Das unechte Unterlassungsdelikt: Der gordische Knoten des Allgemeinen Teils [1 ed.] 9783428544004, 9783428144006

Die vorliegende Arbeit möchte einen Beitrag dazu leisten, die heillos umstrittene Frage um Grund und Grenzen des unechte

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Das unechte Unterlassungsdelikt: Der gordische Knoten des Allgemeinen Teils [1 ed.]
 9783428544004, 9783428144006

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Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Band 60

Das unechte Unterlassungsdelikt Der gordische Knoten des Allgemeinen Teils

Von Lars Berster

Duncker & Humblot · Berlin

LARS BERSTER

Das unechte Unterlassungsdelikt

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von C l a u s K r e ß, M i c h a e l Ku bi c i e l , C o r n e l iu s Ne s t l e r F r a n k Ne u b a c h e r, Jü r g e n S e i e r, M i c h a e l Wa l t e r M a r t i n Wa ßm e r, T h o m a s We i g e n d Professoren an der Universität zu Köln

Band 60

Das unechte Unterlassungsdelikt Der gordische Knoten des Allgemeinen Teils

Von Lars Berster

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: Buch Bücher de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 978-3-428-14400-6 (Print) ISBN 978-3-428-54400-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84400-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

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Meinem Patenonkel Winfried Dunkel

Inhaltsverzeichnis I.

Der gordische Knoten des Allgemeinen Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

II. Die Unterlassungsstrafbarkeit vor 1836 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 III. Entdeckung und Verwirrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Entdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Formelle Rechtspflichttheorie vs. naturalistischer Kausalmonismus . . . . . . . . . 24 3. Verwirrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 IV. Lösungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Vorrechtliche Handlungserwartungen als Rechtsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Otto und Brammsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Die ältere Auffassung Roxins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Normativistische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Jakobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Freund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c) Pawlik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3. Die Gleichstellung als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Gimbernat Ordeig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Schünemann und die neuere Auffassung Roxins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 V. Die Suche nach dem gordischen Nagel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Die garantenpflichtzentrierte Lesart des § 13 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Die Entsprechungsklausel als Gleichstellungsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3. Die Entsprechung von Tun und Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Begehungstypus I: Die Körperbewegung als naturgesetzlich wirkende Erfolgsursache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 aa) Die Beherrschung der eigenen Körperbewegung als Grund der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 bb) Der Gegenstand der Herrschaft auf Unterlassungsseite . . . . . . . . . . . . . 60

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Inhaltsverzeichnis cc) Erste Gleichstellungsvoraussetzung: Wirkkraft als Instrument des Willens 61 dd) Zweite Gleichstellungsvoraussetzung: Widmung als Instrument des Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Begehungstypus II: Psychisch wirksames Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 aa) Die Begehungszurechnung bei psychischer Kausalität . . . . . . . . . . . . . . 65 bb) Kein begehungsgleiches Unterlassen im Bereich psychischer Kausalität 68 c) Begehungstypus III: Die Pflichtverletzung bei Pflichtdelikten . . . . . . . . . . . 69 4. Vorteile des skizzierten Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 5. Möglicher Nachteil: Strafbarkeitslücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Strafbarkeitslücken im Bereich naturgesetzlicher Kausalität? . . . . . . . . . . . . 73 b) Strafbarkeitslücken im Bereich psychischer Kausalität? . . . . . . . . . . . . . . . . 75

VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Personen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

I. Der gordische Knoten des Allgemeinen Teils Der bekannten Legende nach hatten die Götter Deichsel und Zugjoch am Streitwagen des phrygischen Königs Gordios durch einen so kunstreichen Knoten miteinander verbunden, dass sich selbst die Klügsten und Stärksten jener Zeit zur Lösung desselben außerstande sahen, und es schließlich des gewalt­samen (Schwert)-Streichs des jugendlichen Heißsporns Alexander bedurfte. Weniger bekannt ist die Überlieferungsvariante des Aristobulos von Alexandreia, wonach Alexander den Knoten beiseite ließ, weil er erkannt hatte, die Elemente des Wagens durch schlichtes Ziehen eines Nagels in der Deichsel voneinander trennen zu können. Die Legende samt beider Lösungsvarianten taugt als Allegorie des Ringens um das begehungsgleiche (unechte) Unterlassungsdelikt im deutschen Strafrecht. Als im 19. Jahrhundert seine besondere Struktur erkannt und fortan zwischen ihm und dem begehungsungleichen (echten) Unterlassen unterschieden wurde, knüpfte sich ein bislang unentwirrter und im Theorienstreit immer fester gezogener Knoten um Grund und Grenzen des unechten Unterlassens. Und wie im anti­ ordion scheinen zu seiner Entwirrung nur zwei Wege offenzustehen: Entweken G der ein dem Befreiungsschlag Alexanders vergleichbarer Coup des Gesetzgebers in Gestalt einer Novellierung des § 13 Abs. 1 StGB, welcher das Problem wenn nicht lösen so doch entscheiden würde, oder das Auffinden eines in den Tiefen des Diskurses verborgenen Nagels, durch dessen Ziehen dem Problem eine Lösung und der Rechtswissenschaft Erlösung zuteil würde. Die Erfolgsaussichten einer Suche nach dem allseligmachenden Nagel sind angesichts der binnen zweihundert Jahren gewachsenen Vielfalt atomisiert verfeinerter Bearbeitungen berufener Häupter äußerst bescheiden. Andererseits müssen angesichts der unerträglichen Unschärfe der Unterlassungsstrafbarkeit auch kleine Fortschritte als wertvoll erachtet werden. Als Hinführung zum Komplex soll im Folgenden zunächst dargestellt werden, wie sich Praktiker und Theoretiker des Rechts in den Jahrhunderten vor der Entdeckung des unechten Unterlassens im Umgang mit dem Unterlassungsdelikt behalfen. Sodann wird der Prozess der Knotenbildung nachgezeichnet, gefolgt von einer kritischen Darstellung der gewichtigsten Lösungsvorschläge durch die Literatur. Abschließend soll dem gordischen Nagel nachgespürt und ein eigener Vorschlag zur Diskussion gestellt werden. Wohlan denn – irren wir uns weiter empor!

II. Die Unterlassungsstrafbarkeit vor 1836 Die im klassischen römischen Recht auffindbaren Fälle der Unterlassungsstrafbarkeit lassen sich aus heutiger Perspektive unschwer den Typen des echten Unterlassens, der Sicherungsgarantenhaftung sowie der Obhutsgarantenhaftung zuschlagen. In die erste Kategorie fällt die pflichtwidrige Unterlassung der Anzeige eines von anderen geplanten Verbrechens. Entsprechende Anzeigepflichten waren jedoch nur mit Blick auf wenige Delikte anerkannt, wie etwa die Verschwörung oder die Münzfälschung.1 Zweitens finden sich einzelne Fälle, in denen das römische Strafrecht eine strafbewehrte Einstandspflicht für die Abwehr bestimmter Gefahren annahm, wie etwa die Nichthinderung eines von Dritten begangenen Ehebruchs innerhalb des eigenen Hauses2 oder die Nichthinderung von Delikten eines zur eigenen Familie gehörenden Geisteskranken (furiosus).3 Drittens schließlich hielt das römische Recht die unterlassene Rettung einer gefährdeten Person für strafbar, soweit der Untätige mit dem Geschädigten in einem bestimmten Näheverhältnis stand (wie etwa der untergebene Soldat gegenüber dem Offizier bzw. der Sklave gegenüber dem Herrn).4 Namentlich im Militärstrafrecht wurde die Nichtrettung des Vorgesetzten dabei dem aktiven Angriff ausdrücklich gleichgestellt: „Qui praepositum suum non protexit, cum posset, in pari causa factori habendus est (…).“5 Im überlieferten Recht der germanischen Völker sind die Anhaltspunkte für eine Unterlassungshaftung im ersten nachchristlichen Jahrtausend ungleich spärlicher. Den wohl frühesten Anhaltspunkt liefert Tacitus in seiner historisch nicht durchweg zuverlässigen „Germania“ mit Blick auf militärische Delikte. Danach wurde je nach Begehungsmodus unterschiedlich bestraft: Während die aktive Schädigung der Wehrfähigkeit durch Verrat oder Überlaufen zum Feind durch das öffentliche Aufhängen des Delinquenten an Bäumen geahndet worden sein soll, seien Feiglinge und Drückeberger – also gleichsam Unterlassungstäter – im Moor

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Rein, Criminalrecht, S. 120 m. w. N. Dig. 48, 5, 9 (8), pr.: „Qui domum suam, ut stuprum adulteriumve cum aliena matre­ familias vel cum masculo fieret, sciens praebuerit vel quaestum ex adulterio uxoris suae fecerit: cuiuscumque sit condicionis, quasi adulter punitur.“ Der Täter wird hier also nicht als leno (Kuppler), sondern wie ein adulter (Ehebrecher) bestraft. 3 Rein, Criminalrecht, S. 120. Vgl. auch Nagler, GS 111 (1938), S. 5, dessen Belege allerdings die Gleichstellung von Tun und Unterlassen im Zivilrecht betreffen. 4 Rein, Criminalrecht, S. 120. 5 Dig. 49, 16, 6, 8 (Hervorhebung v. Verf.). Etwas weniger deutlich ebenso in Dig. 49, 16, 3, 22: „Qui praepositum suum protegere nolerunt vel deseruerunt, occiso eo capite puniuntur.“ 2

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versenkt worden.6 Die unterschiedliche Rechtsfolge begründet Tacitus mit dem Hinweis darauf, dass Verbrechen zwar grundsätzlich öffentlich angeprangert würden, die besonders schimpfliche Feigheit jedoch verborgen werden solle.7 Als gesichert gelten kann zudem, dass die Aussetzung von Kleinkindern als strafbare Tötung durch Unterlassen behandelt wurde. Obwohl eine ausdrückliche Regelung der Aussetzung in den germanischen Stammesrechten nicht vorkommt, lässt ein spezieller Erlaubnissatz auf die Existenz einer solchen Unterlassungsstrafbarkeit schließen. So stand dem Kindesvater nach germanischer Sitte das Recht zu, das Neugeborene aktiv oder durch Aussetzung zu töten, bis es durch die germanische „Lustration“8 in den Stammesverband Aufnahme gefunden hatte. Nach anderen Überlieferungen erlosch das Tötungsrecht des Vaters bereits mit der ersten Nahrungsaufnahme des Neugeborenen.9 Mit der Christianisierung wurde das väterliche Tötungsprivileg des heidnischen Rechts verdrängt.10 Unergiebig ist das in der „Lex Salica“ (6. Jh. n. Chr.) aufgezeichnete Stammesrecht der salischen Franken, das von einer marginalen Ausnahme11 abgesehen alle bußwürdigen Verhaltensweisen aktivisch umschreibt. In späteren, vom römischen Vulgarrecht stärker beeinflussten Kodifikationen wie der Lex Ribuaria12 (verm. 623–639 n. Chr.), dem Edictus Rothari13 (um 634 n. Chr.) und der Lex Saxonum14 (802 n. Chr.) finden sich immerhin Bußanordnungen für Schäden, die Dritte durch Tiere des Verpflichteten erlitten haben, womit zumindest implizit die mangelnde Verhinderung der aktiven Verletzung gleichstellt wurde. Zu beachten ist freilich, dass es sich bei diesen Regelungen um solche des vom Deliktsrecht noch nicht unterschiedenen Privatstrafrechts handelte. 6

Tacitus, Germania, Kapitel 12: „Proditores et transfugas arboribus suspendunt, ignavos et imbelles et corpore infames caeno ac palude, iniecta insuper crate, mergunt.“ 7 Tacitus, Germania, Kapitel 12: „Diversitas supplicii illuc respicit, tamquam scelera ostendi oporteat, dum puniuntur, flagitia abscondi.“ 8 Die Lustration bezeichnet eine kultische Wasserweihe, die zumeist am 9. Tage nach der Geburt vorgenommen worden zu sein scheint. 9 Wilda, Strafrecht der Germanen, S. 725 f.; Weiske, Tötungsdelikte, S. 7 f. 10 Wilda, Strafrecht der Germanen, S. 725. 11 Diese betrifft die Festlegung einer Buße für eine zugewanderte Person, die auch nach mehrfacher Aufforderung im Rahmen eines formalisierten Verfahrens das Dorf nicht mehr verlässt – ein früher Vorläufer des § 92 AuslG. 12 § 48.1 Lex Ribuaria: „Wenn ein Vierfüßler einen Menschen tötet, werde dieser Vierfüßler, der ihn getötet hat, statt der Hälfte des Wergeldes angenommen, und der Eigentümer des Vierfüßlers befleißige sich, die andere Hälfte zu zahlen, ausgenommen das Friedensgeld; denn von dem, was Vierfüßler tun, wird kein Friedensgeld eingetrieben.“ 13 Edictus Rothari: „§ 325. Bei Vierfüßlern, wenn sie einem Menschen oder einem Tier Schaden antun, zahlt der den Schaden, dem das Tier gehört. § 326. Wenn ein Pferd einen Menschen mit dem Huf verletzt, ein Rind mit dem Horn, ein Schwein mit dem Hauer oder ihn ein Hund beißt, dann muss derjenige die Tötung oder den Schaden zahlen, dessen Tiere sie sind.“ 14 § LVII Lex Saxonum: „Si animal quodlibet damnum cuilibet intulerit, ab eo cuius esse constiterit conponatur excepta faida.“ (Also: Wenn ein Tier irgendjemandem irgendeinen Schaden zugefügt hat, so werde vom Eigentümer gebüßt (jedoch) ohne Fehde.)

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Erst die im 12. Jh. einsetzende Rezeption des kanonischen und römischen Rechts brachte eine Erweiterung der strafrechtlichen Unterlassungshaftung mit sich. Eine der ersten Vorschriften einer öffentlichen Unterlassungsstrafbarkeit aus dieser Zeit findet sich im Schwabenspiegel (um 1275). Danach musste das Verhungernlassen eines Gefangenen vor Gott wie eine aktive Tötung gebüßt werden, dem König gegenüber aber begründete es nur eine (zusätzliche) Geldstrafe in Höhe von 20 Pfund Landpfennigen.15 Die hier zutage tretende Gleichstellung von Begehungs- und Unterlassungsstrafbarkeit dem Grunde nach mag man als Einfluss des kanonischen Rechts deuten, dem ausgehend von seinem Prinzip der rein geistigen oder moralischen Imputation16 die Gleichsetzung von Tun und Unterlassen nicht fremd war.17 Bemerkenswert ist allerdings, dass auf Rechtsfolgenseite die irdische Strafe für die Tötung durch Unterlassen massiv hinter der Strafandrohung für aktive Tötungen zurückblieb, für die der Schwabenspiegel im Falle des Totschlags das Enthaupten18 und im Falle des Mordes das „Radebrechen“ (Rädern)19 vorsah. In der Carolina (1532) findet sich in Art. 123 ein unmittelbar an das o. g. römische Vorbild angelehntes Unterlassungsdelikt, wonach ein Hauseigentümer wie ein aktiver Kuppler zu strafen sei, wenn er eine von Dritten in seinem Haus begangene Kuppelei nicht verhindert.20 Eine Gleichbehandlung von Tun und Unterlassen enthält auch Art. 122 CCC, der das „Gebrauchen-lassen“ der Ehefrau oder des eigenen Kindes zu „unehrlichen, unkeuschen und schendtlichen wercken“ unter Strafe stellte, und sowohl das bloße Nichteinschreiten als auch das positive Überantworten der Person erfasste.21 Im Bereich der Tötungsdelikte normierte die Carolina in Art. 136 eine Unterlassungshaftung für den Fall, dass der Halter eines 15

Schwabenspiegel, Kap. 291: „Von vancnusse [Gefangenschaft]. Swer einen man oder ein frowen in vancnusse hat, der sol in ouch zue rehte ir spise geben; und will er des niht tun, se sol ins der rihter und iener, der in zer vancnusse brahte, vor got büezen, also ob si in mit ir henden heten erslagen; und dannoch muz ietwederre dem kunige zweinzic phunt geben der lantphennige.“ (Fassung: Sengler, Schwabenspiegel, S. 186.) 16 Vgl. Roßhirt, Geschichte und System, S. 193. 17 Vgl. z. B. Corpus Iuris Canonici, Decretales D. Gregorii Papae IX, Lib. V., Tit. XII. (de homicidio etc.), Cap. VI., § 2: „(…) Qui potuit hominem liberare a morte et non liberavit, eum occidit.“ 18 Schwabenspiegel, Kap. 148, § 11: „Der einen man ze tode sleht (…) den sol man allen daz houbet abe slahen.“ 19 Schwabenspiegel, Kap. 148, § 3: „Alle morder (…) sol man alle radebrechen.“ 20 Art. 123 CCC. „Nach dem zum dickermal, die unverstendigen weibsbild, und zuvor die unschuldigen meydlein, die sunst unverleumbt ehrlich person sein, durch etliche böse menschen mann und weiber, böser betrüglicher weiß, damit jn jr jungkfrewlich oder frewlich ehr entnommen, zu sündtlichen fleyschlichen wercken gezogen werden, die selbigen boßhafftigen kupler und küplerin, auch die jhenen so wissentlicher geverlicher und boßhafftiger weiß jre hewser darzu leihen, oder solchs inn jren hewsern zubeschehen gestatten, sollen nach gelegenheyt der verhandlung unnd radt der rechtverstendigen, es sei mit verweisung des landts, stellung inn branger, abschneidung der oren, oder außhawung mit rutten, oder anderm gestrafft werden.“ 21 So Nagler, GS 111 (1938), S. 6.

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gefährlichen Tieres die Tötung eines Menschen durch das Tier nicht verhindert. Anders als dem aktiven Totschläger, der zwangsläufig „das leben verwürckt“ hatte (Art. 138 CCC), drohte das Gesetz hier nur arbiträre Strafe an. Die spätere Praxis soll jedoch laut Nagler hier zum Teil die Todesstrafe verhängt22 und Tun und Unterlassen insoweit auch auf Rechtsfolgenseite faktisch gleichgestellt haben. Ähnlich wie das römische Recht benannte auch Heinrich Rauchdorn in seinen Practica (1564) Konstellationen, in welchen eine strafbewehrte Pflicht zur Abwendung von Angriffen Dritter anzunehmen sei. Dabei ging er jedoch deutlich über das klassische Vorbild hinaus, indem er nicht nur Herrn und Diener bzw. Lehnsherrn und Lehnsmann wechselseitig zur Rettung verpflichtete, sondern den Pflichtenkreis auf die Rettung von Großeltern, Eltern und Brüdern erweiterte.23 Die ausführliche Gesamtdarstellung des deutschen gemeinen Strafrechts von Ludwig Gilhausen, der Arbor Iudiciara Criminalis (1. Aufl. 1606), lässt zum ersten Mal eine vage Andeutung des Grundes der Unterlassungshaftung erkennen. Im Ausgangspunkt weist der Autor auf die grundsätzliche Systemfremdheit der Unterlassungsstrafbarkeit hin und begründet diese recht banal mit dem Begriff des „maleficium“, der sich aus malus und facere zusammensetze, wobei letzteres ausschließlich aktivisch belegt sei.24 Als tieferen Grund führt Gilhausen zudem die weitaus größere Schuld des Begehungstäters an.25 Sodann eröffnet er eine Ausnahme für die Fälle, in denen diese Begründung nicht mehr trägt,26 m. a. W.: wo die Schuld des Unterlassungstäters atypischerweise derjenigen des Begehungs­ täters ebenbürtig ist.27 Formal beruft er sich insoweit auf Dig. 50.17.121: „Qui non facit, quod facere debet, videtur facere adversus ea, quia non facit (…).“ Dass dieses bekannte Paulus-Fragment sich ausschließlich auf das Zivilrecht bezieht,28 lässt Gilhausen dabei außer Betracht. Einen anderen Klang schlägt Benedict Carpzov im dritten Band seiner Practica nova (1670) an. Ähnlich wie Gilhausen geht er im Grundsatz davon aus, dass bloße 22

Nagler, GS 111 (1938), S. 6. Rauchdorn, Practica und Process, S. 55: „Der son mag ane straff und entgelt seinen Grosvater/Vater/Bruder/Mutter oder Grosmutter beschützen/und von denen welche sie zu nötigen oder vorgwaltigen sich anmasten/erretten/auch do es anders ohne gefahr nicht geschehen möchte/sie umbringen/Im fall aber sie sölchs nicht theten und doch könten/weren sie schuldig und straffwirdig.“ 24 Gilhausen, Arbor Judidiaria Criminalis, S. 2 Rn. 7: „Et quia maleficium a malefaciendo deductum est, sequitur, quod proprie illud dicatur maleficium, quod in faciendo consistit, non in omittendo vel negligendo.“ 25 Gilhausen, Arbor Judidiaria Criminalis, S. 2 Rn. 7: „(…) longe enim maior est culpa, quae versatur in faciendo, quam quae in omittendo.“ 26 Gilhausen, Arbor Judidiaria Criminalis, S. 2 Rn. 7: „Si autem largo modo eius significatio sumitur, etiam non factum continet.“ 27 Hier begegnet uns also ein sehr früher Vorläufer des noch heute in der Entsprechungsklausel des § 13 Abs. 1 StGB mitenthaltenen Gedankens, dass die Wertgleichheit von Tun und Unterlassen eine wesentliche Voraussetzung der unechten Unterlassungsstrafbarkeit bildet. 28 Nagler, GS 111 (1938), S. 6, Fn. 8; a. A. Rein, Criminalrecht, S. 119. 23

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Mitwisserschaft bezüglich Verbrechen Dritter straflos sei. Eine weitreichende Ausnahme gelte jedoch für Personen, die das Verbrechen nicht verhindern, obwohl sie dies tun könnten. Sodann präzisiert er: „Quod maxime verum est in iis, qui vel ratione proximitatis patriae et dominicae potestatis vel ratione officii et magistratus delictis suorum aliorumque quovis modo obviare possent: hoc tamen facere negligunt, delictum occultant, & sic quasi approbant quos propterea poena arbitraria teneri, certissimum est.“29

Die gewählte Formulierung legt nahe, dass Carpzov den Grund für die Unterlassungshaftung nicht primär in der sozialen Stellung als Amtsträger oder Haus­vater als solcher, sondern in der auf einer solchen Stellung gründenden (gesteigerten) Verhinderungsmacht erblickte (dem „obviare posse ratione proximitatis patriae et dominicae potestatis vel ratione officii et magistratus“). Zugleich erhellt aus dieser Passage, dass die Nichtabwendung fremder Straftaten nur als eine Strafvereitelungs- oder Beihilfehandlung wahrgenommen wurde, die lediglich arbiträre Strafe nach sich zog und folglich keinesfalls als begehungsgleiches täterschaftliches Verhalten galt. Dies wird zusätzlich unterstrichen durch das von Carpzov als Fall­beispiel angeführte Urteil eines Freiburger Gerichts aus dem Jahre 1613, in welchem eine Mutter lediglich zu „zeitlicher Landesverweisung“ verurteilt wurde, nachdem sie die Tötung ihres Kindes durch ihre Schwester nicht verhindert hatte.30 Den nächsten gewichtigen Beitrag lieferte Johannes Kreß in seiner Commentatio aus dem Jahre 1736. Danach sei zwischen leichten und schweren Delikten (als Beispiel für letztere nennt Kreß die Brandstiftung) zu unterscheiden. Während das Versäumnis, die Begehung eines schweren Delikts durch Dritte zu verhindern, immer schon dann mit arbiträrer Strafe zu ahnden sei, wenn der Omittent die Begehung hätte tatsächlich verhindern können, dürfe die Nichtverhinderung leichter Verbrechen nur bestraft werden, wenn der Untätige aufgrund eines Gesetzes (praeceptum) oder kraft Amtes besonders zum Tun verpflichtet gewesen sei.31 Denkwürdig ist die Begründung für die grundsätzliche Straflosigkeit der Unterlassung jenseits der Schwerkriminalität: Das Strafrecht diene in erster Linie dem Zweck, die Menschen von gegenseitigen Verletzungen abzuhalten, nicht aber dazu, sich Wohltaten zu erweisen. Während daher das Fremdschädigungsverbot der Sphäre des Rechts angehöre, sei die Verpflichtung, Dritte von schädigendem Verhalten abzuhalten, eher im Reich der Ethik zu verorten.32 Diese Feststellung ist bereits insoweit interessant, als das in ihr aufscheinende restriktive Verständnis rechtlicher Handlungspflichten seiner Zeit weit voraus war, und – nachdem etwa 29

Carpzov, Practica nova, S. 284 f. (Quaestio 134, 63 f.). Carpzov, Practica nova, S. 285 (Quaestio 134, 64). 31 Kreß, Commentatio, S. 659 (Art. 177, Rn. 6). 32 Kreß, Commentatio, S. 659 (Art. 177, Rn. 6). „Ratio autem, quare non prohibens, vel non intercendens, regulariter non puniatur, reddi solet, quod in delictis poenae capitales potissimum inventae sind, ne homines sibi faciant male, non autem ut sibi invicem faciant bene; modo alter alterum non laedat, satis est in foro justitiae, ut vero laesio tertii avertatur ab altero, ad humanitatis officia, & magis ad ethicae quam jurisprudentiae scholam pertinet.“ 30

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noch Pufendorf33 und Wolff34 auf das Gemeinwohl gerichtete Handlungspflichten des Einzelnen ohne Weiteres annahmen – erst in der Rechtslehre Kants35 voll zur Entfaltung kommen sollte. Darüber hinaus dürfte hier der erste Versuch einer zweckrationalen Eingrenzung der Unterlassungshaftung liegen. Vor allem aber wird die pflichtendogmatische Grundlage für die spätere Unterscheidung in echtes und unechtes Unterlassen gelegt. Erst die Feststellung nämlich, dass die Strafbarkeit im Grundsatz auf die Schädigung anderer beschränkt sein soll, führt zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen auch ein Unterlassen als Verstoß gegen das Verbot des neminem laedere gedeutet und somit dem Tun als „unechtes“ Unterlassen gleichgestellt werden kann. J. Samuel von Böhmer bestätigte in seinen Meditationes (1774) die Auffassung Kreß’ dahingehend, dass die Nichtverhinderung besonders schwerer, gegen die Allgemeinheit gerichteter Verbrechen (delicta atrocia) generell strafbar sei,36 die unterlassene Hinderung sonstiger Delikte jedoch nur dann, wenn der Unterlassende in Form einer Sonderverbindlichkeit (vinculum speciale) hierzu verpflichtet gewesen sei.37 Der besondere Beitrag Böhmers liegt darin, als erster das Problem der Unterlassungskausalität hervorgekehrt zu haben. Im Gegensatz zur Begehungshandlung als causa physica könne die Unterlassung einen Erfolg stets nur mittelbar hervorbringen. Für sie wählt Böhmer daher die Bezeichnung causa moralis.38 Der nächste Schritt der Entwicklung bestand darin, die Eigenständigkeit des Unterlassungsdelikts zu betonen, das bislang schwerpunktmäßig im Zusammenhang mit der Nichthinderung fremder Verbrechen als negative Beihilfe behandelt worden war.39 Insoweit kann auf das Lehrbuch Ernst Christian Westphals aus dem 33

Pufendorf, Über die Pflicht des Menschen, 1. Buch, 3. Kapitel § 9; 2. Buch, 18. Kapitel, § 4. Wolff, Vernünftige Gedanken, § 215: „Die gemeine Wohlfahrt demnach und Sicherheit ist das höchste und letzte Gesetze im gemeinen Wesen, und demnach die Regel, darnach man alles im gemeinen Wesen zu entscheiden hat, diese: Thue, was die gemeine Wohlfahrt befördert und gemeine Sicherheit erhält. Hingegen unterlaß, was die gemeine Wohlfahrt hindert und der gemeinen Sicherheit zuwieder ist.“ § 462: „(…) Da nun ein jeder alles thun soll, was die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit erfordert, hingegen unterlassen, was ihr zuwieder ist, so sind die Handlungen, wodurch sie befördert und erhalten werden, Pflichten im gemeinen Wesen.“ 35 Vgl. hierzu m. w. N. Pawlik, in: FS Roxin (2011), S. 131–134. 36 Vgl. Schaffstein, Die Allgemeinen Lehren, S. 58. 37 Böhmer, Meditationes, S. 845 (Art. 177 § VII). Dies übersieht van Gelder, Erfolgsabwendungspflicht, S. 10. 38 Böhmer, Meditationes, S. 838 (Art. 177 § II). 39 Freilich waren in der Praxis auch zuvor bereits Fälle des Unterlassungs-Alleintäters zur Entscheidung gekommen. So berichtet etwa Osenbrüggen (in: Monatsschrift des wissenschaftlichen Vereins in Zürich, 1859, S. 275 f.) von einem schweizer Fall aus dem Jahre 1615, in welchem ein Messerschmied, der es als guter Schwimmer unterlassen hatte, nach einem Schiffsunglück seine Ehefrau und weitere Personen aus dem Wasser zu retten, für die versäumte Rettung seiner Frau die für Totschlag vorgesehene Strafe durch das Schwert erhalten hatte. 34

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II. Die Unterlassungsstrafbarkeit vor 1836

Jahre 1785 verwiesen werden, welches apodiktisch feststellt, dass Verbrechen sowohl committendo als auch omittendo begangen werden können, wobei die Unterlassungsstrafbarkeit von der Verletzung einer Verhinderungspflicht abhänge.40 Eingehendere Ausführungen finden sich bei J. Christian von Quistorp (1794), der insbesondere darauf hinweist, dass auch diejenigen ein Verbrechen begingen, „welche denen ihre Hülfe versagen, die sich durch einen unvermutheten Zufall in Todesgefahr versetzt sahen, oder denen sonst ein anderes Unglück drohete“.41 Am Anfang des dogmatisch reichen 19. Jahrhunderts steht Paul Johann Anselm von Feuerbachs „Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts“, das seit der zweiten Auflage42 die Diskussion um das Unterlassungsdelikt mit folgender berühmten, klassisch konzisen Passage die nachfolgende Diskussion um das Unterlassungsdelikt erheblich mitprägen sollte: §. 24. So ferne ein anderes Subject ein Recht auf wirkliche Aeusserung unserer Thätigkeit hat, in so ferne giebt es Unterlassungsverbrechen (del. omissionis, im Gegensatz von del. commissionis). Weil aber die ursprüngliche Verbindlichkeit des Bürgers nur auf Unterlassungen geht; so setzt ein Unterlassungsverbrechen immer einen besondern Rechtsgrund, (Gesetz oder Vertrag) voraus, durch welchen die Verbindlichkeit zur Begehung begründet wird. Ohne diesen wird man durch Unterlassung kein Verbrecher.43

