Das Problem des Relativismus: Philosophie im Übergang zur Anthropologie 9783110842623, 9783110053135

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Das Problem des Relativismus: Philosophie im Übergang zur Anthropologie
 9783110842623, 9783110053135

Table of contents :
I. RELATIVISMUS ÜBERHAUPT UND HEUTE
1. Relativität und Relativismus
2. Formaler Aufriß des relativistischen Denkens
3. Der Relativismus und die Gegenwart
4. Der Relativismus und die Theorie des Geistes
II. WAHRHEITSRELATIVISMUS
1. Elementare Unsicherheit der Erkenntnis
2. Erkenntnis-Relation
3. Dissensus omnium
4. Objektivität des Erkennens
III. DER RELATIVISMUS IN DEN WISSENSCHAFTEN
1. Von der Relativitätstheorie zum Determinationsstreit
2. Von der Historie zum Historismus
3. Vom Relativismus zum Positivismus
4. Von der Theologie zur Toleranz
5. Das Symptom der Philosophiegeschichte
IV. WERTRELATIVISMUS
1. Führung, Planung und Scheitern des Menschlichen
2. Das Kriterium des Guten
3. Amphibolie der menschlichen Aktionen
4. Problematik des „höchsten Werts“
5. Nietzsches Angriff auf den metaphysischen Wert-Absolutismus als Hintergrund des modernen Wert-Relativismus
6. Inner-menschliches Gegensatz-Problem
7. Um die Objektivität des Ethos
V. „ZURÜCKFÜHRUNG“ und „ENTLARVUNG“
1. Dimensionen der Zurückführung
2. Zurückführung aufs Biologische
3. Zurückführung aufs Geschichtliche
4. Das geistes-geschichtliche Sehen
5. Reduktion aufs Soziale und Nationale
6. Psychologisierung
VI. ÜBERGANGS-FORMEN
1. Relativistischer Eklektizismus
2. Relativistischer Synkretismus
3. Relativistischer Absolutismus
4. Relativistische Indifferenz
VII. ZUM ANTHROPOLOGISCHEN FUNDAMENT DES RELATIVISMUS
1. Das zu-wenig-menschliche „Allzumenschliche“
2. Relativierung und Ironie
VIII. ERWEITERUNG DER PHÄNOMENBASIS STATT EINER KRITIK
1. Der Gewinn des Relativismus
2. Das Problem der Einseitigkeit
3. Das Problem der Radikalität
4. Das Problem des Systems
IX. RELATIVITÄT OHNE RELATIVISMUS
1. Relativismus und Mensch-Welt-Verhältnis
2. Die neue Wissenschaft vom Mensch-Welt-Verhältnis
3. Unteilbarkeit des mehr-als-erkenntnistheoretischen Problemzusammenhanges
4. Die neue Erkenntnistheorie auf anthropologischem Boden
5. Gnoseologisch-anthropologisch-ontologischer Zusammenhang
X. ZWISCHEN ABSOLUTISMUS UND RELATIVISMUS
1. Um die Möglichkeit eines tertium
2. Anthropologische Dialektik und Synthesis
3. Absolutes und relatives, dogmatisches und kritisches Kriterium
4. Weder Relativismus noch Absolutismus

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Wein, Relativismus

DAS PROBLEM DES RELATIVISMUS

Philosophie im Übergang zur Anthropologie von

HERMANN WEIN

Berlin 1950

WALTER DE GRUYTER & CO. vormals G.J. Göschen'eche Verlagehandlung J. Guttentag, Verlagebuchhandlung - Georg Reimer · Karl J. Trübner - Veit & Comp.

Randolph

von B r e i d b a c h - B ü r r e e h e i m gewidmet.

Archiv-Nr. 42 SI SO Printed In Germany Druck: Qchwarzwälder Tagblatt, Villingen/Schwarzwald

f

5

I N H A L T I. RELATIVISMUS ÜBERHAUPT UND HEUTE 1. Relativität und Relativismus

7

2. Formaler Aufriß des relativistischen Denkens .

.

.

.

9

3. Der Relativismus und die Gegenwart

11

4. Der Relativismus und die Theorie des Geistes

13

II. WAHRHEITSRELATIVISMUS 1. Elementare Unsicherheit der Erkenntnis

15

2. Erkenntnis-Relation

17

3. Dissensus omnium

19

4. Objektivität des Erkennens

21

III. DER RELATIVISMUS IN DEN WISSENSCHAFTEN 1. Von der Relativitätstheorie zum Determinationsstreit .

.

.

25

2. Von der Historie zum Historismus

28

3. Vom Relativismus zum Positivismus

29

4. Von der Theologie zur Toleranz

30

5. Das Symptom der Philosophiegeschidite

31

IV. WERTRELATIVISMUS 1. Führung, Planung und Scheitern des Menschlichen .

.

.

.

34

2. Das Kriterium des Guten

35

3. Amphibolie der menschlichen Aktionen

37

4. Problematik des „höchsten Werts"

40

5. Nietzsches Angriff auf den metaphysischen Wert-Absolutismus als H i n t e r g r u n d des modernen Wert-Relativismus

41

6. Inner-menschliches Gegensatz-Problem

44

7. Um die Objektivität des Ethos

49

V. „ZURUCKFUHRUNG" und „ENTLARVUNG* 1. Dimensionen der Zuriickführung

50

2. Zuriickführung aufs Biologische

52

3. Zuriickführung aufs Geschichtliche

54

4. Das geistes-geschichtliche Sehen

59

5. Reduktion aufs Soziale und Nationale

64

6. Psychologisierung

67

6 VI. ÜBERGANGS-FORMEN 1. Relativistischer Eklektizismus

72

2. Relativistischer Synkretismus

72

3. Relativistischer Absolutismus

73

4. Relativistische Indifferenz

76

VII. ZUM ANTHROPOLOGISCHEN FUNDAMENT DES RELATIVISMUS 1. Das zu-wenig-menschliche „Allzumenschliche"

77

2. Relativierung und Ironie

82

VIII. ERWEITERUNG DER PHÄNOMENBASIS STATT EINER KRITIK 1. Der Gewinn des Relativismus . 2. Das Problem der Einseitigkeit .

86 .

89

3. Das Problem der Radikalität

90

4. Das Problem des Systems

93

IX. RELATIVITÄT OHNE RELATIVISMUS 1. Relativismus und Mensch-Welt-Verhältnis 2. Die neue Wissenschaft vom Mensch-Welt-Verhältnis .

97 .

.

99

3. Unteilbarkeit des mehr-als-erkenntnistheoretischen Problemzusammenhanges

103

4. Die neue Erkenntnistheorie auf anthropologischem Boden .

106

5. Gnoseologisch-anthropologisch-ontologisdier Zusammenhang.

111

X. ZWISCHEN ABSOLUTISMUS UND RELATIVISMUS 1. Um die Möglichkeit eines tertium

114

2. Anthropologische Dialektik und Synthesis

117

3. Absolutes und relatives, dogmatisches und kritisches Kriterium

121

4. Weder Relativismus noch Absolutismus

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Die Schrift ist zum Teil in „Systematische Philosophie", herausgegeben von Nicolai Hartmann, erschienen.

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I.

„Wir fingen an zu philosophieren aus Ubermuth und brachten uns dadurch um unsere Unschuld; wir erblickten unsere Nacktheit und philosophieren seitdem aus Noth.. ,"1). Das Fichtewort erfüllt sich am relativistischen Denken. Es ist dies eine eigentümliche, im Grunde philosophische Einstellung, die aber ebenso in alles Außerphilosophische hineingedrungen ist; und zwar eine negative Einstellung, — nämlich zu Berechtigung und Verbindlichkeit aller geistigen Entscheidungen über Wahrheit und Wert. Diese Einstellung ist es nun, die einer nicht lange verflossenen Epoche wie der letzte Triumph menschlicher Weisheit aufging. Und heute prägt sie immer noch vielerorts unausgesprochen das Höchstideal von Menschen-Weisheit. —

1. RELATIVITÄT UND RELATIVISMUS Nach einem Sprachgebrauch von „relativ" (als bezogen auf...) wird es für bestimmte Fälle der Gattung „Bezogenheit" gebraucht. Es gibt gedachte (im Bewußtsein hergestellte) und seiende „Beziehungen" (reales Sich-Verhalten zu ...). Zum Sein jedes Seienden gehören Beziehungen (metrische, strukturmäßige, dynamische u. a. m.) zu anderem Seienden. Diese Relationalität steht dem im vollen Sinne Seiend-Sein eines Seienden in überhaupt keiner Weise entgegen. „Daß ein Ding in eine Summe von Relationen sich auflöst, beweist nichts gegen seine Realität" (Nietzsche)8). Dies nämlich nur dann, wenn man aus längst veralteten ontologischen Vorurteilen nur der „Substanz" eigentliches Sein zubilligt. Ein Mensch ist groß, — bezogen (relativ) auf andere usw. — Den eigentümlich negativen und einschränkenden Klang kann der Terminus „relativ" von Rechts wegen nur aus einem zweiten Sprachgebrauch hernehmen. Dieser ist an der Diskussion der ErkenntnisRelation erwachsen. Es ist dies eine dynamische, selber echt seiende Beziehung, die zwischen Subjekt und Objekt spielt. Ihre Besonderheit 1) Flehte an Jacobl am 30. August 1793. 2) Kröner ΧΠ, 71

δ

ist jedoch, daß sie 1. vom Beziehungsglied „Subjekt" ausgeht; daß aber 2. in ihr etwas von dem anderen Beziehungsglied „Objekt" zur „Vorstellung" kommt; und zwar von „diesem selbst", — also soweit es etwas Selbständig-Bestimmtes ist, d. h. gerade nicht in jener Beziehung aufgeht oder vom Beziehungsglied „Subjekt" abhängt; sondern soweit es über die Beziehung hinausragt. Was aber ist nun das „Nur-Bezügliche", gleich „Relative", — und was das in der Beziehung vermittelte „Objektive-selbst"? Verzweifelt man daran, aus der komplizierten Wechselwirkung und Bezogenheit von Subjekt und Objekt einen Objektsgehalt „kritisch" herauszuholen, so bleibt n u r der Subjektsgehalt als Gewisses zurück: alles Geistige als A u s d r u c k subjektiven oder epochalen Bewußtseinsl D i e s e (radikale) Relativierung s t r e i c h t den a n d e r n Relationspol (das Objekt in seinem Ansichsein) und nimmt so der Relation selber ihre Realität, ihre Transzendenz-Spannung und menschliche Wirklichkeit*). D i e s e Relativierung, auf ein System gebracht, ist „Relativismus". Dieser setzt die Relativität absolut. Jene Naivität aber, die glaubte, das Wahre und Gute sei schon ein für allemal gefunden, ist „Absolutismus"4). Der Absolutismus vernachlässigt den Subjekts-Pol mit seinen modifizierenden Differenziertheiten; und auch am Objekt selber die Grundverschiedenheit der zugleich beteiligten Seiten. Der Mensch, der sich nur sukzessive nähern kann, muß notwendig z u e r s t bei einer, dann wieder bei einer andern stehen. Ob diese Arbeit je ihr Ziel erreicht, ist nicht vorentschieden. Entscheidend ist nur, ob es überhaupt eine Arbeits-Relation des Menschen zum Objektiven gibt, mag diese auch die Dimension eines Prozesses haben, in dem die einzelnen Stadien niemals endgültig sind. Man versteht, daß der „radikale" Relativismus den Kontakt mit dem Transzendenten überhaupt leugnet. Aber die U n a b g e s c h l o s s e n h e i t der Wahrheit (d. i. des Wissens über die Sache) ist in der Tat n i c h t i d e n t i s c h mit ihrer „Relativität". — 3) Doch 1st dies etwas anderes als „Skepsis". Diese sagte: es gibt keine Wahrheit; der Relativismus: es gibt „Wahrheiten". Jene hat also den genauen Wahrheitsbegriff, obgleich sie Ihn negiert; dieser einen ganz anderen, den er unterschiebt. — Der ,,V) e r t - Relativismus" 1st die Pilatus-Einstellung aufs Praktische gewandt, das Achselzucken: warum soll gerade dies gut und jenes schlecht sein? Warum soll man nicht „ebensogut" Jenes tun und dies verdammen? — Viele F u n d a m e n t e haben Relativismus und Skepsis natürlich gemeinsam. SchlieBlich. ist der Relativismus nichts anderes als die moderne Form der Skepsis. — Warum soll es deshalb Skepsis — aber n i c h t Relativismus sedn: die Wahrheit relativ zu setzen auf E i n z e l - Subjekte, wie Joh. Thyssen (Der phll. Relativismus, Bonn 1941) meint? 4) Wollte man „Absolutismus" — wie es mit dem „Relativismus" so oft geschieht — rein e r k e η η t η 1 s t h e ο re 11 s c h bestimmen, so müBte man „Apriorlsmus" einsetzen: die Urteile haben Ihre Garantie in Vor-Urtellen. Meist 1st so die Frage nach der Gültigkeit „von vornherein" ausgeschlossen. Ihre freie Diskussion aber 1st die Aufgabe der „Vernunft".

9 Man muß — bei dem ganzen Relativismus-Thema — mit einer Portion geistiger Anstrengung und präziser Distinktion den Mischmasch einer eingerissenen Ausdrucks-Unschärfe lichten. Indem er etwas Relativ-Gültiges — Subjektiv-Erwähltes — für sich absolut setzt, relativiert der Absolutist in Wahrheit das Absolute zu dem „Für-ihn-Absoluten"; das übrige „existiert nicht mehr für ihn"; das in Wahrheit Teilhafte wird ihm zum Ganzen, — weil er sich nicht bewußt ist, daß das „ganze übrige" a u c h existiert. Das ZumBewußtsein-Kommen dieses Nicht-Bewußt-Seins ist „Relativierung" des „Vermeintlich-Absoluten" im theoretischen und praktischen Urteilen, — Aufhebung von prätendierter Einzigkeit und Allein-Wichtigkeit bzw. -Richtigkeit. Sie ist etwas πρός ή μα;. Ihr fundamentum in re ist Relationalität und Komplexion in allem Seienden5). — Der Relativ i s m u s aber ist die h a l b e Wahrheit über dieses ganze Verhältnis. —

2.

FORMALER AUFRISS DES RELATIVISTISCHEN DENKENS Das, wovon der Relativismus in concreto spricht, ist die Verschiedenheit des Für-wahr- und Für-recht-Haltens — je nach dem einzelnen oder der Gemeinschaft oder der geschichtlichen Epoche, die so sieht und wertet. Dem einen scheint dies so, dem andern anders; dem einen ist ein Mensch vertrauenswürdig, dem andern verdächtig; diesem ist er der Inbegriff des Liebenswürdigen, jenem etwa ein seichter „Blender". Der sieht seine Zeit als eine herrlich große, jenem kommt sie verworfen und abwegig vor, u. a. m. So ist jedes Bild der Sache nur ein f ü r diesen oder jenen gültiges. Was einmal für das Höchste und ewig Geltende gehalten wurde, erscheint Späteren als zeitbedingt, als r e l a t i v a u f ein früheres Glauben und Meinen, das verging. Und dies auf allen Gebieten: die früheren höchsten Wertbegriffe und die Formen der Religion, also auch das scheinbar 5) Zu meinen: die verwirrenden Relativitäten gingen eben aut „verschiedene Selten der Sache" und In dieser hinge schon Stück um Stück schön zusammen, — das sei bereits die Lösung, wäre weit gefehlt. So schnell, — daß hier dann prinzipiell nichts mehr zu lösen wäre, — geht's nicht. Aber auch der p r o b l e m b e w u ß t e Weg zur überfonnenden Synthese durch die O n t o l o g l e des komplexen Seienden 1st Immerhin nur e 1 n möglicher Einfall; wenn auch der natürlichste. Aber man muß sich erinnern, daß man auch von der Vielheit von Setzungen aus dem System, den Variabein und Funktionen des „BewuBtselns", oder von einem menschlichen, seelischen, charakterlichen, biologischen fundus aussehen kann, der sich gesetzlich zu Mannigfaltigkeit ausfalten muß . . . . Es f r a g t sich also erst philosophisch: w 1 e die Synthese aussehen muß.

10

zeitlos Gültige, mußte anderem weichen; die mechanistische Naturlehre, die absolutistische Staatslehre, die mittelalterliche Sozialordung, die humanistische Bildungsidee, die klassische Kunst u. a. m. Diese Erfahrungen sind im Gange der Menschheitsgeschichte angefallen. Ebenso ursprünglich spielt im Räumlichen, im Lebens-Raum, Relativität: was hier für gut und recht und schön gilt, ist andernorts verpönt: was bei den einen ausgemacht ist, das ist andern zweifelhaft, was da selbstverständlich ist, ist dort absurd, usw. Die je an einen begrenzten Umkreis gebundenen Gewohnheiten bestimmen Werte und Wahrheiten, die „dort" regieren. Aber auch man selbst sieht dieselbe Sache bei einem späteren Mal, zu anderer Gelegenheit, unter anderen Umständen, ganz abweichend von dem früheren Mal; und zwar nicht nur hinsichtlich der W e r t u n g , sondern auch hinsichtlich des Was des Aufgefaßten. Man sieht: soweit diese Möglichkeiten wirklich Tatsache und Phänomen sind, geschieht hier, neben allem anderen, jedenfalls die Ausweitung jeder schlecht-„apriorischen" Dogmatik. Für diese stand unbesehen fest: es gibt nur dies . . . Nun aber muß ich sehen: es gibt auch jenes . . . Von dieser Erweiterung und Auflockerung her exponiert sich die ganze Ambivalenz des Relativismus als geistes-geschichtlicher Erscheinung: — als Symptom der Auflösung und Entwurzelung in der Vergangenheit, — als Chance einer großzügigen Befreiung für die Zukunft. Das Bewußtwerden jener elementaren Relativität ist ein Sprengstoff, der Ungeheueres — die Fundamente des gesamten Geisteslebens — in Bewegung zu setzen vermag, — im guten und im bösen Sinne. — Die e i n e Wahrheit, das e i n e Richtige, die e i n e Sache wird von verschiedenen Subjekten verschieden g e s e h e n , kann immer so o d e r so dargestellt werden. Einen Schritt weiter: w i r h a b e n n u r diese je-einzelnen, je-vom-Subjekt bedingten, seiner Verfassung oder seiner Zeit oder der Situation je angepaßten Perspektiven. Und noch einen Schritt ins Radikale: e s g i b t -überhaupt nur dieses Sehen, Vorstellen, — aber nicht das e i n e Wahre, Richtige, Ansichseiende s e l b e r . So steigt es von einem alltäglichen Räsonieren bis zu einem — nicht-idealistischen — Subjektivismus auf. Aber es bedarf bei diesem ganzen Thema gerade des Fingerspitzengefühls, statt der sturen, vorschnellen Eindeutigmachung . . . — Dichter haben uns immer wieder unübertrefflich eindrucksvoll die Mehrseitigkeit, Mehrwertigkeit „desselben" vorgeführt. Ε i η Beispiel unter zahllosen: Wert und Unwert von Geistsein wie von Natursein, — geheim-

11 nisvoll nebeneinandergestellt in Hermann Hesses „Narziß und Goldmund", oder die drei Brüder in den Karamasows, oder CäsarBrutus...'). 3.

DER RELATIVISMUS UND DIE GEGENWART Aber „Relativismus" hat auch eine lebenspraktische Seite von ungeheurer Tragweite: Emst, Appell zur Tat, Sicherheit der Entscheidung kommen in menschliches Leben durch das hinein, was dem Menschen z u h ö c h s t w i c h t i g ist. Davon gibt es nur zu vieles von sehr verschiedener Artung. (Subjektiv, charakter-typisch und auch epochal je ander; ist das gegenseitige Verhältnis der Relevanzen). Wo es ums eigene Leben geht oder aber um den geliebten Menschen oder das Werk oder eine Idee oder ein Gefühl, ist normalerweise über das zu Tuende und zu Meidende, über Wert und Unwert, mit absoluter Sicherheit entschieden. Aber von dieser Absolutheit kann man sich durch ein bestimmtes zweifelndes Denken distanzieren, durch eine unendlich zweischneidige „Reflexion": w a r u m muß man dies tun? W a r u m eigentlich ist dies überhaupt wichtig, gut, wertvoll, schön? Aber erkennbare Gründe geben wollen, heißt hier, immer nur wieder sich auf etwas berufen, dessen Wert selber der Rechtfertigung bedarf. So kann man alles zuerst in unreflektierter Reaktion für wichtig Genommene in seiner Wichtigkeit, seinem Appell, Ernst und Entscheidungsanspruch fragwürdig machen, unterhöhlen; einmal den Boden des naiven Vorziehens und Vertrauens verlassen, — führt kritisches Fragen nach einem voll erkannten, erweisbaren Grund und Verbindlichen auf keinen diesem Anspruch genügenden Grund, auf kein Zwingendes. Diese Aushöhlung der „naiven" Entscheidungsinstanzen, die von keiner Begründimg wußten und nach keiner solchen fragten, ist der „Bluff" des Relativismus, — seine unendlich gefährliche Verführung und Faszination. — Von einem noch viel mehr in die Tiefe führenden Problem sind damit nur die ersten Fäden aufgegriffen: was den Menschen zum Menschen macht, ist ja Nicht-blind-Geleitetsein, sondern Sich-Rechenschaft-Geben aus fragender, kritisch urteilender Vernunft. Wo verläuft die geheimnisvolle Grenze, — diesseits deren dem Geist alle Entscheidung vorweggenommen, — jenseits deren alles Fortschreiten, Aufsichnehmen, 6) Oder: Verwureeltseln und Nlchtverwurzeltsein — in Hugo von Hofmannsthals „Idylle"; oder — das Doppelantlitz dee Kriegs in seinem unüberbietbaren Inneren Gegensatz — In dem Parodienbuch vom Rob. Neumann ,,Unter falscher Flagge" (Berlin-WienLeipzig 1932): „Wenn man zwei Bücher gleichzeitig liest" (S. 71 f.).

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Leisten in Geist und Praxis sukzessive sich selber unmöglich macht? — Dazu ist das Relativismus-Problem nur eine Vorarbeit. Bei der ganz in Bewegung geratenen, erst sich wieder gründenden Balance aller menschlichen Faktoren, muß das Geistige zu seiner Stelle in der Ordnung gelangen; darum geht es letzten Endes. — Aus der Hemmungslosigkeit der „Reflexion" (Kierkegaard), die sich, aus dem relativistischen Denkweg her, in einem Ismus auf ein „System" brachte, ist nun am Ende des 19. Jahrhunderts, indem sie ganz ins Alltägliche durchsickerte, ein geistiger, geschichtlicher, menschlicher und politischer Zustand geworden. Ungeheuere Folgen für das Gesamtgebiet des Menschlichen hat dieser Zustand gehabt. Der heutige Abstand verstattet bereits, sie als in ihrer Zuspitzung katastrophale Folgen einzuschätzen. — Es ist, wie wenn das zu müßig und „leicht" gewordene bürgerliche Leben von damals sich selber das Instrument zu neuer E r s c h w e r u n g jeglicher Orientierung geschaffen hätte. — Von dem gewalttätigen Sichlosringen eines Jahrhunderts aus dem Geist des vorigen ist etwas in dem Ernst und der Nötigung, die von dem Thema „Relativismus" heute ausgehen. Es ist der Dämon des 19. Jahrhunderts in seinem theoretischen Gewand, mit dem es hier zu ringen heißt. Aber es ist nicht nur dies. Eckpfeiler des relativistischen Ansatzes ruhen auf den positivsten geistigen Gestaltern des ausgehenden Jahrhunderts. Die Namen Nietzsches, Kierkegaards, Diltheys, sogar der Goethes u. a., gehören hierher. Aber daraus bereitete sich schließlich ein Todbringendes im lebendigen Triebwerk des Geistes. Die gerufenen Geister ließen sich nicht mehr bannen, sondern bannten selber die Geister. — Das ist heute, jedenfalls bei uns, auch nicht mehr das Neueste: am Relativismus zu leiden; d. h. das Unheil dieses lang vorbereiteten Pandorageschenks aus den Händen des fin de siecle zu sehen. Aber ist dies ein Gang und ein Verhängnis, die sich nicht abwenden lassen? Oder ist wirkliches Neuland in Sicht? Nicht ein Inselchen, noch unerreicht von der relativistischen Flut, oder dagegen vermeintlich zu feien — wie lange? —, sondern ein aus der Flut sich hebender Boden der Gesundung? Der Relativismus müßte ausgestanden und überstanden werden. Ausflicken ist kein wahrhaftes Neubauen. Gibt es ein n e u e s — F u n d a m e n t ? Die Entscheidung liegt dabei: ob heute etwas abzusehen ist, was nicht einfach nur gegen den Relativismus steht, sondern es in sich hat, über ihm stehen zu können.

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4.

DER RELATIVISMUS UND DIE THEORIE DES GEISTES Relativismus ist die gefährlichste und ansteckendste Erkrankung des überpersonalen Geistes. Sie kann die sämtlichen geistigen Betätigungen durchsetzen und seltsam verwandeln. Sie kann schließlich vordringen zum Herzen des geistigen Lebens überhaupt: zur Selbstachtung des geistigen Strebens, zum treibenden Impuls der geistigen Werte, zum „Einsatz" — auf a l l e n Gebieten. Unserer Zeit ist das Stichwort gegeben zu gewaltigem Neubeginnen und Neubegründen. Auf sozialem, praktischem, menschlichem, körperlichem Gebiet ist sie voll von Programmen der Gesundung und der neuen Vitalität. Sie muß zum Bewußtsein kommen, was diese Forderung auf dem Gebiet der G e i s t e s - Leistung in sich begreift. Sie hat dort die Bewältigung des Relativismus zu ihrem Inhalt. — Aber Relativismus ist nicht so etwas wie ein Irrtum, dessen Unwahrheit man einfach nur einzusehen braucht. Nicht den Relativismus zu verdammen — wie all die großen Stöße der Menschheitsentwicklung, die über ihr Maß hinausgingen, —, sondern den richtigen Gebrauch von ihm zu machen, tut not. Man muß ihn zu allererst überschauen: ein ungeheuer in die Teile des Geistlebens verästeltes vielseitiges Riesenpanorama, ein parasitäres, pathogenes Gewebe, das in alle Spielräume geistigen Einsatzes hineingewuchert ist. Aber dies ist das Ergebnis. Der originären Bewegungsursachen sind wenige. Sucht man für Relativismus eine Verdeutschung nach dem intimsten Wesen der Sache, so wäre diese zu wählen: Entmutigung des Geistes. Es ist die methodisch gewordene Verzweiflung des Geistes an sich und seinen Zielen7). Dies prägt die Attitüde des schaffenden Geistes selber um. Es zeugt den defaitistischen Geist, den gegen sich selber wütenden, sich selber den Ast aller Berechtigung, alles Halts durchsägenden. Mit dem Verlust des Vertrauens in sein großes Schaffenmüssen hört er auf, in der Tat vertrauenswürdig zu sein. Ein Auseinanderfallen in ein steril in sich Leer-Laufendes, ein Spielerisch-Abgelöstwerden, Sich-Selbst-Entwürdigen und schließlich Schädigendwerden für alles ist der ernste Aspekt dieser „Entmutigung". Seiner selbst unsicher geworden in Philosophie und Wissenschaft, im Werteschaffen und Wertschätzen, in Anschauung und Norm7) Das Thema „Verzweiflung" 1st angeschlagen seit dem großen Beben, In dem sich das Ende des Jahrhunderts ankündigt, seit Kierkegaard-Nietzsche, seit den Verkündern der „Angst" als des Nervs menschlichen Inderweltselne, seit Rilke und Kafka. Und dazu gehört als Kontrapunkt: der Schrei nach dem neuen — „Gehäuse".

14 gebung, hat das geistige Wollen Schritt für Schritt zu jeder Gültigkeit einen Zweifel an ihrer Gültigkeit hervorgebracht. Relativismus ist aber, um es noch einmal zu sagen, nichts was bloß zu überwinden ist, d. h. im Sinne von: ausgemerzt und abgeschafft werden, so daß es so stünde wie vorher. Dies würde Rückschritt zu einem primitiven Zustand sein. Und zwar, weil der Relativ-ismus die Radikalisierung der Sicht einer bestimmten Gruppe neuer Phänomene ist. Nämlich des ganzen P h ä n o m e n r e i c h s der Relativitäten. Dies kann man nicht „überwinden". Außerdem hat jede Erscheinung vom Ausmaß des Relativismus ihre positive Bedeutung im geschichtlichen Weitergehen: mitsamt all ihrem Irrigen. — Der Relativismus ist noch ein anderes als Entmutigung: Niederschlag eines späten und differenzierten Wissens um Geistiges und Menschliches; und zwar in Gestalt einer genetischen RückbeziehungsMethode alles objektiv Geistigen auf den Menschen. Die objektiven geistigen Inhalte als lebendige und werdende und menschlich erarbeitete, — dies war in der Tat eine ungeheuer positive Entdeckung. Aber sie wurde für eine Sache der Historiographie und Psychologie gehalten. Unter den Händen wuchs sie zu etwas ganz anderem heran, das neue philosophische Bewältigungsmittel erfordert. Der Relativismus ist dabei nichts als das Stehenbleiben auf halbem Wege. Es gilt, ihn zu überholen, — der defaitistischen Konsequenz, die er zieht, den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem man die positiven Konsequenzen zieht. Jene neue genetische Einstellung zum Geistigen überhaupt soll im folgenden „Zurückführung" heißen. An den geistigen Werken wird ihr Herstammen oder Bestimmtsein-Begrenztsein vom einzelmenschlichen und geschichtlich - zeitgebundenen Subjekt - Leben hervorgekehrt 8 ). Der innere Zusammenhang zwischen dem Aspekt der „Zurückführungs"-Methode und dem der „Entmutigung" liegt im Hervorsprossen aus nahe beieinander liegenden geistesgeschichtlichen Wurzeln; der Stammbaum des Relativismus wurzelt in der aufkommenden Einsicht 1. in das allem Objektiven vorgeordnete welt-prägende, welt-ordnende, produzierend-modifizierende Subjekts-Tun von „Bewußtsein", „Geist", „Vernunft", und 2. in das Ausgeliefertsein der objekts-normierten Faktoren der menschlichen Schichtenganzheit an die vernunftunabhängigen, ihr Variieren-Müssen mit diesen. 8) Eine umfangreiche Klassifizierung und Betrachtung der verschiedenen Relativierungen des „Begriffs der Wahrheit in bezug auf Irgendwie geartete überindividuelle Gruppen innerhalb der Menschheit" hat Joh. Thyssen aus dem Thema „Relativismus" gemacht. (Der philosophische Relativismus, Bonn 1941. Vgl. ζ. B. die Definition des Relatlvlsmua auf S. 6).

15

Das erstere, der Gegenschlag gegen den naiven Objektivismus, hebt mit Kant an, bis hin zu Hegel. In dem zweiten war das spätere 19. Jahrhundert voll des ausschweifenden Entdeckerüberschwangs. „Schon indem von der Betätigung des Vernunftzwecks durch die Individuen überhaupt gesprochen worden ist, ist die subjektive Seite derselben, ihr Interesse überhaupt, das ihrer Bedürfnisse und Triebe, ihres Dafürhaltens und Einsicht.. . angegeben worden,... welche selbst ein unendliches Recht habe, befriedigt werden zu müssen."'). Wir haben von jener Methodik heute erfahren, daß sie ein äußerst gefährliches Instrument ist, das richtig eingesetzt werden muß. Aber es ist ein notwendiges Instrument; und zwar zur Befreiung und Bewußtmachung des geistigen Lebens in seiner besonderen Seinsweise. — Der Kampf aber, den es gilt, ist hier wieder einmal der gegen die Problemverknäuelung. —

II. „Es gibt vielerlei Augen. Auch die Sphinx hat Augen —: und folglich gibt es vielerlei „Wahrhelten", undi folglich gibt es keine WahThelt." (Nietzsche, Der Wille zur Macht als Erkenntnis).

Der Relativismus zerfällt deutlich in erkenntnistheoretischen und ethischen, oder in Wahrheits- und Wert-Relativismus. Am tiefsten in das Zentrum der philosophischen Wissenschaft reicht das Relativismus-Problem hinein mit der auf das Wahrheits„Kriterium" bezüglichen Entmutigung. 1. ELEMENTARE UNSICHERHEIT DER ERKENNTNIS Das natürliche Vertrauen und die praktische Zielsetzung des Erkenntnisstrebens gehen darauf, wahre Erkenntnis zu erringen. Die Entmutigung dieses Vertrauens nährt sich davon, daß wir, so heißt es, nicht wissen können: wie man die Wahrheit oder Unwahrheit einer Erkenntnis beweisen kann, — wann also unser Erkennen wahr ist, — ob es überhaupt wahre Erkenntnis gibt. Soll Wahrheit Beziehung auf etwas von unserem Erkennen Unabhängiges, Außerihmbestehendes sein oder innerhalb der „Erkenntnisgebilde", d. h. Bewußtseins-Sphäre spielen? Gewicht hat Wahrheit nur im ersten Fall. So schließt sie eine Beziehung zwischen dem Erkennen, — das etwas wiedergeben will, — und dem zu Erkennenden in sich. — „Erkennen" 9) Hegel, Vorlesungen üb. d. Phllos. d. Weltgeschichte, Meiner, Bd. 171a, S. 84.

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ist das, von dem noch nicht feststeht, ob es das Objekt w a h r h a f t t r i f f t oder nur zu treffen m e i n t mit einer sachlich unzutreffenden, aber subjektiv f ü r w a h r g e h a l t e n e n Repräsentation. Es ist also der ganze Bereich des im empirischen Bewußtsein und in seinem geschichtlichen Gang spielenden „Erkenntnis"-Lebens, — in dem vieles m i ß l u n g e n e Erkentnis-Bemühung ist. A m zu Erkennenden, wie es an ihm selber ist, müßte ich m e s s e n , was das Erkennen d a r ü b e r s a g t : ob Wahres oder Irriges. Aber vom zu Erkennenden irgendwie reden kann ich wieder nur d u r c h Erkennen. Ich kann mich nicht von den Besonderheiten des Erkenntnisinstrumentes losmachen und so „ab-solut" über die Erkenntnis — ihre „Wahrheit" — urteilen. In dem Erkennen, über dessen Wahrheit befunden werden soll, bin ich gefangen als in dem ausschließlichen einzigen Instrument überhaupt für einen Zugang zum zu Erkennenden, wie es an ihm selbst sein mag. Das heißt, es gibt keinen festen Punkt, der außerhalb der Frage „ist dies selber wahr oder unwahr" stünde, von dem, als von einem absoluten Standort aus, ich also jene Frage beantworten — das „kritische" Urteil über Wahrheit oder Unwahrheit fällen — könnte. Es gibt kein absolutes Kriterium der Wahrheit der Erkenntnis, d. h. keines, das selber über der prinzipiellen Unsicherheit der ErkenntnisLeistung, somit über allen den Möglichkeiten der Verwechslung von Wahrheit mit Unwahrheit durch den Erkennenden stünde. — Nun muß man den folgenden „Schluß" genau beachten; er ist für den ganzen Relativismus charakteristisch. Seit den antiken Skeptikern ist er immer wieder hervorgetreten: weil wir überhaupt nicht absolut genau w i s s e n k ö n n e n , ob irgendeine oder welche vermeintliche Erkenntnis wahre Erkenntnis ist, — denn die Suche nach dem absoluten Wahrheitskriterium scheitert, darin hat der Relativismus recht —, so ist jede „Erkenntnis" so „wahr" (und so „unwahr") wie die andere . . . Schließen ließe sich aus der Prämisse nur: so kann eine jede (von uns als wahr vermeinte) Erkenntnis unwahr sein (und umgekehrt). — Der Relativismus demonstriert mit Triumph: das angeblich Unzweifelhafte ist letztlich zweifelhaft; aber dieses „zweifelhaft" ist doppelsinnig; daraus, daß man alles anzweifeln k a n n , folgt nicht, daß alles zweifelhaft (im Sinn von hinfällig) i s t. Wahr - S e i n und W i s s e n um das Wahrsein ist etwas Grundverschiedenes; und am letzteren scheidet sich noch einmal das Wissen um das ü b e r h a u p t -bestehen-Müssen von Wahrheit bzw. Unwahrheit von demjenigen um die Wahrheit im b e s t i m m t e n Erkenntnis-Falle, und zwar mit all den weiteren erkenntnistheoreti-

17 sehen Gründen für die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit des letzteren Wissöns. Es gibt einen vorsichtigeren Relativismus, der sagt: weil ich über die Wahrheit einer Behauptung mit meinen Beweismitteln nicht in allerletzter Instanz entscheiden kann — obgleich sie entschieden s e i n mag — so hat für mich der Begriff „Wahrheit" keine p r a k t i s c h e B e d e u t u n g . Ich halte mich deshalb aus Nützlichkeitsgründen an etwas anderes, leichter Feststellbares, ζ. B. die „Bewährung". — So müßte eigentlich, seinen Ansätzen nach, der angelsächsische Pragmatismus Stellung nehmen. Die Möglichkeit r e l a t i v e r Kriterien und einer Korrektur des Anspruches auf den a b s o l u t zureichenden Beweis — als ausschlaggebende Wendung der Frage — bleibt, wie man sieht, unbeachtet. —

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ERKENNTNIS-RELATION Der Mensch kann sich nicht ü b e r die Erkenntnis-Beziehung stellen; er kann hier nicht Relation und Relata gleichmäßig überschauen, von einem darüberstehenden, abgelösten, „absoluten" Standpunkt aus, wie bei anderen Beziehungen zwischen Seienden: er ist m i t seinem Schauen (Erkennen) immerdar schon i η dieser Beziehung d a r i n ; er ist Partei; er ist das Subjektsglied der Relation, — wenn auch das M e h r - als -Bezügliche das „Ziel" ist; sein Erkennen i s t primär Sichbeziehen — ein Erarbeiten der Beziehung zum Objekt —, auch sein die Erkenntnisbeziehung-erkennen-Wollen . . . (Etwas anderes ist, daß diese Erkenntnis-Beziehung nicht in der Luft hängt, daß der Mensch nicht n u r in d i e s e r B e z i e h u n g zu dein Außerihm-Seienden steht. Das gehört zu einer zukünftigen ErkenntnisTheorie). Das n i c h t über die (vom Subjekt ausstrahlende) Beziehung H i n a u s r a g e n d e , — das vielmehr i n i h r A u f g e h e n d e , — ist das „Relative" als „Nur-Relatives", „von der Anschauungsart des Subjekts in der Relation des gegebenen Gegenstandes zu ihm" Abhängigel 10 ). Da der Mensch unabänderlich an den Standort des einen Pols dieser Beziehung gebannt ist (Erkenntnis-Subjekt ist), kommt er durch das B l o ß - Beziehungsmäßige nicht zu dem anderen Beziehungspol in s e i n e m Eigenen (Objektiven) h i n . Er kann ja d u r c h die (Erkenntnis-)Beziehung erst etwas von dessen Uber10) Vgl. Kant, Krtt. d. r. V., B. 68—69. 3 Wein, Relativismus

18 Beziehungsmäßigem in den Griff bekommen. Bleibt es beim Beziehungsmäßigen, von ihm Gemachten, so hat er nur das e i n e Relatum: sich selbst, das Subjektive. „Relativ" ist dann: bezogenaufs-Subjekt, nur-abhängig-vom-Subjekt. Süß oder bitter i s t der Wein nicht selber, sondern n u r „relativ auf" den Gaumen des Trinkenden. Ein Ding sieht anders aus als vorher — nicht weil e s sich verändert hat, sondern nur, weil u n s e r e Stellung zu ihm, etwas mit unserem Körper und Aufnahmeapparat, sich verändert hat. Es handelt sich gerade um die Grenzziehung zwischen dem, was an den besonderen Bedingungen, unter denen jedes Erkennen steht, auf Konto von Nur-Subjekts-Veränderungen und was auf Konto von Nur-Objekts-Veränderungen geht — nicht um ein Abstreitenwollen einer der beiden Seiten. Jenen Saldo zu finden, ist der formale Problemaufriß der „Uberwindung des Relativismus". Das naive Urteil: der Wein da ist bitter, versteht sich als „absolut wahr", d. h. für alle und unter allen Umständen gültig (also o h n e R ü c k s i c h t a u f s i e in ihrer Eigenart), „abgelöst", Nur-ObjektsWiedergabe. Die Einsicht in eine bestimmte, anhaftende, unabstreichbare Bezogenheit auf das Subjekt ist die (rechte) „Relativierung" jenes (unkritischen) Objektivitäts-Glaubens. (Nie wird in Wahrheit die S a c h e „relativiert", — trotz des laxen diesbezüglichen Sprachgebrauchs!). Es bestehen hier, ebenfalls s e i n s m ä ß i g e , Bedingtheiten, Abhängigkeiten. Eine mathematische Theorie sogar ist nicht b l o ß objektiver Befund, sondern hat etwas von ihrem Gefundenwerden durch den Menschen einer bestimmten geschichtlichen Zeit und Gemeinschaft an sich; es ist etwa ein Stück „Renaissancemathematik", -— könnte nicht 500 Jahre früher in Japan aufgekommen sein, usw. D i e s e „Relativität" =Relationalität ist das W a h r e am „Relativismus". Weil es Relationalität ist, bleibt der Anhalt am andern Relationspartner, — dem selbständigen Ob-jekt —, bestehen, wenn dieses auch nicht s o e i n f a c h , ohne Subjekts-Beimischung, im Griff ist; die B e g e g n u n g von Subjekt und Objekt ist eine durch die Verfassung von b e i d e n n o t w e n d i g j e b e s t i m m t e . Das „Aussehen" des Dings i s t wirklich ein anderes, je nach der Beleuchtung, in der wir es sehen, je nach dem Sichtwinkel usw. Oder der Geschmack — je nach dem subjektiven Befinden. — So schreitet schon der platonische Theätet durch die Relativität über den Relativismus hinaus. Das Begegnen, die όμιλία, ist ein durch und durch Dynamisches. Das erarbeitete Sichauskennen, Umgehenkönnen mit der Sache ist. der Kenntnisgewinn, der „praktisch" aller Relativierung standhält. Theätet exemplifiziert dies am Sichauskennen des handwerk-

19 liehen Fachmanns; inzwischen ist die reiche „Praxis" neuzeitlicher, experimentell-technischer Natur-Erforschung und -Behandlung hinzugetreten 11 ). 3.

DISSENSUS OMNIUM Es gibt aber noch ganz andere Gründe, die ins Feld geführt werden zur Untergrabung des Fundamentalunterschieds zwischen Wahrheit und Unwahrheit von Erkenntnissen. Diese Gründe greifen die Erkenntnis-Natur selber an. Was soll denn das, was man im natürlichen Zutrauen für Erkenntnis der Sache hält, dann sein, wenn es überhaupt keine wahre Erkenntnis gäbe? Nicht Irrtum — denn wo keine Wahrheit, da auch kein Irrtum —, sondern Meinung, δόξα. Diese soll v o r dem Kreuzweg: Wahrheit — Irrtum stehen. Aber Fürwahrhalten oder Auffassen als . . . ist eben etwas ganz anderes als Erkennen. Es ist dem Umfang (natürlich nicht dem Wert) nach mehr: es umfaßt alles mögliche Dafürhalten des je-einzelnen, in diesem oder jenem Augenblick, unter diesen und jenen Umständen. — Damit drängt sich plötzlich der ganz neue und bodenlose Bereich der sich zahllos verästelnden s u b j e k t i v e n Umstände hervor, in denen sich der Relativismus umtreibt. An dem einfachen Begriff der Wahrheit hängt das Urgeheimnis der Vermittlung des Objektiven an das Subjekt. In dem Moment, wo diese Vermittlung angezweifelt wird, wagen sich alle jene verwirrend vielseitigen Beziehungen als gewichtig hervor, die zwischen den einzelnen Subjektsinstanzen spielen: den somatischen, psychischen, intellektuellen, sozialen, politischen u. a. m. Dies führt zu der Entmutigung: es kann keine Allgemeinheit der Erkenntnis geben, nichts, was für alle und immer gilt. Dies müßte es geben, wenn es im strengen Sinn Wahrheit, und zwar eine als solche, ohne Täuschung, bewußte, gäbe: so prätendiert es das Wissen um bestimmtes Sein — ζ. B. mathematisches — das sich selbst nicht zeitlich wandelt. Die Gründe, auf die sich diese Entmutigung beruft, sind die: so wenig sich das Wahr-Sein erfassen läßt, so dominierend ist aller Wege das Für-Wahr-Halten. Dies scheint jenem nun die Wahrheit über den Sachverhalt zu sein; er meint, es sei „in Wahrheit" so, wie es ihm er-scheint. Demselben erscheint die Sache aber zu anderer Zeit, wenn sich sein Zustand — nicht etwa in der Tat die S a c h e 11) Ober den Aufwels der tiefliegenden Analogie von Praxis und Erkenntnis-Tun an den Phänomenen von Method« und Problembearbeitung vgl. H. Wein, Untersuchungen Uber das Problembewußtsein, Berlin 1937.

