Das gute Projekt. Humanitäre Hilfsorganisationen und die Fragmentierung der Vernunft [1. ed.] 9783868549195, 9783868543148

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Das gute Projekt. Humanitäre Hilfsorganisationen und die Fragmentierung der Vernunft [1. ed.]
 9783868549195, 9783868543148

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Monika Krause

Das gute Projekt Humanitäre Hilfsorganisationen und die Fragmentierung der Vernunft Aus dem Englischen von Michael Adrian

Hamburger Edition

Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung Mittelweg 36 20148 Hamburg www.hamburger-edition.de © der E-Book-Ausgabe 2017 by Hamburger Edition ISBN 978-3-86854-919-5 E-Book Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde © der deutschen Ausgabe 2017 by Hamburger Edition ISBN 978-3-86854-314-8 © der Originalausgabe 2014 by The University of Chicago. All rights reserved. Titel der Originalausgabe: »The Good Project. Humanitarian Relief NGO s and the Fragmentation of Reason« Umschlaggestaltung: Wilfried Gandras Satz: Dörlemann Satz, Lemförde

Inhalt

Einleitung

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1 Auf der Suche nach dem guten Projekt

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2 Hilfeempfänger als Ware

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3 Der Logframe und die Geschichte des Marktes für Hilfsprojekte

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4 Die Geschichte der humanitären Autorität und die Ausdifferenzierung des humanitären Feldes

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5 Die Reform der humanitären Hilfe

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6 ... und die Menschenrechte?

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Schluss

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Methodischer Anhang Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen Danksagung Bibliografie Zur Autorin

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Einleitung

»Die Krise in Darfur stellt die Welt vor eine entscheidende moralische Herausforderung«, heißt es in einem Appell von Safe Darfur. »Mehr als vier Jahre sind seit Beginn des Völkermords in Darfur im Sudan vergangen. Bis zu 400000 Menschen sind ihm bislang zum Opfer gefallen, mehr als 2,5 Millionen wurden vertrieben. Diese Flüchtlinge sind jetzt von Hunger, Krankheiten und Vergewaltigungen bedroht, während die in Darfur verbliebenen Einwohner mit Folter, Tod und Vertreibung rechnen müssen. Wir müssen schnell und entschieden handeln, um diesen Völkermord zu beenden, bevor Hunderttausende weitere Menschen getötet werden.«1 Diese Beschreibung der Krise in Darfur betont die große Zahl der Opfer. Der Text erzählt zudem von unbeschreiblichem Leid, vor dem es kein Entrinnen gibt. Dieses Gefühl der Ausweglosigkeit wird der Leserin mithilfe zweier Aufzählungen von jeweils drei verschiedenen Übeln in einem Satz vermittelt: »Hunger, Krankheiten und Vergewaltigungen« sowie »Folter, Tod und Vertreibung«. Doch inmitten all der Gräuel dieser Beschreibung findet sich etwas Tröstliches und Beruhigendes, nämlich die Vorstellung: »Wir müssen […] handeln«. Jenes »wir« erinnert den Leser daran, dass er von außen auf dieses Leiden blickt, und impliziert, dass er dieser Gewalt und diesem Leid nicht alleine gegenübersteht, sondern als Teil einer Gemeinschaft, die seine Besorgnis teilt: »wir, die internationale Gemeinschaft«, »wir, die globale Zivilgesellschaft« oder »wir, die Bewohner verhältnismäßig reicher Länder, die sich sorgen«. Auch die Formulierung »wir müssen […] handeln« hat etwas Beruhigendes. Denn wenn wir handeln müs1

»Help Stop the Genocide in Darfur«, auf der offiziellen Website von Safe Darfur, http://savedarfur.org/campaign/savedarfurcoalition [31. 1. 2011] (Webseite abgeschaltet).

Einleitung

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sen, heißt das vielleicht auch, dass »wir handeln können«. Mit den richtigen Werten und den richtigen Informationen können wir etwas tun, um zu helfen. Die Krise in Darfur ist nur eine von vielen Situationen, die in den vergangenen zwanzig Jahren zu Appellen wie dem obigen Anlass boten. Denken wir nur an die Kosovokrise Ende der 1990er Jahre, den Tsunami im Indischen Ozean 2004, das Erdbeben in Haiti von 2010 oder die Aids-Epidemie, die allesamt als »Notsituationen« in unser Blickfeld gerückt wurden, so komplex und unterschiedlich diese sozialen Phänomene auch waren. Der Begriff der »Notsituation« oder des »Notfalls« (emergency) ist nach Craig Calhoun »ein Mechanismus, um problematische Ereignisse zu erfassen, ein Mechanismus, um sich in sie hineinzuversetzen, der ihre anscheinende Unberechenbarkeit, Anomalie und ihren vorübergehenden Charakter betont und mit dem gleichzeitig die Konsequenz verbunden ist, dass eine Reaktion – eine Intervention – notwendig ist«.2 Die westlichen Regierungen fühlen sich heute verpflichtet, eine gewisse Reaktion auf viele, doch bei Weitem nicht alle fernen »Notfälle« zu zeigen, während sich die breite Öffentlichkeit häufig zu Spenden veranlasst sieht. Was aber heißt es, auf das Leid von Menschen zu reagieren, die in weiter Ferne leben? Und nicht nur die geografische Entfernung trennt »uns« von »ihnen«. Auch unterschiedliche Formen der sozialen Organisation stehen zwischen uns und vermitteln, das heißt, sie verbinden und trennen zugleich in spezifischen Weisen, deren Muster wir analysieren können. Die Institutionen der Nachrichtenmedien bilden eine solche Form der sozialen Organisation; in jüngster Zeit haben Wissenschaftler die Rolle der Medien bei der Vermittlung von Leid eingehend untersucht.3 Auch Geber und Geberorganisationen sind durch Märkte, Regierungen, die Geschichte des Kolonialismus, verschiedene Arten von Wissen und Fachkenntnissen sowie unterschiedliche Bedeutungssysteme von fernem Leid getrennt und zugleich mit ihm verbunden.

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Calhoun, »A World of Emergencies«, S. 375; ders., »The Idea of Emergency«. Boltanski, Distant Suffering; Cohen, States of Denial; Chouliaraki, Spectatorship of Suffering; sowie Franks, »CARMA Report«.

Einleitung

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In diesem Buch beschäftige ich mich mit einer Gruppe von Institutionen, die zwischen dem konstruierten »Wir« und einer Vielzahl von Formen des Leids auf der ganzen Welt stehen, nämlich den nichtstaatlichen Organisationen (NGO s), die auf dem Feld der humanitären Hilfe tätig sind. Organisationen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK ), Ärzte ohne Grenzen/Médecins sans Frontières (MSF ), Save the Children, Oxfam und CARE spielen in den vergangenen zwanzig Jahren eine immer wichtigere Rolle in der globalen Politik wie auch in unserem globalen politischen Denken. Diese Organisationen sind aufgerufen, auf vielfältige Themen und Probleme zu reagieren, wobei eine wachsende Menge an Geldzuwendungen durch sie kanalisiert wird. In zunehmendem Maße wird die Hilfe, die ehemalige Kolonialmächte und die reicheren Nationen der Welt ehemaligen Kolonien und ärmeren Nationen gewähren, nicht mehr als Entwicklungshilfe, sondern in Form von humanitärer Hilfe ausgeschüttet. Zwischen 1990 und 2013 stiegen die offiziellen Etats für humanitäre Hilfsmaßnahmen um das Sechsfache, von 2,1 Milliarden auf 12,9 Milliarden US -Dollar.4 Ein immer größerer Teil dieser humanitären Mittel wird über nichtstaatliche Hilfswerke verteilt, wovon wiederum ein erheblicher Anteil durch eine relativ kleine Zahl großer Einrichtungen fließt.5 Viele Beobachter haben diese Organisationen gepriesen und dabei stillschweigend vorausgesetzt, dass alles, was wir über sie wissen müssen, in ihren Zielen und Werten sowie in der Antwort auf die Frage besteht, welche von ihren Zielsetzungen sie jeweils erreichen. Andere, kritischere Stimmen haben auf die Rolle von Geld und Macht in diesen NGO s hingewiesen, insbesondere aber auf die Rolle externer Interessen, wie etwa jener der westlichen Geberländer. Sowohl die naiven als auch die kritischen Darstellungen sind jedoch grob vereinfachend und schneiden die empirischen Fragen danach, wie diese Organisationen eigentlich arbeiten, überhaupt nicht an.

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Development Initiatives, Global Humanitarian Assistance Report 2013. Die 12,9 Milliarden US -Dollar signalisieren bereits, seit einem Höchstwert von 13,9 Milliarden im Jahr 2012, einen leichten Abwärtstrend. Stoddard, »Humanitarian NGO s«. Vgl. auch Walker/Pepper, Follow the Money.

Einleitung

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Wie überführen diese Organisationen Werte – oder Interessen, wenn man so will – in eine Praxis? Wie werden diese Werte in das übersetzt, was humanitäre Helfer tagtäglich tun und was sie nicht tun? Welche Sachzwänge machen diese Übersetzung möglich, und welche Folgen haben diese Sachzwänge? Wie beispielsweise entscheidet die jeweilige Organisation, welche Menschenleben sie retten und welche Bedürfnisse sie befriedigen will? Wie legt sie – sich selbst und anderen gegenüber – Rechenschaft über diese Entscheidungen ab? Welche unterschiedlichen Interpretationen dieser Werte nehmen verschiedene Organisationen vor? Und was verraten uns die Antworten auf diese Fragen über die Art von Vermittlung, für die diese Organisationen sorgen, und über die Rolle, die sie spielen? Im vorliegenden Buch gehe ich diesen Fragen nach, indem ich untersuche, wie solche Hilfswerke arbeiten, wobei ich mich besonders auf die Praktiken von Managern in den größten NGO s auf dem Feld der humanitären Hilfe konzentriere.

Die Argumentation Ich möchte aufzeigen, dass humanitäre NGO s mittlerweile in einem gemeinsamen sozialen Raum agieren. Aus diesem gemeinsamen sozialen Raum erwachsen sowohl die Grundannahmen, die in den verschiedenen Hilfswerken Gemeingut sind, als auch die Debatten, die sie miteinander darüber führen, was es heißt, ein humanitärer Akteur zu sein. Es ist von großer Bedeutung, die praktische Logik jenes Raumes zu verstehen, denn sie ist ein wichtiger Aspekt dessen, was zwischen den Gebern und »den Leidenden der Welt« steht; diese praktische Logik bildet eine Vermittlung für alle Bemühungen, den Bedürftigen zu helfen. Auf der Grundlage von Tiefeninterviews mit Länderreferenten vieler der größten westlichen Hilfsorganisationen entfalte ich zwei Thesen über diesen Raum: Erstens möchte ich zeigen, dass sich die Praktiken der humanitären Hilfswerke nur verstehen lassen, wenn man sich klarmacht, dass Hilfe eine Form von Produktion ist und zu einem vorrangigen Ergebnis oder Produkt führt, nämlich dem »Projekt«. Manager produzieren Projekte und bemühen sich, gute Projekte zu machen. Dies hat bedeutende Vorteile. Doch erzeugt das Streben nach dem guten Projekt eine Eigenlogik, die die Verteilung von Ressourcen sowie

Die Argumentation

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eine gewisse Art von Aktivitäten prägt, die sich unabhängig von externen Interessen, aber auch relativ unabhängig von den Bedürfnissen und Präferenzen der Empfänger beobachten lassen. Zweitens produzieren Hilfsorganisationen Projekte für einen Quasimarkt, auf dem die Geber die Konsumenten sind. Das Projekt ist eine Ware, und so werden auch die Begünstigten, die Hilfeempfänger, Teil einer Ware. Das Bemühen um ein gutes Projekt bestärkt die Hilfswerke darin, sich auf kurzfristige Resultate für eine ausgewählte Zielgruppe zu konzentrieren. Darüber hinaus bringt es der Markt für Projekte mit sich, dass die potenziellen Empfänger miteinander darum konkurrieren müssen, Teil eines Projektes zu werden. Wenn wir humanitäre Hilfe als eine Form der politischen Governance und Koordination betrachten, ist es wichtig zu sehen, dass es neben den Leistungen für die Hilfsbedürftigen, wie sie die liberalen Betrachter hervorheben, und den Formen direkter Beherrschung, wie sie die Kritiker der humanitären Hilfe herausstreichen, auch eine Form der indirekten Beherrschung gibt, die durch den Markt für Projekte bedingt ist. Häufig lebt die Analyse und Kritik der »humanitären Vernunft« von einer Rekonstruktion, die eine Kohärenz auf der Grundlage von Ideen oder Interessen herstellt. Ich hingegen möchte das Muster einer fragmentierten Vernunft nachweisen. Im Unterschied zu jenen, die internationale Hilfsmaßnahmen für ihr Übermaß an Planung und Rationalisierung kritisieren,6 wird mein Argument lauten, dass die heutige Struktur des Humanitarismus bereits durch den Erfolg solcher Kritiken geprägt ist und die Konsequenzen daraus nicht nur positive sind. Nicht alle humanitären Hilfswerke sind natürlich gleich, und ich werde im Folgenden die Unterschiede zwischen den Organisationen untersuchen. Wenn ich sage, dass humanitäre Organisationen in einem gemeinsamen Raum angesiedelt sind, bedeutet dies, dass sie sich wechselseitig aneinander orientieren, wenn sie ihre Unterschiede formulieren. Ich werde die Kontroversen über die Frage, was es heißt, ein humanitärer Akteur zu sein, nachzeichnen und die These vertreten, dass die Vielfalt der Agenturen einen Bestandteil des Marktes für Projekte bilden kann und ihn nicht unbedingt schwächt. 6

So z.B. Easterly, Wir retten die Welt zu Tode.

Einleitung

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Globale Governance und feldspezifische Praktiken Kaum jemand bestreitet heute noch, dass transnationale Verflechtungen aller Art für unser Verständnis der sozialen Welt und der politischen Ordnung der Gegenwart wesentlich sind. Doch kann sich die Diskussion über die globale politische Ordnung nach dem Ende des Kalten Kriegs immer noch auf abstrakte Ideen kaprizieren, sei es, dass man die neue Macht universeller Werte und Besorgnisse begrüßt oder neue Formen imperialistischer Ideologie anprangert. Optimistische wie kritische Analysen neigen allerdings dazu, die globale Governance als vergleichsweise kohärent und einheitlich zu zeichnen. Um die neuen, von der Globalisierung hervorgebrachten Formen der Verflechtung voll und ganz zu verstehen, sollten wir unser Wissen auf der Grundlage einer sorgfältigen Beachtung der Praktiken des Verflechtens rekonstruieren. Die Studien, die solche Praktiken untersucht haben, zählen meines Erachtens zu den besten Arbeiten über die Globalisierung. Yves Dezalay und Bryant Garth lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Rolle, die internationale Rechtsanwälte in der Politik lateinamerikanischer Länder spielen.7 Saskia Sassen beleuchtet die richterliche Bezugnahme auf internationales Recht in nationalen Kontexten.8 Nicolas Guilhot widmet sich einer Gruppe von Fachleuten, die als »Demokratieförderer« tätig sind.9 David Mosse und Richard Rottenburg untersuchen Netzwerke von Entwicklungsexperten.10 Als Reaktion auf rationalistische Organisationsanalysen haben manche Autoren, vor allem in der Anthropologie und in den Wissenschafts- und Technologiestudien, auf das Chaos und die Heterogenität der Praxis in verschiedenen Feldern gepocht, darunter dem der inter-

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Dezalay/Garth, Internationalization of Palace Wars. Sassen, Paradox des Nationalen. Guilhot, Democracy Makers. Vgl. auch die Untersuchungen über Wirtschaftsexperten von Bockman/Eyal, »Eastern Europe as a Laboratory«, sowie Fourcade, Economists and Societies. Eine theoretische Diskussion über die Verwendung der Feldtheorie für die Erforschung transnationaler Formen und eine Anwendung auf Staaten findet sich bei Go, »Global Fields«. Mosse (Hg.), Adventures in Aidland; ders., Cultivating Development; sowie Rottenburg, Weit hergeholte Fakten. Vgl. auch Hilhorst, The Real World of NGOs; sowie Atlani-Duault, Au Bonheur des autres.

Globale Governance und feldspezifische Praktiken

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nationalen Hilfe.11 Ich stimme dieser Betonung der Praxis und empirischen Beobachtung zu, halte es aber für wichtig, nicht nur nach hybriden Formen und kontingenten Aushandlungsprozessen zu fragen, sondern auch nach Mustern und Ordnung. Im Anschluss an die Argumentation Pierre Bourdieus und anderer12 möchte ich in der soziologischen Tradition der Theorie funktionaler Differenzierung die Möglichkeit spezifischer Praxislogiken in spezifischen sozialen Welten – oder Feldern – erforschen. Aus früheren Untersuchungen wissen wir, dass Organisationen in einem Feld mit anderen Organisationen existieren und von Reaktionen auf eine gemeinsame Umwelt geformt werden können.13 Diese Einsicht über Institutionen in der neoinstitutionalistischen Tradition ergänzt Bourdieu um einen historischen Ansatz, eine spezifische Hypothese über Felder, die um hehre Ideale wie die der Religion, der Kunst oder des Rechts herum organisiert sind, sowie eine Analyse der symbolischen Trennungen zwischen den jeweiligen Akteuren. Beides ist, wie ich zeigen werde, für das Verständnis der humanitären Hilfe von Bedeutung. Ich analysiere die humanitäre Hilfe als Feld, um zu sondieren, ob es einen sozialen Raum geteilter Selbstverständlichkeiten und geteilter Interpretationen gibt – und ob sich dort eine Gruppe von Akteuren findet, die sich noch in ihren Unstimmigkeiten als maßgebliche Gegenspieler anerkennen. Die nichtstaatlichen humanitären Hilfsorganisationen haben entscheidend dazu beigetragen, eine Verbindung zwischen dem Westen und fernen Weltgegenden sowie insbesondere fernem Leid herzustellen. Auch für die Diskussionen über eine globale Zivilgesellschaft waren sie von zentraler Bedeutung. Wir verfügen über eine Reihe von Sammelbänden zu Themen im Zusammenhang mit humanitären Hilfsorganisationen14 sowie über eine Reihe ausgezeichneter Studien

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Law, After Method. Vgl. z.B. auch Hilhorst/Serrano, »The Humanitarian Arena«. Siehe etwa Pierre Bourdieu mit Bezug auf Weber in Bourdieu, Regeln der Kunst; sowie Becker, Art Worlds. Für eine andere Variante dieser Tradition vgl. Luhmann, »Differentiation of Society«; sowie ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft. DiMaggio/Powell, »The Iron Cage Revisited«; Fligstein, »Social Skill«. Vgl. Barnett/Weiss (Hg.), Humanitarianism in Question; Wilson/Brown (Hg.), Humanitarianism and Suffering; Bornstein/Redfield (Hg.), Forces of Compassion;

Einleitung

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zu einzelnen Organisationen auf diesem Gebiet, vor allem das IKRK und die MSF. Zu den besten Untersuchungen einzelner humanitärer NGO s zählen die Arbeit von Pascal Dauvin und Johanna Siméant über die MSF und MDM (Médecins du Monde), die Werke von Peter Redfield über MSF sowie die Arbeiten von Didier Fassin.15 Im vorliegenden Buch möchte ich keine spezifische Einrichtung, sondern die Gesamtheit der westlichen humanitären NGO s in den Blick nehmen.

Humanitarismus: Praxis – Ideen – Feld Dieses Buch basiert auf der Unterscheidung zwischen humanitären Ideen, humanitären Praktiken und dem Feld der humanitären Hilfsorganisationen. Humanitäre Ideen – ob sie humanitär sind oder so verstanden werden könnten – blicken auf eine sehr lange Geschichte zurück, wie man beispielsweise an der Parabel vom barmherzigen Samariter im Neuen Testament sehen kann. Humanitäre Praktiken – Praktiken, die humanitär waren oder so beschrieben werden könnten – in Reaktion auf Katastrophen, Krankheiten und Armut sind bis in die Antike gut belegt. Die Bedeutung humanitärer Praktiken aber ist für den längsten Teil der Geschichte entweder in einem weniger ausdifferenzierten sozialen Ganzen aufgegangen oder in anderen Sphären des sozialen Lebens wie der Religion, der Politik oder der Medizin ausgeprägt worden. Humanitäres Handeln als eine von anderen Praxisfeldern unterschiedene Sphäre ist historisch viel jünger – und dieses Feld ist der Gegenstand des vorliegenden Buches. Ab Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts emanzipierte sich der Humanitarismus von anderen Praxisfeldern und bildete seine eigenen Einsätze und Interessen heraus, mit denen rivalisierende Ansprüche

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Feldman/Ticktin (Hg.), In the Name of Humanity; Fassin/Pandolfi (Hg.), States of Emergency. Vgl. Dauvin/Siméant, Le Travail humanitaire; Redfield, »A Less Modest Witness«; ders., »Doctors, Borders«; ders., »The Impossible Problem«; Fassin, »Humanitarianism as a Politics«, sowie weitere Aufsätze in Fassin, Humanitarian Reason. Zu Organisationen auf benachbarten Feldern vgl. auch Hopgood, Keepers of the Flame; Hilhorst, Real World of NGOs; Barnett, Eyewitness to a Genocide; sowie Atlani-Duault, Au Bonheur des autres.

Humanitarismus: Praxis – Ideen – Feld

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darauf möglich wurden, worin eine wahre humanitäre Identität besteht. Humanitäre NGO s nehmen in dieser Geschichte eine Schlüsselstellung ein. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bemühte sich das IKRK um einen völkerrechtlichen Sonderstatus für humanitäre Akteure. In den 1970er Jahren bezogen die MSF im Namen einer reineren Form von Humanitarismus eine kritische Position gegenüber dem IKRK . Seit den 1980er Jahren hat sich das Feld erweitert und konsolidiert.16 Gemeinsame Einsätze und Interessen haben die Organisationen enger zusammengebracht; viele von ihnen beteiligen sich inzwischen an Gesprächen über ethische Prinzipien und technische Standards sowie gemeinsame Ausbildungsinitiativen. Wo gemeinsame Einsätze auf dem Spiel stehen, hat sich aber auch die Auseinandersetzung darüber verschärft, was es heißt, ein humanitärer Akteur zu sein. Ich beschäftige mich im Folgenden mit Praktiken in Organisationen, die sich als humanitäre NGO s bezeichnen, und damit, wie humanitäre Ideen in diesen Organisationen verstanden werden. Das soll jedoch nicht heißen, dass meine thematischen Anliegen die humanitäre Praxis oder die humanitären Ideen erschöpfen, auf die nach wie vor auch andere Arten von Organisationen und die private Wohltätigkeit Anspruch erheben.17 Mein Augenmerk liegt in diesem Buch auf westlichen NGO s, wofür es eine gewisse Rechtfertigung in der Geschichte des humanitären Feldes gibt. Natürlich sind Mitgefühl, Großzügigkeit und Wohltätigkeit in einem viel breiteren historischen Rahmen angesiedelt.18 Das Feld der humanitären Hilfsorganisationen jedoch hat seine Ursprünge im Europa des 19. Jahrhunderts, und seine Geschichte umfasst auch die

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Barnett, »Humanitarianism Transformed«; ders., Empire of Humanity; sowie Walker/Russ, Professionalising the Humanitarian Sector. Ich konzentriere mich gezielt auf die Praktiken von NGO s auf dem Feld der humanitären Hilfe. Damit ist eine gewisse Dekontextualisierung verbunden, aber in meinen Augen eine, in der sich die empirische Dekontextualisierung dieser Praktiken widerspiegelt. Für die theoretischen Vorzüge der entgegengesetzten Vorgehensweise, nämlich einer Rekontextualisierung der humanitären Praxis nicht nur »vor Ort« in Notsituationen, wie es üblicherweise geschieht, sondern in das ganze komplexe Spektrum von Praktiken, die sich als humanitär bezeichnen ließen, vgl. Bornstein, Disquieting Gifts. Vgl. etwa Singer, Charity in Islamic Societies.

Einleitung

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Geschichte der Kolonialisierung und Entkolonialisierung. Die westlichen Organisationen haben das Feld der humanitären Hilfe von den 1970er Jahren bis in die 2000er Jahre beherrscht. Man darf keinesfalls übersehen, dass sich dies heute mit der zunehmenden Finanzierung humanitärer Hilfe aus Asien und dem Nahen Osten zu ändern beginnt.19 Den Auswirkungen dieses Wandels möchte ich mich gerne in künftigen Arbeiten widmen.

Die Länderreferenten Dieses Buch stützt sich auf eine Reihe von Materialien, darunter archivalische Quellen, Berichte, Beobachtungen bei Lehrgängen für professionelle Helfer und Hintergrundinterviews. Die Methoden, die ich angewandt habe, erörtere ich eingehender im Anhang. Ein besonderer Aspekt meines Forschungsdesigns sollte jedoch jetzt schon angesprochen werden, weil er entscheidend für den analytischen Fokus des Buches ist; auch steht er in engem Zusammenhang mit den spezifischen Fragen, die ich stelle, und den Antworten, die ich geben beziehungsweise nicht geben kann. Um herauszufinden, wie humanitäre Hilfsorganisationen realiter arbeiten, habe ich Menschen mit einer ganz bestimmten Rolle in diversen dieser Einrichtungen interviewt und nach ihrer alltäglichen Arbeitspraxis befragt. Ich interviewte fünfzig Länderreferenten und Programmleiter in sechzehn der größten Hilfs-NGO s der Welt. Meine Interviewpartner – die Länderreferenten – sind nicht repräsentativ für humanitäre Helfer schlechthin, und mir ging es auch nicht darum, eine repräsentative Stichprobe sämtlicher humanitären Helfer zu erstellen. Ich sprach vielmehr mit dieser speziellen Gruppe von Führungskräften, weil ihre Position von großer praktischer Bedeutung ist. Ihre Büros sind nur ein Schauplatz, den es für eine Soziologie der humanitären Hilfsorganisationen zu untersuchen gilt, aber ein sehr interessanter und strategischer, um das Feld jener NGO s zu erforschen. 19

Benthall/Bellion-Jourdan, Charitable Crescent; Benthall, »Financial Worship«; ders., »Islamic Humanitarianism«; Binder/Meier, »Opportunity Knocks«; sowie Smith, Non-DAC Donors.

Die Länderreferenten

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Ich interviewte Länderreferenten und Programmleiter, weil sie eine entscheidende Mittlerrolle zwischen der strategischen Planung in den Hauptverwaltungen der Organisationen und der tagtäglichen Einsatzleitung im Feld einnehmen. In der Regel betreut die Programmabteilung in Zusammenarbeit mit den Landesdirektoren vor Ort die weltweiten Tätigkeiten einer Hilfsorganisation. Sie ist das Zentrum der Mittelabflüsse. Die Programmabteilungen humanitärer Hilfswerke sind in verschiedene Regionen oder »Ressorts« unterteilt. Ein Länderreferent ist für die Einsätze in wenigstens einem, in der Regel aber in mehreren Ländern verantwortlich. Hier werden Entscheidungen vorbereitet, und hier, nicht auf der höchsten Stufe der Organisationshierarchie, sind die detailliertesten Kenntnisse über die inneren Strukturen und Vorgänge angesiedelt. Entscheidungen auf dieser Ebene bilden zudem den Rahmen für die Umsetzung vor Ort. Für meine Interviews wählte ich eine Stichprobe von Organisationen, die es mir ermöglichen würde, mir ein Bild von den größten und einflussreichsten westlichen Hilfsorganisationen zu machen, durch die die meisten Finanzmittel fließen.20 Ich bezog auch Organisationen ein, die mir Aufschluss darüber versprachen, worin sich kleinere Hilfswerke, religiöse Einrichtungen, solche aus unterschiedlichen Ländern oder technisch spezialisierte Hilfswerke unterscheiden könnten. Ich fragte die Länderreferenten nach ihrer Arbeit, ihren alltäglichen Praktiken, und bemühte mich um möglichst detaillierte Antworten. Ich versuchte, das gemeinsame praktische Wissen und die gemeinsamen Deutungsmuster dieser Gruppe von Managern sichtbar zu machen. Mit dieser Studienanlage stehe ich in einer bestimmten Tradition, nämlich der des Experteninterviews.21 In dieser Tradition wird der Experte nicht befragt, weil sein Wissen irgendwie »besser« ist, sondern deshalb, weil es von großer praktischer Bedeutung und ausgesprochen folgenreich ist, da er über Entscheidungsgewalt verfügt. Man fragt eine Expertin nicht nach Informationen über ein Thema, in dem sie sich als Beobachterin gut auskennt. Ziel der Untersuchung ist viel20 21

Vgl. Walker/Pepper, Follow the Money; sowie Zhao u.a., »Assortativity Patterns«. Bogner/Littig/Menz (Hg.), Interviewing Experts; sowie Meuser/Nagel, »ExpertInneninterviews«. Das Experteninterview unterscheidet sich auch vom lebensgeschichtlichen Interview, für diese Art Forschung vgl. Lewis, »Tidy Concepts«.

Einleitung

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mehr ihr praktisches Wissen über die Prozesse in der Organisation, an denen sie selbst teilhat. Die von mir interviewten Personen fanden auf höchst unterschiedlichen Wegen zur humanitären Arbeit. Viele ältere Mitarbeiter kamen ursprünglich aus der Entwicklungszusammenarbeit und waren zur humanitären Hilfe gewechselt, weil sie ihnen unmittelbarer notwendig und nützlich erschien oder weil sich der Schwerpunkt von Gebern verschoben hatte. Einige der jüngeren Mitarbeiter hatten gezielt den Beruf des humanitären Helfers ergreifen wollen. Manche verfügten über spezielle technische Hintergründe als Ärzte, Pflegekräfte, Wasseringenieure oder Ernährungsexperten; manche waren aus leitenden Positionen im Privatsektor in den humanitären Bereich gewechselt, andere aus dem Militär. Als ich sie traf, waren diese Mitarbeiter in New York, Atlanta, London, Paris, Genf oder Brüssel ansässig; sie alle hatten aber Erfahrung mit der Umsetzung von Programmen vor Ort und reisen alle immer noch regelmäßig zu Besuchszwecken in ihr jeweiliges Einsatzgebiet im globalen Süden.

Zum Aufbau des Buches Thema dieses Buches ist das Feld der humanitären Hilfsorganisationen. Ich lege dar, dass die NGO s auf dem Gebiet der humanitären Hilfe in einem gemeinsamen sozialen Raum angesiedelt sind, und versuche, die Logik der Praxis in diesem geteilten Raum zu beschreiben. Die Kapitel 1 bis 4 erörtern die Elemente dieser Logik und ihre Konsequenzen. Das erste Kapitel führt uns in die Hauptverwaltungen der größten humanitären Hilfswerke der Welt, um weithin geteilte Praktiken des Projektmanagements zu betrachten. Es untersucht, wie Länderreferenten Entscheidungen darüber treffen, wohin ihre NGO geht und wem sie hilft. Auf diese Weise kann ich die Routinen und Prozeduren aufzeigen, die ihre Arbeit prägen. Länderreferenten wollen Menschen helfen, aber sie tun dies, indem sie Projekte produzieren. Ihr professionelles Interesse ist es, gute Projekte zu machen, doch bringt ihr Bemühen um ein gutes Projekt, wie ich nachweisen werde, eine Dynamik hervor, die relativ unabhängig von Werten, Interessen und den Bedürfnissen der Hilfsbedürftigen vor Ort ist.

Zum Aufbau des Buches

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Kapitel 2 betrachtet, wie sich das Bemühen um ein gutes Projekt in der humanitären Hilfe auf die Wahrnehmung auswirkt, die Länderreferenten von Not leidenden Menschen haben. Die Rolle der Bevölkerungen, die Hilfsleistungen empfangen, wurde von den Ökonomen in ihren Modellen gemeinnütziger Organisationen oft ignoriert und von den Theoretikern der Zivilgesellschaft missverstanden. Statt vornehmlich »Hilfeempfänger«, »Nutznießer« oder »Kunden« zu sein, sind sie gleichermaßen Teil des Produkts, das von Hilfsorganisationen geschnürt und verkauft wird, und arbeiten dafür. Kapitel 3 beschreibt die Managementwerkzeuge, die das Projekt als eine Einheit der Planung und des Tausches ermöglichen. Der Logframe (Programmplanungsübersicht), ein weitverbreitetes Planungswerkzeug, hat zur Betonung klarer Ziele und Ergebnisnachweise in der Auslandshilfe geführt. Damit hat dieses Instrument jedoch den Nachweis von Resultaten gemäß sehr spezifischen Projektzielen vom Gespräch über die umfassenderen Folgen, die eine Intervention nach sich ziehen könnte, und vom Gespräch über die umfassenderen Folgen, die die Gesamtheit der Interventionen zeitigen könnte, abgekoppelt. In Kapitel 4 beschreibe ich die symbolischen Trennungen und Differenzen innerhalb des humanitären Feldes. Bei der Ausarbeitung ihrer charakteristischen Positionen zu Fragen der humanitären Vorgehensweise speisen sich die Hilfswerke aus unterschiedlichen Ideen- und Nationalgeschichten, doch ist ihre Vielfalt auch durch die Konkurrenz um einen spezifischen Typ symbolischen Kapitals geprägt: die Autorität in humanitären Fragen. Wenn wir als spendende Öffentlichkeit heute mit fernem Leid konfrontiert sind, ist unsere Reaktion durch die beiden Aspekte der Praxislogik des humanitären Feldes vermittelt: zum einen durch die gemeinsamen Praktiken und Routinen auf dem Feld der humanitären Hilfe, zum anderen durch die reflexive und symbolische Positionierung innerhalb dieses Feldes. Während manche Feldtheorien von einer Unterteilung in ökonomisches und kulturelles Kapital ausgehen, glaube ich, dass wir die Organisationen erstens entlang der Dimensionen des feldspezifischen Kapitals und zweitens entlang verschiedener Arten von Kapital auf anderen Feldern verorten können, etwa dem politischen oder dem religiösen Feld. Mein Hauptanliegen in diesem Buch ist es, die praktische Logik der humanitären Hilfe und ihre gegenwärtigen Folgen zu beschreiben.

Einleitung

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Man muss sich klarmachen, dass diese Logik der humanitären Hilfe auf eine sehr spezifische Geschichte zurückgeht und somit nicht einfach aus dem Gehalt humanitärer Ideen oder der Tatsache folgt, dass es Leid, Katastrophen und Bürgerkriege gibt. Ich gehe auf sehr spezielle Weise an die Aufgaben einer Geschichtsschreibung der humanitären Hilfe und einer Rekonstruktion der gegenwärtigen Situation heran. Ich habe nicht vor, wie in gewissen sozialwissenschaftlichen Kreisen üblich, mich auf eine Ursache des Wandels zu kaprizieren und dann den Nachweis zu erbringen, dass diese Ursache wichtiger ist als andere. Auch möchte ich nicht einfach eine Geschichte erzählen, die die gegenwärtige Situation in größere Kontexte und Prozesse einbettet. Mein Ansatz besteht vielmehr darin, die einzelnen Elemente der Logik humanitärer Hilfe und anschließend die Bedingungen der Möglichkeit zu bestimmen, die gegeben sein müssen, damit Hilfsmaßnahmen in der Weise bestehen können, wie sie dies heute tun. In diesem Ansatz fallen analytische Beschreibung und Erklärung in eins. Wenn wir uns fragen, was anders sein müsste, damit die humanitäre Hilfe anders wäre, als sie es heute ist, gehen wir an das Phänomen wie an das fehlende Stück eines Puzzles heran; indem wir die Bedingungen seiner Umwelt ermitteln, die seine Gestalt mitbestimmen, erlangen wir auch ein besseres Verständnis jener Gestalt. Es ist also möglich, die Geschichte jener Elemente der Logik humanitärer Hilfe und ihrer Ermöglichungsbedingungen nachzuzeichnen. Auf einer allgemeinen Ebene heißt dies, dass man manche der Bedingungen explizit machen muss, die wir üblicherweise für selbstverständlich halten, als ob sie ein unveränderlicher Teil menschlicher Gesellschaften seien und nicht als Ursachen des Humanitarismus in seiner gegenwärtigen Form in Betracht kämen – und damit auch nicht als Ansatzpunkte für die Analyse und das politische Handeln. Die Historiografie der humanitären Hilfe konzentriert sich oft auf die Geschichte der humanitären Ideen, mitunter auch auf die Bedingungen, auf die humanitäre Hilfsmaßnahmen heute reagieren. Wir müssen aber beispielsweise auch in Erwägung ziehen, dass große Teile der Weltbevölkerung keinen Zugang zur Grundversorgung haben und dass dies manchen westlichen Gebern manchmal Anlass zur Sorge zu bieten scheint. Die historischen Abschnitte der Kapitel 3 und 4 behandeln zwei

Zum Aufbau des Buches

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weitere vernachlässigte Möglichkeitsbedingungen der humanitären Hilfe in ihrer heutigen Form. So hebe ich die Rolle hervor, die Managementwerkzeuge in der Ausgestaltung des Marktes für Projekte spielen. Wenn wir die Geschichte dieser Instrumente nachzeichnen, erkennen wir bei den westlichen Staaten eine Verlagerung von einer Entwicklungspolitik mit breiter Zielsetzung und umfassenden, aber unspezifischen Verantwortlichkeiten, die Menschen gegenüber angenommen wurden, zu einem Regime der Rechenschaftspflicht für spezifische Resultate auf der Ebene einzelner humanitärer Maßnahmen. Die Bemühungen um eine verantwortungsvollere Form der Hilfe haben zum Verzicht der Übernahme von Verantwortung jenseits sehr spezifischer Projektziele geführt. Kapitel 4 geht der Geschichte der dem humanitären Feld eigenen Autorität nach. Ich zeige auf, wie sich der Humanitarismus zu einem Feld entwickelte, auf dem eine symbolische Positionierung sinnvoll ist. Mit dem Ende von Kapitel 4 ist meine Analyse der verschiedenen Elemente der praktischen Logik des Feldes der humanitären Hilfe und ihrer jeweiligen Geschichte abgeschlossen. Ich erörtere anschließend in den Kapiteln 5 und 6, wie beharrlich diese Logik ist und wie sie mit Ideen und institutionellen Entwicklungen inner- und außerhalb des Feldes interagiert. Kapitel 5 widmet sich den durchdachtesten und am besten ausgestatteten Reformprojekten, die aus dem Feld der humanitären Hilfe selbst heraus entstanden sind. Damit kann ich den Humanitarismus in seiner jüngsten und, wie manche behaupten würden, überzeugendsten Form untersuchen. Ich werde zeigen, dass auch die Auswirkungen dieser Reformprojekte von dem Streben nach dem guten Projekt geprägt und beschränkt werden. Tatsächlich verwandeln sich diese Reforminitiativen am Ende in einen Teil der institutionellen Struktur des Marktes für Projekte – wobei die eine sich einem Standard für Produkte auf diesem Markt annähert, während die andere, ein Standard für faire Arbeitsbedingungen, die extremsten Formen unfairen Wettbewerbs zwischen Hilfswerken einzudämmen versucht. In Kapitel 6 greife ich auf, was für das Verhältnis zwischen »uns« und »ihnen« oft als wichtigste ideologische Alternative zur humanitären Hilfe angepriesen wird: die Idee der Menschenrechte. Ich diskutiere die Beziehung zwischen Menschenrechten und humanitärer Hilfe und untersuche die Rolle, die Menschenrechte in letzterer gespielt ha-

Einleitung

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ben. Ich zeige, dass die Idee der Menschenrechte an sich kein Heilmittel für die Mängel der humanitären Hilfe ist, wie manche behaupten. Der Einfluss der Idee der Menschenrechte ist seinerseits durch die Praxis von Organisationen vermittelt, und dies gilt gleichermaßen für das Feld der humanitären Hilfe wie für das der Menschenrechte. In meiner Schlussfolgerung komme ich auf die Fragen zur globalen Ordnung zurück, die in der vorliegenden Einleitung aus der Perspektive einer Soziologie spezialisierter Praxisfelder aufgeworfen wurden. Nachdem ich die spezifische Vermittlung zwischen westlichen Gebern und fernem Leiden beschrieben habe, die das humanitäre Feld leistet, skizziere ich einige der politischen Schlussfolgerungen, die wir hinsichtlich dieser Vermittlung ziehen können. Mein Argument wird lauten, dass wir eine Politik nicht nur der Ideen oder Ressourcen, sondern auch der organisatorischen Praxis brauchen.

1 Auf der Suche nach dem guten Projekt Jeder Fortschritt ist ein Gewinn im Einzelnen und eine Trennung im Ganzen; es ist ein Zuwachs an Macht, der in einen fortschreitenden Zuwachs an Ohnmacht mündet, und man kann nicht davon lassen. Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

Große humanitäre NGO s haben viel mit anderen Großorganisationen gemeinsam. Doch sie widmen sich sehr speziellen Aufgaben und wenden sehr spezielle Verfahren an. Humanitäre Hilfsorganisationen wollen Leben retten, Leid lindern und menschliche Grundbedürfnisse befriedigen. Ihren üblichen Grundsätzen zufolge verschreiben sie sich dem Ziel, Menschen über nationale Grenzen hinweg und ohne Berücksichtigung von Rasse, Ethnie, Geschlecht oder Religion zu versorgen.22 Wenn wir uns dies kurz durch den Kopf gehen lassen, so bedeutet eine solche Verpflichtung in praktischer Hinsicht, dass die besagten Institutionen irgendein Auswahlverfahren finden müssen, um ihre Aufgabe überhaupt durchführen zu können. Es gibt zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine Überzahl an Menschen, die Hilfe gebrauchen könnten, eine Ausgangslage, über die manche Länderreferenten sehr offen sprechen. »Es ist vielleicht der interessanteste Aspekt meiner Arbeit«, schilderte mir ein entsprechender Mitarbeiter eines medizinischen Hilfswerks, »und zugleich der schwierigste. Ich meine, wenn Sie zwei Patienten haben, wie können Sie da wählen? Beide sind krank, und Sie sind Arzt. Und Bedarf ist überall, und Sie werden die Welt nicht retten!«

22

International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies, The Code of Conduct.

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Diese Organisationen sind mit einer Variante des Problems der Priorisierung konfrontiert.23 Der zitierte Mitarbeiter bedient sich nicht umsonst der Analogie eines Arztes, denn im Bereich der Medizin wurde am offensten über das Problem der Priorisierung nachgedacht und geschrieben. Trifft man als Arzt beispielsweise auf einem Schlachtfeld oder an einem Unglücksort ein, kann man sich auf eine Reihe von Verfahrensregeln stützen, die einem bei der Entscheidung helfen, wen man vorrangig behandelt; man wird zuerst jene versorgen, bei denen es am dringlichsten ist, wird aber ebenfalls versuchen, keine Zeit mit solchen Opfern zu verlieren, die kaum eine Überlebenschance haben. Für Hilfsorganisationen stellt sich das Problem der Priorisierung jedoch in besonderer Weise. Eine Länderreferentin ist nicht mit einer Ärztin gleichzusetzen, die sich zwischen zwei Patientinnen entscheiden muss: Sie ist vielmehr Teil einer Organisation, die sich zwischen zwei Schlachtfeldern entscheiden muss. Auch ist das Wirken humanitärer NGO s nach allgemeiner Auffassung und nach ihrem Selbstverständnis eine Reaktion auf das Versagen anderer Leistungsträger. Da NGO s im Prinzip über eine globale Reichweite verfügen und beanspruchen, der gesamten Menschheit unabhängig von Rasse, Glauben, Nationalität oder Wohnort zu dienen, stellt das Problem der Priorisierung das humanitäre Selbstverständnis vor eine besondere Herausforderung. Die humanitären Helfer sind scharfe Kritiker einer internationalen Ordnung, die manche Menschenleben für andere opfert. Doch auch sie müssen auswählen, wen sie retten und wen nicht.24 In diesem ersten Kapitel untersuche ich, wie Entscheidungsträger in Hilfsorganisationen mit dieser Herausforderung umgehen. Wie bestimmen Hilfswerke, wohin sie gehen, wo sie was machen und wie viel sie machen? Wie entscheiden sie sich für ein Land? Wie für ein Problem? Wie entscheidet eine beliebige Einrichtung, speziell welche Menschenleben sie rettet? Wie vergleichen Organisationen die Bedürfnisse von HIV /Aids-Patienten mit denen von Malariapatienten? Die Zentralafrikanische Republik mit dem Sudan? Eine Flut mit einem

23 24

Calabresi/Bobbitt, Tragic Choices. Vgl. Redfield über Priorisierung als Herausforderung für die MSF in »Sacrifice, Triage«.

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Bürgerkrieg? Und wie befindet man, ob man mit Latrinen oder mit Ärzten helfen soll? Mit Zelten oder mit Lehrern? Das sind an und für sich wichtige Fragen: Wie humanitäre Hilfsorganisationen sie angehen und wie sie diese Dilemmata lösen, hat wichtige Konsequenzen für die Frage, wer Hilfe bekommt und wer nicht. Im Zusammenhang dieses Buches haben diese Fragen aber noch einen zweiten, strategischeren Zweck: Zu untersuchen, wie Länderreferenten in Hilfsorganisationen ihre Umwelt handhabbar machen und ihre Komplexität reduzieren, ist ein guter Weg, um die interne Struktur und die alltäglichen Praktiken dieser Organisationen zu erforschen. Eine solche Untersuchung bietet zugleich einen guten Anknüpfungspunkt für eine Analyse der Eigenschaften dieser Organisationen und dieses Organisationsfeldes. Was ich bei der Erörterung derartiger Fragen mit Mitarbeitern ganz unterschiedlicher Hilfswerke herausfand, bildet die Grundlage für meine These von den gemeinsamen Praktiken und Annahmen im Feld der humanitären Hilfsorganisationen. Ich werde zu zeigen versuchen, dass humanitäre Hilfswerke ein Bündel von Praktiken und Selbstverständlichkeiten teilen, die ihnen dabei helfen, die für sie relevanten Informationen herauszufiltern. Solche Routinen entlasten den Bereich bewusster Entscheidungsfindung um gewisse Aspekte und fungieren als Anleitung und Rahmen für die zu treffenden Entscheidungen. Meine Untersuchung, wie Entscheidungen über Hilfsmaßnahmen getroffen werden, bildet auch die Grundlage für das spezifische Argument über die Form dieser Praxislogik, das ich in diesem und den drei folgenden Kapiteln entfalte. Ich werde die These vertreten, dass humanitäre Hilfe eine Form von Produktion ist, die einige Dinge in andere verwandelt. Die Agenturen produzieren Hilfe in Form von Hilfsprojekten. Da die Produktionseinheit das Projekt ist, versuchen die Verantwortlichen, »gute Projekte« abzuliefern. Der Zweck des guten Projektes gebiert eine Eigenlogik, die die Ressourcenverteilung ebenso beeinflusst wie die Art von Aktivitäten, die wahrscheinlich unternommen werden – und damit zugleich auch, welche Aktivitäten wahrscheinlich unterbleiben werden. Diese Praktiken und Annahmen haben eine spezifische Geschichte, die ich in den Kapiteln 3 und 4 erörtere. Manche Praktiken

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und Annahmen werden von allen humanitären Organisationen geteilt, ob sie säkular oder religiös ausgerichtet sind, einen engen oder einen breiten Schwerpunkt haben, unabhängig oder im öffentlichen Auftrag arbeiten. Alle NGO s streben danach, in dem einen oder anderen Sinn gute Projekte durchzuführen, und diese Orientierung sowie ihre Folgen behandelt das vorliegende Kapitel. Worin sich die NGO s unterscheiden, das sind zum einen ihre inhaltlichen Vorstellungen davon, was ein gutes Projekt ist. Es sind aber auch die Bedingungen, unter denen sie zu arbeiten bereit sind – Unterschiede, auf die ich im vierten Kapitel zurückkomme. Bevor ich mich den Länderreferenten und dem Problem der Priorisierung widme, möchte ich dieses Problem kurz vor dem Hintergrund bestehender Denkansätze zur humanitären Hilfe erörtern und dabei einige der Voraussetzungen entwickeln, um die praxissoziologischen und feldsoziologischen Fragen dieses Buches stellen zu können.

Zwei Auffassungen von internationalen NGO s Unser Nachdenken über die globale Zivilgesellschaft ist durch ein ständiges Hin und Her zwischen zwei diametral entgegengesetzten Ansätzen geprägt, von denen jeder ganz andere Implikationen für die mutmaßliche Aufgabe und Rolle humanitärer Organisationen hat. Die eine Herangehensweise konzentriert sich auf explizit formulierte Ideen oder Werte, die andere auf verdeckte Interessen. NGO s dienen entweder angeblich der Menschenwürde und verschaffen den Stimmen der Unterdrückten Gehör, oder sie werden als Werkzeuge der Interessen von Geberstaaten respektive imperialistischen Herrschaftssystemen beschrieben. Ein großer Teil der Forschung zu NGO s geht selbstverständlich davon aus, dass diese sich für ihre erklärten Ziele und Werte einsetzen. Die Neigung, sich auf die erklärten Ziele zu konzentrieren, fällt besonders stark unter den Beobachtern internationaler humanitärer NGO s auf.25 Aus dieser Perspektive sind bezüglich solcher Organisationen le25

Keck/Sikkink, Activists beyond Borders; Risse/Ropp/Sikkink (Hg.), Power of Human Rights.

Zwei Auffassungen von internationalen NGOs

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diglich Fragen nach ihrer Geschichte, ihren Ressourcen und Strategien sowie vor allem nach ihrer Erfolgsquote zu stellen. Der ausschließliche Fokus auf Werte wird sogar dort aufrechterhalten, wo eingeräumt wird, dass es mannigfaltige Werte gibt, die manchmal auch in Spannung zueinander stehen. Jennifer Rubenstein beispielsweise geht auf eine Reihe von Werten ein, die Entscheidungsprozesse beeinflussen: die Ausrichtung an der Bedürftigkeit, aber auch die Verpflichtung, Leid zu minimieren, das Ziel der Partizipation, der Vorrang für die Opfer intentionaler Gewalttaten. Sie zieht jedoch keine weiteren Gesichtspunkte in Betracht, die die Verteilung von Hilfsleistungen beeinflussen könnten, und übergeht somit auch die Frage, wie diese Aspekte mit den genannten Werten zusammenhängen könnten.26 Geisteswissenschaftliche Kritiker teilen oft die Konzentration auf Ideen mit solchen Autoren, behaupten dann aber in ideologiekritischer Weise, dass es sich um die falschen Ideen handele. Giorgio Agamben etwa vertritt die Auffassung, es sei problematisch, wenn die humanitäre Ideologie sich auf die Vorstellung eines nackten Lebens stütze, die Menschen eine Form von Wert zumesse und sie dabei im gleichen Atemzug aus ihrem politischen Kontext herauslöse.27 Sozialwissenschaftliche Kritiker neigen zu der Argumentation, diese Ideen und Werte seien entweder folgenlos oder nur ein Deckmantel tiefer liegender Interessen. Diese Interessen ließen sich als jene der beteiligten Akteure und Organisationen oder als jene einer Regierung auffassen. Auch klassenbasierte oder systemtheoretische Imperialismustheorien werden auf das humanitäre Handeln angewendet. Ältere Formen des Humanitarismus und der Philanthropie wie insbesondere die Antisklaverei-Bewegung, aber auch die Strafrechtsreform und die Abstinenzbewegung wurden von Forschern hitzig unter diesen Vorzeichen debattiert,28 und diese Debatten haben sich in der Diskussion über die internationalen NGO s niedergeschlagen. So schreibt der Soziologe James Petras mit Blick auf die Rolle der Kirchen 26 27 28

Rubenstein, »Distributive Commitments«. Agamben, Homo sacer; Zˇiˇzek, »Against Human Rights«. Davis, The Problem of Slavery; Bender (Hg.), The Antislavery Debate; Haskell, »Capitalism, Part 1«; sowie ders., »Capitalism, Part 2«.

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im Kolonialismus: »In den vergangenen Jahrzehnten ist eine neue Art sozialer Institution entstanden, die dieselbe Funktion der Kontrolle und ideologischen Irreführung ausübt – die selbsternannte Nichtregierungsorganisation.«29 In der Auseinandersetzung über die humanitäre Hilfe galt es lange als ausgemacht, dass das relevante externe Interesse das der Geberstaaten ist.30 Petras beispielweise fährt fort: »Die NGO s sind bedeutende weltweite politische und soziale Akteure, die in ländlichen und urbanen Gegenden Asiens, Lateinamerikas und Afrikas operieren und deren Verhältnis zu ihren wichtigsten Geberländern in Europa, den USA und Japan häufig eines der Abhängigkeit ist.«31 Diese Art von Kritik ist unter anderem deshalb geläufig geworden, weil westliche Regierungen sich zunehmend mit humanitärer Rhetorik schmücken, manchmal in einer Weise, die tatsächlich unmittelbar ihren Auslandsinteressen zu dienen scheint.32 Besonders befördert wurde eine solche Kritik durch die Rolle westlicher NGO s bei der amerikanisch-britischen Invasion des Iraks und Afghanistans. Sie veranlasste den damaligen US -Außenminister Colin Powell 2001 zu der Feststellung, NGO s seien »ein solcher Kampfkraftverstärker, ein so wichtiger Teil unseres Kampfverbands«.33 Die Trennung von Werten und Interessen basiert auf einer langen und komplexen Ideengeschichte; in der jüngeren Geschichte der Sozialwissenschaften wird diese Trennung noch verschärft durch die Aufwertung einer bestimmten linearen Vorstellung von Kausalität, bei der »Werte« und »Interessen« oder »Kultur« und »politische Ökonomie« als »Variablen« auf Kosten des jeweiligen Gegenpols konstruiert wer-

29 30 31 32 33

Petras, »NGO s«, S. 429. Tarp/Hjertholm (Hg.), Foreign Aid and Development; Hulme/Edwards (Hg.), NGOs, States, and Donors. Petras, »NGO s«, S. 429. Furedi, The New Ideology of Imperialism; Chomsky, A New Generation; ders., »Humanitarian Imperialism«. Secretary Colin L. Powell, »Remarks to the National Foreign Policy Conference for Leaders of Nongovernmental Organizations«, 26. Oktober 2001, in: September 11, 2001. Attack on America – A Collection of Documents, The Avalon Project. Documents in Law, History and Diplomacy, Yale University Law Library, http://ava lon.law.yale.edu/sept11/powell_brief31.asp [26. 10. 2015].

Die Unbestimmtheit von Ideen und Interessen

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den.34 Diese Trennung nimmt in der Politik und in den Internationalen Beziehungen eine besondere Form an, und gerade in letzterem Fach wurden viele der Wissenschaftler ausgebildet, die die wichtige Rolle der humanitären NGO s zuerst registrierten. Die Lehrmeinung in den Internationalen Beziehungen, die sich auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs herausbildete, betonte das eigennützige Verhalten der Akteure, sei es als inhärentes Merkmal von Staaten oder infolge des anarchischen Charakters der internationalen Angelegenheiten.35 Als eine neue Generation von Wissenschaftlern in einem anderen politischen Klima für die Bedeutung gemeinsamer Verständnisse und Werte plädieren wollte, zogen sie zu diesem Zweck vor allem Menschenrechte und humanitäre NGO s heran. Dies veranlasste sie dazu, sich in sehr selektiver Weise mit dem Humanitarismus zu befassen: Der Humanitarismus war interessant für diese Disziplin, weil Werte für ihn eine Rolle spielten. Im nächsten Schritt wurde der Humanitarismus dann über seine Werte definiert.36

Die Unbestimmtheit von Ideen und Interessen Das Problem mit beiden Beschreibungen – der einen, die Werte, und der anderen, die Interessen in den Vordergrund stellt – liegt darin, dass sie sich bereits vorab darauf festgelegt zu haben scheinen, was NGO s sind und was sie tun. Weil die theoretische Debatte durch diese Extrempositionen geprägt ist, kreisen Texte, die irgendwo dazwischen ansetzen, um dieselbe Problematik und werfen nur selten uneingeschränkt die empirischen Fragen auf, die sich zu diesen Organisationen stellen. Weder ein Fokus auf Interessen noch einer auf Werte veranlasst uns dazu, genauer hinzusehen, was diese Organisationen in der Praxis anstreben. Was tun die Leute in diesen Organisationen? Welche organisatorischen Prozeduren wenden sie an? Wie verläuft ein norma-

34 35 36

Abbott, »Transcending General Linear Reality«; Mayr, Entwicklung der biologischen Gedankenwelt. Morgenthau, Macht und Frieden; Waltz, Theory of International Politics. Keck/Sikkink, Activists beyond Borders, S. 1; Chomsky, »Humanitarian Interventionism«.

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ler Tag im Büro? Welche Tätigkeiten üben NGO -Mitarbeiter eigentlich aus? Wie sehen sie die Welt? Wie kommen sie zu ihrem Wissen? Ich möchte die genannte Debatte aus einer praxisorientierten Perspektive umschiffen. Es ist klar, dass weder Werte noch Interessen allein die Entscheidungsfindung auf dem Gebiet der humanitären Hilfe bestimmen. Es geht hier nicht nur darum zu sagen, dass beides irgendwie wichtig ist, wie im humanitären Sektor selbst durchaus schon festgestellt wurde,37 sondern darum, erstens den Dualismus von Ideen und Interessen zu überdenken und zweitens konkret nachzuvollziehen, wie Ideen und Interessen in die Praxis umgesetzt werden. Im Gegensatz von Ideen und Interessen, von Glorifizierung und Zynismus war diese Diskussion den Debatten über Wissenschaft, Kunst und Religion sehr ähnlich. Auf jedem dieser Felder verweisen einige auf die höchsten Werte – Wahrheit, Schönheit, Gott oder Moral –, während andere auf das eigennützige Verhalten der Individuen deuten oder erklären, wie diese Werte für die Reproduktion unfairer Verhältnisse ausgenutzt werden. Auf diesen Gebieten wie auch in der Reflexion auf die Menschenrechte und den Humanitarismus haben das normative Gewicht des höchsten Werts sowie die Gegenrebellion, zu der es anregt, die Entwicklung einer genuin soziologischen Perspektive zunächst erschwert. Wir können für die Untersuchung der humanitären Hilfe etwas aus den Erkenntnissen der Wissenschaftsphilosophie und -soziologie über Unbestimmtheit lernen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts arbeiteten Wissenschaftsphilosophen heraus, dass die wissenschaftliche Interpretation der Daten durch die Befunde nie vorgegeben ist; die Befunde, heißt das, lassen immer verschiedene Interpretationen zu.38 Wenn die Befunde die wissenschaftliche Produktion nicht zur Gänze determinieren, dann auch nicht die Werte des Wissenschaftlers. »Die Suche nach Wahrheit« ist ein zu vages Konzept, als dass es einen ernsthaft anleiten könnte, wie man Daten sammelt oder seine Experimente durchführt.39 Diese Einsicht hat die Aufmerksamkeit einiger Strömun37 38 39

Darcy/Hofmann, According to Need?; Fink/Redaelli, Determinants of International Emergency Aid. Quine, Wort und Gegenstand. Latour/Woolgar, Laboratory Life.

Die Unbestimmtheit von Ideen und Interessen

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gen in der Wissenschaftssoziologie auf die Praktiken und Annahmen gelenkt, die diesen Raum der Unbestimmtheit füllen. In gleicher Weise erlauben auch die Bedürfnisse und Probleme in Krisengebieten verschiedene Interpretationen und Reaktionen. Weder proklamierte Werte noch unterstellte Interessen vermögen die alltäglichen Praktiken von humanitären Hilfsorganisationen inhaltlich erschöpfend zu erfassen. Wollten humanitäre Helfer einfach ihren Werten folgen, könnten sie daraus nicht ableiten, was sie zu tun haben. Keine beliebige Praxis lässt sich durch Werte wie »menschliches Leid je nach Bedürftigkeit lindern« oder durch Interessen wie »das Bild der Vereinigten Staaten im Ausland verbessern« hinreichend bestimmen. Dies liegt nicht so sehr daran, dass Werte oder Interessen nicht real wären, sondern daran, dass sie uns an und für sich nicht viel über tatsächliche Praktiken verraten. Das Problem mit den gebräuchlichsten Ansätzen »kultureller« Erklärungen besteht darin, dass ihre Vertreter die praktische Ebene außer Acht lassen. Das Problem mit den gebräuchlichsten Ansätzen interessebasierter Erklärungen ist praktisch dasselbe. Das heißt nicht, dass Bedeutungen oder Einsätze und Interessen oder wahrgenommene Vorteile respektive Nachteile irrelevant sind, sondern dass diese in Kontexte eingelagert sind, die praxisbezogener untersucht werden müssen.40 Die Fragestellung lautet nun vielmehr: Welche sozialen Institutionen und Technologien helfen zu entscheiden, wie Interessen interpretiert und Werte in die reale Welt übersetzt werden? Diese Institutionen lassen sich in verschiedenen Dimensionen untersuchen. Mein Augenmerk hier liegt auf den Bedeutungen und Praktiken, die auf der Ebene des Feldes humanitärer Hilfsorganisationen geteilt werden. Die praktische Logik des Feldes humanitärer Organisationen vermittelt zwischen diversen äußeren Faktoren – Problemen auf der Welt, menschlichen Bedürfnissen und externen Interessen – sowie dem, was die Hilfswerke am Ende machen. Sie vermittelt auch zwischen Werten und Grundsätzen, an die die Akteure glauben, und dem, was an Ort und Stelle umgesetzt wird. 40

Vgl. die Diskussion zwischen Theda Skocpol und William Sewell in Skocpol, States and Social Revolutions; Sewell, »Ideologies and Social Revolutions«; Skocpol, »Cultural Idioms and Political Ideologies«.

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Die Praxis des Helfens: die besondere Logik eines Organisationsfeldes Was tun humanitäre Hilfsorganisationen eigentlich genau? Um über idealisierte Vorstellungen von internationalen NGO s hinauszukommen, haben einige jüngere Arbeiten über transnationale NGO s sinnvollerweise darauf aufmerksam gemacht, was Hilfsorganisationen mit allen anderen Organisationen, einschließlich profitorientierten Unternehmen, gemeinsam ist. So haben Alexander Cooley und James Ron aus der Perspektive einer politischen Ökonomie von Organisationen ein Modell entwickelt, das sie für mehrere Fälle testen: Hilfsorganisationen, Organisationen, die die Behandlung von Kriegsgefangenen überprüfen, und gewinnorientierte Organisationen, die ökonomischtechnische Unterstützung anbieten. Sie betonen die »organisatorische Unsicherheit, den Wettbewerbsdruck und die finanztechnischen Unwägbarkeiten, durch die der transnationale Sektor geprägt ist«.41 Sie kommen zu dem Schluss, dass »gemeinnützige NGO s auf vertragliche Anreize und organisatorische Zwänge ganz so reagieren wie Firmen in einem Markt«.42 Johanna Siméant wiederum stellt fest, dass sich HilfsNGO s internationalisiert haben, um Zugang zu Ressourcen zu erlangen, so wie es im selben Zeitraum auch gewinnorientierte Organisationen taten.43 Doch so nützlich es ist, Hilfs-NGO s mit kommerziellen Organisationen zu vergleichen, müssen wir für ein besseres Verständnis der humanitären Hilfstätigkeit mehr über die spezifischen Eigentümlichkeiten der Praktiken von Hilfsorganisationen wissen. Vor allem müssen wir nachvollziehen, wie diese Praktiken sie mit Gebern auf der einen und Empfängern auf der anderen Seite verbinden. Neoinstitutionelle Feldanalysen haben unsere Aufmerksamkeit auf eine Mesoebene der Analyse gelenkt, die zwischen Interaktionen und großräumigen Strukturen angesiedelt ist.44 Die Konzentration auf 41 42 43 44

Cooley/Ron, »NGO Scramble«, S. 6. Ebd., S. 7; vgl. auch Prakash/Gugerty, »Introduction«, in dies. (Hg.), Advocacy Organizations, S. 1–29. Siméant, »What Is Going Global?«. Vgl. auch Lindenberg/Bryant, Going Global. DiMaggio/Powell, »The Iron Cage Revisited«; Powell/DiMaggio (Hg.), New Institutionalism; Meyer/Rowan, »Institutionalized Organizations«.

Die Praxis des Helfens

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ein bestimmtes Praxisfeld ergänzt die Erkenntnisse über einzelne Organisationen und die Modelle, die zeigen sollen, was Hilfsorganisationen mit allen Organisationen gemeinsam haben. Ein Praxisfeld ist im weitesten Sinne eine Sphäre, in der die Akteure miteinander rechnen.45 Wir gehen davon aus, dass ein Praxisfeld ein Raum geteilter Selbstverständlichkeiten und Interpretationen oder, mit Pierre Bourdieu gesprochen, einer gemeinsamen doxa ist.46 Wir erwarten, dass das Praxisfeld zwischen Ideen, Werten und Problemen vor Ort auf der einen Seite und externen Interessen auf der anderen Seite vermittelt. Beobachtern der Welt der humanitären Hilfe ist schon vor Langem aufgefallen, dass diese Welt eine gewisse Selbstbezüglichkeit aufweist, das heißt, dass sie zum Teil von ihren eigenen Anliegen angetrieben wird.47 Ich möchte zeigen, dass diese der humanitären Hilfe internen Faktoren nicht ohne empirische Auswirkungen bleiben. Ich möchte aber auch darüber hinausgehen und ein Argument über die spezifische Logik des Feldes der humanitären Organisationen entfalten. Ich beschreibe eine bestimmte Logik auf der bestimmten Ebene, die mein empirischer Fokus ist; sie kann anschließend daraufhin untersucht werden, wie sie mit verschiedenen Aspekten der sozialen Welt interagiert. Die Soziologen beginnen gerade erst damit, Material für eine vergleichende Analyse der Praxislogiken besonderer Organisationsfelder zusammenzutragen – ob es sich nun um Organisationen handelt, deren Praxis auf bestimmte Gegenstände zielt, oder ob sie in bestimmten Umfeldern operieren. Zu den Referenzwerken für einen solchen Vergleich zählen John Thompsons Untersuchung über das wissenschaftliche Publizieren, die eine starke These zum Erklärungswert der Feldlogik vorbringt, und die Arbeiten von Dallas Smythe, die unser Verständnis der Medien umstoßen, indem sie die Rolle des Publikums als Ware fassen.48 45

46 47 48

Powell/DiMaggio (Hg.), New Institutionalism; Fligstein, »Social Skill«. Ähnlich argumentiert bezüglich Produzenten auf einem Markt White, Markets from Networks. Bourdieu, Entwurf. So z.B. Waters, Bureaucratizing the Good Samaritan; sowie Ufford/Krujit/ Downing (Hg.), Hidden Crisis. Thompson, Books in the Digital Age; sowie Smythe, »On the Audience Commodity«.

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Ich werde geltend zu machen versuchen, dass die humanitäre Hilfstätigkeit um eine Reihe geteilter Praktiken herum organisiert ist, bei denen es sich um Praktiken der Produktion handelt – sie verwandeln Materialien und Arbeit in etwas Neues. Das Primärprodukt der Praktiken von Hilfswerken ist das »Projekt«. Es ist die zentrale Einheit der Planung und der Einnahmen einer Organisation und verleiht ansonsten recht ungleichartigen Aktivitäten eine bestimmte Kohärenz. Die Praktiken des Projektmanagements werden von denjenigen, die in diesem Sektor oder seinem engeren Umfeld tätig sind, im Großen und Ganzen für selbstverständlich gehalten; sie sind, »wie man das so macht«. Sie bilden einen Teil des praktischen Wissens der Fachleute, das seinerseits mit deren technischer Expertise und ethischer Orientierung kombiniert wird.

Die Länderreferate, das Projekt und das Programm Humanitäre Hilfsorganisationen beschäftigen heute in ihren Zentralen Mitarbeiter in einer Vielzahl von Funktionen. Viele von ihnen befassen sich mit Aufgaben, die keine Besonderheit des Hilfssektors darstellen – beispielsweise als Personal für die Rezeption oder die Kantine, als Fundraiser, Buchhalter oder Personalleiter. Irgendjemand muss in der Hauptgeschäftsstelle die Drucker warten und Büroklammern bestellen, wenn sie ausgehen. Besucher müssen empfangen, der Webauftritt muss betreut werden. Viele Mitarbeiter gebrauchen allgemeine Fähigkeiten zu einem spezifischen Zweck, Pressesprecher etwa oder Lobbyisten. Andere stützen sich auf Kenntnisse von besonderer Relevanz für die humanitäre Hilfstätigkeit, wie technische Expertise in Ernährung, Wasserbau oder Infektionskrankheiten, in Verbindung mit Erfahrung und Ausbildung im Projektmanagement. In einem der Hilfswerke, die ich besuchte, führte mich ein Regionalleiter durch die Zentrale dieser religiösen Organisation mittlerer Größe, die in einem unscheinbaren vierstöckigen Bürogebäude in einem Vorort von London angesiedelt ist. An ihrem Hauptsitz beschäftigt sie rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ein Viertel ihres gesamten Personalbestands ausmachen. Die Belegschaft ist in Form von Abteilungen organisiert, die jeweils Schnittstellen zwi-

Die Länderreferate, das Projekt und das Programm

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schen verschiedenen Teilen der äußeren Welt und der Organisation selbst bilden. Im Erdgeschoss befinden sich der Empfang, die Kantine und das Büromateriallager (siehe Abb. 1). »Dies ist unsere Fundraising-Abteilung, die in Verbindung mit unseren Unterstützern hier in Großbritannien steht«, sagte der Regionalleiter über das dritte Stockwerk. »Hier ist unser internationales Büro«, sagte er zur vierten Etage, »das die Verbindung mit unseren Mitarbeitern im Ausland hält.« Die Ausgaben einer Organisation fließen durch ihre Programmabteilung. Der Programmleiter berichtet an den Präsidenten und den Vorstand der Organisation und überblickt die Tätigkeit auf der ganzen Welt. Die Programmabteilungen von humanitären Hilfsorganisationen sind in verschiedene Regionen oder »Länderreferate« aufgeteilt.