Weitere allgemeine Ausführungen zur Unterlassungsstrafbarkeit finden sich im Zusammenhang mit der Strafbarkeit der Beihilfe: Durch unterlassene Hinderung oder unterlassene Anzeige eines bevorstehenden Verbrechens mache sich wegen „negativer“ Beihilfe strafbar, wer durch Gesetz oder übernommene Amtsverbindlichkeit zur Anzeige oder Hinderung der Tat verpflichtet sei.44 Obwohl der Ansatz Feuerbachs zum Unterlassungsdelikt gegenüber den vorausgegangenen Darstellungen Kreß’ und Böhmers erkennbar kaum Neues enthält, wird er bisweilen noch heute als Urknall der Garantendogmatik gefeiert.45 Dieses (Fehl-)Urteil ist vor allem insoweit aufschlussreich, als es einen Begriff davon vermittelt, wie wirkungsmächtig das Feuerbach’sche Konzept bis heute nachhallt. Dies ist umso erstaunlicher, als es eine Reihe von Schwächen aufweist.46 40

Westphal, Criminalrecht, S. 13 f. (7. Anmerkung, §§ 1 f.). Quistorp, Grundsätze, Bd. 1, S. 74 f. (§ 61). 42 In der ersten Auflage aus dem Jahre 1801 finden sich allgemeine Aussagen zur Unterlassungsstrafbarkeit lediglich mit Blick auf die „negative Beyhülfe“ (§ 54), während die Verwirklichung von Begehungsdelikten durch Unterlassen nur im Zusammenhang mit einzelnen Delikten knappe Erwähnung findet. So in den Fällen der Tötung (§ 244), Beleidigung (§ 320) und Kuppelei (§ 504). Vgl. Mattasch, Heinrich Luden, S.  153 f. 43 Feuerbach, Lehrbuch, 2. Aufl. 44 Feuerbach, Lehrbuch, 5. Aufl., § 48. 45 Roxin, AT II, § 32 Rn. 3. 46 Pawlik hat es gar zum unterlassungsdogmatischen Sündenfall stilisiert und ihm eine schwerwiegende Verzeichnung der die legitimationstheoretischen Zusammenhänge der Unterlassungshaftung vorgeworfen. 41

II. Die Unterlassungsstrafbarkeit vor 1836

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Bereits die beiden auf die Rechtslehre Kants gestützten Prämissen Feuerbachs, dass (1) die ursprüngliche Pflicht der Bürger nur auf die gegenseitige Nichtschädigung (neminem laedere) gerichtet sei, und (2) diese negative Pflicht nur durch Tun, nicht aber durch Unterlassen verletzt werden könne, halten einer näheren Überprüfung nicht stand.47 So hat Pawlik kürzlich unter Bezugnahme auf Hegel daran erinnert, dass sich unter den Realbedingungen menschlicher Existenz eine freiheitliche, selbstbestimmte Lebensführung nur vor dem Hintergrund bestimmter Gegebenheiten („Institutionen“) denken lässt, deren Begründung und Aufrechterhaltung nur durch positive Pflichten erreicht werden kann.48 Folglich muss die Rechtsidee auch letztere mit einschließen und darf sich nicht auf Schädigungsverbote beschränken. Dass sich überdies Schäden anderer nicht nur durch Tätigkeit, sondern auch durch Untätigkeit herbeiführen lassen, kann man leichthin am Vertragsrecht aufzeigen. Denn da die Rechtsposition einer Person durch die vertraglich begründete Leistungsverpflichtung eines anderen gemehrt wird, erleidet die Person eine Rechtsverletzung, wenn die Leistung infolge der Untätigkeit des Schuldners ausbleibt.49 Über dieses Begründungsdefizit hinaus weist die Lehre Feuerbachs auch innere Widersprüche auf. So lässt sich etwa der materielle Verbrechensbegriffs Feuer­ bachs, wonach nur subjektive Rechte dem strafrechtlichen Schutz unterliegen, nicht mit der von ihm angenommenen Beihilfestrafbarkeit aufgrund einer Amtspflicht vereinbaren. Denn die Verpflichtung aufgrund Amtes besteht ja gegenüber dem Dienstherrn, nicht gegenüber der geschädigten Person, und die letztere hat allenfalls einen Anspruch gegenüber dem Staat als „moralischer Person“, nicht aber gegenüber dem individuellen Amtsträger. Somit dürfte die negative Beihilfe durch Verletzung einer Amtspflicht auch keine Rechtsverletzung gegenüber dem Geschädigten begründen und folglich kein Verbrechen im Feuerbach’schen Sinne darstellen.50 Eine weitere Friktion liegt darin, dass sich die Annahme strafbewehrter gesetzlicher Handlungspflichten nicht mit dem kantisch-liberalen Staatszweck Feuerbachs versöhnen lässt, der auf die „Garantie der wechselseitigen Freyheit aller“51 beschränkt sein soll.52 Gesetze, die Bürger zur Verbesserung der Freiheitssphäre Dritter verpflichten würden, wären von diesem Zweck nicht mehr gedeckt. Feuerbach selbst bestätigt dies in § 22 seines Lehrbuchs. Danach können Verbrechen im engeren Sinne allein durch die Verletzung von Rechten begründet werden, die unabhängig von der „Ausübung eines Regierungsacts und der Erklärung des Staats“ und also unabhängig von gesetzlichen Bestimmungen bestehen. Zwar erkennt 47

Dies hat Pawlik (Person, Subjekt, Bürger, S. 162–170) kürzlich treffend herausgearbeitet. Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 166–168; ders., in: FS Roxin (2011), S. 942–945. 49 Pawlik, in: FS Roxin (2011), S. 932 f. 50 Hier manifestiert sich also bereits Jahrzehnte vor der Diskussion um den Begriff des „Rechtsguts“ ein Defizit des am subjektiven Recht orientierten Verbrechensbegriffs. 51 Feuerbach, Lehrbuch, 5. Aufl., § 8. 52 Feuerbach, Lehrbuch, 5. Aufl., §§ 8, 9. 48

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II. Die Unterlassungsstrafbarkeit vor 1836

auch Feuerbach die Berechtigung des Staates an, durch „Polizeygesetze“ mittelbar auf die Erfüllung des Staatszwecks hinzuwirken.53 Solche Bestimmungen jedoch taugen nicht als Grund einer Unterlassungsstrafbarkeit, da sie laut Feuerbach zum einen nur Ansprüche im Bürger-Staat-Verhältnis begründen können, deren Verletzung nur als „Polizey-Uebertretung“ oder „Vergehen“ und nicht als eigentliches Verbrechen strafbar sein soll, und zum anderen ohnehin nur Handlungsverbote, nicht aber Handlungspflichten zu begründen vermögen.54 Fast zeitgleich mit Feuerbach begründete im Jahre 1805 auch Christoph Carl Stübel die Unterlassungshaftung mithilfe förmlicher Rechtspflichten. Dabei ging er jedoch weit über Feuerbach hinaus, indem er eine allgemeine Verbindlichkeit aller Angehörigen der bürgerlichen Gesellschaft zur Verhinderung von Verbrechen Dritter annahm, die er unmittelbar aus dem Gesellschaftsvertrag bezog.55 Bei letzterem freilich handelt es sich lediglich um eine die Staatsgewalt legitimierende Fiktion, und so dürfte er allenfalls zur Deduktion weiterer Postulate der Vernunft, nicht jedoch als Grundlage verbindlicher Rechtspflichten taugen.56 Im Übrigen bestätigte Stübel die Auffassung Feuerbachs, dass über die jedermann treffende Verbindlichkeit hinaus auch besondere Berufs- und Vorgesetztenpflichten das Verhindern von Verbrechen Dritter gebieten und eine Unterlassungshaftung begründen können.57 Damit setzt sich auch Stübel dem Verdacht aus, den Boden des auch von ihm vertretenen,58 auf einer Rechtsverletzung aufbauenden Verbrechensbegriffs stillschweigend zu verlassen. Keine besonderen Probleme sah Stübel im Hinblick auf die Kausalität der Unterlassung: „Denn wer das physische Vermögen hat, den Andern von einem Verbrechen abzuhalten, und solches zu thun unterlässt, in demselben liegt offenbar zugleich mit die Ursache der Existenz dieses Verbrechens, und es passt also auf ihn vollkommen der Begriff des Urhebers.“59

Ebenso wie Feuerbach legte jedoch auch Stübel nicht offen, weshalb er die Unterlassungskausalität anders als die Begehungskausalität nicht als hinreichende Zurechnungsvoraussetzung der geschehenen Rechtsverletzung ansah.

53

Feuerbach, Lehrbuch, 5. Aufl., § 22. Feuerbach, Lehrbuch, 5. Aufl., § 22: „So ferne der Staat berechtigt ist, durch Policeygesetze auf seinen Zweck mittelbar hinzuwirken, und durch sie an sich nicht rechtswidrige Handlungen zu verbieten, so ferne giebt es besondere Rechte des Staats auf Unterlassung dieser speciell verbotenen Handlungen, die den Unterthanen ursprünglich rechtlich möglich waren.“ (Hervorhebung im Original). 55 Stübel, Über den Thatbestand, § 45. 56 Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, § 47 (S. 434): „Der Akt, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat konstituiert, eigentlich aber nur die Idee desselben (…) ist der ursprüngliche Kontrakt (…).“ (Hervorhebung vom Verf.) Vgl. ferner Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 36. Vgl. zudem die Kritik Henkes, in: Handbuch, § 59, S. 396. 57 Stübel, Über den Thatbestand, § 51. 58 Stübel, Über den Thatbestand, § 5. 59 Stübel, Über den Thatbestand, §§ 43, 50, 79, 164. 54

II. Die Unterlassungsstrafbarkeit vor 1836

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Den nächsten Schritt unternahm Ernst Peter Spangenberg, der das Grundkonzept Feuerbachs unangetastet ließ, es jedoch in fortwirkender Weise präzisierte und erweiterte. In einem Aufsatz aus dem Jahre 1821 identifizierte er drei spezifische Voraussetzungen der Unterlassungshaftung: „I. Das Daseyn einer durch einen besonderen Rechtsgrund begründeten Verpflichtung zum Handeln. II. Die Verletzung dieser Verpflichtung, durch Unterlassen dieser Handlung. III. Die Entstehung eines Schadens durch die Unterlassung, für denjenigen, der die Erfüllung jener Verpflichtung, mithin die Begehung der Handlung zu verlangen, rechtlich befugt war.“60

Wiederum erscheinen also die Kausalität und die rechtliche Handlungspflicht als tragende Haftungsvoraussetzungen. Als Grundlage der Handlungspflicht benennt Spangenberg zunächst – vordergründig übereinstimmend mit Feuerbach – Vertrag und Gesetz, letzteres indes mit der eigentümlichen Einschränkung, dass nur ein „specielles positives Gesetz“ als Rechtsgrund in Betracht komme. Da jedoch eine Beschränkung auf diese Rechtsgründe „schmerzlich gefühlte“ Straf­ barkeitslücken nach sich zögen, die „allen Forderungen der Gerechtigkeit widersprechen“ würden,61 erweitert Spangenberg sie um eine dritte Kategorie, dem „selbst bei mangelnden Pönalsanctionen“ anzunehmenden „besonderen rechtlichen Verhältnis“ zwischen Täter und Geschädigtem. Zugleich warnt Spangenberg wortreich vor der Gefahr der zügellosen Ausweitung dieses Haftgrundes und will das „besondere rechtliche Verhältnis“ auf solche Fälle beschränkt wissen, in denen „die Gesetze zwischen einigen Personen ein besonderes inniges Band anknüpfen, vermöge welchem dieselben einander ganz vorzüglich zugethan seyn müssen, und sich gegenseitig zu möglichsten Schutz und Beihülfe verpflichtet sind.“62 Diese Ausführungen sind richtungweisend. Denn nun bilden nicht mehr zwingend die Gesetze selbst, sondern das durch sie geknüpfte innige Band den Grund der Handlungspflicht. Folglich muss sich diese nur noch mittelbar aus der gesetzlichen Regelung entnehmen lassen, und so ist Spangenberg bereits einen Schritt in Richtung auf die Heranziehung außerrechtlich begründeter „Garantenpflichten“ gegangen. Ein augenfälliges Beispiel hierfür bietet die Handlungspflicht zwischen Verwandten in gerader Linie. Eduard Henke übernahm 1823 die von ihm als „vorzüglich“ gelobten63 Erkenntnisfortschritte Spangenbergs und fügte einen eigenen Akzent hinzu, indem er zum ersten Mal seit Böhmer wieder in Erinnerung rief, dass die Unterlassungskausalität eine hypothetische und keine physische sei:

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Spangenberg, Neues Archiv des Criminalrechts, 4. Band 4. Stück (1821), S. 527 ff., 529. Spangenberg, Neues Archiv des Criminalrechts, 4. Band 4. Stück (1821), S. 531, 538. 62 Spangenberg, Neues Archiv des Criminalrechts, 4. Band 4. Stück (1821), S. 538 f. Beispielhaft nennt Spangenberg u. a. die Ehe, das Verhältnis von Verwandten in gerader Linie, das Vormundschaftsverhältnis, das Verhältnis des Sklaven zu seinem Herrn nach römischem Recht und das Verhältnis des Soldaten zu seinem Vorgesetzten nach römischem Recht. 63 Henke, Handbuch, § 59 S. 400, Endnote 8. 61

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II. Die Unterlassungsstrafbarkeit vor 1836 „Wenn (…) das, was verhindert werden sollte und konnte, nicht verhindert wurde, so kann gesagt werden, dass der eingetretene rechtswidrige Erfolg nicht eingetreten sein würde, wenn der zur Verhinderung Verpflichtete seine Verbindlichkeit erfüllt hätte.“64

An Spangenberg anknüpfend meldete sich im Jahre 1828 auch Stübel noch einmal in einer kleinen Schrift über die Beteiligungsformen zu Wort, und gesellte dem „besonderen Verhältnis“65 noch die „vorhergehende Handlung“ als Grund einer Handlungspflicht hinzu: „So machen sich z. B. (…) diejenigen, welche einen Andern in einen Zustand versetzt haben, in welchem er ohne ihre Hülfe um das Leben kommen muß, wenn sie ihm solche nicht leisten, des Verbrechens einer Tödtung schuldig. Man denke sich den Fall, dass Jemand einen Andern einsperrt und ihm die erforderlichen Lebensmittel zu reichen unterlässt.“66

Hier hat demnach der Ingerenzgedanke einen frühen Auftritt, und die späteren Befürworter einer Ingerenzhaftung aufgrund eines „pflichtwidrigen gefährdenden Vorverhaltens“ haben sich gerne auf Stübel berufen – zu Unrecht, wie unten67 näher erläutert werden wird. An diesem Punkt lässt sich eine Zäsur einfügen. Diese erste Phase der modernen Unterlassungsdogmatik grenzt sich von der kommenden Etappe dadurch ab, dass der entscheidende Unterschied zwischen echter und unechter Unterlassung nicht erkannt wird.68 Der Hauptgrund für die lang anhaltende Blindheit der Literatur dürfte darin zu sehen sein, dass erst mit der Durchsetzung des nullum-crimen-Prinzips die unmittelbare Subsumtion von Unterlassungen und Begehungen unter strafrechtliche Verbotstatbestände erforderlich wurde, während die hiermit verbundenen Schwierigkeiten im Gemeinen Recht noch leichthin mit der Bestrafung von Un-

64

Henke, Handbuch, § 59 S. 396. Dass es sich dabei laut Spangenberg um ein „rechtliches“ und gesetzlich begründetes Verhältnis handeln müsste, lässt Stübel bereits unter den Tisch fallen. 66 Stübel, Über die Theilnahme, S. 61. 67 Vgl. unten III. 3.; V. 4. e). 68 Van Gelder (Erfolgsabwendungspflicht, S. 23) glaubt zwar eine erste, wenngleich unbewusste Hinwendung zu dieser Unterscheidung bei Spangenberg ausmachen zu können, da dieser unter den „speciellen positiven Gesetzen“ nur solche behandelt, die unmittelbar eine Unterlassung unter Strafe stellen, während gesetzliche Handlungspflichten, die eine Unterlassung der aktiven Begehung gleichstellen, unter den „besonderen rechtlichen Verhältnissen“ abgehandelt werden. Darin aber leuchtet nicht die Trennungslinie zwischen echter und unechter Unterlassung auf, sondern nur die bereits von Feuerbach getätigte Unterscheidung von Verbrechen im engeren Sinne, d. h. der Verletzung von Rechten, und „Policey-Uebertretungen“ als die Verletzung jener „Polizeygesetze“, durch die der Staat auf seinen Zweck zum Schutz der Rechte mittelbar hinzuwirken berechtigt ist. Auch solche Gesetze können durch Tun und Unterlassen verletzt werden und stellen daher keine echten Unterlassungsdelikte dar. Sie sind es auch, die Henke meint, wenn er von „einer neuen Klasse von Unterlassungsverbrechen“ spricht. Ein Schritt in Richtung der Unterscheidung echt oder unecht wurde hier also noch nicht unternommen. A. A. van Gelder, S. 31. 65

II. Die Unterlassungsstrafbarkeit vor 1836

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terlassungen als crimina extraordinaria 69 überwunden werden konnten. Ein weiterer Grund mag darin gelegen haben, dass die Carolina und die frühen Partikulargesetze einige als besonders strafwürdig empfundene Konstellationen unechten Unterlassens ausdrücklich regelten,70 womit das Bedürfnis einer allgemeinen Bestrafung von Unterlassungen aus Begehungstatbeständen weniger dringlich erschienen sein dürfte.

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Vgl. hierzu Schaffstein, Die allgemeinen Lehren, S. 39 ff. Vgl. etwa Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern (1813), Art. 73 IV: „Wer die Ausführung des von einem Andern schon beschlossenen Verbrechens wissentlich und vorsätzlich befördert, durch Wort oder Werke durch Thun oder pflichtwidriges Unterlassen, ist Gehülfe, wenn nicht der von ihm geleistete Beistand so wesentlich nothwendig war, daß ohne diese Mitwirkung das Verbrechen nicht hätte vollführt werden können.“ Vgl. ferner das CriminalGesetzbuch für das Königreich Hannover (1840). Gem. Art. 67 (5) seien als „Gehülfen des höheren Grades” in der Regel diejenigen zu betrachten, „welche vorsätzlich die in ihrer väterlichen Gewalt oder unter ihrer Aufsicht stehenden Personen, wenn sie es konnten, ohne sie der Obrigkeit anzuzeigen, an der Ausführung des von ihnen beabsichtigten Verbrechens nicht hinderten, und an den Vortheilen desselben auf irgend eine Art Theil nahmen.“ Laut Art. 68 (4) seien als „Gehülfen des geringeren Grades“ anzusehen: „öffentliche Diener, wenn sie ohne verabredetes Einverständnis, durch unterlassene Ausübung ihrer Amtspflicht vor vollendeter That, wissentlich die Vollbringung des Verbrechens befördert haben.“ 70

III. Entdeckung und Verwirrung 1. Entdeckung Die moderne Unterlassungsdogmatik beginnt im Jahre 1836 mit der fast zeitgleichen Entdeckung des Strukturunterschieds zwischen begehungsgleichen (unechten) und begehungsungleichen (echten) Unterlassungsdelikten durch Heinrich Albert Zachariä1 und, vor allem, Heinrich Luden2. Luden erfasste das Problem erstmals im Rahmen seiner Untersuchung zur Versuchsstrafbarkeit3 und vertiefte es vier Jahre darauf im zweiten Band seiner „Abhandlungen“, in der er die strikte Unterscheidung zwischen „Unterlassungsverbrechen im eigentlichen Sinne“ und „Verbrechen, welche durch Unterlassungshandlungen begangen werden“ anmahnte.4 Als Beispiel für ein solches Begehen durch Unterlassen griff er auf den bereits von Martin5 angeführten Urfall des unechten Unterlassens zurück, „da Jemand ein Kind durch Nichtdarreichen von Nahrungsmitteln tödtet.“ Hierzu stellt er fest, dass das Verbrechen hier seinen Charakter nicht etwa aus der Ver­ letzung einer etwaigen Alimentationspflicht, sondern allein aus der Tötung selbst erhalte.6 Und weiter: „Daß eine besondere Verbindlichkeit zur Alimentation des Kindes bestand, ist für die Beurtheilung des Verbrechens an und für sich gleichgültig, da jede Handlung, welche auf Verletzung des Lebens gerichtet ist, denselben Character an sich trägt. Und da die Unterlassung von dem Begriffe der Handlung nicht ausgeschlossen ist, so muß auch jede Unterlassung, welche diese Richtung hat, das Verbrechen begründen können, ohne Rücksicht darauf, ob an und für sich eine Verbindlichkeit zu positiver Thätigkeit begründet war. Es wird nur darauf ankommen, in welchen Fällen sich von einer Unterlassung sagen lasse, daß sie diese Richtung gehabt habe.“7

Damit war das bei den unechten Unterlassungsdelikten auftretende Problem der Gleichstellung in aller Klarheit erfasst. Dessen Lösung geriet indes unversehens in das Gravitationsfeld dreier bahnbrechender Entwicklungen, die man als Kataly­ satoren der Verwirrung um das unechte Unterlassen begreifen kann. 1

Zachariä, Die Lehre vom Versuche, § 42 (S. 66 f.). Luden (Abhandlungen, S. 219 f.) spricht hier von „Verbrechen, die durch Unterlassungshandlungen begangen werden“ im Gegensatz zu „Unterlassungsverbrechen im eigentlichen Sinne“; Merkel (Kriminalistische Abhandlungen, S. 79) ordnet sie ohne Weiteres den „Kommissivdelikten“ zu. 3 Luden, Abhandlungen, S. 467 ff. 4 Luden, Abhandlungen, S. 219 f. 5 Martin, Lehrbuch, § 42 Nr. 2. 6 Luden, Abhandlungen, S. 225. 7 Luden, Abhandlungen, S. 225 f. 2

1. Entdeckung 

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Erstens erfolgte der von J. Michael Franz Birnbaum in seinem Aufsatz „Über das Erforderniß einer Rechtsverletzung zum Begriffe des Verbrechens“8 eingeläutete Paradigmenwechsel vom Recht zum Rechtsgut als Ziel des strafrechtlichen Schutzauftrags. Dies ebnete den Boden dafür, die Unterlassungshaftung nicht mehr streng von der Verletzung förmlicher Rechtspflichten abhängig zu machen, sondern auch außerrechtliche Verhältnisse zur Gleichstellung von Tun und Unterlassen heranzuziehen. Zweitens befeuerte der nun in die Rechtswissenschaft einbrechende Natura­ lismus die Debatte, indem er vielfältige Untersuchungen zu der Frage anschob, ob auch das Unterlassen über eine tatsächliche äußere „Wirkkraft“ verfüge, und sich die Unterlassungszurechnung somit ebenso wie die Begehungszurechnung allein durch den empirischen Nachweis der Kausalität handhaben lasse. Drittens schließlich brachten Industrialisierung, Landflucht und der Übergang vom Ständestaat zum liberalen Rechtsstaat die bestehenden Gesellschaftsstrukturen zum Einsturz, womit zugleich ein Teil der bislang festgefügten Beistandspflichten in Frage gestellt wurde. Eine drastische Beschreibung dieser Entwicklung findet sich bei Karl Marx und Friedrich Engels: „Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose „bare Zahlung“. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt.“9

Die zu jener Zeit vertretenen Extrempositionen zur Reichweite der Unter­ lassungshaftung lassen ermessen, wie tief die Verunsicherung ging: Auf der einen Seite die von Stübel unmittelbar aus der Idee des Gesellschaftsvertrags abgeleitete allgemeine Verbindlichkeit aller Angehörigen der bürgerlichen Gesellschaft zur Verhinderung von Verbrechen Dritter,10 auf der anderen Seite das von großen Teilen der Literatur bekräftigte Prinzip, dass der Gesetzgeber nicht berechtigt sei, die zur Sphäre der Moral zählenden „Liebespflichten“ in strafbewehrte Zwangspflichten11 und damit die freie moralische Entscheidung zur Hilfe in „ein Werk der Furcht, eine sklavische Regung“12 umzuwandeln.

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Birnbaum, Archiv des Criminalsrechts, Neue Folge 1834, S. 150, 168, 175 f. Marx/Engels, Kommunistisches Manifest, S. 28. 10 Oben II., Fn. 55. 11 Hepp, Archiv des Criminalrechts, 1837 Bd. 1, S. 33. 12 Hepp (Archiv des Criminalrechts, 1837 Bd. 1, S. 33) unter Bezugnahme auf Friedrich Schiller, Lykurgus und Solon, S. 321: „Zur moralischen Schönheit der Handlungen ist Freyheit des Willens die erste Bedingung und diese Freyheit ist dahin, sobald man moralische Tugend durch gesetzliche Strafen erzwingen will. Das edelste Vorrecht der menschlichen Natur ist, sich selbst zu bestimmen und das Gute um des Guten willen zu thun. Kein bürgerliches Ge 9

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III. Entdeckung und Verwirrung

2. Formelle Rechtspflichttheorie vs. naturalistischer Kausalmonismus Innerhalb der nun folgenden Diskussion um die zutreffende Begründung des unechten Unterlassens wurden zwei unterschiedliche Generalkurse verfolgt. Auf der einen Seite stand eine Autorengruppe, die die von Feuerbach, Spangenberg, Henke und Stübel propagierte Gleichstellung von Tun und Unterlassen mithilfe förmlicher gesetzlicher oder vertraglicher Handlungspflichten (die sog. „formelle Rechtspflichttheorie“) theoretisch zu begründen suchte. Haupt13 etwa lieferte in Anlehnung an Schopenhauer14 folgende Erklärung: Da Unrecht stets in der Verletzung eines anderen, d. h. der Verneinung eines fremden Willens zur stärkeren Bejahung des eigenen, liege, könne ein bloßes Unterlassen an sich niemals Unrecht sein. Jedoch erscheine es dann als Einbruch in die fremde Willenssphäre, wenn die untätig bleibenden Kräfte des Unterlassenden in einer vom Recht anerkannten Weise zuvor demjenigen, gegen welchen die Unterlassung gerichtet ist, dienstbar gemacht sind, also gleichsam „Eigentum“ eines anderen geworden sind und dessen rechtlich anerkannte Machtsphäre zuzurechnen seien. Dies jedoch könne nur durch Vertrag oder Gesetz geschehen.15 Dem berechtigten Einwand Glasers,16 dass es doch „bedenklich genug“ sei, wenn „die Strafrechtspflege, welcher scharfbezeichnete Grenzen zu setzen alle so eifrig bedacht sind, nun plötzlich von Privatverträgen und deren Gültigkeit (…) abhängen soll“, begegnete Haupt mit dem lapidaren Hinweis auf die Einheit der Rechtsordnung und den Umstand, dass es die zivilistische Wissenschaft in Feststellung scharfbezeichneter Begriffe wohl weiter gebracht habe als die strafrechtliche.17 In der Folgezeit wurden gegen die formelle Rechtspflichtlehre eine Reihe weiterer Bedenken laut, von denen hier nur einige genannt seien. Zunächst ist diese Lehre insoweit fehlerhaft begründet, als ein Opfer, das die Hilfe eines anderen zu fordern berechtigt ist, durch die Nichterfüllung dieser Forderung ja zunächst nur in ihrem (von Haupt so bezeichneten) Eigentum verletzt wird. Die entscheidende Frage jedoch, warum dem Unter­lassenden auch die Einbuße am Schutzgut selbst (Leben, Körper, Freiheit etc.) zugerechnet werden soll, bleibt unbeantwortet. Zweitens sei darauf verwiesen, dass die traditionell in Bezug genommenen außerstrafrechtlichen Vorschriften größtenteils schlichte setz darf Treue gegen den Freund, Großmuth gegen den Feind, Dankbarkeit gegen Vater und Mutter zwangsmäßig gebieten; denn sobald es dieses thut, wird eine freye moralische Empfindung in ein Werk der Furcht, in eine sklavische Regung verwandelt.“ 13 Haupt, ZStW 2 (1882), S. 533 ff. In ähnlicher Weise forderte v. Rohland (Die strafbare Unterlassung, S. 122) die „Rückkehr der Theorie des Commissivdelicts durch Unterlassung zu ihrer Haltung zu Zeiten Feuerbachs.“ 14 Schopenhauer, Fundament der Moral, S. 216–226. 15 Haupt, ZStW 2 (1882), S. 547. Schopenhauer (Fundament der Moral, S. 221) hatte darüber hinaus noch einen einzigen Fall angenommen, in welchem nicht durch Übereinkunft, sondern durch bloßen Realakt Handlungspflichen begündet werden können, nämlich die Pflicht zur elterlichen Sorge durch das „In-die-Welt-Setzen“ von Kindern. 16 Glaser, Unterlassungen, S. 376. 17 Haupt, ZStW 2 (1882), S. 548, Fn. 1.

