Das Recht in der Risikogesellschaft: Der Beitrag des Strafrechts zum Schutz vor modernen Produktgefahren [1 ed.] 9783428532643, 9783428132645

Ausgehend von den Thesen des Soziologen Ulrich Beck, der unsere Zivilisation als Risikogesellschaft beschreibt, erörtert

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Das Recht in der Risikogesellschaft: Der Beitrag des Strafrechts zum Schutz vor modernen Produktgefahren [1 ed.]
 9783428532643, 9783428132645

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 217

Das Recht in der Risikogesellschaft Der Beitrag des Strafrechts zum Schutz vor modernen Produktgefahren

Von

Katharina Reus

a Duncker & Humblot · Berlin

KATHARINA REUS

Das Recht in der Risikogesellschaft

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (y) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 217

Das Recht in der Risikogesellschaft Der Beitrag des Strafrechts zum Schutz vor modernen Produktgefahren

Von

Katharina Reus

a Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Prof. Dr. Georg Freund, Marburg Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Akademikerinnenbundes e.V.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-13264-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Wir leben in einem gefährlichen Zeitalter. Der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen. Albert Schweitzer (1875–1965)

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommer 2009 als Dissertation an der Philipps-Universität Marburg angenommen. Danken möchte ich allen voran meinem Doktorvater und langjährigen Lehrer Herrn Prof. Dr. Georg Freund, der nicht nur die Entstehung dieser Dissertation, sondern auch meine gesamte Studien- und Mitarbeiterzeit fachlich wie menschlich begleitet hat. Das, was ich in dieser Zeit von ihm lernen durfte, und seine Denkanstöße sind für mich von unschätzbarem Wert und bilden das Fundament dieser Arbeit. Für die schnelle und konstruktive Zweitkorrektur danke ich ganz herzlich Herrn Prof. Dr. Dieter Rössner. Zu Dank bin ich auch all jenen verpflichtet, die mich während der Entstehung dieser Arbeit begleitet haben. Vor allem möchte ich mich bei Harry Jaeger für seine uneingeschränkte Unterstützung und seine aufrichtige Anteilnahme an allen Fortschritten und Fehlschlägen bedanken. Auch für seinen unermüdlichen Einsatz bei der kritischen Durchsicht und Korrektur des Manuskripts bin ich ihm außerordentlich dankbar. In diesem Zusammenhang möchte ich auch Phillip Georgy, Sascha John, Monika Reus, Renate Reus, Wolfgang Reus, Lisa Rühmann und Michael Schlemmer für wertvolle Anregungen und Verbesserungen danken. Der Friedrich-Ebert-Stiftung danke ich für die finanzielle Unterstützung. Zuletzt gilt mein Dank meinen Eltern, Wolfgang und Marianne Reus, denen diese Arbeit gewidmet ist. Sie haben mich in jedem Bereich meines Lebens stets bedingungslos unterstützt und bestärkt. Der feste menschliche Rückhalt, den ich durch sie und meine ganze Familie erfahre, ist für mich sehr wichtig. Marburg, den 9. November 2009

Kathrina Reus

Inhaltsverzeichnis A. Einführung in die Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung und Ausmaß moderner Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Größe des Schadensausmaßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wissenschaftliche Unsicherheit hinsichtlich der Schädigungspotenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Risikobewertung und -abwehr durch den Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zurechnung der Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vermeidbarkeit der Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Staatlicher Schutz in der Risikogesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zum Verständnis des Gefahr- und Risikobegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verfassungs- und europarechtliche Aspekte des Umgangs mit modernen Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliches und staatstheoretisches Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sicherheit durch staatliche Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutzpflichtherleitung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Herleitungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ansatz der Zweidimensionalität des grundrechtlichen Freiheitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Menschenwürdeansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Staatstheoretischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Abwehrrechtlicher Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Inhalt und Ausmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sicherheit durch Schutzpflichten der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Herleitung der Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aus den Gemeinschaftsgrundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aus dem Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgestaltung und Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 17 18 19 19 20 20 21 21 22 22 24 28 28 29 30 30 33 33 33 34 35 36 38 39 39 39 41 42 43

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Inhaltsverzeichnis III. Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausgleich von Sicherheit und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43 44

C. Schutz auch bei Ungewissheit durch das Vorsorgeprinzip . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Gefahrenabwehrrecht bei modernen Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorverlagerung des Eingriffszeitpunkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Dynamisierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unfähigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers zur Detailregelung . . 2. Delegation der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Generalklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewaltenteilungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Administrative Beurteilungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Private Regelwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtssetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Normergänzende Verweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Normkonkretisierende Verweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Revisionsoffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wachsende Beteiligung der Rechtsunterworfenen an staatlichen Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beratung und deren Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Selbstkontrolle der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kooperatives Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50 50 51 52 52 53 53 55 57 60 60 61 61 62 63

E. Strafrecht in der Risikogesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Kritik der Frankfurter Schule am „Risikostrafrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gang der Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Funktion und Legitimation von Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Präventiver Rechtsgüterschutz durch Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Legitime Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Angemessener Rechtsgüterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Legitimationsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine reinen Verursachungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Tatbestand als Rechtsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhaltensnormverstoß durch geistige Infragestellung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Tatbestandsmäßiges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71 72 75 77 78

64 64 66 67 69

78 81 81 82 83 84 85 86

Inhaltsverzeichnis 5. Angemessene Reaktion auf den Verhaltensnormverstoß – Legitimation der Sanktionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Besondere Eingriffsintensität und Effektivität der Strafe . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen einer angemessenen strafrechtlichen Reaktion . . . . c) Geeignetheit und Erforderlichkeit als weitgehend abgeleitete Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Andere staatliche Reaktionsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verwaltungs- und Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ordnungswidrigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Strafbarkeitslimitierende Funktion der Angemessenheitsprüfung . . . 6. Stellenwert von spezifischen Fehlverhaltensfolgen und anderen objektiven Gegebenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Fazit: Vom Nutzen des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Pönalisierungsgebote als Ausfluss staatlicher Schutzpflichten . . . . . . . . . . . VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken durch das Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes durch abstrakte Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gründe für den Bedarf an abstrakten Gefährdungsdelikten: Ungewisse Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Lösungsansätze de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Materiell-rechtlicher Lösungsansatz: Risikoerhöhungslehre . . . . bb) Prozessualer Lösungsansatz: Freie richterliche Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Definition abstrakter Gefährdungsdelikte und Abgrenzung zu anderen Deliktsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kritik an den abstrakten Gefährdungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Legitimationsprobleme: Fehlender Rechtsgüterschutzbezug im Wortlauttatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Strafe auch bei ungefährlichen Verhaltensweisen . . . . . . (aa) Präsumtion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Kindhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Kratzsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Schünemann und Wolter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Teleologische Reduktion bei ungefährlichem Verhalten (aa) Cramer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Volz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 87 87 88 89 89 90 91 91 93 94 95 98 99 101 104 104 105 108 108 109 112 114 116 116 118 119 119 120 121 123 125 125 126

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Inhaltsverzeichnis (cc) Ansichten, die sich auf die Fahrlässigkeitdogmatik beziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Wolter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Defizite der dargestellten Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . (3) Angemessene Lösung durch konsequente Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Geschütztes Rechtsgut der Sanktionsnorm: Normgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Legitimation der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Tatbestandsmäßiges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Kein „Erfolgsunrecht“ vonnöten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Annäherung an die konkreten Gefährdungsdelikte? . . . (f) Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Problem der Überkriminalisierung: Verhältnismäßigkeit der Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ineffizienz des modernen Strafrechts am Beispiel von AMG und LFGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufbau der Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Formalistische und detaillierte Einzelregelungen . . . . . . . . . . . . . b) Inkonsistente Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kaum eigenständige Anwendungsbereiche vieler Normen . . . . . bb) Auffangfunktion bei Schutzlücken der Grundtatbestände . . . . . . (1) Ungewisse Schadenseignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beschränkung auf das Inverkehrbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ineffizienz der Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nachteile formalistischer, sehr detaillierter Straftatbestände . . . . . . . aa) Schutzlücken trotz vieler Straftatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schwierigkeiten bei der angemessenen Bestrafung . . . . . . . . . . . cc) Angemessene Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Delegation der Strafgesetzgebung auf die Exekutive durch qualifizierte Blankettstrafnormen (Rückverweisungsklauseln) . . . . . (1) Erwünschter Vorteil der qualifizierten Blankettgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bedenken gegen qualifizierte Blankettstrafgesetze . . . . . . . . (a) Verstoß gegen den strengen Gesetzesvorbehalt . . . . . . . (b) Fehleranfälligkeit der Regelungstechnik . . . . . . . . . . . . . (c) Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126 128 129 130 130 131 133 133 135 138 138 141 142 145 145 146 148 148 149 149 151 152 153 153 153 154 155 156 157 157 157 160 160 161

Inhaltsverzeichnis ee) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Generelle Regelungen, die ihre Legitimationsgründe offenlegen . . . aa) Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Veränderungsoffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Keine Strafbarkeitslücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Erleichterung des Strafvollzugs und der angemessenen Sanktionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Kein Bedarf für Gesetzgebungsdelegationen . . . . . . . . . . . . . bb) Modifikationsbedarf bei den Grundnormen in AMG und LFGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Risikodelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Zulässigkeit der Vorverlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Kein Verstoß gegen den Zweifelsgrundsatz . . . . . . (b) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beschränkung auf das Inverkehrbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Beschränkung der Produktgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Reformvorschlag zur strafrechtlichen Produktverantwortlichkeit von Freund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kritikpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Mangelnde Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtskonkretisierung als Aufgabe der Strafjustiz . . . . . . . . (3) Überkriminalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Tatbestandsalternative des „Zum-Inverkehrbringen-Bereithaltens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Verbleibende Effektivitätsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Probleme bei der Ermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verantwortungszuschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Probleme der „white collar-crime“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Ergebnis zum Vorwurf des „symbolischen“ Rechts . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis zum Strafrecht in der Risikogesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 162 162 163 164 164 164 164 165 165 165 166 166 168 169 169 170 171 173 173 175 177 178 180 180 181 182 183 184 184 186

F. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

A. Einführung in die Problemstellung I. Einleitung Die zunehmende Komplexität moderner Lebenswelten stellt das Recht vor neue Herausforderungen. Vor allem durch eine immer schneller und innovativer verlaufende technische Entwicklung und die Globalisierung entstanden völlig neue Lebensbedingungen mit neuen Problemlagen. Das einzelne Individuum wird heute von gänzlich anderen Gefahren bedroht als früher. Auf diese Veränderungen musste und muss auch das Recht reagieren. Insofern lohnt es, sich näher mit der Frage zu befassen, welche Gefahren uns heute bedrohen, was neu an ihnen ist und wie man ihnen rechtsstaatlich begegnen kann. Wissenschaftliche Aufarbeitung fand das Phänomen moderner gesellschaftlicher Unsicherheit vor allem in den Schriften des Soziologen Ulrich Beck, der sich umfassend mit modernen Gefahren und ihrer rechtlichen Steuerung beschäftigte.1 Er fasste die Phänomene moderner Lebenswelten unter dem Stichwort der „Risikogesellschaft“ zusammen, welches vor allem auch in der Rechtswissenschaft rezipiert wurde. Insbesondere im Strafrecht entstand eine kritische Diskussion darüber, ob und wie Strafe einen Beitrag zur Sicherheit in der Risikogesellschaft leisten könne. Auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll dieser Frage nachgegangen werden. Zunächst sind jedoch das Phänomen moderner Risiken und die Grundlagen von Sicherheit und Freiheit im Rechtsstaat zu beleuchten. Nach einem kurzen Überblick über moderne Probleme und Tendenzen im Recht der Gefahrenabwehr soll sodann das Strafrecht in der Risikogesellschaft in den Blick genommen werden. Es gilt zu klären, ob dieses auch in unübersichtlichen und komplexen Lebenswelten einen effektiven Beitrag zur Sicherheit leisten kann, ohne die legitimen Freiheitsinteressen der Bürger unverhältnismäßig zu beschneiden. Als Referenzmaterie wird dazu die Produktgefährdung im Bereich von Lebens- und Arzneimitteln herangezogen. Hierbei handelt es sich um eine typische moderne Gefahr. Konsumgüter werden heute massenhaft, industriell und global erzeugt, vertrieben und verbraucht, dabei besteht ein hoher Innovationsdruck durch die Wettbewerbssituation am Markt. Die entstehenden Risiken entsprechen nicht mehr jenen, die den einzelnen Verbraucher früher beim Erwerb etwa von Lebensmitteln beim benachbarten Bäcker oder Metzger trafen.

1

Beck, Risikogesellschaft, 1986.

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A. Einführung in die Problemstellung

Zudem ist die strafrechtliche Erfassung solcher Produktgefahren im AMG und LFGB besonders umfassend und mit besonderer „Liebe zum Detail“ geregelt.

II. Bedeutung und Ausmaß moderner Gefahren Die Becksche Analyse moderner Lebenswelten ist recht düster. Der Soziologe sieht als ihr Wesensmerkmal vor allem die Konfrontation mit zahlreichen entscheidungsabhängigen industriellen Selbstvernichtungsmöglichkeiten. Durch atomare, chemische, ökologische und gentechnische Gefahren,2 die in Form von Umweltverschmutzungen oder gefährlichen Konsumgütern und Emissionen auf uns einwirken, würden die menschliche Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen von immer mehr Seiten bedroht. Der fortschreitende industrielle Modernisierungsprozess habe systematisch Gefahren produziert, die das Potenzial zur Selbstvernichtung des Lebens auf der Erde hätten.3 Risiken, die globale Finanzkrisen und internationaler Terrorismus erzeugen, bedrohen die individuelle Sicherheit zusätzlich.4 Der Analyse Becks wird von Kritikern entgegengehalten, der technische und gesellschaftliche Fortschritt habe in den Industrienationen vor allem auch mehr Sicherheit und einen höheren Lebensstandard generiert.5 Wir leben heute tatsächlich länger und besser als je zuvor und durch moderne Entwicklungen sind viele Gefährdungspotenziale beseitigt oder verringert worden. Man denke nur an die gestiegene Sicherheit im Straßenverkehr durch Innovationen beim Autobau oder den Fortschritt in der Medizin, durch den früher tödliche Krankheiten heute geheilt werden können. Gleichzeitig hat die gesellschaftliche und technische Entwicklung aber auch neue Gefahren geschaffen,6 die sich substanziell von den hergebrachten Risiken unterscheiden. Letztere waren in ihrem Wirkspektrum örtlich wie personell begrenzt, in Ursache und Wirkung leicht erfassbar und einem Verursacher unmittelbar zurechenbar. Im Vergleich dazu sind moderne Risiken äußerst komplex und in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung strukturell gesteigert.

2 Beck, Politik in der Risikogesellschaft, 1991; vgl. auch Stratenwerth, ZStW 105 (1993), 679; Duttge, Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, 2001, S. 1 f. 3 Beck, Risikogesellschaft, 1986, S. 28 f.; ders., Weltrisikogesellschaft, 2007, S. 61, 343 f. 4 Vgl. dazu Beck, Weltrisikogesellschaft, 2007. 5 Vgl. die Ausführungen von Prittwitz (Strafrecht und Risiko, 1993, S. 65 ff., 314 f. und StV 1991, 435, 438), der auf die Ergebnisse sog. „Risikoforscher“ verweist; siehe auch Schünemann, GA 1995, 201, 211. 6 Prittwitz (Strafrecht und Risiko, 1993, S. 306) beschreibt dieses Phänomen als „Janusköpfigkeit der Technik“.

II. Bedeutung und Ausmaß moderner Gefahren

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1. Größe des Schadensausmaßes Dies liegt vor allem an den größeren Schädigungspotenzialen. Durch moderne Gefahren werden mehr Menschen von größeren Schäden bedroht. Ein dem Supergau vergleichbares Bedrohungsszenario hat es etwa vor der intensiven Nutzung der Atomkraft zur Energiegewinnung nicht gegeben. Oder auch der Einfluss, den die Gentechnik auf das Erbgut und damit auf nachfolgende Generationen hat, ist ein Novum. Gefährliche Konsumgüter bedrohen heute durch die Massendistribution in einer globalisierten Welt eine unüberschaubare Vielzahl von Menschen. Man vergleiche z. B. die unterschiedlichen Bedrohungsszenarien, die von verdorbenem Fleisch ausgehen, welches der örtliche Schlachter an die Einwohner eines Dorfes verkaufte, mit denen industriell gefertigter und weltweit vertriebener Lebensmittel. Gerade durch den massenhaften und weltweiten Produktvertrieb können schlagartig Millionen von Menschen von Schädigungspotenzialen betroffen sein. Im Vergleich zu solchen Massengefahren waren frühere Risiken in ihrem Wirkspektrum quantitativ wie qualitativ sehr begrenzt. 2. Wissenschaftliche Unsicherheit hinsichtlich der Schädigungspotenziale Eine weitere Besonderheit moderner Gefahren liegt darin, dass sie in Ursache und Wirkung sehr schwer erfassbar sind.7 Wissen über Schädigungspotenziale fehlt häufig, denn wo traditionelle Techniken und Stoffe zugunsten von Innovationen ihre Bedeutung verlieren, sinkt der Kenntnis- und Erfahrungsstand. Bei sprunghaften und komplexen technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen kann zur Beurteilung von Schadenswahrscheinlichkeiten nicht länger auf Erfahrungssätze oder vorhandenes Wissen zurückgegriffen werden.8 Folge ist, dass in weiten Teilen keine sichere Kenntnis mehr über die Gefährlichkeit von Verfahren oder Stoffen besteht. Die Verursachung eines Schadens durch ein Verhalten ist nicht selten theoretisch denkbar, oftmals sogar wahrscheinlich. Gleichwohl ist ein zweifelsfreier Kausalitätsnachweis aufgrund der Komplexität der Wirkweise nicht möglich. Es bleiben allzu oft nur theoretische Überlegungen, Besorgnispotenziale oder Szenarien des Möglichen, um Wissenslücken zu schlie-

7 Instruktiv dazu Duttge, Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, 2001, S. 5 ff. 8 Preuß, KritV 1989, 3, 10; Beck, Weltrisikogesellschaft, 2007, S. 211 ff.; vgl. zur Erfahrungsabhängigkeit der Kausalitätsbeurteilung Hippel, Gefahrenurteile und Prognoseentscheidungen, 1972, S. 61 f. Siehe auch die einschlägigen Entscheidungen: BVerfGE 49, 89 – Kalkar; BVerwGE 72, 300 – Wyhl; BVerwG NVwZ 1989, 1168 – THTR; NVwZ 1989, 1170 – Würgassen; vgl. auch Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 484, 493 f.

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A. Einführung in die Problemstellung

ßen.9 Das erfahrungsabhängige Kausalitätsmodell, welches auf der Wiederholbarkeit von Phänomenen basiert, stößt hier an seine Grenzen.10 Klassische Beispiele aus der Rechtsprechung sind in diesem Zusammenhang die großen strafrechtlichen Produkthaftungsfälle der letzten Jahrzehnte wie der ConterganFall,11 das Lederspray-Verfahren12 oder der Holzschutzmittel-Prozess13. 3. Dynamik Die sich ständig steigernde Geschwindigkeit, in welcher sich Technik und Gesellschaft entwickeln, erschwert die systematische wissenschaftliche Bewertung neuer Risiken zusätzlich. Zudem entziehen sich solche sprunghaften Entwicklungen unterworfene Sachverhalte einer detaillierten gesetzlichen Regelung. 4. Risikobewertung und -abwehr durch den Einzelnen Selbst wenn gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse bestehen, bleibt das Problem der Risikobewertung für den Einzelnen, denn die riskanten Wirkmechanismen sind oft komplex und ohne Fachwissen kaum einschätzbar. Dadurch entziehen sich neuartige z. B. chemische, physikalische oder medizinische Gefahren der laienhaften Bewertung.14 Während ein hergebrachtes Risiko, wie etwa das Verdorbensein eines Lebensmittels, unmittelbar sichtbar war, verschließt sich z. B. die gefährliche Eigenschaft eines Produktes, Krebs zu erzeugen, der unmittelbaren Wahrnehmung. Solche stofflichen Risiken sind nicht sinnlich erfassbar. Der Konsument kann nicht erkennen, wie ein Produkt behandelt wurde, was in ihm enthalten ist und ob es gefährlich sein kann. Selbst wenn Risiken erkannt werden, verbleibt das Problem der individuellen Vermeidbarkeit. Zum Beispiel Umweltverschmutzungen oder Emissionen kann der Einzelne nicht beheben, sie entziehen sich schlicht seinem Einfluss. Auch aus der Position des konsumierenden Marktteilnehmers heraus ist Risikominimierung wegen der Komplexität und Mittelbarkeit der Strukturen nur schwer erzwingbar. Der globale Markt 9 BVerwGE 72, 300, 315 – Wyhl; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 86; vgl. auch Murswiek, VVDStRL 48 (1990), 207, 212. 10 Schünemann, GA 1995, 201, 211; Transfeld, Das Vorsorgeprinzip, 2006, S. 19. 11 LG Aachen JZ 1971, 507 mit Bespr. Armin Kaufmann, JZ 1971, 569. 12 BGHSt 37, 106 = JZ 1992, 253 mit Anm. Hirte = JR 1992, 27 mit Anm. Puppe; vgl. auch die Anm. von Schmidt-Salzer, NJW 1990, 2966; Kuhlen, NStZ 1990, 566; Samson, StV 1991, 182; Brammsen, Jura 1991, 533; Meier, NJW 1992, 3193; Beulke/ Bachmann, JuS 1992, 737; Hassemer, JuS 1991, 253. 13 BGHSt 41, 206; LG Frankfurt ZUR 1994, 33 mit Bespr. Schulz, ZUR 1994, 26; ders., JA 1996, 185; Braum, KritV 1994, 179. 14 Beck, Risikogesellschaft, 1986, S. 29 f., 35; F. X. Kaufmann, in: Bayerische Rückversicherungs AG, Gesellschaft und Unsicherheit, 1987, S. 37, 40; vgl. Geerds, in: FS-Tröndle, 1989, S. 241, 249.

II. Bedeutung und Ausmaß moderner Gefahren

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scheint im Gegenteil sogar primär Anreize für eine möglichst kostengünstige und schnelle Produktion mit wenig Nachhaltigkeit und Sicherheit zu setzen. 5. Zurechnung der Gefahr Globale Produktions- und Handelsströme erschweren nicht nur die Erfassung des Gefährdungspotenzials, sie sind ebenso Ursache dafür, dass ein Schaden oft nicht mehr dem Verantwortlichen zugerechnet werden kann.15 Auch die arbeitsteilige Produktionsstruktur in großen Konzernen mit vielen Angestellten, die jeweils nur kleine Arbeitsschritte vornehmen, erschwert das Auffinden der für Gefahren oder Schäden verantwortlichen Person. Von der Entwicklung bis zur Endfertigung oder deren Überwachung sind zahlreiche Fehlerquellen denkbar, die sich auf die Produktsicherheit auswirken können. Entsprechende Gefahren entstehen außerhalb der individuellen Wahrnehmungssphäre des Verbrauchers in Fabriken und Laboratorien, die in Zeiten der Globalisierung überall auf der Welt sein können.16 Es ist nicht einfach, den Verursacher zu ermitteln und zur Einstellung der Gefährdung zu bewegen oder für sein Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen. Selbst wenn sich Risiken in Schäden realisieren, fällt der Nachweis der Ursächlichkeit schwer. Viele Schäden – wie etwa Krebserkrankungen – sind nicht auf konkrete Bedingungen wie den Kontakt mit einem bestimmten Produkt zurückzuführen. Der Krankheit sind ihre Ursachen nämlich nicht anzusehen. Selbst wenn man somit die mit einem Verhalten oder Produkt verbundene Gefahr, Krebs zu erregen, kennt, ist die Realisierung dieses Risikos in einem Schaden somit allzu oft nicht nachweisbar. 6. Vermeidbarkeit der Gefahren Dabei sind entsprechende Gefahren grundsätzlich vermeidbar, denn sie beruhen in aller Regel auf menschlichem Verhalten und damit auf steuerbaren Entscheidungen. Frühere Großrisiken waren dagegen häufig unabwendbare Schicksale wie Naturkatastrophen oder Krankheiten. Steuerung kam hier der Natur der Sache nach nicht in Betracht.17 Risiken, die kein unabwendbares Schicksal waren, etwa Produktgefahren oder riskante Arbeitsbedingungen, waren für den Einzelnen im Allgemeinen greifbar nah und erkennbar. Er konnte sie eigenverantwortlich eingehen, meiden oder durch besondere Sorgfalt minimieren. Auf moderne Gefahren kann der einzelne Bürger dagegen nur noch begrenzt Einfluss nehmen. Diese rühren aus fremden Verursachungssphären her, die das Individuum aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols nicht selbst beherrschen 15 16 17

Schünemann, GA 1995, 201, 211. Kuhlen, JZ 1994, 1142; Sieber, ZLR 1991, 451, 460 f. Beck, Weltrisikogesellschaft, 2007, S. 57 f.

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A. Einführung in die Problemstellung

kann. Solche Risiken, die auf menschlichen Entscheidungen und Verhaltensweisen beruhen, verursachen somit trotz ggf. quantitativ geringerer Schädigungspotenziale aufgrund ihrer Unerkennbarkeit, Komplexität und Vermeidbarkeit ein höheres überindividuelles Steuerungsbedürfnis. 7. Fazit Somit sehen wir uns heute tatsächlich mit gänzlich neuen Gefahrsituationen konfrontiert. Zwar mögen auch frühere Risiken behoben worden sein, dies ändert aber nichts daran, dass neue Bedrohungen mit völlig anderen Wesenszügen und Konsequenzen entstanden sind. Solche Gefahren liegen vor allem im Bereich der Umweltbelastung, der Großanlagenbetreibung und der industriellen Konsumgüterproduktion.18 Gerade beim Verbrauch von lebenswichtigen Produkten kommen Menschen mit modernen industriellen Risiken in Kontakt, die sie weder überschauen noch bewerten können. Durch neuartige, synthetisch hergestellte Stoffe, Produktionsverfahren und Handelsstrukturen können vielfältige neue Gefahrenpotenziale entstehen. Die Produktskandale der letzten Jahre – beispielhaft genannt seien hier etwa BSE-verseuchtes Fleisch, dioxinbelastete Lebensmittel, glykolhaltiger Wein oder die Schädigung Ungeborener durch das Arzneimittel Contergan – haben gezeigt, welcher Gefährdungsgrad besteht.19 Dabei sind Produkte für den modernen Konsumenten nicht selten zur „Blackbox“ geworden. Er erwirbt sie von unbekannten Dritten und konsumiert sie, ohne ihre Inhaltsstoffe, Funktionsweisen und Wirkmechanismen genau zu verstehen. Gerade das aber erfordert ein Höchstmaß an Vertrauen. Der in der arbeitsteiligen Gesellschaft lebende Mensch muss sich auf die Sicherheit der nur erworbenen und nicht selbst hergestellten Produkte verlassen können. Dies ist Grundvoraussetzung funktionierender Märkte. Insofern ist die Regelung der Produktverantwortlichkeit eine zentrale Herausforderung der Moderne.

III. Staatlicher Schutz in der Risikogesellschaft Die neuen Risiken erzeugen nach Beck einen Veränderungsdruck im staatlichen Sicherungssystem. Die Risikogesellschaft löst seiner Analyse nach die traditionelle Industriegesellschaft ab.20 Damit einhergehen müsse auch ein Wandel 18

Vgl. auch Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 25 ff. Schätzungen zufolge verursacht alleine die pharmazeutische, kosmetische und Nahrungsmittelindustrie, die in den USA der Kontrolle der FDA (Food and Drug Administration) unterliegt, jährlich zwischen 60.000 und 140.000 Todesfälle, vgl. Clinard/Yeager, Corporate Crime, 1980, S. 280. In Deutschland zeigte sich das Ausmaß des Schädigungspotenzials vor allem bei dem Contergan-Fall. 2500 Kinder kamen hier schwer missgebildet zur Welt, LG Aachen JZ 1971, 507. 20 Beck, Risikogesellschaft, 1986, S. 25 ff. 19

III. Staatlicher Schutz in der Risikogesellschaft

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der staatlichen Schutzstrukturen, denn mit dem in der Industriegesellschaft herrschenden System seien moderne Gefahren nicht kontrollierbar. In dieser sei es vornehmlich um „Reichtumsverteilung“ in der „Mangelgesellschaft“ gegangen.21 Nunmehr aber müsse primär die Produktion, Definition und Verteilung wissenschaftlich-technisch produzierter Risiken geregelt werden.22 Kann der Einzelne sich gegen große vermeidbare Risiken nicht alleine schützen, ist er auf den Schutz des Staates angewiesen. Die Vermeidung von Risiken ist so von einer Privatsache zur öffentlichen Aufgabe mutiert. Risiken spielen gerade deshalb heute in der öffentlichen Wahrnehmung eine größere Rolle als je zuvor. Entstandene Ängste, die durch die Berichterstattung in der Informationsgesellschaft verbreitet und verstärkt23 sowie in gesellschaftlichen Gruppen (z. B. Atomkraftgegner, Friedensbewegung, Bürgervereinigungen, Verbraucherschutzverbände, Umweltschutzvereine) kanalisiert und öffentlich formuliert werden, entwickeln sich so zu Schutzerwartungen gegenüber dem Staat.24 Die Wandlung bestehender Risiken von unbeherrschbaren Schicksalsschlägen zu Gefährdungen menschlichen Ursprungs und die damit einhergehende Steuerbarkeit haben genauso wie die Veränderung von erkenn- und beherrschbaren Individualgefahren zu unübersichtlichen Massenrisiken – trotz eines möglichen quantitativen Gefahrenrückgangs – zu einem Anstieg des staatlichen Regelungsbedarfs geführt.25 Dies betrifft fast alle modernen Lebensbereiche. Schutzbedarf besteht nicht nur bei Konsumprodukten, sondern etwa auch im Zusammenhang mit Umwelt- und Strahlungsbelastung, Ressourcenverbrauch, Abfallentsorgung, modernen Kommunikations- und Datenverarbeitungsvorgängen, weltweiten Finanzströmen, neuen Medien, Verkehrslärm, Forschung und Entwicklung usw. Der Anstieg des Schutzbedürfnisses und der veränderte Gegenstand haben Auswirkungen auf die Ausgestaltung staatlicher Gefahrenabwehr. Es bestehen neue Herausforderungen, zu deren Bewältigung sich das Recht wandeln muss.26

21

Beck, Risikogesellschaft, 1986, S. 26. Beck, Risikogesellschaft, 1986, S. 25. 23 Krit. hierzu etwa Kunz, in: GS-Schlüchter, 2002, S. 727, 733 f. 24 Zur Entstehung von gesellschaftlicher Angst siehe auch Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 53 ff. und Frehsee, StV 1996, 222, 224. 25 Zum gestiegenen Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft und zur Frage seiner Berechtigung vgl. die Untersuchungen von F. X. Kaufmann (in: Bayerische Rückversicherungs AG, Gesellschaft und Unsicherheit, 1987, S. 37), der dieses Sicherheitsbedürfnis ob gestiegener Sicherheitsstandards als „Paradoxie“ bezeichnet (S. 38). Die Ursache hierfür sieht er in aufgrund von gestiegener Komplexität gewachsenen Orientierungsproblemen (S. 39); vgl. auch die Untersuchungen von Beck, Risikogesellschaft, 1986. 26 Vgl. Beck, Weltrisikogesellschaft, 2007, S. 64 ff. 22

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A. Einführung in die Problemstellung

IV. Zum Verständnis des Gefahr- und Risikobegriffs Bevor wir uns dieser modernen Gefahrenabwehr und ihren Grundlagen zuwenden, ist zunächst auf einige Unstimmigkeiten im Umgang mit dem Gefahrbzw. Risikobegriff hinzuweisen. Alles in allem muss man attestieren, dass die Verwendung der Begriffe „Risiko“ und „Gefahr“ höchst uneinheitlich erfolgt.27 Der Terminus „Risiko“ ist kein traditioneller Begriff des deutschen Rechts. Geläufig war hierzulande – vor allem im Polizei- und Ordnungsrecht – lange Zeit alleine der Begriff der „Gefahr“. Er erfasst nach wohl herrschendem Verständnis Sachlagen oder Verhaltensweisen, die bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein geschütztes Rechtsgut schädigen.28 Erfasst wird dadurch das Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe.29 Im Verwaltungsrecht, insbesondere innerhalb des Umweltrechts, entwickelte sich parallel zur Gefahr die Bezeichnung „Risiko“. Dieses soll unterhalb der Gefahrenschwelle des Polizei- und Ordnungsrechts rangieren und sich vor allem durch eine im Vergleich mit der Gefahr geringere Schadenseintrittswahrscheinlichkeit auszeichnen. Das Risiko ist demnach eine in der Eintrittswahrscheinlichkeit quantitativ geminderte Gefahr.30 Dieses Risikoverständnis herrscht in vielen Bereichen des deutschen Sicherheitsrechts z. B. im Atom- und Immissionsschutzrecht vor.31 Hier wird zwischen drei Gefährdungsgraden unterschieden, an welche unterschiedliche staatliche Eingriffsermächtigungen anknüpfen: Die Gefahr hat klassische Gefahrenabwehrmaßnahmen zur Folge, das Risiko nur Risikominderung durch Vorsorge und das Restrisiko vermag schließlich keine staatlichen Maßnahmen zu rechtfertigen.32 Vielfach wird das zentrale Wesensmerkmal des Risikos auch in der erhöhten kognitiven Unsicherheit bei der Beurteilung der Schadenswahrscheinlichkeit und des Schadensverlaufs gesehen. Ein Risiko zeichnet sich demnach typischerweise dadurch aus, dass die Kausalität zwischen dem in Rede 27

So im Bezug auf den Gefahrbegriff auch Zieschang, GA 2006, 1 ff. BVerwGE 45, 51, 57; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4, Rn. 2; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 69; Transfeld, Das Vorsorgeprinzip, 2006, S. 17; vgl. auch Kahl, DVBl. 2003, 1105, 1108; Pitschas, DÖV 2002, 221, 230; Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 484, 490. 29 Transfeld, Das Vorsorgeprinzip, 2006, S. 17; Wahl, ZLR 1998, 275, 279. 30 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 85; Transfeld, Das Vorsorgeprinzip, 2006, S. 48 ff.; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4, Rn. 6; Petersen, Schutz und Vorsorge, 1993, S. 193; vgl. auch Di Fabio, ZLR 2003, 163, 164; Calliess, DVBl. 2001, 1725, 1727; Kahl, DVBl. 2003, 1105, 1108. 31 Siehe auch Transfeld, Das Vorsorgeprinzip, 2006, S. 49. 32 Appel, NuR 1996, 227, 228 f.; Wahl, ZLR 1998, 275, 281 f.; krit. dazu Gelbert, Die Risikobewältigung im Lebensmittelrecht, 2001, S. 17 f.; Breuer, NVwZ 1990, 211, 213 f.; Tsai, Die verfassungsrechtliche Umweltschutzpflicht des Staates, 1996, S. 101 ff.; Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, 2007, S. 93 ff. 28

IV. Zum Verständnis des Gefahr- und Risikobegriffs

25

stehenden Verhalten und einem möglichen Schaden nicht hinreichend sicher belegt werden kann.33 Davon ausgehend wurde der Begriff des Risikos in der neueren deutschen Sicherheitsdogmatik auch als Oberbegriff von ausreichend konkretisierter und noch nicht konkretisierter Gefahr verwendet,34 wobei Erstere dem klassischen Gefahrenbegriff entspricht. Generell taucht der Risikobegriff häufig im Zusammenhang mit neuen technischen und nur schwer kontrollierbaren Gefahren auf. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene werden die Begriffe „Gefahr“ und „Risiko“ technischer gebraucht. Legaldefinitionen finden sich im Kontext der Risikoanalyse im Lebensmittelrecht. Diese weichen nochmals erheblich von der eben skizzierten deutschen Verwaltungsrechtsdogmatik ab. Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (BasisVO)35 verwendet dabei die Definitionen des CodexAlimentarius-Verfahrenshandbuchs,36 welches die in der Naturwissenschaft gebräuchlichen Definitionen37 der Begriffe heranzieht. Gefahr beschreibt Art. 3 Nr. 14 BasisVO demnach als „ein biologisches, chemisches oder physikalisches Agens [. . .] oder einen Zustand [. . .], der eine Gesundheitsbeeinträchtigung verursachen kann“. Art. 3 Nr. 9 BasisVO definiert das Risiko dagegen als „eine Funktion der Wahrscheinlichkeit einer die Gesundheit beeinträchtigenden Wirkung und der Schwere dieser Wirkung als Folge der Realisierung einer Gefahr“. Damit ist das Risiko der BasisVO das Produkt aus dem Ausmaß des zu erwartenden Schadens und der Eintrittswahrscheinlichkeit.38 Die Gefahr ist die Mög33 Calliess, DVBl. 2001, 1725, 1727; Gelbert, Die Risikobewältigung im Lebensmittelrecht, 2001, S. 18; Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 484, 497 f.; Berg, ZLR 1998, 375, 377; Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, 2007, S. 92 f. 34 Appel, NuR 1996, 227, 229 f.; Gelbert, Die Risikobewältigung im Lebensmittelrecht, 2001, S. 21 f.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 228; Wahl, ZLR 1998, 275, 282 f.; Tsai, Die verfassungsrechtliche Umweltschutzpflicht des Staates, 1996, S. 101. 35 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.1.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit, ABl. L 31 vom 1.2.2002, S. 1–24, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 202/2008, ABl. L 60 vom 5.3.2008, S. 17. 36 Codex Alimentarius, Verfahrenshandbuch, Definitionen der Begriffe der Risikoanalyse in Verbindung mit der Lebensmittelsicherheit; deutsche Übersetzung erschienen im Behr’s Verlag, AI – 1, S. 68. Der Codex Alimentarius enthält Leitlinien zur Lebensmittelsicherheit. Diese werden von der Codex-Alimentarius-Kommission, einer Einrichtung der Welternährungs- und Landwirtschaftsbehörde (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO), erlassen. Ziel des Codex’ ist es, weltweit einheitliche Standards im Hinblick auf die Lebensmittelsicherheit zu schaffen und so den globalen grenzüberschreitenden Handel zu vereinfachen. 37 Gelbert, Die Risikobewältigung im Lebensmittelrecht, 2001, S. 33 f.; Holle, ZLR 2004, 307, 311. 38 Vgl. auch Holle, ZLR 2004, 307, 310 f.; Gundert-Remy/Henning, WiVerw 2004, 114, 122.

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A. Einführung in die Problemstellung

lichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung und das Risiko beschreibt die Schwere und Wahrscheinlichkeit dieser Beeinträchtigung.39 Im Ergebnis entspricht die Kombination beider Begriffe der bekannten Definition der „Gefahr“ im Polizei- und Ordnungsrecht.40 Beim Gefahrbegriff der BasisVO fehlt dagegen jeder Bezug zur Eintrittswahrscheinlichkeit und zum Ausmaß der Gesundheitsbeeinträchtigung. Auch im Strafrecht sind die Begriffe der Gefahr und des Risikos von Bedeutung.41 Vom Risiko spricht man vor allem bei der Erfolgszurechnung, Gefahr ist in aller Regel der Terminus, welchen das Gesetz verwendet.42 Soweit ersichtlich, werden die Begriffe Gefahr und Risiko jedoch weitgehend synonym gebraucht. Tendenziell wird der Gefahrbegriff allerdings bei gravierenderen Schädigungslagen verwendet, während vom Risiko – z. B. im Zusammenhang mit dem „erlaubten Risiko“ – oft in Bezug auf prinzipiell nützliche oder zumindest sozialadäquate Verhaltensweisen gesprochen wird. Das Strafrecht nimmt zudem eine Differenzierung vor, die andere Rechtsgebiete so nicht kennen: die zwischen konkreter und abstrakter Gefahr.43 Nach der wohl herrschenden Auffassung kommt es für die Bejahung einer Gefahr bzw. eines Risikos auch im Strafrecht darauf an, dass mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit ein hinreichend gewichtiger Schaden zu befürchten ist.44 Das Kriterium der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines hinreichend gewichtigen Schadens erscheint jedoch wenig sinnvoll. Für eine derartige Beschränkung der Definition gibt es keinen Anlass. Grund der Missbilligung von Gefahren und Risiken ist zunächst nur die Tatsache, dass der Eintritt von Schäden möglich ist. Wie wahrscheinlich welche Schäden sind, ist dagegen schon eine Frage der angemessenen staatlichen Reaktion auf Schädigungsmöglichkeiten mittels Schutzmaßnahmen. Wenig wahrscheinlichen Gefahren wird man mit weniger eingriffsintensiven Mitteln begegnen als sehr wahrscheinlichen. Ab einem gewissen Unwahrscheinlichkeitsgrad kann unter Umständen auch ganz auf Schutzmaßnahmen verzichtet werden. Trotzdem wird man auch dann nicht bestreiten, dass ein gewisses „Restrisiko“ vorliegt. Gefahr und Risiko sind mithin nichts anderes als Schädigungsmöglichkeiten.45 Die Wahrscheinlichkeit und das 39 Untermann/Hartig (ZLR 2004, 116, 119) machen zu Recht darauf aufmerksam, dass auch die BasisVO selbst zur Verwirrung über Begrifflichkeiten beiträgt, indem sie „Gefahr“ und „Risiko“ an verschiedenen Stellen synonym gebraucht bzw. verwechselt, z. B. Art. 22 Abs. 2, 23 f., 34. 40 So auch Holle, ZLR 2004, 307, 311. 41 Vgl. hierzu Zieschang, GA 2006, 1, 6 ff. 42 Zum strafrechtlichen Gefahrbegriff: Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973, S. 31 ff.; Schroeder, ZStW Beiheft 1982, 1, 11 ff.; Schröder, ZStW 81 (1969), 7, 8 f. 43 Mehr dazu unter E.VI.1.c). 44 Maurach/Zipf, AT, § 20, Rn. 29; BGHSt 18, 271. 45 Vgl. auch Schneider, Jura 1988, 460, 466.

IV. Zum Verständnis des Gefahr- und Risikobegriffs

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Ausmaß der Schädigung vermögen die Gefahr nur zu erhöhen oder abzusenken, nicht aber auszuschließen. Da das Ausmaß und die Wahrscheinlichkeit der Gefahr für deren Vorliegen keine Rolle spielen, bedarf es auch keiner entsprechenden Abstufung von verschiedenen Gefahrgraden durch eine unterschiedliche Besetzung des Gefahr- bzw. Risikobegriffs. Auf eine Differenzierung zwischen den Begriffen Risiko und Gefahr wird hier daher verzichtet. Da die Gefahrenbeurteilung immer eine Prognose über zukünftige Schäden beinhaltet, kann sie nur prospektiv, also ex ante, sinnvoll vorgenommen werden. Vom Ausbleiben eines Schadens kann somit niemals auf die Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit einer Situation rückgeschlossen werden.46 Ein solcher Rückschluss würde den Charakter des Gefahrbegriffes verkennen. Die Gefahr zeichnet sich nämlich gerade dadurch aus, dass der Schaden nur möglich ist, nicht aber, dass er sicher eintritt. Daher finden sich unter gefährlichen Verhaltensweisen zwangsläufig immer auch einige, deren abstrakte Gefährlichkeit sich nicht in einem Schaden realisiert. Es ist etwa häufig so, dass kein Schutzgut in den Gefahrenkreis eintritt oder Zufälligkeiten den Geschehensablauf in diese oder jene Richtung lenken. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: In der Kurve zu überholen ist gefährlich, eine konkrete Gefährdung oder ein Schaden treten jedoch erst dann ein, wenn ein entgegenkommendes Fahrzeug die Kurve zeitgleich passiert. Ist dies nicht der Fall, dann war der Überholvorgang keineswegs ungefährlich, denn die Möglichkeit, dass es zu einem Unfall kommen könnte, ist geschaffen worden. Ein entsprechendes Verhalten, welches die Möglichkeit eines Schadens eröffnet, ist per definitionem gefährlich, auch wenn der Schaden – aus welchen Gründen auch immer – zufallsbedingt ausbleibt.47

46 Vgl. auch Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, 1991, S. 150; Koriath, GA 2001, 51, 54; Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, 1992, S. 189 f.; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 116 ff. 47 Vgl. zum strafrechtlichen Gefahrbegriff und der Abgrenzung von konkreter und abstrakter Gefahr auch unten E.VI.1.c).

B. Verfassungs- und europarechtliche Aspekte des Umgangs mit modernen Risiken Der Schutz vor modernen Risiken berührt zunächst grundlegende verfassungs- sowie europarechtliche Aspekte, denn es geht um die Balance von Sicherheit und Freiheit, der beiden zentralen Themen sowohl in der deutschen Verfassung als auch im europäischen Primärrecht. So bewegt sich etwa der staatliche Schutz vor Produktgefahren im Spannungsfeld der gesundheitsbezogenen Verbraucherinteressen und der wirtschaftlichen Interessen der Produzenten und Händler.

I. Verfassungsrechtliches und staatstheoretisches Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit Mit den staatstheoretischen Erwägungen Hobbes’, die den Staat erstmals umfassend vom Bürger her funktionalisierten,48 wird die Legitimität des Staates (Staatszweck49) vor allem auf die Gewährung von Sicherheit zurückgeführt. Dieser Staatstheorie zufolge schließen sich Menschen auf der Basis eines Vertrages zusammen und errichten eine staatliche Herrschaftsordnung, um dem „Elend des Naturzustandes“, der sich durch den Krieg jeder gegen jeden („bellum omnium contra omnes“) auszeichnet, zu entkommen. Das Recht, frei über sich selbst zu bestimmen, wird zum Teil an den Staat, den Leviathan, übertragen. Im Gegenzug garantiert dieser Sicherheit, denn durch das erhaltene Gewaltmonopol kann er inneren und äußeren Frieden erzwingen. Der Staat entsteht demnach durch Unterwerfung der Menschen im Austausch gegen Sicherheit durch Schutz.50 Dieser Schutz ist damit die Kernaufgabe des Staates.51 Doch auch eine derart vernunftsbegründete und zweckgebundene Herrschaftsmacht 48 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 5; ders., ZRP 1992, 378, 379. 49 Die Formulierung von Staatszwecken soll unter der Prämisse, dass Staat kein Selbstzweck ist, die Frage nach der Legitimität und Sinnhaftigkeit des Staates beantworten, vgl. Ress, VVDStRL 48 (1990), 56, 62. 50 Hobbes, De cive; ders., Leviathan; vgl. dazu auch Calliess, ZRP 2002, 1, 2 f.; ders., JZ 2006, 321, Schwetzel, Freiheit, Sicherheit, Terror, 2006, S. 5 f.; Link, VVDStRL 48 (1990), 7, 27; Isensee, in: 2000, Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 25 ff. 51 Vgl. Wiemers, ZLR 2006, 383, 385; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 36 ff.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, 2000, § 111, Rn. 83.

II. Sicherheit

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kann ihre Bürger aufgrund ihrer Stärke unterdrücken.52 Ist Schutz vor Gefahren nämlich die zentrale Legitimation, hat der Staat ein eigenes existenzielles Interesse an der umfassenden Gewährung von Sicherheit.53 Dies gilt auch dann, wenn individuelle Freiheiten beeinträchtigt werden, denn an deren Garantie ist die staatliche Existenz nach dem Hobbes’schen Verständnis gerade nicht gekoppelt. Freiheiten sollen durch den Staat ja gerade beschränkt werden, um inneren Frieden zu gewährleisten. Eine solche staatliche Machtausübung unterscheidet sich aber letztlich kaum noch von innergesellschaftlicher Gewalt.54 In Folge dieser Erkenntnis erweiterte sich das Staatsverständnis Hobbes’ vor allem mit Locke um den Aspekt des Freiheitsschutzes, der nunmehr ebenfalls als Staatsaufgabe angesehen wurde. Mit der Formulierung von Freiheitsrechten sollte einer ausufernden Sicherungstendenz des Souveräns Einhalt geboten und der Staat auch zur Wahrung der Freiheit verpflichtet werden. Damit steht dem gefahrenabwehrenden Staat im hergebrachten Staatsverständnis der Freiheit suchende Bürger mit durchsetzbaren Freiheitsrechten gegenüber. In der Verfassung wurden aufgrund dessen als Pendant zu den objektiven Staatszwecken wie Ordnung und Sicherheit individuelle Freiheitsrechte als Abwehrrechte gegen staatliche Machtausübung verbürgt.

II. Sicherheit Während Freiheiten somit als subjektive Rechte, die vor dem BVerfG durchgesetzt werden können, im Grundrechtsteil des deutschen Grundgesetzes verankert sind, sucht man ein Recht auf Sicherheit und Schutz vergeblich. Die Grundrechte sind vielmehr in der bürgerlich-liberalen Tradition Lockes als Abwehrrechte gegen den Staat ausgestaltet und sehen nur selten Schutzpflichten55 vor.56 Wird ein in der Verfassung verbürgtes Recht des Einzelnen aber nicht 52 Das erkannte schon Hobbes, De cive, Kap. 6, 13; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 5. 53 Heute führt die Unfähigkeit eines Staates, die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten, zu Souveränitätsverlusten im Völkerrecht. Die Somalia-Resolution 794 des Sicherheitsrates bspw. erlaubte eine militärische Intervention im (souveränen?) Somalia alleine aufgrund der dort herrschenden humanitären Lage. Die Staatsgewalt Somalias konnte nämlich die Sicherheit ihrer Bevölkerung vor bewaffneten Banden nicht mehr gewährleisten (sog. „failed state“), vgl. Murswiek, Der Staat 35 (1996), 31, 35 ff. 54 Driendl, Strafgesetzgebungswissenschaft in der Gegenwart, 1983, S. 39 f. 55 Z. B. Art. 6 Abs. 1 und 16 Abs. 1; 19 Abs. 4; 101 Abs. 1 S. 2. GG. 56 BVerfGE 7, 198, 204 – Lüth; 50, 290, 337; siehe zu expliziten Schutzpflichten: Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, 1994, S. 56 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 58 f.; Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 352 f.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, 2000, § 111, Rn. 9 f., Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 26 ff.; Klein, NJW 1989, 1633.

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B. Verfassungs- und europarechtliche Aspekte

durch den Staat, sondern durch einen Dritten verletzt, helfen die Abwehrrechte ihrem Inhaber nicht. Gerade solche – von Privatrechtssubjekten erzeugte – Risiken vermehrten sich nun aber im Laufe der durch die Wahrnehmung von Freiheitsrechten begünstigten gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte und begründeten entsprechende Sicherheitsbedürfnisse.57 Die Freiheitsausübung des Einen schuf Risiken für den Anderen. Der freie Markt, dem als Begrenzung nur die Wirtschaftlichkeit inhärent ist, steuert diese Risiken nur unzureichend. Mehrere Jahrzehnte mit rasanten technischen Entwicklungen, globalem Handel und Massenproduktion von Waren aller Produktgruppen auf der einen und gesicherten demokratischen und rechtsstaatlichen Herrschaftsformen auf der anderen Seite liegen hinter uns. Infolge dessen wird in den Industriestaaten der Ruf nach Sicherheit vor Gefahren, die der Einzelne unter Ausnutzung der durch das öffentliche Recht geförderten Freiheit geschaffen hat, laut.58 Daher rückt das auf Hobbes zurückgehende klassische vertragstheoretische Staatsmodell, welches dem Staat die Aufgabe zudenkt, die Bürger voreinander zu schützen, wieder mehr in das Blickfeld der Verfassungsrechtsdogmatik.59

1. Sicherheit durch staatliche Schutzpflichten Heute werden aus den meisten Grundrechten, die für ein bipolares Staat-Bürger-Verhältnis konzipiert wurden, trotz ihrer negativen Formulierung grundrechtliche Schutzpflichten – wenn auch in dogmatisch unterschiedlicher Weise – hergeleitet. Denn wenn Grundrechte sich in ihrer Abwehrfunktion erschöpfen, kämen sie bei Rechtsgutsbeeinträchtigungen durch Privatrechtssubjekte nur dem Störer, nicht aber dem Opfer zugute.60 a) Schutzpflichtherleitung des BVerfG Das BVerfG geht seit der Lüth-Entscheidung davon aus, dass das Grundgesetz Richtlinien und Impulse für die gesamte Rechtsordnung enthalte.61 Im ersten Abtreibungsurteil62 wird darauf aufbauend die Pflicht des Staates zum 57 Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 38; Calliess, DVBl. 2001, 1725; vgl. auch Stoll, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 143, 145. 58 Vgl. auch Hassemer, Strafrecht, 2008, S. 219, 1.4.2. 59 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 414 f.; Calliess, JZ 2006, 321, 322; vgl. auch Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 184 f.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 86; Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, 2007, S. 150. 60 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, 2000, § 111, Rn. 85. 61 BVerfGE 7, 198 ff. – Lüth. 62 BVerfGE 39, 1 – Abtreibung I.

II. Sicherheit

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Schutz des menschlichen – auch ungeborenen – Lebens zum ersten Mal ausdrücklich anerkannt und von da an in der Rechtsprechung fortgeführt.63 Diese Herleitung der Schutzpflichten beruft sich auf den objektiv-rechtlichen Charakter der Grundrechte. Der Verfassungsgesetzgeber stelle durch die Nennung der Grundrechte an prädestinierter Position in der Staatsverfassung heraus, dass die genannten Rechte generell wertvoll und schützenswert seien.64 Die hohen Hürden, die bei der Änderung der Grundrechte zu nehmen sind, ihre teilweise Unabänderlichkeit (Art. 79 Abs. 3 GG) und ihre Politik begrenzende Funktion zeigen, dass die Grundrechte nicht zur völlig freien Disposition des demokratisch legitimierten Gesetzgebers stünden und damit über einfache Normen hinausgingen.65 Dadurch aber sei ihnen ein absoluter Wert jenseits politischer Vorstellungen immanent. Diese objektiv-rechtliche Dimension verstärke die ohnehin wichtigen Grundrechte.66 Aus dieser objektiv-rechtlichen Funktion der Grundrechte leitet das BVerfG Schutzpflichten des Staates für die verfassungsmäßig verbürgten Rechte her:67 Stelle sich der Staat im Falle eines Grundrechtseingriffs durch private Dritte nicht schützend vor den Einzelnen und verteidige dessen grundlegende Rechte, liefen diese vielfach leer. Die in den Grundrechten zum Ausdruck kommende, dem Gemeinwesen zugrunde liegende Werteordnung dürfe aber nicht unter den Privatrechtssubjekten disponibel sein. Der Staat sei darum nicht nur gehalten, diese wertvollen Rechte nicht aktiv zu verletzen, sondern es liege auch in seiner Verantwortung, sie zu schützen. Er sei nach alledem verpflichtet, Gefahren für die einzelnen Grundrechte und die in ihnen zum Ausdruck gekommenen Werteentscheidungen abzuwehren.68 So gebiete z. B. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, dass der Staat das Leben und die Gesundheit seiner Bürger schützen müsse.69 Die Herleitung über eine Meta-Ebene der objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalte wurde allerdings auch kritisiert. Sie berge die Gefahr der Verselbstständigung staatlicher Schutzpflichten hin zur staatlichen „Aufgabe“, der die grund63 BVerfGE 46, 160, 164 – Schleyer; 53, 30, 57 – Mülheim-Kärlich; 56, 54, 73, 80 – Fluglärm; 77, 170, 214 – C-Waffen; 77, 381, 402 f. – Zwischenlager für Kernelemente. 64 Vgl. auch Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 76. 65 Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 73; Hufen, Staatsrecht II, § 2, Rn. 19. 66 BVerfGE 7, 198, 205 – Lüth; 50, 290, 337. 67 Ihm folgend: Wahl, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte I, 2004, § 19, Rn. 1 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 84 ff.; Röhrig, Risikosteuerung im Lebensmittelrecht, 2002, S. 107 ff.; Jarass, AöR 110 (1985), 363; krit. hierzu Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, 2000, § 111, Rn. 81. 68 BVerfGE 39, 1, 42 ff. – Abtreibung I; 53, 30, 57 – Mülheim-Kärlich; 56, 54, 73 – Fluglärm; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 438; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 94. 69 BVerfGE 39, 1, 42 – Abtreibung I; 46, 160, 164 – Schleyer; 53, 30, 57 – Mülheim-Kärlich; 88, 203, 251 – Abtreibung II.

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B. Verfassungs- und europarechtliche Aspekte

rechtlich gewährleisteten Freiheiten zu dienen hätten.70 Die Sondervoten der Bundesverfassungsrichterin Rupp-v. Brünneck und des Bundeverfassungsrichters Simon zur ersten Abtreibungsentscheidung rügen in diesem Sinne die Funktionsumkehr von Grundrechten, weg von der Abwehr staatlicher Gewalt, hin zur Verpflichtung der Ausübung von Gewalt (im konkreten Fall mit den Mitteln des Strafrechts).71 Ungeachtet dieser Bedenken setzte sich die Idee grundrechtlicher Schutzpflichten in Literatur und Rechtsprechung systematisch durch und ihre Existenz wird heute kaum noch bestritten. Denn faktisch wird die auch heute noch wichtigste Funktion der Grundrechte, die Abwehr staatlicher Eingriffe, lediglich um eine Schutzfunktion erweitert.72 Warum es bei der Kollision beider Aspekte zur befürchteten Aushöhlung der Freiheitsrechte kommen sollte, solange das Willkürverbot besteht und die Freiheitsrechte grundrechtlich abgesichert sind, ist nicht ersichtlich. Schließlich stellen Freiheitsrechte eine selbstständige abwägungsfähige Position gegenüber Sicherungstendenzen des Staates dar.73 Die Schutzbelange sind mit den Freiheitsrechten, genau wie kollidierende Freiheitsrechte untereinander, in einen angemessenen – allen Aspekten gleichermaßen Rechnung tragenden – Ausgleich zu bringen. Auch der historische Rekurs auf die abwehrrechtliche Intention74 der Grundrechte kann als Argument gegen staatliche Schutzpflichten nicht überzeugen. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, der Verfassungsgeber hätte mit der Kodifikation der Grundrechte alle nicht genannten Schutzpflichten generell ausschließen wollen. Näher liegt es wohl, den Verzicht auf textliche Verankerung staatlicher Schutz- und Sozialleistungen auf die Erfahrungen mit der Weimarer Reichsverfassung, in der entsprechende Vorschriften weitgehend leerliefen, zurückzuführen.75 Es sollten keine übersteigerten Hoffnungen auf Ansprüche geweckt werden, die der Staat möglicherweise nicht erfüllen können würde. Vor diesem Hintergrund lässt sich davon ausgehen, dass mit den Grundrechten ein Schutzminimum und keinesfalls ein Maximum kodifiziert werden sollte. Weiterhin müssen auch die Grundrechte eine gewisse Flexibilität und Dynamik aufweisen. Ihrem Text muss auch längere Zeit nach ihrem Entstehen noch Bedeutung für das menschliche Zusammenleben im Staat zukommen, wollen sie kein historisches Relikt, sondern die Grundlage der staatlichen Gemeinschaft 70

Klein, DVBl. 1994, 489, 494. BVerfGE 39, 1, 68, 73 ff. – Abtreibung I. Mehr zu etwaigen strafrechtlichen Pönalisierungspflichten unten E.V. 72 Bryde, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte I, 2004, § 17, Rn. 38. 73 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 154 ff. 74 Vgl. hierzu Canaris, AcP 184 (1984), 201, 205; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, 1994, S. 75; Stern, Staatsrecht III/1, S. 128 ff. 75 Klein, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte I, 2004, § 6, Rn. 7; Hufen, Staatsrecht II, § 2, Rn. 16, 19. 71

II. Sicherheit

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und Maßlatte jedes staatlichen Handelns sein.76 Dass sich die Lebenssituation in Deutschland hin zur vermehrten Gefährdung durch Privatrechtssubjekte verändert hat, muss somit auch bei der Auslegung der Grundrechte Berücksichtigung finden können. Die Idee staatlicher Schutzpflichten überzeugt nach alledem. b) Herleitungen in der Literatur In der Literatur entwickelten sich parallel zur Konzeption des BVerfG und teilweise anknüpfend an die dargestellte Kritik weitere Erklärungsansätze, die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen. aa) Ansatz der Zweidimensionalität des grundrechtlichen Freiheitsbegriffs Krings hält einen Rückgriff auf die objektiv-rechtliche Werteordnung zur Begründung von Schutzrechten für obsolet und sieht solche direkt im Wortlaut der Grundrechte verankert. Er geht davon aus, dass Freiheitsrechte dem Individuum einen Freiheitsraum zuweisen, ohne festzulegen, wie und gegen wen dessen Schutz zu erfolgen hat.77 Daran ist richtig, dass die Grundrechte eine Schutzrichtung nicht ausdrücklich vorgeben, und auch Art. 1 Abs. 3 GG ist lediglich zu entnehmen, dass sich Grundrechte und damit potenzielle Pflichten nicht direkt an Private richten. Jedoch implizieren die Schrankenformulierungen der Grundrechte, dass ihnen eine Schutzpflicht nicht unmittelbar zu entnehmen ist: Diese beschreiben nämlich nur, wann der Staat in die gewährten Rechte eingreifen darf, nicht aber, wann er dies muss. bb) Menschenwürdeansatz Verbreitet ist darüber hinaus die Auffassung, die staatliche Schutzpflicht leite sich aus der Menschenwürde her.78 Der Rekurs auf Art. 1 Abs. 1 GG findet sich parallel zur objektiv-rechtlichen Grundrechtsfunktion teilweise auch in den Schutzpflicht-Urteilen des BVerfG.79 Der Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG gebietet der staatlichen Gewalt, die Menschenwürde nicht nur zu „achten“, sondern sie gleichsam auch zu „schützen“. Ordnet man dem Begriff „achten“ eine Abwehrkomponente zu und der Formulierung „schützen“ die Pflicht, Rechte ge76

Vgl. Hufen, Staatsrecht II, § 6, Rn. 28. Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 150 ff.; Bleckmann, DVBl. 1988, 938, 940 ff. 78 Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 361 f.; Starck, JZ 1993, 816; vgl. auch Driendl, Strafgesetzgebungswissenschaft in der Gegenwart, 1983, S. 13 f.; Calliess, ZRP 2002, 1, 6; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 229. 79 BVerfGE 39, 1, 41 – Abtreibung I; 88, 203, 251 f. – Abtreibung II; vgl. auch BVerfGE 45, 187, 254 f.; BGH NJW 1995, 2343. 77

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B. Verfassungs- und europarechtliche Aspekte

genüber Dritten zu wahren,80 so ist die Schutzpflicht textlich verankert. Diese ist damit aber keine generelle grundrechtstheoretische Kategorie, sondern beschränkt sich auf die Menschenwürde. Nur wer die Grundrechte allesamt als Ausprägungen der Menschenwürdefundamentalnorm begreift,81 kann eine umfassende grundrechtliche Schutzpflicht ableiten. Allerdings bleibt dann fraglich, wie sich die einzelnen Grundrechte konkret von der Menschenwürde abgrenzen.82 Bei einem allzu weiten Menschenwürdeverständnis, welches auch Aspekte anderer Grundrechte – also z. B. auch die Eigentums- und Berufsfreiheit – umfasst, besteht letztlich die Gefahr, dass die Menschenwürde banalisiert wird und ihren absoluten Wert einbüßt.83 cc) Staatstheoretischer Ansatz Auch staatstheoretische Überlegungen lassen sich zur Begründung von Schutzpflichten fruchtbar machen.84 Sieht man in der Gewährung von Sicherheit den fundamentalen Zweck des Staates, um dessentwillen sich Bürger unterwerfen,85 so entsteht aus der vertragstheoretischen Konzeption eine synallagmatische Pflicht: Der Bürger verpflichtet sich zu Treue und verzichtet auf Gewalt, damit der Staat Schutz und Sicherheit gewährt (do-ut-des).86 Die Absenz textlicher Fixierung87 wird mit dem Hinweis auf die Selbstverständlichkeit der Staatsaufgabe Sicherheit als Voraussetzung staatlicher Existenz begründet.88 Auch der Freiheitsschutz, der in den Abwehrrechten zum Ausdruck komme, gebiete Schutz vor Risiken, denn es müsse für Sicherheit gesorgt sein, um Freiheit nutzbar zu machen.89 80 BVerfGE 88, 203, 252 – Abtreibung II; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 226; Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 361 f.; Bleckmann, DVBl. 1988, 938, 942; vgl. auch Krings, Grund und Grenzen staatlicher Schutzansprüche, 2003, S. 145. 81 Rupp, AöR 101 (1976), 161, 165 f.; Bleckmann, DVBl. 1988, 938, 942; Calliess, JZ 2006, 321, 327. 82 Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 43; Brüning/Helios, Jura 2001, 155, 159; Erichsen, Jura 1997, 85, 86. 83 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 413; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 141; vgl. Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 144. 84 So Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 83 ff.; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 43 f. 85 Siehe oben B.I. 86 Klein, NJW 1989, 1633, 1635 f.; Calliess, JZ 2006, 321, 326 f.; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 43 f. 87 Der Mangel an Kodifikation wird der staatstheoretischen Herleitung z. B. von Krings (Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 170) entgegengehalten. 88 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, 2000, § 111, Rn. 83; vgl. insofern auch Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, 1994, S. 54, 76.

II. Sicherheit

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dd) Abwehrrechtlicher Ansatz Vor allem Murswiek und Schwabe rechnen Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Rechtsgüter durch Dritte dem Staat zu, sodass die Grundrechte in ihrer negativen abwehrenden Form Anwendung finden können und nicht in Schutzpflichten umgedeutet werden müssen.90 Diese Konstruktion erinnert dabei an die Sonderverantwortlichkeit der strafrechtlichen Unterlassensdogmatik.91 Dem Bürger sei es aufgrund seiner Friedenspflicht verboten, gegen Gefährdungen vonseiten Dritter mit Gewalt vorzugehen. Somit werde ihm die Duldung jedes Verhaltens, das der Staat nicht verbietet, auferlegt. Alles erlaubte Verhalten sei damit dem Staat zurechenbar.92 Auch in der Mülheim-Kärlich-Entscheidung des BVerfG klang diese Schutzpflichtherleitung an.93 Eine solche Zurechnungsfiktion verkennt aber, dass das Fehlen eines Verbots keine grundsätzliche Duldungspflicht für den Beeinträchtigten bedeutet. Dieser darf zwar zumeist keine Gewalt anwenden, der Rechtsweg ist ihm aber unbenommen.94 Die Qualifizierung allen erlaubten Verhaltens als vom Staat zu verantworten ist dagegen gleichsam eine Aufforderung an den Staat, vermehrt zu präventiven Verboten (mit Erlaubnisvorbehalten) überzugehen und damit die Freiheit seiner Bürger erheblich einzuschränken. Langfristig würde nicht mehr der Grundsatz gelten, „was nicht verboten ist, ist erlaubt“, sondern „was nicht erlaubt ist, ist verboten“,95 was der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG eklatant zuwiderliefe. Daher wird zum Teil eine Einschränkung der abwehrrechtlichen Theorie auf Fälle vorgenommen, in welchen eine explizite Gestattung grundrechtsbeeinträchtigenden Handelns in Form von Genehmigungen oder rechtlichen Forderungen vorliegt.96 Neuen, noch keinem Genehmigungsverfahren unterworfenen Gefahren steht der Bürger dann allerdings schutzlos gegenüber. Legislatives Tätigwerden kann er nicht einfordern. So89

Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, 2000, § 111, Rn. 85. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 91 ff.; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten, 2002, S. 390 ff.; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 213 ff. 91 Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 46. 92 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 91; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 213. 93 BVerfGE 53, 30, 58 – Mülheim-Kärlich. Das Urteil spricht davon, dass der Staat durch die Genehmigung eines Kernkraftwerks „eine eigene Mitverantwortlichkeit für diese Gefährdungen“ begründe. 94 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 106; Schwetzel, Freiheit, Sicherheit, Terror, 2006, S. 16 f.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 417 f.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 128. 95 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, 2000, § 111, Rn. 119. 96 Vgl. hierzu Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 107 ff.; Klein, NJW 1989, 1633, 1639; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 46 f. 90

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B. Verfassungs- und europarechtliche Aspekte

lange der Staat ein Verhalten nicht ausdrücklich billigt (z. B. durch eine Genehmigung), trifft ihn überhaupt keine Schutzpflicht. Diese Schutzlücke sehen auch die Vertreter der eingeschränkten abwehrrechtlichen Lösung und wollen bei außerordentlichen Gefährdungslagen mit hoher Schadensintensität die bloße staatliche Untätigkeit zur Begründung der Garantenpflicht ausreichen lassen. Damit allerdings setzt sich auch diese Facette der abwehrrechtlichen Herleitung einem grundlegenden systematischen Bedenken aus: Die Verantwortung des Staates für jedes nicht verbotene Verhalten lässt sich alleine mit einer Schutzpflicht des Staates begründen. Denn nur, wenn er zum Schutz verpflichtet ist, lässt sich schlussfolgern, dass er jedes gefährliche Verhalten verbieten muss und damit für das Unterlassen solcher Verbote einzustehen hat. Damit ist der abwehrrechtliche Ansatz jedoch zirkulär: Zur Begründung einer staatlichen Schutzpflicht wird die Verantwortung des Staates für das nicht verbotenen Verhalten, die auf der Schutzpflicht beruht, herangezogen.97 c) Subjektive Rechte Spätestens mit der C-Waffen-Entscheidung98 leitet das BVerfG nun aus den staatlichen Schutzpflichten subjektive und damit gerichtlich einklagbare Rechte ab, indem es bei objektiv-rechtlichen Verstößen gegen Schutzpflichten subjektive Grundrechtsverletzungen bejaht.99 Das öffentliche Recht geht davon aus, dass sich subjektive Rechte dadurch auszeichnen, dass „der betreffende Rechtssatz nicht nur öffentlichen Interessen, sondern – zumindest auch – Individualinteressen zu dienen bestimmt ist“.100 Die Schutzpflichten sollen nun gerade die Wirkkraft der Grundrechte verstärken und die verbürgten Freiheiten auch gegen Dritte verteidigen. Sie dienen damit nicht der Allgemeinheit, sondern vor allem Individualinteressen und sind infolgedessen der Definition gemäß subjektive Rechte. Ein mögliches subjektives Recht auf Schutz sieht sich jedoch trotzdem Kritik ausgesetzt. So wird eine Kollision mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz befürchtet, denn es obliegt dem Gesetzgeber, konkrete Rechtspositionen zu schaffen. Ein Rückgriff auf subjektive Verfassungsrechte würde diese gesetzliche Ausgestaltungsbefugnis untergraben und umfassend der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterstellen.101 Auch das BVerfG erkannte diese Kollision und lässt infol97 Stern, Staatsrecht III/1, S. 947 f.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 417, Fn. 88; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 47; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 190 f.; siehe auch Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 220. 98 BVerfGE 77, 170, 214 f. – C-Waffen. 99 So auch Erichsen, Jura 1997, 85, 89. 100 BVerfGE 27, 297, 307; vgl. auch Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 1131; Brüning/Helios, Jura 2001, 155, 160 m.w. N.

