Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz »Nullum crimen, nulla poena sine lege«: Hrsg., mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Helmut Quaritsch [1 ed.] 9783428479870, 9783428079872

Am 25. August 1945 beendete Carl Schmitt ein großes Rechtsgutachten zur Strafbarkeit des Angriffskrieges und über die Mö

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Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz »Nullum crimen, nulla poena sine lege«: Hrsg., mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Helmut Quaritsch [1 ed.]
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Carl Schmitt Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz „Nullum crimen, nulla poena sine lege" herausgegeben, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von

Helmut Quaritsch Duncker & Humblot · Berlin

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Carl Schmitt Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz „Nullum crimen, nulla poena sine lege" herausgegeben, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Helmut Quaritsch

Carl Schmitt Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz „Nullum crimen, nulla poena sine lege44 herausgegeben, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von

Helmut Quaritsch

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schmitt, Carl: Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz ,»Nullum crimen, nulla poena sine lege". / Carl Schmitt. Hrsg., mit Anm. und einem Nachw. vers, von Helmut Quaritsch. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 ISBN 3-428-07987-6 NE: Quaritsch, Helmut [Hrsg.]

Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Umschlagentwurf: Hauke Sturm Printed in Germany ISBN 3-428-07987-6

Vorwort Dieses Rechtsgutachten schrieb Carl Schmitt im Sommer 1945 in Berlin. Über Anlaß und Schicksal des Textes berichtet das Nachwort. Das Gutachten wird unverändert so veröffentlicht, wie Schmitt es am 25. August 1945 abschloß und wie es in seinem Nachlaß verwahrt ist. Offenkundige Schreibfehler (selten), die bei der Durchsicht 1945 übersehen wurden, sind ohne Kennzeichnung berichtigt, fehlende Wörter (ebenfalls selten) in Parenthesen ergänzt. Schmitt schrieb nicht einen Essay, sondern eine juristische Abhandlung im strengen Sinne, deren Fragestellung jedenfalls in der Geschichte des Völkerrechts nicht erledigt ist. Um die Verwertbarkeit zu erleichtern, mußte dem Gutachten der wissenschaftliche Apparat nachträglich hinzugefügt werden, auf den Schmitt damals verzichtete. Die zusätzlichen Erläuterungen sind oft ausführlicher gefaßt, als Schmitt es damals für notwendig erachtet haben würde: die politischen Ereignisse, die diplomatischen Verhandlungen und die Akteure der Zwischenkriegszeit sind nach fast 50 Jahren nicht mehr so Gegenwart wie für ihn und die Adressaten des Gutachtens im Jahre 1945. Auch wird ein Text von Carl Schmitt zum Thema „ A n g r i f f s k r i e g " nicht nur von Spezialisten der völkerrechtlichen Profession gelesen. Um den Eindruck zu erhalten, der vom Original ausgeht, sind die Anmerkungen des Herausgebers in den Nachtrag verbannt worden. Die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte des Gutachtens war auf Zeitzeugen angewiesen, die ihre Auskünfte bereitwillig erteilten. Ich bedanke mich bei allen. Schwieriger und nicht in allen Fällen erfolgreich war die Suche nach den Quellen, die Schmitt präsentierte. Zuweilen scheint er sich zu sehr auf sein Gedächtnis und die Notizen für seine völkerrechtlichen Vorlesungen und Seminare an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität verlassen zu haben. Bei der Nachsuche halfen meine Mitarbeiter Dr. Thomas Menk und — für britische Parlamentaria, Rechtsprechung und Literatur — Dr. Gernot Biehler. KongreßMaterialien verschafften mir hilfreiche Kollegen aus den Vereinigten Staaten: Ellen Kennedy, Pennsylvania, und Arthur Β. Gunlicks, Richmond. Herrn Kollegen Joseph H. Kaiser danke ich für den Zugang zum Nachlaß Carl Schmitt, dem damaligen Chef des Düsseldorfer Hauptstaatsarchivs, Herrn Kollegen Wilhelm Janssen, für mancherlei Hilfe während meines Aufenthalts in seinem Hause im August 1991. Herr Dirk van Laak übermittelte später noch einige Funde aus dem Bestände RW 265. Die informiertesten „Schmittianer" — Günter Maschke, Frankfurt, und Piet Tommissen, Brüssel — haben uneigennützig ihr Wissen wie ihre Bestände häufiger zur Verfügung gestellt, als im Einzelfall zu vermerken war.

Vorwort

6

Frau Veronika Götz und Frau Sybille Roßhirt von der Speyerer Hochschulbibliothek wie Frau Irmgard Bühler von der Bibliothek des Heidelberger MaxPlanck-Instituts für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht waren unentbehrlich für die Beschaffung der Literatur. Meine Sekretärin, Frau Gabriele Dennhardt f fertigte immer neue Auflagen des Typoskripts und las die Korrekturen. Schließlich danke ich dem Geschäftsführer des Verlages Duncker & Humblot, Herrn Professor Norbert Simon, für die freundliche Anteilnahme und die Geduld, mit der er die zögerliche Fertigstellung begleitete. Speyer, im November 1993 Helmut Quaritsch

Inhaltsverzeichnis Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz „Nullum crimen, nulla poena sine lege" Einleitung

15

I. Die praktische Bedeutung des Satzes:,»Nullum crimen, nulla poena sine lege" II. Kriegsverbrechen und Kriegsschuld im Versailler Vertrag

17 24

III. Entwicklung der internationalrechtlichen Pönalisierung des Angriffskrieges 1919-1939

32

IV. Täter und Teilnehmer (principals and accessories) des internationalen Verbrechens »Angriffskrieg"

58

V. Die Lage des einzelnen Staatsbürgers, insbesondere des wirtschaftlich tätigen ordinary business-man

70

Schluß

79

Note

80

Anmerkungen

83

Nachwort Zur Entstehung des Gutachtens 1945

125

Überlieferung des Textes

134

Ein Gutachten für die Nachwelt

137

Über Eigenart und Erkenntnis wert des Gutachtens

148

Die Urteile von Nürnberg

153

Zwei Antworten im „Tokyo Trial"

171

Die zerstrittene Wissenschaft

182

8

Inhaltsverzeichnis

Der Angriffskrieg in den Norm-Entwürfen der Vereinten Nationen

186

Die Maxime „nullum crimen" in den Menschenrechts-Konventionen

202

Der Angriffskrieg in Rechtsüberzeugung und Rechtspraxis

212

Über Zwecke und Einmaligkeit der Verurteilungen wegen Angriffskrieges

237

Verzeichnis der verkürzt zitierten Quellen und Literatur

248

Namenverzeichnis

253

Abkürzungsverzeichnis Abs. a. F. amerik. AD AP AdG AJEL Art. BGBl. brit. BVerfGE BYIL CSR DDP DNB DÖV Draft Code dt. EGStGB EMRK engl. EPIL FS franz. GG HLKO Hrsg. ICJ Rep. IGH ILA ILC IMT IMT I ff. IMTFE

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Absatz alte Fassung amerikanisch (USA) Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik (Keesings) Archiv der Gegenwart American Journal of International Law, published by the American Society of International Law Artikel Bundesgesetzblatt britisch Entscheidungen des dt. Bundesverfassungsgerichts The British Year Book of International Law Tschechoslowakei Deutsche Demokratische Partei Deutsches Nachrichtenbüro Die öffentliche Verwaltung —Zeitschrift für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft Draft Code of Offences (Crimes) against the Peace and Security of Mankind deutsch Einführungsgesetz zum dt. Strafgesetzbuch Europäische Menschenrechts-Konvention englisch Rudolf Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, 1981 ff. Festschrift französisch Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 Haager Landkriegsordnung (1907) Herausgeber, herausgegeben International Court of Justice. Reports of Judgments, Advisory Opinions and Orders Internationaler Gerichtshof International Law Association International Law Commission (VN) International Military Tribunal (Nürnberg) Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg. 42 Bde., Nürnberg 1947-1949 International Military Tribunal for the Far East (Tokyo)

10 IPbürgR JIR KRD KRG MdR NJW NS nullum crimen österr. OMGUS RdC RGBl. RMinWEV RW 265 Schweiz.

SHAEF sowjet. StGB StIGH tschech. VN WRV YBUN ZAÖRV ZgStW

Abkürzungsverzeichnis = = = = = = = =

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Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Jahrbuch für Internationales und Ausländisches Öffentliches Recht. Kontrollratsdirektive Kontrollratsgesetz Mitglied des dt. Reichstags Neue Juristische Wochenschrift Nationalsozialismus nullum crimen, nulla poena sine lege (praevia): kein Verbrechen, keine Strafe ohne (vorangegangenes) Gesetz österreichisch Office of Military Government for Germany, United States Recueil de Cours Reichsgesetzblatt Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Nachlaß Carl Schmitt, Hauptstaatsarchiv des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf schweizerisch Supreme Headquarters Allied Expeditionary Forces sowjetisch Strafgesetzbuch Ständiger Internationaler Gerichtshof tschechisch Vereinte Nationen (UNO) Weimarer Reichsverfassung = Verfassung des Deutschen Reichs von 1919 United Nations Yearbook Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft

Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz „Nullum crimen, nulla poena sine lege44 (August 1945)*

* Zeitangabe von Schmitt handschriftlich hinzugefügt.

Übersicht* Einleitung: Das internationalrechtliche Verbrechen des Krieges in seiner Besonderheit gegenüber den Kriegsverbrechen (Verletzung der Regeln des Kriegsrechts und Verbrechen gegen die Menschheit, atrocities)

1 (15)

I. Die praktische Bedeutung des Grundsatzes:,.nullum crimen, nulla poena sine lege"

6 (17)

II. Kriegsverbrechen und Kriegsschuld im Versailler Vertrag 1) Art. 227 (Wilhelm II. als Kriegsverbrecher) 2) Art. 231 (der Kriegsschuld-Artikel) ΠΙ. Entwicklung der internationalrechtlichen Pönalisierung des Angriffskrieges 1919-1939

18 (24) 18 (24) 26 (29) 31 (32)

1. Genfer Protokoll 1924

33 (33)

2. Kellogg-Pakt 1928

47 (41)

3. Die Piraterie als exemple-type eines internationalen Verbrechens

62 (50)

4. Die internationale Strafgerichtsbarkeit

70 (54)

5. Die entscheidenden Tatsachen a) Beendigung der Sanktionen gegen den proclaimed aggressor Italien im Jahr 1938 b) Wiederherstellung des traditionellen Neutralitätsbegriffs

72 (56)

IV. Der Täter des internationalrechtlichen Verbrechens „Krieg" 1. Der Staat als solcher

72 (56) 75 (58) 77 (58) 78 (59)

2. Bestimmung des Täters und Abgrenzung des Täterkreises nach Maßgabe der wirklichen innerpolitischen Lage des Regimes ... 85 (63) 3. Außenpolitische Mittäter und Gehilfen**

93 (68)

V. Der einzelne, nicht zur politischen Führungsschicht gehörende Staatsbürger, insbesondere der ordinary business-man, ist normalerweise weder Täter noch Teilnehmer des internationalrechtlichen Verbrechens „Krieg" 98 (70) Schluß** Note

115 (79) (80)

* So im Original, Seitenzahlen ebenfalls wie im Original, die Seitenzahlen in diesem Buch sind in Klammern gesetzt. ** Im Original handschriftlich hinzugefügt.

Einleitung Mit dem Wort „Kriegsverbrechen" wird eine größere Anzahl von Sachverhalten (Reaten) bezeichnet, die nicht nur äußerlich und in Einzelheiten, sondern auch im Wesentlichen, d. h. in ihrer rechtlichen Struktur voneinander verschieden sind. Der Unterschied ist nicht etwa nur theoretischer Art. Er wird sofort von größter praktischer Bedeutung, wenn es sich um die juristische Durchführung und um die Ausgestaltung eines Prozesses handelt. Dann macht sich die rechtliche Verschiedenheit der Sachverhalte in allen wichtigen Punkten geltend, sowohl in den Fragen des materiellen Rechts: Was ist der Tatbestand des Verbrechens? Wer ist der Täter? Wer ist Mittäter, Gehilfe und Begünstiger? Wie auch in den Fragen des Verfahrens: Wer ist Ankläger? Wer Angeklagter? Wer ist Partei? Wer ist der Richter und das Gericht, und in wessen Namen ergeht das Urteil? Alle diese Fragen haben bei den verschiedenen Sachverhalten einen spezifisch verschiedenen Sinn. Von ihrer korrekten Beantwortung hängt der Sinn und der Erfolg des Prozesses ab. Von ihrer Trübung würden nicht das Recht und die Gerechtigkeit, sondern auf die Dauer gesehen nur die Verbrecher den Gewinn haben. Hier sollen zunächst zwei Arten von Kriegsverbrechen aus der Erörterung ausgegrenzt werden. 1) Verletzungen der Regeln und Gebräuche des Krieges, die hauptsächlich von Angehörigen der bewaffneten Macht eines kriegführenden Staates begangen worden sind. Es handelt sich dabei um Verstöße gegen das sogenannte Recht im Kriege, das jus in bello, z. B. Verletzungen der Haager Landkriegsordnung, der Normen des Seekriegsrechts, des Kriegsgefangenenrechts usw. Solche Regeln setzen den Krieg als erlaubt und legal voraus. Sie müssen sich wesentlich ändern, wenn der Krieg selbst verboten oder gar ein Verbrechen wird. Aber die Ausgrenzung dieser Art von Kriegsverbrechen bereitet keine grundsätzlichen Schwierigkeiten, weil ihre Besonderheit ohne weiteres erkennbar ist. Wenn vor 1914 von „war crimes" gesprochen wurde, so war im allgemeinen nur diese Art von Delikten gemeint. Sie ist in den Strafgesetzen und militärischen Instruktionen der kriegführenden Staaten und in der Literatur des Völkerrechts seit langem bekannt und erörtert, und zwar sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen wie der Rechtsfolgen (Repressalien, Schadensersatzpflicht des Staates, strafrechtliche Verantwortlichkeit des Täters gegenüber dem eigenen und dem gegnerischen Staat). Auch die Bedeutung des militärischen Befehls als eines Rechtfertigungsoder eines Entschuldigungsgrundes ist für diese Delikte oft erörtert worden*. +

Die typische Behandlung dieser Fragen in lehrbuchartiger Darstellung mit Literaturangaben findet man in dem Buch von Josef L. Kunz, „Kriegsrecht und Neutralitätsrecht", Wien, 1935, S. 35 ff; eine besonders gründliche monographische Vertiefung

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Carl Schmitt

Art. 228-230 des Versailler Vertrages (Art. 173 des Vertrages von Saint Germain, entsprechend die anderen Pariser Vorortsverträge) betreffen diese Art von Kriegsverbrechen im Sinne der Verletzungen des jus in bello [1]. Die Regelung dieser Friedensverträge enthält nur in einer bestimmten Hinsicht eine Neuerung gegenüber dem anerkannten Völkerrecht, wie es vor 1914 galt, insofern nämlich, als der besiegte Staat sich verpflichtet, eigene Staatsangehörige, die Kriegsverbrecher sind, dem gegnerischen Staat auszuliefern. Im übrigen ist zu beachten, daß trotz dieser Besonderheit in den Artikeln 228 ff. an der vertraglichen Grundlage der Auslieferung eigener Staatsangehöriger festgehalten wird. Auch der Grundsatz „nullum crimen sine lege" bleibt gewahrt, und zwar sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen dieser Delikte (acts of violation of the Laws and customs of war) wie auch hinsichtlich der Strafe und der Höhe der Strafe (punishments laid down by law). Der weitere Verlauf der Bestrafung der Kriegsverbrecher des ersten Weltkrieges, insbesondere auch das spätere Verfahren vor dem deutschen Reichsgericht in Leipzig kann als bekannt vorausgesetzt werden [2]. 2) Wesentlich anderer Natur ist die zweite Art von Kriegsverbrechen, die hier unterschieden werden muß. Das sind die atrocities in einem spezifischen Sinne, planmäßige Tötungen und unmenschliche Grausamkeiten, deren Opfer wehrlose Menschen waren. Sie sind nicht militärische Aktionen, stehen aber mit dem Krieg von 1939 in einem bestimmten Zusammenhang, weil sie zur Vorbereitung oder während dieses Krieges begangen wurden und charakteristische Äußerungen einer bestimmten unmenschlichen Mentalität sind, die schließlich in dem Weltkrieg von 1939 kulminierte. Die Rohheit und Bestialität dieser Untaten überschreitet das normale menschliche Fassungsvermögen. Es sind Bestandteile und Erscheinungen eines ungeheuerlichen „scelus infandum" im vollen Sinne dieses Wortes [3]. Sie sprengen die Rahmen aller üblichen und gewohnten Maße des Völkerrechts und des Strafrechts. Solche Verbrechen ächten den Täter in vollem Umfang, indem sie ihn außerhalb des Rechts setzen und zum outlaw machen. Der Befehl eines Vorgesetzten kann solche Untaten nicht rechtfertigen oder entschuldigen; er kann höchstens in einer bestimmten Sachlage Veranlassung geben, die Frage aufzuwerfen, ob sich der Täter infolge eines solchen Befehls in einem Notstand befand und ob der Notstand ihn entschuldigt [4]. Auf keinen Fall darf der Grundsatz, daß es sich hier um abnorme Untaten handelt, zum Gegenstand einer Diskussion gemacht werden, die von der Ungeheuerlichkeit dieser Vorgänge ablenkt und das Bewußtsein ihrer Abnormität abschwächt. Ich werde auf die Besonderheit dieser Art von Kriegsverbrechen, die eigentlichen „atrocities" und das „scelus infandum", im Laufe meiner Darlegung öfters hinweisen und in einer Notiz am Schluß auf einen Gesichtspunkt hinweisen, dessen Beachtung mir zur Klärung der Rechtslage notwendig erscheint. enthielt die Schrift von Alfred Verdroß, „Die völkerrechtswidrige Kriegshandlung und der Strafanspruch der Staaten", Berlin, 1920.

Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges

17

Innerhalb jeder der beiden bisher unterschiedenen Arten von Kriegsverbrechen — der Verletzungen des jus in bello und der eigentlichen atrocities — sind noch viele weitere Unterscheidungen denkbar. Sie brauchen aber hier noch nicht vertieft und ausgeführt zu werden. Dadurch, daß die Besonderheit jener beiden Kategorien kurz angedeutet worden ist, tritt das rechtliche Spezificum der hier in erster Linie interessierenden dritten Art von Kriegsverbrechen klar genug hervor. 3) Kriegs verbrechen in der dritten Bedeutung des Wortes ist der Angriffskrieg, der als solcher als ein Verbrechen, und zwar als ein völkerrechtliches Verbrechen, aufgefaßt wird. Hier ist also der Krieg selbst ein Verbrechen und handelt es sich eigentlich nicht um ein Kriegsverbrechen, sondern genauer gesagt um „das Verbrechen des Krieges". Die Auffassung des Krieges als eines internationalen Verbrechens stellt sowohl in völkerrechtlicher wie in strafrechtlicher Hinsicht gegenüber der bisherigen Rechtslage nicht nur etwas Neues, sondern sogar etwas Neuartiges dar. Zweifellos hatte nach bisherigem anerkannten Völkerrecht jeder souveräne Staat ein jus ad bellum, ohne daß zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg unterschieden wurde. Die völkerrechtliche Kriminalisierung des Angriffskrieges erhält — wenn man von früheren, nur ideengeschichtlich interessanten Äußerungen absieht — praktisches Interesse erst seit dem ersten Weltkriege und den Pariser Friedensverträgen. In der Zeit von 1920 bis 1939 haben dann besonders die Bestrebungen zur Stärkung und Aktivierung der Genfer Liga [5], die Erörterungen zum sogenannten Genfer Protokoll vom 2. Oktober 1924 [6], und schließlich bestimmte Interpretationen des Kellogg-Paktes vom 27. August 1928 [7] wesentlich dazu beigetragen, daß der Gedanke, den Angriffskrieg als internationales Verbrechen zu behandeln, sich außerordentlich intensivierte. Infolgedessen erhebt sich an erster Stelle die Frage, ob zur Zeit der Entfesselung des zweiten Weltkrieges, im Sommer 1939, die völkerrechtliche Kriminalisierung des Angriffskrieges als solchen bereits soweit gediehen war, daß der Angriffskrieg als solcher nicht nur für ein Postulat und ein Programm, also nicht nur in einem allgemeinen Sinne de jure condendo, sondern bereits nach anerkanntem Recht als ein internationales Verbrechen anzusehen war. Das ist von Bedeutung unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes „nullum crimen, nulla poena sine lege" [8]. Hierfür bedarf es zunächst einer kurzen Darlegung der praktischen Bedeutung dieses Grundsatzes.

I. Die praktische Bedeutung des Satzes: „Nullum crimen, nulla poena sine lege64 Weder im bisherigen Völkerrecht noch im bisherigen Strafrecht war der Angriffskrieg als solcher eine mit krimineller Strafe.bedrohte Handlung. Es ist zum mindesten zweifelhaft, ob die von amerikanischer Seite behauptete internationale Kriminalisierung des Angriffskrieges im Sommer 1939 bereits vollendet war. 2 Quaritsch

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Carl Schmitt

Der Angriffskrieg als internationales Verbrechen ist also — zum Unterschied von anderen Arten der Kriegsverbrechen — jedenfalls ein neues Verbrechen. Die ersten strafgerichtlichen Verurteilungen, die wegen dieses Verbrechens ergehen, werden sich infolgedessen mit dem Satz: „nullum crimen, nulla poena sine lege" auseinandersetzen müssen. Dieser allgemein und international anerkannte Satz enthält das klare Verbot, auf eine kriminelle Strafe zu erkennen, wenn die Tat zur Zeit ihrer Begehung noch nicht mit Strafe bedroht war. Jeder Jurist erinnert sich der großen Empörung, die in der ganzen Welt, in Deutschland und außerhalb Deutschlands entstand, als das nationalsozialistische Regime durch die Lex van der Lübbe vom 29. März 1933 die Möglichkeit einer Vollstreckung der Todesstrafe durch Erhängen einfühlte und van der Lübbe gehängt werden sollte, obwohl seine angebliche oder wirkliche Tat zur Zeit ihrer Begehung mit einer anderen Art der Todesstrafe bedroht war [9]. § 13 des Deutschen Strafgesetzbuches bestimmte nämlich, daß die Todesstrafe durch Enthauptung zu vollstrecken ist. Das Verbot der Rückwirkung von Strafen wurde hier nicht nur auf die Strafbarkeit selbst, sondern sogar auf die Art der Vollstrekkung einer Strafe bezogen. Die Empörung, die in der öffentlichen Meinung der ganzen Welt aus diesem Anlaß entstand, war so stark, daß van der Lübbe auf Anordnung Hitlers im Sommer 1933 nicht gehängt, sondern mit dem Beil hingerichtet wurde. Ich erinnere ferner an die großen internationalen Diskussionen, die anläßlich der Einführung des neuen § 2 zum Deutschen Strafgesetzbuch entstanden, als durch das Gesetz vom 28. Juni 1935 die Analogie im Strafrecht für zulässig erklärt und eine Rechtschöpfung nach Gesetz und gesundem Volksempfinden für strafrechtliche Entscheidungen zugelassen wurde [10]. Es kommt hier nicht darauf an, diese gesetzlichen Neuerungen des nationalsozialistischen Regimes in ihrem sachlichen Inhalt zu würdigen. Die Erregung, die sie in der öffentlichen Meinung hervorriefen, ist noch in aller Erinnerung und beweist, daß der Satz „nullum crimen sine lege" allgemein anerkannt ist. Später, beim Autofallen-Gesetz vom 22. Juni 1938, als für einen mittels Autofallen begangenen Straßenraub mit rückwirkender Kraft ab 1. Januar 1936 die Todesstrafe angedroht wurde [11], wiederholte sich die gleiche Empörung vielleicht nicht in demselben Maße. Das lag aber nur daran, daß man sich damals, 1938, schon daran gewöhnt hatte, in dem Regime Hitlers eine außerhalb aller Rechtsvorstellungen der zivilisierten Welt stehende Abnormität zu sehen. Angesichts dieser allgemeinen Überzeugung und dieser geschichtlichen Tatsachen ist es auf den ersten Blick merkwürdig, daß von derselben Seite, die den Grundsatz „nullum crimen sine lege" damals mit solcher Entschiedenheit ins Feld führte, heute ein Tatbestand, für den bisher keine positive Strafdrohung vorliegt, als ein Verbrechen, sogar als ein todeswürdiges Verbrechen behandelt werden soll. Ich spreche hier, wie gesagt, nicht von den beiden anderen Arten der Kriegsverbrechen, sondern ausschließlich von dem neuen völkerrechtlichen Verbrechen des Angriffskrieges als „international crime". Bei dem umstrittenen

Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges

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Charakter eines solchen neuen Verbrechens wird mancher Jurist geneigt sein, schon in dem bloßen Hinweis auf jenen Satz „nullum crimen sine lege" eine Lösung des Problems und einen Beweisgrund für die rechtliche Unzulässigkeit eines Strafurteils zu sehen. Dazu werden besonders die am positiven Strafgesetz orientierten Juristen des kontinental-europäischen Strafrechts geneigt sein. Demgegenüber ist jedoch zu beachten, daß der Grundsatz „nullum crimen" zwar als Grundsatz allgemein anerkannt ist, daß er sich aber in seiner Anwendung durch die kontinental-europäische, die englische und die amerikanische Praxis in Wirklichkeit außerordentlich verschieden darstellt. 1) Die Besonderheit der kontinental-europäischen Denkweise ist dadurch gekennzeichnet, daß sie das Wort „Lex" der Formel „sine lege" in dem positivistischen Sinne eines geschriebenen, formgerecht verkündeten, staatlichen Strafgesetzes auffaßt. Diese Auffassung ist dem durchschnittlichen Juristen des europäischen Kontinents seit fast zwei Jahrhunderten so selbstverständlich geworden, daß er sich der Möglichkeit anderer Auffassungen im allgemeinen kaum noch bewußt wird. In demselben Maße, in dem das Recht auf dem europäischen Kontinent zum geschriebenen, positiven, staatlichen Gesetz wurde, mit gesetzlichen Kodifikationen als der typischen Erscheinungsform allen Rechtes, verschärften sich auch die Anforderungen, die aus rechtsstaatlichen Gründen an den Satz „nullum crimen" gestellt wurden. Die Entwicklung des französischen Rechts wurde hier das Vorbild für die meisten übrigen kontinentalen Länder. Diese Entwicklung beginnt mit Artikel 7 und 8 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, wo es heißt: „7. Nul homme ne peut être accusé, arrêté ni détenu que dans les cas déterminés par la loi, et selon les formes qu'elle a préscrites. 8. . . . et nul ne peut être puni qu'en vertu d'une loi établie et promulguée antérieurement au délit et légalement appliquée." In den deutschen Staaten wurde diese Auffassung vor allem durch Anselm von Feuerbach herrschend, den Begründer der neueren deutschen Strafrechtswissenschaft. Ich erwähne seinen Namen, weil die heute weitläufige Formulierung des Satzes „nullum crimen" nicht etwa alten, römisch-rechtlichen Ursprungs, noch auch englischer Herkunft ist, sondern in dieser Fassung von Feuerbach stammt und zuerst in seinem Lehrbuch (1801) erscheint [12]. Zahlreiche geschriebene Verfassungen und gesetzliche Bestimmungen, darunter § 2 des Deutschen Strafgesetzbuches von 1871 [13] und Art. 116 der Weimarer Verfassung [14], sprechen denselben Gedanken in derselben positiv-gesetzlichen Auffassung aus. Die Positivierung des Begriffes „Recht" zum staatlichen Gesetz geht hier so weit, daß nur ein geschriebenes Gesetz eine Tat pönalisieren kann und jedes strafbegründende oder strafverschärfende Gewohnheitsrecht, und sogar jede strafbegründende analoge Anwendung strafgesetzlicher Bestimmungen verboten ist. Das positive strafbegründende Gesetz muß deshalb auch bestimmte Strafen androhen, wenn es im rechtsstaatlichen Sinne korrekt sein soll. So enthält der Satz 2*

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Carl Schmitt

„nullum crimen" nach der kontinental-europäischen Auffassung ein dreifaches Verbot: er schließt nicht nur die rückwirkende Kraft von Strafgesetzen, sondern auch strafbegründendes oder strafverschärfendes Gewohnheitsrecht und die Analogie im Strafrecht aus. 2) Nach der englischen Auffassung versteht sich das Verbot der Rückwirkung von Strafgesetzen ebenfalls grundsätzlich von selbst. In angesehenen Lehrbüchern und Kommentaren ist sogar öfters behauptet worden, daß der Satz „nullum crimen" englischen Ursprungs und ein Ergebnis spezifisch englischen Rechtsdenkens sei. Üblicherweise wird er auf die Magna Carta von 1215 zurückgeführt, wobei es hier nicht darauf ankommt, ob diese traditionelle Meinung einer rechtsgeschichtlichen Kritik standhält. Ich darf den Wortlaut des berühmten Art. 39 der Magna Carta hier ins Gedächtnis zurückrufen: „Nullus liber homo capiatur vel imprisonetur aut dissceisiatur aut utlegatur aut exuletur aut aliquo modo destruatur nec super eum ibimus nec super eum mittemus nisi per legale judicium parium [suorum] vel per legem terrae"[ 15]. Die „lex terrae" ist das gemeine Landrecht, the Law of the Land, das englische common law. In den Institutes von Coke, einem einflußreichen, für die englische Rechtsüberzeugung typischen Werk von 1628 [16], wird die „lex terrae" (the Law of the Land) übersetzt mit „due process of law". Dadurch wird der Satz „nullum crimen" zu einem Bestandteil der umfassenden Formel vom „due process of law", aus der, neben dem Verbot der Rückwirkung von Strafgesetzen, noch zahlreiche andere rechtsstaatlichen Sicherungen des Angeklagten abgeleitet werden können. Locke, der für die weitere Entwicklung des rechtsstaatlichen Denkens wichtig ist, betonte, daß ein richterliches Urteil nur auf festen Regeln (settled Standing rules) beruhen dürfe, und daß eine Strafe nur zulässig ist, „with such Penalties as the Law has established" [17]. Die Wirkung Lockes in England, auf dem europäischen Kontinent und in den Vereinigten Staaten von Amerika war ganz außerordentlich groß. Er hat auch das grundsätzliche Verbot der ex-postfacto-Gesetze in das Bewußtsein aller modernen Juristen überführt. So ist hinsichtlich des Satzes „nullum crimen sine lege" eine Übereinstimmung zahlreicher Begriffe und Formeln des englischen und des kontinental-europäischen Rechts entstanden, die leicht dazu führen kann, daß die Besonderheit der englischen Denkweise außer Acht gelassen wird. Aber gerade hier ist die Verschiedenheit kontinentalen und angelsächsischen Rechtsdenkens besonders wichtig. Ich darf im Hinblick auf die zentrale Bedeutung des Satzes „nullum crimen sine lege" mit einigen Ergänzungen noch einmal darauf zurückkommen. Die Verschiedenheit betrifft den fundamentalen Gegensatz der Auffassung dessen, was „Lex" hier bedeutet. Während auf dem Kontinent Rechtspraxis und Rechtswissenschaft das geschriebene, exakt formulierte, staatliche Gesetz als normale Erscheinungsform des Rechts im Auge haben, ist das englische Recht, insbesondere auch das englische Strafrecht, grundsätzlich und überwiegend common law, d. h. Gewohnheitsrecht, geblieben. Es gibt zwar zahlreiche einzelne Statutes,

Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges

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aber keine strafgesetzliche Kodifikation, die das Gewohnheitsrecht ausschließt. Das common law ist seinem Wesen nach Gewohnheitsrecht und wird durch richterliche Präzedenzfälle getragen und entwickelt. Die zugrunde liegende Vorstellung ist im Grunde immer noch mittelalterlich: das Recht wird grundsätzlich nicht geschaffen, sondern in der gerichtlichen Entscheidung eines Falles gefunden. Der Präzedenzfall schafft also nicht neues Recht, sondern fördert nur ein irgendwie bereits vorhandenes Recht zu Tage. Eigentlich gibt es überhaupt in diesem Sinne kein neues Recht. Das Neue und Schöpferische eines Präzedenzfalles liegt in der Enthüllung dessen, was wenigstens in der Anlage als Recht immer vorhanden war. Im Strafrecht zeigt der gewohnheitsrechtliche Charakter des common law seine ganze Verschiedenheit gegenüber dem positiven Gesetzesdenken der kontinentaleuropäischen Jurisprudenz. Während diese ein strafbegründendes Gewohnheitsrecht ablehnt und Pönalisierungen durch Gewohnheitsrecht für unzulässig erklärt, ist das englische Strafrecht im Ganzen grundsätzlich common law. Damit ist gesagt, daß der strafrechtliche Präzedenzfall die Strafbarkeit nicht nach Art eines strafbegründenden, „pönalisierenden" Strafgesetzes konstituiert, sondern sie enthüllt und feststellt. Wie sind nun neue Pönalisierungen neuer Tatbestände auf diesem Wege möglich? Auf „konstruktivem" Wege mit Hilfe von Argumentationen, die der Jurist des kontinental-europäischen Rechts nicht als „positiv strafgesetzlich", sondern eher als naturrechtlich empfinden würde. Als solche Argumentationen dienen Hinweise auf „natural justice", „practical expediency" und „common sense". Auf derartigen rationes decidendi beruht die Möglichkeit „konstruktiver" Rechtsprechung und schöpferischer Präzendenzfälle, der sogenannten „creative precedences". Nach einer alten Formulierung, die auch in der traditionellen englischen Jurisprudenz auftritt, sind alle strafbaren Handlungen entweder „mala in se" oder „mala prohibita". Darüber heißt es in der Encyclopedia of Criminal Law von Hascal R. Brill (Chicago 1922, S. 852): „Crimes mala in se include all breaches of the public peace or order, injuries to person or property, outrages upon public decency or good morals and wilful and corrupt breaches of official duty." Bei einem „malum in se" ist der nur enthüllende Charakter des Präzedenz ohne weiteres klar. Hier wird kein neues Verbrechen geschaffen, sondern wird nur etwas, was für jedes gesunde, menschliche Rechtsempfinden immer und zu allen Zeiten ein Verbrechen war, als solches gekennzeichnet, auch wenn der Sachverhalt neu und unerhört erscheint. Die „mala prohibita" dagegen werden erst durch positiv-gesetzliche Anordnungen, durch Statutes, zu strafbaren Handlungen gemacht und sind „not otherwise wrong". Solche Statutes werden deshalb eng ausgelegt. Für sie gilt der Satz „nullum crimen sine lege" gelegentlich sogar in einer so strengen Auslegung, daß der Gesetzes-Positivist des kontinentalen Strafrechts sie als künstlich und sophistisch empfindet. Die Interpretation der

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Worte „stealing horses" in dem Statute Edw. V I c. 12,38 ist hierfür ein bekanntes Schulbeispiel*. Ganz anders liegt es bei den „mala in se". Für eine traditionell gewohnheitsrechtliche Denkweise ist das Problem des „nullum crimen" hier überhaupt nicht vorhanden und im Grunde unverständlich. Die oben dargestellte gesetzes-positivistische Auffassung der kontinental-europäischen Juristen bedeutet in den Augen eines mit „natural justice" arbeitenden Juristen nichts anderes als die Verwandlung aller Verbrechen in bloße „mala prohibita". 3) Die amerikanische Auffassung ist überwiegend vom englischen common law her bestimmt, aber nicht einfach mit ihr identisch. Der Einfluß kontinentaleuropäischer Ideen macht sich auch auf diesem Gebiete von Anfang an stark bemerkbar. Die Vereinigten Staaten haben eine geschriebene Verfassung. Sie kennen geschriebenes Recht, auch geschriebenes Strafrecht, in ganz anderem Umfang als die englische Praxis. Der Einfluß der Gedanken von Locke und Montesquieu ist außerordentlich stark und wirkt sich in einem kontinental-europäischen Sinne aus. In zahlreichen Deklarationen der Menschenrechte amerikanischer Staaten, von Maryland, North-Carolina, Massachusetts, New Hampshire [18], ist das Verbot der rückwirkenden Kraft von Gesetzen, insbesondere von Strafgesetzen, feierlich ausgesprochen und dadurch für die oben erwähnten französischen Erklärungen von 1789 sogar vorbildlich geworden: „That retrospective laws, punishing facts committed before the existence of such laws, and by them only declared criminal, are oppressive, unjust, and incompatible with liberty, wherefore no ex post facto law ought to be made" (Maryland XV). Auch gegenüber solchen Formulierungen darf man die fundamentale Verschiedenheit des positiven Gesetzbegriffs und des angelsächsischen common law nicht außer Acht lassen. Allerdings zeigt sich auch im Denken amerikanischer Juristen oft ein ausgesprochener Sinn für den Gegensatz positiver Gesetzlichkeit auf der einen und moralischer, naturrechtlicher und sonstiger Überzeugungen auf der anderen Seite. Die geistige Gesamtlage der Vereinigten Staaten ist auch in diesem Punkt ein unentschiedenes Spiegelbild der europäischen Problematik und insbesondere des großen Gegensatzes, der kontinentales und englisches Denken voneinander trennt. Als Grundsatz ist das Verbot der rückwirkenden Kraft von Strafgesetzen dem amerikanischen Rechtsgefühl und Rechtsdenken durchaus selbstverständlich. Aber hier, vielleicht noch schärfer als für das englische Rechtsdenken, erhebt sich auch für die amerikanische Auffassung die Frage, worin die Neuheit eines Verbrechens eigentlich besteht. Hier kommt es infolgedessen oft zu einer Verbin+ Das Statute bestimmte, daß, wer überführt wird, Pferde gestohlen zu haben, mit dem Tode bestraft wird. Als die Richter die Todesstrafe nicht mehr zeitgemäß fanden, urteilten sie, daß das Statute denjenigen nicht treffe, der nur ein Pferd, nicht aber, wie es im Text des Gesetzes heißt, Pferde (in der Mehrzahl), gestohlen habe und erkannten bei Diebstahl nur eines Pferdes oder mehrerer einzelner Pferde nur auf die Strafe des gewöhnlichen Diebstahls.

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dung und Vermischung moralischer und juristischer Gesichtspunkte. Dem Denken des positivistisch geschulten, kontinentalen Juristen ist die Trennung moralischer und juristischer Gesichtspunkte seit fast zweihundert Jahren gerade in der Frage der Pönalisierung neuer Tatbestände geläufig. In den Vereinigten Staaten von Amerika könnte ihre Verbindung es bewirken, daß die Hemmungen, die sich aus dem Satz „nullum crimen sine lege" ergeben, für amerikanische Juristen sogar noch weniger wirksam sind als für einen Juristen der rein englischen Tradition. 4) Offenbar liegt es in der Absicht Mr. Jacksons, die gegenwärtigen Kriegsverbrecher-Prozesse zu einem besonders wirkungsvollen creative precedent für das neue, internationale Verbrechen des Angriffskrieges zu benutzen [19]. Diesen Plan kann man nicht mit einem allgemeinen Hinweis auf den Grundsatz „nullum crimen" widerlegen. Vielmehr wird es notwendig, die innere Problematik des neuen Verbrechens zu entwickeln und zu zeigen, daß die Gesichtspunkte eines creative precedent und eines „malum in se" wohl für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also für die eigentlichen atrocities, nicht aber für das neue internationale Verbrechen des Angriffskrieges zutreffen. Die atrocities im besonderen Sinne, die vor dem letzten Weltkrieg und während dieses Krieges begangen worden sind, müssen in der Tat als „mala in se" betrachtet werden. Ihre Unmenschlichkeit ist so groß und so evident, daß es genügt, die Tatsachen und den Täter festzustellen, um ohne jede Rücksicht auf bisherige positive Strafgesetze eine Strafbarkeit zu begründen. Hier treffen alle Argumente des natürlichen Empfindens, des menschlichen Gefühls, der Vernunft und der Gerechtigkeit in einer geradezu elementaren Weise zusammen, um einen Schuldspruch zu rechtfertigen, der keiner positiven Norm in irgendeinem formalen Sinne bedarf. Hier braucht auch nicht danach gefragt zu werden, wieweit die Täter eine verbrecherische Absicht, ein criminal intent, hatten. Das alles versteht sich hier von selbst. Wer angesichts solcher Verbrechen den Einwand des „nullum crimen" erheben und auf die bisherigen positiven strafgesetzlichen Bestimmungen verweisen wollte, würde sich selbst in ein bedenkliches Licht setzen. Wenn die besondere Unmenschlichkeit solcher atrocities in den bisherigen Tatbeständen positiver Gesetze nicht erfaßt ist, so läßt sich das mit der Antwort erklären, die ein antiker Gesetzgeber gegeben hat, als man ihn fragte, warum er den Vatermord nicht als besonderes Delikt in sein Strafgesetz aufgenommen habe. Der berühmte Gesetzgeber erwiderte, daß man solche furchtbaren Verbrechen überhaupt nicht nennen und ihre Möglichkeit nicht aussprechen dürfe [20]. Alles das bezieht sich aber nur auf die Art von Kriegsverbrechen, die oben als atrocities gekennzeichnet worden sind, und es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß es sich für uns nicht darum handelt, solche atrocities ihrer gerechten Bestrafung zu entziehen oder ihre Strafbarkeit auch nur zu diskutieren. Für eine andere Art von Kriegsverbrechen, die „war crimes" im alten Sinne, ist der Satz „nullum crimen" auf der Pariser Friedenskonferenz von 1919 gerade von den

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amerikanischen Delegierten in der Commission des responsabilités ausdrücklich betont worden. Ich werde die eindrucksvollen Äußerungen unten (S. 23) + noch zitieren. Ganz anders jedoch liegt es bei der dritten Art von Kriegsverbrechen, dem neuen Verbrechen das Angriffskrieges als eines „international crime", das hier allein in Frage steht. Hier ist sowohl der Tatbestand selbst (Angriffsakt und Angriffskrieg) wie die Verbindung von internationalem und kriminellem Charakter wirklich ein Novum, dessen Besonderheit zum Bewußtsein gebracht werden muß, um zu zeigen, daß der Satz „nullum crimen" hier eine Schranke für die Bestrafung bedeutet, gerade wenn der Gesichtspunkt der equity, des Gewohnheitsrechts und einer auf Präzedenzfällen aufgebauten Strafjustiz gewahrt bleiben soll. Das wird sich aus der folgenden Darstellung des Näheren ergeben.

I I . Kriegsverbrechen und Kriegsschuld im Versailler Vertrag In zwei Artikeln des Versailler Vertrages finden sich die wichtigsten Ansätze zu einem neuen, vom bisherigen Völkerrecht abweichenden Kriegsbegriff: in Art. 227, der den früheren Kaiser Wilhelm II. unter Anklage stellt [21], und in Art. 231, dem sogenannten Kriegsschuld-Artikel [22]. Beide beziehen sich in ihrer positiven vertraglichen Regelung nur auf den ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918. Aber sie müssen auch als Symptome eines Wandels der völkerrechtlichen Auffassung des Krieges, wenn nicht sogar als Präzedenzfall betrachtet werden. Neben Art. 227 ist, aus Gründen der Entstehungsgeschichte, auch Art. 228 zum Vergleich heranzuziehen, obwohl dieser Artikel, wie bereits erwähnt, ausschließlich von Kriegsverbrechen im alten Sinne des Wortes spricht, während Art. 227 die neue Art des Krieges als eines Verbrechens enthält [23]. 1) Der gegen den früheren Kaiser Wilhelm II. gerichtete Artikel 227 steht unter der Überschrift „Penalties" in Teil V I I des Versailler Vertrages. Hier ist die Qualifikation einer strafbaren Handlung schon durch die Überschrift bewußt ausgesprochen. Als Ankläger treten „die alliierten und assoziierten Mächte", nicht nur die fünf Hauptmächte, auf. Ob jede einzelne Macht oder aber mehrere oder alle zusammen Ankläger sind, wird nicht gesagt. Durch den Friedensvertrag selbst stellen sie den vormaligen Kaiser unter öffentliche Anklage. Dieser ist der einzige Angeklagte und als solcher mit Namen („Wilhelm II. von Hohenzollern, ehemaliger Kaiser") persönlich genannt. Der Kaiser blieb auch dann der einzige Angeklagte dieser neuen Art eines internationalen Verbrechens, als der Reichskanzler von Bethmann-Hollweg 1919 öffentlich erklärte, daß er die volle Verantwortlichkeit für alle unter seiner Kanzlerschaft (1914 bis 1917) begangenen Amtshandlungen +

In diesem Text S. 27 (d. Hrsg.).

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des Kaisers übernehme [24]. Keiner der Ankläger ist auf diese Erklärung des konstitutionell verantwortlichen Reichskanzlers eingegangen. Diese Anklage wegen des neuen Kriegsverbrechens blieb auf das Staatshaupt persönlich beschränkt. Als Tatbestand des Verbrechens, wegen dessen die Anklage erhoben wird, ist in Art. 227 „schwerste Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge" („supreme offence against international morality und sanctity of treaties") angegeben. Außerdem aber erhält das Gericht in Art. 227 Abs. 3 Richtlinien: es soll sich von den höchsten Motiven der internationalen Politik leiten lassen (by the highest motives of international policy), wobei „international policy" und nicht „international law" gesagt ist, in dem Bewußtsein, daß das bisherige law dieses neue Verbrechen nicht kennt. Das Gericht soll ferner den feierlichen Verpflichtungen internationaler Abmachungen (undertakings) Respekt verschaffen. Als Gericht sollen fünf Richter fungieren; jede der alliierten und assoziierten Hauptmächte, die hier aber nicht als Hauptmächte bezeichnet, sondern nur einzeln genannt werden, ernennt je einen Richter [25]. Hinsichtlich des Verfahrens ist gesagt, daß dem Angeklagten die wesentlichen Garantien des Rechtes auf Verteidigung zugesichert werden (assuring him the guarantees essential to the right of defence). Hinsichtlich der Strafe heißt es, daß das Gericht die Strafe bestimmt, die es für angemessen hält (the punishment which it considers should be imposed). Es war keine schwierige Aufgabe, diesen Art. 227 damals nach bisherigem Völkerrecht wie auch in strafrechtlicher Hinsicht zu kritisieren und zu widerlegen [26]. Eine internationale Gerichtsbarkeit eines Staates über den anderen Staat oder über das Staatshaupt eines anderen souveränen Staates kannte das bisherige Völkerrecht nicht. Par in parem non habet jurisdictionem [27]. Einziges Rechtssubjekt des Völkerrechts, auch beim völkerrechtlichen Delikt, war nach herrschender Auffassung nur der Staat als solcher. Völkerrechtliches Delikt bedeutete also keineswegs ein Verbrechen im kriminellen Sinne nach Art des innerstaatlichen Strafrechts. Der Krieg wurde in aller Schärfe als eine Beziehung von Staat zu Staat, nicht von Individuen oder Gruppen aufgefaßt. Er wurde völkerrechtlich nicht von einzelnen Menschen, auch nicht von dem Staatshaupt persönlich, sondern vom Staat als solchem geführt. Was den Tatbestand des neuen Verbrechens angeht, so war er in Art. 227 sehr unbestimmt angegeben. Die Richtlinien für den Richter nahmen auf Moral und Politik, statt ausschließlich auf Recht Bezug. Die Strafe war ebenfalls unbestimmt und ganz in das Ermessen des Richters gestellt. Anscheinend war vorausgesetzt, daß das Gericht auf jeden Fall eine Strafe verhängen würde, so daß hier schon durch die Anklage der Entscheidung des Richters vorgegriffen war. Der Grundsatz ,nullum crimen, nulla poena sine lege" war offensichtlich verletzt. Durch die Benennung einer bestimmten einzelnen Person, Wilhelm II., bei derartig unbestimmtem Tatbestand und unbestimmter Strafdrohung, erhielt der Art. 227 außerdem das Odium eines allzu persönlichen Ausnahmerechts.

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So erklärt es sich, daß dieser Ansatz zu einer völkerrechtlichen Kriminalisierung des Angriffskrieges in Europa keine nachhaltige Wirkung auf das Rechtsbewußtsein der europäischen Völker und Regierungen ausübte. Die ganze Angelegenheit dieses Versuches, Wilhelm II., früheren Kaiser, wegen eines internationalen Verbrechens vor ein internationales Gericht zu ziehen, war in der öffentlichen Meinung der europäischen Völker schnell vergessen. Schon im Jahre 1920 hat die englische und die französische Regierung praktisch auf die Durchführung dieses Versuches verzichtet. Wilhelm II. hielt sich seit November 1918 in einem neutralen Staat, in Holland, auf. Die holländische Regierung lehnte das Auslieferungsbegehren, das die englische und französische Regierung an sie gerichtet hatten, als völkerrechtlich unzulässig ab. Die beiden genannten Regierungen bestanden nicht weiter auf der Auslieferung [28]. So mußte sich, wenigstens in Europa, die Überzeugung verbreiten, daß jener in Art. 227 enthaltene Ansatz zu einer neuen Art von Kriegsverbrechen nicht nur erfolglos geblieben, sondern sogar etwas wie ein Präzedenzfall nach der gegenteiligen Richtung geworden war. Wie aber steht es hinsichtlich der Vereinigten Staaten von Amerika? In den Beratungen der Pariser Friedenskonferenzen waren es gerade amerikanische Delegierte, die den Angriffskrieg mit großem Nachdruck als Unrecht bezeichneten [29]. Freilich stehen solchen Äußerungen ebenso entschieden andere gegenüber, die betonen, daß der Krieg als solcher nach bisherigem Völkerrecht keine unerlaubte Handlung, kein illegal act ist. Die Verwirrung ist um so größer, als verschiedene rechtliche Gesichtspunkte — Bestrafung Wilhelms II., Bestrafung der Verletzungen des Kriegsrechts und das Reparationsproblem — dazu Anlaß geben können, von Kriegsverbrechen in einem allgemeinen Sinne zu sprechen. Zu dem Kriegsschuld-Artikel Art. 231 werde ich im Folgenden (unter 2) noch einige Ausführungen machen. Zunächst sind hier die Äußerungen in der „Commission des responsabilités des auteurs de la guerre" von Interesse [30]. Diese Kommission behandelte sowohl den späteren Art. 227, also die Bestrafung Wilhelms II., wie auch Art. 228, d. h. die Bestrafung der oben erörterten militärischen Kriegsverbrechen im alten Sinne. Mit Bezug auf diese letzteren haben die amerikanischen Delegierten, unter der Führung Lansings [31], gegenüber den englischen und französischen Vertretern in aller Schärfe erklärt, daß es unzulässig ist, neben der Bestrafung der Verletzung von Kriegsgesetzen auch noch von einer Bestrafung der Verletzung von Gesetzen der Menschlichkeit zu sprechen [32]. Sie bezogen sich auf den Präzedenzfall Henri Wirz aus dem Jahre 1865. Der Fall betrifft ein militärgerichtliches Verfahren, das gegen einen Gefängniskommandanten der Südstaaten nach Beendigung des Sezessionskrieges vor einer militärgerichtlichen Kommission in Washington durchgeführt wurde und das im November 1865 mit einem Todesurteil gegen diesen Offizier und mit seiner Hinrichtung endete [33]. Die amerikanischen Delegierten betonten, daß für solche Kriegsverbrechen, d. h. für

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die Verletzungen des jus in bello und für ihre Bestrafung, der Grundsatz „nullum crimen sine lege" unverbrüchlich gelten muß. Sie erwähnten auch den Präzedenzfall USA v. Hudson (7 Cranch 32) aus dem Jahre 1812, der festlegt, daß eine Tat von der gesetzgebenden Gewalt der Union als Verbrechen bezeichnet und mit Strafe bedroht sein, und daß außerdem die gesetzgebende Gewalt das zuständige Gericht bezeichnet haben muß, ehe eine Aburteilung zulässig ist [34]. Soweit es sich um Kriegsverbrechen im alten Sinne handelt, lehnen die amerikanischen Delegierten den Begriff eines neuen Verbrechens gegen die Menschlichkeit ab. „Die amerikanischen Delegierten", so heißt es in einer Erklärung dieser Beratungen, ,»kennen kein geschriebenes internationales Gesetz und keinen Staatsvertrag, der aus der Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges ein internationales Verbrechen unter Strafandrohung und Bezeichnung des zuständigen Gerichtes macht" [35]. Dann fahren sie fort: „Wie die amerikanischen Delegierten mehr als einmal bemerkt haben, ist der Krieg seinem Wesen nach immer unmenschlich gewesen und ist es noch. Aber die Handlungen, die den Gesetzen und Gebräuchen des Krieges entsprechen, sind trotz ihrer Unmenschlichkeit keiner Bestrafung durch einen Gerichtshof unterworfen. Ein Gericht kümmert sich nur um das geltende Recht, wendet nur dieses an und überläßt einem höheren Richter die Vergehen gegen die Sitte und die Handlungen, die den Grundsätzen der Menschlichkeit zuwiderlaufen. Die amerikanischen Delegierten haben das sehr bestimmte Gefühl, daß der Plan der Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofes keiner Aufmerksamkeit wert ist; es gibt keinen Präzedenzfall dafür und entspricht nicht den Gebräuchen der Völker" [36]. Solche Erklärungen sind eindeutig und entschieden. Aber sie beziehen sich in concreto nicht auf Art. 227, sondern auf Art. 228, sind also nicht unmittelbar für die Frage des Angriffskrieges als solchen, sondern nur für die Kriegsverbrechen im alten Sinne verwendbar. Hinsichtlich des Art. 227 dagegen waren es gerade amerikanische Delegierte, die eine Bestrafung der Staatshäupter forderten, und zwar für den Angriffskrieg als ein moralisches Verbrechen gegen die Menschheit. Die in der Commission des responsabilités des auteurs de la guerre herrschende, typisch amerikanische Auffassung ergibt sich aus folgender Stelle eines Entwurfes vom 12. März 1919: „Le droit moral de faire la guerre existe seulement lorsqu'il y a nécessité impérieuse d'employer la force pour la protection de la vie nationale, le maintien du droit national ou la défense de la liberté et de l'humanité. La guerrre inspirée par tout autre motif est arbitraire, inutile et s'accomplie en violation de la morale et de la justice internationale. Elle ne peut être justifiée. Jugée d'après ce critérium, la guerre commencée en 1914 était injuste et inadmissible. Ce fut une guerre d'agression" [37]. Daran schließt sich eine längere Darlegung über die Verantwortlichkeit der Staatshäupter an: „Die Häupter der Zentralmächte [so heißt es dort], von dem Wunsche beseelt, in Besitz von Land und souveränen Rechten anderer Mächte zu gelangen, haben sich

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in einen Eroberungskrieg eingelassen, einen Krieg, der durch seine Ausdehnung, seine unnötige Vernichtung menschlichen Lebens und Eigentums, seine unerbittlichen Grausamkeiten und seine unerträglichen Leiden alle Kriege der modernen Zeiten übertrifft. Die Beweise für dieses moralische Verbrechen gegen die Menschheit sind überzeugend und schlüssig. Von der Achtung vor dem Recht, das unzertrennbar ist von dem Gefühl der Gerechtigkeit, zurückgehalten, könnten die Nationen, die so grausam gelitten haben, nicht die Macht besitzen, die Schuldigen angemessen zu bestrafen durch die Mittel des Gesetzes. Aber die Urheber dieses schändlichen Krieges sollten nicht in die Geschichte eingehen, ohne gebrandmarkt zu werden. Sie sollten also vor die Schranken der öffentlichen Weltmeinung zitiert werden, um das Urteil zu erleiden, das die Menschheit gegen die Urheber des größten gegen die Welt begangenen Verbrechens ausspricht" [38]. In solchen Erklärungen spricht sich zweifellos eine bewußte Abweichung von der bisherigen völkerrechtlichen Auffassung des Krieges aus. Doch ist nicht von einer allgemeinen Kriminalisierung des Angriffskrieges, sondern nur von einem moralischen Verbrechen gegen die Menschheit die Rede, das nur die Staatshäupter der Zentralmächte begangen haben und niemand anders. Für die Beurteilung der Präzedenzwirkung ist ferner zu beachten, daß es sich bei den Erklärungen von James Brown Scott [39] und Lansing um „interne" Äußerungen in einer ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Beratung handelt und daß solche Äußerungen im Gegensatz zu der Stellungnahme anderer amerikanischer Delegierter stehen, z. B. zu der im folgenden (S. 28) + zitierten Äußerung von John Foster Dulles [40] zum Kriegsschuldproblem, die ausdrücklich an dem alten Kriegsbegriff festhalten. Vor allem aber kann es für die Präzedenzwirkung entscheidend nur auf den endgültigen, in Kraft getretenen Vertrag ankommen. In dieser Hinsicht aber liegt es so, daß die Vereinigten Staaten in ihrer endgültigen Entscheidung gerade diesen Teil V I I über Penalties nicht übernommen haben. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben bekanntlich den Vertrag von Versailles nicht ratifiziert, sondern mit Deutschland einen besonderen Friedensvertrag vom 25. August 1921 geschlossen [41]. In Art. I I des Vertrages sind diejenigen Teile des Versailler Vertrages, deren Rechte und Vorteile die Vereinigten Staaten auch für sich in Anspruch nehmen, einzeln aufgezählt, darunter Teil V, VI, IX usw. Es fehlt Teil VII, d. h. gerade der Teil, der Art. 227 und 228, also die Kriegsverbrechen, enthält. Dieser Teil ist mit voller Absicht nicht zum Gegenstand der völkerrechtlichen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland gemacht worden. Für Deutschland war damit auch alle Präzedenzwirkung entfallen, die jenen Äußerungen der amerikanischen Delegierten in der Commission des responsabilités des auteurs de la guerre sonst vielleicht zugekommen wäre. Freilich darf man hier eine ganz anders gerichtete, in den Vereinigten Staaten stark verbreitete öffentliche Meinung nicht außer Acht lassen. Die angesehene amerikanische Wochenschrift „The literary digest" hat damals, Mitte 1920, eine +

In diesem Text S. 30 (d. Hrsg.).

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Umfrage bei amerikanischen Richtern veranstaltet, um deren Auffassung über das Strafverfahren gegen Wilhelm II. festzustellen [42]. Von 328 Antworten verlangten etwa 106 ein Todesurteil, 137 Verbannung, 58 Freiheits- und andere Strafen und nur 27 waren gegen eine Verurteilung. Ein Gegensatz von offizieller Haltung auf der einen und öffentlicher Meinung auf der anderen Seite ist also nicht zu verkennen. Was ein solcher Gegensatz für das internationalrechtliche Verbrechen des zweiten Weltkrieges hinsichtlich der Frage des „nullum crimen sine lege" bedeutet, wird später zu erörtern sein, wenn weitere und wichtige Fälle des Gegensatzes festgestellt worden sind. In Europa jedenfalls ist eine die Haltung der europäischen Regierungen bestimmte Präzedenzwirkung nicht zu erkennen. 2) Der Kriegschuldartikel 231 des Versailler Vertrages steht nicht unter der Überschrift „Penalties", sondern „Reparations" und ist dadurch mehr unter ökonomische als unter rein kriminalrechtliche Gesichtspunkte gestellt [43]. Es handelt sich um finanzielle und wirtschaftliche Forderungen der Sieger, die nicht Kriegsentschädigungen im alten Stil, sondern Schadensersatzansprüche sind, d. h. rechtliche Forderungen, die aus einer rechtlichen Verantwortlichkeit des Besiegten abgeleitet werden. Wir brauchen hier nicht auf das Kriegsschuldproblem im Ganzen einzugehen, das bekanntlich in einer geradezu ungeheuren Menge von Publikationen aller Art behandelt worden ist. Die Erörterungen betreffen hauptsächlich die Frage, ob die Mittelmächte — wie die Entente schon in ihrer Note vom 10. Januar 1917 behauptet hatte — einen ungerechten Angriffskrieg geführt haben und deshalb ohne Einschränkung für allen Schaden haften, oder ob die Rechtsgrundlage des Reparationsanspruches darin liegt, daß Deutschland im Herbst 1918 das Programm Wilsons, insbesondere der Lansing-Note vom 5. November 1918 , angenommen hat und nur nach Maßgabe dieser Note reparationspflichtig ist [44]. Die französischen Delegierten gingen meistens von zivilrechtlichen Konstruktionen aus, z. B. unter Hinweis auf § 823 des deutschen BGB, der eine Schadensersatzpflicht aus unerlaubter Handlung begründet [45]. Ein Italiener begründete die Haftung Deutschlands für seine Bundesgenossen unter Bezugnahme auf § 830 BGB als Haftung aus einer societas sceleris [46]. Das sind Beispiele für Konstruktionen, denen in zahlreichen Variationen der Gedanke zugrunde liegt, daß der Krieg Deutschlands ein ungerechter Krieg und ein Angriffskrieg war. Aber man kann nicht sagen, daß dabei an die Verwandlung des Angriffskrieges in ein international crime im vollen kriminalrechtlichen Sinn gedacht war. Der Vorwurf, daß die Zentralmächte im Ganzen einen Angriffskrieg führten, diente dazu, den Umfang der Reparationspflichten zu erweitern und alle Beschränkungen (z. B. auf die Wiedergutmachung der Verletzung der belgischen Neutralität, auf die Wiedergutmachung der Schäden der Zivilbevölkerungen) abzulehnen. Für die Frage der Auffassung des Kriegsbegriffs im Allgemeinen ist von Interesse, daß in den Beratungen, aus denen Art. 231 hervorgegangen ist, gerade der amerikanische Vertreter, John Foster Dulles, davon ausging, daß der Krieg

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als solcher und im Ganzen nach geltendem Völkerrecht überhaupt kein illegaler Akt ist: „Reparation would not be due for all damage caused by the war unless the war in its totality were an illegal act. This is by no means a conclusion which can be assumed in view of the fact that international law (see in particular the Hague Conventions) recognizes the right of a nation, in the absence of a treaty engagement to the contrary, to declare and prosecute, in certain defined ways, war against an other nation" [47]. Der Präsident Wilson selbst war ein Anhänger der Lehre vom gerechten Krieg. Aber die rechtlichen Folgerungen, die er daraus zog, sind nicht eindeutig zu erkennen. Selbst in der Frage der moralischen Kriegsschuld ist sein Standpunkt nicht einfach kriminalrechtlich. In seiner Rede vom 26. Oktober 1916 hat er z. B. gesagt: „daß keine einzelne Tatsache den Krieg hervorgerufen hat, sondern daß im letzten Grunde das ganze europäische System die tiefere Schuld am Kriege trägt, seine Verknüpfung von Bündnissen und Verständigungen, ein verwickeltes Gewebe von Intriguen und Spionagen, das mit Sicherheit die ganze Völkerfamilie in seine Maschen fing" [48]. Der Zusammenhang von Angriffskrieg und Reparationspflicht ist schließlich nicht nur in den Beratungen der Kommissionen, sondern auch, im Mai 1919, in einem schriftlichen Notenwechsel zwischen der deutschen Delegation in Versailles und den alliierten Regierungen behandelt worden [49]. Die deutsche Delegation protestierte in ihrer Note gegen den Vorwurf, alleiniger Urheber des Krieges zu sein und berief sich darauf, daß die deutsche Reparationspflicht in der Annahme der Lansing-Note vom 5. November 1918 begründet sei. Demgegenüber hebt die Antwort-Note der Alliierten hervor, daß diese Lansing-Note das Wort „aggression" enthalte und Deutschland durch Annahme der Note auch die responsabilité für den Weltkrieg anerkannt habe [50]. Tatsächlich kommt das Wort „aggression" in der Lansing-Note in folgendem Zusammenhang vor: „Further in the conditions of peace laid down in his address to Congress of January the eight 1918 the President declared that the invaded territories must be restored as well as evacuated and freed. The Allied Governments feel that no doubt ought to be allowed to exist as to what this provision implies. By it they understand that compensation will be made by Germany for all damage done to the civilian population of the Allied and their property by the aggression of Germany by land, by sea and from the air" [51]. Auch hier erhebt sich ebenso wie bei den zahlreichen Schuldvorwürfen in der Erörterung der Reparationspflicht die Frage: kann das Wort „aggression" in diesem Zusammenhang als ein Präzedenz für die internationale Kriminalisierung des Angriffskrieges angesehen werden? Wenn von einer Schuld Deutschlands gesprochen und diese Schuld in dem Angriff gefunden wird, so ist es, allgemein gesprochen, an sich durchaus möglich, daß damit auch eine strafrechtliche Schuld gemeint ist, deren Tatbestand ein Verbrechen im vollen kriminellen Sinne dar-

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stellt. Aber im konkreten Fall standen nur Reparationen, d. h. wirtschaftliche und finanzielle Leistungen Deutschlands zur Frage, keine eigentlichen Strafen, wie in Teil V I I des Versailler Vertrages. Man war sich in Versailles in keiner Weise darüber einig, ein neues völkerrechtliches Verbrechen zu schaffen. Man wollte nicht einen seit zweihundert Jahren anerkannten Kriegsbegriff, der die rechtliche Struktur des ganzen bisherigen europäischen Völkerrechts bestimmte, mit allen seinen Auswirkungen für Kriegführende und Neutrale, aufheben. Wenn das beabsichtigt gewesen wäre, hätte es präziser Erklärungen bedurft, die eindeutig eine Kriminalisierung, nicht nur eine allgemeine Unrechtserklärung zum Ausdruck bringen. Die eben genannte Stelle der Lansing-Note nimmt nur auf den deutschen Einmarsch in das neutralisierte Belgien und auf die Frage des Umfanges der Reparationen für die Schäden der Zivilbevölkerung Bezug. Eine Absicht, über die Erklärung dieses Unrechts hinaus einen neuen Kriegsbegriff und den neuen Typus eines internationalen Verbrechens zu schaffen, ist in ihr nicht zu erkennen. Die ganze Kriegsschuldfrage ist seit 1919 nur im Zusammenhang mit der Reparationsfrage erörtert worden. Das Bewußtsein der Verschiedenheit einer kriminellen Schuld bestimmter Menschen von der Verantwortlichkeit eines Staates, die nur finanzielle und wirtschaftliche Rechtsfolgen begründet, war schon für das innerstaatliche Recht in allen Ländern Europas zu stark verbreitet, als daß mit der Feststellung einer zum Schadensersatz verpflichteten, rechtlich unerlaubten Handlung bereits für alle Staaten, auch schon der völlig neue Typus eines internationalen Verbrechens eingeführt wäre. Hätte man in Versailles eine solche Wirkung beabsichtigt, so hätte mindestens der Völkerbundspakt in aller Form den Angriffskrieg als solchen zum kriminellen Verbrechen erklären müssen. Das ist nicht geschehen. Dadurch ist auch die etwaige Präzedenzwirkung, die von der Feststellung der Kriegsschuld Deutschlands hätte ausgehen können, sofort wieder paralysiert worden. Soweit in dieser Hinsicht noch Zweifel möglich waren, wurden sie für das europäische Rechtsbewußtsein entschieden, als sich die Vereinigten Staaten, trotz der Unterschrift des Präsidenten W. Wilson, seit 1919 von Versailles zurückgezogen und von den politischen Fragen Europas isolierten. In dem Sonderfrieden mit Deutschland vom 25. August 1921 ist, wie wir schon sagten, jede Bezugnahme auf die kriminelle Schuldfrage absichtlich vermieden.

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I I I . Entwicklung der internationalrechtlichen Pönalisierung des Angriffskrieges 1919-1939 (Genfer Protokoll, Kellogg-Pakt, Krieg als Piraterie, Sanktionen gegen Italien 1936, Wiederherstellung der integralen Neutralität) Die zwei Jahrzehnte von 1919 bis 1939 waren eine Zeit des Versuches einer neuen völkerrechtlichen Ordnung. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, W. Wilson, hatte auf der Pariser Friedenskonferenz 1929 den wichtigsten Versuch einer solchen Neuordnung gemacht, aber die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich dann von Europa zurückgezogen und die europäischen Völker ihrem politischen Schicksal überlassen. Die folgende Übersicht soll kein vollständiges Bild der chaotischen Übergangszeit von 1919 bis 1939 geben, sondern nur die Frage beantworten, ob die Versuche einer Abschaffung und outlawry des Krieges, die in diese Zeit fallen, für den normalen Staatsbürger eines europäischen Staates wirklich das Ergebnis einer echten Pönalisierung hatten. Mit anderen Worten: haben diese Vorschläge und Versuche einer outlawry des Krieges in der Zeit von 1919 bis 1939 den Staatsbürger, der nicht zur politischen Führungsschicht gehörte, sondern seinem wirtschaftlichen, industriellen oder sonstigen Berufe nachging, von einer neuen völkerrechtlichen Ordnung überzeugt? Mußte insbesondere der ordinary businessman irgendeines europäischen Staates die Überzeugung gewinnen, daß der Angriffskrieg — entgegen der bisherigen, säkularen Tradition — nicht nur in umstrittenen Projekten und Kompromißformeln, sondern durch eine neue, rechtskräftige internationale Normierung zu einem wirklichen, kriminellen Verbrechen gemacht worden war? Nur wenn der einzelne Staatsbürger diese Überzeugung haben mußte, kann man ihn heute als Täter oder Teilnehmer des neuen internationalen Verbrechens des Krieges zur Verantwortung ziehen. Jeder Staatsbürger, insbesondere jeder businessman wußte, daß die Frage der Abschaffung des Krieges in der Sache eine Frage der Abrüstung und der Sicherheit war. Die juristischen Formulierungen der Abschaffung des Krieges konnte er nur nach ihrem praktischen Ergebnis beurteilen. Die zahlreichen umstrittenen Projekte mit ihren subtilen Distinktionen mußten ihm nur als Ausgeburten des Souveränitätsdünkels der vielen europäischen Staaten erscheinen. In den schwierigen juristischen Kompromiß-Formulierungen mußte er politische Manöver der für oder gegen eine Revision des Versailler Vertrages kämpfenden Regierungen erblicken. Der große Eindruck, den die starke Beteiligung amerikanischer Bürger auf ihn machen konnte — ich erinnere an Namen wie James Brown Scott [52], James T. Shotwell [53], Hunter Miller [54] u. a. —, wurde für ihn dadurch paralysiert, daß die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika eine strenge Neutralitäts- und sogar Isolations-Politik machte. Der Gegensatz der öffentlichen Meinung und der offiziellen Politik der Vereinigten Staaten war frappant. Der

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Staatsbürger eines europäischen Staates konnte sich nur an der offiziellen Politik orientieren. Tatsächlich ist der große Versuch einer internationalrechtlichen Pönalisierung des Krieges damals in eine Reihe schwieriger, für das Rechtsgefühl eines ordinary citizen undurchdringlicher Antithesen hineingeraten: in den Gegensatz von juristischer und politischer Denkweise, aber auch in den Unterschied von moralischer und rechtlicher Verpflichtung und in den Gegensatz politischer und ökonomischer Probleme; schließlich darf auch der Gegensatz von privater Anwesenheit und offizieller Abwesenheit nicht unbeachtet bleiben, der für die Beziehungen der Vereinigten Staaten von Amerika zu Europa in dieser Zeit charakteristisch ist. Die folgende Darstellung hat die besonderen Schwierigkeiten im Auge zu behalten, die sich aus diesen mehrfachen Antithesen für den Staatsbürger als einen europäischen Teilnehmer dieser Entwicklung ergeben. 1. Das Genfer Protokoll vom 2. Oktober 1924. Der Pakt der Genfer Liga von 1919 [55] enthielt Vorschriften zur Verhütung des Krieges (Art. 10-17). Friedensbrecher war der Staat, der „zum Kriege schritt" (resort to war), ohne vorher ein bestimmtes Verfahren eingehalten zu haben. Als Sanktionen gegen diesen Bruch des Friedens waren finanzielle, wirtschaftliche und militärische Maßnahmen der anderen Mitglieder vorgesehen (Art. 16) [56]. Von einer Pönalisierung des Krieges als solchem war nicht die Rede. Der Gedanke der Gleichberechtigung aller Staaten auf der Basis der gleichen Souveränität war 1919 noch zu stark, als daß der Völkerbundpakt auch nur implicite ein kriminalrechtliches Verbot des Krieges enthalten konnte. Es gab vielleicht einige Ansätze, die sich im Wege einer praktischen Interpretation dazu hätten verwerten lassen. Aber die Vereinigten Staaten von Amerika, deren Einfluß auf der Pariser Konferenz von 1919 sich durchgesetzt hatte, hielten sich, wie gesagt, offiziell von der Liga fern. In den Jahren 1920 bis 1924 wurden viele Versuche und Vorschläge gemacht, um das Kriegsverhütungs-System der Genfer Liga zu stärken. Doch ist es nicht zu der Vereinbarung gekommen, daß der Krieg oder auch bestimmte Arten des Krieges, ein mit Strafe bedrohtes internationales Verbrechen bestimmter Menschen sein soll. Für einen Juristen der kontinental-europäischen Denkweise war es selbstverständlich, daß die bloße Verwendung des Wortes „Verbrechen" für das Völkerrecht keine Pönalisierung im Sinne des Satzes „nullum crimen, nulla poena sine lege" bedeutete, solange Tatbestand, Täter, Strafe und Gericht nicht mit deutlichen Worten bestimmt und umschrieben waren. In dem sogenannten Genfer Protokoll vom 2. Oktober 1924 „zur friedlichen Regelung der internationalen Streitfälle" findet sich allerdings der Satz, daß der Angriffskrieg ein internationales Verbrechen ist [57]. Damit hat der Gedanke des Krieges als eines Verbrechens für Europa seinen ersten weithin sichtbaren Ausdruck gefunden. Vorher waren Entwürfe eines Garantiepaktes und eines Vertrages auf gegenseitige Hilfe aufgestellt worden, in denen ebenfalls davon gesprochen wurde, daß der Angriff oder der Angriffskrieg ein internationales 3 Quaritsch

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Verbrechen ist. Keiner dieser Entwürfe ist als internationale Abmachung perfekt geworden. Aber auch das Genfer Protokoll ist nicht in Kraft getreten. Es wurde zwar von der 5. Versammlung des Völkerbundes am 2. Oktober 1924 als Vorschlag angenommen. Unterzeichnet haben folgende Staaten: Albanien, Belgien, Brasilien, Bulgarien, Chile, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Haiti, Jugoslawien, Lettland, Liberia, Paraguay, Polen, Portugal, Spanien, Tschechoslowakei, Uruguay. Nur die Tschechoslowakei hat das Protokoll (am 28. Oktober 1924) ratifiziert. Hauptsächlich infolge des englischen Widerstandes ist es gescheitert. Die Erklärung der englischen Regierung, von Sir Austen Chamberlain am 12. März 1925 vor dem Rat der Genfer Liga abgegeben, ist ein besonders wichtiges Dokument, das unten noch zitiert werden soll. Das Genfer Protokoll von 1924 ist aus der Initiative einer Gruppe amerikanischer Bürger hervorgegangen. Dr. James T. Shotwell, Professor der Geschichte an der Columbia-Universität, Mitglied der amerikanischen Friedensdelegation auf der Pariser Friedenskonferenz, gilt als der Sprecher dieser Gruppe. Der Rat der Genfer Liga beschloß auf seiner Tagung vom Juni 1924 eine „action of unprecedented nature", indem er einen Bericht dieser Gruppe, den sogenannten Entwurf Shotwell [58], als ein offizielles Dokument an die Liga weitergab, so daß eine Reihe von privaten, „distinguished Americans" auf einen wichtigen Beschluß unmittelbar Einfluß nahm, obwohl die Vereinigten Staaten selbst nicht Mitglied des Völkerbundes waren und sich in grundsätzlichem Isolationismus von allen politischen Fragen Europas distanzierten. Dieser Entwurf Shotwell enthielt unter der Überschrift „Outlawry of Aggressive War" die Sätze: Art. 1 The High Contracting Parties solemnly declare that aggressive war is an international crime. They severally undertake not to be guilty of its commission. Art. 2 A State engaging in war for other than purposes of defense committs the international crime described in Article 1. Art. 3 The Permanent Court of International Justice shall have jurisdiction, on the complaint of any signatory, to make a judgement to the effect that the international crime described in Article 1 has or has not in any given case been committed. Dann folgte eine nähere Definition der Acts of Aggression und der Sanktionen. Diese waren nicht kriminalrechtlicher, sondern hauptsächlich ökonomischer Art. Doch konnte jede Signatarmacht auch zu Zwangsmaßnahmen gegen den Angreiferstaat schreiten. Der schuldige Staat sollte ferner für die Kosten aufkommen, die sein Angriff den anderen Signatarstaaten verursachte. Auch das Genfer Protokoll selbst erklärt den Angriffskrieg als ein Verbrechen. Es spricht ebenfalls nur vom „Staat" als dem Angreifer und dem Täter des neuen, internationalen Verbrechens und respektiert die staatliche Souveränität, d. h. das eigentliche Hindernis einer Pönalisierung des Krieges in einem wirklichen kriminalrechtlichen Sinne. Die angedrohten „Sanktionen" sind wirtschaftlicher, finan-

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zieller und militärischer Art und richten sich nur gegen den Staat als solchen. Sie enthalten kein Wort über bestimmte Urheber des Krieges, z. B. das Staatshaupt, Mitglieder der Regierung oder sonstige verantwortliche Personen als Täter (perpetrators) des neuen Verbrechens. Im Gegenteil. In Art. 15 Abs. 2 des Genfer Protokolls heißt es, daß der Aggressor-Staat, gegen den solche Sanktionen vorgenommen werden, zwar alle Kosten der Sanktionen bis zur äußersten Grenze seiner Leistungsfähigkeit tragen soll, im übrigen aber (wegen der in Art. 10 des Paktes allen Mitgliedern der Liga gegebenen territorialen Garantie) weder in seiner territorialen Integrität noch in seiner politischen Unabhängigkeit beeinträchtigt werden darf. Artikel 15 Abs. 2 lautet: „Toutefois, vu l'article 10 du Pacte, il ne pourra, comme suite à l'application des sanctions visées au présent Protocole, être porté atteinte en aucun cas à l'intégrité territoriale ou à l'indépendance politique de l'Etat agresseur." Eine solche Rücksichtnahme auf den verbrecherischen Angreiferstaat und seine politische Unabhängigkeit wäre der amerikanischen öffentlichen Meinung wohl unbegreiflich gewesen. Es zeigt sich hier, wie stark die in Genf vertretenen europäischen Regierungen von der Rücksicht auf die staatliche Souveränität erfüllt waren. Angesicht solcher „Sanktionen", die es vermeiden, von einer kriminellen Strafe zu sprechen, wird ein Jurist des kontinental-europäischen Strafrechts keine bewußte Pönalisierung und keine ausreichende Grundlage einer kriminellen Bestrafung annehmen. Das „Verbrechen", als welches der Angriffskrieg mit derartigen Erklärungen bezeichnet wird, ist dann eben eine besondere Art des völkerrechtlichen Delikts. Es entsprach ja der bisherigen Tradition des europäischen Völkerrechts, das völkerrechtliche Delikt zu unterscheiden. Selbst die Verwendung des Wortes „crime" hätte also noch keine Pönalisierung nach Art des bisher rein innerstaatlichen Strafrechts bedeutet. Über eine etwa mögliche Parallele mit der Piraterie werde ich noch in einem anderen besonderen Abschnitt (unter 3) sprechen. Doch ist von der Piraterie in diesem Genfer Protokoll nicht die Rede. Es ist anzunehmen, daß weite Kreise der öffentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten von Amerika die Worte „outlawry" des Krieges und „crime" für eine ausreichende Pönalisierung und Kriminalisierung gehalten haben, und zwar in dem Sinne, daß die verantwortlichen Urheber des Angriffskrieges ohne weiteres kriminell bestraft werden können. Doch war noch nicht einmal der Tatbestand des neuen Verbrechens »Angriffskrieg" eindeutig geklärt. Wenn man sich die umständlichen Bemühungen des Genfer Protokolls von 1924 und der Abrüstungskonferenz von 1932/34 [59] vergegenwärtigt, wird einem der Gegensatz deutlich, der die Methoden der kontinental-europäischen Juristen von der Vorstellungsweise der öffentlichen Meinung Amerikas trennt, sobald es sich um das Problem der Abschaffung des Krieges handelt. Dieser tiefe Gegensatz läßt sich nur dadurch klären, daß die juristische Frage nach dem eigentlichen Tatbestand des neuen internationalen Verbrechens geklärt wird. Bei allen Bestrebungen einer 3*

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outlawry des Krieges ist nämlich genau darauf zu achten, ob vom Angriffskrieg als einem Krieg im Ganzen die Rede ist (wobei sich dann die weitere Frage erhebt, ob die an einen solchen Krieg sich anschließenden weiteren Entwicklungen des Krieges, Koalitionskriege usw., ein einheitliches Ganzes bilden), oder ob der Angriff selbst als ein spezifischer Tatbestand gemeint ist, den man von dem sich etwa anschließenden Krieg juristisch unterscheidet. Den ersten Schuß abgeben oder als erster die Grenze überschreiten, ist offensichtlich nicht dasselbe, wie ein Verursacher des Krieges im Ganzen zu sein. Das Verbrechen des Krieges, das Verbrechen des Angriffskrieges und das Verbrechen des Angriffs sind offensichtlich drei verschiedene Verbrechen mit drei verschiedenen Tatbeständen. Für eine komplexe Verurteilung des Krieges gingen sie jedoch ineinander über, und einem großen Teil der öffentlichen Meinung erschien ihre Trennung als bloße juristische Künstelei. Die Unterscheidung von Angriffskrieg und Angriffsakt ist in Wirklichkeit nur auf den ersten Blick künstlich und formalistisch. Sobald die Frage gestellt wird, worin die Handlungen der Menschen, die als Verbrecher bestraft werden, eigentlich bestehen sollen, wird eine gewisse rechtliche Präzisierung erforderlich. Juristisch ist die Unterscheidung an sich nicht schwierig zu verstehen und im Grunde sogar unentbehrlich. Jeder Krieg, auch der Angriffskrieg, ist als Krieg normalerweise ein zweiseitiger Vorgang, ein Kampf auf beiden Seiten; der Angriff dagegen ist ein einseitiger Akt. Die Frage nach dem Recht oder Unrecht des Krieges, auch eines Angriffskrieges, im Ganzen bedeutet etwas völlig anderes als die Frage nach dem Recht oder Unrecht eines bestimmten Angriffsaktes, mag dieser Angriffsakt nun zu einem Kriege führen oder noch rechtzeitig gestoppt werden. Angriff oder Verteidigung sind nicht absolute, moralische Begriffe, sondern situationsbestimmte Vorgänge. Allerdings wird dieser Sachverhalt oft unbewußt dadurch verschleiert, daß nach englischem Sprachgebrauch unter dem „aggressor" der „Verletzer" verstanden und mit dem „offender" identisch wird. So heißt es z. B. in Blackstone's Commentaries of the Laws of England: „And indeed, as the public crime is not otherwise revenged than by forfeiture of life and property, it is impossible afterwards to make any reparation for the private wrong; which can only be had from the body of goods of the aggressor" [60]. Ebenso im Französichen: „Attaque est l'acte, le fait; agression est l'acte, le fait considéré moralement et pour savoir à qui est le premier tort." So definiert Littré's berühmtes Dictionnaire de la langue française [61]. Trotzdem aber können Angriff und Verteidigung bloße Methoden sein, die mit der Situation wechseln. In allen großen kriegerischen und nichtkriegerischen Auseinandersetzungen ist bald die eine, bald die andere Seite in der Offensive oder in der Defensive. Wer den ersten Schuß abgegeben oder zuerst die Grenze überschritten hat, d. h. wer in einem bestimmten Augenblick einer streitigen Auseinandersetzung der Angreifer ist, braucht es deshalb nicht im weiteren Verlauf der ganzen Auseinandersetzung zu bleiben. Er braucht,

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wie wir schon sagten, auch in der Sache im Ganzen nicht der Urheber, Verursacher oder Schuldige zu sein und immer unrecht zu haben. Ebensowenig braucht derjenige, der in einem bestimmten Augenblick und einer bestimmten Situation in die Defensive gedrängt ist, deshalb immer und im Ganzen recht zu haben. Wir mußten an diese sprachliche Bedeutung von Angriff und Verteidigung erinnern, weil das Verbot des Angriffs etwas anderes besagt, als das Verbot des Angriffskrieges. Ich bin in der Lage nachzuweisen, daß man ursprünglich, im 19. Jahrhundert, von dem „Verbrechen des Angriffs" als einem „crimen de l'attaque" (nicht de l'agression) sprach, wodurch* der juristische Sachverhalt deutlicher wird als im deutschen, wo Angriff sowohl die (unwertbelastete) Bedeutung von agression hat, wie auch die (wertfreie) Kategorie von „attaque" oder „attack" bezeichnet [62]. Natürlich ist beides unrecht, wenn es verboten ist. Trotzdem bleibt das Verbrechen des ersten Schusses etwas anderes als das Verbrechen des ungerechten Krieges. Wenn der Krieg als solcher rechtlich verboten werden soll, so ist damit selbstverständlich nur der ungerechte Krieg gemeint. Das Verbot des Angriffskrieges ist nur ein Fall des Verbots des ungerechten Krieges. Insbesondere muß das Recht auf Selbstverteidigung immer vorbehalten bleiben. Die Frage der Gerechtigkeit eines Krieges im Ganzen läßt sich von der Frage nach der justa causa, d. h. den Kriegsursachen und den gesamten außenpolitischen Zusammenhängen nicht ablösen. Alle Bemühungen um die Abschaffung des Krieges, von denen hier gesprochen wird — die Verhandlungen über einen Garantiepakt von 1923 [63], das Genfer Protokoll von 1924 und der KelloggPakt von 1928 [64] —, sind sofort auf den Zusammenhang der drei großen sachlichen Probleme gestoßen, die mehr politische als juristische Probleme darstellen: Sicherheit, Abrüstung und peaceful change. Unter Hinweis auf diese sachlichen Probleme hat die englische Regierung das Genfer Protokoll vom Oktober 1924 abgelehnt und damit zu Fall gebracht. In der oben bereits erwähnten ausführlichen Regierungserklärung, die Sir Austen Chamberlain am 12. März 1925 vor dem Genfer Völkerbund abgegeben hat, ist das mit aller Klarheit ausgesprochen: „The brooding fears that keep huge armaments in being have little relation to the ordinary misunderstandings inseparable from international (as from social) life — misunderstandings with which the League is so admirably fitted to deal. They spring from deeplying causes of hostility, which for historic or other reasons divide great and powerful States. These fears may be groundless; but if they exist they cannot be effectually laid by even the most perfect method of dealing with particular disputes by the machinery of enquiry and arbitration. For what is feared in such cases is not injustice but war — war deliberately undertaken for purpose of conquest or revenge" [65]. Die Frage nach dem Recht oder Unrecht eines Krieges in der Sache und nach den tieferen Zusammenhängen der Kriegsschuld führt naturgemäß zu schwierigen historischen, politischen soziologischen und moralischen Erörterungen, deren +

Auch in der französischen Sprache.

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Ende nicht abgewartet werden kann, wenn man zu einem praktischen Ergebnis kommen will. Dagegen ist die Frage nach dem Recht oder Unrecht des einzelnen Angriffsaktes leichter zu beantworten, jedenfalls dann, wenn es gelingt, den Angriffsakt als einen juristischen Tatbestand zu isolieren, ihn exakt zu bestimmen und als solchen zu verbieten. Aus dieser größeren Bestimmbarkeit des Angriffsaktes, nicht aus formalistischen Neigungen, erklären sich die jahrzehntelangen Bemühungen um eine juristisch brauchbare Definition des Angriffs und des Angreifers. Man suchte eine präzise Fixierung, um Angriff und Angreifer möglichst klar und einfach zu bestimmen; z. B. soll derjenige Angreifer sein, der zuerst zur Anwendung militärischer Gewalt schreitet, oder derjenige, der zuerst gegen die territoriale Inviolabilität des Gegners verstößt, oder der einen Krieg erklärt, ohne vorher bestimmte Fristen oder ein bestimmtes Verfahren eingehalten zu haben. Das Ideal ist hier, ein einfaches Kriterium zu finden, das sich glatt auf einen Sachverhalt anwenden läßt, so daß womöglich ipso facto offenkundig ist, wer der Angreifer ist, ohne daß der komplizierte und oft undurchdringliche, außenpolitische Sachverhalt erforscht zu werden braucht. Die Beschränkung auf den Angriffsakt ist also zweckmäßig und sogar notwendig, gerade um die schwierige Frage nach der justa causa, d. h. nach dem in der Sache gerechten Krieg und der Schuld am Kriege zu vermeiden. Die Besonderheit und Eigentümlichkeit dieser namentlich von französischen Juristen vertretenen Methode besteht demnach darin, daß ohne Rücksicht auf Recht oder Unrecht eines äußerlich befriedeten status quo zunächst einmal ein geordnetes Verfahren in Gang gebracht wird, um überhaupt den Anfang eines juristisch brauchbaren weiteren Verfahrens zu haben. Das Äußerliche und Formalistische dieser Methode wird in Kauf genommen, um den Angriffsakt und die Gewaltanwendung so schnell wie möglich zu stoppen und den Ausbruch des Krieges selbst zu verhindern. Es handelt sich, mit anderen Worten, um einen provisorischen Besitzschutz, ein interdictum uti possidetis [66]. Der momentane Besitzstand wird zunächst einmal rechtlich geschützt, ohne Rücksicht darauf, ob er in der Sache Recht oder Unrecht ist, und ohne Rücksicht darauf, ob der Angreifer vielleicht ein gutes Recht oder auch nur moralische Ansprüche auf eine Änderung der momentanen Lage hat. Schon in Art. 10 des Genfer Paktes hatten die Mitglieder der Liga einen Schutz gegen eine solche „Aggression" vereinbart [67]. Das sollte natürlich im Endergebnis der Verhütung des Krieges dienen, aber der Tatbestand des „Angriffs" war doch von dem eines „Krieges" deutlich genug unterschieden. In dem bereits genannten Art. 16 des Paktes war bestimmt, daß die Mitglieder der Liga wirtschaftliche, finanzielle und militärische Sanktionen gegen ein Mitglied treffen werden, das „zum Kriege schreitet" (resort to war). Hier steht zwar das Wort „Krieg" und nicht „Angriff 4 , aber es wurde schnell offensichtlich, daß das Wort „Krieg" hier nicht Krieg, sondern Angriff bedeutete, weil es ja gerade darauf

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ankam, den Krieg zu vermeiden und den Angriff zu stoppen, bevor es zum Kriege kam. Der Angriff mußte sich schon deshalb als ein selbständiger Tatbestand vom Krieg juristisch absetzen, weil die vertraglichen Verpflichtungen zu Sanktionen und zum Beistand, die sich auf den Angriff beziehen, eintreten sollten, ohne daß der Krieg selbst abgewartet werden mußte. Besonders nach dem Locarno-Pakt von 1925 [68] und nach den zahlreichen Nichtangriffspakten, die auch Nichtmitglieder der Liga, wie damals die Sowjetunion, seit dieser Zeit abgeschlossen haben [69], mußte die juristische Besonderheit des Angriffsaktes gegenüber dem Angriffskrieg wenigstens den Diplomaten und den Juristen zum Bewußtsein kommen. Auf der Abrüstungskonferenz 1932-1934 haben sich die Diskussionen über die Definition von Angriff und Angreifer durch den Bericht des griechischen Delegierten und Berichterstatters Politis [70] und durch einen sowjetrussischen, von dem Außenkommissar Litwinow [71] vertretenen Deklarationsentwurf noch außerordentlich erweitert und vertieft. Aber der rechtliche Kern der großen Frage ist immer unverändert der gleiche geblieben. Es handelt sich hier um Dinge, die jedem Juristen des Völkerrechts durchaus bekannt, aber der öffentlichen Meinung breiter Schichten ebenso unbekannt und fremd sind. Doch scheint es mir notwendig, an den praktischen Sinn dieser Unterscheidung von Angriff und Angriffskrieg zu erinnern, weil hier gleichzeitig der tiefgreifende Unterschied zwischen einer rein juristischen und einer rein politischen Denkweise zutage tritt. Man darf vor allem nicht außer Acht lassen, daß das Verbot des Angriffsaktes, mit allen den vielen, umständlichen Kompromissen und Bemühungen um eine Definition von Angriff und Angreifer, zwar im Ergebnis der Verhütung eines ungerechten Krieges dienen soll, zunächst aber mit vollem Bewußtsein von der Gerechtigkeit des Krieges selbst und von der justa causa abstrahiert. Einer der ersten und angesehensten Vorkämpfer für eine friedliche Regelung aller völkerrechtlichen Streitigkeiten, Lord Robert Cecil [72], der Urheber eines wichtigen Entwurfs für einen Garantievertrag (1923), hat den Unterschied mit größter Deutlichkeit formuliert. Er legt die Notwendigkeit einer schnellen und einfachen Bestimmung des Angreifers dar. Der Angreifer soll durch den Rat der Genfer Liga mit einer Mehrheit von Dreiviertel der Stimmen festgestellt werden. Der abzuschließende Garantievertrag soll denjenigen als Angreifer bezeichnen, der absichtlich und mit Vorbedacht das Gebiet eines anderen verletzt. Dann betont der berühmte englische Vorkämpfer des Friedens: „La question à trancher par le Conseil n'est pas de savoir où est le bon droit dans le litige, mais de savoir qui a commis le premier acte d'hostilité. Le traité spécifiera à cet effet que tout Etat qui violera de propos délibéré le territoire d'un autre Etat sera considéré comme l'agresseur" [73]. Ein Jurist wird es leicht verstehen, daß auf solche Weise die präzise Definition des Angriffs von der Frage des in der Sache gerechten Krieges gänzlich und absichtlich getrennt wird. Der Unterschied eines Possessoriums von einem Petitorium ist der juristischen Denkweise gebildeter Völker seit Jahrhunderten geläufig [74]. Das Gleiche gilt für die Trennung eines sogenannten abstrakten oder forma-

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len Rechtsvorganges von seiner causa. Erst recht wird ein Jurist solche Unterschiede beachten, wenn die Präzisierung eines Tatbestandes beabsichtigt ist, der nicht nur wirtschaftliche und militärische Sanktionen gegen einen Staat als solchen, sondern kriminalrechtliche Strafdrohungen gegen bestimmte Menschen zur Folge haben soll, wenn es sich also um eine echte Pönalisierung handelt, bei der auf den Satz „nullum crimen" und den „due process of law" geachtet wird. Aber das große Problem des Krieges beschäftigt nicht nur Juristen, sondern auch die öffentliche Meinung breiter Kreise und große Massen, und diese empfinden die juristischen Bemühungen als einen künstlichen Formalismus oder sogar als eine sophistische Ablenkung von der eigentlichen großen Aufgabe [75]. Das Dilemma zwischen einer juristischen und einer politischen Denkart zeigt sich hier in einer besonders schwierigen und gefährlichen Weise. Einerseits ist die juristische Präzisierung notwendig, wenn das große Ziel einer Pönalisierung des Krieges wirklich erreicht werden soll, andererseits tritt das (gerade von den breiten Massen stark empfundene) sachliche Recht oder Unrecht und die Schuld am Kriege zurück und bleiben die tieferen Kriegsursachen, z. B. die allgemeine Aufrüstung und der Mangel an Sicherheit, bei solchen Definitionen des Angreifers absichtlich außer Betracht. Das Dilemma zwischen einer juristisch-formalen Behandlung des Kriegsverbotes, wie sie dem Genfer Protokoll von 1924 entspricht, und einer politisch-moralisch-sachlichen Lösung der großen Probleme der Kriegsursachen, wie Aufrüstung und Sicherheit, wurde immer heftiger. In der Anwendung auf ein so ungeheures Problem wie das des Krieges steigerte es sich zu einem wahren Alpdruck. In diesem Dilemma hatte der einfache Staatsbürger in einer chaotischen Situation wie derjenigen Europas von 1919 bis 1939 das Gefühl, daß die Verbote des Krieges und die Erklärung des Krieges zum Verbrechen an schwierige juristische Vorbehalte geknüpft sind, nicht aber die elementar einfache Beseitigung der Kriegsgefahr selbst bedeuten. Das ist die große Erfahrung, die alle europäischen Völker, Revisionisten wie Anti-Revisionisten, in der Zeit von 1919 bis 1939 gemacht haben. An ihr sind alle Bemühungen des Genfer Protokolls gescheitert. Die bereits genannte amtliche Erklärung der englischen Regierung vom 12. März 1925, die das Genfer Protokoll zu Fall gebracht hat, spricht diese Schwierigkeit und dieses Dilemma offen aus. Sie weist insbesondere darauf hin, daß bei solchen „papiernen" Definitionen des Angreifers nicht unterschieden werden kann, ob militärische Aktionen einem Verteidigungszweck dienen oder nicht. „It may be desirable to add that, besides the obvious objections to those clauses already indicated, their great obscurity, and the inherent impossibility of distinguishing, in any paper definition, military movements genuinely intended for defence, and only for defence, from movements with some ulterior aggressive purpose, must always make them a danger to the unwary rather than a protection to the innocent. They could never be accepted as they stand" [76]. In dieser englischen Regierungserklärung wird ferner gesagt, daß solche formalen Bestimmungen des Angriffs und des Angreifers die Lösung des eigentlichen

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Problems, dem der Ursachen des Krieges, besonders der Abrüstung, nicht beschleunigen, sondern eher verhindern, weil sie Vorbereitungen zum Kampf gegen einen möglichen Angreifer notwendig machen und infolge der Pflicht zum Beistand eine Ausdehnung des Krieges eintritt, was namentlich dann gefährlich wird, wenn der Beistand sich gegen solche Nichtmitglieder des Genfer Völkerbundes richtet, deren ökonomische Widerstandskraft nicht gering ist [77]. Das Genfer Protokoll mit seinem Ideal eines automatischen Verbots eines Angriffs mußte von dem damaligen territorialen status quo ausgehen und dadurch in den heftigen Streit zwischen Revisionismus und Anti-Revisionismus hineingeraten. Um das zu vermeiden, haben gerade englische Pazifisten sich bemüht, das Problem einer friedlichen Änderung, eines peaceful change, in den Mittelpunkt der Erörterung zu stellen, um auf diese Weise nicht nur eine formal-juristische, sondern auch sachlich-politische Verhinderung des Krieges durch Beseitigung der Kriegsursachen zu bewirken. Der allgemeine, wenigstens in Europa durchaus herrschende Eindruck jener formalen Bemühungen des Genfer Paktes spricht sich in dem bekannten Satze aus, daß derartige formale Definitionen des Angriffs und des Angreifers „zum Wegweiser für den Schuldigen und zum Fallstrick für den Unschuldigen" werden +[78]. In diesem viel zitierten Wort kommt das tiefe Dilemma zwischen den juristischen Bemühungen um ein rechtliches Verbot des Angriffs und den politischen Forderungen einer sofortigen Abschaffung des Krieges am besten zum Ausdruck [79]. Das Genfer Protokoll von 1924 ist daran gescheitert, daß es die sachlichen Zusammenhänge der Frage des gerechten Krieges nicht beantwortete und nicht einmal beantworten wollte. Der Eindruck, den dieser Mißerfolg auf die Ansichten der europäischen Völker und Regierungen machte, namentlich der Eindruck der englischen Regierungserklärung vom 12. März 1925, war sehr groß. Er hat es verhindert, daß sich in Europa die rechtliche Überzeugung von der Entstehung eines neuen internationalen Verbrechens festigen konnte. Die amerikanischen Beförderer einer „outlawry of war" [80] haben sich aber durch den Mißerfolg nicht beirren lassen und 1928 in dem Kellogg-Pakt eine förmliche Kondemnation, eine „Verurteilung des Krieges als Mittel der nationalen Politik" erreicht. Wir haben nunmehr zu prüfen, ob dieses „condemn the war" des Kellogg-Paktes als eine kriminalrechtliche Pönalisierung im Sinne des Satzes „nullum crimen, nulla poena" anzusehen ist. 2. Der Kellogg-Pakt vom 27. August 1928 [81] ist eine in mancher Hinsicht typisch amerikanische Antwort auf die Frage nach der Beseitigung des Krieges, ein amerikanischer Rückschlag auf den europäischen Mißerfolg des Genfer Protokolls von 1924. Man kann in der juristisch-formalen Methode des Genfer Proto+

Die Formulierung stammt aus einer Rede Sir Austen Chamberlain's im House of Commons vom 24. November 1927; der entscheidende Satz lautet: „ I therefore remain opposed to this attempt to define the aggressor, because I believe that it will be a trap for the innocent and a sign-post for the guilty".