2. Formelle Rechtspflichttheorie vs. naturalistischer Kausalmonismus 

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Handlungsgebote und keine Verhinderungspflichten normieren,18 und zudem endemische Wertungen und Zielrichtungen des jeweiligen Rechtsgebiet enthalten, die im Falle ihrer Verpflanzung ins Strafrecht notwendig entstellt würden.19 Bei Licht betrachtet kommt der Import formeller Rechtspflichten aus Gesetz oder Vertrag ins Strafrecht trotz ihrer scheinbaren Ableitung aus sicheren Rechtsgründen daher letztlich einer in die Willkür des Gerichts gestellten freien Rechtsschöpfung gleich, weil sich die Nutzbarmachung dieser Pflichten für eine Garantenhaftung in aller Regel außerhalb des Rechtssetzungswillens des Gesetzgebers oder der Vertragsparteien bewegt. Schon aus diesen – keinesfalls abschließenden20 – Gründen musste die formelle Rechtspflichtstheorie von vonherein als bedenklich erscheinen. Ihren Gegenpol bildeten jene Auffassungen, die von der naturalistischen Begeisterung für die Naturwissenschaften beeinflusst21 die naturgesetzliche Kau­ salität zur hinreichenden Voraussetzung tatbestandlicher Zurechnung erhoben (sog. „naturalistischer Kausalmonismus“). Folgerichtig hielten sie auch bei der Unterlassung nach einer tatsächlichen Wirkkraft Ausschau und suchten allein über sie, d. h. ohne Hinzunahme normativer Elemente, die Unterlassungszurechnung zu begründen. Bei diesem mühsamen Unterfangen wurden, grob gesprochen, zwei verschiedene Wege beschritten: –– Adolf Merkel und Julius Glaser sprachen dem Unterlassen selbst eine faktische Wirkkraft ab, und stellten auf ein aktives, kausales Vorverhalten des Täters ab. Dann schritten sie zur Lösung des Folgeproblems, dass dem Täter zum Zeitpunkt des Vorverhaltens gemeinhin der Vorsatz fehlte, während der spätere Vorsatz im Moment der Unterlassung wiederum als dolus subsequens unbeachtlich wäre. Merkel versuchte dem mit der Einschränkung zu begegnen, dass der spätere Erfolg zum Zeitpunkt der aktiv gesetzten Ursache wenigstens hätte voraussehbar sein müssen.22 Glaser verfolgte einen dolus-generalis-Ansatz.23

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Vgl. Roxin, AT II, § 32 Rn. 11 mit Hinweis auf den „Lederspray-Fall” (BGHSt 37, 106, 115), bei dem schlichte zivilrechtliche Handlungspflichten wie die Produktbeobachtungspflicht als Grund für die Garantenpflicht in Betracht genommen wurden. 19 So bereits die Kritik von Mezger (Strafrecht, S. 140 f.), Roxin (AT II, § 32 Rn. 12) und Schünemann (Grund und Grenzen, S. 221 ff.). 20 Vgl. insoweit Schünemann ZStW 96 (1984), S. 292 ff.; ders. Grund und Grenzen S.  221 ff.; Roxin, AT II, § 32 Rn. 10 ff.; Seibert, Die Garantenpflichten beim Betrug, S. 123 ff.. Verhaltenere Kritik auch bei Jescheck/Weigend, Lehrbuch, S. 621. 21 Vgl. hierzu Schünemann, Einführung in das strafrechtliche Systemdenken, S. 19 ff. 22 Merkel, Kriminalistische Abhandlungen, S. 82 f. 23 Glaser, Abhandlungen, S. 301: „Von dem Augenblick angefangen, wo der Mensch zu dem Objekt der Verletzung in eine thatsächliche Beziehung tritt, bis zu dem, wo der Bestand oder Nichtbestand der Verletzung von seiner Willkühr völlig unabhängig geworden ist, – in dieser ganzen Zeit bildet sein positives oder negatives Verhalten ein Ganzes. Innerhalb dieses Zeitraumes muss denn auch, wenn von dolosem Handeln die Rede sein soll, der Dolus einge­ treten sein (…).“

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III. Entdeckung und Verwirrung

–– Dagegen suchte Karl Binding in Fortentwicklung der Lehre Maximilian v. Buris24 die Kausalität der Unterlassung selbst nachzuweisen. Diese unter den Bezeichnungen „Interferenztheorie“ oder „psychische Kausalität“ bekannte Theorie ging davon aus, dass Unterlassungen als „interne Handlungen“25 zu erklären seien, die zwar keine Körperbewegung des Unterlassenden, wohl aber ein äußeres Geschehen auszulösen in der Lage seien, indem sie eine bisherige willentliche Hemmung von Kausalitäten, die der Täter selbst durch ein aktives Vorverhalten angestoßen hat, aufheben.26 Auch diese Auffassung kam also letztlich nicht ohne Rückgriff auf eine „Kausalitäten setzende“, aktive Vorhandlung des Unterlassenden aus und konnte eine physische Wirkkraft des Unterlassens selbst nicht nachweisen. Ihren endgültigen Todesstoß erhielt sie, ebenso wie die vorgenannten Lehren, mit der 1904 publizierten Habilitationsschrift Gustav Radbruchs.27 Der skizzierte Theorienstreit trägt seit einem zum geflügelten Wort erstarkten Urteil v. Liszts28 den Makel, „einer der unfruchtbarsten“ gewesen zu sein, „welche die strafrechtliche Wissenschaft je geführt hat“.29 Berechtigung hat dieser Befund jedoch allenfalls in dem eingeschränkten Sinne, dass das Bemühen um den Nachweis einer naturgesetzlichen Kausalität der Unterlassung zum Scheitern verurteilt war. Weitet man jedoch den Blick, so erweist sich schon bei knapper Analyse, dass gerade die Auseinandersetzung um das begehungsgleiche Unterlassen die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts zu Erkenntnissen trieb, die ihrer Zeit weit voraus waren und bereits die Grundlagen der späteren dogmatischen Systeme in sich trugen: Indem Haupt und v. Rohland sich dem wertblinden Kausalmonismus des Naturalismus verweigerten und die Unterlassungszurechnung mithilfe des normativen Merkmals der Handlungspflicht bewerkstelligten, wiesen sie bereits den Weg zum Neukantianismus.30 Auch darf vermutet werden, dass gerade das offenkundige Scheitern aller Bemühungen, die Unterlassungszurechnung allein auf den Kausalitätsnachweis zu stützen, einer der Totengräber des Naturalismus im Strafrecht gewesen ist. Darüber hinaus unternahm bereits Sigwart31 die Vereinigung von Tun und Unterlassen unter einen gemeinsamen Handlungsbegriff, wobei er ganz nebenbei die Ersetzung des kausalen durch den finalen Handlungsbegriff vorwegnahm: 24

v. Buri, GS 21 (1869), S. 196 ff. Binding, Die Normen, Bd. 2, S. 555 f. 26 Binding, Die Normen, S. 556 f. (insbes. Nr. 4 u. 5). 27 Radbruch, Handlungsbegriff, S. 140: „Die Unterlassung hat also nicht nur die Merkmale Wille, Tat und Kausalität zwischen beiden nicht mit der Handlung gemein, sie erschöpft sich vielmehr gerade darin, sie zu verneinen.“ 28 v. Liszt, Lehrbuch, S. 113. 29 Dem tritt Roxin (AT II, § 31 Rn. 37) bei. 30 Namentlich v. Rohland (Unterlassung, S. 120 f.) nimmt ausdrücklich Bezug auf Windelband, der als Begründer des Neukantianismus südwestdeutscher Prägung gilt. 31 Sigwart, Begriff des Wollens, S. 33. 25

3. Verwirrung

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„[S]obald wir uns vergegenwärtigen, daß das von Zwecken geleitete Wirken des Menschen immer darin besteht, daß er seine Bewegungen nach den vorausberechneten Erfolgen richtet, die sie zusammen mit den wirkenden Kräften der äußeren Dinge haben werden, so ist es kein Widerspruch mehr, daß sein Handeln d. h. diejenige auf seine Glieder gerichtete Willensthätigkeit, die einen gewollten Zustand realisiert, auch einmal darin bestehen könne, sich ruhig zu verhalten und dadurch absichtlich denjenigen Gesamtkomplex von Bedingungen herzustellen, aus dem der gewollte Erfolg resultiren muß. Gerade weil ich für Erreichung meiner Zwecke stets darauf angewiesen bin, die zum Theil immer schon in lebendiger Wirksamkeit befindlichen Kräfte der Natur zu benützen, und sie nur beherrsche, weil ich sie berechne, handle ich ebenso durch Unterlassung wie durch Bewegung.“32

Von Liszt, Haupt und Hrehorovicz gehen darüber hinaus bereits einen Schritt in Richtung der 1971 von Schünemann begründeten Lehre von der „Herrschaft über den Grund des Erfolges“, wenngleich verbrämt im Gewande der formellen Rechtspflichttheorie. So ordnet Haupt als „gesetzliches“ Gebot im Sinne der Rechtspflichtlehre auch das aus dem Gemeinen Recht zu beziehende, allgemeine Gebot ein, sein Tun so einzurichten, dass es nicht Person oder Eigentum eines anderen verletze.33 Diesem Gebot aber werde auch in denjenigen Unterlassungsfällen zuwidergehandelt, wo eine Übernahme oder Anmaßung der Herrschaft über den Ablauf der Kausalitätsreihe vorhergegangen ist, so dass das spätere Unterlassen als Aufgeben dieser Herrschaft, als ein „Fahrenlassen der ergriffenen Zügel“ erscheint.34 Schon angesichts dieser wenigen Schlaglichter darf das Liszt’sche Wort der Fruchtlosigkeit mit einigem Recht als zu scharfzüngig befunden werden. 3. Verwirrung Die vorgenannte Epoche der Unterlassungsdogmatik vererbte der nachfolgenden ein schwer handhabbares Dilemma: Einerseits war der Nachweis einer naturgesetzlichen Wirkkraft der Unterlassung „endgiltig gescheitert,“35 so dass die faktische Kausalität als gemeinsames Zurechnungselement von Tun und Unterlassen ausgeschlossen werden konnte. Andererseits drängten aber auch die erwähnten Defizite der formellen Rechtspflichtlehre ins Bewusstsein. Diese Schwierigkeiten führten schließlich dazu, dass mit Blick auf das unechte Unterlassungsdelikt ein „dogmatischer Pessimismus“ (Binding) um sich griff, von dem es sich nie mehr 32

Sigwart, Begriff des Wollens, S. 33. Haupt, ZStW 2 (1882), S. 548, unter Verweis auf D. 9, 2, 31 (Paulus libro decimo ad Sabinum): „[C]ulpam autem esse, quod cum a diligente provideri poterit, non esset provisum aut tum denuntiatum esset, cum periculum evitari non possit.“ 34 Haupt, ZStW 2 (1882), S. 548; Ebenso von Liszt, Lehrbuch, S. 82. Ähnlich Hreho­rovicz, Grundlagen und Grundbegriffe, S. 320: „Die [Unterlassungs-]That ist unbeendigt und in der Ausführung begriffen, so lange der Thäter die von ihm in Bewegung gesetzte Ursache in seiner Gewalt hat.“ 35 Frank, Strafgesetzbuch, § 1 IV. (S. 22). 33

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III. Entdeckung und Verwirrung

vollständig befreien konnte. Ein nicht unerheblicher Teil in Wissenschaft und Praxis wendete sich fortan einer pragmatischen, ja provisorischen Handhabung der unechten Unterlassung zu und verbuk die konträren dogmatischen Positionen zu einem wunderlichen Konglomerat: Weitgehende Einigkeit stellte sich dahingehend ein, dass die „Kausalität“ der Unterlassung36 oder zumindest ein Analogon zu ihr37 in der dem Täter möglichen, und dennoch unterlassenen Nichtverhinderung des Erfolges liege. Von der formellen Rechtspflichttheorie wurde sodann der Grundentscheid übernommen, dass die Unterlassung der Begehung nur gleich­ zustellen sei, wenn den Täter eine Rechtspflicht zur Erfolgsverhinderung trifft.38 Der Kreis der hier in Betracht gezogenen Pflichten offenbart jedoch, dass neben förmliche, außer-strafrechtliche Pflichten zunehmend auch Konstellationen treten, bei denen nicht mehr entscheidend auf die Verletzung einer Rechtspflicht, sondern die Beeinträchtigung außer-rechtlicher Positionen abgestellt wird. Augen­ fällig ist dies etwa bei Edmund Mezger,39 der zwar nominell am Erfordernis einer rechtlich begründeten Pflicht festhält, andererseits aber den von zivilrechtlicher Gültigkeit unabhängigen Gesichtspunkt für entscheidend hält, ob sich der Vertragsgegner auf die zugesagte Hilfe verlässt und im Vertrauen darauf andere Sicherung unterlässt. Damit freilich entfällt der tragende Legitimationsansatz der Unterlassungshaftung aus Sicht der formellen Rechtspflichttheorie: Wenn das Opfer keinen Rechtsanspruch auf eine Tätigkeit des Unterlassenden hat, so wird es durch dessen Untätigkeit auch nicht in seinem Rechtskreis verletzt. Weshalb der Vertrauensgedanke geeignet sein soll, die förmliche Rechtspflicht zu substituieren, bleibt ungeklärt. Das Gleiche gilt für den nächsten Schritt des pragmatischen Ansatzes, der darin bestand, ein gefährdendes Vorverhalten als Grund der Handlungspflicht einzu­ beziehen. Der Urgrund dieser „Ingerenzhaftung“ ist trübe. Ohne nähere Begründung tritt sie wohl erstmals in Stübels Beitrag aus dem Jahre 1828 in Erscheinung.40 Einer schlecht belegten Behauptung Johannes Naglers zufolge sei der Ingerenzgedanke hingegen bereits deutschrechtlich bezeugt41 und von Stübel nur wiederentdeckt worden. Darüber hinaus verwiesen Nagler und Hugo Meyer42 zur Rechtfertigung der Ingerenzhaftung auf die Lehren Merkels und Bindings, wobei Nagler die Ingerenz gar zum „lebenskräftigen Glanzstück“ ihrer Forschungen erklärte.43 Damit jedoch würde ein unter naturalistischen Vorzeichen zur Begründung der Unterlassungskausalität herangezogenes Vorverhalten in einen pflichten 36

Mezger, Strafrecht, S. 136; Frank, Strafgesetzbuch, § 1 IV (S. 23 f.). v. Liszt, Lehrbuch, S. 111 f. 38 v. Liszt, Lehrbuch, S. 112; Mezger, Strafrecht, S. 137 f.; Frank, Strafgesetzbuch, § 1 IV (S.  23 f.). 39 Vgl. Mezger, Strafrecht, S. 144. 40 Vgl. oben II. 41 Nagler, GS 111 (1938), S. 26, Fn. 60 unter Verweis auf Stobbe, jedoch ohne nähere Quellenangabe. 42 Meyer, Lehrbuch, S. 185, Fn. 8. 43 Nagler, GS 111 (1938), S. 26, Fn. 60. 37

3. Verwirrung

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begründenden Tatbestand umgedeutet und den theoretischen Ansätzen Merkels und Bindings Gewalt angetan. Eine Reihe weiterer Autoren44 und das Reichs­ gericht45 schließlich stützten die Ingerenzhaftung des Unterlassenden auf einen Satz des Gewohnheitsrechts und schnitten kritischen Nachfragen nach Sinn und Zweck einer solchen Haftung auf diese Weise das Wort ab. Nachdem das Unterlassungsdelikt dogmatische Schranken somit weitgehend hinter sich gelassen hatte, schloss sich nun die bis heute andauernde Phase an, in der die Rechtsprechung im Großen und Ganzen an die durch die Fallgruppen der Ingerenz und der engen persönlichen Verbundenheit erweiterte formelle Rechtspflichttheorie anknüpfte, und hierin bei Teilen der Literatur Unterstützung fand.46 Andere Teile der Literatur gar streckten gänzlich die Waffen und zogen sich auf die sog. „Funktionenlehre“ zurück, die sich auf die funktionelle Einordnung der in Rechtsprechung und Lehre vorgefundenen Garantentypen als Obhuts- oder Sicherungsgaranten beschränkt.47 Das allzu deutliche Legitimationsdefizit der Funktionenlehre sucht Weigend48 neuerdings durch einen innovativen Ansatz zu mildern, indem er die faktisch anerkannten Garantenpflichten durch Rückführung auf einfache normative Sätze zu legitimieren sucht. Dabei lassen sich laut Weigend drei normative Grundsätze unterscheiden: Zunächst ein „Übernahme-Gedanke“, wonach derjenige, der einem anderen seine Hilfe zugesagt und damit typischerweise dessen Vertrauen in die Einhaltung der Zusage geweckt hat, in besonderer Weise für die entstehenden Gefahren verantwortlich sei. Sodann ein „Ingerenz-Gedanke“, wonach man für solche Gefahren verantwortlich sei, die man in zurechenbarer Weise geschaffen habe. Und schließlich ein „Herrschafts-Gedanke“, demzufolge der Inhaber der Herrschaft über einen bestimmten Bereich solche Gefahren abzuwenden verpflichtet sein soll, die gerade aus dieser Herrschaftssphäre heraus für Dritte erwachsen. Die Plausibilität jener Grundaxiome schließlich solle sich im Wesentlichen aus einem 44

Allfeld, Lehrbuch, S. 113; H. Bauer, Nothilfepflicht, S. 61; M. Bauer, Unterlassene Rettung, S. 71 f.; Dahm, DeR 1941, S. 1995; Frede, Rechtspflichten, S. 152; von Gerlach, Das unechte Unterlassungsdelikt, S. 28 f.; Honig, in: FS Schaffstein (1975), S. 95; v. Liszt (Lehrbuch, S. 113), der die Haftung aus vorangegangenem Tun als „allgemeine, wenn auch nirgends ausdrücklich ausgesprochene Rechtsvorschrift“ bezeichnet; Traeger, Problem der Unterlassungsdelikte, S. 102–104. Einschränkend hierzu Mezger, Strafrecht, S. 145 ff.; kritisch Frank, Strafgesetzbuch, § 1 IV. 2. (S. 24). 45 RGSt 46, 343; RGSt 58, 130, 132. 46 Der BGH hat bis heute im Wesentlichen an ihr festgehalten – siehe Roxin § 32 Rn. 5 m. w. N. Zu ihren heutigen Vertretern in der Literatur zählen Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, § 13 Rn. 6 f., 7, 14; Vor § 324 Rn. 11 f.; trotz Kritik an der klassischen Garantentrias wohl auch Gropp, AT, § 11 Rn. 14–20. Im Ausland erfreut sich diese Lehre hingegen noch äußerster Beliebtheit, vgl. etwa zum Strafrecht in den USA § 2.01 (3) (b) M. P. C.; Italien, Portugal und Spanien: Duttwiler ICLR 6 (2006), S. 39 m. w. N.; Südkorea: Ryu, Introduction, S. 17; Japan: Dando, Criminal Law, S.  58 ff. 47 Vgl. mit zahlreichen Nachweisen Roxin, AT II, § 32 Rn. 6, Fn. 13. 48 Weigend, in: LK, § 13 Rn. 24 ff.

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III. Entdeckung und Verwirrung

Vorverhalten des Täters ergeben, als dessen Konsequenz ihm die Handlungspflicht aufgebürdet werden könne.49 Dieser Ansatz ist insoweit begrüßenswert, als er es unternimmt, über die bloße funktionelle Kategorisierung der vorgefundenen Garantenpflichten durch die Funktionenlehre hinauszugehen und die ihnen zugrundeliegenden normativen Prinzipien offenzulegen. Ein solcher im Kern induktiver Ansatz ist dogmatisch ungewöhnlich, aber gerade angesichts der Garantenproblematik reizvoll, da hier ein für nicht-common-law-Rechtssysteme besonderer Schatz schlummert: Es ist ein im deutschen Strafrecht sehr seltener Vorgang, dass die Rechtsprechung seit Jahrzehnten fast ohne gesetzliche Begrenzung zu einer strafrechtlichen Kernfrage faktisch Recht setzen konnte. Der so gewonnene Bestand reflektiert nicht nur die gesellschaftlich verfestigten Erwartungshaltungen an bestimmte Rollenträger, sondern zugleich das Ergebnis einer jahrzehntelangen Abwägung zwischen Strafbedürfnis und Freiheitssphäre durch Heerscharen höchster Richter. Es ist daher nur natürlich, diesen Bestand in Ermangelung klarer gesetzlicher Vorgaben als Quelle der Orientierung vollständig auszuschöpfen. Insoweit kann die Offenlegung der ihm innewohnenden Grundaxiome eine wichtige Ergänzung der Funktionenlehre darstellen. Allerdings ist ebenso zu beachten, dass die Grundgedanken der Übernahme, der Ingerenz und der Herrschaft so offen sind, dass sie ohne nähere Konkretisierung noch nicht entscheidend zur Konturierung der Grenzen der Unterlassungsstrafbarkeit beitragen können. Zudem darf nicht verkannt werden, dass auch die Zuordnung der in freier Rechtsfindung gewonnenen Garantenpflichten zu allseits akzeptierten Grundwerten ihren Hauptmangel – die mangelnde gesetzliche Bestimmung der Unterlassungsstrafbarkeit entgegen Art. 103 Abs. 2 GG – nicht beheben kann, sondern das rechtsstaatliche Unbehagen allenfalls zu lindern vermag.

49 Vgl. Seelmann (GA 1989, S. 243), der die Kriterien „Gefahr, Vertrauen und Herrschaft“ benennt.

IV. Lösungsversuche Daneben gab es immer wieder Versuche, das Dunkel der Unterlassungszurechnung dogmatisch auszuleuchten oder sie doch zumindest in irgendeiner Weise zu gründen. Diese Lehren lassen sich grob in drei Kategorien unterteilen. Die erste Kategorie bilden Ansätze, die in den vorrechtlichen Strukturen der sozialen Wirklichkeit, vor allem den an bestimmte gesellschaftliche Rollen gerichteten Handlungserwartungen nach Anhaltspunkten für Grund und Grenzen des unechten Unterlassens suchen. Die zweite, als zweckrationalistisch bzw. normativistisch zu bezeichnende Strömung stellt den Strafzweck an den Anfang der Betrachtung und versucht über seine Konkretisierung einzelne Handlungspflichten abzugrenzen. Die dritte Meinungsgruppe schließlich knüpft an die gesetzliche Gleichstellung von Tun und Unterlassen an und gewinnt die Kriterien der Unterlassungszurechnung im Wege eines analogischen Verfahrens aus den Voraussetzungen der Begehungszurechnung. Aus den drei Begründungswelten sollen nun einige wichtige Ansätze vorgestellt und kritisch hinterfragt werden.1 1. Vorrechtliche Handlungserwartungen als Rechtsquelle a) Otto und Brammsen Hier wäre zunächst die von Otto2 und Brammsen3 vertretene Lehre zu nennen, die sämtliche Garantenpositionen nicht aus außerstrafrechtlichen Rechtspflichten, sondern vorrechtlichen gesellschaftlichen Verhaltenserwartungen beziehen möchte. Dabei sollen nur solche als zwingend zu befolgende Verhaltensanforderungen (sog. „Muss-Erwartungen“) Garantenpflichten generieren, die allgemein in bestimmten Situationen an einen vorab bestimmbaren Personenkreis gerichtet werden, und die sich in bestimmten realen Positionen in der Sozietät verfestigt haben.4 Hinzukommen müsse ferner, dass der Muss-Erwartung der Sozietät eine entsprechende Muss-Erwartung des Erwartungsadressaten (eine sog. „Erwartungserwartung“) dergestalt gegenübersteht, dass sich beide als ein gegenseitiges 1 Leider nicht näher dargestellt werden können hier insbesondere die Thesen von Rudolphi (NStZ 1984, S. 149 ff.), Seelmann (GA 1989, 251 ff.), Herzberg (Garantenprinzip, S. 197 ff.), und Vogel, (Norm und Pflicht, S. 358 ff.). 2 Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 9 Rn. 42 ff.; Otto/Brammsen, JURA 1985, S. 530, 536 f. 3 Brammsen, Entstehungsvoraussetzungen, S. 113 ff. 4 Brammsen, Entstehungsvoraussetzungen, S. 116.

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IV. Lösungsversuche

Erwartungsverhältnis darstellen.5 Schließlich müsse die Erwartung von solcher Festigkeit und solchem Gewicht sein, dass ihre Verletzung einen ebenso schweren Schaden für die Vertrauensbasis des Soziallebens hervorbringt wie die Gefährdung und Verletzung einzelner Rechtsgüter durch positives Tun.6 In der Literatur ist diese Lehre kaum auf Zustimmung gestoßen, was in erster Linie an ihrer mangelnden Praxistauglichkeit liegen dürfte. Hinzu tritt die Wortlautschranke des § 13 Abs. 1 StGB: Die Sollenssätze, von denen die Strafbarkeit letztlich abhängt, wären ja allein in der Sitte gegründet und konstituierten somit nicht das von § 13 StGB geforderte rechtliche Einstehenmüssen.7 Und schließlich erhielte das Staatsvolk (oder gar einzelne Untergruppen desselben) eine quasi-legislatorische Kraft, indem es unabhängig von Wahlen und Abstimmungen, wie in Art. 20 GG vorgesehen, die Strafrechtsordnung gestalten könnte. b) Die ältere Auffassung Roxins Dem vorgenannten Ansatz ähnlich ist der im Jahre 1970 von Roxin vertretene,8 inzwischen jedoch aufgegebene9 Standpunkt. Danach hänge die Gleichstellbarkeit einer Unterlassung mit der Begehung davon ab, ob die Unterlassung als „verkapptes Pflichtdelikt“ zu qualifizieren sei, d. h. ob der Unterlassende durch die Nichthinderung des Erfolges gegen seine Pflichten im Rahmen eines vorher bestehenden sozialen Beziehungsverhältnisses verstößt und damit die an seine soziale Rolle gestellten Handlungserwartungen verletzt. Da es für die Verwirklichung eines Pflichtdelikts unerheblich ist, ob die Pflicht durch Tun oder Unterlassen verletzt wird – und Pflichtdelikte somit eine Brücke zwischen Begehungs- und Unterlassungsdelikt bilden10 – liegt es durchaus nahe, für die Gleichstellung von Tun und Unterlassen hier anzusetzen. Dagegen spricht jedoch, dass der Begriff der „sozialen Rolle“ oder der Pflichten aus dem „sozialen Beziehungsverhältnis“ ebenso unscharf bleiben muss wie die sozialen Handlungserwartungen in der Lehre Brammsens, und dass auch hier die Entscheidung über die Rechtsqualität des Einstehenmüssens nicht dem Gesetzgeber, sondern dem sittlichen Empfinden des erkennenden Gerichts überantwortet wird. Zudem erscheint es nur schwerlich erklärbar, wieso derselbe Tatbestand seine Natur als Herrschafts- oder Pflicht­ delikt je nachdem wechseln sollte, ob er durch Tun oder Unterlassen verwirklicht wird.

5 Brammsen, Entstehungsvoraussetzungen, S. 120 ff., 130, in Anlehnung an Luhmann, Rechtssoziologie, S. 33 f. 6 Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 9 Rn. 46. 7 So auch BVerfG NJW 2003, 1030 f. 8 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 18 f. 9 Roxin, AT II, § 32 Rn. 19. 10 Roxin, AT II, § 31 Rn. 71.

2. Normativistische Ansätze

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2. Normativistische Ansätze a) Jakobs Der Konzeption Jakobs11 liegt dessen normativistischer Handlungsbegriff zugrunde. Danach lasse sich das Handeln im strafrechtlichen Sinne als ein „Sich-Schuldhaft-Zuständig-Machen für einen Normgeltungsschaden“ definieren,12 wodurch die bei naturalistisch-faktischer Betrachtung unumgängliche Differenzierung von Tun und Unterlassen aufgehoben wird.13 Die „Zuständigkeit“ des Einzelnen könne in zweifacher Form begründet werden, nämlich einmal in Gestalt einer Organisationszuständigkeit, und zweitens in Form einer institutionellen Zuständigkeit. Diese Kategorien gewinnt Jakobs aus der den Besonderen Teil kennzeichnenden Zweiteilung in sog. Herrschafts- und Pflichtdelikte. Die Organisa­ tionszuständigkeit finde bei den Herrschaftsdelikten14 Anwendung. Der Grund der Haftung sei hier, dass der Täter durch sein Kausalwerden für den deliktischen Erfolg seinen Organisationskreis ohne Rücksicht auf andere Personen und auf deren Kosten ausdehne.15 Den sog. Pflichtdelikten16 liege demgegenüber in Gestalt der institutionellen Zuständigkeit ein anderes Zurechnungsprinzip zugrunde. Hier sei es nicht der der eigenen Gestaltungsherrschaft unterliegende Organisationskreis, sondern vielmehr der an sozial vorgeformte (und allenfalls in engen Grenzen disponible) Regelungskomplexe gebundene Status einer Person (wie Elternteil, Vormund oder Beamter), welcher strafbewehrte Verhaltenspflichten hinsichtlich der von ihm erfassten Rechtsgüter zur Entstehung brächte.17 Die solcherart pflicht­ begründenden Regelungskomplexe bezeichnet Jakobs als „Institutionen“ und die aus ihnen abgeleiteten Pflichten folglich als Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit.18 Sodann sucht Jakobs die beiden dergestalt abstrahierten Zurechnungstypen auch für die Unterlassungszurechnung fruchtbar zu machen. So ergebe sich im Bereich der Organisationszuständigkeit kein qualitativer Unterschied zwischen Tun und Unterlassen, da es für die Zurechnung eines Erfolges zum Organisationskreis gleich sei, ob der Täter für den Erfolg handelnd kausal werde, oder ob sein Organisationskreis ohne tätiges Zutun noch Außenwirkung entfalte.19 Ähnliches gelte für die institutionelle Zuständigkeit, da auch die Garantenstellung 11

Jakobs, AT, 29/26 ff. Jakobs, Handlungsbegriff, S. 44. 13 Jakobs, Handlungsbegriff, S. 32 f.; Vgl. schon zuvor Jakobs, AT, 28/13; 7/70, wonach es sich bei der Unterscheidung von Unterlassen und Tun nicht um eine qualitative, sondern letztlich nur um eine verbale Differenzierung handele. 14 Jakobs, AT, § 21/3; 21/16. 15 Jakobs, AT, 7/56. 16 Jakobs, AT, § 21/2; 21/115 ff. 17 Jakobs, AT, 7/70. Vgl. auch die dortige Umschreibung der institutionellen Zuständigkeit: Haftungsbegründend wirke hier die „Verletzung von Pflichten zur besonderen, institutionell abgesicherten solidarischen Sorge für ein Gut.“ 18 Jakobs, AT, 29/57 ff. 19 Jakobs, AT, 7/56. 12

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IV. Lösungsversuche

aufgrund eines sozial vorgeformten Status sowohl Handlungs- als auch Unterlassungspflichten zu generieren vermag. Eingrenzend merkt Jakobs jedoch an, dass nur aus Institutionen, die für den gesellschaftlichen Bestand von elementarem Gewicht sind, und zu denen deshalb im Allgemeinen keine Organisationsalternative bestehe, Garantenpflichten abgeleitet werden dürften.20 Bereits gegen den Handlungsbegriff Jakobs’ als Ausgangspunkt seiner Zu­ rechnungslehre mag man Bedenken hegen. Reduziert man den Handlungsbegriff um das von Jakobs hinzugezogene Schuldelement und beschränkt ihn somit im klassischen Sinne auf die allgemeinen Merkmale des Unrechtstatbestandes, so erweist sich das verbleibende „Sich-zuständig-machen-für-einen-Normgeltungsschaden“ als annähernd deckungsgleich mit dem Begriff der Normverletzung: Der „Normgeltungsschaden“ nämlich ist mit der Normverletzung inhaltsidentisch, und der zentrale Begriff der „Zuständigkeit“ umschreibt noch nicht wesentlich mehr als die Normadressateneigenschaft.21 Diese Inhaltsarmut des Jakobs’sche Handlungsbegriffs mit Blick auf den Unrechtstatbestand (Jakobs’ schärfster Kritiker Schünemann spricht gar von einem „Ausbund an Zirkularität“22) sollte jedoch argumentativ nicht überbewertet werden. „Blutleere Gespenster“23 finden sich schließlich auch unter anderen Handlungsbegriffen und hindern nicht zwangsläufig die Konkretisierung der Zurechnung auf den nachfolgenden Systemstufen. Schwerer wiegt indes, dass der Ansatz Jakobs’ die der gesetzlichen Regelung zu entnehmende Einteilung der Tatbestände in Herrschafts- und Pflichtdelikte nur im Bereich der Begehungszurechnung respektiert, beim unechten Unterlassen jedoch durchbricht und die Zurechnung kraft institutioneller Zuständigkeit auch auf Herrschaftsdelikte zur Anwendung bringt. Es liegt nicht fern, hierin eine Rechtsanalogie in malam partem zu erkennen, für die es überdies an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Hinzu kommt, dass die Unterlassungszurechung mithilfe eines Kriteriums, das im zugrunde liegenden Tatbestand nicht angelegt ist und bei der Begehungszurechnung daher auch keine Rolle spielt, der Vorgabe des § 13 Abs. 1 StGB zuwiderläuft, der fordert, dass „das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein Tun entspricht“. Der zweite Mangel des Konzepts liegt in der Grenzunschärfe der benannten Zuständigkeitsformen. Schon der Begriff der Organisationszuständigkeit erscheint insoweit bedenklich. Zwar scheint der Organisationskreis als Zurechnungskriterium der Herrschaftsdelikte einer Konkretisierung durch den Herrschaftsgedanken offen zu sein.24 Hierauf deutet auch Jakobs selbst hin, wenn er feststellt, dass die Unterlassungsverantwortlichkeit für einen Organisationskreis „parallel den