Abb. 1 Die Zentrale einer Hilfsorganisation

Ein Länderreferent leitet die Programme in mindestens einem, meistens aber mehreren Ländern. Dem Programmleiter und den Länderreferenten arbeitet eine Reihe von Supportabteilungen zu, die von den Fachkenntnissen technischer Experten wie Ernährungswissenschaftler, Gesundheitsexperten und Wasserbauingenieure zehren. Darüber hinaus arbeiten sie mit politischen Beratern, Spendensammlern und der Personalabteilung zusammen. Der Länderreferent nimmt eine entscheidende Mittlerrolle zwischen den Einsatzkräften vor Ort (field officers) und Landesdirektoren auf der einen Seite und der Organisationsleitung im Hauptquartier auf der anderen Seite ein. Der Länderreferent steuert Projekte und Projektmitarbeiter in Kooperation mit den Geldgebern und anderen Agenturen und informiert über diese Arbeit. Eine Stellenausschreibung für eine Position als

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Senior-Länderreferent für Ost- und südliches Afrika bei Malteser International beschreibt dessen Aufgaben wie folgt: • Initiierung, Planung, Unterstützung und Evaluation von Gesundheits- und Hilfsprojekten in der Region • Sicherstellung der finanziellen und operativen Unterstützung sowie Koordination der Programme in enger Zusammenarbeit mit den Teams vor Ort • Koordination und Sicherstellung ordnungsgemäßer Budgets und Pläne für die Region • Gewährleistung guter Beziehungen und Zusammenarbeit mit wichtigen nationalen und internationalen Institutionen und Gebern für Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit • Verantwortung für die Beantragung von Projekten bei Gebern und die Projekt-Berichterstattung • Auswahl und Anwerbung von Projektmitarbeitern für den Auslandseinsatz49 Ein Länderreferent bei einem medizinischen Hilfswerk beschrieb mir seine Arbeit so: »Meine Rolle besteht darin, die Ziele unserer Projekte in meinen Ländern zu definieren, sicherzustellen, dass die entsprechenden Mittel vorhanden sind, und das Ganze Monat für Monat in Abstimmung mit den Projektleitern vor Ort zu managen. Es ist meine Aufgabe, das Projekt zu planen und nachzuverfolgen und unsere Aktivitäten oder Ziele an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen.« Man beachte, dass das Projekt die grundlegende Einheit der Produktion darstellt; die Summe der Projekte einer Organisation ist ihr »Programm«. Was genau ist ein Projekt? Ein im gemeinnützigen Sektor gebräuchliches Projektmanagement-Handbuch erläutert: Ob groß oder klein, ein Projekt hat immer folgende Merkmale: • ein vorher festgelegter Output: Produkte oder Ergebnisse • ein vorher festgelegter Anfang und ein festgelegtes Ende

49

»Vacancy: Senior Desk Officer for Eastern and Southern Africa«, auf der Website von Relief Web, http://www.reliefweb.int/rw/res.nsf/db900SID /OCHA-6TVE 7S? OpenDocument [9. 11. 2008] (Webseite abgeschaltet).

Die Länderreferate, das Projekt und das Programm

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• festgelegte Budgets: Welche Mengen an Personen, Finanzmitteln, Ausrüstungen, Produktionsmitteln und Informationen sind notwendig?50 Das Projekt verfügt über eine wichtige konstruktive Funktion. Es stellt einen Zusammenhang zwischen einer Reihe ziemlich unterschiedlicher Aktivitäten her, zu denen etwa Datenerhebung, Personalrekrutierung, Materialbeschaffung, die Buchung von Flügen und das Verfassen von Berichten gehören können. Es verbindet verschiedene Materialien und Instrumente miteinander, beispielsweise Nahrung, Büroausstattung, Papier und Transportmittel. Es verknüpft ein Budget mit einem bestimmten festgesetzten Ziel. Es verknüpft auch das, was verschiedene Personen an verschiedenen Orten tun, und es vernetzt Tätigkeiten in einem bestimmten Zeitrahmen. Darüber hinaus ist ein Projekt auch eine Geschichte, die über den Zusammenhang dieser Tätigkeiten, Instrumente und Personen erzählt werden kann; eine Geschichte, die für die interne und externe Kommunikation nützlich sein mag.51 Das Projekt ist die Grundeinheit, um Maßnahmen zu planen und Menschen zu helfen. Für Organisationen, die ihre Finanzausstattung von institutionellen Gebern erhalten – entweder von staatlichen Behörden wie USAID (United States Agency for International Development) und dem DFID (Department for International Development) des Vereinigten Königreichs oder von zwischenstaatlichen Behörden wie ECHO (European Community Humanitarian Office) der EU oder OCHA (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) der UN –, ist das Projekt auch die Grundeinheit der Mittelbeschaffung. Die Initiative für ein Projekt kann vom Geber ausgehen, beispielsweise durch eine Ausschreibung. Sie kann auch von der Hilfsorganisation kommen, wenn deren Mitarbeiter gegenüber einem Geber für Hilfsmaßnahmen in einer bestimmten Situation plädieren. Geber finanzieren Projekte auf der Grundlage eines Antrags und erwarten einen Statusbericht über das, was gemäß den Fristen des ursprünglichen Vorschlags erreicht worden ist. Diese Finanziers bezahlen spezifische 50

51

Felisa Tibbitts, »Project Development and Management for the NGO Sector«, Human Rights Education Associates, http://www.hrea.org/index.php?base_id=336 [10. 11. 2009]; auch in Portny, Projektmanagement, S. 29f. Rottenburg, »Accountability«.

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Projekte mit spezifischen Zielsetzungen in spezifischen Fachgebieten und an spezifischen Orten, je nach ihren Prioritäten. Manager unterscheiden zwischen verschiedenen Phasen der Laufzeit eines Projektes, nämlich Bedarfsanalyse, Planung, Umsetzung, Kontrolle und Evaluation. Zusammengenommen bilden diese Phasen den »Projektzyklus«. Bei der Bedarfsanalyse besteht das Ziel darin, den Bedarf vor Ort zu ermitteln und das Projekt zu rechtfertigen. In der Planungsphase werden die Zwecke und Mittel erarbeitet; hier legen die Manager fest, was die Ziele eines Projektes sind und welche Mittel sie einsetzen werden, um diese zu erreichen. Während der Umsetzung werden die Pläne verwirklicht. Kontrolle heißt, dass während der Umsetzung Daten gesammelt werden, die Aufschluss darüber erlauben, ob Fortschritte erzielt werden, und es ermöglichen, sich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen und das Projekt in seinem Ablauf zu verbessern. Zur Evaluation werden schließlich nach Abschluss des Projektes Daten erhoben, die ein Urteil darüber ermöglichen, ob die Ziele des Projektes erreicht wurden, und die in Berichte für interne und/ oder externe Adressaten eingehen. Ein entscheidender Bestandteil jedes humanitären Hilfsprojektes ist eine festgelegte Zielgruppe. Es muss klar sein, wer genau – und wie – von einer Maßnahme profitiert. Die Hilfeempfänger müssen bestimmt und gewonnen werden; der Zugang zu den Begünstigten muss gewährleistet werden, und sie müssen auch in gewissem Maß mit dem Projekt kooperieren.

Die Filterung der Bedürftigkeit Wie entscheiden Hilfswerke, wo sie ein Projekt beginnen? Wie groß soll das Projekt werden? Welche Art von Projekt wird es sein? Wie teilen Hilfswerke ihre Hilfe zu? Dem offiziellen Mantra zufolge »nach Bedürftigkeit«. Diese Formel löst oft heftige Reaktionen aus, und es gibt Kritiker, für die, aus Enttäuschung über die real existierende Welt der humanitären Hilfe, diese ein Geschäft ist wie jedes andere und die Werte der NGO s nur eine Fassade darstellen. Umso wichtiger ist der Hinweis, dass in der zeitgenössischen sozialen Welt die meisten Organisationen nicht behaupten, sie würden Ressourcen nach Bedürftigkeit

Die Filterung der Bedürftigkeit

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zuteilen. Viele Ressourcen werden ganz offen nach Kaufkraft über Märkte verteilt. Einige Ressourcen wie Stellen oder Bildungstitel sollen angeblich je nach Leistung oder Verdienst zugeteilt werden. Wenn es auf die Bedürftigkeit ankommt, so wie in manchen Sozialhilfeprogrammen, ist der Zugang zu Leistungen normalerweise auf die Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gemeinschaft beschränkt. Ihre professionellen Standards, die Werte, zu denen sie sich bekennen, und die Erwartungen der Öffentlichkeit halten die Experten in den NGO s dazu an, in erster Linie denen Hilfe zu gewähren, die dieser am dringendsten bedürfen, unabhängig von Nationalität, Glauben, Rasse oder Volkszugehörigkeit. Dies ist eine sehr ausgeprägte und originäre Leitorientierung, und man würde das Feld der humanitären Hilfe nur schwer verstehen, wenn man sie nicht ernst nähme. Doch obwohl die Bedürftigkeit die Leitorientierung bildet, leitet sie nicht allein die Entscheidungsfindung an, und manche meiner Interviewpartner würden auch sagen, dass sie das womöglich gar nicht kann. So erklärte mir ein Länderreferent einer medizinischen Hilfsorganisation: »Bedarf gibt es überall. Dass es Bedarf gibt, genügt uns nicht, um ein Projekt zu rechtfertigen.« Um praktisch relevant zu werden, müssen Bedürfnisse bekannt sein. Die Wahrnehmung von Bedürfnissen wird durch das Verständnis gefiltert, das ein Hilfswerk von seinem Mandat hat. Alle Hilfsorganisationen konzentrieren sich auf »Notsituationen«, eine an sich ziemlich eigenartige, immer breiter gewordene Kategorie, die inzwischen Bürgerkriege, Flüchtlingskrisen, die HIV-Pandemie, Epidemien wie Cholera oder einen Masernausbruch ebenso wie Naturkatastrophen umfasst. Wie Craig Calhoun feststellt, betont der Begriff des Notfalls die Kürze und die außergewöhnlichen Merkmale einer Situation.52 Der Begriff lenkt unsere Aufmerksamkeit zudem auf die Besonderheiten einer Gesamtsituation. Nach der technischen Definition weisen Sterblichkeitsraten von mehr als einer von 10000 Personen oder mehr als zwei von 10000 Kindern unter fünf Jahren auf eine humanitäre Notlage hin.53 Doch auch mangelndes staatliches Reaktionsvermögen 52 53

Calhoun, »A World of Emergencies«. Checchi/Roberts, Mortality Data in Humanitarian Emergencies.

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kann erforderlich sein, um die Voraussetzungen zu erfüllen. »Werden wir reagieren, wenn es einen Hurrikan in den USA gibt? Nein! Weil es eine Regierung gibt, die in der Lage ist oder sein sollte, zu reagieren!«, sagte mir ein Mitarbeiter von MSF Frankreich. Manche Organisationen beschränken sich ausschließlich auf Notsituationen im Unterschied zur Entwicklungszusammenarbeit. Dies ist beispielsweise ein wichtiger Teil des Selbstverständnisses der Ärzte ohne Grenzen. Andere Organisationen engagieren sich allein in der Entwicklungszusammenarbeit, während viele Einrichtungen heute beide Sorten von Projekten in verschiedenen Abteilungen betreiben. Jenseits der Unterscheidung zwischen Finanzierungsarten und der jeweiligen Rechtfertigungsrhetorik verschwimmt der Unterschied zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungshilfe aber zusehends. Entwicklungsagenturen reagieren auf Krisen in Gebieten, in denen sie bereits tätig sind, und beantragen »humanitäre« Finanzmittel. Auf der anderen Seite sind viele Notsituationen chronisch geworden, und so kommt es vor, dass Einrichtungen der Nothilfe über Jahre an einem Ort arbeiten. Reine Hilfswerke wie die MSF verfügen heute über eine separate »Nothilfe«-Abteilung für neue Interventionen neben der Abteilung, die für die laufenden Projekte zuständig ist. Die Definition einer »Notlage« beeinflusst die Art und Weise, wie Hilfsorganisationen auf Bedürfnisse aufmerksam werden. Auch die Spezialisierung der Einrichtungen untereinander berührt die Interpretation von Hilfsbedürftigkeit. Einige haben sich anhand ihrer Expertise spezialisiert: »Manches davon regeln wir damit, dass wir sagen, wir sind eine medizinische Einrichtung«, erläuterte mir ein Länderreferent von MSF Schweiz. »In gewisser Weise machen wir es uns leicht, weil wir sagen, dass wir uns auf Kinder konzentrieren«, antwortete mir ein Fachreferent von Save the Children auf die Frage, wie seine Organisation mit einem offensichtlichen Übermaß an Bedürftigkeit umgeht. Im Rahmen ihres allgemeinen Mandats hat jede Einrichtung ihre programmatischen Schwerpunkte, die sich ändern und weiterentwickeln. Dabei kann es sich um bestimmte technische Bereiche, Arten von Situationen, Aufgabenstellungen, Gruppen von Empfängern, Länder oder eine Kombination aus all dem handeln. »Krieg, Armut und Naturkatastrophen sind unsere drei Themen«, sagte mir ein Länderreferent einer christlichen Hilfseinrichtung. Ein anderes Werk widmet

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sich den Themen HIV /Aids und ökologische Nachhaltigkeit. Tatsächlich gehören HIV /Aids, Katastrophenvorsorge und der Klimawandel zu den jüngsten Ergänzungen der Schwerpunkte von Hilfsorganisationen.54

Die Bedeutung der Länder Neben allen thematischen Anliegen, Themen und technischen Fachgebieten gibt es eine Unterteilung nach Einsatzländern. Die Landkarten in den Hauptsitzen zeigen, dass Staats- und Landesgrenzen eine wichtige Größe bei der Zuteilung von Hilfsmaßnahmen darstellen. Bevölkerungen werden selten direkt in ihrer Bedürftigkeit verglichen, sondern in einem Gesamtzusammenhang betrachtet. Üblicherweise vergleicht man sie als Teil einer Krise, einer Krankheit oder eines Landes. Die Frage für die Helfer lautet entweder »Sollten wir etwas gegen Aids unternehmen?« oder »Sollten wir etwas in Simbabwe unternehmen?« Politische Faktoren auf nationaler Ebene sind entscheidende Determinanten des Leids. Wo genau bedürftige Bevölkerungsgruppen leben, ist für die humanitäre Hilfe von Bedeutung. Beim Vergleich potenzieller Hilfeempfänger werden unterschiedliche nationale Lebensstandards herangezogen. »Wenn man einzig nach Bedürftigkeit vorginge, würde man dann alles den Menschen in Somalia und den Zentralafrikanischen Republiken geben? Sicher sind da die Bedürfnisse am größten. Würde dann aber nichts an die Menschen in Kenia gehen?«, fragte mich ein Wasseringenieur, den ich bei einer Ausbildungsveranstaltung kennenlernte. Für humanitäre Organisationen spielen nationale Grenzen auch eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Bedingungen für die Produktion von humanitärer Hilfe festzulegen. Staatliche Hilfseinrichtungen wie USAID oder DFID strukturieren ihre Maßnahmen nach »regionalen Strategien« und »Länderstrategien«. In diesen Strategien können sich außenpolitische Interessen niederschlagen; sie spiegeln aber auch die schlichte Einsicht wider, dass es nützlich ist, Leid in seinem sozialen Kontext zu sehen. Die Nation gilt dabei als eine nahelie54

Vgl. Green, »Calculating Compassion«.

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gende Größe, um in sozialen Kontexten zu denken, und die nationale Organisation gilt als ein Schlüssel für »Stabilität«. Viele Hilfswerke haben eine Liste von Ländern, die für sie Vorrang genießen, und denken sorgfältig darüber nach, in welchen und wie vielen Ländern sie arbeiten. Wenn sie beschließen, ein Projekt in einem neuen Land zu beginnen, treffen sie eine Entscheidung über Bedürftigkeit, aber auch eine Entscheidung über Risiken und Chancen und zugleich eine darüber, ob sie in ihre künftige Produktion investieren oder ihre Programme zurückfahren. Es gibt gute Gründe, um die Anzahl der Länder zu begrenzen, in denen man tätig ist. Ein Manager in einer protestantischen Organisation im Vereinigten Königreich sprach von dem Versuch, »unser Portfolio zu verschlanken«. »Wir sind also wahrscheinlich in über 60 Ländern weltweit tätig«, führte er aus. »Unsere Vision ist es, auf 35 Länder oder Regionen herunterzukommen.« Der Hauptgrund für die Reduzierung der Zahl der Einsatzländer ist die Kosteneffizienz. Wie er erklärte: »Für die Steuerung eines jeden Programms braucht man eine gewisse Verwaltungsstruktur. Und wenn man seine gegebenen Ressourcen sehr dünn auf eine große Zahl von Ländern verteilt, kann man potenziell sehr hohe Gemeinkosten erzeugen.« Je stärker ein Hilfswerk seine Bemühungen konzentriert, desto mehr kann es mit einer begrenzten Menge an Ressourcen erreichen. Um diesen Prozess zu unterstützen, verwendete die Organisation meines Interviewpartners eine Software namens Strategic Poverty Identification Tool, die vorrangige Länder aufgrund objektiver Indikatoren wie der Zahl der Menschen, die von weniger als einem US -Dollar am Tag leben müssen, oder der Katastrophenhäufigkeit auswählt. In vielerlei Hinsicht ist es für die NGO s effizienter, ihre Anstrengungen auf eine überschaubare Reihe von Ländern zu konzentrieren. Doch sollte die Zahl der Länder auch nicht zu gering ausfallen; die Hilfsorganisationen ziehen es vor, eine gewisse Reihe von Ländern in ihrem »Portfolio« zu haben. »Es gibt Zwänge vonseiten der Geber, die einen dazu verleiten, eine Organisation mit mehreren Abnehmern für ihre Arbeit zu sein«, bemerkte ein Programmleiter einer US -amerikanischen NGO. Er erläuterte weiter: »Der Großteil der uns verfügbaren finanziellen Mittel ist nicht nur an bestimmte Aktivitäten gebunden, sondern auch an geo-

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grafische Gebiete. Um es ganz einfach zu machen, USAID hat eine Menge Geld in seinem amerikanischen Büro mit einem Budget für Lateinamerika. Wir könnten sagen: ›Wir haben das beste Programm der Welt für Bangladesch, gebt uns noch einmal 100 Millionen Dollar‹, und sie würden antworten: ›Also, unser lateinamerikanisches Geld kriegt ihr nicht.‹ Wenn wir also lateinamerikanisches Geld haben wollen, müssen wir offensichtlich in Lateinamerika arbeiten.« Innerhalb jeder Region können bestimmte Länder womöglich strategische Priorität eingeräumt bekommen, weil sie am ärmsten oder von besonderem Interesse für Geber sind; und eine Präsenz in diesen Ländern würde es einem Hilfswerk erlauben, andere Gelegenheiten in der Region zu nutzen. Der Programmleiter ergänzte: »Wenn man heute nicht auf Haiti tätig wäre und in den Amerikas arbeiten wollte, dann würde man wahrscheinlich auf Haiti arbeiten wollen.« Dieses Interview fand vor dem Erdbeben von 2010 statt. Haiti galt als gefährdetes Land und bildete somit einen guten Ausgangspunkt für eine Hilfsorganisation, um Erfahrungen auf einem bestimmten Gebiet zu sammeln und ihre Fähigkeit unter Beweis zu stellen, dass sie unter schwierigen Bedingungen arbeiten kann. Weiterhin wurde mir erklärt, dass es für das Risikomanagement als schlechte Praxis gilt, in zu wenigen Ländern präsent zu sein. Ein Länderreferent eines französischen Hilfswerks analysierte einige der Kosten-Nutzen-Abwägungen wie folgt: »Aus rein verwaltungstechnischer oder finanzieller Sicht wäre es viel wirtschaftlicher, nur vier, dafür aber größere Missionen zu haben, statt der zwanzig, die wir heute durchführen. Es wäre aber auch sehr viel riskanter. Also müssen wir eine Art Gleichgewicht finden. Darfur, Tschad, Somalia, Äthiopien – der größte Bedarf besteht in diesen vier Ländern. Jeder sieht das so. Wir könnten diese Einsätze ausbauen, ausbauen und nochmals ausbauen, aber dann gehen wir das Risiko ein: Wenn eine dieser Missionen binnen Wochenfrist abgebrochen werden muss, weil die Machthaber sagen: ›Okay, Leute, raus hier‹, oder wegen der Sicherheit oder politischer Geschichten und so weiter, dann kann es das nicht sein. Wir können es uns nicht leisten, ein Viertel unserer Tätigkeit zu verlieren. Wir müssten all diese Leute entlassen; das ist einfach nicht mach-

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bar, und so müssen wir eine Art Gleichgewicht finden und große Missionen haben sowie kleinere mit geringerem Sicherheitsrisiko.« In dem soeben zitierten Gespräch betonte der Länderreferent die Risiken im Hinblick auf die Bedingungen für die Programme seiner Organisation: die Sicherheitslage und die Beziehungen zu den politischen Machthabern. Ein Hilfswerk hat aber vielleicht auch einen Ruf zu verlieren, wenn es seine Anstrengungen zu sehr konzentriert. Ein Manager, mit dem ich sprach, erzählte mir, es habe in seiner Organisation eine Diskussion darüber gegeben, ob es nicht besser wäre, sich ausschließlich auf Asien und Afrika zu konzentrieren. Er war der Ansicht, es könnte der Organisation schaden, als ausschließlich »asiatische« oder ausschließlich »afrikanische« angesehen zu werden. Es könnte sein – dies aber ist meine Interpretation –, dass ein Hilfswerk seinen humanitären, universalistischen Status einbüßt, wenn es zu sehr mit einem bestimmten Land oder einer bestimmten Region identifiziert wird.

Einen Beitrag leisten Auf die Frage, welche Erwägungen dem Start eines Projektes an irgendeinem Ort vorausgehen, betonen alle Befragten, wie wichtig es ihnen ist, »einen Beitrag zu leisten« oder »einen Mehrwert zu schaffen« (adding value): »Als Erstes müssen wir überlegen, ob wir die Fertigkeiten und das Potenzial haben, wirklich einen Unterschied zu bewirken«, führte ein Länderreferent aus. Das ist zweifellos in höchstem Maße sinnvoll. Es gehe schließlich nicht darum, sagen diese Manager, Geld auszugeben, als sei dies ein Selbstzweck, sondern vielmehr darum, wirklich etwas zu erreichen. Dagegen lässt sich nur schwerlich etwas einwenden. Wenn jedoch Werte darauf heruntergebrochen werden, »einen Unterschied zu bewirken«, kommt die reale Welt ins Spiel. Um etwas zu erreichen, braucht man Geld und Ressourcen. Um etwas zu erreichen, muss man gleichermaßen die Besonderheiten des Gebers und des Empfängers berücksichtigen. Wenn Entscheidungsträger darüber nachzudenken beginnen, wie sie »einen Beitrag leisten« oder »einen Mehrwert schaffen« können,

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kommt eine Reihe von Faktoren in Betracht. Allgemein gesprochen sind Ressourcen erforderlich, und eine wichtige Ressource ist Geld. »Es ist wirklich eine Mischung aus der Bedürftigkeit und den Ressourcen. Wir haben nur einen gewissen Geldbetrag, der sich aus privaten Spenden zusammensetzt, also müssen wir bei den meisten Projekten die Präferenzen institutioneller Geber berücksichtigen«, sagte mir ein Länderreferent. Die Ressourcen hängen von den Prioritäten der Geber und von der Aufmerksamkeit der Medien ab. »Es ist eine Mischung aus Bedürftigkeit und Medienaufmerksamkeit, offen gesagt«, antwortete mir ein anderer Befragter und erinnerte an den Tsunami von 2004 im Indischen Ozean, eine Krisensituation, in der die Hilfswerke seiner Meinung nach mehr Spenden erhielten, als die Lage vor Ort erforderte. Ob aber eine Hilfsorganisation einen Beitrag leisten kann oder nicht – und ob sie somit helfen wird oder nicht –, hängt auch von den profaneren logistischen Fragen ab, die sich bei der Planung eines Projektes ergeben. Um einen Unterschied machen zu können, muss der Zugang zu der hilfsbedürftigen Bevölkerung sichergestellt werden. Es gilt also, Visa für auslandsentsandte Mitarbeiter von der Regierung des Empfängerstaates zu erhalten. Andere Formen der staatlichen Unterstützung erleichtern es ebenfalls, in einem Land zu operieren, beispielsweise die Zusicherung von Bewegungsfreiheit (die mit einem Visum nicht automatisch gegeben ist) und von Schutz. Die Ressource »sicherer Zugang« bringt viele Dilemmata für humanitäre Organisationen mit sich, da sie ein gewisses Maß an Kooperation mit dem Staat oder den Sicherheitskräften voraussetzt, die ein bestimmtes Territorium kontrollieren. Ist ein Hilfswerk beispielsweise in Tschetschenien aktiv und akzeptiert es den Schutz durch die russische Armee, wirft dies die Frage nach seiner Unabhängigkeit auf. MSF etwa sucht für ihre Programme nicht die Zustimmung der Regierungen, von deren Unterstützung sich die Organisation damit unabhängig macht. Doch verfügt sie über eigene starke Kriterien, unter welchen Umständen ihre Ärzteteams arbeiten. MSF wird keine Projekte beginnen oder fortführen, wenn es die Unabhängigkeit ihrer medizinischen Teams durch Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit beeinträchtigt sieht oder wenn ihre Mitarbeiter auf bewaffneten Schutz angewiesen wären. Folglich sind die meisten ihrer Sektionen derzeit nicht in Afghanistan, Burma, Somalia oder Nordkorea aktiv.

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Sicherheit ist ein wichtiger, ja nach Auskunft der meisten Befragten ein immer wichtigerer Faktor in den Überlegungen. Ein Länderreferent sagte mir: »In Irak, Afghanistan, Somalia, ja gewiss, in diesen drei Ländern, dort gibt es fraglos Bedarf. Aber dort arbeitet niemand. Wir können dort nicht arbeiten. […] In diesem Raum schießen sie überall.« Es geht hierbei um eine schwierige Abwägung, bei der Prinzipien und Werte eine Rolle spielen, wie mir ein Länderreferent einer christlichen NGO erklärte: »Jede Entscheidung, die wir bezüglich der Sicherheitslage fällen, ist ein Werturteil über die Risiken, die einzugehen sich lohnt, über die relativen Kosten und Vorteile unserer Präsenz dort, die Sicherheit unserer Mitarbeiter auf der einen Seite und die Vorteile für die Bevölkerung auf der anderen.« Der Beitrag, den ein Hilfswerk leisten kann, hängt von seinen bisherigen Einsätzen und seinen Fähigkeiten ab. Ein Referatsleiter für Notfälle formulierte es so: »Wenn das also in einem Land passiert, in dem wir keine Kontakte, keine Geschichte, keine Erfahrung haben, dann gehen wir da sehr viel vorsichtiger hinein oder vielleicht auch gar nicht, anders als wenn es irgendwo brennt, wo wir etabliert sind, über eine Menge Kontakte verfügen und uns schon seit Langem engagieren. Es gibt Fragen der organisatorischen Strategie, wenn wir an einen völlig neuen Ort gehen. Irgendwo etwas auszubauen, wo man bereits ist, ist leichter.« Infolge der Ruanda-Krise betonten institutionelle Geber die Notwendigkeit der Koordination, und die Verantwortlichen sind angehalten, den Bedarf im Verhältnis zur Tätigkeit anderer Hilfswerke einzuschätzen und eine eventuelle Lücke in den Leistungen zu erkennen. Auch materielle Faktoren im Einsatzgebiet, einschließlich der Besonderheiten der Bevölkerung, der geholfen werden soll, sind ausschlaggebend dafür, welchen Mehrwert ein Projekt schafft. Der Länderreferent für Ostafrika einer französischen Hilfsorganisation machte eine Skizze, um mir die Erwägungen vorzuführen, die ein bestimmter Fall in Kamerun mit sich brachte (Abb. 2). Seine Organisation hatte dort eine Bedarfsanalyse durchgeführt, nachdem sie Berichte über einen Zustrom von Flüchtlingen aus Zentralafrika erhalten hatte: »Die Menschen waren weit verstreut, an einer sehr großen Zahl von Orten mit sehr wenigen Personen an jedem Ort, vielleicht hundert hier, hundert da. Eine Mission in diesem Land zu begin-

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nen, in einer so unterentwickelten Gegend mit keiner einzigen Straße, mit nichts, erfordert ein sehr, sehr, sehr hohes Niveau an logistischen Mitteln, um dorthin zu gehen und diese Menschen zu erreichen. Das bedeutet, dass es sehr teuer ist, und am Ende sind es nur – ich weiß es nicht, ich habe die Zahlen nicht zur Hand – vielleicht 500 Personen oder Kinder, die wir letztlich binnen zweier oder dreier Monate erreichen und versorgen können. Das würde so in etwa eine Million, rund eine Million US -Dollar oder Euro kosten, okay? […] Diese eine Million Dollar würde ich lieber in Darfur nutzen, in einem großen Lager, und dort könnten wir vielleicht 5000 Menschen in derselben Zeit mit demselben Geld erreichen, was das Zehnfache ist.« Sie entschieden sich gegen das Projekt. »Am Ende ist es also traurig, aber man muss diese Gleichung aufmachen, und man muss diese Berechnung vornehmen. Das ist die Gleichung zwischen dem einen und dem anderen.« In der Theorie des Projektmanagements ist die Bedarfsanalyse ein von der Projektplanung unabhängiger Schritt, der von ihr erfolgt. Ich

Abb. 2 Logistische Dilemmata in der humanitären Hilfe

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nahm an einer Bedarfsanalyse-Simulation im Rahmen einer Ausbildungsmaßnahme für Mitarbeiter von humanitären Hilfsorganisationen teil, bei der uns der Schulungsleiter unentwegt daran erinnerte, dass wir die Bedürfnisse vor Ort gründlich prüfen müssten, bevor wir überlegten, was wir diesbezüglich tun könnten. Doch selbst die puristischste derartige Prüfung wird den Zugang über Straßen und andere für die Krisenreaktion wichtige Erwägungen anführen. Ein als Berater tätiger Wasserbauingenieur merkte an: »Es besteht ein Anreiz, denen zu helfen, denen leicht zu helfen ist. Wenn es irgendeinen Ort gibt, an dem die Menschen noch nie etwas bekommen haben, den zu erreichen aber schwieriger ist, dann wird man es sehr schwer haben, ein Projekt aufzulegen, da die Geber einem sagen werden: ›Aber Ihr Wettbewerber macht an einem anderen Ort mit sehr viel weniger Geld so und so viel für so viele Menschen.‹« Zu den Produktionsbedingungen gehören nicht nur hinderliche, sondern auch förderliche Faktoren. Manche Projekte werden durchgeführt, weil der Einsatzort bestimmten Erfordernissen genügt. Ein Länderreferent einer französischen Einrichtung erzählte mir von einem Projekt in der Mongolei, das er vor seinem Vorgänger übernommen hatte: »Ich sah mir die Daten an und traf mich dann mit allen technischen Mitarbeitern hier, und ich fragte sie: ›Leute, seid ihr sicher, dass wir bei diesem Ertrag auch weiterhin eine solche Menge an Geld, Energie und so weiter in dieses Land investieren sollten?‹ Es war ein ziemlich intensives Meeting über Stunden und Stunden, wo es hieß: ›Ja, wir sollten weitermachen‹, ›Nein, sollten wir nicht‹ und so weiter und so weiter. Meiner Ansicht nach sollten wir aufhören – und eine Menge anderer Leute denkt, wir sollten weitermachen.« Zehn Monate später läuft das Projekt immer noch: »Wir haben vereinbart, dass wir dieses Land als eine Art Pilotprojekt-Land nutzen. Es ist kein Problem unseres Programms mehr, vielmehr versucht die Forschungsabteilung herauszufinden, wie wir dieses Land als Pilotprojekt-Land nutzen können; wir versuchen, wissenschaftliche Forschung zu treiben, ist das richtig? Man kann das da machen, weil uns die Behörden überaus willkommen heißen. Es gibt also nicht die geringsten Schwierigkeiten mit den Behörden, die Sicherheit ist perfekt, die Leute können drei Jahre

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im Land bleiben statt sechs Monate in Darfur. Es herrschen also sehr gute Bedingungen, die dazu beitragen können, dass wir drei, vier, fünf, zehn Jahre dort bleiben. Wenn wir für zehn Jahre dort bleiben wollen, werden wir von der Regierung immer noch willkommen geheißen, und so können wir dort einige Pilotprojekte auflegen und die Ergebnisse dann an anderen Orten nutzen und in anderen Ländern reproduzieren.« In diesem speziellen Fall hat eine unterschwellige Verschiebung in den Zielen und der Begründung der humanitären Tätigkeit stattgefunden: Das primäre Ziel ist hier nicht mehr »Unterstützung für diejenigen, die sie am meisten brauchen«, und genau das machte meinen Interviewpartner unruhig. Alternative Zielsetzungen lauten »eine nützliche Arbeit tun«, »etwas für die Zukunft lernen« oder »Leute beschäftigen«. Natürlich wird die Einschätzung dieses Falles durch den Umstand verkompliziert, dass es bedürftige Menschen in der Mongolei gibt – und für jedes beliebige Projekt kann es herzlos oder zynisch wirken, wenn man sagt, es solle nicht durchgeführt werden. Mir geht es hier aber nicht darum, einen Verrat an humanitären Grundsätzen und Prioritäten festzustellen, sondern auf die Mischung an Erwägungen hinzuweisen, die ins Spiel kommen, wenn Werte in die wirkliche Welt übersetzt werden, wobei zu diesen Erwägungen nicht nur materielle Aspekte gehören, sondern auch verschiedene Arten von Werten.

Die Grenzen des Projektes Ein Projekt liefert positive Resultate: Latrinen, Ärzte, Lehrer, Zelte. Freilich handelt es sich um bestimmte positive Resultate für bestimmte Bevölkerungsgruppen innerhalb eines gewissen Budgetrahmens. Es ist wichtig, die Konsequenzen zu verstehen, die sich aus der Beschränkung des Projektes auf spezifische Ergebnisse und eine spezifische Zielgruppe ergeben. Wenn gewisse Dinge getan werden, werden andere nicht getan. Wenn manchen Menschen geholfen wird, wird anderen nicht geholfen. Die Ausrichtung an der Erzeugung eines Mehrwerts, am Wissen eines Hilfswerks um das, was es zu bieten vermag, erzeugt eine Logik, die relativ unabhängig von den potenziellen Wünschen oder Bedürf-

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nissen der Empfänger ist. Man betrachte die folgende Episode, die mir ein Länderreferent erzählte: »1998, als ich im Sudan war, sagten mir die Leute: ›Danke für das Essen und die Medikamente. Aber in zwei Monaten haben wir Regenzeit. Dann wird der Fluss ganz voll sein, es ist ein Fluss voller Fische. Wir aber sind nackt, wir haben nichts. Also wenn wir nur ein paar Angelhaken und paar Fischernetze haben könnten, wäre das …‹ – Also kam ich zurück hierher [in die Zentrale] und sagte: ›Kann ich 10000 Euro für 10000 Angelhaken und 100 Netze haben?‹ Die Antwort war: ›Nein, wir sind nicht die Fischer ohne Grenzen. Darum kümmern wir uns nicht.‹ Es wurde also vom Programmleiter abgelehnt. Manchmal habe ich insofern komplett idiotische Geschichten wie diese erlebt.« Obwohl dieser Länderreferent seiner Frustration Ausdruck verleiht, ist es wichtig, sich klarzumachen, dass dies kein ungewöhnlicher Fall ist. Es handelt sich nicht um einen Ausnahmefall und auch nicht unbedingt um einen Fall von schlechtem oder herzlosem Management. Die in der Zentrale getroffene Entscheidung spiegelt vielmehr die normalen Praktiken und Annahmen einer professionellen Berufsausübung wider, wie sie auch in vielen heimischen Kontexten anzutreffen sind. Eine ausgebildete Ärztin steht üblicherweise nicht dafür zur Verfügung, die Hungrigen zu speisen oder zu unterrichten; als Fachkraft gebraucht sie ihre spezifischen Kenntnisse im Rahmen bestimmter organisatorischer Bedingungen und Prozeduren, von denen angenommen wird, dass sie die Effizienz des Gesundheitssystems insgesamt steigern. Sie behandelt Patienten beispielsweise innerhalb der Prozeduren des Krankenhauses. Und so wird auch ein Akademiker nicht jedem etwas beibringen, der ihm über den Weg läuft, sondern er agiert im Rahmen eines Systems, das seine fachlichen Standards schützt und den Zugang zu seinen Diensten regelt. Jedes humanitäre Hilfsprojekt liefert positive Ergebnisse für eine bestimmte Zielgruppe. Die NGO s bemühen sich zwar festzustellen, wer am bedürftigsten ist, doch erscheinen ihre Abgrenzungen denjenigen, die sie umsetzen müssen, nicht immer sinnvoll. »Was ist, wenn es den Menschen, die rund um die Bedürftigsten leben, immer noch am Überlebensnotwendigsten fehlt?«, bemerkte ein Ausbilder für Beschäftigte im humanitären Bereich einigermaßen frustriert. »Alles dreht

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sich immer um die, die zum Projekt gehören, nie um die anderen.« Oft sehen sich humanitäre Helfer mit diesem Problem konfrontiert, wenn sie Flüchtlinge und Vertriebene versorgen. Die Grenzen des Projektes sind häufig um eine Gruppe von Binnenflüchtlingen gezogen, obwohl es der örtlichen Bevölkerung selbst am Allernötigsten fehlt. Ein Projekt für Menschen, die im Zuge einer Krise vertrieben wurden, entspricht der Definition eines Nothilfeeinsatzes, der kurzfristige Resultate erwarten lässt, während die allgemeine Armut womöglich ein unattraktiver Anknüpfungspunkt für die Geldgeber ist. Das Bemühen um »gute Projekte« hilft, die in manchen Bereichen anzutreffende Strategie der »humanitären Zurückhaltung« zu verstehen. In einem Bericht über Hilfsmaßnahmen für Darfur heißt es: »Die Strategie einiger der befragten internationalen Gruppen bestand darin, ihr Engagement nur dann auszubauen, wenn in ihrem Programm Mindeststandards erreicht waren. […] Hilfswerke können auf Nummer sicher gehen und ihre Programme klein, handhabbar und risikolos halten, um sicherzustellen, dass sie bestmöglich bewertet werden.«55 Wir können nachvollziehen, warum Hilfswerke womöglich so agieren – sie befinden sich in der Situation, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden und Ergebnisse vorweisen müssen, allerdings nur für ihr je eigenes Projekt. Dies führt zu der Logik, »Leistung im Sinne des Tests zu erbringen« – ein klassisches, von der Organisationssoziologie beschriebenes Phänomen. Peter Blau war wahrscheinlich der Erste, der es analysierte, und er fand heraus, dass eine Arbeitsvermittlung, wenn sie auf einmal nach ihrer Vermittlungsrate bewertet wurde, begann, die Bewerber vorzuziehen, die sie für leichter vermittelbar hielt, zulasten derjenigen, die nicht so leicht in Arbeit zu bringen waren.56 Es ist wichtig festzustellen, dass diese Dynamik nicht nur davon abhängt, wie engstirnig und unflexibel Geberinstitutionen tatsächlich sind. Es reicht, dass die Hilfswerke glauben, ihre Geber nähmen den Test der Projektergebnisse sehr ernst. So erinnerte sich einer meiner Interviewpartner: »Wir diskutierten über mögliche Einsatzorte für ein

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Young u.a., Darfur, S. 117. Blau, Dynamics of Bureaucracy; sowie Michael Lipsky über das Phänomen des »Abschöpfens«, in ders., Street-Level Bureaucracy, S. 107f.

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Projekt, und meine Projektleiter sagten über einen Ort: ›Da gehen wir nicht hin. Wir können dort unmöglich unsere professionellen Standards einhalten, und das wird den Gebern nicht gefallen.‹«

Schlussfolgerung Am Anfang dieses Kapitels stand die Frage, wie humanitäre Hilfsorganisationen entscheiden, wohin sie gehen, wem sie helfen und wie sie dies tun. Ich habe zu zeigen versucht, dass weder Werte noch Interessen den Entscheidungsprozess determinieren und auch Bedürfnisse allein die Entscheidungsfindung nicht anleiten. Werte, Interessen und Bedürfnisse können einem Manager nicht von selbst sagen, was zu tun ist; sie sind unbestimmt – das heißt sie sind mit vielen unterschiedlichen Praktiken und Ergebnissen vereinbar, zu denen sie gleichzeitig stets in einem Spannungsverhältnis stehen. Ich habe dagegen argumentiert, dass humanitäre Hilfswerke eine Reihe von Praktiken und selbstverständlichen Vorannahmen teilen, die ihnen dabei helfen, die für sie relevanten Informationen herauszufiltern und die Komplexität ihrer Umwelt überschaubar erscheinen zu lassen. Diese Praktiken und Selbstverständlichkeiten finden sich bei allen humanitären Organisationen, seien es säkulare NGO s oder religiöse, solche mit einem engen oder einem breiten Schwerpunkt, unabhängige oder im staatlichen Auftrag arbeitende NGO s. Diese Praktiken bilden den Hintergrund der Diskussionen über verschiedene Arten von humanitärer Hilfe und kommen bei einer großen Bandbreite an sozialen Problemen vor Ort zur Anwendung. Meiner These nach ist humanitäre Hilfe eine Form von Produktion, die gewisse Dinge in andere verwandelt. Die NGO s produzieren Hilfe in Form von Hilfsprojekten. Da die Produktionseinheit das Projekt ist, versuchen die Verantwortlichen, »gute Projekte« zu machen. Das Bemühen um ein gutes Projekt entwickelt eine Eigenlogik, die nicht nur die Ressourcenverteilung prägt, sondern auch die Art von Aktivitäten, die wahrscheinlich unternommen werden – und damit zugleich auch, welche Aktivitäten wahrscheinlich unterbleiben werden. In der öffentlichen Diskussion über Missverhältnisse in der humanitären Hilfe liegt das Augenmerk oft auf den strategischen Prioritäten

Schlussfolgerung

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von Gebern und einer tendenziösen Berichterstattung der Medien. Wie die US -amerikanische Bereitschaft, NGO s im Irak zu unterstützen, und der Tsunami im Indischen Ozean zeigen, spielen beide Faktoren zweifellos eine Rolle. Es gibt jedoch auch eine Ungleichheit in der Verteilung von humanitärer Hilfe infolge der profanen praktischen Logik von Hilfsoperationen. Manchen Empfängern ist leichter zu helfen als anderen, und die, denen am schwierigsten zu helfen ist, bekommen oft gar keine Hilfe. Wenn wir uns die NGO -Hilfe wie eine Art Versicherung gegen Katastrophen und Gewalt vorstellen, gehen wir in die Irre. Es gibt keinen Versicherungsschutz für alle Betroffenen, und Hilfswerke bieten auch keine halbe oder unvollständige Versicherung. Es ist wichtig, sich dies klarzumachen, denn ungeachtet geteilter universeller Werte erzeugt die spezifische Logik des Projektmanagements den grundlegenden Eindruck einer Versicherung, der wirksam verhindern kann, dass tatsächlich eine solche angeboten wird. Die Zuteilung von Ressourcen über Projekte impliziert darüber hinaus, dass einige der ärmsten Bevölkerungen der Welt miteinander statt mit den Eliten in ihren eigenen Ländern oder anderswo konkurrieren. Das humanitäre Feld ist natürlich vielfältig. Organisationen und Individuen unterscheiden sich in dem, was sie an einem Projekt wertschätzen. Die Vorstellungen davon, was ein gutes Projekt ausmacht, wandeln sich, und unser Wissen darüber, was auf der Ebene eines Projektes funktioniert und was nicht, verbessert sich womöglich im Lauf der Zeit. Das ist der Zweck der umfangreichen Forschungsarbeiten zur Evaluation und der Grauen Literatur in dem Sektor. Viele humanitäre Hilfseinrichtungen sind sehr nachdenklich und selbstkritisch. Die Logik des Projektmanagements selbst jedoch mit ihren Implikationen für eine Begrenzung der Rationalität wird in diesem Feld kaum je systematisch auf den Prüfstand gestellt. Die Suche nach dem guten Projekt bleibt nicht ohne Einfluss darauf, wie Entscheidungsträger in NGO s über ihre Partnerorganisationen und über bedürftige Bevölkerungsgruppen denken. Die Analyse der Art und Weise, wie Projekte verkauft und gekauft werden, macht es erforderlich, die Rolle der Bevölkerungsgruppen, denen diese dienen sollen, zu überdenken. Ihre Rolle wurde von den Ökonomen in ihren Modellen gemeinnütziger Organisationen oft ignoriert und von den

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Theoretikern der Zivilgesellschaft missverstanden. Statt in erster Linie als »Hilfeempfänger«, »Nutznießer« oder »Kunden« zu fungieren, sind sie Bestandteil des zu verkaufenden Projektes, und sie arbeiten dafür. Diesem Aspekt der Programmgestaltung von humanitären NGO s wende ich mich im nächsten Kapitel zu.

2 Hilfeempfänger als Ware Ich habe ihm erwidert, daß mich das Verwirklichen jederzeit weniger anzieht als das Nichtverwirklichte, und ich meine damit nicht etwa nur das der Zukunft, sondern ebenso sehr das Vergangene und Verpaßte. Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

Im vorangegangenen Kapitel habe ich zu zeigen versucht, dass NGO s auf dem Gebiet der humanitären Hilfe einen Raum geteilter Praktiken bilden. Ich habe begonnen, das Wesen dieser geteilten Praktiken zu untersuchen, und argumentiert, dass die Praktiken des Projektmanagements den Entscheidungsträgern dabei helfen, die Komplexität ihrer Umwelt zu reduzieren und ihre Wahlmöglichkeiten überschaubar zu machen. Die Manager in Hilfsorganisationen betrachten die Welt mit einer Reihe möglicher Maßnahmen im Kopf – Interventionen innerhalb bestimmter Zeiträume und Budgetrahmen. Diese Praktiken gelten im Wesentlichen als selbstverständlich und vermitteln zwischen den Werten und dem Handeln der NGO s. Damit vermitteln sie zugleich zwischen den Menschen, die ihre Reaktion auf fernes Leid an diese NGO s delegieren, und den hilfsbedürftigen Bevölkerungen. In den Einsatzgebieten der Hilfswerke werden diese Praktiken auf ein breites Spektrum an sozialen Problemen angewandt. Im vorliegenden Kapitel werde ich die Logik der Praxis in diesem Feld weiter analysieren und dabei insbesondere untersuchen, was die gemeinsamen Praktiken des Feldes für die Rolle bedeuten, die die hilfsbedürftige Bevölkerung vor Ort in der humanitären Hilfe spielt. Dieser Rolle wird in der Regel keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet, weil die Beobachter eine von zwei Positionen einnehmen: Entweder setzen sie voraus, dass die Not leidende Bevölkerung eine von den NGO s völlig unabhängige Größe ist. Die Bedürftigen gelten

Hilfeempfänger als Ware

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dann als Teil der Umwelt, auf die die Hilfswerke reagieren beziehungsweise in die sie eingreifen. Oder sie unterstellen, dass die Not leidende Bevölkerung gewissermaßen Fleisch vom Fleische der NGO s ist. Die NGO s werden dann als ein neutraler Kanal betrachtet, der den Menschen vor Ort zu einer Stimme in der globalen Zivilgesellschaft verhilft. Die humanitäre Hilfe geht davon aus, dass ihre Existenz durch Not leidende Bevölkerungen gerechtfertigt ist. Für die Manager, die ich interviewt habe, sind hilfsbedürftige Bevölkerungsgruppen ein grundsätzlicher Teil der Motivation und Rechtfertigung von humanitärer Hilfe. Wie ich in diesem Kapitel jedoch zeigen möchte, kommt es im Rahmen der Planung und Durchführung von Projekten zu zwei subtilen Verschiebungen. Erstens werden zwar in Not geratene Bevölkerungen ganz allgemein oder in einer ganzen Region heraufbeschworen, praktisch jedoch wird nur eine Teilgruppe davon als potenzielle oder tatsächliche »Zielgruppe« relevant – nämlich der ausgewählte Teil einer Not leidenden Bevölkerung, der Leistungen erhält oder einen Nutzen aus einer Intervention zieht. Zweitens sind die Hilfeempfänger zwar ein Zweck der Hilfstätigkeit, und die Manager arbeiten hart daran, sie gut und angemessen zu versorgen, doch werden sie auch zu einem Mittel in der Durchführung der Hilfsmaßnahmen. Die Nutznießer bilden ein notwendiges Element jedes erfolgreichen Projektes. Um ihre Arbeit machen zu können, brauchen Hilfswerke Hilfeempfänger. Die Populationen, die in den Genuss von Hilfsleistungen kommen, sind nicht nur »Hilfeempfänger«, »Kunden« oder »Bürger«, sondern auch Teil des Produkts, das Hilfsorganisationen planen und über das sie Rechenschaft ablegen, wenn sie für institutionelle Geber arbeiten. Wie ich im Folgenden zeigen möchte, sind sie Teil einer Ware, die in einem Quasimarkt an Geber verkauft wird. Was meine ich, wenn ich behaupte, dass wir Projekte – und Not leidende Bevölkerungsgruppen als Teil von Projekten – sinnvoll als Waren fassen können? Ich meine nicht, dass Hilfsprojekte Dinge sind. Ich meine nicht, dass Hilfsprojekte austauschbar sind und sich nur im Preis pro Menge unterscheiden, wie es nach einigen Definitionen der Ware der Fall sein muss. Diesbezüglich unterscheiden sich Hilfsprojekte von Getreide, Wasser, Öl oder Salz.

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Projekte sind keine Dinge, und sie lassen sich auch in monetärer Hinsicht nicht leicht miteinander vergleichen. Jedes humanitäre Projekt verfügt über seine eigene spezifische Geschichte und seinen Kontext und vor allem über seine spezifischen Helfer und Hilfeempfänger. Nichtsdestoweniger möchte ich untersuchen, inwiefern Projekte als potenziell miteinander vergleichbare Dinge behandelt werden können und inwiefern sie faktisch miteinander verglichen werden, wenn es um die Verteilung knapper Ressourcen geht. Der Begriff der Ware unterstreicht, dass Projekte produziert und bezahlt werden und Arbeit erfordern, darunter in unserem Fall auch die Arbeit von Hilfeempfängern. In diesem Markt streben die Produzenten nicht nach Gewinnmaximierung, doch soweit sie mit institutionellen Gebern zusammenarbeiten, produzieren sie im Hinblick darauf, Hilfsprojekte gegen Geld zu tauschen. Zur Analogie möchte ich eine Argumentation heranziehen, die Dallas Smythe im Hinblick auf Nachrichtenmedien entwickelt hat. In seinem wichtigen Aufsatz »On the Audience Commodity and its Work« zeigt Smythe, dass in den Nachrichtenmedien nicht in erster Linie Inhalte für Zielgruppen gekauft und verkauft werden, sondern Zielgruppen für Werbetreibende.57 Dies bedeutet nicht, dass die Inhalte nicht zählen oder nicht zählen sollten. Um jedoch die Verhaltensmuster von Nachrichtenanbietern zu erklären und darüber nachzudenken, wie sie sich beeinflussen lassen, ist die Einsicht wichtig, dass nicht nur ein Publikum für seinen Zugang zu den Inhalten zahlt, sondern auch Werbetreibende für den Zugang zum Publikum und dass Letzteres tatsächlich die Haupteinnahmequelle von Nachrichtenanbietern in privaten Medienmärkten ist (siehe Abb. 3). In ähnlicher Weise verteilen Hilfsorganisationen Schuhe, Zelte und Medikamente an Hilfeempfänger, verkaufen aber gleichzeitig auch Projekte – einschließlich von Hilfeempfängern – an Geber (siehe Abb. 4).

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Smythe, »On the Audience Commodity«.

Hilfeempfänger als Ware

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Abb. 3 Smythes Neufassung des Produkts in der Medienproduktion

Abb. 4 Hilfeempfänger als Ware

Dass die »Nutznießer« von Hilfsleistungen Teil der Ware sind, heißt nicht, dass sie keinen Nutzen aus ihr ziehen. Sie bekommen Ressourcen, die mitunter Leben retten können. Wie ich jedoch im letzten Kapitel angemerkt habe, sind manche Leistungsempfänger leichter beizubringen und manche leichter zu verkaufen als andere, was zu Benachteiligungen bei der Zuteilung von Hilfe führt. Dadurch, dass wir die Empfänger als Teil eines zu verkaufenden Produkts verstehen, können wir die Analyse einen Schritt weitertreiben. Werden (einige) Not leidende Bevölkerungsgruppen von humanitären NGO s zu einem Paket von Hilfeempfängern geschnürt, so versetzt dies einige der ärmsten Populationen der Welt in die Lage, miteinander um Ressourcen konkurrieren zu müssen – die Begünstigten von Hilfsmaßnahmen sind stets nur eine Untermenge der bedürftigen Bevölkerungen. Eine solche institutionelle Struktur lässt sich mit einer alternativen Struktur vergleichen, die vielleicht eher einen Wettbewerb um Ressourcen zwischen Not leidenden Gruppen mit den Eliten in ihren eigenen Ländern oder aber mit Eliten oder anderen Gruppen im globalen Norden fördert. Dies bedeutet auch, dass im Prozess der Hilfsleistung ein Wert aus den Empfängern dieser Hilfe bezogen wird, und zwar unter Bedingungen, auf die sie kaum einen Einfluss haben. Dieser Wert ist für die Hilfswerke zum Teil ökonomischer und zum Teil symbolischer Natur (insofern sie nicht nur Gelder von institutionellen Gebern und der Öf-

Hilfeempfänger als Ware

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fentlichkeit erhalten, sondern auch die Autorität erlangen, über das Leid zu sprechen); für die Geber besteht er in moralischer und politischer Autorität. Das Zusammentreffen mehrerer Bedingungen hat eine Art »Markt« für Hilfsprojekte entstehen lassen. Zu diesen Bedingungen gehören die mangelnde Grundversorgung großer Bevölkerungsgruppen, Naturkatastrophen, Bürgerkriege, die Mittel, um von Leid zu erfahren und Hilfe anbieten zu können,58 das Interesse westlicher Regierungen und der westlichen Öffentlichkeit an der Linderung von Leid sowie an Einfluss und Stabilität, die schwindende Hoffnung auf Entwicklungsfortschritte in manchen Ländern, die Transformation des Staates durch eine wettbewerbsorientierte Auftragsvergabe an kommerzielle und gemeinnützige private Akteure sowie der globale Maßstab, in dem sich heute Produkte vergleichen lassen. Ich werde die Geschichte einiger dieser Möglichkeitsbedingungen in den Kapiteln 3 und 4 erläutern. Das Verhältnis zu den Hilfeempfängern ist eine offene Wunde im humanitären Sektor; sie ist ein Dauerthema der Selbstkritik und Selbstreflexion. Die Instrumentalisierung der Nutznießer, die ich hier beschreibe, ist jedoch keine Frage der Einstellung von humanitären Helfern oder Hilfsorganisationen. Sie liegt nicht im Ermessen des einzelnen Programmleiters und ist auch nicht nur oder unmittelbar das Resultat langlebiger kolonialer Machtverhältnisse oder rassistischer Ideologien, wie manche Autoren meinen. Sie ist die Folge eines Marktes für Hilfeempfänger, der in den letzten Jahrzehnten von Staaten, Hilfsorganisationen und Medien geschaffen wurde. Bevor ich dieses Argument und seine Implikationen für unser Verständnis von Herrschaft in der globalen Ordnung entfalte, muss ich es in den Diskussionen über die globale Zivilgesellschaft und den Arbeiten zur Soziologie und Ökonomie des gemeinnützigen Sektors verorten.

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Haskell, »Capitalism, Part 1«, und »Capitalism, Part 2«.

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NGO s und Not leidende Bevölkerungen als ein und dieselbe Größe oder als völlig unabhängig voneinander Wie bereits zu Beginn dieses Kapitels behauptet, wurde unser Verständnis der Rolle von hilfsbedürftigen Bevölkerungsgruppen tendenziell dadurch behindert, NGO s und hilfsbedürftige Bevölkerungen entweder als zwei voneinander unabhängige Größen oder aber als ein und dieselbe Größe zu betrachten. In Gesprächen über Themen der globalen Zivilgesellschaft ersetzen oft abstrakte Allgemeinplätze über Not leidende Bevölkerungen schlechthin die Analyse von deren jeweiliger realer lokaler Rolle. Ja, der Ausdruck »globale Zivilgesellschaft« wird selbst manchmal so gebraucht, als könnte er an sich für die Bevölkerungen rund um den Erdball stehen. »Humanitäre Grundsätze«, »Demokratie« und »Politik von unten« erfüllen in Diskussionen über globale Politik ähnliche Funktionen. So definiert Manuel Castells die globale Zivilgesellschaft in typischer Weise als »organisierten Ausdruck der Werte und Interessen der Gesellschaft«.59 Wenn NGO s in diesem Sinn als Teil der globalen Zivilgesellschaft betrachtet werden, impliziert dies, sie brächten die Werte und Interessen der hilfsbedürftigen Bevölkerungen zum Ausdruck. Ähnlich gilt: Versteht man NGO s so, dass sie Gruppen oder Werten, die vom Staat oder von staatlich dominierten internationalen Organisationen ausgeschlossen wurden, zu einer Stimme, zu Zugang oder Repräsentation verhelfen, lenkt man die Aufmerksamkeit ebenfalls nicht auf die Interaktion und die möglichen Reibungen zwischen NGO s und Not leidenden Bevölkerungen.60 Werden Letztere mitunter unausgesprochen als mit der »globalen Zivilgesellschaft« identische Größe analysiert, so sehen andere akademische Gattungen sie als völlig unabhängige Größe. Man denke nur an die lange Geschichte der anthropologischen Versuche, Menschen als separate Gemeinschaften zu untersuchen, um ihre »Kultur« zu verstehen. In den Berichten und halboffiziellen Dokumenten der humanitären Hilfe werden hilfsbedürftige Bevölkerungsgruppen in der Regel völlig losgelöst vom System der humanitären Hilfe betrachtet. Meis59 60

Castells, »New Public Sphere«, S. 78. Keck/Sikkink, Activists beyond Borders.

NGOs und Not leidende Bevölkerungen

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tens werden sie als potenzielles Ziel einer Maßnahme oder einer Strategie in den Blick genommen. Studien dieser Art untersuchen, was Bevölkerungen fehlt, und ignorieren frühere Interventionen. Die kritische Literatur aus der Entwicklungsforschung hat neue Wege beschritten, indem sie Bevölkerungsgruppen vor Ort und Hilfsmaßnahmen gleichzeitig untersucht.61 Im Fall der humanitären Hilfe werden die bedürftigen Gruppen immer noch nicht oft als empirischer Bestandteil des Hilfssystems analysiert. Untersuchungen von humanitärer Hilfe oder Nothilfe widmen sich nie den Bevölkerungsgruppen, denen im Rahmen des bestehenden Hilfssystems nicht gedient wurde oder deren Bedürfnisse nicht befriedigt wurden. Populationen, denen nicht gedient ist, gelten vielmehr als das, was Hilfe nicht ist – oder noch nicht. Dies ist der Tendenz geschuldet, Einschränkungen der Gegenwart mit der Aussicht auf eine bessere Zukunft auszugleichen. Diese Neigung, die Beschränktheit der Gegenwart ausgleichen zu wollen, ist natürlich für die Suche der Praktikerin nach der »besten Methode« völlig angemessen: Es erlaubt ihr, sich darauf zu konzentrieren, was man in Zukunft besser machen könnte. In Schriften aber, die der Praxis wohl oder übel immer einen Schritt hinterherhinken, liegen die Dinge etwas anders. Soweit Beobachterinnen schreiben und nicht handelnd involviert sind, sollten sie so viel Distanz zu der gegenwärtigen Praxis halten, dass sie sowohl Ansprüche, Versprechen und Annahmen als auch die real existierenden Praktiken und Verteilungen als Teil derselben Realität untersuchen können. Wenn wir Not leidende Bevölkerungen als Teil der bestehenden humanitären Hilfe denken und dabei sowohl jene Bevölkerungen einbeziehen, denen geholfen wird, als auch jene, denen nicht geholfen wird, die befriedigten Bedürfnisse wie die nicht befriedigten, werden wir den Austausch auf diesem Feld in einem neuen Licht sehen.

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Pigg, »Investing Social Categories«; Bierschenk/Chauveau/de Sardan, Courtiers en développement; Mosse, Cultivating Development.

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Die Debatte über den gemeinnützigen Sektor Wirtschaftswissenschaftler forschen schon seit Langem zu Wohltätigkeits- und gemeinnützigen Organisationen, und vielleicht können wir von ihnen Modelle für dieses Praxisfeld entlehnen, in denen materielle Zwänge und die Rolle des Tausches ernst genommen werden. Doch auch wenn die Ökonomen sich der Metaphern von Firmen, Preisen und Märkten bedient haben, findet sich bislang keine konsistente Analyse bezüglich der Frage, wer in diesem Zusammenhang der Käufer und was das Produkt ist – das heißt, wofür der Markt eigentlich ein Markt ist. Der Beitrag der ökonomischen Lehre zu einem Verständnis der Praxislogik dieser speziellen Firmen (Wohltätigkeits- und gemeinnützigen Organisationen) ist bislang durch zwei Faktoren beschränkt. Erstens wurden die ökonomischen Forschungen von Problemen geprägt, die sich aus der ökonomischen Theorie ergaben und nicht von der Beschäftigung mit der empirischen Realität. Zweitens gab es eine Trennung zwischen Arbeiten zum karitativen Spenden und Arbeiten zu gemeinnützigen Unternehmen. Die Forschung zur Wohltätigkeit und zum Spenden hat die Rolle von Organisationen größtenteils ignoriert; die Forschung zu gemeinnützigen Unternehmen hat die Konsequenzen des Umstands, dass sich deren Einnahmen aus Spenden und nicht aus dem Verkauf herkömmlicher Güter und Dienstleistungen zusammensetzen, nicht durchgreifend analysiert. Traditionell hat sich die Wirtschaftsforschung auf das Angebot privater Wohltätigkeit durch individuelle Geber konzentriert. Die Wohltätigkeit wurde für die Ökonomen deshalb interessant, weil es sie nach den Annahmen der ökonomischen Theorie gar nicht geben sollte. Wie will man die Existenz von Wohltätigkeit erklären, wenn man davon ausgehen kann, dass Individuen und Organisationen rational und eigennützig handeln? Und inwieweit lässt sie sich rechtfertigen? Die Ökonomen verstehen Wohltätigkeit als Reaktion auf ein von der ökonomischen Theorie diagnostiziertes Marktversagen. Die wohltätige Spende gilt ihnen vorwiegend als altruistische Reaktion auf das Problem der öffentlichen Güter. Ein öffentliches Gut ist eines, das keine Rivalität im Konsum aufweist und sich durch Nicht-Ausschließ-

Die Debatte über den gemeinnützigen Sektor

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lichkeit auszeichnet – das heißt, der Konsum einer Person behindert den einer anderen nicht, und niemand kann von der Nutzung eines solchen Gutes ausgeschlossen werden. Nach Marktmechanismen ist die Bereitstellung solcher Güter schwierig. Jeder Einzelne zieht einen Nutzen aus der Bereitstellung eines öffentlichen Guts oder leidet unter seinem Mangel, ganz unabhängig davon, ob er selbst einen Beitrag zu diesem Gut leistet oder nicht. In der Annahme, dass die meisten Menschen lieber in einer Gesellschaft leben würden, in der Armut wenigstens etwas abgemildert wird, besagt eine klassische Argumentation, dass manche Menschen »altruistisch« spenden, um zur Bereitstellung von öffentlichen Gütern beizutragen.62 Andere Ökonomen versuchen Spenden mit Verweis auf Vorteile für den Geber zu erklären, die gerne übersehen werden, etwa seine moralische Befriedigung (warm glow of giving)63 oder den Wunsch, seinen Wohlstand auszustellen.64 Wirtschaftswissenschaftler, die wohltätiges Spenden untersuchen, gebrauchen die Metapher des Marktes in einer Weise, die keinen Zweifel daran lässt, dass die Spender die Konsumenten sind. So haben wir etwa viel darüber gelernt, wie das Spendenniveau durch den »Preis« der Wohltätigkeit in Form von Steuerbefreiungen beeinflusst werden kann. Doch in den Studien zu philanthropischen Gaben oder Spenden an Wohltätigkeitsvereine wurden Organisationen im Wesentlichen als neutrale Kanäle für Fördermittel zwischen den Spendern und dem Angebot öffentlicher Güter betrachtet. Wenn Organisationen in der Literatur über das Spenden eine Rolle spielen, dann zur Spendenvermittlung oder Spendenbeschaffung.65 In der Theorie des gemeinnützigen Unternehmens hingegen wurden die Auswirkungen von Spenden noch nicht voll erfasst. Die schiere Anzahl gemeinnütziger Organisationen stellt an sich schon ein Rätsel für Ökonomen in der neoklassischen Tradition dar. Indem sie ver62 63 64 65

Schwartz, »Personal Philanthropic Contributions«; Becker, »Theorie sozialer Wechselwirkungen«. Andreoni, »Giving with Impure Altruism«; ders., »Impure Altruism«. Glazer/Konrad, »Signaling Explanation for Charity«. Andreoni, »Charitable Fund-Raising«; Healy, »Altruism as an Organizational Problem«. In den vergleichenden Elementen seiner Analyse geht Healy über den Fokus auf die Mittlerrolle für Spenden hinaus; vgl. ders., Last Best Gifts.

Hilfeempfänger als Ware

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einbart, Gewinne nicht innerhalb der Organisation auszuschütten, beschränkt eine gemeinnützige Organisation die Anreize für ihre Mitglieder und Mitarbeiter. Warum arbeiten Menschen im NonprofitSektor, und warum können Firmen in diesem Bereich mit gewinnorientierten Akteuren konkurrieren? Henry Hansmann zufolge entstehen gemeinnützige Unternehmen dort, wo es zu Vertragsversagen kommt, wenn öffentliche Güter auf dem Spiel stehen oder der Käufer nicht der Empfänger ist. Humanitäre Hilfsorganisationen sind in dem von Hansmann entwickelten Schema spendenorientiert (donative) und nicht-gegenseitig (nonmutual) (Abb. 5);66 ihre Einnahmen setzen sich aus Spenden zusammen, und ihre Dienstleistungen nutzen nicht in erster Linie ihren Mitgliedern. Wie aber wirkt sich die Tatsache aus, dass hier die Käufer nicht die Empfänger sind?

Abb. 5 Vier Kategorien gemeinnütziger Unternehmen (nach Hansmann, »Role of Nonprofit Enterprise«, S. 842)

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Hansmann, »Role of Nonprofit Enterprise«.