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kolls den typischen Ausdruck einer kontinental-europäischen Denkweise finden. Die vorhin zitierte Erklärung Sir Austen Chamberlains vom 12. März 1925 — mit ihrem starken Hinweis auf das Problem der Rüstung und der wahren Kriegsursachen — ist ein Dokument der englischen Haltung. Der Kellogg-Pakt aber ist aus der amerikanischen outlawry-Bewegung hervorgegangen, die von S. O. Levinson begründet [82], in einer von dem Senator Borah am 12. Dezember 1927 im Kongreß eingebrachten Resolution ihren Standpunkt authentisch formuliert hat [83]. Dort heißt es, daß der Genius der Zivilisation nur zwei Methoden der Regelung menschlicher Streitigkeiten entdeckt hat, nämlich Recht und Krieg, daß der Krieg bei dem heutigen Stande der Zivilisation eine Barbarei ist, daß Bedürfnisse, Bünde und Pläne, die sich auf den Krieg als Möglichkeit der Erzwingung des Friedens stützen, eine freiheitsfeindliche Militärherrschaft herbeiführen, der Krieg daher in Acht und Bann getan und gleichzeitig in der Form eines internationalen Gerichtshofes ein jurisdiktioneller Ersatz für den Krieg geschaffen werden müsse, dessen Urteile durch die zwingende Macht einer aufgeklärten öffentlichen Meinung vollstreckt werden, ohne Krieg, ähnlich wie die Urteile des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten von Amerika. Diese Resolution des Senators Borah zeigt nicht nur, in welchem Maße die Vorstellungen von der Methode zur Herbeiführung des Friedens und zur Abschaffung des Krieges verschieden waren. Sie zeigt vor allem auch die großen Verschiedenheiten in der Bewußtseinslage Amerikas und Europas. Die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten von Amerika war stark und mächtig; in Europa war sie geteilt und zerrissen. Seit dem Rückzug des Präsidenten Wilson aus Europa, dem entscheidenden Ereignis der europäischen Geschichte von 1919 bis 1939, gab es für das Bewußtsein der europäischen Völker keine schiedsrichterliche Autorität mehr. Die Autorität eines internationalen Gerichtshofes, von dessen Errichtung der Senator Borah die Abschaffung des Krieges abhängig machte, erschien dem damaligen Europa nur als eine kühne Hoffnung, nicht als eine Verwirklichung der allgemeinen Abrüstung und anderer Voraussetzugen des Friedens. Vor allem aber war die öffentliche Meinung der europäischen Regierungen und Völker daran gewöhnt, nicht so sehr auf die öffentliche Meinung, sondern auf die offizielle Haltung der Vereinigten Staaten von Amerika zu achten. Das ist für die Beurteilung des Kellogg-Paktes wichtig. Der Kellogg-Pakt ist nämlich mit der Resolution Borah nicht identisch. Er wird zwar oft als „Kriegsächtungspakt" bezeichnet und dementsprechend aufgefaßt, enthält aber nicht das Wort „outlawry". Andererseits bewegt er sich auch nicht auf den juristischen Bahnen des Genfer Protokolls. Er spricht nicht vom Angriff, sondern von einer Kondemnierung des Krieges selbst, verzichtet also auf die juristischen Vorteile, die das Genfer Protokoll in einer Beschränkung auf das Verbot des Angriffs gesucht hatte. Für den Krieg selbst gibt er keine Definition. Das ist für die damalige Bewußtseinslage Europas nicht gleichgültig. Während eine präzise juristische Definition des Angriffsaktes immerhin möglich und

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erreichbar schien, wurde eine juristische Definition des Krieges, die als Grundlage einer echten Pönalisierung gelten konnte, seit 1919 für das europäische Bewußtsein immer schwieriger und problematischer. Die Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen im Januar 1923 wurde selbstverständlich nicht als Krieg behandelt. Aber auch die Besetzung Korfus durch Italien im August 1923 galt nicht als kriegerischer Akt oder auch nur als ein Angriff, der das Sanktionsverfahren des Art. 16 der Völkerbund-Satzung in Gang gebracht hätte. Die Begriffe von Krieg, militärischen Repressalien, Sanktionen und friedlichen Zwangsmaßnahmen, drohten sich ineinander aufzulösen. Als Japan, damals noch Mitglied der Genfer Liga und sogar ständiges Mitglied ihres Rates, 1931 große Gebiete in Ostasien besetzte, als es dort zu den großen Schlachten um Schanghai kam [84], wollte man darin kein „resort to war" sehen. Ein berühmter Vorkämpfer des Pazifismus, Professor Hans Wehberg in Genf, hat damals in einem Aufsatz der führenden pazifistischen Zeitschrift „Die Friedenswarte" im Januar 1932 mit vielen Argumentationen bewiesen, daß von einem Krieg Japans im juristischen Sinn keine Rede sein könne, sondern nur von friedlichen Maßnahmen, die von Schlachten größeren oder kleineren Umfangs begleitet seien [85]. Professor Hans Wehberg hat diese Auffassung einige Jahre später ausdrücklich zurückgenommen [86]. Er soll hier auch nicht etwa darauf festgelegt werden. Aber als Symptom der Verwirrung des völkerrechtlichen Kriegsbegriffs kann diese Äußerung nicht unerwähnt bleiben. Wenn ein aufrichtiger Pazifist, der seit Jahrzehnten in der ersten Linie der Bemühungen um die Abschaffung des Krieges steht und dem als wissenschaftlichem Juristen eine Objektivität der Betrachtung möglich ist, wie sie dem aktiven Staatsmann und Politiker im allgemeinen nicht zur Verfügung steht, wenn also ein führender Jurist und Pazifist eine derartige Unsicherheit der wesentlichen rechtlichen Begriffe bekundet, welche Unsicherheit und Verwirrung in rechtlicher Hinsicht wird man dann erst bei den politisch erregten Völkern und in deren öffentlicher Meinung erwarten dürfen? Sowohl gegenüber den juristischen Definitionen des Genfer Protokolls von 1924 wie auch gegenüber der englischen Ablehnung dieses Protokolls vom März 1925 enthält der Kellogg-Pakt vom 27. August 1928 den Vorzug der Einfachheit. Er verzichtet sowohl auf eine Begriffsbestimmung des Angriffs wie auf eine Begriffsbestimmung des Krieges, wie auf eine Erwähnung der Kriegsursachen. Der Krieg, soweit er ein Mittel der nationalen Politik ist, wird kondemniert [87]. Selbstverständlich sollte diese Kondemnation aber nur den unter Verletzung des Kellogg-Paktes geführten Krieg, nur den ungerechten Krieg, treffen. Das Wort „Krieg" wird ohne nähere Bestimmung gebraucht, obwohl gerade durch den Genfer Völkerbunds-Pakt von 1919 und durch das Genfer Protokoll von 1924 das große Dilemma zwischen dem juristischen Verbot eines Angriffsaktes und dem politischen Verbot des Krieges selbst in aller Schärfe aufgerissen war. Das Wort „to condemn" im Text des Kellogg-Paktes wurde von den Juristen der europäischen Regierungen sofort unter dem Gesichtspunkt der Frage betrachtet, worin die exakte rechtliche Verpflichtung, der sich die Signaturstaaten des Paktes

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unterwarfen, bestand. Enthielt sie nur einen vertraglichen Verzicht der Staaten auf den Krieg als Mittel der nationalen Politik oder eine völlige Ächtung (outlawry) des Krieges? Ein bloßer Verzicht ist natürlich noch keine Pönalisierung des Sachverhaltes „Krieg". Die in Europa herrschende Auffassung des KelloggPaktes hielt sich an den anerkannten Vorbehalt, daß der Kellogg-Pakt dem Pakt der Genfer Liga nicht widersprechen dürfe. Schon deshalb konnte er nur ein Verzicht auf den Krieg sein. Das Wort »Ächtung" (outlawry) kommt, wie schon gesagt, im Kellogg-Pakt nicht vor. Aber selbst wenn das Wort gebraucht worden wäre, so hätte es doch für die Denkweise eines kontinental-europäischen Juristen, ebensowenig wie die entsprechenden Wendungen des Genfer Protokolls von 1924, noch keine Pönalisierung bewirkt. Die kontinental-europäische Denkweise verlangt bestimmte Festsetzungen hinsichtlich Tatbestand, Täter, Strafdrohung und Strafgericht. Sie kennt keine allgemeine outlawry, wenigstens keine Friedloslegung im Sinne des primitiven und des mittelalterlichen Rechts. Eine outlawry kann sich, wenn sie juristisch durchgeführt werden soll, nur auf bestimmte Menschen beziehen, die einen bestimmten Tatbestand erfüllt haben. Eine outlawry bestimmter Menschen aber kennt das moderne Recht eigentlich nur in einem einzigen Fall, nämlich dem der Piraterie. Der Pirat ist allerdings völkerrechtlich outlaw. Das bedeutet aber in der heutigen Praxis nichts anderes, als daß er von dem staatlichen Gericht jedes Staates in einem bestimmten Verfahren abgeurteilt werden kann, ohne Rücksicht auf sonstige Grenzen der staatlichen Gerichtsbarkeit. Darauf werde ich bei der Erörterung des Täterbegriffs (unter III. 3., S. 62 + ) noch zurückkommen. Auch die Parallele der Begriffe von Krieg und Piraterie ließ sich jedoch juristisch nicht durchführen, denn jene Kondemnierung des Krieges im KelloggPakt war nicht absolut, in dem Sinne einer bedingungslosen Abschaffung des Krieges ohne Rücksicht auf gerechte und ungerechte Kriege. Die Geschichte des Völkerrechts kennt Fälle der Abschaffung bestimmter Rechtsinstitute. Die Pariser Seerechts-Deklaration vom 16. April 1856 z. B. schafft die Kaperei ab, mit den Worten: „La course est et demeure abolie" [88]. Die Rechtsgeschichte kennt ferner die Abschaffung der Sklaverei als eines Rechtsinstituts. Der Kellogg-Pakt von 1928 sagt aber nicht etwa „La guerre est et demeure abolie". Er kondemniert nur eine bestimmte Art des Krieges, den er dadurch als einen ungerechten Krieg voraussetzt, während er den gerechten Krieg eben dadurch sogar sanktioniert. Der Kellogg-Pakt erklärt nicht etwa in einem radikal-pazifistischen Sinne jeden Krieg als solchen für ein Verbrechen. Der gerechte Krieg ist nach wie vor nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. So war für das Rechtsbewußtsein der europäischen Völker der Krieg nicht abgeschafft, sondern als ein möglicherweise gerechter Krieg von neuem anerkannt. Eine Aufrüstung blieb infolgedessen durchaus erlaubt, ja sogar notwendig. Es blieb die ganze Problematik, die mit der Unterscheidung von gerechtem und ungerechtem Krieg gegeben war und damit auch +

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das Dilemma zwischen einem präzisen juristischen Verbot auf der einen und einer mit allen Vorbehalten belasteten allgemeinen Kondemnierung des Krieges auf der anderen Seite. Der Kellogg-Pakt ist ein Pakt ohne Definitionen, ohne Sanktionen und ohne Organisationen. Darüber, daß der Krieg ein Unheil ist, wird man sich grundsätzlich schnell einig werden. Aber solange es kein sicheres und gut funktionierendes Verfahren zur sofortigen Feststellung der Gerechtigkeit des einzelnen konkreten Krieges gab, mußte sich in einem von Waffen starrenden chaotischen Europa jeder Staat auf den Krieg einrichten und an der allgemeinen Aufrüstung beteiligen. Jeder Staat mußte insbesondere daran festhalten, daß er in einer solchen Situation die Frage nach der Gerechtigkeit des Krieges für sich selber und auf eigene Gefahr entschied. Auch beim Kellogg-Pakt ist immer wieder der Vorbehalt betont worden, daß jeder einzelne Staat über sein Selbstverteidigungsrecht selber entscheidet. In der Note der U.S.A. an die übrigen Staaten vom 23. Juni 1928 ist ausdrücklich gesagt: „There is nothing in the American draft on an antiwar treaty which restricts or impairs in any way theright of self-denfense. Thatright is inherent in every sovereign state and is implicit in every treaty. Every nation is free at all times and regardless of treaty provisions to defend its territory from attack or invasion and it alone is competent to decide whether circumstances require recourse to war in self-defense" [89]. Daß der Kellogg-Pakt keine, nicht einmal eine moralische Verpflichtung zu einer Strafaktion gegen den Aggressor enthält, hat der Staatssekretär Kellogg selbst vor dem Committee on Foreign Relations des amerikanischen Senates am 7. Dezember 1928 mit folgenden Worten erklärt: „But how there can be a moral obligation for the United States to go to Europe to punish the aggressor or punish the party making war, where there never was such a suggestion made in the negotation, where nobody agreed to it, and where there is no obligation to do it, is beyond me. I cannot understand it. As I see it, we have no more obligation to punsih somebody for breaking the antiwar treaty than for breaking any one of the other treaties which we have agreed to [90]". Der Vorsitzende dieses Committee on Foreign Affairs, Senator Borah [91], erklärte vor dem Senat am 3. Januar 1929 wörtlich: „The treaty is not founded upon the theory of force or punitive measures at any place or at any time . . . There are no sanctions; the treaty rests in a wholly different philosophy . . . In other words, when the treaty is broken the United States is absolutely free. It is just as free to choose its course as if the treaty had never been written" [92]. In dem Bericht, den das Committee am 15. Januar 1929 dem Senat vorlegte, heißt es mit Bezug auf Sanktionen und Strafmaßnahmen: „The committee further understands that the treaty does not provide sanctions, express or implied. Should any signatory to the treaty or any nation adhering to

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the treaty, violate the terms of the same, there is no obligation, or commitment, express or implied, upon the part of any of the other signers of the treaty, to engage in punitive or coercive measures as against the nation violating the treaty. The effect of the violation of the treaty is to relieve the other signers of the treaty from any obligation under it with the nation thus violating the same" [93]. In der französischen Kammer erklärte Briand am 1. März 1929: „II leur eût été impossible de mener à bon terme la conclusion d'un contrat aussi parfait que vous le pourriez souhaiter, contre la guerre, avec une organisation arbitrale et des sanctions" [94]. Staatssekretär Stimson sagte am 8. August 1932 vor dem Council of Foreign Relations, daß der Kellogg-Pakt keine andere Sanktion als eine Verurteilung durch die öffentliche Meinung enthalte: „The Briand-Kellogg-Pact provides for no sanctions of force. It does not require any signatory to intervene with measures of force in case the Pact is violated. Instead it rests upon the sanction of public opinion, which can be made one of the most potent sanctions of the world. Any other course, through the possibility of entangling the signatories in International politics, would have confused the broad, simple aim of the treaty and prevented the development of that public opinion upon which it most surely relies. Public opinion is the sanction which lies behind all international intercourse in time of peace" [95]. Uns interessiert hier die Frage, ob ein solcher Pakt ohne Definitionen, ohne Sanktionen und ohne Organisation [96], der nur auf eine moralische Verurteilung durch die öffentliche Meinung angelegt ist, bereits die rechtliche Grundlage für eine kriminelle Bestrafung bestimmter Menschen wegen einer völlig neuen Art von internationalem Verbrechen sein kann, unter dem Gesichtspunkt des Satzes „nullum crimen, nulla poena sine lege" und im Hinblick der Erfordernisse eines „due process of law". Das wird man nach den genannten Erklärung nicht annehmen können, umsoweniger als dort nur von Staaten oder Nationen die Rede ist, wie ja auch das Genfer Protkoll seine Sanktionen nur gegen den Angreifer-Staat als solchen richtete. Dem Kellogg-Pakt sind außerdem während seiner Entstehung und bei seiner Unterzeichnung so viele fundamentale Vorbehalte beigefügt worden, daß er auch aus diesem Grunde schwerlich als eine pönalisierende Norm strafrechtlicher Art gelten kann. Alle Signaturstaaten haben solche Vorbehalte teils ausdrücklich, teils stillschweigend gemacht und dadurch die Kondemnierung des Krieges unter wesentliche Bedingungen gestellt [97]. Bereits zu Beginn der Verhandlungen hatte die französische Regierung in ihrer Note vom 21. Januar 1928 in aller Form erklärt, daß sie dem Verzicht auf den Krieg nur dann zustimmen könne, wenn der Kellogg-Pakt keinen Widerspruch zu den Verpflichtungen des Genfer Paktes enthalte [98]. In einer Note vom 26. März 1928 fügte sie einen weiteren Vorbehalt hinzu, indem sie den Verzicht auf den Krieg von der Wahrung des Rechtes auf Selbstverteidigung abhängig machte und betonte, daß der Unterzeichner des Kellogg-Paktes nicht mehr an den Vertrag gebunden sei, wenn der Gegner

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seine Verpflichtungen und den Vertrag verletze [99]. Die Vorbehalte wurden in der amerikanischen Begleitnote vom 23. Juni 1928 [100], die dem revidierten Vertragsentwurf beigegeben wurde, ausdrücklich erwähnt. Andere Staaten haben zahlreiche andere Vorbehalte gemacht, England insbesondere neben dem Vorbehalt der Sicherheit der Verkehrswege des Britischen Weltreiches auch denjenigen der nationalen Ehre [101]. Die Einzelheiten dieser Vorbehalte sind in der Kritik des Völkerbundes, namentlich auch von angesehenen amerikanischen Autoren (Edwin Borchard und William Potter Lage), in gründlicher Weise erörtert worden [102]. Uns kommt es hier nicht auf eine Kritik des Kellogg-Paktes an, sondern auf die Frage, wie weit eine mit solchen Vorbehalten belastete Abmachung eine seit Jahrhunderten bestehende rechtliche Überzeugung beseitigen und die rechtliche Grundlage für eine kriminelle Bestrafung unpolitischer Staatsbürger abgeben kann, und zwar nicht etwa in der Meinung einiger seiner Urheber, sondern in der Auffassung der breiten Schichten europäischer Völker und bei dem damaligen Zustand des international-rechtlichen Bewußtseins von 1928 bis 1939. Der Kellogg-Pakt war nicht nur eine mit starken Vorbehalten versehene Regelung ohne Definition, ohne Sanktion und ohne Organisation; er stand, von anderen Vorbehalten abgesehen, auch noch unter dem Vorbehalt der Bestimmungen des Paktes der Genfer Liga. Infolgedessen erhob sich das Problem der Anpassung der beiden Pakte. Eine Resolution der 12. Bundesversammlung vom 25. September 1931 beschloß, eine Kommission aus Repräsentanten aller Mitglieder der Genfer Liga zu konstituieren, die sich im Laufe der Abrüstungs-Konferenz versammeln und Vorschläge machen sollte [103]. Diese Kommission ist nie zusammengetreten. Die Frage der Anpassung des Kellogg-Paktes an die VölkerbundSatzung wurde seit dieser Resolution von Jahr zu Jahr vertagt. Dagegen hat eine nichtamtliche Vereinigung, die International Law Association, auf ihrer 38. Konferenz in Budapest im September 1934 eine Reihe von „Artikeln zu einer Interpretation des Kellogg-Paktes" beschlossen [104]. Diese Artikel sind in der amerikanischen öffentlichen Meinung vielfach als authentische und positive, völkerrechtlich maßgebende Sätze behandelt worden. Der Gegensatz einer amtlich, offiziellen Stellungnahme und eines nichtamtlichen, privaten Vorschlages — ein Gegensatz, auf den wir immer von neuem stoßen — wird auch an dieser Stelle bedeutungsvoll. Es kann zu vielen Mißverständnissen führen, wenn die europäische juristische Denkweise mit den Überzeugungen amerikanischer Juristen zusammenstößt. Die Budapester Artikel sind in den Entwurf einer Convention betreffend „Rights and Duties of States in case of aggression" hineingearbeitet, den die Harvard-Universität 1939 veröffentlicht hat [105]. Der amerikanische Staatssekretär Stimson hat am 30. Januar 1941 bei seiner Vernehmung vor dem Foreign Committee des amerikanischen Senats auf diese Artikel verwiesen und sie als eine Art authentischer positiv-maßgebender Interpretation des Kellogg-Paktes behandelt [106]. Besonders in der fundamentalen Frage, ob das

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alte Völkerrecht der Neutralität im Kriege durch den Kellogg-Pakt aufgehoben ist, werden diese Budapester Artikel als entscheidender Beweis für [die] Beseitigung des alten Begriffes der Neutralität oft zitiert. Das alte Neutralitätsrecht machte keinen Unterschied zwischen gerechtem und ungerechtem Krieg. Infolgedessen ist eine völkerrechtliche Pönalisierung des Angriffskrieges unmöglich, solange an dem alten Neutralitätsrecht festgehalten wird. Bei der großen Bedeutung dieser ganzen Angelegenheit füge ich hier den vollständigen Text der Budapester Artikel ein: „Whereas the Pact is a multilateral law-making treaty whereby each of the High Contracting Parties makes binding agreements with each other and all of the other High Contracting Parties, and Whereas by their participation in the Pact sixty-three States have abolished the conception of war as a legitimate means of exercising pressure on another State in the pursuit of national policy and have also renounced any recourse to armed force for the solution of international disputes or conflicts: (1) A signatory State cannot, by denunciation or nonobservance of the Pact, release itself from its obligations thereunder. (2) A signatory State which threatens to resort to armed force for the solution of an international dispute or conflict is guilty of a violation of the Pact. (3) A signatory State which aids a violating State thereby itself violated the Pact. (4) In the event of a violation of the Pact by a resort to armed force or war by one signatory State against another, the other States may, without thereby committing a breach of the Pact or of any rule of International Law, do all or any of the following things: (a) Refuse to admit the exercise by the State violating the Pact of belligerent rights, such as visit and search, blockade, etc.; (b) Decline, to observe towards the State violating the pact the duties prescribed International Law, apart from the Pact, for a neutral in relation to a belligerent; (c) Supply the State attacked with financial or material assistance, including munitions of war; (d) Assist with armed forces the State attacked. (5) The signatory States are not entitled to recognize as acquired de jure any territorial or other advantages de facto by means of a violation of the Pact. (6) A violating State is liable to pay compensation for all damage caused by a violation of the Pact to any signatory State or to its nationals. (7) The Pact does not affect such humanitarian obligations as are contained in general treaties, such as The Hague Conventions of 1899 and 1907, the Genevea Conventions of 1864, 1906 and 1929, and the International Convention relating to the Treatment of Prisoners of War, 1929." Selbst diese Budapester Artikel sprechen nur vom „violating State". Auch ihnen gegenüber bleibt die Frage bestehen, ob sie eine Pönalisierung des Angriffskrieges mit Bezug auf bestimmte Menschen im Sinne des Satzes „nullum crimen"

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enthalten. Ein Jurist der europäisch-kontinentalen Denkweise würde das wohl verneinen. Im übrigen wäre es jedem europäischen Juristen selbstverständlich, daß eine solche Interpretation der International Law Association vom Jahre 1934, die damals zu keiner offiziellen Stellungnahme einer Regierung Anlaß gegeben hat, nach Ausbruch des Krieges nicht im Sinne einer positiv geltenden, alle Staaten bindenden und sogar die Staatsbürger unmittelbar verpflichtenden Regel angesehen werden kann [107]. Aus den vorhin zitierten Erklärungen, aus denen sich ergibt, daß der Kellogg-Pakt unmißverständlich als ein Pakt ohne Sanktionen abgeschlossen worden ist, würde ein europäischer Jurist den Schluß ziehen, daß nach Ausbruch des Krieges eine ex-post-facto-Einführung von Sanktionen irgendwelcher Art unzulässig ist. Das muß auf jeden Fall für Sanktionen kriminalrechtlicher Art gelten. Freilich wird wahrscheinlich gerade an diesem Punkte der vorhin erwähnte, immer wieder auftauchende Gegensatz akut werden, der die Denkweise der westlichen Hemisphäre von der des alten Europa trennt. Es wäre aber, auch wenn diese Denkweise sich durchsetzt, doch wohl ein Unrecht, den einzelnen Angehörigen eines europäischen Staates in diesen Gegensatz hineinzuziehen und auf dieser zwiespältigen Grundlage zu einem kriminellen Verbrecher zu machen. Auch hier sei nochmals wiederholt, daß es sich nur um den Angriffskrieg als internationales Verbrechen, nicht um die Beteiligung an atrocities oder Kriegsverbrechen im alten Sinne handelt. Wie wenig das Problem des neuen Verbrechens für das Rechtsbewußtsein der Völker entschieden war, zeigte sich schließlich auch darin, daß in der bisherigen Diskussion des Krieges als Verbrechen noch nicht einmal geklärt wurde, ob der Angriffskrieg als Verbrechen ein politisches oder ein gemeines Verbrechen sein soll. Der Begriff des politischen als eines besonderen, vom gemein-kriminellen verschiedenen Verbrechens ist jedem Juristen geläufig. Er hat im innerstaatlichen Recht zu einer Reihe von Sonderbildungen geführt, die sich z. B. verfassungsrechtlich an die Ministeranklage oder an das Problem einer „bill of attainder" anschließen. Völkerrechtlich ist die besondere Behandlung politischer Verbrechen im Asyl- und im Auslieferungsrecht bekannt [108]. Wenn der Krieg, der ein hochpolitischer Vorgang ist, zum Verbrechen erklärt wird, muß auch die Frage geklärt werden, ob dieses Verbrechen ein politisches Verbrechen in dem eben erwähnten besonderen Sinne ist oder nicht. Für alle Fragen des Tatbestandes, des Täters und seiner Beurteilung und schließlich auch für das Verfahren müßte sich der politische Charakter des neuen Verbrechens auswirken. So umfangreich die Diskussion über den Kellogg-Pakt und die Kriminalisierung des Krieges ist, so habe ich doch bisher noch keine Erörterung dieser wichtigen Frage gefunden. So ist es nicht schwer, einen Juristen des kontinental-europäischen Rechts davon zu überzeugen, daß der Kellogg-Pakt mit seinem Mangel an Definitionen, Sanktionen und Organisation, mit seinen Vorbehalten und seiner Beziehung zum Genfer Völkerbundspakt und schließlich mit seiner Verwendung der öffentlichen Meinung als wesentlicher Sanktion keine Rechtsgrundlage für die kriminelle 4 Quaritsch

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Bestrafung wegen eines neuartigen Verbrechens ist. Aber gerade hier ist die Verständigung mit amerikanischen Juristen außerordentlich erschwert, weil sich hier alle die Gegensätze häufen, von denen in unserer Darlegung immer wieder gesprochen werden mußte: die Gegensätze juristischer und moralischer, juristischer und politischer, positiver und vernunftrechtlicher Denkweise, dazu die Gegensätze einer dualistischen und einer monistischen Auffassung des Völkerrechts, ferner der Gegensatz von offizieller Haltung und öffentlicher Meinung, den der europäische Jurist hier besonders lebhaft empfinden wird. Schließlich kommt die tiefe Verschiedenheit der politischen Lage Amerikas und Europas zu allen diesen Gegensätzen noch erschwerend und vertiefend hinzu. Das eigentliche Argument der amerikanischen Juristen wird immer bleiben, daß der KelloggPakt alle Staaten und Völker an die universale Überzeugung der Menschheit bindet, und daß der Krieg für diese Überzeugung ein Verbrechen sei, das Hitler und seine Helfershelfer zweifellos begangen hätten. Demgegenüber bleibt nur die Möglichkeit, immer von neuem daran zu erinnern, daß wir hier nicht von der Beteiligung an atrocities sprechen, sondern davon, ob unpolitische, an solchen atrocities nicht beteiligte Staatsbürger wegen eines von ihrer Regierung geführten Krieges als Teilnehmer des neuen internationalen Verbrechens des Angriffskrieges bestraft werden können. Für den Anhänger der outlawry-Bewegung ist der Krieg ein Verbrechen wie die Piraterie, und wer am Krieg beteiligt ist, ist eben Pirat. Das ist für den radikalen outlawry-Mann keine bloße Redewendung, sondern Recht aufgrund des modernen und universalen Bewußtseins der Menschheit. Welche tiefen Gegensätze hierbei wirksam sind, wird in unserer folgenden Darlegung über die Piraterie als Parallele des Krieges zutage treten. 3. Die Piraterie als exemple-type eines internationalen Verbrechens. Die Frage, ob ein Individuum der Täter oder Teilnehmer eines internationalen Verbrechens sein kann, scheint durch einige wichtige Beispiele bereits seit langem eine positive Antwort gefunden zu haben. Man findet nämlich in vielen völkerrechtlichen Darstellungen, namentlich bei angelsächsischen Autoren, eine bestimmte Kategorie „internationaler Verbrechen", die nicht „völkerrechtliche Delikte" im Sinn einer rein staatlichen Beziehung sind, wie die bisher üblicherweise sogenannten völkerrechtlichen Delikte, sondern deren Besonderheit darin besteht, daß Normen des Völkerrechts unmittelbar auf einzelne Menschen angewandt werden. Der Täter ist hier ein Individuum irgendeiner Staatsangehörigkeit, das nicht gegen ein innerstaatliches Gesetz, sondern unmittelbar gegen eine völkerrechtliche Norm verstößt und dafür gerichtlich, auch strafgerichtlich, verantwortlich gemacht gemacht wird. Allerdings muß gleich bemerkt werden, daß es sich bei dieser Strafgerichtsbarkeit nicht etwa um internationale, sondern um nationale Gerichte eines bestimmten Einzelstaates handelt. Immerhin wird von diesen besonderen Fällen auch heute noch oft als von „internationalen Verbrechen" gesprochen. Es handelt sich hierbei hauptsächlich um folgende Tatbestände:

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Piraterie (der andere Tatbestände, wie Sklavenhandel, gleichgestellt werden); Beschädigung von Seekabeln; ferner Blockadebruch und Konterbandehandel im Seekrieg durch neutrale Staatsangehörige. Der für unsere Erörterung wichtige und in gewissem Sinne sogar entscheidende Fall ist der der Piraterie. Blokkadebruch und Konterbande gehören zum Seekriegsrecht der Neutralität und sind für unser Problem nicht entscheidend, umsoweniger als der Blockadebrecher und der Konterbandeführer nach einer weitverbreiteten Auffassung überhaupt nicht rechtswidrig und illegal, sondern nur auf eigene Gefahr, nur „riskant", handelt. Ich lasse diesen Fall deshalb beiseite und behandle die Frage, wieweit es möglich ist, die kriminelle Bestrafung wegen Piraterie mit der kriminellen Bestrafung wegen eines Angriffs oder eines Angriffskrieges gleichzustellen oder wenigstens in eine Analogie und Parallele zu bringen. Die Verschiedenheit des angelsächsischen gegenüber dem kontinental-europäischen Rechtsdenken wird in der Auffassung der Piraterie als eines internationalen Verbrechens besonders deutlich. Das kontinental-europäische Denken neigt dazu, das Recht zum positiven staatlichen Gesetz zu machen. Im Strafrecht führt diese Positivierung, die gleichzeitig eine Verstaatlichung ist, zu der Überzeugung, daß nur ein staatliches Gesetz die Grundlage einer Pönalisierung sein kann. Das ist bei den kontinental-europäischen Juristen eine fast selbstverständliche Überzeugung geworden, die sich ihres Gegensatzes zu anderen Auffassungen oft kaum noch bewußt ist. Im Zuge dieser Positivierung betrachtet der Jurist des kontinental-europäischen Strafrechts die Seeräuberei als einen Fall des Raubes, der in den Strafgesetzbüchern zahlreicher Staaten neben anderen Fällen des Raubes mit Strafe bedroht ist. In § 250 Ziff. 3 des Deutschen Strafgesetzbuches z. B. ist die Piraterie als „Raub auf offener See" in einem Satz mit „Raub auf einem öffentlichen Wege, einer Straße, einer Eisenbahn", als qualifizierter schwerer Raub behandelt und in keiner besonderen Weise als internationales Verbrechen erkennbar [109]. Daß der Raub auf hoher See, d. h. außerhalb des Bereiches einer staatlichen Hoheit, begangen wird, führt allerdings zu gewissen praktischen Folgen für die Zuständigkeit anderer Staaten. Der Pirat kann von jedem Staat der Welt bestraft werden. Aber das macht nach der seit einigen Jahrzehnten herrschenden kontinental-staatlichen Auffassung die Piraterie nicht etwa zu einem internationalen Verbrechen in einem besonderen Sinne, sondern bedeutet nach einer allgemein anerkannten Formel nur eine „Erweiterung des Zuständigkeitsbereiches innerstaatlicher Normen und Instanzen". Dadurch ist für die kontinental-europäische Auffassung der spezifisch internationale Charakter des Verbrechens der Piraterie verlorengegangen. Demgegenüber kennt die englische Auffassung zwar auch eine Piraterie nach angelsächsischem Recht, soweit es sich um Tatbestände handelt, die unter englische statutes fallen. Doch wird daneben an der traditionellen „Piraterie jure gentium" festgehalten, die sich als internationales Verbrechen von der staatlichen Piraterie wesentlich unterscheidet. Der Pirat jure gentium ist ein Feind der ganzen Menschheit. *

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Er ist, wie die alte Formel lautet, hostis generis humani. Seine räuberischen Absichten sind unterschiedslos gegen alle Staaten gerichtet. Jeder Staat kann ihn daher unschädlich machen. Kein Staat, auch nicht der Staat, dessen Staatsangehöriger er ist, darf ihn halten. Der Pirat ist als Folge seiner Piraterie denationalisiert. Weder kann er selbst sich auf den Schutz seines Staates berufen, noch hat der Staat, dem er angehört, das Recht, ihn zu schützen [110]. Das ist wirklich, wenigstens für das Rechtsbewußtsein eines kontinental-staatlichen Juristen, eine außerordentliche Besonderheit dieses Deliktes. Angesichts der eben zitierten Formeln vom Feind des Menschengeschlechtes und „Denationalisierung" ist es verständlich, daß die Bestrebungen, den Krieg zu ächten und zu einem internationalen Verbrechen zu erklären, gerade an die Piraterie jure gentium anknüpfen. Der Krieg, wenigstens der ungerechte Krieg und der Angriffskrieg, soll nach dem Beispiel der Piraterie als internationales Verbrechen behandelt werden. Der Täter des neuen internationalen Verbrechens „Krieg" ist eben Pirat und ist als solcher outlaw. Das ist eine für viele Kriegsgegner überaus einleuchtende Parallele. Die Piraterie wird auf diese Weise zu einem Beispiel und sogar zum Typus eines internationalen Verbrechens, zum „exemple type", wie es N. Politis nennt [111]. Zahlreiche praktische Vorschläge zur Pönalisierung des Krieges nehmen auf das Beispiel der Piraterie Bezug. Die Gleichstellung von Pirat und Kriegsverbrecher läßt sich der öffentlichen Meinung propagandistisch leicht begreiflich machen. Aber auch Juristen sehen hier, wenn nicht einen Präzedenzfall, so doch ein analoges Beispiel, ein „exemple type", mit dessen Hilfe eine sowohl völkerrechtlich wie kriminal-rechtlich direkte Erfassung der einzelnen Staatsangehörigen über den Kopf ihres Staates und ihrer Regierung hinweg möglich ist. Ich muß hier auf die sogenannte völkerrechtliche Piraterie etwas näher eingehen, um auf eine bestimmte Möglichkeit einer Pönalisierung des Krieges hinzuweisen, die als solche in Deutschland völlig unbeachtet geblieben ist. Der Zusammenhang der Piraterie mit der Frage der Kriegsverbrechen darf aber heute nicht mehr verkannt werden. Es handelt sich hier nicht etwa nur um theoretische Konstruktionen für völkerrechtliche Entwürfe und Neubildungen. Vielmehr läßt sich an vier Beispielen, an die ich kurz erinnern möchte, die große symptomatische Bedeutung der Verwendung des Begriffs der Piraterie zum Bewußtsein bringen. Von diesen vier Beispielen liegen die beiden ersten noch in der Zeit des ersten Weltkrieges 1914/18 und betreffen beide die völkerrechtliche Frage des UBoot-Krieges. Nach einer in England verbreiteten Auffassung galten die Kommandanten und Mannschaften der U-Boote als Piraten, weil sie Handelsschiffe versenkt hatten, ohne sich an die überkommenen Regeln des Seekriegsrechts zu halten. Sie wurden von anderen Kriegsgefangenen unterschieden, und wenn man ihnen auch keinen Kriminalprozeß wegen Piraterie machte, so wurden sie doch in besonderen Lagern interniert und wenigstens dadurch gegenüber anderen Kriegsgefangenen diskriminiert. Das zweite Beispiel ist die Rede des Präsidenten

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Wilson vom 2. April 1917. Der Ausdruck „Piraterie" ist hier zwar nicht gebraucht, wohl aber wird der deutsche U-Boot-Krieg mit den für die Piraterie üblichen Formulierungen als ein „gegen die Menschheit geführter Krieg" bezeichnet, der ein Krieg gegen alle Nationen sei [112]. Zum dritten Male taucht der Begriff der Piraterie in einem für uns wichtigen Zusammenhang in dem Abkommen der Washingtoner Konferenz vom 6. Februar 1922 auf [113]. Dort wird der Grundsatz aufgestellt, daß kriegführende U-Boote den allgemeinen Regeln des Seekriegsrechts über die Wegnahme von Handelsschiffen unterliegen. In Art. 3 heißt es dann ausdrücklich, daß jede im Dienst irgendeiner Macht stehende Person, welche diese Regeln verletzt, „whether or not such person is under orders of a governmental superior", verantwortlich gemacht wird, „as if for an act of piracy". Hier wird also ein Kriegsverbrechen im Sinne des Verstoßes gegen die Regeln des Krieges in aller Form der Piraterie gleichgestellt. Dieses Washingtoner Abkommen von 1922 ist nicht ratifiziert worden [114], doch ist seine symptomatische Bedeutung offensichtlich. Durch das vierte Beispiel wird sie noch verstärkt. Die Konferenz von Nyon, die am 11. September 1937 zusammengetreten ist, hieß „PiraterieKonferenz" (conference on piracy) und sprach im amtlichen Text des am 14. September 1937 unterzeichneten Beschlusses ebenfalls davon, daß bestimmte Versenkungen von Handelsschiffen durch U-Boote als „acts of piracy" behandelt werden sollten [115]. Es ist also nicht zu verkennen, daß der Begriff der Piraterie die Stelle ist, an der die internationale Kriminalisierung und Pönalisierung des Krieges ansetzen kann. In einigen Vorschlägen der Association international du droit pénal und bei einigen Autoren, wie Nicolas Politis, ist das auch bereits geschehen, unter Hinweis darauf, daß selbstverständlich nicht nationale Gerichte, sondern ein eigens zu schaffender internationaler Strafgerichtshof für dieses neue Verbrechen des Krieges zuständig ist. Trotzdem läßt sich weder das Genfer Protokoll von 1924, noch der Kellogg-Pakt von 1928, noch ein sonstiges offizielles Dokument oder auch nur ein amtlicher Vorschlag dafür heranziehen. Die Parallele von Krieg und Piraterie hat nämlich ihre engen Grenzen. Wenn der Krieg verboten und für ein Verbrechen erklärt wird, so betrifft das niemals den Verteidigungskrieg. Auch der Kellogg-Pakt verurteilt nur den ungerechten Krieg. Der Krieg wird also nicht schlechthin und absolut zum Verbrechen erklärt, sondern es wird zwischen gerechtem und ungerechtem Krieg unterschieden. Nur für einige radikale Pazifisten und Anhänger einer unbedingten No-Resistance ist der Krieg ohne Rücksicht auf Recht und Unrecht auf jeden Fall und auf beiden Seiten ein Verbrechen. Bei der Piraterie dagegen ist es nicht möglich, zwischen gerechter und ungerechter Piraterie zu unterscheiden. Piraterie ist in einem absoluten Sinne ein „malum in se" und auch als Verteidigung nicht erlaubt. Eine weitere Verschiedenheit liegt darin, daß der Krieg nach Innen und nach Außen einen politischen Charakter hat. Unpolitische Kriege sind undenkbar. Zum Wesen der Piraterie dagegen gehört es, daß die Piraterie unpolitischen

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Charakters ist. Der Pirat handelt, wenigstens nach der traditionellen Auffassung, aus unpolitischen Motiven, aus bloßer Gewinnsucht. Er ist ein Räuber, Dieb und Plünderer; er hat den animus furandi. Sobald er aus politschen Motiven handelt, ist er nicht mehr Pirat. Der Hochverräter ist kein Pirat. Treason is not piracy. Revolutionäre, Insurgenten und Rebellen, die sich eines Kriegsschiffes der legalen Regierung bemächtigen, sind deshalb noch nicht im völkerrechtlichen Sinne Piraten, solange sie nicht auf hoher See Schiffe anderer Nationen berauben und plündern. Nur wegen dieses unpolitischen Charakters der Piraterie war es möglich, daß sie als internationales Delikt allgemein anerkannt wurde und ihre Bestrafung trotzdem den nationalen Gerichten der einzelnen Staaten überlassen blieb. Der bisherigen Auffassung ist es wesentlich, daß die Aktion des Piraten kein Krieg im völkerrechtlichen Sinne ist, ebensowenig wie umgekehrt die gegen den Piraten gerichtete Aktion eines Staates Krieg ist. Indem man den Piraten kriminell als gemeinen Verbrecher bestraft, wurde nach bisheriger Auffassung gerade der Gegensatz zum Krieg im völkerrechtlichen Sinne betont. Daß der Krieg nach bisheriger völkerrechtlicher Überzeugung etwas ganz anderes als ein Verbrechen ist, kann durch nichts deutlicher bewiesen werden als durch diesen Gegensatz von Krieg und Piraterie. Aber der eigentliche Gegensatz, auf den wir hier stoßen, liegt viel zu tief, als daß er mit solchen juristischen Argumenten überwunden werden könnte. Hier werden bestimmte Überzeugungen von Fortschritt, Zivilisation und Menschlichkeit wirksam. Für die outlawry-Bewegung ist der Krieg bei dem heutigen Stande der Zivilisation nichts als Barbarei und bloßer Atavismus, und er muß heute ebenso aufhören, wie früher einmal die Piraterie aufhören mußte. Ein Satz des Verfassers der „principles of maritime strategy", Sir Julian Corbett, klärt diese wichtige Parallele besser auf als jede juristische Erörterung: „Die Piraterie ist das vorwissenschaftliche Stadium der Seekriegsführung" [116]). Dadurch wird erkennbar, was die Parallele von Krieg und Piraterie eigentlich bedeutet. Ein Land, das nicht auf Krieg und kriegerische Gesinnung verzichtet, setzt sich außerhalb der modernen „conscience universelle" und macht sich zum minderwertigen Feind des Menschengeschlechtes, wie es der Pirat getan hat, als seine Methoden zivilisatorisch überholt waren. Das eigentliche Verbrechen Deutschlands wird in dieser Verletzung der conscience universelle gefunden. Auch hier werden aber in Wirklichkeit nur die eigentlichen atrocities getroffen. Denn man darf doch nicht annehmen, daß die eigentliche Schuld, die Deutschland vorgeworfen wird, darin bestehen soll, daß es wissenschaftlich zu rückständig war, um rechtzeitig die Atombombe zu erfinden. 4. Internationale Strafgerichtsbarkeit. Bisher gibt es kein einziges internationales Strafgericht. In dem Fall der Piraterie und ähnlicher internationaler Verbrechen entscheiden nationale Gerichte. Die Schwierigkeiten und Vorbehalte einer internationalen Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit im heutigen Völkerrecht sind bekannt. Grundsätzlich gelten politische Streitigkeiten nicht als justiziabel

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oder arbitrabel. Daß der Krieg eine politische und sogar hochpolitische Angelegenheit ist, versteht sich von selbst. Gilt der Vorbehalt des politischen Charakters in einer Sache bereits in weitem Maße für eine nichtkriminelle internationale Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit, so werden die Schwierigkeiten, die sich für eine internationale Sfra/gerichtsbarkeit wegen des neuen Verbrechens des Angriffskrieges ergeben, noch größer und offensichtlicher. Es gibt einige Vorschläge zur Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofes. Der Versuch einer Bestrafung Wilhelms II. (Art. 227) hat nicht einmal zur Konstituierung eines Gerichtshofes geführt. Bei der Beratung des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofes im Haag, 1920, hat der Baron Descamps einen Internationalen Strafgerichtshof vorgeschlagen, der über internationale Verbrechen entscheiden sollte. Der Vorschlag wurde zwar mit einigen Bedenken durch den Juristen-Ausschuß der Prüfung durch den Völkerbunds-Rat empfohlen, aber bei der ersten Versammlung des Völkerbundes als ein zu schwieriges und zu wenig dringliches Problem zurückgestellt [117]. Von amerikanischer Seite wurde dann durch Mr. S. O. Levinson in Chicago 1921 ein Vorschlag angeregt, der 1923 den Senator Borah zu dem bereits erwähnten Projekt der outlawry of war veranlaßte, nach welchem der Krieg als ein Verbrechen gegen das Völkerrecht geächtet und allen Nationen die Pflicht auferlegt werden sollte, ihre eigenen Kriegsgewinnler zu bestrafen, auf Grund ähnlicher Vorschriften, wie sie die Verfassung der Vereinigten Staaten dem Kongreß für die Bestrafung internationaler Verbrechen gibt [118]. Die International Law Association hat sich einige Male mit der Sache befaßt und auf der Sitzung in Wien im August 1926 einen Vorschlag des Professors Bellot gebilligt [119]. Die Interparlamentarische Union hat die Frage 1924 auf der Konferenz in Bern und 1925 auf der Konferenz von Washington behandelt und einen ständigen Ausschuß zur Prüfung der Frage gebildet, und zwar auf der Grundlage eines Vorschlages des rumänischen Professors Pella, der ein allgemeines internationales Strafgesetzbuch plante [120]. Der bekannte Völkerbunds-Jurist Nicolas Politis hat in seinen Vorlesungen an der Columbia-Universität 1926 vorgeschlagen, daß bei dem Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag eine Strafkammer mit fünf Richtern gebildet wird [121]. Der Gedanke, den Internationalen Gerichtshof im Haag zum Strafgerichtshof zu machen, ist öfter ausgesprochen worden. Dazu kommen eine Reihe von älteren und neueren, allgemeinen Vorschlägen, die zwar eine umfangreiche Literatur hervorgerufen haben, ohne daß es auch nur zu dem Ansatz einer Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes gekommen wäre. Die Bemühungen um eine Anpassung des Kellogg-Paktes an die Völkerbund-Satzung haben weder in dieser noch in anderer Hinsicht zu einem praktischen Ergebnis geführt. Auch mit Bezug auf die Organisierung einer Gerichtsbarkeit sind die Versuche einer Pönalisierung des Angriffskrieges bis 1939 nicht zu einem Abschluß gekommen. Zu einem internationalen Strafrecht gehört ein internationaler Strafgerichtshof. Das Verbot der ex-post-facto-Gesetze enthält, wenigstens bei unklaren und um-

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strittenen Normen, auch das Verbot eines ex-post-facto-Strafgerichtes. Auch hier sei wiederholt, daß wir nur von dem Angriffskrieg als „internationalem Verbrechen" und nicht von Unmenschlichkeiten und atrocities sprechen. 5. Die entscheidenden Tatsachen. Die rechtlichen Überzeugungen der Völker werden in Übergangszeiten nur durch einfache, elementare Erfahrungen bestimmt. Die Gegensätze der verschiedenen Meinungen und die komplizierten Kompromiß-Formulierungen zahlreicher internationaler Pakte haben die Überzeugung der europäischen Völker bisher nur verwirrt. Um so stärkeren Eindruck machten einige entscheidende Tatsachen, von denen ich hier nur zwei besonders wichtige Beispiele nenne: a) Der erste und bisher einzige Fall eines proclaimed aggressor betrifft die Eroberung Abessiniens durch Italien in den Jahren 1935 / 36. Die Ereignisse sind bekannt. In sorgfältig durchdachten juristischen Formulierungen ist Italien von den meisten Mitgliedern des Völkerbundes als Angreifer bezeichnet worden, gegen den sich ein koordiniertes System von Sanktionen richtete. Von einem internationalen Verbrechen im kriminellen Sinne ist nicht mit einem einzigen Wort die Rede gewesen. Nach der Okkupation Abessiniens durch Italien wurden die Sanktionen gegen den Angreifer durch eine Resolution der Völkerbundsversammlung vom 4. Juli 1936 aufgehoben [122]. Einige Völkerbunds-Mitglieder, vor allem Groß-Britannien und Frankreich, erkannten die Annexion Abessiniens durch Italien an. Andere Mitglieder konnten sich nicht dazu entschließen. Die englische Regierung hat nicht nur selbst die Annexion Abessiniens im Dezember 1936 de facto, und im April 1938 de jure anerkannt, sondern sie verpflichtete sich auch gegenüber Italien, bei der nächsten Tagung des Völkerbundrates ihren Einfluß dahin auszuüben, daß die Hindernisse, die einer Anerkennung der italienischen Souveränität über Äthiopien durch andere Völkerbunds-Mitglieder noch im Wege ständen, beseitigt würden (Noten-Austausch zum englisch-italienischen Vertrag vom 16. April 1938 [123]). Auf Antrag Italiens wurde infolgedessen folgender Punkt auf die Tagesordnung der Sitzung des Rates vom 12. Mai 1938 gesetzt: „Folgen, die sich aus der gegenwärtigen Lage in Abessinien ergeben" [124]. Die Debatte wurde durch den englischen Außenminister Lord Halifax eröffnet, der im Namen seiner Regierung die Aufmerksamkeit des Rates auf die „unnatürliche Lage" lenkte, die sich daraus ergebe, daß einige Mitglieder des Völkerbundes die italienische Annexion bereits anerkannt hätten, während sich andere dazu noch nicht entschließen konnten. Der englische Außenminister fügte ausdrücklich hinzu, daß seine Regierung nicht die Auffassung teile, daß die vom Völkerbund während des abessinischen Krieges getroffenen Maßnahmen eine Pflicht der Mitglieder begründet hätten, mit der Anerkennung der italienischen Annexion so lange zu warten, bis ein dahingehender einstimmiger Beschluß des Völkerbundes gefaßt würde. Es sei im Gegenteil die Ansicht der englischen Regierung, daß die Mitglieder berechtigt seien, die Anerkennung der italienischen Stellung zu einem ihnen geeignet erscheinenden Zeitpunkt zu gewähren, ohne

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dadurch die Satzungen zu verletzen. Die englische Regierung sei zwar nicht verpflichtet, mit anderen Bundesmitgliedern über diese Frage zu beraten, bevor sie die italienische Annexion formell anerkenne, aber infolge der gemeinsamen Aktion der Mitglieder im abessinischen Kriege sei die endgültige Anerkennung der italienischen Eroberung Abessiniens durch ein einzelnes Völkerbund-Mitglied eine Angelegenheit, die alle Mitglieder angehe. Damit verwies Lord Halifax auf die tatsächliche Lage in Abessinien, wo es keine organisierte einheimische Gewalt mehr gebe, die Aussicht auf die Wiedereroberung des Landes habe, und fügte hinzu, das Interesse an der Erhaltung des Friedens sei wichtiger als die unwandelbare Hingabe an ein erhabenes Ziel und das endlose Festhalten an einem abstrakten, völkerrechtlichen Grundsatz. Wenn man nicht in einer unwirklichen Welt leben wolle, müsse man doch früher oder später die Tatsache anerkennen, daß Italien ganz Abessinien in seiner Gewalt hat. Diese Erklärung der englischen Regierung vom 12. Mai 1938 findet sich im Journal Officiel der Genfer Liga 1938 (Seite 333-345 [125]). Der Protest des Negus vermochte es nicht zu ändern, daß die übrigen Mitglieder des Völkerbund-Rates, mit Ausnahme der Vertreter Chinas, Boliviens, der Sowjetunion und Neuseelands, die Auffassung der englischen Regierung teilten. Der Präsident des Rates, Munters (Lettland), erklärte, daß die Diskussion der Frage im Rat klar erwiesen hätte, daß die große Mehrheit der Ratsmitglieder die Frage der Anerkennung der italienischen Stellung in Abessinien als eine Angelegenheit der Entscheidung jedes einzelnen Bundesmitgliedes ansehe. „II est clair que, malgré les regrets qui ont été exprimés, la grande majorité des membres du Conseil sont d'avis qu'en ce qui concerne la question actuellement en discussion, il appartient aux Membres individuels de la Société des Nations de déterminer leur attitude d'après leur propre situation et leurs propres obligations." Bereits im September 1936 war ein Bericht der Kommission für die Prüfung der Vollmachten angenommen worden, wonach als Kriterium für die Gültigkeit der Vollmachten einer Regierung „die effektive Ausübung der Staatsgewalt durch das sie ausstellende Staatsoberhaupt" bezeichnet wurde. Der weitere Streit betraf dann die Frage, ob der Negus wirklich für seinen legalen Titel ein solches „exercice suffisamment réel" habe. Lord Halifax sagt zu dieser Angelegenheit in der Sitzung des englischen Oberhauses vom 3. November 1938: „With all respect I would say that it is really no good crying over spilt milk that no human agency can put back into the jug. It (sc. the practical sovereignty of Italy) is a fact, let us recognize it as a legal fact, and clear up once for all the innumerable outstanding questions that arise" [126]. Erst nach dem Eintritt Italiens in den Krieg gegen England erklärte die englische Regierung auf Anfragen im Unterhaus (19. Juni 1940 [127]) und im Oberhaus (13. August 1940), daß sie sich berechtigt halte, hinsichtlich Äthiopiens ihre volle Handlungsfreiheit zu wahren [128]. Es ist nicht verwunderlich, daß diese Haltung der englischen Regierung und der anderen Regierungen in der abessini-

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sehen Frage die Auffassungen und Überzeugungen der Völker, wenigstens der europäischen Völker, in den Jahren 1938 und 1939 auf das stärkste beeindruckte. b) Die Überzeugung, daß es trotz der Bemühungen des Genfer Protokolls von 1924 und des Kellogg-Paktes von 1928 bisher nicht gelungen ist, dem Krieg durch eine neue völkerrechtliche Ordnung eine andere rechtliche Stellung zu geben, hat sich noch vertieft, als seit 1936 eine Kardinal-Institution des bisherigen Völkerrechts, die Neutralität, in vollem Umfange wieder hergestellt wurde. Die Schweiz, deren vorbildliche Korrektheit in völkerrechtlichen Fragen allgemein anerkannt ist, erklärte seit dem Jahre 1937, daß sie sich an keinen Sanktionen des Genfer Völkerbundes mehr beteiligen werde und zur integralen Neutralität zurückkehre. „Die Erfahrung der letzten Jahre zwingt uns, die Maxime der Neutralität selbst dem Völkerbund gegenüber zu behaupten." So erklärte der damalige Bundespräsident Motta am 1. August 1937 [129], und der angesehene Schweizer Völkerrechtslehrer Professor Dietrich Schindler schrieb 1938: „Der Glaube, daß es möglich ist, nach völkerrechtlich verwendbaren Kriterien zwischen gerechten und ungerechten Kriegen zu unterscheiden, kann nach dem Scheitern des Völkerbundes nicht mehr aufrechterhalten werden" [130]. Der Schweizer Bundesrat überreichte dem Völkerbundsrat am 29. April 1938 ein Memorandum, durch das die Absicht der Schweiz angekündigt wurde, angesichts ihrer immerwährenden Neutralität an keiner Anwendung von Sanktionsbestimmungen des Völkerbundpaktes teilzunehmen, auch nicht an solchen, zu denen sie nach den Erklärungen des Jahres 1920 verpflichtet war. Der Völkerbundsrat hat am 14. Mai 1938 eine Resolution gefaßt, die von dieser Absicht Kenntnis nimmt und erklärt, daß die Schweiz nicht aufgefordert werden wird, an Sanktionen teilzunehmen [131]. Im Herbst 1939 haben alle neutralen Staaten ihre Neutralität im Sinne des alten Völkerrechts bestätigt, darunter auch die Vereinigten Staaten von Amerika. Das widerspricht den obengenannten Budapester Artikeln und beweist, daß es bis zum Sommer 1939 auch dem Kellog-Pakt, wenigstens für Europa, nicht gelungen ist, die traditionelle Auffassung des Krieges durch eine neue Ordnung zu ersetzen.

IV. Täter und Teilnehmer (principals and accessories) des internationalen Verbrechens „Angriffskrieg"* Jeder Krieg, der gerechte wie der ungerechte, der Angriffs- wie der Verteidigungskrieg, ist seinem Wesen nach ein kollektiver Vorgang. In ganz besonderem Grade ist der moderne Krieg, an dem Millionen Menschen militärisch als Kombattanten, wirtschaftlich als Industrielle und Arbeiter beteiligt sind, die intensivste * In der „Übersicht" (vorn S. 13): „Der Täter des internationalrechtlichen Verbrechens ,Krieg'" (d. Hrsg.).

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Erscheinungsform der kollektiven Erfassung jedes einzelnen Menschen, dessen individueller Anteil um so kleiner erscheint, je größer und ungeheuerlicher das Gesamtgeschehen ist. Wenn man von der Totalität des modernen Weltkrieges spricht, so ist dabei zu beachten, daß ein solcher Krieg innen- und außenpolitische Situationen mit sich bringt, die mit der Situation des einzelnen kriminellen Mörders, Diebes oder sonstigen Verbrechers nicht gut verglichen werden können. Auch hier sei wiederholt, daß es sich um den Angriffskrieg als Tatbestand eines neuen kriminellen Verbrechens handelt, nicht etwa um Kriegsverbrechen im Sinne der atrocities. Der Strafrichter, der über einen modernen Weltkrieg als ein internationales Verbrechen zu Gericht sitzt und sich nicht mit der Feststellung einer summarischen Kollektiv-Verantwortlichkeit begnügen will, muß also diejenigen Individuen feststellen, die als die wahren Täter und Teilnehmer eines derartig kollektiven Vorganges anzusehen sind. Der Strafrichter muß den Anteil jedes dieser Täter und Teilnehmer an der Verursachung eines riesigen Gesamtvorganges nach der objektiven und nach der subjektiven Seite hin konkret bestimmen. Das kann in manchen Fällen und für bestimmte politisch entscheidende Personen leicht sein. So können einzelne Menschen als Hauptverbrecher aufgrund einer notorischen Schuld bestraft werden. Sobald aber darüber hinaus ein weiterer Täteroder Teilnehmerkreis in Frage steht und Menschen, die wesentlich nicht politisch, sondern ökonomisch-unpolitisch tätig waren, beurteilt werden sollen, erheben sich ungewohnte Fragen, wenigstens dann, wenn der „due process of law" gewahrt bleiben soll. Auch die Gehorsamspflicht gegenüber einem rechtswidrigen Befehl betrifft offenbar eine ganz andere rechtliche Situation als die Frage, ob gegenüber dem Befehl zu kriegsrechtswidrigen oder zu unmenschlichen Handlungen ein Recht oder eine Pflicht zur Gehorsamsverweigerung besteht. Das Problem der Gehorsamsverweigerung gegenüber rechtswidrigen Befehlen erhebt sich also für jeden der drei Fälle von Kriegsverbrechen, die wir unterschieden haben, in ganz verschiedener Weise. Eine rechtliche Prüfung der Lage des einzelnen Staatsbürgers gegenüber einem Angriffskriege seiner Regierung betrifft hauptsächlich zwei Punkte: die allgemeine Frage des Verhältnisses von Staat und Individuum im Völkerrecht, insbesondere die Mediatisierung des einzelnen Staatsbürgers durch seinen Staat, und die Abgrenzung des Täter- oder Teilnehmerkreises, der für das internationalrechtliche Delikt eines Krieges in Betracht kommt. 1. Nach einer bekannten, in den Lehrbüchern des Völkerrechts vorherrschenden Lehre ist der Staat das einzige Subjekt des Völkerrechts, wenigstens das einzige normale und typische Subjekt. Diese Lehre trennt in schärfster Weise Innen und Außen. Das Völkerrecht wird vom innerstaatlichen Recht als ein besonderer und getrennter Rechtskreis unterschieden. Die einzelne staatliche Behörde und der einzelne Staatsbürger sind von jeder unmittelbaren völkerrechtlichen Verantwortlichkeit abgeschnitten. Sie haben keinen zwischenstaatlichen (internationalen),

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sondern nur einen innerstaatlichen (nationalen) Status. Für die streng dualistische in Deutschland und anderen kontinentalen Ländern theoretisch und praktisch herrschende Auffassung kann der einzelne Staatsbürger infolgedessen auch kein völkerrechtliches Verbrechen begehen. Er kann nur als Staatsorgan eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit seines Staates als solchen, gegenüber anderen Staaten als solchen herbeiführen. Einziger Täter eines völkerrechtlichen Deliktes kann danach nur der Staat als solcher sein. Was man in der bisherigen Lehre und Praxis als „völkerrechtliches Delikt" bezeichnete, ist deshalb etwas wesentlich Anderes als ein Delikt im kriminellen Sinne des Wortes. Es ist nur ein Tatbestand, der gewisse finanzielle, wirtschaftliche oder politische, völkerrechtliche Folgen — Schadensersatzpflicht, Sanktionen, Repressalien, Krieg — im Verhältnis von Staat zu Staat auslöst. Die Staaten als solche gelten als gleichberechtigte, souveräne Subjekte des Völkerrechts. Die Gleichberechtigung besteht wesentlich darin, daß jeder das gleiche Recht zum Kriege (jus ad bellum) und das gleiche Recht zur Neutralität hat. Eine internationale Gerichtsbarkeit gab es nur auf der Grundlage einer freien vertraglichen Unterwerfung von Staat zu Staat und nur nach genauer Maßgabe des Schieds- oder Gerichtsvertrages. Eine internationale Sfra/justiz im kriminellen Sinne war nach dieser Auffassung eigentlich undenkbar. Es hat sie bisher nicht gegeben, und wenn es sie geben sollte, wäre sie nur aufgrund einer speziellen und ausdrücklichen vertraglichen Unterwerfung möglich. Der Haager Landkriegsordnung von 1907 und dem Genfer Völkerbunds-Pakt von 1919 lag, wenigstens nach der Auffassung führender Regierungen und Juristen, der Gedanke der Gleichberechtigung souveräner Staaten zugrunde, und zwar durchaus in dem Sinne, daß die bisherige Struktur des Völkerrechts unverändert blieb. Nur der Staat als solcher, nicht eine politische Partei oder ein sonstiger Verband, auch nicht der einzelne Staatsbürger, führte Krieg. Nur der Staat als solcher war Angreifer im Sinne des Genfer Protokolls oder Objekt der Sanktionen. Darin, daß der Krieg eine rein staatliche Angelegenheit war, erblickte man im 18. und 19. Jahrhundert den größten Fortschritt, den das Völkerrecht der Menschheit jemals gemacht hat. Der einzelne Staatsbürger wurde besonders im Kriege durch seinen Staat, wenn nicht absorbiert, so doch mediatisiert. Das bedeutete praktisch, daß ihn eine völkerrechtliche Norm niemals unmittelbar erreichen konnte, sondern in allen Fällen eine Umschaltung, eine Transformation völkerrechtlicher Normen, Rechte und Pflichten in innerstaatliche Normen, Rechte und Pflichten des einzelnen Staatsbürgers abgewartet werden mußte. Seit 1919 ist die scharfe Trennung von Innen und Außen, von Völkerrecht und Landesrecht, oft zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Diskussion gemacht worden. Insbesondere sind gegen den Dualismus von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht sogenannte monistische Lehren vorgedrungen, von denen viele einen Primat des Völkerrechts vertreten. Darunter wird meistens — nicht immer — eine unmittelbar völkerrechtliche Erfassung innerstaatlicher Verbände und einzelner Staatsbürger verstanden. Die Diskussion ist vielfach sehr theore-

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tisch und scheinbar abstrakt. Ihre große praktische Bedeutung liegt darin, daß der einzelne Staatsbürger nicht mehr, wie bisher, durch die innerstaatliche Gesetzgebung und Regierung von jeder unmittelbar völkerrechtlichen Verantwortlichkeit abgeschnitten wird. Der angelsächsischen Auffassung hat der strenge Dualismus niemals entsprochen. Sie hielt sich an den Satz: „international law is a part of the law of the land". Ihr lag es näher, das Problem von der individualistischen Seite zu sehen und zu betonen, daß das Individuum der Träger aller Rechte und Pflichten auch im Völkerrecht sein und bleiben muß. Als typisches Beispiel erwähne ich eine große Autorität aus der Zeit vor dem ersten Weltkriege, Westlake, der die Formel prägte, der Staat sei zwar „the immediate", das Individuum aber „the ultimate subject of international law" [132]. Viele Äußerungen angelsächsischer Autoren klingen noch individualistischer. Man braucht bei solchen Antithesen von Staat und Individuum nicht zu übersehen, daß gerade das führende englische Lehrbuch des Völkerrechts von Oppenheim, in aller Schärfe und in genau der gleichen Weise wie die deutschen Autoren, den strengen Dualismus von Völkerrecht und staatlichem Recht und die volle Mediatisierung, sogar Absorbierung des Individuums vertreten hat. Der Satz „international law is a part of the law of the land" braucht es keineswegs auszuschließen, daß der englische Richter sich bei einem Konflikt zwischen einer staatlichen Anordnung und einer völkerrechtlichen Regel an die staatliche Anordung hält. Im Genfer Protokoll von 1924 ist, wie schon erwähnt, nur von Staaten als Angreifern die Rede, nur Staaten als solche werden verantwortlich gemacht; und auch der Kellogg-Pakt enthält kein Wort, das diesen rein staatlichen Kriegsbegriff offen negiert. Es ist ferner ein allgemeines Faktum, daß schon aus Gründen der guten Ordnung in der völkerrechtlichen Praxis aller Länder zwischen Staat und Individuum scharf unterschieden wird. Auch die amerikanische Praxis kennt selbstverständlich z. B. den Unterschied von staatlichen und individuellen Ansprüchen, national claims and individual claims, und hat ihn in zahlreichen Entscheidungen amerikanischer Mixed Claims Commissions entwickelt. Ebenso ist der Unterschied von staatlicher Verantwortung und privater Schuld, private malice, selbstverständlich und praktisch unentbehrlich. Vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten können, wenn nichts anderes vereinbart ist, grundsätzlich nur Staaten als Parteien auftreten. Auch vor dem Internationalen Gerichtshof im Haag können nach Art. 34 des Statuts von 1920 nur Staaten als Parteien auftreten. Aber diese Beispiele einer scharfen, juristischen Trennung von Staat und Individuum, von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht, von Außen und Innen, wird der typische Anhänger der outlawry of war als Beispiele einer bloß juristischtechnischen Konstruktion auffassen. Sobald die Frage aufhört, juristisch-technisch zu sein und eine grundsätzliche und moralische Bedeutung erhält, wie bei dem Problem eines modernen Weltkrieges, wird auch die Frage des Verhältnisses von Staat und Individuum zu grundsätzlicher und moralischer Intensität gesteigert. An diesem Punkt gerät sie leicht in moral-philosophische, weltanschauliche

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oder sogar religiöse Erörterungen hinein. Gerade amerikanische Autoren betonen gern mit starkem moralischem Pathos, daß nur der Mensch und nicht ein staatlicher oder sonstiger Verband als Träger internationaler Rechte und Pflichten in Betracht kommt. Wird die Frage in dieser Allgemeinheit auf die grundsätzliche Frage des Gegensatzes von Staat und Individuum, Kollektivität und Einzelnem, abgestellt, so verändert sich die Atmosphäre vollständig. Seit vielen Jahrzehnten ist gegen Deutschland und das deutsche Volk der Vorwurf der Staatsvergötterung, des Hegelianismus und Militarismus erhoben worden. Die auf den Staat bezogenen Begriffe und Konstruktionen erscheinen dann als Ausdruck einer etatistischen Philosophie, wenn nicht als Zeichen der Unfreiheit und einer knechtischen Gesinnung. So erhält das alte Problem durch die Verbindung mit der Frage der Kriminalisierung des Krieges eine neue Schärfe. Die Schwierigkeiten müssen in der Tat unabsehbar werden, wenn metaphysische und moralische Gegensätze mit der furchtbaren Verantwortung für das Vernichtungswerk eines modernen Krieges in Zusammenhang gebracht werden. Schon bei der Erörterung der Frage nach der Schuld Wilhelms II. (Art. 227 des Versailler Vertrages) sind solche tiefen Gegensätze von großem Einfluß gewesen. Damals, 1919, gab es in Europa noch eine starke Tradition der staatlichen Souveränität und der auf der gleichen Souveränität beruhenden Gleichberechtigung der Staaten. Daher war es damals verhältnismäßig leicht, juristisch zu beweisen, daß eine strafrichterliche Beurteilung der einen Regierung durch die andere völkerrechtlich unmöglich ist [133]. Auch der Art. 227 des Versailler Vertrages selbst legt ja noch Wert auf die vertragliche Zustimmung des besiegten Deutschlands. Man wollte auf die Unterschrift des deutschen Staates nicht verzichten und hat nicht etwa eine unmittelbar geltende völkerrechtliche Norm angenommen, die eine international-rechtliche Kriminaljustiz über das Individuum „Wilhelm II. von Hohenzollern" unmittelbar begründet hätte. Aber seit dem ersten Weltkrieg sind alle diese Fragen gerade von amerikanischen Juristen weitergetrieben worden. Der Versuch, der damals mit Bezug auf den deutschen Kaiser mißlungen ist, wird heute mit Bezug auf die Schuldigen des letzten Weltkrieges und mit gesteigerter Erbitterung wiederholt. Wenn eine kriminalrechtliche Verantwortlichkeit Wilhelms II. 1919 an den damaligen völkerrechtlichen Begriffen von Staat und Souveränität gescheitert ist, so soll heute endlich der große Präzedenzfall für eine neue Auffassung geschaffen werden. Das novum crimen soll nicht wieder an dem Satze „nullum crimen" scheitern. Das ist der feste Entschluß der Sieger dieses Weltkrieges. Ihm kann man mit juristischen Argumenten nur in der Weise begegnen, daß man immer wieder daran erinnert, wie sehr es sich hier nicht nur um ein neues, sondern ein völlig neuartiges Verbrechen handelt, nicht nur um ein novum crimen, sondern angesichts seines internationalen Charakters auch um ein crimen no vi generis, das durch große rechtliche und moralische Besonderheiten von den Verstößen gegen die Regeln des Kriegsrechts und von den eigentlichen atrocities getrennt ist.

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Wenn es also nach bisherigem Völkerrecht auch durchaus richtig ist, darauf hinzuweisen, daß völkerrechtlich nur der Staat als solcher Krieg führt und daß er nur als solcher zum Angreifer werden kann, so ist es doch wohl nicht zweckmäßig, ein solches Argument in den Mittelpunkt zu stellen gegenüber dem Versuch, das neue internationale Verbrechen des Krieges von den beiden anderen Arten der Kriegsverbrechen auf das klarste zu trennen und in seiner ganz spezifischen Besonderheit hervorzuheben. Denn jeder Krieg, auch der Angriffskrieg und der gerechte Krieg, ist als solcher seinem Wesen nach ein kollektiver Vorgang im eminenten Sinne des Wortes „kollektiv". Schuld und Strafe dagegen sind nach moderner strafrechtlicher Auffassung nicht mehr Kollektivschuld und Kollektivstrafe. Sie sollen nur das einzelne, schuldhafte, menschliche Individuum treffen. Wird nun ein so ausgesprochener Kollektiv-Vorgang als solcher pönalisiert und kriminalisiert, so steht der Strafrichter vor einem neuartigen Versuch. Wenn auch der Krieg ein Verbrechen ist, so hat sich die Menschheit doch noch nicht daran gewöhnt zu sagen, daß ein Krieg „begangen" wird, wie man einen Mord oder einen Diebstahl begeht. Das Verhältnis des Täters zu seiner Tat ist beim Kriege ein eigentümliches, völlig neuartiges Problem. Das zeigt sich in besonderer Weise, wenn die Frage nach der Abgrenzung des Kreises der Täter und Teilnehmer eines solchen neuen internationalen Verbrechens erhoben wird. 2. Wer ist der Täter des internationalen Verbrechens „Krieg", und unter welchen Gesichtspunkten kann eine Abgrenzung des Täterkreises vorgenommen werden? Der Staat als solcher, als juristische Person, soll hier als Täter ausscheiden. Die Vertreter einer Kriminalisierung des Angriffskrieges lehnen diese Konstruktion im allgemeinen ab und erklären sie für einen Kunstgriff, der nur dazu dient, die eigentlichen Übeltäter der Bestrafung zu entziehen. Außer dem Staat im juristischen Sinne könnte noch das Volk im Ganzen als Täter des Verbrechens in Betracht kommen, namentlich dann, wenn es unter einem demokratischen Regime mit dem Krieg einverstanden war. Diese Gesamtverantwortlichkeit des Volkes würde dazu führen, daß jeder Soldat, jeder Munitionsarbeiter, jeder Steuerzahler, kurz: jeder Volksangehörige, als Täter bestraft werden müßte, wenn er sich nicht für seinen einzelnen Fall exculpieren kann. Setzt man Krieg und Piraterie in eine Parallele, so liegt es nahe, diese Parallele zu solchen kollektivistischen Folgerungen zu benutzen. Der eigentliche Träger der Piraterie ist nämlich nicht der einzelne Pirat, mag er nun Führer oder Untergebener sein; Pirat ist nach einer alten Auffassung das Schiff als Ganzes. Jeder, der auf dem Piratenschiff vorgefunden wird, wird als Pirat behandelt, wenn es nicht offensichtlich ist, daß er sich dort als Gefangener oder sonstwie als Opfer der Piraten aufhielt. Eine solche Art kollektiver Bestrafung eines ganzen Volkes entspräche einer primitiven Auffassung. Sie ist eine bloße Erfolgshaftung, keine Schuldhaftung und wird heute im allgemeinen abgelehnt. Angesehene Juristen sehen darin, daß im bisherigen Völkerrecht nur der Staat als solcher und nur für den Erfolg haftete,

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gerade ein Anzeichen für den primitiven Charakter eines solchen Rechts. Die moderne Auffassung drückt sich in dem oft zitierten bekannten Satz aus: „You cannot in[ter]dict a nation" [134]. Eine totale Kollektiv-Verantwortung ist außerdem geeignet, die eigentlichen Schuldigen und Verantwortlichen der Bestrafung zu entziehen. Hierfür wird ein Ausspruch Napoleons zitiert:,,Les crimes collectifs n'engagent personne" [135]. Es bleibt also die Aufgabe, Täter und Teilnehmer des neuen Verbrechens näher zu bestimmen. Bei einer Bestimmung der eigentlichen Täter des neuen internationalen Verbrechens wird man den politischen Charakter des Krieges nicht außer Acht lassen können. Der Krieg ist nach Innen und Außen ein hochpolitischer Vorgang. Alle wichtigen Entscheidungen, die zu ihm führen, sind politische Entscheidungen und werden von Personen in politischer Funktion getroffen. Infolgedessen ist in erster Linie das Staatshaupt verantwortlich, das den Angriffskrieg erklärt. Außerdem werden die Mitglieder der Regierung, die den Krieg erklärt hat, als Täter verantwortlich gemacht werden. Wird der Krieg nach der Verfassung des kriegführenden Staates in der Form eines Gesetzes, d. h. durch Parlamentsbeschluß, erklärt, so werden auch die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaft unmittelbar verantwortlich sein, wenigstens wenn sie nicht ausdrücklich gegen den Krieg gestimmt haben. Diesen politisch bestimmten Kreis findet man im Schrifttum als den der „gouvernants" bezeichnet. Schon bei den ersten Erwägungen über die Abgrenzung des Täterkreises zeigt sich, daß es notwendig ist, die inneren Verfassungszustände des Staates, der den Angriffskrieg führt, im Auge zu behalten. Daraus ergibt sich nicht nur in formaler Hinsicht, wer das Staatshaupt, die Regierung und die sonstigen verantwortlichen Täter sind. Auch die wirkliche Verantwortlichkeit für den politischen Entschluß, Krieg zu führen, und der kausale Zusammenhang, ohne dessen Klärung ein strafrichterliches Urteil nicht möglich ist, lassen sich nur im Hinblick auf die konkrete Verfassungslage des kriegführenden Staates feststellen. Die Worte „Staatshaupt" und „Regierung" bedeuten in einem absolutistischen System politisch etwas anderes als in einer konstitutionellen Verfassung, wo verantwortliche Minister durch ihre Gegenzeichnung die politische Verantwortlichkeit für die Anordnungen des Staatshauptes übernehmen. Wie weit diese konstitutionelle Verantwortlichkeit in Betracht kommt, ist dann eine weitere Frage. Im Falle Wilhelms II. ist das Staatshaupt allein völkerrechtlich verantwortlich gemacht worden, ohne daß man den konstitutionell verantwortlichen Reichskanzler von Bethmann-Hollweg in Betracht zog [136]. Das war aber wohl nur ein Ausdruck der Überzeugung, daß Wilhelm II. ein persönliches, autoritäres und arbiträres Regiment führte, und daß gerade dieses persönliche Regiment als ein wesentlicher Bestandteil seiner Schuld am Weltkrieg behandelt wurde. Wendet man diesen letzten Gesichtspunkt auf das Hitler-Regime an, so müßte, bei der Konzentration aller Macht und aller Verantwortlichkeit in der Hand Hitlers, dieser der einzige Kriegsverbrecher des letzten Weltkrieges sein, soweit

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Deutschland in Betracht kommt. Offenbar soll der Kreis der Täter des neuen völkerrechtlichen Verbrechens aber weiter gezogen werden. Nicht nur Hitler persönlich, sondern auch sein „Regime" wird strafrechtlich verantwortlich gemacht. Der Ausdruck „Regime" ist hierfür charakteristisch und, wie ich glaube, unvermeidlich. Dadurch wird eine besondere Art politischer und sozialer Herrschaft von anderen Staats- und Regierungsformen unterschieden. Der Ausdruck ist allgemein, wird aber doch in besonderer Weise sowohl für das faschistische wie für das nationalsozialistische Regime als eine besondere Methode der politischen Willensbildung gebraucht. Die spezifische Eigenart beider Regime lag darin, daß sich die politische Willensbildung bei dem Chef einer Partei konzentrierte, der mit Hilfe dieser Partei den Staat und das ganze übrige Gemeinwesen durchdrang und seinem Willen unterwarf. Ein solches Regime beruht auf der Unterscheidung von Führenden und Geführten, Regierenden und Regierten, wobei nur diejenigen an der politischen Willensbildung beteiligt sind, die zum Willenszentrum des Regimes gehören. Das bedeutet in Anwendung auf die Frage nach dem Täter und dem Täterkreis des internationalen Verbrechens „Krieg", daß nur diejenigen als Täter in Betracht kommen, die wirklich am Regime im Sinne der Bildung des politischen Willens beteiligt sind. Auch hier hängt es von der konkreten innerpolitischen Lage des Regimes ab, welche Personen hierfür in Betracht kommen. Gerade das Hitler-Regime hat ja gezeigt, daß die politische Willensbildung, bei einer derartigen Machtkonzentration in einer Hand, ein besonders interessanter, aber oft undurchsichtiger Vorgang ist. Es gehört zum Wesen eines derartigen Regimes, daß hinter der geschlossenen Fassade einer unbedingten Einheit mehrere Machtgruppen untereinander kämpfen. Um den Mittelpunkt einer formalen Allmacht bildet sich ein engerer Kreis, der im Staat und in der Öffentlichkeit absichtlich nicht hervortritt, aber den Zugang zur Spitze auf eine wirksame Weise blockiert. Im Absolutismus des 18. und 19. Jahrhunderts hieß das die Camarilla und die Antichambre, und auch im Hitler-Regime war es nicht schwer zu sehen, daß das vielgenannte Führerprinzip in weitestem Umfang ein Vorzimmer-Prinzip geworden war. Hier, in der Umgebung des Führers, bildeten sich das eigentliche Komplott in einem kriminellen Sinne und die eigentliche Verschwörung. Es ist für die rechtliche Beurteilung einer solchen Lage von symptomatischer Bedeutung, daß Hitler mit besonderer Vorliebe von einer „verschworenen Gemeinschaft" sprach. Ich bin der Ansicht, daß Täter im Sinne des internationalen Verbrechens „Krieg" bei einem solchen Regime nur derjenige sein kann, der zu dieser engeren, um die Person Hitlers sich bildenden „verschworenen Gemeinschaft" gehört. Wenn es nicht gelingt, dieses eigentliche Komplott, diesen „Gang", diese association politico-criminelle, diese ganz konkrete „verschworene Gemeinschaft" als solche festzustellen und der Welt zu zeigen, wird das, was die öffentliche Meinung der Welt und das Rechtsgefühl vieler Millionen Menschen von einem Strafverfahren gegen das Hitler-Regime erwarten, trotz massenhafter Prozesse auf eine tragische Weise enttäuscht werden. 5 Quaritsch

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Die spezifische Eigenart eines solchen Regimes muß also stets im Auge behalten werden. Sonst ist es fast unvermeidlich, daß sich in einem solchen ProzeßVerfahren die juristischen Begriffe anderer Verfassungszustände einmischen und den wirklichen Sachverhalt ganz unkenntlich machen. Diese Gefahr läßt sich an dem Wort „Regierung" am besten erkennen. Im allgemeinen versteht man unter der „Regierung", abgesehen vom Staatshaupt, die Minister, einzeln und als Kollegium, in ihrer Eigenschaft als Träger höchster staatlicher Ämter und höchster staatlicher Funktionen. Ich will die Minister des Hitler-Regimes in keiner Weise entschuldigen oder verteidigen. Aber für eine sachliche Bewertung der wirklichen Täterschaft darf doch nicht außer Acht bleiben, daß viele Minister im HitlerRegime etwas völlig anderes waren als die verantwortlich leitenden Personen, die im Sinne des bisherigen Staatsrechts, sei es einer monarchisch-konstitutionellen oder einer republikanischen Verfassung, sei es sogar eines aufgeklärten monarchischen Absolutismus, „Minister" heißen. Minister im Sinne der verfassungsrechtlichen Begriffe des letzten Jahrhunderts ist nur derjenige, der für sein Ressort verantwortlich sein kann, weil er für sein Ressort ausschließlich zuständig ist. Ein solcher Minister hat in Fragen seines Ressorts ohne weiteres Zugang zum Staatshaupt und das große Recht des Immediatvortrages. Er kann sich Einmischungen und Einflüsse, die von dritter, unverantwortlich^ Seite auf die Willensbildung des Staatshauptes einwirken, verbitten und sie zurückweisen. Er ist innerhalb seines Ressorts auch insofern „Herr im eigenen Hause", als er die Beamten seines Ministeriums und seines Ressorts, vom Staatssekretär bis zum letzten Amtsdiener, ohne fremde Mitwirkung selber bestimmen kann. Alles das trifft für viele „Minister" des Hitler-Regimes nicht zu. Der „Zugang zum Führer" war ein besonderes Problem [137]. Einmischungen und Einflüsse von anderer Seite, insbesondere von Seiten der Parteikanzlei, der Reichsleiter, Gauleiter und zahlreicher anderer Personen, waren selbstverständlich und unabwendbar. Die Ernennung der Beamten, auch der Beamten des Ministeriums, bedurfte der Zustimmung der Parteikanzlei. Der Leiter der Parteikanzlei hatte wesentliche und intensivere Einwirkungsmöglichkeiten als der Minister. Die Chefs der Kanzleien (Parteikanzlei, Reichskanzlei, Präsidialkanzlei, Kanzlei des Führers) waren nach Lage der Sache überministerielle Instanzen. Eine Sitzung des Reichskabinetts hat seit Jahren überhaupt nicht mehr stattgefunden. Zahlreiche Sonderbeauftragte regierten durch die verschiedenen Ressorts hindurch, mit wechselnder tatsächlicher Macht. Der Minister wartete oft monatelang auf eine Audienz, bevor er überhaupt einen Zugang zum Staatshaupt fand. Es ist eine Frage für sich, ob man die Minister dafür verantwortlich machen kann, daß sie einen solchen Zustand überhaupt ertrugen. Aber für die Beantwortung der Frage, wer der Täter eines internationalen Verbrechens ist, bedarf es doch einer Klärung dieses Sachverhaltes, an den ich erinnere, um zu zeigen, daß es nicht angängig ist, gegen eine größere Anzahl einzelner Menschen ein Strafurteil wegen des internationalen Verbrechens „Krieg" zu erlassen, ohne ein klares Bild von den inneren Zuständen eines solchen Regimes und von den Methoden der Bildung seines politischen Willens zu haben.

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Auch das Wort „Partei" hat in den verschiedenen innerpolitischen Zuständen einen verschiedenen Sinn und kann nicht ohne sachliche Prüfung ohne weiteres als Kriterium benutzt werden. In den drei bekannten Fällen eines Einparteiensystems — die kommunistische Partei in der Sowjetunion, die faschistische Partei in Italien und die nationalsozialistische Partei in Deutschland — hat die Partei jedesmal eine ganz verschiedene Funktion. Eine auf zehn Millionen Mitglieder aufgeblähte Organisation, wie die nationalsozialistische Partei in Deutschland [138], kann schon zahlenmäßig kein „Orden" und keine „Elite" sein, wie eine durch fortwährende „Epurationen" gestraffte Partei von der Art der kommunistischen Partei oder selbst wie die weitaus weniger zahlreiche faschistische Partei in Italien. Im Vergleich zu der Partei im Hitler-System hatte eine Organisation wie die SS weit eher den Charakter eines „Ordens". Ich will dieses allgemeine soziologische Problem des „Ordens" und der „Elite" hier nur andeuten, weil es für die Beantwortung der Frage, wer zum „Regime" und zur „équipe" des Regimes gehört, von Interesse ist. Leider fehlt es bisher an einer Soziologie dieser neuen Parteien, die mit den auf freier Werbung beruhenden Parteien eines liberalen Verfassungssystems nur den Namen gemeinsam haben. Die ausländische, insbesondere die amerikanische Literatur ist mir nicht zugänglich, und die Ansätze in der deutschen Literatur vor 1933 (wie Robert Michels, Soziologie des Parteiwesens, 1910) sind leider nicht weitergeführt worden [139]. Eine interessante monographische Behandlung findet man, soweit ich sehe, in einer Dissertation der Handelshochschule Berlin von J. Kendziora aus dem Jahre 1933, „Der Begriff der politischen Partei im System des politischen Liberalismus" [140], die sich aber, wie schon ihr Titel zeigt, auf die Verfassungszustände jener Jahre beschränkt, und zwar bereits den Übergangstypus der Aktions-Partei, aber noch nicht die eigentümlichen, unerwarteten und oft schwer durchschaubaren Entwicklungen des Hitler-Regimes behandelt. Aus der soziologischen Literatur der älteren Autoren, wie Max Weber, Georges Sorel (über die association politico-criminelle) und Vilfredo Pareto, sind manche einzelnen Erkenntnisse und Formulierungen verwertbar. Hierfür zitiere ich als Beispiel die Definition der „Elite" durch Pareto: „Elite sind diejenigen, die bei größtem Einkommen die geringsten Abgaben bezahlen" [141]. Diese, auf finanzielle Kategorien abgestellte, für die Soziologie Paretos typische Formulierung enthält ein wichtiges Kriterium auch für die umgekehrte Lage der zahlreichen Opfer, die, ohne irgendeinen politischen Einfluß zu haben, Spenden, Beiträge und andere Tribute zahlen mußten „pour se racheter de l'invasion". Mit diesem kurzen Hinweis auf die soziologische Seite des neuen Problems muß ich mich in dieser allgemeinen Erörterung begnügen. Die tatsächlichen Folgen eines Krieges treffen das ganze Volk und jeden einzelnen. Blockade, Besatzung, Repressalien und andere Auswirkungen einer Aktion treffen unterschiedslos Gute und Böse, Gerechte und Ungerechte. Durch Krieg und Niederlage werden unterschiedslos Gerechte und Ungerechte betroffen. 5*

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Das ist ein großes Unglück, aber noch keine Erschütterung der Begriffe von Recht und Moral. Handelt es sich aber um eine von Menschen für andere Menschen organisierte irdische Strafjustiz, so ist es notwendig zu unterscheiden. Wenn eine in feierlichen Formen prozedierende Strafjustiz an einem solchen entscheidenden Punkt einen Fehlgriff tut, so ist das kein alltäglicher Justiz-Irrtum, den man aus menschlichen Gründen in Kauf nehmen könnte. Das Unrecht und Unheil eines solchen Fehlgriffs entspräche der Größe des Weltverbrechens, zu dessen Sühnung die großen Prozesse bestimmt waren. 3. Ein Angriffskrieg ist ein außenpolitischer Vorgang. Wenn der Angriffskrieg ein internationales Verbrechen ist, so wird er nicht nur innenpolitisch, sondern auch außenpolitisch ein solches Verbrechen. Das bedeutet, daß alle Fragen der Täterschaft, Mittäterschaft und Teilnahme sich hier auch als außenpolitische Fragen erheben. Der angreifende Staat kann Verbündete haben. Die Mitglieder der leitenden politischen Schicht des Verbündeten werden dadurch zu Teilnehmern des internationalen Verbrechens. Nach Lage der Sache sind sie Mittäter ersten und zweiten Grades (principals of the first degree oder principals of the second degree) oder aids and absets. Die anglo-amerikanische Lehre und Praxis von der Beteiligung an strafrechtlichen Handlungen unterscheidet sich in vieler Hinsicht von der deutschen Jurisprudenz [142]. Ein Hauptunterschied liegt darin, daß mangels eines kodifizierten Strafgesetzes ein vom besonderen Teil abgetrennter allgemeiner Teil des Strafrechtes fehlt und es daher eine Tatbestandslehre in unserem Sinne nicht gibt. Die ältere englische Jurisprudenz unterschied den Täter (actual perpetrator) von den Teilnehmern (accessories). Für die Unterscheidung der Teilnehmer hielt man sich an den alten gemeinrechtlichen Gesichtspunkt, der ein der Tat vorangehendes, ein gleichzeitiges und ein nachfolgendes Mitwirken unterschied (concursus antecedens, concomitans und subsequens). Die Unterscheidung von Täter und Teilnehmer ist aber bei der ersten Klasse der Verbrechen, den treasons, nicht durchgeführt. Bei der zweiten Klasse, den felonies, ist sie seit dem Accessories and Abettors Act 1861 beseitigt, so daß für sämtliche Verbrechensarten des anglo-amerikanischen Rechts jede Beteiligung, sofern sie nur kausal erheblich ist, als Täterschaft gilt und mit der Täterstrafe bestraft wird. Die conspiracy kann selbstverständlich neben der Begehung bestraft werden, ist aber nicht (wie das „Komplott" im heutigen deutschen Strafrecht) ein ganz selbständiges Delikt, sondern eine Ergänzung der Teilnahmeregelung, noch in der Art des Komplottes im gemeinen Strafrecht (Komplott hieß lateinisch „conspiratio"). Der Grundgedanke war, die gegenseitige Bestärkung des verbrecherischen Vorsatzes zu erfassen, ohne Rücksicht auf gleiche Kraftanwendung. Der Begriff der conspiracy ermöglicht es, auch bei unvollendeten Verbrechen sämtliche Beteiligten zu bestrafen. „The conspiracy is a partnership in criminal purposes"; nach der klassischen Definition des Richters Willes in der englischen Entscheidung Mulcahy v. The Queen 1886 ist sie „the agreement of two or more to do an unlawful act" [143]. Die Begünstigung nach begangener Tat wird, ebenso wie im deutschen Strafrecht (§ 257 des deutschen Reichs-Strafgesetzbuches) nicht

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als Teilnahmehandlung, sondern als ein besonderes Delikt behandelt. Der frühere actor oder actual perpetrator, welcher die Straftat (offence) tatsächlich begeht, wird heute als „principal of the first degree", als „Täter ersten Grades" bezeichnet, der einstige „accessory at the fact", der bei der Begehung der Tat anwesend war, ist und sie unterstützt (aids and absets), als „principal of the second degree". Die strafrechtliche Lehre von der Teilnahme und der Beteiligung am Verbrechen braucht hier nicht weiter vertieft zu werden. Aber wenn von Verbrechen die Rede ist, läßt es sich nicht vermeiden, daß auch von der Teilnahme am Verbrechen gesprochen werden muß, und wenn es sich um Verbrechen von internationalem, d. h. außenpolitischem Charakter handelt, so erhebt sich die Frage der außenpolitischen Mittäter, Teilnehmer und Begünstiger mit allen Schwierigkeiten eines solchen außenpolitischen Problems. Was das praktisch für einen Strafprozeß bedeutet, zeigt sich sofort, wenn man nur einmal anfängt, die eben genannten strafrechtlichen Begriffe von accessory und conspiracy auf die außenpolitische Lage des Jahres 1939 anzuwenden. Deshalb mußte ich an einige elementare Begriffe der Teilnahme-Lehre erinnern, umsomehr als in der bisherigen Erörterung des Krieges als eines internationalen Verbrechens auch diese Seite der Sache mit einer oft erstaunlichen Folgerichtigkeit im Grundsätzlichen und ohne jede Konsequenz im Konkret-Außenpolitischen zur Sprache gekommen ist. Die Vorkämpfer der Kriminalisierung des Angriffskrieges sprechen daher auch von den außenpolitischen „complices" des neuen Verbrechens. Sie sind sich auch bewußt, daß eine Neutralität im alten völkerrechtlichen Sinne nicht mehr zulässig ist, wenn das Völkerrecht die gerechten Kriege erlaubt und die ungerechten als Verbrechen behandelt, und gehen sogar soweit, den neutralen Staat, der unter Berufung auf das bisherige Neutralitätsrecht der Haager Landkriegsordnung von 1907 seinen Staatsangehörigen nicht verbietet, den kriegführenden Staat, der einen ungerechten Krieg führt, wirtschaftlich zu beliefern, als einen Teilnehmer an dem Unrecht des Angriffskrieges hinzustellen. „ A State aiding a violating State is itself guilty of violating the Pact", heißt es in der Interpretation des Kellogg-Paktes durch die oben S. 58 + bereits behandelten Budapester Regeln der Konferenz der International Law Association vom September 1934 [144]. Wenn nun schon der neutrale Staat in dieser Weise zum Teilnehmer des internationalen Verbrechens wird, so offenbar noch weit mehr derjenige Staat, der mit dem Angreifer einen Nichtangriffspakt geschlossen hat und diesen einhält. Denn nach Lage der Dinge deckt der Nichtangriffspakt dem Angreifer den Rücken. Und wenn nicht der Staat als solcher, sondern die verantwortlichen Urheber kriminell verantwortlich gemacht werden sollen, müßte die Untersuchung entsprechend auf die inneren Verfassungszustände des neutralen oder zum Nichtangriff verpflichteten Staates ausgedehnt werden. +

In diesem Text S. 48 (d. Hrsg.).

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Unter dem Gesichtspunkt des neuen internationalen Verbrechens müßten daher alle Nichtangriffspakte vom Sommer 1939 daraufhin untersucht werden, ob die Partner sich von ihm distanziert haben oder nicht. Deutschland hatte damals den Vertrag mit der Sowjetunion vom 23. August 1939 abgeschlossen, der den Neutralitätsvertrag vom April 1926 ergänzte und erweiterte [145]. Der Vertrag wurde von deutscher Seite als ein „festes und unverrückbares Fundament bezeichnet, auf dem die beiden Staaten aufbauen und zu einer engen Zusammenarbeit kommen werden". Von russischer Seite wurde dieser Nichtangriffspakt als ein Vertrag von großer internationaler Bedeutung und historischer Tragweite, ja als ein Wendepunkt in der Geschichte Europas und nicht nur Europas allein, bezeichnet. Diesem Vertrag folgte der deutsch-sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939, der die Grenzen der beiderseitigen Reichsinteressen im Gebiet des bisherigen polnischen Staates festlegte, diese Grenzen als endgültig anerkannte und „jegliche Einmischung dritter Mächte in diese Regelung" zurückwies [146]. In einem deutsch-sowjetischen Briefwechsel vom 28. September 1939 wurde vereinbart, auf Grund und im Sinne der erzielten politischen Verständigung mit allen Mitteln die Wirtschaftsbeziehungen und den Warenumsatz zwischen Deutschland und der USSR zu entwickeln und ein Wirtschaftsprogramm aufzustellen, nach welchem die Sowjetunion Deutschland Rohstoffe gegen Industrieprodukte liefern wird. Im Verfolg dieses Planes wurde am 11. Februar 1940 ein Wirtschaftsabkommen, am 10. Januar 1941 ein erweitertes Wirtschaftsabkommen zwischen beiden Ländern abgeschlossen [147]. Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika z. B. hat im September 1939 ausdrücklich ihre Neutralität erklärt [148]. Diese Andeutungen mögen genügen. Jedenfalls ist es angesichts der Verbindungen von Internationalisierung und Pönalisierung, auf der die Neuartigkeit des Verbrechens des Krieges beruht, nicht möglich, die außenpolitische Lage und die daraus sich ergebenden Fragen nach Mittätern und Teilnehmern ganz außer Acht zu lassen.

V. Die Lage des einzelnen Staatsbürgers, insbesondere des wirtschaftlich tätigen ordinary business-man Der einzelne Staatsbürger, der nicht zum Kreis der politisch führenden Personen gehört und weder an Verstößen gegen die Regeln des Kriegsrechts noch an Unmenschlichkeiten beteiligt ist, dürfte normalerweise weder als Täter noch als Teilnehmer des internationalen Verbrechens des Angriffskrieges in Betracht kommen. Von einigen Autoren ist jedoch die Ansicht vertreten worden, daß der einzelne Staatsbürger aufgrund einer unmittelbar völkerrechtlichen Verpflichtung verantwortlich gemacht werden könne, weil er völkerrechtlich verpflichtet sei, der Regierung, die einen ungerechten Krieg führt, den Kriegsdienst und den Gehorsam zu verweigern.

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In Deutschland wurde das strafrechtliche Problem einer unmittelbar völkerrechtlichen Rechtsstellung des Einzelnen hauptsächlich unter der Fragestellung behandelt, ob der einzelne Staatsbürger, trotz der innerstaatlichen Strafbestimmungen gegen Landesverrat, das Recht habe, Staatsgeheimnisse, denen ein Völkerrechts- oder vertragswidriges Verhalten der eigenen Regierung zugrunde liegt, fremden Regierungen mitzuteilen. Dieses Recht des Staatsbürgers wurde besonders nach 1919 von dem Hamburger Strafrechtslehrer Moritz Liepmann vertreten [149]. Ein Schüler Liepmanns, Artur Wegner, kommt in einer Schrift „Kriminelles Unrecht, Staatsunrecht und Völkerunrecht" (Hamburg 1925) zu dem Ergebnis, daß der Einzelne, ohne Rücksicht auf die nationalen Strafbestimmungen wegen Verrats, völkerrechtswidrige Handlungen seiner Regierung zwar nicht einer fremden Regierung, wohl aber der internationalen Gemeinschaft als solcher mitteilen dürfe, die in diesem Fall durch den Völkerbund repräsentiert würde [150]. Danach hätte ein Industrieller oder ein Kaufmann das Recht, militärische Geheimnisse seines Staates der Genfer Liga mitzuteilen, wenn er der Meinung ist, daß die Aufrüstung seines Staates völkerrechtliche Pflichten verletzt. Es handelt sich aber bei unserer international-strafrechtlichen Frage nicht so sehr um einen international-rechtlich begründeten Rechtfertigungsgrund für innerstaatlich verbotene Handlungen, insbesondere für Landesverrat, sondern um die Frage, ob der einzelne Staatsbürger im Falle eines ungerechten Krieges international-rechtlich verpflichtet ist, jede Mitwirkung und jeden Gehorsam zu verweigern, wenn er nicht selber als Beteiligter des neuen internationalen Verbrechens des Krieges gelten soll. In dieser Hinsicht hat der bekannte pazifistische Völkerrechtslehrer Hans Wehberg z. B. in seiner Schrift „Die Ächtung des Krieges" (Berlin 1930) die These vertreten, es sei eine Folge des Kellogg-Paktes, „daß fortan im Falle eines Angriffskrieges die Bürger aller Staaten, die den Kellogg-Pakt ratifiziert haben, berechtigt und verpflichtet sind, den Kriegsdienst zu verweigern" [151]. Diese Auffassung ist in Europa ganz vereinzelt geblieben. Ihr steht bisher in allen Staaten der Erde die herrschende Ansicht und Praxis entgegen, daß der Einzelne im Kriegsfalle seiner nationalen Regierung zur Treue und zum Gehorsam verpflichtet ist, und daß die Entscheidung über Recht und Unrecht eines Krieges nicht dem Einzelnen, sondern der nationalen Regierung zusteht. Auch hier ist zu beachten, daß es sich nicht um den Fall der Beteiligung an atrocities, an Unmenschlichkeiten, sondern um die Frage nach dem internationalen Verbrechen des Krieges als solchem handelt. Daß die extrem pazifistische Ansicht eines Autors wie Hans Wehberg keine Änderung der allgemeinen Überzeugung oder gar der positiven Rechtslage herbeigeführt hat, ergibt sich auch aus den Ausführungen eines bekannten Juristen der Genfer Liga, Nicolas Politis, der über dieses Thema an der Columbia-Universität von New York Vorlesungen gehalten und diese unter dem Titel „Les Nouvelles Tendances de Droit International" 1926 veröffentlicht hat. Politis hebt hervor, daß die unmittelbare völkerrechtliche Verpflichtung des Einzelnen sowohl auf große praktische Schwierigkeiten wie auch auf eine ihr entgegenstehende „tradition séculaire" stößt [152]. Diese säkulare

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Tradition ist bisher wohl in einigen Anregungen und Vorschlägen privater Autoren angegriffen, aber noch von keiner offiziellen Erklärung und von keiner Praxis irgendeiner Regierung in Zweifel gezogen worden. Alle Regierungen der Erde haben bisher daran festgehalten, daß der Staatsbürger seiner Regierung, auch wenn er ihr Verhalten im übrigen nicht billigt, im Falle des Krieges zur Loyalität und zum Gehorsam verpflichtet ist. Diese allgemeine Praxis und Lehre ist auch durch Argumentationen des scholastischen Naturrechts nicht beseitigt worden. In der Diskussion über den gerechten Krieg wird seit einigen Jahrzehnten von angesehenen Autoren auf die Lehre von Scholastikern des Mittelalters und des 16. Jahrhunderts hingewiesen. Das geschieht vor allem durch einen führenden amerikanischen Völkerrechts-Juristen, James Brown Scott, den Präsidenten der Amerikanischen Gesellschaft für Völkerrecht, zugleich Präsident der Völkerrechtlichen Abteilung der Carnegie-Stiftung und Professor des Internationalen Rechts an der Columbia-Universität. James Brown Scott hat in zahlreichen Vorträgen und Veröffentlichungen besonders den spanischen Dominikaner Francisco de Vitoria und den neuthomistischen Jesuiten Suarez als Begründer des modernen Völkerrechts und einer zeitgemäßen Auffassung des Krieges gefeiert [153]. J. B. Scott ist bereits auf der Pariser Friedenskonferenz 1919 in der Frage der Strafverfolgung Wilhelms II. und der Kriegsschuld durch die Lehre vom „gerechten Krieg" hervorgetreten. Bei seinem außerordentlichen Einfluß auf die öffentliche Meinung Amerikas und der ganzen Erde ist es angebracht, wenigstens mit einigen Hinweisen auf diese Renaissance der scholastischen Lehre einzugehen und auf einige Grenzen ihrer Verwertbarkeit aufmerksam zu machen [154]. Jene scholastischen Theologen setzen im allgemeinen entweder noch mittelalterlich organisierte, stark feudal- und ständisch-rechtliche Gemeinwesen mit verfassungsmäßigem Widerstandsrecht oder aber die Lage der konfessionellen Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts voraus. Bei offensichtlich ungerechtem Krieg nehmen sie an, daß der Einzelne (den sie sich aber meistens noch in ständischen Bindungen vorstellen) ein Widerstands- und Gehorsamsverweigerungsrecht und eine entsprechende Pflicht hat. Wenn solche Theorien heute zitiert werden, darf man dabei den fundamentalen Wandel der Situation und der sozialen Organisation nicht außer Acht lassen. Jene Scholastiker stehen in dem festen ordo spiritualis ihrer Kirche und argumentieren unter der Voraussetzung einer anerkannten übernationalen Autorität, der potestas spiritualis ihrer Kirche. Der Einzelne, der den Gehorsam verweigert, hat an seiner Kirche, d. h. an seinem Beichtvater und seiner kirchlichen Autorität einen bestimmten, übernatürlichen Halt. Es wird nicht etwa in einen leeren Raum und an sein individualistisches Urteil, sondern an klare Institutionen verwiesen, und selbst hinsichtlich seines Gewissens hat er ein vom Beichtvater repräsentiertes, sicheres forum internum. Man braucht diese ganz konkrete Voraussetzung jener scholastischen Lehre nur mit der heutigen Situation der Erde zu vergleichen, um das punctum saliens

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zu erkennen. Es ist nämlich nicht möglich, eine unmittelbar völkerrechtliche Situation des Einzelnen, die ihn im Kriegsfall zum Widerstand gegen sein eigenes Land und gegen seine Regierung verpflichtet, zu postulieren, solange nicht feste, internationale Institutionen geschaffen sind, an die der Einzelne sich zu seiner Information und seinem Schutze wenden kann. Jene scholastischen Theologen, die mit großer Vorsicht vom Widerstandsrecht und der Gehorsamsverweigerung bei ungerechtem Kriege sprechen (es handelt sich hier nicht um die Gehorsamsverweigerung gegenüber einem einzelnen Befehl zu strafbaren Handlungen), waren nicht Juristen einer staatlichen Regierung, sondern kirchliche Gewissensberater und kirchliche Lehrer von kirchlichen Gewissensberatern. Sie dozierten aufgrund eines Lehrauftrages, einer missio canonica, die sie von einer göttlichen, hoch über allen nationalen Staaten und Regierungen stehenden Institution erhielten. Jedes ihrer Worte war auf dem sicheren Grund kirchlichen Glaubens und in dem festen Rahmen einer wohl organisierten Kirche gesprochen. Die modernen Autoren, die für die heutige Lage der Welt derartige unmittelbare, internationale Rechte und Pflichten des Einzelnen gegenüber seiner Regierung aufstellen, müßten auf entsprechende internationale Institutionen von analoger Autorität, Festigkeit und überpolitischer Geistigkeit verweisen können. Der Genfer Liga ist es nicht gelungen, in der Meinung der europäischen Völker zu einer solchen Institution emporzusteigen. Der Ansatz zu einer Autorität, der ihr durch das Erscheinen des Präsidenten W. Wilson in Europa gegeben war, ging sofort mit Wilsons Abreise aus Europa verloren. Der Internationale Gerichtshof im Haag war für Fragen des Krieges nicht zuständig. Außerdem haben sich sofort nach Ausbruch des Krieges die Regierungen von Groß-Britannien, Frankreich, Australien, Neuseeland, Südafrika und Indien in ihren an den Generalsekretär der Genfer Liga gerichteten Schreiben (vom 7. bis 27. September 1939) von den Verpflichtungen der Fakultativ-Klausel (Art. 36 des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofes) losgesagt [155]. Bisher gibt es auch noch keinen allgemeinen internationalen Strafgerichtshof, der in der Form eines Strafprozesses über das sachliche Recht oder Unrecht eines Krieges bereits bei Ausbruch oder Beginn entschieden hätte, ohne den Ausgang des Krieges abzuwarten. Nicht einmal im Falle Italiens 1935/36, dem einzigen Fall eines „proclaimed aggressors" [156], ist es zu solchen Erklärungen, Aufrufen an die Staatsbürger des Aggressor-Staates oder zu strafrichterlichen Inanspruchnahmen eines Staatsbürgers als Teilnehmer eines internationalen Verbrechens gekommen. Die Geschichte der Bemühungen um die Verhütung des Krieges von 1919 bis 1939 zeigt also, daß die heutige Welt weit entfernt ist von einer Ordnung, die mit dem „ordo spiritualis" der christlichen Kirche des Mittelalters auch nur einigermaßen verglichen werden könnte. Wir haben oben ausführlich die Frage erörtert, ob der Angriffskrieg für das Bewußtsein der europäischen Völker und Regierungen im Sommer 1939 nicht nur allgemein als Unrecht, sondern auch als ein der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten unterstehendes Verbrechen im kriminellen Sinne galt. Wir haben diese Frage nicht mit einem Ja beantworten

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können. Damals im September 1939 haben auch die Regierungen aller Staaten, die nicht Krieg führten, in aller Form ihre Neutralität erklärt und zahlreiche Neutralitätsgesetze für ihre Staatsbürger in Kraft gesetzt [157]. Dadurch haben sie, wenigstens für europäisch-staatliche Begriffe, zum Ausdruck gebracht, daß sie zwischen gerechten und ungerechten Kriegen völkerrechtlich und offiziell nicht unterschieden. In dieser Haltung kam aber außerdem zum Ausdruck, daß sie die Entscheidung über das Recht oder Unrecht des Krieges als eine Sache der Regierungen, nicht der einzelnen Staatsbürger, betrachteten. Zwar haben die Vorkämpfer der Lehre vom gerechten Krieg diese Haltung perfekter Neutralität lebhaft kritisiert. So hat John B. Whitton schon im Jahr 1938 der amerikanischen Neutralitäts-Gesetzgebung zum Vorwurf gemacht, daß sie den Angreifer und sein Opfer auf die gleiche Stufe stelle und nicht einmal versuche, die Rechte eines kollektiven Sicherheits-Systems zu wahren [158]. Er hat dadurch die Meinung zahlreicher angesehener anglo-amerikanischer Autoren zum Ausdruck gebracht [159]. Aber der Unterschied der offiziellen Haltung der USA-Regierung als solcher und einer anti-neutralen öffentlichen Meinung zeigte sich auch hier. Dieser Kontrast mußte dem einzelnen Staatsbürger eines kriegführenden europäischen Staates zum Bewußtsein bringen, daß sein unmittelbar international-rechtlicher Status nur ein Projekt und ein Postulat war, während er im übrigen in der praktischen Wirklichkeit seinem Schicksal überlassen blieb, und zwar einem Schicksal, das national und nicht international bestimmt war. Der einzelne Staatsbürger, der sich im Jahre 1939 entschließen sollte, dem Krieg seiner Regierung als einem ungerechten Akt Widerstand zu leisten, fand weder innerstaatlich noch innerstaatlich-rechtlich irgendeinen Halt oder Schutz. Er war in die hochspezialisierte, arbeitsteilige Organisation eines modernen industriellen Gemeinwesens eingefügt. Obwohl er nicht in der Lage war, sich eigene Informationen zu verschaffen, sollte er doch durch seinen Widerstand auf eigenes Risiko eine Entscheidung von unabsehbaren außenpolitischen Konsequenzen gegen sein Land und seine Nation treffen. Wer durfte angesichts eines bevorstehenden Weltkrieges in einer solchen Weltlage dem einzelnen Staatsbürger eine solche international-rechtliche, mit kriminellen Strafen sanktionierte Rechtspflicht zum Widerstand gegen die eigene Regierung auferlegen und dazu noch in einem Europa, dessen Gesamtlage durch den Bürgerkrieg internationaler Parteien, durch ein undurchdringliches System von Beistands- und Nichtangriffspakten und durch den offensichtlichen Zusammenbruch des Genfer Völkerbundes gekennzeichnet war? In dieser Lage mußte der einzelne Staatsbürger, der nicht zu den politisch bestimmten Kreisen des Regimes gehörte, insbesondere der wirtschaftlich tätige Kaufmann und Industrielle, das Urteil über Recht und Unrecht des Krieges seiner nationalen Regierung überlassen. Das entsprach der säkularen Tradition, die in der Tat bei allen Völkern des europäischen Kontinents seit Jahrhunderten herrscht und nur durch sichere neue Institutionen außer Wirkung gesetzt werden kann.