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Jakobs, AT, 29/58. Schünemann, in: FS Roxin (2001), S.18. 22 Dezidiert Schünemann, in: FS Roxin (2001), S.18 f. 23 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 17. 24 Schünemann, Internationale Dogmatik, S. 57. 21

2. Normativistische Ansätze

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Begehungs-Herrschaftsdelikten“25 zu verstehen sei, für die er sich im Wesentlichen der Tatherrschaftslehre Roxins angeschlossen hat.26 Auch die von Jakobs als Beispiel der Organisationszuständigkeit angeführte Konstellation des Autofahrers, der, um einen Fußgänger nicht zu überfahren, bremsen (Tun) oder nicht weiter beschleunigen (Unterlassen) muss,27 legt nahe, dass die in beiden Varianten vorliegende Herrschaft des Fahrzeugführers über die schädliche Kraft das verbindende Zurechnungskriterium bilden dürfte. Diese vorgezeichnete Konkretisierung lässt Jakobs jedoch ungenutzt und umschreibt den Organisationskreis sehr unscharf als Bereich, aus dem „keine schädigenden Bedingungen nach außen dringen [sollen]; mit anderen Worten, wer Handlungsfreiheit so gebraucht, dass ohne Aufwand (z. B. Abbremsen des Autos) Schäden bei anderen nicht vermieden werden können, soll den Aufwand tragen.“28 Eine Ausnahme gelte lediglich dann, wenn die schadenträchtigen Beziehungen des Organisationskreises nach außen sozialadäquat seien.29 Diese Definition lässt sich in zweifacher Weise deuten: –– Versteht man den „Gebrauch der Handlungsfreiheit“ einschränkend im Sinne einer aktiven, physikalische Wirkkraft entfaltenden Tätigkeit, so hätte Jakobs die Organisationszuständigkeit als eine völlig unbeschränkte Ingerenzhaftung konstruiert.30 So verstanden aber verstieße diese Auffassung wiederum gegen die gesetzliche Vorgabe, dass die Unterlassung dem Tun „entsprechen“ muss, da eine bloß kausale Folge eines Vorverhaltens nicht zwangsläufig im Herrschaftsbereich des Täters liegt, was aber im Falle der Begehung nach der von Jakobs im Wesentlichen anerkannten Tatherrschaftslehre der Fall sein müsste. Zudem führte die aus­weitende Auslegung des Organisationskreises zu einer faktischen Übernahme des allein auf Verursachung abstellenden extensiven Täterbegriffs,31 der andernorts von Jakobs abgelehnt wird.32 –– Näher liegt es, den Begriff der Organisationszuständigkeit so zu verstehen, dass nicht nur der tatsächliche Anstoß schädigender Kausalverläufe, sondern auch der „Gebrauch der Handlungsfreiheit“ in Form von Unterlassungen eine Organisa­tionszuständigkeit auslösen können soll. Die von Jakobs angeführten Beispiele deuten darauf hin, dass in der Tat dieses offenere Verständnis gemeint ist.33 Damit aber kommt der Organisationszuständigkeit jeder greifbare Bezug zum Täter abhanden, der im Falle der Ingerenz ja immerhin noch in Form des 25

Jakobs, AT, 29/28. Jakobs, AT, 21/35 ff. 27 Jakobs, AT, 7/56. 28 Jakobs, AT, 28/14. 29 Jakobs, AT, 29/30. 30 So Schünemann, Strafrechtsdogmatik als Wissenschaft, S. 19. 31 Zu diesem und weiteren Täterbegriffen vgl. Roxin, AT II, § 25 Rn. 1 ff. 32 Jakobs, AT, 21/8. 33 Jakobs (AT, 29/30) nennt etwa die Haftung des Hauseigentümers für Schäden aufgrund im Sturm herabfallender Ziegel. Hat der Hauseigentümer das Haus geerbt und sich in keiner Weise um sein Erbe gekümmert – insbesondere aber auch die Erbschaft nicht ausgeschlagen – so sei er allein durch Unterlassen zum Organisationszuständigen geworden. 26

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IV. Lösungsversuche

Kausalverlaufs vorläge. Die einzigen Grenzen der Unterlassungshaftung lägen dann nur noch im Verhinderungsvermögen des Täters und im erneut höchst unscharfen Begriff der Sozialadäquanz. Ähnlichen Bedenken setzt sich auch die „institutionelle Zuständigkeit“ aus. Die Handlungspflicht entnimmt Jakobs hier unmittelbar dem sozialwissenschaftlichen Phänomen der „Institution“ als „dauerhafter und rechtlich anerkannter Beziehungsform einer Gesellschaft, die der Disposition des einzelnen Menschen generell entzogen ist, ihn vielmehr mit konstituiert.“34 Das Sollen wird also unumwunden einer vorgefundenen kulturellen Struktur entnommen, womit sich J­ akobs – ein für einen Normativisten eigentlich unerträglicher Befund – in einen naturalis­ tischen Fehlschluss hineinbegibt. Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, dass dauerhafte gesellschaftliche Beziehungsformen stets untrennbar mit Verhaltenserwartungen verbunden sind und daher von vornherein auch der Sphäre des Sollens angehören. Denn die insoweit angesprochenen „Pflichten“ sind nur sittlicher Natur, und ihre Erhebung zur (sogar strafbewehrten) Rechtspflicht setzt sich all jenen Bedenken aus, die oben bereits gegen den Ansatz Brammsens vorgebracht wurden.35 Bedenklich ist ferner, dass Jakobs neben abgrenzbaren Phänomenen wie der Ehe und dem Eltern-Kind-Verhältnis auch das „besondere Vertrauen“ als pflichtbegründende Institution anerkennen will. Vertrauen nämlich stellt, so wichtig es für das Funktionieren einer Gesellschaft sein mag, keinen sozial vorgeformten Regelungskomplex von gewisser Beständigkeit und damit keine „Institution“ im Sinne Jakobs’ dar, sondern ist ein seiner Natur nach flüchtiger Teilaspekt unterschiedlichster sozialer Interaktionen.36 Faktisch eröffnet Jakobs in Gestalt des besonderen Vertrauens somit neben Organisations- und institutioneller Zuständigkeit eine dritte Quelle von Garantenpflichten, auf die die für die „Institution“ formulierten konkretisierenden Faktoren nicht übertragbar sind, und die deshalb so unbestimmt ist, dass sie keine verlässliche Grundlage für die Gleichstellung bieten kann. Auf den Punkt gebracht lässt sich also festhalten, dass der hohe Abstraktionsgrad der Kernbegriffe „Organisationszuständigkeit“, „institutionelle Zuständigkeit“ und „Vertrauen“ einer deduktiven Konkretisierung von Garantenpflichten im Wege steht.37 Der entscheidende Kritikpunkt gegenüber der Lehre Jakobs’ liegt daher darin, dass sie zu einer intuitiv-dezisionistischen Konkretierung einzelner Garantenstellungen gezwungen ist und sich letztlich mit der Enumeration derjenigen Situationen behelfen muss, in denen sie angewendet zu werden wünscht.38 34

Jakobs, AT, 29/57, Fn. 114. Auch die Vorgabe, dass die Institution rechtlich anerkannt sein müsse, erhebt selbstverständlich nicht die an sie anknüpfenden gesellschaftlichen Handlungserwartungen zu Rechtspflichten. Täte sie es, so träfe der Einwand Schünemanns (Strafrechtsdogmatik als Wissenschaft, S. 19) zu, dass Jakobs zur obsoleten formellen Rechtspflichttheorie zurückgekehrt sei. 36 Schünemann, Internationale Dogmatik, S. 61. 37 Schünemann, Internationale Dogmatik, S. 60 f. 38 Vgl. Jakobs, AT, 29/29–73. 35

2. Normativistische Ansätze

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Damit bietet sein Ansatz gegenüber der Funktionenlehre einen nur geringen Mehrwert und stellt sich insgesamt als zu unsicher dar, um Grund und Grenzen des unechten Unterlassens befriedigend zu bestimmen. b) Freund Ähnlichen Bedenken wie Jakobs begegnet auch die Lehre Freunds, der ebenso die Gleichstellung von Tun und Unterlassen mithilfe eines beide Modalitäten einigenden normativistischen Ansatzes begründet. Danach beziehen sich die tat­bestandlichen Normierungen von vornherein nicht auf das „vordergründignaturalistische Phänomen des Tuns oder Unterlassens“, sondern normieren Verstöße gegen ganz bestimmte Verhaltensnormen als Straftat.39 Ihren Ausgangspunkt nimmt diese Lehre mit der Überlegung, dass die (der strafrechtlichen Sanktionsnorm vorgelagerten40) Verhaltensnormen in zwei Typen zerfallen: Zum einen eine geringe Anzahl von Normen, deren Legitimation (namentlich im Falle der §§ 138 und 323 c StGB) ausschließlich auf ihrem Nutzen für bestimmte anzuerkennende Rechtsgüterschutzinteressen beruhe.41 Auf der anderen Seite stünden dagegen Normen, bei denen zur Einschränkung der Handlungsfreiheit des Normadressaten als zusätzliches Element eine Sonderverantwortlichkeit hinzutreten müsse.42 Dieser zusätzliche Legitimationsgrund sei insbesondere bei den begehungsgleichen Unterlassungsdelikten vorausgesetzt. Wann genau der potentielle Normadressat einen qualitativ hinreichenden Bezug zu einer Gefahr aufweise, die eine Sonderverantwortlichkeit begründe, sei ein rein normatives Problem.43 Allgemein könnten die möglichen Sonderverantwortlichkeiten danach unterteilt werden, ob der Normadressat einen besonderen Bezug zum Ursprung der zu vermeidenden Gefahr oder zu ihrem Zielort aufweise, womit sich eine den Strukturen der Funktionenlehre entsprechende Einteilung in Gefahrengarantenpflichten und Schutzgarantenpflichten ergebe.44 Ein solcher Bezug zur Gefahrenquelle sei in erster Linie anzunehmen, wenn die Gefahr dem „Organisationskreis“ des Täters entstamme.45 Die begriffliche Anlehnung an Jakobs’ Kategorie der „Organisationszuständigkeit“ ist hier unverkennbar. Soweit sich die Sonderverantwortlichkeit auf das Opferinteresse als Zielort der Gefahr bezieht, spricht Freund von „Beschützerverantwortlichkeiten“. Diese Gruppe unterteilt er weiter in Verantwortlichkeiten kraft Übernahme (wie z. B. Leibwächter, Bademeister, Ärzte und 39

Freund, AT, § 6 Rn. 49. Vgl. Freund, AT, § 1 Rn. 5 ff., 12 ff. 41 Im Unterlassungsbereich gelte dies für die begehungsungleichen („echten“) Unterlassungsdelikte, z. B. §§ 138, 323 c StGB. 42 Zum Ganzen Freund, AT, § 2 Rn. 16 ff.; ders., in: MüKo, § 13 Rn. 71 ff.; ebenso jüngst Georgy, Verantwortlichkeit von Amtsträgern, S. 19 ff. 43 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 72. 44 Freund, AT, § 6 Rn. 22, 26. 45 Freund, AT, § 6 Rn. 26. 40

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IV. Lösungsversuche

Kindermädchen) 46 und Verantwortlichkeiten aufgrund spezieller rechtlicher Zuordnungsverhältnisse (wie die Sorgepflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern und von Staatsanwälten gegenüber der Rechtspflege47). Auch die Auffassung Freunds stößt auf Bedenken. Der zentrale Begriff der Sonderverantwortlichkeit steht für alle Eigenschaften oder Tatumstände, die in die Abwägung der verfassungsrechtlichen Angemessenheitsprüfung mit eingestellt werden müssen, um all jene Verhaltensnormen zu legitimieren, die über das Gebot gesellschaftlicher Mindestsolidarität hinausgehen. Auf der Suche nach zurechnungsbegründenden Merkmalen soll also lediglich danach zu fragen sein, unter welchen Voraussetzungen sich die Inpflichtnahme des Täters zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes als „angemessenes“ Mittel erweist. Damit freilich wird auch hier die Zurechnung weitgehend in den Bereich der Intuition des Rechtsanwenders verschoben. Und so stellen auch alle in den folgenden Schritten von Freund vorgenommen Unterabgrenzungen kaum mehr da, als die Entfaltung der Intuition am vorgefundenen Rechtsstoff, die jedem individuellen Strafwürdigkeitsempfinden eine passende Lösung zu kredenzen vermag und damit bedenklich beliebig bleibt. Als weiterer Kritikpunkt ist anzuführen, dass Freund von dem Verstoß gegen eine Verhaltensnorm ohne Weiteres darauf schließt, dass der resultierende Normgeltungsschaden stets mit dem Mittel des Strafrechts aus der Welt zu schaffen sei. Hier hat er seine Lehre allzu treu an die Strafbegründung Hegels48 angelehnt. Ihr zufolge verletzt ein Täter das „Recht als Recht“49, wenn er durch den unberechtigten Zugriff auf ein Gut, in das das Opfer seinen „besonderen Willen als individualisierten allgemeinen Willen äußerlich gelegt hat“,50 das Anerkennungsverhältnis der Rechtssubjekte untereinander negiert. Um den in der Negation liegenden Schein der Gültigkeit des Normbruchs aus der Welt zu schaffen, bedürfe es der Manifestation der Nichtigkeit der Tat in Form der Strafe.51 Die Beilegung von Konflikten allein mit den Mitteln des Zivilrechts hält Hegel hingegen nur bei dem von ihm so bezeichneten „unbefangenen Unrecht“52 für ausreichend, bei dem der Streit nur „die Subsumtion der Sache unter das Eigenthum des einen oder des andern“ betreffe, sich die Parteien jedoch darin einig seien, dass die Sache dem gehören solle, der das Recht dazu habe.53 Diese Lehre mag in sich stimmig und mit des Adel des Altehrwürdigen ausgestattet sein, ihre unmittelbare Übertragung auf das geltende Strafrecht ist jedoch verfehlt. Ein Beispiel: Haben zwei Menschen im festen Bewusstsein ihrer Leistungswilligkeit und -fähigkeit miteinander einen Kaufvertrag geschlossen, ändert der Käufer nach Erhalt der geschuldeten Ware jedoch 46

Freund, AT, § 6 Rn. 87 ff. Freund, AT, § 6 Rn. 89 ff. 48 Sehr instruktiv: Maultzsch, JURA 2001, S. 85 ff. 49 Hegel, Grundlinien, § 97. 50 Hegel, Grundlinien, § 90. 51 Hegel, Grundlinien, §§ 97, 99. 52 Hegel, Grundlinien, §§ 84–86. 53 Hegel, Grundlinien, § 85. 47

2. Normativistische Ansätze

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seine Einstellung und verweigert nunmehr strikt die Zahlung, obwohl er die Forderung dem Grunde und Höhe nach nicht bestreitet, so bewegt er sich ohne Zweifel jenseits des „unbefangenen Unrechts“ und negiert mit dem individuellen Recht des Kontrahenten zugleich das „Recht als Recht“. Gleichwohl ist das Verhalten des Käufers keinesfalls strafbar. Gleiches gilt für den großen Bereich der Normverletzungen, die dem Ordnungswidrigkeitenrecht unterfallen. Es gibt also eine Vielzahl verfassungsrechtlich legitimer Verhaltensnormen, deren Bruch rechtliche Sanktionen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle begründen. Damit aber erweist sich die Ermittlung von Verhaltensnormen im Wege der Verhältnismäßigkeitsund Angemessenheitsprüfung als ein zu unspezifisches Mittel, um die Grenzen der (Unterlassungs-)Strafbarkeit zu bestimmen. c) Pawlik Bereits in seiner innovativen Schrift „Person, Subjekt, Bürger“ aus dem Jahre 2004 hatte Pawlik angedeutet, wie seine auf Hegel aufbauende Legitimation der Strafe auch für konkrete Fragen der strafrechtlichen Zurechnungslehre nutzbar gemacht werden könne.54 Diesen Ansatz wieder aufgreifend hat er kürzlich untersucht, in welchem Grade der Staat überhaupt legitimiert ist, Handlungspflichten zum Gegenstand strafrechtlicher Regelungen zu machen,55 und von den gewonnenen Erkenntnissen ausgehend ein Garantensystem skizziert. Der legitime Zweck des Rechts sei es, allen Bürgern zu ermöglichen, ihr Leben nach der eigenen Einsicht führen zu können.56 Dies erlaube und erfordere es primär, die wechselseitige Respektierung der Rechtskreise der Bürger untereinander zwangsweise durchzusetzen. Dabei geht Pawlik mit Adolf Merkel davon aus, dass Urheber verletzender Veränderungen innerhalb der Rechtssphäre eines anderen nicht nur der aktive Störer, sondern auch derjenige sei, „welcher durch die gefährliche Organisation seines eigenen Rechtsbereichs oder die Übernahme einer bestimmten Tätigkeit die Integrität der Interessen eines anderen [in zurechenbarer Weise] von seiner Wirksamkeit abhängig gemacht habe und hernach diese Wirksamkeit nicht entfalte.“57 Wie schon bei Freund ist auch hier die Nähe dieser ersten Quelle von Garantenpflichten mit der Organisationszuständigkeit Jakobs offenkundig. Als Unterformen unterscheidet Pawlik die Ingerenz, Verkehrspflichten und Pflichten kraft tatsächlicher Übernahme.58 Daneben aber müssten auch die grundlegenden Realbedingungen personaler Existenz gesichert werden, ohne die eine selbstbestimmte Lebensführung erst gar nicht möglich wäre. Die solcherart legitimierten Garanten­pflichten benennt Pawlik in Anlehnung an Jakobs als institutionell begründete Zustän 54

Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 82–88. Pawlik, in: FS Roxin (2011), S. 931 ff.; ders., Das Unrecht des Bürgers, S. 174–192. 56 Pawlik, in: FS Roxin (2011), S. 938 ff. 57 Pawlik, in: FS Roxin (2011), S. 940 m. w. N. 58 Pawlik, in: FS Roxin (2011), S. 940–942; ders., Das Unrecht des Bürgers, S. 178–186. 55

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IV. Lösungsversuche

digkeiten.59 Unterformen bildeten hier zum einen (tatbestandlich verselbständigte) Ausprägungen der allgemeinen Bürgerpflicht (wie die Steuerpflicht gem. § 370 AO oder die Zeugenpflicht gem. §§ 153 ff. StGB),60 zum anderen Garantenpflichten kraft zurechenbar übernommener Sonderrollen. Die letzteren wiederum könnten zum einen in der Übernahme einer Tätigkeit im Rahmen der staatlichen Organisation ihren Grund finden (z. B. die Verpflichtung von Polizisten zur Verhinderung von Straftaten). Zum anderen soll es auch Privatpersonen kraft ihres Vorverhaltens obliegen können, hilflose Dritte gegen Gefahren abzuschirmen (wofür das Eltern-Kind-Verhältnis und die Ehe als Beispiele angeführt werden).61 Pawliks Grundlegung ist insoweit verdienstvoll, als sie eine (wenngleich vage) Vorstellung davon vermittelt, wo die äußerste Grenze staatlicher Legitimation bei der Auferlegung von Handlungspflichten verläuft. Auch sie bleibt jedoch deutlich hinter ihrem Anspruch zurück, Licht in das „dunkelste Kapitel in der Dogmatik des Allgemeinen Teils“ hineinzutragen,62 bzw. ein System der Garantenpflichten vorzeichnen zu können,63 und zwar aus mehreren Gründen. Ihr Hauptmakel besteht in der unausgesprochenen Prämisse, die Strafbarkeit der Unterlassung kongruent zu ihrer Legitimierbarkeit gestalten zu dürfen, womit Pawlik seinen noch 2004 erhobenen Anspruch, kein Kriminalisierungs-, sondern lediglich ein Strafermöglichungsmodell geliefert zu haben,64 stillschweigend aufgegeben haben dürfte. Durch die Konstruktion der Unterlassungsstrafbarkeit längs der Grenzen ihrer Legitimierbarkeit nämlich verlöre das Strafrecht seinen ultima-ratio-Charakter, der nach dem Verhältnismäßgkeitsprinzip geboten ist, und seinen lebendigen Ausdruck darin finden, dass unsere Rechtsordnung eine Vielzahl von Konflikten, in denen eine (auch) strafrechliche Sanktion legitim gewesen wäre, allein mit den Mitteln des Zivil- und Verwaltungsrechts bewältigt.65 Diese Unschärfe schlägt sich auch in den gewählten sprachlichen Wendungen Pawliks nieder, in denen „Recht“ und „Strafrecht“ mehrfach zu einer Einheit zusammengezogen werden.66 59

Pawlik, in: FS Roxin (2011), S. 943; ders., Das Unrecht des Bürgers, S. 186–192. Pawlik, in: FS Roxin (2011), S. 943 f. 61 Pawlik, in: FS Roxin (2011), S. 944 f. 62 Pawlik, in: FS Roxin (2011), S. 931. 63 Pawlik, in: FS Roxin (2011), S. 938. 64 Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 96 f. 65 Hierzu Schünemann (Strafrechtsdogmatik als Wissenschaft, S. 15) der insoweit von einem „Loch in der Deduktion“ spricht und spitz bemerkt: „Dass auch große Philosophen wie Kant und Hegel dieser Verwechselung erlegen sind, kann diesen Fehler nicht heilen, sondern beruht offenbar darauf, dass weder Kant noch Hegel Juristen waren.“ 66 Pawlik, in: FS Roxin (2011), S. 931: „[Die] Frage, inwieweit [negative und positive Pflichten] zum Gegenstand rechtlicher, zumal strafrechtlicher Regelungen gemacht werden dürfen.“ S. 934: „Sein systematische Interesse gilt der Frage, welche Pflichten ein Staat zwangsweise, und gar mit den Instrumenten des Strafrechts, durchsetzen darf.“ S. 935: „Mit Kant teilt er zum einen die Auffassung, dass das Recht, zumal das Strafrecht, grundsätzlich auf die Statuierung negativer Pflichten beschränkt sei (…).“ S. 938: „Die Hauptaufgabe des Rechts, 60

2. Normativistische Ansätze

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Ferner gerät durch die legitimationstheoretische Annäherung an die Unterlassungshaftung allzu sehr der Umstand aus dem Blickfeld, dass gemäß § 13 Abs. 1 StGB nur solche Unterlassungen als begehungsgleich angesehen werden können, die der Verwirklichung des Tatbestandes durch ein Tun entsprechen. Für die normativistischen Theorien wird man hieraus ableiten müssen, dass nur solche Pflichten eine Haftung gem. § 13 StGB begründen können, die einer Verletzung sowohl durch Unterlassen als auch durch Tun zugänglich sind. Innerhalb des Systems Pawliks trifft dies jedoch lediglich für die Pflichten kraft Gefahren des eigenen Organisationskreises zu. Der zweite Garantentyp, die Nichtgewährung elementarer Existenzbedingungen, findet hingegen auf Begehungsseite kein Äquivalent. Nach Pawlik geht es hier um Daseinsvorsorge, um die Schaffung von Lebensbedingungen, die Verbesserung und Erweiterung eines vorgegebenen Rechtsbestandes, und nicht lediglich dessen Respektierung und Wahrung der Integrität.67 Da Verbesserungen und Erweiterungen aber niemals durch Unterlassen, sondern nur durch Tätigkeit bewirkt werden können, ist keine aktive Begehung denkbar, die der Verletzung solcher Garantenpflichten noch entspräche. Die Handlungspflichten des zweiten Garantentyps beziehen sich daher nicht auf begehungsgleiche („unechte“) Unterlassungen im Sinne des § 13 StGB, sondern „echtes“ Unterlassen. Zur Verdeutlichung ein Beispiel: In dem Fall, dass eine Mutter angesichts ihres lebensbedrohlich erkrankten Kindes untätig bleibt, hielte Pawlik eine Handlungspflicht für legitim, die auf die Verbesserung und Erweiterung des vorgefundenden Rechtsbestandes – also auf die Wiederherstellung der Gesundheit des Kindes gerichtet ist. Diese nur durch Entfaltung von Tätigkeit zu erfüllende Pflicht findet keine Entsprechung im aktiven Tun und vermag daher nichts zur Beantwortung der Frage beitragen, wann der Totschlagstatbestand auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann. Eine weitere Schwäche des Vorschlags Pawliks liegt darin, den großen Beurteilungsspielraum des Staates bei der Entscheidung über die Frage, was die Vernunft zur Sicherung und Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens gebietet, beiseite zu schieben. Bevor man selbst zur Konkretisierung einzelner Garantenpflichten schreitet, hätte es also zunächst des Nachweises bedurft, dass der Staat seine Entscheidung hierüber nicht bereits selbst getroffen hat. Hierzu wären also zunächst die gesetzgeberischen Entscheidungen nach Anhaltspunkten für die Grenzen des begehungsgleichen Unterlassens zu durchsuchen gewesen, die – wie unten näher beleuchtet werden wird – durchaus ergiebig sind. Der Hauptkritikpunkt liegt jedoch auch hier in der teilweisen Beliebigkeit der gefundenen Lösung. Während der erste Schritt der Deduktion (vom Zweck des Rechts im Allgemeinen hin zu den Gesichtspunkten vom Organisationskreis und zumal des Strafrechts, besteht darin, es den Bürgern zu ermöglichen, ihr Leben nach eigener Einsicht führen zu können.“ (Hervorhebung v. Verf.) Ebenso Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 174. 67 Pawlik, in: FS Roxin (2011), S. 943.

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IV. Lösungsversuche

den Realbedingungen menschlicher Existenz) folgerichtig erscheint, kann auch Pawlik seine weiteren Unterabgrenzungen nur noch intuitiv-dezisionistisch gewinnen. Wie schon die einzelnen Pflichten bei Freund und Jakobs sind auch sie nicht der Erkenntnis, sondern nur noch des Bekenntnisses zugänglich und also letztlich kontingent. Und so sieht sich auch Pawlik schließlich gezwungen zum Teil – etwa im Falle der Garantenpflichten von Hoheitsträgern – zur Konkretisierung des Pflichtenkreises öffentlich-rechtliche Amtspflichten heranzuziehen und damit faktisch zur überholten formellen Rechtspflichtlehre zurückzukehren. d) Fazit Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass sich ein gravierender Mangel an Rechtssicherheit als der Hauptmakel der genannten normativistischen Ansätze erwiesen hat. Die Rechtssicherheit aber bildet nicht lediglich einen Bestandteil der Rechtsidee, sondern geht als Hüterin von Ordnung und Frieden ihren weiteren Bestandteilen, der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit, sogar vor, wie Radbruch in seiner Betrachtung der Antinomien der Rechtsidee treffend klargestellt hat: „Dass dem Streite der Rechtsansichten ein Ende gesetzt werde, ist wichtiger, als dass ihm ein gerechtes und zweckmäßiges Ende gesetzt werde, das Dasein einer Rechtsordnung wichtiger als ihre Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit (…).“68 Dieses Gebot lassen die normativistischen Garantenlehren prinzipiell außer Betracht, und so darf – ohne damit die beeindruckend kreative Leistung ihrer Autoren herabzuwürdigen – ernsthaft in Frage gestellt werden, ob sie denn überhaupt noch der Sphäre des Rechts zuzurechnen sind oder mit dem Begriff der Rechtsethik nicht treffender gekennzeichnet wären. Als Lehren des Strafrechts jedenfalls dürften sie allzu deutlich hinter den Vorgaben des Bestimmtheitsgebots zurückbleiben, das ja ausweislich Art. 103 Abs. 2 GG nicht nur Tatbestandsformulierungen des Besonderen Teils, sondern das gesamte Strafbarkeitsurteil zu umfassen hat. Als strukturelles Problem der normativistischen Lehren hat sich zudem herauskristallisiert, dass ihre staatstheoretische Grundlegung allenfalls den Schluss zulässt, dass der Staat dem Bürger mit Mitteln des Rechts, nicht aber zwingend mit Mitteln des Strafrechts Handlungspflichten auferlegen sollte. Hiervon ausgehend lässt sich die Forderung formulieren, dass jede Methode, die die ungeregelten Bereiche des Allgemeinen Teils zu konkretisieren unternimmt, sich zum einen von der Rechtssicherheit leiten und zum anderen einen klaren Schluss auf die Strafbarkeit des betrachteten Verhaltens zulassen muss. Beide Voraussetzungen dürften sich nur erfüllen lassen, wenn die Kriterien der Unterlassungsstrafbarkeit aus der gesetzlichen Regelung der Begehungsstrafbarkeit abgeleitet werden. Auch hierzu sind in der Vergangenheit verschiedene Vorschläge unterbreitet worden, von denen nun zwei näher in Betracht gezogen werden sollen. 68

Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 73.