Die Debatte über den gemeinnützigen Sektor

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In den klassischen Versuchen, gemeinnützige Unternehmen in ihrer Effizienz mit dem neoklassischen Modell der gewinnorientierten Firma zu vergleichen, wurde als Produkt stets das angenommen, was die Kunden oder Nutznießer erhalten.67 Gesundheitsökonomen haben den Begriff der »indirekten Beschaffung« (third party buying) ins Spiel gebracht, um Fällen besser Rechnung tragen zu können, in denen der Käufer nicht der Empfänger ist. Dieser Begriff erleichtert uns das Verständnis gewisser Probleme bei einer Bereitstellung von Dienstleistungen durch Dritte. Wenn etwa ein Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsvertrages eine Krankenversicherung bereitstellt oder wenn ein Vermieter rechtlich gezwungen ist, einen Kammerjäger zu beauftragen, können sich daraus perverse Anreize für den Produzenten ergeben. Der Markt spiegelt dann womöglich die Präferenzen der Käufer zutreffender wider als die der Endverbraucher.68 Im Fall von Wohltätigkeitsvereinen treten freilich zusätzliche Probleme auf. Käufer und Empfänger sind durch keinen rechtlichen oder vertraglichen Rahmen miteinander verbunden. Der Geber trifft nicht nur eine Wahl zwischen Produkten – wie ein Arbeitgeber, der die Krankenversicherung für seine Angestellten auswählt –, sondern auch eine zwischen Empfängern. Hier würde der Begriff der indirekten Beschaffung verschleiern, was der Konsument eigentlich kauft. Denn er suggeriert, das Produkt bleibe »Nahrung«, obwohl es sich doch in »eine Gelegenheit, Bedürftige mit Nahrung zu versorgen«, verwandelt hat. In dieser Trennung der ökonomischen Fachliteraturen zu karitativem Spenden und zu gemeinnützigen Unternehmen liegt eine verpasste Gelegenheit für einen konsequenten Perspektivenwechsel: Im Sektor der humanitären Hilfe sind die Geber Konsumenten, die Käufer einer Dienstleistung. Wenn wir uns bewusst machen, dass die Geber etwas kaufen, müssen wir das Produkt in diesem Sinne untersuchen. Was von den Gebern konsumiert wird, sind nicht Kochgeschirr oder Zelte oder Nahrungsmittel, es ist der Akt des Gebens. Dies sollte uns Anlass genug sein, neu über unsere Erwartungen an den Prozess der Planung, Produktion und Vermarktung von Hilfsorganisationen nachzudenken. 67 68

Pauly, »Nonprofit Firms in Medical Markets«; Newhouse, »Theory of Nonprofit Institutions«. Stinchcombe, »Third Party Buying«.

Hilfeempfänger als Ware

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Das Projekt als ein Produkt Wir haben gesehen, dass das Projekt die grundlegende Einheit der humanitären Hilfe bildet. Es ist aber zugleich auch die grundlegende Einheit der Mittelbeschaffung. Hilfswerke werben Gelder ein, um Projekte durchzuführen, aber sie können auch Projekte durchführen, um Gelder einzuwerben. Sie haben gute Gründe, dies zu tun: Nur wenn Geld hereinkommt, kann die Organisation weiterbestehen, und nur wenn sie weiterbesteht, kann die Organisation Not leidenden Menschen helfen.69 Die gesamte Arbeit wird in Projekten geplant. Der Zusammenhang zwischen Geld und Projekt ist stark formalisiert, wenn das Geld von institutionellen Gebern stammt – und die meisten Hilfsorganisationen beziehen den Großteil ihrer Mittel von institutionellen Gebern. Diese finanzieren auf der Grundlage ihrer Prioritäten bestimmte Projekte mit bestimmten Zielen auf bestimmten Fachgebieten an bestimmten Orten. Die Geber bezahlen die Hilfswerke somit für Projekte. Sie bezahlen dafür, dass etwas unternommen wird, und sie bezahlen für die Möglichkeit, von sich behaupten zu können, dafür gesorgt zu haben, dass etwas unternommen wird. Manchmal bestehen die Geberorganisationen buchstäblich darauf, dass ihre Logos vor Ort zu sehen sind – eine Forderung, die bei den humanitären NGO s nicht immer auf Gegenliebe stößt. Die Beamten in den Geberinstitutionen nutzen ihrerseits die Berichte über von ihnen finanzierte Projekte, um Politikern und Steuerzahlern zu erklären, was sie in die Wege geleitet haben. 69

Tony Waters’ aufschlussreiche Studie Bureaucratizing the Good Samaritan argumentiert ebenfalls, dass das Produkt von Hilfswerken nicht in Schuhen und Zelten für die Hilfeempfänger und ihr Ziel nicht in Gewinn besteht. Er schreibt stattdessen, dass das Produkt Barmherzigkeit sei und dass »das Produkt vielmehr anhand der Bedürfnisse und ›guten‹ Gefühle eines fernen Kundenkreises bemessen ist«. (Waters, Bureaucratizing the Good Samaritan, S. 41.) Ich hingegen zeichne das Projekt als das Produkt aus, nicht die Gefühle der Geber. Darin spiegelt sich die Tatsache wider, dass Hilfsorganisationen helfen wollen und Hilfe leisten müssen, um Mittel zu akquirieren. Das Projekt als das Produkt anzusetzen erlaubt es uns, detailliert wichtige Prozesse in den Blick zu bekommen, die zwischen Hilfsbedürftigkeit, der Motivation zu helfen und der Bezahlung vermitteln. Und es erlaubt uns, den Prozess der Hilfeleistung selbst von Neuem zu durchdenken, nicht nur als Aspekt des Fundraisings, sondern bis an den Punkt, an dem er die Not leidenden Bevölkerungsgruppen erreicht.

Das Projekt als ein Produkt

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Bei Verwendung privater Spenden stehen die finanziellen Mittel und die Empfänger der Hilfe nicht in so unmittelbarer Verbindung, doch können sie über eine gezielte Kampagnenarbeit oder das Image einer Organisation in Zusammenhang gebracht werden. Die Spendenbeschaffer bemühen sich oft, die Verbindung zwischen Spende und Empfänger als so unmittelbar wie möglich darzustellen. Das klassische Beispiel ist die Kinderpatenschaft, bei der ein bestimmtes Kind als Gelegenheit zum Spenden beworben wird, oft ergänzt um das Versprechen, dass man Fotos und selbst verfasste Briefe von diesem Kind erhalten wird. Auch eine Spendenwerbung wie die folgende aus einer Kampagne von UNICEF versucht, die Verbindung möglichst unmittelbar erscheinen zu lassen: »Eine Spende von 30 Pfund (50$) kann drei Familien in Haiti zu Wasserreinigungskits verhelfen.«70 Analog zu diesen Strategien experimentieren Spendenbeschaffer mit Möglichkeiten, Geber und Empfänger online zu verbinden; vorstellbar sind Auktionen im Internet, bei denen potenziellen Spendern Projekte vorgestellt werden. In vielen Fällen sind die Spenden an eine Organisation infolge eines bestimmten Aufrufs an ein bestimmtes geografisches Gebiet oder eine bestimmte Krise geknüpft.71 MSF und manchen religiösen Einrichtungen gelingt es, erhebliche Summen nicht zweckgebundener Spenden zu sammeln, was ihnen einen größeren Entscheidungsspielraum verleiht. Diese finanzielle Unabhängigkeit befreit sie in gewissem Maße von dem Zwang, eine instrumentelle Einstellung zu den Hilfeempfängern zu entwickeln.72

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71

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UNICEF, »Donate to UNICEF ’S Haiti Earthquake Children’s Appeal«, 2010,

http://www.unicef.org.uk/give/index.asp?page=32 [30. 1. 2010] (Webseite abgeschaltet). Dies verursacht das Problem einer Überfinanzierung für manche Krisen, über die in den westlichen Medien intensiv berichtet wird, wie bei dem Tsunami im Indischen Ozean 2004. Informell wird dieses Problem von humanitären Helfern weithin eingestanden; am öffentlichsten hat MSF es gemacht und Spender darauf hingewiesen, dass ihr Geld auch für andere Zwecke verwendet werden könnte. Es gibt Hinweise darauf, dass Gelder aus privaten Spenden nicht sehr viel anders verwendet werden als die von offiziellen Geberinstitutionen; vgl. Development Initiatives, Public Support for Humanitarian Crisis. Man muss sich jedoch klarmachen, dass diese Daten nicht alle potenziell relevanten Aspekte abdecken. Für eine unabhängige Organisation kommt es nicht nur auf die Entscheidungsfreiheit an,

Hilfeempfänger als Ware

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Entscheidungsträger, die auf private Spenden zurückgreifen können, müssen sich somit nicht so unmittelbar an Konsumentenwünschen orientieren; konkurrierende Organisationen aber werfen über den Umweg der Medienberichterstattung und des Wunsches, ihr Markenzeichen zu schützen, die Frage auf, ob sie sich denn nach den Konsumenten richten – eine Möglichkeit, auf die wir in Kapitel 4 im Zusammenhang mit der Mannigfaltigkeit des humanitären Feldes zurückkommen.

Die Hilfeempfänger und der Projektzyklus Schauen wir uns nun noch einmal die Praktiken der Produktion von humanitärer Hilfe an und überlegen, welche Rollen diese Praktiken für die lokalen Bevölkerungen vorsehen. Im Projektmanagement werden vier Phasen eines Projektes unterschieden: Bedarfsanalyse, Planung, Umsetzung, Kontrolle und Evaluation. Bereits im Frühstadium versuchen die Projektleiter festzulegen, wer genau Hilfeempfänger sein soll, welche Hilfe er bekommen und inwiefern sich seine Lage dadurch verbessern soll. Hier sehen wir den Übergang von »Not leidenden Bevölkerungen« zu »Hilfeempfängern«, der dann in allen anschließenden Diskussionen vergessen wird. Man betrachte den folgenden Auszug aus einer Projektbeschreibung: »Am 8. Oktober 2005 erschütterte ein Erdbeben den pakistanisch verwalteten Teil Kaschmirs. Es kostete rund 73000 Menschen das Leben und machte geschätzte 3,3 Millionen obdachlos. In der Region herrschen üblicherweise strenge Winter mit Temperaturen, die regelmäßig unter den Gefrierpunkt sinken. Es bestand ein erhebliches Risiko weiterer Verluste an Menschenleben durch Unterkühlung. Das Programm zielte im Wesentlichen darauf, das Leid der vom Erdbeben betroffenen Gemeinden zu lindern und die Folgen des Winters für sie abzufedern. Zu Beginn seines Einsatzes richtete Tearfund ein Programm ein, um Notunterkünfte bereitzufür welche Krise sie ihre Mittel aufwendet, sondern auch auf die Freiheit, zu entscheiden, was genau sie anbietet und wie genau sie es tut.

Die Hilfeempfänger und der Projektzyklus

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stellen sowie die Wasser- und sanitäre Versorgung der Gemeinden im Distrikt Bagh von Asad Jammu und Kaschmir (AJK ) zu gewährleisten.«73 Der Schwerpunkt des Textes – und der Schwerpunkt der Organisation – verlagert sich von den 3,3 Millionen Menschen ohne Dach überm Kopf auf die spezifischen Hilfeempfänger, die in bestimmten Dörfern unterstützt werden. Humanitäre Einsätze beginnen mit einer Bedarfsanalyse. Es gilt herauszufinden, »was die Menschen in einem bestimmten geografischen Gebiet vor dem Hintergrund einer bestimmten Katastrophe benötigen«. Damit wird eine Bevölkerung als hilfsbedürftige Bevölkerung identifiziert. Es ist gute Praxis, die Kapazitäten und vorhandenen Bewältigungsstrategien zu analysieren; »gut« ist die »gute« Praxis vor dem Hintergrund der alltäglichen Zwänge und Einschränkungen im Leben einer Organisation. Die Bevölkerungsgruppen werden über das bestimmt, was ihnen fehlt: Betont werden ihre Bedürfnisse, während man ihre politischen Bestrebungen oder Konflikte herunterspielt.74 Humanitäre Einsätze werden üblicherweise nach technischer Fachkompetenz in »Sektoren« oder »Bereiche« eingeteilt. Zu den Schlüsselsektoren zählen beispielsweise Wasser und sanitäre Einrichtungen, Gesundheit, Nahrung, Unterbringung sowie Haushaltsgüter und Hygieneartikel (nonfood items).75 Eine genau umrissene Zielgruppe ist ein wichtiger Bestandteil der Definition eines Projektes. Wenn sie etwa ein Projekt zur Verteilung von Nahrungsmitteln oder Kunststofffolien planen, müssen die Manager entscheiden, wie viele Menschen sie versorgen wollen und wie sie diejenigen auswählen, die Hilfe erhalten. Die Experten in Sektoren, bei denen es um den Aufbau von Infrastruktur wie Wasserversorgung oder Sanitäranlagen geht, werden eine Auswahl zwischen verschiedenen Standorten statt verschiedenen Personen oder 73 74 75

Tearfund, Accountability to Beneficiaries in Kashmir. Vgl. Ferguson, Anti-Politics Machine. Das Sphere Handbook 2011 zählt als technische Bereiche Wasser, sanitäre Einrichtungen und Hygiene, Ernährungssicherheit und Ernährung, Unterbringung, Ansiedlung und nonfood items sowie Gesundheitsmaßnahmen auf. Es enthält begleitende Standards in den Bereichen Bildung, Nutztiere und wirtschaftliche Erholung (Sphere Project, Humanitarian Charter).

Hilfeempfänger als Ware

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Gruppen treffen, sie müssen aber trotzdem angeben, wer genau ihrer Meinung nach von der jeweiligen Maßnahme profitieren wird. Während der Umsetzungsphase wird dann eine bestimmte Untergruppe der hilfsbedürftigen Bevölkerung zu »Hilfeempfängern«, den »Nutznießern« einer Maßnahme. Hier errichten humanitäre Helfer Latrinen oder heben Gräben aus; Menschen bekommen Zelte, werden in einer Krankenstation behandelt oder nehmen an einer Hygieneschulung teil. Gute Manager sammeln unentwegt Daten, die es ihnen erlauben, die erzielten Fortschritte zu beurteilen, die Planung zu überarbeiten und eine abschließende Evaluation vorzubereiten. In diesem Prozess, der Projektkontrolle, können auch die Protokolle der Organisation als Daten herangezogen werden. So schaut sich ein Projektleiter vielleicht die Aufzeichnungen seiner Organisation an, um zu sehen, wie viele Zelte in einem gegebenen Zeitraum ausgeteilt oder wie viele Latrinen errichtet wurden. Idealerweise handelt es sich dabei um Daten über die Hilfeempfänger. Statt zu wissen, dass »so und so viele Zelte ausgegeben wurden«, wären Projektleiter lieber in der Lage, mit Gewissheit sagen zu können, dass »so und so viele Empfänger nunmehr über Zelte verfügen«. In der Evaluation wird das Projekt nach seinem Abschluss bewertet und versucht, Lehren für die Zukunft aus ihm zu ziehen. Evaluierungsberichte können auf Kontrolldaten beruhen, manchmal aber finanzieren Geber auch eine externe Begutachtung durch unabhängige Berater nach Beendigung des Projektes.

Die Arbeit der hilfsbedürftigen Bevölkerungen Die Hilfeempfänger sind selten einfach nur passive Nutznießer. Sie kooperieren mit dem Projekt und tragen in verschiedener Form zu ihm bei. Im Folgenden analysiere ich diese Kooperation, um zu zeigen, dass die Empfänger, wenn das Projekt produziert und verkauft wird, nicht nur ein Teil dieses Produkts sind, sondern auch dafür arbeiten.76 Im 76

Es ist gute alte marxistische und feministische Tradition, scheinbar unsichtbare Formen von Arbeit ins Rampenlicht zu rücken; vgl. etwa Glazer, »Servants to Capital«; Terranova, »Free Labor«. Harold Taylor gebührt das Verdienst, aus der Per-

Die Arbeit der hilfsbedürftigen Bevölkerungen

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Zuge der Produktion von humanitärer Hilfe ist sowohl die Kooperation von Menschen, die einen Nutzen aus ihr ziehen, als auch von solchen, die dies nicht tun, gefragt. Das potenzielle Ausmaß dieser Kooperation erstreckt sich über ein breites Spektrum. Die örtliche Bevölkerung wird zumindest aufgefordert, ein Projekt und die Anwesenheit humanitärer Helfer wenigstens passiv zu dulden. Es ist wichtig, dass sie sich nicht zu offen feindselig zeigt oder zu viele Störungen in den Abläufen verursacht. In vielen Fällen ist eine aktivere Beteiligung erfordert, etwa Fragen zu beantworten oder Schlange zu stehen; am anderen Ende des Spektrums leben Projekte davon, dass Hilfeempfänger ihre Arbeitskraft in einer Form anbieten, die man unter den meisten anderen Umständen als Arbeit bezeichnen würde, eine Arbeit, die auch von anderen getan und die entlohnt werden könnte, beispielsweise Gräben auszuheben oder Latrinen zu errichten. Im Prozess der humanitären Hilfe werden einige örtliche Bevölkerungsgruppen als »Empfänger« definiert, denen Hilfe geleistet werden muss; bei diesem Vorgang verwandeln sich alle anderen lokalen Einwohner in einen Teil des »Umfeldes« der Mission. So wählten die Catholic Relief Services in ihrer Reaktion auf die Flutkatastrophe in Pakistan 2010 sieben Distrikte in drei betroffenen Provinzen aus, um dort mit Unterkünften, Wasser- und Sanitärversorgung und Hygienemaßnahmen Unterstützung zu leisten. Mit dieser Zielbestimmung wurden manche Dörfer zu Nutznießern, andere hingegen zu einem Teil des Projektumfeldes. Als Teil des Umfeldes der humanitären Hilfe werden manche Ortsansässige als potenzielle Sicherheitsbedrohung definiert, wobei es vorkommen kann, dass die gleichen Menschen die Rolle von Hilfeempfängern und die Rolle einer Bedrohung zugeschrieben bekommen. Ein Evaluationsbericht über das Fluthilfeprojekt in Pakistan von 2010 verzeichnete eine positive Reaktion von Hilfeempfängern wie -nichtempfängern in den ausgewählten Dörfern, vermerkte aber auch spektive der kritischen Managementforschung die Hilfeempfänger von Entwicklungsprojekten als Erster mit Arbeitern verglichen zu haben. Er diagnostiziert die Abhängigkeiten beider Seiten und stellt manche Ähnlichkeiten fest, geht jedoch nicht den Konsequenzen des Umstands nach, dass die Einnahmen von Gebern stammen und dazu dienen, den Empfängern zu helfen, nicht vom Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen; vgl. Taylor, »Insights into Participation«.

Hilfeempfänger als Ware

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»zunehmende Sicherheitsrisiken für Partner und CRS -Personal, beispielsweise Drohungen von Grundbesitzern und benachbarten, nicht in die Versorgung einbezogenen Lokalregierungen«.77 »Sicherheit«, wie der Begriff in diesem Kontext verwendet wird, meint Sicherheit für die Mitarbeiter und das Eigentum der Hilfswerke vor Ort. Die »Sicherheit« des Hilfspersonals unterscheidet sich konzeptuell von der Sicherheit der örtlichen Bevölkerung, die unter dem Titel »Schutz« behandelt wird. »Sicherheit« ist eine Voraussetzung für die Produktion. »Schutz«, die physische Sicherheit der ansässigen Bevölkerung, spielt für die humanitären Helfer seit den 1990er Jahren eine zunehmende Rolle, ist aber immer noch eine andere Frage als die der Sicherheit. Wir werden in Kapitel 6 auf die Frage des Schutzes zurückkommen. Von Hilfeempfängern wie -nichtempfängern wird erwartet, dass sie der geordneten Bereitstellung der Hilfsleistungen entgegenkommen. Ein entscheidendes Element der Sicherheit ist für Hilfsorganisationen die »Akzeptanz«. Die Rede von der »Akzeptanz« erkennt die aktive Rolle der ortsansässigen Bevölkerung vor und nach jeder empfangenen Hilfsleistung an. Wie Abby Stoddard ausführt: »Akzeptanz bedeutet, dass das Hilfswerk eine vertraute und verlässliche Größe für die Gastgemeinschaft und die nutznießenden Bevölkerungsgruppen wird und dass es ein Netzwerk an Kontakten und Mittelsleuten aufbaut, um offene Kommunikations- und Empfangskanäle mit den entscheidenden (oft kriegführenden) Parteien aufrechtzuerhalten.«78 Um diese Definition so umzuformulieren, dass die Arbeit der ansässigen Bevölkerung deutlicher hervortritt: Die Hilfeempfänger sind aufgefordert, mit dem Hilfswerk vertraut zu sein, Vertrauen darin zu haben sowie als Netzwerk von Kontakten und Mittelsleuten zu dienen, um die Kommunikation und den Empfang zu erleichtern. Eine greifbarere Kooperation der Not leidenden Bevölkerungen beginnt in der Phase der Bedarfsanalyse, lange bevor sie tatsächlich irgendeinen Nutzen von dem Projekt haben. Im Normalfall entsenden NGO s ein Expertenteam, das die Bedürfnisse vor Ort einschätzen soll. Die Bewertungen werden zum Teil vorgenommen, um eine bessere 77 78

Catholic Relief Services, Evaluation of CRS’ Flood Response. Stoddard/Harmer/Haver, Providing Aid in Insecure Environments.

Die Arbeit der hilfsbedürftigen Bevölkerungen

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Planung zu ermöglichen, entwickeln aber auch eine Eigendynamik: Solche Bedarfsanalysen sind zum Bestandteil des Krisenreaktionsrepertoires in der humanitären Hilfe geworden, und nicht alle Bedarfsanalysen führen tatsächlich zu Hilfsprojekten. Sie stützen sich auf unterschiedliche Formen von Daten – unter anderem Beobachtungen, Berichte und Statistiken –, aber auch auf Interviews und Gespräche mit Bewohnern vor Ort. Manchmal interviewen humanitäre Helfer Einzelpersonen, manchmal halten sie Gruppendiskussionen ab. Für die Hilfsorganisationen ist die Bedarfsanalyse also mit der Herausforderung verbunden, Informanten und Gesprächspartner zu gewinnen. Manchmal sind die Ortsansässigen nur zu gerne bereit, über ihre Bedürfnisse zu sprechen, stellen die Helfer fest. Ein Berater und Ausbilder für humanitäre Hilfe mit Erfahrung im Bereich Wasser- und Sanitärversorgung erklärte mir: »Oft bleibt den Leuten in einer Katastrophe kaum etwas zu tun. Sie sprechen gerne mit einem.« In Erinnerung an ein Experiment mit Fabrikarbeitern in der klassischen Ära des wissenschaftlichen Managements erläuterte er weiter: »Es ist wie, als sie dieses Experiment durchführten, wo sie verschiedene Dinge ausprobierten, um herauszufinden, was die Arbeiter produktiver machen würde. Sie stellten fest, dass die Arbeiter stark von der Tatsache motiviert wurden, dass sich jemand für sie interessierte.« Forscher hatten in den 1930er Jahren in den Hawthorne-Werken herausgefunden, dass jede beliebige Änderung, die sie an den Betriebsabläufen vornahmen, die Produktivität erhöhte. Dies führte sie zu der Entdeckung, dass die Arbeiter ihre Anstrengungen verstärkten, weil sie Gegenstand einer Untersuchung waren. Entsprechend drängt sich hier die Vermutung auf, dass Menschen in einer Notsituation manchmal positiv darauf reagieren, wenn sich Außenstehende für sie interessieren. In anderen Fällen aber kann es schwerfallen, Informanten zu gewinnen, insbesondere wenn mehrere Organisationen dieselbe Gegend aufsuchen. Experten aus unterschiedlichen technischen Bereichen wie Wasser und Sanitär, Gesundheit oder Ernährung besuchen das Gebiet womöglich unabhängig voneinander – und es gibt keine Garantie, dass eine Bedarfsanalyse effektiv Hilfsleistungen nach sich ziehen wird. Dieses Problem ist im Feld der humanitären Hilfe inzwischen weithin bekannt. Die Richtlinien des Roten Kreuzes zur Bedarfsanalyse

Hilfeempfänger als Ware

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im Krisenfall erklären es wie folgt: »Die Menschen sind frustriert, weil man von ihnen wiederholt dieselben Fragen beantwortet haben will, oftmals ohne sichtbares Resultat. Sie verlieren die Geduld mit ›humanitären Bedarfsanalysen‹. Unter diesen Umständen dürfte eine Bedarfsanalyse kaum nützliche Informationen liefern.«79 Sind die lokalen Bevölkerungen nicht bereit, Fragen zu beantworten oder an Umfragen oder Gruppentreffen teilzunehmen, dann zeigen sie Anzeichen von »Befragungsüberdruss« (»assessment fatigue«), wie die humanitären Helfer das nennen. Nach dem Tsunami im Indischen Ozean 2004 stellte die internationale Evaluation fest, dass manche Menschen »zu Tode analysiert« worden waren.80 Inzwischen gibt es Bestrebungen, Bedarfsanalysen besser zu koordinieren und die Techniken der Datenerhebung zu formalisieren. Die Vereinten Nationen bemühen sich, Hilfsorganisationen, die auf demselben Sektor tätig sind, mit Hilfe des Clusteransatzes zu koordinieren, sodass Daten idealerweise nur einmal gesammelt werden; doch zeigen die ersten Erfahrungen, dass das Problem der Dopplungen einstweilen weiterhin bewältigt werden muss.81 Während der eigentlichen Durchführung der Hilfsmaßnahmen nimmt die Arbeit von Hilfeempfängern unterschiedliche Formen an. Um etwas verteilen zu können, ist wenigstens eine geordnete Menschenmenge erforderlich – manche Hilfsorganisationen liefern unter gewissen Umständen Nahrungsmittel nachts oder am frühen Morgen ab, um Störungen zu vermeiden. Damit sie in einem Lager Essen erhalten, müssen sich Flüchtlinge beispielsweise oft registrieren. Hilfe zu empfangen – ob es Zelte, nonfood items oder Nahrungsmittel sind – erfordert in der Regel warten und Schlange stehen. Wie schrieb Michael Lipsky in seiner klassischen Studie Street-Level Bureaucracy schon in Bezug auf einheimische Verhältnisse: »Selbst die profanste Form von Anstehenmüssen – um Dienstleistungen in Übereinstimmung mit

79 80 81

International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies, Guidelines for Emergency Assessment. De Ville de Goyet/Morinière, Needs Assessment in the Tsunami Response. Vgl. etwa De Silva u.a., Real-Time Evaluation of the Cluster Approach; Polastro u.a., »Inter-agency Real-time Evaluation«.

Die Arbeit der hilfsbedürftigen Bevölkerungen

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universellen Prinzipien auf der Grundlage anzubieten, dass der Erste zuerst bedient wird – verursacht Kosten.«82 Ein Notversorgungsprogramm ist vielleicht darauf angewiesen, dass Mütter sich besonders um kranke Kinder kümmern. Diese spezielle Arbeit ist für die Beteiligten nicht immer trivial. So erzählte mir ein Manager eines medizinischen Hilfswerks von einem Projekt, bei dem Mütter eine gewisse Zurückhaltung an den Tag legten, diese Aufgabe zu übernehmen. Der Grund lag im Bewusstsein ihrer Verantwortung als Mütter für all ihre eigenen Kinder und als Frauen mit Pflichten in einer Großfamilie. In diesem Fall meldeten sich jedoch die meisten Frauen schließlich zur Teilnahme an dem Programm an. Manche Projekte erfolgen in Form von Schulungen. Schulungen sind besonders auf dem Feld der Menschenrechte und in der Entwicklungszusammenarbeit verbreitet, haben aber auch in der humanitären Hilfe ihren Stellenwert. Bei Hygieneprojekten etwa ist es erforderlich, dass die Betroffenen an Trainingsmaßnahmen teilnehmen, in denen sie lernen, wie man Latrinen und Wasser gefahrlos verwendet und wie man das Risiko der Ausbreitung von Krankheiten minimiert. Ich möchte mit dieser Beobachtung keinerlei Kritik an dieser Art Maßnahme andeuten, wie man es aus libertärer oder Foucault’scher Perspektive vielleicht tun könnte. Ich bin mir sicher, dass Verhaltensänderungen eine wichtige Rolle spielen können – und möchte im Moment nur darauf hinweisen, dass sie auch für die Hilfeempfänger mit einem Zeitaufwand verbunden sind. Die Hilfsorganisationen erwarten von den Nutznießern in der Regel, dass sie Einrichtungen wie Latrinen selbst instandhalten; mitunter aber stellen sie einfach Materialien zur Verfügung und gehen davon aus, dass die Hilfeempfänger die Infrastruktur selbst errichten. Wo die Arbeit auch von anderen erledigt werden könnte, wie es beim Bau von Latrinen, nicht aber bei der Hygieneschulung der Fall ist, sieht die Beteiligung der Leistungsempfänger am deutlichsten nach dem aus, was man unter anderen Umständen als Arbeit bezeichnen würde.

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Lipsky, Street-Level Bureaucracy, S. 95.

Hilfeempfänger als Ware

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Partnerschaft als Subunternehmertum Die Hilfswerke, die das Gesicht des humanitären Wirkens im Westen prägen, arbeiten bei der Umsetzung ihrer Projekte mit einer Vielzahl anderer Organisationen zusammen – unter anderem Zulieferern, Lokalverwaltungen83 und anderen NGO s. Insbesondere kooperieren manche Hilfswerke zur Durchführung ihrer Projekte mit lokalen Partnerorganisationen. Bei Letzteren kann es sich beispielsweise um lokale Kirchen oder örtliche Gemeindeinitiativen handeln. Diese Partner vor Ort erfüllen eine dreifache Funktion. Erstens sind sie eine Partnerorganisation, deren Mitarbeiter als humanitäre Helfer somit Kollegen darstellen. Einige Hilfswerke nehmen dieses Verhältnis sehr ernst und investieren Zeit und Ressourcen, um es zu einem für beide Seiten sinnvollen zu machen. Für christliche Hilfswerke ist es eine langjährige Tradition, mit lokalen Kirchen zusammenzuarbeiten – die britischen NGO s CAFOD (Catholic Agency for Development Overseas) und Tearfund etwa geben sich große Mühe, ernst zu nehmende Partnerschaften aufzubauen. Auch Organisationen auf dem Feld der Entwicklungszusammenarbeit kooperieren schon lange mit Partnern und achten darauf, gute Beziehungen mit ihnen zu entwickeln. Zweitens bilden die Partnereinrichtungen auch ein wichtiges Element des Produkts der humanitären Hilfe; auch sie werden gegenüber den Geldgebern als würdige Empfänger vermarktet, denen man Hilfe angedeihen lässt. Der »Aufbau von Kapazitäten« (oder die »Hilfe zur Selbsthilfe«) ist seit den 1990er Jahren zunehmend in den Vordergrund getreten,84 und mithilfe dieses Begriffs lässt sich den Gebern die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern als zusätzlicher Nutzen eines Projektes verkaufen. In der Entwicklungszusammenarbeit verwandelt ein verwandter Diskurs über gutes Regieren die Unterstützung anderer NGO s in eine mögliche Folge von Entwicklungsarbeit.85

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Harvey, Good Humanitarian Government. Vgl. auch Smillie, Patronage or Partnership. Atlani-Duault, Au Bonheur des autres.

Mitwirkung und Rechenschaftspflicht als Arbeit

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Drittens ist die Frage, ob sie mit Partnern vor Ort kooperieren oder nicht, für die Hilfsorganisationen zum Teil eine Frage der Arbeit. Es ist im Allgemeinen billiger, mit Partnern zusammenzuarbeiten, als den Hilfeempfängern Leistungen direkt zukommen zu lassen. Mitarbeiter, die für den Auslandseinsatz aus dem Westen oder anderen Ländern in die betroffene Region eingeflogen werden, sind kostspieliger als lokale Arbeitskräfte. Wenn sie sich mit lokalen Partnern zusammentun, können NGO s zudem die Verantwortung für Teile ihrer Arbeitskräfte und deren Risiken delegieren. Werden die lokalen Arbeitskräfte direkt angeheuert, liegen die Risiken bei der NGO ; übernimmt dies eine Partnerorganisation, sind sie abgewälzt.86

Mitwirkung und Rechenschaftspflicht als Arbeit In der Entwicklungszusammenarbeit bestehen Geberinstitutionen und Hilfsorganisationen schon seit Langem und verstärkt seit den 1980er Jahren auf der »Mitwirkung« der Leistungsempfänger. In der humanitären Hilfe – mit ihrer Prägung durch die Metapher des medizinischen Notfalls – ist dies ein neueres Phänomen. Im Zuge der Institutionalisierung der humanitären Hilfe jedoch übernahmen auch einige Entwicklungsorganisationen Hilfsmissionen. Zudem erstreckten sich manche humanitären Projekte über einen langen Zeitraum, sodass auch einige Hilfsorganisationen begannen, die Notwendigkeit einer lokalen Mitwirkung zu betonen.87 Wissenschaftler und Praktiker der Entwicklungszusammenarbeit haben scharfe Kritik an diesem Trend geübt.88 Es ist offen, ob im Rahmen von Projektmanagement je eine echte Partizipation zu erreichen ist. Aus der Forschung kommen auch interessante Fragen über die Folgen der Mitwirkung an NGO -Projekten für die Legitimität lokaler

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Für eine kritische Diskussion vgl. Stoddard/Harmer/Haver, Providing Aid in Insecure Environments. Mosse, »Participatory Development«. So etwa Cooke/Kothari (Hg.), Participation – The New Tyrrany?, und darin insbesondere die Beiträge von Henkel/Stirrat, »Participation as Spiritual Duty«, sowie Mosse, »People’s Knowledge«. Vgl. auch Mosse, »Participatory Development«.

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politischer Institutionen. Ich möchte hier nur einen dieser Kritikpunkte betonen, der im Zusammenhang meiner gegenwärtigen Argumentation von besonderem Interesse ist: Derartige Initiativen erhöhen auch den Arbeitsanteil der Hilfeempfänger. Das jüngste Phänomen im Gefolge und in Ergänzung früherer Partizipationsdiskurse ist das der Rechenschaftspflicht. Seit den 1990er Jahren sind die Hilfswerke zunehmend um die »Qualität der Hilfe« bemüht. Neben vielen anderen Reformprojekten ist das vielleicht weitreichendste und radikalste die Humanitarian Accountability Partnership (HAP ). Sie ist zugleich das Projekt, das am deutlichsten versucht, die Rolle zu verändern, die Leistungsempfänger in der humanitären Hilfe spielen. Die Organisationen, die sich an dieser Initiative beteiligen, sind bereit, die Kritik zu akzeptieren, dass sich Hilfswerke in der Regel an den Präferenzen der Ressourcenbesitzer orientieren oder, in den Worten der Initiative, »eher den Gebern als den Empfängern Rechenschaft schulden«. Sie sind darüber hinaus im Begriff, Prozeduren umzusetzen, die dieses Ungleichgewicht beheben sollen. Im Unterschied zu anderen Reforminitiativen sieht HAP einen Prozess der formalen Bescheinigung von Hilfswerken vor, die eine Reihe vereinbarter Standards einhalten.89 Ich werde in Kapitel 5 auf HAP zurückkommen, wenn wir die Ursprünge und Auswirkungen jener Projekte betrachten, die sich um eine Reform der humanitären Hilfe bemühen. An dieser Stelle möchte ich mich auf die Konsequenzen beschränken, die diese Initiative für die Arbeit von Hilfeempfängern hat. HAP führt Formen und Mechanismen ein, die Arbeit von den Hilfeempfängern verlangen. Sie müssen Informationen aufnehmen, Feedback geben, Formulare ausfüllen. Die Hilfswerke interessieren sich ernsthaft für ihre Rückmeldungen, aber nur eine bestimmte Art von Rückmeldung berührt ihre Arbeit – nämlich jene, die sich im Rahmen des bestehenden Mandats und genauer des bestehenden Programmzuschnitts bewegt. So wie Not leidende Bevölkerungen in Hilfeempfänger umgewandelt werden, müssen Letztere in genau diese sehr spezifische Rolle sozialisiert werden. Sie müssen die Kluft zwischen ihren eigenen Bedürf-

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HAP Editorial Steering Committee, HAP 2007 Standard.

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nissen und Wünschen und der Realität der Hilfswerke überbrücken. Ein Manager einer Organisation, die mit HAP befasst ist, erklärte mir: »Man muss den Leuten wirklich das ganze Prinzip erklären und ihnen helfen zu verstehen, wissen Sie, warum wir eure Beschwerden wollen und warum es gut für euch ist, kritisch gegenüber dem hier zu sein – aber in Wirklichkeit gibt es Grenzen für eure Kritik.«

Humanitäre Hilfe als Tausch In Kapitel 1 habe ich darzulegen versucht, dass Hilfsorganisationen Projekte produzieren. Ich beschrieb einige der Auswirkungen der organisatorischen Praktiken und der materiellen Zwänge auf die Zuteilung von Hilfsleistungen – eine Analyse, die auf die Ungerechtigkeiten zielte, zu denen diese Logik unter potenziellen Hilfeempfängern führt. Manchen Menschen wird geholfen, anderen nicht. Dies hat genauso viel mit den Zufälligkeiten von Logistik und Fachkompetenz zu tun wie mit einem objektiven Unterschied an Bedürftigkeit. Im vorliegenden Kapitel habe ich argumentiert, dass die Hilfeempfänger ein Bestandteil des Produkts der humanitären Hilfe sind und Arbeit für dieses Produkt leisten. Dies erlaubt es uns, die Konsequenzen eines Verständnisses von Hilfe als einer Form von Produktion unter dem Gesichtspunkt von Machtverhältnissen zu analysieren, und zwar nicht nur den Machtverhältnissen zwischen potenziellen Hilfeempfängern, sondern zwischen allen Akteuren, die an der humanitären Hilfe beteiligt sind. Die Frage lautet nämlich nicht nur, wer Hilfsleistungen bekommt und wer nicht, sondern auch, wer von einem System profitiert, in dem manche Menschen gerne für Projekte zahlen, während andere Teil eines Projektes werden oder sich selbst überlassen bleiben. Hilfeempfänger erhalten lebensrettende Ressourcen. Humanitäre Hilfe ist aber kein einseitiger Transfer von Ressourcen. Sie ist vielmehr ein Tausch, genauer gesagt ein Tausch unter Bedingungen der Konkurrenz und Ungleichheit. Die klassische Quelle für eine Analyse von Geschenken als einer Form des Austausches ist das Werk des Anthropologen Marcel Mauss. Wenn eine Person einer anderen ein Geschenk macht, scheinen Res-

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sourcen nur in eine Richtung zu fließen. Wie aber Mauss aufzeigt, hat auch der Gebende einen Nutzen (siehe Abb. 6). Er akkumuliert Verpflichtungen, die man ihm schuldet. Indem er scheinbar materielle Güter verschwendet oder zerstört, sammelt er symbolischen Kredit.90 Diese Analyse lässt sich auf den Kontext der Entwicklungszusammenarbeit übertragen, wo das Geschenk von dem einzelnen Geber zur NGO und manchmal über mehrere Partner-NGO s wandert, bis es schließlich den Empfänger erreicht, der dann dem Geber etwas schuldet.91

Abb. 6 Die Neufassung des Tausches durch Mauss

Bei der Analyse der humanitären Hilfe gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass sich die Tauschprozesse hier von denen unterscheiden, die Mauss untersuchte; sie sind nämlich durch einen Markt vermittelt und mit Arbeit verbunden. Bei Mauss haben wir es mit Individuen zu tun, die miteinander Geschenke in einer Gemeinschaft austauschen. Im Fall der humanitären Hilfe haben wir eine Gruppe spezialisierter Produzenten mit einem professionellen Interesse daran, zum Schenken und Beschenktwerden zu ermutigen. Auch müssen wir den Hintergrund bedenken, vor dem die Tauschvorgänge stattfinden, insbesondere dass das Geschenk Grundbedürfnisse der Empfänger berührt. Und wir dürfen nicht vergessen, dass nur ein kleiner Teil derjenigen, die womöglich Hilfe brauchen, tatsächlich welche bekommen, dass es also einen Wettbewerb unter den Geschenkempfängern gibt, dass aber auch jene, die nichts bekommen, ebenfalls etwas geben.92 90 91 92

Mauss, Die Gabe. Stirrat/Henkel, »The Development Gift«; vgl. auch Korf u.a., »The Gift of Disaster«. Auch Bourdieu versucht, Marx und Mauss zu verbinden, und nimmt die Analyse des Geschenks zum Ausgangspunkt, um genuin moderne Tauschprozesse zu studieren. Doch gebraucht er Marx’ Vokabular metaphorisch und widmet sich nicht ernsthaft einer Untersuchung der Produktion, der Arbeit und der Rolle von Organisationen als einer relativ unabhängigen Dimension des sozialen Lebens. Siehe die Diskussion bei Silber, »Bourdieu’s Gift«; Beasley-Murray, »Value and Capital in Bourdieu and Marx«; Guillory, »Bourdieu’s Refusal«.

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Aus diesen Gründen können wir uns nicht allein auf die Analogie zum Austausch von Geschenken stützen, wie Mauss ihn analysierte; wir müssen zusätzlich die Tauschvorgänge in der humanitären Hilfe mit dem Tausch von Arbeit gegen Lohn vergleichen, wie Marx ihn analysierte (Abb. 7).

Abb. 7 Die Neufassung des Tausches durch Marx

Abb. 8 Der Tausch im Markt für humanitäre Hilfsprojekte

Seine Analyse begann als Hinterfragung des scheinbar fairen Tausches zwischen Arbeiter und Arbeitgeber. Arbeiter geben ihre Arbeitskraft. Arbeiter erhalten einen Lohn, von dem ihre Existenz abhängt. Tatsächlich brauchen und begrüßen die Arbeiter ihre Anstellung. Für Marx ist das aber lediglich die Oberfläche des Phänomens. Er fordert uns auf, über das greifbare gute Ergebnis (die Löhne) hinaus den gesamten Tauschvorgang in den Blick zu nehmen. Marx drängt uns, die Bedingungen zu untersuchen, unter denen die Arbeiter ihre Arbeit akzeptieren und begrüßen. Erst einmal musste ein Großteil der Bevölkerung von seinen Existenzmitteln getrennt werden, um in ein solches Tauschverhältnis eintreten zu können. Er verlor den Zugang zum Land und musste Geld verdienen, um essen zu können. Die Produktionsmittel befinden sich in Privatbesitz, in den Händen einiger weniger, und die Arbeiter müssen miteinander um Arbeitsstellen konkurrieren. Diese Umstände versetzen die Arbeitgeber in die Lage, einen Mehrwert aus den Arbeitern herauszuziehen. Von dieser Analyse ausgehend vermochte Marx es, begründete Sorgen über die langfristigen Konsequenzen dieses Austausches zwischen Ungleichen zum Ausdruck zu bringen. Geber geben nicht direkt an Hilfeempfänger. Die Geber geben ihr Geld humanitären Organisationen im Tausch gegen Projekte mit pas-

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senden Hilfeempfängern (Abb. 8). Die Hilfswerke »beziehen« Hilfeempfänger aus einem Fundus an Krisen und Bedürftigkeit, bündeln sie und verkaufen sie an die Geber. Hilfsbedürftige Bevölkerungen werden somit in die Lage versetzt, miteinander konkurrieren zu müssen – statt mit vergleichsweise bessergestellten Gruppen in ihren eigenen Regionen und Ländern oder auf globaler Ebene. Diese Form der Verteilung von humanitärer Hilfe erlaubt es den Gebern, Projekte auszuwählen. In der Entwicklungsforschung gab es eine Diskussion über die relative Macht der Geberinstitutionen im Verhältnis zu den NGO s,93 die wahrscheinlich von Fall zu Fall variiert. Wie die Soziologin Emily Barman gezeigt hat, ist es wichtig, dieses Machtverhältnis nicht nur in Eins-zu-eins-Beziehungen zu untersuchen, sondern als Teil eines institutionellen Rahmens, von dem sowohl die Geber als auch die NGO s beeinflusst werden.94 In unserem Fall müssen wir dieses Verhältnis von Geber und NGO als Teil des globalen Marktes für Projekte betrachten, in dem diverse Geber diversen Hilfsorganisationen gegenüberstehen. Natürlich gibt es viele verschiedene Konsumenten von humanitärer Hilfe, die ihre je eigenen Interessen, Werte und politischen Vorstellungen haben. Aber ihre Präferenzen sind nicht willkürlich und in ihrer Variationsbreite strukturell begrenzt. Sie verfügen über Ressourcen, und ihre Präferenzen fallen je nach ihrer Kaufkraft ins Gewicht. Sie werden sich kaum für Projekte entscheiden, die ihnen gegen den Strich gehen oder die womöglich eine zukünftige Gefahr für ihre Ressourcen darstellen. Diese Art der Verteilung von Hilfe erlaubt es den Gebern, Status zu sammeln, und den NGO s, Geld und Status zu sammeln. Die Not leidenden Bevölkerungen – ob sie wirklich Hilfeempfänger sind oder schlicht als Empfänger oder potenzielle Empfänger angeführt werden – verleihen Hilfswerken wie Gebern Autorität, ohne dass sie über die Umstände, unter denen dies geschieht, eine nennenswerte Kontrolle ausüben. Die Darstellung der von Hilfsmaßnahmen Begünstigten durch die NGO s kann es unter diesen Umständen den Betroffenen erschweren, sich selbst darzustellen. 93 94

Edwards/Hulme, »Too Close for Comfort?«; Farrington/Bebbington, Reluctant Partners?; Hilhorst, The Real World of NGOs, S. 192. Barman, »Institutional Approach to Donor Control«.

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Die Hilfeempfänger erhalten Güter und Dienstleistungen, die oft nützlich und oft lebensrettend sind. Nahrung, Wasser, Gesundheitsversorgung sind unerlässliche Dinge. Latrinen und Zelte senken die Sterblichkeit bei Katastrophen. Natürlich bedeuten die Maßnahmen eine Hilfe für die Empfänger und werden von diesen oft begrüßt. Dennoch geben auch die Empfänger im Gegenzug etwas: beispielsweise ihre Zustimmung, Zeit und Arbeit. Und diese Arbeit leisten sie unter Bedingungen, auf die sie kaum einen Einfluss haben. Die Geberinstitutionen geben Geld und bekommen den symbolischen Nutzen, geholfen zu haben. Die Hilfsorganisationen bekommen Geld und den symbolischen Nutzen, geholfen zu haben. Die Hilfeempfänger, selbst die, die gar nichts bekommen, bieten sich als Quelle der Autorität für jene an, die helfen. Die Feststellung, dass die Hilfeempfänger miteinander konkurrieren, bedeutet nicht unbedingt, dass sich Bevölkerungsgruppen aktiv an diesem Konkurrenzkampf beteiligen – obwohl es Belege aus der Entwicklungsanthropologie dafür gibt, dass sie es manchmal doch tun, und vor allem, dass Mittelsmänner dies in ihrem Namen tun.95 Man wird sagen können, dass es sowohl für Not leidende Bevölkerungen als auch für lokale NGO s gewisse Voraussetzungen gibt, um an diesem Spiel teilzunehmen. Sie müssen nämlich den Erwartungen entsprechen. Ein einzelner Empfänger oder eine Gruppe von Empfängern muss vor allem »zivil« sein – das heißt sie dürfen sich nicht allzu sehr mit ihren eigenen politischen Projekten befassen.96 Sie müssen darüber hinaus bereit sein, das Hilfswerk zu den Bedingungen zu akzeptieren, unter denen es sein Hilfsangebot macht. Eine lokale NGO muss unparteiisch und unpolitisch sein, und sie muss über vertretbare Mechanismen zur Rechnungslegung verfügen. 95

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Bierschenk/Chauveau/de Sardan, Courtiers en développement; Lewis/Mosse (Hg.), Development Brokers. Auch Clifford Bob konzentriert sich ausdrücklich auf die aktive Rolle von aufständischen Gruppen, die Unterstützung von Interessengruppen suchen, vgl. Bob, Marketing of Rebellion; ders., »Market in Human Rights«. Man vergleiche dies mit Clifford Bobs Marketing of Rebellion. Die Unterschiede zwischen seinen und meinen Beobachtungen scheinen sich im Wesentlichen durch die Unterschiede zwischen dem Markt für Rebellionen und dem für Menschenrechte auf der einen Seite und dem Markt für Hilfsprojekte auf der anderen Seite zu erklären, doch bedarf dies wohl weiterer Untersuchungen.

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Partnerorganisationen werden ermutigt, sich zu professionalisieren, indem sie sich ein für westliche Organisationen nachvollziehbares technisches Fachwissen aneignen. Auch wird ihnen nahegelegt, sich zu spezialisieren. Die Geberinstitutionen halten die Hilfsorganisationen zu einer solchen akzeptablen Praxis an und finanzieren Schulungen zu diesem Zweck. Die Hilfswerke wiederum halten ihre lokalen Partner und Bevölkerungen zu einer akzeptablen Praxis an. Geber wie NGO s verfügen nur über wenige formale Mittel, um jene zu bestrafen, die nicht mitziehen; aber es gibt immer andere Menschen, denen man stattdessen helfen kann. Auf diese Weise müssen sich einige der ärmsten Bevölkerungsgruppen und örtlichen Organisationen im Rennen um Ressourcen gegeneinander durchsetzen. Ein Programmleiter einer großen US amerikanischen NGO erklärte mir: »Vielleicht haben Sie es mit einer ganzen Reihe von Berggemeinden zu tun, und dann haben Sie in einem Staat eine sehr gute lokale Organisation, die wirklich ein wenig Hilfe gebrauchen könnte, und in einem anderen Staat zwei oder drei Organisationen, die sich gegenseitig bekämpfen. Da würden Sie wahrscheinlich nicht in den zweiten Staat gehen.« Ein Konflikt gilt hier als Zeichen von Schwierigkeiten, vielleicht als Anzeichen dafür, dass die Betreffenden keine Hilfsmaßnahmen verdienen, mindestens aber als ein Hindernis für die effiziente Durchführung eines Projektes. Ein Länderreferent eines christlichen Hilfswerks in Großbritannien antwortete mir auf die Frage, wie seine Organisation entscheidet, welche Projekte sie unterstützt: »Wir sitzen hier in Großbritannien, und meine Partner sind beispielsweise in Sambia. Die stehen ganz unter dem Eindruck des dortigen Geschehens und sind folglich von den Bedürfnissen getrieben. Und manchmal sind sie so damit beschäftigt, die Bedürfnisse zu befriedigen, dass sie auf den Gedanken verfallen, wissen Sie, wo sie doch Experten für Landwirtschaft sind, es wäre eine gute Idee, wenn sie jetzt öffentliche Gesundheitsaufklärung zum Thema HIV machen würden. Und dann denkt man sich, ja klar – daran besteht auf jeden Fall Bedarf, aber ist das euer Gebiet? Und solltet ihr das tun?« In dieser Schilderung möchte das lokale Hilfswerk auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft reagieren – HIV scheint ein Problem in der Ge-

Direkte und indirekte Herrschaft

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gend zu sein. In der Zentrale meint man jedoch, die Organisation täte besser daran, sich auf ihr eigenes Fachgebiet zu konzentrieren.

Direkte und indirekte Herrschaft Kritiker der humanitären Hilfe führen gerne an, dass hilfsbedürftige Bevölkerungen Machtverhältnissen unterworfen sind. Es ist jedoch wichtig, sich genau anzuschauen, um welche Art Macht es sich hier handelt. Die Form von Macht, die üblicherweise vorausgesetzt wird, ist die direkte Beherrschung. Entweder werden die Not leidenden Bevölkerungen unmittelbar durch die humanitären Helfer beziehungsweise ihre Hilfsorganisation beherrscht, oder sie werden von einem System beherrscht, von dem die Hilfsorganisation nur ein weiterer Arm ist. Das System kann verschiedene Namen haben: »globaler Kapitalismus«, »Imperialismus«, »(Neo-)Kolonialismus«, »Neoliberalismus« oder »Empire«.97 Zweifellos gibt es auf dem Feld der humanitären Hilfe Formen direkter Herrschaft. Die humanitären Helfer haben sehr wohl Macht über die Empfänger ihrer Leistungen. Und sehr wohl üben NGO s Macht in diesem Sinne aus, wenn sie beispielsweise den Zugang zu Ressourcen und Diensten in einem Flüchtlingslager kontrollieren. Diese Form von Macht ist es, über die Tony Vaux, ein erfahrener Helfer und Oxfam-Manager, in seiner eindringlich offenen Schilderung The Selfish Altruist nachdenkt. So beschreibt Vaux, wie er in den 1980er Jahren im Norden Mosambiks eintraf: »Als die Staatsvertreter respektvoll vortraten, um meine Hand zu schütteln, genoss ich das beruhigende Gefühl, ihr Leben unter meiner Kontrolle zu haben, vor allem da ich um mein eigenes Leben gefürchtet hatte. Allmählich rief ich mir in Erinnerung, wer ich war – ein Mensch mit Macht, mehr Macht im kriegszerrissenen Mosambik, als ich mir in meinem eigenen Leben in einem englischen Dorf je hätte träumen lassen. Ich war hier, um zu entscheiden, ob Menschen lebensrettende Hilfe erhielten, und was immer ich beschließen würde, hatten sie zu akzeptieren.«98 97 98

Chandler, From Kosovo to Kabul; Chomsky, Der neue militärische Humanismus; Furedi, The New Ideology of Imperialism. Vaux, The Selfish Altruist, S. 94.

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Diese Macht kann missbraucht werden, wie Vaux selbst nur allzu bewusst ist. Derartige Machtmissbräuche sind Extremfälle, die aber gerade als solche etwas über die zugrunde liegende Struktur und das Potenzial der Situation offenbaren. Die Vorfälle in Lagern in Liberia, Sierra Leone und Guinea, wo einem gemeinsamen Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR ) und Save the Children zufolge Hunderte von Kindern gezwungen wurden, Sex gegen Dienstleistungen zu tauschen, sind vor diesem Hintergrund zu sehen.99 Es gibt jedoch, meine ich, noch eine weitere Dimension, in der Not leidende Bevölkerungen von der humanitären Hilfe vereinnahmt werden. Unter Rückgriff auf die von Moishe Postone entwickelte Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Herrschaft können wir sagen, dass hilfsbedürftige Bevölkerungsgruppen auch einer bestimmten Form von indirekter Herrschaft unterliegen, die durch den Markt für Projekte vermittelt ist.100 Wir verstehen die Bedeutung dieser Herrschaftsformen nur unzureichend, wenn wir nicht die charakteristische Logik des Marktes für Projekte, und somit implizit für Hilfeempfänger, analysieren. Dieser Markt vermittelt zwischen (tatsächlichen und potenziellen) Hilfeempfängern und Hilfsorganisationen. Seine Logik greift, bevor irgendjemand tatsächlich eine Hilfsleistung erhält und relativ unabhängig davon, wie diese erbracht werden soll. Sie wirkt sich auf diejenigen, die Hilfe empfangen, genauso aus wie auf diejenigen, die leer ausgehen. Es mag gewisse Kontinuitäten zwischen diesem Markt für Hilfsprojekte und früheren kolonialen Herrschaftsformen geben. Die Bilder, die der Projektmarkt hervorbringt, ähneln bis zu einem gewissen Grad jenen seiner kolonialen Vorgänger. Sie wiederholen die vertrauten Motive von Afrikanern oder Flüchtlingen als hilflosen, abhängigen und auf Hilfsmaßnahmen angewiesenen Wesen,101 während sie zugleich die neuen Themen des Staatszerfalls und der Sicherheit in den

99 Save the Children, From Camp to Community; Csáky, No One to Turn To. 100 Postone, Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft. 101 Vgl. etwa Härting, »Spectacle of the African Corpse«; Rajaram, »Representations of the Refugee«.

Direkte und indirekte Herrschaft

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Vordergrund stellen.102 Doch auch wenn es sich um alten Wein in neuen Schläuchen handelt, ist es wichtig, sich die neuen Schläuche genau anzusehen. Sie sind nämlich die vermittelnden institutionellen Mechanismen, um die es heute geht. An dieser Stelle scheint mir eine Anmerkung zu der Literatur über die Gouvernementalität angebracht. Eine Foucault’sche Analyse etwa der Art und Weise, wie eine Hilfsorganisation die Nutznießer ihrer Programme diszipliniert, verspricht zweifellos Einsichten. Jennifer Hyndmans Studie über die Arbeit des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen untersucht die alltäglichen Praktiken, die in Flüchtlingslagern die erwünschten Verhaltensweisen hervorbringen. Sie zeigt, dass Macht sowohl durch Zwangsmittel als auch durch disziplinarische Mittel ausgeübt wird. »Der Gebrauch bestimmter Berichtspraktiken durch das UNHCR und andere Hilfswerke«, bemerkt sie, »erinnert an koloniale Praktiken, die auf die Standardisierung, Kontrolle und Ordnung der Felder abzielen, aus denen sie hervorgegangen sind.«103 Doch möchte ich hier in zweierlei Hinsicht einen anderen Weg einschlagen. Zum einen überbewerten Foucault-Anhänger oft die Geschlossenheit der Gouvernementalität, wie auch das Autorenteam um Pat O’Malley dargelegt hat.104 Theoretisch wird in der Foucault’schen Tradition natürlich die Zerstreuung der Macht betont, doch schreiben die in dieser Tradition arbeitenden Kritiker häufig der Summe aller verstreuten Elemente von Macht am Ende eine verborgene Kohärenz zu. Zweitens wird Gouvernementalität in der Regel als eine Form direkter Herrschaft verstanden. Obwohl Foucault gerade mit einer Kritik an solchen Ansätzen beginnt, die Macht in erster Linie als etwas Negatives konzeptualisieren,105 wird Governance primär als Einschränkung gesehen, nicht als (scheiternde) Versorgung. Weil er sich so große Mühe gibt, jeden Essenzialismus zu vermeiden, gründet Foucault seine Kritik auf libertären Voraussetzungen; in seinem Bemühen, sich jeg-

102 Duffield, Development, Security, and Unending War. 103 Hyndman, Managing Displacement, S. XXVIII ; vgl. auch Sending/Neumann, »Governance to Governmentality«. 104 O’Malley/Wear/Shearing, »Governmentality, Criticism, Politics«. 105 Foucault, Überwachen und Strafen.

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licher Vorannahmen über Subjekte zu entschlagen, eliminiert er alles, was Menschen mit Menschen verbindet und voneinander abhängig macht, wie zum Beispiel Bedürfnisse und Wünsche. Das erschwert es, die Bedürfnisse einer Person als Quelle der Macht einer anderen zu verstehen, und es verleitet Wissenschaftler in der Tradition der Gouvernementalität dazu, nur jene Macht zu untersuchen, der Menschen ausgesetzt sind, wenn sie das Ziel einer Maßnahme oder Intervention bilden, nicht aber die Macht, die aus einer Mischung von Intervention und Vernachlässigung entsteht.

Eigensinn und Widersprüche »Hilfsbedürftige Bevölkerungen« sind nicht nur hilfsbedürftige Bevölkerungen – und sie müssen sich selbst auch nicht unbedingt vornehmlich so verstehen. In den Augen der Hilfsorganisation erscheinen sie so. Die Verwandlung von hilfsbedürftigen Bevölkerungen in die Zielgruppe der Hilfeempfänger muss gegen den Eigensinn der Empfänger ankämpfen und ist niemals völlig erfolgreich oder abgeschlossen. Die Kategorie des Eigensinns bezieht sich darauf, wie Subjekte ihre eigenen Bedürfnisse interpretieren, wie sie ihre Lage interpretieren, wie sie Entscheidungen treffen und handeln.106 Viele zumal linke Analysen stellen Einwilligung und Widerstand gegenüber, als gäbe es nichts dazwischen. Folglich wurde der Eigensinn entweder in objektivistischen Betrachtungen übersehen oder aber als Widerstand gefeiert. Im ersten Fall wird angenommen, dass Menschen gänzlich einwilligen, weil sie sich nicht genau so verhalten, wie es der (kritische) Beobachter von ihnen erwartet. Im zweiten Fall setzen die Beobachter oft ein einheitliches Objekt voraus, eine einzige Logik der Herrschaft, gegen die man Widerstand leisten könnte, und suggerieren somit eine Einheit der Interessen und Interpretationen von Beobachtern und Beobachteten.107

106 Vgl. Negt/Kluge, Geschichte und Eigensinn. 107 Die Debatte zwischen der Tradition der Kritischen Theorie und der neueren Rezeptionsforschung über den Konsum von Kulturgütern weist diese Form auf. In de Certeaus und Scotts Analysen alltäglicher Widerstandspraktiken geht die Sympathie über den analytischen Respekt für die menschliche Subjektivität hinaus und

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Eigensinn ist nicht unbedingt eine Form von Widerstand. Sie ist eine grundlegendere Form von Nichtidentität. Nehmen wir die beiden Bedeutungen des Ausdrucks »eigenwillig«. Auf der einen Seite besagt er in konservativer Lesart »mehr Willen als nötig, vernünftig oder erlaubt« und in kritischem Verständnis »widerständig«; auf der anderen Seite bedeutet er schlicht, dass das Subjekt einen eigenen, nicht zu verkürzenden Willen hat. In diesem letzteren Sinne macht uns der Begriff auf potenzielle Widersprüche aufmerksam, die sich zeigen, wenn eine scheinbar abstrakte Logik auf konkrete Subjekte trifft. Es ist eine offene Frage, wie Widersprüche in den Mittelpunkt rücken oder vorübergehend aufgelöst werden – ob überhaupt und wenn ja, mit welchen Mitteln. Dieser Begriff deckt sich eher mit den Befunden der Entwicklungsforschung über die Handlungen und Reaktionen von Bevölkerungsgruppen auf den Apparat der Entwicklungszusammenarbeit als der Begriff des »Widerstands«.108 Bevölkerungen sind nicht immer darauf vorbereitet oder gewillt, mit Hilfsorganisationen zu kooperieren. Wir sehen dies im Fall der Bedarfsanalyse-Teams, die Mühe haben, Informanten zu finden. Der Befragungsüberdruss, von dem weiter oben die Rede war, ist Ausdruck einer anderen Einschätzung der Situation, die auf Erfahrungswerten beruht und ziemlich treffend sein kann – nämlich dass die Informanten nichts zu gewinnen haben, wenn sie bei einer solchen Lagebeurteilung mitmachen. Am Anfang meiner Recherchen begegnete ich einem jungen humanitären Helfer, der beim Militär gewesen war und anschließend einen Hochschulabschluss an der School of International Public Affairs der Columbia University erwarb, weil er lieber mit Hilfsorganisationen als mit dem Militär etwas bewegen wollte. Über einen seiner ersten Einsätze erzählte er mir: »Ich war bei einer Bedarfsanalyse in Somalia, und diese Menschen haben nichts. Dort herrscht Dürre, ein Großteil des Einkommens kam aus der Fischerei, aber die Leute haben ihre Boote im Tsunami verloren. Und das Dorfoberhaupt rief alle Bewohner zusammen und war sehr wütend. Er sagte: ›Niemand gibt

unterstellt eine gemeinsame Agenda gegen Unterdrückung. Vgl. de Certeau, Kunst des Handelns; sowie Scott, Weapons of the Weak. 108 Vgl. etwa Rossi, »Aid Policies and Recipient Strategies«.

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uns irgendetwas, niemand kümmert sich um uns, ihr fahrt hier nur durch: Warum sollten wir eure Fragen beantworten?‹« Für den jungen Helfer war dies eine ziemlich knifflige Situation, die er aber zu entspannen verstand. Er erklärte den Dorfbewohnern, seine Arbeit sei wichtig und sein Bericht sei notwendig, um andere Menschen über ihre Lage zu informieren. Eher betreten fügte er bei einem gemeinsamen Kaffeetrinken hinzu, dass er nach seiner Rückkehr aus Somalia in die Vereinigten Staaten seinem Hilfswerk einen Bericht vorlegte, der aber nie zu einem Projekt führte. Auch in der Umsetzungsphase kann der Eigensinn der Empfänger einer reibungslosen Ablieferung von Projektergebnissen im Weg stehen. Ein Helfer erinnert sich: »Wir brachten Güter in ein Lager für afghanische Flüchtlinge in Russland, und immer, wenn wir zurückkamen, war das, was wir ihnen gegeben hatten, verschwunden, und die Flüchtlinge sagten: ›Wir haben nichts.‹ Wir hatten ihnen Kleidung für die Kinder gegeben, und die Säuglinge hatten wieder nichts an. Das bringt einen in eine peinliche Situation, wenn der Geber kommt und sehen will, was mit dem Geld geschehen ist.« Schon lange frustriert es humanitäre Helfer, wenn sie sehen, dass die von ihnen verteilten Güter nicht genutzt, sondern gegen Geld eingetauscht werden. Manche Hilfeempfänger verteilen die Hilfsgüter auch untereinander um; Nahrungsmittel werden oft von Familien gemeinsam aufgebraucht. Bei Programmen, die auf unterernährte Kinder zielen, so erfuhr ich, kann es passieren, dass Eltern ihre Kinder unterernährt lassen, um weitere Essenrationen zu erhalten und mit der ganzen Familie zu teilen. Bevölkerungen können »wahre Hilfefüchse« sein (»aid aware«), wie manche humanitären Helfer das nennen – das heißt, sie haben bereits Erfahrung mit NGO s und versuchen, aus dem, was sie gelernt haben, etwas zu machen. Dies kann durch den Umstand verschärft werden, dass manche Krisen in Wirklichkeit zyklischen Charakters und damit Teil der Lebensnormalität in einer bestimmten Region sind. Auch die Tatsache, dass die Ressourcenzuteilung der Hilfsorganisationen ihrer eigenen Logik folgt und durchaus wiederholt dieselben Regionen abdecken kann, verstärkt diesen Mechanismus. Als Hilfsorganisationen auf die Flutkatastrophe von 2007 in Mosambik reagierten, trafen sie beispielsweise auf eine Bevölkerung, die

Eigensinn und Widersprüche

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einige Erfahrung mit Flüchtlingslagern in Malawi und mit der Fluthilfe von 2001 hatte. (Malawi war während des Bürgerkriegs vom Welternährungsprogramm versorgt worden.) Ein Evaluationsbericht hielt fest: »Die Bevölkerungsgruppen in den vom Zyklon betroffenen Regionen hatten an dem Hilfsgüter-Goldregen teil, der 2000 auf Zyklon Eline folgte. […] Nach den Überschwemmungen von 2001 wurden ziemlich großzügig Hilfsgüter verteilt, da viele Einrichtungen noch über große Bestände an Hilfsgütern verfügten, die 2000 zu spät für eine Verteilung an die Geschädigten von Zyklon Eline eingetroffen waren.«109 Die Erfahrung der Empfänger mit dem System der humanitären Hilfe kann es erschweren, zutreffende Informationen zu erlangen. Für Mosambik hält der organisationsübergreifende Evaluationsbericht fest, dass »Hilfeempfänger in ihrem Bemühen, die potenziellen Zuflüsse an Hilfsgütern zu maximieren, falsch darstellten, was sie verloren hatten oder was ihre Pläne waren. […] Auf die Frage, warum sie Decken bräuchten, antworteten sie, sie hätten ihre in der Flut verloren. Nach weiteren Diskussionen räumten die Befragten ein, dass sie gar keine Decken gehabt und ihren gesamten Hausrat mitgenommen hatten, als sie aus dem Tiefland flohen.«110 Oft bekamen die Interviewteams von Hilfeempfängern zu hören, dass sich die gesamte betroffene Bevölkerung im Umsiedlungsgebiet niederlassen wolle. In einigen Gegenden war dies offensichtlich auch der Fall, da die Menschen bereits begonnen hatten, in die Siedlungsgebiete zu investieren, indem sie Anlagen wie Getreidespeicher und Nistkästen errichteten. An vielen anderen Standorten wuchs jedoch Gras in den Unterkünften, oder sie wiesen nicht reparierte Schäden auf, was zeigte, dass sie nur gelegentlich genutzt wurden oder aufgegeben worden waren. Daraus wurde ersichtlich, dass die Bevölkerung wieder zurückgekehrt war, sei es ins Tiefland oder in Nachbardörfer.111 Die Hilfsorganisationen haben ihrerseits ein Repertoire an Strategien entwickelt, um Begünstigte zu überlisten und ihre Projekte planmäßig umzusetzen. So wurden Prozeduren entwickelt, um zu verhindern, dass sich Menschen doppelt oder in mehreren Lagern für 109 Cosgrave u.a., Inter-agency Real-Time Evaluation, S. 47. 110 Ebd. 111 Ebd.