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Diese Tradition hat tiefe Ursachen und Gründe religiöser und moralischer Art. Sie kann sich auf eine theologische Doktrin berufen, die besonders im lutherischen Teil des deutschen Volkes außerordentlich stark war (Rom. 13,1). Mit Rücksicht darauf, daß in der gesamten pazifistischen Literatur der Name des großen Philosophen Kant als Autorität gegen den Krieg zitiert wird, wird man auch die Tatsache nicht ignorieren können, daß gerade Kant jedes Widerstandsrecht gegen die Regierung abgelehnt und von der Pflicht des Volkes spricht, „selbst den für unerträglich ausgegebenen Mißbrauch der obersten Gewalt dennoch zu ertragen" [160]. Auf der anderen, dem Staatsbürger gegenüberstehenden Seite verhält es sich so, daß bisher noch kein Staat der Welt darauf verzichtet hat, im Ernstfall gegenüber seinen Staatsbürgern die Entscheidung über Recht und Unrecht des Krieges in der Hand zu behalten [161]. Ein Staatsbürger, der im Kriegsfalle den Gehorsam verweigert und die Mobilmachung stört, der den Versuch macht, sich mit dem Ausland ins Einvernehmen zu setzen, um sich die nötigen Informationen für eine moralische und juristische Bewertung des Krieges zu verschaffen, ist bisher noch von jeder europäischen Regierung als Landesverräter, Hochverräter, Saboteur oder in anderer Weise mit den schwersten kriminellen Strafen zur Verantwortung gezogen worden. Auch hier handelt es sich nicht um die Frage des Rechtes oder der Pflicht, bestimmten rechtswidrigen Befehlen den Gehorsam zu verweigern. Es handelt sich hier um die Entscheidung über Recht und Unrecht eines Krieges im Ganzen und die daraus sich ergebenden kriminalrechtlichen Folgerungen. Jene säkulare Tradition, die den einzelnen Staatsbürger im Falle des Krieges besonders streng an seine nationale Regierung bindet, hat starke geschichtliche Wurzeln. Der moderne Staat des europäischen Kontinentes ist dadurch entstanden, daß er das mittelalterliche Widerstandsrecht beseitigte und durch seine Legalität und legale Rechtsbehelfe ersetzte. Alle Legalität eines modernen Staates beruht auf der Vermutung der Legalität aller Regierungs- und Verwaltungsakte. Der moderne Staat des europäischen Kontinents hat infolgedessen eine besondere Prärogative, die alle Staats- und Verwaltungsrechtslehrer hervorheben und die der große französische Jurist Maurice Hauriou als das Recht auf die „obéissance préalable" bezeichnete [162]. Der Staatsbürger ist gegenüber einem formal-legalen Befehl zum Gehorsam verpflichtet, vorbehaltlich der Möglichkeit von Rechtsbehelfen. Im Falle des Krieges ist diese Gehorsamspflicht noch unendlich gesteigert, während die Möglichkeit von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen in weitestem Maße entfällt. Alle modernen Staaten haben Rechtsbehelfe gegen staatliche Anordnungen geschaffen. Aber wohl in allen gilt in irgendeiner Form der Grundsatz, den man für die amerikanische Praxis aufgrund einer berühmten Entscheidung des Chief Justice Marshall Marbury v. Madison (5. U.S. Cranch 166/67) die „doctrine of political questions" genannt hat [163]. Das bedeutet, daß Regierungsakte, namentlich aber solche hochpolitischer Natur, wie eine Kriegserklärung, keiner gerichtlichen Kontrolle unterstehen. Die meisten europäischen Länder, insbesondere Frankreich, Italien, Spanien, Rumänien, kennen diese Lehre

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von der Unabhängigkeit politischer Akte gegenüber der Justiz und haben eine Praxis der „actes de gouvernement" entwickelt, die weder für eine zivil-gerichtliche noch für eine verwaltungs-gerichtliche Nachprüfung justiziabel sind [164]. In keinem Land aber gibt es einen Rechtsbehelf des einzelnen Staatsbürgers gegen eine von der Regierung erlassene Kriegserklärung. An die Besonderheit der „political questions" wird hier besonders erinnert, um zu zeigen, daß die innerstaatliche Lage des einzelnen Staatsbürgers in keiner Weise auf eine unmittelbar international-kriminalrechtliche Inanspruchnahme vorbereitet war. Die Staaten und Regierungen der Welt hielten daran fest, daß die Verweigerung des Kriegsdienstes eine rechtswidrige, mit schweren Strafen bedrohte Handlung war. Allerdings werden die Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, die Conscientious Objectors, in einigen Ländern besonders berücksichtigt und schonend behandelt. Aber die Weigerungsfälle, die sich auf die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit eines bestimmten Krieges beziehen, liegen wesentlich anders als die Fälle der allgemeinen Waffendienstverweigerung aus religiösen Motiven. Die Intention des Staatsbürgers, der den Kriegsdienst mit der Begründung verweigert, daß dieser Krieg ungerecht sei, ist nicht auf jeden Krieg als solchen und jede Waffenhandhabung als solche gerichtet, sondern darauf, daß dieser bestimmte, gegenwärtige Krieg auf der Seite des eigenen Staates ein Unrecht, auf der Seite des außenpolitischen Gegners dagegen Recht ist. Hier trifft also der einzelne Staatsbürger von sich aus nicht eine spezifischreligiöse, sondern eine spezifisch-politische Entscheidung, die sich gegen sein eigenes Land richtet und die dem außenpolitischen Gegner seines Landes unmittelbar zugute kommt [165]. Die Praxis der Vereinigten Staaten macht in dieser Hinsicht, soviel ich sehe, keine Ausnahme. Wohl sind die an den Kellogg-Pakt anknüpfenden Bestrebungen, dem Einzelnen ein Widerstandsrecht zu geben, in der öffentlichen Meinung besonders stark. Trotzdem ist im Endergebnis die Haltung der Behörden und der höchsten Gerichte eindeutig. Das wird in folgenden Fällen sichtbar: In der Einbürgerungs-Angelegenheit einer Frau Schwimmer erklärt es der höchste Gerichtshof der Vereinigten Staaten in einer Entscheidung vom 27. Mai 1929 für ein Grundprinzip der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, daß die Bürger der Vereinigten Staaten verpflichtet sind, die Regierung mit Waffengewalt gegen alle Feinde zu verteidigen, wenn immer sich die Notwendigkeit ergibt [166]. Der Gerichtshof betont in den Entscheidungsgründen, daß der Einfluß der Waffendienstverweigerer aus Gewissensgründen gegen die Anwendung militärischer Gewalt in Verteidigung der Prinzipien der Verfassung und der Regierung schädlicher ist als seine bloße Verweigerung, Waffen zu tragen. Freilich haben bei dieser Entscheidung drei Richter, unter der Führung des Richters Holmes, eine abweichende Meinung formuliert und auf das Prinzip der Gedankenfreiheit und die Lehren der Bergpredigt verwiesen, die ein Recht zur Waffendienstverweigerung geben. Die Entscheidung im Falle Schwimmer betrifft

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zwar nicht eigentlich unsere Frage, weil sie nur von der religiös-motivierten Verweigerung jedes Waffendienstes spricht. Doch ist sie gerade aus diesem Grunde mittelbar von großer Beweiskraft, weil dem Fall der religiös-motivierten Weigerung die eigentlich politische Schärfe fehlt, die eine Weigerung wegen Ungerechtigkeit eines bestimmten Krieges im höchsten Grade in sich enthält. Dagegen trifft das Urteil des Supreme Court vom 25. Mai 1931 in der Sache Macintosh genau unsere Frage. Das Urteil ist dadurch bei den Juristen aller Länder bekannt geworden, daß es in dem von Prof. Lauterpacht herausgegebenen Annual Digest of Public International Law Cases 1929/1930 abgedruckt ist [167]. Wegen seiner großen praktischen Bedeutung sei der Fall hier etwas ausführlicher zitiert: Der Professor der Theologie, Macintosh, der als kanadischer Bürger geboren und seit längerer Zeit in den Vereinigten Staaten ansässig war, beantragte seine Einbürgerung. Nach den Einbürgerungs-Gesetzen (34 U.S.Sta.L. 596, 598) hatte er eine eidliche Erklärung abzugeben, „daß er die Verfassung und die Gesetze der Vereinigten Staaten gegen alle Feinde, ausländische und inländische, unterstützen und verteidigen werde". Zu diesem Punkte erklärte Macintosh, „daß er alles tun werde, was nach seiner Überzeugung den Interessen des Landes entspreche, daß er sich aber für den Fall eines Krieges das Recht vorbehalte, den Krieg zu beurteilen und daß er sich nicht verpflichte, ohne Rücksicht auf seine Beurteilung des Krieges, in jeden Krieg zu ziehen". Das Gesuch wurde von der ersten Instanz abgelehnt, weil der Vorbehalt der Beurteilung des Krieges beweise, daß der Antragsteller den Prinzipien der Verfassung der Vereinigten Staaten nicht ergeben sei. Darauf rief der Antragsteller den Circuit Court of Appeals an. Dieser hob in einer Entscheidung vom 30. Juni 1930 die Entscheidung der ersten Instanz auf und verfügte, daß der Gesuchsteller eingebürgert werden müsse. Bei der Bekanntgabe dieser Entscheidung erklärte Richter Manton: „Ein Bürger, der Ansichten hat, die Gewissens- oder religiöse Bedenken gegen das Waffentragen in einem von ihm als ungerecht betrachteten Krieg bedeuten, ist ähnlich zu behandeln wie einer, der Gewissensbedenken gegen alle Kriege hat. Das internationale Recht erkennt eine Unterscheidung zwischen einem moralisch gerechtfertigten und einem ungerechtfertigten Krieg an. In dem kürzlich abgeschlossenen Kellogg-Pakt wurde eine solche Anerkennung ausgesprochen." Der Richter fügte hinzu, daß der Dienstverweigerer nicht notwendig religiöse Skrupel haben müsse, wenn nur die Skrupel ehrlich seien. Aber diese Entscheidung des Circuit Court wurde vom Supreme Court in der Entscheidung vom 25. Mai 1931 aufgehoben, wobei allerdings vier von insgesamt neun Richtern eine dissentierende Meinung bekanntgaben. In der Entscheidung des Supreme Court heißt es: „Ob ein Bürger in Kriegszeiten vom Dienst bei der bewaffneten Truppe befreit werden soll, hängt vom Willen des Kongresses und — vorbehaltlich der Bestimmungen des Kongresses — nicht von den Skrupeln des Einzelnen ab. Diese Körperschaft hat es bis jetzt durch ausdrückliche Verfügung für richtig befunden, diejenigen Personen von der Verpflichtung zum Waffentragen auszunehmen, die zu der Klasse

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der Waffendienstverweigerer aus Gewissensgründen gehören. Der Waffendienstverweigerer aus Gewissensgründen ist von der Verpflichtung zum Waffentragen nicht aufgrund einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Bestimmung der Verfassung befreit, sondern deshalb und nur deshalb, weil es der Politik des Kongresses entspricht, ihn davon zu befreien . . . Das Vorrecht der Befreiung vom Waffentragen für die im Lande geborenen Waffendienstverweigerer aus Gewissensgründen beruht nicht auf der Verfassung, sondern auf Kongreß-Gesetzen. Der Antragsteller will sich nicht, wie es die Pflicht eines jeden im Lande geborenen Bürgers ist, darauf verlassen, daß der Kongreß wahrscheinlich an der lange bestehenden und bewährten Praxis der Befreiung des ehrlichen Waffendienstverweigerers aus Gewissensgründen festhalten wird, sondern er bekundet offenbar die entschlossene und feste Absicht, seine moralische und bewaffnete Hilfe in jedem zukünftigen Krieg, in den das Land tatsächlich verwickelt werden würde, zu verweigern, wenn seiner Ansicht nach der Krieg moralisch nicht gerechtfertigt ist, ungeachtet der durch den Kongreß ausgedrückten gegenteiligen Ansicht der Nation. Wenn die durch seine Darlegungen und die daraus zu ziehenden Folgerungen gezeigte Haltung dieses Antragstellers für die Frage seiner Eignung zur Zulassung zum Staatsbürger für unwesentlich erachtet würde, wo soll da die Grenze gezogen werden?" So hat der einzelne Staatsbürger innerstaatlich keinerlei rechtliche Möglichkeit, sein Urteil über das Unrecht des Krieges gegen seine eigene Regierung durchzusetzen. Sein Gewissen steht in dem Konflikt zwischen einer alten, durch säkulare Traditionen sanktionierten nationalen und einer völlig neuen internationalen Pflicht, die aber eine Rechtspflicht, nicht etwa nur eine Gewissenspflicht zu sein behauptet. International-rechtlich aber findet er keine geordnete Instanz oder Institution, an die er sich wenden kann. Es bleibt ihm nur übrig, sich zum Versuch eines Bürgerkrieges oder zum Martyrium zu entschließen. Das ist der furchtbare Konflikt zwischen nationaler und internationaler Pflicht, in den der einzelne Staatsbürger hineingestellt wird, wenn man ihm einen unmittelbar internationalen Status mit international-kriminalrechtlichen Folgen gibt. Der Staatsbürger eines totalen Einparteien-Systems aber befindet sich in einer noch viel schwierigeren Lage als der Bürger eines Gemeinwesens mit einer liberalen Verfassung. Im totalitären Einparteien-Staat bedeutet jeder Versuch eines Widerstandes gegen das Regime die sofortige Vernichtung wegen Verräterei und Sabotage. Verpflichtet man den einzelnen, einem solchen totalitären System unterworfenen Staatsbürger zum Widerstand, so bedeutet das in der Sache nichts anderes, als ihm eine Rechtspflicht zu dem aussichtslosen Versuch eines Bürgerkrieges oder aber eine Rechtspflicht zum Martyrium aufzuerlegen. Solche Pflichten können natürlich nicht gegenüber dem Kriegsgegner des nationalen Staates bestehen, sondern nur von einer internationalen Instanz auferlegt werden. Diese internationale Instanz müßte nicht nur bei Ausbruch des Krieges eindeutige Erklärungen und Befehle an alle Staatsbürger kundgeben; sie wäre nach allen Gesetzen des Rechts und der Moral auch verpflichtet, für einen einigermaßen ausreichenden Schutz derjenigen Menschen zu sorgen, die sich an ihre Befehle halten. Man kann nicht Pflichten aufstellen und den Verpflichteten

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dadurch in ein mörderisches Schicksal hineinstoßen. Wer nicht in der Lage ist zu schützen, ist auf die Dauer und im Ernstfall auch nicht in der Lage zu verpflichten. Das entspricht dem gerade von Lehrern des Naturrechts betonten Zusammenhang von Schutz und Gehorsam, der „mutual relation between obedience and protection" [168]. Es gehört zu den elementaren Grundlagen allen menschlichen Zusammenlebens, daß derjenige, der schützt, auch verpflichtet, und daß auch umgekehrt auf die Dauer keine Rechtspflicht ohne wirklichen Schutz bestehen kann. Der bekannte englische Sozialist und Vertreter einer pluralistischen Theorie des Staates, G. D. H. Cole, der oft auf diesen Zusammenhang verweist und die Verpflichtungskraft eines Gemeinwesens von dessen effektiver Schutzkraft abhängig macht, hat dafür die Formel benutzt: „Protego, ergo obligo" [169]. Das ist nicht nur eine einprägsame Formulierung, sondern auch ein wichtiger rechtlicher und moralischer Grundsatz. Er gilt für das nationale und das internationale Recht, besonders aber für einen Konflikt der nationalen und internationalen Pflichten, wie er in unserem Falle entsteht. Eine international-rechtliche Verpflichtung ohne genauen Tatbestand, ohne genaue Umgrenzung des Täterkreises, ohne eine gerichtliche Organisation zur Entscheidung von Zweifelsfällen, ohne eine Organisation zu einem wirksamen Schutz des Verpflichteten, kann auch unter diesem Gesichtspunkt nicht die Grundlage für eine strafrichterliche Verurteilung sein, jedenfalls dann nicht, wenn es sich um den unpolitischen einzelnen Staatsbürger handelt, der sich in dem Konflikt zwischen einem auf festen Institutionen beruhenden nationalen und einem höchst umstrittenen internationalen Recht mit Bezug auf den Krieg 1939 auf die Seite seiner nationalen Regierung gestellt hat. Das gilt auch dann, und sogar noch in gesteigertem Maße, wenn diese Regierung eine terroristische Regierung war. Denn in diesem Fall käme noch hinzu, daß eine Bestrafung des einzelnen Staatsbürgers nicht nur den Terroristen, sondern auch den Terrorisierten, das Opfer des Terrors, für einen kriminellen Verbrecher erklären würde.

Schluß Für die rechtlichen Begriffe des Staatsbürgers und des ordinary business-man eines europäischen Staates konnte der Angriffskrieg als solcher im Sommer 1939 nicht als ein kriminelles, einer internationalen Strafgerichtsbarkeit unterstehendes Unrecht gelten. Der Gedanke der Kriminalisierung und Pönalisierung des Angriffskrieges hatte sich in den schwierigen Verhältnissen der Zeit von 1919 bis 1939 noch nicht zu einem Rechtssatz positiviert. Der loyale, nicht an der politischen Führung beteiligte Staatsbürger konnte das neue internationale Verbrechen eines Angriffskrieges mit dem bisherigen Verbrechen des nationalen Strafrechts, mit Hochverrat, Landesverrat, Sabotage gegen die eigene Regierung, im iSommer 1939 noch nicht auf dieselbe Ebene stellen. Die Vorstellungen des Staatsbürgers

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von seinen Loyalitätspflichten im Kriege beruhten auf einer säkularen Tradition, derselben Tradition, welche die hohen Strafen wegen Hochverrats und Landesverrats rechtfertigte. Bisher hatte die Organisation der Kriminal-Justiz rein innerstaatlichen und nicht internationalen Charakter. Sowohl Strafgesetze wie Strafverfolgung und Strafgericht waren nationale, nicht internationale Einrichtungen und Begriffe. Werden solche, bisher ausschließlich nationale und innerstaatliche Einrichtungen und Begriffe aus dem nationalen in den internationalen Bereich verlagert, so wird die gesamte Rechtsstellung des einzelnen Staatsbürgers fundamental verändert. Handlungen, die bisher Erfüllung einer innerstaatlichen Pflicht waren, werden jetzt zu Verbrechen, und Handlungen, die bisher innerstaatlich kriminell waren, z. B. als Hochverrat, Landesverrat, Widerstand und Sabotage, bestraft wurden, jetzt zur Erfüllung internationaler Pflichten gehören, deren Nichterfüllung den loyalen Staatsbürger zum internationalen Verbrecher machte. Es entsteht ein Konflikt der Pflichten, wie er in solcher Schärfe und Grausamkeit sonst nur in Situationen furchtbarster Bürgerkriege denkbar war. Einen normalen Staatsbürger, der nicht zur politischen Führungsschicht gehört, in einen solchen Konflikt zu bringen, noch dazu mit rückwirkender Kraft für die Vergangenheit, würde jede equity verletzen. Angesichts der Schaffung eines nicht nur neuen, sondern auch völlig neuartigen internationalen Verbrechens steigert sich die Kraft des Grundsatzes „nullum crimen, nulla poena sine lege". Er ist nicht nur ein Satz des geltenden positiven Rechts, sondern auch eine naturrechtliche und moralische Maxime, auf die sich der nicht an den atrocities beteiligte Staatsbürger unbedingt berufen kann.

Note* The problem of war in general and especially that of the war of aggression has a long and complicated history. In the discussion connected with the Geneva Protocol of 1924 and the Kellogg Pact of 1928, as well as in the many years of travel for a definition of the aggressor, for disarmement and peaceful change, only part of these difficulties have become obvious. It goes without saying that — at the end of this second world war — mankind is obliged to pass a sentence upon Hitler's and his accomplices „scelus infandum". This sentence must to be solemny in its form and striking in its effect. After the defeat of Napoleon in 1815 the European government found a solemn and effective form for the condemnation of Napoleon. Today the condemnation of the Nazism ought to be to such a degree more strict and impressive as the crimes of Hitler are greater than those of Napoleon. Bei einigen Exemplaren des Gutachtens: „Note as Conclusion of the Opinion of prof. Dr. Carl Schmitt on ,Das international-rechtliche Verbrechen des Angriffskrieges 4 (August 1945)".

Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges

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Furthermore it is evident, that Hitler's „scelus infandum" and expecially the monstrous atrocities of the SS and the Gestapo cannot be classified in their real essence by the rules and the categories of the usual positive law; neither with the help of the old municipal criminal or constutitional law, nor with the help of the present international law, that has its origin in the jus publicum Europaeum i. e. the relations between the christian Souvereigns of Europe from the sixteenth to the nineteenth century. But it is just the abnormity of such a type like Hitler and of an organisation such as the SS, that makes it clear, that there are several different questions regarding the legal side of this matter. Above all the general international problem of the war of aggression as an international crime must be distinguished from other crimes of the Hitler-Regime. The statement that in September 1939 Hitler resorted to a war of aggression in the sense of the Geneva Protocol or the Kellogg Pact, is evidently not identical with the much greater, specific task of openly branding and condemning the Nazism and the SS and their atrocities in toto. These two items are not identical. Moreover it does not seem advisable to combine them, thus shifting that trial's center of gravity und the viewpoints of the Geneva Protocol or the Kellogg Pact. Hereby attention would largely been drawned away, already when preparing the trial and still more during the trial itself, from the specific task and removed to a complicated problem of international law. Even in the precisely formulated tenor of the verdict a delusion would be the consequence. Hitler and his accomplices would be comprised under rules and notions, which obliterate what make the abnormity and monstrosity of their actions unique. A „scelus infandum" must by no means become a precedent. A term such as „crime" belonging to criminal law evokes the use of other terms of criminal law such as principals and accessories, aids and absets, complicity, concealment etc., terms that, applicated on actions of foreign policy — e. g. the partition of Poland September 1939 —, imply further questions of unheard consequences. Berlin, 25. August 1945+ Carl Schmitt"1"1"

+ ++

Handschriftlicher Zusatz in der maschinenschriftlich engzeilig geschriebenen Note. Maschinenschriftlich in der ο. g. Note.

6 Quaritsch

Anmerkungen

6*

[1] Die zitierten Artikel lauteten: Artikel 228: „Die deutsche Regierung räumt den alliierten und assoziierten Mächten die Befugnis ein, die wegen eines Verstoßes gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges angeklagten Personen vor ihre Militärgerichte zu ziehen. Werden sie schuldig befunden, so finden die gesetzlich vorgesehenen Strafen auf sie Anwendung. Diese Bestimmung greift ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verfahren oder eine etwaige Verfolgung vor einem Gerichte Deutschlands oder seiner Verbündeten Platz. Die deutsche Regierung hat den alliierten und assoziierten Mächten oder derjenigen Macht von ihnen, die einen entsprechenden Antrag stellt, alle Personen auszuliefern, die ihr auf Grund der Anklage, sich gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges vergangen zu haben, sei es namentlich, sei es nach ihrem Dienstgrade oder nach der ihnen von den deutschen Behörden übertragenen Dienststellung oder sonstigen Verwendung bezeichnet werden." Artikel 229: „Sind die strafbaren Handlungen gegen Staatsangehörige einer der alliierten und assoziierten Mächte begangen, so werden die Täter vor die Militärgerichte gestellt. Sind die strafbaren Handlungen gegen Staatsangehörige mehrerer alliierten und assoziierten Mächte begangen, so werden die Täter vor Militärgerichte gestellt, die sich aus Mitgliedern von Militärgerichten der beteiligten Mächte zusammensetzen. In jedem Fall steht dem Angeklagten die freie Wahl seines Anwalts zu." Artikel 230: „Die deutsche Regierung verpflichtet sich, Urkunden und Auskünfte jeder Art zu liefern, deren Vorlegung zur vollständigen Aufklärung der verfolgten Taten, zur Ermittlung der Schuldigen und zur erschöpfenden Würdigung der Schuldfrage für erforderlich erachtet wird." Zu Art. 228-230 Versailler Vertrag vgl. Th. Niemeyer/K. Strupp (Hrsg.), Jahrbuch des Völkerrechts, VIII. Bd., Sonderband 6 (1922), S. 158 ff., Text des Versailler Vertrages vom 28. Juni 1919: RGBl. 1919, S. 701; die wichtigsten Bestimmungen bei Grewe, Fontes III 2, S. 683 ff. Die Literatur ist umfassend nachgewiesen durch Max Gunzenhäuser, S. 168, 236-238; neuerlich Jörg Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag, Stuttgart 1979, S. 207-220; Schwengler, S. 71 ff. Artikel 173 des Vertrages von St. Germain: „Die österreichische Regierung räumt den alliierten und assoziierten Mächten die Befugnis ein, die wegen eines Verstoßes gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges angeklagten Personen vor ihre Militärgerichte zu ziehen. Werden sie schuldig befunden, so finden die gesetzlich vorgesehenen Strafen auf sie Anwendung. Diese Bestimmung greift ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verfahren oder eine etwaige Verfolgung vor einem Gerichte Österreichs oder seiner Verbündeten Platz. Die österreichische Regierung hat den alliierten und assoziierten Mächten oder derjenigen Macht von ihnen, die einen entsprechenden Antrag stellt, alle Personen auszuliefern, die ihr auf Grund der Anklage, sich gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges vergangen zu haben, sei es namentlich, sei es nach ihrem Dienstgrade oder nach der ihnen von den österreichischen Behörden übertragenen Dienststellung oder sonstigen Verwendung bezeichnet werden."

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Zu Art. 173 vgl. Th. Niemeyer /K. Strupp (Hrsg.), Jahrbuch des Völkerrechts, a. a. Ο., S. 294 ff.; die wichtigsten Bestimmungen des Vertrages von St. Germain vom 10. September 1919 bei Grewe, Fontes III 2, S. 701 ff. [2] Die Westalliierten präsentierten eine Liste mit 854 angeblichen deutschen Kriegsverbrechern, unter ihnen viele prominente Heerführer. Die Empörung in der deutschen Öffentlichkeit war so gewaltig und einhellig, daß Reichstag und Reichsregierung die Auslieferung verweigerten. Die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten zur Erzwingung der Auslieferung erschien den Alliierten aber als ein zu hoher Preis, sollten sie dergleichen je ernsthaft erwogen haben. Auf der anderen Seite mußten Reichsregierung und Reichstag als Besiegte guten Willen zeigen; dem Reichsgericht wurde die Aburteilung deutscher Kriegsverbrecher übertragen (Reichsgesetz vom 18.12.1919, RGBl. S. 2125, ergänzt durch die Gesetze vom 24.3.1920, RGBl. S. 341, und vom 12.5.1921, RGBl. S. 508). Von den insgesamt 907 Verfahren aufgrund der Auslieferungsliste der Alliierten wurden neun durch Urteil abgeschlossen, das in fünf Fällen auf Freispruch, in vier Fällen auf Freiheitsstrafen lautete. Alle übrigen Verfahren wurden eingestellt oder ähnlich erledigt. Von weiteren 700 Verfahren aufgrund von Anzeigen ergingen drei Urteile, alle anderen Verfahren wurden eingestellt. Dieses quantitativ dürftige Ergebnis beruhte auf der regelmäßig für eine Verurteilung unzureichenden Beweislage; die Alliierten hatten ohnehin ihr Auslieferungsverlangen auf eine sog. kleine Liste mit 45 Namen reduziert. Literatur: Claude Mullins, The Leipzig Trials, London 1921 ; weitere anglo-amerikanische Literatur bei Tutorow, S. 103 f. (Nr. 800-815); Albrecht von Stosch, Die Kriegsbeschuldigtenfrage, Hannover 1924, mit Schilderung der einzelnen Fälle; Ellinor v. Puttkammer, Die Haftung der politischen und militärischen Führung des Ersten Weltkriegs für Kriegsurheberschaft und Kriegsverbrechen, in: Archiv des Völkerrechts 1 (1949), S. 424 ff.; J. W. Bruegel, Das Schicksal der Strafbestimmungen des Versailler Vertrages (Art. 228-230 u. 227), in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 6 (1958), S. 263 ff. (270); Willis, S. 126147; E. R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 25 ff. m. w. Nachw.; ausführlich jetzt: Schwengler, S. 303 ff., 344 ff. Kritisch zu Schwenglers deutenden und abschließenden Wertungen: Quaritsch, FS H.-J. Arndt, S. 241, 247 ff. [3] Schmitts Unterscheidung zwischen „Kriegsverbrechen" und dem „scelus infandum", den „atrocities in einem spezifischen Sinn", war vorgegeben durch die traditionell strafbaren Verletzungen des Kriegsvölkerrechts, also der Kriegsgesetze und des Kriegsbrauchs („ius in bello") und der „Declaration on German Atrocities", verabschiedet von Roosevelt, Churchill und Stalin am 1. November 1943 in Moskau. Art. 6 der Charta des IMT vom 6. Oktober 1945 trennte zwischen „war crimes" und „crimes against humanity", ebenso Art. II b) und c) des KRG Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 die Kriegsverbrechen von den „Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit schloß ein die „Deportation", während Schmitt mit „atrocities" und „scelus infandum" das meinte, was später „Völkermord" (Genozid) genannt werden sollte, nämlich in der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 (BGBl. 1954 II S. 730) und § 220 a StGB. Das von Carl Schmitt als Begriff verwendete „scelus infandum" ist bereits im klassischen Latein nachgewiesen, aber nur als gelegentliche Wortverbindung (vgl. Thes. ling. Lat. Vil, p. 1344/45). Scelus ist die ruchlose Tat, das besonders schwere Verbrechen wie etwa Mord und Hochverrat, infandus ist in diesem Zusammenhang mit „abscheulich, unsäglich" zu übersetzen (Georges, Bd. 2, 11. Aufl., Nachdr. 1962, S. 227, 2522/23). „Scelus infandum" koppelt also zwei inhaltliche Superlative und mag deshalb Schmitt für die gemeinten Sachverhalte nützlich erschienen sein; für solche Steigerungen war er ohnehin empfänglich.

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Schmitt ließ seine Leser gern Autor und Textstelle der von ihm verwendeten Zitate selber suchen. In diesem Fall wäre das Rätsel zu schwer gewesen. So verwies er in seinem „Glossarium" am 9. Januar 1950 auf den Ort seines Fundes: „Der Ausdruck infandum scelus steht in der Inhaltsangabe vom Buch VIII meiner Ausgabe der Pharsalia von Cortius, Leipzig 1726, p. 231" (so richtig in der handschriftlichen Fassung, unrichtig im gedruckten Text des „Glossarium", S. 288: „Cortini, Leipzig 1826", unrichtig auch ebd. S. 67 FN 1: „Kortini"). Der genaue Titel des von Schmitt benutzten Exemplars lautet: Gottlieb Cortius, Marci Annaei Lucani, Lipsius 1726 (Nachlaß RW 265-231). Die Ausgabe von Cortius hatte ihm Werner Weber am 19. Dezember 1940 geschenkt (eigenhändiger Vermerk Schmitts auf dem Vorsatzblatt). Werner Weber (1904-1976) gehörte zu den Bonner Schülern und Doktoranden Schmitts (Parlamentarische Unvereinbarkeiten, AöR n. F. 19,1930, S. 161 - 254), seit 1930 in der preuß. Ministerialbürokratie, 1935 zugleich o. Prof. an der Handelshochschule Berlin, 1942 Leipzig, 1949 Göttingen. Er war Mitherausgeber der Festschriften für Carl Schmitt zum 70. und 80. Geburtstag, s. auch FS W. Weber (1974), hrsg. v. H. Schneider u. V. Götz, und das Verzeichnis der Schriften Webers, ebdr S. 1005-1033. Der Text enthält zahlreiche, für Schmitt charakteristische Unterstreichungen. Lucans dramatische, oft übersteigerte Beschreibung des Bürgerkriegs, gipfelnd in der Schlacht bei Pharsalus und der Ermordung des Pompeius, von Lucan mit allen rhetorischen Mitteln beklagt, verwendet das „scelus infandum" nicht. Die Inhaltsangabe, auf die Schmitt richtig verweist, gehört nicht zum eigentlichen Text der Pharsalia, vgl. die bekannten Ausgaben von Hosius (3. Aufl., Leipzig 1913) und Housman (Oxford 1926), die zweisprachigen Ausgaben von Ehlers (München, 2. Aufl. 1978) und Luck (2. Aufl., Berlin 1989) sowie Manfred Wacht, Concordantia in Lucanum, Hildesheim 1992, S. 350, 669. Der Begriff findet sich in der Tat nur in der Inhaltsangabe, die der Herausgeber Gottlieb Cortius in zwölf Zeilen dem VIII. Buch vorangestellt hat; dort heißt es S. 231 in der 9.-12. Zeile: Rex puer a pravis monitoribus expavefactus Ad scelus infandum ruit ilicet inrevocatus. Regni patronum capitis discrimine plectit, Victorique nef as, quasimunus reddere gestit. Die ruchlose Untat war also die Ermordung und Enthauptung des wehrlosen Pompeius am 28. September 48 v. Chr. vor der Küste bei Pelusion. Für Lucan war die Ermordung des Pompeius nicht nur wegen der näheren Umstände so ungeheuerlich, sondern vor allem deshalb, weil ein Römer, dazu ein Römer vom Range des Pompeius, ein Opfer der verachteten Ptolemäer mit ihrem Knabenkönig Ptolemäus XIII. und seiner Hofclique wurde. Bekanntlich befahl Cäsar, als er in Ägypten eintraf, das Haupt seines Feindes Pompeius mit allen Ehren zu bestatten und die Mörder hinzurichten. Das „scelus infandum" ist also kein Ausdruck Lucans, entspricht aber Lucans Auffassung von der Ungeheuerlichkeit des an Pompejus begangenen Verbrechens (vgl. Buch VIII, Zeilen 536872). Im Gutachten bezeichnet scelus infandum „especially the monstrous atrocities of the SS and the Gestapo" (vgl. „note"). Im „Glossarium" verwendet Schmitt den Begriff auch in anderen Zusammenhängen, vgl. dort die Eintragungen am 19. Januar 1948, S. 87, und am 19. August 1948, S. 198. Die Lektüre der „Pharsalia" des Lucans, die von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts außerhalb des Kreises der Fachgelehrten im engsten Sinne ganz unüblich war, hat Schmitt in den 50er Jahren erneut aufgenommen:

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gemäß eigenhändiger Eintragung auf dem Vorsatzblatt erwarb er am 30. August 1956 eine in Paris 1947 erschienene zweibändige Ausgabe (Lucain, La guerre civile — La Pharsale, hrsg. von A. Bourgery u. M. Ponchont), die er sowohl im lateinischen wie im französischen Text durchgehend mit vielen Unterstreichungen versah (Nachlaß RW 265 231). — Schmitts Interesse an der Pharsalia Lucans war zweifach begründet: Der Bürgerkrieg war eines seiner Lebensthemen (vgl. Quaritsch, Positionen und Begriffe, S. 39 ff.). Mit den lateinischen Schriftstellern — auch mit denjenigen, die wie Lucan als „schwierig" gelten — stand er seit seiner Jugend auf vertrautem Fuße. [4] Das „Handeln auf Befehl" war im Militärstrafrecht ganz oder teilweise ein Schuldausschließungsgrund. Nach dem bis in den Zweiten Weltkrieg hinein geltenden Militärstrafrecht Britanniens und der Vereinigten Staaten, aber auch Frankreichs und Italiens wurden Täter von Kriegsverbrechen nicht bestraft, wenn sie „unter dem Befehl oder mit Billigung ihrer Regierung oder Befehlshaber begangen sind. Die Vorgesetzten, welche die Begehung solcher Akte befohlen oder unter deren Autorität sie von ihren Truppen begangen worden sind, können von dem Kriegführenden bestraft werden, in dessen Hände sie fallen" (Art. 345 der amerikanischen Rules of Land-Warfare, sachlich ebenso § 443 des brit. Manual of Military Law). Zwar war auch nach deutschem Militärstrafrecht der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich, wenn „die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt", es traf aber „den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers: 1. wenn er den erteilten Befehl überschritten hat oder 2. wenn ihm bekannt gewesen ist, daß der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein allgemeines oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte" (§ 47 MStGB i. d. F. 1940). Um den künftigen Angeklagten in den Prozessen gegen deutsche Kriegsverbrecher die Berufung auf den weitergehenden Schuldausschließungsgrund des amerikanischen und britischen Militärstrafrechts abzuschneiden, änderten 1944 Britannien und die Vereinigten Staaten ihr eigenes Militärstrafrecht, was Erich Kaufmann 1957 als „peinlich" empfand (Gesammelte Schriften II, S. 457), indes Taylor nicht einmal den Zusammenhang sah oder andeutete (Vietnam, S. 46 ff.; dt. Ausg. S. 50 ff.). Noch „peinlicher": Anfang der 50er Jahre kehrte das britische Militärstrafrecht zum Status quo ante zurück, weil die Armee um die soldatische Disziplin fürchtete (dazu v. Knieriem, S. 267). In den gegen amerik. Soldaten geführten Verfahren wegen Verletzungen des Kriegsrechts in Vietnam wurde die seit 1944 geltende Fassung des Art. 345 ignoriert, dazu hinten bei FN 354 ff. Art. 8 der IMT-Charta und Art. II Nr. 4 b des KRG Nr. 10 hoben nachträglich und rückwirkend den Strafausschließungsgrund des bindenden Befehls generell für alle abzuurteilenden Straftaten auf: „Die Tatsache, daß jemand unter dem Befehl seiner Regierung oder seines Vorgesetzten gehandelt hat, befreit ihn nicht von der Verantwortlichkeit für ein Verbrechen; sie kann aber als strafmildernd berücksichtigt werden." — Schmitts Vorschlag ist mit dieser Regel identisch, bezog sich aber richtigerweise nur auf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des scelus infandum. Erich Kaufmann (1880-1972), dt. Staats- u. Völkerrechtslehrer, Rechtsphilosoph, seit 1912 Prof. in Kiel, Königsberg, Bonn, Berlin und München. 1927-1933, 1950-1958 Rechtsberater des Auswärtigen Amtes, 1934 als, Jude" zwangsentpflichtet, 1938 Emigration in die Niederlande. [5] Gemeint ist der „Völkerbund", gegründet 1919 als „Société des Nations" und „League of Nations". Mitglieder waren zunächst die Siegermächte des Ersten Weltkrieges (ausgenommen USA), die Völkerbund-Satzung bildete den ersten Teil aller Pariser Friedensverträge, im Versailler Vertrag mit dem Deutschen Reich: Art. 1-26. Das Deut-

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sehe Reich wurde in den Völkerbund aufgenommen am 8. September 1926. Schmitt sprach von „Genfer Liga", weil das Wort „Völkerbund" eine erdumspannende Organisation suggerierte, die es schon wegen Abwesenheit der Vereinigten Staaten nicht war, vor allem aber, weil nach seiner Ansicht dem „Völkerbund" der Charakter eines „Bundes" fehlte; ausführlich dargelegt in: Die Kernfrage des Völkerbundes, Berlin 1926. Eine Liste der Versuche, den Völkerbund zu definieren bei Axel v. Freytagh-Loringhoven, Die Satzung des Völkerbundes, Berlin 1926, S. 9 ff. [6] Das Genfer Protokoll erörtert Schmitt unter III. 1, vgl. dort bei Anm. 55 ff. [7] Der Kellogg-Pakt wird erörtert unter III. 2, vgl. dort Anm. 81. [8] "Kein Verbrechen, keine Strafe ohne Gesetz." Zur Herkunft dieses Rechtssprichworts s. Liebs, S. 144 Nr. 161, 168. [9] Die sog. Lex van der Lübbe („Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe", RGBl. 1933 I S. 151) verschärfte rückwirkend nicht nur die Art des Vollzuges, sondern vor allem die Strafen selbst (Todesstrafe anstelle von Zuchthaus) und dehnte den Strafrahmen bei der Zuchthausstrafe aus. Betroffen waren vorsätzliche Taten aus dem Bereich der Delikte gegen die Gesamtheit, das Leben, den Körper, die Freiheit und gemeingefährliche Delikte. Die Bestimmung wirkte um fast zwei Monate zurück. Über die normative Technik der Rückwirkung vgl. Naucke, S. 227. [10] § 2 StGB: „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft", Gesetz zur Änderung des StGB vom 28.6.1935, RGBl. 1935 I S. 839 ff. (839). [11] Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen vom 22. Juni 1938, RGBl. 1938 I S. 651 ff. — Während diese sog. Lex Götze einen bestimmten Serienverbrecher im Auge hatte und das Gesetz daher die Todesstrafe rückwirkend auf zweieinhalb Jahre festsetzte, war das Gesetz gegen erpresserischen Kindesraub vom 22. Juni 1936 (RGBl. I S. 493) aus Anlaß der weltweit Aufsehen und Empörung auslösenden Entführung und Tötung des Lindbergh-Babies entstanden, die Rückwirkungsfrist betrug drei Wochen. Nach 1938 ist die Regel des § 2 a StGB in ca. 15 Fällen zugunsten der Rückwirkung durchbrochen worden, gelegentlich auch im Bagatellstrafrecht, vgl. die Aufzählung von Naucke, S. 227 233. Zur Aufweichung des Rückwirkungsverbots hatte Schmitt selbst beigetragen; in seinem Aufsatz „Nationalsozialismus und Rechtsstaat" setzte er der Maxime „nulla poena sine lege" die von ihm als Gerechtigkeitssatz bezeichnete Maxime entgegen: „nullum crimen sine poena" (Juristische Wochenschrift, 1934, S. 713, 714,1. Sp.). [12] Paul Johann Anselm von Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 1. Aufl., Gießen 1801, § 20: „Nulla poena sine lege, nulla poena sine crimine, nullum crimen sine poena legali"; dazu Joachim Bohnert, P. J. A. Feuerbach und der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht, Heidelberg 1982. Das Prinzip ist für zivilrechtliche Regeln schon dem römischen Recht bekannt, Dig. 50, 16, 131 § 1 S. 2, Hs. 2 (Ulpian); 50, 16, 244 (Paulus), es wird für das Strafrecht erst in der frühen Neuzeit zögernd und in Ansätzen entwickelt. Neuere Literatur: Hans Ludwig Schreiber, Gesetz und Richter — Zur geschichtlichen Entwicklung des Satzes „Nullum crimen, nulla poena sine lege", Frankfurt 1976; Gerhard Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, Tübingen 1993, S. 103-176. — Das Grundgesetz formuliert: „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde" (Art. 103 Abs. 2; ebenso § 1 StGB).

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[13] § 2 Abs. 1 StGB lautete: „Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde." [14] Art. 116 WRV: „Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde." Der Unterschied im Wortlaut zu § 2 StGB („Strafbarkeit" statt „Strafe") bedeutete keine sachliche Änderung, vgl. Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1933, Neudr. 1960, Art. 116 Erl. 1, S. 548. [15] Hans Wagner, Magna Carta Libertatum, 2. Aufl., Bern 1973, S. 24. Übersetzt: „Kein freier Mann soll verhaftet, gefangengehalten, enteignet, geächtet, verbannt oder auf irgendeine Art zugrundegerichtet werden, noch werden Wir gegen ihn vorgehen oder veranlassen, daß gegen ihn vorgegangen wird, es sei denn aufgrund eines gesetzliches Urteilsspruchs durch seinesgleichen oder aufgrund des Landesrechts." [16] Sir Edward Coke, Institutes of the Laws of England, 1628, 4. Aufl., London 1639-1643. [17] John Locke, Two Treatises of Government, 1688/89, in: The Works of John Locke, London 1823, Bd. 5, S. 207 (400). [18] Art. XV der Constitution of Maryland von 1776, abgedruckt in: Francis Newton Thorpe (Hrsg.), The Federal and State Constitutions, Colonial Charters, and other Organic Laws of the States, Territories, and Colonies now or heretofore forming the United States of America, Washington 1909, Vol. III, S. 1686 ff. (1688); Art. XXIV der Constitution or Form of Government for the Commonwealth of Massachusetts von 1780, ebd., S. 1888 ff. (1892); Art. XXIV der Constitution of North Carolina von 1776, ebd., Vol. V, S. 2787 ff. (2788); Art. XXIII der Constitution of New Hampshire von 1784, ebd., Vol. IV, S. 2453 ff. (2456). Die Verfassung der Vereinigten Staaten von 1789 verfügt: „No Bill of attainder or ex post facto law shall be passed" (Art. 1 sect. 9) — „No State shall . . . pass ... ex post facto law . . . " (Art. I sect. 10 No. 1). [19] Robert Houghwout Jackson (1892-1954), amerik. Jurist, erfolgreicher Anwalt, „left wing New Dealer", Januar 1940 US-Justizminister, Juli 1941 Richter am Obersten Gerichtshof, Ankläger im Prozeß gegen die sog. Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg 1945-46. — Schmitts Vermutung traf zu. Jackson, seit dem 29. April 1945 als „Chief of Counsel" Leiter der US-KriegsverbrecherKommission, setzte gegen die bisherige Prozeßplanung durch, daß „die Verschwörung gegen den Frieden" mit dem Verbrechen des Angriffskrieges in den Mittelpunkt gestellt wurde in der erklärten Absicht, neues Völkerrecht zu schaffen. Vgl. sein Memorandum „Punishment of war criminals" vom 1. Mai 1945 (Dokument Nr. 52, in: Bradley F. Smith, The American Road to Nuremberg, The Documentary Record 1944-45, Stanford 1982, S. 180 f., sowie ders., The Road to Nuremberg, London 1981, S. 215 u. passim). Sein erster Ausflug ins Völkerrecht, eine Rede am 27. März 1941 in Havanna (AJIL 35, 1941, S. 348 ff.), die Knud Krakau kennzeichnet als „das Äußerste an Subjektivität und missionarischer Projektion eigener Rechts- und Ordnungsvorstellungen . . . die konsequent zur Auflösung jeglichen Völkerrechts führen muß", fand den Beifall z. B. des regierungsfrommen Quincy Wright (AJIL 36, 1942, S. 103 -106), wurde aber auch scharf kritisiert z. B. von Edwin M. Borchard (AJIL 35, 1941, S. 618-625); weitere Nachweise bei Krakau, S. 403 ff. Näher dargelegt wurde diese Absicht durch den „Report to the President by Mr. Justice Jackson, June 6th, 1945", dessen durchgehend populistischer, für einen hohen Richter ungewöhnlicher Stil erkennen läßt, daß der eigentliche Adressat die amerikanische Öffentlichkeit war, die von den Prozeßplänen überzeugt werden sollte.

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Jackson berichtete auch, auf seinen Antrag behandele das Kriegsministerium die mutmaßlichen Kriegsverbrecher unter den Militärs wie gewöhnliche Verbrecher, um ihnen „die Vorrechte zu versagen, die ihnen ihrem Range nach zustehen würden, wenn sie bloße Kriegsgefangene wären", was der Kriegsgefangenen-Konvention von 1929 widersprach (s. v. Knieriem, S. 361 ff.) und auch von der Kriegsgefangenen-Konvention 1949, die stark beeinflußt von den Nürnberger Prozessen ist, nicht gebilligt wird (Art. 87 IV). Schmitt wird von Jacksons Bericht durch die Verbreitung der Hauptthesen in der internationalen und deutschen Presse Kenntnis erlangt haben, z. B. durch die „Berliner Zeitung" vom 12. Juni 1945. Das Gewicht der Stellungnahme Jacksons wurde deutlich durch die Erklärung des amerikanischen Präsidenten Truman, „ . . . that this report set the keynote for American policy", weshalb die anderen Regierungen sie als offizielle Stellungnahme der USA betrachteten. Die amerikanische Presse kommentierte den Bericht enthusiastisch mit dem erinnerungswürdigen Zusatz: „Mr. Jackson's statement burns with a sincerity and determination, which he reports is shared by the British and French, to do the thorough job of disinfection whose need the Russians know so well. The document should be a sign of good faith to the Kremlin" (bei Eugene C. Gerhart, America's Advocate: Robert H. Jackson, Indianapolis / New York 1958, S. 318 ff.; dort S. 222 ff. zur Entstehung der oben erwähnten Rede in Havanna: „For some weeks Jackson had been doing research work on international law"). Der Jackson-Bericht ist mehrfach publiziert worden: Department of State Bulletin, Bd. XII, Nr. 311 v. 10. Juni 1945; International Conference, S. 42- 54; AJIL 39,1945, S. 178 -190; dt.: Bericht des Richters Robert H. Jackson, Die Friedenswarte 1946, S. 164-174. [20] Der „antike Gesetzgeber" ließ sich nicht ermitteln. Denkbar ist ein Zusammenhang mit der Romulus-Biographie von Plutarch , dessen Lebensbeschreibungen zu Schmitts Bibliothek gehörten (Nachlaß RW 265-286): „Eigenartig ist, daß er keine Strafe für Vatermörder festgesetzt und jeglichen Totschlag als Vatermord bezeichnet hat, offenbar weil er den Totschlag für fluchwürdig ansah und gar nicht an die Möglichkeit des Vatermordes dachte. Tatsächlich schien er für lange Zeit recht damit zu haben, daß er ein solches Verbrechen außer Betracht ließ, denn in einem Zeitraum von fast 600 Jahren hat niemand in Rom so etwas begangen, sondern erst nach dem Hannibal-Krieg soll Lucius Hostius der erste Vatermörder gewesen sein." Plutarch , Große Griechen und Römer, Bd. 1, Zürich 1954, übersetzt von Konrad Ziegler, S. 106; den Hinweis verdanke ich Herrn Kollegen Wolfgang Schuller, Konstanz. [21] Art. 227 Versailler Vertrag lautet: „Die alliierten und assoziierten Mächte stellen Wilhelm II. von Hohenzollern, vormaligen Kaiser von Deutschland, wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge unter öffentliche Anklage. Ein besonderer Gerichtshof wird eingesetzt, um über den Angeklagten unter Wahrung der wesentlichen Bürgschaften des Rechts auf Verteidigung zu Gericht zu sitzen. Der Gerichtshof besteht aus fünf Richtern, von denen je einer von folgenden fünf Mächten, nämlich den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan, ernannt wird. Der Gerichtshof urteilt auf Grundlage der erhabensten Grundsätze der internationalen Politik; Richtschnur ist für ihn, den feierlichen Verpflichtungen und internationalen Verbindlichkeiten ebenso wie dem internationalen Sittengesetze Achtung zu verschaffen. Es steht ihm zu, die Strafe zu bestimmen, deren Verhängung er für angemessen erachtet. Die alliierten und assoziierten Mächte werden an die Regierung der Niederlande das Ersuchen richten, den vormaligen Kaiser zum Zwecke seiner Aburteilung auszuliefern."

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In Beantwortung des deutschen Protestes gegen Art. 227 des Versailler Vertrages, der den Prozeß gegen Kaiser Wilhelm II. vorsah, erklärten die Alliierten: „The present treaty is intended to mark a departure from the tradition and practices of earlier settlements which have been singularly inadequate in preventing the renewal of war" (Note June 16th, 1919, 66th Congress, 1st Session [Sen. Doc. 149, 126]). [22] Artikel 231: „Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben." [23] Im ,,Nomos der Erde" wird der Satz fortgesetzt: „ . . . , die selbst, als solche, ein Verbrechen darstellt" (S. 234 oben). Der im „Nomos der Erde" folgende Absatz („Mit dem Wort »Kriegsverbrechen4 wird heute eine Anzahl von Sachverhalten bezeichnet, die nicht nur äußerlich und in Einzelheiten, sondern auch in ihrer rechtlichen Struktur voneinander verschieden sind . . . " ) steht im Gutachtentext in der „Einleitung". Der im , ,Nomos der Erde" folgende Absatz unter der Überschrift „Kriegsverbrechen im alten Sinne (Art. 228 Vers. Vertrag)" fehlt in der Einleitung des Gutachtens, dort wird dasselbe Thema verkürzt erörtert. [24] Theobald v. Bethmann Hollweg (1856-1921), Reichskanzler u. Preuß. Ministerpräsident 1909-1917. Der am 13. Juli 1917 zurückgetretene Bethmann Hollweg bot am 20. Mai 1919 dem Reichs-Ministerpräsidenten Scheidemann telegraphisch an, sich dem von den Siegermächten geplanten Tribunal, das über den deutschen Kaiser zu richten beabsichtigte, selbst zu stellen, da er für die politischen Handlungen des Kaisers während seiner Amtszeit als Kanzler die in der deutschen Verfassung staatsrechtlich geregelte Verantwortung trage. Dieses Anerbieten lehnte die Reichsregierung ab, da sie einer Aburteilung Deutscher durch einen ausländischen Gerichtshof grundsätzlich nicht zustimmen wollte. Auch Bethmann Hollweg fügte sich dieser Argumentation; an seiner ernsthaften Bereitschaft, sich „im Interesse der Ehre des deutschen Namens" dem gegnerischen Tribunal zu stellen, konnte trotz seiner überaus kritischen Einstellung gegenüber Wilhelm II. kein Zweifel bestehen, s. Eberhard v. Vietsch, Bethmann Hollweg — Staatsmann zwischen Macht und Ethos, Boppard/Rh. 1969, S. 287. Auch Generalfeldmarschall v. Hindenburg wollte sich anstelle des Kaisers dem alliierten Gericht stellen; sein an Marschall F och gerichtetes Schreiben vom 3. Juli 1919 wie das Telegramm Bethmann Hollwegs sind vollständig wiedergegeben bei A. v. Stosch (Anm. 2), S. 50 f. Max Weber, Mitglied der deutschen Friedensdelegation, sah in der Selbstauslieferung, die er Bethmann Hollweg wie auch Ludendorff geraten hatte, die Chance, daß aus den Angeklagten Ankläger würden; zu seinen Initiativen vgl. Schwengler, S. 207 ff. Weber hatte offensichtlich keine Vorstellung von den Techniken moderner Schauprozesse. [25] Die diplomatische Entstehungsgeschichte des Art. 227 hat Fritz Dickmann in seiner bekannten Abhandlung ausführlich dargestellt, vgl. HZ 197 (1963), S. 1, 20 ff.; aus dem amerik. Schrifttum s. Willis, S. 65-86. [26] Ausführlich mit weiteren Literaturangaben Berber, Teil VII, Strafbestimmungen (Art. 227-230), S. 1193 ff.; Mangoldt, S. 283, 289 ff. — Die Art. 227 positiv wertende Literatur verzeichnet Tutorow, S. 101 f. (Nr. 772-788). [27] "Ein Gleicher kann über einen Gleichen nichtrichten." Völkerrechtliche Fassung des römischen Grundsatzes: „Par (judex) in parem non habet imperium" („Gleichrangige Herrschaftsträger können einander nicht befehlen"), Dig. 36, 1, 13 § 4; Dig. 4, 8, 3 § 4 (beides Ulpian)\ Dig. 4, 8, 4 (Paulus)', vgl. Liebs, S. 151. Das moderne Verständnis geht

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auf Bartolus zurück, der 1354 formulierte: „non enim una civitas potest facere legem super alteram, quia par in parem non habet imperium" (Tractatus represaliarum, Qu. I / 3, § 10), dazu Verdross I Simma, § 1168 mit viel Lit. [28] Die Noten der Alliierten an die Niederlande vom 15. Januar und vom 14. Februar 1920 sowie die ablehnenden Antwortnoten der niederländischen Regierung vom 21. Januar und vom 2. März 1920 sind abgedruckt bei Berber, S. 1195-1202; bei Grewe, Fontes III 2, S. 730-731 nur die Note der niederländischen Regierung vom 21. Januar 1920; ausführlich Willis, S. 98 ff. [29] Die Beratungen und Ergebnisse der Pariser Friedenskonferenzen sind international Gegenstand eines umfänglichen Schrifttums gewesen, vgl. neben M. Gunzenhäuser die Auswahl bei E. R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 1152; neuerlich Willis, S. 65 ff. [30] La Documentation internationale. La Paix de Versailles, Vol. III: Responsabilités des auteurs de la Guerre et Sanctions, Paris 1930. Dieser Bericht enthält die Wortprotokolle der Kommission, die am 3. Februar 1919 zu tagen begann; sie war mit völkerrechtlich erfahrenen Juristen besetzt. Der Vorsitzende US-Außenminister Robert Lansing hatte vor dem Krieg die in internationalen Prozessen führende Anwaltskanzlei der Vereinigten Staaten geleitet und als Richter an vielen internationalen Schiedsgerichten teilgenommen. James Brown Scott vertrat die USA bereits auf der zweiten Haager Konferenz von 1907 und galt als besonderer Kenner des Kriegsrechts (zu ihm vgl. Anm. 39). Frankreich vertraten Fernand Larnaude, Dekan der Pariser Juristenfakultät, und der Politiker André Tardieu (1876-1945). Tardieu, zwischen 1929 und 1932 mehrfach Ministerpräsident, blieb stets ein bedingungsloser Verteidiger des Versailler Friedensvertrages, vgl. The Case for France, in: Leder er, S. 30-39. Für Großbritannien sprach der Zweite Kronanwalt Sir Ernest Pollock. Der Völkerrechtslehrer Edouard Rolin-Jaequemyns vertrat Belgien, er hatte bereits auf der ersten Haager Konferenz von 1899 der Kommission für Fragen des Kriegsrechts als Berichterstatter gedient. Zu nennen ist noch der Vertreter Griechenlands, der in Frankreich lehrende Völkerrechtslehrer Nicolas Politis (zu ihm vgl. ausführlicher Anm. 57). — Der Kommission gehörten weitere fünf Delegierte der anderen Siegermächte an (Italien, Japan, Polen, Rumänien und Serbien), Generalsekretär der Kommission war der französische Völkerrechtslehrer Albert Geouffre de la Pradelle, der später die erwähnte „Documentation internationale — la Paix de Versailles" edierte. [31] Robert Lansing (1864-1928), amerik. Jurist, Staatssekretär des Auswärtigen der USA 1915-1920; L. stand der Politik seines Präsidenten kritisch gegenüber und wurde von diesem am 11. Februar 1920 zum Rücktritt gezwungen, vgl. Robert Lansing, Die Versailler Friedens-Verhandlungen. Persönliche Erinnerungen, Berlin 1921. [32] Zu dem Schlußbericht der „Interalliierten Kommission für die Prüfung der Verantwortlichkeit der Urheber des Krieges" (Rapport présenté à la Conference des Préliminaires de Paix par la Commission des Responsabilités des Auteurs de la Guerre et Sanctions) vom 29. März 1919, Kommissionsbericht, S. 453-532, verfaßten die amerik. Delegierten Robert Lansing und James Brown Scott einige Vorbehalte, die als Annexe II unter dem Datum 4. April 1919 veröffentlicht wurden (Kommissionsbericht S. 533548). Schlußbericht und Vorbehalte sind abgedruckt auch in dem von Walter Schiicking herausgegebenen „Kommentar zum Friedensverträge, Urkunden zum Friedensvertrage", bearb. v. Herbert Kraus und Gustav Rödiger, 2. Teil, Berlin 1921, S. 1243-1312, die amerikanischen Vorbehalte ebd., S. 1313-1329 (beides ebenfalls in französischer Sprache); über die Arbeit der Kommission und der Unterkommissionen berichtet ausführlich Willis, S. 69 ff. — Vorbereitet war die Stellungnahme der Amerikaner durch eine Denk-

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schrift des Rechtsberaters der Delegation, des amerik. Völkerrechtslehrers David Hunter Miller, für Präsident Wilson, vgl. Fritz Dickmann, HZ 197 (1963), S. 1, 25 ff. [33] Kommissionsbericht, S. 544. — Capt. Henry Wirz leitete das überfüllte Kriegsgefangenenlager, das die Konföderierten vom Februar 1864 bis Mai 1865 bei Andersonville im Staate Georgia eingerichtet hatten. Unzulängliche Lagerverhältnisse und überzogene Sicherungsmaßnahmen führten zum Tode von 13 000 der 45 000 Kriegsgefangenen insgesamt. Wirz, „a Swiss American Officer", wurde nach dem Ende der Feindseligkeiten vor ein Kriegsgericht der Nordstaaten gestellt, zum Tode verurteilt und am 10. November 1865 gehängt. Das Urteil ist noch heute umstritten, auch die rechtliche Zulässigkeit und die Durchführung des Verfahrens (s. J. G. Randall / David Donald, The Civil War and Reconstruction, 2. Aufl., Lexington / Mass. 1969, S. 643 ff.). Die Lage der Bürgerkriegsgefangenen war in den nordstaatlichen Lagern nur wenig besser, obgleich die Mittel für eine angemessene Unterbringung vorhanden gewesen wären. Immerhin lag die höchste Todesrate in einem nordstaatlichen Lager (Elmira) bei 24 %, ohne daß ein Verfahren gegen den verantwortlichen Kommandanten eingeleitet wurde. Insgesamt starben in den südstaatlichen Gefangenenlagern 30 218 (15,3 %), in den nordstaatlichen Lagern 25 976 (12 %) Gefangene. Die Erinnerungs- und Anklage-Literatur jeglicher Qualität ist entsprechend umfangreich, s. Civil War Books, a Critical Bibliography, hrsg. v. A. Nevins u. a., Lousiana State University Press 1967, Bd. 1, S. 185-206. Über den Wirz-Prozeß selbst existiert offenbar nur ein (nicht stets zuverlässiger) Bericht des Kriegsministeriums: Trial of Henry Wirz, Washington 1868; Auszüge aus den Prozeßakten mit dem Urteil bei Friedman I, S. 783-798. Zum Problem insgesamt vgl. die ausgewogene Darstellung von James M. M cP her son, Battle Cry of Freedom — The Civil War Era, New York 1988, dt. (unter dem mißverständlichen Titel): Für die Freiheit sterben — Die Geschichte des amerikanischen Bürgerkrieges, München 1992, S. 783 ff. [34] Kommissionsbericht, S. 547. [35] Kommissionsbericht, S. 547. [36] Schmitt faßt in dem Zitat Sätze aus den amerikanischen Vorbehalten zusammen, die im Original nicht aufeinander folgen. Nach dem Satz: „Ein Gericht kümmert sich nur um das geltende Recht, wendet nur dieses an und überläßt einem höheren Richter die Vergehen gegen die Sitte und die Handlungen, die den Grundsätzen der Menschlichkeit zuwiderlaufen", folgt im Original eine längere Beweisführung; der Schlußsatz des Zitats („Die amerikanischen Delegierten haben das sehr bestimmte Gefühl, daß der Plan der Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofes keine Aufmerksamkeit wert ist; es gibt keinen Präzedenzfall dafür und entspricht nicht den Gebräuchen der Völker") ist das Resümee, vgl. Kommissionsbericht, S. 546 u. 547. Bei Kraus / Rödiger (Anm. 32) stehen die Sätze des von Schmitt gebrachten Zitats S. 1325 und 1325/26. — Auf der Londoner Konferenz trug am 19. Juli 1945 der Sachverständige der franz. Delegation, der Völkerrechtslehrer André Gros, die Stellungnahme Lansings und Brown Scotts zur Stützung seiner Auffassung vor, dem Völkerrecht sei eine strafrechtliche Verfolgung von Politikern wegen Angriffskriegs bisher unbekannt. Jackson und Maxwell-Fyfe stimmten dem zu, sie meinten aber, um Ribbentrop, Ley und Streicher bestrafen zu können, müsse ein Ausweg gefunden werden („International Conference", S. 295 ff.). Besonders deutlich wurde Gros am 23. Juli 1945 (ebd., S. 335). Vermutlich bezog sich Erich Kaufmann auf dieses Sitzungsprotokoll in einem 1957 gehaltenen Vortrag vor hohen Offizieren der Bundeswehr: „Der Jackson-Report ist ein erschütterndes Dokument. Er zeigt, wie die Autoren der Charta im vollen Bewußtsein der Fragwürdigkeit ihres Vorgehens handelten und wie sie die an sich durchschlagenden Erwägungen, die gegen ihr

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Vorgehen sprachen, beiseite schoben, um das politische Ziel eines gerichtlichen Verfahrens gegen die Hauptkriegsverbrecher durchzusetzen. Alles, was die Verteidigung im Laufe der Verfahren vorgebracht hat oder hätte vorbringen können, war von den Autoren gesehen. Wenn der Bericht schon während der Verhandlungen vorgelegen hätte, die Verteidiger hätten nur aus ihm zu zitieren brauchen" (Gesammelte Schriften II, S. 446 / 47). [37] Beschlußvorlage der amerik. Delegation, eingebracht am 12. März 1919, Kommissionsbericht, S. 331. [38] Kommissionsbericht, S. 331 ; welche deutsche Übersetzung Schmitt hier benutzte oder ob er selbst übersetzte, ist unbekannt. — Wilson hatte diese Auffassung zunächst übernommen, er ließ sich aber im „Rat der Vier" (Lloyd George, Clemenceau, Orlando, Wilson) zur französischen und britischen Ansicht bekehren. Über die Vorgänge und Hintergründe berichten F. Dickmann (Anm. 32), S. 39 ff., und Willis, S. 77 ff. [39] James Brown Scott ( 1866 -1943), amerik. Völkerrechtslehrer, Berater der amerik. Friedensdelegation in Paris, unterzeichnete neben Lansing die amerikanischen Vorbehalte (vgl. Anm. 32), Generalsekretär des Carnegie Endowment for International Peace; zu Werk und Person vgl. die Würdigung von George Finch, AJIL 38 (1944), S. 183-217. [40] John Foster Dulles (1888-1959), amerik. Jurist, gehörte zur amerikanischen Friedensdelegation, die er in der Reparationskommission vertrat; 1953 -1959 Außenminister der Vereinigten Staaten. [41] Friedensvertrag zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Deutschen Reich vom 25. August 1921, RGBl. S. 1317 ff. Den in Versailles projektierten Friedensvertrag der Siegermächte, in Kraft getreten am 10. Januar 1920, hatte der amerikanische Senat nicht ratifiziert wegen der im Vertragswerk enthaltenen VölkerbundSatzung; es war aber der amerikanische Präsident Wilson gewesen, der diese Verbindung gegen den Widerstand der Regierungen der anderen Siegermächte durchgesetzt hatte. Zum Abschluß des deutsch-amerikanischen Friedensvertrags s.E.R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 215 f. [42] Umfrage und Ergebnis konnten in den Jahrgängen 1919-1922 der Zeitschrift „The literary Digest" nicht ermittelt werden. Entstehung und Höhepunkte der amerik. „antikaiser mania" schildert ausführlich Willis, S. 3-48 u. passim. [43] Text des Art. 231 s. Anm. 22. Materialien aus der Zwischenkriegszeit, auch Literaturauszüge zur Kriegsschuldfrage bei Berber, S. 1224 ff.; Literaturnachweise bei Gunzenhäuser, S. 236-238. [44] Die erwähnte Lansing-Note war die sog. vierte Note des Präsidenten Wilson an den Reichskanzler Prinz Max von Baden vom 5. November 1918, in: Foreign Relations of the United States, 1918, Suppl. 1: The World War, Bd. 1, S. 468 (469), dt. in: E. R. Huber, Dokumente, Bd. 3, S. 289. Die Wendung Carl Schmitts: „ . . . nur nach Maßgabe dieser Note reparationspflichtig ist", spielt auf den erbitterten Streit über die Rechtsgrundlagen der Reparationen an, der in der Reparationskommission zwischen den Vereinigten Staaten und allen übrigen Mächten geführt wurde; die Streitfrage war juristisch von großer Delikatesse und ihre Beantwortung finanziell von außerordentlicher Tragweite. Frankreich, Britannien und die anderen Mächte behaupteten, nach Völkerrecht könne der Sieger von einem Besiegten Ersatz aller Schäden einschließlich der Kriegsaufwendungen verlangen. Die amerikanischen Delegierten, besonders ihr eloquenter und äußerst hartnäckiger Wortführer in der Reparationskommission, John Foster Dulles (Anm. 40), bestritten die Existenz eines solchen Völkerrechtssatzes; Kriegskosten würden nur auf-

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grund eines völkerrechtlichen Vertrages geschuldet und geleistet. In diesem Fall läge bereits ein Vertrag vor, nämlich der Notenwechsel zwischen der deutschen Reichsregierung und der amerikanischen Regierung im Oktober und November 1918, danach Deutschland zu den „Bedingungen" der Erklärung Wilsons vor dem amerikanischen Kongreß am 8. Januar 1918 (14 Punkte) die Waffen strecke (bei E. R. Huber, Dokumente, Bd. 3, S. 221 ff.). In den Punkten 7, 8 und 11 habe der amerikanische Präsident aber nur verlangt, daß Belgien „geräumt und wiederhergestellt werde, daß die besetzten Teile Frankreichs wiederhergestellt und Elsaß-Lothringen zurückgegeben werden müßten (Punkte 7 und 8) und daß die Balkangebiete geräumt und die besetzten Gebiete zurückgegeben würden" (Punkt 11). Das bedeute volle Entschädigung für Belgien (wegen vorsätzlicher Verletzung des auch von Preußen unterzeichneten Neutralitätsvertrages von 1839), für Frankreich und die übrigen Mächte Ersatz solcher Schäden, die völkerrechtswidrig Privatpersonen zugefügt worden seien; nur insoweit sei eine Schadensersatzpflicht unmittelbar aus Völkerrecht abzuleiten. Vgl. La Paix de Versailles, Vol. IV / 1 : La Commission de Réparations des Dommages, Paris 1932, S. 74 ff., 117 ff. u. passim. Demgegenüber berief sich der britische Vertreter, der australische Premier W. M. Hughes, „who yielded to no one to his rancor against Germany", in der Sitzung am 3. März 1919 auch auf das Ergebnis der sog. Khaki-Wahlen im Dezember 1919 in Britannien, brachte also eine demokratische Willensbekundung ins Spiel: „L'Allemagne doit payer jusqu'à son dernier centime. Depuis l'armistice, la Grande-Bretagne est le seul des pays alliés qui ait eu l'occasion d'exprimer son opinion sur ce point par une consultation du suffrage universel: elle l'a fait clairement, en donnant une écrasante majorité aux partis qui veulent exiger de l'Allemagne un payement allant jusqu'à la limite extrême de sa capacité. Aucun doute n'est possible sur la volonté formelle du peuple de la Grande-Bretagne: je ne saurais envisager la possibilité de dresser un compte de réparations qui ne comprendrait pas les frais de la guerre" (S. 142). Hughes verschwieg allerdings, daß die Politiker der Londoner Regierungskoalition, unterstützt von der Presse, im Wahlkampf versprochen hatten: „Germany will pay, to make Britain a fit country for heroes to live in", wofür Lloyd George die phantastische Summe von 24Mrd. £ in Aussicht stellte, vgl. die detailreiche Schilderung des Wahlkampfes durch Arno J. Mayer, Politics and Diplomacy of Peacemaking. Containment and Counterrevolution at Versailles 1918-1919, New York 1967, S. 148 ff.; Willis, S. 49-64. Juristisch setzte sich die amerikanische Delegation grundsätzlich durch, aber nur mit Hilfe eines unglücklichen Kompromisses: Ersatz sollte nur für die Schäden der Zivilbevölkerung geleistet werden (Art. 232 II). Das Einverständnis der übrigen Siegermächte erreichte Dulles durch das vertragliche Anerkenntnis, „daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben" (Art. 231). Die Entstehung des Artikels dokumentiert Burnett, Bd. 1, S. 66 ff., 784 ff. (Document 216, 217, 224). Zu diesen Verhandlungen besonders F. Dickmann (Anm. 32), S. 43 ff.; Klaus Schwabe, Deutsche Revolution und Wilson-Frieden, Düsseldorf 1971, S. 302 ff., 429 ff., sowie den Rückblick von Dulles in seinem Vorwort zu Bur nett, Bd. 1, S. V-XIV = Leder er, S. 66-72. In Deutschland wurde diese zur Befriedigung der öffentlichen Meinung der Siegerstaaten gewählte Formulierung als erzwungenes Eingeständnis eines Angriffskrieges und demütigendes Bekenntnis deutscher Alleinschuld empfunden, das emotional verheerende Wirkungen äußerte (Dulles, 1940: „ . . . laid the foundation for the Germany which we see today"). Dulles erklärte später, die Folgen des Art. 231 habe niemand bedacht, zumal die Reparationskommission für die Kriegsschuldfrage gar nicht zuständig gewesen sei,

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und sinnierte rückblickend über die Gründe von „blindness" und „stupidity" der „Peacemaker" (a. a. Ο). Auch nahm Art. 232 II die Beschränkung auf den Ersatz ziviler Schäden juristisch wieder zurück, indem die Alliierten anerkannten, „daß die Hilfsmittel Deutschlands unter Berücksichtigung ihrer dauernden, sich aus den übrigen Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrags ergebenden Verminderung nicht ausreichen, um die volle Wiedergutmachung aller dieser Verluste und Schäden sicherzustellen" (Art. 2321), also auch der „Verluste und Schäden" der Regierungen, nicht nur der Staatsangehörigen. Die Beschränkung ergab sich also nicht aus dem Völkerrecht und dem „Vertrag" zwischen Wilson und der Reichsregierung, sondern aus der deutschen Armut. Für die Höhe der Reparationszahlungen war allerdings nicht der Ausgang des juristischen Streits maßgeblich, sondern die Festsetzung des Schadensersatzes durch den „Wiedergutmachungsausschuß" der Alliierten (Art. 233). Infolge der teilweise äußerst phantasievollen Schadensmeldungen kam eine Forderungssumme von 186 Mrd. Goldmark zusammen; sie wurde pauschal auf 132 Mrd. Goldmark herabgesetzt und sollte in zwei Serien von 50 und 82 Mrd. mit Annuitäten von 1,5 bis 3 Mrd. Goldmark gezahlt werden — das gesamte deutsche Volksvermögen 1922 schätzte die New Yorker „National City Bank" auf 150 Mrd. Goldmark; Einzelheiten bei Eugen Würzburger, Wie die Reparationsforderungen begründet wurden. Probleme des Geld- und Finanzwesens, Bd. IX, Leipzig 1929, und John Maynard Keynes, der bereits 1920 die Reparationsklauseln als ökonomisch unsinnig scharf kritisiert hatte (in: Lederer, S. 40-51); s. auch Edgar Salin, Die deutschen Tribute, Berlin 1930, bes. S. 241. Zusammenfassend und den neuesten Forschungsstand präsentierend: Possony, S. 81 ff. — Die Stationen der Reparationsgeschichte schildert E. R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 148, 171 ff. u. passim, bes. 508-515 (1924: „DawesPlan"), S. 694 ff. (1929: „Young-Plan"), bis zum De facto-Ende der Reparationen nach dem Abkommen von Lausanne vom 9. Juli 1932 (S. 996-999). [45] Anlage zur mündlichen Verhandlung der Reparationskommission am 3. Februar 1919 , in: La Paix de Versailles, Bd. IV / 1 : La Commission de Réparations des Dommages, Paris 1932, S. 17. [46] In der Sitzung am 11. März 1919 trug der italienische Delegierte Chiesa d'Amelio vor: „Les quatre Etats ennemis constituaient effectivement ce que les juristes classiques appelaient la Societas Scelerie [sic]. Depuis des siècles, la législation de tous les peuples civilisés a affirmé la responsabilité solidaire des auteurs d'un même délit envers ceux qui en sont les victimes . . . " Nach dem Hinweis auf Art. 1382 des französischen, Art. 1156 des italienischen Code civil und die Rechtstraditionen der angelsächsischen Welt setzte er hinzu: „II faut ajouter que le Code civil allemand, dans son article 830, sanctionne explicitement le même principe de responsabilité solidaire" (La Paix de Versailles, Vol. I V / 1, S. 168). [47] Schmitt zit. hier einen internen, für die Mitglieder des US-Delegation bestimmten „Comment on French Project of Principles Governing Reparation for Damages" vom 4. Februar 1919, mit dem Dulles zu der französischen, auf § 823 BGB gestützten Begründung des Anspruchs auf Ersatz aller Kriegskosten (vgl. Anm. 44 a. A.) Stellung nimmt: „German law, embodying as we have seen a generally accepted principle, requires reparation only for injury flowing from an illegal act. In accordance with this principle . . . " (folgt der von Schmitt zit. Text, der fortgeführt wird mit dem Resultat:) Accordingly, it is to be assumed that the word »damage*, as used in the French project, is employed in the technical sense of damage resulting from acts violating established international law." Dulles' „comment" ist vollständig abgedruckt in der Dokumentation von Burnett, Bd. 1, S. 522/23 (Document No. 100). Die Stellungnahme ist wörtlich 7 Quaritsch

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nicht in die Protokolle der Kommissionssitzungen eingegangen, liegt inhaltlich aber allen Beiträgen von Dulles zugrunde, vgl. La Paix de Versailles (Anm. 30), Vol. IV / 1, S. 74 ff., 117 ff. Dulles , auf der Pariser Konferenz 27 Jahre alt, wies hier erstmals die Klaue des Löwen vor. [48] Das Zitat aus der Rede des Präsidenten Wilson vor dem Städtischen Frauenclub in Cincinnati, Ohio, am 26. Oktober 1916, lautet: „Have you ever heard what started the present war? If you have, I wish you would publish it, because nobody else has, so far as I can gather. Nothing in particular started it, but everything in general. There had been growing up in Europe a mutual suspicion, an interchange of conjecture about what this Government and that Government was going to do, an interlacing of alliances and understandings, a complex web of intrigue and spying, that presently was sure to entangle the whole of the family of mankind on that side of the water in its meshes" (Woodrow Wilson , The new Democracy, Presidential Messages, Addresses, and other Papers 19131917, Bd. 2, New York 1926, Repr. 1970, hrsg. v. Ray Stannard Baker / William E. Dodd, S. 381). Schmitt zit. offenbar aus dieser Übersetzung: „Ist Ihnen jemals bekannt geworden, was den gegenwärtigen Krieg hervorgerufen hat? Wenn ja, so wünschte ich, daß Sie es veröffentlichten, denn soweit ich unterrichtet bin, hat noch Niemand es bekannt gemacht. Kein besonderer Anlaß hat ihn hervorgerufen, sondern die Gesamtheit der Umstände. Ein gegenseitiges Mißtrauen war in Europa entstanden, ein gegenseitiger Argwohn bezüglich der Handlungen dieser und jener Regierung, eine Verstrickung in Bündnisse und Verständigungen, ein enges Netz von Ränken und Spionage, das mit Sicherheit die ganze Menschheitsfamilie jenseits des Wassers in seinen Maschen fangen mußte", in: Wilson — Das staatsmännische Werk des Präsidenten in seinen Reden, hrsg. v. Georg Ahrens und Carl Brinkmann, Berlin 1919, S. 138-143 (142). Seit dem Eintritt der USA in den Weltkrieg, also seit dem 6. April 1917, war Wilson überzeugt, die deutschen Militärs seien für den deutschen Angriffskrieg verantwortlich. Der französische Jurist Georges Demartial, der sich in mehreren Büchern kritisch mit den öffentlichen Schuldzuweisungen der Politiker befaßt hatte, stellte die einschlägigen Festlegungen Wilsons „avant — après" gegenüber (Le mythe des guerres de légitime défense, Paris 1931, S. 160); vgl. auch die dt. erschienenen Werke Demartials: Das Evangelium des Quai d'Orsay, Berlin o. J. (um 1920); ders., Die Mobilmachung der Gewissen, Berlin 1926. In den USA dauerte es einige Jahre, bis Wissenschaftler öffentlich Überlegungen äußerten, die zu Wilsons Cincinnati-Erkenntnis von 1916 zurückkehrten, z. B. Harry Elmer Barnes, Assessing the Blame for the World War. A Revised Judgement Based on all Available Documents. New York Times „Current History", Mai 1924, übersetzt in: Die Kriegsschuldfrage, Jg. 1924, Nr. 10, S. 385-426. [49] Note der deutschen Friedensdelegation vom 13. Mai 1919 bei Berber, S. 1226 f. [50] Antwortnote des Präsidenten Clemenceau vom 20. Mai 1919, übersetzt bei Berber, S. 1227/28. [51] Vgl. Anm. 44; der originale Text der Lansing-Note vom 5. November 1918 ist ebenfalls vollständig abgedruckt bei Burnett, Bd. 1, S. 411 (Document 38). [52] Zu James Brown Scott vgl. bereits Anm. 39. [53] James Thomson Shotwell (1874-1965), amerik. Historiker und Diplomat. Seit 1917 war Shotwell Berater des US-Präsidenten Wilson und gehörte der amerikanischen Delegation bei der Friedenskonferenz von Versailles an (sein Tagebuch erschien 1937: At the Paris Peace Conference, New York). 1943 beriet er US-Präsident Roosevelt im Hinblick auf die künftigen „Vereinten Nationen", 1945 war er Vorsitzender der Berater der US-Delegation in San Francisco. Die seit 1922 in den Vereinigten Staaten propagier-

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ten Bestrebungen einer „outlawry of war" formte er zu einer „amerikanischen Bewegung" um. In Deutschland am bekanntesten wurde sein anläßlich der Eröffnung des von der Carnegie-Stiftung eingerichteten Lehrstuhls an der Berliner Hochschule für Politik im März 1927 gehaltener Vortrag „Stehen wir an einem Wendepunkt der Weltgeschichte?" (in: Ausgleich als Aufgabe und Schicksal, hrsg. v. Ernst Jäckh, Berlin 1929, S. 15-30). Shotwells Bemühungen um den Kellogg-Pakt waren bekannt (s. bereits Jäckh, ebd. S. 29). Weitere Schriften von Shotwell zu diesem Thema: War as an Instrument of National Policy and its Renunciation in the Pact of Paris, New York 1928, London 1929; dt. Der Krieg als Mittel nationaler Politik, Berlin 1930. Seine wirkliche Rolle bei der Entstehung des Kellogg-Paktes schildert nüchtern Robert A. Ferrell, S. 23, 72 ff. u. passim, mit der treffenden Wendung: „Shotwell believed Briand, and we believe he believed him; but no experienced diplomatist would do so" (S. 74). 1947 hat Schmitt den Berliner Vortrag Shotwells als „eine der keim- und schicksalträchtigen Vorlesungen" für Deutschland bezeichnet und mit Schellings Vorlesung im November 1841 in der Berliner Universität verglichen (Glossarium v. 2.9.1947, S. 7). Auch sonst ist er mehrfach im Glossarium auf Shotwell zurückgekommen (S. 6, 7, 8, 10, 303). Eine signifikant ausführliche Anmerkung zu Shotwell auch im „Nomos der Erde", S. 246 FN 1. [54] David Hunter Miller (1875-1961), amerik. Völkerrechtslehrer, Berater der USDelegation bei der Friedenskonferenz von Versailles. Vertrat die Ideen einer „outlawry of war" (vgl. Anm. 53) auch literarisch und widmete sich den dahin zielenden internationalen Vereinbarungen: D. Hunter Miller, The Geneva Protocol, London 1925; ders., The Peace Pact of Paris, London 1928; ders., Le pacte de Paris ou traité Briand-Kellogg, in: Année politique française et étrangère, Bd. 4 (1929), S. 1 ff. [55] Über die Benennung des „Völkerbundes" als „Genfer Liga von 1919" vgl. bereits Anm. 5. [56] Art. 16: „Schreitet ein Bundesmitglied entgegen den in den Artikeln 12, 13 und 15 übernommenen Verpflichtungen zum Kriege, so wird es ohne weiteres so angesehen, als hätte es eine Kriegshandlung gegen alle anderen Bundesmitglieder begangen. Diese verpflichten sich, unverzüglich alle Handels- und Finanzbeziehungen zu ihm abzubrechen, ihren Staatsangehörigen jeden Verkehr mit den Staatsangehörigen des Vertragsbrüchigen Staates zu untersagen und alle finanziellen Handels- und persönlichen Verbindungen zwischen den Staatsangehörigen dieses Staates und jedes anderen Staates, gleichviel ob Bundesmitglied oder nicht, abzuschneiden. In diesem Falle ist der Rat verpflichtet, den verschiedenen beteiligten Regierungen vorzuschlagen, mit welchen Land-, See- oder Luftstreitkräften jedes Bundesmitglied für seinen Teil zu der bewaffneten Macht beizutragen hat, die den Bundesverpflichtungen Achtung zu verschaffen bestimmt ist. Die Bundesmitglieder sagen sich außerdem wechselseitige Unterstützung bei Ausführung der auf Grund dieses Artikels zu ergreifenden wirtschaftlichen und finanziellen Maßnahmen zu, um die damit verbundenen Verluste und Nachteile auf das Mindestmaß herabzusetzen. Sie unterstützen sich gleichfalls wechselseitig in dem Widerstand gegen jede Sondermaßnahme, die der Vertragsbrüchige Staat gegen eines von ihnen richtet. Sie veranlassen alles Erforderliche, um den Streitkräften eines jeden Bundesmitglieds, das an einem gemeinsamen Vorgehen zur Wahrung der Bundesverpflichtungen teilnimmt, den Durchzug durch ihr Gebiet zu ermöglichen. Jedes Mitglied, das sich der Verletzung einer aus der Satzung entspringenden Verpflichtung schuldig macht, kann aus dem Bunde ausgeschlossen werden. Die Ausschlie*

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ßung wird durch Abstimmung aller anderen im Rate vertretenen Bundesmitglieder ausgesprochen." [57] Der Satz ist in der Präambel enthalten: „. .. und feststellen, daß der Angriffskrieg eine Verletzung dieser Solidarität und ein internationales Verbrechen ist . . . " — Das Genfer Protokoll geht in seiner textlichen Gestaltung auf einen gemeinsamen Bericht von N. Politis und Eduard Benesch zurück; es sollte eine zweite überarbeitete und verbesserte Auflage der Völkerbundsatzung werden. Zu den Vorarbeiten der von Politis und Benesch geleiteten Völkerbundkommission vgl. Journal Officiel — S. D. Ν. (A), 1924, Nr. 24, S. 119 ff. und 129 ff. Schwerpunkt des Protokolls bilden die beabsichtigte friedliche Streitbeilegung (vgl. Art. 2-9 des Protokolls) und das Bemühen um die Effektivierung des Sanktionsmechanismus der Völkerbundsatzung durch folgende Ergänzungen: 1. Präzisierung des Angriffsbegriffs, 2. Erweiterung der Feststellungs- und Anordnungskompetenz des Völkerbundrates, und 3. die Verpflichtung der Signatarstaaten des Protokolls zur obligatorischen Sanktionsvollziehung (vgl. Art. 10 des Protokolls). Diese Elemente enthielt die Völkerbundsatzung bis dahin nicht. Art. 16 VBS gewährte den Völkerbundmitgliedern das Recht auf Sanktionsausübung, soweit sie in eigener Entscheidungsmacht den casus sanctionis feststellten. Der Völkerbundrat konnte nur empfehlen. — Der Text des Protokolls ist abgedr. im Journal Officiel — S. D. Ν. (A), 1924, Nr. 24, S. 136 ff., und bei Grewe, Fontes III 2, S. 941-953. Zur Auslegung des Protokolls: Hans Wehberg, Das Genfer Protokoll, Berlin 1927. — Wehberg (1885 -1962) war der führende juristische Schriftsteller der pazifistischen Richtung der deutschen Völkerrechtslehre, Herausgeber der „Friedenswarte", seit 1928 o. Prof. in Genf. Eduard Benesch (18841948), tschech. Politiker, Chefdelegierter bei den Pariser Friedensverhandlungen, aus denen die Tschechoslowakei hervorging, Außenminister der CSR 1918 -1935, Staatspräsident 1935-1938, 1945-1948. Nicolaos (Nicolas) Sokrates Politis (1872-1942) war 1898-1914 Völkerrechtslehrer in Frankreich, zuletzt in Paris. 1916-1920 und 1922 war er Außenminister Griechenlands, 1924-1927 griechischer Botschafter in Paris. Er vertrat Griechenland auf internationalen Konferenzen und im Völkerbund, Gründer der Academy of International Law im Haag, zuletzt Mitglied des Ständigen Internationalen Gerichtshofs und Präsident des Institute of International Law (1937-42). Auf der Friedenskonferenz in Versailles 1919 vertrat er Griechenland in der Kommission zur Schuldfrage (vgl. Anm. 30). Aus seinen Schriften sind hervorzuheben: La Justice International, Paris 1924, sowie Les Nouvelles Tendances du Droit Internationale, Paris 1927 (englische, überarbeitete Übersetzung: The New Aspects of International Law, Washington 1928); La Neutralité et la Paix, Paris 1935 (englische Übersetzung: Neutrality and Peace, Washington 1935), und Le Problème des Limitations de la Souveraineté et la Theorié et l'Abus des Droits dans les Rapports Internationaux, in: RdC 6 (1925), S. 1 ff. Mit diesem Schrifttum wies sich Politis deutlich als ein Vertreter der nach dem Ersten Weltkrieg einsetzenden souveränitätsbegrenzenden Völkerrechtsdoktrin aus. Typischerweise hielt er von der weiteren Humanisierung des Kriegsrechts für den Vollstreckungskrieg gegen den Friedensbrecher gar nichts: „Es sei das Ziel der wahren Friedenspolitik, dem Kriege vorzubeugen, und nicht, ihn menschlicher zu machen" (Die Zukunft des Kriegsrechts, in: Wie würde ein neuer Krieg aussehen? Untersuchung, eingeleitet von der Interparlamentarischen Union, Zürich 1932, S. 371 ff., 389). [58] Projet de Traité de désarmement et de sécurité présenté, avec des commentaires, par un groupe américain, Société des Nations. C. 339. 1924. IX, Genève le 7 juillet 1924; International Conciliation No. 201, 205 und 208; engl. Text bei Ferencz I, S. 124-

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127. Neben Shotwell war auch Hunter Miller (vgl. Anm. 54) beteiligt, s. Wehberg, Ächtung, S. 32 f. [59] Die Abrüstungskonferenzen des Völkerbundes zwischen 1932 und 1934 sind dokumentiert bei Ferencz I, S. 194-254. [60] Sir William Blackstone, Commentaries on the Laws of England, 1765-69, 16. Aufl., London 1925, Bd. 4, S. 66 ff. [61] Littré, Dictionnaire de la langue française, Paris 1869, Bd. I, S. 230. [62] Im „Nomos der Erde" ist der Satz wegen des abweichenden Aufbaus anders formuliert: „Wir haben (oben S. 87 f.) nachgewiesen, daß man ursprünglich, im 19. Jahrhundert, von dem Verbrechen des Angriffs als einem crime de l'attaque (nicht de Γ agression) sprach, wodurch der juristische Sachverhalt deutlicher wird als im Deutschen, wo Angriff sowohl die (unwertbelastete) Bedeutung von agression hat, wie auch die wertfreie Kategorie attaque oder attack bezeichnet" (S. 249 unten). [63] Den Entwurf eines Garantiepaktes hatte Lord Robert Cecil (s. Anm. 72) im Juli 1922 der Gemischten Abrüstungskommission des Völkerbundes vorgelegt (Text und Diskussion bei Ferencz I, S. 70-83). Durch den Pakt sollten sich alle interessierten Mächte sofortige und wirksame Hilfe im Falle eines Angriffskrieges zusagen; gleichzeitig wurde zum ersten Mal innerhalb des Völkerbundes die Forderung nach Ächtung jedes Angriffskrieges aufgestellt: „ . . . that aggressive war is an international crime" (Art. 1 I). Der Garantiepakt wurde jedoch nur von 18 Mitgliedern des Völkerbundes angenommen. Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika, die Sowjetunion, das Deutsche Reich und andere Mächte erklärten, daß der Vorschlag aus den verschiedensten Gründen nicht als eine geeignete Grundlage für eine Diskussion angesehen werden könnte (die Stellungnahmen der Regierungen sind wiedergegeben bei Ferencz I, S. 84131). Walther Schücking kritisierte die Verbindung des Bündnisfalles mit der Garantie jener „willkürlichen und ungerechten Grenzen . . . die der Friede von Versailles . . . geschaffen" habe; „Art. 10 . . . mißachtet das Selbstbestimmungsrecht der Völker und will ungerechte Grenzen für immer aufrechterhalten", auch würde der Garantiepakt „ein System militärischer Blocks" schaffen (Garantiepakt und Rüstungsbeschränkung, Berlin 1924, S. 11, 16; W. Schücking! H. Wehberg, Die Satzung des Völkerbundes, 2. Aufl. Berlin 1924, S. 422 ff.; s. auch Wehberg, Ächtung, S. 18 ff.). Walther Schücking (1875-1935), dt. Jurist, Professor in Breslau, Marburg und Berlin, 1919 Mitglied der deutschen Delegation in Versailles, 1928 Direktor des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel, 1920-1928 MdR (DDP), 1930-1935 Richter am Ständigen Internationalen Gerichtshof; Sch. besaß eine führende Stellung in der organisierten Friedensbewegung. [64] Zum Kellogg-Pakt vgl. Anm. 81. [65] Journal Officiel — S. D. Ν. (C), 1925, Nr. 4, S. 446-450. Chamberlain ging auf der Bundesversammlung am 9. September 1925 noch einmal darauf ein, vgl. Journal Officiel — S. D. Ν. (A), 1925, Nr. 33, S. 37-39. [66] Interdictum „uti possidetis, quominus ita possideatis, vim fieri veto" (D. 43, 17, 1 pr.), Verbot gewaltsamer Störungen des Besitzes, im klassischen römischen Recht nur bei unbeweglichen Sachen. Im justinianischen Recht wird zwischen dem Gewaltverbot bei unbeweglichen und dem interdictum utrobi bei beweglichen Sachen nicht mehr unterschieden, vgl. Bernhard Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl., Frankfurt/M. 1906, Bearb. Theodor Kipp, Bd. 1, S. 812ff. — Im Völkerrecht wurde das Prinzip zum Schutz des Status quo angewendet, wenn und soweit ein Friedensvertrag

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Gebiete nicht ausdrücklich dem beteiligten, aber „besitzenden" Staat zugewiesen hatte. Übertragen wurde uti possidetis seit dem 19. Jh. auf die Bildung von neuen Staaten, als nach dem Ende des spanischen Kolonialregimes die Staatsgrenzen Südamerikas den Grenzen der spanischen Verwaltungsprovinzen nachgezogen wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden die afrikanischen Staaten in den Grenzen der ehemaligen Kolonien, weshalb der IGH den Grundsatz uti possidetis als allgemeines Völkerrechtsprinzip bezeichnet, das logisch mit der Entstehung staatlicher Unabhängigkeit verbunden sei (IGH Reports 1986, S. 554, 556: Frontier Dispute Burkina Faso — Mali). Zur Geschichte im Völkerrecht vgl. Frank Woolridge, EPIL 10 (1987), S. 519 ff., sowie Eckart Klein, Der Staat 32 (1993), S. 367 f., über die Grenzen der Nachfolgestaaten Jugoslawiens, die sich nach den bisherigen Ländergrenzen des Bundesstaates richten sollen. [67] Art. 10 der Völkerbund-Satzung lautete: "Die Bundesmitglieder verpflichten sich, die Unversehrtheit des Gebiets und die bestehende politische Unabhängigkeit aller Bundesmitglieder zu achten und gegen jeden äußeren Angriff zu wahren. Im Falle eines Angriffs, der Bedrohung mit einem Angriff oder einer Angriffsgefahr nimmt der Rat auf die Mittel zur Durchführung dieser Verpflichtung Bedacht." [68] Locamo-Pakt: Vertrag zwischen Deutschland und Belgien sowie Deutschland und Frankreich, geschlossen am 6. Oktober 1925 in Locarno zur Sicherung des status quo der deutschen Westgrenzen: Die Vertragsparteien verpflichteten sich gegenseitig „in keinem Falle zu einem Angriff oder zu einem Einfall oder zum Kriege gegeneinander zu schreiten" (Art. 2), behielten sich aber den Verteidigungskrieg vor (Art. 2 Abs. 2). Quelle: RGBl. 1926 II S. 585 = Grewe, Fontes, III 2, S. 1085-1088; Ferencz I, S. 157160. [69] Die Nichtangriffspakte bei Grewe, Fontes III 2, S. 1090 ff. [70] Der Politis-Bericht und seine Erörterung bei Ferencz I, S. 163-172, 173-189. Zu den Bemühungen um eine Aggressionsdefinition in dieser Zeit allgemein vgl. Yves de la Brière, La définition de l'agresseur, in: L'Esprit International 7 (1933), S. 616 ff.; Nicolas Politis, in: Revue de droit international, 1934, S. 266 ff. Kritisch Georges Demartial, der die Begriffe „Angriffskrieg" und „legitimer Verteidigungskrieg" der politischen Propaganda zurechnete, die Kriegsbegeisterung erzeugen will (Anm. 48, durchgehend). Aus dem reichsdeutschen Schrifttum z. B. Heinrich Rogge, Nationale Friedenspolitik, Berlin 1934, S. 230 ff.; Konrad Reichhelm, Der Angriff. Eine völkerrechtliche Untersuchung über den Begriff, Berlin 1934. Die Sicht der Völkerbundsjuristen reflektierend: Wilhelm G. Hertz, Das Problem des völkerrechtlichen Angriffs, Leiden 1936. Grundlegend jetzt das bis in die 70er Jahre reichende Werk von Ferencz, 2 Bde. [71 ] Maksim Maksimowitsch Litwinow, eigentl.: M. M. Wallach ( 1876 -1951 ), Sowjet. Politiker, 1930 -1939 Volkskommissar des Äußeren, 1941 -1943 Botschafter in Washington. [72] Lord Robert Cecil (1864-1958), brit. Politiker und Diplomat, Mitglied der britischen Delegation bei den Pariser Friedensvertragsverhandlungen 1919/20, Anhänger der Vorstellungen von Woodrow Wilson und der Idee des „Völkerbundes", für den er einen eigenen Entwurf vorlegte (abgedr. bei Robert Lansing, Die Versailler Friedensverhandlungen, S. 221-224); der Text basierte auf einem Entwurf des britischen Völkerrechtslehrers Robert Phillimore und wurde überarbeitet von den Rechtsberatern der britischen und der amerikanischen Delegation, Cecil Hurst und David Hunter Miller. Zu dem von ihm 1922 projektierten „Garantiepakt" s. bereits Anm. 63. Bei seinem

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Konflikt mit der Regierung MacDonald gab es im Unterhaus bissige Kommentare, vgl. James Ramsey MacDonald am 24. November 1927, Parlamentary Debates, Official Report, 5 t h series, Bd. 210, Sp. 2090, und Sir Austen Chamberlain, ebd., Sp. 2102. Cecil erhielt 1937 den Friedensnobelpreis, 1946 wurde er Ehrenpräsident der UNO. Sir Austen Chamberlain (1863-1937), brit. Politiker, 1892-1937 kons. Mitglied des Unterhauses, mehrfach Minister, Außenminister 1925-1929, Friedensnobelpreis 1926 wegen Abschluß des Locarno-Paktes, zusammen mit A. Briand und G. Stresemann. Sir Austen ist nicht zu verwechseln mit seinem Halbbruder Arthur Neville Chamberlain (1869-1940), dem brit. Premierminister 1937-1940. [73] Journal Officiel — S. D. Ν. (A), 1925, Nr. 33, S. 37-39. [74] "Possessorium — Petitorium": possessorischer Anspruch ist der aus dem Besitz, petitorischer Anspruch der aus dem Eigentum folgende Anspruch. Obgleich Besitz nur tatsächliche Sachherrschaft bedeutet, gleichgültig, ob der Inhaber zu ihm berechtigt ist, wird der Besitz verteidigt wie ein Recht; seine Beeinträchtigung ist widerrechtlich und berechtigt zu Notwehr und Selbsthilfe. [75] Im „Nomos der Erde" folgt jetzt dieser Text: „Eine solche Abstrahierung ist ja auf ihre Art fast ebenso schwer vollziehbar, wie die Vorstellung eines Justus hostis, d. h. eines Feindes, der möglicherweise recht hat. Außerdem aber setzt sie eine bisher noch nicht vorhandene, zuverlässige internationale Justiz voraus, die der gerechten Sache auch gegenüber dem provisorischen Besitzschutz zu einem baldigen Triumph verhilft. Ohne die unmittelbar gleichzeitige Errichtung unparteiischer internationaler Gerichte würde sich sonst der alte Satz, daß der Angriff die beste Verteidigung ist, umkehren in den neuen Satz, daß die Verteidigung der beste und wirksamste Angriff sein kann" (S. 253). [76] In: Parliamentary Debates, Official Report, 5 t h series, Bd. 210, Sp. 2105. Dort auch: „If you lay down, far in advance, for circumstances that you cannot forsee, rigid definitions by which the aggressor is to be determined, are you quite sure that in thus making these strict rules for circumstances which are unknown to you, you may not find, when the occasion arises, that by some unhappy term in your definition you have declared to be the aggressor that party which, to the knowledge of all men at the time, is the aggressed and not the offender?" [77] Im ,,Nomos der Erde" hat Schmitt S. 254 an dieser Stelle noch folgende Anmerkung hinzugefügt: „Das Problem des Zusammenhanges von Beistandspflicht und justa causa des gerechten Krieges ist sehr alt (vgl. oben S. 71 Anm.: Das jus protectionis sociorum als justus titulus bei Vitoria). Anläßlich der im Text zitierten Äußerung sei an eine vielzitierte Behauptung Ciceros erinnert. Der große Redner hat allen Ernstes gesagt, die Römer hätten nur gerechte Kriege geführt. Dabei sieht er allerdings im Eintreten für Bundesgenossen einen Grund zum gerechten Kriege. Auf diese Weise ist es nicht schwer zu beweisen, daß die Römer nur gerechte Kriege geführt haben." Schmitt bezieht sich hier wohl auf die Erörterung des gerechten und ungerechten Krieges im Laelius-Fragment, De re publica, 3,23, das einleitet mit der Feststellung: „nullum bellum suscipi a civitate optima nisi aut pro fide aut pro salute" — pro fide, nämlich für das (dem Bundesgenossen) gegebene Wort. Das erfreuliche Ergebnis der bella iusta Roms läßt Cicero in der Tat mit römischer Selbstgerechtigkeit so beschreiben: „Noster autem populus sociis defendendis terrarum iam omnium potitus est" (Unser Volk aber hat sich durch die Verteidigung der Bundesgenossen schon aller Länder bemächtigt). Es kann dieses Fragment jedoch nur fälschlich dem Laelius, der Stimme Ciceros, zugeordnet worden sein, in seiner trockenen Härte paßt es eigentlich besser zu Philus, dem Widerpart

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des Laelius, den Cicero aus der Position des nüchternen und pessimistischen Machtrealisten reden läßt. Der angeführte Satz wäre dann eine Ironie des Philus gewesen (s. Karl Büchner, in: Cicero, Der Staat, 5. Aufl., Darmstadt 1993, S. 394/95). Zur römischen Lehre vom gerechten Krieg — auch in Auseinandersetzung mit Carl Schmitt — s. jetzt Alexander Demandt, Der Idealstaat. Die politischen Theorien der Antike, Köln 1993, S. 247-275. [78] Chamberlain: „Ich bleibe daher bei meiner Ablehnung dieses Versuches, den Angreifer zu definieren, weil ich glaube, sie wäre eine Falle für den Unschuldigen und ein Wegweiser für den Schuldigen", Parliamentary Debates, Bd. 210, Sp. 2105. Das bekannte Zitat jetzt auch bei W. Grewe, Epochen, S. 730. Zu Sir Austen Chamberlain vgl. Anm. 72. [79] Der vorstehende Satz wird im „Nomos der Erde" S. 255 abweichend formuliert: „In diesem vielzitierten Wort kommt das tiefe Dilemma zum Ausdruck, das zwischen den juristischen Bemühungen um ein rechtliches Verbot des Angriffs und den moralischen Forderungen einer sofortigen Abschaffung des Krieges besteht." [80] Die bedeutendste programmatische Schrift der Bewegung verfaßte Charles Clayton Morrison, The Outlawry of War. A Constructive Policy for World Peace, Chicago 1927; Morrison war Herausgeber des „Christian Century". Juristisch grundlegend: Quincy Wright, Changes in the Conception of War, in: American Journal of International Law, Bd. 18 (1924), S. 755; ders., The Outlawry of War, ebd., 19 (1925), S. 74-103. Aus dem deutschen Schrifttum vgl. Wolf von Dewall, Der Kampf um den Frieden, Frankfurt a. M. 1929; fernerhin Darstellung und Literatur bei Wehberg, Ächtung, S. 22 ff. [81 ] Aristide Briand ( 1862 -1932), franz. Jurist und Politiker, mehrfach Ministerpräsident, 1925-1932 Außenminister, 1926 Friedensnobelpreis (zusammen mit G. Stresemann). — Frank B. Kellogg (1856-1937), amerik. Jurist und Politiker, 1924/25 Botschafter in London, 1925-29 Staatssekretär des Auswärtigen, 1929 Friedensnobelpreis. Der Kellogg-Pakt ist hervorgegangen aus einer Botschaft, die der französische Außenminister Aristide Briand am 6. April 1927 durch Vermittlung der Nachrichtenagentur „Associated Press" an das amerikanische Volk richtete. Das positive Echo veranlaßte Briand, dem amerikanischen Botschafter in Paris am 9. Juni 1927 einen Vertragsentwurf zu überreichen, nämlich eine Erklärung, daß die Vereinigten Staaten und Frankreich den Krieg verurteilen und auf ihn als Werkzeug ihrer nationalen Politik verzichten (Text: Weißbuch, S. 8 f.). Mit dem bilateralen Projekt wollte Briand das System der Militärallianzen, das Frankreich mit Belgien, Polen, der Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien nach dem Ersten Weltkrieg zur Sicherung seiner neuen Grenzen (gegen Deutschland) aufgebaut hatte, durch eine „negative Allianz" mit den Vereinigten Staaten ergänzen, wodurch die amerikanische Neutralität gesichert werden sollte. Im Gegenzug verwandelte der amerikanische Außenminister, Frank B. Kellogg, in dem anschließenden Notenwechsel den bilateralen in einen multilateralen Entwurf eines Vertrages über die Verurteilung des Krieges und den Verzicht auf den Krieg als Mittel der Politik, der am 13. April 1928 den Regierungen Deutschlands, Großbritanniens, Italiens und Japans überreicht wurde (Text: Weißbuch, S. 34-37). Außer Frankreich und den Vereinigten Staaten sowie den bereits genannten Adressaten traten Australien, Belgien, Indien, Irland, Kanada, Neuseeland, Polen, die Südafrikanische Union und die Tschechoslowakei bei. Text des Vertrages in: RGBl. 1929 II S. 97 = Grewe, Fontes III 2, S. 959-961 = Ferencz I, S. 190-193. Später traten die meisten Mitglieder des Völkerbundes, auch die Sowjetunion, dem Vertrage bei. — Materialien: Arnoldus Lysen, Le Pacte Kellogg, Leyde 1928; Weißbuch des Auswärtigen Amtes: Materialien zum Kriegsächtungspakt, 1. u. 2.