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20 selber — geändert hat, wieder anders; und anderen erschien sie schon im selben Moment nicht so wie ihm, sondern vielleicht sogar entgegengesetzt. Jeder meint, der zu erkennende Gegenstand sieht wirklich so aus, wie sein Bild von ihm aussieht, und dieses sei eben deshalb ein wahres Bild der Sache. Er kann sich den Gegenstand nicht anders vorstellen. Aber ob seine Vorstellung den wirklich seienden Gegenstand überhaupt trifft? Den Gegenstand selber entscheiden zu lassen, geht nicht; er ist „gleichgültig" gegen sein Erkannt- oder Verkanntwerden. Wir haben — theoretisch — keinen andern Zugang zu ihm als unsere Vorstellungen von ihm (siehe oben). Was ist, wenn diese sich widersprechen, — der Gegenstand in seiner eigenen Struktur aber nur e i n bestimmter sein kann? Woher die Instanz der Entscheidung in diesem dissensus nehmen? Dem Kranken erscheint der Wein bitter, dem Gesunden süß. Von den Anfängen, von den Sophisten, — wie es uns klassisch im Theätet überliefert ist, — her, wird das Problem so aufgerollt: Täuschungen werden für Wahrheit gehalten; wie kann ich wissen, ob die „Wahrheiten" keine Täuschung sind? Täuschung durchdringt das ganze Erkenntnisleben, schiebt sich überall aufs neue ein, wird da und dort entdeckt und ausgeschaltet. Dem Erkennenwollenden s c h e i n t der Irrtum Erkenntnis. Wer kann erkennen, wann er, — nicht bloß seiner Meinung, sondern dem tatsächlichen Zutreffen nach, — w i r k l i c h erkennt, d. h. sich nicht über sein Erkennen irrt: indem e r für Wahrheit über" den gemeinten Gegenstand h ä l t , was o b j e k t i v — von diesem selbst her — Irrtum über ihn i s t ? W a s die über dem Verdacht und der Beimischung der Täuschung stehenden puren Erkenntnisse sind, — wer soll dies in gültiger und gültig bleibender Weise entscheiden können? Woher weiß der Gesunde, daß er recht hat und der Kranke sich täuscht? Wenn der Kranke nun das Gegenteil „weiß", wenn er sich für gesund, den Gesunden für krank hält? So kann man es in infinitum weiterspinnen. Jede „Autorität" bedarf da selber der Rechtfertigung. Oder sollen Majorität der Abstimmung und consensus gentium die Wahrheit, das Bei-Vernunft-Sein und Rechthaben verbürgen? Man erwäge die Schwierigkeiten und das Unzureichende bei diesem Vorschlag. Die Konsequenz soll sein: es gibt eben keine Instanz für jene Entscheidung über das B e s s e r sein e i n e r Meinung im Vergleich zu einer andern; nämlich eine Instanz, die ihrerseits außerhalb der Anzweifelbarkeit aller menschlichen Erkenntnisprätension stünde, und die uns Menschen doch zugänglich wäre. Die relativistische Folge-

21 rung daraus ist nicht etwa nur: einer k a n n so gut recht haben wie der andere; sondern einer h a t so gut recht wie der andere; eine eigene Meinung haben, i s t recht haben — für sich; aber ein a n d e r e s Rechthaben, nach welchem einer die Meinung eines andern, oder ein Allgemeines die aller einzelnen, z u r e c h t w e i s e n dürfte, — als eine irrige, — gibt es eben gar nicht. Es ist dieser ganze Begriff durch jenen zu ersetzen. Eine bestimmte Meinung über die Sache ist so wenig oder so gut wahr wie eine bestimmte anderslautende. Weil wir über das objektive Wahr s e i n nichts Gewisses wissen, l a s s e n wir an seiner Stelle das subjektive W a h r s c h e i n e n als „Wahrsein" g e l t e n ; es allein kommt für uns praktisch in Betracht. — Das ist der wesentliche Fortgang des relativistischen Denkens vom Kriterium-Problem in Richtung auf radikale Skepsis. Dabei kann es wohl zahlreiche a n d e r e Gesichtspunkte geben, um Unterschiede zwischen den Meinungen zu machen: ihr praktisches Förderlichsein oder Nichtförderlichsein, und ähnliches. Im Moment, wo der Wahrheitsbezug gestrichen wird, treten dann diese Seiten hervor. Dann ist das „Erkenntnis"-Leben, und mit ihm der Mensch überhaupt, vom Zugang zu einem von ihm unabhängigen Seienden abgeschnitten. Die ganze Wahrheit über ein Seiendes, wie es als solches für sich ist, kann nur eine sein, für alle, die sie fassen können; Meinungen über die Sache dagegen gibt es viele; aber dies deshalb, weil die Sache von diesen Meinungen gar nicht tatsächlich getroffen zu sein braucht. Das Subjekt seinerseits und für sich meint nur jeweils, sie mit ihnen zu treffen. Diese Abstreichung des Beziehungspoles: Reich des Ansichseienden, das dem menschlichen Bewußtsein gegenübersteht, ist typisch für allen Relativismus14). 4.

OBJEKTIVITÄT DES ERKENNENS Hier greifen noch ganz andere Argumentationen ein: Wir haben keine absolut entscheidende Instanz, wann das Fürwahrhalten des e i n z e l n e n ,,in Wahrheit" täuschungsfrei und korrekt ist; wie steht es nun aber mit den a l l g e m e i n e n — vorgeblichen — ErkenntnisFormen des menschlichen Bewußtseins überhaupt? Da geben die ausgedehnten Täuschungen unseres Sinneswahrnehmungsapparates zu denken. Dies ist immerhin eines der ältesten 12) Daher umgekehrt die geschichtlich wohlbekannte und auch heute gängige Inelnssetzumg von „Dogmatiemus" — ein Gegen-Pol zu Relativismus — mit Selnelehre. Hier 1st wiederum Windechiefzuielnanderstehendes In einem groben Schema zusammengeknäuelt: als ob, Uber das Sein zu sprechen wagen, ein dogmatisch-blindes Slchnlchtkümmern um die relativistischen Argumente zur Voraussetzung h&tte.

22 Stücke der Erkenntnistheorie. Man entdeckt, daß die Sache sich oft nicht so verhält, wie es die Sinne von ihr klar zu zeigen scheinen. Die Figur auf dem Kirchturm scheint klein zu sein, nicht durch unseren Abstand von ihr für uns verkleinert, der Stab im Wasser gebrochen, die Sonne im Horizontdunst eiförmig, usw. Daß das Auge so sieht, ist nicht aufzuheben. Wir haben aber doch außer ihm (und den anderen Sinnen) keinen unmittelbareren und ergiebigeren Zugang zu den Eigenschaften der Objekte . . . Was mag an Täuschungen noch alles unsere Welt-Anschauung durchsetzen? Wie steht es damit bei den höheren Formen des Begreifens und Einsehens? Aus ihnen stammen unsere Theorien über die wahre Natur der Objekte; von ihnen her — durch Schließen, Vergleichen, Systematisieren — kommen wir ζ. B. auch zur Korrektur jener Täuschungen, in die uns die Sinneswahrnehmung, ohne daß wir zunächst davon wissen, verstrickt. Herrscht in den Vorgängen wirklich Kausalität? Oder müssen wir diese aus dem subjektiven Zwang unserer Verstandesstruktur als allgemeines Gesetz einführen? Muß es ein Substanzielles in der Natur geben? Oder ist dies nur ein Leitfaden für unser Denken, nur eine Denkform? Kann nichts realiter in sich widerstreitend sein, oder können w i r uns nur nichts Widerspruchsvolles d e n k e n ? Es stehen hier die „apriorischen" Elemente des Erkennens zur Diskussion; d. i. das von der Erfahrung — damit von der in ihr waltenden Widerspruchs- und Täuschungsmöglichkeit — Unabhängige, durch Erfahrung nicht zu Widerlegende, aber auch nicht zu Begründende. In dem im Apriorischen sich bewegenden Erkennen — Mathematik, Geometrie, Logik — tritt die Möglichkeit zur „Meinungs-Verschiedenheit", zu subjektiven Perspektiven, offenbar in ganz anderer Weise z u r ü c k als in anderen Wissensgefilden. Aber — seinerseits ausgehend und weitergehend von dem sonst leicht genommenen Schauspiel: daß subjektiv Eingebildetes als objektiv wahr und seiend eingebildet wird — legt das relativistische Erwägen auch die Axt ans Apriorische: streng allgemein, notwendig, selbstverständlich-gewiß („evident") — sind u n s bestimmte „Grundsätze des reinen Denkens". Aber sind sie es — w i r k l i c h ? Oder sind sie nur „unser" Allgemeinstes und von dem „seienden Allgemeinen" ein willkürlicher Ausschnitt? Das vorgeblich apriori Geltende — nicht relativ auf Subjekte, aber auf menschlichen „Verstand" oder (lebendiges) Dasein schlechthin? — Man hat in der klassischen Erkenntnistheorie geglaubt, das Erkennen bis auf letzte Elemente analysieren zu sollen, — seien diese

23 nun Vorstellungen oder Urteile oder Intentionen oder ähnliches. Auf diesem Wege — beim Absehen von der Erkenntnis-Aktion als ganzer — fand man nichts anderes als Gruppierungen, Zusammenhänge, Gesetze solcher Bewußtseinselemente. Aber man fand im Bewußtsein keine Elemente des Bewußtseins-Unabhängigen, Ansichseienden. So schien es prinzipiell unnötig, von dessen Vorhandensein überhaupt zu handeln. Was dann als der „kritische" Gipfel des erkenntnistheoretischen Fortschritts galt. Bleibt man radikal beim Analysieren inhaltlicher BewußtseinsKonstituentien, so streitet man am Ende sogar die Existenz des Bewußtseinsunabhängigem ab. Wenn man nicht wenigstens wie Kant jenseits dessen, was die Analyse des ,,Vorstellungs"-Seins fassen kann, die „problematische" Möglichkeit eines Reichs des Ansichseins zuläßt15). Sonst kann es keine Wahrheit im Sinn des Zutreffens auf die Beschaffenheit eines seienden zu-Erkennenden geben, — weil es kein solches, das Subjekt transzendierendes Seiendes gibt. So schließt sich der Ring. Dann bleibt für „Wahrheit" entweder innere Übereinstimmung im Bewußtseinsbereich übrig. Es kann sich dabei um logische, synthetische oder genetische Zusammenordnungen handeln; sie mögen spielen in der intersubjektiven Sphäre des Bewußtseins-überhaupt oder der Wissenschaft in ihrem System und logischen Weitergehen. Dann bedeutet Wahr-Sein: eine bestimmte Vorstellung (ein Begriff, ein Urteil, ein Satz, eine Setzung, eine Anschauung) ist den durchgehenden und regelnden Zusammenhangsformen des ganzen in sich verbundenen Systems gemäß, oder seinen apriorischen oder axiomatischen Kategorien, die allgemein und notwendig sind — für dieses System; und zwar, weil sie ihrerseits seinen systematisch verbundenen Bestand erst ermöglichen. — Oder die Einstimmigkeit mag im Denken eines bestimmten persönlich geprägten Subjekts spielen. Dann ist Wahrheit eben die Rückbezogenheit alles einzelnen auf die konstante, grundlegende Struktur des bestimmenden und „durchstimmenden" Subjektspols, — die vollste Subjekt-Ausgeprägtheit. Oder aber „wahr" ist überhaupt verstanden als das „mir Gemäße". Das heißt, eine Anschauung ist die meinem tiefsten Wesen oder Wollen rein entsprechende bzw. für sie förderliche, „richtige". Die Wahrheit finden heißt dann eigentlich soviel, wie zu sich selbst kommen, oder, aktivistisch, das eigene Selbst durchsetzen, den anderen aufprägen; nicht das „es ist so", sondern das „ich will es so" gibt dann das Wesentliche ab; aber nicht ein beliebiges „Wollen" betätigt sich da; sondern die in einem sehr besonderen Sinn verstandene 13) Die bloBe Gegenüberstellung von „empirischem" und „transzendentalem" Bewußtsein 1st hier gerade ohne Belang.

24 „Subjektivität" ist in ihrer „eigentlichen" Schicht Wollen, Leidenschaft, Entscheidung, Handeln, Kämpfen . . . Wo bleibt dann der Bezirk strenger Erkenntnis-Absicht, wo wird er untergebracht? Das Erkennen wird zweitrangig, weil theoretische Wahrheit doch immer nur verkappte a-theoretische Wahrheit, bzw. ein von dieser Abhängiges, sein kann; und weil nicht nach Erkenntnis gefragt wird für den Menschen, darum kann die theoretische Wahrheit nicht ihre Selbständigkeit behalten. „Alles, was Meinungen über die Dinge sind, gehört dem Individuum an, und wir wissen nur zu sehr, daß die Uberzeugung nicht von der Einsicht, sondern vom Willen abhängt, daß niemand etwas begreift, als was ihm gemäß ist. Im Wissen wie im Handeln entscheidet das Vorurteil alles . . . Es ist eine Bejahung oder Verneinung dessen, was unsere Natur anspricht oder ihr widerspricht" (Goethe zu Riemer, 1806). — Wichtig ist dagegen die Sichtweise, wenn nach dem Zusammengehen von Theoretischem und den Lebensforderungen einer Gemeinschaft gefragt wird; wie sie, das „Gruppensubjekt" (Thyssen)14), die Welt sehen muß, sehen will, — wenn also die „Entsprechung" zwischen Theorie und Aktualität spielen soll. Man muß sich nur auch dann über das Folgende klar sein: welche Wege man immer hier einschlägt und erfinden mag, — es gibt, wenn man diese Richtung wählt, prinzipiell die Möglichkeit, mehrere Einstimmigkeiten aufzubauen; je nachdem, wo man die Konstanten findet, müssen dann die Gleichungen ausfallen. Der Alternative: objektsentsprechende Wahrheit — oder subjektsentsprechende „Wahrheiten" entgeht man nicht, durch keinen Kniff, kein neues „Drittes", keine verwandelte Sprechweise; man kommt nicht um sie herum; sie ist ein sachgegebener, unerbittlicher Kreuzweg zugleich des gnoseologischen wie des ontologischen und anthropologischen Denkens. — Am wenigsten bedeutet etwa der Standpunkt der objektsvermittelnden Wahrheit irgendeine Leugnung der tatsächlichen Subjektsbezogenheiten in ihrem ganzen ernst zu nehmenden Spiel: er ist kein reaktionärer „Objektivismus", der noch nichts gehört hat von den relativistischen Argumenten; sondern er baut sich ganz und gar auf das erst heute zu erschließende Neuland der Subjekts-Objekts„Beziehung" auf, — und zwar auf dieser nicht in ihrer erkenntnistheoretischen Abstraktheit, sondern auf ihr als einer anthropologisch und ontologisch konkret genommenen I

14) Der philosophische Relativismus, Bonn 1941. Vgl. auch Ant. Meusel, Der Sinn der philosophischen Polemik bei Kant, Berlin 1939.

25 III.

Relativismus ist die Erscheinung, die überall da auftritt, wo eine geistige Bemühung an der Erreichbarkeit ihrer natürlichen und eingeborenen Ziele verzweifelt. Wie sich dies auf den einzelnen Anwendungsgebieten des geistigen Unternehmens konkretisiert, dafür sollen stichwortweise einige Beispiele gegeben werden. 1. VON DER RELATIVITÄTSTHEORIE ZUM DETERMINATIONSSTREIT In den Naturwissenschaften führte der gewaltige Sprung, der, vor allem im Eindringen in die Feinstruktur der Materie, im letzten Halbjahrhundert getan wurde, zu diesem Ergebnis: die relativ einfachen Grundanschauungen der Newtonschen Physik, — bei denen die Einfachheit sogar als Prüfstein ihrer Wahrheit galt, — haben ihre Gültigkeit nur in bestimmten Grenzen. Die Sachverhalte sind im innersten komplizierter. Und zwar in einem derartigen Maße, daß alle Anschauungsmittel, aber schließlich sogar das Aufstellen von makro-kosmischen Gesetzen überhaupt, einen prinzipiellen Abstand behalten von den wahren Aufbauverhältnissen der raumzeitlichen Ereignis-Welt; so sinken sie zu bloßen Mitteln einer uneigentlichen Beschreibung herab; d. h. aber, sie bleiben immer inadäquate Transpositionen — und es ist nicht absolut verbindlich, wie man transponiert. Hinter der metrischen, mathematischen und kalkülmäßigen Erfassung der formalen Strukturen müssen sie zurücktreten. Aber für diese sind, wie es heute aussieht, prinzipielle Genauigkeitsgrenzen aus physikalischen Gründen gezogen. Schließlich brachte vor allem die Relativitätsphysik Erkenntnistheoretisches aufs physikalische Tapet: die Mehrheit möglicher Geometriesysteme und die Theorien über den Zusammenhang von Metrik und Physik ließen willkürliche und nichtwillkürliche Voraussetzungen hervortreten für das Verfahren des Messens — ζ. B. die Kategorie des „starren Körpers" — und für die Wahl der Maß- und Bezugssysteme, sowie der Messungsmittel — ζ. B. das jeweilige „schnellste Signal" als Voraussetzimg für die Definition der Gleichzeitigkeit. Die physikalische Relativitätstheorie und das noch Umstrittene in ihrem Gefolge haben als solche mit dem Relativ-ismus nichts zu tun, — wie von moderner Physik unberührte Gemüter immer wieder als selbstverständlich annehmen. Jene ist vielmehr ein System zum Einkalkulieren und Bewältigen bestimmter Relativitäten (die eine zu-

26 gleich physikalische und erkenntnistheoretische Seite an sich haben). Das „Prinzip (der Gleichberechtigung aller Koordinationssysteme), das unglücklicherweise der Theorie ihren Namen gegeben hat, ist ja im Grunde ganz inhaltsleer; denn die Naturgesetze lassen sich unter allen Umständen . . . .invariant gegenüber beliebigen Koordinatentransformationen' formulieren." 1B) Daß alle Bewegung immer relativ ist, damit wird hier endlich ganz ernst gemacht. D. h. also: es gibt keine Bewegung bezogen auf ein absolut Ruhendes oder den absoluten Raum Newtons. Ebensogut, wie sich die Erde relativ zum Fixsternhimmel bewegt, bewegt sich der Fixsternhimmel relativ zur Erde. Für die allgemeine Relativitätstheorie wird darüber hinaus auch „der Begriff der relativen Bewegung mehrerer getrennter Körper gegeneinander"1®) unhaltbar. Aber doch nur die natur-philosophische Interpretation gewisser Voraussetzungen — ζ. B. über die Erfaßbarkeit von „Gleichzeitigkeit" — durch den heute noch in der Physik beliebten Positivismus hat direkt mit Relativismus zu tun. Freilich: die sämtlichen tragenden physikalischen Kategorien sind in ihrer „exakten Reinheit" nicht auf Beobachtungen gründbar oder nach diesen zu bestimmen, sondern umgekehrt bedingen sie schon das Beobachten. Für die Aufstellung eines allgemein-begrifflichen Theoriesystems sind aber jene exakt definierten Faktoren Voraussetzung. Lehnt man eine mehr-als-empirische (apriorische) Erkenntnisinstanz als Organ für das Mehr-als-Empirische und Kategoriale unseres Weltbilds ab, so bleibt nichts übrig, als sich etwa so zu helfen: durch freie willkürliche Setzung, aber wohl in Ubereinkunft der Menschen untereinander und im Hinblick auf denk-ökonomische Praxis, werden die allgemeinsten Begriffe definiert; man kommt überein, bestimmte Beobachtungen auf das Vorliegen jener Abstracta hin zu interpretieren. Selbstverständlich müssen diese Interpretationen in ein zusammenstimmendes System gebracht werden. Das System kann aber so oder anders, ζ. B. komplizierter oder einfacher, ausfallen. So beruhigt man sich dann bei dem heute viel breitgetretenen Zustand: bestimmte Befunde der Strahlungs- und Energieumwandlungserscheinungen durch zwei oder mehrere verschiedene Theorien „gleich gut erklären" zu können, — ein Zustand, von dem sich doch sehr fragt, ob er nicht nur eine heutig-vorübergehende UbergangsPhase ist. — 15) Hermann Weyl, Was ist Materie? Berlin 1924, S. 61, vgl. auch Weyl, Raum Zeit, Materie, Berlin 1923. 16) Vgl. Weyl, Was tat Materie?, S. 62.

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Ausstrahlungen eines solchen „konventionalistischen" Denkens sind bis auf das Gebiet der Philosophie der Mathematik zu verspüren. — Das Typischste für die allerjüngste Lage in den Naturwissenschaften ist aber im Grunde die notorische Verwechslung von Methodologischem und Sachbezüglichem, mehr noch, das ungenierte andauernde Umspringen vom einen zum anderen. Es ist einfach die Folge des Noch-nicht-Bewältigtseins all des ungeheuer Neuen auf dem Gebiet der Verfahrensmöglichkeiten, das sich, zusammen mit dem ganzen sprunghaften Anwachsen der Technik in den letzten fünf Jahrzehnten, auch in der Technik der erkenntnissuchenden Naturbehandlung ereignet hat. So kommt es aber nun ζ. B., daß die Unmöglichkeit, im Messen von Ort und Impuls des Elektrons über eine gewisse Genauigkeitsgrenze hinauszugelangen, als Widerlegung der Determiniertheit der Naturvorgänge angesehen wird. Bekanntlich ist dies verschiedentlich mit der „Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation" geschehen. Die Gleichung E = h · r wurde als universale für die mikrophysikalischen Wirkungen gefunden. Nun sagt der Physiker: man k a n n das, was zuvor auf andere Weise, unter Voraussetzung anderer Modelle und Anschauungen, berechnet wurde, so auffassen, wie es sich aus dieser „Gleichung der Proportionalität von Energiequantum und Frequenz" ergibt. Und so werden die vorigen Anschauungssysteme ( einfach über Bord geworfen. Dieses Schalten mit dem „man kann" ist das positive Pendant zu dem Argumentieren mit einem bestimmten Nicht-erkennen-Können für ein bestimmtes Nicht-Sein; es ist eine der hervorstechendsten Kategorien der augenblicklich nicht zur Koordination und Bereinigung des Erkenntnistheoretischen mit dem Ontologischen gelangten und damit philosophisch hilflosen naturwissenschaftlichen Kosmologie. Daß man sieht, die Gesetze der klassischen Physik sind makroskopische Vereinfachungen, hinter denen die Komplexität von unabsehbaren submikroskopischen Wirkungs-Summationen steht, die wir schlechterdings nicht anders als statistisch durchforschen können, soll da beweisen, daß es in der Natur selber statistisch zugeht. Dabei ist doch für eine philosophisch gebildete Erkenntnistheorie klar, daß statistisches Erfassen die D e t e r m i n i e r t h e i t der partikulären Vorgänge voraussetzt, — mag die G e s e t z e s - F o r m dieser Determination sein wie immer, oder am Ende gar keine Typik darin walten. Jenes Auftauchen der statistischen Methode bringt in der Tat keinerlei Willkürlichkeit in das Physikalische hinein; aber es liegt so nahe, so zu meinen. Einen Schritt weiter, und man sieht es

28 anders: das Statistische ist dann der Beweis für den Abstand unserer Erkenntnismittel von dein zu Erkennenden; aber es herrscht eine strenge Hinbezogenheit des ersteren zum zweiten. Das Eindringen in die Gegenstands-Beschaffenheit schreibt die spezifischen Erkenntnis-Mittel vor17). — 2.

VON DER HISTORIE ZUM HISTORISMUS In den Geisteswissenschaften hat sich vor allem der Geschichtswissenschaft der grundsätzliche Zweifel bemächtigt, ob eine Erfassung des Früheren, so wie es zu seiner Zeit wirklich an sich abgelaufen ist, durch den Späteren überhaupt ein sinnvolles Ziel ist. Der Spätere steht unausweichlich im Geschehen s e i n e r — späteren — Zeit und zwar mitsamt seinem Geschichte-Treiben. Maßstäbe, Tendenzen und Gesichtspunkte der Epoche, in der er und für die er lebt und Geschichte treibt, die sich auch in seinem Deuten und Verstehen des Vergangenen betätigen, sind andere als die des Zeitraums, auf den sich seine Geschichtsforschung richtet. Gibt es also geschichtliche Wahrheit im Sinne der Wiedergabe eines einmal An-sich-soGeschehenen? Es scheint doch, jede Epoche macht sich gewissermaßen eine andere Vor-Geschichte zurecht, — d. h. sie will in ihrem geschichtlichen Weltbilde die Vergangenheit anders sehen als die vorhergegangene Epoche. Daß Geschichte-Treiben nicht bloß Vergangenes-wiedergeben-Wollen, sondern immer Einwirken auf die Gegenwart ist, wird seit Nietzsche stark hervorgekehrt. Aber es ist dies im Grunde eine alte Sache. „Geschichte-Schreiben ist eine Art, sich die Vergangenheit vom Halse zu schaffen", sagt Goethe. Daher fragt man: Wie kann es da in der Geschichtswissenschaft etwas Objektives, gleich: ein für allemal auf diese Sache Zutreffendes, überhaupt geben? Suggestive Beispiele stehen vor Augen: wie die historische Erfassung der sogenannten Tatsachen ausfällt, wenn ein religiös Gebundener oder ein Freund der Aufklärungs-Werte, ein Relativist („Entwurzelter") oder ein völkisch Geprägter Geschichte schreibt... Was der eine gerade preist, verkleinert der andere zum mindesten. Wie soll man ζ. B. sagen, was Joseph II. von Österreich geschichtlich wirklich w a r ? Oder die Tat des Brutus? Es scheint: GeschichteTreiben ist mehr ein Hineinlegen von „Deutung" als ein abbildendes Erfassen. IT) Eine ausgezeichnete Diskussion der Relatlvismuskonsequenz aus den Widersprüchen der (naturwissenschaftlichen) Erfahrung gibt E. May In: Am Abgrund dee Relativismus, Berllin 1940.

29 Die Angelegenheit ist heute in aller Munde. Am siine ira et studio fehlt es dabei zumeist. Ob die Aktivität des geschichtetreibenden Subjekts und das Wirken der Auffassens-Perspektiven richtig in ihrer zugleich deformierenden und erschließenden Funktion für die Geschichts-Erkenntnis gesehen sind, wäre eigentlich das Problem, das zu allererst in Angriff genommen werden müßte. Die Argumentationen haben sich hier noch nicht zureichend ausgependelt aus den Extremen. Wo doch die Lösung so ganz offenkundig im strukturierten Vergleich liegt! — Das Wichtigere dazu wird unten beim Thema des Historismus behandelt. —

3.

VOM RELATIVISMUS ZUM POSITIVISMUS Im Zeichen des Relativismus kann geistiges Tun nicht weiterschreiten. Relativismus ist eine Krisis. Eine in sich zu ganz neuer Sicherheit gelangte geistige Attitüde wäre eine zuvor wirklich durch diese Krisis h i n d u r c h gegangene. Aber die erste, selber ungesunde Reaktion auf diese Krankheit oder auf das, was der Relativismus übrig läßt vom Geistigen, das er befallen hat, ist der Positivismus — die Hyäne des Schlachtfeldes; so wie der Psychologismus überall der große Wegbereiter und Vorbote ist. Der Positivismus hat in der letzten Zeit seine Anwendung auf restlos alle Geist-Gebiete gefunden. Die Methode dabei ist das vorgebliche Sichbeschränken auf neutrale Tatsachen; es gilt, diese lediglich aufzusammeln und zu registrieren in ihrer Reinheit: auf alle darüber hinausreichenden „Deutungen" und Anschauungszusammenhänge wird Verzicht geleistet. Sie mögen in diesen oder jenen Formen möglich sein; aber sie haben keinen Belang. Das letztere Axiom ist die Frucht der Relativismus-Sichtweise. Wenn man die Sache vergröbert, läßt sich auf dem Gebiet der Rechtslehre das Kartell von Relativismus und Positivismus markant illustrieren. Vermittler zwischen beiden ist hier die (neukantische) formalistische Problemstellung. Fragt man nach den allgemeinen, formalen Charakteren, die eine Rechtsordnung ü b e r h a u p t zu einer Rechtsordnung machen, so kommt man auf Bestimmungen, die das Inhaltliche des rechtens Gebotenen offenlassen; oder, juristisch ausgedrückt: jede Art von „oberstem Gesetzgeber" kann im konkreten Beispiel angenommen werden, — der Gangsterhäuptling, der seiner Bande eine strenge Ordnung von Normen gibt, oder der legitime

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Landesvater: Das Problem — das h i n t e r dem „positiven Recht" steht— wird abgewiesen 18 ). Relativismus und Positivismus haben ebenso sich abgelöst auf dem Gebiet der Psychologie, der Anthropologie, der Kunstwissenschaft u. a. O. 4.

VON DER THEOLOGIE ZUR TOLERANZ An die großen Kultur-Religionen hat sich in einzigartiger Weise die Hoffnung geknüpft, unfehlbare Gewißheit und „erlösende" Befriedigung a l l e r Fragen und Bedürfnisse zu finden. Von Anfang an bestand da in jedem Falle das Vertrauen, alle bekehren zu können zur endlich gefundenen Wahrheit und frohen Botschaft. Aber es ist die geschichtliche Erfahrung: keine Religion ist nach den Intentionen des Verkünders durchgedrungen und hat alles Menschliche reformiert. So ist überall in einem bestimmten späten Entwicklungsstadium der Religionen der Gedanke in sie eingedrungen, die anderen Religionssysteme hätten auch und daneben ihre Berechtigung. Dies äußert sich praktisch als Toleranz. Sie bedeutet das Erweichtwerden der religiösen Systemkonturen. Nähere Gründe liegen im Bewußtwerden des Doch-Gemeinsamen der sich bestreitenden religiösen Systeme: auf mythologisch-symbolisch-kultischem Gebiet; in bezug auf charakteristische metaphysische Theoreme; vor allem aber im Hinblick auf einen bestimmten Bestand ethischer Normen. Von diesen erscheinen manche seltsam unberührt von den disparatesten dogmatischen Begründungen, als ein Bereich, in dein alle Kulturreligionen übereinstimmen; so daß man sich diese oder jene Religion als motivierenden Hintergrund dazu denken kann, wenn man als Fundament für die ethischen Normen eine Metaphysik des Wclt„Sinns" sucht. Die eigentlichen Thesen der religiösen Weltauffassung der theoretischen Theo-logie, werden so zu einem relativ Gleichgültigen, Beiwerkhaften verwässert. — Analog schöpft aus der geschichtlichen Erfahrung die Entmutigung des Vertrauens ins Finden oder Gefunden-Haben einer Staatsform bzw. Sozialordnung, die für alle und zu jeder Zeit die beste sein sollte. — Derjenige, für den diese „geschichtliche Erfahrung" nicht existiert, der weiter absolut versichert ist im Glauben an die Gelöstheit des 18) Ein Kriterium des Unterschieds findet man nur in dem vorhandenen oder fehlenden „Willen", daß das Gebotssystem „als Recht gelte". Das „Kriterium" des Verbindlichen, Guten, Gesollten h a t überhaupt diesen Schein von Formalität und Tautologie an sich. Darüber siehe unten S. 36.

31 Problems durch eine bestimmte von den alten Religionen oder Staatsauffassungen, der hat eben v o n v o r n h e r e i n aus s e i n e r Wesensartung die Tendenz auf diese hin; e r i s t e b e n s c h o n homo religiosus im christlichen Sinn oder etwa aristokratisch empfindender Mensch. D a r u m sind ihm die „Beweise" für die Allgemein- und Alleingültigkeit seiner Lebensrichtschnur ebensosehr Beweise, wie sie dem Andersgearteten keine Beweise sind. Hier zu ,.argumentieren" — immer wieder versucht — bleibt im Grunde stets in einem Zirkel stecken. — 5. DAS SYMPTOM DER PHILOSOPHIEGESCHICHTE Mit der Entmutigung der Philosophie hat es die Bewandtnis, daß sie seit dem Tode des letzten großen Systematikers Hegel bis heute andauert. Wir stehen einerseits noch mitten darin in ihr; andererseits ist dem Heute die Aufgabe gestellt, mit diesem Zustand endlich Schluß zu machen und ihn zu durchdenken, um ihm danach etwas entgegenzusetzen. Und hier muß man sagen: daß diese Aufgabe in Deutschland in ganz anderer Weise in Angriff genommen worden ist als anderswo. — Es geht hier um das Wieder-zu-sich-selbsl-Kommen der ständig angezweifeltsten und von Zeit zu Zeit auch selber immer wieder an sich verzweifelnden Wissenschaft: der „ewigen" Philosophie. Die Entmutigung hat sich auf drei Gruppen von Argumenten berufen. 1. Das geschichtliche: die Philosophie hat es in den drei Jahrtausenden ihres Bestehens nicht vermocht, ihren Gang allmählich zu der stetigen Akkumulation von im allgemeinen sich ergänzenden Fortschritten zu konsolidieren wie die Einzelwissenschaften. Sondern hier herrscht weiterhin die Abwechslung radikal sich bekämpfender Standpunkte. Besteht da Aussicht, daß eine Einigung über verbindliche und bleibende Wahrheit gefunden werde? 2. Das typologische Argument: die Geschichte zeigt genug Versuche, es besser zu machen als bisher, das Elixier, die clavis universalis in Gestalt von diesem oder jenem Grundprinzip (gegenständlicher oder erkenntnistheoretischer Art) zu finden, — nämlich um über den „bisherigen Zustand" der Philosophie in ihrer Geschichte hinauszukommen. Aber auf das Vertrauen der Erfinder zu ihrem neuen Weg erfolgte das ernüchternde Fiasko jeweils auch dieser „neuen" Philosophie in ihrer geschichtlichen Weiter-Ausgestaltung. Sie erlitt das gleiche Schicksal wie alle ähnlichen Hoffnungen und

32 Prätensionen vorher, und das Spiel ging weiter. Aber die je zugrunde gelegten, zu radikaler Reform und System-Neugründung verwandten Prinzipien sind dabei nicht ein willkürliches oder unübersehbares Aggregat. Wie wir es heute überschauen, besetzen sie vielmehr einen guten Teil (wenn auch längst nicht alle) Stellen eines polar und dimensional gegliederten S y s t e m s von m ö g l i c h e n Standpunkten. Monistische - pluralistische, objektivistische - subjektivistische, realistische - idealistische, materialistische - spiritualistische Philosophie usw. βοΐΐίεη nacheinander jeweils die Lösung sein, und diese Reformen haben nacheinander abgewirtschaftet. Aber es sieht ?o aus, als könne man nur immer wieder in einer dieser grundsätzlich möglichen verschiedenen Richtungen philosophieren; d. h. als führe jeder neue Versuch, es ganz anders zu machen und den geschichtlich bezeugten Ubelstand zu überwinden, doch unbemerkt auf die vorgegebenen selben und historisch immer wiederholten Grund-Ansatzmöglichkeiten zurück. Und in der Tat — dies beleuchtet erst die Folge jenes geschichtlichen Ubelstandes —: mit einer Penetranz, die einen verzweifeln lassen könnte, tauchen jeden Tag aufs neue die idealistischen, relativistischen, subjektivistischen und alle möglichen andern längst dagewesenen Versuche wieder auf und geben sich als Neuerscheinungen. In Stunden der Entmutigung sieht es aus wie das Umherkriechen in den Gängen eines ungeheueren Labyrinths, aus denen es doch keinen Ausweg gibt. 3. führt man äußerst schwerwiegende gnoseologische-methodologische-ontologische und anthropologische Argumente ins Feld: das Sein des Seienden, die Welt im ganzen, das Allgemeinste, Innerste, Letzthin-Bedingende und Begründende kann offenbar nie erkannt werden, der natürlichen Kapazität unseres Erkenntnisvermögens nach. Mit Hilfe welcher Erkenntnis-Instanz will denn Philosophie zu jenen höchsten Erkenntnis-Gegenständen gelangen? Sie überlastet doch dabei notwendig den Boden, der von Erfahrungen uns dargeboten wird. Und was hat sie denn darüber hinaus für eine gesicherte eigene Erkenntnis-Quelle? Das apriorische Spekulieren aus reinen Vernunftgründen hat seine Kritik gefunden. Das Ausgehen von einem ersten absolut gewissen Grundsatz, gar die Uberzeugung, das Wissens- und Sollens-System sei aus ihm zu deduzieren — Programm noch des deutschen Idealismus — verkennt die prinzipielle Endlichkeit des menschlichen Erkennens; und zugleich seine anthropologische Situation: das dienende Eingefügtsein des Erkenntnismäßigen überhaupt, seiner Natur nach, in das mehr-als-erkenntnismäßig dirigierte und angetriebene dynamische Ganze des menschlichen Daseins. In ihm ist ein Aktions- oder Haltungs- oder Wollensartiges das Primäre.

33 Keine höchste Einsicht, kein oberster Grundsatz der Vernunft-Erkenntnis kann den Angelpunkt und Richtpunkt oder auch die apodiktisch unanzweifelbare Sicherheit hergeben für das ganze Menschsein, m i t seinen wollens- und fühlensmäßigen, praktischen und politischen Bereichen, — wie es der ungeheure Optimismus der philosophischen Systeme von Descartes bis Hegel gefordert hatte. So gibt es denn an den Bedenken gegen alles derartige hochgespannte Selbstvertrauen der Philosophie auch eine „ e x i s t e n t i e l l e " Argumentations-Seite, um das heute durch eine Schule in Deutschland in Gebrauch gekommene Wort zu verwenden. E i n letzthin ungesicherter Bau von Spekulationen über das Letzte und Höchste, somit e i η metaphysischer Traum scheint nach alledem l e t z t l i c h s o g u t zu sein wie ein a n d e r e r , — ein vielgestaltiges Immer-wieder-„Scheitern" also. Die Systeme kommen und gehen wie Begriffs-Dichtungen, — zu betrachten höchstens als „Ausdrücke" der Tiefe der Existenz, oder was es sein mag, das sie dichtet. So hat man auf alle Hoffnung auf eine Beantwortung der eigentlich den Menschen philosophisch zentral bewegenden Sach- und WeltFragen durch die Philosophie verzichtet. Es gehört geradezu zum guten philosophischen Ton, auf die uralten metaphysischen Anliegen keine Auskunft zu erhoffen; sich ihrer vielmehr als „falsch gestellter", „sinnloser Fragen" völlig zu entledigen. „Das war einmal" —, „eine naive Stufe der Philosophie" usw. — In der Tat bezieht sich dies alles auf eine bestimmte, radikale Form philosophischer Zielsetzung. Sie hat geschichtlich zweifellos abgewirtschaftet. Aber es hat sich heute bereits eine andere Form von Philosophieren gezeigt, anders als jenes Abenteuern, das die Geschichte der Systeme erfüllt. — Wie eigenartig übrigens die Verhältnisse in der Philosophie liegen, wird dadurch beleuchtet: der Positivismus ist hier selber ein Standpunkt, welcher der relativistischen Entwertung aller Standpunkte verfällt; denn die Uberzeugung von der Möglichkeit einer reinen Tatsachen- oder Gegebenheits-Wissenschaft ist selber eine über die Tatsachen hinausgehende radikale Voraussetzung. Ebenso der Begriff der „Tatsache" selbst, — mit seinem eigentlich psychologischen Boden, der durch verborgene, gewagte Metaphysik ins Ontologische schillert: aus Tatsachen (matters of fact; Hume) soll die „Welt" „aufgebaut" s e i n . . . — IV. Auf dem ethischen Gebiet, im weitesten Sinne des Versuchs der Selbstregelung des menschlichen Tuns — dreht sich das Bemühen 3 Wein, Relativismus

84 um vier verschiedene angestammte Ziele: 1. ein System von Anweisungen (eine Ordnung) zur Führung des Lebens zu finden; 2. einen zureichenden Beweis für das Verpflichtendsein des Gesollten, das Gutsein des für gut Geltenden, das Wertsein des Wertvollen zu erbringen; 3. in bestimmten problematischen Fällen die gültige Entscheidung zu finden angesichts des Dilemmas: ist hier das Urteil „gut" oder „böse" zu fällen? 4. das höchste Gut und die Hierarchie des Wertvollen zu ermitteln. 1. FÜHRUNG, PLANUNG UND SCHEITERN DES MENSCHLICHEN Die Entmutigung des ersten Bestrebens geht den Weg: wo immer ich Gebote aufstelle, unterwerfe ich den Menschen Menschlichem; d. h. aber: die ganze horizontmäßige, persönliche, epochale, perspektivische Bestimmtheit und Bedingtheit des Gebotaufstellers prägt notwendig den Inhalt des Gebotes; mag es nun von einem einzelnen oder einer Institution (wie ζ. B. einer bestimmten politischen Gemeinschaft oder von einer Kirche) ausgehen. Sich über alle menschliche Einseitigkeit und Fehlbarkeit zu stellen und von dort her ewige und für alle gültige Gesetze zu geben, ist nicht mehr menschlich. Man müßte schon theologisch denken und die Gesetze sanktioniert sein lassen durch einen überzeitlichen göttlichen Welt-Gesetzgeber. Dann nähert sich die Prätension der so gesetzgebenden Institution der Vision des „Großinquisitors". Wenn es solche Gesetze gäbe — so würden sie dem Menschen sein Menschlichstes noch rauben: das Selberentscheiden-Müssen, Wagnis und Einsatz des Immer-wiedersuchen-Müssens. Die Instanzen des Gemeinschaftslebens müssen dauernd Normen geben. Aber einmal beanspruchen diese ihre Geltung immerdar nur für einen bestimmten Kreis und unter bestimmten geschichtlichen Umständen. Vor allem aber: sie geben gar nicht Rezepte für jeden einzelnen Fall von Entscheidung in den Lebenssituationen. Das einzige Forum, das für a l l e bewußten Entscheidungen zuständig sein muß, ist die verantwortende Instanz der Persönlichkeit. Man wird sie heute nicht mehr mit der „Vernunft" gleichsetzen, ζ. B. nach dem Cartesischen „entrependre moi-memede me conduire"; sondern man sucht sie in einem irrationaleren, wollens- oder fühlensmäßigeren Zentrum, wie etwa dem Gewissen. Sein Sich-Entscheiden läßt sich nicht vorwegnehmen in einem rationalen Schema von kasuistischen Anweisungen. Die menschliche Existenz ist gerade von d e r Seinsart: es ist, nicht etwa zufällig — oder praktisch —, sondern wesens-

35 unmöglich, daß es für sie eine abschließende Planung geben könne, — mag sie wie immer kunstvoll und weise sein. Menschsein kann nie für immer Objekt, sondern höchstens immer wieder Subjekt solchen Planens sein. Kein Plan der menschlichen Lebensgestaltung — sei es für die Lebensform des einzelnen oder der Völker — kann der wirklich absolute sein. Jeder läßt notwendig vieles unberücksichtigt, kann nur diese oder jene Funktion, die geschichtlich gegeben ist, pflegen und ausbauen. Insofern „scheitert" er notwendig (Karl Jaspers). Aber das wahrhaft Menschliche ist das souverän zu a l l e n Leistungen O f f e n e , nicht das Leistungs-Spezialisierte. Als bloßer homo oeconomicus im marxistischen Plan-Staat würde der Mensch zum „Hampelmann des Erwerbs" (von Gottl-Ottlilienfeld); in der rein theokratisch ersonnenen civitas dei soll der Mensch die Qualitäten des Bürgers einer anderen Welt bekommen, — auch dies ein un-menschliches Programm. Die menschliche Situation, wie sie die Geschichte zeigt, ist vielmehr die: immer aufs neue Ideen zur radikalen Daseinsführung und Daseinssinngebung schöpferisch hervorzutreiben, nicht ihnen in passiver Genormtheit auf Ewigkeit unterworfen zu sein. Der Mensch, und zwar der persönlich, charakterlich, geschichtlich bestimmte, ist es ja, der jene vorgeblichen Ideal - Formen menschlicher Ordnung entwirft. Menschliche Existenz, die da immerzu produktiv Entwürfe schafft, in immer neuer Weise, je nach ihrer geschichtlich-politischen Verfassung, kann nicht auf eines ihrer Produkte, als auf ein überzeitlich erkanntes Gültiges, festgelegt werden. Vielerlei Wertsysteme schafft sich der Mensch — als Bemühung um das Finden einer idealen Ordnung; diese wäre die endgültig beste oder doch bestmögliche. Aber dies b l e i b t , als Sicheinsetzen persönlicher und geschichtlicher Kräfte, mit anthropologischer Notwendigkeit immer B e m ü h u n g . Diese führt zu immer anderen sich ablösenden, zeitgebundenen Produkten, die je für ihre Zeit gut sein mögen. — 2.