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gedessen dem Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten einen erheblichen Entscheidungsfreiraum.102 Unter dieser Voraussetzung erscheint eine Entmachtung des Gesetzgebers vermeidbar. Gewisse sachdienliche Überschneidungen der Gewalten sind zudem als systemimmanent zu akzeptieren. Schließlich ist die Gewaltenteilung kein Selbstzweck, sondern soll zumindest auch der optimalen Erfüllung der zugewiesenen Funktionen dienen.103 Hier erfolgt eine gewisse Verschränkung, um den säumigen Gesetzgeber zur Tätigkeit zu verpflichten, was seinerseits wiederum der Verfassung zur Geltung verhilft.104 So judiziert das Verfassungsgericht lediglich das, was der Gesetzgeber ohnehin verfassungsrechtlich hätte berücksichtigen müssen. Eine verfassungsgerichtliche Überprüfung der Schutzpflichtwahrnehmung kann im Wege des Normenkontrollverfahrens zudem auch dann erfolgen, wenn man den Schutzpflichten nur objektivrechtliche Wirkung zuspricht.105 Es macht jedoch wenig Sinn, verfassungsrechtliche Pflichten zu bejahen, die niemand einklagen kann. Die effektive Durchsetzbarkeit von staatlichen Handlungspflichten durch subjektive Rechtsansprüche kann in einem Rechtsstaat, in dem das Einhalten von (auch objektiven) staatlichen Pflichten selbstverständlich sein sollte, nur begrüßt werden. Es ist zudem vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht ersichtlich, warum nur ein subjektives Recht auf Freiheit für den Störer, aber keines auf Sicherheit für den davon Betroffenen bestehen sollte. Da sich die Schutzpflichten aus den Grundrechten herleiten, ist es nur folgerichtig, dass sie auch den subjektiv-rechtlichen Charakter der Verfassungsnormen, denen sie entnommen sind, teilen.106 Letztlich garantiert nur der durchsetzbare Anspruch auf staatlichen Schutz, dass der Bürger als mündiges Individuum anerkannt und nicht bloß zum Objekt staatlicher Schutzgewährung degradiert wird. Das subjektive Recht ist Ausdruck der Selbstbestimmung und gibt dem Bürger die Möglichkeit, dem Staat auf Augenhöhe zu begegnen.107 101 Vgl. dazu Wahl, DVBl. 1996, 641, 644; ders./Masing, JZ 1990, 553, 557; Brüning/Helios, Jura 2001, 155, 156. 102 Vgl. BVerfGE 39, 1, 44 – Abtreibung I; 46, 160, 164 – Schleyer; 56, 54, 80 f. – Fluglärm; 77, 170, 214 f. – C-Waffen; 88, 203, 254 f. – Abtreibung II. Mehr dazu sogleich unter B.II.1.d). 103 BVerfGE 68, 1, 86; 98, 218, 251 f.; Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 187 f.; Wahl, NVwZ 1991, 409, 411; Brüning/Helios, Jura 2001, 155, 157; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2006, S. 179 f., Rn. 1. 104 Brüning/Helios, Jura 2001, 155, 157; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 212. 105 Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, 1994, S. 78; Schwetzel, Freiheit, Sicherheit, Terror, 2006, S. 29 f. 106 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 227; Schwetzel, Freiheit, Sicherheit, Terror, 2006, S. 30; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 84; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 414. 107 Vgl. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 135; Klein, NJW 1989, 1633, 1637.

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B. Verfassungs- und europarechtliche Aspekte

d) Inhalt und Ausmaß Der Inhalt der grundrechtlichen Schutzpflichten, also die Antwort auf die Frage, was der Staat im Einzelnen zu schützen hat, ist den Schutzgütern der Grundrechte zu entnehmen.108 Anders als bei Abwehrrechten, denen jede Handlung zuwiderläuft, durch die das geschützte Gut verletzt wird, gebieten Leistungsrechte nicht jedes Verhalten, das Schutz oder Förderung darstellt. Dies liegt daran, dass ein Schutzgebot schon mit der Vornahme einer möglichen Schutzhandlung erfüllt werden kann.109 Ein Schutzziel kann mithin regelmäßig auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Nach dem BVerfG kommt dem Gesetzgeber daher zum Schutz des Gewaltenteilungsgrundsatzes hinsichtlich der Mittelauswahl ein beträchtlicher Entscheidungsspielraum zu.110 Die damit einhergehende Einschränkung des judikativen Beurteilungsspielraums ist dem Bemühen geschuldet, das Gefüge der Gewaltenteilung nicht übermäßig zu tangieren und dem Gesetzgeber die Entscheidungsprärogative mit einem Spielraum für politische Schwerpunktsetzungen zu belassen.111 Erst bei einer Unterschreitung des „Untermaßes“ sei eine Schutzpflichtverletzung gegeben. Die auf Canaris112 zurückgehende Figur des Untermaßverbotes zieht das BVerfG seit dem zweiten Abtreibungsurteil113 heran. Das mit der staatlichen Schutzpflicht korrespondierende Schutzrecht ist danach nur dann verletzt, wenn „die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder erheblich dahinter zurückbleiben“.114 Das Untermaß ist ein verfassungsmäßiger Mindeststandard, der nicht unterschritten werden darf. Besonders die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und das Ausmaß des zu befürchtenden Schadens, die Wertigkeit des betroffenen Rechtsguts sowie die Nützlichkeit und Sozialadäquanz eines 108 Stern, Staatsrecht III/1, S. 736; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 410 f.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, 2000, § 111, Rn. 93; Klein, NJW 1989, 1633, 1637; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 75. 109 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 420; Calliess, JZ 2006, 321, 324; Wahl/Masing, JZ 1990, 553, 558. 110 Vgl. nur BVerfGE 39, 1, 44 – Abtreibung I; 46, 160, 164 – Schleyer; 56, 54, 80 f. – Fluglärm; 77, 170, 214 f. – C-Waffen; 88, 203, 254 f. – Abtreibung II; siehe auch Brüning/Helios, Jura 2001, 155, 156 f., 162; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 97; Hufen, Staatsrecht II, § 5, Rn. 6; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 439. 111 BVerfGE 56, 54, 80 f. – Fluglärm. 112 Canaris, AcP 184 (1984); 201, 228; ders., JuS 1989, 161, 163. 113 BVerfGE 88, 203, 254 – Abtreibung II. 114 BVerfGE 92, 26, 46; vgl. auch BVerfGE 56, 54, 71, 80 ff. – Fluglärm; 77, 170, 214 – C-Waffen; 77, 381, 405 – Zwischenlager für Kernelemente; 88, 203, 251 ff., 254 f. – Abtreibung II; Dietlein, ZG 10 (1995), 131; Böhm, ZLR 2000, 240, 243; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 93.

II. Sicherheit

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Risikos115 spielen bei der Begründung einer staatlichen Reaktionspflicht eine Rolle. Dabei kann ein Mangel des einen durch ein Übermaß des anderen kompensiert werden.116 Das Eingreifen von Schutzpflichten kann somit nur im Einzelfall sinnvoll bestimmt werden.117 Bereits Canaris attestierte seiner Schöpfung, dass die Postulate des Untermaßverbotes wesentlich von der Art des betroffenen Rechtsguts abhängen und sich deshalb kaum generell beschreiben lasse, wann es tatsächlich eingreife.118 2. Sicherheit durch Schutzpflichten der Gemeinschaft Auch auf Gemeinschaftsebene besteht ein Bedarf für Schutzpflichten, denn Gefährdungen durch Dritte machen nicht an Staatsgrenzen halt. Gerade innerhalb der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft herrscht ein reger Austausch von Waren. Die Eingriffsbefugnisse der Nationalstaaten in Bezug auf diesen Handel sind durch die Grundfreiheiten und Kompetenzübertragungen an die Gemeinschaft jedoch sehr beschränkt.119 Eine ausdrückliche Bejahung von Schutzpflichten durch den EuGH erfolgte bisher allerdings nicht. Jedoch finden sich in dessen Rechtsprechung verschiedene Hinweise auf die Existenz entsprechender Pflichten.120 a) Herleitung der Schutzpflichten aa) Aus den Gemeinschaftsgrundrechten Auf Gemeinschaftsebene könnten sich – ähnlich wie in Deutschland – Schutzpflichten aus den Gemeinschaftsgrundrechten ergeben. Einen geschriebenen Grundrechtskatalog hat die EU bis heute nicht. Trotzdem gehen das euro115 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 141 f. 116 BVerfGE 49, 89, 142 – Kalkar; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 231. 117 Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 169 f. 118 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 228; ebenso Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 83 f. 119 Suerbaum, EuR 2003, 390, 391. 120 In der Transsexuellen-Entscheidung – EuGH Slg. 1996 I, 2143, 2165, RS. C-13/ 94 – P./S – ging der EuGH davon aus, die Diskriminierung einer Person durch ihren Arbeitgeber dürfe nicht „toleriert“ werden. Im Francesconi-Urteil – EuGH Slg. 1989, 2087, 2110 ff., RS. 326/96 und 66/88, in welchem der EuGH über Schadensersatzforderungen der Hinterbliebenen von Todesopfern, Händlern, Gastwirten und Erzeugern im Zusammenhang mit dem Methanolwein-Skandal zu entscheiden hatte, setzte sich das Gericht mit der Frage auseinander, ob die Kommission ihrerseits das Mögliche und Erforderliche getan hatte, um die Gefährdung zu verhindern. Dies deutet darauf hin, dass der EuGH Grundrechte nicht alleine als Abwehrrechte begreift, sondern auch ihre Schutzpflichtdimension anerkennt, so auch Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 294 f.

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päische Primärrecht sowie die Rechtsprechung des EuGH von der Existenz gemeinschaftlicher Grundrechte aus.121 Diese ergeben sich nach der Präambel und Art. 6 des EUV aus der EMRK von 1950 und aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und sollen in dieser Form Schutz bieten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), auf dessen Konventionsauslegung sich der EuGH oft beruft,122 hat der EMRK nun ungeschriebene Schutzpflichten entnommen und leitet diese – ähnlich wie das BVerfG in Deutschland – aus objektiv-rechtlichen Funktionen der negativ formulierten Konventionsartikel her.123 Auch der EuGH erkannte bereits objektiv-rechtliche Funktionen der Gemeinschaftsgrundrechte an, indem er z. B. die Aufrechterhaltung eines pluralistischen Rundfunkwesens und die Medienvielfalt vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt sah.124 Zumindest für die Grundfreiheiten erkennt der EuGH darüber hinaus Schutzpflichten im Grundsatz an.125 Begreift man nun die Grundfreiheiten als vertraglich geregelte Sonderfälle grundrechtlicher Gewährleistungen,126 liegt es nahe, den hier entwickelten Schutzpflichtansatz auf die Gemeinschaftsgrundrechte zu übertragen. Bei allem Streit über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Grundrechten und Grundfreiheiten127 ist es zumindest plausibel, erst recht Schutzpflichten aus den Grundrechten herzuleiten, wenn dies schon bei den Grundfreiheiten praktiziert wird, die nicht als subjektive Abwehrrechte zugunsten der Binnenmarktteilnehmer ausgestaltet wurden.128 Hinweise auf eine bestehende Schutzpflicht lassen sich auch der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entnehmen. Diese Charta ist

121 Vgl. nur EuGH Slg. 2001 II, 729, 754, RS. T-112/98 – Mannesmannröhrenwerke. 122 Kotroni, Grundrechtliche Verpflichtungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, 2004, S. 69; Suerbaum, EuR 2003, 390, 404 123 EuGRZ 1981, 559, 561, Rn. 55 – Young, James und Webster gegen Vereinigtes Königreich; EuGRZ 1985, 297, 298, Rn. 23 – X und Y gegen die Niederlande; EuGRZ 1989, 522, 524, Rn. 32 – Plattform „Ärzte für das Leben“ gegen Österreich; EGMR NVwZ 2004, 1465, 1468 – Heathrow; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten, 2002, S. 909. 124 EuGH Slg. 1991 I, 4007, 4043, Rn. 23, RS. C-288/89 – Collectieve Antennevoorziening Gouda; Slg. 1997 I, 3689, 3715, Rn. 18, RS. C-368/95 – Familiapress; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten, 2002, S. 612 ff.; siehe auch Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, 2007, S. 151. 125 EuGH, Slg. 1997 I, 6959, 6998 f., Rn. 30 ff., RS. C-265/95 – Kommission gegen Frankreich; Slg. 2003 I, 5659 – Schmidberger; vgl. auch Böhm, JA 2009, 328, 329. 126 Vgl. dazu Kotroni, Grundrechtliche Verpflichtungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, 2004, S. 118 ff.; Suerbaum, EuR 2003, 390, 395 f.; Böhm, JA 2009, 328. 127 Vgl. Möstl, EuR 2002, 318, 328 ff. 128 Suerbaum, EuR 2003, 390, 396.

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zwar eine bloße Erklärung und entfaltet keine Bindungswirkung, sie kann aber als Auflistung der in der Gemeinschaft als geltend erachteten Grundrechte verstanden werden und damit Interpretationshilfe sein.129 Nach dem positiv formulierten Art. 35 S. 2 der Charta ist bei der Durchführung aller Politiken und Maßnahmen der Union ein hohes Gesundheitsniveau sicherzustellen. Diese Norm impliziert die Existenz einer objektiven Schutzpflicht. bb) Aus dem Primärrecht Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH können sich die Mitgliedstaaten im harmonisierten Bereich als Rechtfertigung für Einschränkungen der Warenverkehrsfreiheit nicht mehr auf den Schutz der menschlichen Gesundheit nach Art. 30 EGV berufen.130 Da den Mitgliedstaaten jedoch in aller Regel eine Schutzpflicht für die Gesundheit und das Leben ihrer Bürger obliegt, muss auch im harmonisierten Bereich deren Wahrung sichergestellt sein, wenn Kompetenzen an die Gemeinschaft abgetreten werden.131 Art. 152 Abs. 1 EGV sieht – genauso wie Art. 35 S. 2 der Charta – vor, dass die Gemeinschaft bei allen ihren Politiken und Maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau garantieren muss. Diese Regelung kann so verstanden werden, dass die unterzeichnenden Mitgliedstaaten die Gemeinschaft im Gegenzug zur Kompetenzübertragung im Rahmen ihres Tätigwerdens zur Rücksichtnahme auf Leben und Gesundheit ihrer Bürger verpflichten. Die Norm fungiert als Querschnittsklausel, die alle Gemeinschaftsorgane verpflichtet, im Rahmen der Verfolgung anderer Vertragsziele auch die Erreichung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus als „Sekundärziel“ anzustreben.132 Es wird davon ausgegangen, dass die Querschnittsklau-

129 Knipschild, Lebensmittelsicherheit als Aufgabe des Veterinär- und Lebensmittelrechts, 2003, S. 155. 130 EuGH Slg. 1979, 3369, 3388, RS. 251/78 – Denkavit; Slg. 1996 I, 2553, 2611, RS. C-5/94 – Hedley Lomas; Slg. 1989, 617, 638 f., RS. 215/87 – Schumacher; Knipschild, Lebensmittelsicherheit als Aufgabe des Veterinär- und Lebensmittelrechts, 2003, S. 153. 131 So dürfen z. B. nach Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG Hoheitsrechte nur dann an die Union übertragen werden, wenn diese „einen diesem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet“. Auch das BVerfG geht in seinen „Solange“-Beschlüssen (BVerfGE 37, 271 – Solange I; BVerfGE 73, 339 – Solange II) davon aus, dass dem Gemeinschaftsrecht nur solange ein absoluter Vorrang vor nationalem Recht zukommt und es somit nicht am Maßstab des GG zu prüfen ist, wie ein gleichwertiger Grundrechtsschutz auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene gewährleistet ist. Im „Solange-II“-Beschluss hat das BVerfG eine solche Gleichwertigkeit bejaht und geht demnach davon aus, dass die auf Gemeinschaftsebene anerkannten Rechte nicht substanziell hinter denen des GG zurückbleiben. 132 Wichard, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, § 152 EGV, Rn. 22; Fischer, in: Lenz/ Borchardt, EUV/EGV, § 152 EGV, Rn. 2. Knipschild, Lebensmittelsicherheit als Aufgabe des Veterinär- und Lebensmittelrechts, 2003, S. 153.

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B. Verfassungs- und europarechtliche Aspekte

sel insoweit auch justiziabel ist,133 sodass eine Art „Gesundheitsverträglichkeitsprüfung“ durch die Rechtsprechung erfolgt.134 Auch an anderen Stellen des EGV wird die Berücksichtigung von Gesundheitsinteressen gefordert.135 Die Auslegung des Vertrages führt daher zu dem Schluss, dass die Gemeinschaft dem Gesundheitsschutz verpflichtet ist.136 b) Ausgestaltung und Umfang Adressaten entsprechender Schutzpflichten sind die Union, die Gemeinschaften und deren Organe. Im Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaat ist immer die für die betroffene Rechtsmaterie zuständige Ebene Adressat.137 Bei der konkreten Ausgestaltung einer Schutzmaßnahme besteht – wie schon auf nationaler Ebene – ein erheblicher Spielraum.138 Schutzpflichten können auf europäischer Ebene grundsätzlich Gegenstand von Nichtigkeits- (Art. 230 EGV), Untätigkeits- (Art. 232 EGV) und Schadensersatzklagen (Art. 235 i.V. m. Art. 288 Abs. 2 EGV) vor dem EuGH sein. Säumige Gemeinschaftsorgane können von Mitgliedstaaten vor allem mit der Untätigkeitsklage bzw. der Nichtigkeitsklage zum Tätigwerden bzw. zur Nachbesserung angehalten werden. Individualklagen gegen die Gemeinschaft und ihre Organe dagegen werden regelmäßig scheitern: Nach Art. 232 Abs. 3 EGV können natürliche oder juristische Personen nämlich nur geltend machen, dass es ein Gemeinschaftsorgan unterlassen hat, einen Akt „an sie zu richten“. Der EuGH fordert ausgehend von dieser Formulierung, dass Individualklagen auf Erlass einer Verordnung oder Richtlinie mangels Adressierung an den Einzelnen ausscheiden.139 Diesem bleibt daher nur ein Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 235 i.V. m. 288 Abs. 2 EGV.140 Daneben kann er sich mit der Forderung, entsprechende Schutzmaßnahmen durch die Gemeinschaft mittels einer entsprechenden Klage zu erzwingen, auch an den Herkunftsstaat wenden. Damit hat der nationale Rechtsweg die größere Bedeutung für den Schutzsuchenden. 133 EuGH Slg. 1996 I, 3903, Rn. 63, 93, RS. C-180/96 R – Vereinigtes Königreich/ Kommission; Fischer, in: Lenz/Borchardt, EUV/EGV, § 152 EGV, Rn. 20. 134 Wichard, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, § 152 EGV, Rn. 23. 135 Etwa Art. 95 Abs. 3, 174 Abs. 1. 136 So auch Böhm, Der Normmensch, 1996, S. 289. 137 Suerbaum, EuR 2003, 390, 412 f. 138 Siehe EuGRZ 1985, 297, 298, Rn. 24 – X und Y gegen die Niederlande; EuGRZ 1989, 522, 524, Rn. 34 – Plattform „Ärzte für das Leben“ gegen Österreich; EuGH Slg. 1998 I, 2211, 2258 ff., RS. C-157/96 – BSE; Slg. 1990 I, 4057, 4062 ff., RS. C-331/88 – Fedesa; Schlacke, Risikoentscheidungen, 1998, S. 321; Suerbaum, EuR 2003, 390, 413. 139 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 232 EGV, Rn. 6 f. 140 Knipschild, Lebensmittelsicherheit als Aufgabe des Veterinär- und Lebensmittelrechts, 2003, S. 165 ff.; Suerbaum, EuR 2003, 390, 415.

III. Freiheit

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3. Fazit Auch wenn im Einzelnen über die Herleitung gestritten wird, besteht in Literatur und Rechtsprechung weitgehend Einigkeit darüber, dass auf nationaler wie auch auf Gemeinschaftsebene Schutzpflichten bestehen, die den Staat wie auch die Gemeinschaft und ihre Organe verpflichten, sichernd tätig zu werden, wenn die Rechte und Rechtsgüter einer Person bedroht sind. Damit muss der Staat auch im Bereich moderner Risiken sichernd tätig werden. Nur hinsichtlich des „Wie“ dieses Schutzes ist ein weiter Auswahlspielraum gegeben.

III. Freiheit Bei der Erfüllung solcher Schutzpflichten müssen der Staat bzw. die Gemeinschaft aber auch die Freiheitsrechte desjenigen wahren, vor dem geschützt wird. Denn das Schaffen von Risiken stellt zumeist die Ausübung grundrechtlich gesicherter und gemeinschaftsrechtlich anerkannter Freiheiten dar. Dabei schützt den Gefahrverursacher das Übermaßverbot.141 Dieses auch als Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bezeichnete Prinzip ist verfassungsrechtlich verankert142 wie auch europarechtlich anerkannt143. Es statuiert, dass eine staatliche Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen sein muss, um einen legitimen Zweck zu erreichen.144 Notwendig ist damit die Auswahl eines Schutzinstruments, das der Gefährdung eines geschützten Rechtsguts (legitimer Zweck) entgegenwirkt (Geeignetheit). Dabei muss unter allen wirksamen Schutzmaßnahmen die für die tangierten Störerrechte am wenigsten belastende gewählt werden, also das relativ mildeste Mittel (Erforderlichkeit). Schließlich müssen der Eingriff in die Störerrechte und der damit verfolgte Schutzzweck in einem recht gewichteten und ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen (Angemessenheit).145 Nur 141

Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, 2000, § 111, Rn. 91. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz leitet sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ab und soll die negativen Auswirkungen staatlichen Handelns auf ein vertretbares Minimum reduzieren, vgl. BVerfGE 16, 194, 201 f.; 19, 342, 348 f.; Hufen, Staatsrecht II, § 9, Rn. 15. 143 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist in Art. 5 Abs. 3 EGV festgeschrieben und als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht anerkannt, vgl. nur EuGH Slg. 1990 I, 4023, RS. C- 331/88 – Fedesa; EuGH Slg. 1998 I, 2211, 2258 ff., RS. C157/96 – BSE; EuGH NJW 1995, 3243 – Mars „plus 10%“; EuGH Slg. 2003 I, 1007, 1062, RS. C-221/00 – Zulassungspflicht für gesundheitsbezogene Lebensmittelangaben; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 5 EGV, Rn. 50 ff. 144 BVerfGE 30, 292, 316 f.; 81, 156, 188 ff.; 91, 207, 222 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 283 ff.; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 5 EGV, Rn. 51; Hufen, Staatsrecht II, § 9, Rn. 15; Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 182 ff. 145 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 283 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 254; Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 185 ff. 142

44

B. Verfassungs- und europarechtliche Aspekte

wenn die Verhältnismäßigkeit bejaht werden kann, lässt sich die staatliche Schutzmaßnahme auch als Eingriff in die Grundrechte des Gefahrverursachers rechtfertigen.

IV. Ausgleich von Sicherheit und Freiheit Der Staat steht also von zwei Seiten unter Rechtfertigungszwang und muss den einen rechtmäßig schützen, ohne den anderen widerrechtlich zu verletzen. Er muss einen Ausgleich zwischen den reziproken Positionen herstellen.146 Grundsätzliche Vorrang- und Zweifelsfallregelungen wie „in dubio pro libertate“147 oder „in dubio pro securitate“ sind im Grundgesetz nicht vorgesehen und würden die jeweils bevorzugte Seite somit willkürlich begünstigen.148 Die Lösung des Störer-Opfer-Konflikts in der staatlichen Rechtsordnung muss vielmehr in jedem Einzelfall eine vor beiden Seiten vertretbare Maßnahme sein.149 Das heißt, sie muss das schutzrechtliche Mindestniveau erreichen (Untermaßverbot) und darf dabei die Rechte des Gefahrverursachers nicht unverhältnismäßig beeinträchtigen (Übermaßverbot). Die sog. Kongruenzthese bestreitet dabei, dass es Maßnahmen geben kann, die über das Mindestschutzniveau hinausgehen, ohne unverhältnismäßig in die Störerrechte einzugreifen.150 Da der Staat aus der Sicht des Gefahrverursachers gerade soviel tun dürfe, wie nötig sei, um die Verletzung des geschützten Rechtsguts zu verhindern, und das Opfer nur gerade soviel fordern könne, dass das geschützte Rechtsgut nicht beeinträchtigt werde, fallen dieser Meinung nach beide Grenzwerte zusammen.151 Die Figur des Untermaßverbotes würde damit in Dreieckskonstellationen152 obsolet, denn alle seine Prämissen fänden sich 146 Stoll, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 113, 151; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 84; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechtes V, 2000, § 111, Rn. 165; Wahl/Masing, JZ 1990, 553, 557 ff. 147 So LG Lübeck NJW 1992, 1571, 1574; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 517 f.; Denninger, in: AK-GG, Vor Art. 1, Rn. 13, Stand 2001. Zu diesem Grundsatz auch Schwetzel, Freiheit, Sicherheit, Terror, 2006, S. 101 ff. 148 Schwetzel, Freiheit, Sicherheit, Terror, 2006, S. 103 f.; vgl. auch Murmann, in: FS-Herzberg, 2008, S. 123, 129. 149 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 140; vgl. auch Stoll, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 113, 151. 150 Hain, DVBl. 1993, 982, 983 f.; ders., ZG 11 (1996), 75; Erichsen, Jura 1997, 85, 88; Starck, JZ 1993, 816, 817; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 83 ff.; Stern, Staatsrecht Bd. III/2, S. 813 f. 151 Starck, JZ 1993, 816, 817; vgl. Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 85. 152 In Fällen, in welchen die Schutzmaßnahme keinen Eingriff in Freiheitsrechte bedingt, somit also das Übermaßverbot nicht einschlägig ist, verbleibt dagegen auch

IV. Ausgleich von Sicherheit und Freiheit

45

schon im Übermaßverbot.153 Die Kongruenzthese ist jedoch in sich nicht stimmig und wirft gravierende verfassungsrechtliche Bedenken auf: Ob eine Maßnahme ein geeigneter, erforderlicher und angemessener Eingriff in die Freiheitsrechte einer Person ist, sagt regelmäßig nichts darüber aus, ob sie auch schutzintensiv genug ist. Etwa kann – so ein Beispiel von Dietlein – der Gesetzgeber zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs eine Information der Schwangeren durch das Verteilen von Broschüren vorschreiben, um das ungeborene Leben zu schützen.154 Diese Maßnahme wäre zum Schutz des nasciturus durchaus geeignet und erforderlich und ein angemessener Eingriff in die Rechte der Mutter. Ob sie allerdings schutzintensiv genug ist, um dem Schutzanspruch des Ungeborenen nachzukommen, ist eine andere Frage. Bezugsgröße der Verhältnismäßigkeit ist zudem der vom Gesetzgeber gesetzte Zweck und nicht das Rechtsgut der Schutzpflicht.155 Wie die Belange des Schutzrechtsinhabers im Rahmen der abwehrrechtlichen Geeignetheitsprüfung Berücksichtigung finden sollen, wenn sie nicht mit dem Gesetzeszweck übereinstimmen, ist daher nicht ersichtlich. Die Konsequenz der Kongruenzthese, welche die Konfliktregulierung durch den Staat im Falle der Dreiecksverhältnisse auf ein Schutzmaß reduziert und dem Gesetzgeber keinen Spielraum belässt, ist darüber hinaus verfassungsrechtlich hoch problematisch, kommt es doch zu einer gravierenden Gewaltenverschiebung zugunsten der Judikative.156 Diese könnte den Gesetzgeber auf konkrete Maßnahmen festlegen und so ihren Einfluss erheblich zulasten der Legislative ausweiten. Für staatliches Handeln gibt es demnach zwei Grenzen: Das Übermaßverbot beschreibt das Höchstmaß, das Untermaßverbot das Mindestmaß gesetzgeberischen Handelns, im Übrigen besteht legislatives Ermessen.157 Zwischen diesen beiden Polen muss sich die staatliche Gefahrenabwehr bewegen. Die Instru-

nach dieser Auffassung ein Bedürfnis für einen entsprechenden Maßstab, Erichsen, Jura 1997, 85, 88; Hain, ZG 11 (1996), 75, 80 f.; vgl. auch Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 299; Dietlein, ZG 10 (1995), 131, 135. Jedoch wird die staatliche Schutzhandlung in der Regel Freiheitsrechte Dritter tangieren, sodass dieser mögliche Anwendungsbereich für das Untermaßverbot marginal bleibt. 153 Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, 1994, S. 81 f.; ders., JZ 1993, 816, 817; Erichsen, Jura 1997, 85, 88. 154 Dietlein, ZG 10 (1995), 131, 137. 155 Dietlein, ZG 10 (1995), 131, 136 ff.; Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 515 f., vgl. dazu Hain, ZG 11 (1996), 75, 77 ff. 156 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 300; T. Koch, Der Grundrechtsschutz des Drittbetroffenen, 2000, S. 403; vgl. auch Dietlein, ZG 10 (1995), 131, 138. 157 Jarass, AöR 110 (1985), 363, 383 f.; T. Koch, Der Grundrechtsschutz des Drittbetroffenen, 2000, S. 403 ff.; Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 513 ff.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 298 ff.; Canaris, JuS 1989, 161, 163 f.

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B. Verfassungs- und europarechtliche Aspekte

mente einer solchen staatlichen Gefahrenabwehr sind dabei vielfältig und haben unterschiedliche Schutz- aber auch Eingriffsintensitäten, mit welchen auf unterschiedliche Risiken gestuft reagiert werden kann. Sie reichen vom Erlass von Verbotsnormen und ihrer strafrechtlichen Absicherung über Beobachtungs-, Kennzeichnungs- sowie Informationspflichten und Zulassungserfordernissen, bis hin zu Warenrückrufen und öffentlichen Warnungen.158 Geringe Risiken müssen – wenn jedwede Schutzmaßnahme eine zu starke Freiheitsbeeinträchtigung darstellt – im Einzellfall auch toleriert werden. Absolute Sicherheit ist eine Utopie, für die eine freie Gesellschaft einen hohen Preis zahlen müsste, bzw. die schlicht nicht erreichbar ist.159 Das Schädigungspotential, die Nützlichkeit des Risikos und die Rechte Dritter müssen genau erforscht und berücksichtigt werden. Notwendig ist daher auf den Ebenen der Gesetzgebung wie auch der Rechtsanwendung eine umfassende und komplexe Nutzen-Risiko-Abwägung in jedem Einzelfall.

158 Vgl. auch Transfeld, Das Vorsorgeprinzip, 2006, S. 154; Knipschild, Lebensmittelsicherheit als Aufgabe des Veterinär- und Lebensmittelrechts, 2003, S. 35 f. 159 Duttge, Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, 2001, S. 4 f.; Knipschild, Lebensmittelsicherheit als Aufgabe des Veterinär- und Lebensmittelrechts, 2003, S. 31; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 139.

C. Schutz auch bei Ungewissheit durch das Vorsorgeprinzip Gefahrenabwehr ist nach alledem eine Pflicht des Staates, die der Einzelne auch einklagen kann. Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Schutzpflichten ergeben sich in modernen Lebenssachverhalten aber, wenn ein Verhalten nur mutmaßlich, nicht jedoch sicher geeignet ist, einen Schaden zu verursachen. Solche Unsicherheiten sind geradezu paradigmatisch für moderne Gefahren.160 Regelmäßig bestehen nämlich über moderne Techniken, Produktionsprozesse oder Stoffe keine gesicherten Erkenntnisse. Trotzdem sind in der Regel gravierende Schädigungen für überragend wichtige Rechtsgüter, wie Leib und Leben, denkbar. In solchen Konstellationen stößt das den hergebrachten Eingriffsermächtigungen zugrundeliegende Kausalitätsmodell, welches erfahrungsabhängig ist und auf der Wiederholbarkeit von Phänomenen basiert, durch die sprunghafte und komplexe technische und gesellschaftliche Entwicklung der Risikogesellschaft an seine Grenzen.161 Zur Beurteilung von Schadenswahrscheinlichkeiten kann nämlich nicht auf Erfahrungssätze oder vorhandenes Wissen zurückgegriffen werden.162 Es ist regelmäßig möglich, dass ein ex ante mutmaßlich gefährliches Verhalten tatsächlich keine Schäden verursacht. Ein Abwarten auf Forschungsergebnisse oder Erkenntnisse über tatsächliche Schädigungspotentiale kommt in solchen Konstellationen aber wegen bestehender Schutzpflichten bei gravierenden Bedrohungslagen nicht in Betracht. Denn dann würden Schutzvorkehrungen zugunsten von verfassungsrechtlich verbürgten Gütern überhaupt nicht getroffen und damit das Untermaßverbot verletzt. Demnach müssen Schutzmaßnahmen auch bei unsicheren Sachverhalten eingreifen. Wegen der Schutzpflichten kann der Staat technische Entwicklung nicht nach dem Prinzip trial-and-error vonstatten gehen lassen, sondern muss potenziell schadensträchtige Techniken schon sichernd regeln, bevor Schäden eintreten.163 Er darf also ein mutmaßlich gefährliches Produkt – z. B. ein BSE-verseuchtes Lebensmittel – nicht auf dem Markt belassen, bis seine Eignung, die Gesundheit von Konsumenten zu schädigen, sicher feststeht. 160

Vgl. oben A.I. Schünemann, GA 1995, 201, 211; Transfeld, Das Vorsorgeprinzip, 2006, S. 19. 162 Hippel, Gefahrenurteile und Prognoseentscheidungen, 1972, S. 61 f.; Preuß, KritV 1988, 3, 10. 163 Murswiek, VVDStRL 48 (1990), 207, 215; Stoll, in: Becker-Schwarze/Köck/ Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 113, 154; Röhrig, Risikosteuerung im Lebensmittelrecht, 2002, S. 177. 161

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C. Schutz auch bei Ungewissheit durch das Vorsorgeprinzip

Diese Schlussfolgerung wird als Vorsorgeprinzip bezeichnet. Dieses entwickelte sich zunächst im Atomrecht. Die staatliche Genehmigung von nuklearen Anlagen warf im Kontext der Gefahrenabwehr völlig neue Fragestellungen auf, denn die Technik war in kognitiver Hinsicht schwer zu beurteilen und wies bei geringen Eintrittswahrscheinlichkeiten ein außerordentliches Schadenspotenzial auf.164 Es entstand der Gedanke der Vorsorge, nach dem ein präventiv sicherndes Handeln bereits dann möglich sein sollte, wenn kein hinreichendes Wissen über eine Gefahr besteht oder noch keine konkrete Gefahr vorliegt.165 Dieser Gedanke der Vorsorge liegt dem AtG von 1959 zugrunde.166 Das Besondere an der Vorsorge ist dabei, dass auch ohne die für das Erreichen der klassischen Gefahrenschwelle des Polizei- und Ordnungsrechts notwendige Sachverhaltserfassung – insbesondere hinsichtlich der Kausalität – präventiv schützend gehandelt werden darf. Auch wenn ein Verhalten einen Schaden nur mutmaßlich verursachen kann, ist somit ein Verbot möglich. Da mit diesen Erwägungen typische moderne Gefahren erfasst werden können, entwickelte sich das Vorsorgeprinzip zunächst in typischen modernen Risikorechtsbereichen. So findet es umfassend im Umweltrecht Anwendung167 und begegnet uns in diesem Zusammenhang seit 1987 im heutigen Art. 174 Abs. 2 EGV. Auch im Lebensmittelrecht findet sich mittlerweile ausdrücklich der Verweis auf das Vorsorgeprinzip. Als wissenschaftszentrierter Ansatz168 kommt es nach Art. 7 BasisVO bei Unsicherheiten hinsichtlich naturwissenschaftlich gestellter Sicherheitsfragen zur Anwendung und soll helfen, geeignete Maßnahmen zu finden. Das nationale LFGB orientiert sich gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 ebenfalls am Vorsorgegrundsatz. Im Jahr 2000 bekannte sich die Kommission der Europäischen Gemeinschaften mit der „Mitteilung über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips“169 erstmals deutlich und umfänglich zur Vorsorge insbesondere gegenüber Gefahren für die Umwelt und die Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen und umriss deren Voraussetzungen. Das Vorsorgeprinzip ist damit in allen Lebensbereichen mit der Maßgabe, dass bestehende Unsicherheiten nicht zulasten des Schutzes gehen dürfen, anwendbar. Bei der Vorsorge geht es in diesem Kontext darum, Nichtwissen juristisch zu bewältigen.170 Vorsorgeentscheidungen zeichnen sich 164 Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 65 f.; vgl. die einschlägigen Entscheidungen: BVerfGE 49, 89 – Kalkar; 53, 30 – Mülheim-Kärlich; BVerwGE 72, 300 – Wyhl; BVerwG NVwZ 1989, 1168 – THTR; NVwZ 1989, 1170 – Würgassen. 165 Transfeld, Das Vorsorgeprinzip, 2006, S. 8. 166 Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, 2007, S. 160. 167 Knipschild, Lebensmittelsicherheit als Aufgabe des Veterinär- und Lebensmittelrechts, 2003, S. 92. 168 Holle, ZLR 2004, 307, 308. 169 KOM (2000), 1 – endgültig vom 2.2.2000. 170 Wahl, ZLR 1998, 275, 282; Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, 2007, S. 44.

C. Schutz auch bei Ungewissheit durch das Vorsorgeprinzip

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durch ein hohes Maß an „kognitiver Unsicherheit“ bei der Risikobeurteilung und eine „Lockerung der Konnexität von Ursache und Schadenserfolg“ aus.171 Bei großen ungewissen Gefahren, wo nicht bis zum Eintritt einer durch das Verhalten nachweisbar kausal verursachten konkreten Gefahr abgewartet werden kann, greift das Vorsorgeprinzip mit der Maßgabe, dass auch schon im Vorfeld schützend in Sachverhalte eingegriffen werden darf. Auch im Zivilrecht, das vermehrt Gefährdungshaftungen implementiert und so Nachweis- und Erkenntnisschwierigkeiten ausräumen will, sowie in neueren Entwicklungen im Strafrecht sind vorsorgende Ansätze zu erkennen.172

171

Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 115 f. Vgl. dazu Göben, Arzneimittelhaftung und Gentechnikhaftung als Beispiel modernen Risikoausgleichs, 1995, S. 33 ff.; Duttge, Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, 2001, S. 18 f.; mehr zu Gefährdungsdelikten im Strafrecht unten E.VI.1. 172

D. Gefahrenabwehrrecht bei modernen Risiken Das klassische Gefahrenabwehrrecht kann Vorsorge häufig nicht leisten. Die Eingriffsermächtigungen der Polizei- und Ordnungsgesetze setzen nämlich in der Regel eine konkrete Gefahr für ein Schutzgut voraus und geben keine oder nur sehr beschränkte Befugnisse bei ungewissen Schädigungspotenzialen. Vorsorge erfolgt daher zumeist nach speziellen Gesetzen (z. B. AMG, LFGB, AtG), die entsprechend vorgelagerte Eingriffsermächtigungen bereitstellen. Die Staatsaufgabe Sicherheit wandelte sich dabei von der Wahrung und Wiederherstellung eines störungsfreien Zustandes im Einzelfall zu einer zukunftsbezogenen, die wirtschaftlich-technischen Veränderungsprozesse in der Gesellschaft steuernden Risikobegegnung. Damit einher gehen rechtliche Besonderheiten und Probleme.

I. Vorverlagerung des Eingriffszeitpunkts Da Vorsorge im Gegensatz zur traditionellen Gefahrenabwehr schon dann greift, wenn eine Schädigungsmöglichkeit nicht sicher gegeben ist, verlagert sich der denkbare Eingriffszeitpunkt im Vergleich zur traditionellen Gefahrenabwehr vor. Um Gefahren möglichst effektiv zu vermeiden, wird häufig schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt in ein Geschehen eingegriffen. Bildlich gesprochen wird ein Vorrat an Sicherheit angelegt.173 Dem umfassenden Ansatz der Vorsorge gemäß soll eine bestehende Gefahr nicht nur ausgeräumt, sondern bereits das Entstehen von Risiken vermieden werden, indem vor der eigentlichen Gefahrensituation in einen Lebenssachverhalt eingegriffen wird. Im Lebensmittelrecht finden sich in diesem Zusammenhang Schlagworte wie „from farm to fork“ oder „from stable to table“. Gemeint ist, dass bereits die Tierzucht, -haltung und -mast mit Blick auf die spätere Lebensmittelsicherheit gestaltet und nicht erst bei einem unsicheren Lebensmittel schützend angesetzt wird.174 Präventive Maßnahmen gewinnen so an Bedeutung. Auch mit Zulassungs- und Genehmigungserfordernissen wird vermehrt auf präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt zurückgegriffen. Diese lösen repressive Akte bedeutungsmäßig ab. Da lückenlos nachgewiesene Kausalität zwischen dem regulierten Verhalten und einem Schaden oder einer konkreten Gefahr im Zeitpunkt staatlichen Agierens in 173 Calliess, DVBl. 2001, 1725, 1727; vgl. auch Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizeiund Ordnungsrecht, § 4, Rn. 13 ff.; Petersen, Schutz und Vorsorge, 1993, S. 192 f. 174 Knipschild, Lebensmittelsicherheit als Aufgabe des Veterinär- und Lebensmittelrechts, 2003, S. 101 ff.

II. Dynamisierung des Rechts

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Risikomaterien oft nicht vorhanden ist, wird auf deren Nachweis als Eingriffsvoraussetzung im Umgang mit komplexen multikausalen Sachverhalten häufig verzichtet.175 Nicht mehr an das Verursachen eines Schadens, sondern alleine an ein mutmaßlich gefährliches Verhalten wird in Eingriffsermächtigungen angeknüpft. Eingriffsnormen wie § 5 AMG beziehen sich nicht mehr auf die Gefährdung von Menschen, sondern auf Verhaltensweisen, bei welchen der begründete Verdacht der Gefährlichkeit besteht. Auch im Zivilrecht und im Strafrecht kommt es infolge der dargestellten Entwicklung mehr und mehr zu Gefährdungshaftungen und Verantwortlichkeiten für Gefahren oder abstrakt gefährliches Verhalten.176 Dadurch wird die Freiheit des Gefahrverursachers bereits zu einem frühen Zeitpunkt beschränkt. Solange große und irreversible Gefahren drohen und später ansetzende Schutzmaßnahmen ungeeignet sind, führt daran aber wegen bestehender Schutzpflichten im Recht der Gefahrenabwehr kein Weg vorbei.

II. Dynamisierung des Rechts Da die Lebenssachverhalte der Risikomaterien schnellen und sprunghaften Entwicklungen unterworfen sind und ein hohes Maß an Dynamik aufweisen, muss ein vorsorgender Staat darauf mit immerwährender Rechtsanpassung reagieren, um dynamischen Schutz zu gewährleisten.177 Zur Ruhe kommen und eine dauerhaft beständige sichernde Regelung treffen kann das sich anpassende Recht erst dann, wenn eine Regelungsmaterie aus dem Entwicklungsstadium heraustritt und nur noch kleinere, langsame Fortschritte zu erwarten sind.178 Doch selbst eine solche evolutionäre Verlangsamung dürfte immer seltener werden. Bisweilen wird eine Technik, ist sie komplett entwickelt, erforscht und praktisch durchgesetzt, durch ein anderes innovatives System ersetzt. Will das Recht sich der Entwicklungsgeschwindigkeit der Lebenssachverhalte anpassen, so muss der staatliche Entscheidungsträger in Risikorechtsbereichen ein hohes Maß an Flexibilität, Lern- und Rücknahmebereitschaft aufweisen.179 Er muss sich stets am aktuellen Stand von Wissenschaft und Forschung orientieren180

175

Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 114. Vgl. dazu Göben, Arzneimittelhaftung und Gentechnikhaftung als Beispiel modernen Risikoausgleichs, 1995, S. 33 ff.; Duttge, Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, 2001, S. 18 f.; mehr zu Gefährdungsdelikten im Strafrecht unten E.VI.1. 177 BVerfGE 49, 89, 139 f. – Kalkar. 178 Ossenbühl, DÖV 1982, 833, 838. 179 Röhrig, Risikosteuerung im Lebensmittelrecht, 2002, S. 179. 180 Schlacke, Risikoentscheidungen, 1998, S. 94; Röhrig, Risikosteuerung im Lebensmittelrecht, 2002, S. 178 f. 176

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D. Gefahrenabwehrrecht bei modernen Risiken

und hat in diesem Zusammenhang eine verfassungsrechtliche Nachbesserungspflicht.181 1. Unfähigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers zur Detailregelung Das Recht jedoch ist tendenziell statisch, auf Stabilität und Dauerhaftigkeit ausgerichtet.182 Dies liegt zum großen Teil an der Unflexibilität des Gesetzgebers. Eine sehr detaillierte, aktuelle Regelung hochkomplexer, dynamischer Sachverhalte kann vor allem der parlamentarische Gesetzgeber regelmäßig nicht leisten. Denn detaillierte Rechtssätze können immer nur für kurze Zeit mit dem aktuellen Entwicklungsstand kongruent sein und die Bemühung des Gesetzgebers in jedem Regelungsbereich mit dem augenblicklichen Forschungsstand mitzuhalten, würde seine Ressourcen dauerhaft binden. Herzog spricht in diesem Zusammenhang treffend vom „rechtlichen Hasen“ und dem „technischen Igel“.183 Die stark formalisierte und aufwendige – durch viele fachlich nicht qualifizierte Entscheidungsträger mit pluralistischen Interessen diskursintensive – parlamentarische Entscheidungsfindung kann nur bis zu einer gewissen Komplexität idealtypisch sinnvolle Detailregelungen produzieren. Darüber hinaus stößt das parlamentarische System an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Das langwierige Gesetzgebungs- und Gesetzesänderungsverfahren kann auf dynamische und vielschichtig komplexe Lebenssachverhalte nicht angemessen schnell mit detaillierten, aktuellen Regelungen sich stetig wandelnder Sachverhalte reagieren.184 Schutzlücken, Überalterung des Rechts und damit verbundene Vollzugsdefizite wären die Folgen von entsprechenden Regelungsbemühungen. 2. Delegation der Gesetzgebung Der Gesetzgeber muss also Regelungsbefugnisse delegieren. Insbesondere die Exekutive übernimmt diese Aufgaben im Bereich komplexer, technischer Materien. Sie ist organisatorisch und personell besser in der Lage, schnell spezielle 181 BVerfGE 33, 171, 189 f.; 56, 54, 81 – Fluglärm; Böhm, ZLR 2000, 240, 245; Brüning/Helios, Jura 2001, 155, 157; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 181 ff.; ders., in: FS-Kriele, 1997, S. 651, 656; Stoll, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 113, 146. 182 Murswiek, in: FS-Kriele, 1997, S. 651, 652; Ossenbühl, DÖV 1982, 833; Reimer, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 9, Rn. 101. 183 Herzog, ZStW 105 (1993), 727, 732; ebenso Ossenbühl, DÖV 1982, 833, 838. 184 Böhm, Der Normmensch, 1996, S. 7 f., 180; Lukes, NJW 1978, 241, 242 f., 245; Murswiek, in: FS-Kriele, 1997, S. 651, 657; Breuer, AöR 101 (1976), 46, 49; Herdegen, VVDStRL 62 (2003), 7, 29.

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Regelungen zu treffen.185 Denn sie ist fachlich besetzt und entscheidet in der Regel in einem hierarchischen Aufbau ohne politischen Diskurs. a) Generalklauseln Die Delegation erfolgt durch den Erlass von Generalklauseln. Diese sind auf eine Vielzahl von Fällen anwendbar und bleiben auch bei Veränderungen in den Lebenssachverhalten aktuell. So öffnet der Gesetzgeber z. B. seine gesetzlichen Bewertungsformeln dem technischen Fortschritt, indem er auf den „Stand der Wissenschaft und Forschung“ verweist. Dies führt zur automatischen Anpassung formalgesetzlicher Regelungen an den aktuellsten Standard.186 Solche Verweise sorgen dafür, dass formelle Gesetze der Technik nicht dauerhaft hinterherhinken, sondern mit dem Fortschreiten technischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse automatisch die Beurteilungsgrundlagen der Rechtssätze modifiziert werden. Jedoch können solche Generalklauseln die vielgestaltigen Lebenssachverhalte nicht abschließend regeln, da ihnen keine konkreten Verhaltensanweisungen zu entnehmen sind. Etwa bei dem Verweis auf den Stand von Wissenschaft und Technik bleibt die Konkretisierungsfrage, was diesem Stand in einer konkreten Situation entspricht. Folglich muss bei der Verwendung solcher unbestimmten, veränderungsoffenen Rechtsbegriffe das normative Regelungsdefizit auf nachfolgenden Ebenen – in der vollziehenden Gewalt oder durch die Gerichte – ausgeglichen werden.187 Exekutive und Judikative brechen unbestimmte Regelungen auf vollzugsfähige Handlungs- und Entscheidungsanweisungen herunter. Im Rahmen dieser Aufgabe, das Recht auf den Einzelfall anzuwenden, wird der Exekutive und der Judikative vom Gesetzgeber so eine vergleichsweise weite Konkretisierungsermächtigung erteilt. Je offener und unbestimmter die legislativen Normen verfasst sind, desto mehr Spielraum haben vollziehende Behörden und Gerichte. b) Bestimmtheitsgebot Solche generalklauselartigen, abstrakten Normen kollidieren ab einem gewissen Grad der Unbestimmtheit mit dem – aus dem Rechtsstaats- und Demokra-

185 BVerfGE 49, 89, 139 f. – Kalkar; BVerwGE 72, 300, 317 – Wyhl; Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 222. 186 BVerfGE 49, 89, 135 f. – Kalkar; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 184; Ipsen, VVDStRL 48 (1990), 177, 188 f.; Breuer, AöR 101 (1976), 46, 67. 187 BVerfGE 49, 89, 135 – Kalkar; Ossenbühl, DÖV 1982, 833, 835 f.; Jestardt, in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 10, Rn. 25; Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 487 f.; Eifert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 19, Rn. 45.

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tieprinzip abgeleiteten –188 Bestimmtheitsgrundsatz. Hiernach sollten Rechtsnormen idealtypischer Weise möglichst klar und bestimmt sein. Dieser Grundsatz ist allerdings erst dann verletzt, wenn der Rechtsunterworfene den Inhalt einer Rechtsnorm bei hinreichender Bemühung nicht erfassen kann.189 Ein höheres Maß an Bestimmtheit wird rechtsstaatlichen Vorgaben nicht immer am besten gerecht. Genaue Normvorgaben nämlich begrenzen den Anwendungsbereich der Norm wie beschrieben und können tatsächliche Veränderungen nicht überdauern. So entstehen Schutzlücken und Vollzugsdefizite. Die verfassungsrechtliche Forderung nach Normbestimmtheit kollidiert daher mit dem verfassungsrechtlichen Effektivitätsgebot sowie den ebenfalls im Grundgesetz verankerten Schutzpflichten. Zur Auflösung dieses Konflikts müssen nach der Rechtsprechung des BVerfG auch Abstriche bei der Bestimmtheit möglich sein, wenn Sachverhalte besonders vielgestaltig sind190 oder zu erwarten ist, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse rasch verändern werden191. Nur durch solche Abstriche kann dauerhaft ein „dynamischer Grundrechtsschutz“,192 der allein geeignet ist, Sicherheit in Zeiten dynamischer technischer Entwicklung zu bieten, gewährleistet werden. Es ist ein angemessener Ausgleich aller berechtigten Belange zu finden. Ein alleiniges Beharren auf einem eng verstandenen Bestimmtheitsgrundsatz dagegen würde dazu führen, dass das Parlament gezwungen wäre, trotz mangelnder Befähigung eine zwar konkrete, dafür aber lückenhafte oder unpassende Regelung zu treffen bzw. eine solche Normierung ganz zu unterlassen.193 Um dieses Ergebnis zu vermeiden, sind in bestimmter Hinsicht für die Konkretisierung offene Gesetze nicht nur zulässig, sondern im Umgang mit komplexen und dynamischen Sachverhalten sogar unvermeidbar.194

188 Vgl. Duttge, Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, 2001, S. 148 ff. 189 Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 164; Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 472; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 64. Allgemein wird es als ausreichend angesehen, wenn der Inhalt einer Norm mit der erforderlichen Bestimmtheit zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut herauszulesen ist, jedoch unter Heranziehung allgemein anerkannter Auslegungsgrundsätze ermittelt werden kann, vgl. BVerfGE 19, 17, 30; 58, 257, 277; 62, 203, 210; 80, 1, 20; 82, 209, 224 f.; Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 36. 190 BVerfGE 11, 234, 237; 21, 1, 4; 28, 175, 183; 49, 89, 137 – Kalkar. 191 BVerfGE 8, 274, 326; 14, 245, 251. 192 BVerfGE 49, 89, 137 – Kalkar. 193 BVerfGE 49, 89, 137 f. – Kalkar; Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 223. 194 Vgl. auch Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 36, 476; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 64; Schoch, Jura 2004, 612 ff.

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c) Gewaltenteilungsgrundsatz Auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung i.V. m. dem Vorbehalt des Gesetzes wird befürchtet. Denn grundsätzlich ist Gesetzgebung originäre Aufgabe des Parlaments.195 Nur dieses ist kraft seiner unmittelbaren Legitimation durch das Volk ermächtigt, über bedeutende Grundrechtseingriffe zu entscheiden. Im System der parlamentarischen Demokratie ist „Herrschaft des Volkes [. . .] identisch mit Herrschaft des Rechts“.196 Art. 80 Abs. 1 GG zeigt jedoch, dass die Legislative zu gewissen Delegationen auf die Exekutive ermächtigt ist. Nach dem Wesentlichkeitsgrundsatz muss der parlamentarische Gesetzgeber allerdings in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Umfeld der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen.197 Das heißt aber nicht, dass er zu jeder grundrechtsrelevanten Frage selbst in Form von Einzelfallregelungen Stellung nehmen muss. Dies ist ihm nämlich wie dargestellt nicht möglich. Daher ist es müßig, auf den Grundsatz der Gewaltenteilung zu verweisen, dessen Sinn und Zweck es ohnehin nicht ausschließlich ist, gegenseitige Kontrolle sicherzustellen, sondern auch eine sinnvolle und funktionale Aufgabenverteilung zu gewährleisten.198 Wo der Gesetzgeber aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Organisation schlicht nicht zur Regelung befähigt ist, muss ihm die Delegation gerade auf spezialisierte Fachbehörden möglich sein. Treffen diese dann eine eigene Entscheidung, muss allerdings sichergestellt sein, dass diese im Sinne des Gesetzgebers ausfällt.199 Er muss also in der Generalklausel die Entscheidungen der Exekutive und auch die der Judikative lenken. Dies geschieht durch das Aufstellen von Verfahrens- und Wertungsvorgaben. Dazu muss das Parlament vor allem die Schutzziele einer Regulierung vorgeben und die nachfolgenden Gewalten an diese binden. Aber auch Hinweise auf andere bei der Entscheidungsfindung berücksichtigungsfähige Sachgesichtspunkte – wie anzule195 Siehe dazu Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 157 f.; Murswiek, in: FS-Kriele, 1997, S. 651, 666 f.; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401, 402; Transfeld, Das Vorsorgeprinzip, 2006, S. 84 ff.; Wissmann, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, §15, Rn. 54. 196 Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46, 49; vgl. auch Reimer, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 9, Rn. 10. 197 BVerfGE 34, 165, 192 f.; 40, 237, 249; 41, 251, 260; 47, 46, 78 ff.; 48, 210, 221; 49, 89, 126 f. – Kalkar; 98, 218, 251; Stoll, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/ v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 113, 160; Ossenbühl, DÖV 1982, 833, 835, 838; Reimer, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 9, Rn. 47 ff. 198 BVerfGE 68, 1, 86; 98, 218, 251 f.; Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 187 f.; Wahl, NVwZ 1991, 409, 411; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2006, S. 179 f., Rn. 1. 199 Lukes, NJW 1978, 241, 245 f.; Ossenbühl, DÖV 1982, 833, 836 ff.; Reimer, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 9, Rn. 52 f.

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gende Maßstäbe und Abwägungsdirektiven – können erforderlich sein.200 Wichtiges Mittel der Entscheidungssteuerung durch den Gesetzgeber ist zudem die Regelung des Abwägungs- und Entscheidungsverfahrens.201 Verfahrensorganisation zur Sicherung sachgerechter und gemeinwohlorientierter Ergebnisse erfolgt dabei z. B. durch „Aufgabenzuweisungen, Auswahl- und Zuständigkeitsregelungen, Bildung von Organen und Kontrastorganen, Formen der Beteiligung, die Regelung von Verantwortungsbeziehungen und Kontrollrechten, Regeln über die interne Entscheidungsfindung, Informationsgenerierung und -verteilung, Distanz schützende Vorkehrungen.“202 Rechtliche Programmierung erfolgt so durch strukturelle Steuerung: Nicht die konkrete Entscheidung wird bestimmt, sondern der Prozess der Entscheidungsfindung und die Wertungskriterien bei der Problemlösung werden regulativ vorgegeben.203 Die so eröffneten Spielräume der Exekutive legitimieren sich durch deren eigenständige verfassungsrechtliche Stellung. Zudem ist auch die Delegationsentscheidung des Parlaments als unmittelbar demokratisch legitimierte Willensäußerung beachtlich.204 Auch dem Wesentlichkeitsgrundsatz ist Rechnung getragen, denn bei dem Gesetzgeber verbleibt das Wesentliche jeder Entscheidung: Die Festlegung des Schutzgutes, der Entscheidungskriterien und ihrer Gewichtung sowie des Entscheidungsverfahrens.205 Damit gilt: Solange es effektiv möglich ist, muss das Parlament Regelungen selbst treffen. An den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit allerdings, muss es definierte Spielräume für eigenständige exekutive Entscheidungen eröffnen. Zwecksetzungen, Abwägungsdirektiven, Organisations- und Verfahrensanordnungen müssen dabei gewährleisten, dass die Verwaltung eine Entscheidung im Sinne des Gesetzgebers trifft.206

200

Ossenbühl, DÖV 1982, 833, 836. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 465; Franzius, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 4, Rn. 50 ff. 202 Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Vosskuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 6, Rn. 44. 203 Franzius, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 4, Rn. 52; vgl. auch Murswiek, in: FS-Kriele, 1997, S. 651, 668. 204 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2006, S. 181 f., Rn. 5. 205 Krit. hierzu Wahl, VBlBW 1988, 387, 391 f.; Reimer, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 9, Rn. 56 ff., die eine „umgekehrte Wesentlichkeitstheorie“, deren zufolge alles Wesentliche nicht im Parlamentsgesetz enthalten sei, rügen. 206 Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 465; Lukes, NJW 1978, 241, 245 f.; Murswiek, VVDStRL 48 (1990), 207, 231; Ossenbühl, DÖV 1982, 833, 836 ff. 201

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d) Administrative Beurteilungsspielräume In komplexen Risikobereichen erfolgt also eine Entscheidungsdelegation auf die Exekutive. Diese trifft in einem speziell angeordneten Verfahren auf der Basis legislativer Vorgaben eine eigene wertungsabhängige Entscheidung.207 Sind administrative Entscheidungen bei entsprechenden Generalklauseln demnach nicht völlig prädisponiert, ist fraglich, ob das überprüfende Gericht an eine exekutive Entscheidung – also z. B. auch eine Verwaltungsvorschrift208 – gebunden ist oder ob es diese durch eine eigene ersetzen darf. Grundsätzlich sind unbestimmte Rechtsbegriffe zwar – anders als Ermessensentscheidungen – der vollen gerichtlichen Kontrolle unterstellt,209 jedoch wurden für spezielle Fallgruppen Ausnahmen von diesem Grundsatz entwickelt.210 Auch bei Risiko-211 und anderen Prognoseentscheidungen212 im Bereich der Vorsorge des Wirtschafts-, Umwelt- und Technikrechts erkennt die Rechtsprechung Einschätzungsprärogativen der Exekutive an, soweit Wertungen und Prognosen zu erfolgen haben, die durch besondere Unsicherheit gekennzeichnet sind oder wertenden Charakter mit politischem Einschlag haben.213 Die delegierten Entscheidungen in solchen Risikobereichen basieren nämlich zumeist auf komplexen Nutzen-Risiko-Bewertungen, die mehrere Entscheidungsmöglichkeiten als vertretbar erscheinen lassen, und sind damit wertungsabhängig.214 Selten gibt es die eine, richtige Ent207

Kahl, DVBl. 2003, 1105, 1118. Rechtstechnisch handelt es sich hierbei um reines Innenrecht der Verwaltung, mithilfe dessen Anweisungen in der Behördenhierarchie gegeben werden. Der Verwaltungsvorschrift kommt im Vergleich zur Rechtsverordnung grundsätzlich keine Bindungswirkung nach außen zu, BVerwGE 36, 91, 94; 55, 250, 255; 58, 45, 49 ff.; 61, 15, 18; Lange, NJW 1992, 1193, 1194, Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 1303 ff. 209 BVerfGE 13, 153, 164; BVerwGE 94, 307, 309; 100, 221, 225; Schoch, Jura 2004, 612, 615; Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 37. 210 Namentlich handelte es sich hierbei um Prüfungs- und prüfungsähnliche Entscheidungen (BVerfGE 57, 130, 147; 70, 4, 9 f.; 70, 143, 146; 75, 275; 84, 34 und 59; 88, 40, 56 ff.; 99, 74; 104, 203), beamtenrechtliche Beurteilungen (BVerfGE 39, 334, 354; BVerfG DVBl. 1981, 455, 458; BVerwGE 21, 127, 129 f.; 60, 245; 80, 224, 225 f.; 92, 147, 149; 97, 128, 129; 106, 263, 266 ff.; 111, 22, 23; 115, 58, 60; 123, 346; 128, 329) und wertende Entscheidungen pluralistisch besetzter Gremien mit Sachverständigen oder Interessenvertretern (BVerwGE 12, 20; 39, 197, 203 f.; 59, 213; 62, 330, 337 ff.; 72, 195; 91, 211, 215 f.; 99, 371, 377 f.). Vgl. auch die Darstellung bei Jestardt, in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 10, Rn. 46 ff. 211 Vgl. BVerwGE 72, 300, 316 f. – Wyhl; 78, 177, 180 f.; 81, 185, 190 ff.; BVerwG DVBl. 1999, 1138; BVerfGE 61, 82, 114 ff. – Sasbach. 212 BVerwGE 64, 238, 242; 70, 318, 328; 70, 346, 350 f.; 72, 38, 52 ff.; 72, 282, 286 ff.; 75, 214, 234; 79, 208, 213 ff.; 80, 113, 120; 82, 295, 299 ff.; 87, 332, 355 f.; BVerwG NJW 1988, 276, 277. 213 Vgl. BVerfGE 49, 89, 136 – Kalkar; BVerwGE 72, 300, 316 ff. – Wyhl; 81, 185, 190 ff. Gleichermaßen geht der EuGH (NVwZ 1992, 358, 359) von einem Beurteilungsspielraum der Kommission bei komplexen technischen Beurteilungen aus. 214 Murswiek, in: FS-Kriele, 1997, S. 651, 660; Kahl, DVBl. 2003, 1105, 1118. 208

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scheidung.215 Sind administrative Entscheidungen demnach nicht völlig prädisponiert, kann das Gericht die vertretbare Entscheidung einer Behörde inhaltlich nicht am Maßstab des Gesetzes überprüfen, sondern nur eine eigene vertretbare Entscheidung im Rahmen des eröffneten Spielraums treffen.216 Nach der normativen Ermächtigungslehre kommt es für die Bejahung eines nicht überprüfbaren Entscheidungsspielraums vor allem darauf an, ob eine Konkretisierungsbefugnis durch gesetzliche Delegation an die exekutiven Entscheidungsträger erfolgt ist.217 Um dies festzustellen, sind die ermächtigenden Gesetze auszulegen.218 Indiz für die Existenz eines spezifisch exekutiven Beurteilungsspielraums ist insbesondere die gesetzliche Anordnung eines speziellen behördlichen Entscheidungsverfahrens, besonders unter Beteiligung von Sachverständigen oder Interessenvertretern.219 Spezielle gesetzliche Organisationsformen und Verfahren der Exekutive stellen sicher, dass die Ermittlungs- und Abschätzungsprobleme angemessen im Sinne des Gesetzgebers gelöst werden. Richter sind an derartige Verfahren nicht gebunden, sodass durch ihre Urteile die gesetzlich gewollten Vorgaben zur Entscheidungsfindung unterlaufen werden können.220 Im Rahmen solcher Verfahren erlassene Verwaltungsvorschriften sind zudem nicht mehr nur durch die Wahrnehmung von Verwaltungsautonomie legitimiert, sondern durch vom Parlament erteilte Konkretisierungsmacht.221 Insofern liegt eine gewisse Rückanbindung an den gesetzgeberischen Willen vor, der die Bindungswirkung etwa von Verwaltungsvorschriften auch gegenüber den Verwaltungsgerichten rechtfertigen kann.222 Der sog. funktionsrechtliche Ansatz, 215 Franzius, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 4, Rn. 19. 216 BVerfGE 61, 82, 114 f. – Sasbach; BVerwGE 72, 300, 317 – Wyhl. 217 BVerwGE 62, 86, 98; 94, 307, 309; Schoch, Jura 2004, 612, 616; Jestardt, in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 10, Rn. 34; Schmidt-Aßmann, Das Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2006, S. 218 f., Rn. 67 f.; Wahl, NVwZ 1991, 409, 410 ff. 218 BVerwGE 62, 86, 98; Schoch, Jura 2004, 612, 616; Jestardt, in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 10, Rn. 45; Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 10, Rn. 94; SchmidtAßmann, Das Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2006, S. 218, Rn. 67; vgl. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 40 ff. Maurer (Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 34) bemängelt hierbei zu Recht, dass diese Auslegung unpräzise ist. Über das Vorliegen eines Beurteilungsspielraums entscheidet so letztlich wiederum das Gericht selbst. Der Gesetzgeber sollte daher nicht voll gerichtlich überprüfbare Beurteilungsspielräume klar ausweisen, etwa wie er dies auf Ermessensebene mit der Formulierung „kann“ tut. 219 Breuer, AöR 101 (1976), 46, 76 f.; Wahl, NVwZ 1991, 409, 411; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 286 f. 220 Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 286 f. 221 Breuer, AÖR 101 (1976), 46, 76 f.; Wahl, NVwZ 1991, 409, 411 ff.; SchulzeFielitz, JZ 1993, 772, 779. 222 BVerwGE 72, 300, 320 – Wyhl; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 375 f.; ders., DVBl. 1992, 1338, 1344.

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der zum großen Teil auch nur ergänzend zur normativen Lehre herangezogen wird, entscheidet über das Vorliegen von administrativen Beurteilungsspielräumen anhand der Leistungs- und Funktionsgrenzen von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie nach der „Natur der Sache“ einer konkreten Entscheidung.223 Schließlich ist die fachlich besetzte Exekutive fähiger, Risikoentscheidungen kompetent und sachnah zu treffen, als die nur sporadisch mit einer Materie befassten Gerichte.224 Auch das BVerfG geht davon aus, dass ein begrenzter Entscheidungsfreiraum dann in Betracht kommt, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe wegen der hohen Komplexität und Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Konkretisierung gerichtlich so schwer nachvollziehbar ist, dass die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenze der Rechtsprechung stößt.225 Lässt sich einem Gesetz die Ermächtigung zur abschließenden administrativen Beurteilung entnehmen, darf das Gericht diese nur eingeschränkt kontrollieren und ist im Fall des rechtmäßigen verwaltungsrechtlichen Tätigwerdens, z. B. durch Verwaltungsvorschrift, an dieses gebunden.226 Eine Aushöhlung der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG227 muss dadurch verhindert werden, dass die Gerichte genau die Richtigkeit der Abwägung, das Einbeziehen aller relevanten Aspekte, das ordnungsgemäße Verfahren, die korrekte Beteiligung aller Betroffenen usw. überprüfen.228 Nur wenn die Abwägungsentscheidung der Behörde im gesetzlichen Rahmen bleibt, also alle Zielvorgaben, Abwägungskriterien und Wertungen sowie Verfahrensregelungen berücksichtigt, ist sie rechtmäßig. Damit erhöhen sich insbesondere die gerichtlichen Anforderungen an ein rechtsförmiges Verfahren und eine ordnungsgemäße Begründung.229 Das heißt, es erfolgt „Grundrechtsschutz durch Verfahren“.230 223 BVerfGE 84, 34, 50; BVerwGE 72, 300, 317 – Wyhl; 106, 263, 267; vgl. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 76 ff. m. w. N.; Wahl, NVwZ 1991, 409, 411 f. 224 Vgl. VG Schleswig (NJW 1980, 1296, 1298 – Brokdorf), das davon ausgeht, die Überprüfung einer atomrechtlichen Beurteilung „würde alle zeitlichen Grenzen gerichtlicher Verfahren sprengen“. Siehe auch BVerwGE 72, 300, 317 – Wyhl; 75, 275, 279; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 281; Lukes, NJW 1978, 241, 245; Wahl, NVwZ 1991, 409, 411. 225 BVerfGE 84, 34, 50. 226 In der Wyhl-Entscheidung (BVerwGE 72, 300, 320) differenziert das BVerwG in diesem Zusammenhang zwischen norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften, die keine Außenwirkung entfalten, und normkonkretisierenden, die den gesetzlich eröffneten Entscheidungsspielraum der Exekutive füllen. 227 Vgl. hierzu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 34, 56 f.; Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 459 ff. 228 Vgl. BVerwGE 78, 177, 180 f.; Jestardt, in: Erichsen/Ehlers, AllgVerwR, § 10, Rn. 42; Schoch, Jura 2004, 612, 618; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 1125 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 34. 229 EuGH NVwZ 1992, 358, 359, Rn. 14; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 289; Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772, 776 f. Problematisch gestaltet

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e) Private Regelwerke Doch selbst die Exekutive ist mit einer abschließenden detaillierten Regulierung aller gefährlichen Lebensbereiche überfordert.231 Wegen der Komplexität, der Vielgestaltigkeit und Dynamik moderner Sachverhalte stößt auch sie mit ihren kognitiven Fähigkeiten, ihrem Fachwissen und ihrer Kapazität an Grenzen. Um einen dynamischen Grundrechtsschutz zu gewährleisten und das erforderliche Fachwissen einzubeziehen, ist sie daher auf Unterstützung der betroffenen Rechtskreise selbst angewiesen.232 Es wäre z. B. faktisch unmöglich, alle technischen Regeln des Deutschen Instituts für Normung e.V. (DIN) durch exekutive Rechtssetzung zu ersetzen. Privat geschaffene Regeln – vor allem technische Normen – gibt es in komplexen und unübersichtlichen technischen Materien in Konsequenz dessen viele.233 Allgemeine rechtliche Bedeutung können entsprechende Normen allerdings nur dann erlangen, wenn sie in die Willensbildung des Staates oder der Gemeinschaft aufgenommen werden. aa) Rechtssetzung Dies geschieht auf Normsetzungsebene mittels gesetzlicher Verweise. Es gibt normergänzende Verweisungen, die auf eine externe Regelung Bezug nehmen, um einen unvollständigen Tatbestand zu vervollständigen, und normkonkretisierende Verweisungen, mittels derer eine generell formulierte Rechtsnorm konkretisiert werden soll.234 Statische Verweisungen nehmen dabei auf genaue, nach sich allerdings der Umgang mit § 46 VwVfG, der Verfahrensfehler für unbeachtlich erklärt. Schon bei Ermessensentscheidungen wird die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern in Zweifel gezogen; vgl. Schoch, Verw. 1992, 21, 46. Gleiches muss auch bei Beurteilungsspielräumen gelten; Lange, NJW 1992, 1193, 1196. Di Fabio (Risikosteuerung im Rechtsstaat, 1994, S. 468) schlägt eine Anpassung von § 46 VwVfG an „die Bedingungen komplexer Risikoentscheidungen“ vor; vgl. auch Wahl, NVwZ 1991, 409, 416. 230 BVerfGE 53, 30, 65 – Mülheim-Kärlich. 231 Lukes, NJW 1978, 241, 243. 232 BVerfGE 49, 89, 137 ff. – Kalkar; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 113. Zusätzlich wird durch die Beteiligung der Adressaten die Normakzeptanz unter den Rechtsunterworfenen verbessert und die Praxistauglichkeit einer Norm sichergestellt; Holzer, Die Selbstnormierung im Lebensmittelrecht, 2000, S. 151; Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 186; Ruffert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 17, Rn. 19. 233 Vgl. nur die Regelwerke des Deutschen Instituts für Normung e.V. (DIN) sowie verschiedener Berufsgruppenvertretungen (z. B. Verband deutscher Elektrotechniker e.V. [VDE], Verband deutscher Ingenieure e.V. [VDI]). Auf europäischer Ebene haben das CEN (Comité Européen de Normalisation) und das CENELEC (Comité Européen de Normalisation Electrotechique) entscheidende Bedeutung; vgl. dazu Ruffert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 17, Rn. 89 ff.

