule oder Friedrich List bei ihrer Kritik am klassischen Liberalismus ausgingen. Eine weitere Einschränkung nahm Rau vor. Zwar vertrat er wie Smith die Auffassung, daß die Verfolgung des Einzelinteresses zwangsläufig dem Gesamtinteresse dienen müsse, wobei der Begehr des einzelnen einen zuverlässigen Anreiz bieten und staatliches Eingreifen überflüssig machen würde. Was ihm jedoch fehlte, war der unerschütterliche Glaube an ein natürlich sich einstellendes Gleichgewicht. "Nur die Regierung, indem sie sich mit der Wohlstandssorge beschäftiget, steht auf dem allgemeinen Standpunkte, wo das Zusammen= und Auseinanderstreben alles Eigenvortheiles sichtbar ist;" nur sie war daher seiner Ansicht nach "im Stande, dem Gleichmaß und Einklang der Theile nachzuhelfen.,,9 Um der Gefahr der Gängelung und Freiheitseinschränkung von seiten des Staates zu entgehen, hielt es Rau tUr unerläßlich, den hier angesprochenen Bereich der Volkswirtschaftspflege - bei ihm auch als "Volkswirthschafts=Politik" bezeichnet lO - auf die wissenschaftliche Basis der Volkswirtschaftslehre zu

5 Ders .• Ansichten der Volkswirthschaft, Leipzig 1821, S. 24. H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, München 1986, S.196. 7 K. H. Rau, Ansichten der Volkswirthschaft, 1821, S. 30. Das darin folgende Kapitel (S. 41 ff.) beschäftigt sich mit dem "Einfluß der Oertlichkeit auf die ursprüngliche Gestalt der Volkswirthschaft." 8 Ders., Lehrbuch der politischen Oekonomie, I. Bd., Heidelberg 51847, S. 11. 9 Ders., Ansichten der Volkswirthschaft, 1821, S. 28. 10 Ders., Lehrbuch der politischen Oekonomie, 1. Bd., 51847, S. 17. Für das Folgende vgl.: ders., Ansichten der Volkswirthschaft, 1821, S. 38 f. 6

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grUnden. Andererseits warnte er ebenso eindringlich davor, theoretische Vorgaben absolut zu setzen, wie es etwa der Merkantilismus mit seinem Bemühen um eine aktive Handelsbilanz getan hatte. Dies würde den tatsächlichen Ist-Zustand nur noch als vorUbergehendes Stadium erscheinen lassen auf dem Weg zu einem Ziel, dem alle Zwecke unterworfen werden müßten. Rau akzeptierte die Volkswirtschaftslehre als Theorie, die ihre nach der deduktiven Methode gewonnenen Maßstäbe setzte. Komplementär dazu bedurfte es der Volkswirtschaftspflege, die sich an der Praxis orientierte und induktiv verfuhr unter der Maßgabe, "filr jede Besonderheit von Umständen das zweckmäßigste Verfahren zur Erreichung gewisser Zwecke anzugeben. Ihr Ziel ist nicht die Wahrheit, sondern der nützlich Erfolg." 11 Tribe skizziert Raus Methode folgendermaßen: "Rau's economics represents a consistent economic anthropology, in wh ich it is the interaction between man and the material world wh ich creates a system of needs, but which is then developed into a practical and concrete appreciation of the function of economic life, in which the actual workings of branches of industry and trade are a natural correlate to this anthropology. ,,12 Den häufig kritisierten Mangel an konziser Theoriebildung 13 wertet Tribe als wenig gravierend im Hinblick auf Raus explizites Vorhaben, Verwaltungs- und Geschäftsleuten ein Instrumentarium filr die Praxis an die Hand zu geben. Meines Erachtens erklärt sich daraus auch Raus Zwischenstellung mit entschiedener Abkehr vom Kameralismus einerseits bei gleichzeitiger Fortfilhrung tradierter Argumentationsmuster andererseits. In der Konsequenz ergibt sich deshalb vielfach eine Überformung und Aufweichung liberaler Prinzipien durch die materielle Staatstätigkeit. Welche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnete Rau dem Staat im Bereich der Wirtschaft? Das Regierungshandeln durfte keinesfalls den einzelnen Staatsbürger, sondern mußte "die Volkswirthschaft im Ganzen und in ihren Zweigen" zum Gegenstand haben. Leitlinien des HandeIns sollten die Beseitigung von Hindernissen, die Durchfilhrung von Projekten, filr welche die Kräfte der Einzelbürger nicht ausreichten, sowie die "wirthschaftliche Wohlfahrt Aller im Staate" sein. 14 Rau extrahierte Maßnahmen aus den Bereichen der Wirtschafts-, Gewerbe-, Bevölkerungs- und Armenpolizei, verwarf jedoch polizeistaatliche Durchsetzungsmittel, indem er die Volkswirtschaftspflege auf die Einhaltung staatswissenschaftlicher Grundsätze in Verbindung mit den Erkenntnissen der

Ders., Lehrbuch der politischen Oekonomie, I. Bd., 51847, S. 13. K. Tribe, Goveming Economy, Cambridge 1988; darin: Chapter 9: A new orthodoxy: K. H. Rau's Lehrbuch der politischen Oekonomie, S. 183 tT.; Zitat S. 192. 13 Als Beispiel dafilr: K. Neumann, Die Lehren K. H. Rau's, Diss. Gießen 1927, S.73. 14 K. H. Rau, Lehrbuch der politischen Oekonomie, I. Bd., 51847, S. 16. Die folgenden Ausfilhrungen vgl. ebd., S. 17 fT.; Zitat S. 21. 11

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Volkswirtschaftslehre verpflichtete. "Jene geben die Zwecke an die Hand, weIche die Regierung sich vorsetzen, und die Gränzen, innerhalb deren sie dieselben verfolgen soll, diese leiten die Auswahl der besten hiezu dienlichen MitteL" Mit Rücksicht auf eine situationsgerechte Zweck-Mittel-Optimierung stellte Rau kein verbindliches Regelwerk auf, sondern begnügte sich mit generellen und moralisch untermauerten Postulaten. Insofern bedeutete es keine Inkonsequenz, wenn sich seine Position bei konkreten Fragen wie der Gewerbefreiheit, Fabriken und Maschinen oder der Arbeiterschaft im Lauf der Zeit änderte. Am Beginn seiner Karriere, in einer 1814/1 5 verfaßten Schrift über das Zunftwesen, nahm Rau gegenüber der Gewerbefreiheit noch eine sehr ablehnende Haltung ein. Seine Kritik traf zwar ebenso die erstarrte, überlebte und daher dringend einer Reorganisation bedürftige Verfassung des Zunftwesens. Die wirtschaftlichen Kontroll- und Aufsichtsfunktionen wie die Vergabe von Konzessionen oder die Kontrolle über Ausbildung und Befiihigungsnachweise sollten dabei auf den Staat übergehen. Aus gesellschafts- und sozialpolitischen Motiven gab er eben diesen zünftisch organisierten Gewerben den Vorzug l5 ; unter wirtschaftlichem Aspekt honorierte Rau beim Fabrikwesen die gesteigerte Effizienz im Gefolge von Arbeitsteilung und Maschineneinsatz und übersah keineswegs den Konkurrenzdruck, der von der Entwicklung in anderen europäischen Staaten ausging. Für den Erhalt des Bürgerstandes schien ihm allerdings das Gewerbesystem gemäßer. Das kleinteilige Produktionsverfahren sorge für eine gerechte Verteilung des Einkommens, für mäßige, aber gleichmäßige Einkünfte und nicht zuletzt rur den Erhalt von Sitte und Moral: "Viele einzelne Hauswesen sind unendlich besser als solche große Gewerke, wo viele ledige Menschen beides Geschlechts beisammenleben. " Auch wenn er in den verschiedenen Auflagen seines "Lehrbuchs" bis zur lahrhundertmitte eine zunehmend liberale Position vertrat, blieb es seine unveränderte Grundüberzeugung, daß zur Konsolidierung des bürgerlichen Mittelstandes als Garant der bestehenden Gesellschaftsordnung ein Mittelweg zwischen Dirigismus und "Iaisser-faire" eingeschlagen werden müsse. Entsprechend durfte der Übergang zur Gewerbefreiheit nur stufenweise und keinesfalls abrupt vollzogen werden. Er begründete dies mit der Faktizität staatlicher Eingriffe, deren plötzlicher Rückzug katastrophale Folgen haben würde, und nicht zuletzt mit den gestiegenen Ansprüchen der Bürger an den Staat. 16 Da Rau den Eigennutz als Motivation grundsätzlich akzeptierte, wuchs dem Staat umgekehrt

Ders., Ansichten der Volkswirthschaft, 1821, S. 110 ff.; Zitat S. 36. Ders., Ueber den Nutzen, den gegenwärtigen Zustand und die neueste Literatur der Nationalökonomie, in: Archiv der politischen Oekonomie und Polizeiwissenschaft I (1834), S. 8 ff. 15

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die Aufgabe der Gemeinwohlorientierung zu, die zumal in Friedenszeiten die Funktion einer übergeordneten Sinnstiftung innerhalb eines Gemeinwesens erfilHen mußte. 17 Auf diese Weise schien die Gefahr eines Auseinanderdriftens der GeseHschaft gebannt, so daß Rau nunmehr dem Fabrikwesen vorurteilsfrei gegenüberstehen konnte. Raus Ansichten dokumentieren in ihrem Wandel auf anschauliche Weise den funktional ausgerichteten, undogmatischen Zugriff auf das von Smith begründete Lehrgebäude des klassischen Liberalismus in der Phase der kritischen Auseinandersetzung mit jenem. Den Schwerpunkt dieser wissenschaftlichen Diskussion lokalisiert Koch in Süddeutsch land und folgt Roschers Urteil über Raus prägenden Einfluß als "Volkswirtschaftslehrer der gut regierten deutschen Mittelstaaten von 1815 bis 1848". Vopelius sieht dagegen umgekehrt in Raus veränderter Haltung "ein wenig die damalige süddeutsche Staatspolitik" widergespiegelt. 18 Hinter aH dem verbarg sich ein Dilemma, weIches in Bayern als Problem erfaßt wurde, die Wirtschaftspolitik beeinflußte und weswegen Rau auf die Staatstätigkeit nicht verzichten woHte: das Spannungsverhältnis zwischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Raus Lehrer Alexander LipS l9 hatte noch in seinem 1830 erschienenen Werk "Deutschlands National-Oekonomie" uneingeschränkt liberale Positionen vertreten und für Gewerbe- und Handelsfreiheit plädiert. Zwar scheint in manchen seiner Überlegungen merkantilistisches Denken nachzuklingen, wenn er etwa im Interesse der Nationalwohlfahrt für eine kräftige Industrie eintrat, weIche ein Volk auf eine höhere Stufe der Macht und des Reichtums heben könne, und den Handel als "das erste und gröste Element alles Wohlstands" pries: "... wo er fehlt, ist Volksglück und Nationalreichthum so undenkbar, als politische Kraft." Anders als im Merkantilsystem sollte der Handel jedoch nicht im Blick auf Finanzeinkünfte forciert, sondern "wieder auf seine wahre Natur, den Tausch," zurückgefilhrt werden. So determiniert würde er die Aufgabe des Motors der industriellen Entwicklung übernehmen können. Die Forderung nach einem "Handel, der kein Geschäft abschließt, ohne des

17 Ebd., S. 9 ff.; ders., Lehrbuch der politischen Oekonomie, 1. Bd., 51847, S. XIl ff.; fllr das Folgende vgl. ebd., S. 523 ff. 18 R. Koch, "Industriesystem" oder "bürgerliche Gesellschaft", in: GWU 29 (1978), S. 615; M.-E. Vopelius, S. 141, vgl. auch S. \08. 19 Michael Alexander Lips (1779-1838); Sohn eines Kameralbeamten, Studium der Philosophie und Theologie, dann Geschichte; 1801 Habilitation, ab 1801 Privatdozent bzw. a.o. Prof. der Philosophie in Erlangen. Hielt Vorlesungen über Polizeiwissenschaft, Staatswirtschaft, Hande\s-, Finanz- und Forstwirtschaft, Statistik und geschichtliche Fächer, Politik, Landwirtschaft und Technologie. Seine theoretische Lehrtätigkeit ergänzte der als aktiver Landwirt Tätige mit praktisch-ökonomischen Übungen auf seinem Landgut in Marloffstein. M.-E. Vopelius, S. 48 ff., S. 84; Voge\/Endriß, 200 Jahre Universität Erlangen, Erlangen 1943, S. 48.

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Vaterlands zu gedenken," gestattete dann durchaus Einschränkungen des Grundsatzes der Handelsfreiheit zum Nutzen des nationalen Interesses. Die liberalen Ökonomen übernahmen somit von Smith den individualistischen Ansatz sowie den Tausch als Interaktionsprinzip in Gegenwehr zur staatlichen Reglementierung im Merkantilsystem. Probleme der Kongruenz zwischen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung stellten sich fUr den FrUhliberalen Lips dabei noch nicht: "Ueberhaupt ist Freiheit das Element, die Atmosphäre des bürgerlichen Lebens". Geradezu euphorisch erwartete er von der Fabrikindustrie nur positive Wirkungen. Dank Arbeitsteilung und Maschineneinsatzes würde sie die besten und billigsten Waren liefern und könne letztlich den Menschen von physischer Arbeit befreien, ihn somit seiner eigentlichen Bestimmung, der geistigen Arbeit, zufUhren. Deshalb galt Lips nurmehr die industrielle Produktionsweise als "die wahre, die einzige, wie Gewerbe betrieben werden sollen". Solange die Produktion auf den sicheren Inlandsabsatz ausgerichtet und nicht derart überzogen wurde wie offensichtlich in England, ergaben sich seiner Auffassung nach keine gesellschaftlichen Probleme. Soziale Mißstände seien nicht die Folge des Fabrikwesens, sondern fehlender Absatzmöglichkeiten oder mangelnder Volkserziehung. Zudem würden Fabriken nicht erst Kapital akkumulieren, sondern umgekehrt solches voraussetzen. Den Zerfall der Gesellschaft in Besitzende und Besitzlose setzte er bereits zu einem früheren Zeitpunkt an und betrachtete das Fabriksystem nicht als dessen Ursache, sondern im Gegenteil als Chance. Dies gipfelte in der Hoffnung, daß "Deutschland in Folge der Civilisation" gelingen werde, "was in Frankreich in Folge einer Revolution geschah", nämlich "I) reelle politische Freiheit, und 2) materielles Wohlseyn" zu erlangen. 20 Individuum und Tauschakte waren auch fIlr Rau konstituierende Merkmale der Gesellschaft. Obwohl er die daraus erwachsende Konkurrenz in wirtschaftlicher Hinsicht durchaus positiv als "Zusammenwirken,,21 begriff, reichten seiner Meinung nach jedoch die Selbstregulierungsmechanismen keineswegs dazu aus, um gleichermaßen eine stabile Gesellschaftsordnung zu etablieren?2 Tribe 20 A. Lips, Deutschlands National-Oekonomie, Giessen 1830, S. 313 ff.; Zitate S. 531, S. 540, S. 377, S. 383 und S. 650. 21 K. H. Rau, Ansichten der Volkswirthschaft, 1821, S.33: "Die vollständige, ja reichliche Befriedigung der Bedürfnisse durch eine eben so ausgedehnte Hervorbringung wird von dem Mitbewerbe der wetteifernden Erzeuger hervorgebracht, also von einem Zusammenwirken." 22 Smith hatte hingegen die gesellschaftspolitischen Auswirkungen wirtschaftlicher Interaktionsprozesse insgesamt optimistisch beurteilt. Vgl. dazu die Aufsätze von M. Prisching, Adam Smith und die Soziologie, S. 53-92, und R. Sturn, Natürliche Freiheit und soziale Kontingenz, S. 93-117, in: H. D. Kurz (Hrsg.), Adam Smith (17231790), Marburg 1990. 4 Burkhardt

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erkennt hierin das Signum 'post-Smithianischer' Kritik und eine zugleich 'moderne' Sichtweise: "Government and society are c1early separate for Rau; but equality and justice require that the government should not only maintain peace and order, but also regulate and administer the conditions of production and distribution. ,,23 Für Lips, der noch selbstverständlich Staats- und Wirtschaftsform miteinander gekoppelt hatte, war es nur logisch und folgerichtig gewesen, daß parallel zum wirtschaftlichen Versagen der Zunftordnung die Ständeordnung ihre gesellschaftliche Funktion einbüßen mußte. Rau dagegen entdeckte im heraufkommenden vierten Stand ein Problem der Gesellschaftsordnung, welches Koselleck im Blick auf die Folgen der liberalen Wirtschaftsgesetzgebung in Preußen als Heimatlosigkeit der Armen "zwischen Staat und Stand,,24 definiert. Die liberalen Ökonomen entschieden sich in dieser Frage fiir den Staat und wiesen ihm damit einen im Vergleich zur klassischen Lehre erweiterten Aktionsradius zu. 2. Das Ordokonzept der katholischen Sozialphilosophie in der theoretischen Diskussion Im Gegensatz dazu zielten die in konservativen Gesellschaftsmodellen vielfach angemahnten Reformen darauf ab, die Stände qua Erneuerung zu erhalten. In diesen Rahmen fügte sich das Ordokonzept der katholischen Sozialphilosophie ein, das in Bayern mit Franz von Baader einen wichtigen Repräsentanten vorweisen konnte. Bei ihm gingen Organismusvorstellung der Romantik, Ordogedanke und gesellschaftspolitische Überlegungen eine Verbindung ein, die ihn zum Teil sehr eigenwillige Lösungsvorschläge entwickeln ließ. Baader5 war nicht nur Theoretiker, sondern hatte durch eine Reise nach England und Schottland, seine Tätigkeit als Bergrat, als Eigentümer einer Glasfabrik und nicht zuletzt durch seinen älteren Bruder Joseph - ebenfalls Bergrat und darüber hinaus mit technischen Neuerungen etwa auf dem in Deutschland unerprobten Sektor des Eisenbahnwesens hervorgetreten - stets konkrete Bezüge zur Arbeitswelt. Dieser praktische Erfahrungsschatz bildete einen HinterK. Tribe, S. 187 f. R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, Stuttgart 31981, S. 131. 25 Benedikt Franz Xaver von Baader (1765-1841); 1781-85 Studium der Medizin und Naturwissenschaft in Ingolstadt und Wien, später an der Bergakademie Freiberg; 1792-96 Reise nach England und Schottland; 1799 in München zum Bergrat ernannt; seit 1808 Mitglied der Akademie der Wissenschaften, ab 1826 a.o. Prof. der Philosophie an der Münchener Universität. Nach: NDB 1, S. 474-476; ADB I, S. 713-725; s. auch E. Benz, Franz von Baaders Gedanken über den "Proletair", in: Zeitschrift für Religionsund Geistesgeschichte 1(1948), S. 99. 23

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grund, der sich bei aller Originalität des Denkens in seinen Schriften zur sozialen Problematik widerspiegelt. Die hier untersuchten Publikationen 26 entstanden in zwei verschiedenen Zeitabschnitten. Nur wenige Jahre nach seiner Rückkehr aus England bezog Baader 1801/02, also bereits zur Zeit der meist noch kritiklosen Smith-Rezeption, Stellung gegen den Wirtschafts liberalismus. Sein Arbeitsschwerpunkt lag in dieser Phase allerdings im Bereich der Naturphilosophie. Erst in den Jahren 1834 bis 1836 erschienen seine sozialpolitischen Schriften, in denen er sich mit der Proletarierfrage auseinandersetzte. Baader hatte seine Gedanken zur Sozialphilosophie in einer Reihe von verstreuten Abhandlungen entwickelt, wobei die Beschäftigung speziell mit dieser Problematik sicherlich durch die aktuelle Situation nach der 1830er Revolution in Frankreich und am Beginn des Industrialisierungsprozesses in Deutschland ausgelöst wurde. Baaders Revolutionsangst entsprang der eigenen Anschauung in England und einem daraus hervorgehenden Verständnis rur die verzweifelte und aussichtslose Lage der Industriearbeiter. Daher scheute er sich nicht, seine Warnungen und Lösungsvorschläge in Schreiben einem "hochgestellten Staatsmann" - vermutlich dem Minister des Innern, Oettingen-Wallerstein - oder König Ludwig I. direkt zugehen zu lassen. 27 Obwohl er im Industriewesen den Auslöser für "Elend, Unzufriedenheit und moralische[r] Verwilderung der arbeitenden Volksmenge" erblickte, machte er es dennoch nicht für diese katastrophalen Auswirkungen auf die Gesellschaft

26 Franz von Baader, Ueber einen Aufsatz: Berichtigung des öffentlichen Urtheils über den naturrechtlichen Grund gegen die Aufhebung der Zünfte, [erstmals in: Churfürstlich Pfalzbayerisches Regierungs- und Intelligenzblatt 180 I, Nr. 21, S. 341-348], (= Zünfte, S. 1-10); ders., Ueber das sogenannte Freiheits- oder das passive Staatswirthschaftsystem, [erstmals in: Churfurstlich Pfalzbayerisches Regierungs- und Intelligenzblatt 1802, Beilage zum 10. Stück], (= Staatswirthschaft, S. 167-180); ders., Ueber den Evolutionismus und Revolutionismus oder die posit. und negat. Evolution des Lebens überhaupt und des socialen Lebens insbesondere, [erstmals in: Bayerische Annalen, Jg. 1834, Nr. 28 und Nr. 62], (= Evolutionismus, S. 73-108); ders., Ueber das dermalige Missverhältniss der Vermögenslosen oder Proletairs zu den Vermögen besitzenden Classen der Societät in Betreff ihres Auskommens sowohl in materieller als intellectueller Hinsicht aus dem Standpuncte des Rechts betrachtet, München 1835, (= Proletairs, S. 125-144). Die Schriften werden zitiert nach: F. Hoffmann (Hrsg.), Franz von Baader's Sämmtliche Werke, Bd. 6, Leipzig 1854. Alle Seitenangaben beziehen sich auf diese Ausgabe. 27 Baader an einen hochgestellten Staatsmann, München, 23.9.1834, in: F. Hoffmann (Hrsg.), Franz von Baader's Sämmtliche Werke, Bd.15, Leipzig 1857, S. 505-510. Als Adressat wird von Grenner und Stegmann der damalige Innenminister OettingenWallerstein angegeben, in: K. H. Grenner, Wirtschaftsliberalismus und katholisches Denken, Köln 1967, S. 148; F. J. Stegmann, Der soziale Katholizismus und die Mitbestimmung in Deutschland, München 1974, S. 25. Baader an König Ludwig 1., München, 6.9.1835; hier zitiert nach: E. Benz, S. 122/123.

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verantwortlich. 28 Nicht den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt prangerte er an, sondern die passive Haltung den sozialen Folgen gegenüber. Er war daher ein vehementer Berurworter einer engagierten Staatstätigkeit, die regulierend eingriff, an statt "Alles dem lieben Ohngefiihr zu überlassen,,?9 Auf die Qualität der Arbeit wirkte sich der industrielle Fortschritt nach seiner Beobachtung eher nivellierend aus, da "die Arbeit immer productiver und unter mehrere Menschen vertheilt" wurde. Im Gegensatz dazu trieb er die Gesellschaft zu stetig steigender Disparität, weil "der Genuss oder Gewinnst derselben [der Arbeit / 1.8.] sich aber immer auf wenigere Individuen beschränkt".30 Baader glaubte also ebensowenig an eine prästabilierte Harmonie in der Erwerbswelt. Daß er einen derartigen Selbstregulierungsmechanismus von Anfang an und damit erheblich früher als die liberalen Kritiker Adam Smiths konsequent bestritt, war allerdings nicht einzig auf seine Erfahrungen in England zurückzuführen, sondern mehr noch auf seine eigenen gesellschaftspolitischen Überzeugungen. Baader focht rur einen harmonischen Interessenausgleich auf allen Ebenen. Ziel jeder Wirtschaftstätigkeit mußte es daher sein, ein Gleichgewicht zwischen den drei Gewerbezweigen - Landwirtschaft, Gewerbe und Handel - herzustellen sowie einer größtmöglichen Anzahl von Bürgern relativen Wohlstand zu sichern. Darin bestünden wahre Freiheit und eigentliche Gleichheit. 31 Freiheit - und das galt erst recht rur wirtschaftliche Freiheit - definierte er nämlich im Gegensatz zu den Liberalen nicht vom Individuum, sondern vom Ganzen, vom Gleichgewicht der Teile her. Hier erweist sich Baader der romantischen Organismusvorstellung verpflichtet, weshalb ihm nicht nur das Smithsche Harmonieverständnis, sondern ebenso die durch staatliche Eingriffe modifizierten Modelle der Liberalen fremd bleiben mußten. Für ihn schied der Gedanke von vorneherein aus, daß sich bei Verfolgung des Eigennutzes irgendein Vorteil rur das Gemeinwohl ergeben konnte. Folglich kam die Konkurrenz als Mittel des Ausgleichs nicht in Betracht, und der Staat mußte regulierend in diesen wohlstandsgefährdenden Interessenwiderstreit eingreifen. 32

Baader's Werke, Bd. 15, S. 506 f. (= Brief vom 23.9.1834). Baader's Werke, Bd.6, S. 6 (= Zünfte); vgl. auch ebd., S. 9 f., sowie S. 173 ff. (= Staatswirthschaft). 30 Baader's Werke, Bd. 15, S. 508 (= Brief vom 23.9.1834). 31 Baader's Werke, Bd. 6, S. 170 ff. (= Staatswirthschaft). 32 Die Liberalen und besonders A. Smith bezichtigte er hinsichtlich ihrer passiv definierten Rolle des Staates der Inkonsequenz: Obwohl sie die Funktionsmechanismen des Wettstreits erkannt hätten, leugneten sie dessen verderbliche Folgen. Ebd., S.171 f. u. Anm. (= Staatswirthschaft); vgl. auch S. 133 Anm. (= Proletairs). 28

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Welcher Art diese staatlichen Eingriffe sein sollten, wurde von Baader nicht näher definiert. Klar war nur, daß der Ansatzpunkt solcher Maßnahmen nicht das Individuum, sondern die Gesamtheit sein mußte, welcher der Staat ausschließlich verpflichtet war und wovon sich letztlich die Begriffe "Freiheit" und "Gleichheit" ableiteten. Im Bereich der Wirtschaft verstand er darunter Freiheit und Gleichheit der Erwerbsfllhigkeit. Beides könne nur der Staat garantieren kraft seines Vermögens, ''jedem einzelnen Stande die Freiheit Gedem andern zu schaden) zu nehmen." Gemessen an diesen Kriterien wertete er das liberale Modell als 'Pseudofreiheitssystem' ab: "Wenn nemlich der Staat in Hinsicht des Eigenthumes jeden Stand und Bürger nur insofern schützt, als er ihm das bereits Erworbene zwar gegen Andere ... sichert, ihn aber dagegen in dem, was ihm nicht minder nahe geht, nemlich im Erwerbe desselben selbst, völlig ... vogelfrei lässt, so hat offenbar der Staat seine Pflicht nur halb gethan und sein Unterthan lebt noch zur Hälfte im wilden sogenannten Stande der Natur (hors de la loi).,,33 Seiner Auffassung nach konnte sich der Wirtschafts liberalismus nicht auf das Naturrecht berufen, sondern stellte einen Rückschritt in Richtung Naturzustand dar. Nicht nur in der Außenwirtschaft galt es die Interessen der Nation zu wahren, um nicht zur Kolonie herabzusinken. Erst recht unter dem Aspekt der Wohlstandsförderung im Innern hielt er einen in Abwehr staatlicher Eingriffe definierten Rechtsstandpunkt rur unzureichend. Eine Begrenzung des Staates auf einen passiven Part in Wirtschaftsangelegenheiten und den Schutz des Erworbenen genügte ihm nicht. Er verlangte eine aktive Rolle bei der Sicherung von Erwerbsmöglichkeiten. Ausgangsbasis seiner Überlegungen war der christliche Eigentumsbegriff. Während nach liberalem Verständnis Besitz und Eigentum als Gegenwert für Leistung völlig legitim der Privatsphäre angehörten, war Eigentum nach Baaders Überzeugung nur von Gott verliehener Amtsbesitz. 34 Daraus folgerte er eine streng soziale Verbindlichkeit des Eigentums. Grenner verweist in diesem Zusammenhang auf "Baaders Voraussetzungen in seiner theozentrischen und ethisch bestimmten Philosophie", deren moralische Kategorien und Ansprüche er gleichermaßen auf das Wirtschaftsleben anwandte. 35 Seinem Eintreten für Standschaften und zünftische Korporationen lag dasselbe Motiv zugrunde, wenn er sich auf Schlegel berief mit dem Argument, "dass das social bildende 33 Ebd., S. 176 u. S. 177 (= Staatswirthschaft); ähnlich S. 96 (= Evolutionismus). Für das Folgende ebd., S. 173 ff. (= Staatswirthschaft). 34 "Wie sie Alle, nach der Lehre des Christenthums, der Höchste, wie der Niedrigste, von Gottes Gnaden da sind, und alles, was sie sind und haben, Gottes ist, so können und dürfen sie auch mit ihren Personen, Kräften und mit ihrem Eigenthume nicht schalten und walten, wie sie in ihrer Eigenheit und Selbstsucht wollen und gelüsten, sondern wie Gott will." Ebd., S. 96 (= Evolutionismus). Zu Baaders christlichem Eigentumsbegriff: E. Benz, S. 106 ff. 35 K. H. Grenner, S. 159; vgl. S. 162 f.

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organisirende Princip kein anderes als das christliche, als das Innungsprinzip par excellence, ist".36 Baader, der als eine zentrale Figur der Münchner Romantik gilt, bezog eine antiliberale und antirevolutionäre Position, weil er "von dem Zusammenhange der bürgerlichen oder socialen Freiheit mit der Ständigkeit (corporation)" überzeugt war. Eine Lösung der sozialen Probleme kam tUr ihn daher nur innerhalb der ständisch-korporativen Ordnung in Frage. Auf der anderen Seite richtete sich die "Konzeption des Ständestaats mit ihren machthemmenden Faktoren ständischer und zünftischer Selbständigkeit ... auch gegen den zentralistischen Machtstaat Metternichs,,37, also gegen Absolutismus und Merkantilismus in ihrer aufgeklärten Form. So bemerkte Baader in einem seiner Artikel, es genüge nicht, " diese negative Evolution [= Revolution / 1.8.] durch polizeiliche und Prohibitiv-Mittel zurückzudrängen und niederzuhalten,,,38 wenn nicht gleichzeitig die positive Fortentwicklung gefördert werde. Auch die soziale Frage oder mit Baaders Worten: das "Missverhältniss der Vermögenslosen oder Proletairs zu den Vermögen besitzenden Classen der Societät in Betreff ihres Auskommens,,39 war seiner Einschätzung nach nicht allein mit Wohltätigkeits- oder Polizeianstalten zu lösen, "weil beide nur Palliative des Uebels sind", sondern nur noch auf rechtlichem Weg. In der jetzigen Situation seien die Proletarier den Lohn- und Preisabsprachen der Fabrikanten ohnmächtig ausgeliefert, welche ihren Lohn "beständig tief unter dem natürlichen Werth und Preis ihrer Waare (nemlich ihrer Arbeit) hielten." Da in den Kammern und Parlamenten niemand ihre Interessen vertrat, brachte Baader sogar ein gewisses Verständnis datUr auf, wenn die Arbeiter versuchten, sich gegen ihre Lohnherren zu solidarisieren. Dennoch lag ihm jeder Gedanke an aus freier Übereinkunft zustande gekommene Assoziationen fern, verurteilte er auf das schärfste deren oftmals revolutionäre Zielsetzungen. 4o Er wertete dies als weiteren Beleg tUr den falsch konzipierten Gleichheitsgrundsatz des konstitutionellen Staates, der die Proletarier einem "rechtlosen (unbürgerlichen, weil unverbürgten)" und damit menschenunwürdigen und systemgeflihrdenden Zustand überließ. Daher hielt er die Baader's Werke, Bd. 6, S. 137 (= Proletairs). Das folgende Zitat ebd., S. 136. F. Müller, Korporation und Assoziation, Berlin 1965, S. 140. 38 Baader's Werke, Bd. 6, S.75 (= Evolutionismus). Die aktuelle Situation (1834) beschrieb er in diesem Zusammenhang als "Ruhe des Kirchhofes" (S. 76), als nur äußerliche und anscheinende Ruhe. 39 So der Titel seiner 1835 erschienenen Schrift, in: Baader's Werke, Bd. 6, S. 125144. Aus ihr die folgenden Zitate, wenn nicht anders angegeben. (Erschienen auch als unveränderter reprographischer Nachdruck, Darmstadt 1968, S. 97-123.) 40 Vgl. hierzu auch ebd., S. 96 (= Evolutionismus). S. dazu: F. 1. Stegmann, Der soziale Katholizismus; darin das Kapitel: Franz von Baader: Rechtsanspruch der Arbeiter auf "Repräsentation" in der ständischen Gesellschaft, S. 25-30. 36 37

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"Einbürgerung der Proletairs" für dringend erforderlich, die ihnen die Geborgenheit als Bürger vermitteln würde. Ganz dem ständischen Gedanken verpflichtet, konnte er den Vermögenslosen dennoch keine volle Repräsentation als eigene Standschaft zugestehen. Was er für sie forderte, "das Recht der Repräsentation als Advocatie," war nicht mehr als ein Petitionsrecht, "das Recht, in den Ständeversammmlungen ihre Bitten und Beschwerden in öffentlicher Rede vorzutragen". Als geeignete AnlaufsteIle und Sprachrohr solcher Klagen schlug er die Priester vor, weil diese dem Volk nahe stünden und dadurch ihrerseits wieder ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Dienst am Nächsten, nachkämen.

Ohne an dieser Stelle erörtern zu wollen, ob und inwieweit sich verschiedene Handlungsmuster und Wertvorstellungen im ökonomischen Bereich auf unterschiedliche ethische Normen und Prinzipien des Katholizismus oder des Protestantismus zurückftlhren lassen - stellvertretend für diese Diskussion sei hier nur Max Webers These von der stärkeren Affinität der protestantischen Berufsauffassung zur kapitalistischen Erwerbsgesellschaft genannt41 -, kann dennoch festgestellt werden, daß die katholische Soziallehre mit den Idealen der Romantik korrespondierte. Die Überlegenheit des Organischen über das Rationale und Analytische, die Betonung des historisch Gewachsenen bei gleichzeitiger Skepsis Veränderungen gegenüber bis hin zur Neuerungsfeindlichkeit, ein statisches Gesellschaftsbild, in dem die Existenz eines vierten Standes rechtswidrig erscheinen mußte, das aber dem Individuum Freiheitsrechte wie die Assoziationsund Gewerbefreiheit wegen der darin innewohnenden Sprengkraft für die ständische Ordnung nicht zugestehen konnte - all diese Versatzstücke romantischer Ideenwelt finden sich auch bei Franz von Baader. Müller wirft ihm deshalb vor, wie die Romantiker insgesamt "die faktischen gesellschaftlichen Veränderungen und damit auch das Gewicht der sozialen Frage" verkannt zu haben. Ganz ähnlich urteilt Pankoke, daß "die restaurative Apologie ftlr eine ständische Re-Integration der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber den aktuellen gesellschaftlichen Problemen des industriellen Ausbaus immer weniger realistisch" war. Auch Grenner oder Stegmann finden Baaders zunächst modemen Blickwinkel auf die Proletarierfrage unter dem Aspekt ihrer rechtlichen Stellung durch das Ständeschema eingeengt. 42 Selbst die Kritiker vermerken jedoch zumeist, daß die als Folge der wirtschaftlichen Umstrukturierung einhergehenden gesellschaftlichen Deformationsprozesse richtig erkannt und beschrieben wurden und daß wiederum Baader - von seinem christlichen Standpunkt aus - sehr früh dieses Problem analy41 M. Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalimus, in: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. I, Tübingen 41947, S. 17-205. 42 F. Müller, S. 141; E. Pankoke, Sociale Bewegung - Sociale Frage - Sociale Politik, Stuttgart 1970, S. 61; K. H. Grenner, S. 161; F. J. Stegmann, Der soziale Katholizismus, S. 28 f. Zum Vergleich mit Marx im folgenden: E. Benz, S. 103 ff.

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sierte. Dabei fonnulierte er Fragestellungen und Erkenntnisse über die Lage der Arbeiter, zu denen später Marx ebenfalls gelangte, wenngleich jener andere Schlußfolgerungen daraus zog.

3. Die populärwissenschaftliche Fortschrittsfeindlichkeit der "HPBI" Um den Standort Baaders richtig einschätzen zu können, muß darauf hingewiesen werden, daß dieser nicht den Katholizismus in Bayern schlechthin repräsentierte. Wo Baader wissenschaftliche Erkenntnis und religiöse Emphase geleitet hatten, war der Görres-Kreis43 mit der von ihm herausgegebenen Zeitschrift "Historisch-politische Blätter" um Einflußnahme in der Politik und auf die öffentliche Meinung des Landes bestrebt. Während Baader dem Klerus eine Rolle zugedacht hatte, die Schnabel mit dem Verweis auf Ketteler und Kolping als den im 19. Jahrhundert sich herausbildenden "neue[n] Typus des sozialen Pfarrers,,44 beschreibt, reklamierten die HPBI die Restitution der Einheit von Kirche und Staat. Baader, der noch an der Vorläuferzeitschrift "Eos" mitbeteiligt gewesen war, hatte sich von dieser Position in den 30er Jahren bereits abgewandt. 45 Die Argumentationsrichtung war zwar die gleiche, doch zielte die politische Publizistik der HPBI auf ihre Gegner mit wesentlich schärferer Polemik. Durch die Unruhen des Jahres 1847 sahen sie ihre Warnungen bestätigt, daß als "nothwendige Folge des vorausgestellten Glückseligkeitszweckes" nur übersteigerte Begehrlichkeiten geweckt würden, hinter denen der "Bundschuh des radikalen Communismus hängt". Sie diagnostizierten die Unruhen als "socialer Natur", weil ihnen die Idee einer völligen Umwälzung der bestehenden Eigentums- und Gesellschaftsordnung zugrunde liege. 46

43 Johann Joseph von Görres (1776-1848); anfangs Anhänger der Französischen Revolution und Befürworter der Rheinischen Republik. Während seiner Tätigkeit als Privatdozent in Heidelberg Herausgabe der "Teutsche[n] Volksbücher" und Mitglied des Heidelberger Romantikkreises um Amim und Brentano. Als Herausgeber der Zeitschrift "Rheinischer Merkur" (ab 1814) kämpfte er gegen Napoleon für ein deutsches Reich. 1816 mußte er nach Straßburg fliehen. 1827 erfolgte seine Berufung als Historiker an die Universität München. 1828-32 Mitarbeit an der Zeitschrift "Eos", später an den von G. Phillips und seinem Sohn Guido Görres ab 1838 herausgegebenen "HPBI". Nach: NDB 6, S. 532-536; ADB 9, S. 378-389. 44 F. Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd.4, Freiburg 1937, S.207. 45 H. Kapfinger, Der Eoskreis 1828-1838, München 1928, S. 1 ff.; S. v. Moisy, Von der Aufklärung zur Romantik, Regensburg 1984, S. 178. 46 HPBI 19 (1847), S. 141, S.758; vgl. ebd., S. 129 ff., S. 287 ff., S. 522 ff., S. 754 tT.

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Von Anfang an hatten die HPBI das Verhältnis der "Annuth, dem Besitze und dem Reichthume gegenüber" zur "Lebensfrage unserer Zeit,,47 erhoben. Deren Behandlung gab jedesmal die Möglichkeit, die abstrakten Staatstheorien, die volksfremde Bürokratie, den wachsenden Indifferentismus und die Auflösungserscheinungen als Wurzel allen Übels zu beklagen. Auf dem Gebiet der Wirtschaft nahmen sie nicht nur in bezug auf Freisetzung und Konkurrenz, sondern - im Gegensatz zu Baader - auch gegenüber Industrie und Fortschritt eine völlig ablehnende Haltung ein. Die Risiken des Fabrikwesens wurden in düsteren Bildern vor Augen gesteilt: Der Arbeiter "wird exploitirt, wie jede andere Waare; die Concurrenz hat kein Herz und kennt keine Bannherzigkeit." Fabrikherren und Arbeiter verbinde nichts als "der wechselseitige Gewinn", der vom "Wind des Glückes", vom "Zusammentreffen günstiger Handelsconjuncturen" abhänge. Blieben Arbeit und Lohn aus, treibe es "Tausende wieder, wie Sandkörner, in alle Welt auseinander, oder sie durchziehen in Schaaren als Proletarier, die Marseillaise singend, und mit Drohgeschrei Arbeit und Brod verlangend, die Straßen".48 Fortschritt wurde nicht nur mit Zerstörung des Altbewährten, sondern gleichsam schicksalhaft mit Genußsucht, Egoismus, Ignoranz und einem letztlich destruktiven Drang "in die blaue, bodenlose Unendlichkeit" gleichgesetzt. Daher lehnten die HPBI neue Organisations- ebenso wie neue Produktionsfonnen kategorisch ab; das Idealbild blieb der ständisch-korporierte, im Familienverband rur den unmittelbaren örtlichen Bedarf produzierende Handwerker. Wie Baader hielten die HPBI ein christliches Fundament rur jegliche Art von Gemeinschaft für unverzichtbar. Nur so gelänge es, die Besitzlosen mit ihrem Los zu versöhnen und die Reichen und Mächtigen an Altruismus zu gemahnen. Mit einer rein seelsorgerischen Funktion der Kirche wollten sie sich jedoch nicht begnügen. Ihr Ziel war die Verbindung von Religion und Wissenschaft sowie die Wiederherstellung der Anerkennung und Geltung der Kirche, also wieder eine engere Verbindung von Kirche und Staat. 49 Wohlgemerkt der katholischen Kirche, da der Protestantismus ihrer Meinung nach den Auflösungstendenzen Vorschub leistete. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß der konservative politische Katholizismus in Bayern fest verwurzelt war. Und das nicht nur in der religiös geprägten Mentalitätsstruktur breiter Bevölkerungskreise vor allem auf dem Land,

47 HPBI I (1838), S. 141 (Ueber Annuth. Annenwesen und Annengesetze, S.141-154). 48 HPBI 12 (1843), S. 388 f. Für das Folgende vgl. etwa HPBI 13 (1844), S. 631 ff.; Zitat HPBI 7 (1841), S. I. 49 HPBI9 (1842), S. 578 ff.; HPBI 13 (1844), S. 320 ff. Zur Haltung dem Protestantismus gegenüber s. HPBI 3 (1839), S. 257 ff.; HPBI 7 (1841), S. 38, S. 48.

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sondern bis hin zu den höchsten Regierungsämtern und dem Monarchen. 50 Gollwitzer spricht von einem "Kreis von Adeligen, hohen Beamten, Professoren, Geistlichen, freiberuflichen Intellektuellen, Publizisten und Journalisten ... , den Abel [Innenminister ab 1837 / I.B.] als staatsmännischer Exponent beim König repräsentierte." Im Landtag vertraten Männer wie Döllinger oder Ringseis die Sache des Katholizismus. König Ludwigs I. Herrschaftsanspruch stützte sich seinem Verständnis nach auf eine religiös fundierte Ständeordnung und befand sich in inniger Übereinstimmung mit einem christlich motivierten Traditionalismus. So förderte er die Restauration der Kirche im Innern, verstand sich als Schutzherr des Katholizismus, war aber gleichzeitig darauf bedacht, daß die Kirche keinen Einfluß auf die Staatsgeschäfte gewann. Ein Vorschlag wie Baaders Repräsentation der Proletarier mußte ihm deshalb fremd bleiben, obwohl er ihm in einem Schreiben vom Autor eigens dargelegt worden war. Ohne also Baaders Einfluß überschätzen zu wollen 51 oder das vielschichtige und komplizierte Verhältnis von Katholizismus und Staatsverständnis in Bayern differenziert darstellen zu können, muß doch festgehalten werden, daß der ständisch-korporative Gedanke in Bayern kräftige Impulse von der katholischen Sozialphilosophie erhalten hatte. Zwar wäre es zu einfach, eine Unterscheidung zwischen aItbayerisch-katholisch-konservativem und fränkisch-protestantischliberalem Standpunkt zu treffen. So klar verliefen die Konfliktlinien keineswegs, und überdies fanden sich Katholizismus und Liberalismus gemeinsam in der Abwehrstellung gegen Absolutismus und Kommunismus wieder. Für die folgende Betrachtung des Regierungshandelns bleibt als wichtige Erkenntnis festzuhalten, daß beide Ansätze von einem engen Zusammenhalt von Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ausgingen. Trotz aller Korrekturen an der "reinen Lehre" des klassischen Liberalismus auf der einen Seite und trotz zunehmender Aufgeschlossenheit für den Fortschritt auf seiten des Konservatismus hätten die Differenzen im Bereich der Gesellschaftsordnung nicht tiefgreifender sein können. Wie gezeigt werden konnte, ging dies auf ein völlig unterschiedliches Verständnis der Begriffe "Freiheit" und "Recht" zurück. 52

50 W. K. Blessing, Staat und Kirche in der Gesellschaft, Göttingen 1982, S. 84 ff.; H. Gollwitzer, Ludwig 1. von Bayern, S. 513 ff., S. 561 ff.; Zitat S. 564. 51 R. van Dülmen, Baaderiana, in: ZBLG 31 (1968), S. 822-831. 52 Erwähnt sei hier die von Papst Gregor XVI. im Jahr 1832 ergangene Bulle "Mirari vos", die gegen den Liberalismus gerichtet war. Die verschiedenen Aspekte beleuchtet knapp und differenziert F. Eyck, Liberalismus und Katholizismus in der Zeit des deutschen Vormärz, in: GG, Sonderheft 9 (1983), S. 133-146.

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Nun handelt es sich dabei auch um zwei Schlüsselbegriffe, wenn es um die freie Entfaltung wirtschaftlichen Handeins geht. So wird im nächsten Kapitel zu sehen sein, daß vieles, was zunächst wie eine Frage der Gesellschaftsordnung aussah, unter dem Aspekt der sozialen Problematik zu einer Entscheidung über die Wirtschaftsordnung werden konnte. Zum Beispiel dann, wenn es um die Festlegung des rechtlichen Rahmens oder der gesetzlichen Leitlinien rur das Wirtschaftshandeln ging oder Kompetenzen und Zuständigkeiten der Verwaltung im wirtschaftlichen Bereich festgelegt wurden.

11. Das Dilemma des Monarchen: Dynamisierung der Wirtschaftsstruktur bei Festschreibung der Gesellschaftsordnung 1. Monarchisches Selbstverständnis und wirtschaftspolitische Ohnmacht der Mittelbehörden

Unbestreitbar vollzog König Ludwig I. zu Beginn der 1830er Jahre eine Hinwendung zum Traditionalismus. Als Kronprinz und zu Beginn seiner Regentschaft hatten sich die Hoffnungen der liberalen Verfassungsbewegung mit seiner Person verknüpft. Nach anfiinglichem reformerischem Optimismus rückte er unter dem Eindruck der Ereignisse der Julirevolution 1830 in Frankreich deutlich von liberalen Überzeugungen ab. Bereits der folgende Landtag 1831 war von heftigen Konfrontationen zwischen Regierungsvertretem und liberaler Opposition geprägt. Das Hambacher Fest 1832 verstärkte die Reaktion des Königs, der ungeachtet des steten Bekenntnisses seiner "teutschen" Gesinnung kein Gran seiner Souveränitätsrechte abgeben wollte, die er durch die demokratische Verfassungs- und Nationalstaatsbewegung bedroht sah. Allerdings waren die Hoffnungen des liberalen Bürgertums vielfach zu hoch gesteckt gewesen. Der Monarch hatte von Anfang an keine Neigung gezeigt, sich dem Erwartungsdruck irgendeiner Gruppe zu beugen, sei es nun der liberalen oder der Klerikal-Konservativen. Dies hätte seinem Verständnis von Herrschaft widersprochen, das Gollwitzer mit Begriffen wie "autokratisches System" oder "persönliches Regiment" umreißt und folgendermaßen skizziert: "Aufrechterhaltung von Recht und Gesetz, aber strengste Interpretation der Verfassung nach dem monarchischen Prinzip, obrigkeitsstaatliche Ordnung, Ausbau einer die gesamte Gesellschaft bestimmenden Kirchlichkeit, Ausspielen der Ersten Kammer gegen die Zweite, peinlich genaue Kontrolle der Regierungsarbeit unter dem Gesichtspunkt pünktlichen und exakten Vollzugs der königlichen Befehle. ,,53

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Unter einem Regenten, der sich keine Entscheidung aus der Hand nehmen lassen wollte und sich dazu des Kabinetts bediente, der seine Minister mehr als ausfllhrende Organe seiner Beschlüsse denn als fachkundige Sachwalter ihrer Ressorts betrachtete,54 konnten die Minister kaum eigenständiges Profil durch Umsetzung eines politischen Entwurfs gewinnen. Zwar machten die Fülle und stetige Zunahme der Regierungsaufgaben die von Ludwig I. erstrebte Omnipräsenz und allumfassende Informiertheit immer schwieriger. Dadurch entstanden für die jeweils in ihrem Bereich spezialisierten Minister Spielräume, die sie - wie Gollwitzer vermerkt - durchaus durch persönliche Akzentsetzung gestalteten. 55 Dennoch zeigt gerade der Wechsel im Innenministerium vom säkularisiert-konstitutionell gesonnenen Oettingen-Wallerstein zum konservativ-klerikal überzeugten Abel im Jahr 1837, daß das Terrain des Grundkonsenses mit dem Monarchen eng abgesteckt war. Ein "Überminister", wie ihn sein Vater Max I. Joseph mit Montgelas installiert hatte, wäre mit Ludwigs Regierungsverständnis völlig unvereinbar gewesen. Ludwigs Regentschaft orientierte sich am traditionellen Leitbild der familienhaften Symbiose des Herrschers und seiner Untertanen, am Ideal des Monarchen als väterlicher Leitfigur. Der Affekt gegen Montgelas, zu dessen Sturz Ludwig als Kronprinz beigetragen hatte, war nicht so sehr gegen dessen Person, sondern gegen das System des aufgeklärten Absolutismus gerichtet gewesen, weIches jener verkörpert hatte. Seine Ablehnung einer wertfreien, zweckrationalen 'Regierungsmechanik' schloß die dazugehörige Verwaltung und Beamtenschaft mit ein. Weit davon entfernt, sich der Zustimmung des Volkes auszusetzen, sah Ludwig dennoch in der Allianz von Fürst und Volk die sicherste Stütze für den Thron. Die Vorstellung, daß sich hier die Beamtenschaft als hemmende Barriere dazwischenschieben könnte, hatte ihn bereits als Kronprinz beunruhigt: "Ein Damm zwischen Volk und Fürst die Beamten, das sol1e nicht sein".56

53 H. Gollwitzer, Ludwig I. von Bayern, S. 457, S. 399, S. 458. Die Biographie bildet insgesamt ein aufschluß- und facettenreiches Bild der Herrscherpersönlichkeit Ludwigs I. ab. 54 M. Spindler, Das Kabinett unter König Ludwig I., in: Staat und Volkstum, Diessen 1933, S. 318-330; A. Kraus, Grundzüge der Geschichte Bayerns, Darrnstadt 1984, S. 157 ff.: Verfassungsentwicklung und Kulturpolitik unter Ludwig I. und Maximilian 11. (1825-1864); K. Frhr. v. Adrian-Werburg, Das Königreich Bayern 1808-1918, S. 49 ff., v.a. S. 58, in: K. Schwabe (Hrsg.), Die Regierungen der deutschen Mittel- und Kleinstaaten 1815-1933, Boppard 1983. 55 H. Gollwitzer, Ludwig I. von Bayern, S. 403. 56 Kronprinz Ludwig zu Frhr. v. Lerchenfeld, in: Bayer. Staatsbibliothek, Ludwig I.Archiv, Tagebuch 3,38,15.10.1818, hier zitiert nach: H. Gollwitzer, Fürst und Volk, in: ZBLG 50 (1987), S. 73 I. Dort (S. 731 ff.) ausführlicher zu Ludwigs Konzeption von Fürst und Volk.

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In bezug auf die Verwaltung traf daher die äußerst rigide Sparpolitik, die er als Monarch zur Sanierung des hoch überschuldeten Staatshaushalts betrieb, mit einer gewissen Distanz dieser Institution gegenüber zusammen, was die personelle wie die materielle Substanz der Behörden berühren mußte. Öffentliche Kritik aus der Beamtenschaft kam von Graf Giech, der nach sukzessiver Karriere im bayerischen Verwaltungsdienst, die ihn in fllnf verschiedene Regierungsbezirke gefllhrt hatte, 1840 die Konsequenzen zog und von seinem Amt als Regierungspräsident in Mittelfranken zurück- sowie aus dem Staatsdienst austrat. S? Die akute Zuspitzung der Situation hatte sich im Zusammenhang mit dem konservativ-klerikalen Kurs des Ministeriums Abel ergeben; der aus dem oberfränkischen Thurnau stammende Graf Giech hatte versucht, als streitbarer Vertreter des fränkischen Protestantismus dagegen zu opponieren. Die Kontroverse zwischen den Ansichten der Regierung und des Grafen, welchen Gollwitzer als Vertreter einer "liberalen Humanität" würdigt und der 1848 auf seine standesherrlichen Privilegien verzichtete, war allerdings fundamental und erstreckte sich bis auf wirtschaftliches Gebiet. Das geht aus einer Eingabe hervor, mit der jener die Motive seines Ausscheidens erläuterte und die sogar gedruckt verbreitet wurde. 58 Giech sah, daß die Aufgaben der Verwaltung wegen der geringen finanziellen Ausstattung nicht zu erfllllen waren. Der Mangel äußere sich zum einen beim Personal, das mit Arbeit überlastet, zudem schlecht besoldet und versorgt und folglich demotiviert sei, zum anderen bei der Umsetzung der Verwaltungszwecke. Nach dem schlechten Zustand der Landstraßen, der zu geringen personellen Ausstattung der Gendarmerie und dem unbefriedigenden Zustand der Bildungsanstalten beklagte er vor allem, "wie höchst dürftig die innere Verwaltung Bayerns hinsichtlich derjenigen Geldmittel ausgestattet ist, die da den Zweck haben, Aufmunterung und Unterstützung unter den Angehörigen einer Industrie zu verbreiten, welche schon allein durch die Conkurrenz des Auslands zur größten Thätigkeit und zu dem lebhaftesten Fortschritt aufgefordert wird.,,59 In Mittelfranken, dem gewerbereichsten Kreis Bayerns, sei ihm dies besonders aufgefallen, und er sei von den Antragstellern des öfteren darauf hingewiesen worden, was in dieser Beziehung früher seitens der preußischen Regierung geschehen sei oder in anderen Staaten getan werde.

57 Franz Friedrich Carl Graf von Giech (1795-1863); seine Karriere im Verwaltungsdienst vgl. Bosls Bayerische Biographie, S. 254. Zur kontroversen Haltung in der Politik: H. Gollwitzer, Die Standesherren, Göttingen 2 1964, S. 194; A. Chroust, Ein Kritiker König Ludwigs I. von Bayern, in: ZBLG 13 (\ 941), S. 53-86. 58 Eingabe des Grafen Giech, Nürnberg, 12.9.1840, in: GHAM Ludwig 1., ARO 21 11; gedruckt u. d. T.: F. F. K. Graf v. Giech, Darlegung der Motive meines Austritts aus dem Staatsdienst, Stuttgart 1840. Zu Abels Haltung vgl. H. Gollwitzer, Ein Staatsmann des Vormärz: KarI von AbeI1788-1859, Göttingen 1993, v.a. S. 343 ff. bzw. S. 354 ff. 59 Eingabe Giech, Fol. I3NS u. RS. Das weiter unten folgende Zitat Fol. 16NS.

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Daß die Kritik Giechs nicht überzogen war, bewies der Bericht des Regierungspräsidenten von Unterfranken, des katholisch-konservativen Grafen Rechberg, den König Ludwig I. zur Stellungnahme aufgefordert hatte. Dieser bestätigte im wesentlichen Giechs Mängelliste, fand allerdings das Schulwesen in seinem Kreis genügend ausgebildet und lehnte jede direkte Industrieförderung ab aus der grundsätzlichen Erwägung, daß der "Industrialismus ... nur zu häufig den Pauperismus in seinem Gefolge" habe. 60 Zwar reklamierte er tUr das Gewerbe in Unterfranken bei dieser Gelegenheit "Nachhilfe", wenn es im Vergleich zum Ausland bestehen solle, die er jedoch besser in Form indirekter Unterstützung gewährt sehen wollte. Blieb die Beurteilung der Mißstände gleich, so waren doch die Schlußfolgerungen unterschiedlich. Ganz entschieden warnte Rechberg vor einer um jeden Preis erzwungenen "Treibhaus-Produktion". Wo Gewinne lockten, würden Unternehmer von selbst Kapital investieren. Als Beispiel verwies er auf die beiden Runkelrlibenzuckerfabriken in seinem Kreis. Trotz verschiedener ökonomischer Standpunkte und der völlig entgegengesetzten Interessenlage - Giech benutzte seinen Rücktritt effektvoll zur Anprangerung der Mißstände, Rechberg mußte geschickt zwischen Darstellung seiner administrativen Fähigkeiten und Steigerung der Mittel tUr die Verwaltung lavieren - geht aus beiden Schriftstücken hervor, daß sich die Kreisbehörden in der Erfüllung ihrer Aufgaben eingeschränkt sahen und gesteigerte Wirksamkeit und Einflußmöglichkeiten wünschten. Im Bereich der Wirtschaft und erst recht auf dem Gebiet der Infrastruktur entdeckte selbst ein erklärter Industriegegner wie Rechberg noch viel Verbesserungswürdiges. Dabei ergab sich paradoxerweise, daß der konservative Rechberg dem Unternehmertum gegenüber die anscheinend liberalere Haltung vertrat und überdies dem progressiven Giech vorwarf, auf dem "bereits banal gewordenen Grundsatz: Industrie vermehrt die Population u. diese vermehrten produzierenden Kräfte vermehren den NationalReichthum" zu verharren. Das war im Kern der Vorwurf, daß Giech überkommenen Staatsgrundsätzen der Zeit des Merkantilismus anhänge. Tatsächlich wurde jener vom Bewußtsein einer höheren Übersicht der Verwaltung geleitet, wenn er deren "lebendige und wirksame Fürsorge ... tUr die Förderung der geistigen wie materiellen Interessen der Unterthanen" reklamierte. Den eigentlich Betroffenen wurde in aufklärerischer Manier die notwendige Einsicht abgesprochen. Genau diese der Bürokratie inhärente Tendenz zur Verselbständigung war es, die den Affekt Ludwigs I. gegen eine sozusagen 'eigenmächtige' exekutive Gewalt hervorrief. Andererseits war sich der Monarch dessen bewußt, daß Machtausübung und -durchdringung in einem Staatsgebiet von der Größe Bayerns und 60 Bericht des Grafen Rechberg, Die von dem Grafen Karl von Giech seinem Dienstes=Austritt unterstellten Motive btr., München, 30.9.1840, Fol. 9 (Zitat VS), in: GHAM Ludwig 1., ARO 21 11.

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in einer Zeit, da dem Staat ständig neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten zuwuchsen, nur mit Hilfe einer funktionsfähigen Verwaltung zu praktizieren war. "Der Territorialstaat benötigt rur seine Durchsetzung und Behauptung im Inneren eine einheitliche Verwaltung und Rechtssprechung.,,61 Und das nicht zuletzt deshalb, weil sie einen unverzichtbaren Beitrag zur Verklammerung der heterogenen und aus unterschiedlichen Traditionen herkommenden Landesteile zu einer einheitlichen bayerischen "Nation" leistete.62 2. Die Verunsicherung der Gewerbetreibenden durch die Konkurrenz Die Darstellungen der beiden Regierungspräsidenten, die so unterschiedliche politische Ansichten vertraten, berührten zwei wichtige Punkte, die in engem Zusammenhang standen: zum einen die Frage nach Art und Umfang der Wirtschaftsförderung, zum andern den Problemkreis der sozialen Folgen wie etwa Bevölkerungsdynamik oder Verarmung. Wie sehr Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung miteinander verzahnt waren, zeigt das enge Ineinandergreifen der gesetzlichen Bestimmungen bezüglich der Gewerbeausübung sowie der Heirat und Ansässigmachung. Die Gesetze trugen erkennbar das Zeichen des Übergangs von der Standes- zur Staatsbürgergesellschaft. Dadurch sollten gleiche Lebens- und Erwerbsbedingungen rur die Einwohner des Staatsgebietes geschaffen werden. Andererseits war die Funktion des Staatsbürgers inhaltlich vorerst so wenig definiert, daß der Aktionsraum seiner Existenz- und Arbeitsbedingungen weiterhin die Gemeinde war. Dennoch trugen die noch unter Max I. Joseph am 11. September 1825 in Kraft getretenen Gesetze eine deutlich aufgeklärt-liberale Handschrift. Die Ansässigkeit mußte zwingend dem erteilt werden, der über Grundbesitz bestimmter Größe verfügte, eine Gewerbekonzession besaß, eine amtliche Stelle bekleidete oder einen anderweitig gesicherten Unterhalt, etwa durch Lohnerwerb, vorweisen konnte. Zweifelhafte Fälle entschied die Staatsbehörde, die Gemeinden waren somit zu reinen Vollzugsorganen degradiert. Zur Ausübung eines Gewerbes war, ausgenommen bei den freien Erwerbsarten, eine staatlich erteilte Konzession nötig, weIche einen Fähigkeitsnachweis voraussetzte. Abgesehen davon, daß Inhabern von realen und radizierten Gewerben die Konzession nicht versagt werden durfte, wurde der Gewerbebetrieb prinzipiell auf die Grundsätze der Persönlichkeit und Unveräu-

61 Th. Leuenberger, Bürokratisierung und Modemisierung der Gesellschaft, Stuttgart 1975, S. 25. 62 Zur wichtigen Rolle der Verwaltung bei der nationalen Integration im 1806 entstandenen Königreich Bayern s. W. K. Blessing, Staatsintegration als soziale Integration, in: ZBLG 14 (1978), S. 660 ff., v.a. S. 668.

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ßerlichkeit gestellt. Zu berücksichtigen war nur der Nahrungsstand des Konzessionsanwärters, bei rein örtlichen Gewerben wurde der zuständigen Gemeinde ein Ermessensspielraum eingeräumt. Beide Gesetze trugen das Merkmal einer kontrollierten Freigabe. In der Einleitung zum Gewerbegesetz wurde der eingeschlagene Mittelweg begründet mit der Abwägung zwischen den "erheblichen Bedenken", die einer unbeschränkten Gewerbefreiheit zum gegenwärtigen Zeitpunkt entgegengestanden wären, und der "Absicht, die Hindernisse des Kunstfleißes zu beseitigen, die Ausbildung in den Gewerben zu befördern, und die inländische Industrie zu einer höhern Stufe von Vollkommenheit zu erheben,,63 - alles Ziele in bester aufklärerischer Tradition. Im sei ben Jahr erließ Ludwig I. am 28. Dezember, etwa zwei Monate nach seinem Regierungsantritt, eine Vollzugsverordnung zum Gewerbegesetz, die zwar im Gegensatz zu den kurz und knapp gehaltenen Grundbestimmungen sehr viel umfangreicher, präziser ausdifferenziert und in prononciert liberaler Diktion formuliert war,64 am Wesenskern des Gesetzes jedoch nichts veränderte. Wichtig ist deshalb die Weisung des Monarchen, die mit gleichem Datum an alle sieben rechtsrheinischen Kreisregierungen erging. Demnach war dem Geist des Gewerbegesetzes entsprechend bei Konzessionserteilung, Beurteilung des Nahrungsstandes sowie der örtlichen Verhältnisse "im Zweifel jederzeit in dem, der Gewerbsfreiheit günstigstem Sinne" zu verfahren. Allen Einschränkungsversuchen, sei es bei Konzessionsverleihung oder Gewerbestreitigkeiten, sollte "nachdrücklich begegnet werden. ,,65 Wenngleich dies in latentem Widerspruch zur veröffentlichten Verordnung stand, wonach bei vornehmlich auf überregionalem Absatz basierenden Gewerben kein Nachweis des Nahrungsstandes erforderlich, bei örtlich begrenzten dagegen überdies Rücksicht auf die schon vorhandenen Gewerbeinhaber zu nehmen war, war dies ein klares Signal an die Mittelbehörden. Es gestattete ihnen Entscheidungen und Eingriffe im gewerblichen Sektor im Sinne einer extensiv freiheitlichen Interpretation des gesetzlichen Rahmens, ja es forderte geradezu einen Druck auf die Gemeinden in diese Richtung. 63 Gewerbegesetz vom 11. September 1825, in: Döllinger, Verordnungen-Sammlung, Bd. 14, München 1838, S. 869. 64 Instruction zu den Grundbestimmungen flir das Gewerbswesen in den sieben älteren Kreisen des Königreichs, Verordnung vom 28. Dezember 1825, in: Regierungs=Blatt fur das Königreich Bayern, Nr. 4 vom 18.1.1826, Sp. 81-168. S. darin z.B. § 3, Abs. I: "Von der Erlernung eines Handwerkes soll Niemand unter dem Vorwande der Geburt, der Religion, des Standes der Ae1tern oder des vorgerückten Alters ausgeschlossen seyn;" (Sp. 84) oder Fonnulierungen wie "Jeder Handwerksmeister und jeder Fabrikant" (Sp. 85) und "Jedennann hat das Recht" (Sp. 104). 65 Weisung vom 28. Dezember 1825, in: Döllinger, Verordnungen-Sammlung, Bd. 14, 1838, S. 1042.

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Das Resultat dieser Zulassungspraxis blieb nicht aus. Nach den Angaben des statistischen Büros hatte sich die Zahl der realen und konzessionierten Gewerbe in den sieben Kreisen zwischen 1824 und 1833 von insgesamt 20 I 482 auf im ganzen 237 772 erhöht. 66 Daß dieser quantitative nicht unbedingt gleichbedeutend mit einem qualitativen Sprung sein mußte, erschließt sich bei differenzierter Betrachtung. Für Nürnberg zeigt zum Beispiel die Auswertung Gömmels, daß sich in diesem Zeitraum das Verhältnis von Handwerk und Industrie wieder zugunsten des ersteren verschob. Innerhalb des Gewerbes verlagerte sich - wenn auch branchentypisch unterschiedlich - die Relation von Inhabern und Gehilfen nochmals zugunsten der Meister,67 so daß insgesamt zwar die Zahl der Produktionseinheiten stieg, die durchschnittlichen Betriebsgrößen dagegen schrumpften. Birnbaum erkennt in dieser großzügigen Konzessionspolitik das Bemühen der Behörden, das Bevölkerungswachstum wirtschaftlich abzusichern. Das Gewerbegesetz gehorchte seiner Einschätzung nach einer Wirtschaftslogik, die Produktionssteigerungen mit gestiegenen Betriebszahlen gleichsetzte. 68 Damit schien der Mittelstand zunächst gerettet. Obwohl dies nicht abzustreiten ist, gilt gleichwohl, daß die freizügige Handhabung der Bestimmungen und die Berechenbarkeit gleichmäßiger Anforderungen eine Dynamisierung der Arbeits- und Gesellschaftsstruktur erlaubten, weil es fiir den einzelnen besser kalkulierbar wurde, wie er sein Glück versuchen konnte. Daß auf diese Weise auch ein gewisser Konkurrenzdruck als Resultat eines Verdrängungswettbewerbs angefacht wurde, welcher bei den Betroffenen Ängste und Verunsicherung auslöste, beweisen die massiven Proteste gegen die seit 1825 geübte Konzessionspraxis. Die Vorsteher von sieben Vereinen radizierter und realer Gewerbe in Nürnberg sahen etwa die Institution der Realität unterminiert. Sie befiirchteten in erster Linie einen Wertverlust, warfen daher die Frage nach einer Entschädigung auf und forderten mehr Schutz durch ein Zustimmungsrecht bei neuen Konzessionen.

66 Stand der Gewerbe in Bayern nach den Jahren 1824 und 1833. Statistisches Bureau, München, 1.3 .1834, hier zitiert nach: A. Popp, Die Entstehung der Gewerbefreiheit in Bayern, Leipzig 1928, S. 141. Ergänzend zur Darstellung der Gewerbestruktur in Kap. B. 11. S. 33 tT. kann auf die unterschiedliche regionale Entwicklung hingewiesen werden. Die höchsten Steigerungsraten von 20-25% verzeichneten die drei fränkischen Kreise. Extremer Gegensatz dazu war Niederbayern, wo die Anzahl der konzessionierten Gewerbe nahezu konstant blieb. 67 R. Gömmel, Wachstum und Konjunktur der Nürnberger Wirtschaft (1815-1914), Bamberg 1978, S.47, Schaubild 7. Zum Verhältnis Meister - Gehilfen im Münchner Handwerk: M. Birnbaum, Das Münchener Handwerk im 19. Jahrhundert (1799-1868), München 1984, S. 82 ff. 68 Ebd., S. 83 f.

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Die Vorsteher von 34 Nürnberger Gewerbevereinen protestierten ebenfalls. Sie beklagten "den ungezügelten Andrang zu den Gewerben", der zum Schaden der Meister und des städtischen Gemeinwesens die Zahl der Gewerbetreibenden im Verhältnis zur Bevölkerung und Konsumtion übennäßig vennehrt habe. Ihre Wünsche nach einer Revision des Gewerbegesetzes liefen darauf hinaus, die Anhörung der Gewerbevereine bei Konzessionserteilungen wieder obligatorisch zu machen und einige Bestimmungen restriktiver zu fassen. Dem Magistrat der Stadt Nürnberg ging es in seiner Eingabe ganz grundsätzlich um die Wahrung des Charakters des gewerblichen Sektors durch Begrenzung der Zahl der Lehrlinge, Spezifizierung der Wandervorschriften und Verbot der Errichtung von Niederlagen. Damit sollte offensichtlich eine Verwischung der Grenzen zwischen Handwerk und Industrie vennieden werden. Die Sympathie galt eindeutig den "kleinen einfachen Werkstätten vieler tausend einzelner fleißiger Meister und Gesellen" und nicht den "großen glänzenden Fabriken".69 Gleichgültig, ob die Übersetzung der Gewerbe nun objektiv gegeben oder subjektiv empfunden war - diese Reaktionen auf den gestiegenen Konkurrenzdruck waren Ausdruck der Stimmungslage der Gewerbetreibenden. Sie geben Aufschluß darüber, daß das Denken im Handwerk weiterhin in den traditionellen Bahnen von geregelter Ausbildung und Tätigkeit verlief. Den arrivierten Meistem konnte wenig an Einschränkungen ihrer konsolidierten und auskömmlichen Position in der Gemeinde, dem Ort ihres Wirtschaftsmarktes wie ihrer politischen Rechte, durch Neuankömmlinge liegen. Mit ihren Protesten, die vorindustriellen Denkmustern entsprangen, verteidigten sie ihrer Auffassung nach nur ihre wohlbegründeten und rechtmäßigen Ansprüche: "rank ... meant differentiation more than it did competitive level. The hometownsman's opportun ities to rise were after all very smalI, and a competitive attitude was a social vice.,,70 Birnbaum vennutet deshalb sicherlich richtig, daß sich dieser Gesin-

69 Unterthänigste Vorstellung und Bitte der Vorsteher von sieben Vereinen radizierter und realer Gewerbe in Nürnberg die Revision des Gewerbsgesetzes und der Vollziehungs=lnstruction btr., o. 1. [wahrscheinlich 1831]; Unterthänigste Vorstellung und Bitte der Vorsteher von 34 Gewerbs=Vereinen in Nürnberg die nothwendige Revision und Abänderung der Instruction zur Vollziehung des Gewerbsgesetzes btr., 15.3.1831; Vorstellung und Bitte des Magistrats der Stadt Nürnberg den Antrag auf Abänderung mehrerer Stellen in der Verordnung vom 28. Decbr. 1825 ... btr., 15.4.1831, hier zitiert nach: Nürnberger Blätter, Nr.58 vom 16.5.1831, S. 231. Alles Stadtbibliothek Nürnberg. Weitere Beispiele von Eingaben in: E. L. Shorter, Social Change and Social Policy in Bavaria, 1800-1860,2 Bde., Cambridge (Mass.) 1967, S. 207 ff. 70 M. Walker, German Horne Towns, Ithaca/London 1971, S. 327 f.; vgl. auch K. H. Kaufhold, Grundzüge des handwerklichen Lebensstandards in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: W. Conze/U. Engelhardt (Hrsg.), Arbeiter im Industrialisierungsprozeß, Stuttgart 1979, S. 142 f.

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nung gleichfalls diejenigen Meister anschlossen, die nur dank der freieren Konzessionspraxis zu ihren Stellen gelangt waren. 71 Den Gemeinden lag nichts an einer Zunahme der Gewerbetreibenden oder an einer Verwischung der Grenzen zwischen bodenständigem Handwerks- und risikoreicherem Industriebetrieb, weil sie im Falle des Scheiterns tUr die verarmten Bürger aufkommen mußten.

3. Die Koalition von Monarchie und Gewerbe Erhalt des staatstragenden "alten" Mittelstandes 1834 hatten die Klagen der Gewerbetreibenden und der Gemeindevertreter Erfolg. Dem Landtag dieses Jahres wurden Entwürfe mit abändernden Bestimmungen der Gesetze zur Ansässigmachung und Verehelichung sowie über das Gewerbewesen vorgelegt. Zunächst klang es wie eine Abrechnung mit überholten merkantilistischen Grundsätzen, womit der Innenminister OettingenWallerstein die Gesetzesänderungen motivierte: die Gesetzgebung des Jahres 1825 habe ausschließlich auf eine rasche Bevölkerungsvermehrung hingearbeitet, von der sie sich Belebung der Industrie, des Handels und des Verkehrs und damit Steigerung der Kräfte versprochen habe. Dies habe sich als Irrtum erwiesen, denn ein Staat befände sich nur dann in einer konsolidierten Lage, wenn sich Bevölkerung und Erwerbsquellen in gleichem Maß entwickelten. Um diese stabile Gleichgewichtslage zu erreichen, schritt die Regierungsvorlage jedoch nicht in die durch die Gesetze von 1825 vorgezeichnete Richtung der Freigabe weiter, sondern fiel im Gegenteil mit einschränkenden Maßregeln hinter deren Position zurück. Oettingen-Wallerstein verhehlte nicht, daß letztlich auch aus Sorge um den Erhalt des monarchischen Systems und der Abwehr einer Revolutionsgefahr das korporative Element und die Gemeindeautonomie wieder stärker betont wurden. 72 Der staatstragende Mittelstand wurde nach wie vor in der Masse der kleinbürgerlichen Handwerker vermutet. Drei Jahre später verbuchte es der Innenminister in seiner umfangreichen volkswirtschaftlichen Bestandsaufnahme vor dem Landtag als Erfolg des Zulassungssystems, "unsere Industrie nicht auf den Schwingen colossaler Fabrikunternehmungen, sondern nach ächt deutscher Art in zahlreichen Werkstätten durch ansässige Meister und angemessene Arbeitsvertheilung sich entwickelnd, den so kostbaren germanischen Mittelstand auch jetzt noch anhaltend und kräftigend,"

M. Birnbaum, S. 95. Reden des Innenministers v. Oettingen-Wallerstein vor der Kammer der Abgeordneten 1834, hier nach: A. Popp, S. 96 f.; E. L. Shorter, S. 235. 7\

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und dabei "erfolgreich mit dem Dampfe und dem unüberschreitbaren Maschinenwesen der größten Commerzialstaaten" konkurrieren zu sehen. 73 Gegen diese Argumentation, welche die in der Öffentlichkeit vorherrschende Meinung aufgriff und mit konservativ-ständischer Phraseologie untertUtterte, und gegen die geschlossene Haltung der Konservativen im Parlament, die in diesem Fall die Gemeindevertreter auf ihrer Seite wissen konnten,74 vermochten die Einwände der Liberalen nichts auszurichten. Der Abgeordnete von Rudhart geißelte das neue Ansässigmachungs- als "Entvölkerungsgesetz" und hielt es tUr schlechterdings unmöglich, nach amtlichen Kriterien beurteilen zu können, ob ein Gewerbeanwärter erfolgreich sein würde oder nicht. 75 Wobei hinzugefilgt werden muß, daß Rudhart zu dieser Zeit Regierungspräsident in Niederbayern und alles andere als ein Verfechter unbeschränkter Freiheit war. Dem Fabriksystem gegenüber skeptisch, bemühte er sich jedoch um die Hebung der Gewerbe, welche in seinem Kreis darniederlagen. Beide Gesetzentwürfe fanden die Mehrheit im Landtag. Die HUrden bei der Ansässigmachung wurden tUr den Bewerber höher gesetzt und dort, wo kein Rechtsanspruch infolge von Grundbesitz, Realrecht oder öffentlichem Dienst begründet war, den Gemeinden ein "absolut hinderndes Veto" eingeräumt - ein Instrument, das genau auf die besitzlosen Lohnabhängigen gerichtet war. Die Bestimmungen des Gewerbegesetzes wurden dagegen vom Staatsrat als zu restriktiv zurückgewiesen und vom König nicht unterzeichnet. Dem liberalen Vollzug wurden hier auf dem Verordnungsweg die Zügel angelegt. Die Instruktion vom Dezember 1825 wurde außer Kraft gesetzt mit dem Bemerken, fortan bei Konzessionen neben dem Nahrungsstand des Bewerbers in gleicher Weise den der bereits vorhandenen Gewerbeinhaber zu berücksichtigen. 76 Letzteres durfte nur bei rein kommerziellen Gewerben unterbleiben. Der mit Weisung vom 28. Dezember 1825 nahegelegten liberalen Zulassungspraxis wurde der Verh. d. Kammer d. Abg. 1837, Bd. 15, S. 515/516. Heydenreuther bezeichnet das Ergebnis dieses Landtags als "Sieg der Gemeindelobby" (S. 39). Ders., Gesetze gegen das Elend - Staatliche Regelungen zu Ansässigmachung und Eheschließung, in: Biedermeiers Glück und Ende, hrsg. von H. Ottomeyer, München 1987, S. 23-43. S. dazu auch J. Maier, Die Konservativen und die wirtschaftspolitischen Grundauffassungen im Bayer. Landtag 1819-1848, Diss. München 1933, S.46. Ein tabellarischer Überblick über "Die berufliche Zusammensetzung der Abgeordnetenkammer von 1819 bis 1848", in: E. Heintz, Der Beamtenabgeordnete im Bayerischen Landtag, München 1966, S. 57. 75 Während der Verh. d. Kammer d. Abg. 1834, hier nach: A. Popp, S. 99 f. Zur politischen Haltung Rudharts vgl. F. Koeppel, Ignaz von Rudhart, München 1933, hier v.a. S. 126 ff. 76 Verordnung über den Vollzug der, das Gewerbswesen betreffenden Stelle des Landtags=Abschiedes, I. Juli 1834, in: Regierungs=Blatt für das Königreich Bayern, Nr. 34 vom 3.7.1834. 73

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Boden dadurch entzogen, daß die extensive Interpretation des Vorhandenseins eines überregionalen Absatzes als Mißdeutung der Instruktion gleichen Datums und als "dem Gesetze vom 11. September 1825 stets fremden, ja mit dessen oben angeführten Art. 2. Abs. 2. im ausdrücklichen Widerspruche stehende ... Ansicht vieler Behörden" verworfen wurde. 77 Damit war das Konkurrenz- zugunsten des Nahrungsprinzips ausgehebelt und die Gewerbetätigkeit wieder dem Verantwortungsbereich der Mittelbehörden entzogen und in die Hände der Gemeinden gelegt. Obwohl die Zünfte nominell nicht mehr existierten, war ihr Korpsgeist wiederbelebt, an die Stelle des auf seinen persönlichen Fähigkeiten beruhenden Einkommens des einzelnen trat wieder das gleichmäßige Auskommen der Angehörigen einer Korporation. Die Politik der Stärkung der Gemeindernacht gegen die mittlere Verwaltungsebene hatte zunächst eine sehr pragmatische Ursache und deren Lösung im Visier: den Druck einer wachsenden Bevölkerung auf einen unelastischen Arbeits- und Nachfragemarkt. Da die Gemeinden die sozialen Lasten dieser Entwicklung zu tragen hatten, versuchten sie verständlicherweise in ihrem und ihrer Bürger Interesse, die Kosten so gering wie möglich zu halten. Langewiesehe folgert aufgrund dieser Beobachtung: "Kommunale Daseinsvorsorge beschränkte zunächst [bis etwa zur lahrhundertmitte II.B.] die Wirkungsmöglichkeiten staatlichen HandeIns, das auf eine nivellierte Untertanengesellschaft zielte".78 So scheint es wie eine Einschränkung der staatlichen Macht, wenn Ludwig I. 183 1 im Staatsrat erklärte, daß er entgegen seiner inneren Überzeugung als Anhänger der Gewerbefreiheit ein Eingehen auf die Vorschläge und Wünsche der Gemeindevertreter für erforderlich halte, da die Regierung auf die loyale Gesinnung dieser Abgeordneten - vor allem aus Altbayern - und die Mehrheit im Parlament angewiesen sei. 79 Dabei war es kein Zufall, sondern nur konsequent, daß die Konzessionsbereitschaft gegenüber den gemeindlichen Forderungen und die Rückbesinnung auf die altvertraute, verläßliche Klientel auf dem Land und im ständisch-städtischen Bürgertum gerade zu einem Zeitpunkt erfolgte, da der Monarch sich dem Traditionalismus verschrieben hatte. Neben der pragmatischen Einsicht in eine vorindustrielle Gesellschaftsstruktur und deren Probleme im Aufbruch stand die ideelle Leitschiene der "Politik des christlichtraditionalen Monarchismus", die "sozial und kulturell Partei ergriff,.80 Deren

77 Weisung bzw. Mitteilung des Staatsministeriums des Innern an alle Kreisregierungen r. d. Rh., 23.7.1834, Den Vollzug der Allerhöchsten Verordnung vom I. Juli 1834, und resp. des Art. 2, Abs. 2 in dem Gewerbsgesetze vom 11. September 1825 betr., in: Döllinger, Verordnungen-Sammlung, Bd. 14, 1838, S. 919-922, hier S. 921. 78 D. Langewiesche, "Staat" und "Kommune", in: HZ 248 (1989), S. 623. 79 Sitzung des Staatsrats am 17. Mai 1831, hier nach: E. L. Shorter, S. 223. 80 W. K. Blessing, Staat und Kirche in der Gesellschaft, S. 60.

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zentrales Anliegen war es, einen korporierten Zusammenhalt der Gesellschaftsgruppen, verklammert in einer statischen Struktur, allen liberalen, individualistischen, "auflösenden" und letztlich revolutionsverdächtigen Tendenzen entgegenzusetzen. An der Spitze des bayerischen Staates lag daher nichts ferner als der Gedanke an eine "nivellierte" Untertanengesellschaft. Betrachtet Shorter den 1832 zum Innenminister berufenen Oettingen-Wallerstein, der in der Folge zum Promotor der Restriktionen werden sollte, als bloß taktierendes und ausfiihrendes Organ,81 so handelte dessen Nachfolger von Abel aus tiefer Überzeugung, wenn er das monarchische Prinzip verteidigte und seiner Doktrin einer "religiöskirchlichen Regeneration von Politik und Gesellschaft" huldigte. 82 Das Mißtrauen gegenüber neuen bürgerlichen Aktions-, Organisations- und Artikulationsformen trat allenthalben deutlich zutage. Der Traditionalismus im gesellschaftlichen Bereich strahlte aber auf den Wirtschaftssektor aus. Exemplarisch kann das am Fall des Genehmigungsverfahrens zur Gründung eines "Vereins für Fabriken, Manufacturen, Künste und Gewerbe in Teutschland" im Jahr 1841 aufgezeigt werden. 83 Bereits fünf Jahre vorher war das Ministerium durch einen Zeitungsartikel auf das Vorhaben aufmerksam geworden. Mit der Bemerkung, die Gewerbevereine diesbezüglich nicht von Regierungsseite anzuregen, sondern den Gang der Dinge abzuwarten, war damals der Vorgang zu den Akten gelegt worden. 84 Jetzt lag ein konkretes Gesuch Augsburger Fabrikanten vor. Doch obwohl die Regierung von Schwaben den Antrag als "höchst segenreich" fiir die gewerbliche und industrielle Entwicklung Bayerns und Deutschlands unterstützt hatte, wurde er abschlägig beschieden. Aufschlußreich sind die Motive des Innenministeriums. Die Befürchtungen gingen zum einen dahin, daß die Fabrikanten, welche allein die ordentlichen Mitglieder stellen würden, im Vergleich zu anderen Gruppen der Gesellschaft zu große Macht und zu starken Einfluß auf den politischen sowie den Gesetzgebungsprozeß gewinnen könnten. Daneben mußte Bedenken erregen, daß der Verein das gesamte Zollvereinsgebiet als Aktionsradius vorgesehen hatte. Mit Rekurrieren auf diese Entscheidung wird zwei Jahre später ein ähnlich gelager-

E. L. Shorter, S. 237. H. Gollwitzer, Ludwig I. von Bayern, S. 609; s. darin das Kapitel über Abel, S. 605 ff. 83 Schreiben der Reg. v. Schwaben, Augsburg, 3.5.1841; Begründeter Antrag des Innenministeriums, 30.6.1841, mit abschlägigem Signat Ludwigs I. vom gleichen Tag, in: BayHStA MH 5416. 84 Gründung eines Vereins fIir Fabriken, Manufaktur, Künste und Gewerbe in Teutschland, 1836, in: BayHStA MH 9123. 81

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ter Antrag der Regierung von Mittelfranken zurückgewiesen. 85 Das abschließende Resümee lehnte dann ganz allgemein die Bildung von Vereinen zur Vertretung privater Interessen ab. Einerseits hätten hierfür die Bürger noch zuwenig Erfahrung. Vor allem würden solche Vereine "das schöne Erbtheil teutscher Unterthanen, kindliches Vertrauen zur liebevollen Vorsorge väterlicher Regierungen gefiihrden". Hier artikulierte sich die Distanz gegenüber einer Schicht der bürgerlichen Gesellschaft, welche nicht nur anderen Wirtschaftsprinzipien folgte, sondern zugleich das sorgfiiltig austarierte gesellschaftliche Gleichgewicht bedrohen konnte, wenn sie ihre Interessen bündelte, die zudem nicht auf den engen Kreis der "Heimatnation" begrenzt sein mußten. Mit Skepsis wurden daher alle Vorhaben beurteilt, welche den Verdacht erweckten, die Basis der Monarchie zu unterminieren und die Staatsrnacht auszuhöhlen. Das mußte aber nicht heißen, daß Förderung von Gewerbe und Industrie des Landes aus dem Maßnahmenkatalog der "liebevollen Vorsorge" des Staates gestrichen wurde. Selbst bei den restriktiven Maßnahmen des Jahres 1834 wurde immer noch als Motiv neben dem Schutz des bestehenden Gewerbsstandes vor allmählichem Zerfall sowie der Gemeinden vor hohen Aufwendungen für den Armenfonds als Zweck angegeben, "das nachhaltige Fortschreiten der Industrie zujördern".86

4. Erkenntniswert und Interpretation der Wirtschaftsstatistik: Priorität agrarischer oder gewerblicher Interessen? Erste Aufschlüsse über die Interessen lage des Staates kann die Statistik liefern, zumal jeder Eingriff ins Wirtschaftsleben die Kenntnis des in nüchternen Zahlenreihen ausgedrückten Ist-Zustandes voraussetzt. Deren Zweck ist es, auf der Grundlage der quantitativen Erfassung der Wirtschaftslage Aufgaben und Schwerpunkte der Wirtschaftsförderung ausfindig zu machen. Sie kann somit als eine Art Barometer der Staatstätigkeit angesehen werden. Unter Montgelas hatte die Statistik eine erste Blüte erlebt, war damit aber gleichzeitig in den Ruf eines Instruments im Dienst des Merkantilismus und Absolutismus geraten. Kurze Zeit später entdeckte die Ständeversammlung den

85 Antrag der Reg. v. Mfr., Die Verbindung deutscher Industrie=Vereine betr., Ansbach, 6.5.1843; wird mit Schreiben des Innenministeriums vom 27.6.1843, den übrigen Kreisregierungen zur Mitteilung, abgelehnt mit der Begründung, es könne "zur Theilnahme an einer, die Handels- und Gewerbs-Interessen der Zollvereinsstaaten berathenden Verbindung deutscher Industrie=Vereine keine Folge gegeben werden, so wie überhaupt ähnliche Verbindungen mit Auswärtigen abzulehnen sind." In: BayHStA MH 9123. 86 Weisung des Innenministeriums an alle Kreisreg. r. d. Rh., 23.7.1834, in: Döllinger, Verordnungen-Sammlung, Bd. 14, 1838, S. 922.

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Wert dieser Infonnationsquelle als Entscheidungshilfe wie als Kontrollinstrument und hob daher deren Notwendigkeit hervor, nun mit dem Argument der Transparenz staatlichen Handeins. Nach einer kurzen Anlagerung eines statistischen Büros beim Finanzministerium in den Jahren 1819 bis 1826 wurde 1833 ein derartiges Büro als Geschäftsabteilung des Innenministeriums eingerichtet. Das heißt nicht, daß in der Zwischenzeit keine statistischen Erhebungen stattgefunden hätten, sondern zeigt an, daß diesen steigende Bedeutung zugemessen wurde, wie es im allgemeinen Trend der Zeit lag. Vereinzelt wurde bereits die Forderung nach Publikation der ausgewerteten Ergebnisse laut, um sie den Geschäftsleuten als Orientierungshilfen zugänglich zu machen. 87 Zu den Erhebungen des statistischen Büros gehörte der umfangreiche dreijährige Verwaltungsbericht. Die unter der Abteilung H: "Fabrik-, Manufacturund Gewerbswesen" angelegten Konvolute der Umfrage für die Jahre 1830/33 88 werfen ein Schlaglicht auf die Interessen der Regierung. Nicht nur, daß Zahl, Art und Umfang der Gewerbe, der freien Erwerbsarten sowie von Fabriken und Manufakturen ennittelt wurden. Die Behörden sollten darüber hinaus angeben, weIche Hindernisse dem Gewerbewesen entgegenstünden, weIche Gewerbe im Kreis fehlten sowie Vorschläge zur Abhilfe von Mißständen und zur Emporbringung der Gewerbe unterbreiten. Das Innenministerium verlangte Aufschluß darüber, weIche Rohstoffe verarbeitet wurden, woher und zu weIchem Preis Gewerbe und Fabrikanstalten diese bezogen, um daran die Frage anzuschließen, ob aus dem Ausland importierte Rohstoffe nicht durch einheimische substituiert oder gewinnbringend im Inland erzeugt werden könnten. Die eingeforderten Auskünfte über die "Handels-Verhältniße" erfaßten in gleicher Weise die verschiedenen Sparten des Geschäftslebens vom Kleinkrämer bis zum Großkaufmann, von Schrannen, Messen und lahnnärkten bis zum Warenhandel großen Stils. Neben dem Zustand der Verkehrswege und etwaigen Handelshindernissen sollte aber auch der "Einfluß der Messen und Jahnnärkte auf die Industrie" eingeschätzt werden; den "Wechselwirkungen des Ackerbau=

87 J. Kleindinst, Geschichte der neueren bayerischen Statistik, München 1914; F. Zahn, Verfassungsleben und statistische Verwaltung in Bayern, München 1918; Hundert Jahre Bayerisches Statistisches Landesamt, hrsg. vom Bayer. Statistischen Landesamt, München 1933; Die amtliche Statistik, ein Instrument der Zeit, Ztschr. d. Bayer. Statist. Landesamtes 100 (1968); 150 Jahre Amtliche Statistik in Bayern von 1833 bis 1983, hrsg. vom Bayer. Landesamt flir Statistik und Datenverarbeitung, München 1983. 88 H. "Fabrik-, Manufactur- und Gewerbswesen", BayHStA MInn 15466-15485. Der gesamte Verwaltungsbericht umfaßt mehr als 150 Titel! (MInn 15348-15513). Dazu gehören Angaben zur Bevölkerung, Armenptlege, Wohlstandssorge, zu Landwirtschaft, Gewerbe und Handel wie zur Verwaltung in Städten und Gemeinden. Die Klagen der Behörden über den enormen Arbeitsaufwand und die Belastung, welche durch diese Erhebung verursacht wurden, rissen deshalb nicht ab. Der dreijährige Turnus konnte nicht eingehalten werden, 1844 wurde der Bericht letztmals in dieser Form eingefordert.

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Industrie= und Handels=Systems des Kreises" war nochmals eine eigene Frage gewidmet. 89 Das läßt den Schluß zu, daß Bayerns Interesse auf der Schwelle des Beitritts zum Zollverein weniger ein merkantil exportorientiertes als vielmehr ein kameralistisch geprägtes der Rückbesinnung auf die Stärken und Eigentümlichkeiten des Landes war. Statistik in diesem Sinn diente daher nicht als Gradmesser einer zielgerichteten Fortschrittsentwicklung, die als ein "Hinarbeiten ... auf abstractes Gemeinwohl,,90 abgelehnt wurde. Sie lieferte eine Bestandsaufuahme der gegenwärtigen Lage, deren Komponenten das Kalkül aller weiteren Optionen bestimmen mußten. Wenn dann allerdings der Ist- mit dem Soll-Zustand gleichgesetzt wurde, ergab sich daraus die häufig verwendete Kategorisierung Bayerns als "Agrarstaat", was Folgen für den Stellenwert sowie für die Produktpalette des sekundären Sektors haben konnte. So mündeten die Darlegungen des Innenministers Oettingen-Wallerstein zur Volkswirtschaft im Jahr 1837, die sich schon rein quantitativ bemessen zu drei Vierteln mit der Landwirtschaft befaßten, in das Fazit ein: "Der Landbau bildet die einzig haltbare Grundlage unseres Nationalwohlstandes und unserer gesammten Staatswirthschaft." Für die Industrie heiße das: "... diese muß sich an die Bodenerzeugnisse anschliessen, sie muß aus dem Schoosse der Landwirthschaft Kraft und Gedeihen schöpfen. Von der Bodencultur muß sie ihre Rohstoffe fordern," wogegen die Verarbeitung ausländischer Rohstoffe nur in Ausnahmefiillen von Vorteil sein könne. Was die Arbeitsweise der Regierung betraf, wies der Innenminister jede Kritik zurück, "daß bisher imaginäre Systeme und spielende Theorien die Regierung beschäftiget haben könnten". Wo sie eingegriffen habe, namentlich bei Gewerbeverleihungen, verteidigte er die Regierung und verurteilte alles andere als "systemloses Waltenlassen", was nicht nur falsch wäre, sondern geradezu "Pflichtverletzung". Das bestätigt den Eindruck, den bereits der Blick auf den Verwaltungsbericht vermittelt hatte. Auf die neue Konkurrenzsituation innerhalb des Zoll vereins reagierte die bayerische Regierung zunächst mit einem Rückzug auf gesicherte Positionen. Mehr Wert als auf eine grenzübergreifende Warenzirkulation legte sie auf einen stabilen Wirtschaftskreislauf im Innern. Bayern unternahm keinen Alleingang, wenn es einem nationalen Egoismus folgte, dem die anderen Einzelstaaten gleichfalls huldigten. Jedes Land versuchte Standort- oder Produktionsvorteile in erster Linie für seine Industrie zu 89 I. "Handels-Verhältniße", BayHStA Mlnn 15486-15501; K. "Wechselwirkungen des Ackerbau= Industrie= und Handels=Systems des Kreises", in: BayHStA Mlnn 15502. 90 Abg. Frhr. v. Freyberg, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1837, Bd. 15, S. 424. Zitate aus der Rede des Innenministers ebd., S. 522/523; die folgenden Zitate ebd., S. 523 u. S.524.