Hilfeempfänger als Ware

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Hilfsleistungen anmelden. Wenn irgend möglich, sagte man mir, sollten Hilfswerke, wenn sie über das Personal verfügen, Registrierungen in mehreren Lagern gleichzeitig vornehmen, damit die Betroffenen nicht zwischen Lagern hin und her wechseln, um sich mehrfach registrieren zu lassen. Diese Strategien, mit dem und gegen den Eigensinn der Empfänger zu planen, könnte man unter der Rubrik »Verhinderung von Missbrauch« zusammenfassen. Mitunter gehen sie aber weit darüber hinaus. Der Landesdirektor eines christlichen Hilfswerks in Afghanistan berichtete mir von einem Projekt, das seine Organisation entworfen hatte. Der Plan bestand darin, Latrinen zu verteilen. Einige Einwohner konfrontierten die NGO mit Forderungen. »Die Leute wissen manchmal ganz genau, wie das alles abläuft«, erklärte er mir. »Sie wussten, dass wir diese Latrinen zu verteilen hatten, also sagten sie uns: ›Ihr könnt diese Latrinen bauen, müsst uns aber für die Arbeit bezahlen‹; tja, wir hatten gedacht, dass wir ihnen das Material zur Verfügung stellen und sie die Arbeit umsonst übernehmen würden.« Hier weigerten sich die Einwohner, das Projekt des Hilfswerks zu seinen Bedingungen zu akzeptieren. Sie weigerten sich, schlicht Hilfeempfänger zu sein, insbesondere weigerten sie sich, umsonst für das Hilfswerk zu arbeiten, und verlangten stattdessen einen Lohn. In diesem besonderen Fall, schilderte der Landesdirektor, umging die NGO das Problem und verbesserte das Projektdesign: »Wir beschlossen, es beim zweiten Anlauf etwas anders zu machen: Wir führten zunächst einige Bildungsprojekte durch, in denen wir Frauen in Hygiene schulten. Gegen Ende der Schulungen sagten die Frauen: ›Wir brauchen Latrinen.‹ Also sagten wir: ›Nun, wir glauben, dass wir Ihnen mit dem nötigen Material aushelfen könnten, wenn Sie beim Errichten helfen könnten.‹ Und dann kriegten sie die Männer dazu, die Arbeit zu machen. Das ist es, was ich mit Gemeindeentwicklung meine!«

Schlussfolgerung Hilfsbedürftige Bevölkerungen sind ein Zweck der humanitären Hilfe, aber auch ein Mittel zum Zweck. Das Verhältnis der Manager zu den Begünstigten ist nicht nur ein instrumentelles, es ist aber auch ein in-

Schlussfolgerung

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strumentelles. Sie schätzen die Gelegenheit, etwas Gutes zu tun und etwas zu bewegen. Die Manager müssen aber auch ein Projekt durchführen. Im Fall der internationalen humanitären Hilfe wird ein Projekt für den Tausch auf einem Markt produziert, auf dem es mit anderen Projekten von anderen Produzenten im globalen Maßstab verglichen wird. Ich habe versucht, eine Rolle herauszustellen, die Not leidende Bevölkerungen in der humanitären Hilfe spielen und die oft nicht beachtet wird. Die hilfsbedürftigen Bevölkerungen sind Teil des Produkts, das auf diesem Markt angeboten und verkauft wird und in das sie ihre Arbeit investieren. Ein Großteil der Debatten über humanitäre Hilfe hat sich begreiflicherweise um den Inhalt und Zuschnitt spezifischer Maßnahmen gedreht. Die Beobachter fragen: Wie zweckdienlich sind die Leistungen für die betroffenen Gruppen? Wie effizient ist ein Hilfseinsatz? Wie partizipatorisch ist der Planungsprozess einer Hilfsorganisation? Diese Diskussionen haben gewiss ihren Ort. Über solche Fragestellungen hinaus aber brauchen wir auch eine Diskussion über humanitäre Hilfe, die über die inhaltlichen Angebote von Hilfseinsätzen hinaus auf ihre Form zielt. Wie gut Inhalt und Zuschnitt einer bestimmten Maßnahme auch sein mögen, so beeinflusst doch ihre Form als eine Ware auf einem globalen Markt von Hilfeempfängern ihre Gesamtwirkung. Sie ist ein Produkt in einem – angesichts der Konsumvorlieben derjenigen, die über Ressourcen verfügen – begrenzten Rahmen möglicher Produkte, und sie stellt die, denen geholfen wird, gegen die, denen nicht geholfen wird. Im folgenden Kapitel untersuche ich, wie wir in die heutige Situation kamen. Wie wurden Not leidende Bevölkerungen zu Hilfeempfängern? Man kann sich viele verschiedene Geschichten der humanitären Hilfe vorstellen: Man könnte sie als eine Geschichte der humanitären Ideen112 oder als eine Geschichte der Krisen schreiben, auf die humanitäre Hilfseinsätze reagieren. Auch eine Geschichte der Geschicke und Konflikte der prominentesten Hilfsorganisationen wäre denkbar. 112 Eine interessante Darstellung in dieser Tradition bietet Pupavac, »Between Compassion and Conservatism«.

Hilfeempfänger als Ware

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Ich möchte einen anderen Ansatz verfolgen. Im nächsten Kapitel möchte ich vielmehr eine Geschichte der organisatorischen Infrastruktur der Reaktion auf menschliches Leid skizzieren, um eine Geschichte des Marktes für humanitäre Hilfe zu schreiben. Zu diesem Zweck verfolge ich die Entwicklung des »Logframe« (Programm- oder Projektplanungsübersicht), eines einflussreichen Steuerungsinstruments auf dem Feld der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Der Logframe ist ein Instrument, das Managern bei der Projektplanung hilft. Durch dieses Werkzeug entwickelten sich Projekte zur Grundeinheit der humanitären Hilfe, und durch dieses Werkzeug wurden sie auch vergleichbar.

3 Der Logframe und die Geschichte des Marktes für Hilfsprojekte Mit einem Wort, zwischen Geist und Leben besteht ein verwickelter Ausgleich, bei dem der Geist höchstens ein Halb vom Tausend seiner Forderungen ausbezahlt erhält und dafür mit dem Titel eines Ehrengläubigers geschmückt wird. Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

Die erste Schulung für humanitäre Helfer, an der ich teilnahm, war ein dreitägiger Workshop zur »Bedarfsanalyse«, dem ersten Schritt im Projektzyklus. Wir waren eine Gruppe von zehn Teilnehmern, die sich in einem Konferenzzentrum in einem Dorf im englischen Sussex trafen. Unser Erfahrungshintergrund war recht unterschiedlich; so befand sich unter uns ein junger Logistiker auf dem Weg zu seinem ersten Hilfseinsatz in Malawi, ein niederländischer Helfer mit über zwanzigjähriger Erfahrung bei einer großen und einflussreichen christlichen Organisation sowie ein Italiener, der seinen Master in Entwicklungszusammenarbeit machen wollte und bereits ein Jahr humanitäre Hilfe in Palästina geleistet hatte. Die meisten Teilnehmer trafen am Vorabend des Workshops ein, sodass wir Zeit hatten, uns kennenzulernen. Ich erwähnte, dass ich im Zusammenhang mit meiner Forschungsarbeit hier war, doch wurde im Laufe des folgenden Tages klar, dass man in einer so kleinen Gruppe nicht einfach »nur beobachten« konnte. Der Leiter des Workshops legte Wert auf eine interaktive Atmosphäre. Ich hatte keinerlei einschlägige Erfahrungen, wollte aber »mitmachen« und mich wenigstens mit Energie und Engagement einbringen. Ich hatte mich seit mehreren Monaten in das Feld des Humanitarismus eingelesen und eine Reihe von Seminaren und Workshops besucht, um mir anzuhören, wie führende Wissenschaftler auf diesem

Der Logframe und die Geschichte des Marktes für Hilfsprojekte

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Gebiet humanitäre Krisen sowie die Strategien und Regeln der Maßnahmen zu ihrer Bewältigung erörterten. So erschienen mir die Themen der Diskussionen in der Schulung zunächst auch vertraut, und ich hatte das Gefühl, mich an ihnen und an der Gruppenarbeit beteiligen zu können. Damit war es jedoch vorbei, als der Übungsleiter beiläufig den »Logframe« erwähnte und außer mir jeder im Raum zu wissen schien, worum es sich handelte. Der Logframe gehörte nicht zum Programm dieses Kurses – er schien Thema einer früheren Lehreinheit gewesen zu sein, die ich verpasst hatte. Allen anderen Workshop-Teilnehmern schien der Ausdruck »Logframe« wie selbstverständlich über die Lippen zu gehen. Ich hingegen wusste nicht nur nicht, was das war, sondern konnte mir, wenn jemand auf den Logframe zu sprechen kam, nicht einmal vorstellen, um was für eine Art von Sache es sich dabei handeln mochte. Seit dieser ersten Begegnung habe ich es mir nach und nach erklären lassen. Als eine leere Form erscheint der Logframe so wie in Abb. 9.

Abb. 9 Der Logframe

Als ausgefülltes Formular kann ein Logframe beispielsweise so aussehen wie das Dokument in Tabelle 1. Hierbei handelt es sich um eine Projektplanungsübersicht, eine Logical Framework Matrix, mit den Details eines bestimmten Projektes, die von Oxfam erstellt und von der Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der Europäischen Kommission (ECHO, vormals Amt der Europäischen Ge-

Der Logframe und die Geschichte des Marktes für Hilfsprojekte

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meinschaft für humanitäre Hilfe) an NGO s verteilt wurde, die einen Antrag auf Finanzierung humanitärer Maßnahmen bei der EU erwägen.113 Sie beschreibt ein Projekt zur Versorgung von Flüchtlingen in einem Flüchtlingslager mit Wasser und sanitären Einrichtungen, das drei in diesem Sektor der humanitären Hilfe zentrale Aspekte umfasst: Die Organisation schlägt vor, Latrinen zu graben, Brunnen auszuheben und die Flüchtlinge in persönlicher Hygiene zu schulen. Diese Matrix aus vier Zeilen und vier Spalten ist das Kernstück eines Planungsansatzes, der darauf zielt, Hilfsmaßnahmen zu vereinheitlichen und zu rationalisieren. In der oberen linken Ecke hält der Logframe das übergreifende Ziel des Projektes fest – in diesem Fall lautet es, den »Gesundheitszustand der Flüchtlinge und örtlichen Dorfbewohner« zu verbessern. Im nächsten Schritt verknüpft die Matrix übergeordnete Ziele wie einen besseren Gesundheitszustand mit konkreteren, untergeordneten Zielen oder prognostizierten Ergebnissen, etwa dem, dass die Flüchtlinge »adäquate, angemessene und sichere sanitäre Einrichtungen [erhalten]«. Schließlich verbindet sie übergreifende Ziele mit spezifischen Aktivitäten, wie denen, »temporäre Defäkationsbereiche« oder Latrinen bereitzustellen und Latrinenwärter zu schulen. In der zweiten Spalte werden Ziele, Ergebnisse und Aktivitäten an messbare Indikatoren gekoppelt. Wenn 400 Latrinen errichtet und angemessen benutzt werden, ist dies ein Indiz dafür, dass 8000 Flüchtlinge Zugang zu angemessenen und sicheren sanitären Einrichtungen haben. Die Angabe »15 Liter Wasser am Tag pro Person« beschreibt die »hinreichende Menge und Qualität«, die das Hilfswerk zur Verfügung zu stellen versucht. Sie entspricht international vereinbarten Mindeststandards für Hilfsmaßnahmen, auf die ich in Kapitel 5 näher eingehen werde. In Spalte 3 benennt das Formular die Quelle der Daten, anhand deren die tatsächlichen Ergebnisse mit den Zielsetzungen abgeglichen werden. In unserem Beispiel plant die Hilfsorganisation Kontrollbesuche in dem Flüchtlingslager und will sich darüber hinaus auf die Be113 »Humanitarian Actors – Framework Partnership Agreement: Annex 1 – Single Form – Logical Framework Matrix«, auf der ECHO -Website der Europäischen Union, http://ec.europa.eu/echo/about/actors/archives_fpa2003_en.htm [9. 11. 2008] (Webseite abgeschaltet).

Temporäre Defäkationsbereiche wurden eingerichtet und werden angemessen genutzt. 400 Latrinen wurden gebaut und werden angemessen genutzt. Weibliche Flüchtlinge können die sanitären Einrichtungen sicher benutzen. Die Latrinen sind weniger als 50 Meter von den Unterkünften entfernt. Die Zielgruppe greift auf mindestens 15 Liter Wasser am Tag pro Person zu. Die maximale Entfer-

1. 8000 Flüchtlinge erhalten binnen sechs Monaten adäquate, angemessene und sichere sanitäre Einrichtungen.

2. 8000 Flüchtlinge und 20000 Dorfbewohner erhalten binnen sechs Monaten Zugang zu einer

Kontrolle durch Techniker und Ergebnisprotokolle

Fokusgruppen-Diskussionen mit Frauen und Mädchen

Berichte von Latrinenassistenten

Latrinen-Kontrollformulare

Kontrollbesuche im Lager

Befragungen

Wasserversorgung und sanitäre Einrichtungen werden von der Zielgemeinschaft effektiv betreut.

Output / Ergebnis

Informationen von anderen NGO s, Diskussionen unter Fokusgruppen

Informationsquellen

Die Zielgruppe verwendet die Einrichtungen und Ressourcen in geeigneter und sicherer Weise.

Die Zielbevölkerung soll vermehrten Zugang zu Wasserversorgung und sanitären Einrichtungen bekommen und optimalen Gebrauch von ihnen machen. Sie soll Maßnahmen, ergreifen, um sich vor Gefährdungen der öffentlichen Gesundheit zu schützen.

Outcome / Spezifisches Ziel

Objektiv verifizierbare Indikatoren

Der Gesundheitszustand der Flüchtlinge und örtlichen Dorfbewohner wird verbessert.

Projektbeschreibung

Logframe (Logical Framework Matrix) von ECHO (2004)

Impact / Grundsätzliches Ziel

Tabelle 1

Die Flüchtlinge bleiben im Lager.

Die staatlichen Grenzschützer können die Sicherheitslage verbessern, um Angriffe von Rebellen zu minimieren/ verhindern.

Die von anderen NGO s eingerichteten Gesundheitszentren bleiben arbeitsfähig. Das UNHCR stellt weiterhin ausreichende Essensrationen, Unterkünfte und Decken zur Verfügung.

Der Konflikt im Nachbarland erfasst und destabilisiert das Einsatzland nicht.

Risiken und Annahmen

Der Logframe und die Geschichte des Markts für Hilfsprojekte

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Aktivitäten

Temporäre Defäkationsbereiche eingerichtet

Resultat 1: Angemessene sanitäre Einrichtungen im Lager

3. 8000 Flüchtlinge haben ein besseres Verständnis von grundlegenden Aspekten der öffentlichen Gesundheit und Hygiene sowie die Mittel, um Methoden zur Verbesserung der Hygiene im Lager anzuwenden.

Wasserversorgung von hinreichender Menge und Qualität.

Latrinen-Aushebeausrüstung

Defäkations-Markierungsausrüstung

Mittel

Die Flüchtlinge zeigen ein zunehmendes Verständnis für Fragen der Gesundheit und Hygiene.

Für die Sauberkeit und Hygiene der Latrinen und sanitären Einrichtungen wird gesorgt.

Männer, Frauen und Kinder waschen sich in den entscheidenden Momenten die Hände.

Fokusgruppen-Diskussionen, Befragungen und Interviews

Berichte von Latrinenwärtern und Wasserstellenaufsehern

Kontrollbesuche

Beobachtung

Wöchentliche Protokolle über Wasserproben

Das Wasser entspricht internationalen Qualitätsstandards. Weibliche Flüchtlinge haben sicheren Zugang zu Wasser. Wartezeit an den Wasserpunkten nicht mehr als 15 Minuten. Die Menschen verwenden Trinkwasser aus sicheren Quellen. Männer, Frauen und Kinder benutzen die Latrinen in angemessener Weise.

Protokolle von Aufsehern an den Wasserentnahmestellen

nung Unterkunft/Haus – Wasserentnahmestelle beträgt 500 Meter.

Die nationale Regierung erteilt der NGO die Zulassung, im Land zu arbeiten.

Baumaterialien bleiben in ausreichender Menge verfügbar.

Der Logframe und die Geschichte des Marktes für Hilfsprojekte

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Handpumpen und Ersatzteile Chemikalien zur Wasseraufbereitung

Schulung von 4 Wasserstellenwärtern im Lager

Material und Arbeit zum Brunnenbau

Onion-Tank

Pumpen-Bausatz

Leitungsrohre

Direkte Supportkosten

Personal

Töpfchen

Wartungsmittel

Baumaterialien/Arbeit

Schulungsworkshops

Installation von 32 Wasserentnahmestellen im Flüchtlingslager

Anlieferung von Wasser per LKW (nur erste Phase)

Resultat 2: Angemessen sauberes Wasser

Bereitstellung von Töpfchen für unter Fünfjährige

Konsultation weiblicher Flüchtlinge in der Frage geeigneter Standorte für Sanitäreinrichtungen

Bau von 80 gemeinschaftlichen Wascheinrichtungen (für Wäsche)

Bau von 200 nach Geschlechtern getrennten Waschgelegenheiten

40 Latrinenwärter geschult und ausgestattet

Latrinensitze

400 nach Geschlechtern getrennte Latrinen gemäß internationalen Standards errichtet Latrinen-Aufbaukonstruktion

Objektiv verifizierbare Indikatoren

Projektbeschreibung

Informationsquellen

Risiken und Annahmen

Der Logframe und die Geschichte des Markts für Hilfsprojekte

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Schulungsworkshops

Direkte Supportkosten

Personal

Schulungsworkshops

Ausrüstung zur Wasserprüfung

Monatliche Bereitstellung von 1600 Haushaltshygiene-Paketen über sechs Monate (Seife, Desinfektionsmittel, Waschseife usw. für eine Familie für einen Monat)

Bereitstellung von 160 Gemeinschaftshygiene-Paketen

Direkte Supportkosten

Wasserbehälter Schulung von 16 GemeinschaftsGemeinschaftshygiene-Pakete hygiene-Förderern im Lager Haushaltshygiene-Pakete Bereitstellung von 3200 WasPersonal serbehältern

Resultat 3: Verbesserte Hygienepraktiken im Lager

Einrichtung eines Gremiums zur Wasserverwaltung im Dorf

Einrichtung eines gemeinschaftlichen Ersatzteillagers für die Wasserpumpen im Dorf

Schulung von 4 Handpumpenwärtern im Dorf

Installation von 20 Handpumpen im nahegelegenen Dorf

Summe direkte Kosten = € 578974

Resultat 3: € 109839

Resultat 2: € 277239

Resultat 1: € 191896

Aufschlüsselung nach Resultat:

Kosten

Der Logframe und die Geschichte des Marktes für Hilfsprojekte

101

Der Logframe und die Geschichte des Marktes für Hilfsprojekte

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richte von Latrinenassistenten stützen, um festzustellen, ob die Latrinen ordnungsgemäß errichtet wurden und genutzt werden. Um sicherzustellen, dass die Frauen im Lager angemessenen Zugang zu den Latrinen haben, sollen Mitarbeiterinnen des Hilfswerks Fokusgruppen-Interviews mit Frauen und Mädchen führen. Die Leistungsnachweise und Testprotokolle der Techniker sollen zur Überprüfung dienen, ob genügend Wasser zur Verfügung steht. Die Planung mit dem Logframe fordert Manager dazu auf, die Bedingungen, von denen der Erfolg ihres Projektes abhängt, klar zu benennen. Sie sollen die Annahmen, auf die sie sich in ihrer Planung stützen, explizit formulieren und die externen Faktoren anführen, die gegeben sein müssen, damit die Ziele des Projektes erreichbar sind. Im vorliegenden Fall ist das Hilfswerk darauf angewiesen, dass ihm andere Hilfsorganisationen Dienste erbringen und dass staatliche Grenzschützer die Sicherheitslage verbessern. Verweigert die Regierung den Mitarbeitern der NGO den Zutritt, kann diese nicht liefern. Wenn Flüchtlinge das Lager verlassen, werden die Latrinen der NGO nichts dazu beitragen, die für sie gesetzten Gesundheitsziele zu erreichen. Diese Art Dokumente sind heute in der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe weit verbreitet, und viele institutionelle Geber verlangen sie im Rahmen eines Finanzierungsantrags.114 Unter dem Namen »Logic Model« werden sie auch in der Planung und Umsetzung sozialpolitischer Maßnahmen in nationalen Kontexten verwendet – man plant mit ihnen beispielsweise HIV-Präventionsprogramme, Projekte gegen häusliche Gewalt und Programme für junge Menschen mit »Armutsrisiko«.115 In diesem Kapitel möchte ich die Geschichte und die Rolle des Logframe untersuchen, um einige der Voraussetzungen ans Licht zu bringen, die der humanitären Hilfe in ihrer heutigen Form zugrunde liegen. Um zu verstehen, wie Projekte zur relevanten Einheit der Abrechnung und Bemessung wurden, wie Not leidende Bevölkerungsgruppen zu wesentlichen Bestandteilen von Projekten wurden und wie 114 INTRAC /South Research, »GTZ ’ Use of the ZOPP «; sowie Nakabayashi, The Japanese Version of Project Cycle Management. 115 Wholey, Evaluation; Collins u.a., »School-Based HIV Prevention«; Schmitz, Leaders against Family Violence.

Der Logframe und die Geschichte des Marktes für Hilfsprojekte

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Projekte bemessen wurden, um in einem Projektmarkt potenziell miteinander vergleichbar zu sein, ist es wichtig, die Geschichte der Managementpraktiken in der humanitären Hilfe zu beleuchten. Arbeiten in der Wissenschaftsforschung116 und in der Ethnografie des Politischen (Anthropology of Policy)117 sowie in den Critical Accounting Studies118 haben unsere Aufmerksamkeit auf die Implikationen der Werkzeuge und Techniken gelenkt, die auf vielen Praxisfeldern eingesetzt werden. Managementinstrumente wie der Logframe bestimmen nicht, was Menschen tun, aber sie beeinflussen es; sie beeinflussen, was jemand von der Welt zu sehen bekommt und erfährt, und sie prägen die Vorstellungen, die Menschen über die vor ihnen liegende Aufgabe haben. Der Logframe hat seine Kritiker auf dem Feld der Entwicklung und humanitären Hilfe gefunden, und nicht alle Hilfsorganisationen wenden ihn heute an.119 Und doch hat dieses Planungsinstrument die Umweltbedingungen für alle Hilfsorganisationen verändert, ob sie von ihm Gebrauch machen oder nicht. Dieses Werkzeug hat das Projekt als Planungs- und Produktionseinheit ins Leben gerufen, mit Folgen, die wir im ersten Kapitel betrachtet haben. Es schuf auch die Grundlage für den Projektmarkt, den ich im zweiten Kapitel untersucht habe. Der Logframe hat die Ergebnisorientierung in den Vordergrund gestellt; indem er aber die Ergebnisse in seine Spalten von Feldern einfügt, hat er die Nachweise für diese Ergebnisse von grundsätzlicheren Fragen nach den Bedürfnissen der Menschen und einer umfassenderen Erwägung möglicher Folgen getrennt. Er hat Resultate mit Kosten verknüpft und es damit im Prinzip möglich gemacht, Projekte zu vergleichen. Der Logframe hat darüber hinaus den »Hilfeempfänger« als den spe-

116 Latour, Science in Action. 117 Vgl. etwa Strathern (Hg.), Audit Cultures. 118 Preston/Cooper/Coombs, »Fabricating Budgets«; Power, Audit Society; Hopwood/ Miller (Hg.), Accounting as Social and Institutional Practice; Miller, »Governing by Numbers«; Miller/O’Leary, »Mediating Instruments«; Chwastiak, »Taming the Untamable«. 119 Wallace/Crowther/Shepherd, Standardizing Development; Gasper, »Evaluating the ›Logical Framework Approach‹«; Aune, »Logical Framework Approach and PRA «; Chambers, Whose Reality Counts?; Hulme/Edwards (Hg.), NGO s, States, and Donors; sowie Hulme, »Projects, Politics, and Professionals«.

Der Logframe und die Geschichte des Marktes für Hilfsprojekte

104

ziellen Teil einer Not leidenden Bevölkerung hervorgebracht, der als Leistungsempfänger auserkoren wird. Damit schuf er zugleich den »Hilfeempfänger« als jenen Teil der Not leidenden Bevölkerung, der nun zu einem neuen Produkt wird – dem Produkt aus denjenigen, denen geholfen wurde, das an höhere Ebenen in der Bürokratie und an externe Finanziers verkauft werden kann. Wenn wir uns nun die Geschichte des Logframe anschauen, bekommen wir es mit staatlichen Bürokratien ebenso zu tun wie mit Unternehmensberatungen. Diese Geschichte ist von der großen Politik geprägt, von großen Hoffnungen auf fortschrittliche Reformen und vom Misstrauen in den Staat. Sie ist auch von einer Politik im Kleinen geprägt, die Fragen der Macht und Kontrolle in Organisationen betrifft. Und sie hat mit wechselnden Entwicklungsdoktrinen sowie den Diskussionen darüber zu tun, wie man die Mitarbeiter von Organisationen der Entwicklungszusammenarbeitet leitet.

Die Geschichte des Marktes für humanitäre Hilfe und die Transformation des Staates NGO s gelten üblicherweise als staatsfern, und die Geschichte einzelner NGO s wird oft unabhängig von der des Staates geschrieben. Aus dieser Perspektive erscheinen NGO s als Organisationen, die, so geht die

Klage, ursprünglich autonom waren, dann aber von einem ihnen äußerlichen Staat kolonisiert wurden.120 Man darf dabei aber nicht vergessen, dass NGO s lange Zeit durch staatliche Politik begründet und ausgestaltet wurden.121 In ihrer gegenwärtigen Form sind NGO s auf dem Feld der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit auch ein Produkt der zunehmenden Verlagerung staatlicher Dienstleistungen auf gemeinnützige und gewinnorientierte private Akteure, die durch eine Reihe von Verwaltungsreformen ermöglicht wurde. Die humanitäre Hilfe, wie wir sie heute kennen, ist nicht zuletzt 120 Vgl. die Diskussion in Wallace/Crowther/Shepherd, Standardizing Development, die auch den Wunsch der NGO s nach Wachstum als wichtigen Faktor einbezieht; vgl. auch Hulme/Edwards (Hg.), NGO s, States, and Donors. 121 Hall, Inventing the Nonprofit Sector.

Die Geschichte des Marktes für humanitäre Hilfe

105

eine Folge der umfassenderen Transformation des westlichen Staates, an der sie immer noch teilhat.122 Die Versuchung liegt nahe, diese Transformation als eine Geschichte über den Neoliberalismus zu erzählen. Tatsächlich datiert ein Großteil der – zustimmenden oder kritischen – zeitgenössischen Literatur über die Verwaltungsreformen, die mich in diesem Zusammenhang interessieren, deren Ursprünge auf die frühen 1980er Jahre. Viele Forscher führen diese Reformen auf die Macht der »neuen rechten« Ideologien der Reagan- und Thatcher-Ära zurück. Manchmal werden die Reformen als ein Einbruch des Marktes in den Staat dargestellt, und gerne betont man den Einfluss privater Akteure, etwa in Form des Lobbyismus von Unternehmensberatungen.123 Um diese Reformen und ihre Folgen jedoch besser zu verstehen, müssen wir sie im Rahmen einer längeren und komplizierteren Geschichte verorten. Auch wenn die frühen 1980er Jahre einen Einschnitt in dieser Geschichte markieren, sind die Ursprünge der besagten Reformen viel älteren Datums. Wie Christopher Hood gezeigt hat, tauchen die Argumentationsmuster über den guten Staat seit der Antike in den unterschiedlichsten historischen Kontexten immer wieder auf.124 In den Vereinigten Staaten des 20. Jahrhunderts reichen ergebnisorientierte Reformen mindestens in die Progressive Era zurück. Die Vertreter des Progressive Movement bekämpften korrupte und ineffiziente Stadtverwaltungen; auf Bundesebene führten ihre Bestrebungen 1921 zum ersten Haushaltsgesetz des Landes.125 Während die politische Rechte solche Reformen im Grundsatz immer unterstützt hat, gewannen sie echten Auftrieb durch die Progressiven, die hehre Absichten verfolgten und große Hoffnungen darauf setzten, den Staat rationaler und effektiver zu machen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es linke Regierungen in Großbritannien und

122 Brand u.a., Global Governance; Brand u.a. (Hg.), Nichtregierungsorganisationen in der Transformation des Staates; vgl. auch Stein, »Humanitarian Organizations: Accountable?«. 123 Boston u.a., Reshaping the State. 124 Hood, The Art of the State. 125 Wiebe, The Search for Order; McGerr, A Fierce Discontent; zu kommunalen Forschungsinstituten vgl. auch Medvetz, Think Tanks in America.

Der Logframe und die Geschichte des Marktes für Hilfsprojekte

106

den USA , die das Programm einer ergebnisorientierten Verwaltung verfolgten. In Großbritannien leitete Labour-Premier Harold Wilson eine Überprüfung des öffentlichen Dienstes ein, als die Linke 1964 nach 13 Jahren wieder an die Macht kam.126 Auch in den Vereinigten Staaten wurde die Verwaltungsreform in den frühen 1960er Jahren mit Hilfe John McNamaras von der eher linken Regierung John F. Kennedy vorangetrieben.127 In beiden Fällen misstrauten die fortschrittlichen Regierungen den Staatsapparaten, die in ihren Augen vor allem den Eliten gedient hatten; sie wollten die Bürokratien gegenüber einer breiten Wählerschaft verantwortlich machen, als deren Repräsentanten sie sich verstanden. In beiden Fällen hegten sie hohe Erwartungen an die Sozialreformen, die mit rationalem Regieren umzusetzen wären. In beiden Fällen verfügten diese Regierungen nur über begrenzte Mittel, um ihre Visionen zu verwirklichen. Zwar stellte die Wirtschaft wichtige Modelle zur Verfügung, von denen die Reformer zehrten. Doch waren die entsprechenden Managementinstrumente von Anfang an Mischformen, die in ihrer weiteren Entwicklung die Grenze zwischen Staat und Markt mehrfach in beide Richtungen überschritten. Die Biografie eines Reformers wie Robert McNamara veranschaulicht diesen Punkt. McNamara studierte Wirtschaftswissenschaft, Mathematik und Betriebswirtschaft, diente während des Zweiten Weltkriegs im Office of Statistical Control der US Luftwaffe und wurde der erste Präsident der Ford Motor Company, der nicht aus der Familie stammte. McNamara kam als Geschäftsmann ins Verteidigungsministerium und brachte Experten für Unternehmensführung mit. Vor allem aber war er ein Modernisierer in den beiden Welten von Wirtschaft und Militär, der technische Fachkompetenz unabhängig von Tradition, der Geschichte einzelner Organisationen, Erziehung oder Lebenserfahrung einsetzte. Später wurde er der erste Präsident der Weltbank, der kein Bankkaufmann war. Verwaltungsreformen werden staatlichen Organisationen nicht nur von außen oder von oben oktroyiert; einen ihrer Antriebe bilden

126 Saint-Martin, »Management Consultants«. 127 Gross, »McNamaran Management«; ders., »The New Systems Budgeting«; Schick, »The Road to PPB «; sowie Chwastiak, »Taming the Untamable«.

Von Bürgern zu Leistungsempfängern

107

auch die Vorstöße mancher Fachleute im Staatsapparat selbst, wie etwa Christopher Humphrey, Peter Miller und Robert Scapens aufgezeigt haben128 und wie wir weiter unten noch sehen werden.

Von Bürgern zu Leistungsempfängern Die ergebnisorientierte Verwaltung hat die Vorstellung verändert, die der Staat von seinem eigenen Erfolg und vom »Volk« hat, den menschlichen Zielgruppen seiner Verfahren. Die westlichen Staaten haben von einer Politik allgemeiner Zielsetzungen und weitreichender, aber unspezifischer Verantwortlichkeiten gegenüber Bürgern auf ein Regime spezifischer Ergebnisse auf der Ebene einzelner Maßnahmen umgestellt. Wenn sich Wissenschaftler mit der Vision oder Vorstellung des Staates befassten, haben sie oft kritisch beleuchtet, wie der Staat Aggregate der Bevölkerung als Ganzer konstruiert. Von Michel Foucault stammt eine klassische Darstellung darüber, wie der moderne Staat die »Bevölkerung« im Zusammenhang mit dem Gesundheitswesen und der Biopolitik als einen zusammengesetzten Gegenstand seiner Sorge konstruierte.129 James Scott hat verschiedene groß angelegte »Entwicklungsprojekte« daraufhin untersucht, welche Abstraktionen sie zur Folge haben.130 Und Arjun Appadurai hat die Verwendung von Aggregaten im Kolonialstaat analysiert.131 Nun hat aber der staatliche Rückgriff auf aggregierte Bevölkerungen vor dem Hintergrund der jüngeren Entwicklungen eine andere Bedeutung angenommen. Die Vision der 1960er Jahre war die eines Staates mit einem breiten Angebot an Dienstleistungen, die allen Bürgern zur Verfügung stünden, sofern diese sie in Anspruch nähmen, und der Hoffnung auf eine allgemeine, allen zugutekommende Entwicklung auf der Grundlage wirtschaftlichen Wachstums. Heute bewegen sich

128 Humphrey/Miller/Scapens, »Accountability and Accountable Management«. 129 Foucault, Sexualität und Wahrheit, Bd. 1: Der Wille zum Wissen; sowie Hacking, Taming of Chance. 130 Scott, Seeing Like a State. 131 Appadurai, Modernity at Large; vgl. auch Kalpagam, »Colonial Governmentality«.

Der Logframe und die Geschichte des Marktes für Hilfsprojekte

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aggregierte Maßnahmen einerseits auch auf globaler Ebene, wie man beispielsweise an den Millenniums-Entwicklungszielen sehen kann. Andererseits spielt mit dem Aufschwung der erfolgsorientierten Verwaltung zunehmend eine andere Reihe von Zahlen, die von der kritischen Literatur zu Quantifizierung und Aggregation lange vernachlässigt wurde, eine große Rolle. Heute steht jede Einheit der staatlichen Verwaltung unter dem Zwang, nicht nur Ziele für jede Einheit vorzugeben, sondern messbare Resultate zu liefern. Infolge dieses Zwangs konzentrieren sich Maßnahmen nicht auf aggregierte Informationen über die Bevölkerung, sondern auf Daten über bestimmte Gruppen von Menschen, die als Ziel eines staatlichen Eingriffs auserkoren worden sind – eine Schwerpunktverlagerung mit gleichermaßen soziologischen wie politischen Folgen. Es geht nicht nur darum, dass die Bürger in verschiedener Hinsicht zum Objekt bürokratischer Apparate wurden; ein Prozess, den klassische wie zeitgenössische Arbeiten zur staatlichen Bürokratie eingehend analysiert haben.132 Wenn wir die avisierten Bevölkerungen vor dem Hintergrund der nicht avisierten betrachten, sehen wir, wie Bürgerinnen und Bürger heute ausgewählt und manche von ihnen zum Bestandteil eines Ergebnisses gemacht werden, das es zu maximieren gilt. Diese Ergebnisse verwandeln sich in Erfolgsbeweise, die unabhängig von der Größe der hilfsbedürftigen Bevölkerung sind. Die Bürger werden zu Empfängern einer Leistung – und damit dürften sie nicht mehr der Zweck staatlicher Interventionen sein, sondern ein Mittel, um den Anschein von Politik zu erwecken.

Programm- und Haushaltsplanung und das Repertoire der Rationalisierung Die Reform des Haushalts unter den Regierungen Kennedy und Johnson markierte einen wichtigen Fortschritt für das Projekt einer Verbindung der Planung mit den Resultaten innerhalb ein und derselben 132 Wright (Hg.), Anthropology of Organizations; dies., Parish to Whitehall; Collmann, »Clients, Cooptation, and Bureaucratic Discipline«; Clarke u.a., Creating CitizenConsumers; sowie Vidler/Clarke, »Creating Citizen-Consumers«.

Programm- und Haushaltsplanung

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Organisation. Die Programm- und Haushaltsplanung »Planning, Programming, and Budgeting« (PPB ) führte die entscheidenden Themen aller späteren Versionen ergebnisorientierter Verwaltung ein, Themen, die sich auch bei späteren Entwicklungen wie dem Logframe als wichtig erweisen sollten. Im Rahmen von PPB, aber auch bei späteren Reformen wurde die staatliche Bürokratie behandelt wie eine Unternehmensorganisation, und die Beamten stützten sich auf die Fachkenntnisse von Betriebswirten. Die Aufstellung des Haushalts sollte nunmehr von den avisierten Ergebnissen abhängen, nicht vom Input, wobei der Schwerpunkt auf messbaren Erfolgen zu liegen hatte. Die leitenden Beamten wurden jeglicher Verpflichtung auf bestimmte Teile der Organisation enthoben. PPB sollte die Bürokratien stärker in die Verpflichtung nehmen und ihre Effizienz steigern, doch indem es dies tat, begann es jene Apparate zu schwächen, die den Bürgern in umfassender Weise dienten. Kennedy und Johnson regierten in einer Zeit lebhafter Kritik an sozialen Ungleichheiten und großer Hoffnungen auf eine Reform der Gesellschaft. Es herrschte ein erneutes Interesse daran, Ressourcen zur Lösung der sozialen Probleme im Süden und in den Städten zu mobilisieren.133 Die Demokraten hatten große Wahlerfolge errungen, doch die neu in ihre Ämter kommenden progressiven Kräfte misstrauten den Hierarchien, die sie von der Vorgängerregierung erbten. Johnson übernahm die Präsidentschaft in einer Zeit, als sowohl die Rechte wie auch die Linke der staatlichen Bürokratie kritisch gegenüberstanden. Die antiautoritäre Linke stellte den Staatsapparat als repressiv und verantwortungslos infrage. Die politischen Entscheidungsträger ahnten, dass das Wirtschaftswachstum der Nachkriegsjahre zu Ende gehen könnte; erschwerend hinzu kam das Leistungsbilanzdefizit. Kennedy und Johnson versuchten, die Staatsausgaben zu drosseln.134 133 Wie ein zeitgenössischer Beobachter schrieb: »Man traute der Regierung sowohl die Fähigkeit zu, hartnäckige soziale und menschliche Probleme zu lösen, als auch die Fähigkeit, langfristige Ziele zu formulieren und zu erreichen. Wenige Jahre zuvor hatte Präsident Kennedy eine Mondladung noch in diesem Jahrzehnt angekündigt. Warum also nicht konkrete Ziele für ein breites Spektrum gesellschaftlicher Vorhaben setzen?« (Schick, »Systems Politics«, S. 144). 134 Major, »Hanging in the Balance«.

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Mit PPB revolutionierte Robert McNamara ab 1961 die Art und Weise, wie das Verteidigungsministerium seinen Haushalt aufstellte.135 In den 1940er und 1950er Jahren beantragten die Verantwortlichen ihre Budgetlinie Posten für Posten je nach Art der Aufwendung, sei es für Personal, Büromaterial, Operationen, Wartung oder Konstruktion. Jede Teilstreitkraft tat dies für sich, sei es die Armee, die Marine oder die Luftwaffe. PPB verknüpfte die Budgetierung mit der Planung. Jeder Etat wurde nunmehr gemäß dem Ziel und dem messbaren Ergebnis aufgestellt, dem die Ressourcen gewidmet waren – gemäß Output und nicht mehr Input. Dem Verteidigungsministerium zufolge »verankerte [PPB ] einen Prozess, der im Wesentlichen eine Prozedur zur gleichberechtigten Verteilung der vorhandenen Ressourcen auf die vielen konkurrierenden oder möglichen Programme definiert«.136 Michele Chwastiak hat analysiert, welche Vorteile PPB Kennedy und McNamara in ihrer Konfrontation mit der Militärbürokratie bot, die sie vorfanden.137 Beim üblichen Verfahren zur Aufstellung des Etats meldete jede Waffengattung die Art und Höhe ihres Bedarfs aufgrund von »Sicherheitserfordernissen«, eine Angabe, die für einen zivilen Verteidigungsminister nur schwer in Zweifel zu ziehen war. Das neue Budgetierungsinstrument erlaubte es McNamara, sich über das militärische Fachwissen von Stabsangehörigen mit Kampferfahrung hinwegzusetzen und sich auf seine eigene Sachkompetenz und Ausbildung sowie die seines Teams von Systemberatern zu stützen. Es versetzte ihn und seine Experten in die einzigartige Lage, laufende Programme nebeneinanderzuhalten und eingehend zu prüfen.138 PPB ermöglicht einen systematischen Vergleich von Programmen auf der Grundlage einer Analyse, die das Erreichen bestimmter Ziele zu den Kosten in Beziehung setzt. Ein solcher Vergleich betrachtet jedes einzelne Programm als entbehrlich, und von nun waren es die Programmverant135 Schick, »Systems Politics«, S. 138. 136 »Planning, Programming, Budgeting, and Execution. The Historical Context«, auf der offiziellen Website des US -Verteidigungsministeriums, http://www.defense link.mil/comptroller/icenter/budget/histcontext.htm [19. 11. 2009] (Webseite abgeschaltet), zitiert nach Chwastiak, »Taming the Untamable«, S. 507. 137 Chwastiak, »Taming the Untamable«; vgl. auch Hammond, »Defense Department Decision-Making«. 138 Chwastiak, »Taming the Untamable«, S. 510.

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wortlichen, die die Daten lieferten, mit denen sich Ausgabenkürzungen rechtfertigen ließen. Im Verteidigungsministerium beruhten die meisten Entscheidungen auf der Überlegung, wie man die Sicherheit aller Amerikaner im Rahmen hypothetischer Konfliktszenarien am besten gewährleisten könnte. Der grundsätzliche Vergleich zwischen verschiedenen Projekten beinhaltete also keine Vergleiche zwischen den Aufwendungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Die Werkzeuge der Systemanalyse jedoch ließen sich dafür verwenden, Programme zu vergleichen, die einen unmittelbaren Bezug zu einzelnen Bevölkerungsgruppen hatten, was in einigen Fällen zur Erwägung von Entscheidungen führte, die mit einer Wahl zwischen verschiedenen zu beschützenden Personenkreisen einherging. Unter diese Kategorie fallen einige der vom Office for Systems Analysis des Verteidigungsministeriums in Auftrag gegebenen Analysen über die Prioritäten der USA im Rahmen ihrer erweiterten Verpflichtungen im Kalten Krieg.139 Manche Zivilschutzplanungen für die Vereinigten Staaten selbst umfassten auch einen Kostenvergleich für den Schutz bestimmter Teile des Staatsgebiets und damit bestimmter Teile der Bevölkerung.140 Im Rückblick war PPB nur ein Kapitel in der langen Geschichte der Verwaltungsreform.141 Der Einfluss von PPB auf die Regierung der Vereinigten Staaten fiel in verschiedenen Behörden unterschiedlich aus, und die konkreten Werkzeuge, die das Verfahren vorsah, setzten sich nie in vollem Umfang durch.142 Die ergebnisorientierte Verwaltung hat sich seitdem in unterschiedlichen Formen weiterentwickelt und ist mit wechselhaftem Erfolg eingesetzt worden. Richard Nixon verfolgte dieses Programm weiter, als er in seiner zweiten Amtszeit die

139 Vgl. etwa Draft Presidential Memo on NATO Strategy and Force Structure, 7. 1. 1969; sowie Draft Presidential Memo on Asia Strategy and Force Structure, 1. 2. 1969, Kasten 4, Registerkarten A-F. Draft Presidential Memos, Papers of Alain Enthoven, LBJ Presidential Library, Austin, Texas. 140 Vgl. etwa Memorandum for President, »Civil Defense«, First Draft, 28. 10. 1968, Kasten 1, Fasz. 1, Strategic Offensive and Defensive Forces, Part 1, Papers of Alain Enthoven, LBJ Presidential Library, Austin, Texas. 141 Hood, Art of the State. 142 Schick, »A Death in the Bureaucracy«; Harper/Kramer/Rouse, »Use of PPB «; sowie Jablonsky/Dirsmith, »Pattern of PPB Rejection«.

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Führung durch Zielvereinbarung einführte, die auf betriebswirtschaftlichen Ideen des Managementtheoretikers Peter Drucker basierte.143 Jimmy Carter führte die Nullbasisbudgetierung ein.144 Im Laufe der 1980er und 1990er Jahre gewannen die Ideen des New Public Management (beziehungsweise der Öffentlichen Reformverwaltung) in einer Reihe von westlichen Ländern auf unterschiedliche Weise an Einfluss.145 Der Government Performance and Results Act von 1993 (Gesetz zur Leistung und Ergebnisorientierung der Verwaltung) verstärkte die Bemühungen in den Vereinigten Staaten. Heute steht die ergebnisorientierte Verwaltung ganz oben auf der Tagesordnung internationaler Organisationen sowie internationaler Bestrebungen um eine Verwaltungsreform. Die Verwaltungsreformen erfolgten in Schüben und konnten ihre Visionen nirgendwo ganz umsetzen. Doch wann immer Reformer sich an einer Verbesserung der Staatsbürokratie versuchten, bedienten sie sich – unabhängig von ihrer spezifischen ideologischen Ausrichtung oder Motivation – der einen oder anderen Form der ergebnisorientierten Verwaltung. In einer Atmosphäre, in der Linke wie Rechte Bürokratien kritisch gegenüberstehen, hat das Repertoire der ergebnisorientierten Verwaltung den Rahmen geschaffen, in dem Politiker und Verwaltungsbeamte auf Kritik aus beiden Lagern antworten. Sie bildet zugleich den Rahmen, in dem Minister und Staatsbedienstete Ausgaben gegenüber einer externen Öffentlichkeit verteidigen.

Geschichte(n) des Logframe Der Logframe selbst wurde in den späten 1960er Jahren von einer Management-Beratungsfirma für die amerikanische Entwicklungshilfebehörde USAID entwickelt. Als eine Version der ergebnisorientierten Verwaltung für den Einsatz vor Ort muss das Aufkommen der LogicalFramework-Analyse vor dem Hintergrund einer größeren Umwälzung 143 Drucker, Praxis des Managements. 144 Schick, »The Budget as an Instrument«. 145 Hood, »Public Management Reform of the 1980s«.

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in der ideologischen Ausrichtung der Entwicklungshilfe und ihrer konzeptionellen Werkzeuge verstanden werden. Zu diesen Voraussetzungen gehört auch eine grundlegende Veränderung in der Organisationsstruktur von USAID.

Die Umstellung von Wachstumsförderung auf Armenhilfe In den 1950er und 1960er Jahren lag der Schwerpunkt der internationalen Hilfe auf der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere auf dem am Bruttosozialprodukt (BSP ) gemessenen Wirtschaftswachstum. In ihrer Studie über die Weltbank stellt Martha Finnemore fest: »Entwicklung hieß in diesen Jahren, das BSP oder vielleicht noch das BSP pro Kopf zu steigern.«146 Die Hoffnung war, dass wirtschaftliches Wachstum zu einem höheren Lebensstandard und einem Abbau der Ungleichheit in den Entwicklungsländern führen würde. Die Rolle der internationalen Hilfe wurde hauptsächlich als die einer ersten Kapitalquelle verstanden. Investitionen in moderne, industrielle Sektoren sollten Wachstum und weitere Investitionen auslösen und Entwicklungsländern dabei helfen, gegenüber den Industrienationen »aufzuholen«. Die Kategorie »moderner, industrieller Sektor« verdient nähere Betrachtung. Erik Thorbecke schreibt: »Zweifellos war die Übernahme des BSP-Wachstums als Zielsetzung wie auch als Gradmesser der Entwicklungshilfe unmittelbar mit dem aktuellen Stand der Theoriebildung in den 1950er Jahren verbunden. Die zentralen Arbeiten, an denen sich die Gemeinde der Entwicklungshelfer in jenem Jahrzehnt orientierte, gingen von einem einsektoralen, gesamtwirtschaftlichen Rahmen aus und betonten die Rolle von Investitionen in moderne Wirtschaftstätigkeiten.«147 Zu dieser Zeit lag der Schwerpunkt von USAID auf großen Infrastrukturprojekten wie Staudämmen, Kraftwerken und Autobahnen.148 Das Ziel der Entwicklungshilfe und die Messlatte ihres Erfolges bildeten in den 1950er und 1960er Jahren das Wachstum auf nationaler Ebene und später in gewissem Maße die nationalen Arbeitslosenzahlen. Makroökonomische Kennziffern verfügen über eine interessante 146 Finnemore, »Redefining Development«, S. 207. 147 Thorbecke, »Evolution of the Development Doctrine«, S. 20. 148 Finnemore, »Redefining Development«, S. 207.

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Sozialgeschichte. Timothy Mitchell hat beschrieben, wie keynesianische Ökonomen »die Wirtschaft« als Gesamtkonzept auf nationaler Ebene kreierten.149 Und Daniel Speich hat die Geschichte des BSP mit einem Schwerpunkt auf den Debatten über seine Verwendung zum Vergleich von Entwicklungsländern nachgezeichnet.150 Differenziertere Wirtschaftsdaten waren nicht unbedingt leicht verfügbar. »Die Abhängigkeit von gesamtwirtschaftlichen Modellen war nicht nur durch den […] konzeptionellen Stand vorgegeben, sondern auch durch das verfügbare Datensystem, das in den 1950er Jahren fast ausschließlich aus Volkseinkommens-Bilanzen bestand.«151 Mitte der 1960er Jahre hatte der Optimismus der ersten Jahre nach der Unabhängigkeit der neuen afrikanischen und asiatischen Staaten erste Dämpfer erhalten; das Wachstum – falls und wo es sich einstellte – zeitigte nicht die gewünschten Resultate. Es kam grundsätzlich nicht zu einem Trickle-Down-Effekt, mehr noch, die Ungleichheit nahm sogar zu. Dependenztheoretiker reagierten auf diese Lage mit dem Verweis auf das strukturelle Erbe des Kolonialismus. Unausgewogene Handelsbedingungen, behaupteten sie, hinderten die ehemaligen Kolonien am Aufholen. Die Experten in der herkömmlichen Entwicklungsökonomie wiederum bemühten sich um ein besseres Verständnis der Rolle verschiedener Sektoren und Subsektoren; sie rückten allmählich davon ab, alle modernen Sektoren über den grünen Klee zu loben und die Landwirtschaft abzuschreiben. In den 1970er Jahren konzentrierte sich die Entwicklungshilfe dann stärker darauf, Grundbedürfnisse zu befriedigen und den Armen direkt zu helfen. Eine weitere Reaktion auf die Kritiken bestand darin, dass mehr Hilfe in ländliche Gebiete floss.

Die Verknüpfung von Aufwand und Ergebnis Kritische Stimmen in der westlichen Innenpolitik, insbesondere im US -Kongress, haben immer schon eine Rechtfertigung der Ausgaben für die Auslandshilfe verlangt. Als die Zweifel an den allzu optimistischen Annahmen einer auf der Modernisierungstheorie fußenden 149 Mitchell, »Fixing the Economy«. 150 Speich, »Blick von Lake Success«; ders., »Use of Global Abstractions«. 151 Thorbecke, »Evolution of the Development Doctrine«, S. 22.

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Entwicklungshilfe wuchsen, stieg auch der Rechtfertigungsdruck. Das Wachstum des BSP und die Arbeitslosenzahlen haben unmittelbar nicht sehr viel mit den konkreten Aktivitäten der Entwicklungshelfer zu tun. USAID wurde angehalten, mehr Zeit auf die Evaluation und Analyse seiner eigenen Bemühungen zu verwenden. Ein Bericht des Management-Beratungsunternehmens Booz Allen Hamilton kam 1965 zu dem Schluss: »Schon oft wurde festgestellt, dass AID über ein unzureichendes Gedächtnis verfügt. Evaluierungsberichte über laufende oder abgeschlossene Projekte sind die Ausnahme. […] Trotz erheblicher Evaluierungsanstrengungen, die häufig ad hoc unternommen wurden, gilt nach wie vor, dass AID noch keinen systematischen Prozess entwickelt hat, um die Konsequenzen und Ergebnisse seiner Programmoperationen zu beurteilen und die reichhaltige gesammelte Erfahrung der Behörde zu nutzen.«152 Manche Eigenarten von USAID erschwerten es, die Bemühungen der Behörde systematisch zu evaluieren. Dem Bericht zufolge bestand ein Problem in »vagen Planungen«: »Im Allgemeinen gab es kein klares Bild, wie ein Projekt im Erfolgsfalle aussehen würde – es gab viele Zielvorstellungen, die nicht eindeutig mit Projektaktivitäten verknüpft waren.« Der Bericht klagt über »unklare Verantwortlichkeiten des Managements«: »Es gab zahlreiche wichtige Faktoren außerhalb der Kontrolle des Projektleiters, die nicht als solche (externe Faktoren) benannt wurden, was es den Projektleitern erschwerte, die Übernahme von Verantwortung für die Ergebnisse zu akzeptieren.«153 Diese beiden Faktoren bedeuteten auch, dass die Mitarbeiter vernünftigerweise nicht für die Resultate einer Maßnahme verantwortlich gemacht werden konnten; mit ihren eigenen Mitteln konnten sie für ihre eigenen Projekte keine guten Bewertungen garantieren. Nach den betriebswirtschaftlichen Lehren der damaligen Zeit stellte dies ein Problem für die Mitarbeiter, aber auch für das Management in seinem Bemühen dar, die Mitarbeiter zu motivieren.154 Die Evaluierung erschien »als ein feindlicher Vorgang: Mangels klarer Projektziele pflegten sich 152 Zitiert nach Schick, Assessment Report No. 4, S. 27. 153 Zitiert nach PARTICIP GmbH, Introduction to the Logical Framework Approach, S. 4. 154 Boltanski/Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus.

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die Gutachter auf ihre eigene Einschätzung zu verlassen, was sie für ›gut‹ oder ›schlecht‹ hielten.«155 Die Ergebnisse solcher Gutachten wurden aber zur Begründung von Argumenten darüber herangezogen, was im Allgemeinen als wünschenswert oder nicht wünschenswert galt, statt konstruktive Maßnahmen zur Verbesserung der Projekte anzuregen. Um diese Probleme anzugehen, entwickelte Leon Rosenberg (Fry Associates, später Practical Concepts Incorporated) Ende 1969 im Auftrag von USAID die Logical Framework Analysis (LFA ) – den Logframe.156 1971 führte USAID diese Projektplanungsmethode ein. Sie bewirkte eine radikale Veränderung zunächst in der Art und Weise, wie Projekte evaluiert und, später, wie sie geplant wurden. Der Logframe war eine Antwort auf die erwähnten Managementprobleme. Er klärt Ziele und Verantwortlichkeiten. Er fordert die Projektleiter auf, sich über ihre Grundannahmen klar zu werden. Er erlaubt es ihnen, Unsicherheiten explizit zu benennen und zu externalisieren. Sind Annahmen und Risiken erst einmal in einer eigenen Spalte aufgelistet, kann man die eigene Planung von ihnen trennen. Die Manager können sich auf das konzentrieren, was wirklich in ihrer Kontrolle liegt, und müssen sich nicht länger um Spalte 4 sorgen. Sie können ihre Aufmerksamkeit auf Spalte 2 richten und auf konkrete messbare Resultate für einen ausgewählten Personenkreis hinarbeiten. Wie die ursprüngliche Anleitung zum Logframe formuliert: »Es liegt im Rahmen der Möglichkeiten des verantwortlichen Managers, zu gewährleisten, dass Input zu Ergebnissen führt; wir machen ihn dafür verantwortlich. […] Auf der anderen Seite ist die Hypothese – wenn Ergebnisse, dann Zweck erfüllt – problematisch. Diese Hypothese ist vage genug, um den Projektleiter nach dem Leitbild des vernünftigen Menschen verantwortlich zu machen – er muss tun, was ein vernünftiger Mensch tun würde, um den Zweck zu erreichen, wird aber für dieses Resultat nicht verantwortlich gemacht.«157

155 PARTICIP GmbH, Introduction to the Logical Framework Approach, S. 4. 156 Rosenberg/Posner, Logical Framework. Ich danke Matthew Hall für seine Hilfe beim Aufspüren dieses Dokuments. 157 Rosenberg/Posner, Logical Framework, II -2.

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Dieser Ansatz passte gut zur Verlagerung des Schwerpunkts auf Arme und Grundbedürfnisse sowie ländliche Gebiete. Heute behaupten einige Kritiker, der Logframe führe zu einer übermäßigen Ausrichtung auf zählbare Ergebnisse und blende das aus, was man als »weiche« Faktoren bezeichnen könnte. Es lohnt sich indes, die von Logframes geforderten Belege mit den nationalen Wirtschaftskennziffern früherer Jahre zu vergleichen: Wohl mag der Logframe isolierte Ziele und die Zählbarkeit von Ergebnissen begünstigen, doch tut er dies auf eine Weise, die sich erheblich von den »ökonomischen« Anliegen der damaligen Zeit unterscheidet. Der Logframe ermöglichte es effektiv, Resultate in nichtökonomischen Bereichen wie Nahrungsmittelhilfe, medizinischer Versorgung und Schulungsmaßnahmen herauszustellen. Tatsächlich spielte der Logframe, dem man darüber hinaus vorwirft, die Entwicklungszusammenarbeit zu standardisieren und NGO s zu korrumpieren, eine zentrale Rolle dabei, dass zur Umsetzung staatlicher Entwicklungspolitik überhaupt NGO s herangezogen wurden. Die Logical Framework Analysis verbindet breite politische Ziele mit einzelnen Projekten; dadurch wird es für Regierungen leichter, Teile aus einem großen Programm herauszuschneiden und eine NGO mit ihrer Umsetzung zu beauftragen; dies kann die Grundlage eines Vertrages bilden und die Fiktion einer Vergleichbarkeit von Projekten erzeugen. Tatsächlich können die Geber den NGO s bis zu einem gewissen Grad die Initiative überlassen und sie dazu einladen, Projekte zu definieren und vorzuschlagen. Susan Watkins, Ann Swidler und Thomas Hannan haben eine Umstellung in der Praxis der Entwicklungsarbeit zugunsten hochgesteckter Zielsetzungen diagnostiziert, da sich die konkreten Ziele als unerreichbar erwiesen. Sie stellen fest: »Im Wesentlichen führte das Scheitern begrenzter Vorhaben zu immer ehrgeizigeren Zielsetzungen, da ein Erfolg eine radikale Erneuerung des grundlegenden, für die Entwicklung benötigten menschlichen und sozialen Materials zu erfordern schien.«158 Dies ist sicherlich insoweit richtig, als es in der Entwicklungszusammenarbeit eine neue Betonung von Partizipation und Ermächtigung gegeben hat. Ich möchte aber die These vertreten, dass auch das Gegenteil eingetreten ist und der Logframe ebenso sehr ein 158 Watkins/Swidler/Hannan, »Outsourcing Social Transformation«, S. 296.

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Symptom dieses Prozesses ist, wie er ihn vorantreibt. Manager, die sich keinen Illusionen mehr über ihre Fähigkeit hingaben, den Ehrgeiz der Entwicklungspolitik zu befriedigen, konzentrierten sich auf sehr konkrete Resultate, wie etwa – buchstäblich – die Zelte und Töpfe und Pfannen, die sie verteilt hatten. Dies wiederum begünstigte seit den 1990er Jahren die Ausdifferenzierung und den Aufstieg der humanitären Hilfsorganisationen aus dem Feld der Entwicklungsagenturen heraus.

Der Logframe und die humanitäre Hilfe heute Heute hat der Logframe viele Kritiker. Die Mitarbeiter von NGO s empfinden ihn in der Regel als eine Zumutung seitens der Geberinstitutionen,159 aber selbst dort schimpft so mancher Offizielle über ihn. In den kulturellen Dichotomien, die das Bürogerede in formalen Organisationen jedweder Art strukturieren, ist er mit Zahlen, Papierkram und Managerialismus assoziiert und steht im Gegensatz zu Werten, dem Dienst an Bedürftigen und der praktischen Erfahrung. Anders gesagt: Der Logframe steht für eine formale Rationalität und wird im Namen einer substanziellen Rationalität kritisiert. Es gibt andere Ansätze zur Planung und Durchführung von humanitärer Hilfe und Entwicklungsarbeit. Man muss sich jedoch klarmachen, dass diese alternativen Herangehensweisen dem Logframe heute auf seinem Terrain begegnen. Der Logframe hat das Projekt als Einheit der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit hervorgebracht. Er hat die Konzentration auf einzelne Ziele gefördert.160 Der Logframe lenkt die Aufmerksamkeit auf messbare Resultate für eine festgelegte Zielgruppe in einem festgesetzten Zeitrahmen. Auf diese Weise trennt der Logframe den Nachweis von Resultaten von allen Fragen der Abdeckung und

159 Vgl. etwa Wallace/Crowther/Shepherd, Standardizing Development. 160 Vgl. die Kritik von Hulme, der argumentiert, dass dies eine fragwürdige Praxis für öffentliche Projekte sei, die unweigerlich mehrere und auch umstrittene Zwecke verfolgten (Hulme, »Projects, Politics, and Professionals«).

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Reichweite, und er trennt den Nachweis des einen Projektes von allen anderen Folgen, die die Arbeit von NGO s womöglich hat.161 Der Logframe gibt die Kosten für das Projekt an und setzt diese Kosten zu sehr eng definierten Ergebnissen in Beziehung. In einem Begleitmemo zu dem oben behandelten Beispiel rät ECHO den Mitarbeitern von Hilfswerken, so spezifisch wie möglich zu sein: »Es ist ebenfalls nützlich, die Kosten nach Möglichkeit auf die Resultate umzulegen, sodass sich die tatsächlichen Kosten jedes Resultats aus dem Logical Framework ablesen lassen, wobei die Personal- und direkten Supportkosten angemessen aufgeteilt werden.«162 In dem angegebenen Beispiel (Tabelle 1) sind folglich die Kosten für sanitäre Einrichtungen, Wasser und Hygiene separat aufgeführt. Auf diese Weise hilft der Logframe dabei, dieses Projekt mit anderen Projekten vergleichbar zu machen, und kann so den Tausch zwischen Geberinstitutionen und NGO s rationalisieren. Das vorgeschlagene Projekt hilft bestimmten Menschen, die, so ist anzunehmen, sonst ohne die Wasserversorgung und sanitären Einrichtungen blieben, die sie benötigen. Es umfasst ein Wasser-und-Sanitär-Paket für 8000 Menschen zum Preis von 578974$, was sich mit einem ähnlichen Paket für eine andere Gruppe von Menschen vergleichen lässt. Der Logframe hat seinen Weg in die Annahmen gefunden, die die Feldarbeit humanitärer Organisationen strukturieren, selbst wenn diese ihn gar nicht nutzen. Das Projekt mit seinen vorab festgelegten Ergebnissen, Beginn- und Enddaten und vorab aufgestellten Budgets ist heute die Einheit der humanitären Hilfstätigkeit. Das Bemühen um spezifische Zielsetzungen ist fester Bestandteil der Projektplanung. Die Betonung spezifischer Resultate schlägt sich in der Entwicklung spezifischer Sektoren für die humanitäre Hilfe nieder, die inzwischen die Grundlage für die Krisenreaktionsplanung, Projektzielsetzung sowie humanitäre Koordinationstreffen bilden. Alternative Planungsinstrumente schöpfen oftmals aus reichen philosophischen Traditionen, etwa Ideen von Mitbestimmung und Er161 In den Worten von David Mosse: »Erfolg und Scheitern sind politische Urteile, die die Auswirkungen eines Projektes verschleiern.« (Mosse, Cultivating Development, S. 19). 162 »Humanitarian Actors – Framework Partnership Agreement«.

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mächtigung, sie werden aber oft als alternative Ansätze in der Projektplanung, nicht als Alternativen zur Projektplanung genutzt.163 Der Participatory-Rural-Appraisal-Ansatz (Partizipative Beurteilung, bürgerorientierte ländliche Entwicklungsplanung) beispielsweise lebt von den Ideen des Lehrers Paulo Freire und von der anthropologischen Tradition, die eine Fülle von Werkzeugen bereithält, mit denen sich der Austausch von Wissen erleichtern lässt: So kann ein humanitärer Helfer beispielsweise eine Übung in sozialer Kartografie durchführen, bei der die Einwohner Informationen über die Anlage ihres Dorfes, verschiedene soziale Gruppen oder vorhandene Betriebe mitteilen. Mit saisonalen Diagrammen lassen sich größere Veränderungen analysieren, die einen Haushalt oder eine Gemeinschaft im Laufe eines Jahres betreffen. Man kann Präferenzlisten erstellen, um zu verdeutlichen, wer welche Einsätze und Interessen hat. Vermögensranglisten enthalten Informationen über Schutzbedürftigkeit und gesellschaftliche Hierarchien.164 Solche Techniken können zu besseren Projekten führen, und viele erfahrene humanitäre Helfer und Entwicklungshelfer sagen, dass die Ergebnisse umso besser ausfallen, je partizipatorischer der Planungsprozess ist. Doch ändern diese Ansätze an sich nichts am Zeit- oder Budgetrahmen von Projekten. Selbst wenn sie nicht nur dazu verwendet werden, einen Logframe auszufüllen, ändern sie von selbst nichts an der Art von Engagement und Verpflichtung, die über den Projektmarkt vermittelt wird. Die Fragen, die eine Maßnahme stellen müsste, wenn sie den Markt für Projekte umgehen wollte, betreffen nicht das Engagement im Sinne von Ideen und Einstellungen, sondern das Engagement im Sinne von Ressourcen und den nötigen Zeiträumen für die Planung und alle weiteren Schritte.

163 Mosse, »Participatory Development«. 164 Chambers, Rural Development; ders., Whose Reality Counts?; vgl. auch die Ausführungen in Bornstein, Spirit of Development, Kap. 5.

Schlussfolgerung

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Schlussfolgerung Die humanitäre Hilfe in ihrer heutigen Form hängt von einer Reihe von Möglichkeitsbedingungen ab. Sie aufzuzählen hilft uns zu erklären, wie wir in die gegenwärtige Situation gekommen sind, und trägt zugleich dazu bei, die Form der humanitären Hilfe genau zu umreißen. Wenn wir uns fragen, was vorhanden sein muss, damit die humanitäre Hilfe so existieren kann, wie sie es tut, scheint es naheliegend, als Erstes an die Auslöser einer Krise zu denken: Naturkatastrophen etwa oder Bürgerkriege. Es ist aber ebenfalls wichtig, den prinzipiell mangelnden Zugang zur Grundversorgung für Bevölkerungsgruppen auf der ganzen Welt zu erwähnen und alle sozialen Möglichkeitsbedingungen dieser Möglichkeitsbedingung zu durchdenken. Dies schließt die Unfähigkeit oder Unwilligkeit von Staaten ein, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, die umfassendere Geschichte der Strukturanpassung und Abhängigkeit von Staaten und letztlich vielleicht die Defizite des kapitalistischen Systems. Wenn dies die Voraussetzungen für die Bedürftigkeit sind, so müssen wir sie noch um die Voraussetzungen für die Reaktion ergänzen, beispielsweise das erkennbare Interesse westlicher Regierungen und der westlichen Öffentlichkeit sowohl am Lindern von Leid als auch an Einfluss und Stabilität. Wie Thomas Haskell gezeigt hat, haben die Mittel, durch die wir von Leid erfahren, und die Mittel, mit denen wir das Leid ferner Öffentlichkeiten lindern, eine sehr spezifische Geschichte.165 Das vorliegende Kapitel hat sich besonders auf die Transformation des Staates konzentriert. Sie nämlich hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Aufgaben an NGO s und kommerzielle private Akteure ausgelagert und die Hoffnungen auf eine erfolgreiche Entwicklung armer Länder geschwächt wurden; auch ist in ihrem Gefolge ein globaler Maßstab für den Vergleich von Produkten entstanden. Der Logframe war ein wesentliches Element dieses letzteren Aspekts in der Geschichte des Humanitarismus, und er hat die Grundannahmen und Managementpraktiken, die die Arbeitsweise von humanitären Hilfsorganisationen prägen, tief greifend beeinflusst. Im folgenden Kapitel möchte ich die Geschichte einer spezifischen Form von humanitärer 165 Haskell, »Capitalism, Part 1«, und »Capitalism, Part 2«.

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Autorität als eine weitere wichtige Möglichkeitsbedingung der humanitären Hilfe in ihrer gegenwärtigen Form untersuchen. Von den frühen Versuchen mit der ergebnisorientierten öffentlichen Verwaltung an wurde die staatliche Bürokratie behandelt, als sei sie eine betriebliche Organisation, sodass sich die Beamten nun auf das Fachwissen von Betriebswirten stützten. Die Haushaltsplanung sollte anhand von Ergebnissen erfolgen, nicht mehr anhand von Input, messbare Resultate waren das neue vorrangige Ziel. Die Verantwortlichen wurden von jeglicher Verpflichtung gegenüber einem bestimmten Teil der Organisation oder gegenüber einer bestimmten Gruppe von Nutznießern befreit. Not leidende Bevölkerungen verwandelten sich in Chancen für Organisationen, Ergebnisse zu produzieren, und traten miteinander in Wettbewerb. Die Verwaltungsreform zielte darauf, die Bürokratien verantwortlicher und effizienter zu machen. Sie tat dies aber in einer Weise, die die Apparate, mit denen man den Bürgern umfassend zu Dienste sein konnte, zu schwächen begann. Der Logframe ging aus einer späteren Variante der ergebnisorientierten Verwaltung innerhalb von USAID hervor. In diesem Fall führten die Versuche, die Entwicklungshilfe verantwortungsvoller zu machen, zur Ablehnung von Verantwortung jenseits sehr spezifischer Projektziele. Ein Logframe hält Manager dazu an, die Annahmen, auf denen der Erfolg einer vorgeschlagenen Maßnahme beruht, explizit festzuhalten. Die Rationalisierung der Bürokratie insgesamt ging auch mit einigen wichtigen Grundannahmen einher, und wie ich glaube, stehen diese Annahmen im Zentrum der tragischen Geschichte des Planens vor allem in der Entwicklungs- und der humanitären Hilfe, aber auch in der öffentlichen Versorgung ganz allgemein. Wir haben Teile von Organisationen rationalisiert, um sie effektiver und effizienter zu machen, und wir haben viel Gedanken und Mühe in dieses Projekt investiert. Dabei sind wir davon ausgegangen, dass sich diese verbesserten Teile zu einem besseren Ganzen verbinden würden. Diese Annahme ist es, die sich im fragmentierten System der humanitären Hilfe als problematisch erweist, und in diesem Sinne wurden die früheren Ambitionen der »Entwicklungspolitik« unter Wert preisgegeben.