DAS KRITERIUM DES GUTEN Die Suche nach dem absoluten (nicht bloß relativen, d. h. letztlich unfundierten) Kriterium für das Gesollte ist ein ältestes Stück der Geschichte der Ethik. Hier dreht es sich um das Gute des menschlichen Handelns, also das Moralisch-Gute. In der klassischen Kontroverse der Antike, ob die Normen φύσει oder θέσει eingesetzt sind, 3*

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geht es vorbereitend auf dieses Thema zu; es beherrscht dann die Ethik in der neuzeitlichen Philosophie, von der Entthronung des theologischen Kriteriums der Offenbarungsreligion bis zur Entdeckung der neuen Sparte materieller Ethik-Probleme. Hier liegen die Verhältnisse so: es läßt sich ein Kriterium für das Sittlich-Gutsein menschlichen Tims herausarbeiten. Aber es hat formalen Charakter: es liegt im Gutsein des guten Willens (allenfalls der guten Gesinnung); es führt auf das Daß, nicht auf das Was des moralischen Tuns; denn aus dem Faktum des moralischen Handelns läßt sich als innere Bedingimg der Möglichkeit das Uberhaupt-sittlichhandeln-Wollen (unter einem Imperativ, nach sittlichen Werten) analysieren. Aber weiter kann man nicht zurückfundieren; wenn man sich nicht auf den Willen eines gebotegebenden Gottes beruft. (Versuche, das ethische Sollen auf logische oder gar auf kosmische Gesetze zu gründen, sind allesamt völlig gescheitert.) — Jenes Faktum ist wie manches Phänomen, auf das sich Philosophie beruft, für andere selber nur ein Theorem. Kann man die Moralität, wo sie scheinbar irreduzibel gegeben ist, nicht doch als einen Umweg zur Befriedigung eines Selbsterhaltungs-, Selbststeigerungs- oder Glückgewinnung s-Strebens erklären und darauf ableitend gründen? In diesem ethischen Relativismus im engeren Sinn besteht auch die andere relativistische Komponente, das Zurückführen, von Urzeit her; freilich in seiner engsten Gestalt. Dasjenige Handeln, das sich scheinbar von dem der Bedürfnisbefriedigung des Subjekts dienenden als ein moralisches unterscheidet, soll in Wahrheit doch nur als eine Abart neben diesem stehen; in seiner Besonderheit, mitten unter all den zahllosen anderen Betätigungsformen der selbstdienlichen oder artdienlichen Grundbedürfnisse, ist es nur durch besondere psychische oder Situationsumstände bedingt. Hierin oder in jenem sein Glück zu suchen, ist dem Menschen eben möglich. Allein Sache praktischer Lebens-Diät oder eigener Veranlagung ist es, sich hier eine Wahl zurecht zu machen. Wie auch diejenige indirekte Bedürfnisbefriedigung aussehen mag, die von außen wie selbst-loses, bloß sollens-(Kantisch: pflicht-) bestimmtes Tun aussieht, — sie kann sich de facto nicht lösen von der Determination und Antriebskraft der Grundbedürfnisse, als e i n e Äußerungsweise derselben; diese können ihre Energie eben in die verschiedensten Formen verwandeln. Was aber dann dabei herauskommt, ist nichts geringeres als die je verschiedene sittliche Führung des Individuums. Natürlich wird damit die Frage nur darauf verschoben: in w e l c h e r Form ich nun eben jene allgemeine Energie einsetze, in w a s ich mein Glück suche. Das Problem des Ethischen formuliert sich

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eben dann so. Mithin ist durch jene eudämonistische „Erklärung" nichts gewonnen. — Für die Frage nach menschlicher S i t t l i c h k e i t leitet sich die letzte Stufe der Entmutigung aus der radikalen Behauptung ab, es gäbe überhaupt nichts spezifisch sittlich Gutes, wovon eben gesprochen wurde. Aber dabei werden andere Klassen von Werten zugegeben; es werden die sittlichen auf Vital-Werte reduziert. Man kann aber auch überhaupt die Objektivität und Eindeutigkeit des Unterschieds von Wert und Unwert bzw. die Erkennbarkeit desselben anzweifeln. — Der Streit über den Wert-Begriff als solchen dürfte dabei hier nicht hergehören. Wertvoll-Sein ist etwas Relationales. Aber — eine ganz allgemeine Bemerkung zum Relativismus-Thema — Relationalst schlechthin ist niemals einfach identisch mit Relativität (zum mindesten ist sie etwas viel Weiteres als diese). Nur gedankenloses Obenhin will mit jener für die Relativierung irgendwelcher Objektivitäten im Sinne des Relativismus streiten; diese können gerade selber relationaler Natur sein; sie brauchen keine Substanzen darzustellen; und in jedem Falle ist freilich die Beziehung auf das sie erfahrende Subjekt an ihnen, und diese Beziehung muß an ihnen allerdings einkalkuliert werden. Aber die Beziehung, die Gegebenheit, — wo ihr modifizierender Einfluß eben einkalkuliert werden kann, — schließt nicht aus, daß man auch von dem Mehr-als-Beziehungsmäßigen etwas in den Griff bekommt, — sondern ist vielmehr der einzige menschliche Weg dazu. — Von einem substanzgebundenen, real-ontologischen Gut-Sein nach Art der alten axiologischen Metaphysik — über die perfectio mit der realitas verknüpft — ist in der neuen Wert-Ethik nicht die Rede. Wenn bestritten wird, daß das menschliche Wollen sich nach Werten richtet, und vielmehr die Werte vom Wollen als seine Richtungen gesetzt sein sollen, — so ist doch der sachliche Unterschied geringer, als es solchen Verfechtern einer andersartigen Terminologie zumeist vorkommt. Denn mit ihrer Seite der Sache ist ja das letzte Wort auch noch keineswegs gefunden. Ebenso wenig freilich in puncto des „Ansichseins" bzw. „idealen Seins" der Werte. Man muß nicht bei einem komplizierten Problemgebiet das Letzte, Kategoriale zuerst lösen wollen. — 3.

AMPHIBOLIE DER MENSCHLICHEN AKTIONEN Das Bemühen um eine umfassende B e s t a n d s a u f n a h m e des Reichs der Werte und des' korrespondierenden der Unwerte scheitert

38 an ganz charakteristischen Schwierigkeiten. 1. stellte sich heraus, daß wir nicht etwa ohne weiteres wissen, was alles das Gute ist; bzw. erwies sich, daß das jahrhundertelang mit Selbstverständlichkeit darunter Verstandene und seine Anordnung ein einseitiger, geschichtlich bestimmter Ausschnitt aus dem Gesamtbereich möglicher Werte ist: bestimmt ζ. B. durch die christlichen Vorzugsprinzipien. (Darüber das Nähere siehe unten.) 2. herrscht unter den Werten nicht durchgehend Verträglichkeit. Die heidnischen, „dionysischen" Werte — Stolz, Macht, sinnliche Schönheit ζ. B. — sind konträr zu den christlichen — Demut, Nichtwiderstehen, Askese. Wahrhaftigkeit ist ein Wert, aber die Berücksichtigung des Werts der Nächstenliebe kann das Wahrhaftigsein gegenüber dem anderen als etwas Ungutes erscheinen lassen. Gerechtigkeit kann Güte suspendieren; Fernstenliebe — als Sorge um die Gesundheit der Zukunft — die Gerechtigkeit des Richtens und Behandeins, — die Schutz und Pflege auch für das Ungesunde fordert, wo es ohne Schuld ist. Dies ist das Phänomen der Antinomik im Wertreich. Es ist ein ernstes Phänomen, das jedem vorschnellen Welt-Optimismus und Unfehlbarkeitsglauben eines Wertsystems das Rückgrat bricht. — Diese Antinomien werden akut nur in bestimmten Situationen. Aber sie führen auf ein Thema, das viel tiefer reicht: bis in eine innere wesensmäßige Dialektik der menschlichen Aktionen, durch welche Werte verwirklicht werden. Aber diese Dialektik der Aktionen ist etwas total anderes als die Hegeische Begriffsdialektik! Sie ist vielmehr Real-Dialektik, die es vielleicht nur in diesem Bereich im eigentlichen Sinne gibt. Gerechtigkeit, auf die Spitze getrieben, führt zum Typ des unmenschlichen fürchterlichen Gerechten: Er tötet etwa ohne Bedenken den eigenen Sohn, um dem religiösen Gesetz gerecht zu werden. Aber wird er damit nicht ungerecht vor einem anderen Gesetz? Ist Gerechtigkeit nicht ein Rücksichtnehmen auf . . . , statt ohne Rücksicht aus Eigensinn zu handeln? Oder ist sie ein Nicht-Rücksicht-Nehmen auf alle Motive außer auf eines, nichtsubjektives? — Gleichmütig sein, Gelassensein, muß vor allem bedeuten: Fertigwerden mit dem über den Menschen Hereinbrechenden; d. h. es bewältigen, um nicht „die Fassung zu verlieren". Aber der bonzenhafte Weise, der für alles sein unfehlbares Mittelchen, seine gute Lehre und erledigende Auskunft hat, ist gar nicht gelassen. Er gerade mengt sich drein, „macht sich wichtig". Also gehört ein Darüberstehen, Sich-gar-nichterst-Einlassen dazu. Aber wo einer gar nicht in Gefahr ist, bewegt zu werden, liegt wiederum kein Gelassensein vor. — Einem gehorchen, heißt: ihm die Verwirklichung seiner'Wünsche abnehmen, aber

39 auch wieder nicht: ihm alles ab-nehmen. Sonst kommt unweigerlich das unumschränkt selbständig schaltende Faktotum heraus, „der vollkommene Diener", der, indem er alles für den Herrn tut, ihn so aus seiner Eigenbedeutung und Würde und Selbständigkeit drängt. — Treu-sein heißt, sich einem (oder einer Sache) widmen. Aber der zum bloßen Trabanten Gewordene, der nur noch „für den anderen da ist", — bei dem „das ego schwach und dünn wird" (Nietzsche) — kann ihm nichts mehr sein als1 ein Schatten; er hat nichts mehr zu widmen; er will, eigentlich parasitisch, sein Leben von dem des anderen beziehen. — Loyalität heißt: das Gesetz sich zu-eigen machen. Aber offenbar nicht: aus eifernder Verliebtheit in die Ordnung sich für die Erfüllung des vom Gesetz Offengelassenen nach eigenem Sinn eine starre Durchführungsordnung bilden. Der Pedant macht sich — wie er meint, als Anwalt der Norm — sein eigenes rationales Schema der minutiösen Normerfüllungj nach diesem richtet er sich in Wahrheit, nicht nach der außer ihm bestehenden Norm als solcher. — Tapfersein als solches heißt doch: sich nichts machen aus der Gefahr, dem Bedrohenden. Treibe ich das auf die Spitze, so kommt es auf den Landsknecht, den Abenteurer, den Sensations-Star hinaus. Oder im großen· auf den Staatsmann, das Volk, das immerzu mit den Waffen klirrt, das auftrumpft, um anzustoßen. Dies alles lebt von der Gefahr, kreist um sie, schlägt aus ihr Kapital; statt über sie hinaus, wenn sie einmal gekommen ist — ohne vor ihr zurückzuweichen, — sich durchzuschlagen in ein anderes. — Gütigsein heißt: gewähren und geben, soweit man es vermag. Aber zum Gutes-antun-Wollen um jeden Preis, zum Schenken und Uberhäufen mit Widmung gesteigert, wird es zur bedrängenden Zudringlichkeit. — Beharrlichsein heißt, etwas unbeirrt vorwärtstreiben. Aber heißt es nicht vielmehr: Beweglichsein, Wechselnkönnen, nämlich die Mittel je nach den eingetretenen Umständen? Sonst wird das halsstarrige Festhalten einer Sache in ihrem verfahrenen Geleise, der versteinernde catonische Konservativismus daraus; er hemmt und belädt die Sache, treibt sie nicht vorwärts. Sonst kommt eine Art, eine Wahrheit oder einen Wert zu vertreten, heraus, bei der „die schlechte Manier mehr abstößt, als der Wert anzieht; womit dann das Gegenteil der guten Absicht erreicht wird." (C. G. Jung). — Vertrauen wäre: das Positive annehmen ohne Beweis. Aber der Welt-oder-Menschen-Optimist bringt nicht eigentlich Vertrauen auf; er hat die Wohleingerichtetheit von allem zum ausgesprochenen Dogma. So verläßt er sich träge auf sein Uberzeugtsein. — Das Sicheinsetzen für die Werte der Menschlichkeit zeitigt den Fanatiker des Befreiens und In-Schutz-Nehimens aller Menschemrechte; das anar-

40 chistische Freiseindürfen, Erziehungslosigkeit, Rechtsunsicherheit, Pazifismus ohne nationalen Geist mutet er damit jedem einzelnen Menschen zu, dem er diese Gabe verschaffen will, z w i n g t ihn dazu, in s e i n e m Sinne menschlich zu sein, sein Menschliches zu hegen, — nicht es aufzuopfern für ein strenges Sachliches, usw. 4.

PROBLEMATIK DES „HÖCHSTEN WERTS" Immer wieder hat man versucht, in etwas das höchste Gut zu sehen: es an die Spitze gestellt, sollte die absolut gültige HierarchieOrdnung in das Reich der Werte hineinbringen. Die größten Versuche dieser Art — Plato, Kant — führten zu einem inhaltsleeren obersten Prinzip. Auch die „Vollkommenheit" war etwas Nur-Formales. — Umsomehr hat außerhalb der philosophischen Wissenschaft, in der Geschichte, der Glaube an die Absolutheit je bestimmter Werte die bewegendste Rolle gespielt. Er zeichnet die großen Epochen in ihrer Verschiedenheit charakteristisch aus. Nach einer Einigung hat es dabei nie ausgesehen, d. h. nach der Findung eines Wertes, unter den sich wirklich für immer alle anderen hätten de iure unterstellen lassen. Außerdem kommt die eben gestreifte Dialektik geschichtlich in Riesenausmaß zum Vorschein. Das Streben nach der Verwirklichung des christlichen Liebes-Werts führte zum grausamen Wüten gegen die Mächte anderer Wertung. Das antike Hinarbeiten auf Besonnenheit und rationales Maß schlug um in die Haltlosigkeit der Lebenssinngebung; so daß in diese alle orientalischen Religionen, römischer Materialismus - Imperialismus, schließlich das Christentum einbrechen konnten, u. a. m. Ein jäher Wechsel entgegengesetzter Fassungen der höchsten Werte ist die Erfahrung der mehrtausendjährigen Menschheitsgeschichte. Alle Versuche, ein für allemal gültige Ordnung in dieses Gegeneinander zu bringen, erwiesen sich selber als Träume von epochaler Gebundenheit. Sie sanken im Fortgang der Geschichte wie Spielzeug unter.. — Aber der Berührungspunkt dieser Dialektiken mit der Lebenspraxis ist da. Wo der Relativismus noch nicht hinreicht, da scheint ja das Leben immerdar unter der Leitung eines Hauptwollens und -werts zu stehen, die eben für d a s Wichtige gelten. Denn ein bewußt geführtes Menschenleben ist immer nach dieser oder jener Grundeinstellung ausgerichtet. Jedoch, man versuche nun, daraus eine absolut geltende Lehre, das Prinzip eines Wert-Systems und ein Programm zu machen:

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so hebt sich die betr. Entscheidung — bewußt und radikal gemacht — „irgendwo" selber auf. — Also, muß es nicht bei allen Wertfragen bei dem non liquet bleiben, wenn man es in überlegender Weisheit überschaut? Ist dies Bestimmte wertvoll oder wertwidrig? Man kann so oder so werten, entscheiden. J e nach der Veranlagung und Situation oder den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen des einzelnen, nach dem politischen und ökonomischen Stadium einer Gemeinschaft wird dies oder jenes für eine Weile Wert „sein". Aber d. h. genau genommen: Wert scheinen. Uber dieses Für-wertvoll-Halten, dieses von den Subjekten her bestimmte zentrifugale Gelten - L a s s e n , kommen wir nicht hinaus. Daraus soll gefolgert werden: e s g i b t k e i n e an-sichgeltende, objektive Ordnung des Wertvollen, nach der sich das Subjekt durch erfassende Wert-Einsicht zu r i c h t e n h ä t t e in seinem Gelten-Lassen und Werten. Denn wo wäre der Beweis-führende für ein absolut verbindliches Sich-Entscheiden-Müssen für einen Wert? Ist das Kriegerische, Kämpferische ζ. B. wertpositiv, oder ist Krieg Abscheulichkeit und Sinnlosigkeit, gesehen von einem Standpunkt, der Demut und Nichtwiderstehen höchst bewertet? So ungefähr sieht also die praktische Anwendung des Wert-Relativismus aus.

5. NIETZSCHES ANGRIFF AUF DEN METAPHYSISCHEN WERTABSOLUTISMUS ALS HINTERGRUND DES MODERNEN WERT-RELATIVISMUS In anderer Weise findet sich in Nietzsches Spätwerk die Hindeutung auf den zentralen anthropologischen Ort eines Antitiieithik- und Synthesis-Problems. Es sind bestimmte Aphorismen aus dem „Willen zur Macht", die einen Zusammenhang andeuten zwischen dem Phänomen der WertAntinomien und einem Grundsachverhalt des menschlichen Seinsaufbaues. „Wenn man das Eine will, wer weiß? vielleicht darf man dann das Andere nicht wollen? Ist die Vermehrung der Tugendhaftigkeit zugleich verträglich mit einer Vermehrung der Klugheit und Einsicht? Dubito... : Ist die Tugendhaftigkeit als Ziel im rigorosen Sinn nicht tatsächlich bisher im Widerspruch mit dem Glücklich-werden gewesen? . . . Und wenn die höchste Einsicht das Ziel wäre, müßte man

42 nicht eben damit die Steigerung des Glücks ablehnen? und die Gefahr, das Abenteuer, das Mißtrauen, die Verführung als Weg zur Einsicht w ä h l e n ? . . . Und will man das Glück, nun, so muß man vielleicht zu den ,Armen des Geistes' sich gesellen." 19 ) Und doch war es all die Jahrhunderte hindurch eine fast selbstverständliche Voraussetzung gewesen: „das Gute" ist ein homogenes Reich, in dem sich alles Erstrebenswerte konzentriert findet... Es ist einer der markantesten Aspekte erst der heutigen Ethik, die „Wert-Antinomien" zu betonen. In der Scheler-Hartmannschen Wertethik ist dies geschehen. Und hier schließt ein Weg in eine noch ernstere Problematik des menschlichen Seins-Gefüges an. „Die letzten ,Wünschbarkeiten" über den M e n s c h e n . . . sind von den Philosophen eigentlich niemals als Problem genommen worden", sagt Nietzsche im „Willen zur Macht". „Inwiefern ist es wünschbar, daß der Mensch tugendhafter wird? oder klüger? oder glücklicher?" „Gesetzt, daß man nicht schon das ,Warum' des Menschen überhaupt kennt, so hat jede solche Absicht keinen S i n n . . ," i 0 ) Hinter den mehr vordergründigen Argumenten für die Relativität „des" Guten, des verbindlich, „kategorisch" Gewollten, steht gerade die metaphysische, genauer: antimetaphysische, Uberzeugung: daß man das „Warum des Menschen überhaupt" n i c h t kennt. Damit aber steht Nietzsche polemisch gegen eine der durchgehenden Uberzeugungen abendländischer Metaphysik. Es ist das Uberzeugtsein von einem absoluten Wertprinzip. Ein solches aber führt zum A b s o l u t i s m u s der Sinn- und Wesens-Bestimmung des Menschen. — Descartes formuliert diese Tendenz im „Discours: de la m6thode". Ihr Werk ist, daß wir diejenigen, „qui ont des sentiments fort contraires aux nötres", — d e s h a l b für „Barbaren und Wilde" zu halten geneigt sind. „Jede kleine Gemeinschaft (selbst einzelne) sucht sich zu überreden: , w i r haben den guten Geschmack, das gute Urteil und die Tugend für u n s . . . ' " (Nietzsche). Soweit ist es ein alltägliches Faktum. Die Moral-Theorie Nietzsches aber behauptet: die großen Moral-Systeme sind von analoger Vor-eingenommenheit. Sie glauben, in ihrem jeweiligen zentralen Wert-Prinzip, zu w i s s e η , „was ,gut und böse" sei." Das aber „heißt wissen wollen, wozu der Mensch da ist, sein Ziel, eine Bestimmung h a b e —" „Der Wertsinn, Umkreis der Werte war fest, unbedingt, ewig, eins mit G o t t . . . Das, was von diesem ewigen 19) Kröner, X V , 423. 20) X V , 423, 380 ff.

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Typus abwich, war sündlich, teuflisch, verurteilt..." „Für jede Seele gab es nur eine Vervollkommnung; nur e i n Ideal; nur e i n e n Weg zur Erlösung..." „In summa: m a n g l a u b t z u w i s s e n , was in Hinsicht auf den idealen Menschen, die l e t z t e W ü n s c h b a r k e i t i s t . . . Man glaubt, erstens, zu wissen, daß die Annäherung an e i n e n Typus wünschbar ist; zweitens, zu wissen, welcher Art dieser Typus ist; d r i t t e n s , daß jede Abweichung von diesem Typus ein Rückgang, eine Hemmung, ein Kraft- und Machtverlust des Menschen i s t . . ."21) Das i s t der „Absolutismus" der Wertung und der Sinnbestimmung des Menschlichen. Es läßt sich nicht leugnen, daß diese metaphysische Tendenz in der Geistesgeschichte von vorherrschendem Gewicht war. Letzten Endes war dieser Absolutismus theologisch und rationalistisch fundiert. Der Relativismus ist erst ein äußerst später Gegenschlag dagegen. — Mit der Kritik gegen diesen metaphysischen Absolutismus im großen ist man bei Nietzsche an der originären Quelle. Ein titanisches Wort schleudert Nietzsche gegen den, nach dem moralischen Maßstab, „idealen Menschen": Er erhält seinen Wert dadurch, — „einem Schema Mensch gemäß zu sein, das ein für alle Mal aufgestellt ist." —") Sicherlich haben wir die Versuche, eben dies zu realisieren, in allerjüngster Zeit in einer unvergleichlichen Drastik erfahren. Die „totalitären" Systeme versuchen, den Standard-Menschen nach dem Maßstab der von ihnen jeweils radikal aufgestellten „Wünschbarkeiten" zu züchten.") Alle rational fixierten, zu radikalen Programmen formulierten „Wünschbarkeiten" nennt ein Aphorismus Nietzsches „— in Hinsicht auf den Menschen absurde und gefährliche Ausschweifungen . . . , mit denen eine einzelne Art von Mensch i h r e Erhaltungsund Wachstums-Bedingungen über der Menschheit als Gesetz aufhängen möchte." Und deshalb stellt „der w i r k l i c h e Mensch" einen viel höheren Wert dar als „der wünschbare Mensch irgend eines bisherigen Ideals".24) — Man stelle diesen letzteren Gedankenzusammenhang mit dem von der Un- V e r e i n b a r k e i t der Wertverwirklichungen zusammen. Die Konsequenz ist eine sehr ernste: Die Vereinseitigung einer Wert21) 22) 23) 24)

K r ö n e r , B d . XV, S. 385 1. X V , 375. Vgl. u n t e n , K a p . I X . X V , 421.

44 richtung bedeutet Absolutismus, das Nebeneinander der Richtungen aber den Relativismus. Eine bloße Addition alles Positiven in einem Begriff vom „NormalMenschen" ist in sich unmöglich. Gerade der „typische Mensch" — als der „mittelmäßige" — will „das Eine nicht mit dem Anderen hinnehmen". Er verwirklicht deshalb nur ein jeweiliges „Eckchen und Winkelchen" des Menschseins. Und auch die menschlichen Verwirklichungen im geschichtlichen Größenmaßstab — „ganze Zeiten, ganze Völker" — haben das „Bruchstückhafte" an sich. — S ο gesehen geht es also bei dem, was der Wert-Relativismus anschneidet, letzten Endes um nichts geringeres als um die S y n t h e s e des Menschlichen — im „synthetischen Menschen". Sowohl die Programme menschlicher Verwirklichung, die Absolutheit beanspruchen, wie die Durchschnittsmenschen in ihrer Uberzahl, „stellen den Menschen als Stücke und Einzelheiten dar: wenn man sie zusammenrechnet, so kommt Ein Mensch heraus". Die anthropologische und axiologische „Schwierigkeit" besteht eben darin: wie man die Partikularitäten menschlich z u s a m m e n verwirklichen k ö n n e . Der innerste Kern dieser Schwierigkeit ist das fundamentum in re der „Schwierigkeit", die der Relativist an jeglicher Ausrichtung des Menschen und der Formulierung ihres Wert-Prinzips findet. —

6.

INNER-MENSCHLICHES GEGENSATZ-PROBLEM Die Frage ist: ob eine der ältesten und elementarsten Grundvorstellungen über die menschliche Natur zutreffend ist oder nicht. Ihr Schema ist das dualistische. Gutes und Böses, Unsterbliches und Sterbliches, Geistiges und Animalisches, Supranaturales und Naturales, Metaphysisches und Physisches, Freies und Dependentes — und viele andere Polaritäten mehr — hat man in die Leerstellen dieses Schemas eingesetzt. Das Gewahrwerden der v e r s c h i e d e n e n einander a u s schließenden Bestimmungen des „Guten" und der metaphysischen „Sinnerfüllung", — das zweifellos einen langen geistesgeschichtlichen Weg voraussetzt, — bricht in jenes Dualismusschema ein. Die späten, sein früheres biologistisches Bild zerbrechenden anthropologischen Visionen Nietzsches spielen ein d i a l e k t i s c h e s Verhältnis des

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Einander-Voraussetzens gegen das d u a l i s t i s c h e des EntgegenGesetztseins aus — als Strukturmodus am Grunde des menschlichen Wesens. „Man ist gut, um den Preis, daß man auch böse zu sein weiß; man ist böse, weil man sonst nicht gut zu sein verstünde" — so lautet seine „Kritik des guten Menschen" im „Willen zur Macht". Und das soll kein psychologisches Bonmot sein, sondern ein anthropologischer Fundamentalcharakter: „Der Mensch hat, im Gegensatz zum Thier, eine Fülle g e g e n s ä t z l i c h e r Triebe und Impulse in sich groß gezüchtet: vermöge dieser Synthesis ist er der Herr der Erde"; aber andererseits besteht durch sie die Gefahr, daß der Mensch „an ihren W i d e r s p r ü c h e n zu Grande geht". —25) Das dialektische Verhältnis spielt nicht etwa nur zwischen Gut und Böse. Larochefoucaulds Aphorismus kommt in den Sinn: „Geiz bringt mitunter Verschwendung hervor, Verschwendung Geiz; oft ist man stark aus Schwäche, kühn aus Furcht." Oder die Kriegs-Anekdote von den zwei Soldaten im schwerbeschossenen Unterstand. Der eine ruft dem anderen zu: „Mensch, du hast ja Angst!" Darauf der andere: „Wenn du so Angst hättest wie ich, wärst du nicht mehr hier." Wer ist der eigentlich Tapfere? Mancher Zusammenhang, den erst die Tiefen-Psychologie herausgearbeitet hat, ist bekanntlich bei Nietzsche schon vorempfunden. Ζ. B. in einer subtilen Dialektik wie der folgenden: „,Der Gute' sieht sich wie umringt vom Bösen und unter dem beständigen Ansturm des Bösen, er verfeinert sein Auge, er entdeckt unter all seinem Tichten und Trachten noch das Böse... Es ist ein verhängnisvoller Schritt, wenn man d u a l i s t i s c h die Kraft zum Einen von der zum Andern t r e n n t . . ."2') Und u m g e k e h r t sind ζ. B. nach einem späten, seltsam und kyklopisch hingeworfenen Nietzsche-Aphorismus gerade die „tinegoistischen Handlungen" die „in Wahrheit auf die Selbsterhaltung hin regulierten". Natürlich ist dies dann nicht mehr die biologische Selbst - Erhaltung. Sondern vielmehr diejenige des eigenartigen Menschlichen selbst. Das Sichausleben-wollen der „Kräfte und Triebe" — dem nach Nietzsches früherem Ansatz die Moral als „Instinkt der Verneinung des Lebens" entgegensteht — ist ohne Rücksicht auf das Menschliche selbst: s ο gesehen wären gerade die „egoistischen" Handlungen — nun weder im b 1 ο ß biologischen noch bloß moralischen Sinne — „decadence". Ihnen nämlich fehlt das „tiefe Bewußtseini des Nützlichen und Schädlichen", wie Nietzsche formuliert. „Im 25) X V I , 344. ϊβ) Vgl.: X V , 398 f . ; Χ Π Ι , 147; X I V , 43; X I V , 331; X V I , 459.

46 .Egoismus' will gerade das ,Nicht-ego' seine Erhaltung." „Die nach gemeiner Auffassung e n t g e g e n g e s e t z t e n Gesinnungen sind vielmehr Eine Gesinnung ...". •—27) Man wird sagen müssen, daß erst die Psycho-Analyse dieses Thema in großem und ganz neuartigem Rahmen wieder aufgegriffen hat: das Thema der Anzweiflung der A b s o l u t h e i t der G e g e n s ä t z e im Menschen. Und zwar geht es dabei um die Wert- und die menschlichen Haltungs-Gegensätze. — Carl Gustav Jung hat versucht, ein Grundgesetz der „Enantiodromie" zu formulieren. Er meint damit nicht nur das Anwachsen von unbewußten Gegenpositionen gegen die bewußten in der menschlichen Seele. Er gibt dem Gedanken der Enantiodromie, unter Anknüpfung an Heraklit, darüber hinaus fast das Profil eines WeltPrinzips: „— daß alles einmal in sein Gegenteil hineinlaufe . . . " Aber doch soll es nicht ein kosmologisches „Polaritäts"-Gesetz sein. Im engeren Sinn versteht er es vielmehr als das „wunderbarste aller psychologischen Gesetze, nämlich die regulierende Funktion der Gegensätze".28) Nietzsche hatte gefordert, „das Gute und das Böse" nicht als „Realitäten, die mit sich im Widerspruch sind", sondern „komplementär" zu verstehen. „Gegensätze bedeuten keinen Widerspruch", ist ein Wort von Sigmund Freud. Es soll im Reich des menschlichen Unbewußten seine Gültigkeit haben. C. G. Jung aber beginnt, die „Gegensätze" in ihrer gesamtmenschlichen Konkretion aufzusuchen. — Von diesem Weg, der auf eine dialektische Anthropologie in ganz neuem Sinne hinführen wird, sind noch kaum die ersten Schritte begangen. Ein Anfang ist, daß Jung den prinzipiellen Unterschied in der Situation des jugendlichen und des älteren Menschen zu einem Angelpunkt gemacht hat. „Der Nachmittag des menschlichen Lebens ist ebenso sinnreich wie der Vormittag, nur ist sein Sinn und seine Absicht eine ganz andere". Der Übergang vom Morgen zum Nachmittag des menschlichen Lebens ist eine „Um-Wertung früherer Werte". Berufsänderungen und Interessenänderungen, Scheidungen, Konversionen, Renegatentum u. a. sind Symptome des Hinüberschwingens ins Gegenteil. — 27) Vgl.: XV, 57, 404 f.; XVI, 216 f; 466 ff.; XV, 361; XVI, 446. 28) Vgl.: dazu und zum folgenden: C. G. Jung, Das Unbewußte ton normalen und kranken Seelenleben, Zürich 1926. S. auich: Psychologische Typen, Zürich 1921, „Definitionen".

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„Erst eine Kindheit, grenzenlos und ohne Verzicht und Ziel. Oh unbewußte Lust. Auf einmal Schrecken, Schranke, Schule, Frohne und Absturz in Versuchung und Verlust. Trotz. Der Gebogene wird selber Bieger Und rächt an anderen, daß er erlag. Geliebt, gefürchtet, Retter, Ringer, Sieger und überwinder, Schlag auf Schlag. Und dann allein im Weiten, Leichten, Kalten. Doch tief in der errichteten Gestalt ein Atemholen nach dem Ersten, A l t e n . . . Da stürzte Gott aus seinem Hinterhalt" 2 ') Noch eindrucksvoller aber sind die Symptome in geschichtlicher Dimension. „Die rationale Kultureinstellung läuft notwendigerweise in ihr Gegenteil, nämlich in die irrationale Kulturverwüstung..." C. G.-Jung hatte dem für die Auflage von 1926 eine — gewissermaßen entschuldigende — Fußnote angefügt, die heute, nach dem zweiten Weltkrieg, noch mehr besagt: „Dieser Satz wurde während des Weltkrieges geschrieben. Ich habe ihn, trotzdem der Krieg vorüber ist, in seiner ursprünglichen Form stehen lassen, denn er enthält eine Wahrheit, die sich noch mehr als einmal im Verlauf der Geschichte bestätigen wird." — Ein prinzipielles Fazit aus alledem wäre etwa in folgenden fünf Sätzen zusammenzufassen: 1. die M ö g l i c h k e i t des Umschlagens jeder menschlichen Position in ihr Gegenteil bedeutet eine ernste Erschütterung des Absolutheitsanspruchs einer jeden menschlichen Avisrichtung, Richtschnur, Wertsetzung und Wert-Entgegensetzung. 2. Nietzsche und die Psychoanalyse haben eindrucksvoll die Eindeutigkeit r a d i k a l e r menschlicher Verwirklichungen fragwürdig gemacht. Das Radikale erweckt, so beleuchtet, immer „den Verdacht aufs Gegenteil". Keineswegs aber ist dafür nun etwa im Mittelmaß der vertrauenerweckende Maßstab zu finden. 3. Die Argumente für die Relativität der menschlichen Wertungen und der Wertprinzipien haben also eine Tiefenschicht. Diese ruht offenbar auf einem noch weitgehend verborgenen Sachverhalt des menschlichen S e i n s b a u s. 29) Vgl. R. M. Rilke, Späte Gedichte, Leipzig 1935, „Imaginärer Lebenslauf".

48 4. Phänomenal begründbar läßt sich davon vorläufig soviel ablesen: Mit jenem Sachverhalt wird irgendwie die U n m ö g l i c h k e i t einer abschließenden Planung und eindeutigen absoluten Fassung der Bestimmung des Menschen zusammenhängen. Das aber wird wieder mit dem folgenden Strukturverhältnis zu tun haben: nicht so sehr das dualistische Verhältnis des eindeutigen Gegen-satzes ist fundamental im Grundriß des menschlichen Seins-Aufbaues. Fundamentaler ist vielmehr dort ein dialektisch-synthetisches Strukturverhältnis. Es ist ein solches des In - der - Entgegensetzung Einanderverbundenseins. Darin ist also der „Gegensatz" in einer k o m p l e x e r e n Struktur „aufgehoben". 5. Dementsprechend müßte statt der Antinomik und Amphibolie der wertgerichteten Einstellungen „eine Erhaltung der früheren Werte zusammen mit einer Anerkennung ihres Gegenteils" (Jung) menschenmöglich sein. Aber der „synthetische Mensch" ist Postulat. Nietzsche selbst war unendlich weit von ihm entfernt. Er a h n t e das Z u s a m m e n gehören von Gut und Böse, von Hoch und Tief, von Progressivem und Regressivem, etc. Aber es ist leicht, seine Vision von menschlicher Synthese von seiner eigenen Menschlichkeit aus zu relativieren. — Die menschliche Verwirklichung einer positiven, Konsequenz aus jenem Zusammengehören würde der „Relativität" der gegensätzlichen Werte und Wege einen „positiven Verstand" geben. Ihn spüren wir irr lichtem hinter der Relati vierung bislang absoluter WertGegensätze in dialektischen Wendungen: „Mit jedem Wachstum des Menschen in die Größe und Höhe wächst er auch in das Tiefe und Furchtbare: man soll das Eine nicht wollen ohne das andere — oder vielmehr: je gründlicher man das Eine will, umso gründlicher erreicht man gerade das A n d e r e . . . " „Ich glaube, der, welcher etwas von den u n t e r s t e n B e d i n g u n g e n j e d e s W a c h s t u m s i n d e r L i e b e erraten hat, wird Dante, als er über die Pforte seines Inferno schrieb: ,auch mich schuf die ewige Liebe', verstehen..." Hier grenzt Nietzsche an Dostojewskij. „Die schrecklichen Energien der Kultur sind die zyklopischen Architekten der Humanität". „Das Wachstum der Furchtbarkeit des Menschen als Begleiterscheinung jedes Wachstums der Kultur .. ." 30 ) So formulierte Nietzsche zwei Jahre vor seinem geistigen Untergang. — Und zahllose ältere und älteste Geister wußten um diese dialek30) X V I , 368, 377, 378; I I , 231; X V I , 338 etc.

49 tische Relativierung, Heraklit, Pascal, Böhme, Hegel, Kierkegaard und zahllose andere mystische und nicht-mystische, religiöse und nichtreligiöse Geister des Abendlandes und des Orients. „Wenn ihr jedes Gift recht auslegen wollt, was ist da, das nit Gift ist? Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift, allein die Dosis macht, daß ein Ding kein Gift ist." „Es ist von alters her ein Wort: was auf das höchste kommt, das nimmt wieder ab, und ist bewährt und so . . . " (Paracelsus). 31) Aber gewiß ist ein weiter Weg von diesen sublimen Relativierungen zum Wertrelativismus als einer faktisch betätigten Einstellung.

7. UM DIE OBJEKTIVITÄT DES ETHOS Das sind Ernüchterungen des Suchens nach einem objektiven Wert — und dem Normen-Reich für das menschliche Dasein. Aus ihnen entsteht ein sehr moderner, wissender, ethischer Relativismus: dem Menschen kann keine Lehre helfen. Versucht man, menschlichem Tun allgemein und begründbar-gültige Richtlinien zu geben, so wird alles widersprüchlich: Man prätendiert Verbindlichkeit und kann doch nicht durchdringen zu einem wirklich unwiderstehlich, „verbindlich" Verbindenden, das seine Be-gründung bei sich hat. Dieses gerade aber will man. Dagegen aus dem Inneren des Lebens, der Existenz, des Wollens heraus, also nicht aus Vernunft und Einsicht in Ordnungen, kommen in Wahrheit die Impulse und die Richtungen. Grundverschiedenartige Schöpfungen von Zielen und Normen, Wertund Vorzugs-Akzenten müssen immer wiedeT neben- oder nacheinander möglich sein. Die uneingrenzbare Fülle der differierenden Möglichkeiten ist allenfalls gerade vom höchsten Wert. Die jedes Erkenntnis-Schemas spottende gestaltungs- und wandlungsfreudige Fruchtbarkeit der irrationalen Impuls-Quelle schaltet und waltet. Bei ihr bleibt man dann stehen und setzt alles gleich, was immer neu von ihr herkommen mag. Denn eine l e t z t h i n gesicherte Begründung eines Gesollten aus vernunftmäßigem Erkennen, in absoluter, einmaliger Wahrheit, hat man freilich nicht erreicht. Aber hinter diesem „Denn" steckt wiederum die geheimnisvolle, ausschlaggebende Manie des relativistischen Denkweges. — Die Verbindung des Relativismus mit einem sublimen Irrationalismus ist eine oft eigentümlich ansprechende. Sie hat auf diesem Gebiet ein besonderes Gesicht, weil in der Tat die Auffassung von 31) Sudhoff, Defenelones 11, 138; Practica 11, 268. 4 Wein, Relativismus

50 menschlicher Wirklichkeit und Entscheidung von der theoretischen und praktischen Vernunft her unendlich überspannt worden war. Dies hat sich nun gezeigt, dies ist der haltbare Boden an den Argumenten des ethischen Relativismus. Aber gleichzeitig wird sehr analog zum erkenntnistheoretischen Relativismus „geschlossen". Weil es keinen letzthin gewissen Erweis der Gültigkeit einer Wertordnung, keinen schlüssigen Erkenntniszwang gibt, darum gibt es keine in Wahrheit, an sich gültige Wertordnung, d. h. kein mehr als subjektsgesetztes Gut- oder Bessersein und Sollen, sondern statt dessen nur das, was das Subjekt oder die Subjektsgemeinschaft aus einem tief inneren, nicht weiter fixierbaren oder vernünftig einsichtigen Fiat für sich gelten läßt. Was dieses Fiat des näheren sei, dafür gibt es dann die verschiedensten philosophisch - anthropologischen, persönlichen oder auch politischen Standpunkte.32)

V. 1. DIMENSIONEN DER ZURUCKFÜHRUNG Das war bisher im wesentlichen das in der Geschichte beharrliche Gerüst der relativistischen Denkweise. Das, was den Relativismus erst heute aktuell macht, ist die Entthronung von geistigen Sinngehalten jeglicher Art — herab von ihrem TÖTTOS Cnrepoupdvtos — auf die Erde des menschlichen geschichtlichen Lebens und Schaffens; in diesem wird ja in Wahrheit auch jenes Geistige ausnahmslos erzeugt. Dieser Denkweg war der neue Fund des 19. Jahrhunderts; er ist der allerletzte Gegenschlag gegen das theozentrische Denken, das im Idealismus noch einmal seltsam aufgelebt war. Denn es schien für das Objektiv-Geistige nur das Hineinfallen in ein göttliches oder in ein menschlich-subjektives Sein zu geben. Auf die Mittellage, den eigenen kategorialen Platz des „geistigen Seins", scheint die Geschichte des Problems erst heute hinzupendeln. Dagegen mußte jene Zurückbringung des Geistigen auf tragende, menschen-nähere und -nächste Bereiche und Bildkräfte oft die Form 32) Vgl. Jean-Paul Sartre, L'exlstentlallsme est un humantsme, Paris 1946: „. . . 11 n'est pas un de nos actes qui, en cr£ant l'homme que nous voulons etre, ne cr6e en mime temps une Image de l'homme tel que nous estlmons qu'll dodt etre. Cholslr, d'6tre cecl ou cela, c'est afflrmer en meme temps la valeur de ce que nous choisissons . . . Ce que nous choi&lssons, c'est toujours le Men .. . ." ,,C'est mol qui cholslral de dlTe que cet acte est bon plutöt que mauvals . . ." 11 laut blen quelqun pour lnventer les valeurs . . . Dire que nious lnventons les valeurs ne slgnifle pas autre chose que cela: la vie n'a pais de sens ä priori. Avant que vouis ne vlvlez, la vie, elLe, n'est rlem, mfljl.s c'est ä vous de lul donner un sens et la valeur n'est pas autre chose quie ce sens que vous cholslssez." (S. 25; 31; 89—90).

