Das französische Arbeitsunfallrecht: Eine Darstellung mit rechtsvergleichenden Hinweisen zum deutschen Arbeitsunfallrecht [1 ed.] 9783428448975, 9783428048977

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Das französische Arbeitsunfallrecht: Eine Darstellung mit rechtsvergleichenden Hinweisen zum deutschen Arbeitsunfallrecht [1 ed.]
 9783428448975, 9783428048977

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Brigitte Namgalies Das französische Arbeitsunfallrecht

STUDIEN AUS D E M I N S T I T U T F Ü R I N T E R N A T I O N A L E S

RECHT

A N DER U N I V E R S I T Ä T KIEL Herausgegeben von Prof. Dr. W i l h e l m A. K e w e n i g

8

Das französische Arbeitsunfallrecht Eine Darstellung mit rechtsvergleichenden Hinweisen zum deutschen Arbeitsunfallrecht

Von Dr. Brigitte Namgalies

D U N C K E R

& HUMBLOT

/

BERLIN

Alle Rechte, einschließlich das der Ubersetzung, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus in irgendeiner Weise zu vervielfältigen. © 1981 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1981 bei fotokop Wilhelm weihert, Darmstadt Printed in Germany ISBN 3 428 04897 0

Vorwort Diese Arbeit lag im Wintersemester 1979/80 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation vor. Das Manuskript wurde im September 1979 abgeschlossen. Ich möchte an dieser Stelle allen denen danken, die zum Zustandekommen der Dissertation und ihrer Veröffentlichung beigetragen haben. Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Dr. Eugen D. Graue, der mir die Anregung zu dieser Arbeit gab und sie durch vielfältige Hinweise förderte. Sehr zu danken habe ich ebenfalls Herrn Professor Dr. Wilhelm A. Kewenig, der die Aufnahme der Arbeit in die vorliegende Studienreihe ermöglichte. Schließlich möchte ich der Universität Kiel meinen Dank für die Vermittlung einer großzügigen Druckkostenbeihilfe des Landes Schleswig-Holstein aussprechen. Kiel, im September 1980

Brigitte Namgalies

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Α.

Β.

19

Die geschichtliche Entwicklung der französischen Arbeitsunfallgesetzgebung bis zum Code de la sécurité sociale

20

Die heutige Arbeitsunfallgesetzgebung: Anwendungsbereich und Leistungen — mit vergleichenden Bemerkungen zum deutschen Recht

35

I.

Die geschützten Personen 1. Der Kreis der begünstigten Personen

II.

35 35

a)

Historischer Überblick

35

b)

Der Arbeitsvertrag als Voraussetzung einer Mitgliedschaft

36

aa) Die Meinung in der Literatur

37

bb) Die Meinung des Obersten Gerichtshofes

39

c) d)

Vergleichende Bemerkungen zum deutschen Recht . . . . Die kraft Gesetzes den Arbeitnehmern gleichgestellten Personen

41 41

e)

Besondere nicht gesetzlich geregelte Einzelfälle

43

f)

Vergleichende Bemerkungen zum deutschen Recht . . . .

45

2. Sondersysteme der sozialen Sicherheit

46

3. Die freiwillige Versicherung

47

4. Ausländische Arbeitnehmer

48

Der Begriff

des Arbeitsunfalls

1. Der Unfall

48 48

a)

Die körperliche Schädigung

b)

Das Merkmal der Plötzlichkeit (soudaineté) des Ereignisses

51

c)

Das Merkmal des gewaltsamen Eintritts des Ereignisses

52

d)

50

aa) Die Rechtsprechung

52

bb) Die Meinung in der Literatur

52

Die Einwirkung von außen

53

aa) Die Rechtsprechung

53

nsverzeichnis bb) Besonderheiten krankheiten e)

der

Rechtsprechung

bei Berufs55

cc) Die Meinung in der Literatur

56

Zusammenfassender Vergleich

58

2. Der Zusammenhang zwischen Arbeit und Unfall

58

a)

Einführung

58

b)

Arbeitsort

61

c)

Arbeitszeit

63

d)

Zusammenfassung

67

e)

Besondere Einzelfallgruppen

68

aa) Arbeit außerhalb der Arbeitszeit und/oder des Arbeitsortes bb) Handeln aus Gefälligkeit und Ergebenheit sowie Aufopferungshandlungen

68 71

cc) Arbeiten außerhalb des Betriebes

72

dd) Handeln des Arbeitnehmers entgegen den Vorschriften des Arbeitgebers ee) Tätigkeiten ohne Bezug zur Arbeit

80 82

f)

Die Ursachen des Unfalls

83

g)

Kritik in der Literatur

86

3. Der Zusammenhang zwischen Unfall und Körperschädigung a) b) c)

III.

IV.

87

Fälle, in denen ein Zusammenhang zwischen Schaden und Unfall vermutet wird Fälle, in denen ein Zusammenhang zwischen Schaden und Unfall nicht vermutet wird

88 90

Die Meinung in der Literatur zur „présomption d'imputabilité" zwischen Unfall und Körperschaden

92

4. Beweisfragen und Vermutungen

93

Der Wegeunfall

97

1. Historischer Überblick

97

2. Der Begriff des Wegeunfalls

99

3. Abgrenzung zwischen Wegeunfall und dem Unfall nach allgemeinem Haftungsrecht

100

4. Beweisfragen und Vermutungen

106

5. Abgrenzung zwischen Wegeunfall und Arbeitsunfall

107

6. Die Meinung in der Literatur zu den Abgrenzungen

108

7. Vergleichende Bemerkungen zum deutschen Recht

109

Die Leistungen der Kassen nach Eintritt 1. Die Sach-und Dienstleistungen

des Arbeitsunfalls

.... 112

112

nsverzeichnis

9

2. Die Geldleistungen

C.

D.

113

a)

Das Tagegeld

113

b)

Die Rente

114

c)

Kapitalabfindungen

116

d)

Leistungen beim Tode des Versicherten

116

3. Vergleichende Bemerkungen zum deutschen Recht

119

a)

Die Sach- bzw. Naturalleistungen

120

b)

Die Geldleistungen

121

aa) Das Übergangsgeld

121

bb) Die Verletztenrente

122

cc) Leistungen beim Tode des Versicherten

125

Die Organisation der Verwaltung

129

I.

Die Versicherungsträger

II.

Die Finanzierung

133

Besondere Haftungslagen

134

I.

und ihre Aufsichtsorgane

Die Haftung für „faute intentionnelle"

beim Arbeitsunfall

1. Die Haftung des Arbeitgebers und seiner Angestellten a)

134 134

Der Begriff der „faute intentionnelle"

134

aa) Die „faute intentionnelle" in der Literatur

134

bb) Die „faute intentionnelle" in der Rechtsprechung

137

b) c)

Die Folgen der „faute intentionnelle" des Arbeitgebers Besonderheiten der Arbeitgeberhaftung bei „faute intentionnelle" des „préposé"

138

d)

Rückgriffsansprüche des Arbeitgebers und der Kassen. . .

142

2. „Faute intentionnelle" des Geschädigten

139 143

a)

Die Folgen der „faute intentionnelle"

b)

Der Begriff der „faute intentionnelle de la victime" . . . .

143

aa) Die Meinung in der Literatur

143

bb) Die Rechtsprechung

144

3. „Faute intentionnelle" eines Hinterbliebenen II.

129

Die Haftung fur „faute inexcusable " beim Arbeitsunfall 1. Der Begriff der „faute inexcusable"

143

146 147 147

a)

Historischer Überblick

b)

Die Definition in der neueren Rechtsprechung

147 149

aa) „Une faute d'une gravité exceptionnelle"

149

nsverzeichnis

c)

bb) „L'acte ou l'omission volontaire"

151

cc) „Le défaut d'un élément intentionnel"

151

dd) „La conscience du danger"

152

ee) „L'absence de toute cause justificative"

153

Die Beziehung zwischen „faute pénale" und „faute inexcusable"

154

2. Die Schadensurheber a)

b)

156

Besonderheiten der „faute inexcusable" des Arbeitgebers oder seiner Vertreter

156

aa) Die Bedeutung eines mitwirkenden Verschuldens des Geschädigten

158

bb) Die Folgen der „faute inexcusable" des Arbeitgebers oder seiner Vertreter

159

cc) Verfahrensrechtliches zur „faute inexcusable" des Arbeitgebers

162

„Faute inexcusable" des Geschädigten und deren Folgen

162

III.

Die Haftungslage

beim Wegeunfall

IV.

Die Haftungslage

bei Verschulden

164 eines Drittschädigers

165

1. Einführung

165

2. Der Begriff des Dritten

166

a)

Arbeitskollegen

166

b)

Leih- und Gruppenarbeitsverhältnisse

167

aa) „Travail en commun"

167

bb) „Prêt ou location de main d'oeuvre"

167

3. Der Rückgriff des Geschädigten gegen den Dritten

168

4. Der Rückgriff der Sécurité sociale gegen den Dritten

172

a) b)

Rechtliche Grundlagen des Rückgriffs

172

Der Umfang des Rückgriffsanspruches

174

aa) Begrenzung durch die Leistungen der Kassen

174

bb) Begrenzung durch die Höhe des zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches gegen den Dritten

177

5. Zusammenfassung der Regelungen zum Q u o t e n v o r r e c h t . . . .

179

Der Rechtsweg

180

I.

181

Das allgemeine Streitverfahren 1. „Le contentieux général de la sécurité sociale"

181

2. Prozeßvertretung und Kosten

184

nsverzeichnis II.

F.

Die besonderen Streitverfahren

11

- „Les contentieux spéciaux"

185

1. „Contentieux technique" nach Art. 193 Ziff. 1-4 . .

185

2. „Contentieux technique" nach Art. 193 Ziff. 5

186

3. Disziplinarverfahren oder „contentieux du contrôle technique"

187

4. Das ärztliche médicale"

188

Sachverständigengutachten

-

„L'expertise

Vereinheitlichung auf europäischer Ebene: Hinweise zum Schutz der Arbeitnehmer im Bereich der Europäischen Gemeinschaften

190

Anhang: Auszüge aus dem Code de la sécurité sociale

194

Schrifttumsverzeichnis

197

Abkürzungsverzeichnis a. Α. Abi. Abs. A.C.O.S.S. a. E. a. F. AN des RVA Anm. ann. AöR Art., art. Ass. plén. Aufl. Aug. Bayer. LSG BB BBG Bd. betr. BG BGB BGBl. BGH BKK BKVO Breith. BSG

= =

= =

= = =

= =

= = = = = = = = =

= = = = = = = = =

Buchst. BVerfGE

=

BVerwGE

=

Bull. civ.

=

=

anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Agence centrale des organismes de sécurité sociale am Ende alte Fassung Amtliche Nachrichten des Reichsverve rsiche rungsam te s Anmerkung annexe (Anlage zu den Annales de la Chambre des Députés/du Sénat) Archiv des öffentlichen Rechts Artikel, article Assemblée plénière Auflage August Bayerisches Landessozialgericht Der Betriebs-Berater Bundesbeamtengesetz Band betreffend Die Berufsgenossenschaft Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Die Betriebskrankenkasse Berufskrankheitenverordnung Breithaupt Bundessozialgericht/Entscheidungen des Bundessozialgerichts Buchstabe Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen des Bundesverwaltung* gerichts Bulletin des arrêts de la Cour de cassation, chambres civiles, zitiert nach

Abkürzungsverzeichnis

Bull. crim.

bzw. Cass. Cass. belg. Cass. civ. Cass. crim. Cass. req. Cass. soc. C. civ. C.F.D.T. C.F.T.C C.G.C. C.G.T. C.G.T.-F.O. Ch. Ch. mixte Chr. Ch. réun. ch.soc.

C.I. C.N.P.F. Comm. l r e inst. (séc. soc.) Comm. rég. appel séc. soc. Comm. rég. séc. soc. conci. C. pén. C. pr. pén. C. séc. soc. D.

13

Jahr (siehe Entscheidungsdatum), ggf. Teil, Nr., Seite Bulletin des arrêts de la Cour de Cassation, chambre criminelle, zitiert nach Jahr (siehe Entscheidungsdatum), ggf. Teil, Nr., Seite beziehungsweise Cour de cassation, Kassationshof Cour de cassation de Belgique, belgischer Kassationshof Cour de cassation, chambre civile Cour de cassation, chambre criminelle Cour de cassation, chambre des requêtes Cour de cassation, chambre sociale Code civil Confédération française et démocratique du travail Confédération française des travailleurs chrétiens Confédération générale des cadres Confédération générale du travail Confédération générale du travail - Force ouvrière Annales de la Chambre des Députés (Teil des J.O.) Chambre mixte Chronique Chambres réunies de la Cour de cassation chambre sociale Commerce et industrie Conseil national du patronat français Commission de première instance (de sécurité sociale) Commission régionale d'appel de sécurité sociale Commission régionale de sécurité sociale conclusions, Stellungnahme des Generalanwalts Code pénal Code de procédure pénale Code de la sécurité sociale Recueil Dalloz Sirey, Zeitschrift (ab 1945), zitiert nach Jahr, ggf. Teil, Seite; Teile:

14

D.A.

DAngVers DB D.C.

ders. Dez. dgl. D.H. d.h. dies. Doctr. Doc. pari.

DOK D.P.

Dr. soc. éd. E.D.F. EG EGKS EGStGB ENA EuM EWG F f./ff.

Abkürzungsverzeichnis

Chr. - Chronique Jurisprudence (nicht gesondert bezeichnet) L. — Législation Somm. — Sommaires de jurisprudence I.R. — Informations rapides = Recueil analytique, Zeitschrift (1941 bis 1944), zitiert nach Jahr, ggf. Teil (Jurisprudence nicht gesondert bezeichnet) und Seite = Die Angestelltenversicherung = Der Betrieb = Recueil critique Dalloz, Zeitschrift (1941 bis 1944), zitiert wie D.A. = derselbe = Dezember = dergleichen = Recueil hebdomadaire Dalloz, Zeitschrift (vor 1941), zitiert wie D.A. = das heißt = dieselben = Doctrine = Documents parlementaires, Teil der Annales de la Chambre des Députés/du Sénat, zitiert nach Jahr, Nr. der Anlage (ann.) und Seite = Die Ortskrankenkasse = Recueil périodique et critique Dalloz, Zeitschrift (vor 1941), zitiert nach Jahr, Teil und Seite = Droit social, Zeitschrift, zitiert nach Jahr und Seite = édition = Electricité de France = Europäische Gemeinschaften) = Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl = Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch = Ecole Nationale d' Administration = Entscheidungen und Mitteilungen des Reichsversicherungsamtes = Europäische Wirtschaftsgemeinschaft = Franc = folgende

Abkürzungsverzeichnis

Fase. Feb. févr. Fn. Gaz. Pal.

Gaz. Pal. T. Q.

G.D.F. gem. ggf. Gr. Senat Hbd. IAO i.d.F. insbes. I.R. i.S. i.V.m. Jan. J. cl. J.C.P.

J.C.P. (Jahreszahl) éd. C.I. J.O. JZ

15

= Fascicule, Abteilung eines Sammelwerkes = Februar = février = Fußnote = Gazette du Palais et du Notariat, Zeitschrift, zitiert nach Jahr, Semester (semestre), ggf. Teil und Seite; Teile: Doctr. — Doctrine Jurisprudence (nicht gesondert bezeichnet) Lég. - Législation Somm. — Sommaires (einschließlich: Panorama) = Gazette du Palais, Table alphabétique de cinq années et répertoire universel de la jurisprudence française, zitiert nach Jahren, Bd., Stichwort, Nr. = Gaz de France = gemäß = gegebenenfalls = Großer Senat = Halbband = Internationale Arbeitsorganisation = in der Fassung = insbesondere = Informations rapides = im Sinne = in Verbindung mit = Januar = Juris-classeur de la sécurité sociale, zitiert nach Fase, und Seite = Juris-classeur périodique (La Semaine juridique), édition générale, zitiert nach Jahr, Teil und Seite bzw. Nr.; Teile: I - Doctrine II — Jurisprudence III - Textes IV - Tableaux de Jurisprudence = wie J.C.P., édition commerce et industrie, zitiert nach Jahr und Nr. = Journal officiel = Juristenzeitung

16

krit. L. LSG MDR m.N. m.w.N. NJW Nr. no

Nov. Okt. R.A.T.P. Rdnr. Rdz. Rect. rég. Rép. dr. soc. et trav.

Rép. dr. trav.

Rev. crit.

Rev. fr. aff. soc. Rev. gen. ass. terr. Rev. trim. dr. civ.

RGZ RsprNr. RVA RVO S. S. (i.V.m. Jahreszahl)

Sept. SGB SGb

Abkürzungsverzeichnis

kritisch Legislation Landessozialgericht Monatsschrift für Deutsches Recht mit Nachweis(en) mit weiterem(n) Nachweis(en) Neue Juristische Wochenschrift Nummer numéro November Oktober Régie autonome des transports parisiens Randnummer Randziffer Rectificatif (Berichtigung) régional Encyclopédie juridique (Dalloz), Répertoire de droit social et du travail, zitiert nach Jahr und Nr. Encyclopédie juridique (Dalloz), Répertoire de droit du travail, zitiert nach Jahr und Nr. Revue critique de législation et de jurisprudence, Zeitschrift, zitiert nach Jahr und Seite Revue française des affaires sociales, Zeitschrift, zitiert nach Jahr und Seite Revue générale des assurances terrestres, Zeitschrift, zitiert nach Jahr und Seite Revue trimestrielle de droit civil, Zeitschrift, zitiert nach Jahr und Seite Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Nummer der Rechtsprechung (Entscheidung) Reichsversicherungsamt Reichsversicherungsordnung Seite/Satz Recueil Sirey (Recueil général des lois et des arrêts), Zeitschrift, zitiert nach Jahr, ggf. Teil und Seite September Sozialgesetzbuch Die Sozialgerichtsbarkeit

Abkürzungsverzeichnis

SGG S.N.C.F. s.o. sog. Somm. SozR Soz. Sich. Soz. Vers. Trib. civ. Trib. com. Trib. conflits Trib. grande inst. u. u.a. U.C.A.N.S.S. Urt. UVNG v.

vgl. vo

Vorbem. zahlr. z.B. Ziff. zit.

17

Sozialgerichtsgesetz Société nationale des chemins de fer français siehe oben sogenannte (-es, -er) Sommaires Sozialrecht Soziale Sicherheit Die Sozialversicherung Tribunal civil Tribunal de commerce Tribunal des conflits Tribunal de grande instance und/unten unter anderem Union des caisses nationales de sécurité sociale Urteil Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz von/vom vergleiche Verordnung Vorbemerkung zahlreich zum Beispiel Ziffer zitiert

Einleitung Im Zusammenhang mit den Harmonisierungsbestrebungen der Sozialversicherungssysteme innerhalb der Europäischen Gemeinschaften verstärkt sich die Beachtung der Sozialrechtsordnungen anderer Staaten, um eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Einblick in einen Teilbereich der sozialen Sicherung - der Arbeitsunfallgesetzgebung - unseres Nachbarstaates Frankreich zu geben. Daneben sollen rechtsvergleichende Hinweise auf das deutsche Recht der Veranschaulichung und dem Verständnis des französischen Rechts dienen, wobei die Kenntnis des deutschen Rechts im wesentlichen vorausgesetzt wird. Die Darstellung soll sich der Übersichtlichkeit halber auf die Grundlagen des Schadensausgleichs beschränken, deshalb wird darauf verzichtet, das Recht der Arbeitsunfallverhütung zu behandeln. Die Voraussetzungen und die Art und Weise der Entschädigung nach französischem Arbeitsunfallrecht sollen anhand zahlreicher Beispiele aus der Rechtsprechung aufgezeigt werden. Ein Auszug wesentlicher gesetzlicher Vorschriften zur französischen Arbeitsunfallgesetzgebung befindet sich im Anhang der Arbeit.

Α. Die geschichtliche Entwicklung der französischen Arbeitsunfallgesetzgebung bis zum Code de la sécurité sociale In vorindustrieller Zeit wurde der Schutz des einzelnen in Krankheits- oder Unglücksfällen in unterschiedlichem Maße durch die Familie, aber auch durch Handwerkszünfte, Gesellenvereine und ähnliche berufsständische Gemeinschaften gewährleistet. Daneben übten Kirche und König Wohltätigkeit als Ausdruck der Barmherzigkeit aus1. Es wurden aber auch Maßnahmen getroffen, die zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei einigen besonders gefährlichen, für das Volk aber bedeutsamen Berufen beitragen sollten. So war in einem auf Colbert zurückgehenden königlichen Erlaß von 1673 die Einbehaltung von 6 „deniers" pro Pfund vom Sold aller Seeoffiziere vorgeschrieben, um damit einen „fonds de retraite" zu schaffen. In einem Edikt Heinrichs IV. vom 16. Mai 1604 wurde angeordnet, in jedem Bergwerk einen Geldbetrag zu erheben, der zur Entlohnung des Wundarztes und für den Kauf von Medikamenten bestimmt ist, damit allen mittellosen Verletzten unentgeltlich geholfen werde und alle anderen durch dieses Beispiel von Barmherzigkeit zur Arbeit in besagten Bergwerken ermutigt werden 2 . Zur Zeit der Französischen Revolution von 1789 wurde eine neue Vorstellung von den Beziehungen des einzelnen zum Staat sichtbar, die auch eine neue Vorstellung der öffentlichen Armenpflege beinhaltete. Gegründet auf Ideen der Philosophen des 18. Jahrhunderts vertrat man die Auffassung, daß jeder Mensch in sozialer Notlage ein Recht auf staatliche Hilfe habe, die Gesellschaft in diesen Fällen eine Art Schuldnerstellung innehabe und sich diese Hilfe als Ergänzung des Arbeitsrechts (droit du travail) darstelle 3. Aufgrund dieser Vorstellung wurde im Jahre 1789 unter anderem ein Ausschuß zur Ausrottung des Bettlertums (Comité de Mendicité de l'Assemblée constituante) gebildet. Die Vorschläge dieses Ausschusses können als erster „Grundriß" der sozialen Sicherheit bezeichnet werden 4 . Diese Ideen konnten sich jedoch nicht durch1

Vgl. Dupeyroux, Droit de la sécurité sociale (Nr. 16), 29 f. Netter, F., Cours ENA 1962, nicht veröffentlicht, zitiert nach Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 16), 30, Fn. 3. 3 Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 17), 30 f.; siehe ferner Art. 21 der Erklärung der Menschenrechte vom 24. Juni 1793, abgedruckt (mit deutscher Übersetzung), in: Härtung, Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte von 1776 bis zur Gegenwart, 48. 4 So Dupeyroux, Entwicklung und Tendenzen der Systeme der sozialen Sicherheit in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften und in Großbritannien, 23. 2

Α. Die geschichtliche Entwicklung

21

setzen. Aufgrund der Theorie der Freiheit des Willens (l'autonomie de la volonté) und mit den Prinzipien von Freiheit und Gleichheit aller Menschen kam es zu dem berühmten Gesetz der sog. „Loi le Chapelier" vom 17. Juni 1791 s . In der Überzeugung, daß die Freiheit des einzelnen durch Zusammenschluß mehrerer gefährdet sei, wurden jegliche Vereinigungen von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern verboten. Dieses Verbot wurde erst am 21. März 1884 wieder aufgehoben 6. Durch die industrielle Revolution und das - infolgedessen — aufkommende Proletariat ergaben sich auch in Frankreich ständig wachsende soziale Mißstände. Es bildeten sich trotz des Vereinigungsverbotes sog. Hilfsvereine auf Gegenseitigkeit (sociétés de secours mutuels). Dies geschah zunächst mehr oder weniger im Verborgenen, dann unter strenger staatlicher Aufsicht, die erst im Jahre 1898 wieder völlig aufgehoben wurde 7 . Es wurde auch eine staatliche Versicherungskasse geschaffen, die jedoch wegen zu geringer Leistungen nur wenig Versicherte hatte 8 . Die sozialen Probleme blieben auch weiterhin ungelöst. Die staatliche Fürsorge sorgte ebensowenig für Abhilfe. Sie nahm im 19. Jahrhundert im Vergleich zum Absolutismus sogar deutlich ab; dies sollte sich erst gegen Ende des Jahrhunderts ändern 9. Für die unzähligen Opfer von Arbeitsunfällen bestand noch die Möglichkeit, eine Wiedergutmachung nach den Haftungsbestimmungen des Zivilrechts zu erreichen 10 . Der Ersatz des Schadens, der durch Arbeitsunfälle entstand, richtete sich nach Art. 1382 C. civ., der die bekannte Generalklausel für die Haftung aus vorsätzlicher Schadenszufügung enthält und auch heute Grundlage der Haftpflicht für eigenes Handeln im französischen Recht ist: „Tout fait quelconque de l'homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé, à le réparer." Ergänzt wurde diese Regelung durch den ebenfalls bis heute gültigen Art. 1383 C. civ. hinsichtlich der fahrlässigen Schädigungen: „Chacun est responsable du dommage qu'il a causé non seulement par son fait, mais encore par sa négligence ou par son imprudence." s

Vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 18), 32 f. D.P. 1884,4, 129 ff. (Art. 2). 7 Vgl. Dupeyroux, Entwicklung und Tendenzen, 28; Durand, La politique contemporaine de sécurité sociale (Nr. 13), 31; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 19), 35, m.w.N.; Kage, Der Risikogedanke im französichen Recht des Arbeitsunfalls, 26 ff. 8 Loi portant création de deux caisses d'assurances, l'une en cas de décés et l'autre en cas d'accidents résultant de travaux agricoles et industriels, Gesetz vom 11./15. Juli 1868, D.P. 1868, 4, 93; vgl. näher Tarbouriech, Droit romain: de la responsabilité contractuelle et délictuelle; droit français: des assurances contre les accidents du travail (1889), XVIII. 9 Vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 19), 36, dort auch Fn. 2. 10 Zur rechtlichen Lage des unfallgeschädigten Arbeitnehmers vgl. näher bei Kage, 14 ff. 6

22

Α. Die geschichtliche Entwicklung

Voraussetzung einer deliktischen Haftung sind danach ein Schaden, die haftungsbegründende Handlung (faute) 11 und ein Kausalzusammenhang zwischen beiden. „Faute" im Sinne des Art. 1382 C. civ. bedeutet zunächst die willentliche Schadenszufügung und im Sinne des Art. 1383 C. civ. auch die fahrlässige Schädigung12. Zwar scheiterte eine Haftung aus Art. 1382 C. civ. nicht schon daran, daß der Arbeitgeber im allgemeinen selbst nicht mehr an der eigentlichen Produktion beteiligt, sondern mit der Unternehmensführung beschäftigt war, denn nach Art. 1384 C. civ. (früher Abs. 3, heute: Abs. 5) haftet(e) der Arbeitgeber auch für das Verschulden eines „préposé". Unter „préposé" verstand man sowohl den „Betriebsbeamten" (wörtlich: „Vorgesetzter") als auch den einfachen Arbeiter. Dieser Grundsatz galt nicht für das gemeine Recht und die meisten deutschen Partikularrechte 13 . Der geschädigte Arbeitnehmer hatte aber — sowohl nach den letztgenannten Rechten wie nach dem Code civil - ein Verschulden des Arbeitgebers oder dessen Untergebenen und den Kausalzusammenhang zwischen deren Verschulden und der erlittenen Schädigung zu beweisen. Das Führen dieses Beweises war jedoch oft aussichtslos. Die Gründe für viele Unfälle blieben ungeklärt 14 , beruhten auf Zufall oder höherer Gewalt oder auch auf eigenem Verschulden des Geschädigten. Es handelte sich also weniger um „Unrechtsschäden", die durch ein vorwerfbares Verhalten Dritter entstanden waren, als vielmehr um „Unglücksschäden"15. Selbst wenn der Beweis geführt werden konnte, so half dies dem Geschädigten nicht, wenn der Schädiger zahlungsunfähig war. Zudem waren viele der Unfallopfer nicht imstande, die möglicherweise entstehenden Kosten für ein Gerichtsverfahren zu tragen und das Risiko einer Entlassung auf sich zu nehmen. So kam es häufig dazu, daß viele Unfälle unentschädigt blieben. Rechtsprechung und Lehre bemühten sich um eine Änderung dieser unerträglichen Lage. Ein erster Versuch, sich von der deliktischen Haftung zu lösen, ging von Seiten der französischen Doktrin aus. Einige Autoren vertraten die Theorie der 11

Zum vielschichtigen Begriff der „faute" vgl. Ferid, Das französische Zivilrecht, Bd. I, 2 M 43 ff. Der Begriff „faute" umfaßt die objektive Tatsache, die schadenstiftende Handlung an sich (fait), einschließlich der Rechtswidrigkeit und Elementen der Kausalität, ebenso wie die innere Tatsache, das Verschulden. 12 Mazeaud/Tunc, Traité théorique et pratique de la responsabilité civile délictuelle et contractuelle, Bd. I, Nr. 44 ff. 13 Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, 11. 14 In Frankreich werden diese Unfälle vielfach als „anonymes" bezeichnet, nach Josserand, De la responsabilité du fait des choses inanimées (1897), 3,105. 15 Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 50 ff., der die Begriffe Unrechts- und Unglücksschaden prägte; vgl. Gitter, 6.

Α. Die geschichtliche Entwicklung

23

„responsabilité contractuelle", wonach bei Arbeitsunfällen eine vertragliche Haftung des Arbeitgebers eintrete 16 . Im Arbeitsvertrag sei stillschweigend eine Sicherheitsverpflichtung des Arbeitgebers enthalten (um eine neuere Terminologie zu verwenden: im Sinne einer „obligation de résultat", d.h. einer auf einen Erfolg gerichteten Verpflichtung). Der Unternehmer sei verpflichtet, bei Vertragsende oder bei Ende der jeweiligen einzelnen Ausführung der Vertragsverpflichtungen, den Arbeiter unversehrt (sain et sauf), wie dieser eingestellt worden sei, wieder aus dem Betrieb zu entlassen. Anderenfalls habe der Arbeitgeber den Schaden zu ersetzen, es sei denn, daß ihn keinerlei Verschulden treffe. Dies könne durch den Nachweis des Unfalleintritts durch Zufall, höhere Gewalt oder ein Verschulden des Opfers geschehen. Andere Autoren vertraten eine weniger weitgehende Auffassung 17. Sie nahmen ebenfalls an, daß die Arbeitgeberhaftung einen vertraglichen Sicherungscharakter habe, jedoch nur in dem Sinne, daß der Arbeitgeber über die Sicherheit seiner Arbeiter zu wachen habe und sich verpflichte, alle möglichen und üblichen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Die Verpflichtung wäre in den Augen dieser Autoren aber nicht als „obligation de résultat" anzusehen, sondern mehr als eine „obligation de moyens" oder „obligation de prudence et de diligence", d.h. eine auf eine schlichte Tätigkeit abzielende Verpflichtung zu betrachten 18 . Ein Teil der Autoren beließ die Beweislast für die Nichterfüllung dieser Verpflichtung dem Geschädigten19. Diese „gemäßigte" Auffassung erhielt vereinzelt Zustimmung 20 . Im allgemeinen wurde aber die Theorie der „responsabilité contractuelle" in der Literatur kritisiert und von der Rechtsprechung abgelehnt 21 . 16 Die Begründer dieser Theorie waren die Rechtslehrer Sauzet, vgl. De la responsabûité des patrons vis-à-vis des ouvriers dans les accidents industriels, Rev. crit. 1883, 596 (608 ff.) und Sainctelette, vgl. De la responsabilité et de la garantie (1884), 140 ff. ; vgl. ferner Chavegrin, Anm. in S. 1896, 2, 225 (227 ff.); Esmein, Anm. in D.P. 1897, 1, 17; Baudry-Lacantinerie et Wahl, Traité théorique et pratique de droit civil, Bd. XXI und XXII, Du contrat de louage, Teil 2 (1907), 139; Levasseur in: Encyclopédie juridique (Dalloz), Répertoire de droit social et du travail, Bd. I, A-F, Stichwort: „Accidents du travaü", 1960, Nr. 3; dazu auch ausführlich Kage, 35 ff. 17 Ch. Lyon-Caen, Anm. in S. 1885, 1, 129 f. und in S. 1887, 1, 209 f.; Labbé, Anm. in S. 1889, 4, 1 f.; Saleilles, Anm. in D.P. 1897, 1, 433; Planiol, II. Pourquoi la charge de la preuve en cas d'accident, doit retomber sur l'ouvrier, malgré la nature contractuelle de l'obligation du patron, Rev. crit. 1888, 279 ff.; vgl. dazu ausführlich Kage, 37 ff., m.w.N. 18 Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 4. 19 Planiol, Rev. crit. 1888, 279 (281-283); Ch. Lyon-Caen, S. 1885, 1, 129 f. und S. 1887, 1, 209 f.; weitere Angaben bei Kage, 38; a.A. Labbé, S. 1855, 4, 24 ff. und S. 1889, 4, 1 f. (aufgegeben in S. 1890, 4, 17). 20 Vgl. Nachweise in: Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 4. 21 Vgl. Rennes 20. März 1893, D.P. 1893, 2, 526 = S. 1894, 2, 36;Cass. req. 15. Juli 1896, S. 1897, 1, 229, 2. Urteü; anders in einem Urteil des luxemburgischen Obersten

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Erst im Jahre 1911 erkannte der Kassationshof eine „obligation de résultat" (vertragliche Erfolgsabwendungspflicht) für den Transportvertrag an 2 2 . Die Verpflichtung, den Beförderten gesund und unverletzt an sein Ziel zu bringen, besteht bis heute 23 . Parallel zu den Bemühungen um eine vertragliche Lösung, versuchte man durch die Anwendung des Art. 1384 C. civ. Abhilfe zu schaffen 24 . Grundlagen waren dafür Arbeiten über die Haftung für Schäden durch Sachen. Zunächst wurde anhand einer großzügigen Auslegung oder durch analoge Anwendung des Art. 1386 C. civ. ein Schadensersatz begründet 25 . Art. 1386 C. civ. verpflichtet den Eigentümer eines Gebäudes, das infolge mangelnder Unterhaltung oder eines Baufehlers einstürzt, zum Ersatz von Schäden, die durch diese Ruine verursacht werden: „Le propriétaire d'un bâtiment est responsable du dommage causé par sa ruine, lorsqu'elle est arrivée par une suite du défaut d'entretien ou par le vice de sa construction." Aufgrund einer extensiven Auslegung der Begriffe „bâtiment" und „ruine" kam man in der Rechtsprechung dazu, auch dann einen Ersatzanspruch zu gewähren, wenn der Schaden von einer Maschine verursacht worden war 2 6 . Der Nachweis eines Verschuldens war bei der Anwendung des Art. 1386 C. civ. nicht erforderlich. Die weite Auslegung des Art. 1386 C. civ. wurde jedoch mit der Begründung kritisiert, daß dieser Artikel nur eine Sonderregelung des Art. 1384 C. civ. darstelle 27 , der besagt, daß man für Schäden einstehen muß, die von einer Sache verursacht werden, welche man in seiner Obhut hat: „On est responsable du dommage . . . qui est causé par le fait des choses que l'on a sous sa garde." (Art. 1384 Abs. 1 C. civ.). Schon der belgische Rechtslehrer Laurent hatte den Art. 1384 Abs. 1 C. civ. als Anspruchsgrundlage für die Fälle vorgeschlagen, in denen der Schaden durch ein „fait de la chose" entstanden war 2 8 . Man folgte seiner Theorie jedoch nicht, Gerichtshofs vom 27. Nov. 1884, D.P. 1886, 2, 153, und in einigen Entscheidungen belgischer Instanzgerichte, vgl. Trib. com. de Bruxelles 28. April 1885, S. 1885, 4, 25 (31, 4. Urteil); zur Literatur siehe Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 4. 22 Cass. civ. 21. Nov. 1911, D.P. 1913,1, 249 (253), Anm. Sarrut. 23 Vgl. Nerson, Anm. in S. 1952, 1, 89 (90). 2 4 Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 88 ff.; dazu auch ausführlich Kage, 44 f., und Bürger, Der Artikel 1384 Abs. 1 Code civil und die Entwicklung der „théorie du risque", 16 ff. 25 Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 69; dieselben, Bd. II, Nr. 1038, 1041. 26 Paris 19. Mai 1893, S. 1897, 1, 18 wiedergegeben in Cass. soc. 16. Juni 1896, 5. 1897, 1, 17 (zur Explosion einer Dampfmaschine); vgl. auch Cass. civ. 19. April 1887, D.P. 1888, 1, 27 = S. 1887, 1,217. 27 Bourguignat, Anm. in S. 1876, 2, 225. 28 Laurent, Principes de droit civil français (1878), Nr. 639.

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weil man den Art. 1384 Abs. 1 C. civ. nicht gegen den Willen des Gesetzgebers des Jahres 1804 benutzen wollte, der diesem Artikel nach allgemeiner Ansicht des 19. Jahrhunderts nur deklaratorische Bedeutung zukommen lassen wollte 2 9 und als Einführung zu den dem Art. 1384 Abs. 1 C. civ. folgenden Absätzen und zu dem Art. 1386 C. civ. betrachtete. Aufbauend auf der Lehre von Laurent entwickelte sich aber später, insbesondere durch Josserand 30, die Theorie der „responsabilité objective" oder „sans faute" 3 1 . Der Art. 1384 C. civ. enthielt in den Augen der Begründer der neuen Theorie ein allgemeines Prinzip, nach dem der Halter einer Sache automatisch für einen durch diese angerichteten Schaden verantwortlich sei, es sei denn, daß der Beweis des Gegenteils erbracht werden könne. Man war der Auffassung, daß es sich um eine objektive Haftung handele, die nicht auf Verschulden beruhe, sondern allein auf der Gefahr, die der Halter bei der Benutzung von Sachen trägt 3 2 . Die Rechtsprechung folgte, wenn auch zögernd, im wesentlichen dieser Lehre 33 . Der Art. 1384 Abs. 1 C. civ. wurde zunächst von einigen Untergerichten als direkte Anspruchsgrundlage benutzt 3 4 . Der Kassationshof folgte dieser Ansicht anfangs nicht 3 5 , ebensowenig das belgische Kassationsgericht 36 und für das deutsche Recht entsprechend das Reichsgericht 37. Erst im Jahre 1896 gab die Cour de cassation ihre frühere Rechtsprechung auf, erkannte Art. 1384 Abs. 1 C. civ. als Anspruchsgrundlage an 3 8 und leitete damit eine ständige Rechtsprechung ein 3 9 . 29 Esmein, Anm. in S. 1897, 1, 17; vgl. Carbonnier, Droit civü, Bd. IV (Nr. 98), 346 und (Nr. 104) 367; Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 88; Bd. II, Nr. 1075; Jambu-Merlin, La sécurité sociale, 143; vgl. dazu auch Bürger, 12. 30 Josserand, De la responsabilité du fait des choses inanimées (1897). 31 Vgl. Saleilles, Les accidents du travail et la responsabilité civile (1897). 32 Ebenda, 5. 33 Vgl. Cass. civ. 16. Juni 1896, D.P. 1897, 1, 433, conci. Sarrut, Anm. Saleilles = S. 1897, 1, 17, Anm. Esmein; Cass. req. 30. März 1897, S. 1898, 1, 71; ausführlich zur Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts bei den Arbeitsunfällen siehe Kage, 46 ff., und Bürger, 18 ff. 3 4 Gien 26. April 1888, S. 1890, 2, 14; Bourgion 10. Juni 1891, S. 1893, 2, 205; bestätigt von der Cour d'Appel de Grenoble 10. Feb. 1892, S. 1893, 2, 205. 35 Jambu-Merlin, 143. 3 * Cass.belg. S. 1890,4, 17. 37 RGZ 22, 384 (Urteü zum rheinischen Zivilrecht). 38 Cass. civ. 16. Juni 1896, D.P. 1897, 1, 433; vgl. zur gesamten Entwicklung Tunc, Force majeure et absence de faute en matière délictuelle, Rev. trim. dr. civ. 1946, 171 ff.; vgl. dazu Bürger, 19; Ferid, Bd. I, 2 M 169 (172). 39 Im einzelnen wurde der Inhalt des Art. 1384 Abs. 1 C. civ. von der Rechtsprechung unterschiedlich ausgelegt, näher dazu Kage, 54 f., und Bürger, 20 ff.