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Datum und Blattnummer konkretisierte, externe Normen Bezug. Bei dynamischen Verweisungen gilt die jeweils aktuelle Fassung einer Norm.235 Bei jeder Art der Verweisung muss sichergestellt sein, dass keine grundlegenden Rechtssetzungsbefugnisse auf den privaten Regulierer übertragen werden. (1) Normergänzende Verweisungen Unproblematisch sind in diesem Zusammenhang statische normergänzende Verweisungen, die einen unvollständigen Gesetzestext um externe private Regelungen ergänzen, um die darin enthaltenen Festsetzungen nicht im Gesetz wiederholen zu müssen.236 Der Gesetzgeber kennt den Inhalt der technischen Norm und übernimmt diesen als eigenen Willen, ohne dass der externe Regulierer das Rezipierte nachträglich ändern kann.237 Problematisch im Hinblick auf das Demokratieprinzip wird die normergänzende Verweisung jedoch dann, wenn auf die technische Norm „in ihrer jeweils geltenden Fassung“ Bezug genommen wird. Dann kann ein nicht legitimierter Dritter, durch Änderung des Verweisungsobjekts, den allgemeingültigen und verbindlichen Gesetzestext beeinflussen. Dies stellt eigenmächtige Normsetzung dar und ist mit Hinblick auf das Demokratieprinzip verfassungswidrig.238 (2) Normkonkretisierende Verweisungen Bei der normkonkretisierenden Verweisung geht es nicht um die inhaltliche Vervollständigung einer Norm. Vielmehr ist die abstrakte Verhaltenspflicht abschließend im Gesetz festgelegt.239 Daran anknüpfend wird beispielhaft auf konkretisierende technische Normen verwiesen. So wird z. B. abstrakt festgelegt, 234 Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 209 und 217; Holzer, Die Selbstnormierung im Lebensmittelrecht, 2000, S. 152 ff., 161 ff. 235 Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 212; Holzer, Die Selbstnormierung im Lebensmittelrecht, 2000, S. 152; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401; Doepner, ZLR 2005, 679, 685. 236 Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 209 ff.; Holzer, Die Selbstnormierung im Lebensmittelrecht, 2000, S. 152 f.; Kloepfer/Elsner, DVBl. 1996, 964, 968; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401, 402. 237 Allerdings sollte auf eine umfassende Publikation des Inhalts der Verweisung geachtet werden, um den Erfordernissen des Rechtsstaates gerecht zu werden; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401, 406 f.; Breuer, AöR 101 (1976), 46, 61 f.; vgl. auch Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 556 f. 238 Breuer, AöR 101 (1976), 46, 65; Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 212 ff.; Holzer, Die Selbstnormierung im Lebensmittelrecht, 2000, S. 156 f.; Ossenbühl, DVBl. 1967, 401, 403 f.; Ruffert, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 17, Rn. 89. 239 Holzer, Die Selbstnormierung im Lebensmittelrecht, 2000, S. 161; Kloepfer/Elsner, DVBl. 1996, 964, 968 f.

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dass ein Verhalten dem Stand der Technik entsprechen muss, und im Anschluss wird als Beispiel für diesen Stand eine technische Norm genannt (z. B. DINNorm).240 Diese ist damit Hilfsmittel, um dem Normbefehl gerecht zu werden.241 Sieht man in dieser Verweisung nun keine unwiderlegbare Vermutung oder gesetzliche Fiktion, was der privaten Stelle Rechtssetzungsbefugnisse zusprechen würde, sondern eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die genannten technischen Normen den Stand der Technik beschreiben, ist die Gesetzgebung nicht an Private übertragen. Normkonkretisierende Verweise sind reine Beispiele, die dem Rechtsunterworfenen Möglichkeiten aufzeigen sollen, der abstrakten Verhaltensnorm zu entsprechen.242 bb) Rechtsanwendung Auf Rechtsanwendungsebene können private Regelwerke bei der Auslegung von Generalklauseln im Gerichts- oder Verwaltungsverfahren herangezogen werden, um abstrakte Vorgaben des Gesetzgebers auf den konkreten Fall herunter zu brechen.243 Sie haben dann Indiziencharakter, dienen als Auslegungs- und Entscheidungshilfe.244 Gerade in der mangelnden Bindung liegt dabei die Stärke von privaten Regelungen. Wird der aktuelle Stand von Wissenschaft und Forschung nicht adäquat in einer solchen Norm erfasst, etwa weil diese veraltet ist, können die Gerichte und Behörden über den festgeschriebenen Stand hinausgehen und so Sicherheit garantieren. Häufig findet man daher die Formulierung, die privaten Normen dienen als antizipierte Sachverständigengutachten.245 Denn der Richter oder die Behörde muss sich keines zusätzlichen Gutachtens bedienen, wenn er oder sie überzeugt sind, dass die technische Norm den Stand der Technik zutreffend wiedergibt.246 Generell trägt das Heranziehen

240 Herzog, ZStW 105 (1993), 727, 733; Holzer, Die Selbstnormierung im Lebensmittelrecht, 2000, S. 161; Ruffert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 17, Rn. 89. 241 Holzer, Die Selbstnormierung im Lebensmittelrecht, 2000, S. 162 ff. 242 Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 217; Kloepfer/Elsner, DVBl. 1996, 964, 968; Holzer, Die Selbstnormierung im Lebensmittelrecht, 2000, S. 163. 243 Böhm, Der Normmensch, 1996, S. 187; Holzer, Die Selbstnormierung im Lebensmittelrecht, 2000, S. 160; Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160, 204 f. 244 Eifert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 19, Rn. 63; Breuer, AöR 101 (1976), 46, 66; Holzer, Die Selbstnormierung im Lebensmittelrecht, 2000, S. 160. 245 BVerwG DVBl. 1978, 591, 594 f.; Kloepfer/Elsner, DVBl. 1996, 964, 967. Diese Konstruktion ist im Einzelnen umstritten, siehe Breuer, AöR 101 (1976), 46, 82 ff.; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 375 ff. 246 Holzer, Die Selbstnormierung im Lebensmittelrecht, 2000, S. 160.

III. Revisionsoffenheit

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privater Standards zur einheitlichen Auslegung von abstrakten Rechtsvorschriften bei und verbessert so die Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit. 247

III. Revisionsoffenheit Werden dem Vorsorgeprinzip gemäß detaillierte Schutznormen bereits dann erlassen, wenn die Schadensträchtigkeit eines Verhaltens oder Zustandes noch nicht zweifelsfrei nachgewiesen ist, so stellen getroffene Regelungen keine endgültigen Rechtsgestaltungen dar. Sie haben vielmehr zwangsläufig einen nur vorläufigen Charakter und müssen an die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst werden (Nachbesserungspflicht). Die Revidierbarkeit von – zumindest exekutiven – Entscheidungen ist daher klassisches Merkmal der Vorsorge. Diese Revisionsoffenheit korreliert aber mit dem Anspruch des Rechtsstaats, dauerhafte statische Regelungen zu treffen, um anhaltenden Rechtsfrieden herzustellen und den Bürgern Planungs- und Dispositionssicherheit zu geben. Namentlich die rechtsstaatlichen Institute des Bestands- und Vertrauensschutzes können im Umgang mit entsprechenden Risiken nur bedingt Berücksichtigung finden. Im Rahmen der Vorsorge büßt in diesem Zusammenhang vor allem der Verwaltungsakt nicht selten seine Bestandskraft248 ein.249 So führt z. B. die zwingende Formulierung des § 30 AMG zur Rücknahme bzw. zum Widerruf von Arzneimittelzulassungen dazu, dass vertrauensschützende Regelungen, die einer Rücknahme entgegenstehen, wie etwa § 48 Abs. 4 VwVfG, nicht anwendbar sind.250 Die Arzneimittelzulassung ist damit für einen Verwaltungsakt untypisch dynamisch und vorläufig.251 Nur so kann jedoch die verlässliche Anpassung an aktuelle wissenschaftliche Standards erfolgen. Denn hätte ein einmal erlassener staatlicher Akt uneingeschränkten Bestandsschutz, könnte sich z. B. ein Anlagenbetreiber, der einmal eine Genehmigung erhalten hat, Jahrzehnte auf diese berufen, auch wenn die Anlage aktuellen Sicherheitsanforderungen längst nicht mehr genügt.252 Hier muss der effektive Rechtsgüterschutz den Vertrauensinteressen des Begünstigten vorgehen.253 Dies ist auch 247

Vgl. Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 190. Grundsätzlich ist der Adressat eines Verwaltungsakts durch die §§ 48, 49 VwVfG geschützt, welche die Rücknahme bzw. den Widerruf unanfechtbarer Verwaltungsakte nur eingeschränkt – teilweise nur nach Zahlung von Entschädigungen oder auch gar nicht – zulassen. Das BVerfG sieht hierin eine wesentliche Verankerung des rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutzes in den Bestand verbindlicher Verwaltungsentscheidungen, BVerfGE 59, 128, 167. 249 Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 300. 250 Rehmann, AMG, § 30, Rn. 1; vgl. auch Anker, in: Deutsch/Lippert, AMG, § 30, Rn. 1, 13 ff. 251 Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 304 ff. 252 Murswiek, in: FS-Kriele, 1997, S. 651, 657 f. 253 Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 302 f. 248

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dem Risikoverursacher gegenüber nicht unbillig. Erstens wäre die Alternative zum Erlass einer begünstigenden Entscheidung mit eingeschränkter Bestandskraft nur das Unterlassen derselben. Zweitens ist jeder Gefahremittent für von ihm geschaffene Risiken verantwortlich und muss mit staatlichen Gefahrenabwehrmaßnahmen rechnen.

IV. Wachsende Beteiligung der Rechtsunterworfenen an staatlichen Schutzmaßnahmen Durch die Komplexität der Risikosteuerung kommt es automatisch zu einer „Verwissenschaftlichung“ der Rechtssetzung und -anwendung. Erfahrungswissen über linear überschaubare Gefahren, wie sie bei bekannten Gefahren regelmäßig beim handelnden Organ oder Amtsträger vorlagen, gibt es hier zumeist nicht mehr. Die in neuen, komplexen Sachverhalten interessierenden theoretischen Schadensprognosen sind regelmäßig Gegenstand von Wissenschaft und Forschung. Entsprechende Beurteilungen können nur von Experten vorgenommen werden und entziehen sich der laienhaften Bewertung. Daher ist der Staat zur Bewältigung moderner Risikorechtsmaterien in vielfältiger Weise auf die Unterstützung der Rechtsunterworfenen angewiesen. Häufig verfügen nur sie über die Kenntnisse und Informationen, die für eine angemessene Entscheidungsfindung erforderlich sind. Diese kognitive Abhängigkeit kann mit dem Demokratieprinzip kollidieren. Daher ist auf eine angemessene Organisation des privaten Einflusses auf staatliche Entscheidungen zu achten, die eine selbstständige und unabhängige Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben gewährleistet. 1. Beratung und deren Steuerung Durch die erforderliche fachliche Beratung in komplizierten Rechtsbereichen, beeinflussen Sachverständige und Lobbyvertreter die staatliche Willensbildung. Der parlamentarische Gesetzgeber greift bei der Ausarbeitung von Normen auf externe Berater zurück und zu deren Vollzug entsteht z. B. immer öfter sog. „Kondominialverwaltung“. Dabei handelt es sich um weisungsfrei arbeitende Gremien, in welchen privater Sachverstand und gesellschaftliche Partikularinteressen beteiligt sind und so in den staatlichen Entscheidungsprozess inkorporiert werden.254 Solche Inkorporierung wissenschaftlichen Sachverstands kann – genauso wie die Beteiligung Betroffener – zu Legitimationszwecken und vor dem Hintergrund des rechtsstaatlichen Effektivitätsgebotes erforderlich sein.255 Um 254 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2006, S. 264, Rn. 44. 255 Knipschild, Lebensmittelsicherheit als Aufgabe des Veterinär- und Lebensmittelrechts, 2003, S. 99.

IV. Wachsende Beteiligung der Rechtsunterworfenen

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dem Demokratieprinzip zu genügen, müssen allerdings die Verfahrensherrschaft und das Letztentscheidungsmandat beim Staat verbleiben.256 Vor diesem Hintergrund kommt der Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens abermals besondere Bedeutung zu. Vor allem ist die paritätische Besetzung wichtiger Beratungsund Entscheidungsgremien mit Experten unterschiedlicher Interessenrichtungen sicherzustellen. Beratende Sachverständigengremien müssen zudem transparent agieren, d. h., ihre Entscheidungen sollten durch offene Beratungen sowie Begründungs- und Dokumentationspflichten nachvollzogen werden können.257 Außerdem ist es vor allem auf Ebene der Gesetzgebung notwendig, die verschiedenen Kompetenzen von privatem Sachverstand und staatlichen Entscheidungsträgern klar voneinander abzugrenzen. Mittels wissenschaftlichem Sachverstand können nur die Tatsachenlage geklärt und eine Risikoermittlung vorgenommen werden. Die Reaktion auf die so ermittelte Situation liegt dann allerdings auf staatlicher Ebene. Sie ist geprägt von politischer Auseinandersetzung, Kompromissen und Abwägungen, da Gemeinwohlorientierung sicherzustellen und das gesellschaftlich gewünschte Schutzniveau zu definieren ist sowie die Rechte aller Beteiligten ausgeglichen werden müssen. Mit Schaffung des neuen Lebensmittelrechts hat der Gemeinschaftsgesetzgeber ein entsprechend abgeschichtetes System der Risikobewältigung, die sog. Risikoanalyse, als Grundlage der Maßnahmenauswahl im Lebensmittelrecht in Art. 6 Abs. 1 BasisVO kodifiziert.258 Sie gliedert sich nach Art. 3 Nr. 10 BasisVO in Risikobewertung, Risikomanagement und Risikokommunikation. Die Risikobewertung hat – als wissenschaftlich-technischer Erkenntnisprozess auf naturwissenschaftlicher Grundlage – nach Art. 6 Abs. 2 BasisVO auf den verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen zu beruhen. Zu deren Ermittlung darf und muss fachwissenschaftlicher Sachverstand hinzugezogen werden. Das auf der Grundlage der Risikobewertung stattfindende Risikomanagement ist nach Art. 3 Nr. 12 BasisVO ein politischer „Prozess der Abwägung strategischer Alternativen“. Hier dürfen Sachverständige und Lobbyvertreter keinen Einfluss haben. Das Konzept der Risikoanalyse bietet eine Struktur, innerhalb welcher sich der Staat und die Gemeinschaft des erforderlichen wissenschaftlichen Sachverstandes bedienen können, ohne Gesetzgebungskompetenzen an diesen abzugeben. Dies geschieht durch die klare organisatorische Trennung der verschiedenen Verfahrensschritte, insbesondere des Erkenntnis- und Entscheidungsverfahrens.259 256 Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 354 ff.; Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160, 175; Schuppert, DÖV 1995, 761, 769; Hill, DVBl. 1993, 973, 978; Trute, DVBl. 1996, 950, 955; Kloepfer/Elsner, DVBl. 1996, 964, 968. 257 Böhm, Der Normmensch, 1996, S. 231 ff.; Murswiek, VVDStRL 48 (1990), 207, 220 f.; Trute, DVBl. 1996, 950, 961. 258 Vgl. dazu Meyer, ZLR 2006, 675; Gundert-Remy/Henning, WiVerw 2004, 114, 122 ff.; Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, 2007, S. 106 ff.

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2. Selbstkontrolle der Wirtschaft Risikovorsorge ist keine originär staatliche Aufgabe. Vielmehr ist auch der private Gefahremittent für von ihm geschaffene Risiken verantwortlich. Es ist dem Staat daher unbenommen, in diesem Bereich gesellschaftliche Selbstregulierung zuzulassen bzw. anzuordnen. Dies wird oft auch erforderlich sein, denn die Dynamik und Vielgestaltigkeit moderner Problemlagen wird die Kapazitäten des staatlichen Kontrollapparats regelmäßig übersteigen. Allerdings hat er für ein hinreichendes Schutzniveau zu sorgen. Insofern trifft ihn eine Gewährleistungsverantwortung.260 Diese reicht je nach Grundrechtsrelevanz oder faktischen Gegebenheiten von der Erfüllungsverantwortung – vor allem, wenn es um die Wahrnehmung des Gewaltmonopols geht –261 bis zur Verantwortung für die Überwachung, Organisation, Information usw.262 So ist z. B. die Selbstüberwachung von Produktionsprozessen möglich. Die Unternehmer nutzen hierbei durch zuvor akkreditierte Prüfer zertifizierte Systeme, um die Sicherheit ihrer Produkte zu garantieren.263 Der Staat beschränkt sich daran anknüpfend auf eine Kontrolle der Eigenkontrolle und greift nur noch durch Plausibilitätsüberprüfungen und Stichproben sowie bei der Überschreitung gewisser Eingriffsschwellen ein.264 Dies ist aus Effektivitätsgesichtspunkten sinnvoll, solange die Qualität der Akkreditierung und Zertifizierung gewährleistet ist.265 Da die Un259 Die Stadien der Risikobegegnung werden personell und örtlich strikt getrennt. So werden die Aufgaben der Risikobewertung auf nationaler Ebene vom BfR (Bundesamt für Risikobewertung) und auf europäischer Ebene von der EFSA, der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, vorgenommen, während das Risikomanagement dem BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) bzw. der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz, einem Teil der Europäischen Kommission, obliegt; vgl. dazu Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, 2007, S. 110 ff., 121 f. 260 Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160, 172; Schuppert, DÖV 1995, 761, 768 f.; Pitschas, DÖV 2002, 221, 225; vgl. Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 12, Rn. 51 ff.; Eifert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 19, Rn. 52 ff. 261 Wissmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 15, Rn. 58. 262 Differenzierte Auflistung bei Schuppert, DÖV 1995, 761, 768. 263 Hufen, ZLR 1993, 233, 243 ff. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang insbesondere das HACCP-Konzept, durch welches in Lebensmittel erzeugenden Betrieben die Beherrschung spezifischer Gesundheitsgefahren sichergestellt werden soll. Dies geschieht systematisch durch die Festlegung sog. kritischer Kontrollpunkte, also Produktionspunkte, an welchen Risiken entstehen können, und ihre systematische prozedurale Überwachung. Vgl. ausführlich zu diesem Konzept Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, 2007, S. 51 ff. 264 Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235, 243. 265 Vgl. zu dieser Form der Überwachung etwa Hufen, ZLR 1998, 1, 9; Eifert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 19, Rn. 38.

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terwerfung unter öffentlich anerkannte Qualitätssicherungssysteme die Haftung für Ausreißer ausschließt, hat die Wirtschaft ein eigenes originäres Interesse an dokumentierter und kontrollierbarer Sicherheit.266 Auch strukturell richtet der Gesetzgeber private Organisationen auf das Gemeinwohl aus. Er unternimmt, z. B. mit dem Stufenplanbeauftragten im Arzneimittelrecht,267 den Versuch, in wirtschaftlichen Strukturen Stellen einzuführen, die aus der entsprechenden Organisation heraus Gemeinwohlziele verfolgen. Solche persönlich verantwortlichen Beauftragten sollen nach dem Willen des Gesetzgebers sicherstellen, dass die gesetzlichen Vorgaben zuverlässig eingehalten werden und dienen so dem Vollzug von Normen.268 Hier wird die Trennung des gemeinwohlorientierten Staates einerseits vom eigennützigen Wirtschaftssubjekt andererseits faktisch aufgelöst.269

3. Kooperatives Verwaltungshandeln Traditionelles Staatsverständnis ist geprägt vom Dualismus Staat-Gesellschaft. Denn Grundrechte setzen – um unmittelbar anwendbar zu sein – die Trennung von Gesellschaft und Staat voraus.270 Im Bereich der Risikosteuerung findet nun aber eine Durchmischung dieser Pole statt.271 Während bei dezidierten gesetzlichen Vorgaben kein Raum für eine Kooperation mit dem Rechtsunterworfenen bleibt, können weniger bestimmte Normen und Generalklauseln Möglichkeiten zur Verhandlung und Abstimmung eröffnen.272 Beim Normvollzug, der Kontrolle und Überwachung, besteht so die Möglichkeit der Kooperation mit den Rechtsunterworfenen. Für eine solche Zusammenarbeit besteht auch ein gewisser Bedarf, denn häufig ist der Staat auf Informationen der Betroffenen angewiesen273 oder bedarf ihrer Mithilfe, um eigene Ressourcen zu 266

Hufen, ZLR 1998, 1, 9. Vgl. § 63a AMG bzw. Art. 48 Verordnung (EG) Nr. 726/2004. 268 Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235, 245 ff.; Eifert, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 19, Rn. 104. 269 Ähnliche Beispiele sind die Handelsüberwachungsstellen an der Börse nach § 7 BörsG und die Öko-Audits für Unternehmen nach der Verordnung (EG) Nr. 761/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS), ABl. L 114 vom 24.4.2001, S. 1. 270 Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235, 253. 271 Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 10, Rn. 106 f.; Franzius, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 4, Rn. 48. 272 Dauber, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 67, 90 f. 273 Ipsen, VVDStRL 48 (1990), 177, 193; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2006, S. 176 f., Rn. 121; Hill, DVBl. 1993, 973, 976. 267

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D. Gefahrenabwehrrecht bei modernen Risiken

schonen.274 So wäre es etwa faktisch unmöglich, die zur Bewertung von Arzneimitteln im Rahmen der Zulassung erforderlichen Informationen über Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Verträglichkeit behördlich zu erheben. Auch effektives „Risikomanagement“, etwa im Rahmen von Qualitätssicherungssystemen, kann effektiver und besser vom Risikoverursacher selbst vorgenommen werden. In solchen Konstellationen stößt der idealtypische gefahrenabwehrrechtliche Verwaltungsakt an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit.275 Risikovorsorge kann hier nicht mehr subordinatorisch erzwungen werden, sondern bedarf eines planerischen und konzeptionellen Vorgehens.276 Die Beteiligten sind dabei in wechselseitige Rechtsverhältnisse eingebunden, aus welchen kontinuierlich Rechte und Pflichten erwachsen.277 Es bilden sich netzwerkartige Strukturen zwischen Regierung, Administration, Wissenschaft und Unternehmen.278 Vor allem kooperatives Verwaltungshandeln gewinnt an Bedeutung. Darunter versteht man Vorverhandlungen wie Verständigungen, Absprachen, Abstimmungen, Arrangements und ähnliche Kooperationen.279 Der Staat agiert nicht mehr interventionistisch, sondern verstärkt interaktiv.280 Dies entspricht dem gewandelten Selbstverständnis der Verwaltung, die Unterstützung und Zusammenarbeit anbieten möchte.281 Im Zusammenhang mit dieser Abkehr von formellen Handlungsformen besteht aber die Gefahr der Umgehung gesetzlicher Vorgaben und der Loslösung 274 Dauber, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 67, 80 f. 275 Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 299; ders., in: BeckerSchwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 47, 49; vgl. auch Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 12, Rn. 64. 276 Knipschild, Lebensmittelsicherheit als Aufgabe des Veterinär- und Lebensmittelrechts, 2003, S. 108. 277 Kutscha, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 13, 19; Transfeld, Das Vorsorgeprinzip, 2006, S. 41. 278 Dazu ausführlich Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 16, Rn. 134 ff.; vgl. auch Pitschas, DÖV 2002, 221, 225. 279 Wobei unter Vorverhandlungen Sondierungsgespräche im Vorfeld großer, kostenintensiver Projekte zwischen Investoren und Behörden zu verstehen sind, die Aufschluss über die Erfolgschancen eines etwaigen Genehmigungsverfahrens geben sollen, bevor diesbezüglich größere Ausgaben erfolgen. Arrangements gehen darüber hinaus und treffen Regelungen, denen eine schwache Verbindlichkeit zukommt. Agreements dagegen sind schriftlich festgehaltene Absprachen, denen daher etwas mehr Gewicht und Verbindlichkeit zukommt. Vgl. ausführlich zu den Definitionen Bulling, DÖV, 1989, 277, 279 ff. 280 Pauly, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 25, 26. 281 Dauber, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 67, 82.

V. Fazit

69

von der Gesetzesbindung.282 Verhält sich die handelnde Behörde jedoch verfassungskonform, nutzt sie kooperative Verhaltensformen nur, um gesetzliche Spielräume zu gestalten und erfüllt bindende Vorgaben. Der gesetzlich geregelte Fall des Verwaltungsvertrages zeigt schließlich, dass auch konsensuale Handlungen im Verwaltungsrecht möglich sind.283 Allerdings bleibt die Gefahr der reduzierten gleichen und allgemeinen Teilhabe, der Exklusivität und Nichtöffentlichkeit.284 Vor allem die Positionen von Drittbetroffenen können durch interne Verhandlungen beschnitten werden.285 Ein effektiver Rechtsschutz kann zudem beeinträchtigt werden, wenn informelle Verfahren wenig dokumentiert und vielschichtig sind und somit eine gerichtliche Sachverhaltsaufklärung erschwert wird.286 Dem kann nur durch Transparenz, Dokumentation und frühzeitige Information aller potenziell Betroffenen und Interessierten sowie – bei großen Projekten von öffentlichem Interesse – auch der Öffentlichkeit entgegengewirkt werden.287

V. Fazit An diesen Beispielen zeigt sich deutlich, dass moderne Risiken tatsächlich einer neuen rechtlichen Erfassung bedürfen. Insofern trifft die Analyse Becks, der ein neues Schutzsystem gegenüber modernen Gefahren forderte, zu. Qua Verfassung muss der Staat seine Bürger vor Verletzungen ihrer Rechtsgüter und Rechte schützen. Die staatliche Normierung darf daher nicht so ausgestaltet sein, dass dieser Schutz nicht erreicht werden kann. Wegen der schwierig nachweisbaren Kausalitätsbeziehungen darf diese, um Rechtsgüter zu schützen, nicht mehr an die Verursachung eines Schadens anknüpfen, sondern muss sich dem Gedanken der Vorsorge entsprechend auf (mutmaßlich) gefährliches Verhalten beziehen. An der damit verbundenen Vorverlagerung führt wegen der bestehenden Schutzpflichten kein Weg vorbei. Die Komplexität und Dynamik der modernen Risiken erfordert weiterhin eine detaillierte Erfassung durch Regulie282 Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 190, 235 ff.; krit. auch Kutscha, in: BeckerSchwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 13, 19; Bauer, VerwArch 78 (1987), 241, 254 ff. 283 Vgl. Bulling, DÖV, 1989, 277, 278 f. 284 Morlok, VDDStRL 62 (2003), 37, 40; Eifert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 19, Rn. 60. 285 Dauber, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 67, 83; Bauer, VerwArch 78 (1987), 241, 254 f.; Schmidt-Aßmann, Das Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2006, S. 352 f., Rn. 131. 286 Dauber, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 67, 83 f.; Bauer, VerwArch 78 (1987), 241, 255. 287 Schmidt-Aßmann, Das Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2006, S. 352 f., Rn. 131.

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D. Gefahrenabwehrrecht bei modernen Risiken

rung auf unterschiedlichen staatlichen Ebenen. Formale Gesetze können die Probleme nicht alleine lösen. Sie enthalten in der Regel Generalklauseln, die durch exekutives Recht und auch private Regelwerke im konkreten Einzelfall handhabbar gemacht werden. Die Beteiligung von Privatrechtssubjekten an der staatlichen Gefahrenabwehr wächst in vielerlei Weise. Die Rechtswirklichkeit hat so auf den neuen Steuerungsbedarf reagiert. Erfolgte Gefahrenabwehr früher hauptsächlich durch konkrete Einzelfallmaßnahmen nach den Polizei- und Ordnungsgesetzen, existiert heute ein differenzierteres System. Der parlamentarische Gesetzgeber bedient sich darin vor allem der Leistungsfähigkeit und Ressourcen anderer Stellen, um mit den Gefährdungslagen der Risikogesellschaft Schritt halten zu können. Allerdings muss auch heute – trotz der Eingliederung der Exekutive in die Gesetzgebung und des privaten Sektors in den Normvollzug – das Primat des Rechts aufrechterhalten werden, um wesentlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben – insbesondere den Anforderungen des Demokratieprinzips – gerecht zu werden. Dazu bedarf es moderner Regulierungstechniken. Nicht mehr die formalrechtliche Erfassung weiter Lebensbereiche wird mit diesen intendiert, sondern die Steuerung individueller Risikoentscheidungen auf verschiedenen Ebenen durch verschiedene Organe. Dem Gesetzesvorbehalt muss in diesem Zusammenhang dadurch Rechnung getragen werden, dass eine Struktur der Risikoentscheidung mit Zielvorgaben aufgezeigt wird. Zwecksetzungen, Abwägungsdirektiven, Organisations- und Verfahrensanordnungen müssen eine Entscheidung der handelnden Exekutivorgane im Sinne des Gesetzgebers gewährleisten. So wird eine Gemeinwohlausrichtung erzwungen. Es entsteht eine prozedurale Bereichssteuerung.288 Die Staatsaufgabe Sicherheit wandelt sich dadurch von der Wahrung und Wiederherstellung eines störungsfreien Zustandes im Einzelfall, zu einer zukunftsbezogenen, die Gefahrenabwehrentscheidungen (auch durch Private) regelförmig programmierende Risikosteuerung. In diesem Zusammenhang sind Schlagworte wie „Rückzug des Staates“ falsch, denn der Staat entäußert sich seiner Verantwortung nicht, sondern organisiert ihre Wahrnehmung anders. Damit wird lediglich die Modalität der Erfüllung modifiziert, nicht aber die Gewährleistung an sich infrage gestellt.

288 Di Fabio, ZLR 2003, 163, 167; Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 1, Rn. 17 ff.

E. Strafrecht in der Risikogesellschaft Im Strafrecht bereitet das grundlegende Problem des oft nicht nachweisbaren Kausalitätsbezuges zwischen mutmaßlich gefährlichem Verhalten und konkreter Gefahr oder Schaden besondere Schwierigkeiten. Schließlich dominieren im Strafrecht zumeist die vollendeten Erfolgsdelikte, die eben diese Kausalität als notwendig voraussetzen. Wegen des in dubio pro reo-Grundsatzes führen Erkenntnisdefizite fast zwangsläufig zum Strafausschluss. Vor diesem Hintergrund erscheint das hergebrachte Strafrecht für den Umgang mit neuen ungewissen Risiken ungeeignet. Entsprechende Probleme zeigten sich besonders deutlich in der hier gewählten Referenzmaterie: der Produktverantwortlichkeit. Große Produktskandale der letzten Jahrzehnte konnten etwa im Contergan-,289 Holzschutzmittel-,290 oder Ledersprayprozess291 strafrechtlich kaum angemessen erfasst werden. Daher hält Beck eine Modifikation des Strafrechts zur effektiven Bekämpfung moderner Risiken für unvermeidbar. Das Strafrecht müsse – so Beck – effektiver und umfassender werden und die Beschränkung auf das Verursachungsprinzip aufgeben.292 Dieser Forderung ist besonders die sog. Frankfurter Schule – prominent vertreten vor allem durch Hassemer und seine Frankfurter Strafrechtskollegen und Schüler293 – entgegengetreten. Unter dem Schlagwort des „Risikostrafrechts“ kritisiert sie die Entwicklung und strukturelle Veränderung des Strafrechts als Reaktion auf die oben beschriebene veränderte gesellschaftliche, ökonomische, technische und wissenschaftliche Ausgangslage in der Beck’schen Risikogesellschaft294 und fordert einen Rückzug des Strafrechts. Als

289

LG Aachen JZ 1971, 507 mit Bespr. Armin Kaufmann, JZ 1971, 569. BGHSt 41, 206; LG Frankfurt ZUR 1994, 33 mit Bespr. Schulz, ZUR 1994, 26; ders., JA 1996, 185; Braum, KritV 1994, 179. 291 BGHSt 37, 106 = JZ 1992, 253 mit Anm. Hirte = JR 1992, 27 mit Anm. Puppe; vgl. auch die Anm. von Schmidt-Salzer, NJW 1990, 2966; Kuhlen, NStZ 1990, 566; Samson, StV 1991, 182; Brammsen, Jura 1991, 533; Meier, NJW 1992, 3193; Beulke/Bachmann, JuS 1992, 737; Hassemer, JuS 1991, 253. 292 Beck, Gegengifte, 1988, S. 11. 293 Vgl. nur Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994; ders., ZRP 1992, 378; P. A. Albrecht, KritV 1988, 182; ders., KritV 1993, 163; Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991; Naucke, KritV 1993, 135; Prittwitz, Strafrecht und Risiko, 1993; ders., StV 1991, 435; Hohmann, Das Rechtsgut der Umweltdelikte, 1991; ders., GA 1995, 497 f. 294 Frehsee, StV 1996, 222, 227; ders., NK 1999, 16 ff.; ders., Der Rechtsstaat verschwindet, 2003, S. 253, 266; vgl. auch Prittwitz, Strafrecht und Risiko, 1993. Der 290

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

Ausprägung eines modernen „Risikostrafrechts“, welches sich vom Liberalismus verabschiede und stattdessen unter dem Deckmantel der Sicherheit über alle Maßen in die Rechte der Bürger eingreife, wird von Hassemer vor allem eine strafrechtliche Produktverantwortlichkeit abgelehnt.295

I. Die Kritik der Frankfurter Schule am „Risikostrafrecht“ In der Tradition eines „klassischen“ Strafrechts bemüht sich die Frankfurter Schule um eine umfassende Kritik moderner Tendenzen im „Risikostrafrecht“. Unter „klassischem“ Strafrecht versteht sie dabei ein Strafrecht der Aufklärung und der bürgerlichen Gesellschaft, welches vor allem die Freiheit und Rechte der Täter im Auge hat. Ein Strafrecht, das – geschaffen vor der Globalisierung, der Massenproduktion und mancher moderner Technik – stark an Kausalitäten und Naturgesetze anknüpft. Als präzises und sachlich eng definiertes Konditionalprogramm wolle das „klassische“ Strafrecht begangenes Unrecht punktuell vergelten. Es sei im Sinne eines liberalen Rechtsstaatsverständnisses geprägt durch Bestimmtheit, Subsidiarität sowie die Vorstellung vom Verletzungsdelikt als „Normalform deliktischen Handelns“.296 In der Risikogesellschaft wachse aber das Bedürfnis nach Sicherheit und damit der Wunsch nach einem effektiven und möglichst lückenlosen Strafrecht. Um dem nachzukommen, gehe eine Funktionalisierung und Entformalisierung des Strafrechts vonstatten. Rechtsgüterschutz werde vermehrt durch den Verzicht auf das Erfolgserfordernis bei systematischer Fokussierung auf das riskante Verhalten, durch Universalrechtsgüterschutz sowie Vorverlagerung und Ausweitung des Strafrechts betrieben. Bestmögliche Prävention und nicht angemessener Schuldausgleich stünde im Mittelpunkt. So führe die umfassende Ausrichtung an den Gedanken von Prävention und Folgenorientierung weg von der Gleichmäßigkeit und der punktuellen sowie subsidiären Unrechtsvergeltung als ultima ratio.297 Für ein rechtsstaatliches Strafen wichtige Grundsätze, wie das Bestimmtheitsgebot, das Analogieverbot, die verfahrensrechtliche Legalität, die Rechtsgutsorientierung und das Schuldprinzip als Eingriffsgrenze, würden mehr und mehr aufgeweicht. Das moderne Strafrecht breche aus den traditionellen

Begriff „Risikostrafrecht“ geht wohl zurück auf Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 36. 295 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 74. 296 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 3; ders., ZRP 1992, 378, 379; vgl. dazu auch Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 31. 297 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 8; ders., Strafrecht, 2008, S. 41, 46 ff.; ders., ZRP 1992, 378, 381; ders., in: GS-Schlüchter, 2002, S. 133, 148 ff.; ders., JuS 1987, 257, 260 ff.; vgl. auch Frehsee, NK 1999, 16 ff.; Calliess, NJW 1989, 1338, 1340.

I. Die Kritik der Frankfurter Schule am „Risikostrafrecht‘‘

73

dogmatischen Bezügen aus, um Strafe in der modernen Gesellschaft flexibler, einfacher und damit beliebiger einsetzen zu können. So werde Strafe zum Instrument der Kriminalpolitik und funktionalisiere sich allein vom Sicherheitserfolg her.298 Das Strafrecht entformalisiere sich damit zugunsten umfassender Ahndung von abweichendem Verhalten.299 Mehr und mehr neuer Problemfelder, die von den Tatbeständen des klassischen Strafrechts nicht erfasst werden, wie „Umwelt-, Wirtschafts-, Datenverarbeitungs-, Drogen-, Steuer-, Außenhandels-, überhaupt organisierte Kriminalität“,300 nehme sich der Strafgesetzgeber dabei an. Nach einer länger zurückliegenden Phase der Entsanktionierung seien im Dienste der Sicherheit in den letzten Jahrzehnten in diesen Bereichen viele Tatbestände geschaffen worden. Das Strafrecht – vor allem das Nebenstrafrecht – breite sich infolgedessen wie ein Ölfleck in alle gesellschaftlichen Bereiche aus, sei vom Recht der Ordnungswidrigkeiten und der polizeilichen Gefahrenabwehr kaum noch abgrenzbar und so weder in der Lage, schwere Beeinträchtigungen individueller Freiheitssphären theoretisch angemessen hervorzuheben noch praktisch verhältnismäßig zu bestrafen.301 Es verkomme vielmehr zum willkürlichen Mittel der gesellschaftlichen Konfliktlösung und bleibe nicht als schärfstes Instrument des Staates ultima ratio.302 Mittel der Strafbarkeitserweiterung und damit Hauptangriffsobjekt ist nach der Frankfurter Schule das abstrakte Gefährdungsdelikt. Bemängelt wird in diesem Zusammenhang die „moderne“ Fokussierung weg von der Rechtsgutsverletzung hin zur mutmaßlich gefährlichen Handlung.303 Der Erfolg sei das entscheidende Kriterium zur Strafrechtsbegrenzung und daher sei das Erfolgsdelikt die „Normalform deliktischen Handelns“304. Im „Risikostrafrecht“ werde jedoch mehr und mehr auf abstrakte Gefährdungsdelikte zurückgegriffen. Diese schüt-

298

Hassemer, in: AK-StGB, Vor § 1, Rn. 481; ders., in: FS-Roxin, 2001, S. 1001,

1008. 299 Hassemer, in: GS-Schlüchter, 2002, S. 133, 138; ders., Strafrecht, 2008, S. 219, 220 f., 2.4. ff.; P. A. Albrecht, StV 1994, 265, 269 ff.; Frehsee, Der Rechtsstaat verschwindet, 2003, S. 253, 266 f.; vgl. auch Kunz, in: GS-Schlüchter, 2002, S. 727, 728 f. 300 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 10; ders., ZRP 1992, 378, 381. 301 Naucke, KritV 1993, 135; vgl. auch dens., Tendenzen in der Strafrechtsentwicklung, 1975, S. 46 ff. Naucke plädiert für eine komplette Zweckfreiheit des Strafrechts und damit für eine absolute Strafzwecksetzung. Ein solches zweckloses Strafrecht ist aber mit den Vorgaben der Verfassung nicht vereinbar; vgl. Freund, AT, § 1, Rn. 4. 302 Vgl. Hassemer, in: FS-Roxin, 2001, S. 1001, 1007. 303 Frehsee, StV 1996, 222, 227; ders., Der Rechtsstaat verschwindet, 2003, S. 275, 277 ff. 304 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 3; ders., ZRP 1992, 378, 379; ders., Strafrecht, 2008, S. 239, 254.

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

zen zudem häufig nicht wie üblich Individual-, sondern Universalrechtsgüter.305 Damit einher gehe eine systemwidrige Vorverlagerung und Ausweitung der Strafbarkeit. Zweiter Hauptangriffspunkt der Frankfurter Schule ist die Entstehung eines „symbolischen Strafrechts“. Das Strafrecht könne die komplexen modernen Probleme aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Struktur (Schuldgrundsatz, Verursachungsprinzip, Bestimmtheitsgebot usw.) gar nicht lösen.306 Viele neue Strafrechtsgebiete, wie das Wirtschafts- oder Umweltstrafrecht, könnten die Lebenssachverhalte kaum erfassen und daher keinen Beitrag zum Rechtsgüterschutz leisten. Vielmehr seien sie reine Symbole, Maßnahmen der Innenpolitik, Imagepflege des Gesetzgebers.307 Diese Entwicklungen sind aus Sicht der Frankfurter Schule fatal. Die Modernisierung habe – so die Quintessenz – die verfassungsmäßigen Grenzen des Systems Strafrecht überschritten und nun sei es notwendig, die „modernen Entwicklungen [. . .] mit den strafrechtlichen Traditionen“ zu synthetisieren.308 Propagiert wird die Rückkehr zu einem „klassischen“ Strafrecht: Die nach der Meinung der Frankfurter Schule zu ausufernden Straftatbestände – vor allem abstrakte Gefährdungsdelikte und solche mit unpräzisen universellen Schutzgütern wie die Umweltdelikte – seien – zumindest partiell – zurückzunehmen und Strafrecht sei auf einen Kernbestand (vor allem individualrechtsgüterschützender Verletzungsdelikte) zurückzustutzen.309 Dieser Kernbestand könne dann als ultima ratio effektiv und schlagkräftig die gewichtigsten Rechtsgutsverletzungen erfassen und ahnden. Da ein solcher Kernbestand „klassischen“ Strafrechts moderne Risiken mit ungewissen Wirkungen und nicht geklärten Kausalitätsbeziehungen nicht erfassen könne, müsse sich das Strafrecht hier generell zurückziehen. Man müsse akzeptieren, dass Strafrecht keinen Beitrag zur Regelung dieser Lebensbereiche leisten könne.310 Insbesondere habe sich das Strafrecht „mit seinem Ausgriff auf die Produkthaftung übernommen“,311 denn Strafrecht könne keinen rechtmäßigen und nützlichen Beitrag zur Produktsicherheit leisten.312

305

Hassemer, Strafrecht, 2008, S. 226, 227. Hassemer, in: GS-Schlüchter, 2002, S. 133, 146 f. 307 Hassemer, NStZ 1989, 553, 558; ders., in: GS-Schlüchter, 2002, S. 133, 151. 308 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 2; ders., ZRP 1992, 378, 379. 309 P. A. Albrecht, KritV 1993, 163, 180 f.; Hassemer, ZRP 1992, 378, 383; ders., Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, 20 ff.; Hohmann, Das Rechtsgut der Umweltdelikte, 1991, S. 196 ff., 216 f. 310 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 13 f.; ders., ZRP 1992, 378, 382. 311 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 74. 312 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 76. 306

II. Stellungnahme

75

Teile der Frankfurter Schule stützen ihre Forderung nach Rückzug des Strafrechts nicht nur auf dogmatische Bedenken, sondern negieren auch ein Bedürfnis für Strafrechtsschutz. Moderne Risiken werden bagatellisiert und der vergleichsweise hohe Sicherheitsstandard moderner Industriegesellschaften wird in den Mittelpunkt der Erwägungen gestellt.313 Herzog etwa konstatiert, das ausufernde Gefährdungsstrafrecht sei lediglich Antwort auf diffuse Ängste und ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis angesichts des Verlustes traditioneller Bezüge und fester innerer Überzeugungen.314 Der Zuwachs an nicht legitimierbaren abstrakten Gefährdungsdelikten führe dazu, dass die Gesellschaft mit Risiken nicht mehr autonom umgehen könne, zerstöre somit die Fähigkeit zu gesellschaftlicher Selbstregulierung und sei damit kontraproduktiv.315

II. Stellungnahme Lobenswert ist die kritische Auseinandersetzung der Frankfurter Schule mit modernen Tendenzen im Strafrecht insoweit, als sie die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Strafe verdeutlicht und Grenzen strafrechtlicher Leistungsfähigkeit aufzeigt. In der Risikogesellschaft, die aufgrund ihrer Fokussierung auf mögliche Schäden Gefahr läuft, alleine die Sicherheit in den Mittelpunkt ihrer Erwägungen zu stellen und darüber hinaus wichtige freiheitliche Aspekte aus den Augen zu verlieren droht, ist die Verdeutlichung verfassungsrechtlicher Grenzen rechtsstaatlichen Strafens zu loben. So nimmt z. B. Beck das Strafrecht vor allem als Antagonist einer effektiven staatlichen Risikoerfassung und Risikosteuerung wahr.316 Er konstatiert in diesem Zusammenhang: „[D]as individuell ausgelegte Verursacherprinzip [. . .] schützt die Verursacher, die es zur Verantwortung ziehen soll“ und die Rechtsprechung verwandele „mit ihren hochgestochenen bürokratischen Rechtsansprüchen nahezu perfekte Alltäterschaft in Freispruch“.317 Im Umgang mit den Problemen der modernen Risikogesellschaft sei unser Rechtssystem „im vollen Glanz seiner demokratischen Pracht und richterlichen Unabhängigkeit von seinen Entscheidungsprinzipien her zum

313 Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 50 ff. Bezeichnend für die teilweise recht einseitige Sicht der Dinge ist, dass alleine darauf rekurriert wird, dass heute ein nie zuvor da gewesener Sicherheitsstandard erreicht wurde. Dass Gleiches auch für die Verwirklichung von persönlicher Freiheit gilt, wird zumeist nicht weiter thematisiert. 314 Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 54, 58; ähnlich auch F. X. Kaufmann, in: Bayerische Rückversicherungs AG, Gesellschaft und Unsicherheit, 1987, S. 37. 315 Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 62 f., 64 f., 72. 316 Beck, Politik in der Risikogesellschaft, 1991, S. 15. 317 Beck, Gegengifte, 1988, S. 11.

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

Leerlauf einer symbolischen Entgiftung verurteilt“.318 Davon ausgehend fordert Beck für ein modernes Risikorecht besonders die Veränderung von Beweislasten und die Neukonzeption des Verursacherprinzips. In Anbetracht dessen erscheint die Verdeutlichung verfassungsrechtlicher Grundprinzipien aus der Sicht der Strafrechtswissenschaft lohnend. Das Strafrecht darf gegen wesentliche verfassungsrechtliche Grundlagen – wie die personelle Zurechnung, überhaupt das Schuldprinzip und die Begrenzung des Strafrechts auf den Schutz von Rechtsgütern – nicht verstoßen. Die Kritik der Frankfurter Schule ist jedoch insoweit, als sie jegliche Entwicklung im Strafrecht als Ausprägung eines verfassungswidrigen und ineffektiven „Risikostrafrechts“ ablehnt, in ihrer Absolutheit wenig nachvollziehbar. Ihre Skepsis gegenüber Prävention und Folgenorientierung stellt wichtige Errungenschaften moderner Strafrechtsdogmatik – wie die konsequente Ausrichtung des Strafrechts am Gedanken des Rechtsgüterschutzes – infrage. Zudem ist die von Hassemer gezogene Konsequenz, das Strafrecht müsse sich aus modernen Lebensbereichen wie der Herstellung gefährlicher Produkte zurückziehen, weder wünschenswert noch zwingend. Das Strafrecht ist grundsätzlich ein wirkungsvolles und damit wichtiges Instrument eines effektiven Rechtsgüterschutzes. Auf ein solches kann – auch und gerade im Umgang mit modernen und besonders komplexen Risiken – nicht pauschal verzichtet werden.319 Denn anders als Herzog behauptet, besteht gerade hier ein reelles und berechtigtes Sicherheitsbedürfnis. Neue Gefahrenquellen, wie z. B. Strahlenbelastung oder Gentechnik, über die wir wenig wissen und die wir kaum steuern können, dürfen nicht bagatellisiert werden. Zu beachten ist vielmehr, dass selbst bei geminderter Gefahrenquantität durchaus ein erhöhter staatlicher Sicherungsaufwand entstehen kann, wenn die existierenden Risiken qualitativ höher sind und nicht mehr durch den betroffenen Einzelnen wirksam abgewendet werden können.320 In diesem Zusammenhang bemängelt z. B. Schünemann, dass eine zu liberale Strafrechtsauffassung mit der ihr immanenten Selbstbeschränkung, Erfolgshaftung und Individualrechtsfixierung den Gefahren einer postmodernen Massenkultur mit ihren ungeahnten zerstörerischen technischen Möglichkeiten zu wenig entgegenzusetzen habe. Zu weit gehender Individualismus etwa führe dazu, dass – zugespitzt von Schünemann formuliert – „die albernste Laune des egoistischsten Individuums höher eingestuft [werde] als die Lebensbedingungen der künftigen Generationen“.321 Neben dem besonderen Bedürfnis nach Sicherheit im Bereich moderner und komplexer Risiken gebietet auch der Gleichbehandlungsgrundsatz eine angemessene strafrechtliche Erfassung.322 Mit der von der 318 319 320 321

Beck, Gegengifte, 1988, S. 220, Hervorhebung im Original. Schmidt/Schöne, NJW 1994, 2514, 2516. Vgl. dazu oben unter A.II. Schünemann, GA 1995, 201, 207.

III. Gang der Untersuchungen

77

Frankfurter Schule geforderten Beschränkung des Strafrechts wäre nämlich ein Rückzug aus Wirtschafts-, Produkt- und Umweltkriminalität verbunden, der skrupellose Unternehmer, Schreibtischtäter und Produzenten privilegieren würde. Ein derart beschränktes Strafrecht beließe es bei der Bestrafung unorganisierter, zumeist desintegrierter Täter von Gewalt- und Eigentumsdelikten. Gerade diese Ungleichbehandlung von white und blue collar crime jedoch ist seit Jahren ein zentraler kriminologischer und kriminalpolitischer Kritikpunkt am herkömmlichen System.323

III. Gang der Untersuchungen Hier sollen im Folgenden die beiden zentralen Kritikpunkte der Frankfurter Schule näher betrachtet und auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden. Nach grundlegenden Ausführungen zur Funktion und Legitimation der Strafe wird sich die Arbeit zunächst mit dem Problem der Legitimation abstrakter Gefährdungsdelikte und anschließend mit dem Vorwurf der Ineffizienz des Strafrechts in modernen Lebenswelten befassen. Davon ausgehend soll im Bereich der strafrechtlichen Produktverantwortlichkeit nach einer verfassungskonformen und effektiven Regelung gesucht werden, die einen gerechten Ausgleich von Freiheit und Sicherheit gewährleistet. Damit soll der Gegenbeweis zu Hassemers These, Strafrecht könne keinen rechtmäßigen und effektiven Beitrag zum Schutz vor modernen Risiken leisten, am Beispiel strafrechtlicher Produktverantwortlichkeit angetreten werden. Dies soll verdeutlichen, dass eine strafrechtliche Erfassung riskanter Produkte sinnvoll möglich ist, ohne in Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Strafrechts zu treten. Gelingt es, ein solches widerspruchsfreies und effektives Straftatsystem zu konstruieren, in welchem Strafe auch bei der Schaffung moderner Risiken schuldangemessen zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsgüterschutzes verhängt werden kann, ist der Kritik der Frankfurter Schule der Boden entzogen. Ein verfassungskonformes Strafrecht, welches auch moderne Probleme erfasst, ist allemal besser, als ein klassisches Strafrecht, das sich aus modernen Lebenswelten, in welchen Schutzbedarf besteht, zurückzieht. Zur Klärung der hiermit verbundenen Fragen ist der Begriff des „Risikostrafrechts“ jedoch wenig weiterführend. Immerhin hat sich Strafrecht seit jeher mit Risiken befasst. Bei den meisten aktuellen Fragestellungen handelt es sich um klassische Probleme der Reichweite und Begrenzung von Strafe. Es ist zu klären, wie mit Zurechnungsproblemen umzugehen ist, wie bestimmt Straftatbestände zu sein haben, inwieweit auf einen Erfolgsbezug verzichtet werden kann, 322 Vgl. auch Colussi, Produzentenkriminalität und strafrechtliche Verantwortung, 2003, S. 92, 93 ff. 323 Kaiser, Kriminologie, § 72 m.w. N.

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

wodurch sich strafrechtliches Unrecht auszeichnet usw. Heute stellen sich diese Fragen aufgrund der zunehmenden Komplexität der Lebenssachverhalte lediglich mit verstärkter Präsenz. Im Kern muss es bei jeder rechtsstaatlichen Maßnahme jedoch heute wie immer darum gehen, einen angemessenen Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen. Nötig ist eine verhältnismäßige Lösung von Problemen, die beiden wichtigen und berechtigten Blickwinkeln Rechnung trägt. Weder die Frankfurter Schule, die zu einseitig auf die Freiheit der Bürger rekurriert und dadurch die berechtigten Sicherheitsbelange vernachlässigt, noch die Forderungen Becks, die genau andersherum die Freiheitsrechte aus den Augen verlieren, können letztlich zu angemessenen Ergebnissen führen.

IV. Funktion und Legitimation von Strafe Bevor auf einzelne Fragen der modernen Strafrechtsentwicklung und der Kritik der Frankfurter Schule eingegangen wird, soll im Folgenden die den weiteren Ausführungen zugrunde liegende dogmatische Konzeption von Funktion und Legitimation der Strafe dargestellt werden. Die Überlegungen dazu bilden die Grundlage für die Lösung der sich stellenden Einzelprobleme. 1. Präventiver Rechtsgüterschutz durch Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnorm Allgemein besteht Einigkeit, dass Strafrecht, um verfassungsmäßig gerechtfertigt zu sein, dem Rechtsgüterschutz324 dienen muss.325 Ein zweckgebundenes Strafrecht ist insofern stets vom Rechtsgüterschutz her zu funktionalisieren. Anders als die Frankfurter Schule, die in Prävention und Folgenorientierung einen Irrweg des „Risikostrafrechts“ sieht, baut das hier zugrunde gelegte Straftatkonzept entscheidend auf diesen Gedanken auf und bemüht sich, gerade dadurch praktisch sinnvolle und rechtsstaatlich akzeptable Ergebnisse zu erzielen. Ein 324 Vgl. zum Rechtsgutsbegriff Amelung, Rechtsgüter und Schutz der Gesellschaft, 1972; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 21 ff., 138 ff.; Funcke-Auffermann, Symbolische Gesetzgebung im Lichte der positiven Generalprävention, 2007, S. 95 ff.; Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, 1991, S. 41 ff.; Hohmann, Das Rechtsgut der Umweltdelikte, 1991, S. 5 ff.; Jakobs, AT, 2/12 ff.; siehe auch Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, 1999, S. 120 ff. m.w. N. 325 Hassemer/Neumann, in: NK-StGB, Vor § 1, Rn. 108 ff.; Rudolphi, in: SK-StGB, Vor § 1, Rn. 2, 26. Lfg., Juni 1997; Gropp, AT, § 1, Rn. 122; Kratzsch, Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985, S. 92; Schünemann, GA 1995, 201, 212, 218; Roxin, AT 1, § 2, Rn. 1 ff.; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 24 f.; Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, 1999, S. 11 ff. m.w. N. Krit. zur Legitimation durch den Rechtsgüterschutz Walter, in: LK-StGB, Vor § 13, Rn. 9 ff.; ders., in: LK-StGB, Einl., Rn. 7 f. jew. m.w. N.

IV. Funktion und Legitimation von Strafe

verfassungskonformes Strafrecht muss demnach präventiv wirken und orientiert sein. Denn Schuldausgleich um seiner selbst Willen, der Rechtsgut dient, ist als ungerechtfertigter Eingriff in Freiheitsrechte sungswidrig.326 Das Strafrecht ist insofern an seinen Folgen – also am güterschutz – auszurichten und zu messen.

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folgenkeinem verfasRechts-

Allerdings kann Strafe konkret gefährdeten Rechtsgütern nicht unmittelbar helfen. Denn sie greift erst dann ein, wenn die Tat bereits verübt wurde. In diesem Zeitpunkt ist die Rechtsgutsgefährdung regelmäßig bereits beendet, oft ist sogar schon ein Schaden am Schutzgut eingetreten. Das Opfer ist beispielsweise bereits tot oder an seiner Gesundheit geschädigt. Diese Verletzung kann nun – nachträglich – nicht mehr verhindert werden. Sie ist auch nicht mehr ungeschehen zu machen. Dem in concreto verletzten Rechtsgut nützt die repressive Bestrafung des Schädigers nichts.327 Der Schutz von Rechtsgütern ist unmittelbar nur präventiv, d. h. vor Eintritt eines Schadens möglich. In diesem Zeitpunkt können rechtsgüterschädigende Verhaltensweisen unterbunden werden, ehe sich durch sie geschaffene Gefahren realisieren. Mittel einer entsprechenden Verhaltenssteuerung sind Verhaltensnormen. Diese verbieten unerlaubt gefährliches bzw. gebieten rechtlich gesolltes gefahrenabwendendes Verhalten zum Schutz von Rechtsgütern.328 In diesem System kommt den Verhaltensnormen die zentrale Bedeutung für den Rechtsgüterschutz zu. Dieser kann nämlich nur dann erreicht werden, wenn alle Individuen normwidrige rechtsgutsgefährdende Freiheitsausübungen vermeiden – also ihr Handeln (Tun und Unterlassen) an den Rechtsgüter schützenden Verhaltensnormen ausrichten. Von der Geltung der Verhaltensnormen hängt somit die Sicherheit der konkreten Schutzgüter ab) Der Normbrecher aber stellt durch den Normverstoß eben diese Geltung überindividuell geistig infrage. Er negiert durch sein Fehlverhalten die allgemeine Gültigkeit der übertretenen Verhaltensnorm, indem er zu erkennen gibt, dass diese für ihn keine Bedeutung hat. Solche negativen Beispiele für künftige Normkonflikte führen über kurz oder lang zu einem Normverfall.329 Um dies zu vermeiden, muss die an der 326 Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 34 ff.; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 82 f.; Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 46; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 209 f. 327 Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 63; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 80 f.; Gropp, AT, § 1, Rn. 82; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 211. 328 Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 59; Mir Puig, in: FS-Herzberg, 2008, S. 55, 61 ff.; vgl. zur Verhaltensnorm auch Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, 2000, S. 43 ff.; Dietmeier, Blankettstrafrecht, 2002, S. 16 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 85 ff. 329 Vgl. Freund, AT, § 1, Rn. 8; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 82 f., 88 f.; ferner Jakobs, ZStW 107 (1995), 843, 849.

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Verhaltensnorm festhaltende Gesellschaft auf deren Geltung insistieren und dem Normbruch klar widersprechen.330 Als ein Mittel solchen Widerspruchs hat sich die Strafe etabliert.331 Schutzgut der Sanktionsnorm ist damit die Geltungskraft von Verhaltensnormen.332 Diese Normgeltung ist das rettungsfähige Gut, das auch dann noch existiert, wenn es für das durch die übertretene Verhaltensnorm geschützte Rechtsgut schon zu spät ist. Das Strafrecht schützt Rechtsgüter somit nur mittelbar,333 durch den Widerspruch zum Verhaltensnormverstoß, der die Gefahr eines Normgeltungsschadens bannt.334 Aus dem Dargelegten folgt zwingend: Verhaltens- und Sanktionsnorm müssen klar voneinander getrennt und auf ihre Legitimierbarkeit hin untersucht werden.335 Dabei ist die Frage nach der Existenz von rechtsgüterschützenden Ver- und Geboten der Frage nach etwaigen Folgen einer Zuwiderhandlung notwendig vorgelagert. Nur ausgehend von der Feststellung, dass sich ein Mensch so wie geschehen nicht hätte verhalten dürfen, kann die logisch nachrangige Frage nach der Reaktion auf ein solches Fehlverhalten beantwortet werden. Das Strafrecht ist folglich eine sekundäre Normenordnung.336 Es verbietet strafbare Verhaltensweisen nicht selbst, sondern ist auf eine vorgelagerte Missbilligung durch Verhaltensnormen angewiesen. In diesem Sinne ist den knapp gehaltenen Formulierungen der meisten Straftatbestände gar keine präzise und abschließende Beschreibung von Ver- und Geboten zu entnehmen. Die entsprechende 330 Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 65; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 107 f.; Jakobs, AT, 1/10, Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 211 f., 220. 331 Vgl. auch Jakobs, AT, 1/2 f., 9 ff.; ders., ZStW 107 (1995), 843, 844; Kindhäuser, GA 1994, 197, 201; ders., Gefährdung als Straftat, 1989, S. 31. 332 Freund, AT, § 1, Rn. 7; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 82 ff.; ders., in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 64, 136; Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 48; ders., in: Eser/Kaiser/Weigend, Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, 1992, S. 201, 241; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 20, 30, 132 ff.; ders., GA 1994, 197, 200 ff.; vgl. auch Jakobs, AT, 1/3, 1/11, 2/2; ablehnend Kratzsch, GA 1989, 49, 51 ff. 333 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 2; ders., in: MKStGB, Vor § 13, Rn. 67; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 93 f.; Gropp, AT, § 1, Rn. 82, 94; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 134 f.; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 212; Sieber, ZLR 1991, 451, 468; Vogel, GA 1990, 241, 254; ders., StV 1996, 110, 111, 113; Colussi, Produzentenkriminalität und strafrechtliche Verantwortung, 2003, S. 60. 334 Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 68; vgl. auch Jakobs, ZStW 107 (1995), 843, 844 f. 335 So auch Lüderssen, in: FS-Herzberg, 2008, S. 109, 121; Kindhäuser, GA 1994, 197, 200 ff.; Renzikowski, in: Alexy, Juristische Grundlagenforschung, 2005, S. 115 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 59 ff.; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 25 ff., 46 ff., 51 ff.; Murmann, in: FS-Herzberg, 2008, S. 123. 336 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 51 f.; Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 221 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, 1988, S. 112 ff.; siehe auch BVerfGE 90, 145, 183 f. – Cannabis.

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Verhaltensnormfrage ist vom Strafrecht unabhängig. So ahndet etwa § 222 StGB ein Verhalten, durch das fahrlässig der Tod eines Menschen verursacht wird. Welches Verhalten genau in diesem Sinne fahrlässig ist – z. B. das Fahren eines Pkw mit einer bestimmten Geschwindigkeit – ergibt sich keinesfalls aus dem Wortlaut. Die Missbilligung des jeweiligen Verhaltens erfolgt vielmehr in entsprechenden Verhaltensnormen, die sich im eben gebildeten Beispiel unter Zuhilfenahme der StVO bilden lassen. Einem so begründeten Fehlverhalten widersprechen Sanktionsnormen sodann durch die Strafe und unterstreichen so die Geltung der übertretenen Verhaltensnorm.337 Der sekundäre Charakter des Strafrechts zeigt sich deutlich vor allem im Nebenstrafrecht, z. B. an der Struktur von AMG und LFGB. Im 10. Abschnitt des LFGB und im 17. Abschnitt des AMG knüpfen Strafvorwürfe unmittelbar an die in voranstehenden Abschnitten selbstständig kodifizierten Ge- und Verbote an. 2. Legitime Verhaltensnorm a) Angemessener Rechtsgüterschutz Damit eine Verhaltensnorm zu legitimieren ist, muss sie dem Rechtsgüterschutz dienen und einen legitimen Ausgleich aller betroffenen Güter und Interessen darstellen.338 Dies ist nur dann der Fall, wenn die in Rede stehende Verhaltenssteuerung geeignet, erforderlich und angemessen ist, ein Rechtsgut zu schützen. Eine Norm, die es verbietet, bestimmte Schädigungsmöglichkeiten zu schaffen, oder es gebietet, solche abzuwenden, lässt sich als Einschränkung der Handlungsfreiheit insbesondere nur dann rechtfertigen, wenn sie bei Abwägung aller betroffenen und verfolgten Interessen als angemessener Beitrag zum Schutz von Rechtsgütern verstanden werden kann. Zur Legitimation einer Verhaltensnorm ist also eine Güter- und Interessenabwägung erforderlich. Es ist zu klären, was unter Berücksichtigung aller betroffenen Belange – insbesondere der Integritätsinteressen des möglichen Opfers und der Freiheitsinteressen des potenziell Normunterworfenen – adäquaterweise zur Vermeidung der konkreten Schädigungsmöglichkeit ge- oder verboten werden kann.339

337 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 114; ders., AT, § 1, Rn. 34; Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 223. 338 Mir Puig, in: FS-Herzberg, 2008, S. 55, 63 f.; Freund, in: FS-Herzberg, 2008, S. 225, 229 f.; Renzikowski, in: Alexy, Juristische Grundlagenforschung, 2005, S. 115, 124 f. 339 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 52; ders., AT, § 1, Rn. 17 ff.; ders., in: FS-Herzberg, 2008, S. 225, 229 f.

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b) Legitimationsperspektive Da die Verhaltensnormen eine Person zu einem Tun oder Unterlassen motivieren sollen, müssen ihre Voraussetzungen in der jeweiligen Handlungs- oder Unterlassenssituation auch erkennbar sein. Ist der potenziell Normunterworfene nicht in der Lage, das Risiko zu erkennen oder zu steuern, so ist es sinnlos, ihn mittels der Verhaltensnorm dazu anzuhalten. Sinnlose Normen aber sind nicht zu rechtfertigen. Daher sind die Legitimationsaspekte aus der Sicht des potenziell Normunterworfenen – ex ante – zu betrachten.340 Im Interesse des Rechtsgüterschutzes kann es allerdings nicht auf vermeidbare Fehleinschätzungen des Täters ankommen, denn dann wäre das Rechtsgut im Falle des unsorgfältig die Gefahr Verkennenden schutzlos. Insofern ist vielmehr ein Beurteilungsmaßstab erforderlich, bei dem die individuellen Verhältnisse der konkreten Person angemessen berücksichtigt werden.341 Es kann danach keine Verhaltensnormen geben, die bei objektiver Beurteilung der von dem potenziellen Verhaltensnormadressaten vorgefundenen Lage von diesem etwas verlangen, was er selbst bei Normbefolgungsbereitschaft nicht zu leisten vermag. Die nach seinen individuellen Verhältnissen vermeidbaren Irrtümer des potenziell Normunterworfenen über die Gefährlichkeit schließen die Legitimierbarkeit aber nicht aus. Insbesondere die Eignung einer Verhaltenssteuerung zur Schadensvermeidung, die grundlegende Voraussetzung jeder Verhaltensnormlegitimation ist, beurteilt sich so aus der ex ante-Position des Handelnden. Dieses Vermeiden einer Schädigungsmöglichkeit ist der Sachgrund für die Verhaltensreglementierung.342 Möglich ist eine Schädigung dann, wenn Schäden aus der maßgeblichen Perspektive nicht ausgeschlossen werden können. Das heißt auch bei komplexen und ungewissen Schädigungspotenzialen, bei welchen eine Verletzung von Schutzgütern denkbar, wenngleich (noch) nicht sicher ist, liegt eine Schädigungsmöglichkeit vor.343 Dann ist zumindest die Grundvoraussetzung für die Legitimation einer Verhaltensnorm gegeben. Ob eine solche im Ergebnis tatsächlich legitimiert werden kann, hängt allerdings noch von weiteren Voraussetzungen – insbesondere der Erforderlichkeit und der Angemessenheit – ab.

340 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 56 f., 60; ders., AT, § 2, Rn. 23 ff.; ders., GA 1991, 387, 390 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 76, 124 f., 358; vgl. auch Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 431. A. A. Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 60 ff., 169 ff. 341 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 55 f.; ders., in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 164 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 128 ff., 357 f. 342 Vgl. dazu auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 55 f. 343 Siehe auch Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 54.

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c) Keine reinen Verursachungsverbote Im Hinblick auf die Funktion von Verhaltensnormen, Güterschutz durch angemessene Verhaltensreglementierung zu betreiben, sind diese keine „Verursachungsverbote“, die lediglich die Herbeiführung eines Erfolges untersagen.344 Denn der Rechtsunterworfene könnte diesen nur entnehmen, welches Resultat er vermeiden soll, nicht aber, wie er dies bewerkstelligen kann. Damit einher ginge eine Überforderung und unangemessene Reichweite der Strafbarkeit.345 Vor allem in komplexen und unübersichtlichen Lebensbereichen kann der Agierende nämlich oft weder konkret absehen, ob und in welchem Ausmaß sein Verhalten Schäden hervorzurufen vermag, noch weiß er, wie er die Realisierung der geschaffenen Risiken wirksam verhindern kann. So würde etwa das Steuern eines Kraftfahrzeugs, das immer gewisse Gefahren mit sich bringt, bei der alleinigen Geltung von Verursachungsverboten ein unüberblickbares Strafbarkeitsrisiko begründen. Denn selbst der absolut verkehrsgerecht Fahrende verstieße gegen ein Verbot, Körperverletzungen zu verursachen, wenn er mit seinem Kfz eine Person schädigt. Reine Verursachungsverbote führten so zu einer uferlosen Ausdehnung der Strafbarkeit, da fast alles ursächlich für einen Erfolg werden kann, etwa auch die oft beispielhaft zitierte Zeugung des Täters oder das Verschenken einer tödlich verlaufenden Flugreise an den Onkel.346 Nur konkrete Verhaltensanweisungen, die genaue Handlungsge- oder -verbote beschreiben, ermöglichen dagegen eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ohne die ständige Gefahr, sich strafbar zu machen. Solche Verhaltensregeln helfen dem Normunterworfenen, sich für andere in angemessenem Maße gefahrenvermeidend zu verhalten.347 Hält sich also der Autofahrer im Beispiel an die Verkehrsregeln, kann ihm kein Vorwurf gemacht werden, an den Strafe anknüpfen könnte. Wer sich verhaltensnormkonform verhält, hat somit nichts zu befürchten. Reine Verursachungsverbote, welchen der Einzelne keine verletzungsvermeidenden Verhaltensanweisungen entnehmen kann, gäben dagegen Rechtsgüter preis, wären als Grundlage von Straftatbeständen zu unbestimmt und belasten den Normunterworfenen über Gebühr mit der Haftung auch für unvermeidbare oder unverschuldet bewirkte Schäden.

344 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 10 mit Fn. 10, S. 122 ff.; ders., GA 1991, 387, 390; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 40. A. A. Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 53, 59, 61, 132, 225, et passim. 345 Freund, AT, § 1, Rn. 13 f., Fn. 19; vgl. auch Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 41. 346 Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 81 f.; Freund, AT, § 1, Rn. 14, Fn. 19. 347 Vgl. hierzu auch die Erläuterungen von Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung und materieller Rechtsgüterschutz, 1986, S. 58 und Grasso, ZStW Beiheft 1987, 57, 85 f.

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Verursachungsverbote sind auch deshalb abzulehnen, weil sie ineffektiv sind. Der Gesetzgeber kann auf einen Schaden rein faktisch keinen Einfluss nehmen. Darauf, ob eine Person etwa an einer Verletzung verstirbt oder nicht, hat die Existenz einer entsprechenden Verbotsnorm keinen Einfluss. Das Einzige, was für den Gesetzgeber beeinflussbar ist, ist das menschliche Verhalten, welches zu entsprechenden Verletzungen führen kann. Daran muss die staatliche Steuerung daher konsequenterweise anknüpfen.348 Legitimierender Grund für ein Verhaltensver- oder -gebot ist somit nicht die Erfolgsursächlichkeit. Vielmehr rechtfertigt sich die Einschränkung der persönlichen Freiheit, die mit Ge- oder Verboten verbunden ist, durch die unerlaubte Schädigungsmöglichkeit für Rechtsgüter, die durch ein Verhalten begründet oder nicht abgewendet wird. Ob sich eine solche unerlaubte Schädigungsmöglichkeit letztlich in einem Schaden realisiert, ist für die Verhaltensnormbegründung irrelevant.349 Die reine Erfolgsverursachung kann damit auch nicht Grundlage der Strafe sein, da die Strafe die Verhaltensnormgeltung schützen soll. d) Tatbestand als Rechtsquelle Verhaltensnormen können – müssen aber nicht – in Gesetzen niedergelegt sein. Vielmehr indiziert die positivistische Normierung einer Verhaltensnorm lediglich deren Legitimität.350 Wegen des nullum crimen-Satzes muss sich die Strafbewehrung von Verhaltensnormen jedoch in jedem Fall aus den Straftatbeständen herleiten lassen.351 Es muss gegen eine deliktspezifische Verhaltensnorm verstoßen werden, damit Strafe verhängt werden darf.352 Denn Strafnormen knüpfen nur an manche Verhaltensnormen an und bestimmen so, auf welche Verhaltensnormverstöße unter welchen weiteren Voraussetzungen mit den Mitteln des Strafrechtes reagiert werden soll.353 Die Auswahl der erfassten Verhaltensnormen, die ihrerseits unabhängig vom Straftatbestand nach dem eben Erläuterten legitimiert werden müssen, erfolgt durch die Schilderung eines tatsächlichen, zumeist schadensträchtigen Geschehensablaufes im Straftatbestand. Erfasst werden so all die Verhaltensnormen, die zur Vermeidung genau dieses 348 Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 76 f., Fn. 90; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973, S. 71; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 25; Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, 1992, S. 180 f.; Freund, AT, § 1, Rn. 14, § 2, Rn. 24, 28 ff., § 5, Rn. 16 ff. 349 Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 82 ff. 350 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 34. 351 Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 136; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 112 ff., 119 f.; ders., in: FS-Küper, 2007, S. 63, 64. 352 Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 115, 281. 353 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 114; ders., AT, § 1, Rn. 34; Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 223.