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nutzen und andererseits die Abhängigkeiten möglichst gering zu halten. Schließlich rivalisierten die auf wirtschaftlichem Gebiet übereingekommenen Staaten auf dem Feld der Politik immer noch und zum Teil sehr heftig miteinander. Die besondere Gewichtung der agrarischen Komponente in Bayern ließ trotzdem verschiedene Optionen offen. In Fällen, wo der Landwirtschaft solche Priorität eingeräumt wurde, wie es der Innenminister propagiert hatte, wurden Gewerbe, Industrie und Handel davon abhängige Komponenten und damit zweitrangig. Die Leinenherstellung konnte sich unter anderem deshalb einer nicht mehr marktgerechten Wertschätzung erfreuen, weil sie den heimischen Flachs zum Ausgangsmaterial hatte. Ähnliche Argumente sprachen für die Förderung der Fabrikation von Runkelrübenzucker, obwohl sie in puncto Wirtschaftlichkeit im Vergleich mit dem importierten Rohrzucker noch schlecht abschnitt. Dennoch wurde sie als wichtiger Industriezweig eingestuft, "weil er, sich besonders auf den Ackerbau stützend und von unten herauf so vielen Zweigen des Gewerbtleißes Nahrung zutUhrend, im Einklang mit den Grundsätzen einer wohlverstandenen Nationalökonomie, das Wohl des Staates in jeder Beziehung befördert. ,,91 Dezidiert antimodernistisch wurde die Rückbesinnung auf heimische Ausgangsmaterialien dort, wo die Landwirtschaft den Orientierungsrahmen nicht nur tUr Produktionsschwerpunkte, sondern auch tUr Kapitalisierungsformen vorgeben sollte. Besonders in den Landtagsdebatten über die Verwendung der Staatseinnahmen wurde Kritik an falschen staatswirtschaftlichen Grundsätzen laut, welche eine Koinzidenz "zwischen der konservativen Staatsauffassung und der konservativen Agrarpolitik,,92 hervortreten ließ. Selbst Oettingen-Wallersteins Wertschätzung von Grund und Boden als Ausgangspunkt allen Nationalreichtums entbehrte somit nicht einer ordnungspolitischen Komponente. Ebensogut hätte aber eine Kombination altbewährter Stoffe mit modemen Produktionsmethoden angestrebt werden können. 1837 brachte zum Beispiel Dr. Sand, Advokat in Wunsiedel, zusammen mit weiteren oberfränkischen Abgeordneten in den Budgetverhandlungen des Landtags einen Antrag ein, der von 40 Grundbesitzern und Fabrikanten des Kreises unterzeichnet war. 93 Dieser sah

91 Abg. Frhr. v. Schätzler, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1843, Bd. 13, S. 500; vgl. auch die weitere Debatte S. 500 ff.; Argumente in bezug auf Leinwandfabrikation ebd., S. 380 ff. 921. Maier, S. 24; vgl. Z.B. die Redebeiträge der Abg. Dr. Ringseis, v. Moy und Frhr. v. Freyberg, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1837, Bd.6, S. 213-236, S. 329-337, sowie des Innenministers Oettingen-Wallerstein ebd., Bd. 15, S. 522. 93 Antrag des Abg. Sand, ebd., S. 441 ff.; Erwiderung des Abg. Schwind I, ebd., S.472. Ausschußantrag, Abg. v. Weiden, Verh. d. l(ammer d. Abg. 1843, Bd. 13, S.380.

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eine jährliche Beteiligung von 2000 fl, beziehungsweise insgesamt 12 000 fl umgerechnet auf die sechsjährige Finanzperiode, an einer Aktiengesellschaft zur EinfUhrung einer englischen Flachsspinnmaschine als Mustermaschine vor bei einem erforderlichen Verlagskapital von 80 000 bis 100 000 fl Mit welchen Ressentiments solchen Plänen trotz der Hinweise auf den Nutzen fUr die Landwirtschaft wie fUr die Beschäftigungslage der armen Bevölkerung, auf den Vorbild- und Mustercharakter der technischen Anlage wie auf die Konkurrenzflihigkeit mit England begegnet wurde, zeigt die darauf bezogene Einlassung des Abgeordneten Schwindl, eines Gutsbesitzers. Die Leinwandfabrikation definierte er als landwirtschaftlichen Erwerbszweig und daher vorzüglich geeignet als "Nahrungszweig der minder Bemittelten". Daß früher oder später der Fortschritt in Form der Fabrikproduktion seinen Einzug halten würde, hielt er fUr zwar unvermeidlich, jedoch nicht förderungswürdig. Die Staatskasse sei jedenfalls nicht dazu da, "Aktionärscompagnien zu unterstützen und die Unternehmungen der Speculanten ins Leben zu fUhren." Hier trafen nicht nur unterschiedliche regionale Interessen aufeinander - Schwindl sprach fUr die Bewohner des Bayerischen Waldes und Niederbayerns -, sondern überdies unterschiedliche Vorstellungen von Produktionsorganisation. Sechs Jahre später enthielt der Ausschußantrag in der Debatte um die Tarife des Zollvereins die Aufforderung an den König, "durch entsprechende und werkthätige Theilnahme des Staates die Errichtung von Maschinen-Spinnereien von Leinengamen auf alle mögliche Weise zu befördern." Die Bemühungen um den Aufbau einer solchen Industrie müßten mittels erhöhter Zollsätze unterstützt werden. Dahinter stand das Kalkül der Konkurrenzflihigkeit mit den billigeren und qualitativ hochwertigeren maschinell produzierten Garnen aus England. Abgeordnete wie Sand oder Weiden bezogen zwar die Landwirtschaft in ihre Berechnungen mit ein, waren aber von jeglicher Agrarromantik oder Malthussehen Krisentheorien gleich weit entfernt. Die Prioritäten waren hier zugunsten eines konkurrenzflihigen, krisenfesten Produktionssektors verschoben, von dem nun beinahe umgekehrt der Agrarsektor abhängig erschien. Der Liberale Rudhart war schon 1827 in seinem statistischen Werk noch einen Schritt weiter gegangen, indem er die Auffassung vertreten hatte, daß eine Vermehrung der gewerbetreibenden Bevölkerung wünschenswerter und vorteilhafter sei, da diese landwirtschaftliche Produkte konsumieren und verarbeiten würde. 94

94 I. Rudhart, Ueber den Zustand des Königreichs Bayern, 2. Bd., Erlangen 1827, S. 11, vgl. auch S. 313.

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c. Wirtschaft und Staat 1834-1848 5. Neue Tätigkeitsfelder des Staates im Dienste der Wirtschaft: Zollverein und Infrastruktur

Diesen veränderten Zeitverhältnissen mußte die Regierung Rechnung tragen. Mochten die Sympathien des Innenministers Oettingen-Wallerstein der Landwirtschaft gelten, erkannte er doch in der Industrie die "Lieblingstochter der gegenwärtigen Epoche, welche auch bei uns plötzlich aus ihrem Schlummer sich erhob, und schon gegenwärtig die ehemals allmächtige Agricultur wesentlich überragt". Sein Nachfolger Abel sah trotz allen Traditionsbewußtseins, daß die Landwirtschaft nur begrenzte Beschäftigungskapazitäten bot, Arbeitsmöglichkeiten für Arme und Proletarier daher nur bei expandierenden Gewerbe- und Handelssektoren geschaffen wurden. 95 Zudem war die Regierung seit Bestehen des Zollvereins auf neue Weise in das Wirtschaftsgeschehen involviert. Schließlich mußten bei den Zollvereinsverhandlungen, etwa bei der dreijährigen Revision der Zolltarife oder der Frage neuer Handelsverträge, Konzessionen an die übrigen Teilnehmerstaaten gemacht werden, ohne die Interessen der heimischen Wirtschaft preiszugeben. Darur war es nötig, die Anforderungen und Wünsche letzterer kennenzulernen. Dies zu vermitteln war eine der Hauptaufgaben der laut Verordnung vom 19. September 184296 einzurichtenden Handelskammern, die danach zu gutachterlicher Tätigkeit aufgerufen waren. Einen Einblick in die oft gegensätzlichen Vorstellungen konnten auch die Diskussionen in der Abgeordnetenkammer sowie die daraus entwickelten Anträge geben. Sache der Regierung war es dann, bei den unterschiedlichen Wünschen und Forderungen Prioritäten zu setzen und sie zu einem Paket zu bündeln, dessen Durchsetzbarkeit oder Kompromißfiihigkeit sich bei den Verhandlungen erweisen mußte. Im konkreten Fall der Leinengarnproduktion zum Beispiel versprach Ministerialrat Kleinschrod als Vertreter der Regierung den Abgeordneten, die Regierung wolle einen höheren Eingangszoll erwirken, um "die Errichtung mechanischer Leinengarnspinnereien soviel als möglich zu befördern".97 Tatsächlich konnte dieses Ziel erreicht werden, weil sich in dem bereits erwähnten Garnzollstreit eine breite Interessenkoalition der süddeutschen Staaten gegen

95 Zitat Oettingen-Wallerstein, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1837, Bd.4, S.559; Abel, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1846, Bd. 4, S. 617. 96 Königlich Allerhöchste Verordnung, die Einführung von Handelskammern betr., 19. September 1842, in: Regierungs=Blatt für das Königreich Bayern, Nr. 36 vom 30.9.1842, Sp. 973-98\. Darin heißt es in Art. 14: "Sie sind verpflichtet, über Gegenstände des Handels und der Industrie Gutachten und Aufklärungen abzugeben, so oft sie durch die vorgesetzte Kreisregierung oder den Präsidenten derselben hiezu aufgefordert werden." (Sp. 979) 97 Verh. d. Kammer d. Abg. 1843, Bd. 13, S. 473 ff., Zitat S. 475.

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Preußens Belange gebildet hatte. In anderen Fällen, etwa bei den Eisenzöllen, war dies nicht praktizierbar. Die Zollpolitik war also ein wichtiges Instrumentarium, welches Absatzchancen und Produktionsmöglichkeiten im Innern beeinflußte. Daher stand die Regierung "zu Hause" unter einem gewissen Rechtfertigungszwang und Erfolgsdruck hinsichtlich der ausgehandelten Tarife und Vereinbarungen. Allerdings nötigten die zwischen den Zollvereinsstaaten divergierenden wirtschaftlichen Interessen oftmals zu Abstrichen und Kompromissen. Die Zollpolitik steckte somit einen großen, allgemeinverbindlichen Rahmen ab, bei dessen Gestaltung die Regierung jedoch, wiewohl sie mitwirken konnte, keine völlig freie Hand hatte. Sie war deshalb als Steuerungsmechanismus im eigenen Land nur bedingt geeignet. Anders verhielt es sich bei der Infrastruktur. Die Planung der Verkehrswege mußte sich zwar an überregionalen Verbindungen orientieren, war aber ganz der Regie der Einzelstaaten überlassen. Alle beim Straßenbau aufgeworfenen Fragen bezüglich Finanzierung, Unterhalt, Streckenführung, Dringlichkeit, Folgenabschätzung und Rentabilität traten beim Verkehrsmittel Eisenbahn neuerlich und sogar in komprimierter Form auf, da die Anlage eines Schienennetzes ein gröberes Raster anwenden mußte, höhere finanzielle Aufwendungen erforderte und zudem den Einstieg in eine neue Technologie bedeutete. Die damit verbundenen Auswirkungen auf die Infrastruktur des Landes stellten laut Bosl eine Herausforderung für die staatliche Wirtschaftspolitik dar, "die lange zwischen merkantilistischen und liberalistischen Konzepten und Maßnahmen schwankte und nicht wußte, ob sie überhaupt Eisenbahnen bauen sollte".98 Nach anfltnglicher Reserviertheit - die erste Eisenbahnlinie zwischen Nürnberg und Fürth entstand auf Initiative der Bürger und fand nur geringe Unterstützung durch die Behörden - bereitete der Staat dem neuen Verkehrsmittel jedoch sehr bald den Weg. Für die 1837 zustande gekommene Novellierung des Gesetzes zur Zwangsabtretung von Grundeigentum für öffentliche Zwecke hatten in erster Linie Erfordernisse des Bahnbaus den Anlaß gegeben. Dies ließ der Innenminister durchblicken, wenn er konkretisierte: "[V]on der Frage der Expropriation im Allgemeinen abkommend, sehen wir uns sehr häufig auf das weite Feld der Eisenbahnen und des Dampfes versetzt.,,99

K. Bosl, Bayern, München 1981, S. 306. Verh. d. Kammer d. Abg. 1837, Bd. 18, S. 338. Noch pointierter der Abgeordnete Stahl in seiner Eigenschaft als Korreferent im 111. und I. Ausschuß. Er gab in seinem Vortrag folgende Ursachen tUr den Gesetzentwurf an: als erste das Erfordernis einer Entschädigungsregelung, als zweite ", und wohl die hauptsächliche und eigentliche, das in unserer Zeit entstandene Bedürfniß der Eisenbahnen." In: Verh. d. Kammer der Abg. 1837, Beil.Bd. 11, S. 68 f. 98 99

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Grundsätzlich ging es in der Debatte über den Gesetzentwurf um die in der nachabsolutistischen Ära so essentielle Abwägung zwischen der Sicherheit des Privateigentums und dessen Einschränkung staatlicherseits zugunsten des Gemeinwohlprinzips, also zwischen Eigennutz und Gemeinsinn. Da zu diesem Zeitpunkt der Eisenbahnbau von privaten AktiengeselIschaften ausgeführt wurde, denen gegebenenfalls die Enteignungsregelung zugute kam, wurde die Sorge rur den Schutz des Privateigentums vor Übergriffen des Staates bereits durch die Furcht vor dem "Spekulationsgeist" überlagert. Der Abgeordnete Eser warnte vor den dadurch ausgelösten Veränderungen: "Actionärs und Agioteurs werden mit Geld= und Waaren=Handel Monopol treiben, und der goldne, durch al1e Zeiten bewährte Spruch, daß der al1gemeine Wohlstand da blühe, wo Handel und Gewerbe blühen, wird seine Bedeutung verlieren, weil das Volk keinen lucrativen Antheil am Handel mehr hat, weil der Consumtionsmarkt auf hundert Stellen zerstört, und der Transport durch Maschinen getrieben wird." Eindringlich stel1te er deshalb den Abgeordneten die Gewissensfrage, ob sie es wagen könnten, "mit ihrer Zustimmung zu diesem Gesetzentwurfe den Grundpfeiler der Constitution, den Grundbesitz, und mit ihm die Ruhe und das Glück des Volkes zu Gunsten der Eisenbahnen mit den mächtigen Hebel der Eisenschinen und Dampf in die Luft zu sprengen". 100 Die Mehrheit des Parlaments konnte sich indessen mit der Argumentation des Innenministers identifizieren und betrachtete Expropriationen nicht nur für staatliche, sondern ebenso für private Unternehmungen als ein Erfordernis der Zeit. Bei den achtzehn Gegenstimmen in der zweiten Kammer drängt sich zudem der Verdacht auf, daß sich hinter hehren Prinzipien schlicht materiel1e Interessen verbargen. Jedenfal1s befand sich unter ihnen eine auffal1end große Zahl von Gastwirten, Bierbrauern und Postexpeditoren, die bei schwächerer Frequentierung der Straßen um ihr Geschäft fürchten mußten. Schon wenige Jahre später entschloß sich die bayerische Regierung dazu, die wichtigen Hauptstrecken auf Staatskosten zu bauen und zu betreiben und nur noch die Nebenlinien privaten Aktiengesel1schaften zu überlassen. Angesichts der Bau- und Planungsaktivitäten in den benachbarten Staaten wurde die Eisenbahn als "den unabweisbaren Anforderungen der Zeit und des Verkehrs entsprechendes, Transport=System" 101 akzeptiert. Dieser Meinung schloß sich der Landtag an. Zwar teilten die wenigsten Abgeordneten die Euphorie des Augsburger Bankiers von Schätzler, der die Eisenbahnen als "Verbindungsmittel höherer Natur" pries, weIches den Beginn 100 Verh. d. Kammer d. Abg. 1837,' Bd. 18, S. 253 f. Den Redebeitrag des Innenministers v. Oettingen-Wallerstein s. ebd., S. 337 ff., v.a. S. 341. 101 Innenminister v. Abel, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1843, Bd. 9, S. 238. Ähnlich der kgl. Kommissär, Ministerialrat v. Voltz: "Die Eisenbahnen sind nothwendig und zeitgemäß. sie sind es auchfür Bayern." Ebd., S. 220.

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einer neuen Ära mit einer "bis jetzt kaum geahnten Potenzirung aller geistigen und materiellen Lebens=Elemente" markiere. Der Ton der Debatte war von der pragmatischen Einsicht in die Wirkung der Eisenbahn auf alle Bereiche der Wirtschaft geprägt, und etliche stimmten den geplanten Linien als einem notwendigem Übel zu. Außerdem verknüpften sich damit unterschiedliche Vorstellungen. Der Bankier Schätzler, obgleich königlicher Kämmerer und Vorstand der Gemeindebevollmächtigten in Augsburg, formulierte wohl demnach die Erwartungen der Wirtschaft, wenn er sich von dem günstigeren, schnelleren und preiswerteren Beförderungsmittel Vorteile für Produzenten wie Konsumenten als Folge von Markterweiterung, neuen Erwerbsquellen und Handelsverbindungen sowie gesteigerter Mobilität und damit einhergehender Regulierung von Angebot und Nachfrage versprach. Der Abgeordnete von Hagen, erster Bürgermeister von Bayreuth, beurteilte die Wirkung der Eisenbahnen ähnlich, legte aber. gerade deshalb besonderen Wert auf die Förderung des Binnenverkehrs. Hierbei müßten ausgleichende Maßnahmen wahrgenommen werden in der Weise, daß neben den ins Auge fallenden Ansprüchen der gewerbereichen Städte ebenso die der strukturschwachen Gebiete berücksichtigt würden. 102 Auch in dieser Debatte prallten somit kaufmännischer "Egoismus" und Gemeinwohl aufeinander. Natürlich argumentierten beide Abgeordnete zugleich mit Rücksicht auf die von ihnen vertretenen regionalen Interessen. Darin bestand denn auch ein zentrales Motiv für den staatlichen Eisenbahnbau, nachdem die Regierung die Bedeutung dieses Verkehrsmittels in wirtschaftlicher, politischer und strategischer Hinsicht erkannt hatte: eine Angelegenheit von derart allgemeiner Wichtigkeit und so weitreichenden Auswirkungen durfte keinesfalls Einzel- und schon gar nicht Privatinteressen überlassen werden! Der Staat sah sich hier in der Rolle des uneigennützigen und unparteiischen Koordinators - eine sehr traditionelle Rolle, für die er dennoch die Zustimmung der Abgeordneten fand. Es ist bemerkenswert, daß in der Diskussion über privaten oder staatlichen Eisenbahnbau beinahe ausschließlich Abgeordnete aus der Pfalz für Aktiengesellschaften plädierten, während die Abgeordneten des rechtsrheinischen Bayern vom Bürgermeister oder Verwaltungsbeamten bis hin zu Fabrikanten wie Bestelmeyer und Maffei oder dem Bankier Schätzler für Staatsbahnen votierten. 103 Einen triftigen Grund für die Übernahme dieser Aufgabe auf Staatskosten bildete das Faktum, daß die überschwengliche Anfangseuphorie - ausgelöst

102 V. Schätzler, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1843, Bd. 8, S. 483 ff.; Zitat S. 484, Argumente für die Eisenbahn S.485; v. Hagen, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1843, Bd. 9, S. 53 ff., v.a. S. 59 ff. \03 Verh. d. Kammer d. Abg. 1843, Beil.Bd. 8, S. 347 f., Bd. 9, S. 151, Bd. 8, S. 488. Vgl. dazu die Beiträge der Abgeordneten aus der Pfalz, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1846, Bd. 4.

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durch den großen Erfolg der ersten Eisenbahnlinie - rasch gedämpft wurde, als sich bei umfangreicheren Vorhaben unerwartete Schwierigkeiten auftaten und erste Meldungen über Zusammenbrüche von Eisenbahngesellschaften bekannt wurden. Schon die Augsburg-Münchener-Eisenbahngesellschaft hatte größte Mühe gehabt, ihr Projekt fertigzustellen, weitere Linien kamen nicht einmal mehr über die Subskriptionsphase hinaus. Die Regierung erkannte rechtzeitig, daß Bayern infolgedessen von der allgemeinen Entwicklung abgekoppelt zu werden drohte, und stieg deshalb 1840 in die Finanzierung der Eisenbahnlinie von der Landesgrenze bei Hof nach Augsburg und Lindau ein. 1843 ließ sie sich vom Parlament die dafilr erforderlichen Kredite bewilligen, und drei Jahre später verteidigte Innenminister von Abel den Staatsbau bereits leidenschaftlich: "... nie wird die Regierung die Leitung und Benützung der Eisenbahnen, einer Anstalt, deren Inhaber bis zu einem gewissen Puncte den gesammt=commerziellen und persönlichen Verkehr des Landes beherrscht, nie wird die Regierung diese Bahnen in ihren Hauptrichtungen in Privathände geben, nie und unter keiner Bedingung.,,104 Andererseits verriet die Betonung der Interessenabwägung und der Gemeinwohlverpflichtung beim staatlichen Bahnbau gleichwohl Skepsis gegenüber organisierten Zusammenschlüssen bürgerlicher Finanz- und Tatkraft. Abel deutete dies verschlüsselt an, wenn er davon sprach, daß die Regierung "die Eisenbahnen ausschliessend aus dem rein staatswirthschaftlichen Standpunkte" betrachte, wogegen Privatgesellschaften "lediglich ihr finanzielles Interesse" im Blick hätten. Wie bereits in anderen Bereichen deutlich geworden, gab es eine grundsätzliche Scheu vor der Beweglichkeit des privaten Kapitals, weIches sich weitgehend staatlicher Kontrolle entzog und damit zum Machtfaktor werden wie infolge seiner Unberechenbarkeit zur Destabilisierung der Verhältnisse beitragen konnte. lOS Offensichtlich versprachen sich umgekehrt die Vertreter der Wirtschaft mehr von der Nutzung eines Eisenbahnnetzes als von dessen Erstellung und Betreibung. Die Abgeordneten Schätzler und Maffei - beide selbst aktiv in der München-Augsburger-Eisenbahngesellschaft, Bankier Schätzler im Verwaltungsrat, der Unternehmer Maffei als Vorstandsvorsitzender - erhoben jedenfalls keine Einwände gegen die Verstaatlichung. Die Wirtschaft brachte ihre Anspruche allerdings sehr nachdrücklich vor, sobald es um Streckenplanung und Linienführung ging. Neben der Redeplattform im Parlament boten die von den Handelskammern eingeforderten Gutachten und Petitionen Möglichkeiten der Einflußnahme. Zudem deckten sich die Interessen der Wirtschaft häufig mit denen

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EbQ., S. 617; das folgende Zitat Verh. d. Kammer d. Abg. 1843, Bd. 9, S. 240. Vgl. K. Bosl, Bayern, S. 313.

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der Gemeinde oder des Kreises, so daß sie von dieser Seite bekräftigende Argumente und zusätzliche Unterstützung erhielt. 106 In diesem Stadium wurden die konkret abschätzbaren Folgen erörtert, etwa von Handelsverbindungen zum Rhein oder über die Alpen in die Schweiz und nach Triest, bezüglich Exportmöglichkeiten zum Beispiel der Textilindustrie in Augsburg und Schwaben, der Anschluß an Rohstoffiager wie die Kohlegruben in Böhmen, die Förderung grenznaher Regionen durch Einbindung sowie das Bestreben, in der heimischen Maschinenbauindustrie einen Technologieschub auszulösen. Dabei bestand keineswegs Übereinstimmung hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen des Eisenbahnbaus. Einige befürchteten eine kontraproduktive Wirkung, faIls dadurch zwar die Verkehrswege beschleunigt, aber nicht gleichzeitig die Hemmnisse der Industrie beseitigt würden. Dem Abgeordneten Willich erschien es "sonderbar ... , daß man in Bayern die Schritte des Menschen beflügeln will, während man ihm Hände und Füsse geknebelt hält, da man Grund und Boden, Gewerbe und Industrie, Umzug und Ansäßigmachung nicht entfesselt."lo7 Damit machte er auf einen unhaltbaren Anachronismus aufmerksam, der unweigerlich entstehen mußte, sofern sich die Gewährung und Förderung größerer Bewegungsfreiheit auf den verkehrstechnischen Bereich beschränkte. Sowohl auf seiten des Staates wie seitens der Wirtschaft wurden somit hohe, wenngleich vorerst noch vage Erwartungen an das neue Verkehrsmittel gestellt. Die Intentionen konnten durchaus verschieden sein: Wo der Staat die KontroIle über das Verkehrssystem nicht verlieren woIlte, erhoffte sich die Wirtschaft die Erschließung neuer Freiräume. Konsens herrschte aIlerdings darüber, daß die Eisenbahnen nicht nur indirekt über die Infrastruktur, sondern bei Planung, Bau und Betrieb eine sehr direkte Wirkung auf Arbeitsmöglichkeiten und technische Entwicklung ausüben würden. Tatsächlich verdankte der Industrialisierungsschub in Deutschland seinen Aufschwung der Schwerindustrie, welcher in den Bereichen Eisen- und Maschinenbauindustrie durch den Bahnbau Dynamik verliehen wurde. lOS Obwohl sich in Bayern aufgrund der Rohstoffiage die

106 Zur Einflußnahme auf die StreckenfLihrung etwa B. Zinner, Die Handelskammer von Mittelfranken, Nürnberg 1976, S. 78 ff.; H.-P. Schäfer, S. 117 ff., S. 350 ff. 107 Verh. d. Kammer d. Abg. 1846, Bd. 4, S. 431; vgl. die Abg. StädtIer, ebd., S. 547, und Müller, ebd., S. 370 ff.; Müller ähnlich bereits Verh. d. Kammer d. Abg. 1843, Bd.9, S. 29 ff.; s. hierzu auch Schwindl, ebd., S. 88 f., und v. Weiden, ebd., Bd.8, S.560. lOS H. Wagenblass, Der Eisenbahnbau und das Wachstum der deutschen Eisen- und Maschinenbauindustrie 1835 bis 1860, Stuttgart 1973. Vgl. Bestelmeyer, in: Verh. d. Kammerd. Abg. 1843, Bd. 9, S. 214; v. Weiden, ebd., Bd.8, S. 574 f.: "Der Eisenbahnbau ist eine Gelegenheit, die Industrie in Bayern kräftigst zu heben, und zwar namentlich jenen Theil, in dem wir noch am weitesten zurück

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Schwerindustrie nicht entfalten konnte, profitierte es dennoch im Bereich Maschinenbau - zum Beispiel die mechanischen Werkstätten von Späth und Cramer-Klett in Nürnberg, die Maschinenfabrik Augsburg und Maffeis Lokomotivenfabrik in München - vom technischen Know-how und nicht zuletzt von Arbeitsplätzen. Vor der Jahrhundertmitte war dieser Effekt allerdings noch nicht abzusehen und daher von der Regierung nicht intendiert. Insoweit die Regierung, patriotischer Gesinnung folgend, bei entsprechendem Preis-Leistungs-Verhältnis inländischen Fabrikaten den Vorzug gab, erfüllte der staatliche Bahnbau dennoch beinahe die Funktion einer Absatzgarantie. Dieses Modell war jedoch auf andere Produktionsbereiche nicht übertragbar. Deshalb mußte die staatliche Förderung bei anderen Wirtschaftszweigen nach neuen Wegen suchen.

6. Wirksamkeit von und Resonanz auf indirekte Fördermittel Als Plattfonn für die Präsentation aller Gewerbe- und Industriezweige boten sich die zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufkommenden Industrieausstellungen an. Seitdem hatten kleinere Ausstellungen in Orten wie Nürnberg, München oder Würzburg stattgefunden, die auf private Initiative gewerblicher oder polytechnischer Vereine zustandegekommen waren und sich auf den regionalen Einzugsbereich beschränkten. Eine erste gesamtbayerische Schau im Jahr 1827 hatte nur geringe Resonanz gefunden. 109 Drei Jahre später ordnete König Ludwig I. das Abhalten bayerischer Industrieausstellungen in dreijährigem Rhythmus an. Die angeführten Vorteile verrieten zugleich die in sie gesetzten Erwartungen: sie sollten "den Kunst= und Gewerbfleiß anregen, eine Uebersicht des Standes der inländischen industriellen Betriebsamkeit im Allgemeinen geben, die Beurtheilung dieses Zustandes erleichtern und die Vorurtheile gegen dieselbe berichtigen" .110 Trotzdem dauerte es weitere vier Jahre, bis Ende des Jahres 1834 die erste größere "vaterländische" Industrieausstellung stattfand.

sind, den mechanischen." (S.575) Städtler, Verh. d. Kammer d. Abg. 1846, Bd.4, S. 309, Schäfer ebd., Bd. 5, S. 109. 109 A. Heßler, Entwicklung des Nürnberger Wirtschaftslebens von der Einverleibung in Bayern bis zum deutschen Zollverein, Erlangen 1928, S. 43 f.; A. legel, Die wirtschaftliche Entwicklung von Nürnberg-Fürth, Stein und des Nürnberger Raumes seit 1806, Nürnberg 0.1., S. 58; S. Fisch, Polytechnische Vereine im "Agriculturstaat" Bayern bis 1850, in: ZBLG 49 (1986), S. 543. 110 Königliche Allerhöchste Entschließung, Die Anordnung regelmäßig wiederkehrender National=Industrie=Produkten=Ausstellungen betreffend, 16. August 1830, in: Regierungs=Blatt für das Königreich Bayern Nr. 31 vom 4.9.1830, Sp. 1053-1056, Zitat Sp. 1054 f.

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Eine eigens dafür eingesetzte Ministerialkommission sowie die Prämierung auszeichnungswürdiger Produkte ließen das Interesse der Regierung erkennen, sich nicht darauf zu beschränken, den Produzenten eine Bühne zur Eigenwerbung und zum Anknüpfen von Geschäftsverbindungen zur Verfügung zu steilen, sondern ihrerseits einen Überblick über den Stand von Ausbildung, Technik und Leistungsflihigkeit der heimischen Industrie zu erhalten. Dabei verhehlte der offizielle Kommissionsbericht nicht, daß der Zollverein als wesentlicher Impuls bei der Realisierung des Vorhabens gewirkt habe. Die Regierung war somit bemüht, auf die veränderte Markt- und Konkurrenzsituation mit neuen Methoden zu antworten, welche das Selbstbewußtsein sowie die Eigeninitiative der Wirtschaft stärken sollten. Nicht viel anders kann jedenfalls das beinahe beschwörende Urteil der Kommission gewertet werden, die Ausstellung habe gezeigt, "daß es unserm Vaterlande durchaus nicht an eminenten Talenten gebricht," die mit dem Ausland konkurrieren könnten; vielfach bedürfe es lediglich der Korrektur "unrichtige[r] Ansichten". 111 Bemerkenswert ist, daß an dieser Stelle im offiziell gedruckten Bericht eine im Manuskript acht Seiten umfassende Passage fehlt, in welcher harsche Kritik an den derzeitigen Verhältnissen in der Industrie geübt wurde. Die gravierendsten Schwachpunkte wurden einmal im "Mangel an Maschinen, und ihrer Kenntniß" entdeckt. Dafür machte der Autor Assessor von Weiden, der Vorstand der Kommission, die lange Abgeschlossenheit Bayerns verantwortlich, welche Mittelmäßigkeit, Ignoranz gegenüber dem technischen Fortschritt und "starres Festhalten an verrosteten Vorurtheilen" begünstigt habe. Eine weitere, von der Verwaltung häufig vorgebrachte Klage galt der vermuteten Beeinträchtigung der Produktivität durch die Vielzahl von Feiertagen und Kirchweihfesten sowie dem durch Jahrmärkte und Musterreiter entstehenden Schaden. 112 In der Druckfassung schloß sich indes unmittelbar die Belehrung hinsichtlich des besagten Mißverständnisses mancher Fabrikanten an, die offensichtlich mit erheblichem Aufwand gefertigte Schaustücke zur Ausstellung gebracht hatten. Die "Wichtigkeit des gelieferten Erzeugnisses in national wirthschaftlicher Hinsicht" bemesse sich ganz im Gegenteil danach, ob ein Produkt "um den möglichst billigen Preis, durch die reelsten schätzungswerthesten Eigenschaf-

III Bericht der allerhöchst angeordneten Königlich Bayerischen Ministerial= Commission über die im Jahre 1834 aus den 8 Kreisen des Königreichs Bayern in München stattgehabte Industrie-Ausstellung, München 1835, S. 4. Genauso hatte der Innenminister Zweck und Intention des Vorhabens beschrieben: "daß die Ausstellung der Industrie jede Gegend in ihrem vollen Umfange sich darstelle, und daß Bayern in seinem vollen Werthe den Staaten gegenüber erscheine, mit welchen es in Zoll=Vereins=Verhältnisse getreten ist, oder noch zu treten gedenkt." Schreiben an das Präsidium der Reg. d. Oberdonaukreises, 9.10.1834, in: BayHStA MInn 13 444. 112 Manuskript der Einleitung des Kommissionsberichtes, in: BayHStA MInn 13 446.

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ten, die Bedürfnisse des größeren Publikums befriedigt".113 Damit waren alle Kriterien moderner industrieller Produktion angesprochen: Maschineneinsatz, knappe Preiskalkulation bei bestmöglicher Qualität und hohen Stückzahlen. Insoweit kann eine völlige Übereinstimmung zwischen Staat und den progressiven Wirtschaftskräften registriert werden. Der Ausstellungsbericht in Dinglers "Polytechnischem Journal" hob ebenfalls darauf ab, daß "hauptsächlich Qualität, Quantität und Preis ... einem Fabrikate in industrieller und staats-

wirthschaftlicher Hinsicht Werth geben". Allgemeiner hieß es: "Das Groß= und Gemeinnüzige ... muß in einem guten Staatshaushalte jeder Zeit vor dem Künstl ichen berüksichtigt werden." 114 Die Bevorzugung ausländischer Produkte von seiten der Händler und Konsumenten wurde als vielfach irrational kritisiert und zugleich der noch viel zu seltene Einsatz von Maschinen als Wettbewerbsnachteil empfunden. In diesem Punkt bestehende Ressentiments durch Konstruktion und Verleih von Modellmaschinen auszuräumen wurde dem Staat als Aufgabe angetragen, ebenso der Ausbau des Gewerbe- und polytechnischen Schulwesens als dringend erforderlich begrüßt.. Damit verband sich die Hoffnung auf ein Wiedererstarken von "Ansehen, Ehre und Wohlfahrt" des Gewerbestandes als Gegengewicht zum Bildungsbürgertum. Sehr sublimiert deutete sich hier der Grundsatzkonflikt zwischen Staat und Wirtschaftsbürgertum im Vormärz an. Daß sich gesteigertes Selbstbewußtsein eben nicht auf den Produktionssektor beschränken ließ, wurde da deutlich, wo sich der Gewerbestand auf seinen sozialen Ort als eine der "zu aUen Zeiten bewährten Stüzen des Vaterlandes" berief und in Vorwegnahme seiner künftigen Leistungskraft neu reklamierte. 115 Diesen Punkt streifte das Journal nur kurz mit dem Bedauern über Restriktionen bei der Gewerbefreiheit und dem Hinweis an die Behörden, ihr Ohr näher an den Betroffenen zu haben, weil diese die besten Vertreter ihrer Interessen seien. Dagegen registrierte das "Polytechnische Journal" viel schonungsloser, wie weit der produzierende Sektor davon noch entfernt war, indem es die Defizite in wichtigen Bereichen bloßlegte. Noch immer habe die Runkelrübenzuckerfabrikation gegen unüberwindliche Vorurteile anzukämpfen, während sich die Leinwandfabrikation ohne Maschinen selbst von der Konkurrenz ausschalte: "Nur

Bericht ... Industrie-Ausstellung 1834, S. 4/5. Ueber die Industrie-Ausstellung zu München, Sonderdruck aus Dingler's polytechnischem Journale, München 1834, S. 7. Für das Folgende s. ebd., S. 4 ff. 115 Ebd., S. 5. Das wiedererstarkte Ansehen würde viele Väter dazu bewegen, ihre Söhne, an statt sie in Gymnasien und Universitäten zu schicken, "dem Schoße des Bürgerstandes zu erhalten ... , und nicht bloß der minder beflihigte Sohn wird, wie dieß bei unseren Bürgern so häufig nicht geschieht, dem gewerbetreibenden Stande erhalten bleiben, sondern auch der ruhigere wird sich demselben widmen". Das Folgende vgl. ebd., S. 6 ff., Zitate S. 26, S. 14 und S. 10. 113

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der Obennainkreis ... fabricirt, während man in den übrigen Kreisen ... größten Theils nur macht." Die Probleme der Eisen- und Stahlgewinnung seien teils technisch, teils durch Materialmangel bedingt. Bei vielen Weiterverarbeitungsprodukten wurde die Genauigkeit oder das, "was man in England Finishing nennt" - der letzte Schliff also -, vennißt. Der Bereich der Mechanik, "dieser mächtige und Alles bewegende Hebel jeder ausgedehnteren und im Großen betriebenen Industrie," sei hingegen nicht ausreichend repräsentiert gewesen. Letzteres verweist auf die Gegenseite, die Bereitschaft der Fabrikanten und Gewerbetreibenden, die neuen Angebote zu nutzen. Obwohl das Vorhaben in mehreren auflagestarken Blättern inseriert worden war und die Kommission wie das Innenministerium die Kreisregierungen aufgefordert hatten, die Produzenten zur Teilnahme zu bewegen, blieb die Resonanz oftmals sehr gering. Aus den Berichten der Städte, Gemeinden und Landgerichte an die Kreisregierungen lassen sich Beweggrunde ablesen. Einige Argumente kehrten stereotyp als Entschuldigung wieder: die Zeit sei zu knapp, momentan seien nicht genügend Waren auf Lager, es werde nur auf Bestellung oder für den örtlichen Bedarf gearbeitet, weshalb sich eine Teilnahme in der weit entfernten Hauptstadt nicht lohne. Vielfach wurden daher die hohen Frachtkosten gescheut. Manche Produzenten stuften ihre Waren als zu unvollkommen und deshalb nicht ausstellenswert ein, andere wiederum verwiesen auf neue und noch nicht ausgereifte Herstellungsmethoden. 116 In einigen Fällen mochte die Furcht vor Preisgabe beziehungsweise Nachahmung von Herstellungsverfahren eine Rolle spielen zu einer Zeit, da Patentschutz und Urheberrecht noch keinen allzu hohen juristischen Stellenwert genossen. So sah das bayerische Gewerbegesetz vom Jahr 1825 die Erteilung von "Gewerbsprivilegien" für höchstens fünfzehn Jahre vor, nach deren Ablauf "die Entdeckung, Erfindung oder Verbesserung öffentliches Gemeingut" wurde. 117 Denkbar wäre auch, daß einigen Fabriken die von der Kommission zum Zweck der Leistungsbewertung verlangten Auskünfte über Anzahl der Arbeiter, Materialbezug, Produktionsumfang und Absatzgebiet

116 Berichte an die Kreisregierungen, in: BayHStA MInn 13 447. Besonders ergiebig und aufschlußreich die Berichte an die Reg. d. Untermainkreises. 117 GWGes. vom 11.9.1825, Art. 9, in: Döllingers Verordnungen-Sammlung, Bd. 14, München 1838, S.872. S. dazu: W. Treue, Die Entwicklung des Patentwesens im 19. Jahrhundert in Preußen und im Deutschen Reich, in: H. Coing, (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 4, Frankfurt/M. 1979, S. 163-182; F.-K. Beier, Gewerbefreiheit und Patentschutz, in: a.a.O., S. 183-205. Beide Autoren weisen auf die unterschiedliche Handhabung des Patentrechts hin und sehen dies in Zusammenhang mit den ökonomischen Lehrmeinungen sowie der staatlichen Wirtschaftspolitik. So stellt Treue angesichts der in Bayern im Vergleich zu Preußen sehr viel höheren Zahl der Patentverleihungen "eine den Erfinder begünstigende Handhabung des Patentwesens auf merkantilistischer gewerbepolitischer Grundlage" fest. (S. 166 f., Zitat S. 167.)

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zu sehr ins Detail gingen und zu aufschlußreich schienen, um sie einer staatlichen Behörde offenzulegen. 118 Insgesamt vermitteln die Behördenberichte den Eindruck, daß die Beteiligung der Inhaber von Gewerben zurückhaltender war, was einerseits verständlich ist, soweit sie sich über die örtliche Nachfrage hinaus wenig erhoffen konnten, andererseits aber zeigt, daß viele nicht bereit waren oder es nicht für erforderlich hielten, sich über das gewohnte Maß zu engagieren, neue Märkte zu erschließen oder andere Produkte und Fertigungsmethoden kennenzulernen. Naturgemäß eher zu aktivieren waren Gewerbetreibende, weIche Luxus- oder Exportartikel herstellten, und Fabrikanten. Sie waren auf einen weiteren Markt angewiesen und erhofften sich von der Präsentation ihrer Artikel sicherlich einen Reklameeffekt. Sie waren es zudem gewohnt, ihre Produkte zu versenden. Für all diese unterschiedlichen Motive lassen sich Beispiele in den Akten finden. Mit dem Spiegelglasfabrikbesitzer Faber aus Nümberg begegnen wir einem Luxushandwerker alten Typs. Er verfertigte für die Ausstellung einen großen, goldgerahmten Spiegel, der zwar, wie das "Polytechnische Journal" bemerkte, "für 600 tl sehr billig war", aber gewiß kein Serienprodukt. Im Jahr darauf lehnte er die Teilnahme ab mit der Begründung, seiner Ansicht nach sollte zu einer Industrieausstellung nur Außergewöhnliches geliefert werden; er sehe sich jedoch nicht in der Lage, einen noch größeren Spiegel herzustellen, der dann überdies nicht gebraucht werde. Auf die 1834 erhaltene Medaille wollte er verzichten. Der Kommissionsbericht ließ durchblicken, daß Faber gehofft hatte, sein Spiegel werde für den Königsbau angekauft. Anscheinend hatte sich für ihn die Spekulation auf ein werbewirksames Geschäft nicht erfilllt und der Einsatz nicht ausgezahlt. Dagegen sandte die Steingutfabrik zu Aschach im Landgericht Kissingen Steingutgeschirre, die sie hinsichtlich Preis und Qualität besonders zum Absatz in den Zollvereinsstaaten empfahl und bereits dorthin exportieren konnte. Hier versprach sich der Hersteller offenkundig breitere Absatzchancen für gängige Artikel seiner Produktion. 119 Ein Bandfabrikant hätte seine Maschine zwar gerne zur Schau gestellt, bedauerte jedoch, auf sie wegen des dadurch entstehenden Produktionsausfalls nicht verzichten zu können. Daher übersandte er eine Beschreibung mit dem

118 BayHStA Mlnn 13 470, 13 471. Die Akten enthalten - nach Produktionsgegenständen geordnet - genaue Auskünfte über die bei der Industrieausstellung 1835 vertretenen Hersteller. 119 Schreiben des Spiegelglas-Fabrikbesitzers J. D. Faber in Nümberg a.d.J. 1835, in: BayHStA Mlnn 13 468; Schreiben d. Reg. d. Rezatkreises, 3.10.1835; Bericht der Kommission vom 11.1 O. I 835, beides in: BayHStA Mlnn 13 444. Ueber die IndustrieAusstellung zu München, Sonderdruck, S. 20. Bericht des Landgerichtes Kissingen an die Reg. d. Untermainkreises, 12.11.1834, in: BayHStA Mlnn 13 447.

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Vorschlag, sie vor Ort begutachten zu lassen. Im Falle einer Prämiierung wäre er - wahrscheinlich angesichts des Reklameeffekts - mit einer geringen Entschädigung zufrieden gewesen, "weil ich recht gerne auch gemeinnützlich werden möchte". Andere Fabrikanten wußten sich ebenso geschickt des geeigneten Vokabulars zu bedienen und die Gelegenheit zu nutzen, die Behörden auf Probleme ihres Industriezweigs aufmerksam zu machen und Vorteile zu erwirken. So fanden die Klagen des Mechanikers Mannhard zu München über die hohen Preise bayerischen Eisens die Unterstützung des Kommissionsvorstandes, der sich flir besseren Schutz der inländischen Industrie verwandte. Während Mannhard wenigstens einige seiner Maschinen ausgestellt hatte, hielten die Besitzer des Weilbacher Eisenwerks die Einsendung von Fabrikaten filr "unthunlich" und meinten, den gemeinnützigen Absichten am besten dadurch zu entsprechen, daß sie die Staatsregierung über die Konkurrenzfahigkeit der inländischen Eisenwerke in Kenntnis setzten. Kaum erwähnenswert, daß dabei im Sinne des Industriezweigs die Forderung nach günstigem Bezug von Brennmaterial eingearbeitet war! 120 So klein die Zahl der Fabrikanten noch sein mochte: dieser neue Typus des Unternehmers trat vielfach selbstbewußter an den Staat heran, nutzte geschickt die ihm angebotenen Möglichkeiten zur Eigenwerbung und verstand es zudem besser, die Behörden auf Probleme aufmerksam zu machen und diesbezügliche Forderungen zu formulieren. Dabei überwog die sach-, was heißt branchen- beziehungsweise produktspezifische Argumentation, wogegen die Gewerbetreibenden vielfach auf ihre mit der wirtschaftlichen Lage verflochtene soziale Position hinwiesen und dabei eher den Instanzenweg, angefangen bei der Heimatgemeinde, beschritten.

120 Bandfabrikant M. Bechmann, It. Protokoll, Schillingsflirst, 25. I 0.1834, in: ebd.; Kommissionsbericht vom 28.11.1834, Die Vorstellung des Mechanikus Mannhard in München die inländischen Eisen Preise betr., in: BayHStA MInn \3 444. Das "Polytechnische Journal" erwähnte folgende von Mannhard ausgestellten Maschinen: zwei Supporte, zwei Schraubstöcke, einen Schleifapparat, eine Handsiegelpresse, eine Plombier-, eine Durchschneid-, eine Strickmaschine, eine Bratenwendervorrichtung sowie ein mechanisches Kinderreitpferd. In: Ueber die Industrie-Ausstellung zu München, Sonderdruck, S. 11/12. Schreiben der Gebr. Reibold, Weilbacher Eisenwerk, im Bericht des Herrschaftsgerichtes Amorbach an die Reg. d. Untermainkreises, 28.11.1834, in: BayHStA MInn 13447. Zur Industrieausstellung i.J. 1835 entsandte dann das Weilbacher Eisenwerk auch Ausstellungsstücke. Vgl. L. Schertei, Ueber den Zustand der bayerischen Gewerbsindustrie, München 1836, S. 123.

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7. Zielkonßikte der amtlichen Wirtschaftshilfe Mit 779 Einsendern war die Ausstellung 1834 dennoch recht gut besucht und konnte als Erfolg verbucht werden, wenngleich das Ziel nicht erreicht worden war, einen vollständigen Überblick oder gar ein genaues Abbild von Industrie und Gewerbe des Landes zu geben. Die im Abstand von nur einem dreiviertel Jahr folgende Industrieschau 1835 mobilisierte sogar 944 Aussteller, was der Kommissionsbericht als Beweis dafür wertete, "daß der Zweck der Industrie= Ausstellungen im Allgemeinen mehr erkannt, und begriffen worden ist." 121 Verglichen mit der geringen Beteiligung noch ein Jahrzehnt früher war dies tatsächlich ein großer Fortschritt. Dabei dürfte der Zwang zu Präsentation und Konkurrenz im vergrößerten Marktgebiet des Zollvereins als wichtiger Anreiz gewirkt haben. Selbst im industriell stets weiter vorangeschrittenen Preußen hatten die allgemeinen Gewerbeausstellungen der Jahre 1822 und 1827 so geringe Resonanz gefunden, daß der sonst unermüdliche Leiter der Abteilung für Handel und Gewerbe im preußischen Finanzministerium, Beuth, keine weitere Veranstaltung dieser Art mehr geplant hatte. 122 Nicht nur, daß die bayerische Regierung in der Wahl des Zeitpunkts eine glückliche Hand gehabt zu haben schien. Die damit verknüpften positiven Erwartungen, erhofften Impulse für die Wirtschaft und günstigen Auswirkungen für alle Seiten, Produzenten, Handel wie Konsumenten, ließen sie zu einer lebhaften Propagandistin des Ausstellungsgedankens werden. Immerhin ging die Anregung zu einer gemeinsamen Industrieausstellung der Zollvereinsstaaten, die 1844 stattfand, von Bayern aus. 123 In einer diesbezüglich an den Minister des Äußern gerichteten Note versprach sich Innenminister von Abel angesichts der größeren Plattform mit mehr Vergleichsmöglichkeiten einen Multiplikatoreffekt. Zugleich äußerte er die Hoffnung, daß dadurch den Zollvereinsstaaten ihre gegenseitige Abhängigkeit und der Nutzen einsichtiger werde, was zu der Feststellung überleitete, wonach "der Reichthum jedes Landes nicht dann am

121 Bericht der allerhöchst angeordneten Königlich Bayerischen Ministerial=Commission über die im Jahre 1835 aus den 8 Kreisen des Königreichs Bayern in München stattgehabte Industrie-Ausstellung, München 1836, S. 9. 122 I. Mieck, Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806-1844, Berlin 1965, S. 141 ff. 123 Handschreiben Ludwigs I. an die Minister des Äußern und der Finanzen, 4.4.1840. Damit brachte der König, beeindruckt durch die Pariser Industrieausstellung 1839, die Anregung einer Industrieausstellung für den gesamten Zollverein in Abständen von zehn Jahren auf den Weg. In: GHAM Nachlaß Ludwig 1., 47/5/20,3. Zur Reaktion in Preußen vgl. etwa I. Mieck, S. 147 f. Die Note des Innenministers v. Abel an den Minister des Äußern, Frhr. v. Gise, vom 20. Juni 1840 galt zugleich als Verhandlungsbasis. In: BayHStA MA 25681. Weiter hieß es dort über den Zoll verein, er sei "vornemlich zur practischen Durchführung dieser Idee mittels der freyen Conkurrenz der produktiven Kräfte unter politisch verbündeten Staaten eines und desselben Volks gestiftet" worden.

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besten fortschreitet, wenn es alles selbst erzeugt, was es bedarf, sondern wenn der Consument seine Bedürfniße mit dem geringsten Aufwand aufs beste zu befriedigen vermag." Diese Auffassung artikulierte einen Bruch mit der tendenziell dem Produzenten nahe stehenden Wirtschaftspolitik des Merkantilismus 124 und speziell mit der Zunftverfassung bei Hinwendung zu einer an den Anforderungen der Konsumenten orientierten Haltung, wie sie im Wesen des Wirtschaftsliberalismus lag. Die Grenzen des Wirtschaftsraumes wurden über die eigenen Staatsgrenzen hinaus zumindest bis an die Grenzen der durch eine gemeinsame Idee verbundenen Staaten des Zollvereins verschoben. Mit dem Verzicht auf den Grundsatz, so viele Produkte wie möglich im eigenen Land herzustellen, wurden die heimischen Hersteller einem erhöhten Konkurrenzdruck ausgesetzt. Abgesehen davon, daß die konsequente Befolgung dieser Maxime vielfach mit Rücksichten auf Landesinteressen und Autarkiebestrebungen zur Wahrung einer eigenständigen Souveränität kollidierte: Insoweit die Prioritäten anders gesetzt wurden, konnte die Frage nicht mehr lauten, auf welche Weise die Produktion bestimmter Erzeugnisse im Land eingerichtet werden konnte; stattdessen war zu prüfen, welche Produktsparten im Land unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten Rentabilität versprachen. Konsequent im liberalen Sinn wäre es demnach gewesen, wenn sich der Staat einzig auf die Schaffung eines Umfeldes und von Voraussetzungen beschränkt haben würde, welche es den Produzenten ermöglicht hätten, in den Kreis der Konkurrenten einzutreten, und das Urteil bezüglich der Wirtschaftlichkeit dem Markt überlassen hätte. Dem Kommissionsbericht zur Industrieausstellung 1835 folgend,125 lassen sich die Regierungsrnaßnahmen auf dem Gebiet der Wirtschaft zusammenfassen. Im Bereich der indirekten Förderung und Beseitigung von Hemmnissen des Gewerbfleißes verwies der Verfasser auf die Gewerbegesetzgebung, den Zollverein, die Zollgesetzgebung und den Ausbau der Verkehrswege. An direkten Fördermitteln konnnte er die technische Schulbildung, Gewerbe- und polytechnische Vereine sowie öffentliche Auszeichnungen aufzählen, wie sie beispielsweise anläßlich der Industrieausstellung verliehen wurden. Kapitalhilfen des Staates fur einzelne Unternehmungen oder Fabriken wurden entschieden abgelehnt. Es gehe nicht an, "daß ein Theil der Staatsbürger regelmäßig auf Kosten der Andern unterstützt werde, blos um Fabrikate auf eine unökonomische Weise hervorzubringen." Solche punktuellen staatlichen Unterstützungen widersprä-

124 Vgl. dazu O. Reuter, Die Manufaktur im Fränkischen Raum, Stuttgart 1961, S. 119-141, v.a. S. 126-136. S. auch L. Memmert, Die öffentliche Förderung der gewerblichen Produktionsmethoden zur Zeit des Merkantilismus in Bayern, Leipzig 1930, v.a. S. 56 ff. 125 Bericht ... Industrie-Ausstellung 1835, S. 1-7, Zitat S. 5.

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ehen allen Gesetzen des Staatshaushalts und erftHlten zudem meist ihren Zweck nicht, wie die Erfahrung gelehrt habe. Die Bestätigung für die Richtigkeit dieser Anschauung liefert Mauersbergs Untersuchung über die bayerischen Industrie- und Kulturfonds. 126 Deren Anteil am Staatshaushalt schwankte in den drei Finanzperioden von 183 I bis 1849 zwischen durchschnittlich 0,38 bis 0,64 Prozent, wovon jeweils der größere Anteil - 60 beziehungsweise 58 Prozent - der Landwirtschaft zufiel. In absoluten Zahlen blieben für die Gewerbeförderung durchschnittlich 54 180 bis 76476 Gulden pro Jahr. Bei der Vergabepraxis stellt Mauersberg keine gezielte Strategie fest, was er mit Unerfahrenheit und mangelnden Entscheidungskriterien der Behörden im Umgang mit dieser Art staatlicher Wirtschaftshilfe begrilndet. Zwar seien der Verwaltung die Zonen lebhafter Gewerbetätigkeit bekannt gewesen und hätten deshalb die Regierungsbezirke Oberbayern, Mittelfranken und Schwaben/Augsburg sowie die oberfränkische Textilindustrie in größerem Umfang von der Förderung partizipiert. "Eine Bewertung der Gesuche nach technisch und ökonomisch relevanten Kriterien stieß dagegen immer wieder auf das Fehlen konkreter Anhaltspunkte". Dies läßt auf einen Paradigmenwechsel bei der Industrieförderung schließen. Seine Entsprechung fand er darin, daß die Verwaltung in wachsendem Maß Expertenmeinungen von außerhalb zur Beurteilung heranzog, etwa der Handels- und Gewerbekammern oder des Zentralverwaltungsausschusses des Polytechnischen Vereins in München. Letzterer wuchs infolge seiner Beratungs- und Gutachterfunktion sowie der personalen Verflechtung mit der Beamtenschaft mehr und mehr in die Rolle einer "Staatsanstalt im Kleide eines Vereins,,127 hinein. Mauersberg vermutet aber in dem begrenzten Finanzvolumen für die Förderung des produzierenden Sektors zugleich eine "Tendenz, die Wachstumsllirderung der Wirtschaft nicht durch ein übergroßes Engagement in Richtung auf einen Industrialismus hin ausufern zu lassen." Wobei - so muß hinzugefllgt werden - die Ablehnung des "Industrialismus" weniger dessen Produktionsmethoden und -techniken galt. Technischen Innovationen und neuen Marktstrategien standen Regierung und Behörden aufgeschlossen gegenüber, akzeptierten sie als Anforderungen der Zeit und waren bemüht, der heimischen Industrie und den Gewerben den Anschluß an den aktuellen Standard zu ermöglichen oder durch Anreize wie Privilegien oder Prämien zu ermuntern.

126 H. Mauersberg, Bayerische Entwicklungspolitik 1818-1923, München 1987, S. 15 ff., Zitate S.48 und S.39. Zur finanziellen Dimension der Bayerischen Industrieforderung s. auch P. Hefele, S. 51-53. 127 S. Fisch, S. 561; vgl. ab S. 546 ff.

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Daß dennoch der Weg der Industrief6rderung nicht so konsequent und geradlinig beschritten wurde, lag neben den in Bayern zu berücksichtigenden, in der Rohstofflage begründeten Fakten vor allem an der Furcht vor den unvermeidbaren gesellschaftlichen Konsequenzen eines solchen Modernisierungsprozesses. Dieser Zwiespalt kristallisierte sich geradezu in der Einstellung des Monarchen zur Industrie und wirkte dadurch auf die Wirtschaftspolitik zurück. Einerseits Motor einer Entwicklung, die Bayern in den Zollverein und eine fortschrittsorientierte Zukunft einbinden sollte, schreckte der König vor dem sozialen Gesicht dieser Zukunft zurück. Interesse und Ehrgeiz des Königs nach umfassender Kenntnis erstreckten sich bis auf das Gebiet der Technik. In zahlreichen Handschreiben forderte er ausfiihrlichere Informationen über Neuentwicklungen an, auf die er etwa bei der Lektüre der "Allgemeinen Zeitung" gestoßen war. 128 Sein Mißfallen über die Auswirkungen des Fortschritts auf die Menschen fand in Signaten Ausdruck, in denen er die Errichtung großer Fabriken ablehnte, weil dort "eine Menge Arbeiter sitzende, Seele und Körper verkümmernde Lebensart führen.-" Daß es ihm dabei nicht nur um die Physis der Arbeiter ging, sondern in weitergehender Konsequenz um die Gesundheit des Staatskörpers, belegt ein vielzitiertes Signat des Königs aus dem Jahr 1847, mit dem er einen Antrag der Mechanischen Baumwollspinnerei und -weberei in Augsburg genehmigte. Er verglich darin die Wirkung der Fabriken mit jener der Eisenbahnen, deren gesteigerte und konzentrierte Bef6rderungsleistung andernorts Geschäftigkeit entziehe. Er folgerte daraus - und in einer statischen Gesellschaft war dies in der Tat die Konsequenz -, daß diese Menschen arbeitslos zum Proletariat ab sinken mußten, was sie seiner Ansicht nach anflillig für den Kommunismus machte. Mit seinem Schlußsatz, von Ludwig I. gegen Ende seiner Regentschaft formuliert, gab der Monarch offenbar seinen Widerstand gegen diese Entwicklung auf und fügte sich den Erfordernissen der Zeit; er kann somit durchaus als Epilog einer Epoche gelesen werden: "... aber es zu ändern hängt von der Regierung nicht ab." In einem seiner selbstverfaßten Gedichte stattete Ludwig I. "Die

128 BayHStA Mlnn 44273/1, 11 u. IV, Allerhöchste Handbillete a.dJ. 1838/39/40, 1841 und 1843/44. Der Monarch forderte genauere Angaben etwa über das Kanalbootziehen durch Lokomotive, Versuche auf der atmosphärischen Eisenbahn oder elektromagnetische Maschinen an. Vgl. dazu auch GHAM Nachlaß Ludwig 1., 47/5/20,3 und 47/5/20,13. Die folgenden Signate im Betreff des Fabrikwesens: 1838 (keine genaue Datumsangabe), in: Sammlung Signate 664; Signat Ludwigs I. vom 11.4.1847, in: BayHStA MH 5677. Der Fabrik wurde damit, gegen den Protest der Augsburger Weberinnung, die Aufstellung von Handwebstühlen sowie die Verarbeitung anderer Spinnstoffe als Baumwolle erlaubt. Zur Industriepolitik des Monarchen allgemein vgl. K. Möckl, S. 18 ff.

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Dampfwagen" - so der Titel des Poems - mit geradezu mythisch-mystischen Kräften aus: "Jetzo lösen in Dampf sich auf die Verhältnisse alle, Und die Sterblichen treibt jetzo des Dampfes Gewalt, Allgemeiner Gleichheit rastloser Beförd'rer. ( ... )

Seinen Lauf, den umwälzenden, hat der Rennwagen begonnen Jetzo erst, das Ziel lieget dem Blicke verhüllt.,,129 Indes trugen etliche der vom König stattgegebenen Gesuche um fmanzielle Hilfe mehr den Charakter monarchisch-Iandesväterlicher Fürsorge rur verarmte Landeskinder. Ein Weber mit zahlreicher Kinderschar oder der Sohn einer Mechanikerwitwe konnten sich dank patriarch al er Freigebigkeit der Unterstützung erfreuen, selbst wenn der Innenminister wegen mangelnder Fondsmittel abgelehnt hatte. 130 Fabrikanten konnten seltener mit der Großzügigkeit des Königs rechnen. Ein Gesuch des Freiherrn von Schaezler um Zollbegünstigung bei der Einfuhr von Talg als Ausgleich rur gestiegene Rohmaterialpreise, mit dem Argument der Rentabilität und Konkurrenzflihigkeit der Kerzenfabrikation begründet, lehnte Ludwig I. brüsk ab: "Das ginge in's Weite! Ohne Zollnachlaß ist seither diese Fabrik in Schwung u nicht sehe ich ein warum dem reichen Schätzler zollfreye Einfuhr zu bewilligen wäre." Im Gegensatz zu dieser impulsiven und stark vom persönlichen Urteil geprägten Entscheidung des Monarchen liest sich das daran anschließende abschlägige Gutachten des Innenministers dann allerdings wie ein Lehrstück in Sachen Marktwirtschaft. Zunächst reklamierte das Innenministerium die Entscheidungskompetenz rur sich, da es sich im vorliegenden Fall um konjunkturelle Schwankungen handle, deren Unterstützung nicht den Bereich der Zolladministration, sondern des Innenministeriums tangiere. Ausgleichszahlungen dieser Art seien jedoch prinzipiell wie speziell wegen der daraus ableitbaren Vielzahl von Ansprüchen abzulehnen. Das Gutachten empfahl abschließend, "daß eben deshalb das einfachste und sicherste EntschädigungsMittel in einer Erhöhung des Verkaufspreises der Fabrikate liegt.,,131

Hier zitiert nach: M. Dirrigl, Ludwig 1., München 1980, S. 1008. Signatenbücher, BayHStA MInn 45 917-45 921 für die Jahre 1835 bis 1840; hier speziell Signate Ludwigs I. vom 27.1.1840 und vom 29.1.1840, in: MInn 45921. \31 Signat Ludwigs I. vom 14.11.1843, Antrag des Innenministers vom 16.11.1843, in: GHAM Nachlaß Ludwig I., ARO 2111. Bei Zorn findet sich ein vergleichbarer Fall: Einen Antrag der Baumwoll-Spinnerei und -Weberei auf staatliche Finanzhilfe hatte der König mit der Bemerkung abgelehnt, der Unterzeichner v. Froelich sei einer der reichsten Augsburger. W. Zorn, Handels- und Industriegeschichte Bayerisch-Schwabens 1648-1870, Augsburg 1961, S. 153. 129 130

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Abgesehen davon, daß die Entscheidung zur Unterstützung eines hilfesuchenden Gewerbemeisters geringerer Geldsummen bedurfte als die eines Industriezweiges und aus diesem Grund leichter geflillt werden konnte: Dem ganzen Bündel der Fördermaßnahmen von der Aufmunterung durch Auszeichnungen und Prämien, dem Ausbau und der Vervielfliltigung der technischen Aus- und Weiterbildung mittels Vereinen, Zeitschriften, technischem Unterricht und Modellmaschinen bis zum Ausbau des Verkehrswesens lag das Motiv zugrunde, das heimische Gewerbewesen auf den neuesten technischen Stand zu bringen, weil es nur so eine Aussicht auf Fortbestand in der Zukunft und innerhalb des Zollvereins haben konnte. Dies war vor allem aus gesellschaftspolitischen Überlegungen erwünscht. Allerdings erzeugte der Modernisierungswille einen Konkurrenzdruck innerhalb der Gewerbe, der paradoxerweise genau die soziale Umschichtung auszulösen drohte, der entgegengewirkt werden sollte. Der folglich wieder restriktiver gefaßte gesetzliche Rahmen sollte es daher ermöglichen, den gesellschaftlichen Transformationsprozeß unter Kontrolle zu halten; zugleich mußte sich dies auf den wirtschaftlichen Strukturwandel kontraproduktiv auswirken. Hierbei wurde offensichtlich, daß sich die Regierung in einem Zielkonflikt befand. Fabrik und industrielle, mechanisierte Massenproduktion, die den gewerblichen Rahmen sprengten, waren als letzte Konsequenz des Modernisierungsprozesses erkannt worden und ihrer gesellschaftlichen Folgen wegen gerurchtet. 132 So nahm in einer Periode, da die Industrie rur ihren Aufbau eher staatlicher Hilfe bedurft hätte und zu protektionistischen Methoden tendierte, die verhältnismäßig liberale Einstellung der Regierung ihr gegenüber Züge einer Vermeidungsstrategie an.

132 So machte sich der Monarch in Bezug auf die Errichtung mechanischer Flachsspinnereien Sorgen. "[w]eJche Wirkung [in Vorarlberg / I.B.] diese Maschinen auf die Handspinnerey üb[t]e", ob weiterhin für den Eigenbedarf gesponnen werde und welche Ersatzbeschäftigungen es gebe. (Signat vom 27.2.1840.) Vor der Einführung wäre erst von der Kreisregierung zu begutachten, "ob solche Spinnereyen der geringeren Klasse Einnahme sehr verringern dürfte, namentlich in armen Gegenden z:B: der Rhön, und wodurch Ersatz geleistet werden koennte, Keine großen Fabriken wären wünschenswerth, ... sondern wie im Vorarlbergischen kleine." (Signat vom 18.3.1840 im gleichen Betreff.) In: BayHStA Mlnn 45 921 (= Signatenbuch).

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111. Die Wirtschaft zwischen Einschränkung und Entgrenzung 1. Industrieförderung - das Anliegen einer aufgeklärten Bürokratie

Das Bindeglied zwischen der Regierung und den wirtschaftenden Bürgern in Städten und Landgemeinden stellten die Mittelbehörden auf der Ebene der Kreisregierungen dar. Sie hatten einerseits den vorgegebenen Gesetzes-, Verordnungs- und finanziellen Rahmen einzuhalten, um die im neuzeitlichaufgeklärten Staat gültige Zielvorstellung einer gleichmäßigen Verwaltung zu verwirklichen. Dem standen andererseits regionale Unterschiede innerhalb der einzelnen Regierungsbezirke wie auch der Kreise untereinander gegenüber, die oft gerade voneinander abweichende Maßnahmen erfordert haben würden, um ein gleichmäßiges Ergebnis des gesetzlichen Vollzugs zu gewährleisten. So fungierten die Kreisbehörden als eine Art Transmissionsriemen, indem sie rur die adäquate Umsetzung der regierungsamtlichen Leitvorgaben zu sorgen hatten und rur deren Ausführung verantwortlich waren. 133 Umgekehrt waren sie in der Lage, die Situation sowie Auswirkungen einer Verwaltungsmaßnahme "vor Ort" in den Städten und Gemeinden von einer gewissen Distanz aus zu überblicken und zu aussagekräftigen Resultaten zu bündeln, die der Regierung als Erfolgskontrolle dienen und zugleich auf Mißstände und Defizite hinweisen konnten. Dabei boten jedoch sowohl die "von unten nach oben" zu erstattenden Berichte wie die "von oben nach unten" umzusetzenden Anordnungen Interpretationsspielräume, welche die Mittelbehörden je nach Auffassung zu nutzen wußten oder wollten, sofern sie sich nicht als reine Erfililungsorgane der Regierung verstanden. Der ob seiner Klage über den zu eng begrenzten Aktionsradius der Verwaltung als Kritiker des Monarchen bereits erwähnte Giech mochte zwar seinen Anschauungen und seiner Überzeugung kompromißloser folgen als andere. Dennoch artikulierte er, wenngleich überzogen und plakativ, das Selbstverständnis dieses Teils der Beamtenschaft. In seinen "Ansichten über Staats- und öffentliches Leben" stellte er Tätigkeit und Wirkungskreis von "Staatsmann und Geschäftsmann" diametral gegenüber, wobei er den Beamten dem staatsmännischen Bereich zurechnete, und verglich den universellen Standpunkt mit dem individuellen. Hie Sachkenntnis, "geläutert und durchdrungen von dem Lichte, welches durch jenen höhern Grad der Bildung [d.h. der wissenschaftlichen Bil-

\33 W. Volkert weist darauf hin, daß die von Ludwig I. durchgeflihrte Verwaltungsrefonn darauf abzielte, "in den MittelsteIlen vollziehende Organe der Ministerien zu schatTen, um die Aufsicht über die Unterbehörden durchzuflihren, denen jedoch das Detail der Verwaltung überlassen blieb." In: K. Jeserich u.a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1983, S. 526.

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dung / 1.8.] gewonnen worden ist", dort detailliertes Spezialwissen. In seinem Bestreben, "das Vorhandene allmählig ... in ein Besseres umzuwandeln", wirke der Staatsmann in die Zukunft, während der Geschäftsmann "blos der Gegenwart dient." Sie unterscheide voneinander, "daß der Staatsmann von Ideen geleitet wird, der Geschäftsmann aber nur von dem Begriff'. Die Idee, die wie eine Art 'Korpsgeist' der Staatsdiener über allen stand, lautete: "Erfiillung einer Staatsbürgerpflicht durch Verwendung der individuellen Kräfte rur das Wohl des Ganzen." 134 Die Entfaltung des einzelnen sollte also in den Dienst des Staates gestellt und betOrdert werden. Die preußische Verwaltung rühmte Giech in dieser Hinsicht als beispielhaft. Der Vorwurf eines auf die Theorie fixierten Bürokraten, dem Akten den Blick auf die Wirklichkeit verstellten, ginge allerdings fehl. Was er rur unerläßlich und bei der preußischen Verwaltung vorbildlich gelöst hielt, war deren Lebensnähe, die nur dadurch zu erreichen sei, daß der Beamte die Amtsstube verließ und sich bei Reisen durch die Provinz mit den dortigen Verhältnissen vertraut machte. Dies durfte nicht heißen, daß er sich in Einzelproblemen verzettelte oder in alle Entscheidungen der Unterbehörden einmischte. Aber er sollte in der Lage sein, ein möglichst genaues Bild der herrschenden Zustände zu gewinnen, und dabei die großen Entwicklungslinien im Auge behalten. Die Aufgabe der Verwaltung war rur Giech gleichbedeutend mit Zivilisation. Deshalb gehörte rur ihn der Ausbau der Verkehrsmittel, die er als "Civilisationslinien" bezeichnete, "zu den ersten und nothwendigsten Elementen der Verwaltung." Auch durfte die Industrie bei aller Bedeutung "rur die Ernährung, sowie rur Macht und den Reichthum einer Nation" nur im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang mit Rohstoffproduktion und Handel gesehen werden. Die Selbsteinschätzung der Beamtenschaft, die sich "als eine Art Gegenpart, als steuerndes und regulierendes Element der Gesellschaft und nicht wie das wirtschaftende Bürgertum als deren Teil,,135 verstand, oszillierte zwischen den beiden Polen von Hegelianischem Selbstverständnis als "allgemeiner Stand", in welchem sich die Staats idee verkörpere, und praktischer Einsicht in die Notwendigkeit der zur Lösung anstehenden Aufgaben. Dabei zeugen die ziemlich geringschätzigen Worte, mit denen Giech die Perspektive der Wirtschaftsbürger als eigennützig und daher eingeschränkt abqualifizierte, von einer Höherbewertung geistiger gegenüber materiellen Werten, was von der anderen Seite wiederum als intellektueller Hochmut und "Beamtendünkel" kritisiert wurde. Von dieser distanzierten, jedoch keinesfalls desinteressierten oder wertfreien Position der Beamtenschaft legt wiederum der Verwaltungsbericht 1830/33 134 C. Graf v. Giech, Ansichten über Staats- und öffentliches Leben, Nürnberg 1843, v.a. S. 39-43, Zitate S. 40-42 und S. 128. Die ff. Zitate ebd., S. 49, S. 52, S. 45. 135 L. GaB, " ... ich wünschte ein Bürger zu sein", in: HZ 245 (1987), S. 613.

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Zeugnis ab. Besonders aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang jene Paragraphen, welche die Fragen nach dem Zustand der Industrie, Verbesserungsmöglichkeiten im Gewerbewesen und den Auswirkungen des Gewerbegesetzes beantworten. 136 Dabei kommen gemeinsame Leitmotive ebenso zum Tragen wie voneinander abweichende Ansichten, die entweder auf spezielle Sachverhalte im jeweiligen Kreis oder auf unterschiedliche Beurteilungskriterien der Behörden zurückzuführen sind. Abstrahiert vom persönlichen Stil der Berichterstatter, die ihre Urteile in einigen Fällen geradezu enthusiastisch oder sehr vorsichtig korrekt formulierten, entsprechen die sachlichen Befunde den im Eingangskapitel gegebenen Zustandsbeschreibungen und brauchen daher an dieser Stelle nicht mehr referiert zu werden. Bei der Bewertung des Standes der Industrie wurde jedoch bereits als erster grundsätzlicher Konsens der Behörden erkennbar, daß sich alle am Prinzip "Fortschritt" orientierten. Entsprechend plazierten sie den jeweiligen Kreis auf einer imaginären Entwicklungsskala. Keine Kreisregierung war mit den Zuständen völlig zufrieden. Aber es bedeutete einen Unterschied, ob - wie im Isarkreis - der Industrie attestiert wurde, sie befinde sich "im Allgemeinen auf keiner hohen Stuffe" oder habe sich - so der Unterdonaukreis - "nicht über den Stand der Mittelmäßigkeit gehoben," oder ob sie auf einem "höchst achtungswerthen Standpunkte" gesehen wurde, der sich durch "stetes Fortschreiten" auszeichnete, wie im Rezatkreis. Gesteigerte Betriebsamkeit wurde in den größeren Städten, hier allen voran Nümberg, Fürth und Erlangen, lokalisiert und beschrieben als "stetes reges Streben nach fortgesetzter Vervollkommnung der Gewerbs-Erzeugnisse und Kunstprodukte, nach sorgfliltiger Auffindung und Vermehrung der Quellen des Absatzes und Lieferung der möglichst billigen Preise." Im Oberdonaukreis wurden immerhin noch Verbesserungen bei Produktqualität und -menge festgestellt. Die Regierung des Obermainkreises konstatierte dagegen ein weitgehendes Damiederliegen der Gewerbe und registrierte deshalb um so erfreuter die Fortschritte in den Städten wie in der Textilindustrie. 137 Alle Berichte vermerkten einen qualitativen Unterschied zwischen städtischem und ländlichem Gewerbe, was sie auf den stärkeren Konkurrenzdruck in den Städten zurückführten. Das überwiegend positive Urteil über die freien Er136 Verwaltungsbericht 1830/33, H. Fabrik= Manufactur= und Gewerbswesen. Hier speziell: § 119. Industrie des Kreises im Allgemeinen. Stand, Charakter und Fortschritte derselben. § 124. Was kann zur Hebung der Gewerbe a.) überhaupt b.) der einzelnen Gewerbe - geschehen? § 127. Wirkungen des Gewerbsgesetzes vom 11. Septbr. 1825. auf den Geist und den Wohlstand der Gewerbe, so wie auf die Industrie des ganzen Kreises. § 128. Zustand und Wirksamkeit der freien Erwerbsarten. Welche Erwerbsarten werden dermalen in den Kreisen unter die freien gezählt? BayHStA MInn 15 466, 15471, 15474 und 15475. \37 BayHStA Mlnn 15 466.

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werbsarten galt deshalb nicht nur der sozialen Wirkung, "indem sie jedem Staatsangehörigen ein Mittel darbieten, durch leicht zu erlernende einfache Beschäftigungen sich den Lebens-Unterhalt zu verschaffen,,,138 und Frauen vorwiegend im Bereich der Mode Verdienstmöglichkeiten eröffneten. Es bezog sich ebenso auf den wirtschaftlichen Effekt, den sie als Konkurrenzfaktor auf die etablierten Gewerbe ausübten, etwa durch die 1825 aHgemeinverbindliche Freigabe der Leinenweberei als bäuerlicher Nebenerwerb. 139 Das belegt, daß sich die Regierungsbehörden größere Beweglichkeit im Gewerbesektor wünschten. Sie verstanden darunter flexiblere Reaktionen der Hersteller auf die Anforderungen des Marktes hinsichtlich Produktpalette, -gestaltung, Menge, Preis und Absatzmöglichkeiten. Die infolge der Konkurrenz über lebensnotwendig gewordene Anpassungsleistung sollte unterstützt, gefördert und als Katalysator der Weiterentwicklung genutzt werden. Einzig dem Marktgeschehen mit seinen Regulationsmechanismen von Angebot und Nachfrage bei freier Konkurrenz wie im klassisch-liberalen ÖkonomiemodeH woHte jedoch keine Behörde den Wirtschaftssektor überlassen. Zwar richteten sich aHe Appelle bezüglich Vervollkommnung der Produkte, Verbesserung der Produktionsmethoden und Aufspüren neuer Absatzchancen an die Eigeninitiative und -verantwortung der Gewerbetreibenden. Mit Ausnahme eines einzigen Berichtes stand bei den Mitteln zur Verbesserung der Lage der Gewerbetreibenden das Unterrichtswesen an erster SteHe. Fortschritt durch Bildung, eine zentrale Forderung der Aufklärung, zielte ebenfaHs auf das Individuum ab, welches gut präpariert seine Chancen wahrnehmen soHte. Danach erst wurden Aufgaben genannt, die in den Verantwortungsbereich des Staates fielen, wie Handelsverträge, ZöHe, Revision der Gewerbegesetzgebung,

Reg. d. Oberdonaukreises, in: BayHStA MInn 15 475. Gewerbegesetz vom 11. September 1825, Art. 8, in: DölIinger, VerordnungenSammlung, Bd. 14, München 1838, S. 872. Die Leinenweberei steht zugleich als Beispiel für ein Gewerbe, das unter den Produktionsbedingungen der Zunft keine Überlebenschance mehr hatte. Die Klagen der Regierung des Unterdonaukreises über die Subsistenznöte der durch die Freiweber unter Preisverfall geratenen Produkte der Webermeister wies der zuständige Referent im Innenministerium, Ministerialrat Kleinschrod, mit dem Hinweis auf den Betrieb als freies Gewerbe in allen anderen Ländern zurück. In: BayHStA MInn 15475. Tatsächlich war die bayerische Leinenindustrie sowohl durch die Konkurrenz aus dem Ausland als durch die immer beliebter werdenden Baumwollwaren bedroht. Außerdem weist Henning darauf hin, daß durch Rußlands Anstrengungen zum Aufbau einer eigenen Textilfabrikation dem östlichen Deutschland ein wichtiger Absatzmarkt durch Schutzzölle verschlossen wurde. F.-W. Henning, Industrialisierung und dörfliche Einkommensmöglichkeiten. in: H. Kellenbenz (Hrsg.), Agrarisches Nebengewerbe und Formen der Reagrarisierung im Spätmittelalter und 19./20. Jahrhundert, Stuttgart 1975, S. 161 f. 138

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der Bau von Verkehrswegen, oder zusätzliche Fördennaßnahmen wie Prämien, finanzielle Hilfen und Reisestipendien. 140 Soweit ihnen der selbständige und eigenverantwortliche Wirtschaftsbürger vor Augen stand, der entsprechend seiner Ausbildung und Fähigkeiten, jedoch durch keinerlei Zunftmaßregeln beschränkt, ein marktkonfonnes Betätigungsfeld besetzen und damit zugleich die Entwicklung in Richtung Fortschritt vorantreiben würde, orientierten sich die Behörden offensichtlich am liberalen Leitbild. Die von allen übereinstimmend anvisierte Befreiung von alten Zwängen und Produktionsweisen beinhaltete jedoch noch keine Zustimmung zur Gewerbefreiheit, wie es vielleicht zu erwarten gewesen wäre. 2. Der Vollzug des Gewerbegesetzes durch die Mittelbehörden Als einzige Kreisregierung bewertete die des Rezatkreises die Auswirkungen der liberalen Gesetzgebung des Jahres 1825 unumschränkt positiv und erachtete ein zügiges Fortschreiten auf dem Weg zur Gewerbefreiheit als zeitgemäß und notwendig. Fairerweise machte sie dies als ihre eigene Einschätzung kenntlich, nachdem sie die Meinungen der Außenbehörden referiert, deren Einwände jedoch als "sehr von Beschränktheit zeigende Ansicht" abqualifiziert hatte. 141 Ihrer Ansicht nach hatte die verstärkte Konkurrenz vorteilhaft gewirkt: "Der Erfindungsgeist wurde geweckt, der Wetteifer erhöht, die Gewerbsthätigkeit gesteigert, und der veraltete Zunftzwang ... gemildert." Daß andererseits viele Gewerbetreibende von Annut bedroht waren und ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten konnten, wurde nicht übersehen, aber als unvenneidbare "Übergangs-Krankheiten" einer als unumgänglich postulierten Fortschrittsentwicklung in Kauf genommen. Was die Meister aus ihrer Sicht als Folge einer Übersetzung der Gewerbe beklagten, galt der Kreisregierung als notwendige Auslese "vieler in Untüchtigkeit versunkener, an hergebrachte veraltete Gewerbsbetriebe, und gewöhnte hohe Preise, festhaltender Gewerbsleute ... , weiche durch eine höher ausgebildete Generation verdrängt worden sind".142 Die durch den wirtschaftlichen Konkurrenzdruck verursachten sozialen Spannungen

BayHStA Mlnn 15471. Dieses und die ff. Zitate aus den Berichten der entsprechenden Kreisregierungen, in: BayHStA MInn 15 474. (Es fehlt hier ein Bericht der Regierung des Untennainkreises, die bei dieser Frage nur auf eine frühere ausführliche Stellungnahme verwies.) 142 Die Reg. d. Obermainkreises kam nach Abwägung der Vor- und Nachteile ebenfalls zu einer positiven Bewertung der Auswirkungen des Gewerbegesetzes. In fast allen Gewerben sei "ein erfreuliches Fortschreiten in der Gewerbsthätigkeit sichtbar geworden". Im Tenor vergleichbar mit dem Bericht des Rezatkreises, wurde dennoch den alten Gewerbeinhabem mehr Wille zur Verbesserung zugestanden und die Gewerbefreiheit nicht für erforderlich gehalten. 140 141

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innerhalb der Städte und Gemeinden wurden somit als Übergangsphänomen betrachtet, das sozusagen als 'Reibungsverlust' bei der Transformation auf eine höhere Entwicklungsstufe vernachlässigt werden konnte. Die Regierung des Oberdonaukreises machte genau an diesen gesellschaftspolitischen Auswirkungen des wirtschaftlichen Fortschritts das Problem fest. Sie erkannte den kritischen Punkt in der Verzahnung von Wirtschafts- und Sozialpolitik und plädierte daher für eine Entflechtung von Gewerbe- und Ansässigmachungsvorschriften. Gerade weil ihr an einer freieren Beweglichkeit d.es produzierenden Sektors lag, wollte die Behörde aus dem Nachweis einer Gewerbeausübung keinen Rechtsanspruch auf Ansässigkeit mehr ableiten. 143 Damit wäre ein doppelter Effekt erzielt worden: Die Gemeinden wären wahrscheinlich, der Sorgen bei etwaiger Verarmung der Bewerber enthoben, für eine großzügigere Konzessionspraxis zu gewinnen gewesen, und nebenbei wäre ihnen ein Instrument sozialer Kontrolle entwunden worden. Die Kreisregierung hatte auf ein retardierendes Moment aller Modernisierungsbestrebungen hingewiesen, ohne allerdings eine Vorstellung zu entwickeln, wer anstelle der Gemeinden für diejenigen sorgen sollte, die dabei scheiterten. Hier schien ebenfalls der Optimismus vorzuherrschen, daß gute Ausbildung, einheitliche Vorschriften und strenge Prüfungen die besten Voraussetzungen für den Erfolg des einzelnen böten. Die altbayerischen Kreisregierungen bemühten sich hingegen um eine Deutung dessen, was die Regierung des Regenkreises als den "Geist des Gesetzes" bezeichnete. Demnach war das der Intention nach durchaus positive Vorhaben der Hebung der Gewerbe in der Praxis durch falsche Anwendung konterkariert worden. Ein wahrer "Schwindelgeist" habe daraufhin die Gewerbetreibenden erfaßt: "Jeder glaubte als nun angehender Concessionist sein Glük begründen zu können." Die zu großzügige Konzessionsvergabe habe viele Bewerber mit unzureichender Fähigkeit und mangelndem Kapital zugelassen und insgesamt zu einer Übersetzung der Gewerbe geführt, die auf keine entsprechenden Marktkapazitäten träfen. Im Endergebnis würden die positiven Entwicklungsfaktoren durch die negativen sozialen Auswirkungen aufgewogen. Deshalb empfahlen Altbayerns Regierungen einen eher restriktiven Umgang mit dem Gewerbegesetz, wie er tatsächlich im Jahr 1834 durch die revidierte Vollzugsinstruktion verordnet wurde.

143 Deutlicher fonnuliert im Bericht ders. Reg., in: BayHStA MInn 15471. In einer fast zur gleichen Zeit erschienenen Schrift sprach Hennann Beisler, Regierungsrat in ebendieser Kreisbehörde, von einer Übersetzung der Gewerbe, verursacht durch einen nach dem Gewerbegesetz von 1825 ausgelösten Andrang zur Meisterschaft, die mit der Ansässigmachung verbunden sei. Obwohl er den gleichen ursächlichen Zusammenhang feststellte, zog er etwas andere Schlußfolgerungen daraus. Ders., Betrachtungen über Gemeinde=Verfassung und Gewerbwesen, Augsburg 1831, S. 122 f.

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Vor dem Hintergrund der realen wirtschaftlichen Entwicklung kristallisierten sich regional unterschiedliche Auffassungen heraus. Die gewerbereicheren und dem Zollverein näheren neubayerischen Regionen tendierten zu einer liberaleren Haltung, während die gewerbeärmeren altbayerischen Gebiete mehr den Belangen der Gemeinden Rechnung trugen. Gleichwohl stand als verbindendes Element das Postulat von Fortschritt durch Fortbildung im Raum, das sich zum Beispiel in der Forderung nach klar geregelten Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen formulierte, um an die Stelle der Willkür der Zünfte und Meister für jedermann erkennbare, objektive Kriterien treten zu lassen. Zweifellos betrachteten aber die neubayerischen Behörden die Gewerbezulassung in stärkerem Maß als Instrument zur Steuerung eines zeitgemäßen Innovationsprozesses, was die Zustimmung des Referenten im Innenministerium fand, wogegen ihre Kollegen in Altbayern darunter noch immer einen Ausgleichsmechanismus im Marktgeschehen verstehen wollten. Unter Berücksichtigung der damit verbundenen Probleme der sozialen Absicherung kündigte sich hier ein Wandel an, den Henning als "Umbau von der absolutistisch vorgeprägten Ordnungs- zur Leistungsverwaltung" und eigentlich gesellschaftsrelevante Wirkung der Beamtenschaft würdigt. 144 Umgekehrt huldigten selbst die fortschrittlichsten und liberalsten Behörden dem Ideal des selbständigen Handwerksmeisters. Wie schon Rudhart am Nürnberger Gewerbe, hob die Regierung in Ansbach lobend hervor, daß die Industrie des Kreises nicht auf Fabriken basiere. 145 Dabei spielte einmal die Furcht vor Konkursen und deren Folgen eine Rolle. Mehr noch war es die Angst vor der Zusammenballung einer heterogenen, amorphen Arbeiterschaft in solchen Etablissements, "die den Fabrikherm reich machen, die eigentlichen Arbeiter aber niedrig halten". Selbst im Obermainkreis, wo das Bild einer florierenden Textilindustrie in den Bezirken Münchberg, Hof, Naila und Wunsiedel gezeichnet und an den Unternehmern "wissenschaftliches Streben" sowie Pflege der Handelsverbindungen nach Europa und Übersee gewürdigt wurde, wurden die Arbeiter mißtrauisch beobachtet. Nur weil sie in der Regel familiär eingebunden seien und einen kleinen Grundbesitz erstrebten, also 'bürgerliche' Verhaltensweisen bewiesen, bleibe der Kreis "von der Schwelgerei und dem leichtfertigen Leben anderer Fabrikarbeiter in größeren Städten gänzlich befreit."

144

H. Henning, Die deutsche Beamtenschaft im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1984,

S.158. 145 I. Rudhart, Ueber den Zustand des Königreichs Bayern nach amtlichen Quellen, 2. Bd., Erlangen 1827, S. 31 ff. Auch in seiner Rede über "Das Gewerbswesen in Bayern" vor der Kammer d. Abg. hatte Rudhart keinen Hehl aus seiner Sympathie für die kleinen, selbständig arbeitenden Meister und seiner Abneigung gegenüber dem "FabrikSystem" gemacht. Rede vom 24. August 1831, hrsg. von einigen Freunden der vaterländischen Industrie, Nürnberg 1831, S. 19. Berichte der Kreisregierungen, in: BayHStA Mlnn 15466.

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Die Modernisierungsbemühungen der Mittelbehörden zielten auf die Wettbewerbsfähigkeit der "angesessenen Bürger[n] und Meister[n]", jenen "Mittelstand", bei dem "ein gewissser Wohlstand auf die dermalige Generation vererbt ist, und auf die folgende vererbt werden wird." Es war das Modell des von Herrscher- wie gemeindlicher Willkür gleichermaßen befreiten Individuums in einer "egalitären Staatsbürgergesellschaft,,146, das hier auf den Sektor der Ökonomie übertragen wurde und zu einer Ablehnung sowohl merkantilistischer wie zünftisch reglementierter Wirtschaftspolitik tUhrte. Deshalb wurde auch in den neubayerischen Kreisen, die ihr grundsätzlich aufgeschlossen bis positiv gegenüberstanden, die Gewerbefreiheit keineswegs als Freibrief tUr eine planlose Entfesselung des dem einzelnen innewohnenden Tatendrangs verstanden. Im Kern ging es vielmehr um die Ersetzung des zünftischen Subsidiaritätsprinzips durch das moderne Leistungsprinzip. Voraussetzung datUr war eine einheitlich und verbindlich geregelte Ausbildung mit vergleichbaren Prüfungsanforderungen - also ein System, welches den Beamten vom eigenen Werdegang her vertraut war. 147 Die Konkurrenz sollte dabei als stetiger Modernisierungsdruck und zusätzlicher Motivationseffekt wirken, nicht jedoch als Marktregulativ. Hingegen stellte ein allein der Konkurrenz überlassenes Marktgeschehen in den Augen der Beamtenschaft die Kapitulation vor dem Chaos dar: "Ein Volk, von dem Standpunkte der höchsten Staatsgewalt aus, in der Ausbildung seines Erwerbswesens sich selbst überlassen, heißt nichts anderes, als aufhören, dasselbe zu regieren". 148 Mit diesem Argument warnte der damalige Regierungsrat Beisler in seiner bereits zitierten Druckschrift vor der "unbedingten Gewerbfreiheit", welche "die emanzipierten Leidenschaften des Ehrgeizes und der Eitelkeit" freigebe und "wo die Regierung, an statt zu steuern, sich zur Theilnehmerin dieser speculirenden und demoralisirenden Gewerbfreiheit macht, sich mit den Unterthanen an das Glücksrad des Lotto setzt". Es obliege der Verwaltung, das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage herzustellen, indem sie "neben Aufhebung der die Produktion hemmenden materiellen Lasten, auf Beilirderung der Mäßigkeit, der Arbeitsamkeit und Moralität wirkt". Obwohl sich die Mittelbehörden mit der Ablehnung der völligen Entfesselung des gewerbetreibenden Individuums und der Konkurrenz auf der Seite der Gemeindeväter wiederfanden, verfolgten sie hierbei andere Motive. Ging es den Gemeinden um den Erhalt der tradierten Produktions- und Sozialstruktur, also

146 D. Langewiesche, S. 621. 147 Zur Beamtenlaufbahn vgl. H. Henning, S. 71 ff., S. 126 ff.; B. Wunder, Privilegierung und Disziplinierung, München 1978. 148 H. Beisler, S. 119. Die ff. Zitate ebd., S. 120, S. 170 u. S. 258/259.

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um den Schutz ihrer ureigenen Lobby, wollten die Behörden eine planvolle Modernisierung und einen geregelten Umbau der Gesellschaft betreiben. Daß in ihrer Konzeption die Spontaneität individuellen Handeins keinen Platz fand, sondern als störende oder gefahrliche Irregularität betrachtet wurde, zeigt, wie lebendig die Denkmuster der Aufklärung in den Köpfen der Beamtenschaft fortwirkten. Die Verwaltung verstand sich dementsprechend als die eigentlich bewegende Kraft im Staate, "welche leiten, heben, schaffen, Hindernisse beseitigen, Mittel auffinden, kurz, welche alle Nationalkräfte zum gemeinsamen Zwecke lenken, und ihnen die Wege bahnen soll".149 Selbst für einen gesellschaftspolitisch konservativ eingestellten Beamten wie Beisler, der eine Wiederbelebung der Zünfte unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten für geradezu unerläßlich hielt, eröffnete sich im Bereich der Wirtschaftspolitik zwangsläufig ein Widerspruch zwischen den Partikularinteressen der Gemeinden und dem allgemeinen Staatszweck. Da Fragen des Gewerbe-, Handels-, Schiffahrts- und Fabrikwesens nur in einer weiteren Perspektive als der lokalen begriffen werden könnten, sollten sie auf keinen Fall allein dem Zuständigkeitsbereich der Kommunalverwaltung überantwortet werden. Wurde den Kommunen die Kompetenz ~ ökonomischen Sachfragen abgesprochen, weil ihr Entscheidungshorizont durch die eigenen Grenzpfahle abgesteckt und "im Kleinen immer die An= und Uebersicht beschränkter als im Großen"ISO sein müsse, traf die Zentralbehörden hinwiederum der Vorwurf der Praxisferne. lsl In diesem Zusammenhang gerieten auch die umfangreichen und aufwendigen statistischen Erhebungen der Verwaltungsberichte ins Kreuzfeuer der Kritik, weil sich die Mittelbehörden dadurch über Gebühr belastet sahen und sie ihnen darüber hinaus als Merkmal der "modemen französischen Centralisation,,152 erschienen. Der mittlerweile zum Regierungsdirektor in Oberbayern aufgestiegene Beisler vertrat die Ansicht, daß aufgrund der Auswertung des

Ebd., S. 190. Das Folgende ebd., S. 222 ff., S. 74, vgl. auch S. 42 ff. Reg. d. Unterdonaukreises, in: BayHStA MInn 15474. 151 S. etwa Beisler, S. 131 f.: "Wohl gibt es in Bayern Optimisten, - besonders in der Hauptstadt die im Ueberfluß lebt, und von wo aus man das übrige Land nur allenfalls einmal im Maimonate, oder bei einer festlichen Gelegenheit sieht, wo der Sonntagsanzug das Elend zudeckt, - welche diesen Zustand nicht für so schlimm halten, denn die Steuern werden bezahlt, und alle öffentliche Kassen sind gefüllt, ... ". 152 Vorerinnerung. Die Bearbeitung der Statistik betr., München, 9.7.1838, in: BayHStA MH 810. Die Zentral verwaltung habe sich, "allen intermediären Corporations=Verwaltungs=Beheifen beraubt," einer derartigen Flut anstehender Entscheidungen gegenübergesehen, daß sie zum Mittel der minutiösen Erfassung gegriffen habe, um "sich so eine neue Grundlage der Verwaltung zu schaffen, die nun zwar, in vielen Fällen falsch und unvollständig war, und darum zu verkehrten und verletzenden Maßregeln führte, zu deren Rechtfertigung aber man sich auf ein einmal beliebtes System berufen konnte." 149

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Zahlenmaterials getroffene Regierungsrnaßnahmen "die materiellen Interessen der Unterthanen nicht fördern" könnten. Die Mittelbehörden reklamierten somit die Wirtschaftsentwicklung stärker rur sich als Terrain, das sowohl von beschränktem Gemeindeegoismus wie von alles erfassendem Zentralismus befreit werden mußte. Von liberalem Fortschrittsdenken beflügelt, versprachen sie sich zugleich eine Stärkung ihrer Position und Kompetenzzuwachs. Wohl auch aus diesem Grund nahmen Kontrolle der Ausbildung sowie Ausbau des Bildungswesens übereinstimmend die erste Stelle unter den Verbesserungsvorschlägen ein, weil sich hier ein Betätigungsfeld für die Kreisregierungen eröffnete. Weniger in den alt- als in den neubayerischen Kreisen fühlten sich die Mittelbehörden prädestiniert für eine Rolle als Motor des wirtschaftlichen Fortschritts. Gemäß der von der liberalen Smith-Rezeption entwickelten Auffassung stand die eigenständige Wirtschaftsweise des Individuums im Zentrum der Überlegungen unter der Prämisse, daß Gemeinnutz den Vorrang vor Eigennutz haben müsse. Für die Modernisierungsbemühungen bedeutete dies, daß eher neue Herstellungsmethoden oder eine vermehrte Anzahl von Produktionsstätten gefördert wurden als der Trend zu größeren Einheiten oder neuen Arbeitsverhältnissen wie in der Fabrik. Vom einzelnen wurde flexible Anpassung an die Wünsche und Anforderungen des Marktes erwartet. Insofern erschien eine bessere Durchlässigkeit der Gewerbemaßregeln unverzichtbar, um den Wechsel in ein anderes Gewerbe oder an einen anderen Ort zu erleichtern und so einen Strukturwandel zu erzielen.