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Ausgelöst wurde dieser Wandel der Rechtsprechung durch die Entscheidung des Conseil d'Etat vom 21. Juni 1895 4 0 ; obwohl ohne gesetzliche Grundlage (der Code civil kommt im Verwaltungsverfahren nicht zur Anwendung), besagt die Entscheidung, daß der Halter für gewisse, durch seine Sachen verursachte Schäden einstehen muß. In der Entscheidung des Kassationshofes vom 16. Juni 1896 wird ausgesprochen, daß der Halter einer Sache für den durch sie verursachten Schaden einzustehen hat, es sei denn, daß es sich um einen Fall von höherer Gewalt oder Zufall handelt. Kurz nach dieser Anerkennung der für Arbeitsunfälle anwendbaren Theorie41 wurde das Gesetz über die Schadensregulierung bei Arbeitsunfällen, das Gesetz vom 9. April 1898 42 , vom Parlament verabschiedet. In den meisten europäischen Ländern hatte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Notwendigkeit einer Änderung der Lage der unfallgeschädigten Arbeitnehmer in der Industrie gezeigt. Während in Deutschland unter Bismarcks Reichskanzlerschaft ein umfassendes System von Sozialversicherung eingeführt 43 und damit ein entscheidender Anstoß für den Aufbau moderner Sozialversicherungen inner- und außerhalb Europas gegeben wurde 4 4 , beschränkte man sich in den meisten anderen Ländern zunächst auf das Problem der Arbeitsunfallentschädigungen. Teilweise übernahmen die Gesetzgeber das deutsche Beispiel der Zwangsunfallversicherung 45 , teilweise, verwaltet von einem öffentlichrechtlichen Berufsverband der 4 0

D.P. 1896, 3, 65 = S. 1897, 3, 33. Bedeutung hatte die Entscheidung vom 16. Juni 1896 in späterer Zeit noch für die französischen Gebiete in Übersee, vgl. Cass. soc. 24. Feb. 1956, J.C.P. 1956, II, 2119; Art. 1384 Abs. 1 C. civ. ist auch heute noch anwendbar in Fällen, in denen die Sondergesetzgebung zum Arbeitsunfallrecht nicht eingreift: z.B. Cass.civ. 15. März 1961, D. 1961, Somm., 80 (Berufskrankheit, die nicht der Arbeitsunfallgesetzgebung unterliegt). 42 Loi concernant les responsabilités des accidents dont les ouvriers sont victimes dans leur travail, D.P. 1898,4,49. 43 In Ausführung der berühmten Kaiserlichen Botschaft vom 17. Nov. 1881 wurde zuerst das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883, dann das Gesetz zur Unfallversicherung vom 6. Juli 1884 und schließlich das Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 verabschiedet. Zur historischen Entwicklung des deutschen Arbeitsunfallrechts vgl. Gitter, 5 ff., Gladen, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, und Rohwer-Kahlmann/Ströer, Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil, Vorbem., Rdnr. 5 ff. 4 4 Es ergingen zur Zeit der Jahrhundertwende in fast allen Ländern Europas Sozialgesetzgebungen; vgl. z.B. die Aufzählung bei Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 2), 53; Durand (Nr. 29), 63; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 1/1, 91; dies geschah aber auch in außereuropäischen Ländern, wie etwa Australien und Neuseeland; siehe zur Entwicklung in den USA und Großbritannien Wolffgramm, Das System des Arbeitsunfallrechts (Workmen's Compensation) in den USA - Eine rechtsvergleichende Arbeit unter Berücksichtigung der Entwicklung in Großbritannien, 21 ff. 45 Z.B. Österreich (1887), Norwegen (1894), Dänemark (aufgrund mehrerer Gesetze ab 1898), Luxemburg (1901), Polen (1920). 41

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Arbeitgeber, übertrugen sie die Haftungsvorschriften auf die Probleme des Arbeitsunfalls und erweiterten die Haftpflicht der Arbeitgeber in bestimmten Berufszweigen 46. In Frankreich entschied sich der Gesetzgeber grundsätzlich für diese Möglichkeit. Dabei diente ihm die deutsche Sozialgesetzgebung als Vorbild 4 7 . Die Vorarbeiten zu dem Gesetz vom 9. April 1898 wurden vor allem von der sozialistischen Bewegung, von der kirchlichen Soziallehre und der Solidaritätslehre u.a. von Léon Bourgeois beeinflußt 48 . Schon im Jahre 1880 lag der Chambre des Députés (Abgeordnetenkammer) ein Gesetzesvorschlag vor, dem bald zahlreiche weitere folgten. Es bedurfte aber noch 18 Jahre langwieriger und zäher parlamentarischer Vorarbeiten in der Abgeordnetenkammer und dem Senat, bis dieses erste große französische Sozialgesetz verabschiedet werden konnte 4 9 ; es trat am 1. Januar 1899 in Kraft. Nach diesem Gesetz hafteten die Arbeitgeber bestimmter Industriezweige für die Arbeitsunfälle, die sich in ihrem Unternehmen ereigneten. Ein Verschulden mußte der Geschädigte nicht nachweisen50. Diese Haftung war nach überwiegender Ansicht 51 auf das Berufsrisiko (risque professionel) gegründet: da der Arbeitgeber bestimmte gefährliche Maschinen benutzt und Personal anstellt, um seine Wirtschaftstätigkeit zu entwickeln, schafft er eine besondere Gefahrenquelle (théorie du risque-danger), für die er einzustehen hat. Auch deshalb, weil ihm dies zu seinem eigenen Nutzen gereicht, muß er für daraus erwachsende Schäden eintreten (théorie du risque-profit). Eine andere Begründung der Haftung ist die Tatsache, daß der Arbeitgeber die Leitung des Betriebes innehat (théorie du risque d'autorité). 46 Z.B. Großbritannien (1897), Belgien (1903); vgl. auch die Darstellung zahlreicher ausländischer Gesetzgebungen bei Sachet/Casteü, Traité théorique et pratique de la législation sur les accidents du travail et les maladies professionnelles, Bd. I (Nr. 25), 29 ff. 4 7 Sachet/Casteü, Bd. I (Nr. 16), 14 und (Nr. 58) 81; vgl. auch Rapport de la commission du Travaü du 25 févr. 1892, J.O. 1892 Ch., Doc. pari. (ann. Nr. 1926), 301. 48 So Durand (Nr. 21), 53; vgl. auch Fabry, Les accidents de trajet, 10 ff.; von Bourgeois stammt die Idee des Quasi-Kontraktes, der alle diejenigen verpflichtet, den Entrechteten zu helfen, die in irgendeiner Weise der Gesellschaft etwas zu verdanken haben (vgl. u.a. sein Werk: La solidarité, 1897). 49 Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 20), 43, Fn. 2, ist der Ansicht, daß die gefundenen Lösungen aufgrund der großen Einigungsschwierigkeiten einen starken vergleichsähnlichen Charakter haben; zu diesen Vorarbeiten siehe Sachet/Casteil, Bd. I (Nr. 60), 82, und Kage, 115 bis 123, m.w.N. so Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 21), 44. 51

Vgl. Sachet/Casteil, Bd. I (Nr. 13), 10 ff. ; Colin/Capitant (Julliot de la Morandière), Cours élémentaire de droit civü français, Bd. II (Nr. 291), 206; Rép. dr. soc. et trav., 1960 (Nr. 10), m.w.N.; vgl. zu den Begründungen einer Haftung aufgrund des „risque professionnel" in der Lehre bis 1898 Kage, 61 bis 114; auf den Seiten 174 bis 209 gibt Kage eine Darstellung der Lehre zur Haftungsgrundlage des Gesetzes von 1898 (mit zahlreichen Hinweisen).

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Um bei dieser Regelung auch dem Arbeitgeber gerecht zu werden, war nur eine pauschale Entschädigung vorgesehen, die dem Arbeitgeber auferlegt wurde. Diese entsprach zu jener Zeit etwa der Hälfte des tatsächlich erlittenen Schadens 52 . Das neue Gesetz sah im wesentlichen folgende neue Regelung vor: Ersatz des erlittenen Vermögensschadens durch Verletzung des Körpers kraft Gesetzes; pauschalierter Schadensersatz; besondere Regelungen bei „faute inexcusable" und „faute intentionnelle"; bevorrechtigtes Pfändungsrecht des Geschädigten an den Sachen seines Arbeitgebers, bzw. falls dies ins Leere ging, einen Ersatzanspruch gegen einen staatlichen Garantiefonds; Änderung des Prozeßrechts zur Sicherung der Beweismittel und der Verfahrensbeschleunigung. Man hatte zwar auf eine Versicherungspflicht verzichtet, jedoch blieb den meisten Arbeitgebern aufgrund des Gesetzes nur diese Möglichkeit. Nur einige große Unternehmen konnten sich diesem „Zwang" entziehen 53 . Schon früher hatte es private Versicherungsgesellschaften gegeben, bei denen sich die Arbeitgeber gegen die Folgen aus Schadensersatzansprüchen nach dem Zivilrecht versichern konnten 5 4 . Diese übernahmen auch jetzt das Unfallrisiko, zugleich mit Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit und sogenannten Garantieverbänden (syndicats de garantie), eine Art Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit mit unbeschränkter Haftung 55 . Um Mißstände bei der Prämienfestsetzung in den privaten Gesellschaften zu verhindern, unterstellte man diese im Jahre 1899 der staatlichen Verwaltungskontrolle 56 und richtete die staatliche Unfallversicherungskasse neu ein 5 7 . Aufgrund des Gesetzes vom 31. März 1905 58 hatte das Gericht den Versicherer des Arbeitgebers an dessen Stelle zu verurteilen, wenn der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber auf Zahlung einer Rente verklagt hatte. Der Versicherer wurde also unmittelbarer Schuldner des Geschädigten59. Eine Verurteilung zur 52

Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 11. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 23), 46; es kam hinzu, daß der Staat zur Unterhaltung des Garantiefonds von den Arbeitgebern Beiträge erhob und diese seit dem Jahre 1922 (Gesetz vom 30. Dez. 1922, D.P. 1923,4, 217) bei nicht versicherten Unternehmern aufgrund des größeren Risikos erhöhte. 5 4 Auch bei der staatlichen Unfallversicherung hatte der Arbeitgeber vor 1898 seine Arbeitnehmer versichern können, jedoch war eine Haftpflichtversicherung nicht möglich gewesen, vgl. oben Fn. 8; vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 12, m.w.N. 55 Vgl. Art. 24, Gesetz von 1898 und das Dekret vom 28. Feb. 1899, D.P. 1899, 4, 11. 56 Vgl. Art. 27, Gesetz von 1898 und Art. 12, Dekret vom 28. Feb. 1899 (siehe Fn.55); Pic, Traité élémentaire de législation industrielle (Nr. 1078/9), 744 f. 57 Gesetz vom 24. Mai 1899, D.P. 1899, 4, 40. 53

58 D.P. 1905, 4, 101, Art. 16 Abs. 7 des Gesetzes von 1898, abgedruckt bei Sachet/ Gazier, Traité théorique et pratique de la législation sur les accidents du travail et les maladies professionnelles, Bd. III, Anhang, 460 f. 59 Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 23), 46.

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solidarischen Haftung der Versicherung und des Arbeitgebers war nicht möglich 6 0 . Man ging aber bereits früher davon aus, daß der Arbeitnehmer einen direkten Anspruch gegen den Versicherer des Arbeitgebers habe 61 . Das Gesetz von 1898 wurde in den folgenden Jahren vielfach geändert 62. Der Gesetzgeber begann bald, den Anwendungsbereich des Gesetzes auch auf andere Berufszweige auszudehnen. So wurden landwirtschaftliche Unternehmen, in denen mit Maschinen gearbeitet werden mußte 6 3 , dem Gesetz unterstellt, ferner Handelsunternehmen 64 und Forstbetriebe 65 . Zudem wurde eine freiwillige Versicherung für Betriebe ermöglicht, die noch nicht von dem Gesetz erfaßt waren 66 . Während des Ersten Weltkrieges wurden nur vorübergehende gesetzliche Änderungen getroffen 67 . Im Jahre 1919 erfolgte eine erneute wichtige Erweiterung: bestimmte Berufskrankheiten wurden in den Schutzbereich des Gesetzes aufgenommen 68. Wenig später erging ein Gesetz, welches bestimmte, daß das Arbeitsunfallgesetz auch für alle Arbeiter und Angestellte von landwirtschaftlichen Betrieben jeder Art gelten sollte 69 , Pförtner und Haushaltspersonen 70 wurden ebenfalls bald dem Gesetz unterstellt. In der Folgezeit entwickelte sich aber auch die Rechtsprechung zum allgemeinen Haftpflichtrecht weiter. Bei Anwendung des Gesetzes vom 9. April 1898 ergaben sich im Vergleich zum allgemeinen Haftpflichtrecht für den geschädigten Arbeitnehmer häufig ungünstigere Schadensersatzregulierungen 71. Eine Änderung der Abfindungsbedingungen bei den Pauschalbeträgen wurde notwendig. Dies geschah u.a. durch das Gesetz vom 1. Juli 1938 7 2 , in dem wesentliche Änderungen des alten Gesetzes vorgenommen wurden. Jetzt wurde das Gesetz auf alle Personen ausgedehnt, die aufgrund eines Arbeitsvertrages tätig waren, gleichgültig, ob dieser Vertrag wirksam war oder 60 Sachet/Gazier, Traité théorique et pratique de la législation sur les accidents du travail et les maladies professionnelles, Bd. II, Nr. 1240. 61 Vgl. die Nachweise bei Tarbouriech (Nr. 245 ff.), 164 ff. 62 Siehe die im Anhang von Sachet/Gazier, Bd. III, 447 ff., abgedruckten Gesetze. 63 Gesetz vom 30. Juni 1899, D.P. 1899, 4, 92. 6 4 Gesetz vom 12. April 1906, D.P. 1906, 4, 116. 65 Gesetz vom 15. Juli 1914, D.P. 1918, 4, 217. 66 Gesetz vom 18. Juli 1907, D.P. 1907, 4, 151. 67 Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 16, mit Literaturangaben. 68 Gesetz vom 25. Okt. 1919, D.P. 1921, 4, 319. 69 Gesetz vom 15. Dez. 1922, D.P. 1923, 4, 305, und das Gesetz vom 30. April 1926, D.P. 1927, 4, 160; dazu vgl. Kage, 265 ff. 70 Gesetz vom 2. Aug. 1923, D.P. 1923, 4, 324. 71 Vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 18, 19, m.w.N. 72 Abgedruckt: D.P. 1939,4, 33.

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nicht 7 3 . Die Entschädigungssummen für Unfälle, die eine lange, aber zeitlich begrenzte Erwerbsunfähigkeit oder eine schwerwiegende dauernde Erwerbsunfähigkeit verursachten, wurden erhöht. Die Unfallregelung bei landwirtschaftlicher Tätigkeit wurde jedoch dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes entzogen 7 4 . Im Zweiten Weltkrieg traten besondere Schwierigkeiten bei Arbeitsunfällen auf, die sich aufgrund von Kriegshandlungen ereigneten. Ferner entstanden Probleme, die den Schutz von Personen betrafen, die als Zwangsarbeiter verschleppt worden waren, die zivildienstverpflichtet oder denen besondere Arbeiten zugewiesen worden waren 75 . Nach dem Kriege wurde eine allgemeine Organisation der sozialen Sicherheit (Sécurité sociale) 76 geschaffen mit dem Ziel, die verschiedenen, sehr verstreuten Sozialgesetzgebungen zu vereinen, um - später - zu einer wirklichen „sozialen Sicherheit" für alle zu gelangen77. In dieser Zielsetzung spiegelte sich auch der englische Einfluß des Berichtes von Beveridge 78 wider 7 9 , auf dem u.a. der britische „National Health Service" beruht. In den Motiven zu dieser neuen Gesetzgebung heißt es, leitender Gedanke sei: „l'unité fondamentale de la sécurité sociale. L'intérêt d'une protection efficace contre les facteurs d'insécurité qui menacent une famille exige, en effet, 73 Vgl. Art. 1 des Gesetzes vom 1. Juli 1938: „Les accidents donnent droit à une indemnité . . . quiconque aura prouvé, qu'il exécutait à un titre quelconque un contrat valable ou non de louage de service." 7 4 Art. 31 Abs. 3 des Gesetzes vom 1. Juli 1938; für die landwirtschaftlichen Unfälle erfolgte eine Reform erst durch das Gesetz vom 16. März 1943, J.O. 21. März 1943, 818, Rect. J.O. 8. April 1943, 989 = D.A. 1943, L., 65, das durch die Ord. vom 17. Nov. 1944, J.O. 19. Nov. 1944, 1382, Rect. J.O. 29. Nov. 1944, 1544 = D. 1945, L., 5 für wirksam erklärt wurde und das teilweise bis heute Gültigkeit hat. 75 Levasseur, Les répercussions de la guerre sur la législation des accidents du travail, Dr. soc. 1944, 23. 76 Ausführlich zum Begriff „Sécurité sociale" z.B. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 43-44), 84 ff. und (Nr. 56-1, 56-2) 112 ff. sowie passim; vgl. auch zur „sozialen Sicherheit" Rohwer-Kahlmann/Frentzel, Das Recht der sozialen Sicherheit, 17 ff. 77 Vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 129), 268 f. und (Nr. 135-6) 294 ff. Mit dem Gesetz Nr. 78-2 vom 2. Jan. 1978, J.O. 3. Jan. 1978, 145 = D. 1978, L., 55, wurde ein bedeutender Schritt zur Verwirklichung des auch bereits in dem Programm des „Conseil national de la Résistance" (vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale [Nr. 1291, 269, Fn. 1, m.w.N.; ders., Entwicklung und Tendenzen, 96 f.), des nationalen Widerstandsrates, enthaltenen Gedankens einer Ausdehnung des Schutzes der sozialen Sicherheit auf die Gesamtheit der Bevölkerung getan: eine solche Ausdehnung erfolgte jetzt für die Zweige Krankheit, Mutterschaft und Familienleistungen. Auch die Alterssicherung wurde wesentlich erweitert. 78 Social insurance and allied services, in deutscher Übertragung: Der Beveridgeplan, Sozialversicherung und verwandte Leistungen, Bericht von Sir William Beveridge, veröffentlicht am 1. Dez. 1942. 79 Vgl. ebenda, 11 bis 27, insbes. 15, Nr. 17; vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 37), 75, Fn. 1, und (Nr. 129) 269 f.; Jambu-Merlin, 18.

Α. Die geschichtliche Entwicklung

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qu'on ne dissocie pas ces facteurs, mais qu'on les envisage dans leur ensemble. Qu'il s'agisse d'ailleurs d'accident du travail ou de maladie professionnelle, d'un accident de droit commun ou d'une maladie ordinaire, ce seront dans une large mesure les mêmes problèmes médicaux qui se poseront, les mêmes techniques médicales qu'il faudra mettre en œuvre. Les organismes de sécurité sociale,responsables de l'ensemble des familles de leur circonscription, doivent nécessairement avoir la charge du risque accident du travail et maladies professionnelles comme de tous les autres risques qui menacent les familles" 80 . Gemäß Art. 1 der grundlegenden Verordnung vom 4. Oktober 1945 81 war eine vorausgehende Angleichung der verschiedenen Gesetzgebungen vorgesehen - darunter auch diejenigen zu den Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten - , die in der Sécurité sociale zusammengefaßt werden sollten. In der Verordnung vom 19. Oktober 1945 erfolgte die erste Neuregelung der Arbeitsunfallgesetzgebung 82. Danach haftete der Arbeitgeber für die Arbeitsunfälle der Arbeitnehmer, die Sozialversicherungskasse sollte aber an seiner Stelle die Entschädigungsleistungen erbringen (Art. 2). Die individuelle Arbeitgeberhaftung wurde also noch nicht völlig abgeschafft 83. Bereits vor ihrem Inkrafttreten wurde diese Verordnung jedoch durch das Gesetz vom 30. Oktober 1946 abgelöst84 mit den dazu ergangenen Durchführungsbestimmungen vom 31. Dezember 1946 85 . Verfassungsmäßige Grundlage ist die Präambel der Verfassung vom 27. Oktober 1946, auf die sich auch die neue Verfassung vom 4. Oktober 1958 be80 Zit. nach: Thomas/Bernard, Juris-classeur de la Sécurité sociale, Bd. I und II, Fase. 304, Nr. 10. In dem durch das Gesetz Nr. 78-2 (siehe Fn. 77) neu gefaßten Absatz 1 des ergänzten ersten Artikels des Code de la sécurité sociale heißt es nunmehr: „L'organisation de la sécurité sociale est fondée sur le principe de solidarité nationale.4 4 81 Ordonnance Nr. 45-2250 vom 4. Okt. 1945, J.O. 6. Okt. 1945, 6280 = D. 1945, L., 253. 82 Ordonnance Nr. 45-2453, modifiant et codifiant la législation sur les accidents du travaü et maladies professionnelles et adoptant cette législation à l'organisation de la sécurité sociale, J.O. 20. Okt. 1945, 6714, Rect. J.O. 30. Okt. 1945, 7046 = D. 1945, L., 289; Gauguier, Législation des accidents du travaü et des maladies professionnelles codifiée, modifiée et adaptée à l'organisation de la sécurité sociale (commentaire de l'ordonnance du 19 octobre 1945), J.C.P. 1946,1, 539. 83 Vgl. Sumien, L'évolution de la notion d'accident du travail, D. 1947, Chr., 9 (11). 8 4 Gesetz Nr. 46-2426, Sur la prévention et la réparation des accidents du travail et des maladies professionnelles, J.O. 31. Okt. 1946, 9273, Rect. J.O. 19. Dez. 1946, 10754 = D. 1946, L., 441, Rect. D. 1947, L. 15; commentaire Rouast, D. 1947, L., 89; Gauguier, Réforme apportée à la législation des accidents du travail par la loi du 30 octobre 1946, J.C.P. 1947,1,622. Das Gesetz trat am 1. Jan. 1947 in Kraft. 85 Dekret Nr. 46-2959, J.O. 1. Jan. 1947, 19, Rect. J.O. 14. Jan. 1947,473 = D.1947, L., 38; vgl. auch Circulaire Nr. 277 (Sécurité sociale) vom 24. Dez. 1946, D. 1947, L, 27.

32

Α. Die geschichtliche Entwicklung

zieht: „Die Nation . . . gewährleistet allen, besonders dem Kinde, der Mutter und den alten Arbeitern, Schutz der Gesundheit, materielle Sicherheit, Erholung und Freizeit." Das neue Gesetz hebt alle bisherigen Vorschriften der Arbeitsunfallgesetzgebung auf 8 6 und führt zu einer grundlegenden Reform der alten Gesetzgebung. Der Arbeitsunfall wird nicht mehr als Problem der individuellen Arbeitgeberhaftung, sondern als Problem des sozialen Risikos (risque social) angesehen87. Unfallverhütung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit werden eine Hauptaufgabe der Arbeitsunfallgesetzgebung 88. Diese gehört nunmehr in das umfassende System der „sozialen Sicherheit", das nach ganz herrschender Ansicht als Teil der öffentlichen Leistungsverwaltung — „service public" — anzusehen ist 8 9 . Viele Einzelregelungen der früheren Vorschriften werden zwar übernommen, aber die grundsätzlichen Änderungen ziehen auch eine Reihe von neuen Bestimmungen nach sich. Wichtige Neuerungen sind: die Übertragung der Verwaltung der Unfallfolgen und sämtlicher Leistungen auf die Kassen der Sozialversicherung; eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des Gesetzes im Hinblick auf weitere Gruppen von Arbeitnehmern — nunmehr ist jede Person geschützt, ob Lohnempfänger oder nicht, die für einen anderen arbeitet — und in bezug auf Wegeunfälle, für die früher nur sehr begrenzt eine Entschädigung gewährt wurde; eine Vereinfachung des förmlichen Verfahrens im Hinblick auf die Unfallanzeige und die Festsetzung der Leistungen, hier insbesondere bei der Rentenberechnung; das Streitverfahren verliert seine frühere Selbständigkeit und wird in das System der Verfahrensregelungen der Sécurité sociale einbezogen90. 86 Die Unfallregelung für die Landwirtschaft bleibt weiterhin von der neuen Gesetzgebung ausgeschlossen, vgl. Art. 1 und 83 des Gesetzes vom 30. Okt. 1946 und später Art. 414 C. séc. soc. Eine andere Sonderregelung traf Art. 5 des Gesetzes vom 30. Okt. 1946 (Art. 417 C. séc. soc.) für Arbeitnehmer der Marine, für Arbeitnehmer, die im Versicherungswesen der Marine arbeiten, für Arbeitnehmer der staatlichen Waffenmanufakturen und für Beamte. Dazu noch unten unter Β I 2. 87 Vgl. J. cl., Fase. 304, Nr. 9; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 3), 7; Durand (Nr. 2), 15 ff.; vgl. die Parlamentsdebatten in J.O. 5. Okt. 1897, 4633. 88 Vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 7), 14: „Les politiques de sécurité sociale . . . sont . . . des politiques de protection (réparation et prévention) des individus contre les risques sociaux et à y inclure tous les efforts de prévention. Le droit de la sécurité sociale serait le droit de cette protection multiforme."; Levasseur in Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 40, bezeichnet die finanzielle Entschädigung als zweitrangiges Ziel der neuen Gesetzgebung. 89 So schon die Rechtsprechung seit der Entscheidung des Conseil d'Etat vom 13. Mai 1938, D.P. 1939, 3, 65, Anm. Pepy; Dupeyroux, Sécurité'sociale (Nr. 140), 337 und (Nr. 290 ff.) 720 ff.; Durand (Nr. 73), 165; Granger, L'influence de la sécurité sociale sur la responsabilité civile, Dr. soc. 1955, 500 (502). 90 Diese wurden neu gefaßt durch das Gesetz Nr. 46-2339 vom 24. Okt. 1946, J.O. 25. Okt. 1946, 9038 = D. 1946, L., 417; vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1792 ff.; Nouveau Répertoire de droit (Dalloz), Bd. I, 1962, Nr. 10, 13.

Α. Die geschichtliche Entwicklung

33

Der Gesetzestext vom 30. Oktober 1946 wurde im Jahre 1956 91 in die Kodifizierung, die den Namen „Code de la sécurité sociale" trug, als IV. Buch, Art. 414-509, aufgenommen 92. Die Grundlagen des Gesetzes blieben von nun an unberührt, wenn es auch seit dem Jahre 1947 ständig verändert wurde 93 . So wurden u.a. die Leistungssätze erhöht, der Kreis der begünstigten Personen erweitert und neue Berufskrankheiten anerkannt. Einige wichtige Neuregelungen sollen hier genannt werden: -

-

das Dekret vom 17. März 1954 9 4 über den Aufbau der Unfallverhütung, das Gesetz vom 2. September 1954 95 , das eine automatische Aufwertung der Arbeitsunfallrenten zur Angleichung an die allgemeine Lohnentwicklung einführte, die Dekrete vom 18. Januar 1955 96 , vom 20. Mai 19 5 5 9 7 und vom 13. August 1955 98 über das Feststellungsverfahren, das Gesetz vom 6. August 1963", das Verrichtungsgehilfen eines Betriebes bei Wegeunfällen Dritten gleichstellt, die Verordnung vom 21. August 1967 1 0 0 hinsichtlich des Verwaltungs-und Finanzaufbaus der sozialen Sicherheit, das Gesetz vom 4. Dezember 1974 1 0 1 , das eine Besserstellung der Hinterbliebenen bei tödlichen Arbeitsunfällen vorsieht,

91 Ausgeführt in dem Dekret Nr. 56-1279 vom 10. Dez. 1956, J.O. 18. Dez. 1956, 12140, Rect. J.O. 6. Jan. 1957, 373, Rect. J.O. 2. Feb. 1957, 1360 = D. 1957, L., 5, Rect. 31,50. 92 Auch das I. und III. Buch des Code enthalten Vorschriften, die die Arbeitsunfälle betreffen. - Der Kodex zur sozialen Sicherheit umfaßt folgende Gebiete: Die allgemeine Organisation der sozialen Sicherheit, die allgemeinen Rechtsmittel der sozialen Sicherheit, die Sozialversicherungen, die Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, die Famüienleistungen, die einzelnen Versicherungssysteme, die Beihüfe für alte Arbeiter, die Altersbeihüfe für Nichtlohnempfänger, den Fonds national de solidarité, die Überwachung durch den Rechnungshof, das in den Überseedepartements geltende Recht. 93 Auch die Durchführungsbestimmungen wurden mehrfach verändert, vgl. dazu Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 27, 28, und 1979, Nr. 25-30; zur weiteren Entwicklung der Sécurité sociale vgl. die Zusammenstellung von Doublet für 1951-1960, La sécurité sociale et son évolution, Rev. fr. äff. soc. April 1971 (Sondernummer zum 25jährigen Bestehen der Sécurité sociale), 27; siehe ferner Barjot (für 1960-1966), L'évolution de la sécurité sociale, und Guillaume (für 1966-1970), in der angegebenen Sondernummer, 61 ff. und 81 ff. 9 4 Nr. 53-223, J.O. 20. Mai 1953, 2676 = D. 1953, L., 99. 95 Nr. 54-892, J.O. 12. Sept. 1954, 8799 = D. 1954, L., 396. 9 * Nr. 55-92, J.O. 21. Jan. 1955, 819 = D. 1955, L., 68. 97 Nr. 55-676, J.O. 22. Mai 1955, 5202 = D. 1955, L., 283. 98 Nr. 55-1124, J.O. 21. Aug. 1955, 8419 = D. 1955, L., 393, Rect. D. 1955, L., 427. 99 Nr. 63-820, J.O. 8. Aug. 1963, 7357 = D. 1967, L., 313. 100 Nr. 67-706, J.O. 22. Aug. 1967, 8403 = D. 1967, L., 313. wi Nr. 74-1027, J.O. 5. Dez. 1974, 12124 = D. 1974, L., 369.

Α. Die geschichtliche Entwicklung -

das Gesetz vom 6. Dezember 1 9 7 6 1 0 2 , das Regelungen zur Fortentwicklung der Verhütung von Arbeitsunfällen t r i f f t 1 0 3 .

102 Nr. 76-1106, J.O. 7. Dez. 1976, 7028 = D. 1976, L., 457; vgl. dazu auch den Bericht über die Entwicklung der sozialen Lage in der Europäischen Gemeinschaft: im Jahre 1976, Ziff. 216, im Jahre 1977, Ziff. 227, und im Jahre 1978, Ziff. 222. 103 Weitere Angaben zu Neuregelungen des Gesetzes vom 30. Okt. 1946, Rép. dr. soc. et trav., 1960 und 1979, Nr. 25 ff.

Β. Die heutige Arbeitsunfallgesetzgebung: Anwendungsbereich und Leistungen - mit vergleichenden Bemerkungen zum deutschen Recht

I . Die geschützten Personen

1. D e r

Kreis

der

begünstigten

Personen

Die Gesetzgebung über die Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten erfaßt wie im deutschen Recht grundsätzlich alle Arbeitnehmer und jede Person, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht 1 . Durch die Artikel 415,415-2 bis 4 und 416 wird dieser Personenkreis näher bestimmt. In Art. 415 C. séc. soc.2 heißt es: „Est considéré comme accident du travail, quelle qu'en soit la cause, l'accident survenu par le fait ou à l'occasion du travail, à toute personne salariée ou travaillant, à quelque titre ou en quelque lieu que ce soit, pour un ou plusieurs employeurs ou chefs d'entreprise" 3. a) Historischer

Überblick

Diese Formulierung wurde in der allgemeinen Sozialversicherungsgesetzgebung bereits in dem décrét-loi vom 28. Oktober 1935 4 angedeutet, wo es in Art. 1 § 2 Abs. 1 heißt: 1

Eine ganze Reihe von Berufsgruppen, die nicht ohne weiteres den Arbeitnehmern zugeordnet werden konnten, hatten sich erfolgreich einer geplanten Aufnahme in das gesetzliche Arbeitsunfallversicherungssystem widersetzt - z.B. Handwerker, Landwirte, freie Berufe -,vgl. Jambu-Merlin, 27. 2 Im folgenden genannte Artikel ohne Angabe des Gesetzes sind solche des Code de la sécurité sociale. 3 Jeder Unfall wird als Arbeitsunfall betrachtet - unabhängig von seiner Ursache - , der durch die Arbeit oder bei Gelegenheit der Arbeit einen Arbeitnehmer oder eine Person trifft, die, auf welcher Rechtsgrundlage und an welchem Ort auch immer, für einen oder mehrere Arbeitgeber oder Unternehmer arbeitet. 4 Abgedruckt in D.P. 1935, 4, 492; vgl. Pinton, in: Encyclopédie juridique (Dalloz), Répertoire de droit social et du travail, Bd. I, A-F, Stichwort: „Assurances sociales", 1960, Nr. 24 ff.

36

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

„Sont assurés . . . tous les salariés et, d'une façon générale, toutes les personnes de nationalité française de l'un ou de l'autre sexe, travaillant à quelque titre et en quelque lieu que ce soit, pour un ou plusieurs employeurs 7 Vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 902; diese Kausalitätsvermutung gilt nicht bei der freiwilligen Versicherung, Paris 29. Juni 1965, D. 1966, Somm., 32 = Dr. soc. 1966, 118, Anm. Catala-Franjou; vgl. auch Jambu-Merlin, 149.

168 Vollversammlung der Senate des Kassationshofes; seit 1967 abgelöst von der „Assemblée plénière'4 (wenn auch keine vollständige Entsprechung). 169 J.C.P. 1962, II, 12822 = D. 1962, 661.

6 0 Β .

Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

un travailleur alors qu'il se trouve sous l'autorité de son employeur" 1 7 0 , d.h. also, jeder Unfall, der eintritt, wenn der Arbeitnehmer dem Weisungsrecht seines Arbeitgebers untersteht, ist ein Arbeitsunfall. Der Unfall, der zur Arbeitszeit am Arbeitsort eintritt, ist demnach in erster Linie deshalb ein Arbeitsunfall, weil der Arbeitnehmer der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers unterlag. Eine entsprechende Definition der Rechtsprechung lautet auch: „Le salarié se trouve au temps et au lieu du travail, au sens de l'article 415 G. séc. soc., tant qu'il est soumis à l'autorité et à la surveillance de son employeur" 171 . Arbeitsort und Arbeitszeit werden also mit der Direktionsbefugnis verknüpft. Nach deutschem Recht wird der Versicherte dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz dann unterstellt, wenn er den Unfall „bei" einer in den §§ 539, 540, 453 bis 545 RVO bezeichneten Tätigkeiten erleidet (§ 548 Abs. 1 RVO). Voraussetzung für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist das Bestehen eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Unfall und der versicherten Tätigkeit. Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gilt aufgrund ständiger Rechtsprechung die Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung, auch als Theorie der zumindest wesentlich mitwirkenden Ursache bezeichnet. Danach ist ursächlich nur diejenige Bedingung, die wesentlich zum Erfolg, d.h. hier dem Arbeitsunfall, beigetragen h a t 1 7 2 . Auf eine ausführliche Darstellung dieser Kausalitätslehre soll hier verzichtet werden 173 und nur auf wesentliche Einzelheiten im Hinblick auf das französische Recht verwiesen werden. Die versicherte Tätigkeit muß also für den Unfall kausal geworden sein. Ein bloßer zeitlicher oder örtlicher Zusammenhang reicht nicht aus 1 7 4 . Für die Kausalität ist erforderlich, daß die versicherte Tätigkeit - in der Regel aus der Sicht des Verletzten - dem Betrieb zu dienen geeignet und bestimmt 170 Die Terminologie des Kassationshofes ist unterschiedlich. Es heißt z.B. auch, der Arbeitnehmer müsse „sous la dépendance", „sous la subordination", „sous le contrôle" des Arbeitgebers stehen oder auch „sous la surveillance"; vgl. dazu Dupeyroux, D. 1964, Chr., 23 (29) und Fn. 45; ders., Sécurité sociale (Nr. 186-2), 499, Fn. 2. 171 Cass. soc. 9. Nov. 1960, D. 1961, 69, Anm. Dupeyroux; Cass. soc. 20. Dez. 1961, D. 1962, Somm., 63; vgl. auch Cass. crim. 10. Dez. 1975, D. 1976,1.R., 21; Rép. dr. soc. et trav., 1979, Nr. 892. 172 BSG 1, 151; BSG 10, 175. 173 Vgl. dazu Brackmann, Bd. II, 480 e ff., mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung und Literatur. 174 Vgl. Rüfner, Einführung in das Sozialrecht, 109; Brackmann, Bd. II, 480 q II; a.A. BSG, Urteil vom 26. Juli 77 - 8 RU 4/77 - (Versicherungsschutz auf dem Weg zum Kauf eines Lerngeräts wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs mit dem Schulbesuch).

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

61

i s t 1 7 5 . Im Zweifelsfall ist zu fragen, ob die unfallverursachende Tätigkeit mit der versicherten Tätigkeit in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang stand 1 7 6 . Weiter ist notwendig, daß die Tätigkeit mindestens als wesentliche Teilursache bei der Unfallentstehung mitgewirkt haben m u ß 1 7 7 . Ob eine versicherte Tätigkeit wesentliche Ursache ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, die nach ihrer Bedeutung für den eingetretenen „Erfolg" gewichtet werden 1 7 8 . Das deutsche und das französische Recht benutzen also etwas unterschiedliche Kriterien zur Feststellung eines kausalen Zusammenhangs zwischen Unfall und Arbeit. Während dieses für die Beurteilung eines Zusammenhangs Arbeitszeit, Arbeitsort und wesentlich die Weisungsgewalt des Arbeitgebers als Bezugspunkt wählt, stellt jenes auf die betriebsbezogene Tätigkeit ab und darauf, ob diese Tätigkeit wesentlich den Erfolg mitbewirkt h a t 1 7 9 . Unterschiedliche Auswirkungen der deutschen Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges im Einzelfall im Gegensatz zur französischen sollen durch entsprechende Rechtsprechungshinweise in der Darstellung des französischen Rechts gekennzeichnet werden. Zunächst sollen die beiden Merkmale Arbeitszeit und Arbeitsort anhand von Beispielen aus der Rechtsprechung näher erläutert werden. b) Arbeitsort Am Arbeitsort und unter Weisungsgewalt des Arbeitgebers befindet sich der Arbeitnehmer in seinem Betrieb mit allen betrieblichen Einrichtungen, wie z.B. Garderoben und Toiletten 1 8 0 . Im deutschen Recht besteht für das Aufsuchen der Toilette in den Betriebsräumen ebenfalls Versicherungsschutz 181. Dies gilt nicht, wenn die Toüette in der eigenen, an den Betrieb grenzenden Wohnung aufgesucht w i r d 1 8 2 . 1 7 5 BSG 20, 215 (218); Brackmann, Bd. II, 480 q, m.w.N.; anders nur, wenn keine vertragliche Regelung der Arbeit besteht; hier wird strenger auf den ausgesprochenen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers abgestellt; vgl. Brackmann, Bd. II, 480 q I. ι™ BSG 12, 247 (250 f.); BSG SozR 2200 § 548 (Nr. 7), 15 und 17. Vgl. BSG 20, 215 (217); Jäger, 112, m.w.N. 178 BSG 11, 50 (54); vgl. Brackmann, Bd. II, 480 i, mit zahlreichen Nachweisen. 179 Wobei die Frage nach der versicherten Tätigkeit und der Kausalität in der Rechtsprechung und Literatur nicht streng getrennt werden; vgl. Schulin, Rdz. 160; Brackmann, Bd. II, 480 q. 177

180 Cass. civ. 18. April 1923, Gaz. Pal. 1923, 2, 32, 1. Urteil; Cass. soc. 22. April 1966, J.C.P. 1966, IV, 77. 181 182

BSG 16, 73 (77); Brackmann, Bd. II, 481 i, m.w.N. Brackmann, Bd. II, 481 i, mit Hinweisen auf weitere Einzelfälle.

6 2 Β . Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Als Arbeitsunfall wird auch der Unfall angesehen, der sich innerhalb der Arbeitszeit ereignet, während sich der Arbeitnehmer mit Genehmigung des Arbeitgebers vom eigentlichen Arbeitsplatz entfernt h a t 1 8 3 . Im allgemeinen umfaßt der Begriff des Arbeitsortes auch alle gefährlichen Wege, die der Arbeitnehmer beschreiten muß, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen. So wurde ein Unfall als Arbeitsunfall angesehen, den eine Arbeitnehmerin erlitt, als sie in der Mittagspause auf einer Treppe stürzte, die zu dem im dritten Stock gelegenen Unternehmen führte, dem sie angehörte 184 . Voraussetzung ist aber, daß der Arbeitnehmer nur die Möglichkeit hatte, diesen Weg zu gehen, oder daß der Arbeitgeber dessen Benutzung ausdrücklich oder stillschweigend erlaubt 185 . Unfälle auf Wegen, die strengstens verboten waren, werden nicht als Arbeitsunfälle anerkannt 186 . Falls der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern ein Transportmittel zur Verfügung stellt, das diese benutzen müssen, die Arbeitnehmer zudem auch für die Zeit der Fahrt wenigstens teilweise entlohnt werden und demnach dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegen, sind alle eintretenden Unfälle als Arbeitsunfälle zu betrachten 187 . Im deutschen Recht besteht der Versicherungsschutz, wenn die versicherte Tätigkeit eine wesentliche rechtliche Ursache für das Zurücklegen des Weges ist. Der Weg vom Arbeitsplatz zu dem Ort, an dem während der Arbeitszeit eine Mahlzeit eingenommen wird, ist wesentlich mit durch die betriebliche Tätigkeit bedingt 1 8 8 . Das gilt auch für Wege, die zum Aufsuchen der Arbeitsstelle vom Betrieb aus durchgeführt werden 189 .