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Geschehensablaufes legitimiert sind.354 So sind alle jene Verhaltensnormen, welche die Vermeidung der im Tatbestand beschriebenen Schädigungsmöglichkeiten bezwecken, erfasst. Zum Beispiel beschreiben § 212 oder § 222 StGB ein Geschehen, in welchem ein Mensch zu Tode kommt. Damit nehmen diese Straftatbestände Bezug auf Verhaltensnormen, die sich durch die Vermeidung von Schädigungsmöglichkeiten für das menschliche Leben (bei gegebener Sonderverantwortlichkeit)355 legitimieren lassen. Das gilt etwa für das Verbot, ein Gewehr in Richtung auf einen Menschen abzufeuern, oder das Verbot, in fahruntüchtigem Zustand ein Auto zu steuern. Der Straftatbestand weist somit in der Regel nur das Schutzgut und den Grad seiner Beeinträchtigung aus und definiert dadurch hinreichend bestimmt die Reichweite der Strafbewehrung spezifischer Verhaltensnormverstöße. Beispielsweise ergibt sich eine entsprechende Strafbewehrung für in Bezug auf fremdes Menschenleben fahrlässiges Verhalten klar und eindeutig aus § 222 StGB. Dagegen wäre es eine Überforderung des Strafgesetzgebers, festlegen zu sollen, welche Verhaltensweisen in ganz bestimmten Situationen als fahrlässig in Bezug auf fremdes Menschenleben zu qualifizieren sind. Diese Aufgabe der Konkretisierung von Verhaltensnormen ist im Interesse des angemessenen Rechtsgüterschutzes von dem potenziellen Normadressaten in der entsprechenden Situation selbst zu leisten. Im Zurückbleiben des Betreffenden hinter dem von ihm rechtlich zu Erwartenden liegt gerade der – im gewählten Beispiel fahrlässige – Verhaltensnormverstoß. Aufgabe der Strafgerichte bei der Strafrechtsanwendung ist es demnach zu klären, ob ein solches personales Fehlverhalten des in dieser Hinsicht Angeklagten begründet und deshalb angenommen werden kann.356 Nur dann lässt sich Strafe legitimieren. Beachtet man den genauen Regelungsumfang von Straftatbeständen, sind sie ein abstraktes Instrumentarium, das ganz verschiedene konkrete Verhaltensweisen zu erfassen und so auch einer sich ständig ändernden Lebenswirklichkeit gerecht zu werden vermag.357 3. Verhaltensnormverstoß durch geistige Infragestellung Tauglicher Anknüpfungspunkt für Strafe im Rechtsgüterschutzstrafrecht ist der Verhaltensnormverstoß, der einen Normgeltungsschaden verursacht. Ein Verhaltensnormverstoß setzt einen geistigen Widerspruch zur Verhaltensnorm voraus, welcher deren Geltung infrage stellt. Um vom geistigen Infragestellen sprechen zu können, muss ein durch das Individuum vermeidbarer Verstoß ge354

Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 114; ders., AT, § 1, Rn. 36. Zu dieser hier nicht weiter thematisierten Strafvoraussetzung vgl. ausführlich Freund, AT, § 2, Rn. 16 ff. 356 Vgl. dazu Freund, in: FS-Küper, 2007, S. 63, 64 f.; Näheres auch unten unter E.VI.2.e)dd)(2). 357 Vgl. zum Vorteil eines solchen Abstraktionsniveaus unten E.VI.e)aa). 355

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gen eine Verhaltensnorm vorliegen. Dies setzt voraus, dass der Täter sich anders als für den Normbruch hätte entscheiden können. Das ergibt sich auch aus dem verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz, nach dem Strafe nur dann zulässig ist, wenn dem Täter seine Tat auch vorwerfbar ist, wenn er also für diese verantwortlich gemacht werden kann.358 Den Täter als individuelle Person muss der Vorwurf treffen, er habe einer Verhaltensnorm zuwidergehandelt. Er muss die Norm persönlich infrage gestellt haben. Dies begründet das personale Verhaltensunrecht, das Grundlage des mit einer Bestrafung stets verbundenen Vorwurfs ist. Bei willentlich nicht steuerbaren körperlichen Reaktionen wie z. B. Krampfanfällen, Reflexen und Handlungen bzw. Unterlassungen unter Hypnose oder im Schlaf359 kann die Person durch den Normbefehl aber genauso wenig erreicht werden wie in Fällen der §§ 19 oder 20 StGB360. Dann liegt in entsprechenden Verhaltensweisen keine geistige Infragestellung einer Verhaltensnorm. Strafe zur Wiederherstellung der Normgeltung ist nicht erforderlich.361 Solches nicht willentlich steuerbare oder schuldlose Verhalten kann nicht Gegenstand eines strafrechtlichen Vorwurfs sein. Der nach den individuellen Verhältnissen des Normadressaten vermeidbare und damit zu verantwortende Verhaltensnormverstoß schädigt dagegen immer die Normgeltung, sodass ein Widerspruch grundsätzlich erforderlich wird. 4. Tatbestandsmäßiges Verhalten Tatbestandsmäßiges Verhalten ist nach dem Gesagten die geistige Infragestellung einer im spezifischen Rechtsgüterschutzinteresse legitimierten Verhaltensnorm, also der tatbestandsspezifische Verhaltensnormverstoß.362 Tatbestandsmäßiges Verhalten erschöpft sich folglich nicht in der schlichten Erfolgsverursachung. Denn dann wäre auch die Zeugung des Mörders oder das Verschenken einer Flugreise an den Onkel, der dabei abstürzt, tatbestandliches Verhalten. Die sich daraus ergebenden unhaltbaren Konsequenzen werden von der herrschenden Auffassung zumeist mittels der ungeschriebenen Voraussetzung der objektiven Zurechnung vermieden.363 Diese Lehre fordert die Realisierung eines durch die zuvor bejahte tatbestandsmäßige Handlung geschaffenen missbilligten Risikos. Die Realisierung eines missbilligten Risikos setzt die Feststellung der Missbilligung jedoch logisch voraus. Im oft beispielhaft gebildeten Erbonkelfall 358

BGHSt 2, 200 f.; Kühl, AT, § 10, Rn. 2. Vgl. Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 124 ff. 360 Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 215 ff.; Frisch, in: Eser/Kaiser/Weigend, Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, 1992, S. 201, 241. 361 Vgl. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 378. 362 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 82. 363 Vgl. dazu nur Otto, Jura 1992, 90, 96 ff.; Wessels/Beulke, AT, Rn. 176 ff.; Gropp, AT, § 5, Rn. 40 ff.; Kühl, AT, § 4, Rn. 36 ff. 359

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etwa geht es doch nicht um die Frage, ob sich das vom Täter geschaffene Risiko realisiert hat. Dies ist nämlich klar zu bejahen. Auch wenn das Risiko des Sterbens in Folge eines Flugzeugabsturzes gering ist, so wurde es doch durch das Geschenk der Flugreise für den Onkel erst geschaffen. Entscheidend ist vielmehr, ob das Verschenken einer Flugreise im Hinblick auf die Rechtsgüter des Onkels unterlassen werden musste, d. h. ob eine missbilligte Risikoschaffung vorliegt. Was verbotene Risikoschaffung ist, kann die Zurechnung eines Erfolges zu einem Verhalten jedoch nicht sagen. Dies muss anhand einer Wertung, einer Norm, die ausweist, was aufgrund seiner Gefährlichkeit unter Berücksichtigung der Interessen des potenziell Normunterworfenen verboten ist, bestimmt werden. Hierfür bedarf es der Verhaltensnorm.364 5. Angemessene Reaktion auf den Verhaltensnormverstoß – Legitimation der Sanktionsnorm Nur wenn ein Verstoß gegen eine legitime Verhaltensnorm vorliegt, stellt sich die Frage nach der angemessenen Reaktion auf diesen. Erst jetzt geht es um spezifisch strafrechtliche Fragestellungen. Dabei ist zu klären, ob der Einsatz von Strafe ein legitimierbares Mittel zur Wiederherstellung der konkret desavouierten Normgeltung ist. a) Besondere Eingriffsintensität und Effektivität der Strafe Die strafrechtliche Sanktion stellt einen intensiven Eingriff in die Rechte der Normübertretenden dar. Denn neben den empfindlichen Sanktionen der Geldund Freiheitsstrafe ist mit dem Strafvorwurf auch ein besonderer sozialethischer Tadel verbunden.365 Dieser begründet – auch wenn z. B. nur eine niedrige Geldstrafe verhängt wird – eine gesellschaftliche Ausgrenzung und Stigmatisierung. Dieser Effekt ist durchaus gewollt. Der klare Widerspruch der Gesellschaft zum Verhalten des Einzelnen, die bewusste Etikettierung eines Verhaltens als falsch und unsozial ist es ja gerade, was die Normgeltung stabilisieren soll. Eine solche ächtende Wertung ist mit keinem anderen staatlichen Sanktionsinstrument verbunden. Strafe trifft den Täter zudem „höchstpersönlich“, ihre Folgen kön364 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, 1988, S. 50 f.; vgl. Renzikowski, in: Alexy, Juristische Grundlagenforschung, 2005, S. 115, 130. Dass die Erfolgszurechnung nicht alle Probleme lösen kann, zeigt darüber hinaus schon der auch im Versuchsbereich bestehende Bedarf an Korrektiven. Da es hier keinen zurechenbaren Erfolg gibt, können die sachlichen Probleme rechtlich erlaubten Verhaltens nicht systematisch sauber gelöst werden, vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, 1988, S. 45 ff.; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 10. 365 Weigend, in: LK-StGB, Einl., Rn. 1; Frisch, in: FS-Stree/Wessels, 1993, S. 69, 86; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 86; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 154.

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nen nicht durch Versicherungsschutz abgemildert oder innerhalb von Unternehmen abgewälzt und umverteilt werden.366 Auch dadurch ist Strafe ein vergleichsweise intensiver Eingriff. Diese Faktoren machen das Strafrecht jedoch nicht nur besonders eingriffsintensiv, sondern auch besonders effektiv im Bezug auf die Normstabilisierung.367 Je eingriffsintensiver der Staat einen Normverstoß ahndet, desto klarer unterstreicht er die Bedeutung der Norm und ihre Geltung für das angemessen geordnete Zusammenleben. Insofern folgt aus der Intensität des Mittels Strafe unmittelbar auch seine Effektivität.368 b) Voraussetzungen einer angemessenen strafrechtlichen Reaktion Die besonders eingriffsintensiven strafrechtlichen Rechtsfolgen lassen sich dem Normbrüchigen gegenüber aber nur dann rechtfertigen, wenn die Strafverfolgung als angemessene Reaktion auf ein Fehlverhalten (nebst Folgen) angesehen werden kann und einem eindeutig überwiegenden Interesse dient. Das Gewicht des Verhaltensnormverstoßes sowie dessen mögliche Folge entscheiden darüber, ob Strafe notwendig ist, um die Normgeltung angemessen zu verdeutlichen, oder ob ein milderes Mittel hierzu ausreicht. Für die Feststellung der Angemessenheit bedarf es einer umfassenden rechtlichen Bewertung aller im Einzelnen kollidierenden Güter und Interessen.369 Zum einen spielt dabei die Bedeutung der Verhaltensnorm für das friedliche gesellschaftliche Zusammenleben eine entscheidende Rolle. Je wichtiger die Verhaltensnorm ist, desto eher muss auf ihre Verletzung mit Strafe reagiert werden. Strafe ist wegen ihrer hohen Eingriffsintensität nur gerechtfertigt zum Schutz der Geltung von Verhaltensnormen, die besonders wichtige Güter, wie etwa Leib, Leben, Freiheit oder Eigentum, vor Schaden bewahren sollen. Auf Verletzungen von schwachen Positionen wie z. B. ästhetische Empfindungen kann dagegen nicht angemessen mit dem gravierenden strafrechtlichen Tadel reagiert werden.370 Eine angemessene strafrechtliche Reaktion hat sich somit auf die Ahndung von Verstößen gegen Verhaltensnormen, die verfassungsrechtlich verankerte, wichtige Rechtsgüter schützen, zu beschränken. Darüber hinaus muss das durch den Normbruch ver-

366 Freund, in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67. 367 Krit. gegenüber dem Schluss von der Intensität zur Effektivität Yoon, Strafrecht als ultima ratio und Bestrafung von Unternehmen, 2001, S. 38. 368 Vgl. Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 48; Colussi, Produzentenkriminalität und strafrechtliche Verantwortung, 2003, S. 73. 369 Freund, AT, § 1, Rn. 20; Yoon, Strafrecht als ultima ratio und Bestrafung von Unternehmen, 2001, S. 39 f. 370 Kudlich, JZ 2003, 127, 130; Frisch, in: Eser/Kaiser/Weigend, Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, 1992, S. 201, 223.

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wirklichte personale Fehlverhalten gewichtig genug sein, um die gravierenden Rechtsfolgen der Strafe zu erfordern und zu rechtfertigen.371 Bagatellunrecht darf nicht zu einer strafrechtlichen Reaktion führen. Auch auf rein formale Ordnungsverstöße ohne greifbares Gefährdungspotenzial darf mit dem Strafrecht nicht reagiert werden.372 Vor allem das Schuldprinzip limitiert insoweit die Strafbarkeit. Dabei handelt es sich letztlich um eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.373 Höher als schuldangemessen darf die Strafe nicht ausfallen. Ahndet der Staat Bagatellen mit den Mitteln des Strafrechts, schießt er sinnbildlich gesprochen „mit Kanonen auf Spatzen“ und greift so in unzulässiger Weise in die Freiheitsrechte des Individuums ein.374 c) Geeignetheit und Erforderlichkeit als weitgehend abgeleitete Faktoren Die Angemessenheit ist das zentrale Kriterium der Strafrechtsbegrenzung. Selbst die mehrheitlich als vorgelagerte Fragen thematisierten Aspekte der Geeignetheit und der Erforderlichkeit hängen logisch von der Angemessenheit der Reaktion ab. aa) Geeignetheit Ein staatlicher Eingriff ist dann geeignet, wenn er das bezweckte legitime Ziel zu erreichen vermag.375 Im hier relevanten Kontext müssen Sanktionen daher in der Lage sein, die Geltung von Verhaltensnormen nach ihrer Übertretung wiederherzustellen. Andernfalls ist eine Reaktion zur Bannung des Normgeltungsschadens ungeeignet. Staatliche Reaktionen auf verhaltensnormdesavouierendes Fehlverhalten müssen daher darauf ausgerichtet sein, die verletzte Norm zu unterstreichen. Dies geschieht, indem der Täter genau in dem Maße, in welchem er die Verhaltensnorm verletzt hat, seinerseits in seinen Rechten beschnitten wird. Die staatliche Reaktion muss in diesem Sinne schuldangemessen sein. Nur eine hoheitliche Maßnahme, die ihrer Intention und konkreten Ausgestaltung nach als Reaktion auf einen Verhaltensnormverstoß einem Täter genau das Maß an Übel zufügt, welches dem Ausmaß und dem Gewicht der vom Täter

371

Vgl. dazu Freund, in: MK-StGB, § 13, Rn. 188 ff., 221 ff. BVerfGE 9, 167, 171; 90, 145, 184 f. – Cannabis; vgl. Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 33. 373 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 88; vgl. auch Vogel, StV 1996, 110, 113; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 367. 374 Vgl. oben B.IV. 375 Freund, AT, § 1, Rn. 18; vgl. zu den Kategorien der Verhältnismäßigkeit auch Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 283 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 254; Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 185 ff. 372

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verwirklichten geistigen Normdesavouierung entspricht, ist geeignet, die Gefahr des Normgeltungsschadens zu bannen.376 Da in dem die Strafe verhängenden Schuldspruch die Missbilligung des Verhaltensnormverstoßes zum Ausdruck kommt, wird unmittelbar durch ihn deutlich, dass die Gemeinschaft an der Normgeltung festhält. Damit dieser Effekt eintritt, müssen der Schuldspruch und die verhängte Sanktion aber korrekt das begangene Unrecht erfassen. Nur staatlicher Tadel, der das verwirklichte Unrecht konkret beschreibt und eine angemessene Reaktion auf das vorliegende Fehlverhalten nebst Folgen darstellt, ist überhaupt in der Lage, dem Verhaltensnormverstoß wirksam zu widersprechen und so die Normgeltung zu erhalten. Die unangemessene Reaktion dagegen erfasst das verwirklichte Unrecht nicht korrekt und ist daher nicht geeignet, die Geltung der verletzten Verhaltensnorm zu verdeutlichen. Nur die angemessene strafrechtliche Reaktion auf den Verhaltensnormverstoß (nebst Folgen) ist zur Abwendung der gerade durch die Tat ausgelösten Gefahr eines Normgeltungsschadens überhaupt zweckdienlich. Wenn der Schuldspruch in diesem Sinne „stimmt“ – aber eben auch nur dann – ist Strafe jedoch stets geeignet, einen Normgeltungsschaden abzuwenden. bb) Erforderlichkeit Erforderlichkeit setzt den Einsatz des mildesten unter allen gleich effektiven Mitteln voraus.377 Im hier interessierenden Kontext bedeutet dies, die zur Normverdeutlichung gewählte Sanktion muss im Vergleich mit anderen geltungserhaltenden Reaktionsmöglichkeiten der am wenigsten gravierende Eingriff in die Rechte des Täters sein. Ein Bedürfnis für die Verdeutlichung der Geltung einer Verhaltensnorm besteht dabei nur insoweit, als die Verhaltensnorm durch das Fehlverhalten des Normunterworfenen tatsächlich infrage gestellt wurde. Staatliche Reaktion ist nur in dem Maß notwendig, wie die Verhaltensnorm desavouiert wurde. Das heißt, je intensiver eine Person die Geltung von Verhaltensnormen infrage stellt, desto strengere Reaktionen sind erforderlich, um der Desavouierung entgegenzutreten. Weil strafrechtlicher Tadel einen besonders weitreichenden Eingriff in die Rechte des Normunterworfenen darstellt, kann mit ihm auch einer besonders intensiven Verhaltensnormdesavouierung durch sehr gravierendes Fehlverhalten effektiv begegnet und so die Gefahr des Normgeltungsschadens gebannt werden. Bei geringem Fehlverhalten vermag dies aber auch schon eine andere staatliche Reaktion – zu denken ist in diesem Zusammenhang vor allem an die Ordnungswidrigkeiten. Schon eine solche Ahndung kann ausreichen, um die Geltung der Norm bei weniger gravierendem Fehlver376

Vgl. dazu auch sogleich unter E.IV.5.d)aa) und bb). Freund, AT, § 1, Rn. 19; Yoon, Strafrecht als ultima ratio und Bestrafung von Unternehmen, 2001, S. 38 f. 377

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halten zu unterstreichen. Eine weitergehende und intensivere Verdeutlichung der Geltung der Verhaltensnorm durch Strafe ist in einem solchen Fall nicht notwendig, da die Norm in diesem Ausmaß nicht infrage gestellt wurde. Etwa das Ausmaß an verwirklichter Schuld bestimmt so nicht nur die Zulässigkeit von Strafe, sondern auch bereits das Strafbedürfnis. Mehr als schuldangemessene Strafe kann bei exakter Analyse nicht erforderlich sein, um die Normgeltung zu stabilisieren. Denn ein schuldlos Handelnder stellt die Normgeltung nicht infrage und ein vermindert Schuldfähiger nur im eingeschränkten Maße. Ob eine staatliche Reaktion die Normgeltung ausreichend verdeutlicht, hängt somit vor allem vom Gewicht des Normbruchs ab. Insofern spielt das Verhältnis von Fehlverhalten und staatlicher Reaktion darauf für die Erforderlichkeit eine entscheidende Rolle. Eine unangemessene Reaktion ist niemals erforderlich, denn sie schießt über das Ziel – die Geltung der Verhaltensnorm in dem Maß wiederherzustellen, wie sie durch das Fehlverhalten infrage gestellt wurde – hinaus. Wenn gemessen am Grad des Fehlverhaltens andere Mittel der Normstabilisierung ausreichen, um den legitimen Zweck der Erhaltung der Geltungskraft der verletzten Norm zu erreichen, ist Strafe nicht erforderlich. d) Andere staatliche Reaktionsinstrumente Als Reaktion auf Verhaltensnormverstöße kommen auch andere staatliche Eingriffe als die Strafe in Betracht. Diskutiert werden als Sanktionsinstrumente neben den Ordnungswidrigkeiten insbesondere Maßnahmen des Verwaltungsoder Berufsrechts und auch zivilrechtliche Schadensersatzverpflichtungen.378 Solche staatlichen Reaktionen sind in der Regel weniger eingriffsintensiv als Strafe. Sie wären daher – die gleiche Eignung zur Verhaltensnormstabilisierung vorausgesetzt – strafrechtlichen Sanktionen vorzuziehen, die dann ihrerseits nicht erforderlich wären. aa) Schadensersatz Zivilrechtlichen Schadensersatzpflichten etwa wird teilweise ein präventiver Effekt nachgesagt. Die wirtschaftlichen Verluste, die mit ihnen einhergehen, erzeugen einen Anreiz für natürliche wie auch – im Unterschied zum Strafrecht – juristische Personen sich normkonform zu verhalten.379

378 BVerfGE 39, 1, 47 – Abtreibung I; P. A. Albrecht, StV 1994, 265, 273; Vormbaum, ZStW 107 (1995), 734, 759; Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 59. Andere Sanktionsinstrumente wie etwa das Disziplinarrecht oder auch die zivilrechtliche Vertragsstrafe sind im hier interessierenden Kontext von eher untergeordneter Bedeutung. 379 Vgl. etwa Colussi, Produzentenkriminalität und strafrechtliche Verantwortung, 2003, S. 45 ff.

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Normstabilisierung ist jedoch allenfalls bloßer Reflex der zivilrechtlichen Reaktion. In erster Linie geht es um die Behebung von Störungen der „Güterordnung“ und eben nicht der „Normenordnung“.380 Weder ihrer Intention nach noch in ihren konkreten Folgen ist die zivilrechtliche Schadensersatzverpflichtung am verwirklichten Unrecht ausgerichtet. Was der Einzelne zu leisten hat, orientiert sich ausschließlich am Bedarf des Geschädigten und nicht am Grad der Normbeeinträchtigung. Mit zivilrechtlichen Reaktionen wird schlicht nicht systematisch auf verwirklichtes Fehlverhalten reagiert. Eine angemessene Verdeutlichung des verwirklichten Unrechts ist mit Verurteilungen zum Schadensersatz daher nicht verbunden. So kann etwa ein marginaler Verhaltensnormverstoß zu gravierenden Schadensersatzverpflichtungen führen. Umgekehrt kann ein gravierender Verstoß gegen Verhaltensnormen zu nur geringen finanziellen Ausgleichsforderungen führen, etwa wenn der Tod einer alleinstehenden Person verursacht wird und damit kein Anspruchsberechtigter existiert. Auch bei Langzeit- und Kumulationsschäden, wenn es kein individualisierbares Opfer gibt (z. B. bei Umweltschäden), greift das Zivilrecht nicht. Vielmehr ist immer ein konkret Geschädigter vonnöten, der trotz finanzieller Risiken und ungewissem Ausgang auf Schadensersatz klagt. Der möglicherweise festgestellte Anspruch muss dann gegen den Beklagten auch durchgesetzt werden, was aus diversen Gründen – finanzieller oder rechtlicher Art – scheitern kann.381 Die zivilrechtlichen Reaktionen verdeutlichen die Normgeltung so wenig, dass sie zuweilen überhaupt nicht in der Lage sind, Normunterworfene zu normkonformem Verhalten zu motivieren. Der Einzelne wird durch die zivilrechtliche Haftung nämlich nicht höchstpersönlich betroffen, sondern kann sich regelmäßig hinter einem Unternehmen „verstecken“. So versichern fast alle größeren Unternehmen sich und ihre Angestellten gegen zivilrechtliche Ansprüche und müssen daher kaum Angst vor etwaigen zivilrechtlichen Konsequenzen haben.382 Ein solches Unternehmen kann Gefährdungen und Schädigungen, die rein finanzielle Ausgleichsansprüche mit sich bringen, darüber hinaus in seine Kostenrechnung einbeziehen. Das Produkt muss dann am Markt nur einen Preis erzielen, der auch die Haftung wegen potenzieller Schäden abdeckt, um die schadensersatzrechtlichen Konsequenzen auszugleichen.383 380 Vogel, GA 1990, 241, 257; vgl. auch Jakobs, AT, 1/13c; a. A. offensichtlich Kuhlen, Fragen einer strafrechtlichen Produkthaftung, 1989, S. 182 ff. 381 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 73 f.; Stratenwerth, ZStW 105 (1993), 679, 687 f. 382 Colussi, Produzentenkriminalität und strafrechtliche Verantwortung, 2003, S. 49, 56; vgl. auch Gretenkordt, Herstellen und Inverkehrbringen stofflich gesundheitsgefährlicher Verbrauchs- und Gebrauchsgüter, 1993, S. 101 f.; Frehsee, Der Rechtsstaat verschwindet, 2003, S. 253, 271 f. 383 Ein besonders skandalöser Fall solcher betriebswirtschaftlichen Kalkulation wurde in den Siebzigerjahren in den USA aufgedeckt: Ford behob eine Fehlkonstruktion des Tankes seines Modells „Pinto“, die bei Auffahrunfällen zu tödlichen Bränden

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Durch zivilrechtliche Haftungsverpflichtungen wird der Einzelne schlicht nicht für die Gefahr des Normgeltungsschadens zur Verantwortung gezogen, sondern zum Ausgleich etwaiger finanzieller Konsequenzen verpflichtet. Ein solches staatliches Instrument ist daher überhaupt nicht geeignet, systematisch Verhaltensnormgeltungen sicherzustellen.384 bb) Verwaltungs- und Berufsrecht Verwaltungsrechtliche – besonders gewerberechtliche – und berufsrechtliche Auflagen und Sanktionen können einen großen Einfluss auf das Verhalten haben.385 Der Landwirt wird z. B. regelmäßig schon dann auf widerrechtlichen Arzneimitteleinsatz bei Tieren, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, verzichten, wenn ihm das Versagen der Schlachterlaubnis droht und nicht erst dann, wenn er auch mit Strafverfolgung rechnen muss. Gleiches gilt für den Tierarzt, der für den Fall, dass er Arzneimittel widerrechtlich verschreibt oder beschafft, mit einem Entzug der Approbation rechnen muss. Jedoch sind auch solche staatlichen Reaktionen ihrer Intention nach nicht auf die Verdeutlichung von Normgeltungen angelegt. Vielmehr wird zumeist die Abwehr von Gefahren bezweckt. Dann aber richtet sich die staatliche Reaktion nicht nach dem verwirklichten Fehlverhalten, sondern nach dem zur Abwehr künftiger Gefahren Erforderlichen. Eine angemessene Reaktion auf Unrecht, die alleine geeignet ist, die Verhaltensnormstabilisierung zu erreichen, ist damit nicht intendiert und erfolgt wiederum höchstens zufällig. So wird etwa im eben gebildeten Fall der übermäßigen Arzneimittelgabe an Nutztiere gleichermaßen mit dem Entzug der Schlachterlaubnis reagiert, unabhängig davon, ob der Landwirt bei der entsprechenden Verabreichung vorsätzlich oder bloß fahrlässig handelte. Eine staatliche Maßnahme, die nicht als angemessene Reaktion auf verwirklichtes Fehlverhalten konzipiert ist, kann aber kein geeignetes Reaktionsmittel sein.386 Auch hier kommt es zudem häufig nur zu einer wirtschaftlichen Beeinträchtigung eines Unternehmens, die sich per saldo rentieren kann, sodass eine wirksame Normgeltungsverdeutlichung nicht zu erreichen ist. Etwa kann es sich in der Massenhaltung von Tieren, die der Lebensmittelgewinnung dienen, wirtschaftlich durchaus lohnen, für eine systematische Ertragssteigerung die im Fahrgastraum führen konnte, nicht, weil nach Berechnungen des Konzerns eine Rückruf- und Nachrüstungsaktion $ 137 Millionen, die Schadensersatzzahlungen an veranschlagte 180 Brandopfer jedoch lediglich $ 49,5 Millionen gekostet hätten. Infolge der unterbliebenen Nachrüstung wurden bis zu 900 Personen getötet, 1st Pulaski Circuit Court v. 13.3.1980, Cause No. 11-431; vgl. Colussi, Produzentenkriminalität und strafrechtliche Verantwortung, 2003, S. 49 f.; Vogel, GA 1990, 241, 251 f. jew. m.w. N. 384 Zur Geeignetheit in diesem Kontext E.IV.5.c)aa). 385 Roxin, AT 1, § 2, Rn. 99. 386 Vgl. E.IV.5.c)aa).

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Versagung von einzelnen Schlachterlaubnissen aufgrund rechtswidriger und gefährlicher Medikamentierungspraktiken in Kauf zu nehmen. cc) Ordnungswidrigkeiten Neben dem Strafrecht ist vor allem das Recht der Ordnungswidrigkeiten seiner Intention nach auf die angemessene Ahndung von Fehlverhalten ausgerichtet und damit geeignet, die Geltung von Verhaltensnormen zu stabilisieren. Genauso wie das Strafrecht muss es, um diesen Zweck zu erreichen, eine angemessene Reaktion auf verwirklichtes Fehlverhalten nebst Folgen sein. Die Unterscheidung zwischen dem Strafrecht und dem Recht der Ordnungswidrigkeiten ist umstritten. Das BVerfG geht davon aus, dass es der Verhängung einer Ordnungswidrigkeit an einer ehrenrührigen ethischen Missbilligung fehlt, die für das Kriminalstrafrecht typisch ist.387 Dies sei Konsequenz des unterschiedlichen Unrechts, das jeweils geahndet werde. Kriminalunrecht unterliege einem besonderen ethischen Unwerturteil, während sich das Unrecht einer Ordnungswidrigkeit im bloßen Ungehorsam gegen den Verwaltungsbefehl erschöpfe.388 Andere Stimmen führen richtigerweise an, dass viele Tatbestände des Ordnungswidrigkeitenrechts sehr wohl gewichtige Rechtsgüter schützen – wenn auch zumeist nur vor abstrakten Gefahren.389 Die Existenz eines qualitativ gesteigerten ethischen Kriminalunrechts wird infolgedessen negiert.390 Auch Ordnungswidrigkeiten kommt demnach ein Tadel zu. Sie sind „sozial-ethisch nicht völlig neutral“.391 Danach ist der Unterschied zwischen beiden Instrumenten kein qualitativer, sondern lediglich ein quantitativer.392 Wie auch immer man Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht im Einzelnen genau voneinander abgrenzen will, fest steht: Ordnungswidrigkeiten rangieren im Bezug auf ihre Eingriffsintensität unterhalb der Straftaten. Dies ist neben der Tatsache, dass Rechtsfolge der Straftat auch der Freiheitsentzug sein kann, vor allem dem zumindest intensiveren sozialethischen Tadel der Strafe geschuldet. Das Recht der Ordnungswidrigkeiten wurde als „kleiner Bruder“ des Straf387

BVerfGE 27, 18, 33; vgl. insoweit auch Weigend, in: LK-StGB, Einl., Rn. 19. BGHSt 11, 263, 264. 389 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, § 98 AMG, Rn. 1. 390 Roxin, AT 1, § 2, Rn. 131; vgl. die ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik bei Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 79 ff. 391 Freund, ZLR 1994, 261, 280; ders., in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67, 78. 392 Roxin, AT 1, § 2, Rn. 132; Krümpelmann, Die Bagatelldelikte, 1966, S. 165 ff.; Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, § 97 AMG, Rn. 1; Jakobs, AT, 3/8 ff. Zur Abgrenzung auch: Jescheck/Weigend, AT, S. 58 f.; Maurach/Zipf, AT/1, § 1, Rn. 35; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 4, Rn. 16; Hassemer, in: AK-StGB, Vor § 1, Rn. 376 ff.; vgl. auch Volz, Unrecht und Schuld abstrakter Gefährdungsdelikte, 1968, S. 172 ff. 388

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rechts ja gerade geschaffen, um mit einer milderen Sanktion auf weniger gewichtiges Fehlverhalten bzw. auf Fehlverhalten, das weniger oder gar keine gewichtigen Folgen hat, reagieren zu können. So gibt es ein abgeschichtetes Reaktionssystem, mit dem auf unterschiedliche Fehlverhaltensgrade angemessen reagiert werden kann. Das Strafrecht darf erst dann zum Einsatz kommen, wenn durch ein entsprechend gewichtiges Fehlverhalten eine Verhaltensnorm derart weitgehend infrage gestellt wurde, dass Ordnungswidrigkeiten nicht mehr ausreichen, um die Normgeltung hinreichend sicher wiederherzustellen. Je gravierender das Fehlverhalten ist, desto eher ist die strafrechtliche Reaktion zur Geltungserhaltung erforderlich. Ab einem gewissen Grad ist die weniger eingriffsintensive Ordnungswidrigkeit nicht mehr in der Lage, der Verhaltensnormdesavouierung wirkungsvoll zu widersprechen. Die Verhängung von Strafe ist dann das einzige effektive Mittel und damit unabdingbar, um die infrage stehende Verhaltensnorm auf Dauer als geltende Verhaltensmaxime beizubehalten. Erst dann ist Strafe erforderlich. Bei geringerem Fehlverhalten ist eine Ahndung nach dem Recht der Ordnungswidrigkeiten aber ausreichend, um die Gefahr des Normgeltungsschadens zu bannen. Von der Strafbewehrung muss dann Abstand genommen werden. Das Gewicht des Verhaltensnormverstoßes nebst Folgen entscheidet somit, ob eine Ordnungswidrigkeit ausreicht, um den Normgeltungsschaden abzuwenden, oder ob es der Strafe bedarf.393 Das Gewicht des Verhaltensnormverstoßes in diesem Zusammenhang zu bewerten und zu entscheiden, ob eine Ahndung durch Ordnungswidrigkeiten genügt oder ob Strafe erforderlich ist, obliegt dem Gesetzgeber. Dieser hat im Rahmen seiner Gesetzgebungsbefugnis natürlich einen verhältnismäßig weiten Spielraum bei der Beurteilung dieser Fragen und mithin hinsichtlich der Strafbewehrung eine Einschätzungsprärogative. e) Strafbarkeitslimitierende Funktion der Angemessenheitsprüfung Mit den Erwägungen zur Angemessenheit der Strafe wird einer ausufernden Sicherungstendenz im Strafrecht Einhalt geboten. Nicht jede Strafe, welche die Verhaltensnormgeltung sichern soll, ist auch angemessen. Die anzustellenden Verhältnismäßigkeitserwägungen können deshalb der Befürchtung der Frankfurter Schule, ein präventives Strafrecht müsse ausufern und überkriminalisieren, entgegengesetzt werden.394 Etwa Prittwitz verkennt dies jedoch, wenn er kritisch gegenüber der Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Strafbarkeitsbeschränkung schreibt: „Ein Strafrecht, das ,nur‘ denselben verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsanforderungen genügen muß wie alle anderen staatlichen Eingriffe auch, ist zwar per definitionem verfassungsgemäß, es ist 393

Vgl. auch Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 108. Skeptisch gegenüber einer strafbarkeitsbegrenzenden Funktion des Verhältnismäßigkeitsprinzips Hassemer, JuS 1987, 257, 264. 394

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aber nicht ultima ratio, sondern eine ratio unter mehreren.“395 Damit vernachlässigt Prittwitz die Kontextspezifität der Angemessenheitsprüfung. Je nach Eingriffsintensität des Mittels stellt diese ja gänzlich andere Anforderungen an die Wertigkeit des verfolgen Zwecks. Die Stilisierung des ultima ratio-Prinzips zu der Maxime der Strafrechtsbegrenzung durch die Frankfurter Schule,396 überschätzt zudem die eigentliche Bedeutung und damit die kritische Potenz dieses Grundsatzes. Das ultima ratio-Prinzip ist nichts anderes als die Erforderlichkeit im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes:397 Wenn es andere Mittel der Verhaltensnormstabilisierung gibt, die gleich effektiv sind, darf Strafe nicht zum Einsatz kommen. Sie ist unter allen geeigneten Maßnahmen ultima ratio. Wie oben beschrieben kommt es bei der Frage der Eignung und Erforderlichkeit aber entscheidend darauf an, ob ein Mittel angemessen ist.398 Ohne die Berücksichtigung der Angemessenheit der Mittel könnte das Erforderlichkeitsprinzip überhaupt keine strafbarkeitslimitierende Funktion erfüllen. Denn Strafe als eingriffsintensivstes Mittel ist im Rechtsstaat das, was abstrakt zur Verdeutlichung der Normgeltung am besten geeignet ist und die Normgeltung auch nach besonders gravierenden Übertretungen wiederherstellen kann. Fragt man nicht danach, welches Mittel gemessen am Grad des Fehlverhaltens (also im Verhältnis zu diesem) erforderlich ist, sondern nur danach, welches Mittel das absolut effektivste zur Normverdeutlichung ist, so wird regelmäßig die Antwort sein müssen: Kein anderes Mittel ist genauso effektiv wie Strafe. Nur wenn man die Auswahl des geeigneten Mittels im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung vom Grad der Verhaltensnormdesavouierung abhängig macht, kann etwa auch eine Ordnungswidrigkeit als in concreto – gemessen am Grad der Normdesavouierung – effektives aber milderes Mittel der Strafe vorzuziehen sein. Ohne den Bezugspunkt der Angemessenheit müsste man dagegen immer konstatieren: Die Ordnungswidrigkeit ist nicht gleich effektiv wie Strafe, daher ist Strafe immer erforderlich. Somit ist das ultima ratio-Prinzip ohne Berücksichtigung des Verhältnisses von Fehlverhalten und staatlicher Reaktion gerade nicht geeignet, die Strafbarkeit zu limitieren. Nur der Gedanke der Angemessenheit kann letztlich Straf395 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, 1993, S. 346 f.; vgl. auch die Ausführungen dess., in: Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt a. M., Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, 1995, S. 387, 398. 396 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 8 f.; ders., ZRP 1992, 378, 381; ders., in: GS-Schlüchter, 2002, S. 133, 148 ff.; ders., Strafrecht, 2008, S. 41, 49 und S. 226, 230; ders., JuS 1987, 257, 260 ff.; vgl. auch Frehsee, NK 1999, 16 ff.; Calliess, NJW 1989, 1338, 1340; vgl. weiterhin Kuhlen, Fragen einer strafrechtlichen Produkthaftung, 1989, S. 182 ff. und Yoon, Strafrecht als ultima ratio und Bestrafung von Unternehmen, 2001. 397 Vgl. auch Hassemer, Erscheinungsformen modernen Strafrechts, 2007, S. 191, 193; Kuhlen, Fragen einer strafrechtlichen Produkthaftung, 1989, S. 183. 398 Vgl. E.IV.5.c).

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recht wirksam begrenzen.399 Dadurch, dass Mittel und Zweck in Bezug zueinander gesetzt werden, können die unterschiedlichen Interessen von Freiheit und Sicherheit umfassend berücksichtigt werden. Losgelöst von einem solchen Verhältnis können die einzelnen Aspekte keine Orientierung bieten. So darf z. B. die strafrechtsbegrenzende Wirkung des Rechtsgüterschutzgedankens alleine nicht überbewertet werden.400 Seine kritische Potenz entfaltet sich vor allem als Bezugspunkt der Angemessenheit. Allein aufgrund des Angemessenheitserfordernisses ergeben sich für eingriffsintensive Maßnahmen wie die Strafe ganz andere Voraussetzungen etwa hinsichtlich der Wertigkeit des Schutzgutes als für eingriffsärmere Mittel. Die Legitimationsanforderungen sind bei der Strafe nach diesem Konzept viel höher als bei den meisten anderen hoheitlichen Akten. Deshalb kann sie gerade unter dem Blickwinkel des angemessenen Ausgleichs in spezifischer Weise limitiert werden. Wegen der Kontextspezifität der Angemessenheit bedarf es keiner weiteren strafrechtsspezifischen Kategorie der Strafwürdigkeit, die Aufschluss über die Zulässigkeit des Strafrechtseinsatzes gibt.401 Eine solche versucht, den legitimen Zweck des Strafrechts zu beschreiben. Dieser kann aber auch im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ermittelt und muss nicht durch Erwägungen zur Strafwürdigkeit bestimmt werden: Dadurch, dass bei der Angemessenheitsprüfung zwei Größen – nämlich das Mittel der Strafe und ihr Verhältnis zum angestrebten Zweck (angemessen) – vorgegeben sind, lässt sich die Unbekannte „legitimer Zweck“ ermitteln. Kennt man also die Belastung durch die Strafe und weiß man, was unter einem angemessenen Verhältnis wertungsmäßig zu verstehen ist, so kann man herausfinden, welche Bedeutung der legitime Zweck, sprich das geschützte Rechtsgut, haben muss, um Strafe als angemessen begreifen zu können. Eines speziellen Straferfordernisses der Strafwürdigkeit bedarf es dagegen nicht.402

399

Vgl. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 344 ff. Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 57 f. 401 Langer (Die Sonderstraftat, 2007, S. 141 ff.), stellt die Strafwürdigkeit als Straftatelement neben das tatbestandsmäßige Unrecht und die Schuld; vgl. auch Sippel, Zur Strafbarkeit der „Kettenanstiftung“, 1989, S. 23 ff.; Otto, in GS-Schröder, 1987, S. 53; krit. hierzu Volk, ZStW 97 (1985), 871, 876 ff.; vgl. auch Lackner/Kühl, StGB, Vor § 13, Rn. 3; Sax, JZ 1976, 9 ff.; Hans-Ludwig Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafrechtsausschluss, 1983, S. 165, 236 ff., 240 ff., 394; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 42 ff., 476 f. 402 Der Begriff der Strafwürdigkeit ist damit zumindest missverständlich, denn er suggeriert, dass ein Täter auch solcher Strafe würdig sein könnte, die über das zur Geltungserhaltung der Norm Angemessene hinausgeht. Dies ist aber – jedenfalls wenn man keine absolute Straftheorie vertritt – unzulässig. Strafe darf nach geltendem Verfassungsrecht nur aus Zweckmäßigkeitsgründen nach Strafbedürftigkeit verhängt werden; Freund, GA 1995, 4, 9 f.; vgl. auch Volk, ZStW 97 (1985), 871, 894 ff.; krit. auch Hans-Ludwig Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, 1983, S. 394. 400

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

6. Stellenwert von spezifischen Fehlverhaltensfolgen und anderen objektiven Gegebenheiten Der Eintritt eines Normgeltungsschadens ist grundsätzlich unabhängig davon, ob der Verhaltensnormverstoß Konsequenzen in Form von Fehlverhaltensfolgen hat oder nicht. Gegen die Norm wird auch dann verstoßen, wenn das normwidrige Verhalten keine Konsequenzen hat, also etwa der Schuss auf einen Menschen sein Ziel verfehlt. Der Eintritt von Fehlverhaltensfolgen ist im Wesentlichen zufallsabhängig und taugt damit schlechterdings nicht als grundlegender Vorwurfsgegenstand. Allerdings setzen viele Tatbestände den Eintritt von Fehlverhaltensfolgen als zusätzliche Voraussetzung zum Verhaltensnormverstoß voraus. Dass bei einem „Erfolgseintritt“ strenger bestraft wird als beim Ausbleiben von Fehlverhaltensfolgen ist nach allem bisher Gesagten in besonderem Maße begründungsbedürftig.403 Das Unrecht der Tat leitet sich primär aus dem Fehlverhalten eines Täters ab. Das personale Verhaltensunrecht ist das grundlegende straftatkonstituierende Element. Die Verletzung einer im Rechtsgüterschutzinteresse legitimierten Verhaltensnorm begründet personales Fehlverhalten, welches Voraussetzung des strafrechtlichen Vorwurfs ist. Vorgeworfen wird dem Täter somit nicht die Verursachung eines bestimmten Erfolges, sondern das rechtlich missbilligte tatbestandsmäßige Verhalten, mit dem er die Geltung der rechtsgüterschützenden Verhaltensnorm geistig infrage stellt. Vor allem für dieses Fehlverhalten – und jedenfalls nicht in erster Linie für irgendeine Folge seines Verhaltens – wird er strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen.404 Dieser Vorwurf ist unabhängig davon, ob sich die mit dem Normbruch verursachte Gefahr für ein Rechtsgut realisiert und Fehlverhaltensfolgen eintreten. Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit ist so die als gefährlich eingestufte Handlung bzw. das entsprechende Unterlassen – also der Verhaltensnormverstoß. Fehlverhaltensfolgen können aber auf der Ebene der Sanktionsnorm eine Rolle für das Strafbedürfnis spielen.405 Der subjektive Normwiderspruch ist zwar beim Eintritt wie beim Ausbleiben von Fehlverhaltensfolgen identisch, das Bedürfnis nach Gegensteuerung variiert jedoch. Schließlich zeigt sich der subjektive Normbruch beim Eintritt von Fehlverhaltensfolgen in seiner ganzen Bedeutung in der Außenwelt. Die Fehlverhaltensfolgen sind Manifestation des geistigen Angriffs auf die Verhaltensnorm.406 Deren Infragestellen wird bei Ein403 Freund, AT, § 2, Rn. 52. Ausführlich zur Erforderlichkeit eines „Erfolgsunwertes“ Lüderssen, in: FS-Herzberg, 2008, S. 109 ff. 404 Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973, S. 79 ff. 405 Vgl. auch Lüderssen, in: FS-Herzberg, 2008, S. 109, 121; Wolters/Beckschäfer, in: FS-Herzberg, 2008, S. 141, 145. 406 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 90 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, 1988, S. 516 f.

IV. Funktion und Legitimation von Strafe

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tritt eines Verletzungserfolges deutlicher und hat dadurch eine nachhaltigere, rechtsfriedenstörendere Wirkung. Somit ist das Bedürfnis nach Gegensteuerung größer, da der Verhaltensnormverstoß evident wird.407 Die Reaktion muss daher im Verhältnis zur folgenlosen Tat nachdrücklicher sein.408 Dass es regelmäßig auch von Zufall abhängt, ob Fehlverhaltensfolgen eintreten oder nicht, ändert an einer gewissen Berücksichtigungsfähigkeit eines „Erfolges“ nichts. Schließlich hat der Täter dem Zufall durch sein missbilligtes Verhalten ja gerade erst den Weg geebnet.409 Denn mit den Fehlverhaltensfolgen tritt genau der Schaden ein, um dessen Vermeidung willen ein Ver- oder Gebot legitimiert war. Für die Fehlverhaltensfolgen und die mit ihnen einhergehende Verstärkung der rechtsfriedenstörenden Wirkung ist der Täter somit in vollem Umfang verantwortlich.410 Jedoch kann eine Fehlverhaltensfolge nie losgelöst vom Fehlverhalten bewertet werden, denn ohne dieses ist sie undenkbar. Fahrlässige Tötung und Mord etwa erfassen ganz verschiedenes Unrecht, obwohl die Fehlverhaltensfolge identisch ist. Für eine angemessene Reaktion ist die unterschiedliche Qualität des zugrunde liegenden Fehlverhaltens als Wurzel des Übels entscheidend. Die Fehlverhaltensfolgen sind ein davon abgeleiteter Bestimmungsgrund für die Bestrafung.411 Damit kommt ihnen eine ausschließlich sekundäre Bedeutung für die strafrechtliche Reaktion zu. Erfolgserfordernisse sind zusätzliche Straftatvoraussetzungen, die eine (höhere) Strafe rechtfertigen können. Das grundsätzliche Bedürfnis nach Strafe folgt aber ausschließlich aus dem personalen Verhaltensunrecht, das im Verhaltensnormverstoß liegt. Ist dieser auch ohne Fehlverhaltensfolgen gewichtig genug, um Strafe zu rechtfertigen, kann auf das Erfolgserfordernis verzichtet werden, etwa im Rahmen einer gesetzlich vorgesehenen Versuchsstrafbarkeit nach § 23 Abs. 1 StGB. Dies ist eine Frage der angemessenen Reaktion auf den Normverstoß. 7. Fazit: Vom Nutzen des Strafrechts Angemessene Strafe legitimiert sich somit durch den Schutz der Geltung besonders wichtiger rechtsgüterschützender Verhaltensnormen vor gravierenden Verstößen. Dies ermöglicht erst ein freies und sicheres Leben in einer Gemeinschaft. Das Strafrecht hat damit eine sinnvolle und wichtige Aufgabe in der Gesellschaft. Gegen diese funktionale Begründung wird vorgebracht, die Stabilisie407 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 99; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 222; vgl. auch Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 59; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 49. 408 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, 1988, S. 516 f. 409 Vgl. Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 303. 410 Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 82; ders., AT, § 2, Rn. 46 ff. 411 Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 300.

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

rung der Rechtsordnung und eben nicht das freie Subjekt stehe im Mittelpunkt.412 Funktionalismus und Freiheitsrechte sind aber keine Antagonisten. Vielmehr ist ein freiheitlich orientiertes funktionierendes Strafsystem genauso denkbar wie ein unterdrückendes. Die Wahrung von Freiheitsrechten muss durch Erwägungen der Angemessenheit gewährleistet werden. Geltungserhaltung bedeutet schließlich nicht, dass das Strafrecht jede denkbare Norm ohne weitere Voraussetzungen – rücksichtslos – schützen darf. Vielmehr muss die Verhaltensnorm an sich überhaupt legitim sein und gerade die Strafe zu ihrer Geltungserhaltung angemessen. Wenn ein Ver- oder Gebot einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheitsrechte bedeutet, ist es verfassungswidrig. Dieses Verdikt erstreckt sich dann auch auf die Sanktionsnorm, die eine derartige „Geltung“ absichern soll. Ohne funktionierende Gesellschaft fehlt eine wichtige Grundlage für Subjektivität.413 Freiheiten können letztlich nur in stabilen, sicheren Verhältnissen ausgelebt werden. Ein Strafrecht, welches die Geltung sichernder Normen gewährleistet, schafft also gerade die Grundlagen, die nötig sind, um sich frei zu entfalten. Notwendig ist dies besonders in komplexen und unübersichtlichen Lebensbereichen. So kann der Einzelne etwa nur dann am Massenstraßenverkehr teilnehmen, wenn er auf die Geltung jener Normen vertrauen kann, welche dessen unabsehbare Schädigungspotenziale absenken. Auch Arbeitsteilung erfordert ein großes Maß an Vertrauen etwa in die Sicherheit, d. h. Normkonformität, lebensnotwendiger Güter, die ein anderer herstellt. Dieses Vertrauen ist Grundlage einer freien Existenz in der modernen Gesellschaft. Die Ressourcen des Einzelnen werden nicht dauerhaft durch ineffektive individuelle Schadensprävention in allen Lebensbereichen gebunden, sondern sind frei für persönliche Entfaltung, die z. B. in Form wirtschaftlicher Produktivität auch der Gesellschaft zugute kommen kann. Das Aufstellen von Normen und ihre Sicherung durch Bestrafung des Normbruchs ist Grundlage dieses Vertrauens. Dieser vertrauenschaffende Mechanismus muss nun vor allem dort funktionieren, wo aufgrund von Unübersichtlichkeit und Komplexität ein Eigenschutz der Individuen nicht möglich ist, sprich im hier thematisierten Bereich moderner Gefahren. Hier die Geltung sichernder Normen nicht angemessen zu gewährleisten, gäbe nicht nur elementare Rechtsgüter preis, sondern würde auch zu einer desintegrierenden Verunsicherung führen. Es wäre daher geradezu paradox, wenn sich das System staatlichen Schutzes aus den Bereichen zurückziehen würde, die durch ihre Unübersichtlichkeit und durch bestehende Wissensdefizite besonders große Gefahren für überragend wichtige Rechtsgüter in sich bergen, die für das Individuum nicht selbst abwehrbar sind. Vor diesem Hintergrund gibt es keine sinnvolle Alternative zur am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – also an der Ange412 413

P. A. Albrecht, StV 1994, 265, 266; Stübinger, KJ 1993, 33, 34 f. Jakobs, ZStW 107 (1995), 843, 851.

V. Pönalisierungsgebote als Ausfluss staatlicher Schutzpflichten

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messenheit – ausgerichteten Bestrafung gewichtiger Leib- und Lebensgefährdungen auch durch Produkte. Nur die strafrechtliche Absicherung entsprechender Verhaltensnormen vermag deren Geltung in angemessenem, vertrauenbegründendem Ausmaß zu gewährleisten. Die Frankfurter Schule mag derart funktionale Argumentationen ablehnen. Aber auch sie muss eine sinnvolle Antwort darauf bieten, wie Recht seine in jeder Gesellschaft fundamentale Aufgabe erfüllen kann. Dogmatische Grundlagen sind mit der Funktion von Recht und den faktischen Bedürfnissen zu synthetisieren, wollen sie mehr als nutzlose Dogmen sein. Die Forderung Hassemers nach dem Rückzug des Strafrechts etwa aus dem Bereich gefährlicher Produkte ist zumindest dann entschieden zurückzuweisen, wenn es eine verfassungskonforme Schutzmöglichkeit gibt, die moderne Risiken erfasst.414

V. Pönalisierungsgebote als Ausfluss staatlicher Schutzpflichten Bei den strafrechtlichen Erwägungen haben wir uns bisher vor allem mit der Frage beschäftigt, wann Strafe verhängt werden darf. Nun soll jedoch – in der gebotenen Kürze – der Frage nachgegangen werden, ob es auch Konstellationen gibt, in welchen das Strafrecht eingreifen muss. Das BVerfG jedenfalls geht seit seiner ersten Abtreibungsentscheidung davon aus, dass der Einsatz von Strafe zum Schutz des (ungeborenen) Lebens zwingend erforderlich sein kann, wenn der von der Verfassung gebotene Schutz auf keine andere Weise erreicht zu werden vermag.415 Die entsprechende Pönalisierungspflicht wird aus den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten hergeleitet. Hierin sieht die Frankfurter Schule eine zentrale fehlgeleitete Entwicklung modernen Strafrechts. Die Funktion des Rechtsgüterschutzes wandele sich hier von einer negativen, strafbarkeitsbegrenzenden zu einer positiven, strafbarkeitserweiternden.416 Es sei nicht mehr nur so, dass die Legitimität der Strafe von der Existenz eines zu schützenden Rechtsgutes abhänge. Vielmehr werde der Rechtsgüterschutz herangezogen, um eine entsprechende Schutzpflicht des Staates, und zwar in Gestalt einer Pönalisierungspflicht, zu begründen. Auch die Bundesverfassungsrichter Rupp-v. Brünneck und Simon rügten in ihrem Sondervotum zur Abtreibungsentscheidung in diesem Sinne die Funktionsumkehr von Grundrechten, weg von der Abwehr staatlicher Gewalt, hin zu der Verpflichtung zur Ausübung von Gewalt.417 414

Vgl. dazu etwa unten E.VI.2.e). BVerfGE 39, 1, 46 f. – Abtreibung I; vgl. auch Funcke-Auffermann, Symbolische Gesetzgebung im Lichte der positiven Generalprävention, 2007, S. 105. 416 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 6 ff.; ders., ZRP 1992, 378, 380; ders., in: GS-Schlüchter, 2002, S. 133, 152 f.; ders., Strafrecht, 2008, S. 81, 90. 417 BVerfGE 39, 1, 68, 73 ff. – Abtreibung I. 415

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

Allerdings darf nicht übersehen werden, dass Rechtsgüterschutz notwendigerweise ambivalent ist. Er wirkt – wie auch die Grundrechte, aus welchen sich die Rechtsgüter herleiten – immer in zwei Richtungen: Er begrenzt die Freiheit des einen zugunsten des anderen. Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips sorgt das Rechtsgut als „legitimer Zweck“ so für einen Ausgleich zwischen den betroffenen Interessen. Rechtsgüter kommen dabei dem Täter wie auch dem Opfer zugute. Die unterschiedlichen Interessen müssen sorgsam gegeneinander abgewogen werden.418 Eine Pönalisierungspflicht könnte somit Ausdruck dieser Ambivalenz und der Notwendigkeit eines gerechten Ausgleichs sein. Solange etwa Mittel des Ordnungswidrigkeitenrechts die Normgeltung hinreichend sicher gewährleisten können, ist Strafe jedenfalls nicht notwendig.419 Wenn es aber keine anderen Mittel gibt, die effektiv genug sind, um die Geltung elementarer Verhaltensnormen angemessen zu gewährleisten, bleibt dem Staat, der seiner Schutzpflicht nachkommen will, keine Alternative: Er muss das Strafrecht einsetzen. Die Verhängung von Strafe ist dann das einzige effektive Mittel und damit unabdingbar, um die infrage stehende Verhaltensnorm auf Dauer als geltende Verhaltensmaxime beizubehalten. Eine wirksame Schutzregelung setzt nämlich eine hinreichend geltungserhaltende Durchsetzung von Schutznormen voraus. Das bedeutet, Verstöße müssen angemessene Konsequenzen haben. Bleiben Verhaltensnormverstöße sanktionslos, so wird die rechtsgüterschützende Norm bald keine Geltung mehr haben. Daher bestehen in gewissen Grenzen Pönalisierungsgebote als Ausfluss der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten.420 Wenn alleine Strafe geeignet ist, den Normgeltungsschaden abzuwenden und auch in angemessenem Verhältnis zum Verhaltensnormverstoß steht, muss sie verhängt werden. Je gravierender der Normverstoß (nebst Folgen) ist, desto eher ist Strafe in diesem Sinne erforderlich. Das Gewicht des Verhaltensnormverstoßes (und etwaiger Folgen) bestimmt sich nach unterschiedlichen Kriterien. Zum einen spielt die Bedeutung der Verhaltensnorm für den Rechtsgüterschutz eine entscheidende Rolle. In diesem Sinne kommt Verboten zum Schutz des menschlichen Lebens eine größere Bedeutung zu als solchen zum Schutz von Eigentum und Vermögen. Je bedeutender das bedrohte Rechtsgut ist, desto höhere Anforderungen sind an die Effektivität der geltungserhaltenden Sanktion des 418

Vgl. dazu oben B.IV. Vgl. oben E.IV.5.d)cc). 420 Verfassungsrechtliche Pönalisierungsgebote bejahend Joecks, in: MK-StGB, Einl., Rn. 19; Funcke-Auffermann, Symbolische Gesetzgebung im Lichte der positiven Generalprävention, 2007, S. 105 ff.; Roxin, AT 1, § 2, Rn. 96; Driendl, Strafgesetzgebungswissenschaft in der Gegenwart, 1983, S. 33 ff.; Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 39; Weigend, in: LK-StGB, Einl., Rn. 2, 15; a. A. z. B. das abweichende Votum von Richterin Rupp-v. Brünneck und Richter Simon zum Abtreibungsurteil, BVerfGE 39, 1, 68, 73 ff. – Abtreibung I. 419

V. Pönalisierungsgebote als Ausfluss staatlicher Schutzpflichten

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Normbruchs zu stellen, während sich die Schwelle der Angemessenheit absenkt. Aber auch die Intensität des Infragestellens der Verhaltensnorm kann variieren und das Gewicht des Normbruchs beeinflussen. So wird die Geltung regelmäßig bei vorsätzlichem Verhalten eher beeinträchtigt, als bei fahrlässigem, denn vorsätzliches schädigendes Verhalten zielt auf die Verletzung eines Rechtsguts ab, dessen Beschädigung damit wahrscheinlicher ist, als bei fahrlässigem Verhalten. Vorsätzliches Verhalten stellt die Geltung der rechtsgüterschützenden Verhaltensnorm daher viel stärker und nachdrücklicher infrage als fahrlässiges und ist daher wesentlich sozialschädlicher.421 Auch die gewerbsmäßige oder wiederholte Begehung kann das Bedürfnis nach Strafe steigern. Schließlich spielt die Frage, ob Fehlverhaltensfolgen eingetreten sind oder nicht, eine entscheidende Rolle bei der Gewichtung. Etwa beim untauglichen Versuch liegt regelmäßig kein nach außen wahrnehmbarer subjektiver Normwiderspruch vor. Mithin ist hier das Reaktionsbedürfnis des Strafrechts zur Normgeltungsverdeutlichung geringer. Besonders schwere Normbrüche kann ein anderes Mittel als die Strafe regelmäßig nicht angemessen ahnden. Das Verbot der vorsätzlichen Tötung etwa ließe sich mit einem Bußgeld nicht in angemessenem Ausmaß absichern. Der Bedeutung des Rechtsgutes Leben würde ein solcher Schutz nicht gerecht. Das Untermaßverbot wäre verletzt, da die gewählte Maßnahme völlig unzulänglich wäre, das gebotene Schutzziel zu erreichen. Strafe, die alleine geeignet ist, elementar wichtige Verhaltensnormen zu stabilisieren, muss daher wegen bestehender Schutzpflichten auch verhängt werden. Insofern besteht eine staatliche Pflicht zur Strafbewehrung. Jenseits solch gewichtiger Normbrüche steht dem Gesetzgeber bei der Festlegung dessen, was angemessener Schutz ist, natürlich ein weiter Ermessensspielraum zu. Wann eine hinreichende Sicherung der Normgeltung erreicht wird, ist nämlich eine wertungsabhängige Frage. Nur in eindeutigen Konstellationen – wie bei der Verletzung verfassungsrechtlich anerkannter Rechtsgüter und Rechte, die im wesentlichen im StGB geahndet werden – kann davon ausgegangen werden, dass andere staatliche Mittel die Verhaltensnormgeltung nicht hinreichend sichern, wichtige Rechtsgüter somit schutzlos lassen und daher unzureichend im Sinne des Untermaßverbotes sind. So kann sich das Ermessen bei in der Gesellschaft elementaren Rechtsgütern, wie Leib, Leben oder Eigentum, die mit anderen Mitteln nicht wirksam genug geschützt werden können, auf Null reduzieren.422

421 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 26; ders., in: FSKüper, 2007, S. 63, 80; Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 49 f. 422 Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, 1991, S. 51.

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken durch das Strafrecht Nachdem nunmehr die theoretischen Voraussetzungen eines angemessenen Strafrechtsschutzes dargelegt sind, gilt es, sich mit den konkreten Problempunkten der strafrechtlichen Erfassung moderner Lebenswelten zu befassen. Kritisch diskutiert wird in diesem Zusammenhang vor allem die Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes durch den vermehrten Einsatz abstrakter Gefährdungsdelikte und die Frage der (In-)Effizienz des Strafrechts zum Schutz vor modernen Gefahren. 1. Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes durch abstrakte Gefährdungsdelikte Der zentrale Kritikpunkt am modernen Strafrecht ist, dass es zugunsten von möglichst effektiver Sicherheit die Freiheitsrechte der Bürger aus den Augen verliere. Immer mehr Verhaltensweisen würden zum Schutz von immer mehr Rechtsgütern zu einem immer früheren Zeitpunkt unter Strafe gestellt und mit immer weiter gehenden Maßnahmen des Prozessrechts verfolgt.423 Vor allem mit abstrakten Gefährdungsdelikten – so die Frankfurter Schule – verlagere der Gesetzgeber die Strafbarkeit vor, und zwar auf einen Zeitpunkt vor der Rechtsgutsbeeinträchtigung. Aber nicht nur die Frankfurter Schule steht den abstrakten Gefährdungsdelikten skeptisch gegenüber, auch zahlreiche andere Strafrechtswissenschaftler zweifeln an ihrer Legitimität oder halten zumindest eine teleologische Wortlautbeschränkung für erforderlich. Dabei besteht, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ein enormer praktischer Bedarf an abstrakten Gefährdungsdelikten, um Rechtsgüterschutz in modernen Lebensbereichen gewährleisten zu können. Die Komplexität moderner Risikosituationen macht ihre Ahndung durch Erfolgsdelikte unmöglich. Fraglich ist daher, wie im Falle des geforderten strafrechtlichen Rückzuges die wichtigen Verhaltensnormen, die Garanten eines friedlichen und sicheren Zusammenlebens in der Gesellschaft sind, aufrecht erhalten werden sollen. Wie gesehen vermögen grundsätzlich nur das Strafrecht und das Recht der Ordnungswidrigkeiten die Geltungskraft der Verhaltensnormen nach deren Desavouierung durch den Täter wiederherzustellen.424 Je gravierender das Fehlverhalten ist, desto eher ist die strafrechtliche Reaktion zur Geltungserhaltung erforderlich. Ab einem gewissen Grad ist die weniger eingriffsintensive Ordnungswidrigkeit nicht mehr in der Lage, der Verhaltensnorm-

423 Hassemer, StV 1990, 328, 330; ders., NStZ 1989, 553, 557; Danninger, KJ 1988, 1, 9; Prittwitz, Strafrecht und Risiko, 1993, S. 368; vgl. auch Calliess, NJW 1989, 1338, 1340. 424 Vgl. oben E.IV.5.d).

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken

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desavouierung wirkungsvoll zu widersprechen. Die Verhängung von Strafe ist dann das einzige effektive Mittel und damit unabdingbar, um die infrage stehende Verhaltensnorm auf Dauer als geltende Verhaltensmaxime zu etablieren. Wer in einer solchen Situation den Rückzug des Strafrechts fordert, muss sich fragen lassen, wie er gedenkt, für das menschliche Zusammenleben überragend wichtige Verhaltensnormen zu schützen. Bleiben Verhaltensnormverstöße konsequenzlos, so wird die rechtsgüterschützende Norm bald keine Geltung mehr haben. Im Zusammenhang mit elementar wichtigen Verhaltensnormen, die besonders wertvolle Rechtsgüter wie Leib und Leben absichern, wie z. B. das Verbot, gesundheitsgefährliche Lebensmittel in Verkehr zu bringen, sollte daher mit der Forderung nach Rückzug des Strafrechts vorsichtig umgegangen werden. Wenn der Vertrieb BSE-verseuchten oder anders belasteten Fleisches nicht bei Strafe verboten ist, wird sich die trotz zivilrechtlicher Schadensersatzforderungen und möglicher Bußgelder gewinnbringende Vermarktung kaum verhindern lassen. Ein Strafrecht, welches solche Produktgefahren erfassen möchte, ist auf abstrakte Gefährdungsdelikte angewiesen. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, sich mit der Legitimation und Reichweite dieser Deliktskategorie genauer zu befassen, um beurteilen zu können, ob dem praktischen Bedürfnis ohne Bedenken nachgegeben werden kann oder ob – wie Hassemer behauptet – etwa im Bereich der Produktverantwortlichkeit Schutzlücken in Kauf zu nehmen sind, da eine sinnvolle strafrechtliche Regelung unmöglich ist. a) Gründe für den Bedarf an abstrakten Gefährdungsdelikten: Ungewisse Kausalität Bei dem Versuch, komplexe Risiken, wie etwa solche, die bei der industriellen Produktion von Waren entstehen, mit den klassischen Straftatbeständen zu erfassen, kommt es zu Problemen: Das Strafrecht zieht sich mit seinen Erfolgsdelikten durch Bedingungstheorie und in dubio pro reo-Grundsatz genau aus den Bereichen zurück, die komplex sind und ungewisse Kausalbeziehungen aufweisen. Die hier thematisierten gefährlichen Verhaltensweisen bewegen sich aber gerade in diesem Randbereich menschlicher Erkenntnisse und menschlichen Wissens. Die Ursächlichkeit der problematischen Verhaltensweisen für konkrete Schäden ist häufig nicht eindeutig nachweisbar. Zuweilen ist nicht einmal die generelle Schädlichkeit des Verhaltens sicher. Solche Unsicherheiten hinsichtlich der Kausalität sind geradezu paradigmatisch für moderne Gefahren. Immerhin sind die Wirkmechanismen oft unerforscht und die Schäden, z. B. Krebserkrankungen, lassen sich nicht ohne Weiteres auf ein verursachendes Produkt oder Verhalten zurückführen.425 Nach der allgemein Anwendung findenden Bedingungstheorie, ist eine Bedingung nur dann ursächlich für einen Erfolg und 425

Vgl. oben A.II.2.

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

somit Gegenstand des Vorwurfs bei den Erfolgsdelikten, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkret eingetretene Erfolg entfiele.426 Diese Formel bezieht sich auf Erfahrungssätze und setzt die Kenntnis von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen voraus. Gerade dieses Erfahrungswissen über Kausalitätsgesetze liegt aber bei den einschlägigen Sachverhalten nicht sicher vor.427 Entsprechenden Unwägbarkeiten begegnet das Gefahrenabwehrrecht – wie oben dargestellt – in der Regel mit dem Vorsorgeprinzip: Der Staat wird bei entsprechend erheblichen Schädigungspotenzialen auch dann gefahrenabwehrend tätig, wenn die Schadensursächlichkeit eines Tuns oder Unterlassens nicht erwiesen ist.428 Bei Unsicherheiten über die Kausalität zwischen dem Erfolgssachverhalt und einem tatbestandsmäßigen Verhalten gilt bei Verletzungsdelikten im Strafrecht dagegen der Grundsatz „in dubio pro reo“. Dem Strafrecht der Erfolgsdelikte fällt der Umgang mit unsicheren und nicht dezidiert nachvollziehbaren Sachverhalten daher ersichtlich schwer. Eindrucksvolle Beispiele dafür sind der Contergan-Fall,429 das Lederspray-Verfahren430 oder der Holzschutzmittel-Prozess431. In all diesen Fällen konnte letztlich nicht zweifelsfrei geklärt werden, ob das jeweilige Produkt ursächlich für die geltend gemachten Körperschäden war. Zuweilen war schon fraglich, ob die entsprechenden Produkte diese Schäden überhaupt hervorrufen konnten, da die Wirkzusammenhänge unklar blieben. Im Fall von Contergan etwa wurde ein Medikament vertrieben, welches im dringenden Verdacht stand, für die zum Teil schweren Missbildungen von 2500 Kindern verantwortlich zu sein. Die erforderliche Ursächlichkeit war durch die Kohärenz zwischen der Einnahme des Medikaments durch die Schwangere und der Geburt eines missgebildeten Kindes sehr wahrscheinlich. Da aber der konkrete Wirkmechanismus, der zur Missbildung führte, nicht benannt werden konnte, ließ sich die Schädlichkeit nicht absolut verifizieren. Es verblieben einige vom pharmazeutischen Unternehmer aufgeworfene alternative Denkkonstrukte und Szenarien des Möglichen, die allerdings eher unwahrscheinlich waren. So wurde etwa die Hypothese vertreten, der Wirkstoff

426 BGHSt 1, 332, 333; 39, 195, 197; 37, 106, 126 – Lederspray; Freund, AT, § 2, Rn. 63; vgl. Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 14, Rn. 8 ff.; Otto, Jura 1992, 90, 92; Unger, Kausalität und Kausalitätsbeweis produktverursachter Gesundheitsschädigungen, 2001, S. 43 f.; Kühl, AT, § 4, Rn. 9. 427 Vgl. dazu Hoyer, GA 1996, 160, 163 ff.; Armin Kaufmann, JZ 1971, 569, 572; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 46; vgl. oben A.II.2. 428 Siehe dazu unter C. 429 LG Aachen JZ 1971, 507 mit Bespr. Armin Kaufmann, JZ 1971, 569. 430 BGHSt 37, 106 = JZ 1992, 253 mit Anm. Hirte = JR 1992, 27 mit Anm. Puppe; vgl. auch die Anm. von Schmidt-Salzer, NJW 1990, 2966; Kuhlen, NStZ 1990, 566; Samson, StV 1991, 182; Brammsen, Jura 1991, 533; Meier, NJW 1992, 3193; Beulke/Bachmann, JuS 1992, 737; Hassemer, JuS 1991, 253. 431 BGHSt 41, 206; LG Frankfurt ZUR 1994, 33 mit Bespr. Schulz, ZUR 1994, 26; ders., JA 1996, 185; Braum, KritV 1994, 179.