3. Die Gleichstellung als Anknüpfungspunkt

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3. Die Gleichstellung als Anknüpfungspunkt a) Gimbernat Ordeig Gimbernat69 stellt die Begehungsäquivalenz der Unterlassung ins Zentrum seiner Überlegungen und setzt bei der Kausalität des pönalisierten Verhaltens für einen Erfolg an: Da die Erfolgszurechnung im Begehungsfall bereits dann ausscheide, wenn an der Erfolgskausalität des Verhaltens auch nur der geringste Zweifel besteht, dürfe auch eine begehungsgleiche Unterlassung nur angenommen werden, sofern die Kausalität des Unterlassens für den Erfolg über jeden Zweifel erhaben ist.70 Einen so hohen Wahrscheinlichkeitsgrad will Gimbernat im Be­ gehungs- wie im Unterlassungsfall nur annehmen, wenn der Erfolg mit Sicherheit durch einen Gefahrenherd verursacht wurde, der sich aufgrund des Täterverhaltens mit Sicherheit von einem rechtlich erlaubten in einen rechtlich missbilligten Gefahrenherd umgewandelt hat71 (Gimbernat spricht von „Destabilisierung“ des erlaubten Risikoniveaus72). Die strafrechtliche Zurechnung wird demnach in zwei Abschnitte zerlegt: die im Wesentlichen naturgesetzliche Zurechnung des Erfolges zum Gefahrenherd und die im Kern normative Zurechnung des Gefahrenherdes zu einem menschlichen Verhalten. Im Rahmen des letzteren vollzieht Gimbernat die entscheidende Gleichstellung von Tun und Unterlassen mit der Begründung, dass die unerlaubte Destabilisierung des Gefahrenherdes durch Tun (Beispiel: sorgfaltspflichtswidriges Überholen im Straßenverkehr) mit dem Nichtverhindern oder Nichtbeseitigen eines rechtlich missbilligten Gefahrenherdes (d. h. dem Nichttreffen einer Vorbeugemaßnahme oder Nichtzurückführen eines destabi­ lisierten Zustands auf das Maß des Erlaubten) funktional gleichwertig sei.73 Auf den ersten Blick ist dieser Ansatz nicht unattraktiv. Der von ihm an­ gewendete „Trick“, die ontischen Unterschiede von Tun und Unterlassen durch Rekonzeptionalisierung des tatbestandlichen Verhaltens als „Pflichtenverstoß“ aufzulösen, erfreut sich in der Literatur – wie vorstehend ausgeführt – wachsender Beliebtheit. Hinzu kommt, dass das von Gimbernat benannte Kriterium des rechtlich unerlaubten Gefahrenherdes mit dem „rechtlich missbilligten Risiko“ als Strukturmerkmal der Lehre von der objektiven Zurechnung, bzw. mit der „objektiven Sorgfaltspflichtverletzung“ im Rahmen des Fahrlässigkeitsbegriffs identisch sein dürfte. Vordergründig scheint sich seine Lehre daher zwanglos in die weithin anerkannte Tatbestandsstruktur des Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikts einzufügen. Es darf jedoch nicht verkannt werden, dass die heute fast einhellige Akzeptanz der Figur der objektiven Zurechnung durch die Literatur entscheidend dem Umstand geschuldet ist, dass die Aufgabe der objektiven Zurechnung nicht in der 69

Gimbernat Ordeig, ZStW 111 (1999), S. 307, 329 ff. Gimbernat Ordeig, ZStW 111 (1999), S. 329. 71 Gimbernat Ordeig, ZStW 111 (1999), S. 324. 72 Gimbernat Ordeig, ZStW 111 (1999), S. 325. 73 Gimbernat Ordeig, ZStW 111 (1999), S. 325. 70

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IV. Lösungsversuche

Strafbegründung, sondern entscheidend in der normativen Begrenzung einer Erfolgszurechnung liegt, die primär auf der erfolgskausalen Wirkkraft der Täterhandlung beruht. Die Figur der objektiven Zurechnung lässt sich (außerhalb der sog. „Pflichtdelikte“74) ohne vorherigen Nachweis der Kausalität zwischen Handlung und Erfolg ebenso wenig denken wie die Systemstufe der Rechtswidrigkeit ohne Tatbestandserfüllung: Die durch die naturgesetzliche Herbeiführung des Erfolges indizierte rechtliche Missbilligung des risikobehafteten Täterverhaltens entfällt ausnahmsweise, wenn die Rechtsordnung das Risiko erlaubt (also beispielsweise der risikolastige Betrieb eines Kraftfahrzeugs sich in den Grenzen der StVO hält). Diese Grundsatz-Ausnahme-Konstruktion deformiert Gimbernat in zweifacher Weise: Zum einen streicht er die erfolgskausale Handlung heraus und beraubt damit die objektive Zurechnung ihres Fundaments und Ausgangspunktes, zum anderen erhebt er jeglichen Verstoß gegen das rechtlich Erlaubte zum Grund der strafrechtlichen (Unterlassungs-)Zurechnung, womit er de facto in die unhaltbare75 formelle Rechtspflichttheorie zurückfällt. Verunsichernd wirkt darüber hinaus der Umstand, dass Gimbernat das Erlaubt- oder Unerlaubtsein eines Gefahrenherdes nicht allein an förmlichen Rechtspflichten aus Gesetz oder Vertrag misst, sondern offenbar auch faktische Näheverhältnisse mit einbeziehen möchte. So sieht er als taugliche Garanten nicht nur Personen an, die mit der Überwachung eines Gefahrenherdes beauftragt waren,76 auferlegte Vorbeugemaßnahmen nicht ergriffen haben,77 oder als Eltern ihrem Kind gegenüber gesetzlich zu Beistand verpflichtet waren,78 sondern erstreckt die Unterlassungshaftung auch auf Personen ohne greifbare Rechtspflicht wie Geschwister 79 oder Großeltern.80 Hinzu kommt, dass die konsequente Anwendung des Ansatzes Gimbernats zu einer gesetzgeberisch offensichtlich ungewollten Ausweitung der unechten Unterlassungshaftung führen muss, indem über die allgemeine Hilfspflicht des § 323 c StGB – unter Missachtung der dortigen geringen Strafandrohung – unmittelbar der Weg zu einer Unterlassungsstrafbarkeit aus den §§ 212 f./222 StGB bzw. §§ 223 ff./229 StGB geebnet wird. Denn ein Gefahrenherd im Sinne Gimbernats wäre in wohl allen Fällen eines lebens- oder gesundheitsbedrohenden „Unglücksfalls“ bzw. einer „Not“ i. S. d. § 323 c StGB gegeben, und wer wollte bestreiten, dass der Verstoß gegen die Hilfspflicht des § 323 c StGB eine schicksalhaft eingetretene Gefahr in eine rechtlich verbotene Gefahr umwandelt?

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Vgl. hierzu näher unten V. 3. c). Vgl. oben III. 2.  76 Gimbernat Ordeig, ZStW 111 (1999), S. 329, 332. 77 Gimbernat Ordeig, ZStW 111 (1999), S. 331. 78 Gimbernat Ordeig, ZStW 111 (1999), S. 332. 79 Gimbernat spricht allgemein von Personen, die innerhalb der Familie zusammenleben (ZStW 111 (1999), S. 330). 80 Gimbernat Ordeig, ZStW 111 (1999), S. 332. 75

3. Die Gleichstellung als Anknüpfungspunkt

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Diese Konsequenz sucht Gimbernat zwar zu vermeiden, muss hierzu jedoch zwei sehr zweifelhafte Wege beschreiten: Zum einen drängt er derartige Konstellationen aus der unechten Unterlassungshaftung heraus, indem er hier – unter Aufgabe eines Herzstück seines Ansatzes – nun nicht mehr danach fragt, ob eine Unterlassung einen rechtlich erlaubten Gefahrenherd „sicher“ in einen verbotenen Gefahrenherd verwandelt hat, sondern ob das unterlassene Tun den Erfolg sicher abgewendet hätte.81 Damit aber kehrt Gimbernat nicht nur zur überkommenen Idee einer hypothetischen Kausalität der Unterlassung zurück, sondern reduziert (ausgehend von seinen hohen Beweisanforderungen an die Feststellung der Kausalität) den Anwendungsbereich des unechten Unterlassungsdelikts insgesamt auf Null, da sich angesichts hypothetischer Kausalverläufe mehr oder weniger große Restzweifel niemals vollständig werden ausschließen lassen. Zum anderen möchte Gimbernat nur solche Konstellationen als einem unechten Unterlassen zugänglich ansehen, bei denen das Schutzgut bereits vor dem betrachteten Täterverhalten einem (zu diesem Zeitpunkt noch erlaubten) Risiko ausgesetzt war. Die Nichtanwendung unvorhersehbarer plötzlicher Bedrohungen eines Rechtsguts sollen dagegen als echtes Unterlassungsdelikt – insbesondere § 323 c StGB – strafbar sein.82 Zur Begründung zieht Gimbernat unter anderem den allgemeinen Sprachgebrauch heran. So könne man von einer Ehefrau, die angesichts einer schweren und plötzlichen Krankheit ihres Ehepartners nicht reagiert, nicht sagen, dass sie ihn „getötet“ habe. Ein solches passives Verhalten unter § 212 StGB zu subsumieren sei folglich mit dem Gesetzlichkeitsgrundsatz nicht vereinbar.83 Damit macht sich Gimbernat das bereits zuvor von Roxin84 und Schünemann85 erkannte Phänomen zunutze, dass im Sprachgebrauch manche Unterlassungen als Untätigkeiten, andere aber als Erscheinungsformen der Begehungstat aufgefasst werden (so die Mutter, die ihr Kind durch Nichtfüttern „tötet“ und nicht nur nicht eingeschritten ist). Roxin zufolge handelt es sich hierbei nicht nur um eine willkürliche Unwägbarkeit der Alltagssprache, sondern um die soziale Differenzierung qualitativ unterschiedlicher Phänomene: Immer dort, wo die Funktionsfähigkeit des gesellschaftlichen Organismus auf bestimmten, von vornherein eingeplanten Tätigkeiten (hier: Kinderernährung) basiert, stelle sich das Unterlassen im sozialen Sinne als Erscheinungsform der Begehung dar. Wo hingegen die Rechtsordnung ein Tun nur zur Korrektur von Unglücksfällen oder anderen Störungen gebietet (hier: Beiziehung eines Arztes bei plötzlicher Krankheit des Ehemanns), werde die „Nichtwiederherstellung“ des ordnungsgemäßen Zustands als Unter-

81 Gimbernat Ordeig, ZStW 111 (1999), S. 330. Bereits auf S. 329: Der Gefahrenherd müsse infolge seiner Destabilisierung durch ein Nichttun einen tatbestandlichen Erfolg nach sich gezogen haben. 82 Gimbernat Ordeig, ZStW 111 (1999), S. 329–330. 83 Gimbernat Ordeig, ZStW 111 (1999), S. 330. 84 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 465 ff.; ders., AT, § 32 Rn. 29. 85 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 47, 232.

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IV. Lösungsversuche

lassung wahrgenommen.86 Ob sich aber in der unterschiedlichen sprachlichen und sachlichen Beurteilung beider Phänomene auch eine unterschiedliche Bewertung ausdrückt, die es rechtfertigen würde, den gesamten Bereich unvorhersehbarer Störungen von der Garantenhaftung auszunehmen, muss bezweifelt werden. Für den Bestand und die Funktionsfähigkeit einer Gesellschaft ist die Fähigkeit, auf akute Unglücke und Bedarfslagen zu reagieren, sicherlich ebenso wichtig wie die Aufrechterhaltung der eingeplanten Vorgänge. Es ist daher nicht recht ersichtlich, warum nicht eine latente Schutzfunktion in Kraft treten sollte, sobald Personen oder Sachen sich plötzlich in „Gefahrenherde“ verwandeln.87 Hinzu kommt, dass die Abgrenzung zwischen § 323 c StGB und unechter Unterlassungshaftung von den höchst unsicheren Anforderungen an den Konkretisierungsgrad des Risikos abhinge. Nicht nachvollziehbar ist schließlich auch die ohne nähere Begründung aufgestellte Forderung Gimbernats, der Unterlassungstäter müsse den Gefahrenherd absichtlich destabilisiert haben,88 denn eine gegenüber der Begehung verschärfte Vorsatzform beim allgemeinen Unterlassungsdelikt wird kaum das Entsprechungserfordernis des § 13 Abs. 1 StGB erfüllen. Insgesamt setzt sich die Auffassung Gimbernats demnach nicht von der Hand zu weisenden Bedenken aus. b) Schünemann und die neuere Auffassung Roxins Der von Schünemann89 begründete Ansatz geht von der Überlegung aus, dass die Bestrafung des Unterlassens aus einem Begehungstatbestand nur dann sachgerecht sein kann, wenn die Stellung des Unterlassungstäters zu dem rechtsguts 86

Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 466. So auch Roxin, AT II, § 32 Rn. 28, 30. Darüber hinaus lehnt er es ab, das im Sprach­ gebrauch zutage tretende Phänomen zur Differenzierung von Täterschaft und Teilnahme bei der Unterlassung heranzuziehen (Täterschaft und Tatherrschaft, S. 466 f.). 88 Gimbernat Ordeig, ZStW 111 (1999), S. 331. 89 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 231 ff.; ders. für die Haftung von Leitungsorganen in Unternehmen: wistra 1982 S. 44; ders. ZStW 96 (1984), S. 312 f.; ders. GA 132 (1985), S. 374 ff.; ders. Coimbra-Symposium, S. 72; zustimmend Roxin, AT II, § 32 Rn. 19; früher bereits Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, S. 122 ff.; Rudolphi in: SK, § 13 Rn. 26, 46; Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 291 ff. (vgl. hierzu aber Schünemann Internationale Dogmatik, S. 72, Fn. 102); Seibert, Garantenpflichten beim Betrug, S. 140 ff., 155; wohl auch Bloy (JA 1987, S. 497), demzufolge die Mitgestaltung des Tatablaufs durch den Unterlassenden im negativen Aspekt der Geschehenssteuerung liege. Mit Blick auf das Völkerstrafrecht auch Berster, Die völkerstrafrechtliche Unterlassungsverantwortlichkeit, S. 149–150; ders., IntCrimLRev 10 (2010), S. 632–641; ders. in: Tams/Berster/Schiffbauer, Genocide Convention, Art. III, Rn. 61–71. Die Herrschaftslehre hat zudem internationale Zustimmung erfahren durch die Entschließung des XIII. Internationalen Strafrechtskongresses in Kairo (1994) – vgl. hierzu Weigend, ZStW 97 (1985), S. 731, 733 und Schünemann, Internationale Dogmatik, S. 74, Fn. 106. 87

3. Die Gleichstellung als Anknüpfungspunkt

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verletzenden Geschehen in den für die Erfolgszurechung ausschlaggebenden Aspekten mit derjenigen des Begehungstäters vergleichbar ist. Im Falle aktiver Begehung sei es die Beherrschung der die tatbestandliche Handlung ausfüllenden Körperbewegungen, welche die Zurechnung der Handlung zur Person und damit mittelbar die Zurechnung des auf der Handlung beruhenden Erfolges zur Person rechtfertige. Eine Unterlassung könne daher nur dann als „begehungsgleich“ angesehen werden, wenn und soweit der Täter eine mit der Beherrschung der eigenen Körperbewegungen vergleichbare Willensmacht über die wesentlichen Bedingungen der Rechtsgutsverletzung – oder kürzer: über den Grund des Erfolges innehabe. Die „Herrschaft über den Grund des Erfolges“ bilde also das die Begehung und die Unterlassung jenseits ihrer strukturellen Unterschiede einende tertium comparationis. Zugleich biete es eine – noch konkretisierungsbedürftige – Richtlinie zur Ermittlung der Kriterien der Begehungsäquivalenz der Unterlassung im Einzelfall. Als Methode zur Konkretisierung dieses obersten Zurechnungsprinzips bedient sich Schünemann eines Verfahrens, bei der in der empirisch erfassbaren Wirklichkeit – also der natur- und sozialwissenschaftlich zu bestimmenden „Natur der Sache“ – nach den das Herrschaftsprinzip ausfüllenden „sachlogischen Strukturen“ gesucht wird. Auf diese Weise identifiziert Schünemann zwei mögliche Herrschaftsformen: Zum einen könne es die „Hilf­losigkeit des Rechtsgutes“ bzw. die „Anfälligkeit des Opfers“90 sein, die das Handlungssubjekt dem Täter ausliefere und zum Herren über das tatbestandliche Geschehen mache. Zum anderen beherrsche auch derjenige den Grund des Erfolges, der die Kontrolle über einen Gefahrenherd ausübt und damit die „Herrschaft über die wesentliche Erfolgsursache“ innehat. Durch die weitere Aufschlüsselung dieser beiden Grundtypen nach dem Herrschaftsgrund und dem Art des Herrschaftserwerbs gelangt Schünemann schließlich zu einem System abgrenzbarer Garantenpositionen. Gegen diese Lehre wurde alsbald erhebliche Kritik vorgebracht, von der manche zu laut, andere oberflächlich, wiederum andere jedoch nicht leichthin von der Hand zu weisen ist. Der Urgrund aller berechtigten Kritik dürfte in zwei methodischen Schwächen zu finden sein, die im Herzen dieser Lehre aufgewiesen werden können. Der erste Kritikpunkt besteht darin, dass Schünemanns Methode, die Herrschaftsrichtlinie Schritt für Schritt am Rechtsstoff zu entfalten, mit einer schrittweisen Entfernung von ihrem Ausgangspunkt (der Herrschaft über die kausale Körperbewegung) einhergeht. Damit aber kann nur noch eine (zudem über das unscharfe Kriterium der Herrschaft über den Erfolgsgrund vermittelte) Verwandtschaft zwischen den konkreten Erscheinungsformen der Herrschaft auf Unterlassensseite und der aktiven Erfolgsbewirkung begründet werden. Ob sie jedoch auch

90

Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 294; eingehend ders., Grund und Grenzen, S. 341 ff.

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IV. Lösungsversuche

noch einen hinreichenden Grad an Vergleichbarkeit91 oder Ähnlichkeit92 aufweist, um das gesetzliche Entsprechungserfordernis des § 13 Abs. 1 StGB zu erfüllen, ist nicht sichergestellt. Der zweite und entscheidende Punkt liegt darin, dass Schünemann mit dem Begriff der „Herrschaft über den Grund des Erfolges“ zwar ein tertium comparationis, nicht aber das genus proximum der Voraussetzungen der Begehungszurechnung bei Erfolgsdelikten (zunächst nur für diese hatte Schünemann im Jahre 1971 seine Theorie begründet) formuliert hat.93 Der nächsthöhere Gattungsbegriff zur Herrschaft über die Erfolgsursache in der speziellen Gestalt einer Körperbewegung nämlich hätte ersichtlich in der allgemeinen Herrschaft über eine Erfolgsursache bestanden. In Gestalt der tatsächlichen Erfolgsursache hätte das unechte Unterlassen damit eine Verankerung im Tatsächlichen behalten, die den Grenzen der Strafbarkeit deutlichere Konturen verliehen hätte, als es der viel offenere Begriff des „Grundes des Erfolges“ ermöglicht. Auf der Grundlage des genannten genus proximum wäre insbesondere die Kategorie der Herrschaft über die Hilflosigkeit oder Anfälligkeit des Opfers nicht begründbar gewesen, gegen die sich die Kritiker Schünemanns nicht zu Unrecht besonders stark engagierten.94 Bereits ihre Bezeichnung erscheint unglücklich gewählt, da die Hilflosigkeit selbst ja, soweit sie auf Krankheit, Altersgebrechlichkeit oder geistiger Unreife beruht, schicksalhaft und einer Beherrschung gar nicht zugänglich ist. Beherrschbar sind bestenfalls die Verletzungsfolgen, die dem Hilflosen ohne fremde Intervention drohten. Diese aber können von Außenstehenden von Fall zu Fall durchaus ebenso gut abgewendet werden wie von dem Rechtsgut nahestehenden Personen, ohne dass Schünemann die ersteren als taugliche Garanten ansähe. Übrig bleibt daher nur, die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers als ein besonderes Näheverhältnis zum Opfer selbst zu verstehen, vermöge dessen der Täter die Lebensführung, den Tagesablauf etc. mitbestimmt und insoweit (als Elternteil, Arzt, Pfleger etc.) das Opfer selbst „beherrscht.“ Damit aber dürfte sich hinter dem scheinbar deskriptiven Begriff des Beherrschens nicht viel mehr als die Wertentscheidung verbergen, dass Obhutsverhältnisse unterschiedlicher Art über anfällige Personen die Pflicht zur Abwehr der ihnen drohenden Ge­fahren begründen sollen. Die Kategorie der Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers reduziert also das Unterlassungsäquivalent zu der bei der Begehungszurechnung erforderlichen Herrschaft über die physisch wirkende Ursache auf eine bloße hypothetische Verhinderungsmöglichkeit und führt, um dies normativ auszugleichen, mit der Nähebeziehung zum Opfer einen Aspekt in die Strafbegründung mit ein, der auf Begehungsseite keine Entsprechung findet. Damit kann die Herrschaft 91

Schünemann, Grund und Grenzen, S. 235. Roxin, AT II, § 32 Rn. 19. 93 So aber Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 294, Fn. 26. 94 Herzberg, Garantenprinzip, S. 193, 196; Brammsen, Entstehungsvoraussetzungen, S. 76; Vogel, Norm und Pflicht, S. 352 f.; Maiwald, JuS 1981, S. 480. 92

3. Die Gleichstellung als Anknüpfungspunkt

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über die Hilflosigkeit des Opfers nur noch schwerlich als Äquivalent zur Begehungszurechnung durchgehen. Zudem besitzt der Begriff der Herrschaft bezogen auf eine hilfebedürfte Person kaum noch Abgrenzungskraft.95 Weitere Kritik lässt sich gegen die Ausprägung dieser Lehre vorbringen, die sie bei Roxin gefunden hat. Roxin wählt nicht die Herrschaft über die eigene Körperbewegung, sondern die Tatherrschaft als Anknüpfungspunkt für den Ähnlichkeitsschluss.96 In unglücklicher Weise wird hierdurch das Schünemann’sche Konzept zugleich verengt und erweitert. Verengt wird es insoweit, als es seine Universalität verliert. Denn da die Tatherrschaft nach Roxin’scher Schule nur die täterschaftliche Zurechnung begründet, kann mit einem der Tatherrschaft entsprechenden Kriterium auf Unterlassungsseite eine Teilnahme durch Unterlassen von vornherein nicht erklärt werden. Zudem versagt das Konzept bei der Gleichstellung von fahrlässigem Tun und Unterlassen, da die Tatherrschaft begrifflich ein Tatherrschaftsbewusstsein (d. h. die Kenntnis der herrschaftsbegründenden und sonstigen Tatumstände) erfordert,97 an dem es jedenfalls im Falle unbewusster Fahrlässigkeit fehlt. Auf der anderen Seite bringt die größere Normativität des Tatherrschaftsbegriffs98 gegenüber der Herrschaft über die Körperbewegung eine Haftungserweiterung mit sich, deren Grenzen kaum noch bestimmbar sind. Prominentes Beispiel hierfür ist die Ingerenzgarantenstellung. Roxin hält sie mit dem Herrschaftskriterium für (noch) vereinbar, da die „beherrschbare Weiterentwicklung eines zu überwachenden Gefahrenherdes“ zum Herrschaftsbereich des Verantwortlichen hinzugerechnet werden könne und daher vor dem Umschlagen in einen tatbestandlichen Erfolg zu sichern sei.99 Hinter dem terminologisch an den Herrschaftsbegriff angelehnten Wort der „Beherrschbarkeit“ verbirgt sich jedoch 95 Bedauerlicherweise bringt sich Schünemann durch die Kategorie der Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers um die nach hiesiger Auffassung wertvollsten Früchte seines Ansatzes. Im Gegensatz zu der Kategorie der „Herrschaft über die wesentliche Erfolgsursache“ wird hier der im Ausgangspunkt bereits „weitgehend entnormativierte“ (Schünemann, Grund und Grenzen, S. 241) Herrschaftsbegriff so sehr normativ aufgeladen, dass er seine Abgrenzbarkeit wieder verliert. Zudem hätte die von Schünemann erkannte Zweiteilung der Begehungs- und Unterlassungszurechnung Gelegenheit geboten, die Jahrhundertfrage nach der Natur der Unterlassungskausalität einer bestechend klaren Lösung zuzuführen. Laut Schünemann erkläre die Kausalität im Falle der Begehung nur die Zurechnung des Erfolges zur Handlung, während die Zurechnung von der Handlung zur Person durch die Herrschaft über die Körperbewegungen begründet werde (Grund und Grenzen, S. 234 f.). Es hätte nahe ge­ legen, im Unterlassungsfall nur die Herrschaft über die Körperbewegung durch die Herrschaft über eine der Körperbewegung entsprechende Wirkkraft zu ersetzen und den zweiten Abschnitt der Zurechnung – die Kausalität zwischen beherrschter Wirkkraft und Erfolg – un­ angetastet zu lassen. Das Kausalitätsmerkmal des Unterlassungsdelikts wäre dann mit der Kausalität des Begehungsdelikt identisch geblieben. 96 Roxin, AT II, § 32 Rn. 19. Tendenziell in diese Richtung auch Schünemann, Internationale Dogmatik, S. 72. 97 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 315 f. 98 Roxin definiert die Tatherrschaft allgemein die „Herrschaft über das zur Deliktsverwirklichung führende Geschehen“ (AT II, § 25 Rn. 13). 99 Roxin, AT II, § 32 Rn. 151.

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IV. Lösungsversuche

lediglich ein bloßes Verhinderungsvermögen, so dass sich der Ingerent bei rein faktischer Betrachtung durch nichts von irgendeinem hilfsfähigen Außenstehenden unterscheidet. Dass der pflichtwidrige Urheber der Ausgangsgefahr gleichwohl wie ein Vorsatztäter haften soll ist daher eine reine Wertentscheidung, die im Begehungstatbestand keine Entsprechung findet.

V. Die Suche nach dem gordischen Nagel 1. Die garantenpflichtzentrierte Lesart des § 13 Abs. 1 StGB Die immense Vielfalt und Tiefgründigkeit der bislang zur Problematik der allgemeinen Unterlassungshaftung entwickelten Ansätze birgt die Gefahr, mit der gesetzlichen Regelung des § 13 Abs. 1 StGB den am nächsten liegenden Anknüpfungspunkt zur Lösung der Gleichstellungsfrage aus dem Auge zu verlieren. Der Wortlaut des § 13 Abs. 1 StGB knüpft die Bestrafung von Unterlassungen aus Begehungstatbeständen an zwei Voraussetzungen: Zum einen an ein „rechtliches Einstehenmüssen“ für den Nichteintritt eines tatbestandlichen Erfolges, zum anderen daran, dass das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tat­ bestandes durch ein Tun „entspricht“. Obgleich beide Merkmale bei unbefangener Lektüre der Vorschrift als gleichrangige Voraussetzungen erscheinen müssten, wird von den meisten Unterlassungslehren das rechtliche Einstehenmüssen – als „Garantenpflicht“ – zum Dreh- und Angelpunkt der allgemeinen Unterlassungshaftung gekürt. Die Entsprechungsklausel hingegen wird zu einem ungeliebten Appendix degradiert, der allenfalls im Rahmen verhaltensgebunder Delikte1 oder gar nur bei „begehungstäterbezogenen Qualifikationsmerkmalen“2 eine Rolle zu spielen habe, und selbst dort noch vielfach durch Leerformeln bis zur Unsichtbarkeit aufgelöst wird.3 Diese faktische Negierung des Entsprechungsmerkmals ist dabei zumindest aus Sicht der derzeit noch mehrheitlich vertretenen Tatherrschaftslehre nicht etwa nur Begleiterscheinung, sondern unmittelbare und notwendige Folge einer primär am „Einstehenmüssen“ ansetzenden Unterlassungshaftung, da eine Unterlassungstäterschaft, deren primäres Zurechnungskriterium eine (Garanten-)Pflicht ist, der Begehungstäterschaft kraft Tatherrschaft bei den Herrschaftsdelikten von vornherein nicht „entsprechen“ dürfte. Die Missachtung der Entsprechungsklausel ist jedoch nur eine von mehreren Ungereimtheiten eines garantenpflichtzentrierten Normenverständnisses. Hinzu tritt der Umstand, dass schon der genaue Standort einer „Garantenpflicht“ im De 1

So die wohl herrschende Meinung, vgl. mit zahlreichen Nachweisen Roxin, AT II, § 32 Rn. 225, Fn. 367. 2 Roxin, AT II, § 32 Rn. 239 ff. 3 Laut Stree/Bosch (in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 4) etwa sei eine Entsprechung anzunehmen, wenn das Unterlassen eine „dem Tun vergleichbare Prägung“ besitzt und damit im „sozialen Sinngehalt“ mit der Tatbestandshandlung des Begehungsdelikts übereinstimmt. Ähnlich unscharf ist die Vorgabe Fischers (Strafgesetzbuch, § 13 Rn. 46) wonach das Unterlassen im konkreten Fall dem Unrechtsgehalt aktiver Tatbestandsverwirklichung so nahe kommen müsse, dass es sich in den Unrechtstypus des Tatbestands einfüge.

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V. Die Suche nach dem gordischen Nagel

liktsaufbau Rätsel aufgibt. Sie als außerstrafrechtliche Pflicht, also insbesondere als ein zivil- oder verwaltungsrechtsakzessorisches Tatbestandsmerkmal zu verstehen, dürfte angesichts der gut begründeten Kritik an der formellen Rechtspflichttheorie heute kaum noch vertretbar sein. Bleibt also nur, sie als originär strafrechtliche Pflicht einzuordnen. In diesem Fall jedoch ergeben sich letztlich unlösbare Abgrenzungsfragen zum Strafbarkeitsurteil selbst, da eine individuelle strafrechtliche Pflicht zur Erfolgsverhinderung an dieselben Voraussetzungen geknüpft sein dürfte, die im Falle der Nichterfüllung der Verhinderungspflicht die Strafbarkeit begründen. Vorschläge, eine individuelle Handlungspflicht schon auf Tatbestandsebene oder, wie von Roxin4 befürwortet, als Folge der Verwirklichung eines aus Tatbestand und Rechtswidrigkeit bestehenden Gesamtunrechtstatbestandes anzunehmen, greifen schon deshalb zu kurz, da die Unrechtsebene nur die Zurechnung zu einer abstrakten Person „aus dem Verkehrskreis und in der sozialen Rolle“ des Täters begründet5 und daher noch keine Aussage über eine individuelle Pflicht zu treffen in der Lage ist. Zugleich laufen sie auf einen Verstoß gegen den „ultra-posse“-Satz hinaus, da eine Pflicht selbst dann bejaht würde, wenn sich auf Schuldebene herausstellte, dass der konkrete Täter „nicht anders konnte“, als das Tatunrecht zu verwirklichen. Legitimerweise könnte also von einer strafrechtlichen Garantenpflicht nur gesprochen werden, wenn sämtliche Voraussetzungen der Unterlassungsstrafbarkeit erfüllt sind, womit sich freilich die Begründung der Unterlassungshaftung mithilfe der Garantenpflicht als plumper Zirkelschluss erwiese. Zugleich wäre eine solche Sichtweise unvereinbar mit dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 StGB, der ja ausweislich der Entsprechungsklausel davon ausgeht, dass die Unterlassungshaftung über das „Einstehenmüssen“ hinaus noch von einer weiteren Voraussetzung abhängig sein soll, auch wenn dessen Inhalt vielen als rätselhaft erscheint. Und schließlich ist mit einzubeziehen, dass der hochnormative Begriff des „Einstehenmüssens“ aufgrund seiner mangelnden Abgrenzbarkeit und uferlosen Weite mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG als haftungsbegründendes Merkmal denkbar ungeeignet ist.6 Das Bundesverfassungsgericht 4 Roxin, AT II, § 31 Rn. 201 f. Dabei geht er von der zutreffenden Überlegung aus, dass die hergebrachte Trennung zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit bei Unterlassungs­ delikten insoweit nicht überzeugt, als die Annahme einer Handlungspflicht auf Tatbestandsebene eine bloße Fiktion darstellte, wenn sie auf der Rechtswidrigkeitsebene letztlich wieder entfiele. Allerdings widerspricht sich Roxin insoweit selbst, als er die „Kollision zweier Handlungspflichten“ als Rechtfertigungsgrund anführt (ebd., Rn. 204). Wenn von einer Handlungspflicht nämlich erst gesprochen werden dürfte, sobald die Rechtswidrigkeit des Untätigseins feststeht, so wären bei der „rechtfertigenden Pflichtenkollision“ in Wahrheit noch keine Handlungspflichten, sondern allenfalls potentielle oder bedingte Pflichten miteinander zu vergleichen. 5 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 177. 6 Vgl. bereits die Kritik der Herausgeber des Alternativentwurfs zum StGB (S. 203) zu der mit der heutigen Fassung praktisch identischen Formulierung des E 62, wonach Haftungs­ voraussetzung sei, dass der Unterlassende „rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintreten werde (…)“: Diese Vorschrift sei „(…) viel zu weit gefaßt. Sie sanktioniert

1. Die garantenpflichtzentrierte Lesart des § 13 Abs. 1 StGB

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hat die grundsätzliche Erstreckung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes auf Vorschriften des Allgemeinen Teils im Jahre 2002 bestätigt, in derselben Entscheidung allerdings auf Grundlage seiner wenig rühmlichen Rechtsprechungs­ linie zum Art. 103 Abs. 2 GG7 die Verfassungsmäßigkeit des „Einstehenmüssens“ als zentrales Gleichstellungsmerkmal des § 13 Abs. 1 StGB bekräftigt.8 Die gelieferte Begründung wird jedoch weder den Verfassungsvorgaben, noch den eigenen, zum Bestimmtheitsgrundsatz entwickelten Maßstäben gerecht. Danach solle Art. 103 Abs. 2 GG zum einen sicherstellen, „dass jeder vorhersehen kann, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist, damit er sein Tun oder Unterlassen auf die Strafrechtslage eigenverantwortlich einrichten kann und willkürliche staatliche Reaktionen nicht befürchten muss“.9 Zum anderen sorge diese Vorschrift dafür, dass „im Bereich des Strafrechts mit seinen weit reichenden Folgen für den Einzelnen allein der Gesetzgeber abstrakt-generell über die Strafbarkeit entscheidet. Er darf diese Entscheidung nicht der Strafjustiz überlassen.“10 Allerdings dürfe der Gesetzgeber unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Begriffe verwenden, wenn sie „eine zuverlässige Grundlage für ihre Auslegung und Anwendung bietet oder wenn sie eine gefestigte Rechtsprechung übernimmt und damit aus dieser Rechtsprechung hinreichende Bestimmtheit gewinnt.“11 Obgleich der Kreis möglicher Garantenpflichten nicht ohne Weiteres dem StGB zu entnehmen sei, werde die Formel vom „rechtlichen Einstehenmüssen“ diesen Vorgaben gerecht, da ihr (1) immerhin zu entnehmen sei, dass rein sittliche Pflichten oder die faktische Möglichkeit zur Erfolgsabwendung nicht ausreichten, und (2) eine auf langjähriger Tradition beruhende einheitliche und klare richterrechtliche Umschreibung möglicher Garantenpflichten zu erkennen sei, die (3) das Risiko einer Bestrafung für den Normadressaten voraussehbar mache. Dem ist schwerlich zuzustimmen. Dass sittlichen Pflichten keine strafbegründende Kraft zukommen kann, dürfte eine bare Selbstverständlichkeit sein. Soweit das BVerfG zudem die Rechtsprechung als Bestimmungsgehilfen heranzieht, wird es weder der Verfassung noch seiner eigenen Vorgabe gerecht. Denn einerseits lässt die von Art. 103 Abs. 2 GG geforderte gesetzliche Bestimmtheit von vornherein keine Abwälzung der strafbegründenden Wertentscheidungen auf die Rechtssprechung zu, zum anderen liegt in der Garantenklausel auch nicht die vom BVerfG als Ausnahme im Grund nur eine ausgeuferte Rechtsprechung und verhindert nicht einmal in ausreichendem Maße, daß irgendwelche vagen „sozial-ethisch vorwerfbaren Unterlassungen“ – etwa aus „konkreter Lebensgemeinschaft“ – strafrechtliche Haftung auslösen.“ 7 Vgl. die Kritik von Krahl (Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht, S. 412), wonach sich die Beachtung des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots nurmehr in „Verbalbekenntnissen“ erschöpfe; Seebode (JZ 2004, S. 303, 307) spricht von „Lippenbekenntnissen“; für Müller-Dietz (in: FS Lenckner (1998), S. 179) droht ein „Abschied vom Bestimmtheits­gebot“; Schünemann (Nulla poena sine lege?, S. 4) erkennt sogar einen „völligen Verlust der fak­ tischen Normgeltung“. 8 BVerfG (2 BvR 2202/01), NJW 2003, S. 1030 f. 9 BVerfG (2 BvR 2202/01), NJW 2003, S. 1030. 10 BVerfG (2 BvR 2202/01), NJW 2003, S. 1030. 11 BVerfG (2 BvR 2202/01), NJW 2003, S. 1030.