183

Vgl. Cass. civ. 23. April 1902, S. 1904, 1, 78 (Fall eines Arbeiters, der verunglückte, als er nach draußen ging, um Essensreste fortzuwerfen); Cass. civ. 6. Okt. 1941, Bull. civ. II (Nr. 239), 427 (Arbeiter, der verunglückte, als er sich mit stillschweigender Erlaubnis des Arbeitgebers in eine Schankwirtschaft begab); Cass. soc. 22. April 1966, D. 1966, 415 (Sturz bei Spielereien junger Arbeitnehmer auf der Treppe zur Garderobe); vgl. aber auch noch unten Β II 2 c und Β II 2 e aa. 184 Cass. soc. 5. Jan. 1956, Dr. soc. 1956, 185; ähnlich Cass. soc. 19. März 1947, J.C.P. 1947, II, 3690; Cass. soc. 15. Juli 1947, J.C.P. 1947, IV, 169; Cass. soc. 28. Juni 1973, D. 1973,1.R., 153. 185 Cass. civ. 2. März 1927, Gaz. Pal. 1927, 1, 691; Cass. civ. 22. Juli 1941, Bull. civ. IV (Nr. 187), 337; vgl. auch Cass. soc. 4. Dez. 1953, D. 1954, 94. 186 Cass. civ. 23. Mai 1927, Gaz. Pal. 1927, 2, 349; Cass. soc. 16. Juli 1956, Dr. soc. 1957,62. 187 Cass. soc. 26. Jan. 1961, J.C.P. 1961, II, 12007, 2. Urteil; Cass. soc. 15. Okt. 1971, D. 1971, 24; Cass. crim. 14. Nov. 1973, D. 1973, I.R., 249; Cass. crim. 14. Dez. 1976, D. 1977,1.R., 9. 188 BSG 14, 197 (199); Brackmann, Bd. II, 486 h I. 189 Vgl. Brackmann, Bd. II, 481p, q.

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

63

c) Arbeitszeit Der Arbeitnehmer befindet sich innerhalb seiner Arbeitszeit, sobald er in den Autoritätskreis seines Arbeitgebers eintritt, d.h., sobald er als Untergebener oder Abhängiger arbeitet, und zwar solange, wie diese Unterordnung andauert 1 9 0 . Der Arbeitnehmer wird nicht nur während der normalen Arbeitszeit dem Versicherungsschutz unterstellt, sondern bei Einverständnis des Arbeitgebers auch vor dem eigentlichen Arbeitsbeginn 191 . Dies gilt auch vor Beginn einer neuen Beschäftigung: so erlitt ein Arbeitnehmer, der sich am Tag vor Beginn seiner neuen Beschäftigung auf dem Arbeitsplatz befand und auf Geheiß des Vorarbeiters sein Arbeitswerkzeug in eine Garage bringen wollte, schwere Verletzungen, als er aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse ein offenes Kellerloch in der Garage übersah und dort hineinstürzte 192 . Nicht entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer für diese Zeit vor dem eigentlichen Arbeitsbeginn entlohnt w i r d 1 9 3 . Im deutschen Recht ist der Beginn der versicherten Tätigkeit ebenfalls von der eigentlichen Arbeitszeit unabhängig. Allerdings wird das Umkleiden am Arbeitsort nur dann geschützt, wenn das Tragen von Arbeitskleidung oder anderer Alltagskleidung für die betriebliche Tätigkeit notwendig oder üblich ist194. Unfälle bei Verwahrung bzw. Beförderung von Arbeitsgerät sind gemäß § 549 RVO geschützt, wenn sie im ursächlichen Zusammenhang mit der verrichteten Tätigkeit stehen. Auch nach der Arbeit kann der Versicherungsschutz bestehen bleiben. So wurde ein Unfall als Arbeitsunfall anerkannt, der beim Waschen nach Arbeitsschluß eintrat 1 9 5 ; ebenso der Unfall in einer vertraglich vorgesehenen Gymnastikstunde nach der Arbeit 1 9 6 . 1*0 Nouveau Répertoire 1962, Nr. 120; J. cl., Fase. 310, Nr. 143. Cass. civ. 18. April 1923, Gaz. Pal. 1923, 2, 32, 1. Urteil (Verletzung eines Arbeitnehmers in der Garderobe vor Wiederbeginn der Arbeit). 192 Cass. soc. 4. Mai 1962, J.C.P. 1962, IV, 81. 193 Vgl. Cass. soc. 28. Feb. 1938, D.H. 1938, 261 (nicht bezahlte, aber übliche Arbeitsunterbrechung, um eine Mahlzeit einzunehmen); vgl. ferner Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 899, m.w.N. * 9 4 BSG in SozR RVO § 548, Nr. 12; BSG in SozR 2200 § 549, Nr. 1 = Soz. Sich. 1975, RsprNr. 2950. 195 Cass. req. 2. Mai 1908, D.P. 1911, 1, 91, 4. Urteil. 19 * Cass. civ. 23. Okt. 1929, Gaz. Pal. 1929, 2, 862. 191

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

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Wenn der Geschädigte sich nach Arbeitsschluß auf dem Betriebsgelände aufhält, sein Aufenthalt aber in keiner Beziehung zu seiner Arbeit steht 1 9 7 (bzw. er gar gegen ein Aufenthaltsverbot des Arbeitgebers verstößt 198 ) und er sich nicht mehr unter der Weisungsgewalt seines Arbeitgebers befindet, so entfällt die Vermutung, daß es sich um einen Arbeitsunfall handelte. Im deutschen Recht kann der Versicherungsschutz ebenfalls nach Schluß des unmittelbaren Arbeitsvorganges bestehen bleiben. So z.B. beim Fahrschüler (§ 539 Abs. 1 Nr. 14b RVO), der sich nach dem Schluß des Unterrichts genehmigtermaßen in der Schule bis zur Abfahrt seines Zuges aufhalten darf und dabei einen Unfall erleidet. Wenn die vom Versicherten geleistete Betriebsarbeit sein Bedürfnis nach körperlicher Reinigung während oder nach der Arbeit wesentlich mitbestimmt hat, sind dabei eintretende Unfälle versichert 199 . Betriebssport als Ausgleich für die betriebliche Belastung kann dem Versicherungsschutz unterstehen. Dazu gehört Wettkampfsport jedoch nicht 2 0 0 . Ferner müssen die Übungen im Rahmen einer unternehmensbezogenen Organisation stattfinden 201 . Der Unfall, der bei Arbeitsunterbrechungen eintritt, die entweder vom Arbeitgeber wenigstens stillschweigend erlaubt wurden 202 oder die den allgemeinen Betriebsregeln und Gebräuchen entsprechen, wird häufig als Arbeitsunfall angesehen: bei kurzen Ruhe- und Essenspausen203, bei Erkundigungen nach der Uhrzeit 2 0 4 , bei Verrichtung der Notdurft 2 0 5 , selbst bei dem Einnehmen eines Getränks in einer Schankwirtschaft 206 . Im deutschen Recht bleibt der Versicherungsschutz bei nur geringfügiger Arbeitsunterbrechung ebenfalls bestehen 207 . Die Geringfügigkeit richtet sich 197

Cass. soc. 21. Nov. 1957, J.C.P. 1957, IV, 185. Cass. soc. 17. Juli 1958, Bull. civ. IV (Nr. 947), 713. 199 Vgl. BSG 33,141; Lauterbach, Bd. I, Anm. 32 zu § 548. 200 BSG 16, 1 (4); ebenso BSG in den Urteilen vom 24. Aug. .1976 - 8 RU 152/75 und vom 24. Feb. 1977 - 8 RU 102/76 - ; vgl. Brackmann, Bd. II, 482 s bis v, 483, 483 a und b, m.w.N. 201 Vgl. BSG 16, 1 (6). ™

202 Cass. soc. 14. Feb. 1973, D. 1973, I.R., 41 (Arbeitnehmer, der aufgrund einer „hydrocution" - reflektorischer Herzstillstand - ertrank, als er ein Fußbad nahm); Cass. soc. 9. April 1973, D. 1973, I.R., 117 (Unfall eines Arbeitnehmers beim Wasserholen auf dem Betriebsgelände). 203 Cass. civ. 27. Dez. 1911, S. 1913, 1, 383; Cass. req. 3. Jan. 1928, Gaz. Pal. 1928, 1,513. 2 0 4 Rouen 4. April 1912, D.P. 1913, 5, 31. 205 Cass. civ. 26. Juli 1905, D.P. 1907,1, 295 ; Cass. civ. 3. April 1913, D.P. 1913, 5,43. 206 Cass. civ. 6. Okt. 1941, Bull. civ. II (Nr. 239), 427; aber vgl. die Entscheidungen unten Fn. 237 bis 244. 207 BSG in BG 1965, 196; BSG in SozR 2200 § 548, Nr. 15; Lauterbach, Bd. I, Anm. 83 zu § 548; Brackmann, Bd. II, 482 s bis v, 483, 483 a und b, m.w.N.

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

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u.a. auch nach der räumlichen Entfernung vom Arbeitsplatz und der Zeit für die Ausführung der privaten Besorgung 208. Arbeitspausen sind im allgemeinen vom Versicherungsschutz nicht ausgeschlossen, weil sie mit dem Beschäftigungsverhältnis im Zusammenhang stehen 2 0 9 . Auch das Aufsuchen der Toilette in dem Betrieb untersteht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung 210. Bei Unfällen, die in Verbindung mit dem Einnehmen von Mahlzeiten in der Kantine oder anderen Betriebsräumen auftreten, wird ein Versicherungsschutz von den französischen Gerichten meistens versagt 211 . Für den Fall, daß die Mahlzeit vertraglich vereinbart ist — selbst wenn sie außerhalb des Betriebes eingenommen wird — gilt aber ein während der Essenszeit eintretender Unfall als Arbeitsunfall 212 . Es bestehe hier die Abhängigkeit des Arbeitnehmers von seinem Arbeitgeber. Der Versicherungsschutz wurde dem Arbeitnehmer versagt, der in einem Lokal verunglückte, zu dem er als Personalmitglied keinen Zutritt hatte 2 1 3 . Ebenso wurde der Fall eines Arbeitnehmers entschieden, der im Speisesaal des Betriebes während der Mittagspause eine wohl mitgebrachte Konservendose öffnete und sich dabei verletzte 214 . Der Unfall habe sich nicht durch oder bei Gelegenheit der Arbeit ereignet und sei ohne Beziehung dazu eingetreten. In der Entscheidung wurde es nicht als ausreichend angesehen, daß das Berufungsgericht festgestellt hatte, daß der Arbeitnehmer der Weisungsgewalt und Kontrolle des Arbeitgebers weiterhin unterstand. In der Literatur wurde dieses Urteil als Abkehr von dem Merkmal der „autorité" begrüßt 215 . In der neueren Rechtsprechung wird aber wieder auf die „autorité" des Arbeitgebers abgestellt. So wurde der Unfall als Arbeitsunfall angesehen, der sich ereignete, als der Arbeitnehmer nach dem Essen die Werkskantine verlassen wollte. Der Kassationshof begründete diese Entscheidung damit, daß der 208 BSG in SozR RVO § 548, Nr. 31 (Straßenbahnführer, der bei „Rot" seinen Triebwagen verließ, um sich aus einem Automaten neben der Straße Zigaretten zu holen und auf dem Weg dorthin verunglückte: Arbeitsunfall). 2 09 Vgl. BSG in SozR 2200 § 548, Nr. 15. 210 RVA in AN des RVA 1911, 389; BSG 16, 73 (76); BSG in SozR § 548, Nr. 28; BSG, Urteil vom 26. Juli 1977 - 8 RU 8/77 - ; Brackmann, Bd. II, 481 i. 211 Vgl. Juttard, Les accidents de cantine, Anm. zu Cass. soc. 11. Juni 1970, J.C.P. 1971, éd. C.I., 10077; vgl. Godard, Anm. zu Cass. soc. 3. Juni 1970, D. 1971, 39. 212 Cass. soc. 3. Nov. 1950, J.C.P. 1950, IV, 177; vgl. Cass. soc. 20. Jan. 1977, D. 1977,1.R., 93. 213 Cass. soc. 21. Juni 1961, Bull. civ. IV (Nr. 670), 531. 214 Cass. soc. 17. Okt. 1963, D. 1964, 85, Anm. Dupeyroux. 215 Dupeyroux, Anm., D. 1964, 25; Godard, Anm., D. 1971, 39.

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Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Geschädigte weiterhin unter der Kontrolle seines Arbeitgebers gestanden habe 2 1 6 . Ferner galt der Unfall als Arbeitsunfall, der sich in einem Speisesaal eines Betriebes während einer Vesper ereignete, als der betroffene Arbeitnehmer sein Taschenmesser unvorsichtig zuklappte. Dieser Arbeitnehmer habe sich nicht der Weisungsgewalt seines Arbeitgebers entzogen 217 . Als Arbeitsunfall wurde auch der Unfall angesehen, den ein junger Arbeitnehmer erlitt, als er auf Aufforderung eines älteren Kollegen in einem Laden eine Flasche Wein kaufen ging 2 1 8 . Für das deutsche Recht ist zum letztgenannten Fall zwar kein entsprechendes Beispiel ersichtlich. Die Ansicht in der Literatur, daß Versicherungsschutz bei einer im unmittelbaren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit ausgeübten Gefälligkeit für Arbeitskollegen anzunehmen sei, soll hier jedoch zum Vergleich herangezogen werden. Versicherungsschutz wird danach dann befürwortet, wenn diese an sich privaten Zwecken eines anderen dienende Verrichtung im Hinblick auf die unter Arbeitskollegen angestrebte Kameradschaft nicht ohne erhebliche Folgen für den Betriebsfrieden am Arbeitsplatz hätte abgelehnt werden könneil 2 1 9 . Die Nahrungsaufnahme und Verrichtungen, die damit zusammenhängen, wie z.B. das Reinigen des Geschirrs in der Werkskantine, ist nach deutschem Recht in den Versicherungsschutz nur einbezogen, wenn sie aus besonderen betrieblichen Umständen erfolgt 2 2 0 , wenn eine Betriebseinrichtung den Unfall wesentlich mitverursacht h a t 2 2 1 , oder wenn der Unfall auf betriebsbedingten Gefahren beruht, die mit der Essenseinnahme verbunden sind 2 2 2 . Ein Kostenzuschuß des Unternehmens zum Essen des Arbeitnehmers begründet einen ursächlichen Zusammenhang nicht 2 2 3 . Spaziergänge während der Essenszeiten können unter Versicherungsschutz stehen, wenn die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers auch hier besteht. 216 Cass. soc. 3. Juni 1970, D. 1971, 39, Anm. Godard; vgl. auch Cass. soc. 20. Jan. 1977, D. 1977,1.R., 93. 217 Cass. soc. 12. Jan. 1977, D. 1977,1.R., 69. 218 Bordeaux 17. Nov. 1975, zit. nach: J. cl., Fase. 310, Nr. 156. 219 Brackmann, Bd. II, 480 w. 220 Vgl. BSG in Breith. 1969, 755 ; vgl. BSG in BB 1969, 408; vgl. BSG in SozR 2200 § 548, Nr. 20. 221 BSG in SozR 2200 § 548, Nr. 20 (Unfall an der - nicht gefahrlosen - Drehtür zum Personalkasino ist ein Arbeitsunfall). 222 Vgl. BSG in BB 1969, 408 (kein Arbeitsunfall ist die Verletzung eines Metzgergesellen, die dieser erlitt, als er nicht mit dem dafür vorgesehenen Tafelmesser, sondern mit einem Schlachtermesser ein Brötchen aufschnitt). 223 BSG in SozR RVO § 543 a.F., Nr. 61 = BB 1967, 374.

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

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Dies wurde bei dem Unfall eines Lehrlings angenommen, der verunglückte, als er einen Mittagsspaziergang während eines Lehrgangs der Handwerkskammer machte, bei dem er von morgens bis abends dem Weisungsrecht der Kammer unterlag 224 . Im deutschen Recht ist maßgebend, ob der Spaziergang aus besonderen Umständen zur notwendigen Erholung für eine weitere Beschäftigung erforderlich ist225. Die Arbeit von Vertretern von Berufsorganisationen (z.B. Gewerkschaften), von Personalvertretern und Mitgliedern des Unternehmensausschusses wird in begrenztem Umfang geschützt 226 . In einem neueren Urteil des Kassationshofes 227 wurden dazu folgende Feststellungen getroffen: der Gewerkschaftsvertreter genießt den Schutz nach der Arbeitsunfallgesetzgebung für Unfälle, wenn diese bei Gelegenheit von solchen Tätigkeiten eintreten, die er aufgrund des Gesetzes Nr. 68-1179 vom 27. Dezember 1968 2 2 8 vorzunehmen hat. Danach hat er die Aufgabe, die Gewerkschaft bei dem Unternehmer zu vertreten und aufgrund dessen dem Arbeitgeber alle Forderungen, Streitigkeiten und Wünsche der gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer vorzutragen. Die Anwesenheit bei satzungsgemäßen Versammlungen der Gewerkschaft fällt nicht in den Rahmen dieser Befugnisse 229. Ähnliche Grundsätze werden auch im deutschen Recht vertreten. Mitarbeit in Berufsorganisationen ist geschützt, wenn diese Tätigkeit im ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht. Das ist der Fall, wenn sie dem Betrieb dient, z.B. bei Vermittlung betriebsfördernder Kenntnisse 230 . d) Zusammenfassung Die Rechtsprechung legt die Merkmale Arbeitszeit und Arbeitsort jeweils weit aus. Beide Merkmale erfahren zugleich jedoch nur selten eine erweiterte Auslegung, wie z.B. bei den Unfällen in der Kantine. Es wird wesentlich darauf abgestellt, ob der Arbeitnehmer dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt: der Arbeitnehmer befindet sich am Arbeits2 2 4 Cass. soc. 26. Jan. 1967, Dr. soc. 1967, 470, Anm. Jambu-Merlin; vgl. aber Cass. soc. 16. Juni 1976, D. 1976,1.R., 213 (kein Arbeitsunfall). 225 Zustimmend BSG, Urteil vom 9. Dez. 1976 - 2 RU 145/74 - und BSG,Urteil vom 28. April 1977 - 2 RU 75/75 - , vgl. Brackmann, Bd. II, 481 h, m.w.N. 22 * Vgl. J. cl., Fase. 310, Nr. 157. 227 Cass. soc. 4. Juni 1975, zit. nach J. cl., Fase. 310, Nr. 159. 228 Abgedruckt in J.O. 31. Dez. 1968, 12403 = D. 1969, L., 28. 229 Vgl. auch die Entscheidung Cass. soc. 13. März 1969, Bull. civ. IV (Nr. 185), 155. 230 BSG 30, 282 (283); BSG in SozR RVO § 548, Nr. 23; Brackmann, Bd. II, 482 e, m.w.N.; vgl. auch BSG 42, 36 (zum Versicherungsschutz des Betriebsrats).

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Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

ort zur Arbeitszeit überall dort, wo er dem Direktionsrecht seines Arbeitgebers untersteht; andererseits wird vermutet, daß der Arbeitnehmer, der sich zur Arbeitszeit am Arbeitsort befunden hat, auch der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers unterliegt. e) Besondere Einzelfallgruppen aa) Arbeit außerhalb der Arbeitszeit und/oder des Arbeitsortes Nimmt der Arbeitnehmer außerhalb seines Betriebes an Veranstaltungen teil, die einen Zusammenhang mit dem Betrieb haben, zu deren Besuch der Arbeitnehmer moralisch verpflichtet ist und denen er sich nicht ohne Mißbilligung des Arbeitgebers entziehen kann, so kann ein Abhängigkeitsverhältnis zum Arbeitgeber vorliegen 231 . Betriebsfeste und andere Gemeinschaftsveranstaltungen, die bei der Planung und Durchführung von der Autorität des Betriebsleiters getragen werden, d.h. von ihm selbst veranstaltet oder von ihm gebilligt und gefördert werden, unterstehen in Deutschland dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung 232. Auch hier besteht also eine ähnliche Regelung wie in Frankreich. Der Arbeitnehmer unterliegt der Arbeitsunfallgesetzgebung jedoch nicht, wenn kein Abhängigkeitsverhältnis vorliegt. Das ist z.B. während des bezahlten Urlaubs des Arbeitnehmers der Fall, selbst wenn dieser in dieser Zeit seinen Lohn für den Vormonat im Betrieb abholt 2 3 3 . Dies gilt auch für den Krankheitsurlaub 234 . Urlaub wird im deutschen Recht im allgemeinen (mit Ausnahme von Erholungs- oder Kuraufenthalt, der wesentlich auch im betrieblichen Interesse durchgeführt w i r d 2 3 5 ) dem persönlichen Lebensbereich zugerechnet 236 . Es sei denn, daß eine Tätigkeit ausgeübt wird, die dem betrieblichen Interesse dient. 231 Paris 20. Okt. 1964, D. 1964, Somm., 3 (Versammlung, die ein Bürgermeister einberief, um den Arbeitern für eine Arbeit in der Gemeinde zu danken); Cass. crim. 30. Okt. 1969, D. 1970, 666, Anm. Saint-Jours (Teilnahme an einer offiziellen Feier im Betrieb); kein Arbeitsunfall: vgl. Cass. soc. 5. Okt. 1961, D. 1962, Somm., 23; Cass. soc. 20. Juni 1963, D. 1964, Somm., 12 (Einkaufsfahrten, die der Arbeitgeber für Arbeitnehmer organisierte). 232 BSG 1, 179 (Unfall beim Baden während eines Betriebsausfluges: Arbeitsunfall); BSG in SozR RVO § 548, Nr. 13 (Unfall während einer betriebsoffiziellen Feier zur Ehrung eines Jubilars: Arbeitsunfall); Brackmann, Bd. II, 482 h, m.w.N.; Lauterbach, Bd. I, Anm. 39 zu § 548. 233 Cass. soc. 17. März 1970, D. 1970, Somm., 149 = Bull. civ. V (Nr. 205), 162. 2 3 4 Cass. soc. 26. März 1963, Bull. civ. IV (Nr. 311), 250; Cass. soc. 25. Mai 1972, J.C.P. 1972, IV, 165. 235 Vgl. BSG 9, 222 (227) = NJW 1959, 1653. 236 Vgl. Brackmann, Bd. II, 485 f.

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

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Der Kassationshof entschied im Falle eines Schrankenwärters, der seinen Arbeitsplatz verließ, um Wasser zu seinem persönlichen Verbrauch zu holen, obwohl ihm dies nicht gestattet war 2 3 7 , daß ein Arbeitsunfall nicht vorlag. Wenn der Geschädigte also gegen den Willen seines Arbeitgebers seinen Arbeitsplatz verläßt, besteht kein Versicherungsschutz 238. Das gilt auch für unerlaubtes vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes 239 . Auch ausdrücklich vom Arbeitgeber erlaubte Arbeitsunterbrechungen können vom gesetzlichen Schutz ausgenommen werden, wenn der Arbeitnehmer dadurch seine volle Selbständigkeit und Unabhängigkeit wiedererlangt. Dies ist z.B. der Fall, wenn der Arbeitnehmer den Arzt aufsucht 240 , auch wenn dies während der Arbeitszeit und aufgrund eines Arbeitsunfalls erfolgte 241 . Jede andere, den persönlichen Bereich betreffende Tätigkeit, die nicht nur von kurzer Dauer ist und mit Erlaubnis erfolgte 242 , untersteht dem gesetzlichen Schutz ebenfalls nicht. Eine Genehmigung des Arbeitgebers ist hier ohne Bedeutung; so z.B., wenn der Arbeitnehmer sich auf Vorladung zu einer Behörde begibt 2 4 3 . In einer neueren Entscheidung wurde der Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkannt, den ein Schwachsinniger erlitt, der seine beschützende Werkstatt verlassen hatte, um in der Nähe Brot zu kaufen 2 4 4 . Der Kassationshof begründete seine Entscheidung damit, daß der Geschädigte seine Arbeitsstelle ohne Erlaubnis aus arbeitsfremden Gründen verlassen habe. Diese Erlaubnis wäre ihm auch nicht erteilt worden, weil er allein außerhalb der Werkstatt zu großen Gefahren ausgesetzt gewesen wäre. Im deutschen Recht sind ebenfalls alle dem privaten Bereich zuzurechnenden Tätigkeiten (eigenwirtschaftlicher Bereich) grundsätzlich unversichert 245 . Unterbricht der Versicherte seine Arbeit im Betrieb durch eine private Verrichtung, so fehlt es während der Unterbrechung im allgemeinen an einer versicher237 Cass. soc. 21. Juli 1953, Dr. soc. 1954,122; vgl. Cass. soc. 4. Feb. 1971, D. 1971, Somm., 81. 238 Zum Handeln des Arbeitnehmers gegen Vorschriften des Arbeitgebers siehe unten Β II 2 e dd. 239 Ch. réun. 18. Juli 1944, J.C.P. 1945, II, 2882, Anm. J.G.; Cass. soc. 16. Dez. 1965, D. 1966, Somm., 36. 2 4 0

Colmar 3. März 1961, D. 1961, Somm., 67; Douai 11. Okt. 1975, zit. nach J. cl., Fase. 310, Nr. 193. 2 4 1 Cass. soc. 20. April 1956, D. 1957, Somm., 8; Cass. soc. 1. Feb. 1962, D. 1962, Somm., 59; anders Cass. soc. 7. Feb. 1957, J.C.P. 1957, II, 9918 (Arbeitnehmer, der nach einem ArbeitsunfaU auf dem Weg zum Arzt verunglückte). 2 4 2 Vgl. oben in und zu Fn. 202 bis 206. 2 4 3 Cass. soc. 7. Nov. 1959, Bull. civ. IV (Nr. 1106), 878. 2 4 4 Cass. soc. 16. Okt. 1975, D. 1975,1.R., 229. 245 Brackmann, Bd. II, 480 s II.

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Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

ten Tätigkeit, so daß die Frage des Kausalzusammenhanges gar nicht akut wird246. Ein Kausalzusammenhang kann aber dann gegeben sein, wenn betriebsbedingte Gefahren bei dem Unfall wesentlich mitgewirkt haben 2 4 7 . Das Aufsuchen eines Arztes wird im deutschen Recht zwar auch grundsätzlich nicht dem Versicherungsschutz unterstellt 2 4 8 , anders ist dies aber beim Arbeitsunfall gemäß § 555 RVO. Wieder gilt aber auch, daß bei einer nicht unfallbedingten Erkrankung der Verletzte geschützt wird, wenn der Arztbesuch wesentlich betrieblichen Interessen dient 2 4 9 . Auch werden Unfälle bei zeitweiliger Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines Arbeitsunfalls nicht als Arbeitsunfälle anerkannt 250 . Ebenso wird nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Versicherungsschutz versagt. Dies gilt auch, wenn der Arbeitnehmer während der Zeit der Arbeitssuche noch vom bisherigen Betrieb in Form einer Kündigungsentschädigung bezahlt wird, der Arbeitsvertrag aber tatsächlich als gelöst anzusehen i s t 2 5 1 . Wege zur Arbeitssuche sind unversichert 252 . Ähnlich urteilen hier auch die deutschen Gerichte. Versicherungsschutz wird für alle Verrichtungen gewährt, die notwendig sind, um das Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder Einigung über eine vorzeitige Auflösung zu beenden 253 . Verrichtungen und Wege, die mit der Arbeitssuche zusammenhängen, sind jedoch grundsätzlich unversichert, weil sie dem eigenwirtschaftlichen Bereich des Arbeitnehmers zuzurechnen sind 2 5 4 . Vergleichbar mit der Kündigung besteht auch im Falle des Streiks kein Versicherungsschutz. Der Kassationshof hat dazu ausgeführt, daß der Streik den 2 4 6

Ebenda, 480 1 1. BSG in SozR 2200 § 548, Nr. 15; BSG in SozR RVO § 548, Nr. 21. 2 4 8 BSG 4, 219 (223) = NJW 1957, 807; BSG in SozR RVO § 548, Nr. 1; BSG in SozR 2200 § 548, Nr. 2; vgl. Brackmann, Bd. II, 484 k bis m, m.w.N. 2 4 9 Vgl. BSG in SozR RVO § 548, Nr. 1; BSG, Urteil vom 26. Mai 1977 - 2 RU 97/76 - , vgl. Brackmann, Bd. II, 484 m. 250 Cass. soc. 19. Dez. 1949, D. 1950, 209; vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1979, Nr. 905, m.w.N. 251 Vgl. Cass. soc. 3. Nov. 1960, D. 1960, 742, Anm.; Cass. soc. 17. Okt. 1974, Bull, civ. V (Nr. 487), 456; Rép. dr. soc. et trav., 1979, Nr. 905-2, m.w.N. 252 Vgl. Anm. zu Cass. soc. 3. Nov. 1960, D. 1960, 742 (743). 253 BSG 8, 176 (178); BSG 20, 23 (24); Brackmann, Bd. II, 484 η und o, m.w.N. 254 Zustimmend BSG in SozR 2200 § 550, Nr. 1 = Breith. 1974, 1018; Brackmann, Bd. II, 484 b, m.w.N. 2 4 7

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

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Arbeitsvertrag hemme und deshalb für den Arbeitnehmer, selbst wenn er sich zur Arbeitszeit am Arbeitsort befinde, ein Versicherungsschutz nicht bestehe 255 . Dies gilt ähnlich auch für das deutsche Recht. Wird die versicherungspflichtige Tätigkeit nicht mehr oder zeitweilig nicht ausgeübt, so endet der Versicherungsschutz. Dies gilt aber nicht für Notstandsarbeiten 256. bb) Handeln aus Gefälligkeit und Ergebenheit sowie Aufopferungshandlungen Unfälle, die bei Handlungen aus Gefälligkeit einer anderen Person gegenüber oder auch aus Ergebenheit dem Arbeitgeber gegenüber eintreten, werden in der Rechtsprechung grundsätzlich nicht als Arbeitsunfälle betrachtet 257 . Dies geschieht nur ausnahmsweise, z.B. wenn der Arbeitgeber die Tätigkeit erlaubte oder duldete 258 . Aufopferungshandlungen werden geschützt, wenn sie erforderlich sind, weil eine Person gefährdet i s t 2 5 9 . Im deutschen Recht kommt es bei Gefälligkeitshandlungen darauf an, daß die unfallbringende Tätigkeit ausschließlich oder wesentlich auch dem Interesse des Betriebes dient. Oft kann sich der Arbeitnehmer auch Arbeiten im Betrieb nicht entziehen, die nicht zu seiner eigentlichen Tätigkeit gehören 260 . Auch 255 Vgl. Cass. soc. 6. Juli 1965, D. 1965, 685 (Fall eines streikenden Bergmanns, der verunglückte, als er auf einer Sicherheitsleiter wieder an die Erdoberfläche kletterte); Rennes 2. Juü 1968, Gaz. Pal. 1968, 2, 249; vgl. Camerlynck/Sinay, Traité de droit du travail, la greve (Nr. 137), 291 ff., m.w.N. zur Rechtsprechung und kritischen Anmerkungen. 256 Vgl. Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II, 2. Hbd., 971; Stern, Die Auswirkungen des Streiks und der Aussperrung in der Sozialversicherung, BB 1973, 201 (203); Krause, Der Arbeitskampf in der Sozialversicherung, DB 1974 (Beilage Nr. 14), 6. 257 Cass. civ. 17. Feb. 1920, D.P. 1920, 1, 81 (89), 15. Urteü (Arbeitnehmer, der ein führerloses, fremdes Pferd mit Fuhrwerk einfing und dann von der Straßenbahn überfahren wurde: kein Arbeitsunfall); Cass. soc. 4. Feb. 1971, D. 1971, Somm., 81 (Transport von Kindern von einer Weihnachtsfeier nach Hause auf Bitten des Betriebsausschußsekretärs). 258 ygi. a u c h die Ausführungen oben unter B i l e und Β II 2 e aa. Vgl. Cass. civ. 10. März 1913, D.P. 1913, 5, 43 (LKW-Fahrer, der Wein anlieferte und sich verletzte, als er aus Gefälligkeit dem Kunden half, die Lieferung in den Keller zu transportieren. Die Zustimmung des Arbeitgebers zu diesem Handeln lag jedoch weder ausdrücklich noch stillschweigend vor: kein Arbeitsunfall); Cass. soc. 12. Mai 1966, Bull. civ. IV (Nr. 457), 383 (Unfall, der eintrat, als ein Arbeitnehmer anderen Arbeitnehmern einer benachbarten Arbeitsstelle half, jedoch ohne Erlaubnis seines Arbeitgebers: kein Arbeitsunfall); vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 913, m.w.N. 259 Vgl. Cass. soc. 17. Okt. 1973, Dr. soc. 1974, 172, Anm. Saint-Jours (2 Urteile = D. 1974, 26, Anm. D., und D. 1973,1.R., 217); vgl. die Ausführungen oben unter B i l e . 260 Vgl. Bayer. LSG in Breith. 1961, 799 (Schneeräumen an den Zugängen zu einer Gastwirtschaft); Brackmann, Bd. II, 480 v, m.w.N.; hier ist es auch denkbar, Fälle von kameradschaftlicher Hüfe mit Rücksicht auf den Betriebsfrieden einzuordnen, vgl. Brackmann, Bd. II, 480 v; vgl. auch die Ausführungen oben unter B i l e .

7 2 Β .

Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

wenn der Arbeitnehmer hat glauben können, daß er sich einer Bitte zum Besorgen einer privaten Angelegenheit für den unmittelbaren Vorgesetzten während der Arbeitszeit nicht entziehen konnte, wird Versicherungsschutz gewährt 261 . cc) Arbeiten außerhalb des Betriebes Bei Arbeiten, die nicht innerhalb des Betriebes ausgeübt werden, tauchen Schwierigkeiten hinsichtlich der Bestimmung des ursächlichen Zusammenhanges zwischen Unfall und Arbeit in bezug auf den Ort und die Zeit des Unfalleintritts auf, denn der Arbeitnehmer steht meist nicht unter der Kontrolle und Aufsicht des Arbeitgebers; er organisiert seine Arbeit selbst. Bei der Ausübung von gewissen Tätigkeiten könnte man von einem Unterordnungsverhältnis sprechen. Die ersten Schwierigkeiten traten bei dem Hauspersonal auf, das unentgeltlich untergebracht wurde 2 6 2 . Hier war es schwierig, Unfälle bei der Arbeit von solchen außerhalb der Arbeit zu unterscheiden. In neuerer Zeit wurde entschieden, daß der Unfall, den Arbeitnehmer an dem Ort einer von ihrem Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Unterbringung erleiden, kein Arbeitsunfall ist, wenn diese Unterbringung außerhalb der Arbeitszeit für den Arbeitnehmer keine Gebundenheit an den Arbeitgeber nach sich zieht 2 6 3 . Anders ist dies, wenn die Unterbringung im Interesse des Betriebes geschieht 264 . Im deutschen Recht kommt es ähnlich darauf an, ob die Unterbringung in Wohnbaracken, -heimen, -wagen oder dergl. wesentlich im Interesse des betreffenden Unternehmens oder wesentlich allein im Interesse des Arbeitnehmers liegt. Im letzteren Fall wird ein Versicherungsschutz abgelehnt 265 , während im ersten maßgebend ist, ob zwischen der unfallbringenden und der versicherten Tätigkeit ein rechtlich wesentlicher ursächlicher Zusammenhang besteht 266 . Bei 261 BSG NJW 1964, 2272 = Breith. 1965, 18; BSG 41, 58 (59/60) = SozR 2200 § 548, Nr. 11; Brackmann, Bd. II, 480 w, m.w.N. 262 vgl. Cass. req. 13. Feb. 1912, D.P. 1913, 5, 6; Cass. civ. 23. Juni 1915, D.P. 1917, 1, 1 ; Cass. soc. 12. Dez. 1940, D.A. 1941,40. 263 Cass. soc. 13. Jan. 1949, Bull. civ. III (Nr. 31), 75 (Arbeitnehmer, der in einer Baracke übernachtete, die den Arbeitnehmern zur freien Benutzung zur Verfügung stand); ähnlich Cass. soc. 31. März 1952, J.C.P. 1952, IV, 81. 264 vgl. Cass. soc. 15. Juli 1948, Bull. civ. III (Nr. 731), 787 (Seemann, der an Bord eines Schleppkahns untergebracht war); Cass. soc. 18. Juli 1962, Bull. civ. IV (Nr. 661), 542 (Arbeitnehmer, der sich damit einverstanden erklärt hatte, in einer Baracke zu schlafen, um eventuelle Einbrecher vom Betriebsgelände fernzuhalten); vgl. auch Cass. soc. 5. Nov. 1975, zit. nach J. cl., Fase. 310, Nr. 227 (Arbeitnehmer, der auf einem landwirtschaftlichen Betrieb untergebracht war und während eines Krankheitsurlaubs eine dringende Reparatur an dem sturmgeschädigten Dach des Anwesens durchführte). 265 RVA in EuM 45, 2. 266 BSG in SozR RVO § 548, Nr. 32.

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

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einer überwiegend privaten Interessen dienenden Tätigkeit wird kein Schutz gewährt 267 . Portiersfrauen (des concierges) unterstehen ebenfalls in ihren Räumen häufig dem Versicherungsschutz, wenn sie ihre Unabhängigkeit noch nicht völlig wiedererlangt haben ( „ . . . la victime n'avait pas recouvré son entière indépendance") 268 , d.h. also, wenn sie sich noch nicht völlig außerhalb ihres Dienstes befinden. Unselbständige Handlungsreisende und Handelsvertreter, Arbeitnehmer, die in einem bestimmten Auftrag für den Arbeitgeber reisen, und alle Personen von „professions itinérantes" (wandernden Gewerben), deren Arbeitszeit nicht festgelegt ist, werden dann als der Weisungsbefugnis ihres Arbeitgebers unterstellt angesehen, wenn sie ihre Aufgaben weisungsgemäß ausführen. Arbeitsunfall ist also der Unfall, der während der Zeit eintritt, in der der Betroffene seine berufliche Tätigkeit ausübt 269 . Schwierig ist eine Abgrenzung zu Tätigkeiten und Handlungen, die nicht dem gesetzlichen Schutz unterliegen. Die Rechtsprechung verwendet mit geringen Abwandlungen häufig folgende Formulierung: „ . . . l'envoyé en mission a droit à la protection de la législation sur les accidents du travaü pendant tout le temps que s'exerce sa mission et . . . celle-ci doit être considérée comme s'exerçant tant qu'il n'a pas recouvré sa pleine indépendance ou n'a pas interrompu sa mission pour un motif indépendant de son emploi" 2 7 0 . Es kommt also darauf an, ob der Beauftragte seine völlige Unabhängigkeit wiedererlangt hat oder die Ausführung seines Auftrags aus berufsunabhängigen Gründen unterbrochen hat. Wenn dies nicht der Fall ist, wird angenommen, daß der Arbeitgeber die Direktionsbefugnis in bezug auf Organisation und Kontrolle weiter innehat, und 267 Vgl. BSG in Breith. 1969, 566; Brackmann, Bd. II, 485 d, e; Lauterbach, Bd. I, Anm. 36 zu § 548. 268 Arbeitsunfäüe: vgl. Cass. soc. 2. Aug. 1951, Gaz. Pal. 1951, 2, 226 = D. 1951, Somm., 73 („Concierge4', die beim Schließen des Fensters ihres Zimmers verunglückte, noch bevor sie ihre Aufgaben erledigt hatte); Cass. soc. 28. März 1952, J.C.P. 1952, II, 7166 (2. Urteü) = D. 1952, Somm., 73 („Concierge", die verunglückte, als sie einen eigenen Büderrahmen im Portiersraum putzte). - Kein Arbeitsunfall: vgl. Cass. soc. 19. Nov. 1975, Bull. civ. V (Nr. 548), 465 (Verschwinden eines Portiersehepaare und ihrer Kinder, die sich an das äußerste Ende des von ihnen zu bewachenden Grundstücks an der Meeresküste begeben hatten). 269 Cass. soc. 4. Juni 1953, D. 1953, 680; Cass. soc. 9. Juni 1966, D. 1966, 617; Cass. soc. 11. März 1970, D. 1970, Somm., 149. 270 Cass. soc. 9. Juni 1966, D. 1966, 617; ähnlich Cass. soc. 8. Jan. 1976, D. 1976, I.R., 37, Anm. Brunet in Gaz. Pal. 1977, 1, Doctr., 35 (37), und die in Fn. 269 zitierten Entscheidungen.