3. Die bewegenden Kräfte des Fortschritts Folgerichtig hatte sich die technische Intelligenz dem Fortschritt verschrieben. Anläßlich der Fünfundzwanzig-Jahr-Feier des polytechnischen Vereins für das Königreich Bayern referierte dessen zweiter Vorstand Desberger, Professor rur Mathematik und Rektor der polytechnischen Schule, "Ueber den Standpunkt der Technik seit dem letzten Frieden".153 Selbst dem Handwerkermilieu entstammend, sein Vater war Schuhmacher gewesen, war er vermittels seines na-

153 Franz Eduard Desberger, 1786-1843; nach dem Studium zunächst als Landvermesser, Privatlehrer und Lehrer für Mathematik und Physik tätig. 1827 als a.o. Prof. für Mathematik an die Universität München berufen; gleichzeitig Lehrer, ab 1841 Rektor der polytechnischen Schule. Nach: Bosls Bayerische Biographie, S. 135; vgl. ADB 5, S.68/69. Seine Rede anläßlich der Jubiläumsfeier am 4.8.1841, in: Kunst= und Gewerbe=Blatt 27 (1841), Sp. 495-512.

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turwissenschaftlichen Studiums ins Bildungsbürgertum aufgestiegen. Die neuen technischen Entwicklungen berurwortete er uneingeschränkt. Desberger war überzeugt von der potentiellen Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie mit auf diesem Gebiet vorangeeilten Ländern wie England und Amerika. Seinen Optimismus gründete er auf die Beobachtung, daß sich dort die Weiterentwicklung empirisch vollziehe, während neben den bekannten Eigenschaften von Gründlichkeit und Fleiß die für Deutschland spezifische Verbindung von Wissenschaft und Technik zum Ergebnis einer qualitativ besseren Fortschrittsleistung ruhren müsse. Dabei räumte er ein, daß der Anstoß zu dieser Entwicklung von außen gekommen und gekoppelt war mit der Nutzbarmachung der Dampfkraft und deren Verbreitung in Form der Dampfmaschine. 154 Den dadurch entstandenen Eindruck einer epochalen Zäsur, welche die Zeit in eine Ära vor und nach dieser Erfindung teile, schrieb er nicht allein der völlig neuartigen Funktionsweise dieser Technik zu, sondern ebenso den ihr "eigenthümliche[n], sehr wichtige[n] Folgen". Da der Einsatz von Dampfmaschinen erst bei voller Auslastung ihrer gewaltigen Kapazitäten rentabel sei, seien nunmeltt die kapitalkräftigen Produzenten im Vorteil, weil sie die neuen Entwicklungen profitabel nutzen könnten. Die kleinen Hersteller hätten darüber hinaus den Nachteil, daß sich mit Hilfe der modemen Technik mehr und gleichmäßigere Ware produzieren lasse, "die Maschinenprodukte vollkommner und gleichförmiger und wohlfeiler" seien. Außerdem erfordere die Bedienung solcher Maschinen keine langwierige Handwerkslehre, eine kurze Einübungszeit genüge. In völlig ungebrochener Technikeuphorie wurde dies nicht etwa als Reduktion oder Stumpfsinn kritisiert, sondern als Sieg des menschlichen Geistes über die Natur bejubelt. Im gleichen Atemzug gestand Desberger jedoch zu, daß "die Rückwirkung auf die bürgerliche Gesellschaft ... nicht frei von unbehaglichen Folgen" sei, insofern sich die maschinelle Produktion nicht mit dem Zunftwesen vereinbaren lasse. Die Aufspaltung des einstmals innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft eine geschlossene Einheit bildenden Gewerbestandes "in zwei wesentlich unterschiedene Stände, nämlich in den der Fabrikanten und in den der älteren Gewerbsmeister" sei eine Konsequenz dessen, eine weitere die Entstehung einer neuen Klasse, der Proletarier. Desbergers Begriff der Dampfkraft als einer "bewegende[n] Kraft von ungeheurer Stärke" bezog also über die physikalische Wirkung der freigesetzten 154 "Die allgemeine Verbreitung der Dampfmaschine zu den verschiedensten Zwekken in Europa und Amerika ist das Werk der neuen Zeit seit dem letzten Friedens=Schluße, und scheidet dadurch diese Epoche von allen früheren bleibend aus." Ebd., Sp. 502. Die ff. Zitate ebd., Sp. 502, 503, 504, 499, 509.

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Antriebsenergie hinausgehende Effekte mit ein. Diese bestanden zunächst in dringend erforderlichen Umstrukturierungen und Verbesserungen im Bereich der Güterproduktion. Darüber hinaus wurden die Menschen mobilisiert, unmittelbar durch schnellere Verkehrsmittel wie Dampfschiff und Eisenbahn, mittelbar durch die Veränderung einer Gesellschaftsordnung, die zugleich Erwerbsstruktur gewesen war. Die neue Produktionsweise bedurfte einer Konzentration von Potentialen, wie sie nur noch Assoziationen oder Aktiengesellschaften aufbieten konnten, und einer Flexibilität, weIche die alten Zunftgrenzen sprengen mußte. Auch für einen Naturwissenschaftler ergab sich somit ein untrennbarer Zusammenhang von Modernisierung des Produktionssektors und Mobilität der Produzierenden, wenngleich er bei der Kausalität gerade die umgekehrte Reihenfolge annahm wie die Mittelbehörden. Die dabei entstehenden Übergangsprobleme könnten "nur durch die Zeit und durch die Theilnahme des Gesetzgebers ausgeglichen werden." Der Staat wurde dementsprechend nicht als Impulsgeber eingesetzt, sondern als absichernder Begleiter eines Fortschritts, der keineswegs das gefürchtete materialistische Antlitz trug: "Individuen mögen noch so egoistisch seyn, die Menschheit im Ganzen ist es nicht." Die gleiche Aufgabenzuweisung hatte Professor Zierl in seinen sieben Jahre früher erschienen Artikeln "Ueber Hindernisse und Förderungsmittel der Industrie in Bayern" und "Bemerkungen zu einem Kultur= und Industrie=Gesetz" vorgenommen. 155 In seiner Definition des Staatszwecks, "der möglich größten Klasse von Einwohner den größten Erwerb und damit die größte Masse der Genußmittel zu verschaffen", war das noch deutlich auszumachende autldärerische Ethos bereits um eine konsum orientierte Variante angereichert. Folgerichtig bevorzugte er das Fabrikwesen wegen seiner Leistungsfähigkeit und verurteilte die auf dem monopolistischen Prinzip beruhende Geschlossenheit der Gewerbe vom naturrechtlichen wie vom ökonomischen Standpunkt. Solchermaßen Gebundenheit stünde dem Fortschritt entgegen, "indem sie Intelligenz, Thätigkeit und Verwendung von Kapitalien, die Grundfaktoren des Nationalreichthums" beschränke. Auf wirtschaftlichem Gebiet vertraute er wie Smith der Regulation des Marktes qua Angebot und Nachfrage;156 im übrigen galt für ihn der Wahlspruch

155 Zierl war Universitätsprofesser und Mitglied der Kommission bei den Industrieausstellungen in München 1834 und 1835. Seine hier zitierten Artikel erschienen im "Kunst= und Gewerbe=Blatt" 20 (1834), Heft I/Sp. 16-48, Heft II/Sp. 3-40. Die ff. Zitate I/Sp. 31, II/Sp. 19. 156 Die Gewerbefreiheit lasse zwar die Zahl der selbständigen Gewerbetreibenden ansteigen, "sie vermehrt aber die Zahl der Arbeiter und der Konkurrenz der Verkäufer nicht über das natürliche Maaß, weil die Zahl der Verkäufer durch die Zahl der Käufer bestimmt ist." Ebd., II1Sp. 20. Die ff. Zitate ebd., II1Sp. 40, Sp. 22.

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"Iaissez nous faire", mit dem er einen seiner Artikel schloß. Im Bereich der Gesellschaft wollte er hingegen aufpolizeistaatliche Eingriffe nicht verzichten. Die Regierung müsse "denjenigen, welche dem Fortschreiten zum Bessern entgegen sind, als denjenigen, welche nichtachtend die bestehenden, wohlerworbenen Rechte, die Freyheit nur zum Deckmantel der Befriedigung egoistischer Absichten mißbrauchen, den kräftigen Damm des Gesetzes und der exekutiven Staatsgewalt entgegensetzen". In einer den neuen Produktionsformen adäquaten Wirtschaftsordnung hatten die Gewerbemeister ihre regulierende wie ihre kontrollierende Funktion eingebüßt. Ihre Produkte genügten den gestiegenen Ansprüchen nicht mehr, und ihre ausgeklügelten Maßnahmen zur Sicherung des Marktes mußten vor der Konkurrenz kapitulieren. Ein Zwang in Richtung Fortschritt sowie die Garantie der Rechtssicherheit konnten nur noch mit dem Instrumentarium des Staates, nicht mehr mit dem der Gemeinden gewährleistet werden. Zierl sprach daher von der "Freyheit der Staatsbürger".157 Auch tUr die vorgeschlagenen Fördermaßnahmen wie erweiterte Handelsverbindungen oder die Freisetzung und Sicherung von Kapitalien lagen die Kompetenzen auf der Ebene des Gesamtstaates und seiner Verwaltungsorgane. Die Überlegungen der Fabrikanten bewegten sich ebenfalls innerhalb eines weiter gesteckten Aktionsrahmens. Angesichts einer verkehrstechnischen Zukunft, in der "ein ganz Europa umgürtendes Netz von Eisenbahnen und die Dampfschiff=Fahrt alle Welttheile tUr Handel und Wandel sich näher bringen," hielten sie es an der Zeit, aus der Lethargie zu erwachen und vorzugsweise das "Maschinen= und Fabrikwesen" kräftig zu fördern. 15s Eine "Nationalindustrie", das heißt eine Industrie unter Berücksichtigung der "topographisch=statistischen Verhältnisse", sei notwendig, solle nicht das Nationalvermögen der ausländischen Industrie zugute kommen. Als Unternehmer betraf Vigl der von den verbesserten Verkehrsbedingungen auf die heimische Industrie ausgehende Zwang zur Übernahme der Produktionsmethoden des Auslands. Daher hoffte er auf finanzielle Hilfe und Beteiligung des Staates insbesondere bei der Anschaffung moderner Maschinen und Werkzeuge. Weitaus komplexer verstand der Schwabacher Nadelfabrikant und Landtagsabgeordnete StädtIer das Zusammenspiel von Modernisierung und Mobilität. Den Tiefstand der bayerischen Industrie beklagend, sah er den Ausweg aus dieser bedrückenden Lage in der Befreiung von beschränkenden Gesetzen und auf

157 "Die wahre Freyheit der Staatsbürger besteht in der Freyheit des möglich größten Erwerbes unter den gesetzlichen Formen des Staates!" Ebd., II1Sp. 22. 158 1. Vigl, Wünsche für Bayerns Agrikultur, Fabriken und Handel, gegenüber dem Auslande, s.1. 1843, S. 4; f. Zitat S. 3.

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dem Gewerbe lastenden Observanzen. "Will man der Industrie keinen freiem Aufschwung gönnen, und sie stets niedergedrückt halten, so werden auch die Eisenbahnen nur beeinträchtigend rur die Industrie und nicht fordernd wirken.,,159 Die gesteigerte Mobilität im Verkehrssektor begriff er als Chance und Herausforderung, weil sie die Weiterentwicklung stimulierte, zugleich aber die aus- und vereinsländische Konkurrenz näherrückte. Die heimische Industrie konnte nur dann standhalten oder Nutzen daraus ziehen, wenn sie in der Lage war, entsprechend mobil und flexibel zu reagieren. In diesem Sinne bekannte sich StädtIer rückhaltlos zu Handels- und Industriefreiheit. 160 Das hinderte ihn jedoch nicht, im Parlament rur den Eisenbahnbau auf Staatskosten, Zoll schutz rur aufstrebende Industrien oder rur die Erhöhung der Mittel des Industrie- und Kulturfonds einzutreten. 161 Die Bedeutung von Eisenbahnen und Industrie wurde seiner Ansicht nach nur unzureichend erfaßt, wenn sie einzig am Produktwert gemessen wurde. Ebenso beachtlich seien die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, den technischen Fortschritt und den Grundstoffsektor, indem "viele Menschen beschäftigt" sowie "durch den Bau der Maschinen den Maschinen=Werkstätten aufgeholfen ... und vieles Material, weIches im Inland gewonnen wird, verarbeitet" würden. Dieser positiven Auswirkungen wegen stellte staatliche IndustriefOrderung für ihn keinen Widerspruch, sondern eine notwendige Ergänzung zur Freiheit der Wirtschaft dar. Nicht erst im Hinblick auf die Eisenbahnanbindung, sondern bereits angesichts des Zollvereins hatte er auf die Gefahren hingewiesen, die sich aus der offenkundigen Rückständigkeit Bayerns ergeben mußten. 1837 beantragte er deshalb die Erhöhung des Industrie- und Kulturfonds von 5000 auf 8000 Gulden jährlich rur jeden Kreis. 162 Mit diesen Geldern sollten nicht einIn: Verh. d. Kammer d. Abg. [846, Bd. 4, S. 547. "Zuletzt möchte ich nur meinen Hauptwunsch noch aussprechen, ... daß alle Zolltarife, Zollverträge, Zollgesetze und Zollordnungen nur in das Paradies eingeführt, dagegen auf der Erde aller Handel und Industrie frei würde." Verh. d. Kammer d. Abg. 1843, Bd. 13, S. 355. Nicht nur das Verkehrsmittel Eisenbahn, auch die Verkehrsfreiheit im Zollverein wurde als Argument für die Forderung nach Gewerbefreiheit angeführt. Wegen der Einbindung in ein größeres Marktgebiet konnten Gewerbebeschränkungen keinen Schutz mehr bieten, sondern im Gegenteil zur Geilihrdung werden: "Was soll es nüzen, in einer Stadt die Fabrikation der Schuhe, des Leders zu erschweren, nachdem man 100,000 auswärtigen Schustern und Gerbern gestattet hat, ihre Schuhe, ihr Leder zollfrei einzubringen und zu verkaufen." J. C. Leuchs, Gewerbfreiheit für Nürnberg, Nürnberg 1846, S. 21 ff., Zitat S. 21. 161 Zur Eisenbahn: Verh. d. Kammer d. Abg. 1846, Bd. 4, S. 306 ff.; zu Zoll verein, Handel und Industrie: Verh. d. Kammer d. Abg. 1843, Bd. 13, S. 345 ff.; Begründung des Antrags auf Erhöhung des [ndustrie- und Kulturfonds: Verh. d. Kammer d. Abg. 1837, Bd. 15, S. 413 ff. Das f. Zitat Verh. d. Kammer d. Abg. 1843, Bd. 13, S. 348/349. Für die Eisenbahnen ähnlich Verh. d. Kammer d. Abg. 1846, Bd. 4, S. 307, 309. 162 Verh. d. Kammer d. Abg. 1837, Bd. 15, S. 413, Zitat S. 415. 159 160

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zeIne Fabrikanten oder Gewerbetreibende unterstützt werden, sondern die Grundlagenforschung - die Veredelung von Grundstoffen und Halbfabrikaten, die Suche nach neuen Rohstoffen oder die Anschaffung von Mustennaschinen vorangetrieben werden, weil dazu "der Einzelne nicht im Stande" sei. Die Mittel hätten vom Landrat des jeweiligen Kreises 163 je nach spezifischer Erfordernis vergeben werden sollen. In der Zollvereinsdebatte 1843 mahnte er Zollschutz filr aufstrebende Industrien und ein stärkeres Engagement der Regierung bei der Anknüpfung von Handelsverbindungen, vor allem nach Amerika, an. Mangelnde Unterstützung, zu geringer Zollschutz und zu hohe Besteuerung waren häufig von den Fabrikanten gegen den Staat erhobene Klagen. l64 Die Fördennaßnahmen durften jedoch die Freiheit unternehmerischen HandeIns nicht einschränken. StädtIer lehnte jede Art von Bestimmungen ab, "welche die freie Entwicklung von Unternehmungen und Thätigkeit hemmen wollen." Dieses Prinzip galt filr ihn auch da, wo er selbst den Wert der Produktion in Zweifel zog wie im Fall der Runkelrübenzuckerfabrikation. 165 Dieses beständige Eintreten rur die Freiheit der Fabriken erklärt sich nicht nur aus Städtlers liberaler Einstellung, sondern auch aus der konkreten Situation der Nadelfabrikation in Schwabach. Ausgerechnet bei einem Artikel, bei dem die englische Industrie seit langem technisch überlegen war - schon Adam Smith hatte die Stecknadelproduktion als Exempel rur Arbeitsteilung angefilhrt - und der in Belgien und am Niederrhein bereits maschinell produziert wurde, betrieben die Fabrikanten in Schwabach die Herstellung noch in der Fonn des Verlags. Laut einer entsprechenden Gewerbeobservanz mußten die Fa'Yonmeister den Draht von Verlegern beziehen; nach der Weiterverarbeitung gingen die Nadeln zum Schleifen und Polieren an die Fabrikanten zurück. Je stärker diese von kapitalschwachen Verlegern mit rückständigen Methoden erzeugten Produkte infolge der ausländischen Fabrikproduktion unter Konkurrenzdruck und Preisverfall gerieten, umso heftiger begehrten die Gewerbsmeister gegen die Observanz auf. Sie glaubten sich in ihrem Recht der Gewerbeausübung nach Artikel 5 des Gewerbegesetzes beschnitten 166 und zu abhängi-

163 Der Landrat war das "Kollegium zur bürgerschaftlichen Mitwirkung auf der mittleren Verwaltungsebene beim Regierungspräsidenten". H. H. Hofmann / H. Hemmerich, Unterfranken, Würzburg 1981, S. XXII. 164 S. Gätschenberger, Der bayerische Staat und die fränkische Industrie, Würzburg 1852. Jener machte für das Scheitern seines Vaters, der es mit Ölmühlen, Weinbau und zuletzt mit der Runkelrübenzuckerfabrikation versucht hatte und Ende der I 840er Jahre ruiniert war, die industriefeindliche Haltung der bayerischen Regierung verantwortlich. "Mit Gewalt, mit List wird man euch euerer Kapitalien berauben, euch bei jeder Gelegenheit hindernd in den Weg treten," (S. 19) lautete seine Warnung an alle Industriellen. 165 Verh. d. Kammer d. Abg. 1843, Bd. 13, S. 353 f., Zitat S. 353. 166 Art. 5 des Gewerbegesetzes vom 11.9.1825 garantierte in Abs. I: "I. Die Befugnisse in Beziehung auf Vorbereitung und Veredlung der Gewerbserzeugnisse bis zum

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gen Arbeitern degradiert, die von den Fabrikanten Arbeit erbitten mußten. Im Gegensatz zu Städtler, der die Forderung nach Aufhebung der Observanz mit dem Hintergedanken an eine modernisierte, maschinelle Umgestaltung der Produktion unterstützte, verteidigten seine Verlegerkollegen die Observanz und waren eher bereit, den Meistem gegen Beibehaltung der alten Produktionsorganisation Beschäftigung zu garantieren. Endlich gab der Schwabacher Magistrat dem immer stärkeren Drängen der Meister nach und hob zu Beginn des Jahres 1847 die Observanz auf in der Hoffnung, die Nadler dadurch zu einer dauerhaften Bewältigung der Krise zu aktivieren. Die Kreisregierung unterstützte diesen Kurs und wies einen Einspruch der Fabrikanten zurück. 167 Ähnlich gelagert war der Fall des Nürnberger Maschinenbauers Späth. Seiner im Jahr 1842 erhaltenen Fabrikkonzession war ein Versuch im Jahr 1825 vorausgegangen. Späth hatte sein Gesuch damit begründet, daß die Zusammenarbeit mit den Handwerksmeistem nicht schnell und effektiv genug sei, es aber kurz darauf aus Furcht vor Hindernissen und Schwierigkeiten vorerst zurückgezogen. 168 Siebzehn Jahre später wurde die Konzession einem expandierenden Etablissement erteilt, das bereits umfangreiche Aufträge rur die Ludwigseisenbahn, bei Einrichtung von Produktionsanlagen und rur den Ludwigskanal ausgefuhrt hatte. Der Übergang zum Fabrikbetrieb war dann allerdings von neuen Investitionen und vor allem einer strafferen Organisationsstruktur des Unternehmens begleitet. Nicht nur Gewerbebeschränkungen und -monopole behinderten also durch ihre Unbeweglichkeit den Produktionsfortschritt, ebenso hemmend konnten sich teilindustrialisierte, verlegerische Organisationsformen auswirken. Daher forderte StädtIer Freiheit rur den Fabriksektor; den bürgerlichen Gewerben gestand er eigene, ihren Erfordernissen gemäße Regelungen ZU. 169 In der Debatte über den Posten Industrie und Kultur im Finanzetat machte der Abgeordnete von Poschinger, ein Glasfabrikant, auf ein weiteres Hindernis der Industrie aufmerksam. Er referierte die Klagen Nürnberger Fabrikinhaber über die Erschwerung der Ansässigmachung ihrer Arbeiter, um der Regierung

höchsten Grade der Vollendung, ... ". In: Döllinger, Verordnungen-Sammlung, Bd. 14, S. 871. 167 G. Schanz, Zur Geschichte der Colonisation und Industrie in Franken, Erlangen 1884, I. Abt., S. 329 ff. 168 Gesuch des Mechanikers Johann Wilhelm Späth, 15.7.1825; Protokoll des Stadtmagistrats Nürnberg, 3.9.1825, in: StadtAN ÄMR 734. Zur Entwicklung der Späthschen Maschinenbaufabrik vgl. G. Eibert, Unternehrnenspolitik Nürnberger Maschinenbauer (1835-1914), Stuttgart 1979, S. 40 ff. 169 Verh. d. Kammer d. Abg. 1837, Bd.15, S.453. Abg. v. Poschinger ebd., S. 460 f., Zitat S. 461.

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die Schwierigkeiten zu erläutern, welchen sich ein Fabrikant trotz entsprechenden Kapitals und erhaltener Konzession bei der Anwerbung von Arbeitskräften gegenübersah. "Wenn nun die Regierung die Bewilligung gibt, wenn der Unternehmer grosse Kapitalien aufgewendet hat, so findet er erst Hindernisse, weil er sich die benöthigten Arbeiter nicht zu verschaffen weiß, ja vier bis runf Bauern sind im Stande, jedes Aufkommen einer Fabrik zu verhindern, wenn sie die Ansässigmachung auf Erwerb bei Fabriken den Arbeitern in ihrer Gemeinde verweigern." Diese Kritik richtete sich eindeutig gegen das gemeindliche Veto und brandmarkte es als Instrument kommunaler Willkür. Die Fabrikanten suchten ihre Ansprechpartner deshalb eher bei den Kreisregierungen, die weniger lokalpatriotisch, aber dennoch regionalspezifisch agierten und entschieden, zumal Großprojekte wie Verkehrs-, Zoll- und Finanzierungsvorhaben sowieso nur vom Staat getätigt werden konnten, deshalb dort reklamiert werden mußten. An der Schwelle des Fabriktores hatte jeder staatliche Einfluß zu enden; hier verteidigten die Fabrikanten ihren unternehmerischen Freiraum. Zu dieser Freiheit zählten sie selbstverständlich den freien Umgang mit Arbeitskräften, ohne Rücksicht auf gewerberechtliche oder ansässigkeitliche Vorschriften nehmen zu müssen. Die soziale Sorgepflicht rur die WechseIfiille eines solchermaßen ungebundenen Arbeiterlebens überwiesen sie wiederum dem Verantwortungsbereich des Gemeinwesens. Unter dem Eindruck der Märzerhebungen und angesichts der prekären Lage der Wirtschaft brachten im Frühjahr 1848 die Abgeordneten Bestelmeyer, zweiter Bürgermeister in Nürnberg und Tabakfabrikant, und Städtler im Parlament einen Antrag ein, welcher "die Beschäftigung der arbeitenden Klassen" betraf. 170 Obgleich der Schwabacher Nadelfabrikant sich hierbei als selbstloses Sprachrohr eines in der Kammer nicht vertretenen Standes gerierte, darf doch bei ihm wie bei Bestelmeyer auch die ganz reale Furcht der Besitzbürger vor Übergriffen auf den eigenen Besitzstand als Motiv unterstellt werden. Trotz der kurzen, fast beiläufigen Beratung in der Abgeordnetenkammer fällt ein wesentlicher Unterschied auf. Etwa zur gleichen Zeit debattierte die Kammer der Reichsräte ausruhrlich und in Sorge um das Wohl des Staates über einen Antrag des Fürsten von Oettingen-Wallerstein, "die Fürsorge rur die minderbemittelten und besitzlosen Staatsbürgerklassen betreffend." Außer der Forderung nach Vollendung der Grundentlastung enthielten dessen Vorschläge den üblichen Maßnahmenkatalog auf der Basis von Assoziationen, Hilfsvereinen und karitativem Mitgefühl. Immerhin wurde neben dem Mittel der Auswande-

170 Einlauf 27.-31. März, Nr. 96, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1848, Bd. I, S. 260; Beratung des Antrags Verh. d. Kammer d. Abg. 1848, Bd. 2, S. 108 ff.

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rung auch eine erhöhte Mobilität innerhalb Deutschlands empfohlen und eine Art Arbeitsvermittlung angeregt.)7) Während hier im wesentlichen die Hilfe zur Selbsthilfe als erprobtes Rezept verordnet wurde, erging aus der Abgeordnetenkammer die Aufforderung an die Staatsregierung, den derzeit Beschäftigungslosen Einkommen bei öffentlichen Bauten zu verschaffen. Entsprechende Projekte sollten in allen Kreisen so schnell wie möglich initiiert und die Gemeinden bewogen werden, geplante Investitionen vorzuziehen. Kurze Zeit später wird diese Anregung von Max 11. aufgegriffen werden. Obwohl die von Regierungsseite erhaltene Zusicherung, entsprechende Maßnahmen seien auf Anordnung des Königs bereits auf den Weg gebracht, für rasche Erledigung des Antrags sorgte, stand er dennoch für einen anderen Umgang mit dem Problem der Arbeitslosigkeit. Sie erschien nicht mehr als Betätigungsfeld karitativer Fürsorge oder mildtätiger Nächstenliebe. Gefragt waren stattdessen Beschäftigungsprogramme, welche die realen Verdienstausfälle der Arbeiter im Sog einer vorübergehenden Krise der Konjunktur ersetzen konnten. In einer wirtschaftlichen Depressionsphase wie der des Frühjahrs 1848 rief auch ein Fabrikant wie Städtler nach der sonst dem liberalen Dogma zuwiderlaufenden staatlichen Unternehmertätigkeit, um den sozialen Frieden wiederherzustellen und zu sichern. Dem Staat wurde damit die Wahrnehmung einer Fürsorgepflicht anheimgestellt. Als Vehikel auf dem noch kaum erschlossenen Feld der Sozialpolitik wurde das Mittel einer antizyklischen Beschäftigungs- und Investitionspolitik der öffentlichen Hand empfohlen.

4. Schranken der Mobilität als Hindernisse wirtschaftlicher Aktivität Eine soziale Verantwortlichkeit des Staates zogen die Konservativen nicht in Betracht. Um den Gemeinwesen die Last der sozialen Absicherung einer Arbeiterklasse zu ersparen, wehrten sie sich die gegen die Entflechtung von Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Unverändert galten ihnen die "natürlichen und heimathlichen Anlagen der physischen und moralischen Lebenskraft, die in

J7J Antrag des Fürsten v. Oettingen-Wallerstein, in: Verh. d. Kammer d. RR 1848, Beil.-Bd. I, S. 128-142; Beratung in der Kammer d. RR, Bd. 1 (\ 848), S. 186 ff., Bd. 2, S. 337 ff.; Vortrag des RR Grafv. Giech für den 3. Ausschuß der Kammer d. RR, Beil.Bd. 2 (1848), S. 95 ff. Unter Punkt VIII. seines Antrags empfahl Oettingen-Wallerstein "die Errichtung von Anmeld= und Commissions=Bureaux unter öffentlichem Glauben und mit unentgeltlicher Thätigkeit, als vermittelnde Organe zwischen Arbeitsuchenden und den Arbeitbietenden," - eine Art Arbeitsämter - "dann zwischen Uebersiedlungslustigen und Uebersiedlungs=Gelegenheiten;" - eine Art Wohnortbörse. Verh. d. Kammer d. RR 1848, Beil.-Bd. I, S. 141.

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den Ständen und Standschaften der Nation selbst begründeten Bürgschaften" als "die ächten Principien der politischen Oekonomie".172 Aus dem gesellschaftspolitisch motivierten Eintreten für das "stätige Familien= und corporative Leben" ergab sich für den Wirtschaftsbereich: "Damit Millionen bei Unternehmen nicht zu Grunde gehen und nicht Einzelne sich auf Kosten der Mehrheit bereichern, ist es schlechterdings nothwendig, daß auch die Industrie in der Regel corporativ betrieben werde; daß nicht jeder grenzenlos die Zahl seiner Arbeiter vermehren dürfe; sonst richtet der Reichere alle Mittleren zu Grunde." 173 So entschieden die Verteidiger einer korporativen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung alle Freiheits- und Gleichheitsforderungen als republikanisch und ob ihrer nivellierenden Tendenz ablehnten, hatten sie doch bei ihrem Mittelstandsbegriff das mittlere Maß in jeder Hinsicht zutiefst verinnerlicht, vom Standort des einzelnen innerhalb der Gesellschaft bis hin zu Produktionsumfang und Konsum. "Gleichf6rmigere Vertheilung der Nahrung unter die Bürger, wodurch der Armuth gesteuert und mehr mittlerer Wohlstand für Viele, als großer Reichthum für Wenige erreicht wird,,174 - das war es, was die Zunftverfassung trotz eingestandener Mängel und Auswüchse gewährleistet hatte. Innerhalb der eng begrenzten Tätigkeitsfelder einer derart abgesteckten Ordnung mußte die gesteigerte Produktionsanstrengung eines mrer Beteiligten zwangsläufig Verluste bei den anderen zeitigen. Jedes Sprengen des vorgegebenen Maßes geriet daher in den Verdacht des Unmoralischen, der Verantwortungslosigkeit und des Luxus. Der Ist-Zustand Bayerns - das Vorherrschen des Agrarsektors, das Nachhinken der industriellen Entwicklung und die handelsgeographisch ungünstige Binnenlage - galt als Beleg dafur, daß eine Neuordnung des Wirtschaftslebens zum Scheitern verurteilt und von katastrophalen gesellschaftlichen Folgen begleitet wäre. "Wollen denn die Vertheidiger der schrankenlosen Gewerbsfreiheit eine Bevölkerung, die zum Müßiggange, zum Bettel und zur Sittenlosigkeit verdammt ist, weil sie keine Arbeit und keine Nahrung findet? ... Wollen sie einen Pariserpöbel, der bereit ist, fur ein Frankenstück zu morden und zu jedem Aufruhr sich brauchen zu lassen? - Davor bewahre uns Gott!" Was hier den liberalen unterstellt wurde, Unterminierung des Gemeinde- und damit gemäß deren Sichtweise des Staatslebens, davor wußten sich die Gemeinden selbst zu bewahren durch restriktive Handhabung der Ansässigmachung.

172 Abg. Frhr. v. Freyberg, k. Kämmerer u. Ministerialrat, bei der Budgetberatung, Position für Industrie und Kultur; in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1837, Bd. 15, S.425. Dort auch das f. Zitat. 173 Abg. Ringseis, in: ebd., S. 434. 174 O. Verf., Ueber Gewerbewesen, Gewerbsfreiheit und Ansäßigmachung, Augsburg 1834, S. 5; f. Zitat ebd., S. 18.

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Die Forderung nach gemeindlicher Selbstverwaltung gehörte ebenso zum Zielekatalog des FrUhliberalismus, verstanden als Korrektiv zur Zentralisierungstendenz einer aufgeklärten Bürokratie. 175 Wie bereits erwähnt, konnten sich liberale Verfechter der Gewerbefreiheit durchaus fiir gewerbliche Produktionsstrukturen begeistern. Auch der Nürnberger Kaufmann Johannes Scharrer, der als zweiter Bürgermeister die Gründung einer polytechnischen Schule betrieb, später deren Direktor wurde und als einer der Hauptinitiatoren der ersten Eisenbahn sicherlich alter Zunftromantik unverdächtig gelten kann, würdigte die gewerbliche Tätigkeit als dem Geist der Nürnberger Bürgerschaft und der freien Reichsstadt gemäße, "weIche mit der Freiheit und Selbständigkeit des Bürgers, Meisters und Familienvaters vereinbarlieh und dem Wechsel der Zeit und der Moden weniger unterworfen ist." 176 Für die konservativen Gemeindevertreter stand fest, daß die mittelalterliche Zunftverfassung die "Grundlage des Wohlstandes und der Freiheit der Städte,,177 gebildet hatte; sie war das Fundament gewesen, auf dem die Macht der Städte und Gemeinden gründete. Wer es dagegen als entwicklungshemmend verwarf, betrachtete das Zunftwesen nicht als Bedingung, sondern als Auswirkung eines florierenden Gewerbestandes. Seine liberalen Kritiker verstanden das zünftische Regelwerk als Ausfluß einer Gemeindemacht, die sich im Lauf der Zeit verselbständigt hatte und die individuelle Selbstentfaltung unterdrückte. Während ein Liberaler wie Rudhart an der Koppelung von Konzessionserteilung und Ansässigmachung Anstoß nahm, weil dies einen Zwiespalt zwischen Staats- und Lokalbürgerrecht eröffnete,178 benutzten die Gemeinden diese gesetzlichen Instrumente als Ersatz fiir die Eingriffsgewalt der aufgehobenen Zünfte. Stets waren ihre Befiirchtungen immaterieller wie materieller Natur: bei der Gewerbefreiheit die Furcht vor den Unwägbarkeiten der Konkurrenz und drohenden realen Einkommensverlusten, bei der Ansässigmachung das Unbehagen angesichts einer Zunahme der Bevölkerung, die im Notfall die Hilfe der Gemeinde beanspruchen durfte, was "eine unerschwingliche Armentaxe, wie

175 H. Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1950, S. 160 ff., v.a. S. 180 ff. 176 1. Scharrer, Ein Blick in Nürnbergs Gewerbsgeschichte, Nürnberg 1836, S. x. Gewährsmann für Rudharts Schilderung soll der frühere Bürgermeister Johann Merkel gewesen sein. Lt.: L. Zimmermann, Die Einheits- und Freiheitsbewegung und die Revolution von 1848 in Franken, Würzburg 1951, S. 191. 177 Ueber Gewerbewesen, Gewerbsfreiheit und Ansäßigmachung, S. 5. Für das Folgende z.B. Holzschuher (vgl. Kap. D. III. 2., S.175), nach dessen Ansicht der Konstituierung unabhängiger Korporationen wie der Zünfte Macht und Einfluß vorausgehen mußten. Ders., Die materielle Noth der untern Volksklassen und ihre Ursachen, Augsburg 1850, S. 15 f. 178 I. Rudhart, Das Gewerbswesen in Bayern, Nürnberg 1831, S. 16. 8 Burkhardt

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in England, nothwendig machen,,179 könnte. Da bei Gewerbekonzessionen die Kreisregierungen die zuständige Rekursbehörde waren, wo Einspruch gegen die Entscheidung der Lokalbehörde erhoben werden konnte, und Fabrikkonzessionen von vornherein von den staatlichen Verwaltungsorganen vergeben wurden, hielten die Kommunen am absolut hindernden Veto bei der Ansässigmachung als ihrem ureigenen Recht fest gegen die Industrie und Teile der Beamtenschaft. 180 Der Nürnberger Kaufmann Johann earl Leuchs, ein "unennüdliche[r] Vorkämpfer des Freihandels und der Gewerbefreiheit",181 rechnete daher die Hemmnisse des Gewerbebetriebs auf das Konto der Annenversorgung: "Der Furcht vor der Annuth opfern die Gemeinden ihren Wolstand, die Möglichkeit ihres AufblUhens." Was zunächst paradox klingt, findet seine Erklärung darin, daß die Koppelung von Gewerbebetrieb und Fürsorgeanspruch garantierender Ansässigkeit Zulassungsbeschränkungen geradezu heraufbeschwor. Leuchs bedauerte, daß dadurch Talente verschüttet blieben, die sich unter freiheitlichen Bedingungen entfaltet oder die eine Konkurrenzsituation als Ansporn aufgefaßt hätten. Wer, von schlechten Aussichten und ~ständen nicht entmutigt, dennoch die Selbständigkeit anstrebte, ließ sich auf ein schwieriges, kostspieliges und womöglich langwieriges Verfahren ein. Leuchs zählte alle Zeugnisse, Nachweise, Beiträge und Gebühren auf, die mit Beantragung einer Konzession fiillig wurden und Zeit und Geld kosteten, welche sinnvoller auf den Betrieb des Gewerbes angewendet würden. Die eigentlichen Schwierigkeiten standen dann erst bevor: "Es beginnt der Kampf zwischen BUrger und Bürger, wo jeder dem Andern die Art mißgönnt, wie er sich ein StUkchen Brot verdient." Jetzt ergingen die Einsprüche der arrivierten Gewerbsgenossen, die oft mehrere Anläufe zur Konzessionserteilung notwendig machten; in Einzelfällen konnte sich die Entscheidung Uber ein Gesuch so lange verzögern, daß der Bewerber ruiniert war. Der Gewerbsmeister, der nach Überwindung all dieser Hindernisse demoralisiert, desillusioniert, sittlich gebrochen und materiell geschädigt den Geschäftsbetrieb aufnahm, hatte nunnehr wenig Ähnlichkeit mit dem bUrgerlichen Ideal.

\79

Ueber Gewerbewesen, Gewerbsfreiheit und Ansäßigmachung, S. 15.

\80 Schon im Landtag d. 1. 1837 hatte der Fabrikant v. Poschinger die Abschaffung des kommunalen Vetos beantragt. Im nächsten Landtag 1840 erhoben die Fabrikbesitzer Gareis und Müller dieselbe Forderung. Eine Umfrage unter den Kreisregierungen im gleichen Jahr signalisierte ebenfalls übereinstimmend Ablehnung. K.-J. Matz, Pauperismus und Bevölkerung, Stuttgart 1980, S. 164 ff. \8\ Zu J. C. Leuchs in: A. Jegel, S. 21 f., Zitat S. 22. Die folgenden Ausführungen s. in: J. C. Leuchs, Gewerbfreiheit für Nürnberg, Nürnberg 1846; Zitate S.50, S.30/31, S.34.

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"Das, wenn auch kleine Vennögen, mit dem er es [das Gewerbe / I.B.] hätte betreiben können, ist gemindert, oder ganz verzehrt, oder hat selbst Schulden Plaz gemacht; die Familie, die in der Regel der Ansässigmachung folgt, nach den Sitten der Zeit ihr aber meist schon vorausgeht, fordert Brod; Schulden und Elend gesellen sich zu dem ohnedem schweren Anfang, und wenn die äusern Umstände nicht sehr günstig sind, so hat die Stadt in einigen Jahren eine Bettlerfamilie mehr, die sie sich selbst schuf" In einer Art Self-fulfilling-prophecy bewahrheiteten sich so die BefUrchtungen der Gemeinden. Leuchs brachte sogar Verständnis dafUr auf, daß Gewerbetreibende ein Geschäft, das sie unter so großen Opfern errungen hatten, nicht mehr aufgeben wollten und ihre Entscheidung nicht mehr revidieren konnten, wenn dieses sich als unrentabel erwies. Mit solchennaßen bedrängten, demotivierten und fmanzschwachen Individuen ließen sich aber keine Fortschritte oder Anpassung an den aktuellen Produktionsstandard erzielen. Leuchs hatte dargelegt, wie kontraproduktiv die restriktive Gewerbe- und Ansässigmachungspraxis wirkte: indem sie die Energie des einzelnen lähmte, somit die Ausweitung von Herstellungsund Verbrauchskapazitäten unterband, rief sie die als "Übersetzung" und "Übervölkerung" benannten Phänomene hervor, welche sie verhindern sollte. Bei einer liberalisierten Wirtschaftsverfassung würden diese Probleme erst gar nicht entstehen, weil sich die Produzenten den Wandlungsprozessen dynamisch anpassen konnten. Leuehs dachte dabei in Kategorien horizontaler wie vertikaler Mobilität. Es mußte dem einzelnen leicht gemacht werden, in Gegenden mit besseren wirtschaftlichen Bedingungen umzusiedeln oder auf ein lohnenderes Gewerbe umzusteigen; genauso sollten innerhalb eines Betätigungsfeldes Veränderungen der Strukturen mittels Auf- und Abstieg möglich sein. In seiner Idealvorstellung einer dynamischen Gesellschaft verliefen sogar Abstiegsprozesse problemlos, weil sie nicht als Deklassierung galten, sondern aus Einsicht in das eigene Vennögen und die Zeitumstände vollzogen wurden. 182 Selbstverständlich diente die Gewerbefreiheit seiner Meinung nach dem Gemeinwohl am besten, weil durch Wettbewerb fUr jede Position der Geeignetste ennittelt wurde. Letztlich ging es Leuchs um das Wohl des Bürgerstandes, und wie viele seiner liberalen Zeitgenossen orientierte er sich dabei am Vorbild des selbständigen Handwerksmeisters, der bestenfalls verlegerisch organisiert

182 "Verwirklicht sich dieser gute Fortgang aber nicht, hat er sich in Hinsicht seiner Fähigkeiten, oder in Hinsichtder Verhältniße geirrt, so ist das Unglück so groß nicht. Da es ihm weder Kampf noch Geld kostete, so glaubt er auch nicht daß er an dem Gewerbe etwas hat, daß er festhalten müsse, und läßt es fahren, wenn es nichts einträgt. Mit derselben Leichtigkeit, mit der er das eine Geschäft begann, gibt er es auf, und beginnt ein anderes, das ihm vortheilhafter erscheint, oder kehrt zum Stande eines Lohnarbeiters zurük, wenn er in sich die Fähigkeiten nicht verspürt oder die Mittel nicht mehr hat selbstständig zu sein." Ebd., S. 25.

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war. 183 Der Staat sollte dafür die Voraussetzungen schaffen, keinesfalls regulierend eingreifen. "Er hat sich um selbst verschuldetes privatives Glük und Unglük nicht zu kümmern, er kann mangelndes Talent, mangelnde Geschäftsbeflihigung nicht ersezen, und es ist eine falsche Regierungsmasregel, die Klugen und vom Glük Begünstigten niederzudrüken, damit die Dummen auch fortkommen, damit diese eine höhere, bessere Stelle einnehmen, als Natur und Schiksal ihnen anwies.,,184 Welche Position bezogen nun Staat und Gewerbe angesichts dieser Aufbrüche festgefügter Denk- und Organisationsstrukturen? "Natur" und "Schicksal" waren Begriffe, die dem, vor allem in den Mittelbehörden nachwirkenden, rationalen Geist der Aufklärungszeit zuwiderliefen. Außerdem vertrug es sich schlecht mit dem Selbstverständnis eines Gemeinwesens und erst recht nicht mit dem Selbstverständnis Ludwigs I. als eines fürsorgenden, autokratischen Monarchen, Erfolg oder Scheitern im Berufs- und damit im bürgerlichen Leben als Privatangelegenheit des einzelnen zu betrachten. Mit Argwohn wurde das individuelle Glücksstreben beobachtet, weil es auf Kosten anderer gehen konnte. Keinesfalls durften die ins Unglück Gestürzten ignoriert werden, weil deren Unzufriedenheit und Unruhe den Bestand des Staates geflihrden konnte. Die Furcht vor Umsturz und Revolution als Folge gesellschaftlicher Friktionen ließ die Regierung eine in erster Linie gesellschaftspolitische Koalition mit den um ihren Status, ihren Einfluß und ihr Wohlergehen besorgten Gemeinden eingehen. Richtig weist Matz darauf hin, daß der "sozialrestaurative Druck" eng mit der Einschätzung der wirtschaftlichen Situation korrelierte. 185 So legt die restriktive Gesellschaftspolitik der bayerischen Regierung den Schluß nahe, daß jene den Zeitpunkt für einen wirtschaftlichen Aufschwung in Bayern noch nicht gekommen sah. Weiter ließe sich folgern: Wer seine Bürger - wie in Preußen zum wirtschaftlichen Glück zwingen wollte, mußte Beschränkungen im Gewerbe- und Ansässigmachungswesen lockern. 186 Wer jedoch - wie in Bayern - das

183 Leuchs gebrauchte zwar Begriffe wie "Arbeiter" (ebd. S. 18, S. 29) oder "Lohnarbeiter[s]" (S. 25). Seine Sympathie galt aber eindeutig dem Handwerk. Im günstigsten Fall abgesichert durch Nebenerwerbslandwirtschaft, zog er es einer "verkrüppelte[n], bettelhafte[n], liederliche[n] Fabrikbevölkerung" vor. (S. 46). 184 Ebd., S. 26/27. Vgl. ähnlich S. 18: "Der Meister kann wieder Arbeiter werden, wenn er so unklug war, sich in einem Ort niederzulassen, wo man seiner nicht bedurfte. Es geht darüber die Welt nicht unter, und hat sich die Regierung nicht das Geringste darum zu bekümmern." 185 K.-J. Matz, S. 165, Zitat S. 183. Für Preußen vgl.: R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, Stuttgart 31981; B. Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit, Göttingen 1983. 186 "Die Autonomie der Zünfte widerstrebte dem ordnungspolitischen Anspruch des Staates." B. Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit, S. 161.

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GesellschaftsgefUge erhalten wollte, mußte sich aller dirigistischen Eingriffe in die Wirtschaft enthalten und durfte die Entwicklung nicht forcieren. Die daraus resultierende "liberale" Linie der bayerischen Wirtschaftspolitik, insoweit sie auf einschneidende Maßnahmen und tiefgreifende Umgestaltung verzichtete, hätte im Grunde den auf ihre unternehmerischen Freiräume bedachten Fabrikanten sehr entgegenkommen müssen. Doch wie schon erwähnt, kamen von dieser Seite laute Klagen über mangelnde Unterstützung oder die Schwierigkeiten, welche ihren Arbeitern die Ansässigmachung bereitete. Probleme ergaben sich auch durch den gesteigerten Finanzbedarf größerer Unternehmen, dem noch keine entsprechend leistungsfähigen öffentlichen Kreditinstitute gegenüberstanden. Besonders in den kapitalintensiven Branchen Textilindustrie und Maschinenbau befanden sich auffallend viele Bankiers und Kaufleute unter der ersten Generation der Großfabrikanten. 187 Dies belegen die Beispiele des Bankhauses Schaezler in Augsburg oder des gelernten Kaufinannes Maffei in München. Sie verfUgten über entsprechende Kontakte in der Finanzwelt und stellten neben Risikobereitschaft ebenso kalkuliertes Vertrauen in die neuen Industrieformen unter Beweis, wenn sie diese als Kapitalanlage nutzten. In Nürnberg standen ebenfalls die Namen zweier Handelsleute, Merz und Lobenhofer, für Textilfabriken. Der Firmengründer der späteren Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg, Johann F. Klett, brachte als Bankier und Kaufmann das nötige Investitionskapital in das Unternehmen ein. Erst nach der Jahrhundertmitte nahm dessen Schwiegersohn Theodor Cramer-Klett umfangreiche Kredite bei staatlichen Banken wie der Königlichen Bank in Nürnberg oder der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank auf. Johann Wilhelm Späth, der Inhaber der zweiten bedeutenden Maschinenfabrik in Nürnberg, kooperierte ebenfalls mit privaten Geldgebern. 188 In einer schwierigen Phase nach der "fUr alle Fabriken u Gewerbe so kritischen Periode des Jahres 1848 und 1849" wandte sich Späth im Frühjahr 1850 mit einem Darlehensgesuch an die Staatskasse. 189 Selbstbewußtsein ob seiner Leistung, "einen Fortschritt in die Mechanik und Industrie" gebracht zu haben, paarte sich

187 Vgl. D. Schumann, Herkunft und gesellschaftliche Stellung bayerischer Unternehmer im 19. Jahrhundert, in: R. Müller (Hrsg.), Unternehmer - Arbeitnehmer, München 1985, S. 298; aufschlußreich hinsichtlich der Banken- und Unternehmensverflechtungen in Augsburg und Schwaben: W. Zorn, Handels- und Industriegeschichte Bayerisch-Schwabens 1648-1870, Augsburg 196 I, S. 135 ff., S. 182 ff. 188 G. Eibert, S. 45 (Späth), S. 57 ff. (Klett). 189 Alle zitierten Dokumente in: BayHStA MH 5505. Späth rechnete vor, daß er als Sicherheit Anlagen im Wert von 49300 fl. stellen konnte zuzüglich hypothekarisch belasteter Gebäude im Wert von 21 120 fl. Als Kompromiß schlug er die Zahlung eines Vorschusses von 15000 fl. an ihn vor.

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mit staatsbürgerlichem Pflichtgefühl, "Alles aufzubieten um diesen angebahnten Fortschritt zu heben, und mit einem belehrenden Beispiele voraus zugehen." Dazu gehörte der Hinweis, daß seine Fabrik hundert Arbeitern Beschäftigung und Verdienst gewähre, von denen sich während der Revolutionsereignisse "auch nicht ein Einziger an politischen Exzessen betheiligte." Da nunmehr sein gesamtes Betriebskapital in Maschinen, Material und Werkstätten gebunden war, bat er für dringend erforderliche Investitionen um ein Darlehen von 30 000 Gulden zu einem mäßigen Zinssatz, rückzahlbar innerhalb von sechs bis zehn Jahren. Das zuständige Landgericht Nürnberg gutachtete durchweg positiv. Es verwies auf die "nicht unbedeutende Zahl von Arbeitern", Späths "bedeutenden Einfluß auf die Industrie Nürnbergs und der Umgegend", seinen guten Leumund und die ausreichend gebotenen Sicherheiten. In der gegenwärtigen, schwierigen Situation verhielten sich Privatleute bei hohen Summen äußerst zurückhaltend, und der Versuch, bei der Königlichen Bank in Nürnberg eine Anleihe zu erhalten, sei "wohl nur aus Aengstlichkeit" gescheitert. "Bedürfen daher Fabrikbesitzer größere Darlehen, so können sie sich gegenwärtig wohl nur an die Staatsregierung wenden." Die Kreisregierung schloß sich der günstigen Einschätzung an und leitete das Gesuch mit entsprechender Empfehlung weiter. Das Handelsministerium wies es im Sommer zurück mit der Bemerkung, daß zur Zeit keine Finanzmittel zur Verfügung stünden. Das klang plausibel in einer Situation, in der die Krise Ende der 40er Jahre im Wirtschaftsleben allenthalben nachwirkte und immenser Finanzhilfe bedurft hätte. Drei Jahre später wurde ein neuerliches Darlehensgesuch Späths mit der gleichen Begründung abgelehnt, 190 was doch den Schluß zuläßt, daß die Finanzmittel zur Industrieförderung zu gering angesetzt waren. Schwierigkeiten bereitete den Industriellen zu dieser Zeit auch die Rekrutierung fachlich entsprechender Arbeitskräfte. Manche hatten selbst im Ausland entsprechendes "Know-how" gesammelt wie die Erfmder der Schnellpresse, König und Bauer, andere warben Kräfte aus dem Ausland an. Die gängige Handwerkerausbildung genügte dagegen selten den Anforderungen, die an eine Fachkraft im Industriebetrieb gestellt wurden. So begründete Späth sein Gesuch um eine Fabrikkonzession damit, daß er dann einen festen Arbeiterstamm einstellen könne, während die Kooperation mit den Handwerkersmeistern jedesmal eine Prüfung ihres Qualitätsstandards und zudem die Preisgabe seiner Fachkenntnisse verlange. 191 In Kreisen des Handwerks wurde wiederum die Arbeit in einer Fabrik überwiegend als sozialer Abstieg empfunden. Daran änderte sich selbst während der 190 191

Gesuch Späths vom 1.12.1853, abgelehnt am 30.12.1853, in: ebd. Gesuch vom 15.7.1825, in: StadtAN ÄMR 734.

III. Die Wirtschaft zwischen Einschränkung und Entgrenzung

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vielfach Existenz und Status bedrohenden, krisenhaften Situation zum Ausgang der 1840er Jahre nichts. Simons Untersuchung auf der Materialbasis der von Handwerkern und Gewerbevereinen an die Frankfurter Nationalversammlung gerichteten Petitionen belegt eindrücklich, daß tatsächliche materielle Lage und Selbsteinschätzung der Handwerksmeister weit auseinanderklaffen konnten. 192 Die Auswertung liefert zugleich die Bestätigung dafür, daß sich die Forderungen der bayerischen Petenten in nichts von denen ihrer Kollegen in anderen Ländern unterschieden: Ablehnung der Gewerbefreiheit und der dadurch drohenden Konkurrenz, Erhalt des Handwerkerstandes als des moralisch wertvollen und damit staatstragenden. Es kann hier nicht auf die sehr breit erforschte Frage nach dem Verhältnis von Liberalismus und Handwerk eingegangen werden. 193 Es bleibt aber wichtig festzuhalten, daß sich in Bayern, wo die Regierung der Handwerkerklientel mit dem kommunalen Veto am weitesten entgegengekommen war, Probleme und Stimmungslage nicht substanziell von anderen Ländern unterschieden. Mit der Revolution 1848/49 hatte sich also erwiesen, daß der sozial restaurative Kurs keine bessere Lösung darstellte, weil die Gesellschaftsstruktur trotz aller Bemühungen um Bewahrung aufgebrochen war. Die übereinstimmend in der Literatur konstatierte umgekehrte Konstellation wie in Preußen führt Blessing darauf zurück, daß der von Ludwig I. gepflegte Traditionalismus Innovationschancen hemmen mußte. 194 Dies läßt sich auch auf den Wirtschaftssektor übertragen. Das Festhalten an einer Gesellschaftsstruktur, die qua ihrer Verfaßtheit und ihren Grundüberzeugungen alte Produktionsstrukturen tradieren half, wirkte wie ein Bremsklotz bei allen Anstrengungen,

192 "Selbst wenn die materielle Lage manches kleinen Meisters, der diese Petitionen unterschrieb, kaum besser, oft schlechter war als diejenige vieler besitzloser Unselbständiger - sein Selbstbewußtsein, seine gesellschaftliche Selbsteinschätzung grenzt ihn scharf vom Proletariate ab. Der Begriff des Mittelstandes, dem er sich als selbständiger, wirtschaftlich unabhängiger Bürger zugehörig fühlt, verbindet ihn mit den Besitzenden, das Bewußtsein seiner staatstragenden Funktion läßt keinen Gedanken einer gemeinsamen revolutionären Aktion mit der besitzlosen Unterschicht aufKommen." M. Simon, Handwerk in Krise und Umbruch, Köln 1983, S. 396. Im Anhang finden sich Kurzzusammenfassungen der einzelnen Gewerbepetitionen nach Ländern geordnet; für das rechtsrheinische Bayern s. S. 595-629. 193 Einige wichtige Titel zu diesem Thema: H. Sedatis, Liberalismus und Handwerk in Südwestdeutschland, Stuttgart 1979; J. Bergmann, Wirtschaftskrise und Revolution, Stuttgart 1986; ders., Das Handwerk in der Revolution von 1848, in: U. Engelhardt (Hrsg.), Handwerker in der Industrialisierung, Stuttgart 1984, S.320-346; H.-U. Thamer, Emanzipation und Tradition, in: W. Schieder (Hrsg.), Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vormärz, GG Sonderheft 9 (1983), S. 55-73. 194 W. K. Blessing, Staat und Kirche in der Gesellschaft, S. 60 ff., v.a. S. 63. "Denn die Annäherung des Staates an die alten Gruppen und Lebensformen versöhnte zwar diese so ziemlich mit ihm, begründete jedoch auch eine strukturelle Rückständigkeit Bayerns." (S. 62)

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c. Wirtschaft und Staat 1834-1848

auf den Gebieten von Handel, Verkehr und Technik den Anschluß an die modeme Entwicklung zu erreichen.

D. Wirtschaftspolitik im Zeichen der Sozialpolitik (1848-1868) I. Der konservative Neuerer: Gesellschaft, Wirtschaft und "soziale Frage" aus der Sicht des Monarchen 1. Die Krise der Gesellschaft und ihre ökonomischen Ursachen Am 20. März 1848 trat Maximilian 11. die Nachfolge seines Vaters Ludwig I. an, der unter dem Eindruck der liberalen Forderungen abgedankt hatte. Die Regentschaftsübernahme vollzog sich somit im Zeichen der Revolution, und das mag bereits eine Erklärung dafür bieten, daß Max 11. von Anfang an den sozialen Problemen und deren Ursachen große Aufmerksamkeit schenkte. I Durch den Lola-Montez-Skandal hatten die Ereignisse in Bayern sozusagen ihr eigenes "Lokalkolorit" erhalten. 2 Die Monarchie selbst war zu keiner Zeit ernsthaft gefährdet gewesen, und wenige Unruheherde (vor allem in Franken) ausgenommen, wurde nach dem Thronwechsel verhältnismäßig rasch zur Tagesordnung übergegangen; die politische A'useinandersetzung verlief wieder in den gewohnten und geordneten Bahnen der Kammerdebatten. Trotz dieser regionalen Besonderheiten hatten sich die Unruhen des Jahres 1848 in Bayern in den Gesamtzusammenhang der revolutionären Erhebungen in allen deutschen Staaten eingefügt. Auch hier hatte die Verflechtung von nationaler, politischer und sozialer Komponente 3 ihre Explosivität aus- und eine Lösung so schwierig gemacht. Im Vordergrund waren die politischen Forderungen nach Aufhebung der Zensurmaßnahmen, erweitertem Wahlrecht und weitergehenden Rechten fur das Parlament gestanden. Allgemeiner war es um die Form der konstitutionellen Monarchie und deren Verhältnis zum noch zu schaffenden Nationalstaat gegangen.

S. hierzu: G. Müller, König Max 11. und die soziale Frage, München 1964. Dieser Aspekt wird etwa bei M. Spindler, Die politische Wendung von 1847/48 in Bayern, in: Bayern. Staat und Kirche. Land und Reich, München 1961, S. 326-340, hervorgehoben. 3 M. Stürmer, 1848 in der deutschen Geschichte, in: Sozialgeschichte heute, hrsg. von H.-U. Wehler, Göttingen 1974, S. 229 ff. Für Bayern bestätigt dies M. Birnbaum, Das Münchener Handwerk im 19. Jahrhundert (1799-1868), München 1984, S. 197. I

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Auf die Ende des Jahres 1849 an alle Kreisregierungen ergangene Frage nach einer rückblickenden Beurteilung der Motive der Märzbewegung konstatierte jedenfalls die Mehrzahl der Berichte die überwiegend politische Tendenz der Revolution, sofern sie nicht überhaupt auf stabile Verhältnisse, Ruhe und Zufriedenheit (wie in Oberbayern - München ausgenommen -, Niederbayern, der Oberpfalz, das heißt also in Altbayern) verweisen konnten. Nur in den Regierungsbezirken Ober- und Mittelfranken wurde die soziale Natur der Revolution hervorgehoben, registrierten die Behörden einen "vorherrschend kommunistischen und sozialistischen Charakter".4 Zugleich waren dies die beiden Amtsbezirke, in denen die Brennpunkte der Revolution - Bamberg, NOrnberglFürth und Schwabach - lagen. 5 Doch auch hier waren die aktuellen Forderungen der besitzlosen und arbeitenden Bevölkerung mit den völlig anders gearteten politischen Zielen der besitzenden Klassen eine Verbindung eingegangen. Die Intellektuellen hatten die Ideen geliefert, das literarische und akademische Proletariat war das "Sprachrohr" gewesen. Die eigentlichen Akteure auf der Straße waren jedoch aus den Reihen der Handwerker gekommen, genauer gesagt denjenigen unter ihnen, denen der Eintritt in diese Handwerkergesellschaft erschwert oder unmöglich gemacht wurde, den Gesellen. 6 Daß letztlich während der ganzen Revolutionszeit politische und soziale Interessen keine Einheit gebildet, sich sogar eher voneinander entfernt hatten, 7 dafür waren der am 15. Juli 1848 neben dem Paulskirchenparlament zusammen-

4 Diese Einschätzung ergibt sich aus der Auswertung der Akten GHAM Max 11. 74-5-15a und BayHStA Mlnn 45 786; ebenso bei L. Lenk, Revolutionär-kommunistische Umtriebe im Königreich Bayern, in: ZBLG 28 (1965), S. 586 ff., dort auch das Zitat, S. 592. Dies widerspricht der von W. Zorn, Gesellschaft und Staat im Bayern des Vormärz, S. 142, und von M. Spindler, Die politische Wendung von 1847/1848 in Bayern, S. 328, vertretenen Ansicht, daß alle Regierungspräsidenten den sozialen Charakter der Revolution verneint hätten. 5 R. Endres, Franken und Bayern im 19. und 20. Jahrhundert, Erlangen 1985, S. 78 ff.; L. Zimmermann, Die Einheits- und Freiheitsbewegung und die Revolution 1848 in Franken, Würzburg 1951, S. 237 ff. 6 Die Berichte der Regierungspräsidenten nennen als Beteiligte: Literaten, Ärzte, Advokaten, Lehrer, Schreiber, Staatsdienst-Aspiranten, herabgekommene Gewerbetreibende, einzelne Angehörige aus dem Bürger- und Gewerbestand. Reg.-Präs.-Berichte aus dem Jahr 1849, in: GHAM Max II. 74-5-15a. Vgl. hierzu etwa: R. Stadelmann, Soziale und politische Geschichte der Revolution von 1848, München 1948, S. 13 f.; W. Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt 1985, S. 42 ff.; J. Bergmann, Wirtschaftskrise und Revolution, Stuttgart 1986. Für Franken v.a.: L. Zimmermann, Die Einheits- und Freiheitsbewegung und die Revolution 1848 in Franken; W. Koeppen, Die Anfänge der Arbeiter- und Gesellenbewegung in Franken (1830-1852), Erlangen 1935, S. 55 ff.;.K. Rüdinger, Die Arbeiterbewegung in Bayern 1848-50, Bottrop 1934. 7 W. Koeppen, S. 39; Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, München 31985, S. 618 ff.

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getretene Handwerker- und Gewerbekongreß sowie der sich davon abspaltende Gesellenkongreß äußere Zeichen. Dennoch war es nicht die Art von Revolution gewesen, vor der Sozialphilosophen wie Franz von Baader gewarnt hatten und die sich Sozialrevolutionäre wie Büchner oder Marx und Engels gewünscht hätten. Hier hatte sich nicht das Heer der Besitzlosen formiert, um - getragen vom gemeinsamen Bewußtsein seiner benachteiligten Lage - die gesellschaftlichen Verhältnisse umzukehren. Im Gegenteil: Die Augsburger Fabrikarbeiterschaft, zu dieser Zeit die an einem Ort zahlen mäßig stärkste, hatte sich kaum an den Unruhen beteiligt. Ihr wurde sogar bescheinigt, "ihrer konservativen und loyalen Haltung wegen eine wahre Stütze für Ruhe und Ordnung in der Stadt"S gewesen zu sein. Auch in Augsburg waren es vor allem die bedrängten Handwerksmeister und die mit ihrem Status unzufriedenen Gesellen gewesen, welche die revolutionäre Situation zur Artikulation ihrer Forderungen genutzt hatten. 9 Dementsprechend schätzte der Bericht des dortigen Regierungspräsidenten die Arbeiterklasse als weniger geflihrliches Potential ein, wogegen er die Lage im Kleingewerbe als kritisch bezeichnete. \0 Die praktische Erfahrung widersprach somit eklatant den Vorurteilen, welche gegen die Arbeiter gehegt wurden. Etlichen Zeitgenossen schien sogar die Revolution wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen und nicht Ausdruck, sondern Ursache der Armut zu sein eine "Mißgeburt der Hölle", welche "die goldne Zeit vernichtet"l1 hatte. Aus dieser Perspektive erwies sich die Armut weniger als objektiv meßbarer Tatbestand denn als eine subjektiv empfundene Bewußtseinslage und damit als Ergebnis der Verbreitung demokratischer und republikanischer Ideen, von denen bereits Staatsdiener erfaßt wurden. 12 Was veranlaßte dann Max 11., so großes Augenmerk auf die "soziale Frage" zu richten? Schließlich beschäftigte er sich damit nicht nur in den kritischen 8 SWA-Archiv Augsburg, Schreiben der Direktion vom 29.11.1852, hier zitiert nach: I. Fischer, Industrialisierung, sozialer Konflikt und politische Willensbildung in der Stadtgemeinde, Augsburg 1977, S. 229. 9 Vgl. dazu I. Fischer, S. 227; zur geringen Beteiligung der Arbeiter in Bayern allgemein E. L. Shorter, Social Change and Social Policy in Bavaria, 1800-1860, Cambridge (Mass.) 1967, S. 614 tf. 10 Bericht des Reg.Präsidenten von WeIden über den Zustand und die Stimmung des Reg.Bezirkes Schwaben und Neuburg, o. Datum (wahrscheinlich Oktober (849), in: BayHStA Mlnn 45 786 (vgl. GHAM Max 11. 74-5-15a). 11 Anonyme Schrift a.d. Jahr 1849 (Verf. tituliert sich selbst als "der treueste Bayer Abraham a sancta Clara"), adressiert an den König, in: GHAM Max 11. 74-5-15a. 12 Vgl. dazu auch den Bericht des Reg.Präsidenten von OBay., 24.11.1848, wo sich eine ähnliche Argumentation findet: Die Beteiligung der Arbeiterschaft von München und Umgebung sei weniger durch eine akute Notlage verursacht worden als durch Demagogen, die den Arbeitern erst eingeredet hätten, daß sie sich in einer schlechten Situation befänden und auf Verbesserung dringen könnten. BayHStA MInn 45 786.

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Jahren 1848/49, sondern während seiner gesamten Regierungszeit, was ihm den Beinamen "sozialer König" eintrug. 13 Sein Interesse rur diese Problematik sowie die damit in engem Zusammenhang stehenden Lehren des Sozialismus und Kommunismus und der Wunsch, sozialpolitisch aktiv zu werden, reichten bis in die Kronprinzenzeit zurück. 14 Zu Beginn seiner Regentschaft fand sich Max 11. in einer Situation, in der durch die nationalen Forderungen und den Führungsanspruch Preußens die Souveränität von außen zur Disposition gestellt wurde, während sie gleichzeitig im Innern infolge der Brüche in der Gesellschaftsstruktur in die Diskussion geriet. Deshalb mußte es ihm zuerst darum gehen, den Konsens zwischen Staat und Gesellschaft wiederherzustellen und eine neue Vertrauensbasis zwischen Regent und Volk zu schaffen. Er erreichte dies durch liberale Zugeständnisse beim Regierungsantritt; es wird ihn aber ebenso in seiner Ansicht bestärkt haben, daß dem Staat vom Pauperismus ernstzunehmende Gefahr drohe. Endlich hatte das Übergreifen der Revolution auf Bayern auch den deutlichen Beweis geliefert, daß der bayerische Weg der sozial restaurativen Politik ebenfalls keine Sicherheit vor Veränderungen und Umwälzungen bieten konnte und somit gescheitert war. Max 11. war offenbar überzeugt, daß der Bau der Gesellschaft nicht zu halten sein würde, wenn das Fundament unterspült war, und er war offensichtlich entschlossen, Dämme zu errichten gegen Strömungen, die die unteren Klassen mitreißen und zur gefährlichen Flut werden lassen konnten. Das heißt nun nicht, daß er die 48er Erhebung als reine Sozialrevolte beurteilte. Seine Einschätzung der Lage stimmte eher mit der pragmatischen Sichtweise des Nürnberger Stadtbibliothekars Ghillany überein. Jener hatte in seiner 1849 erschienenen Druckschrift die soziale Frage als die weitaus wichtigere vor der politischen abgehandelt, weil der Mensch in erster Linie leben wolle, bevor er an Volksversammlungen denke. 15 Schärfer formuliert fand sich diese Einschätzung in den Berichten der Regierungspräsidenten, wo es hieß, die Arbeiter würden nur dann politisch aktiv, wenn sie ihre materiellen Interessen bedroht sähen. 16 Eine Ansicht, die auf der Gegenseite ihre Bestätigung fand, wenn Marx und Engels für das Scheitern der Revolution die 1849/50 zurückkehrende Prosperität verantwortlich machten. 17 Was in der historischen Analyse als Zusam-

\3 K. Möckl, S. 32. Vgl. dazu etwa auch die Handschreiben des Königs, in: BayHStA MInn 44 273/V1l bis XI. 14 G. Müller, S. 7 u. S. 21 f. 15 F. W. Ghillany, Ein Wort an die Bürger Nürnberg's und Bayern's überhaupt, Nürnberg 1849, S. 3. 16 Vgl. BayHStA MInn 45 786 sowie GHAM Max 11. 74-5-15a, hier v.a. den Bericht des Reg.Präsidenten v. Weiden (Schwaben u. Neuburg), vorgelegt am 26.10.1849. 17 MEW Bd. 7, S. 98, hier nach: E. Nolte, Marxismus und Industrielle Revolution, Stuttgart 1983, S. 363.

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menfallen der letzten Agrar- und Hungerkrise "alten" Typs mit dem ersten wirtschaftlichen Konjunktureinbruch "neuen" Typs beschrieben wird,18 war - wenn auch noch nicht in dieser Klarheit - den Zeitgenossen ebenfalls bewußt: Hier handelte es sich nicht mehr um eine reine Ernährungskrise im Gefolge von Mißernten, sondern vor allem um eine Erwerbskrise, der mit den sonst üblichen Hilfsmaßnahmen nicht zu begegnen war. Angesichts der Brisanz des Problems und überzeugt davon, daß ein Zusammenhang bestehen müsse zwischen Subsistenzkrise und Politisierung, machte sich der Monarch die Sorge für das Wohl der arbeitenden Klasse zu eigen. "Die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klasse wird stets ein Gegenstand Meiner vorzüglichsten Sorgfalt sein,,,19 verkündete er bereits wenige Tage nach der Thronbesteigung in einem Handschreiben an den Staatsminister des Innern, verbunden mit der Anweisung, Projekte der öffentlichen Hand vor allem im Eisenbahn-, Wasser- und Straßenbau zu fördern. Damit wollte der Staat einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten und erfüllte zugleich eine Forderung der Kammer der Abgeordneten. Zwar durchaus in der Tradition landesväterlicher Sorge für die Untertanen, vergab der Monarch hier keine direkten Hilfeleistungen, sondern versprach sich von dem indirekten Weg eines gesteigerten Arbeitsangebotes eine größere Wirkung. Vor allem betrieb Max 11. umfangreiche Ursachen forschung. Bereits die 1848 ausgeschriebene Preisaufgabe stellte die Frage nach Mitteln zur Abhilfe der materiellen Not,20 und in den eingeforderten Berichten zur Volksstimmung wurden Angaben zur wirtschaftlichen und zur Situation auf dem Arbeitsmarkt verlangt. Immer wieder holte der König Gutachten über die wirtschaftliche und soziale Lage ein oder diskutierte solche Fragen im engsten Beraterkreis, bei den Gesprächsrunden der "Symposien".21 18 Vgl. dazu W. Abel, Agrarkrisen und Agrarkonjunktur, HarnburgiBerlin 21966, S. 243 ff.; R. Rürup, Deutschland im 19. Jahrhundert 1815-1871, Göttingen 1984, S. 173 f. Einen Ansatz zur schärferen Differenzierung der einzelnen Sektoren leistet 1. Bergmann, Ökonomische Voraussetzungen der Revolution von 1848: Zur Krise von 1845 bis 1848 in Deutschland, in: GG Sonderheft 2 (1976), S. 254-287. 19 Handschreiben Max' 11. an den Minister des Innern, Frhr. v. Thon-Dittmer, 9.4.1848, in: BayHStA Mlnn 44 273/V1I. 20 Das Thema der Preisaufgabe lautete: "Durch welche Mittel kann der materiellen Noth der unteren Klassen der Bevölkerung Deutschlands und insonderheit Bayerns arn zweckmäßigsten und nachhaltigsten abgeholfen werden". Die Zahl von 656 eingegangenen Schriften - allein 547 aus Bayern - belegt die allgemein hohe Sensibilität flir das Problem. Einen knappen Einblick in die Inhalte der Schriften gibt J. Seitz, "Wie ist der materiellen Noth der unteren Klassen abzuhelfen?". Eine sozial historische Quelle zu Problemen der Industrialisierung in Bayern im 19. Jahrhundert, in: Aufbruch ins Industriezeitalter, Bd. I, München 1985, S. 156-168. 21 Im April 1848 gab Max 11. z.B. eine Skizze über das Proletariat bei Min.Rat v. Hermann in Auftrag. Zur Diskussion der sozialen Frage bei den Abendunterhaltungen

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Wie auf allen Gebieten seiner politischen Tätigkeit, filterte Max 11. seine politischen Entscheidungen aus einer Fülle möglichst umfassender und rationaler Kenntnis der Problemlage heraus, was seiner "Tendenz zu enzyklopädischem, systematisch-theoretischem Durchdringen der anstehenden Fragen,,22 entsprach. In bezug auf die "soziale Frage" bedeutete dies, daß die Antwort nicht mehr aus kurzfristigen Hilfsmaßnahmen als Reaktion auf akute Notfillle bestehen, sondern daß das Problem in seinem Gesamtzusammenhang erforscht werden sollte, um das Übel sozusagen an der Wurzel packen zu können. Damit wurde der erste Schritt weg von der Sozialfürsorge und hin zur Sozialpolitik getan. Dies setzte zumindest das Eingeständnis voraus, daß die Veränderungen der Gesellschaftsstruktur bereits so weit fortgeschritten waren, daß die alten Institutionen zur Versorgung und Absicherung in Notlagen nicht mehr ausreichten. So war ja in der Tat mit der Auflösung der Zünfte nicht nur deren wirtschaftliches Regulierungsmonopol, sondern ebenso deren soziale Unterstützungsfunktion beseitigt worden. Die Einschätzung der Revolutionsereignisse hatte ergeben, daß die eruptive Entladung der politischen Spannungen in der Revolution von einer langfristigen, strukturellen Krise im sozialen Bereich unterfüttert gewesen war. Da die Fortdauer der sozialen Spannungen eine stete latente Bedrohung des politischen Systems in sich bergen würde, akzeptierte der Staat insoweit eine - wenn auch noch sehr begrenzte - Verpflichtung zu sozialpolitischem Handeln. Neben der Diagnose interessierten also zunehmend die "Heilmittel". Aus der Sicht vieler Zeitgenossen schien es sich ohnehin eher um eine Krise der Gesellschafts- denn der Wirtschaftsstruktur zu handeln. In den zur Preisaufgabe eingegangenen Schriften wurde die Not der unteren Klassen als Indiz für eine vorhandene Spaltung der Gesellschaft gewertet oder zumindest als Anzeichen dafür, daß die Beziehungen der Stände zueinander aus dem Gleichgewicht geraten waren. Es wurde eine Armut beobachtet, deren neue Qualität darin bestand, daß sie nicht mehr einzelne erfaßte, sondern eine bestimmte Klasse des Volkes, den sogenannten "vierten Stand", auch bezeichnet als der "gemeine{nJ Mann" oder als "der Stand, weIcher ohne Specu/ation arbeitet für das tägliche Brod.,,23 Diese Armut konnte nicht mehr mit dem absoluten Unvermögen des Existenzerhalts

vgl. G. Müller, S. 74 ff.; H. Rall, Ausblicke auf Weltentwicklung und Religion im Kreise Max' 11. und Ludwigs 11., in: ZBLG 27 (1964), S. 488-522, hier v.a. S. 512 ff. 22 H. Gollwitzer, Fürst und Volk, in: ZBLG 50 (1987), S. 736. 23 F. Rohmer, Der vierte Stand und die Monarchie, München 1848, S. 8. Damit steht diese Definition synonym ftir den Begriff "Arbeiter" bzw. "Arbeiterklasse", wie er in den Quellen der Revolutionszeit verwendet und seit den I 830er Jahren erweitert worden war. Er umfaßte dann den gesamten Bereich der unselbständigen, großenteils lohnabhängigen Arbeiterschaft, also neben den Fabrikarbeitern auch Teile der Handwerksgesellen und Heimarbeiter, städtisches Gesinde sowie Tagelöhner und Gelegenheitsarbeiter. Nach: J. Bergmann, Wirtschaftskrise und Revolution, Stuttgart 1986, S. 12 f.

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gleichgesetzt, sondern mußte in Relation zum Lebensstandard der anderen Stände sowie den Zeit- und Einkommensverhältnissen gesehen werden. 24 Darin lag denn auch die eigentliche Herausforderung durch den Pauperismus: Mit dem Selbstverständnis einer Gesellschaft, die sich auf einem kulturell fortgeschrittenen Niveau begriff, konnte die Ausgrenzung einer ganzen Gruppe aus der Gesamtstruktur nicht vereinbart werden. Das verlieh dem Pauperismus den Charakter des Ordnungswidrigen (im Sinne des Regellosen) und Staatsgefiilirdenden; deshalb konnte er nicht mehr als von Gott gewollte Armut, sondern mußte als vom Menschen verschuldete Not betrachtet werden. 25 Insofern bestand Einigkeit darüber, daß sich "wahre Regentenweisheit" in der Sorge rur den vierten Stand zeigen würde; darin läge "der eigentliche Cardinalpunkt aller Regierungskunst in unsrer Zeit. ,,26 Die Ansichten darüber, auf welche Weise das Problem gelöst werden konnte, differierten dagegen zum Teil recht erheblich. Aus der Fülle unterschiedlichster Lösungsvorschläge sollen hier diejenigen vorgestellt werden, deren Ansatz zu einer Verdeutlichung der Haltung des Monarchen beitragen kann. Je mehr die Notlage der unteren Volksklassen als "allgemeines Zeitgebrechen,,27 eingestuft wurde, desto weniger wurde von konkreten Regierungsrnaßnahmen erwartet, sondern die Überzeugung vertreten, daß nachhaltige Hilfe nur vom Volk selbst ausgehen könne. Die Kritik richtete sich hierbei weniger gegen den Monarchen als gegen ein Bürgertum, welches der irrigen Meinung sei, "mit äußern Mitteln sei der socialen Bewegung abgeholfen.,,28 Dringend notwendig

24 Vgl. E. Fabri, Der Nothstand unserer Zeit und seine Hebung, Erlangen 1850, S. 14, der darauf hinwies, daß mit steigendem Volkswohl stand auch Armut und Not verhältnismäßig größer erscheinen würden. 25 So argumentierte z.B. Ministerialrat Kleinschrod, der sich im Auftrag der bayerischen Staatsregierung mehrmals in England aufgehalten hatte, um die dortigen Wirtschaftsverhältnisse zu analysieren. Er schrieb 1849 in einer Druckschrift über "Die neue Armengesetzgebung Englands und Irlands": "Massenverarmung ist unvereinbar mit aller intellektuellen und sittlichen Kultur, unvereinbar mit der Sicherheit der Personen und des Besitzes und mit der öffentlichen Freiheit;" insofern mindere sie die Legitimationsbasis der Staatsgewalt. C. Th. Kleinschrod, a.a.O., Augsburg 1849, S.28. Vgl. hierzu etwa auch J. M. Maier, Die Noth der untersten Volksklassen und ihre Abhilfe, Erlangen 1849, S. I ff., der deshalb streng unterschied zwischen Paupertät als der eigentlichen Armut und Pauperismus als Armutsverwilderung (S. \3 f). Mit der Veränderung der Perspektive befaßt sich H. KIebeI, Das Pauperproblem in der Zeit des Spätmerkantilismus und beginnenden Liberalismus in Bayern, München 1955. Zur früheren Behandlung der Armenfrage s. etwa A. Baumann, "Armut muß verächtlich bleiben ... ", in: R. van Dülmen, Kultur der einfachen Leute, München 1983, S. 151-179; dies., "Armuth Ist Hier Wahrhaft Zu Haus ... ", München 1984. 26 J. M. Maier, S. 6. 27 E. Fabri, S. 3; ähnlich 1. M. Maier, S. I. 28 L. Merz, Ueber die Linderung des herrschenden Nothstandes, Regensburg 1850, S.115.

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wäre vielmehr die Erneuerung solcher Tugenden wie Gemeinsinn, Gehorsam und Opferwilligkeit, deren Verlust als Folge eines allgemeinen Entchristlichungsprozesses beklagt wurde. Bei dieser Argumentation verbanden sich die Zuweisung der Fürsorge für die verarmten und entsittlichten Massen an den Monarchen und die Forderung nach einer Wiederbelebung des Christentums in der Gesellschaft zum hinlänglich bekannten Gedanken der wohltätigen Wirkung der "Inneren Mission". Die Bemühungen des Königs beinhalteten zwar durchaus die Komponente der Wohltätigkeit im Sinne christlicher Nächstenliebe, erfolgten jedoch in deutlicher Abgrenzung von der Kirche als Institution. Mit der Gründung des St. Johannisvereins 1853 sollte zum Beispiel die freiwillige und private Armenpflege zusammengefaßt und koordiniert werden. Im Verbund mit weiteren Hilfs- und Unterstützungsanstalten wie etwa Rettungshäusern für verwahrloste Kinder oder Getreidemagazinen,z9 die sämtlich den Charakter flankierender Maßnahmen trugen, unterschieden sich solche Hilfsangebote in der Tat nicht wesentlich von der Armenpflege, wie sie bereits in früheren Zeiten vor allem von kirchlicher Seite geleistet worden war. Tendenziell wurde hier der Pauperismus mit dem Stigma des Krankhaften und Unsittlichen belegt. Er schien nicht allein die Folge der Stellung des einzelnen innerhalb der Gesellschaft, sondern in gleicher Weise die Konsequenz einer falschen Erwartungshaltung an eben diese Gesellschaft zu sein - ein Vorwurf, der beide Seiten traf: die Kapitalisten, weil sie Staat und Gesellschaft für ihre egoistischen Interessen mißbrauchten, die Proletarier, weil sie die bestehende Gesellschaftsordnung und die geltenden Rechtsbegriffe nicht anerkennen wollten. 30 Damit sei eingetreten, wovor bereits vor der Revolution gewarnt worden war: das Auseinanderfallen der Gesellschaft in atomistische Teile. Als gegensteuernde Maßnahme empfahl das religiös motivierte Schrifttum eine Neugestaltung des deutschen Volkslebens aus dem Christentum. Bezogen auf den Staatshaushalt würde dies bedeuten, daß das Wohl des Volkes absoluten Vorrang vor fiskalischen Erwägungen erhalten müsse, was in der Praxis etwa heiße: keine neuen Staatsschulden, Einschränkungen bei Staatsausgaben, allgemeine Vermögens- und Einkommensbesteuerung bei gleichzeitiger Verringerung der indirekten Steuem, die vor allem die unteren Klassen belasteten. Eine Nationalökonomie nach christlichen Grundsätzen müsse sich in erster Linie

Vgl. dazu G. Müller, S. 63 ff. Belege hierzu finden sich etwa bei J. M. Maier, S. 32 f. bzw. S. 17, der als charakteristische Kennzeichen des Pauperismus anführte: Neid und Unzufriedenheit, Genußund Prunksucht, Hang zu Trägheit und Nichtstun, Verblendung, Verkehrung aller Rechts- und Sittlichkeitsbegriffe, Feindschaft gegen alles Bestehende und alle Ordnung, Ungehorsam, Zügellosigkeit, Neigung zu Aufruhr und Empörung, Mangel an Pietät und Religiosität bis zur Gottlosigkeit. (S. 14 f.) 29

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durch ihre Schutzfunktion auszeichnen: Schutz der einheimischen Industrie vor dem Ausland, Schutz der Gewerbe gegen Industrie und Kapital, Schutz des Akkerbaus, Schutz der Arbeit und der Arbeiter gegen Arbeitgeberwillkür. 31 In der Konsequenz favorisierte dieser Gesellschaftsentwurf bei der sich daraus ergebenden Wirtschaftsstruktur letztlich wieder das sogenannte "ächte Bürgerthum",32 das in seiner MittelsteIlung zwischen Kapital und Proletariat allein Ruhe und Ordnung garantieren könne und deshalb gestärkt werden müsse. Dagegen hafteten dem Fabrikwesen und dem Proletariat per se der Ruch des Ordnungs- und Sittenwidrigen an, weshalb ihnen zumindest möglichst enge Grenzen gezogen werden müßten, wenn sie schon nicht mehr vollends eliminiert werden könnten. So akzeptierte dieses Gesellschaftsmodell zwar das Vorhandensein eines Proletariats, verknüpfte damit jedoch die Zielvorstellung, mittels der angeführten Maßnahmen dessen Umfang so gering halten zu können, daß es seine gesellschaftspolitische Relevanz einbüßen mußte.

2. Veränderte Gesellschaftsstruktur als Folge wirtschaftlichen Wandels Einen ganz anderen Ansatz, der den neuen Wirtschaftsformen auch mit einer anderen Gesellschaftsstruktur Rechnung tragen wollte, vertrat Wilhelm Heinrich Rieh\. In seinem Hauptwerk "Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik",33 entstanden in der ersten Hälfte der 1850er Jahre, gelangte jener zu einer gänzlich anderen Beurteilung des vierten Standes, sowohl was die Dauerhaftigkeit dieses Phänomens als auch was die Rollenzuweisung innerhalb der Gesellschaft betraf. Riehl war 1854 vom König nach München geholt worden, wo er eine Ehrenprofessur an der Staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität erhalten hatte 31 S. die Ausführungen bei J. M. Maier, S. 66 ff. (v.a. S. 85 ff.). nachdem er als tiefere Ursache den Verlust christlicher Prinzipien im Staatsleben wie in der Nationalökonomie ausgemacht hatte. Etwas gemäßigter, aber dennoch für Religion und Wiederbelebung des Christentums als Fundament z.B. L. Merz. S. 110 ff. (v.a. S. 116); E. Fabri, S. 54 ff. (v.a. S. 71); N. v. Schlichtegroll, Beitrag zur Lösung der Preisaufgabe: Durch welche Mittel kann der materiellen Noth der unteren Klassen der Bevölkerung ... abgeholfen werden?, München 1849, S. 9 ff. 32 J. M. Maier, S. 89. Er schätzte an diesem Bürgertum dessen "tiefgehenden sittlichen Einflusse auf das Wohl des Staatsganzen" und verlangte zu dessen Stärkung eine "im Christenthume wurzelnde rationelle Gewerbeordnung". 33 W. H. Riehl, Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik, Bd. I: Land und Leute, StuttgartlTübingen 1854. Bd. 2: Die bürgerliche Gesellschaft, StuttgartlTübingen 21854, Bd.3: Die Familie. Stuttgart/Augsburg 1855; daraus alle folgenden Zitate. Durch das 1851 erstmals bei Cotta erschienene Werk "Die bürgerliche Gesellschaft" und den folgenden Band "Land und Leute" war Max 11. auf Riehl aufmerksam geworden.

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und daneben vielfach publizistisch tätig wurde. 34 Außerdem war er ein Teilnehmer der bereits erwähnten "Symposien", jener abendlichen Diskussionsrunden von Wissenschaftlern, Gelehrten und Dichtem um den König, bei denen aktuelle Probleme wie zum Beispiel die soziale Frage erörtert wurden und der Geist der Zeit erfaßt werden sollte. Riehl kann jenem Teil des konstitutionellliberalen Bürgertums zugerechnet werden, welcher nach Analyse des Revolutionsverlaufs zu dem Schluß gekommmen war, daß einer möglichen Verfassungsreform notwendigerweise eine Reform der Gesellschaft vorangehen müsse. 35 Damit rückte die "sociale Politik ... als die eigentlich entscheidende Politik der Gegenwart,,36 in den Mittelpunkt des Interesses; die Gesellschaftsstruktur wurde entscheidender als die Staatsform. In diesem Sinne plädierte Riehl für eine "Wissenschaft vom Volke", welche die Gesellschaft zeige, wie sie sei, und nicht, wie sie sein solle, ein Verfahren, an dessen Anfang das Studium des Volkes anstelle staatsrechtlicher Systeme stehen sollte. 37 Er wollte deshalb keine neue Theorie aufstellen; seine Wissenschaft sollte vielmehr empirisch vorgehen und den Staatsmännern Entscheidungshilfen für die Praxis liefern. Als "allererste Vorbedingung zu einer zweckmäßigen Verwaltung des Landes,,38 hielt er die Kenntnis von Land und Volk für unerläßlich. Hier stimmte er mit Max 11. überein, der Riehls Interesse an der Förderung der sozialen Wissenschaft teilte. 39 Eine Verwaltung, die sich in buchhalterischem Eifer auf das Zählen, Messen und Wägen beschränkte und deren einziges Ziel in der Mehrung des materiellen Nationalwohlstandes bestand, verfehlte nach Riehls Ansicht ihre Aufgabe völlig. 34 Neben seiner Funktion als "Oberredakteur der Preßangelegenheiten" im Ministerium des k. Hauses und des Äußern erhielt Riehl die Redaktion der "Neuen Münchner Zeitung". Zusätzlich vertraute ihm der König die Weiterführung einer vollständigen ethnographischen Beschreibung Bayerns an und übertrug ihm mit der Herausgabe der "Bavaria" die Realisierung seiner eigenen Idee einer Landes- und Volkskunde Bayerns. Zu Riehls Biographie vgl. auch J. v. Altenbockum, Wilhelm Heinrich Riehl 1823-1897, Köln/Weimar/Wien 1994, S. 10 ff. 35 Vgl. dazu W. H. Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft, S. 14. Nach eigener Aussage Riehls hatten die RevoJutionsereignisse bei ihm bewirkt, daß er bewußt, d.h. "aus einer tieferen Erkenntnis konservativ geworden" war. Ders., Nassauische Chronik des Jahres 1848. Das ist: Die Geschichte der Erhebung des Nassauischen Volkes, Wiesbaden 1849, S. 89, hier zitiert nach: F. Simhart, Bürgerliche Gesellschaft und Revolution, München 1978, S. 149. 36 W. H. Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft, S. 15. So bestand nach Ansicht Riehls die Schwäche Preußens darin, daß es die gesellschaftlichen und sozialen Mächte vollständig dem Absolutheitsanspruch der Staatsidee unterordnete. Ebd., S. 7 f. 37 Ebd., S. 30 ff., v.a. S. 30 u. S. 33. 38 Ders., Vorschläge zur Förderung der socialen und staatswissenschaftlichen Studien, Handschreiben an König Max 11., Januar 1856, in: GHAM Max 11. 78-2-117, Nr. 27.5.1. 39 Vgl. dazu A. Hornig, Wilhelm Heinrich Riehl und König Max 11. von Bayern, München 1938, S. 9, S. 46 ff., S. 70 ff., S. 77.

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In ähnlicher Weise kritisierte er an den Nationalökonomen einen Materialismus, "der da wähnt, in den Naturgesetzen des Marktes sei zugleich die ganze Moral des Erwerbslebens gegeben".40 Die Nationalökonomie ließ er nurmehr als Hilfsdisziplin der Wissenschaft vom Volke gelten. Sozialpolitik müsse mehr beinhalten als bloße Wirtschaftspolitik, deren Reduzierung auf die Faktoren "Arbeit" und "Besitz" die geistige Seite, die "Gesittung" eines Volkes, vernachlässige. Diese wiederum sei konstitutiv flir die bürgerliche Gesellschaft, welche sich erst dadurch von der reinen Erwerbsgesellschaft unterscheide. Gemäß Riehls Definition, daß im Gemeinleben Gesittung aus Arbeit und Besitz resultiere, wurde der Arbeit eine moralische Komponente beigelegt, infolge deren das sittliche Motiv bei einer Tätigkeit höher bewertet werden mußte als das rationale Kalkül des Ertrags. Wenngleich also der Fabrikarbeiter wirtschaftlich zwar meist besser gestellt sei als der Handwerksgeselle, könnten sich doch im gesellschaftlichen Kontext eher Nachteile ergeben - etwa infolge der Auflösung des Familienlebens oder der Kluft zwischen Fabrikherr und Arbeiter -, welche den Gesellschaftsfrieden nachhaltig zu stören vermochten. 41 Diese Argumentation bedeutete eine klare Absage an den Wirtschaftsliberalismus Smithscher Prägung. Trotzdem flirchtete Riehl die Industriearbeiterschaft keineswegs als das bedrohliche Vorzeichen einer Auflösung der Gesellschaft. Schließlich würden Lohnarbeiter und Tagelöhner nur einen Teil jenes vierten Standes ausmachen, dessen gesellschaftspolitisch relevantes Kriterium weniger die Besitz- und Kapitallosigkeit als vielmehr das Prinzip der Negation sei. Er bezeichnete ihn deshalb auch als "Stand der Standeslosigkeit", die "Vemeinung seines Standes wie der Stände überhaupt",42 das Volk an und für sich, welches mit seiner Theorie der sozialen Nivellierung das Ende der organisch gegliederten Gesellschaft anstrebe. Die eigentlich kritische Masse stellten darin laut Riehl die aus allen anderen Ständen Herabgesunkenen dar und hier wiederum das gebildete Proletariat, bei dem die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit am weitesten auseinanderklaffte. 43 Im Gegensatz dazu hätten die Arbeiter eine Zukunft vor sich und damit ein Recht auf Anerkennung als Gesellschaftsgruppe. Sein Vorschlag zur Lösung des Problems zielte demnach auf Integration der Arbeiter als eigenständiger 40 W. H. Riehl, Ueber den Begriff der bürgerlichen Gesellschaft, München 1864, S.8.

41 Ebd., v.a. S. 3 u. S. 7. 42 Ders., Die bürgerliche Gesellschaft, S. 274 tT., Zitate S. 274 u. S.275. Der Vorwurf der Nivellierungstendenz traf übrigens in gleicher Weise den bürokratischen Staat wie den Altliberalismus, S. 284 ff. 43 Ebd., S. 291 ff u. S. 343 f An anderer Stelle bezeichnete er die "Proletarier der Geistesarbeit" als "die eigentliche ecclesia militans des vierten Standes" (S. 305) und nannte hier v.a. das Literatenturn (S. 324 ff) sowie das Beamtenproletariat (S. 336 ff.).