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V. Die Suche nach dem gordischen Nagel

zugelassene „Übernahme“ einer gefestigten Rechtsprechung, da sie nicht den geringsten Hinweis auf eine Inkorporierung und Reflektion der von der hergebrachten Rechtsprechung getroffenen Wertentscheidungen enthält, sondern sich mit der Benennung ihres Rahmens bescheidet. Und schließlich ersetzt die Entscheidung des BVerfG das Erfordernis der Unterscheidbarkeit von strafbarem und straflosem Verhalten durch die ungleich unklarere und die individuelle Freiheitssphäre übergebührlich beschränkende Vorgabe, dass nur das Risiko einer Bestrafung für den Normadressaten vorhersehbar sein müsse.12 Festzuhalten ist demnach, dass § 13 Abs. 1 StGB vor dem Hintergrund eines Normverständnisses, welches die Unterlassungshaftung im Wesentlichen auf das „Einstehenmüssen“ gründet, kaum dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot entsprechen dürfte. Ebensowenig kommt in Betracht, die gesetzliche Unschärfe mithilfe (angeblich) gewohnheitsrechtlich verfestigter Garantenpflichten zu schließen. Zwar wurde zum Teil angenommen, dass belastendes Gewohnheitsrecht im Bereich des Allgemeinen Teils noch seinen Platz habe.13 Mit Blick auf den entscheidenden Einfluss des Allgemeinen Teils auf die Reichweite der Strafbarkeit birgt diese Sichtweise jedoch die Gefahr einer nahezu beliebigen Ausweitung der Strafbarkeit und widerspricht damit klar ratio und Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG.14 Wie im Folgenden darzustellen sein wird, lösen sich die genannten Friktionen auf, wenn die Entsprechungsklausel als zentraler Anknüpfungspunkt der Gleichstellungsfrage herangezogen wird. 2. Die Entsprechungsklausel als Gleichstellungsmerkmal Die Entsprechungsklausel des § 13 Abs. 1 StGB bestimmt, dass eine Unterlassung nur dann strafbar sein soll, wenn es der „Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.“ Der Begriff der Entsprechung bedarf einer präzisierenden Auslegung. Vor allem ist klärungsbedürftig, ob allein der Unterlassungsunwert demjenigen der Begehung entsprechen muss, oder ob darüber hinaus eine Ähnlichkeit der Seinsstrukturen von Unterlassen und Tun angeordnet wird. Im Wege historischer Auslegung wurde in der Literatur der Umstand nutzbar zu machen gesucht, dass der Bundes- und Reichsgesetzgeber bereits vor Ein­führung des § 13 Abs. 1 StGB (mit dem 2. StrRG zum 1. Januar 1975) auch ohne ausdrückliche Regelung selbstverständlich von der Strafbarkeit etwa des Totschlags durch Unterlassen ausgegangen war. Gleiches gilt für die Partikulargesetzgebung des 19. Jahrhunderts. Aus dieser jahrzehntelangen haftungsmäßigen Gleich­stellung von Tun und Unterlassen schloss man, dass auch die sachlichen Voraussetzungen 12

Zu diesen und weiteren Bedenken gegen die zitierte Entscheidung siehe Seebode (JZ 2004, S. 303 ff.). 13 Gribbohm, in: LK, § 1 Rn. 71. 14 Hassemer/Kargl, in: NK, § 1 Rn. 68; Schmitz, in: MüKo, § 1 Rn. 25.

2. Die Entsprechungsklausel als Gleichstellungsmerkmal

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beider Handlungsmodi möglichst eng benachbart zu konstruieren seien.15 Allerdings vermag ein solcher Schluss vom Gesollten auf das Seiende allenfalls eine gewisse Alltagsplausibilität zu entfalten – zwingend ist er nicht. Ebensowenig lässt sich ein belastbares Argument für das Erfordernis der Begehungsähnlichkeit daraus ableiten, dass der Gesetzgeber vor Einführung des § 13 Abs. 1 StGB die durch Tun oder Unterlassen zu verwirklichende Tathandlung mit ein und demselben Verb kennzeichnete – wie etwa im Falle des § 212 Abs. 1 StGB mit dem Wort „tötet“.16 Damit ist nämlich nicht mehr gesagt, als dass der Bedeutungskern des Verbs „töten“ groß genug ist, um Begehungs- und Unterlassungsszenarien zu erfassen, nicht aber, dass diese auch untereinander eine Schnittmenge aufweisen müssten. Die genetische Auslegung fördert zudem recht deutlich zutage, dass eine Abhängigkeit der Unterlassungshaftung von den Seinsstrukturen der Begehungs­ haftung nicht im Fokus des Gesetzgebers stand. So hatte im Entwurf 62 die Entsprechungsklausel noch folgenden Wortlaut: „(…) und sein Verhalten den Umständen nach der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun gleichwertig ist.“17 Gemeint war dies – ganz im Sinne der heute noch dominierenden Auffassung – als Wertgleichheit des in der Unterlassung verkörperten Unrechts mit dem Begehungsunrecht, worauf es vor allem bei verhaltensgebundenen Delikten ankommen sollte.18 Es ist nicht erkennbar, dass diese Auffassung mit der späteren Ersetzung des Begriffs der „Gleichwertigkeit“ durch den der „Entsprechung“ korrigiert werden sollte. Die Umformulierung scheint vielmehr der Vermeidung eines Widerspruchs mit der fakultativen Strafmilderungsmöglichkeit des § 13 Abs. 2 StGB gedient zu haben, die im Falle der Wertungsgleichheit der Unterlassung nur schwer zu rechtfertigen gewesen wäre.19 Die natürliche Wortbedeutung stützt hingegen die Annahme, dass das unechte Unterlassen dem Tun auch strukturell entsprechen muss. Semantisch unterscheidet sich der Begriff der „Entsprechung“ von dem Entwurfsbegriff der „Gleich­ wertigkeit“ unter zwei Gesichtspunkten: Zum einen fordert er nicht strenge „Gleichheit“ von Tun und Unterlassen, sondern lässt bereits Vergleichbarkeit ge 15

Ebenso Roxin, AT II, § 32 Rn. 19. Schünemann, Grund und Grenzen, S. 232. 17 § 13 E 62 (Hervorhebung d. Verf.). 18 E 62 S. 125: „Da im Besonderen Teil die Unrechtsbewertung auch von etwaigen besonderen Handlungsmerkmalen des jeweiligen Tatbestandes beeinflußt ist, erhebt sich die Frage, wie dem im Falle des Begehens durch Unterlassen Rechnung zu tragen ist. Diese Frage ist nach dem Gesichtspunkt der Gleichwertigkeit zu entscheiden.“ (Hervorhebung im Original) 19 Vgl. BT-Drs. V/4095 S. 8: „Die geänderte Gleichwertigkeitsklausel setzt voraus, dass das Unterlassen der Tatbestandsverwirklichung durch ein Tun „entspricht“. Dieser etwas neutralere Begriff als die Entwurfsformulierung „gleichwertig ist“ wurde gewählt, weil sich der Ausschuss aus den nachstehend dargelegten Gründen für die Zulassung einer fakultativen Milderung entschied, für eine solche Regelung aber kein Raum gewesen wäre, wenn man an dem Erfordernis festgehalten hätte, dass die Unterlassung der aktiven Verwirklichung des Tatbestandes tatsächlich gleich sein muss.“ 16

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nügen. Zum anderen hat sich der Gesetzgeber mit dem Begriff der „Entsprechung“ anstelle der „Gleichwertigkeit“ für ein globaleres Merkmal entschieden, das über die Wertvergleichbarkeit hinausreicht und auch eine im Ontischen wurzelnde Artvergleichbarkeit zwischen Unterlassen und Tun fordert. Dies gilt umso mehr, als der Wortlaut nicht etwa die Entsprechung zwischen dem jeweilig in Tun und Unterlassen verkörperten Unrecht, sondern zwischen Tun und Unterlassen selbst erfordert. Der natürlichen Wortbedeutung gemäß beinhaltet § 13 Abs. 1 StGB also eine echte Wertentscheidung des Gesetzgebers, während die Entwurfsfassung die Entnormativierung weitgehend dem Gutdünken (sprich: der Willkür) des Rechtsanwenders überlassen hätte.20 Schon aufgrund des verfassungsrechtlichen Verbots täterbelastender teleologischer Reduktionen setzt sich der ermittelte Wortsinn gegen die historischen gesetzgeberischen Intentionen durch, da die Bindung der Unterlassungszurechnung nicht nur an die axiologischen Aspekte, sondern auch die ontologischen Grund­lagen der Begehungszurechnung einen haftungsbeschränkenden und daher täterbegünstigenden Umstand bildet. Hinzu kommt, dass das Merkmal der Entsprechung, sofern man es als bloße „Wertgleichheit“ von Tun und Unterlassen verstünde, ebenso uferlos unbestimmt wäre wie die Voraussetzung des „Einstehenmüssens“, womit die Vorschrift des § 13 Abs. 1 StGB endgültig der Verfassungswidrigkeit preisgegeben würde. Da ein „vernünftiger“, d. h. verfassungstreuer Gesetzgeber dies nicht gewollt haben kann, gebietet eine verfassungskonforme teleologische Auslegung, den Begriff der Entsprechung auch als ontologische „Artvergleichbarkeit“ aufzufassen. Dies wird noch durch einen weiteren verfassungsrechtlichen Aspekt bestätigt, der einer kurzen Erklärung bedarf. Richtigerweise hat die Entnormativierung im 20 In diesem Zusammenhang muss noch einem möglichen Missverständnis vorgebeugt werden: Der Begriff der Entsprechung könnte zu dem Fehlschluss einladen, im Unterlassungsfall könne auf die exakte Subsumtion unter den Tatbestandsmerkmale des Besonderen Teils verzichtet werden, solange der Unterlassungssachverhalt dem eigentlich nicht erfüllten Tatbestand noch irgendwie „entspreche“. Die Entsprechung von Tun und Unterlassen würde also als Freibrief für eine analoge Anwendung des jeweiligen Tatbestands missdeutet. Dass dies fehlerhaft wäre liegt auf der Hand: Zuvörderst läge dann in § 13 Abs. 1 StGB ein gesetzlich sanktionierter Verstoß gegen das strafrechtliche Analogieverbot gem. Art. 103 Abs. 2 GG. Zweitens deutet auch eine Gesamtschau des Kernstrafrechts nicht darauf hin, dass ein solches Verständnis gewünscht war. So geht der Gesetzgeber im Bereich der strafbegründenden Vorschriften des StGB äußerst zurückhaltend mit der Verwendung des Terminus der „Entsprechung“ um. (Etwas anderes gilt freilich für die häufig anzutreffenden und verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsfolgenverweisungen (wie etwa § 263 Abs. 4 StGB, sowie für Regelungen im Bereich der Rechtsfolgen (etwa § 43 StGB).) Die einzigen Regelungen dieser Art dürften sein: § 147 Abs. 2 StGB, wonach im Rahmen der Störung der Religions­ ausübung dem Gottesdienst „entsprechende“ Feiern einer im Inland bestehenden Weltanschauungsgemeinschaft gleichgestellt werden; und § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB, der dem Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts „entsprechende Reden“ gleichstellt. In beiden Fällen ist der interpretatorische Rahmen dieser Entsprechungsmerkmale durch den Kontext so klar begrenzt, dass sie unter Bestimmtheitsgesichtspunkten unbedenklich erscheinen.

2. Die Entsprechungsklausel als Gleichstellungsmerkmal

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Allgemeinen Teil – soweit der Gesetzgeber keine Regelung getroffen hat – mithilfe von Brückenprinzipien21 zu erfolgen. Einen solchen Brückenschlag zwischen Sein und Sollen ermöglicht das Prinzip der Gleichheit als „Kern der Gerechtigkeit“,22 also das von Art. 3 Abs. 1 GG positivierte Gebot, dass wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandelt werde. In der Methodenlehre findet es seine wichtigste Ausprägung in Gestalt der Analogie, bei der aus einer Ähnlichkeit zwischen zwei Lebenssachverhalten darauf „geschlossen“ wird, dass sich eine nur für die eine Situation vorgesehene Rechtsfolge auch auf die andere erstrecken muss. Darüber hinaus aber kann das Gleichheitsprinzip auch in einer weiteren Konstellation Geltung beanspruchen, die man als „inverse Analogie“ bezeichnen mag.23 Formulieren lässt sie sich wie folgt: Wenn der Gesetzgeber bestimmt, dass ein inhaltlich nicht näher bestimmter Fall (hier: Unterlassung) einer sachlich bestimmten Konstellation (hier: Begehung) gleichgestellt werden soll, so gilt dies nur, wenn der gleichgestellte Fall eine ähnliche Sachstruktur aufweist. Oder konkreter: Was der Gesetzgeber mit derselben Rechtsfolge versieht, das muss auch an ähnliche Sachverhalte anknüpfen, sofern nichts anderes bestimmt ist. Selbst wenn der Gesetzgeber also die Entsprechung von Tun und Unterlassen in § 13 Abs. 1 StGB nicht verfügt hätte, hätte die Entnormativierung der allgemeinen strafrechtlichen Unterlassungshaftung im Wege eines analogischen, an den sachlichen Voraussetzungen der Begehungszurechnung orientierten Verfahrens erfolgen müssen, um die Vorgabe des Art. 3 GG zu erfüllen und sich nicht in Willkür zu verlieren.24 Wir stehen also vor dem merkwürdigen Ergebnis, dass nach jahrzehntelangem Ringen um die Formulierung einer allgemeinen Unterlassungsregel die entscheidende Weichenstellung des § 13 Abs. 1 StGB – die erforderliche Entsprechung der ontischen Struktur der Unterlassung mit derjenigen des Tun – dem Gesetzgeber offenbar in letzter Minute unbeabsichtigt „unterlief“. Gleichwohl ist dieser glückliche legislatorische Lapsus durchaus verbindlich und konstitutiv für die an der Begehungsähnlichkeit ansetzende Unterlassungskonstruktion. Denn diese Konstruktion hängt ungeachtet ihres kuriosen Zustandekommens nicht an einem seidenen Faden, sondern an den tragkräftigen Regeln des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie des Analogieverbots und Bestimmtheitsgrundsatzes aus Art. 103 Abs. 2 GG. 21 Schünemann, Strafrechtsdogmatik als Wissenschaft, S. 25, unter Bezugnahme auf Albert, Traktat, S. 76. Als Beispiel für ein Brückenprinzip führt Schünemann (ebd.) den Satz „Sollen erfordert Können“ an. 22 A. Kaufmann, Gerechtigkeit, in: ders., Über Gerechtigkeit, S. 29. 23 Dass diese – jedenfalls nach den Erkenntnissen des Verfassers – bislang methodisch kaum erkannt ist, dürfte allein daran liegen, dass sie nur einen äußerst geringen Anwendungsbereich findet. 24 Vgl. Hoeren/Stallberg, Grundzüge der Rechtsphilosophie, Rn. 169: „Die einleuchtende, ja evidente Begründung [für die Gleichheit als notwendigem Bestandteil der Gerechtigkeit und der Rechtsidee] dürfte darin liegen, dass ein Bewertungsmaßstab, der es ermöglicht, zu beliebigen und insofern willkürlichen Urteilen zu gelangen, jedes normativen Gehalts verlustig wäre.“

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3. Die Entsprechung von Tun und Unterlassen Mit dem Begriff der „Entsprechung“ hat der Gesetzgeber einen zwischen den in den vergangenen zweihundert Jahren vertretenen Extrempositionen liegenden Mittelweg gewiesen. Die empiriebesessene Schule des Naturalismus wird durch das ontische und axiologische Elemente einschließende Wort der „Entsprechung“ ebenso in ihre Schranken gewiesen wie die modernen, rein normativen Lehren­ Jakobs’, Freunds und Pawliks. Um die gesetzliche Vorgabe mit Leben zu füllen, ohne sogleich in Dezisionismus abzugleiten, sollte eine modifizierte Variante des von Schünemann vorgezeichneten Verfahrens zur Anwendung gebracht werden.25 Hierzu sind im Ausgangspunkt alle Typen menschlichen Verhaltens in Ansatz zu bringen, an die der Gesetzgeber eine Begehungsstrafbarkeit anknüpft. Wie im Folgenden näher ausgeführt werden wird, können drei solcher gesetzlichen Anknüpfungspunkte unterschieden werden: [a)] die den Regelfall bildende naturwissenschaftlich greifbare Außenweltveränderung mittels einer Körperbewegung, [b)] die naturwissenschaftlich nicht greifbare Entfaltung psychischer Wirkkraft in Fällen psychisch vermittelter Kausalität, und [c)] der Verstoß gegen eine tatbestandliche Pflicht im Rahmen der „Pflichtdelikte“. In einem zweiten Schritt müssen sodann die Gründe offengelegt werden, weshalb der jeweilige Begehungstypus die Zurechung der Handlung zur handelnden Person ermöglicht. Soweit sich solche Gründe auf den Begriff bringen lassen, wäre drittens nach dem jeweils nächst höheren Gattungsbegriff (genus proximum) zu suchen, unter welchem sich Begehung und Unterlassen jenseits ihrer ontologischen Unterschiede einen lassen. Und viertens schließlich wäre jeweils der artbildende Unterschied, die differentia specifica zwischen Begehungs- und Unterlassungszurechnung offenzulegen und für jede ermittelte Andersartigkeit auf Unterlassungsseite ein Ausgleich zu finden, welcher den gesetzgeberischen Wertungen und Wertentscheidungen auf Begehungsseite so weit wie möglich entspricht. a) Begehungstypus I: Die Körperbewegung als naturgesetzlich wirkende Erfolgsursache aa) Die Beherrschung der eigenen Körperbewegung als Grund der Zurechnung Soweit der Gesetzgeber die Begehungsstrafbarkeit davon abhängig macht, dass ein Beteiligter durch körperliche Aktivität eine naturgesetzlich wirkende Ursache für einen Außenwelterfolg gesetzt hat,26 dürfte im Anschluss an die Untersuchung 25

Schünemann, Grund und Grenzen, S. 229–238. Dies gilt nicht nur für jene Delikte, die einen von der Handlung abtrennbaren Erfolg voraussetzen („Erfolgsdelikte“), sondern ebenso für die sogenannten schlichten Tätigkeits­ 26

3. Die Entsprechung von Tun und Unterlassen

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Schünemanns die Herrschaft des psycho-physisch gesunden Menschen über seine eigenen Körperbewegungen den aussichtsreichsten Grund für die Zurechnung der Handlung zur handelnden Person abgeben.27 Diese Vermutung ließe sich unter zwei Voraussetzungen bestätigen. Erstens: es ließe sich im „Rechtsstoff“ (d. h. in der vom Gesetzgeber vorgefundenen Wirklichkeit) eine sachlogische Struktur ermitteln, wonach der Mensch regelmäßig seine Körperbewegungen beherrscht, und zweitens: die gesetzgeberischen Zurechnungsregeln knüpften erkennbar an diese Struktur an. Die erste Frage lässt sich jedenfalls dann unschwer bejahen, wenn man die Frage des „Beherrschens“ nicht auf einen naturwissenschaftlichen, neurologischen Befundes reduziert, sondern entsprechend der Eigenschaft der Rechtswissenschaft als Kulturwissenschaft auch „Kultursachverhalte“ als sachlogische Strukturen gelten lässt. Denn die Herrschaft der Person über ihre Körperbewegungen stellt zweifellos eine gesellschaftlich allgemein vorausgesetzte Grund­ konstante dar, selbst wenn es sich bei der Freiheit des Willens und der Willensbetätigung um eine „staatsnotwendige Fiktion“28 handeln sollte.29 Eine dem Recht vorgehende sachlogische Struktur läge demnach in Gestalt der (tatsächlichen oder fingierten) Herrschaft des intakten Menschen über seine Körperbewegungen vor.30 Überdies sind gewichtige Hinweise vorhanden, dass die strafrechtliche Zurechnung auch gerade an diese Struktur anknüpft. Eine Reihe über das StGB verstreuter Vorschriften impliziert, dass der Gesetzgeber die Fähigkeit zur Verhaltenssteuerung als selbstverständliche Basisvoraussetzung strafrechtlicher Zurechnung unterstellt. So wäre etwa bereits in lexikalischer Auslegung das „Bestimmen eines anderen“ im Sinne der §§ 26 und 216 StGB ohne Herrschaft über die eigenen Körperbewegungen undenkbar. Gleiches dürfte für die „Mittel-Zweck-Relation“ des § 240 Abs. 2 StGB, das Finalitätsmerkmal des § 249 Abs. 1 StGB sowie sämtliche Tatbestände gelten, die subjektiv einen dolus directus 1. Grades voraussetzen. Einen ausdrücklichen Fingerzeig liefert überdies § 20 2. Alt. StGB in Gestalt des Schuldausschlusses aufgrund defektbedingter Steuerungsunfähigkeit. Im Ausgangspunkt darf also die Herrschaft über die eigenen Körperbewegungen (als naturgesetzlich wirkende Erfolgsursache) als der entscheidende Anknüpfungspunkt der Begehungszurechnung betrachtet werden. Schematisch lässt sich dies wie folgt darstellen: delikte, bei denen Handlung und Erfolg zusammenfallen. Da bei letzteren Ursache und Erfolg zusammenfallen, entfällt freilich die Notwendigkeit einer gesonderten Feststellung der Kausalität. 27 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 235 f. 28 Kohlrausch, in: FS Güterbock (1910), S. 26. 29 Näher hierzu Schünemann, Die Funktion des Schuldprinzips, S. 163–165; Roxin, AT I, § 19, Rn. 36–46. 30 Allerdings wird von Timpe (Strafmilderungen, S. 171 ff.) und Sangenstedt (Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 294 ff.) in der Herrschaft über die Körperbewegung keine sachlogische Struktur, sondern eine „normative Festlegung“ des Strafrechts gesehen. Kritisch Schünemann, Internationale Dogmatik, S. 76.

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Abbildung 1: Begehungszurechnung bei physischer Kausalität

bb) Der Gegenstand der Herrschaft auf Unterlassungsseite Wenn also der Grund der Begehungszurechnung in der Herrschaft über die Körperbewegung als spezieller Form einer naturgesetzlich wirkenden Erfolgs­ursache besteht, so liegt das gesuchte genus proximum offen zutage: Es besteht in der Herrschaft über irgendeine den Erfolg verursachende naturgesetzliche Wirkkraft. Dieser Herrschaftsgegenstand ist insoweit schärfer konturiert als die von Schünemann benannte „wesentliche Erfolgsursache“, als sich unter die letztere auch Erfolgsbedingungen subsumieren ließen, die keine naturgesetzliche Wirkkraft entfalten. Zur Verdeutlichung dessen ist es zweckmäßig, sich ausgehend von Puppe31 zu vergegenwärtigen, dass sich die hinreichende Bedingung eines Unrechtserfolges realiter aus einem ganzen Komplex von Einzelumständen zusammensetzt, von denen jeder als Ursache anzusehen ist, der den notwendigen Bestandteil einer hin­ reichenden Mindestbedingung bildet.32 Illustriert werden mag dies anhand des folgenden Falles: Der begeisterte Modellbauer A lädt seinen ebenfalls modellbegeisterten Bekannten B ein, um sein neues „Kunstwerk“, eine originalgetreue Miniaturversion eines „Horch 853 Sport“ mit Verbrennungsmotor bewundern zu lassen. Neidvoll begutachtet B das gute Stück und bittet darum, den Wagen mittels Fernsteuerung einmal auf einem nahegelegenen Firmenparkplatz ausprobieren zu dürfen, was A auch großmütig gestattet. B nimmt das Modell mit auf den Parkplatz, wo sich noch der zufällig anwesende C als Zuschauer hinzugesellt. Als B das Modell gerade vor einem großen Werktor angehalten hat, öffnet sich dieses und LKW-Fahrer D lässt seinen 32-Tonner langsam aus einer Werkhalle auf den Parkplatz rollen, wobei er das kleine Modell übersieht und daher nicht abbremst. B erfasst die Situation sofort, unternimmt jedoch nichts, obwohl es ihm ein Leichtes gewesen wäre, den Wagen

31

Puppe, ZStW 92 (1980), S. 875 ff.; dies., in: NK, Vor § 13, Rn. 102 f. m. w. N. Sog. INUS-Bedingung (Insufficient but Nonredundant element of an Unnecessary but Sufficient condition). Vgl. Stevens, Mackie Remixed, S. 93 ff.; Stegmüller, Probleme und­ Resultate, S. 584 ff. 32

3. Die Entsprechung von Tun und Unterlassen

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aus der Gefahrenzone zu manövrieren. Auch C hätte noch genügend Zeit gehabt, um das Modell gefahrlos aufzuheben und wegzutragen, unternimmt jedoch ebenfalls nichts. Das Modellauto wird überrollt und zerstört.

Die Bestandteile der hinreichenden Mindestbedingung der Zerstörung des Modellautos sind ersichtlich vielfältig: Neben dem physikalisch wirkenden Bedingungsbestandteil, dem rollenden LKW, sind eine Reihe statischer Umstände vonnöten, wie die schiere Existenz eines Modellautos, seine Belegenheit in Fahrtrichtung des LKWs, das Vorliegen eines festen Untergrundes als Gegendruckkörper etc. Sofern man – was richtig erscheint – auch negativen Umständen die Eignung als Bedingungsbestandteil zuspricht,33 muss diese Liste zudem um das Nichteingreifen von Personen wie B und C (und viele weitere potentielle Verhinderungsszenarien) erweitert werden. Hier beherrschte allein der im Führerhaus seines LKW untätig sitzende D den Bedingungsbestandteil der physikalischen Wirkkraft. Nur sein Unterlassen entsprach insoweit der Körperbewegung des Begehungsdelikts, wenngleich D hier im Ergebnis freilich unvorsätzlich und somit tatbestandslos handelte. B und C hingegen verfügten in diesem Bedingungskomplex nicht über die physikalische Wirkkraft, und ihre Untätigkeit kann folglich nicht als ein der Begehung entsprechendes Unterlassen gewertet werden. Das Beispiel verdeutlicht zudem, dass der Begriff der Herrschaft unklar wird und sich insbesondere nicht mehr von einer bloßen Erfolgsverhinderungsmacht abgrenzen lässt, wenn er wie in der Lehre Schünemanns ohne weitere Differenzierung auf den allgemeinen Begriff der „Ursache“ bezogen wird. Im vorliegenden Fall etwa ließen sich die Positionen von B und C bezogen auf die negativen Bedingungsbestandteile des „Nicht-Wegfahrens“ oder „Nicht-Wegtragens“ begrifflich ohne Weiteres als „beherrschend“ bezeichnen, da B und C Herr ihrer potentiellen Körperbewegungen waren. Bezogen auf den Kausalverlauf als solchen war ihre Herrschaft gar total, denn wie sollte man – abstrakt betrachtet – einen Kausalverlauf stärker in Händen halten, als ihn unterbrechen zu können? Gleichwohl bestünde in diesen Fällen die „Herrschaft über die Erfolgsursache“ nur in einem bloßen Verhindernkönnen, das nach allgemeiner Auffassung keinen hinreichenden Grund für die Gleichstellung von Tun und Unterlassen abgibt. cc) Erste Gleichstellungsvoraussetzung: Wirkkraft als Instrument des Willens Von dem Vergleichspunkt der beherrschten Körperbewegung ausgehend lässt sich auf Unterlassungsseite nicht nur der Gegenstand der Herrschaft identifizieren, sondern zugleich ihr Inhalt bestimmen. So muss der Beteiligte in der Lage sein, die erfolgskausale naturgesetzliche Wirkkraft in einer Weise zu steuern, wie 33 Vgl. eingehend Puppe, Strafrechtsdogmatische Analysen, S. 128–141; dies., ZPhF 67 (2013), S. 639 f.