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

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es wird vermutet 271 , daß sich der Beauftragte in einem Verhältnis der Abhängigkeit und Unterordnung zu seinem Arbeitgeber befindet 2 7 2 . Handelt der Arbeitnehmer in einem bestimmten Auftrag des Arbeitgebers, so beginnt die Ausführung des Auftrags mit dem Verlassen des eigentlichen Arbeitsortes und endet mit der Rückkehr in den Betrieb bzw. in die Wohnung des Arbeitnehmers 273 . Der gesetzliche Schutz kann auch bereits bei Vorbereitungen des Auftrags beginnen, wenn dieser nicht vom Betrieb aus vorgenommen w i r d 2 7 4 . Unfälle, die mit dem Auftrag und den Aufgaben des Betroffenen nichts zu tun haben, sogenannte „actes étrangers à la mission" 2 7 5 , unterliegen nicht der Arbeitsunfallgesetzgebung. Dazu zählen z.B. ein Jahrmarktsbesuch des Arbeitnehmers 276 ; Unfälle des fliegenden Personals, das sich zur Ablösung der Kollegen bereithält (en position de relève d'équipage), wenn die Unfälle bei einer Freizeitbeschäftigung entsteh e n 2 7 7 ; Unfälle, die aufgrund eines persönlichen Interesses 278 oder der Bequemlichkeit des Arbeitnehmers eintreten 279 . Unfälle, die mit der eigentlichen Erfüllung des beruflichen Auftrags nicht in Zusammenhang stehen, die sich aber aufgrund von Tätigkeiten des täglichen Lebens (actes de la vie courante) ereignen, werden in der Rechtsprechung teil271

Zu diesen Vermutungen vgl. auch unten Β II 4. Vgl. Cass. soc. 15. Feb. 1957, Bull. civ. IV (Nr. 187), 127. 273 Cass. soc. 9. Mai 1967, J.C.P. 1968, II, 15378, Anm. Ghestin; Cass. soc. 23. Okt. 1970, D. 1970, Somm., 52. 2 7 4 Cass. soc. 13. Jan. 1955, Bull. civ. IV (Nr. 35), 25 (Sozialhelferin, die sich verletzte, als sie ihr Auto holen wollte, um eine Dienstreise zu unternehmen). 275 Vgl.J. cl.,Fasc. 310, Nr. 205. 27 « Cass. soc. 29. März 1952, J.C.P. 1952, II, 7166; Cass. soc. 20. Okt. 1955, Bull. civ. 1955, IV (Nr. 739), 551. 277 Cass. soc. 3. Mai 1968, D. 1968, 553 (Unfall eines Flugzeugmechanikers, der während der Wartezeit beim Baden im Meer vor seinem Hotel ertrank); vgl. ebenso Cass. soc. 7. Nov. 1968, D. 1969, Somm., 48; Cass. soc. 11. März 1970, D. 1970, Somm., 153; Cass. crim. 18. März 1971, D. 1971, Somm., 85; vgl. aber den Fall, in dem ein Arbeitsunfall anerkannt wurde: Paris 18. Juni 1966, D. 1966, 528 (Stich einer Tsetsefliege beim Baden in einem Schwimmbad, mit der Folge eines Anfalls von Schlafkrankheit, die ein Mitglied des fliegenden Personals erlitt, während es sich als Ablösung bereithielt). 278 Vgl. Cass soc. 3. Feb. 1977, D. 1977,1.R., 109 (Beauftragter, der nach Erledigung seiner Auslieferungen nicht den gewöhnlichen Rückweg einschlug, sondern Bekannte besuchte und einen Verkehrsunfall erlitt); anders: (Arbeitsunfall) Cass. soc. 8. Jan. 1976, D. 1976, I.R., 37 (Handelsreisender, der nach Beendigung seines Arbeitstages auf einem Umweg nach Hause zurückkehrte und auf einer Strecke verunglückte, die er aber auch auf direktem Weg passiert hätte). 279 Vgl. Cass. soc. 24. Mai 1966, Bull. civ. IV (Nr. 519), 433 (Unfall, den ein Leiter einer Geschäftsstelle erlitt, als er im Auftrag für mehrere Tage nach Marseille reiste, seinen Aufenthaltsort jedoch 150 km von der Stadt entfernt aus persönlichem Interesse wählte und auf dem Wege dorthin verunglückte). 272

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

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weise als Arbeitsunfälle anerkannt, teilweise aber abgelehnt. Es kommt dabei darauf an, ob der Arbeitnehmer seine Unabhängigkeit wiedererlangt hat oder nicht. Der gesetzliche Schutz wurde in folgenden Fällen gewährt: - bei Mahlzeiten: einem Bankagenten, der sich während einer Mahlzeit verletzte, die er zusammen mit einigen Kunden einnahm, und der im Einverständnis mit seinem Arbeitgeber häufig mit Kunden in einem Café oder Restaurant verhandelte 280 ; einem Börsenmakler, der sich verletzte, als er in einem Café mit Erlaubnis des Arbeitgebers mit anderen Kollegen Vergleiche über die Geschäfte anstellte 281 ; - beim Hotelaufenthalt: einem Handelsreisenden, der beim Betreten des Hotels noch mit dem Koffer in der Hand auf der Treppe verunglückte. Hier sei noch keine Unabhängigkeit begründet worden. Der Gang zur Unterkunft wird als Bestandteil der beruflichen Tätigkeit angesehen282; einem Beauftragten, der in der Nähe des Flugfeldes (camp d'aviation) verunglückte, nachdem er erst sein Hotelzimmer reserviert hatte und sich dann nach den Abflugzeiten erkundigen wollte 2 8 3 ; einem unselbständigen Warenmakler, der beim Betreten des Hotels verunglückte, welches er aufsuchen mußte, weil sein Auftrag noch nicht beendet war und er sich zu weit entfernt von seinem Heimatort und dem Sitz seiner Gesellschaft befand 2 8 4 ; - beim Schlaf: im Falle des Todes zweier Zinkarbeiter, die zu einem entfernt wohnenden Kunden geschickt worden waren und, um Kosten zu sparen, dort schlafen mußten. Sie erstickten während des Schlafes durch Kohlenmonoxyddämpfe, die aus ihrem Zinkkochgerät strömten. Hier wurde ein Arbeitsunfall angenommen, weil die Reise im Interesse des Betriebes gelegen habe 285 ; 280

Comm. l r e inst. Paris 5. Feb. 1963, zit. nach Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 920; vgl. Trib. civ. Chalon-sur-Saône 10. März 1929, D.H. 1929, 214; vgl. Paris 10. Nov. 1965 unveröffentlicht, zit. nach J. cl., Fase. 310, Nr. 213. 281 Cass. soc. 5. Jan. 1962, BuU. civ. IV (Nr. 21), 16 = D. 1962, Somm., 104. 282 Cass. soc. 18. März 1975, BuU. civ. V (Nr. 159), 140 = D. 1975,1.R., 89. 283 Cass. soc. 13. Nov. 1975, zit. nach J. cl., Fase. 310, Nr. 213. 2 8 4 Cass. soc. 15. Nov. 1957, D. 1958, 97; im allgemeinen wird bei einem länger dauernden Auftrag das Aufsuchen und Betreten eines Hotels als Arbeitsunfall, nicht als WegeunfaU betrachtet, vgl. dazu noch unten Β III 5. 285 Cass. soc. 15. Feb. 1957, Bull. civ. II (Nr. 187), 127; vgl. ebenso im Falle des tödlich verlaufenen Unfalls aufgrund eines Brandes in einem Waggon, der von einem Arbeitge-

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Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

einem LKW-Fahrer, der infolge der schlechten Wetterlage und von Glatteis in einem Hotel übernachtete und dort durch Kohlendioxyd vergiftet wurde. Seine Gegenwart im Hotel sei durch seine Arbeit im Rahmen der Ausführung seines Auftrages begründet gewesen286 ; einem Beauftragten, der bei dem Erdbeben in Agadir verunglückte. Denn obwohl er eine Tätigkeit des täglichen Lebens ausgeführt habe, indem er sich zu Bett legte, habe er sich innerhalb der normalen Grenzen seines Auftrages (dans les limites normales de cette mission) befunden 287 . Der gesetzliche Schutz wurde andererseits in folgenden Fällen versagt: - bei Mahlzeiten: einem Generaldirektor, der einen Auftrag in England zu erfüllen hatte und sich verletzte, als er nach Beendigung einer Mahlzeit den Tisch verließ 288 ; - beim Hotelaufenthalt: einem Vertreter, der nach Beendigung seines Arbeitstages sich einige Stunden später in sein Hotelzimmer begeben wollte und sich dabei verletzte 289 . Die Tatsache, daß der Vertreter noch einen Tagesbericht über seine Arbeit zu verfassen hatte, hinderte ihn nach Ansicht des Kassationshofes nicht daran, trotzdem seine Unabhängigkeit wiedererlangt zu haben; einem Vertreter, der sich verletzte, als er sich die Füße in seinem Hotelzimmer wusch 2 9 0 ; einem Beauftragten, der sich ein Bein brach, als er im Badezimmer seines Hotels ausglitt 291 . Es habe sich - nach Meinung der Rechtsprechung - um einen „acte de la vie courante" gehandelt, seine berufliche Tätigkeit sei beendet gewesen und er habe seine volle Unabhängigkeit wiedererlangt gehabt;

ber als Schlafstätte eingerichtet worden war, was aus betrieblichen Gründen notwendig gewesen war, Cass. soc. 19. Juli 1968, Bull. civ. V (Nr. 401), 327 = D. 1968, 698. 286 Cass. soc. 29. Mai 1973, D. 1973,1.R., 133, Anm. Saint-Jours, Dr. soc. 1974, 171. 287 Cass. soc. 29. Jan. 1965, D. 1965, 283; conci. Mellotée, D. 1965,280; vgl. auch Comm. rég. appel séc. soc. de Marseille 3. Juli 1957, D. 1958, Somm., 7 (Hotelbrand, Arbeitsunfall bejaht; der Arbeitgeber habe die normalen Existenzrisiken seines Arbeitnehmers durch die Geschäftsreise vergrößert). 288 Cass. soc. 5. Juni 1952, Bull. civ. IV (Nr. 502), 364; vgl. Cass. soc. 15. Okt. 1959, Bull. civ. IV (Nr. 1008), 801 = D. 1960, Somm., 8. 289 Cass. soc. 4. Juli 1962, Bull. civ. IV (Nr. 600), 490 = D. 1963, Somm., 8; ebenfalls kein Arbeitsunfall: Sturz eines Handelsvertreters auf der Treppe des Hotels, Cass. soc. 27. Feb. 1969, Gaz. Pal. 1969, 2, Somm., 600. 290 Cass. soc. 4. Juni 1953, Bull. civ. IV (Nr. 426), 311 = D. 1953, 680. 291 Cass. soc. 9. Juni 1966, D. 1966, 617.

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

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einem Arbeitnehmer, der aus dem Fenster seines Hotelzimmers stürzte, weil eine Stützstange fehlte. Es habe sich bei dem Öffnen des Fensters und dem Hinausbeugen um eine Tätigkeit des täglichen Lebens gehandelt 292 ; einem Beauftragten, der während eines Bades in seinem Hotel starb, nachdem er dreißig Stunden zuvor ein Erdbeben miterlebt hatte. Es habe sich — nach Meinung des Kassationshofes — um eine persönliche Beschäftigung gehandelt, und er habe seine volle Unabhängigkeit wiedererlangt gehabt 293 ; - beim Schlaf: einem Arbeitnehmer, der während des Mittagsschlafes, den er in der Zeit abhielt, in der er sich dem Arbeitgeber gegenüber zur Verfügung hielt, von einer Übelkeit befallen wurde, der eine Hirnhautblutung folgte. Er habe über seine Zeit während des Wartens frei verfügen können 2 9 4 ; einem Arbeitnehmer, der, während er in seinem Hotelzimmer schlief, einem Herzanfall erlag 295 ; einem Handelsvertreter, der bei dem Erdbeben von Orléansvûle getötet wurde. Das Erdbeben sei zu einer Zeit eingetreten, als der Betroffene jede berufliche Tätigkeit eingestellt habe 2 9 6 ; einem Beauftragten, der wegen eines Defektes der Heizung in seinem Hotelzimmer starb, während er schlief. Er hatte sich das Hotel selbst ausgesucht und eine - defekte — Zusatzheizung angeschlossen. Der Tod sei nicht aufgrund eines Umstandes eingetreten, der die Gegenwart des Beauftragten an diesem Ort notwendigerweise erforderlich gemacht hätte. Es habe sich um einen Vorgang des täglichen Lebens gehandelt 297 . In der Rechtsprechung zu den Vorgängen des täglichen Lebens ist also die Erlangung der Unabhängigkeit das entscheidende Merkmal zur Abgrenzung von Vorgängen des Berufslebens, die dem gesetzlichen Schutz unterliegen. Die Rechtsprechung ist mit der Anerkennung von Arbeitsunfällen bei „actes de la vie courante" zurückhaltend 298 . 292

Cass. soc. 24. Jan. 1974, Gaz. Pal. 1974, 2, Somm., 91. Cass. soc. 6. Mai 1976, D. 1976,1.R., 161. 2 9 4 Cass. soc. 21. Jan. 1971, D. 1971, Somm., 25. 295 Cass. soc. 18. Feb. 1970, BuU. civ. V (Nr. 131), 101. 296 Cass. soc. 13. Feb. 1958, D. 1958, 339 (Kassation des Urteils des Appellationsgerichts Algier vom 13. Juü 1956); vgl. auch Cass. soc. 11. Dez. 1959, J.C.P. 1960, II, 11548 (nächtliches Erdbeben, bei dem ein „voyageur de commerce" in seinem Hotelzimmer getötet wurde). 297 Cass. soc. 23. März 1977, D. 1977,1.R., 207. 298 Vgl. auch J. cl., Fase. 310, Nr. 210; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 186-1), 496 ff.; Jambu-Merlin, 147. 293

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Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Der Fall des Erdbebens in Agadir, der als Arbeitsunfall anerkannt wurde 2 9 9 , wird in der Literatur als besondere Ausnahme angesehen300. Mellotée 301 ist — nicht unberechtigt — der Ansicht, daß zur Bestimmung des Begriffs der Abhängigkeit zwischen den Berufsgruppen „voyageurs de commerce" und „salariés en mission" zu unterscheiden sei 3 0 2 . Letztere besäßen eine weniger große Selbständigkeit. Man könne auf das Merkmal der „subordination" Bezug nehmen und von einer Fortsetzung der Kausalitätsvermutung sprechen in dem Maße, daß diese sich neben den berufsbezogenen Handlungen auch auf alle normalen und notwendigen Tätigkeiten des täglichen Lebens beziehe. Zu dieser Differenzierung gibt aber die Rechtsprechung nur wenig Anlaß. Zwar ergingen in der Mehrzahl die einen Arbeitsunfall bejahenden Entscheidungen im Zusammenhang mit den „salariés en mission"; eine Unterscheidung zwischen diesen Berufsgruppen wird aber nie erwähnt. Es dürfte auch zu Schwierigkeiten führen, eine genaue Abgrenzung dieser Berufe vorzunehmen. Es heißt zwar gelegentlich, daß Vorgänge des täglichen Lebens des Beauftragten dem gesetzlichen Schutz unterstellt werden können 3 0 3 , in vielen Fällen geschieht dies unter Berufung auf die Unabhängigkeit des Arbeitnehmers aber auch n i c h t 3 0 4 . Entscheidungen, die einen Arbeitsunfall auch bei einer Tätigkeit des täglichen Lebens bejahen, sind - wie bereits erwähnt - relativ selten. » Die deutschen Gerichte urteilen bei Unfällen auf Dienst- oder Geschäftsreisen und Dienst- oder Geschäftsgängen ähnlich. Wege und Reisen außerhalb der Betriebsstätte, die zur Ausübung der versicherten Tätigkeit unternommen werden, unterliegen dem Versicherungsschutz 305 . Es wird wieder unterschieden zwischen Tätigkeiten, die mit dem Beschäftigungsverhältnis rechtlich wesentlich zusammenhängen, und solchen Verrichtungen, die der privaten Sphäre des Reisenden angehören 306 . Der Versicherungsschutz entfällt ebenso wie im französischen Recht, wenn sich der Reisende unterwegs rein persönlichen, von seinen betrieblichen Aufgaben nicht 299 cass. soc. 29. Jan. 1965, D. 1965, 283. 300

Vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 186-1), 498. 301 D. 1965,280. 302 Vgl. Ripert/Roblot, Traité élémentaire de droit commercial, Bd. I, Nr. 372 ff.; Bd. II, Nr. 2620 ff. zu den „représentants de commerce" u.a.; dazu auch Camerlynck/ Lyon-Caen, Nr. 344 ff. 303 vgl. Cass. soc. 18. März 1975, D. 1975,1.R., 89; Cass. soc. 29. Jan. 1965, D. 1965, 283. 304 vgl. die Entscheidungen oben Fn. 288 bis 297. 305 Brackmann, Bd. II, 481 p, 481 r. 306 vgl. BSG 8,48 (50/51); BSG 39, 180 (181).

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

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mehr beeinflußten Belangen widmet 3 0 7 . Das ist z.B. beim Aufsuchen von Vergnügungsstätten der Fall 3 0 8 . Bei Umwegen auf Geschäftsfahrten kommt es darauf an, ob der Grund dafür vornehmlich im privaten Interesse liegt 3 0 9 . Unterbricht der Versicherte seinen Geschäftsgang aus privaten Gründen nicht nur geringfügig, so entfällt für diese Zeit der Versicherungsschutz 310. Dieser lebt aber wieder auf, wenn der betriebsbedingte Weg fortgesetzt wird, selbst wenn es sich um eine länger andauernde Unterbrechung gehandelt h a t 3 1 1 . Dies hat allerdings dort seine Grenzen, wo Umwege ihrem Umfang und ihrer Zielsetzung nach keinen ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit mehr zu begründen vermögen 312 . Die Nahrungsaufnahme zählt grundsätzlich zum unversicherten Bereich 313 . Es sei denn, daß besondere betriebliche Umstände vorliegen, die einen ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit begründen, wenn z.B. die Esseneinnahme der Wiedererlangung oder Erhaltung der Arbeitsfähigkeit eines Kraftfahrers wesentlich dient 3 1 4 oder ein Kunde begleitet wird, um ihm in der Mittagspause - im Interesse des Unternehmens - Gesellschaft zu leisten 315 . Andere Tätigkeiten des persönlichen Bereichs sind oft nur schwer von unternehmensbedingten Tätigkeiten abzugrenzen. Bei Unfällen im Hotel und ähnlichen Quartieren wurde entschieden, daß es darauf ankomme, daß der Versicherte allein durch die Ausführung der Dienstreise in die Notwendigkeit versetzt werde, den Weg, auf dem der Unfall eintrat, zurückzulegen, wie z.B. den Weg über die Hoteltreppe zum Abstellen des Gepäcks 316 . Dies ist jedoch nicht dahin mißzuverstehen, daß auch Wege zu rein persönlichen Zwecken innerhalb des Hotels als versichert anzusehen sind 3 1 7 . Wenn aber besondere Gefahrenmomente wirksam werden und den Unfall wesentlich mitverursachen, können auch Tätigkeiten des eigenwirtschaftlichen 307

Brackmann, Bd. II, 4811 und 481, m.w.N. BSG in SozR 2200 § 548, Nr. 21; vgl. BSG 8,48 (50), m.w.N.; BSG 39,180 (182). 309 BSG in Breith. 1971,994. 310 Brackmann, Bd. II, 481 q, m.w.N. 311 BSG SozR RVO § 548, Nr. 7 = MDR 1967, 954 = Breith. 1968, 110; Brackmann, Bd. II, 48 l r , m.w.N. 312 BSG in Breith. 1964, 378 (Heimfahrt aus Mittelbayern nach Stuttgart über München - Oktoberfest - ) . 313 BSG in BG 1965, 273; Brackmann, Bd. II, 481 r, m.w.N. 314 Vgl. BVerwGE 39, 83 (86) (Landkraftpostfahrer, der während eines langandauernden Dienstes bei der Besorgung von Lebensmitteln zum sofortigen Verzehr in einer Pause verunglückte); Brackmann, Bd. II, 481 c, m.w.N. 315 Brackmann, Bd. 11,481 d. 316 Vgl. BSG in SozR RVO § 542 a.F., Nr. 57. 317 BSG in SozR RVO § 548, Nr. 3; Brackmann, Bd. II, 481 v, m.w.N. 308

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Bereichs unter Versicherungsschutz stehen. Es muß sich hierbei um gefahrbringende Umstände handeln, die in ihren besonderen Eigenarten dem Versicherten während eines normalen Verweilens am Wohn- bzw. am Beschäftigungsort nicht begegnet wären 318 . Allein der Aufenthalt in einer fremden Umgebung begründet noch keinen Unfallversicherungsschutz; das kann nur in Ausnahmefällen geschehen, wenn der Reisende allgemein wirkenden, typischen Gefahren am Ort seines Reiseaufenthaltes ausgesetzt i s t 3 1 9 . Auch muß die dem persönlichen Bereich zuzurechnende Verrichtung unter Umständen erfolgt sein, denen sich der Reisende bei normalem Lebensablauf unter den jeweiligen örtlichen Verhältnissen nicht entziehen kann 3 2 0 . Die Nachtruhe im Hotel und die damit zusammenhängenden Verrichtungen sind grundsätzlich dem persönlichen Bereich des Reisenden zuzurechnen. Es widerspräche aber nach Ansicht des Bundessozialgerichts einer lebensnahen Betrachtungsweise, den Dienstreisenden während der Nachtruhe schlechthin als unversichert zu erachten, auch wenn er z.B. durch einen Hotelbrand zu Schaden komme 3 2 1 . Es kommt also in diesen Fällen auf die gefahrbringenden Umstände an, die den Unfall wesentlich verursacht haben. dd) Handeln des Arbeitnehmers entgegen den Vorschriften des Arbeitgebers Es scheint in der Rechtsprechung zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls bei einem Handeln des Arbeitnehmers entgegen den Vorschriften des Arbeitgebers darauf anzukommen, ob es sich um einen besonders schweren Fall des Ungehorsams handelt oder nicht. Maßgebendes Merkmal ist dabei auch, ob der Arbeitnehmer der Weisungsgewalt des Arbeitgebers untersteht oder nicht, inwieweit er unabhängig handelt und insbesondere welche Interessen er vertritt.

318 Vgl. BSG in SozR RVO § 548, Nr. 3 (Sturz - nachts - aus dem Fenster aufgrund niedriger Fenstersimse im Hotel kann ein Arbeitsunfall sein, hier lagen jedoch keine entsprechenden Revisionsrügen vor); BSG in SozR RVO § 548, Nr. 5 (Sturz - nachts - aus einem Liegewagen aufgrund einer Verwechslung der Toiletten- mit der Außentür); vgl. auch BSG 39, 108 (111) = BSG in SozR 2200 § 548, Nr. 6 (Copilot, der während der einsatzfreien Ruhezeit, in der er aber abrufbar sein mußte, bei einem Sprung vom Dreimeterbrett des Schwimmbades seines Hotels verunglückte: kein Arbeitsunfall); Brackmann, Bd. II, 481 w; Lauterbach, Bd. I, Anm. 65 zu § 548. 319 BSG 8, 48 (50) (Unfall mit dem Fahrstuhl auf dem Weg zum Hotelzimmer); BSG in Breith. 1976, 798 (801) (Sturz durch einen nicht rutschfesten Bettvorleger auf einem frisch gebohnerten Fußboden); Brackmann, Bd. II, 481 bis 482, m.w.N. 320 BSG 39, 180 (181); BSG in Breith. 1976, 798 (801); dagegen krit. Brackmann, Bd. II, 481 w. 2 BSG in SozR RVO § 548, Nr. 3.

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

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Bei Beginn der Rechtsprechung zu dem Gesetz von 1898 wurde der gesetzliche Schutz in einem Falle des Ungehorsams versagt 322 , gleich darauf wurde jedoch eine Einschränkung vorgenommen 323 . Seither ist der gesetzliche Schutz des Arbeitnehmers, der den Vorschriften des Arbeitgebers zuwiderhandelt, grundsätzlich nicht ausgeschlossen324. So wurde z.B. der Unfall eines LKW-Fahrers als Arbeitsunfall angesehen, der eintrat, als der Fahrer entgegen der Anordnung seines Arbeitgebers, aber für dessen Rechnung, eine Ladung Kies außerhalb der Arbeitszeit auslieferte. Der Kassationshof war der Ansicht, daß, obwohl einer Anordnung zuwidergehandelt worden sei, eine Handlung im Rahmen des Arbeitsvertrages vorgelegen habe, nicht etwa eine persönliche Tätigkeit, losgelöst von der eigentlichen beruflichen Aufgabe 325 . Ungehorsam aufgrund eines stillschweigenden Verbots kann für die Ablehnung eines Arbeitsunfalls nicht als ausreichend angesehen werden 326 . Ungehorsam kann als „faute inexcusable" eine Rentenkürzung nach sich ziehen 327 . Wird der Unfall absichtlich herbeigeführt, so wird der gesetzliche Schutz versagt, es fehlt an einer versicherten Tätigkeit 3 2 8 . Hatte sich der Arbeitnehmer der Weisungsgewalt seines Arbeitgebers entzogen, so erkennt die Rechtsprechung dem dabei eingetretenen Unfall die Qualifikation ab: die Vereinigten Senate des Kassationshofes entschieden aufgrund des Unfalls, den ein Depotwächter erlitt, weil er seinen Posten verlassen hatte, in einen Fluß fiel und ertrank 3 2 9 , daß der Arbeitnehmer nicht dem gesetzlichen Schutz unter-

322

Vgl. Cass. req. 20. Mai 1903, D.P. 1904, 1, 116 (Unfall, der eintrat, als der Arbeitnehmer eine Stunde nach Arbeitsschluß wieder an den Arbeitsplatz zurückkehrte und trotz ausdrücklichen Verbots des Arbeitgebers an einer Maschine hantierte). 323 Vgl. Cass. civ. 8. Juli 1903, D.P. 1903, 1, 510, 1. Urteil (Arbeitsunfall: Ein junger Arbeitnehmer, der sich aus Neugier entgegen ausdrücklichen Verbots in anderen Betriebsräumen aufhielt, verletzte sich dort). 3 2 4 Cass. civ. 31. Dez. 1917, D.P. 1920, 1, 81, 3. Urteil (Arbeitsunfall: Gehilfe, der trotz ausdrücklichen Verbots eine Schublade öffnete, dort einen Revolver fand und sich damit verletzte); vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 188), 503, Fn. 3, mit Hinweis auf Cass. soc. 2. März 1972, J.C.P. 1972, IV, 95; vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 908, m.w.N. 325 Pau 7. März 1968, J.C.P. 1968, IV, 183. 32 * Cass. soc. 21. Juli 1953, Dr. soc. 1954, 122. 327 Dazu im einzelnen siehe unten D II 2 b. 32 ® Dazu im einzelnen („faute intentionnelle") siehe unten D I 2. 32 * Ch. réun. 18. Juli 1944, D. 1945, 14 = J.C.P. 1945, II, 2882, Anm. J.G.; vgl. Paris 18. Okt. 1946, D. 1947, 46 (Arbeitnehmer, der verunglückte, nachdem er vorzeitig die Arbeitsstelle verlassen hatte: kein Arbeitsunfall); vgl. Cass. soc. 16. Dez. 1965, J.C.P. 1966, IV, 13 = D. 1966, Somm., 36 (Tod durch Ertrinken: kein Arbeitsunfall; der Arbeitnehmer hatte ohne Erlaubnis seinen Posten verlassen, um in einem Fluß zu baden. Das Gericht war der Ansicht, er habe sich damit für kurze Zeit - momentanément - der Weisungsgewalt des Arbeitgebers entzogen).

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

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liege, wenn er seine Arbeit vorzeitig verlasse und den Umständen entnommen werden könne, daß er die Absicht gehabt habe, sich der „autorité" seines Arbeitgebers zu entziehen. Ausreichend ist auch eine zeitlich nur kurze Entziehung aus der Weisungsgewalt330. Auch bei grundsätzlich erlaubtem Entfernen vom Arbeitsplatz kann der Arbeitnehmer, der sich z.B. zu weit entfernt und damit die Grenzen der Erlaubnis überschreitet, ein zu großes Risiko eingehen (Straßenverkehr) und dem Interesse des Arbeitgebers zuwiderhandeln 331 . Maßgebend ist die völlige Unabhängigkeit, mit der sich der Arbeitnehmer bewegt 332 . Ein verbotswidriges Handeln bei einer versicherten Tätigkeit schließt auch im deutschen Recht die Annahme eines Arbeitsunfalles nicht aus (§ 548 Abs. 3 RVO). Es kommt aber darauf an, daß ähnlich wie im französischen Recht im Rahmen der betriebsbedingten Tätigkeit gehandelt wurde. Sobald eine Lösung vom Betrieb eintritt, entfällt der Unfallversicherungsschutz 333. Bei absichtlichem Herbeiführen des Unfalls ist der Versicherungsschutz wie im französischen Recht ausgeschlossen (§ 553 RVO).

ee) Tätigkeiten ohne Bezug zur Arbeit Befaßt sich der Arbeitnehmer zur Arbeitszeit am Arbeitsort mit Tätigkeiten, die arbeitsfremd sind und nur ihn persönlich betreffen, so versagt die Rechtsprechung grundsätzlich die Anerkennung als Arbeitsunfall 334 . Dies geschah z.B. im Falle einer Wette zwischen Arbeitnehmern, wer von ihnen am schnellsten schwimme, wobei ein Arbeitnehmer ertrank 335 . Ebenso wurde entschieden im Falle eines Arbeitnehmers, der während der Arbeitszeit in einem Betriebsraum für sich selbst etwas herstellen wollte 3 3 6 . Das gleiche galt im Falle eines Busfahrers, der in der Nähe der See anhielt, um den Mitfahrenden die Gelegenheit zu einem Bad zu geben, und selber beim Baden ertrank 337 . Bei Streitereien und Schlägereien (rixe) zur Arbeitszeit am Arbeitsort erfolgt grundsätzlich eine Anerkennung als Arbeitsunfall; der Arbeitgeber kann aber 330

Vgl. Cass. soc. 16. Dez. 1965, J.C.P. 1965, IV, 13; vgl. auch Cass. soc. 4. Feb. 1971, D. 1971, Somm., 81 (Arbeitnehmer, der sich ohne Erlaubnis vom Dienst entfernte, um persönliche Einkäufe zu machen und dabei verunglückte: kein Arbeitsunfall). 331 Cass. soc. 8. Mai 1961, D. 1961, 536. 332 Vgl. Cass. soc. 22. Okt. 1943, Gaz. Pal. 1944, 1, 15. 333 Vgl. BSG 41, 153 (155 f.). 3 3 4 Vgl. J. cl., Fase. 310, Nr. 183; vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 186-2), 501, Fn. 1. 335 336 337

Cass. soc. 2. Mai 1958, Gaz. Pal. 1958, 2, 137. Cass. soc. 12. Mai 1966, Bull. civ. IV (Nr. 457), 383. Cass. soc. 17. Jan. 1957, Bull. civ. IV (Nr. 69), 46.

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

83

den Nachweis erbringen, daß sich die Streitigkeiten vollkommen unabhängig von der Ausführung des Arbeitsvertrages ereigneten, so daß dann der betroffene Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Unfalls als nicht der „autorité" des Arbeitgebers unterworfen anzusehen wäre 3 3 8 . Bei Spielereien oder Neckereien wird eine berufsbedingte Natur der Unfälle anerkannt 339 . Ob es darauf ankommt, daß es sich in diesen Fällen nur um jugendliche Arbeitnehmer handelt, die nicht genügend beaufsichtigt werden, konnte der Rechtsprechung und der Literatur nicht entnommen werden. Maßgebend scheint zu sein, daß der Arbeitnehmer sich in einem Verhältnis der Abhängigkeit zum Arbeitgeber befand und unter dessen Aufsicht stand. Im deutschen Recht wird bei Streitigkeiten und tätlichen Auseinandersetzungen der Arbeitnehmer an der Arbeitsstätte der ursächliche Zusammenhang bejaht, wenn der Streit unmittelbar aus der Betriebsarbeit erwachsen ist, nicht aber, wenn er auf persönlichen Gründen beruht 3 4 0 . Spielereien und Neckereien sind grundsätzlich unversichert, weil sie als ein den Zwecken des Betriebes zuwiderlaufendes Verhalten angesehen werden; es fehlt dann an einer Voraussetzung für einen ursächlichen inneren Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall 3 4 1 , es sei denn, daß eine betriebliche Einrichtung den Unfall wesentlich mitverursacht h a t 3 4 2 . Ausgenommen sind Unfälle durch Spielereien von Kindern und Jugendlichen, wenn diese nicht ausreichend beaufsichtigt werden 343 . f) Die Ursachen des Unfalls Die Vermutung, daß es sich bei einem örtlichen und zeitlichen Zusammentreffen des Unfallereignisses mit der beruflichen Tätigkeit (unter Berücksichti338 Cass. soc. 4. Mai 1972, Dr. soc. 1973, 399, Anm. Saint-Jours (Schlägerei); vgl. auch Cass. civ. 20. April 1912, D.P. 1913, 1, 64, 2. Urteil (Schlägerei zwischen zwei Arbeitskollegen); Ch. réun. 8. Jan. 1928, D.P. 1929, 1, 57, Anm. Rouast (Schlägerei zwischen einem bereits gekündigten Arbeitnehmer, der seinen restlichen Lohn abholen wollte, und einem Ingenieur des Betriebes über die Höhe des Lohnes); aber: Cass. soc. 27. Feb. 1969, J.C.P. 1969, IV, 87 (Arbeiter, der verunglückte, als er seinem Kameraden den Inhalt einer Kasserolle über den Kopf gießen wollte: kein Arbeitsunfall). 339 Cass. civ. 8. Juli 1903, D.P. 1903, 1, 510, 2. Urteil (Arbeitsunfall eines Arbeitnehmers, der einem Kollegen nachlief, um seine Mütze, die dieser ihm aus Neckerei weggenommen hatte, wiederzubekommen. Er stürzte dabei und zog sich Verletzungen zu, die zu seinem Tode führten); Cass. req. 3. Dez. 1934, D.H. 1935, 33 (Schneeballwerfen); Cass. soc. 22. April 1966, D. 1966, 415 (Spiel junger Arbeitnehmer während der Mittagspause); ebenso Cass. soc. 12. Okt. 1967, D. 1968, Somm., 47. 3 4 0 BSG 18, 106 (108), und Brackmann, Bd. II, 484 v, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung in neuerer Zeit. 341 Vgl. BSG SozR Nr. 55 zu § 542 RVO a.F., m.w.N.; BSG in DOK 1975, 395; vgl. Brackmann, Bd. II, 484 s und 484 q, m.w.N. 3 4 2 Vgl. BSG in SozR 2200 § 548, Nr. 15. 3 4 3 Vgl. BSG 42, 42 (44).

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Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

gung der „autorité") um einen Arbeitsunfall handelt, bleibt - abgesehen von einem Gegenbeweis - unabhängig von der Ursache des Unfalls bestehen 344 . Dies gilt seit dem Gesetz vom 30. Oktober 1946, in dem der Definition des Arbeitsunfalls des Gesetzes von 1898 hinzugefügt wurde: „ . . . quelle qu'en soit la cause . . . " (durch welche Ursache auch immer). Die Ursachen des Arbeitsunfalls können vom Materialfehler über eine Unvorsichtigkeit des Arbeitnehmers bis zu einer Handlung eines Dritten reichen 345 . Auch wenn es an einer direkten Beziehung zwischen Arbeit und Unfall fehlt, kann der Unfall als Arbeitsunfall betrachtet werden 3 4 6 . Während früher Naturereignisse wie z.B. Blitzschlag oder Sonneneinstrahlung nicht unter den gesetzlichen Schutz fielen, es sei denn, daß die Arbeit dazu beigetragen hatte, diese Ereignisse hervorzurufen oder deren Folgen zu verschlimmern 3 4 7 , so werden heute aufgrund des Gesetzes von 1946 auch solche Unfälle als Arbeitsunfälle betrachtet, ohne daß der Arbeitnehmer durch die Arbeitsbedingungen solchen Ereignissen besonders ausgesetzt sein muß 3 4 8 . Voraussetzung ist der Eintritt des Ereignisses zur Arbeitszeit am Arbeitsort. Es wird jedoch eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß es auf die Ursache nicht ankomme, gemacht: beruht der Unfall auf einer bestimmten organischen Verfassung des Verletzten, hat er also eine innere Ursache (origine interne), so wird der Unfall grundsätzlich nicht als Arbeitsunfall anerkannt 349 . 344 vgl. cass. soc. 30. Nov. 1977, D. 1978,1.R., 61; siehe Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 893 ff. 345 Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 900, m.w.N. 346 Cass. soc. 19. Juli 1950, Gaz. Pal. 1950, 2, 303 (Arbeitsunfall: der Unfall eines Arbeitnehmers aufgrund des geladenen Revolvers eines Kollegen, dem dieser aus der Tasche gefallen war); Cass. soc. 23. April 1970, D. 1970, Somm., 169 (Arbeitsunfall: die Ermordung eines Arbeitnehmers, verübt durch eine dritte Person, die sich in den Betrieb eingeschlichen hatte); Cass. soc. 4. Mai 1972, Dr. soc. 1973, 399, Anm. Saint-Jours. 347 jrotz heftiger Kritik seitens der Lehre - vgl. Capitani, Anm., D.P. 1918, 1, 25 wurde diese Rechtsprechung aufrechterhalten, vgl. Sachet/Casteü, Bd. I, Nr. 298 ff., und Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 914 und 915, m.w.N.; heute güt dies noch bei landwirtschaftlichen Unfällen, vgl. Cass. soc. 22. Jan. 1954, D. 1954, Somm., 25; vgl. Cass. soc. 17. Nov. 1960, D. 1961, Somm., 31, mit Anm. (landwirtschaftlicher Unfall;.hier Arbeitsunfall: Erfrierungen). 348 vgl. Cass. soc. 3. Jan. 1952, J.C.P. 1952, II, 6840, Anm. B.G. = D. 1952, 145 (Tod aufgrund eines Wespenstichs); vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 185), 495 (aber offenbar zweifelnd im Hinblick auf die Rechtsprechung, siehe Fn. 2); zu den bereits erwähnten Entscheidungen Cass. soc. 11. Dez. 1959, J.C.P. 1960, II, 11548 (Erdbeben, Arbeitsunfall verneint), und Cass. soc. 29. Jan. 1965, D. 1965, 283 (Erdbeben, Arbeitsunfall bejaht), vgl. oben in und zu Fn. 287 und 296. 349 vgl. J. cl., Fase. 310, Nr. 23; Godard, Accidents du travail, 51. Zu den besonderen Schwierigkeiten bei inneren Ursachen siehe bereits oben Β II 1 d und worauf später noch zurückgekommen werden wird, vgl. unten Β II 3 a und b.

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

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Die damit verbundenen Probleme werden im französischen Recht im allgemeinen im Rahmen des Unfallbegriffs und des Zusammenhanges zwischen dem Unfall und dem Körperschaden behandelt. Im deutschen Recht kommt es auf die Ursache des Unfalls insoweit an, als zwischen dem Betrieb und dem schädigenden Ereignis ein Zusammenhang bestehen muß und daß die Ursache zum Unfallereignis wesentlich mitgewirkt haben muß. Der Unfall kann unmittelbar durch die betriebsübliche Tätigkeit verursacht worden sein und auf einer dieser Tätigkeit typischen Gefahr beruhen. Es kann auch nur ein Zusammenhang in dem Sinne bestehen, daß der Versicherte infolge der Ausübung der versicherten Tätigkeit der Gefahr ausgesetzt war, der er erlegen i s t 3 5 0 . Deshalb können auch Unfälle aufgrund einer Gefahr des täglichen Lebens als Arbeitsunfälle angesehen werden. Bei allgemein wirkenden Gefahren, wie z.B. bei Naturkatastrophen, wird ein Versicherungsschutz abgelehnt, weil es sich um ein rein zufälliges Zusammentreffen der betrieblichen Tätigkeit mit dem schädigenden Ereignis handelt 351 . Es kommt aber darauf an, ob im Einzelfall für den Versicherten eine allgemein wirkende Gefahr vorliegt 352 . Ein Überfall schließt ebenso wie im französischen Recht 3 5 3 die Annahme eines Arbeitsunfalles nicht aus. Aber auch hier muß ein ursächlicher Zusammenhang zu der versicherten Tätigkeit bestehen. Das ist der Fall bei einem betriebsbezogenen Tatmotiv 3 5 4 und auch dann, wenn die Betriebstätigkeit eine wesentliche Bedingung für den Überfall gebildet h a t 3 5 5 . Beruht der Überfall aber auf persönlicher Feindschaft oder anderen betriebsfremden Beziehungen zu dem Geschädigten, so ist dieser Überfall nur gelegentlich der versicherten Tätigkeit erfolgt und bildet im allgemeinen nur eine „Gelegenheitsbedingung", aber keine Mitursache des Unfallereignisses 356.