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Ausg. Berlin 1928, 3. Ausg. Berlin 1929; Karl Strupp, Der Kellogg-Pakt im Rahmen des Kriegsvorbeugungsrechts, 1929; André Ν. Mandelsîam, L'interprétation du pacte Briand-Kellogg par les gouvernements et les parlements des états signataires, Paris 1934. Über die Handhabung des Kellogg-Paktes durch die US-Diplomatie unterrichtet Richard N. Current, Consequences of the Kellogg-Pact, in: George L. Anderson (Hrsg.), Issues and Conflicts — Studies in Twentieth Century American Diplomacy, Lawrence 1959, S. 210-229. Die wichtigste zeitgenössische Literatur: D. H. Miller , The Peace Pact of Paris, London 1928; Shotwell, War as an instrument of national policy, New York 1929; Hans Wehberg, Die Ächtung des Krieges, Berlin 1930; zeitgemäß kritisch Carl Bilfinger, Das wahre Gesicht des Kellogg-Paktes — Angelsächsischer Imperialismus im Gewände des Rechts, Essen 1942, S. 8 ff. Die Literatur wird umfassend verarbeitet von Günter Maschke, Frank B. Kellogg siegt am Golf, in: Siebte Etappe, Bonn 1991, S. 28-61; Achte Etappe, Bonn 1992, S. 81-112. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte der amerikanische Historiker Robert Ferrell, der die Entstehungsgeschichte genau nachzeichnete, zu dem Ergebnis, Briand habe sich zur Verfolgung seiner oben angedeuteten Absichten den Idealismus der amerikanischen Friedensbewegung und die Unerfahrenheit ihrer führenden Vertreter zunutze gemacht: „The history of the origins of the Kellogg-Briand Pact shows that American popular understanding of the great problems and policies of post-1918 international affairs was appallingly naive. Moreover, some of America's most respected citizens, possessing the cherished visible signs of education, proved themselves almost as benighted as the public they sought to lead . . . The fact remains that Aristide Briand, observing this immature American idealism, was able to manipulate it with astonishing ease for his subtle purpose of »perpetual friendship* between France and the United States", so Ferrell, S. 264/65. Die politische Funktion des Kellogg-Paktes für die Vereinigten Staaten kennzeichnet ein Völkerrechtslehrer und Diplomat vom Range Wilhelm Grewes als ihren „weltpolitischen Gegenzug .. . gegen das Völkerbundsystem", mit Hilfe dessen die Präsidenten der Vereinigten Staaten die Rolle des Weltschiedsrichters zu spielen suchten (Epochen, S. 693). Schmitt hatte 1932 diese amerikanische Instrumentalisierung des Kellogg-Paktes vorausgesehen, ohne seinen Respekt zu verhehlen: „Wie die Monroe-Doktrin in der Hand der Vereinigten Staaten liegt, so können sie auch gegenüber dem Kellogg-Pakt den Standpunkt einnehmen, der sich für eine Weltmacht von selbst versteht: daß sie selber es sind, die definieren, interpretieren und anwenden. Sie entscheiden, wann etwas Krieg ist oder ein friedliches Mittel internationaler Politik . . . immer wieder zeigt sich die große Überlegenheit, die erstaunliche politische Leistung der Vereinigten Staaten darin, daß sie sich allgemeiner, offen bleibender Begriffe bedienen . . . eine derartige Elastizität, eine derartige Fähigkeit mit weiten Begriffen zu operieren und die Völker der Erde zu zwingen, sie zu respektieren, ist ein Phänomen von weltgeschichtlicher Bedeutung. Bei jenen entscheidenden politischen Begriffen kommt es eben darauf an, wer sie interpretiert und anwendet; wer durch die konkrete Entscheidung sagt, was Frieden, was Abrüstung, was Intervention, was öffentliche Ordnung und Sicherheit ist. Es ist eine der wichtigsten Erscheinungen im rechtlichen und geistigen Leben der Menschheit überhaupt, daß derjenige, der wahre Macht hat, auch von sich aus Begriffe und Worte zu bestimmen vermag. Cäsar dominus et supra grammaticam: Der Kaiser ist Herr auch über die Grammatik. Der Imperialismus schafft sich seine eigenen Begriffe, und ein falscher Normativismus und Formalismus führt nur dahin, daß am Ende niemand weiß, was Krieg und was Frieden ist. . . . Es ist ein Ausdruck echter, politischer Macht, wenn ein großes Volk die Redeweise und sogar die Denkweise anderer Völker, das

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Vokabularium, die Terminologie und die Begriffe von sich aus bestimmt... Als Deutscher kann ich bei diesen Ausführungen über den amerikanischen Imperialismus nur das Gefühl haben, wie ein Bettler in Lumpen über die Reichtümer und Schätze von Fremden zu sprechen" (Völkerrechtliche Formen des modernen Imperialismus, ein 1932 gehaltener Vortrag, zuerst veröffentlicht in den Königsberger „Auslandsstudien", Bd. 8, 1933, erneut abgedr. in: Positionen und Begriffe, S. 178/79). Eine solche politische Kritik konnte Schmitt naturgemäß in einem Rechtsgutachten nicht anbringen, das zur Verteidigung deutscher Angeklagter vor einem amerikanischen Militärgericht geschrieben wurde. Mit der einprägsamen Wendung „Caesar dominus et supra grammaticam" kehrte Schmitt ein geflügeltes Wort der Antike um: „Caesar non supra grammaticos", über dessen Herkunft s. Klaus Bartels, Veni, vidi, vici, 8. Aufl., Zürich 1990, S. 50. [82] Salmon Oliver Levinson (1865-1941), amerik. Jurist, Begründer der „outlawry of war"-Bewegung in den Vereinigten Staaten. Er publizierte seine Idee erstmals am 9. März 1918 in der Zeitschrift „New Republic", vgl. John E. Stoner, S. O. Levinson and the Pact of Paris: A Study in the Techniques of Influence, Chicago 1942. [83] Resolution des US-Senats „Outlawry of war", eingebracht durch Senator Borah am 13. Februar 1923, Sen. Res. 441, 67th Congress, 4th Session; Text der Resolution vollständig wiedergegeben von Shotwell (Anm. 81), S. 108-110. Dazu auch Hearings before the Committee on Foreign Relation, U. S. Senate 1929,66th Congress, 1st Session (Sen. Doc. 106, 329, 336). [84] Die Mandschurei stand nach dem Ersten Weltkrieg unter starkem wirtschaftlichen und politischen Einfluß Japans. Die japanischen Interessen, 1932 auf 1,7 Mrd. Yen geschätzt, wurden durch das Bandenwesen und die Unordnung in China dauernd schwer beeinträchtigt. Anläßlich einer nächtlichen Explosion marschierten am 19. September 1931 japanische Truppen in die Stadt Mukden ein. 1931/32 besetzten japanische Truppen die ganze Mandschurei und die Provinz Jehol. In Schanghai und Tientsin kam es zu schweren Kämpfen, bei denen die Chinesen insgesamt 24.000 Mann verloren haben sollen. Japan begründete sein Vorgehen mit dem Zwang, die japanischen Interessen und das Leben der Japaner in China mit der Waffe zu verteidigen; es übe nur Notwehr aus. China brach die diplomatischen Beziehungen zu Japan nicht ab und betonte immer wieder seinen Friedenswillen. In einem Brief vom 1. Februar 1932 an den VölkerbundSekretär schrieb der chinesische Außenminister: „La Chine n'a pas déclaré la guerre au Japan: elle se borne à exercer le droit de légitime défense qui est inhérent à la souveraineté de l'Etat Chinois." Am 13. Februar 1932 verlautbarte die chinesische Regierung: „Le Gouvernement Chinois n'a jamais manqué de rester fidèle à sa politique d'éviter par tous les moyens à sa disposition, l'état de guerre.. .". Der Konflikt endete mit der Gründung des (von Japan abhängigen) Staates Mandschukuo am 9. März 1932. Die Vorgänge veranlaßten die USA zur sog. Stimson-Doktrin (vgl. Anm. 95). Im Jahre 1948 würdigte das IMT Far East die Vorgänge ausführlich als „Verschwörung gegen den Frieden" (Tokyo Judgment I, S. 195-235); Radhabinod Pal widersprach diesem Verständnis ebenso nachdrücklich wie ausführlich (Tokyo Judgment II, S. 667 ff.). [85] Hans Wehberg, Hat Japan durch die Besetzung der Mandschurei das Völkerrecht verletzt?, in: Friedenswarte 32 (1932), S. 1 ff. (2): „Nach geltendem Rechte kann man im Falle des chinesisch-japanischen Konflikts nur von einer militärischen Besetzung, nicht von einem Kriege sprechen. An diesem Ergebnis kann auch die Tatsache nichts ändern, daß die sog. »friedliche Besetzung4 (occupatio pacifica), mag sie nun als bewaffnete Intervention zum Schutz von Leben und Eigentum japanischer Staatsbürger oder als

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Repressalie gegenüber chinesischen Völkerrechtsverletzungen begründet werden, von Bombardements, ja sogar von Schlachten größeren oder kleineren Umfanges begleitet war." Carl Schmitt hatte Wehberg scharf kritisiert: „Wie ist eine Jurisprudenz möglich, die angesichts blutiger Kämpfe, angesichts der Zehntausende von Toten immer noch von »friedlicher Besetzung' zu sprechen wagt und dadurch das Wort und den Begriff des »Friedens' dem grausamsten Hohn und Spott ausliefert? . . . Es sind also grausame Repressalien möglich, menschenmörderische Beschießungen, sogar blutige Kämpfe und Schlachten: das alles ist nicht Krieg im juristischen Sinne, und der Friede, auf den die gequälte Menschheit mit Sehnsucht wartete, ist ihr längst beschieden; sie hat es nur, mangels juristischen Scharfsinns, nicht bemerkt. Die Objekte solcher friedlichen Maßnahmen mögen sich also merken: erstens ist der Krieg nur als Mittel nationaler Politik geächtet, und zweitens stellt sich heraus, daß die verbreitete Vorstellung, daß »Schlachten größeren oder kleineren Umfangs' etwas mit Krieg zu tun haben, falsch ist" (Völkerrechtliche Formen des modernen Imperialismus, 1932, in: Positionen und Begriffe, S. 177/ 78). [86] Hans Wehberg, Das Kriegsproblem in der neueren Entwicklung des Völkerrechts, Friedenswarte 38 (1938), S. 129 (140 ff.), dort auch das erinnerungswürdige Resümee: „So befindet sich die Frage der Kriegsächtung noch in vollem Fluß" (S. 149). [87] Art. 1 des Kellogg-Paktes formulierte in der englischen Fassung: „The High Contracting Parties solemnly declare . . . that they condemn recourse to war for the solution of international controversies, and renounce it as an instrument of national policy in their relations with one another". Der „Verzicht auf den Krieg als Mittel der nationalen Politik" soll zurückgehen auf ein Gespräch des Präsidenten der ColumbiaUniversität Nicholas Murray Butler mit Aristide Briand in Paris im Juni 1926. Butler habe, so berichtete er später, den französischen Außenminister auf Buch VIII, Kap. 6 b, des Werkes von Carl von Clausewitz „Vom Kriege", aufmerksam gemacht, das die Überschrift trägt: „Der Krieg ist ein Instrument der Politik". „Why has not the time come for the civilized governments of the world formally to renounce war as an instrument of policy?", vgl. F err ell, S. 66, unter Hinweis auf die Erinnerungen von Ν. M. Butler. Nicholas Murray Butler (1862-1947), bekannter Reformpädagoge, Präsident der Columbia-Universität (1901-1945), Präsident des Carnegie-Endowment for International Peace (1925-1945), wie sein Vizepräsident Shotwell aktiv in der „outlawry of war"Bewegung, Friedensnobelpreis 1931. [88] Art. 1 der Pariser Seerechts-Deklaration vom 16. April 1856 bei Grewe, Fontes III 1, S. 549-551 (550: „Die Kaperei ist und bleibt abgeschafft"). [89] Die Note vom 23. Juni 1928 ist vollständig abgedruckt bei Shotwell (Anm. 81) im Dokumentenanhang S. 296-301, der zit. Text S. 297 unter Nr. 1., ebenso bei Grewe, Fontes III 2, S. 962-966 (963). [90] Hearings before the Committee on foreign relations. United States Senate. Seventieth Congress. Second Session on the General Pact for the renunciation of war, signed at Paris Aug. 27, 1928. Dec. 7 and 11, 1928, S. 21; bei Mandelstam, S. 39 FN 66. [91] William Edgar Borah (1865-1940), amerik. Politiker, 1906-1939 republikanischer Senator, Isolationist, 1924-1940 Vorsitzender des Senatsausschusses für Auswärtige Beziehungen, Gegner der Politik Roosevelts. [92] Das Zitat zieht mehrere Erklärungen des Senators Borah zusammen, Congressional Record, jan. 3,1929, p. 1065; jan. 4,1929, p. 1129, bei Mandelstam, S. 70, FN 174 ff. [93] Congressional Record, Bd. 70, Teil 2,15. Januar 1929, S. 1730, Text des vollständigen Berichts bei Mandelstam, S. 33 / .34 FN 52; das Zitat gesondert ebd. S. 78 FN 180.

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[94] Chambre des députés, 2 e séance du 1 e r mars 1929, J. Off. du 2 mars 1929, p. 769, bei Mandelstam, S. 110 FN 260. [95] Department of State, Publication No. 357, S. 7; ebenso in: Foreign Affairs 11 (1932), spec, suppl. zu No. 1 des Jahrgangs; vgl. auch Henry L. Stimson, The Far Eastern Crisis, New York 1936, Reprint 1974, S. 204. Das Zitat auch in ZAÖRV, Bd. XI, 1942 / 43, S. 28. — Zur Stimson-Doktrin vgl. etwa Quincy Wright , The Stimson Note of January 7,1932, AJIL 26,1932, S. 342 ff.; John Fischer Williams, La Doctrine de la reconnaissance en droit international et ses développments récents: RdC 44, 1933, II, S. 203 ff.; Hans Wehberg, Die Stimson-Doktrin, in: FS Jean Spiropoulos, Bonn 1957, S. 433 ff.; Krakau, S. 287 ff. Henry Lewis Stimson (1867-1950), amerik. Jurist und Diplomat, entwickelte gegen die Expansions-Politik Japans auf dem asiatischen Festland seit 1931 die Technik der Intervention durch Nichtanerkennung (sog. Stimson-Doktrin), unterstützte Roosevelt, während des Krieges Secretary of War, Gegner des Morgenthau-Plans für Deutschland, empfahl Präsident Truman den Einsatz der Atombomben gegen Japan. Seine an Japan und China gerichtete Note vom 7. Januar 1932 bei Grewe, Fontes III 2, S. 970-71. [96] Die mehrfach wiederholte Formulierung geht auf den Kommentar zur Völkerbundsatzung von Schücking / Wehberg (3. Aufl., Berlin 1931, S. 180) zurück, der Kellogg-Pakt kenne „keine Sanktion, keine Organisation und keine Definition". Schmitt hatte das Zitat bereits in dem 1932 gehaltenen Vortrag über „Völkerrechtliche Formen des modernen Imperialismus" gebracht, vgl. Positionen und Begriffe, S. 178. [97] Die diplomatische Entstehungsgeschichte und die Vorbehalte dokumentieren das Weißbuch, S. 4-173; Strupp, S. 23-83, und Lysen, passim. [98] Die Note ist abgedruckt im Weißbuch, S. 20 ff.; bei Strupp, S. 33 - 35, und Lysen, S. 24-26. [99] Weißbuch, S. 28 ff.; Strupp, S. 38-42; Lysen, S. 28-32 (unrichtig datiert als Note vom 30. März 1928). [100] Weißbuch, S. 70 ff.; Strupp, S. 60-66; Lysen, S. 54-58. [101] Weißbuch, S. 46 ff. Bei den hier erörterten Vorbehalten der Signatarstaaten (abgedr. in den Ausgaben des Weißbuchs sowie bei Strupp, S. 73 ff., Lysen, S. 32 ff.; der britische und der amerikanische Vorbehalt auch bei Grewe, Fontes ΙΠ 2, S. 961966) handelte es sich besonders um die Betonung des Rechts zur Selbstverteidigung: Als die amerikanische Regierung aus dem von Frankreich vorgeschlagenen bilateralen Kriegsverzicht einen multilateralen Verzicht machen wollte, nahm Frankreich diese Erweiterung zwar an, wollte aber jetzt nicht mehr auf den Krieg schlechthin verzichten, sondern nur auf den „Angriffskrieg" (vgl. die Note des französischen Botschafters in Washington an den amerikanischen Staatssekretär des Äußeren vom 5. Januar 1928, Weißbuch, S. 14 f.). Frankreich ging es in erster Linie um die Sicherung der Weltkriegsvorteile, Britannien behielt sich auch die aktive Intervention bei der „Verteidigung" seiner Interessenssphären vor: „Die Fassung des Art. 1 hinsichtlich des Verzichts auf den Krieg als Werkzeug nationaler Politik macht es wünschenswert, daß sich Euer Exzellenz daran erinnere, daß es gewisse Gebiete auf der Welt gibt, deren Wohlfahrt und Unversehrtheit ein besonderes und lebenswichtiges Interesse für unseren Frieden und unsere Sicherheit darstellen. Die Regierung Seiner Majestät hat sich in der Vergangenheit bemüht, Klarheit darüber zu schaffen, daß eine Einmischung hinsichtlich dieser Gebiete von ihr nicht geduldet werden könne; ihr Schutz gegen jeden Angriff stellt für das britische Reich einen Akt der »Selbstverteidigung' dar. Es muß darüber völlige

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Klarheit herrschen, daß die Regierung Seiner Majestät in Großbritannien den neuen Vertrag nur annimmt, wenn völliges Einverständnis darüber besteht, daß er ihrer Handlungsfreiheit in dieser Hinsicht keinen Abbruch tut" (britische Note v. 19. Mai 1928, Nr. 10). Zum Ganzen auch Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 633 m. w. Nachw. [102] Edwin Borchard / William Potter Lage, Neutrality for the United States, New Haven 1940, S. 291 ff., 388: „No such broad claim to the right to make war had ever before been recognized" (S. 293). Der amerikanische Jurist Benjamin Ferencz , der als Mitglied der Anklagebehörde in den Nürnberger Prozessen mit den praktischen Problemen des Begriffs „Angriffskrieg" vertraut war, urteilte 35 Jahre später so: „The interpretation which the U.S., and Great Britain, put on the treaty destroyed the hope that it could really be effective in achieving its noble goals. The U.S. right to self-defense encompassed not merely the territory of the U.S. but also any other area in which the U.S. decided that it had a vital interest. The British considered their domain to include all territories under British sovereignity. Under such circumstances it was obvious why there was no desire to define aggression. Almost every act of war could be justified under the guise of self-defense. A war of aggression would never again be waged — except in selfdefense. The Pact was, in fact, a plan for maintaining the peace by guaranteeing the status quo" ( Ferencz I, S. 25). [103] Journal Officiel — S. D. Ν. (A), 1931, Supplément spécial, Nr. 93, S. 131. [104] Report of the 38th Conference held at Budapest Sept. 6th to 10th 1934, London 1935, S. 1-70: „The Committee on Conciliation between Nations presented preliminary Articles of Interpretation of the Briand-Kellogg Pact of Paris", bei Grewe, Fontes III 2, S. 967-970. [105] Draft Convention on Rights and Duties of States in Case of Aggression, in: AJIL, Supplement 1939, Bd. 33, S. 827, abgedr. auch bei Grewe, Fontes III 2, 985-989. [ 106] Vermutlich benutzte Schmitt hier den Aufsatz von Ferdinand Schlüter, KelloggPakt und Neutralitätsrecht, in: ZAÖRV, Bd. XI, 1942/43, S. 24-32; dort wird S. 24/ 25 die Erklärung von Henry L. Stimson vor dem Auswärtigen Ausschuß des Senats auf über einer Druckseite wörtlich, allerdings in deutscher Sprache unter Hinweis auf die Quelle — DNB (Ausland) vom 31.1.1941 — wiedergegeben. Das DNB hatte falsch datiert, die Anhörung fand statt vom 27. Januar — 3. Februar 1941; Stimson wurde am 29. Januar angehört (Hearings before the Committee on Foreign Relations United States Senate, 77th Congress, 1st Session, Part 1, p. 85, 89/90). Die Anhörung betraf den Gesetzentwurf S. 275 („A Bill further to promote the Defense of the United States, and for other Purposes", sog. Lend-Lease-Bill, AJIL 35, 1941, Suppl. S. 76 ff.), das den Präsidenten zur exekutiven Steuerung der Rüstungswirtschaft ermächtigte, besonders aber, in Abweichung vom cash and carry-Prinzip des Neutralitätsgesetzes vom 4. November 1939, Waffen und Munition an Großbritannien nach Ermessen auch gratis zu liefern (Text des am 11. März 1941 in Kraft getretenen „Englandhilfegesetzes" engl, und dt. in: Monatshefte für Auswärtige Politik 8, [1941], S. 237 ff.; Bericht und Würdigung durch Wilhelm Grewe, ZgStW 101 [1941], S. 606-626). Stimson begründete diese Aufhebung der US-Neutralität mit Britanniens Mangel an Gold und Devisen und der Meinung, daß die britischen Streitkräfte den Nord- und Südatlantik auch im unmittelbaren nationalen Interesse der USA gegen die Achsenmächte verteidigten. Diese Hilfe für den bevorstehenden kritischen Sommer 1941 sei durch den Kellogg-Pakt gedeckt, weil dieser nicht nur die Selbstverteidigung zulasse, sondern nach dem Protokoll der „International Law Association" von 1934 die Signatarstaaten berechtige, den angegriffenen Staat materiell oder finanziell zu unterstützen, auch mit Munition oder Truppen (Nr. 4 c und d). Daß

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Britannien ein „angegriffener Staat" sei, erschien Stimson nicht begründungswürdig, was immerhin bemerkenswert ist, weil in Nürnberg kein Gericht zu behaupten riskierte, Britannien und Frankreich, die am 3. September 1939 Deutschland wegen des Angriffs auf Polen den Krieg erklärt hatten, seien Objekte eines deutschen Angriffskriegs gewesen (unzutreffend Jescheck, S. 330 unter Hinweis auf das Urteil im Wilhelmstraßen-Prozeß). Art. 4 d der Budapester Artikel erlaubte zwar, dem angegriffenen Staat mit bewaffneter Macht zu helfen, machte aber den Helfer nicht selbst zum angegriffenen Staat. Formell und nach dem damals im Völkerbund als grundlegend angesehenen Bericht von Politis zum Begriff des Angriffs (Revue de droit international, 1934, S. 266 ff.) wurde die Kriegserklärung des nicht selbst angegriffenen Staates als verbotener Angriffsakt betrachtet. Im Wilhelmstraßen-Prozeß ging es um die deutsche Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten; das Gericht wertete diesen Akt als „aggressiv", obgleich es selbst feststellte, daß „Amerikas ganze Haltung während eines Zeitraums von mehr als einem Jahr vor dem 11. Dezember 1941 mit Neutralität nichts mehr zu tun hatte" (WilhelmstraßenProzeß, S. 13). „Ein Staat, der einen Angriffskrieg entfacht, fordert die anderen Nationen der Welt dazu heraus, Maßnahmen, wenn nötig auch Gewaltmaßnahmen, zu ergreifen, um die Invasion zum Stehen zu bringen und den Angreifer zu bestrafen; und wenn dann aufgrund dieser Maßnahmen der Angreifer einer dritten Nation den Krieg erklärt, wirkt die ursprüngliche Angriffshandlung fort und verleiht auch dem zweiten und allen folgenden Kriegen einen Angriffscharakter" (S. 13). Insofern behandelte das amerik. Militärgericht Deutschland wie einen Piraten, gegen den sich die Menschheit zum gemeinsamen Kampf zusammenschließt (Jescheck, S. 330), demgegenüber also jede Maßnahme erlaubt ist. [107] Stimson rechtfertigte seine Bezugnahme auf das Protokoll der ILA von 1934 mit der Sachkunde und dem Ansehen der Mitglieder dieser privaten Vereinigung: „In 1934 the International Law Association, which I believe to be the oldest association of international lawyers in the world, and whose membership comprises members from practically all of the nations of Europe and of this hemisphere, met at Budapest, Hungary, for the purpose of giving their interpretation as to the meaning of this treaty in case a situation arose similar to that with which we are faced today. The membership of this association, as this committee doubtless knows, contains many of the most eminent international lawyers of the world, including members from each of the Axis Powers. Their statement, of course, was in substance simply the matured opinion of a great group of international lawyers as to the deductions which followed from that treaty among the nations which had executed it" (Hearings [Anm. 106], S. 89). Dieses Verständnis stieß im Senat am 24. Februar 1941 auf den begründeten Widerspruch des Senators Danaher, Connecticut, der vortrug, „. .. that a small group of League advocates, anxious to bring the United States into Europe as an enforcer of the League Covenant, simply passed a series of resolutions expressing their own policy of what ought to be done by a nation desirous of enforcing the supposed obligations of the Kellogg Pact; but international law is not made in that way. So far as known, not a single nation has ever adopted these private resolutions or Articles of Interpretation and they have not the slightest weight except as the personal recommendations of a small private body", Congressional Record, S. 1345 ff.; ähnlich der Sachverständige Herbert Wright am 6. März 1941, Vol. 87, Nr. 44, A 1114-1117; auf beide nimmt zustimmend Bezug Edwin Borchard, AJIL 35, 1941, S. 623. [108] Als Folge der Flüchtlingswellen nach den Revolutionen von 1848 setzte sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. in den zwischenstaatlichen Auslieferungsverträgen das Prinzip der Nichtauslieferung „politischer" Täter durch, d. h. derjenigen, die nach

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den Gesetzen ihres Heimatstaates illegal dessen Verfassungs- und Rechtsordnung verletzten, um die Verfassungsordnung zu ändern. Von dieser Vergünstigung ausgenommen waren Attentäter, die Mord, Totschlag oder Giftmord „gegen die Person des Oberhauptes einer ausländischen Regierung oder seiner Familienmitglieder" begangen hatten, so die Belgische Attentatsklausel v. 1856, international erweitert durch die Genocid-Konvention von 1948, durch das europäische Terrorismus-Übereinkommen (1977) und das Int. Übereinkommen gegen Geiselnahme (1979) auf die modernen terroristischen Aktivitäten. In Deutschland galt seit dem 1. April 1930 das AuslieferungsG vom 29. Dezember 1929 (RGBl. IS. 239), das die „politische Tat" zu definieren übernahm: „(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn die Tat, welche die Auslieferung veranlassen soll, eine politische ist oder mit einer politischen Tat derart im Zusammenhange steht, daß sie diese vorbereiten, sichern, decken oder abwehren sollte. (2) Politische Taten sind die strafbaren Angriffe, die sich unmittelbar gegen den Bestand oder die Sicherheit des Staates, gegen das Oberhaupt oder gegen ein Mitglied der Regierung des Staates als solches, gegen eine verfassungsmäßige Körperschaft, gegen die staatsbürgerlichen Rechte bei Wahlen oder Abstimmungen oder gegen die guten Beziehungen zum Auslandrichten. (3) Die Auslieferung ist zulässig, wenn sich die Tat als ein vorsätzliches Verbrechen gegen das Leben darstellt, es sei denn, daß sie im offenen Kampfe begangen ist" (§ 3). 1983 wurde das AuslieferungsG durch das „Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG)" vom 23. Dezember 1982 ersetzt (BGBl. I S. 2071), in dem auf eine Definition der „politischen Tat" verzichtet und die Ausnahmen zeitgemäß modernisiert, aber auch Ausnahmen von den Ausnahmen statuiert werden: „(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig wegen einer politischen Tat oder wegen einer mit einer solchen zusammenhängenden Tat. Sie ist zulässig, wenn der Verfolgte wegen vollendeten oder versuchten Völkermordes, Mordes oder Totschlags oder wegen der Beteiligung hieran verfolgt wird oder verurteilt worden ist. (2) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn ernstliche Gründe für die Annahme bestehen, daß der Verfolgte im Fall seiner Auslieferung wegen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen verfolgt oder bestraft oder daß seine Lage aus einem dieser Gründe erschwert werden würde" (§ 6). Zur Entwicklung des Auslieferungsrechts und des Begriffs der „politischen Tat" vgl. bereits die von Carl Schmitt betreute Berliner Dissertation von H. Siebenhaar, Der Begriff des politischen Delikts im Auslieferungsrecht (1939, Zweitgutachter: F. Berber)\ Torsten Stein, Die Auslieferungsausnahme bei politischen Delikten, Berlin 1983, S. 62 ff.; zum Verhältnis von Auslieferungsrecht und Asylrecht: Quaritsch, Recht auf Asyl, Berlin 1985, S. 152 ff. [109] § 250 Nr. 3 StGB a. F.: „Auf Zuchthaus nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn . . . 3. der Raub auf einem öffentlichen Wege, einer Straße, einer Eisenbahn, einem öffentlichen Platze, auf offener See oder einer Wasserstraße begangen wird . . . ." Die Vorschrift wurde durch die Neufassung des § 250 StGB im EGStG vom 9. März 1974 (BGBl. I S. 469 ff. [490]) mit Wirkung vom 1. Januar 1975 ersatzlos gestrichen. [110] Für das traditionelle Verständnis der Piraterie im angelsächsischen Recht vgl. William Oldnall Russell (1785-1833), Russell on Crime, 9. Aufl., hrsg. v. Robert Ernest Ross, London 1936, Bd. I, S. 51; aus neuerer Zeit zusammenfassend: Arthur Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, München 1960, S. 142 f. [111] Zu Politis vgl. Anm. 57. Robert Jackson nahm diesen Ball auf und setzte in seiner Anklagerede am 21. November 1945 die unrechtmäßige Kriegführung der Piraterie gleich (IMT II, S. 177); dazu mit treffenden Erwägungen Schlepple, S. 70.

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[112] In der Ansprache zur Erklärung des Kriegszustandes zwischen den Vereinigten Staaten und dem Deutschen Reich in der gemeinsamen Sitzung beider Häuser des Kongresses am 2. April 1917: „The present German submarine warfare against commerce is a warfare against mankind. It is a war against all nations. American ships have been sunk, American lives taken, in ways which it has stirred us very deeply to learn of, but the ships and people of other neutral and friendly nations have been sunk and overwhelmed in the water in the same way. There has been no discrimination. The challenge is to all mankind" (Woodrow Wilson, War and Peace, Presidential Messages, Addresses, and Public Papers 1917-1924, hrsg. v. Ray Stannard Baker u. William E. Dodd, Bd. 1, New York 1926, Repr. 1970, S. 6 ff., 8). „Der gegenwärtige deutsche UnterseebootKrieg gegen den Handel ist ein Krieg gegen die Menschheit. Es ist ein Krieg gegen alle Völker. Auf eine Art und Weise, die uns tief erregt hat, sind amerikanische Schiffe versenkt, Amerikaner getötet worden. Aber die Schiffe und Menschen anderer neutraler und befreundeter Nationen wurden ebenso versenkt und überwältigt. Es gab keinen Unterschied. Die ganze Menschheit ist herausgefordert", vollständig abgedruckt bei Ahrens / Brinkmann (Anm. 48), S. 167-175 (168). 30 Jahre später bekannte selbstkritisch Henry L. Stimson: „In order to defeat Japanese aggression, we were forced, as Admiral Nimitz has stated, to employ a technique of unrestricted submarine warfare not unlike that which 25 years ago was the proximate cause of our entry into World War I." (Foreign Affairs, Bd. 25, Nr. 2, Januar 1947, S. 179 ff., 189). Im Nürnberger IMT-Prozeß wurde die Verurteilung der Großadmirale Raeder und Dönitz nicht auf die Verletzung des Londoner U-Boot-Protokolls vom 6. November 1936 gestützt, weil die britische Admiralität am 8. Mai 1940 befohlen hatte, „alle Schiffe im Skagerrak bei Sicht zu versenken und in Anbetracht der Beantwortung des Fragebogens durch Admiral Nimitz, daß im Pazifischen Ozean von den Vereinigten Staaten vom ersten Tage des Eintrittes dieser Nation in den Krieg der uneingeschränkte U-Boot-Krieg durchgeführt worden ist" (IMT, Bd. XXII, S. 636/37, 641). Ausführlich zu dieser Frage Smith, S. 264 ff., 271 ff.; Eugene Davidson, The Trial of the Germans, New York 1966, S. 393 ff., 421. [113] Karl Schwendemann, Abrüstung und Sicherheit, 2. Aufl., Leipzig 1933, S. 725 28 (726 / 27); in Auszügen erneut abgedr. bei Jost Delbrück (Hrsg.), Friedensdokumente aus fünf Jahrhunderten, Bd. 1, Kehl/Rh. 1984, Dokument 154, S. 464 f. [114] Dazu Quincy Wright,

The Outlawry of War, in: AJIL 19 (1925), S. 74, 79.

[115] Die Konferenz von Nyon hatte Schmitt acht Jahre zuvor zu dem Aufsatz veranlaßt: „Der Begriff der Piraterie", in: Völkerbund und Völkerrecht, 4. Jg., Nr. 6/7, Sept. Okt. 1937, S. 351-360 = Positionen und Begriffe, S. 240-243. Der für Schmitts juristisches Denken charakteristische Text endete: „Sollte sich die englische Auffassung der U-Boot-Piraterie als ein allgemeiner Völkerrechtsbegriff durchsetzen, so hätte der Begriff der Piraterie seinen Platz im System des Völkerrechts gewechselt. Er wäre aus dem leeren Raum unpolitischer NichtStaatlichkeit in jenen für das Völkerrecht der Nachkriegszeit typischen Raum der Zwischenbegriffe zwischen Krieg und Frieden verlegt worden." — Zur Konferenz von Nyon vgl. im übrigen die Berichte in: British Yearbook of International Law 19 (1938), S. 198 ff., und ZAÖRV 8 (1938), S. 303 ff. Neuerlich W. Abendroth, Nyon-Abkommen von 1937, in: Strupp-Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 2,1961, S. 643 ff. An der Konferenz hatten Großbritannien, Frankreich, die Sowjetunion, Rumänien, Türkei, Bulgarien, Jugoslawien und Griechenland teilgenommen, nicht jedoch Deutschland und Italien; vgl. Chronical of International Events, AJIL 32, 1938, 158.

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[116] Sir Julian Corbett, Die Seekriegsführung Großbritanniens, Berlin 1939, S. 81 (Übersetzung von „Some Principles of maritime strategy", London 1911): „Die Idee der Piraterie war ein Überbleibsel einer primitiven und unwissenschaftlichen Auffassung vom Wesen des Krieges . . . Sie wurde abgeschafft, weil der Krieg mehr zu einem wissenschaftlichen Problem wurde" (S. 81). [117] Zum Ganzen vgl. Benjamin B. Ferencz, An International Criminal Court — Step towards World Peace, Bd. 1, London 1980, S. 36 ff. und S. 193 ff. zu den Verhandlungen des „Advisory Committee". [118] Vgl. hierzu bereits Anm. 83. [119] Zur Sitzung der International Law Association in Wien, 5.-11. August 1926, vgl. W. Alexander Renton / Hugh H. C. Beilot / William Lately, Rapport du Comité sur la Cour Permanente International Criminelle, S. 126-129, in: The International Law Association Report of the 34th Conference, London 1927; der Report of the Permanent International Criminal Court Committee, S. 106-226; 279-309, bestätigte die Vorlage. [120] Zu den Konferenzen der Interparlamentarischen Union vgl. Yefime Zarjevski, The People have the Floor — A History of the IPU, Aldershot 1989, S. 75. [121] Über Politis vgl. bereits Anm. 57. Seine Vorlesungen an der Columbia-Universität sind in dem Band „The New Aspects of International Law", Washington 1928, zusammengefaßt. [122] Berber I, S. 203/04. [123] Der italienische Außenminister Graf Ciano und der britische Botschafter Lord Perth handelten ein Abkommen aus, das aus einem Protokoll mit acht Vereinbarungen und Erklärungen, fernerhin aus einem Notenwechsel und einem Abkommen betr. gute Nachbarschaft zwischen Italienisch-Ostafrika und Ägypten bestand. Die vierte Erklärung enthielt die Absicht der britischen Regierung, auf der kommenden Genfer Ratssitzung Schritte zu tun, um die Stellung der Mitgliedsstaaten der Genfer Entente in bezug auf die Anerkennung der italienischen Souveränität über Abessinien zu klären, da sie den Wunsch habe, Hindernisse zu beseitigen, welche die Freiheit der Mitgliedstaaten in bezug auf eine Anerkennung der italienischen Souveränität über Abessinien hindern könnte (Keesings Archiv der Gegenwart, VIII. Jg. 1938, S. 3517 f.). [124] Journal Officiel — S. D. Ν. (A), 1938, S. 11, 41, 56, 300, 335, 336, 338, 394, 422, 430, 575. [125] Journal Officiel — S. D. N. (C), 1936, Nr. 5-6, S. 333-335. Edward Frederick Lindley Wood Halifax (1881-1959), brit. Diplomat, 1938-1940 Außenminister, 1941 -1946 Botschafter in Washington. [126] The Parliamentary Debates, 5 t h series, vol. CX, House of Lords, Official Report (3rd session of the 37 th Parliament of the United Kingdom of Great Britain in Northern Ireland 1 & 2 George VI, 4 t h vol. of session 1937-38, p. 1627). [127] House of Commons am 19. Juni 1940, Frage von Mr. Mander: „Wether in view of the declaration of war by Italy . . . the Government feels itself bound to recognize in the future Italian rights in connection with Ethiopia, and wether this Government holds itself free to consider any proposal that may be laid before it in this connection by H. M. Haile Selassie, or by the Ethiopian people?" Antwort von Mr. Butler, Undersecretary of State for Foreign Affairs: „In view of Italy's unprovoked entry into the war against this country, Her Majesty's Government holds themselves entitled to reserve full liberty of action in respect of any undertakings given by them in the past to the 8 Quaritsch

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Italian Government concerning the Mediterranean, North or East African and Middle East Areas. The honorable member may therefore rest assured that his representations are being borne in mind" (Parliamentary Debates, 5 t h series, Bd. 362, Sp. 139). [128] The Parliamentary Debates, 5 t h series, vol. CXVII, House of Lords, Official Report, 5 t h series of the 37 t h Parliament of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland 3 & 4 George VI (3rd vol. of session 1939-40), Sp. 202: Frage von Lord Davies, Antwort Lord Caldecote; Sp. 206: Frage Lord Addison, Antwort von Viscount Halifax, jeweils in dem Sinne, daß „Great Britain feels free, and not bond by any undertaking given by them in the past to the Italian Government". [129] Rede zum schweizerischen Bundesfeiertag: „Der Grundsatz der Neutralität beherrscht unsere ganze auswärtige Politik. Die Erfahrung der letzten Jahre zwingt uns, die Maxime der Neutralität selbst gegenüber dem Völkerbund zu behaupten. Gern stellen wir unsere Mitarbeit in den Dienst dieser Institution, wenn immer der Grundsatz unserer Neutralität nicht auf dem Spiele steht. Noch weiter können wir nicht gehen. Anläßlich eines denkwürdigen und schmerzlichen Konfliktes haben wir gesehen, daß die Unterscheidung zwischen der militärischen und der wirtschaftlichen Neutralität zwar theoretisch vorgenommen und schriftlich festgelegt werden kann, daß sie indessen dem Anprall der Wirklichkeiten nur schwer standhält. Sollten wir daher in Zukunft erneut vor eine ähnliche Lage gestellt werden, so würden wir allein und souverän die Frage entscheiden, ob und in welchem Umfange wir uns gemeinschaftlichen Zwangsmaßnahmen anschließen könnten", Frankfurter Zeitung, Nr. 389 vom 3. August 1937, S. 1. Giuseppe Motta (1871-1940), Schweiz. Politiker, seit 1912 Mitglied des Schweizerischen Bundesrates, seit 1920 Leiter des Auswärtigen Departements, 1924 Vorsitzender der Völkerbundsversammlung, Bundespräsident der Schweiz 1915, 1920, 1927, 1932 und 1937. [130] Dietrich Schindler, Die Herstellung der umfassenden Neutralität der Schweiz, in: Völkerbund und Völkerrecht 4 (1938), S. 689 ff. (693). Ich danke Herrn Kollegen Dietrich Schindler jun. für den Nachweis des Zitats. — In seinem Aufsatz „Völkerrechtliche Neutralität und völkische Totalität" hatte sich Schmitt mit dem angeführten Aufsatz Schindlers auseinandergesetzt und seine Darlegungen eingeleitet: „Ein Schweizer Völkerrechtsjurist von hohem Rang und großem Ansehen, Professor Dr. Dietrich Schindler in Zürich, hat sich zu dieser Frage in mehreren Aufsätzen... geäußert. Seine Auffassung steht zu meinen Ansichten in offenem Gegensatz. Aber seine Haltung und Argumentation sind so sehr von wissenschaftlicher Sachlichkeit bestimmt, daß an diesem Punkt eine Klarstellung grundsätzlicher Art nicht aussichtslos erscheint und der Versuch gemacht werden muß, durch die Beseitigung eines besonders typischen und besonders schädlichen Mißverständnisses der Sache des europäischen Friedens zu dienen, soweit das in dem bescheidenen Rahmen einer völkerrechtswissenschaftlichen Erörterung möglich ist" (Monatshefte für Auswärtige Politik, 1938, S. 613-18 = Positionen und Begriffe, S. 255-

260).

Dietrich Schindler (1890-1948), seit 1927 ao. Professor, seit 1936 o. Prof. für Öffentliches Recht und Völkerrecht in Zürich, vgl. z. B. den ausführlichen Nachruf von Ernst Wolgast, in: JIR, Bd. I I / I I I , 1948, S. 603-610. [131] Das Memorandum des Schweizer Bundesrates an den Völkerbundrat vom 29. April 1938 hatte die Rückkehr zur „überlieferten Neutralität" so begründet: „Die Bedingungen, unter denen die Schweiz in den Völkerbund eintrat, haben sich seither gründlich verändert. Der Völkerbundspakt ist in gewissen seiner wesentlichsten Bestimmungen nicht angewendet worden. Das Sanktionensystem hat nicht in allen Fällen funktioniert.

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Der Rüstungswettlauf hat mit einer bisher nie gekannten Intensität wieder eingesetzt. Statt sich zur Universalität zu entwickeln, sah sich der Völkerbund im Gegenteil der Mitwirkung wichtiger Staaten beraubt. Die Vereinigten Staaten von Amerika sahen keine Möglichkeit, ihm beizutreten, und vier große Länder, darunter zwei Nachbarn der Schweiz, haben ihn verlassen. Diese Lage der Dinge mußte die Stellung eines immerwährend neutralen Landes notwendig berühren. Die Schweiz kann sich angesichts ihrer einzigartigen Lage nicht mit einem fakultativen Sanktionensystem abfinden. Ihre Neutralität darf nicht von den Umständen abhängen; sie ist ein für allemal gegeben. Ihre Stärke beruht auf ihrer Klarheit und auf ihrem immerwährenden Bestand. Die Unterscheidung zwischen militärischen und wirtschaftlichen Sanktionen würde sich heute für die Schweiz als illusorisch erweisen. Wenn sie zu wirtschaftlichen Druckmitteln griffe, würde sich die Schweiz der schweren Gefahr aussetzen, so behandelt zu werden wie ein Staat, der militärische Maßnahmen trifft", Schweizer Bundesblatt 1938,1 S. 847, Journal Officiel — S. D. Ν. (C), 1938, Nr. 5-6, S. 385-387; auch Monatshefte für Auswärtige Politik, 1938, S. 469-472. Die Resolution des Völkerbundrats vom 14. Mai 1938: Schweizer Bundesblatt 1938,1 S. 850 ff., Journal Officiel — S. D. Ν. (C), 1938, Nr. 5-6, S. 369 f.; Monatshefte für Auswärtige Politik, 1938, S. 566-568, ebd. S. 564-566 auch die Rede des Schweizer Bundesrats Motta vor dem Völkerbundrat am 11. Mai 1938, die sich inhaltlich mit dem oben zit. Memorandum vom 29. April 1938 deckt. [132] John Westlake, Chapters on International Law, Chapter VI: The Principles of International Law 1, in: The collected papers of John Westlake on public international law, Cambridge 1914 (hrsg. v. L. F. Oppenheim), S. 78. [133] Alfred Verdross, Die völkerrechtswidrige Kriegshandlung und der Strafanspruch der Staaten, Wien 1920, S. 60 mit weit. Nachw.; Mangoldt , S. 291 m. FN 53. — Auf der Pariser Friedenskonferenz setzten Lloyd George und Clemenceau die strafrechtliche Anklage gegen den Kaiser (Art. 227) gegen den Widerstand der amerikanischen Vertreter ( Lansing , Brown Scott ) schließlich durch, wurden aber noch auf der Konferenz von den Vertretern Südafrikas (Botha, Smuts) und dem Vertreter von Honduras (Bonilla) aus rechtlichen und politischen Gründen scharf kritisiert, vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Schwengler, S. 71 -116. [134] Das Zitat übernahm Schmitt aus dem Aufsatz von Sir John Fischer Williams, Sanctions under the Covenant, in: BYIL 17 (1936), S. 130, 133. Fischer Williams bezog sich seinerseits auf Edmund Burke (1729-1797): „Burke spoke for civilized humanity when he told the House of Commons that ,You cannot indict a nation4; we do not now admit that the total destruction of the Amalekites can have been the command of a righteous God . . . Collective penal responsibility for misdoing is a tenet of primitive law for which international law, even if it be a young law, has no place.44 Fischer Williams verzichtete auf die nähere Lokalisierung seines Burke-Zitats, er konnte die mit Recht berühmte Unterhaus-Rede am 22. März 1775 („Speech on Conciliation with America44) bei seinen Lesern als bekannt voraussetzen. Er zitierte aber nur sinngemäß, denn Burke hatte formuliert: „I do not know the method of drawing up an indictment against a whole people44 (Edmund Burke , The Works, London 1887, Bd. 2, S. 100, 136). Die für den mit der Kirchengeschichte und der lateinischen Sprache vertrauten Schmitt charakteristische Falschschreibung („interdict44 statt richtig „indict44) bereits in seiner Abhandlung „Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff 4, München 1938, S. 45.

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[135] Eine Quelle konnte für diesen Satz nicht ermittelt werden. Wie Schmitt verwendet z. B. auch Jean-Marc Varaut Napoleons Feststellung als „geflügeltes Wort" (Le Procès de Nuremberg, Paris 1992, S. 20). [136] Bethmann Hollweg, vgl. vorn Anm. 24. [137] Den „Zugang zum Führer" erörterte Schmitt zwei Jahre später, im April 1947, in der „Schriftlichen Antwort", die Robert Kempner zur Frage „Die Stellung des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei" von ihm verlangt hatte. In der selbständig erschienenen Schrift „Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber" (Pfullingen 1954) führte er das Thema weiter aus. Wörtlich wiedergegeben ist die Nürnberger Ausarbeitung in: Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 430-439, mit einer Erklärung der Entstehung des Textes sowie einem ergänzenden Kommentar unter dem Thema „Der Zugang zum Machthaber, ein zentrales verfassungsrechtliches Problem". Zum folgenden Text auch die große (bestätigende) Untersuchung von Dieter Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 1989. [138] Schmitt konnte diese Zahl nur schätzen, 1945 betrug die Zahl der Mitglieder der NSDAP etwa 8,5 Mio., wovon die Kriegsverluste abzuziehen waren. [ 139] Michels' Schrift „Zur Soziologie des Partei wesens in der modernen Demokratie" erschien zuerst 1911 in der Philosophisch-soziologischen Bücherei (Bd. 21) in Leipzig. [ 140] Johanna Kendziora, Der Begriff der politischen Partei im System des politischen Liberalismus, Diss, an der Handelshochschule zu Berlin, Tag der Diss.: 10. April 1935. [141] In dieser Form im Werke Paretos nicht zu ermitteln, in der Sache entspricht sie aber, wie mir ein ausgewiesener Kenner des Werkes von Pareto versicherte, den Elite-Vorstellungen Paretos (persönliche Mitteilung von Herrn Kollegen Piet Tommissen vom 9. April 1992). Es handelt sich also wohl um eine Formulierung, die Carl Schmitt selbst geprägt hat, sie wird ihm schon für das Jahr 1942 zugewiesen (vgl. Nicolaus Sombart, Jugend in Berlin 1933-1943, München 1984, S. 254/55). Vielleicht geht Schmitts Wendung auf Paretos Feststellung in „La trasformazione della democrazia" (Mailand 1921) zurück, in der französischen Übersetzung: „La régie pratiquée aux autres époques, et qui se trouve à l'origine de nos régimes parlementaires, selon laquelle c'était à ceux qui devaient payer les tributs qu'il appartenait de les approuver, se trouve aujourd'hui implicitement ou explicitement remplacée par celle qui veut que ceux qui ne payent pas les tributs les approuvent et les imposent aux autres" (Oeuvres Complètes XIII, Genf 1970, S. 40; freundlicher Hinweis von Herrn Günter Maschke, Frankfurt). [142] Zur Teilnahmelehre des englischen Strafrechts: Brian Hogan und J. C. Smith, Criminal Law, 6. Aufl., London 1988, S. 256 ff.; zur conspiracy, actual perpetrator and accessories, ebd. 130 ff. (132). [143] R. v. Mulcahy (1867), 15 WR 446, bestätigt (1868) LR 3 H. L. 306, dort Zitat auf S. 317 von Richter Willes. [144] Vgl. bei Anm. 105. [145] Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 ist abgedruckt in RGBl. 1939 II S. 968 ff., ebenso bei Grewe, Fontes III 2, S. 1129-1132. [146] Der deutsch-sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28.9.1939 betr. Polen ist abgedruckt in AD AP, Serie D, Bd. 7, Nr. 159, S. 129. [147] Das deutsch-sowjetische Wirtschaftsabkommen vom 11. Februar 1940 ist abgedruckt in AD AP, Serie D, Bd. 8, Nr. 607, S. 599 ff. Der Vertrag vom 10. Januar 1941 ist in den offiziellen Mitteilungsblättern des Deutschen Reiches nicht veröffentlicht worden.

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[148] 5. September 1939, New York Times v. 6. September 1939, S. 1; auch AJIL 34 (1940), 131; dazu Philip Quincy Wright , Rights and Duties under International Law as affected by the United States Neutrality Act and the Resolution of Panama, in: AJIL 34 (1940), S. 238 ff. (240 f.). [149] Moritz Liepmann, Besprechung von Wilhelm H of acker, Rechtswidrigkeit und Kriegsverbrechen, 1921, in: Zeitschrift f. d. ges. Strafrechtswissenschaft, Bd. 43, 1922, S. 384/385. [150] Artur Wegner, Kriminelles Unrecht, Staatsunrecht und Völkerrecht, Mannheim 1925, Hamburgische Schriften zur gesamten Strafrechtswissenschaft, H. 7, hrsg. v. M. Liepmann, durchgehend. [151] Wehberg, Ächtung, S. 111: „Eine weitere Folge der Ratifikation des KelloggPakts besteht darin, daß fortan im Falle eines Angriffskrieges die Bürger aller Staaten, die den Kellogg-Pakt ratifiziert haben, berechtigt und verpflichtet sind, den Kriegsdienst zu verweigern. Völkerrecht geht über Landesrecht. Soweit das Völkerrecht den Krieg zu einem Verbrechen erklärt, müssen sich auch die Bürger eines Staates jeder Teilnahme an einem solchen Verbrechen enthalten." Als das „Institut de Droit International" im Oktober 1929 in New York eine „Erklärung der Internationalen Menschenrechte" beriet und verabschiedete, meldete sich Wehberg nur mit dem Vorschlag, auch internationale Pflichten des Menschen aufzunehmen, z. B. den Waffendienst zu verweigern, wenn der Staat sich anschicke, in Verletzung des Kellogg-Paktes einen Krieg zu führen „hors la loi". Dieses Begehren quittierte die anwesende Völkerrechtsprominenz mit höflichem Schweigen (Annuaire de l'Institut de Droit International 1929 II, S. 114/ 15). [152] Nicolas Politis, De Nouvelles Tendances du Droit International, Paris 1926, S. 68 ff. [153] James Brown Scott, The Spanish Conception of International Law and of Sanctions, Washington 1934. [154] Die an dieser Stelle vorgetragene Kritik an dem einst so berühmten Völkerrechtshistoriker James Brown Scott wird heute weithin geteilt, z. B. Grewe, Epochen, S. 175 f. m. w. Nachw.; mit ungewöhnlicher Schärfe von Arthur Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts in gedrängter Darstellung, München 1960, S. 327-338. Schmitt hatte sich in Madrid und Salamanca am 1. und 8. Juni 1943 in seinem Universitätsvortrag „El Cambio de la Estructura del Derecho Internacional" mit der Verwertung Vitorias durch James Brown Scott auseinandergesetzt (in: Revista de Estudios Politicos V, 1943, Anexos S. 3-34), teilweise identisch mit „Die letzte globale Linie" (Marine-Rundschau 1943, H. 8, S. 521-527, und „Völker und Meere", Leipzig 1944, hrsg. v. Egmont Zechlin, S. 342-349), wiederholt und fortgeführt im „Nomos der Erde", S. 69-96, 256-270. [155] Journal Officiel — S. D. Ν. (C), 1939, Nr. 9-10, S. 407-410. [156] Schmitt irrte. Der Völkerbund verurteilte nicht nur Italien als „Aggressor". Die Sowjetunion wurde wegen ihres am 30. November 1939 begonnenen Angriffskrieges gegen Finnland am 14. Dezember 1939 aus dem Völkerbund gem. Art. 16 IV VBSatzung ausgeschlossen wegen Verletzung ihrer Verträge mit Finnland, des Art. 12 VBSatzung und des Briand-Kellogg-Paktes, vgl. den offiziellen Bericht über die 107. Sitzung des Rates im Journal Officiel, Nov. / Dez. 1939, S. 505-541. Art. 12 VB-Satzung gebot allen Bundesmitgliedern, ihre Streitfragen entweder von der Schiedsgerichtsbarkeit oder dem Rat prüfen zu lassen, „jedenfalls in keinem Falle vor Ablauf von drei Monaten nach dem Spruch der Schiedsrichter oder dem Berichte des Rates zum Kriege zu schreiten (to resort to war)". Die Sowjetunion hatte sich am 12. Dezember 1939 geweigert, an

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der Erörterung des sowjetisch-finnischen Konflikts im VB-Rat teilzunehmen (a. a. Ο., S. 532). — Vielleicht ließ Schmitt diesen Sachverhalt bewußt aus. Im Berliner Sommer 1945 hätte eine Denunziation und Beschlagnahme des Gutachtens ausgereicht, ihn den Sowjets auszuliefern und ihn in einem ihrer Lager mit geringen Überlebenschancen verschwinden zu lassen. [157] Die Neutralitäts-Proklamationen des Präsidenten der Vereinigten Staaten vom 5. September 1939, gestützt auf die Neutralitätsgesetze vom 31. August 1935 und vom 1. Mai 1937, sowie das Neutralitätsgesetz vom 4. November 1939, das die cash and carry-Klausel wieder einführte, erörterte mehrfach Fritz Berber, Die amerikanische Neutralität im Kriege 1939/41: ZAÖRV, Bd. 11, 1942/43, S. 445-476; ders., Die amerikanische Neutralität im Kriege 1939-1941, Essen 1943, S. 49-191 (Dokumentenanhang); ders., in: Reich, Volksordnung, Lebensraum, Bd. V, 1943, S. 9-44. Der Widerspruch zwischen den offiziellen Neutralitäts-Proklamationen und der tatsächlichen Politik der Vereinigten Staaten ist im Urteil des amerik. Militärgerichts IV im WilhelmstraßenProzeß am 11. April 1949 gleichsam rechtskräftig festgehalten worden: „Daß die Vereinigten Staaten längst vor der deutschen Kriegserklärung von ihrer Neutralität gegenüber Deutschland abgewichen sind, steht außer Frage . . . Amerikas ganze Haltung während eines Zeitraum von mehr als einem Jahr vor dem 11. Dezember 1941 hatte mit Neutralität nichts mehr zu tun, und es wurde immer klarer, daß die Amerikaner Deutschlands Sieg nicht zulassen würden, selbst wenn sie dadurch selber in die Kampfhandlungen hineingezogen werden würden . . . " (Wilhelmstraßen-Prozeß, S. 13). — Die „gemeinsame Erklärung Dänemarks, Finnlands, Islands, Norwegens und Schwedens" vom 27. Mai 1938 und die schwedischen,,Neutralitätsregeln" sind abgedruckt in „Monatshefte für Auswärtige Politik", 1938, S. 756-761; dazu Karl Heinrich Frahme, Die Neutralität der nordischen Staaten, ebd. 1938, S. 915-924. [158] Die Quelle für die Stellungnahme von John B. Whitton, der in Princeton Völkerrecht lehrte, konnte nicht ermittelt werden. Seinen kritischen Standpunkt gegenüber der amerikanischen Neutralität hatte er bereits in seiner 1927 veröffentlichten Abhandlung über „La Neutralité et la Société des Nations" vorgetragen, Recueil des Cours, Bd. 17, hrsg. von der Académie de Droit International, Paris 1928, S. 449 ff., 543; ebenso auf der 29. Tagung der American Society of International Law vom 25.-27. April 1935, Proceedings, Washington, 1935, S. 130-138. Wahrscheinlich ist ein Schreibfehler: 1938 statt richtig 1927 oder 1935. [159] Die langjährigen Kontroversen zwischen den Vertretern der traditionellen Neutralität (überwiegend Völkerrechtslehrer) und denjenigen, die für Parteinahme und Intervention eintraten (meist „political scientists" und Historiker) zeichnete bis 1936 Josef L. Kunz, damals bereits in den USA, ausführlich nach. Die Diskussion der Professoren reflektierte die innenpolitische Debatte: „Die ungeheure Bedeutung des Neutralitätsproblems in jüngster Zeit zeigt sich darin, daß es bei Gelehrten, Politikern, Staatsmännern, ja bei dem ,man in the street4 dominierte: Zehntausende Artikel über Neutralität in den Tageszeitungen, umfangreiche Diskussionen in den Wochen- und Monatszeitschriften, unzählige Reden und Diskussionen im Radio . . . Eine populäre Literatur über Neutralität begann zu erscheinen . . . , zahllose private Organisationen widmeten sich dem Problem, Studentenorganisationen diskutierten es, Preisausschreiben wurden veranstaltet... Das Neutralitätsproblem dominierte die Politik, Regierung und Kongreß, Innen- und Außenpolitik und die Parteipolitik. Noch mehr als bisher steht es im Zentrum der Wissenschaft" ([Österr.] Ztschr. f. Öffentl. Recht, Bd. 17,1937, S. 85-121,94). Über den Meinungsstreit der amerikanischen Völkerrechtslehrer nach 1936 s. Krakau, S. 374 ff.

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[160] Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Königsberg 1797, 2. Teil, § 49 A. [161] Nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl von der deutschen wie von der USamerikanischen höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, vgl. z. B. das in diesem Zusammenhang besonders instruktive Urteil des Bundesgerichtshofs v. 24. Juni 1964, das die im September 1939 ausgesprochene kriegsgerichtliche Bestrafung eines Wehrdienstverweigerers für rechtmäßig erklärte: „Der vom NS-Staat geführte Krieg war ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Dadurch, daß er diesen Krieg entfesselte und führte, hat er ein Verbrechen im Sinne des Völkerrechts begangen. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, . . . daß alle deutschen Soldaten des zweiten Weltkrieges wegen ihrer Teilnahme an diesem Krieg, soweit sie sich nicht auf einen strafrechtlichen Notstand berufen können, objektiv ein Verbrechen begangen haben. . . . Es gibt sicherlich keinen Staat, der jedem seiner Bürger das Recht zuspricht zu entscheiden, ob der Krieg ein gerechter oder ungerechter ist, und demgemäß seiner staatsbürgerlichen Pflicht, Wehrdienst zu leisten, zu genügen, oder ihre Erfüllung zu verweigern. Würde der Staat jedem Bürger dieses Recht zubilligen, so würde er sich damit selbst aufgeben . . . " (Deutsche Richter-Zeitung 1964, S. 313, 315). Die beiden letzten Sätze erschienen dem Gericht offenbar als so selbstverständlich und allgemeingültig, daß es darauf verzichtete, ihre Quelle anzugeben: Thomas Hobbes, De Cive, cap. 12 II. — Der Supreme Court der Vereinigten Staaten hat es konsequenterweise abgelehnt, die Rechtmäßigkeit der Einberufungen amerikanischer Staatsbürger unter dem Gesichtspunkt nachzuprüfen, ob die militärischen Operationen in Vietnam als „Angriffskrieg" das Völkerrecht verletzten, s. Mitchell vs. States (1967) 18 L ed. 2d; Mora vs. McNamara (1967), 19 L ed. 2d, 287. Über die Kontroversen in der Literatur berichtete Taylor, Vietnam, S. 95-121 (dt. Ausg. S. 109-140). [162] Principes de Droit Public, 2. Aufl., Paris 1916, S. 799 ff., Wiederabdruck eines Aufsatzes, den Hauriou bereits 1911 in der Zeitschrift „Recueil de législation de Toulouse" (S. 1 -40) veröffentlicht und in dem er sich äußerst scharf mit Léon Duguit auseinandergesetzt hatte; Duguit antwortete in seinem Traité de droit constitutionnel, Bd. 2, 3. Aufl., Paris 1928, S. 92 ff. In der Sache jedenfalls steht das europäische Öffentliche Recht noch heute auf der Seite von Hauriou: Staatsakte verlangen, weil für sie die Vermutung der Rechtmäßigkeit streitet, „vorgängigen Gehorsam", sofern nicht ausnahmsweise von vornherein nichtig. Schmitt hat sich häufiger auf Hauriou bezogen, z. B. in: Legalität und Legitimität, München 1932, S. 60 f. (= Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 311-312); Die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, Schriften der Akademie für Deutsches Recht, Hamburg 1934, S. 21, 54 ff.; Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, Tübingen 1950, S. 31 (= Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 420); Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Köln 1950, S. 183; Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 172; Glossarium, S. 12 f., 33,108,110,132,134,179. Zur Bedeutung des Staatsrechtlers und Rechtstheoretikers Maurice Hauriou (18561929): La Pensée du Doyen Maurice Hauriou et son Influence, Annales de la Faculté de Droit, Paris 1969, u. a. mit dem Beitrag von Roman Schnur, L'influence du Doyen Maurice Hauriou dans les pays germaniques, S. 255-270; Roman Schnur, in: Maurice Hauriou, Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze, hrsg. von R. Schnur, Berlin 1965, S. 11-25. [163] Das Urteil Marbury v. Madison — 5 US (1 Cranch) 137 aus dem Jahre 1803 ist die vielleicht berühmteste Entscheidung des Supreme Court, hier behauptete das Gericht erstmals, Akte der Legislative anhand der Verfassung auf ihre Gültigkeit überprü-

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fen zu dürfen. Der Verfasser der Urteilsgründe, Chief Justice Marshall, deutete zugleich an, es gäbe Akte der Exekutive, die ihrer Natur nach nicht überprüfbar seien. Bereits 1796 hatte ein Mitglied des Supreme Court, Justice James Iredell, zu dem Fall Ware v. Hylton — 3 Dali. 199, 1796, S. 256-280 — einen Streitpunkt als nichtjustitiable „political question" bezeichnet und dies ausführlich begründet. Aus dem deutschsprachigen Schrifttum vgl. die kritische Aufarbeitung der Fälle durch Walter Haller, Supreme Court und Politik in den USA. Fragen der Justiziabilität in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, Bern 1972, S. 121 ff., 180 ff. Im 20. Jh. werden in der Spruchpraxis des Obersten Gerichts (zumindest und grundsätzlich) Entscheidungen von Präsident oder Kongress über die auswärtigen Beziehungen, den Einsatz militärischer Gewalt und über den inneren Notstand als richterlich unüberprüfbare „political questions" beurteilt, s. Laurence H. Tribe, American Constitutional Law, 2. Aufl., New York 1988, S. 96 ff.; Haller, a. a. Ο., S. 192 ff. [164] Schmitt bezog sich hier offenbar auf die Darstellung von Lehre und Praxis der „actes de gouvernement" in der Habilitationsschrift von Hans Peter Ipsen, Politik und Justiz — Das Problem der justizlosen Hoheitsakte, 1937, der in der von Carl Schmitt gegebenen Reihenfolge (Frankreich, Italien, Spanien und Rumänien) die auswärtigen Problemlösungen vorgeführt hatte (S. 17-53.) [165] Nach Einführung des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung durch Art. 4 III des Grundgesetzes von 1949 („Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden") haben Rechtslehre und Rechtsprechung entschieden, daß eine Verweigerung nur dann anerkannt wird, wenn sie sich auf den Kriegsdienst schlechthin bezieht; die „situationsbedingte Verweigerung", nämlich an bestimmten Kriegen, in bestimmten historischen Situationen oder mit bestimmten Waffen nicht teilnehmen zu wollen, wird nicht anerkannt (BVerfGE 12, S. 45, 57). [166] In: Annual Digest of Public International Law Cases, Bd. 5 (1929/30), hrsg. von Hersch Lauterpacht, London 1935, S. 226-228, Fall Nr. 136. [167] In: Annual Digest of Public International Law Cases, S. 228-231, Fall Nr. 137. [168] Thomas Hobbes (1588-1679), der im Schlußkapitel („A Review, and Conclusion" seines Hauptwerks „Leviathan, or the Matter, Forme and Power of a Commonwealth, Ecclesiasticall and Civil", 1651) ausführt: „And thus I have brought to an end my discourse of civil and ecclesiasticall government ..., and without other désigné, than to set before men's eyes the mutual relation between protection and obedience: of which the condition of human nature, and the laws divine, both natural and positive, require an inviolable observation" (Teil IV, letzter Absatz, in der Werk-Ausgabe von Molesworth, Bd. 3, S. 713; in der Ausgabe von William Oakeshott, Oxford 1955, S. 467 / 68). Bereits im zweiten Teil, ch. 21, heißt es: „The end of obedience is protection." Schmitt hatte in seiner 1938 erschienenen Schrift „Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes — Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols" betont: „Die »Relation von Schutz und Gehorsam' ist der Angelpunkt der Staatskonstruktion des Hobbes. Sie läßt sich mit den Begriffen und Idealen des bürgerlichen Rechtsstaates sehr gut vereinbaren" (S. 113 / 14 des Neudrucks Köln 1982, hrsg. v. Günter Maschke, mit dessen Bemerkungen S. 204 ff. zu „Schutz und Gehorsam"). [ 169] George Douglas Howard Cole ( 1889 -1959), Historiker der britischen Arbeiterbewegung, lehrte in Oxford. Seit 1908 Mitglied der Independent Labour Party, 19131915 der Fabian Society, danach der führende Kopf des nichtmarxistischen GildenSozialismus. Mit seinem (und Harold Laskis) pluralistischen Staatsverständnis hatte sich Schmitt zuerst 1930 auseinandergesetzt („Staatsethik und pluralistischer Staat" = „Positio-

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nen und Begriffe", S. 133, 134 ff.), er ist auch später auf Cole zurückgekommen, z. B. in „Begriff des Politischen", München 1932, S. 28 (Ausg. Berlin 1963/91, S. 41 m. FN 12), und in dem Vortrag „Der Reichsbegriff im Völkerrecht" (1939, in: Positionen und Begriffe, S. 303, 310). — Cole hatte (als noch junger Autor) seine von Schmitt aufgenommene Kritik an der traditionellen Staatslehre in zwei Vorträgen zusammengefaßt, gedruckt in den „Proceedings of the Aristotelian Society", New Series, Bd. XV, London 1915, S. 140-159 („Conflicting Social Obligations"), und Bd. XVI, 1916, S. 310-325 („The Nature of the State in view of its external Relations"). Ich danke Herrn Dr. Willibald Steinmetz vom Deutschen Historischen Institut London für die Ermittlung der Quellen. Ob Cole für den Satz „Protego ergo obligo" unmittelbar beansprucht werden kann, erscheint indes sehr zweifelhaft. Cole stellte das Zitat in diesen Zusammenhang: „Political theory has been Cartesian in method. It has sought to define the nature of States by an analysis of the consciousness of a typical State. ,What\ it has inquired, ,is the nexus in bodies politic?'; and it has answered, if not precisely, Cogito, ergo sum, at least, ,Protego, ergo obligo'. It has regarded the State as an individual, and has sought to define its nature by means of a kind of collective introspection. And this introspective philosophy, just as it vitiates the study of the individual consciousness, is fatal to political theory, because it shuts up the State in the circle of its own ideas, and prevents philosophers from confronting the problem of the relation of State to State" (Proceedings, Bd. XVI, S. 311). Über die Stellung Cole's in der britischen Diskussion der Stellung der menschlichen Verbände vgl. Adolf Birke, Pluralismus und Gewerkschaftsautonomie in England, Stuttgart 1978, S. 192 ff.; zu Schmitts Auseinandersetzung mit Cole und Laski: Quaritsch, Zur Entstehung des Pluralismus: Der Staat 19 (1980), S. 29, 36 ff., 48 ff.

Nachwort

Zur Entstehung des Gutachtens 1945 Das Titelblatt des Textes trägt nur den Titel: „Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz ,nullum crimen, nulla poena sine lege 4 ." Daß es sich um ein Gutachten handelt, ergibt ein dem hier zugrunde gelegten Original vorgelegtes Blatt, das Schmitt handschriftlich mit dem Vermerk versah: „Text des Gutachtens 25 August 1945". Dieser Vermerk diente aber nur für die eigene Ablage. Wenn auf dem Titelblatt die Charakterisierung der Arbeit als „Rechtsgutachten" ebenso fehlt wie der Auftraggeber („Rechtsgutachten erstattet auf Ersuchen von . . . " ) , so wahrscheinlich aus mehreren Gründen: Das Gutachten sollte nicht nur zugunsten eines einzigen „ordinary business man" verwendet werden, sondern zur Verteidigung mehrerer potentieller Angeklagter. Auch war zu dieser Zeit noch nicht sicher, wer angeklagt werden würde. Juristen pflegen „Gutachten" nur auf Ersuchen eines Auftraggebers zu erstatten, d. h. ein Privater oder eine Verwaltungsbehörde bittet um die Beantwortung einer konkreten Rechtsfrage oder die rechtliche Untersuchung eines Sachverhalts, um danach die Chancen der Durchsetzung eigener Interessen oder Kompetenzen beurteilen zu können. Das Gutachten unterscheidet sich vom Anwaltsschriftsatz primär durch die Unabhängigkeit des Gutachters; das Gutachten kann auch zu einem Ergebnis gelangen, das die Hoffnungen des Auftraggebers nicht erfüllt. Im Nachlaß Schmitts fehlt eine schriftliche Vereinbarung über das Thema des Gutachtens und das vom Auftraggeber zu zahlende Honorar. Da Schmitt belangvolle Unterlagen aufbewahrte, wird über den Auftrag nur mündlich verhandelt worden sein. Das lag im Sommer 1945 angesichts des Themas und der Umstände auch nahe. Auf der Rückseite eines Aktendeckels, in dem Schmitt ein GutachtenExemplar verwahrte, vermerkte er handschriftlich: „Text des Gutachtens 25. August 1945 (damalige Adresse: Berlin-Schlachtensee, Schönererzeile), Auftraggeber: Rechtsanwalt Dr. Walter Schmidt, Vertreter von Flick und seiner Mitbeschuldigten . . , " 1 . Über den Auftraggeber Friedrich Flick 2 sprach Schmitt im Sommer 1945 auch mit Hans Schneider 3. ι RW 265-338, Nr. 2. 2 Friedrich Flick (1883 -1972), seit der Weimarer Republik einer der führenden deutschen Großindustriellen. Am 22. Dezember 1947 verurteilte ihn das US-Militärgericht (Fall V, Flick-Prozeß) in Nürnberg zu sieben Jahren Gefängnis; aus dem Landsberger Kriegsverbrechergefängnis wurde er 1950 vorzeitig entlassen. Im einzelnen MunzingerArchiv / Internat. Biograph. Archiv, Lfg. 42 / 72; die polemische, unautorisierte Biographie von Günter Ogger, Friedrich Flick der Große, 3. Aufl. München 1971; aus der Sicht der Nürnberger US-Anklagebehörde: Trials VI 1, S. 34 ff., 176 ff.; neuerlich Jung, S. 7 ff.

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Im Juli 1945, so berichtet Schneider 4, habe Friedrich Flick in der amerikanischen Zeitung „Stars & Stripes" gelesen, man wolle die führenden deutschen Industriellen vor Gericht stellen. Flick habe befürchtet, daß er zu diesen Angeklagten gehören würde. Er habe deshalb Carl Schmitt beauftragt, die Verantwortlichkeit von Zivilpersonen für Angriffskriege der Regierung rechtlich zu klären. Der von Hans Schneider erwähnte Zeitungsartikel ist im Nachlaß verwahrt (RW 265-62, Nr. 8, Bl. 11), es handelt sich um die Sonntagsbeilage der amerikanischen Soldatenzeitschrift „Stars & Stripes", nämlich „The Stars & Stripes Magazine", vol. 1 — no. 7, vom Sonntag, 15. Juli 1945. Der Artikel von Simon Bougin beschäftigt sich unter der Überschrift „History's greatest Case — Justice Jackson has Established a Formula for Trial of Germany's War Criminals" ausführlich mit den beabsichtigten Prozessen gegen Deutsche, nach Eigenart und Ort der Taten aufgeteilt in vier Gruppen. Zur vierten Gruppe würden die „Leaders of the German Army and state, of industry and finance, and of the Gestapo and the SS" gehören. Eingerahmt ist dieser Zeitungsartikel durch eines der damals verbreiteten Bilder von einer Anhäufung unbestatteter nackter Leichen sowie die Zeichnung einer Marschkolonne, deren einzelne Mitglieder durch eine Hakenkreuz· Armbinde als Deutsche ausgewiesen werden. Hinter den scherenschnittartig dargestellten Figuren ragt ein Galgen auf. Friedrich Flick mag diesen so illustrierten Aufsatz in amerikanischer Haft zu Gesicht bekommen haben; am 13. Juni 1945 war er von amerikanischen Offizieren in Süddeutschland festgenommen worden 5. Danach könnte die Arbeit an dem Gutachten erst im letzten Drittel des Monats Juli 1945 begonnen worden sein. Man wird den Artikel in „Stars & Stripes" aber wohl nicht allein als Anstoß für den Gutachten-Auftrag ansehen müssen. Im Jackson-Report vom 6. Juni 1945 hatte der Autor neben den Mitgliedern der Regierung und des Militärs Angehörige des Finanz- und Wirtschaftslebens und der Industrie, die sich als gemeine Verbrecher erwiesen hätten, als künftige Angeklagte genannt6. Jacksons bereits zwei Tage später in der amerikanischen Presse begeistert kommentierter „Four-thousand-word report to the President", den Präsident Truman gleich als seine Auffassung übernahm, hatte zwei Schwerpunkte: das Prozeßverfahren (statt summarischer Erschießungen) und die Anklage wegen Angriffskrieges. Auch in der deutschen Presse wurde über den Jackson-Report berichtet: „Unter der großen Zahl der Regierungsbeamten, Angehörigen der Wehrmacht und Personen aus 3 Hans Schneider, geb. 1912, hatte sich an der Wirtschafts-Hochschule Berlin 1940 habilitiert (Der Preußische Staatsrat 1817-1918, München 1952) und war 1943 auf den Lehrstuhl des verstorbenen Freytagh-Loringhofen an der Universität Breslau berufen worden; o. Prof. Tübingen 1951, seit 1955 Univ. Heidelberg. Schneider hatte das Kriegsende als verwundeter Offizier (Obstlt.) in einem Berliner Lazarett überlebt. 4 Persönliche Mitteilung an den Hrsg. am 3. Juli 1991. 5 Jung, S. 7. 6 International Conference, S. 47.

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Finanz-, Wirtschafts- und Industriekreisen, gegen die von den Alliierten Anklage erhoben werden wird, befinden sich auch Industrielle und Generalstabsoffiziere" 7. Daß sich Jackson durch geltendes Völkerrecht nicht gehindert sehen würde, verlautbarte die Presse ebenfalls: , Jackson fügt hinzu: ,Wir dürfen es nicht zulassen, daß die Haltung der Vereinigten Staaten verschleiert wird durch einen sterilen Legalismus, der in der Zeit des Imperialismus entwickelt wurde, um Angriffskriegen ein Mäntelchen der Zulässigkeit umzuhängen. Durch diese Prozesse sollen wir in der Lage sein, eine Gerichtsbarkeit der Vergeltung zu schaffen, die solche verfolgt, die in Zukunft die zivilisierte Welt anzugreifen versuchen .. .' 8 ." Flick konnte sich ausrechnen, daß er als Repräsentant des Wirtschaftslebens und der Industrie vor Gericht stehen würde, und zwar auch wegen Angriffskrieges. Das mußte er jedenfalls befürchten, weil seine Freilassung nach der Vernehmung durch den „Office of Strategie Services" durch eine spezielle Gruppe des amerikanischen Geheimdienstes verhindert wurde, die auf Deutschlands Wirtschaft und Finanzen angesetzt war. Er wurde in die erweiterte SHAEF-Fahndungsliste vom 20. Juni 1945 aufgenommen, weil Industrielle und Finanziers „genauso gefährlich sind wie der deutsche Militarist, der SS-Mann und der Parteiführer der NSDAP' 9 . In dem Ermittlungsbericht der „Financial Investigation Section" gegen die Dresdner Bank — Flick gehörte deren Aufsichtsrat seit 1922 an —, im Frühjahr 1946 fertiggestellt und am 6. Mai dem Militärgouverneur Lucius D. Clay übergeben, kamen die Bearbeiter zu dem Ergebnis, Flick habe ein Verbrechen gegen den Frieden begangen10. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß Flick, seit dem 13. Juni von der Außenwelt abgeschlossen, nicht selbst den Gutachtenauftrag erteilte. Neben Rechtsanwalt W. Schmidt verhandelte wahrscheinlich einer der Generalbevollmächtigten Flicks, KonradKaletsch n , mit Schmitt über den Gutachtenauftrag. Später, nachdem Kaletsch als Mitangeklagter im Flick-Prozeß in allen Anklagepunkten freigesprochen worden war, schrieb er am 15. Juli 1948 an Schmitt: „ . . . Ich erinnere mich gerne der beiden Zusammenkünfte, die wir im Sommer und Herbst 1945 in Berlin hatten . . . " (RW 265-63). Kaletsch konnte selbstverständlich über Gutachten zur Verteidigung Friedrich Flicks verhandeln, ohne daß ein ausdrücklicher Auftrag Flicks vorlag. Angesichts der Absichten 7 „Berliner Zeitung", 1. Jg., Nr. 23, v. 12. Juni 1945. 8 „Ruhrzeitung" vom 16. Juni 1945. 9 Vorwort zur erweiterten SHAEF-Fahndungsliste, zit. nach Karlheinz Roth, Einleitung zu OMGUS — Ermittlungen gegen die Dresdner Bank, Nördlingen 1986, S. LXXX m. Anm. 184 sowie S. LXXXIII. 10 OMGUS (FN 9), S. 220-226. h Konrad Kaletsch (1898 -1978), Vetter Flicks, seit 1922 einer seiner engsten Mitarbeiter und auch später einflußreichsten Männer in der Flick-Gruppe; Einzelheiten über Lebenslauf und berufliche Entwicklung im Flick-Konzern in der Flick-Titelgeschichte des „Spiegel", 12. Jg., 1958, Nr. 38, S. 22 ff., 30 (Porträt). Kaletsch war 1945 in Berlin géblieben, ihn verhafteten die Amerikaner am 8. Dezember 1945, s. Jung, S. 28.

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der amerikanischen Regierung — in Berlin bekannt seit dem 12. Juni 12 — konnte sich Kaletsch auch ohne Kontakt zu Friedrich Flick vorstellen, was dem Konzernchef (und ihm selbst) bevorstand. Danach könnte Schmitt die Arbeit an dem Gutachten frühestens Mitte bis Ende Juni 1945 begonnen haben. In Schmitts Antwortbrief vom 20. Juli 1948 ist zwar nicht von dem Gutachten selbst die Rede, die Bezugnahmen auf die Umstände, die zur Anfertigung des Gutachtens führten, sind aber deutlich: „ . . . Ich hatte im Winter 1945/46 im Camp Lichterfelde von Ihnen gehört, dann wieder in Nürnberg, Frühjahr 1947, wo ich Zellennachbar des jungen Herrn Flick 1 3 war, schließlich im Februar 1948 bei einem zufälligen Besuch in Düsseldorf, wo Herr W. Schlieker u mir einige Mitteilungen machte . . . " (RW 265-63). Kaletsch war es auch, der das Gutachten einem der Verteidiger im Flick-Prozeß, Rechtsanwalt Dr. Otto Kranzbiihler 15, übergab. Dieser schrieb am 4. Februar 1949 an Schmitt: „ . . . von Herrn Kaletsch erhielt ich seinerzeit Ihre Ausarbeitung über »rechtliche Probleme der Kriegsverbrecher-Prozesse' . . . " (RW 265-63). Erhalten hatte Kranzbühler das Gutachten Ende November 1948, wie aus einem Schreiben von Kaletsch an Schmitt vom 26. November 1948 hervorgeht 16. Kaletsch wurde wahrscheinlich begleitet von einem weiteren Juristen, nämlich Dr. Karl Tillmanns 17. Der Nachlaß Schmitt enthält schließlich ein anonymes und undatiertes Gutachten „Gedanken zur Theorie und Praxis des angelsächsischen Rechtsdenkens mit besonderem Bezug auf die bevorstehenden Prozesse gegen die sog. »Wirtschaftskriegverbrecher'" (RW 265-124, Nr. 21). Dieses Gutachten, ein maschinenschriftlicher Durchschlag, zweizeilig geschrieben und 35 Seiten 12 Vgl. FN 7. 13 Otto Ernst Flick (1916-1974), Sohn von Friedrich Flick. 14 Willy A. Schlieker (1914-1980), Kaufmann, Abteilungsleiter im Rüstungsministerium Speer, Februar 1945 Vorstandsmitglied im Flick-Konzern (G. Ogger [FN 2], S. 239), organisierte im Auftrag der britischen Militärregierung den Wiederaufbau der Industrie im Ruhrgebiet, 1949-1962 Unternehmer im Stahl- und Kohlebereich, weitere Einzelheiten Munzinger-Archiv / Internat. Biograph. Archiv, 6.12.1980 — Lfg. 49 / 80. 15 Dr. jur. Otto Kranzbühler, geb. 1907, Flottenrichter (Kapitän zur See), verteidigte in aufsehenerregender Weise Großadmiral Dönitz im IMT-Prozeß (s. Gerhard Gründler / Arnim v. Manikowski, Das Gericht der Sieger, Oldenburg 1967, S. 188-193; Maser, Nürnberg — Tribunal der Sieger, S. 269 ff. u. passim; auch Smith, S. 123, 273; und jetzt besonders Taylor, Nuremberg Trials, S. 398 ff. u. passim: „was generally regarded as one of the two or three best defence lawyers at Nuremberg"), im Rick-Prozeß dessen Generalbevollmächtigten Dr. Odilo Burkhard, dann im Krupp-Prozeß Krupp v. Bohlen u. Halbach selbst und den Mitangeklagten Max Ihn sowie vor einem französischen Militärgericht den Saar-Industriellen Hermann Röchling, s. W. v. Wolmar, Als Verteidiger in Nürnberg — Otto Kranzbühler und die Nürnberger Prozesse, Hamburg 1982. 16 RW 265-220, Nr. 13, dazu noch bei FN 45. 17 Genannt in einem Telegramm, das Kaletsch an Schmitt zum 83. Geburtstag am 11. Juli 1971 sandte: „ . . . Ich gedenke immer wieder unserer verschiedenen eingehenden und für mich sehr wertvollen Diskussionen, die schon in Berlin unmittelbar nach dem allgemeinen Zusammenbruch 1945 in der damaligen Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Karl Tillmanns ihren Anfang nahmen . . . " (RW 265-326, Nr. 114).

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umfassend, sollte offenbar die Verteidigung Flicks vorbereiten und beschreibt auf hohem Niveau die unterschiedlichen Auffassungen über das Völkerrecht bei Engländern und Amerikanern einerseits, in den kontinentaleuropäischen Ländern andererseits. Fernerhin wird überlegt, wie die Verteidigung Flicks gegen vermutete Anklagen aufgebaut werden könne. Von Schmitt ist dieser Text offensichtlich nicht verfaßt, denn es wird auf das „Problem des sog. Legalitätsanspruchs . . . , das Herr Prof. S. in der letzten Besprechung aufgerollt hat", Bezug genommen, ebenso auf „die Schrift von Prof. S. »Legalität und Legitimität 4 ". Ob Rechtsanwalt W. Schmidt oder Dr. K. Tillmanns dieses Gutachten verfaßt hat oder ein weiterer rechtskundiger Gesprächsteilnehmer, muß vorläufig offenbleiben 18. Die genaue Höhe des Gutachten-Honorars ist ebenso unbekannt wie der Zeitpunkt der Zahlung, beides läßt sich aber aufgrund einer Mitteilung von Frau Duska Schmitt an ihre inzwischen nach Westdeutschland verzogene Haustochter Anni Stand schätzen, es werden etwa 10 000 RM gewesen sein 19 . In den 20er oder 30er Jahren wäre das Honorar für das Gutachten eines angesehenen Rechtslehrers in einer Sache, in der es um Leben, Freiheit und Vermögen eines der reichen Männer Deutschlands ging, viel höher ausgefallen. Aber im Sommer 1945 waren die Zeiten in Deutschland nicht normal, zumal nicht in Berlin. Das Vermögen des Auftraggebers Flick war überall beschlagnahmt, die Berliner Banken und Sparkassen waren geplündert und geschlossen, Carl Schmitt selbst hatte im April 1945 sein letztes Gehalt bezogen und war mittellos. Ersparnisse hatte er nie angesammelt, so daß er sich vor dem Beginn der Kämpfe um Berlin auch nicht mit größeren Summen von Bargeld hätte versorgen können, wie das wohl die Vertreter Ricks in Berlin in kaufmännischer Vorausschau der Lage getan hatten. Für den täglichen Lebensunterhalt, die Miete für das Haus und alle anderen notwendigen Ausgaben war das Honorar eine große Hilfe, sah sich im Sommer 1945 das Ehepaar Schmitt doch schon gezwungen, Teile des Hausrats zu verkaufen 20. Gemessen an den Preisen des „Schwarzen Marktes" und unter Berücksichtigung der rapiden Entwertung des Geldes, gipfelnd in der Währungsreform am 20. Juni 1948, war das Gutachten-Honorar eher ein symbolischer Preis. Das wußten auch die Auftraggeber, weshalb Kaletsch am 3. Januar 1951 18 Herr Kollege Hans Schneider hält es für möglich, daß Geheimrat Karl von Lewinski dieser Dritte gewesen sein kann. Lewinski (1873 -1951), mit einer Amerikanerin verheiratet, seit 1920 im Auswärtigen Amt, seit 1922 als Botschaftsrat in Washington (u. a. Vertreter des Deutschen Reichs in der deutsch-amerikanischen War-Claims-Commission), 1925 Generalkonsul in New York, seit Mitte 1949 wieder in Washington, u. a. als Sachverständiger für die Bundesregierung tätig. Nach Mitteilung von Herrn GeorgDieter von Lewinski vom 20. November 1991 soll Lewinski nach dem Zweiten Weltkrieg als Berater der Alliierten bei den Nürnberger Prozessen tätig gewesen sein. Vielleicht hat auch Lewinski die „note" des Gutachtens ins Englische übersetzt. 19 Brief vom 12. Mai 1946: „Das Honorar vom Gutachten habe ich endlich angemeldet und die Steuer in Ordnung gebracht; ich hatte 2.200 M zu bezahlen." Herrn Kollegen Christian Rasenack, Berlin, ein ausgewiesener Kenner des Steuerrechts und seiner neueren Geschichte, bin ich für sachkundigen Rat dankbar. 20 Persönliche Mitteilung von Frau Anni Stand am 29. August 1991 an den Hrsg. 9 Quaritsch

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an Schmitt schrieb: „Wir sind Ihnen gegenüber aus der turbulenten Zeit des Jahres 1945 noch in Schuld wegen des seinerzeit von Ihnen erstatteten Gutachtens", weshalb er eine „Abschlußvergütung" von 1 000 D M vorschlug 21 , ein Angebot, das Schmitt „außerordentlich dankbar" akzeptierte 22. Lockere Beziehungen scheinen zwischen Schmitt und führenden Persönlichkeiten der FlickGruppe auch nach Erledigung des Gutachten-Auftrages und außerhalb der finanziellen Abwicklung bestanden zu haben. So lud Kaletsch mit Brief vom 24. Januar 1949 Schmitt nach Düsseldorf in sein Büro ein. Bei diesem Treffen mit den Rechtsanwälten Dr. Walter Schmidt und Dr. Wolfgang Pohle handelte es sich darum, Schmitts Rat „für die Weiterverfolgung der Gesamtangelegenheit" einzuholen, womit offenbar Flick- und Krupp-Prozesse gemeint waren, in denen nach Kaletschs Mitteilung Pohle „aktiv und erfolgreich tätig gewesen war" 2 3 . Nach einer handschriftlichen Notiz beantwortete Schmitt diesen Brief am 28. Januar und notierte sich den vorgeschlagenen Termin in Düsseldorf. Auch sonst hat Kaletsch den Rat Schmitts gesucht und gefunden 24. Im übrigen scheint der Konzern-Manager Kaletsch von der Persönlichkeit Schmitts bleibend beeindruckt gewesen zu sein. Auch in späteren Jahren brachte er sich zu jedem Geburtstag Schmitts mit kleineren und größeren Geschenken in Erinnerung 25. Kaletsch gratulierte noch 1973 Schmitt zum 85. Geburtstag mit einem ungewöhnlich herzlich gehaltenen Telegramm 26 . Schmitt seinerseits blieb an seinem einstigen Auftraggeber interessiert; er pflegte Zeitungsartikel über Friedrich Flick auszuschneiden und aufzubewahren, zuletzt den Nachruf im „Spiegel" am 24. Juli 1972 (RW 265-289).

21 RW 265-220, Nr. 176. 22 Brief an Kaletsch vom 8. Januar 1951 (RW 265-220, Nr. 180). 23 Brief im Besitz von Herrn Piet Tommmissen, Brüssel, der mir freundlicherweise eine Kopie überließ. Pohle ( 1903 -1971 ) hatte im Flick-Prozeß Odilo Burkhards Verteidiger Kranzbühler assistiert und im Krupp-Prozeß Friedrich von Bülow verteidigt. P. war 1953-57 CDU-MdB, 1965-1971 CSU-MdB. 1960 trat er als Generalbevollmächtigter in die Friedrich Flick KG ein, 1965 wurde er persönlich haftender Geschäftsführender Gesellschafter der Düsseldorfer Konzernzentrale (s. Ogger [FN 2], S. 349 f.). 24 In der Korrespondenz der 50er Jahre ist die Rede von Gesprächen über den Schuman-Plan (Brief vom 18.2.1953) und „über die Frage der Sozialisierung im Zusammenhang mit der Montanunion" (27.5.1953). 25 Persönliche Mitteilung von Frau Anni Stand am 29. August 1991 an den Hrsg. — Als Gast der Feier des 65. Geburtstages Schmitts im Jahre 1953 überbrachte Kaletsch eine Statue der Hl. Barbara, ein Eisenguß aus dem Hause Buderus-Wetzlar (persönliche Mitteilung von Herrn Ernst Hüsmert vom 1. November 1991 an den Hrsg.). Das war eine beziehungsreiche Anspielung auf Schmitts Buderus-Gutachten, das Schmitt im März 1952 erstattet hatte (unter dem Titel „Rechtsstaatlicher Verfassungsvollzug", 1958, in den „Verfassungsrechtlichen Aufsätzen", S. 452-488 veröffentlicht). Die Eisenwerke Buderus wurden erst 1956 von der Flick-Gruppe erworben (vgl. Ogger [FN 2], S. 329 ff.). Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß Kaletsch, der Lehrling in den Eisenwerken Buderus gewesen war, bereits Beziehungen zu dem Unternehmen angeknüpft hatte. 26 RW 265-323.

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Fehlte dem Titelblatt die Angabe des Auftraggebers, so auch der Name des Verfassers. Auch die Abschriften des Gutachtens verschweigen auf dem Titelblatt den Namen des Autors. Dennoch wahren einige Abschriften des Gutachtens nicht vollständig diese Anonymität. Die in englischer Sprache zusammenfassende „note" ist bei einigen (nicht bei allen!) Abschriften mit diesem Zusatz versehen: Note as conclusion of the opinion of prof. Dr. Carl Schmitt on „Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges" (August 1945). Auch ist die „note" bei den Exemplaren im Nachlaß maschinenschriftlich unterschrieben „Carl Schmitt". Es ist nicht eindeutig zu beantworten, weshalb der Name des Autors erst in der fremdsprachlichen Zusammenfassung der Abschriften auftaucht und auch nicht bei allen. Für die vollständige Anonymität hätte es im Sommer 1945 und noch einige Zeit danach genug Gründe gegeben. Den Siegern zu widersprechen, war damals riskant, zumal in einer Angelegenheit, die für sie fundamental bedeutsam war. Vielleicht spielte mit, daß der Name Carl Schmitt den Auftraggeber belastet hätte. Dann muß man sich allerdings fragen, weshalb die Berliner Anwälte überhaupt auf Carl Schmitt verfielen, anstatt z. B. Herbert Kraus zu bitten, der bereits über den Versailler Vertrag gearbeitet hatte 27 , oder Hermann von Mangoldt, der im Herbst 1944 eine große Abhandlung über die Verfolgung von Kriegsverbrechen begonnen hatte, die er im Juni 1945 abschloß28. Die Antwort ergibt sich aus den Zeitumständen. In den ersten Monaten nach der Kapitulation konnten Deutsche weder reisen noch telefonieren, jedenfalls nicht über die Grenzen der eigenen „Besatzungszone" hinaus; auch die Post hatte den gewohnten Betrieb noch nicht wieder aufgenommen. Die den drei westlichen Besatzungsmächten zugewiesenen Stadtteile Berlins — Schmitt wohnte in BerlinSchlachtensee (amerik. Sektor) — waren zusätzlich abgeriegelt und eingeschlossen durch die sowjetische Besatzungszone. Wollten also Kaletsch und seine Anwälte ein erstklassiges Gutachten von einem ausgewiesenen Professor des Völkerrechts, waren sie auf die Berliner Völkerrechtslehrer angewiesen. In Berlin 27 Herbert Kraus (1884-1965), Ordinarius für Öffentliches Recht seit 1919, seit 1928 in Göttingen, Begründer des dortigen Instituts für Völkerrecht, 1937 zwangspensioniert, 1945 wieder eingesetzt, verteidigte im IMT-Prozeß Hjalmar Schacht; verfaßte zahlreiche Gutachten zu Rechtsfragen der Kriegsverbrecher-Prozesse, nachgewiesen in: FS Herbert Kraus, Kitzingen/M. 1954, S. 466-468. 28 „Das Kriegsverbrechen und seine Verfolgung in Vergangenheit und Gegenwart — Eine völkerrechtliche Studie", JIR, Bd. II /III, 1948, S. 283-334. — Hermann von Mangoldt (1895-1953), habilitiert 1931, lehrte seit 1936 Öffentliches Recht und Völkerrecht in Tübingen, 1941 Jena, 1943 Kiel, Rektor 1947/48, Innenminister SchleswigHolsteins, einflußreiches Mitglied des Parlamentarischen Rats (1948/49). Mangoldt hatte die Institutsbibliothek in ein schlesw.-holst. Dorf verlagert, dort arbeitete er seit Herbst 1944 an dem genannten Aufsatz (vgl. das Vorwort S. 283 und den Nachruf der Herausgeber: JIR, Bd. III, 1954, S. 5). 9*

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aber war Carl Schmitt allein übriggeblieben: Im Wintersemester 1944/45 war er der einzige Lehrstuhlinhaber der Juristischen Fakultät, der Vorlesungen und Seminare im Öffentlichen Recht und im Völkerrecht anbot. In den Berliner Fakultätsakten befindet sich der Durchschlag des Schreibens des Dekans Wolf gang Siebert vom 26. Januar 1945 an das RMinWEV mit der Bitte, Theodor Maunz als Kriegsvertretung für das Gebiet des Staats- und Verwaltungsrechts nach Berlin zu entsenden. Das Vorlesungsverzeichnis weise zwar Reinhard Höhn, Carl Bilflnger und Karl Peters als Fachvertreter aus: „Tatsächlich übt aber im Augenblick nur Staatsrat Schmitt eine volle Vorlesungstätigkeit aus." Carl Bilflnger sei wegen Krankheit beurlaubt, Reinhard Höhn habe sich auf seine Kriegsbeorderung berufen, Ritterbusch lese nur Verfassungsgeschichte, und Peters sei bei der Wehrmacht. Schmitt habe sich angesichts der Personalnöte bereit erklärt, Hohns Vorlesung „Verfassung" weiterzuführen, für das kommende Sommersemester 1945 müsse die unhaltbare Situation aber mit der Delegierung von Maunz beendet werden. Maunz, Freiburg, kam nicht mehr nach Berlin. Schmitt hielt neben der bereits erwähnten Vorlesung „Verfassung" noch zwei weitere Vorlesungen, nämlich „Verwaltung" (3st.) und „Außenpolitik und Völkerrecht" (2st.); in seinem Privathaus fernerhin privatissime ein „Seminar für Öffentliches Recht" und eine „Seminaristische Übung zum völkerrechtlichen Kriegsbegriff 4. Die letzte Vorlesung hielt er am 1. Februar 1945, nach dem Großangriff der amerikanischen Luftwaffe am 3. Februar endete der Vorlesungsbetrieb, Schmitt wurde zum 1. Aufgebot des Volkssturms eingezogen (persönliche Mitteilungen von Herrn Christian Tilitzki, der die Berliner Fakultätsakten von 1933-1945 erforscht, vom 1. und 17. Oktober 1991). Schließlich ist zu berücksichtigen: Schmitt wurde erst in der Bundesrepublik, etwa seit 1950, zur „bête noire" der deutschen Rechtswissenschaft erklärt. Den juristischen Zeitgenossen des Jahres 1945, besonders Anwälten, die mit der NSKarriere Schmitts 1933-1936 und seinen damaligen Publikationen weniger oder gar nicht vertraut waren, hatten es in ihrer Sicht mit einem Professor zu tun, der seit Ende 1936 außer seinem Lehrstuhl keine weitere Funktion ausgeübt hatte, der auch in der Universität kaltgestellt blieb — in keinem Institut „Direktor", niemals „Dekan" —, dem zwar Anerkennung und informelle Solidarität seiner wissenschaftlichen Fachgenossen in Deutschland zuteil wurden, der an ausländischen Universitäten durch Vorträge die deutsche Wissenschaft repräsentieren durfte, aber bis zuletzt für die NSDAP unakzeptabel blieb 29 . Der „Preußische 29 Den Darlegungen von Joseph W. Bendersky, Carl Schmitt — Theorist for the Reich, Princeton /Ν. J. 1983, S. 234 ff., und Quaritsch, S. 13 ff., 31 FN 44 u. passim, kann beispielhaft noch hinzugefügt werden: Nach dem Tode des Inhabers des Berliner Völkerrechtlichen Lehrstuhls und Direktors des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht, Viktor Bruns, im September 1943, schlug die Fakultät den bereits an der Altersgrenze stehenden Carl Bilflnger (1879-1958), Heidelberg, als Nachfolger vor, weil, so überliefern es die Fakultätsakten, Schmitt durch die Institutsleitung und die Konzentration auf das Völkerrecht nicht in seiner „wissenschaftlichen Arbeit behindert und eingeengt werden" sollte (Christian Tilitzki, in: Siebte Etappe, Bonn 1991, S. 68, 113 FN 31, unter Hinweis auf den Berufungsvorschlag vom 23. Dezember 1943). Die Fakultät konnte Schmitt nicht vorschlagen, ohne sich negativen Mutmaßungen auszusetzen, andererseits hätte sie sich lächerlich gemacht, würde sie Bilflnger als wissenschaftlich besser qualifiziert beschrieben haben — er war es nur

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Staatsrat", ein Souvenir aus der „Zeit der Illusionen", wie die Jahre 1933-1936 zutreffend beschrieben worden sind 30 , wird den Auftraggeber wenig gestört haben, denn diesen Titel durften auch der Schauspieler Gustaf Gründgens und der kath. Bischof Berning führen. Schmitt selbst hatte seine revolutionäre NS-Periode innerlich längst hinter sich gelassen. Während des Krieges äußerte er prinzipielle Systemkritik nicht nur im Kreise von Freunden und Kollegen, sondern auch im Seminar 31. Was er jetzt im Gutachten über Taten und Charakter des NS-Regimes schrieb, sollte nicht der Camouflage des Auftraggebers und des Gutachters dienen, das war ernstgemeint und seine Überzeugung. Daß ihm diese zweite Wandlung nichts nützte, weil ihm seine Opponenten die Umstände und Folgen der ersten niemals vergessen und vergeben sollten — das haben er und seine Auftraggeber im Sommer 1945 wohl nicht vorausgesehen. Wie dem auch gewesen sei: Die Anonymität des Gutachtens war aufgehoben durch die einigen Exemplaren beigefügte „Note as Conclusion of the Opinion of prof. Dr. Carl Schmitt on ,Das international-rechtliche Verbrechen des Angriffskrieges 4 ". Da die englischsprachige Zusammenfassung eigentlich nur ein amerikanisches Militärgericht als Adressaten haben konnte, wird man davon ausgehen dürfen, daß die Auftraggeber sich vorbehielten, das Gutachten mit oder ohne den Namen des Verfassers vorzulegen.