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er seine Körperbewegungen zu steuern vermag; er muss die Wirkkraft wie ein Instrument seines Willens beherrschen. Dieses Bild von dem „wie Körperbewegungen steuerbaren Instrument des Willens“ eröffnet dem Rechtsanwender zwar noch einen gewissen Spielraum, ist jedoch bereits hinreichend deskriptiv, um den Grenzen der Unterlassungszurechnung Kontur zu verleihen und einer kasuistischen Konkretisierung eine verlässliche Grundlage zu bieten. Im obigen Beispielsfall jedenfalls führt es zu einem klaren Ergebnis: Der im Führerhaus des rollenden LKWs sitzende D vermag die physikalische Wirkkraft zu steuern und beherrscht diese daher in vergleichbarer Weise wie eigene Körperbewegungen. B und C hingegen halten diese Wirkkraft ersichtlich nicht in Händen. dd) Zweite Gleichstellungsvoraussetzung: Widmung als Instrument des Willens Zusätzlich muss jedoch noch für einen wichtigen Unterschied zwischen der Herrschaft über die eigenen Körperbewegungen und ihrem Unterlassungsäquivalent ein Ausgleich gefunden werden. Wir sind davon ausgegangen, dass der Grund der Begehungszurechnung in der Herrschaft des Beteiligten über seine eigenen Körperbewegungen zu finden ist. Die Herrschaft über den eigenen Körper aber ist etwas Personenimmanentes, gleichsam Gottgegebenes, eine Eigenschaft jeder gesunden Person, die dieser nicht aufgedrängt und nur schwerlich entzogen werden kann. Anders liegt es bei der haftungsbegründenden Herrschaft des Unterlassenden. Die Grenzen der Herrschaft über eine erfolgskausale naturgesetzliche Wirkkraft sind weiter gespannt und beziehen auch außerhalb der Person des Beteiligten liegende Vorgänge (wie im Beispielsfall das Rollen des LKW) mit ein. Dies impliziert die Möglichkeit, dass dem Unterlassenden die Herrschaft über die Wirkkraft aufgedrängt wird.34 In solchen Fällen entfiele die Begehungsäquivalenz der Unterlassung, und sie müssen daher von der unechten Unterlassungshaftung ausgenommen werden. Dies lässt sich mithilfe eines subjektiven Merkmals bewerkstelligen. Eine aufgedrängte Herrschaft ist immer dann ausgeschlossen, wenn der Omittent die Wirkkraft willentlich zu seinem verlängerten Arm gemacht, oder besser: wenn er sie als Instrument seines Willens gewidmet hat. Die Widmung der naturgesetzlichen Wirkkraft als Instrument des eigenen Willens bildet daher die unerlässliche zweite Voraussetzung des begehungsgleichen Unterlassens. Zwar handelt es sich bei dieser zweiten Säule der Gleichstellung um einen psychologischen Befund, der Nachweis einer willentlichen Widmung jedoch wird aufgrund der faktischen Unergründlichkeit des menschlichen Willens kaum anders als durch eine Gesamtbewertung der für oder gegen eine Widmung sprechenden äußeren Umstände erbracht werden können. Damit öffnet dieses Merk 34 Vgl. hierzu bereits Schünemann (Grund und Grenzen, S. 244, 293, S. 343 f.) der diese Frage unter dem Gesichtspunkt des „Autonomieprinzips“ abhandelt.

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mal die Pforte zu einem „volitiven Normativismus“35, der in begrenzter Form auch die Berücksichtigung jener Gesichtspunkte erlaubt, die von den oben unter IV. 1. und 2. dargestellten Ansätzen als entscheidende Gleichstellungsfaktoren anerkannt werden. So dürften neben dem Schutzbedürfnis des Omittenten vor aufgedrängten Haftungsrisiken etwa auch gesellschaftliche Verhaltenserwartungen, die Einbindung des Täters in eine „Institution“ im Sinne Jakobs’ oder das berechtigte Vertrauen Gefährdeter in künftige Rettungshandlungen als Indizien herangezogen werden. Auch der im Haftungsfall drohende Strafrahmen, das Maß der drohenden Rechtsgutsschäden und die Schadenswahrscheinlichkeit können als Anhaltspunkte dafür dienen, ob der Unterlassende einen beherrschten Vorgang zum Instrument seines Willens gemacht hatte. Von einer solchen Widmung darf in aller Regel ausgegangen werden, wenn etwa (wie im Beispielsfall der D) ein Autofahrer sein Kraftfahrzeug in Gang setzt oder ein Ingenieur zu Arbeitsbeginn am Steuerterminal einer Industrieanlage Platz nimmt. Doch selbst auf den ersten Blick fernliegende Wirkungsmechanismen lassen sich in haftungsbegründender Weise instrumentalisieren. So dürfte ein Täter, der eine andere Person einsperrt und die Zufuhr von Lebensmitteln versagt, die von ihm beherrschten körperinternen Wirkmechanismen des Durstes und Hungers des Geschädigten zum Werkzeug seines Willens gemacht haben. Auch spricht nichts gegen die Möglichkeit einer antizipierten Widmung, d. h. die Bestimmung einer naturgesetzlichen Wirkkraft als Willensinstrument zu einer Zeitpunkt, in dem der Beteiligte noch keine Herrschaft über die Wirkkraft gewonnen hatte, oder die künftige Begründung einer solchen Herrschaft noch ungewiss war. Ein Beispiel hierfür bildet der paradigmatische Fall der zu einer Gletscherbegehung aufbrechenden Seilkameraden, für die zu Tourbeginn noch nicht feststeht, ob es überhaupt zu einem Spaltensturz kommen wird, infolge dessen sie es buchstäblich in Händen halten werden, ob ihr in der Gletscherspalte baumelnder Kamerad einen orthostatischen Schock erleidet oder noch rechtzeitig hinauf­ gezogen wird. Schließlich gilt es noch zu klären, ob es auch Herrschaftsverhältnisse über naturgesetzliche Wirkkräfte gibt, die keines willentlichen Widmungsaktes bedürfen, um der Herrschaft über die Körperbewegung zu entsprechen. Zu erwägen wäre insbesondere die Herrschaft einer Mutter über die Biofunktionen ihres neugeborenen, auf Nahrung und Wärme angewiesenen Kindes. Diese Herrschaft – so könnte man meinen – ist der natürlichen Herrschaft über die Körperbewegungen doch zumindest insoweit vergleichbar, als sie durch den vegetativ gesteuerten Geburtsvorgang erlangt und mithin in ähnlich schicksalhaft-determinierter Weise

35 Vgl. zu diesem Terminus im Zusammenhang mit dem Vorsatz: Roxin, in: FS Rudolphi (2004), S. 243, 248; Vogel, in: LK, Vor § 15 Rn. 68.

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geschenkt wird, wie die Herrschaft über die eigenen Körperbewegungen.36 Selbst wenn man jedoch in der Art des Herrschaftserwerbs hier Parallelen erblicken wollte, so änderte dies nichts an dem entscheidenden Gesichtspunkt, dass es sich bei der beherrschten Wirkkraft (den körperinternen Vorgängen des Neugeborenen) um einen außerhalb der Person des Beteiligten liegenden Vorgang handelt, zu dem im Gegensatz zur eigenen Körperbewegung erst ein Bezug hergestellt werden muss. Auch hier bedürfte es also einer willentlichen Widmung, die sich in der Regel schlüssig im ersten Füttern des Kindes manifestieren dürfte. Bevor sie erfolgt, wird der strafrechtliche Schutz des Neugeborenen vor lebensbedrohlicher Vernachlässigung durch andere Vorschriften (insbesondere §§ 221, 225 StGB), nicht aber durch das unechte Unterlassen sichergestellt.37 Schematisch lässt sich das Gesagte wie folgt wiedergeben:

Abbildung 2: Unterlassungszurechnung bei physischer Kausalität

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Seit über zweihundert Jahren werden vergleichbare Überlegungen angestellt, um die als notwendig empfundene Garantenstellung der Eltern gegenüber ihren neugeborenen Kindern zu begründen – vgl. etwa Kant, Die Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, § 28: „Gleichwie aus der Pflicht des Menschen gegen sich selbst, d. i. gegen die Menschheit in einer eigenen Person ein Recht (jus personale) beider Geschlechter entsprang, sich, als Personen, wechselseitig einander, auf dingliche Art, durch Ehe zu erwerben; so folgt, aus der Zeugung in dieser Gemeinschaft, eine Pflicht der Erhaltung und Versorgung in Absicht auf ihr Erzeugniss; d. i. die Kinder, als Personen, haben hiermit zugleich ein ursprünglich-angebornes (nicht angeerbtes) Recht auf ihre Versorgung durch die Eltern, bis sie vermögend sind, sich selbst zu erhalten (…).“ Schopenhauer, Fundament der Moral, S. 221: „Nur eine Pflicht ist mir bekannt, die nicht mittelst einer Übereinkunft, sondern unmittelbar durch eine bloße Handlung übernommen wird; weil Der, gegen man sie hat, noch nicht dawar [!], als man sie übernahm: es ist die der Eltern gegen ihre Kinder. Wer ein Kind in die Welt setzt, hat die Pflicht es zu erhalten, bis es sich selbst zu erhalten fähig ist (…).“ Schünemann, Grund und Grenzen, S. 342 f.: „Existentiell vorgegeben ist die Gewalthabe der Mutter über den in ihrem Leib heranwachsenden Embryo (…). Die existentiell gegründete Herrschaft der Mutter dauert so lange fort, bis das Kind seine konstitutionelle Hilflosigkeit verliert (…).“ 37 Vgl. hierzu die archaische Parallele im vorchristlichen germanischen Recht, wonach die Tötung eines Neugeborenen (durch Tun oder Unterlassen) für den Kindesvater erst nach der äußerlich manifestierten Aufnahme des Kindes in den Familienverband (durch Wasserweihe bzw. die erste Nahrungsaufnahme) als bußwürdiges Delikt angesehen wurde – oben II.

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b) Begehungstypus II: Psychisch wirksames Verhalten aa) Die Begehungszurechnung bei psychischer Kausalität Eine gesonderte Betrachtung erfordern die Fälle, in denen die tatbestandliche Begehungshandlung in der Beeinflussung des Willensbildungsprozesses eines anderen besteht, in denen das Verhalten des Beteiligten also psychisch kausal geworden sein muss (wie in den Fällen der Anstiftung, der psychischen Beihilfe, der mittelbaren Täterschaft oder in Nötigungs- und Täuschungstatbeständen). Einer derartigen „Erzeugung“ eines fremden Willensentschlusses eignet eine ganz eigene Struktur, die ihre strikte Abgrenzung von der Verursachung vermittels naturgesetzlich wirkender Verhaltensweisen erfordert.38 Nicht die vom Beteiligten durch eine Körperbewegung auf den Weg gebrachte naturgesetzliche Wirkkraft steht hier im Vordergrund, sondern der Geist des Sich-Entschließenden, der sich mithilfe seiner Sinnesorgane Anregung verschafft, um auf Basis der so gewonnenen Vorstellungen über Zustände und Vorgänge seiner Umgebung Verhaltensentscheidungen zu treffen. Anders als im Falle physisch vermittelter Energieentfaltung bedarf es hier also einer (der sog. notwendigen Teilnahme ähnlichen) bewussten oder unbewussten Mit-Wirkung des Beeinflussten. Seine psychische Aktivität ist es, die auf Grundlage des inneren Erlebens der äußeren Verhältnisse eine Entscheidungsfindung bewirkt. Dieses Spezifikum einer notwendigen psychischen Mitwirkung des Beeinflussten jedoch verschiebt zugleich die Verhaltensanforderungen für den Urheber der Willensentschließung, und zwingt letztlich für den Bereich der psychischen Kausalität zu einer ganz neuen Grenzziehung zwischen Tun und Unterlassen. Für die Entschlussfassung des Beeinflussten nämlich ist es völlig irrelevant, ob der von ihm zur Grundlage seines Entschlusses herangezogene anregende Umstand in physikalischer Energieentfaltung, in einem bloßen Vorhandensein von Sachen oder Personen oder sogar im Fehlen eines Umstandes besteht. Alle drei Typen von Bedingungsbestandteilen – physikalisch wirksame, statische und negative – sind hier gleichermaßen geeignet, psychisch zu „wirken“. Aus diesem Grunde geht eine auf der Entfaltung physikalischer Energie beruhende Abgrenzung von Tun und Unterlassen im Reich der psychisch ver 38 Zutreffend Puppe, in: NK, Vor § 13 Rn. 131: „Es bleibt also nichts anderes übrig, als die Illusion eines einheitlichen Kausalbegriffs preiszugeben und die Zurechnung von Erfolgen kraft psychisch vermittelter Beeinflussung anderer Personen auf eine grundsätzlich andere Basis zu stellen als die Zurechnung äußerer Erfolge kraft Beeinflussung von Naturvorgängen, wie das schon die Hegelianer getan haben.“ Vgl. hierzu bereits Köstlin, System, S. 300: „Von einem Kausalitätsverhältnisse ist jedoch in der Sphäre der Freiheit nie die Rede.“ Vgl. auch Frank, Strafgesetzbuch, § 1 III 2. a. (S. 21): „[E]ine Bedingung, die einen der Außenwelt angehörigen Erfolg nur durch Vermittlung eines frei und bewußt auf ihn hinarbeitenden Willens herbeiführt, ist lediglich Bedingung und nicht Ursache.“ H. Mayer, in: FS Rittler (1957), S. 256: „Eine naturwissenschaftliche Weltdeutung wird aber auch heute überwiegend von der Lehre vom psycho-physischen Parallelismus ausgehen müssen. Diese Lehre leugnet die Kausalbeziehung zwischen Bewußtseinsinhalten und realkörperlichen Vorgängen.“ Weitere Nachweise bei Puppe, in: NK, Vor § 13, Fn. 81.

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mittelten Kausalität von vornherein in die Irre. Vielmehr ist das Ausbleiben einer physischen Energieentfaltung (durch Sprechen, Signalisieren etc.) – das unter dem Blickwinkel des Energiekriteriums als Unterlassen zu qualifizieren wäre – im geschäftlichen und gesellschaftlichen Verkehr so lange eben kein Unterlassen, wie dem Schweigen eine Bedeutung zukommt, der auf den Beeinflussten psychisch „einwirkt“ und von ihm zur Grundlage einer Entscheidung gemacht wird. Beispiele: Folgert etwa ein Versicherungsgeber aus dem Ausbleiben einer Risikoanzeige durch den Versicherten, dass sich die Risikokriterien nicht verändert haben, so hat der Versicherte eine psychische Wirkung entfaltet und, sofern er z. B. mittlerweile leidenschaftlicher BaseJumper geworden ist, seinen Vertragspartner durch Begehen getäuscht. Ebenso verhält es sich, wenn ein Gleisläufer an der Bahnstrecke den herannahenden Lokführer nicht warnt, dass Hindernisse auf dem Gleis liegen, und sich der Lokführer in dem Glauben, dass alles in Ordnung sei, dazu entschließt nicht abzubremsen. Eine Täuschung durch Begehen wäre schließlich auch anzunehmen, wenn ein Computer so programmiert ist, jeden Monat erneut automatisch eine Warenbestellung vorzunehmen, und der dahinter stehende Käufer dies weiterhin zulässt, obwohl er inzwischen insolvent geworden ist.

Die Verkennung des strukturellen Unterschiedes zwischen physisch und psychisch vermittelter Kausalität dürfte auch den Grund für die „fließenden Übergänge“39 zwischen Begehen und Unterlassen beim Betrugstatbestand und den dortigen unbefriedigenden „scheinbaren Rückfall in die formale Rechtspflichtlehre“40 bzw. in die klassische Garantentrias darstellen. Richtig betrachtet manifestiert sich in den beim Betrug gewöhnlich als Grund der Gleichstellung des Unterlassens herangezogenen „Pflichten“ aus Gesetz, Vertrag oder Ingerenz lediglich die soziale Bedeutungshaltigkeit einer physischen Inaktivität, die auf die Psyche des Beeinflussten einzuwirken vermag und daher eine Täuschung durch Begehen darstellen kann.41 Ob das aktive oder passive Verhalten eines Beteiligten die Tauglichkeit besitzt, psychische Wirkung zu entfalten, hängt im Gegensatz zur physischen Kausalität nicht allein von Naturgesetzen (wie der Übertragung einer gerufenen Botschaft durch Schallwellen), sondern ebenso von den Gesetzmäßigkeiten des sozialen Umgangs, dem „sozialen Referenzrahmen“ ab, vor dessen Hintergrund das Verhalten gedeutet wird.

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Hefendehl, in: MüKo, § 263 Rn. 87. Hefendehl, in: MüKo, § 263 Rn. 137. 41 Dass es für die Unterscheidung von Tun und Unterlassen im Tatbestand des Betruges nicht auf physische Aktivität oder Passivität ankommen kann, deutet im Übrigen auch der Gesetzgeber selbst an, indem er das „Unterdrücken“ von Tatsachen – also insbesondere deren Nichtoffenbarung – der aktiven Vorspiegelung und Entstellung von Tatsachen ohne Weiteres gleichstellt. 40

3. Die Entsprechung von Tun und Unterlassen

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Im Rahmen der großen Vielfalt dieser sozialen Faktoren hat auch das Vorverhalten des Beteiligten einen Platz. Wenn also etwa eine Person aufgrund eines entsprechenden Vorverhaltens die Gefahr geschaffen hat, dass ihr Schweigen in einer gegebenen Situation durch eine andere Person in einer bestimmten Weise gedeutet und zur Grundlage einer strafrechtlich relevanten Entscheidung gemacht wird, so müsste sie durch einen entsprechenden Gegenakt den schädlichen Erklärungswert ihres Verhaltens neutralisieren, um die drohende Begehungsstrafbarkeit sicher abzuwenden. Hier zeigt sich der berechtigte Kern des Ingerenzgedankens, wenngleich freilich nicht als Grund einer Handlungs- oder „Garanten“-Pflicht, sondern als Grund einer Begehungsstrafbarkeit im Bereich der psychischen Kausalität. Der Grund der Zurechnung eines psychisch wirksamen Verhaltens zur Person des Beteiligten ist nach dem oben zum Begehungstypus I Gesagten schnell geklärt: Der durch körperliche Aktivität oder Inaktivität gesetzte psychische Anreiz ist dem Beteiligten zuzurechnen, da er seine tatsächlichen (bei Aktivität) und potentiellen Körperbewegungen (bei Passivität) beherrscht. Unerheblich ist für die hiesige Untersuchung, ob der Beteiligte darüber hinaus auch die Willensentschließung des Beeinflussten und in der Folge dessen Verhalten „beherrscht“, wie es im Falle einer Täuschung oder Drohung der Fall sein mag. Diese weitergehende Frage ist allein für die Frage der Einordnung des Beteiligten als (mittelbarer) Täter oder Teilnehmer von Bedeutung, sofern man der Tatherrschaftslehre folgt. Unter Einschluss der Erfolgszurechnung an die psychisch beeinflusste Mittelsperson lässt sich danach die Begehungszurechnung bei psychischer Kausalität durch folgendes Schema darstellen:

Abbildung 3: Begehungszurechnung bei psychischer Kausalität

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V. Die Suche nach dem gordischen Nagel

bb) Kein begehungsgleiches Unterlassen im Bereich psychischer Kausalität Da also auch körperliche Inaktivität des Beteiligten als Begehung einzustufen ist, soweit sie von der beeinflussten Person zum Grund ihrer Entscheidung gemacht wurde, lässt sich im Bereich psychischer Kausalität von einer Unterlassung nur sprechen, wenn das Beteiligtenverhalten den Vordermann entweder gar nicht erst sinnlich erreicht hat, oder von diesem (bewusst oder unbewusst) nicht als entscheidungserheblich behandelt wurde, ein anderes Verhalten den Vordermann aber wahrscheinlich zu einer Entscheidung motiviert hätte, bei deren Ausführung das Schutzgut nicht zu Schaden gekommen wäre. Beispiel: Dies wäre etwa gegeben bei einem Streckenläufer der Bahn, der ein Hindernis auf dem Gleis entdeckt hat, sich bei Heranahen des zu warnenden Zuges jedoch versteckt (keine sinnliche Wahrnehmung durch den Zugführer) oder so unprofessionelle Warnsignale gibt, dass der Fahrer sie als lebhaften Gruß missdeutet (keine Entscheidungsgrundlage). Hätte der Gleiswart jedoch ein verständliches Warnsignal gegeben, so hätte sich der Zugführer wahrscheinlich zum Bremsen entschieden, und eine Kollision wäre vermieden worden.

Lässt sich nun für die besondere Struktur der Begehung im Falle psychischer Kausalität ein genus proximum finden, unter dem sich Begehung und Unterlassung zusammenfassen lassen, und das noch so präzise ist, dass es die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots gem. Art. 103 Abs. 2 GG und des Entsprechungsgebots nach § 13 Abs. 1 StGB erfüllt? Die Antwort lautet: Nein! Und zwar aus mehreren Gründen: Wie soeben dargestellt erfordern psychisch vermittelte Rechtsgutsangriffe stets einen (bewussten oder unbewussten) Mitwirkungsakt des durch die gesetzte Anregung Beeinflussten, eine Art „notwendiger Teilnahme“. An dieser jedoch fehlt es zwangsläufig, wenn der Vordermann gänzlich unberührt von einem anderen seinen Willen bildet. Schon deshalb fehlt es hier an einem dem Tun „entsprechenden“ Unterlassen im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB. Dies lässt sich durch eine Gegenprobe bestätigen. Von dem in der amtlichen Überschrift des § 13 StGB geforderten „Begehen durch Unterlassen“ ließe sich nur dann sprechen, wenn sich anstelle des Unterlassens auch ein Begehen denken lässt. Wie aber sollte sich die Nichtbeeinflussung einer fremden Willensbildung durch ein Begehen bewerkstelligen lassen? Hinzu kommt, dass im Falle der Einbeziehung der Nichtbeeinflussung einer fremden Willensbildung in den Kreis des unechten Unterlassens die Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Unterlassen unmöglich würde. Versteht man unter echten Unterlassungen zutreffend solche, die ausschließlich durch Unterlassen und nicht durch Begehen verwirklicht werden können, so handelt es sich bei allen Delikten, welche die Strafbarkeit an die Nichtunterbrechung eines bereits gegenwärtigen Zustands anknüpfen (wie etwa im Falle des § 138 StGB die Gefahr einer künftigen Straftat), zwingend um echte Unterlassungsdelikte. Um einen sol-

3. Die Entsprechung von Tun und Unterlassen

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chen Fall aber handelt es sich auch dann, wenn das bestehende Vorstellungsbild einer Person voraussichtlich in ein sozialschädliches Verhalten münden wird und nur durch ein psychisches Einwirken „entschärft“ bzw. aufgehoben werden kann. Und schließlich lassen sich die Faktoren, die einen Beteiligten verpflichten könnten, eine andere Person auf einen ihr bislang gänzlich unbeachteten Umstand hinzuweisen, ausschließlich aus der sozialen Rolle des Beteiligten und somit aus Umständen ableiten, die im Begehungsunrecht der Herrschaftsdelikte keine Entsprechung finden.42 Im Bereich psychisch vermittelter Kausalität ist daher für ein unechtes Unterlassen kein Platz. c) Begehungstypus III: Die Pflichtverletzung bei Pflichtdelikten In großen Teilen der Literatur findet der Typus des sog. „Pflichtdelikts“ Anerkennung.43 Nach der Definition Roxins zeichnen sich diese dadurch aus, dass es für die Sanktion weniger auf die äußere Beschaffenheit des konkreten Verhaltens als vielmehr darauf ankommt, dass jemand gegen die Leistungsanforderungen einer von ihm übernommenen sozialen Rolle verstößt.44 Diese Definition ist jedoch für den Zweck der vorliegenden Untersuchung noch nicht hinreichend präzise, da sie auch solche Delikte mit einschließt, bei denen der Rollen- oder Pflichtverstoß als strafbegründendes oder -schärfendes Element zu einer deskriptiv umschriebenen Handlung hinzutritt.45 Nach hiesigem Verständnis sind Pflichtdelikte nur solche, bei denen der Gesetzgeber die tatbestandliche Handlung von vornherein nicht deskriptiv, sondern ausschließlich normativ als Verstoß gegen eine Pflicht beschreibt, wie es etwa in beiden Alternativen der Untreue gemäß § 266 StGB der Fall ist. Diese gesetzgeberische Technik wirkt sich in zweifacher Weise auf die Zurechnungsdogmatik aus. Erstens ist es für die Tatbestandsmäßigkeit des Täterverhaltens gänzlich irrelevant, ob die Pflicht durch Aktivität oder Passivi 42 In diesem Zusammenhang darf vermutet werden, dass der herrschend bei der Anstiftung vorausgesetzte „geistige Kontakt“ zwischen Anstifter und Haupttäter (neben anderen Erwägungen) auch darauf zurückzuführen ist, dass die bloße Nichtverhinderung eines Entschlusses, auf dessen Zustandekommen der Beteiligte im Übrigen keinen Einfluss hat, als mit der Anstiftung durch Begehen inkommensurabel empfunden wird. 43 Diese von Roxin (Täterschaft und Tatherrschaft, S. 739 ff.) begründete Deliktskategorie hat in der Literatur zahlreiche Befürworter gewonnen (vgl. die Nachweise bei Roxin, AT II, § 25 Rn. 270, Fn. 352). Daneben finden sich jedoch auch Stimmen, die die Pflichtigkeit als eigenständige Zurechnungsform in Zweifel ziehen und sie als spezielle Ausprägung des Herrschaftsprinzips interpretieren (Schünemann, GA 1986 S. 331 ff., 334; ders., in: LK, § 14 Rn. 17; ähnlich Bottke, Coimbra-Symposium, S. 235). 44 Roxin, AT II, § 25 Rn. 268. 45 So rechnet Roxin (AT II, § 25 Rn. 273) etwa die Amtsdelikte der §§ 331 ff. StGB zu den Pflichtdelikten, welche die mit der Amtsstellung unverträgliche tatbestandliche Handlung überwiegend deskriptiv umschreiben.

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tät, Tun oder Unterlassen verletzt wird. Die von § 13 Abs. 1 StGB verwendeten deskriptiven Kategorien des Tuns und Unterlassens sind in der normativen Welt der Pflichtdelikte schlicht Fremdkörper, und § 13 Abs. 1 StGB ist hier unanwendbar. Aus demselben Grund liegt es zweitens bei Pflicht-Erfolgsdelikten (wie eben § 266 StGB) neben der Sache, die Frage der Kausalität eines pflichtwidrigen Tuns oder der Quasi-Kausalität eines pflichtwidrigen Unterlassens zu erörtern. Vielmehr hat die Zurechnung des Erfolges zur Pflichtverletzung hier allein nach den Kriterien der „objektiven Zurechnung“ zu erfolgen, allen voran mithilfe des sog. „Pflichtwidrigkeitszusammenhanges“.46 Aufgrund dieser gebotenen monistischen, d. h. auf die Differenzierung von Tun und Unterlassen verzichtenden Zurechnung entfällt bei Pflichtdelikten demnach das Gleichstellungsproblem des unechten Unterlassens. Trotz der Unanwendbarkeit von § 13 Abs. 1 StGB auf die Pflichtdelikte mag erwogen werden, die fakultative Strafmilderungsmöglichkeit des § 13 Abs. 2 StGB entsprechend anzuwenden, soweit der Beteiligte seine Pflicht durch Inaktivität verletzt.47 Vorzugswürdig erscheint jedoch, § 13 StGB hier von vornherein nicht heranzuziehen, da die Gleichstellung von Tun und Unterlassen bereits unter dem Dach der „Pflichtverletzung“ durch den jeweiligen Tatbestand vollzogen wird, der als lex specialis die allgemeine Regel des § 13 StGB verdrängt. Das praktische Bedürfnis einer Klärung dürfte ohnehin eher gering sein, da auch ohne § 13 Abs. 2 StGB noch § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB („Art der Ausführung“, „Maß der Pflichtwidrigkeit“) bei der Strafzumessung eine hinreichende Handhabe bietet, soweit nicht überdies bereits der jeweilige Tatbestand eine Strafrahmenverschiebung in minder schweren Fällen vorsieht. Schematisch lässt sich die zwischen Tun und Unterlassen nicht differenzierende Zurechnung beim Pflichtdelikt wie folgt darstellen:

Abbildung 4: Zurechnung beim Pflichtdelikt

46 Ob dies mithilfe der (noch) herrschenden Lehre vom pflichtgemäßen Alternativverhaltens oder der sog. „Risikoerhöhungslehre“ zu erfolgen hat, kann hier offen bleiben. 47 Vgl. BGHSt 36, 227 f.; Roxin, AT II, § 31 Rn. 248–251 m. w. N.