350 Vgl. RVA in AN des RVA 1914, 411 (416); BSG 6, 164 (169); BSG 9, 222 (224); vgl. BSG 17, 75 (77); vgl. auch Rüfner, 110. 351 Vgl. Gr. Senat des RVA in AN 1914, 411 (414); Brackmann, Bd. II, 480 r; Vollmar, Zur Frage des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes von Schädigungen durch allgemein wirkende Gefahren, Soz. Vers. 1959, 258; anders Seeunfallversicherung, § 838 Nr. 1 RVO. 352 vgl. RVA in AN des RVA 1915, 471 (der Arbeitnehmer war aufgrund der versicherungspflichtigen Beschäftigung gezwungen, sich in einer malariaverseuchten Gegend aufzuhalten, deshalb wurde ein Stich der Anophelesmücke als ein Arbeitsunfall angesehen); vgl. RVA in AN 1905, 290; 1906, 268; 1908, 506 (Blitzschlag bei Arbeiten auf dem Feld oder im Wald wird als Arbeitsunfall anerkannt). 353 Vgl. Cass. soc. 23. April 1970, D. 1970, Somm., 169. 354 Vgl. BSG 26, 45 (46). 355 Vgl. BSG 10, 56 (60); BSG 17, 75 (77); Brackmann, Bd. II, 484 w, 484 χ u. 484 y. 356 vgl. BSG 13, 290 (291); vgl. Lauterbach, Bd. I, Anm. 60, 68 zu § 548, m.w.N.; ferner BSG - 2 RU 40/78.

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Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Beruht der Unfall auf einer sogenannten inneren Ursache wie z.B. einer Ohnmacht, Epilepsie und dergl. des Verletzten, kommt es darauf an, ob die versicherte Tätigkeit die Gefahr erhöht oder den Schaden vergrößert hat. Ein ursächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn dem Verletzten der Unfall ohne die Tätigkeit im Betrieb wahrscheinlich nicht in derselben Art oder derselben Schwere zugestoßen wäre 357 . g) Kritik

in der Literatur

Dupeyroux 358 hat die Rechtsprechung des Kassationshofes kritisiert. Die Merkmale der Weisungsgewalt (autorité) und Weisungsbefugnis (subordination) seien zu unbestimmt (imprécis) und ungenau (inexact). Man könne zwar allenfalls bei Betroffenen, die zur Arbeitszeit am Arbeitsort arbeiteten, bestimmen, wann sich diese unter der Direktionsbefugnis des Arbeitgebers befänden, in allen anderen Fällen sei dies zweifelhaft. Denn „sous l'autorité" habe in der Rechtsprechung unterschiedliche Bedeutung; so könne es heißen, daß der Arbeitnehmer der Aufsicht des Arbeitgebers unterstellt sei, daß er dessen Befehle ausführe oder auch daß er bereit sei, diese zu empfangen. Teilweise sei das Merkmal überflüssig oder auch ungenügend. Dies gelte für den Fall, daß der Arbeitnehmer Opfer eines Arbeitsunfalles werde, während er der „autorité" des Arbeitgebers sicher nicht unterstellt gewesen sei 3 5 9 , und für den Fall, daß die Qualifizierung als Arbeitsunfall ausgeschlossen werde, während der Betroffene unstreitig der „autorité" des Arbeitgebers unterstanden habe 360 . Dupeyroux schlägt vor, das Merkmal für den Arbeitsunfall aus der Beziehung zwischen der Tätigkeit des Arbeitnehmers und der erlittenen Schädigung herzuleiten. Der Begriff des Arbeitsunfalls entspreche den besonderen Risiken, denen der Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit ausgesetzt sei, d.h. den Berufsrisiken. Es komme nicht darauf an, ob man sich auf den Vorteilsgedanken (risque357

Brackmann, Bd. II, 480 r, s, m.w.N.; vgl. Rüfner, 110. 58 Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 186-2), 499 ff. und (Nr. 187) 501 f.; ders., D. 1964, Chr., 23 ff.; ders., D. 1968, 409; Ghestin, La distinction entre les accidents du travail et les accidents de trajet depuis la loi du 6 août 1963, J.C.P. 1967, I, 2109; ders., Anm., Cass. soc. 9. Mai 1967, J.C.P. 1968, II, 15378. 3

359 Als Beispiel führt Dupeyroux den Fall des Nachtwächters an, der einen Raubüberfall beobachtet und am nächsten Tag von den Räubern als unerwünschter Zeuge getötet wird; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 186-2), 500, Fn. 4. 360 Dies sei der Fall bei Tätigkeiten am Arbeitsort zur Arbeitszeit, aber ohne Bezug zur eigentlichen Arbeit. Die Rechtsprechung helfe sich hier mit der Formel, daß sich der Arbeitnehmer der Weisungsgewalt des Arbeitgebers entzogen habe; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 186-2), 501, Fn. 1, m.w.N.

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

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profit) oder das Weisungsrecht (risque de l'autorité) berufe - wesentlich sei, daß für die Gewährung des gesetzlichen Schutzes nicht auf eine zeitliche Begrenzung abgestellt werde (d.h. die Zeit, in der Arbeit für jemanden ausgeführt wird, bzw. die Zeit, in der jemand unter der Weisungsgewalt steht), sondern daß das entscheidende Merkmal des Arbeitsunfalls in der Beziehung zwischen den Aufgaben des Arbeitnehmers und der erlittenen Beeinträchtigung liege.

3. D e r

Zusammenhang zwischen und Körperschädigung

Unfall

Zwischen dem Unfall und dem Körperschaden muß ein Zusammenhang bestehen. Ebenso wie bei der Feststellung des Zusammenhanges zwischen Arbeit und Unfall wendet die Rechtsprechung hier eine Zurechenbarkeitsvermutung (présomption d'imputabilité) an. Diese wurde erstmals in der Entscheidung des Kassationshofes vom 7. April 1921 aufgestellt, worin es heißt: „Toute lésion qui se produit dans un accident survenu par le fait ou à l'occasion du travail, doit être considérée, sauf preuve contraire, comme résultant de cet accident" 361 und wird bis heute von der Rechtsprechung fast unverändert aufrechterhalten 362 . Die immer wieder benutzte Formulierung des Kassationshofes lautet heute mit geringen Abweichungen folgendermaßen: „La brusque apparition 363 d'une lésion physique au temps et au lieu du travail constitue à elle seule un accident présumé sauf preuve contraire, imputable au travail" 3 6 4 . Es wird also vermutet, daß die Verletzung und damit der Schaden, der aufgrund oder anläßlich der Arbeit eintritt, von dem vermuteten bzw. festgestellten Unfall herrührt. Es sei denn, daß die Kassen bzw. der Arbeitgeber den Nachweis erbringen, daß ein Zusammenhang zwischen Unfall und Schaden fehlt 3 6 5 . Die Anwendung der Vermutung erfolgt dann, wenn ein ausreichendes Zusammenwirken (une concomitance suffisante) von Unfall und Verletzung festzustellen i s t 3 6 6 . 361 Ch. réun. 7. April 1921, S. 1922, 1, 81. 362 vgl. z.B. Cass. soc. 19. Juli 1962, D. 1963, Somm., 8; J. cl., Fase. 310, Nr. 90. 363 Diese Erweiterung - im Gegensatz zu dem Begriff der „survenance" - erfolgte erst in neuerer Zeit; vgl. Cass. soc. 5. März 1970, D. 1970, 621, Anm. Dupeyroux. 364 vgl. auch Cass. soc. 9. April 1970, D. 1970, Somm., 165; Cass. soc. 4. Nov. 1970, D. 1971, Somm., 89 = J.C.P. 1971, éd. C.I., 10207, 3. Urteil, Anm. P.L. 365 Dazu im einzelnen noch unten Β II 4. 366 vgl. Cass. soc. 5. Juni 1952, J.C.P. 1952, II, 7322, 4. Urteil (Tetanus); Comm. l r e inst. séc. soc. Lille 27. Feb. 1953, D. 1953, Somm., 61; vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1005; vgl. J. cl., Fase. 310, Nr. 93, m.w.N.

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

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In den Entscheidungen des Kassationshofes ist diese „concomitance" nur in älteren Entscheidungen ausdrücklich erwähnt 367 . Dieser Begriff scheint aber auch heute der leitende Gedanke zur Feststellung des Zusammenhanges zwischen Unfall und Schaden zu sein. Ihm wird jedoch ein außerordentlich weiter Rahmen gegeben. Ausreichend ist, daß die Verletzung zur Arbeitszeit am Arbeitsort eingetreten ist. Es wird also auch vom Vorliegen eines äußeren Unfallereignisses abgesehen368. a) Fälle, in denen ein Zusammenhang zwischen Schaden und Unfall vermutet wird Für die Mehrzahl aller Unfälle ist der Zusammenhang zwischen Unfall und der darauf eintretenden Verletzung eindeutig und offensichtlich. Schwierigkeiten können u.a. bei Krankheitsanlagen, schlechtem Gesundheitszustand, Komplikationen und tödlichen Unfällen unbekannter Ursache auftreten. Wird durch den Unfall eine bisher verborgene Krankheitsanlage aufgedeckt bzw. ein schlechter Gesundheitszustand, der aber bisher keinerlei Invalidität nach sich gezogen hat, verschlimmert, so wird der erlittene Schaden insgesamt als Arbeitsunfall angesehen369. Im deutschen Recht gilt für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Körperschaden — der haftungsausfüllenden Kausalität — wieder die Lehre von der wesentlichen Bedingung. Der Arbeitsunfall muß also zumindest eine wesentlich mitwirkende Ursache oder wesentliche Teilursache gewesen sein. Falls eine Krankheitsanlage, die noch zu keiner krankhaften Veränderung im Körper geführt hatte, mit einem Unfallereignis zusammen einen Körperschaden bewirkt, so ist dieses Unfallereignis dann eine wesentliche Bedingung und somit Ursache des Schadens, wenn die Krankheitsanlage zu ihrer Auslösung besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte und das Unfallereignis diese Einwirkung ausgelöst h a t 3 7 0 . Der schädigende Vorgang ist alleinige Bedingung, wenn die ruhende Anlage auch in Zukunft nicht zu einem krankhaften Geschehen geführt hätte. 367

Siehe Fn. 366. ygi. a u c h dj e in Fn. 139 genannten Entscheidungen; zu den Ausführungen zur „cause extérieure" vgl. J. cl., Fase. 310, Nr. 95, m.w.N. 368

369 Vgl. Cass. soc. 5. März 1964, D. 1964, 681, Anm. Meurisse; ferner Cass. soc. 4. Dez. 1969, D. 1971, 285, Anm. Brunei; vgl. dazu die Rechtsprechung zu den Leistenbrüchen, die während der Arbeit eintreten und meist als Arbeitsunfall betrachtet werden: Rép. dr. soc. et trav., 1960 und 1979, Nr. 1007, m.w.N.; vgl. auch Rép. dr. soc. et trav., 1979, Nr. 1238; J. cl., Fase. 310, Nr. 94, m.w.N.; Mellotée, Les états préexistants aux accidents du travail, D. 1973, Chr., 173 (175), m.w.N. 370 Vgl. Brackmann, Bd. II, 488 1, m, m.w.N.

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

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Hätte dagegen die Anlage in Zukunft zu einem krankhaften Zustand geführt, so sind die Bedingungen hierfür sowohl die Anlage als auch das Unfallereignis. Bei einer kausalen Gleichwertigkeit der Anlage mit dem Ereignis ist dieses Ursache des krankhaften Geschehens im Rechtssinne 371 . Schäden aufgrund von Komplikationen, die eine Verschlimmerung der erlittenen Verletzung nach sich ziehen, werden als zum Unfall zugehörig angesehen, wenn sie eine untrennbare Einheit mit der ursprünglichen Verletzung bilden 3 7 2 . Dies gilt z.B. bei Komplikationen, die von ärztlicher Seite als eventuelle Folge bei bestimmten Verletzungen bekannt sind, wie bei bestimmten Infektionen 3 7 3 oder bei einer Komplikation einer aufgrund des Unfalls notwendig gewordenen Operation 374 . Eine Einheit mit dem Unfall kann auch bei Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Geschädigten aufgrund mangelnder Pflege und schlechter ärztlicher Versorgung bestehen 375 . Schäden u.a. im Rahmen der Heilbehandlung nach einem Arbeitsunfall sind im deutschen Recht gesetzlich geregelt (§ 555 RVO). Bei plötzlichen tödlichen Unfällen, die am Arbeitsort zur Arbeitszeit eingetreten sind, wird die Vermutung ebenfalls — auch wenn keine Zeugen vorhanden sind oder die Todesursache unbekannt ist - aufrechterhalten 376 . Beim Tode eines Geschädigten, der erwerbsunfähig geworden war und der deshalb gesetzlich eine Pflegeperson in Anspruch nehmen konnte, ergibt sich gem. Art. 489 Abs. 4 folgende Besonderheit: Hat ein anspruchsberechtigter Angehöriger die Pflege des später Verstorbenen wenigstens über eine Zeit von zehn Jahren durchgeführt, so besteht die gesetzliche Vermutung, daß der Tod aufgrund der Unfallfolgen eingetreten i s t 3 7 7 . Kann die Kasse nicht den Nachweis erbringen, daß die Pflege weniger als zehn Jahre lang durchgeführt wurde, so gilt es im Hinblick auf alle anspruchsberechtigten Angehörigen als festgestellt, daß der Tod dem Unfall zuzurechnen ist. 371

Vgl. BSG in Breith. 1975, 324 (327) = SGb 1975, 338, mit Anm. von Funk. Vgl. Cass. soc. 4. Feb. 1965, J.C.P. 1965, IV, 33; Cass. soc. 7. März 1963, J.C.P. 1963, IV, 49; Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1016, m.w.N.; J. cl., Fase. 310, Nr. 96; vgl. auch Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 190), 506, m.w.N. 373 Vgl. Cass. soc. 5. Juni 1952, J.C.P. 1952, II, 7322,4. Urteil (Tetanus). 3 7 4 Cass. soc. 23. April 1960, J.C.P. 1960, IV, 81. 375 Trib. civ. Rouen 25. Mai 1905, D.P. 1912, 5, 8 (ansteckende Krankheit während des Krankenhausaufenthaltes); Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1016 ff., m.w.N. 37 * Cass. soc. 26. April 1951, J.C.P. 1951, II, 6343; Cass. soc. 16. Juli 1956, Bull. civ. IV (Nr. 686), 513; Cass. soc. 28. Feb. 1963, J.C.P. 1963, IV, 45; J. cl., Fase. 310, Nr. 101 ff. 377 Diese gesetzliche Vermutung besteht seit dem Gesetz Nr. 74-1027 vom 4. Dez. 1974 i.V.m. den Durchführungsbestimmungen vom 5. Mai 1975 (Dekret Nr. 75-336), Art. 128 des Dekrets Nr. 46-2952 vom 31. Dez. 1946. 372

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

90

b) Fälle, in denen ein Zusammenhang zwischen Schaden und Unfall nicht vermutet wird

Tritt der Schaden erst eine gewisse Zeit nach dem Unfall auf, so entfällt die Vermutung, und der Geschädigte muß den Zusammenhang zwischen beiden nachweisen 378 . Dies gilt auch für die anspruchsberechtigten Hinterbliebenen 379 . Eine bestimmte, festgelegte Frist wird jedoch nicht aufgestellt. Maßgebend ist der Einzelfall 380 . Hat der Geschädigte den Unfall verspätet angezeigt, so entfällt die Vermutung, und es ist der Nachweis eines Zusammenhanges zu erbringen 381 . Das gilt auch bei fehlerhaften Erklärungen 382 . In vielen Fällen wird auch eine dem Unfall folgende Krankheit oder ein weiterer Unfall als von dem ursprünglichen Unfall losgelöst betrachtet. Der Geschädigte hat aber die Möglichkeit, den Zusammenhang nachzuweisen383. Wirkt das Unfallereignis auf einen bereits bestehenden Krankheitszustand ein, der eine „incapacité de travail", d.h. eine Invalidität oder eine Beeinträchtigung der Erwerbsunfähigkeit nach sich gezogen hat, hat also nicht nur eine Krankheitsanlage vorgelegen und wird eine Verschlimmerung des Körperschadens verursacht, so wird nur der Anteil des Leidens als Unfallfolge angesehen, der dem Unfallereignis zuzurechnen i s t 3 8 4 . Dies gilt auch dann, wenn der Unfall eine völlige Zerstörung der Funktion eines Sinnesorgans, z.B. des Sehvermögens, bewirkt, welches zuvor nur bedingt beschränkt war 3 8 5 . 378

Vgl. J. cl., Fase. 310, Nr. 114 ff., m.N. Cass. soc. 6. März 1952, J.C.P. 1952, II, 7322, 3. Urteü;Cass. soc. 5. Dez. 1968, J.C.P. 1969, IV, 19; Cass. soc. 6. Juli 1977, D. 1977,1.R., 465. 380 J. cl., Fase. 310, Nr. 117; vgl. Cass. soc. 12. Jan. 1977, D. 1977,1.R., 69. 381 Cass. soc. 27. Feb. 1964, J.C.P. 1964, IV, 53; vgl. J. cl., Fase. 310, Nr. 120 ff., m.w.N. 382 Cass. soc. 29. Mai 1974, Gaz. Pal. 1974, 2, Somm., 186. 383 Cass. soc. 5. Feb. 1954, Dr. soc. 1954, 510 (Sturz durch eine erlittene Ohnmacht nach einer für die Arbeit notwendigen Gelbfieberimpfung); Cass. soc. 30. April 1954, Gaz. Pal. 1954, 2, 29 (Kohlenmonoxydvergiftung aufgrund des angegriffenen Gesundheitszustandes des Opfers wegen mehrerer Bluttransfusionen); J. cl., Fase. 310, Nr. 125 ff., m.w. N.; vgl. zu Beweisfragen unten Β II 4. 3 8 4 Cass. soc. 13. Feb. 1964, Bull. civ. IV (Nr. 128), 102; Cass. soc. 13. Jan. 1966, Bull. civ. IV (Nr. 44), 36; Ass. plén. 27. Nov. 1970, D. 1971, 181, conci. Lindon (landwirtschaftlicher Unfall), und mit krit. Anm. Dupeyroux, Le déclin de la présomption d'imputabilité, D. 1971, Chr., 81; vgl. Mellotée, D. 1973, Chr., 173 (174), m.w.N. 385 Cass. soc. 8. Okt. 1964, Bull. civ. V (Nr. 662), 544; Mellotée, D. 1973, Chr., 173 (174), m.w.N. 379

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

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Für den Fall, daß ein Unfall (nur) durch die vorher bestehende „incapacité", die auf einem vorhergehenden Unfall beruhte, ausgelöst wird, hat der Kassationshof eine Anerkennung als Arbeitsunfall abgelehnt 386 . Bei einer einem Arbeitsunfall nachfolgenden Verschlimmerung, die keine untrennbare Einheit mit dem Unfall bildet, hat grundsätzlich der Geschädigte nachzuweisen, daß diese von dem Unfall herrührt 387 . Eine Verschlimmerung einer Krankheitsanlage, die bereits vor dem Unfall bestanden hatte und sich normal weiterentwickelt, steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Arbeitsunfallgesetzgebung 388. Wenn eine Verschlimmerung der Unfallverletzung aufgrund von Ablehnung einer bestimmten ärztlichen Behandlung durch den Geschädigten erfolgt, verdrängt diese Ablehnung allein jedoch nicht jeden Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und seinen Folgen 389 . Hat eine Krankheitsanlage bereits körperliche oder psychische Veränderungen bewirkt, so kommt im deutschen Recht, auch ohne daß diese Anlage sofort bemerkbar oder bemerkt worden war, nur eine Verschlimmerung des betreffenden Leidens durch die Schädigung in Betracht. In diesen Fällen kann das schädigende Ereignis nur den Zeitpunkt vorverlegen, an dem das Leiden sonst in Erscheinung getreten wäre, oder es kann das Leiden schwerer auftreten lassen, als sonst zu erwarten gewesen wäre 3 9 0 . Bei einer Verschlimmerung ist Unfallfolge der gegenwärtige und künftige Anteil des Leidens, der dem Einfluß des Unfalls im Rahmen der in der Unfallversicherung geltenden Kausallehre zuzurechnen i s t 3 9 1 . Die Kasse hat beim Tode des Geschädigten nach Art. 477 das Recht, die Anordnung einer Autopsie durch das Amtsgericht zu verlangen. Für den Fall, daß sich die anspruchsberechtigten Hinterbliebenen dieser Autopsie widersetzen, verlieren sie die zu ihren Gunsten eventuell eingreifende „présomption d'imputabilité". Sie haben aber die Möglichkeit, den Nachweis eines Zusammenhanges zu erbringen 392 . 386 Cass. soc. 6. Feb. 1953, Bull. civ. IV (Nr. 125), 93; vgl. Cass. soc. 6. Jan. 1962, J.C.P. 1962, IV, 21 = D. 1962, Somm., 104. 387 Mellotée, D. 1973, Chr., 173 (176); Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1020,1021. 388 Cass. soc. 6. Mai 1965, Bull. civ. IV (Nr. 370), 308; Cass. soc. 22. Jan. 1970, D. 1970, Somm., 117; vgl. Mellotée, D. 1973, Chr., 173, m.w.N. 389 Cass. civ. 25. Feb. 1941, Rév.gén. ass. terr. 1942, 112 (möglich ist in diesem Fall aber das Vorliegen von „faute inexcusable", falls der Betroffene einen leichten Eingriff ablehnt); vgl. auch Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1024. 390 Vgl. BSG 21, 75 (77); vgl. Brackmann, Bd. II, 488 m, m.w.N. 39 1 Vgl. BSG 11, 161 (163); BSG 21, 75 (77); Brackmann, Bd. II, 488 o, m.w.N., und dort auch weitere Einzelheiten zur „Verschlimmerung", 488 ο ff., m.w.N. 392 Cass. soc. 20. Jan. 1961, J.C.P. 1961, IV, 29; vgl. J. cl., Fase. 310, Nr. 131 ff., m.w.N.

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Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Bei Selbstmord oder Selbstmordversuch nach einem Arbeitsunfall entfällt die Zurechenbarkeitsvermutung. Der Geschädigte bzw. seine Hinterbliebenen können aber den Zusammenhang zwischen dem vorangegangenen Unfall und dem Selbstmordversuch bzw. Selbstmord nachweisen 393 . Letzterer muß die direkte Folge einer psychischen Auswirkung oder Geistesverwirrung sein, die durch die Unfallverletzung ausgelöst 394 oder auch verstärkt wurden 3 9 5 . Ähnlich kommt es im deutschen Recht darauf an, ob der Unfall oder seine Auswirkungen wesentlich das Handeln des Geschädigten und damit seine Folgen, d.h. die Selbsttötung, bedingt haben. Eine rechtlich wesentliche Verknüpfung kann schon dann gegeben sein, wenn die Fähigkeit zur Willensbildung durch Auswirkungen des Unfalls wesentlich beeinträchtigt war 3 9 6 . Kann nicht geklärt werden, ob der Tod des Arbeitnehmers durch betriebsbezogene Umstände verursacht oder durch Selbstmord herbeigeführt worden ist, so sind die Folgen dieser Ungewißheit von den Hinterbliebenen nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu tragen 397 , d.h., daß ein Rentenanspruch nicht anerkannt wird. c) Die Meinung in der Literatur zur „présomption d'imputabilitê" zwischen Unfall und Körperschaden In der Literatur warnt Jambu-Merlin 398 vor dieser Zurechenbarkeitsvermutung. Man komme dadurch zu der Aussage, daß jeder Unfall, dessen Folgen sich sofort zur Arbeitszeit am Arbeitsort zeigten, ein Arbeitsunfall sei, wohingegen jeder Krankheitszustand nicht als ein solcher anzusehen sei, wenn nicht der Beweis erbracht werde, daß dieser Zustand seine Ursache in der Arbeit habe. Dies führe zu einer Vernachlässigung der wesentlichen Grundvoraussetzungen, wie die der Plötzlichkeit und die der äußeren Einwirkung. Damit wachse aber der Empirismus in der Rechtsprechung mehr und mehr an.

393 Vgl. Poitiers 15. Nov. 1961, D. 1962, Somm., 86; vgl. Saint-Jours, Le suicide dans le droit de la Sécurité sociale, D. 1970, Chr., 93 (96). 3 9 4 Douai 22. Jan. 1963, D. 1963, 525; vgl. Amiens 10. Dez. 1975, D. 1976, Somm., 65; Saint-Jours, D. 1970, Chr., 93 (96), m.w.N.; Fälle, in denen dieser Beweis nicht erbracht wurde: vgl. Cass. soc. 26. Nov. 1970, D. 1971, 125, Anm. Saint-Jours; Cass. soc. 16. Dez. 1970, D. 1971, 224, Anm. Saint-Jours mit Hinweis auf die Beweisschwierigkeiten im Falle des Selbstmordes. 395 Trib. civ. Toulon 13. Dez. 1949, D. 1950, 89. 396 Vgl. BSG 18, 163 (165). 397 BSG 30, 278. 398 Jambu-Merlin, 148; vgl. auch gegen die „Schuldvermutung" Gitter, 125 f.

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

4. B e w e i s f r a g e n

und

93

Vermutungen399

Die Lösung von Beweisfragen erfolgt in der Rechtsprechung - wie bereits erwähnt - mit Hilfe einer Reihe von Vermutungen: eine Vermutung, die das Vorliegen eines Unfalls betrifft; eine Vermutung, die sich auf den berufsmäßigen Charakter des Unfalls bezieht; eine Vermutung zum Zusammenhang zwischen Schaden und Unfall 4 0 0 . Besondere gesetzliche Regelungen bestehen in dieser Hinsicht bis auf Art. 4 7 7 4 0 1 und Art. 4 8 9 4 0 2 nicht. Der Geschädigte hat grundsätzlich das Vorliegen eines Schadens nachzuweisen 4 0 3 . Dieser Schaden muß aufgrund eines Unfalls eingetreten sein. Den Tatbestand des Unfalls hat zwar grundsätzlich der Geschädigte zu beweisen 404 , die Rechtsprechung hat ihm jedoch eine Beweiserleichterung durch eine Vermutung geschaffen. Diese - auch „présomption de matérialité" 405 genannte - Vermutung beinhaltet, daß bei Vorliegen einer Verletzung, die zur Arbeitszeit am Arbeitsort plötzlich und heftig auftritt, das Vorliegen eines Arbeitsunfalles anzunehmen i s t 4 0 6 . Zur Führung des Nachweises dieser Voraussetzungen stehen dem Geschädigten alle Beweismittel offen 4 0 7 . Im allgemeinen geschieht dies aufgrund Zeugenbeweises. Anderenfalls hat der Geschädigte die Möglichkeit, Umstände und Tatsachen anzuführen, die geeignet sind, eine Reihe von Vermutungen zu seinen Gunsten zu begründen. Es muß sich um schwerwiegende, bestimmte und übereinstimmende Vermutungen (des présomptions graves, précises et concordantes) handeln 408 . 399

In diesem Abschnitt sind Wiederholungen aus der vorhergehenden Darstellung der Zusammenhänge zwischen Arbeit-Unfall-Schaden unvermeidlich. 400 Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 188), 502 f., kennzeichnet dieses gesamte Vermutungsgefiige als „extrêmement confus". Es besteht auch keine einheitliche Terminologie zu diesen Vermutungen; vgl. Godard, Le régime de la preuve en matière d'accidents du travaü, Nr. 19 ff., m.w.N. Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff der „présomption d'imputabilité" als allgemeine Kennzeichnung einer Vermutung beibehalten, ohne Einmischung in einen französischen Terminologiestreit. 401

Vgl. dazu oben unter Β II 3 b und noch unten Fn. 425. Vgl. dazu oben unter Β II 3 a. 403 Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 188), 502 f.; Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr.881. 4 0 4 Vgl. Cass. soc. 14. Feb. 1973, D. 1973,1.R., 41; vgl. Memento pratique, Nr. 112; J. cl., Fase. 310, Nr. 68 ff. und Nr. 173; Godard, Preuve, Nr. 51. 405 Vgl. Godard, Preuve, Nr. 28 ff. 406 „La brusque apparition au temps et sur le lieu du travail d'une lésion physique révélée par une douleur soudaine constitue en elle-même un accident du travail à défaut de preuve . . . Cass. soc. 5. März 1970, D. 1970, 621, Anm. Dupeyroux = J.C.P. 1970, II, 16441; Cass. soc. 9. April 1970, D. 1970, Somm., 165; Cass. soc. 4. Nov. 1970, J.C.P. 1971, II, 16682 = D. 1971, Somm., 89. 4 0 7 Vgl. J. cl., Fase. 310, Nr. 76; Godard, Preuve, Nr. 59. 402

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Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Dies gilt ebenso, wenn die Vermutung nicht eingreift. Das kann z.B. der Fall sein, wenn die Verletzung außerhalb der Arbeitszeit und des Arbeitsortes auftritt und nicht „dans un temps voisin", also noch in einer unmittelbar engen Beziehung zur Arbeit steht 4 0 9 . Die „présomption de matérialité" ist eng mit der „présomption d'imputabilitê" (auch „présomption de causalité" genannt 4 1 0 ) verbunden 411 . Danach wird bei jeder Verletzung, die zur Arbeitszeit am Arbeitsort auftritt, angenommen, daß sie durch die Arbeit oder bei Gelegenheit der Arbeit eingetreten ist. Der Geschädigte hat nachzuweisen, daß der vermutete oder festgestellte Unfall zur Arbeitszeit und am Arbeitsort geschehen i s t 4 1 2 . Die Kassen bzw. der Arbeitgeber sind befugt, die „présomption d'imputabilitê" durch den Nachweis zu widerlegen, daß ein Zusammenhang zwischen Unfall und Arbeit fehlt 4 1 3 . Das kann geschehen, indem nachgewiesen wird, daß sich der Arbeitnehmer der Weisungsgewalt des Arbeitgebers entzogen hat. Für den Fall, daß z.B. bei Geschäftsreisen ein zeitlicher und örtlicher Bezug zu einem bestimmten Arbeitsplatz nicht herzuleiten ist, hat der Geschädigte nur den Unfall und die Ausübung eines Auftrages nachzuweisen414. Falls der Geschädigte eine leitende Position bekleidet, in der ihm ein Auftrag nicht erteilt, sondern er nur entsprechend tätig wird, hat er nachzuweisen, daß dies im Interesse des Unternehmens geschehen i s t 4 1 5 . In der Literatur wird die dann eingreifende Vermutung, daß sich der Arbeitnehmer auf seinem Arbeitsplatz innerhalb der Arbeitszeit befindet, sobald er der Weisungsgewalt seines Arbeitgebers untersteht, als „présomption de subordination" bezeichnet 416 . Es sei ein neuer Typ der Vermutung geschaffen worden 4 1 7 . Eine weitere „présomption d'imputabilitê" (ebenfalls gelegentlich „présomption de causa4 0 8 Cass. soc. 14. Feb., 22. Feb. und 10. Juli 1952, J.C.P. 1952, II, 7220; Cass. soc. 31. Jan. 1967, Dr. soc. 1967, 470, Anm. Jambu-Merlin; vgl. auch Cass. soc. 20. Okt. 1971, D. 1972, 419, Anm. Brunet, m.w.N. 409 Vgl. Cass. soc. 7. Okt. 1966, D. 1966, Somm., 124; Godard, Preuve, Nr. 33 ff., m.w.N.; J. cl., Fase. 310, Nr. 71, m.w.N.; Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 885. 4 1 0 Vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 891. 411 Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 888; vgl. auch Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 188), 502 f. 412 Vgl. J. cl., Fase. 310, Nr. 142; vgl. Godard, Preuve, Nr. 95 ff. 413 Vgl. Ch. réun. 28. Juni 1962, D. 1962, 661 = J.C.P. 1962, II, 12822, conci. Lindon (Brandverletzung einer Strafgefangenen nach der Arbeit in Räumen, die sowohl zur Arbeit als auch zum Schlafen benutzt wurden); vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1979, Nr. 902; J. cl., Fase. 310, Nr. 174. 414 J. cl., Fase. 310, Nr. 199 und 219, m.w.N. 415 Vgl. Cass. soc. 7. Juni 1968, D. 1968, 48; J. cl., Fase. 310, Nr. 221. 416 Vgl. Godard, Preuve, Nr. 100 ff. ; vgl. Jambu-Merlin, 147 ; vgl. auch Mellotée, conci., D. 1965, 280 (282).

II. Der Begriff des Arbeitsunfalls

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lité" genannt 4 1 8 ) besteht zwischen Schaden und Unfall. Dies ist dann der Fall, wenn eine Verletzung am Arbeitsort zur Arbeitszeit aufgrund eines vermuteten bzw. eines festgestellten Unfalls auftritt. Steht nicht fest, daß der Schaden am Arbeitsort zur Arbeitszeit eingetreten ist, muß der Arbeitnehmer nachweisen, daß er, während er sich am Arbeitsort zur Arbeitszeit befand, Opfer eines Unfalls war, der geeignet war, einen solchen Schaden zu verursachen. Erst dann wird der Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Schaden vermutet 4 1 9 . Die Vermutung besteht aber nur dann, wenn die Verletzung sich unmittelbar nach dem Unfalleintritt bemerkbar macht, die Verletzung im Laufe einer Behandlung aufgrund des Unfalls auftritt oder eine unmittelbare enge Beziehung zwischen Verletzung und Unfall besteht 420 . Anderenfalls haben der Geschädigte oder seine Hinterbliebenen den Nachweis des Bestehens eines ursächlichen Zusammenhanges (relation de causalité) zwischen Schaden und Unfall zu erbringen. Dies geschieht im Falle des Todes meist durch eine Autopsie 4 2 1 , im Falle der Körperschädigung durch Sachverständigengutachten. Verweigern die Hinterbliebenen eine von der Kasse beantragte Autopsie, so haben sie gemäß Art. 477 die Beweislast zu tragen. Es ist nicht notwendig, daß der Geschädigte beweist, daß der Schaden ausschließlich von dem Unfall herrührt, sondern es reicht aus, eine Verbindung zwischen beiden aufzuzeigen, selbst wenn eine bestimmte körperliche Veranlagung ebenfalls eine Rolle hat spielen können 4 2 2 . Immer muß der Schaden eine ausreichend direkte Folge des Unfalls sein 4 2 3 . Die Kassen und der Arbeitgeber sind — wie auch oben bereits erwähnt — befugt, den Gegenbeweis zu erbringen. Wenn bewiesen wird, daß es sich trotz bestehender „autorité" nicht um einen Unfall handelte im Sinne eines plötzlichen, heftigen oder gewaltsamen 417 J.el. Fase. 310, Nr. 199. 418 Vgl. Godard, Preuve, Nr. 21. 419 So schon seit der Entscheidung Ch. réun. 7. April 1921, S. 1922, 1, 81. 4 2 0 „Dans un temps voisin" vgl. Cass. soc. 19. Dez. 1954, Bull. Civ. IV (Nr. 831), 605 ; vgl. ferner Cass. soc. 31. Jan. 1973, Gaz. Pal. 1973, 1, 887; Cass. soc. 29. Mai 1974, D. 1974, I.R., 157; Cass. soc. 28. Okt. 1975, D. 1975, I.R., 241; Cass. soc. 12. Jan. 1977, D. 1977,1.R., 69; Cass. soc. 6. Juli 1977, D. 1977,1.R., 465. 421 Vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 190), 506, m.w.N. 422 Cass. soc. 4. Jan. 1957, Bull. civ. IV (Nr. 28); Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1014; J. cl., Fase. 310, Nr. 116. 423 Vgl. Cass. civ. 18. Okt. 1926, D.P. 1927, 1, 101, Anm. Rouast zum direkten Schaden; Rép. dr. soc et trav., 1960, Nr. 1014; vgl. auch zum Begriff des direkten Schadens bei Biesalski, Grundzüge der Deliktshaftung nach Artikel 1382, 1383 des Code civil im Französischen Recht, 13 ff.

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Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Ereignisses, das von außen einwirkt, so reicht dies nicht. Zusätzlich muß der Schaden — nachgewiesenermaßen — eine völlig arbeitsfremde Ursache gehabt haben (une cause totalement étrangère au travail) 4 2 4 , d.h. die Arbeit darf bei der Verwirklichung des Schadens keine Rolle gespielt haben 425 . Die Rechtsprechung stellt jedoch große Anforderungen an diesen Nachweis. Er gelingt deshalb auch nur selten 426 . Ein ursächlicher Zusammenhang wird schon angenommen, wenn der Unfall die Verletzung, die auf einer Krankheitsanlage beruht, lediglich veranlaßt 427 . Es wird hier das System der Gleichwertigkeit der Bedingungen angewendet 428 . Der Gegenbeweis der Kassen wird im allgemeinen mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens geführt 429 . Es besteht im übrigen immer eine so enge Verbindung zwischen dem Beweis eines Unfalleintritts und dem Beweis der ursächlichen Zusammenhänge zwischen Arbeit, Unfall und Schaden, daß Einzelheiten der Beurteilung der Rechtsprechung zu den Entscheidungen oft nicht entnommen werden können. Im deutschen Recht ist der Nachweis des ursächlichen Zusammenhanges dann erbracht, wenn dafür eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht. Kann diese nicht festgestellt werden, so trifft den Kläger die objektive Beweislast 430 , d.h., daß der Kläger die Folgen der mangelnden Beweisbarkeit des ursächlichen Zusammenhanges tragen muß. Eine Beweiserleichterung aufgrund einer Zurechenbarkeitsvermutung entsprechend dem französischen Recht greift hier nicht ein.

4 2 4 Vgl. Cass. soc. 19. Juli 1962, D. 1963, Somm., 8; Cass. soc. 5. März 1970, D. 1970, 621, Anm. Dupeyroux; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 189), 504 f., m.w.N.; vgl. Godard, Preuve, (Nr. 127), 122 f. 425 Vgl. Saint-Jours, Anm., in J.C.P. 1973, II, 17535, m.w.N.; für den Fall, daß eine Autopsie zur Erbringung dieses Beweises notwendig ist, die Hinterbliebenen diese jedoch verweigern, verlieren sie die Begünstigung der genannten Vermutung, vgl. Art. 477 und Cass. soc. 14. Feb. 1973, Dr. soc. 1973, 470; vgl. auch Memento pratique, Nr. 112; J. cl., Fase. 310, Nr. 131, m.w.N. 426 Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 189), 505, m.w.N. und Einzelheiten zu den Möglichkeiten der Beweisführung; vgl. Godard, Preuve, Nr. 144 ff. 4 2 7 Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 190), 506; vgl. auch Lindon, conci., in J.C.P. 1963, II, 13226, m.w.N.; Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1010; J. cl., Fasc.310, Nr. 104 ff. 428 Comm. rég. séc. soc. Lyon 15. Dez. 1950, J.C.P. 1951, II, 6446; Amiens 4. April 1962, J.C.P. 1964, II, 13785; vgl. Godard, Preuve, Nr. 141; ferner Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1010, m.w.N. 4 2 9 Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1010; Godard, Preuve, Nr. 181 ff.; vgl. dazu auch noch unter E II 4. 4 3 0 BSG SozR SGG § 128, Nr. 41; vgl. Brackmann, Bd. 1/2, 244 1, m.w.N.