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Gruppe in die Gesellschaft, wenn auch ohne politische Rechte. Zum einen beseitigte er damit die Antinomie, daß sich gerade die der umstürzlerischen Gesinnung verdächtige Arbeiterklasse an den Ausschreitungen während der 48er Revolution am wenigsten beteiligt hatte. Zum andern wurde die Industriearbeiterschaft nicht mehr mit dem bedrohlichen Stigma der Tendenz zur Auflösung der Gesellschaftsordnung qua Klassenkampf behaftet. Das ebnete den Weg fur eine pragmatische Behandlung der sozialen Frage. So sehr sich Riehls Neuordnungsvorschlag einerseits an den vorgegebenen Bezugsrahmen hielt, so revolutionär war sein Konzept doch andererseits. Die Eingliederung der Arbeiterschaft gelang ihm nämlich nur, weil er neben Besitz und Bildung gleichermaßen den Beruf als Merkmal zur Bestimmung des Standortes innerhalb der Gesellschaft gelten ließ. Verwandte Berufsgruppen verbanden sich demnach zu Ständen, deren Kennzeichen die jeweils entsprechende Gesittung war und deren Summe wiederum die Gesellschaft ausmachte. 44 Mit Recht konnte Riehl seinen Standesbegriff als modem bezeichnen, weil er mit dieser Definition tatsächlich dem neuzeitlich-bürgerlichen Schichtenbegriff'5 näher stand als dem mittelalterlich-ständischen Ordnungsmodell. Daß sich dennoch keine völlig mobile Gesellschaft entfalten konnte, lag daran, daß Riehl einen Dualismus anderer Art konstatierte. Die Trennlinie verlief seiner Ansicht nach zwischen den Ständen des Beharrens, Adel und Bauern, und den Ständen der Bewegung, Bürgertum und viertem Stand. 46 So ergab sich eine neue Dichotomie zwischen einem Teil der Gesellschaft, dessen Basis der Grundbesitz bildete, und dem Teil der Gesellschaft, dessen Strukturmerkmal das Kapital war. Zugleich wurde die bestehende Ungleichheit als eine in der Natur des Volkes liegende beschrieben, weil sie jene organische Gliederung evoziere, weIche die historische Gesellschaft vom "großen Urbrei des eigentlichen Volkes" wie im Sozialismus unterscheide. 47 Zu naturgeschichtlichen Tat44 Ders., Ueber den Begriff der bürgerlichen Gesellschaft, S. 9 ff. 45 Zum modemen Schichtenbegriff vgl. etwa Bolte/Kappe/Neidhardt, Soziale Ungleichheit, Opladen 41975, S. 14 f.: Schicht wird hier definiert als eine Anzahl von Menschen, die sich hinsichtlich sozial relevanter Merkmale gleichen, wobei sich mit den Merkmalsabstufungen sowohl gesellschaftliche als auch entsprechende Verhaltensdifferenzierungen verbinden müssen. 46 Vgl. W. H. Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft; die Einteilung wurde bereits im Inhaltsverzeichnis ersichtlich. Diesen Dualismus innerhalb der Gesellschaft übertrug er dann auf deren Organisation in Land- und Stadtgemeinden (S. 197 bzw. Bd. I, Land und Leute, S. 94). 47 Ebd., S. 276. Das sogenannte Mißverhältnis zwischen Arbeit und Kapital sowie die ungleichen Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft verteidigte Riehl als individuell menschlich: "Bei der Gesellschaft der Hunde, der Pferde, des Rindviehs u.s.w. herrscht vollständige sociale Gleichheit. Die völlige Ausgleichung der gesellschaftlichen Gegensätze ließe sich nur herstellen durch ein goldenes Zeitalter der allgemeinen Dummheit und des allgemeinen Elendes, nicht aber der völlig gleichmäßigen Bildung und des völlig gleichmäßigen Besitzes. Diese allgemeine gewaltsame Nivellirung der Gesellschaft

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sachen erhoben, sollten die Erkenntnisse seiner empirischen Wissenschaft gegen einseitig politische Parteilehren zur Anwendung kommen 48 - auch das verstand Riehl unter sozialer Politik. Folglich mußte seiner Meinung nach eine Lösung der sozialen Frage nicht beim Verhältnis von Kapital und Arbeit ansetzen, sondern beim "Verhältniß der Sitte zur bürgerlichen Entfesselung." Denn: "Die sociale Frage ist zuerst eine ethische, nachher eine ökonomische. ,,49 Konkret bedeutete dies im Hinblick auf die Fabrikarbeiterschaft, daß sie als Körperschaft organisiert, ihr Familiensinn gestärkt und die Hilfe zur Selbsthilfe gefördert werden sollte, um sie auf diese Weise selbständig zu machen. Schließlich würde eine Aufwertung der Arbeit nicht nur dem Nationalwohlstand zugute kommen, sondern zugleich dem literarischen Proletariat den Boden entziehen. Letztlich ging es also auch Riehl um eine Verminderung des vierten Standes, jedoch auf dem Weg eines Umbaus der Gesellschaft in eine Form, die dessen produktive Teile in ihre Struktur aufnehmen konnte. Gerade an dieser Verknüpfung von sozialer und Gesellschaftspolitik entzündet sich bei neuerer Rezeption heftige Kritik an Riehl. Soziale Eingriffe dieser Art würden zur sozialen Therapie im Sinne der Stabilisierung der historischen Sozialordnung des Volkes gerinnen. 5o Hervorgegangen aus der Intention des Bürgertums, der Bedrohung durch die soziale Revolution entgegenzuwirken, ließen sie emanzipatorischen Ansätzen zur gesellschaftlichen Veränderung keinen Raum. Politik reduziere sich somit zur bloßen Rechtfertigung des Bestehenden im Rahmen einer "Regierungswissenschaft".51 Meines Erachtens sind Riehls desillusionierte Abkehr von der liberalen Verfassungsbewegung und seine pragmatische Hinwendung zur aktuellen Situation der Gesellschaft durchaus auch symptomatisch für die Schwierigkeiten, welche die bürgerlich-liberale Mitte nach der Revolutionserfahrung von 1848 bei ihrer Standortsuche hatte. 52

ist jedenfalls die consequenteste Reaction, denn sie greift ... zurück auf Adam und Eva." Ebd., S. 371. 48 Ders., Land und Leute, S. 15 f. 49 Ders., Die bürgerliche Gesellschaft, S. 355; für die folgenden Ausführungen vgl. S. 350 ff., v.a. S. 359, bzw. S. 331 f. u. S. 324. so C. Jantke, Riehls Soziologie des vierten Standes, in: Soziale Welt 2 (1951), S. 244. SI F. Simhart, S. 184. 52 Dazu allg.: L. Gall, Liberalismus und "bürgerliche Gesellschaft", in: ders. (Hrsg.), Liberalismus, Königstein/Ts. 31985, S. 173 ff. Gall unterscheidet zwischen einer dogmatischen, einer opportunistischen und einer revisionistischen Reaktionsweise. (S. 174f.)

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3. Modernisierung und soziale Politik in der Herrschaftskonzeption Max' 11. An dieser Stelle muß jedoch die Frage gestellt werden, wie weit beim König die Übereinstimmung mit Riehls Vorstellungen reichte. War Ludwig I. der "bürgerlichen Revolution" gewichen, so fürchtete Max 11. die "soziale Revolution". Wo beim Vater die Behauptung der Rechte des Monarchen gegenüber der Verfassungsbewegung im Vordergrund gestanden hatte, sah der Sohn die Bewahrung der Monarchie vor sozialer Erosion als zentrale Aufgabe an. Der vierte Stand wurde als das Element ausgemacht, welches in seiner heterogenen Mischung die ständische Ordnung, mit seiner Tendenz zur Nivellierung aber ebenso einen reformerischen Umbau der Gesellschaft gefährdete. Wurde damit zwar einerseits seine Existenz als Gesellschaftsgruppe eigener Qualität nicht geleugnet, sollten andererseits gerade deshalb Konzepte zur Integration entwickelt werden. Max 11. hielt es für "die größte Aufgabe unserer Zeit, die Gesellschaft in ihren einzelnen Theilen richtig zu organisieren".53 Er erkannte also durchaus einen Zwang zur Modernisierung der Gesellschaft, wobei die anzustrebende Neustrukturierung selbstverständlich der Monarchie eine tragfiihige Basis bieten mußte. Unter diesem Aspekt bestand das soziale Engagement des Königs aus einer Mischung von monarchischer Sorge für die Untertanen und Sorge um die Monarchie. "Der vierte Stand und die Monarchie" Seite an Seite einem gemeinsamen Ziel entgegen? So jedenfalls hätte es Friedrich Rohmer in seiner kurz nach der Revolution erschienenen Druckschrift dieses Titels54 gerne gesehen, in der er die Brisanz der sozialen Problematik am Beispiel Frankreichs55 erläuterte. Mit dem Argument, dieses eigentliche Volk stelle ihre neue Machtbasis dar, wies S3 Max 11. bei der Abendunterhaltung am 24.4.1856 in einem Gespräch mit B1untschli, Riehl, Bodenstedt, Dollmann, Liebig, Löher und Heyse; zitiert nach: H. Rall, S.513. 54 F. Rohmer, Der vierte Stand und die Monarchie, München 1848. Zur schillernden Persönlichkeit des Verfassers sowie den Ideen des Rohmer-Bluntschlikreises vgl. A. O. Stolze, "Der vierte Stand und die Monarchie", in: ZBLG 8 (1935), S.27-83. Rohmer hätte noch für Ludwig I. im März einen Proklamationsentwurf ausarbeiten sollen, war damit jedoch zu spät gekommen. Den wesentlichen Gedanken seines Konzeptes, die Sozialpolitik der Krone im Interesse der unteren Klassen, führte er dann in der o.g. Broschüre aus, die Anfang April erschien und auch Max 11. zugeleitet wurde. 5S Hatte vor 1848 meist England als das Zitierbeispiel in der Proletarierfrage gegolten, rückten nun die Ereignisse in Frankreich in den Brennpunkt des Interesses, weil sie als Beleg dafür galten, daß dem Pauperismus das System des Sozialismus inhärent sei. Erst in der Verbindung mit der Arbeiterfrage berge das Gleichheitsprinzip die Gefahr einer Umwälzung der Gesellschaft in sich. C. Th. Kleinschrod, Die neue Armengesetzgebung Englands und Irlands, S. 20 ff.

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Rohmer der Krone den größten Anteil bei der Lösung einer Aufgabe zu, die ihr noch dazu ganz allein vorbehalten bleibe. Denn während sie die Gesetzgebung mit den anderen Ständen teilen müsse, bedürfe die des Regierens unfähige Masse eines Vormunds, der für sie sorge. 56 Wie Riehl ging es Rohmer um ein gesundes Verhältnis und ein organisches Zusammenwirken der verschiedenen Stände. Mit der Verbindung von Monarchie und viertem Stand sah er die Rechte beider gewahrt, ohne daß dabei der Mittelstand beeinträchtigt worden wäre, der seine Freiheitsrechte in der Kammer absichern konnte. Dabei war Rohmer keineswegs konstitutionell-liberal eingestellt. In erster Linie wollte er die Monarchie retten, und mit seiner Idee vom Monarchen als Schutzherrn des Proletariats fuhrte er nur Gedanken weiter, die vor ihm bereits Kritiker wie Franz von Baader in Bayern oder Bettina von Arnim in Preußen entwickelt hatten, die Idee vom "sozialen Königtum". In Rohmers Darstellung wurde soziale Absicherung aber nicht nur als gesellschaftspolitische Notwendigkeit ausgewiesen, sondern ebenso als Legitimationsgrundlage der Monarchie im doppelten Sinn von Herrschaftsbasis und Herrschaftsausübung. Ganz nebenbei vollzog er hier eine klare Aufgabenteilung, die dem Bürgertum die Ausübung der Freiheitsrechte einräumte, während die Krone die Bedingungen fur deren Realisierung zu schaffen hatte. Damit wurden bereits Interessensphären markiert, um deren Abgrenzung sich das Bürgertum in der Folgezeit bemühen würde; denn "wenn die Monarchie die Volksinteressen begreift, so ist sie uns lieber als die Republik.,,57 Das Volk als Basis der Monarchie - so weit wollte Max 11. wiederum nie gehen. Er verstand sich eher als Anwalt des vierten Standes und seiner Gebrechen und in diesem Sinne einer Lösung der sozialen Frage verpflichtet. Damit bewies er Einsicht in eine veränderte Gesellschaftswirklichkeit, die sich als Folge der Kluft zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden ergeben hatte. Nun sollte versucht werden, diese Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Entwicklung und bestehender Gesellschaftsstruktur zu überwinden. Dabei ging es auch um die Frage, wer nach Abschaffung der Zünfte und Entstehen einer neuen Arbeiterklasse die soziale Verantwortung übernehmen sollte, nachdem in Frankreich während der Februarrevolution 1848 die Forderung nach der Republik mit dem "Recht auf Arbeit" verknüpft worden war.

56 F. Rohmer. S. 19 ff. 57 Ebd., S. 23. A. O. Stolze stellt Rohmers Gedankengänge sogar in eine Entwicklungslinie, die zum Sozialkonservatismus eines Victor Aime Huber, zu den "Kathedersozialisten" und bis zu christlich-sozialen Gedanken führt (S. 82). Er zitiert in diesem . Zusammenhang auch einen Brief Lassalles an V. A. Huber aus dem Jahr 1864. in dem dieser seine Bereitschaft erklärte, für ein soziales Königtum die konstitutionellen Theorien über Bord zu werfen (S. 83).

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Soziale Politik zielte somit in erster Linie auf eine Neugestaltung der gesellschaftlichen, nicht auf eine Umgestaltung der ökonomischen Verhältnisse. Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit rückte aus dieser Perspektive in den Hintergrund. Max 11. ging es darum, "die naturnothwendig bestehenden Ungleichheiten unter den Staatsangehörigen nach Kräftenzu vermitteln, damit dieselben nicht zu grell hervortreten, und dafür Sorge zu tragen, daß jeder innerhalb der von der Vorsehung ihm angewiesenen Sphäre wo möglich seine dieser Sphäre entsprechenden Bedürfnisse befriedige. ,,58 Selbst da, wo die materielle Notlage ins Blickfeld geriet, waren keine gezielten Eingriffe ins Wirtschafts system vorgesehen. Deshalb wäre es verfehlt, die von Max 11. im April 1848 geforderte Forcierung öffentlicher Baurnaßnahmen bereits als Staatsintervention im modemen Sinn bezeichnen zu wollen, wie dies Günther Müller tUt. 59 Zu einem antizyklischen Eingreifen in die Wirtschaft, wie es später J. Maynard Keynes als Theorie entwickelte, fehlten dem bayerischen Staat um die Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur der Wille, sondern auch die nötigen Erkenntnisse und Regulationsmechanismen. Vielmehr wurde die Förderung von Gewerbe und Handel stets im Gesamtzusammenhang eines ganzen Bündels politischer Maßnahmen gesehen, das auf Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände abzielte. Und auch dann wurde die Wirkung eher auf indirektem Weg über die Verbesserung der Ausbildung - also der Chancen - und Arbeiterassoziationen, durch "Hilfe zur Selbsthilfe" angestrebt. Die Abkehr von einem überkommenen Modell der Gesellschaft und die Hinwendung zur gesellschaftlichen Realität erlaubte es, den im Gefolge des wirtschaftlichen Wandels eingetretenen sozialen Wandel anzuerkennen. Andererseits wurde aus dieser Perspektive keine Aussicht auf die zukünftige Weiterentwicklung und - bezogen auf die Wirtschaft - die dem Kapitalismus inhärente Dynamik möglich. Dieser Mangel führte zu einer schwankenden und inkonsequenten Haltung gegenüber der Industrie, wie sie etwa bei Riehl deutlich wurde.

58 Handschreiben Max' 11. an das Ministerium des Innern, 12.9.1853, in: BayHStA Mlnn 44 273/1X. Horst Hesse verwendet deshalb flir seine Untersuchung, die sich mit dem gesamten Werk der Reformgesetzgebung der 60er-Jahre befaßt, den Begriff der "sogenannten Sozialgesetzgebung" und erläutert, daß unter dem Terminus "sozial" zur damaligen Zeit "die gesellschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen schlechthin, wertfrei und als Gegensatz zur Individualsphäre" verstanden wurden. Ders., Die sogenannte Sozialgesetzgebung Bayerns Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts, München 1971, S. 14. 59 G. Müller, S. 30 f.; neuerlich ders., König Maximilian 11. und die soziale Frage, in: König Maximilian 11. von Bayern 1848-1864, hrsg. vom Haus der Bayerischen Geschichte, Rosenheim 1988, S. 177. Weitaus vorsichtiger spricht P. Hefele von "neue[n] Dimensionen der Unterstützung, die in nuce Instrumente einer modemen, prozeßorientierten Wirtschaftsförderung beinhalteten." Ders., Wirtschaftspolitik in Bayern im Spannungsfeld von Staat, Kommunalverwaltung und Bürgerschaft, St. Katharinen 1998, S. 50.

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Einerseits wurde sie dem Adel als sozial wirksame und mit den Arbeiterinteressen solidarische Form der Kapitalanlage empfohlen. An anderer Stelle warnte Riehl jedoch vor einem übersteigerten Industrialismus, der die Gefahr des blanken Materialismus und die Tendenz zur Nivellierung in sich bergen würde. 60 Trifft somit Lenks Urteil zu, wonach Max 11. eine konservative Sozialpolitik betrieb?61 Betrachtet man die Maßnahmen von ihrem gesellschaftspolitischen Ansatz her, wird man ihm sicherlich zustimmen müssen. Die Gesellschaftsordnung sollte neu strukturiert werden, ohne daß sich die staatliche Ordnung änderte. Ziel war eine Neueinteilung der Gesellschaft, keine Umverteilung der Güter. Dabei ging es weder um gezielte Eingriffe in den ökonomischen Sektor noch um Arbeitsmarktpolitik. Dem entsprach, daß von Max 11. Anfang bis Mitte der 50er Jahre zwar immer wieder Vorstöße bezüglich einer Lockerung bei der Handhabung der Ansässigmachung und des gemeindlichen Vetos ausgingen, während auf dem Gebiet der Gewerbegesetzgebung die 1853 ergangene Vollzugsverordnung eine stärker restriktive Auslegung brachte. 62 Gleichzeitig muß jedoch berücksichtigt werden, daß nach 1848 die Zeit für Reformen von. oben in aufldärerischer Manier endgültig vorbei war - wie in Preußen auch. In ihrer Aversion gegen das "todte[n] Tabellenregiment der Bureaukratie,,63 waren sich alle Parteien einig, von den Konservativen über die Liberalen bis zu den Sozialisten und Kommunisten. Eine konsequente Umgestaltung der ökonomischen Strukturen von Staats wegen wäre schon deshalb voraussichtlich auf erbitterten Widerstand gestoßen und zum Scheitern verurteilt gewesen. Dennoch: Der Blick auf die "Gesellschaft ... , wie sie ist",64 machte endlich den Weg frei für eine Auseinandersetzung mit den veränderten und sich in immer mehr Bereichen durchsetzenden Wirtschafts- und Arbeitsverhältnissen. Dabei bedeutete deren Anerkennung noch nicht Akzeptanz, und gerade das hartnäckige Insistieren auf der Proletarierfrage zeigte das Bemühen des Staates, die

60 W. H. Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft, S. 186 u. S. 263; ders., Land und Leute, S.78. 61 L. Lenk, S. 575. 62 Die endgültige Revision sowohl der Gewerbe- wie auch der Ansässigmachungsgesetze im liberalen Sinn erfolgte erst im Jahr 1868 mit den Gesetzen vom 30. Januar bzw. 25. April. 63 W. H. Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft, S. 285. Als Beispiel für die Aversionen und Vorwürfe gegenüber der Bürokratie: F. Rohmer, Deutschlands alte und neue Bureaukratie, München 1848; "der Charakter der Büreaukratie ist der Formalismus, der die Besonderheiten des Lebens nach der starren mechanischen oder abstrakten Regel mißt, und vermöge dessen sie überall das menschliche Gefühl beleidigen muß, weil derselbe das Eingehen auf die individuellen Verhältnisse und die geistige und gemüthliche Würdigung der Fragen ausschließt." (S. 3) 64 W. H. Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft, S. 35.

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neuen ökonomischen Formen in die alte Staatsräson einzubinden. Insofern trug selbst dieser realpolitische Ansatz Modellcharakter. Doch eine soziale Politik, welche sich zum Ziel setzte, die aus der alten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung Herausgefallenen wieder einzugliedern, mußte auch den Wirtschaftssektor beeinflussen, selbst wenn sie in diesem Bereich keine direkten Eingriffe vornahm. Denn letztlich ging es dabei um nicht weniger als die Vereinbarkeit von sozialer und Wirtschaftspolitik oder - modem ausgedrückt - um die "Sozial verträglichkeit" der Wirtschaft.

11. Zögernde Anerkennung und Relativierung des Marktprinzips 1. Restaurative Gesellschaftsmodelle in der Sackgasse Die Auseinandersetzung mit der wirtschaftlichen Entwicklung und deren sozialen Folgen erschien umso dringlicher, als die Ereignisse des Jahres 1848 eben nicht nur als Erschütterung des politischen Systems empfunden worden waren, sondern auch als dramatische Zuspitzung der schwelenden Modernisierungskrise. Dabei spielte es keine Rolle, ob ganz allgemein der Fortschrittsdrang als im Wesen des Menschen angelegtes Streben nach Erhöhung der Lebensgenüsse und fortschreitender Kultur ausgemacht,65 ob der Konkurrenzkampf der Nationen untereinander auf dem Weltmarkt als Zwang zur Gegenwehr empfunden 66 oder ob nüchtern konstatiert wurde, daß sich kein Staat in Europa - außer vielleicht Rußland - isolieren könne, weil die Erschwerung von Fabrikgrundungen in einem Land nur zur Folge hätte, daß sie in einem anderen umso besser gedeiM. 1. Rüsch, Die Natur der Volkswirthschaft, Erlangen 1850, S. 67. E. Fabri, Der Nothstand unserer Zeit und seine Hebung, Erlangen 1850, S. 34 ff. Fabri schmückte diesen Vergleich mit Kriegsmetaphern aus und geißelte England als besonders rücksichtslosen Gegner in dieser Auseinandersetzung: "Was seine Gewerbe mit aller Anstrengung mit der Anwendung unermeßlicher Kapitale, die ihnen aus allen Ländern der Erde zuströmen, unterstützt durch den kühnen Unternehmungsgeist seiner Kaufleute, geschützt durch eine Flotte, die alle Meere beherrscht, begünstigt durch die insularische Lage so wie durch eine ungeheure Steinkohlen=Produktion nicht zu erreichen vermögen, das sucht es durch Prämien, durch Zölle, durch Rückzölle, durch Handelstractate zu erlangen." (S. 35) In völlig anderer Absicht, aber ebenso im Sinne einer unausweichlichen Konsequenz, zog Marx in seiner "Kritik der politischen Ökonomie" vor allem England als Beispiel zur Verdeutlichung der Gesetzmäßigkeit der kapitalistischen Produktionsweise heran mit der Begründung: "Das industriell entwickeltere Land zeigt dem minder entwickelten nur das Bild der eignen Zukunft." MEW, Bd. 23, Berlin-Ost 1977, S. 12 (= Vorwort). 65

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hen würden. 67 Selbst wer den neueren Entwicklungen skeptisch oder gar ablehnend gegenüberstand, akzeptierte damit letztlich das Fortschreiten der Zeit, dessen Unaufhaltsamkeit Wilhelm Joseph Behr in seiner "Polizei=Wissenschaftslehre" in die treffende und anschauliche Wagen metapher kleidete: "Wenn man den Wagen der Kultur oder fortschreitenden Reform von feme herbeirollen hört, und, aus Mangel an Vorsicht, an Muth oder Geschicklichkeit, nicht darauf gefaßt ist, oder es versäumt, sich im Vorüberrollen auf ihn zu schwingen, und einen Platz darauf einzunehmen, so braust der Wagen nichts desto weniger weiter, und zerquetscht wohl gar diejenigen, die ihn aufhalten möchten.,,68 Doch der blanke Fortschrittsoptimismus der Aufklärung, der bereits in der Vormärzzeit eine Relativierung erfahren hatte, war mit der Zäsur der Jahre 1848/49 endgültig diskreditiert. Wenn es deshalb darum ging, die Ziele des wirtschaftlichen Handeins sowie die Wege zu deren Erreichung abzustecken, wenn es schließlich darum ging, die Rolle zu definieren, die der Staat dabei zu spielen hatte, seine Aufgaben und Eingriffsmöglichkeiten zu umreißen, aber auch seine Grenzen aufzuzeigen, dann ergaben sich plötzlich ähnliche Schwierigkeiten, wie sie bei Riehls Konstruktion seines Gesellschaftsmodells zu beobachten gewesen waren. Das Problem resultierte in diesem Fall aus der Spannung zwischen Anerkennung der Unvermeidbarkeit des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts und dem Bemühen, damit einhergehende Verwerfungen in der Gesellschaftsstruktur möglichst zu vermeiden oder zumindest abzumildern. Zu welchen Definitionsproblemen, Unschärfen, ja Widersprüchen diese Schwierigkeiten führen konnten, soll am Beispiel eines weniger bekannten Autors, M. J. Rüsch, näher erläutert werden. 69 Der erste Widerspruch findet sich bereits dort, wo der Titel "Die Natur der Volkswirthschaft" das Vokabular des Gedankenguts der Aufklärung benutzt, hingegen eingangs die Herausbildung einer Theorie mit allgemeingültigen Gesetzen als unrealistisch verworfen wird. Solche Inkonsequenz durchzieht das ganze Werk, obwohl Rüsch sehr systematisch vorging: jeder der drei Wirtschaftszweige - Landwirtschaft, Technik, Handel - wurde erst nach seinem Wesen, dann nach seiner Wirkung auf den Staat und schließlich nach Zustand und Aufgabe Bayerns in dieser Hinsicht untersucht. Diese Abfolge wollte er zugleich als Stufenfolge im Sinne eines Zivilisations- und Kulturfortschritts verstanden wissen, was an die bei Friedrich List als

67 A. Frhr. v. Holzschuher, Die materielle Noth der untern Volksklassen und ihre Ursachen, Augsburg 1850, S. 128 f. Er bezeichnete deshalb jegliche Beschränkung des inneren Verkehrs oder von Fabriken als "Verrücktheit", die Bayern allein erst recht nicht durchführen könne. (S. 129) 68 W. J. Behr. Allgemeine Polizei=Wissenschaftslehre, Bamberg 1848, Anm. S. 190. 69 M. J. Rüsch, Die Natur der Volkswirthschaft.

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"Agrikulturstand, Agrikulturmanufakturstand, Agrikulturmanufakturhandelsstand,,70 bezeichneten Entwicklungsstadien der Nationen erinnert. Das gleiche Gliederungsschema hatte bereits Lips in seiner "NationalOekonomie,,71 angewandt. Doch während es dort zugleich mit steigender wirtschaftlicher Bedeutung assoziiert worden war, verhielt sich Rüsch in diesem Punkt gespalten. Zwar betrachtete er die Technik als Quelle des Reichtums, verkörpere doch ihr Forschungsdrang das dem Menschen eigentümliche Weiterstreben, zwar gestand er dem Handel zu, daß er das Volksvermögen vermehre und letztlich nur durch ihn ein Volk dahin gelangen könne, "zum Träger der von der Gottheit dem Menschen zur Verwirklichung gegebenen Ideen,,72 zu werden. Andererseits schreckte der Verfasser vor den - allerdings nie offen ausgesprochenen - gesellschaftlichen Konsequenzen einer solchen Entwicklung zurück, wenn er auf die unsichere Kapitalanlage in Technik und Handel hinwies. Obgleich die Landwirtschaft geringere Prozente abwerfe als Handel und Technik, sei in ihr das solideste und sicherste Auskommen zu finden; der Landbau avancierte deshalb zur "erste[n] Quelle alles Reichthums".73 Diese Reminiszenz an den Physiokratismus ging jedoch eine Verbindung mit der Theorie des Kapitalismus ein, so daß Industrie und Handel ebenfalls als produktive Gewerbe gelten konnten. Ebenso unscharf blieb die Rolle des Staates. Wie die meisten Ökonomen seiner Zeit erkannte Rüsch eine Verpflichtung des Staates zum Eingreifen dort, wo das gewinnsüchtige Interesse des einzelnen mit dem der Gesamtheit der Bürger kollidierte. Mit Blick auf den Interessengegensatz von Handel und Industrie forderte er deshalb zum Beispiel eine konsequente Handelspolitik, wie überhaupt der Staat die Volkswirtschaft ständig zu beaufsichtigen habe, um ein harmonisches, ausgeglichenes Verhältnis der Wirtschaftszweige herbeizuflihren. 74 Hier schimmerte der Polizeistaat kameralistischer Prägung durch, der mit lenkenden und fördernden Maßnahmen im Bereich der Wirtschaft auf eine Stei-

70 F. List, Das nationale System der Politischen Oekonomie, Neudr. n. d. Ausg. letzter Hand, Jena 61950, S.260, hier zitiert nach: H. G. Schachtschabel (Hrsg.), Wirtschaftsstufen und Wirtschaftsordnungen. Darmstadt 1971, S. 36. 71 A. Lips, Deutschlands National-Oekonomie, Giessen 1830; s. dazu auch in Kap. c.1.\., S. 48 ff. 72 M. J. Rüsch, S. 57 ff. (Technik) bzw. S. 91 ff. (Handel); Zitat S. \08. 73 Zitate ebd., S. 19; weiter hieß es (S. 27): "... nur in der Landwirthschaft ist unser Hauptreichthum zu suchen, und Technik und Handel, obgleich wir sie recht sehr bei uns ausgebildet wünschen müssen. können dies doch nur werden mit beständiger Rücksicht auf unsere Landwirthschaft, soweit diese nämlich jenen die Arbeitsmaterialien zu liefern vermag." 74 Ebd., S. 93 ff. bzw. S. 3 ff.

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gerung des Nationalwohlstandes hinwirken sollte zur Realisierung des "Nationalglückes,,/5 wie es Rüsch in Kombination der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur noch wenig gebräuchlichen Glücksmetapher der Autldärung mit der zeitlich aktuellen Nationalstaatskomponente formulierte. Der Einfluß des Wirtschaftsliberalismus wurde spürbar, wo die Befreiung des Individuums von Hemmnissen eingefordert wurde, was auch die Gewerbefreiheit mit efnschloß. Die sittliche Rückbindung an die Gesellschaft respektive die Nation verriet dagegen wieder die aufgeklärt-kameralistische Tradition. Rüsch' praktische Vorschläge zur Regierungstätigkeit beschränkten sich jedoch allemal auf flankierende Maßnahmen und zielten im wesentlichen auf die Förderung rationaler Methoden und moderner Technik ab, keinesfalls aber auf einen staatlichen Dirigismus. Dennoch wird hier deutlich, wie eine Volkswirtschaftslehre, die eine starke Affinität zur Organismusidee der Romantik 76 aufwies, der sich ja auch Riehl verbunden f1ihlte, trotz der Rezeption wirtschaftsliberalen Gedankenguts letztlich doch eher der Denktradition des Kameralismus verhaftet blieb, wo ebenfalls versucht worden war, "stets mit der wirtschaftlichen Entwicklung im Interesse des Staates Schritt zu halten, sie durchaus anzuleiten".77 Damit ergibt sich als Fazit, daß Rüsch die wissenschaftliche Lösung der sozialen Aufgabe der Gegenwart, die er selbst in seiner Vorrede eingefordert hatte, gerade nicht anbieten konnte. Er scheiterte, weil er den erhobenen empirischen Befund zur Richtgröße staatlichen Handeins aufwertete und Bayern als Ackerbaustaat apostrophierte, so daß zwar technische Neuerungen vom Staat forciert werden sollten, wogegen der f1ir eine umfassende Modernisierung mindestens ebenso wichtige gesellschaftliche Wandel unterblieben wäre. Der "kräftige Mittelstand,,78 wurde weiterhin beim agrarischen Grundbesitz angesiedelt - eine Lösung, die bei allem Fortschrittsoptimismus dennoch keine erkennbare Modernisierungsperspektive eröffnete.

75 Ebd., S. 2. 76 Vgl. dazu die Definition der Organismusidee von W. Metzger bei W. L. Fische\, Der Historismus in der Wirtschaftswissenschaft, in: VJSW 47 (1960), S.9. Er nennt darin als konstitutive Bestandteile das Bekenntnis zur lebendigen Wirklichkeit, zum Naturgewachsenen. zur geschichtlichen Kontinuität. Deshalb stehe sie für allmähliche Umbildungen, betone das Gesamtwesen. dem alle Einzelwesen "organisch" eingegliedert seien, die Mannigfaltigkeit und Eigentümlichkeit einzelner Lebensformen und -kreise bis zur Individualität der Völker und Nationen. Der Staat solle "von einem sittlichen Wertgefühl geadelt. von der persönlichen Anhänglichkeit aller Einze!glieder getragen" werden. 77 A. Timm, Von der Kameralistik zur Nationalökonomie, in: O. Brunner u.a. (Hrsg.), Festschrift H. Aubin zum 80. Geburtstag, Bd. L Wiesbaden 1965. S. 364. 78 M. J. Rüsch. S. 55.

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Ähnliche Schwierigkeiten wurden in den "Historisch-politische[n] Blätter[n] für das katholische Deutschland" deutlich, wo die Auseinandersetzung mit den Neuentwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft weiterhin von einem dezidiert katholisch-sozialen Standpunkt aus betrieben wurde. Trotz der unterschiedlichen Autorenschaft 79 können hier bestimmte Grundlinien sowie ein Wandel der Argumentation - vor allem seit der Redaktionsübernahme durch Joseph Edmund Jörg im Jahr 1852 - beobachtet werden; ab diesem Zeitpunkt rückte auch die Behandlung der "sozialen Frage" noch stärker in den Vordergrund. Dabei blieb der Befund über den Zustand der Gesellschaft und seine Ursachen gleich. Es sei das Mißverhältnis zwischen Besitzenden und Besitzlosen, Vermögenden und Vermögenslosen, welches eine "in allen Genüßen der Welt schwelgende Aristokratie des Reichthums" einer "aller sittlichen und religiösen Grundsätze baaren Arbeiterbevölkerung,,80 gegenüberstelle. Diese Lage sei durch das Fabrikwesen herbeigefUhrt worden. Die dortigen Fabrikarbeiter bildeten "eine neue Kaste von Einwohnern, welche, so zu sagen, Tag fUr Tag nur von der Hand in den Mund leben und bei der geringsten commerziellen Stokkung brodlos in die Straße hinausgeworfen werden". In geradezu Engelsscher Diktion wurde deren Los für entwürdigender als das des Negersklaven gehalten, weil letztlich der Arbeiter für den Fabrikbesitzer nicht mehr darstelle als "eine Maschine, die man braucht und ausbraucht".81 Schuld daran trage neben den Fabriken auch die Handels-, Spekulanten- und Krämerwelt, die ihren Sitz ebenfalls in den Städten habe - die Stadt, die somit zum Synonym und zum Symbol fUr alle Übel der Zeit wurde. Die wahren Ursachen wurden tiefer geortet. Sie lägen in der um sich greifenden Entsittlichung und Entchristlichung der Gesellschaft als Folge des Vorherrschens rein materieller Interessen in einer Zeit, da selbst der Staat seinen Hauptzweck darin sehe, dem "Götzen ... Nationalwohlstand" zu huldigen. 82 Die Zeitschrift hielt sogar nach 1848 noch einige Jahre lang am positiven Gegenbild einer intakten mittelalterlichen Arbeits- und Gesellschaftsordnung fest. Noch ganz der Denktradition des Historismus und der Romantik verpflichtet, wurden Gewerbe- und Handwerkerstand - also der "alte Mittelstand" sowie die Landbevölkerung als tragende Säulen ausgemacht, gelenkt durch ein Herrschaftsbündnis von Thron und Altar. Angestrebt wurde die organisch in

79 Als weitere Verfasser von Beiträgen zur sozialen Frage nennt Stegmann Friedrich Pilgram, Karl Bader, Victor Aime Huber, Heinrich Maas, Johann Joseph Roßbach und Hugo Hübbe. F. 1. Stegmann. Von der ständischen Sozialreform zur staatlichen Sozialpolitik, München/Wien 1965, S. 14 ff. 80 HPBI 22 (1848), S. 692. 81 Ebd., S. 691 bzw. S. 692. Für das Folgende ebd., S. 684 ff. 82 HPBI 28 (1851). S. 245; vgl. auch HPBI 21 (1848), S. 534 u. S. 537, HPBI 28 (1851), S. 739.

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Stände und Korporationen gegliederte Gesellschaft. 8) In diesem Sinne äußerten die HPBI zum Beispiel Übereinstimmung mit den von Maier und Merz aus Anlaß der Preisfrage des Königs verfaßten Abhandlungen, während die preisgekrönte Schrift von Holzschuher als zu obertlächliche Analyse verworfen wurde. 84 Die damit verbundene schroffe Ablehnung jeden Fortschritts relativierte sich allerdings in der Weise, daß mit der Zeit auf technischem Gebiet der Fortschritt als Notwendigkeit anerkannt wurde. 85 Nie wären jedoch die "Historischpolitischen Blätter" so weit gegangen, die industrielle Entwicklung mit dem Kulturfortschritt gleichzusetzen! Denn dazu fehlte dem modernen Wirtschaftsleben wie auch dem ihm zugrunde liegenden theoretischen Modell in ihren Augen jede moralische Legitimation. Gegen die "Oeconomistenschule,,86 wurden die bereits aus der katholischen Soziallehre bekannten Kritikpunkte erhoben: das Vorherrschen rein materieller Interessen, die vorher noch nie dagewesene Trennung von Kapital und Arbeit, was zur Folge habe, daß die Arbeit zur bloßen Ware herabsinke und dem Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage unterworfen sei. Daneben äußerte sich ein Unbehagen an den neuen Umgangsformen der modernen Verkehrswirtschaft: "Im Gedränge des Marktes dagegen sind mir Name, Wesen und Werth derjenigen, die an mir vorüber wechselten, oder von denen ich gerade vorwärts geschoben werde, durchaus gleichgiltig.,,87 Den überschaubaren Kreisen der Ständegesellschaft mit ihrem persönlichen Beziehungsgetlecht wurde hier die Welt der Industriegesellschaft gegenübergestellt, welche

83 HPBI 22 (I848), S. 782 ff. und HPBI 24 (1849), S. 273: in gleicher Weise auch HPBI 21 (1848), S.538, HPBI 22 (1848), S. 686 ff., HPBI 23 (1849), S. 101, HPBI 25 (1850), S. 775 ff., HPBI 26 (1850), S. 395, HPBI 28 (1851 ), S. 158 f.. S. 247 tI 84 Zu den Schriften von Maier und Merz vgl. Kap. 0.1. L S. 127 ff.: zur Preisschrift Holzschuhers vgl. Kap. 0.111.2., S. 177 f. 85 Noch 1850 war der Fortschritt. "dieses Wort des Fluches, dieses heute unselige Vorwärts", pauschal verurteilt und seinen Anhängern unterstellt worden, "fortzumißtrauen, fortzuargwohnen, fortzuhassen, fortzutollen, fortzuwirbeIn im wahnsinnigen Taranteltanz ... , - bloß um eines Wortes willen: Fortschritt! und aus kindischer Gespensterfurcht vor einem andern Worte: Rückschritt oder Reaction! - Wo ist Wahnwitz und Raserei, wenn sie hier nicht sind?" HPBI 25 (1850), S. 775. Im Gegensatz dazu wurden sieben Jahre später der alte Schlendrian und der Stillstand in den Gewerbebetrieben angeprangert, wurde ihnen vorgeworfen, "in falschem Conservatismus die Fortschritte der Technik sich nicht zu eigen" gemacht zu haben. HPBI39 (1857), S. 264. 86 J. E. Jörg, Geschichte der sozial-politischen Parteien in Deutschland. Freiburg 1867, S. 21. Laut Stegmann, Von der ständischen Sozial reform zur staatlichen Sozialpolitik, S. 13, handelt es sich bei dieser Veröffentlichung um eine Auswahl von Aufsätzen aus den HPBI. 87 HPBl 24 (1849), S. 274.

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durch die Anonymität der wirtschaftlichen Beziehungen den Menschen zum Objekt degradieren würde. Von da aus wird verständlicher, daß die HPBI die Ursachen der sozialen Frage weniger dem Kapital oder der Bourgeoisie an sich zuschrieben. 88 Beide Faktoren erhielten ihre negative Ausprägung erst bei Realisierung einer Theorie, welche die Verfolgung des blanken Eigeninteresses zwar nicht gerade befahl, aber dennoch zum Wirkungsprinzip der Wirtschaft erklärt hatte. Das bedeutete eine klare moralische Verurteilung der Nationalökonomie Smithscher Prägung - oder vielmehr dessen, was die HPBI darunter verstanden wissen wollten - und des "Iaisser faire"-Prinzips.89 Denn dadurch werde einem Naturtrieb freier Lauf gelassen, der in seiner massiven Ausprägung letztlich "alle edleren Gefühle erstickt, alle Tugend zerstört und den Menschen in wirthschaftlieher Hinsicht dem auf Beute ausgehenden Raubthiere gleichstellt.,,9o Dagegen plädierten die HPBI für eine von christlichen Grundsätzen ausgehende Volkswirtschaftslehre - ein nicht eben neuer Gedanke, der bereits knapp zwei Jahrzehnte früher schon von Maier formuliert worden war. 91 In diesem Sinne forderten sie etwa eine Eigentumsordnung, die zwar das Privateigentum anerkennen, diesem aber zugleich eine Gemeinwohlverpflichtung auferlegen sollte. 92 Beibehalten wurde auch die generelle Ablehnung des Liberalismus, weil dieser letztlich nichts anderes darstelle als die Rechtfertigungsideologie des davon profitierenden Wirtschaftsbürgertums. 93 Damit wurde deutlich, was nach Ansicht der HPBI die neu herausgebildete Bourgeoisie vom echten deutschen Bürgertum unterschied und ihr Defizit ausmachte: sie bezog ihr Klassenbewußtsein einzig aus ihrem wirtschaftlichen Erfolg, nicht jedoch aus einer gesellschaftli-

88 HPBI 1865/Bd. 1, S. 286; vgl. dazu F. J. Stegmann, Von der ständischen Sozialreform zur staatlichen Sozialpolitik, S. 48. 89 Neuere Forschungsansätze bemühen sich um eine differenziertere Betrachtung der Aussagen in Adam Smith's "Wealth ofNations", indem sie dessen Überlegungen in der "Theory of Moral Sentiments" einbeziehen und beide Werke in einem ideengeschichtlichen Zusammenhang interpretieren. S. dazu F.-X. Kaufmann, H.-G. Krüsse1berg (Hrsg.), Markt, Staat und Solidarität bei Adam Smith, FrankfurtlNew York 1984; darin v.a.: K. Gretschmann, Markt und Staat bei Adam Smith - Eine neue Antwort auf eine alte Frage? S. 114-134; H.-G. Krüsselberg, Wohlfahrt und Institutionen: Betrachtungen zur Systemkonzeption im Werk von Adam Smith, S. 185-216; A. S. Skinner, Adam Smith: Ein System der Sozialwissenschaft, S. 74-94. 90 HPBI 1865/1, S. 286 ff.; Zitat S. 288. 91 Ebd., S. 286 ff. Die Ausführungen erinnern an die - auch von den HPBI 28 (1851), S. 126, rezipierte - Druckschrift Maiers aus dem Jahr 1849 (vgl. Kap. 0.1.1., S. 127 ff.) und machen damit augenfallig, daß kein wesentlicher Fortschritt in der Argumentation erreicht worden war. 92 HPBI 27 (1851), S. 61 ff.; vgl. auch HPBI 28 (1851), S. 256 oder HPBI 40 (1857), S. 650 f. 93 J. E. Jörg, S. VII (= Vorwort).

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chen Funktion. In scharfsichtiger Analyse wurde das Zusammengehen von "Intelligenz und Besitz" als Zweckbündnis charakterisiert, das 1848 die Bourgeoisie aus Furcht vor der sozialen Bewegung, die Regierungen auf der Suche nach materiellem Rückhalt eingegangen seien. Die Bourgeoisie habe dadurch erst die Möglichkeit erhalten, ihre Wirtschaftsmacht und -moral durchzusetzen und auf politischem Gebiet die Trennung von Staat und Gesellschaft herbeizufuhren, während den Monarchien anscheinend verborgen geblieben sei, daß sie zur bloßen Makulatur herabgesunken seien. Nach Meinung der HPBl war jedoch an der immer noch ungelösten sozialen Frage das destruktive Element des Liberalismus evident und sein Scheitern unausweichlich geworden. 94 Aber auch fur die HPBl stellte sich die Frage nach der anzustrebenden Gesellschaftsordnung aufs neue, nachdem der industrielle Fortschritt akzeptiert wurde und liberal-demokratische Entwicklungen nicht mehr negiert werden konnten. Die Rückkehr zum mittelalterlichen Ständestaat war demnach endgültig versperrt, so daß bei Jörg - ähnlich wie bei Riehl oder Max 11. - das "Interesse an der 'sozialen Frage'" in das "Interesse an der Neuordnung der Gesellschaft,,95 mündete. Um den neuen Strukturen gerecht zu werden, traten die HPBl ab Ende der 50er Jahre fur ein zeitgemäßes Assoziationswesen ein, das den alten Mittelstand zur Selbsthilfe, zur Übernahme industrieller Fertigungsweisen und damit zur Konkurrenz mit dem Industriekapital befähigen sollte. 96 Wie Stegmann hervorhebt, erklärt sich die Sympathie fur die Assoziation auch damit, daß bei ihr die Möglichkeit der Weiterentwicklung zur Korporation gesehen wurde. 97 Selbst in der erneuerten Fassung des Gesellschaftskonzepts schimmerte somit wiederum ein ständisch-korporativer Ansatz durch; im Hintergrund stand, wenn auch modifiziert, immer noch der Ständestaat als Ideal. Wie läßt sich das erklären? Jörg setzte gegen das theoretische Gleichheitsprinzip des Liberalismus die faktische Ungleichheit der Menschen. Tatsächlich seien eben nicht alle "gleich stark, gleich gescheidt, gleich gebildet und gleich reich".98 Da die Ausgangsbasis der einzelnen so unterschiedlich sei, würde der individuelle Freiheitsanspruch des Liberalismus letztlich nur die Ungleichheit verstärken.

94 HPBI 39 (1857), S. 3 ff 95 K.-H. Lucas, Joseph Edmund Jörg, Diss. Köln 1969, S. 390. 96 HPBI 39 (1857), S. 265, bzw. in einer Artikelserie im Jahr 1860/Bd. I, S. 363 ff., S. 530 ff., S. 837 ff., Bd. 2, S. 47 ff., S. 201 ff 97 F. 1. Stegmann, Von der ständischen Sozialreform zur staatlichen Sozialpolitik. S. 130 ff u. S. 138 ff Das erklärt auch die Ablehung der an liberalen Prinzipien orientierten Genossenschatlsidee Schulze-Delitzsch'; s. HPBI 1860/1, S. 853 f 98 1. E. Jörg, S. 34.

10 Burkhardt

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Hier zeigte sich erneut, welche bemerkenswerte Verwandtschaft es zwischen sozial-konservativen und sozial-reformerischen Modellen bezüglich der Analyse der Gesellschaft geben konnte. Dabei ließen die HPBI zum Teil eine erstaunliche Nähe zur Arbeiterbewegung erkennen, in der sie zu Recht einen gemeinsamen Gegner des Liberalismus vermuteten. Bei Jörg persönlich kam noch eine gewisse Faszination für das Genie Lassalles hinzu, dessen Sprachgewalt er "der eines christlichen Sehers und Socialphilosophen nicht unwerth,,99 hielt. Andererseits gab es natürlich keine Übereinstimmung mit den gesellschaftspolitischen Zielen der Arbeiterpartei, die als Anschlag auf die individuelle Freiheit und drohende Despotie verurteilt wurden. Mit den gleichen Argumenten lehnten die HPBI jegliche staatlichen Eingriffe ab, obwohl der Staat in ihren Augen durchaus mehr als eine Rechtsbewahr- oder Bildungsanstalt für marktgerechte Arbeitskräfte sein sollte. Denn die HPBI standen nicht nur der Staatsidee des Liberalismus reserviert gegenüber. Ebenso stark war ihre Aversion gegen die Bürokratie, das Herrschaftsinstrument des Liberalismus, die "weichselzopfartig anschwellt und anschwellen muß". Deren Zentralisierungstendenz enthebe Gemeinden und Korporationen ihrer Funktionen und höhle damit das Gesellschaftsleben aus; das Postulat des Gleichheitsgrundsatzes lasse sie "zum Instrument der Ungleichheit"IOO verkommen. Aber nicht nur die Freiheit, auch die Fähigkeit zur Selbsthilfe gehe verloren: "Wo die Regierung in alle Verhältnisse hineinregiert, da wollen die Menschen auch Alles vom Staat".IOI Deshalb traten die HPBI für die Stärkung des Korporationsgeistes und die Autonomie der Gemeinden ein. Und sie verteidigten in der Diskussion über das Vetorecht der Gemeinden bei der Ansässigmachung dessen Beibehaltung, weil von dessen Abschaffung nur die Großgrund- und Fabrikbesitzer profitieren würden. Hier verberge sich unter dem Deckmantel von Humanität und Menschenliebe nur "der Eigennutz mit seinem falben grinsenden Gesichte!"I02 Mit dieser Einstellung und dieser Begründung bewiesen die HPBI ihren Schulterschluß mit der christlich-konservativen Opposition in der Abgeordnetenkammer, während sich ihre Kritik unmißverständlich gegen die Politik und Vorgehensweise von König und Regierung richtete. Ebd., S. 28. Zitate HPBI39 (1857), S. 533 bzw. S. 14; vgl. auch HPBI38 (1856), S. 1200. Als Prototyp dieser negativen Entwicklung galt Preußen. während sich die Hoffnungen auf eine Gegenreaktion mit Österreich verknüpften; s. HPBI 39 (1857), S. 7 ff. Im gleichen Jahr wurde in einer Artikelfolge "Ueber den Liberalismus" auch die historische Entwicklung der Bürokratie verfolgt. HPBI 40 (1857), S. 643 u. S. 645, S. 717 u. S. 722 f., S. 726, S. 851 ff. 101 HPBI40 (1857), S. 853. 102 HPB1 1861/2. S. 563. Zum Standort in der Frage des Gemeindevetos vgl. ebd., S. 549 ff. 99

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Bereits die Preisfrage des Jahres 1848 schien ihnen falsch gestellt: statt pauschal nach den Lösungsmöglichkeiten des Staates zu suchen, hätte die Frage besser danach aufgegliedert werden sollen, was "die geistlichen, die weltlichen Gewalten, die Corporationen, die Einzelnen"103 dazu beitragen könnten und mUßten. Denn abgesehen davon, daß der Regierung fUr die Förderung der materiellen Interessen sowieso nicht genügend Mittel zur Verfiigung stünden, würde eine Förderung bestimmter Interessen zwangsläufig die Verletzung anderer nach sich ziehen, so daß eigentlich die Hilfe der Regierung lediglich darin bestehen dürfte, dem einzelnen bei Verfolgung seiner materiellen Interessen keine Hindernisse in den Weg zu legen, ihn ansonsten aber fUr sich selbst sorgen zu lassen. 104 Paradoxerweise fUhrte die Ablehnung staatlicher Eingriffe die HPBl zu einer Schlußfolgerung, die jeder Liberale unterschreiben hätte können, obwohl sie von einem völlig entgegengesetzten Standpunkt ausgegangen waren. Es sei hier nur nebenbei bemerkt, daß die HPBI diese ablehnende Haltung auch nach der Reichsgründung beibehielten, was sie zu entschiedenen Gegnern des neokonservativen "Staatssozialimus" Bismarckscher Prägung werden ließ, sie dann aber auch im Lager des deutschen Katholizismus isolierte. 105 In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts repräsentierten sie jedoch durchaus noch eine Facette des christlichen Konservatismus. Sehr deutlich trat dabei das Dilemma einer Haltung zutage, die den Liberalismus verurteilen mußte, weil sie im selbstbestimmten Individuum die Wurzel aller Übel erblickte, während sie zu Recht im staatlichen Handeln die Gefahr des Umschlagens in die Bevormundung oder von Übergriffen angelegt sah. Die kompromißlose Ablehnung der neuen politischen Leitideen und Gesellschaftsmodelle bei gleichzeitiger Hinnahme des unvermeidlichen technischen Fortschritts mußte daher zwangsläufig zur Rückkehr zum Ständestaat in modernisierter Form fUhren. Überdies versprachen sie sich von der Gliederung in Korporationen und auf Gemeindeebene bessere Möglichkeiten zur Durchdringung mit christlichem Gedankengut, wie ja nach Meinung der HPBI sowieso nur in einem neuerlichen Zusammenwirken von Kirche und Staat die Krise wirklich überwunden werden konnte: "Nur der christliche Staat ist conservativ." 106 Sie bedauerten deshalb den geschwundenen Einfluß der Vertreter des Katholizismus während der Regierungszeit Max' Ir., dessen Politik insgesamt als

103 HPBI 31 (\ 853), S. 519. (Das Zitat ist im Original durch gesperrten Druck hervorgehoben.) 104 HPBI 28 (\ 851), S. 739. 105 F. 1. Stegmann, Von der ständischen Sozialreform zur staatlichen Sozialpolitik, S. 19, S. 141, S. 148 ff. 106 HPBI 39 (\ 857), S. 483.

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realitätsfern und vom Volk entfremdet kritisiert wurde. lo7 Demgegenüber verfochten die HPBI immer noch ein Modell, dessen Zukunft spätestens seit 1848 als gescheitert angesehen werden konnte. An dieser Stelle wurden Übereinstimmung und Diskrepanz zwischen der Auffassung der HPBl und der des Monarchen besonders deutlich. Auch rur Max 11. verbarg sich hinter der sozialen Frage die Frage nach der zukünftigen Gesellschaftsform. Aber er suchte die Antwort nicht mehr in der ängstlichen Bewahrung einer Ordnung, deren ökonomische Grundlagen im Schwinden waren, sondern in der schonenden Anpassung an die veränderte Wirtschaftsstruktur. Somit verbot sich als Lösung die Rückkehr zum eng mit der Kirche verwobenen Ständestaat. "Der ständische Konservativismus der 'Historisch-politischen Blätter' stand im Gegenteil in einem latenten Konflikt zur Regierung dieses Königs." 108 Auch die von den HPBI scharf kritisierte Preisfrage des Jahres 1848 sowie die Äußerungen des Königs zur sozialen Frage hatten deutlich gemacht, daß der Staat sich den veränderten Verhältnissen stellen wollte, und zwar nicht nur den Entwicklungen in Technik und Industrie, sondern auch den neuen Marktrnechanismen und dem Konkurrenzprinzip. Davon legten die wiederholten Anfragen des Königs, was zur Bef6rderung des Handels und der Industrie getan werden könne, welche Produktionszweige in Bayern hervorragen, welche Städte sich besonders auszeichnen würden, ein beredtes Zeugnis ab. 109 Die Haltung väterlich-monarchischer Fürsorge, die in dieser Frage bei Max 11. durchaus auch zu beobachten war, würde wiederum katholisch-konservativen Leitideen entsprochen haben und entsprang sicherlich einem christlichkaritativen Motiv. Deshalb muß nach weiteren wirtschaftspolitischen Vorstellungen gefragt werden, die auf den König eingewirkt und das Regierungs- und Verwaltungshandeln beeintlußt haben.

\07 HPBI 38 (1856), S. 742. Die Kritik richtete sich vor allem gegen Max' 11. Idee vom "dritten Deutschland" und den kulturellen Führungsanspruch Bayerns; HPBI 1865/2, S. 945 ff. oder auch HPBI 39 (1857), S. 13. 108 K.-H. Lucas, S. 10. 109 S. dazu BayHStA MH 5 \05, Beförderung des Handels und der Industrie in Bayern, Conv.1 (1852-1866); darin v.a. die Anfragen vom 4.2.1852,11.9.1852,23.12.1852 und 24.11.1853. Vgl. Kap. E.1.2., S. 200 f.

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2. Die "gesetzliche Freyheit": 110 Liberalisierung im Wirtschaftsbereich verbunden mit sozialstaatlicher Intervention Von einem säkularisierten Standpunkt aus analysiert, können in dieser fürsorglichen Haltung des Monarchen in der sozialen Frage durchaus Sedimente der "guten Policey" des 18. Jahrhunderts ausgemacht werden. In der Staats- und Verwaltungs lehre verlief die Entwicklung jedoch in eine völlig entgegengesetzte Richtung. Hier hatte sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Unterscheidung von theoretischer und praktischer Nationalökonomie die Eliminierung des alten Polizeistaatsgedankens angedeutet und bis zur Jahrhundertmitte im wesentlichen durchgesetzt. I I I In dieser Trennung spiegelte sich das Verhältnis von Wirtschaft und Verwaltung wider. Deshalb soll das Spannungsfeld von "Volkswirthschaftslehre" und "Volkswirthschaftsptlege" - so die Diktion bei Friedrich Benedikt Wilhelm Hermann l12 zunächst mit Hilfe einiger theoretischer Werke genau umrissen werden, um dann den Nachweis am praktischen Verwaltungshandeln führen zu können. Obwohl die zu diesem Zweck untersuchten Werke von Behr l13 und Hermann 114 bereits in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden sind, können 1\0 Der Begriff wurde von C. Th. Kleinschrod in allen seinen Schriften wenn nicht immer wörtlich erwähnt, so doch näher erläutert und als anzustrebend empfohlen. Das Zitat findet sich in der Vorrede seiner Arbeit "Ueber die Beförderungsmittel der Agrikultur und des Gewerbwesens in Frankreich", München 1829, S. VII. Er schilderte darin das große Interesse der Regierung an der Beförderung der Industrie, verwies auf den wesentlichen Anteil der Gewerbegesetzgebung und zog daraus den Schluß: "... unter den Beförderungsmitteln der Industrie steht die Hinwegräumung unnützer Hemmungen, verbunden mit Handhabung des Rechts und der nöthigen Ordnung und Garantie oder, mit andern Worten, die Aufrechthaltung einer gesetzlichen Freyheit oben an." (S. VI f.) 111 1. Grünfeld, Die leitenden sozial- und wirtschaftsphilosophischen Ideen in der deutschen Nationalökonomie und die Ueberwindung des Smithianismus bis auf Mohl und Hennann, Wien 1913, S. 59 ff. Sie datiert diese Trennung mit dem Jahr 1805, weil sie in den im gleichen Jahr von Soden und Jacob herausgegebenen Werken zur Nationalökonomie nachzuweisen ist. H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, München 1986, S. 191 ff., betrachtet die Problematik im zeitlichen Kontinuum. Vgl. im Gegensatz dazu das theoretische Konzept von Rau, Kap. C.I.1., S. 44 ff. 112 F. B. W. Hennann, Staatswirtschaftliche Untersuchungen, Leipzig 31924 (= unveränderter Neudr. der I. Aufl., München 1832), S. 17 ff. 113 Michael Wilhelm Joseph Behr (1775-1851); seit 1799 Professor für Lehn- und Staatsrecht in Würzburg, seit 1819 Landtagsabgeordneter, seit 1821 Bürgenneister von Würzburg. Nach Ludwigs Umschwenken auf einen konservativen Kurs wegen seiner liberalen Auffassungen verfolgt; 1832 amtsenthoben und verhaftet, 1835 zu lebenslanger Festungshaft verurteilt; 1847 begnadigt und 1848, nach Ludwigs Abdankung, voll rehabilitiert und entschädigt. Das Manuskript der hier besprochenen "Polizeiwissenschaftslehre" hatte Behr bereits während seiner Haftzeit fertiggestellt. Auf Anraten des Justizministers Schrenck hatte Ludwig I. jedoch am 5.8.1837 den Druck untersagt. Erst nach seiner Begnadigung erhielt Behr das Manuskript zurück und konnte es 1848 veröffentlichen. Nach:

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sie im Folgenden zur Beweislegung herangezogen werden, nachdem in Bayern seit der konservativen Rückwendung Ludwigs I. im Jahr 1832 liberales Gedankengut erst wieder nach dem Thronwechsel 1848 eine Chance zur Rezeption und Adaption im Regierungshandeln erhalten hatte. (Nicht zuletzt deshalb konnte Behrs "Polizei=Wissenschaftslehre" erst 1848 erscheinen!) Zudem stehen uns mit Behr und Hermann zwei Autoren zur VerfUgung, die nicht nur theoretisch lehrend, sondern auch praktisch umsetzend in der Politik beziehungsweise der Verwaltung tätig waren. Dabei repräsentieren sie - Behr als Staatsrechtslehrer, Hermann als Nationalökonom - zugleich die beiden Angelpunkte des liberalen Theoriegebäudes: den politischen sowie den Wirtschaftsliberalismus. Behrs Auffassung vom Staat war - wie er selbst anflihrte - von Kant und Fichte entscheidend geprägt. 115 Er verstand darunter den auf vertraglicher Basis gegründeten Verein der Staatsbürger, in dem die Prinzipien der Gewaltenteilung und der Volkssouveränität im System einer konstitutionellen Monarchie verwirklicht waren und dessen Zweck in der Geltung und Sicherheit des Rechts lag. Eva Pfeiffer würdigt ihn als einen der Hauptvertreter der Rechtsstaatsidee in Bayern, und in der Tat hatte er bereits im ersten Landtag 1819 als eine der Leitfiguren der liberalen Opposition agiert. 116 Die Mittel zur Realisierung des Staatszweckes sah Behr in der Gesetzgebung und Verwaltung. Er sprach in diesem Zusammenhang von einer "organischen Gesetzgebung", obgleich der Begriff bei ihm nicht vom Organismusgedanken der Romantik abgeleitet war. Behr wollte darunter das ganze Bündel gesetzlicher Regulative - organisatorisch, personell, inhaltlich - verstanden wissen, mit dessen Hilfe der Staatsverwaltung ein organisch-geschlossenes Handeln ermöglicht und vermieden werden sollte, daß sich auf dem Verwaltungsweg ein willM. Domarus, Bürgermeister Behr, Würzburg 1971, S. 220, S. 226. Zur Biographie vgl. auch NDB 2, S. 10 f. Zu Behrs politischem Wirken s. zudem E. Pfeiffer, Wilhelm Joseph Behr, Emsdetten 1936. 114 Friedrich Benedikt Wilhelm v. Hermann (1795-1868); anfiinglich Mathematiklehrer und Leiter einer Privaterziehungsanstalt in Nürnberg, bis er sich an der Universität Erlangen in Kameralwissenschaften habilitierte. Ab 1827 Professor in München, zunächst an der Polytechnischen Schule, ab 1833 als ord. Professor für Staatswissenschaft; 1835 Mitglied der bayerischen Akademie der Wissenschaften. Von 1839-67 Leiter des bayerischen statistischen Büros; während dieser Zeit auch politisches Engagement als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung 1848 oder Landtagsabgeordneter 1849-55; 1852 Vertreter Bayerns bei den Wiener Zollkonferenzen. Nach: ADB 12, S. 170-174; NDB 8, S. 654-656. 115 Ich folge hier M. Domarus, S. 22 ff., bzw. E. Pfeiffer, S. 1 ff. 116 Zur Rolle Behrs im bayerischen Frühliberalismus, dessen Hauptvertreter und Zentren wohl vor allem, neben der Pfalz, in Franken anzusiedeln sind, s. R. Endres, Franken und Bayern im 19. und 20. Jahrhundert, Erlangen 1985, S. 66 ff.; vgl. auch L. Zimmermann, Die Einheits- und Freiheitsbewegung und die Revolution 1848 in Franken, Würzburg 1951, S. 94 ff.

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kürlicher Umgang mit den Gesetzen einschleichen konnte. 117 Hier klaffte seiner Ansicht nach eine Lücke in der bayerischen Verfassung, die er mit seiner "Allgemeine[n] Polizei=Wissenschaftslehre,,1l8 geschlossen sehen wollte. Der Ruf nach einer Polizeigesetzgebung entsprang somit keineswegs dem Wunsch nach der alles um- und besorgenden "Policey" des Wohlfahrtsstaates des 18. Jahrhunderts, sondern entsprach dem wohlverstandenen liberalen Interesse der Sicherung der Rechtssphäre der Individuen, wonach es auszuschließen galt, daß die Staatsrnacht die gesetzlich garantierten Freiheitsrechte qua Verordnung aushöhlen konnte. In dieser Konsequenz lag die Verurteilung des Zunftwesens als Egoismus einzelner, der dem fortschreitenden Wohl des Ganzen im Weg stehe. Insofern geriet die Gewerbefreiheit zu einem Faktor des allgemeinen Interesses. Behr berücksichtigte dabei ebenso die Konsumentenseite, wenn er - hierin Smith folgend - mit der Existenz der Zünfte "die Erkenntnißquelle des gerechten Preises verstopft,,1l9 sah, welcher sich nur bei freiem Angebot und freier Nachfrage einstellen könne. Zum andern verwirkliche die Gewerbefreiheit eine Forderung des Vernunftrechts. Gemäß den unveräußerlichen Naturrechten müsse einem jeden zumindest der Versuch gestattet sein, mit einer selbstgewählten Beschäftigung seinen Lebensunterhalt zu bestreiten - allerdings auch nicht mehr. Seine Maßgabe, daß das "unveräußerliche Vernwift=Recht beruhend im Gleichgewichte des Freiheitsgebrauches ... endlich über das, ihm widerstreitende, positive Recht, das wenn gleich formelles Recht, doch materielles Unrecht war,,,120 den Sieg davontragen müsse, wollte Behr somit auch auf den Wirtschaftssektor ausgedehnt wissen. Diese Äußerung belegt eine völlige Übereinstimmung mit der frUhliberalen Denktradition der Abwehr des Staates und der Eindämmung der Verwaltung. Wenn der bloße Tatbestand der Kritik an den Mißständen des Zunftwesens noch auf eine Parallele zu sozial-konservativen Einstellungen hinzuweisen schien, so wurde in der inhaltlichen Begründung die tiefe Kluft zwischen katholischer Sozialphilosophie und Liberalismus deutlich.

117 Der hier zitierte Begriff und seine Definition aus: W. J. Behr, Bedürfnisse und Wünsche der Bayern, Stuttgart 1830, S. 11 f. In den folgenden Überlegungen (S. 25 ff.) bemängelte Behr neben dem fehlenden Recht der Ständeversammlung zur Gesetzesinitiative auch die unklare Abgrenzung der Aufgaben, Wirkungsbereiche und Grenzen der Staatsverwaltung sowie die fehlenden Kontrollmöglichkeiten des Parlaments. 118 W. 1. Behr, Allgemeine Polizei=Wissenschaftslehre oder Pragmatische Theorie der Polizei=Gesetzgebung und Verwaltung, 2 Bde. (in einem Exemplar gebunden), Bamberg 1848. 119 W. J. Behr, ebd., S. 179. 120 Ebd., S. 191; zum Vorhergehenden vgl. S. 180 ff. bzw. S. 119.

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Dennoch schwebte Behr als Ideal kein "Nachtwächterstaat" vor, sondern der Staat als Garant von Sicherheit und Ordnung. 121 Zu diesem Zweck stehe jenem die Polizei zur Verftigung, die sich dabei in erster Linie vorbeugender Maßnahmen zu bedienen habe, als da seien Beförderung des Wohlstands und der Bildung. Welche konkreten Vorgehensweisen darunter zu verstehen waren, berührte Behr eher beiläufig; dies wurde etwa in der noch zu besprechenden, aus der Preisfrage des Königs als Sieger hervorgegangenen Schrift von Holzschuher ausftihrlich unternommen. Behr ging es vielmehr um die Funktion, welche die Wirtschaft im Staats leben erftillte. Unter diesem Aspekt stellte ftir ihn die ungleiche Verteilung des Wohlstands eine wesentliche Bedrohung ftir die Rechtssicherheit dar. Deshalb legte er der Polizei die "Fürsorge für die, durch Schicksal und Verhältnisse zum Dienen [darunter verstand er auch die Lohnarbeit / 1.8.] bestimmte zahlreiche Klasse von Menschen" besonders ans Herz und appellierte zugleich an die Reichen, von ihrem Überfluß rechtzeitig und freiwillig abzugeben, bevor ihnen alles gewaltsam entrissen werde. 122 An diesem Punkt wurden Übereinstimmung und Differenz zwischen Konservativen und Liberalen besonders deutlich: Beiden gemeinsam war die Angst vor dem Aufbrechen der Gegensätze in der Gesellschaft und damit die Furcht vor Revolution, einem gewaltsamen Umsturz der Gesellschaftsordnung. Ging es den Konservativen jedoch in erster Linie um den Erhalt der monarchischen Staatsftihrung, stand bei den Liberalen die Sicherheit des Eigentums der Bürger im Vordergrund. Aber sie zeigten dieselben Vorbehalte gegenüber dem vierten Stand, zu dem sie auf Distanz gingen und dem sie jede Mündigkeit absprachen. In schönem Gleichklang verwendete Behr auf die "Klasse der Dienenden" bezogen ebenfalls den Begriff "Fürsorge" und sprach an anderer Stelle von einem "Band gegenseitiger Güte und Anhänglichkeit", das solchermaßen zwischen Diener und Herrn geknüpft werden könne, wodurch dieser ihn sich aneigne, "gleichsam zu seinem Kinde" mache. 123 Die Aufgabe des Staates, oder der Polizei, bestehe nun darin, "die erste Stufe des Wohlstandes ... al/gemein zu machen,,,124 also dem einzelnen eine ausrei121 Behr grenzte sich dabei zunächst von der Rotteck'schen Definition des Staatszweckes als zu weitgehend ab, während er Mohls Verständnis von Rechtssicherheit zu eng gefaßt sah. Ebd., S. 10 ff. (= Einleitung). Zur genauen Definition der Aufgaben und Mittel der Polizei s. ebd., S. 51 ff. 122 Zitat ebd., S. 129; vgl. dazu auch S. 130 ff. (v.a. Anm. S. 134 f.). 123 Vgl. dazu ebd., S. 128 f. bzw. Anm. S. 128. Zu solcher Fürsorge zählte er auch die Pflege erkrankter Dienstboten und Gewerbsgehilfen (S. 132), eine Auffassung, die noch stärker von den persönlichen Verbandsstrukturen einer bäuerlich-handwerklichen Gesellschaft als von den entpersönlichten Arbeitsverhältnissen der Industriegesellschaft geprägt war. 124 Ebd., S. 115; ähnlich S. 123.

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chende Versorgung seiner physischen Subsistenz zu gewährleisten. Bildung erflillte dabei den doppelten Zweck, die Bestreitung des Lebensunterhalts sowie die Einsicht in rechtliche und sittliche Normen zu ermöglichen. In den Bereich polizeilicher Regelung fielen somit alle Versorgungs- und Versicherungsanstalten wie etwa Spar-, Witwen-, Waisen- und Leichenkassen, Brand-, Hagel- und Viehassekuranzen, das Unterrichtswesen - Spezialbildung ausgenommen -, das Gewerbe- und das Verkehrswesen einschließlich der Markt- und Meßordnungen. Dabei plädierte Behr flir eine liberale Handhabung. Der unternehmerischen Initiative sollte weitestgehend Raum gelassen werden, was voraussetzte, daß alle Hemmnisse bei Verkehr und Absatz, Ansässigmachung und Ausübung eines Gewerbes beseitigt wurden. Damit erschöpften sich aber bereits die Möglichkeiten, denn alles andere müsse "dem menschlichen Eigennutze und der nacheifernden Gewinngierde mit dem sichersten Erfolge überlassen"125 bleiben. Der direkte Einwirkungsbereich wurde auf die Prävention der Verarmung eingeschränkt. "Reichthum zu schaffen, höheren Wohlstand zu erhalten, mag die Sache der Volkswirthschaft sein,,,126 der Staat würde damit seine Kompetenzen überschreiten. Nicht nur, daß er dadurch die Eigeninitiative und -verantwortung lähmen würde; er würde sich formal von einer "Gesellschafts= Wirthschaft" in eine "Wirthschafts=oGesellschaft,,127 umwandeln und infolgedessen substantielle Eingriffe in die Freiheitsrechte und Entfaltungsmöglichkeiten der Staatsbürger vornehmen. Bei Behr wird augenfiillig, wie der Wirtschaftsliberalismus als Waffe im Kampf gegen den Absolutismus und dessen kameralistisches System geflihrt wurde. Gleichzeitig wirkten die Verteidigung der Rechts- und Eigentumslage sowie die Betonung der individuellen Leistungsfiihigkeit unter Voraussetzung der Bildungschance als Abwehr sozialistischer Denkmodelle. Am Ende entstand das Bild einer Gesellschaft, in der unter der Voraussetzung ausreichender Bildungs- und Berufsmöglichkeiten der Gemeinnutz aus dem Eigennutz der Bürger resultierte. Dem einzelnen billigte Behrs Gesellschaftskonzept mehr Mobilität und einen größeren Freiraum zu, wobei sich seine positive Utopie auf die nachfolgende Generation, die Jugend richtete. 128 Als Ganzes betrachtet wirkte sein Gesellschaftsmodell dagegen starrer als etwa das Riehlsche, weil es die Erwerbsbürgergesellschaft festschrieb, in der es einer

Ebd., S. 125; für das Vorhergehende vgl. S. 116 ff. Ebd., S. 66. 127 Ebd., S. 137. (Begriffe dort gesperrt gedruckt.) 128 Ebd., S. 135 f. Behr schilderte hier in den schönsten Farben das harmonische Zusammenspiel einer von Bildung und Wohlstand getragenen, in Rechtssicherheit lebenden Gesellschaft. 125

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Klasse schicksalhaft auferlegt war, "durch Lohnarbeiten ihre Subsistenz zu fristen".129 Für sie schlug er die Berechnung eines Minimallohnes vor, bezüglich ihrer gesellschaftlichen Stellung machte er dennoch wenig Hoffnung. Nicht zu Unrecht kritisiert deshalb Domarus an Behr, daß dessen Staatsrechtslehre zwar einem logischen System gehorche, in dem jedoch die "vielfliltigen Kräfte, die in Form von Organisationen, Ständen und sonstigen Gruppierungen direkt oder indirekt auf den Staat einwirkten",l30 keinen Niederschlag. gefunden hätten. Als ex-post-Analyse mag diese Bewertung ihre Geltung haben; allerdings sollte gegen Behr nicht der Vorwurf erhoben werden, daß er gesellschaftliche Entwicklungsphänomene außer acht gelassen hat, die erst nach 1848 allmählich in ihrer Formation begriffen waren. Überdies konnte aufgezeigt werden, daß Behrs Staatsbegriff gerade kein dogmatischer, theoretischer, seine Vorstellung einer organischen Verwaltung im Gegenteil sehr pragmatisch angelegt war. Maier wertet dies als Beleg dafür, "daß noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts selbst ein Anhänger einer streng auf den Sicherheitszweck beschränkten Rechtsstaatsidee keinen Anstand zu nehmen brauchte, wohlfahrtspolizeiliche Materien in breitem Maße in seine Verwaltungslehre einzubeziehen."l31 Meines Erachtens wird hier vor allem das Dilemma zwischen dem Theoretiker und dem Praktiker deutlich sichtbar: während der "Staatsrechtler Behr" Freiheit für die Gewerbe forderte, wollte der "Bürgermeister Behr" die Niederlassungsfreiheit dann doch zumindest so lange mit Zulassungsbeschränkungen versehen wissen, wie das Problem der ArmenfUrsorge nicht unter die Zuständigkeit des Staates fiel, sondern den Gemeinden oblag. Vom konkreten Beispiel abgesehen, zeigte sich die zwiespältige Haltung genau an der Nahtstelle zwischen Einzel- und Gesamtinteresse beziehungsweise bei der Frage, wie beides in Übereinstimmung zu bringen sei. Und mit Blick auf den allgemeinen Trend der liberalen Theoriediskussion dieser Zeit dürfte zumindest zu fragen sein, ob Behrs Überlegungen nicht eigentlich den Übergang vom noch wohlfahrts- zum bereits sozial staatlich geprägten Denken markierten.

\29 Ebd., S. 126. Dieses Lohnminimum müßte den tatsächlichen Lebensbedürfnissen entsprechend ermittelt und dem allgemein steigenden Wohlstand angepaßt werden (Anm. S. 137); dahinter stand also im Prinzip bereits die moderne Berechnungsmethode des repräsentativen "Warenkorbs" . \30 M. Domarus, S. 25 f. \3\ H. Maier, S. 235. Auch E. Pfeiffer, S.4, bestätigt Behr: "Ein Vertreter eines gewissenlosen, asozialen wirtschaftlichen Liberalismus ist er nicht gewesen."

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3. Der Staat als Garant ökonomischer Kompetenz bei F. B. W. Hermann Hatte Behr das Augenmerk vor allem auf den Bereich der "Volkswirtschaftsptlege" gerichtet und von hier aus die Frage nach der Vennittlung von Einzel- und Gesamtinteresse gestellt, wobei der Verwaltung die entscheidende Scharnierfunktion zugekommen war, so beleuchtete Hennann das Problem von der Seite der "Volkswirtschaftslehre" her. 132 Seine Ausführungen zu den einzelnen Untersuchungsgegenständen der Nationalökonomie gingen zunächst ganz selbstverständlich von den Grundaxiomen des Wirtschaftsliberalismus seit Adam Smith aus, dem Marktprinzip, der Konkurrenz sowie der Kapitalbildung. Doch ließen sich bereits bei diesen theoretischen Ausführungen nicht nur die Weiterentwicklung, sondern auch Abweichungen von den Gedanken der klassischen Ökonomie erkennen. Während etwa für Smith das Wirtschaftshandeln nach gleichsam naturgesetzlichen Regeln abgelaufen war, ließ Hennann auch subjektive Faktoren geiten. Dies wurde am deutlichsten in seiner Preistheorie, deren Weiterentwicklung heute als sein größtes Verdienst gewürdigt wird. 133 Hier brachte er neben den objektiv zu ennittelnden Produktionskosten auf der Angebotsseite auf der Seite der Nachfrager auch subjektive Momente wie deren Zahlungsfähigkeit oder den

\J2 In meinen folgenden Ausftlhrungen beziehe ich mich deshalb im wesentlichen auf Hermanns theoretisches Werk "Staatswirtschaftliche Untersuchungen", weil hier der Argumentationsgang am stringentesten zu verfolgen ist. Die erste Auflage der "Staatswirtschaftliche[n] Untersuchungen über Vermögen, Wirthschaft, Productivität der Arbeiten, Kapital, Preis, Gewinn, Einkommen und Verbrauch" erschien in München 1832. Eine zweite, wesentlich ausftlhrlichere und umfangreichere Auflage wurde nach einer von Hermann vorliegenden, allerdings nicht vollständigen Überarbeitung in München 1870 erst postum herausgegeben. Hermann selbst gab in seiner Eigenschaft als Leiter des Statistischen Büros seit 1850 die "Beiträge zur Statistik des Königreichs Bayern" heraus und veröffentlichte Abhandlungen und Rezensionen, vor allem in den Münchner "Gelehrte[n] Anzeigen". Darüber hinaus war er ftlr König Max 11. in allen Fragen der Nationalökonomie - von Finanzquellen und Bankangelegenheiten über Fragen der Gewerbe und Reform der Gewerbegesetzgebung, des Armenwesens, Zoll-, Handels- und Verkehrsfragen - gutachterlich tätig; s. Bestand GHAM Max IL 76-5-33, "von Hermanns Gutachten". \33 Hervorgehoben wird diese Leistung Hermanns etwa bei E. Schneider, Einftlhrung in die Wirtschaftstheorie, IV. Teil, I. Bd., Tübingen 1962, S. 108 ff., oder von H. Graul, Das Eindringen der Smithschen Nationalökonomie in Deutschland und ihre Weiterbildung bis zu Hermann, Diss. Halle/S. 1928, S. 191 ff.; vgl. auch ADB 12, S. 172. Die Beurteilung Hermanns schwankt allerdings. Während Schumpeter (lt. H. Graul, Anm. S. 193) ihn deshalb bereits auf halbem Weg zur Grenznutzentheorie sah, registriert Salin nur geringe Resonanz auf Hermanns Lehre, was er jedoch als symptomatisch ftlr das Desinteresse, ja ftlr das Verkennen der politischen Bedeutung der Nationalökonomie in Deutschland zur Mitte des 19. Jahrhunderts wertet. E. Salin, Politische Ökonomie, Tübingen 51967, S. 127.

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Gebrauchswert eines Gutes in Anschlag. 134 Trotzdem würden sich im Bereich der wirtschaftlichen Tätigkeit Gesetzmäßigkeiten feststellen lassen, "die von der Willkühr nahezu unabhängig wirken (gleichsam ... eine Naturlehre des Erwerbs und Verkehrs)".135 Nur diesen theoretischen Teil der Nationalökonomie bezeichnete er als Volkswirtschaftslehre, und insoweit unterlag auch der Staat mit seiner Regierungswirtschaft oder Finanz keinen anderen Regeln. In ganz anderer Weise sollte der Staat tätig werden, wo er es neben den allgemein anerkannten Aufgaben der Landesverteidigung und der Rechtspflege übernahm, immer dann einzugreifen, "wenn es der Privatthätigkeit an Einsicht, Kraft, Gemeinsinn fehlt." Damit begebe er sich auf das Gebiet der Volkswirtschaftspflege, rur das Hermann ebenso den älteren Begriff "Wirthschaftspolizei" geIten ließ und worunter er den "Inbegriff der gesetzlichen und Verwaltungsmaßregeln, mit welchen der Staat in die wirthschaftliche Thätigkeit des Volkes regelnd, beihelfend, fördernd, zwingend eingreift", 136 verstand. 1832 hatte er das noch weniger pointiert, sondern eher vage formuliert als diejenigen Einwirkungen auf Erwerb und Verkehr sowie jene Einrichtungen und Anstalten, welche zur Erreichung des wirtschaftlichen Zweckes - der damit zugleich zum Staatszweck wurde - notwendig seien, nämlich zur "Herstellung der größten Güterfülle für alle Bedürfnisse im Volke" .137 Das bedeutete nun allerdings nicht, daß die Volkswirtschaftspflege zur alleinigen Aufgabe des Staates erklärt wurde. Hermann verurteilte es im Gegenteil, wenn eine Regierung die Eigeninitiative ihrer Bürger derart einengte, daß sie letztlich dieses Gebiet allein besorgen mußte, und grenzte sich damit klar von der kameralistischen Auffassung ab. Er plädierte jedoch ebensowenig rur eine rigide eingeschränkte Staatstätigkeit wie die Klassiker der Nationalökonomie, obwohl seine Rollenzuweisung zunächst dem Smithschen Subsidiaritätsprinzip zu entsprechen schien. 138 Entscheidend war vielmehr, daß er von einer gänzlich anderen Grundvoraussetzung ausging. Für ihn ergab sich der Gemeinnutz nicht als Resultat des Eigennutzes, sondern der Gemeinsinn als solcher stand für ihn als gleichwertiges Prinzip neben dem Eigennutz. Dieser Gemeinsinn wirke als "tief in der menschlichen Natur wurzelnde Kraft" in allen Organisationsformen von der Familie bis zum Staat, wobei letzterer erst eigentlich aus ihm hervorgehe, und 134 F. B. W. Hermann, Staatswirtschaftliche Untersuchungen, Leipzig J 1924 (= unveränderte Neuausg. d. I. Autl., München 1832), S. 94 f. bzw. S. 66 ff. 135 Ebd., S. 17; für das Folgende S. 17 ff. 136 Ders., Staatswirthschaftliche Untersuchungen, München 21870, S. 74 bzw. S. 76. 137 Ders., Staatswirtschaftliche Untersuchungen, 31924 (= 11832), S. 17. 138 Vgl. dazu etwa J. Starbatty, Die englischen Klassiker der Nationalökonomie, Darmstadt 1985; darin v.a. Kap. 111: Die Aufgaben des Staates und deren Finanzierung, S. 38 ff.

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erweise sich als "eine Grundbedingung der wirthschaftlichen Entwickelung eines Volks, da man nur ihm die gemeinnützlichen Anstalten und Anordnungen zuschreiben kann, welche der Erwerb der Einzelnen voraussetzt, die aber der Eigennutz nicht herzustellen vermag.,,\39 Zwar gestand Hermann dem einzelnen zu, daß er in der Regel selbst am besten wisse, wie er seinen Erwerb sicherstellen und seinen Vorteil wahrnehmen könne, und räumte ein, daraus resultiere "im Ganzen eine Gleichförmigkeit der Wirkung die ihn in den meisten Fällen flir die Einzelnen, wie fürs Ganze wohlthätig macht. ,,140 Mehr noch als Smith sah er jedoch, daß das Individuum zunächst ein Umfeld von bestimmten SicherungsanstaIten, Infrastruktur, Bildungsmöglichkeiten, kurz Chancen vorfinden mußte, um seine Fähigkeiten zur Entfaltung bringen zu können. Ein Kennzeichen von "edeln und freien Völkern" sei es somit, daß sich bei ihnen die Einsicht in diese Gemeinbedürfuisse bereits mit der Bereitschaft verbinde, dafür egoistisches Gewinnstreben hintanzustellen. Aber selbst dann gebe es noch immer Einrichtungen, welche die Regierung anordnen müsse, "eben weil sie der Verein von Bürgern ist, welchem die Leitung der allgemeinen Angelegenheiten des Volks obliegt.,,141 Wenn so der Gemeinsinn zur Bürgertugend erhoben und damit konstituierendes Merkmal des Staates wurde, konnte Smiths Schlußfolgerung aus dem Walten des Eigennutzes nicht mehr gezogen werden. 142 Als Konsequenz dieser gänzlich anderen Sichtweise, die den Staat nicht hinter, sondern gleichberechtigt neben die Einzelinteressen stellte, ergaben sich zwingend andere AufgabensteIlungen und Ziele für denselben. Angestrebt wurde nicht mehr der "pursuit of happiness", sondern die "allgenugsame Befriedigung aller Bedürfuisse". Vom Standpunkt des einzelnen aus betrachtete es Hermann als durchaus legitim, eine Steigerung des Reichtums zu verfolgen. Der Wohlstand einer Nation dürfe jedoch nicht an der Höhe des Vermögens gemessen werden, sondern an ihrer Fähigkeit, "in ihrem Innern allgemeine Möglichkeit des Erwerbs, Erleichterung des Tauschverkehrs zur Ausgleichung und Wertherhöhung aller Leistungen"143 zu gewährleisten.

139 F. B. W. Hennann, Staatwirtschaftliche Untersuchungen, 31924 (= 11832), S. 15. 140 Ebd., S. 13. 141 Zitate ebd., S. 15 bzw. S. 16. 142 "Da nun der Einzelne ohne jene Anstalten in seinem Erwerbsgeschäft wohl nur wenig oder nichts zu Stande brächte, so kann man der Behauptung der meisten Wirthschaftslehrer seit Adam Sm i t h, daß der aus dem Eigennutz entspringende Verkehr der Einzelnen von selbst allen Anforderungen an die Volkswirthschaft genüge, nicht beistimmen." Ebd., S. 14. 143 Ebd., S. 11 f.; vorhergehendes Zitat S. 11. Ebenso deutlich hieß es kurz vorher: "Wegen der Verschiedenheit der Subjecte kann bei großem Vennögen im Ganzen doch die wirthschaftliche Lage eines Volks eine sehr üble seyn, - wenn eine übergroße Zahl der Bürger keinen Antheil am Gesammtvennögen hat." (S. 11)

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Hier reihte sich Hermann in die Denktradition seit Fichte und Hegel ein weIch letzteren er an dieser Stelle zitierte -, die im Staat mehr als die Summe der Einzelindividuen sah. Das befreite den einzelnen zwar vom Unterworfensein unter die bei Smith noch durch die "invisible hand" repräsentierten Naturgesetzlichkeiten der Glückseligkeitslehre. Stattdessen wurden jetzt die mit der Anerkennung der Freiheit des Individuums und der Wirtschaft wachsende Ungleichheit und Proletarisierungstendenz innerhalb der Gesellschaft zunehmend als Problem empfunden, in das nur noch der Staat qua Güterausgleich regulierend eingreifen konnte. Die staatliche Wirtschaftspolitik sowie das Verwaltungshandeln in diesem Bereich erhielten dadurch ihre Sanktion. Im Einbringen der ethischen Komponente bestand das Charakteristikum der Um- und Weiterbildung der klassischen Nationalökonomie in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Vertretern wie Soden, Jacob und Lorenz von Stein. 144 Hermann arbeitete diese Doppelfunktion der Nationalökonomie wesentlich schärfer heraus als noch Rau, an dessen Volkswirtschaftslehre er bemängelte, daß sie zunächst vom Prinzip des Eigennutzes ausgehe, um dann doch in fast allen Bereichen die Hilfe der Regierung hinzutreten zu lassen. 145 In der Betonung der persönlichen Freiheit, der Selbstbestimmung und Selbstverantwortlichkeit des Individuums 146 ging Hermann jedoch mit der klassischen Schule einig. Der Staat erhielt bei ihm weder die dirigistische Kompetenz wie in der kameralistischen Lehre noch die alles durchdringende Substanz wie bei den Romantikern. Dem Bürger als Einzelperson kam ein aktiver Part im Staat zu, und die Einsicht in die GeIheinbedürfnisse erwies sich eher als eine Frage der Bildung und damit als Anzeichen rur das Entwicklungsstadium einer Nation auf dem Weg zur bürgerlichen Gesellschaft. Ganz in diesem Sinn plädierte Hermann etwa in seinen Gutachten zur Gewerbegesetzgebung rur Freizügigkeit bei Ansässigmachung und Verehelichung anstatt neuer Gewerbeinstruk-

144 Vgl. dazu J. Grünfeld, S. 59 ff.; H. Graul, S. 207 ff.; H. Winkel, Die deutsche Nationalökonomie im 19. Jahrhundert, Darmstadt 1977, S. 127 f. Dabei ist zu beachten, daß um die Jahrhundertmitte in England John Stuart Mill zu ähnlichen Erkenntnissen gelangt war. Auch er sah die Produktion unveränderbaren Gesetzmäßigkeiten unterworfen, wogegen die Verteilung des Wohlstands von der Gesellschaft geregelt werden konnte, somit Aufgabe des Regierungshandelns war. J. Starbatty, Die englischen Klassiker der Nationalökonomie, S. 23 f., S. 94. 145 F. B. W. Hermann, ebd., Anm. S. 18. 146 Wesentlich deutlicher wurde dies in der 2. Auflage der "Staatswirthschaftliche[n] Untersuchungen" (1870), wo Hermann als Voraussetzung jeder Ökonomie die "Anerkennung und Sicherung der persönlichen Freiheit und des Eigenthums" nannte (S. 53). Johann v. Helferich, ein Schüler Hermanns, betonte in seinem 1878 erschienenen Aufsatz diesen Aspekt besonders, was wiederum im Zusammenhang mit der damaligen sozialpolitischen Debatte gesehen werden muß. Ders., Fr. B. W. v. Hermann als nationalökonomischer Schriftsteller, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 34 (1878), S. 638-651.

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tionen, die unter diesen Umständen nur Willkür und Bevormundung hervorrufen könnten. 147 An dieser Stelle wurde zugleich die grundlegend andere Sichtweise des Ökonomen deutlich. Im Gegensatz zu Behr, ftir den die Wirtschaft eine Funktion im Staatsleben zu erftillen hatte, erhielt der Staat in Hermanns ökonomischem Ansatz eine Funktion im Wirtschaftsleben. Analog dazu steckte er den Freiheitsradius für das wirtschaftliche Handeln der Bürger ab. Ähnlich wie auf politischem Gebiet schien sich aber auch hier der Liberalismus infolge der Analyse der historischen Fakten von seinem klassischen Vorbild zu entfernen und dem Staat größere Eingriffsmöglichkeiten zu gestatten.

4. Individuelle Wirtschaftsinteressen und staatlicher Gemeinsinn Als notwendige Ergänzung soll deshalb an dieser Stelle auf die Schriften des Ministerialbeamten earl Theodor Kleinschrod 148 eingegangen werden, obwohl sie streng genommen nicht in eine Reihe mit den theoretisch angelegten Werken gestellt werden dürften. Die Arbeiten faßten in der Regel die Ergebnisse der Beobachtungen während seiner Aufenthalte in England und Frankreich zusammen. Die Darstellungen waren jedoch niemals zweckfrei, zumal wenn die Reisen im Auftrag der bayerischen Staatsregierung unternommen worden waren. Neben Abhandlungen über technische Probleme richtete sich sein Hauptaugenmerk zunächst auf die Gewerbegesetzgebung, um sich ab Mitte der 40er Jahre auf das Problem des Pauperismus zu verlagern. Kleinschrod legte seinen Untersuchungen die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen sowie das vorhandene statistische Material als Basis zugrunde. Die Darstellung und Erläuterung seiner Quellen fiihrte er weiter zur grundsätzlichen 147 GHAM Max [I. 80-4-298, "Handels- und Gewerbswesen Uberhaupt". Darin Gutachten v. Hennanns zur Refonn des Gewerbewesens aus den Jahren 1861 und 1862; s. v.a. die Gutachten vom 10.3.1861 und vom 14.3.1862. 148 Car[ Theodor K[einschrod (1789-1869); entstammte einer angesehenen WUrzburger Juristenfamilie (bei seinem Onkel studierte z.B. W. J. Behr) und studierte selbst 1808-1812 in WUrzburg die Rechte. Nach Praktikanten- und Assessorenzeit 1824 Oberberg- und Salinenrat in Kissingen, noch im gleichen Jahr in MUnchen; 1832 Ministerialrat im Innenministerium (Referent für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe sowie Statistik); 1835 Ministerialrat im Finanzministerium (Referent für Zollwesen, Schiffahrt und Salinen); 1848 Ministerialrat im neugegrUndeten Staatsministerium für Handel und öffentliche Arbeiten. Nach: W. Schärl, Die Zusammensetzung der bayerischen Beamtenschaft von 1806 bis 1918, KallmUnz 1955, Nr. 257. S. 185. Vgl. H. J. Teuteberg, Die Ansichten des bayerischen Altliberalen Carl Theodor Kleinschrod (1789-1869) Uber [ndustriestaat und Soziale Frage im Vonnärz, in: Wcltpolitik - Europagedanke - Regionalismus, Münster 1982, S. 220; dort auch ein Verzeichnis der wichtigsten Schriften Kleinschrods (S. 242, Anm. 8). Zu Kleinschrods Reisetätigkeit vgl. Kap. 0.1.1., Anm.25.

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Erörterung, weIche die Relevanz für oder die Übertragbarkeit auf die gegenwärtigen Verhältnisse in Deutschland beziehungsweise Bayern verdeutlichen sollte. Dabei berücksichtigte er sowohl wirtschafts- wie auch gesellschaftspolitische Aspekte, so daß seine Arbeiten eine gewisse Synthese der bei den bereits behandelten Gesichtspunkte, wenngleich kein eigenständiges Lehrgebäude darstellen. Deshalb soll die theoretische Grundposition Kleinschrods, den Teuteberg als "Altliberalen" bezeichnet,149 weniger interessieren, da diese sich ohnehin nicht wesentlich von derjenigen der beiden vorgenannten Autoren unterschied. Was die Wirtschaft betraf, setzte er Sicherheit des Eigentums, Kapitalakkumulation und Arbeitsteilung voraus. Das Konkurrenzprinzip wurde akzeptiert und der Einsatz von Maschinen ausdrücklich bejaht, zumal letztere "offenbar die Befreiung des Menschen von knechtischer Arbeit,,150 garantierten. Die Industrie wurde positiv gewertet, insofern sie als "eine der ersten und unentbehrlichsten Stützen des geselligen Lebens, ja gewissennaßen als die materielle Basis der Staaten selbst,,151 und damit als konstitutiv rur eine Stufe des Fortschritts zu gelten hatte. Dagegen erwiesen sich die Auswirkungen der Industrie auf die Gesellschaft als äußerst negativ. Das Charakteristikum der modemen Produktionsmethoden bestehe in deren Kombination mit naturwissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen. Infolgedessen werde zwischen den einzelnen Industriestaaten ein Konkurrenzkampf entfesselt, der in ihrem Innern unweigerlich das Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion störe und das Niveau der Arbeitslöhne drücke. 152 Wenn daher Kleinschrod an der Nationalökonomie kritisierte, daß das "Wachsthum der Produktion unmöglich unter allen Umständen mit Vennehrung des Reichthums einer Nation gleich bedeutend sein" könne, und in ihr das sittliche Prinzip vennißte, erinnerte seine Diktion an Hennanns FrontsteIlung gegen die Lehre der klassischen Ökonomie.

149 H. J. Teuteberg, S. 219. Die Subsumierung Kleinschrods unter die "Gruppe deutscher Volks- und Staatswirte" (ebd.) scheint mir allerdings zu hoch gegriffen. 150 C. Th. Kleinschrod, Die neue Armengesetzgebung Englands und Irlands, Anm. S. 32 f., Zitat Anm. S. 33. 151 Ders., Ueber die Beförderungsmittel der Agrikultur und des Gewerbwesens in Frankreich, S. I. 152 Ders., Die neue Armengesetzgebung Englands und Irlands, S. 11 ff. Dort hieß es u.a.: "Es ist also die entfesselte, im fortwährenden Aufschwunge begriffene Industrie selbst, welche die Massenverarmung erzeugt und somit den Keim nicht nur ihrer eigenen Zerstörung, sondern auch der Zerrüttung der socialen Ordnung in ihrem Schooße trägt" (S. 12). Für das Folgende vgl. S. 15 ff., Zitat S. 16.