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Thalidomid habe lediglich dazu geführt, dass missgestaltete Embryonen nicht vorzeitig abgingen, sondern am Leben erhalten wurden.432 Auch der Nitrofen-Skandal aus dem Jahr 2002 verdeutlicht die Grenzen von Erfolgsdelikten: Die Anwendung des Herbizids Nitrofen ist seit 1980 in der Bundesrepublik Deutschland verboten, weil es sich in wissenschaftlichen Untersuchungen als erbgutverändernd, krebserregend und fruchtschädigend erwiesen hatte. Dennoch kam es zu Kontaminationen von Futtermitteln mit dem Stoff, nachdem Lagerhallen, in welchen dieser aufbewahrt worden war, vor der Einlagerung von Futtermitteln nicht ausreichend überprüft und gesäubert worden waren. Über dieses Futtermittel gelangte das Nitrofen in die Nahrungskette und erreichte so vor allem in Bio-Eiern und Bio-Geflügel aber auch in Babynahrung die Verbraucher. Obwohl Nitrofen nachweislich gesundheitsgefährdend ist, wurde die Strafverfolgung von der zuständigen Staatsanwaltschaft eingestellt, denn es hatten sich keine individualisierbaren Opfer mit nachweislich kausalen Schäden finden lassen. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, wird sich doch ein Zusammenhang zwischen einer Krebserkrankung und dem Konsum von nitrofenverseuchten Lebensmitteln kaum nachweisen lassen. Zumindest nach aktuellem Forschungsstand lässt sich die Entstehung von Krebs nämlich nicht auf eine konkrete Ursache zurückführen. Dem Tumor ist nicht anzusehen, was ihn verursacht hat. Ein Zusammenhang mit dem Konsum eines bestimmten Produktes wird sich – anders als z. B. im Fall von Contergan, wo ganz spezifische Symptome auftraten – nie nachweisen lassen. Im Beispiel von Nitrofen war daher – obwohl bekannt war, dass das Herbizid gesundheitsgefährdend ist – eine Verurteilung nach bestehendem Recht nicht möglich, da ein nachweisbar verursachter Schaden fehlte. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft war daher konsequent. Nichtsdestotrotz bleibt ein Bedürfnis für strafrechtliche Ahndung. Immerhin wurde im Nitrofen-Skandal eine reale Gefährdungslage für bedeutende Rechtsgüter geschaffen. Welche konkreten gesundheitlichen Konsequenzen daraus folgen, werden wir wohl nie erfahren. Bei einem Verzicht auf das Erfolgserfordernis – also bei der Etablierung eines entsprechenden Gefährdungsdelikts – wäre die Bestrafung in solchen Fällen problemlos möglich. Die Agierenden können dann für die Gefährdung verantwortlich gemacht werden, ohne dass ein konkret verursachter Schaden vorliegen müsste.433

432 Vgl. auch die weiteren von Bayer vorgetragenen Argumente gegen die Schadenseignung von Thalidomid, aufgelistet bei Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, 1993, S. 115 f. 433 Siehe dazu unten E.VI.2.e)cc) den Gesetzgebungsvorschlag von Freund zu einer entsprechenden strafrechtlichen Produktverantwortlichkeit.

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b) Lösungsansätze de lege lata De lege lata ist dieses Ergebnis unter Anwendung der Körperverletzungsdelikte, die einen Erfolg voraussetzen, nur dann zu erzielen, wenn man entweder den hier an sich notwendigen Verursachungsbezug contra legem lockert434 oder den Maßstab der für eine Verurteilung notwendigen gerichtlichen Überzeugung von der Ursächlichkeit absenkt435. aa) Materiell-rechtlicher Lösungsansatz: Risikoerhöhungslehre Als Konsequenz der Nachweisprobleme fordern Teile der Strafrechtswissenschaft eine Abkehr vom vorherrschenden Determinismus des Kausalitätserfordernisses.436 Hoyer möchte einen probalistischen Kausalitätsbegriff anwenden. Ein Ereignis ist demnach Ursache eines zeitlich nachfolgenden zweiten Ereignisses, „wenn das erste Ereignis mit einer Risikosteigerung in bezug auf das zweite Ereignis verbunden ist und Risikosteigerungen, die etwa mit einem dritten Ereignis verbunden sind, dadurch obsolet gemacht werden“.437 Der UrsacheWirkungs-Zusammenhang wird so durch Wahrscheinlichkeitsgesetze ersetzt.438 Dies entspricht den Annahmen der von Roxin entwickelten Risikoerhöhungslehre.439 Hier soll keine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem Ansatz erfolgen. Nur soviel sei zur überzeugenden und unüberwindbaren Kritik gesagt: Durch die Risikoerhöhungslehre wird nicht nur der in dubio pro reo-Grundsatz übergangen,440 sondern es werden vor allem auch – ohne Autorisierung durch den Gesetzgeber – Verletzungs- in Gefährdungsdelikte umgewandelt.441 Denn es reicht aus, dass ein Verhalten die Gefahr des Erfolgseintritts erhöht. Nicht nötig ist dagegen, dass es den Erfolg auch tatsächlich verursacht. Dies widerspricht jedoch dem klaren Wortlaut der Verletzungsdelikte, die zumeist die Verursachung des tatbestandlichen Erfolgssachverhalts voraussetzen.442 Da der Wort434

So die Risikoerhöhungslehre, dazu sogleich unter aa). Dazu im Folgenden unter bb). 436 Puppe, JZ 1994, 1147, 1151; dies., ZStW 95 (1983), 287, 296 ff. 437 Hoyer, GA 1996, 160, 169; vgl. auch Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 33 ff., 334 f. 438 Puppe, ZStW 95 (1983), 287, 296. 439 Roxin, ZStW 74 (1962), 411, 430 ff.; ihm folgend Rudolphi, in: SK-StGB, Vor § 1, Rn. 66, 26. Lfg., Juni 1997; Lackner/Kühl, StGB, § 15, Rn. 44; vgl. auch Puppe, ZStW 95 (1983), 287 ff. 440 Freund, ZLR 1994, 261, 278; Duttge, in: MK-StGB, § 15, Rn. 178; T. Walter, in: LK-StGB, Vor § 13, Rn. 86; Wessels/Beulke, AT, Rn. 199; Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, 1993, S. 130. 441 Duttge, in: MK-StGB, § 15, Rn. 178; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 223; Baumann/Weber/Mitsch, § 14, Rn. 87; Wessels/Beulke, AT, Rn. 199; Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, 1993, S. 130. 442 Vgl. Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, insbesondere bei Arzneimitteln, 2004, S. 9 f.; Freund, in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 283 f. 435

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laut Grenze jeglicher Auslegung im Strafrecht ist, muss zur Ablehnung einer Risikoerhöhungslehre nicht mehr gesagt werden. bb) Prozessualer Lösungsansatz: Freie richterliche Beweiswürdigung Vor allem die Rechtsprechung versucht dem Problem ungewisser Kausalitäten und Kausalgesetze mit den Mitteln des Prozessrechts beizukommen. Sie begreift die Schadenseignung (auch sog. generelle Kausalität) nicht als Bestandteil des materiellen Tatbestandes, sondern als Gegenstand der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO).443 Die auf dieser freien richterlichen Beweiswürdigung basierende Überzeugungsbildung des Gerichtes verlangt nach ständiger Rechtsprechung keine absolute, von niemandem anzweifelbare Gewissheit. Es genüge für die Bejahung eines Tatbestandsmerkmals vielmehr ein ausreichendes Maß an Sicherheit, das keinen vernünftigen Zweifel bestehen lasse.444 Natürlich darf den Gesetzen der Logik und den gesicherten wissenschaftlichen Erfahrungen nicht widersprochen werden.445 Gestützt auf den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung entschieden nun die Richter im Contergan-Fall, für den naturwissenschaftlichen Nachweis der Kausalität komme es nicht auf die objektive, sondern auf die subjektive Gewissheit des Gerichtes an.446 So könnten Richter ihren Judikaten auch Kausalzusammenhänge zugrunde legen, deren Existenz und Abläufe naturwissenschaftlich ungeklärt oder umstritten sind.447 Auf dieser Grundlage bejahte das LG Aachen im Contergan-Fall die Kausalität des Wirkstoffs Thalidomid für die geltend gemachten Schädigungen, obwohl die Frage der Kausalität im Prozess und auch darüber hinaus umstritten war.448 Die Vermutung, dass hier hauptsächlich vom Ergebnis her gedacht und argumentiert wurde und der Strafbarkeitswunsch Vater des Gedankens war, drängt sich geradezu auf. Die Verantwortlichen für die schwere Missbildung tausender von Kindern sollten nicht davonkommen, nur weil die chemischen Zusammen443

Krit. dazu Brammsen, Jura 1991, 533, 535 f. Vgl. zur freien richterlichen Beweiswürdigung auch BGHSt 10, 208, 209; 25, 365, 367; 29, 18, 20; BGH GA 1954, 152; BGH NStZ 1983, 277 f. 445 BGHSt 17, 382, 385; 41, 206, 215; 29, 18, 20 f.; BGH NStZ 1983, 277, 278; Braum, KritV 1994, 179, 181. 446 LG Aachen JZ 1971, 507, 510 – Contergan. 447 BGHSt 41, 206, 215; LG Aachen JZ 1971, 507, 510 f. – Contergan; vgl. auch Kuhlen, JZ 1994, 1142, 1145; ders., NStZ 1990, 566, 567; ders., Fragen einer strafrechtlichen Produkthaftung, 1989, S. 66 ff.; Schmidt-Salzer, NJW 1996, 1, 6 ff.; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 109 ff.; Colussi, Produzentenkriminalität und strafrechtliche Verantwortung, 2003, S. 126 ff.; ferner BGH StV 1994, 227, 228; a. A. LG Frankfurt a. M. NStZ 1990, 592, 593 f. 448 Vgl. dazu Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, 1993, S. 115 f. Siehe auch oben E.VI.1.a). 444

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hänge nicht erschlossen werden konnten. In letzter Konsequenz fehlte es nämlich im Contergan-Fall – insoweit ist er geradezu paradigmatisch für moderne Produkthaftungsfälle – an einem gänzlich „wasserdichten“ Ursächlichkeitsnachweis auf stofflicher Ebene. Der chemische Wirkvorgang, welcher zu den Schädigungen führte, ließ sich nicht exakt rekonstruieren. Dadurch konnten alternative Ursachen für das evident gehäufte Auftreten der Schäden, wie die Behauptung der Beklagten, der Wirkstoff habe lediglich dazu geführt, dass missgestaltete Embryonen nicht vorzeitig abgegangen waren, sondern am Leben erhalten worden seien,449 nicht mit hundertprozentiger Sicherheit entkräftet werden. In solchen Fällen, die im Umgang mit innovativen Produkten immer wieder auftreten werden, wird der zweifelsfreie Nachweis von Kausalität zwischen der Nutzung eines Produktes und einem Schaden nie ohne verbleibende Restzweifel glücken. Nimmt man das Kausalitätserfordernis ernst, müsste in Produkthaftungsfällen die Strafbarkeit so gut wie immer entfallen. Das wollte das Gericht im Contergan-Fall nicht akzeptieren und begründete in sein Urteil deshalb auch Kausalzusammenhänge, deren Existenz und Abläufe naturwissenschaftlich ungeklärt oder umstritten waren. Diese Argumentation und die mit ihr verbundene Ausweitung des richterlichen Entscheidungsspielraumes sind jedoch nicht unbedenklich. Gestützt auf eine solche Überlegung kann es leicht zu willkürlichen und wenig nachvollziehbaren Ergebnissen kommen. Denn sie erlaubt dem Richter naturwissenschaftliche Wirkungsbeziehungen zugrunde zu legen, die in den Fachkreisen umstritten sind. Im Contergan-Fall mögen verbleibende Zweifel so gering gewesen sein, dass vernünftigerweise nicht anders als geschehen geurteilt werden konnte. Was aber, wenn gewichtigere Bedenken gegen Kausalzusammenhänge vorgetragen werden? Oder wenn der Richter subjektiv gar von einer „Mindermeinung“ in den einschlägigen Fachkreisen überzeugt ist? Soll wirklich alleine die Einschätzung des Richters – auch wenn sie der namhafter Experten widerspricht – entscheidend sein? Da die befassten Richter über keine eigene Sachkunde verfügen, mutet die Beteuerung, man sei von einer der vertretenen Meinungen subjektiv eindeutig überzeugt, obwohl diese von ernstzunehmenden Experten bestritten wird, willkürlich an.450 Die subjektive Überzeugung des Richters kann aus einer Hypothese keine erwiesene Tatsache machen. Denn dann würde alleine die subjektive Meinung des Gerichtes bzgl. des umstrittenen Faktums über Strafbarkeit oder Freispruch entscheiden. Bei identischer Sachlage könnte 449

Vgl. dazu Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, 1993, S. 115 f. Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, insbesondere bei Arzneimitteln, 2004, S. 11; Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, 1993, S. 119; vgl. auch Gretenkordt, Herstellen und Inverkehrbringen stofflich gesundheitsgefährlicher Verbrauchs- und Gebrauchsgüter, 1993, S. 32 f.; Maiwald, Kausalität und Strafrecht, 1980, S. 109; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, 1988, S. 524; vgl. auch LG Frankfurt a. M. NStZ 1990, 592, 594. 450

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es so – je nach Sichtweise des befassten Richters – zur Bejahung der Kausalität kommen oder eben auch nicht. Dadurch würden richterliche Entscheidungen nicht nur unvorhersehbar und tangierten so das Rechtsstaatsprinzip, sondern sie verletzten auch den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 GG.451 Überdies kollidiert die Sichtweise der Rechtsprechung mit dem in dubio pro reo-Grundsatz. Zwar greift dieses Prinzip erst nach abgeschlossener Beweisführung,452 aber durch die Behauptung der festen subjektiven Überzeugung trotz wissenschaftlicher und erkenntnistheoretischer Unsicherheiten kann der (fachwissenschaftlich bestehende!) gerichtliche Zweifel leicht negiert und damit die Unschuldsvermutung umgangen werden.453 Zudem könnte sich eine Verurteilung bei wissenschaftlich nicht geklärten Wirkzusammenhängen immer nur auf Indizienbeweise stützen und würde so zu einer Anscheinshaftung führen.454 Dies aber entspricht gerade nicht der gegenwärtigen Gesetzeslage. Erfolgsdelikte sehen eine Bestrafung eben nur dann vor, wenn der Kausalitätsnachweis gelingt. Dieser Kausalitätsnachweis muss sich auf Erfahrungssätze stützen, die hinreichend gesichert sind, Mutmaßungen genügen hierfür nicht.455 Die Argumentation der Contergan-Entscheidung ist quasi eine verdeckte Einführung einer Strafbarkeit bei vermuteter Ursächlichkeit. Eine Strafbarkeit für solche Fälle sieht das deutsche Strafrecht bis dato aber nicht vor.456 Trotzdem aus einem Erfolgsdelikt zu bestrafen und verbleibende Zweifel an der Kausalität mit dem Hinweis auf die subjektive richterliche Überzeugung zu zerstreuen, verstößt gegen den nullum crimen-Satz. Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Gerichte bei der Bejahung eines Ursachenzusammenhangs nur Kausalgesetze anwenden dürfen, die in den entsprechenden Fachdisziplinen anerkannt sind.457 Lediglich eine einzelne – nicht 451 Hoyer, GA 1996, 160, 166; Maiwald, Kausalität und strafrechtliche Produkthaftung, 1980, S. 41, 64. 452 Andernfalls gäbe es überhaupt keine ,Entscheidung‘ durch den Richter, dieser müsste vielmehr bei allen aufkommenden Fragen stets die für den Angeklagten günstigste Variante zugrunde legen; Unger, Kausalität und Kausalitätsbeweis produktverursachter Gesundheitsschädigungen, 2001, S. 102 f.; Pfeiffer, Verunreinigung der Luft, 1996, 167 f.; Colussi, Produzentenkriminalität und strafrechtliche Verantwortung, 2003, S. 128; vgl. auch Wohlers, JuS 1995, 1019, 1022. 453 Hoyer, ZStW 105 (1993), 523, 525; Daxenberger, Kumulationseffekte, 1997, S. 46; vgl. auch Schulz, ZUR 1994, 26, 30 f. 454 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 47 ff. 455 Freund, Normative Probleme der „Tatsachenfeststellung“, 1987, S. 14. 456 Vgl. de lege ferenda den Gesetzgebungsvorschlag von Freund zur strafrechtlichen Produktverantwortlichkeit, der schon bei dem begründeten Verdacht schädlicher Wirkungen eingreift. Dazu unten E.VI.2.e)cc). 457 Armin Kaufmann, JZ 1971, 569, 573 ff.; Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, 1993, S. 119 f.; Maiwald, Kausalität und Strafrecht, 1980, S. 109; Maurach/Zipf, AT/1, § 18, Rn. 39; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor § 13, Rn. 75; Kleine-Cosack, Kausalitätsprobleme im Umweltrecht, 1988, S. 49 f.; Pfeiffer, Verunreinigung der Luft, 1996, 168 f.; Rudolphi, NStZ 1984, 248, 250; a. A. Puppe,

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näher substantiierte – abweichende Meinung dürfte am Befund des Anerkanntseins natürlich noch nichts ändern.458 Ist aber zwischen Experten oder Theorien, die sich jeweils auf nachvollziehbare empirische Fakten berufen, umstritten, ob ein Wirkzusammenhang besteht, kann ein eindeutiges Überzeugtsein des Gerichtes vom Bestehen eines Kausalzusammenhangs und damit die Strafbarkeit nicht sinnvoll und nachvollziehbar begründet werden.459 Die Entscheidung eines Gerichts darf weder im Widerspruch zu anerkannten Erfahrungssätzen stehen noch nicht anerkannte Erfahrungssätze zur Grundlage einer Verurteilung machen.460 cc) Fazit Strafrechtlicher Schutz im Umgang mit modernen Produktrisiken kann bei den Verletzungserfolgsdelikten weder durch eine Überdehnung des Tatbestandswortlauts – wie von der Risikoerhöhungslehre propagiert – noch im Wege der freien richterlichen Beweiswürdigung verfassungskonform erreicht werden. Da die Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolges bei Unkenntnis der Kausalbeziehung nicht begründet werden kann, darf die Verurteilung aus einem Verletzungserfolgsdelikt nicht erfolgen. Dies ist die Konsequenz des nullum crimen-Satzes. Die klassischen Erfolgsdelikte sind somit zur Normstabilisierung im Bereich unbekannter und noch nicht voll erforschter moderner (Massen-) Gefahren ungeeignet. In diesem Sinne hat der Gesetzgeber in den letzten Jahrzehnten auf die gesellschaftlichen Veränderungen mit der vermehrten Etablierung von abstrakten Gefährdungsdelikten – vor allem im Nebenstrafrecht und im risikorelevanten Kernstrafrecht (organisierte Kriminalität und Umweltstrafrecht) – reagiert.461 Da sich die Strafbarkeitslücken aus der Struktur der Erfolgsdelikte ergeben, ist dies ein effektiver Weg, um die Kausalitätsprobleme im strafrechtlichen UmJZ 1994, 1147, 1150 f.; vgl. zum Meinungsstand auch Rudolphi, in: SK-StGB, Vor § 1, Rn. 42 ff., 26. Lfg., Juni 1997; Otto, Jura 1992, 90. 458 Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, 1993, S. 120 f. Siehe dazu auch Freund, Normative Probleme der „Tatsachenfeststellung“, 1987, S. 16. 459 Armin Kaufmann, JZ 1971, 569, 574; Otto, Jura 1992, 90, 93; Maiwald, Kausalität und Strafrecht, 1980, S. 109. A. A. Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 114 f.; vgl. auch Deutscher/Körner, wistra 1996, 292, 297 f. 460 So auch Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, insbesondere bei Arzneimitteln, 2004, S. 11 f. 461 Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung und materieller Rechtsgüterschutz, 1986, S. 53 f.; Hassemer, ZRP 1992, 378, 381; ders., Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 11; Schröder, ZStW 81 (1969), 7; Wohlers, GA 2002, 15; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 13. Dies gilt nicht nur für das deutsche Recht. Auch in Italien (Grasso, ZStW Beiheft 1987, 57 und 58), Polen (Spotowski, ZStW Beiheft, 1987, 125, 139) und Ungarn (Györgyi, ZStW Beiheft 1987, 97, 114) finden sich heute zahlreiche abstrakte Gefährdungsdelikte.

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gang mit neuen Risiken zu vermeiden und so einen strafrechtlichen Beitrag zur Sicherheit in modernen Lebenswelten zu leisten.462 Das abstrakte Gefährdungsdelikt ist daher die charakteristische Deliktsform moderner Strafrechtsentwicklung.463 Zu dieser Entwicklung gibt es keine Alternative, außer den Rückzug des Strafrechts. Das erkennt auch die Frankfurter Schule an. Sie fordert insofern konsequent keine Änderung der Strafgesetze oder ihres Vollzuges, sondern möchte das Strafrecht in Risikomaterien wie der Produkthaftung gänzlich oder zumindest weitgehend abschaffen.464 Dadurch würden zwangsläufig Schutzlücken entstehen. Die Forderung nach gänzlichem Rückzug des Strafrechts dürfte aber mit existierenden Schutzpflichten des Staates kaum vereinbar sein. Auch im Bereich moderner Lebenssachverhalte bestehen verfassungsrechtliche Schutzpflichten, die den Staat zu einer wirksamen Regelung zwingen können.465 Selbst wenn er im hier interessierenden Bereich nicht zum Erlass von Strafvorschriften verpflichtet sein sollte, muss ihm die Implementierung von Strafvorschriften zumindest erlaubt sein. Dann aber muss es dem Gesetzgeber auch möglich sein, den Rechtsgüterschutz der Komplexität der Produktionsprozesse in der modernen Gesellschaft so weit wie verfassungsrechtlich möglich anzupassen.466 Die Etablierung eines solchen Strafrechts kann jedenfalls dann nicht als unzulässig stigmatisiert werden, wenn ihr keine gewichtigen verfassungsrechtlichen Bedenken entgegenstehen. Die Forderung nach Rückzug des Strafrechts ist somit nicht zwingend. Es soll daher im Folgenden der Verfassungsmäßigkeit der Deliktskategorie der abstrakten Gefährdungsdelikte nachgegangen werden. Natürlich ersetzt das praktische Bedürfnis keine sachliche Rechtfertigung der Strafe467 und auch Schutz462 Grasso, ZStW Beiheft 1987, 57, 85; Armin Kaufmann, JZ 1971, 569, 576; Kuhlen, ZStW 105 (1993), 697, 712 mit Fn. 71, 721; ders., GA 1994, 347, 362 f.; Samson, StV 1991, 182, 183; Freund, ZStW 109 (1997), 455, 479; Weber, ZStW Beiheft 1987, 1, 24 ff.; Schünemann, GA 1995, 201, 211 ff.; Meinberg, NStZ 1988, 366, 367; Sieber, ZLR 1991, 451, 462. Vgl. die ähnlichen Ansätze im Zivilrecht, wo vermehrt Gefährdungshaftungen implementiert wurden; hierzu Göben, Arzneimittelhaftung und Gentechnikhaftung als Beispiel modernen Risikoausgleichs, 1995, S. 33 ff. 463 Dies gilt jedoch nur in quantitativer Hinsicht. Denn schon die Strafrechtsordnungen der Aufklärungszeit, namentlich etwa das Preußische Allgemeine Landrecht (vgl. Schünemann, GA 1995, 201, 212) und sogar das germanische sowie deutsche Recht des Mittelalters (vgl. Weber, ZStW Beiheft 1987, 1, 5), kannten diese Deliktskategorie; vgl. auch Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, 2000, S. 158. 464 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 76. 465 Vgl. Grasso, ZStW Beiheft 1987, 57; vgl. auch Kuhlen, GA 1994, 347, 361, 363; Weber, ZStW Beiheft 1987, 1, 23 ff., insb. 27. 466 Grasso, ZStW Beiheft 1987, 57, 84; Schünemann, GA 1995, 201, 212 f.; Sieber, ZLR 1991, 451, 462. 467 Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 367; Kleine-Cosack, Kausalitätsprobleme im Umweltstrafrecht, 1988, S. 178 f.; Lin, Abstrakte Gefährdungstatbestände, 1992, S. 101.

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pflichten können nur insoweit bestehen, wie Schutz verfassungskonform gewährleistet werden kann. Nur wenn abstrakte Gefährdungsdelikte verfassungsrechtlich unbedenklich sind, kann dem praktischen Sicherungsbedürfnis entsprochen werden. c) Definition abstrakter Gefährdungsdelikte und Abgrenzung zu anderen Deliktsformen In aller Regel wird das abstrakte Gefährdungsdelikt negativ beschrieben als Tatbestand, der weder das Eintreten eines Verletzungs- noch eines konkreten Gefährdungserfolges voraussetzt.468 Indes ist dies nicht ganz korrekt. Im materiellen Sinne liegen nämlich abstrakte Gefährdungsdelikte auch dann vor, wenn zwar ein Erfolgssachverhalt – z. B. die Verletzung eines Handlungsobjekts – vorausgesetzt wird, Schutzgut der Vorschrift aber ein anderes meist übergeordnetes Rechtsgut ist, das durch den Eintritt des Erfolgssachverhalts lediglich gefährdet wird.469 Beispiele sind etwa die Falschaussage- und Urkundendelikte. Hier wird zwar ein Erfolg im Sinne der falschen Aussage oder des Entstehens einer unechten Urkunde vorausgesetzt. Dadurch wird das Schutzgut – die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege bzw. des Rechtsverkehrs mit Urkunden als Beweismittel – indessen nur gefährdet, nicht aber zwangsläufig beschädigt im Sinne einer tatsächlichen Beeinträchtigung bis hin zur Funktionsunfähigkeit. Materiell handelt es sich daher um abstrakte Gefährdungsdelikte.470 Ein weiteres Beispiel ist § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG, der das Inverkehrbringen von Arzneimitteln, bei denen der begründete Verdacht schädlicher Wirkungen besteht, bestraft. Hier wird ein Erfolg vorausgesetzt, nämlich das Inverkehrbringen eines entsprechenden Arzneimittels. Schutzgut ist aber Leib und Leben der Verbraucher. Diese werden durch das reine Inverkehrbringen eines bedenklichen Arzneimittels zunächst nur gefährdet. Somit muss sich die Abgrenzung der Deliktskategorien nicht an dem Handlungsobjekt, sondern immer an dem geschützten Rechtsgut und dessen Gefährdungs- bzw. Verletzungsgrad orientieren.471 Abstrakte Gefährdungsdelikte können sowohl schlichte Tätigkeitsdelikte als auch formale Erfolgsdelikte sein. Korrekte Antonyme sind Verletzungs- und Gefährdungsdelikte sowie Erfolgs- und schlichte Tätigkeitsdelikte.472 468 Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung und materieller Rechtsgüterschutz, 1986, S. 57; Schneider, Jura 1988, 460, 461 mit Fn. 6 und 10. 469 Vgl. dazu auch Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, 1991, S. 107 ff.; Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, 1999, S. 18 f.; Schroeder, ZStW Beiheft 1982, 1, 2 f. 470 Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 75 Rn. 9. 471 Radtke, Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, 1998, S. 23 f. 472 Vgl. Schroeder, ZStW Beiheft 1982, 1, 2 f.; T. Walter, in: LK-StGB, Vor § 13, Rn. 66.

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Für die Abgrenzung von konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikten ist vor allem die Unterscheidung zwischen „gefährlich handeln“ und „jemanden gefährden“ relevant.473 Abstrakte Gefährdungsdelikte verzichten auf jeden Bezug zu Fehlverhaltensfolgen, bestrafen also das reine Verhaltensunrecht, die Vornahme eines Verhaltens trotz Schädigungsmöglichkeit. Konkrete Gefährdungsdelikte sind Erfolgsdelikte, die einen konkret gefährlichen Zustand im Sinne einer Fehlverhaltensfolge erfordern.474 Hier muss das Fehlverhalten also eine Folge in der Außenwelt verursacht haben, um deren Vermeidung willen es verboten war. Für den Erfolg in Form der Gefährdung oder Schädigung eines Rechtsgutes sind in der Regel zwei Faktoren vonnöten, die räumlich und zeitlich zusammentreffen müssen: gefährliches Verhalten und gefährdetes Gut.475 In der Systematik der Verletzungs- und Gefährdungsdelikte ergibt sich daher folgende Abstufung: Bei der Verletzung realisiert sich die Schädigungsmöglichkeit eines Verhaltens durch zeitliches und räumliches Zusammentreffen mit dem Gefährdungsobjekt im Schaden (etwa: ein Autofahrer fährt vor einer Kuppe auf der linken Spur, ein anderes Fahrzeug kommt ihm entgegen, es kommt zum Unfall). Beim konkreten Gefährdungsdelikt treffen gefährliches Verhalten und Gefährdungsobjekt zeitlich und räumlich aufeinander, ohne dass sich die Schädigungsmöglichkeit realisiert (etwa: der entgegenkommende Autofahrer weicht im letzten Moment auf die Gegenfahrbahn aus, sodass der Unfall vermieden wird). Das abstrakte Gefährdungsdelikt erfordert nur ein Verhalten, welches ex ante betrachtet die Möglichkeit einer Schädigung eröffnet, ein Gefährdungsobjekt muss nicht in dessen Wirksphäre eintreten (der Autofahrer fährt vor der Kuppe auf der falschen Fahrbahnseite, aber es kommt ihm kein Fahrzeug entgegen). Das abstrakt gefährliche Verhalten schafft nur eine Situation, in welcher ex ante eine Schädigungsmöglichkeit besteht.476 Die abstrakte Gefahr konkretisiert sich jedoch nicht auf ein bestimmtes Gefährdungsobjekt. Wäre dies der Fall, läge eine konkrete Gefahr vor. Der Terminus der konkreten Gefahr bezieht sich somit immer auf die Gefährdungslage eines konkreten Schutzgutes. Daher findet sich im Wortlaut dieser Delikte ein Bezug zum Schutzgut in Form eines Erfolgserfordernisses. Abstrakt gefährlich kann dagegen nur ein Verhalten sein. Sobald sich dieses gegen ein bestimmtes Handlungsobjekt richtet, entsteht eine 473 Vgl. dazu Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, 1992, S. 183 ff.; Brehm, JuS 1976, 22, 23; Hirsch, in: FS-Arthur Kaufmann, 1993, S. 545, 548 ff. 474 T. Walter, in: LK-StGB, Vor § 13, Rn. 65; Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, 1992, S. 185 f.; Schünemann, JA 1975, 787, 793; Gallas, in: FS-Heinitz, 1972, S. 171, 176 f.; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 181 f. 475 Ähnlich auch Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973, S. 161 ff.; Roxin, AT 1, § 11, Rn. 148. Ob dies der Fall ist, lässt sich nur bei Rechtsgütern, welche in Handlungsobjekten verkörpert sind, einfach nachweisen, vgl. Platzgummer, ZStW Beiheft 1987, 37, 42. 476 Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, 1991, S. 152 ff.; Wohlers, GA 2002, 15, 18.

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konkrete Gefahr. Daher verzichtet der Wortlaut von abstrakten Gefährdungsdelikten auf einen Bezug zum Schutzgut in Form eines Erfolgserfordernisses. Abstrakte Gefährdungsdelikte werden zumeist dann implementiert, wenn ein Verhalten typischerweise Schädigungsmöglichkeiten nach sich zieht und schwer kontrollierbar ist, z. B. bei der Brandstiftung oder beim Fahren im fahruntüchtigen Zustand. d) Kritik an den abstrakten Gefährdungsdelikten Die Frankfurter Schule lehnt den vermehrten gesetzestechnischen Einsatz dieser Deliktskategorie als offensichtliche Ausprägung eines „Risikostrafrechts“ ab. Ganz besonders Herzog, der mit seiner Monografie „Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge“ nach eigenem Bekunden eine „Streitschrift wider das Gefährdungsstrafrecht“ verfasst hat,477 fordert, die abstrakten Gefährdungsdelikte soweit wie möglich abzuschaffen.478 So sollen z. B. das Umweltstrafrecht oder die neueren Gefährdungsdelikte im Wirtschaftsstrafrecht weitgehend gestrichen werden.479 aa) Legitimationsprobleme: Fehlender Rechtsgüterschutzbezug im Wortlauttatbestand Durch den Verzicht auf das Erfolgserfordernis ergeben sich für viele Autoren Probleme bei der Handhabung und Legitimation abstrakter Gefährdungsdelikte. Anders als den Verletzungs- und Gefährdungserfolgsdelikten lässt sich den Wortlauttatbeständen der abstrakten Gefährdungsdelikte nämlich kein direkter 477 Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, Vorwort, S. VIII; krit. gegenüber der radikalen Sicht Herzogs etwa Koriath, GA 2001, 51, 73 f. 478 Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991; Naucke, KritV 1993, 135, 145; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, vor allem S. 380 ff. Krit. gegenüber dieser Deliktsgruppe auch Frisch, in: FS-Stree/Wessels, 1993, S. 69, 91 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 50, Rn. 37; vgl. auch etwa Hassemer, ZRP 1992, 378, 383; ders., Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 20 f. Hassemer hält alleine die schon lange existierenden Tatbestände (namentlich die Brandstiftung, die Trunkenheit im Verkehr, die gefährlichen Eingriffe in den Luftverkehr, die Bildung krimineller Vereinigungen oder die Staatsgefährdung) für berechtigt, da flagrante Bedrohungen wichtiger menschlicher Interessen vorlägen. Hier drängt sich der Verdacht auf, dass das Bestehende, Bekannte gebilligt wird, das Neue, Unbekannte dagegen abgelehnt. Es werden keine materiellen Kriterien vorgegeben, die „gute“ von „schlechten“ abstrakten Gefährdungs- oder Vorfeldnormen trennen. Dies kann aber so nicht richtig sein. Vielmehr muss es einheitlich materielle Kriterien für die Legitimität abstrakter Gefährdungsdelikte geben, die für alte wie neue Tatbestände gelten. 479 Hohmann, Das Rechtsgut der Umweltdelikte, 1991, S. 196 ff., insb. 199, 205 ff.; Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 109 ff., 141 ff.

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken

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Rechtsgüterschutzbezug entnehmen. Daraus wird zum Teil gefolgert, das Verhalten werde von den Tatbeständen unter Strafe gestellt unabhängig davon, ob eine Rechtsgutsbeeinträchtigung möglich ist oder nicht.480 Die Gefährlichkeit des beschriebenen Verhaltens sei nur Motiv des Gesetzgebers und werde nicht geprüft.481 Nach dieser Sichtweise greift etwa § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB auch dann ein, wenn eine menschenleere Hütte nach gründlicher Durchsuchung angezündet wird, obwohl weder objektiv noch in der Vorstellung des Täters eine Schädigungsmöglichkeit für die körperliche Integrität und das Leben von Menschen geschaffen wurde. Der Tatbestand der schweren Brandstiftung setzt nämlich seinem Wortlaut nach alleine das Inbrandsetzen eines Gebäudes, das der Wohnung von Menschen dient, voraus, sieht aber keinen zu prüfenden Rechtsgüterschutzbezug vor. Gleiches gilt etwa für § 316 Abs. 1 StGB: Den Wortlauttatbestand verwirklicht jeder, der fahruntüchtig ein Kraftfahrzeug einige Meter langsam fährt, selbst wenn nüchterne Bekannte die leere Nebenstraße, auf oder an der sich keinerlei Gegenstände oder Menschen befinden, absolut sicher sperren. Von abstrakten Gefährdungsdelikten werden somit ausweislich ihres Wortlautes alle Verhaltensweisen erfasst, die der genannten Verhaltensgattung – etwa dem Inbrandsetzen von Wohngebäuden oder dem Fahren im fahruntüchtigen Zustand – angehören. Kindhäuser erkennt in diesem Zusammenhang richtig, dass dadurch nicht die Gefährdung von Rechtsgütern Strafgrund der abstrakten Gefährdungsdelikte ist, sondern die rein formale Zugehörigkeit zu einer Verhaltensgattung.482 Ein solches Verständnis der abstrakten Gefährdungsdelikte, das keinen Bezug zu einem Rechtsgut herstellt, verstößt aber gegen die Prinzipien des Rechtsgüterschutzstrafrechts, in welchem sich Strafe nur durch den Schutz eines Rechtsguts legitimiert. Ohne einen solchen Rechtsgüterschutzbezug ahndet die Strafe kein materielles Unrecht, sondern bloßen Ungehorsam.483 Zumindest dann, wenn der Täter von der Unmöglichkeit einer Rechtsgutsgefährdung überzeugt sein durfte, etwa weil ausreichende Schutzmaßnahmen ergriffen wor480 Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, 1973, S. 4 f.; ders., JuS 1976, 24; Bohnert, JuS 1984, 182 ff.; Roxin, AT 1, § 11, Rn. 153; Schünemann, JA 1975, 787, 797; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 27; Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 431 f.; Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor § 306, Rn. 3a. 481 Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung und materieller Rechtsgüterschutz, 1986, S. 57 f.; Geppert, in: GS-Schlüchter, 2002, S. 43, 54; Grasso, ZStW Beiheft 1987, 57, 65; Platzgummer, ZStW Beiheft 1987, 37, 43; Schünemann, JA 1975, 787, 793; Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 431, 432; Schneider, Jura 1988, 460, 461; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 8, Rn. 43; vgl. auch BGHSt 26, 121, 123; BGH NJW 1982, 2329; NStZ 1985, 408, 409. 482 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 233 ff., insb. 235. 483 Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, 1973, S. 42 f.; Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, 1999, S. 22 f. m. w. N., 30; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 376 f.; vgl. auch Schröder, ZStW 81 (1969), 7, 15.

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den sind, liegt kein Verhaltensunrecht vor, für welches er zur Verantwortung gezogen werden kann.484 (1) Lösungsansätze Während Teile des Schrifttums die generelle Gefahr der Verhaltensgattung als Strafgrund ausreichen lassen wollen und Einschränkungen der Strafbarkeit ablehnen485 und damit – zumeist ohne dies weiter zu thematisieren – den Rechtsgutsbezug aufgeben, suchen einige Autoren vor allem in Monografien zu dieser Problematik nach alternativen Lösungsstrategien, um einen normlegitimierenden Zusammenhang zwischen geschütztem Rechtsgut und Tatbestand herzustellen. Da die Wortlauttatbestände der abstrakten Gefährdungsdelikte die Gefährlichkeit des Verhaltens nicht voraussetzen, wird vielfach eine teleologische Reduktion für erforderlich gehalten. Auch der BGH sieht das geschilderte Problem und geht in der Entscheidung BGHSt 26, 121 zur schweren Brandstiftung in engen Grenzen von der Möglichkeit der teleologischen Reduktion der Straftatbestände aus, wenn die Gefährdung von Menschenleben „nach der tatsächlichen Lage absolut ausgeschlossen“ ist. Der Täter müsse sich dazu durch „absolut zuverlässige Maßnahmen vergewissert haben“, dass die verbotene Gefährdung ausgeschlossen ist. Dies sei lediglich bei kleinen, einräumigen Hütten und Häuschen möglich.486 Wann genau eine teleologische Reduktion vorzunehmen ist und worauf sich eine solche dogmatisch stützt, ist genauso umstritten wie die Legitimation und dogmatische Einordnung der abstrakten Gefährdungsdelikte selbst. Es wurden viele interessante Argumentationslinien entwickelt. Die Beiträge des Schrifttums sind dabei vielgestaltig und unübersichtlich. Bis heute herrscht in weiten Teilen der Dogmatik der abstrakten Gefährdungsdelikte Unklarheit.487 Im hier gesetzten Rahmen kann insofern keine vollständige Darstellung aller – zum Teil durchaus beachtlichen – Lösungsansätze erfolgen. Es soll aber versucht werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einen Überblick über die wesentlichen Ansätze im Schrifttum zu geben. Den meisten Meinungen ist dabei gemein, dass sie als unmittelbares Schutzgut der Straftatbestände Rechtsgüter wie Leib und Leben, die nach hier vertretener Auffassung nur mittelbar geschützt werden, ansehen.

484 Vgl. Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor § 306, Rn. 3a; Rudolphi, in: FSMaurach, 1972, S. 52, 59. 485 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 480 ff.; Radtke, Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, 1998, S. 240 ff.; Maurach/Zipf, AT, § 20, Rn. 31; Schneider, Jura 1988, 460, 468 f. 486 Vgl. auch BGH NJW 1982, 2329; krit. dazu Bohnert, JuS 1984, 182, 186; Brehm, JuS 1976, 22, 23. 487 Vgl. etwa Roxin, AT 1, § 11, Rn. 153; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 15 ff., insb. 19.

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(a) Strafe auch bei ungefährlichen Verhaltensweisen Zunächst gibt es einige Bemühungen, die Tatbestände der abstrakten Gefährdungsdelikte in toto zu rechtfertigen, also Legitimationen zu finden, die eine Strafbarkeit auch dann rechtfertigen, wenn das konkret zu beurteilende Verhalten für Rechtsgüter keine Schädigungsmöglichkeit schafft. (aa) Präsumtion Auf das Phänomen, dass die Wortlauttatbestände der abstrakten Gefährdungsdelikte auch für Rechtsgüter in concreto ungefährliche Verhaltensweisen erfassen, reagierten ältere Stellungnahmen – verhaftet im Erfolgsdenken – mit der Konstruktion einer konkreten Gefahr. Die Präsumtionstheorie488 etwa unterstellte schlicht, dass bei abstrakten Gefährdungsdelikten eine Gefahr für Schutzgüter wie Leib und Leben bestehe. Diese Argumentation ist allerdings widersinnig. Ein Erfordernis (Rechtsgutsgefährdung) aufzustellen, um sein Vorliegen dann zu unterstellen, ist nichts anderes, als auf das Erfordernis gänzlich zu verzichten. Mit der Präsumtionstheorie wird der propagierte Legitimationsgrund der Strafe, der Eintritt einer Rechtsgutsgefährdung, lediglich behauptet und nicht positiv nachgewiesen.489 Der Versuch Rabls und Schröders, diese Konsequenz abzuschwächen, indem sie den Gefahrerfolg lediglich vermuten und den Gegenbeweis der Ungefährlichkeit zulassen,490 würde im Prozess zu einer problematischen Umkehrung der Beweislast in dem Sinne führen, dass die Unschuld des Angeklagten zu beweisen wäre. Wegen des darin liegenden Verstoßes gegen den in dubio pro reo-Grundsatz, findet dieser Ansatz heute zu Recht kaum Zuspruch.491

488 Vgl. die ausführliche Darstellung m.w. N. bei Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, 1991, S. 148 ff. und bei Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, 1999, S. 32 f.; im Bezug auf das ungarische Recht Györgyi, ZStW Beiheft 1987, 97, 120. 489 Siehe auch die ausführliche Kritik an der Präsumtionstheorie durch Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtion im Strafrecht, 1991, S. 232 ff. und Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, 1973, S. 38 ff. 490 Rabl, Der Gefährdungsvorsatz, 1933; Schröder, ZStW 81 (1969), 7, 16 f. Eine unwiderlegliche Vermutung sieht Schröder immer dann vor, wenn die Gefahrenfeststellung nur unter erheblichen Beweisschwierigkeiten möglich wäre. Dies soll vor allem bei Gefährdungsdelikten, die „sich gegen die Allgemeinheit oder gegen [. . .] im Zeitpunkt der Tat noch nicht feststehende oder feststellbare Objekte“ richten, der Fall sein. 491 Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung und materieller Rechtsgüterschutz, 1986, S. 103, Fn. 18 und S. 105, Fn. 23; Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, 1973, S. 70; Schünemann, JA 1975, 787, 797; Volz, Unrecht und Schuld abstrakter Gefährdungsdelikte, 1968, S. 32 ff.; Roxin, AT 1, § 11, Rn. 154; Saal, Das Vortäuschen einer Straftat, 1997, S. 80; Hirsch, in: FS-Arthur Kaufmann, 1993, S. 545, 559; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 287 f.

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(bb) Kindhäuser Einige Ansätze in der Literatur versuchen die abstrakten Gefährdungsdelikte durch eine Modifikation des Schutzgegenstandes zu rechtfertigen. Nach Kindhäuser etwa sind Legitimationsgrund der abstrakten Gefährdungsdelikte die Sicherheitsbedingungen, die zur sorglosen Verfügung des Inhabers über sein Rechtsgut erforderlich sind.492 Kindhäuser unterscheidet richtigerweise zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen. Seine These beruht jedoch auf der Prämisse, dass „Verhaltensnormen“, die den Verletzungstatbeständen zugrunde liegen, Verbote der Verursachung einer Verletzung seien, während „Verhaltensnormen“, deren Verstoß durch die Gefährdungsdelikte geahndet werde, nur die Gefährdung verbieten würden.493 Solche Verbote, die ein Verhalten untersagen, welches das Schutzgut nur gefährdet und nicht in seiner Integrität verletzt, seien zum Schutz der Rechtsgutsintegrität nicht zweckdienlich und mithin aus diesem Grund nicht zu rechtfertigen.494 Wie oben495 ausführlich dargestellt, können Verhaltensnormen jedoch keine reinen Verursachungsverbote sein. Insofern setzt Kindhäuser die falschen Prämissen. Aber auch seine Schlussfolgerungen können nicht vollumfänglich überzeugen: Ausgehend von der These, dass sich abstrakte Gefährdungsdelikte nicht durch den Schutz der Rechtsgutsintegrität rechtfertigen lassen, möchte er auf das Rechtsgut „Verfügungssicherheit“ abstellen. Er geht davon aus, dass ein Rechtsgut nur dann von Nutzen für seinen Träger ist, wenn dieser nach Belieben damit verfahren kann. Müsse der Träger jedoch befürchten, dass sein Gut bei bestimmten Dispositionen Schaden nehmen könnte, so sei es in seinem Wert gemindert. Rechtsgüterschutz bedeute damit nicht nur Integritätswahrung, sondern auch Gewährleistung der für rationale Verfügungen nötigen Sicherheit.496 Zum Beispiel werde durch das Verbot, in der Kurve zu überholen, das Vertrauen aller in die Verkehrssicherheit gestärkt – konkret das Vertrauen darauf, dass dem Führer eins Kfz in der Kurve kein Fahrzeug auf seiner Spur entgegenkommt. So könne jeder frei und sorglos am Straßenverkehr teilnehmen, ohne Angst vor fehlerhaft überholenden Fahrzeugen haben zu müssen.497 Diesen Erwägungen Kindhäusers ist allerdings eine Verwässerung des 492 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 280 ff.; ders., GA 1994, 197, 199 f.; ders., StV 1990, 161, 163; Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337, 340; dem folgend Kleine-Cosack, Kausalitätsprobleme im Umweltstrafrecht, 1988, S. 161 f.; Pfeiffer, Verunreinigung der Luft, 1996, S. 180 ff.; ähnlich auch Jakobs, ZStW 107 (1995), 843, 857; Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, 1999, S. 189 ff. 493 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 163 ff. Zu Verursachungsverboten siehe auch oben E.IV.2.c). 494 Zur Kritik an Kindhäusers Straftatmodell vgl. auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 121 ff. 495 E.IV.2.c). 496 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 280 ff. 497 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 291 ff.

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strafrechtsbegrenzenden Rechtsgutskonzepts vorzuwerfen. Das Herstellen von „Sicherheit“ ist Grundmotivation der meisten rechtlichen Regelungen.498 Sicherheit ist ein vage und pauschal formuliertes, großdimensioniertes Universalrechtsgut, welches jeden Strafrechtsvorwurf rechtfertigen könnte. Wäre ein Individualrechtsgut nicht bedroht, müsste man nur auf dessen „Verfügungssicherheit“ rekurrieren, um Strafe zu rechtfertigen. Insofern ist Kindhäusers Konzept untauglich, die Reichweite des Strafrechts zu beschränken.499 Ganz unabhängig von diesen grundlegenden Bedenken gelingt es Kindhäuser letztlich auch nicht stimmig zu begründen, warum nach seinem Konzept Strafe auch dann legitim sein soll, wenn im Einzelfall ein Verhalten vorliegt, welches keine Schädigungsmöglichkeit schafft. Er geht davon aus, dass das Sicherheitsgefühl der Rechtsgutsinhaber, welches für eine freie Verfügung über die Güter notwendig ist, auch dann tangiert wird, wenn – wie bei dem Inbrandsetzen der menschenleeren Hütte – keine Schädigungsmöglichkeit gegeben ist. Indes muss man bei richtiger Sichtweise wohl annehmen, dass dann, wenn es keine Schädigungsmöglichkeit gibt, auch kein Grund besteht, verunsichert zu sein. Erst wenn ein Verhalten tatsächlich geeignet ist, einen Schaden zu verursachen, könnten Personen in ihrer Verfügungsfreiheit über Rechtsgüter beschränkt werden, da sie erst dann mit Schäden rechnen müssen.500 (cc) Kratzsch Kratzsch propagiert ganz im Sinne eines neuen „Risikostrafrechts“501 „Rechtsgüterschutz durch Zufallsbeherrschung“. So habe „das verfassungsrechtlich verankerte Prinzip des effektiven Rechtsgüterschutzes nur dann Aussicht auf Verwirklichung, wenn [. . .] dem Zufall der Kampf angesagt wird. Drohenden Rechtsgutsverletzungen muß durch ein System von Regelungen entgegengewirkt werden, das – soweit vertretbar – möglichst lückenlos ist und dem Zufall keine Chance lässt“.502 Kratzsch geht davon aus, dass der Gesetzgeber abstrakte Gefährdungsdelikte dort implementiert, wo aufgrund von sich wechselseitig be-

498

Koriath, GA 2001, 51, 67. Vgl. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 44; Roxin, AT 1, § 11, Rn. 157; Prittwitz, Strafrecht und Risiko, 1993, S. 155 f.; Hirsch, in: FS-Arthur Kaufmann, 1993, S. 545, 556, Fn. 49; Kratzsch, JuS 1994, 372, 376; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 354; Ahn, Zur Dogmatik abstrakter Gefährdungsdelikte, 1995, S. 12. 500 Vgl. hierzu Schmidt, Untersuchungen zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, 1999, S. 99; Roxin, AT 1, § 11, Rn. 167; Frisch, in: FS-Stree/Wessels, 1993, S. 69, 92; Ahn, Zur Dogmatik abstrakter Gefährdungsdelikte, 1995, S. 12. 501 Kratzsch, Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985, S. 269. 502 Kratzsch, Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985, S. 119 f.; ders., in: FS-Oehler, 1985, S. 65, 68. 499

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dingenden Zufallsereignissen nicht abzusehen ist, ob ein konkretes Rechtsgut gefährdet wird oder nicht.503 Es werde ein Verhalten bei Strafe verboten, dessen Ablauf und Wirkung für den Täter wegen unzureichender Prognosemöglichkeiten nicht beherrschbar seien. Auch auf scheinbar ungefährliche Situationen soll sich der Täter in solchen unübersichtlichen Lebensbereichen nicht einlassen dürfen, denn die wirkliche Gefährlichkeit lasse sich durch die Zufallsabhängigkeit und Komplexität der Umstände nicht erfassen. Durch das strafbewehrte Verbot werde in diesem gefährlichen Bereich schlicht jedes Verhalten verboten. Der Agierende müsse und dürfe keine eigene Risikoeinschätzung vornehmen, sondern habe jedes Verhalten, auch solches, welches er für ungefährlich hält, zu unterlassen. Auch wenn eine Schädigung unmöglich sei, müsse somit die Strafbarkeit eingreifen.504 So werde der Zufall ausgeschaltet. Alle zahlreichen Einzeltaten zusammen ergäben nämlich eine „Großstörung“. Die abstrakte Gefährdungsnorm sei dann ein „Großregler“, um dieser zu begegnen. Nur durch eine solche Großregelung könnten jene Rechtsgutsgefährdungen effektiv verhindert werden, die sich aufgrund ihrer Zufallsbedingtheit einer Einzelfallregelung entzögen.505 Kratzsch will so die Rechtsgüter universell gegen jede Art von Schädigung schützen. Indem er die Strafbarkeit auch dann bejaht, wenn die Gefährdung nicht auf dem Verhalten des Täters beruht oder gar nicht besteht, will er jeden Zufall ausschalten. Strafgrund ist die Vornahme eines statistisch gefährlichen Verhaltens, unabhängig davon, ob es konkret einen Rechtsgutsbezug aufweist oder nicht. Die Strafbarkeit ist allerdings in jedem Einzelfall dem konkret Betroffenen gegenüber zu legitimieren. Das heißt, das Fehlverhalten der konkreten Person muss gewichtig genug für die strafrechtliche Rechtsfolge sein. Erwägungen über eine durch viele für sich genommen ungefährliche Verhaltensweisen und Zufälle verursachte Gefahr in Form einer „Großstörung“ vermag daran nichts zu ändern. Keinesfalls dürfen einer Person fremde Verursachungsbeiträge und Zufälle zugerechnet und durch sie eine Strafbarkeit begründet werden.506 Vielmehr muss das Fehlverhalten in concreto hinreichend gewichtig sein. Es stellt sich die Frage, was dem potenziell Normunterworfenen im Zeitpunkt der Handlung abverlangt werden darf. Eine belastende Norm, die den Zweck hat, jeden Zufall auszuschließen, wird sich nicht selten als unangemessene Steuerung einer Situation und damit als übermäßiger Eingriff in Freiheitsrechte des Norm-

503 Kratzsch, Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985, S. 113 f., 274 f., 278; ders., Jus 1994, 372, 378 f.; ders., GA 1989, 49, 67. 504 Kratzsch, JuS 1994, 372, 375 f.; ders., GA 1989, 49, 67 ff., 69. 505 Kratzsch, Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985, S. 277 f.; ders., GA 1989, 49, 67 ff. 506 Neumann, GA 1987, 278, 279; vgl. auch Prittwitz, Strafrecht und Risiko, 1993, S. 348 f.

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unterworfenen darstellen. Je weniger gefährlich ein Verhalten ist, desto weniger ist Strafe ein angemessenes Sanktionsinstrument, sodass es oft an der Verhältnismäßigkeit der strafrechtlichen Reaktion fehlen wird. (dd) Schünemann und Wolter Schünemann und Wolter halten es nicht für möglich, die abstrakten Gefährdungsdelikte in toto einheitlich zu rechtfertigen und bilden daher Untergruppen. Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut“, „Massenhandlungen“ und nach Wolter auch „Prüfstellendelikte“ 507 seien, anders als der Rest abstrakter Gefährdungsdelikte, jeweils nach eigenen Regeln zu rechtfertigen.508 Diese speziellen Gruppen bezweckten nicht unmittelbar den Schutz von konkreten Rechtsgütern – dies sei lediglich Motiv des Gesetzgebers.509 So rechtfertige sich etwa die Strafbarkeit bei Massenhandlungen, vor allem im Straßenverkehr, nicht durch den Schutz konkreter Rechtsgüter, sondern bezweckt werde die Automatisierung solcher Massenhandlungen. Zur Erreichung dieses Ziels soll es aus rein lerntheoretischen Gründen legitim sein, beim bloßen Regelverstoß ohne Rechtsgutsbezug zu strafen. Der Gesetzgeber automatisiere Massenhandlungen, „um durch die dadurch bewirkte Entlastung genügend Aufmerksamkeit für die zahlreichen atypischen Gefahren freizusetzen“.510 Nur so könne die erhebliche Unfallgefahr gebannt werden, die entstünde, wenn jeder über die Verbindlichkeit der Verhaltensnorm im Einzelfall nach Gefahrenlage entscheiden könnte.511 Das Abweichen vom Eingeübten bei ausgeschlossener Schutzgutbeeinträchtigung kann im Rechtsgüterschutzstrafrecht aber nicht angemessen mit dem sozialethischen Tadel der Kriminalstrafe geahndet werden. Wenn eine völlig ungefährliche Verhaltensweise vorgenommen wird, lässt sich schon keine Verhaltens507 Bei den Prüfstellendelikten beziehe sich der Strafvorwurf darauf, dass eine erforderliche behördliche Prüfung nicht vorgenommen wurde. Zur Legitimität dieser Normen auch bei fehlender Schädigungsmöglichkeit argumentiert Wolter schlicht mit dem bestehenden Schutzbedürfnis, vgl. Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 320 f. 508 Schünemann, JA 1975, 787, 798. Zur Rechtfertigung der abstrakten Gefährdungsdelikte, die keiner dieser Gruppen zugeordnet werden können, vgl. unten E.VI. 1.d)aa)(1)(b)(cc) und (dd). 509 Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 319 f. 510 Schünemann, JA 1975, 787, 798. 511 Ähnlich sieht Wolter (Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 277, 320) die Lage bei Vorschriften des Pass- und Meldewesens und bei den Umweltdelikten. Hier gehe es allerdings nicht um lerntheoretische Gründe, sondern Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten stünden im Vordergrund; vgl. zu den Massenhandlungen auch Jakobs, AT, 6/88; Roxin, AT 1, § 11, Rn. 160; Ahn, Zur Dogmatik abstrakter Gefährdungsdelikte, 1995, S. 118 f.; Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, 1973, S. 139 ff.; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 277, 319 f.

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norm legitimieren, deren Einhalten eingeübt werden könnte.512 Zudem ist eine Automatisierung nur dann sinnvoll, wenn unbewusst gehandelt wird. Nimmt der Handelnde aber klar und zutreffend (!) die Ungefährlichkeit einer Situation wahr, gibt es keinen Grund, für eine Situation zu lernen, in der er dies nicht tut und auf automatisch richtige Entscheidungen angewiesen ist. Selbst wenn ein Einüben auch in solchen klar einschätzbaren Situationen sinnvoll sein mag, kann dies, da allenfalls das „schwache“ Rechtsgut der erfolgreichen Einübung blinden Gehorsams betroffen ist, angemessen nur mit dem Ordnungsruf etwa des Ordnungswidrigkeitenrechts erreicht werden.513 Es ist zudem nicht einleuchtend, warum manche Straftaten sich nur bei Gefährdung „handfester“ Rechtsgüter rechtfertigen lassen sollen, einige aber trotz gleicher Eingriffsintensität schon aus lerntheoretischen Gründen.514 Ebenso wenig vermögen die Rechtfertigungserwägungen zu den anderen gebildeten Gruppen zu überzeugen. Mit der Konstruktion eines „mediatisierten Erfolgsunrechts“ bei Delikten mit einem „vergeistigten Zwischenrechtsgut“, wie z. B. die Bestechungs- und Falschaussagedelikte, soll bereits die Verletzung eines Zwischenrechtsguts, das nicht mit dem Schutzgut identisch ist, zu bestrafendes Unrecht darstellen. Es komme zu einem „mediatisierten Erfolgsunwert“.515 Der Unrechtsgehalt abstrakter Gefährdungsdelikte – und damit die Höhe der Strafe – erschöpft sich aber gerade nicht in der Verletzung eines vergeistigten Zwischenrechtsguts. Geschützt wird vielmehr das lediglich gefährdete größere Rechtsgut im Hintergrund (etwa die Sicherheit im Rechtsverkehr bei den Urkundendelikten). Dessen Gefährdung – und nicht die eines Zwischenrechtsguts – rechtfertigt die konkrete Verhaltensnorm und damit auch die Strafe.516 Bei vergeistigten Zwischenrechtsgütern ist außerdem häufig nicht ersichtlich, was mit der Fokussierung auf ein vorverlagertes Gut gewonnen werden soll. Denn auch die „Zwischenrechtsgüter“ sind oft schwer fassbar und ihre Verletzung dadurch wenig nachvollziehbar. Etwa die Beeinträchtigung des Zwischenrechtsguts der gerichtlichen Wahrheitsfindung (§§ 153 ff. StGB) wird sich nur schwer nachweisen lassen.517 Zudem werden durch diesen Ansatz Gefährdungsdelikte in Verletzungsdelikte umgedeutet.518

512

Vgl. dazu ausführlich unten E.VI.1.d)aa)(3). Frisch, in: FS-Stree/Wessels, 1993, S. 69, 92. 514 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 269. Weitere überzeugende Kritikpunkte auch bei Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 301 f. 515 Vgl. Schünemann, JA 1975, 787, 793, 798; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 328 f.; vgl. auch Roxin, AT 1, § 11, Rn. 161. 516 Vgl. auch Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 370. 517 Saal, Das Vortäuschen einer Straftat, 1997, S. 110; Weber, ZStW Beiheft 1987, 1, 25. 518 Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 371. 513

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken

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(b) Teleologische Reduktion bei ungefährlichem Verhalten Andere Ansätze wollen die Strafbarkeit der abstrakten Gefährdungsdelikte auf gefährliche Verhaltensweisen beschränken und halten daher eine Reduktion des als zu weit erachteten Wortlauts der entsprechenden Tatbestände für erforderlich. (aa) Cramer So etwa Cramer, der sich in seiner 1962 erschienenen Monografie als erster nach eigenem Bekunden vom Erfolgsbezug lösen und die Handlung in den Mittelpunkt seiner Überlegungen zu den abstrakten Gefährdungsdelikten stellen wollte.519 Allerdings konstruiert er mit seinem Stufenverhältnis doch wieder das Unrecht der abstrakten Gefährdungsdelikte von einem Erfolg her, der in den Tatbeständen nicht vorgesehen ist:520 Cramer deutet Verletzungen, konkrete und abstrakte Gefährdungen als in ihrer Intensität absteigende Eingriffe in Rechtsgüter.521 Verletzung bedeute Eintritt des Schadens. Konkrete Gefährdung sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung und abstrakte Gefährdung die Wahrscheinlichkeit einer konkreten Gefährdung.522 Ungefährliche Handlungen unterfallen dieser Definition und damit den entsprechenden Straftatbeständen nicht. Vielmehr müssen abstrakte Gefährdungsdelikte die Wahrscheinlichkeit einer konkreten Gefahr begründen und so eine Angriffsintensität erreichen, die sie als strafwürdig erscheinen lasse.523 519

Cramer, Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962, S. 62. Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, 1973, S. 83; Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung und materieller Rechtsgüterschutz, 1986, S. 106; Ahn, Zur Dogmatik abstrakter Gefährdungsdelikte, 1995, S. 78; Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 25 ff.; vgl. auch Roxin, AT 1, § 11, Rn. 154. 521 Dabei zieht Cramer (Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962, S. 64 ff.) zur Legitimation und Beschreibung der abstrakten Gefährdungsdelikte vor allem die Figur des untauglichen Versuchs heran. Er setzt das Verhältnis von abstrakter zu konkreter Gefährdung und untauglichem zu tauglichem Versuch axiologisch gleich. Krit. hierzu Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, 1973, S. 76 f. mit Fn. 1; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 248 f. 522 Cramer, Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962, S. 68 f. Die gewählte Begrifflichkeit Cramers wird oft als logisch fragwürdig kritisiert, denn wird die abstrakte Gefahr definiert als die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefahr, ließe sich dies auch beschreiben als Möglichkeit der Möglichkeit eines Schadens. Vgl. hierzu Arthur Kaufmann, JZ 1963, 425, 433; Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 27; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 249 f.; Kleine-Cosack, Kausalitätsprobleme im Umweltstrafrecht, 1988, S. 155; Lackner, JuS 1968, 215, 220; Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, 1999, S. 51 ff.; Schroeder, ZStW Beiheft 1982, 1, 5, Fn. 23; a. A. Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 72 f. m.w. N. Kritisch zu Cramers Ansatz auch Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 289. 523 Cramer, Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1962, S. 65 ff. 520

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

(bb) Volz Im Anschluss an Cramer legten mehr und mehr Autoren ihren Arbeiten subjektive Konstruktionen der abstrakten Gefährdungsdelikte zugrunde. Volz stützt sich zur Legitimation der abstrakten Gefährdungsdelikte auf den richtigen Gedanken der Überschreitung des erlaubten Risikos.524 Er sieht das Unrecht der abstrakten Gefährdungsdelikte im Eingehen eines Risikos für das geschützte Gut durch das generell gefährliche Verhalten.525 Dieses Risiko sei eine Pflichtverletzung. Die konkrete Verhaltenspflicht sei immer von der konkreten Situation abhängig und werde vor allem durch eine Prognose der Handlungsfolgen ermittelt. Vorgeworfen wird dem Täter nicht mehr, dass er eine Schädigungsmöglichkeit geschaffen, sondern dass er das Risiko einer solchen nicht gescheut habe. Fehle eine Risikoerhöhung nach Meinung des Handelnden im Einzelfall, müsse die Strafbarkeit entfallen. Gehe der Täter gar kein Risiko ein, so konstatiert Volz zu Recht, schaffe er kein Unrecht, sein Verhalten sei somit nicht tatbestandsmäßig.526 Da sich der Tatbestand der abstrakten Gefährdungsdelikte jedoch nach der Meinung Volz’ auch auf solche Verhaltensweisen erstreckt, mit denen der Täter kein Risiko eingeht, sondern dieses durch Sicherheitsmaßnahmen gerade scheut, muss er für diese Fälle eine Reduktion des Tatbestandes konstruieren. Dieses Ergebnis stützt Volz auf den Rechtsgedanken der §§ 90a Abs. 6 (a. F.), 158, 186, 310 StGB. Aus diesen Strafausschlussgründen ergebe sich, dass ein Täter, der eine Gefahr abwehre, straflos bleibe. Diese Analogie wird im Schrifttum zu Recht kritisiert.527 Die herangezogenen Regelungen lassen Strafe in bestimmten Fällen trotz tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens entfallen. Ein Ausschluss des tatbestandsmäßigen Verhaltens kann ihnen dagegen nicht entnommen werden. Zudem haben die herangezogenen Vorschriften einen Ausnahmecharakter, der ihre Verallgemeinerung unzulässig macht.528 (cc) Ansichten, die sich auf die Fahrlässigkeitdogmatik beziehen Da solche Analogien nicht stimmig zu begründen sind, bemühen sich einige Autoren im Anschluss an Volz die für richtig erachteten Ergebnisse durch eine Änderung des Norminhaltes der abstrakten Gefährdungsdelikte zu begründen. 524 Volz, Unrecht und Schuld abstrakter Gefährdungsdelikte, 1968, S. 103 ff.; krit. hierzu Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 251 f. 525 Volz, Unrecht und Schuld abstrakter Gefährdungsdelikte, 1968, S. 103 ff., 143. 526 Volz, Unrecht und Schuld abstrakter Gefährdungsdelikte, 1968, S. 164 ff. 527 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 254; krit. auch Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, 1973, S. 88; Ahn, Zur Dogmatik abstrakter Gefährdungsdelikte, 1995, S. 26. 528 Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, 1992, S. 170, Fn. 73; Saal, Das Vortäuschen einer Straftat, 1997, S. 82.