4 Die Geschichte der humanitären Autorität und die Ausdifferenzierung des humanitären Feldes Es gibt kein Ja, an dem nicht ein Nein hinge. Du kannst tun, was du willst, so findest du zwanzig der schönsten Ideen, die dafür, und zwanzig, die dagegen sind. Man könnte fast schon glauben, es ist wie in der Liebe und im Haß und beim Hunger, wo der Geschmack verschieden sein muß, damit jeder zum Seinen kommt. Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

In den ersten drei Kapiteln habe ich den Blick auf die gemeinsamen Praktiken gerichtet, die der gemeinsame Raum der humanitären Hilfswerke hervorbringt. In diesem Kapitel nun möchte ich im Gegenzug untersuchen, wie derselbe geteilte Raum auch eine Differenzierung zwischen den Hilfswerken bewirkt. Die humanitären Helfer sind heutzutage in grundsätzlichen strategisch-programmatischen und praktischen Fragen uneins. Sie führen intensive Debatten darüber, was es im Kern heißt, ein humanitärer Akteur zu sein.166 Schließlich haben sie es mit Dilemmata zu tun, in denen viele Menschenleben auf dem Spiel stehen – unmittelbar an Ort und Stelle oder als längerfristige Konsequenz. Sollten humanitäre Organisationen Geld von einem kriegführenden westlichen Land annehmen, um Seite an Seite mit seiner Armee Hilfsmaßnahmen durchzuführen? Welche Bedingungen von Empfängerländern sollten sie akzeptieren, damit sie tätig werden können? Auf diese Fragen formulieren die Hilfswerke ganz unterschiedliche Antworten. Ich möchte die These vertreten, dass sich die Hilfsorganisationen in der Ausarbeitung ihrer jeweiligen Positionen nicht nur auf unter166 Vgl. Heins, First Public Obligation.

Die Geschichte der humanitären Autorität

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schiedliche Ideen- oder Nationalgeschichten stützen, obwohl auch diese ihren Niederschlag finden.167 Ich werde zeigen, dass sich die Hilfswerke darüber hinaus wechselseitig aneinander orientieren und aktiv darum bemüht sind, sich innerhalb des globalen Feldes der humanitären Hilfs-NGO s voneinander abzugrenzen. Wenn wir heute als private Spender und als Öffentlichkeit der Geberländer mit fernem Leid konfrontiert sind, ist unsere Reaktion durch beide Aspekte der Praxislogik des humanitären Feldes vermittelt: durch die geteilten Praktiken und Routinen auf dem Feld der humanitären Hilfe ebenso wie durch die reflexive Positionierung und symbolische Verortung innerhalb dieses Feldes. Im Folgenden skizziere ich zunächst einige der Unterschiede zwischen humanitären Organisationen, wie sie von ihren Mitarbeitern und von außenstehenden Beobachtern beschrieben werden. Ich zeige anschließend, wie sich der Humanitarismus zu einem Feld entwickelte, in dem eine symbolische Positionierung sinnvoll und nachvollziehbar ist. Der gemeinsame Raum der humanitären Hilfswerke hat seine Ursprünge in einem Schritt, der die Autorität kriegsbedingten Leids mit der Autorität der für jenes Leid verantwortlichen Staaten und der Autorität des Ärztestandes verband. Die daraus entstandene humanitäre Autorität trägt zu der spezifischen Rolle bei, die Hilfswerke heute spielen, und die Geschichte dieser Autorität ist das abschließende Element, um das ich meine Analyse der Möglichkeitsbedingungen der humanitären Hilfe in ihrer gegenwärtigen Form ergänzen will. Die Analyse des geteilten Raumes der humanitären Hilfsorganisationen als eines Raumes symbolischer Distinktionen in Fragen humanitärer Autorität wird uns zu einem besseren Verständnis der Vielfalt dieser Organisationen verhelfen. Sie kann auch zur Erklärung wiederkehrender Muster in den Debatten über das Verhältnis des humanitären Handelns zu Politik, Religion und Menschenrechten beitragen. Diese Debatten haben oft die Form einer grundsätzlichen Wahl zwischen Reinheit und Verunreinigung oder zwischen Naivität und Rea167 Barnett, »Humanitarianism Transformed«; für eine eingehende Untersuchung des Einflusses nationaler Unterschiede vgl. Stroup, Borders among Activists. Auch Hopgood/Vinjamuri, »Faith in Markets«, widersprechen in ihrer Argumentation zum Spendenmarkt der Annahme intrinsischer Unterschiede.

Unterschiede

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lismus. Die Beiträge wissenschaftlicher Beobachter formulieren diese Dilemmata in der Regel mit anderen Worten neu oder entwickeln eine Analyse, die zwischen den Polen solcher Debatten pendelt. Aus soziologischer Perspektive können wir diese Gegensätze zum Objekt der Untersuchung machen und die rhetorischen Positionen im Hinblick auf den sozialen Raum erklären, der sie ermöglicht. Während manche Feldtheorien von einer Aufteilung zwischen ökonomischem und kulturellem Kapital ausgehen, schlage ich vor, Organisationen anhand der Dimensionen von einerseits feldspezifischem Kapital und andererseits verschiedenen Arten von Kapital auf anderen Feldern, etwa dem politischen oder religiösen, zu kartografieren.

Unterschiede Um zu verstehen, wie Unterscheidungen zwischen humanitären Akteuren von diesen selbst getroffen werden, fragte ich die von mir interviewten Länderreferenten und Programmleiter, was ihre Organisation von anderen abgrenze. Unterschieden wurde erstens zwischen NGO s auf der einen sowie UN -Hilfswerken und Staaten auf der anderen Seite – viele Referenten differenzierten aber auch innerhalb der NGO Gemeinschaft. Die Interviewten führten zunächst oft ihr eigenes Spezialgebiet oder Mandat an: »Wir sind ein medizinisches Hilfswerk«, antwortete ein Länderreferent von MSF. »Wir unterscheiden uns offensichtlich, weil wir uns auf Kinder konzentrieren«, sagte mir ein Länderreferent von Save the Children UK . Ein Länderreferent einer christlichen Einrichtung erklärte mir deren Verzicht auf einen fachlichen Schwerpunkt mit der Unterscheidung zwischen einem Warenhaus-Hilfswerk und einem Boutique-Hilfswerk. Seine Organisation, erklärte er, sei ein Warenhaus-Hilfswerk. Ein Boutique-Hilfswerk spezialisiere sich eher eng und suche sich dann Projekte aus, die zu dieser eng definierten Identität passten. Ein Warenhaus-Hilfswerk hingegen biete Projekte in einer Vielzahl von geografischen Gebieten und technischen Fachgebieten an. Einige Länderreferenten unterschieden Organisationen nach ihren jeweiligen Spezialgebieten und ihrer Größe, doch bekam ich auch stärker wertende Unterscheidungen zu hören. Manche Hilfswerke etwa

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seien »professionell«, andere hingegen »weniger professionell«. Eine weitere Unterscheidung betrifft die Frage, ob ein Hilfswerk selbst im Feld tätig ist oder mit Partnern vor Ort zusammenarbeitet. Viele Hilfsorganisationen mit einem Hintergrund in der Entwicklungszusammenarbeit kooperieren nicht nur aus technischen Gründen mit lokalen Partnern, dies ist für sie vielmehr eine wichtige ethische oder politische Grundsatzentscheidung. Viele christliche NGO s etwa operieren ausschließlich über lokale Partner und sind stolz darauf, wie gut diese Zusammenarbeit funktioniert. Manche Manager unterschieden zwischen finanziell unabhängigen und staatlich abhängigen sowie zwischen religiösen und säkularen Hilfsorganisationen. Eine weitere Grenze trennt nationale Lager von NGO s. Sie wird unterschiedlich gezogen: zwischen französischen und allen anderen Organisationen, zwischen kontinentaleuropäischen und angelsächsischen Organisationen, zwischen europäischen und amerikanischen oder zwischen amerikanischen und allen anderen Organisationen. Viele humanitäre Helfer räumten IKRK und MSF sowie anderen Gruppen »französischer Ärzte« eine Sonderstellung ein. Das IKRK sticht aufgrund seiner besonderen Rolle als Subjekt des Völkerrechts und aufgrund seiner Unabhängigkeit heraus. Die Ärzte ohne Grenzen sind bekannt dafür, als erste schwierige Einsatzgebiete aufzusuchen, deutlich Stellung zu beziehen und gegebenenfalls auch andere Hilfswerke zu kritisieren. Sie sind zudem beispiellos erfolgreich darin, private Spendengelder zu akquirieren. Ihre Mitarbeiter sind äußerst stolz auf das offene Diskussionsklima und die offene Kritik innerhalb der Organisation. Die Médecins du Monde (MDM ) spalteten sich von MSF ab, blieben ihrem Modell von Humanitarismus aber eng verbunden.168 Auch Action Contre la Faim verortet sich in einer unabhängigen französischen Tradition; dieses Hilfswerk wurde 1979 von einer Gruppe Intellektueller um den antikommunistischen Publizisten Bernard-Henri Lévy in Reaktion auf den Afghanistan-Krieg gegründet und bekämpft den Hunger in Krisensituationen und Notlagen. Die Grenze zwischen religiösen und säkularen Organisationen wird im Feld der humanitären Hilfe ernst genommen, womöglich aber 168 Dauvin/Siméant, Le Travail humanitaire.

Unterschiede

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im säkularen Lager schärfer gezogen. Ein Länderreferent in einer Einrichtung ohne ausgesprochene religiöse Zugehörigkeit äußerte sich so: »Wir sind weit entfernt von NGO s wie World Vision, Christian Aid und Samaritan Purse, die große, aber eben christliche NGO s sind und einen anderen Auftrag haben als wir; [sie] arbeiten meiner Ansicht nach nicht nur zum Wohle der Bevölkerung, sondern auch für politische Themen. […] Die Leute auf der Straße – die sehen keinen Unterschied. Für sie sind es am Ende alles NGO s; wir unter uns sehen wirklich eine Trennlinie zwischen jenen NGO s und uns.«169 In Organisationen, die in der einen oder anderen Weise religiös konnotiert sind, habe ich mit Leuten gesprochen, für die der religiöse Hintergrund ihres Hilfswerks keine große Rolle spielte. Eine Länderreferentin erzählte mir, sie sei eingestellt worden, obwohl sie einer anderen christlichen Konfession angehöre als ihr Arbeitgeber, auch unterscheide sich der Glaubensbezug des Hilfswerks nicht von jeder anderen Wertorientierung in einer Organisation. Ein Programmleiter einer anderen NGO erklärte mir, dass ihre religiöse Zugehörigkeit vor allem deshalb nützlich sei, weil sie Vorteile für ihre Mittelbeschaffung bringe. Für andere Mitarbeiter humanitärer Organisationen ist der Glaube jedoch untrennbar mit allem verbunden, was sie tun. Ein Länderreferent in einer evangelischen Einrichtung in Großbritannien nannte den Glauben als das Unterscheidungsmerkmal seiner Organisation: »Meiner Meinung nach unterscheiden wir uns stark von anderen Hilfswerken. Meiner Meinung nach haben wir den grundlegend anderen Glauben, dass Jesus auf diese Welt kam, lebte und starb und nicht etwa eine Baugesellschaft oder eine Bank oder sonst eine Institution hinterließ. Er hinterließ die Kirche. Und die Kirche ist nicht nur dafür zuständig, in einem gewissermaßen sehr begrenzten geistlichen Sinn einen Hindu zum Christen oder einen Muslim zum Christen zu machen. In Wirklichkeit hinterließ Christus die Kirche, damit sich alle Menschen in jeder Hinsicht der gesamten 169 Ich zitiere dies hier natürlich nicht als einen Beleg für einen objektiven Unterschied zwischen »säkularen« und »religiösen« Einrichtungen in ihrer Integrität, sondern vielmehr als einen Beleg für eine symbolische Grenze, die von einigen innerhalb säkularer Einrichtungen gezogen wird.

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Menschheit widmen können; von daher die Idee, durch die Kirche zu arbeiten, um sich Menschen zu widmen, nicht nur in einem geistlichen Sinne, sondern körperlich, mental, emotional, ökonomisch und politisch. […] Was besonders ist, ist die Idee, mit der Kirche zu arbeiten, durch die örtliche Kirche zu arbeiten und die Kirche herauszufordern, über ihr enges Verständnis ihrer Vision hinauszugehen.« Ein christlicher Humanitärer zu sein bedeutet dieser Erklärung zufolge nicht nur, dass man eine Position im Feld der humanitären Hilfe einnimmt. Es impliziert auch einen ganz bestimmten Schritt innerhalb der Glaubensgemeinschaft. Was die Berufstätigkeit dieses Mannes motiviert, ist nicht so sehr der Wunsch, dass sich humanitäre Hilfswerke stärker am Glauben und an Werten orientieren, als vielmehr der Wunsch nach aktiveren und sozial engagierteren Kirchen.170

Felder und Differenzierung Bisher habe ich den Humanitarismus als Feld im allgemeinsten Sinne einer geteilten Umwelt behandelt. Um aber die Rolle der Unterschiede zwischen Organisationen zu verstehen, müssen wir ein wenig in die Geschichte der Organisationssoziologie zurückgehen. Die Forscher, die als erste in den englischsprachigen Sozialwissenschaften von Feldern sprachen – eine heute unter dem Namen Neoinstitutionalisten bekannte Gruppe –, verwendeten den Begriff, um die Rolle der Kultur in den Vordergrund zu rücken. Während andere Wissenschaftler damals Rationalität, technische Erfordernisse und Effizienz betonten, richteten die Neoinstitutionalisten ihre Aufmerksamkeit auf die Kultur und auf Normen als relativ unabhängige Faktoren im Leben von Organisationen.171 Sie machten geltend, dass Organisationen nicht nur an Ergebnissen oder Ertragsmaximierung, sondern auch an Legitimität orientiert sind, und leiteten damit eine wichtige Wende ein. Sie zeigten darüber hinaus, dass Organisationen in ihrer Auseinandersetzung mit 170 Eine fesselnde Darstellung dieser Art symbolischer Kämpfe innerhalb von Kirchen bietet für den amerikanischen Kontext Becker, Congregations in Conflict. 171 Meyer/Rowan, »Institutionalized Organizations«.

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politischem Druck, Unsicherheit und Berufsideologien wechselseitig ihre Praktiken nachahmen, statt in rationaler Weise auf solche Herausforderungen zu reagieren – wenn es überhaupt die eine rationale Weise gibt.172 Mit ihrer Betonung von Kultur und Normen betonten diese Forscher zugleich eine geteilte Kultur und geteilte Normen. Diese Tradition unterstreicht und erklärt somit Homogenität unter den Akteuren. Wie aber verstehen wir die Heterogenität innerhalb eines Feldes? Und wenn wir ebenso über Legitimität wie über Profit oder Erträge sprechen, worin liegen die Quellen und Ursprünge jener Legitimität? Wir könnten uns hierfür an die populationsökologischen Ansätze halten, in denen Diversität sehr viel expliziter thematisiert und gefragt wurde, warum es überhaupt so viele unterschiedliche Arten von Organisationen gibt – in Anlehnung an die Frage der Biologen, warum es so viele unterschiedliche Arten gibt.173 Diese Ansätze untersuchen Spezialisierung und Diversifikation auf fruchtbare Weise als Folge von Populationen aus Organisationen, die um eine endliche Menge heterogener Ressourcen konkurrieren. Sie haben aber keine Theorie über die Grenzen von Ökosystemen und über die Art von Einsätzen und Interessen entwickelt, um die Akteure speziell in der sozialen Welt oder in spezifischen sozialen Welten konkurrieren. Pierre Bourdieu und seine Mitstreiter haben ein Instrumentarium entwickelt, mit dem sich gemeinsame Vorstellungen ebenso wie symbolische Differenzierungen unter den Akteuren untersuchen lassen.174 172 Powell/DiMaggio (Hg.), New Institutionalism. 173 Hannan/Freeman, »Population Ecology of Organizations«; Carroll/Swaminathan, »Microbrewery Movement«. 174 Eine Reihe von Wissenschaftlern aus der neoinstitutionellen Tradition stellt ebenfalls die Frage nach der Diversität innerhalb eines Feldes von Organisationen. Ausgehend von Friedland und Alfords Beitrag zu Powell und DiMaggios Sammelband von 1991 fragen sie, wie sich institutionelle Logiken in einem Feld überschneiden und Vielfalt erzeugen. Eine der Stärken dieses Ansatzes besteht darin, dass er – auch im Gegensatz zu gewissen Tendenzen im Werk Bourdieus – die Organisationssoziologie mit einer bestimmten Version der Makrosoziologie verbindet; im Unterschied aber zu der von mir vertretenen Position geht dieser Ansatz davon aus, dass solche Logiken außerhalb des Feldes begründet sind, und entwickelt auch keine Theorie der relativen Autonomie eines Feldes unter Berücksichtigung interner Quellen von symbolischen Aufteilungen innerhalb eines Feldes. Vgl. Fried-

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Sein Werk bietet zudem einen Ausgangspunkt zur Formulierung spezifischerer empirischer Fragen. Bourdieus Theorie der kulturellen Produktion beginnt mit dem Interesse eines Soziologen an Fragen der Wahrheit, Schönheit und Religion. In der Tradition einer Differenzierungstheorie im Gefolge Webers und anderer fragt Bourdieu, wie es dazu kam, dass diese Dimensionen in separaten Lebenssphären organisiert wurden. Er stellt eine Reihe spezifischer Behauptungen über die Kunst, die Religion und das Recht auf, Felder, die um Versionen des Heiligen herum organisiert sind, um vermeintlich transzendente Quellen von Autorität.175 Nach Bourdieu sind diese Felder um eine feldspezifische Form von symbolischem Kapital organisiert. Die Akteure in einem Feld konkurrieren um ein feldspezifisches Kapital; die Positionen in dem Feld unterscheiden sich je nach der Art des Kapitals, von dem sie zehren – das heißt je nachdem, ob sie aus feldspezifischem Kapital oder aus dem Feld äußerlichen Kapitalformen schöpfen. Ein Feld ist relativ autonom von anderen Praxisbereichen und vermittelt die Wirkung anderer Ressourcen, beispielsweise ökonomischen Kapitals oder staatlicher Macht. Mithilfe von Bourdieus Konzeption können wir die spezielle Rolle verstehen, die humanitäre Autorität im Verhältnis der Hilfsorganisationen untereinander, aber auch für ihren Status in der internationalen Politik spielt. Ich habe behauptet, dass die humanitären Manager »gute« Projekte produzieren müssen, und habe das Muster des Tausches in diesem Feld als einen Markt für Hilfsprojekte beschrieben. Harrison White zufolge definiert sich ein Markt nicht durch ein Produkt oder ein Territorium, sondern durch Produzenten, die ein Auge darauf haben, was andere Produzenten tun; Produzenten haben eher einander im Blick als so etwas wie ein Abstraktum namens »Markt« oder die Konsumenten.176 land/Alford, »Bringing Society Back In«; Loundsbury, »Institutional Sources of Practice Variation«; Thornton/Ocasio, »Institutional Logics and the Historical Contingency of Power«; sowie Loundsbury, »Institutional Rationality and Practice Variation«. 175 Bourdieu, »Force of Law«; ders., »Genese und Struktur des religiösen Feldes«; ders., Regeln der Kunst. 176 White, Markets from Networks.

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Genau dies können wir auch beobachten, wenn sich humanitäre Hilfsorganisationen aneinander orientieren. Wichtig ist aber, dass die humanitäre Hilfe – im Unterschied zu Märkten für einfachere Waren – nicht so sehr unmittelbar durch den Wettbewerb um Fördermittel oder andere ökonomische Ressourcen geprägt ist wie durch den Wettbewerb um eine spezielle Art von symbolischem Kapital, die humanitäre Autorität.177 Deshalb ist die symbolische Ausdifferenzierung von Produzenten und ihren Produkten so wichtig, und deshalb ist der Raum, den diese Organisationen miteinander teilen, nicht nur ein Markt, sondern auch ein Feld im Bourdieu’schen Sinne.

Humanitäre Ideen, humanitäre Praxis und die Entstehung des Feldes der humanitären Hilfe Manche Autoren in der Bourdieu’schen Tradition tendieren dazu, die Existenz von Feldern vorauszusetzen und Felder sowie ihre symbolischen Dimensionen auf statische Weise zu denken. Doch die Feldtheorie ist nur ein Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung. Jedes Feld hat seine eigene Geschichte. Ein bestimmter Bereich des sozialen Lebens kann durch gemeinsame Annahmen abgegrenzt sein oder auch nicht, und er kann durch die Konkurrenz um symbolisches Kapital geprägt sein oder auch nicht. Felder können mehr oder weniger autonom sein und den Charakter der »Feldhaftigkeit« auch ganz einbüßen.178 Wir können uns somit von jedem gegebenen Praxisbereich fragen: Ist er feldhaft organisiert? Orientieren sich die Akteure aneinander? Wie ist das symbolische Kapital definiert? Auf welche Unterschiede kommt es den Akteuren an? Wie tauschen sie sich mit Akteuren aus anderen Feldern aus? Im Fall der humanitären Hilfe können wir fragen: Wie verhält sich dieses Feld zur Politik, zum Markt, zur Religion oder zu den Menschenrechten? Dieser Ansatz erlaubt es uns, die Frage, 177 Stephen Hopgood und Leslie Vinjamuri analysieren die Unterschiede zwischen Hilfsorganisationen als eine Form von Markenaufbau und -pflege, vgl. Hopgood/ Vinjamuri, »Faith in Markets«. Der Vorteil einer spezifisch Bourdieu’schen Herangehensweise besteht in der engeren Verknüpfung einer Analyse des Wettbewerbs mit der relativen Autonomie der Autorität der humanitären Hilfe. 178 Calhoun, »Habitus, Field, and Capital«.

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was Humanitarismus ist, auszuklammern. Es geht nicht darum, sich dieser oder jener Definition zu verschreiben, sondern das Universum aller Ansprüche, die im Namen des Humanitarismus erhoben werden, zu beobachten und Muster darin ausfindig zu machen, wie diese Ansprüche historisch und geografisch über den sozialen und symbolischen Raum verteilt sind. Auch in der Autorität, über die diese Ansprüche verfügen, wollen wir nach Mustern suchen. Es ist wichtig, zwischen der Geschichte humanitärer Ideen, der Geschichte humanitärer Praktiken und der Geschichte des Feldes humanitärer Organisationen zu unterscheiden. Humanitäre Ideen haben eine lange Geschichte, die mindestens bis auf die Gründungstexte der Weltreligionen zurückgeht,179 sie sind aber auf sehr unterschiedliche Weise institutionalisiert. Die humanitären Praktiken – das Universum jener Praktiken, die sich irgendwann einmal als humanitär bezeichneten oder so bezeichnet wurden, das heißt, die auf menschliches Leid ausschließlich aus Rücksicht auf die menschliche Würde reagiert haben sollen – sind vielfältig und reichen weit in die Vergangenheit zurück. Wir können eine humanitäre Praxis in der langen Geschichte der Barmherzigkeit gegenüber Armen und Kranken finden.180 Für die Geschichte der humanitären Praxis sind die Geschichte der Ärzteschaft und insbesondere die Geschichte der öffentlichen Gesundheitsversorgung wichtig.181 Die Behandlung verletzter Soldaten ist ein entscheidender Vorläufer der heutigen humanitären Praxis; obwohl sie immer Bestandteil des Krieges war, räumte ihr natürlich nicht jede Militärführung das gleiche Gewicht ein, und nicht jeder verwundete Soldat

179 Ryfman, Une Histoire de l’humanitaire. 180 Wir können sie im Umgang mit Hungersnöten oder Naturkatastrophen finden. Wie die örtlichen Behörden im England des elisabethanischen Zeitalters auf Hungersnöte reagierten, zeigt de Waal, Famine Crimes. Das Erdbeben von Lissabon ist aufgrund seiner Wirkung auf Philosophen und Schriftsteller und der weitreichenden Reaktion von Regierung und Militär fest in der modernen Vorstellungskraft verankert; vgl. Neiman, Das Böse denken. Philippe Ryfmans kurze Darstellung in Une Histoire de l’humanitaire ist im Hinblick auf die vielen Vorgeschichten der humanitären Hilfe ebenfalls vorzüglich. 181 Zum Umgang der Ärzte mit der attischen Seuche etwa vgl. Porter, Health, Civilization, and the State; vgl. auch Rosen, History of Public Health; Greenberg, »Plague, the Printing Press, and Public Health«.

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wurde verarztet.182 Noch im Lauf des 18. Jahrhunderts debattierten Feldherren, wie die Versorgung verwundeter Soldaten an die sich verändernden Bedingungen der Kriegführung anzupassen seien, und erörterten den Status von Ärzten auf dem Schlachtfeld.183 Wichtig ist dabei, dass die humanitäre Praxis die längste Zeit ein Teil der religiösen, ärztlichen oder politischen Praxis war, und auch heute noch finden sich auf diesen Feldern Praktiken, die sich als humanitär verstehen. Die Historiografie des humanitären Feldes fragt danach, wie dieses Feld als ein von anderen praktischen Bereichen unterschiedenes Praxisfeld entstand und wie sich Menschen und Organisationen als humanitär zu identifizieren begannen, sodass konkurrierende Ansprüche auf die Verkörperung des humanitären Gedankens verständlich und maßgeblich wurden.184 Um diese Fragen zu beantworten und diese Geschichte zu schreiben, müssen wir der Geschichte des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK ) einen besonderen Stellenwert einräumen.185 Sie ist es, die die gegenwärtigen Debatten über den Humanitarismus überhaupt möglich macht. Die kontroversesten Debatten über den Humanitarismus gelten heute nicht dem relativen Gewicht des humanitären Gedankens im Verhältnis zu anderen Erwägungen; sie handeln vielmehr davon, wer oder was sich mit Fug und Recht als humanitär bezeichnen kann. Ich werde in der Geschichte des humanitären Feldes drei Phasen unterscheiden. Die erste ist die der Erfindung des modernen Humanitarismus als eigene Praxis durch das IKRK . Die zweite Phase beginnt damit, dass die Médecins sans Frontières (MSF ) diese Position infrage

182 De Waal, Famine Crimes; Boissier, Histoire du Comité international. Historiker datieren den Beginn der medizinischen Versorgung verwundeter Soldaten auf die frühen Berufsarmeen der Stadtstaaten Mesopotamiens; zu römischen Zeiten reiste das ärztliche Personal mit der kaiserlichen Armee, vgl. Gabriel/Metz, History of Military Medicine. Vgl. auch Barnett, Empire of Humanity, S. 76–97. 183 Hutchinson, Champions of Charity. 184 Man vergleiche hierzu Barnett, Empire of Humanity, der im Rahmen eines anderen analytischen Projektes singuläre Einsichten in die Geschichte des Humanitarismus eröffnet, wenn er geltend macht, dass die Welt (und die Politik) immer schon in den Humanitarismus hineingespielt haben. 185 Barnett, Empire of Humanity; Boissier, Histoire du Comité international.

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stellen. Diese Herausforderung schuf den Raum, in dem Akteure von anderen Positionen aus Anspruch auf die Verkörperung des humanitären Gedankens erheben konnten. Die dritte Phase ist durch die Ausweitung des Feldes seit den späten 1980er Jahren gekennzeichnet.

Das IKRK und die Erfindung des Humanitarismus, 1863–1971 Das Rote Kreuz wurde 1863 auf Initiative des Schweizer Geschäftsmanns Henri Dunant als Internationales Komitee der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege gegründet. Auf einer Geschäftsreise im Jahr 1859 hatte Dunant die Folgen der Schlacht von Solferino, eines Gefechts im Sardinischen Krieg, miterlebt und eine internationale Kampagne für die bessere Versorgung von Kriegsverwundeten gestartet. Zunächst versammelte er einige Angehörige gehobener Genfer Familien um sich, das »Komitee der Fünf«, um eine internationale Konferenz vorzubereiten. In den folgenden Jahrzehnten half er dabei mit, überall in Europa nationale Rotkreuz-Gesellschaften aufzubauen. Es muss betont werden, dass die Rotkreuz-Gesellschaften nicht die Ersten waren, die Kriegsverletzte versorgten, und auch damals nicht die Einzigen. Florence Nightingale hatte einige Jahre zuvor für ihren ärztlichen Einsatz im Krimkrieg 1854 internationalen Ruhm geerntet. Dunant kümmerte sich in Solferino nicht als Einziger um verwundete Soldaten; aristokratische Damen aus den umliegenden Städten organisierten ebenfalls Hilfe.186 Als das Genfer Komitee 1864 den Chirurgen Louis Appia als neutralen Beobachter an die Schauplätze des DeutschDänischen Kriegs entsandte, zeigte sich dieser überaus beeindruckt von der ärztlichen Hilfe, die Angehörige des Johanniterordens bereits auf dem Schlachtfeld leisteten. Dieser evangelische Zweig des Johanniter- oder Hospitaliterordens, der aus einem Hospital zur Versorgung von Pilgern in Jerusalem hervorgegangen sein soll, wurde Anfang des 19. Jahrhunderts als eine Hilfsorganisation des preußischen Adels neugegründet. 1850 war diese in der Lage, mobile Lazarette einzusetzen.187 Als Dunant 1862 Eine Erinnerung an Solferino veröffentlichte und nach Unterstützung für seine Initiative zur Verbesserung der medizinischen Versorgung im Krieg suchte, konnte er an einen Diskurs anknüpfen, 186 Dunant, Erinnerung an Solferino. 187 Hutchinson, Champions of Charity.

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der unter Militärärzten und Generälen bereits zu diesem Thema geführt wurde. Dennoch waren die Bemühungen Dunants und des Genfer Komitees – und später des IKRK – in mehr als einer Hinsicht einzigartig und bahnbrechend. Das Rote Kreuz begnügte sich nicht damit, stillschweigend humanitäre Hilfe zu leisten, sondern forderte als erste Organisation dieser Art eine öffentliche Anerkennung seiner Rolle. Es reklamierte öffentlich ein Recht nichtstaatlicher Akteure, verwundete Soldaten zu behandeln; es war die erste Organisation, die Neutralität für sich beanspruchte und die erste, die eine länderübergreifende, nichtstaatliche Initiative ergriff. Es verband humanitäres Handeln mit einem bestimmten Berufsstand, der Ärzteschaft, sowie mit Krisen und Konflikten. Am Ende konnten seine Gründer Bestimmungen durchsetzen, die heute den Haupttext des humanitären Völkerrechts ausmachen. Die Genfer Konventionen von 1882 und 1906 verfügten den Schutz von Zivilisten sowie verwundeten oder gefangenen Soldaten. Und sie räumten medizinischem Personal mit dem Emblem des Roten Kreuzes einen besonderen Status ein. Das IKRK entschied sich für eine sehr spezielle Rolle im Verhältnis zum Staatensystem, mit weitreichenden Konsequenzen für die Geschichte des Humanitarismus. Das »Komitee der Fünf« kam zunächst mit dem Anspruch zusammen, die von Dunant beschriebene Art von Leid zu vermeiden. Schon im nächsten Schritt organisierte es eine Konferenz, zu der Delegierte verschiedener Staaten eingeladen waren. Von Anfang an also wahrte das IKRK seine Unabhängigkeit von jedem bestimmten Staat – akzeptierte damit aber seine Zugehörigkeit zum Staatensystem als Ganzem. Die Reaktionen auf die Initiative des Genfer Komitees verraten einiges darüber, wie unterschiedlich der Humanitarismus auf bestehende staatliche Interessen treffen kann. Die britischen Vertreter quittierten die Einladung zu der Konferenz und das Ersuchen, die Gründung einer nationalen Rotkreuz-Gesellschaft zu befördern, mit dem Bescheid, sie hätten schon ihre Lehren aus dem Krimkrieg gezogen und könnten sich selbst um ihre Kriegsverletzten kümmern. Die preußische Regierung war der energischste Sponsor des Projektes; sie hatte die Problematik der Kriegsverwundeten erkannt, meinte aber, sich eine Lösung durch das eigene Militär nicht leisten zu können. Kaiser

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Napoleon III . ließ sich davon überzeugen, dass er eine solche Gelegenheit, Führung zu zeigen, nicht den Preußen überlassen konnte.188 Das IKRK stieß von Anfang an auf Kritik. Gerade Florence Nightingale hatte wenig Sympathien für Dunants Vorschlag: »Eine solche [freiwillige Hilfs-]Gesellschaft würde Pflichten übernehmen, die von der Regierung eines jeden Landes ausgeübt werden sollten, und würde sie damit von Aufgaben entlasten, die genuin die ihren sind und die sie auch angemessen wahrnehmen kann – und ohne die der Krieg noch leichter würde.«189 Nightingale sprach als Engländerin, deren Regierung die Notwendigkeit anerkannt hatte, die Versorgung von Kriegsversehrten zur Staatsaufgabe zu machen. Sie widersprach dem Plan eines internationalen Roten Kreuzes aus demselben Grund, aus dem die preußische Führung ihn befürwortete – weil es die politischen Akteure von dem Druck entlasten würde, sich selbst um die Opfer zu kümmern. Als Kritik am Humanitarismus klingt diese Analyse noch heute in manchen Positionen von MSF nach: Die MSF-Führung ist, wie Nightingale, stets auf der Hut davor, dass sich humanitäre Akteure in einer Weise institutionalisieren lassen, die den Druck von politischen Machthabern nimmt, Leid nachhaltiger zu vermeiden. Dennoch gab es viele Jahrzehnte lang keine Organisation, die die Autorität des Roten Kreuzes auf seinem eigenen Feld infrage zu stellen vermochte – das Rote Kreuz definierte schlechterdings, was nichtstaatliche, transnationale, neutrale humanitäre Hilfe war. Es gab andere Hilfsorganisationen wie beispielsweise Save the Children, gegründet 1919 als Ableger des Fight the Famine Council, der sich mit den Folgen des Ersten Weltkriegs befassen sollte. Eine echte Konkurrenz für das IKRK waren diese Gesellschaften jedoch nicht. Entweder hielten sie sich eng an das Vorbild des IKRK und verstärkten dessen Lobbyarbeit zugunsten eines rechtlichen Schutzes weiterer Gruppen von Menschen. In anderen Fällen hatten sie überhaupt keine Verbindung zum Staatensystem oder forderten einzelne Staaten in der Art einer sozialen Bewegung heraus. Sie waren auch nicht in einem der akademischen Berufe verankert und wurden dadurch dem breiteren Sektor der Wohltätigkeitsvereine und Reformgruppen zugerechnet. Mit dem Aufschwung 188 Ebenda. 189 Ebenda, S. 40.

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der isolationistischen Tendenzen und der Weltwirtschaftskrise gingen die Fördermittel für länderübergreifende philanthropische Bemühungen in den 1930er Jahren zurück. Im Zweiten Weltkrieg wurden einige der Grenzen der Arbeitsweise des IKRK für jedermann sichtbar. Seine Reaktion auf die Internierung und Ermordung von Millionen Juden, Sinti und Roma sowie Behinderter beschränkte sich im Großen und Ganzen darauf, Hilfspakete in Konzentrationslager zu schicken. Noch für den begrenztesten Zugang, den das Naziregime ihm gewährte, ließ sich das IKRK zum Stillschweigen verpflichten. Interne Advokatengruppen wie das ungarische Rote Kreuz oder externe wie der Jüdische Weltkongress forderten die Organisation zu größeren Anstrengungen auf. Doch kam diese Kritik am IKRK eben von Interessenvertretern und nicht von Akteuren, die in der Position gewesen wären, öffentlich selbst eine bessere Reaktion zu zeigen.190 Innerhalb des IKRK -Paradigmas gab es in diesem Zusammenhang keine wesentlichen alternativen Behauptungen, wie diese Art von Tätigkeit durchzuführen sei. Die Kritiker mögen das IKRK oder den Humanitarismus im Allgemeinen bemängelt haben, aber der Anspruch, eine bessere humanitäre Hilfsorganisation darzustellen als das IKRK , wäre vor der Gründung der Ärzte ohne Grenzen in den frühen 1970er Jahren unverständlich gewesen. Letztere Entwicklung aber veränderte die Diskussion grundsätzlich und etablierte den Humanitarismus als ein Feld gegensätzlicher Positionen.

Die Ärzte ohne Grenzen und die Etablierung eines Feldes symbolischer Ausdifferenzierung, 1971–1989 Die klassische, im Völkerrecht verankerte humanitäre Hilfe ist an die Grundsätze der Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit gebunden. Wie ich ausgeführt habe, schließt die vom IKRK entwickelte Form humanitärer Maßnahmen eine weitreichende Achtung der staatlichen Souveränität ein. Die Gründung der Ärzte ohne Grenzen als Abspaltung vom IKRK in den frühen 1970er Jahren eröffnete einen Raum für nichtstaatliche Hilfe jenseits dieser engen Grenzen, berief sich aber immer noch auf das Erbe des Roten Kreuzes.

190 Favez, The Red Cross and the Holocaust.

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Die Initialzündung für MSF bildeten die Erfahrungen einer Gruppe von Ärzten, die für das IKRK im Biafra-Krieg im Einsatz waren. Als die südliche Region Biafra 1967 die Unabhängigkeit vom Mutterland Nigeria verkündete, antwortete dessen zentrale Militärregierung mit Krieg. Humanitäre Helfer in Biafra wurden Zeuge von Geschehnissen, die in ihren Augen Kriegsverbrechen darstellten, sowie einer Hungersnot, die sie auf die Blockade der Regierung im Norden zurückführten. Das IKRK sah sich durch den Grundsatz der Neutralität zum Stillschweigen verpflichtet und verlangte von seinen Ärzten die schriftliche Zusicherung, dass sie ihre Beobachtungen für sich behielten. Sie sollten einfach nur die Verwundeten auf beiden Seiten versorgen. Bernard Kouchner und einige seiner Kollegen empfanden dies als Maulkorberlass. Sie argumentierten, dass sie sich an den Gräueltaten mitschuldig machen würden, wenn sie ihre Stimme nicht erhöben, und prangerten die nigerianische Regierung und das IKRK in französischen Medien an. Zusammen mit einer französischen medizinischen Fachzeitschrift gründeten sie 1971 MSF und verpflichteten sich dazu, über die Behandlung von Kranken hinaus als Zeugen aufzutreten und ihre Stimme zu erheben. Sie verkündeten darüber hinaus das Recht humanitärer Akteure, unabhängig von der Zustimmung betroffener Regierungen grenzüberschreitend tätig zu werden.191 Als Bernard Kouchner und seine Kollegen mit dem Protokoll des Roten Kreuzes brachen, um die nigerianische Regierung öffentlich anzuprangern, begründeten sie eine neue praktische Position westlicher Akteure im Verhältnis zu Krisen und Konflikten in der nichtwestlichen Welt. Es ist kein Zufall, dass sie diese Position in der Zeit unmittelbar nach der Entkolonialisierung entwickelten, als ein breites Spektrum interessierter Akteure neu über die Frage nachdachten, wie sie sich zur nichtwestlichen Welt stellen sollten.192 191 Vallaeys, Médecins Sans Frontières. Vgl. aber auch Biberson/Brauman, »Le ›Droit d’ingérence‹«. 192 Frederick Cooper und Randall Packard diagnostizieren eine ähnliche Rolle für die »Entwicklung« in einem ähnlichen historischen Moment: Die Entwicklungshilfe »bot ein Mittel, durch das sich imperiale Mächte mit ihrem Machtverlust abfinden und gleichzeitig mit ihren ehemaligen Kolonien in Verbindung bleiben und sich den Glauben bewahren konnten, es sei ihre Mission, deren Zukunft mitzugestal-

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Die Position von MSF war in vielerlei Hinsicht einzigartig. Anders als das IKRK versuchte die Organisation, sowohl zu sensibilisieren und das Wort zu ergreifen als auch ärztliche Hilfe zu leisten. Anders als die westlichen Staaten verzichtete sie auf ein größeres politisches Engagement. Anders als die sozialen Bewegungen oder Entwicklungs-NGO s stützte sich MSF auf ihre Fachkompetenz und konzentrierte sich allein auf das menschliche Leid, nicht auf Rechte oder Ermächtigung. In einer Zeit, in der religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen wichtige Aufgaben in der humanitären Hilfe und der Entwicklungshilfe übernahmen, war MSF resolut säkular. MSF brach mit dem Roten Kreuz, das seinerzeit den humanitären Gedanken verkörperte. Indem sie das tat, wandte sich die Organisation aber nicht einfach vom Humanitarismus ab, sondern beanspruchte, den humanitären Gedanken in ihrer Rhetorik und Praxis in reinerer Form zu vertreten. Auf diese Weise spielte MSF eine vergleichbare Rolle für das humanitäre Feld, wie sie Gustave Flaubert in der Analyse Pierre Bourdieus für das Feld der Kunst gespielt hat.193 Ein verbreitetes Bild zeigt Flaubert als einsames Genie, das im Frankreich der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts L’art pour l’art und das Ideal des armen Künstlers erfand. Für Bourdieu ist dieses Bild richtig und falsch zugleich: Flauberts literarische Karriere zeichnete sich in vielerlei Hinsicht durch die »Erfindung« der Kunst als einer autonomen Praxis aus, doch war diese Innovation auch seiner gesellschaftlichen und geschichtlichen Position geschuldet. Flaubert rebellierte gegen die von den Akademien approbierte und von den Erben des Ancien Régime gesponserte Kunst. Er bekannte sich zur Kunst um der Kunst willen und zur Armut des Künstlers, eine Position, die allerdings strukturell durch den neuen, vom Bürgertum geschaffenen Markt für Literatur ermöglicht wurde. Diese gesellschaftliche Position erlaubte es ihm, eine beißende Analyse der sozialen Abhängigkeit aller anderen Akteure vorzulegen. Sie brachte ihn auch dazu, die Welt der Kunst als eine Welt der verkehrten Werte zu begründen, in der sich künstlerischer Wert im Gegensatz zu allen anderen Formen von Förderung und Wertschätzung bestimmt. ten« (Cooper/Packard, Einleitung zu dies. (Hg.), International Development and the Social Sciences, S. 7). 193 Bourdieu, Regeln der Kunst.

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Ebenso wäre es richtig und falsch zugleich, MSF als Erfinderin des zeitgenössischen Humanitarismus zu bezeichnen. Wie Flaubert um 1857 verurteilte MSF 1971 die Bemühungen ihrer Vorgänger als von weltlichen Interessen kompromittiert. MSF bietet eine kritische und, wie man sagen könnte, soziologische Analyse anderer Akteure. Die Organisation besteht auf ihrer radikalen Unabhängigkeit und räumt ihren Grundsätzen und ihrer Reinheit absolute Priorität ein – vor Geld sowieso, aber auch vor dem Zugang zu schutzlosen Bevölkerungen und manchmal vor praktischen Ergebnissen. Die hohen Grundsätze Kouchners und seiner Verbündeten für ihr eigenes Handeln schufen eine neue Form der humanitären Hilfe – Zeugenschaft als Selbstzweck –, die dem Ethos von Puristen auf anderen Feldern gleicht. Die Aufgabe der Zeugenschaft wird durch keinerlei Effektivitätserwägungen eingeschränkt, so wie die Kunst um der Kunst willen nicht von politischem Erfolg, Markterfolg oder einem Wahrheitswert abhängt. Ein wichtiger Aspekt für MSF ist ihre finanzielle Unabhängigkeit, da die Organisation nur einen relativ kleinen Teil ihrer Mittel von Geberstaaten bezieht.194 Sie ist aber auch intellektuell und praktisch unabhängig. Seit ihrer Gründung hat sie immer wieder Entscheidungen getroffen, die unter anderen humanitären Akteuren umstritten waren. MSF war eines der wenigen Hilfswerke, das in den 1980er Jahren den Mudschaheddin in Afghanistan medizinische Hilfe leistete.195 Während der Hungerkatastrophe in Äthiopien 1984 begann die äthiopische Regierung eine Umsiedlungskampagne, die in den Augen von MSF Zehntausende unnötiger Todesopfer forderte. Viele Hilfsorganisationen beteiligten sich an den Umsiedlungsmaßnahmen; MSF verurteilte sie.196 MSF Frankreich stellte ihre Tätigkeit in den Lagern von Goma während der Krise in Ruanda ein, als die Organisation den Eindruck gewonnen hatte, die Hilfsbemühungen würden mehr schaden als nützen.197 Nach dem Tsunami von 2004 verkündete MSF, genügend Spenden erhalten zu haben, um die Bedürfnisse in der Region zu be194 195 196 197

Development Initiatives, Public Support for Humanitarian Crisis. Vallaeys, Médecins Sans Frontières, S. 397–461. Ebenda, S. 511–551; vgl. auch Jean, From Ethiopia to Chechnya. Terry, Condemned to Repeat?.

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friedigen – eine Entscheidung, gegen die andere Organisationen protestierten, weil sie sie als unverantwortlich gegenüber der betroffenen Bevölkerung, aber auch gegenüber dem Anliegen der Mittelbeschaffung für humanitäre Zwecke überhaupt empfanden.198 Die Bereitschaft der Ärzte ohne Grenzen, ihre Stimme zu erheben, verschafft ihnen viele Bewunderer, macht sie innerhalb der Gemeinschaft der humanitären Hilfe manchmal aber auch unpopulär, eine Tatsache, über die MSF-Mitarbeiter gelegentlich nicht ohne Stolz witzeln. Vertreter anderer NGO s äußern hin und wieder die Befürchtung, die Haltung von MSF – prinzipientreu oder radikal, je nachdem – werde es ihnen erschweren, ihrer Tätigkeit nachzugehen. Wenn MSF beim Aushandeln des Zugangs zu einer Bevölkerung mit örtlichen Machthabern eine kompromisslose Haltung vertritt, dann, so sagen diese Stimmen, erschwere dies anderen ihre Arbeit überall. Das Wirken von MSF hat zu echten Innovationen geführt und ein Spektrum an neuen Positionen geschaffen; ermöglicht aber wurden sie durch eine Reihe von gesellschaftlichen Bedingungen und Interessen, die den sans-frontièrisme unverändert prägen, seinem Einfluss aber auch Grenzen setzen. MSF entstand in einem Moment, als die westlichen Öffentlichkeiten durch die kolonialen Beziehungen für die Not nichtwestlicher Bevölkerungen sensibilisiert worden waren, die Entkolonialisierung jedoch die direkten Interventionsmöglichkeiten westlicher Regierungen beschränkt hatte. Zudem waren viele Studenten und Intellektuelle in Bezug auf die Hoffnungen der alten Linken desillusioniert, während der Kalte Krieg der Art von Themen und Anliegen, für die sich die Linke einzusetzen pflegt, ebenfalls Grenzen setzte.199 Heute beschuldigt MSF oft andere humanitäre Organisationen, »vom Glauben abzufallen«. Ihr Argument lautet, dass Hilfsorganisationen, die zu eng mit Geberstaaten zusammenarbeiten oder sich ein zu allgemeines Programm vornehmen, die Reinheit der humanitären Hilfe gefährden und den Respekt untergraben, über den humanitäre Organisationen im Feld gebieten – eine Grundvoraussetzung für si-

198 Reuters, »Stop Sending Us Money, French Aid Group Says«, 8. Januar 2005. 199 Samuel Moyn zeichnet in seinem ausgezeichneten Buch The Last Utopia eine ähnliche Entwicklung detaillierter nach.

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chere und effektive Hilfsmaßnahmen.200 Es entbehrt jedoch nicht einer gewissen Ironie, dass die Abspaltung der MSF vom IKRK auch als Beginn einer Deregulierung der humanitären Hilfe gesehen werden kann, wie etwa David Chandler argumentiert.201 Das humanitäre Völkerrecht und der Schutz, den es humanitären Akteuren bot, basierten auf der Idee einer eindeutigen humanitären Position. Die Innovation von MSF hatte sich zwar ihre »Reinheit« auf die Fahne geschrieben, formulierte aber eine klare Alternative zum IKRK und stellte so die Grundlagen des ganzen Unternehmens infrage. Es gab nun nicht mehr die eine klare Position mit dem IKRK als Sprecherorganisation; somit erleichterte die Gründung von MSF es anderen Organisationen, das Etikett »humanitär« für sich in Anspruch zu nehmen.

Die Ausweitung des Feldes seit 1989 Seit Mitte der 1970er Jahre, vor allem in der Periode nach dem Ende des Kalten Krieges, hat sich das humanitäre Feld erheblich ausgeweitet. Zum Teil mag dies den neuen Realitäten in vielen Einsatzgebieten geschuldet sein. Die Entkolonialisierung veränderte zunächst die Bedingungen, unter denen im globalen Süden Konflikte ausgetragen wurden. Die Erosion der Stabilität des Kalten Krieges trug zusätzlich zum Aufkommen »neuer Kriege« bei, nicht mehr zu solchen zwischen souveränen Nationalstaaten, sondern zu Binnenkriegen, in denen Zivilisten besondere Gefahr liefen, in die Gewaltspirale verstrickt zu werden.202 Wohl mögen sich die ökologischen Probleme verschärft haben, und das Bevölkerungswachstum, die anhaltende Armut sowie die sozialen und ökonomischen Konsequenzen der Umstrukturierungspolitiken trugen dazu bei, Menschen verletzlicher zu machen. Doch wie Craig Calhoun ganz richtig bemerkt: »Es steht nicht fest, dass es in den vergangenen dreißig Jahren mehr Naturkatastrophen, mehr Kriegstote oder einfach mehr menschliches Leid gegeben hat als in früheren Epochen. Dass schlimme Dinge geschehen, ist somit keine hinreichende Erklärung für die gewachsene Bedeutung der humanitären Hilfe oder

200 De Torrente, »Humanitarianism Sacrificed«. 201 Chandler, From Kosovo to Kabul. 202 Kaldor, Neue und alte Kriege.

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des Denkens in humanitären Notfällen.«203 Die Medienaufmerksamkeit im Westen für Krisen in anderen Weltgegenden ist gestiegen, wie Martin Shaw gezeigt hat,204 doch die spezifische Form dieser Aufmerksamkeit und ihre Verteilung sind ein Teil dessen, was erklärungsbedürftig ist. Immer mehr Akteure haben an die Autorität des humanitären Handelns angeknüpft und für sich in Anspruch genommen, humanitär zu sein. Und immer mehr Ressourcen sind für humanitäre Anliegen aufgewendet worden. Die offizielle humanitäre Hilfe, einst ein höchst überschaubarer Posten in den Staatshaushalten, ist von 2,1 Milliarden US -Dollar im Jahr 1990 auf 12,9 Milliarden US -Dollar im Jahr 2013 gestiegen.205 Ein großer Teil dieser Mittel stammt von einer kleinen Zahl von Geberstaaten.206 Die Geberstaaten haben gelernt, ein breites Spektrum an Themen und Einsätzen/Interessen durch die Brille des humanitären Notfalls zu betrachten. Dazu gehören Bürgerkriege, Hungersnöte, Erdbeben, HIV /Aids, zivile Kriegskosten, Flüchtlingslager, sexuelle Gewalt und das Fehlen oder Scheitern einer Zentralgewalt.207 Auch die privaten Spenden haben zugenommen, insbesondere rund um eine Reihe von Krisen mit großer Medienresonanz und einer Verbindung zu einer bestimmten Spenderöffentlichkeit. Der Konflikt in Ex-Jugoslawien in den 1990er Jahren brachte die »neuen Kriege« in die unmittelbare Nachbarschaft Westeuropas. Die Konflikte in Afghanistan und Bosnien-Herzegowina mobilisierten eine islamische Öffentlichkeit.208 Der Tsunami im Indischen Ozean 2004 hatte ein beispielloses privates Spendenaufkommen zur Folge, nicht zuletzt deshalb, weil er viele westliche Touristen im Weihnachtsurlaub in Thailand und Indien betraf.

203 Calhoun, »The Idea of Emergency«, S. 1. Ein Versuch, die Zahlen von Binnenflüchtlingen mit den entsprechenden humanitären Aufwendungen in Beziehung zu setzen, der auch einige der Schwierigkeiten bei der Ermittlung dieser Zahlen berücksichtigt, findet sich bei Fearon, »The Rise of Emergency Relief Aid«. 204 Shaw, Civil Society and Media. 205 Development Initiatives, Global Humanitarian Assistance Report 2013. 206 Ebenda. 207 Calhoun, »The Idea of Emergency«. 208 Yaylaci, »Communitarian Humanitarianism«; Benthall/Bellion-Jourdan, Charitable Crescent.

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Die bestehenden humanitären Organisationen sind gewachsen. MSF etwa hat sich zu einem internationalen Netzwerk aus neunzehn teilweise unabhängigen Ablegern mit einem kombinierten Jahresetat von 900 Millionen US -Dollar im Jahr 2011 entwickelt.209 Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit haben sich auf das Feld der humanitären Hilfe begeben – dazu zählt auch die Rückkehr von Organisationen wie Oxfam oder Save the Children, die ursprünglich gegründet worden waren, um auf unvorhergesehene Katastrophen und Kriege zu reagieren, sich dann der Entwicklungshilfe zuwandten und sich heute wieder mit Notlagen befassen. Oxfam US hat eine Abteilung für humanitäre Hilfe eröffnet. World Vision übernahm humanitäre Hilfsmaßnahmen, um seine Entwicklungsarbeit zu ergänzen und Zugang zu Finanzmitteln in diesen Bereichen zu erlangen. Religiöse Organisationen wirken seit Langem daran mit, Bevölkerungsgruppen im globalen Süden zu versorgen und zu verwalten. Schon in der Kolonialzeit hatten sie Entwicklungshilfe geleistet und natürlich an einzelnen Orten über lange Zeit auf Kriege, Naturkatastrophen und Krankheiten reagiert.210 Die wachsende Aufmerksamkeit und der steigende Zufluss an Mitteln im Bereich »humanitäre Maßnahmen« veranlasste vieler dieser Organisationen – von denen manche lokale waren, andere über weitverzweigte internationale Verbindungen verfügten –, sich an die traditionellen humanitären Organisationen anzuschließen. Neue Hilfswerke wurden gegründet und etablierten sich. Jede Notsituation großen Ausmaßes führte zur Gründung neuer kleiner, mitunter auch kommerzieller Organisationen, die mit den bekannten Hilfswerken konkurrierten. Diese Expansion hat die Hilfswerke enger um eine Reihe gemeinsamer symbolischer und materieller Einsätze und Interessen zusammengeführt, und sie hat zwei Entwicklungen angestoßen: zum einen eine Institutionalisierung und Standardisierung, wie sie Michael Barnett beschreibt,211 zum anderen einen verschärften symbolischen Wettbe209 Médecins Sans Frontières, International Financial Report 2011. 210 Comaroff/Comaroff, Revelation and Revolution; Taithe, »Pyrrhic Victories?«; vgl. auch Thaut, »The Role of Faith«; Ryfman, Une Histoire de l’humanitaire. 211 Barnett, »Humanitarianism Transformed«; vgl. auch ders., Empire of Humanity; Walker/Russ, Professionalising the Humanitarian Sector; Walker/Maxwell, Shaping the Humanitarian World.

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werb um das Label »Humanitarismus«. Im Zusammenhang mit dem ersten Trend hat die humanitäre Hilfe ihren Wissensbestand und ihre Ausbildung formalisiert. In dieser Hinsicht ist das Feld heute für diejenigen, die sich in den 1970er und 1980er Jahren häufig auf Freiwilligenbasis engagierten, kaum wiederzuerkennen. Seit Beginn der 1990er Jahre bietet eine zunehmende Zahl von Universitäten Postgraduierten-Abschlüsse in humanitärer Hilfe an. Es gibt mehr und mehr kontinuierliche Bildungsmöglichkeiten für Mitarbeiter von Hilfswerken. Bedingt durch das Streben nach Selbstverbesserung, die Konkurrenz und den Druck seitens der Geber wurden Mechanismen zur Qualitätskontrolle eingeführt.212 ALNAP (Active Learning Network for Accountability and Performance) beispielsweise ist ein 1997 zu Lernzwecken und zur Erhöhung der Verantwortlichkeit gegründetes Netzwerk von Hilfswerken, das zur Offenlegung von Evaluationsberichten ermutigt, Praxishandbücher veröffentlicht und Zusammenkünfte unterstützt. Verschiedentlich wurde auch versucht, die humanitäre Praxis zu standardisieren, etwa durch den 1992 aufgestellten Verhaltenskodex des Roten Kreuzes. Solche Bemühungen um die Definition von Grundsätzen und ihre Folgen erörtere ich ausführlicher im nächsten Kapitel.

Die symbolische Struktur des Feldes Gemeinsame Einsätze und Interessen haben die Hilfswerke näher zusammengeführt. Innerhalb dieses stärker integrierten Raumes kam es jedoch auch zu einer Menge an Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten. Mit der Ausweitung des Humanitarismus hat sich eine Reihe gemeinsamer Spieleinsätze und Interessen gebildet, die sowohl zu Engagement als auch zu Wettbewerb führen. Wie können wir uns diese Aufteilung des Feldes erklären? Ein üblicher Ansatz von akademischen Beobachtern besteht in der Ausarbeitung von Typologien. Es gibt drei einflussreiche Typologien humanitärer Hilfsorganisationen, die von Abby Stoddard, die von Thomas G. Weiss sowie die von Dennis Dijkzeul und Markus Moke. Abby 212 Walker, »Cracking the Code«.

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Stoddard vergleicht die Organisationen daraufhin, ob sie »dunantisch« oder »wilsonisch« sind und eine geregelte Koordination bevorzugen oder nicht. Organisationen à la Dunant versuchen, sich in einem neutralen Raum außerhalb der von staatlichen Interessen beherrschten Sphäre anzusiedeln, während Organisationen à la Wilson pragmatischer sind und kein Problem damit haben, wenn ihre Arbeit mit den Zielen der westlichen und besonders der amerikanischen Außenpolitik konform geht. In jedem dieser beiden Lager gibt es einige Einrichtungen, die gerne mit anderen zusammenarbeiten, um eine Gemeinschaft von Akteuren aufzubauen, während andere stärker auf ihre Unabhängigkeit pochen (Abb. 10). Thomas Weiss diagnostiziert ein Spektrum an Einstellungen, das von klassisch bis solidarisch reicht (Abb. 11). Dennis Dijkzeul und Markus Moke verzeichnen auf ihrer Karte, ob eine Organisation unabhängig oder Auftragnehmer, unparteiisch oder solidarisch ist (Abb. 12). Damit entwickeln sie Weiss’ Schema einen Schritt weiter, indem sie anerkennen, dass es unterschiedlich begründete Abweichungen von der klassischen Perspektive gibt. Jede dieser Typologien verweist auf wichtige Unterschiede zwischen humanitären Hilfsorganisationen. Sie klassifizieren allerdings Positionen und nicht die Art und Weise, wie Unterschiede zwischen Positionen getroffen werden; auch erschöpfen die erfassten Unterschiede nicht die von den Hilfswerken selbst getroffenen. Die Typologien konzentrieren sich beispielsweise ausschließlich auf säkulare Organisationen, analysieren die Unterscheidung zwischen religiösen und säkularen Hilfswerken aber nicht. Auch bieten sie uns keine Erklärung dafür an, wie diese Unterschiede zustande kommen, ebenso wenig wie eine Antwort auf die Frage, was sie uns über das Verhältnis zu anderen Akteuren inner- und außerhalb des humanitären Feldes verraten, in das die Organisationen eingebettet sind. Ich möchte aber zeigen, dass wir die Grammatik, die zu solchen Positionierungen führt, sozialtheoretisch bestimmen können. Im Gegensatz zu jenen, für die derartige Debatten das Ergebnis unterschiedlicher Orientierungen und Geschichten darstellen, die Hilfswerke in das Feld mitbringen,213 be-

213 Barnett, »Humanitarianism Transformed«; Stroup, Borders among Activists.

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Abb. 10 Abgrenzungen im Rahmen der säkularen NGO -Traditionen (nach Stoddard, »Humanitarian NGO s«, S. 29)

Abb. 11 Das politische Spektrum humanitärer Akteure und ihre Einstellung zu traditionellen Grundsätzen humanitären Handelns (nach Weiss, »Principles, Politics, and Humanitarian Action«, S. 3)

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Abb. 12 Kognitive Karte großer internationaler NGO s (nach Dijkzeul/Moke, »Public Communication Strategies«, S. 676)

haupte ich, dass sie vielleicht mehr noch Reaktionen der Hilfswerke aufeinander und auf die Chancen und Grenzen des gegenwärtigen humanitären Feldes sind. Wie bereits festgestellt, konkurrieren die Akteure in einem Feld nach Bourdieus Auffassung um ein feldspezifisches Kapital, eine bestimmte Form von symbolischem Kapital. Um in der realen Welt tätig werden zu können, benötigen die Akteure in der Regel eine gewisse Summe Geldes und Kontakte zur politischen Macht. Die Akteure unterscheiden sich in ihrer jeweiligen Kombination von Ressourcen. Die Positionen im Feld differieren entsprechend der Kombination von (feldspezifischen oder feldexternen) Kapitalsorten, deren die Akteure sich bedienen. Wir gehen davon aus, dass ein Feld über einen autonomen Pol, der sehr hoch an feldspezifischen und gering an feldexternen Ressourcen ist, und einen heteronomen Pol verfügt, der stärker von Ressourcen aus anderen Feldern abhängt. Diese Erwartung drückt sich gelegentlich in Karten aus, in denen

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Forscher nach Bourdieus Vorbild in zwei Dimensionen erfassen, wo auf einer Skala von vorwiegend feldspezifischem bis zu vorwiegend feldexternem Kapital (erste Achse) und bei welchem Gesamtvolumen von Kapital (zweite Achse) sich eine Feldposition befindet. Wir können die Aufteilungen des humanitären Feldes jedoch besser nachvollziehen, wenn wir berücksichtigen, dass es zahlreiche und ganz unterschiedliche Quellen von Verunreinigung gibt. Die Unterschiede im humanitären Feld lassen sich besser verstehen, wenn man von einer zugrunde liegenden Dynamik mit einem zweischneidigen autonomen Pol und diversen heteronomen Polen ausgeht. Die Akteure innerhalb des Feldes behandeln Ressourcen aus anderen Feldern als Quellen der Verunreinigung. Am autonomen Pol sind das IKRK und die MSF in leicht unterschiedlicher Weise unabhängig, entsprechend ihren unterschiedlichen Verunreinigungsgefahren. Das IKRK befolgt eine strikte Neutralität gegenüber Kriegsparteien, allerdings um den Preis einer gewissen Abhängigkeit vom Staatensystem insgesamt; so akzeptiert es etwa das Recht des Staates, den Zugang zu seinem Territorium zu kontrollieren. MSF besteht darauf, sich gegen Unrecht auszusprechen, das ihre Mitarbeiter in ihren Einsatzgebieten beobachten. Mit der Praxis der Zeugenschaft behauptet MSF ihre Unabhängigkeit gegenüber den Gastländern. Diese Position bringt die Organisation gelegentlich in größere Nähe zu nichtstaatlichen politischen Akteuren wie sozialen Bewegungen oder Rebellengruppen. Die Autorität der humanitären Hilfe speist sich aus dem Leiden der Menschen, denen sie helfen möchte; doch in ihren beiden ausgeprägtesten Formen räumt sie der Reinheit der humanitären Grundsätze Vorrang vor dem realen Nutzen für Not leidende Bevölkerungen ein. Sowohl die MSF als auch das IKRK würden die Einhaltung humanitärer Grundsätze über die Versorgung jeder bestimmten Bevölkerung stellen. In seiner Reinform ist Humanitarismus Humanitarismus um des Humanitarismus willen. Im Gegensatz zu dieser puristischen Position erscheinen andere Ressourcen als Quellen der Heteronomie oder Verunreinigung (aus Sicht des Feldes gesprochen); dabei kann es sich um nichtstaatliche politische Akteure oder einen der zahlreichen Geberstaaten, um religiöse Absichten, Geld oder profitorientierte Aktivitäten oder um die Medien handeln.

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Abbildung 13 zeigt das Feld unter dem Gesichtspunkt der Verteilung von feldspezifischem Kapital sowie einige der entscheidenden Quellen von Verunreinigung im Feld. Die Karte verzeichnet Geberstaaten, soziale Bewegungen und religiöse Organisationen als Hauptquellen der Verunreinigung – obwohl sich weitere hinzufügen ließen; wir könnten uns auch einen Raum mit mehr als zwei Dimensionen vorstellen. Dies ist nicht die einzige mögliche Karte des Feldes humanitärer Organisationen, aber es ist eine, mit der sich alle Organisationen auseinandersetzen müssen, insofern sie als humanitäre Akteure vom Anspruch leben, »humanitär« zu sein: Die klassische Vision des Humanitarismus ist die Position, die sich von anderen Praxisbereichen am meisten unterscheidet. Ich möchte die symbolische Struktur des Feldes weiter untersuchen, indem ich mir anschaue, wie sie sich in Diskussionen über das Verhältnis von Humanitarismus und Politik einerseits und von Humanitarismus und Religion andererseits ausdrückt. Auf der Grundlage

Abb. 13 Reinheit und Verunreinigung im humanitären Feld

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einer Analyse des Feldes der humanitären Hilfsorganisationen und einer Unterscheidung zwischen Ideen, Organisationsfeldern und Praxis können wir auch substanzielle Fragen nach dem Verhältnis der humanitären Praxis zu Politik und Religion stellen.

Humanitarismus und Politik: Ideen, Felder, Praktiken Über das Verhältnis des Humanitarismus zur Politik ist viel diskutiert worden. Ist der Humanitarismus von Natur aus politisch? Oder schließen sich Humanitarismus und Politik gegenseitig aus? IKRK -Präsident Claudio Sommaruga bekannte sich zur zweiten Auffassung, als er 1992 vor der UN -Generalversammlung verkündete: »Der Humanitarismus und das politische Handeln müssen ihrer eigenen Wege gehen, wenn die Neutralität und Unparteilichkeit der humanitären Arbeit nicht gefährdet werden sollen.«214 Auf der anderen Seite der Debatte wollen manche Stimmen geltend machen, dass humanitäre Hilfe offensichtlich politisch ist – und manche wollen uns auch auf die Verantwortung verpflichten, die damit einhergeht. Hugo Slim, der führende Positionen in humanitären Organisationen und der akademischen Welt bekleidet hat, schreibt: »Der Humanitarismus ist immer auf die eine oder andere Art politisiert. Er ist ein politisches Projekt in einer politischen Welt. Seine Mission ist eine politische – nämlich den Einsatz organisierter Gewalt in den menschlichen Beziehungen einzuschränken und abzuschwächen und sich mit den Machthabern auseinanderzusetzen, um dies zu erreichen.«215 214 Zitiert nach Warner, »Politics of the Political/Humanitarian Divide«. Es ist ein Topos der Debatten über die humanitäre Hilfe, deren »Politisierung« zu beklagen. Nicolas de Torrente, Präsident von MSF USA , beispielweise behauptete, der Einsatz von humanitärer Hilfe zur Beförderung politischer Ziele im Irak habe gegen fundamentale humanitäre Grundsätze verstoßen. Für ihn ist die absolute Unabhängigkeit der humanitären Akteure »notwendig, um zu gewährleisten, dass humanitäre Maßnahmen nur den Interessen von Kriegsopfern dienen und keinerlei politischer, religiöser oder sonstiger Programmatik« (de Torrente, »Humanitarianism Sacrificed«, S. 4). 215 Slim, »Is Humanitarianism Being Politicised?«, S. 1. Paul O’Brien, Direktor von CARE im Irak in der ersten Phase des Krieges, kam in einer Erwiderung auf de Torrente zu dem Schluss: »1.) Der Humanitarismus ist politisch und sollte es sein,

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Um diese Debatte einzuordnen, ist es hilfreich, zwischen verschiedenen Bedeutungen des Ausdrucks »politisch« zu unterscheiden, indem man zwischen Ideen, Organisationsfeldern und Praxis differenziert, und dann zu fragen, wie sich humanitäre Organisationen zu diesen Bedeutungen verhalten. »Politisch« könnte im allgemeinsten Sinne bedeuten, dass etwas »Konsequenzen für die Produktion und Verteilung symbolischer und materieller Ressourcen hat«, und in diesem Sinne lässt sich die humanitäre Hilfe in all ihren Versionen als genuin politisch bezeichnen – das gilt allerdings für so ziemlich jede soziale Praxis. »Politisch« kann auch bedeuten: »steht im Zusammenhang mit Organisationen auf dem Feld spezieller politischer Forderungen und konkurriert um Stimmen und/oder die Beeinflussung staatlicher Politik«. Humanitäre Maßnahmen können politische Implikationen haben, doch unterscheidet sich eine humanitäre Organisation erheblich von einer politischen Partei. Der Anspruch, Leid zu lindern, siedelt humanitäre Akteure in einem gemeinsamen Terrain mit Akteuren wie Staaten, Menschenrechtsorganisationen, sozialdemokratischen Parteien und Frauenbewegungen an. Humanitäre NGO s arbeiten oft eng mit Staaten zusammen, und viele von ihnen betreiben anwaltschaftliche Lobbyarbeit, um Maßnahmen zu beeinflussen. Und doch verfügt der Humanitarismus über seinen eigenen autonomen Kern. Humanitäre Hilfe lässt sich durch ihre Distanz zur Politik bestimmen. Das humanitäre Handeln als humanitäres Handeln dient nicht der Unterstützung einer politischen Bewegung, es hängt nicht von der Parteipolitik im westlichen Staat ab, und es ist keine Entwicklungsförderung. Es ist unabhängig von politischen Ideologien, es wird nur für eine Krisenzeit geplant, und es verfolgt keine langfristigen politischen Ziele. Die Politik hat ihre eigenen Heiligtümer (die Nation, die Öffentlichkeit, das Volk, die Rechte des Einzelnen), die in diesem Kontext als Quellen der Verunreinigung gelten.