III. Der Wegeunfall

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I I I . Der Wegeunfall

1. H i s t o r i s c h e r

Überblick

Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 30. Oktober 1946 waren Wegeunfälle grundsätzlich nicht in den Versicherungsschutz für Arbeitsunfälle einbezogen 431 . Man begründete dies zum einen damit, daß der Unfall sich in diesen Fällen nicht zur Arbeitszeit und am Arbeitsort ereignet habe und zum anderen damit, daß sich der Arbeitnehmer noch nicht der „autorité" seines Arbeitgebers unterworfen oder sich dieser bereits entzogen habe 4 3 2 . Ausnahmen wurden jedoch von der Rechtsprechung gestattet, wenn sich der Arbeitnehmer in bestimmten Fällen auch auf der Wegestrecke dem Weisungsrecht seines Arbeitgebers unterworfen hatte: so z.B. für die Fälle, in denen der Arbeitnehmer Reisen im Auftrage des Arbeitgebers unternahm, wie bei Handelsvertretern und Handlungsreisenden 433; oder bei Arbeitnehmern, die bei ihren Arbeitgebern untergebracht waren, solange sie sich noch nicht außerhalb ihres Dienstes befanden und somit noch nicht unabhängig waren 4 3 4 . Auch wurden Unfälle auf gefährlichen Wegestrecken, die der Arbeitnehmer zur Arbeit hin bzw. von der Arbeit überwinden mußte, als Arbeitsunfall anerkannt. Es mußte jedoch eine besondere Gefährlichkeit des Weges vorliegen 435 , und der Unfall mußte sich entweder auf dem Betriebsgelände ereignet haben 436 oder, falls dies nicht der Fall war, mußte der Arbeitgeber das Betreten dieses Weges ausdrücklich verlangt haben 437 . Schließlich wurde auch der Unfall als Arbeitsunfall betrachtet, der sich auf der Wegestrecke ereignete bei einer von dem Arbeitgeber selbst (bzw. einem seiner Vertreter) übernommenen Beförderung des Arbeitnehmers; ebenfalls bei einer Beförderung, für die der Arbeitgeber die Kosten übernommen hatte, und auch dann, wenn der Weg während der Arbeitszeit zurückzulegen war 4 3 8 . 431 432

Jambu-Merlin, 149; Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 923; J. cl., Fase. 312, Nr. 1. Cass. soc. 11. April 1940, D.H. 1940, 116; Cass. civ. 22. Jan. 1945, Gaz. Pal. 1945,

1, 147. 433

Cass. civ. 16. März 1937, D.H. 1937, 250. Cass. civ. 13. März 1928, D.H. 1928, 238; Cass. req. 13. März 1929, D.H. 1929, 201; solche Unfälle werden zum Teil auch heute noch als Arbeitsunfälle und nicht als Wegeunfälle betrachtet, vgl. oben unter Β II 2 e cc. 435 Cass. soc. 7. Feb. 1952, 2. Urteü, S. 1953, 1, 197, Anm. L.A. 436 Cass. req. 10. Jan. 1922, Gaz. Pal., 1922, 1, 263; Cass. req. 11. März 1925, D.H. 1925, 290. 4 3 7 Vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 926, m.w.N. 438 Vgl. Cass. civ. 31. Juli 1929, Gaz. Pal. 1929, 2, 700; Cass. civ. 25. April 1932, D. H. 1932, 362, 1. Urteü; Cass. civ. 13. Nov. 1940, Gaz. Pal. 1940, 2, 196; Cass. civ. 1. Aug. 1936 und 2. Dez. 1936, Gaz. Pal. 1937, 2, 182. 4 3 4

98

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Es bestand jedoch die Notwendigkeit, dem Arbeitnehmer einen Schutz auf dem Wege zur und von der Arbeit zu gewähren, wie u.a. die Vielzahl von Verkehrsunfällen zu den Hauptverkehrszeiten zeigen. Die alte Rechtsprechung zu den Arbeitsunfällen hätte nur abhelfen können, indem sie von einer Unterordnung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber ausgegangen wäre, sobald jener seine Wohnung verlassen hätte. Auch der Begriff des „risque de l'entreprise" — des Unternehmensrisikos — konnte keine befriedigende Lösung bringen. Es war eine Überdehnung dieses Begriffs zu befürchten 439 . Deshalb wurde mit dem Gesetz vom 30. Oktober 1946 eingeführt, daß die Gesetzgebung zu den Arbeitsunfällen auch für die Wegeunfälle anzuwenden sei. Neben einem weit gefaßten Begriff der Unterordnung hätte der berufsbedingte Charakter des Wegeunfalls bzw. dessen gesetzliche Angleichung an den Arbeitsunfall auch erfolgen können, indem man von einem neuartigen Fall des Arbeitnehmerschutzes gegen ein besonderes Risiko ausging. Diese Ansicht fand besonders in der Lehre 4 4 0 einige Anhänger und vereinzelt auch in der Rechtsprechung 441 . Man war für eine Selbständigkeit des Wegeunfalls aufgrund der Schaffung des objektiven Begriffs der Wegestrecke, der ganz im Gegensatz zu den nachgiebigen Begriffen Arbeitszeit und Arbeitsort stand. Die Rechtsprechung begründet jedoch zumeist die gesetzliche Angleichung mit der Ausdehnung der Abhängigkeit (extension du lien de dépendance) des Arbeitnehmers, also auch der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers 442 . Im Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 30. Oktober 1946 heißt es: „Est également considéré comme accident du travail, l'accident survenu aux travailleurs visés par la présente loi pendant le trajet de la résidence au lieu de travail et vice-versa, dans la mesure où le parcours n'a pas été interrompu ou détourné pour un motif dicté par l'intérêt personnel ou indépendant de leur emploi". Ebenso wird also der Unfall als Arbeitsunfall betrachtet, den Arbeiter als Begünstigte dieses Gesetzes auf dem Wege vom Wohnort zur Arbeitsstelle und zurück erleiden, es sei denn, die Wegestrecke wird wegen eines persönlichen 4 3 9

Vgl. Jambu-Merlin, 149. Gauguier, Situation juridique du salarié au cours du trajet pour se rendre au travail ou en revenant, J.C.P. 1951, I, 952; Degeorge, Taux de cotisations accidents du travail et accidents du trajet, Gaz. Pal. 1959, 1, Doctr., 60. 4 4 1 Nancy 18. Nov. 1949 und Angers 15. Feb. 1950, J.C.P. 1950, II, 5436. 4 4 2 Cass. soc. 7. Juni 1951, Dr. soc. 1951, 632, Anm. Rouast; Cass. soc. 18. Okt. 1951, J.C.P. 1952, II, 6951, 1. Urteü; Cass. soc. 29. Nov. 1951, D. 1952, 167; vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 941, m.w.N. 4 4 0

III. Der Wegeunfall

99

Anliegens oder unabhängig von dem Beruf unterbrochen oder es wird von ihr abgewichen. Damit war der Wegeunfall in den Versicherungsschutz einbezogen. Später wurde dieser Text, der inzwischen in den Code de la sécurité sociale eingegangen war - Art. 415-1 - , u.a. durch das Gesetz vom 23. Juli 1 9 5 7 4 4 3 vervollständigt. Jetzt werden auch Geschädigte geschützt bei Unfällen auf bestimmten Wegen, die aufgrund der Arbeit notwendig waren, wie z.B. Wege zwischen dem mit dem Wohnort vergleichbaren Ort (z.B. Nebenwohnsitz) oder einem Ort, an den sich der Arbeitnehmer regelmäßig aus familiären Gründen begibt, oder dem Ort, an dem gewohnheitsmäßig die Mahlzeiten eingenommen werden, und der Arbeitsstelle. Der Versicherungsschutz besteht aber nur, wenn der Arbeitnehmer den Weg nicht aus rein persönlichen Gründen unterbricht oder von ihm abweicht. Ein Abweichen vom Weg, um lebenswichtige Bedürfnisse des täglichen Lebens zu erledigen, läßt den Versicherungsschutz nicht entfallen 4 4 4 . Die Angleichung des Wegeunfalls an den Arbeitsunfall hatte aber die Folge, daß der Geschädigte keine Rückgriffsmöglichkeit gegen seinen Arbeitgeber und seine Arbeitskollegen hatte, wenn diese den Unfall verursacht hatten. Dies wurde durch das Gesetz vom 6. August 1963 4 4 5 geändert. Gemäß Art. 470-1 besitzt nunmehr der Geschädigte eines Wegeunfalls gegen seinen Arbeitgeber (bzw. dessen Verrichtungsgehilfen) und seine Arbeitskollegen als Schädiger einen Rückgriffsanspruch nach allgemeinem Zivilrecht (Art. 4 7 0 , 4 7 1 ) 4 4 6 . Weitere wesentliche Änderungen des Art. 415-1 erfolgen durch die Verordnung vom 21. August 1 9 6 7 4 4 7 und das Gesetz zur Ratifikation vom 31. Juli 1 9 6 8 4 4 8 ; sie betrafen Beweisfragen.

2. D e r

Begriff

des

Wegeunfalls

Die heute gültige gesetzliche Begriffsbestimmung des Wegeunfalls lautet gemäß Art. 415-1 folgendermaßen: 4 4 3 Gesetz Nr. 57-819, J.O. 24. Juli 1957, 7299; Rect. J.O. 22. Aug. 1957, 8243 = D. 1957, L., 222, commentaire, D. 1957, 307. 4 4 4 Vgl. dazu Devouassoud, La loi du 23 juillet 1957 sur les accidents de trajet et la jurisprudence, Gaz. Pal. 1957, 2, Doctr., 41; Cass. soc. 14. März 1958, D. 1958, 355. 4 4 5 Gesetz Nr. 63-820, J.O. 8. Aug. 1963, 7357 = D. 1963, L., 271. 4 4 6 Darauf wird noch näher einzugehen sein, siehe unter D I 1 und unter D III. 4 4 7 Ordonnance Nr. 67-707, J.O. 22. Aug. 1967, 8409 = D. 1967, L., 320 (322) (Art. 18). 4 4 8 Gesetz Nr. 68-698, J.O. 2. Aug. 1968, 7522 = D. 1968, L., 260.

100

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Est également considéré comme accident du travail, lorsque la victime ou ses ayants droit apporte la preuve que l'ensemble des conditions ci-après sont remplies ou lorsque l'enquête permet à la Caisse de disposer sur ce point de présomptions suffisantes, l'accident survenu à un travailleur visé par le présent livre, pendant le trajet d'aller et retour entre: a) sa résidence principale, une résidence secondaire présentant un caractère de stabilité ou tout autre lieu où le travailleur se rend de façon habituelle pour des motifs d'ordre familial et le lieu du travail; b) le lieu du travail et le restaurant, la cantine ou, d'une manière plus générale, le lieu où le travailleur prend habituellement ses repas, et dans la mesure où le parcours n'a pas été interrompu ou détourné pour un motif dicté par l'intérêt personnel et étranger aux nécessités essentielles de la vie courante ou indépendant de l'emploi. Danach ist ein Wegeunfall der Unfall eines Arbeitnehmers auf dem Hin- oder Rückweg zwischen seinem Arbeitsplatz und seinem Haupt- oder Nebenwohnsitz oder jedem anderen Ort, an den sich der Arbeitnehmer gewohnheitsmäßig aus familiären Gründen begibt; sowie weiterhin zwischen seinem Arbeitsplatz und dem Ort, an dem er gewohnheitsmäßig seine Mahlzeiten einzunehmen pflegt. Die Wegestrecke darf aber nicht unterbrochen werden, bzw. es darf nicht von ihr abgewichen werden aus Gründen rein persönlicher Natur und die nicht wesentliche Bedürfnisse des täglichen Lebens betreffen oder unabhängig von dem Beruf sind. Ein solcher Unfall wird dem Arbeitsunfall gleichgestellt.

3. A b g r e n z u n g z w i s c h e n W e g e u n f a l l u n d dem U n f a l l nach a l l g e m e i n e m H a f t u η gsr ec h t Es ist notwendig, den Wegeunfall von dem Unfall, der nach dem allgemeinen Haftungsrecht geregelt wird, abzugrenzen. Denn dem - sozialversicherten — Geschädigten stehen bei einem „allgemeinen" Unfall nur die Leistungen der übrigen Sozialversicherungszweige offen, und dies nur, wenn er zusätzlich andere Bedingungen erfüllt 4 4 9 . Zunächst soll eine Begriffsbestimmung des Wegeunfalls durch die Rechtsprechung vorgenommen werden. Ein Wegeunfall ist zunächst ein Unfall, der auf dem Hin- oder Rückweg zwischen dem Arbeitsort und dem Haupt- oder Nebenwohnsitz eintritt. 4 4 9 Während die Unfallversicherung durch die Höhe der insbesondere den Hinterbliebenen zuerkannten Leistungen gekennzeichnet ist, sind die Leistungen der Sozialversicherungen verhältnismäßig gering.

III. Der Wegeunfall

101

Grundsätzlich ist Arbeitsort jeder Ort, an den sich der Arbeitnehmer auf Anordnung seines Arbeitgebers hinbegibt bzw. sich hinbegeben h a t 4 5 0 . Die „résidence principale" (der Hauptwohnsitz) ist zunächst nur die Wohnung des Arbeitnehmers. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat aber auch deren unmittelbare Umgebung in den Versicherungsschutz einbezogen. Dieser Schutz besteht nicht nur auf öffentlichen Wegen, sondern beginnt, sobald der Arbeitnehmer auf dem Weg zur Arbeit die Schwelle seiner Wohnung überschreitet. Ein Wegeunfall ist also z.B. ein Sturz im Treppenhaus eines Miethauses, wenn der Geschädigte sich auf dem Hin- oder Rückweg zur Arbeit befand 4 5 1 . Das gleiche gilt bei einem Unfall, der sich in dem Garten, H o f 4 5 2 oder auch Parkplatz 453 des angrenzenden Wohnhauses ereignet, während sich der Arbeitnehmer auf dem Weg zur Arbeit befindet. Der Unfall, der vor Fahrtantritt oder während der Fahrtvorbereitung eintritt, wird nicht als Wegeunfall betrachtet 4 5 4 . Die „résidence secondaire" (der Nebenwohnsitz) muß eine gewisse Beständigkeit in der Benutzung aufweisen 455 und notwendig sein 4 5 6 . Nicht erforderlich ist, daß der Arbeitnehmer Eigentümer, Mieter oder Wohnungsinhaber (occupant) i s t 4 5 7 . Auch sind mehrere „Nebenwohnsitze" möglich 458 . Ferner ist der Unfall ein Wegeunfall, der sich auf dem Hin- oder Rückweg zwischen dem 450 Ygi, Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 191), 510, Fn. 2; zur Begriffsbestimmung des Arbeitsortes siehe auch bereits oben Β II 2 b. 4 « Vgl. Cass. soc. 8. Mai 1952 und 5. März 1953, J.C.P. 1953, II, 7748; vgl. Cass. soc. 18. Nov. 1976, D. 1976, I.R., 333 (Sturz einer Arbeitnehmerin auf der Treppe, die von ihrem Pavillon zur Garage führte, als die Arbeitnehmerin zu ihrem Wagen gehen wollte, um zur Arbeit zu fahren: kein Wegeunfall, weü sie sich noch in ihrer Wohnung befunden habe). 452 Cass. soc. 26. Nov. 1954, J.C.P. 1955, II, 8773, 2. Urteü. 453 Cass. soc. 9. Aprü 1975, D. 1975, 577 (Arbeitnehmer, der von dem betrogenen Ehemann seiner Geliebten, welcher ihm aufgelauert hatte, morgens, als er zur Arbeit fahren wollte, erschossen wurde: Wegeunfall). 4 5 4 Cass. soc. 25. Juni 1964, D. 1964, 586, Anm. A.D. (reisender Arbeitnehmer, der - um die Sicherheit seines Autos besorgt - morgens bewaffnet dessen Abstellplatz aufsuchte und dort, aufgrund einer Verwechslung, von einem eifersüchtigen Ehemann erschossen wurde: kein Wegeunfall); Comm. l r e inst. séc. soc. Amiens 12. Dez. 1967, J.C.P. 1968, IV, 75 (Unfall nach dem Säubern der Windschutzscheiben vor Fahrtantritt bei der Rückkehr ins Haus, wo der Arbeitnehmer noch Notwendiges für seine Arbeit holen wollte: kein Wegeunfall); vgl. auch zum Fahrtende Cass. soc. 14. Juni 1972, D. 1972, 543, Anm. A.D. 455 Vgl. Art. 415-1, a); Cass. soc. 17. Juni 1965, D. 1965, 605; Cass. soc. 25. Okt. 1965, D. 1966, 42; vgl. auch Paris 12. Juni 1968, D. 1969, 64, Anm. A.D. 456 Cass. soc. 22. Feb. 1962, D. 1962, 400; vgl. auch Cass. soc. 25. Juni 1970, D. 1970, 705 ; Cass. soc. 14. Jan. 1971, D. 1971, Somm., 9. 4 5 7 Cass. soc. 17. Juni 1965, D. 1965, 605. 458 Limoges ch. soc. 31. Jan. 1975, zit. nach J. cl., Fase. 312, Nr. 57; ein solcher Nebenwohnsitz kann auch das Gefängnis sein, davon scheint der Kassationshof in seinem Urteü Cass. soc. 5. Feb. 1976, D. 1976,1.R., 89, ausgegangen zu sein.

102

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Arbeitsort und jedem Ort ereignet, an den sich der Arbeitnehmer gewohnheitsmäßig aus familiären Gründen begibt. Dieser Ort muß mit dem Haupt- bzw. Nebenwohnsitz vergleichbar sein. So entschied die Assemblée plénière 459 , daß der Unfall, der sich in einem Garten ereignete, abseits von der Wohnung des Geschädigten gelegen, nicht als ein solcher Aufenthaltsort anzusehen sei 4 6 0 . Das gleiche güt für die Wohnung der Eltern, wenn der Geschädigte diese auch häufig aus familiären Gründen aufsucht 461 . Ebenso wurde auch entschieden für den Fall des Wegbringens oder Abholens eines Kindes 462 . Ein Wegeunfall ist ferner der Unfall, der sich auf dem Hin- oder Rückweg zwischen Arbeitsort und dem Ort ereignet, an dem der Arbeitnehmer gewohnheitsmäßig seine Mahlzeiten einzunehmen pflegt. Dazu gehört nicht der Ort, an dem man nach dem Essen z.B. seinen Kaffee trinkt (compléments accessoires) 463 . Ist das gewählte Restaurant weit vom Arbeitsort entfernt, so wird eine direkte Beziehung zur Arbeitsvertragsausführung abgelehnt und nur ein persönliches Interesse des Arbeitnehmers an dem Besuch gerade dieses Lokals angenommen 4 6 4 . Nicht ausreichend ist, daß sich der Unfall zwischen diesen im Gesetz festgelegten Örtlichkeiten ereignet hat. Es muß die Voraussetzung hinzutreten, daß der Geschädigte diesen Weg mit dem Ziel unternommen hat, zu seiner Arbeitsstelle zu gelangen und dort seine Arbeit zu verrichten (intention d'aller travaüler) oder von dort unmittelbar nach Arbeitsschluß zurückzukehren. Dieses Ziel liegt z.B. nicht vor und somit auch kein Wegeunfall, wenn sich der Geschädigte aus einem persönlichen Grund zu einer Arbeitsstätte begibt 4 6 5 . Das gleiche gilt bei einem Ruhen des Arbeitsvertrages (suspension du contrat de travail), z.B. im Falle eines Streiks 466 oder bei Beurlaubung im Krankheitsfall 467. Es muß also immer eine enge Verbindung zur Arbeit bestehen 468 . 459

Ass. plén. 29. Feb. 1968, D. 1968,409, 2. Urteil, Anm. Dupeyroux. 460 Kritisch dazu Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 191), 511, Fn. 1. 461

I.R., 149.

Cass. soc. 28. Jan. 1971, D. 1971, Somm., 25; Cass. soc. 29. Mai 1975, D. 1975,

462

Cass. soc. 17. Jan. 1974, D. 1974, 281, Anm. A.D. *3 Gass. soc. 17. Juni 1970, D. 1970, Somm., 189. 4 6 4 Cass. soc. 10. Dez. 1969, D. 1970, 154, und dazu später Rennes 17. Feb 1971 D. 1971,660, Anm. 4

465 So Cass. soc. 19. Juli 1951, Gaz. Pal. 1951, 2, 250 (Unfall beim Holen einer Auskunft über eine Steuerermäßigung in der Fabrik); Cass. soc. 17. März 1970, D. 1970, Somm., 149 (Auskunft über das Gehalt während des Urlaubs); Cass. soc. 17. März 1976,' D. 1976, I.R., 129 (Abholen des Gehalts während einer Erholungszeit); vgl. J. cl., Fase! 312, Nr. 26 ff., m.w.N.

III. Der Wegeunfall

103

Geschützt wird der Arbeitnehmer grundsätzlich auf der normalen Wegestrecke zu seiner Arbeitsstelle, d.h. im allgemeinen der kürzeste Weg 469 . Aber auch die Wahl einer längeren Wegstrecke kann den Versicherungsschutz nicht entfallen lassen, wenn z.B. eine Verkehrsstockung damit umgangen w i r d 4 7 0 . Benutzt der Arbeitnehmer einen Weg, der normalerweise für das von ihm benutzte Transportmittel oder für Fußgänger gesperrt ist, so entfällt der Schutz im allgemeinen 471 . Die Wegstrecke muß auch zu einer Zeit und innerhalb eines Zeitraumes zurückgelegt werden, in dem normalerweise anzunehmen ist, daß der Arbeitnehmer sich zur Arbeit begibt bzw. von dort zurückkehrt 4 7 2 . Dieser Zeitraum umfaßt ebenfalls die Wartezeit bei einem öffentlichen Transportmittel 473 . Auch andere Beschäftigungen, die nicht unmittelbar die Arbeit betreffen, können darin eingeschlossen sein; so z.B. eine Verzögerung aufgrund einer vom Arbeitgeber organisierten Feier 4 7 4 oder aufgrund der Notwendigkeit, sich zu waschen 4 7 5 . Kein Wegeunfall ist dagegen der Unfall, der sich um 22.00 Uhr ereignete, obwohl der Arbeitnehmer seine Arbeitsstätte bereits um 17.30 Uhr verlassen hatte und einen Umweg von mehreren Kilometern in die entgegengesetzte Richtung fuhr, um mit einem anderen Unternehmer über eine besser bezahlte Arbeit zu sprechen 476 . Cass. soc. 20. März 1953, J.C.P. 1953, II, 7681, 3. Urteü (Unfall auf dem Weg zu einer Versammlung Streikender); ebenso Cass. soc. 28. Jan. 1960, J.C.P. 1960, II, 11547, 1. Urteü = D. 1960, Somm., 51. 4 6 7 Cass. soc. 6. Mai 1964, J.C.P. 1964, IV, 85 (Unfall eines Arbeitnehmers, der sich zu einer von seinem Arbeitgeber geforderten medizinischen Untersuchung begab, während er beurlaubt war); vgl. J. cl., Fase. 312, Nr. 33 ff., m.w.N. 468 Vgl. auch Cass. soc. 25. Mai 1972, D. 1973, Somm., 25 (Arbeitnehmer, der sein Gehalt abholte, während der einige Stunden andauernden arbeitsfreien Zeit: kein Wegeunfall); anders Cass. soc. 26. Okt. 1972, D. 1973, 46, Anm. A.D. (Arbeitnehmer, der kurz vor Arbeitsschluß erlaubterweise sein noch ausstehendes Gehalt von der Post abholte, auf das er dringend angewiesen war: Wegeunfall). 469 Vgl. Cass. soc. 8. Jan. 1975, D. 1975, 229, Anm. A.D.; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 192), S. 512; vgl. J. cl., Fase. 312, Nr. 72; Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 973. 4 7 0 Cass. soc. 5. Nov. 1954, D. 1955, 83. 471 Vgl. Cass. soc. 5. Jan. 1956, Bull. civ. IV (Nr. 18), 14 (Benutzung der Bahnschienen als Fußgänger); aber Cass. soc. 8. Mai 1963, J.C.P. 1963, IV, 81 (Benutzung einer Abkürzung entlang den Bahnschienen - trotz Verbots der S.N.C.F. - : hier Wegeunfall, da dieser Weg der kürzeste war und von allen Arbeitnehmern des Unternehmens benutzt wurde). 472 Vgl. Cass. soc. 13. Mai 1971, D. 1971, 513, Anm. A.D. 473 Cass. soc. 9. Okt. 1975, D. 1975,1.R., 225. 474 Cass. crim. 30. Okt. 1969, D. 1970, 666, Anm. Saint-Jours. 475 Cass. soc. 31. Mai 1972, D. 1972, 516, Anm. A.D.; vgl. auch Cass. soc. 20. Mai 1976, D. 1976,1.R., 177. 476 Cass. soc. 28. Jan. 1970, D. 1970, 261, Anm. Dupeyroux.

104

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Umwege und Unterbrechungen aus persönlichen Gründen lassen grundsätzlich den Versicherungsschutz entfallen. Ein Umweg bedeutet das Verlassen der normalen Wegestrecke. Wird ein völlig anderer Weg gewählt, so handelt es sich nicht mehr um einen Umweg 4 7 7 . Kehrt der Arbeitnehmer auf seiner normalen Wegstrecke um, um z.B. etwas Vergessenes abzuholen, so gilt dies ebenfalls als „détour". Ein sich dabei ereignender Unfall ist ein Wegeunfall, wenn der Umweg aufgrund eines wesentlichen Bedürfnisses des täglichen Lebens unternommen wurde 4 7 8 . Während der Unterbrechung des Weges besteht kein Versicherungsschutz, gleichgültig, aus welchen Gründen die Unterbrechung geschah 479 . Auch bei einem kurzen Halt auf dem Wege selbst lehnte der Kassationshof die Anerkennung eines Unfalls als Wegeunfall ab; so bei einem Unfall, der sich ereignete, als ein Arbeitnehmer die Straße überquerte, um Bekannte zu begrüßen 480 . In neuerer Zeit scheint die Rechtsprechung in diesen Fällen der kurzfristigen Unterbrechung der Wegestrecke den Versicherungsschutz nicht mehr zu versagen. Es darf aber nicht von dem Weg abgewichen werden. So wurde der Unfall eines jungen Mannes als Wegeunfall anerkannt, den dieser erlitt, als er auf dem Weg zur Arbeit einen liegengebliebenen Lastwagen bemerkte und aus Neugier die Straße überquerte, um nachzusehen, was passiert w a r 4 8 1 . Der Aufenthalt in einem Café oder einer Gast- bzw. Schankwirtschaft ist grundsätzlich nicht geschützt 482 . Nur bei besonderen Umständen, z.B. einer besonders ermüdenden, langen Wegestrecke 483, wird eine solche Pause nicht als rein persönliche Angelegenheit angesehen. Bei Umwegen und Unterbrechungen entfällt also der Versicherungsschutz immer dann nicht, wenn der Verunglückte zwar persönliche Angelegenheiten regeln will, diese aber notwendige Bedürfnisse des täglichen Lebens s i n d 4 8 4 . Dazu werden typischerweise Einkäufe von Lebensmitteln 485 oder z.B. Butan4 7 7

Cass. soc. 7. Juni 1968, J.C.P. 1968, IV, 121. Vgl. Cass. soc. 19. Okt. 1972, D. 1973, 162, Anm. A.D. 47 * Ass. plén. 19. Juni 1963, D. 1964, 301, Anm. Sebag = J.C.P. 1963, II, 13304 (Arbeitnehmer, der von einem Terroristen verletzt wurde, als er in einem Café, das auf der normalen Wegstrecke zu einer Arbeit lag, wie gewöhnlich frühstückte); hier wird die Tendenz der Rechtsprechung deutlich, die Wegeunfälle auf die Verkehrsunfäüe zu beschränken; vgl. auch Ass. plén. 29. Feb. 1968, D. 1968, 409, Anm. Dupeyroux. 480 Cass. soc. 25. Feb. 1970, J.C.P. 1970, II, 10005, Anm. P.L. 481 Cass. soc. 23. Okt. 1974, Bull. civ. V (Nr. 498), 465; vgl. auch Cass. soc. 17. Okt. 1974, D. 1974,1.R., 229. 482 Vgl. Cass. soc. 17. Okt. 1974, D. 1974,1.R., 229; J. cl., Fase. 312, Nr. 112, m.w.N. 48 3 Ch. réun. 27. April 1956, J.C.P. 1956, II, 9336, 1. Urteil. 4 8 4 Cass. soc. 8. Nov. 1972, D. 1972, 750, Anm. A.D.; Cass. soc. 26. Okt. 1972, D. 1973, 46, Anm. A.D.; vgl. auch Le Calonnec, Anm. zu Cass. soc. 10. Mai 1972, Dr. soc. 1973, 130 (132). 485 Cass. soc. 15. Feb. 1962, J.C.P. 1962, IV, 45 (Schlachterei) = D. 1962, Somm., 59. 478

III. Der Wegeunfall

105

gas 486 für die Familie gerechnet. Jedoch sollte grundsätzlich der nächstgelegene Laden aufgesucht werden 487 . Eine Unterbrechung, um Familienbeihilfen abzuholen, kann ebenfalls zu den notwendigen Bedürfnissen des täglichen Lebens zählen 4 8 8 . Es kommt aber darauf an, daß es sich um eine Unterbrechung auf dem Weg zur Arbeit handelt. Nicht geschützt ist der Arbeitnehmer, der seine Arbeitsstelle verläßt, um z.B. die Familienleistungen zu empfangen und dann wieder zum Arbeitsplatz zurückkehrt, denn das Gebäude der Sozialversicherung ist im Gesetz nicht als Begrenzung der Wegestrecke vorgesehen 489. Auch der Gang zum Friseur kann dem Versicherungsschutz unterliegen 490 ebenso wie der Kauf von Medikamenten 491 . Es kommt im übrigen in allen diesen Fällen immer auf die einzelnen Umstände an, die zu der Beurteilung, daß es sich um notwendige Bedürfnisse des täglichen Lebens handelt oder auch nicht, führen können 4 9 2 . Eine Unterbrechung der Wegestrecke aus einem persönlichen Grund scheint nach der Rechtsprechung den Versicherungsschutz nicht entfallen zu lassen, wenn der Arbeitnehmer wieder auf seinen normalen Weg zurückkehrt und hier verunglückt. Nach einem Urteil des Kassationshofes vom 9. April 1973 4 9 3 ist der Unfall als Wegeunfall anzusehen, der sich nach erfolgter kurzer Unterbrechung der Wegestrecke auf dem normalen Weg zur Arbeit ereignet. Auf die anzunehmende persönliche Angelegenheit - kurzes Treffen mit einem Freund, mit anschließendem Umtrunk - wird in diesem Urteil aber nicht eingegangen. Der Versicherungsschutz besteht auch immer dann, wenn der Umweg eine Beziehung zu der Arbeit hat. Dies war z.B. der Fall, als ein Arbeitnehmer nach einem Arbeitsunfall zum Arzt ging, weil eine sofortige Behandlung notwendig w a r 4 9 4 . Auch wurde der Schutz bei einem geringen Umweg gewährt, der regelmäßig gemacht wurde, um einen Kollegen abzuholen bzw. wieder nach Hause zu bringen und ihn so vor Ermüdung durch lange Wartezeiten zu schützen 495 . 48

*

Cass. soc. 19. Juni 1974, D. 1974,1.R., 177. Cass. soc. 10. Jan. 1963, D. 1963, 389. 488 Cass. soc. 16. Mai 1961, D. 1961, Somm., 80. 489 Vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 191), 511 und Fn.4, m.w.N.; vgl. auch Cass. soc. 18. Jan. 1973, Dr. soc. 1973,471, Anm. Saint-Jours (der Arbeitnehmer verunglückte, als er während der Arbeitszeit von einem Arztbesuch nach Hause zurückkehrte: kein Wege-, sondern ein Arbeitsunfall). 490 Cass. soc. 13.Okt. 1966, D. 1966,764; Cass. soc. 19. Juni 1969, D.1970, Somm., 17. 491 Cass. soc. 5. Juli 1966, J.C.P. 1966, IV, 121. 492 Eine Fülle weiterer Beispiele vgl. in Rép. dr. soc. et trav., 1979, Nr. 991 ff.; J. cl., Fase. 312, Nr. 98 ff. 493 D. 1975, 517, Anm. Brunet und die dort zitierten Urteile. 4 9 4 Cass. soc. 29. Juni 1967, J.C.P. 1967, IV, 121 = D. 1968,100, 3. Urteil, Anm. A.D. 495 Cass. soc. 8. Jan. 1975, D. 1975, 229, Anm. A.D.; anders: Trib. grande inst. Montauban 25. Okt. 1972, D. 1973, Somm., 113: hier wurde ein bedeutender Umweg (ca. 60 4 8 7

106

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Schließlich greift bei Vorliegen besonderer Umstände die Arbeitsunfallgesetzgebung ebenfalls ein. So z.B., falls es nötig ist, einer Person Hilfe zu leisten 4 9 6 ; bei einer anderweitigen Hilfeleistung (coup de main) scheint dies nicht der Fall zu sein 4 9 7 .

4. B e w e i s f r a g e n

und

Vermutungen

Nach der Neufassung des Art. 415-1 durch die Ordonnance Nr. 67-707 vom 21. August 1967 hat der Geschädigte bzw. haben seine Hinterbliebenen alle Tatsachen zu beweisen, die für das Vorliegen eines Wegeunfalls sprechen 498 . Dieser Beweis kann auch aufgrund von Vermutungen erbracht werden. Das ist dann der Fall, wenn die Ermittlungen der Kasse zum Unfallereignis ausreichende Vermutungen ergeben (présomptions suffisantes). Es obliegt dem Gericht, die näheren Umstände, die einen Arbeitsunfall begründen könnten, zu würdigen, ebenso wie die Erklärungen des Arbeitnehmers, der behauptet, Geschädigter eines solchen Unfalls zu sein 4 9 9 . Eine Reihe von gewichtigen, genauen und übereinstimmenden Vermutungen können z.B. aus medizinischen Gutachten und Zeugenerklärungen entnommen werden 500 . Umwege oder Unterbrechungen hat der Gegner des Geschädigten nachzuweisen 501 . Dieser hat wiederum den Beweis zu erbringen, daß der Umweg durch notwendige Bedürfnisse des täglichen Lebens gerechtfertigt i s t 5 0 2 . Den ursächlichen Zusammenhang zwischen Schaden und Unfall scheint der Geschädigte nicht nachweisen zu müssen 503 . km) gemacht, um einen Kollegen nach Hause zu bringen. Weitere Beispiele zu Umwegen, die einen Bezug zur Arbeit aufweisen vgl. J. cl., Fase. 312, Nr. 114 ff. 496 Cass. soc. 17. Okt. 1973, D. 1974, 26, Anm. A.D. = Dr. soc. 1974, 173, Anm. Saint-Jours (Versuch, ein ertrinkendes Kind zu retten). 4 9 7 Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 192), 513; vgl. Cass. soc. 19. Dez. 1973, Gaz. Pal. 1974, 2, 594; vgl. aber Cass. soc. 10. Mai 1972, Dr. soc. 1973, 130, Anm. Le Calonnec (WegeunfaU, obwohl hier die „Gefahr für eine Person" nicht eindeutig ersichtlich ist); siehe auch die Ausführungen oben in und zu Fn. 75 bis 80 und unter Β II 2 e bb. 498 Es muß nachgewiesen werden, daß sich der Unfall zur normalen Zeit auf dem Hin- oder Rückweg zur Arbeit ereignet hat, vgl. z.B. Cass. soc. 13. Mai 1971, D. 1971, 513, Anm. A.D.; Cass. soc. 18. Dez. 1972, D. 1973,1.R., 1. 499 Cass. soc. 25. Feb. 1970, D. 1970, Somm., 197. 500 Cass. soc. 27. April 1970, Bull. civ. V (Nr. 270), 219. 501 Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 985. 502 Cass. soc. 4. März 1965, D. 1965, 373, Anm.; vgl. Cass. soc. 27. Jan. 1977, D. 1977,1.R.,93. 503 Vgl. J. cl., Fase. 312, Nr. 137.

III. Der Wegeunfall

107

5. A b g r e n z u n g z w i s c h e n W e g e u n f a l l und A r b e i t s u n f a l l Eine solche Abgrenzung ist zwar für den Geschädigten nicht von Bedeutung, weil die Leistungen der Kassen in beiden Fällen völlig gleich sind, jedoch hat der Arbeitnehmer ein Interesse an der genauen Feststellung der Art des Unfalls. Denn der Versicherungsbeitrag für Arbeitsunfälle richtet sich nach den einzelnen Betriebs- und Industriezweigen, ja, sogar nach den einzelnen Unternehm e n 5 0 4 ; es wird also dem Risiko des jeweiligen Unternehmens Rechnung getragen. Wegeunfälle werden dagegen durch einen pauschalen Beitrag gedeckt 505 . Somit hat der Arbeitgeber ein gewisses Interesse daran, die Anerkennung eines Unfalls als Wegeunfall dem eines Arbeitsunfalls vorzuziehen. Bedeutung hat eine Abgrenzung dieser beiden Unfallarten auch für etwaige Rückgriffsmöglichkeiten des Geschädigten (Art. 470-1). Der Begriff des Wegeunfalls kommt nur bei Arbeitnehmern in Betracht, die in einem festen Unternehmensgebäude bzw. auf einer Betriebsanlage oder auf einer Baustelle arbeiten, oder auch für Heimarbeiter. Handelsreisende oder andere Geschäftsreisende (salariés en mission) werden während ihrer Tätigkeit als der „autorité" des Arbeitgebers unterstellt angesehen. Ein Unfall, der sich innerhalb der notwendigen Zeit und auf der normalen Wegestrecke ereignet, die zur Erledigung des Auftrags nötig war, ist dann ein Arbeitsunfall. Dies güt auch, wenn sich der Arbeitnehmer nach Beendigung seiner Arbeit nach Hause begibt 5 0 6 . Für Zeiten, in denen diese Arbeitnehmer ihre völlige Unabhängigkeit wiedererlangt haben, entfällt der Versicherungsschutz 507. Für die Fälle, in denen der Arbeitgeber zu seiner Arbeit gefahren bzw. von dort nach Hause gebracht wird, ist nach der Rechtsprechung ebenfalls auf die Unterordnung oder Weisungsbefugnis abzustellen. Es liegt ein Arbeitsunfall vor, wenn die Beförderung als Arbeitszeit betrachtet und auch bezahlt w i r d 5 0 8 . Ein Wegeunfall liegt dann vor, wenn die Beförderung nur freiwillig und unverbindlich erfolgt, bei entsprechendem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen 509. 5 0 4

Vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 304 ff.), 763 ff. Vgl. Jambu-Merlin, 150. 5 °6 Cass. soc. 9. Mai 1967, D. 1967, 514; Cass. soc. 19. Juli 1972, D. 1973,516, Anm. Le Calonnec; Cass. soc. 3. Juli 1974, D. 1974, I.R., 185;Cass. soc. 6. Juli 1976, D. 1976, I.R., 238; vgl. ferner Rép. dr. soc. et trav., 1979, Nr. 937, m.w.N.; J. cl., Fase. 310, Nr. 200 ff., m.w.N. 507 Cass. soc. 17. Mai 1972, D. 1972, Somm., 161; Cass. soc. 13. Feb. 1975, D. 1975, I.R., 69; vgl. auch Angers 12. Okt. 1971, D. 1972, 643, Anm. Le Calonnec. 5 °8 Cass. soc. 15. Okt. 1970, D. 1971, 24, Anm.; Cass. soc. 13. Mai 1976, D. 1976, I.R., 169. 509 Cass. soc. 25. Feb. 1971, D. 1971, 513 (mit Bericht von Robert); Cass. soc. 3. Jan. 1974, D. 1974, 310, Anm. Berr und Groutel. 505

108

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Es liegt jedoch weder ein Arbeitsunfall noch ein Wegeunfall, sondern ein Unfall nach allgemeinem Haftungsrecht in folgendem Fall vor: Ein Arbeitnehmer befand sich zusammen mit Kollegen in einem Lieferwagen, gefahren von dem Vorarbeiter, auf dem Weg von der Arbeitsstelle zu ihrer Unterkunft. Als der Vorarbeiter unterwegs anhielt, um seine mitfahrende Freundin aussteigen zu lassen, kam es zu einem Handgemenge mit deren bewaffnetem Ehemann. Dieser verletzte den Arbeitnehmer schwer, als jener zu seinem um Hilfe rufenden „chef d'équipe" eilte 5 1 0 . Ebenfalls problematisch ist die Differenzierung der beiden Unfallarten für die Fälle, in denen der Arbeitnehmer in der unmittelbaren Nähe des Unternehmens — bereits auf dem Betriebsgelände — verunglückt. Hier nimmt die überwiegende Rechtsprechung einen Arbeitsunfall an, wenn sich der Arbeitnehmer zu einer normalen Zeit auf dem Gelände befindet 511 . Es kommt auch hier darauf an, ob der Arbeitnehmer der Weisungsbefugnis seines Arbeitgebers untersteht 5 1 2 .

6. D i e

M e i n u n g in der L i t e r a t u r zu den A b g r e n z u n g e n

In der Lehre wird von Dupeyroux vorgeschlagen, den Arbeitsunfall und den Wegeunfall mit dem Begriff des Berufsrisikos zu verknüpfen (risque de l'emploi); wobei der Arbeitsunfall mehr dem Unternehmensrisiko (risque de l'entreprise) und der Wegeunfall mehr dem Verkehrsrisiko (risque de la circulation) entspreche 513 . Seit dem Gesetz vom 6. August 1963 5 1 4 gebe es eine widersinnige Lösung des Versicherungsschutzes der Wegeunfälle; der Geschädigte sei für diesen Fall sowohl im Verhältnis zum allgemeinen Unfall als auch zum Arbeitsunfall selbst besser geschützt. Denn der Verletzte erhalte bei einem Wegeunfall im Gegensatz zum allgemeinen Unfall die Leistungen und Garantien der Arbeitsunfallversicherung, ohne dabei die Rückgriffsmöglichkeiten gegen den Verantwortlichen zu verlieren; im Gegensatz zum Arbeitsunfall selbst erhalte er die Rück510

Cass. soc. 4. Nov. 1970, D. 1971, 89, Anm. A.D. Vgl. Cass. soc. 9. Nov. 1960, D. 1961, 69, Anm. Dupeyroux; Cass. soc. 17. März 1964, D. 1964, Somm., 76; Cass. soc. 15. März 1973, D. 1973,1.R., 65. 512 Vgl. dazu Cass. crim. 25. Okt. 1967, D. 1967, 747, Anm. Dupeyroux (hier wurde ein Unfall innerhalb des Betriebsgeländes als Wegeunfall angesehen; offenbar eine Einzelentscheidung). 513 Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 193-195), 518; ders., Anm. zu Cass. soc. 29. Feb. 1968, D. 1968, 409. 514 Gesetz Nr. 63-820, J.O. 8. Aug. 1963, 7357 = D. 1963, L., 271; siehe oben unter Β III 1 a. E. 511

III. Der Wegeunfall

109

griffsmöglichkeiten sogar gegen ein Mitglied desselben Unternehmens und habe so immer die Möglichkeit eines vollständigen Schadenersatzes.