„politisch" (vgl. z. B. C. Bilfinger, Das wahre Gesicht des Kellogg-Paktes, 1941). — Schmitts akademische Situation in dieser Zeit erhellt die Stellungnahme Werner Webers (vgl. vorn Anm. 3) vom 19. Juli 1942 gegenüber dem „Hauptamt Wissenschaft in der Dienststelle des Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Erziehung der NSDAP'. Weber mußte anläßlich eines Konflikts mit dem Berliner Gaudozentenführer Prof. Willing zunächst auf vier Seiten sein „Verhältnis zu dem Preußischen Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt" (Überschrift!) beschreiben, das ihm in diesem Streit vorgeworfen worden war. Weber argumentierte geschickt und reagierte nobel: seine wissenschaftlichen Arbeiten seien von Schmitt überhaupt nicht beeinflußt; er sei weder katholisch noch ultramontan, aber: „ . . . ich verhehle nicht, daß ich ihm als Mensch und Gelehrten meine hohe Wertschätzung entgegenbringe" (Bundesarchiv Koblenz, NS 15/227, Bl. 143-146). 30 Heinz Höhne, Die Zeit der Illusionen — Hitler und die Anfänge des Dritten Reiches 1933-1936, Düsseldorf 1991. 31 Vgl. Quaritsch, S. 113 / 14; persönliche Mitteilung von Herrn Dr. Rüdiger Altmann, Bonn, vom 30. Oktober 1991 an den Hrsg.; Altmann hörte bei Schmitt 1943-1945. Schmitts Ablehnung des Nationalsozialismus wurde auch den Hörern seiner Vorlesungen deutlich, persönliche Mitteilung von Herrn Rechtsanwalt Dr. Rudolf Jestaedt am 27. Februar 1993; Jestaedt hörte Vorlesungen Schmitts im Jahre 1940.

Überlieferung des Textes Eine langschriftliche Fassung von der Hand Carl Schmitts existiert nicht. Er diktierte das Gutachten nach seinem stenographischen Entwurf einer in sein Haus gekommenen Sekretärin des Auftraggebers ins Stenogramm, die ungewöhnlich schnell einen maschinenschriftlichen Text herstellte und Schmitt übergab 32. Dieser erste Entwurf des Gutachtens ist zweizeilig geschrieben und umfaßt 109 Seiten (Fassung I) 3 3 . Schmitt hat diese Fassung handschriftlich gründlich überarbeitet, Falschschreibungen korrigiert, Sätze umgestellt, aber auch kürzere und längere Ergänzungen geschrieben, halbe oder ganze Seiten, die er an die betreffenden Seiten anklebte. Auch schrieb er mit der Hand die Überschriften im Text ab und stellte diese als Inhaltsverzeichnis der „Einleitung" voran 34 . Die so verbesserte und ergänzte Fassung I — ihr fehlt noch die englische „note" — bildete die Vorlage für die ebenfalls zweizeilig geschriebene Abschrift, nunmehr 116 Seiten stark (Fassung II). Das originale Typoskript von Fassung I I — im Nachlaß RW 265-63 — enthält erneut tintenschriftliche Ergänzungen und Korrekturen von der Hand Carl Schmitts. Diese (zehn) Zusätze sind in den anderen, noch zu erörternden Fassungen ohne Kennzeichnung eingearbeitet. Der zweizeilige Text mit den handgeschriebenen Ergänzungen (Fassung III) diente offensichtlich als Vorlage 35 . Der Fassung I I ist erstmals die englische „note" hinzugefügt, sie ist ebenfalls zweizeilig geschrieben, aber unpaginiert (in RW 265-124, Nr. 18). Dem hier vorgelegten Abdruck wird die Fassung I I I zugrunde gelegt, also diejenige Fassung, die Carl Schmitt als sein Gutachten dem Auftraggeber ausgehändigt 32 Persönliche Mitteilung von Frau Anni Stand am 29. August 1991. 33 In Besitz von Herrn Kollegen Piet Tommissen, Brüssel, der mir das Exemplar zur Prüfung und zum Vergleich überließ. Schmitt schenkte ihm das Typoskript am 12. April 1965 zusammen mit anderen Manuskripten (persönliche Mitteilung an den Hrsg. vom 4.9.1991). 34 Bei dieser Abschrift kam es zu einer Änderung. Die Überschrift des V. Abschnitts lautet im Text: „Die Lage des einzelnen Staatsbürgers, insbesondere des wirtschaftlich tätigen ordinary business-man". Im Inhaltsverzeichnis heißt es dagegen: „V. Der einzelne (der politischen Führerschicht nicht angehörende) Staatsbürger, insbesondere der ordinary business man als Täter oder Teilnehmer des internationalrechtlichen Verbrechens »Krieg*". Auch zu I. und IV. differieren die Überschriften im Text und in der „Übersicht". 35 Abermals weicht die Formulierung der Überschrift des V. Abschnitts im Inhaltsverzeichnis „Übersicht" von der Überschrift im Text ab. Heißt es im Text wie in der Fassung I: „Die Lage des einzelnen Staatsbürgers, insbesondere des wirtschaftlich tätigen ordinary business-man", so wird der Text im Inhaltsverzeichnis in eine Feststellung und ein Ergebnis umgewandelt: „Der einzelne, nicht zur politischen Führungsschicht gehörende Staatsbürger, insbesondere der ordinary business-man, ist normalerweise weder Täter noch Teilnehmer des internationalrechtlichen Verbrechens »Krieg4". Diese Diskrepanz ist in die Abschriften unverändert übergegangen.

Überlieferung des Textes

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hat. Die Entstehung des Gutachtens durch Dokumentation der verschiedenen Fassungen oder Kennzeichnung der Ergänzungen und Korrekturen darzulegen, erscheint (wenn überhaupt) jedenfalls bei diesem Rechtsgutachten überflüssig: Es entstand wahrscheinlich in weniger als zwei Monaten, die Korrekturen waren orthographischer und stilistischer Natur, die Ergänzungen sollten die Argumentation verstärken. In keinem Fall ist erkennbar, daß er Probleme neu aufgriff oder seine Argumentation wechselte. Daß Schmitt in Fassung I I I die endgültige Formulierung seiner Überlegungen zum Thema sah, ergibt ein weiteres Indiz: Teile des Gutachtens (S. 18-47) sind wörtlich in seinem 1950 erschienenen Buch „Der Nomos der Erde" enthalten (S. 233 - 255), nämlich die Darlegungen zu II. „Kriegsverbrechen und Kriegsschuld im Versailler Vertrag" und III. 1. „Entwicklung der internationalrechtlichen Poenalisierung des Angriffskrieges 1919-1939, 1. Genfer Protokoll 1924". Im Nachlaß finden sich mehrere Exemplare des Gutachtens, verschieden in Form und Inhalt. Vier Exemplare in engzeiliger Maschinenschrift, 69 Seiten, zunächst in RW 265-338 ein maschinenschriftliches Original, auf dem Titelblatt tintenschriftlich von Schmitt mit seinem Namen versehen („Carl Schmitt"). Offenbar ist dieses Exemplar dasjenige, von dem andere engzeilige vollständige Exemplare in der Form des Durchschlags existieren, nämlich je ein Exemplar in RW 265-124, Nr. 13, Nr. 17 und RW 265-92, Nr. 8, dem die „note" fehlt. Dieser Text ist am Ende unterschrieben: „Berlin 25. August 1945 Carl Schmitt". In RW 265-92, Nr. 7, ist allein die „note" enthalten, tintenschriftlich abgezeichnet durch den vollen Namen von Carl Schmitt. Im Nachlaß sind noch zwei weitere Fassungen des vollständigen Textes vorhanden: 84 engzeilig beschriebene Schreibmaschinenseiten, Durchschlagpapier, die „note" auf zwei Seiten unpaginiert am Schluß. Ein hektographierter Text, engzeilig geschrieben mit äußerster Ausnutzung des Papiers, also mit schmalem Rand, geht über 54 Schreibmaschinenseiten; für die englische Zusammenfassung („note") ist eine zusätzliche Seite angefügt (RW 265-124, Nr. 14, 15). Neben diesen verschiedenen Formen, die alle den vollständigen Text des Gutachtens in Fassung I I I unverändert wiedergeben, ist eine Kurzfassung verbreitet worden. In der verkürzten Fassung fehlen die Kapitel II. „Kriegsverbrechen und Kriegsschuld im Versailler Vertrag" und das Kapitel III. „Entwicklung der international-rechtlichen Poenalisierung des Angriffskrieges 1919-1939". Die Kurzfassung enthält also durchgezählt nur die drei Kapitel: I. „Die praktische Bedeutung des Grundsatzes: ,Nullum crimen, nulla poena sine lege 4 " (S. 513), II. „Der Täter des international-rechtlichen Verbrechens ,Krieg 4 " (S. 1430), III. „Der einzelne, nicht zur politischen Führungsschicht gehörende Staatsbürger, insbesondere der ordinary business man . . . 44 (S. 31-45). Überleitende Bemerkungen, wie z. B. der Satz „Das wird sich aus der folgenden Darstellung des Näheren ergeben44 (letzter Satz vor dem II. Kapitel des vollständi-

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gen Textes), fehlen diesem verkürzten Text. Auf der ersten Seite dieser Kurzfassung vermerkte Schmitt handschriftlich: „Auszug aus dem Gutachten vom August 1945, verbreitet 1948/9 (von mir nicht autorisiert, aber toleriert, weil der Text wörtlich zitiert ist)." Ein zweites Exemplar der Kurzfassung in RW 265-124, Nr. 16, auf dem für die damalige Zeit typischen Saugpost-Papier, läßt auf eine Vervielfältigung mit Hilfe von Matrizen schließen. Schließlich enthält RW 265-63, Nr. 15, ein weiteres Exemplar in engzeiliger Maschinenschrift, das auf S. 15 beginnt und S. 54 endet und nur die Kap. III. V. enthält. Vermutlich umfassen die S. 1 -14 die Kap. I. und II. Dieser Text ist deshalb wichtig, weil auf den freien Rückseiten viele stenographische Anmerkungen (Gabelsberger) angebracht sind, offenbar ein Arbeitsexemplar Schmitts, das er für nachträgliche Überlegungen benutzte. So verfuhr er generell mit seinen Büchern und Aufsätzen, nachdem sie erschienen waren. Die fehlenden Seiten 1-14 konnte ich im Nachlaß nicht finden. Der Gutachtentext ist also mehrfach abgeschrieben, vervielfältigt und verteilt worden — ein deutscher Samisdat der Nachkriegsjahre. Eine Vervielfältigung geht auf das Büro von Konrad Kaletsch zurück, ohne daß feststellbar wäre, welche. Am 26. November 1948 schrieb Kaletsch nämlich an Carl Schmitt: „Ich beziehe mich auf unsere vor einigen Wochen gehabte Unterredung und teile Ihnen höflichst mit, dass ich Ihnen mit gleicher Post als Einschreibe-Päckchen 15 Exemplare der s. zt. von Ihnen verfertigten Darstellung übermittele 36." Es gibt auch Fassungen, die nicht im Nachlaß durch ein Original oder eine Kopie vertreten sind. Ein maschinenschriftliches Exemplar ist eineinhalbzeilig geschrieben, enthält auf 94 Seiten den vollständigen (unveränderten) Text, aber nicht die „note". Vermutlich hat Schmitt das Original-Typoskript gesehen, denn erkennbar in seiner Handschrift ist über dem Zusatz auf dem Titelblatt: „(August 1945)", der sonst fehlt, der Ort „Berlin" hinzugefügt 37. Schmitt hat „Rückläufer" gesammelt, selbst aber wohl wenig oder nichts zur Verbreitung des Gutachtens getan; dazu fühlte er sich offensichtlich nicht berechtigt, da sich wahrscheinlich der Auftraggeber (wie häufig) dieses Recht vorbehalten hatte. Als Wilhelm Grewe ihm im März 1948 seine Schrift „Nürnberg als Rechtsfrage" (1947) und ein Jahr später seinen Aufsatz über die „Strafbarkeit des Angriffskrieges?" (Die Gegenwart, 1949, S. 13 ff.) übersandte, in denen er zu ähnlichen Ergebnissen kam wie Carl Schmitt in seinem Gutachten von 1945, hat sich Schmitt jedenfalls nicht, was nahegelegen hätte, mit einer Abschrift seines Gutachtens bedankt38. 36 RW 265-220, Nr. 13. Schmitt hat die Antwort am 22.12.1948 abgesandt, die Antwort hat Schmitt auf dem Kaletsch-Brief selbst entworfen, der (längere) Text ist jedoch in Gabelsberger Kurzschrift verfaßt, die ich nicht entziffern kann. 37 Eine Kopie dieses Exemplars überließ mir Herr Günter Maschke, Frankfurt.

Ein Gutachten für die Nachwelt „Ich wäre gern gestorben, wenn meine Darlegung über die Kriminalisierung des Angriffskrieges vom August 1945 damals oder während der Prozesse hätte veröffentlicht werden können39/' Schmitts Gutachten sollte einen „ordinary business man", nämlich Friedrich Flick, gegen Anklage und Verurteilung wegen Verbrechens des Angriffskrieges schützen. Wie bereits erwähnt mußte Flick im Sommer 1945 nach den bis dahin auch in Deutschland bekanntgewordenen Plänen der Alliierten damit rechnen, daß man ihn zu den Führern („Leaders") der Industrie zählen würde, die neben den Führern der deutschen Wehrmacht, des Staates oder der Finanzen von einem Internationalen Militärgerichtshof abgeurteilt werden sollten 40 . Der „Internationale Militärgerichtshof 4 verhandelte vom 20. November 1945 bis zur Urteilsverkündung am 1. Oktober 1946 in Nürnberg und verurteilte acht Angeklagte wegen „Verschwörung gegen den Frieden" (Göring, Heß, Ribbentrop, Keitel, Rosenberg, Raeder, Jodl und Neurath) sowie vier Angeklagte wegen „Verbrechens gegen den Frieden", nämlich wegen Beteiligung und Unterstützung eines Angriffskriegs" (Frick, Funk, Dönitz und Seyß-Inquart). Friedrich Flick aber wurde erst im fünften der zwölf Nachfolge-Prozesse angeklagt, die von der amerikanischen Militärregierung in Nürnberg veranstaltet wurden, und zwar durch „Militärgerichte", deren Organisation und Verfahren die VO Nr. 7 des amerikanischen Militärbefehlshabers bestimmte 41 ; die vom Militärgouverneur ernannten Richter waren 38 Persönliche Mitteilung von Herrn Kollegen Grewe im August 1991 an den Hrsg. Der Brief, mit dem sich Carl Schmitt bei Wilhelm Grewe für „Nürnberg als Rechtsfrage" bedankte, ist wiedergegeben im „Glossarium", S. 120 f. (3.4.1948). Seinen ersten Eindruck von der Lektüre der Schrift hielt Schmitt am 14.3.1948 fest (Glossarium, S. 114 f.). Am 16. Oktober 1948 notierte er nach der Lektüre von Wilhelm Grewes „Ein Besatzungsstatut für Deutschland": »Jedenfalls ist die Völkerrechts wissenschaftliche Leistung Grewes ganz außerordentlich. Er ist jetzt der erste deutsche Völkerrechtslehrer. Das ist nicht nur eine Leistung und eine Aufgabe, sondern auch eine Situation. Mögen ihm alle guten Genien darin beistehen" (Glossarium, S. 203). 39 Glossarium, S. 167 (20. Juni 1948). 40 Die Überlegungen und Meinungsverschiedenheiten der Westalliierten 1944/45 über die Einbeziehung von Repräsentanten der deutschen Wirtschaft in den Kreis der Kriegsverbrecher schildert Roth (FN 9), S. LXXIV ff. Grundlegend für den ideologischen Hintergrund der Beteiligten der Insider-Bericht des amerikanischen Historikers Walter L. Dorn, Die Debatte über die amerikanische Besatzungspolitik für Deutschland (194445): VfZG 6 (1958), S. 60,63 ff. Ausführlich erneut Burkhard Schöhener, Die amerikanische Besatzungspolitik und das Völkerrecht, 1991, S. 187 ff.

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allerdings zivile Berufsrichter, die „mindestens fünf Jahre bei den höchsten Gerichten eines der Vereinigten Staaten bzw. der Territorien oder des Districts Columbia oder bei dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten zugelassen waren" 42 . Gegen Friedrich Flick und seine Mitarbeiter wurde vom 19. April bis 22. Dezember 1947 verhandelt wegen Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen im wesentlichen durch die Beschäftigung von Zwangsarbeitern, KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen in den der Rüstung dienenden Betrieben des Rick-Konzerns 43 . Der Vorwurf des „Verbrechens gegen den Frieden", den Art. I I a des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 beschrieben hatte, wurde nicht erhoben. Im Verfahren gegen Flick und Mitarbeiter also wurde Schmitts Gutachten nicht gebraucht, infolgedessen auch nicht vorgelegt 44 . Elf Monate nach dem Ende des Flick-Prozesses sandte der freigesprochene Konrad Kaletsch ein Exemplar des Schmitt-Gutachtens an Otto Kranzbühler, der den anderen, ebenfalls freigesprochenen Generalbevollmächtigten Flicks, Dr. Odilo Burkhard, verteidigt hatte 4 5 . Anscheinend hatte Schmitt in der Unterredung mit Kaletsch im Herbst 1948 46 die Möglichkeit einer Veröffentlichung seines Gutachtens angesprochen. Kaletsch dürfte die Einwilligung von der Ansicht Kranzbühlers abhängig gemacht haben, denn dieser wies in seinem an Schmitt gerichteten Schreiben vom 4. Februar 1949 daraufhin, alle Nürnberger Gerichte hätten den Personenkreis, der für das „Verbrechen gegen den Frieden" in Frage komme, erheblich beschränkt, und seit dem Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945/46 sei niemand mehr unter diesem Anklagepunkt verurteilt worden 47 . Andererseits könnten sol41

Ordinance no. 7 vom 18. Oktober 1946, Amtsblatt der amerikanischen Militärregierung, S. 10 ff., Anl. III mit der Ergänzung durch die VO Nr. 11 vom 17. Februar 1947; die originalen Texte der VOen wurden in jedem Band der „Trials" wiedergegeben, im Fall Flick z. B. Bd. VI, S. XXIII-XXIX. 42 Art. II b VO Nr. 7. 43 Mord, Mißhandlung der Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete oder ihre Verschleppung zur Zwangsarbeit (Art. II Nr. 1 b KRG Nr. 10), Versklavung, Zwangsverschleppung, Freiheitsberaubung oder andere an der Zivilbevölkerung begangene unmenschliche Handlungen (Art. Π Nr. 1 c KRG Nr. 10), im einzelnen vgl. Trials, Bd. VI, S. 53 ff. (Anklage), 1194 ff. (Urteil); Jung, S. 51 ff., und bereits v. Knieriem, S. 469 ff., 532 ff. 44 Der Göttinger Völkerrechtslehrer Herbert Kraus hatte auf Ersuchen der Verteidigung ein Rechtsgutachten zur Frage der Völkerrechtssubjektivität von Privatpersonen erstattet, das die in ihren Worten wenig wählerischen Anklagevertreter als „Schutzschrift" zu bezeichnen beliebten. Zum Problem und zum Inhalt des Gutachtens s. Jung, S. 179 ff. 45 Schreiben von Kaletsch an Schmitt vom 26. November 1948: „Herrn Dr. Otto Kranzbühler, Nürnberg, Maximilianstraße 28, habe ich heute auch 1 Exemplar geschickt und ihn gebeten, nach Durchsicht die Verbindung mit Ihnen aufzunehmen" (RW 265 220, Nr. 13). 46 Brief Kaletsch an Schmitt vom 26.11.1948: „Ich beziehe mich auf unsere vor einigen Wochen gehabte Unterredung . . . " (RW 265-220, Nr. 13, s. bereits vorn bei FN 16). 47 RW 265-63. Das „Verbrechen gegen den Frieden" war nur im IG-Farben-Prozeß (Fall VI), im Krupp-Prozeß (Fall X), im sog. Wilhelmstraßen-Prozeß (Fall XI) und im

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che Verurteilungen im noch nicht abgeschlossenen Wilhelmstraßen-Prozeß ausgesprochen werden; die Publikation des Gutachtens würde deshalb „von der Verteidigung sehr zurückhaltend beurteilt". In der Tat hatte die Anklagebehörde im Wilhelmstraßen-Prozeß gegen 17 der 21 Angeklagten 48 den Vorwurf des „Verbrechens gegen den Frieden" erhoben. Am 11. April 1949 wurden Ernst von Weizsäcker (Auswärtiges Amt), Wilhelm Keppler (Auswärtiges Amt), Ernst Wörmann (Auswärtiges Amt), Hans Heinrich Lammers (Reichskanzlei) und Paul Körner (Staatssekretär Vierjahresplan) dieses Verbrechens (neben anderen) schuldig gesprochen 49. Die negative Stellungnahme Kranzbühlers beruhte vermutlich auf mehreren Gründen. Schmitt hatte immer wieder betont, er habe bei seinen Darlegungen den „ordinary business-man" im Auge, den „loyalen, nicht an der politischen Führung beteiligten Staatsbürger"; nach der eigentümlichen Struktur des Führerstaates könne „das eigentliche Komplott in einem kriminellen Sinne und die eigentliche Verschwörung nur in der »Umgebung des Führers 4 gesucht" werden. Im Wilhelmstraßen-Prozeß aber waren Staatssekretäre und andere leitende Staatsfunktionäre angeklagt. Die Anklagebehörde hätte das Gutachten Schmitts gegen die Angeklagten verwenden können, auch wenn Schmitt diese sicher nicht zu der „verschworenen Gemeinschaft" um den Führer gerechnet haben würde. Insofern war eine Veröffentlichung während des Prozesses für die Verteidigung nicht angezeigt50. Prozeß gegen das Oberkommando der Wehrmacht (Fall XII) Gegenstand der Anklage, die Gerichte hatten — gelegentlich mit concurrent opinions einzelner Richter — insoweit jedoch freigesprochen, vgl. Trials, Bd. VIII, S. 1124-1128 (IG-Farben), Bd. IX, S. 390466 (Krupp), Bd. XI, S. 485-491 (Oberkommando der Wehrmacht), vgl. dazu v. Knieriem, S. 536 ff. Im Prozeß gegen den saarländischen Industriellen Hermann Röchling verurteilte das französische Militärgericht den Angeklagten auch wegen „Verbrechens gegen den Frieden", das Berufungsgericht hob jedoch am 30. Juni 1948 das Urteil erster Instanz insoweit auf, weil Röchlings Beteiligung am Angriffskrieg nicht nachgewiesen sei, vgl. Trials XIV, S. 1061-1096, 1107-1110. Bereits im Juli 1946 verurteilte der Oberste Gerichtshof Polens Arthur Greiser, 1934-39 Präsident des Senats in Danzig, danach Reichsstatthalter im Wartegau, wegen verschiedener Verbrechen einschl. der Führung eines Angriffskrieges zum Tode (UN-Law Reports XIII, Nr. 74, S. 70 ff., 104, 106 ff.). „Ihm kam die zweifelhafte Ehre zu, die erste Person zu sein, die jemals auf dieser Grundlage verurteilt wurde" (Taylor, Vietnam, S. 87; dt. Ausg. S. 98). Unter dieser Anklage standen Weizsäcker, Keppler, Bohle, Wörmann, Ritter, Erdmannsdorf, Veesenmayer, Lammers, Stuckart, Darré, Meissner, Dietrich, Berger, Schellenberg, Schwerin-Krosigk, Körner und Pleiger; die Anklagebehörde zog vor Schluß des Verfahrens diesen Anklagepunkt gegen Bohle, Erdmannsdorf und Meissner zurück, vgl. Trials, Bd. XII, S. 36 ff., 419 ff., Bd. XIV, S. 28 ff. Der für die Anklageerhebung verantwortliche amerik. Chefankläger Telford Taylor hat 20 Jahre später die Rechtsprechung der Gerichte in den Nachfolgeprozessen angeführt, um die begrenzten Möglichkeiten dieses Vorwurfs im Falle des Vietnamkrieges darzutun (Vietnam, S. 87 ff., dt. Ausg. S. 97 ff.). 49 Das Gericht hob durch Berichtigungsbeschlüsse vom 12. Dezember 1949 den Schuldspruch wegen Verbrechens gegen den Frieden gegen Weizsäcker und Wörmann wieder auf und ermäßigte ihre Strafzeit von sieben auf fünf Jahre. Die Entscheidungen im Wilhelmstraßen-Prozeß: Trials, Bd. XIV, S. 322 ff., 866 ff., 950 ff.; sie sind dt. vollständig wiedergegeben in: Wilhelmstraßen-Prozeß, 1950.

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Schmitts Gutachten mag der Verteidigung auch zu wenig „Schutzschrift" gewesen sein. Er hatte das angelsächsische Rechtsdenken dem kontinentaleuropäischen gegenübergestellt und die Argumentationslinien vorgezeichnet, denen die Anklage vermutlich folgen würde. Zwar glaubte er, nachgewiesen zu haben, daß auch nach angelsächsischer Auffassung das Delikt des „Angriffskrieges" kein „malum in se" sei, aber 1948, drei Jahre nach der Fertigstellung des Gutachtens und mit den Erfahrungen der Nürnberger Prozesse, mußten die deutschen Anwälte befürchten, Ankläger und Richter des noch laufenden Prozesses würden ihre bisherige, juristisch wenig beeindruckende Beweisführung für die Strafbarkeit des Angriffskrieges mit den Überlegungen Schmitts argumentativ aufladen, soweit es ihnen nützlich erschien, und das Resultat dann gegen die Angeklagten kehren. Dazu geeignet mußte besonders die scharfe Trennung erscheinen, die Schmitt zwischen der Strafbarkeit des Angriffskrieges und der Bestrafung des „scelus infandum", der „atrocities" gezogen hatte, jenen „planmäßigen Tötungen und unmenschlichen Grausamkeiten", die „charakteristische Äußerungen einer bestimmten unmenschlichen Mentalität sind", deren „Roheit und Bestialität . . . das normale menschliche Fassungsvermögen überschreitet. . . . Auf keinen Fall darf der Grundsatz, daß es sich hier um abnorme Untaten handelt, zum Gegenstand einer Diskussion gemacht werden, die von der Ungeheuerlichkeit dieser Vorgänge ablenkt und das Bewußtsein ihrer Abnormität abschwächt" (Einleitung). Diese richtige Abgrenzung — sie wurde im deutschen Schrifttum der nächsten Jahre ebenso vertreten — hätte die Anklagebehörde gegen die Industriellen, Bankiers und hohen Beamten wenden können. Denn infolge des extrem weiten Begriffs der Teilnahme des KRG Nr. 10 konnten Generale und Staatssekretäre, Bankiers und Industrielle nicht nur wegen „Angriffskriegs" angeklagt und verurteilt werden, sondern auch — in der Praxis der Militärgerichte viel häufiger — wegen „Verbrechens gegen die Menschlichkeit". Art. 2 Nr. 2 erachtete nämlich für schuldig, „wer a) als Täter oder b) als Beihelfer bei der Begehung eines solchen Verbrechens mitgewirkt oder es befohlen oder begünstigt oder c) durch seine Zustimmung daran teilgenommen hat oder d) mit seiner Planung oder Ausführung in Zusammenhang gestanden hat oder e) einer Organisation oder Vereinigung angehört hat, die mit seiner Ausführung in Zusammenhang stand, oder [beim Angriffskrieg], wer in Deutschland . . . eine gehobene politische, staatliche oder militärische Stellung (einschließlich einer Stellung im Generalstab) oder eine solche im finanziellen, industriellen oder wirtschaftlichen Leben innegehabt hat". Das KRG Nr. 10 faßte „Mord" und „Ausrottung" mit der „Versklavung und Zwangsverschleppung" in einem Tatbestand zusammen, eben dem „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" (Art. 2 Nr. 1 c). Industrielle, in deren Rüstungsbetrieben zwangsverpflichtete Ausländer arbeiteten, hatten als Täter von „Versklavung 50 Diese Überlegung bestätigte auf Anfrage Herr Dr. Otto Kranzbühler in einem an den Hrsg. gerichteten Schreiben vom 2. November 1993. Nach 45 Jahren könne er sich zwar an diesen Vorgang nicht mehr erinnern. Seinen Brief vom 4. Februar 1949 müsse er aber mit dem Verteidiger Weizsäckers, dem Berliner Rechtsanwalt Helmut Becker, abgesprochen haben.

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und Verschleppung" ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" begangen (z. B. durch „Zustimmung"), das die Anklagebehörde so zu beschreiben pflegte wie Schmitt das scelus infandum 51 . Jede Infragestellung der Strafbarkeit hätte mit den Worten Schmitts zu den „mala in se" zurückgewiesen werden können: „Wer angesichts solcher Verbrechen den Einwand des ,nullum crimen 4 erheben und auf die bisherigen positiv rechtlichen Bestimmungen verweisen wollte, würde sich selbst in ein bedenkliches Licht setzen" (I 4). Natürlich hatte Schmitt bei diesen Wendungen nicht an die Zwangsarbeit in den Rüstungsbetrieben gedacht, auch konnte im Sommer 1945 nicht vorhergesehen werden, in wie exzessiver Weise der anglo-amerikanische Begriff der Täterschaft und der Teilnahme ausgedehnt werden würde, obgleich Schmitt in Kenntnis der strafrechtlichen Vorstellungen der Sieger einiges vorhersah 52. Es wäre aber eine zusätzliche Aufgabe der Verteidigung gewesen, die Inanspruchnahme Schmitts durch die Ankläger abzuwehren. Die schärfste Kritik an der Anwendung des Art. 2 Nr. 2 KRG Nr. 10 formulierte der amerikanische Richter Leon W. Powers in seinem dissenting opinion zum Urteil im Wilhelmstraßen-Prozeß: „Der Satz [Schuldig ist, wer durch seine Zustimmung daran teilgenommen hat] wird so ausgelegt, daß Zustimmung zu einem Verbrechen nach der Tat zur Mittäterschaft durch Einwilligung wird, und daß jeder, der im Kriege nicht öffentlich protestierte oder in Sitzstreik trat, nachdem er erfahren hatte, daß von irgendwem irgendwo in der Regierung ein Verbrechen begangen wurde, in das Verbrechen eingewilligt und sich somit des Verbrechens schuldig gemacht hat. Damit wird der Nachweis leicht und die Schuld fast allgemein. Offen gestanden, mir erscheint es unglaublich, daß man eine derartige Behauptung aufstellen konnte, und noch unglaublicher, daß sie ernsthafte Beachtung finden könnte. Sie ist vollkommen unrealistisch. Weder die Vernunft noch die elementaren Rechtsbegriffe stützen sie . . . Richtig ausgelegt bedeutet die betreffende Stelle ganz einfach, daß, wer ,seine Zustimmung gab', sich an dem Verbrechen beteiligt, und daß die Zustimmung bei dem Verbrechen eine Rolle gespielt haben muß. So heißt es im Gesetz. Zustimmung zu einem Verbrechen nach seiner Begehung könnte, wenn so etwas überhaupt möglich ist, bei dem Verbrechen keine Rolle spielen. Die Unterlassung eines öffentlichen Einspruchs gegen ein Verbrechen in Fällen, wo wegen Mangels an sachlicher Zuständigkeit kein Recht zu einem Einspruch besteht, wo also ein Einspruch zu keinem Ziele führen würde, kann an sich nicht gut als »Zustimmung' bezeichnet werden, und selbst wenn ein Verbleiben im Amte nach dem Bekanntwerden eines Verbrechens als »Zustimmung' bezeichnet werden könnte, so könnte eine solche Zustimmung keine Rolle bei einem Verbrechen spielen .. . 5 3 ." 51 U. a. zum Fall Flick stellte Hans-Heinrich Jescheck in diesem Zusammenhang fest: „ . . . ist es eine Idee vom grünen Tisch, wenn man verlangt, daß ein Staat, der um seine Existenz ringt und dessen Bevölkerung unter schwersten Entbehrungen und ständigen Luftangriffen zu leiden hat, den besetzten Gebieten den Status eines wirtschaftlichen Traumlandes einräumen müsse. Eine mittlere Lösung, die die elementaren Lebensbedürfnisse der besetzten Länder gesichert hätte, ohne unmögliche Anforderungen an die Besatzungsmacht zu stellen, ist von den Nürnberger Urteilen nicht gefunden, aber auch gar nicht gesucht worden" (S. 345). 52 Vgl. Schmitts Text bei Anm. 142 (unter IV 3). 53 Wilhelmstraßenprozeß, S. 282 = Trials, Bd. XIV, S. 875.

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Die Sorge, Schmitts Gutachten sei zur Verteidigung ungeeignet, scheint auch hinter der herablassenden Bemerkung eines Verteidigers zu stehen, es sei eine „völkerrechtliche Seminarübung". Schmitt selbst hat diese Kennzeichnung kommentarlos mitgeteilt und dem Verteidiger Schachts im IMT-Prozeß und Flicks im Fall V, Dr. Rudolf Dix, zugeschrieben 54. Justizrat Dix war sicher ein hervorragender Jurist, im IMT-Prozeß erfolgreicher Verteidiger des Angeklagten Dr. Schacht und Sprecher der Gesamtverteidigung, im IG-Farbenprozeß Verteidiger von Hermann Schmitz und Christian Schneider, auch im Flick-Prozeß nicht nur wegen seiner Stellung als Verteidiger des Hauptangeklagten der Primus der Anwälte 55 . In dem Spott „völkerrechtliche Seminarübung"—nichts war übrigens, wie wir noch sehen werden, falscher als das — mochten objektiv übertriebene Vorstellungen von dieser Literaturgattung zum Ausdruck kommen oder auch die bei tüchtigen Rechtspraktikern häufiger anzutreffende Geringschätzung der Brauchbarkeit der Stellungnahmen von Rechtslehrern. Es steckt in jener Bemerkung aber wohl ein richtiger Kern, nämlich die Beobachtung, daß Carl Schmitt die Fallfrage nicht mit einem Anwaltsschriftsatz beantwortete, sondern mit einer Abhandlung, die (in normalen Zeiten) zu veröffentlichen, sich jede Redaktion einer rechts- oder geschichtswissenschaftlichen Zeitschrift mit wissenschaftlichem Anspruch zur Ehre angerechnet hätte. Die ausholende Darstellung, in der die Fakten und Daten, Ansichten und Behauptungen aus Rechtsgeschichte und Zeitgeschehen, Strafrecht und Rechtsphilosophie, Völkerrecht und Politik, Sozialphilosophie und Staatstheorie stimmig und scheinbar mühelos verknüpft werden, dieses enzyklopädische Spiel mit allen Bällen der wissenschaftlichen Jurisprudenz, das Carl Schmitt beherrschte wie kein anderer Jurist seiner Zeit, mochte in den Augen erfahrener Anwälte die amerikanischen Richter in Nürnberg nur langweilen oder verwirren, aber nicht überzeugen. Das ganz anders geartete Plädoyer, das Schmitts jüngerer Kollege Hermann Jahrreiss im Auftrage der Gesamtverteidigung am 4. Juli 1946 zur Strafbarkeit des Angriffskrieges dem IMT vortrug 56 , soll Richter und Ankläger zwar beeindruckt haben 57 , konnte an

54 Glossarium, S. 138 (Eintragung am 24. April 1948). 55 Justizrat Dr. Rudolf Dix (1884-1952), seit 1927 im Vorstand des Deutschen Anwaltvereins, 1932-1933 dessen Präsident, s. Ferdinand Bartmann, Anwaltsblatt 1952, Heft 4, S. 49 (Nachruf). 56 IMT XVII, S. 499-536, so abgedruckt auch bei Alfred Seidl, Der Fall Rudolf Heß, 3. Aufl., München 1988, S. 52-88. Mit Urkunden und Literaturnachweisen, die IMT a. a. O. nicht wiedergab, ist der völkerrechtliche Teil abgedruckt bei Hermann Jahrreiss, Mensch und Staat, Köln 1957, S. 205-232. — Bereits am 19. November 1945 hatte die Gesamtverteidigung in einer Eingabe an den Gerichtshof geltend gemacht, daß nach geltendem Völkerrecht „Staatsmänner, Generale und Wirtschaftsführer" nicht individuell wegen eines Verbrechens „Angriffskrieg" vor ein internationales Gericht gestellt und strafrechtlich verurteilt werden könnten; die Verteidigung beantragte, der Gerichtshof möge von international anerkannten Völkerrechtsgelehrten Gutachten über die rechtlichen Grundlagen dieses auf dem Statut des Gerichtshofes beruhenden Prozesses einholen. Der Gerichtshof lehnte die Befassung mit dieser Eingabe wegen Widerspruchs zu

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der durch Art. 6 der Charta vorgegebenen Strafbarkeit aber nichts ändern. Ausnahmegerichte dieser Art folgen dem Gesetz, nach dem sie angetreten, oder: ihre Rechtserkenntnis folgt dem politischen Willen, dem sie ihre Existenz verdanken. 1948, zwei Jahre danach, wollten die amerikanischen Richter angesichts der in allen Nürnberger Prozessen bejahten Gültigkeit des KRG Nr. 10 von „nullum crimen" nichts mehr hören: „We deem it unnecessary to discuss the objection that Control Council Law No. 10 is in violation of the maxim nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege. We find it without merit. It has been passed upon so many times by the Nuernberg Tribunals and held without merit, that further comment here is unnecessary".58 Die Bedenken der Verteidiger im Wilhelmstraßen-Prozeß gegen eine Publikation des Gutachtens mußten sich nach dem Ende der Tätigkeit der Nürnberger Militärgerichte, also im Dezember 1949 erledigt haben. Jetzt aber hatte sich die allgemeine Lage und Schmitts Situation im besonderen geändert. Seit 30 Jahren hatte Schmitt öffentliche Debatten eingeleitet oder in sie eingegriffen, seine „Positionen und Begriffe" bestimmten Themen und Streitpunkte. Als er im Sommer 1945 das Gutachten schrieb, mochte er glauben, wieder an der tête der wissenschaftlichen Diskussion zu stehen. Hätte sich Jackson am 3. Oktober 1945 gegenüber den Vertretern Britanniens, Frankreichs und der Sowjetunion durchsetzen können, dann wäre neben Krupp vermutlich auch Flick im IMT-Prozeß als Vertreter der deutschen Industrie und „major war criminal" angeklagt worden 59 . Schmitts Gutachten hätte für die angeklagten Industriellen eingereicht und generell zur Frage der Strafbarkeit des Angriffskriegs vorgetragen werden können. Auch hätte Schmitt selbst — eine sehr theoretische Überlegung — vielleicht nicht untätig im Berliner US-Internierungslager Lichterfelde-Süd gesessen, sondern in Nürnberg als zweiter Verteidiger Flicks auftreten können Art. 3 der Charta ab (Zuständigkeit des IMT darf nicht in Frage gestellt werden), vgl. IMT I, S. 186-188. Hermann Jahrreiss (1894-1992), Prof. Öffentliches Recht und Völkerrecht 1927 in Leipzig, Greifswald 1932, Köln 1937; Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz 1958-1960. Schriften: FS H. Jahrreiss, hrsg. v. K. Carstens/H. Peters, Köln 1964, S. 503-508. 57 A. Seidl (FN 56), S. 88; bestätigend jetzt Taylor, Nuremberg Trials, S. 475. Die Richter des IMT berieten die Frage intern seit dem 27. Juni, aber allein der französische Richter (und Strafrechtslehrer an der Pariser Universität) Henri Donnedieu de Vabres begründete in zwei Denkschriften („note à l'occasion du plaidoyer de professeur Jahrreiss"), weshalb eine Bestrafung wegen „Verschwörung gegen den Frieden" gegen das Verbot ex post facto verstoße, hatte damit aber bei seinen Kollegen aus Britannien, der Sowjetunion und den USA keinen Erfolg. Die Richter stritten schließlich vor allem um die Frage, von welchem Zeitpunkt an die „Verschwörung gegen den Frieden" begonnen habe, vgl. Smith, S. 138 ff. 58 Urteil des Militärgerichts V vom 27. Oktober 1948 gegen die Generalität (OKW), vgl. Trials, Bd. XI, S. 482. 59 Zu den Verhandlungen in London über die Besetzung der Anklagebank: Smith, S. 77 ff., 85; ausführlich jetzt Taylor, Nuremberg Trials, S. 78 ff. u. passim.

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— wie sein Kollege, der Staats- und Völkerrechtslehrer Hermann Jahrreiß, der neben dem Strafrechtslehrer Franz Exner Generaloberst Alfred Jodl vor dem IMT verteidigte. Schmitt, kein Mann der abgeschiedenen Gelehrtenklause — wie sein berühmtes Vorbild hauste er im saarländischen San Casciano nur gezwungen —, hätte ein Plädoyer in Nürnberg über die Kriminalisierung des Angriffskriegs wohl als Höhepunkt seines Lebens betrachtet — das wird man aus seiner etwas exaltierten Eintragung im „Glossarium" am 20. Juni 1948 schließen dürfen 60 . Auch wenn ihm der praktische Erfolg versagt geblieben wäre: seine Überlegungen und Beweise wären doch in actis gewesen, also in mundo. Jackson aber hatte sich in London nicht durchgesetzt, der IMT-Prozeß wurde ohne die Industriellen abgewickelt. Zwei Jahre später wurde Flick nicht wegen „Verbrechens gegen den Frieden" angeklagt, und im letzten Prozeß („Wilhelmstraße") wollte die Verteidigung sein Gutachten nicht. Die Nürnberger Prozesse fanden ohne Schmitt statt, sein Gutachten schien umsonst geschrieben zu sein. Nach dem Ende der Prozesse war sein Gutachten das Dokument einer frühen Leistung, als solches nur von archivalischer Bedeutung, kein Beitrag zu einer noch laufenden Diskussion. Die Umstände hatten ihn von der forensischen und wissenschaftlichen Erörterung eines Problems ausgesperrt, dessen Bearbeitung und Lösung er bereits lege artis fixiert hatte. Er sah sich um die eigentliche Frucht seiner Arbeit gebracht, die er durch mehrere Publikationen der letzten 20 Jahre vorbereitet hatte — verständlich, daß er in seinen persönlichen Aufzeichnungen und Mitteilungen verbittert und mit Galle in der Tinte reagierte 61. Seit 1950 normalisierte sich das wissenschaftliche Verlagswesen, die Zeit der Improvisationen war vorbei. Unverändert konnte Schmitt das Gutachten nicht mehr den Fachgenossen vorlegen, es fehlten seinem Text die Quellennachweise. In einem ausführlichen Nachwort hätte er auch auf die Nürnberger Urteile eingehen müssen wie auf das deutsche und ausländische Schrifttum, das sich in den vergangenen fünf Jahren mit der Gutachtenfrage befaßt hatte. Diese Nacharbeit war ihm unmöglich. Bei seiner Arbeit im Sommer 1945 hatte er zwar nicht auf die Berliner Universitäts- und Institutsbibliotheken zurückgreifen können, z. B. auf die exzellente 60 Vorn bei FN 39. — Die Überlegung ist deshalb „theoretisch", weil sich die Angeklagten ihre Verteidiger nicht frei wählen konnten. Um „Nazi-Propaganda" im Gerichtssaal zu verhindern, ließ die amerik. Militärregierung nur Anwälte mit nachweislicher Distanz zum Nationalsozialismus zu (Smith, S. 97). Die Liste der Anwälte überprüfte mit dieser Intention u. a. der Legal Adviser der Militärregierung und der US-Delegation beim Alliierten Kontrollrat in Berlin, Karl Loewenstein, wie aus seinen unveröffentlichten Lebenserinnerungen hervorgeht (Typoskript, S. 246). Karl Loewenstein (1891-1973), Priv.-Doz. Öff. Recht München 1931, emigrierte 1933, seit 1936 o. Prof. Amherst College / USA; Schriften s. FS K. Loewenstein, Tübingen 1971, S. 509-516. 61 Vgl. Glossarium, S. 137, Brief vom 24. April 1948 an Rechtsanwalt Dr. Justus Koch; Koch verteidigte im Nürnberger „Wilhelmstraßenprozeß" Paul Körner und Paul Pleiger.

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Bibliothek des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht 62 ; die Bestände waren ausgelagert, verbrannt oder noch nicht zugänglich. Aber Schmitts Privatbibliothek war umfänglich und spezialisiert genug, um das Gutachten-Thema bearbeiten zu können. Einen Monat nach Abschluß des Gutachtens, am 26. September 1945, war er verhaftet und zunächst im amerikanischen Interrogation Center Berlin-Wannsee interniert worden. Seine Bibliothek wurde mit Verfügung vom 16. Oktober 1945 „confiscated" und am 18. Oktober 1945 auf amerikanischen Lastkraftwagen fortgeschafft 63. Die Aufhebung der Beschlagnahme Jahre später nützte Schmitt nichts mehr. Er war 1947 mit Frau und Tochter in das einfache Einfamilienhaus zu seinen beiden Schwestern in Plettenberg übergesiedelt, das für seine Berliner Bibliothek viel zu klein gewesen wäre. Schmitt sah seine beschlagnahmte Bibliothek nie wieder — er wollte sie auch nicht wiedersehen. In Kisten verpackt, jedes Buch mit den roten Stempeln „legal division" und „library of prof. Carl Schmitt", numeriert und einem mit weißer Tusche gemalten großen „S" versehen, lagerten sie zunächst im Amt des US-High Commissioner für Deutschland im IG-Farbengebäude in Frankfurt 64 . Nach Aufhebung der Beschlagnahme gewährte der Kirchenhistoriker Lortz der Bibliothek in seinem „Institut für Europäische Geschichte" an der Universität Mainz ein vorübergehendes Asyl 6 5 . 1954 verkaufte Schmitt, ohne 62 In der Bundesrepublik fortgesetzt durch das Max-Planck-Institut gleichen Namens in Heidelberg. 63 Daten nach dem Schreiben vom 2. November 1945 von Frau Duska Schmitt an den „Director of Intelligence", General Conrad, im Nachlaß RW 265-469; ebenda ein Schreiben in englischer Sprache von Prof. Dr. Hans Schneider vom 5. November 1945 an dieselbe Adresse, in dem der Absender gegen die Beschlagnahme der Bibliothek protestiert. Daß Karl Loewenstein die Internierung Schmitts und die Beschlagnahme seiner Bibliothek veranlaßte, was Schmitt stets vermutete, erscheint gesichert {Ernst C. Stiefel / Frank Mecklenburg, Deutsche Juristen im amerikanischen Exil 1933 -1950, Tübingen 1991, S. 198). L. war auch maßgebender Gesprächspartner für den Berliner Rechtsanwalt Dr. Friedrich Carl Sarre, der im Auftrage von Frau DuSka Schmitt am 5. Dezember 1945 von der Militärregierung die Freilassung Schmitts erwirken sollte, aber nicht erreichte, immerhin eine optimisitische Lagebeurteilung berichten konnte: „Was den besonderen Fall Ihres Herrn Gemahls anbetrifft, so glaubt Herr Professor Loewenstein, ohne sich verbindlich äußern zu wollen, nicht, daß Ihr Herr Gemahl zu den sog. Kriegsverbrechern gehört und daher für eine gerichtliche Aburteilung in Frage kommt, sondern daß mit seiner Freilassung im Zuge der Nachprüfung der automatic arrest-Fälle gerechnet werden kann" (Schreiben von Sarre an Frau Schmitt vom 6. Dezember 1945, RW 265-469). Diese Auskunft widersprach eklatant dem Gutachten, das L. kurz zuvor, im November 1945, über Schmitt erstattet hatte („Observations on Personality and Works of Professor Carl Schmitt"), um seine Bestrafung als Kriegsverbrecher zu begründen: „Besonders in solchen Ländern, in denen Carl Schmitt alsrichtunggebendeAutorität des Totalitarismus angesehen ist, wird seine Immunität bezüglich Bestrafung als ein Sieg des Nazismus über die Militärregierung angesehen werden" (zit. nach Stiefel/ Mecklenburg, a. a., S. 199). 64 Mitteilung Joseph H. Kaiser, in: Glossarium, S. XVI Anm. 8. 65 Persönliche Mitteilung von Herrn Kollegen Roman Schnur, Tübingen, an den Hrsg. v. 10. Februar 1993; über die Freundschaft zwischen Schmitt und dem kath. LutherForscher Joseph Adam Lortz (1887-1975) s. P. Tommissen, Schmittiana III, 1991, S. 85 (Anm. 45). 10 Quaritsch

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ein Verzeichnis zu besitzen, die meisten Bücher an das Antiquariat Kerst in Frankfurt 66 . Die roten Stempel der Militärregierung, erklärte er (wenig geschäftstüchtig), „ekelten" ihn an; so gezeichnete Bücher wollte er nicht mehr in die Hand nehmen67. Neben diesen äußeren Hindernissen stand ein anderer Umstand der Publikation des Gutachtens entgegen. Schmitt war verfemt. 1949 erschienen seine kleinen Aufsätze „ohne Verfasserangabe" 68. Als er 1950 mit seinem Namen in die literarische Öffentlichkeit zurückkehrte, nämlich mit der Schrift „Ex captivitate salus" und dem gewichtigen Buch „Der Nomos der Erde", dazu mit sieben Abhandlungen und Essays in angesehenen Zeitungen und Zeitschriften 69 , erhob sich ein Sturm politisch-moralischer Entrüstung, der sich bis heute, nach über 40 Jahren, noch immer nicht gelegt hat, der mittlerweile zwar keinen neuen Anlaß findet, gelegentlich aber in Stärke und Richtung variiert 70 . In dieser Lage hätte die Publikation des Gutachtens, das die Nürnberger Verurteilungen wegen Angriffskriegs radikal in Frage stellte, als Zeichen seiner Unbelehrbarkeit gegolten. Andere deutsche Juristen waren zwar zu demselben Ergebnis gelangt, z. B. Wilhelm Grewe 71 , bei Schmitt aber stand jede Zeile eines Widerspruchs zur

66 Nach dem Schreiben von Carl Schmitt an Rolf Städter vom 26. Januar 1955 (RW 265-456). — 58 Bücher schenkte er dem Institut, s. P. Tommissen, a. a. O. 67 Nach einem Ondit unter Frankfurter Antiquaren jener Zeit, persönliche Mitteilung von Herrn Antiquar Wilhelm Sauer vom 3. Februar 1993 an den Herausgeber, mit dem Zusatz, Schmitt habe als Bücherästhet ohnehin niemals Bücher gekauft, deren Titelblatt durch einen Stempel verunziert gewesen sei. — Das Antiquariat Rolf Kerst (Inh.: Erich Groß) versandte drei Kataloge „Aus der Bibliothek Prof. Dr. Carl Schmitt", nämlich A 47/54, 48/54 ν. 18. Dezember 1954 (I „Allgemeines Staatsrecht und Staatslehre", II „Völkerrecht. Internationale Beziehungen") sowie 1/55 („Verfassungs- und Verwaltungsrecht"). Der Katalog 48 / 54, der im völkerrechtlichen Teil die Nummern 534-794 enthält, läßt allerdings keine exakte Rekonstruktion der Bibliothek Schmitts zu, weil, was der Katalog ausdrücklich vermerkte, der Buchbestand nicht mit der Gesamtbibliothek Schmitts identisch sei; man hatte thematisch verwandte Bestände des Antiquariats hinzugefügt. Bemerkenswert erscheint noch die Vorbemerkung im Katalog: „Wir haben den Bestand unmittelbar aus dem Besitz von Herrn Professor Schmitt übernommen", womit die Firma wohl dem Verdacht entgegentreten wollte, sie habe die Bücher von der Militärregierung gekauft. 68 Vgl. die Bibliographie von Piet Tommissen, in: Festgabe Carl Schmitt, Berlin 1958, S. 294 f. 69 Vgl. Tommissen, ebd., S. 295. 70 Die kritischen Stellungnahmen zur Rückkehr Schmitts in die literarische Öffentlichkeit, die 1950 erschienen, verzeichnet Tommissen, ebd., S. 313; ders., in: Epirrhosis, Festgabe für Carl Schmitt zum 80. Geburtstag, Bd. 2, S. 758; weitere Einzelheiten bei Tommissen, Schmittiana II, S. 128 ff. Charakteristisch bereits die Überschriften: „Carl Schmitt redivivus?" (Walter Lewald, NJW 1950, S. 377); „Carl Schmitt —Kein Bundesgenosse" (Ludwig Raiser, Deutsche Universitätszeitung, 1950/9, S. 7); „Carl Schmitt vor den Toren" (EduardRosenbaum, Rheinischer Merkur, Nr. 48, v. 25.11.1950); „Carl Schmitts Apologie" (Hans Thieme, Deutsche Universitätszeitung Nr. 22, v. 17.11.1950). — Über Schmitts einstigen Freund Eduard Rosenbaum vgl. jetzt Piet Tommissen, in: FS H.-J. Arndt, Bruchsal 1993, S. 378-380.

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Rechtsordnung der Sieger unter dem Verdacht trüber Quellen: von illiberaler Gewaltraison, imperialer Großraumsucht und antisemitischer Vernichtungslegitimation. Wurde jetzt eine neue Schrift Schmitts anerkannt — „in großer Form wird hier viel Wesentliches und Wertvolles gesagt" —, dann beeilte sich der Laudator sogleich, Schmitt einen „rätselhaften Proteus" zu nennen und ihm ein „morbides Gelehrtendasein" zu bescheinigen, dessen Emanationen höllische Kräfte speisten: „Ein starker Geist luziferischer Art, dessen faszinierende Leuchtkraft die geistige Situation unserer Zeit blitzartig zu erhellen vermag 72 ." In einem Klima, in dem sich angesehene Juristen zu mittelalterlicher Feind-Lyrik verstiegen, ließ er sein Gutachten zur Strafbarkeit des Angriffskriegs lieber in der Schublade gilben; zu dieser heiklen Rechtsfrage äußerte sich ein Carl Schmitt besser nicht. Hätte er die Strafbarkeit des Angriffskrieges bejaht, würde man ihn zwar nicht als „unbelehrbar" gescholten, das Resultat aber nur seiner ProteusExistenz zugerechnet haben. So begnügte er sich mit der bereits erwähnten Übernahme des historischen Teils in den „Nomos der Erde" (dort S. 233-255) und kehrte der Rechtswissenschaft erst einmal den Rücken: Auf dem uferlosen Meer der Shakespeare-Literatur gab es für ihn noch einiges zu entdecken, nämlich die „Geburt des Hamlet-Mythos aus einem Schauspiel zeitgeschichtlicher Präsenz" 73 . Von der Existenz des Gutachtens erfuhr die Öffentlichkeit zuerst durch die Bibliographie von Piet Tommissen in der ersten Festschrift für Carl Schmitt, also 1959 74 .

71 in: Nürnberg als Rechtsfrage, Stuttgart 1947, S. 7 ff. (Referat am 25. Oktober 1946); ders., Strafbarkeit des Angriffskrieges?, in: Die Gegenwart, 4. Jg., Nr. 2 v. 15. Januar 1949, S. 13 ff.; erneut in: W. Grewe, Machtprojektionen, S. 247 ff., 279 ff. 72 W. Lewald, NJW 1950, S. 377, in der Besprechung der in Tübingen 1950 selbständig erschienenen Schrift: „Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft". 73 Vom Juli 1952 datiert das Vorwort zu dem von Tochter Anima übersetzten Werk von Lilian Winstanley, Hamlet and the Scottish Succession (London 1921), erschienen Pfullingen 1953 unter dem Titel „Hamlet, Sohn der Maria Stuart", das Nachwort, das sich mit der Shakespeare-Literatur allgemein und den Theorien über Hamlet im besonderen befaßt, vom September 1952. 74 „Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz ,nullum crimen, nulla poena sine lege', Gutachten, hektografiert verbreitet, 55 S., August 1945". P. Tommissen (FN 68), S. 294, führte hier den engzeiligen Text an, der vorn bereits erwähnt wurde (RW 265-124, Nr. 15). 10*

Über Eigenart und Erkenntniswert des Gutachtens Zunächst lehrt die Lektüre: Carl Schmitt hatte das juristische Handwerk nicht verlernt, mehr noch, er beherrschte es perfekt. Die Argumentation ist paßgenau auf den Adressaten zugeschnitten, ein internationales Gericht. In der Beweisführung dominieren daher die völkerrechtlichen Verträge, die Verhandlungen und Beschlüsse des Völkerbundes, die internationalen Protokolle, die offiziellen Erklärungen der Premiers und Staatssekretäre in London und Washington, in Moskau und Bern — alles das ließ sich nicht bestreiten und gehört zur klassischen Form völkerrechtlicher Gutachten. Die Rechtsmeinungen von Kollegen werden nur herangezogen, wenn es sich um amerikanische Zelebritäten handelt, um neutrale Schweizer oder emigrierte deutsche Pazifisten, sie konnten nicht der Parteilichkeit geziehen werden. Schmitts Gutachten gibt daher nicht den gelehrten Meinungsstand vollständig wieder, wie es von einer „völkerrechtlichen Seminarübung" oder einer sonst an Kriterien des Wissenschaftsbetriebes orientierten Arbeit zu erwarten gewesen wäre 75 . Zu den Art. 227 ff. des Versailler Vertrages, zu Art. 16 der Völkerbunds Satzung und zum Kellogg-Pakt hatten sich viele deutsche Autoren geäußert, auch Carl Schmitt. In der Stellungnahme gegenüber einem Gericht der Sieger wäre das Schrifttum der Besiegten nicht bloß Ballast, sondern eher schädlich gewesen. Deshalb wird man es ihm auch nicht verübeln dürfen, daß er sein Bekenntnis aus dem Jahre 1934 zu „nullum crimen sine poena" 76 unerwähnt ließ. Auch im Stil unterwirft sich Schmitt dem Zweck des Gutachtens vollständig. Es hätte schon zu Spott und Bitterkeit reizen können, wie das edle Streben der outlawry-Bewegung mit politikblinder Naivität verschwistert war und der Wille zum Frieden unter den Völkern und Regierungen Europas die humanitäre Phraseologie der saturierten Interessenten des Versailler Status quo trug, die mit dem Verbot zukünftiger Kriege die Landbeute des letzten Krieges sichern wollten. Schmitt, der doch das Arsenal polemischer Möglichkeiten vom Skalpell bis zum schweren Säbel zu nutzen verstand, blieb gelassen, ernst und höflich, wie es einem Gutachter geziemt, der sich Aufmerksamkeit und Wohlwollen eines Hohen Gerichts erringen will 7 7 . 75 In diesem Sinne musterhaft die große Abhandlung von Hermann v. Mangoldt über die Verfolgung von Kriegsverbrechen, die so gut wie ausschließlich auf dem internationalen Gelehrtenschrifttum beruht, präsentiert in 384 Fußnoten, JIR, Bd. I I / I I I , 1948, S. 283 - 334. v. Mangoldt konnte allerdings mit der Bibliothek des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel arbeiten. 7 6 Vgl. vorn Anm. 11.

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Wer bisher Schmitt nur als Staatsrechtslehrer und politischen Theoretiker kannte, dessen Ausflüge in das Völkerrecht tagespolitisch motiviert waren — Stichwort: „Völkerrechtliche Großraumordnung" —, lernt durch dieses Gutachten einen Juristen kennen mit ausgebreiteten, ungewöhnlich detaillierten Kenntnissen des positiven Völkerrechts und der völkerrechtlichen Entwicklungen zwischen 1919 und 1939. Angesichts der knappen Zeit, die ihm für die Anfertigung des Gutachtens zur Verfügung stand, angesichts auch der Umstände, die ihn auf die eigene Bibliothek verwiesen, wird man von vornherein nicht annehmen können, es habe sich hier ein Staatsrechtler in eine völkerrechtliche Materie erst noch einarbeiten müssen. Schmitts Publikationsliste zeigt vielmehr: mit völkerrechtlichen Problemen hatte er sich seit den 20er Jahren ständig befaßt, parallel zu seinen staatsrechtlichen und staatstheoretischen Arbeiten. Die polemische Form oder auch Indienststellung seiner Feder für bestimmte politische Ziele darf nicht seine gründlichen Kenntnisse der zwischenstaatlichen Beziehungen und Entwicklungen lange vor dem Zweiten Weltkrieg vergessen lassen78. Den Veränderungen des Kriegsbegriffs, die im Gutachten eine so große Rolle spielen, war er mehrfach bereits vor dem Kriege nachgegangen, besonders in einer 1938 veröffentlichten Abhandlung, die seine Aufmerksamkeit für das ausländische völkerrechtliche Schrifttum bezeugt79. Schmitt behandelte seit 1937 in seinen Seminaren den Kriegsbegriff 80 , und noch in seinem letzten Semester 1944 / 45 bot er eine „semi77 Nur an einer Stelle ist Schmitt ausgebrochen, als er nämlich am Ende des Vergleichs von Krieg und Piraterie formulierte: „Denn man darf doch nicht annehmen, daß die eigentliche Schuld, die Deutschland vorgeworfen wird, darin bestehen soll, daß es wissenschaftlich zu rückständig war, um rechtzeitig die Atombombe zu erfinden" (III 3, nach Anm. 116). Sollte dieser juristisch rätselhafte Satz ein Zwischenruf aus der welthistorischen Sphäre gewesen sein? 78 Zwischen 1925 („Die Rheinlande als Objekt internationaler Politik") und den 1939 beginnenden Veröffentlichungen zum „Großraum" verzeichnen die Bibliographien immerhin 24 Veröffentlichungen über typische Gegenstände des Völkerrechts (vgl. P. Tommissen, in: FS C. Schmitt, 1959, S. 276 ff.; ders., Epirrhosis, FS Schmitt, Berlin 1968, S. 744 f.). Er gab sogar eine für den akademischen Unterricht bestimmte und prägnant kommentierte Sammlung völkerrechtlicher Texte heraus, nämlich zur Heiligen Allianz, zu Monroe-Doktrin, Völkerbundsatzung, Locarno-Pakt, Kellogg-Pakt, StimsonDoktrin usw.: „Der Völkerbund und das politische Problem der Friedenssicherung", 1. Aufl., Leipzig 1930, 2. Aufl. 1934: „Das politische Problem der Friedenssicherung", 3. Aufl., Wien 1993. 7 9 „Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff 4, 1. Aufl., München 1938, in der Reihe: Schriften der Akademie für Deutsches Recht, Gruppe Völkerrecht, Heft 5, 2. Aufl. (Reprint), Berlin 1988. Dieser Publikation lag ein Bericht zugrunde, den Schmitt „der Klasse II der Abteilung für Rechtsforschung auf der 4. Jahrestagung der Akademie für Deutsches Recht in München am 29. Oktober 1937" vorgetragen hatte. In dieser Schrift beschäftigte sich Schmitt mit den Werken von Georges Scelle, Précis de Droit des Gens, Bd. I, Paris 1932, Bd. II, Paris 1934, und Hersch Lauterpacht, The Function of Law in the International Community, Oxford 1933, sowie mit den 1936 erschienenen Aufsätzen von Sir John Fischer Williams, Sanctions under the Covenant, und Arnold McNair, Collective Security, beide BYIL 17 (1936), S. 130-149, 150-164; die Autoren deuteten die Maßnahmen des Völkerbundes gegen Italien anläßlich der kriegerischen Besetzung von Abessinien. 80 Vgl. seinen Hinweis in „Positionen und Begriffe", S. 316.

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naristische Übung zum Kriegsbegriff' an. So schöpfte er für große Teile seines Gutachtens wahrhaft aus dem Vollen. Nicht geklärt ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt, ob Schmitt etwa die Teile I I und I I I des Gutachtens aus dem Manuskript des „Nomos der Erde" in das Gutachten übernehmen konnte. Die Umstände nach 1945, seine Internierung in Berlin 1945/46 und Inhaftierung in Nürnberg 1947, insgesamt 15 Monate, sowie der Verlust seiner Bibliothek seit Oktober 1945 — das alles spricht für eine zumindest weitgehende Fertigstellung des 1950 erschienenen Werks von über 300 gelehrten Druckseiten bereits während der Kriegsjahre. Aber diese Annahme zwingt nicht zu dem Schluß, daß auch die Teile des Gutachtens über „Kriegsverbrechen und Kriegsschuld im Versailler Vertrag" und die „Entwicklung der internationalrechtlichen Pönalisierung des Angriffskrieges 1919-1939" bereits fertiggestellt waren; sie könnten auch aus dem Gutachten in das Buch übernommen worden sein. Lassen wir diese eher biographische Frage auf sich beruhen. Wie gründlich Schmitt sich und seine Studenten mit dem Wandel des Kriegsbegriffs befaßte, zeigen seine Darlegungen zur Teilnahmelehre des anglo-amerikanischen Strafrechts. Was der Staats- und Völkerrechtslehrer hierzu mit scheinbar leichter Hand als Exkurs präsentiert, um mit der lässigen Geste des ersten Sachkenners „an einige elementare Begriffe der Teilnahmelehre zu erinnern", das konnte so prägnant eigentlich nur ein Strafrechtslehrer schreiben. Natürlich kann sich in seiner Privatbibliothek auch ein britisches oder amerikanisches Strafrechtswerk befunden haben, etwa die von ihm zitierte „Encyclopedia of Criminal Law". Schmitt war wissenschaftlich vom Strafrecht ausgegangen, die summa cum laudeDissertation des 22jährigen „Über Schuld und Schuldarten" bei Fritz van Calker in Straßburg war durchaus beachtet worden; ebenfalls 1910 veröffentlichte die angesehene „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft" einen längeren Aufsatz aus seiner Feder zu einem Dauerthema der strafrechtlichen Dogmatik 81 . Aber 1916 hatte sein letzter, wenn auch eindrucksvoller Auftritt in der genannten Zeitschrift stattgefunden, nämlich mit seiner Straßburger Probevorlesung im Habilitationsverfahren und einer großen Abhandlung über „Diktatur und Belagerungszustand" 82. Seither hatte er sich in seinen Veröffentlichungen mit strafrechtlichen Problemen nicht mehr befaßt; es wäre eigentlich gewagt anzunehmen, er habe in seiner Bibliothek ausländisches Strafrecht gesammelt. Da Schmitt auch zwischen 1933 und 1945 keine Habilitationsschrift oder Dissertation als Erstoder Zweitgutachter betreute, in der die anglo-amerikanische Teilnahmelehre hätte eine Rolle spielen können 83 , wird man diese besonderen Kenntnisse auf 81

„Über Tatbestandsmäßigkeit und Rechts Widrigkeit des kunstgerechten operativen Eingriffs", Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 31,1910, S. 467-478. 82 Die Probevorlesung vom 16. Februar 1916 über die „Einwirkungen des Kriegszustandes auf das ordentliche strafprozessuale Verfahren" erschien in der Zeitschrift Bd. 38, 1916, S. 783-797, der Diktatur-Aufsatz ebd., S. 138-162. 83 Die Habilitationsschriften und Dissertationen, die Schmitt als Erst- oder Zweitgutachter in dem erwähnten Zeitraum beurteilte, sind aufgeführt und näher beschrieben von Christian Tilitzki, in: Siebte Etappe, Bonn 1991, S. 62, 70-108.

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seine Seminare zum Kriegsbegriff zurückführen müssen. In diesen Seminaren wird er wohl auch die Eigentümlichkeiten des anglo-amerikanischen Rechtsdenkens erarbeitet haben, für die er in diesem Gutachten so großes Verständnis bewies. Im Berliner Sommer 1945 hatte Schmitt keinen Zugang zu einem Institut für Rechtsvergleichung. Dieser Beschränkung der wissenschaftlichen Mittel ist es zuzuschreiben, daß er nicht den neuesten Stand der englischen Strafrechtsdogmatik beherrschte. Seine Darstellung der Rechtsfindung im Common Law ist grundsätzlich richtig, er berücksichtigte aber nicht die Entwicklung der 30er Jahre. Als ein englisches Gericht 1933 Elizabeth Manley wegen „Vortäuschens einer Straftat bei einer Behörde" bestrafte, obgleich dieses Verhalten (vgl. § 145 d dt. StGB) bis dahin nicht als strafbar gegolten hatte, wurde diese Entscheidung von den englischen Juristen allgemein abgelehnt. Rechtslehre und Rechtspraxis hatten sich schon vorher immer mehr den kontinentalen Vorstellungen von „nullum crimen" angenähert, obgleich die vorbehaltlose Akzeptanz schwierig war, weil ein Strafgesetzbuch fehlt und der englische Traditionalismus an eingewurzelten Prinzipien auch dann noch hängt, wenn sie nicht mehr realisiert werden. Die neuere Entwicklung, in der die „creative powers of the judges in the realm of criminal law have almost withered away" 84 , hat Schmitt offenbar nicht gekannt, er ging aus von den traditionellen Prinzipien des 17. bis 19. Jh., die in den Lehrbüchern und Enzyklopädien der ersten Jahrzehnte des 20. Jh. fortgeschleppt wurden 85 . In den Prozessen von Nürnberg und Tokio fielen freilich auch amerik. Juristen in das Rechtsdenken der alten Zeit zurück, weil es ermöglichte, das Völkerstrafrecht so zu „entwickeln", wie im 17. und 18. Jh. der Court of King's Bench das Straferfindungsrecht beanspruchte, um als „custos morum" die Übeltaten der königlichen Untertanen zu ahnden86; mit einer rechtsphilosophischen Subtilität wie der Unterscheidung von „mala prohibita" und „mala in se", die Schmitt offensichtlich faszinierte, hielten sie sich regelmäßig nicht auf 87 . Mochte Schmitt Entwicklung und Stillstand des Völkerrechts zwischen den Strafbestimmungen des Versailler Vertrages und dem Konflikt des Völkerbundes mit Italien anläßlich der kriegerischen Besetzung Äthiopiens präzise und fesselnd dargestellt haben — eine bedeutende Leistung bilden auch die Kapitel IV und V. Die Frage nach Täter und Teilnehmer des Angriffskrieges und nach der „Lage des einzelnen Staatsbürgers, insbesondere des wirtschaftlich tätigen ordinary business-man", erörterte er zunächst allgemein, für den modernen Staat, dann 84 Williams, § 133. Dieselbe, aber weniger entschuldbare Unkenntnis ist allerdings auch in dt. Monographien anzutreffen, die sich Jahre später mit dem „Nürnberger" Völkerstrafrecht speziell befaßten, vgl. etwa Dahm, S. 63; Hoffmann, S. 146; Trifter er, S. 125; richtig hingegen Jescheck, S. 232 f., 238 f., 356. 8 6 Vgl. die eindrucksvolle Darstellung von Williams, § 133. 87 Jescheck, S. 300, verweist auf ein Urteil der Nachfolgeprozesse, das die Strafbarkeit „aus der Natur der Handlung" ableitete. 85

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unter den besonderen Lebens- und Unterwerfungsbedingungen des NS-Staates. Die kunstvolle Verknüpfung von Völkerrecht und Staatsrecht (auch der USA), von Herrschaftssoziologie und Staatstheorie, die Bezugnahmen auf Vitoria und J. Brown Scott, auf Cole und Hobbes rekapitulierten eigene Forschungsergebnisse und unterstrichen nachträglich ihre Aktualität. Schmitts Handschrift ist unverkennbar; seine Autorschaft wäre allenfalls ausländischen Juristen verborgen geblieben. Die Beschreibung und Definition des „Regimes" — verfaßt im Sommer 1945 — ist, wenn ich richtig sehe, seither mit vielen Einzelheiten ausgefüllt, aber in seiner strukturellen Treffsicherheit nur bestätigt worden. Schmitt war zwar seit Ende 1936 nur noch Universitätslehrer, aber er war es in Berlin und befreundet mit Johannes Ρopitz, dem preußischen Finanzminister, der seit 1938 zum Zentrum des Widerstandes gehörte. Schmitt wußte also, wovon er sprach, wenn er „die spezifische Eigenart eines solchen Regimes" hervorhob und schilderte. Der Unteroffizier Schmitt (im bayerischen Kriegsministerium) des Ersten Weltkrieges und der Volkssturmmann des Zweiten Weltkrieges kannte auch die Festigkeit des Zugriffs, die ein kriegführender Staat auf seine Bürger ausübt, mögen sie nun Flick und Krupp, oder Müller und Meier heißen. Es gehört zu den tröstlichen Ergebnissen der Nürnberger Nachfolge-Prozesse, daß die ausweglose Zwangslage des Bürgers, in welcher Stellung auch immer, jedenfalls für das „Verbrechen gegen den Frieden" meistens berücksichtigt und anerkannt wurde 88 . Damit ist die Frage gestellt, wie richtig oder falsch Argumentation und Ergebnisse des Gutachtens gewesen sind. Vier Instanzen haben geantwortet: die Gerichte der Siegermächte 1946-1950, die nationale und die internationale Rechtsgemeinschaft sowie die Rechtswissenschaft.

88 Vgl. vorn FN 47.

Die Urteile von Nürnberg Das Nürnberger IMT und die amerikanischen Militärgerichte in den Nürnberger Nachfolge-Prozessen, ebenso das (noch zu erörternde) IMT Far East, sahen sich bekanntlich nicht gehindert, wegen „Verbrechens gegen den Frieden" aufgrund des Art. 6 der IMT-Charta vom 8. August 1945 und Art. I I 1 a des KRG Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 zu judizieren, zu verurteilen oder freizusprechen 89 . Das war nicht anders zu erwarten. Nach Art. 6 der Londoner Charta (anders KRG Nr. 10) konnte das IMT ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur bestrafen, wenn es „in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist", begangen wurde. Zuständig war das IMT außerdem für „Verbrechen gegen den Frieden" und „Kriegsverbrechen" (Art. 6 a, b). Ein nicht mit „Kriegsverbrechen" zusammenhängendes Delikt mußte also „in Ausführung oder in Verbindung mit" einem Verbrechen gegen den Frieden begangen worden sein, um der Zuständigkeit des IMT zu unterfallen. Hätte das IMT die Strafbarkeit des Verbrechens gegen den Frieden wegen Verstoßes gegen den Grundsatz „nullum crimen" verneint, hätte es nur Humanitätsverbrechen in Konnex mit Kriegsverbrechen bestrafen können. Die Maxime „nullum crimen" stand auch den „Kriegsverbrechen" und den „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" entgegen, sofern Charta und KRG Nr. 10 über die Tatbestände des bereits geltenden Kriegsvölkerrechts, des Militärstrafrechts und des nationalen Strafrechts hinausgingen. Unanwendbar wäre vor allem gewesen der Tatbestand der „verbrecherischen Organisation" — außerhalb der Sowjetunion eine strafrechtliche Weltneuheit 90 —, der es als Auffangtatbestand

89 Im deutschen Schrifttum wird die „Charter of the International Military Tribunal of 8 August 1945" regelmäßig mit „Londoner Statut" übersetzt, wohl weil der „Ständige Internationale Gerichtshof 4 der Völkerbundszeit und der „Internationale Gerichtshof 4 der Vereinten Nationen die gesetzliche Grundlage im „Statut" findet. Diese Übersetzung läßt aber nicht erkennen, daß in London 1945 offenbar bewußt bei der Wahl des Begriffs viel höher gegriffen, nämlich „Charter" gewählt wurde. In diesem Text wird daher durchgehend die allein angemessene Übersetzung „Charta" verwendet. 90 Im sowjetischen Strafrecht die berüchtigte, für konterrevolutionäre Verbrechen und Organisationen eingeführte Vorschrift des § 58 Nr. 11 StGB, mit der die sowjet. Richter die Straflager füllten. Das Organisationsverbrechen der Londoner Charta geht auf einen amerikanischen Vorschlag zurück, der zunächst sehr kontrovers diskutiert wurde, vgl. International Conference, S. 137 ff., 236 ff. — Wie sich das Nürnberger Organisationsverbrechen von der,»kriminellen Vereinigung" der §§ 129, 129 a dt. StGB und Art. 123126 franz. Code pénal unterscheidet, erläutert Günter Hahnenfeld, Die Herkunft der in dem Nürnberger Urteil gegen die sogenannten Hauptkriegsverbrecher angewandten allgemeinen Lehren des Strafrechts. Diss. Frankfurt/M. 1959, S. 120ff.

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gestattete, Kriminalstrafen zu verhängen, wenn Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht festgestellt oder nicht nachzuweisen waren. Im Ärzte-Prozeß z. B. wurde am 20. August 1947 Dr. Helmut Poppendick, ranghoher Mediziner im SS-Rasse- und Siedlungshauptamt, freigesprochen von Kriegs- und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Organisation (SS) zu zehn Jahren Haft verurteilt (Trials II, S. 248 ff., 299). Im anglo-amerik. Schrifttum wird gelegentlich auf dieses Urteil mit dem Bemerken hingewiesen, wegen Organisationszugehörigkeit sei nur einmal ein Deutscher verurteilt worden. Das trifft nur zu für die Nürnberger Prozesse und Urteile der amerik. Militärgerichte 1946-1949. Tatsächlich wurden in den drei westlichen Besatzungszonen der Alliierten schätzungsweise 50 000 Deutsche wegen dieses Delikts von deutschen Gerichten zu Freiheits- und Vermögensstrafen verurteilt: In der britischen Besatzungszone konnten aufgrund des Nürnberger IMT-Urteils und der Verordnung Nr. 69 vom 31. Dezember 1946 die Angehörigen der für verbrecherisch erklärten NS-Organisationen zu Vermögens- und Gefängnisstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt werden. Eine kriminelle Tat mußte nicht nachgewiesen werden, zur Organisationszugehörigkeit nach dem 1. September 1939 mußte die Kenntnis von Organisationsverbrechen treten. Die Ansprüche waren aber nicht sehr hoch, es genügte, von Konzentrationslagern überhaupt oder von der Pflicht zum Tragen des sog. Judensterns gewußt zu haben. 1947-1949 führten die deutschen Spruchgerichte — nicht zu verwechseln mit den Prüfungsausschüssen der Entnazifizierung — 24.200 Verfahren durch, in 19.200 Fällen kam es zu einem Urteil oder Strafbescheid, überwiegend wurden die Strafen mit der zwei- bis vierjährigen Internierungshaft als abgegolten erklärt, vgl. Heinz Boberach, ZNG 1990, S. 40-50; Heiner Wember, Umerziehung im Lager — Internierung und Bestrafung von Nationalsozialisten in der britischen Besatzungszone Deutschlands, Essen 1991, S. 276 ff., 289, sowie als primäre Quelle die von Sept. 1947 bis März 1949 erscheinende Zeitschrift „Spruchgerichte" (Beilage zum Zentral-Justizblatt für die Britische Zone). — In der amerik. und franz. Besatzungszone wurden die Freiheitsstrafen („Arbeitslager" bis zu zehn Jahren) wegen Organisationszugehörigkeit aufgrund der Kontrollrats-Direktive Nr. 38 v. 12. Oktober 1946 und den allgemeinen Entnazifizierungsgesetzen verhängt, in der sowjetischen Besatzungszone unmittelbar aufgrund der genannten KRD, die Todesstrafe, Zuchthaus und Gefängnis von fünf bis 15 Jahren, Vermögenseinziehungen und Berufsverbote vorsah, Ermächtigungen, die mit unverhältnismäßig harten Strafen ausgenutzt wurden, vgl. Wolf gang Schuller, Geschichte und Struktur des politischen Strafrechts der DDR bis 1968, Ebelsbach 1980, S. 25 ff., 83 ff., und Alfred Streim, in: Chr. Hoffmann, S. 18, sowie die Zusammenfassung bei Quaritsch, Der Staat 31 (1992), S. 540 ff. m. Nachw. Zeitgenössisches, vorzugsweise deutsches Schrifttum verzeichnet Tutorow, S. 243 (Nr. 2350-2372). Neu war auch die exzessive Regelung der „Teilnahme" durch den in Kontinentaleuropa unbekannten Tatbestand der „Verschwörung", aufgefächert im KRG Nr. 10 91 . In vielen Prozessen gaben diese Normierungen oft den Ausschlag, weil sie erlaubten, auch denjenigen wie einen Täter zu bestrafen, der von der Tat „wußte", gelegentlich auch nur „wissen mußte", sie aber nicht verhinderte oder 91

Art. 6 der Charta: „Leaders, organizers, instigators and accomplices participating in the formulation or execution of a common plan or conspiracy to commit any of the foregoing crimes are responsible for all acts performed by any persons in execution of such plan." Zu Art. 2 c-f, KRG Nr. 10 vgl. bereits vorn nach FN 50.

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nicht gegen sie protestierte. Auslegung und Anwendung durch die Nürnberger Gerichte unterschieden sich 92 . Im IMT-Prozeß z. B. wurde Karl Dönitz auch wegen „Verbrechens gegen den Frieden" bestraft, obgleich er bei Kriegsausbruch nicht einmal Flaggoffizier gewesen war, in den Generalsprozessen wurden höhere Ränge von diesem Vorwurf freigesprochen, weil Generale der politischen Führung zu gehorchen hätten. — Die IMT-Prozesse und die Folgeprozesse, unter dem Stichwort „Nürnberg" oder „Yamashita" in die Rechtsgeschichte eingegangen 93 , hätten jedenfalls ohne die neuen Tatbestände und Regeln so nicht stattfinden können. Der anglo-amerikanische Tatbestand der „conspiracy" bestraft den Zusammenschluß oder die Übereinkunft zwischen mindestens zwei Personen zur Verwirklichung eines ungesetzlichen Ziels oder eines gesetzlichen Ziels mit ungesetzlichen Mitteln; „ungesetzlich" kann auch „grob unmoralisch" sein. Diese „Verschwörung" stieß bereits bei den Beratungen der Charta in London auf Bedenken des franz. Sachverständigen André Gros: „We would have to make new law" (19. Juli 1945, International Conference, S. 296). Während der Beratungen des IMT beschäftigte Donnedieu de Vabres seine Kollegen zweieinhalb Monate mit seinen Bedenken (Smith, S. 138 ff.); er wiederholte seine Ablehnung (auch des neuen Tatbestandes „Verbrechen gegen die Menschlichkeit") in einem Vortrag an der Haager Akademie im Juni 1948, s. den Bericht von Louis Hugueney, Revue Internationale de Droit Pénal 19 (1948), S. 277-280. Der Widerstand der Franzosen entsprang nicht kontinentaler Borniertheit. Die „Verschwörung", 1664 erstmals von englischen Richtern angewendet, ist sowohl (konturloser) Straftatbestand wie Teilnahmeregel und gehörte lange vor den IMT-Prozessen in der anglo-amerikanischen Rechtslehre zu den meist kritisierten Strafbestimmungen. Francis B. Sayre nannte „conspiracy" eine Doktrin „as anomalous and provincial as it is unhappy in its results" (Harvard Law Review 35 [1922], S. 427), 30 Jahre später formulierte eine Autorität wie Williams: „Conspiracy is so poorly defined at the moment that almost any evil conduct in concert is capable of being regarded as criminal" (§ 133). Nach den Prozessen von Nürnberg und Tokio meinte auch Robert H. Jackson als Richter am Supreme Court in seiner concurrent opinion zu Dennis et al. vs. United States, der Verschwörungstatbestand sei „a dragnet device capable of perversion into an instrument of injustice in the hands of partisan or complacent judiciary . . . awkward and inept" (341 U. S. Reports 561 92 Vgl. vorn ebenfalls bei FN 50 und Jescheck, S. 336 ff.; ν. Knieriem, S. 218 ff.; im übrigen Hahnenfeld (FN 90), S. 109 ff., dieser allerdings beschränkt auf den Nürnberger IMT-Prozeß. 93 Die UN-Law Reports berichten über 89 Verfahren wegen Kriegs- und Humanitätsverbrechen, davon 16 gegen japanische Staatsangehörige, nämlich Bd. I Nr. 6; III Nr. 20; IV Nr. 21, S. 1-96 (Yamashita); V Nr. 25-28, 32, 33; XI Nr. 59, 64, 65; XIII Nr. 76, 77,79 und XIV Nr. 83. Die bekanntesten Verfahren gegen japanische Militärs dokumentiert Friedman II, S. 1471 ff., 1513 ff., 1537 ff., 1596 ff., 1688 ff.; zum viel erörterten Fall Yamashita vgl. die kritische Zusammenfassung von Oehler, S. 631 f. (Rz. 1034), und die Literatur bei Tutorow, S. 261-264 (Nr. 2518-2536). Von den Gerichten der pazifischen Siegermächte (USA, Britannien, Australien, Niederlande, Frankreich, China, Philippinen) wurden 2.244 Verfahren gegen 5.700 Japaner wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durchgeführt, nicht gezählt die unbekannte Zahl der sowjetischen Verfahren und Verurteilungen; etwa 900 Angeklagte wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die Statistiken mit den nicht ganz sicheren Zahlen bei Piccigallo, S. 263 ff.

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579, 4. Juni 1951, S. 572, 577). In Tokio behauptete der amerik. Chefankläger Joseph B. Keenan, „the well recognized conspiracy method of proof* sei „well recognized by most civilized nations", was zu widerlegen dem Common Law-Experten der Verteidigung, Takayanagi Kenzo , nicht schwerfiel, aber er vermochte von den Richtern nur Radhabinod Pal und den Präsidenten des IMTFE, Sir William Webb , zu überzeugen, daß „conspiracy" dem Völkerrecht als Verbrechen unbekannt sei; im einzelnen vgl. Tokyo Judgment I, S. 475 f.; Minear, S. 36 ff. — Im Nürnberger IMT-Prozeß wurde der Tatbestand der „Verschwörung" ausschließlich mit dem „Verbrechen gegen den Frieden" verbunden. Die Teilnahmeformen der Londoner Charta und des KRG Nr. 10 waren so umfassend formuliert, daß im Grunde der Rückgriff auf die „Verschwörung" überflüssig wurde. Deshalb gaben sich die meisten Urteile der Gerichte in Nürnberg gar nicht erst die Mühe, klar zum Ausdruck zu bringen, auf welche der Teilnahme-Alternativen sie ihre Verurteilungen stützten (v. Knieriem, S. 229). — In die VN-Pläne für ein Völkerstrafrecht wurde „conspiracy" immer wieder aufgenommen, obgleich es wegen seiner bekannten Mängel in das Museum rechtshistorischer Antiquitäten gehörte. In den Prozessen sollte aber nicht nur individuelles Unrecht gesühnt werden. Vor Gericht standen die kriminellen „Systeme" des Feindes, der deutsche Nationalsozialismus und der aggressive Militarismus Deutschlands und Japans und deren Folgen Kriegsschuld und Kriegsverbrechen, aber auch der „way of life — the Japanese way — that will go on trial" 9 4 . Für diese volkspädagogischen Ziele schlugen die Siegermächte vor den Gerichtsschranken letzte Schlachten, die Urteile sollten ihre unbarmherzige Kriegführung gegenüber der Zivilbevölkerung, vor allem aber die Dauerbesetzung Deutschlands und Japans und die Auferlegung der harten Kriegsfolgen moralisch rechtfertigen, auch die Parteinahme vor Kriegseintritt. Das im Sommer 1945 wichtigste Motiv deckte Jackson bei den Beratungen der IMT-Charta über das „Verbrechen gegen den Frieden" unmißverständlich auf: „There is involved in this the whole Nazi drive to dominate the world. There is involved in this the basis on which the United States engaged in its lend-lease operation, the belief that this war was illegal from its inception. . . . we have said to our people . .. that launching a war of aggression is a crime and that no political or economic situation can justify it. If that is wrong, then we have been wrong in a good many things in the policy of the United States which helped the countries under attack before we entered the war 95 ."

94 So das Editorial der „New York Times" vom 30. April 1946 zum Zweck des „Tokyo Trial", angeführt von Piccigallo, S. 15. 95 International Conference, S. 113 (29.6.1945), ähnlich am 19. Juli 1945 (S. 384). Den hier angesprochenen praktisch-politischen Zweck des „Verbrechens gegen den Frieden" betonte bereits Lord Hankey in seinem Nachwort zu Viscount Maugham, U.N.O. and the War Crimes, London 1951, S. 114 f.; Röling, Richter im IMTFE-Prozeß, beschrieb 1982 die Rechtfertigung der Neutralitätsverletzungen der USA als causa movens: ,Jackson sought an international court that would reaffirm this American viewpoint" (EPIL I, 1992, S. 874). Im dt. Schrifttum Kranzbühler, Historische Prozesse, S. 34.

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Die Welt schaute auf die IMT-Prozesse — das sollte sie auch 96 — und erwartete die Verurteilungen der „Hauptkriegsverbrecher", nicht aber einen gelehrt-juristischen Traktat über einen auch noch lateinisch formulierten Rechtsgrundsatz mit der Folge von Freispruch und Freilassung. Die Gerichte selbst waren „Ausnahmegerichte", für bestimmte Sachverhalte und bestimmte Personen ex post geschaffen, sie entschieden also mit Anwendung und Nichtanwendung der Maxime „nullum crimen" über ihre eigene Existenz. Von dieser Erkenntnis inspiriert befanden die Richter des IMT intern bereits am 3. Oktober 1945, sie seien nicht befugt, die Rechtmäßigkeit der Charta zu prüfen 97 . Angenehm offen bekannte und beschrieb das Gericht I I I im Nürnberger Juristenprozeß Zwangslage und Entscheidungssituation eines Ausnahmegerichts: „It can scarcely be argued that a court which owes its existence and jurisdiction solely to the provisions of a given statute could assume to exercise that jurisdiction and then, in the exercise thereof, declare invalid the act to which it owes its existence98." Die Rechtsbeistände der Angeklagten werden sich keine Illusionen über die Wirksamkeit ihrer Argumente gemacht haben, die sich gegen die normativen Grundlagen der Nürnberger Prozesse selbst richteten99. Wenn gleichwohl die Verteidiger so hartnäckig auf dem Rückwirkungs-Verbot von Strafgesetzen insistierten, dann nicht nur, weil sich ein Anwalt auch auf aussichtlos erscheinende Verteidigungsmittel zugunsten seines Mandanten berufen muß, solange er eine wenigstens theoretische Erfolgschance sieht; es kann sich die Verunsicherung des Gerichts in den Rechtsgrundlagen in einer milden Anwendung zugunsten des Angeklagten niederschlagen 100. Die Nürnberger Prozesse waren in den Augen der Beteiligten bedeutende Ereignisse der Weltgeschichte des Rechts. Sie sollten „a landmark in law" setzen, vergleichbar der Einführung der Strafbarkeit der Menschenfresserei bei unseren

96 Vgl. die Bemerkungen von Robert Jackson über die 249 akkreditierten Journalisten von Presse und Rundfunk, „who reported the proceedings to all parts of the world", Bericht für den US-Präsidenten vom 7. Oktober 1946 in: International Conference, S. 433/34. 97 Smith, S. 89. 98 Trials III, S. 965. 99 Taylor, Nuremberg Trials, S. 475. 100 Richter Anderson, Präsident des Militärgerichts III im Krupp-Prozeß, wiederholte am 7. Juli 1948 die These des IMT: „Aggressive war is the supreme crime, and no penalty is too severe for those who are responsible for it" (Trials IX, S. 401). Im Wilhelmstraßen-Prozeß hob das Gericht acht Monate nach Verkündung des Urteils den Schuldspruch wegen Verbrechens gegen den Frieden gegen Weizsäcker und Wörmann wieder auf und ermäßigte ihre Strafzeit von sieben auf fünf Jahre (vgl. bereits vorn FN 49). Die Teilnahme am „supreme crime" hatte das Gericht also mit zwei Jahren Haft entgolten. Dieses Strafmaß beruhte wohl nicht nur auf der Geringfügigkeit der Beteiligung oder der fraglichen Ursächlichkeit der Handlungen der Angeklagten, sondern auch auf der Problematik der Rechtsgrundlage selbst.

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wilden Vorfahren 101 , oder doch wirken wie Magna Carta, Habeas Corpus und Bill of Rights 102 . Die Fälle würden in den Hörsälen der Welt noch nach Jahrzehnten Semester für Semester erörtert, ihre Rechtsfragen in den völkerrechtlichen Seminaren hin- und hergewendet werden. Nur wenn die Urteile den Prüfungen der internationalen Wissenschaft standhielten, würden ihre Lehren über die konkreten Fälle und ihre individuellen Schicksale hinaus in das Rechtsbewußtsein der Nationen eingehen. An diesem künftigen Prozeß der Rechtsgewinnung nahmen auch die Verteidiger teil, es gehört international zu den juristischen Standesregeln, daß sich das Gericht mit ihren Argumenten auseinandersetzt. Das IMT verschmähte den Ausweg, den die Anklagebehörde glaubte gefunden zu haben: Weil der NS-Staat selbst das Rückwirkungs-Verbot mißachtet und sich statt dessen zu dem Grundsatz „nullum crimen sine poena" bekannt habe, müßten die Angeklagten ihren eigenen Grundsatz gegen sich gelten lassen103. Das war eine politische Argumentation, lief auf die „Verwirkung" des Rechts auf gesetzliche Strafgrundlage hinaus und mochte juristisch mehr als fragwürdig sein. Es wäre aber eine politische Antwort auf eine weltweit erhobene politische Forderung nach Strafe für die Aggressoren gewesen und hätte als solche überzeugt — allerdings nicht als Antwort eines mit Berufsjuristen besetzten Gerichts. Der juristische Instinkt gebot den Richtern gleichfalls, die Anwendung der Londoner Charta nicht allein auf die richterliche Bindung an das Gesetz zu stützen. So öder Gesetzespositivismus hätte die Juristenwelt schwerlich gewonnen. Blinder Gesetzesgehorsam wäre auch prozeßtaktisch unklug gewesen, weil sich deutsche Angeklagte ebenso durch Gesetzesgehorsam hätten rechtfertigen können, also befreit gewesen von der Notwendigkeit, deutsche Gesetze auf ihren Rechtsgehalt befragen zu müssen. Das IMT beanspruchte zwar nicht ausdrücklich eine Prüfungskompetenz gegenüber der Londoner Charta, führte jedoch zwei Rechtsargumente an, welche die Charta als völkerrechtlich einwandfrei und unter dem Aspekt von Recht und Gerechtigkeit geboten erscheinen lasse: Der Rechtssatz „nullum crimen" beschränke nicht die Souveränität, sei nur „ganz allgemein ein Grundsatz der Gerechtigkeit" 104 , „is not a limitation of sovereignty, but is in general a principle of justice".

101 Den Vergleich zog mit der ihm eigenen würdevollen Eloquenz Henry L. Stimson, The Nuremberg Trial: Landmark in Law, in: Foreign Affairs, Bd. 25, Nr. 2, Januar 1947, S. 179, 185. 102 Walter Lippmann nach Willis, S. 175. ι 0 3 Jackson am 21. November 1945, IMT II, S. 170, ebenso der franz. Ankläger François de Menthon am 17. Januar 1946, IMT V, S. 420. Das Argument verwendete auch Hans Kelsen: „The nonapplication of the rule against ex post facto laws is a just sanction inflicted upon those who have violated the rule and hence have forfeited the privilege to be protected by it" (The Judge Advocate Journal II, No. 3, Fall-Winter 1945, p. 46), zit. nach Ε. Wahl , Trials VIII, S. 878. 104 IMT XXII, S. 524.

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Souveränität wird hier im anglo-amerikanischen und französischen Sinne als gesetzgebende Gewalt „legibus solutus" verstanden. Aus welchem Recht Besatzungsmächte solche „Souveränität" über das besetzte Land und seine Staatsangehörigen herleiten, diese Frage ist häufig erörtert worden und muß hier offenbleiben 1 0 5 . Es genügt der Hinweis auf die schlichte und zugleich zweideutige Behauptung des IMT, Besatzungsmächte könnten für besetzte Gebiete Gesetze erlassen, und daher sei die Charta „Ausdruck des zur Zeit der Schaffung der Charta bestehenden Völkerrechts, und insoweit ist das Statut selbst ein Beitrag zum Völkerrecht" 106 . Die souveräne Gesetzgebung der Besatzungsmächte brauche jedenfalls den Gerechtigkeitsgrundsatz des „nullum crimen" dann nicht zu respektieren, wenn die Nichtbestrafung ungerecht wäre: „Zu behaupten, daß es ungerecht sei, jene zu strafen, die unter Verletzung von Verträgen und Versicherungen ihre Nachbarstaaten ohne Warnung angegriffen haben, ist klarerweise unrichtig, denn unter solchen Umständen muß ja der Angreifer wissen, daß er Unrecht tut, und weit entfernt davon, daß es nicht ungerecht wäre, ihn zu strafen, wäre es vielmehr ungerecht, wenn man seine Freveltaten straffrei ließe 107 ." Die Originalfassung verdeutlicht die Logik dieser Argumentation durch ein Wortspiel: „The attacker must know that he is doing wrong, and so far from it being unjust to punish him, it would be unjust if his wrong were allowed to go unpunished." Das IMT erörterte nicht, ob seine Annahme, das ex post facto-Verbot sei eine Gerechtigkeitsnorm für die Normalsituation, die der Gesetzgeber für Ausnahmen der Gerechtigkeit wegen suspendieren könne, mit dem traditionellen Verständnis von „nullum crimen" übereinstimmt; das ist erst im Urteil des Militärgerichts I I I im Juristenprozeß nachgeholt worden und soll im Zusammenhang mit dieser Entscheidung erörtert werden. Nach Ansicht des IMT war also „nullum crimen" ein Grundsatz, von dem die vier Siegermächte in der Londoner Charta kraft souveräner Entscheidungsgewalt abweichen durften. Indes wollte sich das Gericht nicht mit dem souveränen Machtspruch zugunsten der besonderen Gerechtigkeit begnügen und meinte — das ist sein zweites Rechtsargument —, die Charta habe das ex post facto-Verbot ohnehin nicht verletzt.

los Vgl. Hans Kelsen, AJIL 38, 1944, S. 689 ff.; ders., ebd. 39, 1945, S. 520 ff.; George A. Finch, AJIL 41, 1947, S. 20 ff.; Quincy Wright, AJIL 41, 1947, S. 50 ff.; Rolf Städter, Deutschlands Rechtslage, Hamburg 1948, bes. S. 228 ff.; Wilhelm Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, Stuttgart 1948, S. 106 ff.; Erich Kaufmann, S. 417 ff. (1954); Pal, Crimes, S. 207 ff., weitere Nachweise bei Jescheck, S. 149 ff.; Jung, S. 96-146 (Literaturbericht). 106 IMT XXII, S. 523. ιόν IMT XXII, S. 524.

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Im Zeitpunkt der deutschen Angriffskriege oder der durch die Charta ebenso pönalisierten „Kriege unter Verletzung internationaler Verträge, Abkommen oder Zusicherungen" seien solche Kriege bereits „Verbrechen" (crimen) gewesen, weil der Briand-Kellogg-Pakt den Krieg als Mittel der Politik geächtet habe 108 . Aber selbst wenn diese Behauptung als richtig unterstellt wird: das ex post factoVerbot setzt auch die vorherige Festsetzung der Strafdrohung und einen Strafrahmen (poena) voraus, sonst ist die Norm eine „lex imperfecta", ein Verbot ohne Sanktion, wie der Student in der ersten Strafrechts-Vorlesung zu lernen pflegt. Das Gericht glaubte, Art. 6 der Charta mit dem ex post facto-Verbot durch eine Zitatmanipulation und einen unstimmigen juristischen Vergleich vereinbaren zu können. Das manipulierte Zitat: Es berief sich auf Stimsons Erklärung aus dem Jahre 1932 über die Ächtung des Krieges durch den Briand-Kellogg-Pakt, ließ aber jenen Teil seiner Verlautbarung aus, danach eine Pakt-Verletzung nur durch die öffentliche Meinung sanktioniert werden könne 109 . Der juristische Vergleich: Die Haager Konvention von 1907 stelle auch nicht ausdrücklich fest, daß Verstöße gegen ihre kriegsrechtlichen Regeln als Verbrechen anzusehen seien, auch fehle den einzelnen Tatbeständen die Strafdrohung, „noch wurde irgendwie ein Gerichtshof erwähnt, der die Rechtsverletzer zur Verantwortung ziehen und bestrafen solle. Dennoch haben seit vielen Jahren Militärgerichtshöfe Personen, die der Verletzung der in dieser Konvention festgelegten Regeln der Landkriegführung schuldig waren, zur Verantwortung gezogen und bestraft. Dieser Gerichtshof ist der Ansicht, daß diejenigen, die einen Angriffskrieg führen, etwas tun, was ebenso rechtswidrig und von viel größerer Bedeutung ist als der Bruch einer Bestimmung der Haager Konvention110." Im Wilhelmstraßen-Prozeß wiederholt das Gericht IV den Schluß des IMT vom Kriegsvölkerrecht auf das „Verbrechen gegen den Frieden": „Wir können hier noch erwähnen, daß die Landkriegsordnung und die Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen keine Strafandrohung gegen die Einzelpersonen enthalten, die diese Bestimmungen verletzen; dennoch kann es nicht zweifelhaft sein, daß der Mörder eines Kriegsgefangenen strafbar ist 111 ." Die Juristen der Siegermächte in Nürnberg hat Wilhelm Grewe jüngst als „Völkerrechtsamateure (um nicht zu sagen Dilettanten)" gekennzeichnet112. Sie

los IMT XXII, S. 523 ff. 109 IMT XXII, S. 526; das so verstümmelte Zitat findet sich auch in den Urteilen der Nürnberger Nachfolge-Prozesse. Der vollständige Text der Stimson-Erklärung vorn bei Anm. 95. Daß der Vorgänger Stimsons und Schöpfer des Briand-Kellogg-Paktes dasselbe am 7. Dezember 1928 (vorn bei Anm. 90) im amerikanischen Senat erklärt hatte — Kellogg mußte es schließlich am besten wissen —, wird in keinem der Nürnberger Urteile erwähnt. no IMT XXII, S. 526. m Wilhelmstraßen-Prozeß, S. 5; Trials, Bd. XIV, S. 322. 112 Freiburger Universitätsblätter, Heft 118, Dezember 1992, S. 35; erneut abgedruckt: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 157, vom 10. Juli 1993, Beilage.