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken

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Die abstrakten Gefährdungsdelikte werden nun vor allem mit Erwägungen der Fahrlässigkeit erklärt. Dem Täter wird demnach nicht die Schaffung einer konkreten Rechtsgutsgefahr vorgeworfen, sondern die Sorgfaltswidrigkeit im Bezug auf die Schutzgüter (zumeist Leib oder Leben).529 In Konsequenz dessen müssen solche Verhaltensweisen von der Strafbarkeit ausgenommen werden, die nicht sorgfaltswidrig in Bezug auf die Schutzgüter sind. So sei z. B. bei § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB neben dem vorsätzlichen Inbrandsetzen eines Wohngebäudes auch zumindest Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Gefährdung von Menschenleben notwendig.530 Andernfalls sei der Tatbestand teleologisch zu reduzieren. Brehm löst das Problem, dass der Tatbestand keinen Anknüpfungspunkt für die Prüfung der Gefährlichkeit gibt, indem er entsprechende Erwägungen auf der Ebene der Rechtfertigung anstellt.531 Somit entsteht nach seiner Konzeption kein Bedarf für eine teleologische Reduktion. Berechtigterweise fragen kritische Stellungnahmen zu diesen Konzeptionen, warum zur Begründung abstrakter Gefährdungsdelikte Anleihen bei der Fahrlässigkeitsdogmatik genommen werden. Schließlich ist den Tatbeständen der abstrakten Gefährdungsdelikte kein Fahrlässigkeitsbezug zu entnehmen – diese setzen zumindest prima facie anders als Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen ja gerade keine Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Gefährdung des Schutzgutes voraus.532 529 Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973, S. 23; Rudolphi, in: FS-Maurach, 1972, S. 51, 60; Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, 1992, S. 208 ff.; Roxin, AT 1, § 11, Rn. 155; Brehm, Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, 1973, S. 127 ff.; Schünemann (JA 1975, 787, 798) stellt auf die subjektive Sorgfaltswidrigkeit ab und lässt damit die Strafbarkeit dann ausscheiden, wenn der Täter aus seiner Sicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um alle Schädigungsmöglichkeiten auszuschalten. Ein tatsächlich gefährliches Verhalten, das der Täter für ungefährlich hält, führt so zum Freispruch – ein objektiv ungefährliches, welches der Täter für gefährlich hält, zur Verurteilung. Für Berz (Formelle Tatbestandsverwirklichung und materieller Rechtsgüterschutz, 1986, S. 113 f.) stellen abstrakte Gefährdungsdelikte allgemeine Sorgfaltsregeln dar, deren Verletzung Handlungsunrecht begründe, weil das regelmäßig gefährliche Verhalten die für das Zusammenleben der Menschen erforderliche Vertrauensbasis erschüttere. Die Strafbarkeit könne daher nur entfallen, wenn „der Täter aufgrund bestimmter, nach außen in Erscheinung tretender und somit nachprüfbarer Umstände sicher weiß, daß sein Verhalten nicht zu einer Schädigung führen wird, und wenn sie auch tatsächlich ausbleibt“ (S. 114). Nur dann werde das Vertrauen der übrigen Rechtsgenossen nicht verletzt. 530 Rudolphi, in: FS-Maurach, 1972, S. 51, 60; Jakobs, AT, 6/88. 531 Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, 1973, S. 127 ff. 532 Vgl. Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 273. Sachlich ist es allerdings richtig, mit den Fahrlässigkeitskriterien zu arbeiten, um bei der Verhaltensnorm den Rechtsgutsbezug herzustellen. Denn Grundvoraussetzung einer Strafbarkeit ist eine individuell-personale Fehlleistung, die auch schon im sorgfaltswidrigen Verkennen des Schädigungspotenzials oder sonst einem vorwerfbaren Irrtum bestehen kann. Fahrlässiges Verhalten ist der Grundtyp personalen Fehlverhaltens. Die vorsätzliche Begehung ist ein darüber hinausgehender Sonderfall; vgl. Freund, in: FS-Küper, 2007, S. 63, 80; ders., AT, § 7, Rn. 35 ff., a. A. Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989,

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

(dd) Wolter Auch nach Wolter sind die meisten abstrakten Gefährdungsdelikte ohne „unmittelbaren Bezug zur konkreten Gefährlichkeit bzw. Gefährdung für Leib, Leben (oder auch im Einzelfall bedeutende Sachwerte)“ nicht zu legitimieren.533 Daher müssten entsprechende Tatbestände, die alleine an die abstrakte Gefährdung anknüpfen, teleologisch reduziert werden.534 Eine solche Reduktion komme aber nur bei objektiver Ungefährlichkeit in Betracht.535 Irre der Täter lediglich über die Gefährdung und gehe von der Ungefährlichkeit fälschlicherweise aus, so sei die Strafbarkeit zu bejahen.536 Gehe der Täter umgekehrt irrtümlich von der Gefährlichkeit aus, obwohl die Situation eigentlich ungefährlich ist, so sei er nur dann strafbar, wenn er das Risiko vorsätzlich herbeigeführt habe.537 Wolter verlangt somit, dass zumindest das Unrecht eines vorsätzlich untauglichen Versuchs oder eines fahrlässigen tauglichen Versuchs vorliegen muss, um wegen einer abstrakten Gefährdung bestrafen zu können.538 Dies seien die Untergrenzen von Unrecht und Schuld: Fahrlässigkeit und reale oder Vorsatz und vermeintliche Gefahr.539 Dadurch wird z. B. die schwere Brandstiftung zum untauglichen Tötungsversuch bzw. zur fahrlässigen tauglichen Lebensgefährdung.540 Diese Überlegungen sind als Versuch, die Strafbarkeit zu begrenzen, zu loben. In tatsächlich ungefährlichen Situationen möchte Wolter nur dann strafen, wenn ein Schaden gewollt war, also eine Versuchskonstellation vorlag, die strafbare Verursachung realer Gefahren dagegen kann auch fahrlässig erfolgen. Dass dies die Untergrenzen von Unrecht und Schuld sind, wird aber letztlich nur behauptet. Der fahrlässige taugliche Versuch etwa ist de lege lata grundsätzlich nicht strafbar und viele Autoren sehen durch ihn die Untergrenze strafbaren Unrechts und strafbarer Schuld schon unterschritten.541 S. 93. Das Heranziehen der Fahrlässigkeitskriterien sollte allerdings dogmatisch sauber begründet werden. 533 Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 278 – Hervorhebung im Original. 534 Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 281 f. 535 Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 278 ff. 536 Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 281. 537 Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 291. 538 Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 289. 539 Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 296. 540 Wolter schafft hiermit zumindest bei nur fahrlässiger Gefahrschaffung wieder einen – im Tatbestand nicht vorgesehenen – Erfolgsbezug. 541 Vgl. hierzu Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 31 f., 35 f.; Stratenwerth, in: FS-Schaffstein, 1975, S. 177, 186 ff., 192 f.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 93. Die Strafbarkeit folgenloser Fahrlässigkeit de lege ferenda grundsätzlich befürwortend: Freund, AT, § 5, Rn. 61; ders., in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 26 ff.; Wolter, Objektive

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken

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(2) Defizite der dargestellten Lösungsansätze Solange eine stimmige Legitimation der abstrakten Gefährdungsdelikte nicht gelingt, kann die Skepsis – etwa der Frankfurter Schule – gegenüber den abstrakten Gefährdungsdelikten nicht ausgeräumt werden. Kritik ist insoweit berechtigt, als bisher eine letztlich befriedigende dogmatische Bewältigung der abstrakten Gefährdungsdelikte nicht gelungen ist.542 Insbesondere konnte ein Rechtsgüterschutzbezug nicht gänzlich überzeugend hergestellt werden. Alle vorgestellten Konzepte, die sich bemühen, Strafe auch dann zu legitimieren, wenn im konkreten Einzelfall keine Schädigungsmöglichkeit für Rechtsgüter geschaffen (oder nicht abgewendet) wird, können nicht überzeugen. Sie geben entweder den Rechtsgüterschutz als strafbarkeitslimitierendes Konzept auf bzw. variieren das Rechtsgüterschutzkonzept so, dass es kaum noch zur Strafbarkeitsbegrenzung taugt,543 oder überdehnen in unangemessener Weise im Namen des Rechtsgüterschutzes die Strafbarkeit544. Die Entwicklung im Schrifttum hin zu einer vom Verhaltensunrecht ausgehenden Legitimation und Auslegung der abstrakten Gefährdungsdelikte führt etwa mit der Konzeption Volz’ oder der Anlehnung an die Fahrlässigkeitsdogmatik letztlich zu richtigen Ergebnissen. Dem Täter wird das Eingehen von Risiken (Schädigungsmöglichkeiten) vorgeworfen, die er bei seinem Verhalten vorhersehen und vermeiden konnte und auch vermeiden musste. Die durch entsprechenden Rechtsgüterschutz zu legitimierende Verhaltensnorm und damit auch die Strafe für einen Verhaltensnormverstoß entfallen aber, wenn ein solches Risiko mit dem Verhalten des Betreffenden im entscheidenden Zeitpunkt (ex ante) nicht verbunden war, da dann der strafrechtlich relevante Vorwurfsgegenstand nicht mehr gegeben ist. Für die gefundenen richtigen Ergebnisse werden aber keine Anknüpfungspunkte im Tatbestand gefunden, sondern es wird mit Analogien oder Anlehnungen an die Dogmatik anderer Deliktstypen (Fahrlässigkeit, Versuch) gearbeitet. In diesem Zusammenhang ist die Frage, warum zur Begründung abstrakter Gefährdungsdelikte Anleihen bei anderen Deliktstypen genommen werden, durchaus nicht unberechtigt. Ein solches Vorgehen ist begründungsbeund personale Zurechnung, 1981, S. 193; vgl. auch Armin Kaufmann, JZ 1971, 569, 575, der freilich wegen angeblicher Unbestimmtheit und Unübersichtlichkeit der Sorgfaltspflichten Bedenken gegen die Einführung der folgenlosen Fahrlässigkeit hegt. Die Entscheidung des Gesetzgebers, bei Fahrlässigkeitsdelikten grundsätzlich ein Erfolgserfordernis zu statuieren, dürfte wohl vor allem dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geschuldet sein und dem Bemühen, Strafe zu limitieren. Da sich Strafe aber – bei entsprechendem Gewicht – auch alleine auf das Verhaltensunrecht stützen kann [vgl. oben E.IV.6. und unten E.VI.1.d)bb)], ist die Bestrafung folgenloser Fahrlässigkeit dogmatisch grundsätzlich möglich; vgl. Freund, AT § 8, Rn. 2; Jakobs, AT, 25/28. 542 So auch Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 291. 543 Vgl. die Konzeptionen der Präsumtionstheorie, E.VI.1.d)aa)(1)(a)(aa); von Kindhäuser, E.VI.1.d)aa)(1)(a)(bb); sowie Schünemann und Wolter, E.VI.1.d)aa)(1)(a)(dd). 544 Vgl. die Ausführungen von Kratzsch, E.VI.1.d)aa)(1)(a)(cc).

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

dürftig. Auch die teilweise komplizierten Erwägungen zu einer teleologischen Wortlautreduktion im Einzelfall – wie wir sie etwa bei Volz finden – vermögen nicht recht zu überzeugen. Besser wäre es, die generellen Regeln für das Eingreifen der Strafbarkeit anzuwenden und nicht auf Ausnahmeerwägungen angewiesen zu sein. Komplizierte Spezialbegründungen einer teleologischen Wortlautreduktion sind überflüssig, wenn sich die Strafnormen nach den allgemeinen Regeln auf Fälle hinreichend gewichtigen Fehlverhaltens beschränken lassen. Eine dogmatische Begründung, die zu einer angemessenen Reichweite der Strafbarkeit führt, sich sinnvoll in die Gesamtdogmatik des Strafrechts einfügt und nicht mit systemfremden Ausnahmen operieren muss, ist daher dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit kombiniert mit dem „Rettungsring“ der ausnahmsweisen teleologischen Reduktion vorzuziehen. Dies legt auch der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen nahe.545 (3) Angemessene Lösung durch konsequente Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnorm Bei näherer Betrachtung lassen sich abstrakte Gefährdungsdelikte letztlich durchaus legitimieren und in ein stimmiges Strafrechtskonzept ohne Systembruch integrieren. Es handelt sich um eine legitime Deliktskategorie, die – in angemessenem Umfang546 – ohne Bedenken eingesetzt werden kann, um mit dem Strafrecht auch neue Risikomaterien sinnvoll zu erfassen. (a) Geschütztes Rechtsgut der Sanktionsnorm: Normgeltung Wie oben bereits festgestellt, ist ein Rechtsgüterschutzbezug für Strafe immer notwendige Bedingung. Von dieser grundlegenden Zweckbindung des Strafrechts ausgehend, muss die richtige Lösung entwickelt werden. Strafe, die keinem Rechtsgut dient, darf es nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht geben. Da die Geltung der Verhaltensnorm unmittelbares Schutzgut der Sanktionsnorm ist, kommt es für die Legitimation der Sanktionsnorm auf die Verletzung von Rechtsgütern wie Leib oder Leben jedenfalls im Grundsatz überhaupt nicht an.547 Anknüpfungspunkt für eine strafrechtliche Reaktion ist das personale Fehlverhalten – also der Verhaltensnormverstoß. Beispielsweise schützt § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB die Geltung bestimmter Verhaltensnormen, die ihrerseits ei545 Vgl. BVerfGE 8, 28, 33 f.; 9, 194, 200; Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, 1992, S. 210. Zur grundrechtskonformen Auslegung auch Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 84 ff.; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 435. 546 Vgl. dazu unten E.VI.1.d)bb). 547 Vgl. oben E.IV.

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken

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nen spezifischen legitimen Rechtsgüterschutzzweck verfolgen müssen. Als für die Legitimation einer solchen Verhaltensnorm tragfähiger Zweck kommt nach allem Bisherigen insbesondere der Schutz von Menschenleben und der Körperintegrität vor Brandgefahren in Betracht548. Der Verfall der Norm, die das Anzünden von Wohnungen verbietet, würde gravierende Konsequenzen für die Rechtsgüter Leib und Leben haben. Die Geltung dieses Verbots ist also von großer Wichtigkeit. Wird gegen das Verbot verstoßen und so die Geltung beeinträchtigt, verdeutlicht die nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB zu verhängende Strafe die Weitergeltung der Verhaltensnorm und dient somit dem Schutz des Rechtsguts „Verhaltensnormgeltung“. Ein Rechtsgüterschutzbezug ist somit immer gegeben, wenn ein entsprechender – im Einzelfall zu begründender – Verhaltensnormverstoß vorliegt. (b) Legitimation der Verhaltensnorm Die Fragen nach der Beeinträchtigung der mittelbaren Schutzgüter, also etwa Leib und Leben, stellen sich auf der Ebene der Verhaltensnormlegitimierung. Hier muss geklärt werden, wie mit ungefährlichen Verhaltensweisen zu verfahren ist. Da Verhaltensnormen aber in der Regel nicht in Gesetzen niedergelegt, sondern in jedem Einzelfall zu konturieren sind, fällt der Umgang mit diesem Problem im Rahmen der Legitimation einer Verhaltensnorm leichter als auf Ebene der Sanktionsnorm: Dem potenziell Normunterworfenen gegenüber muss sein Verhalten – z. B. das Inbrandsetzen eines Gebäudes – in der konkreten Situation im Interesse des Rechtsgüterschutzes verboten werden können. Dazu muss ein Bezug zu dem Schutzgut hergestellt werden. Das heißt, die Verhaltensnorm muss dem geschützten Rechtsgut dienen. Sie muss geeignet sein, es zu schützen. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Rechtsgut durch das zu regelnde Verhalten überhaupt beeinträchtigt werden kann – wenn also eine entsprechende Schädigungsmöglichkeit besteht. Die Perspektive, aus welcher dies beurteilt werden muss, ist – wie immer bei der Konturierung von Verhaltensnormen – die Sachlage, die sich dem potenziellen Normadressaten im Verhaltenszeitpunkt darbietet. Diese ist – 548 Das mittelbare Schutzgut des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist umstritten: Die herrschende Meinung geht davon aus, dass das Leben und die körperliche Unversehrtheit geschützt werden; Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, § 306a, Rn. 2; Radtke, Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, 1998, S. 161 ff.; Kratzsch, JuS 1994, 372, 378; Rudolphi, in: FS-Maurach, 1972, S. 51, 59; Schneider, Jura 1988, 460, 461; einige wollen nur das Leben als Schutzgut akzeptieren; vgl. etwa Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 296; Schröder, ZStW 81 (1969), 7, 16; Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, 1973, S. 106; ders., JuS 1976, 22. A. A. sehen die Wohnung selbst als Lebensgrundlage und persönlichen Lebensbereich geschützt; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 51, Rn. 14. Schon der erhöhte Mindeststrafrahmen von einem Jahr spricht jedoch dagegen, dass nur die Wohnung und deren Unverletzlichkeit Schutzgut sind.

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Betreffenden – angemessen rechtlich zu bewerten.549 Dies bedeutet, auf die Verletzung oder konkrete Gefährdung des Schutzgutes kann es hier von vornherein nicht ankommen, denn ob eine solche eintritt, weiß man im beurteilungsrelevanten Zeitpunkt (ex ante) noch nicht. Vielmehr ist alleine die Prognose über die Schädlichkeit entscheidend: Ein Verhalten, das aus dieser maßgeblichen Perspektive Schädigungsmöglichkeiten für das Schutzgut schafft oder nicht abwendet, kann – ggf. unter weiteren Voraussetzungen – Gegenstand eines entsprechenden Verbotes sein. Dagegen scheidet ein vollkommen ungefährliches Verhalten insoweit aus dem Kreis rechtlich zu missbilligenden Verhaltens aus. Durch die Beurteilung der Gefährlichkeit nach den genannten Kriterien bleiben der Verhaltensnormverstoß und damit die mögliche Strafbarkeit bei vermeidbaren Fehleinschätzungen des Täters bestehen. Dagegen wird sie dem Schuldgrundsatz entsprechend ausgeschlossen, wenn der Täter die für eine Missbilligung ausreichende Schädigungsmöglichkeit nicht erkennen konnte. Dabei lassen sich ohne Weiteres konkrete Gegebenheiten des Einzelfalles – wie Sonderwissen oder Sicherungsmaßnahmen des Täters – berücksichtigen. Denn die Verhaltensnorm ist – anders als die tatbestandlich genau fixierte abstraktgenerelle Sanktionsnorm – für jeden Einzellfall individuell aufgrund der tatsächlich gegebenen Sachlage zu legitimieren. Bei der Beurteilung der Schädigungsmöglichkeit eines Verhaltens können damit alle konkreten Umstände des Einzelfalls Berücksichtigung finden. Allerdings ist zu beachten, dass bei gemeingefährlichen und schwer kontrollierbaren Verhaltensweisen, wie Feuerlegen an Wohngebäuden, eine Schädigungsmöglichkeit selten mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen sein wird.550 Ein von der generalisierenden Verhaltensbeurteilung abweichendes Votum über die Schädigungsmöglichkeit im Einzelfall ist aber durchaus möglich. Es kann vor allem auf Sonderwissen des Täters hinsichtlich des konkreten Geschehensverlaufs beruhen oder auf Schutzvorkehrungen, welche die Gefahr abschirmen oder das Hinzutreten des Schutzobjekts verhindern.551 Wo Unklarheit über die Gefährlichkeit herrscht, ist das Verhalten unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorsorgend zu verbieten. Dies widerspricht nicht dem Zweifelssatz. Vielmehr ist es logische Konsequenz 549

Vgl. oben E.IV.2.b). Siehe auch Koriath, GA 2001, 51, 52. Kratzsch, Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985, S. 113 f., 274 f., 278. Die Entscheidung des BGH (BGHSt 26, 121) zur Einschränkung der Strafbarkeit bei der schweren Brandstiftung geht hier in die richtige Richtung: Nur bei kleinen, übersichtlichen Hütten wird die Ungefährlichkeit einer Brandstiftung für menschliches Leben prognostisch angenommen werden können. 551 Ähnlich auch Frisch, in: FS-Stree/Wessels, 1993, S. 69, 91; ders., in: Eser/Kaiser/Weigend, Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, 1992, S. 201, 214; a. A. Kratzsch, Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985, S. 111 ff.; ders., in: FS-Oehler, 1985, S. 65, 71. 550

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken

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der Gefahrdefinition: Wo Schäden nicht ausgeschlossen werden können, sind sie möglich.552 Je nach den sonstigen Umständen können und dürfen sie auch „bloß“ sicherheitshalber durch eine entsprechende Verhaltensnorm ausgeschlossen werden. (c) Tatbestandsmäßiges Verhalten Nach der hier vorgestellten Konzeption lässt sich der Ausschluss der Strafbarkeit in den Fällen absoluter Ungefährlichkeit nunmehr bruchlos strafrechtsdogmatisch verarbeiten: Wie oben erläutert553 setzt tatbestandsmäßiges Verhalten notwendigerweise den Verstoß gegen eine Verhaltensnorm voraus. Tatbestandliches Verhalten im Sinne des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist somit nicht das Inbrandsetzen, sondern der Verstoß gegen eine Verhaltensnorm, die das Inbrandsetzen im Interesse des menschlichen Lebens und der körperlichen Integrität von Menschen verbietet. Verstößt ein Verhalten nicht gegen eine solche Verhaltensnorm, ist es nicht tatbestandsmäßig. Wenn eine Person also ein einräumiges Gebäude anzündet, ohne damit aus der maßgeblichen Perspektive auch nur im Entferntesten Schädigungsmöglichkeiten für menschliches Leben zu eröffnen, ist dieses Verhalten nicht tatbestandsmäßig im Sinne des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Einer ausnahmsweisen teleologischen Reduktion, die besonders begründet werden müsste, bedarf es nicht. (d) Kein „Erfolgsunrecht“ vonnöten Der Eintritt von Fehlverhaltensfolgen oder ein sog. Erfolgsunrecht ist keine zwingende Voraussetzung für die Strafe. Dies zeigt schon die gesetzlich vorgesehene Strafbarkeit des untauglichen Versuchs. Wie dargestellt ist das personale Verhaltensunrecht das grundlegende straftatkonstituierende Element.554 Fehlverhaltensfolgen kommt daneben nur insoweit Bedeutung zu, als sie das Bedürfnis nach Strafe durch die Manifestation des geistigen Normbruchs erhöhen.555 Sie stellen keine gleichwertige Unrechtsmaterie dar, sondern vermögen nur als abgeleitete Bestimmungsfaktoren das Ob und Wie der Bestrafung in gewisser Weise zu beeinflussen. Der Verzicht auf das Erfolgserfordernis stellt somit die Legitimität abstrakter Gefährdungsdelikte nicht infrage. Daher ist es auch irrelevant, wenn sich ex post herausstellt, dass durch ein ex ante gefährliches Verhalten letztlich niemand konkret gefährdet wurde, also beispielsweise kein Mensch in dem in Brand gesetzten Haus anwesend war. Die 552 553 554 555

Vgl. dazu auch sogleich unter E.VI.1.d)aa)(3)(d). Vgl. E.IV.4. Vgl. oben E.IV. Mehr dazu im Rahmen der Verhältnismäßigkeitserwägungen unten E.VI.1.d)bb).

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

Strafbarkeit wegen eines abstrakten Gefährdungsdelikts bleibt auch in diesem Fall bestehen, denn das Ausbleiben einer Verletzung oder konkreten Gefährdung des Schutzguts macht aus dem verbotenen Verhalten kein erlaubtes. Im beurteilungsrelevanten Zeitpunkt nahm der Täter eine gefährliche Verhaltensweise vor und nur dafür wird er nach dem Tatbestand eines abstrakten Gefährdungsdelikts zur Rechenschaft gezogen. Dass ein Schaden nur möglich ist und nicht sicher eintritt, ist Wesensmerkmal der Gefahr. Nicht jedes gefährliche Verhalten wird sich im Schaden realisieren, denn dieser ist qua definitionem nur möglich, nicht aber sicher. Das Ausbleiben einer Rechtsgutsverletzung bedeutet daher nicht, dass das Verhalten ungefährlich war.556 Regelmäßig beruht der gute Ausgang einer gefährlichen Situation nämlich auf reinen Zufälligkeiten (etwa dem zufälligen Fernbleiben eines Schutzgutes). In diesem Zusammenhang sei nur an den Überholvorgang in der Kurve erinnert, der durch das zufällige Ausbleiben von Gegenverkehr aus der maßgeblichen Perspektive nicht ungefährlich wird. Ein Verhalten, das möglicherweise zu einem Schaden führen kann, ist per definitionem gefährlich, auch wenn der Schaden ausbleibt.557 Ein Verstoß gegen den Zweifelssatz liegt in einer derartigen Gefahrbestimmung nicht, denn das reine Ausbleiben eines Gefahrerfolges begründet noch keinen Zweifel an der Gefährlichkeit der Handlung. Dass die Schädigungsmöglichkeit sich nicht realisiert hat, ändert an der Gefährlichkeit des Verhaltens also nichts. Andernfalls würde unzulässigerweise vom ex post festgestellten Ausbleiben eines Schadens auf die Ungefährlichkeit eines Verhaltens geschlossen.558 Ein solcher Rückschluss ist jedoch unzulässig, da er die im Verhaltensnormbereich notwendigerweise prognostische Beurteilungsposition verlassen würde. Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit ist daher auszublenden, ob Fehlverhaltensfolgen eingetreten oder ausgeblieben sind. Denn ihr Vorhandensein oder Fehlen führt leicht zu einer Verzerrung der ex ante Perspektive. Der Rückschluss, dass ein Verhalten, welches im Vorfeld eines Schadens liegt, auch gefährlich sein muss und ein solches, welches keine Verletzung verursacht hat, eben nicht, liegt verführerisch nahe. Werden die Folgen eines Verhaltens jedoch ausgeblendet, wird sich die Beurteilung des eingegangenen Risikos oft anders darstellen. Luhmann schreibt hierzu treffend: „Je nachdem, ob ein Schaden eingetreten oder ob es gut gegangen ist, wird man das Risiko nachträglich anders einschätzen. Man versteht nachträglich nicht mehr, wieso man in der vergangenen Gegenwart derart vorsichtig oder derart riskant entschieden hat.“559 Das Phänomen ist bekannt und wird in der Sozialpsychologie 556

Vgl. Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 116 ff. Vgl. zur Definition des Begriffes der Gefahr oben A.IV. 558 Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, 1973, S. 61; Volz, Unrecht und Schuld abstrakter Gefährdungsdelikte, 1968, S. 11; Koriath, GA 2001, 51, 54; Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, 1992, S. 189 f. 559 Luhmann, Soziologie des Risikos, 2003, S. 51. 557

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken

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unter den Stichworten „Actor-Observer“-Differenz560 und „Creeping Determinism“561 diskutiert. Die „Actor-Observer“-Differenz besagt, dass Akteure und Beobachter sich in ihrer Verantwortungszuschreibung systematisch unterscheiden. Die unterschiedlichen Sichtweisen führen oft dazu, dass durch den Beobachter eine fehlerhafte Verantwortlichkeitsattribution zulasten des Akteurs erfolgt. Vor allem soll dies seine Ursache darin haben, dass der Beobachter den sozialen Druck, der auf dem Akteur lastet, unrealistisch unterschätzt.562 Die Theorie des „Creeping Determinism“ beschreibt die Neigung, Geschehensabläufe, so wie sie passiert sind, als von Beginn an wahrscheinlich anzusehen, während alternative Entwicklungsmöglichkeiten ausgeblendet und ex post systematisch unterschätzt werden. Grund für diese Unterstellungen sind der Wunsch des Menschen nach einer „überraschungsfreien Weltdeutung“ und Besonderheiten des kognitiven Prozesses der Urteilsfindung.563 Bei der juristischen Beurteilung sollte man sich dieser sozialpsychologischen Phänomene bewusst sein und versuchen, sich von den Fehlverhaltensfolgen für die Bewertung rechtlich missbilligten Verhaltens so weit wie möglich zu lösen. (e) Annäherung an die konkreten Gefährdungsdelikte? Ein möglicher Kritikpunkt an der hier vorgestellten Konzeption soll an dieser Stelle gleich ausgeräumt werden: Der Vorwurf, die Reduzierung der Strafbarkeit allein auf solche Verhaltensweisen, die aus der maßgeblichen Perspektive eine Schädigungsmöglichkeit eröffnen, mache aus den abstrakten Gefährdungsdelikten konkrete. Dieser Kritik soll mit einem Blick auf die entsprechende Diskussion bei den sog. Eignungsdelikten begegnet werden. Unter Eignungsdelikten versteht man Straftatbestände, die die Eignung eines Verhaltens zur Gefährdung voraussetzen.564 Das klassische Beispiel eines Eignungsdeliktes stammt aus dem LMBG, 560 Vgl. dazu Jones/Nisbett, in: E. Jones u. a., Attribution, 1971, S. 79 ff.; Kuhlen, in: Jung/Müller-Dietz/Neumann, Recht und Moral, 1991, S. 341, 356 f.; Duttge, Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, 2001, S. 12 ff. 561 Vgl. Prittwitz, Strafrecht und Risiko, 1993, S. 109 f.; Kuhlen, in: Jung/MüllerDietz/Neumann, Recht und Moral, 1991, S. 341, 358 f.; Fischhoff, Journal of Experimental Psychology 1975, 288; ders./Beyth, Organizational Behavior and Human Performance, 1975, S. 1 ff. 562 Prittwitz (Strafrecht und Risiko, 1993, S. 111, Fn. 132) führt hier zur Verdeutlichung das bekannte Milgram-Experiment an. Hier gaben 30 bis 65 % der Probanden dem sozialen Druck durch wissenschaftliche Autoritätspersonen nach und verabreichten teilweise vermeintlich lebensbedrohliche Stromstöße an Menschen. Probanden, die lediglich nach dem möglichen Ausgang des Experimentes gefragt wurden, schätzten, dass nur eine „pathologische Randgruppe“ von 1 bis 2 % dem Druck nachgeben würde. 563 Vgl. Prittwitz, Strafrecht und Risiko, 1993, S. 109 f. 564 Vgl. auch Seher, NJW 2004, 113, 116.

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dem Vorgänger des jetzigen LFGB. § 8 LMBG verbot es: „Lebensmittel für andere derart herzustellen oder zu behandeln, daß ihr Verzehr geeignet ist, die menschliche Gesundheit zu schädigen“. Daran knüpfte ein Straftatbestand an. Auch die heutigen Formulierungen im LFGB setzen materiell die Eignung zur Schadensverursachung voraus. So verlangt § 58 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. § 5 Abs. 1 LFGB i.V. m. Art. 14 Abs. 2 Lit. a Verordnung (EG) Nr. 178/2002, dass davon auszugehen ist, dass ein Lebensmittel gesundheitsschädlich ist. Solche Eignungsdelikte verankern einen gewissen Rechtsgüterschutzbezug im Wortlaut der Tatbestände. Nach allgemeiner Auffassung erfordern Eignungstatbestände eine Gefährlichkeitsprüfung im Einzelfall durch den Richter.565 Dieser soll nur strafen, wenn das Verhalten abstrakt gefährlich ist, also generell geeignet, einen Schaden hervorzurufen. Eignungsdelikte erfordern somit den Nachweis einer Schädigungseignung, verzichten aber auf eine konkrete Erfolgsursächlichkeit.566 Nach der hier vertretenen Konzeption ist dies im Wesentlichen Voraussetzung aller abstrakten Gefährdungsdelikte, denn von einem tatbestandlichen Verhalten kann nur dann ausgegangen werden, wenn aus der maßgeblichen Perspektive eine Schädigungsmöglichkeit gegeben ist. Es bestehen nun unterschiedliche Auffassungen darüber, ob es sich bei Straftatbeständen, die an die Geeignetheit zur Schadensverursachung anknüpfen, um konkrete oder abstrakte Gefährdungsdelikte handelt.567 Die Eignungsdelikte unterscheiden sich von den klassischen abstrakten Gefährdungsdelikten der herrschenden Meinung nach insoweit, als die generelle Gefährlichkeit nicht reines Motiv des Gesetzgebers, sondern Tatbestandsmerkmal ist.568 Nach verbreiteter Auffassung unterstellt der Gesetzgeber bei abstrakten Gefährdungsdelikten die Gefährlichkeit. Eignungsdelikte sehen jedoch klar eine Prüfung der Gefährlichkeit durch den Richter vor. Einige Autoren leiten aus dieser Diskrepanz her, dass es sich bei den Eignungsdelikten nicht um abstrakte, sondern um konkrete Gefährdungsdelikte handele.569 Dieser Sichtweise liegt die Auffassung zugrunde, der wesentliche Unterschied zwischen abstrakten und konkreten Gefähr-

565 Vgl. Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung und materieller Rechtsgüterschutz, 1986, S. 59 f. 566 Möhrenschlager, WiVerw 1984, 47, 65; Laufhütte/Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), 912, 941 f.; Meinberg, NStZ 1988, 366 f.; Kleine-Cosack, Kausalitätsprobleme im Umweltstrafrecht, 1988, S. 159 ff.; Ohm, Der Giftbegriff im Umweltstrafrecht, 1985, S. 58; Rogall, JZ-GD 1980, 101, 104; ders., in: FS-Rechtswissenschaftliche Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 505, 515 f.; Rudolphi, NStZ 1984, 248, 250; Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337, 341. 567 Ausführlich zum Streitstand Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 164 ff. 568 Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung und materieller Rechtsgüterschutz, 1986, S. 59. 569 So etwa Grasso, ZStW Beiheft 1987, 57, 67 f.; vgl. auch Schröder, JZ 1967, 522 f.; krit. hierzu Gallas, in: FS-Heinitz, 1972, S. 171 ff.

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken

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dungsdelikten sei die Tatsache, dass bei ersteren die Gefährlichkeit unterstellt werde, während ihr Vorliegen bei den zweiten überprüft werde. Die angebliche Unterstellung der Gefährlichkeit durch den Gesetzgeber bei den abstrakten Gefährdungsdelikten kann jedoch schwerlich wesentliches Kriterium dieser Deliktskategorie sein. Schließlich ist gerade diese Unterstellung der Gefährlichkeit äußerst problematisch, gibt sie doch den Rechtsgüterschutzbezug auf und schafft nach Meinung vieler ein Bedürfnis für die teleologische Reduktion des Wortlautes. Ein solch verfassungsrechtlich problematisches Kriterium zum Wesensmerkmal einer ganzen Deliktskategorie zu stilisieren, kann nicht richtig sein. Nach korrekter herrschender Meinung liegt der wesentliche Unterschied zwischen konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikten vielmehr im Erfordernis eines festzustellenden Erfolges.570 Bei den sog. Eignungsdelikten muss nun allerdings gerade kein (konkreter) Gefahrerfolg vorliegen, denn eine Konkretisierung der Gefahr auf ein bestimmtes Schutzgut ist nicht erforderlich, dies haben sie mit den abstrakten Gefährdungsdelikten ohne Eignungsklausel gemein.571 Damit fehlt ihnen der wesentliche Aspekt, der konkrete Gefährdungsdelikte charakterisiert. Eignungsdelikte sind daher nach herrschender Auffassung abstrakte Gefährdungsdelikte.572 Da nach der hier vertretenen Konzeption alle abstrakten Gefährdungsdelikte eine Schädigungseignung voraussetzen, kann für sie nichts anderes gelten. Auch die hier vertretene Auslegung deutet die abstrakten Gefährdungsdelikte folglich mitnichten in konkrete um. 570 Hoyer sieht beide Aspekte – sowohl den Erfolgsbezug als auch die Unterstellung bzw. Nichtunterstellung der Gefährlichkeit – als wesentliche Charakteristika der abstrakten und konkreten Erfolgsdelikte an. Er bewertet Eignungsdelikte als Mischgebilde aus abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikten. Sie seien wegen des Verzichts auf einen Erfolg weder rein konkretes noch, da die Gefährlichkeit des tatbestandsmäßigen Verhaltens nicht unterstellt, sondern geprüft werde, rein abstraktes Gefährdungsdelikt. Eignungsdelikte seien somit eine eigene Deliktskategorie, Hoyer, JA 1990, 183 ff.; ihm zustimmend Fischer, GA 1989, 445, 454 f.; Schröder, JZ 1967, 522 ff.; ders., ZStW 81 (1969), 7, 22; krit. hierzu Gallas, in: FS-Heinitz, 1972, S. 171 ff. Vgl. zur Abgrenzung von abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikten oben E.VI.1.c). 571 Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor § 306, Rn. 3; Gallas, in: FS-Heinitz, 1972, S. 171, 180 f. 572 Für die Einordnung als abstrakte Gefährdungsdelikte BGHSt 46, 212, 218; AG Hamburg NStZ 1988, 365, 366 mit insoweit zust. Anm. Meinberg; Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung und materieller Rechtsgüterschutz, 1986, S. 60; Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor § 306, Rn. 3; Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, 1999, S. 9; Gretenkordt, Herstellen und Inverkehrbringen stofflich gesundheitsgefährlicher Verbrauchs- und Gebrauchsgüter, 1993, S. 12 ff.; Gallas, in: FS-Heinitz, 1972, S. 171 ff.; grundsätzlich auch Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, 1991, S. 116 ff., insb. 121; Roxin, AT 1, § 11, Rn. 162; Dannecker, Entsanktionierung der Straf- und Bußgeldvorschriften des Lebensmittelrechts, 1996, S. 17; Bohnert, JuS 1984, 182, 183, Fn. 16; Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor § 324, Rn. 9.

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(f) Zusammenfassung und Fazit Das hier entwickelte – die Kriterien rechtsstaatlichen Strafens angemessen berücksichtigende – Konzept ermöglicht es, bei den abstrakten Gefährdungsdelikten ohne Systembruch ein verfassungsgemäßes Ergebnis zu erzielen. Dabei sind keine besonderen Regeln anzuwenden. Für die abstrakten Gefährdungsdelikte gilt nur das, was für alle Straftatbestände gilt: Ein tatbestandsmäßiges Verhalten setzt die Verletzung einer legitimen Verhaltensnorm voraus. Eine solche muss dem Rechtsgüterschutz dienen. Ist ein konkretes Verhalten im entscheidenden Verhaltenszeitpunkt (ex ante) vollkommen ungefährlich, lässt sich eine Verhaltensnorm nicht legitimieren und die Strafbarkeit entfällt.573 Durch die zu legitimierende Verhaltensnorm (in Gestalt eines Ver- oder Gebots) wird zwangsläufig ein Rechtsgüterschutzbezug hergestellt, und zwar auch dann, wenn im Wortlaut der abstrakten Gefährdungsdelikte die Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsguts nicht gefordert wird. Ein Verhalten, das prognostisch keinem Rechtsgut schaden kann, verletzt keine legitime Verhaltensnorm, ist also nicht tatbestandsmäßig im Sinne eines Straftatbestandes. Es bedarf hierfür keiner besonders zu begründenden teleologischen Wortlautreduktion. Vielmehr ergibt sich dieses Ergebnis zwanglos aus der vorgestellten Straftatkonzeption im Wege einer an den verfassungsrechtlichen Vorgaben ausgerichteten und ratio-orientierten Gesetzeskonkretisierung. Diese ermöglicht es auf die ex ante gegebene Eignung zur Erfolgsverursachung bei der Prüfung der Strafbarkeit Bezug zu nehmen. Dieses Ergebnis deckt sich weitgehend mit den Ansichten, welche die Strafbarkeit lediglich dann entfallen lassen wollen, wenn der Täter unter Wahrung der von ihm zu erwartenden Sorgfalt zu der Einschätzung kam, die Situation sei ungefährlich. Der Rückgriff auf eine spezielle Fahrlässigkeits- oder Versuchsdogmatik ist jedoch bei richtiger Perspektivenbestimmung genauso wenig notwendig wie bestimmte Analogien oder die Herstellung von im Tatbestand nicht vorgesehenen Erfolgsbezügen. Abstrakte Gefährdungsdelikte sind somit eine legitime verfassungsgemäße Deliktskategorie im Rechtsgüterschutzstrafrecht. bb) Problem der Überkriminalisierung: Verhältnismäßigkeit der Sanktion Es bleibt der zentrale Kritikpunkt der Frankfurter Schule an den abstrakten Gefährdungsdelikten: Diese seien eine zu weit gehende freiheitsbeschränkende Vorverlagerung der Strafbarkeit. Vor Eintritt einer Rechtsgutsverletzung oder konkreten Gefährdung sei Strafe eine unverhältnismäßige Überkriminalisierung.574 Auch Jakobs befürchtet, dass der Täter durch die Vorverlagerung der 573

Im Ergebnis auch Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor § 306, Rn. 3. Vgl. etwa Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, 1993, S. 50; Naucke, KritV 1993, 135, 145 ff.; vgl. auch Sieber, ZLR 1991, 451, 462; Frehsee, StV 1996, 574

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Strafbarkeit vor den Rechtsgutsschaden als Person aus dem Blick verloren und nur noch als Gefahr für ein Rechtsgut wahrgenommen werde. Durch eine solche Sichtweise ließe sich nach seiner Meinung die Strafbarkeit grenzenlos vorverlagern. Dem Täter würde dabei jede Privatsphäre genommen, jeder Bereich des „noch-nicht-sozial-relevanten Verhaltens“. Er werde zur reinen Gefahrenquelle, zum Feind des Rechtsgutes. Je stärker Rechtsgüterschutz optimiert werde, desto mehr werde der Täter zum Feind ohne Innenbereich. Jakobs prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des „Feindstrafrechts“.575 Die hier aufgeworfenen Probleme sind solche der Verhältnismäßigkeit. Sie betreffen die Frage, mit welchem Sanktionsinstrument das verwirklichte Unrecht angemessen erfasst werden kann – genauer: wie auf das im hier interessierenden Zusammenhang vorhandene Verhaltensunrecht angemessen zu reagieren ist, damit kein Verhaltensnormgeltungsschaden eintritt und der durch die Tat gestörte Rechtsfrieden wieder hergestellt wird. Die geäußerten Bedenken sind insofern berechtigt, als beim Ausbleiben von Fehlverhaltensfolgen weniger Bedarf nach strafrechtlicher Gegensteuerung besteht als bei deren Eintritt. Wie oben ausgeführt576 erhöhen Fehlverhaltensfolgen das Strafbedürfnis. Daher ist bei den abstrakten Gefährdungsdelikten besonderes Augenmerk darauf zu legen, ob Strafe tatsächlich eine angemessene Reaktion auf das Fehlverhalten darstellt.577 Allerdings ist es nicht so, dass abstrakte Gefährdungsdelikte generell eine Überkriminalisierung bedeuten und aus diesem Grund niemals angemessen sind. Vielmehr setzen sie das Vorliegen des eigentlich straftatkonstituierenden Unrechts, nämlich das personale Verhaltensunrecht, voraus. Dies alleine vermag bei einem entsprechend gewichtigen Verhaltensnormverstoß ohne Weiteres Strafe zu legitimieren.578 Abstrakte Gefährdungsdelikte, die auf das Erfordernis von Fehlverhaltensfolgen verzichten, müssen daher schon für sich genommen – ohne Fehlverhaltensfolgen – hinreichend gewichtiges Fehlverhalten erfassen, um die eingriffsintensive strafrechtliche Reaktion zu rechtfertigen. Wann ein Verhaltensnormverstoß gewichtig genug ist, um die Strafbarkeit auch ohne Fehlverhaltensfolgen unter Strafe zu stellen, ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall. Insbesondere müssen bedeutende Rechtsgüter vor hinreichend gewichtigen Schäden geschützt werden, um die Beeinträchtigung der Freiheit des Normadressaten als angemessen erscheinen zu lassen. 222, 227 f.; Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 60. 575 Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 767 ff.; ders., AT, 6/86a; vgl. dazu Freund, AT, § 1, Rn. 24 ff.; Roxin, AT 1, § 2, Rn. 126 ff. jeweils m.w. N. 576 E.IV.6. 577 Vgl. auch BVerfGE 90, 145, 199, 204 ff. – Cannabis; Geppert, in: GS-Schlüchter, 2002, S. 43, 55; Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, 1993, S. 56 f. 578 Freund, AT, § 4, Rn. 6; ders., in: MK-StGB, Vor § 13, Rn. 53, 188 ff., 221. Vgl. auch oben E.IV.6.

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

Aber auch die Unmöglichkeit, etwaige Schäden mit Erfolgsdelikten zu erfassen, kann bei der Strafgesetzgebung als Abwägungsfaktor Berücksichtigung finden. So sind in komplexen unübersichtlichen Lebensbereichen wie bei der industriellen Konsumgüterproduktion abstrakte Gefährdungsdelikte eher zulässig, als in Bereichen, in welchen nachvollziehbare Kausalzusammenhänge vorherrschen. Denn bei letzteren ist die Implementierung eines abstrakten Gefährdungsdelikts zur Normstabilisierung nicht erforderlich, da diese bereits mit einem Erfolgsdelikt gewährleistet werden kann. Auch der untaugliche Versuch eines Erfolgsdeliktes ist letztlich nichts anderes, als ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Der Gesetzgeber und die absolut herrschende Auffassung in der Literatur gehen aber offensichtlich davon aus, dass dieser angemessen mit Strafe zu erfassen ist. Warum dies in anderen Bereichen, insbesondere zum Schutz von Leib und Leben vor gravierenden Produktgefahren, generell unverhältnismäßig sein soll, ist nicht ersichtlich. Es geht bei der vorzunehmenden Abwägung darum, praktische Konkordanz zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen. Nur durch das Inverhältnissetzen beider Aspekte kann verhindert werden, dass die Sicherheit einseitig zulasten der Freiheit ausgedehnt wird oder andersherum. Ergebnis der erforderlichen Abwägung muss das Maß an Sicherheit sein, das die damit verbundenen Freiheitseinbußen rechtfertigt, und das Maß an Freiheit, welches die Sicherheit nicht über Gebühr einschränkt. Solange diese Abwägung vorgenommen wird und alle Aspekte mit dem ihnen gebührenden Stellenwert Berücksichtigung finden, sind die Befürchtungen von Jakobs unbegründet. Die Einbeziehung von Sicherheitsinteressen heißt ja keinesfalls, dass die Freiheitsinteressen ihre Relevanz gänzlich verlieren.579 Eine „grenzenlose“ Vorverlagerung, wie sie Jakobs befürchtet, ist daher nicht zu erwarten. Eine gewisse Vorverlagerung in besonders unübersichtlichen Lebensbereichen, in welchen überragend wichtige Rechtsgüter vor gravierenden Schäden geschützt werden, ist der Natur der Sache nach aber unvermeidbar. Dies ist logische Konsequenz dessen, dass auch die Sicherheit ein selbstständiger Abwägungsfaktor ist und das Individuum in der Gesellschaft nun einmal keine grenzenlose Freiheit in Anspruch nehmen kann. Bei der anzustellenden Abwägung von Sicherheit und Freiheit bei der Frage der Strafbewehrung ist zudem zu beachten, dass es hier nicht mehr um die Entscheidung über das Ver- oder Gebotensein eines Verhaltens geht. Diese ist wie erläutert im Vorhinein auf Ebene der Verhaltensnormlegitimation zu beantworten.580 Es gilt auf Ebene der Sanktionsnorm nur noch zu klären, wie auf ein ver- bzw. gebotswidriges Verhalten zu reagieren ist, welche Freiheitseinbußen als Reaktion auf das Fehlverhalten angemessen sind. Dabei darf nicht übersehen werden, dass sich derjenige, der gegen eine legitime Verhaltensnorm verstößt, jenseits der ihm zu579 580

Vgl. dazu auch oben unter B.I. Vgl. oben E.IV.

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gestandenen Freiheit bewegt, also diesbezüglich keine abwägungsfähigen Belange in die Waagschale zu werfen hat. Zu berücksichtigen ist lediglich die Belastung, die die staatliche Sanktion für den Täter hat, und ihr Verhältnis zur begangenen Tat. Auf dieser Basis ist ein Gleichgewicht zwischen der Freiheit des Täters, der die Grenzen der ihm zustehenden Freiheitssphäre überschritten hat, und dem Bedürfnis nach Sicherung der übertretenen, im Interesse der Gemeinschaft freiheitsbeschränkenden Normen herzustellen. Die Frankfurter Schule und auch die Kritik von Jakobs verlieren das Erfordernis eines solchen Gleichgewichts aus den Augen, wenn sie alleine auf die Freiheit des Normunterworfenen abstellen. Eine solche Sichtweise wird der Doppelnatur der Grundrechte, denen sich sowohl Abwehr- als auch Schutzansprüche entnehmen lassen, nicht gerecht. Wer Schutzpflichten des Staates anerkennt, kann diese bei Abwägungsentscheidungen nicht außer Acht lassen, sondern muss sie als selbstständige Faktoren mit dem ihnen zukommenden Stellenwert in Rechnung stellen. e) Ergebnis Um elementare Verhaltensnormen in modernen Lebensbereichen abzusichern, muss der Erfolgsbezug in Konstellationen, in welchen ein kausaler Zusammenhang zwischen einem Schaden und dem (mutmaßlich) gefährlichen Verhalten regelmäßig nicht sicher nachgewiesen werden kann, entfallen, um den staatlichen Schutzpflichten entsprechend effektiven Rechtsgüterschutz betreiben zu können. Ausgehend von dem Befund, dass Verletzungserfolgsdelikte moderne Risiken kaum noch zu erfassen vermögen, kommt den abstrakten Gefährdungsdelikten eine wachsende Bedeutung in diesem Bereich zu. In der modernen Industriegesellschaft mit ihrer Komplexität und ihren unübersichtlichen Zusammenhängen muss ein Wandel vom Erfolgs- zum abstrakten Gefährdungsdelikt zumindest teilweise als systemimmanent begriffen und akzeptiert werden. Denn zum Schutz von wichtigen Rechtsgütern vor großen Schäden ist nach den bestehenden Schutzpflichten auch hier eine effektive Absicherung entsprechender Verhaltensnormen, wie sie nur mittels des Strafrechts zu erreichen ist, zwingend erforderlich. Jenseits solcher Schutzpflichten ist es dem Staat zumindest erlaubt, schützend tätig zu werden. Dabei muss er sich effektiver Steuerungsinstrumente bedienen dürfen. Der Verzicht auf Fehlverhaltensfolgen als Voraussetzung der Strafbarkeit ist auch in einem rechtsstaatlichen Strafrecht durchaus möglich. Denn entscheidender Anknüpfungspunkt für die strafrechtliche Reaktion ist allein der Verhaltensnormverstoß. Da Fehlverhaltensfolgen jedoch das Strafbedürfnis steigern, ist bei ihrem Ausbleiben die Angemessenheit von Strafe kritisch zu prüfen. Daher sind abstrakte Gefährdungsdelikte auf die Absicherung besonders wichtiger Verhaltensnormen bei gewichtigen Verstößen zu beschränken.

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

In diesen Grenzen können abstrakte Gefährdungsdelikte jedoch einen unerlässlichen Beitrag zum Rechtsgüterschutz leisten. Die generelle Ablehnung dieser Deliktskategorie durch die Frankfurter Schule als Ausprägung eines rein folgenorientierten, ausufernden und freiheitsbeschränkenden „Risikostrafrechts“ und die damit verbundene Forderung nach einem Rückzug des Strafrechts ist dagegen nicht überzeugend. Da sich eine verfassungskonforme, angemessene Absicherung von besonders wichtigen Verhaltensnormen im Umfeld moderner Risiken nur durch abstrakte Gefährdungsdelikte ermöglichen lässt und diese nicht unzulässig sind, gibt es keinen Grund, auf eine funktionierende Regulierung dieser Art zu verzichten. 2. Ineffizienz des modernen Strafrechts am Beispiel von AMG und LFGB Die Frankfurter Schule behauptet nun, auch ein derart mit abstrakten Gefährdungsdelikten ausgestattetes Strafrecht sei nicht in der Lage, moderne Lebenssachverhalte angemessen zu erfassen.581 Auch moderne Strafgesetzgebung, die verstärkt auf abstrakte Gefährdungsdelikte setzt, sei im Hinblick auf den Rechtsgüterschutz faktisch ineffektiv. Neugeschaffene Gefährdungstatbestände würden nicht vollzogen und seien nutzlose Symbole582.583 Unter symbolischen Normen versteht diese Kritik dabei Gesetze, durch die eine andere als die manifeste Funktion erreicht wird.584 Ein zweckgebundenes Strafrecht müsse – so Hassemer – notwendigerweise solche symbolischen Normen erzeugen, denn jeder Tatbestand, der dem angestrebten Ziel nicht dienen 581 P. A. Albrecht, KritV 1993, 163, 170 und 180; Prittwitz, StV 1991, 435, 439 f.; Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 14 f.; ders., ZRP 1992, 378, 382; Herzog, ZStW 105 (1993), 727, 744 ff. 582 Diesem Vorwurf kann alleine auf der Ebene der Sanktionsnormen leicht entgegengetreten werden: Ein positiv generalpräventiv begründetes Strafrecht wirkt konzeptionsbedingt nur symbolisch. Dabei ist es aber keinesfalls wirkungslos! Strafe verdeutlicht vielmehr besonders effektiv die Geltung von Verhaltensnormen. Sie ist ein Symbol dafür, dass die Rechtsgemeinschaft an der Geltung der übertretenen Norm festhält. Dies leistet Strafe qua definitionem immer. Sie ist also als Reaktion auf einen Verhaltensnormverstoß für sich genommen niemals nutzlos. 583 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 13 ff.; ders., ZRP 1992, 378, 382; ders., NStZ 1989, 553; ders., in: FS-Roxin, 2001, S. 1001 = Strafrecht, 2008, S. 93; Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 58; Frehsee, StV 1996, 222, 226 f.; P. A. Albrecht, KritV 1988, 182, 191 ff.; ders., KritV 1993, 163 und 164; Naucke, KritV 1993, 135, 154 ff.; Prittwitz, Strafrecht und Risiko, 1993, S. 366; vgl. auch Vormbaum, ZStW 107 (1995), 734, 759. 584 Hassemer, NStZ 1989, 553, 556; vgl. auch Seelmann, KritV 1992, 452, 461; Frehsee, Der Rechtsstaat verschwindet, 2003, S. 253, 246; Müller-Tuckfeld, in: Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt a. M., Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, 1995, S. 461, 475 f.

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könne, sei automatisch ineffektiv. Dies sei regelmäßig in schwer steuerbaren modernen Strafrechtsmaterien wie dem Umwelt- und Wirtschaftsstrafrecht585 oder auch dem Betäubungsmittelstrafrecht der Fall. In diesen Bereichen solle Strafrecht angsteinflößende Risiken beherrschbar machen, könne dies aber nicht leisten.586 Stattdessen dienten entsprechende Normen der Beruhigung verängstigter Massen587 bzw. dem Image des Gesetzgebers und innenpolitischen Zielen.588 Solch symbolisches Strafrecht sei in der Regel eine Reaktion auf ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis der Massen in der Risikogesellschaft, der Versuch etwas zu tun, auch wenn die Komplexität und Unübersichtlichkeit der Materie dies nicht erlauben.589 Insofern verspreche das Strafrecht etwas, was es nicht halten könne. Es sei – um nochmals den Soziologen Beck zu Wort kommen zu lassen – reine „symbolische Entgiftung“ und kein „Gegengift“ für den internationalen „Giftstoffverkehr“.590 Ein solches Strafrecht wiege in falscher Sicherheit. Schutz, den es tatsächlich nicht gebe, werde nur vorgetäuscht und damit das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit zu Unrecht gehoben.591 Fatal sei dies besonders, wenn im Vertrauen auf die unwirksamen Straftatbestände effektive Risikosteuerung vor allem in Form von gesellschaftlicher Selbstregulierung unterbleibe. Die Täuschung der Rechtsunterworfenen über den bestehenden Rechtsgüterschutz verstärke so letztlich die allgemeine Unsicherheit und führe zur gesellschaftlichen Desintegration.592 Das Vertrauen der Bürger in die Strafrechtspflege werde düpiert und die Legitimationsgrundlage – nämlich der Schutz von Rechtsgütern – aufgegeben.593 In einer solchen Gesetzgebung würden die hergebrachten Grundlagen des liberalen Strafrechts ohne Not geopfert,

585 Vor allem hier werden gravierende Vollzugs- und Wirkdefizite beklagt, vgl. etwa Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 111 ff., 146 ff.; Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, 1993, S. 41; Schall, NJW 1990, 1263 f.; Colussi, Produzentenkriminalität und strafrechtliche Verantwortung, 2003, S. 149 ff.; Hassemer, NStZ 1989, 553, 558; Seelmann, KritV 1992, 452, 455. 586 Hassemer, in: GS-Schlüchter, 2002, S. 133, 146 f. 587 Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 58 ff.; Seelmann, KritV 1992, 452, 461. 588 Hassemer, NStZ 1989, 553, 558; ders., in: GS-Schlüchter, 2002, S. 133, 151; ders., Strafen im Rechtsstaat, 2000, S. 180; Voß (Symbolische Gesetzgebung, 1989, S. 26 ff.) unterteilt vier Gruppen symbolischer Gesetzgebung: Symbolische Gesetzgebung bei gesetzgeberischen Wertbekenntnissen, Gesetzgebung mit moralischem Appellcharakter, Ersatzreaktionen des Gesetzgebers wie Krisen- oder Alibigesetze und Kompromissgesetze. 589 Vgl. Prittwitz, Strafrecht und Risiko, 1993, S. 261. 590 Beck, Gegengifte, 1988, S. 11. 591 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, 1993, S. 247 f. 592 Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 62 f., 64 f., 72. 593 Hassemer, NStZ 1989, 553, 558; vgl. auch Prittwitz, Strafrecht und Risiko, 1993, S. 258.

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

denn das bezweckte Ergebnis des effektiven Rechtsgüterschutzes werde nicht erzielt. Hassemer ist davon überzeugt, dass der Grund für die behauptete Ineffizienz strafrechtlicher Regelungen im Regelungsgegenstand der modernen Risiken liege. Er meint, das Strafrecht habe sich etwa „mit seinem Ausgriff auf die Produkthaftung übernommen“594. Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit lasse sich nicht sinnvoll umsetzen. Die Komplexität und Unübersichtlichkeit der modernen Materie erlaube eine sinnvolle Regulierung unter Beteiligung des Strafrechts nicht. Konsequenz dessen ist wiederum die Forderung nach einem Rückzug des Strafrechts.595 Ein solcher Rückzug, der die wichtigen Verhaltensnormen in sensiblen modernen Lebensbereichen schutzlos lässt und der Desavouierung wichtiger Ge- und Verbote nichts entgegensetzt, ist – wie erläutert – vor dem Hintergrund bestehender Schutzpflichten mehr als bedenklich.596 Ein solcher vollständiger Rückzug des Strafrechts wäre auch allenfalls dann erforderlich, wenn eine effektiv rechtsgüterschützende Erfassung gravierender Schädigungsmöglichkeiten für wichtige Rechtsgüter in diesem Bereich tatsächlich unmöglich sein sollte. Es ist aber fraglich, ob die Regelungsbereiche der Moderne zwangsläufig eine Ineffizienz des Strafrechts in diesem Sinne begründen. Im Folgenden sollen nun die Probleme strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes bei gefährlichen Produkten am Beispiel des Arznei- und Lebensmittelstrafrechts dargestellt werden. In diesem Bereich hat der Gesetzgeber versucht, ein Strafrecht zu schaffen, das moderne Produktgefahren sicher erfasst. Nachdem klar wurde, dass ein strafrechtliches Zurverantwortungziehen etwa für Conterganschäden im Rahmen von klassischen Verletzungserfolgsdelikten aufgrund der ungewissen Wirkbeziehungen nicht sicher gewährleistet werden konnte, etablierte der Gesetzgeber im AMG und LFGB ein eigenes Regelwerk zur Produktverantwortlichkeit, das fast vollständig auf Erfolgserfordernisse verzichtet. So besteht mittlerweile ein dichtes Netz aus Gefährdungstatbeständen, mit denen das Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen entsprechender gefährlicher Produkte umfassend strafrechtlich geahndet werden soll. Anhand dieses Referenzgebietes soll untersucht werden, wo die Schwierigkeiten bei der Bewältigung moderner Produktrisiken liegen. Dabei gilt es zu klären, ob sich diese – wie die Frankfurter Schule behauptet – tatsächlich aus der Unerfassbarkeit des Regelungsgegenstandes ergeben oder ob nicht vielmehr die gewählte Regelungstechnik zu Problemen führt. Schließlich ist nach Regulierungsalternativen zu suchen, die eine effektive und verhältnismäßige Absicherung von Verhaltensnormen, die vor Produktgefahren schützen, ermöglichen. Gelingt dies, ist die 594

Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 74. Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 14 f.; ders., ZRP 1992, 378, 382; vgl. auch Vormbaum, ZStW 107 (1995), 734, 759. 596 Vgl. vor allem oben E.VI.1. 595

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken

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Schlussfolgerung Hassemers, das Strafrecht müsse sich zurückziehen, nicht nur im Rechtsgüterschutzinteresse unvernünftig, sondern auch unnötig. Denn den vollständigen Rückzug des Strafrechts zu fordern, anstatt für eine effiziente Umsetzung und Ausgestaltung einzutreten, gibt die von modernen Gefahren bedrohten Rechtsgüter – ggf. unter Verstoß gegen verfassungsrechtliche Schutzpflichten – ohne Not preis.597 a) Aufbau der Gesetze aa) Grundnormen Im LFGB finden sich „Grundnormen“, die ihrem Wortlaut nach an die Gefährlichkeit der hergestellten Produkte anknüpfen.598 Sie bestrafen das Inverkehrbringen (§ 58 Abs. 2 Nr. 1 LFGB) bzw. das Herstellen und Behandeln (§ 58 Abs. 1 Nr. 1 LFGB) entsprechender Produkte. Ähnliches gilt für das AMG, wobei nur das Inverkehrbringen – nicht jedoch das Herstellen und Behandeln – gefährlicher Produkte strafbar ist. Nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG macht sich strafbar, wer „Arzneimittel, bei denen der begründete Verdacht auf schädliche Wirkungen besteht, in Verkehr bringt“. Hierbei handelt es sich um ein sog. Risikodelikt.599 Diese setzen nicht die nachgewiesene Gefährlichkeit eines Verhaltens voraus, sondern lassen für die Strafbarkeit einen begründeten Verdacht genügen. Ein solcher ist nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG individuell gerichtlich festzustellen. Mittels dieser Risikodelikte kann Strafe auch dann eingreifen, wenn die Gefährlichkeit eines Verhaltens – also die generelle Eignung zur Schadensverursachung – nicht ganz sicher feststeht.600 In Abgrenzung zu abschließend formulierten Tatbeständen, bei welchen der Gesetzgeber die Gefährlichkeit unterstellt, obwohl die Eignung zur Schadensverursachung wissenschaftlich umstritten ist – vgl. etwa § 184 StGB (Verbreitung pornografischer Schriften) und § 131 StGB (Gewaltdarstellung) –601 spricht man hier wegen der 597

Vgl. Schünemann, GA 1995, 201, 209; Kuhlen, GA 1994, 347, 361. Vgl. Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, § 95 AMG, Rn. 38; Rehmann, AMG, § 95, Rn. 5. 599 Mehr zu den Risikodelikten unten E.VI.2.e)bb)(1). 600 Armin Kaufmann, JZ 1971, 569, 576; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 325. 601 Schreibauer, Das Pornographieverbot, 1999, S. 87 f.; Wolters/Horn, in: SKStGB, § 184, Rn. 3, 62. Lfg., Oktober 2008; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 94, Rn. 3; Lenckner/Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 184, Rn. 1 und 3; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 325 f.; Rudolphi/Stein, in: SKStGB, § 131, Rn. 2, 65. Lfg., April 2006. Probleme mit dem in dubio-Satz ergeben sich dabei nicht, denn dieser hat keine Geltung im Rahmen der Gesetzgebung, Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 94, Rn. 3. Solange ein Nachweis über die Gefährlichkeit fehlt, ist zumindest eine gesetzgeberische Hypothese zulässig, BVerfG NJW 1986, 1241, 1242; Wolters/Horn, in: SK-StGB, § 184, Rn. 3, 62. Lfg., Oktober 2004; Schreibauer, Das Pornographieverbot, 1999, S. 87 f. 598

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

Verdachtsprüfung durch das Gericht zuweilen von Risikodelikten neueren Typs.602 Den Grundnormen in AMG und LFGB unterfällt zunächst jedes vorsätzliche und fahrlässige Verhalten, durch das ein gefährliches Produkt der entsprechenden Produktkategorie in den Verkehr gebracht wird. Im Lebensmittelrecht ist darüber hinaus auch die Herstellung und Behandlung gesundheitsgefährlicher Güter unter Strafe gestellt. Da keine weiteren Voraussetzungen vorgesehen sind, erfassen diese weiten Tatbestände grundsätzlich sehr viele verschiedene Verhaltensweisen. bb) Formalistische und detaillierte Einzelregelungen Alle weiteren in den §§ 58 f. LFGB und den §§ 95 f. AMG enthaltenen Strafvorschriften dienen (mittelbar)603 ebenfalls dem Lebens- und Gesundheitsschutz vor Produktgefahren oder aber dem Schutz des Vermögens bzw. der Entscheidungsfreiheit der Konsumenten.604 Die Straftatbestände knüpfen dabei an phänotypisch beschriebene Verhaltensweisen und nicht – wie etwa in großen Teilen des StGB üblich – an materielle Schutzaspekte an. Eine solche materielle Anbindung an die Legitimationsgrundlagen wird im StGB in der Regel durch die Schilderung eines tatsächlichen Geschehens, eines schädigenden Verlaufs, erreicht. Nur Verhaltensnormen, die sich um der Vermeidung des tatbestandlich umschriebenen Geschehens Willen legitimieren lassen, werden von der Sanktionsnorm und somit dem Tatbestand der Strafgesetze erfasst.605 So setzen die meisten Tatbestände nur die Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts voraus, um alle Verstöße gegen Verhaltensnormen zu erfassen, die dieses Rechtsgut sichern. Etwa § 229 StGB knüpft nicht an das Von-der-Leine-Lassen des bissigen Hundes oder das zu schnelle Autofahren an. Vielmehr weist der Tatbestand mit der Strafbarkeit der fahrlässigen Körperverletzung lediglich das Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit aus. Die Konkretisierung dessen, was mit Blick auf die Körperintegrität eines anderen als fahrlässiges Verhalten verboten ist, obliegt als Aufgabe dem potenziellen Verhaltensnormadressaten bzw. bei der strafrechtlichen Ahndung – in einem diese erwartbare Leistung des Sub602 Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, 1991, S. 128 ff.; ihr folgend Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 272 ff.; Schroeder, ZStW Beiheft 1982, 1, 15; vgl. Armin Kaufmann, JZ 1971, 569, 576. 603 Vgl. E.IV.1. 604 Siehe hierzu Freund, ZLR 1994, 261, 265 ff.; Dannecker, Entsanktionierung der Straf- und Bußgeldvorschriften des Lebensmittelrechts, 1996, S. 14. Im AMG wird zudem der Tierschutz intendiert, vgl. Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 11. 605 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 114 f., 120 f.; vgl. dazu auch oben unter E.IV.2.d).

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken

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jekts nachvollziehenden Sinne – den Strafgerichten.606 Diese müssen ggf. einen Verstoß gegen eine Verhaltensnorm, die im Interesse der körperlichen Unversehrtheit zu legitimieren ist, dem Angeklagten gegenüber begründen. Der Strafgesetzgeber umschreibt dagegen aus gutem Grund nicht detailgenau, welche konkreten Verhaltensweisen mit Strafe bedroht sein sollen. So können dem Tatbestand viele verschiedene Verhaltensweisen unterfallen und vor allem kann sich der effektive Erfassungsbereich der sich ständig ändernden Lebenswirklichkeit anpassen, ohne dass der Straftatbestand zu unbestimmt ist. Der klassische Straftatbestand des § 229 StGB hat zwar ein hohes Abstraktionsniveau, er sagt aber dennoch klar und eindeutig, dass eine fahrlässige Körperverletzung – die im Strafverfahren nicht nur behauptet werden darf, sondern begründet werden muss – als solche strafrechtlich zu ahnden ist.607 In LFGB und AMG erreichen nur die Grundnormen dieses Abstraktionsniveau, indem sie auf ihre Legitimationsgrundlage, nämlich die Gesundheitsgefährlichkeit eines Produktes, abstellen. Die anderen Tatbestände dagegen knüpfen formalistisch an bestimmte Verhaltensbeschreibungen an, die jedoch keinen Bezug mehr zu den Grundlagen der Verhaltensreglementierung aufweisen, sodass nicht mehr ohne Weiteres zu erkennen ist, weshalb das Verhalten rechtlich zu missbilligen sein soll. Vielfach ist dadurch das eigentliche Schutzgut der zu legitimierenden Verhaltensnormen nicht einfach zu benennen. Ob durch einen Straftatbestand des LFGB oder des AMG die Gesundheit oder das Vermögen der Verbraucher geschützt werden sollen, bleibt zum Teil unklar. Dies ist im Hinblick auf eine angemessene strafrechtliche Reaktion, für welche die Kenntnis der Legitimationsaspekte notwendig ist, bedenklich.608 Dafür ist die Beschreibung des tatbestandsmäßigen Verhaltens sehr präzise. So macht sich z. B. nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG strafbar, wer ionisierende Strahlen bei der Herstellung von Lebensmitteln einsetzt. §§ 95 Abs. 1 Nr. 2, 6 AMG i.V. m. § 2 AMTierAnwVerbV bestraft das Inverkehrbringen von Tierarzneimitteln für Tiere, die der Lebensmittelgewinnung dienen, die z. B. Stilbene oder Thyreostatika enthalten. Um eine solch detaillierte Regulierung umfassend zu ermöglichen, musste sich der Gesetzgeber der Blankettnormtechnik bedienen.609 Entsprechende Straftatbestände finden sich in den §§ 58 f. LFGB und den §§ 95 f. AMG zahlreich. Fast alle Vorschriften des AMG und des LFGB und viele Normen der darauf basierenden Verordnungen werden mit speziellen, auf die entsprechenden naturalistisch gefassten Ge- und Verbote zugeschnittenen, einzelnen Sanktionsnormen verknüpft.610 Dadurch entsteht eine Flut von Straftatbeständen mit sehr 606

Siehe dazu vor allem oben E.IV.2.b) sowie unten E.VI.2.e)dd)(2). Vgl. dazu auch oben E.IV.2.d) und unten E.VI.2.e)dd)(1). 608 Siehe dazu unten E.VI.2.c)bb). 609 Mehr dazu unten E.VI.2.c)bb). 610 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 71; ders., in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, 607

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

engen, anhand eines Verhaltens formalistisch genau definierten Anwendungsbereichen, bei denen aber der die zugrunde liegende Verhaltensnorm legitimierende Hintergrund regelmäßig im Dunkeln bleibt. Alleine die §§ 58, 59 LFGB umfassen 47 Gliederungsziffern, die in vielen Fällen, etwa wenn auf eine Verordnung verwiesen wird, mehrere strafbare Verhaltensweisen erfassen. b) Inkonsistente Regulierung Der dargestellte Aufbau der Gesetze verbindet zwei Regulierungskonzepte, zwischen welchen an sich Alternativität besteht. Der Gesetzgeber versucht, den Regelungsgegenstand sowohl mit weiten Generalklauseln als auch mit möglichst vielen exakt beschriebenen detaillierten Einzeltatbeständen zu erfassen. Die „Grundnormen“, die nur an die Gefährlichkeit eines Produktes anknüpfen, erfassen bereits sehr viele Verstöße gegen die im Arznei- und Lebensmittelrecht existierenden Ge- und Verbote zum Schutz von Leib und Leben. Dennoch unterstellt der Gesetzgeber viele Ge- und Verbote zusätzlich jeweils einer einzelnen kasuistischen Strafvorschrift. aa) Kaum eigenständige Anwendungsbereiche vieler Normen Neben den Grundnormen, die jedes Verhalten erfassen, durch welches ein gefährliches Produkt in Verkehr gebracht bzw. hergestellt oder behandelt wird, sind die meisten anderen Straftatbestände zum Schutz von Leben und Gesundheit weitgehend obsolet.611 Ein Verstoß gegen entsprechende Verhaltensnormen ist schon tatbestandsmäßiges Verhalten im Sinne der Grundnormen. Diese decken relativ weiträumig jedes für Leib und Leben gefährliche Verhalten im Zusammenhang mit entsprechenden Produkten ab und sichern so die Geltung der in diesem Bereich rechtsgüterschützenden Verhaltensnormen. Ein nachfolgender Straftatbestand ist zur Absicherung entsprechender Verhaltensnormen daher kaum noch erforderlich. Dies betrifft z. B. § 58 Abs. 1 Nr. 4 und 5 LFGB. Dieser stellt es unter Strafe, vom Tier gewonnene Lebensmittel in Verkehr zu bringen, in welchen nach den einschlägigen Verordnungen verbotene oder überhöhte pharmakologische Rückstände enthalten sind. Wenn derartige Lebensmittel gesundheitsschädlich sind, greift jedoch bereits § 58 Abs. 2 Nr. 1 LFGB, der ja gerade das Inverkehrbringen gesundheitsgefährdender Lebensmittel erfasst. Insofern ist der spezielle Tatbestand des § 58 Abs. 1 Nr. 4 und 5 LFGB nicht notwendig. Geht von dem mit Rückständen belasteten Lebensmittel aus der maßgeblichen ex ante-Perspektive S. 67, 79 f.; Sieber, ZLR 1991, 451, 455; Dannecker, Entsanktionierung der Straf- und Bußgeldvorschriften des Lebensmittelrechts, 1996, S. 35, 48. 611 Wagner, Arzneimittel-Delinquenz, 1984, S. 101.

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken

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dagegen keine Gefahr aus, so greift in der Regel weder § 58 Abs. 2 Nr. 1 LFGB noch der spezielle § 58 Abs. 1 Nr. 4 und 5 LFGB. Die Strafnormen würden ohne den Gefahrbezug nämlich nur die Einhaltung der Richtwerte sichern und somit nicht den für Strafe nötigen Unwertgehalt erreichen.612 Auch – um ein weiteres Beispiel heranzuziehen – § 58 Abs. 1 Nr. 7 LFGB, wonach bestraft wird, wer Lebensmittel in Verkehr bringt, die einer Verordnung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 LFGB zum Schutz der Gesundheit zuwiderlaufen, hat neben § 58 Abs. 1 Nr. 2 LFGB kaum eine eigenständige Bedeutung.613 Denn bei verordnungswidrig erzeugten und gesundheitsgefährdenden Lebensmitteln greifen die Grundnormen. Bei verordnungswidrig erzeugten aber nicht gesundheitsgefährdenden Lebensmitteln lässt sich aus der maßgeblichen Perspektive regelmäßig keine Verhaltensnorm im Interesse des Gesundheitsschutzes legitimieren, sodass kein tatbestandsmäßiges Verhalten im Sinne des § 58 Abs. 1 Nr. 7 LFGB vorliegt. Auch im AMG haben die der Grundnorm des § 95 Abs. 1 Nr. 1 nachfolgenden Tatbestände dem Schutz von Gesundheit und Leben regelmäßig wenig hinzuzufügen. Zum Beispiel kann der Verstoß gegen das Verbot, ionisierende Strahlen bei der Herstellung von Arzneimitteln zu verwenden, von § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG geahndet werden, wenn der begründete Verdacht schädlicher Wirkung des so erzeugten Arzneimittels besteht. Das Verhalten fällt auch unter § 95 Abs. 1 Nr. 3 AMG, der konkret an die entsprechende Verbotsvorschrift anknüpft. Geht von dem mit ionisierenden Strahlen behandelten Arzneimittel aber aus der maßgeblichen Perspektive keine Gefahr aus, lässt sich keine Verhaltensnorm im Interesse des Lebens- und Gesundheitsschutzes und damit keine Strafbarkeit legitimieren. § 95 Abs. 1 Nr. 3 AMG hat damit gegenüber § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG ebenfalls kaum einen eigenständigen Anwendungsbereich zum Schutz von Leib und Leben. bb) Auffangfunktion bei Schutzlücken der Grundtatbestände Eigene Anwendungsbereiche verbleiben für die kasuistischen Tatbestände nur an den Stellen, an welchen die Grundnormen Lücken aufweisen. (1) Ungewisse Schadenseignung Wegen der Wortlautgrenze kann es bei den Grundnormen des LFGB zu solchen Strafbarkeitslücken kommen, wenn ein Verhalten nicht nachweislich gesundheitsschädlich ist,614 d. h., wenn Zweifel an der Gefährlichkeit bestehen. 612 Vgl. dazu auch Freund, in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67, 83. 613 Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 260; Freund, ZLR 1994, 261, 288. 614 OLG Koblenz LRE 5, 135; BVerwG ZLR 1988, 193, 205; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 47; Freund, ZLR 1994, 261, 289; vgl.