2.) der Humanitarismus kann und sollte sich zur Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit eines Krieges äußern, und 3.) finanzielle Mittel von Kriegsteilnehmern anzunehmen, kann sowohl prinzipiell als auch pragmatisch sehr vernünftig sein« (O’Brien, »Politicized Humanitarianism«, S. 31).

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Diese Unabhängigkeit wurde von IKRK und MSF errungen und ist die Grundlage der humanitären Autorität. Zwar hat sie ihre Wurzeln in einer Zusammenarbeit mit staatlichen Akteuren, ihr Nutzen für die Politik hängt aber gerade von ihrer relativen Distanz zu dieser ab. Die Rede von einer militärischen »humanitären Intervention« ist gewissermaßen ein Widerspruch in sich, wie ein Purist sofort anmerken wird. Genau darin liegt freilich ihre Attraktivität für diejenigen, die sie im Munde führen, um ihre Vorhaben zu rechtfertigen; man zollt der Autonomie des humanitären Handelns eine merkwürdige Form von Respekt, indem man sie ausnutzt. Womöglich wohnt menschlichem Leiden als solchem eine Form von Autorität inne. Diese Autorität wurde erheblich ausgeweitet, als wir gelernt haben, immer mehr Probleme durch die Brille eines »emergency imaginary« zu sehen, wie Craig Calhoun das genannt hat, eines Notfallbewusstseins, das rasches Handeln und Lösungen auf der Grundlage des Außergewöhnlichen einer Situation verlangt.216 Diverse Akteure – politische, familiale, religiöse – werden die Autorität beanspruchen wollen, die in dieser Situation entsteht. Akteure aber, die als humanitäre identifiziert werden, haben diese Sorte Autorität über einen langen Zeitraum akkumuliert und können sie an jede neue Situation des Leidens herantragen. Die Politikdiskussion zwischen den Akteuren im Feld der humanitären Organisationen ist eine – explizite oder implizite – Inszenierung ihres Verhältnisses zu verschiedenen Akteuren im politischen Feld. Eine der Dimensionen der Ausdifferenzierung im humanitären Feld von heute besteht in dem Spektrum politischer Akteure, das die Reinheit der humanitären Hilfe beschmutzen kann. Wie ein Hilfswerk sich gegenüber politischen Akteuren positioniert – seien dies Geberstaaten, Empfängerstaaten oder nichtstaatliche Akteure –, wird seine symbolische Stellung beeinflussen. Die humanitäre Autorität ist umgekehrt proportional zu den Ressourcen, die vermittels politischer Akteure erlangt werden. Die wichtigsten Akteure sind Geberstaaten – vermittels Behörden wie der amerikanischen USAID und des britischen Department for International Development DfID – sowie institutionelle Geber wie 216 Calhoun, »A World of Emergencies«.

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ECHO der Europäischen Union. Die Vereinigten Staaten kommen für

über ein Drittel der gesamten offiziellen humanitären Hilfe auf. Großbritannien, Deutschland, die Niederlande, Schweden und Deutschland folgen auf der Liste der größten Geberländer. Zusammengenommen tragen EU -Länder die Hälfte des globalen Etats für humanitäre Hilfe bei.217 Die Frage nach dem Verhältnis zu Geberregierungen hat sich in den Jahren seit dem Kosovo-Krieg und zumal während der Kriege in Afghanistan und im Irak neu gestellt. Immer schon konnte man die großen Geber im Verdacht haben, eigene Interessen welcher Art auch immer zu verfolgen, in diesen Fällen aber waren sie unmittelbar als Kriegsparteien beteiligt.218 Hier teilt sich das Feld nicht nur zwischen unabhängig und staatlich finanzierten NGO s. Auch Geberländer haben unterschiedliche Positionen zur Weltordnung und stellen sich unterschiedlich zu verschiedenen Krisen. Die Aufteilung zwischen französischen und angelsächsischen Hilfswerken ist verwandt mit der zwischen unabhängigen und im Auftrag arbeitenden NGO s. Skandinavische Hilfswerke scheinen unabhängiger nicht nur aufgrund anderer ideologischer Überzeugungen oder größerer Unabhängigkeit von ihren jeweiligen Regierungen, sondern auch aufgrund der Position ihrer Heimatländer in der Weltordnung. Die Vereinigten Staaten sind in den vergangenen Jahrzehnten global so einflussreich gewesen, dass sich »Unabhängigkeit« bis zu einem gewissen Grad an der Distanz zur US -Regierung bemisst. Die von den USA angeführten Kriege gegen Afghanistan und den Irak zogen eine Verunreinigung im Feld der humanitären Hilfe nach sich – sie diskreditierten die Vereinigten Staaten in der humanitären Gemeinschaft und ließen einige andere Geberinstitutionen in einem neutraleren und friedlicheren Licht erscheinen. Ein guter Ruf für seine Unabhängigkeit hängt auch davon ab, mit welchem Geber ein Hilfswerk zusammenarbeitet, genauer gesagt, mit welchem Geber es bei welcher besonderen Krise zusammenarbeitet. So ist es beispielsweise eine allgemein akzeptierte Strategie, wenn eine Organisation sich darum bemüht, die jeweiligen Geldgeber und Krisen so aufeinander abzustimmen, dass störende strategische Interessen mög217 Development Initiatives, Global Humanitarian Assistance Report 2009/2010. 218 Donini/Minear/Walker, »The Future of Humanitarian Action«.

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lichst ausgeschaltet werden. Ein Länderreferent eines französischen Hilfswerks erklärte mir etwa, er habe ziemlich darum gekämpft, ein Projekt im Tschad von offiziellen Quellen in den Vereinigten Staaten finanzieren zu lassen, statt in einer Region, die einmal unter französischer Kolonialherrschaft stand, mit der französischen Regierung zu kooperieren. Das geringste feldspezifische Kapital wird denen eingeräumt, die direkt als Auftragnehmer für Regierungen mit offensichtlichem politischem Programm arbeiten. Militärische oder kommerzielle Akteure, die so etwas tun, genießen im humanitären Feld sehr wenig Autorität. Die Beziehungen zu anderen politischen Akteuren werfen verwandte Fragen über die Unabhängigkeit auf. Empfängerländer sind in der Lage, Helfern die Einreise zu erlauben oder zu verweigern, und auch diese »Ressource« kann eine Quelle der Verunreinigung sein. Welche Bedingungen sollte eine Hilfsorganisation akzeptieren, um ein Territorium betreten zu dürfen, und wie könnten diese Bedingungen ihre Unabhängigkeit gefährden? Das IKRK akzeptierte den Tausch von Zugang gegen Verschwiegenheit in Nazideutschland, in Biafra und in jüngster Zeit in Guantanamo. Die Ärzte ohne Grenzen sind von allen am kompromisslosesten, wenn sie über den Zugang zu einem Territorium verhandeln – sie protestieren gegen Beschränkungen für das medizinische Personal und verzichten lieber auf den Zutritt, wenn es sein muss. Eine Variante des Dilemmas, gegebenenfalls Kompromisse für die Einreiseerlaubnis eingehen zu müssen, wird in der Diskussion über die Frage angesprochen, ob man bewaffneten Schutz in einem Territorium akzeptieren sollte oder nicht.219 Die Problematik kam im Irak auf, wo es lange Zeit praktisch unmöglich war, unabhängig von der US -Armee zu operieren. Kompromittiert die Kooperation mit der US -Armee in Sicherheitsfragen im Irak den Status einer humanitären Hilfsorganisation? Zwar werden sich die Organisationen aus verschiedenen ethischen und politischen Gründen unterschiedlich entscheiden, die meisten wären sich jedoch einig, dass die Antwort auf diese Frage zum Teil ja lautet. Ähnlich ist es gegenwärtig unerlässlich, den Schutz des russi219 Hoffman, »When Hired Guns Guard Humanitarian Spaces«. Vgl. auch Cockayne/ International Peace Institute, Commercial Security in Humanitarian and Post-Conflict Settings.

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schen Staates in Anspruch zu nehmen, wenn man in Tschetschenien arbeiten will. Wie kann man unter solchen Bedingungen neutral bleiben? Bewaffneten Schutz zu akzeptieren ist mit symbolischen Kosten verbunden, bringt jedoch politische und ökonomische Vorteile für jedes Hilfswerk. Auch nichtstaatliche Akteure können eine Quelle der Verunreinigung sein. MSF wurde beschuldigt, sich im Krieg in Afghanistan zu sehr mit den Taliban eingelassen zu haben, als sie ärztliche Hilfe hinter den Rebellenlinien leistete. Im Südsudan entwickelten humanitäre Helfer gelegentlich eine zu große Nähe zur Sudanesischen Volksbefreiungsarmee, was mehr als einer der von mir Befragten als Problem für ihren humanitären Status betrachtete. Unabhängigkeit von nichtstaatlichen Akteuren erfordert eine bewusste Anstrengung und Arbeit an sich selbst in den alltäglichen Interaktionen im Feld, wie mir ein Helfer bezüglich der Situation im Sudan erklärte: »Es gibt jede Menge äußerst zuvorkommender Rebellenkommandeure. Und bis heute weiß ich nicht, wer von ihnen zu den Guten und wer von ihnen zu den Bösen gehörte. Aber sie pflegten auf mich zuzugehen, und wir hatten lange Gespräche. […] Ich glaube nicht, dass es ein Fehler war, mit […] den Leuten zu sprechen und mit Leuten Tee zu trinken. Aber man muss sicherstellen, dass man nicht auf den Abweg gerät, die eigene Neutralität zu gefährden.« Wie er mir weiter erklärte, gebe es viele Gelegenheiten, bei denen es einfach wesentlich bequemer wäre, Gefälligkeiten mit lokalen Akteuren auszutauschen. Viele Menschen mit einem Erfahrungshintergrund in der linken Solidaritätsbewegung der 1980er Jahre sind heute in diesem Bereich aktiv. Sie stehen vor der Wahl, ob sie sich auf dem humanitären Feld ansiedeln wollen. Solidar etwa ist ein Netzwerk von NGO s mit Verbindungen zur europäischen Arbeiterbewegung, die zunehmend Zugriff auf humanitäre Fördermittel suchen und sich professionelles humanitäres Knowhow aneignen. Andere, wie die Schweizer Organisation SOLIFONDS , wollen die Befreiungskämpfe in den ärmsten Weltgegenden unterstützen. Sie bleiben in erster Linie politische Organisationen und verfügen über eine relativ geringe humanitäre Autorität.

Die Bedeutung von »religiös«

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Die Bedeutung von »religiös«: Glaube, Feld, Praktiken Die Unterscheidung zwischen religiösen und säkularen Hilfsorganisationen ist im humanitären Feld von großer Bedeutung. Wie aber verstehen humanitäre Akteure sie? Zunächst ist festzuhalten, dass dieser Unterschied nicht an einer Ideologie, an individuellen Glaubensüberzeugungen oder an Praktiken festgemacht wird. Säkulare NGO s verlangen nicht, dass ihre Mitarbeiter Atheisten sein müssen, und nicht alle sogenannten religiösen Hilfsorganisationen interessieren sich für das persönliche Glaubensbekenntnis ihrer Beschäftigten. Die entscheidende Frage für die Abgrenzung zwischen säkularen und konfessionellen Hilfswerken lautet, in welchem Verhältnis der Glaube zur eigenen Arbeit steht – genauer gesagt, wie sich die Zugehörigkeit zu einer organisierten Religion zur eigenen Arbeit verhält und wie sich die Organisation insgesamt zur organisierten Religion verhält.220 Religiöse NGO s appellieren als Organisationen an Glaubensinhalte, welche mit einer organisierten Religion verbunden sind und eine Gruppe von Gebern ansprechen, die sich durch ihre Verbindung zu einer organisierten Religion auszeichnen. Sie können, müssen aber in westlichen Ländern nicht in einem formalen Verhältnis zu einer organisierten Religion stehen und können, müssen aber nicht mit kirchlichen Partnern im Ausland zusammenarbeiten. Die Vertreter säkularer Hilfsorganisationen ziehen eine deutliche Linie zwischen säkularen und religiösen Einrichtungen. Wenn sich säkulare Hilfswerke um eine Abgrenzung von konfessionellen Hilfswerken bemühen, dann deshalb, weil sie sich vor einer Verunreinigung durch Einsätze und Interessen von außerhalb des humanitären Feldes fürchten.221 Die Sorge vor einer Verunreinigung durch die Interessen von Organisationen im religiösen Feld unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der Sorge vor politischer Vereinnahmung. Religiöse Ver220 Zwischen Mission, Geberbasis, Beschäftigungsstrategie und institutionellen Verbindungen unterscheidet Thaut, »The Role of Faith«; zwischen individueller und organisatorischer Identität unterscheiden Hopgood/Vinjamuri, »Faith in Markets«. 221 Kritik hieran üben Ager/Ager, »Faith and the Discourse of Secular Humanitarianism«. Paras/Stein, »Bridging the Sacred and the Profane«, erörtern zudem die sakrale Dimension scheinbar säkularer Organisationen.

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unreinigung ist nur eine von vielen möglichen Formen der »Unberechenbarkeit«. Für die etablierten Hilfswerke scheinen auch die von Prominenten ausgehenden Bemühungen in einer Weise von äußeren Kräften bestimmt, die sie unwägbar und unzuverlässig machen; neuere Hilfsorganisationen werden oft des Opportunismus verdächtigt. Diese Angst vor Verunreinigung findet ihren Ausdruck in einer Unterscheidung zwischen professionellen und zuverlässigen Einrichtungen einerseits und »verrückten« oder unberechenbaren Einrichtungen andererseits – eine Unterscheidung, die im Übrigen auch in und unter religiösen NGO s getroffen wird. Einige konfessionelle Organisationen – wie der Lutherische Weltbund, World Vision und die Caritas – waren treibende Kräfte bei den Bemühungen um gemeinsame Standards und eine Regulierung des Sektors, insbesondere bei der Ausarbeitung der Sphere-Standards. Diese Organisationen legen großen Wert darauf, dass ihre primäre Verpflichtung dem Feld der humanitären NGO s und nicht dem religiösen Feld gilt. Es lohnt sich festzuhalten, dass Professionalismus im Sinne des Bemühens um technische Qualität nicht nur eine Anpassung religiöser Agenturen an eine säkulare Welt ist, sondern seinerseits eine Ideologie mit religiösen Ursprüngen. Einige der Beteiligten mit der größten Leidenschaft für den Gedanken der Professionalität in der humanitären Hilfe arbeiten für konfessionelle Einrichtungen. Evangelische Helfer haben sich auf die Vorstellung berufen, dass sie gute Verwalter des ihnen anvertrauten Geldes sein wollen.222 Als ich eine leitende Mitarbeiterin des Lutherischen Weltbundes, die zugleich eine frühe Verfechterin der Sphere-Standards war, nach der Rolle des Glaubens in der humanitären Hilfe fragte, antwortete sie mit einem Zitat, das von Martin Luther stammen soll: »Der christliche Schuhmacher tut seine Christenpflicht nicht, indem er kleine Kreuze auf den Schuhen anbringt, sondern indem er gute Schuhe macht, denn Gott ist an gutem Handwerk interessiert.« Catholic Relief Services ist ein Beispiel für eine NGO, die von humanitären Helfern durchweg als professionelles religiöses Hilfswerk anerkannt wird. Samaritan Purse und viel mehr noch die ScientologyKirche, die nach dem Tsunami von 2004 sehr umtriebig war, werden 222 Zu diesem Punkt vgl. vor allem Bornstein, Spirit of Development.

Die Bedeutung von »religiös«

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von Außenstehenden am »unberechenbaren« Ende der Skala angesiedelt. In Christopher Hitchens’ Analyse sind die mit Mutter Teresa verbundenen Waisenhäuser der klare Fall einer Umwidmung des Humanitarismus in einen konservativ-katholischen Kampf gegen die Abtreibung.223 Islamische Hilfswerke sehen sich dem Verdacht einer Verunreinigung womöglich in spezieller Weise ausgesetzt; in einer westlichen Welt, die das Christentum immer noch als die unmarkierte Kategorie behandelt, scheinen Verbindungen zu islamischen religiösen Organisationen und mutmaßliche Verbindungen zu islamischen politischen Organisationen auffälliger, politischer und unreiner als ihr christliches Äquivalent. Wie Bruno De Cordier bemerkt, wurden islamische NGO s seit dem Krieg in Ex-Jugoslawien als Agenten des Dschihad verdächtigt.224 Vertreter von Islamic Relief, einer in den 1980er Jahren in Großbritannien gegründeten NGO, haben festgestellt, dass sich diese Situation in einigen muslimischen Landstrichen, in denen ihre Organisation von der einheimischen Bevölkerung bereitwilliger als humanitär akzeptiert wird, genau umgekehrt darstellt.225 Auf dem Feld der Kunst oder des Rechts ist die Religion keine derart wichtige Achse der Ausdifferenzierung zwischen den Akteuren. Sie scheint auch keine so bedeutende trennende Rolle in der Menschenrechtsarbeit oder im Umweltaktivismus zu spielen, zwei Bereichen, in denen manche Aktivisten ebenfalls vom Glauben inspiriert sind.226 Dafür lassen sich mehrere Gründe denken. Der Humanitarismus könnte dem Christentum aus theologischen Gründen näherstehen als der Umweltschutz oder die Menschenrechte – was dazu führen könnte, dass Christen auf diesem Feld ihre eigenen Organisationen gründen, statt mit anderen in rein themenbezogenen Kampagnen zusammenzuarbeiten. Die Menschenrechtsdoktrin kommt womöglich mit der kirchlichen Lehre oder institutionellen kirchlichen Interessen in einer Weise in Konflikt, wie die humanitäre Hilfe dies nicht tut; doch um zu

223 224 225 226

Hitchens, Missionary Position. De Cordier, »Faith-Based Aid«. Vgl. Kirmani/Khan/Palmer, Does Faith Matter?; De Cordier, »Faith-Based Aid«. Guggenheim, Organisierte Umwelt; Rootes (Hg.), Environmental Movements; ders. (Hg.), Environmental Protest; ders., »Global Civil Society«.

Die Geschichte der humanitären Autorität

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verstehen, warum die Religion eine so prominente Grenze ist, an der sich die Geister (und Organisationen) scheiden, müssen wir auch berücksichtigen, dass humanitäre Hilfe ein sehr ressourcenintensiver Vorgang ist. Große Hilfsprogramme erfordern viel größere Etats als Menschenrechtsprogramme, und die meisten Hilfsorganisationen sind von Staatsaufträgen abhängig, um den Großteil ihrer Arbeit zu finanzieren. Nur wenige NGO s können große Programme rein auf Basis von Privatspenden auflegen, und in diesem Zusammenhang verfügen glaubensbasierte Organisationen über einen entscheidenden Vorteil.227 Während das öffentliche Interesse an fernen Katastrophen und Notlagen zugenommen hat, existiert die Öffentlichkeit für humanitäre Appelle nicht einfach nur als abstrakte Größe. Glaubensbasierte Organisationen können sich auf die zusätzliche Verbundenheit mit einer bestimmten Basis von Spendern stützen. Sie können sich in ihrer öffentlichen Kommunikationsstrategie auf den Glauben berufen, und viele von ihnen haben auch spezielle organisatorische Verbindungen zu Kirchen.228

Vielfalt und Markenbildung Ich möchte die Frage noch einmal aufgreifen, wie Hilfsorganisationen entscheiden, wo und wie sie ein Projekt durchführen. Alle Hilfswerke setzen voraus, dass es Projekte geben sollte, und zwar solche, die »einen Mehrwert schaffen« und »einen Unterschied bewirken«. Die symbolische Differenzierung zwischen den Organisationen aber beeinflusst die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Hilfswerk eine Intervention in einer bestimmten Gegend erwägt, und sie prägt die Kriterien für das, was in den Augen des Hilfswerks ein gutes Projekt ausmacht, ebenso wie seine Inhalte. Verschiedene Stimmen im Feld behaupten, bessere als »normal« gute Projekte zu machen. Es gibt aber nicht die schlichte Wahl zwi227 Vgl. De Cordier, »Faith-Based Aid«; vgl. auch Hopgood/Vinjamuri, »Faith in Markets«. 228 Development Initiatives, Public Support for Humanitarian Crisis.

Vielfalt und Markenbildung

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schen »Reinheit« und »Ausverkauf«, wie mitunter suggeriert wird. Verschiedene NGO s betonen unterschiedliche Aspekte dessen, was ihre Projekte auszeichnet. MSF sticht als eine Organisation heraus, die sich gleichzeitig gegen den Humanitarismus in seiner heutigen Form wendet und als Verkörperung des Humanitarismus positioniert. MSF ist dem Eigeninteresse humanitärer Organisationen gegenüber sehr kritisch eingestellt, sehr nachdenklich und ehrlich, und es betont die Rolle humanitärer Prinzipien bei der Eingrenzung der Art von Arbeit, die zu tun es bereit ist. Andere NGO s haben einen anderen Anspruch, nämlich den, nicht nur »gute Projekte« durchzuführen, sondern »wirklich gute Projekte«. Agenturen aus der Entwicklungstradition etwa betonen die Wichtigkeit der Beteiligung der Empfänger am Entwurf und der Umsetzung eines Projektes – ein Diskurs, der MSF fremd ist, nicht zuletzt deshalb, weil es sich um eine medizinische Organisation handelt. Wieder andere NGO s heben ein Verhältnis zu den Empfängern der Hilfe hervor, das speziell auf religiösen Werten beruht. MSF agiert in ihrer einzigartigen Position sehr konsequent. Es besteht durchgängig auf seiner Unabhängigkeit und hält sich von jeder Verunreinigung durch politisches oder ökonomisches Kapital fern. Dies bedeutet beispielsweise, dass MSF sich weigert, sich in der Auswahl ihrer Projekte von Geberinteressen beeinflussen zu lassen: So nahm MSF im Irak kein Geld von den USA an und verkündete an einem Punkt nach dem Tsunami im Indischen Ozean, keine weiteren Mittel zu benötigen. Es bedeutet auch, dass das Hilfswerk sehr zurückhaltend mit Projekten in Kontexten ist, in denen es für den physischen Schutz seiner Mitarbeiter auf lokale Machthaber angewiesen wäre. MSF geht sehr wohl manchmal an Orte, an die sonst niemand geht, und sie geht oft zuerst in Gegenden, in die andere ihr schließlich folgen. Doch während es den bedürfnisorientierten Humanitarismus verteidigt, verweigert sie sich der Rolle eines beauftragten Einsatzkommandos ebenso wie der eines Lückenbüßers für die Versäumnisse anderer. Die MSF-Philosophie betont gerne, dass letztlich Regierungen dafür verantwortlich sind, für Bevölkerungen zu sorgen, und dass humanitäre Hilfe zwar eine ethische Pflicht ist, die Helfer aber nicht die Funktion einer Notlösung haben. In den Augen von MSF sollen Hilfsmaßnahmen kurzfristig für Linderung sorgen, aber stets gleichzeitig eine Aufforderung an andere sein, langfristige Lösungen zu finden.

Die Geschichte der humanitären Autorität

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MSF orientiert sich an medizinischen Bedürfnissen und stützt sich

auf durchaus formale medizinische Indikatoren. Unter allen Managern im Feld der humanitären Hilfe, mit denen ich sprach, äußerten sich einige der MSF-Mitarbeiter jedoch am deutlichsten darüber, dass Bedürfnisse allein die Verteilung von Ressourcen nicht bestimmen können. »Dass es Bedarf gibt, genügt uns nicht, um ein Projekt zu rechtfertigen«, sagte mir ein Länderreferent einer MSF-Sektion. Diese Klarheit ist das Resultat eines hohen Reflexionsniveaus, das gewiss überlegtere Entscheidungen erlaubt. Sie kann auch dazu führen, dass MSF eine gewisse symbolische Dimension in der Auswahl ihrer Projekte bevorzugt. Ein Länderreferent sagte mir: »Die meiste Zeit verbringe ich damit, mit Teams zu diskutieren, die von einer Bedarfsanalyse zurückkehren. Ja, zweifellos sind die Bedürfnisse da, aber wir brauchen das, was wir gegenwärtig in unserer internen Sprache einen politischen Ansatz nennen.« Dieser politische Ansatz ist keine politische Dimension im herkömmlichen Verständnis, in dem Sinn, dass man äußeren politischen Interessen folgt. MSF sucht vielmehr manchmal nach Projekten, die es ihr erlauben, bestimmte politische Punkte zu machen. Ein Länderreferent erklärte mir: »Wenn ich in den Norden gehe und sage, ›ok, wir haben eine gewaltige Zahl mangelernährter Kinder‹, dann kann es für uns von Interesse sein, zu zeigen, dass selbst in einer großen Wüste mit Bevölkerungen, die permanent in Bewegung sind, [die Behandlung] sehr gut funktioniert. Es wird ein politischer Ansatz sein, um beispielsweise eine Kampagne für ein neues Nahrungsmittelprodukt zu starten. […] Wir brauchen also etwas, das nicht leicht zu erklären ist; es ist ein Gefühl, das sich der Erfahrung verdankt, einer Erfahrung nicht von zehn Jahren, sondern von einigen Monaten – manchmal von einigen Jahren für Leute, die ein bisschen langsam sind –, das es einem erlaubt zu sagen, was zu MSF passt.« MSF hat sehr gute Gründe, so vorzugehen, und dieser Aspekt ihrer Arbeit ist von enormem Nutzen. So hat die Organisation einen wichtigen Beitrag zu dem Nachweis geleistet, dass HIV /Aids auch in Afrika zu behandeln ist. Bis dahin war die Annahme weitverbreitet gewesen, es sei unmöglich, eine HIV-Behandlung in Afrika durchzuführen, weil es unmöglich sei, die Menschen dazu zu bekommen, dass sie die nöti-

Vielfalt und Markenbildung

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gen Medikamente regelmäßig über einen langen Zeitraum einnehmen.229 Diese Annahme war natürlich auch bequem für ein internationales System, das in seiner Reaktion auf die HIV /Aids-Krise in armen Weltgegenden mit Trägheit – und Schlimmerem – zu kämpfen hat. Ein MSF-Länderreferent erklärte mir, wie seine Sektion passende Einsatzorte in Afrika auswählte, um die Wirksamkeit der Behandlung in diesem Umfeld zu demonstrieren. Dies erlaubte MSF den eindringlichen Nachweis, dass es möglich wäre, HIV /Aids in Afrika zu behandeln und dass das Problem bei der internationalen Reaktion – und nicht bei den Afrikanern – lag und mit politischem Willen gelöst werden könnte.230 Manche Kritiker sagen, MSF beziehe kontroverse Positionen innerhalb des Feldes, um die Aufmerksamkeit der Medien zu erregen und Spenden einzuwerben. MSF hat aber recht, wenn sie darauf besteht, dass Geld nicht sein Ziel ist. Ich glaube den Managern, die mir erklärt haben, dass MSF in der Regel über mehr Geld als qualifizierte Mitarbeiter verfügt. MSF hat Wichtiges für die Menschen geleistet, die sie behandelt hat. Die Organisation verteidigt humanitäre Grundsätze und zeigt, was eine Gesundheitsversorgung im globalen Süden zu leisten vermag. Sie hat einen Raum für politische Forderungen geschaffen, wo vorher Bevölkerungen oft selbst für ihren fehlenden Zugang zu medizinischer Versorgung verantwortlich gemacht wurden. Weil MSF sich aber weigert, Lücken für andere Hilfswerke zu schließen und Projekte manchmal zu Demonstrationszwecken durchführt, gleicht ihre Arbeit die Grenzen der Ressourcenzuteilung mittels Projekten nicht aus, und wir können nicht erwarten, dass sie die »bedürfnisgerechte« humanitäre Hilfe im Alleingang erneuern wird.

229 Vgl. beispielsweise Harris u.a., »Preventing Antiretroviral Anarchy«. 230 Vgl. beispielsweise Tassie u.a., »Highly Active Antiretroviral Therapy«. Die Arbeit von Paul Farmer und Partners in Health war ebenfalls sehr wichtig für diesen Kampf um den Nachweis, dass wirksame Gegenmaßnahmen möglich sind und die Schuld für fehlgeschlagene Maßnahmen nicht den Opfern gegeben werden sollte, vgl. Farmer u.a., »Community-Based Approaches to HIV Treatment«; sowie die Beiträge in Saussy (Hg.), Partner to the Poor. Vgl. auch Attawell/Mundy, Provision of Antiretroviral Therapy.

Die Geschichte der humanitären Autorität

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Schlussfolgerung Hilfswerke entwickeln ihre strategischen Positionen nicht nur in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit praktischen Dilemmata, sondern aus einem Feld heraus, in dem sie auf die Auffassungen anderer Hilfswerke reagieren. Sie grenzen sich bewusst voneinander ab. Diese Verortung hat ihre Ursprünge in einem Schritt, der die Autorität kriegsbedingten Leidens mit der Autorität der für dieses Leid verantwortlichen Staaten und der Autorität des Ärztestands verband. Als die Position des IKRK 1971 aus den eigenen Reihen heraus von MSF infrage gestellt wurde, eröffnete dies ein ganzes Feld von Positionen. Ironischerweise ermöglichte die Intervention von MSF, obwohl sie ihrem Geist nach puristisch war, ein Spektrum an Positionen für andere Akteure und löste damit eine gewisse Deregulierung der humanitären Grundsätze aus. Der Humanitarismus in seiner heutigen Gestalt ist nicht zuletzt das Ergebnis dieses Schrittes. In den seither vergangenen Jahrzehnten versah eine Vielzahl von Akteuren eine Vielzahl von Ressourcen und Anliegen mit dem Etikett humanitär. Das humanitäre Feld verfügt über ein doppeltes Zentrum der Autorität, in dem IKRK und MSF zwei auf leicht unterschiedliche Weise unverfälschte, reine Schlüsselpositionen besetzen. Eine Vielzahl von Positionen stützt sich auf eine Kombination von humanitären mit anderen symbolischen und materiellen Ressourcen. Diverse politische Akteure gelten als Quellen der Verunreinigung. In seiner gegenwärtigen Struktur ist das Feld darüber hinaus durch eine Aufteilung in religiöse und säkulare NGO s geprägt. Die Analyse der symbolischen Struktur dieses Feldes hat andere Implikationen als eine Typologie der Hilfsorganisationen. Eine Typologie klassifiziert Organisationen, eine feldtheoretische Darstellung klassifiziert Klassifikationen. Erstere impliziert eine Vermittlung durch eine einzige Organisation und ihre Werte, Letztere eine Vermittlung durch ein Beziehungsgeflecht, das die Positionen in einem Feld prägt – einschließlich der Positionen der Hilfswerke am autonomen Pol des Feldes. Eine Typologie von Organisationen bedingt eine Entscheidung zwischen verschiedenen Organisationen und ihren Werten, ein feldtheoretischer Ansatz verlangt eine Reaktion auf das gesamte Beziehungsgeflecht, das das Feld konstituiert. Auf der Grundlage einer Ty-

Schlussfolgerung

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pologie lassen sich proklamierte Werte überprüfen, auf der Grundlage einer feldtheoretischen Kartierung würde man eher Einzelleistungen beurteilen, die besseren oder schlechteren Gebrauch von der spezifischen Position einer Hilfsorganisation machen. Ich habe nunmehr die Hauptelemente der Praxislogik des Feldes humanitärer NGO s vorgestellt. Wir haben gesehen, dass die Hilfswerke Projekte produzieren und darum bemüht sind, gute Projekte abzuliefern. Wenn sie sich voneinander abgrenzen, gehorchen sie einer gemeinsamen Logik, die Teil des Marktes für Hilfsprojekte ist. Unsere Bemühungen, durch NGO s Nothilfe zu leisten, sind durch die praktischen Zwänge und durch die symbolische Logik des Feldes vermittelt. Auch einige Elemente der Geschichte jener Logik des humanitären Feldes habe ich diskutiert: Ich habe die Genealogie des Projektes als Einheit der Planung durch die Geschichte des Logframe verfolgt und die Evolution der humanitären Autorität nachgezeichnet. Die letzten beiden Kapitel sind zwei Zusammenhängen gewidmet, anhand deren ich die Logik des Feldes der humanitären Hilfs-NGO s noch einmal vertiefend untersuchen möchte. Ich werde mich zunächst den Bemühungen widmen, die humanitäre Hilfe zu verbessern und zu reformieren, wobei wir sehen werden, wie die Auswirkungen dieser Bemühungen durch die von mir beschriebene Praxislogik vermittelt wurden; verschiedene Reformprojekte sind am Ende gegen ihre ursprünglichen Absichten in die Infrastruktur des Marktes für Projekte eingeflossen. Anschließend werde ich mich einer doppelten Frage zuwenden: Was bedeutet eine Analyse der Logik von Praxisfeldern für unser Verständnis der Rolle, die Menschenrechte in der Vermittlung fernen Leids spielen könnten – und der Rolle, die dieses Konzept realiter in der humanitären Hilfe gespielt hat?

5 Die Reform der humanitären Hilfe Wenn ein bedeutender Mann eine Idee in die Welt setzt, so wird sie sogleich von einem Verteilungsvorgang ergriffen, der aus Zuneigung und Abneigung besteht; [...] und über kurz bleibt von keiner Leistung mehr übrig als ein Aphorismenvorrat, aus dem sich Freund und Feind, wie es ihnen paßt, bedienen. Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

In den vorangegangenen vier Kapiteln habe ich die Elemente der Praxislogik des Feldes der humanitären Hilfsorganisationen analysiert. Ich habe die allgemein geteilten Praktiken des Projektmanagements untersucht und bin der Frage nachgegangen, wie sich Hilfsorganisationen wechselseitig positionieren, um sich symbolisch voneinander abzugrenzen. Ein weiteres Thema war die Produktion von Projekten als Tauschobjekten. Die Verbindung dieser Elemente, so meine These, ergibt eine relativ autonome Logik, die zwischen Interessen und Werten einerseits und dem Tun (oder Nichttun) der Hilfswerke andererseits vermittelt. Einfacher gesagt: Diese Logik vermittelt zwischen dem, was in die humanitäre Hilfe hineingesteckt wird, und dem, was bei ihr herauskommt. Das vorliegende Kapitel ergänzt diese Analyse, indem es die Formen der Selbstbeobachtung und Reflexivität, die sich im Feld der humanitären Hilfe finden, einbezieht:231 Es widmet sich Versuchen, die humanitäre Hilfe von innen heraus zu reformieren. Wie bereits viele Beobachter festgestellt haben, ist die humanitäre Hilfe ein sehr selbstreflektiertes und selbstkritisches Feld. Gelegentlich wurde sogar darauf hingewiesen, dass die Selbstkritik rituell wirken kann; Alex de Waal etwa bemerkte, dass »die humanitäre Internationale ein außerordent231 Es ist darin lose inspiriert von den Fragen, die André Kieserling in Selbstbeschreibung und Fremdbeschreibung aus systemtheoretischer Perspektive stellt.

Die Reform der humanitären Hilfe

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liches Vermögen zu haben scheint, Kritik zu schlucken, sich nicht zu reformieren und doch gestärkt daraus hervorzugehen«.232 Nicht jede Selbstkritik ist indes rein rhetorisch. Seit Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre wurde eine Reihe von Initiativen ergriffen, um den Humanitarismus zu verändern, ihm zu Einsichten aus vergangenen Fehlern zu verhelfen und ihn zu verbessern. Ich werde im Folgenden zwei der wichtigsten und erfolgreichsten Initiativen zur Reform der humanitären Hilfe und einige ihrer Auswirkungen betrachten. Die erste ist das Sphere-Projekt zur Einführung von Standards für die humanitäre Arbeit und für das, was betroffene Bevölkerungen im Rahmen einer humanitären Reaktion erhalten sollten. Die zweite Reforminitiative, das Humanitarian Accountability Project (HAP ), zielt darauf, die Rechenschaftspflicht der Hilfsorganisationen gegenüber den Empfängern (statt den Gebern) von Hilfsmaßnahmen zu stärken. Sphere und HAP sind interessante Beispiele, weil sie den Idealismus der humanitären Hilfe mit dem Wissen und den Ressourcen von Managern kombinieren. Diese Initiativen berufen sich auf die höchsten Werte des Sektors – die Würde jedes menschlichen Wesens, die Stimme der Hilfeempfänger – und basieren zugleich auf einer ernsthaften Analyse mancher Schwächen der real existierenden humanitären Hilfe. Sie wurden von einigen der erfahrensten Manager in dem Sektor geleitet und von wohlüberlegten Bemühungen um eine möglichst große praktische Wirkung und gute Aufnahme unter den Praktikern begleitet. Im Zusammenhang dieses Buches verfolgt die Erörterung dieser Reformen drei Hauptzwecke. Erstens erlaubt sie es mir, die aktuellsten und, manchen Stimmen zufolge, besten Versionen des Humanitarismus in meine Untersuchung einzubeziehen. Zweitens bietet sie mir eine Gelegenheit, zu den Fragen nach der Rolle der Ideen bei der Verbesserung der Welt zurückzukehren, die in Kapitel 1 aufgeworfen wurden. In ihrer Begrenztheit spiegelt die seit den 1990er Jahren versuchte Reform des Humanitarismus das allgemeinere, seit dem späten 18. Jahrhundert laufende Projekt der humanitären Reform in wichtigen Aspekten wider. Beide beginnen mit hochfliegenden Zielen und besten Absichten. Angesichts eines indefiniten Übels – aus dem sie 232 De Waal, Famine Crimes, S. XVI .

Die Reform der humanitären Hilfe

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auch ihre Legitimation beziehen – konzentrieren sich die Akteure dann auf einen begrenzten Aspekt der Realität, auf den sie Einfluss nehmen zu können glauben. Die Wirkung der Reformen wird mithin in einem zweiten Schritt durch bestehende Institutionen und Machtverhältnisse vermittelt. Drittens gestattet mir die Untersuchung dieser Reformen einen weiteren Blick auf die Logik des Feldes der humanitären Hilfe. Wir werden sehen, wie elastisch diese Logik angesichts von Reformanstrengungen ist und wie sie die Auswirkungen beeinflusst, die diese Reformprojekte zeitigen können. Der Effekt dieser Reformen ist am Ende durch den Fokus der Hilfswerke auf die Produktion von Projekten und durch die symbolischen Aufteilungen der Akteure im Feld vermittelt. Die Reformprojekte sind in der Logik des humanitären Feldes aufgegangen. Und so haben diese Initiativen unter anderem dazu beigetragen, eine dichtere Infrastruktur für den Projektmarkt aufzubauen. Ich werde die genannten Reformen zunächst in einem bestimmten Moment in der Geschichte des Feldes der humanitären Hilfsorganisationen verorten. Anschließend zeige ich, wie jedes der beiden Projekte auf die Organisationsdynamik des Feldes trifft, wenn es versucht, seine Ideen in die Praxis umzusetzen. Jedes Projekt findet seinen eigenen Weg, um sich in diesem Prozess der Logik des humanitären Feldes anzunähern, und bedient sich – explizit oder implizit – verschiedener Äquivalente aus anderen Märkten als Metaphern für seine eigene Rolle. Sphere schließt an die praktische Ebene der humanitären Hilfe an, indem es sich zu einem Standard für die Produkte der Hilfe entwickelt; in einer gewissen Spannung zu den ursprünglichen Absichten des Projektes funktioniert es nach und nach wie ein technischer Standard statt wie die Standesregeln eines Berufs. HAP basiert auf der Analyse, dass die Begünstigten nicht über die Macht verfügen, die Verbraucher in anderen Sektoren haben, und dass Druck von außen nötig ist, um die Anreizstrukturen von Hilfswerken zu ändern. Doch verleiht es den Hilfeempfängern keine Verbrauchermacht; es funktioniert am Ende vielmehr wie ein Standard für fairen Handel oder Freiwilligenarbeit. Ein solcher Standard soll zu einem ethischen Konsum seitens der Geber ermutigen und diejenigen Produzenten stärken, die bereit sind, Wettbewerbsformen zu vermeiden, die für die am Produktionsprozess Beteiligten besonders ausbeuterisch sind.

Die Reform der humanitären Hilfe

170

Reforminitiativen in der humanitären Hilfe seit 1992 Sphere und HAP sind Teil einer Reihe von Reforminitiativen, die in die frühen 1990er Jahre zurückreichen.233 Diese Initiativen verhalfen nicht nur dem reflexiven Gespräch über die humanitäre Hilfe zu einem festen Rahmen; sie brachten auch verschiedene Hilfswerke um eine Palette von Themen zusammen – vom Überdenken der humanitären Grundsätze unter veränderten Bedingungen bis zum Austausch von Fachwissen übers Personalmanagement (siehe Tabelle 2). Tabelle 2

Reforminitiativen der humanitären Hilfe seit 1990

Initiative

Akteure

Ziele

1993

Mohonk-Kriterien1

Weltkonferenz über Religion und Frieden, unterstützt von großen religiösen Hilfswerken und UN-Einrichtungen

Bekräftigung der traditionellen IKRK-Prinzipien Neutralität und Unparteilichkeit in komplexen Notlagen

1993

Providence Principles2

Humanitarianism and War Project, Brown University

Einführung der »Prinzipien der Fürsorge« und eines Verhaltenskodex für humanitäre Helfer in Kriegszonen

1997

ALNAP (Active Learning Network for Accountability and Performance)

Sektorweite Initiative, 65 Mitglieder aus NGOs, Geber- und UNEinrichtungen

Aufbau eines Netzwerks zum Austausch über leistungsfördernde Maßnahmen

1997

People in Aid3

NGOs als Mitgliederorganisationen

Verbesserung des Personalmanagements der Hilfswerke

1997

Sphere-Projekt

Ausarbeitung einer IFRC, Oxfam, Steering Committee for Humani- humanitären Charta und der Sphere-Stantarian Response dards

2003

Good Humanitarian Donorship Initiative4

UN, NGOs, RotkreuzBewegung, Geberstaaten

Entwicklung der Grundsätze und der guten Praxis für gute humanitäre Geber

233 Griekspoor/Sondorp, »Enhancing the Quality of Humanitarian Assistance«; Hilhorst, »Being Good at Doing Good?«.

Reforminitiativen in der humanitären Hilfe

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Initiative

Akteure

Ziele

2003

Humanitarian Accountability Project (HAP)

60 Mitglieder, darunter NGOs und institutionelle Geber

Entwicklung eines Kodex und eines Akkreditierungsprogramms für die Rechenschaft gegenüber Hilfeempfängern

2005

Emergency Capacity Building Project (ECB)

7 große NGOs und das IRC mit Unterstützung der Bill-und-MelindaGates-Stiftung, von Microsoft und ECHO

Verbesserung von Rechenschaft und Erfolgskontrolle, Verringerung des Katastrophenrisikos, technische und informationelle Zusammenarbeit

2007

Compas Tool5

URD (Notlage, Wieder- Umstellung von Exaufbau, Entwicklung) post-Qualitätskontrolle auf laufende Qualitätssicherung

1 Ebersole, »Mohonk Criteria for Humanitarian Assistance«. 2 Minear/Weiss, Humanitarianism and War Project. 3 Davidson, People in Aid Code of Best Practice. 4 Schaar, »Birth of the Good Humanitarian Donorship Initiative«. 5 Maury/Russbach, »The Quality Compass«.

Diese Initiativen entstanden in einem ganz bestimmten Moment in der Geschichte des humanitären Feldes. Die Zeit unmittelbar vor und nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 war eine des Wachstums und der neuen Möglichkeiten für humanitäre Hilfsorganisationen. Es war auch eine Stunde neuer Herausforderungen und Dilemmata. Wie die NGO s auf diesen Moment reagierten, wurde durch eine bestimmte Generationenkonstellation geprägt, sowohl hinsichtlich ihrer eigenen Entwicklung als auch hinsichtlich der Biografien ihrer Mitarbeiter. Ich habe die Entstehung des humanitären Feldes als eines Feldes gemeinsamer Praktiken und symbolischer Auseinandersetzungen auf die Jahre nach der Abspaltung der MSF vom IKRK 1971 datiert. In den 1970er und 1980er Jahren kam es zu einer Reihe schwerwiegender Krisen, und die Hilfswerke nahmen in dieser Zeit an Sichtbarkeit, Größe und Zahl zu. Auch bildete sich zum ersten Mal ein nennenswerter Personalbestand im Feld heraus. Doch gab es in jenen Jahren noch keinen strukturierten Prozess, um bei einem Hilfswerk anzufangen. Die erste Generation humanitärer Helfer fand als junge Entwicklungshelfer, Ärzte, Ingenieure oder einfach Abenteurer ins humanitäre Feld – man-

Die Reform der humanitären Hilfe

172

che schlossen sich auf Reisen an – und hatte kaum eine nennenswerte formale Ausbildung genossen. Mit Beginn der 1990er Jahre wurden humanitäre Hilfswerke und die Nothilfe-Abteilungen von Entwicklungsagenturen zum ersten Mal von Menschen geleitet, die auf eine ganze Karriere in der humanitären Hilfe zurückblicken konnten. Diese Führungskräfte waren dabei gewesen, als sich die Hilfswerke in neuen und herausfordernden Umfeldern engagiert und einige der entscheidenden Krisen der 1980er – und später der 1990er Jahre – durchlebt hatten, beispielsweise die Hungersnot in Äthiopien 1984 und 1985 und die Kriege, die das Auseinanderbrechen Jugoslawiens in den frühen 1990er Jahren begleiteten. Entscheidend waren diese Ereignisse auch in dem Sinn, dass sie neue Fragen nach den Grenzen und den unbeabsichtigten Folgen humanitärer Hilfe aufwarfen.234 In derselben Zeit wuchsen die finanziellen Mittel für Hilfsmaßnahmen drastisch, wie in Kapitel 4 ausgeführt. Etablierte Organisationen öffneten neue Außenstellen in Einsatzgebieten und stellten neues Personal ein. Neue, kleinere Hilfswerke drängten ins Feld. Aus Sicht der älteren Generation mangelte es manchen der neuen Mitarbeiter an Erfahrung und Ausbildung. Die kleineren Hilfsorganisationen wurden als Konkurrenz empfunden, und zwar als eine potenziell inkompetente Konkurrenz. Die großen und etablierten NGO s fürchteten zudem den Wettbewerb mit kommerziellen Akteuren, die durch die steigenden Finanzmittel angelockt wurden. Mit den neuen Investitionen institutioneller Geber im Feld waren neue Anforderungen an die Rechenschaftspflicht verbunden, Forderungen, die von oben kamen und durch das wahrgenommene Scheitern der Reaktion auf bestimmte Krisen wie etwa Ruanda noch verschärft wurden.235 Als sie zu Verbesserungen und einer Erweiterung ihrer Rechenschaftspflicht aufgefordert wurden, hatten die leitenden Mitarbeiter in den etablierten Organisationen das Gefühl, dass sie reagieren und einen Beitrag leisten konnten, der ihre Führungsposition im Feld festigen würde.

234 Vgl. etwa Terry, Condemned to Repeat? 235 Millwood (Hg.), International Response to Conflict and Genocide.

Der Fall Sphere

173

Der Fall Sphere: Grundsätze, Standards und Indikatoren Das Sphere-Projekt wurde 1996 in Angriff genommen, um die humanitäre Hilfe menschenrechtlich zu fundieren und Standards für humanitäre Maßnahmen zu entwickeln – Standards, die den Einsatzkräften vor Ort als praktische Anleitung dienen könnten und den von Katastrophen oder Kriegen Betroffenen eine angemessene Versorgung garantieren würden – unabhängig von der jeweiligen Hilfsorganisation und dem jeweiligen Kontext. Ausgehend von früheren Initiativen einer NGO -Dachorganisation versammelten Peter Walker, damals bei der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes, und Nick Stockton, damals bei Oxfam, technische Experten aus einer Reihe von Hilfswerken, um über bewährte Verfahren im Sektor nachzudenken und Richtlinien für die humanitäre Hilfe zu formulieren.236 Sphere ist heute vor allem für sein Handbuch bekannt, das in der humanitären Welt weit verbreitet ist. Das Sphere-Handbuch umfasst drei Hauptelemente: eine humanitäre Charta, die Sphere-Standards und eine Reihe von Indikatoren. Die humanitäre Charta formuliert Grundsätze und Pflichten; neben humanitären Grundsätzen wie Unabhängigkeit und Neutralität unterstreicht es »das Recht auf Leben, auf einen angemessenen Lebensstandard und auf Freiheit von Folter oder grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Bestrafung«. Mittels seiner Standards und Indikatoren bringt Sphere dann die technische Expertise des Sektors mit diesen eher abstrakten menschenrechtlichen Normen zusammen und versucht sehr konkret festzulegen, was jede Person haben sollte, damit wir sagen können, dass sie über einen angemessenen Lebensstandard verfügt. Sphere-Ausbildern zufolge ist es äußerst wichtig, zwischen Standards und Indikatoren zu unterscheiden. Standards sind ziemlich allgemein gehalten. Der Standard für Wasser beispielsweise besagt: »Die Menschen verfügen über angemessene Einrichtungen, um ausreichende Wassermengen zum Trinken, Kochen und für die persönliche Hygiene zu beschaffen, zu lagern und zu verwenden, und um sicherzustellen, dass das Trinkwasser bis zum Verbrauch sicher ist.« Der Indi236 Buchanan-Smith, How the Sphere Project Came into Being; Walker/Purdin, »Birthing Sphere«.

Die Reform der humanitären Hilfe

174

kator ist wesentlich konkreter und nennt ein quantitatives Maß. Dem Sphere-Handbuch zufolge sind 15 Liter Wasser pro Person pro Tag in einer maximalen Entfernung von 500 Metern ein Indikator dafür, dass dem Recht auf Wasser Genüge getan ist.237 Die Sphere-Standards und -Indikatoren gibt es für verschiedene technische Bereiche wie Ernährung, Wasser- und Sanitärversorgung, Gesundheitsmaßnahmen und Notunterkünfte. Was bedeutet das Recht auf Nahrung? Wie einer der einschlägigen Sphere-Indikatoren besagt, kann man dann, wenn jede Person Zugang zu 2100 Kilokalorien am Tag hat, davon 17 Prozent in Form von Fett und 10 Prozent in Form von Eiweiß, die Hoffnung haben, dass dem Recht auf Nahrung in diesem Fall Genüge getan ist. Was bedeutet das Recht auf angemessenes Wohnen? Wenn alle Betroffenen zunächst über eine überdachte Grundfläche von mindestens 3,5 Quadratmetern pro Person verfügen, so einer von Spheres Schlüsselindikatoren, darf man die Hoffnung hegen, dass das Recht auf angemessenes Wohnen in diesem Fall erfüllt ist.

Der Geist von Sphere Es ist wichtig, die idealistische Seite des Sphere-Projektes im Kopf zu behalten. Sphere versteht sich als Übersetzung der höchsten Werte der humanitären Zunft in die profanen technischen Details des Latrinenbaus, als Herunterbrechen des heiligen Kerns dessen, was es heißt, ein Mensch zu sein, auf die materiellen Erfordernisse des schieren Überlebens. Für Hugo Slim etwa markiert die »humanitäre Charta«, der erste Teil des Handbuchs, »den Übergang entscheidender Sektionen der internationalen NGO -Gemeinschaft – zumindest auf dem Papier – von der Philanthropie zu Rechten«.238 In dieser Tradition lautet die humanitäre Argumentation, dass Menschen nicht nur Nahrung, Wasser, Gesundheitsversorgung und Unterkunft brauchen, sondern dass sie ein Recht auf Nahrung, Wasser, Gesundheitsversorgung und Unterkunft haben. Der Begriff der Men237 Sphere Project, Humanitäre Charta und Mindeststandards in der humanitären Hilfe, S. 117, 110. 238 Slim, »Not Philanthropy But Rights«, S. 14.

Sphere und der Markt für Projekte

175

schenrechte könnte aus dieser Perspektive die Grundlage für ein neues Verhältnis der Hilfswerke zu den von ihnen betreuten Bevölkerungsgruppen sein, sodass sie den Begünstigten als Inhabern von Rechten statt in erster Linie als Hilfsbedürftigen begegnen. Die Sphere-Standards verstehen sich als Konkretisierung der Allgemeinen Menschenrechtserklärung. »Sphere lässt sich als Versuch eines breiten Spektrums von Agenturen verstehen, auszubuchstabieren, worin der minimale Gehalt eines Rechts auf ein würdevolles Leben bestehen muss. Vielleicht genauer noch ist es ein Versuch, die zugehörigen Parameter für eine hinreichende und angemessene humanitäre Hilfe zu definieren.«239 Was auf allgemeine Gültigkeit angelegt ist, ist der Standard – dass Menschen Zugang zu einer adäquaten Wasserversorgung haben. Der Indikator – 15 Liter am Tag –, darauf weisen die Sphere-Ausbilder ausdrücklich hin, ist nicht mehr als das, ein Indikator, und kann flexibel angewendet werden. Kritiker haben nachgefragt, wie sich universelle Standards mit lokalen Bedürfnissen versöhnen lassen – was ist, wenn Menschen aus kulturellen Gründen mehr oder weniger benötigen? Oder wenn der Sphere-Indikator ein höheres Niveau vorgibt, als es benachbarte Gruppen in der Umgebung gewöhnt sind? Sphere-Kursleiter halten dem entgegen, diese Kritik missverstehe die Rolle, die Sphere den Indikatoren zugedacht hat: Sphere will die Hilfsorganisationen dazu anhalten, dass sie erklären, warum sie einen bestimmten Indikator gewählt oder nicht gewählt haben. So soll ein reflektierendes und argumentatives Gespräch darüber, was Menschen benötigen und was ihnen gegeben werden kann, in Gang gesetzt und in Gang gehalten werden.

Sphere und der Markt für Projekte Sphere war in vielerlei Hinsicht ein großer Erfolg. Das Handbuch wurde in 25 Sprachen übersetzt. Es wird jeden Monat bei diversen Schulungen in den Hauptzentralen im globalen Norden und vor Ort

239 Darcy, »Locating Responsibility«, S. 113.

Die Reform der humanitären Hilfe

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auf der ganzen Welt verwendet.240 Es hat die interne Ausbildung der Hilfswerke geprägt und wird auch von lokalen Partnern in den Einsatzländern genutzt. Sphere hat sich somit zu einem wichtigen Instrument entwickelt, um Neulingen im Feld Grundwissen zu vermitteln und die Praktiker zum Nachdenken anzuregen. Sein Einfluss als Versuch einer Reform des Humanitarismus insgesamt aber wurde ebenfalls durch die Ausrichtung der Hilfsorganisationen auf die Produktion von Projekten und durch die symbolischen Aufteilungen des humanitären Feldes vermittelt. Und so wurde Sphere als ein Instrument zur Standardisierung von Produkten in den Projektmarkt integriert. Sphere wird mitunter in der Lobby- und Fürsprachearbeit eingesetzt. So bezogen sich humanitäre Helfer nach dem Erdbeben in Pakistan von 2006 auf die Sphere-Standards, um für eine bessere Versorgung der betroffenen Bevölkerungsgruppen in den vom pakistanischen Militär verwalteten Lagern zu plädieren.241 Doch am naheliegendsten ist es für ein Hilfswerk, Sphere in der Produktion von Projekten zu benutzen. Die humanitäre Charta spricht vom Recht der Menschen auf einen adäquaten Lebensstandard, und die Sphere-Standards geben den humanitären Helfern einen Anhaltspunkt, was »adäquater Lebensstandard« konkret bedeuten könnte. Aber indem es diesen zu einem Recht erklärt, das jeder theoretisch hat, bietet Sphere keine Antwort auf die Frage, wer was bekommen sollte, wo nicht jeder alles bekommt, was er benötigt. Sphere dient mithin dazu festzulegen, was eine bestimmte Gruppe ausgewählter Hilfeempfänger erhält. Sphere-Standards und -Indikatoren werden zu Kriterien dafür, woran man im jeweiligen Fachgebiet ein gutes Projekt erkennen kann. Meines Erachtens besteht die Aporie von Sphere in der Frage der Abdeckung – verschiedener Bevölkerungsgruppen und verschiedener Arten von Bedürfnissen –, nicht in dem Spannungsverhältnis zwischen Universalismus und kulturellen Besonderheiten. Bei der Planung eines Projektes zur Wasser- und Sanitärversorgung für 500 Menschen kann man mithilfe der Sphere-Standards feststellen, wie viel Wasser man zur Verfügung stellen muss – allerdings unabhängig von der Frage, wie viel 240 Auf der Sphere-Website finden sich regelmäßig Hinweise zu aktuellen Entwicklungen und zur weiteren Verbreitung; http://www.sphereproject.org. 241 Wilder, Perceptions of the Pakistan Earthquake Response.

Sphere und der Markt für Projekte

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Wasser die Menschen an Ort und Stelle im Vergleich mit anderen Dingen brauchen oder wer sonst noch Wasser benötigt.242 Wenn Sphere für die Produktion von Projekten verwendet wird, verwandeln sich Sphere-Standards in Produktstandards und nehmen die Bedeutung von »Standards« in Feldern wie dem Ingenieurwesen statt der Bedeutung von »Standards« im Bereich der Menschenrechte an – entgegen mancher Absichten des Projektes. Dies gilt sogar dann, wenn das Handbuch klug genutzt wird, unter Beachtung des Unterschieds zwischen Standards und Indikatoren. Wenn Projekte Produkte sind und Sphere dazu dient, Projekte zu planen und zu bewerten, ist es auch nicht verwunderlich, dass Standards und Indikatoren verschmelzen. Sphere scheint eine Möglichkeit zu bieten, Resultate nicht nur mit ursprünglichen Zielen zu vergleichen, sondern auch mit einem externen Kriterienkatalog. Es ist eine der erklärten Absichten des SphereProjektes, Qualitätsunterschiede zwischen verschiedenen Hilfsorganisationen in verschiedenen Bereichen zu beseitigen. In einem Feld, wo das Produkt im »Befriedigen von Grundbedürfnissen« besteht, hilft Sphere beim Umgang mit dem Problem qualitativer Unterschiede in den Bedürfnissen verschiedener Völker. Wenn man beispielsweise einen Indikator von mindestens 15 Litern Wasser am Tag pro Person vorschlägt, können diese 15 Liter in der Planung und Abrechnung den Platz des Grundbedürfnisses eines Individuums einnehmen. Sphere macht die qualitativen Unterschiede in den Bedürfnissen von Men242 Eine Variante dieses Problems kommt in der verbreiteten Kritik an Sphere zum Ausdruck, das Projekt ziele ausschließlich auf die technischen Details der humanitären Hilfe und vernachlässige darüber die Frage des Schutzes; vgl. etwa Dufour u.a., »Rights, Standards, and Quality«. Der Wasserstandard lässt sich sogar ganz unabhängig davon anwenden, ob Menschen getötet werden, während Brunnen und Wasser zur Verfügung gestellt werden. Er ließe sich im Prinzip auch dazu heranziehen, die Vorgehensweise eines Hilfswerks nachträglich unabhängig davon zu bewerten, ob Menschen getötet wurden, während Brunnen und Wasser zur Verfügung gestellt wurden. Es ist nicht leicht, die Sphere-Standards in der Praxis zur Möglichkeit solcher Gewalt in Beziehung zu setzen. Bei der Evaluierung der Sphere-Standards hat man festgestellt, dass sich »einige Geber anscheinend auf die technische Seite des Projektes konzentrieren und diese honorieren, während sie sich gleichzeitig aus dem rechtlichen Ansatz ›ausklinken‹«; vgl. Van Dyke/Waldman, Sphere Project Evaluation Report, S. 33.

Die Reform der humanitären Hilfe

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schen handhabbar. Während selbstverständlich das erforderliche Maß an Arbeit, um die Versorgung der Menschen auf den von Sphere geforderten Standard zu bringen, von Fall zu Fall verschieden ist, klammert die Tendenz der Planung, davon auszugehen, dass die Menschen nichts haben, in gewissem Maß auch die quantitativen Unterschiede in den Bedürfnissen aus. Sphere kann mithin so verstanden werden, dass es die Preise für die Pro-Kopf-Versorgung in ganz unterschiedlichen Praxisbereichen und ganz unterschiedlichen Regionen und Problemlagen vergleichbarer macht. Zusammen mit dem Logframe ließe es sich als Preisfindungsinstrument einsetzen. In einer extremen Lesart könnte man Sphere dazu verwenden, alle qualitativen Unterschiede auf die Anzahl der in einem bestimmten Sektor versorgten Menschen zu reduzieren. Als externes und verabredetes Zahlenwerk haben die Sphere-Standards bestimmte Auswirkungen einfach dadurch, dass es sie gibt. Natürlich glaubt nicht jeder Geber, dass Projekte in einem gegebenen Sektor rein auf der Ebene des Preises pro versorgter Person vergleichbar sind, und gewiss werden die Mitarbeiter eines Hilfswerks dies großenteils nicht glauben, wenn man es ihnen auftischt. Die Möglichkeit aber, Sphere so zu interpretieren, bleibt, und es bleibt auch die Möglichkeit, dass andere Akteure es so interpretieren. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich Hilfswerke genötigt sehen, Leistungen auf dem Niveau der Sphere-Indikatoren zu erbringen, die dann manchmal »Standards« genannt werden, und deshalb dorthin gehen, wo sie sie am leichtesten erfüllen können. Ein Bericht über humanitäre Hilfe in Darfur stellt fest, dass »die Strategie einiger der interviewten internationalen Gruppen darin bestand, nur zu expandieren, wenn minimale Standards in ihrem aktuellen Programm erreicht worden waren. […] Hilfswerke gehen womöglich auf Nummer sicher und halten ihre Programme klein, überschaubar und risikolos, um sicherzustellen, dass sie bestmöglich evaluiert werden.«243 Einer meiner Interviewpartner erinnerte sich zum Beispiel wie folgt: »Wir erörterten mögliche Einsatzorte für ein Projekt, und meine Projektmanager sagten über einen Ort: ›Da gehen wir nicht hin. Wir können dort unmöglich unsere professionellen Standards einhalten, und das wird den Gebern nicht gefallen.‹« 243 Young u.a., Darfur, S. 117.

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Sphere und die Entprofessionalisierung des humanitären Feldes Das Sphere-Projekt und seine Standards waren zunächst heftig umstritten, und einige Organisationen wenden sie nach wie vor nicht an. Die Kritiken an Sphere verschaffen uns einen Einblick, wie das Projekt durch die symbolische Differenzierung innerhalb des Feldes der humanitären Hilfsorganisationen vermittelt wurde. Sie erlauben es darüber hinaus, für den Fall der humanitären Hilfe das Verhältnis und mögliche Spannungen zwischen Feldern und Prozessen der Professionalisierung zu analysieren.244 Es ist üblich geworden, die jüngsten Transformationen der humanitären Hilfe – ihre Ausweitung, die interorganisatorische Zusammenarbeit, die Einführung einer formalen Ausbildung – als Professionalisierungsprozesse zu verstehen.245 Manche Stimmen halten dies für eine schlechte Entwicklung, andere begrüßen sie und fordern eine Professionalisierung des Humanitarismus. Sphere wird oft als Teil solcher Prozesse diskutiert und als »professioneller Standard« bezeichnet, und man könnte es in Analogie zu den klassischen akademischen Berufen wie Recht und Medizin für die Standesregeln der humanitären Hilfe halten. Deshalb ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass sich diese klassischen Berufe der Standardisierung von Arbeitsergebnissen gerade verweigern. In den klassischen akademischen Berufen steht die Standardisierung in einem Spannungsverhältnis zur beruflichen Autonomie. Eine der Rechtfertigungen der mit der Professionalisierung in Recht und Medizin verbundenen Zugangsbeschränkungen zu diesen Tätigkeitsfeldern besteht darin, dass sich manche ihrer Aspekte nicht standardisieren lassen und daher die Regulierung nicht einer Dienstleistung oder eines Arbeitsergebnisses erfordern, sondern der Art von Person, die

244 Diese Art Fragen wurden aufgeworfen von Stichweh, Wissenschaft, Universität, Professionen; sowie Abbott, »Linked Ecologies«. 245 Vgl. Barnett, »Humanitarianism Transformed«; ders., »Faith in the Machine?«; Ryfman, Une Histoire de l’humanitaire; Walker/Russ, Professionalising the Humanitarian Sector.

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diese anbietet.246 Um sich vor äußerer Einmischung zu schützen, müssen diese Fachleute den Anspruch auf ein abstraktes Wissen mit dem Anspruch, dass nur sie persönlich dieses Wissen anwenden können, ausbalancieren.247 Die Innovation von Sphere besteht nicht in einem Verhaltenskodex – hier konnte das Projekt frühere Kataloge von Grundsätzen übernehmen –, sondern in einem Produktstandard. Was den Gebern im humanitären Kontext verkauft wird, ist die Versorgung bestimmter Gruppen von Menschen in bestimmten Sektoren. In seinen Standards unterwirft Sphere sowohl Ärzte als auch Ingenieure derselben Form von technischer Rechenschaftspflicht. Zwar sind Produktstandards auch unter Ingenieuren umstritten,248 doch sind sie unter ihnen wesentlich weiter verbreitet als in der Medizin. Für Ärzte, deren Selbstverständnis sich an einer persönlichen Beziehung zum Patienten orientiert, ist dies eine Form von Meta-Rechenschaftspflicht, der sie sich in nationalen Kontexten als einer Form von Managerialismus widersetzen – die von Soziologen auch als »Entprofessionalisierung« bezeichnet wird.249 Im Zusammenhang mit Notlagen sind sie nun von Neuem damit konfrontiert, wenn sie sich an Projektaufträgen von Geberstaaten beteiligen. Manche Felder im Bourdieu’schen Sinne fallen mit einem akademischen Berufsstand zusammen, etwa das Feld des Rechts. Das Feld der humanitären Hilfsorganisationen ist jedoch eines, das unterschiedliche Arten von Rollen und unterschiedliche Arten von Expertenwissen in sich vereinigt, darunter auch einige der klassischen Professionen. Dies erzeugt eine gewisse Spannung im Feld. Zur gleichen Zeit, als Sphere mit Professionalisierungsprozessen assoziiert wurde, wurde es auch dafür kritisiert, die professionelle Autonomie zu beeinträchtigen. Tatsächlich sind es die Ärzteorganisationen, die sich der

246 Parsons, »The Professions and Social Structure«; ders., »A Sociologist Looks at the Legal Profession«; Stichweh, Wissenschaft, Universität, Professionen; ders., »Professions in Modern Society«. 247 Abbott, System of Professions; Whooley, »Diagnostic Ambivalence«. 248 Shapiro, »Degrees of Freedom«; Coeckelbergh, »Regulation or Responsibility?«. 249 Scott, »Professionals in Bureaucracies«; Engel, »Effect of Bureaucracy«; dies., »Professional Autonomy«; Ritzer/Walczak, »Rationalization«.

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Standardisierung am stärksten widersetzt haben; die unverblümtesten Kritiker der Sphere-Standards kamen aus dem Lager von MSF.250 Die Kritik an den Sphere-Standards nimmt oft die Form einer Entgegensetzung von Heiligem und Profanem, von Wertrationalität und Zweckrationalität an: Sphere, so heißt es, reduziert die noble humanitäre Mission auf bloße technische Einzelheiten und formale Kriterien. Dieser Gegensatz zwischen dem Heiligen und dem Profanen wird von manchen Autoren ganzen Kulturen zugeschrieben; Forscher in der Bourdieu-Schule wiederum rechnen sie spezifischen Feldern der Kulturproduktion im Allgemeinen zu.251 In unserem Fall aber handelt es sich nicht nur um irgendeine Form von Auseinandersetzung über das Heilige und das Profane; sie ist vielmehr Teil des Widerstands von Ärzten gegen die Entprofessionalisierung, der sie im Zusammenhang mit der Transformation des Feldes der humanitären Hilfe wiederbegegnen. In ihrer Kritik an den Sphere-Standards betonen die MSF-Vertreter, Sphere verschleiere, in wessen Verantwortung es liege, die Erfüllung der Standards für ein würdevolles Leben zu gewährleisten.252 MSF besteht darauf, dass kein Hilfswerk je eine Aufgabe übernehmen sollte, die eine des Staates sein sollte. Dies würde nicht nur die Staaten von ihrer Verantwortung entlasten, für ihre Bevölkerungen zu sorgen, sondern auch die noble Berufung der humanitären Hilfe auf ein Zahnrad in einer bürokratischen Maschine reduzieren. Der Widerstand gegen Sphere unterstreicht hier die Unabhängigkeit und Autonomie des humanitären Projektes in seiner Gesamtheit gemäß den Vorstellungen von MSF. MSF bringt in diesem Zusammenhang die Autorität des autonomen Pols des humanitären Feldes in Analogie zu der beruflichen Identität der Ärzte zum Ausdruck. Der Humanitarismus ist der Fall eines Feldes, dessen autonomer Pol von einem akademischen Berufsstand eingenommen wird. Die Bewegung gegen die Standardisierung bezieht zusätzliche Impulse aus der Biografie derjenigen, die sich in das humanitäre Feld be250 Giesen, »Sphere and Accountability«; Tong, »Questionable Accountability«; Dufour u.a., »Rights, Standards, and Quality«. 251 Bourdieu, Regeln der Kunst. 252 Giesen, »Sphere and Accountability«; Tong, »Questionable Accountability«.