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waren sicher im Völkerrecht nicht ausgewiesen113, aber vom Militärstrafrecht verstand die für die Urteilsgründe zu diesem Punkte maßgebende Mehrheit der Richter offenbar auch nicht viel 1 1 4 . Denn Rechtsgrundlage für die Bestrafung wegen Verletzung der HLKO oder des Genfer Kriegsgefangenen-Abkommens von 1929 war in jedem Lande Kontinentaleuropas grundsätzlich das nationale Strafrecht und das jeweils geltende nationale Militärstrafrecht, die (ggf. durch Bezugnahme) Tatbestände, Strafen und zuständige Gerichte festlegten, also mit crimen, poena und judex den rechtsstaatlichen Anspruch von „nullum crimen" erfüllten 115 . Bis zum Zweiten Weltkrieg, genauer: bis 1942, waren auch im angloamerikanischen Rechtsbereich die Verstöße gegen das Kriegsrecht im Statute Law und im US-Army Field Manual, The law of land warfare, abschließend beschrieben und auf den jeweils neuesten Stand gebracht worden. Dasselbe galt für das British Manual of Military Law 1 1 6 . Das in diesem Zusammenhang vom IMT herangezogene Urteil des Supreme Court Ex parte Quirin 1 1 7 ließ zwar den unmittelbaren Rückgriff auf das Kriegsvölkerrecht ohne Vermittlung des nationalen Gesetzes zu, aber das Urteil erging 1942, entschied auch nicht über das materielle Strafrecht, vielmehr nur über die Zuständigkeit der Militärgerichte 118 . 113

Einige Bemerkungen zu den Karrieren der von den Westmächten gestellten Richter bei Smith, S. 131 ff. 114 Ausgenommen der französische Richter Henri Donnedieu de Vabres, der als Strafrechtslehrer und Verfasser eines angesehenen Lehrbuchs seine Bedenken in den Beratungen vorbrachte (vgl. bereits FN 57); er publizierte sie nach Abschluß des Verfahrens in der Form eines Aufsatzes: „Le Jugement de Nuremberg et le Principe de Légalité des Délits et des Peines", in: Revue de Droit Pénal et de Criminologie, 27 (1946/47), Nr. 10, Juli 1947, S. 813-833. H5 Das deutsche MStGB enthielt als Straftatbestände nur die typisch militärischen Delikte wie Mißhandlung eines Untergebenen (§ 122), Meuterei (§ 103), Plündern (§ 129), Verwüsten (§ 132) und Fleddern (§ 134). Der rechtswidrige Waffengebrauch wurde bestraft „vorbehaltlich der verwirkten höheren Strafe" (§ 149); für andere Delikte griffen die Militärgerichte auf das allgemeine Strafgesetzbuch zurück. ne Vgl. Oehler, S. 625 ff. (Rz. 1023 ff.). in IMT XXII, S. 528/29, Ex parte Quirin, 317 U.S., 1, 29. Das Urteil und seine Verwertung in den Nürnberger Prozessen untersuchte (unter anderen Aspekten) gründlich bereits v. Knieriem, S. 59 ff. us Am 31. Juli 1942 entschied der Supreme Court in zweiter Instanz über die Habeas corpus-Beschwerden von Quirin und sechs anderen deutschen Soldaten, die (nach den tatsächlichen Feststellungen der Gerichte) von zwei deutschen U-Booten im Juni 1942 bei New York abgesetzt und sich in Zivilkleidung in die Stadt begeben hatten, um in den Vereinigten Staaten zu spionieren und kriegswichtige Einrichtungen zu zerstören. Präsident Roosevelt hatte ad hoc ein Militärgericht ernannt, das die Angeklagten wegen des Unternehmens der Spionage und Sabotage zum Tod durch Erhängen verurteilte. Ihre Verteidiger behaupteten, sie hätten den verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein ordentliches Strafverfahren mit einer „Jury". Daß die Angeklagten nach materiellem Strafrecht zum Tode durch den Strang verurteilt werden durften, war für den Supreme Court überhaupt kein Problem, dafür gab es Statute Law. Es ging allein um die Frage, ob auf amerikanischem Territorium auch dann die Militärgerichte zuständig seien, wenn und soweit es kein unmittelbares Kampfgebiet war. Nur das bejahte der Supreme Court (Ex parte Quirin, 317 U.S., 1, 29, Supreme Court Reporter, Vol. 63, Oct. Term, 1942, S. 1-20; auch AJIL 37, 1943, S. 152-171). Die allgemeinen Ausführungen des Chief 11 Quaritsch

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Die Kodifikation der unmittelbaren Geltung des Kriegsvölkerrechts im amerikanischen und britischen Militärstrafrecht 119 mochte die common law-Richter und Militärgerichte ermächtigen, aus den Vorschriften des Kriegsvölkerrechts gleichsam ex negativo kriminelle Tatbestände zu entnehmen, z. B. aus den Vorschriften über die Behandlung von Kriegsgefangenen, die Norm (im Sinne Bindings ), daß Kriegsgefangene nicht kurzerhand getötet werden dürfen 120 . Das Kriegs Völkerrecht enthält jedoch keine „poena", nämlich keinen Strafrahmen, der Richter ist in diesen Fällen auf die Strafdrohungen des nationalen Rechts angewiesen. Man kann nicht annehmen, das Militärgericht könne die Strafe zwischen Geldbuße und Tod durch Erhängen frei und ohne normative Grundlage wählen und festsetzen. Die Nürnberger Richter wollten das ex post facto-Verbot nicht politischmoralisch überwinden, ihre Begründung sollte im juristisch-normativen Bezugsrahmen bleiben und rechtlich überzeugen, aber der schon zeitlich unmögliche Brückenschlag zum Militärstrafrecht — der einzige ernsthafte Versuch des Urteils, die Respektierung des Rückwirkungs-Verbots normativ zu begründen — offenbart die Verlegenheit und Zwangslage, in der sich die Richter angesichts der Erwartungen der Weltöffentlichkeit und der eigentlichen Siegermächte befanden, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten; sie hatten — jede auf ihre Art — wegen ihrer problematischen Verhaltensweisen zwischen 1939 und 1941 ein dringendes Interesse an einer gerichtlich, also überzeugend, und rechtskräftig, also irreversibel, festgestellten deutschen Alleinschuld am Kriege. Nicht zufällig war das „Verbrechen gegen den Frieden" mit der Folge individueller Strafbarkeit der Verantwortlichen eine sowjetisch-amerikanische Gemeinschaftsproduktion 1 2 1 , der Sachverständige der franz. Delegation, der Völkerrechtslehrer André Justice Harlan Fiske Stone über das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht waren obiter dicta, so wohl auch Matthias Höpfner, EPIL 4, 1982, S. 160 f. (Quirin, Ex parte). — Das zeitgenössische Schrifttum bei Tutorow, S. 364 f. (Nr. 3487-3495). 119 Vgl. Oehler, a. a. O., S. 626 (Rz. 1024). !20 Diese Ansicht ist im anglo-amerikanischen Rechtskreis umstritten, s. Hoffmann, S. 75 ff. m. vielen Nachw. Richtigerweise bietet das Kriegsvölkerrecht nur Gründe für den Ausschluß der Rechtfertigung, Hoffmann, S. 67 ff., 87 m. Nachw. 121 Auf die Pionierarbeit Robert Jacksons wurde vorn bereits hingewiesen (Anm. 19). Bei den Beratungen der IMT-Charta am 19. Juli 1945 in London bezog sich Jackson ausdrücklich auf die Schrift des Sowjetjuristen Aron Naumowitsch Trainin: „His view comes very close to the view which we entertain in the United States" (International Conference, S. 299). Trainin (1883-1957), Strafrechtslehrer in Moskau seit 1917, beriet in London und Nürnberg die sowjetische Delegation und Anklagebehörde, sein Buch „Hitlerite Responsibility under Criminal Law", übers, von Α. Υ. Vishinski, hrsg. ν. Andrew Rothstein, war 1945 in London bei Hutchinson & Co. erschienen. T. machte für die bisherige Straflosigkeit des Krieges den imperialistischen Charakter des Völkerrechts verantwortlich, der auch die verbrecherische Einkreisung der Sowjetunion durch die kapitalistischen Staaten gerechtfertigt habe. Glaubwürdig bekannte Trainin: „Russia would not permit herself to be restricted by traditional legalisms" (S. 7). Ähnlich hatte Jackson in seinem Bericht für den Präsidenten vom 6. Juni 1945 formuliert: „The legal position which the United States will maintain being thus based on the common sense

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Gros, hatte auf der Londoner Konferenz am 19. und 23. Juli 1945 mehrfach unwidersprochen vorgetragen, dergleichen sei dem geltenden Völkerrecht unbekannt 122 : „ . . . declaring those acts are criminal violations of international law, which is shocking. It is creation by four people who are just four individuals — defined by those four people as criminal violations of international law. Those acts have been known for years before and have not been declared criminal violations of international law. It is ex post facto legislation123." In den Nachfolge-Prozessen behandelten die Gerichte die Rechtsfrage meist als res iudicata, gelegentlich mit variierenden, ornamentierenden oder konterkarierenden Argumentationen. Im IG-Farbenprozeß hatte die Verteidigung ausführlich zur Rechtsfrage des „nullum crimen" Stellung genommen 124 . Das Gericht V I betrachtete die Rechtsfrage im IMT-Prozeß als entschieden, sprach statt dessen aus sachlichen Gründen von dem Anklagepunkt des „Verbrechens gegen den Frieden" frei 125 . Ebenso verfuhr das Gericht I I I im „Fall Krupp" 1 2 6 sowie das

of justice, is relatively simple and non-technical. We must not permit it to be complicated or obscured by sterile legalisms developed in the age of imperialism to make war respectable" (Department of State Bulletin, Bd. XII, Nr. 311, vom 10. Juni 1945, S. 1076). Den Einfluß Trainins auf Art. 6 der IMT-Charta und die Übereinstimmung der Grundanschauungen von Trainin und Jackson hob verhältnismäßig früh der amerikanische Völkerrechtslehrer George A. Finch hervor, nämlich in dem Aufsatz „The Nuremberg Trial and International Law", AJIL 41, 1947, S. 20 ff., 29; ebenso Schmitt, Glossarium, S. 178 (14. Juli 1948); Erich Kaufmann, Gesammelte Schriften II, S. 448. Ausführlich setzte sich mit Trainin allein Pal auseinander (Crimes, S. 357 ff., 366 ff.). 48 Jahre später stellte sich heraus, daß Trainin in Nürnberg als Experte zu den KGB-Spezialisten gehörte, welche die Ostblockzeugen „vorbereiteten", um besonders die in der Lubjanka verfaßten Falschaussagen zum Katyn-Komplex in eine juristisch glaubwürdige Form zu bringen, s. Arkadi Waksberg, Die Verfolgten Stalins — Aus den Verliesen des KGB, Reinbek b. Hamburg 1993, S. 166-168. 122 International Conference, S. 295 ff., u. a. unter Hinweis auf die Stellungnahmen von James Brown Scott und Robert Lansing auf der Friedenskonferenz von Versailles (S. 297). 123 Am 23. Juli 1945 (International Conference, S. 335); bereits vorher am 19. Juli (International Conference, S. 297 ff.); ebenso auf der Sitzung am 25. Juli (International Conference, S. 385 / 86). ™ Eduard Wahl, Trials VIII, S. 875-911, konnte sich am 2. Juni 1948 bereits auf kritische Stimmen der Rechtslehre zum IMT-Urteil stützen (Kelsen, Finch, Grewe, Hudson, Radin). Wichtige Teile des Plädoyers waren bereits in seinem an der Heidelberger Universität am 12. Dezember 1947 gehaltenen Vortrag über „Grundfragen der Nürnberger Prozesse" enthalten, veröffentlicht in: Aus Leben und Forschung der Universität 1947 / 48, hrsg. von W. Kunkel, Berlin 1950, S. 76-98. Wahl hat sich an der Spitze des „Heidelberger Juristenkreises" aktiv und erfolgreich für die Amnestierung und Begnadigung der in den Kriegsverbrecher-Prozessen Verurteilten eingesetzt, s. Frank M. Buscher, The US War Crimes Trials Program in Germany 1946-1955, New York 1989, S. 101 ff. Eduard Wahl (1903-1985), Prof. Zivilrecht und Rechtsvergleichung 1935 Göttingen, seit 1941 Heidelberg, MdB 1949-1969. * 25 Urteil vom 29. Juli 1948, Trials VIII, S. 1096 ff., 1124-1128. i26 Urteil vom 8. April 1948, Trials IX, S. 390-400. 11

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Gericht V im Verfahren gegen das Oberkommando der Wehrmacht 127 . Einen neuen Gesichtspunkt brachte allein das Gericht I I I im Juristenprozeß in die Erörterung. Das Gericht hatte nicht über eine Anklage wegen Verbrechens gegen den Frieden, sondern allein wegen Kriegsverbrechens und Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu entscheiden. Insofern wies es zu Recht daraufhin, der Grundsatz „nullum crimen" könne von vornherein nicht als verletzt angesehen werden, wenn das Kriegsverbrechen oder das Verbrechen gegen die Menschlichkeit zugleich das deutsche Strafgesetz verletzt habe 128 . Hatte das IMT die prinzipielle Geltung des ex post facto-Verbots für die Schöpfer der Charta bejaht, aber in diesem Ausnahmefall als nicht zwingend, im übrigen als respektiert angesehen, so meinte das Gericht III, jener Satz gehöre nur dem staatlichen Recht an, nicht aber dem Völkerrecht: „It would be sheer absurdity to suggest that the ex post facto rule, as known to constitutional states, could be applied to a treaty, a custom, or a common law decision of an international tribunal, or to the international acquiescence would follow the event. To have attempted to apply the ex post facto principle to judicial decisions of common international law would have been strangle that law at birth 129 ." Der Text verdeutlicht, wie richtig Schmitt die Relativierung der ex post factoRegel durch das amerikanische Rechtsdenken der Richter prognostiziert hatte — aber nicht nur durch das amerikanische Rechtsdenken. Die Begründung ist deshalb kaum nachzuvollziehen, weil nicht erkennbar ist, weshalb im Völkerrecht die strafrechtliche Regelung notwendig der Tat nachfolgen muß. Denn nur unter dieser Prämisse stimmte die Annahme, „nullum crimen" würde das Völkerstrafrecht im Keim ersticken („would have been strangle that law at birth"). Nach dem Ersten Weltkrieg war im Rahmen der Ausarbeitung des Statuts des „Ständigen Internationalen Gerichtshofs" eine Strafkompetenz diskutiert, mangels einschlägigen anerkannten Völkerstrafrechts im Völkerbundsrat jedoch verworfen worden 130 . Die „International Law Association" beschäftigte sich seit 1922 mehrere Jahre mit dem Projekt, die strafrechtliche Zuständigkeit des StIGH und diejenigen Bereiche des Völkerrechts festzulegen, deren Verletzung als strafrechtliches Delikt gelten sollte 131 . Dem Prinzip „nullum crimen" trug Art. 23 des 1926 verabschiedeten Resolutionsentwurfs der ILA voll Rechnung: „Eine Handlung darf nicht bestraft werden, wenn ihre Strafbarkeit nicht durch das Statut des Gerichts oder nach dem für den Angeklagten geltenden staatlichen Recht 127 Urteil vom 27. Oktober 1948, Trials XI, S. 470-490. Die Begründetheit der Anklage wegen Verbrechens gegen den Frieden verneinte das Gericht mit zwei Sätzen (S. 491). 128 Urteil vom 3. Dezember 1947, Trials III, S. 977. 129 Trials III, S. 975 unter Hinweis auf „the extinguished statesman and international authority, Henry L. Stimson". 130 Société des Nations, Actes de la I. Assemblée, Séances des Commissions, S. 481 f., Séances plénières, S. 747. 131 Der 47 Artikel umfassende Entwurf des britischen Strafrechtslehrers und Politikers Hugh H. C. Beilot ist wiedergegeben in: Hellmuth v. Weber, Internationale Strafgerichtsbarkeit, Berlin 1934, S. 136 ff.

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zur Zeit der Tat bestimmt war 1 3 2 ." Die ILA verfolgte ihren Entwurf freilich nicht weiter, nachdem Vorhaben und Text von einem prominenten Völkerrechtslehrer an prominenter Stelle abgelehnt worden waren, allerdings nicht wegen der Anerkennung des Prinzips „nullum crimen" 133 . Selbständig und mehr auf der strafrechtlichen Ebene erörterten in den 20er Jahren einige Gelehrte in Frankreich und England die Forderung nach einem Völkerstrafrecht: Vespasian V. Pella, Politis, Donnedieu de Vabres und andere bekannte Namen sind in diesem Zusammenhang zu nennen; die Wahrung des Prinzips „nullum crimen" war ihnen selbstverständlich 134. Auch die „Association internationale de Droit pénal" verhandelte auf ihrem ersten Kongreß 1926 in Brüssel lebhaft über zwölf Gutachten zum Völkerstrafrecht, beriet 1928 einen Entwurf, der 1929 dem Völkerbund vorgelegt, von diesem aber nicht behandelt wurde. Die „Association" setzte diese Arbeiten seit 1929 fort; „nullum crimen" wurde ausdrücklich in jedem Entwurf anerkannt. Auch die „Interparlamentarische Union" beschäftigte sich 1932 in Genf mit dem Entwurf eines „Droit mondial répressif 4135 . Alle diese Bemühungen scheiterten, weil den Regierungen die persönliche Strafbarkeit der für den Staat handelnden Personen nicht akzeptabel erschien und auch die Gelehrten sich über diesen zentralen Punkt keineswegs einig waren. Einig war man sich in Europa aber darüber, daß vor einer Bestrafung das Verbrechen und die Strafe fixiert sein müßten. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg und trotz der Nürnberger Urteile arbeiten Ausschüsse der Vereinten Nationen — wovon noch zu handeln sein wird — seit über 40 Jahren an dem Projekt eines Völkerstrafgesetzbuchs 136. Vermutlich waren jene europäischen Bemühungen zwischen den Kriegen den Richtern des Gerichts I I I unbekannt geblieben 137 . Allerdings hätte auch Richtern mit anglo-amerikanischem Erfahrungshorizont einfallen müssen, daß die Erwägungen, die in ihrem Rechtskreis seit dem 18. Jh., also seit Blackstone und den amerikanischen Verfassungen, das ex post facto-Verbot tragen, materieller Art sind („cruel and unjust44), also unabhängig von der formellen Zuordnung des Gesetzgebers zum staatlichen oder internationalrechtlichen Rechtskreis gelten.

132 Der Entwurf der Wiener Konferenz bei v. Weber, ebd., S. 144 ff. 133 James L. Brierly, Do we need an International Criminal Court?, BYIL 8 (1927), S. 81 ff. 134 Besonders Jacques Dumas, RdC 36 (1931), S. 386 ff. 135 Im einzelnen s. die ausführlichen Berichte von Paul Ratz, AdV 3 (1951/52), S. 275, 294 ff.; Jescheck, S. 89 ff.; Schleppte, S. 44 ff. 136 Dazu hinten bei FN 206 ff. 137 Auch der sonst so ausführliche Willis behandelt die europäische Phase des „Prologue to Nuremberg" nur flüchtig (S. 165 ff.), die 50 einschlägigen Abhandlungen, die allein Pella veröffentlichte, der „Herold des Völkerstrafrechts 44 in der Zwischenkriegszeit, waren in den Wind geschrieben.

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Schließlich führt der Verweis des ex post facto-Verbots in das Staatsrecht der Verfassungsstaaten in das Völkerrecht zurück: Das Statut des Ständigen Internationalen Gerichtshofs im Haag nannte (neben dem Völkervertragsrecht und dem Völkergewohnheitsrecht) als selbständige Rechtsquelle „the general principles of law recognized by civilized nations" („die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze"), d. h. die „general principles generally recognized in national law" 1 3 8 . Seit dem 19. Jh. bildete aber das Prinzip „nullum crimen" in allen „civilized nations" — wozu besonders die „constitutional states" im Sinne des Gerichts I I I gehören — das Fundament des modernen Strafrechts. Nachweis bei Horst Moltrecht, Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot im Völkerrecht unter besonderer Berücksichtigung des Londoner Statuts für den Internationalen Militärgerichtshof, Diss. Göttingen 1954, S. 94, der das vor 1945 geltende Verfassungsund Strafrecht von 71 Staaten rechtsvergleichend untersuchte. — Die allgemeine Geltung von „nullum crimen" wurde mit sachlich wie methodisch gleichermaßen verfehlten Behauptungen bestritten: sachlich unzutreffend, weil „nullum crimen" im anglo-amerikanischen Rechtsbereich nicht gelte (Hoffmann, S. 146; Trifterer, S. 125), nicht in der Sowjetunion, in Frankreich nicht für „politische Verbrechen" und in Deutschland nicht seit 1935 (Donnedieu de Wahres, Revue de droit pénal et de criminologie 27 [1946/ 47], S. 815 / 16 ; Hoffmann, S. 146). Man kann das Sowjet-System, in dem das Gesetz keine Rechtsfunktion besaß, in diesem Zusammenhang nicht heranziehen, die Sowjetunion war kein „zivilisierter Staat" im Sinne von Art. 38 I c, die NS-Regelung von 1935 aus Gründen, die darzulegen sich erübrigen dürfte, genau so wenig. In Frankreich sind rückwirkende Strafgesetze 1918 und (von den de Gaulle-Regierungen) 1943 und 1944 wegen Zusammenarbeit mit dem Feind beschlossen worden (Donnedieu de Vahr es, Traité de droit criminel et de législation pénale comparée, 3. Aufl., Paris 1947, S. 901). Gesetze im politischen und rechtlichen Ausnahmezustand — „under the very exceptional circumstances at the end of the second world war", wie später entschuldigend formuliert wurde (s. hinten bei FN 294) —, können nicht die allgemeine Geltung des Grundsatzes berühren. Auch steht nirgendwo geschrieben, daß der allgemeine Grundsatz des nationalen Rechts im Sinne des Art. 38 I c keine Ausnahme leiden dürfte, um als solcher anerkannt zu werden. Konnte das Gericht I I I die Maxime „nullum crimen" im Völkergewohnheitsrecht nicht finden 139 , hätte es auf die subsidiäre Rechtsquelle des ius gentium in Art. 38 I c stoßen müssen. Eine für den StIGH geltende Regel war zwar nicht unmittelbar anzuwenden, aber das IMT, auch die Militärgerichte der Nachfolgeprozesse, verstanden sich als „internationale" Gerichte, die Existenz und normative Maßstäbe aus Völkervertragsrecht und auf Völkerrecht gestütztes Besatzungsrecht ableiteten 140. Internationale Gerichte, welcher Art auch immer, pflegten 138 Art. 38 I c; übereinstimmend Art. 38 I c IGH-Statut. 139 Anders z. B. Paul Ratz (FN 135), S. 297 f. ι 4 0 Diese Selbstqualifizierung hatte vornehmlich den Sinn, den Angeklagten die Rechtsmittel an Berufungsgerichte der Vereinigten Staaten, besonders des Supreme Court, zu nehmen, vgl. Orville C. Snyder, Kentucky Law Journal 38 (1949), S. 81 -104 (ausführlichste Darstellung der Rechtsprechung des Supreme Court); Jung, S. 121 ff. Im deutschen Schrifttum wurde den amerik. Gerichten der Nachfolgeprozesse der „inter-

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schon lange vor „Nürnberg" die Aufzählung der Rechtsquellen in Art. 38 I StIGH-Statut als verbindlich anzusehen. Auch wenn die nach herrschender Ansicht nur subsidiär heranzuziehenden „allgemeinen Rechtsgrundsätze" des ius gentium 141 im konkreten Fall durch das Völkervertragsrecht der Londoner Charta verdrängt worden wären: eine argumentative Auseinandersetzung mit Art. 38 hätte die Überzeugungskraft des Urteils nur stärken können. In dieser Fassung („sheer absurdity") gewinnt der unbefangene Leser den Eindruck, den Richtern sei die grundlegende Vorschrift des Art. 38 über die im Völkerrecht anzuwendenden Rechtsquellen gar nicht in den Blick geraten. So fern lag es nicht, das Prinzip „nullum crimen" aus dem Recht der zivilisierten Staaten in das Völkerrecht zu transferieren. Auf eben diese Weise hob das IMTFE den Tatbestand der „conspiracy" zu Lasten der Angeklagten in das Völkerrecht, obgleich die Basis sehr viel schmaler, nämlich nur anglo-amerikanisch war 1 4 2 . Vor dem Militärgericht III waren 16 Juristen angeklagt. Die amerikanischen Richter fühlten sich wohl verpflichtet, den deutschen Kollegen ihre Ansicht zu diesem intrikaten Rechtsproblem ausführlicher darzulegen. So schoben sie ein obiter dictum nach, das sich mit Rang und Reichweite des ex post facto-Verbots im staatlichen Recht auseinandersetzte. Sie nahmen die Ansicht des IMT auf, die Regel sei keine Begrenzung der Souveränität, sondern nur „ganz allgemein ein Grundsatz der Gerechtigkeit 143 . Ausnahmen seien bereits früher anerkannt worden, wie sich aus dem maßgeblichen (britischen) Urteil Phillips v. Eyre, L.R.6 Q.B.l, 27 (1870-71) ergebe: „ . . . retrospective legislation .. . cannot be pronounced naturally or necessarily unjust. There may be occasions and circumstances involving the safety of the state, or even the conduct of individual subjects, the justice of which, prospective laws made for ordinary occasions and the usual exigencies of society for want of prevision fail to meet, and in which . . . the inconvenience and wrong, summum jus summa injuria 144." Zur Ehre der britischen Richter des Jahres 1870 sei angemerkt: sie entschieden nicht über eine nachträglich eingeführte rückwirkende Bestrafung, sondern umgekehrt über den „act of indemnity" aller Maßnahmen, die zur Niederwerfung des Aufstandes auf Jamaika ergriffen worden waren, also um eine rückwirkende Beseitigung der Strafbarkeit und Rechtswidrigkeit derjenigen Handlungen, die durch die Erklärung des Belagerungszustandes („martial law") am 13. Oktober 1865 nicht gedeckt waren. Das Ergebnis der ausführlich wiedergegebenen Präzedenzien und Rechtsmeinungen wird mit einem Zitat nationale" Charakter abgesprochen, s. Dahm, S. 17 ff.; E. Kaufmann, FS Bilflnger, Köln 1954, S. 123 ff.; Jescheck, S. 149 ff. 141 Zur Bedeutung der „allgemeinen Rechtsgrundsätze" im Völkerrecht vgl. Hermann Mosler, EPIL 7 (1984), S. 89, 93 ff.; Ian Brownlie, Principles of Public International Law, 4. Aufl., Oxford 1990, S. 15 ff.; Wilhelm Wengler, Völkerrecht, Berlin 1964, S. 361 ff. ι « s. vorn nach FN 89. 143 IMT XXII, S. 524, s. bereits vorn bei FN 104. 144 Trials III, S. 976.

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aus der Rechtsprechung des amerik. Supreme Court formuliert: „There is a great and apparent difference between making an unlawful act lawful and the making an innocent action criminal and punishing it as a crime" (S. 26). Dementsprechend beschrieb der Court „The retrospective Attainder acts of earlier times, when the principles of law were not so well understood or so closely regarded as in the present day, and which are now looked upon as barbarous and loosely spoken of as ex post facto laws" (S. 25). Das Urteil des Court of Exchequer Chamber vom 23. Juni 1870 stand also für das genaue Gegenteil. — Es vermittelt ein deprimierendes Lektüreerlebnis, daß sich ein deutscher Autor von Rang durch die Zitatmanipulation des Militärgerichts ΙΠ düpieren ließ und aus ihm die Konsequenz zog, im „angelsächsischen common law" sei generell eine rückwirkende Bestrafung nicht ausgeschlossen (Dahm, S. 63 m. FN 157). Hätte er das Urteil nachgelesen, wäre ihm auch die prominente Stellung des Zitats von Blackstone aufgefallen, der — über 50 Jahre vor Feuerbach - eine rückwirkende Kriminalisierung und Straffestsetzung wegen Unvorhersehbarkeit als „cruel and unjust" verdammt hatte (Blackstone' s Commentaries, 46, zit. S. 25). — In dt., dem Völkerstrafrecht und „Nürnberg" gewidmeten Dissertationen wird Dahms Irrtum vorweggenommen (Schleppte, S. 106) oder das Urteil im Juristen-Prozeß und seine Begründung übersehen (Hoffmann, S. 139 ff.; Trifterer, S. 124 u. passim). Akzeptiert man die Prämisse — das ex post facto-Verbot eine Regel nur für die Normallage —, dann allerdings war es durch Charta und KRG Nr. 10 nicht verletzt, denn die in Nürnberg zur Verurteilung anstehenden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sprengten nach Art und Ausmaß ohne jeden Zweifel den Rahmen der gewöhnlichen Kriminalität, auch der gewöhnlich mit einem Krieg verbundenen Kriegsverbrechen, nahm man den Ersten Weltkrieg 1914-1918 als Muster und Norm. Die kenntnisreicheren Juristen unter den 16 Angeklagten im Juristenprozeß — Franz Schlegelberger, Ernst Lautz und Curt Rothenberger — werden sich durch die Begründung von Regel und Ausnahme bestätigt gesehen haben: Die Rückwirkung der Lex van der Lübbe war ex officio mit dem politischen Ausnahmezustand im Frühjahr 1933 gerechtfertigt worden 145 . Die abstrakten Merkmale der Ausnahme — „occasions and circumstances involving the safety of the state, or even the conduct of individual subjects" — konnten auch für die rückwirkenden Gesetze gegen erpresserischen Kindesraub (1936) und gegen Straßenraub mittels Autofallen (1938) angeführt werden. Die meisten der rückwirkenden Strafgesetze wurden ohnehin in der Ausnahmesituation des totalen Krieges erlassen 146. Die evidente Schwäche dieser Begründung: Gilt das ex post facto-Verbot nur als Ergebnis einer „Abwägung", dann fallen die nichtnormativen Vorstellungen, die politisch gerade dominierenden Strafbedürfnisse, wie Blei in die eine Schale der Justitia. Auch in freien Gesellschaften kann sich der Gesetzgeber, unterstützt oder angetrieben von der öffentlichen Meinung, über die Bedenken gegen die

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Pfundtner / Neubert, Das neue deutsche Reichsrecht, Berlin 1933, II c 1, S. 1 f.; Naucke, S. 236. 146 Vgl. Naucke, S. 229-234.

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Rückwirkung mühelos hinwegsetzen, jedenfalls in aufgeregten Zeiten, wenn der Welt-Feind — wie Kaiser Wilhelm II. — oder gar hostes generis humani — wie in Nürnberg und Tokio — ihre verdiente Strafe erhalten sollen. Soll sich Recht als Recht nicht nur gegenüber dem ordinären Kriminellen bewähren, gegenüber Taschendieben und Totschlägern, Kidnappern und Brandstiftern, sondern auch — der eigentliche Probierstein — wenn es gegen den Feind und das Böse schlechthin geht, dann müßte der Grundsatz jeglicher Gerechtigkeitsabwägung entzogen und als zwingendes überpositives Recht auch den auf der Ebene des Völkerrechts agierenden Siegern vorgeordnet werden. „Überpositives" Recht als solches ist den methodischen Einwänden ausgesetzt, die seit langem und immer wieder gegen das „Naturrecht" älteren und neueren Datums vorgebracht werden 147 . Überzeugender ist eine Ableitung des völkerrechtlichen ex post facto-Verbots aus den Grundgedanken des Kriegsrechts selbst. Wer die Waffen streckt, überwältigt wird oder sich ergibt, steht wehrlos vor dem Sieger. Im Zustande der Wehrlosigkeit sind die Regeln des Rechts der einzige Schutz des Besiegten. In der juristischen Zivilisation dürfen die Besiegten nicht getötet, nicht versklavt und nicht dafür bestraft werden, daß sie überhaupt gekämpft haben. Wegen Verletzungen des Kriegsrechts („Kriegsverbrechen") oder des allgemeinen Strafrechts („Verbrechen gegen die Menschlichkeit") darf auch der Sieger den Besiegten strafen; sonst stände sich der Missetäter als Besiegter besser als im Normalzustand des Friedens, in dem er von Rechts wegen vor das eigene Kriegsgericht oder Strafgericht gehörte. Ihm aber den Schutz des Prinzips „nullum crimen" zu entziehen, liefert ihn der Willkür des Siegers aus, weil der Sieger das neue Verbrechen beschreibt und die neue Strafe festsetzt. Die beanspruchte „Gerechtigkeit" kann dann keine „allgemeine", auch das Unrechtsbewußtsein des Besiegten einschließende Gerechtigkeit sein; das setzte Existenz, Billigung oder doch wenigstens Hinnahme des vollen Straftatbestandes vor der Tat voraus. Die „Gerechtigkeit" ist nur die Gerechtigkeit des Siegers, „victor's justice". Gerechtigkeit ist keine automatische Prämie auf den Sieg der Waffen. Die gerechte Sache kann siegen, aber auch unterliegen. Sieg und Niederlage sind keine Gottesurteile. Solchen Überlegungen standen die politischen Interessen der Siegermächte entgegen. Bei den Verhandlungen über die Londoner Charta im Sommer 1945 erklärte der Vertreter der britischen Regierung und spätere Ankläger im Nürnberger IMT-Prozeß, Sir David Maxwell-Fyfe:

147 Zum „Naturrecht" rechnet Helmut Coing das ex post facto-Verbot: Die obersten Grundsätze des Rechts, Heidelberg 1947, S. 95 / 95; ders., Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1. Aufl., Berlin 1950, S. 186, ausdrücklich gegen die Versuche, das KRG Nr. 10 zu rechtfertigen, 3. Aufl. 1976, S. 242, 5. Aufl. 1993, S. 196, 288; ähnlich Naucke, der das Verbot belastender rückwirkender Strafrechtsregeln nicht als Funktion des jeweiligen politischen Zustandes begreift, sondern als Grenze für das politische System (S. 244 / 45).

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„What we want to abolish at the trial is a discussion as to wether the acts are violations of international law or not. We declare what the international law is so there won't be any discussions on wether it is international law or not 148 ." So sprechen Sieger: „We declare what the international law is" — was Völkerrecht ist, bestimmen wir. Sir David hätte auch eine Metapher Carl Schmitts aus dem Jahre 1932 anführen können: „Caesar dominus et supra grammaticam."

148 International Conference, S. 99 (29.6.1945). Das Zitat auch bei Partsch, S. 408 FN 579. Maxwell-Fyfe fügte hinzu: „We hope that is in line with prof. Trainin's book." Diese Hoffnung war berechtigt.

Zwei Antworten im „Tokyo Trial" Die Charta des „International Military Tribunal for the Far East" (IMTFE) erließ der Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte in Japan, MacArthur, am 19. Januar 1946, sie stimmte weitgehend mit der Charta des Nürnberger IMT überein, auch die Verfahrensordnung war nahezu identisch 149 . Das „Tokyo Trial" wurde in der Zeit vom 3. Mai 1946 bis 12. November 1948 gegen 28 Regierungsmitglieder und hohe Militärs durchgeführt. Es endete gegen 22 Angeklagte u. a. mit einem Schuldspruch wegen „Verschwörung gegen den Frieden", davon wurden sechs zum Tod durch den Strang verurteilt und hingerichtet, 16 dieser Angeklagten erhielten eine lebenslange Freiheitsstrafe, einer (Togo) wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt 15 °. Im „Tokyo Trial" kam dem „Verbrechen des Angriffskrieges" und damit dem Prinzip „nullum crimen" eine größere Bedeutung zu als im Nürnberger IMT-Prozeß: Angeklagt wurden nur japanische Politiker und Militärs, von denen die Anklagebehörde behauptete, sie seien der „Verschwörung gegen den Frieden" schuldig 151 . Im Gegensatz zum Nürnberger IMT-Prozeß, in

Die Charta des IMTFE ist abgedruckt in Trials XV, S. 1218-1223; im materiellen Teil fehlte das Delikt der „verbrecherischen Organisation", das auf die politischen Strukturen in Deutschland, nicht in Japan angewendet werden konnte. 150 Dokumentationen und zeitgenössisches Schrifttum sind nachgewiesen von Tutorow, S. 265-282 (Nr. 2544-2670). Urteil, Sondervoten und Prozeßmaterialien des IMTFE wurden zugänglich erst durch das 22bändige Werk von R. J. Britchard / S. M. Zaide, The Tokyo War Crimes Trial, New York 1981. Bereits vorher hatten Bert V. A. Röling und C. F. Rüter das Urteil und die besonderen oder auch abweichenden Meinungen der Richter herausgegeben (The Tokyo Judgment, 2 Bde., Amsterdam 1977). Im amerik. Schrifttum wurden Prozeß und Urteil kritisch aufgearbeitet durch die unveröff. Ph. D.Dissertation an der Universität Washington von Walter Lee Riley (1957), dann durch Minear, Victors' Justice, 1971; die erste umfassende Kritik an Verfahren und Ergebnis des IMTFE schrieb Gordon Ireland, Year Book of World Affairs 4 (1950), S. 50-104; aus dem deutschen Schrifttum ist nur zu nennen Knut Ipsen, Das „Tokyo Trial" im Lichte des seinerzeit geltenden Völkerrechts, in: FS Oehler, Köln 1985, S. 505-515. Der Bericht über Rechtsgrundlagen, Anklage, Verteidigung, Urteile und Sondervoten im IMTFE-Prozeß von Solis Horwitz erschien bereits 1950, wurde aber wenig beachtet (Tokyo Trial. International Conciliation No. 465, New York 1950, Carnegie Endowment for International Peace, S. 473 - 584). Horwitz war Mitarbeiter der amerik. Anklagebehörde, seine Bemerkungen zu den Schwierigkeiten des Verfahrens sind heute noch wichtig, nicht nur für den Historiker. 151 Über die Gesichtspunkte, die u. a. vier Premierminister, vier Außenminister, fünf Kriegsminister, zwei Marineminister und vier Botschafter auf die Anklagebank brachten, s. Piccigallo, S. 14 ff. — Wegen Verbrechens gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhandelte ein chinesisches Gericht gegen den japanischen General Takashi Sakai, der in China nach dem Mukden-Zwischenfall von 1931 und von 1939 bis 1945 japanische Truppen kommandiert hatte (UN-Law Reports

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dem nur Heß allein wegen Angriffskriegs verurteilt wurde, konnten im „Tokyo Trial" von 25 Angeklagten nur fünf wegen Verletzungen des Kriegsrechts für schuldig befunden werden, und zwar in zwei Fällen wegen gesetzwidrigen Arbeitseinsatzes von Kriegsgefangenen, in drei Fällen, weil sie nach Ansicht des Gerichts ihre Untergebenen nicht zureichend überwacht hätten. An der gerichtlichen Feststellung des „Verbrechens gegen den Frieden", begangen allein durch die politische und militärische Führung Japans, waren wieder die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten besonders interessiert. Gedrängt von den Vereinigten Staaten und Britannien hatte die Sowjetunion noch am 8. August 1945 Japan den Krieg erklärt — zwei Tage nach dem Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima —, obgleich der von beiden Staaten am 13. April 1941 geschlossene Nichtangriffspakt bis (mindestens) 1946 gelten sollte; am 13. Juli 1945 hatte Japan die neutrale Sowjetunion um Friedens Vermittlung ersucht. Als am 8. August 1945 die Londoner Charta verabschiedet wurde, das „Kriege unter Verletzung internationaler Verträge, Abkommen oder Zusicherungen" als „Verbrechen gegen den Frieden" pönalisierte, am gleichen Tage also erklärte einer der Charta-Beteiligten, die Sowjetunion, Japan den Krieg und verletzte dadurch den Nichtangriffspakt von 1941, dieselbe Sowjetunion, die im Dezember 1939 auf Antrag Britanniens und Frankreichs wegen des Angriffs auf Finnland aus dem Völkerbund ausgeschlossen worden war, die am 27. Juni 1940 das rumänische Bessarabien und die Nordbukowina annektiert hatte und am 21. Juli 1940 die Rote Armee in die baltischen Staaten hatte einrücken lassen. Es war aber die Sowjetunion, die im Nürnberger IMT Ankläger und Richter stellte und im IMTFE ebenfalls zu Gericht saß. Das war mehr als ein Schönheitsfehler und nur negativ „a landmark in law", erklärt aber, weshalb auf der Londoner Konferenz Trainin das deutsche „Verbrechen gegen den Frieden" festgestellt wissen wollte 1 5 2 . Die Vereinigten Staaten hatten seit 1931 Partei gegen Japan genommen (Stimson-Doktrin), später einen Krieg mit „friedlichen" Mitteln geführt, seit 1938 durch Strafzölle auf japanische Waren, durch Widerruf des Handelsvertrages von 1911 (Juli 1939), durch Verbote der Lieferung von Flugbenzin (1940) und Erdöl überhaupt (August 1941), durch Militärhilfe für China (Juni 1941), das Einfrieren aller Guthaben in den USA (Juli 1941) bis hin zu jenem „Angebot" des Außenministers Hull am 26. November 1941, über das ein Zeitgenosse spottete, es hätte selbst das Großherzogtum Luxemburg dazu veranlaßt, den Vereinigten Staaten den Krieg zu erklären 153 . XIV, Nr. 83, S. 1 -7). Der General wurde am 29. August 1946 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Darüber berichtet Brownlie, Use of Force, S. 181 f., mit dem zutreffenden Hinweis, das chinesische Gericht habe den Täterkreis für das „Verbrechen gegen den Frieden" erheblich weiter gefaßt als die Militärgerichte in Nürnberg. 152 Vgl. Smith, S. 73. 153 Nach R. Pal, Tokyo Judgment II, S. 929.

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Das IMTFE folgte der Anklage und erklärte die japanische Politik in der Zeit vom 1. Januar 1928 bis zum 2. September 1945 als „Verschwörung gegen den Frieden". Der größere Teil der Urteilsbegründung ist naturgemäß der japanischen Expansion gegenüber China gewidmet 154 . Aber auch hinsichtlich der Sowjetunion stellte das Gericht ein aggressives Verhalten Japans 1930-1940 fest und schließt: „The intention to undertake a war against the U.S.S.R. has been shown to have been one of the basic elements of Japan's military policy 155 ", womit der Kriegseintritt der Sowjetunion und die bis heute währende Annexion der vier Kurilen-Inseln gerechtfertigt sein sollten. Angesichts des japanischen Überraschungsangriffs auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 fiel dem IMTFE die Feststellung des Angriffskrieges gegenüber den USA sehr viel leichter. Die vorangegangene US-Politik der wirtschaftlichen Erpressung und Erdrosselung Japans bezeichnete das Gericht als erlaubtes Mittel, Japan auf den rechten Weg und in den Kreis der friedliebenden Völker zurückzuführen 1 5 6 . Die Verteidigung verneinte die Zulässigkeit einer Anklage wegen „Verschwörung gegen den Frieden", weil „Verschwörung" und „Angriffskrieg" keine völkerrechtlichen Straftatbestände seien und Individuen völkerrechtlich nicht für Staatsakte zur Rechenschaft gezogen werden dürften; die Charta verstoße gegen das ex post facto-Verbot 157 . Das IMTFE entschied, es sei an die Charta gebunden und müsse diese Einwände schon deshalb zurückweisen. Der großen Bedeutung wegen erklärte das Gericht zusätzlich seine volle Übereinstimmung mit dem Nürnberger IMT und wiederholte dessen Kernthesen, deren erste besonders auffällt: „The Charter is not an arbitrary exercise of power on the part of the victorious nations but is the expression of international law existing at the time of its creation 158 ." Die Richter des IMTFE weiteten das Spektrum der Argumentation aus, was freilich zu erwarten war. Der politischen Symbolik wegen war die Richterbank mit elf Juristen besetzt, deren Staaten sich mit Japan im Krieg befunden hatten: Australien, China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Kanada, Neuseeland, Niederlande, Philippinen, Sowjetunion und Vereinigte Staaten. Bei einem so zahlreich und so international besetzten Gericht sind einhellige Meinungen ganz 154 Tokyo Judgment I, S. 136 ff., 195-300. 155 Tokyo Judgment I, S. 301-325. 156 Tokyo Judgment I, S. 348-384. 157 Für die Gesamtverteidigung argumentierte der seit 1921 an der Kaiserlichen Universität Tokio lehrende Takayanagi Kenzo, der als einstiger Student in Harvard, Chicago und London's Middle Temple als Japans führender Kenner des anglo-amerikanischen Rechts galt; er veröffentlichte seine beiden großen Plädoyers als Buch (The Tokyo Trials and International Law, Tokio 1948), im einzelnen Minear, S. 40 ff., 50 ff. iss Tokyo Judgment I, S. 28.

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unwahrscheinlich. Während das Nürnberger IMT keine concurring opinions oder dissenting votes zuließ — wohl aber die Gerichte in den Nürnberger Nachfolgeprozessen —, wurden im „Tokyo Trial" nicht weniger als fünf richterliche Sondervoten abgegeben, die zusammen ausführlicher waren als das eigentliche Urteil 1 5 9 . Die Sondervoten interessieren hier nur, soweit sie zum Verbrechen des Angriffskriegs und dem Kreis der Verantwortlichen Stellung nehmen. Der Präsident des Gerichts, Sir William Webb, Australien, bejahte kraft Logik der Sache eine Verantwortung des Kollektivs: „The view that aggressive war is illegal and criminal must be carried to its logical conclusion, e. g., a soldier or civilian who opposed war but after it began decided it should be carried on until a more favorable time for making peace was guilty of waging aggressive war. There are no special rules that limit the responsbility for aggressive war, no matter how high or low the rank or status of the person promoting or taking part in it, provided he knows, or should know, it is aggressive 16 °." Die Praxis der Staaten und ihrer Gerichte hat sich dieser Meinung nicht angeschlossen161 ; sie ist die Kehrseite der seit 1929 von Hans Wehberg aufgestell159 In der Ausgabe „Tokyo Judgment" das „Majority Judgment", S. 1 - 466, die Sondervoten: S. 469-1148. Die bei Eröffnung des Verfahrens bereits anwesenden neun Richter hatten den Verzicht auf Sondervoten verabredet. Nachdem der indische Richter Pal am 17. Mai, also 14 Tage nach Eröffnung der Verhandlung, eingetroffen war (der philippinische Richter Jaranilla erst am 3. Juni 1946), erklärte er sogleich, er fühle sich an diese Vereinbarung nicht gebunden und behalte sich das Recht auf Sondervotum vor. Damit war die Grundlage des gemeinsamen Verzichts entfallen (Röling, Tokyo Judgment I, S. XVI). Eine weitere Besonderheit des Verfahrens: Der zunächst amtierende amerikanische Richter John Β. H ig gins trat am 24. Juni 1946 von seinem Amt zurück und wurde am 22. Juli 1946 durch General M. C. Cramer ersetzt (Röling, a. a. O.). — Das Umfeld des Prozesses erhellen die Beobachtungen der Pianistin und Musikwissenschaftlerin Eta Harich-Schneider, die Kontakt hatte mit Familien der Angeklagten wie mit den Richtern Röling und Pal (Charaktere und Katastrophen, Berlin 1978, S. 304-321). !6o Tokyo Judgment I, S. 475. Fast gleichzeitig schrieb Robert M. W. Kempner: „Es ist doch völlig klar und sollte eigentlich nicht der Erwähnung bedürfen, daß kein Mensch bei der Ächtung des Angriffskriegs jemals daran gedacht hat oder daran denken konnte, den einfachen Bürger oder Soldaten zur Verantwortung zu ziehen" (Die Gegenwart, 3. Jg., Nr. 19, v. 1. Oktober 1948, S. 9/ 10). In den ca. 30.000 Sowjet. Scheinprozessen gegen dt. Soldaten 1946-1950 wurde die Verurteilung auch zur Höchststrafe (25 Jahre Arbeitslager) zwar nicht regelmäßig und systematisch, aber doch häufig allein auf die Zugehörigkeit zur dt. Wehrmacht in der Sowjetunion gestützt, also aus der Teilnahme am Angriffskrieg auf das individuelle Kriegs verbrechen geschlossen, vgl. FriedrichChristian Schroeder u. Martin Fincke sowie die Fallberichte in: Stalins Willkürjustiz gegen die deutschen Kriegsgefangenen, hrsg. v. Günther Wagenlehner, Bonn 1993, S. 48 ff., 72 ff., 87 ff. 161 s. vorn die Anm. 161 zit. Urteile des Bundesgerichtshofs (1964) betr. Kriegsdienst in der Wehrmacht und des Supreme Court (1967) betr. Kriegsdienst in Vietnam. Der deutsche Gesetzgeber des 8. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 25.6.1968 (BGBl. I S. 741) war so unsicher über die Antwort auf die Rechtsfrage, daß er nur die Vorbereitung des Angriffskrieges und die Aufstachelung zum Angriffskrieg für strafbar erklärte (§§ 80, 80 a StGB), nicht aber das Führen des Angriffskriegs selbst, weil er befürchtete, auch der einfache Soldat könnte dann wegen Angriffskriegs bestraft werden. Die Gesetzestexte gelten insgesamt nicht als Glanztat des deutschen Gesetzgebers, vgl. z. B. die Kritik

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ten Behauptung, die Ächtung des Krieges durch den Briand-Kellogg-Pakt berechtige und verpflichte den einzelnen Staatsbürger, dem Angreiferstaat den Kriegsdienst zu verweigern 162 . Die von Webb angeführte „Logik" liegt nicht nur in seiner unreflektiert mitgedachten anglo-amerikanischen Teilnahmelehre, sondern im „Verbrechen gegen den Frieden" selbst, an dem sich in der Tat jeder Unternehmer und Werkmeister der Rüstungsindustrie, jeder Lokführer und Sanitätsgefreite beteiligt, der weiß oder wissen muß, daß sein Staat einen Angriffskrieg führt. In Verbindung mit der völkerstrafrechtlichen Individualverantwortung für Staatshandlungen liefe diese Logik auf eine kollektive strafrechtliche Verantwortung hinaus, die sich Edmund Burke 1775 nicht vorstellen konnte und die Fisher Williams 1936 als Merkmal primitiver, vormoderner Rechtszustände bezeichnet hatte 163 . Wenn gleichwohl der Präsident des IMTFE, kein professoraler Theoretiker wie Hans Wehberg, sondern ein Jurist, der als hoher Richter über Leben und Freiheit von Ministern und Generalen zu entscheiden hatte, die Rechtslogik des Begriffs „Verbrechen gegen den Frieden" so weit trieb, dann wird überdeutlich, wie richtig und wichtig es war, daß Schmitt in Teil IV und Teil V seines Gutachtens die Frage nach dem Täter des internationalrechtlichen Verbrechens „Krieg" grundsätzlich und unter dem Gesichtspunkt erörterte, ob der „ordinary businessman" als Täter oder Teilnehmer eines solchen Verbrechens in Betracht kommt. Der französische Richter Henri Bernard behauptete in seinem Sondervotum ein richterliches Nachprüfungsrecht gegenüber der Charta, verneinte die Relevanz des Briand-Kellogg-Paktes für die Kriminalisierung des Angriffskrieges, meinte aber, der Angriffskrieg sei nach Naturrecht schon immer ein Verbrechen gewesen, weshalb sich der Einwand „nullum crimen" von selbst erledige: „There is no doubt in my mind that such a war is and always has been a crime in the eyes of reason and universal conscience — expressions of natural law upon which an international tribunal can and must base itself to judge the conduct of the accused tendered to it 1 6 4 ." Der philippinische Richter Delfin Jaranilla hingegen verwies das ex post factoVerbot ganz aus dem Völkerrecht. Weil die Schäden, die ein Staat im Verhältnis zu anderen Staaten anrichten könne, viel größer seien als das Verbrechen eines von Friedrich-Christian Schroeder, Juristenzeitung 24 (1969), S. 41 ff.; Günther Willms, Leipziger Kommentar, Bd. 4, Berlin 1988, Art. 80 vor Erl. 1. 162 Vorn Anm. 151. 163 s. vorn Anm. 134. 164 Tokyo Judgment I, S. 490. Unrichtig Dahm, S. 59 FN 147, Bernard habe seinen Dissens mit der Verletzung des Grundsatzes „nullum crimen" begründet. Bernard wollte vielmehr das Urteil nicht mittragen, weil die Angeklagten sich teilweise nicht hätten verteidigen können und weil die Willensbildung innerhalb des Gerichts mit Mängeln behaftet gewesen sei: „Essential principles, violation of which would result in most civilized nations in the nullity of the entire procedure, . . . were not respected" (Tokyo Judgment I, S. 494-496).

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Individuums, müsse die internationale Gemeinschaft sich vorbehalten, variabel und unvorhersehbar zu reagieren 165. Im Unterschied zu diesen gewiß originellen, aber doch eher bekenntnishaften Feststellungen untersuchte der niederländische Richter, der Strafrechtslehrer Bert V. A. Röling, mit penibler Sorgfalt das positive Völkerrecht, besonders die uns aus dem Gutachten Schmitts bereits bekannten Vorgänge zwischen den Weltkriegen, dazu die Erklärungen der alliierten Mächte während des Krieges. Sein Ergebnis: „Crimes against peace were not regarded true crimes before the London Agreement, and were not considered as such before the end of 1943 166 ." Der Konsequenz — keine Verurteilung aufgrund der Charta — wollte Röling jedoch entgehen. Den Ausweg des Nürnberger IMT — das ex post facto-Verbot „nur" ein Gebot von „justice", aber keine Einschränkung des souveränen Gesetzgebers — wollte er ebenfalls vermeiden: „it being the first duty of the Tribunal to mete out justice". So wählte er den Ausweg, für den sich bereits das Militärgericht I I I am 3. Dezember 1947 im Nürnberger Juristenprozeß entschieden hatte, das ex post facto-Verbot dem staatlichen Recht zuzuweisen — allerdings mit größerer begrifflicher Sorgfalt —, ihm im Völkerrecht nur den Charakter einer „politischen" Regel zuzusprechen, Ausdruck politischer Weisheit, von denen Siegerstaaten abweichen dürften; in einem solchen Fall sei der Richter nicht befugt, „to judge the wisdom of a certain policy" 1 6 7 . Auch Röling übersah, daß die Maxime „nullum crimen" durch ihre Geltung in allen „civilized nations" zu den „general principles of law" gehörte, die jedenfalls der Ständige Internationale Gerichtshof für seine Rechtsprechung als Rechtsquelle zu berücksichtigen hat 168 . Es überraschte vor allem das Sondervotum des indischen Richters Radhabinod Pal, „der einzige unter den elf Richtern, der eine Reputation als Völkerrechtler hatte" 169 . Sein „dissenting vote" ist im europäischen und anglo-amerikanischen 165 Tokyo Judgment I, S. 507 f, unter Hinweis auf Jorge Americano, New Foundation of International Law, New York 1947, S. 38 f. Jaranilla war der einzige Richter, dem die Strafen des IMTFE zu milde erschienen: „too lenient, not exemplary and deterrent, and not commensurate with the gravity of the offenses committed" (S. 514). 166 Tokyo Judgment II, S. 1045-1059. 167 Tokyo Judgment II, S. 1059. 168 Vgl. vorn bei FN 138. — Bert Röling (1906-1985) war zunächst Privatdozent für Kriminologie an der Universität Utrecht, 1941-1946 Richter an den Landesgerichten Middelburg und Utrecht gewesen. 1949-1953 war er Richter am Kassationsgericht der Niederlande, 1949-1962 Professor für Strafrecht, seit 1957 für Völkerrecht an der Universität Groningen, 1951-1957 Mitglied der niederländischen Delegation bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen. 169 Grewe, Machtprojektionen, S. 538. Diese Charakterisierung in dem Vortrag „Die Besiegten nach dem Kriege: Japanisch-deutsche Parallelen und Divergenzen", in: „Deutschland — Japan — Historische Kontakte", hrsg. von J. Kreiner, Bonn 1984, S. 285-300. Auf das Sondervotum und seine Ergebnisse verwies Grewe auch in FS Doehring, S. 234, und erinnerte an Pal noch einmal in seinem Rückblick (FN 112),

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Schrifttum so gut wie nicht beachtet worden 17 °; Ursache war wohl der abgelegene Erscheinungsort und der späte Zeitpunkt — Kalkutta 1953 171 —, vielleicht auch das Ergebnis: Freispruch für alle Angeklagten. Pals Votums setzt sich auf über 700 Seiten mit allen Aspekten des Verfahrens auseinander, auch mit der Schuld der einzelnen Angeklagten. Den hier relevanten Fragen nach der IMT-Kompetenz und der Strafbarkeit des Angriffskrieges widmete er allein 130 Druckseiten 172 . Angesichts dieses Umfangs können hier nur die Ergebnisse und einige charakteristische Züge mitgeteilt werden. Pal stand in der britischen Rechtstradition, er untersuchte die Rechtsfragen seines Falles als Vertreter des „traditional legalism" (Trainin) der Völkerrechtslehre. Behaglich breit, aber methodisch korrekt, untersuchte er Schritt für Schritt die Rechtsgrundlagen des Potsdamer Übereinkommens und der Londoner Charta von 1945, zitiert ausführlich die älteren und neueren Ansichten der großen Autoren des anglo-amerikanischen Völkerrechts — Oppenheim und Quincy Wright, Kelsen und Hall —, dazu die Ankläger im Nürnberger Prozeß, Jackson und Lawrence („his Lordship said"), mit dem (unter dem Vorzeichen von „traditional legalism") zu erwartenden Ergebnis: S. 36. Von den elf Richtern war allein Pal Mitglied der „International Law Association", s. Minear, S. 75 ff., 86, mit Hinweisen auf die juristischen Karrieren der anderen Richter. Pal gehörte auch der „International Law Commission" an, die, eingerichtet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen, 1951 den ersten Entwurf des „Code of Offences against the Peace and Security of Mankind" vorlegte (Pal, Crimes, S. III ff., United Nations, International Law Commission. Document A/CN. 4/48 v. 30. Juli 1951). RadhabinodPal( 1886-1967), 1911 Professor für Mathematik, 1923 für Rechtswissenschaft an der Universität Kalkutta (er trat besonders durch rechtshistorische Veröffentlichungen hervor), 1941 Richter am High Court Calcutta, 1944 Präsident der Universität von Kalkutta, für das IMTFE benannt durch den mit ihm befreundeten Premierminister Pandit Nehru. no Selbst das so ausführliche Werk von Brownlie, Use of Force, 1963, nimmt nur mit einem einzigen Satz auf das Sondervotum bezug (S. 173 m. FN 4 u. 5). Anders das allerdings erst 1971 veröffentlichte Buch des amerik. Politikwissenschaftlers Minear, Victor's Justice, durchgehend. Im dt. Schrifttum scheint — außer Grewe — nur Hoffmann, S. 91, das Sondervotum Pals ausgewertet zu haben. Sechs Jahre später warf Saburo Ienaga dem indischen Richter ideologische Befangenheiten vor, während Minear ihm besonderen Mut bescheinigte, vgl. Japan Interpreter 11 (1977), S. 263 ff., 271 ff. Pal betrachtete die Anwesenheit der europäischen Mächte und der USA in Ostasien äußerst kritisch, was nach seiner politischen Heimat im Kreise Ghandis und Nehrus nicht überraschen konnte. Besonders die atomare Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki hatte ihn erregt; der Veröffentlichung seines Sondervotums in Kalkutta 1953 fügte er 20 Fotos über die Folgen der Vernichtung bei. Es wäre aber sicher naiv anzunehmen, seine zehn Richterkollegen hätten weniger ausgeprägte Vorurteile gegenüber Japan und den japanischen Angeklagten gehegt. 171 The International Military Tribunal for the Far East — Dissentient Judgment, Calcutta 1953. Weil dieses Werk in deutschen Bibliotheken außerordentlich selten anzutreffen ist, wird sein dissenting vote nach dem eher zugänglichen „Tokyo Judgment" angeführt. Systematisch nahm Pal das Thema auf in seinen Tagore Lectures: „Crimes in International Relations", University of Calcutta, 1955. 172 Zahlen nach der Kalkutta-Ausgabe; in dem großformatigen „Tokyo Judgment" nimmt das Sondervotum 500 Seiten ein, die sog. juristischen Präliminarien S. 527-627. 12 Quaritsch

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Helmut Quaritsch: Nachwort

„Under international law, as it now stands, a victor nation or a union of victor nations would have the authority to establish a tribunal for the trial of war criminals, but no authority to legislate and promulgate a new law of war crimes. When such a nation or group of nations proceeds to promulgate a Charter for the purpose of the trial of war criminals, it does so only under the authority of international law and not in exercise of any sovereign authority. I believe, even in relation to the defeated nationals or to the occupied territory a victor nation is not a sovereign authority 173." Auch die Übernahme der vollen Regierungsgewalt über Deutschland, wie in Potsdam proklamiert, rüste die Besatzungsmächte nicht treuhänderisch mit deutscher Souveränität aus; sie blieben Besatzungsmächte und als solche an das Völkerrecht gebunden174. Infolgedessen „ . . . , a victor nation is, under the international law, competent to set up a Tribunal for the trial of war criminals, but such a conqueror ist not competent to legislate on international law" 175 . Pal ging also von der völkerrechtlich beschränkten Kompetenz von Besatzungsgerichten aus, um von dorther die Frage anzugehen, ob der Angriffskrieg ein im Völkerrecht bereits normiertes oder sonst anerkanntes „war crime" gewesen war. Seine Untersuchung schritt erwartungsgemäß die einzelnen, uns schon bekannten Stationen ab: das Genfer Protokoll von 1924, den Briand-Kellogg-Pakt, die Erklärung des Senators Borah und Kelloggs Erklärung im US-Senat über die öffentliche Meinung als einzige Sanktion des Vertragsbruchs und die Budapester Thesen der „International Law Association" von 1934 176 . Auch die Verhandlungen in Paris 1919 mit den Darlegungen von Lansing und James Brown Scott wurden nicht vergessen 177. Sodann setzte sich Pal mit den Versuchen der Ankläger in Nürnberg und Tokio auseinander, den Angriffskrieg als strafbares Verbrechen vor Beginn der jeweiligen „Verschwörung" nachzuweisen — im Falle Japan also vor 1928 —, verbunden mit einer ausführlichen Wiedergabe und sorgfältigen Prüfung der wichtigsten Stimmen des Schrifttums, die sich zwischen 1944 und 1948 bald affirmativ, bald kritisch mit der Anklage befaßt hatten: Sheldon Glueck und Hans Kelsen, Quincy Wright und Manley O. Hudson, George Finch und Lord Wright 1 7 8 . Besonders seine Auseinandersetzung mit dem bereits erwähnten Buch des Sowjetjuristen Trainin enthielt Überlegungen, die anderwärts erst Jahre später, nach der „brüderlichen Hilfe" für Ungarn (1956) und die Tschechoslowakei (1968), angestellt wurden 179 . 173 Tokyo Judgment II, S. 547. 174 Tokyo Judgment II, S. 547 ff., in Auseinandersetzung mit den einschlägigen Thesen von Quincy Wright. 175 Tokyo Judgment II, S. 550. 176 Tokyo Judgment II, S. 551-567. 177 Tokyo Judgment II, S. 580 f. 178 Tokyo Judgment II, S. 581-596. 179 Tokyo Judgment II, S. 596-605.

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Schwer fiel es Pal nicht, die Schwächen und Lücken in den Schriften jener Autoren aufzudecken, die der Nürnberger Charta und den Nürnberger Urteilen des IMT wie der Militärgerichte juristische Substanz nachzuliefern suchten. Das 1945 geltende positive Völkerrecht hatte weder den Angriffskrieg kriminalisiert, noch die für den Staat handelnden Personen strafrechtlich verantwortlich gemacht: „ . . . the international community has not as yet reached a stage which would make it expedient to include judicial process for condemning und punishing either states or individuals" 18°. Die Übereinstimmung mit Schmitts Überlegungen und Resultaten ist augenfällig, aber einfach zu erklären: Beide Autoren argumentierten auf dem Boden des geltenden Völkerrechts. Schmitt hatte keineswegs neue Konstruktionen errichtet oder ungewöhnliche Gedanken und Interpretationen vorgetragen, wie in seinen Büchern und Aufsätzen der 20er Jahre. Sein Gutachten war, wie das Votum von Pal beweist, solide völkerrechtliche Arbeit gewesen, nicht mehr. Er selbst hat es nicht anders und nicht höher eingeschätzt: „ . . . mein Exposé im Sommer 1945 vor Erhebung der Anklage . . . als Dokument dessen, was sich ein sachverständiger Jurist damals schon auf den ersten Blick fragen mußte"181. Das Gutachten Schmitts sollte einen deutschen Industriellen vor einem Gericht der Siegermächte verteidigen. Dieser Zweck zog Schmitt eine unsichtbare Grenze: Er durfte nicht bestreiten, was den Richtern als evidente Wahrheit erschien. So widmete er sich zwar ausführlich dem Problem des „Angriffs", aber doch vorzugsweise mit abstrakten Wendungen und durch Wiedergabe der Kodifikationsversuche und Regierungserklärungen (Teil III: „Entwicklung der internationalrechtlichen Pönalisierung des Angriffskrieges 1919-1939"). Pal brauchte Rücksichten nicht zu nehmen. In dem Kapitel „What is »Aggressive War 4 ?" erörterte Pal zunächst nur abstrakt die Definitionen von Quincy Wright, Lauterpacht und Jackson 182 , um dann sogleich die Kriegserklärung der Sowjetunion am 8. August 1945 zu untersuchen, ebenfalls die Kriegserklärung der Niederlande im Dezember 1941, obgleich sich Japan lediglich mit den Vereinigten Staaten und Britannien im Krieg befand, und einen Monat bevor japanische Soldaten in die niederländischen Kolonien eindrangen. Pal schloß daraus allerdings nur, diese Nationen hätten Kriegserklärungen ohne Angriff (entgegen der Definition Jacksons) nicht als „verbrecherischen Angriffskrieg" verstanden, sonst würden sie wohl nicht wegen dieses Delikts Japan anklagen und richten183. Noch einmal läßt er die 180 Tokyo Judgment II, S. 605. 181 Brief an Günther Krauss vom 7. April 1948. 182 Tokyo Judgment II, S. 607-612 — Teil II seines Votums: „What is »Aggressive War'"? (Tokyo Judgment II, S. 607-627), wurde zuerst veröffentlicht in: Indian Law Review IV, 1950, S. 99-142. 183 Tokyo Judgment II, S. 614. 12*

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verschiedenen Angriffsdefinitionen des anglo-amerikanischen Schrifttums Revue passieren — ausführlicher übrigens als Schmitt —, auch jene, die Wirtschaftsblockaden als Aggressionsmittel beschreiben, um resignierend zur Rechtfertigung der Kriegshandlung als „self-defense" zurückzukehren, wie sie bei den Verhandlungen über den Briand-Kellogg-Pakt in den zu Protokoll gegebenen Erklärungen der Vereinigten Staaten und Britanniens anerkannt und auch von Kellogg und dem zuständigen Senatsausschuß festgehalten worden waren. Für die entscheidende Frage — auch das teilte Pal mit —, wer denn über die Voraussetzungen der Selbstverteidigung entscheidet, hatte der zuständige Senatsausschuß aufgrund der Versicherungen Kelloggs festgestellt: „Each nation is free at all times and regardless of the treaty provisions to defend itself, and is the sole judge of what constitutes the right of self-defense and the necessity and extent of the same184." Sollte gleichwohl der Pakt eine Anklage und ein richterliches Urteil über eine Verletzung des Paktes durch eine ungerechtfertigte Selbstverteidigung gestatten, sei jedenfalls einem Zwischenergebnis nicht auszuweichen: „Perhaps at the present stage of the International Society the word »aggressors' is essentially »chameleonic' and may only mean ,the leaders of the losing party' 185 ." Schließlich erörterte Pal ausführlich einen Gesichtspunkt, der zwar in der politischen Propaganda dominierte, besonders des Ersten und Zweiten Weltkriegs, in den formalen Definitionen des Angriffskrieges jedoch unberücksichtigt blieb, nämlich den Einfluß der Systemunterschiede und des aus ihm erwachsenen Feindbildes auf vermutetes oder angenommenes aggressives Verhalten oder auch als Rechtfertigung für einen Krieg überhaupt. Pal exemplifizierte diesen Gesichtspunkt nicht, was nahegelegen hätte, mit dem Gegensatz der liberalen Zivilgesellschaften des Westens zum aggressiven preußisch-deutschen Militarismus, der im Ersten Weltkrieg eine so große Rolle spielte, oder den Nachfolge-Gegensatz des Zweiten Weltkrieges, nennt vielmehr die kommunistischen und kapitalistischen Staaten, die den Systemfeind als potentiellen Aggressor oder Ausüber „struktureller Gewalt" behandelten; das war 1948 ein Vorgriff auf die öffentliche Diskussion im „Kalten Krieg" der 50er Jahre und wohl ausgelöst durch die USHilfe für die nationalchinesische Regierung Chiang Kai-sheks gegen die Rote Armee von Mao Tse-tung 186 . Ob denn, so fragte Pal, zur Bewahrung eines Staates vor einer kommunistischen Machtübernahme andere Staaten, auch wenn sie durch Atlantik oder Pazifik vom Ort des Geschehens getrennt seien, zur Rettung des demokratisch-kapitalistischen Systems im „sister state" oder eigener Interessen intervenieren dürften 187 , ein Problem, das so in Korea (1950) und Vietnam (1965) und innerhalb des „sozialistischen Lagers" in Ungarn (1956) und der CSSR 184 s. bereits Schmitt, Gutachten bei Anm. 89-95. iss Tokyo Judgment Π, S. 616. 186 Tokyo Judgment Π, S. 616 ff. 187 Tokyo Judgment Π, S. 618.

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(1968) auftauchen sollte. 1939 hatte sich gezeigt, daß die vertraglich gesicherten Mechanismen völkerrechtlicher Kriegsverhütung unbeachtet bleiben, wenn existentielle Gegensätze aufeinanderprallen und der Waffengang der Staaten und Völker als ultima ratio erscheint: Britannien und Frankreich erklärten am 3. September 1939 Deutschland förmlich den Krieg, obgleich diese einseitigen Entscheidungen Art. 11 der Völkerbund-Satzung verletzten. Auch die völkerrechtliche Neutralität bleibt in solchen Fällen auf der Strecke: Zur Rechtfertigung der Parteinahme der Vereinigten Staaten unterschied Stimson diplomatisch und liberal-kapitalistisch verklausuliert am 29. Januar 1941 „those nations, whose ways of life and methods of trade are most like ours", von jenen „nations whose ways of life and methods of trade are contrary to our own" 1 8 8 , unterschied also zwischen Freund und Feind und leitete aus dieser Unterscheidung das Recht zur neutralitätswidrigen Hilfe für den Freund ab und ein Verhalten gegenüber dem Feind „short of war". Es würde zu weit führen, die Überlegungen und Gedankenführungen Pals weiter auszubreiten. Auch seine ausführliche Kritik an der Beweisführung für die „Verschwörung gegen den Frieden" kann hier nur erwähnt werden; das „KidoTagebuch" z. B. spielte im Tokyo Trial die Rolle des Hoßbach-Protokolls im Nürnberger IMT-Prozeß 189 . Schon Pals „juristische Präliminarien" lassen verständlich werden, weshalb das IMTFE sein Urteil und die Sondervoten nur in englischer, nicht in japanischer Sprache amtlich veröffentlichte; die notwendigerweise mitzuteilenden Sondervoten der Richter Frankreichs und besonders Indiens hätten die Akzeptanz der Mehrheitsentscheidung in hohem Maße erschüttern können. Pals Sondervotum konnte erst nach dem Ende der amerik. Besatzungszeit in japanischer Fassung erscheinen. Das Urteil von Tokio blieb jedenfalls außerhalb der wissenschaftlichen Debatte 190 . Die wissenschaftlichen Stellungnahmen zu Verfahren und Urteil des Nürnberger IMT sind mehrfach referiert worden 191 . Hier sind nur diejenigen Ergebnisse relevant, die auf die Fragen Schmitts unmittelbar eingehen. iss Hearings before the Committee on Foreign Relations United States Senate, 77th Congress, 1st Session, vgl. bereits vorn Anm. 106. 189 Tokyo Judgment II, S. 629-655 (Part III: Rules of Evidence and Procedure). 190 Gelegentlich wurde auch über die Meinungen der dissentierenden Richter berichtet, aber nur mit kurzen Zitaten, z. B. Dahm, S. 59; Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 2, München 1962/ 1969, S. 261; Auszüge aus dem Urteil und den abweichenden Meinungen bei Louis B. Sohn (Hrsg.), Cases on United Nations Law, 1. Aufl. Brooklyn 1956, 898 ff., 947-967 (Pal). 191 Z. B. Woetzel, bes. S. 122 ff.; Jung, S. 137 ff. Die Referate sind nicht stets zuverlässig, auch nicht vollständig, da das völkerrechtliche, nicht aber das strafrechtliche Schrifttum gesammelt und geprüft wurde. Bis heute ist die strafrechtliche Würdigung der dreizehn Nürnberger Urteile durch die Habilitationsschrift von Hans-Heinrich Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, nicht überholt und in ihrer Präzision unübertroffen geblieben.

Die zerstrittene Wissenschaft Es gab natürlich auch Rechtswissenschaftler, wie Glueck und Quincy Wright, die, von Patriotismus und Abscheu gegen den deutschen Aggressor fortgerissen, dem IMT in der Annahme folgten, der Angriffskrieg sei 1939 eine strafbare Handlung gewesen, so daß der Grundsatz „nullum crimen" gar nicht verletzt sei; sie blieben aber in der Minderheit bereits in den 40er Jahren 192. Häufig wurde auch das formalistische Argument für ausreichend erachtet, der Grundsatz „nullum crimen" sei im Völkerrecht nicht nachzuweisen193. Die meisten Autoren — die prominentesten: Kelsen und Finch — suchten das ex post facto-Verbot zu überwinden, indem sie seine Verletzung durch die Urteile als politisch notwendig und moralisch legitimiert bezeichneten oder indem sie das Verbot selbst allgemein relativierten, nämlich der „Rechtssicherheit" zuschlugen, die in diesem Falle ausnahmsweise der „Gerechtigkeit" zu weichen habe 194 . Diese Großzügigkeit beflügelte der in Zeitungsredaktionen wie Hörsälen verbreitete Glaube, „Nürnberg" habe die internationalen Beziehungen rechtlich neu geordnet. Beseitigt sei endgültig die internationale „Anarchie" der absolut souveränen Staaten, deren Führer und Anhänger Gewalt angewendet hätten nach dem „Gesetz des Dschungels". Von nun an seien alle Menschen gesetzlich verpflichtet (und würden sich 192 Sheldon Glueck, The Nuremberg Trial and Aggressive War, New York 1946, S. 42 f.; Quincy Wright , AJIL 42, 1948, S. 405-414; weitere Nachweise bei Woetzel, S. 167 m. FN 46. Bei Glueck mag auch seine Rolle als Berater der amerik. Delegation auf der Londoner Konferenz 1945 über die Charta eine Rolle gespielt haben. — Bereits während des Krieges beschäftigten sich amtliche und halbamtliche Kommissionen, Praktiker und Wissenschaftler mit der Frage, wie die Deutschen zu bestrafen seien, s. den Bericht von Jescheck, S. 126 ff., 131 ff.; aus ihm ergibt sich, wie auch bedeutende Juristen, z. B. Lauterpacht, ihre Auffassungen an den Zielen ihrer Regierungen und den Wünschen der öffentlichen Meinung ausrichteten. Die Anpassungsbereitschaft der Juristen — eine Berufskrankheit — ist während eines Krieges naturgemäß besonders ausgebildet; sie wird nicht als Opportunismus verstanden, sondern als Beitrag der Heimatfront zur Niederwerfung des Feindes. Um so mehr sind jene Autoren zu respektieren, die im Mahlstrom der Kriegsleidenschaften klaren Kopf behielten, s. die Beispiele bei Jescheck, S. 137 ff. 193 Nachweise bei Hoffmann, S. 142 FN 8 und 9. Zu diesem Argument s. bereits vorn nach FN 129. 194 Hans Kelsen, International Law Quarterly, 1947, S. 153 ff.; George Finch, AJIL 41,1947, S. 20,34 ff.; weitere Nachweise bei Woetzel, S. 168 m. FN 48. In der deutschen Diskussion wurde vornehmlich mit dem hergebrachten Begriffspaar „Rechtssicherheit — Gerechtigkeit" gearbeitet; hier standen allerdings nicht die Londoner Charta und der Angriffskrieg im Vordergrund, sondern die Bestrafung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die auch von deutschen Gerichten bis 1951 nach dem KRG Nr. 10 abgeurteilt werden mußten; vgl. die Literaturangaben von Tutorow, S. 376-379 (Nr. 3548-3579); Jung, S. 153 ff.

Die zerstrittene Wissenschaft

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pflichtgemäß verhalten), Gewaltanwendung im Dienste der Nation zu vermeiden, es sei denn, in Übereinstimmung mit den Bedingungen des Völkerrechts 195 . Nur wenige Wissenschaftler riskierten es, sich der „overwhelming opinion of the world" entgegenzustellen, auf die sich Quincy Wright allen Ernstes berief, nämlich als „ultimate source of justice, at least if the thesis of democracy is accepted" 1% . In der Stimmung der unmittelbaren Nachkriegszeit konnte der öffentliche Widerspruch unangenehme Folgen haben, besonders im besetzten Deutschland. Neben Borchard und Schick in den Vereinigten Staaten197, Morgan, dem ehemaligen Lord Chancellor Maugham und Lord Hankey in Britannien 198 , war es in Deutschland vor allem Wilhelm Grewe, der bereits wenige Wochen nach der Verkündung des IMT-Urteils die völkerrechtlichen Defekte der Anklage wegen Verbrechens gegen den Frieden bloßlegte, auf derselben positiv-rechtlichen Linie argumentierend wie vor ihm Schmitt und Jahrreiß und nach ihm Pal 199 . Herbert Krüger, Eduard Wahl, Walter Schaetzel, Erich Kaufmann und Friedrich Berber sind ihm gefolgt 200 . Bald wurden auch im anglo-amerikanischen 195 So noch 1982 Willis, S. 175. In den Anklagereden von Jackson und de Menthon war dieser Glaube mit großem Pathos formuliert worden, vgl. IMT II, S. 183, V, S. 480. AJIL 42, 1948, S. 414; ausführlich hatte sich Quincy Wright mit dem Thema „The Law of the Nuremberg Trial" im Jahr zuvor befaßt, AJIL 41 (1947), S. 38-72. 197 Edwin Borchard, International Law and International Organization: AJIL 41,1947, S. 106-108; Franz B. Schick, The Nuremberg Trial and the International Law of the Future: ebd., S. 770, 784; der s., The Nuremberg Trial and the Development of an International Criminal Law: Juridical Review 59 (1947), S. 192-207. Noch während des IMT-Prozesses hatten der amerik. Völkerrechtslehrer Pitman Β. Potter (New York Times v. 2. Juni 1946) und der brit. Völkerrechtslehrer Η. A. Smith (Free Europe, Juli 1946) die Londoner Charta scharf kritisiert, Hinweis H. Jahrreiss, S. 208 Anm. 198 John Hartman Morgan, The Great Assize: An Examination of the Law of the Nuremberg Trials, London 1948; Viscount Frederic Herbert Maugham, U.N.O. and War Crimes, London 1951, S. 39 ff. u. passim, ebenso das Nachwort von Lord Hankey, S. 110 ff. Diese britischen Monographien gingen in Gründlichkeit und Schärfe der Kritik weit über die bis dahin bekannten Kritiken in den Vereinigten Staaten hinaus. i " Nürnberg als Rechtsfrage, Vorträge am 26. Oktober und 29. November 1946 in der „Stuttgarter Privatstudiengesellschaft", veröffentl. im Stuttgarter Klett-Verlag, November 1947, in 5 000 Exemplaren und mit US-Lizenz, S. 7 ff.; 54 ff.; zum „Verbrechen gegen den Frieden" bes. S. 32-51. Korreferent und die Positionen Jacksons verteidigend war Otto Küster, seit 1945 Staatsbeauftragter für die Wiedergutmachung und Abteilungsleiter im württ. Justizministerium, veröffentlichte u. a.: „Erfahrungen in der deutschen Wiedergutmachung" (Tübingen 1967). 200 Herbert Krüger, Das Janusgesicht der Nürnberger Prozesse: Die Gegenwart, 3. Jg., Nr. 17 v. 1. September 1948, S. 11-16; auf den durch diesen Beitrag ausgelösten Streit mit Robert W. Kempner und W. Grewe werde ich noch eingehen; Eduard Wahl, Grundfragen der Nürnberger Prozesse, Vortrag, gehalten am 12. Dezember 1947 im Rahmen der Professoren-Vorträge der Universität Heidelberg, in: Aus Leben und Forschung der Universität 1947/48, Schriften der Universität Heidelberg, Heft 4, Berlin 1950, S. 76 ff., 81 ff.; Walter Schaetzel, Der Friede mit dem Aggressor, FS Laun, Hamburg 1953, S. 327 ff.; Erich Kaufmann, Das „Verbrechen gegen den Frieden" (1957), Ges. Schriften, Bd. 2, Göttingen 1960, S. 446-464; Friedrich Berber (FN 190), S. 252 ff. Zwei bekannte Nürnberger Verteidiger faßten Jahre später und rückblickend die wesentlichen Kritikpunkte zusammen: Herbert Kraus, The Nuremberg Trials of the Major War

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Schrifttum die kritischen Stimmen vernehmlicher 201 , bis hin zu jenem Verdikt, das kürzlich der durch seine Arbeiten zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges ausgewiesene Oxford-Historiker Richard Lamb formulierte: „The Nuremberg trials were badly conducted and became a travesty of justice 202 ." Andererseits besteht auch im akademischen Raum gelegentlich das Bedürfnis für Jubiläums- und Gedenkveranstaltungen, deren Teilnehmer das IMT als „highlight of East-West-cooperation" feiern 203 und als „magistrale oeuvre de justice" 204 . Sind also die Verurteilungen wegen „Verbrechens gegen den Frieden" in Nürnberg und Tokio wenigstens umstritten, so bleibt die Möglichkeit, die Londoner Charta sowie die Urteile der IMT von Nürnberg und Tokio als „Revolution" zu verstehen 205, die, ungeachtet eines Verstoßes gegen das bis dahin geltende Völkerrecht, ein prinzipiell neues Verständnis der Stellung und strafrechtlichen Verantwortlichkeit der führenden Politiker vor den zuständigen Instanzen der internationalen Rechtsgemeinschaft ebenso begründete, wie sie das staatliche ius ad bellum, sofern nicht Verteidigungskrieg, in einen völkerstrafrechtlichen Tatbestand überführte. Eine Revolution entscheidet neu über Art und Form der politiCriminals: Reflections after Seventeen Years: De Paul Law Review 13 (1964), S. 233247; Otto Kranzbühler, Nuremberg Eighteen Years Afterwards: ebd., 14 (1965), S. 333347. 201 Vgl. Tutorow, S. 328-341 (Nr. 3155-3287). Ausgangspunkt wurde Hans Kelsen, „Will the Judgment in the Nuremberg Trial constitute a Precedent in International Law?": International Law Quarterly 1 (1947), S. 153-171. In dem führenden Strafrechtslehrbuch Englands ist die Ablehnung der Verurteilung wegen Angriffskrieges in Nürnberg und Tokio ungewöhnlich scharf formuliert: Williams, 1. Aufl., S. 437; 2. Aufl. 1961, S. 577 / 78. Der Autor tröstete sich und seine Leser über den Bruch mit der geheiligten Rechtstradition des Verbots von ex post facto-law mit der Annahme, kein Angeklagter sei allein wegen Verbrechens gegen den Frieden verurteilt worden, aber eben das traf zu auf Rudolf Heß (IMT XXII, S. 600-603), mit der für die Eigenarten der Herrschaft Hitlers und der wirklichen Stellung des „Stellvertreters des Führers" gänzlich blinden und rechtlich unzureichenden Begründung: „Das Verhältnis zwischen den beiden war derartig, daß Heß von den Angriffsplänen schon bei deren Entstehung Kenntnis gehabt haben muß" (S. 602). Williams' Irrtum ist häufiger anzutreffen, auch bei Autoren, die über die Nürnberger Verurteilung wegen „Verbrechens gegen den Frieden" schreiben und es daher eigentlich besser wissen müßten, z. B. John F. Murphy, in: Ginsburgs / Kudriavtsev (FN 203), S. 153. 202 „The Spectator" vom 10. April 1993, S. 31 in der ausführlichen Besprechung von Taylor, Nuremberg Trials, 1993. 203 ζ . Β. die sowjetisch-amerikanische Juristentagung anläßlich des 40jährigen Nürnberg· Jubiläums, dokumentiert durch George Ginsburgs / V. N. Kudriavtsev (Ed.), The Nuremberg Trial and International Law, Dordrecht 1990, S. 1. Beeindruckend, wie unverfroren die Sowjetjuristen die konstitutionelle Friedfertigkeit der UdSSR und das sowjetische Bekenntnis zu den Nürnberger Prinzipien feierten, während sich gleichzeitig die sowjetische Aggression in Afghanistan austobte; in dieser Selbstdarstellung blieben sie von den amerik. Kollegen ungestört. 204 Le Procès de Nuremberg — Consequences et actualisation. Actes du colloque international université libre de Bruxelles am 27. März 1987, Brüssel 1988, S. 10. 205 Den Begriff verwendete Otto Kranzbühler, FS E. Kaufmann, S. 219; ders., Historische Prozesse, S. 23.

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sehen Einheit, „Recht" im Sinne einer verbindlichen und erzwingbaren Ordnung wird sie erst, wenn sie sich „durchsetzt", also von der Mehrheit der Rechtsgenossen anerkannt und von den Staatsorganen angewendet wird. Dem Völkerrecht ist allerdings die rechtsschöpferische Kraft der erfolgreichen Revolution fremd. Immerhin könnte auch spontan („instant") völkerrechtliches Gewohnheitsrecht durch eine neue allgemeine Rechtsüberzeugung entstehen, wenn die Staatenpraxis sie bestätigt. Übertragen auf unsere Fallfrage: Das Verbrechen gegen den Frieden muß von der Völkerrechtsgemeinschaft als Verbrechen akzeptiert und an den Verantwortlichen strafrechtlich gesühnt werden — wie in Nürnberg und Tokio.

Der Angriffskrieg in den Norm-Entwürfen der Vereinten Nationen Auf Antrag der Vereinigten Staaten bestätigte die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 11. Dezember 1946 einstimmig die „Principles of International Law", die in der Londoner Charta und dem Urteil des IMT anerkannt worden seien 206 . Solche Resolutionen schaffen zwar kein Völkerrecht, denn die Generalversammlung ist nicht das Parlament eines Weltstaates und hat als solche keine Weltgesetzgebungskompetenz207. Die Resolutionen können aber die opinio iuris der Völkerrechtsgemeinschaft dokumentieren 208. Angesichts der großen Bedeutung, die das IMT bereits bloßen Vertragsentwürfen und Stellungnahmen von privaten Juristen-Vereinigungen zumaß — dem Genfer Protokoll von 1924 und den Budapester Regeln der International Law Association von 1934 —, darf die Resolution von 1946 nicht unterschätzt werden. Die Mitglieder der Vereinten Nationen wollten sich aber mit einem pauschalen Bekenntnis zu jenen „Prinzipien" nicht begnügen und beauftragten ein Jahr später ihre neu gebildete „International Law Commission", die Nürnberger Grundsätze zu formulieren und in einen „Code of offences against the peace and security of mankind" einzuarbeiten oder in einen „International Criminal Code" 209 . Den ersten Auftrag erfüllte die Kommission 1950; aufgrund eines Berichts von Jean Spiropoulos stellte sie in sieben Leitsätzen die „Nürnberger Prinzipien" zusammen210. Die Leitsätze bekräftigen die persönliche Verantwortung und Straf206 „Resolution 95", GAOR, I. 2, Resolutions (A/64/Add. 1), S. 188. 207 Für die Resolution 95 betont von Karl Doehring, Beiträge zur Konfliktforschung 16, 1986, S. 81; Grewe, FS Doehring, S. 236; Jochen A. Frowein hat die mangelnde Verbindlichkeit der Resolutionen mit Recht „eine Binsenweisheit" genannt (ZAÖRV 36 [1976], S. 149); in der VN-Praxis werden aber immer wieder Resolutionen als Beleg für die Existenz von „International Law" benannt, vgl. z. B. die Aussprache im Sechsten Ausschuß über die „Nürnberger Prinzipien", die von der ILC formuliert waren, in: YBILC 1951 II, S. 44 ff.; dazu auch hinten bei FN 213 ff. 208 Rudolf Bernhardt, ZAÖRuV 36 (1976); S.50ff. (66); Frowein, ebd., S. 152; Michael Akehurst, BYIL 47 (1974 / 75), S. 51 f., m. weit. Nachw. Auch der IGH betonte in seinem Nicaragua-Urteil vom 27. Juni 1986, die Zustimmung eines Staates zu einer Resolution der Generalversammlung könne als Annahme der Gültigkeit der in der Resolution niedergelegten Regel interpretiert werden, vgl. ICJ Reports 1986, S. 13 (100), betr. „Friendly Relations"-Resolution. 209 Beschluß vom 21. November 1947, Doc. A/504, GAOR, 2nd Sess. Item No. 117. Die teils von den Vereinten Nationen, teils von der „International Association of Penal Law" angestellten Bemühungen um beide Gesetzeswerke schildert Cherif Bassiouni, A Draft International Criminal Code and Draft Statute for an International Criminal Tribunal, Dordrecht 1987, S. 1-77.

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barkeit der für den Staat oder im Dienst des Staates handelnden Personen ohne Rücksicht auf ihren Rang (Grundsätze I, III, IV), die Strafbarkeit der Verbrechen gegen den Frieden und gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen (Grundsatz V I a-c) und die „Verschwörung" als Teilnahmeform für alle drei Tatbestände (Grundsatz VII). Grundsatz V billigt dem Angeklagten das Recht auf ein faires Verfahren zu, gemäß Grundsatz I I setzt die Strafbarkeit nicht einen nationalen Straftatbestand voraus. Es soll die Beschreibung der Verbrechen in Grundsatz V I und die Begründung der Strafbarkeit für „crime under international law" (Grundsatz I) ausreichen. In der International Law Commission waren sofort die alten Gegensätze aufgebrochen 211 . Eine Gruppe wollte zunächst einmal die Grundsatzdebatte führen, inwiefern denn überhaupt die London Charta und die Rechtsprechung des Nürnberger I M T mit den Prinzipien des Völkerrechts vereinbar seien. Eine zweite Gruppe, unter ihnen Georges Scelle , bekannte sich zu der Meinung des Nürnberger IMT, die Charta sei Ausdruck des 1945 geltenden Völkerrechts. Die Mehrheit wollte dieser Frage aus dem Wege gehen und stellte sich auf den Standpunkt, die Generalversammlung habe der Kommission nur die Herausarbeitung der „Grundsätze" aufgegeben, die das Nürnberger I M T seinen Urteilen zugrunde gelegt habe, nicht aber die Übereinstimmung dieser Grundsätze mit dem Völkerrecht zu prüfen oder ihre Zugehörigkeit zum Völkerrecht zu bekräftigen. Gegenüber dieser Mehrheitsentscheidung bedauerte das ILC-Mitglied Georges Scelle , daß die ILC nicht die Prinzipien genannt habe, auf denen die London Charta und die Entscheidungen des I M T beruhten; ein anderes angesehenes ILC-Mitglied, Manley O. Hudson, kritisierte, die Kommission habe zu wenig den besonderen Charakter der Charta und den besonderen Zweck der ad hoc-Rechtsprechung der I M T beachtet. Beide Bedenken verwies der Berichterstatter der ILC als dissenting opinions in eine Fußnote 212 . Der Sechste Ausschuß (Legal Committee) der Generalversammlung diskutierte die „Nürnberger Grundsätze" der ILC in bezeichnender Weise 2 1 3 . Die Mehrheit der damals 60 Staatenvertreter wollte sich nicht in den juristischen Schlingen verfangen, die mit den „Grundsätzen" ausgelegt waren; sie stellte sich hinter das Aufgabenverständnis der ILC. Anderen Delegationen genügte dieses formelle 210 YBILC 1950 II, S. 374; abgedruckt und kommentiert von Sohn, S. 970-977. 211 Darüber berichtete der brasilianische Vertreter Amado im Sechsten Ausschuß am 2. November 1950, A / C . 6/SR 231 No 73-79. 212 YBILC 1950 II, S. 374 FN 3 — Scelle (1878-1961) sah durch die Urteile von Nürnberg seine umfänglich begründete Außenseiterthese bestätigt, im Völkerrecht sei der Mensch das primäre Rechtssubjekt. Er wollte diese Auffassung von den Vereinten Nationen gleichsam amtlich anerkannt haben, was den anderen Mitgliedern jedoch zu weit ging. Zu seinem Werk „Précis de droit des gens" (Bd. I, 1932, Bd. II, 1934) hatte sich Carl Schmitt ausführlich geäußert (Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, 1938, S. 8 ff.). 213 2.-13. November 1950, A / C . 6/SR 231-238; Kurzfassung der Beiträge in: YBILC 1951 II, S. 45-57.

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Vorgehen nicht, der französische Vertreter Chaumont z. B. machte die Sache George Scelles zur Sache Frankreichs und wollte materiell festgestellt wissen, die London Charta und die Rechtsprechung des Nürnberger IMT seien Ausdruck des 1945 bereits geltenden Völkerrechts gewesen214. Der niederländische Vertreter Bert Röling entwickelte in einer brillanten Vorlesung noch einmal die Thesen seines Sondervotums im Tokyo Trial; einige zusätzliche, in diesem Kreise als befremdlich empfundene Bemerkungen über die Rechtsprechung von Siegern und die eigene Staatenvergangenheit zeigten, daß er inzwischen das Sondervotum von Radhabinod Pal aufmerksam und mit Gewinn gelesen hatte 215 . Der britische Vertreter Fitzmaurice, ein praktisch denkender Mann, warnte vor den Folgen des französischen Vorschlages, vermutlich habe nämlich Bert Röling recht, und es wäre doch sehr unangenehm, käme der Ausschuß zu dem Ergebnis, eine Reihe von Nürnberger Grundsätzen seien vor dem Zweiten Weltkrieg nicht Grundsätze des Völkerrechts gewesen. Man könne aber alle diese Fragen auf sich beruhen lassen, seit der Resolution der Generalversammlung am 11. Dezember 1946 sei die Rechtslage geklärt: „Whatever view might be taken about the situation before the Charter of Nürnberg, the existing position was perfectly clear and no one doubted [!] that the Nürnberg principles had become recognized principles of international law. The affirmation by the General Assembly was sufficient to make them so, so far as the Member States of the United Nations were concerned216." Mit diesen Wendungen hatte Sir Gerald den Mund zu voll genommen, denn andere Delegationen widersprachen; die London Charta habe mit dem geltenden Völkerrecht nicht übereingestimmt, und dieser Tatbestand könne weder durch die gegenteilige Behauptung des Nürnberger IMT noch durch einen Beschluß der VN-Generalversammlung geheilt werden: „The General Assembly was not a legislative body, and it could not be accepted that the principles contained in the charter und judgment were principles of international law solely because the Nürnberg Tribunal had recognized them as such 217 ." Aber auch die „Grundsätze" selbst wurden kritisiert, ζ. Β. weil das Prinzip „nullum crimen" unberücksichtigt geblieben sei 218 . Die schärfste Kritik formulier-

214 A / C . 6/SR 232, No. 54-77. 215 A / C . 6/SR 232, No. 135-140. Der Sowjet. Delegierte Morozov sah sich zur öffentlichen Entrüstung verpflichtet: „By making such statements, the representative of the Netherlands had insulted the memory of those who had given their lives in the fight against nazism and had cast a slur on the heroes who had died for the people" (SR 234, No. 82, S. 157). 216 A / C . 6/SR 233, No. 5, S. 143. 217 Roberts (Südafrika), A / C. 6 / SR 237, No. 25, S. 181; ähnlich bereits Ortiz Tirado (Mexiko), SR 233, S. 145, erneut SR 237, No. 28, S. 182; Sultan (Ägypten), SR 234, S. 155; Bunge (Argentinien), SR 235, S. 165 f.; Lobo (Pakistan), SR 236, S. 173, und ausführlich SR 238, No. 34, S. 190. 218 Bunge (Argentinien), SR 235, S. 165 f.

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te Bert Röling, der als einstiger Richter des IMTFE in diesem Kreise wohl als bester Kenner der Materie gelten durfte: „The Nürnberg principles, as now formulated, might in the future pave the way for unlimited vengeance and provide a legal basis for mass slaughter. Moreover, the fear of relentless punishment of all those who had had any share in the hostilities would make war more cruel and capitulation more difficult. Thus the decision taken by the International Law Commission might produce disastrous results" 219. Die Generalversammlung verzichtete darauf, die „Nürnberger Grundsätze" der ILC in eine Resolution aufzunehmen, forderte vielmehr die Mitgliedstaaten zur Stellungnahme und die ILC auf, den „Draft Code of Offences against the Peace and Security of Mankind" weiter zu bearbeiten. Die Resolution ging aber auf die Grundsatzkritik „by certain delegations" ein und stellte fest, diese Kritik sei nicht von der großen Mehrheit des Ausschusses akzeptiert oder überhaupt debattiert worden 220 . Schwarzenberger beurteilte dieses Vorgehen der Generalversammlung so: „In short, the matter was adjourned indefinitely 221 ." Die Umsetzung der „Nürnberger Leitsätze" in allgemeines Völkerstrafrecht stieß auf große Schwierigkeiten, besonders die Definition der Formen des Angriffs. Der erste Entwurf des Gesetzes über Menschheitsverbrechen der „International Law Commission" der Vereinten Nationen von 1951 beschrieb in neun Absätzen des Art. 2 verbotene „acts of aggression" 222. Zwischen den Weltkriegen war gerade diese Frage Gegenstand vieler Vorschläge und Berichte im Völkerbund und ebensovieler Doktorarbeiten gewesen. Auch jetzt lagen die Meinungen weit auseinander. Einige Mächte hielten jede Definition für überflüssig und nutzlos (USA, Frankreich, Kanada). Die Sowjetunion wollte auch die Fälle von „indirect aggression" einbeziehen, ζ. Β. Embargos und Wirtschaftsblockaden, auch die „ideological aggression" 223, womit wohl regierungskritische Radiosendungen gemeint waren, von denen die Ostblockstaaten seit Beginn des Kalten Krieges betroffen waren. Der ILC-Entwurf wurde jedenfalls 1952 zurückverwiesen und zugleich ein „Special Committee on the Question of Defining Aggression" eingesetzt224. Der neue Entwurf der International Law Commission von 1954 225 qualifizierte wiederum die Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit als völkerrechtliche Delikte und begründete die individuelle A / C . 6/SR 236, N o . 34, S. 172. 220 YBILC 1951 II, S. 45. 221 International Law, Bd. II, S. 531. 222 Vgl. Ferencz II, S. 84-88; Sohn, S. 983-990; Pal, Crimes, S. V ff. 223 Der sowjetische Resolutions-Entwurf der Definition of Aggression ist abgedruckt bei Sohn, S. 850-852; dazu Menk, S. 109 f. m. Nachw. 224 Die Stellungnahmen der Regierungen und ein umfassender Bericht des VN-Generalsekretärs über die Bemühungen um die kollektive Sicherheit bereits im Völkerbund bei Ferencz II, S. 89-186. 225 YBILC 1954 II, S. 112-122, mit Anmerkungen und Vorschlägen des Berichterstatters Jean Spiropoulos. 219

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Strafbarkeit der verantwortlichen Täter. Trotz der eingesetzten Sonderkommission wurde in Art. 2 in zwölf Absätzen die „Aggression" konkret beschrieben, wozu freilich, systematisch wenig überzeugend, aber wie im ersten Entwurf, auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit zählten 226 . In unserem Zusammenhang erwies sich Art. 5 als neuralgischer Punkt: „La peine pour tout crime défini dans le présent code sera déterminée par le tribunal compétent pour juger l'accusé, compte tenu de la gravité du crime." Art und Höhe der Strafe dem Ermessen des Richters zu überlassen, verstößt eklatant gegen den Grundsatz „nulla poena sine lege", was aber nur zwei Kommissionsmitglieder bemängelten und nur von zwei Regierungen kritisiert wurde (Ägypten, Niederlande), während die britische Regierung die Straffestsetzungen den nationalen Gesetzen überlassen wollte 2 2 7 . Angesichts der in ihrem Unrechtsgehalt und in ihren Begehungsformen sehr differenten Delikte mochte es unmöglich gewesen sein, einen einheitlichen und noch hinreichend bestimmten Strafrahmen zu normieren. Wenn sich aber nur zwei Kommissionsmitglieder und zwei Regierungen auf den Grundsatz „nulla poena sine lege" beriefen, dann zeigt diese Großzügigkeit im Umgang mit dem Völkerstrafrecht, wie Theorie und Praxis des Nürnberger IMT und des IMTFE noch im Jahre 1954 vorherrschten. Die Kodifikationsbemühungen wurden für 30 Jahre unterbrochen. Das verbreitete Unbehagen über die drohende Objektivierung des Völkerstrafrechts wurde kaschiert durch die Rücksicht auf die mangelnde Vollendung der Gesetzeswerke: Der Entwurf eines Statuts für einen (ständigen) Internationalen Strafgerichtshof wurde nicht weiter bearbeitet, weil das materielle Völkerstrafrecht noch nicht in Kraft getreten war, nach dem der Strafgerichtshof richten sollte. Der zweite Entwurf eines „Code of Offences against the Peace and Security of Mankind" wurde 1954 ebenfalls nicht weiter behandelt, weil der Sonderausschuß seine Arbeit an der Definition des „Angriffs" noch nicht beendet hatte 228 . Das „Special Committee on the Question of Defining Aggression" brauchte sich dadurch nicht entmutigen zu lassen, denn es war ihm aufgegeben worden, eine auch für VNOrgane der Vereinten Nationen brauchbare Begriffsbestimmung des „Angriffs" zu liefern 229 . Der Sicherheitsrat hat festzustellen, „ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt" (Art. 39 VN-Satzung), Voraussetzung für den Beschluß von Sanktionen (Art. 41,42 VN-Satzung). Nach mehreren vergeblichen Anläufen und immer wieder neu konstituiert (und von 15 auf 35 Mitglieder nach und nach erweitert), legte der Sonderausschuß 1974 226 Es handelte sich um die fünf Tat-Varianten, die bereits Art. II der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des „Völkermordes" vom 9. Dezember 1948 bestimmt hatte, eingefügt in das deutsche StGB als § 220 a durch Gesetz vom 9. August 1954 (BGBl. II S. 729). 227 Die Stellungnahmen sind vollständig wiedergegeben bei Ferencz II, S. 97-111; Jean Spiropoulos schloß sich diesen Bedenken an: YBILC 1954 II, S. 121. 228 Bassiouni, S. 8. 229 Beschl. v. 20. Dezember 1952, Text bei Ferencz II, S. 186.

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einen einstimmig verabschiedeten Entwurf vor, den die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 14. Dezember 1974 ebenso einstimmig billigte 230 . Die Resolution soll hier zunächst unter dem Aspekt interessieren, ob sie nur „Völkerrecht", nämlich Empfehlungen für die Anwendung von VN-Satzungsrecht gebracht hat, oder auch völkerrechtliches Strafrecht für Politiker. Denn: „A war of aggression is a crime against international peace. Aggression gives rise to international responsibility" (Art. 5 Abs. 2), eine Feststellung, die von den Ausschußmitgliedern der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion als Bestätigung der Urteile des IMT Nürnberg, der Moskauer Erklärung von 1943 (die das „Verbrechen gegen den Frieden" noch nicht kannte), der Londoner Charta von 1945 und der Charta für das IMTFE begrüßt wurden 231 , während die Vertreter Frankreichs und Bulgariens insoweit die Kompetenz des Ausschusses bezweifelten 232 . „Crime against international peace" schließt nicht per se die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen ein. Verbunden mit „international" soll der Begriff „crime" eine besonders schwere Verletzung des Völkerrechts bezeichnen233. Auch „international responsibility" kann nur die völkerrechtliche Haftung des Staates für Unrecht zum Gegenstand haben, muß nicht notwendig Völkerstrafrecht einschließen. Das Verständnis dieser Formel wird erleichtert durch eine andere Resolution. Vier Jahre vorher, am 27. Oktober 1970, hatte die VN-Generalversammlung eine wortreiche, wichtige Materien des Völkerrechts ansprechende Erklärung verabschiedet, die den „Kalten Krieg" beenden und die „Entspannung" des Verhältnisses des Ostblocks zu den Mächten des Atlantikpakts einleiten sollte, nämlich die „Friendly Relations"-Resolution, die u. a. die Drohung oder Anwendung von Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen als Verletzung des Völkerrechts und der Satzung der Vereinten Nationen bezeichnete und hinzufügte: „A war of aggression constitutes a crime against the peace, for which there is responsibility under international law" 234 . 230 Dokumentiert ist die Entstehungsgeschichte durch Ferencz II, S. 79-601. 231 Ferencz II, S. 579, 592. Dem amerik. Vertreter war wohl nicht bewußt, daß die Vereinigten Staaten zur sachlich identischen Formulierung in der „friendly relations"Resolution von 1970 die persönliche Strafbarkeit der Urheber gerade nicht mit erfaßt gesehen hatten; dazu im folgenden bei FN 233. 232 Ferencz II, S. 577, 584. 233 Die Unterscheidung von Delikt und Verbrechen in einem Entwurf der ILC (YBILC 1980 II 2, S. 30 ff.); als „international crimes" werden besonders schwere Verletzungen des Völkerrechts bezeichnet, „such as that prohibiting aggression". Ob sich diese Unterscheidung bereits durchgesetzt hat, ist zweifelhaft; vgl. Verdross ! Simma, § 1263. Mit der persönlichen Strafbarkeit der verantwortlichen Politiker hat diese Unterscheidung aber nichts zu tun, Grewe, FS Doehring, S. 243 m. Anm. 47. 234 Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operations among States in Accordance with the Charter of the United Nations, Res. Nr. 2625 (XXV), YBUN 1970, S. 789 (790).