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§ 58 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 i.V. m. § 5 LFGB setzt nämlich das Inverkehrbringen bzw. Herstellen oder Behandeln eines Lebensmittels voraus, dessen „Verzehr gesundheitsschädlich [. . .] ist“. In Risikorechtsmaterien bestehen jedoch regelmäßig Zweifel an der generellen Gefährlichkeit. Beispielhaft sei nochmals an die großen Produkthaftungsfälle – vor allem den Contergan-Prozess –615 erinnert. Erkenntnismängel, Beweisschwierigkeiten und komplexe Kausalzusammenhänge machen eindeutige Befunde hier nicht selten unmöglich. Vor allem im Umgang mit neuen Stoffen und Verfahren (z. B. Gentechnik, novel food, neuer Medikamenteneinsatz) kann auch die Gefährlichkeit eines gewonnenen Lebensmittels oft nicht mit Gewissheit bejaht werden. Verhaltensnormen lassen sich in solchen Konstellationen aber je nach den Umständen durchaus legitimieren, denn es reicht im Grundsatz aus, dass ein Rechtsgutschaden möglich ist (d. h. nicht ausgeschlossen werden kann).616 Der Wortlaut der strafrechtlichen Grundnormen im LFGB verlangt jedoch, dass das Lebensmittel gesundheitsschädlich ist. Wenn dies lediglich möglich, nicht jedoch sicher ist, muss dem Grundsatz in dubio pro reo folgend eine Strafbarkeit ausscheiden. Der Wortlaut lässt keinen Spielraum bei Unsicherheiten. Delikte, welche die Schadenseignung voraussetzen, können somit speziell in Risikomaterien nur lückenhaften Schutz bieten.617 In ihrer Geltungskraft sehr wohl schutzbedürftige und schutzwürdige Verhaltensnormen, die den Schutz hochrangiger Güter bezwecken, bleiben insofern ohne strafrechtliche Absicherung. In solchen Konstellationen können die den Grundnormen folgenden Tatbestände, die keinen Nachweis der Gefährlichkeit voraussetzen, gewisse Auffangfunktionen übernehmen.618 Sie greifen auch dann, wenn die Eignung zur Gesundheitsschädigung zweifelhaft ist oder nicht nachgewiesen werden kann. Sie knüpfen alleine an den Verhaltensnormverstoß an, der auch dann vorliegt, wenn die Gefährlichkeit ungewiss ist. So kann diesen Straftatbeständen ein gewisser materieller eigenständiger Schutzgehalt zukommen. Im AMG ist die Besonderheit zu beachten, dass § 95 Abs. 1 Nr. 1 ein Risikodelikt ist, welches auch dann greift, wenn nur der begründete Verdacht schädlicher Wirkung besteht. Die Konstruktion als Risikodelikt ermöglicht die Strafbarkeit auch im Fall ungewisser Schädigungspotenziale.619 Bei diesen tritt die Strafbarkeit ein, ohne dass die generelle Eignung eines Verhaltens zur Schazu Eignungsdelikten im Umweltrecht AG Hamburg NStZ 1988, 365, 366; Rudolphi, NStZ 1984, 248, 250. 615 Vgl. oben E.VI.1.a). 616 Siehe oben E.IV.2. 617 Vgl. hierzu Kratzsch, Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985, S. 279 f.; vgl. zu den Umweltdelikten Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337, 341; Schmidt/Schöne, NJW 1994, 2514 ff. 618 Vgl. Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 261. 619 Mehr zu den Risikodelikten unten E.VI.2.e)bb)(1).

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densverursachung erwiesen sein muss.620 Die auf die Generalklausel im AMG folgenden Straftatbestände könnten damit nur noch solche Verhaltensweisen erfassen, die keinen begründeten Verdacht der schädlichen Wirkung erzeugen. Unterhalb der Schwelle des begründeten Gefahrverdachts ist aber besonders auf die Angemessenheit der strafrechtlichen Reaktion zu achten.621 Es ist in Rechnung zu stellen, dass man sich hier (unterhalb des begründeten Verdachts) im Bereich bloßer Vermutungen befindet. Eine staatliche Reaktion muss dies berücksichtigen. Nur wenn das mögliche Schadensausmaß und das mit dem sanktionierten Verhaltensnormverstoß verwirklichte Unrecht hinreichend groß sind, kann Strafe zu rechtfertigen sein. Somit kommt den kasuistischen Tatbeständen im AMG in dieser Hinsicht nur eine sehr eingeschränkte Auffangfunktion zu. In diesem Sinne fehlt es im AMG – aber auch im LFGB – an einer angemessenen Umsetzung. Die kasuistischen Auffangtatbestände schießen nämlich weit über das Ziel hinaus. Sie erfassen fast alle Ge- und Verbote im Lebens- und Arzneimittelrecht und nehmen somit offensichtlich keine Beschränkung auf besonders wichtige Verhaltensnormen vor, die jedoch für eine angemessene Strafbewehrung dringend erforderlich ist. Weiterhin sehen die Straftatbestände keine materiellen Untergrenzen für den notwendigen Gefahrengrad vor. Insofern ist die Strafbarkeit der Auffangtatbestände vielfach zu weitgehend. Sie sind zum Schutz fast aller Ge- und Verbote der jeweiligen Rechtsmaterie ihrem Wortlaut nach bereits dann einschlägig, wenn nur irgendein – die Verhaltensnorm gerade noch legitimierender – schwacher Gefahrenverdacht vorliegt. In solchen Fällen jedoch ist äußerst fraglich, ob per se von einer angemessenen strafrechtlichen Reaktion gesprochen werden kann.622 Viele der so abgesicherten Ge- und Verbote benötigen einen so weiten Schutz wohl nicht. Zudem erscheint es nicht optimal, die tatsächliche Gefährdung und die nur äußerst ungewisse mit einer einheitlichen Strafandrohung zu versehen. Erfassen die kasuistischen Tatbestände im Vergleich zu den Grundnormen nur möglicherweise gefährliche Verhaltensweisen, sollte diese Differenz auch im Strafrahmen zum Ausdruck kommen, was nicht der Fall ist.623 (2) Beschränkung auf das Inverkehrbringen Besonders im AMG kommt ein anderer Anwendungsbereich für Auffangtatbestände in Betracht: Durch Detailregelungen, die nicht an das Inverkehrbrin620 Armin Kaufmann, JZ 1971, 569, 576; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 325; vgl. oben E.VI.2.a)aa) und E.VI.2.e)bb)(1). 621 Vgl. unten E.VI.2.e)bb)(1)(a)(aa) und E.VI.2.e)cc). 622 Mehr dazu unten E.VI.2.e)bb)(1)(a)(aa) und E.VI.2.e)cc). 623 Vgl. auch Freund, ZLR 1994, 261, 288 f.; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 261. Vgl. hierzu auch Frisch, Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis im Umweltrecht, 1993, S. 45; ders., in: FS-Stree/Wessels, 1993, S. 69, 96.

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gen anknüpfen, kann die Strafbarkeit auf den Zeitpunkt vor das Inverkehrbringen vorverlagert bzw. auf andere Personen als den Inverkehrbringer ausgedehnt werden. Durch die entsprechende Beschränkung der Grundnorm scheidet die Strafbarkeit all derjenigen aus, die für die Bedenklichkeit eines Arzneimittels verantwortlich sind, dieses aber nicht in den Verkehr bringen, wie z. B. Chemiker oder gar Saboteure.624 § 95 Abs. 1 Nr. 3a, 10 oder 11 AMG dagegen stellen nicht auf das Inverkehrbringen eines gefährlichen Produktes ab, sondern auf die Herstellung von in ihrer Qualität geminderten Medikamenten bzw. auf die gefährliche Anwendung von Arzneimitteln bei Tieren, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen. Zum größten Teil knüpfen aber auch die der Grundnorm nachfolgenden Tatbestände an das Inverkehrbringen eines Arzneimittels an, sodass eine Schließung der Lücken, die die Grundnorm durch die Beschränkung auf das Inverkehrbringen erzeugt, kaum erfolgt. Zudem ist fraglich, ob eine Vorverlagerung der Strafbarkeit vor das Inverkehrbringen, welches nach § 4 Abs. 17 AMG sehr weit verstanden wird,625 tatsächlich angemessen ist. Bevor ein Produkt den Markt erreicht, kann es Verbraucher nämlich regelmäßig (noch) gar nicht beeinträchtigen. Die vorhandene abstrakte Gefährlichkeit – etwa bereits des Vorrätighaltens zum Verkauf – mag gerade noch die Legitimation eines entsprechenden Verbots tragen – eine strafrechtliche Reaktion auf den Verhaltensnormverstoß erscheint jedoch überzogen.626 cc) Ineffizienz der Regulierung Selbst wenn gewisse Anwendungsbereiche für die speziellen Straftatbestände vor allem im LFGB bestehen, bleibt zweifelhaft, ob diese Anwendungsbereiche die konkrete Ausgestaltung der Gesetze rechtfertigen können. Nicht nur die umfassende Strafbewehrung fast aller Ver- und Gebote, die fehlende Untergrenze für den Gefährdungsgrad und die unstimmigen Strafrahmen lassen dies fraglich erscheinen, sondern vor allem die extreme Komplexität und Unübersichtlichkeit der Regulierung, durch die nur geringe Schutzerfolge bei ungewissen Gefahrenlagen erzielt werden. So wird eine Flut von Normen mit sehr speziellen Anwendungsfällen produziert, um nur eine sehr begrenzte Anzahl von Schutzaspekten zu erfassen. Es wird daher in unökonomischer Weise viel Unnötiges kodifiziert.627 624 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 74 f.; ders., in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67, 80 f., 85; vgl. hierzu auch Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, insbesondere bei Arzneimitteln, 2004, S. 41 f. 625 Zur Definition des Inverkehrbringens und seiner Anwendungsfelder vgl. Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, 1991, S. 34 ff.; Lippert, in: Deutsch/Lippert, AMG, § 4, Rn. 21; Rehmann, AMG, § 4, Rn. 16. 626 Mehr hierzu unten E.VI.2.e)dd)(3). 627 Vgl. auch Freund, ZLR 1994, 261, 282 f.

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dd) Ergebnis Da durch die engen Anwendungsbereiche für die den Grundstrafnormen nachfolgenden Straftatbestände nur wenig praktischer Bedarf besteht, sind diese tatsächlich in weiten Teilen reine ineffektive Symbole. Die Kombination aus Generalklauseln und unübersichtlichen formalistischen Einzeltatbeständen ist somit ein erster wesentlicher Grund dafür, dass weite Teile der Strafnormen nicht angewendet werden und keine Schutzwirkung entfalten. Es erfolgt eine unnötige Doppelabsicherung vieler Verhaltensnormen. c) Nachteile formalistischer, sehr detaillierter Straftatbestände Aber auch die unübersichtlichen und formalistischen Tatbestände an sich tragen wesentlich zur Ineffizienz der Regulierung bei. Im Rahmen der Entscheidung für ein schützendes Regulierungssystem, erscheint es daher auch und gerade in Risikorechtsmaterien sinnvoll, auf die sehr konkreten formalistischen Tatbestände zu verzichten. Denn diese haben gravierende Nachteile: aa) Schutzlücken trotz vieler Straftatbestände Im hohen Abstraktionsniveau der meisten hergebrachten Straftatbestände liegt ein großer Vorteil: Dadurch kann dynamischer Schutz in sich wandelnden Verhältnissen gewährleistet werden, ohne die Ressourcen des Gesetzgebers dauerhaft zu binden. Detaillierte und formalisierte Tatbestände dagegen machen das Strafrecht nicht nur extrem lückenhaft, sondern vor allem auch sehr regelungsintensiv, unübersichtlich und fehleranfällig. Besonders in vielgestaltigen und dynamischen Lebensbereichen werden sich zahlreiche materiell gefährliche Verhaltensweisen nicht in naturalistischer Form antizipieren und im Einzelnen aufzählen lassen. Da der Gesetzgeber potenziell schadensträchtige Verhaltensweisen in erheblichem Umfang nicht rechtzeitig ermitteln und einzeln benennen kann, um sie zu sanktionieren, entstehen zwangsläufig nicht nur einzelne Lücken, mit denen zu leben uns der Gesetzlichkeitsgrundsatz gebietet, sondern es werden eher punktuell und willkürlich einzelne Verhaltensweisen aus dem Kreis der gefährlichen in den Bereich des Strafbaren gezogen. Der große Rest bleibt unerfasst.628 Der Versuch des Gesetzgebers, seinem Schutzauftrag gleichwohl nachzukommen, wird zu immer neuen punktuellen Regulierungen führen, welche die Kapazität der Legislative in Anspruch nehmen, ohne dass jemals eine angemessene Sanktionierung der relevanten Fälle erreicht werden könnte. Durch das einzelne formalistische Erfassen von Verhaltensweisen wird so eine unübersichtlich große Masse an Delikten geschaffen und trotzdem können zwangsläufig all diejenigen Verhaltensweisen, die keine explizite Nennung er628

Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 77.

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fahren, unabhängig von ihrer Gefährlichkeit nicht geahndet werden. Entsprechende Verhaltensnormen erfahren keine Absicherung und ihre Geltung ist damit auf Dauer nicht gesichert. Ergebnis ist eine enorme Flut von lückenhaften Einzelfallregelungen,629 die die erforderliche umfassende Verhaltensnormstabilisierung nicht leisten können. Eine solche Regulierung ist unökonomisch630 und ineffektiv. Hinweise auf den fragmentarischen Charakter des Strafrechts vermögen die Minderung des erforderlichen Schutzniveaus und die willkürlichen Ungleichbehandlungen, die entstehen, wenn bei vergleichbarem Unrecht einmal gestraft wird und das andere Mal nicht, keineswegs zu rechtfertigen. Fragmentarischer Strafrechtsschutz ist kein wünschenswerter Zustand, sondern nur ein aufgrund des nullum crimen-Satzes nicht vermeidbares Defizit des Strafrechtssystems. Wo sich sinnwidrige Lücken zugunsten der Systemstimmigkeit angemessen schließen lassen, sollte dies im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz631 auch geschehen. bb) Schwierigkeiten bei der angemessenen Bestrafung Da in formalistischen Tatbeständen nur „Phänotypen eines allgemein zu begreifenden Verhaltensunrechts erfasst“ werden,632 für die Festlegung einer angemessenen Sanktion jedoch eine Orientierung am Verhaltensunrecht zwingend erforderlich ist,633 wird die konkrete Rechtsfolgenbestimmung der Strafgerichte erheblich erschwert. So ist etwa vielen formalistischen Tatbeständen im Lebensund Arzneimittelstrafrecht nicht zu entnehmen, ob sie Verhaltensnormen absichern, die Gesundheit und Leben der Verbraucher schützen, oder solche, die lediglich der Vermögenssicherung dienen.634 Ohne Kenntnis der Legitimationsaspekte einer Strafnorm ist das verwirklichte Unrecht aber nicht oder doch nur unzureichend bestimmbar. Tatbestände, die ihre Legitimationsgrundlagen nicht ausweisen, sondern die Strafbarkeit an phänotypisch beschriebene Verhaltensweisen anknüpfen, sind daher nur schwer handhabbar. Auch aus diesem Grund 629 Vgl. Freund, ZLR 1994, 261, 284 ff.; ders., in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67, 80; Hufen, Verfassungsrechtliche Maßstäbe und Grenzen lebensmittelstrafrechtlicher Verantwortung, 1987, S. 29 f.; Schafeld, Grundsatzfragen lebensmittelstrafrechtlicher Verantwortlichkeit, 1992, S. 19. 630 Garstka, in: H.-J. Koch, Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, 1976, S. 96, 116. 631 Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist „wesentlich Gleiches“ gleich zu behandeln und willkürliche Differenzierungen sind zu unterlassen, vgl. nur BVerfGE 1, 14, 52; 3, 58, 135; 9, 334, 337. 632 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 77. 633 Vgl. oben E.IV.5. 634 Vgl. etwa die Ausführungen von Vergho, PhamR 2009, 221, 223 f.

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wäre es besser, mit auf den materiellen Schutzaspekt bezogenen Sanktionsnormen zu arbeiten. Nur dann ist eine angemessene – d. h. an den die Strafbarkeit legitimierenden Faktoren ausgerichtete – Bestrafung möglich.635 cc) Angemessene Strafverfolgung Bei der umfassenden Pönalisierung fast aller Ver- und Gebote in AMG und LFGB wird fast zwangsläufig auch nicht hinreichendes Unrecht von den Straftatbeständen erfasst. Die flächendeckende Sanktionierung sehr vieler Verhaltensnormverstöße kollidiert insofern mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit, nach welchem Art und Ausmaß des Verhaltensnormverstoßes in recht gewichtetem Verhältnis zur staatlichen Reaktion stehen müssen. Die pauschale Bestrafung fast jeglichen Fehlverhaltens bis hin zum bloßen Verwaltungsungehorsam kann diesem Prinzip nicht gerecht werden.636 Auf Ebene der Strafverfolgung ist es kaum möglich, diesen Kodifizierungsmangel durch eine Unterscheidung von strafrechtlich erheblichem – und damit zu verfolgendem – und unerheblichem Verhalten auszugleichen. Verbleibt den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten nach dem Gesetzeswortlaut sehr formalistischer, detaillierter Tatbestände nämlich kein Spielraum, können sie Verhaltensweisen von geringem Unrechtsgehalt nur schwer ausscheiden und sich nicht auf das Wesentliche konzentrieren. Etwa beim Anknüpfen der Strafbarkeit an Grenzwerte kann ein Absehen von Strafverfolgung auch bei nur marginaler Überschreitung schwer begründet werden. Die Umsetzung des materiellstrafrechtlichen Programms ist bei klassischen Straftatbeständen des StGB demgegenüber wesentlich einfacher: Begriffe wie „körperliche Misshandlung“ oder „Gesundheitsbeschädigung“ lassen Raum für Abschichtungen. Durch allzu detaillierte Tatbestandsfassungen, die zudem ihre Legitimationsvoraussetzungen kaum zu erkennen geben, wird es dagegen erschwert, vom Wortlauttatbestand erfasste Verhaltensweisen in ein Verhältnis zueinander zu setzen und unerhebliches Verhalten aus den Straftatbeständen auszuscheiden. Durch die rein formalen Tatbestandserfordernisse liegen strafbares und erlaubtes Verhalten zudem allzu oft bedenklich nah beieinander. Etwa bei der Grenzwertüberschreitung kann ein g eines Stoffes die Rechtsfolgen des Strafrechts auslösen und aus dem findigen Lebensmittelunternehmer einen Straftäter machen. Die nähere Verhaltensbeschreibung mag in gewissem Maße – etwa i. S. einer beispielhaften Kon635 Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 221, 252 f.; Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 33 f.; ders., ZLR 1994, 261, 282 f.; vgl. auch Ransiek, Gesetz und Lebenswirklichkeit, 1989, S. 87; Yoon, Strafrecht als ultima ratio und Bestrafung von Unternehmen, 2001, S. 29; Jakobs, AT, 4/24. 636 Dannecker, Entsanktionierung der Straf- und Bußgeldvorschriften des Lebensmittelrechts, 1996, S. 48.

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kretisierung – im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot und das Demokratieprinzip wünschenswert sein, die Einzelfallgerechtigkeit und Effektivität des Strafrechts sollten jedoch darunter nicht in diesem Maße leiden. dd) Delegation der Strafgesetzgebung auf die Exekutive durch qualifizierte Blankettstrafnormen (Rückverweisungsklauseln) Vor dem Unterfangen, alle Verhaltensweisen, die für eine Bestrafung hinreichend gewichtig sind, formal einzeln zu benennen, muss der in seinen Kapazitäten beschränkte Gesetzgeber kapitulieren und tut dies auch durch die Verwendung einer bestimmten Form von Blankettstraftatbeständen: Mit diesem Instrument delegiert er die Strafgesetzgebung auf die Exekutive. Wie oben bereits ausgeführt,637 kann der Gesetzgeber bestimmte Detailregelungen nicht selbst schaffen, dies vermag angemessen nur die vollziehende Gewalt. Im AMG und im LFGB bedient sich der Gesetzgeber ihrer Regulierungsbefähigung, indem er Blanketttatbestände schafft. Blankettstrafnormen sind Tatbestände, die Strafandrohungen auf ein Verhalten beziehen, welches ganz oder zum Teil außerhalb der Strafnorm in anderen Rechtsquellen kodifiziert ist. Die Straftatbestände enthalten nur die Rechtsfolge und verweisen hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen teilweise oder ganz auf andere Normen.638 Zu unterscheiden sind einfache und qualifizierte Blankettvorschriften.639 Während Erstere nur auf tatbestandsausfüllende Normen im selben oder einem anderen Gesetz verweisen, enthält die zweite Gruppe sog. Rückverweisungsklauseln. Der Strafgesetzgeber ordnet dann in der Blankettvorschrift – z. B. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AMG – an, dass ein Verstoß gegen ein Geoder Verbot in einer Rechtsverordnung nur dann strafbar ist, wenn die Rechtsverordnung auf den Blanketttatbestand zurückverweist.

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Vgl. D.II. Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13, Rn. 26; Dannecker, Entsanktionierung der Strafund Bußgeldvorschriften des Lebensmittelrechts, 1996, S. 19 f.; Dietmeier, Blankettstrafrecht, 2002, S. 7 f.; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 229; Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, 2000, S. 84; Schafeld, Grundsatzfragen lebensmittelstrafrechtlicher Verantwortlichkeit, 1992, S. 23 f. 639 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 46 f.; Volkmann, ZRP 1995, 220, 221; vgl. auch Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 229. Terminologisch wird z. T. auch zwischen sog. „unechten“ Blankettnormen, also solchen, die auf Ergänzungsnormen verweisen, die von derselben legislativen Instanz erlassen werden, und „echten“ Blankettnormen, die die inhaltliche Ausfüllung anderen legislatorischen oder administrativen Organen überlassen, unterschieden, vgl. Dannecker, Entsanktionierung der Straf- und Bußgeldvorschriften des Lebensmittelrechts, 1996, S. 85; Dietmeier, Blankettstrafrecht, 2002, S. 8 ff., 41 f.; Schafeld, Grundsatzfragen lebensmittelstrafrechtlicher Verantwortlichkeit, 1992, S. 27 ff. 638

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(1) Erwünschter Vorteil der qualifizierten Blankettgesetzgebung Grund für die Kodifizierung qualifizierter Blankettstrafgesetze ist der Wunsch, bestimmte und detaillierte Strafgesetze auch in schnelllebigen und unübersichtlichen Zeiten und Lebensbereichen erlassen zu können. Der Gesetzgeber hofft, durch die Ermächtigung der Exekutive mit den Rückverweisungsklauseln viele gleichgelagerte Verhaltensnormverstöße ohne großen gesetzgeberischen Aufwand ahnden zu können. Er schafft einen Straftatbestand, auf den dann spezielle Vorschriften in Verordnungen verweisen können und erspart sich so, einzelne Delikte für alle Verhaltensnormverstöße, die gewichtig genug sind, um mit Strafe geahndet zu werden, formulieren zu müssen.640 Die Blankettgesetzgebung ist somit eine Reaktion auf den Beschleunigungsdruck und die Komplexität zu regelnder Lebenssachverhalte.641 Durch die Delegation auf den Verordnungsgeber soll die automatische Anpassung der Straftatbestände an die – sich vor allem im Verordnungsbereich schnell ändernde – Gesetzeslage garantiert werden.642 Die Tatbestandsformulierung durch den Strafgesetzgeber, also den Bundestag ggf. zusammen mit dem Bundesrat, sei – so hört man – zur strafrechtlichen Regelung komplexer Lebensbereiche systembedingt zu schwerfällig und unflexibel. Der Strafgesetzgeber delegiert daher durch qualifizierte Blankettstrafvorschriften seine Aufgabe auf schneller und effektiver arbeitende Institutionen. (2) Bedenken gegen qualifizierte Blankettstrafgesetze (a) Verstoß gegen den strengen Gesetzesvorbehalt Nach Art. 103 Abs. 2 GG muss die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt werden und Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG fordert darüber hinaus zur Freiheitsbeschränkung ausdrücklich ein förmliches Gesetz. Dadurch werden wesentliche Errungenschaften des freiheitlich demokratischen, rechtsgüterschützenden Staates gewahrt: Das Demokratieprinzip und der effektive Schutz von Grundrechten.643 Nur der unmittelbar demokratisch legitimierte parlamentarische Gesetzgeber soll über 640 Vgl. Schafeld, Grundsatzfragen lebensmittelstrafrechtlicher Verantwortlichkeit, 1992, S. 24 f.; ferner Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, 1970, S. 88 f. 641 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, 2000, S. 89; Dietmeier, Blankettstrafrecht, 2002, S. 127; vgl. BVerfGE 75, 329, 341 f.; Rehmann, AMG, Vor § 95, Rn. 5. 642 Kühl, in: FS-Lackner, 1987, S. 815, 828; Schafeld, Grundsatzfragen lebensmittelstrafrechtlicher Verantwortlichkeit, 1992, S. 25 f.; Schenke, NJW 1980, 743; Dannecker, Entsanktionierung der Straf- und Bußgeldvorschriften des Lebensmittelrechts, 1996 S. 86; Lenzen, JR 1980, 133, 135. 643 Volkmann, ZRP 1995, 220, 223; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1996, S. 248 f., 253.

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wesentliche Grundrechtseingriffe entscheiden. Art. 103 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG sind daher Ausdruck des Wesentlichkeitsgrundsatzes im Strafrecht. Sie stellen unmissverständlich fest, dass Strafgesetzgebung so wesentlich ist, dass sie des Parlamentsgesetzes bedarf.644 Das heißt, nur der Gesetzgeber und nicht die Exekutive ist nach dem Grundgesetz zur Strafgesetzgebung berufen.645 Es besteht ein strenger Gesetzesvorbehalt.646 Nach dem BVerfG ist eine Delegation von Gesetzgebungsbefugnissen im strafrechtlichen Kontext nur dann möglich, wenn die Strafbarkeitsvoraussetzungen sowie Art und Maß der Strafe nach Inhalt, Zweck und Ausmaß gesetzlich vorgegeben sind.647 Rechtsverordnungen dürften diese gesetzlichen Vorgaben nur noch „spezifizieren“.648 Dies bedeutet, die Entscheidung darüber, welches Verhalten strafbar und welche Strafe anzudrohen ist, muss in einem förmlichen Gesetz niedergelegt sein. Die vollständige Delegation dieser Entscheidungen ist in jedem Fall verfassungswidrig.649 Insoweit sind Rückverweisungsklauseln gravierenden Bedenken ausgesetzt. Hier wird dem Gesetzgeber nicht nur die Entscheidung über die konkrete Ausgestaltung des Tatbestandes abgenommen, sondern sogar die Entscheidung darüber, ob ein Verhalten strafbar sein soll oder nicht. Der Gesetzgeber weiß im Zeitpunkt des Strafnormerlasses gar nicht, welche Verhaltensweisen erfasst werden. Damit stellt er der Exekutive eine „Blankovollmacht“ aus.650 Sie darf unter den von ihr kodifizierten Ver- und Geboten diejenigen auswählen, die strafbar sein sollen. Der Gesetzgeber selbst trifft 644 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 53; Volkmann, ZRP 1995, 220, 223 f. 645 Anders interpretiert Heghmanns (Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, 2000, S. 92 ff.) diese Norm: Er möchte Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG so verstehen, dass nur die Anordnung von Freiheitsentzug im Urteil und vor allem der Vollzug auf formal-gesetzlicher Grundlage erfolgen muss. 646 BVerfGE 71, 108, 114; 75, 329, 341; 78, 374, 382; BVerfG NJW 1989, 1663; NJW 1992, 35; NJW 1993, 1909, 1910; NJW 1998, 2589, 2590; Duttge, Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, 2001, S. 165 ff.; Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 49; Volkmann, ZRP 1995, 220, 221 f. 647 BVerfGE 14, 174, 185 f.; 14, 245, 251; 23, 265, 269; 32, 346, 362 f.; 75, 329, 342; 78, 374, 383; BVerfG NJW 1993, 1909, 1910. So auch Winkelbauer, Zur Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, 1985, S. 33 f.; Rehmann, AMG, Vor § 95, Rn. 3. 648 BVerfGE 75, 329, 342; 78, 374, 383; BVerfG NJW 1992, 107; vgl. auch Dietmeier, Blankettstrafrecht, 2002, S. 123 ff.; Lenzen, JR 1980, 133, 135; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1996, S. 253 f. Dies entspricht den Annahmen des Wesentlichkeitsgrundsatzes des BVerfG; vgl. zum Wesentlichkeitsgrundsatz nur BVerfGE 47, 46, 79; 58, 257, 268 f.; 80, 124, 132. 649 So auch Dietmeier, Blankettstrafrecht, 2002, S. 129 ff.; a. A. offensichtlich Dannecker (Entsanktionierung der Straf- und Bußgeldvorschriften des Lebensmittelrechts, 1996, S. 88), der ohne nähere Auseinandersetzung davon ausgeht, die lebensmittelstrafrechtlichen Verweisungen erfüllen diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben.

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keine wertende Entscheidung, sondern hält sich aus der Auswahl des Verhaltens, auf welches mit Strafe zu reagieren ist, einfach heraus.651 Diese Aufgabendelegation ist eindeutig verfassungswidrig, denn hier entäußert sich die Legislative unter Verstoß gegen den strengen Gesetzesvorbehalt ihrer Befugnis zur Strafgesetzgebung gänzlich. Zu der Bestimmung dessen, was mit Strafe bedroht sein soll, also zur Entscheidung, ob Strafe eingreift, ist aber alleine das Parlament befugt. Die Exekutive ist zwar für die Konturierung von Verhaltensnormen mitzuständig. So darf die Verwaltung etwa durch die Festsetzung von Geschwindigkeitsbeschränkungen Einfluss auf die Verhaltensnormen nehmen, indem sie mitbestimmt, was sorgfältig in Bezug auf ein Rechtsgut ist.652 Ob an einen Verstoß gegen eine so konturierte Verhaltensnorm jedoch Strafe anknüpft, ist alleine der Entscheidung des Gesetzgebers unterstellt.653 Der Rechtfertigungsansatz der gängigen Praxis, das Parlament habe es jederzeit in der Hand, eine von ihm nicht gewollte Strafbarkeit durch Anpassung der Ermächtigungsgrundlage zu beheben,654 ist vor dem Hintergrund der überragenden Bedeutung des Demokratieprinzips und der Eingriffsintensität der Strafe nicht haltbar. Eine so einschneidende Maßnahme wie die Strafbewehrung eines Verhaltens muss das gewählte Parlament selbst vornehmen. Der Rückzug auf eine Art nachträgliche – aufgrund der vielen Sachgebiete notwendigerweise nur punktuelle und lückenhafte – Überprüfung exekutiver Strafgesetzgebung genügt dem nicht. Gerade der Strafeinsatz als schärfstes Mittel des Staates kann nicht zur Disposition der Exekutive stehen.655 Hier die Delegation zu erlauben, hieße den Vorbehalt des Gesetzes zu negieren. Durch eine Übertragung der Strafgesetzgebung auf den Verordnungsgeber sind die Art. 103 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG klar verletzt.656 650 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 48 ff.; Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, 2000, S. 88; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 271 f.; vgl. auch Volkmann, ZRP 1995, 220, 221, 225. 651 Vgl. hierzu Volkmann (ZRP 1995, 220, 224 f.), der von „Neutralität“ des Gesetzgebers spricht. 652 Gleiches gilt etwa auch für Private: Diese können z. B. durch vertragliche Vereinbarungen die Reichweite von strafrechtsrelevanten Garantensonderverantwortlichkeiten bestimmen, nicht aber die Strafbarkeit an sich; vgl. Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 52. 653 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 50 ff.; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 269 mit Fn. 924; ähnlich auch Dietmeier, Blankettstrafrecht, 2002, S. 127. 654 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, 2000, S. 89; krit. dazu: Kühl, in: FS-Lackner, 1987, S. 815, 832. 655 Freund, ZLR 1994, 261, 286. 656 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 48 ff.; ders., in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67, 81; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 225,

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Blankettnormen ohne Rückverweisungsklausel können dagegen durchaus verfassungsgemäß sein. Sie verzichten nur – genauso wie etwa § 229 StGB – auf naturalistische Verhaltensbeschreibungen und verweisen für die erforderliche Rechtskonkretisierung auf außerstrafrechtliche Normen. Dies ist unbedenklich, solange der parlamentarische Gesetzgeber „das Schutzgut“ beschreibt – genauer: den gemeinten Verhaltensnormverstoß (etwa i. S. d. fahrlässigen Körperverletzung) zum Ausdruck bringt – und die Rechtsfolgen verbindlich festsetzt.657 (b) Fehleranfälligkeit der Regelungstechnik Auch ein ganz pragmatischer Grund spricht gegen qualifizierte Blankettnormen: Die Rückverweisungsklauseln sind nämlich fehleranfällig und leisten so der willkürlichen Ungleichbehandlung durch den Verordnungsgeber Vorschub.658 Vergisst dieser die obligatorische Rückverweisung auf den Blankettstraftatbestand, ist ein Verhaltensnormverstoß wegen des nullum crimen-Satzes nicht strafbar. Verhalten, welches materiell gewichtig genug ist, um die strafrechtliche Reaktion zu rechtfertigen bzw. ggf. zu gebieten, kann aufgrund formaler Defizite somit nicht geahndet werden. Der zusätzliche Verweisungsschritt ist damit nicht nur eine unzulässige Delegation der Kompetenz zur Strafgesetzgebung, sondern auch eine praktisch erhebliche Fehlerquelle, die vermieden werden sollte. (c) Bestimmtheitsgebot Qualifizierte Blankettstrafnormen mögen auf den ersten Blick sehr bestimmt erscheinen, wird doch das strafbare Verhalten in den Verordnungen, auf welche Bezug genommen wird, sehr genau beschrieben. Bei exakter Betrachtung aber ergibt sich, dass hier die Strafbarkeit gar nicht gesetzlich bestimmt ist. Denn im formalen Gesetz werden die Strafbarkeit und ihre Voraussetzungen nicht angeordnet. Problematisch im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG sind Blankettstrafnormen zudem dann, wenn sie das Erfassen des strafbaren Verhaltens gravierend erschweren.659 Oft wird als Grund für die 266 f.; vgl. auch Volkmann, ZRP 1995, 220 ff.; a. A. Lenzen, JR 1980, 133, 136; Enderle, Blankettstrafgesetze, 2000, S. 187. 657 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 55 f. 658 Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 270 f.; Freund, ZLR 1994, 261, 285; ders., in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67, 80. 659 Vgl. BVerfGE 41, 314, 319; 75, 329, 341; 78, 374, 383 f.; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 264 f.; vgl. hierzu Sieber, ZLR 1991, 451, 455 f., 464 f.

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Trennung von Tatbestand und Rechtsfolge nun gerade die größere Übersichtlichkeit und Vereinfachung genannt.660 Dem kann jedoch bei Begutachtung der gesetzlichen Praxis in AMG und LFGB nicht zugestimmt werden. Die strafrechtliche Ausgestaltung ist hier eher unübersichtlich und erschwert das Rechtsverständnis.661 Die Notwendigkeit, im Gesetz vor und zurück zu blättern und mehrere Gesetze parallel verwenden zu müssen, um den Tatbestand eines Strafgesetzes voll erfassen zu können, ist eher geeignet, Verwirrung zu stiften, als für Klarheit zu sorgen. Bei qualifizierten Blankettnormen kann der Leser dem Straftatbestand überhaupt nicht entnehmen, wo der Tatbestand der Strafnorm genau geregelt ist.662 Auch die Tatsache, dass die Straftatbestände in LFGB wie auch AMG mehrere Seiten einnehmen, obwohl sie ja gar keine oder kaum Tatbestandsvoraussetzungen kodifizieren, muss denjenigen, der die besondere Übersichtlichkeit der Normen lobt, stutzig machen.663 Das „Dickicht“ langer Straftatbestände mit vielen Varianten und Alternativen in unterschiedlichen Gesetzen und Verordnungen ist durchaus geeignet, die Effizienz des Normvollzuges zu beeinträchtigen. Der Rechtsanwender muss im Umgang mit solch komplexer Normierung besonders geschult sein und kann Strafbarkeiten aufgrund der weit verstreuten Kodifizierung leicht übersehen. (d) Fazit Qualifizierte Blankettstrafnormen sind nach allem Bisherigen als verfassungswidrig abzulehnen. Neben der Tatsache, dass sie gegen den verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt verstoßen, sind sie zudem extrem unübersichtlich. Die dadurch erschwerte Handhabung ist durchaus geeignet, zur Ineffizienz der strafrechtlichen Regulierung beizutragen.

660 Vgl. Schafeld, Grundsatzfragen lebensmittelstrafrechtlicher Verantwortlichkeit, 1992, S. 24; Dannecker, Entsanktionierung der Straf- und Bußgeldvorschriften des Lebensmittelrechts, 1996, S. 85 f. 661 Freund, ZLR 1994, 261, 282; Hufen, Verfassungsrechtliche Maßstäbe und Grenzen lebensmittelstrafrechtlicher Verantwortung, 1987, S. 29 f.; Vergho, PhamR 2009, 221, 224 f.; vgl. auch Parzeller/Prittwitz, StoffR 2009, 101, 105, 119, 121; krit. gegenüber „sehr genauer“ Strafgesetzgebung auch Naucke, Tendenzen in der Strafrechtsentwicklung, 1975, S. 56; Rehmann, AMG, Vor § 95, Rn. 2; vgl. auch Yoon, Strafrecht als ultima ratio und Bestrafung von Unternehmen, 2001, S. 146 f. 662 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, 2000, S. 88; Volkmann, ZRP 1995, 220, 222 f.; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 270 f. 663 Vgl. Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 264 f.; Freund, ZLR 1994, 261, 282 ff.; ders., in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 73.

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ee) Fazit Formalistische Detailregelungen werfen damit gravierende Probleme auf. Sie erzeugen systematisch dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufende Schutzlücken. Sie behindern die angemessene Bestrafung, da sie ihre Legitimationsgründe nicht ausweisen. Die detaillierte Schilderung des tatbestandsmäßigen Verhaltens erschwert es den Strafverfolgungsbehörden, unerhebliches Verhalten auszusortieren. Schließlich sind die formalistischen Einzelfallregelungen oft unverhältnismäßig, da sie sich nicht auf die Ahndung hinreichend gewichtiges Fehlverhaltens beschränken, und sie erzeugen einen Bedarf für verfassungswidrige qualifizierte Blanketttatbestände. Auf sie sollte daher verzichtet werden. d) Zwischenergebnis Die Kritik der Frankfurter Schule an einem symbolischen Strafrecht ist in Bezug auf die Regelung der Produktverantwortlichkeit in AMG und LFGB durchaus nicht unberechtigt. Effektivitätsprobleme ergeben sich vor allem durch die doppelte Erfassung vieler Verhaltensnormverstöße durch die Grundnomen und einzelne formalistische Tatbestände. Im LFGB haben die Detailregelungen zum Schutz von Leib und Leben, die den Grundnormen nachfolgen, einen nur sehr geringen Anwendungsbereich bei ungewisser Gefährlichkeit. Im AMG sind sie zum Schutz von Leben und Gesundheit weitgehend obsolet. Ein Produktstrafrecht, welches versucht, alle Risiken systematisch und umfassend durch formalistische Tatbestände zu erfassen, ist zudem unökonomisch und unverhältnismäßig. Es weist unangemessen viele, in ihrem Anwendungsbereich sehr begrenzte und praktisch wenig bedeutsame einzelne Straftatbestände auf. Deren Handhabung ist in Ermangelung des Ausweises der relevanten Schutzaspekte schwierig und eine angemessene Sanktionierung fällt nicht leicht. Unerhebliches Verhalten kann häufig aufgrund der an der Phänomenologie orientierten Verhaltensbeschreibung nicht aussortiert werden und bindet so Kapazitäten der Strafverfolgung. Durch ihre Unübersichtlichkeit erschweren die Blankettnormen die Erfassung und Ahndung strafbaren Unrechts zusätzlich. Um wenigstens einige der Systemdefizite zu kompensieren, delegiert der Gesetzgeber in verfassungswidriger Weise seine Befugnisse zur Gesetzgebung Die gerügten Defizite sind verantwortlich für ein in Teilbereichen verfassungswidriges und insgesamt wenig effektives Strafrecht. Hauptursache ist die konkrete Ausgestaltung des Strafrechts mit formalistischen Detailregelungen unter Vernachlässigung der für das Strafrecht wesentlichen Gesichtspunkte. Vollzugs- und Effektivitätsprobleme liegen also möglicherweise – anders als von der Frankfurter Schule behauptet – nicht in der Unerfassbarkeit moderner Regelungsgegenstände. Vielmehr könnten nur die konkreten Mittel einer strafrechtlichen Erfassung schlecht gewählt sein. Die bisher praktizierten Ansätze, mög-

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lichst viele riskante Verhaltensnormverstöße unter einzelne Straftatbestände zu fassen sowie tatbestandliches Fehlverhalten möglichst dezidiert und aktuell – am besten durch den Verordnungsgeber – zu regeln, haben sich als untauglich erwiesen. e) Generelle Regelungen, die ihre Legitimationsgründe offenlegen Da sich die kasuistischen Einzelfallregelungen im AMG und im LFGB zur Garantie der Produktsicherheit als ungeeignet erwiesen haben, soll nunmehr untersucht werden, ob mit allgemeiner gefassten Regelungen, welche die Legitimationsgründe der in Bezug genommenen Verhaltensnormen offenlegen, bessere Ergebnisse erzielt werden können. Ist dies der Fall, lässt sich die These, moderne Produktgefahren ließen sich generell nicht effektiv durch das Strafrecht bekämpfen, in dieser Absolutheit nicht halten. Klassische Tatbestände des StGB, legen die Legitimationsgründe der von den Tatbeständen in Bezug genommenen Verhaltensnormen regelmäßig offen.664 Sie beschreiben nicht etwa in kasuistischer Form, welche Verhaltensweisen gegen eine Verhaltensnorm verstoßen, sondern legen nur fest, dass bestimmt geartete Verhaltensnormverstöße (u. U. bei Erfüllung weiterer Sanktionsvoraussetzungen) bestraft werden sollen. Regelmäßig nennen sie einen rechtsgüterschädigenden Geschehensablauf. Der Verstoß gegen Verhaltensnormen, die sich zur Vermeidung solcher Geschehensabläufe legitimieren lassen, stellt dann das tatbestandsmäßig-missbilligte Verhalten dar. Nach allem oben Gesagten ist es unerlässlich, im Bereich strafrechtlicher Produktverantwortlichkeit mit abstrakten Gefährdungsdelikten zu arbeiten. Nur diese vermögen wegen der ungewissen Wirkbeziehungen diesen Lebensbereich überhaupt sinnvoll zu erfassen.665 Auch abstrakte Gefährdungsdelikte müssen, um nicht formalistisch zu sein, an ihre materiellen Schutzaspekte anknüpfen und dürfen sich nicht auf die kasuistische Verhaltensbeschreibung beschränken. Da kein Erfolgssachverhalt vorausgesetzt wird, geht dies nicht durch die einfache Darstellung eines schädigenden Verlaufs. Vielmehr ist die abstrakte Gefährlichkeit des Verhaltens oder die etwaige (abstrakte) Gefährdungslage zu beschreiben, die es zu vermeiden gilt. Dies geschieht grundsätzlich richtig in den Grundnormen des AMG und LFGB (§§ 58 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 LFGB, § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG). Hier wird die Gesundheitsgefährlichkeit eines Produktes als tatbestandsrelevanter Schutzaspekt ausgewiesen. In Bezug genommen werden so Verhaltensnormen, die sich zur Vermeidung der Gesundheitsgefährlichkeit von Produkten legitimieren lassen. 664 Freund, ZLR 1994, 261, 276 f.; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 113 ff. Mehr dazu unter E.IV.2.d) und E.VI.2.a)bb). 665 Dazu ausführlich oben E.VI.1.

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aa) Vorteile (1) Veränderungsoffenheit Derart gestaltete Strafnormen haben auch dann Bestand, wenn sich die Lebenssachverhalte verändern.666 Reformbedürftig werden entsprechende Tatbestände regelmäßig erst dann, wenn Zweifel an der Legitimität des Schutzgutes bestehen. So veraltet z. B. ein Delikt, welches das Zusetzen des für bedenklich gehaltenen Stoffes X zu einem Lebensmittel bestraft, sofort, wenn neue Untersuchungen die Unbedenklichkeit von X erweisen, oder die Lebensmittelpraxis X durch den ebenfalls gefährlichen Stoff Z ersetzt. Dies wird vermieden, wenn der Tatbestand nicht phänotypisch an eine konkrete Ausprägung des materiellen Unrechts anknüpft, sondern den materiellen Gegenstand des Unrechts benennt. Er dürfte sich also nicht auf den Zusatz der Substanz X beziehen, sondern auf das Erzeugen eines gesundheitsgefährlichen Lebensmittels. Neue Erkenntnisse zur Schädlichkeit der Substanz X oder ihre Substitution erzeugen dann keinen Anpassungsbedarf im Straftatbestand. Ein solcher Tatbestand würde vielmehr jedes Verhalten erfassen, das durch die Verwendung bedenklicher Stoffe in der Lebensmittelproduktion für die Gesundheit von Verbrauchern gefährlich ist. (2) Keine Strafbarkeitslücken Planwidrige Lücken werden so weitgehend vermieden, denn Verhalten, welches gewichtig genug ist, die Strafbewehrung zu rechtfertigen bzw. zu gebieten, kann bei dieser Regulierungsform nicht mehr „vergessen“ werden, da alle im Hinblick auf das ausgewiesene Schutzgut gefährlichen Verhaltensweisen automatisch vom generellen Wortlaut der Norm erfasst sind. Die einzelnen Normen haben einen umfassenden Anwendungsbereich und sind in der Lage, in vielen verschiedenen Konstellationen wichtige Verhaltensnormen zu stabilisieren. Das macht sie besonders effektiv und entspricht dem Gleichheitsgrundsatz. (3) Erleichterung des Strafvollzugs und der angemessenen Sanktionierung Vollzugsdefizite, die sich unmittelbar aus der komplexen und unübersichtlichen Struktur der formalistischen Straftatbestände ergeben, werden vermieden. Das strafbedürftige Verhalten ließe sich unter Heranziehung des die Verhaltensnorm legitimierenden Rechtsgüterschutzaspekts von wenigen klar formulierten Tatbeständen erfassen. Diese wären übersichtlich und ebenso leicht zu handhaben wie die klassischen Erfolgsdelikte. So könnten sich die Strafverfolgungs666 Freund, ZLR 1994, 261, 285; ders., in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67, 80.

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organe mit dem überschaubaren Instrumentarium auf das in der Lebenswirklichkeit Wesentliche konzentrieren und liefen weniger als bisher Gefahr, sich im Dickicht von Gesetzen und Verordnungen zu verirren. Durch die leichte Erkennbarkeit der für das tatbestandsmäßige Verhaltensunrecht relevanten Legitimationsgründe der übertretenen Verhaltensnorm wäre zudem nicht nur der Schuldspruch aussagekräftig zu gestalten. Auch eine angemessene weitere Rechtsfolgenbestimmung (Strafzumessung i. w. S.) hätte ein solides Fundament. So könnte dem im Einzelfall verwirklichten Unrecht in Unterscheidung von anderen Ausprägungsformen Rechnung getragen werden. (4) Kein Bedarf für Gesetzgebungsdelegationen Schließlich entfällt der Bedarf für eine verfassungswidrige Delegation von Gesetzgebungsbefugnissen durch qualifizierte Blankettnormen. Der parlamentarische Strafgesetzgeber mag zwar zu unflexibel und schwerfällig sein, um ständig neue Straftatbestände zu formulieren, die in kasuistischer Form die gerade „aktuellen“ Verhaltensweisen aufzählen. Was er jedoch leisten kann, ist die Kodifizierung von in ihrem spezifisch strafrechtlichen Gehalt klaren und eindeutigen abstrakt-generellen Regelungen, unter die mehrere Verhaltensweisen subsumierbar sind. Solche Normen können dann auch sich wandelnde tatsächliche Verhältnisse ohne Anpassungsbedarf überstehen.667 bb) Modifikationsbedarf bei den Grundnormen in AMG und LFGB Obwohl die Grundnormen in AMG und LFGB als abstrakt-generelle Regelungen, die sich auf die Gefährlichkeit eines Produktes beziehen, dem beschriebenen Regelungstypus entsprechen, bleiben bei ihrer Handhabung Probleme. Auch sie sind nicht ohne Einschränkungen in der Lage, einen wirksamen und stimmigen Schutz zu bieten. (1) Risikodelikte Wie beschrieben668 sind die Grundnormen im LFGB lückenhaft, wenn die Schädigungseignung eines Produktes nur vermutet wird, nicht jedoch sicher nachgewiesen werden kann. Solche Situationen sind nun aber für moderne Lebenswelten und insbesondere auch im Umgang mit industriell gefertigten Produkten geradezu paradigmatisch.669 Solche Lücken weist das AMG mit einer 667 Freund, in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67, 80; ders., ZLR 1994, 261, 285. 668 Vgl. oben E.VI.2.b)bb)(1). 669 Vgl. oben A.II.2. und E.VI.1.a).

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als Risikodelikt ausgestalteten Grundnorm, die schon dann eingreift, wenn der begründete Verdacht einer schädlichen Wirkung besteht, nicht auf. Die Konstruktion als Risikodelikt ermöglicht hier die Strafbarkeit auch im Fall ungewisser Schadenspotenziale.670 Dann nämlich helfen auch die abstrakten Gefährdungsdelikte nicht weiter. Denn diese setzen voraus, dass zumindest die Gefährlichkeit eines Wirkstoffes erwiesen ist. Risikodelikte beziehen sich – um schützende Verhaltensnormen auch dann abzusichern, wenn Zweifel an der generellen Eignung eines Produktes, Schäden zu verursachen, bestehen – auf die mögliche Gefährlichkeit. Sie bestrafen die Vornahme eines Verhaltens in dem Wissen, dass dieses Verhalten möglicherweise geeignet ist, Schäden zu verursachen. (a) Zulässigkeit der Vorverlagerung Natürlich ist mit der Strafbarkeit schon beim begründeten Verdacht der Gefährlichkeit eines Produkts eine Vorverlagerung verbunden. Diese ist aber wie alle staatlichen Eingriffe in Freiheitsrechte zum Schutz von Rechtsgütern zulässig, wenn sie angemessen (also auch: geeignet und erforderlich) ist, um ein legitimes Ziel zu erreichen, und wenn ihr keine sonstigen verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüberstehen. (aa) Angemessenheit Generell wie im Einzelfall müssen sich die Schutzvorverlagerung durch die Verhaltensnorm wie auch ihre strafrechtliche Absicherung als angemessene Maßnahmen darstellen. Geschützt wird durch ein Risikodelikt die Geltungskraft von Verhaltensnormen, die bereits das Inverkehrbringen von Produkten, deren Gesundheitsgefährlichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, verbieten. Im Hinblick auf die wichtigen Rechtsgüter, die beachtlichen Gefahren, die durch Massenproduktion betroffene große Anzahl von Menschen sowie die Bedeutung, die anonym erworbene Produkte in unserer arbeitsteiligen Konsumgesellschaft haben, ist ein Verbot des Vertriebes nur mutmaßlich bedenklicher Konsumgüter auf Verhaltensnormebene nicht nur erlaubt, sondern geboten. Gerade im Vorfeld sicherer Risikokenntnisse kann auf staatlichen Schutz nicht verzichtet werden, denn hier bestehen besonders große Verunsicherungen und der Konsument kann sich selbst aufgrund unzureichender Gefahrenkenntnisse nicht durch bewusste Konsumentscheidungen vor Schäden schützen. Dabei sind Ungewissheiten hinsichtlich des Schädigungspotenzials eines Produktes im Bereich neuer Technologien oder Entwicklungen keine Seltenheit. Regelmäßig gibt es zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine validen Daten oder anerkannten Erkennt670

Vgl. hierzu E.VI.2.b)bb)(1).

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nisse. Denn die moderne Wissenschaft kann kaum noch hundertprozentige Aussagen treffen, sondern häufig nur noch bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit mit einer gewissen Folge zu rechnen ist. Eine abschließende Bewertung eines neuen Produktes ist häufig überhaupt nicht mehr möglich. Letzte Zweifel an der Gefährlichkeit können bei komplexen Produktionsprozessen oder der Verwendung innovativer, unerforschter Produktionsmethoden und Substanzen immer bleiben. Vor diesem Hintergrund können Verhaltensnormen, die nur erwiesenermaßen gefährliches Verhalten verbieten, den erforderlichen Schutz von Rechtsgütern nicht garantieren, denn begründete Zweifel an der Gefährlichkeit würden einseitig zulasten der geschützten Rechtsgüter gehen. Da Verhaltensnormen, die sichere Kenntnis der Schädigungsmöglichkeiten voraussetzen, somit ineffektiv sind, ist es erforderlich, dass Vermarktungsverbote an den Gefahrenverdacht anknüpfen. Andere Maßnahmen, wie z. B. öffentliche Warnungen über die Gefährlichkeit, wären im Vergleich dazu kaum milder, denn auch sie würden wohl zu einem Konsumstopp führen. Gleichzeitig bestünde hier aber die Gefahr, dass die Warnung einzelne Verbraucher nicht erreicht, sodass deren Schutz nicht gewährleistet wäre. Bei der konkreten Verhaltensnormlegitimation stehen sich Leib und Leben der Verbraucher auf der einen sowie das Interesse der Unternehmer an einer unbeschränkten Vermarktung möglicherweise gefährlicher Produkte auf der anderen Seite gegenüber. Bei Abwägung dieser Belange ist das Verbot des Verbreitens mutmaßlich schädlicher Produkte als Verhaltensnorm, die dem Rechtsgüterschutz dient und einen legitimen Ausgleich aller betroffenen Güter und Interessen darstellt, gerechtfertigt. Dem Täter ist ein Vermarktungsstopp bei Gefahrverdacht unter Berücksichtigung der bedrohten Rechtsgüter in der Regel durchaus zumutbar. Ein Straftatbestand, der die so legitimierten Verhaltensnormen erfassen möchte, muss als Risikodelikt ausgestaltet sein, sich also auf den Vertrieb von Produkten beziehen, die mutmaßlich gefährlich sind. Die aufgrund eines solchen Risikodelikts verhängte angemessene Sanktion, die an den Verhaltensnormverstoß anknüpft, ist stets geeignet, den legitimen Zweck, nämlich die Wiederherstellung der Verhaltensnormgeltung, zu erreichen.671 Sind die entsprechenden Verhaltensnormen sowie der Verstoß gegen sie zu gewichtig, um eine hinreichend sichere Geltungserhaltung mittels des Ordnungswidrigkeitenrechts zu erreichen, ist die Strafbewehrung in Form eines Risikodelikts zur Stabilisierung der Normgeltung nach ihrer Desavouierung durch den Täter auch erforderlich.672 Ein (vorsätzlicher oder fahrlässiger) Verstoß gegen ein entsprechendes Verbot stellt regelmäßig eine rücksichtslose Gefährdung gewichtiger Rechtsgüter vieler Menschen – in der Regel motiviert durch das Streben nach Gewinnmaximierung – dar. Hier erscheint Strafe im Hinblick auf das verwirklichte Un671 672

Vgl. oben E.IV.5.c)aa). Vgl. oben E.IV.5.c)bb).

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recht nicht unangemessen. Dies gilt in der Regel jedenfalls dann, wenn (wie etwa bei § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG vorausgesetzt) der „begründete Verdacht“ schädlicher Wirkungen besteht. Ein solcher begründeter Verdacht setzt nämlich einen gesteigerten Verdachtsgrad voraus, der über bloß entfernte Möglichkeiten hinausgeht.673 Zum Schutz von Leib und Leben der Verbraucher ist daher ein Verbot des Inverkehrbringens nur mutmaßlich gefährlicher Produkte angemessen, geeignet und erforderlich. Eine entsprechende Verhaltensnorm ist von so entscheidender Bedeutung, dass ihre strafrechtliche Absicherung jedenfalls grundsätzlich verhältnismäßig ist. (bb) Kein Verstoß gegen den Zweifelsgrundsatz Durch Risikodelikte wird auch nicht gegen den in dubio pro reo-Grundsatz verstoßen. Der Tatbestand setzt den Verdacht der Gefährlichkeit voraus. Ist zweifelhaft, ob ein Produkt gefährlich ist, so liegt, genau wie im Risikodelikt vorgesehen, ein Verdacht der Gefährlichkeit vor. Mit den entsprechenden Delikten möchte man gerade die Fälle der Zweifel hinsichtlich der Gefährlichkeit tatbestandlich erfassen. Ein Gefahrenverdacht – also Zweifel hinsichtlich der Gefährlichkeit – ist gerade Tatbestandsmerkmal. Hier bleibt kein Raum für eine Anwendung des in dubio pro reo-Grundsatzes. Auch wenn sich der Gefahrenverdacht nachträglich nicht mehr aufrechterhalten lässt, sondern entkräftet werden kann, ändert dies nichts am Verhaltensnormverstoß und damit an der Strafbarkeit. Strafgrund der abstrakten Gefährdungsdelikte ist nämlich – wie bei allen Straftaten – der mit der Eingehung eines unerlaubten Risikos verbundene Verhaltensnormverstoß. Auf weitere Fehlverhaltensfolgen wird für die Strafbarkeit verzichtet. Ein unerlaubtes Risiko jedoch geht auch derjenige ein, der eine ex ante gefahrverdächtige und daher verbotene Verhaltensweise vornimmt, die sich ex post als unbedenklich erweist.674 Das ex ante zu bestimmende Risiko und die Strafbarkeit bestehen unabhängig davon, ob sich die Vermutung der Schadenseignung später bestätigt oder nicht. Auch insofern ist für die Anwendung des Zweifelssatzes kein Raum.675

673 Rehmann, AMG, § 5, Rn. 2; Deutsch, in: Deutsch/Lippert, AMG, § 5, Rn. 3. Aber auch bei geringeren Verdachtsgraden kann – je nach Gewicht des geschützten Rechtsgutes und Qualität des Fehlverhaltens – die Strafe eine angemessene Reaktion darstellen. Siehe hierzu etwa Armin Kaufmann, JZ 1971, 569, 576; vgl. auch Weber, ZStW Beiheft 1987, 1, 33 f.; Frisch, in: Eser/Kaiser/Weigend, Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, 1992, S. 201, 214; ders., in: FS-Stree/Wessels, 1993, S. 69, 93; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 323 f.; krit. Grasso, ZStW Beiheft 1987, 57, 94. 674 Vgl. hierzu oben E.VI.1.d)aa)(3)(d) und A.IV. 675 Vgl. auch Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 323.

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(b) Fazit Schon der begründete Verdacht schädlicher Wirkungen kann ausreichen, um auch mittels des Strafrechts Verhaltensnormstabilisierung im Bereich des Verbraucherschutzes vor Produktgefahren betreiben zu können. Mittels der Risikodelikte ist es daher möglich, effektiv schützend tätig zu werden.676 Vorteil einer entsprechenden Regelung zur Produkthaftung wäre, dass der Gesetzgeber als zuständiges Organ über die Reichweite der Strafbarkeit entschiede. Dadurch würden die oben beschriebenen677 eigenmächtigen und widerrechtlichen Versuche von Lehre und Rechtsprechung, mittels der Risikoerhöhungslehre oder einer Ausdehnung der richterlichen Beweiswürdigung zu einer Erweiterung der Strafbarkeit beim fehlenden Nachweis der Schadenseignung zu kommen, obsolet. (2) Beschränkung auf das Inverkehrbringen Die Grundnormen in AMG und LFGB (§ 58 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 LFGB; § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG) weisen darüber hinaus noch weitere Lücken auf: Durch die genaue Benennung des strafbaren Verhaltens (Inverkehrbringen, Herstellen oder Behandeln) wird die Strafbarkeit begrenzt.678 Gefährliche Verhaltensweisen, die sich unter diese Formulierungen nicht subsumieren lassen, scheiden – ohne dass es hierfür sachliche Gründe gibt – aus dem Strafbarkeitsbereich aus. Dies ist im Hinblick auf die Effektivität und die Rechtsgleichheit zumindest dann bedenklich, wenn materiell dasselbe Unrecht verwirklicht wird. Dies ist aber oft der Fall, wenn im Arzneimittelrecht andere als der Inverkehrbringer für die Bedenklichkeit eines Arzneimittels verantwortlich sind, so z. B. der Chemiker, der Amtsträger, welcher die Zulassungsentscheidung fällt, oder gar der Saboteur.679 Führen solche Personen die Gefährlichkeit eines Produktes herbei oder lässt ein für die Unbedenklichkeit Sonderverantwortlicher – also vor allem ein Amtsträger, der die Zulassung eines Arzneimittels erteilt – ein entsprechend gefährliches Produkt auf den Markt, so ist der Straftatbestand nicht einschlägig. Die Betreffenden haben das Produkt nämlich nicht in Verkehr ge676 Im Ergebnis auch Schroeder, ZStW Beiheft 1982, 1, 15; Armin Kaufmann, JZ 1971, 569, 576. Tiedemann/Kindhäuser (NStZ 1988, 337, 341) stehen den Risikodelikten kritisch gegenüber. Sie wollen die Probleme bei der Kausalitätsfeststellung dadurch lösen, dass auf die Schädigungseignung verzichtet wird und stattdessen auf die Verletzung von außerstrafrechtlichen Normen (etwa der TA Luft) Bezug genommen wird. Dies entspricht einer formalistischen Regelungsstruktur mit den hier beschriebenen Nachteilen. 677 E.VI.1.b). 678 Vgl. oben E.VI.2.b)bb)(2). 679 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 74 f.; ders., in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67, 80 f., 85; vgl. hierzu auch Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, insbesondere bei Arzneimitteln, 2004, S. 41 f.; vgl. auch oben E.VI.2.b)bb)(2).

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bracht. Gleiches gilt etwa auch für externe Lebensmittelchemiker und Amtsträger im Lebensmittelrecht, die die Vermarktung eines gefährlichen Lebensmittels nicht verhindern.680 Weder bringen sie ein gesundheitsschädliches Lebensmittel in Verkehr, noch stellen sie es her oder behandeln es. Die aktive Formulierung „Inverkehrbringen“ verhindert auch eine Strafbarkeit beim pflichtwidrigen Inverkehrbelassen, etwa wenn der Unternehmer die Bedenklichkeit eines auf dem Markt befindlichen Gutes erkennt, dieses aber trotzdem nicht aus dem Verkehr nimmt, sondern den Vertrieb weiter geschehen lässt. Eine Strafbarkeit wegen Unterlassens ist hier aufgrund des nullum crimen-Satzes nicht möglich. Inverkehrbelassen ist schlicht nicht identisch mit Inverkehrbringen.681 Um einen effektiven Schutz und eine dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Strafbewehrung zu erreichen, dürfen die Grundnormen nicht an ein durch formelle Aspekte sachwidrig eingegrenztes Verhalten anknüpfen, sondern müssen sich auf die Verantwortlichkeit für die Gefährlichkeit des Produkts beziehen. Dadurch würden Schutzlücken, wie sie sich im LFGB und AMG durch die Beschränkung auf das Inverkehrbringen, Herstellen und Behandeln ergeben, vermieden.682 (3) Beschränkung der Produktgruppen Lückenhaft sind die Grundnormen im AMG und LFGB weiterhin deshalb, weil sie nur auf Arznei-, Lebens- und Futtermittel sowie Bedarfsgegenstände anwendbar sind. Dieser auf einige wenige Erzeugnisse beschränkte Schutz ist jedoch vor allem historischen Tatsachen geschuldet, nicht aber dem Umstand, dass diese Produktgruppen generell viel schadensträchtiger sind als andere. Gesundheitsgefahren können vielmehr auch von zahlreichen anderen Produkten ausgehen, für welche es keine speziellen strafrechtlichen Produktverantwortlichkeiten gibt. Doch woher eine Gesundheitsgefährdung kommt, ob von verdorbenem Fleisch, von bedenklichen Arzneimitteln, giftigen Holzschutzmitteln oder etwa gesundheitsschädlichen Ausdünstungen von Einrichtungsgegenständen, macht für die Frage der angemessenen Strafe keinen Unterschied.683 Das Bedürfnis, möglichst viele Gegenstände einer schützenden Regelung zu unterwerfen, zeigt sich schon in der Aufnahme von Bedarfsgegenständen in das Lebens680 Freund, ZLR 1994, 261, 286, 290 f.; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 190 ff., 262 f. Eine ungerechtfertigte Privilegierung von Amtsträgern findet sich jedoch in vielen Bereichen des Strafrechts, vgl. im Umweltstrafrecht etwa Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337, 345. 681 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 76. 682 Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 301; Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 84. 683 Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 292 f.; Freund, ZLR 1994, 261, 291; ders., in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67, 68 f.

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mittelrecht. Unter die Definition des § 2 Abs. 6 LFGB fallen Spielwaren, Bekleidung und vieles mehr. Sie erfasst jedoch bei weitem nicht alle Produkte, die den Menschen schädigen können. Daher ist die Strafbarkeit insofern lückenhaft und willkürlich. Denn die strafrechtliche Verantwortlichkeit sollte für alle Produktgruppen, die Schädigungspotenziale für die menschliche Gesundheit und das Leben aufweisen, gleichermaßen ausgestaltet sein. Es handelt sich hier nämlich um „wesentlich Gleiches“.684 Die nötige Gleichbehandlung ist nur durch ein einheitliches Delikt zu erreichen, welches im Interesse des Leib- und Lebensschutzes alle Produktgruppen erfasst.685 Eine solche einheitliche Strafnorm ließe sich sinnvoll nur im StGB verorten. Zentraler Vorteil einer solchen kernstrafrechtlichen Produktverantwortlichkeit wäre, dass nicht nur einzelne Produkte und Produktgruppen erfasst würden, sondern alle Fabrikationen, die den Menschen schädigen können.686 Diese Kodifikation wäre sehr ökonomisch, denn in ihrem Anwendungsbereich beschränkte Einzelnormen in speziellen Gesetzen würden überflüssig.687 Durch die Etablierung eines entsprechenden Tatbestandes im Kernstrafrecht käme zudem die in der modernen Gesellschaft gestiegene Bedeutung der Produktverantwortlichkeit zum Ausdruck.688 cc) Reformvorschlag zur strafrechtlichen Produktverantwortlichkeit von Freund Die Grundnormen in LFGB und AMG weisen somit noch zahlreiche sachwidrige Lücken auf, die im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Schutzeffektivität bedenklich sind. Auch sie sind damit nicht uneingeschränkt geeignet, einen effektiven Schutz zu gewährleisten. De lege ferenda bedarf es damit einer neuen strafrechtlichen Regelung. Einen entsprechenden Vorschlag hat Freund unterbreitet. Er schlägt folgenden einheitlichen Straftatbestand zum Schutz von Leben und Gesundheit vor gefährlichen Produkten im StGB vor: 684 Nach der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 GG muss dieses auch gleich behandelt werden und es dürfen keine willkürlichen Differenzierungen getroffen werden, vgl. nur BVerfGE 1, 14, 52; 3, 58, 135; 9, 334, 337. 685 Vgl. hierzu Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, §§ 56–61 AMG, Rn. 2 ff. und Vor § 95 AMG, Rn. 85; ders., ZLR 1994, 261, 291, 295 f.; Gretenkordt, Herstellen und Inverkehrbringen stofflich gesundheitsgefährlicher Verbrauchs- und Gebrauchsgüter, 1993, S. 103 f. 686 Genau dieses Ergebnis kritisiert aber Dannecker, Entsanktionierung der Strafund Bußgeldvorschriften des Lebensmittelrechts, 1996, S. 64, 87 f. 687 Freund, ZStW 109 (1997), 455, 480; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 300 f. mit Fn. 1053. 688 Freund, in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67, 89; ders., ZStW 109 (1997), 455, 480; ders., in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 85; Gretenkordt, Herstellen und Inverkehrbringen stofflich gesundheitsgefährlicher Verbrauchs- und Gebrauchsgüter, 1993, S. 104; Geerds, in: FS-Tröndle, 1989, S. 241, 257.

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§ 232 Lebens- und Gesundheitsgefährdung durch Produkte689 (1) Wer zu verantworten hat, dass ein Gegenstand in Verkehr gelangt oder bleibt oder zum Inverkehrbringen bereitgehalten wird, obwohl dieser geeignet oder dringend verdächtig ist, andere widerrechtlich690 an Leib oder Leben zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Dieser Vorschlag berücksichtigt alle oben erarbeiteten Aspekte. Er ist als Risikodelikt im Kernstrafrecht ohne Beschränkung der Verhaltensformen ausgestaltet. Die Formulierung „zu verantworten hat“, vermeidet die sachwidrige Einschränkung der Strafbarkeit auf konkrete Handlungsformen wie das Inverkehrbringen, durch die sogar der Saboteur ausgeschlossen wird. Durch eine solche Norm würden sämtliche speziellen Strafvorschriften zum Schutz von Leib und Leben vor Produktgefahren obsolet. Dies betrifft die Grundnormen sowie alle formalistischen Tatbestände in AMG und LFGB, die dem Schutz von Leben und Gesundheit dienen.691 Das „Dickicht“ an Tatbeständen im Lebens- und Arzneimittelstrafrecht ließe sich so zugunsten dieser einen übersichtlichen und leichter handhabbaren Kernstrafnorm lichten. Diese Normierung wäre somit 689 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 81; vgl. auch dens., in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67, 68, 87; dens., ZLR 1994, 261, 297. Darüber hinaus empfiehlt Freund eine „weniger dringliche“ Strafvorschrift zur allgemeinen strafrechtlichen Produktverantwortung in Bezug auf Vermögens- und sonstige Interessen, der als § 263b in das StGB eingefügt werden könnte: § 263b StGB Irreführung durch Produkte Wer zu verantworten hat, dass ein für den Verkehr bestimmter Gegenstand eine Eigenschaft aufweist oder unter Bedingungen in Verkehr gelangt oder bleibt oder zum Inverkehrbringen bereitgehalten wird, aufgrund deren mit einer Fehlvorstellung oder der Unkenntnis anderer in Bezug auf eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Gegenstandes gerechnet werden muss, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Vgl. auch die Weiterentwicklung des Gesetzgebungsvorschlags von Freund durch Putz, Strafrechtliche Produktverantwortlichkeit, insbesondere bei Arzneimitteln, 2004, S. 52. 690 Das tatbestandliche Erfordernis der Widerrechtlichkeit bringt klarstellend zum Ausdruck, dass eine rechtlich zu missbilligende Gefahr geschaffen werden muss. Dies ist bei Herstellern von bekanntermaßen gefährlichen aber akzeptierten Produkten wie Zigaretten oder Alkohol nicht der Fall; vgl. Freund, in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67, 87, Fn. 54. 691 Im Hinblick auf etwa verbleibende nicht abgesicherte Verhaltensnormen regt Freund (ZLR 1994, 261, 298) folgenden Tatbestand im Ordnungswidrigkeitenrecht an: § 121 OWiG (Lebens- und Gesundheitsgefährliche Pflichtverletzung) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Verpflichtung verstößt, die ihn im Interesse des Schutzes von Leib oder Gesundheit anderer trifft. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 100.000, – DM geahndet werden.