51 eines unsanften Sturzes, einer unbändigen Entlarvungs-Wut annehmen. Ergebnis dieser ganzen Reduktion, genauer: der Auflösung des auf Mehr-als-Menschliches Bezogenen und f ü r dien Menschen (-Geist) Gültigen in d u r c h den Menschen (-Geist) Gültiges, sollte — der Relativismus sein. — Aber dies ist in der Tat nur ihr e r s t e s Ergebnis. Denn wo in der Geschichte Neues gefunden wird, braucht es ein Jahrhundert, bis der richtige Begriff von dem, was da gefunden ist, aufkommt. Jene Zurückführung bewegt sich in zwei Dimensionen: a) j e nachdem, ob die Beziehung hergestellt wird zu biologisch-praktischen Seiten des Menschen oder zu den seelisch-geistigen; b) ob der Mensch als einzelner oder im gemeinschaftlich-geschichtlichen Raum ins Auge gefaßt wird. Bei dem letzteren bestehen jeweils zu dem, w o r a u f „zurückgeführt" wird, umfassende normgebende Konstitutions-Verhältnisse, die in ihrem — relativen — Umkreis „Allgemeingültigkeit", also „Objektivität" in dem (transzendental-subjektsbezogenen) K a n t i s e h e n Sinn des Terminus, vorschreiben — und doch bleibt es echter Relativismus.38) — Der allererste, der biologische Weg, bedeutet nicht die materialistische Ableugnung von Geist überhaupt. Es handelt sich bei der relativistischen Zurückführung stets um ein In-Beziehung-Bringen von Geistigem zu Nicht-Geistigem. Nur daß diese Beziehung immer höchst simpel ausfällt: ihr modus ist überwiegend ein Abhängigmachen der geistigen objektiven Gestaltung von ungeistigen subjektiven Bedingungen, oder des Erkenntnismäßigen, Sachhaften im Geistleben vom Nichterkenntnismäßigen, Menschlichen. Im voraufgegangenen Jahrhundert Hegels war alles abhängig gesehen worden von einem metaphysisch übertriebenen, mehr-als-menschlichen Geist. Dies ist die geschichtliche Situation des Mächtigwerdens des Relativismus im 19. Jahrhundert: indem er widerspricht, spricht er noch zu dem von Hegel angeschlagenen Motiv. Im übrigen durchdringen sich natürlich Entmutigungszustand und Zurückführungsmethode. Nur die Analyse muß die zwei Komponenten gesondert behandeln. Man hat es dabei mit gut bekanntem Gedankengut der jüngsten Epoche zu tun. Die stichwortartige Andeutung weniger Beispiele wird dem Gebildeten die großen maßgeblichen Schöpfer dieses reduzierenden Denkens ins Gedächtnis rufen. —

33) Vgl. dazu: J. Thyssen, Der philosophische Relativismus, Bonn 1941, S. 15—17.



2.

ZURÜCKFÜHRUNG AUF DAS BIOLOGISCHE Die sämtlichen geistigen Funktionen müssen hineingehören in das Gesamt der Agierens- und Reagierens-Beziehungen des lebenden Individuums zu dem Hof von Seiendem, in dem es existiert. Es existiert durch und in jenen Beziehungen. Diese ganze dynamische Sphäre hat sich gezeigt und die abstrakte Auffassung vom „Lebewesen unter Spiritus" abgeschafft. Nur was in die Verflechtung dieser Beziehungen eintritt, gehört zur „Welt" des lebenden, leidenden, tuenden Individuums. Nur durch seine spezifischen Beziehungsmöglichkeiten hindurch hat das spezifische Lebewesen einen Zugang zur Welt, durch sein relationales und aktionales Sichbegegnenlassen von Welt als „Umwelt". Vermittelst der Merk- und Wirk-Fähigkeiten, die es bestätigt, konstituiert es seine Umwelt. Das heißt, diese ist in ihrem Umfang und Inhalt jenen zugeordnet, von ihnen abhängig. Für die Zecke ist die Welt Buttersäure-Absonderung, Wärme und haarfreies Fell: nur darauf re-agiert sie. Für den Jäger und seinen Hund ist der Pfad, den sie gehen, etwas total Verschiedenes. Der Stein, eben noch gesehen als bloßes Ding, bekommt plötzlich die andersartige „Tönung" der Waffe, im Moment, wo ich zur Aktion der Verteidigung aufgerufen werde. Der Tönungen können jeweils viele sein (v. Uexküll). Aber der Mensch erhält sein Leben technisch und geschichtlich. Er hat Interessen, eingeübte Handlungsfolgen. Einstellungen, einen Beruf. ") Im großen, geschichtlich, ist ein Zusammenhang zwischen den Formen menschlicher Arbeit und menschlicher Weltdeutung (Scheler). Und in der Dimension einzelmenschlicher Typik ist es so: für den Fischer ist das Meer Fischgrund, für den Badegast etwas völlig anderes, für beide in keinem Fall das, als was es der Chemiker erkennt: als H2 O. Für den Spaziergänger gibt es Landschaft, wo der Bauer Felder hat. Der Wald ist so und soviel Kubikmeter Holz, ist Schonung und Bestand, ist Revier oder Märchenreich, je nachdem, ob er zur „Welt" von Händler, Förster, Jäger, Dichter gehört. Der Liebende kann die Geliebte nicht unter die Klasse Säugetiere subsumieren. Es ist gar nicht dasselbe Objekt, das man lieben und das man dieser Subsumption unterwerfen kann. Es sind, so stellt man es dar, geradezu zwei verschiedene Sachen. 34) Er hat außerdem das, wofür die Pragmatlsten den grundlegenden Begriff ,,habits" aufgestellt haben. (Vgl. zu alledem: Erich Rothacker, Mensch und Wirklichkeit, „Der Bund" 1948/49).

53 Jedes willensbegabte Wesen selegiert sich seine Welt mit den Akzenten seines Wollens, Vorziehens, Nichtbeachtens, Ablehnens. Sein wertendes Interessiertsein ist die Bedingung von ErkenntnisBetätigung. „Man lernt nichts kennen, als was man liebt, und je tiefer und vollständiger die Kenntnis werden soll, desto stärker, kräftiger und lebendiger muß Liebe, ja Leidenschaft sein" (Goethe in einem Brief an Jacobi vom 10. Mai 1812). Worauf das lebendige, nicht konstruierte transzendentale, Subjekt überhaupt erkennend kommt, ist schon vor-bestimmt durch die Perspektiven seiner Vorliebe oder se ; nes Schaffenwollens oder seines Kämpfens. Von deren individueller oder typischer Prägung her baut sich auf, was es nachher erkennend zu konstatieren meint: „Jeder spezifische .Körper' strebt danach, über den ganzen Raum Herr zu werden und seine Kraft auszudehnen (seinen Willen zur Macht)" (Nietzsche). Dies ist also das Wichtige, das eigentlich zugrundeliegende determinierende Verhältnis. Man sieht: alles Gegenständliche wird so hineingerissen in den um das Subjekt zentrierten Aktions-, Auffassungs-, Setzungs - Bereich. Und darin verzehrt sich sein Unabhängigsein vom Subjekt: das ist „ P e r s p e k t i v i s m u s , vermöge dessen jedes Kraftzentrum — nicht nur der Mensch — v o n s i c h a u s die ganze Welt konstruiert: d. h. an seiner Kraft mißt, betastet, gestaltet..." (Nietzsche). Dies ist es also dann, was bleibt. — Manches stimmt nicht daran, daß das Christentum der Ausdruck und das Instrument eines geschwächten, gedrückten, beraubten Lebenszustandes sein soll. Aber diese These war das große Fanal dafür, daß man ein vorgeblich o b j e k t i v und a l l g e m e i n geltendes Wertungssystem überhaupt so sehen k a n n : in seiner Abhängigkeit von Lebenszuständen der Menschen, die es aufbrachten. Also nicht bloß den einfachen „empirischen" Anblick der Gegenstände kann man relativieren. Das sokratisch-platonische Philosophieren mit seinem dominierenden Wert der Bewußtheit ist dargestellt worden als abhängig von einer „Degenereszenz"®5) des Instinktiven in einem zuvor ganz aus seinen unbewußten Haltungen lebenden Volk. Die Verfassung der Religionsstifter, die körperliche Disposition, der Nährboden für so etwas wie Konversionserlebnisse sind untersucht worden. Moralsysteme und Weltanschauungssysteme sind ebenso wie Kunststile und Moden als Symptome gesehen worden: Symptome niedergehenden oder aufsteigenden Lebens. 35) „Wir wissen die moralische Degenereszenz nicht mehr abgetrennt von der physiologischen zu denken" (Nietzeche, XV, 383).

54 Das Modifiziertwerden a l l e r Lebens-Äußerungen von der Tätigkeit der Drüsen, die durch ihre „Hormone" das Zusammenspiel aller Funktionen steuern, gab alledem in letzter Zeit neue Anschauungsgrundlagen. Gesteigerte Regsamkeit der Intelligenz und labiles Empfinden haben etwas zu tun mit der Tätigkeit der Schilddrüse. Der Schritt weiter liegt nahe: Intelligenz i s t Schilddrüsenvergrößerung, — oder in ähnlicher Weise . , . Die Art der Geschlechtlichkeit eines Menschen drückt seinem gesamten, auch dem höchsten geistigen Tun, eine Prägung auf (Nietzsche; Freud). So etwas, wie die Scheidung von Erscheinung und Ansich-Sein soll eine Suggestion biologischer decadence sein, — soweit gehen die Radikaleren —, usw. Junge und ermüdete Völker haben je verschiedene Weltaspekte, ebenso wie sich das Seiende dem Jüngling anders als dem Greis darstellen muß. Die Dimension einer ungeheuren Vielfältigkeit von Faktoren und Verbindungslinien ist angeschnitten.

3. ZURÜCKFÜHRUNG AUF DAS GESCHICHTLICHE Hinzukommt die ganz andere Dimension: die der großen Typologien des Geisteslebens. Bestimmte Strukturtypen der ganzen und innersten seelischen Artung werden offenbar gemacht als am Werk befindlich nicht bloß für den Aufbau von Wertungen, nein, von den scheinbar objektivsten geistigen Inhalten auf wissenschaftlichem und philosophischem Gebiet. Es gibt eine Genealogie der Moralen, eine Psychologie der Metaphysik und eine der Weltanschauungen, eine Psychoanalyse der Wissenschaften. Festigkeit zu suchen in Gehäusen oder den Horizont offen zu lassen, bestimmt Gruppen der philosophischen Systembildung; die Kollektivierung der Menschen in der Herde, aber auch in der echten Gemeinschaft, und das SichBetonen der einzelnen, Eigenmächtigen gegen die Gemeinschaft muß je grundverschiedene Gesichtspunkte prägen für das, was Moral sein soll; Naturwissenschaft kann unter dem Zeichen des Dynamismus des Barock oder des Materialismus des 19. Jahrhunderts getrieben werden. U. a. m. Man kann hier geschichtliche Linien im großen Zuge ziehen: „Naturalismus", „Idealismus der Freiheit", „objektiver Idealismus" (Dilthey) lösen sich geschichtlich in umfassenden Epochen ab. Man kann Stufen der Wissens-Formen unterscheiden. Für mythisches Denken ist das Keimen der Pflanzen etwas toto genere anderes als

55 für teleologisch-philosophisches. Wieder anders für mechanistisches, für modern biologisches etc. Die gesamten Kategorien, Denkmethoden und -ansprüche sind unvergleichbar. Ganz ebenso die Ethiken religiös gebundener Zeiten und solche der „Aufklärung". Man kann nicht zurück in das frühere Stadium. Je nach dem, welchem man selber geschichtlich angehört, fällt die Wahl der geistigen OrientierungsSysteme aus; diese wechseln, entthronen sich gegenseitig. Geistes-geschichtlich wechselnde Gedankenmotive durchdringen und prägen alles, was die Epoche hervorbringt: sei es Philosophie, Wissenschaft, Kunst, Brauchtum oder Politik; also das Erkenntnismäßige so gut wie das Nicht-Erkenntnismäßige. Die Astronomie des Kepler ist gefärbt von der theologischen harmonia mundi-Spekulation. Die philosophische Universalienlehre, die mittelalterliche Logik haben etwas zu tun mit dem Universalismus der sozialen und politischen Institutionen der mittelalterlichen Welt (Rothacker). Das Zusammen der Symptome unter einem oder wenigen Grundprinzipien gibt den „Geist einer Zeit". Keiner ist in seinem Charakter, den er allem aufprägt, mit einem anderen identisch. Das ist die gewichtige historistische Entdeckung; alles muß gesehen werden in seiner unentrinnbaren Hineingebundenheit in den Stil- und Wirkungszusammenhang einer vergänglichen bestimmten Phase der geschichtlichen Zeit, deren Gesamtleben es notwendig zugeordnet ist, d. h. in seiner Bedingtheit durch ein charakteristisches epochales Auffassen und seinen Horizont: unter Kategorien und Meißstäben, die nicht mehr die einer anderen Zeit sein werden. Rein geistiges Gebilde und Werk ist ohne solche Bestimmtheit und Begrenztheit. Wie bedeutend immer es sein und wie endgültig es sich selber glauben mag, — es ist ganz und gar ein Kind der doch weitergehenden Bewegung, muß überholt, in vielem abgetan, in anderem korrigiert werden und stellt sich jedenfalls später im notwendigen zeitlichen Gang des Geistes als etwas anderes heraus, als es zunächst erschien. Denn die Zeitgebundenheit offenbart sich immer erst später in ihrem Ausmaß und wahren Gesicht. — Nur e i η konkretes Beispiel von zahllosen: das R e c h t wird von der aufkommenden „historischen Schule" (Savigny, Stahl, Gierke, u. a.) gesehen nicht mehr als ein „von Natur Gegebenes", als „das, was allerorten die gleiche Bedeutung hat und sie nicht erst dadurch erlangt, daß es den Menschen so beliebt" (Aristoteles, Nikomach. Eth., V. B. 10. Kap.). Sondern das Rechtssystem wird angesehen als „ein Produkt des Volksgeistes wie Religion und Sprache"36) — rein als „ . . . ein geschichtliches Produkt, das durch geschichtliche Vor36) Dohna, Kernprobleme der Rechtsphilosophie, Berlin 1940, S. 56.

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aussetzungen bedingt war und nach geschichtlichen Gesetzen wuchs, reifte und zerfiel, dem geschichtlicher Stoff seinen Inhalt lieferte und geschichtliche Kräfte seine Form verliehen... Man konnte schließlich die Rechtssätze aus keiner anderen Quelle als aus dem Rechtsbewußtsein schöpfen, und man hatte dafür begreiflicherweise kein anderes als das eigene Rechtsbewußtsein mit aller seiner Bedingtheit und Befangenheit zur Verfügung" (Gierke)37) —. Oder nach der Darstellung Stammlers (eines schließlich über den juristischen Historismus Hinausgekommenen): „Sobald ein gewisser Rechtsinhalt in Erwägung steht, so enthält er bedingte Mittel und Ziele in sich. Es sind begrenzte Zwecke, von denen er spricht, es sind gegebene Möglichkeiten eines Zusammenwirkens, wechselnd und veränderlich und endlich, wie alle Besonderheiten dieses Lebens. Und da jene Arten der Lebensführung dahinsinken und andere entstehen, so ziehen sie die Regeln des früheren Daseins mit sich hinab, und neuer Inhalt des rechtlichen Willens erscheint, beschränkt und sterblich wie jener, den er ablöst"98) —. Hier scheint es sich allein um die Hinbezogenheit des rechtlichen Normen-Systems auf W a n d e l b a r e s zu handeln: indem die zu regelnden Lebensverhältnisse jeweils andere werden, muß jeweils eine andere Regelung die „richtige" sein; ebenso wie über ein sich Änderndes jeweils anderes w a h r ist. (Wobei die „Richtigkeit" und Wahrheit i n Be ζ ug auf den jeweiligen Zustand des Objekts, — auf d e s s e n Konto ja allein der Wandel geht, — eine im streng objektiven Sinn absolute sein könnte I). Aber daneben steht die letztliche Fraglichkeit des W i s s e n s darum, w a s gesollt oder was das Seiende überhaupt ist, — ganz gleich, ob dies selber n u r j e t z t so ist, wie es — objektiv — ist, oder e w i g besteht. Die beiden Aspekte der Un-gesichertheit — der objektive und der subjektive — sind bei jeder relativistischen Argumentation zu scheiden, aber meist de facto verquickt. Um die Beweis- und Kriteriumsfrage dreht es sich also sofort ebenfalls. Woher wissen wir, welches „das Naturrecht (ist), das immer bleibt und in sich gültig ist?" (Mausbach, Naturrecht und Völkerrecht.) Also w i r h a b e n n i c h t dieses Recht aus reiner, ewiger Vernunft-Begründetheit. Dagegen haben wir die Zusammenhänge zwischen Recht und historischen, volklichen, sozialen Lebensverhältnissen der Gemeinschaften. Dies war in der Theorie vom einen, ewig gültigen Recht außer acht geblieben, während der rechtswissenschaftliche Historismus sich in der „Erforschung und 37) Naturrecht und Deutsches Recht, Rektoratsrede 1883, S. 14/15. 38) Theorie der Rechtswissenschaft, II, 4.

57 Durchdringung des aus dem Schöße der Nation geborenen Rechts" erschöpft"). Man spürt die Größe der geistigen Umorientierung: vom menschenenthobenen Metaphysisch-Objektiven, das man naiv oder in theologischer Versichertheit für nahbar und gegeben hielt — zur in sich geschlossenen Sphäre des Subjektlebens mit seinen sich überschneidenden komplexen und unübersehbaren Determinationen. Ein reifes und seltenes Bewußtsein vom Sein des Geistigen ist es, darum zu w i s s e n und dem Rechnung zu tragen, — o h n e dabei auch die kompliziert sich herausselegierende B e s t ä n d i g k e i t und den vermittelten O b j e k t s g e h a l t im Geistesleben unter den Tisch zu wischen. — An den noch so verschiedenen geistigen Inhalten — und wenn es ein mathematischer Satz oder eine technische Erfindung oder ein Steuergesetz ist — kann die gemeinsame Merkmale aufprägende, geschichtliche Seite hervorgehoben werden; auch wenn die Leistung (sei es eine Erkenntnis- oder künstlerische oder staatsmännische Leistung) selber sie sozusagen leugnet und Uberzeitlichkeit prätendiert. Aber sie ist doch ein typisches Glied in der Bewegung des geistigen Lebens einer bestimmten konkreten Zeit. Und dieses ist immer ein in innerer Wechselwirkung Zusammenhängendes auf allen seinen Gebieten. Ein besonderes Lebensgefühl, eine Weltanschauung oder Wertung oder ähnlich nennt man das Zusammenhaltende und Ausrichtende. Es kann herausanalysiert werden. Die historische Betrachtung alles Geistigen sucht solche auszeichnenden Achsen des Geistesgeschichtsprozesses zu finden, solche umfassenden Abhängigkeiten der Erscheinungen von bestimmter geschichtlicher Substanz; diese bestimmen dann Formen der Auffassung, des Denkens, des Ausdrucks und der Daseinsgestaltung. Das konstituierende Lebensgefühl selber gehorcht seinem innerlichen Wandlungsgesetz; eine Grundform erwächst aus der anderen. Darin waltet wieder eine eigene geschichtliche Determination. Jede Anschauung von etwas ist demnach nicht so sehr Bild von einem Gegenstand, geschweige denn von einem an sich bestehenden, außerhalb der Geschichte seienden; sondern vielmehr hineingerissen in die treibenden Bildkräfte des „geistes-geschichtlichen" Prozesses als eine Manifestation. S e i n e inneren Gesetze, nicht davon unabhängige s a c h l i c h e Inhalts-Strukturen, regieren also. Was für eine Philosophie, was für eine wissenschaftliche Grundanschauung, was für ein Staatsrecht oder eine Moral neu aufkommt, wird nicht durch einen Fortschritt der Erkenntnis, durch das Gewahrwerden an sich seiender Ordnungen auf diesen Gebieten bestimmt. Zu jenem An39) Dohna, a.a.O. S. 58.

58 sichseienden kommen wir gar nicht hin. Denn jedes geistige Bild davon ist vielmehr von woanders her, aus dem Innern des geistigen produktiven Lebens, geformt: es kann sich nur überall um Ausdrücke des Subjektlebens von geschichtlich bestimmten Menschen bzw. des „Geistes einer Zeit" oder einer Gemeinschaft handeln. Der so und so geschichtlich existierende Mensch macht sich so und so die ihm gemäßen Anschauungen zurecht; er produziert die geistigen — theoretischen, normativen, ebenso wie ästhetischen — Inhalte aus der Tiefe seines menschlich-geschichtlichen Seins. Faßt man das Geistige weit, — es umfaßt dann die Vorstellungen von den Gegenständen, die religiösen, philosophischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Deutungen derselben, die Werttafel, und die politischen, sozialen, technischen Institutionen, — so spricht man über ein so geschlossenes Auffassungssytem als über eine geschichtliche, je bestimmte „Welt". Aber es ist auch wirklich nur die jeweils gültige Welt einer Epoche: ζ. B. „die Welt des frühen Sparta", „die Welt des Atheners der Seebundzeit", die des republikanischen Roms, die Welt des Hellenismus, des gotischen Menschen, der Renaissance, der Romantik... Aber man geht darüber hinaus: es ist sinnlos, zu sagen, es seien d i e s e l b e n Gegenstände, d i e s e l b e Welt, auf die sich in den verschiedenen Zeitabschnitten ein je verschiedenes Auffassen und Werten gerichtet habe. Woher will man von der e i n e n Zeit, der einen W e l t , woher überhaupt von Außer-Geschichtlichem wissen? Denn man ist doch selber immer notwendig in seinen Anschauungen, Kategorien, vermeintlichen SachEinsichten ein Exponent einer ganz bestimmten vergänglichen, geschichtlichen Geistessituation, sieht nur, was für sie ist und gilt. — Es gibt „also" gar nicht die eine — ansichseiende— Welt, vor der sich der geschichtliche Auffassungswandel etwa abspielte, sondern es gibt n u r die geschichtlich abwechselnden Auffassungs-Welten. Für-uns-seins-Welten zeigt uns die Geistesgeschichte: sie ist dann die Universal-Wis'senschaft; nicht aber gelangen wir zu einer jenseits dieser und des Menschlichen, d. h. des Auffassens und Sinngebens und Wollens, für sich bestehenden reinen Sachstruktur. Und es gibt nicht dieselben, an sich mit sich identischen Dinge, die bloß eingingen in die verschiedenen Meinungswelten. Wie etwa, nach einem beliebig aufgegriffenen Beispiel: die Alpen, wie sie wirklich sind; — aber so erscheinen sie eben vielmehr heute uns; die Alpen des Romantikers waren etwas anderes; und wieder etwas anderes waren sie vor jener ersten Bergbesteigung des Renaissance-Dichters um ihrer selbst willen. Warum will man aber dann von einem Sein der Dinge, unabhängig vom menschlichen, geschichtlich wechselnden

59 Meinen, Auffassen, Voraussetzen, überhaupt sprechen? Der Mensch kann doch nicht heraus aus seiner Haiut. Er ist doch in dem von seiner jeweiligen subjektiven und geschichtlichen Verfassung gefärbten Auffassen befangen, in dem sich Dinge, Welt, Seiendes konstituieren. Am eigenen Zopf kann er sich nicht aus dem Sumpfe ziehen. Wie er auch nach dem Wahrhaft-Seienden forschen mag, — er muß immer die für ihn, für seine Epoche allein, und für andere oder nachher nicht mehr verbindlichen, auf sich und seine Geschichtssituation also relativen, also vergänglichen und einseitigen Wahrheiten voraussetzen. Sie stehen ihim selber im Licht, wenn er nach dem Transzendenten hinüber will. — Aber kann er nicht damit gerade wieder r e c h n e n und es in Abzug bringen, — wovon sich der Relativismus nichts träumen läßt? (Darüber siehe unten). — Man sieht, es geht hier stark ins Erkenntnis-Theoretische. Mit dem Historismus ist, zunächst am Problem der Geschichtserfassung, eine eigene Erkenntnistheorie erwachsen. Es ist die Lehre vom „Verstehen". Erkennen ist hier nicht Beziehung zum Ansich-Seienden, sondern Rückbeziehung von Ausdrücken auf ein sich sinnvoll äußerndes Subjekt: und zwar durch das Nachvollziehen des ausdrückenden geistigen Hervorbringens. Die allgemeine Form: Auflösung des Gegenständlichen — was Eigenschaft der Objekte zu sein s c h e i n t — in ein zentrifugales Umsichheram-Projizieren eines Subjektszentrums, triumphiert heute allenthalben, in Biologie, Anthropologie, Psychologie. — Daneben aber geht hier gleichzeitig das erste Durchbrechen des Blicks auf das Reich der „Aktionen", des „Inderweltseins", des „Geistigen Seins" u. a. m. vor sich. —

4.

DAS GEISTESGESCHICHTLICHE SEHEN Aber als Vor-Urteile türmen sich hier zunächst die Voraussetzungen einer ganz bestimmten Perspektive auf: es wird von vornherein kein Herankommen an das Objektive, an das Transzendente für m ö g l i c h gehalten. Denn dieses Herankommen wird nur in einem „reinen", begrifflichen, urteilsmäßigen, zeitlosen und abgeschlossenen Erkennen, oder doch jedenfalls nur im I n h a l t des Erkennens vermutet. Jedoch — als Bestätigung des früher Gesagten —: hier stehen wir nicht nur auf einem erkenntnistheoretischen Grund, sondern auch auf einem anthropologischen. „Es scheint mir wichtig, daß man das All, die Einheit los w i r d . . . :

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man würde nicht umhin können, es als höchste Instanz zu nehmen... Man muß das All zersplittern; den Respekt vor dem All verlernen . . . " (Nietzsche)40) Was steckt hinter diesem Wunsch? Seinem elementaren phänomenalen Befund nach erscheint der Mensch als ein besonderes Seiendes der Welt. Einzigartig ist er als ein Lebewesen, dem einerseits die volle biologische Realität zukommt — andererseits aber Verwirklichungsweisen wie: wissenschaftliches Erkennen, sittliches Ethos, politische Entscheidung u. a., die allen anderen Lebewesen fremd sind. Der Relativismus glaubt, mit der Methode des Z u r ü c k f ü h r e n s und Entlarvens die Eigenständigkeit dieser Verwirklichungsweisen zu widerlegen. Also ζ. B. ein menschliches Ethos, das einem objektiven Wert-Reich korrespondierte. Etwa in Worten Nietzsches: „Die g e l o b t e n Zustände und Begierden: — friedlich, billig, mäßig, bescheiden, ehrfürchtig, rücksichtsvoll, tapfer, keusch, redlich, tTeu, gläubig . . . , hingebend, mitleidig, hilfreich ..., mild, gerecht, freigebig, nachsichtig, gehorsam, uneigennützig..." „Zu unterscheiden: inwiefern s o l c h e E i g e n s c h a f t e n bedingt sind als M i t t e l zu einem bestimmten Willen und Z w e c k e (oft einein .bösen' Zwecke); oder als natürliche F o l g e n eines dominierenden Affektes (ζ. B. Geistigkeit); oder Ausdruck einer Notlage, will sagen: als E x i s t e n z b e d i n g u n g e n (ζ. B. Bürger, Sklave, Weib usw.). Summa: sie sind allesamt n i c h t um i h r e r s e l b e r w i l l e n a l s , g u t ' e m p f u n d e n , sondern bereits unter dem Maßstab der .Gesellschaft', .Herde', als Mittel zu deren Zwecken, als notwendig für deren Aufrechterhaltung und Förderung, als Folge zugleich eines eigentlichen H e r d e n . i n i s t i i n k t e s im einzelnen: somit im Dienste eines Instinktes, der g r u n d v e r s c h i e d e n von diesen Tugendzuständen ist. Denn die Herde i s t . . . feindselig, selbstsüchtig, unbarmherzig, voller Herrschsucht, Mißtrauen usw."41). — Und was die Objektivität des Seins der Welt anbelangt: die „wahre Welt" — eine „erlogene Welt "; „als ob eine Welt noch übrig bliebe, wenn man das Perspektivische abrechnet! Damit hätte man ja die Relativität abgerechnet..."; es gibt „vielerlei .Wahrheiten', folglich gibt es keine Wahrheit"; „die Philosophie kann nur noch das Relative aller Erkenntnis betonen"; „die vorhandene Welt, die uns etwas angeht, ist von uns geschaffen.. ,"42). Aber betrachtet man diese Subjektivierung genau, so gewahrt man das folgende: immer steckt etwas gänzlich „anderes" dahinter. Die Spannung zwischen dem, w a s „zurückgeführt" wird, und dem, 40) X V , 381; X V I , 79. 41) X V 352 i . 42) X V I , 429, ββ, 47; X , 120 f . ; XTTT, 76, etc. etc.

61 w o r a u f zurückgeführt wird, — ist im Grunde nicht geringer als früher diejenige zwischen dem Subjektiven und dem Transzendenten. Nur liegen jetzt beide Pole i n n e r h a l b des Menschen. Aber es sind damit auch das Rätsel und der Hiatus in den Menschen verlegt. Daß nun erst der Relativismus dieses „Innen", dynamisch, geschichtlich, psychologisch und typologisch in neuem unbeschreiblichem Reichtum auseinandergefaltet, bat sehen lassen, wurde gestreift. Was aber hat er geleistet zur Bewältigung der Frage, die uns jene S p a n n u n g aufgibt? Nietzsche hat versucht, zu zeigen, wie Außer-Geistiges zu Geistigem werden kann. Seinem Begriff der „Transfigurationskraft" ist später die Psychoanalyse mit ihrer Kategorie der „Sublimierung" nachgefolgt. „Transfiguriert" wird ζ. B. die „Liebe" — „ein Fieber, das Gründe hat, sich zu transfigurieTen." „Aber wir würden irren, bei ihrer Kraft zu lügen, stehen zu bleiben: sie tut mehr, als bloß imaginieren: sie verschiebt selbst die Werte." Und nicht nur, daß sie das „ G e f ü h l der Werte verschiebt: der Liebende i s t mehr wert." Und umgekehrt: aus der „Fülle in sich" kommt die „schenkende Tugend", kommen „das überströmen und Abgeben..., was die großen Opfer und die große Liebe macht"43) . . . Ja, man versteht, daß ein von Hause aus nur partiell Vitales, das mit dem Zentrum des Selbst, mit dem „Reichtum an Person", in Beziehung steht wie die Liebe, ausgesprochen M e h r - als-Vitales aus sich h e r v o r t r e i b t . Aber deckt dies wirklich die These von der gänzlichen Z u r ü c k f ü h r b a r k e i t des Mehr-als-Vitalen — des anscheinend Mehr-als-Subjektiven — aiuf das wie immer bestimmte Zentrum des Selbst? Hat sich nicht vielmehr nur folgendes begeben: für die Sicht hat sich dieses Verhältnis der beiden auseinandergespannten Pole im menschlichen Wesen und ihrer — vielleicht dialektischen — Verbindung vor jenes andere des Subjektsabhängigen zum Subjektsunabhängigen geschoben? Aber die Größe ist sozusagen in der Rechnung verblieben. Man erklärt: alles vorgeblich Transzendente sei in Menschliches einbezogen. Wie aber sollen die „bedingenden Faktoren" zu ihren gänzlich anders-artigen „Epiphänomenen" und „Projektionen" transzendieren? — Mit der Anfechtung seiner Sonder-Stellung in der Welt scheint für den Menschen paradoxer Weise am Ende die Welt unterzugehen. Daß er, in der Weise des relativistischen Reduzierens, den Respekt 43) VI, 234 f.; XV, 3β1; XVI, 446.

62 vor seinem eigenen Sein verliert, bedeutet: er hebt den Sinn für die Besonderheit der Verwirklichungen des g e i s t i g e n Seins in ihm auf, die mit einem Mehr-als-Subjektsrelativen zu tun haben. Eben dies aber bedeutet dann: er „verliert den Respekt vor dem A l l . . . " D. h. er endet bei dem anderen Nietzsche-Satz: „Alle Weltkonstruktionen sind Anthropomorphismen."44) Erst wenn man dieses Ende ins Auge faßt, weiß man, was es auf sich hat mit der Umdeutung der Gewichtigkeit des Sinns von „erkennen" in „auffassen", „Perspektiven setzen" . . . Das ist ja beinahe der Ansatz des Relativismus, — etwa nach Nietzsches suggestiver Formel von der „unendlichen Ausdeutbarkeit der Welt."45) Was heißt hier noch „ausdeuten", — was heißt hier noch „Welt"? Das ist die Frage. — Im Relativismus findet man nur einen zur Ganzheit des persönlichen oder geschichtlichen Subjektslebens gehörenden Vollzug. Dieser soll dann das „Auffassen" sein, von dem es scheint, es spiele nur im Subjektsbereich selber und bleibe in ihm. Wieso jener Vollzug, seinem aktionsmäßigen Wie nach, nur z w i s c h e n einem Subjekt und Objekt spielen kann, ist von einer noch ungeschriebenen Erkenntnistheorie erst richtig auszudeuten. Es gehört dazu das anthropologische Fundament, daß jenes Subjekt ganz und gar nur in solchem tätigen In-Beziehung-Stehen mit dem selbständigen Sein außer ihm seine eigene Existenz hat. Bei jener Auffassungs-Theorie dagegen wird von vornherein die innere AktionsLeistung derjenigen besonderen menschlichen Funktion verkannt, die Erkennen heißt. Denn diese ist das Instrument, durch das der Mensch sich einrichtet inmitten des selbständigen Seienden, von dem und mit dem er sein Leben lebt; und zwar dadurch, daß er sich mit seinem subjektiven Treiben nach der ihm vorgegebenen Seinswelt richtet, — damit er mit dieser handelnd und sich behauptend zurechtkommt. Diese Entsprechung herbeizuführen, ist die anthropologische Funktion des Erkennens. Es ist eine menschliche, subjektive Veranstaltung, eingeordnet in die übrigen Lebens-Betätigungen und vom personalen Zentrum her determiniert; aber dieses Subjektsleben selber ist, konkret gesehen, wesentlich Arbeit an und mit und gegen den harten An-Sich-Bestand des Außer-Subjektiven. In dieses Arbeiten gliedert sich nur ein, als fruchtbare Funktion, ein Erkennen, das orientierendes Eindringen in das zu Bearbeitende oder zu Erarbeitende ist, wie es wirklich an sich selber sich verhält; nicht aber ein Erkennen als bloßes Auffassen, als Inbegriff von Sinn-Projektionen des Subjekts-Bewußtseins selber. 44) X, 145. 45) XVI, 95.

63 Aber jene Verstehenslehre und jener Perspektivismus haben allesamt Hegel noch im Blut: die Wirklichkeit ist ihnen nicht das harte Gegenüber-Stehende, mit dem der Mensch tätig zu ringen hat; sie ist selber im innersten geist-bestimmt. Das wird — oft peinlich — offenbar an der hier konservativ gepflegten theologisch-spiritualistischen Natur-Auffassung. Damit wird nicht von der menschlichen Situation in ihrer anthropologisch-ontologisch-gnoseologischen Realität, sondern von einer ganz anderen ausgegangen. — Ebenso spielt hier eine Theorie von der Geschichtlichkeit des Erkenntnismäßigen herein, die radikal einseitig ist. Aus dem dominierenden Vortreten der reich verästelten, psychischen und allgemein geistes-geschichtlichen Entstehungsbedingungen auch für jedes E r k e n n t n i s werk wird geschlossen: es sind überhaupt keine anderen Determinanten im Spiel, nämlich solche der spezifischen sachbestimimten Erkenntnis-Progression vermittels des Spruchreifwerdens und Weiterdrängens sachlicher Problemaspekte und Problembearbeitungsstadien. Die a u ß e r erkenntnismäßigen genetischen Umstände des Aufkommens einer einzelwissenschaftlichen Theorie oder eines philosophischen Gedankens sind zu erforschen; aber darüber ist nicht zu vergessen, daß es darin doch ausgezeichnete Determinationslinien gibt, die Strecken der Wissenschaftsgeschichte zu einem methodischen Fortschreiten an der zu erkennenden Sache machen. D i e s e Determination des Fortgangs wird gestört oder gefördert von den außererkenntnismäßigen, allgemein-geschichtlichen Umständen. Aber ihrem Wesen widerspricht es nicht, sich mit diesen zu einemBedingungsgefüge zu vereinen. Sie ist nur eben von vollständig anderer Art. Das Determinierende in ihr ist allein das Entlang - wandern - Können und Eindringen-Wollen des Erkennens am bzw. in den Aufbau des zu Erkennenden. Aus dem Spiel der außererkenntnismäßigen Faktoren kann man dies nicht erklären. Diese könnten nicht, bei ihrer völlig anderen Zugeordnetheit, als Effekt die streckenweise Erkenntnisentwicklung in gerader Richtung der Problemaufrollung ergeben. Freilich steht hinter dem Arbeiten an den Problemen als I m ρ u 1 s immer wieder Menschliches und Geschichtliches. Aber das W i e des Fortgangs verdankt sich der E r k e n n t n i s n a t u r derjenigen geistigen Betätigimg, d i e da angetrieben wird. Doch dieses klarzustellen ist hier nicht der Ort. Der Historismus hat Philosophien und Weltanschauungen, Denkformen und Weltbilder in ihrem reichen Verwurzelungsgeflecht gesehen. Die relativistische Folgerung daraus: sie seien nichts als Exponenten des sich weiterwälzenden allgemeingeschichtlichen Prozesses, ist ein verständliches verabsolutierendes Steckenbleiben in der

64 neu gefundenen Forschungs- und Sichtweise. Man hat eben zunächst über ihr die andere Seite vergessen. Philosophie soll Bewußtwerdung des Geistes einer bestimmten Zeit sein. In dem war Hegel vorausgegangen. Ihm war sogar das eigentliche Weltgeschehen das stufenweise Sichbewußtwerden des Weltgeistes. Mit neuen „Zeitgeistern" sind neue Welt-Auffassungen nicht nur möglich, sondern notwendig. Die Beziehung auf einen durch philosophische Erkenntnis wiederzugebenden Gegenstand a u ß e r h a l b jener Geistes-Geschichte fällt so unter den Tisch. Denn jener ist, wie er ist; es kann nur e i n e wahrhafte und wahr bleibende E r f a s s u n g desselben geben. Freilich ist diese eine wohl nirgendwo endgültig geleistete, sondern immer im Flusse des Suchens und Weitersuchens sich erst vervollkommnende, — i n s o f e r n „auch" eine „zu jeder Zeit" andere. Nicht etwa sind jene Zeitgeister als selber wechselnde Gegenstände das, was „erfaßt" wird. Die Hegeische Formulierung, es gehe um ihr Bewußt - gemachtwerden, ist freilich schillernd. Aber es fehlt jede Ausrichtung auf ein dem Erfassen wahrhaft transzendentes zu Erfassendes. In Wahrheit sind sie das im sachlichen Inhalt Sichausdrückende — bei Hegel und bei den historistischen Geistesgeschichtlern. Aber sofern dieser Inhalt a u c h E r k e n n t n i s inhalt ist, geht nicht alles im Ausdruck auf; es ist Erfassung, d. h. Wiedergabe von Sachstruktur dabei, sonst gäbe es keine E r k e n n t n i s . —

5.

REDUKTION AUF DAS SOZIALE UND NATIONALE Man hat es nicht bewenden lassen bei der Inbeziehungsetzung von objektiven Inhalten zu zentralen (weltanschaulichen, religiösen) Gedanken-Motiven der Geschichte. Diese sollen, so sagt man, nicht frei schweben im „objektiven Geist" — einer Mittellage zwischen Sachgehalt und Subjektivität; wobei unsere Zeit doch erst das wahrhaft Kritische und Synthetische jenes Begriffs aus dem Hegeischen Systemgebäude herausgebrochen hat. Zu sehr war dort damit metaphysische Hochstapelei getrieben worden. Der objektive Geist konnte längst nicht mehr auf den absoluten Welt-Geist zurückbezogen werden. Der geistesgeschichtliche Relativismus tat den ersten Schritt davon weg in entgegengesetzter Richtung. So verwarf man aber auch rasch wieder den Gewinn der Kategorie „Objektiver Geist". Die pure politische Geschichtlichkeit oder ein „Existenzialismus" der konkreten kulturschäffenden Menschen kommt auf.

65 Es ließ sich ζ. B. eine Korrespondenz in der Entwicklung geistiger Erscheinungen und politisch-geschichtlicher aufzeigen. Der Zusammenhang von Renaissance-Denken, Renaissance-Kunst, RenaissanceWissenschaft und Renaissance-Politik ist da ein Standardbeispiel. Die einzelnen umfassenden geschichtlichen Beziehungssysteme stehen nicht nur im Verhältnis des Nacheinander, sondern auch des Nebeneinander. Die Welt des landschaftlich in Kleinstaaten und Seestädte gespaltenen antiken Griechentums entwickelt sich weitgehend unberührt von der gleichzeitigen kontinentalen ägyptischen. Kulturkreise, Kulturseelen stehen nebeneinander als Gegenstände morphologischer Betrachtung. Analoge Entwicklungsstadien der einzelnen Kulturen weisen überraschende Ähnlichkeiten auf, und zwar auf allen Gebieten. Das Aufkommen von Relativismus, Eklektizismus, Toleranz und Synkretismus ist selber ein ganz typisches wiederkehrendes Merkmal, und zwar aus dem großstädtischen übersättigten Spätstadium in sich selbst unsicher werdender Hochkulturen. Die Kulturen haben „Lebensalter" (Spengler); jedes geistige Gebilde erhält von daher eine Prägung, ist relativ darauf. — Ohne Zusammenhang mit der Gesellschaftsordnung ist nirgendwo etwas Geistiges: nicht bloß in seiner Entstehung, sondern auch der Prägung seines Inhalts nach. Die Neugestaltung der Ethik durch Plato sucht man besser zu verstehen aus dem sozial-revolutionären Prozeß im damaligen athenischen Gemeinwesen, ebenso wie die homerische Kunst aus der Feudalordnung an den jonischen Fürstenhöfen. Oder etwa der Zusammenhang einer bestimmten Form mittelalterlicher Ethik mit dem Gesellschaftszustand der Ritterzeit. An Empirismus, Individualismus,. Atomismus und Freihandelslehre weist man die Züge des zuerst in England sich liberalisierenden Bürgertums nach. Die Entstehung bestimmter Moralsysteme wird auf das revolutionierende Zurmachtkommen, auf den Aufstand unterdrückter Sozialschichten bezogen. Man konnte Inhaltliches einer Moral, ihre spezifischen Werte, aus der Psychologie des declasse entlarven. Ein anderes Paradebeispiel ist das Aufkommen des relativistischen Denkens selber: es steckt immer das Abschütteln einer bislang verbindlichen, überpersonalen Autorität dahinter. — Im Marxismus ist das ganze Verhältnis auf das Schema der Abhängigkeit der „Ideologien" vom jeweiligen Stadium des „Kampfes um die Produktionsmittel" gebracht. Irgendetwas anderes als diese Seite sieht der historische Materialismus im Geist und in der Geistesgeschichte überhaupt nicht mehr. Das Geistige ist nur Epiphänomen. Jede seiner Gestaltungen S Wein, Relativismus

66 ist gültig nur, so lange ein bestimmter Gesellschafts- oder WirtschaftsZustand besteht. — Der Geist der einzelnen Völker ist aber auch Funktion ihrer nationalen Prägung. Descartes ist Franzose auch in seiner Philosophie; am Philosophieren von Locke, Berkeley, Hume, nicht zuletzt im Wissenschaftler Darwin und seinem Theorie-Einfall, wird etwas typisch Englisches sehr deutlich; in Kant zeigt sich doch eine Verwandtschaft deutschen Denkens und Wollens mit Luther und anderen „faustischen" Gestalten. „Die Franzosen haben diesen Verstand, weil sie diesen Charakter haben. Denn ihr Verstand hat schon die Farbe ihres Charakters und redet nur ihren ursprünglichen Neigungen und Tendenzen das Wort" (Goethe z. Riemer, 1806). Aber auch in ganz anderer als genetischer Hinsicht: kann ein Deutscher, wenn er Geschichte treibt, — ζ. B. auf die Kämpfe um den Rhein und zwischen deutscher und französischer Kultur hinblickt, — je aus seiner Perspektive heraus? Wie läßt sie sich vereinigen mit der des Franzosen? Oder, so sagt man, wie sollen sich Europäer und Orientale im Grund über Geistiges verständigen? Das läßt sich weiter ins Einzelmenschliche hinein verfolgen. Besondere Leistungen werden im 19. Jahrhundert im Gebiet der Entwicklungsgeschichte einzelner Geister vollbracht. Das gesamte Milieu, die Einflüsse der Jugendzeit, der Stammeszugehörigkeit und der Platz in der Gemeinschaft werden von der Analyse mit den Gedanken-Inhalten in überraschende Beziehungen gebracht. Je nach der Art dieser Bedingungen scheinen die Weltbilder auszufallen. Irgendetwas von der Natur und Kultur des preußischen Königsberg, besser, von Nie-darüber-Hinausgegangensein, ist bei Kant, vor allem in seiner Ethik, zu spüren. Die Erforschung von Hegels theologischen Jugendspekulationen, seiner Berührung mit den Kreisen des spinozistisch-pantheistischen und vitalistischen Denkens, gibt zweifellos durchgehende Motive an die Hand; diese lassen sich durch sein ganzes oeuvre verfolgen. Die Entstehungsgeschichte der großen naturwissenschaftlichen und technischen Entdeckungen ist zum Gegenstand gemacht worden. Tief aus dem Zusammenspiel der sämtlichen Kulturfaktoren kommen da die impulsverleihenden und bahnfreimachenden Ansätze her. Das Verblassen der Gewalt des Religiösen macht den freien, selbstzweckhaften Betrieb des modernen naturwissenschaftlichen Forschens erst möglich. Hinter der Einführung der maschinentechnischen Wirtschaft und den einschlägigen, s c h e i n b a r „zufälligen" Entdeckungen (der Dampfmaschine ζ. B.) stehen Bevölkerungsknappheit und Kohlenreichtum des England, in

67 dem zuerst die Textilerzeugung aus der handwerklichen in fabrikmäßige Form überging, u. a. m. Aus einer Situation voll von außererkenntnismäßigen Umständen, — wenigstens in ihrem Zusammentreffen von erkenntnisirrelevanten Bedingungen abhängig, — sucht man das Erkenntnismäßige genetisch abzuleiten. — 6.