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Dieses Bekenntnis hatte eine charakteristische Vorgeschichte 235. Die Ostblockstaaten wollten das Gewaltverbot verbinden mit der Verantwortlichkeit der Staaten und der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Einzelpersonen für die Planung, Vorbereitung, Anzettelung und Führung von Angriffskriegen. Mit rabiaten Forderungen dieser Art hatten sie stets ihre „konstitutionelle" Friedfertigkeit betont und ihren „Kampf für den Frieden" propagandistisch garniert. Die politische Regie der sozialistischen Bruderländer hielt es für geraten, den Vertreter der Tschechoslowakei dergleichen 1966 beantragen zu lassen, eines Landes also, das zwei Jahre später der vereinten militärischen Aggression der sozialistischen Nachbarn und der Sowjetunion zum Opfer fallen sollte. So schnell rächt sich die Wahrheit selten. Der britische und der Resolutionsvorschlag der blockfreien Staaten hatten nur das Gewaltverbot vorgesehen. In den Verhandlungen einigte man sich schließlich auf den oben wiedergegebenen Formelkompromiß. Vermutlich sahen die nichtsozialistischen Staaten nur die allgemeine Staatshaftung realisiert, während die sozialistischen Staaten auch die strafrechtliche Verantwortung der Politiker verwirklicht glaubten 236 . Individuelle „responsibility under international law" setzt allerdings voraus, daß es solches Strafrecht im Völkerrecht überhaupt gibt, und gerade das war und ist die Frage 237 . Die Existenz völkerrechtlichen Strafrechts kann jedenfalls diese Bestimmung der „Friendly-Relations"Resolution nicht bestätigen. Auch der Inhalt der Resolution „defining aggression" läßt keinen zwingenden Schluß auf die Existenz von Völkerstrafrecht oder den Willen der Generalversammlung zu, solches Völkerstrafrecht mit dieser Resolution zu schaffen, soweit die Gegenstände reichen. In sieben Tatbeständen wird die Verletzung der Schutzobjekte beschrieben: der verbotene Angriff auf die Souveränität, territoriale Unverletzlichkeit und politische Unabhängigkeit eines Staates (Art. 1), im wesentlichen durch Einsatz der bewaffneten Macht (invasion, attack, bombardement, blockade), aber auch durch Partisanen (Art. 3 a-g). Einer besonderen Interessenlage sucht die Resolution durch ein spezielles ius ad bellum gerecht zu werden: das allgemeine Verbot der Aggression und des Angriffskrieges darf dem Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit der Völker ebensowenig entgegenstehen wie dem Kampf der Völker „under colonial and racist régimes or other forms of alien domination" (Art. 7). Diese Ausnahmen entsprechen dem hohen Rang, den Art. 2 des Pakts über bürgerliche und politische Rechte von 1966 dem Selbstbestimmungsrecht der Völker einräumt, dokumentieren auch den großen Einfluß, den

235 Dargestellt von Robert Rosenstock, AJIL 65 (1971), S. 713, 718 m. weit. Nachw.; Bernt Graf zu Dohna, Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten, Berlin 1973, S. 99 ff. 236 Rosenstock, a. a. O.; Dohna (FN 235), S. 100. 237 Dohna hat die Existenz solchen Strafrechts zu Recht verneint, S. 101 f.

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inzwischen die Länder der Dritten Welt, besonders Schwarzafrikas, in den Vereinten Nationen erringen konnten. Kann nach alledem das völkerrechtliche „Verbrechen gegen den Frieden" durch die Beschreibung der verschiedenen Merkmale des Angriffs und der prinzipiellen Ausnahmen bestenfalls theoretisch als tatbestandsmäßig gesichert angesehen werden — so weit die Wirkung dieser VN-Resolution reicht 238 —, so scheint sich Art. 4 eindeutig nicht auf das Völkerstrafrecht zu beziehen, sondern allein auf Art. 39 VN-Satzung: „The acts enumerated above are not exhaustive and the Security Council may determine that other acts constitute aggression under the provisions of the Charter." Der Sicherheitsrat kann also auch andere Handlungen als verbotenen Angriff bezeichnen. Dürfte ein staatliches Exekutivorgan die Voraussetzungen von Eingriffen in Freiheit und Eigentum selbst bestimmen, dann widerspräche ein solches Beurteilungsermessen der rechtsstaatlichen Forderung nach Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage. Die Resolution fixiert die Merkmale eines völkerrechtlichen Delikttatbestandes und ermächtigt zugleich das Exekutivorgan der Vereinten Nationen zur Erweiterung und Vermehrung der Tatbestandsmerkmale anhand eines konkreten Falles. Der Sicherheitsrat, ohnehin allein zuständig für die Feststellung von Bedrohung oder Bruch des Friedens und der Aggression (Art. 39 VN-Satzung), soll an die Angriffsdefinitionen der Resolution nicht gebunden sein, weil „the causes of international violence were so complex, the coercive techniques so dynamic and diverse, and the competing value systems so disparate, that no rigid rule or list of inculpating acts could possibly itemize the actions which would mark the culpability of nations and individuals"239. Während der Beratungen sollen einige Ausschußmitglieder ernste Bedenken vorgebracht haben, „On the other hand, some representatives expressed serious reservations as to the advisability of including in the definiton a provision leaving the Security Council with the absolute power to decide whether a specific act constituted an act of aggression. Any definition containing such a provision would serve no useful purpose 240 ." In den abschließenden Stellungnahmen ging nur noch der Vertreter Großbritanniens auf diese Frage ein, mit der Versicherung, wenn Art. 5 Abs. 2 den Angriffskrieg als Verbrechen gegen den internationalen Frieden bezeichne und „aggression gives rise to international responsibility", so sei das nur „a proposition, not 238 Oehler, der sich S. 616 ff. (Rz. 1011 ff.) ausführlich mit der Resolution befaßt, billigt ihr nur den Charakter einer unverbindlichen Empfehlung zu; ebenso Menk, S. 111 m. weit. Nachw. 239 Ferencz II, S. 42. 240 Bei Ferencz II, S. 551. 13 Quaritsch

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in the context of criminal law" 2 4 1 , ein Verständnis, das den Interpretationen der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten vollkommen zuwiderlief 242 . Wenn bei den Beratungen des Art. 4 auch von der „culpability of nations and individuals" die Rede war 2 4 3 , so scheint das ein Mißverständnis gewesen zu sein, denn man kann sich kaum vorstellen, daß ein völkerstrafrechtlicher Tatbestand durch Ermessensentscheidung des Sicherheitsrates erweitert werden darf. So mangelndes Vorstellungsvermögen würde freilich auf einem international beschränkten Erfahrungshorizont beruhen. Art. 15 h des Draft Code 1991 sieht gerade das vor 2 4 4 . Gleichwohl wäre die Beschreibung von Angriff und Angriffskrieg durch die Resolution von 1974 eine unsichere Grundlage für Völkerstrafrecht. Die Ausnahmen des Art. 7 schränken die Anwendung des Begriffs „Angriffskrieg" so stark ein, daß eine strafrechtliche Verwertbarkeit mit guten Gründen verneint worden ist 2 4 5 . Welcher Krieg wurde im 20. Jh. nicht als Kampf um „Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit des Volkes" geführt oder doch wenigstens als solcher proklamiert? Werden jene Vorbehalte nicht nur als Legitimation bewaffneter Aufstände (und der Waffenhilfe durch interessierte Dritte) verstanden, so sind sie mindestens genauso auslegungsfähig wie die Vorbehalte der Großmächte zum Briand-Kellogg-Pakt, die Schmitt erörterte 246. Solange nicht ein ständiger Internationaler Strafgerichtshof nach dem Muster des IGH im Haag existiert, den jeder Staat anrufen kann und dem sich jeder Staat unterwerfen muß, stellt nur der Sicherheitsrat gem. Art. 39 VN-Satzung fest, ob ein verbotener Angriffskrieg und eine verbotene Aggression gegeben sind. Im Sicherheitsrat dominieren aber die regelmäßig von politischen Erwägungen, nicht von juristischen Subsumtions-Bemühungen geleiteten fünf Veto-Mächte, also USA, Rußland, Britannien, Frankreich und China. Ist nach alledem die Resolution „defining aggression" völkerstrafrechtlich ein höchst problematisches Normenwerk, so war sie politisch schlechterdings schizophren, aber genau das sicherte ihr die allgemeine Zustimmung und Einstimmigkeit. Einerseits vollendet die Resolution nach 50 Jahren die Entwicklung, die mit dem Entwurf gebliebenen Genfer Garantiepakt (1923) von Lord Robert Cecil und dem ebenfalls Entwurf gebliebenen Genfer Protokoll (1924) von Shotwell und seinen amerik. Freunden begonnen wurde. Aggressionshandlungen und „resort to war" werden als solche erfaßt und verboten, auf die Gründe darf es nicht ankommen, um der Gewaltanwendung von vornherein entgegentreten zu können. Das war das Programm der „outlawry of war"-Bewegung wie der deutschen und

241 Bei Ferencz II, S. 587. 242 s. vorn FN 231. 243 Bei Ferencz II, S. 42. 244 Vgl. dazu im folgenden bei FN 253. 245 Von Oehler, S. 619. 246 Vom bei Anm. 101, 102 und die Nachweise ebendort.

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europäischen Pazifisten zwischen den Weltkriegen. In diesem Sinne formuliert auch Art. 5 Abs. 1 der Resolution „defining aggression": „No consideration of whatever nature, whether political, economic, military or otherwise, may serve as justification for aggressions." Darüber waren sich die Beteiligten bereits bei den Verhandlungen über die Londoner Charta einig. Am 19. Juli 1945 nannte Maxwell-Fyfe den „deutschen Angriffskrieg gegen Norwegen" als Beispiel (er wußte, weshalb); es dürfe die Behauptung der Verteidigung nicht zugelassen werden, auch Britannien habe Norwegen besetzen wollen. Ebenso argumentierte Jackson: Nach allen erbeuteten Dokumenten des dt. Auswärtigen Amtes seien die Deutschen der Auffassung gewesen: „We have no way out; we must fight; we are encircled; we are being strangled to death." Eine Erörterung dieser Fragen „can do infinite harm for those countries with the people of the United States. And the same is true of our Russian relationships." Man müsse sich daher auf den Standpunkt stellen: „No political, military, or other considerations excuse going to war" 2 4 7 . Schon auf der Sitzung am 26. Juni hatte Jackson auf die Befürchtungen Nikitschenkos, die Faschisten könnten das Gerichtsverfahren dazu benutzen, die Alliierten imperialer Pläne zu beschuldigen, erklärt: selbstverständlich wolle man kein „general trial of German grievances" 248 . Am 25. Juli 1945 nahm Jackson das Thema noch einmal auf: „ I think nothing would be more unfortunate in relations with the United States than for us to get into the causes of war, and the risks are not mine but yours. I will not commit the United States to litigation the causes of the war" 2 4 9 . Um nicht auf den Nachweis des „Angriffskrieges" angewiesen zu sein, wurde auf Vorschlag der amerikanischen Delegation vom 31. Juli 1945 das „Verbrechen gegen den Frieden" definiert durch eine weitere Alternative, nämlich: „ . . . or a war in violation of international treaties, agreements, or assurances" 250 , wodurch der Nachweis eines „Angriffskrieges" oder gar der „Verschwörung" überflüssig wurde. Es genügte nunmehr ein Krieg in Verletzung des BriandKellogg-Paktes oder eines der zahlreichen Nichtangriffspakte. Im Nürnberger IMT-Prozeß wurden demgemäß fast alle Diskussionen über „Kriegsursachen" abgeschnitten, auch wenn den Verteidigern wenigstens in den Schlußplädoyers gestattet wurde, über die Motive ihrer Mandanten vorzutragen 251. Daß die Resolution auch als Ausdifferenzierung und Ausfüllung des generellen Gewaltverbots nach Art. 2 Abs. 4 der VN-Satzung dienen soll, darauf wurde bereits hingewiesen.

247 International Conference, S. 303, 306, 308 f. 248 International Conference, S. 84. 249 International Conference, S. 389. 250 International Conference, S. 395. 251 Vgl. z. B. Seidl (FN 56), S. 199 ff.; jetzt besonders Taylor, S. 193, 490 u. passim. 13*

Nuremberg Trials,

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Andererseits: Die Erlaubnis zu Aggression und Krieg, sofern bestimmte Lagen oder Gründe gegeben sind (Art. 7), mag auf den ersten Blick nur als Ausnahme angesehen werden. Diese Ausnahme aber stand und steht nicht im pazifistischen Programm. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen war einstimmig nicht vom Geiste Shotwells und Wehbergs erfüllt. Aber auch Robert Jackson konnte nicht Pate stehen, er hatte auf der Londoner Konferenz kategorisch das pazifistische Credo verkündet: „States have got to settle their grievances peacefully 252." Politisch ließ die Resolution alle Staaten auf ihre Kosten kommen: die saturierten Vertreter des Status quo glaubten sich durch das pazifistische Verbot von Aggression und Krieg geschützt, andere Staaten, die zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele die Anwendung von Gewalt einkalkulieren mußten, sahen sich durch Art. 7 gedeckt. Die Supermächte USA und Sowjetunion, aber auch die drei anderen Vetomächte im Sicherheitsrat, wußten, daß gegen ihren Widerspruch nichts entschieden werden konnte. Und so bedeutete die Resolution „defining aggression" eine weitere Stütze der fünf Vetomächte des Sicherheitsrats. Mochte die Bestimmung des verbotenen Angriffs 22 Jahre gebraucht und in der Resolution „Defining Aggression" nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner möglich gewesen sein — der erwähnte Definitionserfolg der Länder Afrikas und Asiens ermutigte deren Vertreter im Rechtsausschuß, nun auch den Code selbst wieder auf die Agenda zu setzen. Gegen den Widerstand der westeuropäischen Staaten und der USA wurde 1978 die Arbeit wiederaufgenommen und von der ILC seit 1982 ein neuer Entwurf erarbeitet und 1991 vorgelegt 253 . Der nunmehr „Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind" genannte Entwurf übernimmt die Definition des Angriffs aus der Resolution von 1974 (Art. 15 Nr. 1 a-d), fügt indes als „acts constituting aggression" neue Tatbestände hinzu, „to bring up to date the list", wie der Berichterstatter Doudou Thiam bemerkt, der für alle neuen Aggressionsakte und Verbrechen gegen Frieden und Sicherheit der Menschheit die entsprechenden VN-Resolutionen nennen kann 254 : die „Drohung mit einem Angriff 4 und die „Einmischung in die inneren und äußeren Angelegenheiten" 255, internationaler Terrorismus (Art. 24), den Bruch von Abrüstungsvereinbarungen sowie der Verträge über das Verbot von Kernwaffenversuchen (Art. 11 Nr. 3 - 5). Auch der Kolonialismus, alternativ „the subjection of a people to alien subjugation, domination or exploitation", soll ein „Verbrechen 252 International Conference, S. 306. 253 YBILC 1984 II 1, S. 89-100; 1987 II, S. 1-10; 1988 II, S. 197-204; 1989 II, S. 81 -100; die letzte Fassung datiert vom 12. Juli 1991, vorgelegt im Bericht der ILC über ihre 43. Sitzungsperiode 29. April — 19. Juli 1991, U.N.G.A. Official Records: 46th. Session, Suppl. No. 10 ( A / 4 6 / 10), S. 238 ff. 254 YBILC 1984 II 1, S. 90, 94 f. 255 Art. 16, 17 des Entwurfs 1991, Thiam zitiert auch das bekannte Urteil des IGH vom 27. Juni 1986 in der Sache Nicaragua gegen die USA (vgl. YBILC 1988 II 1, S. 199 f.).

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gegen den Frieden" und die Sicherheit der Menschheit sein (Art. 18). Die Indienstnahme des allgemeinen Völkerstrafrechts zur Bekämpfung und Ausschaltung eines konkreten Feindes verdeutlicht Art. 23 über die Strafbarkeit von Anwerbung, Organisation, Ausrüstung und Ausbildung von Söldnern, einer der umfänglichsten Tatbestände überhaupt. Die Verwendung von Söldnern ist zwar seit dem Ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen vom 12. August 1949 verboten, auf der Ebene des „Verbrechens gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit" zeigt dieser Tatbestand, wie unmittelbare Interessen einer Staatengruppe die Proportionen verzerren können. So konkrete Lagen sollen auch in anderen Fällen der „Verbrechen gegen die Sicherheit der Menschheit" getroffen werden, wo neben Völkermord (Art. 19), systematischen oder massenhaften Menschenrechtsverletzungen (Art. 21) und „besonders schweren Kriegsverbrechen" (Art. 22) die „Apartheid" und die Verfolger ihrer Gegner auftauchen (Art. 20), aber auch ein „Establishment of settlers in an occupied territory", das als „exceptionally serious war crime" gilt (Art. 22 Abs. 2 b); nach den Staaten Schwarzafrikas wollen auch die arabischen Staaten ihren Feind weltstrafrechtlich bekämpfen. Die Vertreibung ganzer Bevölkerungen aus ihrer Heimat (Art. 22 Abs. 2 a) wird wohl eher als internationales Verbrechen akzeptiert. Dasselbe gilt für den „illicit traffic in narcotic drugs" (Art. 25). Um Mißverständnissen vorzubeugen, die aus nationaler Rechtstradition und dem Begriff „Code" erwachsen könnten: Der Entwurf des „Code of Crimes against Peace and Security of Mankind" erfüllt durchgehend (noch) nicht die Anforderungen, die herkömmlicherweise an ein Strafgesetz zu stellen sind. Die Strafdrohungen (poena) blieben bisher offen 256 , auch die einzelnen „Verbrechen" sind tatbestandsmäßig nicht so umschrieben, wie man es von einem Strafgesetz erwartet. Wer begeht wodurch das Kriegsverbrechen „Establishment of settlers in an occupied territory" gem. Art. 22 Abs. 2 b)? Insofern fehlen dem Draft Code die genau umrissenen „Tatbestände", wie sie Ernst Beling als Voraussetzung einer strafbaren Handlung und Bedingung eines „crimen" vor langer Zeit beschrieb (Die Lehre vom Verbrechen, 1906). Das gilt besonders für das Delikt der „Aggression". Nach den sieben Alternativen, die Art. 15 Abs. 4 a-g als Verwirklichung des Tatbestandes der strafbaren Aggression aufzählt, folgt unter Buchstabe h): „any other acts determined by the security council as constituting acts of aggression under the provisions of the Charter". Diese Bestimmung geht auf die Resolution „Defining Aggression" von 1974 zurück 257 . Was bestenfalls und nicht bedenkenfrei für die politisch-administrativen Maßnahmen der Art. 39 ff. VN-Satzung taugen mag, erhebt der Draft Code zum Verbrechensmerkmal. Der Tatbestand eines Strafgesetzes soll durch Ermessensentscheidung des Sicherheitsrates erweitert werden dürfen. Was außer den 256 In der ILC ausführlich erörtert, vgl. den Bericht (FN 253), No. 70-105, S. 202-213. 257 s. vorn bei FN 229 ff.

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im Gesetz aufgezählten Tatbestandsvarianten eine kriminelle und strafbare Aggressionshandlung ist, bestimmt der Sicherheitsrat. Das erinnert doch sehr an die beeindruckende Feststellung von Sir David Maxwell-Fyfe auf der Londoner Konferenz 1945: „We declare what the international law is so there won't be any discussions on wether it is international law or not 258 ." Wieder einmal soll der Grundsatz „nullum crimen" auf der Strecke bleiben. Um die Klippe zu umschiffen, an der 1954 der zweite Versuch scheiterte, versichert Art. 6 Abs. 3, ein Internationaler Gerichtshof sei nicht präjudiziert. Gleichzeitig werden alle im Entwurf aufgezählten Delikte dem Universalitätsprinzip unterstellt 259 : Der Staat ist verpflichtet, den Täter, auch wenn er Ausländer ist und die Tat im Ausland beging, entweder auszuliefern oder selbst zu bestrafen, aut dedere aut punire (Art. 6 Abs. 1). Diese Regel verallgemeinert die für Kriegsverbrechen in den Genfer Abkommen von 1949 und dem Ersten Zusatzprotokoll von 1977 getroffene Bestimmung. Die Täter sollen also wie Piraten behandelt werden — das schlägt den Bogen zum Gutachten Schmitts —, ein solches Weltstrafrecht setzt aber eine mundiale Gleichbewertung des Unrechts voraus. Ob das allgemeine Rechtsbewußtsein den Code so gleichmäßig abstützt, wird man angesichts der disparaten Tatbestände bezweifeln dürfen. Mag eine Verabschiedung des Entwurfs schon deshalb zweifelhaft sein; die Vollversammlung der Vereinten Nationen ist kein gesetzgebendes Parlament, ein VN-Entwurf könnte nur die Basis für einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag sein, den zu ratifizieren jeder Staat für sich und in eigener Zuständigkeit entscheidet. Im Entwurf des Draft Code 1991 hatte sich der Berichterstatter Doudou Thiam wieder mit dem Projekt eines Internationalen Strafgerichtshofs befaßt. Seine Vorschläge lösten erwartungsgemäß eine ebenso ausführliche wie lebhafte Debatte aus 260 . Die Generalversammlung der Vereinten Nationen nahm den Ball auf und beauftragte am 9. Dezember 1991 die ILC, sich mit diesem Projekt oder „other international criminal trial mechanism" zu widmen. Die ILC setzte eine Arbeitsgruppe ein, die ihren umfangreichen Bericht bereits ein Jahr später erstattete 2 6 1 . In 16 Sitzungen wendete die Arbeitsgruppe die Probleme phantasievoll wie realistisch hin und her. Sie begnügte sich angesichts der vielen kontroversen Punkte und vorhersehbaren Schwierigkeiten mit einigen Empfehlungen und riet der ILC, diese der Generalversammlung mit der Bitte um weitere Instruktionen 258 International Conference, S. 99 (29.6.1945); s. bereits vorn bei FN 148. 259 Zu dieser sog. Weltrechtspflege s. Oehler, S. 519 ff. (Rz. 844 ff.). Das deutsche StGB listet die vornehmlich auf internationalen Verträgen beruhenden Tatbestände in § 6 auf. 260 Report ILC, 29.4.-19.7.1991, G. A. Off. Ree. 46th. Sess., Suppl. No. 10 (A/ 46/ 10), No. 106-165, S. 214-234. 261 Report ILC, 4.5. -14.7.1992, G. Α. Off. Ree. 47th. Sess., Suppl. No. 10 (A / 47 / 10), No. 393-557, S. 143-196; fernerhin der Bericht von Doudou Thiam vom 20. März 1992, G. A. A/CN. 4 / 442.

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weiterzuleiten 262 . Die Geltung des Grundsatzes „nullum crimen" betonte die Arbeitsgruppe mit einer für internationale Gremien ungewöhnlichen Schärfe; Urteilsgrundlage sollten nur solche Straftatbestände sein, die in geltenden völkerrechtlichen Konventionen als Verbrechen festgelegt sind 263 . Die Kriegs- und Humanitätsverbrechen in Krieg und Bürgerkrieg der Serben, Kroaten und Bosnier auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens erregten und bewegten seit 1991 die Weltöffentlichkeit. Die Vereinten Nationen intervenierten zwar nicht mit Truppen, der Sicherheitsrat setzte aber ein „International Tribunal" ein, das die dort seit dem 1. Januar 1991 begangenen Kriegs- und Humanitätsverbrechen aburteilen soll 2 6 4 . Der Generalsekretär hatte — nach Konsultationen vieler VN-Mitglieder—dieses Vorgehen und den Erlaß eines Statuts für Anklagebehörde und Gericht als zulässige Maßnahmen gegen die Bedrohung oder den Bruch des Friedens (Kap. V I I der VN-Satzung) bezeichnet265. Der Sicherheitsrat ist kein Weltgesetzgeber, er kann nicht neues materielles Völkerstrafrecht setzen. Daher zählen Art. 2-5 des vom Sicherheitsrat verabschiedeten Gerichtsstatuts als zu bestrafende Delikte Kriegs- und Humanitätsverbrechen auf, deren einzelne Tatbestände in den vier Genfer Konventionen von 1949 und der Konvention gegen Völkermord von 1948 erfaßt sind. Die Konventionen sind jedoch nicht als unmittelbar geltendes Völkerstrafrecht konzipiert, sie verpflichten die Vertragsstaaten, die Vertragsnormen zu befolgen und ihrerseits Verstöße zu bestrafen. Der Sicherheitsrat bediente sich daher des Kunstgriffs, die Geltung der Konventionen als Völkerstrafrecht mit dem Hinweis zu begründen, sie seien auch „international customary law", wodurch dem Grundsatz „nullum crimen" genügt sein soll. Zu diesem gewohnheitsrechtlichen Völkerstrafrecht gehörten „beyond doubt" die Haager Landkriegsordnung von 1907 „and the charter of the International Military Tribunal of 8 August 1945" 266 . An dieser Stelle interessiert das Statut 1993 zunächst nur durch das, was es ignoriert, was also nicht angeklagt und gerichtet werden soll: Aggression und Angriffskrieg. In der Begründung ist zwar die Rede von „ethnic cleansing", aber es fehlt jeder Hinweis auf die vorerst erfolgreichen serbischen Versuche, nach dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens die eigenen Staatsgrenzen auf Kosten von Kroatien und Bosnien-Herzegowina auszuweiten und durch nachfolgende Ausrottung oder Vertreibung der nichtserbischen Bevölkerung die eroberten Gebiete „ethnisch zu säubern". Infolgedessen nimmt die Begründung des Statuts nur auf die Bestrafung der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Bezug, die in Art. 6 b u. c der IMTCharta geregelt waren 267 . Auf diese erstaunliche Lücke ist noch zurückzukommen. 262 A / 47/10, No. 395-401, S. 144-146. 263 Ebd. No. 492-502, S. 180-183. 264 S/Res./808 (1993) vom 22.2.1993; S/Res./827 (1993) vom 25.5.1993. 265 S/25704 vom 3.5.1993. 266 S/25704, No. 34, 35 zu Art. 1, p. 9. 267 S/25704, No. 42 zu Art. 2, p. 11; No. 47 zu Art. 4, p. 13.

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Die Verabschiedung des Statuts und die Einsetzung von Anklagebehörde und Gericht zur Verfolgung der Kriegs- und Humanitätsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien veranlaßten die ILC, ihre Arbeitsgruppe mit der Fortsetzung der Arbeit an dem Statut für einen Internationalen Strafgerichtshof zu beauftragen. Nach 22 Sitzungen zwischen dem 17. Mai und dem 16. Juli 1993 erstellte die Arbeitsgruppe einen vorläufigen Entwurf für ein Gerichtsstatut 268. Der Entwurf ist hier mitteilenswert nur unter dem Aspekt der Zuständigkeit. Neben den vier Genfer Konventionen von 1949 zum Schutze verwundeter und gefangener Soldaten und der Zivilbevölkerung mit dem Zusatzprotokoll von 1977 sowie den Terrorismus-Konventionen der 70er Jahre (Luft- und Seepiraterie, Geiselnahme) nennt Art. 22 die Verbrechenstatbestände der Apartheid-Konvention, Art. 26 Abs. 2 b außerdem Rauschgiftverbrechen. Sodann soll der Gerichtshof zuständig sein für „a crime under general international law, that is to say, under a norm of international law accepted and recognized by the international community of States as a whole as being of such a fundamental character that its violation gives rise to the criminal responsibility of individuals .. . " 2 6 9 . Die Formulierung ist alles andere als ein musterhafter strafrechtlicher Tatbestand. Die Beschwörungen des Grundsatzes „nullum crimen" im Jahre zuvor wurden offenbar schnell vergessen. In den Erläuterungen begründete die Mehrheit des Ausschusses diese weiten Formeln mit der Notwendigkeit, auch solche Delikte der Jurisdiktion des Strafgerichtshofs zuzuweisen, die außerhalb der Konventionen kraft internationalen Gewohnheitsrechts als Verbrechen angesehen würden: „aggression", Völkermord für Staaten, die nicht der Genocid-Konvention beigetreten, oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die nicht in den Genfer Konventionen beschrieben seien 270 . Auf das angeblich kraft Gewohnheit geltende internationale Strafrecht wird noch einzugehen sein. Daß der Bericht kommentarlos die Meinung von Generalsekretär und Sicherheitsrat wiederholt, auch die Londoner Charta vom 8. August 1945 „has beyond doubt become part of customary international law", ist schon erstaunlich. Die Charta wurde 1945 nicht abstrakt für alle „major war criminals" aller Staaten und für alle Zeiten erlassen, sondern „for the just and prompt trial and punishment of the major war criminals of the European Axis". Dieses Ziel war nicht in der Begründung angegeben, sondern ist Bestandteil der Charta selbst, nämlich durch Art. 1. Mit der Durchführung des Nürnberger IMT-Prozesses und der Bestrafung war die Charta als solche vollzogen und konnte nicht für weitere Verfahren genutzt werden. Eben deshalb erließ der Alliierte Kontrollrat am 20. Dezember 1945 das KRG Nr. 10, aufgrund 268 „Revised Report of the Working Group on the Draft Statute for an International Criminal Court" vom 19. Juli 1993, A / CN.4 / L.490 und Add. 1, mir freundlicherweise zugeleitet von Herrn Kollegen Christian Tomuschat, Bonn, dt. Mitglied der ILC und der Working Group. 2 69 A/CN.4/L.490, p. 28. 2 ™ A/CN.4/L.490, p. 29.

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dessen in den Nürnberger Nachfolgeprozesse weitere Kriegs- und Humanitätsverbrechen in Deutschland verfolgt wurden — auch von dt. Gerichten. Die Londoner Charta vom 8. August 1945 ist zwar nicht ausdrücklich aufgehoben worden. Das war aber angesichts des klaren Wortlauts des Art. 1 überflüssig; sie trat nach den allgemeinen Regeln der Gesetzesgeltung von selbst außer Kraft. Eine andere und noch zu erörternde Frage ist, ob die in Art. 6 der Charta angeführten Tatbestände von Angriffskrieg, Kriegs- und Humanitätsverbrechen in völkerrechtliches Gewohnheitsstrafrecht erwachsen sind. Eine besondere Delikatesse bietet Art. 27 des Entwurfs. Danach darf eine Person wegen eines Verbrechens der Aggression nur angeklagt werden, wenn vorher der Sicherheitsrat festgestellt hat, daß der in Frage stehende Staat der Aggression schuldig ist. Weil solches der Sicherheitsrat nur mit allen Stimmen der fünf „Ständigen Mitglieder" feststellen kann (Art. 27 Abs. 3 VN-Satzung), ist davon auszugehen, daß der Sicherheitsrat niemals die Vereinigten Staaten, Rußland, Britannien, Frankreich und China der Aggression wird beschuldigen können; diese Staaten sind mit ihren Regierungen für das Delikt der Aggression und des Angriffskrieges völkerstrafrechtlich exemt. Es soll also nicht nur das Prinzip „nullum crimen" preisgegeben werden, sondern auch der ebenso fundamentale Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz. In unserem Zusammenhang ist noch festzuhalten, daß der Berichterstatter Doudou Thiam in der Begründung zum Draft Code 1987 von der Fraglosigkeit der IMT-Prozesse in Nürnberg und Tokio und ihrer Rechtsgrundlagen ausging: „The controversy stirred up by the Nürnberg Judgement has today died down. Subsequent international instruments have established the general principles as sources of international law together with custom and treaties 271". Ob diese Einschätzung rechtlich und tatsächlich zutrifft, besonders welche Rolle der zitierten „Gewohnheit" zukommt, wird noch zu rekapitulieren sein.

271 YBILC 1987 II 1, S. 7.

Die Maxime „nullum crimen 44 in den Menschenrechts-Konventionen Noch auf die normative Seite unseres Problems gehört die Behandlung der Regel „nullum crimen, nulla poena sine lege" in den völkerrechtlichen Kodifikationen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen bezog in ihrer „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" vom 10. Dezember 1948 in Art. 11 Abs. 2 eindeutig und vorbehaltlos Stellung zugunsten des Prinzips: „Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die im Zeitpunkt, da sie erfolgte, aufgrund des nationalen oder internationalen Rechts nicht strafbar war. Desgleichen kann keine schwerere Strafe verhängt werden als die, welche im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung anwendbar war." Aber dieser „Resolution" fehlte die rechtlich zwingende Verbindlichkeit, sie konnte nur rechtsmoralisch wirken und künftige Konventionen programmieren 272. Als die Regierungen und Mitglieder des Europarats zwei Jahre später die „Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten" 273 beschlossen, repetierten sie in Art. 7 I den Text des Art. 11 Abs. 2 der VN-Erklärung, versahen den Grundsatz aber in einem zweiten Absatz mit einem Vorbehalt, der in dem von den Vereinten Nationen entworfenen „Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte" vom 19. Dezember 1966 274 wiederkehrt und der ebenso in dem schon erörterten „Code of Offences against the Peace and Security of Mankind" (Draft 1987) enthalten sein soll. Art. 7 Abs. 2 EMRK formuliert: „Durch diesen Artikel darf die Verurteilung oder Bestrafung einer Person nicht ausgeschlossen werden, die sich einer Handlung oder Unterlassung schuldig gemacht hat, welche im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den allgemeinen von den zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war."

272 Ausführlich zur Frage der rechtlichen Verbindlichkeit der UN-Menschenrechtserklärung Wilhelm Karl Geck, ZAÖRV 38 (1978), S. 182 ff.; neuerlich zu diesem oft erörterten Problem Jan Mär tens on, in: Eide, S. 21 ff. 273 Dt. Vertragsgesetz vom 7. August 1952, BGBl. II S. 685. Die EMRK, ratifiziert von jetzt 25 europäischen Staaten, trat 1953 in Kraft. 274 Dt. Vertragsgesetz vom 15.11.1973, BGBl. Π S. 1534. Den Pakt ratifizierten mittlerweile 114 Staaten, 1992 auch die USA (Jean-Bernard Marie, International Instruments Relating to Human Rights: Human Rights Law Journal, Vol. 14, 1993, S. 62).

Die Maxime nullum crimen" in den Menschenrecht-Konventionen

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Art. 15 Abs. 2 des IPbürgR von 1966 variierte den Text nur geringfügig: „Dieser Artikel schließt die Verurteilung oder Bestrafung einer Person wegen einer Handlung oder Unterlassung nicht aus, die im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den von der Völkergemeinschaft anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen strafbar war." Art. 8 des Draft Code 1987 bezieht das ex post facto-Verbot zunächst nur auf die Verbrechen gegen Frieden und Sicherheit der Menschheit: „No person may be convicted of an act or omission which, at the time of commission, did not constitute an offence against the peace and security of mankind." Der Vorbehalt erklärt dann die Möglichkeit ungeschriebener Verbrechen gegen Frieden und Sicherheit der Menschheit (Art. 8 Abs. 2): „Nothing in this article shall prejudice the trial and punishment of any person for any act or ommission which, at the time when it was committed, was criminal according to the general principles of law recognized by the community of nations 275 ." Zwei regionale Menschenrechts-Konventionen hingegen formulieren das strafrechtliche ex post facto-Verbot einschränkungslos: Die amerikanische Menschenrechts-Konvention vom 22. November 1969, der sog. „Pact of San José" 276 , und die Banjul-Charta der „Organisation für Afrikanische Einheit" (OAU) vom 26. Juni 1981, die am 21. Oktober 1986 in Kraft trat und bis 1993 von 49 afrikanischen Staaten ratifiziert wurde: „Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach dem Gesetz keine strafbare Handlung darstellte. Eine Strafe, die zum Zeitpunkt der Tat nicht vorgesehen war, darf nicht verhängt werden. Die Strafe ist persönlich und darf nur gegen den Täter verhängt werden" (Art. 7 Abs. 2) 2 7 7 . 275 YBILC 1987 II 1, S. 6. — Der Entwurf 1991 löst sich von seinen Vorbildern wenigstens im Wortlaut: „Nothing in this article shall preclude the trial and punishment of anyone for any act which, at the time when it was committed, was criminal in accordance with international law or domestic law applicable in conformity with international law" (Art. 10 Abs. 2). Ob und wodurch sich diese Fassungen unterscheiden, kann hier nicht näher verfolgt werden. 276 in Kraft seit dem 18. Juli 1978. Zu den Pakt-Staaten gehören 24 mittel- und südamerikanische Länder; Art. 9 lautet: „Niemand darf wegen irgendeiner Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach dem anzuwendenden Recht nicht strafbar war. Eine höhere als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe darf nicht verhängt werden. Falls nach Begehung der Straftat das Gesetz die Verhängung einer leichteren Strafe vorsieht, muß der schuldigen Person dies zugute kommen" (Übersetzung nach „Europäische Grundrechte-Zeitschrift" 1980, S. 435). 277 Der Originaltext in: ÖZöRV, Suppl. 6: New Perspectives in Conceptions of International Law, Wien 1983, S. 247 ff. (Übersetzung aus: Jahrbuch für Afrikanisches Recht, Bd. 2 [1981], S. 243 ff.); die deutschen Texte der amerikanischen und der afrikanischen Menschenrechts-Konvention auch bei Simma / Fastenrath, Menschenrechte, ihr internationaler Schutz, 2. Aufl., München 1985, S. 367 ff., 390 ff.

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Fassen wir zunächst die normative Lage zusammen: „Nullum crimen" ist in alle Menschenrechts-Erklärungen und Konventionen zwischen 1948 und 1986 aufgenommen worden. War das Prinzip vorher nur in den nationalen Verfassungsgesetzen oder Strafgesetzbüchern ausdrücklich formuliert, so stieg es jetzt auch in das geschriebene Völkervertragsrecht auf, wechselte — völkerrechtlich betrachtet — aus den „general principles of law recognized by civilized nations" (Art. 38 I c IGH-Statut) in das Recht der „international conventions" über (Art. 38 I a). Diesen Positionswechsel mußte „nullum crimen" teuer bezahlen, jedenfalls in der EMRK und im IPbürgR, also in Europa und vielen anderen Staaten außerhalb Südamerikas und Afrikas. Nach den Vorbehalten gilt „nullum crimen" nicht, hat sich der Täter „einer Handlung oder Unterlassung schuldig gemacht . . . , welche im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den allgemeinen von den zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war". Verwendet wird also der Text des Art. 38 I c IGH-Statut — die Ersetzung der „civilized nations" im IPbürgR durch die „community of nations" sollte nur die Beschränkung auf europäische Standards beseitigen278 —, aber es ist rätselhaft, was die Vorbehalte meinen, legt man die Bedeutung des Art. 38 I c IGH-Statut zugrunde. Denn ist eine Handlung nach den „general principles generally recognized in national law" bereits strafbar, ist eine Ausnahme von „nullum crimen" kaum vorstellbar, allenfalls formal, wenn nämlich die anzuwendende Strafvorschrift nachträglich erlassen worden ist, der Tatbestand selbst aber wird in aller Regel nach nationalem Strafrecht bereits strafbar sein. — Oder deuten die Vorbehalte auf das scelus infandum im Sinne Schmitts, auf Verbrechen also, die so furchtbar sind, daß sich der Gesetzgeber scheut, sie in Worte zu fassen? Die Entstehungsgeschichte der Aufnahme von „nullum crimen" in formelles Völkervertragsrecht belehrt über profanere Absichten. Die Vorbehalte zielen zunächst in die Vergangenheit. Bereits bei den Beratungen des Entwurfs der UN-Menschenrechtserklärung von 1948 hatten die Vertreter Belgiens und Griechenlands im Rechtsausschuß der Vereinten Nationen Bedenken gegen die allgemeine Garantie von „nullum crimen" geäußert, weil Art. 11 I I dazu dienen könnte, die Rechtmäßigkeit der Kriegsverbrechenprozesse, besonders der Verfahren von Nürnberg und Tokio zu bestreiten 279. Dementsprechend wurde zunächst der Garantie ein Vorbehalt beigefügt, wie wir ihn aus der EMRK und dem IPbürgR bereits kennen. In den weiteren Verhandlungen des Rechtsausschusses wurde dieser Vorbehalt wieder getilgt 280 . Bei den sogleich anschließenden Beratungen des IPbürgR konnten sich jedoch die Verfechter des Vorbehalts, besonders Großbritannien, durchsetzen. Hier wurde klar ausgesprochen, daß die Vorbehalte die Londoner Charta von 1945 und die Nürnberger Prozesse rechtfertigen soll278 1952, in der achten Sitzung der VN-Menschenrechts-Kommission, Bossuyt, S. 331 ; Nowak, Art. 15 Rz. 17. 279 Vgl. Raimo Lathi, in: Eide, Art. 11 Erl. II, S. 177; bereits Partsch, S. 405/06. 2 80 Lathi, a. a. O., Erl. VI, S. 182.

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ten 281 . Dieses Motiv überrascht, denn das IMT und die Gerichte in den Nürnberger Nachfolgeprozessen hatten behauptet, die Londoner Charta verletze nicht das Prinzip „nullum crimen", weil der Angriffskrieg seit dem Briand-Kellogg-Pakt von 1928 als völkerstrafrechtliches Delikt existiert habe und die Siegermächte — mangels Geltung des Prinzips im Völkerrecht — völkerrechtlich legitimiert seien, die in der Charta von London und im KRG Nr. 10 aufgezählten Kriegs verbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einschließlich der Art ihrer Begehung tatbestandsmäßig zu erfassen. Insofern war es allenfalls möglich und sinnvoll, die in London, Nürnberg und Tokio beanspruchten Kompetenzen nachträglich, normativ und urbi et orbi zu bekräftigen. Wie sehr den Gerichtsherren von Nürnberg und Tokio daran gelegen war — man darf auch vermuten: wie sehr die wissenschaftliche Kritik ihren juristischen Nerv getroffen hatte —, zeigten die heftigen Reaktionen und Debatten, als bei der Beratung des IPbürgR der Vertreter Argentiniens beantragte, den Vorbehalt zu streichen; der Antrag wurde mit 51 gegen 19 Stimmen bei zehn Enthaltungen abgelehnt282, ein Stimmenverhältnis, das angesichts der Interessenlage für sich spricht. Vertreter der Minderheit hatten legalistisch argumentiert, Straftaten könnten nicht nach Prinzipien, noch weniger nach „allgemeinen" Prinzipien bestimmt werden; dazu gehörten vielmehr eine exakte Beschreibung der Straftat selbst und die Festlegung der Strafe. Kein Gericht dürfe aufgrund unbestimmter allgemeiner Prinzipien bestrafen 283. Die Vertreter der Mehrheit argumentierten, man berate eine Erklärung von Grund- und Freiheitsrechten, die ein Instrument des Fortschritts, nicht nur ein Reflex der gegenwärtigen Rechtslage sein sollte. Vor allem aber sollte der Vorbehalt sichern, daß in Zukunft solche Verbrechen, wie sie in Nürnberg verurteilt worden seien, in Übereinstimmung mit den „Prinzipien von Nürnberg" bestraft werden 284 . Es war rechtstechnisch ein grober Mißgriff, „Nürnberg" in dieser Weise normativ konservieren zu wollen. Denn der verwendete Text von Art. 38 I c IGHStatut verweist seit 1922 auf die allgemeinen Grundsätze des in den zivilisierten Staaten allgemein geltenden nationalen Rechts 285 . Die „Prinzipien von Nürnberg" waren aber aus dem Völkervertragsrecht der Londoner Charta und der Rechtsprechung des Nürnberger IMT abgezogen worden. Man wird in der Geschichte der Gesetzgebung lange suchen müssen, um einen vergleichbaren Fall des Auseinandertretens von Absicht und normativer Realisierung zu finden. Die eigentliche Sinnverschiebung wird nur durch die englische (amtliche) Fassung des Art. 15 IPbürgR deutlich: 281 Die Entstehungsgeschichte des Art. 15 IPbürgR dokumentiert systematisch Bossuyt, S. 321 ff., 330 ff. 282 Bossuyt, S. 331. 283 Bossuyt, S. 331. 284 Bossuyt, S. 331/32. 285 s. bereits vorn FN 138.

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„1. No one shall be held guilty of any criminal offence on account of any act or ommission which did not constitute a criminal offence, under national or international law, at the time when it was committed. Nor shall a heavier penalty be imposed than the one that was applicable at the time when the criminal offence was committed. If, subsequent to Irrtum the commission of the offence, provision is made by law for the ligther penalty, the offender shall benefit thereby 286." „2. Nothing in this article shall prejudice the trial and punishment of any person for any act or ommission which, at the time when it was committed, was criminal according to the general principles of law recognized by the community of nations 287 ." Das hier hervorgehobene Adjektiv „criminal" wurde von der VN-Menschenrechts-Kommission erst 1950 eingefügt 288 ; vorher, d. h. bereits in Art. 11 Abs. 2 der VN-Menschenrechtserklärung von 1948, war stets von „offence" oder „penal offence" die Rede gewesen: „No one shall be held guilty of any penal offence on account of any act or ommission which did not constitute a penal offence, under national or international law, at the time when it was committed. Nor shall a heavier penalty be imposed than the one that was applicable at the time the penal offence was committed." Während die deutsche Sprache sowohl für „penal" wie für „criminal" die Übersetzung „strafbar" bereit hält, kann das englische „criminal" auch als „strafwürdig" übersetzt werden. Nach dem Wortlaut muß die Tat also nicht notwendig strafgesetzlich als „crimen" erfaßt und beschrieben sein, es genügt, daß sie moralisch mißbilligt ist, daß sie nach „le bon sens humain" oder dem „gesunden Volksempfinden" eigentlich strafbar sein müßte 289 . Bei der Auslegung der Garantie des ersten Absatzes könnte allerdings der Sinn der Vorschrift dazu veranlassen, „criminal" nur im Sinne tatbestandsmäßiger Strafbarkeit zu verstehen. Der Vorbehalt des zweiten Absatzes hingegen deutet nach der Entstehungsgeschichte, besonders wegen der beabsichtigten Möglichkeit der Wiederholung von „Nürnberg", auf die zweite Sinnvariante von „criminal", die nicht nur strafschärfende, sondern auch strafbegründende Rückwirkungen gestatten soll 2 9 0 .

286 Der dritte Satz des Art. 15 Abs. 1 IPbürgR fehlt noch in Art. 7 Abs. 1 EMRK. 287 Sinngemäß gleich, im Wortlaut etwas abweichend, lautet diese Vorschrift in Art. 7 Abs. 2 EMRK: „This Article shall not prejudice the trial and punishment of any person for any act or ommission which, at the time when it was committed, was criminal according to the general principles of law recognized by civilised nations." 288 Sechste Sitzung, Vorschlag der Philippinen, s. Bossuyt, S. 326. 289 Partsch, S. 406-408, unter Hinweis auf Wilhelm Wengler und die Debatte im Dänischen Folketinget 1952 zur EMRK. Glanville L. Williams setzt die Klausel ungeniert mit der Neufassung von § 2 StGB am 28. Juni 1935 gleich: „This law, which expressed national socialist ideology, is now repealed" (§ 128). 290 Die Entstehungsgeschichte und der Unterschied zwischen „penal" und „criminal" blieben in dem wissenschaftlichen Streit ungewürdigt, der in der Strafrechtswissenschaft um die Frage geführt wurde, ob Art. 7 Abs. 2 EMRK nur strafschärfende oder auch strafbegründende Normen mit Rückwirkung erlaube, s. Jescheck, S. 241.

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Bei den zeitgleichen Beratungen des Entwurfs der EMRK wurden mit den Texten auch die Materialien zum Entwurf des IPbürgR übernommen, ohne die bis dahin in der VN-Menschenrechts-Kommission stattgefundene Diskussion zu wiederholen 291 . Dem Vorbehalt des Art. 7 Abs. 2 EMRK wurde auf diese Weise gleichfalls die Anerkennung der Nürnberger Prinzipien unterstellt 292 . „Die zweckjuristische Abschirmung der Nürnberger Strafjustiz war den Schöpfern der Konvention wichtiger als einer der obersten Grundgedanken des Strafrechts der Kulturvölker 293 ." Dem Vorbehalt der EMRK wurde noch eine zweite Aufgabe zugedacht, nämlich diejenigen Gesetze, Verordnungen und Anordnungen vor der Berufung auf das ex post facto-Verbot des Art. 7 Abs. 1 EMRK zu schützen, die nach dem Ende der deutschen Besetzung 1944 und 1945 zur Bestrafung der Kollaboration mit den Deutschen, also nachträglich und rückwirkend erlassen worden waren. Art. 7 „does not affect laws which, under the very exceptional circumstances at the end of the second world war, were passed in order to suppress war crimes, treason and collaboration with the enemy, and do not aim at any legal or moral condemnation of these laws" 294 . Die harte Vergeltung mit den Mitteln des Strafrechts in den west-, süd- und nordeuropäischen Ländern wurde durchweg erst Ende der 50er Jahre eingestellt 295 . Die „Zusammenarbeit mit dem Feinde" rechtlich zu bewerten, nicht der folgenlosen Beliebigkeit des einzelnen zu überlassen, unterstreicht nachdrücklich Schmitts These von der praktischen Bedeutung der Unterscheidung zwischen Freund und Feind. Die falsche Wahl von Freund und Feind unter der Besetzung als „Verrat" und „Kollaboration" zu bestrafen, mag von den spezifischen Gerechtigkeitswünschen und anderen Bedürfnissen leidenschaftlicher Völker gefordert sein, aber nur chauvinistische Hybris wird annehmen, die „Zusammenarbeit mit dem Feinde" sei eine Handlung, „welche im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den allgemeinen von den zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war". Gleichwohl hat die „Europäische Kommission für Menschenrechte" alle Beschwerden von Kollaborateuren unter Hinweis auf die Entstehungsge291 Partsch, S. 245 f. 292 Partsch, S. 405 f.; Frowein / Peukert, Art. 7 Rz. 8. 293 Partsch, S. 407. 294 Travaux préparatoires, Bd. ΠΙ, S. 262, wörtlich angeführt von der Europäischen Kommission für Menschenrechte in ihrer Entscheidung vom 18. September 1961,1028 / 61, in: Yearbook of the European Convention on Human Rights IV (1960/61), S. 325 (336). 295 Die Verfolgung der Kollaboration schildert Paul Sérant, Die politischen Säuberungen in Westeuropa, Oldenburg 1966; neuerer Überblick und Forschungsstand in dem Sammelband von Klaus-Dietmar Henke / Hans Woller (Hrsg.), Politische Säuberung in Europa, München 1991. Die Strafmaßnahmen wurden z. B. in Frankreich durch vier Gesetze beendet, erlassen zwischen 1951 und 1958, vgl. Quaritsch, Der Staat 31 (1992), S. 402.

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Helmut Quaritsch: Nachwort

schichte des Art. 7 Abs. 2 als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen, ohne sich mit der Frage zu befassen, ob denn jene Verletzungen des ex post factoVerbots durch den im Wortlaut präsenten objektiven Gehalt der Ausnahmeregel gedeckt seien 296 . Die Staaten und Regierungen des Europarats wollten einerseits eine gemeinsame Rechtsbasis für Freiheits- und Menschenrechte in Europa schaffen. Dazu gehörte fraglos auch der Grundsatz „nullum crimen". Andererseits sollten die Gesetze gegen die Kollaboration weder diskreditiert, noch ihre Realisierungen mit der Grundrechtsbeschwerde zur EMR-Kommission angegriffen werden können. Die zu diesem Zweck gewählte Formulierung des Vorbehalts war dazu ungeeignet und zwang die EMR-Kommission zu juristisch unhaltbaren Entscheidungen. Die Schöpfer des Grundgesetzes lösten dasselbe Problem durch Art. 139 GG eleganter: „Die zur »Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus' erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt." Die Bundesrepublik konnte daher bei Ratifizierung der EMRK rechtsstaatlich reinen Herzens zu Art. 7 Abs. 2 den gem. Art. 64 EMRK zulässigen Vorbehalt anbringen, daß Art. 103 Abs. 2 GG auf jeden Fall respektiert werden müsse 297 , was freilich nur deutsche Gerichte daran hindert, die Regel des § 2 StGB unter Hinweis auf „allgemeine Rechtsgrundsätze" zu mißachten. Ob und wie die Vorbehalte der EMRK und des IPbürgR nicht bloß als nachgeschobene Legitimation von Nürnberg und Tokio dienen, sondern auch in die Zukunft wirken, ist prima vista nicht recht klar. Sicher können Wortlaut und Sinn der im ersten Absatz formulierten nullum crimen-Regel entnommen werden, daß Individuen nach staatlichen wie nach internationalrechtlichen Strafgesetzen bestraft werden dürfen. Die internationale Alternative ist allerdings Zukunftsmusik, seitdem die Londoner Charta von 1945 nach dem Ende des Nürnberger IMTProzesses obsolet geworden ist. Bereits 1950 wies Georg Schwarzenberger nach, daß es weder Vertragsvölkerrecht noch Völkerrechtsbräuche oder allgemeine internationale Rechtsgrundsätze gibt, die Strafandrohungen für irgendeine Tat enthalten, die strafrechtlichen Ansprüchen gerecht würden 298 . Daran hat sich bis heute nichts geändert. Uns interessiert jedoch die durch Art. 15 Abs. 2 IPbürgR und Art. 7 Abs. 2 EMRK legitimierte Mißachtung des Grundsatzes „nullum crimen". 296 Entscheidung v. 20. Juli 1957, 268/57, Yearbook of the European Convention on Human Rights I (1955/56/57), S. 239-41; Entsch. v. 9. Juni 1958, 214/56, ebd. Bd. II (1958/59), S. 214 (227); Entsch. v. 18. September 1961, 1028/61, ebd. IV, S. 325 (336). — Zu Recht kritisch Partsch, S. 407; Frowein / Peukert, Art. 7, Rz. 8 m. Nachw. 297 BGBl. 1954 II S. 14. 298 The Problem of International Criminal Law. Current Legal Problems 3 (1950), S. 263 ff.; Partsch, S. 405.

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Ausnahmen sind für nationale oder international gesetzte Strafnormen zulässig, wenn und weil die zu bestrafende Tat „im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den allgemeinen von den zivilisierten Völkern (oder: von der Völkergemeinschaft) anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen strafbar (strafwürdig) war" 2 9 9 . Nach der bereits mitgeteilten Entstehungsgeschichte sind, abweichend von der verwendeten Formel des Art. 38 I c IGH-Statut, nicht nur Rechtsgrundsätze des nationalen Rechts gemeint, sondern auch solche des internationalen Rechts. Ein solcher „Rechtsgrundsatz" soll die Bestrafung von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" erfordern 300. Das klingt plausibel, denn die „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes" vom 9. Dezember 1948 301 stellt fest, daß Völkermord ein Verbrechen gemäß internationalem Recht ist, „zu dessen Verhütung und Bestrafung" die Vertragsparteien sich verpflichten (Art. 1); auch die Beschreibung der Tatbestände, der Begehungsformen und des Adressatenkreises sind mit Strafankündigungen versehen (Art. 2-4). Die Vorschriften der Konvention genügen jedoch nicht der Forderung des rechtsstaatlichen Strafrechts, daß Strafrahmen und gesetzlicher Richter vor der Tat bestimmt sein müssen. Eben deshalb wären Klauseln nach Art der Art. 7 Abs. 2 EMRK und 15 Abs. 2 IPbürgR notwendig, wenn mit nationalen oder internationalen ex post facto-Gesetzen Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestraft werden sollen. Weiter noch geht die Auffassung, es sei ein Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts, „daß Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit und ähnliche Verbrechen des Völkerrechts" auch durch rückwirkende Strafgesetze geahndet werden dürfen 302 . Rechtslogisch setzt diese Annahme voraus, daß Kriegs verbrechen usw. überhaupt strafgesetzlich geahndet werden, denn nur durch die Feststellung solcher Praxis kann auch die Übung rückwirkender Strafgesetze angenommen werden, die ein Rechtssatz des Gewohnheitsrechts bedingt. Dieses Problem wird indes noch in einem anderen Zusammenhang zu erörtern sein. Das Resultat von Sinn, Entstehungsgeschichte und Wortlaut der Vorbehalte: Was der Völkergemeinschaft strafwürdig („criminal") erscheint, darf auch rückwirkend bestraft werden. Das ist keine übertriebene Zuspitzung. So wird schon jetzt behauptet, „Apartheid" sei ein Anwendungsfall des Art. 7 Abs. 2 EMRK 3 0 3 , 299 Nach Nowak, Art. 15 Rz. 19, sollen nur rückwirkende nationale Gesetze das Privileg der Ausnahmeregelung genießen, rückwirkendes Völkerstrafrecht, besonders durch Völkervertragsrecht begründetes Strafrecht unzulässig sein (Rz. 19). Angesichts der Entstehungsgeschichte, die rückwirkendes Völkerstrafrecht durch Art. 7 Abs. 2 EMRK und 15 Abs. 2 IPbürgR legitimiert, ist diese Einschränkung nicht einsichtig. 300 Van Dijk / van Hoof, S. 366 f. 301 In Kraft seit dem 12. Januar 1951, von den 107 beigetretenen Staaten ratifizierten Bosnien-Herzegowina und Kroatien im Jahre 1992 (Marie [FN 274], S. 64).; dt. Vertragsgesetz BGBl. 1954 II S. 730. 302 Nowak, Art. 15 Rz. 19. 303 van Dijk! van Hoof, S. 367 m. FN 866 u. 867. 14 Quaritsch

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Helmut Quaritsch: Nachwort

weil die von den Vereinten Nationen beschlossene „International Convention on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid" vom 30. November 1973 die Bestrafung des Verbrechens der Apartheid fordere 304 . Die VN-Vollversammlung hat mehrfach das südafrikanische System als „Verbrechen" verurteilt, nach Art. 20 des „Draft Code of Crimes against the Peace and the Security of Mankind" (1991) soll „Apartheid" als Verbrechen bestraft werden 305 . Wird daraus schon jetzt auf die Existenz eines „allgemeinen, von der Völkergemeinschaft bzw. den zivilisierten Völkern anerkannten Rechtssatzes" geschlossen, obgleich die west-, nord- und südeuropäischen Staaten der Apartheid-Konvention ferngeblieben sind 306 , dann ist dieser Schluß von derselben populären Leichtigkeit des Denkens getragen, wie 1945 bis 1949 in London, Nürnberg und Tokio der Brückenschlag von der „Ächtung" des Krieges durch den Briand-Kellogg-Pakt zum „Verbrechen gegen den Frieden" vollzogen wurde 307 . Da die Konvention die einzelnen Tatbestände und die Täter beschreibt („individuals, members of organisations and institutions, and representatives of the State"), brauchte ein mehrheitlich von Schwarzafrikanern besetztes Parlament nur noch die Strafdrohungen („poena") gesetzlich festzusetzen, um die politische Klasse des weißen Südafrikas als Verbrecher aburteilen zu können. Die Vorbehalte der EMRK und des IPbürgR haben den Grundsatz „nullum crimen" auf der Ebene des Völkerrechts beseitigt und den nationalen Gesetzgeber zur Mißachtung ermächtigt, sofern international relevante Größen ein Verhalten als „Verbrechen" bezeichnen, z. B. die Vollversammlung der Vereinten Nationen. Wie eine Weltmeinung über die Strafwürdigkeit besonderer Delikte und bestimmter Personen entsteht, zeigte bereits der Erste Weltkrieg mit den strafrechtlichen Konsequenzen der Art. 227 und 228 des Versailler Vertrages. Unter derartigen Voraussetzungen sollen national wie international rückwirkende Strafgesetze legitimiert sein. Konnten die Rechtmäßigkeit der Londoner Charta und der IMTUrteile von Nürnberg und Tokio mit Rechtsgründen bestritten oder doch bezweifelt, durfte also in der Welt des Geistes Revision eingelegt werden, damit Wissenschaft und Nachwelt entscheiden können — die Vorbehalte der internationalen Konventionen schneiden auch diese Möglichkeit ab. Die Mehrheit der VNMenschenrechts-Kommission wollte nicht die gegenwärtige Rechtslage konservieren, sie glaubte mit dem Vorbehalt zugunsten rückwirkender Strafgesetze ein „instrument of progress" geschaffen zu haben 308 : „Brave New World". 304 in Kraft seit 18. Juli 1976, Text z. B. in: Human Rights, A Compilation of International Instruments, ed. United Nations, New York 1988, S. 69-76. 305 s. vorn bei FN 253. 306 Die 94 Staaten, die bis 1993 der Konvention beigetreten sind, zählt Marie (FN 274), S. 69 auf. 307 in der „International Law Commission" wurde vorgetragen: Da auch die nicht beigetretenen Staaten diesen Tatbestand als „Verbrechen" betrachteten, sei „Apartheid" kraft internationalen Gewohnheitsrechts ein „Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit", vgl. Report ILC, 4. Mai — 24. Juli 1992, Suppl. No. 10 ( A / 4 7 / 10), No. 70.

Die Maxime

„nullum

crimen" in den Menschenrechts-Konventionen

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So ergibt denn der normative Befund ein eigentümliches Resultat: In den eigenen Angelegenheiten und für die normale Kriminalität wahren die Nationalstaaten skrupulös als Zeichen moderner Rechtskultur das Prinzip „nullum crimen, nulla poena sine lege". Als „community of nations" erlauben sich dieselben Staaten, mit ex post facto-Gesetzen zu strafen, von denen der Court of Exchequer Chamber am 23. Juni 1870 meinte, sie seien „now looked upon as barbarous" 309 . Für Staaten gilt offenbar dieselbe gruppenpsychologische Beobachtung wie für zivilisierte Bürger: Sobald sie sich im Rudel empören, verlieren sie contenance und Hemmungen gegenüber dem Feind. Die Staaten des Pakts von San José und der Banjul-Charta wollten sich zu solchen Atavismen nicht legitimieren lassen 310 — für Afrika und Amerika südlich des Rio Grande fielen die Schatten von Nürnberg und Tokio nicht lang genug.

308 s. Bossuyt, S. 331. 309 Vgl. vorn nach FN 143. 310 Was der ILC-Berichterstatter Doudou Thiam übersieht, er zählt auch Art. 9 des Pact von San José und Art. 7 II der Banjul-Charta zu den Vorbildern des Art. 8 des „Draft Code of Crimes against the Peace and the Security of Mankind" (YBILC 1987 II, S. 7). 14*

Der Angriffskrieg in Rechtsüberzeugung und Rechtspraxis „Denn wir dürfen niemals vergessen, daß nach dem gleichen Maß, mit dem wir die Angeklagten heute messen, auch wir morgen von der Geschichte gemessen werden. Diesen Angeklagten einen vergifteten Becher reichen, bedeutet, ihn an unsere eigenen Lippen zu bringen." Ankläger Robert Jackson am 21. November 1945 in Nürnberg (IMT II, S. 118). Nur in Deutschland wurden die Vorbereitung des Angriffskriegs und die Kriegspropaganda als Straftatbestände in die Strafgesetzbücher aufgenommen, interessanterweise fast gleichzeitig, nämlich im Jahre 1968, und zwar als „Friedensverrat" in der Bundesrepublik 311 und als „Friedensschutz" in der „Deutschen Demokratischen Republik" 312 . Aber diese strafgesetzliche Manifestation sollte und soll wohl mehr der deutschen Selbstdarstellung dienen als der strafrechtlichen Zügelung aggressiver Politiker. 50 Jahre fast nach Schmitts Gutachten ist die internationale Geltung eines Rechtssatzes zu untersuchen, dem zufolge der Angriffskrieg ein Verbrechen ist und die für die Aggression Verantwortlichen zu bestrafen sind. Die bisherigen Darlegungen ergeben: Normativ betrachtet ist der Angriffskrieg zwar unzulässig und verboten — das läßt sich vor allem den Vorschriften der VN-Satzung über die Sanktionen gegen den Friedensbrecher (Art. 39 ff.) und das Selbstverteidigungsrecht des angegriffenen Staates (Art. 51) entnehmen —, das völkerrechtliche Delikt Angriffskrieg aber ist auch heute, 1993, im geschriebenen (gesetzten) Recht kein völkerstrafrechtliches Delikt, also kein Verbrechen im Sinne von „nullum crimen". Alle Versuche blieben im legislativen Vorfeld stecken, es reichte nur zu „Bekenntnissen", „Resolutionen" und Entwürfen, über welche die Berichterstatter und Kommissionsmitglieder hinwegsterben wie einst die Anwälte über ihre Prozesse am Reichskammergericht. Nur in einem Punkte gelang ein Aufbruch zu neuen Ufern: über 100 Staaten Europas, Nordamerikas und Asiens eröffneten sich rechtlich die Möglichkeit, su In Ausführung des Gebots in Art. 26 Abs. 1 Satz 2 GG wurden 1968 die Vorschriften der §§ 80, 80 a über die Vorbereitung des Angriffskriegs und das „Aufstacheln" zum Angriffskrieg in das Strafgesetzbuch eingefügt (BGBl. 1968 I S. 741). Das Führen des Angriffskriegs selbst wurde nicht pönalisiert, weil der mögliche Täterkreis nicht abgrenzbar erschien. Zu diesem Problem bereits vorn Anm. 161 und FN 161. 312 Im neuen Strafgesetzbuch der DDR vom 12. Januar 1968 (GB1.-DDR I, S. 1) §§ 85 ff. StGB-DDR; dazu Friedrich-Christian Schroeder, Juristenzeitung 24 (1969), S. 44.

Der Angriffskrieg in Rechtsüberzeugung und Rechtspraxis

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rückwirkende Strafgesetze zu erlassen „for any act or ommission which, at the time when it was committed, was criminal according to the general principles of law recognized by civilized nations (the community of nations)". So problematisch der objektive Gehalt der Art. 7 Abs. 2 EMRK und 11 Abs. 2 IPbürgR auch sein mag: die Entstehungsgeschichte wird den Richtern ausreichen, um Angriffskrieg, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit als solche anzusehen, die im Zeitpunkt der Anklage nach den „allgemeinen Rechtsgrundsätzen der zivilisierten Staaten bzw. der Völkergemeinschaft" als strafwürdig anzusehen sind und daher auch rückwirkend bestraft werden dürfen. Möglicherweise muß auf diese Ermächtigung zur Durchbrechung des in den zivilisierten Staaten geltenden Grundsatzes „nullum crimen" gar nicht oder nur teilweise zurückgegriffen werden, weil nach Völkergewohnheitsrecht Angriffskrieg, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bereits strafbare Handlungen sind, für die von Fall zu Fall nur noch der Strafrahmen und das Gericht zu bestimmen wären. Bei dieser Fragestellung mag außer acht gelassen werden, daß nach kontinentaleuropäischer und amerik. Auffassung das Gewohnheitsrecht keine Grundlage für zusätzliche Straftatbestände bilden darf, die „nullum crimen"-Regel also nur durch geschriebenes Strafrecht (statutary law) respektiert wird, nicht durch ungeschriebenes Gewohnheitsstrafrecht 313. Im englischen Strafrecht z. B. kann die Grenze zwischen Gewohnheitsrecht und gesetztem Recht so scharf nicht gezogen werden 314 . Im Völkerrecht wird bedenkenlos „customary law" als Grundlage für völkerstrafrechtliche Tatbestände angenommen, jedenfalls in dem von Generalsekretär und Sicherheitsrat 1993 unter allgemeinem Beifall praktizierten Völkerrecht 315 . Aus den unmittelbaren und mittelbaren VN-Bekenntnissen zu den „Prinzipien von Nürnberg" in den Jahren 1946 und 1950, den Kodifikations-Entwürfen der ILC seit 1960, der Kriminalisierung des Angriffskrieges in der „Friendly Relations"-Erklärung von 1970 316 und in Art. 5 Abs. 2 der VN-Resolution „Defining Aggression" 317 sowie den Vorbehalten der Art. 7 Abs. 2 EMRK und 11 Abs. 2 des IPbürgR könnte auf eine gemeinsame Rechtsüberzeugung der Völkergemeinschaft geschlossen werden: Angriffskrieg und militärische Aggression sind ein völkerrechtliches Delikt, das als „crimen" die Strafbarkeit der verantwortlichen Personen begründet. Die Bedenken gegen eine solche Annahme sollen hier wenigstens erwähnt werden: Gewohnheitsrecht ist nur im englischen Rechtskreis als Strafgrundlage zulässig und nur deshalb, weil in der ersten Hälfte des 19. Jh. zwei Versuche scheiterten, das Strafrecht so zu kodifizieren, wie in anderen zivilisierten Ländern zu dieser Zeit üblich. Seither machen die britischen Juristen aus der Not eine Tugend, indem sie die hohen Anforderun313 Schönke / Eser, Strafgesetzbuch, 24. Aufl., München 1991, § 1 Rz 8 ff. 314 Williams, §§ 130-135. 315 S / 25704 vom 3. Mai 1993 und S / Res. / 827 vom 25. Mai 1993; s. bereits vorn bei FN 264. 316 Vorn bei FN 234. 317 Vorn bei FN 230.

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gen, die case-law an Gedächtnis und Sorgfalt des Juristen stellen, für ein Kennzeichen von Überlegenheit halten (z. B. R. F. Heuston, Essays in Constitutional Law, 2. Aufl., London 1964, S. 30/ 31). Das ist so richtig wie die Feststellung, daß die Frachtbeförderung mit einem Viermaster größere Seemannskünste erfordert als mit einem Motorschiff. Aber wer befördert heute noch Frachten unter Segeln? Es ist deshalb eigentlich eine Zumutung, daß sich im Völkerstrafrecht die ganze Welt an den strafrechtlichen Rückständigkeiten der britischen Insel orientieren soll. Unverkennbar eröffnet die Annahme von Gewohnheitsrecht die Möglichkeit, allen normativen Bemühungen und Entscheidungen aus dem Wege gehen und von Fall zu Fall, d. h. nach Opportunität strafen zu können, wie 1993. — Fernerhin: „Allgemeine Rechtsgrundsätze" sind keine Straftatbestände; diese Auffassung blieb zwar bei den Beratungen des Art. 11 Abs. 2 IPbürgR in der Minderheit (s. vorn bei FN 282), an ihr ist im Interesse eines Mindeststandards an Rechtskultur auch im Völkerstrafrecht festzuhalten (ebenso bereits nachdrücklich JeScheck, S. 234 f.). Allerdings ist der politische Hintergrund der Bestrafung nach ungeschriebenen Normen und „allgemeinen Rechtsgrundsätzen" unverkennbar: Um so wichtiger ist dann die Antwort auf die Frage: quis iudicabit? Wer die Richter beruft, hat den Prozeß schon halb gewonnen. Die Feststellung des Vorhandenseins ungeschriebenen Rechts und eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes stellt die Richter freier als die Auslegung eines fest umrissenen Tatbestandes. Ein Richter wie Radhabinod Pal wird in vergleichbaren Lagen stets in der Minderheit bleiben. Die politischen Konsequenzen der Anerkennung ungeschriebenen Völkerstrafrechts werden regelmäßig übersehen, vgl. z. B. Trifterer, S. 42 ff. Neben die solchermaßen unterstellte Rechtsüberzeugung muß jedoch die ständige Übung, d. h. die Realisierung der Rechtsüberzeugung treten, „international custom, as evidence of a general practice accepted as law" 3 1 8 . Diese konstitutive Voraussetzung des Gewohnheitsrechts hatte in unserem Zusammenhang bereits Radhabinod Pal mit Zitaten aus der klassischen Monographie von Georg Puchta 319 der kühnen Behauptung Sheldon Gluecks entgegengehalten, die Strafbarkeit des Angriffskrieges und der für ihn verantwortlichen Personen sei seit dem Briand-Kellogg-Pakt als „customary law" anzusehen320. Da nach jetzt allgemeiner Ansicht eine sehr kurze Übung für die Bildung von Gewohnheitsrecht ausreicht, selbst eine vereinzelte und sporadische Praxis bei universeller Hinnahme oder Anerkennung in kürzester Zeit Gewohnheitsrecht hervorbringen kann 321 , könnten notfalls allein das einstimmige Bekenntnis der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu den „Nürnberger Prinzipien" von 1946 und die Rechtsprechung der IMT von Nürnberg und Tokio Völkergewohnheitsrecht erzeugt haben 322 . 318 Art. 38 I b IGH-Statut, zum Problem mit viel Lit. Michael Akehurst, BYIL 47 (1974/75), S. 1 ff.; Rudolf Bernhard, ZAÖRV 36 (1976), S. 50, 61 ff.; ders., EPIL I (1992), S. 898 ff. 319 Georg Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Erlangen 1828 und 1837, Neudr. Darmstadt 1965; Pal, Tokyo Judgment Π, S. 570 f. 320 Sheldon Glueck, The Nuremberg Trial and Aggressive War, New York 1946; in seiner ebd. 1944 veröffentlichten Schrift „War Criminals" hatte der Strafrechtslehrer in Harvard ein solches Gewohnheitsrecht ausdrücklich verneint. Dazu ausführlich Pal, Tokyo Judgment II, S. 567 ff., 584 ff., und vorn FN 192. 321 Akehurst, BYIL 47 (1974/75), S. 12 ff.; Bernhard, ZAÖRV 36 (1976), S. 67 m. weit. Nachw.

Der Angriffskrieg in Rechtsüberzeugung und Rechtspraxis

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Es bedarf keiner gelehrten Darlegungen und ist mehrfach bemerkt worden 323 : nach jenem Zeitpunkt fehlt es gänzlich an „general practice". Das „Verbrechen gegen den Frieden" ist nach Nürnberg und Tokio, genauer: nachdem im Nürnberger „Wilhelmstraßen-Prozeß" das Gericht IV am 12. Dezember 1949 die Schuldsprüche gegen Weizsäcker und Wörmann wieder aufhob 324 , nicht einmal nur gelegentlich, sondern überhaupt nicht Gegenstand eines Gerichtsverfahrens gewesen, obgleich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges keineswegs überall und dauerhaft Frieden herrschte. Unsicher ist bestenfalls, wie viele Staatenkriege oder militärische Aggressionen seither stattfanden: 1982 nannte der einstige Richter am IMTFE Bert Röling, den das Thema „Krieg" und „Kriegsverbrechen" nicht mehr losließ, die Zahl von 30 Kriegen 325 . Der Verzicht auf Anklage oder Urteil wegen Angriffskriegs kann nicht erklärt werden mit der Schwierigkeit, Verantwortung und Schuld der handelnden Politiker festzustellen. Seit den IMT-Prozessen und den Beschreibungen des Verbrechens gegen den Frieden ist theoretisch eigentlich geklärt, daß „die eigentlichen Kriegsursachen" oder die „Kriegsschuld", die von den Historikern erforscht und festgestellt werden, für die Verurteilung wegen Angriffskriegs belanglos sind. Art. 5 Abs. 1 der VN-Aggressions-Definition von 1974 formuliert: „No consideration of whatever nature, whether political, economic, military or otherwise, may serve as justification for aggressions." Da fernerhin der erste Einsatz von Waffengewalt prima facie die verbotene Aggression beweist (Art. 2) und schließlich Kriege wohl nur selten — wenn überhaupt — auf beiden oder allen Seiten erlaubte Verteidigungs-, Freiheits322 Das meint wohl Brownlie, wenn er schreibt, Art. 6 der London Charta „has since come to represent general international law", weil das Londoner Agreement durch die Vereinigten Staaten, Britannien, Frankreich und die UdSSR und 19 weitere Staaten unterzeichnet worden sei, und die Generalversammlung der Vereinten Nationen sich am 11. Dezember 1946 zu den „principles of international law recognized by the Charter of the Nuremberg Tribunal and the judgment of the Tribunal" bekannt habe (S. 562). Brownlie folgt hier seiner schon früher geäußerten, aber auch nicht weiter begründeten Auffassung (Use of Force, S. 192). Das Problem der Entstehung von Gewohnheitsrecht aus Verträgen zu Lasten Dritter erörtert Michael Akehurst, BYIL 47 (1974 / 75), S. 44 f. 323 Christian Tomuschat, Archiv des Völkerrechts 21 (1983), S. 289, 294; Karl Doehring, Völkerrechtliche Beurteilung des Kriegsverbrecherprozesses von Nürnberg, Beiträge zur Konfliktforschung 16 (1986), S. 75-84; Eric David, in: Le Procès de Nuremberg (FN 204), S. 160 ff.; W. Grewe, FS Doehring, S. 229-249. Ausführlich die solide und faire Monographie von Eugene Davidson, The Nuremberg Fallacy. Wars and War Crimes since World War II (1973). 324 s. bereits vorn FN 49. 325 EPILI (1992), S. 875. — Nach den Untersuchungen der amerik. Forschungsgruppe World Priorities Inc. (WPI), veröffentlicht 1993, gab es seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 149 Kriege mit 23,14 Mio. Toten, davon 92 Prozent in Entwicklungsländern („Die Welt", Nr. 264, v. 11.11.1993, S. 1). Auch wenn nur solche bewaffneten Konflikte gezählt werden, an denen eine oder mehrere staatliche Regierungen beteiligt sind und bei denen jährlich mindestens 1 000 Menschen umkommen, wird ein Teil dieser Kriege als „Bürgerkrieg" zu bezeichnen sein.

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und Unabhängigkeitskriege sind (Art. 7), so dürfte es nicht auf der etwa schwierigen oder unmöglichen Feststellung des Aggressors und der verbotenen Aggression beruhen, daß gerichtliche Verfahren wegen Angriffskrieges ausblieben. Es hat auch an offiziellen Feststellungen der Vereinten Nationen über den „aggressor", ausdrücklich oder verdeckt, keineswegs gefehlt: Der Sicherheitsrat stellte 1950 einen verbotenen militärischen Angriff Nordkoreas auf Südkorea fest 326 , die VN-Generalversammlung verurteilte 1956 eine bewaffnete Intervention der Sowjetunion in Ungarn, 1980 eine solche (seit 1979) in Afghanistan 327 , fernerhin 1956 unzulässige „militärische Operationen" von Britannien, Frankreich und Israel gegen Ägypten 328 , 1974 die „militärische Intervention" der Türkei auf Zypern und die Teilbesetzung der Insel seither 329 , 1981 den israelischen Bombenangriff auf den irakischen Atomreaktor Tamuz I 3 3 0 , 1982 die „Verletzung der territorialen Integrität, der Unabhängigkeit und der Souveränität des Libanon" durch Israel; die israelische Armee war am 6. Juni 1982 in den Libanon einmarschiert und hatte bis zum 21. August Beirut belagert, um die PLO zum Abzug zu zwingen 331 . Seit 1976 verurteilte der Sicherheitsrat mehrfach Aggressionen Südafrikas gegen Angola 332 , ferner 1985 eine Aggression Israels gegenüber Tunesien 333 , 1982 die Besetzung der Falklandinseln (Malvinas) durch Argentinien 334 . Die Besetzung Kuwaits durch den Irak verurteilte der Sicherheitsrat 1990 als „international breach of peace" 335 und sorgte (ausnahmsweise) selbst für eine Herstellung des Status quo ante mit militärischen Mitteln 3 3 6 . Weitere Fälle, die

326 s/Res/82, 83 u. 84 (1950) v. 25. u. 27.6. sowie v. 7.7.1950. 327 Zur Ungarn-Frage GA/Res 1004-1008 (ES-II) v. 4.-10.11.1956; zur Afghanistan-Frage GA/Res/35/37 (1980) v. 20.11.1980. Die Verletzung der VN-Satzung durch den Einmarsch der Warschauer Pakttruppen in die CSSR am 20./21.8.1968 („bewaffnete Intervention") konnte der Sicherheitsrat nicht feststellen; die von mehreren Staaten eingebrachte Resolution scheiterte am (105.) Veto der Sowjetunion, vgl. AdG 1968, 14148 ff.; Davidson, S. 227-270. 328 GA/Res 997 (ES-I) v. 2.11.1956; Davidson, S. 32-60, der seine Darstellung des Kampfes um den Suez-Kanal mit einem unkommentierten „Postscript" enden läßt: „The lawyer who had defended Rudolf Hess, Alfred Seidl, sent a telegram to Winston Churchill as the Suez crisis ebbed asking him whether any plans were afoot to try Anthony Eden for crimes against peace in accord with the new law established at Nuremberg". 329 S / Res / 353 (1974) v. 20.7.1974; S / Res / 354 (1974) v. 23.7.1974; S / Res / 357 (1974) v. 14.8.1974; S /Res/ 358 (1974) v. 15.8.1974. Diese Resolutionen ergingen alle im Rahmen des Art. 40 SVN (provisional measures), ohne Art. 39 SVN zu erwähnen. Etwas deutlicher, aber auch ohne konkrete Verurteilung der Türkei: S / Res / 360 (1974) v. 16.8.1974. 330 S/Res. 487 (1981) v. 19.6.1981; s. a. GA/Res/36/27 v. 13.11.1981. 331 S/Res/509 (1982) v. 6.6.1982. 332 S/Res/387 (1976) v. 31.3.1976; S/Res/428 (1978) v. 6.5.1978, zuletzt S/ Res / 567,571,574,577 (1985) v. 20.6., 20.9., 7.10., 6.12.1985 und S / Res / 602 (1987) v. 25.11.1987 sowie S / Res / 606 (1987) v. 22.12.1987. 333 S/Res/573 (1984) v. 4.10.1984. 334 s /Res/502 (1982) v. 9.4.1982. 335 S/Res/660 (1990) v. 2.8.1990.

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unschwer der Aggressions-Definition subsumiert werden könnten: Der erfolgreiche „Präventivschlag" der Volksrepublik China gegen Indien im Jahre 1962 anläßlich der tibetischen Grenzstreitigkeiten, der Sechstagekrieg Israels gegen Ägypten, Jordanien und Syrien im Juni 1967 und der Jom-Kippur- bzw. RamadanKrieg Ägyptens und Syriens gegen Israel im Oktober 1973, beide Kriege begonnen mit großangelegten Überraschungsangriffen. Fernerhin der vom Dezember 1978 bis Anfang März 1979 währende Angriff der Volksrepublik Vietnam gegen Kambodscha, um das Regime der Roten Khmer zu stürzen; die vietnamesische Besetzung des Landes, ständig gestört durch Partisanen, endete erst im September 1989. Reaktion darauf bildete im Februar 1979 der Angriff der Volksrepublik China auf Vietnam an dessen Nordgrenze, bezeichnet als „begrenzte Strafaktion". Der 1980 durch einen Angriff des Irak ausgelöste Krieg mit dem Iran erreichte seinen Höhepunkt 1987 mit dem Einsatz irakischer C-Waffen anläßlich der Rückeroberung der Halbinsel Fao und endete erst mit dem Waffenstillstand am 20. August 1988. Der amerik. Bombenangriff auf Bengasi und Tripolis am 15. April 1986 sollte die vermutete Verantwortung Libyens für den Bombenanschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle" zehn Tage vorher vergelten 337 . Die Erklärungen und Kommentare des Sicherheitsrates und der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu den genannten Kriegen und Aktionen sind gewiß „general practice", bestätigen aber nur die rechtliche Geltung des Verbots des Angriffskriegs, eines Verbotes also, das seit dem Briand-Kellogg-Pakt von 1928 gilt, 1945 durch Art. 2 Nr. 4 der VN-Satzung auf ein allgemeines Gewaltverbot erweitert: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt 338 ." In keinem der aufgezählten Fälle ist einem für den Verstoß gegen das Verbot verantwortlichen Politiker der Strafprozeß gemacht worden, keine kompetente Instanz forderte auch nur eine Anklageerhebung 339. Alternativ ergeben sich daraus 336 S / Res / 678 (1990) v. 29.11.1990, vollzogen durch ein internationales Truppenkontingent unter amerik. Führung; zur rechtlichen Einordnung und Bewertung s. Menk, S. 149 ff., 156 ff. 337 AdG 1986, 29797; Nachweise K. Ipsen, § 57 Rz 35. 338 Die praktischen Probleme dieser Vorschrift demonstrierte und erläuterte in luzider Weise Wilhelm Wengler, Das völkerrechtliche Gewaltverbot, Berlin 1967; die tatsächliche Geltung der Vorschrift wurde schon sehr bald äußerst kritisch beurteilt: Thomas Franck , Who killed Art. 2 (4)? or: Changing Norms Governing the Use of Force by States: AJIL 64 (1970), S. 809 ff. 339 Auch nach der Rückeroberung Kuwaits und dem Waffenstillstand forderte keine Regierung der an den Kampfhandlungen beteiligten Staaten, den irakischen Staatschef Saddam Husain wegen Angriffskrieges vor Gericht zu stellen. Als der deutsche Außenminister Genscher diese Forderung erhob, reagierte die Weltöffentlichkeit überhaupt nicht, sie war offensichtlich peinlich berührt (AdG 1991, 35399 ff.; FAZ-Magazin, Heft 607, v. 18.10.1991, S. 134/135).

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zwingend diese Folgerungen: (1) Begann sich durch die Prozesse von Nürnberg und Tokio sowie durch die Anerkennung der „Nürnberger Grundsätze" in den Vereinten Nationen 1946 zwischen den Jahren 1945 und 1950 neues Gewohnheitsrecht zu bilden, und zwar zunächst durch eine allgemeine Rechtsüberzeugung von der individuellen Strafbarkeit verantwortlicher Politiker, dann ist der Prozeß der Entstehung dieses Gewohnheitsrechts auf der Seite der „Rechtsüberzeugung" seit 1950 nicht mehr fortgesetzt worden; das letzte offiziöse, aber nicht einmal eindeutige Bekenntnis des „Sechsten Ausschusses" zu den „Nürnberger Grundsätzen" datiert aus dem Jahre 1950 340 . Die einschlägigen Wendungen in der „Friendly Relation"-Resolution von 1970 und der Resolution „Defining Aggression" bestätigten nur das Verbot staatlicher Gewaltanwendung, jedenfalls nach Ansicht der nichtsozialistischen Staaten341. Insofern wird in der Tat neben der ausdrücklichen Formulierung in Art. 2 Nr. 4 der VN-Satzung auch ein gleichsinniges Gebot des Völkergewohnheitsrechts angenommen342. Aber das Verbot des Angriffskrieges und der Aggression schließt, das bedarf keiner wiederholenden Betrachtung, die persönliche strafrechtliche Verantwortung der Urheber nicht ein. Seit 1950 fehlt auch das notwendige zweite Element, die vollziehende und bestätigende Praxis der Staaten und ihrer Vereinigung in den Vereinten Nationen. Ohne „Gewohnheit" aber kann sich „Völkergewohnheitsrecht" nicht gebildet haben. (2) War hingegen 1945-1950 ein Satz des Völkergewohnheitsrechts entstanden, daß sich die Urheber von Angriffskriegen strafrechtlich im Sinne von Art. 6 der Londoner Charta, Art. 5 der Charta von Tokio und Art. 2 des KRG Nr. 10 schuldig gemacht haben, dann blieb dieser Rechtssatz seit mehr als 40 Jahren unangewendet, obgleich zu seiner Realisierung alle Jahre hindurch genügend Anlässe und Fälle gegeben waren. Bewußte und allgemeine Nichtanwendung aber hat Außerkrafttreten der Regel zur Folge 343 . Auch wenn man sich ungern von der einst allgemein begrüßten Pönalisierung der deutschen und japanischen Führung trennen mag: nach 40 Jahren übereinstimmender „Gegenpraxis" ist die gewohnheitsrechtliche Regel — so sie überhaupt bestand — durch desuetudo außer Kraft gesetzt 344 . Allerdings könnte eingewendet werden, die Derogation von Völkergewohnheitsrecht setze auch das Ende der opinio juris voraus 345 . Eine „allgemeine Rechtsüberzeugung" über die Strafbarkeit von Regierungsmitgliedern muß bei jenen nachgewiesen werden, die sie angeht, also den Politikern selbst und jenen, die über das Anklagemonopol verfügen. Seit den 50er Jahren 340 Vgl. vorn FN 209 ff. 341 Vgl. vorn bei FN 234 ff. 342 Vgl. die Entscheidung des IGH im Nicaragua-Fall, ICJ-Reports 1986, S. 99 ff., unter Nr. 188-190. 343 Bernhard, ZAÖRuV 36 (1976), S. 67 f. 344 Ebenso Grewe, FS Doehring, S. 243. 345 Verdross / Simma, § 576.

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ist von der Allgemeingültigkeit der „Nürnberger Grundsätze" keine Rede mehr. Die einschlägigen Verhandlungen und Entwürfe der ILC blieben und bleiben ohne öffentliches Echo, insofern haben ihre Bemühungen längst den Charakter von Glasperlenspielen einer internationalen Juristensekte angenommen. Die völkerrechtlichen Lehrbücher der Gegenwart erörtern ausführlich die verschiedenen Formen der Verantwortlichkeit der Staaten für staatliche Delikte und „crimes" und das Krisenmanagement der Vereinten Nationen; die persönliche Strafbarkeit der Urheber verbotener militärischer Aggressionen erscheint allenfalls in der Form der Erinnerung an Nürnberg und Tokio als Völkerrechtsgeschichte, nicht als geltendes Recht 346 . In manchen dickleibigen Darstellungen werden die Prozesse von Nürnberg und Tokio nicht einmal mehr erwähnt, ihnen fehlt sogar die Erinnerung 347 . Als nach fast 50 Jahren erstmals ein „International Tribunal" eingesetzt wurde, nämlich am 25. Mai 1993 durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 348 , wurde das Gericht nur für Kriegs- und Humanitätsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien seit dem 1. Januar 1991 zuständig. Bei der mangelnden Verfolgung der serbischen Aggressionen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina mag das politische Wohlwollen mitgespielt haben, das die Serben traditionell bei drei der fünf Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates genießen. Der eigentliche Grund aber war zweifellos, daß die Vereinten Nationen und die Europäische Gemeinschaft versuchen, den Balkankrieg durch Verhandlungen zu beenden, die sie mit denen führen müssen, die für Angriffskrieg und Aggressionen verantwortlich sind. Es wäre schlechte Diplomatie, den serbischen Verhandlungspartnern für den Fall des Friedensschlusses ein Strafverfahren wegen Angriffskrieges in Aussicht zu stellen. Es träte das ein, was Bert Röling 1950 anläßlich der Erörterung der „Nürnberger Grundsätze" im Rechtsausschuß der Vereinten Nationen voraussagte: „ . . . the fear of relentless punishment of all those who had had any share in the hostilities would make war more cruel and capitulation more difficult" 3 4 9 . In der Rechtspraxis wird das Delikt des Angriffskrieges trotz seines hoch angesetzten Unrechtsgehalts — »Aggressive war is the supreme crime, and no penalty is too severe for those who are responsible for it" (Trials IX, S. 401) — nicht 346 Verdross / Simma, §§ 1262 ff.; Nguyen QuocDinh / PatrickDaillier / Allain Pellet , Droit International Public, 4. Aufl., Paris 1992, S. 618 ff.; K. Ipsen, § 38 m. Rz. 32; Otto Kimminich , Einführung in das Völkerrecht, 4. Aufl., München 1990,14.4, S. 489 ff.; Ignaz Seidl-Hohenveldern , Völkerrecht, 7. Aufl., Köln 1992, Nr. 1877-1884; ausführlicher waren die Berichte in den 60er Jahren, vgl. etwa Georg Schwarzenberger, International Law, Bd. II: The Law of Armed Conflict, London 1968, S. 524 ff.; Wengler in seinen großen Fußnoten S. 540 ff. und jetzt wieder Oppenheim' s International Law, Bd. I, bearb. v. Robert Jennings und Arthur Watts, 9. Aufl., London 1992, § 148. — Zu der abweichenden Auffassung von Brownlie, S. 562, bereits vorn FN 322. 347 ζ. B. J. G. Starke, Introduction to International Law, 10. Aufl., London 1989; Malcolm N. Shaw, International Law, 3. Aufl., Cambridge 1991. 348 S / Res. / 827 (1993), vgl. bereits vorn FN 264. 349 A/C.6/SR 236, No. 34, S. 172; s. bereits vorn bei FN 219.

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nach dem Prinzip der Legalität verfolgt, sondern wie eine Bagatellstraftat nach dem Prinzip der Opportunität — wenn es überhaupt verfolgt werden sollte. Das steht offiziell fest seit dem 25. Mai 1993, als der Sicherheitsrat sich auf die Londoner Charta von 1945 insgesamt bezog und sie (irrig) als geltendes Gewohnheitsrecht bezeichnete, aber ohne Begründung das Delikt des Angriffskrieges und der Aggression ignorierte, das in eben dieser Charta eine so prominente Rolle gespielt hatte. Ein halbes Jahrhundert fast nach Nürnberg und Tokio läßt sich guten juristischen Gewissens feststellen: Die IMT-Prozesse in Nürnberg und Tokio setzten keine „landmark in law", sie waren Einzelfälle der Völkerrechtsgeschichte, ohne Vorgang und ohne Nachfolge. Strafrechtlich und prozessual beruhten sie auf rückwirkenden Einzelfallgesetzen — gerichtet allein gegen die überlebenden Repräsentanten der deutschen und japanischen Führung —, angewendet durch Ausnahmegerichte, und diese Kombination schwerer Rechtsfehler ist nicht rechtlich geheilt durch eine „erfolgreiche Revolution", also durch vertraglich vereinbartes Völkerstrafrecht für alle, auch nicht durch anerkanntes Völkergewohnheitsrecht, weder durch „subsequent international instruments" noch durch „custom and treaties", wie der ILC-Berichterstatter Thiam noch vor wenigen Jahren beleglos behauptete350. Um dieses Fazit richtig einordnen und weiten zu können, noch ein Blick auf die Tatbestände des „Kriegsverbrechens" und der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Insofern ist die normative Lage durch die vier Genfer Abkommen von 1949 und die Zusatzprotokolle deutlicher, aber eben nur das Bild des geschriebenen Kriegsvölkerrechts 351. Als internationale Strafgesetze waren die Konventionen nicht konzipiert, und im Sinne der Rechtsprechung der IMT und der „Nürnberger Grundsätze" der Vereinten Nationen sind ihre Regeln nie angewendet worden, obgleich die Schreckensliste der seit 1950 begangenen unzweifelhaften Kriegsund Humanitätsverbrechen umfangreicher ist als die der militärischen Aggressionen und Angriffskriege 352 . Vor Ausbruch des Kriegs und Bürgerkriegs in Jugosla350 YBILC 1987 II 1, S. 7; bereits vorn bei FN 271. 351 Jüngst gründlich dargestellt von Stefan Oeter, ZAÖRV 53 (1993), S. 1-48. 352 Vgl. Eric David (FN 323), S. 160 ff.; Davidson, S. 61 ff., 160 ff., erörtert z. B. Kampf und Bekämpfung der Guerilla in Algerien (1954-1961) und Indochina (19461954). Franz. Gerichte haben die völkerrechtlichen Tatbestände des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ausnahmsweise angewendet, weil nach nationalem Strafrecht die Strafverfolgung wegen Verjährung ausgeschlossen war, nämlich in den drei Verfahren gegen Legay, Paul Touvier und Klaus Barbie, vgl. die Nachweise bei Nguyen Quoc / Daillier / Pellet (FN 346), S. 625. Nicht zufällig handelte es sich dabei um eine Hinterlassenschaft des Zweiten Weltkrieges, also um die Strafverfolgung von Kollaborateuren und Deutschen, auf sie sei nämlich Art. 6 der Londoner Charta anzuwenden (Kassationsgerichtshof, Urteil v. 27.11.1992, Semaine Juridique, JCP II, 1993, Nr. 21977), während Humanitätsverbrechen von Franzosen in Indochina 1952-1954 nicht im Dienste der Achsenmächte begangen worden seien, infolgedessen der Londoner Charta nicht unterfielen und durch franz. Gesetz von 1966 amnestiert waren (Kassationsgerichtshof, Urteil v. 1.4.1993, Bulletin Criminel, 1993, Nr. 143). Es ging um den franz. Staatsangehörigen

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wien im Sommer 1991 wurden zwar alle Verbrechen entweder im Machtbereich des ehemaligen Ostblocks oder in Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika begangen, aber damit doch nicht „beyond the line", wie Sir Francis Drake den Raum der ersten europäischen Ausgriffe nach Übersee jenseits der vereinbarten „Freundschaftslinien" nannte, wo zwischen Krieg und Frieden, Recht und Unrecht nicht unterschieden wurde 353 . Oder — cum grano salis — vielleicht doch? Die Vorgänge während des Vietnam-Krieges sind (mit Abstand) am häufigsten erörtert worden 354 . Ein kompetenter und kritischer Beobachter wie Telford Taylor faßte bereits 1970 zusammen: „Gewaltsame Umsiedlung vieler Millionen Familien aus den ländlichen Gebieten unter katastrophaler Vernachlässigung der Sorge für ihre Gesundheit und der Wahrung der menschlichen Würde; Komplicenschaft der Amerikaner bei der Folterung von Gefangenen durch ihre Schützlinge, die Südvietnamesen; »sportlicher Ehrgeiz4 im Dienste einer möglichst hohen Todesquote unter gröbster Verletzung der Bestimmungen zur Gefangennahme des Feindes, Verwüstung weiter Teile des Landes zum Zwecke der leichteren Aufstöberung des Vietcong; Ächtung jeder Person in den ,Free-fire zones' und schließlich die Niedermachung der Bewohner von Son My bis hin zu Kleinkindern und Babies"355. Dennoch wird man bezweifeln dürfen, ob die amerik. Verbrechen in Vietnam nach Qualität wie Quantität ihren einsamen Spitzenplatz in der Publizistik über die Kriege seit 1950 verdienen. Auch geböte juristische und historiographische Fairneß, die Kampfweise des Vietcong und die Kriegsverbrechen Nordvietnams einzubeziehen. Den Einwand des tu quoque hatten IMT und amerikanische Militärgerichte in den Prozessen gegen dt. und japanische Kriegsverbrecher jedoch stets zurückgewiesen 356. Ebenso hatten die Vereinigten Staaten die Bestrafung der deutschen und japanischen Kriegs verbrechen mit der größten, auch der größten publizistischen Energie betrieben. Das schraubte die moralischen Ansprüche an das Verhalten der US-Truppen und der amerikanischen Kriegsgerichte besonders hoch, auch innerhalb Nordamerikas. Von den bekannt gewordenen Fällen des Verstoßes gegen die Kriegsgesetze in Vietnam erregten die Öffentlichkeit vor allem die Ausschreitungen durch die Einheit des Hauptmanns Medina und des Leutnants William Calley am 16. März 1968 in Son My, gemeinhin unter My Lai bekannt 357 : Nach amtlichen amerik. Feststellungen (Peers-Bericht von Georges Boudarel, der von der Vereinigung ehemaliger Gefangener in Indochina beschuldigt worden war, als politischer Kommissar und Gehilfe des Lagerkommandanten im Dienste des Vietminh seine Landsleute dem Hungertode preisgegeben zu hdben, wenn diese sich der „Umerziehung" widersetzten. 353 Schmitt, Nomos, S. 60-67; Grewe, Epochen, S. 181-193. 354 Vgl. Tutorow, S. 430-446 (Nr. 4246-4457). 355 Taylor, Vietnam, S. 152 (dt. Ausg. S. 175). 356 s. Jescheck, S. 411-413. 357 Von den vielen Darstellungen ist am ehesten zugänglich die genaue Schilderung von Telford Taylor, Vietnam, S. 122 ff. (dt. Ausg. S. 141 ff.). Die Ortsangabe „My Lai" beruhte nach Taylor auf einer falschen Kartenbezeichnung der amerikanischen Streitkräf-

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1975) haben die Soldaten 347 Männer, Frauen und Kinder, teilweise bestialisch, ermordet; neben den Morden wurden auch andere Verbrechen wie Vergewaltigungen begangen. Nachdem alle Vertuschungsversuche der Armee mißlungen waren, kam es zum Militärstrafverfahren. Angeklagt wurde nur Calley; er wurde am 29. März 1971 wegen Ermordung von 22 vietnamesischen Zivilisten, darunter ein Priester und ein Kind, zu lebenslanger Haft und unehrenhafter Entlassung aus der Armee verurteilt. Der öffentliche Entrüstungssturm (wegen der Härte des Urteils) veranlaßte Präsident Nixon, Calley während des Berufungsverfahrens aus der Haft mit Aufenthaltsbeschränkung auf sein Zimmer im Offiziersheim zu entlassen (was wiederum die US-Militärs wegen Eingriffs in ihren Kompetenzbereich empörte). Die Strafe wurde zunächst auf 20 Jahre, dann auf zehn Jahre Haft reduziert, am 19. November 1975 wurde Calley nach Verbüßung von einem Drittel seiner Strafe begnadigt und entlassen. Deutsche Völkerrechtslehrer haben zu Recht auf drei Besonderheiten dieses Verfahrens hingewiesen, die der alliierten, besonders der amerikanischen Praxis in den Kriegsverbrecher-Prozessen gegen deutsche und japanische Soldaten eklatant zuwiderliefen. Es wurde nur der Offizier bestraft, nicht die ihm unterstellten und als Täter beteiligten Soldaten, „obgleich es sich um Befehle handelte, deren verbrecherischer Charakter auch dem Gl mit dem niedrigsten IQ offenkundig sein mußte" 358 . Fernerhin wurde zwar die Verantwortung der höheren militärischen Vorgesetzten untersucht, aber schließlich ignoriert, obgleich sich die sog. Partisanenbekämpfung in My Son unter den kreisenden Hubschraubern der Kommandoebene vollzog 359 . „Hätte die Militärjustiz der USA die Grundsätze beachtet, die der US-Supreme Court 1946 im Yamashita-Fall bestätigt hatte, dann hätten außer den beiden Subaltern-Offizieren [neben Calley der mangels Beweisen freigesprochene Hauptmann Medina] auch ihre Vorgesetzten angeklagt werden müssen. Der japanische General Yamashita war wegen schwerer Kriegsverbrechen verurteilt worden, die ihm unterstellte Einheiten auf den Philippinen begangen hatten; Yamashita hatte die Verbrechen weder befohlen, noch hatte er überhaupt hinreichende Führungsverbindungen zu den betreffenden Einheiten; gleichwohl wurde seine strafrechtliche Verantwortlichkeit für alle in seinem Befehlsbereich begangenen Verbrechen angenommen"360. Die Rechtsgrundlage der Calleyte; der Ort hieß Son My, die Verbrechen geschahen in den Weilern Binh Dong und Xom Lang, nicht in dem weiteren Ortsteil My Lai (Taylor, Vietnam, S. 122 = dt. Ausg. S. 142). Es versteht sich von selbst, daß die Verhaltensweisen einer außer Rand und Band geratenen Soldateska nicht den systematisch geplanten und kaltblütig durchgeführten Genozid-Verbrechen der dt. „Einsatzgruppen" und Vernichtungslager in Polen und in der Sowjetunion gleichgesetzt werden dürfen. 358 Grewe, FS Doehring, S. 247. 359 Taylor, Vietnam, S. 129, 155 (dt. Ausg. S. 148, 178); über das Verfahren gegen die Vorgesetzten und dessen Niederschlagung s. Taylor, S. 165 ff. (dt. Ausg. S. 192 ff.). 360. κ. Ipsen, § 38 Rz. 26; ebenso Grewe, FS Doehring, S. 247; ausführlich unter Hinweis auf weitere Urteile in amerik. Kriegsverbrecher-Prozessen gegen deutsche und japanische Generale und Minister, Taylor, Vietnam, S. 159 ff., 175 ff. (dt. Ausg. S. 192 ff., 203 ff.).

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Bestrafung war ausschließlich das US-Militärstrafgesetzbuch („Uniform-Code of Military Justice"), der Militärrichter wies die Geschworenen nicht darauf hin, daß es sich auch um ein völkerrechtliches Kriegsverbrechen handele oder weshalb er z. B. Art. 3 des IV. Genfer Abkommens zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten nicht als verletzt ansah 361 . Man mag diese Unterlassung als läßliche Sünde ansehen, da das nationale US-Militärstrafrecht für ein „Lebenslänglich" ausreichte; auch Taylor schwieg sich hierzu aus. Eine eher beiläufige Mitteilung dieses kundigen Autors läßt aber die Folgen jener Beschränkung sichtbar werden; sie veranlaßt, eine weitere „Besonderheit" festzuhalten, die unmittelbar zurückführt zur Begründung des IMT und des Urteils im Wilhelmstraßen-Prozeß über die Strafbarkeit des Angriffskrieges. In Nürnberg hatten das IMT und das Gericht IV die Haager Konventionen über die Landkriegführung und die Behandlung von Kriegsgefangenen als ausreichende gesetzliche Grundlage für die Bestrafung entsprechender Missetaten bezeichnet und sich auf das Urteil „Ex parte Quirin" des Supreme Court berufen, das die völkerrechtliche Zulässigkeit der Bestrafung von Spionen und Saboteuren als Rechtsgrund genügen ließ, um solche Täter — abweichend von den formalen Zuständigkeitsvorschriften — durch Militärgerichte auf dem Territorium der Vereinigten Staaten aburteilen zu können, obgleich dieses Gebiet kein „Kampfgebiet" war. Völkerrecht sei eben „law of the land" 3 6 2 . Taylor berichtet nämlich, ein Teil der in die Vorgänge von Son My verwickelten Soldaten sei bei Beginn der Ermittlungen bereits in das Zivilleben zurückgekehrt. Nach einer Grundsatzentscheidung des Supreme Court dürften aber ehemalige Soldaten nicht mehr vor ein Militärgericht gestellt werden 363 . Es sei theoretisch vielleicht möglich, sie vor eine spezielle „military commission" zu stellen, oder Bundesgerichten (federal courts) die Fälle zu übertragen, „but there are legal problems on either hands" 364 . Diese Rechtsprobleme waren — das wissen wir inzwischen — so schwierig, daß kein ehemaliger US-Soldat wegen seiner Kriegsverbrechen in Vietnam angeklagt und verurteilt wurde. Entrüstung darüber ist nicht unsere Aufgabe. Festzuhalten ist vielmehr, daß der so kritische Taylor, Chefankläger in den Nürnberger Nachfolgeprozessen, vergaß, wie die Gerichte in Nürnberg die kriegsrechtlichen Konventionen gegen die Angeklagten verwerteten, und wie in „Ex parte Quirin" mit Völkerrecht die Zuständigkeit des ad hoc bestellten Militärgerichts bejaht wurde. In derselben Weise, nämlich wegen unmittelbaren Verstoßes gegen Art. 3 des Genfer Abkommens zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten, hätte auch gegen ehemalige US-Soldaten das Verfahren durchgeführt werden können: Sind die Konventionen 361 s. Friedman II, S. 1708 ff.; Κ . Ipsen, § 38 Rz. 26. 362 IMT XXII, S. 526; Wilhelmstraßen-Prozeß, S. 5, = Trials XIV, S. 322; s. bereits vom bei FN 116 ff. 363 Taylor, Vietnam, S. 156 (dt. Ausg. S. 179 / 80), unter Hinweis auf Toth v. Quarles, 350 U. S. 11 (1955). 364 Taylor, Vietnam, S. 216 Anm. 2 (dt. Ausg. 249 Anm. 2).