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wesentlich effektiver als die bis dato vorgesehenen Regelungen. Durch das tatbestandliche Erfordernis des dringenden Gefahrenverdachts wird die Strafbarkeit in ihrer Reichweite beschränkt, um eine angemessene Sanktionierung zu erreichen.692 Insofern bleibt dieser Vorschlag hinter einer weitergehenden Haftung, wie etwa Armin Kaufmann sie zur Diskussion stellt, zurück. Nach ihm soll eine Produktstrafbarkeit greifen, wenn eine „Schädigung anderer an Leib und Leben [nicht] auszuschließen ist“.693 An dieser Formulierung wurde kritisiert, dass sie dazu führe, dass der Staat nicht länger einen begründeten Verdacht positiv beweisen, sondern nach Gefahrausschlussgründen fahnden müsse. Im Rahmen einer Beweisaufnahme jede Gefährlichkeit auszuschließen, sei aber regelmäßig faktisch unmöglich. Der Nachweis der Ungefährlichkeit eines Verhaltens komme häufig schon aus erkenntnistheoretischen Gründen nicht in Betracht: Eine These (hier jene, dass ein Produkt oder ein Verhalten ungefährlich ist) könne regelmäßig nur falsifiziert, nicht aber verifiziert werden.694 Verbleibende Zweifel an der Ungefährlichkeit würden so sämtlich zulasten des Risikoverursachers gehen, was ab einem gewissen Unwahrscheinlichkeitsgrad unangemessen sei.695 Diesen Bedenken setzt sich der Vorschlag Freunds nicht aus, denn er fordert den positiven Nachweis eines dringenden Gefährlichkeitsverdachtes. Mit der Strafbarkeit bei solchermaßen begründetem Verdacht wird ein schonender Ausgleich gefunden: Weder geht jedes flüchtige Bedenken gegenüber der Ungefährlichkeit zulasten des Beschuldigten noch vermag jeder noch so geringe Zweifel an der Gefährlichkeit die Strafbarkeit auszuschließen. Bei vernünftigen, nachvollziehbaren Anhaltspunkten dafür, dass von einem Produkt ein Risiko ausgeht, kann sanktioniert werden, sonst nicht. dd) Kritikpunkte Die hier favorisierte gesetzestechnische Lösung des Problems der strafrechtlichen Produktverantwortlichkeit sieht sich freilich der Kritik ausgesetzt. (1) Mangelnde Bestimmtheit Entsprechende Straftatbestände erscheinen manchen als im Verhältnis zu formalistischen (kasuistischen) Einzelregelungen wenig präzise. Daraus ergibt sich 692

Vgl. dazu oben E.VI.2.e)bb)(1)(a)(aa). Armin Kaufmann, JZ 1971, 569, 576; vgl. auch Weber, ZStW Beiheft 1987, 1, 33 f.; Frisch, in: Eser/Kaiser/Weigend, Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, 1992, S. 201, 214; ders., in: FS-Stree/Wessels, 1993, S. 69, 93; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, 1981, S. 323 f. 694 Vgl. Calliess, DVBl. 2001, 1725, 1731; Murswiek, VVDStRL 48 (1990), 207, 214. 695 Zu möglichen Bedenken gegen eine solche „Negativklausel“ vgl. auch Grasso, ZStW Beiheft 1987, 57, 94. 693

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der Vorwurf mangelnder Bestimmtheit.696 Der beschriebenen Gesetzgebungstechnik bedient sich der Gesetzgeber jedoch schon lange und umfassend im StGB.697 Schon daher sollte mit dem Vorwurf der Unbestimmtheit in diesem Zusammenhang vorsichtig umgegangen werden. Bei der Frage, ob das Strafgesetz bestimmt genug ist, hilft es einmal mehr, sich auf die normentheoretisch anerkannte Unterscheidung von Verhaltens- und Sanktionsnorm zu besinnen. Der Strafgesetzgeber ist zuständig für den Erlass der Sanktionsnorm, also der Anordnung einer strafrechtlichen Rechtsfolge bei einem bestimmten Verhaltensnormverstoß. Diese Strafbarkeitsanordnung jedoch findet sich auch in prima facie generalklauselartig anmutenden Tatbeständen nicht selten ganz klar und sehr bestimmt. Die Sanktionsnorm beschreibt in der Regel völlig unmissverständlich, dass auf die Verletzung der zur Vermeidung des im Tatbestand beschriebenen schadensträchtigen Geschehens legitimierten Verhaltensnormen mit einer bestimmten Strafe zu reagieren ist. Bestimmter als z. B. die Formulierung „wer einen Menschen tötet, [. . .] wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft“ oder „wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ kann eine Sanktionsnorm gar nicht gefasst werden. Die von Freund vorgeschlagene Sanktionsnorm ist aber exakt genauso bestimmt wie § 212 Abs. 1 oder § 222 StGB. Auch sie lässt hinsichtlich der Sanktionierung keine Fragen offen: Wer für das Inverkehrgelangen oder -belassen eines wahrscheinlich gefährlichen Produkts verantwortlich ist, wird wie angegeben bestraft. Sanktionsnormen sind nur dann unbestimmt und kollidieren insoweit mit Art. 103 Abs. 2 GG, wenn sie nicht genau zu erkennen geben, welche Verhaltensnormverstöße mit einer bestimmten strafrechtlichen Rechtsfolge geahndet werden sollen. Ein entsprechender Vorwurf ist etwa der Regelungstechnik des unbenannten besonders schweren Falls zu machen. Hier wird nicht genau bestimmt, auf welches Fehlverhalten mit der angedrohten Strafe zu reagieren ist.698 Die Verhaltensnormen ihrerseits sind in den Straftatbeständen – wie beschrieben – gar nicht enthalten, sondern müssen in jedem Einzelfall aus der ex anteSicht des potenziell Normunterworfenen legitimiert – also sachlich begründet – werden.699 Für diese Verhaltensnormen kann sinnvollerweise keine Fixierung in rein textlich absolut bestimmter Weise verlangt werden.

696 Vgl. hierzu Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 16, 19 f.; ders., ZRP 1992, 378, 382 f.; ders., in: AK-StGB, Vor § 1, Rn. 490 ff.; Kühl, in: FS-Lackner, 1987, S. 815, 818. Krit. gegenüber dem Gesetzgebungsvorschlag von Freund insofern Dannecker, Entsanktionierung der Straf- und Bußgeldvorschriften des Lebensmittelrechts, 1996, S. 62, 87. 697 Weite Generalklauseln finden sich regelmäßig im Kernstrafrecht, vgl. nur die fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) oder die fahrlässige Tötung (§ 222 StGB). 698 Vgl. dazu Freund, ZStW 109 (1997), 455, 470 f. 699 Siehe hierzu oben E.IV.2.b). Mehr dazu sogleich.

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Auch das BVerfG geht davon aus, dass Generalklauseln und unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Begriffe im Strafrecht „nicht von vorneherein verfassungsrechtlich zu beanstanden“ sind. Jedenfalls, wenn derartige Rechtsbegriffe konkretisiert werden können, werden sie als zulässig angesehen.700 Generell dürfen insofern die Anforderungen an die Bestimmtheit nicht übersteigert werden. Zu bestimmte, detaillierte Regelungen sind – wie oben dargestellt – starr und kasuistisch, können sich dem Wandel der Verhältnisse nicht anpassen und erzeugen mehr Schutzlücken als akzeptabel.701 Der hier bevorzugte Normtyp weist dagegen entscheidende Vorteile im Hinblick auf Veränderungsoffenheit, Effektivität und angemessene Sanktionierung auf.702 Wie ausgeführt ist der Gesetzgeber zudem gar nicht in der Lage, detailgenaue Festsetzungen zu treffen.703 Ein Strafrecht ohne Generalklauseln ist daher schlicht nicht denkbar.704 Es muss daher einen Kompromiss aus formeller Rechtssicherheit, wie sie Art. 103 Abs. 2 GG anstrebt, und materieller Gerechtigkeit, die nur durch eine gewisse Offenheit der Tatbestände zu erreichen ist, geben.705 Der Gesetzgeber muss in diesem Rahmen soweit wie möglich präzise Begriffe verwenden.706 Wegen der „Notwendigkeit, der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen“, kann die Verwendung deutungsoffener Begriffe aber nicht grundsätzlich verboten werden. (2) Rechtskonkretisierung als Aufgabe der Strafjustiz Vielfach wird Straftatbeständen mit Generalklauseln als Bezugspunkten der Sanktion vorgeworfen, sie eröffneten zu weit gehende und dem strengen Gesetzesvorbehalt widersprechende Entscheidungsspielräume der Rechtsprechung. Und da Gerichte zur Rechtskonkretisierung nicht selten exekutives Recht heran700 BVerfGE 45, 363, 371 f.; vgl. auch BVerfGE 73, 206, 235; 87, 209, 224; BVerfG NJW 1998, 2589, 2590. Das BVerfG geht sogar soweit anzuerkennen, dass der Normadressat nur „im Regelfall“ die Strafbarkeit anhand der gesetzlichen Regelung voraussehen können muss. „In Grenzfällen“ sei es unvermeidlich, dass Zweifel daran aufkommen können, „ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht“. Dann jedoch sei wenigstens das Risiko der Bestrafung erkennbar, vgl. BVerfGE 47, 109, 120 f.; 71, 108, 115; 73, 206, 235; 87, 209, 224. 701 Vgl. oben E.VI.2.c)(1) und D.II.1. So auch BVerfGE 14, 245, 251; 41, 314, 320; 45, 363, 371; siehe auch BVerfG 47, 109, 120 f.; Hufen, Verfassungsrechtliche Maßstäbe und Grenzen lebensmittelstrafrechtlicher Verantwortung, 1987, S. 64. 702 Vgl. dazu oben D.II. und E.VI.2.e)aa). 703 Vgl. dazu oben D.II.1. und E.VI.2.c)aa)(1). 704 Duttge, Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten, 2001, S. 176 ff.; Roxin, AT 1, § 5, Rn. 69; Frisch, in: Eser/Kaiser/Weigend, Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, 1992, S. 201, 250; Garstka, in: H.-J. Koch, Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, 1976, S. 96, 117, 121; Vergho, PhamR 2009, 221, 226. 705 Lenckner, JuS 1968, 304, 305. Siehe auch oben D.II.2.b). 706 Lenckner, JuS 1968, 304 f.; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, § 1, Rn. 20.

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ziehen, vergrößere sich auch der Einfluss der vollziehenden Gewalt.707 Hierdurch würden unzuständige Organe mit der Gesetzgebung betraut. Bei der Frage nach der Zuständigkeit ist jedoch differenziert vorzugehen. Der Gesetzgeber ist nämlich unmittelbar nur für das Schaffen von Sanktionsnormen verantwortlich.708 Das Konturieren von Verhaltensnormen aber ist originäre Aufgabe des potenziell Normunterworfenen im Verhaltenszeitpunkt. Dieser muss in einer konkreten Situation ergründen, wie er sich zu verhalten hat. Oft helfen ihm dabei spezielle gesetzliche Vorgaben, welche die Exekutive erlassen hat, etwa Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Straßen oder Rechtsverordnungen, wie z. B. die Hundehalterverordnung. In nicht wenigen Situationen aber muss der Agierende anhand von allgemeinen rechtlichen Wertvorgaben herausfinden, wie er sich in concreto korrekt verhält. Etwa, wenn er Zeuge eines Unglücksfalles wird und eine Entscheidung über eine etwaige Hilfeleistung in anbetracht möglicher Gefahren treffen muss oder wenn er eine Grube ausgehoben hat, die es nun zum Schutz von Passanten zu sichern gilt. Hier sagt ihm weder der Gesetzgeber noch die Exekutive was genau zu tun ist. Dies ist auch gar nicht möglich, denn es muss ja in jedem Einzelfall geklärt werden, wie sich eine Person im Interesse des Rechtsgüterschutzes verhalten darf bzw. muss. Der Gesetzgeber aber ist nicht in der Lage, konkret-individuelle Verhaltensanweisungen für jede denkbare Lebenssituation zu erlassen. Die Verhaltensnormen können in aller Regel nicht abstrakt-generell im Voraus geschaffen werden, sondern sie sind im Einzellfall von dem potenziellen Normadressaten in der entsprechenden Situation selbst zu konturieren.709 Im Zurückbleiben des Betreffenden hinter dem von ihm rechtlich insoweit zu Erwartenden liegt gerade der Vorwurfsgegenstand. Diesen überprüfen die Richter im Strafprozess. Sie müssen daher klären, ob der Beschuldigte in der konkreten Situation vorwerfbar gegen eine legitimierbare Verhaltensnorm verstoßen hat. Das Gericht muss also unter Zugrundelegung der Situation und Perspektive des Normunterworfenen eine für den damals relevanten Zeitpunkt geltende Verhaltensnorm konturieren können, um strafen zu dürfen. Diese Aufgabe kann nur die Judikative leisten. Sie ist im Gefüge der staatlichen Strafgesetzgebung und -anwendung für diese spezielle Konkretisierungsaufgabe zuständig. Dabei sind die Gerichte natürlich nicht frei. Durch den Strafgesetzgeber eindeutig und klar bestimmt (i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG) ist die abstrakt-generelle Bezeichnung der Art des Verhaltensnormversto-

707 Garstka, in: H.-J. Koch, Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, 1976, S. 96, 120 f.; Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 19 f.; ders., ZRP 1992, 378, 383. 708 Freund, in: MK-StGB, Nebenstrafrecht I, Vor § 95 AMG, Rn. 50 ff.; Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, 1999, S. 269; vgl. auch Dietmeier, Blankettstrafrecht, 2002, S. 127. 709 Freund, in: FS-Küper, 2007, S. 63, 64 f.; siehe hierzu auch Müller-Franken, in: FS-Bethge, 2009, S. 223, 250. Vgl. oben E.IV.2.b).

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ßes, die ohne Wenn und Aber vom Straftatbestand erfasst werden soll. Durch die Vorgaben im Straftatbestand ordnet der Gesetzgeber an, welche Art von Geund Verboten geschützt ist. So gibt er in abstrakten Tatbeständen das geschützte Rechtsgut und den Grad seiner Beeinträchtigung vor, um die Auswahl strafbarer Verhaltensnormen verbindlich zu steuern. Auf diese Weise stellt er z. B. mit § 222 StGB klar, dass jede fahrlässige Verletzung einer lebensschützenden Verhaltensnorm, die zum Tod eines Menschen führt, strafbar sein soll. Die Strafgerichte nehmen so nur im Sinne einer „Nachbildung“ rückblickend die Konturierung der für den Täter zum damaligen Zeitpunkt geltenden Verhaltensnorm vor und entscheiden gerade nicht über das „Ob“ der Strafbarkeit, also die Sanktionsnorm. Denn wenn sich eine solche Verhaltensnorm rechtlich legitimieren lässt, muss das Gericht nach den Vorgaben des Strafgesetzgebers strafen. Ein Verstoß gegen den strengen Gesetzesvorbehalt im Strafrecht liegt hierin – anders als bei den qualifizierten Blankettstraftatbeständen – nicht. Bei qualifizierten Blankettstraftatbeständen ist die Exekutive durch die Rückverweisungsklausel in der Auswahl strafbaren Verhaltens völlig frei und schafft so für die von ihr in der Verordnung erlassenen Ge- und Verbote Sanktionsnormen nach eigenem Gutdünken. Dagegen ist die Judikative nicht nur bei der Bildung von Verhaltensnormen an die allgemeinen rechtlichen Vorgaben gebunden, vielmehr muss sie auch sanktionieren, wenn die abstrakt-generell bestimmten Kriterien des Strafgesetzgebers erfüllt sind. (3) Überkriminalisierung Abstrakte Normen erfassen ihrem Wortlaut nach regelmäßig ein breites Feld von Verhaltensweisen. So kritisiert etwa Zieschang, fast jedes Produkt könne zu Schäden führen und ein dem Vorschlag von Freund entsprechender Tatbestand sei daher extrem weit; er würde z. B. auch Zucker bei Diabetikern, Nüsse bei Allergikern usw. erfassen.710 Solche erlaubten Risiken711 sowie Bagatellen müssen natürlich nach den allgemeinen Regeln aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgesondert werden. Insoweit gilt die Schwelle des hinreichend gewichtigen Fehlverhaltens. Risiken für spezielle Konsumenten können auch durch sichernde Maßnahmen, wie z. B. Warnhinweise, ausreichend abgemildert werden. So ist das Inverkehrbringen von Nüssen – um bei dem oben angeführten Beispiel zu bleiben –, deren allergenes Potenzial auf der Packung ausgewiesen ist, rechtlich nicht zu missbilligen. Des Weiteren gibt es formal die Möglichkeiten der Einstellung bei materiell uner710 Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 199; vgl. auch Hoyer, JA 1990, 183, 184. 711 Vgl. dazu die ausführlichen Darstellungen bei Prittwitz, Strafrecht und Risiko, 1993, S. 267 ff.

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heblichen Verhaltensweisen.712 In dem Gesetzgebungsvorschlag von Freund713 bringt darüber hinaus das tatbestandliche Erfordernis der „Widerrechtlichkeit“ klarstellend zum Ausdruck, dass eine rechtlich zu missbilligende Gefahr geschaffen werden muss, was beim Herstellen von bekanntermaßen gefährlichen jedoch akzeptierten Produkten wie Zigaretten oder Alkohol, aber auch bei bestimmten nur für einige wenige Verbraucher gefährlichen Produktgruppen nicht der Fall ist.714 (4) Tatbestandsalternative des „Zum-Inverkehrbringen-Bereithaltens“ Nach dem Gesetzgebungsvorschlag von Freund wird auch derjenige bestraft, der zu verantworten hat, dass ein im Sinne der Norm gefährlicher oder entsprechend verdächtiger Gegenstand zum Inverkehrbringen bereitgehalten wird. Durch diese Formulierung soll offensichtlich ein dem § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG bzw. dem § 58 Abs. 2 Nr. 1 LFGB entsprechender Strafrechtsschutz gewährleistet werden. Denn im AMG wie im LFGB gilt ein weites Verständnis des Inverkehrbringens. Dieses wird nach § 4 Abs. 17 AMG über den natürlichen Wortsinn hinaus definiert als das „Vorrätighalten zum Verkauf oder zur sonstigen Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere“. Dem im Wesentlichen entsprechend versteht Art. 3 Nr. 8 der Verordnung (EG) Nr. 178/ 2002, der gemäß § 3 Nr. 1 LFGB zur Definition des Begriffs des Inverkehrbringens im LFBG herangezogen wird, unter Inverkehrbringen „das Bereithalten von Lebensmitteln oder Futtermitteln für Verkaufszwecke einschließlich des Anbietens zum Verkauf oder jeder anderen Form der Weitergabe, gleichgültig ob unentgeltlich oder nicht, sowie den Verkauf, den Vertrieb oder andere Formen der Weitergabe selbst“. Erfasst werden hierdurch also bereits verkaufsvorbereitende Maßnahmen wie das Einlagern, Anliefern oder Ausstellen in Geschäftsräumen in der Absicht, das Produkt tatsächlich in den Verkehr – das heißt an den Kunden – zu bringen.715 Bei einer kernstrafrechtlichen Norm, wie der von Freund vorgeschlagenen, hätte die weite Definition des Inverkehrbringens natürlich keine Geltung, denn sie findet sich in speziellen Teilen des Strafrechts – AMG und LFGB –, deren Festsetzungen nicht für einen kernstrafrechtlichen Tatbestand gelten. Hier wäre Inverkehrbringen dem natürlichen Wortsinn nach be712 BVerfGE 90, 145, 189 ff., 193 – Cannabis. Nach dem Urteil des BVerfG kann ein Verstoß gegen das Übermaßverbot dadurch kompensiert werden, dass die Strafverfolgungsorgane das Verfahren nach §§ 153, 153b StPO, 31a BtMG einstellen oder nach § 29 Abs. 5 BtMG von Strafe absehen; vgl. auch BVerfG NStZ 1995, 37. 713 E.VI.2.e)cc). 714 Freund, in: Marburger Gespräche zum Pharmarecht, Die Haftung der Unternehmensleitung, 1999, S. 67, 87, Fn. 54. 715 Lippert, in: Deutsch/Lippert, AMG, § 4, Rn. 21; Rehmann, AMG, § 4, Rn. 16; vgl. zum Begriff des Inverkehrbringens auch Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, 1991, S. 34 ff.

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grenzt auf die tatsächliche Vermarktung. Vorbereitungshandlungen wie das Bereithalten zum Verkauf, das Transportieren usw. wären nicht erfasst. Vor diesem Hintergrund ist die von Freund gewählte Formulierung, die auch das Bereithalten zu einem so verstandenen Inverkehrbringen erfasst, bestrebt, ein dem § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG bzw. dem § 58 Abs. 2 Nr. 1 LFGB äquivalentes Schutzniveau zu erreichen. Fraglich ist allerdings, ob es sachgerecht ist, bereits das Bereithalten zum Inverkehrbringen unter Strafe zu stellen. Eine entsprechende Verhaltensnorm wird sich im Interesse des Verbraucherschutzes wohl legitimieren lassen. Durch sie wird zu einem sehr frühen Zeitpunkt in das Geschehen schützend eingegriffen. Regelmäßig sind noch einige Zwischenschritte erforderlich, bevor eine tatsächliche Gefährdung von Konsumenten wahrscheinlich ist. Verboten wird de facto, dass ein gefährliches Produkt die Herrschaftssphäre des Herstellers verlässt. Verbunden mit der Schutzvorverlagerung auf Verhaltensnormebene ist durch den an die entsprechenden Verhaltensnormen anknüpfenden Straftatbestand auch eine Vorverlagerung der Strafbarkeit. Ob der Bedeutung, die solch vorgelagerte Verhaltensnormen für den Rechtsgüterschutz haben, erscheint ihre strafrechtliche Absicherung aber nicht ohne Weiteres angemessen. Es handelt sich hierbei um eine Frage der Untergrenze des Strafrechts. Die Bedeutung von Verhaltensnormen, die das Bereithalten zum Inverkehrbringen verbieten, sind von so geringer Bedeutung für den Rechtsgüterschutz und das mit dem Verstoß gegen sie verbundene Fehlverhalten ist regelmäßig von so niedrigem Gewicht, dass auch eine Ordnungswidrigkeit ausreichen würde, um die Verhaltensnormen abzusichern. Die gravierenden Eingriffe in Freiheitsrechte, die mit der Strafe verbunden sind, stehen außer Verhältnis zu dem Schutz, welchen entsprechende Verhaltensnormen bieten. Die weitergehende Sanktionierung im AMG und im LFGB schießt insoweit über das Ziel hinaus. Dies gilt somit auch für den Vorschlag von Freund, der sich am Schutzniveau des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG bzw. des § 58 Abs. 2 Nr. 1 LFGB orientiert. Ein Straftatbestand zur Produktverantwortlichkeit sollte sich somit nicht auf entsprechende Verhaltensnormen beziehen und daher nicht bereits an das Bereithalten zum Inverkehrbringen anknüpfen. Der Vorschlag von Freund ist infolgedessen um den entsprechenden Passus zu kürzen und auf die Verantwortlichkeit für das Inverkehrbringen oder -belassen zu beschränken.716 716 Der Tatbestand zur allgemeinen strafrechtlichen Produktverantwortlichkeit würde dann also lauten: § 232 Lebens- und Gesundheitsgefährdung durch Produkte (1) Wer zu verantworten hat, dass ein Gegenstand in Verkehr gelangt oder bleibt, obwohl dieser geeignet oder dringend verdächtig ist, andere widerrechtlich an Leib oder Leben zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

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ee) Fazit Die von Freund vorgeschlagene Grundnorm zur Produktverantwortlichkeit ist nach alledem ein entscheidender Beitrag zur Produktsicherheit. Sie ermöglicht es, alle für Leib und Leben riskanten Verhaltensweisen im Zusammenhang mit der Produktion von Gütern in einem Tatbestand zu erfassen. Die vorgeschlagene Norm ist als Risikodelikt besonders gut an die Situation moderner Produktgefahren angepasst. Die generelle – die Legitimationsgrundlagen ausweisende – Formulierung ist veränderungsoffen, ermöglicht eine angemessene Bestrafung, vermeidet planwidrige Lücken und macht problematische formalistische Einzeldelikte und verfassungswidrige qualifizierte Blankettnormen sämtlich obsolet. Ein solcher Tatbestand dürfte somit besonders effektiv sein und Rechtsgüterschutz im Umgang mit modernen Produktgefahren angemessen gewährleisten. Durch die mit seiner Implementierung verbundene „Konzentration auf das Wesentliche“ könnte die Materie der strafrechtlichen Produktverantwortlichkeit nur gewinnen. Insofern dürfte hier das Maximum an Effizienz zu erreichen sein. Die vorgeschlagene Norm ist allerdings insoweit zu modifizieren, als dass sich der Strafvorwurf nicht auf das Bereithalten zum Inverkehrbringen beziehen sollte. Die dadurch erfassten Verhaltensnormen sind von nur untergeordneter Bedeutung für den Verbraucherschutz und ihre strafrechtliche Absicherung erscheint daher nicht angemessen. f) Verbleibende Effektivitätsprobleme Allerdings verbleiben in modernen Lebensbereichen Effizienzhindernisse, die durch Optimierung der normativen Grundlagen nicht ausgeräumt werden können und somit auch bei Implementierung der von Freund vorgeschlagenen Norm bestehen blieben. Hierbei handelt es sich vor allem um spezifische Probleme der Umsetzung des materiellrechtlichen Programms, die sich im Umgang mit modernen komplexen Lebensfeldern verstärkt stellen. Solche sind wohl auch nicht gänzlich ausräumbar, denn auf viele prozessuale Beschränkungen des Strafeinsatzes kann im Rechtsstaat, der nicht zur Aufklärung jedes Vergehens jede Ermittlungsbefugnis erteilt, nicht verzichtet werden. Genau deshalb erscheinen mir aber gewisse Vollzugsdefizite systemimmanent und somit akzeptabel. Solche finden sich immerhin auch im klassischen Strafrecht, z. B. bei Massendelikten wie Kfz- oder Fahrraddiebstählen.717 Bisher wurde aber die Abschaffung etwa der Strafbarkeit von Kfz-Diebstählen nicht ernsthaft gefordert oder die Legitimität der Diebstahlsstrafbarkeit an sich infrage gestellt. Vielmehr wird in der Regel eine Verbesserung der Vollzugspraxis und -organisation angestrebt und im Übrigen für die Akzeptanz von verbleibenden Vollzugsdefiziten 717 Kuhlen, GA 1994, 347, 363; siehe auch Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 45.

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geworben. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, warum Vollzugsprobleme bis zu einem gewissen Grad in moderneren Strafrechtsbereichen nicht ebenfalls tolerabel sein sollten. Auch hier ist eine Verbesserung des Vollzuges so weit wie rechtsstaatlich möglich anzustreben.718 Entsprechende Besserungen sind auch möglich, wie die folgende kurze Darstellung besonders relevanter Probleme und möglicher Lösungsansätze zeigen soll. aa) Probleme bei der Ermittlung Die Komplexität und Unübersichtlichkeit der hier behandelten Rechtsbereiche führt zu einem gesteigerten Ermittlungsaufwand und damit zu einem erhöhten Personal- und Ausbildungs- sowie Sachmittelbedarf. Im Bereich spezieller Delikte (Umwelt-, Lebens- und Arzneimittel-, Technik- oder Wirtschaftsrecht) spielen nicht selten besondere Kenntnisse und Fähigkeiten der betrauten Organe eine Rolle.719 Es bedarf besonders geschulten Personals und einer speziellen Arbeitsausrüstung. Die Kapazität des Kontrollapparates, also die sachliche und personelle Ausstattung von Polizei und Justiz, hat daher großen Einfluss auf die Intensität und Effektivität der Strafverfolgung.720 Vielfach sind die ermittelnden Stellen zudem auf die Mithilfe der sachnäheren Verwaltungsbehörde angewiesen, um ihre Wissenslücken zu schließen bzw. um auf Straftaten aufmerksam zu werden. Die Kooperation zwischen den verschiedenen Behörden gestaltet sich aber häufig schwierig. Die Verwaltungsbehörden agieren zum Teil grundlegend anders als die Strafverfolgungsorgane. So ist ihnen z. B. das Legalitätsprinzip fremd. Ihre Arbeit ist vielmehr auf Kooperation mit den Rechtsunterworfenen ausgelegt:721 Sie haben ein originäres Interesse an einer vertrauensvollen Beziehung zum Rechtsunterworfenen und tendieren dazu, die Einleitung der Strafverfolgung und die Weitergabe von relevanten Informationen im Ermittlungsverfahren zu vermeiden.722

718 Krit. hierzu Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 14, 22 f.; ders., ZRP 1992, 378, 382; ders., in: FS-Roxin, 2001, S. 1001, 1007; Hohmann, Das Rechtsgut der Umweltdelikte, 1991, S. 208 f.; Müller-Tuckfeld, in: Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt a. M., Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, 1995, S. 461, 470 ff. Diese lehnen den konsequenten Normvollzug als „Moreof-the-same“-Lösung ab. 719 Pfeiffer, Verunreinigung der Luft, 1996, 223; Colussi, Produzentenkriminalität und strafrechtliche Verantwortung, 2003, S. 186 f. 720 Weber, ZStW Beiheft 1987, 1, 30; Colussi, Produzentenkriminalität und strafrechtliche Verantwortung, 2003, S. 182 f., 189 f. 721 Vgl. oben D.IV.3. 722 Wagner, Arzneimittel-Delinquenz, 1984, S. 219; ausgehend von der ähnlichen Situation bei den Umweltdelikten Schall, NJW 1990, 1263, 1270 f.; Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, S. 142; Pfeiffer, Verunreinigung der Luft, 1996, S. 222; Seelmann, KritV 1992, 452, 458.

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Diese im Vergleich zu traditionellen Strafrechtsmaterien gesteigerten Probleme lassen sich allerdings durch eine gute Personal- und Mittelausstattung sowie eine bessere behördliche Zusammenarbeit und Vernetzung723 vermindern. Entsprechende Forderungen nach personeller und materieller Aufstockung können nicht einfach mit dem Hinweis auf die begrenzten staatlichen Ressourcen724 abgetan werden. Denn der Staat darf sich nicht auf die Position zurückziehen, sich angemessenen Schutz seiner Bürger in essenziellen Bereichen, wie z. B. der organisierten Kriminalität oder der hier interessierenden Produktsicherheit, nicht leisten zu können. Vielmehr muss er eine funktionierende Justiz und Polizei gewährleisten. bb) Verantwortungszuschreibung Ein weiteres spezifisches Problem der Umsetzung des Strafrechts in modernen Lebensbereichen ergibt sich durch die Verknüpfung des strafbaren Verhaltens mit der beruflichen Tätigkeit. Aufgrund der Arbeitsteilung in Betrieben kann die personale Zurechnung von Gefährdungen innerhalb von Unternehmen zum Problem werden. Die betriebliche Arbeitsteilung kennt häufig die individuell verantwortliche Person nicht mehr.725 Auch dieses Problem kann jedoch zumindest abgeschwächt werden. Etwa die Lederspray-Entscheidung726 zeigte hier richtige Ansätze einer klaren Zuordnung von Verantwortungsbereichen, die eine personale Zurechnung ermöglichen. Hier wurden in richtiger Weise verschiedene Pflichten auf Personen aus unterschiedlichen hierarchischen Ebenen in Unternehmen verteilt. So urteilten die Richter, eine strafrechtliche Verantwortlichkeit könne sich auch aus der Stellung als Geschäftsführer ergeben.727 In diesem Sinne kann die Verletzung verschiedenster Leitungs-, Aufsichts-, Konstruktions-, Fabrikations- oder Produktbeobachtungspflichten zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit führen.728 Vor allem durch die Unterlassungsstrafbarkeit oder die fahrlässige Nebentäterschaft sowie § 130 723 Tiedemann/Kindhäuser (NStZ 1988, 337, 339) regen im Bereich der Umweltdelikte die gesetzliche Einführung einer Verpflichtung von Behörden zur Strafanzeige an; ähnlich auch Kühl, in: FS-Lackner, 1987, S. 815, 858; Schall, NJW 1990, 1263, 1272. 724 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 16 f.; ders., ZRP 1992, 378, 382 f. 725 Vgl. hierzu Meier, NJW 1992, 3193, 3194 f.; Schmidt-Salzer, NJW 1990, 2966, 2967; ders., NJW 1996, 1 ff.; Seelmann, KritV 1992, 452, 456; Yoon, Strafrecht als ultima ratio und Bestrafung von Unternehmen, 2001, S. 1. 726 BGHSt 37, 106. 727 BGHSt 37, 106, 113 f.; vgl. dazu auch Kuhlen, JZ 1994, 1142, 1144 f. und Meier, NJW 1992, 3193, 3194 ff. 728 Weber, ZStW 96 (1984), 376, 404 f.; vgl. die Ausführungen von Schwartz, Strafrechtliche Produkthaftung, 1999, S. 42 ff. Zur Klassifikation von Produktfehlern und Verkehrspflichtverletzungen Kuhlen, Fragen einer strafrechtlichen Produkthaftung, 1989, S. 13 ff.

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OWiG (Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen) lassen sich entsprechende strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortlichkeiten begründen.729 Der Einzelne kann sich so auf keiner Ebene hinter dem Unternehmen verstecken, sondern schuldet im Hinblick auf betroffene Schutzgüter die Beachtung der jeweiligen Sorgfaltspflichten. Das Strafrecht löst sich so von der Fixierung auf monokausale Verursachung durch einen Tatnächsten und ebnet den Weg für eine effektive Zurechnung im Rahmen von Betrieben.730 Dies ist auch notwendig, denn gerade in Unternehmen, die einen immer größeren Teil unserer Versorgung mit lebensnotwendigen Produkten und Dienstleistungen übernehmen, dürfen keine strafrechtsfreien Räume geschaffen werden. cc) Probleme der „white collar-crime“ Der ordnungsgemäße Vollzug von Normen – wie schon ihre Implementierung – kann auch an psychologischen Hürden etwa beim Umgang mit der sog. „white collar-crime“, scheitern. Hierbei handelt es sich vor allem um Straftaten, die im Zusammenhang mit beruflicher Betätigung stehen und von tendenziell sozial integrierten, konform lebenden Tätern begangen werden. Auch das Produktstrafrecht betrifft diese Kategorie von Straftaten. Hier könnten Vollzugsdefizite mit möglicher Scheu von Staatsanwälten und Richtern zu tun haben, angepasste Mitbürger hart zu bestrafen und auszugrenzen. So mancher Richter mag in einem solchen Angeklagten leichter einen im Grunde sympathischen Menschen, dessen Verfehlungen entschuldbar sind, sehen als in einem Beschaffungskriminellen.731 Auch in der Literatur findet man entsprechende Ansätze: Prittwitz etwa kritisiert am modernen „Risikostrafrecht“, es stütze sich – anders als das klassische Strafrecht – nicht mehr auf moralische Kategorien wie „gut und böse“ und gesellschaftliche Tabus, sondern stelle rein vernunftsbegründet alleine auf die Gefährlichkeit ab. Dadurch erfasse Strafrecht nicht mehr alleine abweichendes Verhalten. Es gehe nicht „um Verhalten, das verboten wird, weil es sozial inadäquat ist, sondern um Verhalten, das verboten wird, damit es sozial inadäquat wird.“732 Infolgedessen verliere das Strafrecht seine Definitionsmacht und gerate dadurch in die Effektivitätskrise.733 729 Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung, 1993, S. 73 f. Zu § 130 OWiG vgl. auch Dannecker, Entsanktionierung der Straf- und Bußgeldvorschriften des Lebensmittelrechts, 1996, S. 43 f.; Schafeld, Grundsatzfragen lebensmittelstrafrechtlicher Verantwortlichkeit, 1992, S. 20 f.; Schmidt/Schöne, NJW 1994, 2514, 2519; Schwartz, Strafrechtliche Produkthaftung, 1999, S. 38. 730 Kuhlen, JZ 1994, 1142, 1144 f.; vgl. auch Schmidt-Salzer, NJW 1996, 1, 3 f. 731 Vgl. hierzu auch Colussi, Produzentenkriminalität und strafrechtliche Verantwortung, 2003, S. 190 ff., 213 ff. 732 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 176 ff., Hervorhebungen im Original. 733 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 177 f., 44.

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

Was unter dem „Bösen“ zu verstehen sein soll, kann hier nur vermutet werden. Jedenfalls taugt es nicht als Kategorie für die rechtliche Missbilligung und die Strafbewehrung von Verhaltensweisen. Hierfür kann es nach allem Dargestellten nur auf die Rechtsgutsgefährdung ankommen. In diesem Punkt aber unterscheiden sich traditionelle Gewalttaten nicht von moderner Produktkriminalität. Die Gefährdungspotenziale, die von gesundheitsschädlichen Konsumprodukten ausgehen, sind mindestens genauso groß, wie die, die von der Körperverletzung durch einen Faustschlag geschaffen werden. Alleine der soziale Status des Täters differiert regelmäßig. Es bedarf aber keiner langen Begründung, dass Ungleichbehandlungen im Strafverfahren wie auch in der Kriminalpolitik aufgrund derartiger Kriterien unzulässig sind.734 Der Rechtsstaat muss an einer nicht diskriminierenden und möglichst effektiven Normsetzung sowie an einer gleichen und konsequenten Erhaltung der Verhaltensnormgeltung ohne Ansehung von Person und Stand interessiert sein. dd) Fazit Die strukturell gesteigerten Vollzugsschwierigkeiten im Bereich modernerer Risiken sind zumindest teilweise durch eine bessere Ausbildung und Ausstattung der Ermittler, eine intensivere Kooperation mit den Verwaltungsbehörden, eine genaue rechtliche Verantwortungszuschreibung und einen anderen Umgang mit „white collar“-Tätern behebbar. Jedenfalls stellen die beschriebenen Probleme keine so gravierenden Vollzugshindernisse dar, dass eine sinnvolle Regulierung unmöglich scheint. Sinnvolle und effektive Normen in Kombination mit den beschriebenen Anstrengungen beim Normvollzug dürften einen Durchsetzungsgrad gewährleisten, der zumindest akzeptabel ist. g) Ergebnis zum Vorwurf des „symbolischen“ Rechts Neuere gesetzliche Regelungen wie etwa die strafrechtliche Produktverantwortlichkeit im AMG und LFGB erfüllen die Erfordernisse einer effizienten und angemessenen Reaktion auf das Schaffen moderner Risiken noch nicht. Grund dafür ist aber zu einem wesentlichen Teil die bedenkliche Gesetzgebungstechnik. Der Aufbau von AMG und LFGB, die nach generalklauselartigen Grundnormen (§ 58 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 LFGB sowie § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG) formalistische und detaillierte Einzelfallregelungen enthalten, führt zu einer unnützen Mehrfachabsicherung von Verhaltensnormen. Viele Delikte haben neben den sehr weiten Grundnormen keinen eigenständigen Anwendungsbereich. Die Tatbestände sind daher zum Leerlauf und damit zur Ineffizienz verdammt. Weiterhin sind die Einzelfallregelungen auf Phänotypen eines 734

Vgl. dazu auch oben E.II.

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken

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allgemein zu begreifenden Verhaltensunrechts bezogen. Da für die angemessene Sanktionierung jedoch eine Orientierung am Verhaltensunrecht zwingend erforderlich ist, wird die konkrete Rechtsfolgenbestimmung der Strafgerichte erheblich erschwert. Die Formulierung der Tatbestände, die ein genaues Verhalten anstatt der Umstände, die das Unrecht einer Tat begründen, beschreiben, trägt so zu ihrer Ineffizienz bei. Die sehr konkrete Tatbestandsformulierung nimmt den Strafverfolgungsbehörden auch jeden Spielraum bei der Strafverfolgung und bindet so ihre Kapazitäten. Zusätzlich werden durch die formalistischen Tatbestände gravierende Schutzlücken geschaffen. Denn nur das konkret beschriebene Verhalten unterliegt der Sanktionierung. Andere Verhaltensweisen, die einen entsprechenden Unwertgehalt haben, bleiben straflos. Auf dieses Problem reagiert der Gesetzgeber mit verfassungswidriger Delegation seiner legislativen Befugnisse durch qualifizierte Blankettstrafgesetze. Ergebnis der Kodifikation in AMG und LFGB ist eine inkonsistente Regulierung, die zur systematischen Absicherung rechtsgüterschützender Verhaltensnormen nicht in der Lage ist. Hier ist eine grundlegende Reform der gesetzlichen Regelungen dringend geboten. Die beschriebenen Probleme sind durch eine angemessene Normierung behebbar. Erforderlich ist eine generelle und damit veränderungsoffene und effektive Regulierung, die ihre Legitimationsgrundlagen erkennen lässt. Bei entsprechender Ausgestaltung könnte diese die Strafvorschriften des AMG und LFGB mit ihren Lücken, Unstimmigkeiten und bedenklichen qualifizierten Blanketttatbeständen weitgehend obsolet machen. Um den ungewissen Kausalitätsbeziehungen in modernen Lebensbereichen, wie wir sie im Umgang mit neuen Konsumprodukten oft vorfinden, Rechnung zu tragen, ist die Kodifizierung eines Risikodelikts unerlässlich. Nur ein solches greift auch in der für moderne Gefahren paradigmatischen Situation ein, dass gewisse Restzweifel an der Schädlichkeit eines Stoffes oder Produktes verbleiben. Der von Freund vorgeschlagene Straftatbestand – mit der hier angeregten Modifikation – garantiert in diesem Sinne eine angemessene und effektive Absicherung wichtiger rechtsgüterschützender Verhaltensnormen im Umgang mit riskanten Produkten und ist de lege ferenda somit ein wichtiger Beitrag zu einem effektiven Schutz vor Produktgefahren mittels Strafrecht. Verbleibende Defizite beim Vollzug strafrechtlicher Delikte im hier interessierenden Bereich können zum Teil durch Verbesserungen der Vollzugspraxis und -organisation ausgeglichen werden, sind aber zu einem gewissen Grad auch als systemimmanent zu akzeptieren. Durch eine Modifikation der Normierung in Verbindung mit Verbesserungen beim Vollzug, dürfte aber jedenfalls ein hinreichendes Maß an Effizienz erreicht werden, um die These Hassemers, eine effektive Regelung moderner Lebensbereiche unter Beteiligung des Strafrechts sei nicht denkbar, zu entkräften. Ist es aber möglich, mit zulässigen Mitteln effektiv rechtsgüterschützend tätig

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E. Strafrecht in der Risikogesellschaft

zu werden, muss sich der Staat nicht zurückziehen, sondern sollte den Schutzpflichten entsprechend die Geltung wichtiger Verhaltensnormen strafrechtlich absichern. 3. Ergebnis zum Strafrecht in der Risikogesellschaft Die zentralen Kritikpunkte der Frankfurter Schule an modernen Tendenzen im Strafrecht, die sie zur Forderung nach dessen Rückzug veranlassen, überzeugen somit nicht. Weder stehen der Deliktskategorie der abstrakten Gefährdungsdelikte, die alleine geeignet sind, effektiven Schutz in modernen und komplexen Lebensbereichen zu gewährleisten, verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf die Erfassung ungefährlichen Verhaltens gegenüber, noch stellen sie per se einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte der potenziellen Täter dar. Vielmehr leisten sie einen sinnvollen Beitrag zur Absicherung elementar wichtiger Verhaltensnormen im Bereich neuer Risiken, zu der es – will man den Schutz der Menschen in diesem Bereich nicht völlig aufgeben – keine Alternative gibt. Auch die Behauptung, Strafrecht in modernen Rechtsfeldern sei per se ineffektiv, hat sich als nicht haltbar erwiesen. Am Beispiel von AMG und LFGB konnte gezeigt werden, dass viele Vollzugsdefizite auf einer mangelhaften Regelungstechnik mit sich überschneidenden Anwendungsbereichen, Lücken und der fehlenden Preisgabe der Legitimationsgrundlagen beruht. Mit der von Freund vorgeschlagenen Norm zur strafrechtlichen Produktverantwortlichkeit – ggf. mit der hier angeregten Modifikation – ist eine effektive Verhaltensnormstabilisierung erreichbar, sodass im Zusammenwirken mit den erfassten Verhaltensnormen effektiver Rechtsgüterschutz gewährleistet werden kann. Insofern bedarf es keines Rückzuges, welcher wichtige Verhaltensnormen dem Verfall preisgeben würde. Im Rahmen dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass sich ein angemessener, wirksamer Strafrechtsschutz vor modernen Produktgefahren widerspruchsfrei konzipieren lässt. Letztlich geht es hierbei häufig nicht um spezifisch strafrechtliche Fragestellungen. Vielmehr muss geklärt werden, wie weit die Freiheit des Einzelnen geht und wo diese durch Ver- und Gebote zugunsten der Sicherheit anderer zu beschränken ist. Erst wenn diese Frage dahingehend beantwortet ist, dass ein gewisses Verhalten nicht mehr der allgemeinen Handlungsfreiheit untersteht, sondern im Interesse des Rechtsgüterschutzes unterlassen werden muss, also verboten ist, schließt sich zwingend die Frage nach der Reaktion auf den Verbotsverstoß an. Denn sanktioniert die Gemeinschaft den gefährlichen Verhaltensnormverstoß nicht, so kommt es zu einem Normverfall. Rechtsgüterschützende Verhaltensnormen, die für ein friedliches und sicheres Zusammenleben der Menschen unerlässlich sind, stehen dann zur Disposition jedes Einzelnen. Eine gesicherte Existenz würde dadurch über kurz oder lang bedroht. Dies zu vermeiden, ist Aufgabe des Strafrechts wie auch des Rechts der Ordnungs-

VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken

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widrigkeiten. Welches Sanktionsinstrument mit welcher konkreten Rechtsfolge eingreift, ist eine Frage der Angemessenheit, die mit Blick auf das Gewicht des mit dem Verhaltensnormverstoß verwirklichten Fehlverhaltens beantwortet werden muss. Grundsätzlich aber ist das Eingreifen des Strafrechts oder des Ordnungswidrigkeitenrechts in allen Rechtsfeldern – auch in modernen – unerlässlich, um funktionierenden Rechtsgüterschutz zu gewährleisten. Ein Rückzug des Strafrechts aus Bereichen, in welchen der Mensch auf staatlichen Schutz angewiesen ist – und dazu gehört auch und gerade der Konsum von Produkten aller Art – würde den staatlichen Schutzpflichten daher nicht gerecht. Zudem würde ein solcher Rückzug den Verursacher neuartiger Risiken verglichen mit dem traditionellen Straftäter unangemessen bevorteilen. Neue Herausforderungen im Umgang mit Risiken dürfen demnach nicht dazu führen, dass das Strafrecht resigniert und sich zurückzieht. Im Gegenteil, Schutz auch durch das Strafrecht ist erforderlich und geboten. Der Kritik der Frankfurter Schule an neuen Entwicklungen im Strafrecht kann daher nicht gefolgt werden. Vielmehr muss sich das Strafrecht systematisch verändern und anpassen, um die wegen bestehender Schutzpflichten notwendige Verhaltensnormstabilisierung in modernen Lebensbereichen gewährleisten zu können. Hierzu ist auch die Etablierung von abstrakten Gefährdungsdelikten – insbesondere von Risikodelikten – unerlässlich. Nur so kann ein umfassender Schutz vor den Gefahren neuer Techniken und Produkte gewährleistet werden.

F. Fazit und Ausblick Moderne Gefahren unterscheiden sich strukturell von hergebrachten. Sie bedrohen mehr Menschen, lassen größere Schäden befürchten und sind kognitiv schwer zu bewerten, dabei allerdings grundsätzlich steuerbar. Bestehende staatliche Schutzpflichten zwingen den Staat, seine Bürger auch vor solchen modernen und schwer einschätzbaren Risiken wirksam zu bewahren. Dies bedeutet, auch bei ungewissen Gefährdungssituationen und Kausalitätsbeziehungen muss Schutz vor gravierenden Schäden gewährleistet sein, sodass nicht bis zum Eintritt des befürchteten Schadens abgewartet werden darf (Vorsorgegedanke). Daher verlagert sich staatlicher Schutz im modernen Bereich unsicherer UrsacheWirkungs-Beziehungen systematisch vor, auf einen Zeitpunkt vor der kausalen Schädigung oder konkreten Gefährdung. Hierzu ist eine Loslösung vom Erfolg notwendig und eine systematische Fokussierung auf gefährliches Verhalten, durch das der Einzelne seine verbürgten Freiheitsrechte überschreitet. Unverhältnismäßige Beeinträchtigungen sind mit dieser Vorverlagerung nicht per se verbunden. Vielmehr ist es durchaus angemessen unabsehbar gefährliches Verhalten im berechtigten Interesse aller potenziell Betroffenen auch dann zu verbieten, wenn noch kein sicheres Wissen über Ursächlichkeiten besteht. Derart früh ansetzende Verhaltensnormen dienen dem Schutz wichtiger Rechtsgüter vor großen Gefahren. Ihre Geltung muss daher sichergestellt werden. Dies geht nur, indem der Verhaltensnormverstoß durch Strafe oder Ordnungswidrigkeiten sanktioniert wird. Sind ein Fehlverhalten und die damit verbundene Infragestellung einer wichtigen Verhaltensnorm so groß, dass alleine die Ordnungswidrigkeit nicht geeignet ist, die Normgeltung zu verdeutlichen, ist Strafe erforderlich und muss bei entsprechendem Gewicht der Verhaltensnorm auch angedroht und verhängt werden, um den Schutzpflichten nachzukommen. Tatbestände, welche die vorsorgend vorverlagerten Verhaltensnormen erfassen wollen, müssen auf einen Erfolgsbezug verzichten und teilweise (bei ungewisser Gefährlichkeit) auch schon den (begründeten) Verdacht der Schädlichkeit ausreichen lassen. Den somit für effektiven Schutz erforderlichen Deliktskategorien der abstrakten Gefährdungsdelikte und der Risikodelikte stehen – wie gezeigt werden konnte – keine grundsätzlichen dogmatischen Bedenken gegenüber. Sie lassen sich vielmehr stimmig legitimieren als verhältnismäßige Eingriffe. Auch in modernen Lebensbereichen gelten somit die allgemeinen Regeln, mittels derer sich Strafe sinnvoll und verhältnismäßig in das System staatlichen Schutzes integrieren lässt. Moderne Gefahren, die uns heute bedrohen, haben ein Anpassungsbedürfnis im System staatlichen Schutzes erzeugt. Das Recht hat hierauf bereits reagiert.

F. Fazit und Ausblick

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Vor allem im Bereich der Gefahrenabwehr wurde dem Veränderungsdruck mit neuen Regelungsstrukturen, insbesondere der Vorverlagerung des Schutzes, der weitergehenden Beteiligung der Exekutive und in gewissen Grenzen auch der Rechtsunterworfenen sowie der Rücknahme von Bestandsschutz, nachgegeben. Dennoch besteht bei der konkreten Ausgestaltung staatlichen Schutzes im Einzelfall noch Modifikationsbedarf, vor allem im Strafrecht. Hier muss der Gesetzgeber sich bemühen – weg von einem Flickenteppich aus Einzelregelungen – wieder zu einer stimmigen, an den Schutzaspekten ausgerichteten Gesamtnormierung zu gelangen, die eine möglichst effektive und gleiche Erfassung gewichtigen Unrechts ermöglicht. Dieses Konzept liegt auch den klassischen Straftatbeständen des StGB zugrunde. Daran anknüpfend sollte der Gesetzgeber auch bei der Regulierung neuer Lebens- und Gefahrenbereiche versuchen, abstrakte Normen zu schaffen, die an das Verhaltensunrecht anknüpfen. Mittels solcher Tatbestände und den beschriebenen Modifikationen des Gefahrenabwehrrechts, kann der Staat auch im Umgang mit modernen, komplexen und dynamischen Gefahren in der „Risikogesellschaft“ die Sicherheit seiner Bürger garantieren und den bestehenden Schutzpflichten nachkommen.

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Sachwortverzeichnis Abstrakte Gefahr siehe Gefahr, abstrakte Abstrakte Gefährdungsdelikte siehe Gefährdungsdelikte, abstrakte Abtreibungsurteil 30, 32, 38, 101 Abwehrrechte siehe Grundrechte Actor-Observer-Differenz 135 Administrativer Beurteilungsspielraum 57, 58, 59 Agreements 68 Amtsträger 64, 169, 170 Analogieverbot 72 Angemessenheit 26, 32, 43, 45, 52, 54, 58, 71, 72, 73, 77, 78, 81, 82, 85, 87, 88, 89, 90, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 123, 124, 130, 132, 138, 139, 140, 141, 142, 151, 152, 154, 155, 156, 162, 164, 166, 167, 168, 170, 173, 179, 180, 182, 184, 186, 187, 188 Angst 23, 75, 120, 143 Anscheinshaftung 111 Antizipierte Sachverständigengutachten 62 Approbation 93 Arbeitsteilung 21, 100, 182 Arrangements 68 Arzneimittel 17, 22, 68, 93, 114, 145, 147, 149, 152, 169, 170, 181 Arzneimittelzulassung 63, 68, 169 Atomkraft 18, 19, 23, 24, 48 Auffangfunktion 149, 150, 151 Aufklärung 72, 113 Aufsichtspflicht 182, 183 Auto siehe Kfz Bagatellen 89, 177 Beck, Ulrich 17, 18, 22, 69, 71, 75, 76, 78, 143

Bedingungstheorie 105 Begründeter Verdacht siehe Verdacht, begründeter Behörde siehe Exekutive Bereithalten zum Inverkehrbringen 178, 179, 180 Berufsrecht 91, 93 Bestands- und Vertrauensschutz 63, 189 Bestimmtheitsgrundsatz 53, 54, 72, 74, 83, 156, 157, 160, 174, 175, 176 Beweislast 76, 119 BfR 66 Blankettnorm 147, 156, 157, 160, 161, 162, 165, 177, 180, 185 Blankovollmacht 158 Blue collar-crime 77 Börse 67 Brandstiftung 116, 117, 118, 121, 127, 128, 131, 132, 133 BSE 22, 47, 105 BVL 66 CENELEC 60 Charta der Grundrechte der Europäischen Union 40 Chemiker 152, 169, 170 Codex Alimentarius Verfahrenshandbuch 25 Contergan 20, 22, 71, 106, 107, 109, 110, 111, 144, 150 Creeping Determinism 135 Delegation der Gesetzgebungsbefugnis 52, 55, 57, 58, 156, 157, 158, 159, 160, 165, 185 Demokratieprinzip 54, 61, 64, 65, 70, 156, 157, 159

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Sachwortverzeichnis

Desavouierung 85, 89, 90, 95, 96, 98, 103, 104, 105, 144, 167 DIN 60, 62 Disziplinarrecht 91 Dynamik 20, 32, 51, 52, 54, 59, 60, 63, 66, 69, 153, 189 Dynamischer Schutz 51, 54, 60, 153 Effektivität 87, 88, 102, 104, 156, 161, 162, 169, 171, 175, 180, 181, 183, 185, siehe auch Ineffizienz Effektivitätsgebot 54, 64 EFSA 66 Eignungsdelikte 135, 136, 137 Eingriffsintensität der Strafe 87 Einzelfallregelung 55, 122, 154, 162, 163, 184 Emission 18, 20 EMRK 40 Entformalisierung des Strafrechts 72, 73 Entsanktionierung 73 Entscheidungsprärogative siehe Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers Entscheidungsspielraum – der Exekutive siehe Administrativer Beurteilungsspielraum – der Rechtsprechung 110, 175, siehe auch Rechtskonkretisierung – des Gesetzgebers 38, 45, 103 Erfahrungssatz 19, 47, 106, 111, 112 Erfolg 72, 73, 83, 87, 98, 99, 106, 107, 108, 112, 114, 115, 116, 125, 133, 137, 163, 188, siehe auch Fehlverhaltensfolgen Erfolgsdelikte 71, 73, 104, 105, 106, 107, 111, 112, 114, 115, 116, 140, 141, 144, 164 Erfolgsunrecht 124, 133 Erforderlichkeit 43, 45, 56, 64, 66, 81, 82, 86, 89, 90, 91, 95, 96, 102, 140, 166, 167, 168, 188 Erlaubtes Risiko 26, 126, 177 Ermessensreduzierung auf Null 103 Ermittlungsaufwand 181

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 40 Ex ante 27, 47, 82, 115, 129, 132, 133, 134, 148, 168, 174 Ex post 133, 134, 168 Exekutive 52, 53, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 62, 68, 69, 70, 156, 157, 158, 159, 176, 177, 181, 184, 189 Exekutives Recht 60, 70, 175 Experten 64, 65, 110, 112, siehe auch Sachverständige Fachwissen 20, 60, 65, 111 Fahrlässigkeit 126, 127, 128, 129, 174 – folgenlose 129 Failed state 29 FAO 25 FDA 22 Fehleranfälligkeit 153, 160 Fehlverhaltensfolgen 98, 99, 103, 115, 133, 134, 135, 139, 141, 168, siehe auch Erfolg Feindstrafrecht 139 Flugreise 83, 86 Folgenorientierung 72, 76, 78, 79, 142 Ford Pinto 92 Formalismus 52, 146, 147, 148, 153, 154, 155, 162, 163, 164, 172, 180, 185 Fragmentarischer Charakter des Strafrechts 154 Frankfurter Schule 71, 72, 73, 74, 75, 76, 78, 95, 101, 104, 113, 116, 138, 141, 142, 144, 162, 186 Freie richterliche Beweiswürdigung 109, 112 Freiheit 17, 28, 29, 30, 32, 33, 34, 35, 37, 43, 44, 51, 72, 75, 77, 78, 84, 97, 102, 140, 141, 186 Freiheitsrechte siehe Grundrechte Freiheitsstrafe 87, 94, 172 From farm to fork 50 From stable to table 50 Funktionalisierung des Strafrechts 72

Sachwortverzeichnis Geeignetheit 43, 45, 47, 54, 81, 89, 90, 93, 94, 96, 102, 103, 121, 131, 136, 161, 166, 167, 168, 171, 186, 188 Gefahr 24, 25, 26, 27, 134 – abstrakte 26, 51, 115 – konkrete 48, 49, 50, 71, 115, 116, 119, 125 Gefährdungsdelikte – abstrakte 73, 74, 75, 77, 104, 105, 107, 108, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 163, 166, 168, 186, 187, 188 – konkrete 115, 135, 136, 137 Gefährdungshaftung 49, 51 Gefahrenabwehr 23, 24, 45, 47, 48, 50, 51, 64, 70, 73, 189 Gefahrenabwehrrecht siehe Polizei- und Ordnungsrecht Gefahrverdacht 151, 167, 168, 173 Geldstrafe 87, 172 Gemeinschaftsgrundrechte siehe Grundrechte Generalklausel 53, 55, 57, 62, 67, 70, 148, 151, 153, 175 Gentechnik 19, 76, 150 Gerichte 36, 53, 57, 58, 59, 62, 69, 109, 110, 111, 112, 124, 146, 155, 175, 176, 177, siehe auch Judikative – Strafgerichte 85, 147, 154, 177, 185 – Verfassungsgericht 36, 37 – Verwaltungsgerichte 58, 59 Geschäftsführer 182 Gesetzesvorbehalt siehe Vorbehalt des Gesetzes Gesetzgebungsvorschlag 171, 172, 178, 179 Gesundheit 18, 25, 26, 31, 41, 47, 48, 136, 147, 148, 149, 154, 162, 164, 171, 172 Gesundheitsverträglichkeitsprüfung 42 Gewährleistungsverantwortung 66 Gewaltenteilungsgrundsatz 36, 37, 38, 55

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Gewaltmonopol 21, 28, 66 Gleichbehandlungsgrundsatz 37, 76, 111, 154, 162, 164, 170, 171 Globalisierung 17, 18, 19, 20, 21, 30, 72 Grenzwert 155 Großregler 122 Großstörung 122 Grundfreiheiten 39, 40 Grundrechte 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 38, 44, 101, 102, 141 – Abwehrfunktion 29, 30, 32, 33, 34, 35, 36, 38, 141 – Freiheitsrechte 29, 32, 33, 43, 45, 78, 79, 89, 100, 104, 122, 166, 179, 188 – gemeinschaftsrechtliche 39, 40 – objektiv-rechtliche Dimension 31, 33, 40 Grundrechtsschutz durch Verfahren 59 HACCP-Konzept Handlungsfreiheit Hobbes, Thomas Holzschutzmittel

66 35, 81, 186 28, 29, 30 20, 71, 106, 170

In dubio pro libertate 44 In dubio pro reo-Grundsatz 71, 105, 106, 108, 111, 119, 132, 134, 150, 168 In dubio pro securitate 44 Individualismus 76 Individualrechtsgut 121 Industriegesellschaft 22, 75, 141 Ineffizienz 77, 84, 142, 143, 144, 152, 153, 154, 161, 167, 184, 185, 186 Informationsgesellschaft 23 Infragestellen siehe Desavouierung Innovation 17, 18, 19, 51 Inverkehrbelassen 170 Inverkehrbringen 114, 144, 145, 147, 148, 150, 151, 152, 166, 168, 169, 170, 172, 177, 178, 179 Judikative 45, 53, 55, 112, 176, 177, siehe auch Gerichte Juristische Personen 42, 91

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Sachwortverzeichnis

Kasuistische Tatbestände 148, 149, 151, 163, 165, 173, 175 Kausalität 24, 48, 50, 71, 72, 74, 105, 106, 108, 109, 111, 150, 185, 188, siehe auch Ursächlichkeit und Ursächlichkeitsnachweis Kausalitätsmodell 20, 47 Kausalitätsnachweis siehe Ursächlichkeitsnachweis Kfz 83, 85, 117, 120, 180 Komplexität 17, 18, 19, 20, 22, 51, 52, 54, 57, 59, 60, 64, 69, 74, 76, 78, 82, 83, 100, 104, 105, 113, 122, 140, 141, 143, 144, 152, 157, 164, 167, 180, 181, 186, 189 Konditionalprogramm 72 Kondominialverwaltung 64 Kongruenzthese 44, 45 Konkrete Gefahr siehe Gefahr, konkrete Konkrete Gefährdungsdelikte siehe Gefährdungsdelikte, konkrete Konkretisierung von Verhaltensnormen 85, 146, 160, siehe auch Rechtskonkretisierung Konsumgüter 17, 18, 19, 22, 140, 166 Konzern 21 Kooperation 67, 68, 181, 184 Kooperatives Verwaltungshandeln 67, 68 Krebs 20, 21, 105, 107 Kriminalpolitik 73, 184 Kritische Kontrollpunkte 66 Kumulationsschäden 92 Landwirt 93 Lebensmittel 17, 19, 20, 22, 47, 50, 93, 105, 107, 136, 147, 148, 149, 150, 152, 164, 170 Lebensstandard 18 Lederspray 20, 71, 106, 182 Legalitätsprinzip 181 Legitimer Zweck 43, 89, 91, 97, 102, 167 Letztentscheidungsmandat 65 Lobbyvertreter 64, 65

Locke, John 29 Lüth-Entscheidung 30 Massendelikte 180 Massenhandlungen 123 Massenproduktion 30, 72, 166 Menschenwürde 33, 34 Milgram-Experiment 135 Nachbesserungspflicht 42, 52, 63 Nachhaltigkeit 21 Naturkatastrophe 21 Nebenstrafrecht 73, 81, 112 Nebentäterschaft 182 Nitrofen 107 Normgeltung 80, 86, 87, 88, 90, 91, 92, 93, 95, 96, 102, 103, 130, 131, 167, 184, 188 Normgeltungsschaden 80, 85, 89, 90, 93, 95, 98, 102, 139 Normkonflikte 79 Normunterworfener 81, 82, 83, 87, 90, 92, 122, 123, 131, 141, 174, 176 Normverfall 79, 131, 186 Nullum crimen-Satz 84, 111, 112, 154, 160, 170 Nutzen-Risiko-Abwägung 46, 57 Öko-Audits 67 Ordnungswidrigkeiten 73, 90, 91, 94, 95, 96, 102, 104, 124, 167, 179, 187, 188 Parlamentarische Demokratie 55 Personales Fehlverhalten 85, 89, 98, 130 Polizei- und Ordnungsrecht 17, 24, 26, 48, 50, 70, 106 Pönalisierungsgebot 101, 102 Präsumtion 119 Prävention 72, 76, 78, 91, 100 Präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt 35, 50 Private Normen 60, 61, 62, 70

Sachwortverzeichnis Produktsicherheit 21, 74, 163, 180, 182 Produktskandale 22, 71 Produktverantwortlichkeit 22, 71, 72, 77, 105, 144, 162, 163, 170, 171, 179, 180, 184, 186 Prognose 27, 57, 64, 122, 126, 132 Prüfstellendelikte 123 Qualitätssicherungssystem 67, 68 Querschnittsklausel 41 Rechtsfolgenbestimmung 154, 165, 185 Rechtsgüterschutz 76, 78, 79, 81, 82, 85, 97, 101, 102, 104, 113, 120, 129, 130, 131, 138, 139, 141, 142, 143, 179, 180, 186, 187 Rechtskonkretisierung 53, 54, 58, 138, 175, 176 Rechtsprechung siehe Gerichte und Judikative Rechtssicherheit 63, 175 Rechtsstaatsprinzip 43, 53, 111 Restrisiko 24, 26 Revisionsoffenheit 63 Risiko 24, 25, 26, 134, 184 – missbilligtes 26, 86, 87, 178 Risikoanalyse 25, 65 Risikobewertung 20, 65 Risikodelikt 145, 146, 150, 165, 166, 167, 168, 169, 172, 180, 187, 188 Risikoerhöhungslehre 108, 109, 112, 169 Risikogesellschaft 17, 22, 70, 71, 72, 75, 143 Risikokommunikation 65 Risikomanagement 65, 68 Risikostrafrecht 71, 72, 73, 77, 78, 116, 121, 142 Rücknahme eines Verwaltungsaktes 63 Rückstände 148 Rückverweisungsklauseln 156, 157, 158, 160, 177 Rückzug des Staates 70

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Rückzug des Strafrechts 71, 74, 75, 76, 77, 101, 105, 113, 142, 144, 145, 187 Saboteur 152, 169, 172 Sachverständige 58, 64, 65, siehe auch Experten Sanktionsnorm 78, 80, 87, 98, 100, 130, 131, 132, 140, 174, 177 Schadensausmaß 19 Schadensersatz – europarechtlicher 42 – zivilrechtlicher 91, 92, 105 Schädigungspotential 19, 22, 46, 47, 50, 82, 100, 106, 150, 166, 171 Schlachterlaubnis 93, 94 Schuldausgleich 72, 79 Schuldprinzip 72, 74, 76, 86, 89, 132 Schuldspruch 90, 165 Schutzbedürfnis 23, 75, 76, 114 Schutzlücken 52, 54, 105, 112, 113, 149, 153, 154, 162, 164, 165, 169, 170, 171, 175, 185 Schutzpflichten – gemeinschaftsrechtliche 39, 40, 41, 42 – verfassungsrechtliche 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 41, 43, 45, 47, 51, 54, 69, 101, 102, 103, 113, 114, 141, 144, 145, 187, 188 Schutzvorkehrungen 38, 47, 132 Sekundärer Charakter des Strafrechts 81 Sekundärziel 41 Selbstkontrolle der Wirtschaft 66 Selbstregulierung 66, 75, 143 Sicherheitsbedürfnis 23, 30, 72, 75, 76, 143 Sicherheitsgefühl 121, 143 Solange-Beschlüsse 41 Somalia-Resolution 29 Sonderverantwortlichkeit 35, 85, 159, 169 Sorgfaltspflicht 129, 183 Sorgfaltswidrigkeit 127 Sozialadäquanz 26, 38 Sozialethischer Tadel 87, 123

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Sachwortverzeichnis

Staatstheorie 28 Staatszweck 28, 29, 34, 73 Stand von Wissenschaft und Forschung 51, 53, 62 Steuerungsbedürfnis 22 Stigmatisierung 87 Strafbedürfnis 91, 98, 99, 103, 107, 133, 139, 141 Strafverfolgungsbehörden 155, 162, 185 Strafwürdigkeit 97 Stufenplanbeauftragter 67 StVO 81 Subjektive Rechte 36 Subsidiarität 72 Supergau 19 Symbolisches Strafrecht 74, 142, 143, 153, 162, 184 TA Luft 169 Tatbestandsmäßiges Verhalten 86, 98, 106, 126, 133, 138, 147 Tätigkeitsdelikte 114 Teleologische Reduktion 104, 118, 125, 127, 128, 130, 133, 137, 138 Thalidomid 107, 109 Tierarzt 93 Trial-and-error 47 Überkriminalisierung 138, 139, 177 Übermaßverbot 43, 44, 45 Überwachung 21, 66, 67 Überzeugungsbildung der Gerichte 109 Ultima ratio-Prinzip 72, 73, 74, 96 Umweltrecht 48, 57 Umweltstrafrecht 74, 112, 116, 143, 181 Umweltverschmutzung 18, 20, 22, 23, 92 Unflexibilität des Gesetzgebers 52, 157, 165 Universalrechtsgut 121 Universalrechtsgüterschutz 72, 74 Unschuldsvermutung siehe In dubio pro reo-Grundsatz

Unsicherheit 47, 48, 57, 143, 150 – gesellschaftliche 17 – kognitive 24, 49 – hinsichtlich der Kausalität 105, 106 – wissenschaftliche 19, 111 Untauglicher Versuch 103, 125, 128, 133, 140 Unterlassungsstrafbarkeit 35, 170, 182 Untermaßverbot 38, 39, 44, 45, 47, 103 Ursache-Wirkungs-Zusammenhang 106, 108, 188 Ursächlichkeit 21, 84, 105, 106, 108, 111, 188, siehe auch Kausalität Ursächlichkeitsnachweis 19, 69, 71, 107, 108, 109, 110, 111, 136, 169, 173 Utopie 46 VDE 60 Veralten des Rechts 52 Veränderungsdruck 22, 189 Veränderungsoffenheit 53, 164, 175, 180, 185 Verdacht, begründeter 51, 114, 145, 149, 150, 166, 168, 169, 173, 188 Verfahrensfehler 60 Verhalten, missbilligtes 81, 94, 98, 99, 132, 135, 147, 163, 177, 184 Verhaltensnorm 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 88, 90, 120, 130, 131, 132, 133, 140, 150, 166, 174, 176, 177, 180 Verhaltensnormstabilisierung 88, 91, 92, 93, 96, 112, 140, 154, 169, 186, 187 Verhaltensunrecht 86, 98, 99, 115, 118, 129, 133, 139, 154, 165, 185, 189 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 43, 44, 45, 89, 95, 96, 100, 102, 123, 130, 132, 138, 139, 155, 179, siehe auch Legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit Verletzungsdelikte 72, 74, 106, 108, 115, 116, 124 Vermeidbarkeit 20, 21, 22 Vernetzung 182

Sachwortverzeichnis Versuch, untauglicher siehe Untauglicher Versuch Vertragsstrafe 91 Vertrieb 19, 105, 166, 167, 170 Verursacher 18, 21, 43, 44, 51, 64, 68, 75, 173, 187 Verursachungsprinzip 71, 74, 75, 76 Verursachungsverbote 83, 84, 120 Verwaltung siehe Exekutive Verwaltungsakt 63, 68 – Bestandskraft 63, 64 Verwaltungsautonomie 58 Verwaltungsbehörde siehe Exekutive Verwaltungsrecht 24, 69, 91, 93 Verwaltungsvertrag 69 Verwaltungsvorschriften 57, 58, 59 Verweis, gesetzlicher 53, 60, 61, 62, 156, 157, 160 – normergänzender 61 – normkonkretisierender 61 Vollzugsdefizite 52, 54, 164, 180, 183, 185, 186 Vollzugspraxis 180, 185 Vorbehalt des Gesetzes 55, 70, 157, 158, 159, 161, 175, 177 Vorsatz 128 Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen 127 Vorsorge 24, 48, 49, 50, 51, 57, 63, 66, 68, 69, 132, 188 Vorsorgeprinzip 47, 48, 49, 50, 63, 106, 188 Vorverhandlungen 68

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Vorverlagerung des Eingriffszeitpunkts 50, 69, 72, 74, 138, 140, 152, 166, 179, 188 Vorverlagerung des Schutzes 104, 166, 179, 189 Wahrnehmung von Risiken 20, 21, 23, 30 Wahrscheinlichkeit 19, 24, 25, 26, 27, 38, 47, 48, 106, 108, 125, 173 Weimarer Reichsverfassung 32 Wesentlichkeitsgrundsatz 55, 56, 158 White collar-crime 77, 183, 184 WHO 25 Widerruf eines Verwaltungsaktes 63 Willkür 44, 73, 110, 153, 154, 160, 171 Willkürverbot 32 Wirkspektrum 18, 19 Wirkung, schädliche 114, 145, 149, 150, 151, 166, 168, 169 Wirtschaftsstrafrecht 74, 116, 143, 181 Wissenslücken 19, 100, 181, 188 Zufall 27, 93, 98, 99, 121, 122, 134 Zum-Inverkehrbringen-Bereithalten siehe Bereithalten zum Inverkehrbringen Zurechnung 18, 21, 26, 35, 76, 77, 86, 87, 182, 183 Zurechnungsfiktion 35 Zweifelssatz siehe In dubio pro reoGrundsatz Zwischenrechtsgut 123, 124