PSYCHOLOGISIERUNG Nach der Ablösung des Erkenntnisproblems von seinem jahrhundertelangen theologischen Hintergrund wurde klar, daß es kein „reines Erkennen" gibt, — in den Menschen geheimnisvoll hineingestrahlt von einem rein geistigen Weltprinzip, sondern nur menschliches Erkennen; d. h. vom gesamtmenschlichen Aktionszentrum dirigiertes, angetriebenes, ihm dienendes; dies ist Sicherarbeiten von Orientierung über die gegen ihr Erkanntwerden gleichgültige, ansichbestehende Seinswelt. Jenes Zentrum für alle menschlichen Äußerungen hat man u. a. im Charakter gesucht. Bei dem viel mißbrauchten Fichtewort, daß man eine Philosophie habe, je nachdem, was man für ein Mensch sei, ist in Wahrheit nur an den Zusammenhang von zwei fundamentalen Charakter-Typen mit zwei Weltbild-Typen gedacht: es gibt Menschen, die sich zur Freiheit erheben können; sie sind in ihrem Denken „Idealisten", die anderen „Dogmatiker". Aber es läßt sich weiter spezifizieren: bei dem Empfindungsmenschen, der stark im Lebensgenuß mit den Sinnen lebt, wird eine eudämonistische Ethik und eine materialistische Weltlehre Eingang finden. Diejenige Ethik, welche die menschliche Freiheit streicht, ist offensichtlich zugeordnet einem durch und durch besonders, nämlich nicht-aktivistisch, quietistisch veranlagten Menschentyp. Man sieht ein, wie ein Ressentiment gegen das Leben, — der „Lebensneid", die „Verleumdung des Lebens", — einer bestimmten Metaphysik Vorschub leistet, ein starkes Vorwalten von Schaffenskraft und -freudigkeit dagegen einem anderen Weltbild; es wird bis in seine allgemeinsten Kategorien hinein anders geschichtet sein bzw. anderen Phänomenbereichen das Ubergewicht erteilen. Im „Ressentiment" ist ein ganzer Mechanismus psychologischer Energie-Wirkung und -Umwandlung aufgedeckt worden. In nuce enthält es das Kinderverschen: Wenn dem Fuchs zu hoch die Trauben auf der steilen Mauer sind, spricht er, ach, ihr könnt mirs glauben, daß die Dinger sauer sind. Wer nicht „aus-schweifen" k a n n , will 5·

68 aus dem Verzicht eine Tugend und aus dein „Aus-leben" ein „Laster" machen; und er will, daß seine „Tugend" für alle als das Höchste gelte, das Laster der anderen aber verdammt, womöglich unterdrückt werde. Für einen — eine ganze Menschengruppe oder -Schicht — ist das Leben aus dem Vollen und ohrie Rücksicht — große und eigene Triebe siegreich und mächtig durchsetzend, — Gefährdung und Normüberschreitung. Andere dagegen können es sich leisten. Bei jenen werden Sich - Einschränken, Rücksicht - Nehmen, Sich - Fügen, SichUberwinden, und die Anschauungen, die zur Befestigung dieser nützlichen Kräfte dienen, das Gute, Tüchtige. So wird Moral „geschaffen". Was dem einen an-gemessen ist, ist aber für den anderen unmäßig. Die Maßstäbe sind relativ auf den Messenden. Sie variieren geschichtlich und subjektiv. Der adelige, vornehme Mensch richtet die gesamte Kultur aus auf die virtus, der Priester und Leidende auf das „asketische Ideal". (Nietzsche). Das Nicht-haben, der Mangel einerseits, und das spezielle Können andererseits werden als die einzigen Determinanten der Werttafeln herausgestrichen. Hinter dem Sich-Distanzieren von überwindbaren Interessenperspektiven und triebhaftem Drang wird Askese, Nein-Sagen, — der „Instinkt des Kranken und Leidenden", — entdeckt, und zwar geradezu als die Bedingung der Widmung des Lebens an das Geistige und Mehr-als-Empirische; hinter der wissenschaftlichen „Objektivität" wird nach dem Menschen, nach der Physiologie und Psychologie des „desinteresse" gefahndet. Sehr charakteristisch ist Nietzsches von vornherein negative Kennzeichnung des objektiv Erkennenwollenden als „desinteresse". Objektive Erkenntnis, objektive Wertordnung, Objektivität überhaupt sind ihm: Mangel an Person, an Wille, Unfähigkeit zur Liebe . . . Das Objektive ist „nur ein falscher Artbegriff innerhalb des Subjektiven".46) Die „Wahrheit" ist ein „Deckmantel ganz anderer Regungen und Triebe". Als eine „Selbstbetäubung" wird die sich aufopfernde Beschäftigung des Erkenntnissuchers mit der Erschließung von Sachlichem, Außermenschlichem, seine Unterwerfung unter die Regeln der Exaktheit und Objektivität, psychologisiert. Ein „physiologisches Hemmungsgefühl und sein Remedium" (Nietzsche), — Sublimierung von Lebenskraft in gewissermaßen unnatürliche Transpositionen ,— dies ist die psychologisch entdeckte Motivation. Alles wissenschaftlich und philosophisch und künstlerisch Erarbeitete soll ihr E r g e b n i s sein. Es wird nicht mehr sachlich, sondern n u r noch psychologisch, d. h. in seinem Charakter als Ausdruck und Symptom, gesehen. „Der moralische Mensch setzt voraus, was ihm am Herzen liege, müsse auch das Herz der Dinge sein." 4β) I , 322, 325; X V , 473; X V I , 85, 62, 4SI.

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(Nietzsche) '). An alledem ist aber auch etwas in das Problem der Mensch-Welt-Beziehung Einschlägiges: die Inadäquatheit zwischen dem subjektiven, „allzu-menschlichen" Hintergrund und dem sachlichen, außermenschlichen Gehalt wird hier eine denkbar große. Teleologische Philosophie ζ. B. hat zur psychologischen Genese eine „Infizierung deT Welt mit dem Schuldkomplex" (Nietzsche); das Gegensich-selber-Wüten des Menschen steckt in Wahrheit dahinter. Das Pendant ist die nützliche „Lebenslüge". Das Gefährliche dieses Gedankens mußte einmal berauschen. Immer „steckt" etwas anderes „dahinter", — hinter dem Inhaltlichen ein Genetisches, hinter dem Sachlichen ein MenschlichesAllzumenschliches, — das nun an jenem hervorgezogen und entlarvt wird. — Notwendig dazunehmen muß man das Aufkommen der Tiefenpsychologie. Dabei ist erst entdeckt worden, was es tatsächlich auf dem Gebiet der Selbsttäuschung, der Maskierung von eigentlichen Triebfedern in die entferntesten, oft gegensätzlichen Scheinprätensionen gibt. Gerade auch als unbemerktes Hineinspielen völlig erkenntnisfremder Tendenzen in philosophisches und einzelwissenschaftliches Denken, bis zur „Tartufferie der Wissenschaftlichkeit"48). Es brauchen nicht immer Geleise der „Libido" oder des Macht- und Bewältigungsstrebens zu sein. „Gemütsbedürfnisse", „Bedürfnisse der Vernunft" stehen als deformierende Impulse im Hintergrund gerade des philosophischen Erkenntnäislebens4·). Aber auch in den Einzelwissenschaften wirkt sich das aus. Das Bedürfnis, die Sternenwelt um einen Zentral-Körper ordnen zu können, hat ζ. B. in der Astronomie lange Zeit insgeheim die Voraussetzung erzeugt, er müsse zu finden sein, u. Ä. m. Die Aufhellung des Werdens der geistigen Gehalte stellt man sich aber nach diesen Entdeckungen viel zu einfach vor; zu simpel ist der Mechanismus der Ableitung; nur die psychologische Seite ist da. Alles wird nun über einen Kamm geschoren. Das Instrument des „Zurückführens v o n . . . auf . . . " ist scharf geschliffen. Im Eifer des Entlarvens erscheint die radikalste, selber oberdogmatische Blüte des Relativismus als gerechtfertigt: der Weg zum Objekt, wie es an sich selbst wäre, ist überhaupt versperrt, weil der Mensch rettungslos eingesponnen ist in seine „Fiktionen" (Vaihinger). Diese sind natürlich Variable des Subjekts; sie können für dieses mehr oder weniger zweckmäßig sein. Grundkategorien, wie Kausalität, Subjekt, Substanz, wurzeln in Setzungen, für die es psychologische Motive 47) Π, 21. 48) XV, 450. 49) Vgl. dazu: Kant In der Kritik der reinen Vernunft u. a. O.

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gibt. Für die Anlage ganzer Weltbilder sucht man sie in zugrundeliegenden „Wertungen". Und diese sollen sich als Charaktersymptome demaskieren lassen. Immer mehr übt sich so die „indirekte Sichtweise" (intentio obliqua) ein: entgegen der Richtung auf die Sachen — zurück ins Menscheninnere. Auch dies ist wichtig für den geistigen Nährboden des Relativismus im späten 19. Jahrhundert. Und für das Auseinanderkommen von Einzelwissenschaft und Philosophie. Das ist die wissenschaftliche Erscheinungsform jener großen und gefahrvollen „Reflexion", von der Kierkegaard spricht.60) Dem „moralischen Apriori" — daß die Welt im Grunde wohl eingerichtet sei, daß das Schlechte nur ein Mangel an Vollkommenheit sei, — steht etwa gegenüber das zwiespältige Verhältnis zur Welt: das Wittern von Konflikt und tragischer Sinnlosigkeit, vom Walten einer zerstörenden Gegen-Macht, selbst in Gott, das Mißtrauen gegenüber aller Erscheinung und aller Neigung. Von solchen kardinalen Strukturachsen der charakterlichen Beziehung des Menschen zur Welt zeigt man nun ihr Eingehen als unbewußte Voraussetzungen und Auswahlprinzipien in die höchsten Gedankengebäude, ζ. B. in eine Metaphysik, für die alles Sein unum verum bonum ist, oder eben in eine romantische Spekulation, für die im Gegensatz dazu im Innern Gottes selber ein Lichtes und ein Dunkles besteht... Ebenso charakteristisch ist die primäre Zuwendung: entweder zur Natur oder zur Geschichte. „Extraversion und Introversion", „integrierter und desintegrierter Typ" (C. G. Jung; Jaensch) sind Termini neuester Psychologie für Unterschiede in der Gesamteinstellung der Menschen. Diesen Unterschieden aber sollen Formen des gesamten Gedanken-Schaffens und -Aufnehmens entsprechen; sie sollen sich an jedem geistigen Produkt bemerkbar machen. Von den Polaritäten und Dimensionen in dieser tiefen Persönlichkeits-Schicht wären dann, ihnen zugeordnet, die des Geistigen abhängig. Wieder das Wollen, die Freiheit, wird dagegen in ihr Recht eingesetzt, wo von „Existenz" gesprochen wird. Je nach dem, ob es zu einem „Aufschwung" kommt, aus dem Vermögen der existenziellen Tiefe heraus, — die nicht mit dein Intelligiblen oder dem Moralischen im Menschen zusammenfällt —, wird das Denken existenziell, echt, — oder leer, Verblasen, sophistisch. Das gesamte Mensch-Sein kann im Alltag „verfallen" oder vor seine eigentlichen „Möglichkeiten" kommen, „in Grenzsituationen". Aber es soll vor allem gezeigt werden: das höchste Menschsein bindet sich an keine bestimmte Systematik oder Normgebung; sondern ist vielmehr ganz wesentlich SO) S. Kierkegaard, Kritik der Gegenwart, Innsbruck 1922.

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ein dauerndes Wiederhinausschreiten über vielfältige mögliche Einstellungen, Philosophie, Weltaspekte; sie werden nacheinander immer wieder überwunden und sind dazu da, überwunden zu werden. Aber die Existenz muß sich immer wieder in dieser Bewegung selbst finden; die Bewegung ist alles; sie bedarf geradezu der Mannigfaltigkeit der einander sachlich bestreitenden Standpunkte. Sie verliert ihr Eigentlichstes in jeder Verfestigung, obwohl sie immer wieder nach einer solchen drängt. Aber ihre Wahrheit ist das Nicht-Festlegbarsein auf irgendeine erkannte Wahrheit oder Weisheit. So wird jeglicher geistige Gehalt auf die Existenz-Werdung bezogem. Dais Inhaltliche, die angestrebte Wiedergabe einer von der M e n s c h e n - Existenz unabhängigen Seinswelt, und damit auch ζ. B. der Meinungsstreit, Wahrheit und Irrtum der einzelnen Anschauungen werden zum Sekundären, zum Schauspiel. Die „Systeme" werden eine Art Übungsplatz der sich selbst suchenden Existenz. Verwirklichen kann sich diese nur, indem sie „sich selber wählt" (Kierkegaard), d. h. entscheidet in geschichtlicher Einmaligkeit (Jaspers)61). Es gibt heute auch eine Zurückbeziehung des Geistigen — auch des im objektiven Geist sich Tradierenden — auf das handelnde Inderweltsein. Weisen dieses in n e u e m Sinn „idealistisch" konstituierenden „Existierens", verfallene und eigentliche, gemeinschaftsabgelöste oder zur Gemeinschaft entschiedene und politisch sich einsetzende, sind die einzigen Träger des geistigen Lebens, in allen seinen Größendimensionen. — Umgekehrt ist das Existieren im Allerinnersten Geschichtlichkeit, oder direkt „Zeitigen", „Zeit" (Heidegger52). — Wie kann ein An-sich-so-und-so-sich-Verhaltendes der Welt übrig bleiben — a u ß e r h a l b des (korrelativen) Inderweltseins, d .h. darüber hinaus — in O b j e k t s richtung? Es handelt sich darum, daß alles übrige hinter der Seinsweise des m e n s c h l i c h e n „ D a s e i n s " verschwindet. Diese hat ein anderes Verhältnis zur Zeit als das kosmische Sein. Sie ist eben geschichtlich. Hält man sich, in „existential"-transzendentaler Analyse, an sie a l l e i n , so gibt es nichts Ungeschichtliches; d. h. die Trennung des menschlich-geschichtlichen „Sichentgegenstehenlassens" von einem Entgegenstehenden, das außer-menschen-geschichtlichen Bestand hat, gerät aus dem Blick. 51) Vgl. Joh. Thyssen, Der philosophische Relativismus, Bonn 1941, S. 28—29, über das Verhältnis der Jaspersschen Philosophie zum Relativismus: „Tatsächlich liegt auch hier eine Unterordnung dee Erkennens vor, unter die .Existenz' nämlich . . . Das Erkennen und die von ihm geschauten Wahrheiten werden .Moment' in der existentiellen Entscheidung aus der Freiheit des E i n z e l s u b j e k t s . . . ; — das philosophische E r k e n n e n . . . muß daher mit eingeschmolzen werden in das Ganze der existentiellen Entscheidung." 52) Es wäre m. E. vollkommen falsch, die Philosophien von Jaspers und Heidegger im ganzen dem Bereich des Relativismus zuzurechnen. Hier liegen charakteristische Stuien des Hinausstiegs über die Relatdvismussituation vor.

72 VI.

1. RELATIVISTISCHER EKLEKTIZISMUS Es gibt daneben unreine Formen des Relativismus. In ihnen ist der Relativismus eingeschlossen in anderes, das er durchdringt. Auch dies sind Erschlaffungs- oder Überreife-Formen des geistigen Lebens. Wir sehen sie vielfach wie lähmende Wolken über allen Möglichkeiten zu Neuansätzen lagern. Uber die wissenschaftliche Welt hinaus haben diese altbekannten Degenerationserscheinungen wie Seuchen um sich gegriffen. Sie durchsetzen erst die Nicht-geistigSchaffenden, die breite Schicht der Geist-Aufnehmenden, die allgemeine geistige Alltagsatmosphäre. Immer waren sie in der Geschichte in ähnlichen Zeiten da. — Da ist einmal der Eklektizismus. Man sagt: in a l l e m ist ein Funke Wahrheit. Das mythische Denken sieht eine Sache so, das religiöse anders, die aufgeklärte Wissenschaft wieder anders. — Aber auf diese Unterschiede kommt es nicht sehr an. Als ob man herausfinden müßte, wer eigentlich Recht hat d e r S a c h e n a c h ! Man kann sich ebensogut mit der Religion die Entstehung der Welt durch einen Schöpfergott oder physikalisch durch einen unendlichen Prozeß zu erklären suchen. Welche Fassung man wähle, entscheide das Seelenbedürfnis, die persönliche Veranlagung. 2.

RELATIVISTISCHER SYNKRETISMUS Konstruktiver ist schon der universale Synkretismus. Ihm dreht es sich darum, alles zu bejahen. Wenn es die These, den Standpunkt X ist Α gibt, aber auch den Gegensatz dazu: X ist nicht A, vielmehr B, — so muß man beides gelten lassen. Jede Position, die eine wie die entgegengesetzte Seite, das Gute und das Böse, gehört zum All und hat seinen Platz darin. Immer wieder überwältigend in seiner mystischen großen Attitüde, führt dieses Programm das Denkenwollen in einen Nebel. Menschliches Wert-Bejahen mag sich hier zu einem höchsten Grade expandieren; aber das Erkennen versinkt in diesem Meer der Unterschiedslosigkeit von Wahrheit und Unwahrheit. Sein Ziel wird preisgegeben, wenn es heißt: alles ist im Grunde gleich wahr und gleich unwahr, weil es doch nur Einseitiges, Relatives ist. Die psychologistische, antiquarisch-sterile Blasiertheit gegenüber

78 dem eigentlich sachhaltigen Erkennen oder die spätlinghafte, ciceronianische oder skeptische Originalitätslosigkeit führen zu einem Verwischen der Gegensätze. — Ein anderes ist die Ahnung von einer Einheit des Gegensätzlichen jenseits des uns Erkennbaren (coincidentia oppositorum). —

3.

RELATIVISTISCHER ABSOLUTISMUS Dies führt direkt zum Absolutismus: alles einzelne, was es auch sei, ist gleichermaßen endlich, unvollkommen, gleichermaßen relativ, d. h. nichtig — vor dem Absoluten. Das absolute Ganze relativiert jedes als Einzelnes fixierte Seiende, jeden Wert, jedes Ziel, jede Aussage; es ist unvollständig, i s t gar nicht im eigentlichen Sinn; nur das Ganze ist. So lehrte Hegel. „Je unendlicher man das Unendliche, je schrankenloser man das Schrankenlose denkt, um so endlicher wird man das Endliche, um so beschränkter das Beschränkte denken""). Bei Hegel ist es der Relativismus des übermenschlichen Subjekts: das, worin schlechthin alles aufgeht, sind das Spiel der Entfaltungen und die Weisen des Selbstbewußtseins des „Absoluten", das „Subjekt" und „absoluter Geist" ist. Der spätere Relativismus bezieht alles selbständige Sachliche, Welthafte, Ordnungshafte in die dynamische Sphäre des endlichen Subjekts ein. So wie jene Metaphysik dieses zu einem unselbständigen Moment im System des Absoluten gemacht hatte. Beides ist nicht das inmitten und aus der Objektswelt lebende menschliche Subjekt. Der Relativismus meint der Anwalt des faktischen Menschlichen gegenüber dem Metaphysischen zu sein. Aber indem er ein irgendwie allmächtiges Subjekt konstituiert, gründet er eine f a l s c h e Theorie des M e n s c h l i c h e n . Religiöser gesagt, kommt bei jenem Sicherheben zum Absoluten und Sichzurückziehen auf es die verführerische Essenz des Pantheismus, des uralten £v καΐ ττδν , heraus. Das Zusammentreffen von allem, hinein in den Abgrund des einen Grundbegriffes des Umfassenden, ist das Bestrickende für das Denken. Für das Aufstellen der Werttafel dies: das Unübersehbare der individuellen Werte ist nivelliert; die Idee des Höchsten saugt alles in sich hinein und tritt alleine vor als das Allseitige. Auch ein praktisch und politisch in die Tat umgesetzter Relativismus — der Anarchismus — kann sich in eigentümlicher Weise mit 53) Raoul Richter, Der Skeptizismus In dier Philosophie und seine Überwindung. Leipzig 1908, 2. Bd., S. 118.

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einem staatstheoretischen Absolutismus verquicken: es gibt wohl eine absolut gültige (göttlich sanktionierte) Ordnung; aber das ist nicht die der menschlich geleiteten Gemeinwesen; deren Forderungen sind inkommensurabel mit jener vollkommenen, radikalen Ordnung; darum ist es relativ unwichtig, welche dieser irdischen Gesetzgebungen „solange" gelte, und ob einer sie einhält oder zerbricht; jeder darf d a v o n tun, was er mag — weil er eigentlich ja g a n z das andere tun sollte (ζ. B. kein Eigentum bewahren, keine weltliche Rechtsprechung fordern sollte). — Die andere Seite des mystisch und asketisch gesteigerten Absolutismus ist überall die Indifferenz — wie beim Relativismus! — g e g e n ü b e r d e n U n t e r s c h i e d e n u n d K o n t u r e n im Nichtabsoluten. Sie sind es aber, auf die sich die Wichtigkeiten der faktischen menschlichen Situation beziehen — Verantwortung, Folge und Entscheidung im handelnden Kampf mit der Wirklichkeit — und für die wir relative Kriterien haben. — Die asymptotische Näherung von Relativismus und Absolutismus ist etwas überaus Merkwürdiges. Immer birgt der Relativismus eine Absolutheits-Pose; und der Absolutismus ein Relativitäts-Faktum. Diese Dialektik ist das Fanal dafür, daß nicht im Absolutismus die wahre Uberwindung des Relativismus zu suchen ist; ex ist das formale Pendant zu diesem. Noch verräterischer für ihr seltsames Zusammengehören sind die Weisen ihres Wirkens: der Relativismus tötet den elan zu geistiger Neuleistung ab, das Vertrauen, Wagen und Aufsichnehmen. Und zwar durch die Präsumption: die geistigen Vermögen könnten niemals ein eigentliches verbürgtes Ziel erreichen; sie könnten nur immer wieder einen ungewissen Weg neben anderen einschlagen, ohne die letzte Sanktion einer gewissen, erweisbaren Erfüllung. Der Absolutismus bewirkt d i e g l e i c h e A b t ö t u n g . Durch das Resume: der Geist habe sein Ziel erreicht, jedenfalls sei man bereits auf dem richtigen Geleise zu seiner Erreichung. Die Uberzeugung, daß Alle irgendwann zur einen vollendeten Wahrheit erhoben werden müßten, ist charakteristisch für den Absolutismus. So knüpfte es sich an das cartesische System und die Aufklärung, an das hegelische und an das naturwissenschaftlich-materialistische, und war in den Zeiten da, wo man etwa an absolute Kunstmaßstäbe glaubte (in der Klassik). Denn Absolutismus impliziert nicht, alle müßten dieselbe Meinung bereits haben. Was da hinzukommt, ist erstens die geschichtliche Dimension: die geheiligten Prinzipien sollen unfehlbar sicher und ewig und allgemein feststehen, — von denen aus aber nun der je persönliche Einsatz dies oder jenes

75 Einzigartige hinzuerringt. Zweitens gibt es natürlich Bereiche, in denen die Perspektivität unausschaltbar ist. Aber es gibt auch eine Abstufung: über subjektsgefärbten Bereichen gibt es solche allgemeinerer Verständigung und Unveränderlichkeit. Auf die Grenzen und den Rang der Subjektsverschiedenheit kommt es an. Während radikaler Relativismus in a l l e m den einzelnen frei und berechtigt glaubt, die oder jene Möglichkeit sich zu wählen, faßt der Absolutist die vorgegebene Notwendigkeitsbestimmtheit dieser Möglichkeiten durch ein universales System oder absolute Maßstäbe ins Auge. Die subjektive Abwandlung ist ihm Bagatelle. Absolutismus ist nämlich die Meinung, der ordnende Überblick, das umfassende System und universal anwendbare Systemprinzip der verschiedenen Disjunktionen von Möglichkeiten sei der menschlichen Erkenntnis schließlich findbar. Die Alternativen, die der Relativismus nebeneinanderstellte, ohne die Möglichkeit einer verbindlichen Entscheidung zwischen ihnen, eines Weiterkommens über ihr Nebeneinander hinaus, zu sehen, sollen in der darüber gebauten höheren Struktur eines voll erkennbaren Ganzen zu begreiflicher, ableitbarer Synthese gebracht werden. Der Absolutismus fühlt sich den Alternativen gegenüber nicht am Ende, sondern überhöht sie, wie er meint, fängt sie auf, ordnet das Spiel zu objektiver Gültigkeit. Von jeder wird ihr eindeutig, ein für allemal fixierter richtiger „Ort" gewußt. — Dagegen steht dann wieder Relativismus auf und stellt jenes neue „Universal-System" selber als ein „mögliches" neben ganz anderen, ebenso möglichen, somit nicht-universales, einseitiges, also nicht als das objektiv für immer und alle gültige „ideale", hin. Und wieder sucht ein neuer Wurf des Absolutismus das relativistisch überwundene System und die daneben gestellten „anderen Möglichkeiten", sowie schließlich den Relativismus als selbst einen vorschnell absolut gesetzten bestimmten Standpunkt, als notwendig sich ergänzende Seiten einer von ihm total durchschauten und überschauten Struktur abschließend zu bestimmen; das begriffene Prinzip dieses neuen, noch höheren Ganzen soll als endlicher Ausweg aus dem relativistischen Dilemma der Unentschiedenheit verkündet werden, u. s. f. Aber der Relativismus hat auch noch einen Trumpf zur Hand und eine scharfe Waffe: ist nicht ausnahmslos jeder Lösungsversuch des Relativismusproblems — einschließlich Standpunktlosigkeit und Ιττοχή — selber eine begrenzte, charakteristische Stellungnahme, die nur für den voraus sich so Einstellenden gilt?54) 54) Ganz zweifellos wird ζ. B. eine solche Einstellung zum Relativismus, wie sie in tlefschürfender Konsequenz E. May, In „Am Abgrumd des Relativismus" Berlin 1940, gibt (er sieht als Innerstes der Relatlvlsmus-Hrage die Aprioritäts-Frage), selber relativiert werden!

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So liegen Relativismus und Absolutismus in einem beständigen Ringen um Leben und Tod. — Nicht in den Absolutismus hinein darf der Weg über den Relativismus hinaus führen. Dies wäre ein Zurückschlüpfen in einen schon verlassenen Bau oder ein sich im Kreise Drehen. Freilich geschieht gerade dies am häufigsten. Der feste Halt um jeden Preis wird gesucht, etwa in den altangesehenen Beständen vorgeblicher Apriorität oder Evidenz oder etwa in religiösen Autoritätsformen, in sektiererischen Laienbünden oder in abergläubischen Observanzen radikal-geistfeindlicher, sich stark gebärdender und doch nur posierter Pathetik, usw. — Dies ist in den verschiedensten Gruppen und Tönen auch heute noch da. Die jetzige Zeit hat es zu manchen Darbietungen von grotesker Größe aufgetrieben. —

4.

RELATIVISTISCHE INDIFFERENZ All dies sind immerhin noch pseudo-geistige Einstellungen. Wie sieht die Szenerie des Relativismus im außer-geistigen Bereich aus? Das Erweicht- und Wahlloswerden, das Sichverkleinern zu einem mutlosen Spiel von seiten des geistigen Wollens findet da seinen Niederschlag in dem unheimlich heute vor den Toren lauernden Feind aller menschlichen Gesittung: der großen Indifferenz, der „Nivellierung" (Kierkegaard). An ihr rinnt alles ab. Jeder Aufschwung, jeder letzthin ergreifende, ist unwirklich und kraftlos geworden zu einem Werk in Philosophie, Religion, Forschung oder Ethos; nichts M e h r - als-Vitales ist in seinem verpflichtenden Wert sanktioniert und gesichert, ist überhaupt noch im Ernste da. Menschen eines vollkommenen prinzipienlosen, unpathetischen laisser faire, laisser aller, Entwurzelte noch in einem ganz andern Sinn: von allen Aufgaben der Menschlichkeit Enterbte, — Menschentypen wie der Abel in Hamsun's „Der Ring schließt sich" —, bilden ein strukturloses Etwas; dies schreit nach einem blinden Absolutismus: einem Halt, wo er auch immer herstammen mag, — mag er auch vor dem Bewußtsein nicht zu rechtfertigen oder längst überholt sein. Wo ist etwas, an das wir unsere Freiheit loswerden können, — die zugleich Zu-nichts-sich-entschließen-Können, Von-nichts-ergriffen-Sein, seelischen Tod bedeutet? Dies macht die heutige Blüte des Absolutismus erst möglich. Dies ist wirklich ein Untergangsgemälde. So daß, wenn man es in rein geistige Kategorien kleiden will, die

77 unserer Zeit gestellte Aufgabe tatsächlich diese ist: den Relativismus s ο zu überwinden, daß man nicht zum Absolutismus zurückfällt. —

VII. 1. ZU-WENIG-MENSCHLICHES ,,ALLZUMENSCHLICHES'' Wenn der Mensch sich selbst kritisch betrachtet — aus einer gewissen Erfahrenheit mit Menschlichem heraus, die sich nur im Leben, nicht aus Büchern über den Menschen erlernt, wie es ζ. B. die französischen „Moralisten", von Montaigne an, getan haben — so muß er freilich immer wieder dieses entdecken: was er vorfindet, sind Illusionen des Menschen über sich selbst. In ihnen existieren die Menschen, aus ihnen, mit ihnen erscheint ihr Leben bestimmt. Sucht er hinter diese Illusionen des Menschen über den Menschen zu kommen, sucht er die Realistik des Menschlichen redlich zu erfassen, so sieht sie so aus: sie ergibt ein überwiegend negatives Bild vom Menschen. Was heißt hier „negativ"? Es zeigt sich, daß jegliche menschliche Regung relativ ist auf das Selbst des Menschen und zwar in dem Sinne: daß sie, vielleicht versteckt und unbewußt, aber „im Grunde doch" und „eigentlich", im Dienste dieses Selbst steht. — Uber dieses „Selbst" steht fest: es fällt nicht mit dem sittlichen, vernünftigen oder geistigen Zentrum des Menschen zusammen, nicht einmal mit dem bewußten. Das ergibt als Resultat folgendes: überall kommt das realistische Sehen des Menschen — von Nietzsche das „redliche" genannt — auf ein „Nur". So kommt die kritisch-skeptische Grundlinie aller betont realistischen Analyse des Menschlichen zu allen Zeiten zustande. Das hinzukommende Faktum ist eine anthropologische Fehlerquelle, die nun als eine immer in Abzug zu bringende, einzukalkulierende, erkannt wird. Der Mensch macht sich von sich selbst ein höheres Bild, als seiner realen Natur und Situation entspricht. Diese Quelle der Bildung von Illusionen des Menschen über den Menschen ist als solche niemals zu beseitigen. Man kann lediglich mit ihr rechnen. — Das ist ein neues Stück anthropologischen Hintergrundes des

78 Relativismusproblems. Es führt zu folgender neuer Fragestellung: Wie unterscheidet sich die Tatsachensicht auf die Relativität des Menschlichen vom Relativismus als einem Ismus? In elementarer Bestimmung der Eigenart des menschlichen Seins erscheint der Mensch in der objektiven Erkenntnis, im objektiven Ethos, in seinem geistigen Leben überhaupt, auf ein außer-menschliches Metaphysisches hinbezogen; nach dem Grundtenor der Metaphysik der „Systeme": irgendwie auf ein absolutum. An dieser Hinbezogenheit scheint die prinzipielle Einzigartigkeit der Stellung des Menschen in der Welt zu hängen. Eine Umdeutung der Richtung dieser Beziehung würde zugleich bedeuten: nur ein relativer Unterschied in Hinsicht des Weltbezugs besteht zwischen dem Menschen und anderem „Perspektiven setzenden" Lebendigen. Hat nun die Methode des Relativierens jene Bezogenheit umzudeuten vermocht? Der Relativismus antwortet darauf mit Ja. Die Gesichtspunkte zu dieser Frage seien in sieben teils negativen und teils positiven Hinweisen zusammengestellt. 1. Aus der Tatsachensicht auf die durchgängige Relativität des Menschlichen entsteht Relativismus durch die destruierende Reduktion aller Vorstellungen, die — „vorgeblich" — einer Seinswelt oder Wertwelt entsprechen. Es ist eine Reduktion, wie wiT gesehen haben, in der ganzen Breite der Mannigfaltigkeit jener Vorstellungen. Und insbesondere eine Destruktion ihrer bislang geglaubten Gültigkeit. Die Reduktion geht zurück in Richtung auf das Nur einer biologischen oder psychologischen, soziologisch oder historisch fixierten Partikularität. Die Bewandtnis mit dieser Reduktion ist eine andere als eine bloße Abwertung, als ein wertungsmäßiges Heruntermachen. Das „Negative", die Entlarvung — ζ. B. der vertu als amour-propre — ist nicht etwa nur ein ethischer Wertpessimismus. Das wäre sie vielleicht noch bei den Kritikern der menschlichen Illusionen wie Larochefoucauld. Aber bei Nietzsche: „ E g o i s m u s und sein Problem! Die christliche Verdüsterung in Larochefoucauld, welcher ihn (den Egoismus) überall herauszog und damit den Wert der Dinge und Tugenden v e r m i n d e r t glaubte! Dem entgegen suchte ich zunächst zu beweisen, daß es gar nichts anderes geben k ö n n e als Egoismus . . . " . Also ist es vielmehr eine These über die Ontologie des Menschen, welche das anthropologisch Ausschlaggebende jener Reduktion ausmacht: Reduktion höherer Seins- und Antriebsschichten im Men-

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sehen auf elementarere, — nämlich eben auf jenes dynamische, überwiegend unbewußte Zentrum des Selbst. U n d konkret genommen, ist dieses Zentrum eben in der Tat immer irgendein partikulär und subjektiv bestimmtes. Aber zur weiteren Vertiefung in die Problematik dieser bis weit unterhalb des Zentrums der Bewußtseinswelt reichenden menschlichen Mitte muß zweifelsohne das psychoanalytische und das existenzphilosophische Denken zu Hilfe genommen werden. Jedenfalls ist jene zentrale Partikularität dann, nach dem Relativismus, gleich dem in allem möglichen Anderen sich auswirkenden, eigentlich dahinterstehenden, daran zu entlarvenden, „menschlichenallzumenschlichen" B e d i n g u n g s f a k t o r . 2. Aber kommen wir so wirklich auf einen m e n s c h l i c h e n Faktor? Das Gewicht dieser Frage hängt an folgender Problematik: Jene Bedingungsfaktoren sind in Wahrheit immer etwas, das schon unter dem Vorwirken eines bestimmten Weltsystems im Vordergrund gesehen wird. Und es sind in jedem Fall Faktoren außermenschlicher Seinswerte, sei es nun egoistischer Selbsterhaltungstrieb oder die psychische Strukturachse oder die soziale oder biologische Verfassung oder die „Kulturseele" . . . 3. Diese Erkenntnis bedeutet eine Wendung: Immer wieder ist es etwas im oder am oder über dem Menschen, das vom Relativismus verantwortlich gemacht wird, ein Faktor X oder Y, eine biologische, psychische, soziologische oder historische Konstante. Durchgängig aber ist dieses angeblich allein Bedingende und Erklärende „weniger" als das, was es erklärt, — sei es an Höhe in den Seinsschichten oder an Komplexität und Problematik. Entweder versteift sich die Erklärung auf ein Nebenmoment des Menschlichen — wie eine psychische oder ökonomische Struktur — oder auf eine abstrakt schwebende Sphäre — wie eine Kulturseele oder einen Zeitgeist . . . 4. Dem Relativismus gerecht werden zu wollen, heißt aber, seine zeitgeschichtliche Funktion mitberücksichtigen. Das relativistische Denken läuft Sturm gegen den früheren metaphysischen Absolutismus. Für diesen gibt es objektive Gehalte, abgelöst und unabhängig von der modifizierenden und einschränkenden Bedingtheit der menschlichen Natur und Situation. Diese ist abeT eine für den Menschen unüberspringbare Realität — gegenüber allen metaphysischen Illusionen, Simplifikationen, Idealen, Absolutsetzungen oder „Wünschbarkeiten", wie Nietzsche sagt. Die durchgängige Abhängigkeit und das Hereinspielen von senso-

80 motorischen, von psychisch - perspektivischen, soziologischen und geschichtlichen Bedingungen war in der Tat jahrhundertelang zu gering veranschlagt worden. 5. Deshalb muß das Verfahren des relativistischen Denkens — als die Reaktion dagegen — die ernüchternde, skeptische Grundlinie des Herabziehens von e t w a s . . . auf ein „Nur" zeigen. Jenes nun herabgezogene „Etwas" hatte, für das absolutistische Denken der metaphysischen Systeme, den Nimbus des unnahbar Allgemeingültigen, Objektiven, Eindeutigen, Absoluten gehabt. Eindrucksvollstes Beispiel ist für alle Zeil das un-menschliche Ideal der „reinen Erkenntnis", der pensee pure. Befreit von der Modifizierung durch die Partikularität des menschlichen Standpunktes, prätendierte dieses Ideal die Relativitätsabgelöstheit des göttlichen Blicks. Das vollkommene Gute, das kategorische Sittliche, die verites eternelles und unzähliges andere gehören hierher. 6. Die Zerstörung der Illusion der Ablösbarkeit von menschlicher Relativität und von der Zweideutigkeit der menschlichen Situation, der Illusion der Unabhängigkeit irgendeines Inhalts von mitbedingenden Faktorenkomplexen, ist das Recht der Relativierung. Speziell der moderne Relativismus ist der Versuch eines Abbaus von falschen Prätensionen der Uberzeitlichkeit. Er nimmt die Herauskehrung von facta bruta als letzten Erklärungsmitteln dafür in Kauf. Aber er zieht dabei anthropologisch falsche, zu radikal gezogene Konsequenzen: Er sieht die besondere, wesentliche Nahestellung des Menschen zu einem mehr-als-menschlichen, außermenschlichen Sein, zu einem ansich-seienden, metaphysischen Weltgrund, als Lug und Trug. In dieser Behauptung prätendiert er selbst absolute Apodiktizität. Hier stehen wir vor dem Pendelausschlag ins andere Extrem, in die krasse Anti-These zur Grundlinie der gesamten älteren, metaphysischen Anthropologie. 7. Der Relativismus will die menschen-abgelösten Ordnungen, das Reich r e i n e r Objektivitäten, entthronen. Die naive, dogmatische Form des metaphysischen Absolutismus hatte geglaubt, eben dieses unmittelbar im Griff zu haben oder doch in den Griff bekommen zu können. Aber indem der Relativismus demgegenüber auf die realistische Sachlage zurückgreifen will, greift er wiederum zu tief. Das heißt, es werden von ihm wieder Momente absolut gesetzt. Nur sind es eben jetzt andere, ungeistige Ordnungen innerhalb des Subjektseins, Aber auch sie sind, wenn man einen eigentlichen metaphysischanthropologischen Maßstab anlegt, etwas außerhalb des Menschseins

81 als Mensch-sein. Wiederum entgeht das Menschliche seltsam der Beweisführung. Der Abstand zwischen dem zurückführenden Objektiv-Geistigen im Menschen und dem, worauf zurückgeführt werden soll, ist ebenso unerklärlich groß wie der Abstand des endlichen Menschen vom Absoluten außer ihm in der älteren Weltmetaphysik. Konkreter gesprochen: Die biologistischen, psychologistischen, soziologistischen, historistischen Typen sind Konstruktionen des Menschen; sie liegen unterhalb, außerhalb oder oberhalb des MenschSeins-im-ganzen. Beim Rückgängigmachen der Illusionen des Unmenschlichen ist das Menschliche-als-Menschliches nicht gefunden worden, sondern wiederum ein anderes . . . Die Gläubigkeit an dieses „andere", — an bestimmte materialistisch oder sonst in der Weise e i n e r Seinsschicht wirkende, nennbare Faktoren, — steht wiederum hinter dem angeblich alles entlarvenden Relativismus selber. Auch hier setzt sich in Wahrheit wieder ein partikuläres Denken mit seinen herausgegriffenen Vorzugskategorien absolut. Und diese gewalttätige Denk- und Verfahrens-Tendenz, die sich zu Anfang unseres Jahrhunderts fast in allen Wissenschaften verfestigt hat, steht im Grunde dem Offenbleiben des Blicks auf die volle menschliche Situation genau so entgegen wie der alte Absolutismus der Metaphysik vom Menschen. — Nichtsdestoweniger ist die Umkehrung der Richtung des absolutistischen Denkens im Relativismus ein richtiger Versuch. Jedoch ist der Relativismus über einzelne, wohl faktisch vorhandene Relativitäten und Bedingungsfaktoren des Menschlichen — die ökonomische Situation, die psychische Typik, den Körperbau u. a. m. — nicht zum synthetischen Kern vorgedrungen. Damit verträgt sich gerade das folgende: Er hat unser Wissen um die Dimensionen der Mannigfaltigkeit, der Typik, der Zusammenhänge genetischer und morphologischer Art am und um den Menschen sprunghaft und grandios erweitert. Es ist also so zugegangen wie so oft in der Geistesgeschichte, man hat eine neue Sichtrichtung, Methode, Bahn entdeckt. Nach einer Weile stellt es sich erst heraus: So kann man das Ganze doch nicht in die Schwebe bringen . . . Mit der Korrektur der älteren Schwierigkeit tritt man sofort in den Kampf mit einer neuen Schwierigkeit und Gleichgewichtsfrage ein.

β Wein, RalaUvtemu·

82 2.

RELATIVIERUNG UND IRONIE Die vielleicht ernsteste Frage der geistigen Situation unserer Zeit und ihres Menschen: — Was führt zwischen Scylla und Charybdis von Relativismus und Absolutismus hindurch? — ist aber nach alledem zugleich und zutiefst keine geringere Frage als die nach dem neuen noch nicht vorhandenen Menschenbild. Die „Redlichkeit" des Blickes auf den Menschen ist aber an die Redlichkeit des Blickes auf das Verhältnis Mensch — Welt geknüpft. Es wird kaum eine schlichtere und großartigere, eine objektivere und zeitnähere Ausführung dazu geben als in der ersten der „Zwei kleinen Betrachtungen", die Hugo von Hofmannsthal „Die Ironie der Dinge" überschrieben hat: 55 ) „Es war lange vor dem Kriege, daß ich in den Fragmenten des Novalis diese Bemerkung fand: Nach einem unglücklichen Krieg müssen Komödien geschrieben werden. Diese Aufzeichnung in ihrer sonderbar lakonischen Form war mir ziemlich wunderlich. Heute verstehe ich sie besser. Das Element der Komödie ist die Ironie, und in der Tat ist nichts geeigneter als ein Krieg, der unglücklich ausgeht, uns die Ironie deutlich zu machen, die über allen Dingen dieser Erde waltet. Die Tragödie gibt ihrem Helden, dem Individuum, die künstliche Würde: sie macht ihn zum Halbgott und hebt ihn über die bürgerlichen Verhältnisse hinaus. Wenn sie sich von dieser unbewußten, aber notwendigen Tradition nur einen halben Schritt entfernt, so gerät sie in den Bereich der Komödie: Wie nahe kommt dieser schon ein Stück wie .Hamlet' — aber Hamlet selbst ist noch ein König und ein Held, wenn auch ein solcher an dessen Selbst die Ironie der Verhältnisse und die Selbstironie schon zehren, wie die Strahlen der Sonne an einem Schneemann; und ein bürgerliches Trauerspiel ist vollends ein Unding, denn die bürgerliche Welt ist die Welt des sozial Bedingten und die Tragödie entfaltet sich am sozial Unbedingten. Aber die wirkliche Komödie setzt ihre Individuen in ein tausendfach verhakeltes Verhältnis zur Welt, sie setzt alles in ein Verhältnis zu allem und damit alles in ein Verhältnis der Ironie." Mit der Ironie aus der „Verhakelung der Verhältnisse" meint Hofmannsthal die gegenseitige Relativität alles Wirklichen, in Sonderheit aller menschlichen Wirklichkeit. Er fährt so fort: „Ganz so verfährt der Krieg, der über uns alle gekommen ist, und 55) Geschrieben für die „Neue Freie Presse" am 27. 3. 1921, enthalten In: Die Berührung der Sphären, Berlin 1931.