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Das "höhere Prinzip der Humanität" geltend zu machen, sei Aufgabe der Regierung. Als adäquater Bereich biete sich dafiir das Bildungswesen an. 153 Damit war die Tätigkeit des Staats keineswegs erschöpft, sollte jener doch dafiir sorgen, "in vollkommenem Ueberblicke aller volkswirthschaftlichen Momente und in klarer Erkenntniß des Wesens der Gesellschaft überhaupt und der gesammten Güterproduktion insbesondere die mit dem bestehenden Rechtszustande und mit den Prizipien der Nationalökonomie vereinbaren Maßregeln eintreten zu lassen, wodurch partielle Störungen beseitigt, die gesunkenen Kräfte neu belebt und die wahren Produktionsquellen allen Klassen der Gesellschaft so viel möglich zugänglich gemacht werden." Bereits die Formulierung ließ erahnen, daß die Verknüpfung wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Ziele vom Regierungs- und Verwaltungshandeln weniger einschneidende Reformen und durchgreifende Maßnahmen verlangte als sorgfliltig austarierte Kompromisse auf der Basis umfassender Erhebungen. Es fragt sich allerdings, wie Kleinschrod begründete, daß dieses diffizile Gleichgewicht der kompensatorischen Einwirkung des Staates bedurfte und sich nicht selbsttätig im Zusammenwirken der verschiedenen Kräfte herstellen konnte. Sicherlich war er ebenfalls skeptisch, was den Gemeinsinn der Bürger anbelangte. Für die ständige Geflihrdung, ja sogar Vereitelung des Gleichgewichtszustandes machte er jedoch die "Anarchie des Kapitales" verantwortlich, dessen "unbedingtes Schalten über menschliche Arbeitskräfte, die Gesetzlosigkeit rücksichtlich der Bewirthschaftung der Kapitale in der Gesellschaft," 154 den Spekulationsgeist in der Industrie wie im Handel. Zwar teilte er nicht die Sichtweise von Marx und Engels - dessen 1845 erschienene Schrift über "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" Kleinschrod als getreue Schilderung der Zustände würdigte -, wonach allein die Existenz des Kapitals die Ursache des Pauperismus war. Er argumentierte von der Position des Rechtsstaates aus, welche zur Aufrechterhaltung der Rechtssicherheit Einschränkungen der Freiheit des Eigentums zuließ, wenn andernfalls Dritte, oder abstrakt: das Gemeinwohl, geschädigt würden. Durch Insistieren auf dem Rechtsstandpunkt schlug Kleinschrod das Wirtschaftsbürgertum mit den eigenen Waffen und stellte dem von jenem reklamierten Schutz des Eigentums dessen Sozialpflichtigkeit gegenüber. Anstatt der von den Sozialisten geforderten "Organisation der Arbeit" müsse die "Organisation der Nationalwirthschaft selbst" vorangetrieben werden, also "die Gestaltung der Gesellschaft vom Staate" aus, um so zu verhindern, daß "der umgekehrte Fall eintreten und

153 Ders., Der Pauperism in England in legislativen, administrativen und statistischen Beziehungen, Regensburg 1845, S. XIV. Ebenso in: ders., Die neue Armengesetzgebung Englands und Irlands, S. 62 ff.; das folgende Zitat ebd., S. 28. 154 Ebd., S. 33 ff., Zitat S. 33; vgl. auch S. 14. 11 Burkhardt

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die Umfonnung des Staates durch den Begriff und das Leben der Gesellschaft erfolgen,,155 werde. Sein Beharren auf dem Rechtsstandpunkt kam somit einem Plädoyer flir staatliche Refonnen gleich, mit denen der Staat die Initiative in der Hand behalten und einer revolutionären Umwälzung zuvorkommen würde. Mehr noch: nur der auf refonnerischem Weg erfolgte Wandel der Rechtsnonnen galt ihm als legitim. Deutlich wurde dies, wenn er an der Gewerbegesetzgebung Frankreichs nicht deren Inhalt, wohl aber deren Zustandekommen im Verlauf der Revolution kritisierte. 156 Gleichzeitig diente die eingenommene Rechtsposition als Argument gegen jegliche revisionistischen Zunftforderungen, da "in Staaten von hoher Entwicklungsstufe" weder zum Schutz der Gewerbe noch zur Regelung der Ausbildung zünftige Organisationen erforderlich seien. 157 Der Rekurs auf das Rechtsstaatsprinzip verfolgte somit den doppelten Zweck, das Wirtschaftsbürgertum gegen die neu heraufziehende Klasse der Arbeiter abzusichern sowie dessen Durchsetzungsfähigkeit gegen den "alten Mittelstand" der Handwerker zu stärken. Während der Staat merkantilistischen Grundsätzen absagen und seine Sorge auf "die Beförderung der innern Produktion,,158 legen sollte, wurden im Gegenzug vom Bürger Konzessionen an das Gemeinwohl eingefordert - der "ächte Bürgersinn". Der Grundtenor von Kleinschrods Ausflihrungen zum Thema Pauperismus veränderte sich allerdings im Lauf der Zeit. Beurteilte er 1849 die Wirksamkeit des Vollzugs der Annengesetzgebung des Jahres 1834 in England noch eher skeptisch bis pessimistisch, bewertete er 1853 dank staatlichen Eingreifens und der zunehmenden Einsicht der Unternehmer den Pauperismus keineswegs als zwingend notwendige Folge der Industrie. Endlich erschien ihm 1866 die Armut nicht mehr als Konsequenz des gesellschaftlichen Zustands, sondern eigeEbd., S. 18; die bei den vorangegangenen Begriffe S. 35. Ders., Ueber die Beförderungsmittel der Agrikultur und des Gewerbwesens in Frankreich, S. X f. Für die deutschen Staaten empfahl er deshalb seine Ausführungen mit dem Vorbehalt: "... unter der schützenden Aegide des Rechts für das Bestehende, und die Berufung - auf Motive der höheren Staatsweisheit." (S. XII) 157 Ebd., S. 73. Als weiteres Gegenargument führte er an, daß angesichts des technischen Fortschritts die strikte Trennung der Gewerbearten praktisch nicht mehr durchführbar sei. (S. 73 f.) 158 Ebd., S. VI; dort wurde auch der "ächte Bürgersinn" definiert, "der sich in vielfachen Bemühungen und Opfern der Privaten, in der freywilligen Uebernahme ruhmvoller Arbeiten zur Förderung des allgemeinen Wohlstandes ausspricht". Ähnlich ders., Der Pauperism in England, Augsburg 1853, S. IX, wo es - auf England bezogen - hieß, mit der Zeit müsse "die Ueberzeugung mehr und mehr die Oberhand gewinnen, daß das Wohl der Arbeiterklassen mit den wahren Interessen der Manufakturindustrie selbst**), sowie mit dem öffentlichen Wohl der ganzen Gemeinschaft aufs Innigste verbunden ist". 155

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nen Verschuldens der Betroffenen, und er verwies mit diesem Argument die Sorge für die Verarmten endgültig an die Gemeinden. 159 Was sich in dieser Zeit nicht verändert hatte, waren das Einnehmen der Rechtsposition sowie der Grundsatz, wonach alle Maßnahmen zur Bekämpfung des Pauperismus nur Hilfen zur Selbsthilfe sein dürften. 16o Die inhaltliche Definition dieses Rechtszustandes war jedoch modifiziert worden und wurde nun als "Sicherheit des Eigenthums, Freiheit der Industrie, Verbreitung nützlicher Kenntnisse und weise Sparsamkeit in den öffentlichen Ausgaben,,161 beschrieben. Während früher zwischen privatem und öffentlichem Wohlstand eher ein tendenzieller Konflikt vermutet worden war, wurde jetzt auf deren innige Verflechtung hingewiesen. Dieser Perspektiven wechsel Kleinschrods belegt zugleich, zu welchen Wandlungen und Anpassungsschritten die liberale Position fiihig war, sofern sie eine realpolitische Haltung einnahm. Denn in Kleinschrod begegnet uns nicht ein Schöpfer originärer Gedanken und Ideen, sondern ein für diese Zeit typischer Vertreter eines bereits vom Historismus durchtränkten Liberalismus. Deshalb mißt Teuteberg dessen Schriften vor allem unter dem Aspekt der empirischen Überprüfung der Theorie sowie der Formulierung politisch-pädagogischer und gesellschaftspolitischer Aufgaben Wert bei. 162 Der Einfluß des Historismus sowie die Hinwendung zur Tagespolitik hatten bei vielen Liberalen eine Abkehr von streng theoretischen Dogmen und den "Versuch, die liberale Lehre auf ihre Übereinstimmung mit den besonderen Bedingungen des eigenen Staates hin zu überprüfen",163 bewirkt. Sie taten dies, um Einfluß im Staat zu gewinnen, und zwar sowohl im politischen wie im wirtschaftlichen Bereich. Die bayerischen Vertreter Behr und Hermann fügten sich hier in die breite Front der Kritik am klassischen Liberalismus ein, welche einen weiteren Schub durch den Revolutionsverlauf 1848 erhalten hatte. Selbst ein überzeugter fränkischer Liberaler wie Johann Gottfried Eisenmann hatte zum Beispiel in seinem Tätigkeitsbericht von der Frankfurter Nationalversammlung bemängelt, daß eine rasche Lösung der politischen und sozialen Fragen den Ar159 Ders., Die neue Annengesetzgebung Englands und Irlands, S. 8 ff.; ders., Der Pauperism in England, 1853, S. VIII; ders., Die Grundprinzipien der Politischen Oekonomie in kurzem Ueberblicke dargestellt, Wien 1866, S. 108. 160 Ders., Die Grundprinzipien der Politischen Oekonomie, S. 109, zusammenfassend: "Eine richtige volkswirthschaftliche Politik wird stets von dem Grundsatze ausgehen, einem Jeden seine eigenen Interessen ungehindert verfolgen zu lassen, so lange nicht jene Dritten dadurch verletzt werden, und den Weg des Zuvielregierens zu vermeiden." 161 Ebd., S. 109. 162 H. J. Teuteberg, S. 239: Kleinschrods Beitrag zur Fortbildung der klassischen ökonomischen Doktrin stuft er dagegen als gering ein. 163 H. Winkel, S. 15.

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beitern mehr gedient hätte als die endlosen Debatten über die Beglückung des Volks. Bei Andauern dieses Zustands schien ihm "die Auflösung aller bürgerlichen Ordnung unvermeidlich", es entstünde "ein Krieg Aller gegen Alle, und unser schönes Teutschland wird eine Räuber= und Mörderhöhle."I64 Dabei darf nicht übersehen werden, daß sich unter wirtschaftlichem Gesichtspunkt mit der Kritik an der klassischen Ökonomie zugleich die Auseinandersetzung zwischen Befürwortern von Schutz- und Erziehungszöllen, deren prominentester und vehementester Vertreter Friedrich List war, und den Anhängern der Freihandelsschule um John Prince-Smith artikulierte, was im Wirtschaftsleben der Kollision der gegensätzlichen Interessen von Industrie und Handel entsprach. Wo der Liberalismus seinen Tätigkeitsbereich auf die Nation einschränkte, und als Bezugsgröße dafür galt nach 1848 auch wieder der souveräne Einzelstaat, lag ein antifreihändlerischer Affekt nahe. Dies umso mehr, als die Definition des Nationalwohlstands als Wohlstand im Innern einer Nation, der letztlich auf der produktiven Arbeit beruhe, von der klassischen Ökonomie übernommen und gegen das merkantilistische System der Mehrung des Nationalreichtums durch gesteigerte Finanzquellen ins Feld geführt wurde. Dieser Nationalwohlstand könne sich nur bei Akzeptanz der Marktmechanismen, des Konkurrenzprinzips und der Kapitalakkumulation als Folge wirtschaftlicher Freiheit entwickeln, wobei dem Staat im Rahmen der Wirtschaftspflege die Aufgabe zuwachse, mit Infrastruktur, Bildung und Sicherung der Eigentumsrechte das geeignete Umfeld zu schaffen. Dennoch entging den Liberalen nicht, daß beim Praktizieren der Wirtschaftsfreiheit zwei Bevölkerungsgruppen zurückfallen mußten: der "alte" Mittelstand im Handwerk und die neue Klasse der Arbeiter in den Fabriken. Als Ursache dieser disparaten Entwicklung wurde, wie bei anderen gesellschaftskritischen Konzepten auch, die ungleiche Verteilung von Kapital und Eigentum verantwortlich gemacht. Da Kapital und Eigentum vom ökonomischen Standpunkt aus jedoch uneingeschränkt positiv bewertet wurden, waren die Vorschläge der Liberalen von sozialistischen Forderungen nach Umverteilung wie von Ausgleichskonzepten sozial-restaurativer Prägung gleich weit entfernt. Mit Blick auf die gesellschaftlichen Folgen ökonomischen Handeins mußte deshalb eine andere Lösung gesucht werden. Hier setzte ein, was als Aufgabe des Gemeinsinns bezeichnet wurde: die Absicherung, nicht jedoch die Ausschaltung des Risikos, die Gleichheit der Chancen, nicht jedoch des Auskom-

164 Bericht des Dr. Eisenmann an seine Wähler in Nürnberg und Bayreuth über unsere Zustände und Aufgaben, Nürnberg 1848, S. 7 f.. Zitat S. 8. Johann Gottfried Eisenmann (1795-1867) hatte im Vormärz, ähnlich wie Behr, für sein politisches Engagement Haftstrafen in Kauf nehmen müssen.

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mens, die Hilfe zur Selbsthilfe, aber keine Bestandswahrungsgarantie. Dazu sollte der Weg der Sozialreform beschritten werden, wobei die Formulierung der Leitlinien sowie deren gleichmäßige Durchsetzung dem Staat in seiner Funktion als Verein aller Bürger obliegen mußte. Das kam besonders deutlich bei Kleinschrod zum Ausdruck, der den Staat ermahnte, sich an die Spitze der Reformen zu stellen, wenn er sie lenken wolle. Dahinter stand nichts anderes als die Forderung nach staatlicher Sozialpolitik, weIche an die Stelle karitativer Mildtätigkeit einzelner oder der Kirche treten, aber ebenso das System der "guten Policey" und ihrer Maßnahmen zur Förderung der "Glückseligkeit" ablösen sollte. 165 Diese Aufgabenzuweisung Bürger / Wirtschaft und Staat / Sozialpolitik entsprach in etwa der in der Nationalökonomie vorgenommenen Trennung zwischen Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspflege. Unter der Voraussetzung dieser Aufgabenteilung - Leontovitsch spricht im Zusammenhang mit der Trennung von wirtschaftlicher und politischer Gewalt sogar von einer der "wichtigsten und grundsätzlichsten Gewaltenteilungen" 166 - war das liberale Bürgertum zur Kooperation mit dem Staat bereit, es bot sich ihm als Partner an und nicht mehr als Gegner. 167 Bedeutete dies aber schon einen Rückzug der Bürger aus der Politik in die Wirtschaft? Was Rüdiger vom Bruch als das "Janusgesicht" der bürgerlichen Sozialreform bezeichnet, das Befangensein in vorindustriellen Werthaltungen und Vorstellungshorizonten bei gleichzeitiger Kenntnis um den gesellschaftlichen Wandel und damit um die Unausweichlichkeit einer neuen sozialen Organisation, 168 läßt sich auf den Bereich der Wirtschaft übertragen. Dort wurde im Sinne Adam

165 E. Pan koke, Von "guter Policey" zu "socialer Politik", in: C. Sachße/F. Tennstedt (Hrsg.), Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung. Frankfurt/M. 1986, S. 148-177, hier v.a. S. 169 ff. 166 V. Leontovitsch, Das Wesen des Liberalismus. in: L. Gall (Hrsg.), Liberalismus, Königstein/Ts. 31985. S. 48. 167 Vgl. dazu J. 1. Sheehan, Der deutsche Liberalismus. München 1983, S. 100 ff. Sheehan beschreibt hier "die dissonanten Elemente, aus denen sich das politische und soziologische Denken des Liberalismus in den fünfziger und sechziger Jahren zusammensetzte", folgendermaßen: "... ein wachsender Glaube an den freien Markt bei altgewohntem Sich-Verlassen auf die ordnende Macht des Staates, ein breiteres Zutrauen zum Fortschritt der Gesellschaft bei unterschwellig weiterbestehenden Ängsten im Hinblick auf die Implikationen sozialen Wandels". (S. 105) Stürmer konstatiert bei den deutschen Liberalen ebenfalls "ein gespaltenes Verhältnis zur Freiheit, zum Staat wie zur Wirtschaft". das er knapp so skizziert: "Sie glaubten an den Fortschritt, an Leistung und den innerweltlichen Sinn von Bildung und Ausbildung. Sie mißtrauten dem Staat der Verwaltung und riefen ihn doch unausgesetzt in Tätigkeit." M. Stürmer, Die Suche nach dem Glück: Staatsvernunft und Utopie, in: K. Jeserich (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, S. 14. 168 R. vom Bruch (Hrsg.), "Weder Kommunismus noch Kapitalismus", München 1985,S.9.

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Smiths mit dem Individualismus argumentiert, wenn die Frontstellung gegen den zünftIerischen Monopolien- und Kastengeist eröffnet oder die Attacken des Sozialismus gegen Eigentum und Kapitalbildung abgewehrt werden sollten. Andererseits wurde der Gemeinsinn beschworen, wo bei Verfolgung des blanken Eigennutzes gesellschaftliche Verwerfungen zu befürchten waren. Daß dahinter der Gedanke stand, durch reformerische Anpassung einen unkontrollierten Umsturz der Gesellschaftsordnung zu verhindern, hatte bei Behr und Kleinschrod gezeigt werden können. Dies bildete ein konstitutives Element der sozialreformerischen Ansätze,169 womit sich deren Motivation in diesem Punkt nicht von den restaurativen Gesellschaftsmodellen unterschied. Anders verhielt es sich mit den Bereichen Bildung und Erziehung, die als besonders geeignete Felder staatlicher Förderungsmaßnahmen propagiert wurden. Zwar noch durchaus von aufklärerischem Ethos beseelt, verloren sie doch ihren normativen Anstaltscharakter. Auch hier wurde aber die Doppelfunktion sichtbar. Die staatliche Berufsbildung sollte das Ausbildungsmonopol der Zünfte aufbrechen und zielte dabei speziell auf das Individuum ab, dem es Chancen zur Behauptung in einer von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten Wirtschaftsverfassung eröffnen wollte. Die zugleich erhobene Forderung nach einer Erziehung zum Bürger, zu Bürgersinn und Gemeinsinn, verriet einen Geist, den bereits das Allgemeine Landrecht und die Preußischen Reformen geatmet hatten. Mit der Abkehr vom Nahrungs- und der Hinwendung zum Erwerbsprinzip auf ökonomischem Sektor wurde untrennbar ein neues Bürgerideal verknüpft, wie es unschwer auch bei Behr und Hermann zu erkennen gewesen war: die Vorstellung vom selbständig und eigenverantwortlich handelnden Erwerbsbürger. Den konservativen Publizisten Jörg veranlaßte dies zu dem Verdikt, der "modeme Liberalismus" habe seine Seele aus Manchester und sei "nichts Anderes als die politische Dogmatik derjenigen socialen Classe, welche von der modemen Nationalöconomie geschaffen worden ist. " 170 Dabei hatte er richtig diagnostiziert, daß sich der Bürgerbegriff der Liberalen endgültig aller ständischen Inhalte entledigt hatte und dieser neue Mittelstand nunmehr den Führungsanspruch in Staat und Gesellschaft erhob. 171 Selbst wenn

169 Vgl. etwa M.-E. Vopelius, S. 133 ff. (= Kap. V: Die Bedeutung des Schul- und Erziehungswesens fLir die Landwirtschaft und das Gewerbe). Jürgen Reulecke definiert die deutsche Sozialreform "als Bestreben ... , nach einem bestimmten gesellschaftlichen Leitbild die bestehenden sozioökonomischen Strukturen zu verändern - dies mit dem Ziel, vorhandene Ungleichgewichte zwischen gesellschaftlichen Gruppen auszugleichen, um so das soziale GefLige als ganzes neu zu stabilisieren." Ders., Formen bürgerlichsozialen Engagements in Deutschland und England im 19. Jahrhundert, in: J. Kocka (Hrsg.), Arbeiter und Bürger im 19. Jahrhundert, München 1986, S. 276 f. 1701. E. Jörg, S. VII. 171 Vgl. L. Gall, Liberalismus und "bürgerliche Gesellschaft", in: ders. (Hrsg.), Liberalismus, S. 175. Für Bayern bestätigt Blessing, daß das liberale Bürgertum sich seit den

11. Relativierung des Marktprinzips

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Kleinschrod in altdeutscher Diktion noch vom "ächten Bürgersinn" sprach, verband er damit keineswegs die Vorstellung einer Erneuerung der mittelalterlichen ständischen Gesellschaftsordnung oder einer Restauration der handwerklichen Zunftordnung. Die Formel von der "gesetzlichen Freyheit" sollte zwar dazu dienen, zwischen den infolge der Dynamisierung einer Erwerbsgesellschaft und der Rechtsordnung einer Eigentümergesellschaft getrennten Elementen Staat und Gesellschaft eine Brücke zu schlagen, nicht jedoch, um eine organische Verbindung beider wiederherzustellen. 172 Dabei traten allerdings zwei Konfliktbereiche zutage, die ebenfalls in den Werken der genannten bayerischen Autoren nachgewiesen werden konnten. Zum einen ergab sich in der Beziehung zwischen Wirtschaft und Staat ein Problem bei der Bewertung des Begriffs "Nationalwohlstand" im Verhältnis zum Reichtum des einzelnen, also an der Nahtstelle des Interessenkonflikts zwischen Individuum und Gemeinwohl - ein Problem, das Koselleck in Preußen bereits im Allgemeinen Landrecht angelegt sah als "künftige Antinomie zwischen Rechtsstaat und Sozialstaat". 173 Das zweite Spannungsfeld baute sich zwischen Wirtschaft und Gemeinde auf, wo die gestiegenen Anforderungen an die Mobilität und Flexibilität des einzelnen in einem auf Konkurrenz und Wettbewerb basierenden Marktgeschehen auf das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden und deren monolithische Strukturen trafen. Damit sind die zwei neuralgischen Punkte genannt, auf die hin sowohl das Verwaltungshandeln wie auch das wirtschaftliche Verhalten der Bürger überprüft werden müssen. Vorher wird sich die Untersuchung jedoch mit demjenigen der drei Produktionsfaktoren beschäftigen, auf den der Monarch sein Hauptaugenmerk richtete, mit dem Faktor "Arbeit". Am Beispiel des gewandelten Verständnisses und der steigenden Bedeutung, welche ihr im Lauf der Zeit zugeschrieben wurde, läßt sich die veränderte Funktion des Wirtschaftssektors innerhalb des staatlichen Gemeinwesens am besten nachvollziehen.

späten 1850er Jahren wieder Gehör verschaffen konnte und langfristig dem Staat als Partner zur Verfügung stand. Ders., Staat und Kirche in der Gesellschaft. S. 115. 172 Nipperdey spricht in diesem Zusammenhang vom Staat als "Agent und Garant der Freiheit". Ders., Deutsche Geschichte 1800-1866, München 31985, S. 725. M.-E. VopeIius wertet die in den dreißiger Jahren auftauchenden Begriffe wie 'System der geregelten freien Wirtschaft' oder 'freiern] Gewerbeordnung' als Beleg für die "Auffassung von einem begrenzten und gebändigten Liberalismus". Dies., S. 119. 173 R. Koselleck, S. 148. vgI. auch S. 144 f.

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D. Wirtschaftspolitik im Zeichen der Sozialpolitik (1848-1868)

111. Die neue Bewertung des Faktors" Arbeit" Welches Modell war das zünftisch organisierte, das einige romantische Konservative noch immer bewahren wollten, das aber 1848 auch in Bayern als endgültig überlebt begriffen wurde? Ein Blick zurück auf die mittelalterliche Wirtschaftsstruktur zeigt eine klare Scheidung zwischen ländlichen und städtischen Produktionsbereichen und hier wiederum in Handels- und produzierende Gewerbe. Innerhalb des gewerblichen Sektors wurden die einzelnen Sparten eines Handwerks streng voneinander getrennt, wobei die Lehrlingsausbildung sowie die von den Zünften kontrollierten Regelungen in bezug auf Herstellungsverfahren, zu verarbeitende Materialien bis hin zum dabei verwendeten Handwerkszeug dafür sorgten, daß diese Separierungen aufrecht erhalten wurden. Auf diese Weise wurden zwischen den einzelnen Handwerkszweigen Mauem errichtet, die sich zunehmend als hemmende Barrieren erweisen mußten, je mehr das Handwerk von außen durch die industrielle Entwicklung unter Druck geriet. Zugleich eignete jedoch der handwerklichen Gesellschaft eine für sie charakteristische Undifferenziertheit an. Nicht nur daß "Familienstube und Handwerksstätte, Familien= und Geschäftsvermögen ... vermischt, wirthschaftliche und gesellige Existenz aller Glieder des Betriebs ... gleichartig" waren. Im Handwerksbetrieb verkörperte der Meister "Kapital, Leitung, Arbeit, mechanische Arbeitskraft in Einer Person".174 Die Produktionsfaktoren "Kapital" und "Arbeit" lagen in einer Hand, und eine getrennte Rechnungslegung der hierauf bei der Produktion entfallenden Kosten war nicht erforderlich bei einer Betriebsführung, in der die Arbeit gebunden, wo deren Umfang und selbst der Zugang zur Arbeit durch Zünfte und Gewerbeordnungen reguliert und somit jede Konkurrenz unterbunden war. Produziert wurde nicht für einen schwer berechenbaren und theoretisch unbegrenzten Markt, sondern für einen überschaubaren, da meist örtlichen Bedarf, wobei Schwankungen der Bedürfnisse eher durch externe Faktoren, wie zum Beispiel gestiegene Nahrungsmittelpreise, verursacht wurden als durch raschen Wandel des Geschmacks oder der Mode. Der für die Produkte erhobene Preis war weniger das Ergebnis scharfer Kalkulation, sondern ein "iustum pretium", der den auskömmlichen Erwerb sichern sollte, den eine am Nahrungsprinzip orientierte Wirtschaft gewährleistete. Max Weber brachte dies auf die kurze Formel: "Zunftpolitik ist Nahrungspolitik.,,175

174 Deutsches Staats-Wörterbuch, hrsg. von J. C. B1untschli und K. Brater, Bd.3, StuttgartiLeipzig 1858, S. 481 bzw. S. 478. 175 M. Weber, Wirtschaftsgeschichte, München/Leipzig 21924, S. 129. Dort heißt es weiter: "Sie [die Zunftpolitik, I.B.] bedeutet Regulierung des gut bürgerlichen Fortkommens der Zunftangehörigen trotz erhöhter Konkurrenz infolge Engerwerdens des Nahrungsspielraums: der einzelne Zunftgenosse soll seine traditionelle Nahrung haben und darin erhalten bleiben".

III. Die neue Bewertung des Faktors "Arbeit"

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Daß eine solchermaßen eng normierte und kontrollierte Wirtschaftsordnung und -ethik kaum Spielräume für Expansion und Innovation ließ, liegt auf der Hand. Ebenso offensichtlich ist es aber, daß sie andererseits nicht nur den arrivierten Meistem eine gewisse Sicherheit versprach, sondern genauso den Gesellen, die damit rechnen konnten, eines Tages Teilhaber dieses Systems zu werden. Nicht zuletzt diese Sicherheit hatten die Verfechter romantischer Ideen mit im Blick, wenn sie die Rückkehr zum mittelalterlichen Ständestaat propagierten, in dem qua Teilhabe der Zünfte an der gemeindlichen Selbstverwaltung die im Gewerbe Tätigen zugleich in das Staatswesen inkorporiert waren. Genauso verständlich ist, daß die beiden davon profitierenden Gruppen immer noch Sympathie für dieses Modell empfanden. Unbestreitbare Tatsache war allerdings, daß die Realität im 19. Jahrhundert auch in Bayern längst nicht mehr diesen idealtypischen Vorstellungen entsprach. Das System war nicht erst infolge der Industrialisierung destabilisiert worden, sondern hatte bereits zu diesem Zeitpunkt immer stärkere Anzeichen einer Krise aufgewiesen. Diese lagen einmal in Mißständen im Innern und können mit den zeitgenössischen Schlagworten "Schlendrian" und "Monopoliengeist" umrissen werden. Sie wurden aber ebenso von außen verursacht durch das Aufkommen des Verlagswesens und vor allem der Manufakturen, die nicht den Zunftordnungen unterlagen und meist der Förderung des Landesherm gewiß sein konnten. 176 Die Romantiker versuchten diesen Tatbeständen insoweit Rechnung zu tragen, als sie die Wiederherstellung der mittelalterlichen Korporationen in moderner Form forderten. Trotzdem standen die Chancen für die Verwirklichung solcher Vorstellungen nicht gut. Längst betraf die Krise im Handwerk nicht mehr nur die Gesellen, die keine Aussicht auf eine Meisterstelle hatten, sondern sie erfaßte auch die Meister selbst, während sich gleichzeitig der neue Typus des Fabrikarbeiters herausbildete. Am anderen Ende des ideologischen Spektrums hatten daher die Sozialisten den Gedanken der Produktivgenossenschaft, der Assoziation, aufgenommen. Ungeachtet ihrer verschiedenen Argumentationsmuster wurden diese Konzeptionen in der öffentlichen Diskussion seit den 1840er Jahren zunehmend unter dem Schlagwort "Organisation der Arbeit" zusammengefaßt. Der Begriff, der sich vom gleichnamigen Titel eines Werks von Louis Blanc herleitete, wurde bald zum Synonym und damit stellvertretend für die ganze Ideenrichtung ge-

176.M. Stünner (Hrsg.), Herbst des Alten Handwerks, München 1986. Die Quellensammlung vennittelt ein anschauliches Bild vom Selbstverständnis des Handwerks in der Phase der Bedrohung und des Niedergangs.

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O. Wirtschaftspolitik im Zeichen der Sozialpolitik (1848-1868)

braucht, von der sich die ständisch oder liberal motivierten Assoziationsmodelle im Diskurs scharf abgegrenzt wissen wollten. 177 Ähnlich wie der Gedanke der Erneuerung der Zünfte richteten die Überlegungen sozialistischer Herkunft ihre Speerspitze gegen Klassenspaltung, Arbeitsteilung und Konkurrenzprinzip und damit in letzter Konsequenz gegen die Trennung von Arbeit und Kapital. Doch die beiden Lösungsansätze unterschieden sich nicht nur hinsichtlich der dahinterstehenden Wertvorstellungen und Gesellschaftsmodelle, sondern gingen zudem von sehr verschiedenen Termini der Arbeit aus. Eine Reorganisation des Zunftwesens sollte nach Möglichkeit das Aufbrechen der tradierten arbeitsrechtlichen Verhältnisse verhindern oder rückgängig machen. Dagegen operierte der sozialistische Ansatz bereits mit einem Arbeitsbegriff, wie er sich im Gefolge der klassischen Ökonomie herausgebildet hatte.

1. Die Trennung von Arbeit und Kapital Seit Adam Smith rechnete die Nationalökonomie mit der Trias der Produktionsfaktoren: Boden, Kapital, Arbeit, und Smith hatte analog dazu den Preis als Entgelt ftlr Rente, Arbeit und Profit 178 erklärt. Nolte würdigt es als bedeutende Leistung der Nationalökonomie, daß sie die Herausbildung einer vielfliltigen und arbeitsteiligen Wirtschaft begleitet und interpretiert hat, wobei er es als ihr großes Verdienst hervorhebt, "den wirtschaftlichen Sinn von Kategorien wie Kapital, Boden, Arbeit, Gewinn, Zins, Rente und Lohn herausgearbeitet zu haben.,,179 Diese Veränderungen wurden in Bayern aufmerksam registriert. Denn mit der Trennung vom Kapital rückte die Arbeit überhaupt erst als ein eigenständiger Produktionsfaktor in den Blickpunkt, der nunmehr unter Gesichtspunkten der Effizienz wie Zeit und Aufwand, Kosten und Nutzen beurteilt werden konnte. Der Münchener Nationalökonom Max Haushofer versuchte dies mit der Definition "Jede Arbeit ist ein Resultat der Wirkung einer Kraft in der Zeit am

177 Louis B1ancs Werk "Organisation du Travail" war 1840 in Paris erschienen. Zum Gebrauch des Begriffs in der übertragenen Bedeutung vgl. die Überlegungen Kleinschrods, Kap. 0.11.4., S. 161 ff. 178 A. Smith, An Inquiry into the Nature and Causes ofthe Wealth ofNations, Aberdeen/London 1848; darin: Chapter VI, Of the Component Parts of the Price of Commodities, S. 40-44, hier v.a. S. 42 u. S. 43. 179 E. Nolte, Marxismus und industrielle Revolution, Stuttgart 1983, S.244. Etliche zeitgenössische Autoren hatten es bereits als Leistung der Nationalökonomie begriffen, die Benutzung des Kapitals erhellt zu haben. Vgl. etwa A. Frhr. v. Holzschuher, Die materielle Noth der untern Volksklassen und ihre Ursachen, Augsburg 1850, S.21; C. Th. Kleinschrod, Die Grundprinzipien der Politischen Oekonomie, S. 14.

111. Die neue Bewertung des Faktors "Arbeit"

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Stoff im Raume" 180 gleichsam in der Art einer physikalischen Formel auf einen knappen Nenner zur bringen. Tatsächlich wurde ja eine Steigerung der Produktivität nicht nur durch den Einsatz neuer Techniken und Maschinen bewirkt, sondern ebenso durch eine Neuorganisation der Produktion im Wege der Arbeitsteilung, das heißt die planvolle Zerlegung und Kombination der einzelnen Arbeitsschritte im Hinblick auf den Einsatz von Maschinen und neuen Fertigungsmethoden. 181 Bereits von den Zeitgenossen wurde dies als Novum und als charakteristisches Merkmal industrieller Produktionsweise begriffen und beschrieben, wobei - je nach Standort - die positiven oder negativen Eigenschaften herausgestrichen wurden. Denn schließlich ermöglichte diese Art von Arbeitsteilung den kühl kalkulatorischen Blick auf den Arbeitsvorgang, den etwa Hermann darauf warf, wenn er riet, "die technische Thätigkeit scharf mit Zahl und Maß zu controliren und damit ganz der wirthschaftlichen Zurathehaltung zu unterwerfen. ,,182 Die Arbeitsteilung trug den Keim zur weiteren Effizienzsteigerung durch den Taylorismus bereits in sich. Den Zeitgenossen war überdies bewußt, daß in der Folge die Abhängigkeit der Arbeit vom Kapital zunehmen würde. Die neuen Produktionsformen erforderten für Maschinen und Arbeitslöhne eine Kapitalausstattung, wie sie der einfache Handwerksmeister niemals aufbringen konnte. So stufte zwar Holzschuher in seiner 1850 veröffentlichten Preisschrift die Arbeit als "das ursprüngliche Mittel zur Erzeugung materieller Güter" ein, fügte dann aber hinzu: "Ein Haupthebel zur schnellem und wohlfeilem Erzeugung aller dieser Güter ist das Kapital" .183 Dies entsprach ganz der neuen Trennung der beiden Faktoren. Der Arbeit kam demnach grundlegende Bedeutung in ihrer Funktion als "Hauptquelle des Reichthums,,184 zu - eine Auffassung, die quer zum fiskalischen Denken der Merkantilisten stand und für die Adam Smith den Weg geebnet hatte.

180 M. Haushofer, Die Zukunft der Arbeit nach den Entwickelungsgesetzen der Producte, München 1866, S. 18. Max Haushofer(1840-1907); 1866 Habilitation in Nationalökonomie und Statistik, ab 1868 Professor an der TH München. Veröffentlichte fachwissenschaftliche und belletristische Arbeiten, z.B. Reichtum und Glück (1871), Grundzüge der Nationalökonomie (1879). Nach: Bosis Bayerische Biographie, S. 312 f. 181 Max Weber versteht diese Art von Arbeitsteilung als Differenzierung des Produktionsprozesses durch Querschnitt statt durch Spaltung. Ders., Wirtschaftsgeschichte, S. 130 u. S. 132 bzw. S. 139 u. S. 141. 182 F. B. W. Hermann, Staatswirthschaftliche Untersuchungen, München 21870, S. 201 f. 183 A. Frhr. v. Holzschuher, S.4. Kleinschrod rechnete sogar die Beherrschung der Natur mittels Maschinen und Transportmitteln auf das Konto des Kapitals, mit dessen Hilfe "der grosse Hebel der modemen Industrie, die Arbeitstheilung mit Erfolg in Bewegung gesetzt" werde. Ders., Die Grundprinzipien der Politischen Oekonomie, S. 30.

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D. Wirtschaftspolitik im Zeichen der Sozialpolitik (1848-1868)

Zugleich wurde zunehmend die Rolle des Kapitals als potenzierender Faktor registriert und analysiert. Der bayerische Beamte Kleinschrod stilisierte in seiner optimistischen Sichtweise des Jahres 1866 das Kapital gar zum Gradmesser fUr Zivilisation und fortschreitende Prosperität und schrieb ihm die Fähigkeit zur Kompensation natürlicher Nachteile aufgrund von Lage, Klima und Boden zu. Mehr noch: "Alle socialen Elemente werden durch das Kapital belebt und verstärkt, mit seiner Hilfe werden die Menschen einander angenähert, die Entfernungen verschwinden, die Reichthümer aller Länder bieten sich auch dem entferntesten Consumenten dar, das Verlangen nach Gütern aller Art steigert sich und allmälig sieht sich der Mensch auf einer hohen Stufe seiner Bedürfnisse und Genüsse." 185 Für Kleinschrod, und nicht nur fUr ihn, verbanden sich die positiven Zukunftserwartungen eindeutig mit den stimulierenden Effekten des Kapitals! Für die Arbeit ergab sich daraus eine weitere Konsequenz. Das "Deutsche[ s] Staats-Wörterbuch" nannte neben Arbeitsteilung und Kapitaleinsatz die "Freiheit der Arbeit" als eine der Grundbedingungen gesteigerter Arbeitsproduktivität. 186 Mit dem Bemerken, es handle sich hierbei um die "VerfUgung des Arbeiters über den vollen Werth seiner Leistung" sowie "die Befugniß, seine Kräfte in der Weise anzuwenden, in welcher man sich von denselben den besten Erfolg verspricht", wurden die beiden Aspekte hervorgehoben, welche im Vergleich zu den zünftischen Arbeitsverhältnissen eine Erweiterung des Handlungsspielraums des einzelnen darstellten. Aber das war nur die eine Seite. "Das Eigenthümliche am Kapitalisten sowohl als am Arbeiter besteht also darin, daß er nicht nach Verhältniß des Gewinns der Unternehmung, sondern unabhängig hievon nach dem allgemeinen Marktpreis des Kapitals und der Arbeit bezahlt (entschädigt) wird." 187 Es war die Kehrseite der Freiheit der Arbeit, daß nicht nur deren Produkt, sondern in gleicher Weise die Arbeit selbst der Konkurrenz und somit dem Marktmechanismus unterworfen wurde. Das schuf einerseits die Möglichkeit, die engen Grenzen der zünftischen Produktion der

184 Aus dem von Friedrich List verfaßten Artikel "Arbeit", in: Rotteck/Welcker, Das Staats-Lexikon, Bd. I, Altona 1845, S. 604. Diese Auffassung, die durch eine lange Reihe ähnlich lautender Textzitate belegt werden könnte, folgte der Ansicht Adam Smiths, die dem Leser des "Wealth ofNations" mit dem ersten Satz der Einleitung vermittelt wurde: "The annuallabour of every nation is the fund wh ich originally supplies it with all the necessaries and conveniences of life which it annually consumes". Ders., S. 11. 185 C. Th. Kleinschrod, Die Grundprinzipien der Politischen Oekonomie S. 29 f. 186 Artikel "Arbeit", in: Deutsches Staats-Wörterbuch, Bd. I, StuttgartlLeipzig 1857, S. 265 ff. 187 A. Frhr. v. Holzschuher, S. 5.

111. Die neue Bewertung des Faktors "Arbeit"

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Bedarfsdeckung zu sprengen und zur Bedarfsweckung überzugehen analog dem Sayschen Theorem, wonach sich jedes Angebot seine Nachfrage schaffe. Es hieß aber andererseits, daß sich die Löhne ebenso wie die Preise nach dem Marktwert gestalteten. Damit war die Erwerbsethik des gerechten Auskommens obsolet geworden, und das Denken in Kategorien des Marktes hatte Einzug gehalten. Die Arbeit wurde als eine Ware betrachtet, die wie jede andere dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterworfen war. Das Ende der Nahrungsökonomie bedeutete rur die Mehrzahl der Erwerbstätigen "immer zugleich eine Lösung der ältern Beziehungen der Arbeit zum Besitz und Geschäft, eine ausschließliche Verweisung des Arbeiters auf seine Arbeit für seinen und der Seinigen Unterhalt." 188 Zumal dieser Modernisierungsprozeß nicht nur auf den industriellen Sektor beschränkt blieb, sondern gleichermaßen die Produktions- und Organisationsmethoden im Handwerk auf den Prüfstand stellte. 2. Arbeit, Gesellschaftsordnung und "soziale Frage" aus bayerischer Sicht Die Trennung von Kapital und Arbeit bewirkte also nicht nur eine Auflösung der tradierten Erwerbs- und Besitzstrukturen. Sie veränderte die Gesellschaftsordnung auch infolge des arbeitsrechtlichen Wandels, insofern eine den Marktkonjunkturen unterworfene Arbeit keine Subsistenzgarantie mehr darstellen konnte. Dies mußte die alten Kriterien der Ansässigmachung aushöhlen und die darauf basierende Gesellschaftsordnung sprengen. In dem Maß, wie gleichzeitig die alten zünftischen Sicherungssysteme versagten, verknüpfte sich das Problem der Arbeit mit der sozialen Frage. In einem Artikel zum Pauperismusproblem bezeichneten daher die HPBI die Arbeitsfrage als die materielle Seite der sozialen Frage. Abgesehen von der sittlich-moralischen Wirkung der Arbeit, sei sie dem Menschen so notwendig, weil sie ihm das tägliche Brot sowie ein menschenwürdiges Dasein gewähre. Soziale Not äußere sich demnach im Mangel "an entsprechender, sicherer, lohnender Arbeit".189 Diese drei Ansprüche bezüglich der Qualität der Arbeit

Deutsches Staats-Wörterbuch, Bd. I, 1857, S. 291. HPBI 31 (1853), S. 521 ff., Zitat S. 521. Die sittliche Komponente der Arbeit wurde vielfach hervorgehoben, sei es nun als Erfüllung des alttestamentarischen Verdikts "im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brod essen", HPBI 31 (1853), S.521, oder in Würdigung ihrer ethischen Bedeutung in der Bekämpfung negativer menschlicher Eigenschaften wie Trägheit, Flatterhaftigkeit und Genußsucht, in: Deutsches Staats-Wörterbuch, Bd. I, 1857, S. 270 (= Artikel "Arbeit"). Selbst bei einem säkularisiert-liberalen Verständnis, für das Behr stehen kann, erhielt die Arbeit eine moralische Kategorie, insofern Armut und Not Rechtsverletzungen Vorschub leisteten. Ders., Allgemeine Polizei=Wissenschaftslehre, Bamberg 1848, S. 63. 188 189

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sahen die Kritiker durch die neuen arbeitsrechtlichen Verhältnisse gerade nicht mehr gewährleistet. Der gegenwärtige Zustand schien ihnen ganz im Gegenteil dadurch gekennzeichnet, "daß der größere Theil der Menschheit seufzt im Mangel und Kummer, sein Leben hinschleppt, wie ein Thier, keuchend unter der Arbeit, genußlos in der Ruhzeit!" während die Begüterten "ohne Anstrengung die blind vertheilten Gaben des Glückes genießen, ja verprassen!" 190 Passagen wie diese, die einem Vortrag des Erlanger Nationalökonomen Friedrich Wilhelm Stahl vor der Versammlung des Industrie- und Gewerbevereins Fürth im März 1848 entnommen wurden, ließen sich in beliebiger Zahl anftlhren. Diese schonungslose Analyse, die mit scharfen Worten den Klassengegensatz als Ursache ftlr die unzureichende materielle Basis der Arbeiter geißelte, kann noch keinen Aufschluß über den politischen Standort des Verfassers geben, sondern erst der vorgeschlagene Lösungsweg. Stahl trug diese Aufgabe in erster Linie dem Staat an: "... er sichere dem Arbeiter sein Verdienst, enge den Spielraum des Kapitales ein, damit Platz bleibe ftlr jeden Arbeiter, und jeder, der arbeiten will, auch genießen und leben könne, wie ein Mensch.-" Die neue Aufgabe ftlr den Staat hieß also nicht mehr Sicherung der Nahrung, sondern Beschaffung von Arbeit! Dies war der Punkt, an dem Volkswirtschaftspflege und Freiheit der Arbeit, gesetzliche und natürliche Freiheit aufeinandertrafen. Mit der Ausformulierung der Eingriffsmöglichkeiten des Staates, der von seiner Seite erforderlichen Maßnahmen und der von ihm zu respektierenden Grenzen der natürlichen und Wirtschaftsfreiheit des einzelnen wurden zugleich Determinanten der Staatsund Wirtschaftsverfassung festgesetzt und somit Entscheidungen über die Ausgestaltung der Gesellschaftsordnung und der Staatsform getroffen. Beispielhaft hierfur sei die Auffassung des Philosophen Johannes Huber erwähnt, daß der Staat dieser Aufgabe umso erfolgreicher nachkommen könne, "je weniger er mit der Gesellschaft zusammenflillt, je mehr er noch eine Macht und einen Schwerpunkt außerhalb und über den Ständen der Gesellschaft besitzt.,,\91 Die klare

Die sittlich-moralische Bewertung der Arbeit soll hier jedoch nicht genauer untersucht werden, da sie kein wesentlich neues Merkmal gegenüber früher darstellt. 190 F. W. Stahl, Kritik der socialen Reformen Frankreichs und ihrer Folgen, Erlangen 1848, S. 2, folgendes Zitat S. 3. Friedrich Wilhelm Stahl (1812-1873); Bruder des bekannteren Rechtsphilosophen Julius Stahl. Zunächst Lehrer an der Gewerbeschule in Fürth (naturwissenschaftliche Fächer); nach dem Studium der Nationalökonomie (u.a. bei F. B. W. Hermann) ab 1847 Professor der Nationalökonomie in Erlangen, seit 1851 in Gießen. Nach: ADB 35, S.403. 191 J. Huber, Der Proletarier, München 1865, S. 17. Johannes Nepomuk Huber (1830-1879); Studium der Philosophie und katholischen Theologie in München; seit 1859 Professor für Philosophie an der dortigen Universität; im gleichen Jahr Indizierung seines Werkes "Philosophie der Kirchenväter" und Lehrverbot in Theologie. Huber gilt als Anhänger der romantischen Philosophie. Als weite-

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Trennung von Staat und Gesellschaft beziehungsweise Wirtschaft wurde für dieses Handlungsmodell geradezu zur unabdingbaren Voraussetzung. Dagegen strebten sowohl die an einer Reorganisation der Zünfte orientierten wie auch die sozialistischen und kommunistischen Vorstellungen letztlich eine Wiedervereinigung von Staat und Gesellschaft an. Allerdings bestand selbst bei Autoren, weIche Arbeitsteilung und Freisetzung der Arbeit als Fortschritt begrüßten oder als dessen zwangsläufige Folge tolerierten, oft genug noch keine Klarheit über die Zusammensetzung ihrer Zielgruppe oder deren Zukunftsperspektiven. Holzschuher begründete zum Beispiel die Abhängigkeit der Arbeitnehmer vom Unternehmer unter anderem damit, daß diese an die Scholle gebunden seien; 192 umgekehrt verbanden sich positive Erwartungen damit, die Arbeiter entsprechend materiell auszustatten und dazu anzuhalten, einen eigenen, bescheidenen Besitz zu erwerben. Nicht selten ging eine liberale Interpretation des Arbeitsrechts eine Verbindung mit einem an ständischen Strukturen orientierten staatsrechtlichen Denken ein, wonach der Staatsbürger als Besitzbürger definiert war, wie das bereits bei Riehl oder sogar einem Liberalen wie Behr hatte aufgezeigt werden können. Dabei gilt es zu berücksichtigen, daß sich in der Realität ebenfalls noch kein klares Selbstbewußtsein einer "Arbeiterklasse" herauskristallisiert hatte. Ein solches Bewußtsein war im behandelten Zeitraum erst in der Ausformung begriffen, was nicht weiter verwundern darf angesichts der großen Unterschiede, weIche in der Anfangsphase zwischen un- und angelernten Arbeitskräften oder Frauen und Kindern - etwa in der Textilindustrie - und zwischen einem, meist handwerklich vorgebildetem, hochspezialisierten Konstrukteur oder Techniker beispielsweise im Maschinenbau - bestanden hatten. Zudem war in Bayern die Zahl der Fabriken vergleichsweise gering. Aber auch im Handwerk verwischten sich die Grenzen zusehends, wenn von zwei Meistem desselben Handwerks "der eine als sehr kleiner Meister zu den arbeitenden, der andere als sehr großer zu den besitzenden Klassen gerechnet,,193 werden mußte.

rer Beweis für seine Auseinandersetzung mit der sozialen Thematik kann seine Vorlesung zur Geschichte der sozialistischen Bewegung und der sozialen Frage im Jahr 1875176 gelten. Nach: NDB 9, S. 695 f.; ADB 13, S. 235 f.; H. Rall, S. 517 f. 192 A. Frhr. v. Holzschuher, S. 5. 193 Artikel "Arbeitende Klassen" von Victor Aime Huber, in: Deutsches StaatsWörterbuch, Bd. I, 1857, S. 280. Zur heterogenen Zusammensetzung der Fabrikarbeiterschaft vgl. etwa W. Fischer, Innerbetrieblicher und sozialer Status der frühen Fabrikarbeiterschaft, in: ders., Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung, Göttingen 1972, S. 258-284. Ein konkretes Fallbeispiel liefert H.-l. Rupieper, Die Herausbildung der Industriearbeiterschaft im 19.1ahrhundert. Das Beispiel M.A.N. 1837-1914, in: J. Bergmann u.a., Arbeit, Mobilität, Partizipation, Protest, Opladen 1986, S. 199-219. Dort auch weitere Literaturangaben zu dieser Problematik.

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Den gewandelten Begriff der Arbeit konnten aber beide Gruppen filr sich in Anspruch nehmen. Denn jetzt erhielt die Arbeit rur sich sozusagen "staatstragende" Funktion - eine Eigenschaft, die vormals nur der Besitz filr sich in Anspruch hatte nehmen können und worauf letztlich der Handwerkerstand seine Bedeutung als tragender Mittelbau der Gesellschaft zurUckgefilhrt hatte. Ob es nun vor allem im Vorfeld des Jahres 1848 die Furcht vor einer Revolution war, die etwa Behr die Frage stellen ließ, "wie dieser grelle Gegensatz zu versöhnen, und zu verhüten sei, daß nicht die zum Dienen verurtheilte, überhaupt die ärmere Klasse ihren gleichen Antheil an den Schätzen der Natur gewaltsam herausfordere?,,194 oder ob "[i]n diesen Verhältnissen ... ein empörender Angriff auf die Menschenwürde und das Menschenrecht eines großen Theils der Gesellschaft"195 gesehen wurde, wie es Huber fast zwei Jahrzehnte später sehr viel allgemeiner formulierte: Die wachsende Ungleichheit sowie die ungesicherte Lage der Arbeiter als Folge ihrer Freisetzung wurden als Bedrohung des Staatswesens empfunden und daraus die Rechtfertigung beziehungsweise der Zwang des Staates zum Handeln abgeleitet. Gemäß dem Prinzip der "gesetzlichen Freyheit" erlaubten solche staatlichen Eingriffe zum Schutz der Arbeit jedoch keine grundsätzlichen Eingriffe in den Bestand des Kapitals, sondern einzig Maßnahmen gegen dessen gemeinschädliche Machtausübung, die Kleinschrod mit dem Schlagwort "Anarchie des Kapitals" gebrandmarkt hatte. Zur Erwerbsfreiheit gehörte analog, "daß jedem vorhandenen Capital auf die nach den Verhältnissen einträglichste Weise seine Verwendung gestattet werde."I96 Das schloß eine Umverteilung des Kapitals oder einen Einkommensausgleich aus; Gleichheit wurde verstanden als Gleichbehandlung in dem Sinn, daß jeder Anspruch auf einen seinem Fleiß, seiner Tatkraft und seiner Intelligenz entsprechenden Verdienst erheben konnte. 197 Dies richtete sich natürlich in erster Linie gegen die Forderungen der Sozialisten und Kommunisten nach gleichem Anteil aller am Gewinn. Zugleich markierte dieses Denken in Leistungskategorien den Bruch mit der auf Ausgleich bedachten Erwerbsmoral der Zünfte. Die Hinwendung zu leistungsorientierten Kriterien ruckte erneut die Qualität der Arbeit ins Blickfeld und legte den Keim rur ein von Erwerb und Verdienst geprägtes Gesellschaftsbild, wie es bereits in Riehls Überlegungen durchgeschimmert war. Huber ging mit seiner Forderung, "daß alle Fesseln fallen, welche den Kreislauf in der Gesellschaft unterbinden und die beständige Neubildung der Stände verhindern",198 noch einen Schritt weiter und ließ den Zusam194 W. 1. Behr, Allgemeine Polizei=Wissenschaftslehre, Anm. S. 134. 195 J. Huber, S. 68. 196 W. 1. Behr, Allgemeine Polizei=Wissenschaftslehre, S. 181. 197 F. W. Stahl" S. 3. 1981. Huber, S. 152.

III. Die neue Bewertung des Fakt{)rs "Arbeit"

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menhang von Befreiung der Arbeitskraft und Mobilität der Gesellschaft deutlich erkennbar werden. Sehr früh wurde es daher als Aufgabe des Staates begriffen, den deklassierten Arbeitern die für Aufstiegsmöglichkeiten notwendige Bildung zu vermitteln. Die Hoffnungen, welche etwa Behr in die Erziehung der nachkommenden Generation setzte, mündeten deshalb in den Appell, die Kinder der Fabrikarbeiter zu schonen und "zweckmäßig" zu unterrichten. l99 Dies konnte allerdings auch noch Kleinschrods Definition einer "populäre[n] Erziehung" umfassen, "neben Aneigung der materiellen Elemente des Unterrichts, den unteren Klassen die Mittel zur Erlangung menschlichen Glückes auch auf den niederen Pfaden des Lebens zu verschaffen, auf welchen nach der natürlichen Beschaffenheit der Gesellschaft die größere Mehrzahl zu wandeln bestimmt ist. ,,200 Sie sollte also den Zweck verfolgen, die Arbeiter mit ihrer Lage zufrieden zu stimmen. Etwa zur gleichen Zeit machte Holzschuher in seiner ausgezeichneten Preisschrift an erster Stelle die mangelhafte Erziehung und Bildung des Arbeiterstandes, und zwar unterschiedslos des industriellen wie des gewerblichen, für dessen Misere verantwortlich. 201 Bildung stand bei ihm, ebenso wie bei Behr, unter dem zweifachen Diktum, Befähigung zur Sicherung der Subsistenz wie zur Teilhabe am Staatswesen zu sein, denn sein Auftrag lautete, die unteren Klassen "sparsamer, weiser und besser zu machen". Bei Holzschuher trat allerdings der pragmatische Aspekt stärker in den Vordergund, wenn er "besondere Anstalten" favorisierte mit dem Bildungsauftrag, den Arbeitern "den Zugang zum Kapitalserwerb ... [zu] eröffnen". Hiermit kann nur angedeutet werden, was sich in der Folgezeit als Diskussion um Bildungsinhalte entspann und in Forderungen nach Entfrachtung der Allgemeinbildung, Differenzierung der Weiterbildung sowie einem forcierten Ausbau des technischen Schul- und Hochschulwesens mündete. 202 W. J. Behr, Allgemeine Polizei=Wissenschaftslehre, Anm. S. 135. C. Th. Kleinschrod, Die neue Armengesetzgebung Englands und Irlands, S. 64. 201 A. Frhr. v. Holzschuher; die folgenden Textzitate S. 134. In seinen Schlußfolgerungen führte Holzschuher unter Punkt 1 die Not der unteren Klassen auf Ursachen wie die Konkurrenz, die Macht des Kapitals und Konjunkturschwankungen zurück, betrachtete sie aber vor allem als Folge des gestiegenen Luxus und "des Mangels der Erziehung und Ausbildung in den untern Klassen der Bevölkerung." (S. 133 f., Zitat S. 134.) Sein Fazit lautete daher: "Nicht die Uebermacht des Kapitals, nicht der Eigennutz oder die Verabredung der Unternehmer ist die wahre Ursache der Noth des Arbeiterstandes, sondern vielmehr seine eigene mangelhafte Erziehung und Bildung." (S. 145) 202 Als Beispiel hierfür sei nur kurz erwähnt, daß Behr den Bildungsauftrag des Staates auf die Allgemeinbildung beschränkt sehen wollte. Institute wie Real- oder polytechnische Schulen, welche auf höhere Betriebsamkeit zielten, begriff er als Aufgabe derjenigen, die solch erhöhten Wohlstand anstrebten, also der Wirtschaft. Ders., Allgemeine Polizei=Wissenschaftslehre, S. 90 ff. Hermann wiederum kritisierte die Allgemeinbildung scharf als "ein deutsches Leiden, das schon in der Volksschule grassirt. Man bedenkt zu wenig, daß die überwiegen199

200

12 Burkhardt

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Weit mehr interessiert in diesem Zusammenhang Holzschuhers Argumentationsgang, in dessen Verlauf er die "Herrschaft des Geldes als Kapital, dem Arbeiter gegenüber" als weitaus gefährlicher als die ehemalige Feudalherrschaft scharf verurteilte, das Kapital als solches dagegen als "ein Erzeugniß der Sparsamkeit und Klugheit" verteidigte. 203 Wie bereits gezeigt werden konnte, war die gesellschaftsbezogene moralische Verurteilung bei, auf den einzelnen bezogenen, ökonomischer Bejahung des Kapitals der gemeinsame Nenner, auf den sich sozialpolitisch gemäßigte Liberale und fortschrittlich orientierte Konservative einigen konnten und dessen Widersprüche sie durch die Gemeinwohlbindung des Kapitals auszuräumen hofften. Ähnlich verhielt es sich beim Faktor Arbeit, wo zwar die Befreiung der Arbeitskraft als Erfordernis des Fortschritts erkannt, die dadurch drohende Spaltung der Gesellschaft in zwei antagonistische Klassen jedoch gefürchtet wurde. Die Sorge des Staates sollte hier dem Schutz und der Stabilisierung des Faktors Arbeit gelten, mit dem zunehmend die Möglichkeit von Auf- und Abstiegsprozessen verknüpft wurde in der Erwartung, auf diese Weise den Raum zwischen den beiden entgegengesetzten Polen der Gesellschaft neu füllen und eine Erstarrung in zwei gegensätzliche Fronten verhindern zu können. Die differenzierte Bewertung der Arbeit sollte also nicht nur wirtschaftlichen Erfordernissen Rechnung tragen, sondern gleichfalls der Herausbildung einer Arbeiterklasse als monolithischem Block in der Gesellschaftsstruktur entgegenwirken. 204 Huber wiederum unterstrich sein Eintreten für eine mobile Gesellschaft nachdrücklich mit der Warnung vor einer "Nivellierung der socialen Unterschiede".205 Häufig verband sich damit die Vorstellung eines Herabsinkens vom Gleichmaß zum Mittelmaß; grundsätzlich wurden jedoch alle Forderungen nach einem Ausgleich von Gewinn und Eigentum als Mißachtung der Individual-, einschließlich der Eigentumsrechte, zurückgewiesen. Mit dem Vorwurf, die

de Mehrzahl der Schüler sich mit Arbeit ernähren muß." Da die Volksschule die Regelschule sei, solle sie nur das absolut lebensnotwendige Pensum vermitteln, nämlich "Geduld, Aufmerksamkeit und Fleiß" sowie "die Gewöhnung an Gesittung und Wohlverhalten." Ders., Staatswirthschaftliche Untersuchungen, München 21870, S. 170 f. 203 A. Frhr. v. Holzschuher. S. 134. 204 Das "Deutsche[s] Staats-Wörterbuch" sprach beispielsweise die Interdependenz von Verfassungs- und Wirtschaftsentwicklung an. Dazu hieß es, daß einer "fabrikmäßige[n] Erwerbsgliederung mit ihrer unendlichen Detaillirung ... unmöglich ein mehr oder weniger zufällig abgezirkeltes Gleichgewichtssystem in korporativer Besonderung" korrespondieren könne, sondern einzig ein System angemessen sei, welches "die Mannigfaltigkeit verschiedener Existenzen und socialer Kräfte einerseits nach einem gewissen einfachen Maße (Census) politisch zusammenfaßt und sie andererseits der breiten Sonderbethätigung vielgestaltiger Selbstverwaltung überläßt." Aus dem von Schäme verfaßten Artikel "Fabrikwesen und Fabrikarbeiter", in: Bd. 3, 1858, S. 483. 205 J. Huber, S. 152 f, Zitat S. 152; es steht in der Fortsetzung seiner in diesem Kapitel auf S. 177 wiedergegebenen Ausführungen.

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Verschiedenheit der Individuen als wesentliche Komponente zu ignorieren, wurden alle diese Ansätze in das Reich des Irrealen, Utopischen verwiesen und ihr Scheitern angesichts der aktuellen Probleme prognostiziert: "Seifenblasen gleich zerrinnen die staatsphilosophischen Sisteme über Verbesserung der socialen Zustände, Umbildung der Gesellschaft, Veredlung der Menschheit und Organisation der Arbeit an der Wirklichkeit". 206 Alle vom Individuum ausgehenden Ansätze lehnten daher die "Organisation der Arbeit" als ungeeigneten Weg ab 207 und empfahlen stattdessen mit der Bildungsoffensive oder der Hilfe zur Selbsthilfe Lösungsvorschläge, die sich wiederum an den einzelnen wandten. Dem massenhaften Auftreten des Phänomens sollte in Form von Assoziationen oder der Organisation der Arbeiter Rechnung getragen werden. Letztere zielte vorwiegend auf die Industriearbeiterschaft und wies eher ordnungspolitische Züge auf im Sinne einer Disziplinierung der unorganisierten Masse, weniger als Herausbildung einer starken Interessengemeinschaft. 208 Leitender Gedanke bei der Assoziation war die Ausrichtung auf das Marktgeschehen. Durch Zusammenschluß sollten kleinen Gewerbetreibenden günstige Bezugsquellen und Absatzmöglichkeiten eröffnet sowie die Lagerhaltung finanziert werden, um sie von Konjunktur- und Preisschwankungen unabhängiger zu machen und das Handwerk für die Konkurrenz mit der Industrie zu stärken. In der Art des freiwilligen Zusammenschlusses einzelner Mitglieder entsprachen beide Organisationsformen dem Selbstverständnis eines sich in Vereinen artikulierenden liberalen Bürgertums. 209 Die streng sachgebundene Zielfestsetzung - hier auf wirtschaftliche und soziale Zwecke - unter Ausschluß politischer Einflußnahme bedeutete allerdings eine Einschränkung, welche ihrerseits die bürgerlichen Vereine während der Reaktionszeit selbst hatten hinnehmen müssen. Dadurch unterschied sich die bürgerlich-liberale Variante der Arbeiteror-

C. Th. Kleinschrod, Die neue Armengesetzgebung Englands und Irlands, S. 26. Kleinschrod bemerkte in diesem Zusammenhang, daß die sozialistischen Bestrebungen und ihre Erfolge "gleichbedeutend mit dem Umsturze der ewigen Ordnung auf weIcher die menschliche Gesellschaft beruht, mit vollendeter Anarchie" wären. Ebd., S. 27 f. 208 Holzschuher schlug etwa die Organisation der Arbeiter in Vereinen zur Artikulierung ihrer Interessen gegenüber dem Fabrikherm vor. Dabei bekannte er sich freimütig zu dem Hintergedanken, daß eine militärisch disziplinierte oder von Männern ihres Vertrauens geleitete Arbeiterschaft "der Ordnung nicht nur nicht gefahrlich [sein], sondern sogar für dieselbe wirken kann". Ders., S. 97. Im selben Tenor F. B. W. Hermann, Staatswirthschaftliche Untersuchungen, München 21870, S. 174 f. 209 "Die Association ... ist in der Fabrikgesellschaft das Element freier Einigung" und damit sozusagen "die Innung der Fabrikperiode ... , deren wirthschaftliche Eigenthümlichkeiten, Individualisirung und freie mannigfaltige Verbindung, sie ihren Voraussetzungen und ihrer wirklichen Gestaltung nach repräsentirt." Aus dem Artikel "Fabrikwesen und Fabrikarbeiter", in: Deutsches Staats-Wörterbuch, Bd. 3, 1858, S. 482. 206

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ganisation vom Zunftwesen wie von der Organisation der Arbeit, die eine möglichst lückenlose Erfassung mit dem Ziel politischer Einflußnahme erstrebten. Alle Bemühungen um den Faktor Arbeit kreisten somit um eine soziale Absicherung des Fortschritts, nicht jedoch um die Verbürgung einer Einkommensgarantie. Jedem einzelnen sollte das Recht der Anwendung seiner Arbeitskraft eingeräumt, nicht jedoch ein Recht auf Arbeit zugesprochen werden. Das beinhaltete die Akzeptanz eines "Arbeitsmarktes", der im System der Nahrungsökonomie keinen Platz finden konnte und dem die Organisation der Arbeit keinen Raum gewähren wollte. Der Arbeitsmarkt rückte die ökonomische Seite des Faktors Arbeit in den Vordergrund. Die Frage nach dem Verhältnis von Volkswirtschaftspflege und Freiheit der Arbeit stellte sich unter diesem Aspekt als Frage nach dem Angebot an beziehungsweise dem Entgelt rur Arbeitsleistung. Damit öffnete sich ein neuer Blickwinkel auf die soziale Frage. Die Anerkennung des Warencharakters der Arbeit gemäß den Prinzipien der Freiheit der Arbeit und der Konkurrenz ("die Löhnung, unterliegt der Konkurrenz gleich jeder andern Waare;,,2IO) zog die Preisgestaltung entsprechend Angebot und Nachfrage nach sich. Holzschuhers Bild der beiden Parteien - Kapitalisten und Arbeiter -, die in einer "Art friedlichen Kampfs" in ständigem Ringen um das jeweilige Übergewicht lägen,2I1 zeichnete nichts anderes nach als die Smithsche Theorie der Lohnpreisbildung, die von Gegnern wie Berurwortern dieser Entwicklung erst einmal als Fait accompli angenommen wurde. Demzufolge waren Löhne und Erträge ebenso den Konjunkturschwankungen unterworfen wie die Produktion und gehorchten den gleichen Gesetzen. Kleinschrod registrierte daher das zunächst paradox anmutende Phänomen, "daß endlich aus der Arbeit selbst der Pauperism sich erzeugt. ,,212 Dies schien die logische Konsequenz einer denkbar ungünstigen Ausgangssituation zu sein, in der der "Arbeiter, welcher weder Kapital noch ein anderes Subsistenzmittel als seine Arbeit besitzt, sich nicht in gleicher Lage als freier Verkäufer derselben, dem Arbeitskäufer oder Kapitalisten gegenüber befmdet;" Besitzende und Arbeiter flinden sich deshalb in ungleichen Positionen auf einem Markt wieder, wo "erstere die Arbeit nur dann kaufen, wenn sie ihren Spekulationen entspricht und stets zu den möglichst geringen Preisen *>,während die anderen ihre Arbeit jede Minute verkaufen oder jede Minute verlieren müssen. ,,2\3 210 211

C. Th. Kleinschrod, Der Pauperism in England, Regensburg 1845, S. XI. A. Frhr. v. Holzschuher, S. 6.

C. Th. Kleinschrod, Die neue Armengesetzgebung Englands und Irlands, S. 16. Zitatanfang aus: ders., Der Pauperism in England, Regensburg 1845, S. XI. Dort fuhr er fort: "... der letztere ist vielmehr stets frei, Arbeit zu verwenden, der erstere stets gezwungen, zu verkaufen; denn Arbeit ist für ihn mit Leben gleichbedeutend, er muß solche ununterbrochen vertauschen gegen die ersten Bedürfnisse seines Unterhalts." 212 213

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Kleinschrods Analyse kann in Diktion und Argumentation als typisches Dokument seiner Zeit gelten. In den Schilderungen der dem Arbeiterelend immanenten Ursachen herrschte eine weitgehende Übereinstimmung zwischen allen Gruppierungen des ideologischen Spektrums, die jedoch in dem Moment auseinanderbrechen mußte, in dem Überlegungen zur Veränderung dieser Situation einsetzten. Aus der Sicht der Sozialisten und Kommunisten bot allein das politische Mitspracherecht für Arbeiter beziehungsweise eine radikale Neuordnung der Eigentumsverhältnisse ausreichende Gewähr für eine nachhaltige Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse; materielle Besserstellungen wurden zwar nicht abgelehnt, aber als nicht ausreichend eingestuft. Hierüber kam es innerhalb der organisierten Arbeiterschaft zu Zielkonflikten, was zu neuen Zusammenschlüssen und Abspaltungen oder etwa zur Distanzierung von den Vertretern der Genossenschaftsidee führte. Eine ausführliche Erörterung dieser Argumentationslage muß hier allerdings unterbleiben. 214 Ebenso soll der kurze Hinweis darauf genügen, daß um die Jahrhundertmitte durchaus noch Vorstellungen entwickelt wurden, das PreisLohn-Verhältnis mit zunftähnlichen Regulationsmechanismen zu steuern. In diesem Zusammenhang kann es nur um solche Lösungsvorschläge gehen, die unter Anerkennung und Beibehaltung des Konkurrenzprinzips die Relation zwischen Leistung und Entlohnung günstiger gestalten wollten. Vereinzelt fand sich selbst dort der Hinweis auf die Auswanderung, sozusagen als Ventil für die den Arbeitskräftebedarf übersteigende Bevölkerung. In den zur Preisfrage eingegangenen Druckschriften wurde diese Möglichkeit vielfach empfohlen, so zum Beispiel in einer Schrift "Über die Arbeiterfrage in Bayern", deren Verfasser ansonsten für ein Konkurrenzsystem bei Gewerbefreiheit und allgemeiner Belebung der Industrieproduktion und des Handels eintrat. 215 Die Bevölkerungspolitik hatte zum klassischen Instrumentarium des absolutistischen Staates gehört und wurde eher von konservativ-restaurativ orientierten Publizisten propagiert, wobei diese zumeist einen direkten Zusammenhang zwischen Fabrikindustrie und "Übervölkerung" herstellten. 216 Schon des-

Wesentlich pointierter die hier angeführte Schlußfolgerung aus: ders., Die neue Annengesetzgebung Englands und Irlands, S. 14. 214 Stellvertretend für die Fülle einschlägiger Literatur sei eines der neueren Werke genannt, das sich differenziert und eingehend mit dieser komplexen Thematik beschäftigt: F. Tennstedt, Vom Proleten zum Industriearbeiter, Köln 1983. Die Studie enthält ein umfangreiches Literaturverzeichnis. 215 O. Verf., Über die Arbeiterfrage in Bayern aus Anlaß der Preisfrage des Königs, München 1849. 216 Als Beispiel dafür die Argumentation von J. M. Maier, S.46: "Wenn auf verkehrten nationalökonomischen Wegen eine Bevölkerung künstlich geschaffen wird, die in keinem Verhältniß mehr zur Bodenrente steht, wenn durch einseitige Begünstigung

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halb wurde es immer weniger als Mittel der Wahl angesehen, in Verfolg eines ausgeglichenen Verhältnisses von Konsumtion und Produktion den Hebel bei den Nachfragern nach Arbeit anzusetzen. 217 Zudem schärfte sich das Bewußtsein daftlr, daß das wirtschaftliche Gleichgewicht ein komplexer und labiler Zustand war, der zwar stets angestrebt, aber niemals dauerhaft gesichert werden konnte. "Periodisch wiederkehrende Handeiskrisen bewirken Stockungen des Absatzes, neue Erfmdungen verdrängen ältere Erwerbszweige; die Industrie ist zum Hazardspiele und zur Agiotage geworden, wobei derjenige den Sieg davon trägt, welcher am längsten auszuharren vermag. ,,218 Im ökonomischen Prozeß wirkten offensichtlich andere Komponenten mit, die sich einer genauen Berechnung und jeder Beeinflussung zu entziehen schienen. Das ftlhrte keineswegs zu der Schlußfolgerung, daß staatliches Handeln im Bereich der Wirtschaft unwirksam und deshalb zu unterlassen sei, im Gegenteil: gerade diese ZurUckhaltung wurde den Ökonomen der klassischen Schule zum Vorwurf gemacht und als Laissez-faire-Liberalismus scharf verurteilt. In der Rechtfertigung staatlicher Eingriffe spiegelt sich aber auch wider, daß den Autoren bewußt war, welch schmalen Grat sie hier beschritten, stets in Gefahr, den Pfad des Liberalismus zu verlassen. BegrUndet wurde die Notwendigkeit solcher Überlegungen mit dem "Recht der Fabrikarbeiter, menschlich leben zu können ... durch Sicherung eines diesem Rechte wirklich genügenden Lohnes".219 Huber formulierte es in seinen Vorlesungen zur sozialen Frage positiv: um das Schicksal der Arbeiter zu verbessern, müßte die Arbeitskraft an sich wertvoller gemacht werden. 220 Der Königsweg ftlr Liberale war natürlich der indirekte der höheren QualifIkation durch Bildung, der bereits angesprochen wurde. Auch die ebenfalls schon erwähnten Vorschläge von Assoziationen oder Warenlagern, die Konjunkturschwankungen überbrUcken helfen sollten,221 entsprachen liberalem Denken.

der Industrie und der Fabriken eine Uebervölkerung hervorgerufen wird, ... , wenn es versäumt wird, die Uebervölkerung rechtzeitiJ~ abzuleiten, dann droht den Staaten aus ihr eine große Gefahr." Maier empfahl als "Uberdruckventil" die Auswanderung nach Nordamerika (S. 109 ff.). Interessant jedoch, daß er von seinem christlichen Standpunkt aus das absolute Veto der Gemeinden bei Ansässigmachung und Verehelichung als "wider Gottes Ordnung" (S. 98) verurteilte. 217 Holzschuher lehnte die Auswanderung zum Beispiel mit der Begründung ab, daß sich dazu gerade diejenigen Familien entschließen würden, auf die der Staat ihres Fleißes, ihrer Tatkraft und ihres Eigenkapitals wegen am wenigsten verzichten könne. Ders., S.122. 218 C. Th. Kleinschrod, Die neue Armengesetzgebung Englands und Irlands, S. 14. 219 W. 1. Behr, Allgemeine Polizei=Wissenschaftslehre, Anm. S. 135. 2201. Huber, S. 153.

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Demgegenüber hätte die Festsetzung eines Lohnminimums einen direkten Eingriff ins Wirtschaftsleben bedeutet, weshalb sich die Berurworter dieses Vorschlags sofort zu Erklärungen genötigt sahen. Behr beeilte sich zu versichern, daß dadurch keinesfalls die Freiheit der Konkurrenz außer Kraft gesetzt werden solle, und verteidigte die Einfiihrung eines Lohnminimums mit dem Naturrecht und dem Eigennutz. Zum einen mit dem Recht, weil das Recht auf Eigentum als ein abgeleitetes erst dann seine Berechtigung habe, wenn "dem Urrechte der Dienenden, leben zu können, genügt wird"; zum zweiten mit dem Interesse der Besitzenden, einen Umsturz der Rechts- und Eigentumsordnung zu verhindern. 222 Behrs Argumente waren politisch, und wie sein ganzes Werk trugen sie das Signum der liberalen Rechtsauffassung, verrieten aber zugleich immer noch Relikte des polizeistaatlichen Denkens des 18. Jahrhunderts. Kleinschrod räumte ebenfalls ein, daß ein solcher Vorschlag "den Begriffen der Nationalökonomie entgegensteht, nach welchen die Arbeit als Waare betrachtet, ihr Preis blos durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird; daß Arbeit so gut wie jedes andere Mittel der Produktion ein Eigenthum ist, welchem der gleiche Schutz des Staates wie jedem anderen Eigenthume gebührt aber nicht mehr und daß endlich der wahre Werth der Arbeit allein durch die Concurrenz sich bestimmt." Auch er spielte die politische Karte - in diesem Fall die Warnung vor den sozialistischen Prinzipien, vor der Organisation der Arbeit -, um daran ökonomische Überlegungen zu knüpfen: "Eine derartige Fixirung wirkt nicht verletzend auf die Interessen der Fabrikunternehmer, da in jedem Produktenpreise die ausreichenden Unterhaltskosten der Arbeiter enthalten sein müssen, wenn das Unternehmen aufrichtiger Basis beruht". Die Festsetzung des Lohnminimums wollte er nicht dem Staat übertragen wissen, sondern einer Körperschaft nach dem Vorbild der französischen "Conseils de prudhomme",223 und Ansprüche auf den Unternehmergewinn wies er von vornherein als den nationalökonomischen Prinzipien widersprechend und schlimmstenfalls die Produktion lähmend entschieden zurück. 224

22\ Zum Bildungsgedanken vgl. die Ausführungen an früherer SteHe, Kap. 0.111.2., S. 177 f. Als Beispiel für Zusammenschlüsse zur Selbsthilfe sei auf Friedrich Wilhelm Stahls Plan einer Industrieleihanstalt hingewiesen, den er seinen Zuhörern ans Herz legte. Ders., S. 39 ff.; im Anschluß an den Vortrag findet sich sein "Entwurf einer Gewerbe=Leih=Anstalt für die Stadt Fürth", S. 44-58. 222 W. 1. Behr, Allgemeine Polizei=Wissenschaftslehre, S. 127. 223 Wie weit er damit seiner Zeit in Bayern voraus war, belegt die Tatsache, daß eine solche Institution erst 1890 eingerichtet wurde. G. Pfeiffer, Bayern und BrandenburgPreußen, München 1984, S. 172. 224 C. Th. Kleinschrod, Die neue Armengesetzgebung Englands und Irlands, S. 36 ff., Zitate S. 38. Zum letzten Punkt heißt es: "Der Arbeiter hat nur Anspruch auf gerechte Belohnung seiner Arbeit für sich und seine Familie, die Zeit unfreiwilliger Arbeitslosig-

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3. Die Entdeckung des Arbeiters als Konsument War es also schon eine gewisse Inkonsequenz und daher problematisch, im Zuge einer Liberalisierung des Wirtschaftssystems gleichsam eine unterste Grenzmarke für den Preis eines der Produktionsfaktoren festzulegen, so barg der Vorschlag eines Lohnminimums noch eine weitere Zwiespältigkeit in sich. Gedacht war bei solcher Fixierung an die Absicherung der Arbeiterexistenz, an die Deckung des Lebensbedarfs auf einem Niveau, das dem Stand der Kultur und Entwicklung des Staates entsprechen sollte. Dennoch hätte die Ermittlung dieses Mindestlohns sofort zu der Frage führen müssen, welcher Lebensstandard einem Arbeiter angemessen sei, und damit eine Diskussion auslösen müssen ähnlich der, wie sie als Kritik am Luxus bereits in der ständisch normierten Gesellschaft üblich gewesen war. Argumente dieser Art wirkten sowieso oft unterschwellig weiter, wenn die Schuld für die Notlage in mangelhafter Sparsamkeit und Enthaltsamkeit, übersteigertem Konsum und Genußsucht der Arbeiter gesucht wurde. 225 Als Relikt des Merkantilismus erfuhr der Begriff des "Luxus" und die darüber geführte Debatte allerdings nicht nur von seiten der Liberalen scharfe Ablehnung. Der christlich-konservative Victor Aime Huber sah "in dem Eifern (bald mit Verstand, bald mit Unverstand) gegen den Luxus ... bald eine mehr religiös aszetische, bald eine mehr aristokratische, bald eine blos aus Gemüthshärte und Kälte entspringende Färbung" am Werke. Die Luxusgesetze der ständischen Gesellschaft wollte er mehr als "Ausdruck des sittlichen Bewußtseins als der volkswirthschaftlichen Weisheit der Zeit" verstanden wissen, wogegen sie der Liberale Kleinschrod als Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht des Individuums verurteilte: "der Staat aber hat keinen Beruf zur Bevormundung Einzelner, indem er nur über das Wohl der Gesammtheit wacht".226 Victor Aime Huber billigte den arbeitenden Klassen sogar dasselbe Recht zur Verbesserung ihrer materiellen Lage wie allen anderen zu, jeweils nach Maßgabe des "für eine gegebene soziale Klasse oder Schicht landesüblichen Hergebrachten". Nicht nur die Wortwahl verrät hier eine an Riehl erinnernde dynamische Gesellschaftsauffassung; Huber warnte eindringlich davor, sich beim Arbeiterproblem an unwesentlichen Äußerlichkeiten festzuhalten und in nostalgischer Gesinnung einem Bild nachzuhängen, "was man sich, mit mehr

keit mit eingerechnet, aber nicht auf die Remuneration des Talentes, Unternehmungsgeistes, der technischen und merkantilischen Kenntnisse und des aufgewendeten Kapitales der Unternehmer." (S. 36 f.) 225 Vgl. z.B. 1. M. Maier, S. 14 f. 226 Zitate von V. A. Huber aus seinem Artikel "Arbeitende Klassen", in: Deutsches Staats-Wörterbuch, Bd. I, 1857, S. 301 u. S. 287. C. Th. Kleinschrod, Die Grundprinzipien der Politischen Oekonomie, S. 96.

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oder weniger Grund, von dem städtischen oder ländlichen Arbeiter der sogenannten guten alten Zeit macht." Unter Berufung auf John Stuart Mill wies er auf die zusätzliche ökonomische Bedeutung gesteigerter Lebensansprüche der Arbeiter hin, weil die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten eines der bestimmenden Momente für das Lohnniveau seien. 227 Kleinschrod war 1849 noch wesentlich vorsichtiger und beschränkte sich auf die Feststellung, daß "auch der geringste Handarbeiter bis zur vollen Reife eine beträchtliche Summe für Unterhalt und Kleidung konsumirt hat",228 ohne daraus eine direkte Beziehung zur Lohnhöhe zu konstruieren. Beiden Aussagen lag jedoch die Erkenntnis zugrunde, daß der Arbeiter, indem er seinen Arbeitslohn für seinen Lebensunterhalt verbrauchte, eben zugleich auch Konsument war. Diese komplexe Sichtweise bedeutete eine Erweiterung gegenüber dem reinen Verbraucherstandpunkt, wie er oftmals eingenommen wurde, um gegen die restriktiven Vorschriften der Zünfte zu protestieren. 229 Sie unterschied sich aber vor allem wesentlich von der Perspektive, wie sie die Freihändler entwickelt hatten, wenn sie konsequent mit dem Vorteil des Konsumenten argumentierten. So gesehen schien sich die Möglichkeit zu eröffnen, die Arbeiter in der Gestalt des Konsumenten für ihre Situation zu entschädigen und derart "die Wunden, die sie [die Industrie / 1.8.] schlägt, zum Theil schlagen muß, auch zu heilen.,,23Q Hier leuchtete bereits der Gedanke auf, die arbeitende Klasse über eine Verbesserung des Konsumniveaus mit ihrem Schicksal zu versöhnen.

227 Artikel "Arbeitende Klassen" von V. A. Huber, in: Deutsches Staats-Wörterbuch, Bd. I, 1857, S. 301 f., Zitate S. 301. John Stuart Mills Werk "Principles of Political Economy" (1848) war 1852 unter dem Titel "Grundsätze der politischen Ökonomie" in der deutschen Übersetzung erschienen. Einen kurzen Zugriff auf Mills Leben und Werk bietet N. de Marchi, John Stuart Mill (1806-1873), in: J. Starbatty (Hrsg.), Klassiker des ökonomischen Denkens, Bd. 1, München 1989, S. 266-290. Darin charakterisiert er Mills politische Ökonomie folgendermaßen: "Mills eigene Lösung war sowohl eine Modifikation als auch eine radikale Abkehr von Ricardo. Einerseits versuchte er, das Lohn-Bevölkerungs-Schema nach rechts zu verschieben, um auf Dauer höhere Reallöhne zu sichern .... Andererseits war sein Ideal, daß dieser höhere Reallohn als repräsentativ für 'gutes Einkommen' aller Teile einer Bevölkerung angesehen werden könnte, die vor ihrem möglichen Maximum Halt gemacht hätte." (S. 287) 228 C. Th. Kleinschrod, Die neue Armengesetzgebung Englands und Irlands, S. 48. 229 Argumente dieser Art finden sich etwa bei W. J. Behr, Allgemeine Polizei=Wissenschaftslehre, S. 119, der das Recht jedes einzelnen auf einen Versuch ebenso als Gewinn für das Publikum wertete, oder bei A. Frhr. v. Holzschuher, S. 136, der die Gewerbe beschuldigte, sich bei Wiederherstellung der alten Zunftrechte auf Kosten der Konsumenten sanieren zu wollen. 230 V. A. Huber in seinem Beitrag "Arbeitende Klassen", in: Deutsches StaatsWörterbuch, Bd. I, 1857, S. 294.

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D. Wirtschaftspolitik im Zeichen der Sozialpolitik (1848-1868)

1866 stellte auch Kleinschrod einen engeren Zusammenhang zwischen Lohn und Konsum her: "Die Verzehrung der einzelnen Volksklassen endlich wird allenthalben von ihrem Einkommen bedingt." Die Obergrenze tur den Verzehr der Lohnarbeiter werde dabei durch den zu ihrem Lohn bestimmten Teil des rohen Einkommens markiert. Mit dieser Auffassung wies sich Kleinschrod als Vertreter der Lohnfondstheorie aus, derzufolge es eine bestimmte "Menge Kapital" gebe, "welches tur die Beschäftigung von Arbeitern in der betreffenden Produktion gewidmet ist. ,,231 Lassalle übernahm zum Beispiel diese Annahme ebenfalls, wenn er sich bei der Formulierung des "ehernen Lohngesetzes" auf die liberale ökonomische Schule als Gewährsmann berief. 232 Der bayerische Nationalökonom Hermann widersprach in diesem Punkt der klassischen Lehre. Zwar beschrieb er das Verhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer ebenso als Tauschverhältnis, bei welchem der Lohn den Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterlag. 233 Die Vorstellung eines fest umrissenen Lohnfonds lehnte er jedoch als irrig ab und wandte sich damit entschieden gegen die Auffassung, daß die Aufwendungen tur die Arbeitslöhne aus dem Unternehmerkapital bestritten würden. Der Unternehmer handele nur im Auftrag des Konsumenten, wenn er die Arbeitskraft kaufe, welche endlich im Produkt verkauft und somit vom Konsumenten bezahlt werde. "Der Unternehmer vermittelt also mit einem Theil seines Kapitals blos den Tauschverkehr zwischen dem Consumenten und dem Arbeiter und wie viele Unternehmer auch die vorläufig gelohnte Arbeit gegen Kapital untereinander austauschen; immer ist sie zuletzt bestimmt, einem Bedürfniß unmittelbar zu dienen und aus dem Einkommen des Consumenten gelohnt zu werden. ,,234 Ungeachtet aller sonstigen Leistungen des Kapitals im Bereich der Produktion, die Hermann durchaus bestätigte und ihn mit Verweis darauf jeden Anspruch der Arbeiter auf den Unternehmergewinn genauso konsequent zurückweisen ließen - im Falle der Arbeit sah er die Rolle des Kapitals auf das Vorstrecken der Lohnsumme bis zur letztlichen Bezahlung durch den Endverbraucher beschränkt. Andernfalls würde das Kapital als Quelle der Entlohnung schnell versiegen, und tatsächlich bestätige die Erfahrung, daß bei mangelndem

231 C. Th. Kleinschrod, Die Grundprinzipien der Politischen Oekonomie, S. 101 u. S. 64. Ein höheres Lohnniveau könne nur bei gleichzeitiger Zunahme der Kapitalien gehalten werden (S. 65), "woraus daher die wohlthätige Wirkung der Ansammlung von Kapitalien auf die Lage der Lohnarbeiter zu entnehmen ist." (S. 64) 232 Lassalles "ehemes Lohngesetz" z.B. zitiert bei F. Tennstedt, S. 183 tT. lantke präzisiert, daß Lassalle sein "ehemes Lohngesetz" im wesentlichen der Formulierung Ricardos entnahm; ders., Der vierte Stand, Freiburg 1955, S. 132. 233 F. B. W. Hermann, Staatswirtschaftliche Untersuchungen, 31924 (= 11832), S. 283, S. 241 ff. 234 Ebd., S. 281; vgl. dazu auch S. 232. Hermanns Kemthese, und somit die folgenden Ausführungen gegen die Lohnfondstheorie, findet sich an dieser Stelle, S. 281 ff.

111. Die neue Bewertung des Faktors "Arbeit"

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Absatz die Produktion einer Ware rasch eingestellt werde. Winkel würdigt diesen Beitrag Hermanns als "für spätere Entwicklungen, die aus der Enge der Lohnfondstheorie herausführen, richtungweisend."m Welche Folgerungen zog aber der Nationalökonom selbst aus seiner Analyse? Zunächst hielt Hermann fest, daß der Unternehmer für seine Kapitalauslage bei der Vermittlung der Arbeitsleistung an den Konsumenten durch den Gewinn Entschädigung erhalte. Er ernähre jedoch keineswegs den Arbeiter, "sondern er benützt nur das Ausgebot der Arbeiten zu vortheilhafterem Verkauf eines Theils seiner eigenen Kapitalnutzungen. Die Arbeiter und der Unternehmer erleichtern einander den Umtausch ihrer einseitigen Leistungen in die jedem tauglichere Form, stehen sich sonach gleich.,,236 An die Regierungen richtete er deshalb die Aufforderung, sich von den Unternehmern nicht mit dem Hinweis auf die Ernährung einer Anzahl von Einwohnern des Staates unter Druck setzen zu lassen. In der zweiten Auflage seines Werkes aus dem Jahr 1870 wich dieser Appell dem Einwand, daß die Lohnfondstheorie dazu geeignet sei, die Arbeiter flilschIicherweise im Unternehmer ihren Ernährer sehen und von diesem Lohnerhöhungen fordern zu lassen. 237 Wesentlich wichtiger im Hinblick auf die Wirtschaftsordnung war allerdings Hermanns Schlußfolgerung, die ihn von der Feststellung, das Einkommen des Käufers stelle "die wahre und immer neu fließende Quelle der Vergeltung der Productivarbeit" dar, zu dem Fazit gelangen ließ: "Die Zahlungsfähigkeit für den Lohn von Productivarbeiten liegt also nur im Einkommen des letzten Consumenten". Lohnerhöhungen waren demnach nicht von der Aufstockung eines dafür vorgesehenen Kapitalfonds abhängig, sondern von einer Zunahme des "Begehr[s] nach Arbeit in Folge vermehrter freidisponibler Gegenwerthe".238 In Zusammenschau mit Hermanns Beitrag zur Preistheorie, die ihn auch subjektive Faktoren wie etwa die Zahlungsfähigkeit der Nachfrager zur Preisbestimmung heranziehen ließ, wird deutlich, daß bei ihm erstmals eine Interdependenz zwischen Arbeit, Lohn und Konsum erkennbar wurde. Zwar blieben

235 H. Winkel, S. 24. Bei Lujo Brentano merkt Winkel ausdrücklich an, daß dieser an Hermanns Widerlegung der Lohnfondstheorie angeknüpft habe (S. 106). 236 F. B. W. Hermann, Staatswirtschaftliche Untersuchungen, 31924 (= 11832), S. 284 f. In anderem Zusammenhang unterstrich Hermann nochmals seine Ansicht, "daß der Arbeiter gar nicht vom Unternehmer lebt, sondern von sich selbst, von seiner Leistung, die, als ein Tauschgut von der Gesellschaft anerkannt, ihm eintauscht, was er nun statt jener Leistung verzehren darf. Wenn der Unternehmer seinen reinen Ertrag berechnet und seine Kapitale wieder in indifferenter Form ausscheidet, ist nicht etwa eine Lohnschuld zu zahlen ... , sondern der Umsatz zwischen dem Arbeiter und dem Unternehmer ist längst vorüber *j". (S. 319) 237 Ders., Staatswirthschaftliche Untersuchungen, München 21870, S. 478. 238 In der Reihenfolge der Zitate: ebd., S. 476 u. S. 477; ders., Staatswirtschaftliche Untersuchungen, 31924 (= 11832), S. 282.

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D. Wirtschaftspolitik im Zeichen der Sozialpolitik (1848-1868)

Umfang und Möglichkeiten des vom Einkommen ausgehenden Nachfrageimpulses noch weitgehend diffus. 239 Dennoch war mit der Entkoppelung von Entlohnung der Arbeitskraft und Kapital ein wichtiger Schritt zur Eröffnung neuer Perspektiven getan. Beim Nachdenken über eine Wertsteigerung der Arbeitskraft oder die Rolle des Konsums als Motor der Produktion mußte dem Kapital nicht mehr jene zentrale Rolle zufallen, die Johannes Huber ihm beimaß, der die Entwicklung der Bedürfnisse an den Besitz geknüpft und dementsprechend die Kausalkette Besitz - Bedürfnis I Mangel des einzelnen - Quelle des allgemeinen Glücks aufgereiht hatte. 24o Hermanns Blick richtete sich stattdessen auf die Arbeit, deren in Konsum verwandelbares Entgelt als eine der Voraussetzungen rur die Produktion berücksichtigt werden mußte. Was für den einzelnen das Einkommen, war rur die Nation das Bruttosozialprodukt, und beides hing in der Praxis davon ab, weIche Voraussetzungen die Arbeit im Land vorfand. Plädierte er vom Individuum aus gesehen für mehr Freiheit und Freizügigkeit der Arbeitskraft,241 kritisierte er gerade deshalb vom nationalen Standpunkt aus die Forderungen der Freihändler auf das heftigste. Das war keineswegs unlogisch. Hinter dem Argument, "daß der Vortheil der Consumenten nicht immer mit dem Interesse des Volkes im Ganzen übereinstimme",242 verbarg sich seine Überzeugung von der grundsätzlichen Überlegenheit des Gemeinsinns über den Eigennutz, und es kann nicht weiter überraschen, daß sein Eintreten für Schutzzölle aufflillige Parallelen zu Lists "Nationale[m] System der Politischen Ökonomie" aufwies. 243 Wenn auch Begründungen wie der Schutz der inländischen Arbeit, die Entwicklung der technischen Fähigkeiten im eigenen Land und die Unabhängigkeit vom Ausland keine neuen Aspekte darboten, entsprangen sie bei ihm weder dem ehrgeizigen Streben der Merkantilisten nach gesteigertem Nationalreichtum noch sozial-restaurativen Abschottungstendenzen, sondern einer tieferen Einsicht in den Zusammenhang von Einkommen und Produktion. "Der Gewinn der zahlungsflihigen Consumenten läßt sich daher nicht entfernt als Ersatz des angedeuteten Ausfalls in der Nachfrage der Arbeiter und Unternehmer nach

239 Hermanns Preistheorie wurde bereits in Kap. D.II.3., S. 155 f. angesprochen. Zum Einkommen als Nachfrageimpuls vgl. ders., Staatswirtschaftliche Untersuchungen, 31924 (= 11832), S. 351; das Verhältnis von Einkommen und Produktion behandelte er ebd., S. 352 f. 2401. Huber, S. 155. 241 Vgl. dazu Kap. D.III.2 .. S. 176. 242 Rezension Hermanns, in: Gelehrte Anzeigen, Nr. 191, 192, 193, 196, 197, 198 (1847); Zitat aus: Nr. 197 vom 2.10.1847, Sp. 550. 243 Speziell zu Lists Position sowie zum aktuellen Streit innerhalb des Zollvereins um Schutzzoll oder Freihandel s. H.-W. Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984. S. 113 ff., S. 138.