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geben haben, um der Langeweile und Bedeutungslosigkeit zu entfliehen, die der Arbeit in heimischen Kontexten mitunter anhaften kann. Dies gilt für Manager, die aus der Unternehmenswelt in die humanitäre Hilfe wechseln, und es gilt auch für Ärzte. Eine Reihe von Ärzten, mit denen ich gesprochen habe, bekannten sich recht ausdrücklich zu dem Wunsch, der Langeweile der heimischen Krankenhausarbeit zu entfliehen und den ursprünglichen Reiz daran, Menschen zu dienen, in der humanitären Hilfe wiederzufinden.253

Die Unbestimmtheit des Übels, humanitäre Reformen und die Reform des Humanitarismus Es ist gute Tradition in den Sozialwissenschaften, Reformprojekte zu studieren, und viele dieser Reformprojekte sind im weitesten Sinne humanitär. Dies gilt für die Gefängnisreformer, die Michel Foucaults Überwachen und Strafen behandelt,254 die Kampagne zur Abschaffung der Sklaverei255 sowie die von Jean und John Comaroff beschriebenen Missionare.256 Bei dieser Art von humanitärer Reform handelt es sich um ein historisch relativ neues Phänomen, und es ist eine ironische Konsequenz der Herausbildung des Humanitarismus als eines Feldes, dass dieser inzwischen selbst zum Gegenstand einer bewussten Reform geworden ist. Die klassischen sozialwissenschaftlichen Arbeiten zu solchen Reformbemühungen haben gezeigt, dass die humanitäre Reform der Gesellschaft stets mit den höchsten Ansprüchen und besten Absichten beginnt. Soweit diese Arbeiten auch unerwünschte Folgen beleuchten, so meine These, werden diese Folgen nicht nur durch die Problematisierung der inhaltlichen Vorstellungen humanitärer Akteure oder dahinter stehender Interessen erklärt, sondern auch durch die Unbestimmtheit des Übels, mit dem es die Reformer zu tun bekommen, und durch

253 Für verwandte Forschungen zum Schnittpunkt zwischen Ärztestand und humanitärer Hilfe vgl. Hunt, »Moral Experience of Canadian Health Care Professionals«. 254 Foucault, Überwachen und Strafen. 255 Davis, The Problem of Slavery. 256 Comaroff/Comaroff, Revelation and Revolution.

Die Unbestimmtheit des Übels

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ihre relative Machtlosigkeit. Wenn sie sich einem unbestimmten Übelstand gegenübersehen, konzentrieren sich die Akteure lieber auf einen sehr begrenzten Ausschnitt der Realität, den sie beeinflussen können. Die Auswirkung von Reformen ist mithin durch die bestehenden Institutionen vermittelt. Nehmen wir das Beispiel jener evangelischen Missionare, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Afrika aktiv waren, wie von Jean und John Comaroff beschrieben.257 Die Missionare kamen nach Afrika, um Gottes Wort zum Wohl der einheimischen Bevölkerung zu verbreiten; sie machten sich ein gewisses Bild davon, was falsch war an den Lebensbedingungen der Dorfbewohner, die sie vorfanden und die bereits durch den Kolonialismus geprägt waren. Die Missionare hatten eine aufrichtige Vorstellung von einer anderen und humanen Gesellschaft, aber nicht die Macht, diese Vision zu verwirklichen. Bedenken wir nun eine der Varianten, die über die Ursprünge von Sphere erzählt wird. Soweit die Geschichte von Sphere heute als die einer Reaktion auf den Völkermord in Ruanda gilt, sollte man diese Erzählung in einen größeren Rahmen stellen und das hier vorgeschlagene Muster prüfen: In Ruanda kam es zu Gewalttaten größten Ausmaßes, die sich explosionsartig ausbreiteten, aber auch durch langjährige koloniale Dynamiken geprägt waren. Die Regierungen und Öffentlichkeiten im Ausland schauten hilflos aus der Ferne zu. UN Truppen wie Hilfsorganisationen fanden sich in der Rolle machtloser Beobachter des eigentlichen Völkermords wieder. Die Hilfswerke konnten nur noch auf die sich anschließende Flüchtlingskrise reagieren, und auch diese Reaktion hatte ihre unbeabsichtigten Konsequenzen.258 Wir sollten festhalten, dass die Welt dem Genozid nicht als solchem entgegentrat, sondern »Ruanda« vielmehr an eine Reihe spezieller Organisationen delegierte, die in der Sache vielleicht etwas tun könnten. In der Evaluierung der Geber259 verwandelte sich »Ruanda« irgendwie in eine Geschichte, die nicht davon handelte, dass die Welt Ruanda mit herbeiführte, dass die Welt es versäumte, in den eigentli257 Ebenda. 258 Terry, Condemned to Repeat?; Barnett, Eyewitness to a Genocide. 259 Eriksson u.a., The International Response to Conflict and Genocide.

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chen Völkermord einzugreifen, oder dass die Welt es versäumte, in einer sinnvollen Weise mit den Folgen umzugehen. Stattdessen handelte die Geschichte auf einmal von der Unfähigkeit der Hilfswerke, als zugleich reine und probate Erste-Hilfe-Engel zu fungieren – ein Urteil, das die Hilfswerke ansatzweise akzeptierten. Der Genozid in Ruanda hatte gezeigt, wie machtlos die humanitäre Hilfe ist. Doch aus der Asche erhob sich aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz die Verpflichtung zu einem besseren, notwendigeren Humanitarismus, der, so die Hoffnung, noch leistungsfähiger wäre. Eine humanitäre Reform der ersten Ordnung mag unbeabsichtigte Folgen auf höherer Ebene nach sich ziehen. Eine der ungewollten Konsequenzen der Missionarstätigkeit in Afrika bestand darin, die Afrikaner gefügiger zu machen und sie somit auf Arbeiten im Bergbau vorzubereiten, die ausbeuterisch und in allzu vielen Fällen auch tödlich waren. Die Reform des Humanitarismus hingegen ist als eine Reform zweiter Ordnung noch weiter von jedem sinnvollen Anspruch entfernt, auf den ursprünglichen Missstand zu reagieren.

Der Fall des Humanitarian Accountability Project Ist Sphere das Reformprojekt, das die meisten in der humanitären Welt tätigen Menschen erreicht hat, dann ist die Humanitarian Accountability Partnership das weitreichendste und radikalste Reformprojekt, was die Folgen für die Organisationen betrifft, die sich ihm anschließen. Es ist zugleich das Projekt, das am ausdrücklichsten versucht, die Rolle der Hilfeempfänger in der humanitären Hilfe zu verändern. Ursprünglich ging HAP aus dem Humanitarian Ombudsman Project hervor, einem Forschungsvorhaben, das infolge der Geberevaluation der humanitären Reaktion in Ruanda ins Leben gerufen wurde. Im Unterschied zu anderen Initiativen bietet HAP einen Prozess der offiziellen Zertifizierung von NGO s, die sich an einen vereinbarten Katalog von Standards halten.260 Hilfsorganisationen, die sich an dieser Initiative beteiligen, akzeptieren die Kritik, dass sie sich allzu gerne an den Präferenzen der Ressourcenbesitzer orientieren, oder, wie sie es sa260 HAP Editorial Steering Committee, HAP 2007 Standard.

Zur Definition der Rechenschaftspflicht

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gen würden, dass »sie eher den Gebern als den Empfängern Rechenschaft schulden«, und führen Prozeduren ein, die dieses Ungleichgewicht beseitigen sollen. HAP entwickelte als Erstes eine Reihe von Grundsätzen, zu denen auch eine Verpflichtung auf bewährte humanitäre Standards und Grundsätze gehört; vor allem aber betonte es so deutlich wie nie zuvor die Notwendigkeit, dass die NGO s mit allen Betroffenen und Beteiligten über die ins Auge gefassten Programme kommunizieren, dass sie die Hilfeempfänger einbeziehen und Beschwerdeverfahren einrichten müssen.261 Der in einem zweiten Schritt entwickelte HAP-Standard lenkt die Aufmerksamkeit dann auf die Strategien und Prozesse, die es einem Hilfswerk ermöglichen sollen, in Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen zu arbeiten und seine eigene Regelkonformität zu überwachen und über sie zu berichten.262 Acht Hilfswerke sind inzwischen vollständig zertifiziert (CAFOD, Christian Aid, DanChurchAid, Danish Refugee Council, MERCY Malaysia, Office Africain pour le Développement et la Coopération [OFADEC ] Tearfund und Concern Worldwide), fünfzehn weitere haben an einer Ist-Analyse teilgenommen, und insgesamt 61 Organisationen unterstützen das Projekt durch eine Vollmitgliedschaft.

Zur Definition der Rechenschaftspflicht Was aber heißt Rechenschaftspflicht gegenüber Hilfeempfängern eigentlich? Einer der Gründer und Vorsitzenden des HAP-Projektes – ein früherer Soziologiedozent und alter Fahrensmann der humanitären Hilfe – erklärte mir, die Motivation des Projektes liege in der relativen Machtlosigkeit der Begünstigten. Diesen fehlten wirksame Mittel, um NGO s zur Rechenschaft zu ziehen – seien es politische Mittel durch Wahlen oder ökonomische Mittel durch Kaufkraft. Der Mangel der Hilfeempfänger ist unspezifisch und unbestimmt. Ihnen fehlt vieles, und diesem Mangel ließe sich auf unterschiedliche Weise abhelfen. HAP aber entschied sich unter den diversen vorstellbaren Arten von 261 HAP, »Principles of Accountability«. 262 HAP, HAP 2007 Standard; HAP, 2010 HAP Standard.

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Rechenschaft für eine ganz bestimmte. Diese schälte sich aus Diskussionen über einen Ombudsmann in der Tradition des skandinavischen Wohlfahrtsstaates heraus – ein Modell, das man ohne eine starke übergreifende Autorität für impraktikabel hielt. Stattdessen lässt sich HAP von einem Qualitätsmanagement-Modell aus dem Privatsektor leiten, das auch im öffentlichen Sektor im Zusammenhang mit der Öffentlichen Reformverwaltung von einigem Einfluss gewesen ist.263 HAP fordert seine zertifizierten Mitglieder dazu auf, wirksame Feedbackmechanismen zu installieren, um die Produkte und Dienstleistungen für Hilfeempfänger so zu verbessern, wie man es für Kunden tun würde. Die Hilfswerke werden rechenschaftspflichtig, indem sie den Menschen Informationen darüber geben, wer sie sind und was sie tun, indem sie sie am Entscheidungsprozess beteiligen und indem sie sie mit den Mitteln versehen, um Rückmeldung zu geben und Beschwerden einzureichen. Dies ist jedoch nicht unbedingt die Vorstellung von Rechenschaftspflicht, die Hilfeempfänger haben. Die Erfahrung einer Hilfsorganisation mit Beschwerdeboxen etwa veranschaulicht einige Spannungen der gegenwärtigen Bemühungen, die humanitäre Hilfe zu reformieren. Ich gebe die Erfahrungen eines Verantwortlichen aus einer christlichen NGO wieder, die sich an HAP beteiligt. Mein Interviewpartner engagiert sich sehr für das Projekt und hat viel Arbeit in seine Umsetzung gesteckt. Er schilderte mir die Probleme, die es mit den vom Projekt vorgeschlagenen Beschwerdeboxen für Hilfeempfänger gab: »Tja, manchmal bekommt man nicht viel – eigentlich nichts«, führte er aus. »Oder wir bekommen Beschwerden über, sagen wir, die Regierung, und dann wurde die Regierung extrem wütend, weil sie [die Kommentare sehen] wollten. […] Den Gemeinschaften war nicht bewusst, dass es speziell um unser Programm ging, und so pflegten sie sich praktisch – es hatte nichts mit der Regierung zu tun –, sie pflegten sich über UN -Angelegenheiten zu beschweren, die wir der UN natür263 Ramalingam u.a., Counting What Counts. Wie die Autoren dieser Studie feststellen, besteht eine Spannung zwischen ergebnisorientiertem Management und Total-Quality-Management – in der humanitären Hilfe kommt beides in dem Sinne zusammen, dass die ergebnisorientierte Verwaltung das Produkt geschaffen hat und das Total-Quality-Management heute dazu genutzt wird, an Prozessen herumzuoptimieren.

Zur Definition der Rechenschaftspflicht

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lich übermitteln können. Aber ob dann etwas passiert, ist eine andere Frage.« Die Bevölkerungen müssen darauf vorbereitet werden, die Art von Rückmeldung zu geben, die im Rahmen der praktischen Notwendigkeiten von humanitären Hilfsorganisationen als konstruktiv gelten: »Wo es problematisch war, da haben wir es übereilt eingeführt. Wir haben also nicht genug getan, um unseren eigenen Mitarbeitern oder insbesondere der Gemeinschaft zu einem Verständnis zu verhelfen, was der Zweck ist und wie es funktioniert. Einfach einen Kasten vors Tor zu stellen bringt gar nichts. Man muss den Leuten wirklich das ganze Prinzip erklären und ihnen helfen zu verstehen, wissen Sie, warum wir eure Beschwerden wollen und warum es gut für euch ist, kritisch gegenüber dem hier zu sein – aber in Wirklichkeit gibt es Grenzen für eure Kritik.« Die Hilfsorganisationen interessieren sich ernsthaft für das Feedback der Hilfeempfänger, aber nur eine bestimmte Art Feedback berührt ihre Arbeit – Rückmeldungen nämlich, die innerhalb des bestehenden Auftrags und speziell des bestehenden Programmdesigns funktionieren. Die Begünstigten müssen in eine spezifische Rolle einsozialisiert werden. Sie müssen die Lücke zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen einerseits und der Realität des Hilfswerks andererseits schließen: »Also kann man sich bei uns nicht über Dinge beklagen, die völlig außerhalb unserer Kontrolle liegen, oder wenn man es tut, gut und schön, aber wir werden, ehrlich gesagt, nichts daran ändern. Und so ist es, glaube ich, ziemlich wichtig zu erklären und bessere Vorbereitungen zu treffen, um den Gemeinschaften zu helfen, den komplexen Prozess zu verstehen. Wissen Sie, ich glaube, hier im Westen, wo wir an Beschwerdeprozesse gegen Eisenbahnbetreibern oder Fluggesellschaften gewöhnt sind, halten wir das für einen Selbstläufer, aber wenn man in einer Gemeinschaft lebt, die traditionell extrem hierarchisch ist, in der man seinen Platz in der Gesellschaft akzeptiert und einfach sein Leben lebt, ist das ganze Konzept von Beschwerden und Beschwerden nach oben … neu.«

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HAP als Standard für fairen Handel Oft wird der Autohersteller Toyota als Vorbild für Qualitätsmanagement genannt, und auch der Gründer von HAP führte Toyota als Inspirationsquelle dafür an, wie Hilfsorganisationen besser werden könnten. Er erklärte mir: »[Toyota hat] ein Modell mit der geringstmöglichen Umweltschädlichkeit aller auf dem Markt erhältlichen massengefertigten Autos produziert, mit dem geringstmöglichen Kraftstoffverbrauch und dem Höchstmaß an Basiszuverlässigkeit und einem sehr geringen Wartungslevel – was die Intervalle angeht, in denen man den Wagen in die Werkstatt bringen muss. Das sind alles schon mal Eigenschaften, die ich haben will. Und wissen Sie, Toyota hat das geschafft, weil sie mit Leuten wie mir gesprochen und zugehört und dann etwas unternommen haben. Das, sehen Sie, ist für mich ziemlich vergleichbar mit dem, was die Hilfswerke tun müssen.« Da HAP von der Rolle inspiriert ist, die das Total-Quality-Management (TQM ) in der Autoindustrie gespielt hat, sollten wir uns in Erinnerung rufen, wie TQM die Automobilherstellung geprägt hat. Das Problem, das TQM in der Automobilindustrie lösen sollte, bestand in defekten Teilen. Während frühere Formen der Qualitätssicherung eine statistische Fehlermarge akzeptierten und mit Inspektionsprozessen auf sie reagierten, die der Fertigung selbst äußerlich waren, wurde TQM daraufhin konzipiert, Qualität in alle Fertigungsstufen einzubauen, sodass jeder Empfänger – von denjenigen in späteren Stufen der Produktionsstraße über die Firmen, die mit späteren Stufen der Produktion befasst sind, bis zum Endkonsumenten – sich darauf verlassen konnte, dass es keinen technischen Defekt gab. TQM erlaubt es mit seinem systemischen Ansatz jedem entgegennehmenden Akteur in der Fertigungskette, diejenigen, die Produkte aushändigen, für Mängel verantwortlich zu machen. In der Autoindustrie hat dies eine größere Kontrolle der Zulieferbetriebe durch die Endmontage-Betriebe ermöglicht.264

264 Ramalingam u.a., Counting What Counts; Casper/Hanckj, »Global Quality Norms«.

HAP als Standard für fairen Handel

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TQM bringt in der Tat den Konsumenten ins Spiel, nicht im Mo-

dus der Marktforschung oder Verbraucherberatung, sondern durch systemisches Denken.265 Der Verbraucher ist das letzte Glied in der Kette und kann von Prozessnormen profitieren, die auf maximale Zuverlässigkeit ausgerichtet sind. Während sich TQM um defekte Teile und die Sicherheit des Autos dreht, bleibt allerdings die Entscheidung, ob er einen Toyota kaufen will – oder überhaupt ein Auto – beim Konsumenten. TQM ist ein Prozessstandard zur Vergewisserung derjenigen weiter oben in der Produktionskette, die zwischen verschiedenen Anbietern wählen können. Auch HAP ist ein Prozessstandard und hat sich große Mühe gegeben, diesen Standard durch externe Akkreditierung zu stärken. Es ist ein Prozessstandard, der speziell darauf ausgerichtet ist, wie Hilfeempfänger als Teil der Produktion von Hilfsprojekten behandelt werden. Aber es ist immer noch ein Prozess, der in der Kette nach oben kommuniziert, einer Kette, die in diesem Fall bei den Gebern aufhört – den Endkonsumenten nämlich. HAP hat den Hilfeempfängern keine Verbrauchermacht gebracht; am ehesten gleicht es vielmehr einer Zertifizierung für fairen Handel, die es den Konsumenten, in diesem Fall den Gebern, erlaubt, für sich selbst und in der Außenwahrnehmung als Konsumenten von Produkten dazustehen, die höhere Prozessstandards ethischer Art erfüllen.266 Da die ethischen Richtlinien hier die Behandlung von Hilfeempfängern betreffen, die, wie ich weiter oben ausgeführt habe, für den Prozess der Produktion von Hilfsprojekten arbeiten, ließen sich die HAPStandards auch mit Arbeitsrichtlinien vergleichen – trotz ihrer freiwilligen, privaten Natur, die man eher mit ethischem Konsum als mit staatlichem Schutz assoziiert. Wenn Arbeitsrichtlinien traditionell von Arbeitnehmern erkämpft und vom Staat abgesichert werden – und ihr Publikum die Gerichte sind –, dann dienen Arbeitsrichtlinien, die Fair-Trade-Standards gleichen, der Disziplinierung von Konsumenten, die sonst einem reinen Preiswettbewerb frönen würden.

265 Tuckman, »The Yellow Brick Road«. 266 Bartley, »Certifying Forests and Factories«; ders., »Corporate Accountability«; ders., »Institutional Emergence«.

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Der un(ter)versorgte Hilfeempfänger als Wunde der humanitären Hilfe Wenn Sphere in sehr spezieller Weise auf das Scheitern einer reinen Form von humanitärer Hilfe reagiert, die angesichts extremer Gewalt alle formalen Kriterien und externen Effekte außer Acht lässt, reagiert HAP auf die permanente symbolische Wunde namens »Hilfeempfänger«. Hilfeempfänger sind der legitimierende Endpunkt humanitärer Maßnahmen, sei es direkt unter Bezugnahme auf Leid oder Bedürfnisse oder indirekt über das Zelebrieren humanitärer Grundsätze. Doch ist man sich im Feld durchaus bewusst, dass der Hilfeempfänger als symbolischer Referent stets abwesend und außer Reichweite ist. Natürlich versorgen humanitäre Helfer konkrete Begünstigte, aber in dem Bewusstsein, dass so viel mehr getan werden müsste, ist es schwierig, die konkreten Hilfeempfänger mit dem symbolischen Hilfeempfänger zur Deckung zu bringen – geschweige denn mit Not leidende Bevölkerungen im Allgemeinen. Es scheint auch ein gewisses Bewusstsein zu bestehen, dass es nicht die Begünstigten als konkrete Personen sind, die das ganze Unternehmen antreiben. Das aber bedeutet, dass der symbolische Hilfeempfänger stets für eine symbolische Gegenmobilisierung verfügbar ist, gegen die man sich als Hilfsorganisation nur schwer zur Wehr setzen kann. Erst vor diesem Hintergrund können wir die Frage verstehen, die HAP jenen Organisationen stellt, welche über einen Beitritt nachdenken: »Können Sie es sich leisten, nein zu sagen?« Auch HAP reagiert, wie wir gesehen haben, auf eine sehr spezifische Version dessen, was das Problem des Begünstigten in der humanitären Hilfe sein könnte – reguliert wird, wie der Hilfeempfänger einbezogen wird, einbezogen aber wird er als jemand, der ganz spezielle Projektziele kommentiert und dafür ganz spezielle Feedbackformulare benutzt. Es hat rund um HAP nicht die Art von symbolischen Kämpfen gegeben, die wir im Zusammenhang mit Sphere gesehen haben, wenn sich auch nicht jede NGO an HAP beteiligt und es nicht überrascht, dass sich MSF nicht um eine Akkreditierung beworben hat, wo sie doch so viel Wert auf ihre Unabhängigkeit legt. HAP kam zu einem späteren Zeitpunkt in der Geschichte des humanitären Projektes, und

Schlussfolgerung

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womöglich ist ja der Streit um den Managerialismus, der hier Professionalisierung heißt, mehr oder weniger so entschieden, dass die einen, die sich an gemeinsamen Initiativen beteiligen wollen, dies mit weniger gemischten Gefühlen und größerem Engagement tun, während sich die anderen damit abfinden, dass die anderen mitmachen. Es scheint aber noch einen weiteren Grund zu geben: Weil HAP den Hilfeempfänger so sehr in den Mittelpunkt der Definition seiner Arbeit stellt und der Hilfeempfänger über eine so große symbolische Bedeutung in der humanitären Hilfe verfügt, hielten es diejenigen, die sich der Initiative nicht anschlossen, für unangemessen, lautstark gegen sie zu protestieren.

Schlussfolgerung Wie die humanitäre Reform der Gesellschaft beginnt die Reform des Humanitarismus mit den größten Ambitionen und besten Absichten. Angesichts eines unbestimmten Übels – und durch dieses unbestimmte Übel legitimiert – konzentrieren sich die Akteure dann auf einen begrenzten Aspekt der Realität, von dem sie glauben, dass sie ihn beeinflussen. Die Auswirkungen der Reformen des Humanitarismus sind durch die bestehenden Praktiken und Institutionen vermittelt. Die Logik des Feldes der humanitären Hilfsorganisationen federt diese Reformen nicht nur ab; sie bringt sich von Neuem zur Geltung. Sowohl Sphere als auch HAP sind in den Prozess der Produktion von Projekten eingebaut worden. Mit ihren jeweiligen Standards prägen sie bestimmte Produkte und bereichern die Infrastruktur des Projektmarktes. Obwohl sie auf allgemeinen Menschenrechten basieren und prozessbezogene Grundsätze umfassen, funktionieren die Sphere-Standards letztlich in Analogie zu einem Produktstandard: Sie helfen bei der Entscheidung, wie ein gutes Projekt in einem bestimmten technischen Bereich für eine ausgewählte Gruppe von Hilfeempfängern aussehen sollte. Obwohl Sphere oft mit der »Professionalisierung« der humanitären Hilfe in Verbindung gebracht wird, stellt es für die Ärzte im Feld eine Entprofessionalisierung dar und wird von ihnen als eine Form des Managerialismus abgelehnt. Dieser Fall wirft die Frage nach

Die Reform der humanitären Hilfe

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dem Verhältnis von Feldern und Berufen im soziologischen Sinne auf. Das Feld der humanitären Hilfe ist nicht deckungsgleich mit einem Berufsstand, so wie es das Feld des Rechts ist; vielmehr bezieht es einen der akademischen Berufe neben verschiedenen anderen Rollen und Formen von Wissen ein, was zu Meinungsverschiedenheiten darüber führt, welche Formen von Rechenschaftspflicht angemessen sind. HAP basiert auf der Einsicht, dass die Hilfeempfänger gegenüber den Hilfswerken weder Verbrauchermacht noch Stimmrecht besitzen. Indem man aber Prozessstandards einführt, die vom Qualitätsmanagement inspiriert sind, befördert man die Hilfeempfänger nicht in die Rolle von Konsumenten; vielmehr funktionieren diese Prozessstandards bald wie ein Standard für fairen Handel, der es Gebern ermöglicht zu signalisieren, dass sie ethisch höherwertige Produkte konsumieren, während er es Hilfswerken ermöglicht, einen zerstörerischen Wettbewerb zulasten der in den Prozess involvierten Hilfeempfänger zu vermeiden. Im letzten Kapitel widme ich mich einer der wichtigen alternativen Perspektiven auf globales Leid. Ich erörtere den Begriff der Menschenrechte und die Aktivitäten, zu denen er anregt, um seine Implikationen für die humanitäre Hilfe wie auch für die Beschreibung der globalen Ordnung zu bedenken, die ich hier auf der Grundlage der Soziologie spezialisierter Praxisfelder umrissen habe.

6 ... und die Menschenrechte? Ich schwöre Ihnen, [. ..] daß weder ich noch irgend jemand weiß, was der, die, das Wahre ist; aber ich kann Ihnen versichern, daß es im Begriff steht, verwirklicht zu werden! Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

Der Humanitarismus ist nicht der einzige Diskurs, der den Blick westlicher Öffentlichkeiten auf soziale Probleme in fernen Weltgegenden rahmt. Seit dem Ende des Kolonialismus war auch die »Entwicklung« respektive »Entwicklungspolitik« ein wichtiges Konzept, das allerdings nicht zuletzt durch den Aufschwung der humanitären Hilfe einiges an Gewicht verloren hat. Die »Menschenrechte« hingegen kamen als praxisleitender Begriff ungefähr zur gleichen Zeit auf wie die humanitäre Hilfe und prägen nun neben ihr wesentlich unser Verhältnis zu fernem Leid. Um kurz auf die Krise in Darfur zurückzukommen, die ich zu Beginn der Einleitung dieses Buchs erwähnte, so wurde der Konflikt im Westsudan und das Leiden der Menschen dort in der westlichen Welt ebenso als »humanitäre Notlage« wie als eine Frage der »Menschenrechte« wahrgenommen. Auch als ein Problem der »Konfliktlösung« und »Friedenssicherung« wurden sie gelegentlich behandelt, selten aber unter dem Aspekt der Entwicklung, obwohl im Sudan seit Langem Entwicklungsagenturen tätig sind. In diesem letzten Kapitel untersuche ich die Rolle der Menschenrechte in ihrer Vermittlung fernen Leids aus der Perspektive einer Soziologie spezialisierter Praxisfelder mit dem Schwerpunkt auf den Praktiken humanitärer Hilfsorganisationen. Dies erlaubt es mir zum einen, auf die Rolle zurückzukommen, die Ideen in der Reaktion auf menschliches Leid spielen – beziehungsweise die sie nicht spielen. Ich kann zudem die in den Augen vieler wichtigste Alternative zur humanitären Hilfe als einem Verhältnis zu fernem Leid auf den Prüfstand stellen. Indem ich das Spektrum der Vermittlungsformen, die ich mit den begriff-

... und die Menschenrechte? ... und die Menschenrechte?

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lichen Werkzeugen des vorliegenden Buches untersuche, erweitere, kann ich zum anderen die Alternativen herausarbeiten, die wir ernsthaft in Erwägung ziehen oder aber verwerfen sollten, wenn wir über die unterschiedlichen politischen Ansätze zum Umgang mit fernem Leid nachdenken. Dieser Frage ist der Schluss des Buches gewidmet. Ich habe die humanitäre Hilfe als ein Feld analysiert. Auch die Menschenrechte haben sich zum Mittelpunkt eines Feldes von Organisationen mit seinen eigenen gemeinsamen Routinen und symbolischen Trennungen entwickelt, wie ich zunächst zeigen werde.267 Im Rahmen seiner gemeinsamen Routinen und Praktiken treffen die Organisationen auf dem Feld der Menschenrechte eine Auswahl aus dem Spektrum handlungsrelevanter Bedeutungen, die diesem Konzept zueigen sind. In ihren symbolischen Auseinandersetzungen debattieren die Menschenrechtsorganisationen darüber, was es heißt, eine »legitime« Menschenrechtsorganisation zu sein, so wie humanitäre Organisationen darüber debattieren, was es bedeutet, eine humanitäre Organisation zu sein. Anschließend untersuche ich, wie humanitäre Helfer den Begriff der Menschenrechte verwenden.268 Humanitäre NGO s bedienen sich seit Ende der 1990er Jahre zunehmend der Sprache von Rechten und Menschenrechten. Ihre Mitarbeiter haben sich in einer Vielzahl von Kontexten – und mit unterschiedlichen praktischen Konsequenzen – auf menschenrechtliche Ansprüche gestützt, allerdings in ziemlich selektiver Weise, wie ich zeigen werde. Geprägt wurde diese Selektivität durch die gemeinsamen Praktiken und die symbolischen Auseinandersetzungen innerhalb des humanitären Feldes. Ich werde drei Herangehensweisen humanitärer Helfer an den Begriff der Menschenrechte erörtern. Erstens setzen Helfer diesen Begriff oft mit der Sorge um Gewalt gegen Menschen in Krisensituationen gleich und verbinden Handeln im Namen der Menschenrechte mit der Agenda des »Schutzes«. Schutz aber wird vor allem als Projekt für bestimmte Hilfeempfänger und als Produkt für bestimmte Geber zum

267 Zwei maßgebliche Darstellungen dieser Entwicklung sind Dezalay/Garth, »From the Cold War to Kosovo«; sowie Guilhot, »Limiting Sovereignty?«. 268 Darcy, »Locating Responsibility«; Chandler, »Road to Military Humanitarianism«; International Council of Voluntary Agencies, »Human Rights Training for Humanitarian Actors«.

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praktischen Anliegen eines Hilfswerks. Zweitens greifen Hilfswerke das Konzept der Menschenrechte im Zusammenhang mit einer »rechtebasierten Hilfe« auf. Die Bedeutung dieses Versuchs, der humanitären Hilfe eine Grundlage in den Menschenrechten zu verschaffen, wird allerdings durch die Standards begrenzt, die in Projekten für bestimmte, von den Hilfsorganisationen ausgesuchte Empfänger angewendet werden; das Menschenrecht auf Hilfe kann sich so in das Recht der von Hilfsorganisationen Versorgten auf die Inanspruchnahme der Dienste jener Hilfsorganisationen verwandeln. Und drittens formulieren humanitäre Helfer auch Sorgen und Wünsche bezüglich der langfristigen Folgen humanitärer Maßnahmen in der Sprache der Menschenrechte. Bevor ich mir anschaue, wie die Sprache der Rechte auf diesen Feldern gebraucht und kritisiert wird, muss ich klären, wie »Menschenrechte« und »Humanitarismus« oder »humanitäre Hilfe« in Diskussionen über die globale Zivilgesellschaft als Forschungsgegenstände konstituiert werden. Meine diesbezügliche These lautet, dass ein Hauptaugenmerk auf Menschenrechten oder Humanitarismus als (einheitlichen) Gedankengebäuden die fraglichen Phänomene eher verschleiert als erhellt. Ich werde eine Reihe von Unterscheidungen einführen, die mir für die Untersuchung von Praktiken und Institutionen (und, wie ich nahelegen werde, politischen Entscheidungen) in diesem Bereich hilfreicher zu sein scheinen.

Die internationale Gemeinschaft: Ideen, Praktiken, Organisationsfelder Die Hoffnungen, die sich auf die »internationale Gemeinschaft« oder die »globale Zivilgesellschaft« richten, sind gelegentlich mit der impliziten Annahme verbunden, dass Menschenrechtsarbeit und humanitäre Hilfe am selben Strang ziehen. So hat etwa der kanadische Intellektuelle und Politiker Michael Ignatieff eine »Revolution der moralischen Anteilnahme« ausgerufen, an der in seinen Augen sowohl die Menschenrechte als auch die humanitäre Hilfe teilhaben.269 Diese 269 Zitat nach Rielf, A Bed for the Night, S. 48.

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Einheit unterstellen mitunter auch Kritiker, die die Menschenrechtsarbeit und die humanitäre Hilfe gleichermaßen als Werkzeuge des Imperialismus verwerfen.270 Andere sehen in beidem grundverschiedene Einstellungen, die sich aus einem alten Gegensatz zwischen »Wohltätigkeit« und »Politik« oder »Rechten« speisen. Die Vertreter des einen Pols der Debatte greifen auf eine lange Tradition zurück, in der Wohltätigkeit im Namen von Rechten (Immanuel Kant), echter Veränderung (Karl Marx und Friedrich Engels) oder politischem Handeln (Hannah Arendt) abgelehnt wird. Für sie ist das humanitäre Wirken lediglich kurzfristig und lindernd bis beschönigend. Manchen Menschenrechtsaktivisten zufolge zielen die Menschenrechte auf das »echte« Leid – also staatliche Gewalt und gewaltsamen Tod statt »weiche« Themen wie Gesundheitsversorgung oder Ernährung – und die echte Politik, die langfristig orientiert ist, die die Ursachen von Leid angeht und die Menschen als Inhaber von Rechten achtet, nicht nur als Hilfsbedürftige.271 Manche Fürsprecher von humanitärer Hilfe und Wohltätigkeit wiederum bewerten die Verdienste ihrer Tradition höher als die der Menschenrechtsarbeit, die ihnen übermäßig politisiert erscheint.272 Ob Wissenschaftler und sonstige Beobachter von einer wesentlichen Einheit oder von einem wesentlichen Unterschied zwischen diesen beiden Ansätzen ausgehen, ob sie einen dem anderen vorziehen, beide gutheißen oder beide ablehnen, so teilen sie doch oft eine Orientierung am Inhalt der Ideen. Ich habe im ersten Kapitel die These vertreten, dass Ideen nicht nur umstritten oder widersprüchlich, sondern auf einer sehr grundlegenden Ebene in ihrem Verhältnis zur Praxis auch unbestimmt sind. Ich werde nun zu zeigen versuchen, dass wir, um die Rolle der Menschenrechte und die Beziehung zwischen Men270 Zum Beispiel Douzinas, »Humanity, Military Humanism, and the New Moral Order«. 271 Kant, Zum ewigen Frieden; Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei; Arendt, Vita activa; Hannah Arendt to Wystan Auden, February 14, 1960, General Correspondence, 1938–1976, Hannah Arendt Papers, Manuscripts Division, Library of Congress; für eine digitalisierte Fassung vgl. http://memory.loc.gov/ cgi-bin/ampage?collId=mharendt_pub&fileName=02/020030/020030page.db& recNum=0 [9. 3. 2017]. 272 Rieff, Bed for the Night; Chandler, »Road to Military Humanitarianism«.

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schenrechten und humanitärer Hilfe zu verstehen, dreierlei unterscheiden müssen: erstens Menschenrechte und humanitäre Hilfe als zwei Reihen von Ideen, zweitens die jeweiligen Universen der Praktiken, die als menschenrechtliche beziehungsweise als humanitäre beschrieben werden können, und drittens das Feld der Menschenrechtsorganisationen und das der Hilfsorganisationen. Ich habe ausgeführt, dass die Praktiken, die sich als humanitäre bezeichnen ließen, vielfältig sind und sich nicht auf bestimmte Organisationen oder Akteure beschränken. In ähnlicher Weise finden sich auch Praktiken, die sich als menschenrechtliche bezeichnen ließen, nicht nur bei Menschenrechtsorganisationen. Praktiken lokaler sozialer Bewegungen oder staatlicher Akteure beispielsweise können gemäß der einen oder anderen Definition ebenfalls als menschenrechtlich gelten.273 Wenn wir das Universum der Praktiken betrachten, die man mit gutem Grund als menschenrechtlich oder humanitär bezeichnen könnte, dann stellen wir fest, wie vielfältig es entlang von Variationsachsen ist, die quer zur Unterscheidung zwischen »Hilfe« und »Rechten« stehen. Wir können nicht davon ausgehen, dass sich Menschenrechte und Humanitarismus aufgrund ihres ideologischen Gehalts als relativ stabile Klassen behaupten, und dabei etwa die Menschenrechte mit respektvollen Praktiken und einer langfristigen Orientierung und die humanitäre Hilfe mit kurzfristigen Engagements nichtstaatlicher Akteure gleichsetzen. Die Praktiken können vielmehr staatlich oder unabhängig finanziert sein. Sie können managerhaft umgesetzt oder mit Graswurzelkämpfen verbunden sein. Sie können einen langfristigen oder einen kurzfristigen Ressourceneinsatz bedeuten. All diese Unterscheidungen in Abbildung 14 sind potenziell voneinander unabhängig. Das bedeutet: Wenn uns an dem einen oder anderen dieser Attribute gelegen ist, müssen wir es unabhängig von den anderen untersuchen, aber auch unabhängig von der Aufteilung in »Menschenrechte« und »Humanitarismus«. 273 Die folgenden Darstellungen verschaffen einen breiteren Überblick über menschenrechtliche Praktiken aus soziologischer und anthropologischer Perspektive: Wilson, Human Rights, Culture and Context; Nash, Cultural Politics of Human Rights; dies., »Human Rights, Movements, and Law«; Kurasawa, The Work of Global Justice; Merry/Goodale, Practice of Human Rights; Merry, »Rights Talk and the Experience of Law«; dies., »Transnational Human Rights«.

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Abb. 14 Unterscheidungen zwischen den Praktiken in der Menschenrechtsarbeit und in der humanitären Hilfe

Das Feld der Menschenrechtsorganisationen In den vorangegangenen Kapiteln habe ich das Feld der humanitären Hilfswerke mitsamt seiner Geschichte, seinen gemeinsamen Praktiken und seiner symbolischen Struktur analysiert. Im Laufe der 1970er Jahre entwickelte sich auch das Konzept der Menschenrechte zum Zentrum eines organisierten Praxisfeldes, das über seine eigenen geteilten Routinen und symbolischen Aufspaltungen verfügt. Es gibt eine Reihe von Organisationen, die sich als humanitäre verstehen und humanitäre Organisationen als ihresgleichen ansehen, und eine Reihe von Organisationen, die sich als Menschenrechtsorganisationen verstehen und andere Einrichtungen dieser Art als ihresgleichen ansehen. Ich konzentriere mich hier auf die sekundären, nicht auf die primären Menschenrechtsorganisationen, um eine Unterscheidung von Alex de Waal

Das Feld der Menschenrechtsorganisationen

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aufzugreifen.274 Die Praktiken im Feld der Menschenrechtsorganisationen sind nur eine Untermenge sämtlicher Menschenrechtspraktiken – die Organisationen aber, die sich als Teil des globalen Feldes der Menschenrechtsorganisationen verstehen, haben die Vorstellung beeinflusst, die man sich auf der internationalen Bühne vom Konzept der Menschenrechte macht.275 In ihren gemeinsamen Routinen und Praktiken treffen die Organisationen, die einen Teil jenes Feldes bilden, eine Auswahl aus der Bandbreite an handlungsrelevanten Bedeutungen, über die der Begriff der Menschenrechte verfügt. Dieses Feld blickt ebenfalls auf seine eigene Geschichte zurück, die mit der Gründung spezieller Organisationen begann und sich in jüngster Zeit so konsolidiert hat, dass sie nunmehr in vollem Umfang jene Dynamik aufweist, die wir mit Feldern im Bourdieu’schen Sinne verbinden. Spezialisierte Menschenrechtsorganisationen spielten bereits in der Zwischenkriegszeit eine Rolle; 1922 etwa wurde die Internationale Liga für Menschenrechte (Fédération internationale des ligues des droits de l’Homme) gegründet. Zu symbolischen Aufspaltungen des Feldes kam es schon recht früh: In den Anfangsjahren des Kalten Krieges unterstützte die US -Regierung die Internationale Juristenkommission im Gegensatz zur linksliberalen Association internationale des juristes démocrates.276 Amnesty International wurde 1961 gegründet und ist wahrscheinlich immer noch die angesehenste Menschenrechtsorganisation. Erst seit den 1970er Jahren aber haben Menschenrechts-NGO s begonnen, die herausragende Rolle zu spielen, die wir heute gewohnt sind.277 Samuel Moyn weist darauf hin, dass der Bezug auf die Menschenrechte erst in dieser Zeit wirklich in die allgemeine politische Diskussion einging und der Begriff die spezifische Bedeutung annahm, die man heute mit ihm verbindet. Die Menschenrechte wurden zu einem utopischen Projekt, das als Gegensatz zur Politik angelegt ist; die

274 275 276 277

De Waal, »Human Rights, Institutional Wrongs«. Ebenda. Dezalay/Garth, »From the Cold War to Kosovo«. De Waal, »Human Rights, Institutional Wrongs«; ders., Famine Crimes; Guilhot, »Limiting Sovereignty?«.

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Menschenrechte wurden als Gegengewicht zu den Staaten gefasst.278 Im Laufe der 1980er und 1990er Jahre wuchs die Zahl der Menschenrechtsorganisationen um ein Vielfaches, und auch die verfügbaren Finanzmittel stiegen deutlich.279 Wie Ives Dezalay und Bryant Garth darlegen, hörten die symbolischen Abgrenzungen zwischen Menschenrechts-NGO s in diesem Zeitraum auf, lediglich gegnerische Strategien im Kalten Krieg widerzuspiegeln, und entwickelten ihre eigene relative Autonomie.280 Es ist wichtig, festzuhalten, dass die meisten herausgehobenen spezialisierten Menschenrechtsorganisationen den Begriff der Menschenrechte auf besondere Weise verstehen. Im Zuge ihrer Konsolidierung als Feld haben die Menschenrechte eine rechtliche Wende erfahren, eine Entwicklung, die nicht zwingend aus den Ideen folgt, die beispielsweise in der Antisklaverei-Bewegung als Menschenrechte überliefert wurden.281 Menschenrechtsorganisationen dieses Typs sind auf sehr spezifische Praktiken angewiesen. Sie konzentrieren sich darauf, in bestimmter Form Beweise zu sammeln und Berichte zu erstellen. Sie arbeiten anwaltschaftlich, führen Kampagnen durch und unterrichten Menschen in ihren Rechten. Treffend beschreibt Alex de Waal ihre Tätigkeit als Kombination eines Schwerpunkts auf Forschung, Dokumentation und Publikation mit gezieltem Medieneinsatz und Lobbyismus bei Politikern, um ihre Anliegen publik zu machen. Die Grundprämisse dieser Vorgehensweise lautet, dass Menschen beziehungsweise Öffentlichkeiten, die von einer Menschenrechtsverletzung wissen, geneigt sein werden, diese abgestellt sehen zu wollen.282 Clifford Bob bestimmt das Produkt in dem, was er als »den Markt für Menschenrechte« analysiert, als »Informationen«.283 Spezialisierte Menschenrechts-NGO s haben sich auch je eigene inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. Amnesty International verdankt sein 278 Moyn, The Last Utopia. Für eine Historiografie, die eine Kontinuität über einen längeren Zeitraum betont, vgl. Hunt, Inventing Human Rights. 279 Smith/Pagnucco/Lopez, »Globalizing Human Rights«. 280 Dezalay/Garth, »From the Cold War to Kosovo«. 281 Ebenda. 282 De Waal, »Human Rights, Institutional Wrongs«; vgl. auch Moon, »What One Sees«; sowie Dudai, »›Can You Describe This?‹«. 283 Bob, »Market in Human Rights«.

Das Feld der Menschenrechtsorganisationen

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Gewicht nicht zuletzt seinem Fokus auf einer bestimmten, zudem besonders reinen Art von Opfer, nämlich dem gewaltlosen politischen Gefangenen. Die meisten Organisationen richten ihre Aufmerksamkeit immer noch auf die unmittelbarsten Verletzungen grundlegender Rechte, wie etwa Folter, willkürliche Festnahmen und Hinrichtungen, ergänzt um eine gewisse Sorge um allgemeinere bürgerliche und politische Rechte. Soziale und ökonomische Rechte stehen traditionell weniger im Vordergrund.284 Dieses Feld der Menschenrechtsorganisationen ist in sich gespalten. Nicolas Guilhot diagnostiziert eine Aufteilung in Aktivisten, die mithilfe des Völkerrechts die staatliche Souveränität einhegen wollen, und anderen Protagonisten mit neokonservativem Programm, für die der wichtigste Zweck der Menschenrechte in der Demokratieförderung besteht.285 Auch das Feld der Menschenrechte ist durch eine Zweiteilung in Reinheit und Verunreinigung strukturiert. Um einige der oben erörterten Unterscheidungen aufzugreifen, führen manche Organisationen staatlich finanzierte Projekte durch, während andere von privaten Spenden leben. Amnesty International bewahrt sich seinen Status als eine von ihren Mitgliedern bestimmte Organisation und widersteht in gewissem Maße der Professionalisierung und managerhaften Anliegen, während Human Rights Watch ganz auf professionelles Fundraising und PR-Strategien setzt.286

284 De Waal, »Human Rights, Institutional Wrongs«. Nach langen internen Diskussionen nimmt sich Amnesty International jedoch seit 2001 auch sozialer und ökonomischer Rechte an, und sowohl Amnesty als auch Human Rights Watch erstellen inzwischen Berichte über Arbeitnehmerfragen. 285 Guilhot, Democracy Makers; ders., »Limiting Sovereignty?«. 286 Hopgood, Keepers of the Flame. Vgl. auch Wong, Internal Affairs, für eine ausgezeichnete Analyse, wie sich organisatorische Strukturen auf die Ergebnisse der Menschenrechtsarbeit auswirken, einschließlich einer exzellenten Darstellung von Amnesty International.

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Der Gebrauch der Menschenrechte im Feld der humanitären Hilfe In den vergangenen Jahren haben sich die humanitären Hilfswerke zunehmend mit dem Konzept der Menschenrechte auseinandergesetzt.287 Ausgelöst und geprägt wurde dieser Trend durch das wachsende Ansehen der Menschenrechtsorganisationen, das zunehmende Gewicht des Konzepts in der Entwicklungszusammenarbeit,288 vor allem aber durch das Aufkommen »komplexer Notlagen« und der damit verbundenen Vorstellungen und Assoziationen, des »emergency imaginary«.289 Sowohl humanitäre Hilfswerke als auch Menschenrechtsorganisationen waren mit einigen derselben öffentlichkeitswirksamen Krisen befasst – so etwa Ruanda und Darfur; und beide werden von der Öffentlichkeit mit diesen Krisen in Verbindung gebracht. Solche Kontexte haben beide Gruppen von Organisationen über ihre traditionellen Anliegen hinausgeführt. Menschenrechtsorganisationen entwickelten ein Interesse daran, in Krisen wie denen in Mozambik, Ruanda und Sierra Leone mit den Vereinten Nationen sowie mit humanitären Hilfswerken zusammenzuarbeiten. Wie de Waal feststellt: »Bei vielen Schauplätzen schlimmster Menschenrechtsverletzungen handelt es sich nicht mehr um autoritäre Staaten, sondern um sogenannte komplexe Notlagen – auch unter dem Namen Bürgerkriege bekannt –, die 287 Vgl. Darcy, »Locating Responsibility«; Chandler, »Road to Military Humanitarianism«. 1998 berief der Ständige interinstitutionelle Ausschuss für UN -Organisationen und NGO s einen Arbeitsstab für Menschenrechte und humanitäre Arbeit ein und brachte humanitäre Helfer zusammen, um sie in Menschenrechtsnormen zu schulen (vgl. International Council of Voluntary Agencies, »Human Rights Training for Humanitarian Actors«). Viele Hilfswerke haben ihre eigenen Handbücher zum rechtebasierten Ansatz in der humanitären Hilfe entwickelt, vgl. CARE Human Rights Initiative, Basic Introduction; O’Flynn/International Save the Children Alliance, Child Rights Programming. Viele Leitlinien bedienen sich der Sprache der Menschenrechte: Save the Children bezieht sich auf Kinderrechte; Oxfams Ziel ist »eine gerechte und sichere Welt, in der Menschen selbst über ihr Leben bestimmen und grundlegende Rechte genießen«. 288 Manzo, »Africa in the Rise of Rights-Based Developments«; vgl. auch Miller, »From ›Rights-Based‹ to ›Rights-Framed‹ Approaches«. 289 Calhoun, »A World of Emergencies«; ders., »The Idea of Emergency«.

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massenhafte Vertreibungen und Hunger ausgelöst haben. […] Wo es keine funktionierenden Regierungen gibt (z.B. in Somalia), kann der herkömmliche Menschenrechtsaktivismus nicht funktionieren.«290 Hilfswerke wiederum sind heute nicht nur im Rahmen von Naturkatastrophen tätig, sondern auch in Flüchtlingslagern und lang anhaltenden Bürgerkriegen. Ihre Erfahrungen in diesen Situationen haben sie dazu genötigt, die Begrenzung der klassischen Vorstellung von Nothilfe als dringend und kurzfristig infrage zu stellen. Sie sahen sich gezwungen, über Jahre hinweg in Flüchtlingslagern zu arbeiten, was sie an ihrem Schwerpunkt auf materiellen Grundbedürfnissen zweifeln ließ und Fragen nach der Rolle von beispielsweise Bildung aufwarf.291 Langwierige Einsätze gaben auch den Anstoß zu Überlegungen, wie genau das Verhältnis von Hilfswerk und Hilfeempfängern aufzufassen ist. Manch einer in dem Sektor setzt große Hoffnungen auf die Rolle, die das Konzept der Menschenrechte in der humanitären Hilfe zu spielen vermag. Hugo Slim zum Beispiel schrieb 2000: »Die Entwicklung allgemeiner Menschenrechte, deren Grundwert eine in individueller Gleichheit, persönlicher Freiheit sowie sozialer und ökonomischer Gerechtigkeit begründete menschliche Würde ist, umspannt problemlos humanitäre Maßnahmen und Entwicklungszusammenarbeit und zeigt, dass sie gemeinsame Ziele verfolgen.«292 Ich werde jedoch im Folgenden die Auffassung vertreten, dass der Begriff der Menschenrechte der humanitären Hilfe in der Praxis keine Einheitlichkeit verleihen kann. Er kann diese Aufgabe noch nicht einmal für die Menschenrechtsarbeit erfüllen. Wie ich im Rest dieses Kapitels zeigen werde, wurden die Auswirkungen des Konzepts der Menschenrechte auf die humanitäre Hilfe sowohl durch die bisherige Praxis der NGO s als auch durch die symbolischen Aufteilungen des humanitären Feldes vermittelt. Hilfswerke haben den Begriff »Menschenrechte« im Wesentlichen auf dreierlei Weise in ihre Arbeit integriert, die ich nacheinander be290 De Waal, »Human Rights, Institutional Wrongs«, S. 244. 291 Zum Verhältnis von Humanitarismus und Bildung vgl. Fredrikson, »Making Humanitarian Spaces Global«. 292 Slim, »Dissolving the Difference«, S. 493.

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trachten werde. Erstens haben humanitäre Helfer das Anliegen der Menschenrechte in eine Agenda des Schutzes übersetzt. Zweitens haben Hilfswerke das Programm eines rechtebasierten Ansatzes in der humanitären Hilfe ausgearbeitet. Drittens haben sie die Sprache der Menschenrechte als Mittel genutzt, um über die langfristigen Konsequenzen der humanitären Hilfe nachzudenken. Der Beachtung wert ist auch, was humanitäre Hilfsorganisationen in Reaktion auf den Menschenrechtsdiskurs nicht getan haben. Sie haben die Praktiken der Menschenrechtsorganisationen – etwa die der Beobachtung und Berichterstattung – im Wesentlichen nicht übernommen, wenngleich sie darüber diskutiert haben, wie sie zu ihnen stehen, da spezialisierte Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch einen großen Einfluss auf das allgemeine Verständnis der Menschenrechte hatten. Doch im Unterschied zu Menschenrechtsorganisationen brauchen humanitäre Hilfswerke Zugang zum und eine substanzielle Präsenz im Feld, um wirksam helfen zu können, und so äußerten sie die Befürchtung, dass Berichte über Menschenrechtsverletzungen ihr Verhältnis zu den gastgebenden Regierungen belasten könnten. Die humanitären NGO s haben sich auch nicht an einer Abdeckung sämtlicher Grundbedürfnisse versucht, und sie haben die legitimen Erwartungen an sich selbst nicht institutionalisiert; beides Dinge, zu denen Staaten in der Vergangenheit gezwungen waren.

Menschenrechte als Reaktion auf die Gefahr eines gewaltsamen Todes: die Agenda des Schutzes Humanitäre Helfer sprechen von »Schutz«, um ihre Sorge vor Gewalt gegen Zivilisten und ihren Wunsch nach Gegenmaßnahmen zum Ausdruck zu bringen. Die Idee des Schutzes hat Wurzeln im humanitären Völkerrecht, das ins 19. Jahrhundert zurückreicht, ist aber wirklich prominent erst in Diskussionen über globale Herausforderungen seit den 1990er Jahren geworden. Insbesondere die Krisen in Ruanda (1994) und Bosnien (1995) haben die Frage des Schutzes auf die internationale Tagesordnung gebracht; beide Krisen waren nicht nur mit Gräueltaten verbunden, sondern mit Gräueltaten, die eine humanitäre Präsenz vor Ort nicht verhindern konnte. Vertreter des humanitären Gedankens, die über Schutz schreiben, neigen zu der Annahme, dass

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der Gedanke des Schutzes und die Frage nach der Rolle der Menschenrechte in der humanitären Hilfe ein und dasselbe sind.293 Gewalt gegen Zivilisten ist kein neues Phänomen, Zivilisten sind seit Langem Opfer zwischenstaatlicher Kriegführung. Die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten ist für Kriegsparteien in der Vergangenheit nicht immer offensichtlich gewesen – wie es Militärhistoriker für die Krieger in der hebräischen Bibel und die Wikinger beschreiben und wie es auch für die Deutschen in Namibia, die Vereinigten Staaten in Vietnam und die Konfliktparteien in ExJugoslawien gilt.294 Interne Konflikte und Bürgerkriege durchziehen die Geschichte. Auch hat physische Gewalt gegen Untertanen oder Bürger immer eine Rolle beim Machterhalt gespielt. Die Besorgnis Außenstehender über Gewalt gegen Zivilisten, vor allem wenn sie mit kulturellen Verbindungen oder nationalen Interessen zusammenfiel, ist ebenfalls ein altbekanntes Phänomen.295 Als ein Bereich ausgedehnter praktischer Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen jedoch ist Schutz ein relativ neues Phänomen. Der ursprüngliche Schwerpunkt des IKRK lag auf der Behandlung von Kriegsverwundeten, nicht auf der Verhinderung von Gewalt. Nach dem Ersten Weltkrieg und in Reaktion auf die Flüchtlingskrise der 1920er und 1930er Jahre erweiterte das IKRK indes das Spektrum seiner Aktivitäten. Es organisierte Besuche von Kriegsgefangenen und Hilfsoperationen für Flüchtlinge aus Russland in den frühen 1920er Jahren und vergleichbare Maßnahmen im Abessinienkrieg 1935/1936 sowie im Spanischen Bürgerkrieg. Das IKRK bemühte sich in den Zwischenkriegsjahren, den rechtlichen Schutz von Zivilisten, die in einem bewaffneten Konflikt gefangen sind, zu verbessern, und erreichte 1929 das Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen.296 Der Holocaust führte zu neuen zwischenstaatlichen Diskussionen über den rechtlichen Schutz von Zivilpersonen, die in einem Staat zum Ziel von Gewalt werden, Diskussionen, die erhebliche Auswirkungen auf das 293 Brennan/Martone, »Evolving Role of Relief Organizations«; Frohardt/Paul/ Minear, Protecting Human Rights. 294 Niditch, War in the Hebrew Bible; Allmand, »War and the Non-Combatant«; Slim, »Why Protect Civilians?«; Best, Humanity in Warfare. 295 Bass, Freedom’s Battle. 296 Blondel, »Getting Access to the Victims«.

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Völkerrecht hatten. Heute sind Flüchtlinge, juristisch gesehen, unter dem Flüchtlingsrecht geschützt. Das humanitäre Völkerrecht ist in Zeiten internationaler oder interner bewaffneter Konflikte anzuwenden und erstreckt sich auf Flüchtlinge, die in ein besetztes, kriegführendes oder von einem internen Konflikt betroffenes Land fliehen. Binnenvertriebene sind durch Menschenrechtsnormen geschützt.297 So gab es zwar die Besorgnis über Gewalt gegen Zivilisten, und es gab einen rechtlichen Schutz vor ihr, praktisch aber beschränkte sich der Schutz von Zivilisten im Kalten Krieg auf das IKRK und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, das UNHCR . Die Menschenrechtsorganisationen konzentrierten sich darauf, Berichte zu schreiben, sie zeigten wenig Präsenz in autoritären Regimen und setzten auf die öffentliche Meinung, um Veränderungen zu erzwingen. Die breite Masse der Hilfswerke wiederum arbeitete oft in Lagern am Rand der Hauptkonfliktzonen. »Während des Kalten Kriegs verwies die Achtung der staatlichen Souveränität die Hilfsorganisationen an die Peripherie von Konflikten, und nur wenige wagten sich in ein kriegführendes Land.«298 So versorgten NGO s Flüchtlinge aus Kambodscha in Thailand und Flüchtlinge aus Nicaragua in Honduras. In dieser Zeit arbeitete MSF an Orten, an die sonst niemand ging; so ist sie bekannt dafür, hinter den Linien der Mudschaheddin in Afghanistan tätig gewesen zu sein. MSF kombiniert ärztliche Versorgung mit Appellen an die Verantwortung der Staaten, ihre Pflichten gegenüber Zivilisten zu erfüllen. Doch ursprünglich sah das ärztliche Hilfswerk seine Rolle nicht darin, Zivilisten über den Einfluss seiner Zeugenschaft hinaus zu schützen. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden Not leidende Bevölkerungen in neuer Weise zugänglich. Auf einmal arbeiteten Hilfswerke in Kriegszonen. Mit der Operation Lifeline Sudan (Aktion Überlebensbrücke Sudan) begann 1989 eine Phase, in der die Vereinten Nationen den Zugang für Hilfsorganisationen in laufenden Bürgerkriegen aushandelten.299 Nach 1990 veränderte sich darüber hinaus die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf Flüchtlingsströme, die man 297 Terry, Condemned to Repeat?, S. 28. 298 Ebenda, S. 143. 299 Duffield, Global Governance.

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nunmehr mit Hilfsmaßnahmen in den Herkunftsländern zu erreichen versuchte.300 Die humanitären Helfer fanden sich in Situationen wieder, in denen sie sich der Gewaltfrage stellen mussten. Sicherheit wurde zu einem wichtigen Aspekt, zu dem sie einen Beitrag leisten zu müssen glaubten. In Ruanda und Bosnien wurden gezielt Flüchtlingslager angegriffen. Die humanitären Helfer befürchteten, nutzlos oder, schlimmer noch, mitverantwortlich für die Gewalt zu sein. Welchen Sinn hatte ihre Arbeit, wenn sie inmitten einer Gewalt, gegen die sie nichts ausrichten konnten, Nahrungsmittel lieferten? Fiona Terry ruft die Erfahrung von MSF in Bosnien in Erinnerung: »Die Unfähigkeit der UN Schutztruppe (UNPROFOR ) zur Sicherung der ›Schutzzone‹ Srebrenica in Bosnien 1995 zwang MSF zu der Überlegung, in welchem Maß ihre Präsenz in der Enklave zu der Illusion eines Schutzes beitrug, die die Bevölkerung zum Bleiben ermutigte, und folglich wie viel Verantwortung sie für die Tragödie übernehmen musste.«301 Vor diesem Hintergrund hielten es viele humanitäre Helfer nicht mehr für ausreichend, lediglich materielle Unterstützung anzubieten. Ein Leitfaden zum Thema Schutz für Hilfsorganisationen vom Fachverband ALNAP beginnt mit den Worten: »Die Hilfswerke erkennen ihre Verpflichtung an, mit Gemeinschaften, beauftragten Organisationen und den verantwortlichen Behörden zusammenzuarbeiten, um sowohl die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten als auch den Hilfsbedürftigen Beistand zu leisten.«302 1996 begann das IKRK , eine Reihe von Konferenzen in Genf auszurichten, die humanitäre Helfer und Menschenrechtsaktivisten zusammenbrachten, um über das Thema Schutz zu diskutieren.303 Schutz wurde zu einer finanzierbaren Aufgabe und damit zu einer Chance für die programmatische Ausrichtung. Die Staatenwelt stand unter dem Druck, in Sachen Gewalt gegen Zivilisten »etwas zu tun«, hatte jedoch gemischte Gefühle im Hinblick auf Eingriffe in ferne Krisen. Die Erfahrung der Amerikaner in Somalia sorgte für einen weite300 301 302 303

Frelick, »International Responses to Refugees«. Terry, Condemned to Repeat?, S. 18. Slim/Bonwick, Protection. Giossi Caverzasio, Strengthening Protection.

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ren Dämpfer der Interventionsbegeisterung.304 Somit begrüßten die Geberstaaten die Beiträge von NGO s in Krisen und ihre Begleitung von Schutzprojekten. In diesem Bereich gibt es einige gemeinsame Praktiken von Hilfswerken und Menschenrechtsorganisationen. Menschenrechtsstandards prägen die Lagebeurteilung, die Teil eines jeden Schutzprogramms ist. Die Hilfswerke sind jedoch zurückhaltend mit öffentlichen Aussagen, weil dies ihren Bewegungsspielraum in einem bestimmten Gebiet einschränken könnte. In manchen Fällen geben sie Informationen an Organisationen weiter, die solche Erkenntnisse besser der Öffentlichkeit präsentieren können.305 Die Palette an Aktivitäten, die der Rahmen des Schutzes nach Meinung der Hilfswerke umfasst, ist ziemlich breit. Ein praktischer Leitfaden für Hilfs-NGO s zum Thema empfiehlt Zielsetzungen wie die folgenden: • Frauen und Mädchen haben sicheren Zugang zu Wasser und können sich frei bewegen, um es zu schöpfen, ohne bedroht zu werden. • Familien verfügen über eine hinreichende und angemessen konzipierte Unterkunft in den Binnenflüchtlingslagern, die ihnen ein Gleichgewicht zwischen Privatsphäre sowie Bewegungs- und Vereinigungsfreiheit ermöglichen. • Alle Kinder im Binnenflüchtlingslager X haben Zugang zu guter Grundschulbildung.306 In manchen Fällen denken Hilfsorganisationen über Schutzaspekte von Aktivitäten nach, die in den Bereichen Wasser- und Sanitärversorgung, Unterkunft oder Bildung schon seit Langem zu ihrem Repertoire gehören. Dies sind Fälle von »rhetorischer Verpackung«, wie Peter Uvin es nennt.307 In anderen Fällen bedeutet Schutz, wie das obige Beispiel zeigt, lediglich, dass die Risiken gesenkt werden sollen, die eine Bevölkerungsgruppe auf sich nimmt, indem sie Teil eines Hilfspro304 305 306 307

Cutts, »Politics and Humanitarianism«; Power, Problem from Hell. Brennan/Martone, »Evolving Role of Relief Organizations«. Slim/Bonwick, Protection, S. 73. Peter Uvin, zitiert bei O’Neil, Human Rights and Poverty Reduction; Pantuliano/ O’Callaghan, ›The Protection Crisis‹; Dubois, »Protection – The New Humanitarian Fig-Leaf«.

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gramms wird: Wenn Wasserstellen oder Latrinen am Rand eines Lagers liegen, besteht für Frauen und Mädchen die Gefahr von Übergriffen und Vergewaltigungen. Damit ist die humanitäre Arbeit um eine Reflexionsebene reicher, ohne dass sie sich vollumfänglich mit der äußeren Bedrohung hilfsbedürftiger Bevölkerungsgruppen auseinandersetzen würde. Es bleibt eine Spannung zwischen Schutz als Selbstzweck, Schutz als Voraussetzung für sinnvolle humanitäre Hilfe und Schutz als Grundlage für einen umfassenden politischen Wandel. Neu an der Schutzagenda ist, dass sie in Anspruch nimmt, im humanitären Völkerrecht sei die Legitimation zum Eingreifen für eine Reihe von Akteuren bei einer Reihe von Themen vorgesehen, auf die das humanitäre Völkerrecht, das Flüchtlingsrecht oder die Menschenrechtsnormen Anwendung finden können. Zur vollen Entfaltung kommen sollte diese Agenda mit dem neuen Rechtsprinzip der »Schutzverantwortung«.308 Für die Hilfsorganisationen ist das Anliegen des Schutzes mit ihren eigenen Projekten verbunden. Sie haben den Schutzgedanken in ihre Programmarbeit eingebaut. In Extremfällen nutzen sie die Schutzagenda, um ihre Programme auszuweiten. De Waal schildert eine solche Extremsituation in Ruanda. In diesem Fall, erläutert er, »bestanden [die Hilfswerke] darauf, den Flüchtlingsstatus Menschen zuzuerkennen, die sich auf der Flucht vor der Justiz befanden. […] Die Hilfswerke interpretierten das humanitäre Völkerrecht – und ihre eigene Ausgestaltung davon im Namen humanitärer Prinzipien – so, als besage es, es sei einfach nur deshalb nicht legitim, wenn eine Kriegspartei eine andere angreife, weil erstere in einer bevölkerten Gegend stationiert sei, in der humanitäre Hilfsmaßnahmen durchgeführt würden. […] Sie verschlimmerten diesen Fehler noch, indem sie eine internationale Militärintervention forderten, um ihre Hilfsprogramme zu schützen.«309

308 Evans/Sahnoun, »Responsibility to Protect«; Weiss, »Sunset of Humanitarian Intervention?«; Chandler, »Responsibility to Protect?«. 309 De Waal, »Human Rights, Institutional Wrongs«, S. 257.

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Menschenrechte als Einstellung: der rechtebasierte Ansatz in der humanitären Hilfe Einige humanitäre Helfer sahen im Konzept der Menschenrechte eine neue Grundlage für die Arbeit, die sie ohnedies taten. Ihre Argumentation lautete, dass Menschen nicht nur Nahrung, Wasser, Gesundheitsversorgung und Unterkunft brauchen, sondern auch ein Recht auf Nahrung, Wasser, Gesundheitsversorgung und Unterkunft haben. Diese Vertreter des humanitären Gedankens hofften, dass sie die humanitäre Hilfe mithilfe der Sprache der Rechte über die Wohltätigkeit hinausführen könnten; das Konzept der Menschenrechte sollte dabei als Grundlage für ein neues Verhältnis zu den Bevölkerungen dienen, mit denen die Hilfswerke arbeiten: Die Hilfeempfänger sollten als Inhaber von Rechten und nicht primär als hilfsbedürftige Menschen wahrgenommen werden. Wir haben oben das Sphere-Projekt betrachtet, das einen Versuch darstellte, die humanitäre Hilfe im Konzept der Menschenrechte zu begründen. In diesem Kontext wird das Konzept der Menschenrechte in einer Weise verwendet, die materielle Grundbedürfnisse betont und nicht bürgerliche oder politische Rechte. Im Hinblick auf diese materiellen Bedürfnisse deckt das Sphere-Handbuch eine große Bandbreite an Themen ab. Die humanitäre Charta spricht vom Recht der Menschen auf einen angemessenen Lebensstandard, während die SphereStandards als Indikatoren dienen, worin ein angemessener Lebensstandard konkret bestehen könnte. Wenn aber die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in das Sphere-Handbuch und dieses dann in die Praxis der Hilfsorganisationen übersetzt wird, kommt es zu einer subtilen Verschiebung. Das Recht eines jeden menschlichen Wesens auf ein Leben in Würde wird zum Recht ausgewählter Hilfeempfänger auf Güter und Dienste, die von nicht näher bestimmten Dritten angeboten werden. Das SphereHandbuch stellt dies bereits ausdrücklich fest: »Die Philosophie von Sphere basiert auf zwei Grundüberzeugungen: erstens, dass die von einer Katastrophe oder einem Konflikt Betroffenen ein Recht auf ein Leben in Würde und daher ein Recht auf Hilfe haben, und zweitens, dass alle nur möglichen Schritte unternommen werden sollten, um menschliches Leid infolge einer Katastrophe oder eines Konflikts zu lindern.«313

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Weiter heißt es in dem Dokument: »Das Recht auf Leben beinhaltet die Pflicht, Leben zu schützen, wenn es bedroht ist. Dies beinhaltet auch die Pflicht, die Bereitstellung von lebensrettender Hilfe nicht zu be- oder verhindern.«311 Manche Hilfswerke haben den rechtebasierten Ansatz als ein Mandat verstanden, ihre lobbyistischen Bemühungen gegenüber den Staaten auszuweiten, um diesen die Zusicherung abzuringen, Rechten Genüge zu tun, statt dass NGO s für Hilfe sorgen. Doch nutzen Hilfsorganisationen die Sprache der rechtebasierten Hilfe auch, um sich für die Rechte von Hilfeempfängern oder potenziellen Empfängern der von ihnen angebotenen Hilfsleistungen einzusetzen; soweit die Hilfswerke die Begünstigten selbst auswählen, kann das Recht auf Hilfe zum Recht des Hilfswerks werden, auf seinem Fachgebiet Hilfe zu leisten.