83 dem wir bis heute nicht entkommen sind, ja vielleicht noch 20 Jahre nicht entkommen werden. Er setzt alles in ein Verhältnis zu allem, d a s s c h e i n b a r G r o ß e z u m s c h e i n b a r K l e i n e n , das scheinbar Bedingende zu einem Neuen über ihm, von dem es wiederbedingt wird, das Heroische zum Mechanischen, das Pathetische zum Finanziellen, und so fort ohne Ende. Zuerst, als der Krieg anfing, wurde der Held vom Schanzarbeiter ironisiert, — der, welcher aufrecht stehen bleiben und angreifen wollte von dem, der eine Schaufel hatte und sich eingrub; zugleich wurde das Individuum bis zur Vernichtung seines Selbstgefühls ironisiert von der Masse, das Bataillon, das Regiment, das Korps von der immer größeren und formloseren Masse; dann aber auch wieder die ganze kämpfende Masse, dieser furchteinflößende und klägliche Riese von einem Etwas, von dem sie sich regiert fühlte, weitergestoßen fühlte, und für das es schwer ist, einen Namen zu finden: nennen wir es den Geist der Nationen. Aber es kam der Moment, wo diese selber, die zur Einheit symbolisierten ungeheueren Massen, ironisiert wurden von der momentanen Allmacht einzelner Individuen, welche irgendwie die Hand an den Zügen und Schrauben hatten, mit denen dieses ungenügende Ganze für den Augenblick regiert werden konnte. Im gleichen Augenblick aber standen auch schon diese selber unter sich kreuzenden Strömen der stärksten zusetzendsten Ironie: Ironie des Kontrastes der großen individuellen Zusammenfassungen, die sie im Munde führten gegenüber dem Wust von eigensinnigen Realitäten, mit denen sie zu ringen hatten; Ironie des Werkzeuges gegen die Hand, die das Werkzeug zu führen glaubt, Ironie des tausendfachen in der Wirklichkeit begründeten Details gegen die vorschnelle, und bewußt unwahre Synthese. Zugleich aber kam der Moment, wo innerhalb dieser riesigen Gesamtheiten der Begriff der Nation ironisiert wurde durch den Begriff der sozialen Klasse. Es kam der Moment der Kohle und des Kohlenarbeiters: dieses ganze Gefüge aus scheinbar Geistigem, hinter dem sich die Materie versteckt, und scheinbar Materiellem, in das der Geist eingekerkert ist, und das wir Europäische Zivilisation nennen, wurde ironisiert von einer einzigen Materie, dem in mineralischer Form aufgespeicherten Sonnenlicht, und alle sozialen Klassen und sogar die Arbeiterklasse wieder ironisiert von einer bestimmten Abteilung dieser Klasse, den Kohlenarbeitern, die zu dieser Materie, von der alles abhängt, in einem Verhältnis stehen, dem wiederum eine ungeheuere Ironie innewohnt: denn sie werden von eben jener Materie, über die sie die unmittelbare Verfügung haben, in einem Verhältnis gehalten, das einer Sklaverei nicht unähnlich ist. Im Kampf aber um die Seele des Kohlenarbeiters, der auf einmal 6'

84 Herr der Lage geworden war, ironisieren sich bis zum äußersten die sozialen und die nationalen Schlagworte... Es wurde endlich zu einer unerschöpflichen Quelle der Ironie der Umstand, daß in den besiegten Ländern, das ist nahezu im halben Europa, das Geld seinen Wert verloren hat gegenüber der Ware, auch der bescheidensten Ware, dem Stück Brot oder dem Meter Leinwand; daß man für die dämonische Substanz, für die man blindlings alles herzugeben gewohnt war, weil man mit ihr alles kaufen konnte, jetzt eigentlich nichts mehr kaufen kann; daß man für weite Länderstrecken zum Tauschhandel zurückgekehrt ist, und daß im Zusammenhang dieser Veränderungen das Privilegium der geistigen Arbeit ganz geschwunden ist und ein Gymnasialdirektor ungefähr so bezahlt wird wie ein Markthelfer, ein Staatssekretär etwas niedriger als ein Chauffeur. Mit alledem befinden wir uns ganz und gar im Element der Komödie — oder vielmehr in einem Element so allseitiger Ironie, wie keine Komödie der Welt es aufweist, es sei denn die Komödie des Aristophanes; und auch diese ist während eines für die Vaterstadt des Dichters höchst unglücklichen, ihr Schicksal besiegelnden Krieges entstanden. Daß es aber die Unterliegenden sind, denen diese ironische Macht des Geschehens aufgeht, ist ja ganz klar. Wer an das bittere Ende einer Sache gelangt ist, dem fällt die Binde von den Augen, der gewinnt einen klaren Geist und kommt hinter die Dinge, beinahe wie ein Gestorbener..." — Wieder stehen wir also vor dem Thema der Desillusionierung um der realistischen Wahrheit des komplexen Verhältnisses willen. Es ist also n i c h t die psychologische Relativierung, das Re-duzieren um des Re-duzierens willen, was mit jenen „ironischen" Verhältnissen gemeint ist. Es ist nicht die reduzierende Relativierung des Menschlich„Großen", die Hegel, der größte Universal-Systematiker und Absolutist, geißelte: „Diese Psychologen hängen sich dann vornehmlich auch an die Betrachtung von den Partikularitäten, welche den großen, historischen Figuren als Privatpersonen zukommen. Der Mensch muß essen und trinken, steht in Beziehung zu Freunden und Bekannten, hat Empfindungen und Aufwallungen des Augenblicks. Solche Partikularitäten haben jene großen Männer auch geliebt, haben gegessen, getrunken, dies Gericht lieber gegessen, diesen Wein lieber getrunken als einen andern oder als Wasser. Für einen Kammerdiener gibt es keinen Helden, ist ein bekanntes Sprichwort; ich habe hinzugesetzt, — und Goethe hat es zwei Jahre später wiederholt, — nicht aber darum, weil dieser kein Held, sondern weil jener der Kammerdiener

86 ist. Dieser zieht dem Helden die Stiefel aus, hilft ihm zu Bette, weiß, daß er lieber Champagner trinkt u. s. f. Für den Kammerdiener gibt es den Helden nicht; der ist für die Welt, die Wirklichkeit, die Geschichte. — Die geschichtlichen Personen, von solchen psychologischen Kammerdienern in der Geschichtschreibung bedient, kommen schlecht weg; sie werden von ihnen nivelliert, auf gleiche Linie oder vielmehr ein paar Stufen unter die Moralität solcher feinen Menschenkenner gestellt.''66) Aber bei Hofmannsthal ist das Thema weit über das bloß „Menschliche-Allzumenschliche" hinaus exponiert. Die Vision des Dichters schildert den Prozeß oder doch die Möglichkeit der Relativierung-in-infinitum, genauer: das fundamentum in re derselben, das objektive Recht der Relativierung aus dem Prozeß des tatsächlichen, menschlichen und geschichtlichen Geschehens heraus, aus der Ineinanderverhakelung der Verhältnisse darin, aus dem realen Bau des Seinsverhältnisses. Unserem Bedürfnis nach eindeutigen und absoluten Konstruktionen mißfällt dies allerdings. Von nichts Geringerem als von der alles angeblich Absolute relativierenden — Hofmannsthal sagt dafür „ironisierenden" — wahren Struktur der ineinander verflochtenen, auf einander relativen, einander einschränkenden Dependenzverhältnisse der Realität ist in den Worten des Dichters die Rede. Immer wird die „künstliche Würde" des Herausgehobenen hineinbezogen in die Verhältnisse des Bedingtseins-durch-ganz-anderes. Das scheinbar absolut und selber unbedingt Bedingende i s t de facto in Abhängigkeit von größeren Zusammenhangskomplexen. So ist die Natur des realen Seinsaufbaus. Dasjenige, von dem uns zunächst scheint, daß es darauf allein und also absolut ankomme, zeigt sich reifer, realistischer Klarsicht als ein nur in Komplexion mit ganz anderem, ja ihm Entgegenlaufenden, jedenfalls es Einschränkenden, Wirkendes. Die Reife solchen Blicks ist Weisheit. Wenn man will, schmerzvolle oder „ironische" Weisheit — im Bewußtsein des „tausendfach verhakelten Verhältnisses" des Menschen zur Welt. Dieses Verhältnis setzt wiederum alles Menschliche „in ein Verhältnis zu allem und damit alles in ein Verhältnis der Ironie". „Die k ü n s t l i c h e Würde" möchte den Menschen „zum Halbgott machen und über die bürgerlichen Verhältnisse hinausheben". Vertieft verstanden, heißt dies zugleich: über die reale m e n s c h l i c h e Situation in der Welt. Die W a h r h e i t über die Stellung des Menschen zur Welt ist unrühmlicher, ironischer, ambivalenter, zweideutiger... 56) Vorleeg. ü. d. Phllos. d«r Weltgeschichte, Meiner, Bd. 171a, S. 81.

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Der Dichter Hofmannsthal aber schließt seine kleine Betrachtung mit folgender seltsamer Passage, in der wiederum das Thema menschlicher Synthese anklingt: „Für alle diese Dinge waren die Dichter empfindlich, die vor 100 Jahren da waren, und ganz natürlich, sie hatten die französischen Umwälzungen und die Napoleonische Zeit durchleben müssen, so wie wir diese jetzigen Krisen durchzuleben haben. Darum machten sie aus der Ironie ein Grundelement ihres Lebens und ihrer Kunstgesinnung und nannten sie di© .romantische Ironie". Sie hielten es für unrecht, wenn man sich zu tief in den Schmerz versenkte, und sie meinten, daß man um einen Gegenstand ganz zu lieben, auch das Lächerliche an diesem Gegenstand zu sehen wissen müsse.57) Sie erhoben sich, aus einer Epoche, darin, als der große Sturm vorüber war, sich wie in der unseren das Bittere mit dem Schalen mischte, zu einer so großen inneren Freiheit, daß sie uns fast wie Trunkenheit erscheinen könnte. Heute ist uns diese Verfassung begreiflicher, als sie irgendeiner der dazwischen liegenden Generationen sein konnte, und mit nachdenklichem Staunen lesen wir die Worte, die sie mit einem feurigen Federzug an das finstere sternenlose Himmelsgewölbe geschrieben haben: Denn der Herr ist der Geist. Wo aber der Geist der Herr ist, da ist die Freiheit".

VIII. 1. DER GEWINN DES RELATIVISMUS Das Mittel deT positiven Uberwindung des Ismus des Relativierens muß sein: die vom Relativismus ans Tageslicht geförderten neuen Seiten der Sache erst wirklich zu erarbeiten, es darin weiter zu treiben; nicht sie, mitsamt dem Verstiegenen, über Bord zu werfen und damit einen Rückschritt zu forcieren. — Das Prinzip der relativistischen Errungenschaft ist dieses: der Relativismus hat das Tor weit aufgemacht aus aller beengenden historischen und individuellen Verfestigung hinaus auf das unendlich weite Feld der geistigen Möglichkeiten und Wege, in ihrer tatsächlichen, gefährdenden Unübersehbarkeit. Es muß nur, als menschliche An57) Vgl. Nietzsche: „Was 1st am typischen Menschen m i t t e l m ä ß i g ? Daß er nicht die K e h r s e i t e d e r D i n g e als notwendig versteht: daß er die Übelstände bekämpft, wie als ob man Ihrer entraten könne; daß er dos Eine nicht mit dem Anderen hinnehmen will. . . Unsere Einsicht 1st die umgekehrte . . . Man (soll) durchaus nicht verkennen, daß es sich . . . nur um das Zustandekommen des synthetischen Menschen handelt . . ." (XVI, 296).

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passung, eine neue Bewußtseinserweiterung gefunden werden, um sich in diesem erweiterten Raum zu bewegen; eine blindlings erwählte, durch Veranlagung oder Zeit aufgedrungene und als absolut erstarrte Bahn führt nirgends für sich allein zu einem befriedigenden Ziel. Neben dem eigenen Ansatz, der sich mitsamt dem eigenen gefundenen Weg und Ziel und Aspekt vorschnell für genügend hält, gibt es immer noch anderes: andere Möglichkeiten, andere Zugangsmittel, andere Seiten der Sache. Diese müssen gerade mit-berücksichtigt werden, um die Sache, wie sie ist, das Ziel, wie es Bestand haben soll, zu erreichen. N i c h t gesagt ist nämlich, daß Willkür, Vielheit und Nebeneinander der Betrachtungs- und BehandlungsMöglichkeiten ihrerseits das absolut letzte Wort behalten; daß es also durch sie hindurch gar kein Vordringen zur bindenden KomplexEinheit der Sache-an-sich-selber geben kann. Aber jene Teil-Gültigkeit jedes (Teil-)Resultats über die Sache, seine n o t w e n d i g e „Menschlichkeit", d. h. Abhängigkeit von einer endlichen Person und einer konkreten Zeit, — dies arbeitet der Relativismus heraus, die große Freiluftschule des geistigen Schauens. So wie die „Pleinairisten" zuerst es aufnehmen mit der ganzen verwirrenden Abgeschattetheit und Bezüglichkeit, mit dem schwierigen Wandel, der Zweideutigkeit aller Valeurs der w i r k l i c h e n Beleuchtung, — die künstliche Einfachheit des AtelierLichts hinter sich lassend. Und diese weltgerechte nuancenerfassende Verfeinerung ist keine Dekadenz, sondern eine sorglichere Wiederaufnahme dessen, was die „Aufklärung" mit einem radikalen Schlag versucht hatte, — eine Art „zweite Aufklärung" also. — In der Werkstatt, über dem a u s s c h l i e ß l i c h e n Hinblicken auf das eigene Arbeitsstück, verengt sich notwendig der Blick, die ganze geistige Haltung wird borniert und subaltern; sie wird mit zunehmender Erstarrung blind dafür, daß sie nicht unfehlbar, daß das Eigene noch unendlich verbesserungsbedürftig und dem Urteil der Geschichte unterworfen ist. Mit schmerzlichem Eingriff muß das sich bildende Gehäuse zerschlagen und neues Zu-bewältigendes, die atemberaubende Weite der durchzuvariierenden, ergänzenden AuchMöglichkeiten, aufgehellt werden. — In Wahrheit ist dies ein Mittel der S t ä r k u n g des geistigen Mühens. Jede auf ungeistiger Täuschung oder Beharrung ruhende Sicherheit wird selber durchschaut. Der subjektive Geist erfährt etwas vom trans-subjektiven Leben des Geistes. Das macht die Aufgabe auf allen Gebieten komplizierter, als es der vorschnellen, für sich begeisterten Hoffnung schien. Aber vor allem gegenüber den in gesteigertem Sinn k o m p l e x e n Gegenständen — aus biologischer, menschlicher, geistig-geschichtlicher

88 Sphäre — ist dies das einzig Wahre. Wer ζ. B. die unterscheidende Wesensart eines Volkes bestimmen will, wird zunächst auf diese oder jene Attribute kommen. Das Nächste wird sein: er sieht, daß sowohl diese wie jene sich tatsächlich, in einem strukturierten Verhältnis, finden. Aber so wird er auch erst zu einem wirklich sachgerechten Überblick kommen. — So läuft doch überhaupt die Richtung des geistigen Fortschritts der Menschheit. Es zeigt sich immer aufs neue: es ist nicht so einfach; dies ist aber zugleich jeweils die Geburtsstunde eines je neuen, differenzierteren, gesteigerten Bemühens. Und einen solchen Fort-schritt muß a u c h die neue Entdeckung und Errungenschaft des Relativismus sich gefallen lassen. Das neben dem eigenen Weg a u c h noch zu versuchende und zu leistende Herangehen an die Sache erweitert das Feld des geistigen Sich-erarbeiten-Müssens. Das geistige Sehen und seine Aufgabenstellung passen sich der komplexen Natur ihres Gegenstandes an. Das sollte die Energie geistigen Strebens steigern, nicht sie entmutigen. Im prüfenden Sturm, hereinwehend aus der großen Offenheit der Wege, sollte das einzeln Erwachsene stabil und lebensfähig werden. Halb verstanden aber, wurde diese bindende-entbindende Ausweitung zu einer lähmend wirkenden Dosis. Das Instrument ging mit den Erfindern durch. Es muß einerseits selber bezähmt werden, um seinen Nutzen vollbringen zu können. Andererseits muß eine neue Form von Menschlichkeit, von Menschen, erst zum Handhabenkönnen jener neuen Prometheus-Gabe aufwachsen. Die Richtung auf Toleranz und Fairneß führt in die Zukunft; ein einerseits aufgeklärtmündiggewordener, andererseits nicht relativistisch geschwächt-entwurzelter Menschentyp ist gefordert. Eine blinde Juvenilität und eine zage Senilität gilt es gleichzeitig aufzuheben in einer kommenden Erwachsen-heit. „Die Vielfachheit der Elemente und die Spannung der Gegensätze" als „Vorbedingung für die Größe des Menschen" — das schlösse in sich: „die K e h r s e i t e d e r D i n g e a l s notwendig" verstehen; nicht nur „einen Teil (der) Eigenschaften" (eines Dinges, eines Zustandes, einer Zeit, einer Person) „gutheißen" und die anderen „abschaffen" wollen (Nietzsche)58) — Wie könnte eine solche geistige „Großräumigkeit" konkret aussehen?5') Dazu muß man sich auf ein bestimmtes Könnensgebiet begeben. Wenn es ζ. B. die Philosophie wäre: da hat der Gereifte, „Hindurchgegangene", einen gewissen Weg hinter sich. Zuerst ist einem etwa das subjektivistische Denken als das einzig Richtige er58) XVI, 296. 59) Vgl. Nietzsches Suche nach der menschlichen „Synthesis", nach dem „synthetischen Menschen" (Wille zur Macht, 3. und 4. Bd. XVI, 297 u.a.O.) Siehe dazu auch oben Kap. IV, 5.

89 schienen, dann vielleicht die positivistische Einschränkung, nachher ein realistisches Zutrauen. Aber das Entscheidende ist erst, daß dieser Wandel 1. nicht ein richtungsloses Spiel darstellt; und daß man 2. nicht zuguterletzt des Standpunkthabens überhaupt müde geworden ist und so „darüberzustehen" glaubt; denn dies i s t eben Relativismus; sondern daß man G r ü n d e weiß, warum diese und jene radikalen Denkprätensionen, in denen man einmal — als in dem vermeintlich E i n z i g - Richtigen — befangen war, nur Einseitiges verwirklichen konnten, und w i e s o sie einseitig, — w a s f ü r Einseitigkeiten eines Vielseitigen sie sind. — Die Zeit einer geschlossenen Systematik des Positiven am Relativismus ist nicht gekommen. Aber die ersten Schritte zur Auswertung der Relativismus-Entdeckung liegen vor. Die Errungenschaften der relativierenden Blick-Ausweitung beziehen sich erstens auf den Gegenstand, zweitens das menschliche Tun und drittens die Lage des Menschen in der Gegenstandswelt. — Mit Rücksicht auf die verschiedene innere Komplexität wird die folgende Behandlung gegliedert in die der erkenntnistheoretischen und der mehr-als-erkenntnistheoretischen Seiten. — 2.

DAS PROBLEM DER EINSEITIGKEIT Das e r s t e könnte an jedem Gegenstand vorgeführt werden. Es sei der allgemeinste Gegenstand, die Welt, das Seiende, gewählt. Seine Erforschung fällt ins Gebiet der Philosophie. Das Seiende wurde mit dem in eins gesetzt, was im naiven Bewußtsein gegeben ist. Was unsere Sinne zeigen, das sollte die wirkliche Welt sein. Aber es kam heraus, daß dies nicht genügend ist. In kritischer Zergliederung der Welt-Erfassung wurde dann nur durch Denken, durch Bewußtsein Repräsentiertes vorgefunden und die Welt aus diesem aufgebaut. Auch dies ging nicht an. Oder aber man entwarf aus reinem Spekulieren der Vernunft den Weltaufbau oder hielt sich allein an die Gegebenheiten des wissenschaftlichen Beobachtens oder setzte Kraft und Stoff mit der Welt-überhaupt in eins. All dies erwies sich aber jeweils als Zugang zu nur einer Seite des Gegenstandes: er zeigt, daß er der Ergänzung durch andere Zugänge bedarf. So sieht in jedem Falle das geschichtliche Hinauskommen über die Relativierung in positiver Richtung aus, — der „nächste Schritt". 60) Vgl. «uch: Theodor Litt, Von der Sendung der Philosophie, Wiesbaden 1946; Jacquee Barzun, Of human freedom, Boston 1939.

90 Oder was das System der Werte angeht (ohne eine historische Reihenfolge): Wie viele Systeme hat man aufgestellt, die jeweils prätendierten, das Wahre zu sein, nach dem wirklich höchsten Wert ausgerichtet zu sein! Wertsysteme ζ. B., in denen das Naturhaftsein als Höchstwert proklamiert war, in denen alle Werte, deren Verwirklichung Bewußtseinshöhe und Kultur voraussetzt, als Unwerte galten, wo das Tier in seiner Unschuld und unbewußten Instinktsicherheit über dem Menschen stand und das Heroische, Geistige und Moralische unter das Bukolische gestellt waren. Dann wieder war die Emporentwicklung der Geistigkeit, die Entfernung von der „bloßen" Natur, der höchste Wert; ihm mußten alle anderen dienen; die Bändigung und überbauung oder Verneinung des Naturhaften durch zivile Ordnung und Zucht waren hier das Wertvolle. Die Steigerung zum Großen, Ubermenschlichen, Rasenden und Auflösung ins Unbewußte, All-Eine war ein anderes Mal höchster Wert, — alles Sichbewahren und Erhalten, Gesittung, Ordnung, Festsetzung war Abstieg, Entartung, Unwert. Dann wieder: alles ist nur wertvoll als Mitte, als maßvolle Bändigung; jede Art von Auflockerung und Steigerung über das Maß hinaus ist schlecht und krankhaft, unmenschlich, tierisch. Alle Wertverwirklichung ist für die späte bürgerliche Aera untergeordnet dem Zentralwert und Selbstwert der Einzelpersönlichkeit: ihre Höherentwicklung zum Kristall vollendeter Bildung ist der Wert der Werte; den einzelnen in seiner Freiheit und Bildungsfähigkeit zu erhalten, vor diesem Ziel sind alle übrigen Wertgesichtspunkte zweitrangig und unselbständig, u. s. F. Jede geistige Dimension ist so zu Wort gekommen und hat einmal Vorrang beansprucht. Aber die im Phänomengrund des Relativismus niedergeschlagene E r f a h r u n g der Menschheit mit sich selber ist eben dies, daß sich keiner dieser Aspekte für sich als das Ganze, Zureichende behaupten konnte, daß jeder vielmehr selber auf anderes hinausdrängte. — 3.

DAS PROBLEM DER RADIKALITÄT Aber muß man überhaupt vor diese Antithetik zu stehen kommen, — vor der dann nur die Wahl zu sein scheint: e i n e Alternative absolut zu setzen, so daß es dann nichts anderes mehr für einen gibt; oder dem relativistischen Chaos und Spiel der Möglichkeiten zuzuschauen und so mit aller Entscheidung und Handlung abzuschließen? „Ihr steifen Weisen, mir ward Alles Spiel" (Nietzsche)...") 61) VIII, 380.

91 In der Tat braucht man nicht weit zu gehen zu :— minderwertigen konventionellen „Synthesen" dessen, was die böse Philosophie zu „Antinomien" zuzuspitzen scheint. Man kann sich doch die Erlebnisse der unverkünstelten Triebhaftigkeit munden lassen — und dann in Stunden vor den geistigen Idealen, dem Guten, Schönen, Edlen, fromme Gedanken haben? Oder man meint, man könne sein Pensum an Sichopfern für die Gemeinschaft absolvieren, — um sua domo dann als „liberaler Mensch" alles für seine autonome Persönlichkeit zu tun. Oder soll man nicht „in der Jugend" beweglich und revolutionär, „später" aber konservativ und verwurzelt sein? Dies ist die Dimension der Mittelmäßigkeit... — aber nicht die gesuchte menschliche „Mitte", die „menschliche Synthesis". — Ein anderes abgründiges menschheitsgeschichtliches Problem rührt die Frage auf, ob es nicht da, wo in langem Gang durch die Zeiten wohl manche der Extreme überwunden worden sind, zum Schluß gerade zu „Vergleichen" von der eben herausgegriffenen mediokren Art gekommen ist; ζ. B. in unseren Konfessionen und Kirchen. — Aber dies ist hier nicht zu verfolgen. — Jedenfalls schaut man aber hier auf ein noch tieferes Pol-Gefüge des Menschseins hinab; der Mensch — das Wesen, bei dem es so etwas wie Mittelmäßigkeit gibt, — das Wesen, das zwischen Mediokrität und Radikalisierung hineingestellt ist. Jahrhunderte der Geistesgeschichte scheinen angefüllt damit, es mit dem Radikalmachen und Absolutsetzen von diesem und jenem zu versuchen. Aber gibt es keine a n d e r e W e i s e des Aufschwungs für den Menschen? Kann der erste Schritt des Absolutismus vermieden werden, — um den zweiten Schritt des Relativismus, — und gar den dritten eines neuen Absolutismus zu vermeiden? Denn das Radikale ist immer ein Sichstarkmachen aus innerer Schwäche, aus Verzweiflung über die Monotonie des Mittelmäßigen oder die Eingeebnetheit des Relativistischen. Es scheint: der Mensch muß entweder bei einer niederen Mediokrität liegen bleiben (nichts ist f r a g w ü r d i g ) : oder in eine verderbliche, überspannte Absolutsetzung hineinspringen (nichts ist mehr f r a g würdig); oder sich in enttäuschtem Relativismus daraus zurückziehen (alles ist fragwürdig — nichts ist mehr frag w ü r d i g ) ; er ist mut-los oder über-mütig oder ent-mutigt. — So gesehen, ist der Relativismus der Nullpunkt der beiden Koordinaten: Mittelmäßigkeit und Radikalsetzung. — Aber es gibt noch eine dritte Dimension, die zu jenen zwei ersten hinzukommt und Raum schafft. Es ist die eigentlichst menschliche. Der Mediokre meint zu w i s s e n : wie man sowohl dies wie jenes

92 haben, mal so, mal so sein muß, wo das eine anfängt, das andere aufhört, wie man alles z u s a m m e n b r i n g t ; alles so einfachl Aber es gibt auch ein Wissen darum, daß eine menschliche Möglichkeit die andere fordert, — aber ohne Einbildung, man könne vorentscheiden, w i e die Grenze gezogen und das zusammenordnende System zu fassen sei; dies bleibt gerade P r o b l e m ; sonst wäre das Menschliche zu „planen"; da ist kein Schema, das leicht macht und abnimmt; sondern da beginnt die Tiefe der Wegfindung aus Vernunft. Es gibt — neben der „unreinen Mitte" (Mediokrität) — eine „reine Mitte". Im Menschlichen wird also ein Tertium zu finden sein. Genauer: muß es gefunden werden. Ein Tertium, das „übrigbleibt" bei der Vermeidung: 1. der Radikalsetzung je einzelner menschlicher Wege durch vorzeitiges Sichidentifizieren mit einem über-menschlichen absolutum oder doch Maßstab und Kriterium; 2. aber auch der Relativierung aller menschlichen Inhalte zu „NurRelativem" nämlich auf allzu-menschliche Bedingungen, also des Versinkens in Mittelmäßigkeit. Das Kriterium dieser doppelten Vermeidung kommt durch folgendes heraus: die Amphibolie der auf je einen absolut gesetzten Wert hin ausgerichteten Gegensätze wurde behandelt. Die radikalisierte menschliche Verwirklichung vernichtet sich selbst durch (ungewolltes, unbewußtes) Umschlagen in das Gegenteil. Die mittelmäßige Verwirklichung aber beruht auf der Un-bereinigung des Gegensatz-Konflikts durch „Nivellierung" (Kierkegaard); in das Für-die-Sache-Arbeiten ζ. B. ist das Für-sich^selbst-Arbeiten „friedlich, schiedlich" gemengt. Die Reinheit der Verwirklichung setzt also das Sich-auseinandergesetzt-Haben mit dem Gegensatz voraus. Dies aber schließt wiederum folgendes in sich: der Mensch k a n n nicht, als Mensch, e i η Absolutes verwirklichen — o d e r dessen Gegensatz . . . Der Mensch ist vielmehr r e l a t i v a u f d i e G e g e n s ä t z e : das v e r s c h i e d e n e Entgegengesetzte ist in seinem (menschlichen) Sein „zusammen" vorausgesetzt — und so „verbunden". Der Mensch kann aber diese in seinein tiefsten menschlichen Seins-Stand verankerte Relativität e r k e n n e n ; und dieses Erkennen v e r ä n d e r t etwas: es relativiert jene Relativität für ihn als sie Erkennenden. Das ist das Mehr — über das „Nur-Relative" hinaus — an ihm. Es hängt mit der Weite seines Bewußtseins zusammen. — So ist es möglich, daß der Mensch wissend sowohl die relativier-

93 bare Radikalsetzung-in- e i n e r - Richtung vermeidet wie das relativistische Kleinmachen von allem. Das ist die anthropologische Auslegung des früheren Satzes: gerade das Falsch-Absolute wird relativiert. Und diese Weise menschlicher Synthesis ist realisiert: Menschen existieren, die — eben in ihrer Menschlichkeit — über dem „Durchschnitt" stehen, o h n e „radikale Menschen" zu sein. Huizinga hat darauf hingewiesen: die Anwendbarkeit des Begriffs der „Größe" ·— als radikaler Verwirklichung in einem Leistungsbereich — versagt speziell bei der Frau. Und doch gibt es zweifellos die über-mittelmäßige Frau. — Aber dies näher auszuführen und damit in eine dialektische Anthropologie hinüberzugehen, gehört nicht in den Rahmen dieser Arbeit. Es ist lediglich der Platz für das auszusparende Feld „noch unerforscht" einzutragen. — 4.

DAS PROBLEM DES SYSTEMS Vor dem Hintergrund jenes verzweigten anthropologischen Antithetik-Problems wird greifbar: wie unlösbar das Negative und das Positive am Relativismus gekoppelt sind. Und zwar in zweifacher Verschlingung: kein Radikales wird anerkannt — in seiner zunächst von dem und jenem, in dieser Epoche oder Lage vermeinten Endgültigkeit, Absolutheit. Diese Absolutheit ist eben eine irrige, vorschnelle, eine Illusion des Subjekts über die Sache gewesen. Das ist das eine. — Nichts beläßt der Relativismus als zureichend, — aber weil es in Wahrheit nicht zureicht, weil noch mehr gefaßt werden muß, um dem Ganzen nachzugehen, und weil es in sich widersprüchlich und unhaltbar ist, es für das Ganze zu nehmen, weil seine Systematisierung erst vollends geleistet werden muß. Die Einseitigkeiten werden nacheinander relativiert; aber sie müssen auch relativiert werden, damit sie nicht schon für das Ganze gelten. Das Relative und Nicht-Ganze muß als Relatives und Nicht-Ganzes gesehen werden. Der Einzelaspekt, die Einzelmöglichkeit muß als Einzelaspekt und -schritt durchschaut werden. Er muß den anderen gegenübergestellt, die Konkurrenz, das Irritierende ihres Gegeneinander muß scharf gemacht werden; sonst lagert sich verwischende Mediokrität voll Beharrungsfreudigkeit darüber. Das Miteinander und Ineinander, die Erkenntnis der Sach-Struktur muß erarbeitet werden. Zu dieser Anstrengung der Synthese gehört das Relativieren als eine Phase. Das ist das andere. —

94 Die Alleingültigkeit der Simplizität, ihre Verträglichkeit mit allem anderen ist nicht wahr, — der Relativismus hat recht —, das gerade ist „ihre Wahrheit" bzw. gehört doch zu ihr. So will es das Interesse an der wahren Erfassung des komplexen, vielseitigen Gegenstandes. In einem Aspekt stehen zu bleiben und nicht die anderen in ihrem Daneben zu überschauen, ist der Weg zur Verirrung und Bornierung, die nicht um sich selber weiß, — zu einem Relativen, das sich für ein Absolutes hält. Das unbereinigte Nebeneinander nicht in seiner inneren Widersprüchlichkeit zu erleiden, bedeutet ausweglose Statik. Beides führt in der Praxis vom Ansichsein weg. Das bereits Gefundene, Subjektsabhängige darf sich nicht verfestigen und so vor das Ganze, Sachliche stellen. So gesehen, steckt im relativistischen Desillusionieren des naiven Meinungsvertrauens die heilsame Dosis Selbstanzweiflungs-Gift. Der Erstarrung, in welcher der Prozeß des Weitergehens stagniert, wird vom Relativismus der Boden weggezogen und die Hemmung der Entwicklungsmöglichkeit sozusagen weggeätzt. So wird dem Weitergehenwollen der Ansporn, der Bemühung die freie Bahn offengehalten. Die als eine neben anderen möglichen entlarvte Position i s t , in Wahrheit, nur e i n Aspekt des Ganzen, — auf dieses (sein zusammenordnendes, „platz '-anweisendes System) relativ. Aber wenn wir auch zuletzt immer vom Einseitigen a u s g e h e n müssen, können wir doch zur Ahnung des Mehrseitigen hinan. Das letztere wird durch jenes Sehen der wahren, seienden Relativität nicht aufgehoben: dies nämlich nur, wenn e i η Relatives oder die bloße Relativität selber als das ganze und letzte genommen wird. Dies gerade heißt, es sich dogmatisch einfacher machen, als es die Sache zuläßt. Die Relativierung des u n s Absoluten ist der Weg zum w i r k l i c h Mehr-als-Relativen, Relativierenden: das relativierte „Absolute" ergibt das relativierende Absolute, — wenn dies auch nie in seinem Was, nur als Richtung greifbar wird. Das Spiel der Positionen und Contrapositionen der Theorien vom Menschen macht es heute fühlbar. „Sie verabsolutieren (jeweils) ein Symptom des menschlichen Daseins und wollen damit alles andere für den Menschen Bezeichnende erklären."62) Aber: in der ErkenntnisGeschichte taucht eben die Entdeckung jedes einzelnen Symptoms nach-einander — als eines jeweils e i n z e l n e n , sich einzig setzenden — auf. Und doch: j e d e s einzelne Symptom — a l s bloß-einzelnes — gehört notwendig zum Gesamt-Problem des Menschen: das 62) Nirgendwo 1st die Anwendung aufs Anthropologische tiefer durchgeführt als bei Helmuth Plessruer „Die Stufen des Organischen und der Mensch", Berlin 1928.

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Symptom der seelischen und der geistigen Funktion, der naturalen und der existenziellen, u. s. f. — Die Relativität ist selber e i n e Seite einer Grundstruktur, welche der Relativismus absolut setzt; ohne also weiter-erkennend wieder über sie hinauszusteigen und durch sie hindurch zum komplexen Gefüge zu kommen. Jene Relativierung, — und das Festhalten, daß ein Ganzes ist, auf das hin das Relative ist, dies verträgt sich, ja fordert sich. Es schließt bloß nicht in sich, daß man das Ganze in seiner vollen Inhaltserfüllung, seinem expliziten System vorwegnehmen kann. Aber das Sehen der Nicht-Ganzheit ist gerade nötiges Instrument, um wenigstens vom Daß des Ganzen wirklich den ganzen, wenn auch negativen Begriff zu erhalten. Das heißt aber, die vorausgesetzten, einseitig abgeschlossenen, daher verdeckenden Begriffe davon relativierend immer wieder anzuzweifeln als nur Vorläufiges. Im Wiedernegieren jedes in der Tat Beschränkten, das sich als das Vollständige geben wollte, liegt der Weg zum wahren Vollständigen. Ein selber nicht absoluter, erst relativer Zugang ist gerade der m e n s c h l i c h e Zugang zum Mehr-als-Relativen. Denn es muß menschlich alles erst wagend erarbeitet werden; es muß der mühevolle, geschichtliche Hindurchgang durch das v i e l e Relative geleistet werden; der Mensch — nicht Gott — kommt nur so vermittelt zum Seienden selber. Dieses wird freilich demnach zuallererst d u r c h N e g a t i o n e n , durch das Darüber-Hinaus über jedes subjektive Teilhafte, also nicht in seiner inhaltlichen Positivität oder in überschaubarer Ganzheit erfaßt. Wobei gerade die Frage ist, ob dieses menschlicher Erkenntnis überhaupt möglich ist. Aber das Hinausgehenmüssen über die einzelnen Teilaspekte zu ihrem Miteinander, — dessen Vollständigkeit im System niemals überschaubar sein mag, das aber in seinem D a sein feststehen kann —, die feste Richtung des Arbeits-Gangs ist eine Stufe menschlichen Einsehens. Oder, man könnte sagen: wir erfassen das S y s t e m a t i s c h s e i n — aber nicht das System. Zu jedem Teilaspekt und -system, die sich selbst genügten, wird das wahre Bewußtsein hinzugenommen: n u r Teilaspekt zu sein, über den hinausgegangen werden muß. Wobei der springende Punkt ist: daß daraus keineswegs eine Entmutigung abgeleitet wird; denn es s i n d ja nur Teilaspekte, deren Erfolg und Wert so relativiert wird! Und das „nur" richtet sich nicht gegen den Teil, das Teil-Erfaßte in seinem Bestand; sondern nur gegen das Vergessen oder die Ableugnung seiner Teil-Natur, seiner Nicht-Absolutheit. Es steht im

96 allerletzten Grund kein Wert-, sondern ein Struktur - Verhältnis dahinter. Vom eigentlichen Ziel stellt sich bloß heraus: es kann in Wahrheit erst am Ende eines längeren, komplizierteren, immer geschichtlichen Wegs stehen. Falsch-absolutsetzen heißt: etwas fürs Ganze nehmen wollen. Mit objektiver Wahrheit erkennt der Relativismus, daß dieses „falsche Ganze" in Wahrheit beschränkt ist. D i e s e Einsicht ist n i c h t w i e d e r zu relativieren. Sie darf nur nicht mit einer anderen, radikalen Komponente, einem Ismus-Programm, verquickt werden. Worauf dies führt: der komplizierte Prozeß des Weitergehens und Weitergehenmüssens von einem Stadium zum anderen, — unter Aufhebung des vorigen in seinem Endgültigkeitsanspruch und unter Einpassung desselben in ein Vielseitigeres, — dies ist nicht etwa selber wieder ein Relatives: dieser Prozeß ist das Relativierende. — Zugleich wird dieser Prozeß dem Wesen des geistigen und geschichtlichen Seins gerecht. Sein Relativieren, — daß nichts Menschliches a b g e s c h l o s s e n , keine Wahrheit l e t z t e Wahrheit ist —, stellt kein N i c h t i g - machen dar. Hier muß man sich vor der Unschärfe im Gebrauch von „relativ" hüten, — wenn es ζ. B. heißt: es gibt nur relative Wahrheit. Die Sukzessivität ist eine notwendige Seite des menschlichen Erkennens und Festsetzens, die nichts Absolutes geben, weil es m e n s c h l i c h e s Erkenntnis-Tun ist; auf die menschliche Situation überhaupt ist dabei angespielt; darum kann diese Nicht-Absolutheit nicht die Erkenntnis- und Ethos-Natur aufheben. Dies nur für eine unzutreffende Erkenntnistheorie und Ethik der Illusionen, die eben mit falschen, nicht-wirklich menschlichen Voraussetzungen mißt. Ein Informiertsein des Menschen durch einen ihm verwandten geistigen Weltgrund ist gar nicht Sache des Menschen. Keine Offenbarung, kein intuitus, keine Schau, kein Erleuchtetsein gibt ihm auf einmal den ganzen Gehalt. Alles muß erarbeitet werden in einem wohl niemals abschließenden Vorwärtsschreiten und Immer-wieder-überwinden, und zwar in geschichtlicher Gemeinschaft mit anderen. So sieht die wahrhafte Situation des Menschen aus: ein LebenMüssen-aus-beständigem-Mühen-und-Handeln. Durch das allein gibt es für ihn, was an Einsichten und Werten sein Leben bestimmt. Aus dem Handeln, zusammen mit anderen, auf geschichtlicher, wechselvoller, langsam sich vorversuchender Bahn wächst „seine" Welt, die ihm ein Stück der von ihm unabhängigen seienden Welt vermittelt. Diese Vermittlung wird ihm nur, indem er sich müht an und mit dem ihm gegenüberstehenden Seienden der Welt, dem er sein Leben

97 abzugewinnen hat; denn dieses Leben ist nichts anderes als die beständig sich tätig wandelnde Beziehung a u f dieses Seiende und i η ihm. Ohne daß der Beziehungspol „Welt", der sich selber wandelt, in seiner kosmologischen Wandlung zusammenfiele mit dem geschichtlichen Wandel des menschlichen Sichbeziehens darauf. Obwohl die Welt durch dieses — also vom Menschen — verändert wird; wie auch der Mensch sich selber dabei umschafft. Aber nur in Grenzen. Es wäre kein m e n s c h l i c h e s Schaffen, kein „Arbeiten" mehr, wenn es nicht mit dem von Hause aus von ihm Unabhängigen es zu schaffen hätte. Im Fall der prästabilierten Harmonie oder inneren Homogeneität von Mensch und Weltordnung könnte die Beziehung zwischen ihnen nicht die Wirklichkeitsform von „Handeln", „Leben", von „Existenz", annehmen. — Man sieht, die verschiedenen Seiten sind ineinander verklammert; der eine und der andere Aspekt verlangt sein theoretisches Recht: der Relativismus aber macht es sich dabei, obwohl er dies Thema ins Rollen brachte, zu leicht, indem er, g e g e n sein e i g e n e s Programm, beim einen Phänomenbereich stehen bleibt und ihn faktisch ausschlachtet als das „Ganze", ohne weiter zu gehen. —

IX. 1. RELATIVISMUS UND MENSCH-WELT-VERHÄLTNIS Der Relativismus bleibt bei dem* Bereich der produzierenden Subjektivität stehen. Er fragt nicht, ob dies das letzte Wort sei. Er leugnet, daß wir irgendwie über die Teilaspekte zu einem Ganzen hinfinden können. Erkenntnistheoretisch bedeutet dies, daß er die Faßbarkeit eines Seienden für den Menschen überhaupt leugnet. Gegen diese relativistische Ansichseins-Skepsis stehen folgende grundsätzliche Gesichtspunkte: 1. Das wechselnde Auffassen, Deuten, Werten, der gesamte geschichtliche Prozeß desselben, ist selber ein ontisches Geschehen, Und zwar darum: weil die theoretischen und sonstigen geistigen Akte, die sich da betätigen, jedenfalls zu dem gesamt-menschlichen tätigen Leben gehören. Dieses aber gehört, als ein besonderer Bereich, zur Realwelt überhaupt. Damit wird von einer künstlich herauspräparierten rein-gnoseologischen („transzendentalen") Basis zur wirklich tragenden anthro7 Wein, Relativismus

98 pologischen, mit ihren Dimensionen: Subjektivität, Leben in der Gemeinschaft, Geschichtlichkeit, zurückgegangen. Die konkrete Situation des Menschen taucht auf als das komplexe gnoseologischanthropologisch-ontologische Gefüge. 2. Die Grundtätigkeitsformen, die allein das menschliche Existieren ermöglichen, haben in ihrem Sichbetätigen den gemeinsamen Grundcharakter des arbeitenden und erarbeitenden Sichmühens u m . . . Ein müheloses instantäres Entstehenlassen oder Setzen oder Haben entspricht nicht ihrer Wirklichkeit. Das menschliche Subjekt — im Gegensatz zu einein übermenschlichen oder dämonischen — ist also selber nur seiend in Beziehung zu einer ihm Widerstand bietenden, selbständigseienden, „fremden" Gegenstandswelt, und zwar „Gegen-Stand" für den konkret handelnden Menschen in seiner ganzen Wirklichkeit, nicht etwa für ein metaphysisches, Fichtesches „Ich", irgendwie auf Umwegen von diesem „gesetzt". — Die — selber ontische — Beziehung zwischen Mensch und Welt geht über die Wirkungen der letzteren — nach ihren Gesetzen — auf den selber real seienden Menschen und über die Aktionen des Menschen, die auf das außermenschlich Seiende transzendieren. 3. Streicht man — im pseudophilosophischen Gedankenspiel — den Bezug auf eine dem menschlichen Handeln vorgegebene, an sich bestehende Welt, so muß man über jene Grundtätigkeitsformen hinweg sehen oder ihnen ein völlig anderes Gesicht geben. Wie ζ. B. dem Erkennen, — wenn man es als bloßes Meinen oder Deuten versteht. Denn auch das Erkennen gehört zu jenen Grundfunktionen. Es hat eine ganz bestimmte Stelle im Gesamtsystem derselben. Der mit und an der seienden Weit seine Ziele durch planvolles Handeln erarbeitende Mensch bedarf einer Orientierung über jene in ihrem Ansichsein. Sonst kann er in sie nicht planvoll-zweckentsprechend eingreifen. Dies kann kein bloßes Meinen oder Deuten geben, das sich nicht um ein vorgegebenes Ansichseiendes kümmert. Die Erkenntnis-Bemühung um das Ansichseiende, zu Erfassende der Welt ist selber ein Arbeiten; freilich ein ganz s p e z i f i s c h e s , von allem p r a k t i s c h e n Verändernwollen charakteristisch Unterschiedenes,· aber ein ganzer Apparat von Methodik, von Kooperation vieler und zeitlich ausgedehnter Planung und Bewerkstelligung gehört dazu. Nicht ein dichtendes Phantasieren über die Welt, ein schwereloses, ästhetisches Bilden kann jenes vom Relativismus soviel genannte „Deuten" der Welt durch das denkende, wollende, fühlende Subjekt sein,· wenn nämlich dadurch geschildert werden soll das

99 Gewicht derjenigen menschlichen Funktion, die zur menschlichen Subjekts-Existenz im Ganzen wesensnotwendig dazugehört: die des Rechnens mit, und so Eingehenkönnens auf die Eigenschaften einer Welt von Seiendem. Denn dieses Sichzurecht-finden-Könnens bedarf ein mit seinem Handeln-und-Planen-Müssen in dieser Welt ausgesetztes und sich nur dadurch behauptendes, praktisches Wesen. An den g e w u ß t e n Eigenschaften der an sich bestimmten, zu behandelnden Wirklichkeit muß ja das Planen und Verwirklichen von Zielen ansetzen. — Man sieht, wenn man mit der Wirklichkeit jener neuen „aktionalen" Struktur der Subjekt-Objektbeziehung herankommt, stehen die ganzen Phänomene, in denen der Relativismus leichtsinnig schwelgt, in einem ernsteren, hintergründigen Zusammenhang, der Menschsein und Seinswelt umspannt. Was den Verrenkungen einer „reinen" transzendentalen Beweisführung nicht gelingt, vermag eine sozusagen „transzendental-anthropologische" Argumentation tatsächlich zu fundieren. —

2.