III. Die neue Bewertung des Faktors "Arbeit"

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einheimischen Producten ansehen;,,244 so Hermanns Position in der Auseinandersetzung mit Doenniges, der in seinem Werk "Das System des freien Handels und der Schutzzölle" den Thesen der Freihändler zuneigte. Nun muß dieser publizistische Angriff selbstverständlich vor dem Hintergrund der aktuellen Tarifkonflikte innerhalb des Zollvereins gesehen werden. In Doenniges' Ausführungen dominierte der zwar nicht strikt freihändlerische, aber generell mehr zur Freigabe der Zölle tendierende Standpunkt Preußens. 245 Hermanns Rezension lag dagegen auf der Linie der im spezifischen Interesse ihrer Industrien eher protektionistisch argumentierenden süddeutschen Staaten, welche dennoch die wichtige Funktion des Außenhandels nicht ignorierte und deshalb keinesfalls mit Protektionismus gleichgesetzt werden darf. 246 Insofern wäre wohl besser von unterschiedlicher Akzentsetzung denn von völlig konträren Positionen zu sprechen. Beide Autoren belegten jedoch ihre Argumente mit genauen Berechnungen, und ihre grundsätzlichen theoretischen Ausführungen verfolgten nicht minder einen praktischen politischen Zweck. Wenn sich nun im Anschluß daran der Blick auf das Regierungs- und Verwaltungshandeln sowie den davon betroffenen Wirtschafts sektor richten wird, muß nachgeprüft werden, inwieweit und in welcher Form der bisher vorgestellte theoretische Diskurs der Zeit darin Eingang und seinen Niederschlag gefunden hat. Am Beispiel des von den übrigen Produktionsfaktoren isolierten Begriffs der "Arbeit" hatte in diesem Kapitel eingehend betrachtet werden können, wie sich im Kontext der Diskussion um den Wertewandel in Wirtschaft und GesellRezension Hennanns, in: Gelehrte Anzeigen, Nr. 199 vom 6.10.1847, Sp. 565. W. Doenniges, Das System des freien Handels und der Schutzzölle, Berlin 1847. Wie ein kurzer biographischer Abriß zeigen kann, beeinflußte die politische Auseinandersetzung auch Doenniges' Vita: Wilhelm Doenniges (1814-1872); seit 1841 in Berlin Professor für Geschichte und Staatswissenschaft, kam er im November 1842 auf Empfehlung Rankes als Mentor des bayerischen Kronprinzen nach München, mußte jedoch 1844 auf Betreiben Ludwigs I. nach Berlin zurückkehren. Maximilian blieb mit ihm in brieflicher Verbindung und zog ihn nach seiner Thronbesteigung wiederum als Berater heran. In der Innenpolitik teilte Doenniges Max' 11. Interesse für die soziale Problematik und nahm Einfluß auf die Kulturpolitik des Königs (die Ernennungen Riehls und v. Sybels gingen auf ihn zurück). Außenpolitisch stand seine preußenfreundliche, liberale, protestantische, kleindeutsche Ausrichtung jedoch in krassem Gegensatz zur Einstellung des Ministers des Äußern, von der Pfordten, der ihn 1862 als "Preuße und Freihändler" bezeichnete. 1855 wurde Doenniges auf Druck v. d. Pfordtens entlassen und mit diplomatischen Missionen (in Turin, Genf) betraut, aber auch weiterhin vom König als Gutachter konsultiert. 1864 endete seine politische Laufbahn; von König Ludwig 11. wurde er 1868 zum bayerischen Gesandten in Italien ernannt, 1872 starb er in Rom. Nach: NDB 4, S. 28-30; E. Franz, König Max 11. von Bayern und seine geheimen politischen Berater, in: ZBLG 5 (1932), S. 223-228, S. 238 f.; H. Laible, Wilhelm Dönniges und König Max 11. von Bayern, Diss. München 1947; G. Müller, S. 7, S. 60. 246 Hennann ging es in seiner Rezension, wie Doenniges, um eine Interessenabwägung zwischen Zollschutz und Freihandel. Vgl. dazu grundsätzlich: ders., Staatswirtschaftliche Untersuchungen, 31924 (= '1832), S. 161, S. 187 f., S. 356 ff. 244

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D. Wirtschaftspolitik im Zeichen der Sozialpolitik (1848-1868)

schaft ein Bedeutungswandel ergab, der endlich eine altvertraute Vokabel mit neuen und anderen Konnotationen belegte. Umgekehrt mußte ein verändertes Verständnis der Arbeit neue Kontroversen auslösen. Der Anspruch auf Freisetzung der Arbeitskräfte sah sich in der Praxis sofort mit den gültigen Gesetzen bezüglich Gewerbeausübung und Ansässigmachung konfrontiert und verwies zugleich auf die Probleme von sozialer Absicherung und Rechtssicherheit. Der Begriff der "nationalen Arbeit" bewegte sich in den weiteren Grenzen der Debatte um Zollschutz oder Freihandel. Beiden gemeinsam war die Verknüpfung mit der Frage nach einem Interessenausgleich zwischen Konsumenten und Produzenten, wobei der Arbeiter zunehmend auch in der Rolle des Konsumenten gesehen wurde. Daraus wird eine fast völlige Übereinstimmung mit all jenen Momenten ersichtlich, die Max Weber als Ursachen der fortschreitenden Bürokratisierung im modemen Staat nennt: wachsende Kulturanspruche als Folge gesteigerter Konsumfiihigkeit, ein zunehmendes Bedürfnis nach Ordnung und Schutz auf allen Gebieten, die sogenannten "sozialpolitischen" Aufgaben sowie Einrichtung und Unterhalt der Verkehrsmittel. 247 Ob und wieweit dies für Bayern im genannten Untersuchungszeitraum bereits zutrifft, wird in den anschließenden Kapiteln betrachtet werden.

247 M. Weber, Grundriß der Sozialökonomik, 111. Abt.: Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Ha1bbd., Tübingen 3 1947, S. 660.

E. Wirtschaft und Verwaltung unter Max 11. I. Ministerialbürokratie zwischen Kommerz und Kameralismus 1. Außenhandelspolitik und Produktionsstruktur

Mit Verordnung vom 11. November 1848 wurde in Bayern das "Staatsministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten" errichtet, dem alle "bisher den Staatsministerien des Innern und der Finanzen überwiesenen staatswirthschaftlichen Gegenstände" übertragen wurden. I Die Ausgliederung und Zusammenfassung der ökonomischen Belange in ein eigenes Ressort lag im allgemeinen Trend der Zeit: in Württemberg wurde eine gesonderte Zentralbehörde für Handel und Gewerbe im Innenministerium gegründet, in Österreich ein entsprechendes Ministerium, und in Preußen gelang nach 1817 und 1830 die dritte und endgültige Etablierung eines Ministeriums für Handel und Gewerbe. Der Wunsch nach einer der gestiegenen Bedeutung aller Wirtschaftszweige angemessenen Repräsentanz war in Bayern vorher schon mehrfach geäußert worden. Dabei hatte der Abgeordnete Freiherr von WeIden die Ansicht vertreten, daß "der Weltfriede durch die Entwickelung der materiellen Interessen allein aufrecht erhalten,,2 werde. Bezeichnenderweise in der Debatte über die Zollverhältnisse forderte er daher im Jahr 1843 wenn schon nicht ein dafür zuständiges Ministerium wie in größeren Staaten, so zumindest eine Sektion "für Gegenstände des Handels und der Industrie, des Gewerbswesens und des Akkerbaues". Aber schon sechs Jahre früher hatten mehrere Abgeordnete einen Antrag bezüglich der Unterstützung des Ackerbaues, der Gewerbsindustrie und des Handels gestellt, in dem sie nicht nur entsprechende Finanzmittel, sondern die Bildung einer solchen Sektion im Ministerium verlangt hatten mit der einfa-

I In: Regierungssystem und Finanzverfassung, (= Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern, Abt. III, Bd. 3), München 1977, S. 65 ff. Zur Entwicklung des Ministeriums vgl. K. Borchardt, Zur Geschichte des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr, Wiesbaden 1978. 2 Verh. d. Kammer d. Abg. 1843, Bd. 13, S. 324.

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E. Wirtschaft und Verwaltung unter Max 11.

ehen Begründung, es sei an der Zeit, "dem Ackerbau, Handel und Gewerbe die höchste Aufmerksamkeit zuzuwenden. ,,3 In den ersten Wochen des Reformlandtages im Frühjahr 1848 wurden in der Abgeordnetenkammer zwei sinngemäß gleiche Anträge zur Errichtung eines gesonderten Ministeriums eingebracht,4 ähnliche Vorschläge kamen aus den Reihen der Beamtenschaft. Aus den Begründungen ging hervor, daß die Motive bei der Seiten jedoch nicht deckungsgleich waren. Kleinschrod als Beamter wollte zwar bei der Entstehung von Verwaltungsmaßregeln das technische Know-how der Betroffenen besser einbinden und deren Rat bei diesbezüglichen Maßregeln vorher suchen. Ansonsten hielt er sie rur zu eigennützig und egoistisch, um ihnen endgültige Beschlüsse zu überlassen. Dazu "dürften daher nur solche Personen berufen sein, welche das Wesen der bürgerlichen Gesellschaft und das Leben des Staates unter allgemeinen Gesichtspunkten aufzufassen, daher die Wohlfahrt der Gesamtheit zu bezwecken vermögen, was das Studium und die Aufgabe des eigentlichen Staatsmannes ausmacht"S - also die Beamtenschaft. Damit erhob die Bürokratie keinen dirigistischen, aber doch einen normativen Anspruch, wie er sich aus dem Konzept der "gesetzlichen Freyheit" ableiten ließ. Es fällt auf, daß die Anträge im Landtag von Abgeordneten gestellt wurden, die allesamt dem finanzkräftigen Besitzbürge~m zuzurechnen sind: Rath war Hammerguts-, Trautner Gutsbesitzer, Freiherr von Schaezler Bankier, Unternehmer und Vorstand der Handelskammer rur Schwaben und Neuburg. Von einem eigenen Ministerium erhofften sie sich eine stärkere Beachtung ihrer Interessen wohl nicht zuletzt aufgrund besserer Einwirkungsmöglichkeiten. Dies sowie Unzufriedenheit mit der bisherigen Verwaltungspraxis klangen durch in der Forderung nach Männem mit praktischem Sachverstand, "frei von ideeller und bürokratischer Beschränktheit." Schaezler äußerte zudem seine konkrete Er-

3 Antrag mehrerer Abg., entwickelt von dem Abg. StädtIer, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1837, Bd. 6, S. 119. 4 Antrag der Abg. Rath und Trautner, "Einführung eines Gewerbe=, Ackerbau= und Handels=Ministeriums in Bayern, zum Schutze des Gewerbfleißes im deutschen Zollvereine betr."; Antrag des Abg. v. Schaezler, "Errichtung eines besonderen Ministeriums für Handel und Industrie betr.", beide in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1848, Bd. I, S. 252 und S. 285. Auch von seiten der Handwerkerschaft wurde der Wunsch nach einem eigenen Ministerium für Handel und Gewerbe geäußert, so zum Beispiel aus Memmingen, 12.5.1848, und Kaufbeuren, 30.5.1848, in: BayHStA MH 6142, oder vom Münchner Tischlerverein, 3.8.1848, in: BayHStA MH 6143. 5 Projekt des Ober-Berg- und Salinen-Rats earl Kleinschrod zur Errichtung einer Ministerial Sektion für Landwirtschaft, Gewerbe und Handel, 4.4.1848, in: BayHStA MInn 39820.

I. Zwischen Kommerz und Kameralismus

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wartung an ein neues Ministerium, einen stärkeren Widerpart zum preußischen Freihandelskurs im Zollverein zu bilden. 6 In diese Richtung schienen auch die Sorgen der Regierung zu zielen. Ohne den Titel des neugeschaffenen Ressorts überinterpretieren zu wollen, kann er doch programmatisch gedeutet werden. Obwohl sein Sachgebiet alle drei Wirtschaftssparten um faßte, führte es im Namen ausdrücklich nur den Handel neben der Aufgabe der öffentlichen Arbeiten an. 7 Letzteres war ganz offensichtlich das Zugeständnis an das Problem der sozialen Frage und wies damit in die Zukunft. Die Nennung des Handels ohne das Gewerbe wirkt dagegen wie ein Rückgriff auf alte kameralistische Wirtschaftsprinzipien. Zudem wurde das Handelsministerium von April 1849 bis Oktober 1864 in Personalunion vom jeweiligen Staatsminister des Äußern geleitet. Es war also nach der Herauslösung aus dem Innenministerium nicht völlig autonom, sondern mußte sich zumindest noch die Leitung mit dem Chef eines der klassischen Ressorts, jetzt des Außenministeriums, teilen. Mit dieser Konstellation verband sich dennoch keine aggressive Außenhandelspolitik. Dazu bestand von seiten der bayerischen Industrie auch wenig Bedarf. Für die exportorientierten Branchen boten sich Absatzwege im oder via Zollverein, andere Branchen wie die Textilindustrie waren wohl zu Konkurrenz und Kapazitätserweiterung tahig, erzeugten aber keine Überschußproduktion in solchem Umfang, daß sie expansiv nach Absatzmärkten drängten wie in England. Weitere Einschränkungen ergaben sich aus Bayerns Binnenlage ohne eigene Seehäfen sowie der Einbindung in die Handelspolitik des Zollvereins. Gerade im Hinblick auf den Zollverein war es nicht unbedeutend, daß Außen- und Handelsministerium mit einer Stimme sprachen. Das kam besonders während der beiden Zollvereinskrisen zum Tragen. Die erste von 1849 bis 1853 war ausgelöst worden durch den vom österreichischen Außenminister Schwarzenberg entworfenen Plan eines den Deutschen Bund und die österreichischungarische Monarchie umfassenden 70-Millionen-Reiches, wobei er von den Zollunionsplänen seines Handelsministers Bruck sekundiert wurde.

6 Verh. d. Kammer d. Abg. 1848, Bd.l, S. 444 ff. Antrag des Abg. Frhr. v. Schaezler, München, 26.3.1848; Antrag der Abg. Rath und Trautner (daraus das Zitat), München, 27.3.1848, in: BayHStA Mlnn 41 074. 7 Lt. § 7 der VO vom 11.11.1848 umfaßte der Wirkungskreis des Ministeriums "I. alle auf die Production, Fabrication und den Handel Bezug habenden Gegenstände, sowie die hiefür bestehenden Anstalten". In: Regierungssystem und Finanzverfassung, S.66. In Preußen führten die entsprechenden Ministerien immer Handel und Gewerbe im Titel an. Vgl. I. Mieck, Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806-1844, Berlin 1965, S. 30 f.

13 Burkhardt

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E. Wirtschaft und Verwaltung unter Max H.

Die zweite Zollvereinskrise entzündete sich 1862 an der Annahme des zwischen Preußen und Frankreich ausgehandelten Handelsvertrages, dessen Tarife unter den Zollsätzen des Zollvereins lagen. Davon wurden neuerlich die Handelsverh;;'irnisse mit Österreich berührt, welches 1853 mittels eines Handelsvertrags mit Meistbegünstigungsklausel und Aussicht auf weitere Integration eine bevorzugte Stellung zum Zollverein erreicht hatte, nicht jedoch die angestrebte Assoziierung. Selbst dieser Sonderstatus war durch den preußisch-französischen Handelsvertrag bedroht, weil dieser Frankreich gleichfalls die Meistbegünstigung zusicherte und dessen Niedrigzollsätze Österreich den Einstieg erschwerten. Die bayerische Position bewies unter den Außenministern von der Pfordten und von Schrenck - wiederum mit von der Pfordten, der als Bundestagsgesandter in Frankfurt in dieser Frage ein wichtiger und einflußreicher Berater des Königs blieb - eine bemerkenswerte Kontinuität. Sie bemühte sich beide Male um den Zusammenhalt einer mittelstaatIichen Opposition gegen Preußen und die engere Anbindung Österreichs an das Wirtschaftsgebiet des Zollvereins. Politisch ging es ihr um die Bekräftiung der Eigensouveränität und deshalb die Zurückweisung alles dessen, was als Hegemoniestreben Preußens empfunden wurde, um die Stabilisierung Österreichs als Gegengewicht zu Preußen und um die Bündelung der Interessen der Mittelstaaten zu einer dritten Macht, der von König Max 11. und von der pfordten vielbeschworenen Idee der Trias. 8 Aus wirtschaftspolitischer Sicht blieb der Blick trotz des Warenaustausches mit dem Norden und Westen und dem Export über die norddeutschen Häfen stets auf die erhofften Absatzmärkte im Osten gerichtet. Das Kalkül verband sich mit der Donau als natürlichem Handelsweg sowie dem Mittelmeerhafen Triest, woran sich Spekulationen auf den Handel bis in den Orient knüpften. Insbesondere die mit dem preußisch-französischen Handelsvertrag einhergehende Tarifabsenkung warf in Bayern nicht nur die Frage auf, ob dadurch ein wirtschaftlicher Anschluß Österreichs vereitelt wurde, sondern auch, ob die eigene Industrie diesen Schritt in Richtung eines freieren Warenverkehrs mit dem Ausland bereits verkraften konnte oder zu ihrem Schutz der bestehenden Zölle bedurfte. Es würde eine eigene Untersuchung erfordern, wie sich in dieser Frage politische und wirtschaftliche Interessen verzahnten, welchen Stellenwert sie besaßen und wie hoch die Rechnung mit Österreich materieII veranschlagt wurde. Hier kann nur der eine, im Zusammenhang mit dieser Studie aufschlußreiche 8 Vgl. dazu I. U. Paul, Die bayerische Trias-Politik in der Regierungszeit König Maximilians 11., in: König Maximilian II. von Bayern 1848-1864, Rosenheim 1988, S. I 15-129; E. Franz, Der Entscheidungskampf um die wirtschaftspolitische Führung Deutschlands (1856-1867), München 1933; ders., Ludwig Freiherrn von der Pfordtens Kampf gegen den preußisch-französischen Handelsvertrag, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 44 (1932), S. 130-155; 1. Schmidt, Bayern und das Zollparlament, München 1973, S. 1-25.

I. Zwischen Kommerz und Kameralismus

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Aspekt ausgeleuchtet werden, zu weIcher Einschätzung die Regierung bezüglich Konkurrenzfähigkeit und Kapazität der bayerischen Wirtschaft gelangte. In der Beurteilung der ökonomischen Seite des Vertragswerks waren sich Außenministerium, Generalzolladministration und der befragte von der Pfordten einig. Allein schon die Vorgehensweise Preußens, das die Tarife eigenmächtig ausgehandelt und den übrigen Vereinsstaaten zur unmodifizierten Abstimmung vorgelegt hatte, wurde als Affront empfunden. An den ausgehandelten Tarifsätzen beanstandeten sie eine Wettbewerbsverzerrung durch ungleich höhere Zugeständnisse an Frankreich bei insgesamt so niedrigem Niveau, daß der volkswirtschaftliche Schaden den Gewinn von Absatzmöglichkeiten übersteigen müsse, vom Ausfall der Zolleinnahmen ganz abgesehen. 9 Als gleichermaßen besonders gefährdete wie wichtige Fabrikationszweige wurden die Eisen- und die Textilindustrie, vor allem Baumwollspinnerei und -weberei, hervorgehoben. Bevor sie kaum geschützt in den Wettbewerb mit der französischen und indirekt mit der englischen und belgisehen Industrie treten konnte, sollte die vereinsländische Industrie erst noch an der Konkurrenz im Inland erstarken. England wurde als erfolgreicher Beleg rur die Bestätigung der Auffassung zitiert, den Zollschutz so lange aufrecht zu erhalten, bis der Industrie der eigene Markt nicht mehr genüge. \0 Da die heimische Industrie noch nicht so stark eingeschätzt wurde, würden Zollsenkungen genau das Gegenteil bewirken, die Überschwemmung des Marktes mit ausländischen Produkten, die Deutschland zum "Jahrmarkt von England und Frankreich" herabsinken ließe. Preußen und die Befürworter des Handelsvertrages galten demnach als Vertreter des Freihandelsprinzips, welches "die Vervollkommnung der Manufakturen lediglich von der völlig freien Conkurrenz des Auslandes erwartet und das Unterliegen derjenigen Industrie=Zweige weIche noch nicht genug erstarkt sind um diese Conkurrenz zu ertragen, nur als Gewinn rur die materielle Prosperität der Nation betrachtet". 11 Eine Beibehaltung der bisherigen Zollvereinstarife

9 Gutachten des General-Zolladministrators Carl Meixner, 5.7.1862, = Auszug aus dem Bericht des Außenministeriums vom 9.7.1862, (= Nr. 3.2.9); Gutachten von der Pfordten, 29.7.1862, (= Nr. 3.2.15), in: GHAM Max 11. 76-2-26. Alle politischen und wirtschaftlichen Motive finden sich noch einmal zusammengefaßt in Schrencks Antrag vom 2.5.1864, der dem erst kurze Zeit im Amt befindlichen König Ludwig 11. den Ablauf der Krise, Erwägungen und Verhandlungsposition der bayerischen Diplomatie erläuterte. In: BayHStA MH 9693. 10 C. Th. v. Kleinschrod, Zweite Denkschrift gegen den preußischen Entwurf eines Handelsvertrages zwischen dem deutschen Zollverein und Frankreich, im Dez. 1862, übersandt mit Schreiben vom 13.12.1862, (= Nr. 3.2.48), in: GHAM Max 11. 76-2-26. O. Verf., Die Industrie des Zollvereins und der preußisch-französische Handelsvertrag, Erlangen 1863, S. 11 ff. Das folgende Zitat ebd., S. 46. 11 C. Th. v. Kleinschrod, Zweite Denkschrift ... , (= Nr. 3.2.48), in: GHAM Max 11. 76-2-26.

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E. Wirtschaft und Verwaltung unter Max 11.

schien daher mit Rücksicht auf die nationalen Interessen wie die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen geboten. 12 Kaum ein Zweifel, welche Sichtweise dem um Bayerns Eigenstaatlichkeit wie die sozialen Probleme besorgten Monarchen näher lag. Anfänglich konnte sich die ablehnende Haltung der Regierung zudem auf das Votum der Vertreter des Bayerischen Handels-, Gewerbe- und Fabrikstandes berufen. Von 94 Gutachten der Handelskammern waren 42 gegen die Annahme, 19 auf jeden Fall fiir Modifikationen, 29 für den Vertrag, wenngleich sie ihn gerne modifiziert gesehen hätten, und nur vier anstandslos dafiir 13 - eine klare Zweidrittelmehrheit gegen den Vertrag in der vorliegenden Form, wenn auch keine Mehrheit prinzipiell gegen einen Handelsvertrag mit Frankreich. Außerdem agitierte die Augsburger Baumwollindustrie unter der Führung Kerstorffs heftig dagegen. In der Situation zwei Jahre später, irritiert durch die unklare Haltung Österreichs, angesichts der allmählich zerbröckelnden Opposition der Mittelstaaten von der Abkoppelung vom Zollverein bedroht, verriet der Antrag Schrencks vom 2. Mai 1864 die Zwickmühle, in welche Bayern geraten war. Politisch fllrchtete es den Verlust der Selbständigkeit und das Zerrieben werden zwischen beiden Großmächten Preußen und Österreich so sehr, daß der Minister sogar das Zurückgehen auf einen eigenen Zollverein mit Württemberg wie in den Jahren 1828 bis 1833 fiir denkbar hielt. Andererseits mußte er aus wirtschaftlicher Perspektive die normative Kraft des Faktischen anerkennen: "Durch den langen Bestand des Zoll vereines, und seine günstigen Wirkungen rur alle industriellen Verhältnisse haben sich jedoch eine große Menge von Verbindungen mit den übrigen Zollvereinsstaaten gebildet, der größte Theil des Verkehres folgt der Richtung nach dem Norden, und es würden daher durch die Auflösung des bisherigen Zollverbandes so zahlreiche Privat-Interessen verletzt werden, daß ein solches Ereigniß immer als eine große Calamität betrachtet werden muß. Am meisten würde offenbar die Pfalz leiden, deren Lage vor der Gründung des Zollvereins schon eine sehr bedrängte war, und deren Verkehrsbeziehungen auch jetzt große Schwierigkeiten darbieten würden." 14 Die Handelskammern betrachteten angesichts dieser Alternative den Handelsvertrag als weniger gefährlich denn den Ausschluß aus dem Zollverein. Ludwig 11., von den Trias- und Souveränitätsansprüchen seines Vaters ziemlich

12 O. Verf., Die Industrie des Zoll vereins, S. 4 ff. Die Schrift der Verfasser war vom "Verein ftlr deutsche Industrie" als beste Antwort auf die Preisfrage "In wie weit sind Schutzzölle ftlr den deutschen Gewerbfleiß eine Nothwendigkeit?" gewertet worden. Sie schloß mit der Aufforderung: "Deshalb trage die handelspolitische Fahne Deutschlands immer die Inschrift: 'Nationale Gesinnung und Schutz der Arbeit.'" (S. 101) 13 Gutachten Meixner, 5.7.1862, (= Nr. 3.2.9), in: GHAM Max H. 76-2-26. 14 Antrag vom 2.5.1864, "Die Zoll= u. Handels=Verhältnisse" betr., unterz. Schrenck, in: BayHStA MH 9693.

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gleich weit entfernt, vollzog nun einen raschen Kurswechsel, da er keinen Sinn darin sah, noch länger auf Österreichs Handeln zu warten und eventuell eine Abspaltung Bayerns gerade noch im Bündnis mit Württemberg zu riskieren. "Die Trennung dieses Zollgebiets vom übrigen Deutschland ist zu wenig naturgemäß, als daß man hoffen dürfte, auf dieselbe einen erträglichen bleibenden Zustand bauen zu können;" schon mit Rücksicht auf die Pfalz erschien ihm dies unausführbar. 15 So trat Bayern kurz vor der von Preußen bis zum 1. Oktober 1864 gesetzten Frist dem erneuerten Zollverein unter Annahme des preußischfranzösischen Handelsvertrages bei. Der dem Wirtschaftsliberalismus zuneigende Hermann hatte schon von Anfang an die Ansicht vertreten, daß die bayerische Industrie stark genug sei, im Wettbewerb mit Frankreich zu bestehen. 16 Sein Urteil wich von der amtlichen Linie ab, weil er andere Bewertungskriterien anlegte. Den Vorteil, der sich für etliche Produktionszweige aus der Öffnung des fränzösischen Marktes oder dem günstigen Bezug von Rohstoffen oder Halbfertigwaren ergeben mußte, veranschlagte er höher als die im Gegenzug dafür notwendig werdenden Zugeständnisse. Bessere Absatzchancen für bayerische Produkte erwartete er vor allem bei leonischen Drähten, Eisenwaren einschließlich der Nürnberger Waren, Spiegelglas, Bunt- und Goldpapier sowie Baumwollwaren, hier besonders bei den in Unterfranken produzierten Artikeln "für den großen Consum ('for the Million')". Die Ermäßigung der Garnzölle wertete er als gerechten Ausgleich für die Baumwollfabrikanten. Den bayerischen Spinnereien rechnete er vor, daß sie in den letzten fünfzehn Jahren dank gestiegener Produktivität die Lohnkosten hatten senken können. Sie befiinden sich infolgedessen auf dem neuesten Stand der Technik und gewährten ihren Besitzern dank des Zollschutzes einen Mehrbetrag von geschätzten drei Prozent über den üblichen Zins und Gewinn hinaus. Eine Herabsetzung des Zollsatzes stelle daher nicht nur keine Bedrohung, sondern sogar eine dringend notwendige Anpassung dar.

15 Signate Ludwigs II. vom 21.7.1864 (= zu Nr. 3.2.58) und vom 26.8.1864 (= Nr. 3.2.62), dort das Zitat, in: GHAM Max II. 76-2-26. Mit Signat vom 19.9.1864 wünschte er Beratung des Ministerrats darüber, ob Bayern innerhalb der von Preußen gesetzten Präklusivfrist zum 1. Oktober dem neuen Zollverein beitreten solle. Gestützt auf den Entscheid des Ministerrats gab er hierzu - vorbehaltlich der Zustimmung des Landtags am 27.9.1864 Anweisung. In: BayHStA MH 9693. Zorn erwähnt nicht nur das Handels-, Waren- und Kreditgeschäft innerhalb des Zollvereins. "Von großer Integrationsbedeutung waren alteingespielte gewerbliche Arbeitsteilungen über Staatsgrenzen hinweg." Ein Beispiel daflir stellt die Verbindung zwischen dem oberfränkischen Baumwollgewerbe und der sächsischen Baumwollindustrie dar. W. Zorn, Die wirtschaftliche Integration Kleindeutschlands in den I860er Jahren und die Reichsgründung, in: HZ 216 (1973), S. 304-334, Zitat S. 328. 16' Von Hermanns Gutachten über den französ.-preuß. Handelsvertrag, 19. Febr. 1862, (= Nr. 3.2.3), in: GHAM Max II. 76-2-26.

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Vom günstigen Bezug chemischer Rohstoffe und Metalle versprach er sich eine Senkung der Produktionskosten. Einer Reduktion der Eisenzölle stimmte er ebenfal\s zu, weil die bayerischen Eisenwerke schon jetzt nur etwa die Hälfte des Bedarfs decken könnten. "Nur eine ganz beschränkte Auffassung könnte vollends durch etwas hohe Zölle Staatseisenwerke erhalten wollen". Sein marktwirtschaftliches Credo hielt von einer subventionierten Staatsindustrie genausowenig wie von zollgeschützten Unternehmergewinnen. Nach seinen Berechnungen stellte er die Prognose auf, daß die Einbußen bei den Zollerträgen beinahe zur Hälfte durch Mehrausfuhr ausgeglichen werden könnten, wenngleich dies nicht der Staatskasse, sondern der Industrie zugute käme. Die restliche Summe wollte er ebenfal\s nicht als Verlust buchen, weil die Konsumenten durch verbilligte Produkte gewannen. Wie in seinen theoretischen Werken ging Hermann vom Standpunkt der Ökonomie aus. Die Auswertung der Zollvereinsstatistik bildete die Kalkulationsgrundlage seiner Einschätzung des vorhandenen Potentials der bayerischen Industrie sowie deren Entwicklungschancen. Demnach kam er zu dem Ergebnis, daß alle Branchen von Belang selbst bei gesenkten Zollsätzen konkurrenzfiihig wären und es sonach an der Zeit sei, die staatliche Hilfe - sprich Zoll schutz zugunsten der Eigeninitiative zurückzunehmen. Angesichts der geringen Kapazität der bayerischen Eisenindustrie fand er das diesbezügliche Beharren auf den höheren Zollsätzen nicht nur politisch anmaßend, sondern auch ökonomisch verfehlt. Trotz ihrer quantitativen Berechnungsbasis hatte Hermanns marktwirtschafts- und konsumorientierte Einschätzung der Folgen und Risiken des Vertrags in der Situation anfangs der 60er Jahre keine Chance, sondern wurde als freihändlerische Position angegriffen und verworfen. 17 Gegen diese Interpretation seiner Expertisen verwahrte sich Hermann zu Recht, denn wie bereits an früherer Stelle ausgeführt wurde, war er keineswegs der Freihandelspartei zuzurechnen. Sein Befund war für ihn die logische Konsequenz aus der Analyse der bayerischen Ressourcen, die wenige Jahre vorher in einem Vergleich mit dem "Nationalkapital Preußens" ebenso ausgefallen war. Schon damals hatte Hermann die bayerische Baumwollspinnerei der preußischen gleichgestellt. Für die in Preußen umgerechnet auf die Einwohnerzahl um ein vielfaches höher liegenden Kapitalwerte in Bergbau und Hüttenwesen machte er die in Bayern fehlenden natürlichen Voraussetzungen verantwortlich. So kam er zu dem Schluß, "daß in Preußen Grundlagen zur Kapitalbildung vor-

17 V. Herrnann, "Bemerkungen den Preußisch=französischen. Vertrag betr:", 27.7.1862, (= Nr. 3.2.14), in: GHAM Max 11.76-2-26. Herrnann geht darin auf den Antrag des Außenministeriums vom 9.7. ein, begründet seine abweichende Einschätzung nochmals und verteidigt sie. Zu Herrnanns Position vgl. Kap. D.n.3., S. 155 ff. sowie Kap. D.IIl.3., S. 186 ff.

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handen sind, welche in Bayern theils zur Zeit mangeln, theils weil die dazu erforderlichen natürlichen Voraussetzungen fehlen, stets mangeln werden.,,18 Mit dieser Einschätzung stand er keineswegs allein da. In seinen "Wirthschaftliche[n] Wandernotizen" sah Jodlbauer aufgrund der Nutzung der billigen Wasserkraft und der Größe der errichteten Fabriken die Wettbewerbsflihigkeit der Baumwollspinnereien vornehmlich in Augsburg gesichert. Er bescheinigte ihnen 1859 "trotz des viel niedem Schutzzolles dennoch einen sehr günstigen Betrieb".19 Weil "[d]er Natur der Sache nach ... Kohlen keine hohen Transportkosten ertragen," galt auch ihm die Konzentration von Kohle- und Eisenindustrie in Westfalen und der Rheinprovinz als logischer und unverrückbarer Tatbestand. Selbst in Jodlbauers sachlicher Schilderung wurde die Prägung der dortigen Landschaft durch die Schwerindustrie, ihre Bergbauanlagen, Hochöfen und Eisenbahnlinien erkennbar, verbunden mit der Bewunderung für die gewaltigen Anstrengungen auf dem Gebiet der Infrastruktur, die der preußische Staat zur Hebung der Eisenindustrie unternahm. Der Rektor der Fürther Gewerbeschule, Johann Beeg, war vom Besuch einer Nagelfabrik und eines Eisenwerkes in Eschweiler mindestens ebenso beeindruckt. Ein Privatbrief spiegelt seine Empfindung wider, in "ein erschreckliches Cyclopenbabylon" geraten zu sein. Im sachlichen Bericht an die Regierung von Mittelfranken blieben die kurzen Wege vom Rohmaterial zum Fertigprodukt, die gewaltigen Kapazitäten sowie die Massenproduktion unübersehbare Fakten, die ihn zu dem Schluß führten, "daß überall, wo nicht alle Umstände in ähnlich günstiger Weise sich vereinen wie hier, die Erhebung einer Konkurrenz in diesem Industriezweig ein hoffnungsloses Unternehmen sein muß". Die niedrigen Löhne in Nürnberg konnten dafür kein Äquivalent bieten, die Handwerksproduktion war in diesem Bereich hoffnungslos unterlegen. 2o Was Hennann im Großen, im Bereich der Schwerindustrie für ganz Bayern, festgestellt hatte, ergab sich hier für den Mikrokosmos, die Nagelherstellung in Nürnberg: mit Fort-

18 V. Hermann, "Preussens Finanzquellen", o. Datum (aufgrund der im Text vorkommenden Daten zwischen 1858 und 1861, wahrscheinlich 1859/60), (= Nr. 7.2.3), in: GHAM Max 11. 76-5-33. 19 M. Jod1bauer, Wirthschaft1iche Wandernotizen, Augsburg 1859, S. 5 ff., Zitate S. 8 u. S. 28. Zur Schwerindustrie v.a. in Preußen vgl. S. 27 ff.: "Eisenbahnen durchziehen die Gegend nach mehreren Richtungen und verbinden mit dem Rheine und dessen parallellaufender Bahn, sowie mit dem Osten der Monarchie;" (S. 30). Interessanterweise fUhrt er die Eisenindustrie der österreichischen Steiermark als Negativbeispiel fUr eine rückständige Entwicklung an. Dort gebe es keine Massenproduktion, "die Gegend zeigt keineswegs das Bild des Umschwungs und sind bis jetzt die hohen Erwart[u]ngen reger productiver Thätigkeit keineswegs eingetroffen. Die Straße, .,. an der die Eisenwerke liegen, ist das Ideal einer Fahrt mit Hindernissen;" (S. 29). 20 Beeg in einem Brief aus Köln an seine Frau, 7.10.1853, und im später erstellten Bericht an die Reg. v. Mfr., hier zitiert nach: F. Sonnenberger/H. Schwarz, Johann Caspar Beeg 1809-1867, Nürnberg 1989, S. 123.

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schritten, die auf Standortvorteilen beruhten, war die Konkurrenz nicht aufzunehmen. Umgekehrt spielten nicht zuletzt die Standortbedingungen eine Rolle im Plädoyer für die Nürnberger Handwerksindustrie, welches ein Vierteljahrhundert früher Rudhart formuliert hatte und wie es Beeg in modernisierter Form immer noch tat. Aber es wurde längst nicht mehr der "Agrarstaat" als Erklärungsmuster strapaziert, und es wurde damit keineswegs der Einführung liberaler Wirtschaftsprinzipien widersprochen. 2. Wirtschaftswachstum und Unternehmereintluß Im Falle des preußisch-französischen Handelsvertrags war die Einschätzung der ökonomischen Kräfte von politischen Interessen überlagert worden. Max 11. zeigte aber besonders Anfang der 1850er Jahre ein deutliches Bemühen, zu einer objektiven Einschätzung der wirtschaftlichen Situation im Lande zu gelangen. Er forderte Auskunft, "in welchen Zweigen der Production und Industrie Bayern vor anderen Staaten hervorragt und besonders welche Städte etwa in dieser Beziehung - und in welchen speziellen Erwerbsquellen sie - exzelliren.,,21 Im Nachlaß finden sich unter dem Stichwort "Handels- und Gewerbswesen überhaupt" ein umfangreicher Bericht über "die gewerblichen Verhältnisse Mittelfrankens", verfaßt vom Regierungspräsidenten, eine Denkschrift des Nürnberger Drogeriegroßhändlers Clericus, die dortigen Handelsgewerbe betreffend, sowie ein Gutachten des Nürnberger Großhändlers und Fabrikbesitzers Crämer "über die industriellen und Handels=Verhaeltniße Bayern's".22 Alle drei Gutachten kamen aus der gewerbereichsten Region des Landes und waren um die Jahreswende 1851/52 entstanden. Die Punkte, die Crämer in seinem Gutachten angesprochen hatte, übernahm Max 11. und reichte sie als "Zusammenstellung der Mittel und Wege, welche Ich zur Hebung des Handels und der Industrie für fOrderlich erachte," zur Begutachtung an den Handelsminister weiter. Einen direkteren Weg der Einflußnahme hätte es für die Industrie kaum geben können! Die Liste um faßte zum Teil so erschöpfende Themen wie die Erweiterung des Zollvereins, Ausbau und Instandhaltung der Verkehrswege, den gesamten Bereich der Fortbildung durch das gewerbliche Schulwesen, naturwissenschaftliche Forschungen, Gewerbevereine, Industrieausstellungen, Gewerbehallen sowie den Schutz der Industrie und die gesetzliche Regelung der Arbeitsverhältnisse, also beinahe das gesamte Instrumentarium indirekt geübter Wirtschaftshilfen, wie sie die Unternehmer dem Staat zubilligten. Handschreiben Max' 11. an MH, 11.9.1852, in: BayHStA MH 5105. Bericht des Reg.Präsidenten v. Mfr., Ansbach, 11.11.1851, (= Nr. 50.1.16); Denkschrift des C. C1ericus, Nümberg, 28.1.1852, (= Nr. 50.1.17); Gutachtliche Aeusserungen und Ansichten des ... C. B. Crämer, Nümberg, im Januar 1852, (= Nr. 50.1.18), in: GHAM Max 11. 80-4-298. 2\

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Nachdem sich die zuständigen Referenten geäußert hatten, erhielt der Monarch zweieinhalb Monate später ein zweiundzwanzigseitiges Gutachten, welches streckenweise mehr einem Rechenschaftsbericht glich. Als Max 11. Ende des Jahres seinen Handelsminister neuerlich mit der Frage konfrontierte, was in Bayern in bezug auf Manufaktur, Industrie und Handel wünschenswert sei, verwies jener nur auf sein früheres Gutachten mit dem knappen Bescheid, nachdem daraufhin noch keine Entschließung ergangen sei, glaube er "zur Zeit von einer weiteren Erörterung dieser Verhältnisse Umgang nehmen zu dürfen.,,23 Dies steht im Widerspruch zu Möckls Darstellung, wonach der Modemisierungswille des Königs von der Regierung torpediert wurde. 24 Sicher kann es als Beleg fllr die Aufgeschlossenheit des Monarchen gelten, wenn zehn Jahre nach der ersten Industrieausstellung des Zoll vereins in München 1854 die zweite deutsche Industrieausstellung stattfand, deren Ausstellungsgebäude mit etwa einer Million Gulden finanziert worden war, wenn Max II. in seiner Eröffnungsrede Kraft und Wohlstand eines Volkes in der Blüte der Industrie vermutete. Ereignisse dieser Größenordnung dienten jedoch - anders als die Landesausstellungen - immer gleichzeitig der Selbstdarstellung des Gastgeberlandes, und das nach dem Vorbild des Londoner Glaspalastes errichtete Ausstellungslokal repräsentierte den Anspruch, nach Preußen die zweitgrößte Macht im Zollverein zu vertreten. Wenn jedoch Max 11. in einem Handschreiben an den Handelsminister sein gleich großes Interesse an der Förderung von Landwirtschaft wie von Handel und Industrie damit begründete, daß letztere "durch die bedeutende Anzahl von Consumenten, welche sie beschäftigen, den Ackerbau erst erträglich machen müssen, und so eine Hauptgrundlage des Nationalwohlstandes bilden",25 griff er mit dieser Argumentation das von den liberalen Nationalökonomen propagierte Kreislaufrnodell auf. Ähnlich hatte Hermann in einem Gutachten nicht bei der landwirtschaftlichen, wohl aber der gewerblichen Entwicklung Bayerns Mängel entdeckt. 26 Der Monarch setzte an diesem Punkt an und war damit moderner als 23 Max 11. an Handelsminister v. d. Pfordten, 4.2.1852; Gutachten v. d. Pfordten, Die Beförderung des Handels u. der Industrie betr., 20.4.1852 (im Akt befinden sich auch die dazugehörigen Gutachten der verschiedenen Referenten); Handschreiben Max' 11. an v. d. Pfordten, 23.12.1852; Antwort v. d. Pfordten, 17.5.1853, daraus das Zitat, in: BayHStA MH 5105. Genauso erging es Max 11. ein Jahr später mit seiner Bitte um eine Darstellung des Zustandes der Industrie und des Handels sowie der Mittel zur Hebung dieser Zweige der Volkswirtschaft. Das Ministerium sah die Frage durch ein Gutachten über die industriellen Zustände in Belgien (vgl. Anm. 30) erledigt. Handschreiben Max' 11., 24.11.1853; Aktennotiz des MH, 25.10.1854, in: BayHStA MH 5105. 24 K. Möckl, S. 31/32. "Nicht der König, wohl aber die Regierung koppelte Bayern mehr oder minder vom Industrialisierungsboom in Deutschland ab." (S. 32) 25 Handschreiben Max' 11.,4.2.1852, in: BayHStA MH 5105. 26 Gutachten v. Hermann, 5.1.1853, (= Nr. 28.1.38), in: GHAM Max 11. 76-5-33.

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von der Pfordten, dessen Denken noch von den Konstanten der "Agrikulturstaaten" ausging, die dennoch auf eine "den Zeitverhältnissen gemäß entwikkelte[n] Industrie" nicht verzichten konnten. 27 Fabriken stand Max 11. jedoch ebenso reserviert gegenüber wie sein Vater. "Ich bin, wie Meinerseits bereits mehrmal bemerkt wurde, schon überhaupt nicht für die Vermehrung der Fabriken", vor allem nicht am selben Ort, wo sie bereits bestehende Einrichtungen gefährden könnten, "und auch, daß nicht dem Wachsthume des Proletariats förderlicher Vorschub geleistet werde.,,28 Die sozialen Folgen des Fortschritts nie aus den Augen verlierend, gab der Monarch lieber einer Vermeidungsstrategie den Vorzug. Zur Vervollständigung des Bildes sei angemerkt, daß er durchaus noch im Schema traditioneller Bevölkerungspolitik einer den Landesverhältnissen angemessenen Steigerung der Einwohnerzahl denken konnte, wie ein entsprechendes, bei Hermann in Auftrag gegebenes Gutachten beweist. 29 Der König griff jede Anregung zum Thema Wirtschaft auf. Einen Zeitungsartikel über die industriellen Zustände in Belgien, den Kleinschrod der Beachtung wert gefunden und übersandt hatte, nahm er ebenfalls zum Anlaß gutachterlicher Würdigung. Dabei sollten besonders die Maßnahmen im Hinblick auf die Armenpflege berücksichtigt werden. 30 Referent dieses Gutachtens war Kleinschrod. Gleich eingangs wurde auf die unterschiedliche Ausgangslage hingewiesen, auf die höhere Bevölkerungsdichte Belgiens, auf dessen natürliche Vorzüge wie Bodenschätze, Küstenlage und verkehrstechnisch günstige Ebenen sowie die intensive landwirtschaftliche Nutzung. Daraus müßten zwangsläufig andere Strukturen in Industrie und Beschäftigung eines Volkes resultieren. Für Bayern ergab sich im Umkehrschluß, daß die landestypischen Güterquellen in der Agrikultur lägen. Die Regierung habe demnach hier ihr "wichtigstes und größtes Feld der Einschreitung" zu suchen; 27 Vortrag des Handelsministers v. d. Pfordten zum Gesuch des Fabrikbesitzers Borst in München, 20.11.1858, (= Nr. 50.1.26), in: GHAM Max 11.· 80-4-298 . • 28 Signat Max' 11. auf einem Antrag des MH, die Bildung einer AG zum Betrieb einer mechan. Baumwollspinnerei u. Weberei in Hof betr., 29.1.1856, in: BayHStA MH 5415. 29 V. Hermann, "das Verhältniß der Bevölkerung Bayerns zu anderen deutschen Staaten und zu den Boden= und sonstigen Verhältnißen Bayerns betr.", 1.11.1853, in: BayHStA Mlnn 45443. Dabei sollte er auch Mittel tlir ein den Verhältnissen angepaßtes Bevölkerungswachstum angeben. 30 Kleinschrod hatte am 15.2.1854 zwei Beilagen der Neuen Münchener Zeitung (zu Nr. 37 vom 13.2.1854, zu Nr. 38 vom 14.2.1854) übersandt, in denen die Zusammenfassung eines Berichtes des württembergischen Regierungsrates von Steinbeis erschienen war, der von seiner Regierung nach Belgien entsandt worden war; Signat Max' 11., 17.2.1854, in: GHAM Ludwig I. 47/5/20,3. Für das Folgende: Austlihrliches Gutachten des Innen- und des Handelsministeriums, 2.7.1854, in: GHAM Ludwig I. 47/5/20,3; tabellarischer Auszug des Gutachtens, (= Nr. 50.1.4), in: GHAM Max II. 80-4-298.

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die Anstrengungen auf dem Gebiet der Industrieförderung seien dagegen ausreichend. 31 Dies darf nicht als Absage an industrielle Weiterentwicklung gelesen werden. Dank seines liberalen Wirtschaftsverständnisses war Kleinschrod im Gegenteil überzeugt, daß die Gewerbeindustrie ihre Wachstumskräfte eigenständig entfalten würde. So fiihrte die Analyse der heimischen Ressourcen auf der produkt- und produzentenorientierten Seite zur Tendenz, den Grundstoffsektor das war in Bayern der Agrarbereich - zu fördern im Vertrauen darauf, daß die verarbeitende Industrie ihren Nutzen daraus ziehen würde. Dagegen sah Hermanns konsum- und konsumenten orientierter Ansatz den stärkeren Impuls von der Nachfrageseite ausgehen, in diesem Fall der Nachfrage der Produzenten nach geeigneten Rohstoffen, die ein entsprechendes Angebot hervorrufen würde. Deshalb wollte er mit staatlichen Hilfen beim Gewerbesektor ansetzen. Ebenso aufmerksam wurden, wie vom König gefordert, die sozial flankierenden Maßnahmen betrachtet. Die belgischen Lehr- und Ausbildungsanstalten, die Ecoles d'apprentissage mit Unterricht in einfachen Arbeiten fiir die weibliche Jugend und die Ateliers d'apprentissage als technische Lehrstätten für männliche Gewerbe- und Industriearbeiter mit dem Zweck, "auf ... die moralische und technische Hebung des gesunkenen Arbeiterstandes ... hinzuwirken", wurden als sinnvolle und nachahmenswerte Vorbilder vorgestellt. Umgekehrt erschien die große Anzahl von Banken, teils mit Staatsbeteiligung, teils als Aktiengesellschaften, auf bayerische Verhältnisse nicht übertragbar, weil derartige Kapitale dazu neigten, "eine große Fabrikbevölkerung künstlich hervorzurufen, welche von einem ausgedehnten Proletariate unzertrennlich ist." Außerdem seien auch ohne Zutun des Staates in den letzten fiinfzehn Jahren in Bayern eine Reihe von Aktiengesellschaften entstanden. Die sozialen Folgen im Blick, geriet der ökonomische Fortschritt sofort in den Widerspruch von Bejahung der Fortbildung des einzelnen und Ablehnung der Konzentration finanzieller Macht und ihrer Egoismen. Unter diesem Aspekt soll die ablehnende Haltung der Regierung gegenüber der Neugründung privater Bankinstitute überprüft werden, die Möckl als eine Erschwernis der Finanzierung industrieller Projekte an führt. 32 Im Frühjahr 1856 standen nämlich gleich zwei augenscheinlich miteinander konkurrierende Anträge zur Gründung von Kreditanstalten zur Entscheidung an.

31 "Wenn daher die Pflege der gewerblichen Industrie in Bayern nach den bisherigen Einleitungen ruhig ihrer weiteren Entwicklung überlassen bleiben kann, so wird die Aufmerksamkeit der Regierung um so mehr für die Emporhebung der Agrikultur in Anspruch genommen," ebd. 32 K. Möckl, S. 28 ff.

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Graf zu Lippe und Graf zu Erbach hatten vor, eine "Bayerische Creditanstalt für Handel, Landwirthschaft und Industrie" mit Sitz in München und einem Grundkapital von 40 Millionen Gulden in Aktien zu 100 Gulden zu gründen. Die Unterschriften liste unter dem Gesuch zur Gründung einer "AugsburgerCredit-Anstalt" mit einem Kapitalumfang von 20 Millionen Gulden, erweiterbar auf 40 Millionen, in Aktien zu 250 Gulden liest sich dagegen wie das "Who is Who" der Augsburger Handels- und Unternehmerwelt, ergänzt durch ein adeliges Konsortium, bayerische und außerbayerische Bankhäuser sowie den Industriellen Cramer-Klett in Nürnberg. 33 Beide Institute wollten ihre Geschäfte jedoch nicht auf der Basis des Immobiliarkredits abwickeln wie die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank, sondern arbeiteten mit dem beweglichen Vermögen, dem Mobiliarkredit. Das garantierte raschere Beweglichkeit, erhöhte aber auch das Risiko. Zur Sicherheit hielten daher beide Projekte die zur öffentlichen Subskription aufgelegte Kapitalbeteiligung niedrig. Die Augsburger-Credit-Anstalt wollte ihren Kreditrahmen bei gemeinnützigen Unternehmungen des Staates, Finanzoperationen der Regierung und Industrie- und Handelsunternehmungen zur Verfügung stellen und verstand sich dabei als notwendige Ergänzung zum Hypothekengeschäft. Der Antragsteller von Kerstorf begründete die Mobilisierung des Kapitals mit dem steigenden Bedarf von Seiten der Industrie, mit der "Nothwendigkeit einer Steigerung der Kräfte so mancher unserer vaterländischer Etablissements, die nur aus Mangel an Umfang oder an Fonds hinter andern Etablissements der Neuzeit zurückbleiben, ... um große noch ungehobene Schätze der vaterländischen Industrie aufzuschließen" und nicht zuletzt mit dem sozialen Effekt, "viele hiezu verwendbare Arbeitskräfte in lohnende Thätigkeit zu bringen, deren Inaktivität bisher dem Staate so wie dem Einzelnen zum Nachtheil gereichte".34 Die Statuten ließen erkennen, daß die Bank dabei einen aktiven Part spielen wollte und sich ihr Geschäftskreis zwar vorzugsweise auf Bayern konzentrieren, aber nicht darauf beschränken sollte.

33 Schreiben des Grafen zu Lippe, München, 4.3.1856, (= Nr. 50.2.4 und Nr. 50.2.5), in: GHAM Max 11. 80-4-299. Gesuch des Hofrates Friedrich Edlen von Kerstorfu. Consorten, Augsburg, 20.2.1856; Statut der Augsburger-Credit-Anstalt, 13.2.1856; v. Kerstorf, Promemoria, 20.2.1856, in: GHAM Ludwig I. 47/5/20,3. Kerstorf zur Seite standen so bekannte Namen wie von Stetten, Schaezler, Erzberger, Obermayer und Heinzelmann, unter den Adeligen etwa Leopold Fürst v. Fugger-Babenhausen, Max Grafv. MontgeIas, Max Grafv. Arco-Valley und Maximilian Fürst zu Thum und Taxis. Neben den Münchner Bankiers Hirsch und EichthaI wollten sich auch Sal. Oppenheim in Köln und Rothschild u. Söhne in Frankfurt/M. beteiligen. 34 Promemoria, 20.2.1856, in: GHAM Ludwig I. 47/5/20,3.

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Hennann und Abel äußerten sich zu den geplanten Kreditanstalten positiv. 35 Abel bestätigte die gestiegene Bedeutung des beweglichen Vennögens als Folge des industriellen Fortschritts, weshalb es in zunehmendem Maß "eine Hauptgrundlage der Macht der Regierungen und Staaten" bilde. Daher begrüßte er die Fähigkeit des Mobiliarkredits, zur Weiterentwicklung von Industrie und Verkehr Kapitalien zu aktivieren und zu bündeln. 36 Die Institution an sich war rur ihn nicht unmoralisch; entscheidend kam es auf die Geschäftsmoral des jeweiligen Institutes an, einen Ausgleich zwischen Privatinteresse der Beteiligten und dem allgemeinen Interesse zustandezubringen. Hennann bejahte den Mobiliarkredit ebenfalls wegen seiner aktiveren und beweglicheren Kapitalbeteiligungsfonn. Angesichts der bayerischen Verhältnisse hielt er jedoch zunächst ein Institut dieser Art vom geplanten Umfang rur ausreichend und gab dem Augsburger Projekt mit erfahrenen Persönlichkeiten an der Spitze als dem solideren den Vorzug. Letztlich entschied sich der König aber auch gegen dieses Projekt. Daran konnten Mitteilungen über den Subskriptionsverlauf, weitere Absicherung gegen Spekulationsgeschäfte und die geplante Übernahme von Eisenbahnaktien nichts ändern. 37 Die Motive seiner Ablehnung können in einem Notat Max' H. nachgelesen werden. Darin zählte er vier Gegenargumente auf: der Mobiliarkredit stelle eine von der Regierung ernst zu nehmende Geldrnacht dar, entziehe dem Staatskredit Mittel, fördere Börsenspiel und Agiotage bis in die Unterschichten und ziehe Kapitalien von der Landwirtschaft ab. Dieser vernichtenden Beurteilung zufolge untergrub er nahezu alle Säulen des Staatsgebäudes, so daß er einem völligen Verdikt unterliegen mußte: Das geplante Institut sei "weder aus Staats= noch volkswirthschaftlichem Gesichtspunkte empfehlbar. ,,38

35 V. Hermann, die Errichtung von Mobiliar=Credit=Vereinen in Bayern betr., 11.3.1856, (= Nr. 50.2.8); v. Abel, Die Errichtung einer CreditAnstalt zur Förderung von industriellen und ähnlichen Unternehmungen I: credit mobilier :1 betr., 5.3.1856, (= Nr. 50.2.9), in: GHAM Max 11. 80-4-299. 36 Nach Abels Ansicht war die Gefahr der Börsenspekulation bei Staatsanleihen wesentlich akuter. Bei Verzicht auf Mobiliarkreditanstalten in Bayern fürchtete er Kapitalflucht ins Ausland. 37 Am 8.6.1856 wurde die Konzessionserteilung abgelehnt, in: GHAM Ludwig I. 47/5/20,3. Darin auch weitere Schreiben Kerstorfs vom 8.3., 10.3., Mai und 4.6.1856. 38 Max II., o. Datum, (= Nr. 50.2.1), in: GHAM Max 11. 80-4-299. Das Notat dürfte die Kompilation eines Gutachtens sein. Wichtige Argumente in dieser Hinsicht finden sich in einem Promemoria, Die Gründung einer Credit=Anstalt in Augsburg betr., München, 24.3.1856, erstellt von einem Verwaltungsmitglied der Bayer. Hypotheken- und Wechselbank, (= Nr. 50.2.3), in: GHAM Max 11. 80-4-299. Dieses warnte vor dem Kapitalabzug in Groß unternehmungen, welcher den öffentlichen Kredit in Bedrängnis bringen und die Landwirtschaft in eine Krise mit unberechenbaren Folgen stürzen müßte. Mobiliarkreditanstalten seien "Treibhäuser der Agiotage, bei Ausschweifungen sind sie wahre Fabriken derselben."

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Hier wurde klar die Grenze gezogen. Dem völlig frei beweglichen und entfesselten Kapital wurde eine gemeinnützige Wirkung grundsätzlich abgesprochen. Abel hatte unter Verweis auf die persönliche Moral der Gründer ganz allgemein eine Kongruenz von Eigennutz und Gemeinwohl für möglich gehalten, Hermann fand sie konkret durch die am Augsburger Projekt Beteiligten gewährleistet. Dagegen ließ die Einschränkung der Perspektive auf die Funktionsweise des Kapitals, der sich Max 11. hier anschloß, dessen Flexibilität als unsolide, gefiihrIich und egoistisch erscheinen. Beim Immobiliarkredit existierte als Äquivalent Grund und Boden, die mittlerweile akzeptierte Form der Aktiengesellschaft mußte für jedes Unternehmen eigens beantragt werden und bot ebenfalls einen überprüf- und überschaubaren Gegenwert. Doch das mobile Kapital entzog sich der Kontrolle und stand daher unter dem Verdacht, aus Eigennutz und Gewinnstreben auch unsolide Unternehmungen zu finanzieren, eine künstliche Industrie hervorzurufen.

3. Konkurrenzfähigkeit der Industrie und Arbeitsbeschaffung Eine Industrie auf natürlichen Grundlagen bestimmte sich nicht nur durch Verarbeitung heimischer Rohstoffe, sondern auch durch ihre Konkurrenzfiihigkeit im Innern wie nach außen. Die Entstehung einer künstlichen Industrie zu vermeiden war eine Leitlinie der bayerischen Wirtschaftspolitik. Jene konnte nicht nur durch unverantwortliche Spekulation, sondern ebenso durch zu umfassende staatliche Hilfen hervorgerufen werden. "Ohne gewaltsam in den Gang der Dinge einzugreifen, wird die Staatsregierung nur dafür zu sorgen haben, daß sich die einzelnen Industriezweige auf Grundlage der natürlichen Bedingungen entwickeln können." Mit Fortdauer des Zollvereins gewann allmählich der Gedanke einer länderübergreifenden Arbeitsteilung an Boden, derzufolge jedes Land die Produkte erzeugen würde, zu denen es die günstigsten Voraussetzungen hatte. 39 Dieser Linie entsprachen indirekte Fördermittel am besten. 4o Dabei entwikkelte sich der Ausbau der Verkehrsmittel nach Ansicht des Handelsministeriums den Bedürfnissen gemäß, die naturwissenschaftlichen Forschungen schritten voran, das technische Schulwesen bedurfte dagegen des Ausbaus und der Verbesserung. Die positive Wirkung der polytechnischen Vereine wurde herausgestellt, gleichzeitig jedoch mehr gemeinsame Initiative von den Gewerbetreibenden verlangt: "Der Kleingewerbestand wird bei den jetzigen Zeitverhältnissen 39 Antrag des MH an den König, Die Anlage einer Rohprodukten Sammlung für Bayern betr., Februar 1863, in: BayHStA MH 5105. Das Zitat ebd. 40 Gutachten des Handelsministers v. d. Pfordten, Die Beförderung des Handels u. der Industrie betr., 20.4.\852, in: BayHStA MH 5\ 05.

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weniger durch irgend weIche Beschränkung des Fabrikbetriebes geschützt werden können, sich vielmehr nur selbst durch Association ... schützen können". Zu diesem Zweck wurde die Bildung von Gewerbevereinen propagiert und unterstützt. Die mancherorts geringe Resonanz zeige allerdings, "daß es dem Gewerbsstande in dieser Hinsicht häufig an Gemeinsinn mangelt." Die Errichtung von Gewerbehallen scheitere ebenfalls allzuoft an den widerstreitenden Interessen der Gewerbetreibenden und Kleinhändler, während sich Industrieausstellungen wachsender Beliebtheit erfreuten. Das Handelsministerium wollte also die industrielle Entwicklung weder massiv beschleunigen noch abbremsen. Die Auswirkungen auf die entsprechenden Gewerbe wurden nicht übersehen, Schutzmaßnahmen jedoch als unzeitgemäß, unpraktikabel und letztlich kontraproduktiv verworfen. Langfristig erfolgreiche und wirksame Ergebnisse erwartete es von der Übernahme moderner Fertigungstechniken und Produktionsmethoden, der Verbreitung neuer Kenntnisse und Zusammenschlüssen der Gewerbetreibenden auf geschäftlicher Basis. Es sah seine Aufgabe darin, einen Wandel in diese Richtung durch verbesserte Angebote und Anpassungsdruck herbeizuführen. Ganz im Sinne dieses Programms, den Wissensstand der wirtschaftlich Handelnden zu erweitern und zugleich einen Anreiz zur fachgerechten und bestmöglichen Ausbeutung der landeseigenen Rohstoffe zu geben, stand zum Beispiel die Idee einer Rohproduktensammlung in Bayern. 41 Vorbilder waren das Kensington Museum in London, das Conservatoire des arts et metiers in Paris oder das Musterlager in Stuttgart. Eine derartige Sammmlung sollte Unternehmern wie Händlern das Rohstoffangebot des Landes augenfiillig machen und zugleich einen wichtigen Beitrag zur Warenkunde leisten, weIche Voraussetzung zur sachgerechten und rentablen Weiterverarbeitung war. Dieser im Frühjahr 1863 vorgebrachte Plan stand im Umfeld einer Kampagne zur Verbesserung des Produktionsstandards, während der vom Handelsministerium vielfältige Anregungen zur Verbesserung des Verarbeitungsstils und des Geschmackssinns ausgingen. 42 Beobachtungen bei der Weltausstellung in London im Jahr 1862 hatten es zu der Erkenntnis geführt, daß viele Gewerbezweige ohne Übernahme industrieller Fertigungsweisen keine Chance mehr hatten, andererseits der Trend weg von der bloßen Quantität zur Qualität, zu Güte und Formschönheit ging. Daher soHte neben die Vermittlung von technischem verstärkt auch die gestalterischen Know hows treten. In dieser Absicht erging etwa eine Sonderzahlung zur Erweiterung der Kunstgewerbeschule in

41 Antrag des MH an den König, Februar 1863; im gleichen Betreff MH an Mlnn f. Kirchen- u. Schulangelegenheiten, MH an MF, 23.5.1863, in: BayHStA MH 5105. 42 In derselben Akte unter dem Betreff "Fürsorge flir die Leistungstahigkeit der Industrie".

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Nürnberg. 43 Zur Gründung eines bayerischen Gewerbemuseums kam es allerdings erst im Jahr 1869 in Nürnberg auf Initiative der Industriellen Lothar von Faber und Theodor von Cramer-Klett. Gewichtiger waren überdies die Gründe, mit welchen das Handelsministerium seinen Antrag tlir die Rohproduktensammlung motiviert hatte. Das waren zum einen die bayerische Gewerbeinstruktion des Jahres 1862, die den Weg zur Gewerbefreiheit ebnen sollte, zum andern die erwartete Erweiterung des Zollvereins in Richtung Österreich oder Frankreich. 44 Dazu kamen die Eintlihrung der Gewerbefreiheit in den Nachbarländern Österreich und Württemberg. Auf die so veränderte Situation reagierte das Ministerium offensichtlich mit neuen Initiativen. Es überprüfte beispielsweise die Handelsberichte der Generalkonsuln im Ausland auf Produkte, die in Bayern hergestellt werden konnten, und gab diese Informationen an die betreffenden Kreisregierungen oder Gewerberäte und Gewerbevereine zur Anregung der Produzenten weiter. 45 Der Gewerberat der Stadt München dankte tlir diese Mitteilungen, weil sie "dem Gewerbe sowie dem Fabrikantenstande Anhaltspunkte und Gelegenheit bieten, Absatzwege tlir ihre Erzeugnisse in das Ausland zu finden und in Konkurrenz zu treten, mit der ausländischen Industrie. ,,46 Das Handelsministerium war also daran interessiert, die Produzenten auf neue Märkte hinzuweisen und ihre Exportchancen zu erhöhen. Am Beispiel des

43 MH an MInn f. Kirchen- u. Schulangelegenheiten, Betr.: s.o., 17.11.1863, i. d. Anlage Promemoria; Zahlungsanweisung an die Central-Staatskasse zur Überweisung von 1250 Gulden zur Erweiterung der Kunstgewerbeschule in Nürnberg, 22.6.1864, in: BayHStA MH 5105. 44 Antrag des MH an den König, Februar 1863, in: BayHStA MH 5105. 45 Z.B. MH, Die Tuchfabrikation betr., 22.7.1864, in: BayHStA MH 5105, enthält die Mitteilung, daß die Türkei ihren Bedarf an Tuchen in steigendem Maß aus dem Ausland decken müsse. Das Schreiben vom folgenden Tag an die Kreisreg.en von Oberfranken und Schwaben lieferte nähere Angaben zu Qualität und Preis. Die Ausfllhrungen schlossen mit dem Hinweis, der Geschmack der Orientalen stehe "im Ganzen noch auf jener Stufe der Rohheit, wie wir sie bei allen unkultivirten Völkern finden, und die sich vorzugsweise in der Vorliebe für die grellsten Gegensätze ausspricht." Weitere Anregungen betrafen die Tonwaren- und Glasindustrie (23.7.1864), die Fabrikation von Gold- und Silbergeräten (25.8.1864), die Point- (11.6.1865), die Leder(11.6.1865), die Handschuhfabrikation (21.9.1865) sowie die Errichtung eines Musterlagers in Triest (9.4.1864). Alle: BayHStA MH 5105. 46 Gewerberat der Stadt München, 17.8.1864, in: BayHStA MH 5105. Mit Schreiben vom 6.4.1864 an alle Konsularbeamten hatte das Außenministerium angemahnt, daß laut Dienstanweisung alle Handel, Industrie und Verkehr betreffenden Gegenstände zu beachten seien oder zumindest einmal im Jahr diesbezüglich Bericht erstattet werden müsse. In: BayHStA MA 25 107.

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"Die Holzwaaren-Industrie" betreffenden Vorgangs47 zeigt sich allerdings, daß Aufwand und Erfolg oft in keinem Verhältnis standen. In dieser Sache war an die Kreisregierungen sowie an den Gewerbekommissar Beeg in Nürnberg der Hinweis ergangen, daß im gesamten Orient Schiffsladungen von Holzschachteln zur Verpackung von Rahat eingeführt wurden. Beeg zog von vorneherein die Rentabilität des Unterfangens in Zweifel, da der Transport der sperrigen Schachteln verhältnismäßig teuer sei und bereits die Nürnberger Spielwarenindustrie ihre Schachteln zur Verpackung größtenteils von auswärts, aus Thüringen, dem Erzgebirge und aus Böhmen, beziehe. Möglichkeiten sah er nur dort, wo Holz billig und die Verdienste niedrig waren wie im Bayerischen oder im Frankenwald. Aus denselben Gründen verhielten sich die übrigen Kreise skeptisch bis ablehnend. Niederbayern signalisierte immerhin Bereitschaft zur weiteren Verfolgung des Plans. Einzig in Unterfranken wurde der Gedanke begeistert aufgegriffen "insbesondere im Interesse der zum großen Theile auf industriellen Erwerb hingewiesenen armen Rhönbevölkerung".48 Die Kreisregierung erinnerte bei dieser Gelegenheit an die Dringlichkeit einer Eisenbahntrasse durch die Rhön als einem Akt "rettende[r] Staatsfürsorge". Andernfalls werde dieser Landstrich "der geistigen, sittlichen und wirthschaftlichen Verkommung hoffnungslos verfallen oder doch wenigstens weit zurückbleiben hinter allem Fortschritt, der außerhalb des Rhöngebietes in den mit Eisenstrassen durchzogenen Gauen die Bevölkerungen glücklich und zufrieden macht." Hinsichtlich der Holzschachtelproduktion hatte sich bereits der Schweinfurter Kaufmann Finckh erboten, diese in der Rhön einzuführen. Er verwies auf seine einschlägige Erfahrung, verlangte dazu allerdings Unterstützung in Form von billigem Holzbezug und Arbeitsverpflichtung Beschäftigungsloser durch die Gemeinden. 49 Das Projekt wurde nicht verwirklicht, weil das Handelsministerium seinen Vorschlag zurückzog, nachdem weitere Erkundigungen Beegs

47 MH an Kreisreg.en, 29.5.1865, in: BayHStA MH 5105. Alle weiteren Vorgänge zu diesem Betreff, die sich über die zweite Jahreshälfte erstreckten, ebd. Rahat = orientalische, geleeartige Konfitüre. 48 Reg. v. Ufr. an MH, Würzburg, 16.7.1865, in: BayHStA MH 5105; vgl. dazu den Bericht der Direktion des polytechnischen Vereins zu Würzburg, 11.7.1865, ebd. 49 Kaufmann Carl Finckh, Schweinfurt, an den Fabrikrat der Stadt Schweinfurt, 28.6.1865; Schreiben des I. Vorsitzenden des Fabrikrates, Schweinfurt, 2.7.1865, in: BayHStA MH 5105. Zu C. Finckh vgl. P. Schad, Die sogenannten Hausgewerbe der bayerischen Rhön im 19. Jahrhundert, Holzwarenindustrien, Krugbäckereien, Webereien, Diss. ErlangenN ürnberg 1971, S. 170. Laut Schad betrieb Finckh das sogenannte Zwischenmeistersystem, eine Variante des Verlagssystems. Finckh selbst erwähnte in seinem Schreiben, daß er in der Rhön mit Erfolg 24 Mann zur Verfertigung feinerer Holzspie1waren angelernt habe. 14 Burkhardt

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dessen negative Voreinschätzung bestätigt und ihn von einem Versuch dringend hatten abraten lassen. 50 Dennoch läßt sich daran eine weitere wesentliche Komponente der IndustrietOrderung nachweisen. Alle Bemühungen um Verbesserung von Ausbildungsstand und Herstellungsmethoden oder die Anregung zu neuen Produkten zielten zugleich auf Erhalt oder Schaffung von Arbeitsplätzen, also die Lösung der sozialen Frage. Die Regierung von Unterfranken hatte in der Holzschachtelproduktion sofort ein Verfahren vermutet, das sich in ihre Anstrengungen um Verdienstmöglichkeiten in der Krisenregion Rhön einfügen würde. Schad, der die staatlichen Bemühungen zur Industrieforderung in dieser Region eingehend untersucht hat, kritisiert zwar, daß diese zu wenig zielgerichtet waren und nicht die Ursachen der Not behoben. Grundsätzlich beurteilt er die staatliche Hilfe in der Rhön als unverzichtbar und die Förderung der Holzwarenindustrie als wichtigen Teil davon. 51 Im Fall der Holzschachtelproduktion orientierte sich das Handelsministerium allerdings an Beegs Kalkulation, welche die Unwirtschaftlichkeit des Unterfangens erwiesen hatte. Ganz offenkundig war die Sorge um Arbeitsplätze das Motiv bei einer direkten Fördermaßnahme, dem im Frühjahr 1848 im Rahmen einer umfangreichen Staatsanleihe eingerichteten "Allgemeinen Industrie-Unterstützungsfonds".52 Er trat neben den bereits bestehenden Industrie- und Kulturfonds, war allein der Unterstützung von Handwerk und Industrie vorbehalten und mit einem Kapitalvolumen von einer Million Gulden ausgestattet, das sich durch Zins- und Rückzahlungen erhalten mußte. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Finanzierung von Eisenbahnlinien einen gesonderten Etatposten ausmachte und der Staat keine Handelsgeschäfte finanzierte, zeigt der gegenüber den an früherer Stelle erwähnten Vorhaben privater Kreditanstalten vergleichsweise bescheidene Kreditrahmen, wie vorsichtig die Regierung hierbei agierte. Zeitpunkt und Intention dieses auf Initiative des Königs und der Regierung eingerichteten Unterstützungsfonds waren eindeutig arbeitsmarktpolitisch moti-

50 Beeg an MH, 30.12.1865; MH an Fabrikrat Passau, 13.1.1866, in: BayHStA MH 5105. 51 P. Schad, S. 89 ff., S. 213 ff. Vgl. auch U. Troitzsch, Staatliche Bemühungen um die Einfiihrung der Strohflechterei in Kurhessen in der Mitte des 19. Jahrhunderts - ein Beispiel verfehlter Nebenerwerbsförderung, in: H. Kellenbenz (Hrsg.), Agrarisches Nebengewerbe und Formen der Reagrarisierung im Spätmittelalter und 19./20. Jahrhundert, Stuttgart 1975, S. 141-154. Die Fallstudie läßt viele Parallelen bezüglich Intention und Umsetzung des Vorhabens erkennen. 52 Gesetz über die Aufnahme eines Anlehens im Wege der freiwilligen Subscription, 12. Mai 1848, in: Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Nr. 5 vom 13.5.1848, Sp.29-32. Daneben bestanden noch der unbedeutendere Industrie-UnterstützungsNebenfonds sowie der Gewerbeprivilegien-Taxfonds.

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viert. In Zusammenhang mit der Anordnung öffentlicher Arbeiten zur Unterstützung Arbeitsuchender ergangen, sollte er zunächst durch Hilfen rur infolge der unruhigen Zeitverhältnisse in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene Unternehmer und Handwerker einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindern. Die Zwecksetzung verwies damit auf die soziale Frage samt ihrem politischen Gefahrenpotential, welcher Max 11. so große Beachtung schenkte. Mauersberg wertet in seiner kenntnisreichen Studie über die bayerischen Industriefonds 53 den langwierigen, über viele Stationen ruhrenden Weg von der Erfassung bis zur Errullung der Kreditwünsche als Beleg rur die Unerfahrenheit der Bürokratie mit dieser Art von Förderung. Immerhin wurde ein Teil der Mittel den örtlichen Gewerbevereinen zur Vergabe von Kleinkrediten direkt zur Verrugung gestellt. Ein anderes Problem stellten die Auswahlkriterien rur die Kreditvergabe dar. Mit längerem Abstand von der Krisensituation 1848/49 und der Erfahrung verlustig gegangener Kredite traten wirtschaftliche Gesichtspunkte stärker in den Vordergrund. Objektiv verbindliche Kriterien kann Mauersberg nicht feststellen. "Rein praktisch gesehen galt wohl in erster Linie die Glaub- und Kreditwürdigkeit des potentiellen Schuldners viel, aber auch das Objekt stand im Spiel der Überlegungen, ebenso die Überzeugung, daß der beabsichtigte Darlehenszweck wirksame Konsequenzen rur den Arbeitsmarkt mit einzuschließen hatte." Generell stellt er fest, daß bei Vergabe der Fördermittel nicht einzig nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten entschieden wurde, sondern durchaus politische Erwägungen einflossen. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Wirtschaftspolitik der bayerischen Regierung immer noch zwischen Abstützung der Ökonomie auf den Agrarsektor als zentraler Säule und seiner Funktion entsprechender Eingliederung des Grundstoffsektors in den Wirtschaftskreislauf oszillierte. In der Außenhandelspolitik liefen Bemühungen um Erschließung neuer Märkte sowie um angemessenen Zollschutz rur die heimische Industrie parallel; neu hinzu trat die Erwägung übernationaler Arbeitsteilung anstelle autarker nationaler Produktion. Innerhalb des Landes wurde vom Gewerbeschutz als oberstem Prinzip abgerückt. Gewerbliche und industrielle Produktion sollten nebeneinander bestehen und einen entsprechenden Modus vivendi finden. Der Staat war bereit, durch indirekte Fördermaßnahmen die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Dabei ging die Regierung davon aus, daß es im gewerblichen Sektor stärkerer Anreize bedurfte und gegebenenfalls ein gewisser Anpassungsdruck in Richtung Modernisierung der Strukturen ausgeübt werden mußte. Die Entwicklung der Fabrikindustrie wurde weder behindert noch besonders gefördert, was rur die

53

H. Mauersberg, Bayerische Entwicklungspolitik 1818-1923, S. 51 ff., Zitat S. 96.

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gespaltene Haltung aus Vertrauen in das Innovationspotential und Mißtrauen gegenüber der Wirtschaftskraft des Kapitals symptomatisch war. Bessere Ausbildung und all die anderen indirekten Fördermittel zielten darauf ab, die Leistungsfähigkeit der Industrie so zu steigern, daß diese sich selbst ihren Anteil des Marktes erobern konnte. Die Frage nach den natürlichen Grundlagen der Industrie hatte insofern mit der Organismusidee der Romantik nurmehr die Vokabel gemeinsam; jetzt wurde sie als Frage nach den im Land vorhandenen Voraussetzungen für eine Industrie unter den Bedingungen des Wettbewerbs formuliert. Gleichzeitig wurde in dem Maß, wie vom Konsumenten aus gedacht wurde, das Konkurrenzprinzip stärker betont, trat Iiberalwirtschaftlich-rationelles Kalkül in den Vordergrund. Der nächste Schritt war, den Part des Konsumenten in Abhängigkeit von seinem Verdienst zu sehen. Hermann tat dies aus ökonomischen, der Monarch aus politischen Überlegungen. Dieser Denkansatz führte eine neue Komponente in die bayerische Wirtschaftspolitik ein, nämlich die Beeinflussung des Arbeitsmarktes. Zu diesem Zweck stellte die Regierung direkte finanzielle Hilfen zur Verfügung, eine Art von Wirtschaftsförderung, die eigentlich ein Signum kameralistischer, nicht aber liberalisierter Wirtschaftspolitik war. Der Unterschied bestand in der Intention, wonach nicht auf fiskalische Stärke, sondern auf gesellschaftliche Stabilität des Staates hingewirkt werden sollte.

11. Das Einsickern der Theorie in neue Leitlinien des Regierungshandelns 1. Der neue Mittelstand im Blickfeld

Auf ähnlich widersprechenden Prinzipien beruhte die Gewerbeordnung, wobei die Inkonsequenz hier andere Ursachen hatte. Während die Befugnisse der einzelnen Gewerbe streng voneinander geschieden waren, genossen die Fabriken volle Freiheit in der Wahl ihrer Herstellungsmethoden und Produkte. Zwar gehörten die dem raschen Geschmackswandel unterworfenen Gegenstände des Luxus und der Mode den freien Erwerbsarten an, für die nur ein Lizenzschein benötigt wurde. Aber mittlerweile konnten nicht nur infolge der Launen des Geschmacks, sondern auch als Folge des technischen Fortschritts Produkte außer Gebrauch kommen oder in besserer Qualität, größeren Mengen und billiger be~ zogen werden, was die Gewerbe traf. Die Kluft zwischen Fabrik- und Gewerbebetrieb wurde durch die Verordnung des Jahres 1853 festgeschrieben und eher noch vergrößert. Konzessionen fllr Fabriken und Manufakturen erteilten die Kreisregierungen; damit waren jene dem Einflußbereich der Kommunen entzogen, einer Prüfung des Nahrungs-

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standes waren sie weitgehend enthoben. 54 Bei den Gewerben trat dagegen eine nochmalige Verschärfung der entsprechenden Regelung ein, indem jetzt bei kommerziellen genauso wie bei lokalen Gewerben das Auskommen der vorhandenen Gewerbeinhaber berücksichtigt werden mußte, bei Absatz in angrenzende Gemeinden sogar das der dortigen Gewerbetreibenden. Damit existierten zwei Wirtschaftsprinzipien nebeneinander. 55 Die Fabriken konnten nach eigener betriebswirtschaftlicher Kalkulation ihre Produktion bestimmen und Absatzmärkte suchen, die Gewerbe waren weiterhin der Nahrungsökonomie unterworfen und durften nur zugewiesene Marktsegmente besetzen. Eine weitere Disparität ergab sich in bezug auf die Ansässigmachung. Wie bei realen und radizierten Gewerben gestattete die Verordnung nunmehr eine von der Ansässigmachung getrennte Konzessionserteilung "an mehrere im GeseIlschaftsverbande stehende Personen bei größeren Fabrik= und Handels= Untemehmungen".56 Die Gemeinden verloren so vollends die Kontrolle über Fabrikansiedlungen. Wie bei den freien Gewerben, die grundsätzlich kein Recht auf Ansässigmachung implizierten, wurde die Einheit von Produktions- und Wohnort aufgegeben und horizontale Mobilität ermöglicht. Der gespaltenen Wirtschafts- entsprach somit eine zweigleisige Gesellschaftsordnung, deren einer Strang bereits individuelles, flexibles Agieren gestattete, während der andere seine Angehörigen auf die Grenzen ihres Standes festlegte. Ersteres entsprach dem Wunsch von Monarch und Regierung nach Anschluß an die modeme, fortschrittliche Entwicklung, letzteres der Suche nach einer festen Verankerung der Machtbasis.

54 Instruction zum Vollzug der gesetzlichen Grundbestimmungen für das Gewerbswesen in den sieben älteren Kreisen des Königreiches, 17.12.1853, in: Döllinger, Verordnungen-Sammlung, Bd. 28 (=N.F. Bd. 8), München 1854, S. 1346-1405; hier § 76, S. 1364. Demnach sollte bei Fabriken mit auswärtigem, d.h. überörtlichem Absatz die Beachtung des Nahrungsstandes "nicht zum Nachtheile der industriellen Interessen gegen die Gründung solcher Gewerbs=Unternehmungen geltend gemacht werden". Die entsprechenden Bestimmungen für das Gewerbe §§ 73, 74, S. 1363 f. 55 G. Schwarz, S. 218 ff. "Neben einer reaktionären Handwerks- und Sozialpolitik stand eine liberale Zoll- und Industrialisierungspolitik. " (S. 218) 56 Eine Direktive bezüglich der realen und radizierten Gewerbe bereits vom 9.6.1847, in: Döllinger, Verordnungen-Sammlung, Bd.27 (= N.F. Bd.7), München 1853, S.489-491. Neuerlich § 85 der VO vom 17.12.1853, Fabriken § 80, freie Gewerbe § 171, in: Döllinger, Verordnungen-Sammlung, Bd.28, 1854, Zitat S.1365. Vgl. G. Wunder, Das Gewerbswesen in Bayern (diesseits des Rheins) nach den zur Zeit geltenden Bestimmungen, Amberg 1857, S. 40.

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Die Frage nach der Stabilität der Gesellschaft war von wesentlichem Interesse rur den Bestand des Herrschaftssystems. Abel hatte Max 11. 185257 diesbezüglich dringend davon abgeraten, die Regentenmacht auf ausgewählte Klassen der Bevölkerung abzustützen, weil er sich damit "zum Haupte einer Partey" erheben und von der wechselhaften Gunst der Volksmeinung abhängig werden würde. Kritisch erschien ihm zudem, daß in diesem Fall zwangsläufig die Belange der Bourgeoisie in den Vordergrund rücken würden, weIche in erster linie die "Angst um den Geldsack" bewege, wie das Beispiel Louis Napoleons zeige. Die hier deutlich geäußerte Abneigung vor einem Bündnis mit dem Kapital stand unter dem Aspekt der Vermeidung jeglichen Verlustes an Souveränität, den Max 11. zwar nicht mehr so argwöhnisch im Auge behielt wie sein Vater, weIcher aber dennoch als Entscheidungskriterium rur König und Regierung schwer wog, wie die Einstellung dem Mobiliarkredit gegenüber gezeigt hat.

Von der Pfordten hatte dagegen keine Vorbehalte, den Mittelstand als Säule der Macht zu benennen: 58 "Heutzutage liegt der Schwerpunkt des staatlichen Lebens unverkennbar in dem Bürgerstande der größeren Städte. Er ist der Träger des Handels und der Industrie, und damit des modemen Reichthums." Zusammen mit der Mehrzahl der Beamten, den Ärzten und Advokaten bildeten sich die Mittelstände heraus, auf welche schließlich Geistlichkeit und Intelligenz bezogen seien. Ohne diese könne die Regierung weder etwas bewegen noch auf Dauer bestehen. Abgesehen davon, daß von der Pfordten damit die Gewichte zwischen Regenten- und Volkssouveränität in der konstitutionellen Monarchie anders verteilte als Abel, kannte er dessen Berührungsängste vor einer Kooperation der herrschenden politischen Macht mit der tonangebenden gesellschaftlichen Klasse nicht, sondern hielt sie im Gegenteil im Sinne des Machterhalts für unerläßIich. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem seine Definition des Mittelstandes. Diese bezog sich im wirtschaftlichen Bereich ausdrücklich nicht mehr auf den alten Mittelstand des zünftisch korporativen Handwerks, der sich seinem eigenen Selbstverständnis nach durchaus noch in dieser Rolle glaubte. Sie um faßte vielmehr die Gesamtheit der Selbständigen im modemen Produktionsprozeß, den sogenannten "neuen" Mittelstand. Um diesen rur die Sache des Herrschers zu gewinnen, empfahl er unter anderem die "Pflege der

57 V. Abel, "Ueber die Frage: Aufweiche Klasse der Bevölkerung sich der regierende Herr unter den gegenwärtigen Verhältnissen vorzüglich stüzen solle?", 22.12.1852, (=Nr. 27.8.6), in: GHAM Max 11. 73-1-1. 58 V. d. Pfordten, Aufweiche Klassen sich zu stützen, Dezember 1859, m. Schreiben aus Frankfurt/M. vom 22.12.1859, (= Nr. 4.5.6), in: GHAM Max 11. 76-5-34. Die Bauern als zahlreichste und wohlhabende Klasse der Bevölkerung kamen wegen ihrer Gleichgültigkeit in politischen Fragen für diese Rolle nicht in Betracht.

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städtischen Gewerbe, des Handels, der höheren Industrie," also eine Abkehr vom Nahrungsideal der mittelalterlichen Ständegesellschaft. Auch er bemerkte die wachsende politische Macht der besitzenden Klassen gemeint waren damit die Kapitalisten, die Bourgeoisie - als Folge der steigenden Bedeutung des Geldes in volks- und staatswirtschaftlicher Hinsicht. Statt zu rigoroser Abwehr riet er hingegen zu einer aufgeschlossenen Haltung, welche die modemen Arten der Kapitalanlage in Handel und Industrie erleichtern und unterstützen würde. Dies entsprach der in seinem Wirtschaftsgutachten vertretenen Argumentationslinie, wo er Beschränkungen von Fabrikgründungen mit Rücksicht auf das Kleingewerbe aus volkswirtschaftlichen Gründen abgelehnt hatte. 59 Von der Pfordtens gegenwartspolitische stimmte mit Riehls soziostruktureller Analyse überein. Riehl hatte gleichfalls die "Bürger der Städte" als den "eigentliche[n] Mittelstand", "den Mittelpunkt, den eigentlichen Herzpunkt der modemen Gesellschaft,,60 ermittelt. Dort konzentrierten sich die ökonomisch und gesellschaftlich maßgeblichen Kräfte: "Das Bürgerthum ist unstreitig in unsem Tagen im Besitze der überwiegenden materiellen und moralischen Macht. Unsere ganze Zeit trägt einen bürgerlichen Charakter." Somit lag die Initiative beim Bürgertum, diesem als der "Macht der socialen Bewegung" gehöre die Gegenwart. Riehl unterschied innerhalb des Bürgertums ebenso zwischen altem und neuem Mittelstand. Das Bild, worin er den Handwerkerstand als "Ruine des alten Bürgerthums ... in die modeme bürgerliche Welt" hineinragen sah, spricht rur sich. Es brachte deutlich zum Ausdruck, für wie wenig zeitgemäß er diesen in seiner traditionellen Form hielt. Kritisch beurteilte er die Passivität der kleinen Gewerbetreibenden, deren der Not gehorchender Konservatismus nichts mit jener naturgemäßen Beharrungstendenz gemein habe, welche dem Bauernstand zu eigen sei. "Der stabile Bauer ist gesund, der stabile Bürger ist krank." Der Konservatismus des letzteren erwies sich demnach als brüchig und unzuverlässig und daher nicht geeignet als Stütze der Staatsrnacht. Gerade deshalb müsse dessen materiellem Wohlergehen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden,

59 Ders., Die Beförderung des Handels u. der Industrie betr., 20.4.1852, in: BayHStA MH 5105. 60 W. H. Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft, S. 19, S. 197. Für das Folgende vgl. S. 195 ff., Zitate S. 195, S. 217, S. 256, S. 203, S. 207. Übrigens fand flir Riehl der Geist des Bürgertums, "welchem das Ringen nach Erwerb höhere Kraft und mächtigeren Reiz birgt als der Besitz des Erworbenen selber", seine Entsprechung im obersten sittlichen Grundsatz des Protestantismus. (S. 210, vgl. S. 207 ff., S. 216 f.) In Luther erkannte er gar "ein wahres Urbild eines deutschen Bürgers" (S. 209). Seine Erklärung steht somit Max Webers These von der Kongruenz protestantischer Ethik mit der kapitalistischen Erwerbsmoral sehr nahe.

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um den drohenden Zusammenbruch der Fassade im Falle des Verarmens zu vermeiden. "Die idealere Natur des Bürgerthumes" äußere sich dagegen im "Wetten und Jagen nach Erfindung, Vervollkommnung, Verbesserung. Die 'Concurrenz' ist ein ächt bürgerlicher Begriff;" insoweit wurde das Prinzip des Marktes in der Wirtschaft akzeptiert. Die Teilnehmer in diesem Wettbewerb bildeten den neuen Mittelstand und zeichneten sich durch Mobilität aus, die sich aus vertikaler und horizontaler Mobilität61 ebenso zusammensetzte wie aus geistiger Regsamkeit und gesteigertem Fortschrittsdrang. Die dem Kleinbürgertum angelastete Passivität könne daher ebensogut mit dem Begriff "Immobilität" beschrieben werden. Angesichts der Pseudostabilität eines Stillstandes, der in Wirklichkeit Erstarrung bedeutete, warnte Riehl vor jedem Anflug mittelalterlicher Sozial romantik, vor dem "Phantom eines 'ächten' Bürgerthumes ... , welches als eine Art städtisches Bauernthum lediglich Ruhe und Beharren im politischen und socialen Leben darstellen soll, in der That aber gar nicht existirt." So kann diese inhaltliche Klärung der Termini anhand von Riehls Ausfiihrungen nochmals erhelIen, wie sehr sich die politische Einschätzung des Bürgerstandes von Abel zu von der Pfordten gewandelt hatte. Sie zeigt darüber hinaus, welch substantieller Unterschied zwischen dem Mittelstandsbegriff des letzteren und dem des früheren Innenministers Oettingen-WalIerstein im Jahr 183762 bestand. Dennoch wurde während der 1850er Jahre die Ambiguität von altem und neuem Mittelstand aufrecht erhalten, obwohl die Ereignisse der vorangegangenen 48er Revolution offengelegt hatten, wie gefahrdet die materielle Basis der Gewerbetreibenden war, wie brüchig deren sozialer Status und wie demoralisierend die Perspektivlosigkeit vieler Gesellen. 63 Aber sogar unter dem Eindruck der Unruhen baute der in einer Fabrikstadt wie Augsburg residierende Regierungspräsident von Schwaben noch auf den Handwerkerstand: "Gewerbe ist Erwerb - der goldene Boden, auf dem der Bürger seinen Nahrungsstand gründet und findet.,,64 Die von ihm geforderten Voraussetzungen - Schutz des Nahrungsstandes sowie zeitgemäße Ausbildung - entsprachen dieser Vermischung von Erwerbs- und Nahrungsökonomie. Zugleich beklagte er eine in Bayern herrschende Orientierungslosigkeit hinsichtlich dessen, was zeitgemäß sei. Insofern gab die Verordnung des Jahres 1853, die in der Literatur übereinstimmend als Festschreibung, wenn nicht gar Verschärfung der restriktiven Or-

Vgl. Kap. D.1.2., S.129 ff. S. Kap. C.lI.3., S. 67 f. 63 Vgl. dazu G. Schwarz, S. 71 ff. 64 Bericht des Reg.Präsidenten v. Schwaben, Die materiellen Mißstände betr., Augsburg, 10.5.1849, in: BayHStA MInn 45755. 61

62

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der des Jahres 1834 beurteilt wird, wenigstens einen Hinweis auf die Richtung des Weges in die neue Zeit. Mit Zweidrittelmehrheit der beteiligten Meister durften Befugnisse verwandter Gewerbe übertragen werden bis hin zur gänzlichen Verschmelzung zweier Gewerbe. Diese Entwicklung sollte von den Polizeibehörden gefördert werden, "da nur auf diese Weise die älteren, den veränderten Fabrikations=Verhältnissen nicht mehr anpassenden Gewerbs=Abgrenzungen mit den Anforderungen der gesteigerten Industrie in entsprechender Weise und ohne Verletzung erworbener Rechte in Einklang gebracht werden können.,,65 Popp urteilt zu pauschal, wenn er darin die Rückkehr zu mittelalterlichen Formen entdeckt mit dem einzigen Unterschied, daß die Befugnisse der ehemaligen Zünfte nun von den Verwaltungs- und Polizeibehörden wahrgenommen wurden. 66 Angebote wie Gewerbezusammenlegungen und gemeinsame Verkaufslokale pflegten nicht mehr das mittelalterliche Werkstattidyll. Dahinter stand vielmehr die bildungsbürgerlich geprägte Vorstellung von Handwerkern, die infolge technischen Fachwissens und besserer Einsicht in den Produktionsprozeß ihre Werkstätten zweckmäßig verbanden, um gegenseitig von Kenntnissen und Produktionseinrichtungen zu profitieren, die sich kurz gesagt unternehmerisch verhielten. Dies korrespondierte mit dem von konservativer wie liberaler Seite propagierten Assoziationsgedanken, den Handelsminister von der Pfordten in seinem Wirtschaftsgutachten als Empfehlung rur das Kleingewerbe formuliert hatte: den Fabriken die Stirn zu bieten "durch Zusammenwirken der einzelnen gewerblichen Kräfte zu einem gemeinschaftlichen größeren Werkbetrieb".67 In merkwürdigem Kontrast zu den Bemühungen um Dynamisierung der Produktionsverhältnisse stand jedoch die Festschreibung des sozialen Status der Gewerbetreibenden innerhalb der Gemeinden. Das bewies einen eigentümlichen Zwiespalt zwischen Mobilisierungs- und Beharrungstendenz, der schon rur Riehls Werk charakteristisch gewesen war und weIcher die besseren moralischen Argumente weiterhin beim alten Mittelstand vermutete. Daher wollte Riehl die Reste eines "gesunden Innungsgeistes" unbedingt in die "gewerbliche Genossenschaft" hinübergerettet wissen.

65 § 94 der VO vom 17.12.1853, in: Döllinger, Verordnungen-Sammlung, Bd. 28, 1854, S. 1370. In § 97 wurde Gewerbeinhabern der Betrieb eines gemeinsamen Ladens gestattet, also ein Verkaufslokal nach dem Vorbild der sogenannten Magazine; ebd., S. 1371. 66 A. Popp, Die Entstehung der Gewerbefreiheit in Bayern, Leipzig 1928, S. 11 I f. Einhellig restriktiv beurteilt auch G. Schwarz die VO dJ. 1853; ders., S.34. Shorter bewertet sie wiederum zu euphemistisch als "basically liberal"; ders., Social Change and Social Policy in Bavaria, 1800-1860, Diss. Cambridge (Mass.) 1967, S. 690. 67 Gutachten 20.4.1852, in: BayHStA MH 5105; vgl. Kap. E.1:2., S. 20 I.

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Das setzte die Beachtung der Gewerbegrenzen voraus. Eine wichtige Trennlinie verlief zwischen Fabrikation und Kleingewerbe, weil sie gesellschaftspolitisch die Grenze zum vierten Stand markierte, "da auch in socialer Beziehung der Fabrikarbeiter vom Handwerker sich immer schärfer abscheidet." Die übrigen Abgrenzungen sollten die Gewerbe vor schädlicher Konkurrenz und Dilettantenturn bewahren und gemäß deren Vorstellungen gestaltet werden. "Der Beamte meint zwar gemeiniglich, der Schuster solle bei seinem Leisten bleiben, für seine Person glaubt er aber, nicht bloß mit dem Actenleisten, sondern im Nothfall auch mit dem Schusterleisten fertig zu werden.,,68 Die Verordnung projizierte im Hintergrund die zeitgleich in der zweiten Auflage erschienenen gesellschaftspolitischen Vorstellungen Riehls von einer "Bürgerliche[n] Gesellschaft" und enthielt dieselben Inkonsequenzen. In der Praxis stand die genaue Überprüfung des Nahrungsstandes vor Erhalt einer Konzession in krassem Widerspruch dazu, daß danach Gewerbe zusammengelegt werden konnten. Zudem setzte die Bürokratie auf den Modernisierungswillen der Arrivierten, während sie den nachrückenden Generationen, auf die sich die Bildungsbemühungen richteten, keine freiere Beweglichkeit gestattete. Als das Handelsministerium ein knappes Jahrzehnt später den Gewerben Reformunfähigkeit attestierte, weil diese statt Kooperation nur noch strengere Separation betrieben hätten, fand sich Hermann in seiner liberalen Auffassung bestätigt. Er versprach sich nichts von neuen Organisationsstrukturen, solange keine neuen Meister aufgenommen wurden. 69 Konsequent hatte er bereits 1853 die Trennung von Gewerberecht und Ansässigmachung gefordert, weil ohne die Bedenken der Gemeinden hinsichtlich der Armenfiirsorge die Gewerbeangelegenheiten großzügiger behandelt werden könnten und die derzeitige Willkür bei Konzessionserteilungen entfiele. Diesen grundsätzlichen Einwand brachte er neuerlich 1861/62 gegen die geplante Reform des Gewerbewesens vor. 70 Das derzeitige System gewähre dem jungen, heranwachsenden Bürger "so gut wie gar kein nützliches, die Existenz begründendes Recht."