Menschenrechte als politische Konsequenzen Seiner Idee nach ist die Linderung von Leid Selbstzweck des Humanitarismus. Es ist ein wichtiger Teil der Definition von humanitärer Hilfe in ihrer reinen Form, dass diejenigen, die sie erbringen, keine anderen positiven Folgen ihres Handelns im Sinn haben dürfen und ihren Grundsätzen treu bleiben müssen – in gewissem Maße ohne Rücksicht auf die Konsequenzen. Trotz dieses Nachdrucks auf der humanitären Hilfe als Selbstzweck – und tatsächlich zum Teil infolge dieses Nachdrucks – treiben Überlegungen über die möglichen, erwünschten wie unerwünschten, Auswirkungen der humanitären Hilfe das Feld um.312 Vor diesem Hintergrund haben sich humanitäre Helfer der Sprache der Menschenrechte bedient, um ihren Sorgen über die Konsequenzen ihres eigenen Tuns Ausdruck zu verleihen. Man könnte diese Konsequenzen auch als politisch bezeichnen, doch ziehen es viele Helfer und Autoren vor, die Sprache der Menschenrechte zu verwenden. Bei diesen Konsequenzen kann es sich um unmittelbare oder langfris-

310 Sphere Project, Humanitäre Charta und Mindeststandards in der humanitären Hilfe, S. 4 (meine Hervorhebung). 311 Ebenda, S. 24 (meine Hervorhebung). 312 Anderson, Do No Harm; Terry, Condemned to Repeat?; Uvin, Aiding Violence; Lischer, Dangerous Sanctuaries.

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tige Folgen humanitärer Maßnahmen handeln, um negative oder positive, erwünschte oder unerwünschte Folgen. »Politische Konsequenzen« in der Sprache der »Menschenrechte« darzustellen, ist mit analytischen Kosten verbunden. David Kennedy, ein erfahrener Menschenrechtsanwalt und -experte, hat darauf hingewiesen, dass für den Begriff der Rechte Recht und Unrecht absolute Werte sind, weshalb es schwierig ist, mit seiner Hilfe praktische Kosten-Nutzen-Abwägungen vorzunehmen.313 Nicht zuletzt diese Eigenschaft ist es, die den Begriff für humanitäre Helfer so attraktiv macht. Die Sprache der Menschenrechte ist auf einigen Feldern in Mode gekommen, doch gibt es besondere Gründe, warum sie bei den Vertretern des Humanitarismus Anklang findet. Weil die humanitäre Autorität auf einem Gegensatz zur Politik aufbaut, fällt es humanitären Helfern besonders schwer, ihre Arbeit als eine politische zu verstehen. Wenn die Ideologie der reinen, unverfälschten Hilfe in der Konfrontation mit der realen Welt scheitert, bietet der Begriff der Menschenrechte eine Alternative zur profanen Welt der Politik. Die Erfahrungen der Hilfswerke in den Flüchtlingslagern von Goma im Gefolge des Völkermords in Ruanda werden oft auch als ein Dilemma zwischen reiner Hilfe und »menschenrechtlichen Konsequenzen« dargestellt. Die Lager in Zaire boten Menschen Zuflucht, die vor der ruandischen Armee aus Ruanda geflohen waren, wobei häufig die Machtstrukturen ganzer Dörfer erhalten blieben. Unter den Flüchtlingen befanden sich mithin auch die Täter des Völkermords, und die Gewalttaten gingen weiter. Wie sich Fiona Terry, damals Leiterin von MSF France in Ruanda, erinnert, bestand eine Seite des Dilemmas darin, dass die herkömmliche Medizinethik verlangt, »jeden zu behandeln, der es nötig hat, unabhängig von seiner Geschichte«.314 Dem entgegen stand, was viele als eine Frage der »Menschenrechte« bezeichneten, wobei der Begriff hier dazu dient, eine komplexe Reihe von Sorgen bezüglich der Würdigkeit der Patienten, der Sozialstruktur des Lagers und der Morde zu bezeichnen, die durch die humanitären Hilfsmaßnahmen nicht verhindert werden konnten, ja vielleicht sogar ermöglicht wurden. 313 Kennedy, Dark Sides of Virtue. 314 Terry, Condemned to Repeat?, S. 3.

Menschenrechte als Bühne für symbolische Spaltungen

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Auf diese Weise nahm eine Grundsatzdiskussion den Raum ein, in dem andernfalls eine sehr komplizierte Debatte über Beweise, Politik und Verantwortung einerseits oder eine komplizierte Berechnung der Konsequenzen beider Vorgehensweisen andererseits hätte stattfinden können. Dieses Verständnis der Bedeutung der Menschenrechte für die humanitäre Hilfe steht in einem Spannungsverhältnis zum rechtebasierten Ansatz, der behaupten würde, dass jeder Mensch ein Recht auf diese Dienste hat. Unter den humanitären Helfern ist es umstritten, ob sich das humanitäre Handeln dieser langfristigen Anliegen annehmen kann oder sollte – und wenn ja, wie. Die Helfer beziehen sich auch auf die Menschenrechte, um mögliche positive Folgen der humanitären Hilfe vor Augen zu stellen. Die Geberinstitutionen haben zunehmend den Zusammenhang zwischen Nothilfe und längerfristigen strategischen Zielen betont.315 Manche von ihnen vertreten die Auffassung, dass humanitäre Hilfe an langfristige Menschenrechtsziele geknüpft werden kann und sollte, wie auch an Frieden, Stabilität, Sicherheit und Entwicklung. Das International Rescue Committee etwa, eine Geberinstitution mit einem traditionellen Schwerpunkt auf Flüchtlingen und Katastrophen, hat umfangreiche Erfahrungen darin gesammelt, humanitäre Hilfe, Wiederaufbau und Entwicklung zu verknüpfen, und bezieht sich auf die Menschenrechte, um die Verbindung zwischen diesen Aufgaben herzustellen.

Menschenrechte als Bühne für symbolische Spaltungen Wenn es, wie ich argumentiert habe, wichtig ist zu untersuchen, auf welche Weise Begriffe wie die Menschenrechte in Praktiken übersetzt werden, lohnt auch die Feststellung, dass die fraglichen Praktiken durchaus symbolische sein können. Für manche sind die Menschenrechte das Instrument, das den Humanitarismus vor sich selbst retten kann – nämlich vor reiner Wohltätigkeit.316 Andere Stimmen meinen, dass der Begriff die Seele des humanitären Unternehmens zu verder-

315 Duffield, Global Governance. 316 Slim, »Is Humanitarianism Being Politicised?«

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ben droht.317 Die Positionen in dieser Debatte werden verständlicher, wenn man sich die praktische Logik der symbolischen Struktur des Feldes in Erinnerung ruft. Hilfsorganisationen am autonomen Pol des Feldes wehren sich gegen den Diskurs der Menschenrechte, um ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren. Sie misstrauen der Bezugnahme auf die Sprache der Rechte, da damit ihrer Meinung nach Aspekte ins Spiel kommen, die mit der reinen Vorstellung der Linderung unmittelbaren Leids konkurrieren. Sie sehen ihre Rolle darin, auf der spezifischen Funktion der humanitären Hilfe zu insistieren. Andere im Feld schätzen den Begriff der Menschenrechte gerade deshalb, weil er es ihnen ermöglicht, den Humanitarismus mit Ressourcen aus dem politischen Feld zu verbinden, sowohl mit dem Anspruch, auf der Seite der Unterdrückten zu stehen, als auch mit der Kooperation mit Geberinstitutionen. Die »Menschenrechte« stellen eine alternative Quelle des Heiligen dar, die es den humanitären Akteuren erlaubt, Kämpfe um politische Autorität zu führen, ohne sich allzu sehr in das zu verstricken, was ihnen als bloße Alltagspolitik gilt. Es gibt viele gute Gründe für das Gefühl, dass Neutralität der humanitären Hilfe oder der Arbeit mit Kriegsopfern oder Armen im Allgemeinen Grenzen setzt. Über die Neutralität hinauszugehen, könnte es den Hilfs-NGO s im Prinzip erlauben, ein wahrer Verbündeter der Armen zu werden und auf einen politischen Wandel hinzuarbeiten. Das ist zweifellos die Hoffnung, die manche Organisationen in der Tradition des englischen Sozialismus mit den Menschenrechten verbinden, Oxfam etwa oder Safe the Children. Hugo Slim beispielsweise sieht in der Rede von Rechten trotz ihrer Ambivalenz ein trojanisches Pferd für all jene, die sich den etablierten Mächten widersetzen.318 Die Sprache der Rechte gestattet es den Hilfsorganisationen, die humanitäre Hilfe mit längerfristigen Anstrengungen ebenso wie mit anwaltschaftlichen Bemühungen zu verbinden. Sie verhilft ihnen auch zu einer erheblichen Flexibilität über den engen Rahmen hinaus, den das humanitäre Völkerrecht für sie vorsieht, und ermöglicht es ihnen, im Zweifel zusätzliche Ressourcen im Namen Not leidender Bevölkerungen zu mobilisieren: CARE beispielsweise verficht einen rechteba317 Chandler, From Kosovo to Kabul. 318 Slim, »Response to Peter Uvin«.

Menschenrechte als Bühne für symbolische Spaltungen

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sierten Ansatz. Als andere Einrichtungen, insbesondere MSF, Afghanistan verließen, weil sie ihre Fähigkeit, unabhängig Hilfe zu leisten, nicht mehr gewährleistet sahen, argumentierte CARE , die dortige Bevölkerung habe ein Recht auf Hilfe. Damit war für die Organisation gerechtfertigt, dass sie Aufträge von der US -Regierung in einer Situation annahm, in der diese Regierung eine der Kriegsparteien war. Als ich ihn über die Rolle der Menschenrechte in der humanitären Hilfe befragte, sagte ein ehemaliger CARE -Mitarbeiter zu mir: »Ich glaube, das hat ihnen [CARE ] in schwierigen Situationen wie etwa der Nachkriegssituation in Afghanistan wirklich geholfen. […] MSF sagte, wir können die Regierung nicht unterstützen, und wir können nicht Wiederaufbaubemühungen unterstützen, weil das unseren humanitären Ruf gefährden würde. […] CARE und andere hingegen begannen damit, an Stabilitätsprogrammen und am Friedensprozess zu arbeiten und der Regierung zu helfen, gleichsam auf die Beine zu kommen, und weil CARE und andere nicht nur humanitär sind, sondern auch Entwicklungsarbeit leisten, sind sie es, die gewissermaßen diesen Übergang bewerkstelligen. Paul O’Brien konnte den rechtebasierten Ansatz für eine in meinen Augen ziemlich deutliche Erklärung der Herangehensweise von CARE nutzen, und dass es, sobald die akuten Bedürfnisse befriedigt sind, im besten Interesse der Hilfeempfänger ist, Frieden und Sicherheit und Stabilität zu haben, und genau das war das Ziel von CARE .«319 Für den puristischen Pol des Feldes scheint CARE s Bezugnahme auf die Sprache der Menschenrechte zu bestätigen, dass der Menschenrechtsdiskurs ein Einfallstor für eine Vielzahl politischer Programme bildet. Autoren, die mit dem IKRK oder der MSF in Verbindung stehen, befürchten, dass rechtebasierte Ansprüche ihre Fähigkeit, als unabhängige humanitäre Organisationen zu arbeiten, infrage stellen könnten.320

319 Die Rede ist von O’Brien, »Politicized Humanitarianism«. 320 Chandler, »Road to Military Humanitarianism«; Rieff, Bed for the Night.

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Die Ärzte ohne Grenzen über Rechte Mit ihrer Position in der Frage der Menschenrechte verwirrt MSF viele Beobachter. Mitunter scheint es, die Organisation stehe einem rechtebasierten Ansatz nahe.321 Dann aber hat niemand die Einbeziehung der Sprache der Menschenrechte in die humanitäre Arbeit so scharf kritisiert wie einige Vertreter von MSF. Sobald wir über die irreführende Frage, ob MSF oder sonst irgendjemand »für« oder »gegen« die Menschenrechte ist, hinausgehen, lässt sich der Standpunkt von MSF als schlüssiger Ausdruck ihrer Position im Verhältnis zu anderen Akteuren und zu Finanzierungsquellen im humanitären Feld verstehen. MSF ist nicht abstrakt gegen Menschenrechte, sondern legt Wert auf eine sehr spezifische Rolle für humanitäre Hilfsorganisationen. MSF hat – seit ihren Anfängen in Biafra – darauf bestanden, seine Stimme zu erheben, eine Praxis, die man mit einem MenschenrechtsMonitoring vergleichen könnte. Mit der Pflicht, Stellung zu beziehen, ist das berühmte droit d’ingérence oder Recht auf Einmischung verbunden, der humanitäre Imperativ, Leiden auch unter Missachtung staatlicher Souveränität zu lindern. Die öffentlich gemachten Beobachtungen von MSF aber konzentrieren sich auf Verletzungen des humanitären Völkerrechts und stehen üblicherweise in engem Zusammenhang mit den medizinischen Einsätzen des Hilfswerks. Seine Kampagne für den Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten ließe sich als Menschenrechtskampagne verstehen, doch dreht sie sich im Wesentlichen um »Bedürfnisse« und »Zugang« für Arme. MSF kritisiert die Versuche anderer Hilfsorganisationen, sich der Sprache der Menschenrechte zu bedienen, um von politischer Autorität zu zehren. Damit bleibt sie ihrer eigenen puristischen Position im humanitären Feld treu. MSF hält die Verbindung von humanitärer Hilfe und Menschenrechten für gefährlich, weil Letztere einen Anknüpfungspunkt für diverse politische Projekte bieten. Geberstaaten können Hilfsprojekte dazu nutzen, ihren eigenen politischen Ziele in Empfängerländern zu verfolgen, indem sie sich auf die Menschenrechte berufen. MSF malt auch das Schreckgespenst einer Zukunft an die Wand, in der Geberregierungen den Erhalt von Hilfe völlig von der 321 Vgl. etwa Fox, »Medical Humanitarianism«.

Schlussfolgerung

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Erfüllung ihrer Forderungen abhängig machen, die in die Sprache der Menschenrechte eingebettet sind.322 MSF wahrt Distanz zur rechtebasierten Hilfe und zum SphereProjekt. In ihrer Kritik an den Sphere-Standards haben MSF-Vertreter hervorgehoben, dass Sphere die Frage verwischt, in wessen Verantwortung es liegt, sicherzustellen, dass die Standards für ein Leben in Würde erfüllt sind.323 MSF besteht darauf, dass Hilfswerke niemals eine Aufgabe übernehmen sollten, die eigentlich die der Regierung ist. Dies würde nicht nur die Regierungen von einem Teil ihrer Verantwortung für ihre Bevölkerungen entlasten, sondern auch die noble Berufung der humanitären Hilfe auf eine bloß technische Aufgabe reduzieren.

Schlussfolgerung Die »Menschenrechte«, die zwischen Gebern und Aktivisten einerseits und fernem Leid andererseits stehen, sind zunächst einmal nur ein Wort. Das Konzept der Menschenrechte kann der humanitären Hilfe zu keiner ideologischen Einheit verhelfen – es kann dies nicht einmal für die Menschenrechtsarbeit leisten. Genauso wenig bietet es eine kohärente Alternative zur humanitären Hilfe. Aufgrund der Unbestimmtheit des Begriffs benötigen wir eine detaillierte Untersuchung darüber – auch für die Menschenrechte –, wie seine verschiedenen möglichen Bedeutungen durch verschiedene institutionelle Formen ausgewählt und vermittelt werden. In diesem Kapitel habe ich mich darauf konzentriert, wie der Einfluss der Menschenrechte durch Organisationsfelder vermittelt wurde. Das Feld der Menschenrechtsorganisationen bevorzugt bestimmte Praktiken; es hat sich etwa auf Forschung und Berichterstattung verlegt und nicht im selben Maß daran beteiligt, Güter und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen oder die Massen für einzelne Themen zu 322 De Torrente, »Humanitarianism Sacrificed«; ders., »Humanitarian Action under Attack«. 323 Giesen, »Sphere and Accountability«; Dufour u.a., »Rights, Standards, and Quality«.

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mobilisieren. Zugleich bleibt die Menschenrechtsarbeit trotz dieser relativ eng gefassten Bedeutung innerhalb des Feldes der Menschenrechte umstritten. Im Feld der humanitären Hilfe meint »Menschenrechte« auch anderes. Die Menschenrechte bedeuten für humanitäre Helfer eine Vielzahl von Dingen, gerade weil es nicht den einen natürlichen Weg gibt, sie in die Praxis zu übersetzen oder auf die humanitäre Arbeit zu beziehen. Die humanitären Helfer greifen das Konzept in einer Form auf, die zu dem passt, was sie ohnehin bereits tun; in seinen verschiedenen Bedeutungen wird es durch die Praktiken des Projektmanagements sowie Praktiken der symbolischen Auseinandersetzung vermittelt. Die Menschenrechte werden zu einem Beiwerk der Produktion von Projekten, wenn auch zu einem, das die Reflexivität über manche Probleme erhöht, die sonst gerne externalisiert werden. Humanitäre Helfer haben sich auf das Konzept der Menschenrechte gestützt, um der Tatsache ins Auge zu sehen, dass die Menschen, denen sie dienen, manchmal mit physischer Gewalt bedroht werden; dass ihre Organisationen manchmal ein Verhältnis auf lange Sicht mit den Menschen eingehen, denen sie dienen; und dass weitergehende Auswirkungen – sowohl unerwünschte wie die Fortdauer von Krieg und Gewalt als auch erwünschte wie Wiederaufbau und Entwicklung – in der humanitären Hilfe eine Rolle spielen sollten – obwohl dies umstritten ist. Die humanitären Helfer scheinen die Sprache der Menschenrechte einem direkteren Gespräch über Gewalt, Politik und Konsequenzen vorzuziehen, weil die Menschenrechte in gewisser Weise einen Kandidaten für eine reinere Alternative zur Politik abgeben.

Schluss

Das vorliegende Buch hat die Welt der humanitären Hilfs-NGO s beleuchtet. Ich habe zu zeigen versucht, dass diese Organisationen in einem gemeinsamen sozialen Raum agieren: dem Feld der humanitären Hilfsorganisationen. Ich habe geltend gemacht, dass sie über gemeinsame Praktiken verfügen und dass wir die Logik der Praxis in diesem Feld bestimmen und beschreiben können. Meine Analyse hat ergeben, dass Hilfsorganisationen erstens Praktiken des Projektmanagements teilen und zweitens Projekte für einen Quasimarkt produzieren, in dem die Geberinstitutionen die Konsumenten sind. Das Projekt ist eine Ware, was auch die Empfänger humanitärer Hilfe zu einer Ware macht. Hilfswerke produzieren Projekte mit einem festgelegten Ergebnis und einem festgelegten Budget oder Preis. Sie wollen einen Unterschied bewirken und versuchen, Projekte durchzuführen, die einen »Mehrwert« schaffen. Wenn Hilfswerke über Mehrwert nachdenken, denken sie über Ressourcen, Zugangsmöglichkeiten und ihre eigenen bisherigen Erfahrungen nach. Sie bringen damit eine Dynamik ins Spiel, die relativ unabhängig von den Werten der humanitären Hilfe, den Bedürfnissen der Bevölkerungsgruppen vor Ort und den Interessen der Geberstaaten ist. Es gibt viele verschiedene Arten von Hilfsorganisationen. Manche von ihnen arbeiten eng mit staatlichen Geberinstitutionen zusammen, andere verteidigen verbissen ihre Unabhängigkeit. Humanitäre Hilfswerke haben sich heftige Debatten darüber geliefert, was es heißt, den humanitären Gedanken zu vertreten, und die sich in diesen Debatten äußernden Unterschiede sind ihrerseits ein Produkt ihres gemeinsamen Raumes, des Feldes der humanitären Hilfsorganisationen. Die Unterschiede zwischen den Agenturen überlagern die gemeinsamen Annahmen über das Projekt als Einheit der humanitären Hilfe und

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können zu einem Teil des Marktes für Projekte werden. Das Verhältnis der Geber zu fernem Leid ist gleichermaßen durch die gemeinsamen Praktiken der Agenturen wie durch die symbolische Ausdifferenzierung zwischen ihnen vermittelt. Die Form, die die humanitäre Hilfe gegenwärtig angenommen hat, ist das Resultat einer spezifischen Geschichte und folgt nicht einfach aus dem Inhalt der humanitären Ideen oder aus der Tatsache, dass es Leid, dass es Katastrophen und Bürgerkriege auf der Welt gibt. Ich habe einen bestimmten Ansatz für die Aufgabe gewählt, die Geschichte der humanitären Hilfe nachzuvollziehen und zu erklären, wie wir dahin kamen, wo wir heute sind. Es ging mir nicht darum, mich auf eine Ursache des Wandels zu konzentrieren und dann zu zeigen, dass sie wichtiger ist als alle anderen. Ich habe auch nicht einfach versucht, eine Geschichte zu erzählen, die die gegenwärtige Situation in größeren Kontexten und Prozessen verortet. Meine Herangehensweise bestand darin, zunächst die Elemente der Logik des Feldes der humanitären Hilfe auszumachen, um in einem zweiten Schritt die Möglichkeitsbedingungen zu bestimmen, die gegeben sein müssen, damit die humanitäre Hilfe in ihrer heutigen Form bestehen kann. Auf einer allgemeinen Ebene bedeutet dies, einige der Bedingungen beim Namen zu nennen, die wir gemeinhin für selbstverständlich halten und deshalb nicht als Ursachen des Humanitarismus in seiner gegenwärtigen Form betrachten – und damit auch nicht als möglichen Ansatzpunkt der Analyse und des politischen Handelns. Zu den allgemeinsten Grundvoraussetzungen für die Form der humanitären Hilfe gehört zunächst einmal, dass große Bevölkerungsgruppen keinen Zugang zur Grundversorgung haben. Und ein solcher Zugang fehlt ihnen nicht aufgrund außergewöhnlicher Umstände. Dieser Mangel hat sowohl mit dem Kapitalismus per se als auch mit Jahrzehnten einer Umstrukturierungspolitik zu tun, die den Armen schwer zugesetzt hat. Zu den Grundvoraussetzungen der Reaktion auf derartige Mangelsituationen wiederum zählen beispielsweise die Mittel, durch die man von Leid erfährt.324 Ich habe insbesondere die schwindenden Hoffnungen auf die Entwicklungspolitik, die Transformation des

324 Haskell, »Capitalism, Part 1«; sowie ders., »Capitalism, Part 2«.

Die internationalen NGOs

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Staates durch eine wettbewerbsorientierte Auftragsvergabe an gewinnorientierte und gemeinnützige private Akteure sowie die Entstehung eines globalen Vergleichsmaßstabs für Hilfsprojekte betont. Ich habe ebenfalls die Geschichte der dem humanitären Feld eigenen Autorität nachgezeichnet. Diese Autorität zehrt von der Autorität kriegsbedingten Leids, der Autorität jener Staaten, die für dieses Leid verantwortlich sind, und der Autorität der Ärzteschaft. Im Unterschied zu Darstellungen, die eine ideen- oder interessenbedingte Kohärenz der »humanitären Vernunft« rekonstruieren und diese dann analysieren und kritisieren, vertrete ich die Auffassung, dass das Muster, das sich uns darbietet, vor allem eines der Fragmentierung der Vernunft ist. In den verbleibenden Abschnitten dieser Schlussbemerkungen werde ich auf der Grundlage dieser Analyse noch einmal einige der mit humanitären Hilfs-NGO s verbundenen Erwartungen Revue passieren lassen und auf die Konsequenzen der Unbestimmtheit von Ideen zurückkommen. Abschließend werfe ich einige Fragen nach einer Politik auf, die sich mit der hier analysierten Vermittlung auseinandersetzen würde.

Die internationalen NGO s und die globale Ordnung jenseits der Kommunikationsproblematik Assoziieren Autoren NGO s mit der globalen Zivilgesellschaft – verstanden als »organisierter Ausdruck der Werte und Interessen der Gesellschaft«325 oder als eine Öffentlichkeit –, dann betonen sie in der Regel das Potenzial der NGO s für die politische Repräsentation oder Kommunikation.326 Von NGO s wird dann erwartet, dass sie die Verständigung zwischen dem globalen Süden und dem globalen Norden erleichtern; vor allem könnte man sich vorstellen, dass die humanitä-

325 Castells, »New Public Sphere«. 326 Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit; Stichweh, »Genesis of a Global Public Sphere«; Fraser, »Transnationalizing the Public Sphere«.

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ren Hilfsorganisationen die Stimmen Not leidender Bevölkerungen in das globale Gespräch einfließen lassen.327 Die Literatur über NGO s bleibt dieser Kommunikationsproblematik in ihren Fragestellungen verpflichtet, sogar in kritischen Arbeiten über anwaltschaftlich arbeitende Lobby-Organisationen, die sich für Benachteiligte einsetzen.328 Diese Arbeiten haben gezeigt, inwiefern der anwaltschaftliche Lobbyismus durch die Interessen von Organisationen strukturiert ist, und ihn selbst als eine Art Markt beschrieben. Für die humanitären Hilfsorganisationen gilt allerdings, dass diese Form von Lobbyismus nur ein Teil ihrer erklärten Vorhaben ist und wir ihre Rolle nur unvollständig verstehen würden, wenn wir uns allein auf ihre advokatorische Funktion beschränkten. Ich habe die These entfaltet, dass die humanitäre Hilfe auch eine Form von Produktion ist, genauer gesagt, dass humanitären Hilfsorganisationen Praktiken gemeinsam sind, die auf die Produktion von Hilfsprojekten zielen. Dies bedeutet zum einen, dass eine Kommunikation im Sinne der Öffentlichkeit durch die praktische Logik des Feldes der humanitären Hilfe abgelenkt und gebrochen wird.329 Soweit es die Produktion von Projekten ist, die die humanitäre Hilfe antreibt, nimmt die globale Zivilgesellschaft hilfsbedürftige Bevölkerungen nur 327 Held, Democracy and the Global Order; Keck/Sikkink, Activists beyond Borders; Wapner, Environmental Activism; ders., »Normative Promise of Non-State Actors«. 328 Prakash/Gugerty (Hg.), Advocacy Organizations; Bob, Marketing of Rebellion; Holzscheiter, »Representational Power of Civil Society Organizations«. Der Schwerpunkt auf demokratischen Ergebnissen findet sich auch in Wong, Internal Affairs. 329 Schon Habermas warnte 1962 in Strukturwandel der Öffentlichkeit vor der wachsenden Verzerrung der öffentlichen Kommunikation durch organisierte Privatinteressen. Oskar Negt und Alexander Kluge prägten den Ausdruck der »Produktionsöffentlichkeit«, um auf eine ähnliche Gefahr hinzuweisen, vgl. Negt/Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung. Ein Beispiel für eine solche Verzerrung oder Ablenkung der öffentlichen Kommunikation ist es, wenn sich Journalisten von den Profitinteressen ihrer Arbeitgeber leiten lassen – statt vom Interesse an ernsthafter Kommunikation. Ein weiteres Beispiel sind Parlamentsabgeordnete, die nicht den argumentativen Dialog mit anderen Abgeordneten suchen, sondern sich für das Fernsehpublikum in Szene setzen und auf politische Vorteile für ihre jeweilige Partei schielen. Auch organisatorische Interessen können zu einer Ablenkung oder Zerstreuung von Kommunikation führen.

Die Politik des Humanitarismus jenseits der Politik der Ideen

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zur Kenntnis, wenn diese einer Organisation als Gelegenheit erscheinen, einen Mehrwert zu erzeugen. Allgemeiner gesprochen heißt dies, dass wir NGO s nicht nur als (bessere oder schlechtere) Akteure im Kampf um ein faires Gespräch – oder im Ringen darum, die Politik zu beeinflussen – verstehen sollten, sondern auch darüber hinaus zielende Fragen nach verschiedenen Praxisfeldern und ihrer Rolle beim Aufbau einer globalen Ordnung stellen müssen. NGO s können selbst wichtige Schauplätze der Umverteilung von Ressourcen sein.

Die Politik des Humanitarismus jenseits der Politik der Ideen Die humanitäre Hilfe wird oft unter Bezug auf abstrakte Ideen, Werte oder Bedeutungen diskutiert, und zwar nicht nur von denen, die humanitäre NGO s als ihren proklamierten Werten treue Organisationen rühmen, sondern auch in kritischen Analysen des humanitären Diskurses. Für die Autoren, die aus ersterer Perspektive scheiben, ist die Verpflichtung humanitärer NGO s auf die Linderung von Leid oder auf menschliche Solidarität angesichts von Kriegen und Katastrophen kennzeichnend; in der zweiten Perspektive prangern die Kritiker humanitäre Ideen als westlich oder kolonialistisch an, oder sie bemängeln ihren Schwerpunkt auf bloßer Wohltätigkeit oder der Konstruktion eines nackten Lebens. Mitunter machen sie auch eine Tendenz aus, Not leidende Bevölkerungen zu bevormunden. Ich habe hingegen zu zeigen versucht, dass wir über die ideellen Gehalte hinausgehen und uns ansehen müssen, wie diese in der Praxis interpretiert und umgesetzt und wie die mit ihnen verbundenen Ressourcen verteilt werden. Ich habe Gründe dafür angebracht, dass es nicht so sehr etwas Bestimmtes an den Werten oder Bedeutungen des Humanitarismus ist, das manche Beschränkungen der humanitären Hilfe bedingt, sondern vielmehr gerade ihre Unbestimmtheit. Aus Werten folgen nur sehr wenige konkrete Handlungsanweisungen; es sind vielmehr die organisatorischen Routinen und Praktiken, die Entscheidungen herbeiführen. Wenn wir über die richtige Umgangsweise mit fernem Leid und globalen sozialen Problemen nachdenken, sollten

Schluss

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wir über Werte und auch über Ideologiekritik hinausgehen und zusätzlich mit den institutionellen Dynamiken argumentieren, die zwischen »Helfern« und »Geholfenen« vermitteln. Dies heißt nicht, dass die »Kultur« keine Rolle spielt, da die vermittelnden Praktiken, auf die ich mich in diesem Buch konzentriere, auch bedeutungsvolle Praktiken sind. Es heißt genauso wenig, dass man einen Fokus auf Werte und Ideen durch einen Fokus auf organisatorische Prozesse ersetzen sollte, wenn dieser auf einem Modell beruht, wie (alle) Organisationen arbeiten. Ich behaupte vielmehr, dass es wichtig ist, die spezifischen Praktiken unterschiedlicher Arten von Akteuren und Feldern von Akteuren empirisch zu untersuchen. Unter ähnlichen strukturellen Bedingungen können unterschiedliche Ideenkomplexe durch ähnliche Dynamiken vermittelt werden. So sagen Menschenrechtsaktivisten vielleicht, dass humanitäre Hilfe lediglich Wohltätigkeit und nicht langfristig orientiert ist. Entwicklungshelfer sagen entsprechend vielleicht, dass die humanitäre Hilfe zu kurzfristig angelegt ist und eine zu beschränkte Vorstellung davon hat, was Menschen brauchen und wollen. Es ist jedoch eine offene Frage, inwiefern die Entwicklungszusammenarbeit oder die Menschenrechtsarbeit langfristiger ist als die humanitäre Hilfe, wenn sie mit ähnlich kurzfristigen Verträgen oder Kampagnen geplant wird, was den Einsatz von Ressourcen betrifft.

Indirekte Vorherrschaft und das Feld der humanitären Hilfs-NGO s Während die meisten Darstellungen von NGO s diese immer noch in einem Gegensatz zur Macht sehen, unterstellen die meisten Analysen von Macht in der humanitären Hilfe eine direkte Form von Vorherrschaft, ausgeübt von den Mächtigen über die Machtlosen. Am deutlichsten zeigt sich dies in den Theorien des Imperialismus, doch würde ich hier die meisten Gouvernementalitätsstudien im Anschluss an Foucault – trotz dessen gegenteiliger Beteuerungen – einschließen wollen, wie ich in Kapitel 2 ausgeführt habe. Meines Erachtens gilt dasselbe für jegliche Kritik an symbolischen Mustern, die auf die Analyse institutioneller Vermittlungsformen verzichtet. Wir werden die Rolle,

Indirekte Vorherrschaft und das Feld der humanitären Hilfs-NGOs

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die humanitäre Hilfsorganisationen spielen, nie ganz verstehen, wenn wir humanitäre Hilfs-NGO s einfach als Vertreter der Geberstaaten, eines traditionellen Kolonialismus oder eines neuen Imperialismus, einer Form von Gouvernementalität oder eines apolitischen Diskurses betrachten. Es ist nämlich auch ein Mechanismus der indirekten Vorherrschaft am Werk – einer Form von Herrschaft, die durch die praktische Logik des Feldes der humanitären Hilfsorganisationen vermittelt wird. Zwei Voraussetzungen müssen gegeben sein, um nicht nur eine direkte, sondern auch eine indirekte Vorherrschaft in der humanitären Hilfe zu bemerken. Die erste besteht darin, dass man von einem Bild der Menschen, in dem diese nur durch Zwang und Eingriffe bedroht sind, auf ein Bild umstellen muss, das ihre Bedürfnisse und Abhängigkeiten anerkennt. Die zweite Voraussetzung ist, dass man in seine Analyse des real existierenden Humanitarismus auch die Bevölkerungen einbeziehen muss, die nicht versorgt werden, statt nur die, die versorgt werden. Humanitäre Hilfsorganisationen teilen Ressourcen über Projekte zu. Dies bedeutet, dass einige der ärmsten Bevölkerungen der Welt im Wettbewerb miteinander stehen – statt dass sie etwa mit den Eliten in ihren eigenen Ländern oder sonst wo konkurrieren –, um in Projekte aufgenommen zu werden. Weil Not leidende Bevölkerungen Teil des Produkts der humanitären Hilfe sind und als Teil von Projekten miteinander konkurrieren, wird ein symbolischer Wert aus ihnen bezogen, wofür im Austausch einige von ihnen für einige Zeit Hilfe erhalten. In der Debatte über die Grenzen der humanitären Hilfe gibt es zwei Extrempositionen, die liberale und die zynische. Aus liberaler Sicht scheint es so, dass die humanitäre Hilfe ein unvollständiges System ist, welches nicht genug von dem leistet, was es bereits leistet. Aus Sicht eines Zynikers scheint es sich bei der humanitären Hilfe um ein System zu handeln, das ausnahmslos einem finsteren Zweck dient. Das Verhältnis von Konkurrenz und Tausch, das der Markt für Projekte einführt, legt nahe, dass es sich um ein unvollständiges System mit perversen Tendenzen handelt.

Schluss

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Für eine Politik im Hinblick auf die Vermittlungslogik des Feldes der humanitären Hilfsorganisationen Vielleicht mehr noch als in anderen politischen Diskussionen ist es in politischen Diskussionen über die humanitäre Hilfe üblich, über bürokratische Lasten oder Fehlplanungen herzuziehen.330 Die Analyse, die ich vorgelegt habe, bezweckt keine allgemeine Kritik formaler Organisationen oder bürokratischer Strukturen. Eine solche Kritik wird oft im Namen des Marktes vorgebracht, doch sind Märkte selbst hochorganisiert, wie uns die Wirtschaftssoziologie gelehrt hat, und die spezielle Form von Organisation, die gemeinhin »der Markt« genannt wird, hat bei den Menschen, auf die humanitäre Hilfsmaßnahmen abzielen, bereits versagt. Unterkomplex wäre auch eine allgemeine Organisationskritik im Namen der »Hilfeempfänger«, »hilfsbedürftigen Bevölkerungen« oder »der Menschen« – jener Menschen, die normalerweise nie direkt aufgesucht und gefragt werden können, welcher Kritik speziell sie denn gerne mit ihrer Stimme Autorität verleihen würden. Wie wir gesehen haben, ist Kritik und Selbstkritik im Namen von Hilfeempfängern oder Not leidenden Bevölkerungen ein weitgehend normaler Begleitumstand der humanitären Hilfe. Sie ist aber eine rhetorische Maßnahme, die ganz unterschiedlichen Zwecken dient, und kann keine Grundlage für eine Entscheidung zwischen verschiedenen intellektuellen oder politischen Positionen bieten. Die »Menschen« werden nicht plötzlich alle Seite an Seite aufstehen, und wenn es eine spontane Stimme der Menschheit gibt, so ist nicht klar, wie man sie hören kann. Organisationen als relativ stabile Vorkehrungen, um gemeinsam bestimmte Dinge zu tun, sind ein wesentliches Merkmal komplexer, vermittelter Gesellschaften und eine fortdauernde Leistung, die sowohl für die demokratische Mitsprache als auch für das leibliche Wohlergehen unverzichtbar ist. Die Frage scheint nicht zu sein, ob wir Organisationen brauchen, sondern welche Art von Organisationen wir brauchen. Ich habe nicht versucht, Bürokratien im Namen des Marktes oder der Menschen zu verwerfen; ich habe mich auf einen speziellen problematischen Mechanismus konzentriert, der zum Teil sogar, 330 Easterly, Wir retten die Welt zu Tode.

Für eine Politik im Hinblick auf die Vermittlungslogik

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wie in Kapitel 3 beschrieben, die Folge einer allgemeinen Kritik an Planung und an Bürokratien ist. Womöglich verfügt jede Organisation über das Potenzial für eine Binnenlogik, die ihren zentralen Zwecken entgegenarbeitet. Der Soziologe Robert Michels, ein Student Max Webers, behauptete, das eiserne Gesetz der Oligarchie entdeckt zu haben, demzufolge in jeder Organisation die Macht zu den Wenigen strebt.331 Im Rahmen der Argumentation des vorliegenden Buches könnte man sagen, dass jede Organisation dazu tendiert, ein instrumentelles Verhältnis zu ihren Nutznießern zu entwickeln. Doch gibt es graduelle Unterschiede, und der spezifische Unterschied, den ich hier herausstellen wollte, ist der zwischen Organisationen, für die das Engagement für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe optional ist, und jenen, für die es das nicht ist. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Streben nach Selbstorganisation, das durch oligarchische Tendenzen begrenzt werden mag, und Versuchen, Hilfe zu leisten, die durch den von mir beschriebenen Projektmarkt vermittelt werden. Die mit dem Projektmarkt verbundenen Probleme verschärfen sich, je mehr Menschen besitzlos und entrechtet sind – je mehr Menschen also von dem abgeschnitten sind, was sie brauchen – und je optionaler das Engagement der Organisationen, die auf diese Situation reagieren, für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe ist. Dieses optionale Engagement bringt neue Formen der Ungleichheit mit sich und schwächt das Vermögen von Menschen, Leistungserbringer zu verpflichten. Die humanitäre Hilfe ist ein Extremfall des Marktes für Projekte, aber einer, der Lehren für andere, weniger extreme Fälle bereithält. Projektmärkte untergraben in zunehmendem Maße auch die soziale Absicherung innerhalb nationaler Grenzen, selbst in wohlhabenden Ländern. Projektmärkte entstehen in der innerstaatlichen Sozialfürsorge, sobald die Verwaltungen Programme ausschreiben, deren Ressourceneinsatz in keiner Beziehung zum gesamten Bedarf im gesamten Staatsgebiet steht, und sobald die Maßnahmen nicht auf eine Abdeckung der gesamten Bevölkerung zielen, sondern auf einen Wettbe-

331 Michels, Soziologie des Parteiwesens.

Schluss

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werb zwischen Leistungserbringern, der automatisch einen Wettbewerb zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen einschließt. Die Fragen, mit denen uns das vorliegende Buch zurücklässt, lauten mithin: Welche unterschiedlichen Beziehungen zu fernem Leid lassen sich insgesamt beobachten, wenn wir auf die Dynamiken von Organisationen und Feldern achten? Was sind ihre jeweiligen Konsequenzen? Welche Bedingungen prägen ihre weltweite Verteilung? Welche würden wir unter welchen Umständen vorziehen? Wie könnten wir die eine Bedingung statt einer anderen herstellen? Welche Strategien könnte es geben, um den Markt für Projekte zu umgehen? Ich kann diese Fragen hier nicht beantworten. Es lohnt aber die Feststellung, dass es Wege zur Organisation von Versorgung gibt, die sich fundamental vom Markt für Projekte unterscheiden. Der Aufbau staatlicher Institutionen, deren Zweck es ist, Rechte statt Ergebnisse zu garantieren, war stets eine Methode, um Formen der Versorgung mit Formen der Rechenschaftspflicht zu verknüpfen. Selbstorganisation kann vielleicht der Macht am Arbeitsplatz, in Gemeinschaften und Haushalten begegnen und das Ausmaß an symbolischem Kapital begrenzen, das dort aus den Menschen herauszuziehen ist. Die Solidarität innerhalb der globalen Arbeiterbewegung, die auf solchen Versuchen zur Selbstorganisation aufbaut, ist ein Beispiel für eine andere Form von Beziehung zu fernem Leid. Es gibt in der Welt der humanitären Hilfe meines Wissens nicht eine einzige Initiative, die sich speziell mit dem Aspekt des Marktes für Projekte auseinandersetzt – die Reformprojekte, die ich diskutiert habe, verfolgen etwas andere Ziele. Aber es gibt zahlreiche Bemühungen von NGO -Mitarbeitern und anderen, nicht an eine bestimmte Organisation gebundenen Akteuren im Feld, die sich dem Projektmarkt widersetzen und ihn mitsamt den Bindungen, die er impliziert, unterlaufen. Es gibt nicht wenige praktische Entscheidungen, die im Rahmen der alltäglichen Praxis von Organisationen ins Gewicht fallen. Natürlich gibt es Bestrebungen innerhalb einzelner Hilfswerke und in der humanitären Welt insgesamt, die darauf zielen, Projekte sinnvoller anzulegen und ein langfristigeres Engagement zu gewährleisten – im Rahmen der Zwänge der Projektfinanzierung und manchmal darüber hinaus. Es gibt ebenfalls Bestrebungen individueller wie kollektiver Natur, sich der extremeren Formen symbolischer Profitmacherei auf

Für eine Politik im Hinblick auf die Vermittlungslogik

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Kosten hilfsbedürftiger Bevölkerungen zu entschlagen. So gibt es beispielsweise Stimmen, die darauf drängen, dass mehr Formen der lokalen Beteiligung als Arbeit anerkannt und bezahlt werden.332 Die Art von Engagement zu verändern, das Projekte implizieren, zählt zu den Bemühungen jener lokalen Mitarbeiter, die gegen die Bedingungen protestieren, unter denen sie beschäftigt werden, wie etwa die Freiwilligen in einem Programm zur augenärztlichen Versorgung, das Ari Samsky untersucht hat,333 oder die liberianischen Sicherheitskräfte, die MSF France 2007 wegen unfairer Arbeitspraktiken vor Gericht brachten.334 Auch sollte es uns nicht überraschen, wenn Hilfeempfänger gelegentlich Hilfe verweigern oder versuchen, ihre Bedingungen neu zu verhandeln.

332 Vgl. hierzu Farmer, »Making Human Rights Substantial«. 333 Samsky, »›Since We Are Taking the Drugs‹«. 334 Weah, »Aggrieved MSF-France Workers Demand Justice«.

Methodischer Anhang

Forschungsdesign Dieses Buch stützt sich auf Materialien unterschiedlichster Art, darunter Archivquellen, Berichte, Beobachtungen in Schulungsveranstaltungen für humanitäre Helfer, Hintergrundinterviews und ausführliche Experteninterviews. Die Forschungsarbeiten wurden in einem Zeitraum von fünf Jahren zwischen 2005 und 2010 durchgeführt. Ich wollte verstehen, wie humanitäre Hilfswerke arbeiten, und interessierte mich für die alltäglichen Praktiken ihrer Manager. Formal gesehen verfolgten meine empirischen Untersuchungen zwei Ziele. Das erste war die Überprüfung der Hypothese, dass es eine den Hilfsorganisationen gemeinsame praktische Logik gibt, die einen Einfluss auf die Verteilungsentscheidungen hat und relativ unabhängig von den absoluten Bedürfnissen vor Ort oder den geäußerten Präferenzen einer Geberinstitution ist. Die Hypothese für dieses erste Ziel lässt sich wie folgt formulieren: H0a: Verteilungsentscheidungen richten sich nach den Bedürfnissen. H0b: Verteilungsentscheidungen richten sich nach den Interessen der Geberinstitutionen. H1: Praktiken, die den Hilfswerken gemeinsam sind, vermitteln zwischen Bedürfnissen und Interessen auf der einen und Ergebnissen auf der anderen Seite. Die Diskussion über die humanitäre Hilfe verläuft manchmal so, als seien H0a und H0b ernsthafte Möglichkeiten, und deswegen glaube ich, dass es wichtig ist, meine zentrale Behauptung sehr klar zu formulieren. Ich gebe aber auch zu, dass es soziologisch gesehen relativ leicht ist, gegen H0a und H0b zu argumentieren. Das eigentlich Interessante sind die Details von H1. Wenn erst einmal bewiesen ist, dass die Prak-

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tiken eine Rolle spielen, stellen sich die folgenden Fragen: Welche Art von Praktiken teilen diese Organisationen? Wer genau teilt sie? Auf welche Weise wirken sie sich aus? Mein zweites Ziel bestand mithin darin, die praktische Logik dieses Raumes soziologisch zu beschreiben und die Grenzen dieses gemeinsamen sozialen Raumes zu erforschen. Im Zuge dieser Untersuchung interviewte ich Menschen mit einer ganz bestimmten Funktion in verschiedenen Organisationen und befragte sie zu ihren alltäglichen Arbeitsgewohnheiten. Ich interviewte fünfzig Länderreferenten und Programmleiter in sechzehn der weltweit größten Hilfs-NGO s. Meine Interviewpartner, die Länderreferenten und Programmleiter, sind nicht repräsentativ für humanitäre Helfer schlechthin, und es ging mir auch nicht darum, eine repräsentative Stichprobe sämtlicher humanitären Helfer zusammenzustellen. Ich sprach vielmehr mit dieser besonderen Gruppe von Entscheidungsträgern, weil sie eine Position von großer praktischer Bedeutung einnehmen. Ihre Büros sind nur ein Ort des Geschehens, den man im Zusammenhang mit einer Soziologie des Humanitarismus erkunden kann – man könnte sich beispielsweise auch auf die Vereinten Nationen oder auf lokale Organisationen konzentrieren –, und nur ein Ort, um humanitäre Hilfs-NGO s zu studieren – man könnte beispielsweise spezifische Interventionen im Feld untersuchen. Doch sind diese Büros ein überaus interessanter und strategisch günstiger Schauplatz, um das Feld der humanitären Hilfsorganisationen in Augenschein zu nehmen. Ich habe Länderreferenten und Programmleiter interviewt, weil sie eine entscheidende Mittlerrolle zwischen der strategischen Planung in den Zentralen und der täglichen Leitung der Einsätze im Feld spielen. Die Programmabteilung einer humanitären Hilfsorganisation beaufsichtigt in der Regel deren weltweite Aktivitäten in Zusammenarbeit mit den Landesdirektoren. Sie bildet den Mittelpunkt der ausgehenden Finanzströme der Organisation. Die Programmabteilungen humanitärer Hilfswerke sind in verschiedene Regionen oder »Länderreferate« unterteilt. Ein Länderreferent leitet die Programme in mindestens einem, meistens aber in mehreren Ländern. Hier werden Entscheidungen vorbereitet und umgesetzt, und hier finden sich die detailliertesten Kenntnisse interner Strukturen und Ereignisse, nicht auf der höchsten Ebene der organisatorischen Hierarchie. Entscheidungen auf dieser Ebene bilden auch den Rahmen für die Umsetzung vor Ort.

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Ich fragte die Länderreferenten nach ihrer Arbeit, ihren alltäglichen Praktiken, und hakte wenn möglich nach, um Details zu erfahren. Ich versuchte das gemeinsame praktische Wissen und die gemeinsamen Interpretationsraster dieser Gruppe von Managern offenzulegen. Mit diesem Forschungsdesign stehe ich in der speziellen Tradition des Experteninterviews mit Wurzeln in der Wissenssoziologie.335 Viele Interviewstudien stellen die Begegnung mit dem Befragten in Zusammenhang mit seiner Biografie.336 Expertinneninterviews unterscheiden sich von solchen lebensgeschichtlichen Interviews. In den Experteninterviews, die ich hier geführt habe, werden die Erfahrungen und die Orientierung der Befragten nicht vorrangig auf den Zusammenhang mit ihrer Lebensgeschichte bezogen, sondern vielmehr im institutionellen Kontext ihrer Arbeit analysiert. Ich war nicht nur an der oder dem einzelnen Interviewten interessiert, sondern an Annahmen und Interpretationsschemata, die sie oder er womöglich mit bestimmten anderen teilt. Ziel und Zweck des Experteninterviews sind das praktische Wissen und die gemeinsamen Interpretationsrahmen einer Gruppe von Fachkräften. Während Experten manchmal interviewt werden, damit sie Informationen zu einem Themenbereich geben, in dem sie als Beobachter bewandert sind, habe ich die Länderreferenten nach ihrer eigenen Praxis befragt. Ihre praktische Kenntnis von organisatorischen Prozessen, in die sie selbst einbezogen sind, bildete das Ziel meiner Untersuchung. Ich war nicht an ihrem Wissen interessiert, weil es »besser« ist, sondern weil es von besonderer praktischer Bedeutung und ausgesprochen folgenreich ist, schließlich sind sie es, die Entscheidungen treffen. Ich zielte auf die Population der Länderreferenten und Programmleiter in einer informierten Stichprobe von Hilfsorganisationen. Ich wollte etwas über die größten und einflussreichsten westlichen Hilfswerke erfahren. Zwar gibt es viele humanitäre Organisationen in vielen verschiedenen Weltgegenden, bezüglich ihrer Finanzausstattung aber 335 Bogner/Littig/Menz (Hg.), Interviewing Experts; sowie Meuser/Nagel, »ExpertInneninterviews«. 336 Interessante lebensgeschichtliche Untersuchungen zu verwandten Fragen bietet Lewis, »Tidy Concepts«.

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ist dies ein ausgesprochen konzentrierter Sektor. Ein erheblicher Anteil der finanziellen Mittel für humanitäre Hilfe fließt durch die größten Organisationen, weshalb es wichtig ist, dass wir verstehen, wie sie arbeiten.337 Da ich auch die Grenzen dieses Praxisfeldes vermessen wollte, nahm ich mir eine Palette von Organisationen vor, zwischen denen man gewisse Unterschiede erwarten durfte. Ich bezog religiöse und nichtreligiöse Organisationen ein, Organisationen unterschiedlichen nationalen Hintergrunds und Organisationen mit verschiedenen technischen Fachgebieten, zudem solche mit Verbindungen zu größeren Organisationsfamilien und solche ohne. Meine Interviewpartner arbeiteten für diverse Hilfswerke, darunter ACF France, ACF UK , CAFOD UK , CARE International, CARE USA , Christian Aid (UK ), IKRK , IFRC (Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften), Save the Children UK , Save the Children US , Tearfund UK , UMCOR (United Methodist Committee on Relief) und World Vision International. Ich kontaktierte Länderreferenten und Programmleiter direkt anhand öffentlich verfügbarer Angaben oder auf Hinweis anderer Befragter. Meine halb strukturierten Interviews mit Länderreferenten führte ich so weit wie irgend möglich persönlich. In zwei Fällen, wo ich andernfalls eine Absage bekommen hätte, wurden die Interviews telefonisch geführt, und in einem Fall per Skype. Die Länge der Interviews betrug zwischen einer Stunde und 100 Minuten. Mit Erlaubnis der Beteiligten wurden alle Gespräche aufgezeichnet. Die von mir befragten Personen waren auf einer Vielzahl von Wegen in ihre Positionen gekommen. Viele ältere Mitarbeiter waren ursprünglich in der Entwicklungszusammenarbeit tätig gewesen und in die humanitäre Hilfe gewechselt, weil sie ihnen als unmittelbarer notwendig und nützlich erschien oder weil sich der Schwerpunkt von Geldgebern verlagert hatte. Einige der jüngeren Mitarbeiter hatten den Beruf des humanitären Helfers gezielt angestrebt. Manche hatten einen speziellen fachlichen Hintergrund als Ärzte, Krankenpfleger, Wasserbauingenieure oder Ernährungsexperten; manche waren aus Managementpositionen in der Privatwirtschaft, andere vom Militär 337 Vgl. Walker/Pepper, Follow the Money; Zhao u.a., »Assortativity Patterns«.

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gekommen. Als ich sie traf, saßen diese Manager in New York, Atlanta, London, Paris, Genf oder Brüssel; sie alle hatten aber Erfahrungen mit der Durchführung von Programmen im Feld, und sie alle reisen immer noch regelmäßig an Einsatzorte im globalen Süden. Sie äußerten sich mit erstaunlicher Offenheit und Reflexivität über eine Arbeit, die sie gut kannten und über die sie viel nachgedacht hatten. Bei der Analyse der Gesprächstranskripte ging es mir darum, allgemein geteilte Kategorien und Annahmen ausfindig zu machen. Jedes Interview wurde zuerst auf Kodes oder Stichworte untersucht, die aus ihm hervorstachen. Während bei narrativen Interviews die Priorität auf der Abfolge oder der unantastbaren Logik des Einzelinterviews liegt, lag das Augenmerk hier auf der Suche nach gemeinsamen Themen und einheitsstiftenden Kodes und Stichwörtern. Die Ergebnisse der thematischen Vergleiche wurden am Text und am gesamten Datensatz überprüft. Ich sondierte das Material nach Gemeinsamkeiten, hielt aber auch Abweichungen, Widersprüche und Besonderheiten fest. Bei diesem Forschungsdesign hängen Zuverlässigkeit und Stichhaltigkeit an der geteilten sozialen Position der Befragten und am Interviewleitfaden. Die Methode führt zu zuverlässigen Ergebnissen (das heißt Ergebnissen, die durch andere Forscher repliziert werden können) und stichhaltigen Ergebnissen (das heißt solchen, die in Bezug auf die zugrunde liegende Realität sinnvoll sind), wenn die ausgewählten Befragten eine relevante Zielgruppe für diese Forschung bilden, wenn es eine Form von gemeinsamem praktischem Wissen gibt und wenn die Fragen in Bezug auf dieses praktische Wissen sinnvoll sind. Meine ersten Erfahrungen mit diesem Projekt machten deutlich, dass man diese Bedingungen der Verlässlichkeit und Stichhaltigkeit einerseits nicht als selbstverständlich ansehen kann, dass andererseits die Annahmen, auf denen das Forschungsdesign basiert, falsifizierbar sind. Als ich begann, dieses Projekt zu entwerfen, führte ich einige Pilotbefragungen mit Mitarbeitern in der humanitären Hilfe in einer Reihe von Rollen durch und stellte eine Reihe von Fragen; mit anderen Worten, meine Stichprobe war zufällig, und auch meine Fragen waren nicht sehr zielgerichtet. Wenn die Antworten der Interviewten stark voneinander abweichen, wenn sie keinerlei gemeinsame Annahmen über Routinen und Verfahren offenbaren oder wenn die Fragen den

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Befragten nicht sinnvoll erscheinen, dann sind die Bedingungen der Stichhaltigkeit nicht erfüllt. In den frühen Phasen der Befragungen beobachtete ich auch 100 Stunden Schulungseinheiten zu professionellen Standards und zur Bedarfsanalyse. Der Besuch dieser Lehrgänge ermöglichte es mir, an Simulationen von Einsatzplanungen teilzunehmen und mitzuerleben, wie erfahrene Profis in Simulationen von Katastrophenszenarien miteinander interagierten. Diese Beobachtungen gingen in mein Forschungsdesign und meine Interviewfragen ein. Meine Fragen zielten auf Entscheidungsprozesse, implizites praktisches Wissen, Relevanzstrukturen und ungeschriebene Verfahrensweisen. Eine Liste von Fragen findet sich am Ende dieses Anhangs; vollständig ist sie nicht. Wenn sich eine Gelegenheit bot, hakte ich vielmehr nach, um Beispiele und weitere Erläuterungen zu bekommen. Interviewforschung wirft manchmal die Fragen auf, ob die Interviewten die Wahrheit sagen und wie sich das, was sie sagen, zur zugrunde liegenden Realität verhält. Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass es unterschiedliche Forschungsdesigns in unterschiedlicher Weise mit dieser Problematik zu tun bekommen. Fragen wir die Interviewten nach Tatsachen, Werten oder Meinungen, ist die Herausforderung eine andere, als wenn wir sie nach Praktiken und Geschichten fragen. Nach Praktiken und Verfahren zu fragen, beseitigt das Stichhaltigkeitsproblem nicht, entschärft es jedoch. Interviews zu Praktiken führen zu einer Reihe von dialogischen Situationen zwischen Interviewerin und Befragten, die über das Faktische hinaus Bedeutung haben und die Abhängigkeit der Forscherin von faktischen Korrekturen verringern. Vielleicht macht jemand falsche Angaben zu seinem Einkommen, wenn er für eine Erhebung befragt wird, sodass wir, wenn wir nach dem Einkommen fragen und diese Angabe falsch ist, nicht viel in Erfahrung gebracht haben. Es wird Befragten aber schwerer fallen, sich ein ganzes alternatives alltägliches Arbeitsleben mit konkreten Geschichten auszudenken. Wenn wir nach Verfahren und Praktiken fragen und in den Antworten einige technische Details ausgelassen oder in tendenziöser Weise wiedergegeben werden, haben wir immer noch wertvolle Einsichten erlangt. In diesem Sinn gleicht das Fragen nach Erlebnissen eher der un-

Interviewleitfaden

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mittelbaren Beobachtung als der Umfrageforschung oder Fragen nach Werten, Ideen oder Ansichten, obwohl es womöglich der direkten Beobachtung an Praxisnähe nie gleichkommt, weil es die Interviewten aus dem Kontext ihrer Arbeit herauslöst. Und natürlich verlieren wir, verglichen mit der ethnografischen Beobachtung, an Tiefe; doch profitieren wir wiederum davon, dass wir Einblicke in eine ganze Reihe von Organisationen gewinnen. Über die ausführlichen Interviews und meine Beobachtungen hinaus führte ich auch Hintergrundinterviews und las Berichte, Dokumente, Evaluationsstudien und Positionspapiere. Aus ihnen bezog ich Beschreibungen der humanitären Praxis, die ich mit den Befunden meiner Interviewdaten abgleichen konnte. Sie verhalfen mir auch zu Einblicken in einige Schauplätze, die meine Interviews nicht abdeckten, so wie die offiziellen Präsentationen humanitärer Hilfe, die Arbeit unabhängiger Berater und die Praktiken in den Außenstellen. Ich arbeitete zudem in den Archiven der Präsidenten Lyndon B. Johnson und John F. Kennedy, um die Geschichte der erfolgsorientierten Verwaltung in den Vereinigten Staaten zu studieren.

Interviewleitfaden Was ist Ihre gegenwärtige Funktion? Wie sieht ein typischer Bürotag für Sie aus? Wie kamen Sie ursprünglich zur humanitären Hilfe? Warum sind Sie dabeigeblieben? Warum haben Sie sich für eine berufliche Laufbahn auf diesem Gebiet entschieden? Würden Sie sagen, dass sich Ihre Organisation von anderen Organisationen unterscheidet? Welche Überlegungen fließen in die Entscheidung ein, irgendwo ein Projekt zu beginnen? Was macht Ihrer Meinung nach eine Notlage aus? Wie entscheiden Sie über die Größe eines Projektes? Wie entscheiden Sie, welche Art von Leistungen Sie erbringen werden? Welche Überlegungen gehen in die Auswahl eines Einsatzortes ein? Welche Überlegungen gehen in die Zielbestimmung einer humanitären Intervention ein?

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Welche Überlegungen gehen in die Beendigung eines Projektes an irgendeinem Ort ein? (Falls zutreffend:) Welche Überlegungen gehen in die Wahl eines Partners ein? Wie bestimmen Sie Ihre strategischen Prioritäten? Wie haben sie sich verändert? Mich interessiert, was Ihrer Meinung nach ein gutes Projekt ausmacht. Erzählen Sie mir doch bitte von einem Projekt, das Sie für besonders gut hielten, und warum das so war. Mich interessiert, was Ihrer Meinung nach einen guten Förderantrag ausmacht. Erzählen Sie mir doch bitte von einem Förderantrag, den Sie für besonders gut hielten, und warum das so war. (Falls zutreffend:) Mich interessiert, was Ihrer Meinung nach eine gute Partnerorganisation ausmacht. Erzählen Sie mir doch bitte von einer Partnerorganisation, die Sie für besonders gut hielten, und warum das so war. Können Sie mir von einem Projekt erzählen, das nicht so gut lief? Können Sie mir etwas über Meinungsverschiedenheiten erzählen, die Sie mit Kollegen über bestimmte Entscheidungen hatten? Würden Sie sagen, dass sich Ihre Organisation verändert hat? Und wenn ja, wie? Würden Sie sagen, dass sich die humanitäre Hilfe verändert hat? Und wenn ja, wie? Welche Veränderungen sähen Sie gerne?

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11

Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14

Die Zentrale einer Hilfsorganisation Logistische Dilemmata in der humanitären Hilfe Smythes Neufassung des Produkts in der Medienproduktion Hilfeempfänger als Ware Vier Kategorien gemeinnütziger Unternehmen Die Neufassung des Tausches durch Mauss Die Neufassung des Tausches durch Marx Der Tausch im Markt für humanitäre Hilfsprojekte Der Logframe Abgrenzungen im Rahmen der säkularen NGO -Traditionen Das politische Spektrum humanitärer Akteure und ihre Einstellung zu traditionellen Grundsätzen humanitären Handelns Kognitive Karte großer internationaler NGO s Reinheit und Verunreinigung im humanitären Feld Unterscheidungen zwischen den Praktiken in der Menschenrechtsarbeit und in der humanitären Hilfe

Tabelle 1 Logframe (Logical Framework Matrix) von ECHO (2004) Tabelle 2 Reforminitiativen der humanitären Hilfe seit 1990

35 47 58 58 64 80 81 81 96 147

147 148 150 198

98 170

Danksagung

Dieses Buch hat seinen Ursprung in einer Reihe von Seminaren zur humanitären Hilfe, die Craig Calhoun und Michael Barnett für das Social Science Research Council organisierten, das ich 2004 erstmals besuchte. Die Seminare brachten Wissenschaftler und Praktiker und mit ihnen einige der besten Köpfe des Feldes im Großraum New York City zusammen. Es war ein Privileg für mich, ihren Diskussionen beizuwohnen. In den folgenden Jahren suchten Experten der humanitären Hilfe in äußerst verantwortungsvollen Positionen nach Lücken in ihren Terminkalendern, um die Zeit zu finden, meine Fragen zu beantworten. Ich danke meinen Interviewpartnern für die Großzügigkeit, mit der sie mir ihre Zeit geopfert haben und mich an ihren Erfahrungen und Überlegungen teilhaben ließen. Betreuer und Kollegen an verschiedenen Institutionen boten den notwendigen Kontext für mein Vorhaben. In meiner Zeit an der New York University hatte ich das unglaubliche Glück, die Anleitung und Ermutigung einer Reihe von Betreuern genießen zu dürfen, die eine Emigration wert sind. Craig Calhoun überrascht mich immer wieder – mit der Breite seines Wissens, der Genauigkeit seines Denkens und den unglaublich vielen Dingen, die er in einen 24-Stunden-Tag packen kann. Die Großzügigkeit, mit der er mich von seinen Ideen und seiner Vision, aber auch von seiner Zeit, seinem Verständnis und seiner Urteilskraft profitieren ließ, erfüllt mich mit Dankbarkeit. Dieses Buch und auch meine Herangehensweise an viele andere Themen verdanken ihm viel. Darüber hinaus war es eine Ehre, Richard Sennett über Jahre beim Denken, Schreiben und Lehren erleben zu können. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich über zwei Kontinente hinweg (und zurück) auf seinen Rat zählen durfte. Ich danke Neil Brenner für seine Ernsthaftigkeit, seinen Enthusiasmus und seine Ermutigung. Eric Klinenberg, immer herausfordernd und klug, war seit meiner ersten Woche an der

Danksagung

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New York University ein mustergültiger Betreuer. Harvey Molotch dient mir als Vorbild für einen perfekten Auftritt. Dank schulde ich auch Juan Corradi, David Garland, Jeff Goodwin, Steven Lukes, Mary Nolan, Chris Pickvance, Andrew Ross, Chris Shilling, Miri Song und Judith Stacey. Teilnehmer am Nylon-Workshop und an anderen Gruppen der New York University waren gute Freunde und wunderbare Kollegen: Danken möchte ich Melissa Aronczyk, Claudio Benzecry, Nandi Dill, Matthew Gill, Alexandra Kowalski, Noah McClain, Erin O’Connor, Olga Sezneva, Owen Whooley, Marion Wrenn, Grace Yukich, Sarah Damaske, Neal Caren und Dorit Geva. Eine Schreibgruppe mit Samantha MacBride und Robin Nagle sowie Ideengruppen mit Michael McQuarrie und Aaron Panofsky, später mit Claire DeCoteau und Isaac Reed, halfen mir, auf Kurs und inspiriert zu bleiben. Aaron Major, Noortje Marres, Linsey McGoey, Daniel Menchik, Shani Orgad und Lisa Stampnitzki sind Freundinnen, die Kapitel in frühen Fassungen lasen und mit hilfreichen Anmerkungen versahen. Das Buch profitierte auch von Gesprächen mit Emily Barmann, Julian Go, John Mollenkopf, Iddo Tavory, Ann Swidler und Susan Watkins. Aysen Darcan half mir mit notwendigen Kenntnissen. Für ihre finanzielle Förderung möchte ich mich bei der Graduate School of Arts and Sciences der NYC , dem Academic Council on the UN System, der John F. Kennedy Library und der Lyndon B. Johnson Library bedanken. Ich weiß die Unterstützung, die ich von Bibliothekaren und Bibliothekarinnen erhielt, sehr zu schätzen und bin insbesondere Regina Greenwell von der Lyndon B. Johnson Library für ihre außerordentliche Großzügigkeit zu Dank verpflichtet, als sich das interessanteste Dokument, das nach wochenlanger Recherche aufgetaucht war, nicht unter meinen Aufzeichnungen fand. Bev Skeggs leitete den Fachbereich Soziologie am Goldsmiths College der University of London, während ich das Manuskript abschloss, und hat sich einige Meriten für all die interessanten Dinge erworben, die dort stattfinden. Dankbar bin ich auch Dominick Bagnato, Candyce Golis und Jamie Lloyd sowie Jennie Munday und Simon Sharville, die mir halfen, die Endfassung zu erstellen. Zwei Gutachter für die University of Chicago Press machten ausgesprochen umsichtige Anmerkungen, die mir halfen, das Manuskript

Danksagung

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zu verbessern. Besonders dankbar bin ich dem Gutachter, der auf den letztlichen Titel des Buches kam. Im Verlag danke ich Douglas Mitchell – natürlich für sein Interesse an diesem Projekt, aber auch für seine Vision ganz allgemein – sowie Timothy McGovern und Marian Rogers. Dankbar bin ich meiner Familie und den Freundinnen und Freunden, die wie eine auswärtige Familie für mich geworden sind. Ich danke Jill Conte, Sarah Kaufman, Julia Loktev, Michael Palm und Eric Robinson in New York, Tricia Lawler in Istanbul sowie Will Davies, Susanne Hakenbeck, Javier Lezaun und Ann Kelly in London. Ich hätte dieses Buch auch ohne Michael Guggenheim schreiben können. Ich bin ihm dankbar dafür, dass er mich viel glücklicher gemacht hat, als ich es mir je hätte vorstellen können, und bin unserer Tochter, Hani, dankbar dafür, dass sie mit ihrer Geburt wartete, bis ich die Überarbeitung des Manuskripts abgeschlossen hatte, und heute bei uns ist.

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Zur Autorin

Monika Krause, PhD, lehrt Soziologie an der London School of Economics and Political Science. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kultursoziologie, politische Soziologie, Organisationssoziologie, soziologische Theorie; Menschenrechte und Humanitarismus; globale Interventionen.