DIE NEUE WISSENSCHAFT VOM MENSCH-WELT-VERHÄLTNIS Der Relativismus will an die Stelle des Erkennens, das auf bleibende, verbindliche Wahrheit geht, ein „Deuten" setzen, in dem sich Bildkräfte des Subjekts oder der geschichtlichen Gemeinschaft ausdrücken, ausleben. In dem „Deuten" ist richtig dies: daß nicht etwa das Objekt, wie es eben ist, in das Subjekt einfach, ohne notwendige Vermittlung, hineinfällt, so daß wir es je schon in seinem puren Ansichsein besäßen. Jede Fühlungnahme mit deim Objekt ist vermittelt durch die vom Subjekt transzendierend ausgehenden, von ihm gewollten und vollzogenen, hinausgreifenden und gestaltenden Aktionen. Man muß die Realität, das Wie dieser Vermittlung mit dem Formenreichtum ihrer Abhängigkeiten sehen. Der Relativismus hat uns darauf gestoßen, gegenüber einer naiven Illusion, einfach von den Entitäten an sich handeln und drauflos philosophieren zu können. Man begreift erst jetzt, warum das schwierige „kritische" Wiederabziehen dessen, was der Mensch mit seinem Auffassungsapparat modifizierend von sich aus hinzutut, eine Notwendigkeit ist. — Aber andererseits ist die Situation des Menschensubjekts diese, nicht etwa frei aus sich heraus zu schaffen. Das pure transzendentale E r k e n n t n i s subjekt war ebenfalls eine unwirkliche, naive Konstruktion; sie hat es bis vor die Schwelle der allerjüngsten Philosophie hin auf dem 7«

100 anderen Extrem nicht besser gemacht als die alte ontologische Naivität. — Durch seine Abstreichung des Ansichseins-Bezuges, seine subjektivistische, rudimentäre Erkenntnistheorie steht der Relativismus in der Nähe d i e s e s Extrems. Die wahre Vielseitigkeit in der Situation „Mensch in der Welt" muß man in Kauf nehmen, wenn man über das konkrete Grundverhältnis zwischen tuendem Menschen und Ansichseiendem ins reine kommen will. So sehr die Materie aller menschlichen Aktionen, auch der Erkenntnisaktionen, das subjektive Leben ist — darum ist im Inhaltlichen auch nur Immanentes zu finden, — so sehr bleibt daneben das Stoßen auf . . . und Sichausrichten nach . . . (dem Ontischen) der Charakter der wirklich geschehenden Aktionen. Das r i c h t i g verstandene „Inderweltsein" ist eine Seinsbeziehung, die Prozeßcharakter hat; die Subjektsprojektionen — vom Relativismus als notwendig vor alles Objektive eingeschoben entdeckt — sind Mittel zu ihrer Herstellung; sie impliziert in ihrer synthetischen, dynamischen, gefügemäßigen und polaren Einheitsstruktur: wirklichseienden, schaffenden Menschen u n d ansichseiende, vorgegebene Welt. — Der Philosophie aber ist die Aufgabe gestellt, die Gewichte richtig zu verteilen und für die konkrete Menschenwelt-SeinsweltKonstellation nicht nach einer leicht faßbaren „Einheit des Gleichförmigen" zu suchen, da, wo eine Einheit des komplexen Ineinandergefügtseins vorliegt. Man muß sich da eine lange Spannweite des Blickes antrainieren. Es taucht der Aufgaben- und Forschungsbereich einer eigentlich ganz neuen Grundwissenschaft auf: der von den zwischen Mensch und Welt spielenden, realen, verflochtenen A k t i o n e n , ihrer Determinanten und ihres Gefüges. M ) — Von dieser Wissenschaft ist der Relativismus das Vor-Stadium. Man könnte sagen, er sei in seinen Erscheinungsformen auf allen Gebieten nichts anderes als eme falsche Anthropologie. Er trennt nämlich die menschliche Problem-Schicht von der ontologischen oder kosmologischen ab.. Ebenso wie im Neukantianismus das Erkennen und Erkenntnis-Subjekt vom anthropologischen u n d ontologischen Hintergrund abgeschnürt waren. Daher die enge Verwandtschaft beider. Heute ist übergewaltig das Problem des Menschlichen ge63) Daß dies etwas anderes 1st als der psychologische Gegenstand der „Akte", dürfte klar sein. — Aber auch etwas ander«« als der Versuch einer Art transzendentaler Deduktion des „Seine des Seienden" überhaupt aus dem menschlichen „Inderweltsein". Die — quasi carteslsche — Gegebenheits- und Zugangs- und Grund-Legungs-Frage überschneidet sich da in ganz charakteristischen Wendungen mit der fundamentalontolog Ischen quaestlo facti. Auf die Punkte läßt sich mit dem Finger hinweisen, wo M. Heidegger — auf den ersten Selten von „Sein und Zelt" und' den letzten von „Kant und das Problem, der Metaphysik" — aus der „Intentlo recta" In die Haltung der „lntentlo obllqua", ζ. B. aus der Frage nach dem Sein zu der nach dem „Fragen dieser Frage" (bzw. dem Sofragen-MUssenden; vgl. Sein und Zelt, S. 5) übergehtl Daß uns aber Heidegger Intimste Aufschlüsse Uber das aktlonale Wie des Inderweitseins geschenkt hat, durch seine tatsächlichen Analysen, muß sofort daneben anerkannt werden.

101 stellt, und zwar gestellt in seiner wirklichen Vielseitigkeit. Das ist eines der Verdienste des Relativismus, das in jahrhundertelanger Tradition Simplifizierte wieder als aufregendes und unergründliches Problemgebiet gelotet zu haben. Aber man darf dessen Lösung nicht mehr suchen in seiner radikalen Ablösung vom kosmologischen Problemgebiet, — so daß man über einer die anderen Problemseiten vergißt. Der Relativismus hat vom wahren Verhältnis erst die Hälfte gesehen: — wie der Mensch sich seine Welt bildet, in ihr tätig ist, sie als Umwelt hat. Aber genauer, realistischer gesehen: wie dieses „Tun" und „Haben" ist (in welchen Aktionen es sich aktional, praktisch, technisch, politisch realisiert), und wer da tut und hat, — so gesehen, wird klar, daß diese subjektsbezogene Umwelt ein A u s s c h n i t t der ansichseienden Welt ist, der sich in Subjektsaktionen vermittelt. Es gilt das tieferliegende Gesetz der Aktionalität, daß nur durch Vorgegebensein und Wider-Stand von zu behandelndem Sein der Welt sich umgekehrt menschliche Aktionen konstituieren. Diese Aktionen zerfallen in die charakteristisch geschiedenen der theoretischen und praktischen Gruppe. Aber gemeinsam ist ihnen als Rahmen die menschliche reale Tuns-Situation in der Realwelt. Die Erkenntnis-Aktionen haben zum Teil das progressive Sicheinstellen auf die Objekts-Struktur; dies ist ihr Spezifikum; es unterscheidet sie von allen anderen menschlichen Betätigungsweisen. Aber auch das Welt-Erfassen ist ein Arbeiten; es ist nicht ein direktes Informiertwerden des Subjekts, — seiner Seele, seines Geistes, der Vernunft, — wie in der naiven oder theologischen Erkenntnis-Metaphysik; also ohne daß die Ganzheit der menschlichen — wollenden, fühlenden — Schichten sich einmengte, — seine biologische, soziale, geschichtliche, psychische, charakterliche und wollensmäßige Wirklichkeit. Andererseits ist auch das p r a k t i s c h e Welt-Verändern kein göttliches Schaffen aus dem Nichts ohne Widerstand, sondern ein Ansetzen an seienden Verhältnissen und ein Sich-wirkend-undmühend-mit-ihnen-Auseinandersetzen. Menschliche Freiheit und Begrenztheit durchdringen sich in der komplexen menschlichen Situation in der Welt. Aber der Idealismus im erkenntnistheoretischen Sinne, wie er im geheimen im Relativismus des 19. Jahrhunderts noch steckt, muß endlich an der Wurzel überwunden werden. Vom veralteten rein erkenntnistheoretischen Stand der Dinge aus gibt es keine Waffen gegen das relativistische Denken gerade in seinem innersten Nerv. So sehr Erkennen eine menschliche Aktion ist, — und gerade w e i l es eine menschliche Aktion ist — getragen von Auffassen, Deuten,

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Absehen, Wollen, aber zugleich mit einer Funktion für das gesamtmenschliche realpraktische Inderweltsein —, so sehr ist es, wie überhaupt alles Handeln (auch das praktische), ein Eingehen auf die vorgegebene seiende Welt, also ein Transzendieren zu dem an sich, vor dem Subjekt, schon in sich Bestehenden. Es k a η η aus anthropologischen Gründen nicht ein bloßes Projizieren und Sichzurechtmachen sein; aber es ist freilich ein ganz b e s t i m m t e s Transzendieren, im Gegensatz zum übrigen nicht theoretischen. Jenes „Auffassen" dagegen, mit dem der Relativismus zweifelsohne ein großes Stück von der Realität der Erkenntnisbeziehung Mensch-Welt enthüllt hat, — als Gegenschlag zu den jahrtausendealten erkenntnistheoretischen Wolkenkuckucksheimen, — dieses Auffassen ist selber von ihm falsch verstanden worden; nämlich da, wo es nur mehr Schalten des Subjekts mit dem Gegenständlichen, ein Zurechtmachen oder gar Erbauen desselben sein sollte. Damit stünde es mit dem praktischen Tun auf einer Stufe. Aber diesem ist ja zugleich, da kein eigentliches Erkennen mehr vom Seienden etwas verkündet, Gewicht, Würde und Ernst weggedeutet. Die ganze Sphäre des Auffassens macht allerdings das Erkennen zu etwas sehr anderem und Komplizierterem als einer bloßen Abbildung oder Spiegelung des Objekts. Das ganze Wie des menschlichen Zugangs zum Objektiven, der eben immer vom Menschen und seiner Situation abhängig bleibt, liegt in den näheren Details dieses Auffassens ; vom Menschen geht alles aus, das Menschliche schiebt sich dazwischen, das Objekt muß erst durch jenes hindurch, über dessen Modifikationen wieder hinaus, — sie einkalkulierend, — ermittelt werden. Denn das Objekt ist von sich aus gleichgültig gegen sein Erkanntwerden; d. h. es drängt nicht auf dieses hin, — wenn man nicht in teleologischen oder idealistischen Träumen befangen ist. Aber es gehört eben jenes Auffassen damit doch auch seinerseits in das Ganze der E r k e n n t n i s - Frage hinein, und diese ist aus dem Rahmen der menschlichen Situation in dem zu erschließenden Seienden nicht zu eliminieren. Das vom Menschen ausgehende, von seinem Wollen und seinen Bestimmtheiten gespeiste und modifizierte Tun „ f a ß t " etwas von dem es umlagernden, geheimnisvollen, vorgegebenen Welt-Sein, von seiner ihm eigenen Natur, nämlich da, wo es Erkenntnis-Tun ist. Daß es aber ein solches überhaupt gibt, wird durch die Realität und die Spezifität des planenden und technisch der Welt etwas abgewinnenden Wirkens bewiesen. Man muß sich also die Mühe nehmen: 1. das Seiende der Welt in Beziehung auf das menschliche Es-Auffassen, — 2. die Erkenntnisfunktion in Beziehung auf den instrumental m i t seinem Erkennen

103 tätig existierenden Menschen-im-Ganzen, — 3. das Menschsein in Beziehung auf die zu seinem Sich-Betätigen gehörende und gleichzeitig sein (wie der anderen Seienden) Sein umgreifende Welt zu sehen. So schließt sich der Kreis: man tritt aus der künstlich fingierten rein gnoseologischen Situation (als Fehlerquelle) heraus und vor die wirkliche gnoseologisch-ontologisch-anthropologische Wurzel-Situation hin. Deren komplizierte konkrete Stücke (Seiendes, Mensch, seiende Beziehung, Tun usw.) aber bilden einen u n t e i l b a r e n Bestand, das Gefüge der Requisita zu einer allein w i s s e n s c h a f t l i c h philosophischen Problem-Bearbeitung. Bei weiterer Aufspaltung, — ein jahrhundertealtes Übel auf diesem Punkt, — ergeben die isolierten Seiten des Problems ebenso viele Fehlerquellen. Wir stehen hier gerade vor dem Fall einer schließlich herausgewachsenen Ahnung vom Z u s a m m e n h a n g der Einzel-Seiten. — Ohne den Gegenpol eines in sich strukturierten, „transzendenten" Seienden verliert alles miteinander, das menschliche Tun und das biologische und geschichtliche Mensch-Sein selber, seinen eigentlichen Inhalt. Das Menschen-Leben-im-Ganzen ist das Erkenntnisinstrument für diese Grund-Tatsache. Die Theorie des Befangenseins im Selbst-Kreierten, in der selbstkonstituierten Gegenstands- oder Umwelt, des Abgeschnittenseins vom Außermenschlichsein, von der dem Subjekt vorgegebenen — seinem Tun immerdar erst aufgegebenen — Seinswelt, wird hinfällig. Aus immanent - e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e m Argumentieren, aus „kritischer" BewußtseinsAnalyse, kann dies nicht geklärt werden. Nur das anthropologischgnoseologisch-ontologische G e s a m t Verhältnis kann die Uberwindung der Einseitigkeiten schaffen, aus denen immer und immer wieder die traditionellen Ismen hervorgesproßt sind. — Das relativistische Denken überhaupt aber kommt nicht auf ein für den Menschen-im-Ganzen Lebensbrauchbares hinaus, weil es nicht vom faktischen vollen Menschensein seinen A u s g a η g nimmt. — 3. UNTEILBARKEIT DES MEHR-ALS-ERKENNTNISTHEORETISCHEN PROBLEM-ZUSAMMENHANGES Aber es hat sich immer noch nicht herumgesprochen. Weil es rein erkenntnistheoretisch keinen letzthinnigen Beweis für Ansichseiendes gibt, darum soll die Rede von diesem an bloßem Glauben oder eingewurzelten Vorurteilen oder ähnlichem hängen; so wird es immer wieder verkündet, als ob dies etwas Neues und nicht der längst

104 veraltete Stand der Dinge wäre. So, mit diesen Waffen, kann man den Relativismus in der Tat nicht aus dem Sattel heben, sondern gibt ihm, ohne es zu wollen, immer wieder recht. Dann kommt man auf die Basis des alten unfruchtbaren Skepsis-Streites zurück. Man muß die Basis erweitern. Der Relativismus ist die „richtige" Welttheorie für ein Tinechtes, irgendwo denaturiertes Menschsein und d e s w e g e n — k e i n richtiges Bild der Welt, wie sie a η s i c h und — vermittelt — für das normale praktische Menschsein ist. Bei der „Richtigkeit f ü r . . . " s t e h e n b l e i b e n , hieße selber relativistisch denken, — beim un - vermittelten „Ansich" - sein dagegen: absolutistisch. Jene Erweiterung der traditionellen Basis, welche die relativistische Not gebietet, bezieht sich auf das konkrete Menschsein, auf die wahre Beziehung von Menschsein und Weltsein und auf die Seinsnatur der Welt selber, die z u g l e i c h „Welt überhaupt" — und „Welt des Menschen" ist. Dem gegliederten, zeitlich hingezogenen Sichmühen der Menschheit um die großen und kleineren Sachthemen muß entsprechen der komplizierte Bau der mit diesen Themen bezielten Seinsgegenstände. In diesem Bau muß das menschliche Eindringen sich von einem Punkt zum anderen weitertasten. Von jeder Einzelstufe und jedem Ansatz aus wird das vor-geahnte Ganze anders aussehen. Aber es ist dennoch eben darin dieselbe seiende Sache, um die es in dem für uns wechselvollen fortlaufenden Mühen geht. Sonst wäre die intersubjektive und geschichtliche Zusammenordnung der Bemühungen um sie und das Fortlaufen des Sprechens, Verhandeins, Streitens darüber unmöglich. Der Stein, vor dem als Wurfgeschoß sich der Hund fürchtet, kann nicht deshalb schlechterdings ein anderes Seiendes sein als der Stein für den ihn ins Auge fassenden Menschen, — w e i l er j e anders g e g e b e n ist. Sonst könnten auch ein Mensch, der auf ihn als Schotter tritt, und ein anderer, der ihn schon als Waffe sieht, sich nicht verständigen als über denselben Stein, — bei vollem B e w u ß t s e i η der Grundverschiedenheit des Gegebenseins. Die ganzen Verschiedenheiten der Auffassung, des Seins für..., sind da und dürfen nicht leicht genommen werden. Aber Auffassen selber ist kein Träumen oder Phantasieren. Irgendwo ist der Punkt, wo das Daß und Was des unserer Willkür widerstehenden Steins in s e i n e m Sein in Frage kommt. Er ist das selbständige, uns gleichgültig Entgegenstehende, mit dem wir es zu tun haben, um das wir uns bemühen, dem wir uns zuwenden müssen. Unsere Hinsichten darauf, — was wir daraus machen k ö n n e n —, sind uns a l s s o l c h e und in ihrer

105 V e r s c h i e d e n h e i t bewußt. Wir spüren über sie hinaus zumindest das „Daß" eines Anlaß oder Möglichkeit gebenden harten Soundsobestehenden. Das Bewußtsein, daß der Stein Waffe w e r d e n k a n n , — ohne f ü r u n s j e t z t p r a k t i s c h so genommen zu werden, — kann da sein, eingeordnet dem Bewußtsein, daß da etwas „ist", weis nicht etwa von sich aus nur Waffe ist. Es wird von vornherein schon a l s das über unsere verschiedenen möglichen Auffassungen d a v o n Hinausgehende erfaßt. Der Naturvorgang — ζ. B. in einem Fall Aufgang und Untergang der Sonne oder in einem andern das Erwachen des Pflanzenwachstums im Frühjahr — ist nicht jeweils mehrerlei, weil er für ein Zeitalter mythischen Denkens ein völlig anderes war als für ein theistisches, wieder ein gänzlich Neues für das physikalische bzw. biologische Denken des Barock oder für das moderne wissenschaftliche Bewußtsein. Die Überraschung der Entdeckung der historischen Sichtweise hat zu allzu naiven, sich kühn gebärdenden Folgerungen geführt. Das Schließenwollen aus der intentio obliqua auf die intentio recta — d. h.: vom Nichterkanntwerdenkönnen des Subjektsunabhängigen auf sein Nicht-Seinkönnen — zeigt sich auch hier wieder als der innerste Fehler des relativistischen Systemaufbaues. Die Welt als ganze, seiende, nach ihren Gesetzen sich wandelnde, ist eine; die geschichtlichen Welten sind geschichtlich bestimmte Ausschnitte und Zugangsaspekte nach menschen-geschichtlichen Gesetzen. B e i d e s — objektive und subjektive Determinationen — durchdringen sich im konkreten Gegebenheitsverhältnis. Fragt einer die alte skeptische Frage: Woher weißt du das?, so ist er hinzuführen auf jene kombiniert anthropologisch - ontologische Phänomenbasis, von der eben die Rede war; von ihr aus kann man Argumente beibringen. Die Argumentation vorzuführen ist selbstverständlich hier nicht der Ort. Wenn man auch einen jeweils noch so andern Begriff hat oder hatte von jener Bergkette, die Mitteleuropa von Italien trennt, — diese geographische Rolle, diese Ausdehnung und Gliederung, ihr Aufgebautsein aus dem und dem, das Große und Wilde dieser Natur, ihre Unterschiedenheit von der Ebene und vieles andere ist dasselbe, mag man nun zu Zeiten alles dies, dann wieder jenes gesehen, darunter verstanden, darin erlebt haben. Was in den Vordergrund tritt, das ist das Variable. Die Koordinaten und Dimensionen dafür liegen im Menschlichen und Geschichtlichen. Sie erforschen heißt gerade, sie in Abzug bringen von dem nicht mitvariierenden An-sich,SeinsPartner, der in der Beziehung ist. — Man mag dann immer noch sagen, daß einen dieser letztere aber gerade nicht interessiere. Aber

106 man wird keine Gründe vorbringen gegen das Bestehen des Strükturverhältnisses: daß im Variablen Momente des Konstanten sind. Uber diese steigen wir erst mühsam zum Seienden in seinem Sein hin. Es ist eben nicht gesagt (wie es lange schien), daß es das auf der Hand Liegende ist. Ob der Wein „im allgemeinen" süß ist oder bitter, kann man trotz der auseinandergehenden Zeugnisse von dem und jenem, des Kranken und Gesunden, ermitteln. Aber auch das Süßsein für den einen und Bittersein für den Gaumen des anderen ist ein Seinsverhältnis: in ihm kommt, zusammen mit den Modifikationen des Subjekt-Partners, immer auch i r g e n d etwas von der Natur des betr. Objekts in Frage. Man darf nicht vergessen über all dem Modifizierenden, was das sich-erscheinen-lassende Subjekt hinzutut: daß nur ein soundso bestimmtes Objekt sich — s o modifizieren läßt, so er-scheinen kann. Man kann sagen, warum der Kranke krank, wieso der Gesunde der besser den Gegenstand Beurteilende ist. Damit aber auch: w i e s ο der Gegenstand dem einen Subjekt s ο , dem anderen aber a n d e r s erscheinen m u ß. Man darf nur auch hierfür wieder die Zusammenhänge nicht im einseitig Erkenntnistheoretischen suchen. — Aber es kostet einige Mühe, und zwar Erkenntnis-Mühe, einige Arbeit, — und zwar Erkenntnis-Arbeit, um jenes sagen zu können, — um also das jeweilige, z u n ä c h s t bestehende B e f a n g e n s e i n in der V o r e i n g e n o m m e n h e i t zu sprengen und zu einem sachgerechten, objektiveren Umblick hinauszugelangen.

4. DIE NEUE ERKENNTNISTHEORIE AUF BODEN

ANTHROPOLOGISCHEM

Man kann fragen, w i e wir denn nun eigentlich hinauskommen auf das identisch bleibende Objektive in seinem Sein, nicht bloß Scheinen für. . . Die Antwort ist: so, wie sich überhaupt in unserem Denk-Leben die Re-Objektivation der subjektiven Erlebnisse mit der Objektswelt zu Erkenntnissen des objektiven Bestandes vollzieht. (Nur daß diese Reobjektivation hier den größten geschichtlichen Maßstab hat.) Durch reiche Zusammenhänge nämlich, die gefunden werden innerhalb der gefaßten Gegenstände selber. Diese Zusammenhänge sind etwas anderes als die daneben auch waltenden Gegebenheits-Zusammenhänge zwischen Objekt und Subjekt: sie erweisen sich als nicht variierend nach der Funktion der letzteren.

107 Aus dem zwingenden Struktur-, Gestalt- oder Gesetzlichkeits-System der g e g e n s t ä n d l i c h e n Zusammenhänge heraus wird das verschiedenartige, je einseitige der G e g e b e n h e i t s - Aspekte erst so zusammenordenbar, wie wir sie, zu unserer Weltorientierung, zusammenordnen. Die in der Objektsdimension spielenden Verhältnisse werden sukzessive abgesondert von den andersartigen, modifizierenden, die aus der Gegebenheitsdimension stammen, von der Perspektive; bzw. das Verhältnis der beiden Dimensionen wird abgegrenzt. Es kann von daher begriffen werden, daß und wie sich dieselbe Gegenstandsstruktur mit Notwendigkeit und gesetzlich in den und jenen bestimmten Subjektszugängen so und so verschieden und je abweichend zeigen muß. Dies ist dann das einzig mögliche Aus-den-Angeln-Heben des Subjektivismus: als ein nicht mehr Sich-Verwirren-Lassen durch die Subjektivitäts-Phänomene, ohne sie im geringsten abzustreiten; also ohne in die Naivität zurückzufallen: Der Gegenstand sei einfach in seiner Transzendenz so, wie er (hic et nunc) vor unserem IhnMeinen steht, und ohne sich durch irgendeinen dogmatisch-unbegründeten Optimismus hinsichtlich der Ansichseins-Erkenntnis eine Blöße und damit dem Relativismus in „kritischer" Aufgeklärtheit den Vorzug zu geben. — Man sieht zugleich an diesem zentralen erkenntnistheoretischen Fall, wie es möglich ist, über die Einseitigkeiten (isoliert und radikalisiert als Objektivismus und Subjektivismus) synthetisch hinauszukommen. — Jene Kenntnis der wirklich im Objekt spielenden Zusammenordnungen entspringt aus dem vielseitigen und wiederholten versuchenden und sich korrigierenden Herangehen an das Objekt auf den subjektsabhängigen, einseitigen und vorläufigen Wegen, die uns allein zu Gebote stehen. Die aufs Subjekt relativen Täuschungsquellen sind naturnotwendig. Aber ihre relative K o m p e n s a t i o n ist erarbeitbar. Der Relativ-ismus ignoriert diese beständige praktische und positive Arbeitsleistung, das beständige praktische Fertigwerden mit dem verwirrenden Spiel der Relativitäten. Die ganze letztliche Unabgeschlossenheit und Ungesichertheit des menschlichen Beginnens ist kein Einwand gegen dieses, sondern gegen ein veraltetes, zu einfaches und optimistisches Bild von demselben. Vielleicht steht hinter dem letzteren im Grunde immerdar das „moralische Apriori" des theozentrischen Denkens. Freilich setzt das die einzelnen relativen, subjektiven Aspekte auswertende, aber überhöhende Begreifen voraus: das Miteinkalkulieren-können der Gesetze jener Perspektivität; um sie nämlich wirk-

108 lieh a b z i e h e n zu können von dem Seienden, wie es an sich, o h n e den Einfluß unseres Sehens ist; um also die Gefahr zu meistern, die in der Natur unserer einzigen benutzbaren Zugangsmittel liegt. Diese Gefahr ist, daß diejenigen Aktionen, durch die wir allein, von uns ausgehend, die Brücke zum Ansichseienden schlagen können, uns dieses wiederum in seinem Von-uns-unabhängig-Sein verdecken: denn aus ihrer anthropologisch-ontologischen Entstehungs-Situation heraus sind es eben Tätigkeits-Aktionen; nicht ist es ein reines kopierendes Aufnehmen des draußen seipnden Objekts, ohne jede Modifikation. — Hinter jenem Einkalkulieren steht das Grundproblem: das S e i n in seiner tatsächlichen Objektsreinheit kann ich nur fassen, wenn ich über Leisten und Modifizieren des menschlichen Erkennens Bescheid weiß, — das wesentliche Ereignis des E r k e n n e n s fasse ich nur, wenn ich zugleich das zu erkennende Sein sehe. (Denn der Versuch der Orientierung über dieses ist Erkennen). Daß man hier nicht sofort vor einer endgültigen Aporie des „Anfangs" steht, — wie es ein sattsam bekannter Einwand gegen Erkenntnistheorie überhaupt verkündet, — kommt daher, daß sich noch ein Drittes einschaltet. Von der erkennenden und tätigen S i t u a t i o n d e s M e n s c h s e i n s aus kann ich von Sein und Erkennen den ersten richtigen Begriff und Vorgriff bekommen, — wenn auch andererseits das G e n a u e r e des menschlichen Inderweltseins erst von der richtigen Theorie des Erkennens und Weltseins zu erhellen ist. — Durch Auftrennung dieser in Wahrheit u n t e i l b a r e n P r o b l e m G a n z h e i t und das Aufbauen auf j e e i n e m Bestandstück davon allein (oder durch Ausgang vom nur-erkennenden oder nur-wollenden oder nur-fühlenden, nur-freien oder nur-passiven Menschen) sind die radikalen „Systeme" der Philosophiegeschichte entstanden, — die übersteigerten Forderungen der Menschenvernunft, welche die übersteigerten Entmutigungen des relativistischen Verfalls provozierten. — Die methodische Form des demgegenüber einzuschlagenden Weges ist die einer Spirale: jedes Philosophieren ist wohl einseitiges Irren, aber auch ein Hinausgetriebenwerden ( m i t o d e r o h n e Willen und Bewußtsein davon!) über den Irrtum der je besonderen Einseitigkeit. Es ist nicht so: daß es e n t w e d e r überhaupt keinen sicheren Zugang zum Zuerkennenden gibt (also nur ein immer wieder Zurückfallen auf d e n s e l b e n Ausgangs-Stand des Irrtums) o d e r ein gradliniges Sicheinverleiben von Erkenntnis. Das Geheimnis liegt in der όμιλία zwischen Erkennendem und zu Erkennendem beschlossen, — sozusagen im Leben und Wagnis des Erkennens, — die man zugleich funktional und geschichtlich sehen muß.

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Also muß man hineinsteigen in diese ebensowohl anthropologische wie gnoseologische Aktionalanalyse, die noch dazu ihre ontologische Seite hat. Man muß den inneren Hergang des Gegebenwerdens und die Seins-Situation desjenigen, dem etwas „gegeben" werden kann, zugleich sezieren. Dies „Zugleich" ist das Schwierigste. Die Zusammenführung der rein sachtheoretischen und der erkenntniskritischen Untersuchung ergäbe erst das Fundament für eine wirklich kritische, verantwortbare philosophische Wissenschaft. Weil diese fehlt, hängen auch die Einzelwissenschaften in der Luft. In der Entwicklung der Physik von heute ist dies auffallend hervorgetreten. Man weiß auch hier nicht die Ergebnisse der Sachforschung und die Techniken der Erkenntniszugänge auseinanderzuhalten. Das ist das Alarmzeichen für das Herankommen oder noch nicht überwundensein der Relativismus-Gefahr. — Eine Kategorien-Kenntnis aus gleichzeitig ontologischer, erkenntnistheoretischer und anthropologischer Quelle muß erst eine neuartige Synthese ergeben, die breit genug ist, um auf ihrem Rücken das Gewicht der tatsächlichen Relativitäts-Phänomene unterzubringen, ohne darüber aus dem Gleichgewicht zu fallen. — Immerhin, das erste Bisherige für diese gewaltige moderne Grundlegungs-Aufgabe einer positiven Theorie der Relativitäts-Phänomene ist in der philosophischen Erkenntnistheorie selber geschehen. Die adaequatio- und creatio-Theorie der Erkenntnis ist ein reines Auspendeln einer Kontroverse. In der Philosophie sind dazu immer viele Jahrhunderte vonnöten. Erkennen ist nun Tätigkeit des endlich und schutzlos in die übermächtige, gegen ihn gleichgültige Seinswelt gestellten Menschen. Als eine besondere, konkrete Aktion hat sie in seinem tätigen Sichbehaupten gegen und in der Welt eine ganz bestimmte Funktion: sie ist q u a Impuls wollensmäßig vom menschlichen Gesamtzentrum angetriebene, problembewußt geplante und methodisch-praktisch in Abhängigkeit von Subjekts-Umständen vollzogene Unternehmung; aber sie hat zu ihrem Ziel das Bewerkstelligen einer Entsprechung zwischen Bewußtseins-Prozeduren und SeinsStrukturen Sie ist selber seiende Beziehung zwischen seiendem Subjekt und unabhängig von diesem seiendem Objekt. Eine „seiende" ist diese Beziehung, weil sie 1. in ihrem Bestehen unabhängig von unserem s i e D u r c h s c h a u e n ist; und 2. weil sie meto als eine Beziehung nur im Subjekts-Inneren ist, nämlich ein Arbeiten an Ansichseiendem. Sie ist immerdar erst Erarbeitung der transzendierenden Beziehung, die ganz und gar vom Subjekt ausgeht und bewerkstelligt wird, aber die z u g l e i c h d a r i n ein Sichunterwerfen des Subjekts unter die Objektseigenart darstellt; jenes dringt von seinen

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Erfahrungszugängen zur Objektswelt, mit seinen kategorialen Denkmitteln und mit Beschreiben, Rechnen, Messen und Experimentieren Schritt um Schritt in diese ein. — Vor allem aber ist dieses treffende oder verfehlende Hinausgehen zum Objekt ein fortschreitender Prozeß in g e s c h i c h t l i c h e r Dimension. Seine Dynamik hat eigene innere funktionale Entwicklungsgesetze. Die Zusammenarbeit zahlloser einzelner Köpfe, vieler Generationen und der Disziplinen untereinander vollzieht sich unter der Steuerung des Hinblicks auf das problematische, zu erkennende Objekt, also der eigentümlichen Determination der ErkenntnisPraxis. Mit ihr aber überlagert sich die gänzlich andersartige genetische der nicht erkenntnismäßigen geistigen und allgemein geschichtlichen Faktoren in ihrer Vielfalt. Ein nicht theistisch und nicht materialistisch zu vereinfachendes, unendlich komplexes Gefüge von Bedingungen macht die „Erkenntnisgeschichte" aus. Es resultiert eine Bewegung, deren Dramatik den Wellenschlag einander sich ablösender verläufiger Versuche gerade e i n s c h l i e ß t ; und die ferner in ihrem komplexen Ineinander das Immer-wieder-Sich-verirren des ganzen forttastenden Drängens und Zielens in Irriges und Wieder-rückgängig-zu-Machendes als eine N o t w e n d i g k e i t ihrer wirklichen Wesens-Natur einsehen läßt. Denn es ist kein metaphysischer Prozeß des sich emporentwickelnden Weltgeistes, gegängelt und garantiert von idealer, göttlicher Weltvernunft; sondern ein menschlicher, mehr-als-subjektiver Arbeits-Prozeß. In diesem stellt sich der Fortschritt nur aus einer funktionalen, inneren, lange Zeiträume und Umwege beanspruchenden Steuerung her, und zwar eben in der Weise des Sichausbalancierens und Sichtotlaufens oder Gegenseitigaufhebens der Fehlversuche. Ohne daß feststeht, daß dies je zu einem absolut Endgültigen führt. Aber die Eindeutigkeit des geschichtlichen Arbeits-Fortgangs im Großen ist ein neutrales Phänomen, von dem der Relativismus durch die Scheuklappen seiner Radikalisierung nichts gewahr wird. Diese Radikalisierung ist: daß er bloß die einzelnen Relativitäten — die Relativierung der e i n z e l n e n Anschauungen — sieht, sehen will. Aber der atomare Blick taugt nicht zur Fassung der Einheit der Aktion. Es zeigt sich hier, wie heute überall, in Biologie, Physik, Staatslehre usw., die Notwendigkeit des Aufbaus eines neuen Kategorien-Apparates, der komplexer ist und mehr Komplexität meistern kann. — Das ist immerhin der Ansatz zum Hinauskommen über die langlebige Alternative zwischen Psychologisierung der Erkenntnis oder jener Chimäre der „reinen Erkenntnis", die ihren Gegenstand entweder abbildete oder erzeugte. Die offizielle Todesanzeige jener ehr-

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würdigen Fiktion steht freilich noch immer aus. Aber wieso sich weder aus dem schwer zu Lösenden an der f u n k t i o n a l e n noch an der g e s c h i c h t l i c h e n Dimension des Erkennens mit Recht Relativismus speisen kann, sieht man vorgezeichnet. Jene Alternative Schloß in sich: entweder das Erkennen als eine interne Subjektsangelegenheit zu verkennen oder die objektiven ontologisch-logischen Gehalte pur, menschen-abgelöst zu sehen. Bei dieser Alternative ist gleicherweise die Natur des menschlichen Subjekts, der Erkenntnis und des seienden Objekts deformiert. Das Erkennen ist eine menschliche, auf das Seiende zielende Tätigkeit. Aber was eine Tätigkeit ist, sieht man nur von der onto-anthropologischen Gesamt-Konstellation aus. In dieser ist die Wirklichkeit des Erkennens gegeben. Alle Aporien sind nur künstlich hineingetragene; und zwar hineingetragen von der schlechten Denkgewohnheit, alles von der Findung letzter Elemente abhängig zu machen und Einfachheit um jeden Preis herzustellen in diesen entscheidenden Fragen, also auch in der Theorie des Erkennens. Auch hier offenbart die Einstellung des Relativisten etwas eigentümlich Unreifes64): wenn ich nicht das Letzte erringen kann, will ich gar nichts gelten lassen. Das ist der Nerv in seinem skeptischen Wegeskamotieren des naiven Selbstvertrauens des Erkennens. Dieses wird jedoch durch alle Erkenntniskritik wohl eingeschränkt, aber in Wahrheit nicht aufgehoben. —

5. GNOSEOLOGISCH-ANTHROPOLOGISCH-ONTOLOGISCHER ZUSAMMENHANG Es steckt im Relativismus überhaupt neben jener geistesgeschichtlichen Seite ja eine falsche Gnoseologie, Ontologie und Anthropologie. Diese sind in ihrem relativistischen Resultat am Ende des 19. Jahrhunderts im Grunde die Ausläufer gleichzeitig von Idealismus und Materialismus: das Ansichsein wird durch den Perspektivismus mit großer Handbewegung als überflüssig, als Fiktion „entlarvt"; oder es wird entweder auf die materielle oder metaphysisch-geistige Art zugestutzt; am Menschen wird alles Geistige durch die Zurückführung auf die nicht-geistigen Schichten hergeleitet. — Das Aufdämmern einer ganz neuen Chance für die Erkenntnis64) Vgl. Hugo v. Hofmannsthal: ,,Es war ein Sichhaben und Sichnichthaben — Alleshaben und Nichtehaben". „Dem Jüngling geht» um alles und um nichts; daß er zu geben und zu nehmen wiese, und wie zu geben, wie zu nehmen, 1st des Mannes Sache" (Oes. Werke, 3. Bd., 3. Tell, S. 26).