68 W. H. Riehl, Die bürgerliche GeselIschaft, S. 256 ff.; Zitate S. 256, S. 257, S. 259, S. 259 f. 69 Zum Vorwurf der Refonnunfahigkeit s. etwa den "Vortrag über die Refonn des Gewerbswesens" von Min.Assessor Braun, 22.12.1860, in: BayHStA MH 6182. Abgeschwächt in: P. Braun (= ders.), Beleuchtung der Vollzugs-Instruktion vom 21. April 1862 zum Gewerbsgesetze vom 11. September 1825, München 1862, S. 64. Hennann, Bemerkungen zu dem Antrage des MH vom 22. Jan. 1861 die Refonn des Gewerbsgesetzes betr., 10.3.1861, (= Nr. 50.1.28), in: GHAM Max 11. 80-4-298. 70 Hennann, Bayerns Bevölkerung, 1.11.1853, in: BayHStA MInn 45443; ders., Refonn des Gewerbswesens, Schreiben vom 10.3.1861 und vom 14.3.1862, (=Nr. 50.1.28), in: GHAM Max 11. 80-4-298. Das folgende Zitat aus: ders., Gutachten, o. Datum, (= Nr. 28.1.150), S. 24, in: GHAM Max 11. 76-5-33.

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Von der Gewerbefreiheit erwartete er keine Lösung, wenn entsprechend günstige Voraussetzungen und Nachfrage fehlten. Gerade weil in Bayern die Entwicklung der Industrie nicht so weit fortgeschritten war wie im nördlichen Zollverein oder in Sachsen, hielt er es rur dringend geboten, das Innovationspotential innerhalb des Gewerbes zu mobilisieren und besser zu nutzen. Zugleich schätzte er die Einsichtsflihigkeit gering ein, in den Maßnahmen "des amtlichen Eingreifens in die Vorgänge des bürgerlichen Lebens,,71 die eigentlichen Hemmnisse zu erkennen. Immer häufiger wurde in Schriften, die sich mit einer Liberalisierung der Gewerbeordnung befaßten, die Forderung nach großzügiger Handhabung oder Abtrennung des Verfahrens zur Ansässigmachung erhoben. 72 Damit war die Entflechtung einer Wirtschafts- und Sozialordnung gemeint, die den Unterbebörden ermöglichte, über die Wirtschafts- die Gesellschaftsstruktur zu steuern, was aber nur noch rur die konzessionierten Gewerbe volle Geltung hatte. Zunehmend wurde dies jetzt nicht nur als Verstoß gegen das Naturrecht, sondern als Hindernis des Fortschritts empfunden und stand im Verdacht, das unwirtschaftliche Festhalten an kleinen Betriebsgrößen zu perpetuieren: "Die Gesetzgebung wird dieß dadurch veranlaßt haben, daß sie das Recht der Verehelichung von der Erlangung einer Concession abhängig machte, da die concessionirten Meister es bis jetzt für Schande erachten, den Anordnungen und den wirksamem Capitalen eines andern zu folgen. ,,73 Nach Ansicht der Liberalen behinderte die Ansässigmachung die dringend erforderliche Konzentrationstendenz im Gewerbe, so daß sich dort Kräfte und Kapitalien immer stärker zersplitterten, wirtschaftlich sogar "das Kapital gegenüber dem Kleingewerbe bevorzugt erscheint. " Aus Gründen der inneren Sicherheit hielt die bayerische Innenpolitik immer noch den Konsens mit den alten Kräften der Gesellschaft aufrecht: "Wenn überhaupt die gesteigerte Gewerbs=Industrie die eigenthümliche Erscheinung

71 Ders., Bayerns Bevölkerung, 1.11.1853, S. 53, in: BayHStA Mlnn 45 443. Ein Wort zur Erörterung der Gewerbefrage in Bayern, (als Verf. ergänzt: Fr. Bezold), Ansbach 1860, S. 21; A. Stark (Pseudonym?), Die Gewerbefreiheit für Bayern, Leipzig 1861, S. 20 ff.; G. Gehring, Skizzen zur Initiative in der Gewerbsfrage, Nürnberg 1861, S. 21. M. Jodlbauer, S. 8, S. 41, S. 46. Bezold war Referent in Ansbach, Gehring Landgerichtsassessor, Jodlbauer Regierungsakzessist. 73 M. Jodlbauer, S. 41. Sowohl das Kapitel über die Industrie als auch das über die Lebensverhältnisse der Arbeiter leitete er mit einem Hinweis auf die im Norden Deutschlands herrschende "Lehre freier Beweglichkeit menschlicher Kräfte" (S. 5, S. 41) ein, deren Wirkung ihn offenbar beeindruckt hatte. Dadurch finde sich im Gewerbe eine geringere Zahl von Meistern mit mehr Gesellen. "Es scheint ein Unglück unserer weniger bemittelten Gewerbsmeister, daß sie die Verbindung zur Arbeit mit andern selbst in der Form der gesellenweisen Beschäftigung scheuen, während ihnen doch die Mittel zum größern Betrieb fehlen." (S. 41). Folgendes Zitat G. Gehring, S. 21. 72

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darbietet, daß mit ihr zugleich das Gewerbs=Proletariate sich erzeugt, sohin in sozialer Hinsicht eine bedenkliche Folge sich erweist, so würde die Einftlhrung der Gewerbefreiheit in dem dießseitigen Bayern auch politisch nachtheilig wirken, da der bayerische Gewerbsstand an eine solche Maasregel sehr beunruhigende Besorgnisse für seinen Nahrungsstand knüpfen würde." Diese Überlegungen stellte das Innenministerium zum Gewerbegesetz an auf die Frage des Monarchen, was zur Verbesserung der Lage des Proletariats unternommen werden könne. 74 Die Äußerungen verbargen nicht die Erleichterung darüber, daß das Problem eines Proletariats in Bayern quantitativ wenig bedeutend war und daher kaum zu Besorgnis Anlaß gab. Zugleich herrschte völlige Ratlosigkeit dem Phänomen gegenüber. "Wenn Ordnung überhaupt nur die organische Verbindung gesunder Kräfte ist, so wird das wesentlich als ein Uebel sich kennzeichnende Proletariate nicht wohl flihig sein, Bestandtheil einer sozialen Ordnung zu werden." Allerdings wurden Tagelöhner, Arbeiter und interessanterweise Handwerker so lange nicht als "besorgliches Element", "vielmehr ein nothwendiger Bestandtheil der gesellschaftlichen Gliederung" angesehen, wie sie in der bürgerlichen Gesellschaft keine Störungen verursachten. Als die "besitzlose Masse" stellten sie das Ausgleichspotential tUr die "Uebergriffe der besitzenden Klassen" dar, zum Proletariat sanken sie erst bei Erwerbslosigkeit herab. Das lenkte den Blick auf die Wirtschaftsordnung, die nach Meinung des Innenministeriums nicht freigegeben werden sollte, bevor bei den Gewerbetreibenden selbst die Einsicht dafür gewachsen war. Dahinter stand vermutlich ein ganz rationales Kalkül. Die Gewerbefreiheit als fundamentales Prinzip konnte nur auf dem Weg der Gesetzesänderung eingeführt werden, und dazu war die Zustimmung des Parlaments nötig. Das Ministerium vertrat jedoch die optimistische Auffassung, daß das "unaufhaltsame Fortschreiten der Industrie" dieses Problem von selbst lösen werde. Nachdem die Regierung einmal auf die Seite der neuen gesellschaftlichen Kräfte übergetreten war, wurden die Kluft und die Unvereinbarkeit von alter und neuer Gesellschaftsordnung deutlich. Symptomatisch hierfiir steht der schwankende Gebrauch der Begriffe "Ordnung" und "Gliederung", wo sich der Antrag des Innenministeriums um die Verortung des Proletariats bemühte. Um gesellschaftspolitisch relevante Irritationen des Gewerbestandes zu vermeiden, sollte seine Wirtschaftsordnung - wenngleich modifiziert - beibehalten werden. Damit hemmte die Regierung Innovationskraft und Eigeninitiative im Handwerk, wo sie dem technischen Fortschritt längst freieren Spielraum zubilligte.

74 Antrag MInn an den König, Das Proletariat betr., 3.6.1856, in: BayHStA Mlnn 52 754. Die folgenden Zitate ebd.

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2. Wende in der Gewerbepolitik und das Ende der Koalition von Monarchie und Gemeinde Die Überbrückung dieser Gegensätze war nicht mehr lange durchzuhalten. Der nächste Schritt in der Gewerbepolitik wurde bald unvermeidbar und sorgfliltig vorbereitet. Im Sommer 1860 wurden aus den Regierungsbezirken Gutachten sowie Stellungnahmen der Betroffenen zur Frage der Notwendigkeit einer Reform oder Freigebung des Gewerbewesens eingefordert. 75 Anlaß zu solchen Überlegungen gaben die Einführung der Gewerbefreiheit in den Nachbarländern Österreich und Württemberg, worauf Bayern als einer der letzten Staaten mit beschränkenden Regelungen verblieb, sowie der Verdacht, daß dies Gegenstand der Beratungen des nächsten Landtags sein würde. 76 Die Regierung hatte sich also schon mehr als ein Jahr lang dezidiert und intensiv mit dem Problem der Liberalisierung der Gewerbeordnung auseinandergesetzt, als im April 1861 drei Abgeordnete des Wahlbezirks Nürnberg - Brater, Crämer und Längenfelder - einen Antrag zum Entwurf einer Gewerbeordnung auf der Basis der Gewerbefreiheit einbrachten. Handelsminister Schrenck sandte umgehend einen bereits ausgearbeiteten Antrag seines Referenten an den König. Max 11. billigte die darin vertretenen Grundsätze als Standpunkt der Regierung sowie die Abgabe einer entsprechenden Erklärung in der Kammer, "soweit solches unvermeidlich sein wird". Das lag vollkommen auf der Linie des Ministeriums, das keineswegs von sich aus initiativ werden, sondern zunächst die Diskussion im Landtag abwarten wollte. 77 Die Debatte und das Abstimmungsergebnis in der Kammer konnten der Regierung weitere Aufschlüsse liefern. Der Antrag der Nürnberger Abgeordneten

75 Gemäß Entschließung des Handelsministeriums an alle Kreisregierungen r. d. Rh., 16.6.1860, in: Bay HStA MH 6177. Die Gutachten der Kreisregierungen, der Gewerbe-, Fabrik- und Handelsräte, von Gewerbevereinen sowie hinzugezogener Gutachter finden sich in den Akten BayHStA MH 6177, 6178, 6181, 6183, 6184, 9611 (s. Kap. E.I11.4., S. 242 ff.). Einen tabellarischen Überblick über die Ansichten der Gewerbe-, Fabrikund Handelsräte enthält der Materialienanhang des Berichtes des Abg. Pözl, Referent des Ausschusses zur Frage der Gewerbeordnung, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1859/61, Beil.-Bd. 6, S. 306-310. Das öffentliche Interesse an dieser Diskussion belegt: o. Verf., Ueberschau der Gutachten, Adressen und Denkschriften in der bayerischen Gewerbefrage, München 1861. 76 MH an MJ, Die Reform des Gewerbswesens betr., 10.2.1860, in: BayHStA MH 6177. 77 Antrag der Angeordneten des Wahlbezirks Nümberg, "den Entwurf einer Gewerbeordnung betr." (= EinlaufNr. 33/534), in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1859/61, Bd. I, S.321; dieser Antrag vom \3.4.1861 mit Motiven, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1859/61, Beil.-Bd. 6, S. 257/258. Antrag MH, Die Reform des Gewerbs=Wesens betr., 22.1.1861, an Max 11. mit Schreiben vom 15.4.1861, Signat Max' [1.,27.4.1861, in: BayHStA MH 6179.

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wurde denkbar knapp mit 69 gegen 62 Stimmen abgelehnt. Ein vom zuständigen Ausschuß formulierter Kompromißvorschlag zur Aufhebung der geltenden Verordnung zugunsten eines liberalen Vollzugs des Gewerbegesetzes fand dagegen die Zustimmung "mit unzweifelhafter Majorität".78 Zugleich brach über das Parlament eine wahre Flut von Adressen herein, in denen Gewerbetreibende gegen die Einführung der Gewerbefreiheit Sturm liefen. Dies stimmte mit den Erkenntnissen aus den Gutachten überein, wonach Kreisregierungen sowie Fabrik- und Handelsräte tendenziell mehr der Gewerbefreiheit zuneigten, Magistrate, Gewerberäte und -vereine dagegen meist ablehnend, bestenfalls zum Teil für Reformen aufgeschlossen waren. Das Ministerium konnte sich deshalb in seiner Ansicht bestärkt, wenn nicht sogar demokratisch legitimiert sehen, statt einer sofortigen Freigabe eine Lokkerung des Vollzugs zu statuieren, damit "der Uebertritt zur Gewerbefreiheit mit Schonung herbeigeführt" werde. 79 Im Beispiel der Nachbarstaaten wollte es keinen Zugzwang für Bayern erkennen, denn der im internationalen Wettbewerb stehenden Fabrikindustrie sowie dem Großhandel seien bereits alle Freiheiten eingeräumt. Von einer Neuregelung wären das Kleingewerbe und der Detailhandel betroffen. Es läßt sich aber dennoch das Motiv der Regierung erkennen, den im Großgewerbe erfolgreich eingeleiteten Modernisierungsprozeß auf das Handwerk zu übertragen, um es lebensfähig zu erhalten. Dazu bedürfe es "der gleichen Freiheit der Bewegung ... , die dem Fabrik=Betriebe bereits eingeräumt ist. ,,80 Zwei Prinzipien liberaler Wirtschaftspolitik wurden hier in einem Atemzug genannt, Freiheit und Bewegung, wobei Bewegung beides umfaßte, technischen Fortschritt und Mobilität. Das Fallen der Beschränkungen sollte auf die Handwerker als Ansporn wirken, "der sie zur Thätigkeit, zum Fortschreiten mit der Zeit, zur Vereinfachung und Abkürzung der Arbeiten zur Einführung von Erfindungen und Verbesse78 Verh. d. Kammer d. Abg. 1859/61, Bd. 2, S. 490. Ein tabellarisches Verzeichnis der Adressen, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1859/61, Beil.-Bd.6, S. 265-273. Bei 112 Adressen wäre nur der Gewerbeverein von Tölz unter Umständen für sofortige Einführung der Gewerbefreiheit gewesen. Mehr als die Hälfte der Adressen kamen aus Ober(33) und Niederbayem (36). 79 Handelsminister v. Schrenck, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1859/61, Bd. 2, S. 487489, Zitat S. 489. Für das Folgende vgl. den Vortrag über die Reform des Gewerbswesens, 22.12.1860, BayHStA MH 6182: "... indem unsere Großgewerbe und freien Erwerbsarten alle Concurrenzfähigkeit mit den Staaten, in welchen Gewerbefreiheit besteht, bereits besitzen" (Fol. 81). 80 Ebd., Fol. 115. Ähnlich in: Beleuchtung der Vollzugs-Instruktion vom 21. April 1862, S. 54; dort hieß es weiter: "Dazu kommt noch, daß bei dem riesenhaften Fortschritte der Technik und der Fabrikindustrie eine Fixirung der technischen Fertigkeiten innerhalb der bestimmten und gleichbleibenden Rahmen der Gewerbe immer schwieriger und nahezu unmöglich geworden ist." (S. 55)

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rungen im Gewerbsbetriebe zwingt".81 Juristisch motiviert wurde dies mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit. Da das Gesetz des Jahres 1825 hinsichtlich der Arbeitsbefugnisse zwischen Groß- und Kleingewerbe nicht differenziere, entbehrten diesbezügliche ortsbehördliche Regelungen jeder Grundlage. 82 Die Regierung beanspruchte, das Gesetz des HandeIns wieder an sich zu ziehen, um die Wirtschaftsordnung zu vereinheitlichen. Der Wirtschaft des Erwerbs wurden aber auch moralische Wirkungen zugestanden, die vorher rur das Nahrungsprinzip gegolten hatten. Riehl hatte noch den "rohen Materialismus" beklagt, "der die Blüthe der Völker ausschließlich nach den Produktionsziffern mißt, und kein weiteres Heilmittel der socialen Gebrechen kennt als Zölle, Handelsverträge, Fabrik= und Eisenbahnanlagen. " Nun wurde die vorherrschend materielle Einstellung der Zeit positiv interpretiert, "daß sie dahin zielt, dem einzelnen Individuum und der verkehrenden Gesellschaft möglichst freie Bewegung zu schaffen, um die Existenz zu sichern und angenehm zu machen. ,,83 Hier schlug sich das gewandelte Verständnis von Arbeit nieder. Mit dem Auskommen garantiere sie die staatliche Ordnung, "weil die Sittlichkeit selbst in der freien Arbeit einen ihrer mächtigsten Hebel hat. ,,84 Das mußte Folgen rur die Gewerbe haben, denn es bedeutete nicht weniger als die Anpassung an die Gesetze des Marktes. Statt staatlicher Finanzhilfen wurde die Übernahme gewinnorientierter Betriebsführung als bester Schutz vor der Macht des Kapitals empfohlen. Nichts könnte den Positionswechsel der Regierung besser belegen, die nun für das Zuruckbleiben des Handwerks nicht mehr das Kapital und die Industrie verantwortlich machte, sondern dessen geringen Einsatz von Kapitalmitteln. Dies ändere sich erst dann, "wenn dem Gewerbsmann jener hilfreiche Spielraum gewährt ist, in welchem er ganz allein sein wahres Element und bei ungünstigen Zufallen seine Rettung finden kann. ,,85 Nur so könne er "Nützliches leisten" und "den allgemeinen Wohlstand vermehren helfen".

81 Vortrag ... , 22.12.1860, Fol. 113, BayHStA MH 6182. 82 Ebd., Fol. 114. 83 W. H. Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft, S. 263; A. Stark, S. 5. Vgl. dazu die Ausführungen von Lips, Kap. c.1.\., S. 48 f., und Behr, Kap. 0.11.2., S. 150 ff. 84 Antrag MH, 22.1.1861, Fol. 27, in: BayHStA MH 6179. Vgl. dazu Kap. D.III., v.a. die Ausführungen der HPBI, S. 173. 85 Antrag MH, 22.1.1861, Fol. 39 f., in: BayHStA MH 6179; die folgenden Zitate aus: Vortrag ... , 22.12.1860, Fol. 113: "Der einzelne Produzent kann nichts Nützliches leisten, wenn seine eigenthümliche Produktivität so beschränkt ist, daß er dadurch an jeder Verbesserung gehindert ist und wenn er die ihm vielleicht von der Natur verliehene Fähigkeit in einem anderen Fache, wo sie für ihn und das Land nützlich sein könnte, unterdrücken muß, während ihm Geschick und Lust in der Sphäre, in welche er sich versetzt befindet, versagt sind.-"; BayHStA MH 6182. Vgl. ebenso: Beleuchtung der Vollzugs-Instruktion vom 2\. April 1862, S. 9.

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E. Wirtschaft und Verwaltung unter Max 11.

Vom Gewerbetreibenden wurden Eigenverantwortung und Eigeninitiative verlangt. Zugleich wies der Staat jede Verantwortung rur das Fortkommen eines Bewerbers von sich,86 jenes Element der alten Polizeilehre, das er mit der revidierten Verordnung des Jahres 1834 wieder aufgenommen hatte. Als nützliches Glied der Gesellschaft galt nunmehr jenes selbstverantwortliche und wirtschaftlich eigenständige Individuum, das bisher zwar Ziel aller indirekten Fördermaßnahmen einschließlich der technischen Bildung gewesen war, jedoch nicht Gegenstand einer Gewerbepolitik, die auch nach Abschaffung der Zünfte strikt in Assoziationen gedacht hatte. Selbst Gewerbezentren waren nicht mehr tabu, weil sie erst Freiheit der Berufswahl erlaubten. Aufgrund der im Gewerbesektor bestehenden Verknüpfung von ökonomischem und sozialem Ort mußte ein Paradigmenwechsel in der Wirtschafts- einen Wandel der Gesellschaftsstruktur bedingen - der Abschied vom Gedanken der Konservierung eines Standes und seiner spezifischen Wertmuster innerhalb einer sich der Selbständigkeit des Individuums entsprechend umgruppierenden Gesellschaft war eingeleitet. Die Gewerbeordnung bot sich als wirksamer Hebel an: "Wo wäre wohl ein schöneres Feld gegeben, die zu einer solchen Umformung des Staatslebens erforderliche Reife, Unabhängigkeit und Intelligenz zu bewähren, als in Handhabung des Gewerbsgesetzes, zumal national ökonom ische, politische, moralische und industrielle Rücksichten es gleichmäßig gebieten, ... den Gemeinsinn, diese höhere Lebenskraft des Staates, ... nicht den selbstsüchtigen Anmassungen Einzelner zu opfern.,,87 Der Vorwurf eines das Gemeinwesen gefiihrdenden Egoismus wurde nicht mehr gegen das bewegliche Kapital, sondern gegen die ansässigen Meister erhoben. Dabei wußte die Regierung nur allzu genau, daß die Politik der Besitzstandswahrung von den Gemeindekollegien ausging. Diese wiederum repräsentierten überwiegend die Haltung der arrivierten Gewerbeinhaber, die infolge der Konkurrenz Einbußen erleiden konnten und die zudem ein Ansteigen der Kosten rur die Armenversorgung vermeiden wollten. 88 Diesen Kreis wollte die Regierung durchbrechen und den Interessen der Konsumenten wie der Arbeitswilligen mehr Gewicht verschaffen. Die Gemeinden dürften die Basis ihres Wohlergehens nicht länger in imaginären Rechten suchen, sondern in der gewerblichen Tätigkeit ihrer Bürger. Eine "abermalige retrograde Bewegung", wie sie von den Magistraten ausgegangen sei, könne nicht mehr hingenommen werden. 89 Das Band zwischen Regierung und Gemeinde, das bisher durch die ide-

86Antrag MH, 22.1.1861, Fol. 28, in: BayHStA MH 6179. 87 Beleuchtung der Vollzugs-Instruktion vom 21. April 1862, S. 10. 88 So etwa Fr. Regelsberger, Die Hindernisse, weIche der Einführung der unbedingten Gewerbefreiheit im Königreiche Bayern entgegenstehen, Ansbach 1864, S. 15 f. 89 Antrag MH, 22.1.1861, Fol. 6 ff., in: BayHStA MH 6179; Vortrag ... , 22.12.1860, Fol. 114, BayHStA MH 6182. Vgl.: Beleuchtung der Vollzugs-Instruktion vom

11. Neue Leitlinien des Regierungshandelns

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elle Übereinstimmung von statischer Gemeindeordnung und patriarchalem Herrschaftsverständnis geknüpft worden war, war zerrissen. Das Mittel zur Umsetzung des neuen Kurses war die Vollzugsinstruktion, weIche die Regierung im Frühjahr 1862 erließ. Mit ihr wurde eine ganze Reihe von Gewerben freigegeben, eine große Anzahl einzelner Handwerksberufe zusammengelegt und generell der Übergang von einem Gewerbe zum anderen oder die Übertragung einer Konzession an einen anderen Ort erleichtert. Die Produktionsbefugnisse wurden erweitert, dagegen die Prüfung des Nahrungsstandes auf Gewerbe mit lokal begrenztem Absatz und die Person des Bewerbers zurückgeführt. Den Behörden wurde, wie einst in der Instruktion des Jahres 1825, ein liberaler Vollzug nahegelegt. 9o Die Rückbesinnung auf die damalige Intention des Gewerbegesetzes sollte die Gewerbe von den Fesseln des Vollzugs seit 1834 befreien. 91 Die erweiterten Befugnisse hoben die strikte Trennung zwischen Gewerbe und Industrie auf, die Übergänge wurden fließend. Entsprechend geschäftstüchtige Meister konnten sukzessive ihren Betrieb ausbauen und vergrößem. 92 Vertikale Mobilität wurde zum integrativen Bestandteil der Gesellschaft, während die horizontale Mobilität weiterhin Einschränkungen unterlag. Weshalb leitete die Regierung jedoch neuerlich eine Übergangsperiode zur Gewerbefreiheit ein, obgleich sie letztere substantiell bereits umsetzte? Ein besitzrechtlich heikles Thema, das zahlreiche Gutachten, Adressen und die Parlamentsdebatte bewegt hatte, stellten die Realrechte dar. Gesellschaftlich problematisch war die Verknüpfung von Gewerbe- und Ansässigmachungsge21. April 1862, S. 10, S. 66, S. 23 ff. "Das festeste und sicherste Band, welches einen Gewerbsmann an einen Ort fesselt, ist die Erwerbsgelegenheit. " Ebd., S. 26. Auch hier wieder Möglichkeit zum Erwerb statt Garantie des Auskommens. Zitat aus: MH an Mlnn, 1.5.1861, in: BayHStA MH 6179. 90 Verordnung, den Vollzug der gesetzlichen Grundbestimmungen flir das Gewerbswesen in den sieben älteren Kreisen des Königreiches betr., 21.4.1862, in: RegierungsBlatt flir das Königreich Bayern, Nr. 20 vom 19.5.1862, Sp. 713-870; v.a. die §§ I, 14, 25,39,50,57,60,61,78,86, 114 Abs. 3 sowie das Verz. d. freien Erwerbsarten. Gewerbestreitigkeiten wurden demnach nicht mehr gerichtlich, sondern polizeilich entschieden, § 114 Abs. 2, Sp. 829/830. Vgl. H. Schunck, Die k. bayr. Gewerbsinstruktion vom 21. April 1862 nebst den dazu gehörigen k. Allerhöchsten Verordnungen, Nördlingen 1862. 91 Der Vortrag, 22.12.1860, widmete der Interpretation des Textgehaltes breiten Raum; ebenso Braun in seiner Veröffentlichung. 92 Um "den Betrieb ihres Gewerbes auf einen so hohen Grad zu erweitern, als es ihnen möglich ist", wurde konzessionierten Meistem gestattet, "ärmere Gewerbsgenossen auf Rechnung gegen Lohn arbeiten zu lassen, sie mit Arbeitsmaterial zu versehen, und die hieraus verfertigten Waaren, gleich ihren eigenen Erzeugnissen zu verkaufen oder auch weiter zu verarbeiten," - Möglichkeiten, die Fabrikanten und Verleger längst besaßen und zu ihrem Vorteil genutzt hatten. VO, 21.4.1862, § 61, in: Regierungs-Blatt flir das Königreich Bayern, Sp. 775/776. 15 Burlchardt

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E. Wirtschaft und Verwaltung unter Max 11.

setzgebung. Daß Änderungen in einem Bereich kaum ohne Modifikationen im anderen durchzuführen waren, hatte Max 11. in seinem Signat zu bedenken gegeben. Das Handelsministerium schloß sich seiner Ansicht an: "Bei dem innigen Zusammenhange dieser wichtigen sozialen Fragen wird mit der GewerbeGesetzgebung allein nicht vorgegangen werden können. ,,93 Gemeint war das kommunale Veto bei der Ansässigmachung, das im Widerspruch zur Gewerbefreiheit stand und nur auf dem Weg der Gesetzesänderung abzuschaffen war. Hier konnte sich das Handelsministerium der Zustimmung des Landtags nicht gewiß sein, das Innenmministerium wollte seinerseits keinen akuten Handlungsbedarf feststellen. Der Verordnungsweg schien daher das geeignete Mittel, "das angestrebte Ziel der Gewerbefreiheit ohne bedenkliche Erschütterungen und Aufopferungen allmählig" zu erreichen. 94 Bei all dem bewog die Regierung der pädagogische Impetus, nach offensichtlich erwiesener Reformunfilhigkeit des Gewerbestandes den erforderlichen Anpassungsdruck auszuüben. Die unzähligen Beschwerden, Klagen und Streitigkeiten beruhten ihrer Ansicht nach auf einem Mangel an Einsicht bei den Betroffenen. "Damit aber der Gewerbsstand diese Selbstkenntniß recht bald erlangt, scheint es dringende Pflicht der Regierung mit allen möglichen Mitteln auch die fernere Ausbildung des Gewerbs=Standes anzustreben, denn es ist eitler Wahn von einer Gewerbe=Ordnung, allein das Heil der Industrie zu erwarten. Das wäre etwa gerade soviel, als wenn der Tanzmeister genügte, um Fröhlichkeit, Beweglichkeit und Gemüth in einer Gesellschaft zu verbürgen. ,,95 Die Regierung schien nicht nur zur liberalen Ideenwelt des Gewerbegesetzes von 1825 zurückkehren zu wollen, sondern ebenso zu den erzieherischen Maximen des Ausgangs der aufgeklärt-absolutistischen Epoche. Sollte in Bayern mit einem halben Jahrhundert Verspätung ins Werk gesetzt werden, was in Preußen als "Reform von oben" realisiert worden war? Keineswegs, denn die Regierung war andererseits fest entschlossen, vom vielgescholtenen "Prinzip bureaukratischer Bevormundung und Vielregierung,,96 sowie vom Negativimage der "Behörde, die wohl auch lieber glaubt, daß der Mensch nicht gut allein stehen und gehen könne," loszukommen. Dazu gesellte sich die Erkenntnis, daß es trotz allen statistischen Aufwands den Behörden an verläßlichen Entscheidungskriterien mangelte, erfolgreiches ökono-

Signat Max' 11.,27.4.1861; MH an Mlnn, 1.5.1861, in: BayHStA MH 6179. Antrag MH, 22.1.1861, Fol. 38 f., Zitat Fol. 47 f.; Mlnn an MH, 5.6.1861; Antrag Mlnn und MH, 20.6.1861, in: ebd. 95 Vortrag ... , 22.12.1860, Fol. 122, Zitat Fol. 123, BayHStA MH 6182. 96 Brater anläßlich der Motivierung seines Antrags im Landtag, in: Verh. d. Kammer d. Abg. 1859/61, Bd. 2, S. 437. Das folgende Zitat bei A. Stark, S. 15; "man kann überhaupt vemünftigerweise nicht annehmen, daß der Staat klüger sein soll, als der Unternehmer" (S. 17). 93

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III. Die Regierung von Mittelfranken

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misches Handeln sich diesen oftmals geradezu entzog. 97 Das Ministerium besann sich wieder darauf, "den Gang der Gewerbe im Großen [zu] leiten", wo ihm mit Zoll-, Handels- und Verkehrspolitik weite Bereiche zur Verfügung standen. Deshalb schloß sich der Staat dem liberalen Credo an und überließ dem einzelnen sein wirtschaftliches Fortkommen künftig selbst. Es handelte sich nicht mehr um aus liberalen Theoremen entwickelte Leitsätze einer Zukunftsprojektion wie 1825. Die Einsicht in die freiere Bewegung war aus der Anschauung des praktischen Vollzugs gewonnen. Wirtschaftspolitik war stets als eine Facette der Gesellschaftspolitik betrachtet worden, was bei Bedenken der sozialen Folgen lange Zeit die Anwendung liberaler Prinzipien im Gewerbe verhindert hatte. Die nun vorgenommene Aufrechnung sozialer Lasten gegen wirtschaftlichen Gewinn entsprach Kleinschrods Konzept der "gesetzlichen Freyheit". Ähnlich wie dieser änderte die Regierung ihren Kurs, als ersichtlich wurde, daß die infolge der modemen Erwerbsethik hervorgerufenen sozialen Unterschiede von der bestehenden Gesellschaftsordnung nicht absorbiert, sondern eher verschärft wurden. Daher stand am Ende dieses Erkenntnisprozesses im Jahr 1868 ein Gesetzespaket,98 das mit freizügigen Regelungen im wirtschaftlichen wie im gesellschaftlichen Bereich sowie Ansätzen einer staatlichen Sozialpolitik den Schlußstein bildete. Die Trägerschaft der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung war damit endgültig vom alten auf den neuen Mittelstand übergegangen.

111. Die Regierung von Mittelfranken als Beispiel einer fortschrittsorientierten Behörde Die Kreisregierungen waren in die vorhergehend behandelten Prozesse nicht direkt und von vorneherein involviert, weil im Gewerbesektor die erstinstanzlichen Entscheidungskompetenzen bei den Gemeinden lagen. Mit ihrer Zuständigkeit für Fabrikkonzessionen, von denen Aktiengesellschaften einer ministeriellen Genehmigung bedurften, wirkten sie jedoch indirekt auf den gewerblichen Bereich ein und konnten Modernisierungsdruck ausüben. Außerdem waren sie

97 Vgl. Antrag MH, 22.1.1861, Fol. 13, Fol. 26 f., in: BayHStA MH 6179; Beleuchtung der Vollzugs-Instruktion vom 21. April 1862, S. 30: demnach stellten Faktoren wie "Fleiß, Unternehmungsgeist und Sparsamkeit" aussichtsreiche Garantien ftir den wirtschaftlichen Erfolg dar, entzogen sich jedoch amtlicher Erfassung. Folgendes Zitat ebd., S.45. 98 Gewerbeordnung, 30.1.1868, Gesetz über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt, 25.4.1868, Gesetz, die öffentliche Armen- und Krankenpflege betr., 29.4.1869. S. dazu H. Hesse, Die sogenannte Sozial gesetzgebung Bayerns Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts, München 1971.

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bis zur Verordnung des Jahres 1862 die Einspruchsbehörden, vor die alle strittigen Gewerbefragen gebracht wurden. Derartige Auseinandersetzungen sind besonders interessant, weil sie die Argumente und Interessen der beteiligten Parteien vor Augen führen vor allem dann, wenn durch direkt an das HandeIsministerium oder den König mit der Bitte um oberaufsichtliches Eingreifen gerichtete Vorstellungen auch die höchste Behörde zur Stellungnahme gezwungen wird, wie dies beim behandelten Beispiel Nürnbergs der Fall ist. Der Kernbestand der ausgewerteten Zeugnisse stammt aus dem Zeitraum zwischen 1848 und 1853.99 Er muß daher zum einen als Ausfluß verschärfter Probleme im Gefolge einer temporären Krisensituation interpretiert werden. Zum anderen wurden in den gewerblich und industriell weiter entwickelten Zentren Bayerns, wie etwa Augsburg oder Nürnberg, die auseinandertreibenden Kräfte der Gewerbeordnung viel früher spürbar. In Augsburg ließ die Einrichtung von Maschinen- und Fabrikbetrieb in der Textilbranche bereits im Vormärz die Spinner und Weber schlagartig um ihren Erwerb fürchten. lOo In Nürnberg verteilten sich hingegen die Fabrikgründungen auf verschiedene Sparten und bedrohten nicht ein Gewerbe speziell und existenziell. Obwohl die Maschinenfabriken von Späth und Klett sowie die leonischen Drahtfabriken ernstzunehmende Konkurrenten rur das traditionelle Nürnberger Metallhandwerk waren, wies die Mehrzahl der Fabriken noch einen bescheidenen Umfang auf. Schröder verzeichnet rur das Jahr 1851 in einer Tabelle 60 so bezeichnete Etablissements mit 2000 Beschäftigten. Davon widmete sich allein ein Drittel der Betriebe mit etwa einem Viertel der Arbeiter der Tabakherstellung. 101 Modernisierungsdruck ging in Nürnberg jedoch nicht nur vom entstehenden Fabrikwesen aus, sondern entwickelte sich ebenso in den Reihen der Gewerbe selbst, von denen viele als sogenannte "Handelsgewerbe" zum überwiegenden Teil oder beinahe ausschließlich für den Export arbeiteten. Hierzu zählte zum Beispiel der für Nürnberg typische Zweig der Spielwarenherstellung. Diese Bereiche waren nicht erst dann bedroht, wenn die ausländische Konkurrenz das Angebot der heimischen Handwerker vom Nürnberger Markt drängte, sondern bereits dann, wenn die Abnahme der Produkte von seiten der Händler geflihrdet war. Vor allem aber läßt sich hier erkennen, daß in der Gewerbeordnung nicht nur eine erhebliche Diskrepanz infolge des Nebeneinanders von liberalem Verfah-

99 Beschwerden über zu ausgedehnte Ansaessigmachungsbewilligungen auf Gewerbe, BayHStA MH 6133. 1001. Fischer, S. 34 f.; vgl. BayHStA MH 5677 bzw. Kap. C.H.7., Anm. 128. 101 P. Schröder, Tab. F: "Fabriken" im Polizei-Bezirk Nümberg 1851, S. 241.

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ren bei Erteilung von Fabrikkonzessionen und ungleich strengeren Zulassungskriterien bei Gewerbekonzessionen lag. Weitaus verderblichere Wirkung brachten die unterschiedlichen Regelungen im Gewerbesektor hervor, wonach bei der Konzessionsvergabe an lokale oder Handelsgewerbe verschiedene Maßstäbe angelegt wurden und für freigegebene Gewerbe bereits ein Lizenzschein genügte. Solche Unterscheidungen wurden jedoch immer schwieriger, je stärker neue Materialien, Werkzeuge oder Maschinen das Herstellungsverfahren veränderten oder sich auf den Absatz auswirkten. Folglich mußte der Widerspruch zwischen an der allgemeinen technischen Entwicklung partizipierender Modernisierung und Bewahrung traditioneller gesellschaftlicher Elemente 102 innerhalb der Handwerkerschaft ausgetragen werden, was diese - bildlich gesprochen - vor eine Zerreißprobe stellte. Augenfällig erweist sich dies in Nürnberg, dessen stark ausdifferenzierte und exportorientierte Gewerbestruktur der Regierung von Mittelfranken immer wieder Veranlassung bot, Modernisierungsdruck auszuüben. Als zuständige Rekursbehörde erteilte sie in etlichen Fällen Konzessionen an Bewerber, deren Gesuch vom Magistrat der Stadt Nürnberg abgelehnt worden war. Dagegen trugen die Gewerbevorgeher, eine Art "Innungsobermeister,,103, mehrfach ihre Beschwerden beim Handelsministerium oder beim Monarchen vor.

1. Die Konfrontation von Meistern und Gesellen oder: Wohlerworbene Rechte gegen Recht auf Erwerb Obwohl die Gewerbevorgeher sich in ihrem Streit mit der Regierung von Mittelfranken darauf beriefen, im Namen aller Gewerbetreibenden zu sprechen, konzentrierten sich die Probleme doch bei den Flaschnern, den Schlossern und Windenmachern sowie den Zuckerbäckern. Nur die erste ihrer Eingaben vom 25. Juni 1851 sprach auch andere Gewerbe (Kammacher, Hornpresser, Nagelschmiede, Goldschlager, Standschleifer) an, um zu verdeutlichen, was der Gewerbeausschuß der Regierung vorwarf: daß diese entgegen der Vorstellungen der Meister und der Beschlüsse des Stadtmagistrats neue Konzessionen erteile und Gewerbegrenzen aufhebe. Diese Konzessionserteilungspraxis wurde als "maßlos[e]" verurteilt, weil sie eine Konkurrenz hervorrufe, die nicht zu beste-

\02 "Bavaria was reaping the revenues of the general economy while trying to preserve its small-town artisan class.", in: M. Walker, German Horne Towns, [thakaiLondon [97[, S. 402. 103 G. Pfeiffer, 400 Jahre Handelsvorstand Nürnberg 1560-1960, [HK Nürnberg, Sondernummer des Mitteilungsblattes, April 1960, S. 38.

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hen sei, sondern nur durch Überproduktion zum Preis- und Qualitätsverfall fiihren müsse. \04 Die Schlosser fiihlten sich von allen Seiten bedroht: von den Fabriken, welche Arbeiter und nicht selten die besten Gesellen anzogen, von den Eisenwarenhandlungen, die eine Anzahl ihrer Produkte im Sortiment fiihrten, \05 und von den königlichen Eisenbahnwerkstätten. Innerhalb der Gewerbegrenzen waren es die Kunstschlosser, denen zur Ausübung ihres freien Gewerbes ein Lizenzschein genügte, mit dem sie dann alle Schlosserarbeiten ausfiihrten, und die Meister in den umliegenden Dörfern und Vororten, deren Streben letztlich auch auf die Stadt als Absatzgebiet gerichtet war. Die Konkurrenz aus dem Umland wurde nicht nur in Nürnberg argwöhnisch betrachtet, wie etwa eine ähnliche Klage des Gewerbevereins der Stadt Bamberg im Sommer 1848 beweist, in der ebenfalls die noch dazu meist billiger produzierenden Gewerbetreibenden auf dem Lande beschuldigt wurden, das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage in der Stadt zu stören. \06 In Nümberg allerdings wurde der Konkurrenzdruck unmittelbarer empfunden, weil die Stadt in eine gewerbetätige Region eingebettet war und die im Handel unter der Bezeichnung "Nürnberger Waren" vertriebenen Artikel durchaus in der näheren Umgebung hergestellt sein konnten. Hierzu zählten neben der Nachbarstadt Fürth, die lange Zeit von einer großzügigeren Gewerbepolitik hatte profitieren können und daher in vielen Bereichen der Metall- und Glasverarbeitung eine überlegene Position behauptete, die Orte Stein, Schwabach und Erlangen. Zudem richteten sich in den Vorstädten Nürnbergs, beispielsweise in Wöhrd, die ersten größeren Betreibe ein, weil sie dort genügend Platz und Wasser als Antriebskraft vorfanden. \07 In dieser Situation suchten die Handwerksmeister Zuflucht bei der Bewahrung alter Gewerbeprivilegien, wie sie das Gewerbegesetz unter Hinweis auf den "Nahrungsstand" tatsächlich immer noch zu garantieren schien. Damit

104 Vorstellung des Gewerbausschusses zu Nümberg an den König, 25.6.1851, in: BayHStA MH 6133. Ähnlich die Schlosser und Windenmacher in ihrer Vorstellung vom 31.1.1852, in: BayHStA MH 6133. Daraus auch die folgenden Ausfllhrungen. 105 Genauso das Schlossergewerbe in Bayreuth, das mit einer Bitte an die Ständeversammlung sogar ein Gesetz gegen die Eisenwarenhandlungen anstreben wollte, 15.3.1848, in: BayHStA MH 6143. 106 Eingabe der Gesellen des hiesigen Steinmetzen und Zimmergewerbes, Nürnberg, 15.4.1848, in: BayHStA MH 6143; an erster Stelle erhoben sie die Forderung, daß die Meister dazu verpflichtet werden müßten, bevorzugt einheimische Gesellen einzustellen und bei Stockungen zuerst die im Umland beheimateten zu entlassen. Vorstellung des Gewerbevereins der Stadt Bamberg, 2.8.1848, in: BayHStA MH 6142. 107 H. Kellenbenz, Die Wirtschaft Mittelfrankens im 19. Jahrhundert, in: Fürther Heimatblätter 9 (1959), S. 76 ff.; A. Jegel, Die wirtschaftliche Entwicklung von Nürnberg-Fürth, Stein und des Nürnberger Raumes seit 1806, Nürnberg 0.1.

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konnten sie argumentieren, wenn sie nach Schutz der Gewerbe riefen. Zwar verzichteten die Nürnberger bei ihren Eingaben auf den in den Revolutionsjahren 1848 und 1849 gern gebrauchten Hinweis auf die friedliche Loyalität der Handwerksmeister und ihre bedeutsame Funktion als Kern des Volkes. \08 Doch konstatierten sie als unweigerliche Folge der Regierungsentscheidungen den Verfall der Gewerbe und die Entstehung eines Proletariats, was seine Wirkung auf den König nicht verfehlte. 109 Ganz richtig stellten sie fest, daß es in Bayern keine Gewerbefreiheit gebe, "und -" so fUgten sie lobend hinzu - "daß eine solche nicht angemessen sey, hat die kgl. Staatsregierung laengst eingesehen". 110 Darautbin warfen sie der Regierung von Mittelfranken vor, den Boden des Gesetzes verlassen zu haben, indem sie viele Gewerbe als kommerzielle eingestuft oder die Befugnisse der freien Erwerbsarten erweitert habe. 111 Sie erkannten ganz richtig die Klemme, in der sie steckten, weil sie durch die freiere Konkurrenz bedroht wurden, selbst aber auf ihre genau umrisssenen Gewerbebefugnisse festgelegt waren. 112 Statt nun jedoch mehr Spielraum fUr sich zu beanspruchen, pochten die Gewerbeinhaber auf das, was sie fUr ihr angestammtes Recht hielten, und forderten den Schutz der Gewerbe mit der Begründung, sie hätten nicht nur das Recht, bestehende Gewerbe zu betreiben, sondern der Staat habe auch dafUr zu sorgen, daß die Gelegenheit zum Arbeiten nicht genommen werde. Ein Recht ohne Gelegenheit sei wertlos. Dem Prinzip, wonach Konkurrenz das Geschäft belebt, konnten sie nicht folgen, sondern empfanden es als bedrohlich, daß sie es nun sogar "mit ihren eigenen Gesellen zu thun bekommen". 113 Das Verfahren der Regierung wurde als Umsetzung theoretischer Prinzipien in die Praxis gegeißelt. Hinter allen Vorstellungen stand also die Hoffnung, daß über die konkreten Beschwerdegründe hinaus die Entscheidungen der Kreisregierung prinzipiell als nicht gesetzeskonform, da zu freiheitlich, gerügt wurden. Es war die Hoffnung auf die Rückkehr zu längst vergangenen, traditionellen Strukturen, wo "the well-being of existing masters 'decided' the question of 108 Vorstellungen aus Memmingen (12.5.1848), aus Kautbeuren (30.5.1848), der Gewerbevereine des Landgerichts Landau/NBay. (30.5.1848), in: BayHStA MH 6142; s. auch BayHStA MH 6143. 109 Vorstellungen aus Nümberg vom 25.6.1851, 23.1.1852, 31.1.1852 und 12.2.1852; aufletzterer Signat Max' 11. an MH, 15.2.1852, in: BayHStA MH 6133. 110 Vorstellung des Schlosser- und Windenmachergewerbes, Nürnberg, 31.1.1852, in: BayHStA MH 6133. 111 Vorstellungen vom 31.1.1852 und 12.2.1852; Vorstellung der Zuckerbäcker in Nürnberg, o. Datum (wahrscheinlich Januar oder Februar 1852, da Vermerk des MH vom 18.2.1852), in: BayHStA MH 6133. 112 Vorstellung des Schlosser- und Windenmachergewerbes, 31.1.1852, in: BayHStA MH 6133. 113 Vorstellung des Flaschnergewerbes, 23.1.1852, in: BayHStA MH 6133.

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competence, of the applicant's capacity for self-support, and hence his claim on community membership.,,114 Auf der anderen Seite standen die Gesellen, und der in einigen Eingaben verwendete Begriff "Altgesellen" darf durchaus wörtlich genommen werden, da die Bewerber oft schon 35 bis 40 Jahre alt waren. Sie reklamierten das Recht zur Niederlassung und Gewerbeausübung als "angeborenes Menschenrecht".115 Trotz aller liberalen Rhetorik, mit der sie ihre Forderungen untermauerten, beriefen sie sich ebenfalls auf die Bestimmungen des Gewerbegesetzes, indem sie ihre Gewerbe als kommerzielle einstuften, bei denen die Konzessionserteilung die Regel sein müßte. Für ihre Misere machten sie nun die städtischen Gremien verantwortlich, von denen die gesetzlichen Bestimmungen "im Geiste des alten Bevormundungssystems falsch und einseitig interpretirt" würden. Während die Klagen der Meister als "unlautere Quelle" abgetan, die Vorsteher des Handelsstandes den "ultraconservativesten Elementen" zugerechnet wurden, beanspruchten sie rur sich selbstverständlich, den Fortschritt gepachtet zu haben. Doch verraten die stereotypen Hinweise auf Tatkraft, Erfindungsgeist und Eifer der Meisterrechtsbewerber auch eine andere Logik des Produzierens. Während die Meister die Nachfrage als statische Größe verstanden, nach der sich das Angebot zu richten hatte und schließlich auch ermitteln ließ, betrachteten die Gesellen Angebot und Nachfrage als flexible Größen. Konkurrenz bedeutete für sie nicht Preisverfall und Qualitätseinbußen, sondern im Gegenteil Innovation und Fortschritt, infolgedessen gesteigerten Absatz und steigenden Wohlstand rur eine wachsende Zahl Gewerbetreibender: "Je rascher sich die Produktion ausbreitet, desto schneller wächst auch der Absatz; denn das Bedürfniß steigert sich durch die Möglichkeit der leichteren Befriedigung, welche durch die erhöhte Concurrenz dargeboten wird".116 Dies beschreibt ziemlich genau den Funktionsmechanismus einer von Beschränkungen befreiten Marktwirtschaft, die sich über gesteigerte Produktion neue Absatzmärkte erschloß. Das setzte zugleich ein größeres Marktgebiet voraus, wie es das Königreich und der Zollverein de facto anboten, und so bemühten sich die Gesellen, rur ihre Sparten den Nachweis zu ruhren, daß sie vor allem rur den Handel arbeiteten. Die Meister hielten dagegen die Fiktion einer abgeschlossenen städtischen Wirtschaftseinheit aufrecht. Die Gesellen verlangten Erleichterungen bei der Konzessionserteilung und der Ansässigmachung, und obwohl sie keine Gewer-

M. Walker, S. 402. Eingabe der Altgesellen des Schreiner-, Flaschner-, Zirkelschmied-, Drechslerund Kammacher-Gewerbes, Nümberg, 31.3.1848, in: BayHStA MH 6133. 116 Vorstellung der Altgesellen ... (von 16 Gewerben) an die Reg. v. Mfr., 4.10.1851, in: StAN Rep. 270/11, Abg. 1932, Tit. IX, Nr. 489. 114

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befreiheit fordern wollten, sympathisierten sie mit den dadurch eröffueten Erwerbsmöglichkeiten und hielten 1852 die Gewerbefreiheit am Beispiel der Pfalz immerhin fUr praktikabel. 117 Auffallend ist besonders die gewandelte Haltung der Regierung von Mittelfranken gegenüber. Im März 1848 wurde sie noch mit dem auf jede Art von Bürokratie angewandten Schimpfwort "Bevormundungssystem" bedacht und zusammen mit den städtischen Behörden ihrer restriktiven Politik wegen angegriffen. Dreieinhalb Jahre später appellierten sie an den "höhern Standpunkt" der Regierung im Kampf gegen die zäh und hartnäckig ihre eigenen Interessen vertretenden Meister, und wiederum ein halbes Jahr später verteidigten sie dem König gegenüber die Entscheidungen der Kreisregierung gegen die Beschwerden der Gewerbevorgeher. Dabei bescheinigten sie der Regierung von Mittelfranken, "in gerechter und zeitgemäßer Erwägung der gegenwärtigen Lage des Gewerbswesens"J18 entschieden zu haben. Ihrer Meinung nach hatte diese damit nur endlich wieder den wahren Willen des Gesetzes vollzogen - auch die Gesellen beschäftigten sich also mit der Interpretation des Gesetzestextes. Sie merkten zudem an, daß die bestehende Gewerbeordnung den Ansprüchen der Gegenwart nicht mehr genüge, weil infolge der Entwicklung der Industrie viele früher notwendige Einschränkungen unnötig seien. Vor allem aber wollten sie fest normierte Zu lassungskriterien, um nicht länger vom Zufall abhängig zu sein. So verbreitete ein Gesetz, das vorgab, ein Problem zu lösen, in Wirklichkeit aber durch bewußt interpretationsfähige Begriffe Spielräume offenließ, bei den Meistem Verärgerung und bei den Gesellen Unsicherheit. 1I9 Auf beiden Seiten weckte es Zweifel an der ordnungspolitischen Kompetenz des Staates, weshalb die Vorstellungen der Altgesellen ebenfalls die Aufmerksamkeit des Königs erregten. Er überwies deren Bitte an die zuständigen Ministerien mit der fUr ihn typischen Auflage, daß eine Änderung der Vorschriften keine Vermehrung des Proletariats zur Folge haben dürfe. 120 Nachdem die Handwerksmeister ihre Interessen auf Gemeindeebene durchsetzen und sich dabei des Rückhaltes beim Monarchen sicher sein konnten, bot sich ein Bündnis der Gesellen mit der Mittelbehörde geradezu an. Nicht nur 117 Bitte der Meisterrechtbewerber mehrerer Gewerbe hiesiger Stadt, NUrnberg, 28.2.1852; Vorstellung der Altgesellen des Schreiner-, Schneider-, Schuhmacher-, Flaschner- und Zirkelschmiedgewerbes an den König, NUrnberg, 24.4.1852, in: BayHStA MH 6133. 118 Vorstellung der Altgesellen ... , 24.4.1852, ebd. 119 Genau untersucht hat diese Konfrontationsmuster G. Schwarz. Vgl. speziell für NUrnberg: M. Held, Das Arbeitsverhältnis im Nürnberger Handwerk, Stuttgart/Berlin 1909. 120 Signat Max' 11.,29.4.1852, in: BayHStA MH 6133.

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gewerbepolitisch dachten die Gesellen moderner, sondern ebenso gesellschaftspolitisch. Zwar war ihr angestrebtes Ziel nach wie vor das einer gesicherten bürgerlichen Existenz. Aber ihre selbstgewählte Bezeichnung als "Classe" und ihre Forderung nach der "dem ordentlichen Arbeiter" bei größerer Freiheit zustehenden Existenzberechtigung enthielten nichts vom Bürgerstolz der Handwerker, sondern verraten eher das Empfinden einer Schicksalsgemeinschaft sowie eine kühl-kalkulatorische Einschätzung von Arbeit und Verdienst.

2. Der Handel als drängendes Element Im Bemühen um Erreichen einer Konzession und der Ansässigkeit wurden viele Schleichwege ersonnen, die bisweilen merkwürdige Formen annahmen. So ließ der rasche Wechsel bei einigen Realrechten, etwa bei Wirtschaften oder im Kramhandel, den Verdacht zu, daß es den jeweiligen Inhabern nur darum gegangen war, die damit fest verbundene Ansässigkeit zu erwerben. Eine andere Möglichkeit, zu Meisterehren zu gelangen, war die Ehe mit einer Meiterswitwe, welche im Extremfall sogar mit einer bereits im Sterben liegenden Frau geschlossen wurde. Solche Praktiken beklagten nicht nur die Gesellen als Mißstand, sondern prangerte auch die Regierung von Mittelfranken an als Auswüchse zu rigider Beschränkungen, \2\ um die eigene, großzügigere Entscheidungspraxis zu rechtfertigen. Der Nürnberger Kaufmann Johann Carl Leuchs\22 kam sogar zu dem Ergebnis: "Die Gewerbe Bayerns wären vollkommen zu Grunde gegangen, wenn das Gewerb= und Ansässigungsgesez so durchgeführt worden wäre, als es die Vollzugs instruktion und die Magistrate machten." Freilich läßt sich Leuchs wegen seiner ungebrochenen Propaganda für Handels- und Gewerbefreiheit in Verbindung mit Freizügigkeit und seines naiven Optimismus, daß soziale Hilfen des Staates dann unnötig, da überflüssig wären, leicht als "der radikalste und doktrinärste Smithianer, der jemals in Nürnberg seine Stimme erhob", 123 abstempeln. Sicher waren sein Ruf nach Freiheit der Gewerbe sowie seine pauschale Ablehnung der Bürokratie, auf die seiner Meinung nach im Lauf der Zeit ein "Theil der päpstlichen Unfehlbarkeit" übergegangen sei, noch stark von den Ideen der Französischen Revolution beeinflußt. Dennoch spiegeln seine Überlegungen das weiter reichende Kalkül des Kaufmannes wider, der bereits in der Kategorie eines ganz Deutschland umfas121 Eingabe der Altgesellen ... , 31.3.1848; Reg. v. Mfr. an MH, 11.10.1851 und 14.5.1852, in: BayHStA MH 6133. 122 S. Kap. C.1I1.4., S. 114 ff.; hier behandelt seine Schrift: J. C. Leuchs, Realrechte und Gewerbs=Privilegien, 2. venn. Ausg., Nümberg 1860, Zitat S. 18. 123 P. Müller, Liberalismus in Nümberg 1800 bis 1871, Nümberg 1990, S. 175.

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senden "Arbeitsmarkt[es]" dachte, was Mobilität zwingend voraussetzte. So erschien ihm die Gewerbefreiheit als "wichtiges Förderungsmi[t]tel der VolkswoIfahrt". Dies ergab sich fur Leuehs nicht nur aus der kameralistischen Gleichung, daß mehr Produzenten mehr Werte schaffen, sondern auch aus der marktwirtschaftlichen Tatsache, daß Produzenten zugleich Nachfrager und Konsumenten sind. 124 Er argumentierte hier wie Hermann, und wie die meisten Liberalen wollte er die Unterstützung der Armen von den Gemeinden auf den Staat verlagert sehen. Natürlich steckte hinter Leuchs' Überlegungen die einfache kaufmännische Rechnung, daß mehr Waren auf einem größeren Markt mit mehr Konsumenten höheren Umsatz und Gewinn bedeuteten. Auch andere Kaufleute, wie etwa der Großhändler und Spiegelglasfabrikant Crämer in Doos in seiner Denkschrift aus dem Jahr 1852, forderten deshalb mehr Freiheit rur Handel und Gewerbe. Der Drogeriewarengroßhändler Clericus trat dem Vorurteil entgegen, daß Handelsgewerbe mit höherem wirtschaftlichen Risiko verbunden seien, indem er vorrechnete, daß sie keineswegs überproportional häufig eines Darlehens der Leihund Unterstützungsanstalt bedurften. 125 Wo es nach Crämers Ansicht des "Schutzes von oben" bedurfte, bei Ausbau des Zollvereins, Erstellen günstiger Verkehrsverbindungen und klarer gesetzlicher Richtlinien fur das Kreditwesen, das Verhältnis zwischen Arbeitern und Fabrikherrn, die Nutzung der Wasserkraft sowie den Schutz von Fabrikzeichen, meinte er eigentlich die fördernde oder die normierende Kraft des Staates. Er hielt es rur ein Zeichen der Zeit, daß sich "fast überall Wissenschaft und Kunst den materiellen Interessen unterordnen müssen." Um ihre materiellen Interessen ging es auch den Handwerksmeistem, wenn sie sich an den König wandten. Doch wo jene auf Restriktionen setzten, zogen die Händler die Expansion ins Kalkül 126 • Daß dies jedoch nur möglich war, indem auf jede erdenkliche Weise die Gesetze umgangen wurden, davon sah Leuehs eine Gefahr für den Sinn rur Recht und Ordnung ausgehen. 127

124 1. C. Leuchs, Realrechte und Gewerbs=Privilegien, v.a. S. 6, S. 13, S. 19 f., S. 40 ff., S. 69, S. 75; Zitate S. 47, S. 69, S. 25. 125 Gutachtliche Aeusserungen und Ansichten des ... C. B. Crämer, Nümberg, im Januar 1852 (=Nr. 50.1.18); Denkschrift von C. Clericus, Nürnberg, 28.l.l852 (= Nr. 50.1.17), in: GHAM Max 11. 80-4-298. 126 Die unterschiedliche Interessenlage von Handwerkern und Kaufmannschaft beschreibt z.B. in seiner Regionalstudie am Beispiel der Gewerbsvereine in Kempten P. Hefele, S. 68 ff., v.a. S. 72. 127 J. C. Leuchs, Realrechte und Gewerbs=Privilegien, S. 18, S. 89.

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3. Erziehung zur Konkurrenz durch die Regierung von Mittelfranken Vor das Dilemma dieser unterschiedlichen, ja geradezu konträren Interessen sah sich die Regierung von Mittelfranken gestellt, wenn sie bei Rekursen in zweiter Instanz entscheiden mußte, ob weitere Bewerber zugelassen werden konnten. Welche Überlegungen und Intentionen sie dabei leiteten und welche Linie sie verfolgte, geht aus den Berichten an das Handelsministerium hervor, in denen sie ihre Entscheidungen erläutern mußte. 128 Vorher soll jedoch ein kurzes Schlaglicht auf die konkreten Fälle geworfen werden, weil bereits dabei die Probleme grell hervortreten. Neben den schon erwähnten Schlossern opponierten die Flaschner auf das heftigste gegen die Erteilung einer Lizenz zur Verfertigung von Blechspielwaren an einen Gesellen, weil sie die Herstellung von Waren aller Art - und damit auch von Spielwaren aus Blech für ihr Gewerbe reklamierten. Dagegen rechtfertigte die Kreisregierung ihren Standpunkt damit, daß nachweislich die Herstellung von Spielwaren aus den verschiedensten Materialien seit langem zu den freien Erwerbsarten gehöre. Analog dazu sei es gesetzmäßig, wenn Spielwaren aus Blech in Mode gekommen seien, für deren Herstellung ebenfalls Lizenzen zu vergeben. Beinahe skurril wirkt der Rechtsstreit zwischen dem Vorgeher des Konditorgewerbes, Winter, und der Feinbäckerin Wagner um die genaue Einhaltung der Befugnis, welche den Konditoren das Zufügen von Zucker an den Teig erlaubte, während in der mit Lizenz zu betreibenden Feinbäckerei nur das Bestreuen mit Zucker nach dem Backen gestattet war. So lächerlich dieser Streit vordergründig anmuten mag, in dessen Verlauf sogar ein Probe backen angesetzt wurde, lag die ernste Ursache dafür wiederum im erbitterten Ringen vieler Gewerbe um lückenlose Verteidigung ihres Terrains, denn die Kreisregierung tendierte hier ebenso zur freiheitlichen Seite. In diesem Fall vertrat die Behörde die Ansicht, daß der gewandelte Geschmack sowie die gestiegene Nachfrage nach Produkten wie etwa Zucker, die früher für die breite Masse unerschwinglich gewesen seien, nicht zulasse, solches Backwerk weiterhin als ausschließliche Befugnis der Zuckerbäcker anzuerkennen. Laut Entschließung der Regierung sollte daher die Zunftordnung der Zuckerbäcker entsprechend revidiert werden. Was mittlerweile jede Hausfrau beherrschte, konnte ihrer Ansicht nach kein Exklusivrecht mehr darstellen, nur weil die Konditoren es versäumt hatten, ihr Gewerbe weiter zu vervollkomm-

128 Berichte der Reg. v. Mfr. an MH, Ansbach, 11.10.1851, 14.5.1852; Reg.Präsident v. Mfr. an MH, Ansbach, 17.4.1852, in: BayHStA MH 6133.

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nen. Hier wurde also sowohl mit den Fortschritten der Zeit wie auch mit der Befriedigung der Ansprüche der Konsumenten argumentiert. 129 In diesem Sinn verstand die Regierung von Mittelfranken ihre Entscheidungen als Erziehungsmaßnahme zum Wohl aller. Die umfänglichen Begründungen lassen die Grundsätze klar hervortreten, welche ihr von seiten der Gewerbevorgeher die Klage einbrachten, widerrechtlicl~ das Prinzip der Gewerbefreiheit zu verfolgen. Getreu dem erzieherischen Ethos der Aufklärung hielt die Behörde es als "Pflicht der Staatsgewalt", für den Fortschritt und das Gemeinwohl einzutreten. Rückständig und egoistisch waren die Gewerbemeister, die sich ängstlich und starr an die Befugnisse klammerten, weil sie mit den Neuerungen nicht Schritt halten konnten "oder auch jeder Neuerung abhold, sich in ihrer Behaglichkeit nicht stören lassen wollen". 130 Als Erklärung für diese Tendenz zur Abschottung wurde die langjährige, abgegrenzte Position in der Reichsstadt mit ins Feld geführt. Verständnis für das Zustandekommen der Abschottungsmechanismen wurde insoweit geäußert, als eben die personelle Zusammensetzung der Entscheidungsgremien in der Stadt unweigerlich dazu fuhren mußte, daß die betroffenen Handwerksmeister Richter in eigener Sache waren, was eigennützigen Bestrebungen Vorschub leisten mußte. Daher gebe vielfach "nicht das Interesse der Industrie, sondern der vermeintliche Vortheil oder Nachtheil der Commune, oder Armenkasse, oder lokale Rücksichten und Einflüße von Persönlichkeiten den Ausschlag bey den Entscheidungen". Der an der Gewerbeschule in Fürth tätige Dr. Beeg stellte sich verteidigend an die Seite der Kreisregierung, welche "von ihrem höheren, übersichtlichen Standpunkte aus, die staatswirthschaftlichen Intereßen in Betracht ziehend," gezwungen sei, sich auf den "Standpunkt der Billigkeit und Humanität" zu stellen. Denn bei der Verteidigung ihrer Befugnisse "kennen wie die Erfahrung lehrt - die Betheiligten, resp. Beeinträchtigten, keine Barmherzigkeit, sondern möchten, wie Shylock, das verfallene Pfund Fleisch zunächst am Herzen des Beklagten ausschneiden.,,131 Umso notwendiger empfand die Behörde ihr korrigierendes Eingreifen als überparteiliche Institution zugunsten der Konsumenten, der Mitbewerber und um der Weiterentwicklung der Gewerbe willen, welche angesichts der Fortschritte in Wissenschaft und Technik und der ausländischen Konkurrenz fur de-

129 Reg. v. Mfr. an MH, 14.5.1852; vgl. Antrag MH an den König, 9.7.1852, in: BayHStA MH 6133. \30 Reg. v. Mfr. an MH, 14.5.1852, ebd. 131 Reg.Präsident v. Mfr. an MH, 17.4.1852; Stellungnahme Beegs, Die Bescheidung gewerblicher Fragen durch die K. Regierung von Mittelfranken betr., München, 14.3.1853, in: BayHStA MH 6133.

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ren Fortbestand unverzichtbar war. Um also die Modernisierung zu beschleunigen, setzte sie die Handwerksmeister gen au dem Konkurrenzdruck aus, dem diese sich zu entziehen trachteten. Sie sah sich völlig im Recht, weil es "nationalökonomische, politische, moralische, industrielle Rücksichten,,132 gleichermaßen geboten sein ließen, die Gewerbe mit jüngeren Betreibern aufzufrischen und diesen Gelegenheit zu selbständiger Arbeit und zur Gründung eines bürgerlichen Hausstands zu geben. Den Vorwurf, die Gewerbefreiheit einzuführen, wies die Kreisregierung unter Hinweis auf die Vorstellungen der beiden rivalisierenden Gruppen zurück. Dies sowie das beachtliche Alter der meisten zugelassenen Bewerber - zwischen 30 und 40 Jahren oder sogar älter - seien die besten Belege dafür, daß sie den gesetzlich vorgegebenen Mittelweg einhalte. Wie Rudhart zwei Jahrzehnte früher, betrachtete sie dennoch die handwerklich geprägte Struktur des Produktionssektors in Nürnberg staatspolitisch als Vorzug, weil sie dem Gemeinwesen zuverlässige Bürger beschere. 133 Aber diese Chance barg auch das Risiko, die Entwicklung eines gesellschaftspolitischen Kastengeistes zu fördern, der sich auf die Gewerbepolitik übertrug und somit allseits hemmend und lähmend wirkte. Dies mußte jedoch nach Ansicht der Kreisbehörde angesichts der entstehenden Fabrikindustrie den Niedergang der Gewerbe besiegeln. Auch von ihr wurde also ein "Geist" beschworen, aber nicht der des Gesetzes, sondern der von Freiheit und Fortschritt. Bis hierher konnte die Staatsregierung der Mittelbehörde noch folgen, wie der Tenor der Stellungnahme des Handelsministeriums erkennen läßt. 134 Doch der Unterschied blieb eklatant: Wo das Ministerium das Gewerbe leistungsflihig fur die Konkurrenz machen wollte und dessen Freiheit in die Zukunft verschob, wollte die Kreisregierung die Leistungsfähigkeit durch Konkurrenz in der Gegenwart gesichert sehen. So verwirklichte die Mittelbehörde ihre liberalen Absichten, indem sie das Gesetz in möglichst extensiver Interpretation ausreizte. Sie attestierte Absatz ins Ausland, wo es ging, und schenkte grundsätzlich den Bedarfsangaben der Händler mehr Glauben als denen der Handwerksmeister. Wie die Fälle der Flaschner und der Zuckerbäcker beweisen, war sie bestrebt, möglichst viele Gewerbe als freie auszugliedern oder deren Befugnisse zu erweitern getreu der

Reg.Präsident v. Mfr. an MH, 17.4.1852, ebd. Vgl. dazu den Bericht des Reg.Präsidenten v. Mfr., Ansbach, 11.11.1851, (= Nr. 50.1.16), in: GHAM Max 11. 80-4-298. Dieser Bericht sowie die Gutachten des Fabrikbesitzers Crämer und des Händlers Clericus (s. Anm. 125) wurden offensichtlich im Umfeld der Gewerbestreitigkeiten vom König in Auftrag gegeben. 134 MH an Reg. v. Mfr., 24.11.1851; Antrag MH an den König, 9.7.1852, in: BayHStA MH 6133. 132

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Auffassung, "mit allen zu Gebot stehenden Mitteln die freye Entwicklung der Industrie zu fördern.,,135 Daß die Regierung von Mittelfranken bis an den äußersten Rand ihrer Kompetenzen ging, beweisen die konkreten Fälle. Das Handelsministerium ließ die Entscheidungen der Mittelbehörde als gesetzeskonform bestehen und gab ihr in der Sache recht, soweit es die gewerbepolitische Seite betraf. Einer Ausgliederung von Befugnissen der Konditoren an das freie Gewerbe versagte es gleichwohl das notwendige Plazet. Vor allem aber brachte es den Nahrungsstand der vorhandenen Meister ins Spiel. Bei kommerziellen Gewerben müßten daher Absatzschwankungen des Handels berücksichtigt werden, und speziell bei den Flaschnern sollte die Kreisregierung bedenken, daß der größere Teil von ihnen von der Spielwarenherstellung lebte. Was die Staatsregierung anmahnte, war eine restriktive Auslegung aus gesellschaftspolitischen Motiven im Sinne des Bündnisses von Monarchie und Gemeinde. 136 So ergaben sich die unterschiedlichen Ansichten aus den verschiedenen geseIlschaftspolitischen Blickwinkeln. Denn der Bürger, den die Kreisregierung vor Augen hatte, war der auf dem Markt selbständig und eigenverantwortlich agierende Staatsbürger, fllr dessen Erwerbstätigkeit der Staat in Form von Infrastruktur, Ordnungsrahmen und Schutz des Eigentums sorgte, während er ansonsten Handlungsfreiheit genoß, also der mündige Bürger gemäß liberalem Verständnis. Weil dies die Freizügigkeit ebenso einschloß, wurde die Beschränkung der Ansässigkeit als völlig untaugliches Mittel kritisiert, welches eher das Proletariat hervorbringe, welches es verhindern solle. 137 Bei ihren konkreten Entscheidungen war ihr hier allerdings der direkte Zugriff verwehrt, da die Frage der Ansässigkeit in die Kompetenz der Gemeinde fiel. Eine Konzession bot dem Bewerber jedoch eine aussichtsreiche Voraussetzung, und so wirkte die Entscheidung der Kreisbehörde durchaus indirekt. Diesen Tatbestand machte sie sich zunutze und erteilte, nachdem ihrem Verfahren von der Oberbehörde Konformität mit dem Gesetz bestätigt worden war, ein Jahr später bereits zwei weitere Lizenzen zur Blechspielwarenherstellung. Das Handelsministerium ermahnte zwar auf die prompte Beschwerde des Flaschnergewerbes hin die Kreisregierung, daß sie damit "jene schonende Rücksicht auf

135 Bericht des Reg.Präsidenten v. Mfr., 11.11.1851, (= Nr. 50.1.16), in: GHAM Max 11. 80-4-298. 136 Vgl. die im Grundsatz gleichlautenden Bescheide des Handelsministeriums in ähnlichen Fällen aus anderen Regierungsbezirken, in: BayHStA MH 6133. 6144. 137 Ebd.; ebenso Reg. v. Mfr. an MH, 11.10.1851, in: BayHStA MH 6133.

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den Nahrungsstand dieser Gewerbsleute vennissen lasse[n],,,138 die Lizenzen nahm es aber nicht zurück. Wie entsprechende Rekursverfahren ein Jahrzehnt später beweisen, behielt die Mittelbehörde ihre Praxis bei, die gesetzlichen Bestimmungen so freiheitlich wie möglich auszulegen. 139 Wenngleich sie jeweils nur indirekt bei Anrufung als Rekursbehörde wirksam werden konnte, darf jedoch die Veränderung der Bewußtseinshaltung bei den Handwerkern, die ja ebenfalls angestrebt wurde, nicht unterschätzt werden.

4. Das liberale Umfeld oder Das Ende der Behaglichkeit Die Regierung von Mittelfranken setzte alles daran, dem Fortschritt einen Weg zu bahnen. Bei ihren Bemühungen konnte sie sich nicht nur der Zustimmung der Gesellen und der Händler sicher sein, die daraus materielle Vorteile zogen. Sie erhielt selbstverständlich Unterstützung aus dem Lager des liberalen Bildungsbürgertums, welches naturgemäß der Bürokratie nicht derart pauschal ablehnend gegenüberstand wie der Kaufinann Leuchs. Johann Caspar Beeg, bis 1864 Rektor der Gewerbeschule in Fürth, dann Gewerbskommissär der Stadt Nürnberg, hatte bereits 1853 beim Handelsministerium um Verständnis für die Entscheidungen der Kreisbehörde geworben. 140 1860 forderte er, der sich nicht nur vom Katheder lehrend, sondern aktiv für die Fortbildung der Gewerbe einsetzte, in seiner Schrift "Die Refonnfrage des Gewerbewesens" die sofortige und übergangslose Einführung der Gewerbefreiheit. Nicht diese sah er als Auslöser fUr die tiefgreifenden Veränderungen an, sondern "die Gestaltung unserer socialen und politischen Verhältnisse" .141 Die Gewerbefreiheit habe die Probleme der Handwerksmeister nicht verursacht, sei aber das einzige Mittel zu deren Lösung. Friedrich Mayer,142 ein Vertreter der öffentlichen Publizistik, plädierte in einer 1851 erschienenen Schrift ebenfalls

\38 Beschwerde der Vorgeher des Flaschnergewerbes, Nürnberg, 24.5.1853; MH an Reg. v. Mfr., 25.6.1853, in: BayHStA MH 6133. 139 Die Beschwerden über Gewerbsbeeinträchtigungen in der Stadt Nürnberg (1862), StAN Rep. 270/11, Abg. 1932, Tit. IX, Nr. 317. Die Akte enthält Vorgänge aus den Jahren 1862-66. 140 F. Sonnenberger / H. Schwarz, S. 191. Vgl. Kap. E.III.3., S. 237. 141 J. K. Beeg, Die Refonnfrage des Gewerbewesens in den sieben älteren Theilen des Königreichs Bayern, München 1860, S. 82; vgl. seine Stellungnahme aus dem Jahr 1853 (s. Anm. 131 bzw. S. 237). 142 Friedrich Mayer (1804-1857); von 1841 bis 1849 Redakteur bei Nürnberger Zeitungen, publizierte außerdem kleinere Werke. Nach: P. Müller, S. 269-291. Müller bezeichnet Mayer als "Meinungsfilhrer des egalitären Nürnberger Linksliberalismus im Vonnärz·und in der Revolution 1848/49" (S. 269).

III. Die Regierung von Mittelfranken

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rur "[m]öglichste Freiheit im Handel, wie in der Industrie" mit der Begründung, "die naturgemäße Entwicklung vermehrten Nationalreichthums hänge größtentheils nur von der persönlichen Freiheit ab, Kräfte, Talente, Künste und Kenntnisse nach Belieben anzuwenden und auszuüben". 143 Obwohl beide keine Verfechter des Fabriksystems waren, weil sie auf den mittelständischen Handwerker als Staatsbürger aus gesellschaftspolitischen Gründen Wert legten, wurde die Existenz von Fabriken als ein Signum der neuen Zeit akzeptiert. Auch wurden sie nicht rur den Niedergang der Gewerbe verantwortlich gemacht, obwohl die Betroffenen dies meist so sahen, wie es Mayer metaphorisch beschrieb: Ein schon von feme erkennbares Zeichen rur die in Nürnberg entstandenen Fabriken seien die Rauchwolken aus den hohen Schornsteinen; "diese dunklen Luftschiffer erscheinen gerade Vielen aus dem Handwerksstande wie Trauerflöre, die über ihrem zu Grunde gegangenen Glücke schweben."I44 Nebenbei sei hier nur erwähnt, daß ein Anwärter im Handelsministerium bei einem Vortrag ähnlich wie Ministerialrat Hermann die Konkurrenzflihigkeit der Nürnberger Industrie nur noch bei Fabrikbetrieb sichergestellt sah. 145 Beeg, der aus eigener Anschauung die Fabrikindustrie in Birmingham und in Rheinpreußen kennengelernt hatte und rur Nürnberg die Handwerksindustrie bevorzugte, forderte mehr Mobilität und gesteigerte Flexibilität. Die Koppelung zwischen Gewerbekonzession und Ansässigmachung fand er ebenso überlebt wie das Nahrungsprinzip, weil dadurch der Aufschwung verhindert wurde, mit dessen Hilfe sich letztlich fast jedes lokale zu einem kommerziellen Gewerbe entwickeln konnte. Das zähe Festhalten an starren Gewerbegrenzen unter Berufung auf die örtlichen Ordnungen gebe nur zu Streitigkeiten Anlaß, wie ja die rur Nürnberg dargelegten Vorgänge bewiesen haben. Er hielt daher das Gewerbegesetz von 1825 rur endgültig überlebt, da es Ausfluß völlig anderer Zeitumstände war und den Übergang zur Gewerbefreiheit, der dabei anvisiert gewesen war, nicht hatte bewerkstelligen können. 146 Die Gewerbefreiheit galt als "die unweigerliche Constitution der zur Emanzipation reifen Industrieverhältnisse, " wobei Emanzipation hier in zweierlei Hinsicht zu verstehen war als persönliche Selbständigkeit und wirtschaftliche Eigenverantwortlichkeit. Der Regierung von Mittelfranken attestierte Mayer

F. Mayer, Nümberg's Handel und Industrie, Nürnberg 1851, S. 23, S. 24. F. Mayer, S. 141. 145 G. C. L. Seuffert, Ueber die Nothwendigkeit und die Wirkung der Einführung des größeren Fabrikbetriebes im Bereiche der sogenannten Nürnberger Gewerbe, München 1855. Der Vortrag wurde auch im Kunst- und Gewerbe-Blatt, 41 (1855), abgedruckt. 146 J. K. Beeg, S. 47 ff. 143

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diesbezüglich die Tendenz, im Sinne freierer Bewegung "eine Schranke um die andere fallen zu lassen".147 Doch die Bemühungen der Kreisregierung fanden ihre Grenzen in den gesetzlichen Bestimmungen, solange es keine Gewerbefreiheit gab. Dabei war um die Gewerbefreiheit längst ein Glaubensstreit entbrannt. 148 Mit diesem Begriff verbanden sich die Assoziationen an "[ d]as concentrirte Streben nach Erwerb, die Hast und Hitze des industriellen Wettkampfes, die nie ruhende Aufregung und sorgenvoll berechnende Benützung der kleinsten günstigen Gelegenheit". Dies alles werde oft eher vom Gefühl her als aus rationalen Überlegungen abgelehnt, weil es das Ende der Behaglichkeit signalisiere, den Verlust einer längst entschwundenen Zeit in gemütlicher Sicherheit des Erwerbs. Jene zurückschauende Mentalität umzuwenden war das Ziel, welches hinter den liberalen Entscheidungen der Mittelbehörde in Mittelfranken stand. Dies war jedoch nur eingeschränkt möglich, da die Gewerbemeister eine Rückzugsbastion für ihre retrospektive Haltung in der sozial restaurativen Basis des Gewerbegesetzes fanden, deren aufmerksamster Hüter der Monarch selbst war. Als ein knappes Jahrzehnt später im Jahr 1860 - kurz nach der Einführung der Gewerbefreiheit in den Nachbarstaaten Württemberg und Österreich - vom Handelsministerium die diesbezügliche Haltung in Bayern eruiert wurde, stellte sich heraus, daß einzig in Niederbayern zeitgemäße Reformen für ausreichend und angemessen gehalten wurden. Alle anderen Kreise plädierten dagegen für sofortige Einführung der Gewerbefreiheit. 149 Dabei war selbstverständlich nie an einen völlig regellosen Zustand gedacht, sondern an "eine durchgreifende Organisation des Gewerbswesens auf der Grundlage des Prinzipes der Gleichberechtigung zur gewerblichen Arbeit und deren jederzeit freistehender Wahl", "welche nicht anders, als durch anderweitige bestehende Gesetze z.B. Sicherheits= Gesundheits= Sitten= Polizei=Gesetze [etc.] beschränkt ist." 150 Ob direkt angesprochen 151 oder indirekt, wurde für den schlechten Zustand der Gewerbe die derzeitige Gewerbeordnung verantwortlich gemacht, welche deren Entwicklung hemme. Die Argumente sind aus der Nürnberger Debatte

F. Mayer, S. 26, S. 216. F. Mayer, S. 23 ff.; J. K. Beeg, S. 6, folgendes Zitat S. 82. \49 Reform des Gewerbswesens, BayHStA MH 6177,6178,6183,6184. Die darin enthaltenen Berichte der jeweiligen Kreisregierungen faßten die Meinungen der Sachverständigengutachten (von Gewerbe-, Fabrik- und Handelsräten, aber auch von einzelnen Gewerbetreibenden, Fabrikanten, Händlern, Bürgermeistern oder sonstigen Beamten im öffentlichen Dienst) zusammen, um daraus das Votum des Kreises zu erstellen. \50 Reg. v. Ofr. an MH, Bayreuth, 29.8.1860, in: BayHStA MH6177; Vortrag ... , Regensburg, 6.11.1860, in: BayHStA MH 6183. \5\ Eine besonders harte und anklagende Abrechnung enthält der Bericht der Reg. v. Ufr. an MH, Würzburg, 19.11.1860, in: BayHStA MH 6178. \47

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bekannt und müssen hier nicht wiederholt werden, obwohl sie wiederum in eindrucksvollen Bildern und Vergleichen vorgetragen und mit eindringlichen Warnungen versehen wurden. Es soll aber noch einmal klar herausgestellt werden, daß der Ruf nach einer anderen gewerblichen Verfaßtheit gleichzeitig den Ruf nach einer anderen staatsbürgerlichen Verfassung beinhaltete. So wurde das System der Gewerbepolizei grundsätzlich abgelehnt: "Das gewerbliche Leben ist an und fiir sich kein Gegenstand direkter staatspolizeilicher Behandlung, vielmehr ein Gebiet, das der freien Regelung durch die bürgerliche Gesellschaft und ihre Organe überlassen bleiben muß."l52

In den Kreisregierungen saßen aber nicht nur Anhänger des liberalen Diskurses, sondern die Beamten konnten auch von ihren Erfahrungen aus langjähriger Behördenpraxis berichten. Welche Gründe bewogen sie dazu, das System der Gewerbepolizei zu verwerfen? Das war zum einen die Unmöglichkeit, die Frage des Nahrungsstandes zu beurteilen. Hierfiir wären Kriterien wie die Persönlichkeit eines Bewerbers zu betrachten gewesen, deren Beurteilung sich einer objektiven Messung durch die Behörden entzog. Zudem setzte diese Regelung einen abgeschlossenen Gemeindeverband voraus, was angesichts der Fabriken, Märkte und des offenen Handels anachronistisch war. 153 "Nicht weniger unverläßig steht es ... mit der Frage, ob ein Gewerbe auf den Lokalabsatz beschränkt sei,,154 oder fiir den Handel produziere. Außerdem wurden die unerfreulichen und unablässigen Streitigkeiten um Gewerbeabgrenzungen genannt, welche nur kontraproduktiv wirkten, sowie die Koppelung mit der Ansässigmachung, wodurch die freizügigeren Bestimmungen der Gewerbeordnung geradezu "paralysirt,,155 wurden. Die Regierung von Unterfranken sprach im Zusammenhang mit dem gemeindlichen Veto wie schon einstmals der Würzburger Bürgermeister Behr in seiner 1848 erschienenen "Polizei=Wissenschaftslehre,,156 von "materielle[m] Unrecht", so daß die Trennung von Gewerbeausübung und Ansässigmachung eine zentrale Forderung aller Kreisregierungen war. Wird betrachtet, was an Staatstätigkeit noch übrigblieb - "Schutz gegen das Ausland, Sicherheit der Rechtspflege im fnnern, und Sorge fiir solche gemein-

152 Ebd. 153 Beeg an Reg. v. Mfr., Fürth, 21.7.1860. in: BayHStA MH 6177; ausführlich referierte dieses Problem auch das Gutachten des Reg.Rates Keisenberg, München, Nov. 1860, (= Anlage zu Reg. v. OBay. an MH, 1.12.1860), in: BayHStA MH 6178. 154 Reg.Rat Keisenberg, Nov. 1860, ebd. 155 Vortrag ... , Regensburg, 6.11.1860, in: BayHStA MH 6183. Das folgende Zitat aus: Reg. v. Ufr. an MH. 19.11.1860, in: BayHStA MH 6178. 156 S. Kap. D.l1.2., S. 151. Anm. 120.

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nützige Anstalten, deren Begründung die Kraefte des Einzelnen übersteigen,,157 - dann hatte bei den Behörden der Wirtschaftsliberalismus gesiegt. Die Individualrechte des einzelnen sicherten demnach das Gemeinwohl besser als Korporativrechte, das Leistungsprinzip, wonach jedem die "Gelegenheit gegeben zu zeigen, was er zu leisten vermag",158 trat an die Stelle des Nahrungsprinzips. Die Ausbildung der Fähigkeiten eines jeden rechne sich nur dann, wenn sie produktiv verwendet werden könne, wovon sowohl die Individuen als auch der Staat profitieren würden. "Aber auch vom sittlichen Standpunkte aus findet die Annahme dieses Prinzipes ihre Rechtfertigung, da hiedurch der Pflicht des Individuums zur möglichsten Ausbildung und die entsprechende, schon naturrechtlieh begründete Berechtigung zur praktischen Bethätigung des Erlernten gewahrt wird.,,159 Mit dieser Argumentation vollzogen die Mittelbehörden den endgültigen Schwenk zum freien Erwerb und der Konkurrenz im produzierenden Sektor, zumal diese Prinzipien im Bereich der Fabrikindustrie, der freien Erwerbsarten und in den umliegenden Staaten schon Gültigkeit besaßen. Somit konnten sie nicht mehr als theoretische Gebäude diskreditiert, sondern mußten als praktizierte Handlungsmaximen anerkannt werden. 160 Es war die "Gewalt der Thatsaehen", welche nicht mehr um die Gewerbefreiheit herumführte, was allerdings nach Ansicht des Erlanger Gewerbekommissärs Papellier die Betroffenen vierzig Jahre lang verkannt hätten. Gegen diese objektiv nachprüfbaren Tatsachen blieb den Gewerbetreibenden und -räten wiederum nur das Mittel, die Gewerbefreiheit als "homöopathische Roßkur" zu geißeln und an die Revolution von 1848 als verheerende Auswirkung solchen Gedankenguts zu erinnern. Sie beharrten weiterhin auf der staatspolitisch bedeutsamen Funktion des alten Mittelstandes als einer "zahlreiche[n], nützliche[n] conservative[n] Klasse",16\ welche durch ein Band der Nächstenliebe zusammengehalten werde, das die Konkurrenz durchschneiden würde. Aber die Revolution lag länger als ein Jahrzehnt zurück, und die Drohung mit dem Industrieproletariat griff immer weniger, je mehr Arbeiter in Fabriken 157 Reg. v. Ofr. an MH, 29.8.1860, in: BayHStA MH 6177. Der Bericht bezieht sich bei dieser Fonnulierung explizit auf Adam Smith. 158 Reg.Rat Keisenberg, Nov. 1860, in: BayHStA MH 6178. 159 Reg. v. Mfr. an MH, Ansbach, 1.8.1860, in: BayHStA MH 6177. 160 Reg. v. Schwaben an MH, Augsburg, 13.7.1860, in: BayHStA MH 6177. Das folgende Zitat aus dem Referat des Gewerbekommissärs, Erlangen, 25.7.1860, (gehalten in der Versammlung der Vertrauensmänner), in: BayHStA MH 6184. 161 Bericht des Gewerberathes von Sulzbach an die Reg. d. Opf., 19.10.1860, in: BayHStA MH 6183; Bittesvorstellung der Gewerbetreibenden der Stadt Traunstein an den König, 24.9.1860, in: BayHStA MH 6177. Die folgende Auffassung entnommen der Bittvorstellung der Gewerbetreibenden der Stadt Reichenhall an den König, 17.11.1860, in: BayHStA MH 6178.

III. Die Regierung von Mittelfranken

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ausreichend Erwerb und Verdienst fanden. Die Gefahr der Proletarisierung wurde im Gegenteil dann gesehen, wenn sich das Handwerk nicht zu freierer Bewegung durchrang. Deshalb fürchteten die Mittelbehörden bei einer Liberalisierung keine gesellschaftspolitischen Risiken mehr "wie jene, weIche in ihrer egoistischen Verblendung von jedem neuen Aufschwung zu einem regeren und frischeren Leben nur Kommunismus - Revolution - Proletariat - Katastrophen Bankerotte und Unheil aller Art erwarten.,,162 Es wurde zwar zugestanden, daß die Umstellung auf ein liberales System von den Handwerkern einige Anstrengung und ein Umdenken verlange, manche sogar in ihrer Existenz bedroht würden. Doch diese Opfer mußten als Reibungsverluste einer notwendigen Entwicklung in Kauf genommen werden: "Es würde zu gar nichts helfen, als unserm Gewerbsstande noch einige Jahre der Sorglosigkeit und des ruhigen Genußes zu gewinnen, bis die endlich aber sicher hereinbrechende Strömung das alte behagliche Gebäude nicht blos erschüttert, sondern über den Haufen wirft." Deshalb war es nach Ansicht der Mittelbehörden jetzt Zeit fllr einen radikalen, wenn auch vielleicht schmerzhaften Schnitt. Sie waren sicher, daß sich unter den Bedingungen des Wettbewerbs alsbald ein Ausgleich der Interessen einstellen würde. 163 "Intelligenz, ... Arbeit und ... Ausdauer" würden auf jeden Fall den "Sieg" in diesem "unvermeidliche[n] Kampf' davontragen, wobei die Intelligenz selbstverständlich auf der Seite der Gewerbefreiheit lag. 164 Widerstand regte sich also weiterhin vor allem bei den Betroffenen, die als gutachtende Gewerbetreibende oder -räte ihrer abweichenden Meinung Ausdruck gaben oder in Eingaben an den König Nachdruck verliehen, sowie bei Bürgermeistern, während Fabrik- und Handelsräte sowie Personen in öffentlichen Positionen in der Mehrzahl den liberalen Kurs verfolgten. 165 So läßt sich leicht erklären, weshalb im überwiegend agrarisch und gewerblich strukturierten Niederbayern das Festhalten an der hergebrachten Ordnung überwog. 166 Hier

162 Reg. v. Ofr. an MH, 29.8.1860. in: BayHStA MH 6177. 163 Als Beispiel für die optimistische Einstellung hier ein Zitat aus dem Bericht der Reg. v. Ofr. (29.8.1860), ebd.: "... die Arbeit wird groß wachsen, wird sich bald richtig vertheilen und ausgleichen, Nahrung und Verdienst wird von allen Seiten zuströmen, und der Uebergang zur neuen Ordnung wird je eher je leichter vor sich gehen". Das vorhergehende wie das nachfolgende Zitat aus dem Vortrag ... , Regensburg, 6.11.1860, in: BayHStA MH 6183. 164 Reg. v. Ofr. an MH, 29.8.1860, in: BayHStA MH 6177; Reg. v. Ufr. an MH, 19.11.1860, in: BayHStA MH 6178. 165 Vgl. neben den angeführten Akten: o. Verf., Ueberschau der Gutachten. Adressen und Denkschriften in der bayerischen Gewerbefrage, München 1861. 166 Vortrag des Reg.Rates Martin, Landshut, 24.10.1860, (= Anlage zum Bericht der Reg. v. NBay. an MH, Landshut, 24.10.1860), in: BayHStA MH 6178. Martin gab die Ansichten aller im Kreis befragten Sachverständigen wieder.

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konnte sich weiterhin die Dominanz der gewerblichen Verfaßtheit nicht nur in den Produktionsstätten, sondern auch in den Köpfen halten. Anders dagegen in den übrigen Kreisen, die alle irgendwo in ihrem Gebiet großgewerbliche oder industrielle Standorte aufwiesen. Der Protest des Gewerberates der Stadt Augsburg, welcher seine Ansicht unzureichend repräsentiert sah, konnte zum Beispiel nicht verhindern, daß das Gesamtvotum der Regierung von Schwaben für die Gewerbefreiheit ausfiel. 167 Bemerkenswert ist außerdem, daß sich in Nürnberg sogar die Vertreter des Gewerberates - bis auf den durch die Gewerbestreitigkeiten sattsam bekannten Magistratsrat und Konditor Winter - dem Gutachten des Referenten in Gewerbssachen anschlossen, der für sofortige Einführung der Gewerbefreiheit plädierte. 168 Hier zeigten ganz offensichtlich sowohl der Aufschwung der Gewerbe infolge der handelspolitischen Verflechtung Nürnbergs wie auch die in erzieherischer Absicht verfolgte liberale Linie der Kreisregierung ihre Wirkung. Entscheidend war letztlich, daß sich auch auf der ministeriellen Ebene die gedankliche Trendwende zu den freiheitlichen Auffassungen der Kreisbehörden vollzog. 169 In dem Maß, wie aus staatswirtschaftlichen Überlegungen die Basis vom alten auf den neuen Mittelstand verlagert wurde, der sich mittlerweile als durchaus verläßlich erwiesen hatte, brach die Säule der gesellschaftspolitischen Verantwortung aus der Argumentation der Gewerbetreibenden heraus. Damit war der Weg frei für eine Liberalisierung der Gewerbeordnung. Zwar folgte als Reaktion auf die aufwendige Recherche der Stimmungslage zunächst nur die freiheitliche Instruktion des Jahres 1862. Es dauerte noch weitere sechs Jahre, bis ein neues Gewerbegesetz auf der Basis der Gewerbefreiheit in Kraft trat. 170 Bereits 1860 war jedoch die Strategie der Konservierung des gesellschaftspolitischen Zustandes bei gleichzeitigem wirtschaftlichem Fortschritt fallengelassen worden. Seitdem hatten die Verfechter dieser These, die fast nur noch im Gewerbestand zu finden waren, keinen Einfluß mehr in der Auseinandersetzung um die Erwerbs- und Gesellschaftsstruktur des Staates.

167 Gewerberat der Stadt Augsburg an den König, 23.7.1860; Reg. v. Schwaben an MH, 13.7.1860, in: BayHStA MH 6177. 168 Reg. v. Mfr. an MH, 1.8.1860, in: BayHStA MH 6177; Stadtmagistrat Nürnberg an Reg. v. Mfr., 20.7.1860, in: BayHStA MH 6184. Vgl. dazu: Ueberschau der Gutachten ... in der bayerischen Gewerbefrage, S. 66 ff. 169 Vgl. Kap. E.II., v.a. S. 214 ff. 170 H. Hesse, Gesetzgeber und Gesetzgebung in Bayern 1848-1870, Weilheim 1984, S. 162 ff.

F. Schluß Die Untersuchung hat den langwierigen und von sehr kontroversen Ansichten in der Diskussion begleiteten Wandlungsprozeß vom ständisch-zünftigen zum bürgerlich-liberalen Verständnis von wirtschaftlicher Betätigung und staatlichen Aufgaben verfolgt. Das Urteil, wonach Bayern politisch liberal, wirtschaftlich dagegen konservativ eingestellt gewesen sei, I läßt sich demnach in dieser Pauschalität nicht halten. Bereits in der ersten Periode von 1834 bis 1848, während der die quantitative Entwicklung der bayerischen Wirtschaft noch nicht augenfällig von der in den übrigen deutschen Staaten abwich, ließen sich rur die Folgezeit wichtige Unterschiede erkennen. Laut Kellenbenz stellte die Phase der Restauration rur die deutschen Staaten nur ein retardierendes Moment dar, weil zugleich auf wirtschaftlichem Gebiet enorme Fortschritte, vor allem im Eisenbahnbau, erzielt wurden. 2 In Bayern trug der Bahnbau zwar zur Verbesserung der Infrastruktur bei, aber er zeitigte wegen des Fehlens von Kohle und Stahl bei weitem geringere Auswirkungen im produzierenden Sektor als in Rheinpreußen. Damit stand bei der Industrialisierung Bayerns die Konsumgüterindustrie stärker im Vordergrund, die aber in weiten Teilen - wie bei den Nürnberger Waren - noch gewerblich verfaßt oder im Verlag organisiert war, wie etwa die oberfränkische Textilindustrie. Die Produktion von Verbrauchsgütern ist zudem in viel höherem Maß vom Inlandsabsatz und vom Handel abhängig. Der Verbrauch im Inland war infolge einer aus gesellschaftspolitischen Motiven restriktiv gehandhabten Gewerbeund Ansässigmachungspolitik gedrosselt. Überdies waren in Bayern weite Gebiete agrarisch strukturiert und bildeten damit ebenfalls keine beachtliche Größe im Bereich der Konsumtion.