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materielles Strafrecht, wie die Gerichte in Nürnberg annahmen, ist dieses völkerrechtliche Strafrecht „law of the land" und kann solches materielle Strafrecht auch Zuständigkeitsfragen beantworten, wie der Supreme Court 1942 behauptete, dann konnten die von Taylor erwähnten Probleme eigentlich nicht entstehen, die sich positiv-rechtlich aus dem Territorialitätsprinzip des amerikanischen Strafrechts und der auf Uniformträger beschränkten Zuständigkeit der „court martial jurisdiction" ergeben 365. Sie wurden gleichwohl ernst genommen mit einer Folge, die nicht nur Juristen den Atem verschlägt: Auch die übelsten Kriegsverbrechen blieben ungesühnt, wurden sie außerhalb des Territoriums der Vereinigten Staaten begangen und gehörte der Täter nicht mehr zu den Streitkräften. Unter diesen Bedingungen waren Täter und Taten — metaphorisch gesprochen — „beyond the line". Die Vorstellung jedenfalls, Taylor oder andere amerikanische Ankläger hätten Deutsche oder Japaner 1945 und danach außer Verfolgung gesetzt, weil — gleiche Rechtslage vorausgesetzt — sie ihre mutmaßlichen Kriegsverbrechen, z. B. die Erschießung von amerikanischen Kriegsgefangenen, außerhalb des deutschen oder japanischen Hoheitsgebiets begangen hatten, aber vor ihrer Verhaftung z. B. wegen Dienstunfähigkeit oder sonstwie bereits demobilisiert worden waren — diese Vorstellung würde Taylor wohl auch heute als schlechten Scherz abtun. Möglich ist freilich auch eine andere Interpretation: Die in der Tat wenig tragfähigen Brückenschläge zum Völkerrecht in den Nürnberger Urteilen wie in „Ex parte Quirin" waren okkasionelle Konstruktionen, ausreichend für Prozesse gegen Deutsche und Japaner, also Feinde, aber ohne Relevanz, wenn es gegen die eigenen Soldaten und Staatsangehörigen ging. Hier mußte das nationale „law of the land" allein gelten, in seiner ganzen Strenge, Ungerechtigkeiten eingeschlossen, die aus der Schutzfunktion des formalen Rechts resultieren. Die Unterscheidung zwischen Freund und Feind erklärt auch die sonst eigentlich unerklärbare Vergeßlichkeit anglo-amerikanischer Juristen, die darauf trainiert sind, Präzedenzfälle und Rechtsmeinungen aus Jahrhunderten anzuwenden. 20 Jahre zuvor, am 13. November 1950, hatte der Vertreter der Vereinigten Staaten, Maktos, im Sechsten Ausschuß der Generalversammlung der Vereinten Nationen bei der Beratung der „Nürnberger Grundsätze" erklärt: „No one had questioned the validity of the underlying principles of the Charter and judgment of Nürnberg, namely that crimes against peace, war crimes and crimes against humanity were punishable under international law 366 . Es geht uns, das sei erneut betont, nicht um eine Anklage der amerikanischen Kriegführung in Vietnam oder der US-Justiz wegen unzulänglicher Verfolgung der eigenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das 365 Zur strengen Geltung des Territorialitätsprinzips im allgemeinen Strafrecht und der Beschränkung der Militärgerichtsbarkeit auf aktive Soldaten im US-Recht s. Oehler, S. 169 ff. (Rn. 178-183), sowie S. 399 (Rn. 606). 366 A / C . 6/SR 238, No. 12, S. 188.

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Beispiel „Vietnam" soll vielmehr helfen, die Gründe für die Einmaligkeit des Nürnberger Prozesses und des Tokyo Trial freizulegen. Zunächst ist daran zu erinnern: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden im Staatsdienst oder doch bei Gelegenheit des Staatsdienstes begangen. Daß der „Angriffskrieg" dem Staat und seiner Regierung zugerechnet wird, bedarf keiner langen Darlegung. Regierungsverbrechen und im Dienste des Staats begangene Verbrechen berühren den Bürger dieses Staates anders als normale Kriminalität. Die politische Opposition führt moralisches Pathos als Waffe gegen die Regierung oder die politische Klasse, eine Handvoll Berufsjuristen will Justitia lege artis entscheiden lassen, die große Mehrheit indes mißbilligt zwar die einzelne Regelverletzung als solche, will aber generell die Täter milde bestraft wissen. Dahinter stehen Parteinahme, Abneigung, Verachtung und Haß gegenüber den Opfern, Nachsicht, in gewissem Sinne auch Verständnis für die uniformierten Täter, Einstellungen, die von der „zivilen" Mord- und Totschlagskriminalität in aller Regel niemals hervorgerufen werden können. Taylor und andere Autoren zeigten sich über diese Reaktionen in den Vereinigten Staaten überrascht, nachdem die Vorgänge von Son My bekannt geworden waren 367 . Genauso (und genauso verschieden) reagierten auch die Deutschen nach 1918 auf die Vorwürfe der Alliierten wegen deutscher Kriegsverbrechen und die Kriegsverbrecher-Prozesse vor dem Reichsgericht in Leipzig 368 . Solche Reaktionen können allerdings nur das Modell für moralisch sensible oder sensibilisierte Nationen abgeben. In den Nachfolgestaaten der Sowjetunion ist die barbarische Art der Partisanenbekämpfung durch die Rote Armee in Afghanistan 1979-1989 bislang nicht zum Gegenstand öffentlicher Kritik und strafrechtlicher Ermittlungen gemacht worden, obgleich die Folgen der sowjetischen Intervention und des Bürgerkriegs auf 1,3 Mill. Tote und 5 Mill. Flüchtlinge geschätzt werden — bei einer Gesamtbevölkerung von 17,2 Mill. 3 6 9 . Zwei weitere Fälle illustrieren das Modell der differenzierten, im Ergebnis jedoch stets milden Urteile in eigener Sache. Der US-Soldat Michael Schwartz wurde am 29. Oktober 1971 wegen Mordes an 16 vietnamesischen Zivilisten aufgrund des US-Militärstrafrechts von der ersten Instanz zu lebenslanger Haft mit harter Arbeit, Verlust der Dienstbezüge und unehrenhafter Entlassung aus der Armee bestraft. Die letzte Instanz setzte das Strafmaß auf ein Jahr Haft mit harter Arbeit und unehrenhafter Entlassung herab 370 . Leutnant James Duffy hatte einem Unteroffizier befohlen oder gestattet, einen gefangenen Vietcong zu erschießen. Es war keine „spontane" Tötung, das Opfer blieb vor der Exekution 367 Taylor, Vietnam, S. 154 ff. ; dt. Ausg. S. 177 ff. 368 Ausführlich Schwengler, S. 303 ff.; Quaritsch, FS H.-J. Arndt, S. 245 ff. m. weit. Nachw. 369 im einzelnen Mark Urban, War in Afghanistan, 2. Aufl., London 1990; Michael Pohly, Krieg und Widerstand in Afghanistan. Ursachen, Verlauf und Folgen seit 1978, Berlin 1991, S. 261 ff., besonders S. 276 f. 370 Donald A. Wells, War Crimes and Laws of War, Boston 1984, S. 104 f. 15 Quaritsch

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eine Nacht an einen Baum gefesselt. Das Mordurteil wurde in eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung umgewandelt; Duffy kam (1970) mit sechs Monaten Arrest davon 371 . Und schließlich: Die Verurteilung des Leutnants Calley hob Richter Robert Elliott (Bundesgerichtsdistrikt Georgia) am 25. September 1974 u. a. wegen feindseliger Berichterstattung in den Medien auf. Die Berufung der Streitkräfte erledigte sich durch Calleys Begnadigung am 19. November 1975. Das Urteil Elliots umfaßt 132 Seiten, von denen allein 85 die Art und die Auswirkungen der Publizistik vor dem Verfahren beschreiben. Elliot machte keinen Hehl aus seiner Meinung über die Allseitigkeit von Kriegsverbrechen, er führte als Beispiel nicht nur die Ausmordung der Bewohner von Jericho durch Josua an, sondern auch die Angriffe der britischen und der amerikanischen Luftwaffe auf deutsche Städte wie den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. „Der Krieg ist die Hölle, und wenn wir einen jungen Mann in die Armee aufnehmen und ihn zum Töten ausbilden, ihm beibringen, Befehlen zu gehorchen und ihn in ein fremdes Land schicken, und wenn er dann in der Verwirrung des Kampfes etwas tut, was lange nach dem Geschehnis zu einer Anklage wegen Kapitalverbrechens führt, dann verlangt einfach die Gerechtigkeit, daß er von der Presse, von seiner Regierung und von der Waffengattung, bei der er diente, fair behandelt wird." Statt dessen sei Calley „von der Presse drangsaliert und angeprangert, vom Fernsehen verhöhnt und besudelt" worden. „Seine Regierung verwehrte ihm den Zugang zu Beweismitteln, seine Eingaben beim Justizministerium blieben unbeantwortet, seine Verurteilung sollte als Katharsis zur Reinigung des nationalen Gewissens und zur Hebung des Ansehens der Armee dienen. Sein Land versagte ihm nicht nur einen fairen Prozeß, es versagte ihm sogar die einzige faire Chance für einen fairen Prozeß 372 ." Die extrem milden Strafurteile kontrastieren auffällig zu den Entscheidungen, die amerikanische Militärgerichte gegen deutsche und japanische Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg fällten. Vermutlich werden aber nur Taylor und ähnliche kritische Geister diesen Gegensatz sehen und als solchen anerkennen. An den Maßstäben des Richters Robert Elliott gemessen, wären die Prozesse vor dem IMT in Nürnberg und dem IMTFE in Tokio ebensowenig „fair trial" gewesen 371 Taylor, Vietnam, S. 150 ff.; dt. Ausg. S. 173 ff. Taylor begründet die skandalös milde Strafe mit der zutreffenden Annahme, die Tötung von gefangenen Vietcong sei zur Verbesserung der täglichen „killing rate" verbreitet gewesen, Duffy sei also nur zufällig und allein in die Maschinerie der Kriegsgerichtsbarkeit geraten. In den vergleichbaren Fällen der Tötung einzelner alliierter Soldaten, z. B. notgelandeter Piloten, durch Zivilisten, Polizisten oder Wehrmachtangehörige wurden die dt. Täter und Teilnehmer regelmäßig zum Tode verurteilt und hingerichtet, so in elf von 14 einschlägigen Kriegsverbrecher-Prozessen (UN-Law Reports Bd. I Nr. 3, 7, 8; III Nr. 15, 16, 17 u. 18; IV Nr. 23; V Nr. 29; XI Nr. 66, 68, 71). Nur in drei Verfahren wurden Freiheitsstrafen ausgesprochen: Bd. III Nr. 14 (zweimal Lebenslänglich); XIV Nr. 86 (zehn Jahre wegen Notwehrexzeß). Ganz aus dem Rahmen fällt die nur achtjährige Freiheitsstrafe in XI Nr. 67: Der Täter war ein 15jähriger „Hitlerjunge". 372 AdG 1974, 18984.

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wie viele andere KriegsVerbrecherprozesse auch. Die meisten US-Amerikaner würden solche Vergleiche nicht nur generell ablehnen, die Gleichsetzung von amerikanischen mit deutschen und japanischen Verletzungen des Kriegsrechts erscheint ihnen auch dann unzulässig, wenn im Einzelfall die Zahl der Opfer und die Durchführung der Tat kongruent gewesen sein sollten. Das ist kein moralisches Defizit des amerikanischen Volkes, keine „American Tragedy", wie Taylor meinte 373 , es entspricht vielmehr dem Gesetz, nach dem die Nationen Gerechtigkeit zuteilen: sie entscheiden politisch (im Sinne Schmitts), d. h. sie unterscheiden zwischen Freund und Feind. Dieses Handlungsgesetz mag Moralisten empören und Juristen an ihrem Beruf (oder der Binde vor den Augen der Justitia) verzweifeln lassen. Es ist so überdeutlich sichtbar geworden, weil nach dem Zweiten Weltkrieg Kriegsrechtsverletzungen nicht mehr zur Aufrechterhaltung der soldatischen Disziplin in der eigenen Armee geahndet wurden — Deutschlands und Japans Heere existierten nicht mehr —, sondern wegen der Opfer und der allgemeinen Gerechtigkeit. Auf Sühne dieser Art wurde —jedenfalls in Europa — bis zum Ende des 19. Jh. verzichtet; die Kriegsparteien amnestierten im Friedensvertrag alle Kriegsverbrechen gegenseitig und folgten damit einer wohlbegründeten Tradition von Jahrhunderten 374. Ist es aber offenkundig ein existentielles (unbewußtes) Bedürfnis der Nationen, bei Kriegsverbrechen Freund und Feind mit unterschiedlichen Maßstäben zu beurteilen, dann muß aus dieser Sicht die Gerichtsbarkeit in eigener Hand bleiben. Wie elementar dieses Bedürfnis ist, wieviel stärker als politische Einstellungen und schichtenspezifische Bewußtseinslagen, zeigten die deutschen Reaktionen 1919 auf das Verlangen der Alliierten, aufgrund der Art. 228-230 des Versailler Vertrages 854 deutsche Soldaten wegen angeblicher Kriegsverbrechen auszuliefern, unter ihnen viele prominente Heerführer. Die Empörung in der deutschen Öffentlichkeit war so gewaltig und so einhellig, daß Reichstag und Reichsregierung die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten durch die Alliierten wegen Verletzung des Vertrages in Kauf nahmen und die Auslieferung verweigerten 375. Ebensowenig ist 1968 in den Vereinigten Staaten trotz fulminanter Kritik an dem

373 Taylor bezeichnete es als Tragödie, daß seine Landsleute nicht die Lektion von Nürnberg gelernt hätten (Vietnam, S. 207, dt. Ausg. S. 241); es ist eher die persönliche Tragödie des Telford Taylor, daß er glaubte, mit „Nürnberg" und seiner Tätigkeit als Ankläger würde ein neues Zeitalter des internationalen Rechts beginnen. 374 s. Quaritsch, Der Staat 31 (1992), S. 389 ff. m. weit. Nachw. — Bereits 1918, dann wieder nach 1945 wurde das am 24. Oktober 1865 ergangene Todesurteil gegen Henry Wirz, Kommandant des konföderierten Kriegsgefangenenlagers von Andersonville, als Präzendenzfall für eine neue universale Entwicklung betrachtet. Damit aber setzte sich nur eine amerik. Rechtstradition durch, die nicht aus einem Staatenkrieg, sondern aus einem Bürgerkrieg hervorgegangen war. Als Präzedenzfall eignet sich das WirzVerfahren nur, soweit es sich um die Kommandanten von Gefangenenlagern handelt, jedenfalls nach den fallorientierten Grundsätzen des Common Law. Zum Fall Wirz s. bereits vom Anm. 33. 375 Text der Art. 228-230 vom Anm. 1, Literatur Anm. 2. 15*

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militärischen Engagement und der Art der Kriegführung kein ernstzunehmender Kritiker auf die Idee gekommen, mutmaßliche eigene Kriegsverbrecher an Nordvietnam auszuliefern oder durch ein internationales Kriegsgericht, besetzt mit Richtern neutraler Staaten, aburteilen zu lassen. Die Einsetzung eines „International Tribunal" durch den Sicherheitsrat am 25. Mai 1993 376 unternimmt zwar zum ersten Male den Versuch, Kriegs- und Humanitätsverbrechen nach Völkerstrafrecht durch Richter aus nicht an den Balkanwirren beteiligten Staaten zu sühnen. Dieses Unternehmen ist aber wohl nur eine normative Drohgeste, um die Angehörigen der Kriegs- und Bürgerkriegsparteien von weiteren Greueln abzuhalten, eine nostalgische Geste symbolischer Politik, die der Enttäuschung über das Versagen der Weltorganisation wie der europäischen Staaten begegnen soll. Der Sicherheitsrat begründete die Einsetzung des „International Tribunal" ausdrücklich mit den „widespread and flagrant violations of international humanitarian law", sprach von Berichten über Massenmord, „massive, organized and systematic detention and rape of women" und den Begleiterscheinungen der „ethnischen Säuberung" 377. Der Kommission, die der Sicherheitsrat bereits 1992 zur Untersuchung der Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien einsetzte378, soll es bis Ende Juli 1993 in keinem einzigen Fall gelungen sein, ein anklagefähiges Dossier zusammenzustellen379. Die Hoffnung, nach dem Ende der Feindseligkeiten würden demokratische Regierungen der Nachfolgestaaten die Täter aufspüren und dem „International Tribunal" der Vereinten Nationen ausliefern 380, ist nach allen Erfahrungen der neueren Geschichte, auch derjenigen nach 1950, schlechthin illusionär. Vermutlich werden sich die Völker des Balkans der vom Westfälischen Frieden 1648 bis zum Frieden von BrestLitowsk 1918 bewährten, u. a. von Immanuel Kant formulierten Regel erinnern, nach der zum Begriff des Friedens die Amnestie gehört 381 , weil Frieden wichtiger ist als strafen. Wer Kriegs- und Humanitätsverbrechen nach seinen Vorstellungen bestrafen will, muß selber Krieg führen bis zur bedingungslosen Kapitulation, das Land der Täter vollständig besetzen und einkalkulieren, was Bert Röling 1950 im Rückblick auf den Zweiten Weltkrieg feststellte: „ . . . the fear of relent376

s. bereits vorn bei FN 264. 377 s/Res./827 (1993), S. 1. 378 Res./780 V. 6. Oktober 1992. 379 Carsten Hollweg, Juristenzeitung 1993, S. 988 FN 67. Als am 17.11.1993 die elf Richter des Tribunals in Den Haag vereidigt wurden, berichtete der niederländische Untersuchungsführer Frits Kaishofen über Angeklagte und ihre Verbrechen, der ehemalige US-Außenminister Lawrence Eagleburger führte in seiner Liste mutmaßlicher Kriegsund Humanitätsverbrecher den serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic und den bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic als Hauptangeklagte („Die Welt" v. 16.J 1.1993, S. 5). Für eine Anklage reichen diese Angaben nicht aus, abgesehen davon, daß Strafverfahren gegen Abwesende vor dem Tribunal unzulässig sind und fast alle namentlich genannten Täter in ihrer serbischen Heimat als Volkshelden gelten. 380 Hollweg, ebd., S. 989. 381 Jörg Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag, Stuttgart 1979, S. 57 ff.; Quaritsch, Der Staat 31 (1992), S. 394-418.

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less punishment of all those who had had any share in the hostilities would make war more cruel and capitulation more difficult" 3 8 2 . Alle diese Erwägungen gelten erst recht für das Verbrechen des „Angriffskrieges". Angriffskrieg ist ein Delikt der politischen Führung, ihre Regierungen aber wollen die Völker selbst richten. Es ist dies nicht so sehr ein Problem „staatlicher Souveränität" — Souveränität ist nur der juristische Mantel für umfassende Selbstbestimmung —, denn in der völkerrechtlichen Praxis haben die souveränen Staaten die Entscheidung fremder Dritter in eigenen Angelegenheiten durchaus ertragen, z. B. durch Schiedssprüche oder (im 20. Jh.) durch Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs. Zur Vermeidung von Kriegen empfahl bereits der Begründer der modernen Souveränitätslehre, Jean Bodin, Streitigkeiten von Souveränen dem Schiedsspruch eines dritten unbeteiligten Souveräns zu unterwerfen 383 . Aber Streitigkeiten um den Verlauf von Grenzen, über die Unterhaltung von Leuchttürmen und ähnliche Objekte der Rechtsfindung sind keine „Hochund Blutsgerichtsbarkeit" und keine Entscheidung über Art und Personen der politischen Führung. Bei Aggression und Krieg kann die Zustimmung sehr viel weiter gegangen sein. Stärker als in den Kriegsverbrecher-Prozessen können sich Solidarität und Identifikation auswirken. In Prozessen wegen Angriffskrieges müssen die Besiegten fürchten, die Ankläger könnten ihre eigene Mitschuld verkleinem oder vertuschen; die IMT-Verfahren in Nürnberg und Tokio haben diese Sorge nicht widerlegt. Vor allem aber: Die strafrechtliche Verurteilung trifft zwar nur die Angeklagten, die Folgen aber tragen alle, auch jene, die mit den Angeklagten nur die Staatsangehörigkeit gemein haben, selbst die Ungeborenen. In vergangenen Zeiten berechtigten nur der Sieg und der Friedensvertrag dazu, den geschlagenen Feind Krieg und Niederlage mit Land und Gold bezahlen zu lassen. Das gerichtliche Urteil über die kriminelle Schuld der Führung des geschlagenen Staates liefert eine zusätzliche, eine überlegene Legitimationsgrundlage, einsichtig für jedermann, daneben jeder Hinweis auf den Sieg der Waffen plump und unmodern erscheint. Hat ein Staat mit dem Angriffskrieg das „supreme crime" begangen, dann mögen nur die Führungsspitzen völkerstrafrechtlich schuldig sein und wie gemeine Kriminelle gehängt werden dürfen, das Kollektiv aber haftet mit Heimat und Leben, es trägt Generationen lang die Lasten und Folgen eines richterlichen Schuldspruchs. Dazu gehört auch der Makel, einer verbrecherischen Führung gefolgt zu sein: Noch den Enkeln darf Mißtrauen und Abneigung entgegengebracht werden, ohne daß dergleichen als dumm und taktlos gilt. Gewiß wird eine öffentliche Weltmeinung dieser Art durch verschiedene Quellen gespeist: eigenes Leid und Erleben, in der Breite auf medial gepflegten Feindbildern und Propaganda-Traditionen. Das Urteil eines „Internationalen" Gerichts aber, das in einem langen förmlichen Verfahren Ankläger und Verteidiger anhörte, das die Beweise 382 Vgl. bereits vorn bei FN 219. 383 Les Six Livres de la Republique V 6, Paris 1576/ 1583, S. 799.

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für Schuld und Unschuld prüfte, das seinen Spruch feierlich verkündete und auf Hunderten von Seiten begründete — das ist ein Pfeiler, der die Meinung über Schuld und Unschuld der Völker und ihrer Führungen dauerhafter trägt als jedes Weißbuch und jedes „Schuldanerkenntnis" im Friedensvertrag. Das Urteil des Gerichts bringt die letzte große Autorität ins Spiel, gegen sie einen „Kampf gegen die Kriegsschuldlüge" aufzunehmen, wäre von vornherein aussichtslos. Für die Völker der Welt ist das Urteil eines solchen Gerichts das letzte Wort: Roma locuta causa finita. Auch wenn die Historiker das gerichtliche Verfahren sehr bald als untauglichen Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt verstehen sollten: In den Schullesebüchern wird nur von Prozeß und Urteil die Rede sein. Ein solches Urteil haben die Besiegten daher mehr zu fürchten als die totale Entwaffnung. Waffen lassen sich wiederbeschaffen, die rechtskräftige Verurteilung durch ein Internationales Gericht bedeutet eine irreversible Niederlage in der Welt des Geistes. Geistige Realitäten dieser Art überdauern Generationen. Fremden Richtern wird die eigene politische Führung selbst dann nicht überantwortet, wenn diese Führung gerade revolutionär beseitigt worden ist. In Deutschland haben sich die seit November 1918 republikanischen Regierungen auch geweigert, den deutschen Kronprinzen auszuliefern, dessen Name die alliierte Kriegsverbrecher-Liste anführte; ebenso widersprach die Regierung der Republik dem an die niederländische Regierung gerichteten Verlangen der Alliierten, den in der Revolution zur Abdankung gezwungenen Kaiser Wilhelm II. auszuliefern 384 . Die Weimarer Nationalversammlung reagierte, indem sie § 9 StGB a. F. in den Rang eines Grundrechts erhob: „Kein Deutscher darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung überliefert werden" 385 . Der Vorschlag schließlich, nicht ein Gericht der Sieger, sondern ein neutraler Gerichtshof, z. B. ein „International Criminal Tribunal" beim IGH 3 8 6 , solle über die „Crimes against Peace and the Security of Mankind" richten, wird die Bedenken nicht zerstreuen können. In keinem Fall der zwischen 1950 und 1993 festgestellten militärischen Aggressionen und Angriffskriege war es vorstellbar, daß sich die Mitglieder der Regierung des Aggressorstaates vor den Schranken eines 384

s. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte VII, S. 22 ff., sowie weit. Nachw. vorn Anm. 24-28. 385 Art. 112 Abs. 3 WRV. Wegen des Vorrangs des Friedensvertrages (Art. 178 Abs. 2 Satz 2 WRV) war dieser Grundsatz gegenüber dem Auslieferungsverlangen der Sieger nur eine Demonstration. Diesen Charakter behielt Art. 16 Abs. 2 Satz 1 des dt. Grundgesetzes von 1949 („Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden") bis zum Ende des Besatzungsregimes 1955. 386 Bassiouni, S. 1-20, mit einer Übersicht über die Vorschläge der letzten Jahrzehnte. Der letzte Entwurf der ILC datiert vom 19. Juli 1993, s. vorn FN 268. Das Statut des Sicherheitsrats für das „International Tribunal" vom 25. Mai 1993 (S/Res./827) gilt nur für die Verfolgung von Kriegs- und Humanitätsverbrechen, die seit dem 1. Januar 1991 im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens begangen wurden, s. bereits vorn bei FN 264.

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internationalen Strafgerichtshof persönlich hätten verantworten müssen. Die Nürnberger Erkenntnis „Aggressive war is the supreme crime, and no penalty is too severe for those who are responsible for i t 3 8 7 " war nur pazifistische Rhetorik, keine durchsetzbare Rechtsmaxime. Die mangelnde Vollziehbarkeit beruhte aber nicht nur auf der fehlenden Verfügbarkeit der Angeklagten, nicht nur darauf, daß es sich mehrfach und in den gravierendsten Fällen um die Staatschefs von Veto-Mächten des Weltsicherheitsrats handelte, die sich kaum freiwillig in ein Gerichtsverfahren begeben hätten, an dessen Ende vielleicht der Henker oder eine 40jährige Einzelhaft in Spandau gestanden hätte. Die eigentliche Ursache ist: Die „Nürnberger Grundsätze" entsprechen allenfalls den Vorstellungen radikaler Pazifisten, das universale Rechtsbewußtsein hat sie nicht aufgenommen. Der amerik. Historiker Eugene Davidson, dessen großes Werk über den Nürnberger IMT-Prozeß zu den besseren Gesamtdarstellungen gehört, resümierte die Geschichte der Kriege zwischen 1950 und 1970 zutreffend so: „No statesman can possibly act intelligently if he relies on the presumed validity of the findings of Nuremberg, on the concept of one world, on the promise of a universal collective security. These principles have little more than a faint propaganda value and no state can live by them or expect that any other state will live by them 388 ." In seiner normativen Ausformung hat sich das „Verbrechen gegen den Frieden" als strafrechtliches Delikt selbst widerlegt und ad absurdum geführt. Wir erinnern uns: Um den Tatbestand zu vereinfachen und „gerichtsfähig" zu machen, sollte jede Diskussion um die „Kriegsursachen" abgeschnitten werden: „No consideration of whatever nature, whether political, economic, military or otherwise, may serve as justification for aggressions." Es mag dieses Rechtfertigungsverbot „administrativen" Maßnahmen des Sicherheitsrats gem. Art. 39 ff. VN-Satzung nützen und in diesem Zusammenhang berechtigt sein. Es widerliefe aber universalen Vorstellungen über Schuld und Strafe, würde dem Gericht verboten werden, Gründe und Motive des Angeklagten zu berücksichtigen und ihn gleichwohl, wegen des „supreme crime", wie einen Mörder zu bestrafen. Ein Beispiel aus diesen Tagen: Im Juli 1993 rückte Israels Armee vorübergehend in den Südlibanon ein („Operation Account"). Die allgemeinen Zerstörungen durch Bombenangriffe und Artilleriebeschuß veranlaßten ca. 300 000-500 000 libanesische Zivilisten zur Flucht: „Es ist das Ziel Israels, durch diese Vertreibung die Regierungen des Libanon und Syriens zu zwingen, die vom Iran unterstützte Terror-Organisation Hisbollah aus dem Lande zu weisen. Israels Premierminister Yitzhak Rabin erklärte, die Schläge gegen den Libanon würden erst eingestellt, 387 Trials IX, S. 401, s. bereits FN 100. 388 Davidson, S. 296.

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wenn die Raketenüberfälle auf Israel aufhörten" 389 . Unterstellt, Israel ging mit dieser Operation über die gem. Art. 51 VN-Satzung zulässige Selbstverteidigung gegen einen Angriff hinaus, oder: Israel verteidigte sich nicht gegen die Hisbollah, griff vielmehr den Staat Libanon an, damit dieser gegen die von seinem Staatsgebiet aus operierenden Palästinenser vorginge. Nach den „Nürnberger Grundsätzen", nach Art. 5 Abs. 1 der 1974 einstimmig verabschiedeten VN-Resolution „Defining Aggression", und schließlich Robert Jacksons Formel auf der Londoner Konferenz am 19. Juli 1945 „No political, military or other consideration excuse going to war . . . states have got to settle their grievances peacefully 390 ", nach allen diesen normativen Schablonen müßten die Anlässe und Motive Israels unberücksichtigt bleiben. Solche Maximen mögen geeignet sein, die Verantwortung des Staates festzuhalten, als Grundlage für Sanktionen und Schadensersatzpflichten. Schmitt schilderte in seinem Gutachten (unter III. 1.), weshalb Art. 10 des Genfer Protokolls von 1924 391 den Angriffsakt (,resort to war") isolierte, um der Diskussion um die Kriegsursachen zu entgehen. Aber damals ging es nicht um die individuelle Strafbarkeit der Politiker, sondern um die Voraussetzung wirtschaftlicher, finanzieller und militärischer Sanktionen gegen den angreifenden Staat 392 . Jacksons Regeln sind jedoch offensichtlich unbrauchbar, soll in einem strafrechtlichen Verfahren wegen „crime against peace" die Schuld eines angeklagten Politikers festgestellt werden. Im Nahen Osten geht es z. B. um die Sicherheit des Staates Israel und um das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Hier steht Recht gegen Recht, und beide kämpfen um ihre Existenz und ums Überleben — jedenfalls sind sie davon überzeugt. Es wäre deshalb strafrechtlich unangemessen, wenn nicht grotesk, in einem (imaginären) Verfahren gegen den israelischen Ministerpräsidenten Rabin, die „Operation Account" aus dem größeren Zusammenhang herauszulösen und nur die verheerenden Wirkungen der überlegenen Feuerkraft von Armee und Luftwaffe Israels auf die unbeteiligte Zivilbevölkerung des Libanon ins Auge zu fassen. Angesichts der franz. Erfahrungen in Indochina und Algerien, der amerik. Erfahrungen in Vietnam und der Sowjet. Erfahrungen in Afghanistan mag man solche militärischen Versuche zur Konfliktlösung für untauglich halten, aber das ist eine Frage, die mit den Maßstäben individueller strafrechtlicher Schuld nicht zu beurteilen ist. Außerdem könnte der Nahostkonflikt — dafür spricht einiges — einen anderen Zuschnitt haben. Was Schmitt 1945 darlegte, gilt auch heute noch: „Den ersten Schuß abgeben oder als erster die Grenze überschreiten, ist offensichtlich nicht dasselbe, wie 389 So berichtete (zutreffend) die prinzipiell israelfreundliche Zeitung „Die Welt", Nr. 176, v. 31.7./1.8.1993, S. 1. 390 International Conference, S. 306. 391 Text Grewe, Fontes III 2, S. 947. 392 Art. 11-15 des Protokolls. Trotz der Einschränkung, die „territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit des angreifenden Staates [dürfe] auf keinen Fall infolge Anwendung der . . . Sanktionen verletzt werden" (Art. 15), mochten die Staaten damals das Protokoll nicht akzeptieren.

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ein Verursacher des Krieges im Ganzen zu sein . . . Angriff oder Verteidigung sind nicht absolute, moralische Begriffe, sondern situationsbestimmte Vorgänge 3 9 3 ". Das meinte offenbar auch der Sicherheitsrat im Falle der „Operation Rechenschaft" im Juli 1993: Er beschloß, sich einer Stellungnahme zu enthalten. Wie dem auch sei: Ohne eine Beurteilung aller Umstände und Ursachen seit Entstehung des Konflikts durch die Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 könnte über die Verwirklichung des Aggressionstatbestandes als „crime against peace" durch die „Operation Rechenschaft" im Juli 1993 schwerlich gerichtet werden. Das Problem der militärisch richtigen und rechtmäßigen Bekämpfung von Partisanen — nach israelischem Sprachgebrauch: „Terroristen", nach palästinensischem Verständnis Freiheitskämpfer im Sinne des Art. 7 der Resolution „Defining Aggression" und Art. 15 Abs. 7 Draft Code 1991 — wie die Ursachenforschung überhaupt, wird aber auch ein neutrales Gericht, z. B. der projektierte Internationale Strafgerichtshof, nicht leisten können, jedenfalls nicht in einer allgemein überzeugenden Weise. Für die strafrechtliche Verurteilung eines Politikers wäre das aber notwendig, denn sie setzt „Schuld" voraus, d. h. Abwesenheit von Rechtfertigungsgründen. Das bedeutet aber: Das „Verbrechen gegen den Frieden" ist eine juristische Fehlkonstruktion. Um überhaupt anklagen und verurteilen zu können, muß die Komplexität des zu Aggression oder zum Krieg führenden Geschehens auf eindeutig feststellbare Kriterien reduziert werden: auf den ersten Gebrauch von Waffengewalt und die (auch nur zeitweilige) militärische Invasion in das Gebiet eines anderen Staates394. Es kann seit 1950 Fälle gegeben haben, in denen die bloße Bewertung nur dieser Kriterien zu einem objektiv richtigen Strafurteil geführt haben würde. Vielleicht glauben wir das aber nur, weil uns die näheren Umstände und eigentlichen Ursachen unbekannt geblieben sind. In den Aggressionen und Kriegen seit 1950 spricht vieles für ein engmaschiges Kausalnetz, das den Beteiligten wenig Bewegungsfreiheit ließ und sie in ungewissen Lagen unter Entscheidungszwang bei hohem Risiko stellte. Sie gleichwohl ohne Rücksicht auf den Ausgang, also ungeachtet von Erfolg und Mißerfolg der Sache, strafrechtlich verantwortlich machen zu wollen, wie es der Idee des „crime against peace" entspricht, zeugt von einem pazifistischen Dogmatismus, dem der Kontakt mit den Realien des politischen Lebens ebenso abhanden gekommen ist wie das Verständnis für Schuld und Strafe. Es hat eben nicht nur mit der mangelnden Verfügbarkeit von Angeklagten zu tun, daß Aggression und Angriffskrieg seit über 40 Jahren nicht mehr Gegenstand strafrechtlicher Verfahren gewesen sind. Führt die Reduktion auf den ersten Schuß oder den Marsch über die Grenze zwar nicht stets, aber häufig zu einer strafrechtlich unerträglichen Verengung des Sachverhalts, so ist damit noch einmal die Frage aufgeworfen, ob in einem Strafprozeß nicht doch eine Gesamtbetrachtung der Umstände möglich ist und 393 Vorn nach Anm. 59. 394 Art. 2 und 3 a der Resolution „Defining Aggression", Art. 15 Draft Code 1991.

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daher ein richtiges Urteil gefällt werden könnte. Das Thema wurde noch vor dem Ende des letzten Nürnberger Nachfolgeprozesses („Wilhelmstraßen-Prozeß") im deutschen Schrifttum erörtert. Herbert Krüger erklärte die Frage der „Kriegsschuld" für nicht justitiabel 395 , Robert W. Kempner, Vertreter Taylors in den Nürnberger Nachfolgeprozessen, widersprach energisch 396, Wilhelm Grewe suchte zu vermitteln 397 . Einige Jahre später begründete Walter Schätzel dann die Position Krügers ausführlicher 398. Es ist nicht ohne Reiz, nach über 40 Jahren die damals vorgetragenen Argumente Revue passieren zu lassen. Die tatsächliche Entwicklung seither hat jedenfalls Kempner gründlich widerlegt. Die Debatte damals litt allerdings unter der Fixierung auf die Evidenzen des Nürnberger IMTProzesses. Die Problematik soll daher an zwei anderen Beispielen deutlich werden, die ebenfalls solche Evidenzen aufzuweisen schienen. Die Rechtsfragen der „Verschwörung gegen den Frieden" hatte Radhabinod Pal in seinem Sondervotum mit dem Ergebnis erörtert, es habe als kriminelles Delikt nicht existiert, und die Siegermächte seien nach dem geltenden Völkerrecht, besonders der Haager Landkriegsordnung, nicht berechtigt, wegen dieses Delikts Angehörige des im Kriege unterlegenen Staates zu bestrafen. Eventualiter, also unter der Prämisse, es sei doch zulässig, prüfte er, ob die Angeklagten an einer Verschwörung gegen den Frieden im Sinne der Charta beteiligt gewesen seien. Die Mehrheit der Richter des IMTFE hatte diese Frage für 22 Angeklagte bejaht und, gestützt auf eine umfangreiche Geschichtserzählung, als bewiesen angesehen, Japan habe seit 1928 den Indischen und den Pazifischen Ozean beherrschen wollen, Inseln und wichtige Anrainerstaaten eingeschlossen399. Der Erzählung und Deutung der Beziehungen Japans zu seinen Nachbarn in der Sicht von Anklage und Urteil stellte Pal eine Untersuchung der Ereignisse entgegen, die zwischen Anklage und Verteidigung eine durchaus selbständige Position einnahm, durch sorgfältige Gliederung und genaue Wiedergabe von Urkunden und Berichten besticht, keine „Historie" schreibend, sondern konkrete Fälle in juristischer Manier abhandelnd: Japans Verhältnis zur Mandschurei, sein Bündnis mit den Achsenmächten, seine Beziehungen zur Sowjetunion, zu Südostasien und zu den Vereinigten Staaten bis Pearl Harbor 400 . Pal kam jeweils zu dem Ergebnis — es wird den Historiker kaum überraschen —, es lasse sich das Verhalten der japanischen Politiker und Militärs auch anders denn als „Verschwörung gegen den Frieden" erklären, ebenso sei der ungerechtfertigte Angriffskrieg in keinem Falle bewiesen. Pal nahm nicht Partei: 395 Das Janusgesicht der Nürnberger Prozesse: Die Gegenwart 3 (1948), Nr. 17 vom 1. September 1948, S. 11 ff. (14). 396 Ein Janusgesicht?: Die Gegenwart 3 (1948), Nr. 19 vom 1. Oktober 1948, S. 9 ff. 397 Strafbarkeit des Angriffskrieges: Die Gegenwart 4 (1949), Nr. 2 vom 15. Januar 1949, S. 13-17. 398 Der Friede mit dem Aggressor, FS R. Laun, Hamburg 1953, S. 327-340. 399 Tokyo Judgment I, S. 35-384. 400 Tokyo Judgment II, S. 667-950.

Der Angriffskrieg in Rechtsüberzeugung und Rechtspraxis

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„. . . it is immaterial for our present purpose to see whether any policy . . . or any action taken by Japan . . . was justifiable in law; perhaps it was not. .. . The statesmen, diplomats and politicians of Japan were perhaps wrong and perhaps they misled themselves. But they were not conspirators. They did not conspire" 401. Das Urteil des IMTFE und Pals Sondervotum konnten hier nicht in eine Fußnote verwiesen werden. Sie bieten die bisher einzige Gelegenheit, das 1945 normierte „Verbrechen gegen den Frieden" rechtlich und tatsächlich an demselben Fall und beurteilt in demselben Verfahren zu überprüfen. Liest der unvoreingenommene Mitteleuropäer, weder Völkerrechtsjurist noch Historiker der neueren Geschichte Ostasiens, die Beweisführung des Urteils, so wird es ihm nicht schwerfallen, die „Schuld" der Angeklagten als erwiesen anzusehen. Liest er genauso unvoreingenommen die Darlegungen Pals, wird er ebenso überzeugt sein, daß die Angeklagten nicht kriminell im Sinne der Anklage handelten: „They did not conspire". Dieses merkwürdige Resultat beruht nicht auf unzulänglichen historischen Kenntnissen des Lesers, lückenhaftem politischem Bewußtsein, seiner Unfähigkeit, juristische Texte zu verstehen, oder auf Rechtsblindheit. Denn jener unvoreingenommene Mitteleuropäer wird ebenso ratlos, liest er zwei Texte, die ebenfalls einem Kriegsausbruch, seinen Anlässen und Ursachen gewidmet waren. Bei den Verhandlungen über den Friedensvertrag von Versailles verfaßte die von den Alliierten eingesetzte Kommission einen Bericht über die Schuld am Kriegsausbruch 1914, dessen Ergebnis nach der schlüssig und plausibel vorgetragenen Ereignisgeschichte so lautete: „Der Krieg ist von den Zentralmächten ebenso wie von ihren Verbündeten, der Türkei und Bulgarien, mit Vorbedacht geplant worden, und er ist das Ergebnis von Handlungen, die vorsätzlich und in der Absicht begangen wurden, ihn unabwendbar zu machen. In Übereinstimmung mit Österreich-Ungarn hat Deutschland vorsätzlich daran gearbeitet, die zahlreichen vermittelnden Vorschläge der Entente-Mächte auf die Seite zu schieben und ihre wiederholten Bemühungen, den Krieg zu verhüten, zunichte zu machen402." Die deutsche Reichsregierung replizierte am 19. Mai 1919 durch das „Professorengutachten", das mit vielen Urkunden nachwies, der Krieg sei 1914 von Deutschland als „Verteidigungskrieg gegen den Zarismus" geführt worden, ungeachtet politischer Fehlentscheidungen, die Deutschland „in die französisch-russische Mausefalle" tappen ließ 403 . Unterzeichnet von dem Historiker Hans Delbrück, dem Soziologen Max Weber, dem Völkerrechtslehrer Albrecht Mendelssohn-Bartholdy sowie dem Generalstabsoffizier Max Graf Montgelas — klangvolle Namen von international bedeutender Reputation —, überzeugte diese 401 Tokyo Judgment II, S. 938. 402 Kraus/Rödiger I, S. 279-299 (297); der französische Originaltext bei Kraus! Rödiger II, S. 1243-1253. 403 Kraus ! Rödiger I, S. 299-311, Anlagen S. 311-432.

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Stellungnahme jedenfalls in Deutschland durch ihre selbstkritischen Stellungnahmen gegenüber der deutschen Außenpolitik. Seit den 20er Jahren ist durch die Publikation von Akten, Tagebüchern, Memoiren und ein ausgebreitetes historiographisches Schrifttum in aller Welt ein differenziertes Bild sowohl von den Fakten wie ihren Deutungen entstanden, das sich noch in den 60er und 70er Jahren deutliche Retuschen gefallen lassen mußte — in dieser wie in jener Richtung 404 . Die Stellungnahmen und Begründungen der Sieger wie der Besiegten aus dem Jahre 1919 waren so oder so spätestens in den 30er Jahren bereits Makulatur, sie wären aber Grundlage von Anklage und Verteidigung in dem von Art. 227 des Versailler Vertrages vorgesehenen Strafprozeß gegen Kaiser Wilhelm II. gewesen. Hätte man ihn verurteilt, so wäre wohl alle fünf Jahre ein Wiederaufnahmeverfahren fällig gewesen wegen „neuer Tatsachen oder Beweismittel" (§ 359 Nr. 5 StPO). Gewiß wären Rechtsmittel und Rechtsbehelfe ausgeschlossen worden wie in den Kriegsverbrecher-Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg, aber das hätte mehr dem politischen Zweck des Prozesses gedient, nicht der Wahrheitsfindung und nicht der Gerechtigkeit. Es geht hier nicht um Leben und Freiheit von Staatsoberhäuptern, Ministern oder Generalen. Im modernen Krieg gehen Tausende, Hunderttausende und Millionen von Soldaten und Zivilisten elend zugrunde, die in keinem Augenblick auch nur den Hauch einer Chance hatten, die Entscheidungen über Krieg und Frieden zu beeinflussen. Die ungerechtfertigte Verurteilung von Staatsoberhäuptern, Ministern und Generalen, und sei es zum schnellen Tod am Galgen, wiegt leicht, verglichen mit dem Schicksal jener Objekte des Geschehens; wer hoch steht, muß tief fallen können. Entscheidend ist vielmehr die Instrumentalisierung des Rechts und der Richter für die politischen Ziele der Sieger. Verfahren und Urteil sollen den Besiegten ein kollektives Bewußtsein von Minderwertigkeit und Schuld vermitteln, um ihnen als Nation für die nächsten Jahrzehnte eigenständiges Handeln auf der weltpolitischen Szene abzugewöhnen, und die Sieger vor aller Welt, besonders aber gegenüber dem besiegten Volk, zur Auferlegung der Kriegsfolgen nach Ermessen legitimieren. Der Historiker kann auch die Anteile des Siegers am Kriegsausbruch, seine Mitschuld untersuchen und festhalten, ein Gericht ist an die vom Sieger beherrschten Archive, Aktenlage und die Anträge der Ankläger gebunden, das tu quoque der Verteidiger bleibt ungehört 405 . Mitverursachung und Mitschuld der Sieger löschen nicht die Schuld der Besiegten, aber einseitige Schuldzuweisungen, mit einer gerichtlichen Verurteilung notwendig verbunden, sind in den Augen des informierten Historikers unhaltbar 406 .

404 Vgl. z. B. einerseits Fritz Fischer, Der Griff nach der Weltmacht, 3. Aufl., Düsseldorf 1964; andererseits Possony, S. 186 ff., 218 ff.; Erwin Hölzle, Der Geheimnisverrat und der Kriegsausbruch 1914, Göttingen 1973; ders., Die Selbstentmachtung Europas, Göttingen 1985. 405 Details aus den Nürnberger Prozessen zu den genannten Themen bei v. Knieriem, S. 173 ff., 195 ff.

Über Zwecke und Einmaligkeit der Verurteilungen wegen Angriffskrieges Gehen wir den Gründen nach, weshalb „Nürnberg" und „Tokio" in der jahrhundertewährenden Geschichte der Staatenkriege ohne Vorgang und für die Kriege seit 1950 ohne Nachfolge blieben. Häufig wird geantwortet, nach dem Zweiten Weltkrieg seien eben nie wieder die führenden Vertreter eines Systems zu richten gewesen, das so viele und so einzigartige Verbrechen begangen habe wie das deutsche. Diese Antwort, so plausibel sie zunächst klingt, berücksichtigt nicht das „Tokyo Trial", das kein „scelus infandum" zu richten hatte, dessen wichtigster Gegenstand vielmehr das „Verbrechen gegen den Frieden" war. Auch trat erst im Laufe des Nürnberger IMT-Prozesses das deutsche „scelus infandum" in den Vordergrund. Fernerhin: Bereits 1919 wollten die Sieger des Ersten Weltkrieges einen Prozeß nach dem Muster von Nürnberg und Tokio führen. Ein „Internationaler Gerichtshof, besetzt mit fünf Richtern aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan sollte über die Anklage gegen Kaiser Wilhelm II. befinden (Art. 227 des Versailler Vertrages). Damals gab es zwar noch nicht den Begriff „Verbrechen gegen den Frieden", hinter der „schwersten Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge", die Art. 227 Abs. 1 dem dt. Kaiser vorwarf, verbarg sich in der Sache derselbe Vorwurf. Die regimespezifischen „atrocities", die der dt. NS-Führung in Nürnberg zur Last gelegt wurden, hätten in einem Verfahren gegen Wilhelm II. aber auch von einem phantasievollen Ankläger nicht vorgebracht werden können, wenngleich daran zu erinnern ist, daß seit September 1914 die Wörter „German" und „atrocities" im Sprachgebrauch der Völker, die gegen Deutschland Krieg führten, innig verbunden sind 407 . Der geplante Prozeß gegen Wilhelm II. und die Prozesse von Nürnberg und Tokio müssen daher zusammen gesehen werden. Die zentrale öffentliche Begründung war dieselbe: Sollte Nürnberg „a landmark in law" setzen, um allen Regierungen den Angriffskrieg abzugewöhnen, so erklärten die Alliierten am 16. Juni 1919 auf den deutschen Protest gegen den Plan des Art. 227 des Versailler Vertrages: 406 z. B. Possony, S. 149; Smith, S. 156, 327. In der Kriegsschulddiskussion nach dem Ersten Weltkrieg ist das Problem als solches häufiger erörtert worden, z. B. von dem einseitiger Parteilichkeit ganz unverdächtigen Hamburger Völkerrechtslehrer Mendelssohn-Bartholdy, der Krimkrieg, Burenkrieg und Amerik.-Spanischen Krieg auf die „Schuldfrage" hin untersuchte (Ächtung des Angriffskriegs: Die Gesellschaft, Jg. 1, 1924, S. 531, 536 ff.). 407 Vgl. die Bibliographie von Tutorow und die hierzulande kaum bekannte Ph. D.Arbeit von James Morgan Read, Atrocity Propaganda 1914-1919, New Haven / London 1941, Repr. New York 1972.

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„The present treaty is intended to mark a departure from the tradition and practices of earlier settlements which have been singularly inadequate in preventing the renewal of war 408 ." In Versailles wie in Nürnberg und Tokio sollte die Wiederholung eines so ausgedehnten und opferreichen Krieges wie des gerade vergangenen verhindert werden. Das schien den Bruch mit der Vergangenheit und ihren Friedensschlüssen ohne Anklagen und Prozesse zu rechtfertigen. 1945 gab es neben diesem öffentlichen Ziel weitere Prozeßzwecke. Die besonderen Interessen der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, Deutschland und Japan als die Alleinschuldigen am Kriege festgestellt zu wissen, wurden bereits erwähnt 409 . Der andere Zweck — und dieser gilt gleichermaßen für den Prozeßplan des Art. 227 des Versailler Vertrages — wurde ebenfalls von Robert Jackson erklärt. Otto Kranzbühler berichtet von einer Verhandlung in Nürnberg aufgrund der Beschwerde der deutschen Verteidiger, die am 24. November 1945 zwischen den Richtern des IMT, den vier Hauptanklägern und den Sprechern der Verteidigung, Dix und Kranzbühler, über die Vorlage von Beweisen „in camera" stattfand 410 . Jackson widersprach dem Antrag der Verteidiger, ihnen die Beweisdokumente der Ankläger in dt. Sprache rechtzeitig zugänglich zu machen. Das sei viel zu zeitraubend, denn die amerik. Armee befinde sich gemäß Kongreßbeschluß in beschleunigter Demobilmachung; wenn daher das Verfahren nicht in etwa zwei Monaten beendet sei, habe er keine Kräfte mehr in Nürnberg, um die Sache weiter durchzuführen. Als dieses Argument auf die Richter offensichtlich keinen Eindruck machte, berief er sich auf die Zwecke, welche die Regierung der Vereinigten Staaten mit dem Nürnberger Verfahren verfolge und die nur zu erreichen seien, wenn es in kürzester Zeit abgeschlossen werde. Darauf fragte ihn der engl. Lord-Richter Lawrence, was denn diese Zwecke seien. Jackson antwortete ohne Zögern und ohne Rücksicht auf die Anwesenheit der beiden deutschen Verteidiger: Erstens der Welt zu beweisen, daß das Nazi-Regime wirklich so unfähig und so unmenschlich gewesen sei, wie die amerik. Propaganda es seit einem Jahrzehnt darstelle, zweitens: Verfahren und Urteil sollten in den Augen der Deutschen und in den Augen der Welt die Grundlage schaffen für eine „punitive period", die die alliierten Nationen durch ihre Politik über die Deutschen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten verhängen müßten.

408 Note June 16th, 1919, 66th Congress, 1st Session. 409 Vorn bei FN 95 (Jackson) und nach FN 151 (Japan). 410 Kranzbühler sprach in zwei seiner Veröffentlichungen diese für den Verfahrensablauf äußerst wichtige Verhandlung an (Rückblick, S. 24; Historische Prozesse, S. 34). Ich stütze mich hier ergänzend auf einen Vermerk über diese Sitzung, den Kranzbühler am 25. November 1945 handschriftlich anfertigte und am 5. November 1946 maschinenschriftlich faßte. Mit einer zusätzlichen ausführlichen Schilderung des Vorgangs übersandte mir Herr Dr. Kranzbühler liebenswürdigerweise am 2. November 1993 eine Kopie des genannten Vermerks.

Über Zwecke und Einmaligkeit der Verurteilungen wegen Angriffskrieges

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„Dix und ich waren uns beide darüber im klaren, daß Jackson durch die überraschende Frage von Lawrence einen schweren politischen Fehler begangen hatte, der, wenn er in der Presse aufgegriffen würde, seine Stellung schwer erschüttert hätte. Ebenso sicher wäre aber gewesen, daß die übrigen Teilnehmer an der Sitzung eine solche Veröffentlichung als böswillige Erfindung der Verteidigung angeprangert hätten — was Jackson sich damals unter der »punitive period4 vorgestellt hat, weiß ich nicht. Für die davon Betroffenen waren es aber in erster Linie der Hunger und die Kälte, denen die deutsche Bevölkerung von 1945-1948 planmäßig ausgesetzt war 411 ." Die IMT-Richter ließen sich bekanntlich durch die so begründete Taktik der Ankläger nicht beeindrucken, zumal auch die Sowjet, und franz. Richter benachteiligt waren; künftig mußten alle Dokumente öffentlich verlesen und simultan englisch, deutsch, französisch und russisch übersetzt werden 412 . Zu dem konkreten amerik. Zweck — Rechtfertigung der neutralitätswidrigen Politik der Vereinigten Staaten — sollte der allgemeine treten: Dem deutschen Volk klarzumachen, daß es eine harte Bestrafung verdient habe und es auf diese Bestrafung vorzubereiten. Jacksons Idee einer Kollektivbestrafung hatte Burke 1775 als unvorstellbar bezeichnet: „ I do not know the method of drawing up an indictment against a whole people 413 ." Der britische Völkerrechtslehrer Sir John Fisher Williams erinnerte 1936 an diese Distanzierung und fügte hinzu: „Collective penal responsibility for misdoing is a tenet of primitive law for which international law, even if it be a young law, has no place 414 ." Jackson blieb jedoch innerhalb seines völkerrechtlichen Konzepts. Seine Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen kehrte bewußt zu „älteren", d. h. vormodernen Rechtslehren zurück, „reversion to the earlier and sounder doctrines of International Law" 4 1 5 . So war es nur konseqent, das Kollektiv, das den ungerechten Krieg geführt hatte, kollektiv zur Rechenschaft zu ziehen. Kranzbühler meinte, dieser Prozeßzweck sei verfehlt worden, weil das IMT eine dt. Kollektivschuld verneint habe 416 . Die Unmöglichkeit der strafrechtlichen Verurteilung des Volkes schlechthin sahen auch Jackson und Maxwell-Fyfe. Eine solche Absicht, öffentlich erklärt, hätte die Mitwirkung der Deutschen am Aufbau eines demokratischen Staates mindestens beeinträchtigt. Infolgedessen betonten beide Ankläger „in foro", sie wollten „nicht das ganze deutsche Volk für Verbrechen bestrafen" 417. „In camera", 411

Kranzbühler, Brief vom 2. November 1993. * Smith, S. 98 f., der aber im übrigen von dem Inhalt der Sitzung am 24. November 1945 nichts mitteilt. 4 13 The Works, Bd. 2, S. 136, s. bereits vorn Anm. 134. 414 BYIL 17, S. 133. 4 5 * Report to the President, June 6, 1945, in: International Conference, S. 52. 4 *6 Historische Prozesse, S. 35, unter Hinweis auf die Eingrenzung des „Organisationsverbrechens". 4 i7 Jackson, IMT II, S. 120 (21.11.1945); VIII, S. 390 (28.2.1946); Maxwell-Fyfe, IMT XXII, S. 195 (28.8.1946); beide Ankläger betonten, um so wichtiger sei es, die von ihnen angeklagten Organisationen als „verbrecherisch" zu verurteilen. 4 2

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bei der Antwort auf die Frage von Lawrence, verstand Jackson „Strafe" nicht im juristischen, strafrechtlichen Sinne, vielmehr metaphorisch, im Sinne einer harten Behandlung. Auch Burke und Fisher Williams hatten zu ihren Zeiten nicht mehr altorientalische Stadtbevölkerungen vor Augen, die strafweise ausgelöscht oder in die Wüste gejagt werden konnten. 80 Mio. Deutsche oder 100 Mio. Japaner konnten weder hingerichtet noch eingesperrt werden. Das galt bereits 1775 für die Bewohner der britischen Kolonie in Nordamerika. „Strafe" bedeutete kollektive Haftung für die Folgen, wie sie während des Krieges durch die Zerstörung der Städte durch die Flächenbombardements und nach dem Ende des Krieges eintraten: Annexion von Ostpreußen, Schlesien und Pommern durch die Sowjetunion und Polen, Vertreibung der deutschen Bewohner, auch aus dem Sudetenland, also Verlust der Heimat für neun Mio. Menschen, Beseitigung zentraler Regierungs- und Verwaltungsstellen, Übernahme „voller Regierungsgewalt" durch die Besatzungsmächte, Aufteilung des Landes in Besatzungszonen, Demontage der Schwerindustrie, Verbot von Handels- und Luftschiffahrt, völlige Entwaffnung usw. — alle diese Maßnahmen trafen das Kollektiv ohne Ansehen der Person; über den Verlust der Heimat und allen Besitzes wie des Lebens durch die Umstände der Vertreibung entschieden nicht individuelle Schuld und Verbindung zum Nationalsozialismus, sondern allein Wohnort und Staatsangehörigkeit. Das offiziell verkündete Programm der „Umerziehung" traf ebenfalls die Besiegten ohne Ansehen der Person; „reeducation" war vorher nur im fortschrittlichen oder im sozialistischen Strafvollzug üblich gewesen. Alle diese Maßnahmen waren — von anderen, auf der Hand liegenden Zwecken abgesehen — auch als Bestrafung der Deutschen gedacht und wurden von den Zeitgenossen innerhalb und außerhalb Deutschlands so empfunden. „Strafe" erschien der Weltöffentlichkeit auch berechtigt. Die deutschen und japanischen Führungen waren kriminell, das würden die Richter der IMT in Nürnberg und Tokio feststellen. Ihren Führungen waren Deutsche und Japaner willig in den verbrecherischen Krieg gefolgt, sie hatten sich in den Ruinen ihrer Städte bis zum Ende gewehrt — mit welchen Verlusten hatten die Alliierten ihren Sieg bezahlt! Deutsche und Japaner waren also schuldig und deshalb zu bestrafen. Der Präsident der Vereinigten Staaten, Roosevelt, hatte in einem internen Memorandum für seinen Kriegsminister am 26. August 1944 den Entwurf der Richtlinien für die Behandlung Deutschlands und der Deutschen nach Ende der Feindseligkeiten kritisiert und eine deutlich schärfere Fassung des „SHAEFHandbooks" durchgesetzt: „This so-called,Handbook' is pretty bad... It gives me the impression that Germany is to be restored just as much as the Netherlands or Belgium, and the people of Germany brought back as quickly as possible to their pre-war estate. Too many people here and in England hold the view that the German people as a whole are not responsible. . . . The German people as a whole must have it driven home that the whole nation has been engaged in a lawless conspiration against decencies of modern civilization 418 ."

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Philosophen mochten zwischen krimineller und politischer Schuld, zwischen moralischer und metaphysischer Schuld unterscheiden 419. Die Meinung der Welt, stets auf Vereinfachungen aus und angewiesen, verknüpft jede Schuld und jede Strafe ohne solche Differenzierungen. Das „Tokyo Trial" sollte das Bedürfnis nach Legitimation ebenfalls befriedigen. Den Flächenbombardements auf die großen Städte hatten die Vereinigten Staaten hier noch die atomare Vernichtung von Hiroshima und Nagasaki hinzugefügt, um die bedingungslose Kapitulation sofort zu erzwingen. Japan wurde auf seine Grenzen von 1868 reduziert, es verlor Erwerbungen und Kolonien: Korea, die Mandschurei, Taiwan, Sachalin, die Kurilen, Okinawa und die Bonininseln. Das führte zur Vertreibung und Repatriierung von 6,5 Mio. Japanern. Die Auslandsguthaben von etwa drei Mrd. Dollar wurden konfisziert, dazu trat die völlige Entwaffnung, die „Entflechtung" von Industrie und Handel, die „Säuberung", d. h. die amerik. Militärregierung entfernte 180 000 Funktionsträger aus leitenden Positionen in Regierung, Verwaltung, Wirtschaft und Erziehungswesen. Bis 1952 hatte Japan die hohen Kosten der Besatzung zu zahlen, auch danach Reparationen an die während des Krieges in Südostasien besetzten Länder 420 . Diese Stichworte zu den Kriegsfolgen und Kriegslasten, die Japan trafen, verdeutlichen die Übereinstimmung oder doch Ähnlichkeit in den Konsequenzen, die Deutschland zu tragen hatte. Unterschiede ergaben sich vor allem in dem nach Zahl und Intensität höheren Grad der sog. Säuberung 421, aus der Anwesenheit von vier Besatzungsmächten und der schließlich 45 Jahre währenden Teilung Deutschlands. Was Robert Jackson als Zwecke des Nürnberger IMT-Prozesses bezeichnete, hätte der amerik. Chefankläger im Tokyo Trial, Keenan, genauso formulieren können; Anlässe und Ziele waren dieselben. Die beabsichtigte Legitimationswirkung der IMT-Prozesse war auch den 1919 intendierten Prozessen gegen Kaiser Wilhelm II. und den 854 dt. Kriegsverbrechern zugedacht. Bereits damals war die Rede von dem deutschen „Eroberungskrieg" und dem „größten gegen die Welt begangenen Verbrechen" 422 . Der sog. Kriegsschuldartikel des Vertrages (Art. 231) begründete die Pflicht zur Repara-

418 Abgedruckt in: Morgenthau-Diary (Germany), Vol. I, United States Senate, Washington 1967, S. 443. 41 9 Einflußreich Karl Jaspers, Die Schuldfrage, Heidelberg 1946, der sich mit der These von der deutschen „Kollektivschuld" auseinandersetzte und dem damals offenkundigen Ziel der Alliierten, „ein ganzes Volk zum Pariavolk zu machen" (S. 45). Neben der kriminellen Schuld einzelner und der politischen Schuld der Deutschen, das NSRegime geduldet zu haben, sah er die moralische Schuld derjenigen, die das System unterstützt und „mitgemacht" hatten; als metaphysisch schuldig betrachtete er alle Deutschen, die gegen das NS-System keinen Widerstand geleistet hatten (S. 44 ff., 67 ff.). 420 Aus dem dt. Schrifttum s. Jörg Fisch, Reparationen nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1992, S. 233 ff. 421 Vgl. den Überblick bei Quaritsch, Der Staat 31 (1992), S. 519, 526-552. 422 s. das Zitat in Schmitts Gutachten, S. 27/28 m. Anm. 38. 16 Quaritsch

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tionszahlung mit dem „Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten"; sie sollten zahlen als „Urheber für alle Verluste und Schäden" 423 . Ein dritter Zweck ergab sich aus dem tieferen Sinn der beiden Weltkriege. Die von Deutschland angestrebte Rolle der europäischen Hegemonialmacht hatte mit den Interessen der traditionellen Großmächte Europas so kollidiert wie Japans Expansion seit 1928 mit der pazifischen Hegemonie der Vereinigten Staaten und den Interessen der europäischen Kolonialmächte im Pazifik. Konnte Deutschlands und Japans Führungen in großen Prozessen das nachgewiesen werden, was 1919 die „schwerste Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge" genannt wurde, 1919 wie 1945 das „supreme crime" des Angriffsund Eroberungskrieges, dazu zahllose Kriegsverbrechen und kolossale Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dann waren Deutschland und Japan moralisch erledigt und für die nächsten Jahrzehnte, wenn nicht für immer, so disqualifiziert für die Rolle des Hegemons, wie ein Kaufmann, der einmal wegen betrügerischen Bankrotts verurteilt worden ist, kaum eine Chance hat, wieder Branchenführer zu werden. In einigen Nürnberger Nachfolgeprozessen wurde dieser Prozeßzweck ausdifferenziert gegen traditionelle dt. Eliten weiterverfolgt: In den drei Prozessen gegen Krupp, IG-Farben und Flick, im Juristenprozeß, in den drei Prozessen gegen die Generalität (Feldmarschall Milch, OKW, „Südostgenerale"), im Wilhelmstraßen-Prozeß gegen Vertreter des Auswärtigen Amtes und der Banken standen die Angeklagten zugleich als Repräsentanten ihrer Gruppe vor Gericht. Mit ihnen sollten die deutsche Großindustrie, die Generalität, die Ministerialbürokratie der Juristen, die Diplomaten und Bankiers durch den gerichtlichen Nachweis und ihre strafrechtliche Verurteilung wegen Verwicklung und Teilnahme an Eroberungskrieg und NS-Verbrechen als gesellschaftliche und staatliche Führungsgruppe moralisch diffamiert und für die Zukunft ausgeschaltet werden 424 . Die Diffamierung dieser Gruppen ist zwar weitgehend mißlungen, aber der Mißerfolg beruhte auf vier Umständen: Die „punitive period" der Deutschen (wie der Japaner) endete vorzeitig, weil sie nach dem offenen Aufbrechen des West-OstGegensatzes, besonders seit dem Korea-Konflikt 1950, als Verbündete benötigt wurden. Die Folgen der deutschen und japanischen Verelendung belasteten die Staatshaushalte der westlichen Siegermächte und schadeten der Weltökonomie überhaupt — das hatte der Jurist Jackson nicht bedacht. Ziele und Praktiken der Prozesse erschienen mittlerweile den Deutschen so problematisch, daß in der 423

s. vorn Anm. 44. 424 Das hat vor allem Otto Kranzbühler betont (Rückblick, S. 22 f.), der die Atmosphäre der Verfahren aus erster Hand kannte, nämlich als Verteidiger im IMT-Prozeß sowie in den Nürnberger Prozessen gegen Krupp und Flick sowie vor einem franz. Militärgericht gegen den Saarindustriellen Hermann Röchling. Im Röchling-Prozeß lag der politische Zweck des Verfahrens angesichts des franz. Übernahmeinteresses am Saargebiet auf der Hand. Die einschlägigen Passagen der Anklagereden in den Nürnberger Industrieprozessen präsentierte v. Knieriem, S. 536 ff.

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amerik. Besatzungszone bereits 1952 nur noch 10 Prozent der Deutschen die Kriegsverbrecher-Prozesse begrüßten 425. Daß nicht allein die Täter als Individuen auf der Anklagebank saßen, mit ihnen zugleich das Kollektiv ihrer Gruppe, bezeugen mehrere Umstände. Der Widerstand gegen die weitere Führung von Kriegsverbrecher-Prozessen und gegen die Fortdauer der Haft der bereits Verurteilten wurde seit 1948 zunächst von deutschen Bischöfen, dann von der Bundesregierung und den Abgeordneten des Bundestages artikuliert, die alle exponierte Gegner des NS-Regimes gewesen waren. Abgesehen von dem Protest gegen die rechtliche Problematik vieler Verfahren im Einzelfall, der auch von amerik. Anwälten und Juristen vorgetragen und von Kongreß-Abgeordneten aufgenommen wurde 426 : Der rasche Wiederaufbau, auch die Wiederaufrüstung Westdeutschlands — Aufgaben der neuen politischen Klasse — waren mindestens erschwert, solange die Gruppendiffamierung von Industrie, Banken und Generalität fortdauerte 427. In Deutschland wie in Japan reagierten die westlichen Gerichtsherren gleichförmig: Soweit die Verurteilten nicht gehängt und nicht in der Haft gestorben waren — von den im Tokyo Trial zu Haftstrafen verurteilten Politikern und Militärs starben sechs während der Haft —, wurden sie zwischen 1952 und 1958 entlassen; ausgenommen waren nur die Verurteilten des Nürnberger IMT. In keinem Fall wurde das Verfahren wiederaufgenommen. Die Ergebnisse der rechtlichen Nachprüfungen der Verfahren und Urteile wirkten sich nur auf das Tempo der Begnadigung aus 428 . Der Schuldspruch also blieb erhalten, allein seine faktischen individuellen Folgen wurden beseitigt, indem die Haft der Verurteilten „wegen guter Führung" verkürzt und schließlich durch Gnadenerweis des jeweils zuständigen Militärgouverneurs beendet wurde. So wahrten die Alliierten ihr Gesicht und hielten für die Weltöffentlichkeit Urteil und Schuldspruch aufrecht. Die Deutschen erkannten, daß sie unter den gegebenen Umständen nicht mehr erreichen konnten und begnügten sich mit dem tatsächlichen Haftende. Der Protest gegen die Urteile der westalliierten Militärgerichte wurde zwar begründet mit gewichtigen Rechts- und Verfahrensfehlern, erfaßte aber schließlich alle Prozesse, auch 425 Thomas Schwartz , VfVZG 38 (1990), S. 183 m. FN 26, unter Hinweis auf eine geheime Umfrage der Militärregierung. Zur Deutung dieses Phänomens Quaritsch, FS H.-J. Arndt, S. 252 ff. 426 Einzelheiten und Literatur bei Jescheck, S. 13-15; Frank M. Buscher, The US War Crimes Trial Program in Germany 1946-1955, New York 1989, S. 91 ff. 427 Das ist jetzt wohl allgemeine Auffassung, Nachweise bei Schwartz (FN 425), S. 376, und Quaritsch, FS H.-J. Arndt, S. 252 / 53. Daß nicht allein die Täter als Individuen, mit ihnen vielmehr zugleich das Kollektiv ihrer Gruppe angeklagt und verurteilt wurden, bezeugt das anhaltende Interesse und die Bewunderung, die einer der amerik. Ankläger, Robert W. Kempner, bei den akademischen Vertretern der deutschen Linken gefunden hat, die die Rückkehr der bürgerlichen Eliten — dasselbe geschah in Japan — noch heute beklagen, vgl. die Beiträge einiger Autoren der FS Robert Kempner „Gegen Barbarei", Hrsg. R. Eisfeld u. I. Müller, Frankfurt 1989. 428 Vgl. Schwartz (FN 425), S. 376 ff. 16*

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solche, in denen deutsche Gerichte genauso entschieden hätten. Die Verurteilung der Landsleute durch Gerichte des Kriegsgegners und Feindes, dazu auf eigenem Boden, erschien als zusätzliche Demütigung des unterlegenen Kriegsgegners, unvereinbar mit der nunmehr angesteuerten Partnerschaft in den Militärbündnissen von Nato und Westeuropäischer Union. Sie war auch unvereinbar mit dem Prinzip der eigenen Hochgerichtsbarkeit in politischen, in Kriegs- und Regierungsverbrechen. Es ging nämlich den Deutschen nicht darum, Kriegs- und Humanitätsverbrechen zu amnestieren, man wollte sie selbst richten. Die seit dem Ende der 50er Jahre vor deutschen Strafgerichten anlaufenden Prozesse gegen NS-Täter 429 , nach 40 Jahren immer noch nicht beendet, unterstreichen die hier entwickelten Thesen nachdrücklich. In den Prozessen von Nürnberg und Tokio sollte auch individuelles Unrecht gesühnt werden, kein Zweifel, die IMT und die amerik. Gerichte in den Nürnberger Nachfolge-Prozessen lassen sich trotz der mannigfachen Defekte in Verfahren und Rechtsfindung nicht den Sowjettribunalen gleichsetzen, die in den Formen und mit den Instrumenten der Justiz den Klassenfeind bekämpften. Niemals hätte ein sowjet. Gericht einen öffentlichen Kriegsverbrecher-Prozeß ohne Höchststrafen oder gar mit Freisprüchen für alle Angeklagten beendet, wie z. B. der amerik. Militärgerichtshof der US-Besatzungszone am 9. September 1947 im Falle „Otto Skorzeny and others" (UN-Law Reports, Bd. IX Nr. 56). Die strafrechtliche Sühne der Urteile von Nürnberg und Tokio war aber zugleich Mittel zu höheren politischen Zwecken. Die Bestrafung des deutschen scelus infandum und der Kriegsverbrechen stand im Vordergrund im Ärzte-Prozeß, im EinsatzgruppenProzeß und in den Prozessen, die in Dachau gegen KZ-Wachmannschaften und überall in Europa von brit., franz. und den Militärgerichten der anderen Verbündeten durchgeführt wurden. Dasselbe gilt für die Prozesse gegen japanische Offiziere und Soldaten wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie trugen zu dem Bilde bei, das Ankläger und Richter in den großen Prozessen, besonders vor den IMT von Politik und Untaten Deutschlands und Japans gezeichnet hatten, mehr nicht. Es mögen noch andere Zwecke wirksam gewesen sein, etwa die Befriedigung der Rache- und Gerechtigkeitsbedürfnisse der Völker, die über vier Jahre gewaltige Aufwendungen und große Opfer hatten bringen müssen, um den Feind auf die Knie zu zwingen, oder die unter der fremden Besatzung Jahre gelitten hatten. Es ist nicht Rechtsnihilismus, in der Deutung der Prozesse von Nürnberg und Tokio den politischen Zwecken den Vorrang vor Schuld und Sühne einzuräumen. Das unbedingte Legalitätsprinzip, wie es hierzulande zur Bewältigung einer abgeschlossenen Vergangenheit für notwendig erachtet wird, steht international 429

Herbert Jäger, Verbrechen unter totalitärer Herrschaft — Studien zur nationalsozialistischen Gewaltkriminalität, Ölten 1967; Adalbert Rückerl, NS-Verbrechen vor Gericht, Heidelberg 1982. Bis Ende 1990 sprachen dt. Strafgerichte 6487 Verurteilungen in NS-Verbrechen aus (Streim, in: Chr. Hoffmann, S. 24).

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nicht so hoch im Kurs. Für diese Feststellung genügt das Faktum der meist gänzlich fehlenden oder doch sehr zurückhaltenden Bestrafung der Kriegs- und Humanitätsverbrechen, die in den militärischen Konflikten zwischen 1950 und 1992 begangen wurden. Als 1971 nach dem indisch-pakistanischen Krieg die Regierung des neuen Staates Bangladesch 195 gefangene Offiziere und Soldaten der pakistanischen Armee wegen Kriegsverbrechen und Völkermordes anklagen wollte — dazu gab es wohl einigen Anlaß —, beantragte Pakistan beim Internationalen Gerichtshof, Indien die Auslieferung der beschuldigten Kriegsgefangenen an Bangladesch zu untersagen 430. Indien bestritt die Zuständigkeit des IGH und erreichte in Verhandlungen, daß Bangladesch auf die Prozesse gegen die pakistanischen Offiziere und Soldaten verzichtete, wodurch sich 1973 auch das Verfahren vor dem IGH erledigte 431 . Die pakistanische Regierung entschuldigte sich öffentlich bei Bangladesch für die Gewalttätigkeiten der pakistanischen Armee während des Krieges 1971. So reichte der ganze Vorgang nur für eine historiographische Fußnote 432 . Diese Form der Konfliktbeendigung ist kein Rückfall in justizlose und rechtsferne Zeiten. So zu verfahren, entspricht einer alten, bis ins 20. Jh. reichenden Tradition, die von Aristoteles bis Kant als die politisch beste Art des Friedensschlusses beschrieben worden ist. Neu ist lediglich die öffentliche Entschuldigung. Die Einsetzung des „International Tribunal" 1993 durch den Sicherheitsrat zur Verfolgung von Kriegs- und Humanitätsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien ist eher ein „Rückfall" in die Ausnahmelage der Jahre 19451950. Allerdings ist dieses „International Tribunal" vor allem eine politische Geste des Sicherheitsrates zur Besänftigung der öffentlichen Meinung, ein Surrogat für militärisches Eingreifen. Den Meldungen im Herbst 1993 über fortgesetzte Greuel in Bosnien-Herzegowina zufolge ist die intendierte abschreckende Wirkung nicht eingetreten. Offenbar haben auch jene, die es angeht, den bloß symbolischen Charakter des „International Tribunal" erkannt. Waren es die großen politischen Zwecke, die zu den Prozessen von Nürnberg und Tokio führten, so sind sie es auch, die erklären, weshalb „Nürnberg" und „Tokio" einmalige Veranstaltungen blieben. Gewiß war für die IMT-Verfahren die bedingungslose Kapitulation und die Besetzung des besiegten Landes insgesamt eine faktische Voraussetzung; sie hatte 1919 gefehlt und deshalb auch die im Versailler Vertrag vorgesehenen Prozesse verhindert. Aber daraus darf nicht geschlossen werden, jeder bedingungslosen Kapitulation und Totalbesetzung folgten Prozesse wegen Angriffskriegs, Kriegs verbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Man wird vielmehr fragen müssen, ob „unconditional surrender" und Besetzung nicht auch deshalb als Kriegsziele angesteuert und realisiert wurden, um solche Prozesse ungestört führen zu können. Das ablehnende Verhal430 ICJ Rep. 1973, S. 328. 431 ICJ Rep. 1973, S. 347. 432 Christiane Shields Delessert, Release and Repatriation of Prisoners of War at the End of Active Hostilities. Schweizer Studien zum Internationalen Recht 5, Zürich 1977, S. 126 FN 1.

246

Helmut Quaritsch: Nachwort

ten der alliierten Regierungen gegenüber der innerdeutschen Opposition wie gegenüber dem japanischen Friedensfühler am 13. Juli 1945 läßt vermuten, daß es den Alliierten nicht auf das schnelle Schweigen der Waffen, sondern auf jene freie Hand gegenüber den Besiegten ankam, die eine bedingungslose Kapitulation vermittelt und die im Falle Japans durch die Explosion zweier Atombomben erzwungen wurde. Zu jener Freiheit der Entscheidung gehörte auch die individuelle Bestrafung derer, die man bestrafen wollte. Verglichen mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg waren die Kriege zwischen 1950 und 1992 nicht nur im Umfang begrenzter; es ging — universal betrachtet — in keinem Fall so ums Ganze wie 1914 und 1939. Die Leiden der Bevölkerung in Vietnam und Afghanistan mögen — für sich betrachtet — vergleichbar groß und furchtbar gewesen sein. Weltpolitisch betrachtet handelte es sich in Vietnam und Afghanistan nur um bewaffnete Auseinandersetzungen an den Grenzen von Großräumen, deren Ausgang die überragende Stellung der beteiligten Hegemonialmächte selbst nicht beeinträchtigte. Auch die vielen anderen Konflikte blieben örtlich begrenzt, keiner erreichte die politische Substanz und den historischen Rang der beiden Weltkriege. Nach keinem der kriegerischen Konflikte erschien es den Siegern notwendig, den Sieg und seine Resultate für die Zukunft so abzusichern wie nach den Weltkriegen. Daß zu diesen Sicherungen Rüstungsbeschränkungen allein nicht ausreichen, dazu auch die politisch-moralische Disqualifikation gehört und daß die größte Autorität zu einer solchen Disqualifikation ein „Internationaler Gerichtshof 4 besitzt — das wußten die europäischen Siegermächte bereits 1919, wie Art. 227 des Versailler Vertrages zur Genüge bezeugt. Ein Saddam Husain lohnte diesen Aufwand nicht. Haben, so bleibt abschließend zu fragen, die IMT-Verfahren von Nürnberg und Tokio ihre politischen Ziele erreicht? Japan und Deutschland gehören mit und nach den Vereinigten Staaten seit Jahren zu den wirtschaftlich mächtigsten Nationen der Welt, in Industrie, Handel und Finanzen stehen sie dort, wohin sie in der ersten Hälfte des 20. Jh. strebten: an der Spitze. Insofern fielen Britannien und Frankreich zurück. Die Nachfolgestaaten der Sowjetunion sind hilfsbedürftig und auf das Niveau von Entwicklungsländern abgestürzt. Politisch und militärisch aber behielt die Siegerkoalition von 1941 -1945 das Heft in der Hand. Die geniale Konstruktion des mit dem Vetorecht ausgerüsteten Ständigen Sitzes im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (Art. 27 Abs. 3 VN-Satzung) versteinerte die politische und geopolitische Machtlage am Ende des Zweiten Weltkrieges 433 ; der Besitz von Kernwaffen sorgt dafür, daß niemand diese Stellung gewaltsam antastet. Japan und Deutschland wird—ungeachtet ihrer Wirtschafts- und Finanzkraft — das eine wie das andere stets verwehrt werden. Sie sind zwar 1956 433

"Geopolitisch" deshalb, weil zwei der fünf Staaten ihre Stellung im Sicherheitsrat hielten — China nach längerer, Rußland ohne Unterbrechung —, obgleich sie sich politisch fundamental neu verfaßten: Aus „Nationalchina" wurde die „Volksrepublik China", Rußland beerbte institutionell die Sowjetunion.

Über Zwecke und Einmaligkeit der Verurteilungen wegen Angriffskrieges

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(Japan) und 1973 (West- und Ostdeutschland) in den Kreis der „peace loving nations" aufgenommen worden; daß die „Feindstaatenklausel" formell immer noch die VN-Satzung ziert (Art. 107), also nicht ersatzlos gestrichen wurde, erinnert und soll auch an die potentielle Feindstellung der beiden Staaten erinnern. Politisch sind Deutschland und Japan zweitrangige Mächte, eingebunden in Pakte und Organisationen, die ihnen keine eigenständige, ihrer Wirtschaftskraft gleichkommende politische Rolle gestatten. Einer evolutionären Anpassung der politischen an die wirtschaftliche Stellung stehen nicht nur Frankreichs und Britanniens Interessen an der Erhaltung des Status quo entgegen; Hindernis ist die geistige Realität des verbreiteten Mißtrauens in den politischen Charakter von Deutschen und Japanern 434. Sollte im Jahre 2050 und danach irgendwer fragen, wie die Diskrepanz zwischen wirtschaftlicher Potenz und politischem Zwergwuchs zustande kam und wie sie sich so lange unverändert halten konnte, werden Juristen und Historiker auch auf die Prozesse von Nürnberg und Tokio verweisen müssen und mit diesen Stichworten schlüssig geantwortet haben.

434 Die dt. Wiedervereinigung 1989 / 90 offenbarte bei fast allen europäischen Nachbarn gegenüber den Deutschen überwiegend Angst und Abneigung, interessanterweise stets am stärksten oder überhaupt nur ausgeprägt bei den Vertretern der politischen Klasse, den Intellektuellen und den Massenmedien, also bei den politisch maßgeblichen Größen. Repräsentativ die im Herbst 1993 erschienenen Memoiren der freimütigen Premierministerin Margaret Thatcher (Downing Street No. 10 — Die Erinnerungen, Düsseldorf 1993, S. 1094 ff.); „Sie hat ehrlich ausgesprochen, was andere gedacht haben" (Bundeskanzler Helmut Kohl am 4. November 1993 vor der Enquete-Kommission des Bundestages ["Die Welt vom 5.11.1993, S. 3]). Fernerhin die vorzugsweise von einheimischen Autoren vorgelegten Berichte, Untersuchungen und Stellungnahmen in dem wichtigen Sammelband: Die häßlichen Deutschen? Deutschland im Spiegel der westlichen und östlichen Nachbarn, hrsg. v. Günther Trautmann, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1991.

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Borah, William Edgar 42,45,55, 106,107 Borchard, Edwin 47, 90, 109, 110, 183 Bossuyt, Marc J. 204-206, 211 Botha, Louis 115 Boudarel, Georges 221 Bougin, Simon 126 Bourgery, A. 88 Briand, J. Aristide 46, 99, 103-105, 107 Brière, Yves de la 102 Brierly, James L. 165 Brill, Hascal R. 21 Brinkmann, Carl 98, 112 Britchard, R. John 171 Brownlie, Ian 167, 171, 177, 215, 219 Bruegel, Johann Wolfgang 86 Bruns, Viktor 132 Büchner, Karl 104 Bülow, Friedrich von 130 Bunge 188 Burke, Edmund 115, 175, 239, 240 Burkhard, Odilo 128, 130, 138 Burnett, Philip Mason 96-98 Buscher, Frank M. 163, 243 Butler, Nicholas Murray 107, 113 Caldecote, Lord 114 Calker, Fritz van 150 Calley, William 221, 222, 226 Carstens, Karl 143 Cäsar, Gajus Julius 87 Cecil, Lord Robert 39, 101, 102, 194 Chamberlain, Arthur Neville 103, Chamberlain, Sir Joseph Austen 34, 37, 41, 42, 101, 103, 104 Chiang Kai-shek 180 Churchill, Sir Winston 86, 216 Ciano, Graf Galeazzo 113 Cicero, Marcus Tullius 103 Clausewitz, Carl von 107 Clay, Lucius D. 127 Clemenceau, Georges 95, 98, 115

254

Namenverzeichnis

Coing, Helmut 169 Coke, Sir Edward 20, 90 Cole, George D. H. 79, 120, 121, 152 Conrad, G. B. 145 Corbett, Sir Julian 54, 113 Cortius, Gottlieb 86, 87 Cramer, M. C. 174 Current, Richard N. 105 Dahm, Georg 151, 168, 175, 181 Daillier, Patrick 219, 220 Danaher 110 Dannecker, Gerhard 89 Darré, Richard Walter 139 David, Donald 94 David, Eric 215, 220 Davidson, Eugene 112,215,216,220, 231 Davies, Lord 114 Delbrück, Hans 235 Delbrück, Jost 112 Demandt, Alexander 104 Demartial, Georges 98, 102 Descamps, Baron Eduard-Eugène-François 55 Dewall, Wolf von 104 Dickmann, Fritz 92, 94-96 Dietrich, Otto 139 Dijk, Pieter van 209 Dix, Rudolf 142, 238, 239 Dodd, William E. 98, 112 Doehring, Karl 186, 215 Dohna, Graf Bernt zu 192 Dönitz, Karl 112, 137, 155 Dorn, Walter L. 137 Drake, Sir Francis 221 Duffy, James 225, 226 Duguit, Léon 119 Dulles, John Foster 28, 29, 95-98 Dumas, Jacques 165 Eagleburger, Lawrence 228 Eden, Antony 216 Ehlers, Wilhelm 87 Eide, Asbjorn 202, 204 Eisfeld, Rainer 243 Elliott, Robert 226 Erdmannsdorf, Otto von 139 Eser, Albin 213 Exner, Franz 144

Fastenrath, Ulrich 203 Ferencz, Benjamin B. 100-102, 104, 109, 113, 189, 190, 191, 193, 194 Ferrell, Robert A. 99, 105, 107 Feuerbach, Paul J. A. von 19, 89, 168 Finch, George A. 95, 159, 163, 178, 182 Fincke, Martin 174 Fisch, Jörg 85, 228, 241 Fischer Williams, Sir John 108, 115, 149, 175, 239, 240 Fischer, Fritz 236 Fitzmaurice, Sir Gerald 188 Rick, Friedrich 125-127, 129, 130, 137, 138, 141-144, 152, 242 Flick, Otto Ernst 128 Foch, Ferdinand 92 Frahme, Karl Heinrich 118 Franck, Thomas 217 Freytagh-Loringhoven, Axel von 89, 126 Frick, Wilhelm 137 Friedman, Leon 94, 155, 223 Frowein, Jochen A. 186, 207, 208 Funk, Walter 137 Gandhi, Mahatma 177 Geck, Wilhelm Karl 202 Genscher, Hans-Dietrich 217 George, Lloyd 95, 96, 98, 115 Gerhart, Eugene C. 91 Ginsburgs, George 184 Glueck, Sheldon 178, 182, 214 Göring, Hermann 137 Götz, Volkmar 87 Greiser, Arthur 139 Grewe, Wilhelm 85, 86,93,100,102,104, 105, 107-109, 116, 117, 136, 137, 146, 147, 159, 160, 163, 176, 177, 183, 186, 191, 215, 218, 221, 222, 232, 234 Gros, André 94, 155, 163 Groß, Erich 146 Gründgens, Gustaf 133 Gründler, Gerhard 128 Gunzenhäuser, Max 93, 95 Hahnenfeld, Günter 153, 155 Haile Selassie 57, 113 Halifax, Edward F. L. W. 56, 57, 113, 114 Hall, William E. 177 Haller, Walter 120

Namenverzeichnis

Hankey, Lord Maurice P. 156, 183 Harich-Schneider, Eta 174 Hauriou, Maurice 75, 119 Henke, Klaus-Dietmar 207 Hertz, Wilhelm G. 102 Heß, Rudolf 137, 172, 216 Heuston, R. F. 214 Higgins, John B. 174 Hindenburg, Paul von 92 Hitler, Adolf 18, 50, 65-67, 80, 81 Hobbes, Thomas 119, 120, 152 Hofacker, Wilhelm 117 Hoffmann, Christa 154, 244 Hoffmann, Gerhard 162, 166, 168, 182 Hogan, Brian 116 Höhn, Reinhard 132 Höhne, Heinz 133 Hollweg, Carsten 228 Holmes, Oliver W. 76 Hölzle, Erwin 236 Hoof, Godefridus J. H. van 209 Höpfner, Matthias 162 Horwitz, Solis 171 Hosius, Carolus 87 Hostius, Lucius 91 Housman, Alfred E. 87 Huber, Ernst Rudolf 86, 93, 95-97, 109, 230 Hudson, Manley O. 163, 178, 187 Hughes, William M. 96 Hugueney, Louis 155 Hull, Cordell 172 Hurst, Cecil 102 Husain, Saddam 217, 246 Hüsmert, Ernst 130 Ienaga, Saburo 177 Ihn, Max 128 Ipsen, Hans Peter 120 Ipsen, Knut 171, 217, 219, 222, 223 Iredell, James 120 Ireland, Gordon 171 Jäckh, Ernst 99 Jackson, Robert H. 23, 90, 91, 94, 111, 126, 127, 143, 155, 156, 158, 162, 163, 177, 179, 183, 195, 196, 212, 232, 238241

Jäger, Herbert 244 Jahrreiss, Hermann 142-144, 183 Jaranilla, Delfin 174-176 Jaspers, Karl 241 Jennings, Robert 219 Jescheck, Hans-Heinrich 110, 141, 151, 155, 159, 165, 167, 181, 182, 206, 214, 221, 243 Jestaedt, Rudolf 133 Jodl, Alfred 137, 144 Jung, Susanne 125-127, 138, 159, 166,

181, 182

Kaiser, Joseph H. 145 Kaletsch, Konrad 127, 128, 130, 131, 136, 138 Kaishofen, Frits 228 Kant, Immanuel 75, 119, 228, 245 Karadzic, Radovan 228 Kaufmann, Erich 88,94,95,159,163,167, 183 Keenan, Joseph B. 156, 241 Keitel, Wilhelm 137 Kellogg, Frank B. 45, 104 Kelsen, Hans 159,163, 177, 178,182,184 Kempner, Robert M. W. 115, 174, 183, 234, 243 Kendziora, Johanna 67, 116 Keppler, Wilhelm 139 Kerst, Rolf 146 Keynes, John Maynard 97 Kimminich, Otto 219 Kipp, Theodor 101 Klein, Eckart 102 Knieriem, August v. 88,91,138,139,155, 156, 161, 236, 242 Koch, Justus 144 Kohl, Helmut 247 Körner, Paul 139, 144 Krakau, Knud 90, 108, 118 Kranzbühler, Otto 128,130,138-140,156, 184, 238, 239, 242 Kraus, Herbert 93, 94, 131, 138, 183, 235 Krauss, Günther 179 Kreiner, Josef 176 Krüger, Herbert 183, 234 Krupp von Bohlen und Halbach, Alfried 128, 142, 143, 152, 163, 242 Kudriavtsev, Vladimir N. 184

256

Namenverzeichnis

Kunz, Josef L. 15, 118 Küster, Otto 183 Laelius 103, 104 Lage, William Potter 47, 109 Lamb, Richard 184 Lammers, Hans Heinrich 139 Lansing, Robert 26, 28-31, 93-95, 102, 115, 163, 178 Lamaude, Fernand 93 Laski, Harold Joseph 120 Lately, William 113 Lathi, Raimo 204 Lauterpacht, Hersch 77, 149, 179, 182 Lautz, Ernst 168 Lawrence, Sir Geoffrey 177, 238-240 Lederer, Ivo J. 93, 96, 97 Legay 220 Levinson, Salmon Oliver 42, 55, 106 Lewald, Walter 146, 147 Lewinski, Georg-Dieter von 129 Lewinski, Karl von 129 Ley, Robert 94 Liebs, Detlef 89, 92 Liepmann, Moritz 71, 117 Lippmann, Walter 158 Litwinow, Maksim M. 39, 102 Lobo 188 Locke, John 20, 22, 90 Loewenstein, Karl 144, 145 Lortz, Joseph Adam 145 Lübbe, Marinus van der 18, 89 Lucanus, Marcus Annaeus 87, 88 Luck, Georg 87 Ludendorff, Erich 92 Lysen, Arnoldus 104, 108 Mac Arthur, Douglas 171 MacDonald, James Ramsey 103 Macintosh, Douglas Clyde 77 Maktos 224 Mandelstam, André M. 105, 107, 108 Mander MP 113 Mangoldt, Hermann von 92,115,131,148 Manikowski, Arnim v. 128 Manley, Elizabeth 151 Manton 77 Mao Tse-tung 180

Marie, Jean-Bernard 202, 209, 210 Marshall, John 75, 119 Mârtenson, Jan 202 Maschke, Günter 105, 116, 120, 136 Maser, Werner 128 Maugham, Frederic Herbert 156, 183 Maunz, Theodor 132 Max, Prinz von Baden 95 Maxwell-Fyfe, Sir David 94, 169, 170, 195, 198, 239 Mayer, Arno J. 96 McNair, Arnold 149 McPherson, James M. 94 Mecklenburg, Frank 145 Medina, Ernest 221, 222 Meissner, Otto 139 Mendelssohn-Bartholdy, Albrecht 235, 237 Menk, Thomas M. 189, 193, 217 Menthon, François de 158, 183 Michels, Robert 67, 116 Milch, Erhard 242 Miller, David Hunter 32, 94, 99, 101, 102, 105 Milosevic, Slobodan 228 Minear, Richard H. 156, 171, 173, 177 Moles worth, William 120 Moltrecht, Horst 166 Montesquieu, Charles de Secondât 22 Montgelas, Graf Max 235 Morgan, John Hartman 183 Morozov 188 Morrison, Charles Clayton 104 Mosler, Hermann 167 Motta, Giuseppe 58, 114, 115 Müller, Ingo 243 Mullins, Claude 86 Munters 57 Murphy, John F. 184 Napoleon 64, 80, 115 Naucke, Wolfgang 89, 168, 169 Nehru, Pandit 177 Neurath, Konstantin Frhr. von 137 Nevins, Allen 94 Nguyen Quoc, Dinh 219, 220 Niemeyer, Theodor 85, 86 Nikitschenko, Jola T. 195 Nixon, Richard 222

Namenverzeichnis

Nowak, Manfred 204, 209 Nussbaum, Arthur 111, 117 Oakeshott, William 120 Oehler, Dietrich 155, 161, 193, 194, 199, 224 Oeter, Stefan 220 Ogger, Günter 125, 130 Oppenheim, Lassa F. L. 115, 177, 219 Orlando, Vittorio Emanuele 95 Pal, Radhabinod 106, 156, 159, 163, 172, 174, 176-181, 183, 189, 214, 234, 235 Pareto, Vilfredo 67, 116 Partsch, Karl Joseph 170, 204, 206-208 Paulus, Iulius 89, 92 Pella, Vespasian V. 55, 165 Pellet, Allain 219, 220 Perth, Lord 113 Peters, Hans 143 Peters, Karl 132 Peukert, Wolfgang 207, 208 Phillimore, Robert 102 Philus 103, 104 Piccigallo, Philip R. 155, 156, 171 Pleiger, Paul 139, 144 Plutarch 91 Pohle, Wolfgang 130 Pohly, Michael 225 Politis, Nicolas 39, 52, 53,55,71,93, 100, 102, 110, 111, 113, 117, 165 Pollock, Sir Ernest 93 Pompejus, Gnaeus P. Magnus 87 Ponchont, M. 88 Popitz, Johannes 152 Poppendick, Helmut 154 Possony, Stephan Thomas 236, 237 Potter, B. Pitman 183 Powers, Leon W. 141 Pradelle, Albert Geouffre de la 93 Ptolemäus ΧΠΙ. 87 Puchta, Georg 214 Puttkammer, Ellinor von 86 Quaritsch, Helmut 86, 88, 111, 121, 132, 133, 154, 207, 225, 227, 228, 241, 243 Quirin 161 Rabin, Yitzhak 231, 232 Radin 163 17 Quaritsch

Raeder, Erich 112, 137 Raiser, Ludwig 146 Randall, J. G. 94 Rasenack, Christian 129 Ratz, Paul 165, 166 Read, James Morgan 237 Rebentisch, Dieter 116 Reichhelm, Konrad 102 Renton, W. Alexander 113 Ribbentrop, Joachim von 94, 137 Riley, Walter Lee 171 Ritter, Karl 139 Ritterbusch, Paul 131 Roberts 188 Röchling, Hermann 128, 139, 242 Rödiger, Gustav 93, 94, 235 Rogge, Heinrich 102 Rolin-Jaequemyns, Edouard 93 Röling, Bert V. A. 156, 171, 174, 176, 188, 189, 215, 219, 228 Roosevelt, Franklin D. 86, 98, 107, 108, 161, 240 Rosenbaum, Eduard 146 Rosenberg, Alfred 137 Rosenstock, Robert 192 Ross, Robert Ernest 111 Roth, Karlheinz 127, 137 Rothenberger, Curt 168 Rothstein, Andrew 162 Rückerl, Adalbert 244 Russell, William Oldnall 111 Rüter, Christiaan F. 171 Salin, Edgar 97 Sarre, Friedrich Carl 145 Sauer, Wilhelm 146 Sayre, Francis B. 155 Scelle, Georges 149, 187 Schacht, Hjalmar 131, 142 Schaetzel, Walter 183, 234 Scheidemann, Philipp 92 Schellenberg, Walter 139 Schelling, Friedrich W. 99 Schick, Franz B. 183 Schindler, Dietrich 58, 114 Schindler jun., Dietrich 114 Schlegelberger, Franz 168 Schlepple, Eberhard 111, 165, 168 Schlieker, Willy A. 128

258

Namenverzeichnis

Schlochauer, Hans-Jürgen 112 Schlüter, Ferdinand 109 Schmidt, Walter 125, 127, 129, 130 Schmitt, Anima 147 Schmitt, DuSka 129, 145 Schmitz, Hermann 142 Schneider, Christian 142 Schneider, Hans 87, 125, 126, 129, 145 Schnur, Roman 119, 145 Schöbener, Burkhard 137 Schönke, Adolf 213 Schreiber, Hans Ludwig 89 Schroeder, Friedrich-Christian 174, 175, 212

Schücking, Walter 93, 101, 108 Schuller, Wolfgang 91, 154 Schwabe, Klaus 96 Schwartz, Michael 225 Schwartz, Thomas 243 Schwarzenberger, Georg 189, 208, 219 Schwendemann, Karl 112 Schwengler, Walter 85, 86, 92, 115, 225 Schwerin von Krosigk, Johann L. 139 Schwimmer 76 Scott, James Brown 28, 32, 72, 93-95, 98, 115, 117, 152, 163, 178 Seidl, Alfred 142, 143, 195, 216 Seidl-Hohenveldern, Ignaz 219 Sérant, Paul 207 Seyß-Inquart, Arthur 137 Shaw, Malcolm N. 219 Shields Delessert, Christiane 245 Shotwell, James Thomson 32, 34, 98, 99, 101, 105-107, 194, 196 Siebenhaar, Hermann 111 Siebert, Wolfgang 132 Simma, Bruno 93, 191, 203, 218 Smith, Bradley F. 90, 112, 128, 143, 144, 155, 157, 161, 172, 237, 239 Smith, H. A. 183 Smith, John C. 116 Smuts, Jan Christiaan 115 Snyder, Orvil C. 166 Sohn, Louis B. 181, 187, 189 Sombart, Nicolaus 116 Sorel, Georges 67 Spiropoulos, Jean 108, 186, 189, 190 Stalin, Josef 86 Stand, Anni 129, 130, 134

Starke, Joseph G. 219 Stein, Torsten 111 Steinmetz, Willibald 121 Stiefel, Ernst C. 145 Stimson, Henry Lewis 46, 47, 106, 108110, 112, 158, 160, 164, 181 Stödter, Rolf 146, 159 Stone, Harlan Fiske 162 Stoner, John E. 106 Stosch, Albrecht von 86, 92 Streicher, Julius 94 Streim, Alfred 154, 244 Stresemann, Gustav 103, 104 Strupp, Karl 85, 86, 105, 108, 112 Stuckart, Wilhelm 139 Sultan 188 Takashi, Sakai 171 Takayanagi, Kenzo 156, 173 Tardieu, André 93 Taylor, Telford 88, 119, 128, 139, 143, 157, 184, 195, 221-227 Thatcher, Margaret 247 Thiam, Doudou 196, 198, 201, 211, 220 Thieme, Hans 146 Thorpe, Francis Newton 90 Tilitzki, Christian 132, 150 Tillmanns, Karl 128, 129 Tirado, Ortiz 188 Togo 171 Tommissen, Piet 116, 130, 134, 145-147, 149 Tomuschat, Christian 200, 215 Touvier, Paul 220 Trainin, Aron Naumo witsch 162,163,170, 172, 178 Trautmann, Günther 247 Tribe, Laurence H. 120 Trifterer, Otto 151, 166, 168, 214 Truman, Harry Spencer 91, 108, 126 Tutorow, Norman E. 92, 154, 155, 162, 171, 182, 184, 221, 237 Ulpianus, Domitius 89, 92 Urban, Mark 225 Vabres, Henri Donnedieu de 143, 155, 161, 165, 166 Varaut, Jean-Marc 116

Namenverzeichnis

Veesenmayer, Edmund 139 Verdross, Alfred 16,93,115,191,218,219 Vietsch, Eberhard von 92 Vishinski, A. Y. 162 Vitoria, Francisco de 72, 103, 117, 152 Wacht, Manfred 87 Wagenlehner, Günther 174 Wagner, Hans 90 Wahl, Eduard 158, 163, 183 Waksberg, Arkadi 163 Watts, Arthur 219 Webb, Sir William 156, 174, 175 Weber, Hellmuth v. 164, 165 Weber, Max 67, 92, 235 Weber, Werner 87, 133 Wegner, Arthur 71, 117 Wehberg, Hans 43,71, 100,101, 104-108, 117, 174, 175, 196 Weizsäcker, Ernst von 139, 140, 157, 215 Wells, Donald A. 225 Wember, Heiner 154 Wengler, Wilhelm 167, 206, 217, 219 Westlake, John 61, 115 Whitton, John B. 74, 118 Wilhelm (dt. Kronprinz) 230 Wilhelm II. (dt. Kaiser) 13, 24-26, 29, 55, 62, 64, 72, 92, 169, 236, 237, 241

17*

259

Williams, Glanville L. 151,155, 184,206, 213 Willing, Willi 133 Willis, James F. 68, 86, 92, 93, 95, 96, 116, 158, 165 Willms, Günther 175 Wilson, Woodrow 29-32, 42, 53, 73, 94-98, 102, 112 Windscheid, Bernhard 101 Winstanley, Lilian 147 Wirz, Henry 26, 94, 227 Woetzel, Robert K. 181, 182 Wolfram von Wolmar, Wolfgang 128 Wolgast, Ernst 114 Woller, Hans 207 Woolridge, Frank 102 Wörmann, Ernst 139, 157, 215 Wright, Herbert 110 Wright, Quincy 90, 104, 108, 112, 117, 159, 177-179, 182, 183 Wright, Sir Robert A. 178 Würzburger, Eugen 97 Yamashita, Tomoyuki 155, 222 Zaide, Sonia M. 171 Zarjevski, Yefime 113 Zechlin, Egmont 117 Ziegler, Konrad 91