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theorie in den allerletzten Jahren liegt eigentlich nur hier und da verstreut, als ein noch nicht zu sich selbst gekommenes Bewußtsein, vor: das Bisherige ist fortgeräumt, — ein großer Bauplatz läge bereit. Scheinbar hat Erkenntnistheorie so abgewirtschaftet wie keine philosophische Disziplin. Fundament um Fundament wurde ihr entzogen, das ontologische, das anthropologische , . . Noch schmeckt „Erkenntnistheorie" nach dem schon ganz „unmenschlich" gewordenen neukantischen Logizismus des letzten Teils des 19. Jahrhunderts: Erkenntnistheorie und kein Ende. Relativistische Geistesgeschichte fühlte sich als mehr, als Wortführerin der von der allmächtig, aber isoliert gewordenen Erkenntnistheorie verkannten menschlichen Wirklichkeitsbereiche, und mit Recht. Sie hat der Inzucht der „transzendentalen" Subjekts-Philosophien neues Blut der Subjekts-Wirklichkeit zugeführt. Aber das ist noch nicht zum Ausgleich mit dem Erkenntnis-Problem gekommen. — So steht es in der Gnoseologie. In puncto Ontologie und Anthropologie sind dagegen bereits machtvolle Fundamente aufgestiegen. — Was eine zukünftige Erkenntnistheorie voraussetzt an ontologischem Fundament, ist eine Seinslehre, die aus dem debacle der sich überschlagenden idealistischen und erkenntniskritischen Anti-Ontologie, aber auch aus der relativistisch-subjektivistischen gelernt hat. Gegen die vor-erkenntniskritische naive, d. h. in puncto AnsichseinsFrage zu optimistische Ontologie, war der Relativismus mit Recht angegangen; und zwar im Namen der realen menschlichen, subjektivpersönlichen und geschichtlich-praktischen Situation; über diese hatte sich jene optimistische, himmelstürmende Seinssystematik hinweggesetzt; ebenso wie dies die immer reiner und kritischer und formaler gewordene, vom menschlichen Boden abstrahierende Erkenntnislehre tat, die sich im Namen Kants als ein Gegenschlag zu jener Metaphysik verstand. Die uralten skeptischen Bedenken des relativistischen Denkens hatten alle ihr leichtes Spiel mit einer einseitigen Lehre vom Sein überhaupt: „Sie haben vergessen, diese Perspektiven setzende Kraft in das ,wahre Sein' einzunehmen" (Nietzsche). Die Neugrundlegung der Ontologie erfolgte in eins mit der ersten Wiedervertiefung der Erkenntnistheorie zur Metaphysik der Beziehung zwischen erkennenmüssendem Mensch und erkenntnisgleichgültigem Sein; der Berührungspunkt des Erkenntnistheoretischen mit dem Ontologischen (und Anthropologischen) wurde wieder sichtbar. Das Neue ist vor allem: jene ganze Welt des Subjektslebens ist e i n g e b a u t — als eine bestimmte Sphäre — in das Sein der Welt überhaupt, und zwar mit der relativen Selbständigkeit und Abhängigkeit, die ihr zukommt. Denn hier herrschen Gesetze und Strukturen, die

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nicht in Bausch und Bogen identisch sind mit denen des übrigen Seins. Das heißt, der Seinsbegriff selber ist erst differenziert worden. Das Komplexe eines Schichtenbaus ergibt sich als Niederschlag. Das Sein wird nicht mehr gesehen entweder ausschließlich im Hinblick auf das Außermenschliche oder mit der Scheuklappe des ausschließlichen Hinsehens auf Phänomene und Probleme des Menschlichen, Bewußtseinsmäßigen, Geistigen, Geschichtlichen. Noch einmal, was an Grundlagen für die Erkenntnistheorie daraus folgt und an Revolutionierendem: nämlich das Gebrochenwerden alles Objektiven durch die Eigengesetze in der Subjektsschicht des Auffassens, Suchens, Meinens usw., ist selber ein ontologisches Verhältnis. Gesetze des seelischen und geistigen Seins sind unterzubringen im Gesamtgefüge des ineinandergeschichteten Weltseins. Dieses kann nur das w a h r h a f t Ontologisch-Umfassende sein, wenn es n e u t r a l ist gegen das ganze für den Menschen, seinem Zugangfinden nach, bestehende Auseinanderklaffen von anthropozentrischem und ontologischem Vorwalten einer der nacheinander in der Systemgeschichte radikalisierten Zentral-Kategorien. — Aber vor allem folgt nun für den Menschen: das Erkenntnissubjekt und Subjekt aller übrigen geistigen Akte ist ein Glied der Seinswelt von besonderer Seinsstruktur. Diese Besonderheit liegt darin: eigenartige Seinsschichten durchdringen sich an ihm. (Und reichen im geschichtlichen Geistesleben über das Subjekt hinaus.) Man kann sie nicht ableiten aus einer einzigen Seins-Schicht, etwa dem nichtseelischen bzw. nicht geistigen Subjekt-Sein. Man muß sie zugleich sehen, d. h. darf nicht ein Gebäude errichten, das nur auf eine davon zupaßt. So kristallisiert sich heraus: der Mensch kann mit seinem Geistigen — seinem Erkennen, Werten und Mitarbeiten an der Geschichtskontinuität — nicht auf Natur-Sein reduziert werden. Aber sein Sein kann auch nicht zu einem vom Natursein abgelösten reinen Geistsein erhöht werden. Mit seinem Zurückführen von Geistigem auf Nichtgeistiges hat der Relativismus in der einen seiner Komponenten das erstere versucht; in seiner geistes-geschichtlichen dagegen das letztere. Das Reduzieren ist dabei die barbarische Radikalisierung einer Abhängigkeitskomponente, — die in Wirklichkeit mit anderen in einem Gefüge zusammensteht, — zu einer einfachen Absolutheit. Also: das Geistige hat seinen einzigartigen Platz im Sein überhaupt; es ist aber immer in Abhängigkeit von anderen Seinsschichten. Seine Entwicklung vollzieht sich also nicht etwa unabhängig vom Nicht-geistigen, rein aus einem eigenen, nicht menschlichen, metaphysischen 8 Wein, Relativismus

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Geschichts-Gesetz. Das geistige Erfassen, Werten und Schaffen des Menschen besteht nicht in Unabhängigkeit von der Verschiedenheit und Wandlung der biologischen, psychologischen, allgemein-historischen Realitätsfaktoren. Es ist nicht eine über den Menschen hinausgehobene absolute Sphäre. Aber es besteht auch nicht etwa lediglich aus Abhängigkeit von jenen bedingenden Schichten. Es gibt trotzdem und „darüber" ein eigenes geistiges Sein. Es gibt den Erkenntnisbezug zum Ansichseienden in ihm und werterfassende Akte, die objektiv Gültiges erschließen. Das Erkenntnismäßige im Geistesleben hat wiederum seine Stellung der Abhängigkeit und zugleich Eigenständigkeit im Bedingungsgefüge des Außererkenntnismäßigen, Gesamt-Geistigen. Man braucht nur von der Manie des philosophischen Radikalisierenwollens zu lassen und behutsamer zu Werke gehen, und siehe da, die künstlichen Aporien, Anlässe immer neuer relativistischer Entmutigung, lösen sich langsam auf. Auch in diesem Problemkreis will das Pendel zu einer μεσάτης zurückschwingen. Die uns vor Augen stehende, weder idealistisch noch materialistisch einseitige Anthropologie ist es, an der es den Denkern des Relativismus als Ausgang und richtigem Start gebrach.

X. 1. UM DIE MÖGLICHKEIT EINES TERTIUM Eins wurde schon oben angedeutet: die relativistische Beseitigung aller falschen Absolutsetzungen hat in ihrem Negativen ein Positives; daß die prätendierten Absolutheiten keine wahren Absolutheiten sind, ist wahr. Und jene vorgeblich in der Hand liegenden Absolutheiten sind als Ruhekissen und Fata Morgana des geistigen Arbeitens ebenfalls der Verfall seiner An-spannung und Gesundheit, ja, als einsinnige Leitlinien und Planungen des menschlichen Seins, seiner praktischen Haltung überhaupt, ein Verfall von dessen eigensten Möglichkeiten. — Jede Meinung, das übergeordnete, allein selig machende Ganze gefunden zu haben, wäre unkritischer Absolutismus. Man meinte dann, von seinem Standpunkt aus die Beschränktheit jedes einzelnen anderen und gewesenen Versuchs einschätzen zu können. Aber es kann ja nicht irgendeine in Wahrheit selber schon in ihrem Ort und Grundriß einseitige Ordnung die wahrhaft ontische Ordnung sein.

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Diese fällt mit keinem der bestimmten Gedanken-Schemata zusammen. Alle wie immer geformten „Systeme" fielen ja vielmehr noch unter ihr wirklich allumfassendes System, hätten darin ihren gebührenden Ort. Jedes philosophische oder praktische, politische, soziologische, religiöse System von Menschen dagegen ist bestimmt durch die Bevorzugung ganz bestimmter Werte oder Gesichtspunkte als der ausschlaggebenden vor anderen. So kann niemals die volle Ganzheit, die seinsmäßige Ausgewogenheit herauskommen, in der alles gleichermaßen zu Worte käme. Der Welt-„Standpunkt" ist eben übermenschlicher Standpunkt. Der Mensch ist i η der Welt —, von der Welt, aus der Welt. Er kann sich nur ein Wesen nach der Art seines Geistes träumen, das über der Welt wäre: der deus non malignus, der die Relativitäten schlichtet. Er garantiert den Erfolg der menschlichen Prätensionen, — w e n n dieses „moralische Apriori" der Wohleingerichtetheit der Welt (Nietzsche) selber stimmt. Aber — dieser Optimismus ist die gordische „Lösung" des Problems, das die relativistische Entmutigung uns stellt. Eins wie's andere ist „unvernünftig". Der Relativismus erweist sich als die Fehlgeburt der Aufklärung. Der Relativismus kapriziert sich auf absolute Kriterien. So ist er ein dialektisches Produkt des Absolutismus. Er ist die „negative Theologie" der a b s o l u t e n Entscheidung, ebenso wie Absolutismus alles einzelne relativiert — vor dem „einen". Aber dieses selber bleibt im Grunde leer, nichtig; nur die radikale Relativierung und Negation selber bleiben an ihm; es möchte ü b e r allem einzelnen sein, — aber es wird nichts über dieses hinaus gefunden, — nur wird das einzelne, die Vielfalt und Inhaltlichkeit, mit großer mystischer Handbewegung weggeworfen, verschmäht. — Aber noch wortwörtlicher ist der Relativismus ein Absolutismus: er versucht die Ablösung von dem Sichverschreiben an irgendeine Einstellung überhaupt, das Hinauskommen über das vertrauende Sichentscheiden für irgendwelche einschränkenden Bindungen, — und verwirklicht so wiederum eine bestimmte Einstellung. Der Grund dafür — viel tiefer liegend als ein bloßer „innerer Widerspruch" — ist: daß der Mensch nicht frei schweben k a n n über jeglichem Bindenden, Einschränkenden. — Wohl kann er sich dagegen — durch kritische Vernunft — über die e n g e Bindimg, die dürftige, unentwickelte Schranke erheben. Dies ist das fruchtbare tertium, das unscheinbare Nicht-Radikale, dessen Relativismus und Absolutismus in ihrem Disput nicht gewahr werden. Die menschliche Entwicklung und Leistung aber geht, unbeirrt durch die Schlacht der Ismen, den unscheinbareren Weg der stu8·

116 fenweisen Befreiung, die immer innerhalb der Bindung, und der Erweiterung, die immer in der Endlichkeit bleibt. — Das Relativitätsproblem ruft zur höchsten Erkenntnis-Anspannung, nicht zum Erkenntnis-Verzicht auf. An den „relativen Kriterien", — mit denen der philosophierende Mensch positiv auszukommen lernen muß, die dann das Bollwerk gegen die relativistische KriteriumsVerzweiflung sind, — läuft die Grenze, die es endlich mit wissenschaftlicher Vernunft und Sorgsamkeit zu beachten gilt. Es ist die Grenze zwischen der weit übers Ziel hinausschießenden Bekämpfung illusionären, alles verheißenden Selbstvertrauens, — und der ja daneben doch vorhandenen berechtigten, unscheinbaren, aber realistischen Vertrauenswürdigkeit der menschlichen Grundvermögen — als das, was sie sind. Der Mensch muß hier — wie im Zuge seiner ganzen Reifung — lernen, mit seiner Schwäche stark zu sein; d. h. aber sie zu allererst zu sehen, wie sie wirklich ist, dann mit ihr zu rechnen, sie schließlich mit Vernunft so einzusetzen, daß mit ihr das stets Beschränkte, aber Steigerungsfähige geleistet werden kann, das sie durchaus eröffnet. Dies ist das Gegenteil davon: aus Verzweiflung über das Fehlen des letzten das Vorläufige wegzuwerfen. („Immer will die Verzweiflung alles und weicht dem Wenigen aus, mit dem alles beginnt"). Und ebenso das Gegenteil von dem gewaltsamen, hysterischen Vertrauenwollen des Absolutismus, das selber Verzweiflung ist. Und auch ein tieferes Hinabtauchen zu den gesamtmenschlichen Orientierungsprinzipien als die beruhigte Mittelmäßigkeit positivistischen Drauflosarbeitens, ohne sich viel zu kümmern um schwere Entscheidungen. — Dagegen dann wäre gerade alles verloren: wenn das „Umgreifende" wieder gefunden sein sollte! Etwa im \6yos des Seins; oder in der Rationalität göttlichen Wesens oder Verstandes; oder in einem Schatz zeitlos unerweiterbarer Aprioritäten; oder in der Dialektik des Geistes; oder im genetischen Aufbau aus Erfahrungselementen; oder im transzendentalen Prinzip des Bewußtseins; oder im Reich der Gegebenheiten bzw. Positivitäten; oder in mythischer All-Einheit; oder in einem Umfassenden des Fühlens oder rationalistischtechnischer Planung und Praxis; oder in einer Kirche oder internationalistisch - universalen Klassen - Organisation, usw. Wie auch immer dieses Umfassende getönt sein mag, es verwirklicht sich als eine menschen- und zeit-bestimmte Einstellung. Dieses Gesetz hat uns der Relativismus gelehrt. Die eine Einstellung steht notwendig im Gegensatz zu anderen menschlichen Möglichkeiten. Sie kann als solche niemals d a s Absolute enthalten, sondern nur ein f ü r . . . eine Gruppe Absolutes; und sie hält sich nur deshalb für das unbedingt

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Wahre, weil sie dieses nicht kennt, bzw. nicht kennen will. — Dies ist vor-relativistisch, — keine Uberwindung des Relativismus. Nicht einmal durch Zerhauen des Knotens; denn dazu fehlt heute das „gute Gewissen"; Vergessen-wollen ist kein Vergessen. — Jetzt wird vielleicht das Dringende und die Tiefe der Frage offenbar: wie ist eine Lösung möglich, die w e d e r relativistisch n o c h absolutistisch ist? Jeder vorgeblich vom relativistischen Klein-machen gar nicht berührte, ab-solut feste Halt gegen die relativistische Untergrabung der ursprünglichen Gewißheiten wird als Illusion entlarvt; also auch jede Uberzeugung, die beste oder gar die einzig wahre Einstellung, d e n Weg, d i e Methode, den einzig passenden Schlüssel zu besitzen. Aber andererseits: es scheint doch ohne einen solchen Halt, eine solche Gewißheit und Uberzeugung nicht zu gehen, — wenn anders der Elan zu Anspannung und letztem Einsatz für geistiges Schaffen entfesselt werden soll. „Der Mensch, der etwas Tüchtiges hervorbringt, legt seine ganze Energie hinein; er hat nicht die. Nüchternheit, dies oder das zu wollen; er zerstreut sich nicht in so und so viele Zwecke, sondern ist seinem wahrhaftigen großen Zwecke ganz ergeben. Die Leidenschaft ist die Energie dieses Zweckes und die Bestimmtheit dieses Wollens. Es ist eine Art von Trieb, fast tierisch, daß der Mensch seine Energie so in eine Sache legt. Diese Leidenschaft ist, was wir auch Begeisterung, Enthusiasmus nennen." (Hegel).65) Dies zu sehen — und nun die „notwendige Illusion" zu verkünden, führt unaufhaltsam in den relativistischen Strudel. Es scheint: wo produktives Loslegen ist, da ist aber auch sture Einseitigkeit, — wo wissende Weite und Offenheit sind, sind Unproduktivität und Entscheidungslosigkeit.") Aber dies ist nur der e r s t e , „sensationelle" Befund. Schließlich m ü s s e n Entscheidungen getroffen werden, der Fortgang des Lebens verlangt es; aber dies heißt etwas anderes als die Absolutsetzung des vom je einzelnen Gewählten und Gemeinten.

2.

ANTHROPOLOGISCHE DIALEKTIK UND SYNTHESIS Das zuletzt Gesagte genügt freilich noch keineswegs. Es gibt aber in der Tat darüber hinaus noch eine nähere positive Funktion der Negation, eine Dialektik, eine Verflochtenheit, ein verborgenes 65) Vorleeg. U. d. Plülos. d. WeltgescH., Meiner Bd. 171a, S. 79. 86) Das Auftreten dieser Alternative, deren eine Seite der Relatlvtsmus-Zuetand selber besetzt, bedeutet die „Selbstanwendung" des Relativismus.

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merkwürdiges Verhältnis der menschlichen Einstellungen: die bestimmte Einstellung zeigt, auf die Spitze getrieben, w o r a n es ihr fehlt, w o r i n sie einseitig ist, w e s s e n sie zu ihrer Ergänzung bedarf; dies gerade ist die positive Lehre ihres Scheiterns aus ihrer Einseitigkeit heraus. Aber diese Lehre will daraus gezogen sein. Mitleidigkeit, radikalisiert, heischt an einem bestimmten Punkt, wenn sie nicht sinnlos werden soll, mit Gewalt das Korrektiv Gerechtigkeit; Gerechtigkeit fordert für ihre eigene wahre Verwirklichung Güte; Güte Distanz. Aber auch bei theoretischen Einstellungen: der idealistische Weg fordert schließlich ontologischen Umblick; Ontologie erfordert Erkenntniskritik; Erkenntniskritik fordert Aufnahme schlichter anthropologischer Gegebenheiten, usw. Oder im Praktischen: soziales Gleichmachen heischt einen Gleichmacher, der selbst nicht „gleich" ist. Materialistische Lebenskultur fordert schließlich immaterielle Werte als Lockung und Anreiz, um das Treiben in Gang zu halten und auszurichten... — Dabei mag in Wahrheit die Ordnung keine reihenmäßige, sondern ein Netz von Beziehungen sein. Auch in der geschichtlichen Dimension zeigt sich Dialektik der wechselnden, sich bestreitenden Einstellungen. Einer zur Herrschaft gelangten Einstellung wirft sich eben in ihrem übertriebenen eine andere entgegen, korrigiert sie, fügt etwas hinzu, das auffängt. — Das ist keine Garantie gradlinigen „Fortschritts". Es ist viel mehr wie ein in seiner Labilität stabiles Kreisen um ein freilich ums nicht greifbares Zentrum. Obwohl uns Prinzip und Struktur des wahren umgreifenden Gesamtsystems — die Plattform einer absoluten Beurteilung und Ordnung — nicht gegeben sind, bestimmt sich jede Einstellung ihren Ort durch ihre Beziehung zur nächsten. Niemals ist dabei die formale Beziehung des Kontradiktorischen wichtig (Gerechtigkeit — Ungerechtigkeit; Güte — Nichtgüte usw.). Sondern immer sind es „synthetische" Komplementär-Beziehungen (Gerechtigkeit — Milde; Güte — Distanz; Treue — Selbständigkeit; Gehorsam — Zurückhaltung usw.). Dieses seltsame Verhältnis erstreckt sich nicht nur auf die Wertgesichtspunkte. Es gibt auch eine Anwendung davon auf die theoretische Perspektivität. In ihm dürfte überhaupt das eigentliche positive Gegengewicht gegen den Relativismus liegen. Aber es kann hier nur erst einmal von außen aufs knappste angedeutet werden. — Wo fällt denn eigentlich die größte Divergenz der Sicht-Alternativen an? Im Bereich der philosophisch-metaphysischen und der Geschmacks-„Standpunkte". Man sagt: „Uber den Geschmack ist

119 nicht zu streiten", und meint damit, daß hier alles so strittig ist und bleiben muß, daß es sich nicht zu streiten lohnt. In puncto der großen philosophischen Fragen aber gefallen sich viele in einer Haltung, die praktisch auf dasselbe hinauskommt. Aber hier gerade erfahren wir auch in der größten Deutlichkeit: das schließliche Sichselbstaufheben jeder Einzel-Richtung und ihr notwendiges Umspringen in eine andere; und dabei ist dieses Umspringen in eins ver-nichtend und korrigierend, auf - lösend und lösend, abschließend und freimachend, — die beständige „aufhebende" und weitergreifende, verbindende Bewegung durch die Einzelaspekte hindurch... Und es gibt auch eine unzweifelhafte Richtung darin; wenn sie sich auch nicht als gradlinige Akkumulation von inhaltlich fixierbaren Fortschrittselementen einfach aussprechen läßt. Soviel darf man vielleicht nicht verlangen. Geringeres ist das Entscheidende, das zu verteidigen ist, weil es sich wirklich kritisch „ h a l t e n läßt". Es gibt also etwas anderes als das statische Nebeneinander der Alternativen, vor dem der Relativist verzweifelt, wie vor dem Ende aller Dinge in Unentscheidbarkeit. Es kommt darauf an, an Stelle der Illusion vom absoluten „System", jene notwendige Bewegung ins m e n s c h l i c h e B e w u ß t s e i n aufzunehmen. Die eigentliche Frage des Relativismus an den ganzen Menschen ist: ob jenes „Nebeneinander", — vor dem der mit seinem Sehen wirklich in den freien Weltraum hinausgetretene, der endlich „aufgeklärte", zur Wahrheit desillusionierte Mensch einmal steht, und das alle abgeschlossene und vereinfachte, zusammengeträumte menschliche E i n sinnigkeit sprengt, — ob jenes Nebeneinander ihm zur Verwirrung oder zur Bereicherung wird; ob er sein Bewußtsein zur Höhe der wahrhaft ontologischen Komplexion des Sowohl-Alsauch erweitern kann oder darin mit seinen starren Maßstäben ertrinkt; ob er also die Weite des Blicks ertragen kann oder nicht. Es heißt, die S c h w i e r i g k e i t f ü r u n s , für unser Handeln, für Lebens-Halt und Lebens-Orientierung, die der WegfalL eines handlichen Entweder-Oder mit sich bringt, mit einem gewissen Heroismus in Kauf nehmen. Dahinter muß gerade eine neue weit-gerechte Entschiedenheit — ohne Krücken der Simplizität, ohne illusionäre Maße — kommen. Jene Kompliziertheit kann dem Menschen zum Unheil und zum Glück werden, je nachdem, was er aus ihr macht; sie hat ein grausiges und erhebendes Doppelantlitz, wie das Sein überhaupt. — Eigene Tat des Menschen war, bis zu dieser Sicht vorzudringen, — durch alle Gehäuse sich hindurch wagend, vorwitzig vielleicht, ein

120

Loch zu schlagen. Weltraumsluft weht herein.β7) — Hat er e i n e n Schritt getan, — muß er nicht den Weg z u e n d e g e h e n , als seinen einzigen Aus-weg? Jedes gewollte Zurückschlüpfen in Unbewußtheit ist Fehlspekulation; dort ist keine wahre Behütung mehr. Vielleicht gegen äußere Verwirrungen; aber nicht gegen die inneren. Der Gefahr der Bewußtseins-Höhe abzusagen, heißt, sich bei den Dämonen der Tiefe in Hut geben. Es ist mithin gar nicht so sehr die Frage, ob die W e l t wirklich durch und durch relativ sein könnte, — sondern: ob der M e n s c h fertig werden kann mit ihren Relativitäten, — ein spätestes Stück A n p a s s u n g des Menschen-Bewußtseins a n d i e W e l t - R e a l i t ä t . — Daß der Mensch nur mit einem Absolutismus leben kann, ist 1. kein Argument für die quaestio facti desselben und 2. nicht erwiesen — da der Mensch sich umwandeln kann. — Die wahre Sachlage ist: daß die relativistische Verzweiflung nicht im Ernst erfahren hat, wie das „verzweifelte Wissen" die „verzweifelte Tat" gebiert, die über die Verzweiflung hinausträgt. Der Relativismus weiß nicht, daß dasselbe Tun unter seine Verzweiflung fällt, das sie gerade aufheben könnte . . . Ebensowenig ist es die letzte Frage: ob der Menschengeist in seiner Vergangenheit endgültige, absolute Wahrheiten gelernt h a t , — sondern, ob er durch sein Sichbewußtwerden darüber etwas lernen w i r d für seine Zukunft. Es handelt sich doch, wenn man anthropologisch richtig, „vernünftig" sieht, nicht darum: aus den erzmenschlichen Determinanten der Geschichtlichkeit, der Sukzessivität, des Erarbeiten- und Umarbeitenmüssens partout etwas Absolutes zu gewinnen, — denn das ist ein Nonsens; noch: ihnen gegenüber etwas „absolut" zu setzen, aus ihnen heraus-zukommen, — denn das führt zur illusionären metaphysischen Traum-Welt; sondern: das Höchste aus ihnen zu machen, — das „Höchste" relativ auf unseren menschlichen Stand. —

67) Daher das eigenartige Hervortreten des Phänomens gegenstandsloser „Angst" etwa seit der Jahrhundertwende: „Aber die Angst! Sie erlernt sich auf einmal Im AbschluB, den dae Menschliche schafft, das u η dichte, Zugluft, zuckt sie herein durch die Fugen. Da 1st siel" (Rilke, Späte Gedichte, Leipzig 1935, S. 70.) Der Weg über diese Angst hinaus 1st nicht das Sichverengen In ein altes Vertrautes, das gegen „das Große" steht, sondern das Slchvertrautmacben mit der Welte. — Es 1st eine F r a g e , ob die betont antl-kosmologische Wendung des Philosophlerens bei Kierkegaard, Jaspers, Heidegger, — wo Uberall die Menschen-Existenz pathetisch zu etwas Besonderem erhoben wird, — doch nur der vorläufige Klang in dem so angeschlagenen Thema 1st. (Vgl. die Auseinandersetzung exlstenzphllosophlschen Denkens mit der Psychoanalyse: bei H. Lipps und J.-P. Sartre.)

121 3.

ABSOLUTES UND RELATIVES, DOGMATISCHES UND KRITISCHES KRITERIUM Wenn wir zur Höhe derjenigen Weite und Zusammenschau klimmen wollen, die allein unserem Vermögen entspricht, so müssen wir uns leiten lassen von dem Phänomen: daß etwas uns hinaustreibt über das Aufgehen in einer bestimmten Einstellung, sei es auf ethischem wie auf theoretischem Gebiet. Wenn wir nicht diesem „etwas" durch Radikalisierung Gewalt antun! Aber dann zeigtuns postfestum die faktische Selbstaufhebung, das „Scheitern" unserer Doktrin, —: was „kritisch" belehrtes Bewußtsein gerade voraus-schauen soll. So daß sich die Menschheit das Faktum dieses Scheiterns allmählich ersparen könnte. Dazu gehörte, daß „a priori" von jeder Einstellung, die zu Absolutsetzung verführen, die „Devise" werden möchte, ihr „Ort" relativ zu den andern menschlichen Möglichkeiten erahnt würde, ohne daß wir ihn deduzieren könnten aus dem Prinzip des Gesamt-Systems. Nur so wird Menschlichkeit überhaupt erhalten: sie ist das heile Aus-gebildetsein und Aus-bildbar&ein, das Wohlgeratensein zu allen Möglichkeiten, das Verfügen über den Reichtum der Freiheit, — den das Tier nicht hat, auch da, wo es in e i n e r Möglichkeit den Menschen unendlich übertrifft. — In diesem intensiven Reichtum seiner Möglichkeiten ist das Menschsein das gesuchte System des Ganzen, in dem alle Einzelmöglichkeiten sind. Denn es können nur menschliche Möglichkeiten sein. So ist jenes menschliche System in einer „offenen" Weise grenzenlos umfassend. — Aber mit nichten vermögen wir es selber auf ein Zentral-Prinzip zu bringen. Dann könnte Menschlichkeit lehrbar, ableitbar sein, es wäre nicht mehr Menschlichkeit. — *

Wenn der eben behauptete Zusammenhang richtig ist, dann sieht man den Grund für die Unerkennbarkeit des menschlichen ZentralPrinzips. — Es überragt das Feld des Erkennens, — d. i. e i η e r der Grundmöglichkeiten. Der Mensch, der in der Erschließung fernster Welten brilliert, nähert sich am spätesten seiner eigenen Erhellung, — und immer in einem Abstand von dem zu Erhellenden. Wir können uns nur vom Negativen her nähern. Soviel läßt sich sehen: Nur - dies - Sein oder Nur - jenes - Sein ist ebenso Abstieg von jener undefinierbaren angeborenen Würde des Menschseins wie das Gar-nichts-mehr-Sein in der konsequent radikalisierten, farblos leblosen relativistischen ίτοχή von jeder bestimmten

122 Einstellung. Denn der Relativismus tut radikal im Denken und ist im Tun aufs Haar gleichend der gelöschtesten Mediokrität. — Am Heraustreten aus der unbewußten Einseitigkeit in die Vernunft und in der Abwägung des über Menschenmaß Komplexen hängt die ungeheuere Gefahr der Auflösung aller menschlichen Substanz. Sie ist es, der das Denken kritisch, orientierend dienen, die es aber nicht ersetzen, — die es jedoch zerstören kann. Das Phänomen dieser Gefährdung hat den Geist überhaupt in seiner menschlichen Rolle in Frage gestellt. Treuhänder dieser Phänomengruppe ist der Relativismus. Aber es ist noch eine andere Phänomengruppe da, in der sich auch die Unmöglichkeit der Zuflucht im nichtdenkenden (Nur-fühlend- oder tätig-) Sein verkündet. Der Preis, der darauf steht, ist der Verlust des menschlichen Maßes, der Echtheit, der Freiheit. Unsere Zeit erlebt als Gegenschlag zu vorletzter Zeit Stimmen, die voll vergeßlichen Triumphes meinen: das, worum sich der denkende Menschengeist in drei Jahrtausenden gefährdete, sei gar nicht vonnöten. Seltsam unmenschliche, dämonische Steigerungen des Menschen in ein Extrem, — sei es östliche Welt- und Kulturfeindschaft oder verspielte Technokratie der Geschäftigkeit oder anderes, — vergewaltigen das Menschen-Bild von Sais. Hierher nun — nicht als Boden für Wert-, sondern für kritische Urteile gegenüber den Gefährdungen der Menschlichkeit — gehört die Skala jener „Dialektiken" der menschlichen Möglichkeiten, wo eine auf die andere weist. Es ist gar keine so „einzeln", wie es zuerst scheint. Dem ruhigeren Blick erscheinen Relations-fäden, wo jede irgendwie zum ganzen Geflecht „gehört", als notwendiges „Korrektiv" einer andern. (Aber nicht aus einem finalen oder kausalen Prinzip). — Diese Relativierung ist kein Relativismus. Die reiche und nuancierte Relationalität der Seins-Struktur triumphiert über die simple Radikalität de^menschengemachten Ismus. Das wahrhaft Uberhöhende und Ordnende ist in seinem Daß anerkannt; aber es ist nicht schon in seinem Was vorentschieden und definiert. W i e ein Moment an jeder Einstellung notwendig ist für die wahre Verwirklichung und Korrektur einer anderen, ist erst zu bestimmen. Das ist alles offeingelassen und zutiefst problematisch. Aber man sieht das Phänomen eines Weitergreif ens vom einen zum anderen: hier schlingt sich ein Band, wenn wir auch nur erst die Anfänge in der Hand haben und das Umgreifende im ganzen nicht formelhaft aussagen können. Aber wir haben den Anhaltspunkt, daß das Nebeneinander, das Bündel der unvereinbaren gegeneinander gerichteten Aspekte „zur Wahl", mit denen wir weiter nichts anfangen, zwischen denen wir nicht begrün-

123 det wählen können, nicht das letzte Wort behält. Daß schlechterdings jedes als absolut Ergriffene in Wahrheit eine Seite ist, ontischrelativ auf ein Reicher-Gegliedertes, — darin — auf diese indirekte Weise — dokumentiert sich das Ganze: wir kommen mit keinem wie immer gearteten Schritt hinaus aus dein Kreis. — Dies ist aber auch kein Absolutismus. Das Tor aus jeder abschließenden, verengenden Absolutheits-Fixierung und -verkündung hinaus ist offen gelassen. Und das ist gerade das Positive, das vom Relativismus zu lernen war. — Mitten im relativistischen Wirbel ergibt sich der Wendepunkt: wenn man die andere Seite der Dialektik der Einstellungen zu sehen beginnt. 4. WEDER RELATIVISMUS NOCH ABSOLUTISMUS Der Relativismus, extremisiert als etwas, was unsere theoretische und ethische Welt-Orientierung nicht mehr abmessender Anzweiflung, sondern defaitistisch-radikaler Verzweiflung unterwirft, — ist selber eine ganz bestimmte Einstellung. Sie drängt über sich hinaus. Setzt sie sich absolut, so heischt sie selber ein Korrektiv. Dies muß, — nicht im formalen Gegen-satz —, sondern in der richtigen Theorie der Relativitäten bestehen. Diese nämlich werden nicht aufgehoben durch den inneren Widerspruch der Relativismuseinstellung. Aber wie muß jenes Korrektiv aussehen? In was kann die Richtigkeit der genannten Theorie bestehen? Wo ist die nötige Gegen-Kraft gegen die Radikalisierung herzunehmen? Die relativistische Entdeckung ist: an dem, was vermeintlich dem Menschen objektiv, unfehlbar und überzeitlich gegenübertritt, das Doch-Vorhandensein der menschlichen, subjektiven, geschichtlichen Fundamente und Determinanten entlarven zu können. Dieses Entlarven ist tonangebend geworden im 19. Jahrhundert. Man konnte zunächst nicht absehen, was daraus wurde. Das Schwelgen in aufdeckender psychologischer Realistik ist so recht charakteristisch für den Ausgang dieses letzten Jahrhunderts, und zwar auf allen Gebieten, — in seiner Kunst, seinem Forschen, seiner Philosophie und Anthropologie. Daneben mußte der Blick für das außermenschliche Sachliche, für die ontologische und kosmologische Tiefe, immer mehr abstumpfen und aus der Mode kommen. Das Schnüffeln nach dem Allzumenschlichen oder nach Quellen, Motiven, Wertungen, geistigen oder außergeistigen Bedingungen der Geisteswerke, die ganze Ver-Literarisierung, gehörte dazu. In manchen Ländern

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ist auf vielen Gebieten, wie dem der Philosophie, das rein sachlichsystematische Forschen noch heute fast unmöglich durch die Eingefahrenheit eines psychologistisch-literarischen Betriebs. Die Auflösung des Sachlichen in die psychologische Subjektivität oder in die von soziologischen Gruppen oder von Zeitgeistern und -Strömungen, — ebenso wie das skeptische Zurückführen von schlechterdings allen Sach-Inhalten auf die motivierende und formierende, persönlich und historisch agierende und reagierende Dynamik von Trieb, Wollen, Emotion, Denk-Formen und Auffassungs-Tendenzen, — wir sehen dies alles rings um uns noch in voller Blüte. Nun ist der Moment da, über das Extrem hinauszukommen. Wo sich dies wirklich anbahnt, entsteht aber sofort die Gefahr: die Ubertreibung der relativistischen Einstellung treibt einfach in die Arme der entgegengesetzten. Noch nie war so die Epoche des Subjekts, der Subjekte dagewesen wie in diesem 19. Jahrhundert. Würde man aber jetzt das Subjektive, Persönliche einplanieren in ein dogmatisches und organisatorisches καθ* δλου — so wäre dies nicht Uberwindung des Relativismus. Es kommt auf eine d e n k e n d e Uberwindung, d. h. auf eine Uber-windung aus einsehender Vernunft an; damit aber auf eine philosophische Uberwindung. Wobei „Philosophie" freilich nicht in einem alten Sinne genommen werden darf. Es muß eine wieder mutig sachzugewandte, „große" Philosophie sein, welche die Welt des Menschen und das Menschliche in der seienden Welt, auf ihren kategorialen Fundamenten, erforscht. Einer solchen Philosophie ist es aufgegeben, die Lösung: „WederRelativismus-Noch-Absolutismus" vorzubereiten. Darin besteht der heutige Neuauftrag der Philosophie. — Sie hatte diesen nirgendwo so wie in Deutschland zu ahnen begonnen. Sie selbst muß mit dieser neuen Aufgabe neu werden, darf sich nicht auf alten Pfaden zur Ruhe legen. — Jener Auftrag ist nur ihr erteilt. (Wenn es auch heute Länder gibt, in denen man meint, „Philosophie" habe nur mehr Museumswert). Das heißt: gelingt es nicht, philosophisch dem Relativismus etwas von neuerer, echterer Positivität entgegenzusetzen, so ist eben die genannte Lösung nicht möglich. Dann ist seinerseits der Absolutismus das Unvermeidliche. Denn die relativistische Zersetzung — in ihrer menschlich verhängnisvollen Erscheinung als „Indifferenz", — hat bei uns bereits in eine Tiefe geführt, in der überhaupt nicht weiter zu leben sein wird. Es gibt aber ein drittes neben dem praktisch, seelisch, politisch, sozial dem Jetzt unmöglich gewordenen Relativismus und dem längst nicht mehr wahrhaft möglichen Absolutismus. — Gäbe es kein solches

126

drittes, dann wäre die ultima ratio gegenüber dem Relativismus ein „es soll so sein'.', „es muß so sein". Die Macht könnte diesem dann mehr oder weniger weite äußerliche Geltung verschaffen. Aber der innere modus einer solchen „Uberwindung" des Relativismus wäre die Degradierung des Geistigen. Es wäre die Inkompetenz-Erklärung der menschlichen Vernunft für die Revision ihrer selbstverschuldeten Bankrott-Erklärung im Relativismus. Wenn kein geistiges Durchschauen und Korrigieren der GeistEntartung „Relativismus" gelänge, dann wäre der Führungsanspruch alles Geistigen in der Gegenwart verloren. Dann müßte der Geist in Einsicht und letzter Norm-Sanktionierung sich auf Krücken stützen, die ihm ein Fremdes reichte. Er wäre zurückgefallen in ein —seniles — Kindverhältnis zu den anderen menschlichen Mächten. — Man sollte sich nicht täuschen über jene Alternative in ihrer unerbittlichen Konsequenz und Tragweite. Die nachrelativistische Verfestigung zu einem beliebigen absoluten Credo ist, menschheitsgeschichtlich, Rückschritt. Der Relativismus war kein zufälliger Seitensprung des Geistes. Der Geist hat hier eine Lehre bekommen. Es fragt sich nur, ob er sie annimmt. Er kann nicht so tun, „als ob nichts gewesen wäre". Vor der Erfahrung des durch Relativismus Hindurchgegangenen läßt sich der naive Dogmatismus einer universalen Grundlehre nicht mehr verantworten. Das heißt, nicht zu frei-vernünftiger Anerkennung bringen. Das Rad kann in Wahrheit nicht rückwärts gedreht werden. Sonst wäre die neue Verkündung eines hinzunehmenden „Absoluten für ..." die Uberwindung der heilungsbedürftigen relativistischen Zeitkrankheit. Aber dann könnte in Wahrheit nicht vor einem geistigen Forum darüber verhandelt werden. Dies müßte einfach ausgeschaltet werden mit der Devise: „Ein anderes habe jetzt das Wort!" Aber dann muß man sich wieder darüber klar sein, was das bedeutet: dann bliebe dem menschlichen Geist-Vermögen nur mehr die Rolle von Verkündung und Propaganda. Also nicht mehr die denkende Rechenschaft — λόγον διδόναι — aus forschender Erwägung und kritischer Argumentation. Der absolute Höchstwert von Toleranz oder von technischem Fortschritt der Menschheit oder von Parlamentsfreiheit, als etwas gegen alle sonstigen Relativierungen Gefeites, — wird überzeugend sein für den, der im Kern schon Bürger einer angelsächsischen Ideenwelt ist. Das „Im Anfang war die Tat" ist etwas, was dem im Grund schon entschiedenen Praktiker einleuchtet. Was dann da an „Begründungen" gegeben wird, ist samt und sonders petitio principii.

126 Dann muß es dabei bleiben: einzelne Typen, Völker, Zeiten kommen je zu i h r e m arteigenen „Absoluten"; sie suchen das Unbedingte in diesem oder jenem, — je nachdem, was sie schon s i n d . Dieser selbstsichere Absolutismus schlägt selber in Relativismus um. — Das unverlierbare Positive des Relativismus ist die Lehre: das wahrhaft Absolute durch den Geist als Standpunkt gewinnen zu können, ist Illusion. Aber den eigenen Standpunkt — ohne geistigen Entscheid — absolut sein lassen, macht ihn nicht (wahrhaft) absolut, sondern beläßt im Nicht-Absoluten, — mit der Illusion der Absolutheit. Dies ist eines der wenigen in Jahrtausenden herausgewachsenen Ergebnisse menschlicher Metaphysik. (Wenn auch ein negatives). Durch die großen Erwecker aus den immer neu sich meldenden metaphysischen Wunschträumen — Kant, Kierkegaard, Nietzsche u. a. — ist auch etwas von den Gründen für diese fundamentale Menschen-Unmöglichkeit des absoluten Standpunktes herausgekommen. Erkenntnistheoretisch, anthropologisch und ontologisch sind die Bedingtheiten alles Unsrigen zum Teil ans Licht gezogen worden. Nirgendwo kann das Unbedingte und — im positiven Verstände — Totale in Wahrheit in unsere Sphäre hineinrücken: in einem obersten Erkenntnisgrundsatz oder in einer absoluten „Wert-Norm", oder in der Unterstellung unter eine „totale" „Führung", oder im Fühlen einer sich selbst versichernden Evidenz, oder in einem wirklich allumfassenden philosophischen System, oder auch — im „Wissen" um die radikale Nichtigkeit alles Für-objektiv-Geltenden. Aber auch der Relativismus ist nur eine Seite, — das Pendant. Der Absolutismus des Negierens und die Negativität (Beschränktheit oder Un-Bestimmtheit) des Falsch-Absoluten rangieren nebeneinander. Was der Relativismus als Widerlegung des Absolutismus schlecht macht, muß man besser machen. Umgekehrt ist aber damit auch klar: wenn über den Relativismus hinaus kommen hieße: das Absolute finden und sich darauf gründen können, — dann müßte man die Partie von vornherein aufgeben. — Damit dürfte Inhalt bekommen haben, was eingangs gesagt wurde. Der Relativismus ist die halbe Wahrheit über das ganze Verhältnis. Mit dem „ganzen Verhältnis" ist das wahre Verhältnis des Menschen zum Außermenschlichen gemeint. Seine Erkenntnis setzte die Lösung der Rätselfrage der Sphinx an den heutigen Menschen voraus: Was ist es, worin sowohl Relativismus wie Absolutismus irren? Ist es nicht der Mensch, — wie er ist, — wie wir ihn eben noch nicht wissen?

PHILOSOPHEN-LEXIKON HANDWÖRTERBUCH DER P H I L O S O P H I E NACH PERSONEN Unter Mitwirkung von GERTRUD JUNG verfaßt und herausgegeben von

WERNER ZIEGENFUSS 2 Bände In Ganzleinen / Oktav / 1500 Selten / 1949—SO Band I (A—K) in Ganzleinen DM 30.— Band II (L—Z) erscheint 19S0 ,,. . . Das vorliegende Werk schließt eine Lücke Innerhalb der philosophischen Gegenwartsliteratur noch mancherlei Selten . . . Die Darstellung will nicht nur einem kleinen Kreise von Fachleuten anvertraut sein . . . sie gibt dazu mit könmerischer Selbstverständlichkeit das notwendig klare W o r t . . . Der erste Band läßt auf den zweiten erwartungsvoll blicken .. . ." („Die Erlanger Universität", 25. 1. 50) soweit das Werk der Theologen, Psychologen, Soziologen und Dichter f ü r die Philosophie von Belang 1st, sind auch diese aufgenommen. Einem kurzen Lebensbild und der Darstellung der Lehre folgt Jeweils ein Verzeichnis der Schriften und der Literatur. Die Lehren — sie mögen fast dreißig Seiten beanspruchen wie im Falle Kants oder aber nur mit wenigen Strichen angedeutet sein — sind klar wiedergegeben, durchaus ohne daß In Oberflächlichkeit abgeglitten wäre. Gelegentlich, ζ. B. bei dem Descartes-Artlkel oder der umfangreichen Selbstdarstellung Nicolai Hartmanns, h a t man es geradezu mit kleinen Meisterwerken zu tum . . . " („Allgemeine Kölnische Rundschau", 18. 2. 50)

PHILOSOPHISCHE STUDIEN Herausgegeben von

Otto Fr. Bollnow (Mainz) / Paul Feldkeller (Berlin) / Robert Heiß (Freiburg i. Br.) / Erich Rothacker (Bonn) / Rud. Schottlaender (Berlin) / Alfred Vierkandt (Berlin) / Alfred Werner (Berlin) Das Andenken an Arthur Llebert und seine „Kant-Studien" gaben die Anregung zu den „Philosophischen Studien". Fast alle deutschen Philosophen haben sich als Mitarbeiter zur Verfügung gestellt. Die Ethik, Ästhetik, Psychologie, Wirtschaftsund Rellglonsphllosophle sollen vorwiegend zu Worte kommeni

Die „Philosophischen Studien" erscheinen viermal jährlich. Der Bezugspreis für den Jahresband von vier Heften im Gesamtumfang von 30 Bogen beträgt DM 18.— Es liegen vor: Heft 1 1949 DM 5.— Heft 2—4 1949 DM 15.—

VERLAG WALTER DE GRUYTER & CO. BERLIN W 35

KARL

JASPERS

Nietzsche Einführung in das Verständnis seines Philosophierens 3., unveränderte Auflage. 1950. 487 Seiten. Ganzleinen DM 18.—

Descartes und die Philosophie 2. Auflage. 1948. 104 Seiten. DM 6.—

Die geistige Situation der Zeit (1931) Unveränderter Abdruck der im Sommer 1932 bearbeiteten 5. Auflage (Sammlung Göschen, Band 1000). 1949. 232 Seiten. DM 2.40 NICOLAI

HARTMANN

Das Problem des geistigen Seins Untersuchungen zur Grundlegung der Geschichtsphilosophie und der Geisteswissenschaften. 2. Auflage. 1949. 564 Seiten. DM 18.—, Halbleinen DM 20.—

Ethik 3. Auflage. 1949. XXII, 823 Seiten. DM 18.60, gebunden DM 20.—

Die Philosophie des deutschen Idealismus II. Teil: Hegel 1929. X, 392 Seiten. Ganzleinen DM 10.—

Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis 4. Auflage. 1949. XVI, 572 Seiten. DM 22.—, Ganzleinen DM 24.—

Zur Grundlegung der Ontologie* (Ontologie Band 1) 5. Auflage. 1949. XX, 340 Seiten DM 12.60, Halbleinen DM 14.50

Möglichkeit und Wirklichkeit* (Ontologie Band 2) 2. Auflage. 1949. X, 504 Seiten DM 17.60, Halbleinen DM 19.50

Der Aufbau der realen Welt* Grundriß der allgemeinen Kategorienlehre (Ontologie Band 3) 2. Auflage. 1949. DM 21.60, Halbleinen 23.50

Die Philosophie der Natur Grundriß der speziellen Kategorienlehre (Ontologie Band 4) 1950. XX, 714 Seiten. DM 27.50, Ganzleinen DM 30.— Einmalige Lizenzausgabe des Westkultur-Verlages, Meisenheim.

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