7. V e r g l e i c h e n d e Bemerkungen zum deutschen Recht Im deutschen Recht gelten zum Wegeunfall ähnliche Grundsätze wie im französischen Recht. Der Unfall muß sich auf dem Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit des Arbeitnehmers ereignet haben (§ 550 Abs. 1 RVO). Dazu hat die Rechtsprechung verschiedene andere Grenzpunkte bestimmt, die anders als in Art. 415-1 in § 550 RVO nicht aufgeführt sind. So ist die Grenze für den Beginn und das Ende des versicherten Weges zum - unversicherten - häuslichen Lebensbereich, die Außentür des vom Versicherten bewohnten Gebäudes515. Ein von einem anderen Ort angetretener Weg kann ebenfalls dem Versicherungsschutz unterliegen. Er muß aber in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblichen Weg des Versicherten nach und von dem Ort der Tätigkeit stehen 5 1 6 . Ein Weg, dessen Ziel die Arbeitsstätte ist, ist aber dann nicht dem Versicherungsschutz unterstellt, wenn es sich um den Rückweg von einer Verrichtung handelt, die mit der versicherten Tätigkeit nicht in rechtlich wesentlichem Zusammenhang steht 5 1 7 . Der Umstand, daß der Versicherte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat, schließt gemäß § 550 Abs. 3 RVO die Versicherung auf dem Weg von und nach der Familienwohnung nicht aus. Es ist aber nicht jeder Weg dem Versicherungsschutz unterstellt, der zur Arbeitsstelle hinführt oder von ihr aus begonnen wird. Darüber hinaus muß der Weg mit der Tätigkeit in dem Unternehmen in einem inneren Zusammenhang stehen 518 . Ein zeitlicher und örtlicher Zusammenhang reicht nicht aus. Es genügt auch nicht, daß der Weg unmittelbar zur Arbeitsstätte führt, weil mit der Arbeit anschließend begonnen werden soll. Die ursächliche Verknüpfung zwischen der Zurücklegung des Weges und der versicherten Tätigkeit muß rechtlich so wesentlich sein, daß daneben andere, mit der versicherten Tätigkeit nicht zusammenhängende Umstände in den Hintergrund treten 5 1 9 . sis vgl. BSG in SozR RVO § 550, Nr. 25 = Breith. 1974, 210; Brackmann, Bd. II., 485 k, m.w.N. 516 Vgl. BSG 22, 60 (62). 517 BSG 1, 171 (173); BSG 8, 53 (55) (Schützenfest). 518 Vgl. BSG 37, 98 (100). 519 BSG 8, 53 (55).

110

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Auch auf Wegen nach oder von einer Verrichtung, die selbst nicht mit der versicherten Tätigkeit im ursächlichen Zusammenhang steht, kann Versicherungsschutz bestehen, wenn die versicherte Tätigkeit eine wesentliche Bedingung und damit Ursache im Rechtssinne für das Zurücklegen dieses Weges ist 5 2 0 . Dies kann z.B. für den Weg zur Essenseinnahme gelten 521 oder bei Besorgung von Lebensmitteln zum alsbaldigen Verbrauch 522 . Der Versicherte ist in der Wahl des Verkehrsmittels 523 und auch in der Wahl des Weges grundsätzlich frei 5 2 4 . Die Wahl eines weiten Weges kann aber den Versicherungsschutz vorübergehend oder dauernd entfallen lassen, wenn der Versicherte dies aus dem privaten Lebensbereich zuzurechnenden — sog. eigenwirtschaftlichen - Gründen unternimmt. Ein solcher Umweg liegt vor, wenn der Versicherte die kürzeste Wegstrecke nicht unbedeutend verlängert, als Zielrichtung jedoch den Ort der Tätigkeit bzw. einen anderen Grenzpunkt des Weges i.S. des § 550 RVO beibehalten h a t 5 2 5 . Im Gegensatz zum französischen Recht gibt es jedoch die ausdrückliche gesetzliche Regelung, daß Versicherungsschutz besteht, wenn der Versicherte von dem unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit abweicht, weil sein Kind (§ 583 Abs. 5 RVO), das mit ihm in einem Haushalt lebt, wegen seiner oder seines Ehegatten beruflicher Tätigkeit fremder Obhut anvertraut wird (§ 550 Abs. 2 Nr. 1 RVO). Dies gilt auch, wenn der Versicherte von dem Wege abweicht, weil er mit anderen Berufstätigen oder versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit benutzt (§ 550 Abs. 2 Nr. 2 RVO). Bei Umwegen, die z.B. eingeschlagen werden, um eine bessere Wegestrecke (weniger verkehrsreich, schneller befahrbar) zu benutzen, bleibt ebenfalls der Versicherungsschutz bestehen 526 . Dient ein Umweg privaten Zwecken, so besteht auf dem Umweg selbst kein Versicherungsschutz, jedoch grundsätzlich für einen Unfall, der sich vor Beginn oder nach Ende des Umweges ereignet, also auf dem üblichen Teil der Wegestrecke 527 . 520 Brackmann, Bd. II, 486 h I. 521 BSG 14, 197 (199). 522 BSG 12, 254 (255). 523 BSG 20, 219 (221); vgl. Brackmann, Bd. II, 486 f, m.w.N. 524 BSG 4, 219 (222); vgl. Brackmann, Bd. II, 486 k, m.w.N. 525 BSG in SozR RVO § 543 a.F., Nr. 5; BSG in SozR RVO § 548, Nr. 27; Brackmann, Bd. II, 486 e, m.w.N. 526 BSG 4, 219 (222); BSG in SozR 2200 § 550, Nr. 10. 527 Brackmann, Bd. II, 486 m, 486 m I, m.w.N.; ders., 486 t, u, m.w.N. (bei Unterbrechung der Wegestrecke).

III. Der Wegeunfall

111

Eine Unterbrechung liegt vor, wenn der Weg dadurch verlängert wird, daß während des Weges ein anderer nicht in Zielrichtung zu einem Grenzpunkte i.S. des § 550 RVO eingeschoben und dann wieder auf den Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit zurückgekehrt w i r d 5 2 8 . Der Weg ist ferner auch dann unterbrochen, wenn zwar die Wegestrecke nicht verlassen wird, es jedoch am ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Zurücklegen des Weges und der versicherten Tätigkeit für eine gewisse Zeit fehlt 5 2 9 . Versicherungsschutz besteht auch auf dem Weg während der Unterbrechung, wenn diese einer Verrichtung dient, die im ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht 5 3 0 . Bei einer privaten Verrichtung besteht ein Schutz nur, wenn es sich um eine unerhebliche Unterbrechung handelt 531 . Diese beginnt grundsätzlich erst, wenn der Versicherte den öffentlichen Verkehrsraum verlassen hat. Wechselt ein Versicherter also vom linken zum rechten Fußgängerweg hinüber, so ändert dies nichts an seinem Versicherungsschutz 532. Geringfügig ist eine Unterbrechung, die einer privaten Verrichtung dient, dann, wenn sie üblicherweise örtlich und zeitlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit in seiner Gesamtheit anzusehen i s t 5 3 3 . Es müssen kurze, belanglose Unterbrechungen sein, bei denen der Versicherte gewissermaßen in der Bewegung von oder zum Ort der Tätigkeit bleibt und nur nebenher andersartig tätig w i r d 5 3 4 . Eine kurze Besorgung, bei der ein Geschäft aufgesucht werden muß, ist keine unerhebliche Unterbrechung mehr 5 3 5 . Bei einer Unterbrechung des Weges von dem Ort der Tätigkeit lebt der Versicherungsschutz nur in Ausnahmefällen dann nicht wieder auf, wenn aus Dauer und Art der Unterbrechung auf eine endgültige Lösung des Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg von dem Ort der Tätigkeit geschlossen werden kann 5 3 6 . Dabei mißt das Bundessozialgericht der Zeitdauer der Unterbrechung besondere Bedeutung bei. Bei einer Unterbrechung bis zu zwei Stunden wurde der Versicherungsschutz auf dem weiteren Weg von dem Ort der Tätigkeit nicht für ausgeschlossen erachtet 537 . 528

Brackmann, Bd. II, 486 s I; zustimmend BSG 41, 141 (144). BSG in SGb 1965, 56 (privates Gespräch am Straßenrand von mindestens 10 Minuten Dauer). 529

530 BSG in MDR 1972, 723 (Unfall bei Spurensicherung nach Verkehrsunfall auf dem Heimweg von der Arbeit). 531 532 533 5 3 4 535 536 537

BSG 20, 219 (221 f.). Brackmann, Bd. II, 486 w; zustimmend BSG in SozR 2200 § 550, Nr. 20. BSG in SozR RVO § 548, Nr. 31 (Zigarettenholen aus einem Automaten). BSG in SozR 2200 § 539, Nr. 21. Vgl. Brackmann, Bd. II, 486 y, m.w.N. BSG 10, 226 (228); BSG in SozR 2200 § 550, Nr. 6. BSG in SozR 2200 § 550, Nr. 12; vgl. Brackmann, Bd. II, 487 b bis 487 e.

112

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

IV. Die Leistungen der Kassen nach Eintritt des Arbeitsunfalls Die Kassen erbringen Sach-, Dienst- und Geldleistungen für Körperschäden 5 3 8 . Sachschäden werden nicht ersetzt 539 . Arbeitsunfall, Wegeunfall und Berufskrankheit werden in gleichem Maße entschädigt. Vor jeder Leistung sind gewisse Formvorschriften zu wahren — wie z.B. die Anmeldung des Unfalls bei der „caisse primaire d'assurance maladie" (Ortskrankenkasse) innerhalb von 48 Stunden durch den Arbeitgeber nach Art. 472 ff. Eine unterlassene Anzeige kann nach Art. 504 die Zahlung einer Buße zur Folge haben. Die Kasse hat aber in diesem Fall auch die Möglichkeit, ihre Leistungen an den Verletzten von dem säumigen Arbeitgeber zurückzuverlangen 540.

1. D i e

Sach-

und

Dienstleistungen

Hierunter fallen alle Leistungen, die erbracht werden, um die Gesundheit des Verletzten wiederherzustellen und ihn beruflich wieder einzugliedern (sog. „prestations en nature"). Ersetzt werden gemäß Art. 434 alle ärztlichen, chirurgischen und pharmazeutischen Kosten einschließlich der Nebenkosten 541 ; ferner alle prothetischen und orthopädischen Ausrüstungen 542 , Transportkosten des Geschädigten zu seinem gewöhnlichen Wohnsitz oder in ein Krankenhaus und allgemein alle Unkosten, die aufgrund der Behandlung des Geschädigten, der Wiederherstellung seiner physischen Fähigkeiten (réadaption fonctionnelle), seiner Umschulung (rééducation professionnelle) und seiner beruflichen Wiedereingliederung (reclassement) entstehen 543 . Im Rahmen der „réadaption fonctionnelle" kann der Geschädigte auch besondere ärztliche Behandlungen beantragen. Eine Umschulung kann kostenlos auf seinen Wunsch bei einer besonders dazu geeigneten Einrichtung oder einem Arbeitgeber erfolgen. 538 Art. 434 ff. i.V.m. dem Dekret Nr. 46-2959 vom 31. Dez. 1946, J.O. 1. Jan. 1947, 19; Rect. J.O. 14. Jan. 1947, 473 = D. 1947, L., 38; mit inzwischen zahlreichen Änderungen auch in: Codes de la sécurité sociale et de la mutualité (Petits Codes Dalloz), 682 ff. 539 Sachschäden werden nach dem allgemeinen Zivürecht ersetzt; vgl. dazu Klameth, Der Schadensausgleich bei Arbeitsunfällen, unter besonderer Berücksichtigung der Sachschäden der Arbeitnehmer nach deutschem, englischem und französischem Recht, 127 ff. 540 vgl. Dupeyroux (Nr. 197), 523. 541 Vgl. im einzelnen zur ärztlichen Behandlung (Krankenhausaufenthalt u.a.) Art. 436 ff. 5^2 vgl. dazu näher Art. 440 und Art. 73 ff. des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538). 543 Vgl. zu diesen letzten drei Punkten Art. 441 ff., das Dekret Nr. 46-2959 (Fn. 538), insbes. Art. 71, 72 (réadaption fonctionnelle) und 102 (reclassement) und das Dekret Nr. 61-29 vom 11. Jan. 1961, J.O. 12. Jan. 1961, 507.

IV. Die Leistungen der Kassen

113

Im Gegensatz zur Krankenversicherung wird bei den Arbeitsunfällen das System des „tiers-payant" angewandt. Dies ist ein Verfahren, bei dem der Versicherte die Leistungen unentgeltlich erhält und die Kasse diese unmittelbar mit dem beteiligten Arzt, Apotheker oder dem Krankenhaus abrechnet 544 . Ein Kostenanteil des Versicherten (sog. „ticket modérateur") besteht nicht. Arzt, Apotheke oder ärztliche Hilfskräfte können frei gewählt werden 5 4 5 .

2. D i e

Geldleistungen

Durch die sog. „prestations en espèces" soll der Verletzte für den vorläufigen oder endgültigen Verlust seiner gesamten oder teilweisen beruflichen Einkünfte entschädigt werden. Es gibt zwei verschiedene Leistungsarten: das Tagegeld (indemnité journalière) 546 und die Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit (rente d'incapacité permanente) 547 . a) Das Tagegeld

548

Ein Tagegeld wird bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit gewährt, d.h. für die Zeit bis zu einer Heilung der Verletzung oder deren Konsolidierung bzw. dem Tode des Verletzten. Es umfaßt 28 Tage lang — von dem dem Unfall folgenden Tage an gerechnet - die Hälfte des Tageslohnes des Verletzten, danach steigt es auf 2/3 dieses Lohnes a n 5 4 9 . Zur Berechnung der „indemnité journalière" wird die Höhe des Tageslohnes 550 für einen Vergleichszeitraum bestimmt, der sich nach der Art und Weise der Lohnzahlung richtet, und die erhaltene Summe durch die Anzahl der Arbeitstage dividiert, die dem Lohnzahlungszeitraum entspricht 551 . Die so berech5 4 4 Art. 437 ff.; dies bedeutet einen Gegensatz zum System der Krankenversicherung, bei dem die Kasse nur eine Erstattung der Leistungen des Versicherten vornimmt, dieser also vorleistungspflichtig ist (meist besteht für ihn auch eine Pflicht zur Selbstbeteüigung). - Abgerechnet wird meistens auf der Grundlage der für die Krankenversicherung geltenden Tarife (Art. 437). 545 Art. 436. 54 * Art. 448 ff.; ferner Art. 104 ff. u. Art. 114 ff. des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538). 5 4 7 Art. 451 ff. und Art. 119 ff. des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538). 5 4 8 Im folgenden wird auf die Tagegeld-und Rentenberechnung nur kurz eingegangen. Eine Gesamtdarstellung aller Einzelheiten dazu würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 5 4 9 Art. 448. 550 Dieser „salaire de base de Pindemnité journalière et des rentes" ist grundsätzlich in Art. 103 des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538) definiert; die Einzelheiten sind in den jeweiligen Bestimmungen zum Tagegeld und der Rente zu finden. 551 Besondere Regelungen für z.B. Lehrlinge, Minderjährige und andere Personengruppen sind in Art. 110 ff. des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538) getroffen.

114

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

nete Tageslohnsumme darf jedoch nur soweit in Betracht gezogen werden, wie sie die Grenze von 1 % des jährlichen Höchstbetrages der Beiträge (plafond annuel de cotisations) nicht übersteigt 552 . Bei einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Monaten wird das Tagegeld allgemeinen Lohnerhöhungen angepaßt. Die Leistungen erfolgen sowohl für Arbeits- als auch für Feiertage.

b) Die Rente Bei dauernder - teilweiser oder totaler - Minderung der Erwerbsfähigkeit (incapacité permanente) wird dem Geschädigten eine Rente gezahlt, die dazu bestimmt ist, einen Ausgleich für diese Minderung der Erwerbsfähigkeit zu schaffen 553 , mag letztere auch nur von geringem Umfang sein 5 5 4 . Zur Berechnung der Rente werden das Jahreseinkommen des Verletzten für das dem Unfall vorangehende Jahr und der Prozentsatz der Arbeitsunfähigkeit in jeweüs besonderer Form ermittelt. Erwerbsunfähigkeit liegt vor, wenn der Verletzte außerstande ist, sich in irgendeinem Beruf einen auch nur geringfügigen Erwerb zu verschaffen 555. Es kommt nicht auf den konkreten Verdienstausfall an 5 5 6 . Gemäß Art. 453 Abs. 3 richtet sich der Prozentsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach der Art des Gebrechens, dem allgemeinen Zustand des Verletzten, dessen Alter, dessen körperlichem und geistigem Vermögen, ebenso wie nach dessen Fähigkeiten und der beruflichen Qualifikation unter Berücksichtigung der Angaben einer Tabelle zur Bestimmung der Invalidität. Der so erhaltene Prozentsatz wird bis 50 % um die Hälfte gekürzt und soweit er 50 % überschreitet, um die Hälfte erhöht (Art. 453 Abs. I ) 5 5 7 . 552 Art. 449 i.V.m. Art. 104 ff. des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538). Im Jahre 1978 belief sich der Höchstbetrag auf eine Summe von 48 000 F., J. cl., Fase. 338, annexe, tableau 4; vgl. auch Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 204), 533, mit Einzelheiten zur Berechnung. Es bestehen zahlreiche Sonderbestimmungen wie z.B. für Lehrlinge, Arbeitslose usw., vgl. Art. 110 ff. des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538). 553 Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 206), 535. 554 Bei Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 207), 537, Fn. 2, wird angedeutet, daß der „Inspecteur Général des Affaires sociales" eine Abschaffung der Renten für eine Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 10 % befürwortet (zur „inspection générale des affaires sociales" siehe Dupeyroux, Sécurité sociale [Nr. 2921, 737). 555 j. cl., Fase. 337, Nr. 6. 556 Vgl. ebenda, Nr. 4. 557 z.B.: eine reale Erwerbsunfähigkeit von 30 % ergibt einen korrigierten Prozentsatz von 15 %; eine reale Arbeitsunfähigkeit von 70 %, die sich also aus 50 % + 20 % zusammensetzt, ergibt einen korrigierten Prozentsatz von ^ + (20 % χ 1,5) = 25 % + 30 % = 55 %.

IV. Die Leistungen der Kassen

115

Bei Erwerbsunfähigkeit entsprechen sich der reale und der korrigierte Prozentsatz 558 . Der Arbeitslohn als Grundlage zur Rentenberechnung ist das gesamte effektive Entgelt (la rémunération effective totale), das der Geschädigte von einem oder mehreren Arbeitgebern in den letzten 12 Monaten vor dem Unfall erhalten hat559. Ist die Erwerbsfähigkeit um wenigstens bis zu 10 % gemindert, so darf die Rente nicht auf der Basis eines jährlichen Arbeitslohnes berechnet werden, der geringer ist als ein durch Erlaß (arrêté) festgesetzter Mindestlohn 560 . Bis zur doppelten Höhe des Mindestlohnes wird der Verdienst des Geschädigten bei der Rentenberechnung voll in Betracht gezogen. Darüber hinausgehender Lohn wird bis zum achtfachen des Mindestlohnes zu 1/3 angerechnet 561. Ein höherer Jahresarbeitsverdienst wird nicht berücksichtigt. Aus dem besonders ermittelten Prozentsatz der Erwerbsunfähigkeit und dem jeweils zu berücksichtigenden Jahreseinkommen wird dann die Höhe der Rente berechnet, indem beide Faktoren miteinander multipliziert werden 562 . Ist der Verletzte wegen totaler Erwerbsunfähigkeit auf die Hilfe einer dritten Person angewiesen, wird die Rente auf 40 % erhöht. Diese Erhöhung darf nicht niedriger sein als der Mindestbetrag, der im Rahmen der Invalidenversicherung gezahlt w i r d 5 6 3 . Gemäß Art. 489 kann bei Erhöhung oder Verminderung der Erwerbsunfähigkeit die Rentenhöhe unter Einhaltung bestimmter Fristen verändert werden. Außerdem wird jährlich durch Erlaß ein Aufwertungskoeffizient der Rente festgelegt 564. 558

100%.

100 % wären also entsprechend aufzuteüen:

2

+ (50 χ 1,5) = 25 % + 75 % =

559

Vgl. Art. 103 und 108 des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538). Am 1. Jan. 1978 betrug dieser Mindestlohn 34 863,27 F; vgl. J. cl., Fase. 338, annexe, tableau 3. 561 Der höchste für die Rentenberechnung zu berücksichtigende Jahresarbeitsverdienst beträgt demnach das 4-fache des jeweilig bestimmten Mindestlohnes. Besondere Vorschriften gelten auch bei der Rentenberechnung für z.B. Lehrlinge, Minderjährige etc., vgl. Art. 110 ff. des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538). 562 Es ergibt sich folgende Rentenberechnungsformel (vgl. Igl, in: Igl/Schulte/Simons 66 f.): Teil der Beeinträchtigung, Jahreseinkommen χ u n t e r 50 % liegt + Teil der Beeinträchtigung, 2 die über 50 % χ 1,5 liegt. 563 D a s gilt nicht, wenn der Verletzte bereits eine Invalidenrente erhält; Art. 453 Abs. 5; vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 171), 406 ff., zur Invalidenversicherung. Am 1. Jan. 1978 betrug dieser Mindestbeitrag 25 268,16 F, J. cl., Fase. 338, annexe, tableau 3. 560

5 6 4

Dies güt nicht für bereits gezahlte Kapitalabfindungen: Ass. plén. 21. Juni 1968, J.C.P. 1968, II, 15567, Anm. Voulet.

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Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

c) Kapitalabfindungen In den Fällen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 10 % oder einer Höhe der Rente unter 1/80 des jährlichen Mindestlohnes erhält der Geschädigte eine Kapitalabfindung (rachat obligatoire) 565 . Auch unabhängig von der Rentenhöhe oder dem Prozentsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit kann der Verletzte eine Kapitalabfindung erhalten. Diese kann sich bis auf ein Viertel des Kapitals belaufen, das dem Wert der Rente bei einer bis zu 50 %igen Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht 566 . Es ist auch möglich, daß der Teil der Rente, der dem Wert bis zu 50 % der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht, abzüglich des oben erwähnten Viertels zur Hälfte in eine übertragbare Leibrente (rente viagère réversible) zugunsten des Ehegatten umgewandelt w i r d 5 6 7 . Diese Kapitalabfindungen können jedoch erst nach Ablauf einer Frist von 5 Jahren geleistet werden 568 . Eine Kumulierung der Rente mit einer anderen (z.B. Invalidenrente) ist zulässig 569 . d) Leistungen beim Tode des Versicherten Beim Tode des Versicherten trägt die Kasse gem. Art. 446 und 447 die Überführungskosten des Verstorbenen und bis zu einem bestimmten Höchstbetrag auch die Bestattungskosten570. Nicht unerwähnt bleiben soll, daß dem Sozialversicherten (i.S. von Art. 241 ff.) und damit dem vielfach zugleich Unfallversicherten ein Sterbegeld (capital décès) aufgrund der Sterbegeldversicherung (assurance décès) gezahlt wird 5 7 1 . Anspruchsberechtigt sind alle Personen, die der Versicherte zur Zeit seines Todes faktisch völlig und dauernd unterhielt ( „ . . . qui étaient à la charge effective, totale et permanente") 572 . 565 A r t . 462 i.V.m. A r t . 1 des D e k r e t s N r . 59-734 vom 15. Juni 1959, J.O. 18. Juni 1959, 6026, Rect. J.O. 25. Juni 1959, 6324. 566 Art. 462 Abs. 3. 567 Art. 462 Abs. 4. 568 Weitere Regelungen zu Kapitalabfindungen: vgl. Art. 454 (überlebender Ehegatte) und Art. 461 (ausländische Arbeitnehmer, die nicht mehr auf französischem Territorium leben). 569 Art. 463; allerdings gibt es Beschränkungen, wenn die andere Rente auf dem gleichen Ereignis beruht, wie die Arbeitsunfallrente. 570 Der Höchstbetrag zu den Beerdigungskosten wird durch Erlaß festgesetzt; im Jahre 1978 belief sich der Betrag auf eine Summe von 2000 F, J. cl., Fase. 338, annexe, tableau 4. 571 Art. 360 i.V.m. Art. 362. 572 Art. 364 Abs. 1.

IV. Die Leistungen der Kassen

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Nach Art. 364 Abs. 2 sind nacheinander anspruchsberechtigt der überlebende Ehegatte, die Verwandten aufsteigender und die Verwandten absteigender Linie. Der Kassationshof hat einen entsprechenden Anspruch der Lebensgefährtin (concubine) bisher abgelehnt 573 . In neuerer Rechtsprechung 574 wurde aber neben den in Art. 364 Abs. 2 genannten Personen auch der Schwester des Verstorbenen eine Anspruchsberechtigung zuerkannt. In diesem Zusammenhang soll darauf hingewiesen werden, daß die Chambre mixte - etwa dem Großen Senat des Bundesgerichtshofs gleichzusetzen — der „concubine" eines durch unerlaubte Handlung Getöteten einen Anspruch auf Schadensersatz (Art. 1382 C. civ.) zuerkannte 575 . Daraus wird insbesondere von Dupeyroux 5 7 6 abgeleitet, daß auch der Konkubine ein solcher Anspruch auf Sterbegeld zusteht. Gemäß Art. 454 können der überlebende Ehegatte, die Kinder und andere unterhaltsberechtigte Verwandte absteigender und aufsteigender Linie eine Hinterbliebenenrente erhalten. Der überlebende Ehegatte hat Anspruch auf eine Rente in Höhe von 30 % des Jahresarbeitsverdienstes des Verstorbenen. Voraussetzung ist, daß eine Eheschließung vor dem Unfallereignis erfolgte oder aber daß die Ehe zwei Jahre vor dem Tode des Versicherten bestand. Diese Frist entfällt, falls ein oder mehrere Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind 5 7 7 . Falls der Ehegatte 55 Jahre alt ist, erhält er eine erhöhte Rente von insgesamt 50 % des Jahresarbeitsverdienstes. Eine erhöhte Rente kann er auch vor Erreichung dieser Altersgrenze bekommen, wenn seine Erwerbsfähigkeit wenigstens drei Monate lang um 50 % gemindert i s t 5 7 8 . Eine Kumulierung der Hinterbliebenenrente z.B. mit einer Alters- und Invalidenrente ist möglich 5 7 9 . Bei Scheidung oder Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft (séparation de corps) erhält der überlebende Ehegatte nur dann eine Rente, wenn er Unterhaltsleistungen bezogen hat. Die Hinterbliebenenrente richtet sich nach der Höhe dieser Leistungen, darf aber 20 % des Jahresverdienstes des Verstorbenen nicht überschreiten 580. 573 5 7 4 575 576

Zuletzt mit dem Urteü vom 13. Jan. 1961, D. 1961, 269. Ass. plén. 30. Jan. 1970, D. 1970, 221, conci. Lindon, Anm. Dupeyroux. Ch. mixte 27. Feb.. 1970, D. 1970, 201, Anm. Combaldieu. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 177), 480, siehe auch Memento pratique, Nr.

552. 577

Art. Art. (Fn. 538). 579 Art. 580 Art. 578

454 I a) i.V.m. Art. 119 Abs. 1 des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538). 454 I c) i.V.m. Art. 119 Abs. 3 und Art. 119 A des Dekrets Nr. 46-2959 463, allerdings gibt es Beschränkungen, siehe oben Fn. 569. 454 I a) Abs. 2 i.V.m. Art. 119 Abs. 2 des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538).

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Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Die Witwe des Verstorbenen hat neben früheren Ehegatten Anspruch auf wenigstens die Hälfte der 30 %igen Hinterbliebenenrente. Bei Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten erhält dieser grundsätzlich keine Rente mehr 5 8 1 . An ihre Stelle tritt eine Kapitalabfindung. Der Rentenanspruch erlischt jedoch nicht, wenn der überlebende Ehegatte Kinder mit einem Anspruch auf Waisenrente hat. Die Zahlung einer Abfindung wird dann aufgeschoben. Der Anspruch auf Hinterbliebenenrente kann auch unter gewissen Voraussetzungen und Einschränkungen (z.B. bei erneuter Verwitwung) Wiederaufleben 5 8 2 . Falls der Ehegatte wegen böswilligen Verlassens der Familie verurteüt wurde oder völlig der Ausübung seiner elterlichen Gewalt verlustig gegangen ist, verliert er seinen Rentenanspruch 583. Seine Ansprüche werden auf seine Kinder oder andere Verwandte absteigender Linie übertragen. Die ehelichen Kinder, die natürlichen Kinder, deren Abstammung amtlich festgestellt ist, und die adoptierten Kinder haben Anspruch auf eine Rente von je 15 % (vom dritten Kinde an von je 10 %) bis zum Alter von 16 Jahren 5 8 4 ; nichterwerbstätige Kinder (Lehrlinge, Schüler, Studenten, Arbeitslose, chronisch Kranke und Gebrechliche) im Höchstfalle bis zum 20. Lebensjahr 585 . Falls das Kind Vollwaise wird, erhält es eine Rente von 20 %. Andere vom Verdienst des Opfers abhängige Verwandte absteigender Linie (wie z.B. Enkel) und angenommene Kinder haben die gleichen Rechte wie die oben genannten Kinder. Eltern und andere Aszendenten, die u.a. nachweisen, daß sie unterhaltsberechtigt gewesen wären bzw. bereits vom Verstorbenen unterhalten wurden, erhalten eine Rente von 10 % 5 8 6 . Diese Renten dürfen aber insgesamt 30 % nicht überschreiten. Falls dies der Fall sein sollte, erfolgt eine quotenmäßige Kürzung. Übersteigen die nach Art. 454 gewährten Renten insgesamt 85 % des Jahresarbeitsverdienstes des Opfers, so wird auch hier im Verhältnis gekürzt 587 . Die Arbeitsunfallrenten sind unpfändbar und nicht übertragbar 588 . Die Zahlung erfolgt vierteljährlich, bei dauernder, völliger Erwerbsunfähigkeit auch 581 582 583 584 585 586 587 588

Art. 454 I d) i.V.m. Art. 119 Β des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538). Art. 454 I d) Abs. 3. Art. 454 1b). Art. 454 a), b) i.V.m. Art. 119 C des Dekrets 46-2959 (Fn. 538). Siehe die Einzelregelungen in Art. 119 D des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538). Art. 454 III i.V.m. Art. 119 D des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538). Art. 454 IV a) und b) i.V.m. Art. 119 D Abs. 2 des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538). Art. 460 Abs. 1.

IV. Die Leistungen der Kassen

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monatlich 5 8 9 . Eine Aufwertung der Renten wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres vorgenommen 590 . Ausländische Arbeitnehmer erhalten, wenn sie in Frankreich leben und arbeiten, die gleichen Leistungen wie französische Arbeitnehmer. Verlassen sie Frankreich, so wird der Anspruch auf eine etwaige Verletztenrente verwirkt und gemäß Art. 461 Abs. 1 durch eine Kapitalabfindung in Höhe des dreifachen Jahresbetrages dieser Rente ersetzt. Hinterbliebene ausländischer Arbeitnehmer, die ihren Wohnsitz in Frankreich aufgeben, erhalten ebenfalls nur eine begrenzte Kapitalabfindung 591 . Hinterbliebene, die bei Eintritt des Unfalls ihren Wohnsitz außerhalb Frankreichs haben, erhalten keine Entschädigung 592 . Andere Regelungen gelten für Angehörige der Staaten, mit denen Frankreich besondere Vereinbarungen getroffen h a t 5 9 3 .

3. V e r g l e i c h e n d e Bemerkungen zum deutschen Recht Nach deutschem Recht erbringen die Träger der Unfallversicherung - dem französischen Recht vergleichbar - ebenfalls Sach- 594 und/oder Dienst- sowie Geldleistungen. Dies gilt sowohl für den Arbeitsunfall (i.S. des § 548 Abs. 1 RVO) als auch für den Wegeunfall (i.S. des § 550 RVO) als auch für die Berufskrankheit (i.S. des § 551 RVO). Sachschäden werden grundsätzlich nicht ersetzt 5 9 5 . 589

Art. 460 Abs. 2 i.V.m. Art. 126 des Dekrets Nr. 46-2959 (Fn. 538). Art. 455 i.V.m. Art. 3 des Dekrets Nr. 73-1212 vom 29. Dez. 1973, J.O. 30. Dez. 1973,14185. 591 Art. 461 Abs. 2 i.V.m. Art. 462. 592 Art. 461 Abs. 3. 593 Art. 461 Abs. 4; so z.B.: Das Ubereinkommen Nr. 19 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlaß von Betriebsunfällen vom 5. Juni 1925; das Übereinkommen Nr. 118 der IAO vom 28. Juni 1962 über die Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern in der sozialen Sicherheit, für einige Verpflichtungen wie z.B. Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in Frankreich, in Kraft getreten am 13. Mai 1975 (siehe BGBl. 1977 II, 463); ferner Vereinbarungen zwischen den EG-Mitgliedstaaten und anderen europäischen Staaten; Vereinbarungen mit den französischsprachigen Ländern Afrikas; siehe dazu auch Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 385), 1007 ff.; vgl. ferner die Aufstellung von internationalen Verträgen und Regélungen (règlements) zur Sécurité sociale in J. cl., Fase. 211; siehe auch Encyclopédie juridique (Dalloz), Répertoire de droit social et du travaü, Bd. II, G^Z, 1979, Stichwort: „Traité international", Nr. 104 und 109. 5 9 4 Vgl. dazu auch Brackmann, Bd. II, 558 q f.; Rüfner, 115. 590

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Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Die Betriebsunternehmer sind verpflichtet, jeden Unfall, der eine mehr als 3 Tage andauernde Arbeitsunfähigkeit nach sich zieht, bei dem Träger der Unfallversicherung anzuzeigen. Dies muß innerhalb von 3 Tagen nach Kenntnisnahme von dem Unfall geschehen (§ 1552 RVO) 5 9 6 . Eine Verletzung dieser Pflicht kann als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Deutsche Mark geahndet werden (§ 1771 RVO). Die Leistungen sind im übrigen von Amts wegen festzustellen (§ 1545 Abs. 1 Nr. 1 R V O ) 5 9 7 .

a) Die Sach- bzw. Naturalleistungen Zu den wesentlichsten Leistungsarten gehört die Gewährung von Heilbehandlung 5 9 8 . Diese umfaßt insbesondere die ärztliche Behandlung, die Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln, mit Heilmitteln wie z.B. Krankengymnastik und die Ausstattung mit Körperersatzstücken 599. Zur Heilbehandlung gehört u.a. auch die Gewährung von Haus- und Anstaltspflege bzw. ein Pflegegeld 600. Ferner werden ergänzende Leistungen zur Heilbehandlung (z.B. die Übernahme der Reisekosten, Haushaltshilfe) erbracht 601 . Neben der Heilbehandlung werden berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation (Berufshilfe) gewährt 602 . Dies geschieht u.a. in Form von besonderen Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes, Eingliederungshilfen an den Arbeitgeber, Hilfen zur Berufsvorbereitung und zur beruflichen Ausbildung und Umschulung 603 .

595

BSG 41, 61 (62) = SozR 2200 § 548, Nr. 12; Ausnahme § 765 a RVO (eingefügt durch § 8 des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 11. Mai 1976 - BGBl. 1976 I, 1181); zu den Besonderheiten beim Ersatz des Schadens an Körperersatzstücken siehe Brackmann, Bd. II, 561 e ff.; im übrigen ist bei Sachschäden das allgemeine Zivilrecht anzuwenden, siehe auch Klameth, 68 ff. und 88 ff. 596 Zur Anzeigepflicht der Krankenkassen siehe § 1503 RVO; zur Anzeigepflicht der Ärzte siehe § 5 der 7. BKVO. 597 Siehe zur Anmeldefrist für Unfallentschädigungen die §§ 1546, 1548 RVO. 598 Vgl. dazu auch Lauterbach, § 557, Anm. 2, 3, 4a-k. 599 Näher dazu die §§ 557, 559 RVO. Zu den Einzelheiten siehe Brackmann, Bd. II, 558 d ff. 600 § 557 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 558 RVO. 601 Vgl. § 569 a und b RVO. 602 Vgl. die §§ 547 und 556 Abs. 1 Nr. 2 RVO. 603 Siehe näher 4azu § 567 RVO.

IV. Die Leistungen der Kassen

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Die ergänzende Leistung zur Berufshilfe ist die Übernahme von Kosten, die mit der Berufshilfe in unmittelbarem Zusammenhang stehen (z.B. Lernmittel, Ausbildungszuschüsse, Reisekosten, Haushaltshilfe) 604 .

b) Die Geldleistungen

aa) Das Übergangsgeld Der Verletzte erhält während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit ein sog. „Übergangsgeld" 605 . Damit soll ihm in erster Linie für das aufgrund des Arbeitsunfalls bedingte Ausfallen des Arbeitsverdienstes ein Ausgleich durch einen gewissen materiellen Schutz verschafft werden 606 , und zum anderen soll dadurch der Krankheitszustand in körperlicher und seelischer Beziehung beeinflußt werden 607 . Übergangsgeld wird von dem Tage an gewährt, an dem eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung infolge des Arbeitsunfalls ärztlich festgestellt worden ist, und soweit der Verletzte Arbeitsentgelt nicht erhält (§ 560 Abs. 1 RVO). Bei Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (Krankengeld) bestehen keine Ansprüche gegen die Unfallversicherung (§ 565 R V O ) 6 0 8 . Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung liegt vor, wenn der Verletzte seiner bisherigen Arbeitstätigkeit nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin nachgehen kann, seinen Zustand zu verschlimmern 609 . Für die Berechnung des Übergangsgeldes bei Arbeitnehmern güt nach § 561 Abs. 1 Satz 1 RVO der § 182 Abs. 4, 5, 8 und 10 RVO entsprechend mit der Maßgabe, daß der Regellohn bis zu einem Betrag in Höhe des 360. Teils des Höchtsjahresarbeitsverdienstes zu berücksichtigen ist. Dies bedeutet, daß das Übergangsgeld grundsätzlich wie das Krankengeld berechnet und entsprechend für Kalendertage gezahlt wird, einschließlich der Sonn- und Feiertage 610 . 604 Vgl. § 569 a und b RVO. 605

Siehe § 560 RVO; mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Angleichung zur Rehabüitation vom 7. Sept. 1974 - BGBl. 1974 I, 1881 - trat dieses „Übergangsgeld44 an die Stelle des bisherigen „Verletztengeldes". 606 Vgl. BSG 29, 161 (164); BSG 39, 63 (67); siehe auch Gitter, 156. 607 Brackmann, Bd. II, 561k. 608 Zu beachten ist auch § 561 Abs. 5 RVO. 609 BSG 26, 288 (290); näher zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit: Brackmann, Bd. II, 562 a ff., m.w.N. 610 Vgl. Brackmann, Bd. II, 563 k.

122

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Es beträgt für Arbeitnehmer 611 demnach 80 % des wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Entgelts (Regellohn) und darf das entgangene regelmäßige Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen. Bei der Berechnung des Regellohns je Kalendertag wird darauf abgestellt, ob das Entgelt des versicherten Arbeitnehmers einer Stundenzahl zuzuordnen ist oder ob es nach Monaten bemessen w i r d 6 1 2 . Der zur Berechnung des Regellohns maßgebende Jahresarbeitsverdienst beträgt nach § 575 Abs. 2 RVO vorbehaltlich einer höheren Bestimmung durch die Satzung 613 oder durch Rechtsverordnung höchstens 36 000 DM. Der Höchstbetrag umfaßt demnach 100,- DM je Kalendertag. Übergangsgeld wird auch während der Berufshilfe gewährt 614 . Es entfällt mit dem Tage, für den erstmalig Verletztenrente gezahlt wird (§ 562 Abs. 1 RVO). Jeweils nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende des Bemessungszeitraums erhöht sich das Übergangsgeld nach § 561 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 182 Abs. 8 RVO um den Prozentsatz, um den die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung zuletzt angepaßt worden sind. Das Übergangsgeld darf nach der Anpassung jedoch 80 % des in § 561 Abs.l Satz 1 RVO bezeichneten Betrages nicht übersteigen.

bb) Die Verletztenrente Eine Verletztenrente wird gewährt, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens 1/5 gemindert ist. Die entschädigungspflichtige Minderung der Erwerbsfähigkeit muß außerdem über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauern (§ 580 Abs. 1 RVO). Die Funktion der Verletztenrente ist nicht ganz eindeutig zu bestimmen: während sie einerseits und grundsätzlich als Ausgleich des Verlustes oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit anzusehen ist, wird andererseits daneben noch eine Ausgleichsfunktion für die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität befürwortet 615 . 611 Für andere Verletzte (z.B. Bezieher von Arbeitslosengeld) güt eine andere Berechnung der Höhe des Übergangsgeldes, vgl. § 561 Abs. 2 und 3 RVO. 612 vgl. § 561 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 182 Abs. 5 RVO; ausführlich zur Berechnung des Regellohns siehe Brackmann, Bd. II, 563 k ff. 613 Durch Satzung haben mehrere Versicherungsträger den gesetzlich festgelegten Betrag auf 60 000 DM bzw. 72 000 DM, zum Teü auf 84 000 DM erhöht, BKK 1978,118. 614 Siehe näher dazu die §§ 568, 568 a RVO. 615 Vgl. Bley, 195 f.; näher Gitter, 156 ff.; ders., Der immaterielle Schadensausgleich in der gesetzlichen Unfallversicherung, in: Festschrift für Karl Sieg, 139 ff.; siehe dazu auch BVerfGE 34, 118 (132 ff.).