Vgl. Einleitung, S. 18 bzw. Anm. 3. H. Kellenbenz, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, Bd.2, München 1981, S.20: "Gingen auch in der Ära der Restauration viele Errungenschaften der Umbruchzeit wieder verloren, so ließ sich doch das Rad der Geschichte nicht mehr im Sinne eines romantischen Konservativismus zurückdrehen. Die Restauration wirkte tatsächlich nur als ein retardierendes Moment. Auf wirtschaftlichem Gebiet wurden in dieser Zeit beträchtliche Fortschritte erzielt." I

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Das Aufbrechen der alten gewerblichen und gesellschaftlichen Strukturen ging somit von der Infrastruktur aus, die vom Staat geschaffen und von den Händlern genutzt wurde. Besonders wichtig war hierbei, daß die Handelsgewerbe innerhalb der Bestimmungen des Gewerbegesetzes die Möglichkeit boten, die Fesseln der Konzessionierung zu sprengen. Zugleich wurde in der Diskussion um die Liberalisierung eine marktwirtschaftliche Variable ermittelt, welche angesichts der bayerischen Branchengliederung mindestens ebenso wichtig war: der Produzent oder Arbeiter, welcher in seiner gleichzeitigen Rolle als Konsument den Verbrauch stimulierte. Doch all diese Ansätze konnten nicht zum Durchbruch kommen, solange Monarch und Regierungsspitze im Sinne der Staatsräson den sozialen Umbau zur Erwerbsbürgergesellschaft verhindern wollten. Die Ergebnisse der Diskussionen um den preußisch-französischen Handelsvertrag und um die Revision der Gewerbeordnung Anfang bis Mitte der 60er Jahre zeigten jedoch, daß eineinhalb Jahrzehnte nach der 48er Revolution auch in Bayern die Vorbehalte gegen die mit einer Modernisierung einhergehenden Erscheinungen von Mobilität, Individualisierung und Liberalisierung gewichen waren. Dabei spielte eine große Rolle, daß König Max 11. bei der Bewältigung der sozialen Frage dem Faktor "Arbeit" hohe Bedeutung zumaß und damit eine modeme Definition dieses Begriffs übernahm, die nicht mehr in das ständische Gesellschaftsschema paßte. Allmählich setzte sich der Eindruck durch, daß auf die alte Verfaßtheit des Gewerbestandes verzichtet werden konnte. Umgekehrt war eine fortschrittliche Entwicklung dank des Interesses der Staatsregierung, welches Unternehmern und Erfindern freie Hand ließ, und infolge des Modernisierungsdrucks liberaler Mittelbehörden, wie zum Beispiel der Regierung von Mittelfranken, so weit in die Wege geleitet, daß sie bereits über eine Eigendynamik verfUgte. Die zum Erhalt der ständisch-gewerblichen Gesellschaft notwendigen wirtschaftlichen Abschottungstendenzen waren deshalb nicht mehr ohne weiteres durchzusetzen. So trug letztlich auch die aus ökonomischen Gründen unumgängliche Entscheidung für den Verbleib im Zollverein 1865 zur EinfUhrung der Gewerbefreiheit bei. Das ursprüngliche Ansinnen der Regierung, mittels einer liberalisierten Gewerbeordnung auf die Gewerbefreiheit vorzubereiten und hinzuarbeiten, war allerdings insofern zum Scheitern verurteilt, als die damit verknüpften Bestimmungen zur Ansässigmachung die traditionelle Vorstellung von Gemeinwesen tradierten, wie sie die Organismusidee hervorgebracht und die Romantik weitergefUhrt hatte. Letzteres bot den Meistem auf kommunaler Ebene die Chance, an alten Vorstellungen festzuhalten und diese wiederum auf den Produktionssektor zu projizieren. Damit unterliefen sie die liberale Intention der gewerblichen Bestimmungen.

F. Schluß

249

Die Ausgrenzung neuer Bewerber von der Produktion hatte aber zur Folge, daß sich der formierende vierte Stand, welcher sich in Bayern vornehmlich aus Gesellen und nur zu einem kleineren Teil aus Arbeitern zusammensetzte, eben nicht in eine die ständische Segmentierung bewahrende Gesellschaftsstruktur einfügen konnte. Zwangsläufig entwickelte er deshalb ein anderes Bewußtsein, welches liberale Elemente in den Forderungskatalog und die Argumentation aufnahm. Dies machte die Gesellen eher zu Verbündeten der Mittelbehörden, sofern diese eine ihnen entgegenkommende liberale Auffassung vertraten wie die Regierung von Mittelfranken. Ein Komprorniß oder eine Vermittlung zwischen den beiden durch ihren ökonomischen Status getrennten Gruppen, wie ihn Riehl oder Max 11. vorgesehen hatten, war nicht mehr möglich. Im Gegenteil nahm die ideologische Polarisierung weiter zu und verschärfte die Frontenbildung. Für die einen schien der Fortschritt nur durch Bewahrung gesichert, während die anderen ihn quasi synonym für Liberalisierung setzten. Warnten die Handwerker vor dem Egoismus einer mitleidlosen Konkurrenzgesellschaft, so unterstellte die Mittelbehörde den Forderungen der Handwerksmeister nichts als puren Egoismus. Entscheidend war in dieser Situation, daß bei der Ministerialbürokratie wie beim Monarchen das Vertrauen in die liberale Position wuchs. Die Kompatibilität von Eigennutz und Gemeinsinn, von der liberale Ökonomen wie F. B. W. Hermann schon lange überzeugt waren, erschien in zunehmendem Maß auch der Verwaltungsspitze plausibel. Zudem schwand die Furcht vor einer Revolution, je länger das Jahr 1848 zurücklag und je mehr sich der neue Mittelstand nicht nur als kapitalbildende, sondern ebenso als systemstabilisierende Kraft erwies. Wenngleich ein gewisses Mißtrauen und einige Ressentiments blieben, akzeptierte der Staat endlich die modeme, bürgerliche Erwerbsgesellschaft samt der dazugehörigen, auf liberalen Prinzipien basierenden Wirtschaftsstruktur. Er zog sich damit aus der Verantwortung zurück, das gesicherte Auskommen eines jeden zu gewährleisten, zum al sich die dafür notwendigen Kriterien seiner Beurteilungskraft entzogen. Die bayerischen Verwaltungsbeamten zogen die Konsequenz aus einer Tatsache, von der schon früher Kunth und Beuth in Preußen ausgegangen waren: "... , daß der alte Staat am Ende seiner Weisheit angelangt war, daß er materiell zu arm und sittlich zu eng war, um mit den bisherigen Methoden die große Aufgabe lösen zu können.,,3 Sie fanden stattdessen neue Zuständigkeitsbereiche in der Absicherung der Produktion durch Handelsverträge, Infrastrukturmaßnahmen, im Ausbau eines den gesteigerten technischen Anforderungen entsprechenden Bildungswesens und nicht zuletzt auf dem weiten Feld der Sozialpolitik, welches der Staat eben erst zu erschließen begann. 3 F. Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 3, München 1987, (= unveränderter Nachdruck d. Ausg. Freiburg i. Br. 1934), S. 292 f.

250

F. Schluß

Dies mußte zwangsläufig zu einem Bruch mitder Nahrungsökonomie in den Gemeinden fUhren, der mit Rücksicht auf die dortige systemtreue Klientel lange Zeit vermieden worden war. Mit fortschreitendem Wohlstand der Erwerbsbürger wurde jedoch die Armut als wesentlich schwerer wiegendes Legitimationsdefizit bewertet. Max 11., der dies sehr aufmerksam registrierte, gelangte über die "soziale Frage" zu einer durchaus zeitgemäßen Ansicht der Arbeit als einem getrennt zu betrachtenden Faktor innerhalb des Wirtschaftslebens, auf den der Staat Einfluß nehmen konnte. Die soziale Aufgabe sollte gelöst werden, indem den Fähigkeiten des einzelnen entsprechende Möglichkeiten ihrer Anwendung zur VertUgung gestellt wurden. Mit der Entfesselung der individuellen Arbeitskraft waren endgültig die gesellschaftlichen Vorbehalte gegen eine Liberalisierung des Gewerbewesens gefallen. Sie hatten lange Zeit die gesetzliche Normierung der Gewerbefreiheit verhindert und Markt und Konkurrenz den Ruch des Illegalen anhaften lassen. Der Widerspruch zwischen Aufgeschlossenheit für wirtschaftlichen Fortschritt und Abwehr gesellschaftlicher Umstrukturierung, welcher eine konsequente Modemisierung so lange behindert hatte, war damit aufgehoben.

G. Quellen- und Literaturverzeichnis

I. Ungedruckte Quellen a) Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München (= BayHStA) I. Ministerium des Innern (= MInn)

13444,13 446,13 447,13 468,13 470,13 471; 15466-15485, 15486-15501, 15502; 39820; 41074; 44 273 / I, 11, IV, VII-XI; 45 443, 45 755, 45 786, 45 917-45 921; 52754. 2. Ministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten (= MH)

810; 5105,5415,5416,5505,5677; 6133,6142,6143,6144,6177,6178,6179,6181,6182,6183,6184; 9123,9611,9693. 3. Ministerium des k. Hauses und des Äußern (= MA)

25 107,25681. b) Bayerisches Hauptstaatsarchiv I Geheimes Hausarchiv, München (= GRAM) I. Nachlaß Ludwig I. ARO 2111;

47/5/20,3; 47/5/20,13. 2. Nachlaß Max 11.

73-1-1, 74-5-15a, 76-2-26, 76-5-33, 76-5-34, 78-2-117, 80-4-298, 80-4-299. c) Institut für Bayerische Geschichte, München Sammlung Signate Ludwig I.

G. Quellen- und Literaturverzeichnis

252

d) Staatsarchiv, Nürnberg (= StAN) Repertorium 2701II, Abgabe 1932, Titel IX, Nr. 317, Repertorium 2701II, Abgabe 1932, Titel IX, Nr. 489.

e) Stadtarchiv Nürnberg (= StadtAN) ÄMR 734.

11. Gedruckte Quellen a) Gesetzestexte Gesetz=Blatt ftir das Königreich Bayern Nr. 5 vom 13. Mai 1848. Regierungs=Blatt ftir das Königreich Bayern Nr. 4 vom 18.1.1826, Nr. 31 vom 4.9.1830, Nr. 34 vom 3.7.1834, Nr. 36 vom 30.9.1842, Nr. 20 vom 19.5.1862. Döllinger, Georg: Sammlung der im Gebiete der inneren Staats=Verwaltung des Königreichs Bayern bestehenden Verordnungen. Aus amtlichen Quellen geschöpft und systematisch geordnet; ab Bd. 21 = Neue Folge Bd. 1: Fortgesetzte Sammlung der im Gebiete der inneren Staats=Verwaltung des Königreichs Bayern bestehenden Verordnungen von 1835 bis 1852, aus amtlichen Quellen bearbeitet von Friedrich Freiherrn von Strauß, Bd. 14, Teil III, München 1838, Bd. 27 (= N. F. Bd. 7), Teil I, München 1853, Bd. 28 (= N. F. Bd. 8), Teil 11, München 1854.

b) Landtagsverhandlungen Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten (= Verh. d. Kammer d. Abg.) 1837/ Bd. 4, Bd. 6, Bd. 15, Bd. 18, Beil.-Bd. 11; 1843/ Bd. 8, Bd. 9, Bd. 13, Beil.-Bd. 8; 1846/ Bd. 4, Bd. 5; 1848/ Bd. 1, Bd. 2; 1859/61, Bd. 1, Bd. 2, Beil.-Bd. 6. Verhandlungen der Kammer der Reichsräte (= Verh. d. Kammer d. RR) 1848/ Bd. 1, Bd. 2, Beil.-Bd. 1, Beil.-Bd. 2.

11. Gedruckte Quellen

253

c) Zeitschriften Gelehrte Anzeigen, hrsg. von Mitgliedern der k. bayer. Akademie der Wissenschaften, München,Jg.1847 George Phillips' und Guido Görres' Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland (= HPBI), Jgg. 1838/1839/1841/1842/1843/1844/1847/1848/ 1849/1850/1851/1853/1856/1857/1860/1861/1865. Kunst- und Gewerbe-Blatt, hrsg. von dem polytechnischen Verein für das Königreich Bayern, Jgg. 1834 / 1841. Nürnberger Blätter, Nr. 58 vom 16.5.1831.

d) Statistische Werke Die Bevölkerung und die Gewerbe des Königreichs Bayern nach der Aufnahme vom Jahre 1861, die Gewerbe in Vergleichung mit deren Stande im Jahre 1847, hrsg. vom k. statistischen Bureau, München 1862. Die Bewegung der Bevölkerung im Königreiche Bayern in den fünf Jahren 1857/58 bis 1861/62 mit Rückblicken auf die 22 Jahre 1835/36 bis 1856/57, hrsg. vom k. statistischen Bureau, München 1863. Grabuth, Gottlieb: Handbuch der Statistik des Königreichs Bayern, 2. Ausgabe, Regensburg 1826. Rudhart, Ignatz: Ueber den Zustand des Königreichs Bayern nach amtlichen Quellen, 2. Bd.: Ueber die Gewerbe, den Handel, und die Staatsverfassung des Königreichs Bayern, Erlangen 1827. e) Gedruckte Werke und Schriften

Baader, Franz von: Biographie und Briefwechsel, = Franz von Baader's Sämmtliche Werke, hrsg. von Franz Hoffmann u.a., Bd. 15, Leipzig 1857. - Gesammelte Schriften zur Societätsphilosophie, 2. Bd., = Franz von Baader's Sämmtliche Werke, hrsg. von Franz Hoffmann u.a., Bd. 6, Leipzig 1854. -

Ueber das dermalige Missverhältniss der Vermögenslosen oder Proletairs zu den Vermögen besitzenden Klassen der Societät in Betreff ihres Auskommens, sowohl in materieller, als intellektueller Hinsicht, aus dem Standpunkt des Rechts betrachtet, München 1835, (S.97-123), unveränderter reprogratischer Nachdruck, Darmstadt 1968.

Beeg, Johann Kaspar: Die Reformfrage des Gewerbewesens in den sieben älteren Theilen des Königreichs Bayern, München 1860. Behr, Wilhelm Josef: Allgemeine Polizei=Wissenschaftslehre oder Pragmatische Theorie der Polizei=Gesetzgebung und Verwaltung. Zur Ehrenrettung rechtgemässer Polizei, mitte1st scharfer Zeichnung ihrer wahren Sphäre und Grenzen, Bde. I und 2 in einem Exemplar gebunden, Bamberg 1848. - Bedürfnisse und Wünsche der Bayern, begründet durch freimüthige Reflexionen über die Verfassung, die Gesetzgebung und Verwaltung des bayerischen Staates, Stuttgart 1830. Beis/er, Herrmann: Betrachtungen über Gemeinde=Verfassung und Gewerbwesen mit besonderer Bezugnahme auf Bayern, Augsburg 183 I.

254

G. Quellen- und Literaturverzeichnis

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[unter: Franz Friedrich Karl] Darlegung der Motive meines Austritts aus dem Staatsdienst, Stuttgart 1840.

Haushofer, Max: Die Zukunft der Arbeit nach den Entwickelungsgesetzen der Producte. Ein Beitrag zur Wirthschaftslehre, München 1866. Hermann, Friedrich Benedikt Wilhelm von: Staatswirthschaftliche Untersuchungen, 2., nach dem Tod des Verfassers ersch., verm. und verb. Aufl., München 1870. -

Staatswirtschaftliche Untersuchungen. Über Vermögen, Wirthschaft, Productivität der Arbeiten, Kapital, Preis, Gewinn, Einkommen und Verbrauch, Leipzig 31924, = unveränderter Nachdruck der I. Aufl., München 1832.

Holzschuher, August Freiherr von: Die materielle Noth der untern Volksklassen und ihre Ursachen, Augsburg 1850. Huber, Johannes: Der Proletarier. Drei Vorlesungen zur Orientirung in der socialen Frage, München 1865.

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Die neue Armengesetzgebung Englands und Irlands in ihrem zehnjährigen Vollzuge, als Fortsetzung des "Pauperism in England 1845" nebst allgemeiner Betrachtung über die Arbeiterfrage und Massenverarmung, Augsburg 1849.

-

Der Pauperism in England. Zweite Fortsetzung mit mehreren Tabellen und einem Anhange: "Ueber die Wohnungen der Armen- und Arbeiterklassen in ihrem Einflusse auf die physischen, socialen und sittlichen Zustände derselben", Augsburg 1853.

-

Der Pauperism in England in legislativen, administrativen und statistischen Beziehungen. Mit einer Uebersicht der Hauptergebnisse der jüngsten Bevölkerungs=Aufnahme in Großbritannien und Irland, Regensburg 1845.

-

Ueber die Beförderungsmittel der Agrikultur und des Gewerbwesens in Frankreich. Eine staatswirthschaftliche Betrachtung, München 1829.

Leuchs, Johann Carl: Gewerbfreiheit für Nürnberg, Nürnberg 1846. -

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-

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Regelsberger. Friedrich: Die Hindernisse, welche der Einführung der unbedingten Gewerbefreiheit im Königreiche Bayern entgegenstehen, Ansbach 1864.

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G. Quellen- und Literaturverzeichnis

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H. Register (Kursive Zahlen verweisen auf Anmerkungen auf der entsprechenden Seite, Anfiihrungszeichen auf Begriffe der Quellensprache. )

Personenregister Abel, K. A. v. (Innenminister 1837-47) 60f., 70, 76, 80, 88, 88 123,205 f., 20536,214,216 Armin, Bettina v. 135

Crämer, C. B. (Abg., Fabrikbesitzer) 200, 221, 235, 238 133 Cramer-Klett, Th. v. (Industrieller) 82, 117,204,208

Baader, Franz v. (Philosoph) 19,21, 50-58,5025,5334, 123, 135 Baader, Joseph v. (Ingenieur) 50 Beeg,1. 199 f., 209 f., 237, 240 f. Behr, W. 1. (Prof., Bürgermeister von Würzburg 1821-32) 139, 149-154, 149113,150116,151 117,152121, 153128,159,163,166,173189, 175-177,177202,183,185229,243 Beier, F.-K. 85 117 Beisler, H. (Reg.Rat bzw. Reg.Präs. 1827-43) 99143, 101 f. Bestelmeyer (2. Bürgermeister von Nürnberg, Tabakfabrikant) 79, 110 Beuth, Chr. P. W. 88, 249 Birnbaum, M. 24, 34, 66 Bismarck, Otto v. (preuß. Ministerpräsident 1862-90) 146 Blanc, Louis 169, 170 177 Blessing, W. K. 21,119,119194, 166171 Bosl, K. 17. 23 f. Brater (Abg.) 221 Braun, P. (Min.Ass.) 21869,22591 Brentano, Lujo 187235 Bruch, R. v. 166 Bruck, K. L. Frhr. v. (österr. Handelsminister 1848-51) 193 Büchner, G. 123

Desberger, F. 103 f., 103 153 Doeber1, M. 41 38 Doenniges, W. v. (Historiker) 189, 189245 Döllinger, I. v. (Theologe, Abg.) 58 Domarus, M. 154

Clericus, C. (Drogeriegroßhändler) 200, 235,238133

Eisenmann, 1. G. 163, 164 164 Engels, Friedrich (sozialist. Theoretiker) 123 f., 161 Eser (Abg.) 78 Faber (Fabrikant) 86 Faber, L. v. (Fabrikant) 208 Fabri, E. 138 66 Fichte, 1. G. (Philosoph) 28, 150, 158 Finckh, C. (Kaufmann) 209, 209 49 Fischer, W. 18-20 Freyberg, Frhr. v. (Abg., Min.Rat) 112 172 Froelich, v. 92131 Gall, L. 20, 23 Gareis (Abg., Fabrikbesitzer) 114 180 Gätschenberger, S. (Großkaufmann) 108164 Ghillany, F. W. (Stadtbibliothekar Nümberg) 124 Giebel, H. R. 33, 35 Giech, F. F. K. Grafv. (Reg.Präs. Mfr. 1838-40) 61 f., 61 57, 94 f. Gollwitzer, H. 58-61

270

H. Register

Gömmel, R. 65 Görres, 10hann 10seph v. (Publizist) 5643

Grabuth, G. 28 f. Gregor XVI. 5852 Grenner, K. H. 55 Grimm, C. 17 Hagen, v. (Abg., I. Bürgermeister von Bayreuth) 79 Haushofer, M. (Nationalökonom) 170, 171 180

Hefele, P. 13659 Hegel, G. W. Fr. 158 Henning, F.-W. 97139 Henning, H. 100 Hermann, F. B. W. v. (Nationalökonom) 12521,149 f., 149114, 155-159, 155132,155133,160,163,166, 171,186-189,186234,187235, 187 236, 197 f., 198 17, 201-203, 205 f., 212, 218, 235, 241, 249 Hesse, H. 24, 136 58 Heydenreuther, R. 68 74 Holzschuher, A. Frhr. v. 13967, 152, 170179,171,175,177,177 201, 179 208, 180, 182 217, 185 229

Huber, 1. 174, 174191, 176, 178, 182, 188

Huber, V. A. 175193,184 Jacob, L. H. 149111, 158 lantke, C. 186232 10dlbauer, M. 199,21973 lörg, 1. E. 142, 143 86, 145 f., 166 Kant, I. 150 Kellenbenz, H. 247, 2472 Kerstorff 196 Keynes,1. M. 136 Kleinschrod, C. Th. v. (Min.Rat) 76, 97139,12725,149110,159-163,

159148,165-167,170177,170179, 171183,172,176 f., 179207, 180 f., 183-186,183224, 186231, 192, 202 f., 227

Klett,1. F. (Kaufmann, Fabrikant) 117,

Längenfelder (Abg.) 221 Langewiesche, D. 69 Lassalle, F. 146, 186, 186232 Leuchs,1. C. (Kaufmann) 107 160, 114 f., 234 f., 240 Lips, A. (Prof.) 48-50, 4819, 140 List, Friedrich 45, 164, 188, 188243 Lobenhofer (Fabrikant) 117 Ludwig 1., König (1825-48) 28, 42, 43, 51,58,59 f., 6053,62,64,69, 88123,91,94133,116,119,121, 149113,150 Ludwig 11., König (1864-86) 195 9, 196,19715

Maffei, 1. A. v. (Fabrikant) 79 f., 82, 117

Maier, H. 154 Maier, 1. M. 12725, 12830, 143 f., 181216

Mannhard (Mechaniker) 87 Marx, Karl (Theoretiker des Sozialismus) 56, 123 f., 13866, 161

Matz, K.-1. 116 Mauersberg, H. 23, 25, 90, 211 Max I. 10seph, König (1806-25) 60, 63 Max 11., König (1848-64) 21, 25, 43, 111, 121, 123-126, 12933, 130, 134-137,145,148,155132,194, 200-202,20123,205 f., 211, 214, 221,226,231109,248-250

Mayer, Fr. (Journalist) 240-242, 240142

Merz (Fabrikant) 117 Merz, L. 143 MilI, lohn Stuart 158 144, 185, 185227 Möckl, K. 24, 27, 201, 203 Mohl, R. 152121 Montgelas, M. 1. Graf v. (Minister 1799-1817) 60, 71

Müller (Abg., Fabrikbesitzer) 114 180 Müller, Fr. 55 Müller, G. 24, 136 Müller, P. 240 142 Nipperdey, Th. 167172

228

Koch, R. 48 Kolb, G. 32 13 Koselleck, R. 18, 167 Kunth, G. 1. ehr. 249

Oettingen-Wallerstein, L. Fürst v. (lnnenrninister 1832-37) 28, 32 12, 32 13, 51, 60, 67, 70, 73 f., 76, 110, 111171,216

Personenregister Pankoke, E. 55 Pfeiffer, E. 150 Pfordten, L. Frhr. v. d. (Außenminister und Vorsitzender des Ministerrates 1849-59,1864-66) 3419,194 f., 202, 214-217 Popp, A. 217 Poschinger, v. (Abg., Glasfabrikant) 109, 114 180 Prince-Smith, J. 164 Rath (Abg., Hammergutsbesitzer) 192, 1924,1936 Rau, K. H. (Nationalökonom) 44-50, 443,4921,1491//,158 Rechberg, A. Grafv. 62 Reulecke,1. 166169 Ricardo, D. 185227,186232 Riehl, W. H. v. (Prof.) 20, 129-135, 12933, 13034, 13035, 13036, 13246,13247, 137, 139, 141, 145, 153,175 f., 184,215-218,21560, 223,249 Ringseis (Abg.) 58 Rohmer, Fr. 134 f., 13454,13763 Rotteck, K. v. 152121 Rudhart, I. v. (Abg.) 38, 38 29, 39 30, 68,75, 100, 100145, 113,200,238 Rüsch, M. 1. 13865, 139-141 Salin, E. 155 133 Sand (Abg.) 74 Schad, P. 209 49, 210 Schaezler (auch: Schätzier), F. B. Frhr. v. (Bankier, Abg.) 78-80, 92, 117,192,1924,1936 Scharrer, 1. (2. Bürgermeister von Nümberg, Kaufmann) 113 Schnabel, F. 56 Schremmer, E. 23 Schrenck (Außenminister, Handels minister) 149 113, 194, 195 9, 196, 221,22279 Schröder, P. 228 Schumpeter 155 /33 Schwarz, G. 198,21,21766 Schwarzenberg, F. Fürst zu (österr. Min.Präs. u. Außenminister 184852) 193

271

Schwind I (Abg.) 75 Sheehan,1. 1. 165167 Shorter, E. L. 23, 70, 217 66 Simon, M. 119, 119192 Smith, Adam 43, 45, 48 f., 49 22, 52,5232, 105, 108, 131, 144, 14489,151,155-158,157142, 165 f., 170, 171 184, 172, 180, 244157 Soden, Grafv. 149111, 158 Späth,1. W. (Maschinenbauer) 82, 109, I 17f., 228 Spree, R. 39 f. StädtIer (Abg., Nadelfabrikant) 106, 108-111 Stahl (Abg.) 76 99 Stahl, F. W. (Nationalökonom) 174, 174190,183221

Stark, A. 226 96 Stegmann, F. 1. 55, 145 Stein, Lorenz v. 20, 158 Stürmer, M. 165 167, 169 176 Teuteberg, H. 1. 160, 160149, 163 Trautner (Abg., Gutsbesitzer) 192, 1924, 1936 Treue, W. 85 117 Tribe, K. 46, 50 Vigl,J. 106 Vogel, B. 18 Voltz, v. (Min.Rat) 78 101 Vopelius, M.-E. 44, 48, 167 172 Walker, M. 229102 Weber, M. 39, 55,168,168175, 171 181, 190,21560 Wehler, H.-U. 20 12 Weiden, Frhr. v. (Abg.) 75, 81 J08, 191 Weiden, v. (Assessor) 83 Wiest, H. 29 f., 32, 41 Will ich (Abg.) 81 Winkel, H. 187, 187235 Winter (Konditor) 246 Zierl (Prof.) 105 f. Zorn, W. 19,23,27,36,40,92131, 197

Orts register Altbayern / altbayerisch 22, 29, 69, 99 f., 103 Amerika 3 I 11, 104 Aschach (Landgericht Kissingen) 86 f. Augsburg 22, 35, 3626, 70, 82, 91, 117, 117187, 123, 196, 199,204,216, 246 Baden 18,41 Barnberg 29, 122,230 Bayerischer Wald 209 Belgien / belgisch 36, 195,20123, 202 f. Binningharn 241 Böhmen 209 Deutschland 40 Donau 194 England / englisch 19, 36, 40, 49-52, 75, 104, 114, 13455, 13866, 158144,159, 162, 162158,193, 195 Erlangen 96, 230 Erzgebirge 209 Eschweiler 199 Franken 121, 150 116 Frankenwald 209 Frankreich 59, 134 f., 13455, 159, 162, 194 f., 197,208 Fürth 96, 122,230,237

Mittelfranken 22, 25, 29, 31, 31 11,33, 37 f., 61, 71, 90, 122,200,242 Münchberg 100 München / Münchener 24, 33-35, 82, 87, 117, 123 12, 192 4, 204, 208 Naila 100 neubayerisch 22, 100 f., 103 Niederbayern 28-31, 31 11, 33, 35, 68, 75,122,209,22278,242,245 Nordarnerika 42 Nürnberg / Nürnberger 22, 35, 38, 65 f., 82, 86, 96, 100, 109, 117f., 122, 199 f., 204, 208 f., 221, 229-231, 234, 238, 241 f., 246 Oberbayern 29, 31, 31 11, 33, 35 f., 90, 102, 122, 222 78 Oberdonaukreis 96, 99 Oberfranken / oberfränkisch 29-31, 3111,36 f., 74,122,19715,20845 Obennainkreis 85, 96, 98 142, 100 Oberpfalz 29-31,31 11,35 f., 3623,38, 122 Orient 194, 209 Österreich / österreichisch 41, 146 100, 191, 193f., 196 f., 208, 221, 242 Pfalz 41, 79,150116, 196 f., 233 Preußen / preußisch 17 f., 31, 36, 50, 77,88,116,119,124,13036,135, 137, 146100, 167, 189, 191, 193198,19715,19919,201,249

"oflOO Isarkreis 96 Kaufbeuren 36 26, 192 4, 231 108 Kempten 36 26 Landau (NBay.) 231 108 Memmingen 192 4, 231 108

Regenkreis 99 Reichenha1l244161 Rezatkreis 96, 98, 98 J42 Rhein 81 Rheinkreis 22 Rheinpreußen 41, 241, 247 Rheinprovinz 199 Rhön 37, 93132,209 f., 209 49 Rußland 97 139

Ortsregister Sachsen / sächsisch 41, 197 15, 219 Schottland 50 Schwabach 38, 122, 230 Schwaben 29, 31, 31 ll, 36, 41, 70, 81, 90, 117 187, 208 45 Schweinfurt 209 49 Schweiz 81 Spessart 37 Steiennark 199 19 Stein 230 Stockheim (Landgericht Kronach) 29 Süddeutschland / süddeutsch 18,48, 76, 189 Sulzbach 244161

273

Thüringen 209 Traunstein 244161 Triest 81, 194,20845 Türkei 208 45 Unterdonaukreis 96 Unterfranken 31, 31 11,37,3728,62, 197,209 f. Untennainkreis 85 116 Westfalen 199 Wunsiedel 100 Württemberg 191, 196 f., 208, 221, 242 Würzburg 82

Sachregister Abgeordnetenkammer 76, 110 f., 146, 192 Absatz 86,96, 153, 187,213,213 54, 229,232,238 - lokaler 64, 243 - Stockungen des 182 - überregionaler 64, 69 Absatzchancen 77, 86, 97, 197 Absatzgarantie 82 Absatzgebiet 85 Absatzmarkt / -märkte 97 139, 193 f, 213,232 Absatzmöglichkeiten 40, 49, 97, 179, 195 Absatzschwankungen 239 Absatzwege 193, 208 Absicherung 126, 184 Absolutismus / absolutistisch 58, 71, 100, 153, 181 - aufgeklärter 54, 60 Abstieg, sozialer 118 Abstiegsprozesse I 78 Agrargebiete / -landschaften 22, 29, 35 Agrarkrise 40 Agrar- und Hungerkrise 125 Agrarpolitik 74 Agrarproduktion 29 f., 35, 40 Agrarsektor / -bereich 75, 112, 203, 211 Agrarstaat 17, 32 f, 73, 200 Agrikultur 202, 203 31 Agrikulturstaaten 202 Aktiengesellschaft(en) 75, 78 f, 105, 203,206,227 Allgemeine Zeitung (Augsburg) 91 Allgemeiner IndustrieUnterstützungsfonds 210 Allgemeines Landrecht (Preußen) 166 f. Angebot 172,203,232 Angebot und Nachfrage 97, 105, 143, 151,173,180,183,186,230 - Gleichgewicht von 101 Angebotsseite 155 Anpassungsdruck 207, 211, 226 Ansässigkeit 63, 99, 114,234,239

Ansässigmachung 20, 63, 68, 81, 99143, 109f., 112-115, 117, 137, 146,153,158,173,181216,190, 213, 218 f, 225 f, 232, 241, 243, 248 Ansässigmachungsgesetzgebung 226 Ansässigmachungspolitik 247 Ansässigmachungspraxis 115 Ansässigmachungsvorschriften 99 Ansässigmachungswesen 116 antizyklisch 111, 136 Arbeit 52,57, 109, 1 i2, 129, 133, 13247,136,143,164,168,170 f, 171184,173-176,173189. 178, 180,180213,183,186-188,190, 223, 234, 245, 245 163 "Arbeit", Faktor 22, 131, 167 f., 178, 180, 189,248,250 Arbeiter 220, 230, 234 f., 244, 248 f. Arbeiterassoziation 136 Arbeiterbevölkerung 3419, 142 Arbeiterbewegung 146 Arbeiterelend 181 Arbeiterexistenz 184 Arbeiterinteressen 137 Arbeiterklasse / arbeitende Klasse 110, 111,123,12623,132,135,162158, 175,178, 181, 184f. Arbeiterorganisation 179 f Arbeiterpartei 146 Arbeiterproblem 184 Arbeiterschaft 47, 100, 123 12, 12623, 132,179208,181 Arbeiterstand 177, 177 201, 203 Arbeitnehmer 175 Arbeitsangebot 125 Arbeitsbefugnisse 223 Arbeitsbegriff 170 Arbeitsfrage 173 Arbeitskraft 177 f., 180, 182, 186, 188, 250 Arbeitskräfte 110, 118, 161, 175, 190, 204 Arbeitskräftebedarf 181

Sachregister Arbeitsleistung 180 Arbeitslöhne 160, 171 Arbeitslosigkeit 111, 125, 211 Arbeitsmarkt 69, 107, 125, 180,211 f., 235 Arbeitsmarktpolitik 137 Arbeitsordnung 142 Arbeitsplätze 82, 196, 210 Arbeitsproduktivität 172 Arbeitsrecht 175 Arbeitsstruktur, Dymamisierung der 65 Arbeitsteilung 47,49, 108, 160, 170 f., 171181,171183,172,175,206, 210 Arbeitsverhältnisse 137, 172, 200 Arbeitsvermittlung 111 Arbeitsverteilung 52 Arbeitswillige 224 Archiv der politischen Oekonomie und Polizeiwissenschaft 44 Armenfonds 71 Armenflirsorge 154, 218 Armengesetzgebung, England ( 1834) 162 Armenkasse 237 Armenpflegel28,202 Armenversorgung 114, 224 Armut57,98, 112, 114, 126f, 12624, 12625,162,173189,250 Assoziation(en), 54,105,110,169,179, 179209,183,207,224

Assoziationsfreiheit 55 Assoziationsgedanke 217 Assoziationsmodelle 170 Assoziationswesen 145 aufgeklärt / aufklärerisch 64, 94, 105, 137, 166 aufgeklärt-absolutistisch 226 aufgeklärt-kameralistisch 141 aufgeklärt-liberal 63 Aufklärung 44,62,97, 102, 139, 141, 237 Aufklärungszeit 116 Aufschwung, wirtschaftlicher 116 Aufstiegsmöglichkeiten 177 Aufstiegsprozesse 178 Ausbildung 47,64,66,83,98 f., 101, 103,136,162,165167,177201, 212,216,226 - technische 93 Ausbildungsanstalten 203 Ausbildungsmonopol 166 Ausbildungsstand 210

275

Ausgleichsmechanismus 100 Ausgleichszahlungen 92 Auskommen 69,140,164 f., 213, 223, 22589,249 - gerechtes 173 Außenhandel 189 Außenhandelspolitik 41, 193, 211 Außenministerium 193, 195, 208 46 Auswanderer 31 11, Auswanderung 3 1 f, 110 f, 181, 181 216, 182217 Auswanderungsziele 3 1 11 Autarkiebestrebungen 89 Banken 117, 203 Bankhaus Schaezler 117 Bankinstitute 203 Bauer(n) 214 58, 215 Bauernstand 215 Baugewerbe 34 Baumwollindustrie 36, 196, 197 15 Baumwollspinnerei und/oder -weberei 36f.,37 27,41,195, 198f - Augsburg 92 131 - mechanische in Augsburg 91 Baumwollwaren 97 139, 197 Bayerische Hypotheken- und Wechselbank 27, 117, 204, 205 38 Beamtenschaft 60 f, 94 f, 102, 114, 192 Bedarf, örtlicher 57,85, 168 Bedarfsangaben 238 Bedarfsdeckung 172 Bedarfsweckung 172 Bedürfnis(se) 49 21,84,89, 156 f., 168, 172, 180213, 186, 188,232 Befähigungsnachweis 47 Beharrungstendenz 217 Beruf 132 Berufsmöglichkeiten 153 Beschäftigung 118 Beschäftigungslage 75 Beschäftigungspolitik 111 Beschäftigungsprogramme 111 Besitz 131, 132, 132 47, 173, 175 f., 188 Besitzbürger 110, 175 Besitzbürgertum 192 Besitzende 135, 142, 180, 183 Besitzlose 123, 142 Besitzlosigkeit 131 Besitzstand 1 10 Besitzstrukturen 173

276

H. Register

Besteuerung 108 Betriebsführung 168 Betriebsgröße 65, 219 Betriebskapital 118 Bevölkerung, gewerbetreibende 75 - Zunahme der I 13 Bevölkerungsdynamik 63 Bevölkerungsentwicklung 30 f siehe auch Demographie Bevölkerungspolitik 181, 202 Bevölkerungswachstum 31, 65, 202 29 Bevormundungssystem 232 f. BewußtseinswandeI 43 Bierbrauerei 38 Bildung 94 f, 97, 132, 132 47, 152 f., 158,164,165167,166,177, 177 201, 182 - technische 224 Bildungsanstalten 62 siehe auch Schulwesen Bildungsauftrag 177201 Bildungsbemühungen 218 Bildungsbürgertum 84, 240 Bildungschance 153 Bildungsinhalte 177 Bildungsmöglichkeiten 153, 157 Bildungsoffensive 179 Bildungswesen 103, 161,249 Binnenlage 30, 112, 193 Binnenmarkt 41 Blechspielwaren 38, 236 Blechspielwarenherstellung 239 Bodenschätze 29 f. Bourgeoisie 144 f., 214 f Bruttosozialprodukt 188 Bürger71,84115, 113, 153, 156-159, 157143,161 f., 165-167,215,238f Bürgerbegriff 166 Bürgerideal 166 Bürgermeister 245 Bürgersinn 162, 162 158, 166 - "ächter" 167 Bürgerstand 84115,115,214 Bürgertum 127, 12932, 132-135, 215 f, 21560 - "ächtes" 129 - echtes deutsches 145 - konstitutionell-liberales 130 - liberales 59, 165, 166 17l, 179 - ständisch-städtisches 69 - wirtschaftendes 95 Bürokratie 21, 24, 57, 62, 137, 13863, 192,211,218,234,240

- aufgeklärte 113 - Ministerial- 249 - preußische 18 Bürokratisierung 190 Chancen 157, 164, 166 Christentum 53 34, 128, 12931, 12932 Constitution (i.S.v. Verfassung) 78 Dampfkraft 104 Dampfmaschine 104 Dampfschiff 105 f. Darlehensgesuch 118 Daseinsvorsorge, kommunale 69 Demographie 30-32 Demographischer Druck 21 Despotie 146 Detailhandel 222 Deutsches Staats-Wörterbuch 172, 178204 Dirigismus, staatIicher47, 141 dirigistisch 117, 158, 192 Drahtfabriken, leonische 228 "Drittes Deutschland" 148 107 Effizienz 170 Effizienzsteigerung 171 Egoismus 57, 151,224,249 - kaufmännischer 79 - nationaler 73 Eigeninitiative 97, 153, 156, 198,220, 224 Eigeninteresse 144 Eigennutz 47,52,78,103, 146, 153, 156-158,157142,166,177 201, 183, 188, 206, 249 siehe auch Einzelinteresse Eigentum 53, 158146, 161, 164, 166, 178,183 - Schutz des 19,53,183,239 - Sicherheit des 152, 160, 163 Eigentümergesellschaft 167 Eigentumsbegriff, christlicher 53, 53 34 Eigentumsordnung 56,144, 183 Eigentumsrechte 164, 178 Eigentumsverhältnisse 181 Eigenverantwortlichkeit, wirtschaftliche 241 Eigenverantwortung 97,224 Einfuhren 37 Eingangszoll 76 Einkommen 69, 186-188, 188239 Einkommensausgleich 176

Sachregister Einkommensbesteuerung 129 Einkommensgarantie 180 Einkommensverhältnisse 127 Einkommensverluste 113 Einkommensverteilung 47 Einspruchsbehörde 228 Einzelinteresse 45, 154 f., 157 Eisenbahn(en) 27, 37, 42, 77-81, 77 99, 78101,91, 105-107, 107160, 19919 - erste zwischen Nümberg und Fürth 27,42, 77, 113 Eisenbahnbau 78 f., 81, 81 J08,107, 125,247 Eisenbahngesellschaft, AugsburgMünchener 80 Eisenbahnlinien 42, 210 Eisenbahnnetz 80 Eisenbahntrasse 209 Eisenerz 29 f. Eisenindustrie 38, 81, 195, 198 - Rheinprovinz 199 - Steiermark 199 19 - Westfalen 199 Eisenwaren 197 Eisenwerk, Weilbacher 87, 87 120 Eisenwerke 87 Eisenzölle 77,198 Energieträger 29 Entlohnung 188 Entwicklung, fortschrittliche 213, 248 - freie 239 - industrielle 143, 168,207 -modeme 120 - regionale 65 66 - technische 81, 229 - wirtschaftliche 138, 157 Entwicklungschancen 198 Entwicklungsfaktoren 99 Entwicklungsstadium / -stadien 140, 158 Entwicklungsstufe 162 Erfinder 248 Erfindungen 182 Erfolgskontrolle 94 Ertrag 180, 187 263 - einer Arbeit 131 Erwartungshaltung 128 Erwerb 105, 156 f., 176,21560,216, 225 89, 228, 245 -freier244 - Freiheit des 106 157 - industrieller 209 18 Burkhardt

277

- Sicherheit des 242 Erwerbsarten, freie 63, 72, 96 f., 212, 222 79, 231, 236, 243 Erwerbsbürger 166, 250 Erwerbsbürgergesellschaft 153, 248 Erwerbsethik 173, 227 Erwerbsfreiheit 176 Erwerbsgesellschaft 131, 167,249 Erwerbsgliederung 178 204 Erwerbskrise 125 Erwerbsleben 13 I Erwerbslosigkeit 220 Erwerbsmöglichkeiten 233 Erwerbsmoral 176 Erwerbsökonomie 216 Erwerbsprinzip 166 Erwerbsquellen 67, 79 Erwerbsstruktur 32-39, 105, 173, 246 siehe auch Wirtschaftsstruktur Erwerbstätige 173 Erwerbstätigkeit 239 Erwerbszweige 182 Erzeugnis 83 Erziehung 177, 177 201 Erziehungsmaßnahme 237 Existenz, bürgerliche 234 Existenzberechtigung 234 Expansion 169,235 Export 35, 194,228 Exportartikel 86 Exportchancen 38, 208 Exportmöglichkeiten 81 exportorientiert 37, 193,229 Fabrik(en) 35, 37, 47, 49, 66, 72, 85, 89,91,93,93 132, 100, 103, 108, 110, l18, 13967, 142, 164, 175, 181216,199,202,212 f., 213 54, 217,228,230,241,243 f. Fabrikansiedlungen 213 Fabrikant 54, 70, 83, 85-87, 92, 106, 108-110, 117 siehe auch Unterneh. mer Fabrikarbeiter 3419,131,142,.169, 177, 182, 218 siehe auch Industriearbeiter Fabrikarbeiterschaft 133, 175 193 - Augsburger 123 Fabrikbesitzer 142, 146 Fabrikbetrieb 109,207,212,222,228 Fabrikbevölkerung 203 Fabrikgrundungen 138,215,228 Fabrikherr 57, 131, 179208,235

278 Fabrikindustrie 49, 181, 211, 222, 22280,238,241,244 Fabrikinhaber 109 Fabrikkonzession(en) 109, 114, 118, 227 f. Fabrikproduktion 75, 108 Fabrik- und Handelsräte 222, 245 Fabriksektor 109 Fabriksystem 100 /45, 241 Fabrikwesen 47-49,57, 105 f., 129, 142,228 Fähigkeiten 98, 157 - des einzelnen 250 - persönliche 69 Fähigkeitsnachweis 63 Feinbäckerei (Nümberg) 236 Fertigungsmethode( n) 86, 171 Fertigungstechniken 207 Fertigungsweisen 207 - industrielle 145 Finanz 156 Finanzbedarf 117 Finanzhilfe(n) 118,223 Finanzministerium 72 siehe auch Ministerium der Finanzen Finanzmittel 118, 191 Flaschner (Nümberg) 229, 236, 238 f. Flaschnergewerbe (Nümberg) 239 Flexibilität 105, 167,206,241 Fördermaßnahme(n) 93, 98,106, 108, 210,224 - des Staates 22 - indirekte 211 Fördermittel211,235 - indirekte 212 Förderung des produktiven Sektors 90 - des Staates 39 - indirekte 89 - mittelbare 19 - staatliche 82 - von Gewerbe und Industrie 71 Fortbildung 100,200,203 Fortschreiten (LS.v. Fortschritt) 99/42, 106, 139,222 - der Industrie 71, 222 Fortschritt 21,25,57 f., 61, 75, 91, 9698, 100, 103, lOH, 117f., 143, 14485, 160, 175, 178, 180, 202, 209, 219, 232, 237 f., 240, 249 - industrieller 27,52, 145,205 - technischer 27, 35, 52, 83, 107, 139, 147,162/57,212,220,222,22280 (der Technik), 237 (in der Technik)

H. Register -

wirtschaftlicher bzw. ökonomischer 52,99, 103, 165 167,203,246, 2472,250 - wissenschaftlicher 119, 237 (in der Wissenschaft) Fortschrittsdefizit, technisches 19 8 Fortschrittsdenken 103 Fortschrittsdrang 138,216 Fortschrittsentwicklung 73, 98 Fortschritts1eistung 104 Fortschrittsoptimismus 139, 141 Freigabe (der Gewerbe) 64, 67 Freihandel / freihändlerisch 41, 114, 190, 198 Freihandelskurs 193 Freihandelspartei 198 Freihandelsprinzip 195 Freihandelsschule 164 Freihändler 185, 188 f. Freiheit 174,212,222,238 - bürgerliche 54, 113 (des Bürgers) - der Arbeit 180 - der Berufswahl 224 - für Handel und Gewerbe 235 - "gesetzliche Freyheit" 149, 149110, 167,176,192,227 - persönliche 241 Freiheitsforderungen 112 Freiheitsradius 159 Freiheitsrechte 135, 151, 153 Freisetzung 57, 190 - der Arbeit 175 Freizügigkeit 158 f., 188,234,239 Frühindustrialisierung 19 10 Fürsorge 152, 152 123 - des Staates 110 - karitative 111 - monarchische 24, 92, 128, 148 Fürsorgeanspruch 114 Garnzölle 197 Gemeinbedürfnisse 157, 158 Gemeinde(n) 63 f., 66-69, 71, 81, 99102, 106, 111-116, 146, 154, 163, 167, 213, 217 f., 224, 227, 235, 239, 250 siehe auch Kommune Gemeindeautonomie 67,146 (Autonomie der Gemeinden) Gemeindebehörden 22 Gemeindebevollmächtigte (Augsburg) 79 Gemeindeebene 147,233 Gemeindeegoismus 103

Sachregister Gemeindekollegien 224 Gemeindelobby 68 74 Gemeindeordnung 225 Gemeindevertreter 67-69, 113 (Nümberg) Gemeinnutz 103, 153, 156 Gemeinsinn 78,128, 156 f., 159, 161, 164,188,207,224,249 Gemeinwesen 110, 111, 116, 167,224, 238,248 Gemeinwohl48, 52, 73, 79, 115, 161 f., 167,206,237,244 siehe auch Gesamtinteresse Gemeinwohlbindung 176 Gemeinwohlprinzip 78 Gemeinwohlverpflichtung 80, 144 Generalzolladministration 195 Genossenschaftsidee 146 97, 181 Gesamtinteresse 45, 154 f. Geschäftsmann 94 f. Gesellen 122 f., 169,216,230-234,

230106,236,240,249 -

"Altgesellen" 232 f. Gesellenkongreß in Frankfurt (1848) 123 Gesellschaft 51 f., 106, 124, 126-128, 130-134,13246,13247,137, 141-143,145 f., 152, 158, 160-162, 167,174 f., 177f., 214 -bürgerliche 71, 104, 131, 158, 192, 220,243 - Disparität der 52 - dynamische 115 - Polarisierung der 49 - ständisch-gewerbliche 248 - Zerfall der 49 Gesellschaftliche Folgen 93, 112 Gesellschaftliche Verhältnisse 123 Gesellschaftsauffassung 184 Gesellschaftsbild 176 Gesellschaftsentwurf 129 Gesellschaftsform 148 Gesellschaftsfrieden 13 1 Gesellschaftsgefilge 24, 117 Gesellschaftsgruppe 134 Gesellschaftskonzept 145, 153 Gesellschaftsmodell(e) 129, 139, 147, 153,170 - konservative 50 - restaurative 166

279

Gesellschaftsordnung 21 f., 48-50, 56, 58 f., 63, 105, 111 f., 128, 132, 137f., 145, 152, 166, 173f.,213, 220,227 - bürgerlich-liberale 19 - mittelalterliche 143 - ständische 167 - statische 55 - traditional-ständische 19 Gesellschaftspolitik / gesellschaftspolitisch 43, 47, 50, 52, 112, 116, 129, 131, 133, 135, 146, 160 f., 218, 227, 245 Gesellschaftsstruktur 17,119,124,126, 129,130,135,139,178,224,246, 249 - Dynamisierung der 65 - vorindustrielle 69 Gesellschaftsverfassung 18 Gesetz über das Gewerbewesen (1834) 67 f. (Entwurf), 99 (Vollzugsinstruktion), 224 (Verordnung) Gesetz zur Ansässigmachung und Verehelichung (1834) 67 f. (Entwurf) Gesetz zur Zwangsabtretung von Grundeigentum (1837) 77 Gesetzgebung 23,135,151,219 Gewaltenteilung 150, 165 Gewerbe 32 13,33, 52, 64, 66, 68, 72, 74,78,81,88,90,93,96,105,107, 115f., 129, 136, 153, 162, 185229, 193,207 f., 212 f., 223, 225, 225 92, 227 f., 231, 238, 241 f. siehe auch Gewerbewesen - Aufschwung der 246 - bürgerliche 109 - etablierte 97 - freie(s) 97139,213,230,238 f. - freigegebene 229 - kommerzielle 68, 213, 231 f., 239, 241 - konzessionierte 65, 65 66, 219 - ländliches 96 - lokale bzw. örtliche 64, 213, 229, 241 - metallverarbeitendes 34, 38 - radizierte 63, 213 - reale 63, 65, 213 - Schutz der 231 - städtische 96

280

H. Register

- zünftische 47 Gewerbeabgrenzungen 243 Gewerbearten 162 157 Gewerbeausschuß 229 Gewerbeausstellung in Preußen (1822, 1827) 88 Gewerbeausübung 63, 99, 108, 190,243 Gewerbebefugnisse 231 Gewerbebeschränkungen 109 Gewerbebetrieb( e) 98, 114, 212, 223 Gewerb(e)fleiß 74, 89 Gewerbeförderung 90 Gewerbefreiheit 18,25,47 f., 55, 64, 69,84,98,99142,101,106156, 107160, 112-115, 119, 141, 151,

181, 208, 219-222, 222 78, 222 79, 225 f., 231-235, 237-242, 244-246, 248,250 Gewerbegesetz 220, 224, 230, 242, 246, 248 - (\1.09.1825) 63-65, 66 (Revision), 67,69,85,96136,98,99143,108, 108166,223,226,241

- Vollzugsverordnung (28.12.1825) 64,6464,68 f. (Instruktion), 225 (Instruktion) - Vollzugsverordnung (\853) 137, 212,216 Gewerbegesetzgebung 89,97, 1491/0, 158, 159, 225 f. - Frankreich 162 Gewerbegrenzen 218, 229, 241 Gewerbehallen 207 Gewerbeindustrie 203, 20331 Gewerbeinhaber 64, 68, 86, 213, 224, 231 Gewerbeinstruktion (1862) 208, 225 (Vollzugsinstruktion), 228 (Verordnung), 246 (Instruktion) Gewerbeinstruktionen 158 Gewerbekommissar in Erlangen 244 - in Nümberg 209, 240 Gewerbekonzession 63, 114,229,241 Gewerbemaßregeln 103 Gewerbemeister 104,106, 108, 114, 21973,237,242 Gewerbemonopole 109 Gewerbemuseum, bayerisches in Nürnberg 208 Gewerbeordnung 23, 168,212,219, 221,224,226,228,233,242 f. - (30.01.1868) 227 98 - freiheitliche 21

- liberalisierte 248 - Liberalisierung der 248 - rationelle 12932 - Revision der 248 Gewerbepolitik 221,224,230,238,247 Gewerbepolizei 243 Gewerbepraxis 115 Gewerbeprivilegien 85, 230 Gewerberat der Stadt Augsburg 246 - der Stadt München 208 - der Stadt Nümberg 246 Gewerberäte 208, 222, 244 f. Gewerberecht 218 Gewerberegion 37 Gewerbeschutz 211 Gewerbesektor 97, 203, 224, 227, 229 Gewerbestand 71, 84, 84 115 (gewerbetreibender Stand), 104, 113, 142, 207, 220, 226, 245 f., 248 Gewerbestreitigkeiten 64, 225 90, 238, 246 Gewerbestruktur 38, 65 66, 229 Gewerbesystem 47 Gewerbetätigkeit 90, 98 Gewerbetreibende 66 f., 85-87, 97 f., 106 156, 107, 115, 179, 206 f., 213, 215-217,220,222,224,232,244246 Gewerbeverein Bamberg 230 - Nürnberger 66 Gewerbevereine 70,119,207 f., 211, 222 Gewerbevorgeher 229,233,237 siehe auch Vorsteher der Gewerbe Gewerbevorschriften 99 Gewerbewesen 93, 96, 116, 153, 200, 233,250 Gewerbezulassung 100 Gewerbezusarnmenlegungen 217 Gewerbsleute 240 Gewinn( e) 62, 170, 172, 176, 178, 187f., 197,235 Gewinnstreben 157,206 Glashütten 36 Glasindustrie 208 45 Glasverarbeitung 230 Gleichgewicht, gesellschaftliches 71 - wirtschaftliches 42,52, 182 - zwischen Bevölkerung und Erwerb 67 Gleichgewichtssystem 178 204 Gleichgewichtszustand 161 Gleichheit 52-54, 176

Sachregister Gleichheitsforderungen 112 Gleichheitsgrundsatz 146 Gleichheitsprinzip 13455, 145 Glück 65, 116, 174, 177 - allgemeines 188 - wirtschaftliches 116 Glückseligkeit 19, 56, 165 Glücksstreben, individuelles 116 Görres-Kreis 56 Grenznutzentheorie 155 133 Großgewerbe 222 f., 222 79 Großhandel 222 Grundbesitz 78, 132, 141 Grundentlastung 110 Grundnahrungsmittel 28 f. Grundstoffsektor 107, 203, 211 Gutachten 25, 76 96, 92, 125, 200-202, 221 f. . Güter 171 f. Güterausgleich 158 Güterfulle 156 Güterproduktion 105, 161 Hambacher Fest (1832) 59 Handel 48, 52,67, 74, 78, 88,95,106, 120, 136, 139 f., 141 73, 148, 161, 164, 181, 193 f., 200 f., 20123, 214 f., 234, 239, 243, 247 Handelsberichte 208 Handelsbilanz, aktive 46 Handelsfreiheit 48 f., 107, 234 Handelsgewerbe 168,228,229,235, 248 Handelshindernisse 72 Handelskammern 76, 76 96, 196 Handels- und Gewerbekammern 90 Handelskrisen 182 Handelsminister (= von der Pfordten) 200 f., 201 23 Handelsministerium 118, 193, 206-210, 218, 226, 228 f., 236, 238-242, 239 136 siehe auch Ministerium des Handels Handelspolitik 17, 140, 193, 227 Handelsstand 232 Handelsverbindungen 79, 81,100, 106, 108 Handels-Verhältnisse 72 Handelsvertrag, preußisch-französischer 194-198, 200, 248 Handelsverträge 249 Handelsweg( e) 41, 194

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Handelswelt 142 Händler 84, 207, 235, 238, 240, 248 Handwerk 21,39,65 f., 116 /83, 118 f., 164, 168f., 169176, 173, 175, 179, 210, 222 f., 245 - ständisch-korporiertes 57 - zünftisch korporatives 214 Handwerker 67, 122, 162,211, 217f., 220, 228, 234, 235 126, 240 f., 249 Handwerkergesellschaft 122 Handwerker- und Gewerbekongreß Frankfurt (1848) 123 Handwerkerschaft 192, 229 Handwerkerstand 119, 142, 176,215 f. Handwerksbetrieb 67, 168 Handwerksgeselle 131 Handwerksindustrie 241 - Nürnberger 200 Handwerksmeister 100, 109, 115, 118 f., 123, 171, 230 f., 233, 235, 237 f., 240, 249 Handwerksproduktion 199 Handwerkszweige 168 Harmonie, prästabilierte 52 Heimatgemeinde 87 Herrschaftssystem 214 Herstellungsmethoden 85, 103, 210, 212 Herstellungsverfahren 168,229 Hilfe zur Selbsthilfe 111, 133, 136, 163, 165, 179 Historische Schule 45 Historismus 142, 163 Holzschachtelproduktion 209 f. Holzspielwaren 35, 209 49 Holzwarenindustrie 210 HPBI 56 f., 142-148, 173, 173 189 Humanität 161,237 Immobiliarkredit 204, 206 Individualisierung 248 Individualismus 166 Individualrechte 178, 244 Individuum 53, 55, 103, 105, 141, 151, 157f., 166 f., 179, 184, 188, 223f. - gewerbetreibendes 101 - selbstbestimmtes 147 Industrialisierung 25, 34, 169 - geminderte 17 Industrialisierungspolitik 213 55 Industrialisierungsschub 169 Industrialismus 90, 13 7

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H. Register

Industrie 48,51,57,64-67,72-74,76, 81,83,88,91,93,95 f., 104, 106108, 112, 114, 136, 140, 145, 148, 160,160152,161-164,171183, 179,181216,182,195,198, 200-202,20123,204-206,210,212, 214 f., 219, 21973,223,225 f., 233, 237,239 - bayerische 193, 197 f. - belgische 195 - chemische 34, 38 - eigene 194 - einheimische 129 - englische 195 - französische 195 -Glas-34 - heimische 90, 195, 211 - inländische 87 - Keramik- 34, 38 - mechanische 81 108 - Nümbergs 118 - Papier- 34, 38 - vaterländische 204 - verarbeitende 203 - vereinsländische 195 Industriearbeiter 51 siehe auch Fabrik-

arbeiter Industriearbeiterschaft 131 f., 179 Industrieausstellung(en) 82, 83 111, 86, 88 123, 89, 200 f., 207 -(1827) 82 - (1834) 82,88 - (\835) 86118,88 f. - der Zollvereinsstaaten (\844) 88 Industriebetrieb 67, 118 Industrie- und Kulturfonds, bayerischer 25,90, 107, 210, 211 Industrieförderung 61 f., 90 f., 94, 107, 118,203,210 Industriefreiheit 107 Industriegesellschaft 143, 152 123 Industrieproduktion 181 Industrieproletariat 244 Industriestaaten 160 Industriezweig(e) 87, 207 Infrastruktur 62,77,81, 157, 164,239, 247 f. Infrastrukturmaßnahmen 249 Initiative, untemehmerische 153 Inlandsabsatz 49,247 Innenminister 70, 92 - (= Oettingen-Wallerstein) 73 f., 77

Innenministerium 70, 72, 85, 92, 100, 193, 220, 226 siehe auch Ministeri-

um des Innern Innere Mission 128 Innovation 169, 232 Innovationen, technische 90 Innovationschancen 119 Innovationsfreude 36 26 Innovationskraft 220 Innovationspotential 212, 219 Innovationsprozeß 100 Integration 134 Integrationsprozeß 21 Interessen, Ausgleich der 245 - materielle 78, 103, 124, 142 f., 147, 191,235 Interessenabwägung 80 Interessenausgleich 190 Interessengegensatz 140 Interessengemeinschaft 179 Interventionspolitik 20 12 Interventionsstaat 20 Investitionen 40, 111 Investitionsbereitschaft 37, 62 Investitionsfreude 36 26 Investitionspolitik 111 invisible hand 158 iustum pretium 168 Kabinettsprinzip 60 Kalkulation 213 Kameralismus / kameralistisch 44, 46, 73,140,153, 156, 158, 193,212, 235 Kammer der Abgeordneten 125 siehe

auch Abgeordnetenkammer Kammer der Reichsräte 110 Kanal, Donau-Main 27, 272, 37, 42 Kapazität 195, 198 Kapazitätserweiterung 193 Kapital(ien) 49,62,99, 105 f., 110, 129, 132, 13247, 136, 143 f., 161, 164, 171,171183,172-174,176, 177 201,178,180,186,186231, 187236, 188,203-206,212,214, 219,223f. Kapitalakkumulation 160 Kapitalanlage 117, 137, 140,215 Kapitalauslage 187 Kapitalausstattung 171 Kapitalbeteiligung 204 Kapitalbeteiligungsform 205

Sachregister Kapitalbildung 155, 164, 166, 198 Kapitalfonds 187 Kapitalhilfe des Staates 89 Kapitalismus 136, 140 Kapitalist( en) 128, 172, 180, 215 Kapitallosigkeit 131 Kapitalmangel 37 Kapitalmitte1 223 Kapitalnutzungen 187 Kapitalwerte 198 Kastengeist 166,238 Katholische Soziallehre 143 Katholizismus 57 f, 147 Käufer 187 Kaufleute 235 Kaufmann 234 Kaufinannschaft 235 126 Kirche 57, 128, 148, 165 Klasse 152, 154, 178, 184,214,234 -ärmere 176 - besitzende 175,215,220 - der Arbeiter 162 Klassen, geringere 93 132 - untere 124, 12520, 126, 128, 13554, 177, 177 201 Klassenbewußtsein 144 Klassengegensatz 174 Klassenkampf 132 Klassenspaltung 170 Kleinbürgertum 216 Kleingewerbe 123,215,217-219,222 f Kleingewerbestand 206 Kleinhändler 207 Kleinkredite 211 Know-how 118, 192, 207 - technisches 82 Kohle 29 f., 199,247 (und Stahl) Kommissionsbericht zur Industrieausstellung (1834) 86, 88 - (1835) 89 Kommunale Ebene 248 Kommunalverwaltung 102 Kommune(n) 102, 114,212,237 Kommunismus / kommunistisch 56, 58, 91,122,124,175,245 Kommunisten 137, 176, 181 Konditoren, Nümberg 236, 239 Konditorgewerbe, Nümberg 236 König 228, 233, 235 -(= Ludwig 1.) 68,91 f.,92131, 111 - (= Max 11.) 3419, 125, 128, 134, 146-148,201-203,20124,205,210, 214, 230, 233, 238 133, 245

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Königliche Bank in Nürnberg 117 f Konjunktureinbruch 125 Konjunkturschwankungen 92,177 201, 179,180 Konjunkturzyklen 39 f. Konkurrenz 36, 49, 52, 57, 61, 84, 88, 97,98,101,106 f., 106156, 113, 119,145,155,166-168,168175, 172,177 201,179 f., 183,193,195, 199 f, 208, 216, 218, 224, 228-232, 236-238, 244, 250 Konkurrenzdruck 41, 47, 65 f., 89,93, 98, 108, 230, 238 Konkurrenzflihigkeit 75, 92, 104, 195, 206,22279 Konkurrenzfaktor 97 Konkurrenzgesellschaft 249 Konkurrenzkampf 138, 160 Konkurrenzprinzip 69, 148, 160, 164, 170, 181,211 Konkurrenzsituation 73, 83, 114 Konkurrenzsystem 181 Konservatismus 58, 14485, 147 f., 215 konservativ 58, 62, 74, 102, 113, 123, 130,147,150,166,181,184,217 Konservative 68, 111, 137, 152, 168, 178 Konsum 112, 184, 186-188 Konsument(en) 84,88 f, 172, 184-188, 185229,190,198,201,212,224, 235,237,248 Konsumentenseite 151 Konsumgüterindustrie 39 f, 40 33, 247 Konsumniveau 185 Konsumtion 160, 182, 247 Kontrolle, staatliche 80,81 (des Staates) Konzentrationstendenz 219 Konzession(en) 63, 68, 110, 114,212, 218 f., 225, 229, 234, 239 Konzessionierung 248 Konzessionserteilung 20, 47, 64, 66, 113 f., 213, 218, 232 Konzessionspolitik 65 Konzessionspraxis 99, 229 - freiere 67 Konzessionssystem 21 Konzessionsvergabe 99, 229 Körperschaft 183 Korporation(en) 53 f, 69, 143, 145-147, 169 Korporativrechte 244 Kreditanstalten 203, 205, 210 - Augsburger Credit-Anstalt 204

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H. Register

- Bayerische Creditanstalt, München 204 Kredite 27 I, 211 Kreditinstitute 117 Kreditrahmen 210 Kreditvergabe 211 Kreditwesen 235 Kreis (= Regierungsbezirk) 81, 94, 96 Kreisbehörden 62 Kreislaufmodell 201 Kreisregierung(en) 22,25,64,85,94, 96 f., 103, 110, 114, 114180, 118, 122,208 f., 212, 222, 227, 243, 246 Krise, strukturelle 126 Krisenanfälligkeit 37 Kulturfortschritt 139, 143 Kunst- und Gewerbeblatt 44 Kunsttleiß 64 Kunst- und Gewerbetleiß 82 Kunst- und Gewerbeschule, Nürnberg 207 f., 208 43 Lage, materielle 119, 184 - soziale 126 - wirtschaftliche 87, 125 f. Laisser-faire-Prinzip 47, 144 Laissez-faire-Liberalismus 182 Landbevölkerung 142 Landesinteressen 89 Landrat 108, 108 163 Landtag 58, 78, 192, 197 15, 221, 226 - (1834) 67 f., 74 - (1837, 1840) 114 180 - (1848) 192 Landtagsdebatten 74 Landwirtschaft (= primärer Sektor) 27 1, 32 f., 32 13, 33 15, 38, 52, 73 f., 75 f., 90, 139, 141 73,201,205, 20538 Lebensbedarf 184 Lebensbedürfnisse 154 129 Lebenshaltungskosten 185 Lebensstandard 127, 184 Lebensunterhalt 97 f., 153, 185 Legitimation 143 Legitimationsbasis 12725 Legitimationsdefizit 250 Legitimationsgrundlage 135 Lehrlinge 66 Lehrlingsausbildung 168 Leinengarnproduktion 76 Leinenherstellung 74

Leinenindustrie 97 139 Leinenspinnerei 76 Leinenweberei 97, 97139 Leinwandfabrikation 75, 84 Leistung 165167, 181, 187236 Leistungsfähigkeit 105, 153, 212, 238 - der Industrie 83 Leistungskategorien 176 Leistungsprinzip 101, 244 Leistungsverwaltung 100 Leitbild, liberales 98 Leitideen 147 Leitsektor 40 liberal 58, 64, 70, 89, 93, 100, 108, 113, 115,121,124,150,154,169,175, 183,186,201,203,217,21766, 218, 227 f., 239, 249 Liberale(r) 52 32, 68, 113 (= Rudhart), 137, 147, 152, 160, 163 f., 165167, 175,178,182,184,219,235 - "Altliberale" 160 Liberalisierung 184,219,221,245, 248 f. - der Gewerbeordnung 246 - des Gewerbewesens 250 Liberalismus 48, 52, 58, 58 52, 119, 144-147, 151, 159, 163 f., 165 167, 166,167172,182 - AltIiberalismus 131 42 - Frühliberalismus 113,1501/6 - klassischer 45, 163 - Linksliberalismus 240 142 Lizenzen 236, 239, 240 Lizenzschein(e) 212, 229 f. Lohn / Löhne 54, 57, 170, 173, 180182, 186 f., 199 Lohnarbeiter 116183,131,154,186, 186231 Lohnerhöhungen 187 Lohnerwerb 63 Lohnfond 186 Lohnfondstheorie 186 f., 186234, 187235 "Ehernes Lohngesetz" 186, 186232 Lohnkosten 197 Lohnminimum 154129, 183 f. Lohnniveau 185, 186231 Lokomotivenfabrik 82 Luxus 184,212 Luxusartikel 86 Luxusgüter 34 Luxushandwerker 86

Sachregister Machtbasis 134,213 Machterhalt 214 Magistrat(e) 222, 224, 234 - der Stadt Nümberg 66, 229 - Schwabacher 109 Manufaktur(en) 72, 169,201,212 Manufakturbetrieb 36 Manufakturindustrie 162 158 Markt! Märkte 86, 89, 97, 103, 105f., 131,165167,168,173,180,195, 208,212,235,239,243,250 - Gesetze des 223 - Nürnberger 228 - Prinzip des 216 Markterweiterung 79 Marktgeschehen 100 f., 167, 179 Marktkapazitäten 99 Marktkonjunkturen 173 Marktmechanismus 143, 148, 164, 172 Marktprinzip 155 Marktsegmente 213 Marktsituation 83 Marktstrategien 90 Marktwert 173 Marktwirtschaft / marktwirtschaftlich 89,92,198,232,235 Maschinen 47,83,106 f., 160, 171,229 Maschinenbau 40, 40 33, 82, 117, 175 Maschinenbauer 109 Maschinenbauindustrie 81 Maschinenbetrieb 228 Maschineneinsatz 47,49, 84 Maschinenfabrik Augsburg 82 - Augsburg-Nümberg 117 Maschinenfabriken 228 Maschinenprodukte 104 Maschinen-Spinnereien 75 Maschinen-Werkstätten 107 Maschinenwesen 68, 106 Massenproduktion 93, 199 Massenverarmung 160 152 Materialismus 131,137,223 Mechanik 85, 117 Mechanikergewerbe 34 Mechanisierung 36-38 Meistbegünstigungsklausel 194 Meister 65-67, 100 f, 100 145, 109, 113,116184,119192, 168 f, 175, 224 f., 225 92, 229, 232 f., 239, 248 Meisterrechtsbewerber 232 Menschenrecht 176, 232 Menschenwürde 176 Mentalität 23, 242

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Merkantilismus / merkantilistisch 19, 46,48 f, 54, 62, 71, 73 (merkantil), 77,89,101, 162, 164, 184 Merkantilisten 172, 188 Metallhandwerk 228 Metallverarbeitung 230 Mindestlohn 184 Minimallohn 154 Ministerium des Innem 25, 60 Ministerium des Handels 25, 191-193, 192 4, 193 7, 208 45, 221 f., 227 Ministerrat 197 15 Mittelbehörde(n) 69,94, 101-103, 105, 116, 233, 238-240, 242, 244 f, 249 - liberale 248 Mittelstaaten 194, 196 Mittelstand 65,101,119192,135, 214f. -alter 142, 145, 162, 164,215-217, 227,244,246 - bürgerlicher 47 - "kräftiger" 142 - neuer 166,214-216,227,246,249 - staatstragender 67 Mittelstandsbegriff 112, 216 Mobiliarkredit 204 f, 214 Mobiliarkreditanstalten 205 36, 205 38 Mobilisierungstendenz 217 Mobilität 79, 105-107, 111, 115, 153, 167,177,216,222,235,241,248 - horizontale 213,216,225 - vertikale 216, 225 Modemisierung 102, 105 f, 134, 141, 211,229,238,248,250 Modemisierungsbemühungen 101, 103 Modemisierungsbestrebungen 99 Modemisierungsdruck 18,22, 101,227229,248 Modemisierungskrise 138 Modemisierungsperspektive 141 Modemisierungsprozeß 17, 20 f., 25, 91,93, 173,222 Modemisierungsstrategie 18 Modemisierungswille 93,201,218 Monarch 22, 24 f, 58, 127, 134 f, 248 f - (= Ludwig I.) 59-62, 64, 69, 91 f., 93132,116 - (= Max Ir.) 125, 127, 148 f., 196, 201 f, 212 f, 220, 229, 233, 242 Monarchie(n) 71, 121, 134 f, 145,239 - konstitutionelle 121, 150, 214 Monarchisches Prinzip 59, 70

286

H. Register

- Staatsführung 152 - System 67 Monarchismus, christlich-traditioneller 69 Monopol 78 Monopoliengeist 166, 169 Montgelas-Ära 21 Motivationseffekt 101 Musterlager 20845 (in Triest) Nachfrage 172, 188,203,219,232,236 - örtliche 86 . Nachfrageimpuls 188 239 Nachfrageorientierung 46 Nachfrager 155, 235 Nächstenliebe 244 "Nachtwächterstaat" 152 Nadelfabrikation 108 Nadler 38, 109 Nagelherstellung 199 Nahrung 112, 168 175, 174,245 163 Nahrungsideal 215 Nahrungs- und Genußmittelsektor 34, 37,3728 Nahrungsökonomie 173, 180, 213, 216, 250 Nahrungsprinzip 69, 166, 168,223, 241,244 Nahrungsstand 64, 68, 212 f., 213 54, 216, 220, 225, 230, 239 f., 243 Nation(en) 44 f., 112, 138, 140 f., 157 f., 160, 164, 188 - bayerische 63 "Nationale Arbeit" 190 Nationales Interesse 53 "Nationalindustrie" 106 Nationalökonomen 131,201 Nationalökonomie 26, 43-45, 74,128 f., 12931,131,140, 144,149,149111, 155,155132,155133,156,158, 160 f., 165 f., 170, 170179,183 Nationalreichtum 48, 60, 62, 74, 105, 164, 188,241 Nationalstaat 121 Nationalstaatsbewegung 59 Nationalstaatskomponente 141 Nationalvermögen 106 Nationalversammlung, Frankfurter 119, 163 Nationalwohlfahrt 48 Nationalwohlstand 73, 130, 133, 141 f., 164,167,201 Naturgesetzlichkeiten 158

Naturrecht(e) 53,151,183,219 Naturzustand 53, 116 ("Natur") Nebenerwerb 97 Niederlagen (i.S.v. Niederlassungen) 66 Niederlassung, Recht zur 232 Niederlassungsfreiheit 154 Nivellierung 133 47, 134, 137, 178 - soziale 131 Nivellierungstendenz 131 42 Not 126 f., 12724, 173 189 - materielle 125, 12520 - soziale 173 Notfälle 126 Notlage(n) 126 f., 184 - materielle 136 Nürnberger Waren 38,197,230,247 Observanz(en) 107, 108 (Gewerbeobservanz), 109 Öffentliche Arbeiten 193,211 Öffentliche Bauten III Öffentliche Hand 111, 125 Ökonom(en) 159 - klassische Schule 182 - liberale 249 Ökonomie 101,158146, 198 - klassische 155, 160, 164, 170 - politische 112, 188 Opposition, liberale 59 Ordnung, bürgerliche 164 Ordnungsrahmen 239 Ordogedanke 50 Ordokonzept 50-55 Organisation der Arbeit 161, 169, 170 177 (= franz.: Organisation du Travail) 179 f., 183 Organisation des Gewerbswesens 242 Organisationsformen 109 Organisationsmethoden 173 Organisationsstruktur(en) 109, 218 Organismusgedanke 150 Organismusidee 141, 142 76,212,248 Organismusvorstellung 50, 52 Parlament 68 f., 78, 220 Patentrecht 85 J J 7 Patentschutz 85 Patentwesen 85 JJ 7 Pauperismus 24, 62, 124, 127 f., 12725, 12830, 13455, 159, 161-163, 180 Petitionsrecht für Arbeiter 55 Physiokratismus 140 Polarisierung, ideologische 249

Sachregister Politisierung 125 Polizei (i.S.v. Gendarmerie) 61 Polizei / "Policey" 151, 152 f. - Armen- / Bevölkerungs- / Gewerbe- / Wirtschafts-Polizei 46 - "gute Policey" 149, 165 Polizei=Gesetze 242 Polizeigesetzgebung 151 Polizei lehre 224 Polizeistaat / polizeistaatlich 19, 106, 140, 183 Polizeistaatsgedanke 149 Polizei-Wissenschaftslehre 139, 149//3, 150 f., 243 (Dinglers) Polytechnisches Journal 44, 84, 86, 87 /20 Prämien 90, 93, 98 Preis(e) 83 f., 86, 96-98,168,170,173, 180, 183 f. - gerechter 151 Preis-Lohn-Verhältnis 181 Preisaufgabe (auch: Preisfrage) des Jahres 1848 125 f., 12520, 1293/, 143, 147 f., 152, 181 Preisbestimmung 187 Preisgestaltung 180 Preiskalkulation 84 Preistheorie 155, 187, 188239 Preisverfall 108, 230, 232 Preußische Reformen 166 Privateigentum 144 Privatinteresse(n) 79, 205 "Privatthätigkeit" 156 Privilegien (für Gewerbe und Industrie) 90 Produkt(e) 186,198,210,212 - einheimische 189 -landwirtschaftliche 75 Produktenpreis 183 Produktgestaltung 97 Produktion 38, 101, 109, 158 /44, 160, 162, 168, 171 f., 180, 182 f., 186188, 188239,21\,213,232 - nationale 211 Produktionsbefugnisse 225 Produktionsbereiche 168 Produktionseinheiten 65 Produktionsfaktoren 168, 170, 184, 189 Produktionsformen 38 f., 171 Produktionsfortschritt 109 Produktionskosten 155

287

Produktionsmethoden 74, 90, 97,106, 160, 173, 207 Produktionsmöglichkeiten 77 Produktionsorganisation 75, 109 Produktionsquellen 161 Produktionssektor 105, 238 (in Nürnberg), 248 Produktionsstand 115 Produktionsstandard 207 Produktionsstätten 102 Produktionssteigerung 65 Produktionsstruktur(en) 101, 113, 119 Produktionsumfang 85, 112 Produktionsverfahren 47 Produktionsvorteile 74 Produktionsweise 105, 171 (industrielle) Produktionszweige 148 Produktivität 83, 171, 197,22385 Produktmenge 96 Produktpalette 97 Produktqualität 96 Produzenten 88 f., 104, 1\ 5, 190, 208, 22385,235 Profit 170 Proletariat / Proletarier 21 ("Proletär"), 54 f., 57f., 91,104,119/92, 1252/, 128 f., 131 43, 135, 102 f., 220, 230, 233,239,245 - akademisches 122 - gebildetes 132 - Gewerbe=Proletariat 219 -literarisches 122, 133 Proletarierfrage 51, 55, 13455, 137 siehe auch soziale Frage Proletarisierung 245 Proletarisierungstendenz 158 Prosperität 124,172,195 (der Nation) Protektionismus 189 Protestantismus 61, 215 60 Pursuit of happiness 157 Qualität 84, 86, 207, 212 Realrechte 225, 234 Recht 59, 150, 152, 183, 231 - auf Arbeit 136, 180 - positives 151 Rechte, politische 66, 132 RechtsaufTassung 183 Rechtsgleichheit 223

288 Rechtsnonnen 161 Rechtsordnung 183 Rechtsposition 162 f. Rechtssicherheit 106, 152, 152 121, 153128,161,190 Rechtssphäre 151 Rechtsstaat 161, 167 Rechtsstaatsidee 150, 154 Rechtsstaatsprinzip 162 Rechtsstandpunkt 161 f Rechtszustand 163 Refonn(en) 139, 161 f., 165,222,242 - von oben 137,226 Refonngesetze (1848) 40, 4035 - (1868) 22, 13658, 13862,227 Refonnunfiihigkeit 218, 218 69, 226 Regierung (= Staatsregierung) 22, 25, 72 f, 76-80, 82 f., 88, 90, 93 f, 106, 108-110,108164,116,116184, 119, 145-147, 157 f, 161, 187, 193, 195 f., 201-203, 20124,20331, 210-214,220-227 Regierung bzw. Kreisregierung - Altbayern 99 f. - Neubayern 100 f. - des Oberdonaukreises 99 - des Obennainkreises 99 142 - des Regenkreises 99 - des Rezatkreises 98 - des Unterdonaukreises 97 139 - des Untennainkreises 85116 - von Mittelfranken 22,71, 100, 109, 229,231,233 f, 236-241, 248 f. - von Oberfranken 208 45, 245163 - von Schwaben 70, 208 45, 246 - von Unterfranken 209 f., 242 151, 243 Regierungshandeln 150, 158 144, 161, 189 Regierungsmaßnahmen 127 Regierungspräsident(en) 108 163, 124 - von Mittelfranken 61 (= Giech) - von Niederbayern 68 - von Oberbayern 123 12 - von Schwaben 123, 12416,216 - von Unterfranken 62 Regierungsvertreter 59 Regierungswirtschaft 156 Regulationsmechanismen 97, 136 Reichtum 88 Gedes Landes), 112, 140, 142,153,157,160,167,171 f., 214 Reisestipendien 98 Reklameeffekt 86 f.

H. Register Rekurs 236 Rekursbehörde 114, 229, 240 Rekursverfahren 240 Rentabilität 89, 92, 209 Rente 170 Repräsentation (der Arbeiter) 55, 58 Ressourcen, heimische 203 Restauration! restaurativ 55, 58 (der Kirche), 119, 124, 181,247,2472 Restriktion(en)! restriktiv 66, 68, 70, 71,84, 115f., 137, 185,216,21766, 233,235,239,247 Revolution (Frankreich! 1830) 51, 59 - (1848) 22, 43, 110 (Märzerhebungen), 118 (Märzereignisse) 119, 121 f., 124, 126, 128, 130, 13034, 132-135, 163,216,244,248 - Furcht vor 43, 116, 176 Revolutionsangst 51 Revolutionsgefahr 67 Risiko, wirtschaftliches 235 Risikobereitschaft 117 Rohproduktensammlung 207 f. Rohstoffle) 29 f., 72 f., 197,203,206 f. - chemische 198 - mineralische 30, 36 - pflanzliche 29 Rohstoffangebot 207 Rohstotlbasis 17 Rohstoffiage 81, 91 Rohstoffiager 81 Rohstoffmangel 30 Rohstoffproduktion 95 Romantik! romantisch 50, 52, 55, 141 f, 150, 168 f., 174191,212, 248 - Münchener 54 Romantiker 158, 169 Rückständigkeit, technische 37, 107, 119194 Runkelrübenzuckerfabriken 62, 84, 108, 108164 Schicht 184 Schichtenbegriff 132, 13245 Schienennetz 77 Schlosser (Nürnberg) 229 f., 236 Schlossergewerbe (Bayreuth) 230105 Schulbildung, technische 89 Schule(n), polytechnische 113, 177 202 Schulwesen, gewerbliches 200 - polytechnisches 62, 84 - technisches 177,206

Sachregister Schutzzölle 36, 97 139, 164, 188, 199 Schwerindustrie 40, 40 33,81 f. - Bayern 199 - Preußen 199 19 - Rheinprovinz 199 - Westfalen 199 Sektor, gewerblicher 168, 211 - industrieller 173 - ökonomischer 137 - primärer 33 - produzierender 244,247 - sekundärer 33 15 - tertiärer 33 15 Selbständigkeit 114,241 (persönliche) Selbstbestimmungsrecht 184 Selbsthilfe 145 f. Selbstverwaltung, gemeindliche 113, 167, 169 Sicherung der Subsistenz 177 Sicherungsanstalten 157 Sicherungssysteme 173 Sinnstiftung 47 Smith-Kritik 52 Smith-Rezeption 51, 103 Smithianer 234 Souveränität 89, 124,214 Souveränitätsansprüche 196 Souveränitätsrechte 59 Soziale Absicherung 100, 111, 135, 180,190 Soziale Bewegung 127, 145 Soziales Engagement 134 Soziale Folgen 19, 21,63, 138,202 f., 227 "Soziale Frage" 21,24,54 f., 123 f., 126,12621, 132f., 135, 142, 14279, 144f., 148 f., 173, 174191, 180, 182, 193, 210 f., 226, 248, 250 siehe auch Proletarierfrage Sozialer Frieden 111 Soziale Hilfen 234 "Sozialer König" 124 "Soziales Königtum" 135, 13657 Soziale Kontrolle 99 Soziale Lasten 69 Soziale Mißstände 49 Soziale Politik 133 f., 136, 138 Soziale Problematik 51, 134 Soziale Revolution 133 Soziale Sicherung 20 Soziale Spannungen 98 Sozialer Status 216 f.

289

Soziale Verantwortung 135 Soziale Wissenschaft 130 Sozialfiirsorge 126 "Sozialgesetzgebung" (1868) 24, 13658 Sozialismus 124, 132, 13455, 166, 179207

Sozialisten 137, 161, 169, 176, 181 Sozialordnung 133, 219 Sozialpflichtigkeit 161 Sozialphilosophen 26, 123 Sozialphilosophie 51 - katholische 50-56, 58, 151 Sozialpolitik 20, 99, 111, 126, 129 f., 13454, 137, 165,21355,227,249 Sozialreform 165, 166169 Sozialromantik 216 Sozialstaat 20, 167 Sozialstruktur 33, 10 1, 219 Sozialverträglichkeit 138 Spekulant 75 Spekulantenwelt 142 Spekulation 86, 126, 180,206 Spekulationsgeist 78,161 Spekulationsgeschäfte 205 Spiegelfabrikanten, Fürther 36 23 Spiegelglas 197 Spiegelglashersteller / - fabrikbesitzer 36,86 Spielwaren 36, 236 Spielwarenherstellung 228, 239 Spielwarenindustrie, Nürnberger 209 Spinner 228 Spinnereien 41, 197 Staat 1910,53,116,124-126,128,138141, 143, 145 f., 150-154, 156-159, 161 f., 165,167,174-177,184,200, 224,227,231,235,239,248-250 Staatliche Eingriffe 47,53 Staatliches Handeln 69 Staatliche Hilfe(n) 203, 206, 210 Staatsbahnen 79 Staatsbürger 63, 106, 106 157, 150, 154, 175, 239, 241 Staatsbürgergesellschaft 63, 10 I Staatsbürgerpflicht 95 Staatseinnahmen 74 Staatsfunktion 20 12 Staatsgewalt 12725 Staatshaushalt 61, 90, 128 Staatsidee 95, 130 Staatsminister des Äußern 193 Staatsräson 248

290

H. Register

Staatsrat 68 f. Staatsregierung 111, 118, 159, 206, 231, 239, 248 siehe auch Regierung Staatstätigkeit 46 (materielle), 50, 71, 156,243 Staatstheorie 57 Staatswirtschaft 73 Staatszweck 105,150,152/21, 156 Stand / Stände 53, 112, 126, 131 f., 135, 143,154,174,176,213,224 - "allgemeiner" 95 Ständeordnung 50, 55 (ständische Ordnung),58 Standes- / Ständegesellschaft 63, 143, 184 (ständische Gesellschaft) - mittelalterliche 215 Standeslosigkeit 131 Ständestaat 54, 145-148, 169 Ständeversammlung 71, 151 1/7 Standortbedingungen 206 Standortvorteile 74, 200 Standschaften 53, 112 Statistik (Bayern) 28,71,73, \02/52 Statistisches Büro 26 f., 65, 72,155132 Steingutfabrik 86 Steuer, indirekte 128 Straßen bau 77, 125 Strukturschwache Regionen 37 Strukturwandel 103 - wirtschaftlicher 24, 33, 93 Subsidiaritätsprinzip \0 I, 156 Subsistenz 153 f. Subsistenzgarantie 173 Subsistenzkrise 125 Subsistenzmittel 180 Symposien 125, 130 System, politisches 126, 138

Textilfabrikanten 36 26 Textilindustrie 34,36-38,40 f., 81, 90, 96,100,117,175,193,195,247 Textilsektor 36 f., 3727 Traditionalismus 58 f., 69 f., 119 Traditionsbewußtsein 76 Transformationsprozeß, gesellschaftlicher93 Trias 194, 196 Tuchfabrikation 208 45

200,207,211,22696,248 Unternehmergewinn(e) 183, 186, 198 Unternehmerkapital 186 Unternehmertätigkeit, staatliche 111 Unterricht 177 - technischer 93 Unterrichtswesen 97, 153 Unterstützung 191,209-211 - der Armen 235 - staatliche 89, 117 Unterstützungsanstalten 128 Untertanen 62, 71, 125, 134 Untertanengesellschafi, nivellierte 69 f. Urheberrecht 85

Tabakfabrikation / -herstellung 38, 222 Tagelöhner 131,220 Tausch 48 f. Tauschverhältnis 186 Tauschverkehr 186 Taylorismus 171 Technik(en) 83, 91, \04, 120, 139 f., 141 73, 148, 171 Technikeuphorie 104 Technologieschub 81 Teilhabe am Staatswesen 177 Territorialstaat 63 Textilbranche 228

Verarmung 99,153,216 (Verarmen) Verbrauch 248 Verbraucherstandpunkt 185 Verdienst (LS.v. Einkommen) 118, 174, 176, 212, 234, 245, 245 163 Verdienstmöglichkeiten 97,210 Verdrängungswettbewerb 65 Verein(e) 71,90,93, 179, 179208 - gewerbliche 82 - Gewerbe- und polytechnische 89 - polytechnische 206 - Polytechnischer Verein flir das Königreich Bayern \03

Übersetzung (der Gewerbe) 66, 98 f., 99143, 115

Über(be )völkerung 115, 181, 181 216 Umsatz 235 Umstrukturierung, gesellschaftliche 250 Ungleichheit(en) 132, 136, 145, 176 Unrecht, materielles 151 Unterhalt 173, 180213 Unterhaltskosten 183 Unternehmen 183 Unternehmer 19, 62, 87, 110, 175, 177201,183224,186-188,186236,

Sachregister - Polytechnischer Verein München 90 Verein rur Fabriken, Manufacturen, Künste und Gewerbe in Teutschland 70 Verfassung, staatsbürgerliche 243 Verfassungsbewegung 133 Verfassungsentwicklung 178 204 Verfassungsrefonn 130 Verkehr 67, 120, 13967,153, 156,205 Verkehrsbedingungen 106 Verkehrsbeziehungen 196 Verkehrsmittel 42, 95, 105, 190,206 Verkehrspolitik 227 Verkehrssektor 107 Verkehrsverbindungen 235 Verkehrswege 21,72,77,81,89,98,

200 siehe auch Infrastruktur Verkehrswesen 93, 153 Verkehrswirtschaft 143 Verlag 108,247 Verlagssystem 37 Verlagswesen 169 Verleger 108 f. Vennögen 157, 157143 - bewegliches 205 Vernunftrecht 151 Versorgungsanstalten 153 Verstaatlichung 80 Verwaltung 60-63, 6362,90,94 f., 102, 130, 150 f., 154 f., 165167 - preußische 95 Verwaltungsbericht (1830/33) 72, 72 88, 95-98, 96 136 Verwaltungshandeln 149, 158, 161, 167,189, Verwaltungslehre 149, 154 Verwaltungsmaßregeln 192 Verwaltungspraxis 192 Verwaltungsrefonn 94133 Verwaltungsspitze 249 Veto, absolut hinderndes 114 - gemeindliches bzw. kommunales 68, 110,114180,119,137,146, 181216,226,243 Vierter Stand 50, 55, 126 f., 12723, 129 f., 131 43, 132-135, 152,218, 248 Volk 124,127,131-135,157,157143, 188 Volksklassen 186 Volksschule 177202 Volkssouveränität 150,214 Volksstimmung 125

291

Volksvennögen 140 Volkswirtschaft / volkwirtschaftlich 67, 73, 139 f., 153, 157 142, 163 160, 184,195,20123,205,215 Volkswirtschaftslehre 45-47, 141, 144, 149, 155 f., 158, 165 Volkswirtschaftspflege 45 f., 149, 155f., 165, 174, 180 Volkswohlstand 12724 Vollzug, gesetzlicher 94 Vorgeher (des Konditorgewerbes, Nürnberg) 236 Vonnärz(zeit) 84, 139 Vorsteher (der Gewerbevereine, Nümberg) 66 Wandel, arbeitsrechtlicher 173 - gesellschaftlicher 23, 141, 165 - sozialer 136,165167 - wirtschaftlicher 136 Warenaustausch 194 Warencharakter 180 Warenhandel72 Warenkunde 207 Warenverkehr 194 Warenzirkulation 73 Weber 228 Webereien 41 Weberhandwerk 33 Weiterbildung 44, 177 - technische 93 Weiterverarbeitung 207 - der Gewerbe 237 Weltausstellung (London 1862) 207 Weltmarkt 138 Werkstätten 67 - mechanische 82 Wertewandel 189 Wettbewerb 115,166 f., 195, 197,212, 216,222,245 Wettbewerbsfähigkeit 101, 199 Wettbewerbsnachteil 84 Wettbewerbsverzenung 195 Windenmacher (Nürnberg) 229 Wirtschaftlichkeit 89 Wirtschaftsbürger 95, 98 Wirtschaftsbürgertum 84, 144, 161 f. Wirtschaftsentwicklung 103, 178 204 Wirtschaftsforderung 63, 71, 13759, 212 Wirtschaftsfonnen 129 Wirtschaftsfreiheit 164, 174 Wirtschaftsgesetzgebung, liberale 50

292

H. Register

Wirtschaftshilfen 90 (staatliche), 200 Wirtschaftskreislauf 73, 211 Wirtschaftsleben 159,250 Wirtschaftsliberalismus 51, 89, 131, 150, 153, 155, 197, 244 Wirtschaftsmacht 145 Wirtschaftsmoral 145 Wirtschaftsordnung 22, 46, 58 f., 63, 105, 111 f., 138, 169, 187,213, 219 f., 223, 227 Wirtschaftspflege 164 Wirtschaftspolitik 20,20 /2,43,77,91, 99, 10 I f., 117, 131, 138, 158, 206, 211 f., 222, 227 Wirtschaftspolizei 156 Wirtschaftsprinzipien 213 Wirtschaftssektor97, 119, 138, 151, 167,189 Wirtschaftsstruktur 17,32-39, 126, 129, 148, 168, 219, 224, 249 (aufliberalen Prinzipien) Wirtschaftssystem 136, 184 Wirtschaftsverfassung 18, 115, 138, 166,174 Wirtschaftszweige 140 Wissenschaft 104 Wohl aller 237 - des Staates 74 Wohlfahrt 192 Wohlfahrtsstaat 151 Wohlstand 52, 113f., 152f., 153/28, 154129,157,158/44,162/58, 163 f., 177 202, 201, 250 - allgemeiner 78, 223 - mittlerer 112 Wohlstands förderung 53 Wohltätigkeitsanstalten 54 Zentralisierung(stendenz) 113, 146 Zentralismus 103 Zimmerleute 35

Zins 170, 197 Zivilisation 95, 172 Zivilisationsfortschritt 139 Zoll / Zölle 97, 194, 198 Zollbegünstigung 92 Zolleinnahmen 195 Zollerträge 198 Zollgesetzgebung 89 Zollpolitik 77, 213 55, 227 Zollsatz / -sätze 194, 197 f. Zollschutz 107f., 190, 195, I 97f., 211 Zollsenkungen 195 Zollunionspläne 193 Zoll verein 17,4138,73,76,83,88 f., 88/23,91,93,100,107,107160, 188243,189, 193f., 196f., 19715, 200 f., 206, 219, 232, 235 - bayerisch-württembergischer 21 - deutscher 21 f., 27, 41 - Erweiterung des 208 Zollvereinskrise (1849-53) 193 - (1862-64) 194 Zollvereinsstaaten 88 Zollvereinstarife 195 Zuckerbäcker (Nürnberg) 229, 236, 238 Zulassungsbeschränkungen 114, 154 Zulassungskriterien 228 f., 233 Zulassungspraxis, liberale 68 Zulassungssystem 67 Zunft / Zünfte 69, 97 139, 100, 102, 113,116186, 126, 135, 151, 166, 168,170, 175f., 185,217,224 Zunftforderungen 162 Zunftgrenzen 105 zünftisch / zünftig 10 I, 162, 168, 172 f. Zunftordnung 50, 167, 169,236 Zunftpolitik 168, 168175 Zunftrechte 185229 Zunftverfassung 89, 112 f. Zunftwesen 47, 104, 113, 151, 170, 180 Zunftzwang 98