4. Vorteile des skizzierten Ansatzes

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4. Vorteile des skizzierten Ansatzes Nach der vorstehend vorgestellten Lösung lassen sich eine Reihe schwieriger Problemfelder des unechten Unterlassungsdelikts überraschend einfachen Lösungen zuführen. a) Zunächst wäre die seit jeher umstrittene Frage der Unterlassungskausalität geklärt. Während sich der Disput im 19. Jahrhundert um die Frage rankte, ob die Kausalität der Unterlassung eine tatsächliche oder hypothetische sei,48 wird er heute nicht minder leidenschaftlich um die Frage geführt, ob erst die hypothetische Erfolgsverhinderung (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) oder bereits die hypothetische Risikoverminderung die Erfolgszurechnung begründen könne.49 Nach der hier vorgestellten These lösen sich diese Probleme auf, da sie nicht nach der Kausalität der Unterlassung selbst fragt, sondern den Zurechnungstatbestand in zwei Abschnitte zerlegt – die Zurechnung des Erfolges zu einer beherrschten naturgesetzlichen Wirkkraft, und die Zurechnung der Wirkkraft zu der sie beherrschenden Person. Die Frage der Kausalität stellt sich lediglich im erstgenannten Zurechnungsabschnitt und beschreibt dort, ebenso wie im Begehungsfall, eine Verknüpfung von Wirkkraft und Erfolg nach den uns bekannten Naturgesetzen. b) Indem die vorliegende Lösung die „Entsprechungsklausel“ des § 13 Abs. 1 StGB zum eigentlichen Anknüpfungspunkt für die Gleichstellung von Tun und Unterlassen aufwertet, erklärt sie zugleich deren Inhalt, der aus Sicht einer garantenpflichtzentrierten Unterlassungsdogmatik bislang kaum greifbar ist.50 Dabei wird das bislang als primäres Gleichstellungsmerkmal behandelte „rechtliche Einstehenmüssen“ keinesfalls der Bedeutungslosigkeit preisgegeben. Es verbleibt als Korrektiv für Fälle, in denen ein Außenwelterfolg dem Unterlassenden aus normativen Gründen nicht zuzurechnen ist, obwohl die Unterlassung der Verwirk­lichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht. Bei dem Merkmal des Einstehenmüssens handelt es sich also um nichts anderes als die positivrechtliche Verankerung der Figur der objektiven Zurechnung für unechte Unterlassungsdelikte. Unter diesem Punkt wären also Gesichtspunkte wie der des atypischen Kausalverlaufs oder des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges abzuhandeln. Auf Basis dieser Deutung erweist sich auch die inhaltliche Unschärfe des „Einstehenmüssens“ als unbedenklich, da es als strafbarkeitsbegrenzendes Korrektiv der Entsprechungsklausel geringeren Bestimmtheitsanforderungen unterliegt. c) Die Lösung ist insoweit universal, als sie Grund und Grenzen des Begehens durch Unterlassen für sämtliche Beteiligungsformen und sämtliche Deliktstypen zu klären vermag. 48

Vgl. oben III. 2.  Hierzu instruktiv und mit zahlreichen Nachweisen: Greco, ZIS 8–9/2011, S. 674 ff. 50 Siehe oben V. 1. 49

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d) Ein weiterer Vorteil ist, dass sie den Herrschaftsgedanken nicht überstrapaziert, sondern auf seinen kaum bestreitbaren Kern reduziert – die Herrschaft des psycho-physisch intakten Menschen über seine Körperbewegungen. Damit knüpft diese Lösung ihr Schicksal nicht an dasjenige der Tatherrschaftslehre, die sich zumindest in ihrem normativen Randbereich seit einigen Jahren vernehmlicher Kritik ausgesetzt sieht. e) Der vorliegende Ansatz integriert zudem den berechtigen Kern des Ingerenzgedankens, ohne sich der berechtigten Kritik an einer Ingerenzgarantenpflicht auszusetzen.51 Nach hier vertretener Auffassung tritt dieser Kern in zwei verschiedenen Formen zutage. Im Bereich naturwissenschaftlicher Kausalität lässt sich der Widmungsakt als Ingerenzphänomen begreifen, durch den eine Person eine von ihr beherrschte, außerhalb ihrer Körperbewegungen liegende naturgesetzliche Wirkkraft zum Instrument ihres Willens macht. Denn erst das „Vorverhalten“ des Widmungsaktes stellt den nexus zwischen beherrschter Wirkkraft und beherrschender Person her und „verpflichtet“ den Herrschaftsinhaber dazu, schädliche Wirkungen der beherrschten Kraft ebenso zu verhindern, wie er verletzende Körperbewegungen zu unterlassen hat. Dieser Gedanke (und nicht etwa die heute herrschende Formel vom „pflichtwidrigen gefährdenden Vorverhaltens“) dürfte auch Stübel vorgeschwebt haben, als er im Jahre 1828 die Ingerenzhaftung begründete und als Beispiel den Fall anführte, dass „(…) Jemand einen Anderen einsperrt und ihm die erforderlichen Lebensmittel zu reichen unterlässt.“52 Denn durch das Zuführen oder Versagen von Nahrung beherrscht der Beteiligte hier die körperlichen Mangel­erscheinungen des Eingesperrten, und durch das Drehen des Schlüssels hat er diese zum Werkzeug seines Willens gemacht. Ob das Einsperren hingegen pflichtgemäß (etwa im Rahmen des Strafvollzugs) oder pflichtwidrig (etwa im Versteck von Entführern) erfolgte, ist für diese Beurteilung irrelevant, und auch Stübel verlor hierzu kein Wort. Die zweite Erscheinungsform der Ingerenz tritt im Bereich psychisch vermittelter Kausalität zutage und wurde in diesem Zusammenhang oben bereits angesprochen. Danach lassen sich Sachverhaltsgestaltungen als Ingerenzfälle begreifen, in denen der psychisch wirksame Bedeutungsgehalt einer Inaktivität des Beteiligten auf dessen Vorverhalten beruht.53 f) Der entscheidende Gewinn des vorliegenden Ansatzes schließlich dürfte im Zuwachs an Rechtssicherheit liegen. Der größte Makel der bisherigen Praxis besteht darin, bei den Herrschaftsdelikten die Gleichstellung von Tun und Unterlassen mithilfe sozialer Kriterien wie Elternschaft, Vertrauenstatbeständen etc. zu bewerkstelligen, die letztlich aus der Luft gegriffenen sind und in der tatbestandlichen Unrechtsbeschreibung keine Stütze finden. Damit entsprechen sie nicht nur von 51

Vgl. hierzu insbesondere Schünemann, Grund und Grenzen, S. 316; ders., GA 1974 S.  235 ff. 52 Stübel, Über die Theilnahme, S. 61; oben III. 1.  53 V. 3. b) aa).

5. Möglicher Nachteil: Strafbarkeitslücken

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vornherein nicht mehr der Begehungsstrafbarkeit – wie von § 13 Abs. 1 StGB vorausgesetzt, sondern bewegen sich auch außerhalb der gesetzlich bestimmten Strafbarkeit im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG. Die vorliegende These vermeidet dieses Defizit, indem Handlungs- und Unterlassungsherrschaft einheitlich mit dem Kriterium der „Herrschaft über die naturgesetzliche Wirkkraft“ begründet werden. 5. Möglicher Nachteil: Strafbarkeitslücken Der Gesetzgeber konnte sich seit Jahrzehnten auf eine Rechtsprechung verlassen, die auf Grundlage einer pragmatisch-konturarmen Garantenlehre alle Strafbarkeitslücken im Unterlassungsbereich bei Bedarf mithilfe des (vermeintlich) begehungsgleichen, unechten Unterlassens schließen konnte, so dass wenig Anlass für die Normierung spezifischer Unterlassungstatbestände bestand. Die Einschränkungen der unechten Unterlassungsstrafbarkeit auf Basis des hier vorgestellten Ansatzes könnten also erhebliche Strafbarkeitslücken nach sich ziehen. Eine kühle Vermessung der entstehenden Lücken zeigt jedoch, dass solche Befürchtungen weitgehend unbegründet sind. a) Strafbarkeitslücken im Bereich naturgesetzlicher Kausalität? aa) Im Bereich der Herrschaft über die erfolgskausale naturgesetzliche Wirkkraft könnte man eine Strafbarkeitslücke bei der Fallgestaltung vermuten, dass ein Beteiligter mit Vorsatz hinsichtlich eines drohenden Erfolges die Herrschaft über die Wirkkraft objektiv aufgibt oder die Wirkkraft nicht weiterhin als Instrument seines Willens ansieht und damit subjektiv entwidmet. In solchen Konstellationen wird sich jedoch die Strafbarkeit mithilfe der omissio libera in causa bzw. der omissio libera in omittendo sicherstellen lassen. Der wohl überzeugendste Begründungsansatz für diese Rechtsfigur liegt darin, bereits die objektive oder subjektive Herrschaftsaufgabe als tatbestandliche Unterlassung anzusehen. Dies ließe sich ohne Weiteres annehmen, wenn die Herrschaftsaufgabe bereits als Unterlassungsversuch gewertet werden könnte. Der Zeitpunkt des Versuchsbeginns beim Unterlassungsdelikt ist bekanntlich umstritten und reicht mit unterschiedlichen Nuancierungen vom ungenutzten Verstreichenlassen der ersten Rettungsmöglichkeit über den Eintritt einer konkreten Gefährdung für das Rechtsgut bis hin zum Verstreichenlassen der letzten Rettungsmöglichkeit.54 Die Festlegung auf einen dieser Zeitpunkte kann jedoch letztlich offen bleiben, wenn man die beim Begehungsversuch in der Literatur mittlerweile herrschende sog. „Alternativformel“ auch für den Unterlassungsversuch nutzbar macht. Danach vollzieht sich der Übertritt ins Versuchsstadium nicht allein nach den Kriterien der Rechtsgutsgefährdung, Sphärenberührung oder noch erforderlicher Zwischenakte. Vielmehr wird 54

Jescheck/Weigend, Lehrbuch, S. 638 m. w. N.

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der Versuch alternativ auch dann bejaht, wenn der Täter den Angriff (nach seiner Vorstellung von der Tat) „aus seinem Herrschaftsbereich entlässt“.55 Auf Basis des hier vertretenen Ansatzes lässt sich dies leichthin auf den Unterlassungsversuch übertragen, bei dem sich das Entlassen aus dem Herrschaftsbereich in der vorsätzlichen Aufgabe der Herrschaft mit Wissen und Wollen des drohenden Erfolges, in einem „Fahrenlassen der Zügel“ (Haupt)56 manifestiert. bb) Bei vordergründiger Betrachtung mag es zudem als besonders gravierendes kriminalpolitisches Defizit erscheinen, dass die vorgestellte Theorie den Bereich der Obhutsgarantenhaftung vollständig außen vor zu lassen scheint und damit die Nichtabwendung von Gefahren für sozial nahestehende Personen der Begehung nicht gleichstellt. Diese Befürchtung lässt sich jedoch mit dem Hinweis ausräumen, dass gerade die „Urfälle“ der Obhutsgarantenhaftung dadurch gekennzeichnet sind, dass der Unterlassende die Herrschaft über die naturwissenschaftliche Wirkkraft in Händen hält und deshalb auch nach hiesiger Auffassung eine begehungsgleiche Unterlassung begeht. Unschwer lässt sich dies an der klassischen Fallgestaltung illustrieren, dass eine Mutter ihrem Kind die lebensnotwendige Versorgung mit Nahrungsmitteln verweigert. Hier liegt die wirkende Ursache in den körperinternen Vorgängen und letztlich letalen Mangelerscheinungen des Opfers, welche die Mutter durch Zuführung oder Versagung von Nahrung als Instrument ihres Willens beherrscht. Gleiches gilt für den Arzt, der über die Verabreichung oder Nichtverabreichung von Medikamenten oder die Bedienung lebenserhaltender Geräte die physiologischen Vorgänge im Körper seines Patienten steuert, oder für den Seilgefährten, der es in Händen hält, ob sein in eine Gletscherspalte gestürzter Bergkamerad einen Schock und Erfrierungen erleidet oder nicht. Der Kernbereich der drei klassischen Untergruppen der Obhutsgaranten­stellung – „natürliche Verbundenheit“, „freiwillige Übernahme“, „Gefahren­gemeinschaft“ – wäre also auch von dem hiesigen Ansatz erfasst.57 55

Roxin, AT II, § 29 Rn. 195 ff. Siehe oben III. 2.  57 Dies gibt Anlass zu einer Nebenbemerkung. Vergleicht man die hier entwickelten Gleichstellungsvoraussetzungen mit den hergebrachten Fallgruppen der Funktionenlehre, so fällt auf, dass die „Widmung“ im Kern dem Übernahmegedanken entspricht, der bei den Fallgruppen der Obhutsgarantenpflicht im Vordergrund steht, und die „Beherrschung der schädlichen Wirkkraft“ das Hauptkriterium der Sicherungsgarantenpflichten reflektiert. Blickt man noch näher hin, so lässt sich überdies feststellen, dass der Kernbereich aller tradierten Fallgruppen der Funktionenlehre (mit Ausnahme der Ingerenz) sowohl ein Widmungs-, als auch ein Herrschaftselement enthält. Das Herrschaftselement im Rahmen der typischen Fallgruppen der Obhutsgarantenpflicht wurde soeben benannt. Umgekehrt lässt sich auch das Widmungselement im Rahmen der Sicherungsgarantentypen unschwer aufzeigen. Auch die Anhänger der Funktionenlehre würden im Falle einer tatsächlichen Herrschaft über die gefährdenden Wirkungen einer Maschine (Urfall der Sicherungsgarantenstellung bei „sachlichen Gefahrenquellen“) oder der Handlungen eines Geisteskranken (Urfall der „personalen Gefahrenquelle“) kaum ein unechtes Unterlassen annehmen, so lange der Beteiligte nicht irgendeinen freiwillig begründeten Bezug zur Gefahrenquelle aufweist, sei es als Maschinenführer, Pfleger oder in sonstiger Weise. Dies zeigt zweierlei: Zum einen muss hinter die prävalente Zwei 56

5. Möglicher Nachteil: Strafbarkeitslücken

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Zugestanden werden muss jedoch, dass die Nichtverhinderung eines Angriffs Dritter auf eine unter Obhut stehende Person nach hier vertretener Auffassung keinen Fall begehungsgleichen Unterlassens begründet. Nach der Beendigung des Angriffs kann eine solche Haftung freilich entstehen, wenn z. B. die Mutter die Verletzungen des Kindes nicht versorgt, und somit – vermittels der Wundinfektion, des Blutverlusts oder anderer zum „Werkzeug“ gemachten Körpervorgänge des Kindes – das Opfer tötet.58 Vor allem aber wird die drohende Strafbarkeitslücke in solchen Fällen durch spezielle Tatbestände aufgefangen, wie insbesondere im Falle der Nichtabwendung von Gefahren für eigene Kinder und Schutzbefohlene durch die §§ 171, 221, 225 I StGB. Namentlich der Wortlaut des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB (im Stich lassen in hilfloser Lage) ist durchaus einer Auslegung zugänglich, wonach das Unterlassen der Hilfeleistung angesichts eines Angriffs Dritter erfasst wäre. Als letzte Bastion steht schließlich § 323 c StGB zur Verfügung. Unerträgliche Strafbarkeitslücken wären demnach jedenfalls im Kernbereich der traditionellen Obhutsgarantenhaftung nicht zu befürchten. b) Strafbarkeitslücken im Bereich psychischer Kausalität? Da der vorliegende Ansatz den gesamten Bereich psychisch vermittelter Kausalität aus der unechten Unterlassungshaftung aussondert, läge es jedenfalls bei vordergründiger Betrachtung nahe, hier große Strafbarkeitslücken zu wähnen. Diese Befürchtung wird jedoch bereits dadurch abgeschwächt, dass auf dem B ­ oden der hier vertretenen These jedes passive Verhalten eines Beteiligten, welchem der Beeinflusste einen Sinngehalt beilegt und das er zum Grund seiner Entscheidung macht, einer (fahrlässigen oder vorsätzlichen) Begehungsstrafbarkeit zugänglich ist. Strafbarkeitslücken könnten daher nur noch in zwei Fallgestaltungen auftauchen. Zum einen in der Konstellation, dass das Verhalten des Beteiligten auf die Willensentschließung des Vordermannes ohne Einfluss geblieben ist, der Beteiligte die Entscheidung jedoch durch Einschreiten hätte verhindern bzw. den schon gefassten Entschluss hätte auflösen können.

teilung der Garantenstellungen in Obhuts- und Sicherungsgaranten ein Fragezeichen gesetzt werden. Zum anderen wäre es unzutreffend, den hier entwickelten monistischen Ansatz als eine Reduktion des unechten Unterlassens auf den herkömmlich mit der Sicherungsgarantenhaftung umschriebenen Bereich zu verstehen. Tatsächlich deckt er beide Bereiche ab und reduziert lediglich den Haftungsbereich auf das gesetzlich legitimierte Maß. 58 Sofern der Unterlassende zudem kollusiv mit dem aktiven Täter zusammenarbeitet und der Täter die Tat nur begeht, da er aufgrund vorheriger Absprache weiß, dass er mit Widerstand nicht zu rechnen hat, so verwirklicht der Inaktive eine Begehung und keine Unter­ lassung.

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V. Die Suche nach dem gordischen Nagel

Beispiel: T beobachtet zufällig, wie sein waffenunerfahrener Sohn O eine geladene Pistole entdeckt, diese offensichtlich für eine Spielzeugwaffe hält und sich scherzhaft anschickt, sich in den Kopf zu schießen. Gleichwohl schreitet T nicht ein und klärt den O nicht über die Gefahr auf. O erschießt sich.

Eine unechte Unterlassungshaftung scheidet hier aus. Gleichwohl ließe sich auch dieser Fall über § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB einer sachgerechten Bestrafung zuführen, da das Opfer hier einem aus eigener Erkenntniskraft unaufklärbaren, fatalen Irrtum unterlag, der es in eine hilflose Lage versetzte. Soweit nicht eine irrtumsbedingte Selbstschädigung von Leib oder Leben sondern von Vermögenswerten droht, sorgt zudem bei allen Verhältnissen, die eine Vermögensbetreuungspflicht begründen, die Vorschrift des § 266 StGB für einen hinreichenden Schutz. Bei den traditionell als garantenpflichtig angesehenen Verwandten in gerader Linie und Ehegatten kommt noch hinzu, dass sich ein drohender Vermögensverlust des Irrenden nachteilig auf die eigenen Unterhaltspflichten gem. §§ 1360 ff., 1601 ff. BGB auswirken kann, was manch trägen Gatten oder Verwandten zum Tätigwerden motivieren dürfte. Ein dringendes kriminalpolitisches Bedürfnis, an der traditionellen Lehre festzuhalten, drängt sich hier also nicht auf. Die zweite zu überprüfende Konstellation liegt darin, dass der Beteiligte den Beeinflussten durch ein Vorverhalten pflichtwidrig zu seinem Handlungsentschluss bewegt hat, dies sodann erkennt und die schädigende Handlung vorsätzlich nicht verhindert. Während nach der hier vertretenen These der Beteiligte nur aufgrund seines Vorverhaltens als fahrlässiger oder vorsätzlicher Begehungstäter haftete, käme auf Grundlage der herrschend vertretenen Ingerenzgarantenhaftung (zusätzlich) eine unechte Unterlassungshaftung in Betracht, die gegenüber der hier vertretenen Sicht in drei Fällen zu einer erweiterten Haftung führen würde. Fraglich ist, ob diese Haftungserweiterung ungeachtet der Begründungsdefizite der Ingerenzhaftung kriminalpolitisch unerlässlich erscheint. Der erste Fall läge darin, dass der Hintermann den schädlichen Handlungsentschluss eines anderen nur fahrlässig veranlasst hat, das Gesetz jedoch keine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit vorsieht. Als Beispiel mag hier die Betrugskonstellation dienen, dass eine Person P bei dem Geschädigten G fahrlässig einen Irrtum erregt, dies sodann erkennt und den G nicht von der irrtumsbedingten schädigenden Vermögensverfügung abhält. Die Straflosigkeit eines solchen Verhaltens erscheint hinnehmbar. Denn da es hier nur um fahrlässig verursachte, d. h. nicht planmäßig angestrebte oder in Kauf genommene Irrtümer geht, ist das Missbrauchsrisiko von vornherein gering. Hinzu kommt, dass sich materielle Schäden im Gegensatz zu Einbußen an höchstpersönlichen Gütern in der Regel rückabwickeln lassen, und dass in den übrigen Fällen – in denen der bösgläubig gewordene Begünstigte den Geschädigten sehenden Auges um sein Vermögen bringt, weil er um seine Rückzahlungsunfähigkeit weiß – das Insolvenzstrafrecht eine hinreichende Schutzwirkung entfaltet. Gerade mit Blick auf den Betrug ist schließlich auch zu

5. Möglicher Nachteil: Strafbarkeitslücken

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berücksichtigen, dass das Sonderstrafrecht zum Schutz zentraler Vermögensgüter spezielle Regelungen des Betruges durch Unterlassen vorsieht (etwa § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO), die im Rahmen des § 263 StGB gerade fehlen. Hierin liegt zumindest ein Indiz dafür, dass nach kernstrafrechtlichen Regeln ein Betrug durch Unterlassen nicht vorgesehen ist. Der zweite Fall betrifft die Konstellation, dass der Beteiligte wiederum nach einer nur fahrlässigen Veranlassung des schädlichen Handlungsentschlusses eines anderen den Erfolg vorsätzlich nicht verhindert, das Gesetz nun aber fahrlässiges Verhalten unter Strafe stellt und lediglich der Strafrahmen des Fahrlässigkeitsdelikts allzu deutlich hinter dem Vorsatzdelikt zurückbleibt. Hier fällt die Beurteilung von vornherein leichter, da ja immerhin ein strafrechtlicher Normappell vorhanden ist, und eine Strafbarkeitslücke im engeren Sinne somit nicht besteht. Zudem ist empirisch höchst unsicher und jedenfalls im Einzelfall nicht nachvollziehbar, ob eine höhere Strafandrohung unter dem Eindruck der konkreten Situation überhaupt eine gesteigerte Eignung besitzt, eine Person zur Erfolgsverhinderung zu motivieren. Und schließlich ist auch hier aufgrund des ungeplanten, spontanen Moments dieser Konstellationen das Missbrauchsrisiko gering. Ebenso wie im vorgenannten Falltyp ist also auch hier das Festhalten an der hergebrachten Lehre von der Ingerenzgarantenpflicht kriminalpolitisch nicht zwingend geboten. Drittens schließlich ist denkbar, dass ein Beteiligter einen anderen vorsätzlich zu einem schädlichen Handlungsentschluss veranlasst, und erst dann ein Teilnehmer hinzutritt, der den Beteiligten anstiftet oder darin bestärkt, die Herbeiführung des schädlichen Erfolges nicht mehr zu verhindern. Hier träfe den Veranlasser des Entschlusses ohne Weiteres eine Begehungshaftung, hinter die eine etwaig mitverwirklichte (Ingerenz-)Unterlassungshaftung zurückträte. Die Strafbarkeit des Teilnehmers hingegen steht und fällt mit der Frage, ob eine solche Unterlassungshaftung anzunehmen wäre. Verneint man dies, so tut sich in der Tat eine gewisse Strafbarkeitslücke auf. Auch diese erscheint jedoch nicht allzu gravierend, da der Veranlasser als Zentralgestalt des Geschehens vom Normappell voll erfasst und der Teilnehmer sich zumindest in gravierenden Fällen zumeist einer originären Strafbarkeit aus § 323 c StGB ausgesetzt sehen wird. Dass offenbar auch der BGH die drohende Strafbarkeitslücke nicht als schlechthin unerträglich bewertet, mag man schließlich auch einer Entscheidung des 1. Strafsenats entnehmen können, wonach ein vorsätzliches gefährdendes Vorverhalten keine Ingerenzgarantenpflicht auszulösen in der Lage sein soll.59 Unerträgliche Strafbarkeitslücken sind also auch im Bereich psychischer Kausalität nicht ersichtlich.

59

BGH StV 1996, S. 131 f.

VI. Fazit Hätte Luden bei seiner Entdeckung des unechten Unterlassens im Jahre 1836 die weitere Entwicklung vorausgeahnt – er hätte sich sicherlich nicht zu der Bemerkung verstiegen, dass zur Ermittlung der Haftungsvoraussetzungen „nur“ geklärt werden müsse, wann das Unterlassen wie ein Begehen auf die Verletzung eines Rechtsguts gerichtet sei.1 Seit nunmehr 178 Jahren schreiben Dogmatiker jenes „dunkelste Kapitel“2 des Allgemeinen Teils fort, das mittlerweile – so möchte man meinen – von naturalistischen Spitzfindigkeiten bis hin zu normativistischen Luftschlössern alle nur denkbaren Lösungsansätze durchdekliniert hat, und gleichwohl nicht zu einer von nachhaltigem Konsens getragenen Lösung finden konnte. Der vorstehend skizzierte Ansatz sucht auf einen solchen Konsens hinzuwirken, indem er die Gleichstellungsfrage in möglichst enger Anlehnung die beiden einzigen allgemein anzuerkennenden Autoritäten löst: Gesetz und Sachlogik. Hierzu lässt sich an der Entsprechungsklausel als (rudimentärer) Wertentscheidung des Gesetzgebers innerhalb der im Übrigen zirkulären Vorschrift des § 13 Abs. 1 StGB ansetzen und ausgehend von drei vom Gesetzgeber genutzten Grundtypen strafbaren Begehens nach entsprechenden Strukturen im Unterlassungsbereich Ausschau halten. Ob diese Vorgehensweise den Weg zum „gordischen Nagel“ weist, muss dem Urteil des Lesers überlassen bleiben. Der Umstand jedoch, dass sich auf diese Weise eine Reihe dogmatischer Probleme in Luft auflösen, mag zumindest der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass wir auch im Jahre 178 nach Luden noch nicht am Ende der Weisheit angelangt sind, und dass die weitergehende Befassung mit dem unechten Unterlassen noch immer ein fruchtbares Unterfangen sein kann.

1

Vgl. oben III. 1. Roxin, AT II, § 32 Rn. 2.

2

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Personen- und Sachverzeichnis Amtspflicht  14, 16, 17, 21, 33, 42 Amtsverbindlichkeit siehe Amtspflicht Analogie –– „inverse“ 57 –– Rechtsanalogie 34 –– Verbot belastender  34, 56 f. Arzt  37, 45, 48, 74 Aussetzung  11, 64, 75 f. Beihilfe –– negative 14–16 –– psychische 65 Beschützerverantwortlichkeit  13, 37 Bestimmtheitsgrundsatz  42, 52–54, 56 f., 68, 71 Betrug  66, 76 f. Binding, Karl  26–29 Birnbaum, Johann Michael Franz  23 Brammsen, Joerg  31 f., 36 Brückenprinzipien 57 Bundesgerichtshof 29 Bundesverfassungsgericht  53 f. Carpzov, Benedict  13 f. Constitutio Criminalis Carolina  12, 21 crimen extraordinarium 21 Daseinsvorsorge 41 Dezisionismus  36, 42, 58 Digesten  10, 12, 27 dolus generalis 25 dolus subsequens  25 Echtes Unterlassen  9, 20, 22, 37, 41, 45, 68 Edicuts Rothari  11 Einstehenmüssen  32, 51–54, 56, 71 Elternteil  13, 33, 36, 38, 40, 44, 48, 64 Entnormativierung  56 f. Entsprechungsklausel  13, 46, 48, 52, 54–57 Fahrlässigkeitsdelikt  43, 49, 75–77

Feuerbach, Paul Johann Anselm von  16–20, 24 Formelle Rechtspflichttheorie 24 f., 27–29, 42, 44, 52 Freund, Georg  37–39, 42, 58 Funktionenlehre  29 f., 37, 74 furiosus  10, 74 Garantenpflicht  29–31, 34, 36–42, 51–54, 67, 72, 76 f. Gefahrenherd –– Destabilisierung 43–49 Gefahrenquelle  34–36, 37 f. Gemeines Recht  13, 20 f., 27 genus proximum  48, 58, 60, 68 Gesellschaftsvertrag  18, 23 Gilhausen, Ludwig  13 Gimbernat-Ordeig, Enrique  43–46 Glaser, Julius  24 f. Gleichheitssatz 57 Gordischer Knoten  9, 78 Handlungsbegriff –– finaler 26 –– funktionaler 33–34 –– kausaler  26, 34 Haupt, Friedrich  24, 26 f., 74 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  17, 38–40, 65 Herrschaftsdelikt  33–35, 51, 69, 72 Herrschaft über den Grund des Erfolges  27, 46–50 Hilflosigkeit des Rechtsguts  47–49, 64 Imputation, moralische  12 Ingerenz  20, 28–30, 35, 39, 49, 66, 72, 74, 76 f. institutionelle Zuständigkeit  33 f., 36 Interferenztheorie 26 INUS-Bedingung  60 f. Irrtum 76

Personen- und Sachverzeichnis Jakobs, Günther  33–37, 42, 58, 63 Kant, Immanuel  15–18, 40 Kausalität –– hypothetische  19, 45, 70 f. –– physische  19, 26, 58–60 –– psychisch vermittelte  26, 65–69 Kausalmonismus, naturalistischer  24–26 Kreß, Johannes  14–16 Kulturwissenschaft 59 Kuppelei  10, 12 Lex Ribuaria 11 Lex Salica  11 Lex Saxonum  11 Liebespflichten 23 Liszt, Franz von  26–29 Luden, Heinrich  16, 78 Marx, Karl  23 Merkel, Adolf  22, 25, 28 f., 39 Militärstrafrecht  10 f. Mutter  13 f., 24, 41, 45, 63 f., 74 f. Naturalismus  24–26, 28, 33, 36 f., 58, 78 Natur der Sache  47 neminem laedere  15, 17 Neukantianismus 26 Normativismus  31, 33–42, 63 Normgeltungsschaden  33 f. notwendige Teilnahme  65, 68 nullum-crimen-sine-lege  20 Obhutsgarant  10, 29, 48, 74 f. omissio libera in causa 73 omissio libera in omittendo  73 Organisationskreis  33–35, 37, 41 Organisationszuständigkeit  33–36, 39 Otto, Harro  31 f. Pawlik, Michael  15–17, 39–42, 58 Pfleger 48 Pflicht –– außerrechtliche  19, 23 –– negative 15–17 –– Vermögensbetreuungspflicht 76 Pflichtdelikt  32–34, 44, 58, 69 f. Polizeigesetze  18, 20

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Pufendorf, Samuel von  15 Puppe, Ingeborg  60 f., 65 Quasikausalität siehe hypothetische Kausalität Radbruch, Gustav  26, 42 Rechtsgutlehre 23 Rechtsidee  17, 42, 57 Rechtssicherheit  42, 72 Reichsgericht 29 Rezeption 12 Risikoverminderungslehre 71 Römisches Recht –– klassisches  10, 12 f. –– Vulgarrecht 11 Roxin, Claus  32, 35, 45, 49 f., 52, 69 Sachlogische Struktur  47, 59 Schiller, Friedrich  23 Schopenhauer, Arthur  24, 64 Schünemann, Bernd  27, 34, 45–49, 57–61 Schwabenspiegel 12 Seilkameraden  63, 74 Sicherungsgarant  10, 29, 74 f. Sonderverantwortlichkeit  37 f. Spangenberg, Ernst Peter Johann  19 f., 24 Staatszweck  17 f. Stammesrecht, germanisches  11 Ständestaat 23 Steuerhinterziehung durch Unterlassen  77 Strafbarkeitslücke 73–77 Stübel, Christoph Carl  18, 20, 23 f., 28, 72 Tatherrschaftslehre  35, 49–51, 67, 72 tertium comparationis  47 f. Ultima-ratio-Charakter des Strafrechts  40 ultra posse nomo obligatur  52 Unglücksfall  44 f. Unterhaltspflicht Verwandter in gerader Linie  76 Ursache  18, 25, 47–50, 58–67 Vater  11, 13 f., 24, 64 Verhaltenserwartungen, gesellschaftliche  31 f., 63 Verhaltensgebundendes Delikt  51, 55

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Personen- und Sachverzeichnis

Verhinderungspflicht  16, 25, 52 Verletzung einer Fürsorge- oder Erziehungspflicht 75 Volitiver Normativismus  63 Vorenthaltung von Lebensmitteln  22, 45, 63 f., 72, 74 Vorverhalten  20, 25, 28, 30, 35, 40, 67, 72, 76 f.

Widmung –– als Instrument des Willens  62–64 –– Antizipierte 63 Wirkkraft –– Naturgesetzliche 23, 25–27, 35, 44, 49, 60–64, 71–74 –– psychische 65–67 Wolff, Christian  15

Weigend, Thomas  29 f.

Zachariä, Heinrich Albert  22