IV. Die Leistungen der Kassen

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Grundlage der Berechnung der Rente ist der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit und der Jahresarbeitsverdienst des Versicherten vor dem Unfall (§ 581 RVO). Für die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit wird, ausgehend von der individuellen 616 Erwerbsfähigkeit, auf den Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und den Umfang der verbleibenden Arbeitsmöglichkeiten abgestellt. Nicht entscheidend ist, ob und in welcher Höhe der Verletzte tatsächlich einen Einkommensverlust erlitten hat. Vielmehr ist nach dem Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung zu verfahren, wobei die Entschädigung nach dem Unterschied der auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens bestehenden Erwerbsmöglichkeiten des Verletzten vor und nach dem Unfall zu bemessen i s t 6 1 7 . Zur Vermeidung unbilliger Härten sind aber Ausbildung und bisheriger Beruf angemessen zu berücksichtigen 618 . Zu entschädigen ist eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nur, die der Arbeitsunfall im Sinne des Kausalitätsbegriffs der Unfallversicherung verursacht hat. Die Höhe der Verletztenrente richtet sich nach dem Jahresarbeitsverdienst (§§ 570, 581 Abs. 1 R V O ) 6 1 9 . Für Arbeitsunfälle seit dem 1. Juli 1977 6 2 0 beträgt die Mindesthöhe des Jahresarbeitsverdienstes für Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben 60 %, für Personen, die das 18. Lebensjahr nicht vollendet haben, 40 % der im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls maßgebenden Bezugsgröße im Sinne des § 18 SGB IV (§ 575 Abs. 1 RVO). Diese wird alljährlich vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bekanntgegeben (§ 18 Satz 2 SGB IV) und beträgt für das Jahr 1980 monatlich 2200 D M 6 2 1 . Bei Verlust der gesamten Erwerbsfähigkeit, also einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 %, erhält der Versicherte die Vollrente, die grundsätzlich 2/3 (66 2/3 %) des Jahresarbeitsverdienstes umfaßt (§ 581 Abs. 1 Nr. 1 RVO). 616

Wichtig insbesondere bei Vorschädigung, siehe bei Brackmann, Bd. II, 568 b ff. BSG 21, 63 (67); vgl. auch BSG 31, 185 (188); BSG 38, 118 (120); siehe auch Brackmann, Bd. II, 566 y II. 618 Siehe § 581 Abs. 2 RVO; BSG 23, 253 (254 f.); BSG 39, 31 f.; Brackmann, Bd. II, 568 i ff., m.w.N. 619 Zur Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes siehe die §§ 570 bis 579 RVO. 620 Die Neuregelung des Mindestjahresarbeitsverdienstes trat durch das Gesetz vom 23. Dez. 1976 (BGBl. 1976 I, 3845) am 1. Juli 1977 in Kraft. Vgl. dazu auch Brackmann, Bd. II, 576 h f. 621 Bundesanzeiger Nr. 183 vom 28. Sept. 1979. 617

124

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Bei einer nur teilweisen Minderung der Erwerbsfähigkeit hat der Versicherte Anspruch auf den Teil der Vollrente, der dem Grade seiner Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht (§ 581 Abs.l Nr. 2 RVO) 6 2 2 . Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 20 % ist ein Rentenanspruch nur dann begründet, wenn die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge mehrerer Arbeitsunfälle gemindert ist und die Prozentsätze zusammen wenigstens die Zahl 20 erreichen. Berücksichtigt werden jedoch nur die Folgen von Arbeitsunfällen, die die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 % gemindert haben. Die aus dem Jahresarbeitsverdienst und der Minderung der Erwerbsfähigkeit berechnete Verletztenrente kann sich noch erhöhen: z.B. bei Schwerverletzten durch eine Schwerverletztenzulage (§ 582 RVO) und für jedes Kind durch eine Kinderzulage (§ 583 RVO). Bei Veränderungen der durchschnittlichen Bruttolohn- und Gehaltssumme werden die vom Jahresarbeitsverdienst abhängigen Geldleistungen für Unfälle, die vor Beginn des zweiten vor dem 1. Januar jeden Jahres liegenden Kalenderjahres eingetreten sind, und das Pflegegeld angepaßt (§ 579 Abs. 1 RVO). Bezieht ein Versicherter mehrere Dauerrenten, so dürfen diese ohne Schwerverletztenzulagen zusammen 2/3 des höchsten der Jahresarbeitsverdienste, die diesen Renten zugrunde liegen, nicht übersteigen (§ 584 Abs. 1 Satz 1 RVO) 6 2 3 . Erhöhen sich die Renten um Kinderzulagen, so dürfen sie ohne Schwerverletztenzulage zusammen 85 % des Jahresarbeitsverdienstes nicht übersteigen. Diesem Höchstbetrag wird das gesetzliche Kindergeld hinzugerechnet (§ 584 Abs. 1 Satz 2 RVO). Die Rentenzahlung beginnt normalerweise mit dem Tag nach Wegfall der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung oder, falls keine Arbeitsunfähigkeit herbeigeführt wurde, mit dem Tag nach dem Arbeitsunfall (§ 580 Abs. 2 und 4 R V O ) 6 2 4 . Die Verletztenrente kann als vorläufige oder als Dauerrente gewährt werden (§ 1,585 RVO). Vorläufige Renten dürfen während der ersten zwei Jahre nach dem Unfall als Entschädigung festgesetzt werden, solange der Unfallfolgezustand noch nicht konsolidiert ist. Wenn sich die für ihre Höhe maßgebenden Verhältnisse geändert haben, können sie jederzeit geändert werden (§ 1585 622 Daraus ergibt sich folgende Rentenberechnungsformel (nach Bley, 197) für die Jahresrente (JR), zusammengesetzt aus dem Jahresarbeitsverdienst (JAV) und der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE):

JR = 623

2 x

*

A V

χ MdE %.

Die Kumulierung von Renten aus der Unfallversicherung mit Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die grundsätzlich zulässig ist, regeln die §§ 1278 ff. RVO. 6 2 4 Zu den abweichenden Einzelheiten siehe § 580 Abs. 3 und 4 RVO.

IV. Die Leistungen der Kassen

125

Abs. 1 Satz 1 RVO). Bis zum Ablauf der Zweijahresfrist muß der Versicherungsträger die Dauerrente feststellen (§ 1585 Abs. 2 RVO). Geschieht dies nicht, so wird die vorläufige Rente kraft Gesetzes mit dem Ablauf des zweiten Jahres nach dem Unfall zur Dauerrente (§ 622 Abs. 2 Satz 1 RVO). Falls erwartet werden kann, daß nur eine vorläufige Rente zu zahlen ist, so kann der Verletzte nach Abschluß der Heilbehandlung durch eine Gesamtvergütung in Höhe des voraussichtlichen Rentenaufwandes abgefunden werden (§ 603 RVO). Dies güt auch für kleinere Dauerrenten bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 30 % (§ 604 R V O ) 6 2 5 . Eine Abfindung größerer Dauerrenten kann nur unter besonderen Bedingungen bis zur Hälfte der Rente und für höchstens 10 Jahre vorgenommen werden 626 , damit dem Verletzten stets wenigstens ein Mindestbetrag als Grundlage für seinen Lebensbedarf verbleibt. cc) Leistungen beim Tode des Versicherten Bei dem durch Arbeitsunfall verursachten Tod des Versicherten gewährt der Träger der Unfallversicherung ein Sterbegeld (§ 589 RVO) in Höhe des zwölften Teils des Jahresarbeitsverdienstes, mindestens jedoch 400 DM. Von dem Sterbegeld werden auch die Kosten der Bestattung bestritten (§ 203 RVO). Es kann zugleich neben dem Sterbegeld aus der Krankenversicherung gezahlt werden 6 2 7 . Anspruchsberechtigt ist entsprechend § 589 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 203 RVO zunächst derjenige, der die Bestattung besorgt hat (im Hinblick auf die Bestattungskosten). Bleibt ein Überschuß, so sind nacheinander anspruchsberechtigt der überlebende Ehegatte, die Kinder, die Eltern und die Geschwister, wenn sie mit dem Verstorbenen zur Zeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben. Fehlen solche Berechtigten, so verbleibt der Überschuß dem Unfallversicherungsträger. Dieser übernimmt ferner die Kosten für die Überführung des Verstorbenen an den Ort der Bestattung (§ 589 Abs. 1 Nr. 2 RVO). Eine Hinterbliebenenrente (grundsätzlich vom Todestage an) können der überlebende Ehegatte, die Waisen, Verwandte aufsteigender Linie und Stiefoder Pflegeeltern erhalten. Nach § 589 Abs. 1 Nr. 3 RVO i.V.m. § 590 RVO hat die Witwe Anspruch auf eine Witwenrente von 3/10 des Jahresarbeitsverdienstes, also 45 % der Vollrente, bis zu ihrem Tode oder ihrer Wiederverheiratung. Hat die Witwe das 45. Lebensjahr vollendet, ist sie berufs- oder erwerbsunfähig im Sinne der Renten625 Zum Wiederaufleben der abgefundenen Rente bei Schwerverletzten (Verschlimmerung, erneuter Arbeitsunfall) siehe § 606 RVO. 626 Siehe die §§ 607 bis 613 RVO. 627 Schulin, Rdz. 233, siehe auch § 1508 RVO.

126

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

Versicherung oder hat sie waisenrentenberechtigte Kinder zu versorgen, so erhält sie eine erhöhte Rente in Höhe von 2/5 des Jahresarbeitsverdienstes, also 60 % der Vollrente (§ 590 Abs. 2 RVO). Für die ersten drei Monate nach dem Tode hat die Witwe Anspruch auf eine Überbrückungshilfe in Höhe der Differenz zwischen der Witwenrente und der Vollrente (§ 591 RVO). Der Witwer erhält eine der Witwenrente entsprechende Rente bzw. eine Überbrückungshilfe nur dann, wenn die durch Arbeitsunfall verstorbene Ehefrau den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat und solange sie ihn bestritten haben würde (§ 593 Abs. 1 RVO). Witwer und Witwen haben keinen Rentenanspruch, wenn die Ehe erst nach dem Arbeitsunfall geschlossen wurde und der Tod innerhalb des ersten Ehejahres eintritt. Es sei denn, daß nachgewiesen werden kann, daß keine „Versorgungsehe" vorgelegen h a t 6 2 8 . Einer früheren Ehefrau des Verstorbenen wird eine Rente in Höhe der Witwenrente vom Tage des Antrags ab gewährt, wenn er ihr zur Zeit seines Todes Unterhalt zu leisten hatte oder ihr wenigstens während des letzten Jahres vor seinem Tode tatsächlich geleistet hat (§ 592 Abs. 1 Satz 1 RVO). Beruhte der Unterhaltsanspruch auf den §§ 1572 (Krankheit, andere Gebrechen, Schwäche der körperlichen und geistigen Kräfte), 1573 (Zeit bis zur Erlangung einer angemessenen Erwerbstätigkeit), 1575 (Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung) oder 1576 (Härteklausel) des BGB, so wird die Rente gewährt, solange die frühere Ehefrau ohne den Arbeitsunfall unterhaltsberechtigt gewesen wäre. Dies gilt für Ehescheidungen nach dem 30. Juni 1977 6 2 9 . Der § 592 RVO gilt entsprechend für Witwer (§ 593 Abs. 2 RVO). Sind mehrere Berechtigte vorhanden, so erhält jede(r) einen der Dauer der Ehe mit dem Verletzten entsprechenden Teil der Rente (§ 592 Abs. 2 RVO). Der Anspruch auf Waisenrente (§ 595 RVO) für jedes Kind des Versichert e n 6 3 0 umfaßt grundsätzlich für Vollwaisen 3/10 und für Halbwaisen 1/5 des Jahresarbeitsverdienstes und besteht höchstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres (§ 595 Abs. 2 i.V.m. § 583 Abs. 3 Satz 1 und 2 R V O ) 6 3 1 . Verwandte aufsteigender Linie, Stief- und Pflegeeltern haben Anspruch auf eine Rente, wenn der Verstorbene sie aus seinem Arbeitsverdienst wesentlich 628

Vgl. § 594 RVO. Bley, 203; vgl. Brackmann, Bd. II, 588 b. 630 Vgl. § 583 Abs. 5 RVO zum Begriff des Kindes. 631 Zur Begrenzung der Waisenrente siehe § 595 Abs. 2 RVO. Sowohl bei Witwen- als auch bei Waisenrenten besteht die Möglichkeit einer Kumulation mit Renten aus der Rentenversicherung, vgl. § 1279 RVO, wobei eine ähnliche Begrenzung wie bei der Verletztenrente gegeben ist. Zur Kumulation von mehreren Waisenrenten siehe § 595 Abs. 3 RVO.

IV. Die Leistungen der Kassen

127

unterhalten hat oder ohne Arbeitsunfall wesentlich unterhalten würde und solange sie ohne den Arbeitsunfall gegen den Verstorbenen einen Anspruch auf Unterhalt hätten geltend machen können (§ 596 RVO). Diese Rente beträgt 1/5 des Jahresarbeitsverdienstes für einen Elternteil und 3/10 des Jahresarbeitsverdienstes für ein Elternpaar. Die Hinterbliebenenrenten dürfen zusammen 4/5 des Jahresarbeitsverdienstes nicht übersteigen (§ 598 RVO). Die Witwe eines Schwerverletzten (§ 583 Abs. 1 RVO) erhält eine einmalige Beihilfe in Höhe von 2/5 des Jahresarbeitsverdienstes, wenn der Tod des Schwerverletzten nicht Folge eines Arbeitsunfalls war (§ 600 Abs. 1 RVO). Dies güt auch für einen Witwer, wenn die verstorbene Ehefrau seinen Unterhalt überwiegend bestritten hat (§ 600 Abs. 3 RVO). Eine entsprechende Beihüfe können auch Waisen erhalten (§ 601 RVO). In besonderen Fällen kann auch eine laufende Beihilfe gewährt werden (§ 600 i.V.m. § 602 RVO). Witwen- und Waisenrenten können zum Erwerb von Grundbesitz unter den gleichen Voraussetzungen abgefunden werden wie Dauerrenten der Vollrente von 30 % und mehr (§614 RVO). Bei einer Wiederverheiratung hat die Witwe (bzw. der Witwer) Anspruch auf eine Abfindung in Höhe des Fünffachen des Jahresbetrages der Rente. Wird die Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt, so lebt der Rentenanspruch ganz oder teilweise wieder auf (§615 RVO). Der Träger der Unfallversicherung kann einen Verletzten oder Hinterbliebenen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland aufgibt oder sich gewöhnlich im Ausland aufhält, mit dem Kapitalwert der Leistungsansprüche abfinden, wenn der Berechtigte zustimmt (§616 RVO). Es werden alle Leistungen abgefunden: Neben den Rentenansprüchen also auch der Anspruch auf Heilbehandlung und die Geldleistungen während der Heilbehandlung sowie die Ansprüche auf die Berufshilfe 632 . Grundsätzlich ist unerheblich, ob es sich dabei um einen deutschen oder nichtdeutschen Berechtigten handelt 633 . Ausländer oder Staatenlose erhalten die gleichen Leistungen wie Deutsche, wenn sie in Deutschland leben und arbeit e n 6 3 4 . Diese Leistungen können jedoch gemäß § 625 RVO ruhen und damit 632

Brackmann, Bd. II, 600 d; Lauterbach, Bd. II, Anm. 7 zu § 616. 633 Brackmann, Bd. II, 600 c; Lauterbach, Bd. II, Anm. 4, Buchst, c zu § 616. 634 z u r Regelung des Geltungsbereichs des SGB durch § 30 SGB siehe Burdenski/v. MaydeU/Schellhorn, Kommentar zum Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil, § 30 Rdnr. 1 ff.; ferner Rohwer-Kahlmann/Ströer, § 30 Rdnr. 4.

128

Β. Arbeitsunfallgesetzgebung heute: Anwendungsbereich und Leistungen

auch nicht abgefunden werden 635 , wenn die nichtdeutschen Berechtigten sich freiwillig gewöhnlich außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes aufhalten oder gegen sie ein Aufenthaltsverbot für den Geltungsbereich des Grundgesetzes verhängt ist (§ 625 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RVO). Der § 625 Abs. 1 Nr. 1 RVO gilt nicht für die in Abs. 2 (Waisen im Ausland) und Abs. 3 (z.B. Flüchtlinge) genannten Berechtigten. Neben § 625 RVO sind die Bestimmungen des überstaatlichen und zwischenstaatlichen Rechts zu beachten 636 .

635

Brackmann, Bd. II, 600 c; Lauterbach, Bd. II, Anm. 4, Buchst, d zu § 616. Siehe dazu auch Lauterbach, Bd. II, Anm. 20 zu § 625; vgl. z.B. die Verordnung der EWG Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Famüien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (Abi. vom 5. Juli 1971, Nr. L 149, S. 2; hier Art. 55: keine Geltung des § 625); vgl. auch das Übereinkommen Nr. 118 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28. Juni 1962 über die Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern in der sozialen Sicherheit und Art. 2 Nr. 2 des deutschen Gesetzes vom 21. Aug. 1970 (BGBl. 1970 II, 802). 636

C. Die Organisation der Verwaltung

I . Die Versicherungsträger und ihre Aufsichtsorgane Maßgebend für die heutige Verwaltungsform der Sécurité sociale ist die Ordonnance Nr. 67-706 vom 21. August 1 9 6 7 1 , w o m i t entscheidende Veränderungen der Organisation der Verwaltung und der Finanzierung getroffen wurd e n 2 , insbesondere eine Aufgliederung einzelner Versicherungszweige. Danach sind folgende Organe für das allgemeine System der sozialen Sicherheit zuständig 3 : a) Die Nationalkasse der Arbeitnehmerkrankenversicherung (caisse nationale d'assurance maladie des travailleurs salariés), Regional- bzw. Bezirkskassen (caisses régionales d'assurance maladie des travailleurs salariés) und Ortskassen (caisses primaires d'assurance maladie des travailleurs salariés) dieser Krankenversicherung; b) eine Nationalkasse für die Familienbeihilfen und die dazugehörigen Kassen; c ) eine Nationalkasse für die Altersversicherung der Arbeitnehmer 4 ; 1 J.O. 22. Aug. 1967, 8403 = D. 1967, L., 313, ratifiziert mit einigen Änderungen in Einzelheiten durch das Gesetz Nr. 68-698 vom 31. Juli 1968, J.O. 2. Aug. 1968, 7522 = D. 1968, L., 260; die Ordonnance beruht auf dem Gesetz Nr. 67-482 vom 22. Juni 1967, J.O. 23. Juni 1967, 6211 = D. 1967, L., 234, das die Regierung u.a. ermächtigte, auf dem Verordnungswege Maßnahmen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet zu ergreifen (Art. 1 Ziff. 3). Aufgrund dieses Gesetzes ergingen auch die folgenden wesentlichen Verordnungen: Nr. 67-707 (mit Vorschriften zur sozialen Sicherheit und dem öffentlichen Gesundheitsdienst); Nr. 67-708 (betr. Familienbeihilfen); Nr. 67-709 (über die Verallgemeinerung der - auch der freiwilligen - Versicherungen gegen die Risiken der Krankheit und Mutterschaft); alle Verordnungen sind abgedruckt bei D. 1967, L., 320. - Zu der Reform von 1967 siehe Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 135-2), 281 ff. und (Nr. 280-1 ff.) 692 ff. 2 Zur Organisation der Verwaltung vor 1967 siehe Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 135-1), 278 ff. und (Nr. 279), 685 ff.: ferner Fpuilly, Die große Wandlung der französischen Sozialen Sicherheit, Soz. Sich., 1967, 329 ff. 3 Art. 1 der Ordonnance Nr. 67-706 (Fn. 1). 4 Für die Départements Haut-Rhin, Bas-Rhin und Moselle bleibt die Regionalkasse aufgrund von Besonderheiten des lokalen Rechts erhalten; vgl. Jambu-Merlin, 49. Die Nationalkassen haben sich zur „Union des caisses nationales de Sécurité sociale (U.C.A.N.S.S.)" vereinigt, um Immobiliengeschäfte und Personalangelegenheiten der Versicherungsträger zu regeln und eine Koordinierung von gesundheitlichen und sozialen Maßnahmen („l'action sanitaire et sociale") zu erreichen, vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 287-2), 713 f.

130

C. Die Organisation der Verwaltung

d) ein Zentralamt aller Organe der sozialen Sicherheit (agence centrale des organismes de sécurité sociale — A.C.O.S.S.)5; e) Verbände, die die Einziehung der Beiträge wahrnehmen (unions de recouvrement); f ) Verbände der Kassen untereinander („unions" oder „fédérations des caisses"); g) allgemeine Kassen der sozialen Sicherheit für die Departements in Übersee6. Die Krankenversicherungskassen umfassen folgende Risiken: Krankheit, Mutterschaft, Invalidität, Tod, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 7. Ihre Basis bilden 122 Ortskassen8. Sie haben u.a. die Aufgabe 9, alle Sozialversicherten zu registrieren, Leistungen entsprechend aller von ihnen getragenen Risiken zu erbringen, besondere Gesundheits- und Sozialmaßnahmen zu tätigen 10 und die Vertragsverhandlungen mit Ärzten und dem ärztlichen Hilfspersonal zu führen 11 . Es gibt 16 Regionalkassen12. Sie haben gemäß Art. 5 der Ordonannce Nr. 67-706 die Aufgaben von gemeinsamem Interesse der Ortskassen in ihrem Bezirk zu übernehmen. Dies sind einmal gesundheitliche und soziale Tätigkeiten im Rahmen eines ministeriellen Gesamtplanes13; zum anderen sind dies im Bereich der Arbeitsunfälle und der Berufskrankheiten die Unfallverhütungsmaßnahmen und die Beitragsfestsetzung 14. Hier hat aber auch die Nationalkasse ein Entscheidungsrecht 15.

5 Der A.C.O.S.S. obliegt die gemeinsame Verwaltung der Rücklagen der drei Nationalkassen, mit denen sie verwaltungsmäßig und rechtlich gleichgestellt ist, siehe Art. 47 bis 49 der Ordonnance Nr. 67-706 (Fn. 1) und auch Art. 1 des Dekrets Nr. 67-1231 vom 22. Dez. 1967, J.O., 30. Dez. 1967, 13015. 6 Auf die von b) bis g) genannten Organe soll hier im folgenden nicht näher eingegangen werden; dazu siehe u.a. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 284 bis 287-1), 706 bis 713, und den Überblick bei Jambu-Merlin, 50 f. 7 Die Bezeichnung „caisse primaire de sécurité sociale" und „caisse régionale de sécurité sociale" wurden gemäß Art. 12 der Ordonnance Nr. 67-706 (Fn. 1) geändert wie oben S. 129 unter a) genannt. 8 Die Ortskassen sind in den meisten Fällen jeweils für ein Departement zuständig, Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 283), 705. 9 Siehe Art. 7 bis 11 der Ordonnance Nr. 67-706 (Fn. 1). 10 Dazu näher Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 268 ff.), 673 ff. (678, 681 ff.). 11 Vgl. Jambu-Merlin, 48 und 132. 12 Vgl. das Dekret Nr. 67-966 vom 27. Okt. 1967, J.O. 3. Nov. 1967, 10816 i.V.m. dem Dekret Nr. 60-516 vom 2. Juni 1960, J.O. 3. Juni 1960, 5007, Rect. J.O. 11. Juni 1960, 5263. 13 Dazu genauer Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 268 ff.), 673 f. (680 ff.). 14 Bestimmungen über die Unfallverhütung sind seit dem Gesetz vom 30. Okt. 1946 in das Arbeitsunfallrecht aufgenommen worden (Art. 419 bis 433). 15 Art. 18 bis 20 und 22 bis 26 des Dekrets Nr. 67-1230 vom 22. Dez. 1967, J.O. 30. Dez. 1967, 13010.

I. Die Versicherungsträger und ihre Aufsichtsorgane

131

Die Nationalkasse16 hat 1. auf nationaler Ebene die Finanzierung der Versicherungen - einerseits von Krankheit, Mutterschaft, Invalidität und Tod und in getrennter Haushaltsführung andererseits von Arbeitsunfall und Berufskrankheit — zu sichern und für das finanzielle Gleichgewicht dieser Haushalte zu sorgen; 2. die Unfallverhütungsmaßnahmen in bezug auf die Arbeitsunfälle und die Berufskrankheiten zu fördern; 3. gesundheitliche und soziale Maßnahmen durchzuführen und die entsprechenden Maßnahmen der Regional- und Ortskassen zu koordinieren; 4. eine ärztliche Kontrolle einzurichten und zu leiten; 5. eine Kontrolle über die Grundstücksgeschäfte der Regional- und Ortskassen und die Verwaltung deren unbeweglichen Vermögens auszuüben; 6. allgemein eine Kontrollbefugnis gegenüber den Regional- und Ortskassen; 7. sich zu allen Gesetzes- und Verordnungsentwürfen, die ihren Zuständigkeitsbereich betreffen, zu äußern. Die Nationalkasse verwaltet insgesamt 6 verschiedene Fonds 17 , aus denen sie den untergeordneten Kassen eine jährliche finanzielle Zuweisung gewährt 18 . Falls diese Zuweisung die Ausgaben übersteigt, wird ein Teil des Überschusses für gesundheitliche und soziale Maßnahmen verwandt, der andere Teil wird dem Reservefonds der Nationalkasse zugeführt. Bei Defiziten wird auf diesen Fonds im Rahmen der jeweiligen Überschüsse einer Kasse zurückgegriffen bzw. ein Vor- oder Zuschuß gewährt, wenn eine ausreichende Begründung seitens der betreffenden Kasse vorliegt. Anderenfalls hat die Nationalkasse der Ortskasse vorzuschreiben, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichts zu treffen. Im Falle der „carence" (Nichterfüllung) kann sie die Stelle des Verwaltungsrates der Ortskasse einnehmen und die notwendigen Maßnahmen ergreifen 19.

16 Siehe Art. 2 der Ordonnance Nr. 67-706 (Fn. 1), geändert durch das Gesetz Nr. 68-698 (Fn. 1); vgl. ferner Art. 10, 16 bis 19, 64, 66, 67 der Ordonnance Nr. 67-706 und das Dekret Nr. 67-1230 (Fn. 2). 17 Siehe Art. 1 ff. des Dekrets Nr. 67-1230 (Fn. 15): 1. Le fonds national de l'assurance maladie; 2. Le fonds national des accidents du travail; 3. Le fonds national de prévention des accidents du travail et des maladies professionnelles; 4. Le fonds national d'action sanitaire et sociale; 5. Le fonds national du contrôle médical; 6. Le fonds national de la gestion administrative. 18 Für die Arbeitsunfälle gilt Art. 19 der Ordonnance Nr. 67-706 (i.d.F. des Gesetzes Nr. 68-698 [Fn. 1J), der eine Zuweisung an die Ortskassen vorsieht. 19 Zur „organisation financière" siehe Art. 15 bis 22 der Ordonannce Nr. 67-706 (Fn. 1).

132

C. Die Organisation der Verwaltung

Im Versicherungsbereich der Arbeitsunfälle werden die Beiträge nach entsprechend zu erbringenden Leistungen festgesetzt, so daß hier im allgemeinen ein annähernd finanzielles Gleichgewicht herrscht 20 . Die Nationalkassen sind öffentlich-rechtliche Einrichtungen mit Verwaltungscharakter (un établissement public national à caractère administratif) 21 . Sie sind juristische Personen und haben Finanzhoheit 22 . Die Orts- und Regionalkassen sind im Gegensatz zu den Nationalkassen privatrechtliche Einrichtungen mit öffentlichen Aufgaben (des organismes privés chargés de la gestion d'un service public) 23 . Die National-, Regional- und Ortskassen werden jeweils von einem Verwaltungsrat (conseil d'administration) geleitet, der sich je zur Hälfte aus Vertretern der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber zusammensetzt24. Die Mitglieder der Arbeitnehmer werden auf Vorschlag repräsentativer Arbeitnehmerorganisationen ernannt (C.G.T.: 3; C.G.T.-F.O.: 2; C.F.D.T.: 2; C.F.T.C.: 1; C.G.C.: l ) 2 5 . Diese Organisationen erfassen jedoch nur einen Bruchteil der Arbeitnehmerschaft und die Sitzverteilung ist sehr umstritten 26 .

20

Vgl. Art. 9 des Dekrets Nr. 67-1230 (Fn. 15); seit dem Jahre 1963 soll aber auch hier ein negativer Saldo bestehen, so Jambu-Merlin, 255. 21 Siehe Art. 3, 24, 37 und 48 der Ordonnance Nr. 67-706 (Fn. 1), dies gilt auch für die A.C.O.S.S. 22 Art. 3 der Ordonnance Nr. 67-706 (Fn. 1). 23 So bereits: Conseil d'Etat 13. Mai 1938, D.P. 1939, 3, 65, Anm. Pepy; vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 290-1), 720; Saint-Jours, Anm. zu Conseil d'Etat 6. Okt. 1971, Dr. soc. 1972, 345, und zu Trib. conflits 22. April 1974, J.C.P. 1974, II, 17856; nach Art. 40 erfolgen Konstituierung und Funktion dieser Kassen grundsätzlich nach den Bestimmungen des Code de la mutualité; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 290-1), 721, Fn. 1, weist darauf hin, daß aber die zahlreichen Vorschriften des Code de la sécurité sociale und seine Durchfuhrungsbestimmungen eine Beurteilung der Kassen als „véritables sociétés mutualistes" nicht zulassen. - Neben den Ortskassen besteht die Möglichkeit, daß öffentliche Einrichtungen und Körperschaften sowie beliehene Unternehmen von allgemeinem Nutzen teilweise oder ganz die Entschädigung bei Arbeitsunfällen übernehmen. Anderen Unternehmen kann der Minister, dem die soziale Sicherheit übertragen ist, in Übereinstimmung mit dem Arbeitgeber und dem Unternehmensausschuß (dieser entspricht nur in grober Vereinfachung dem deutschen Begriff des Betriebsrates) bevollmächtigen, unter Kontrolle der Ortskasse für die Ersatzleistungen bei den Arbeitnehmern zu sorgen - Ausnahme: Prothesen oder orthopädische Apparate - ; siehe Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 283), 706; ferner Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 147 ff., m.w.N. auch zur Gesetzgebung. 2 4 Vgl. Art. 4, 6 und 8 der Ordonnance Nr. 67-706 (Fn. 1) und das Dekret Nr. 67-1232 vom 22. Dez. 1967, J.O. 30. Dez. 1967, 13016 = D. 1968, L., 51. 25 Art. 4 der Ordonnance Nr. 67-706 (Fn. 1); zu den Gewerkschaften auch Feuilly, Soz. Sich. 1967, 329 (331). 26 Vgl. Feuilly, Soz. Sich. 1967, 329 (331), und Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 281), 698, Fn. 4.

II. Die Finanzierung

133

Die Arbeitgebervertreter werden vom C.N.P.F. 27 bestellt. Dem Verwaltungsrat sind ferner Vertreter verschiedener Kommissionen mit beratender Stimme beigegeben28. Regierungskommissare wirken aber bei den Regional- und Ortskassen im Gegensatz zur Nationalkasse29 nicht mit. Alle Sozialversicherungskassen unterstehen der Aufsicht (tuteile) des Ministers, dem die Sécurité sociale übertragen worden ist. Seit dem Auseinanderbrechen des Ministeriums für soziale Angelegenheiten im Jahre 1969 (bestehend seit 1966) waren in ständigem Wechsel verschiedene Ministerien für die Sécurité sociale zuständig 30 . Dem Minister stehen zur Durchführung der Aufsicht nachfolgende Kontrollorgane zur Verfügung: auf nationaler Ebene eine „direction de la sécurité sociale" 31 , auf regionaler Ebene die „directions régionales et départementales des affaires sanitaires et sociales" 32 , ferner für alle Bereiche der sozialen Sicherheit eine „inspection générale des affaires sociales" 33 . Aufsichtsführend sind ferner, soweit es ihren Kompetenzbereich betrifft, der Minister für Wirtschaft und Finanzen 34 und der Rechnungshof (Cours des Comptes) 35 .

I I . Die Finanzierung

Die Finanzierung der Arbeitsunfallversicherung obliegt - wie in Deutschland - dem Arbeitgeber 36 . Die Kassen ziehen die Beiträge gestaffelt nach der Größe des Unfallrisikos ein 3 7 .

27 Conseil national du patronat français (Nationalverband der französischen Unternehmer). 28 Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 281), 699 f.; z.B. „commission annexes44 (Ärzte und Apothekervertreter), „comités techniques44 (nur für National- und Regionalkassen, Art. 33 und 430). 29 Art. 3 der Ordonnance Nr. 67-706 (Fn. 1). 30 Dazu näher Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 135-4), 291 und (Nr. 292) 737. 31 Siehe dazu das Dekret Nr. 70-1052 vom 13. Nov. 1970, J.O. 15. Nov. 1970, 10536. 32 Siehe dazu das Dekret Nr. 77-429 vom 22. April 1977, J.O. 24. April 1977, 2393. 33 Zu den Aufsichtsorganen im einzelnen siehe Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 292 ff.), 734 ff. 3 4 Vgl. näher dazu Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 298), 752. 35 Art. 712. Art. 132 f. 37 Näheres dazu Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 304), 763 ff.; Jambu-Merlin. 85; Rép. dr. soc. et trav., 1960 und 1979, Nr. 244 ff.

D. Besondere Haftungslagen I . Die Haftung für „faute intentionnelle" beim Arbeitsunfall

1. D i e H a f t u n g und seiner

des A r b e i t g e b e r s Angestellten

Durch Art. 466 wird die Anwendung der allgemeinen Zivilrechtsbestimmungen auf Arbeitsunfälle grundsätzlich ausgeschlossen. Der Unternehmer selbst hat für Personenschäden nur ausnahmsweise einzustehen. Dies ist nach Art. 466 i.V.m. Art. 469 dann der Fall, wenn der Arbeitgeber oder sein Verrichtungsgehilfe (préposé) den Unfall „vorsätzlich" herbeigeführt haben, also bei Vorliegen einer „faute intentionnelle" 1 .

a) Der Begriff der „faute intentionnelle" Gesetzlich ist nicht geregelt, wann eine „faute intentionnelle" vorliegt. Es fehlt bereits an einer Legaldefinition der „faute" selbst im allgemeinen Zivilrecht, da diese als Begriff des „ancien droit" als klar abgegrenzt galt und in der praktischen Anwendung keine Schwierigkeiten entstanden2. aa) Die „faute intentionnelle" in der Literatur In dem juristischen Wörterbuch von Capitani 3 wird unter dem Begriff „faute intentionnelle" auf die „faute délictuelle" verwiesen; diese sei im Gegensatz zur „faute quasi-délictuelle" dann gegeben, wenn eine schadenstiftende Handlung in der Absicht begangen wird, einen Schaden zu verursachen ( . . . faute accomplie avec intention de causer le dommage). Unter dem Begriff „délit" heißt es: 1 Dies galt nicht vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 30. Okt. 1946 (vgl. z.B. Ch. réun. 8. Juni 1928, D.P. 1929, 1, 57, Anm. Rouast). Erst durch Art. 67 dieses Gesetzes hatte der Verletzte bei faute intentionnelle des Arbeitgebers einen Anspruch auf Schadensersatz nach dem allgemeinen Zivilrecht. 2 Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 380. 3 Capitant, Vocabulaire juridique, unter dem Begriff „faute".

I. Die Haftung für „faute intentionnelle"

135

„ . . . en un sens plus étroit (par opposition à quasi-délit), ne désigne, parmi les faits illicites, que ceux ayant le caractère de faute intentionnelle". Es wird also wieder zurückverwiesen. „Faute intentionnelle" wird demnach mit „faute délictuelle" gleichgesetzt4. Sie kann mit der deutschen Schuldstufe des Vorsatzes verglichen werden. Einigkeit besteht in der Literatur darüber, daß der bewußte Wille des Täters auf sein äußeres Handeln oder Unterlassen gerichtet sein muß, ebenso wie auf die Herbeiführung des schädigenden Erfolges 5. Umstritten ist jedoch, inwieweit auch eine Schädigungsabsicht unbedingte Voraussetzung der „faute intentionnelle" sein sollte. Die wohl herrschende Meinung6 vertritt die Auffassung: „Délit est la faute intentionnelle". Eine „faute intentionnelle" sei dem „dolus" des römischen Rechts gleichzusetzen, der immer dann vorlag, wenn eine Schädigungsabsicht bei dem Täter bestanden hatte (intention de caüser un dommage)7. Das bedeute, daß das Verhalten des Täters durch eine „malignité" 8 , einen „acte de méchanceté" besonders gekennzeichnet sei und einen „animus nocendi" 9 enthalte. Der Täter habe bei Vorliegen der „faute délictuelle" die Verwirklichung des Schadens gewünscht (désiré) und habe im Hinblick auf diese Verwirklichung gehandelt. Nicht ausreichend sei dabei nur die Vorstellung des möglichen Erfolges der Handlung 10 . 4 So auch Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 405; Brière de l'Isle, La faute intentionnelle, D. 1973, Chr. 259; bei Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 639, wird die „faute délictuelle" mit der „faute pénale intentionnelle" gleichgesetzt. 5 Carbonnier, Droit civü, Bd. IV (Nr. 94), 329; Marty/Raynaud, Droit civü, Bd. II, Teü 1, Les obligations (Nr. 411), 403; Brière de l'Isle, D. 1973, Chr., 259 (260); Lalou/ Azard, Traité pratique de la responsabilité civüe, Nr. 415-7; Jambu-Merlin, 156; Mazeaud/ Tunc, Bd. I, Nr. 415; Aubry et Rau (Esmein), Droit civil français, Bd. VI, § 444 bis, 432; vgl. auch Ferid, Bd. I, 2 M 82. 6 Vgl. Carbonnier, Bd. IV (Nr. 94), 329; Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 404 ff.; Brière d'Isle, D. 1973, Chr., 259 (261); gegen die Gleichsetzung der „faute intentionnelle" mit der „faute délictuelle": Saint-Jours, La faute dans le droit général de la sécurité sociale, 59 ff.; ders., La faute intentionnelle dans le droit de la sécurité sociale, Dr. soc. 1970, 387; Ripert/Boulanger, Traité de droit civil, Bd. II, Nr. 931; dazu auch Viney, Remarques sur la distinction entre faute intentionnelle, faute inexcusable et faute lourde, D. 1975, Chr., 263. 7 Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 409, Julliot de la Morandière, Droit civil, Bd. II, Nr. 600; Brière de l'Isle, D. 1973, Chr., 259 (261); ebenso Gleichsetzung mit „dol" (vgl. Mazeaud/ Mazeaud, Leçons de droit civil, Bd. II, 4. Aufl., Nr. 446; vgl. auch David, Responsabilité civile et risque professionnel, 238, m.w.N.); dieser Begriff wird im Vertragsrecht verwandt als dessen schwerste Schuldform. Er umfaßt nur die absichtliche Schädigung (vgl. Savatier, Traité de la responsabilité civile en droit français, Bd. I, Nr. 177; Ferid, Bd. I, 2 C 32 und 2 M 1). 8 Vgl. Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 409, unter Berufung auf Pothier, Obligations, Nr. 116. 9 So Dahan, Sécurité sociale et responsabilité, 232. 10 Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 409 bis 413, Nr. 567.

136

D. Besondere Haftungslagen

Die „théorie de la réprésentation" (Vorstellungstheorie nach v. Liszt) 11 wird gelegentlich als dem französischen Recht fremd abgelehnt 12 , denn „vouloir" (wollen) und „prévoir" (vorhersehen) habe nicht die gleiche Bedeutung. Es sei für die „faute délictuelle" bzw. „intentionnelle" nicht ausreichend, wenn der Täter wisse, daß vielleicht durch sein Verhalten ein Schaden entstehe, obwohl dieses Verhalten auf ein anderes Ziel gerichtet sei; ein bloßes Vorhersehen des Schadens genüge nicht. Eine „intention de causer le dommage", die die „faute délictuelle" kennzeichne 13 , bedeute mehr. „Intention" setze einen Willen voraus, der auf ein Ziel gerichtet sei, bzw. den Wunsch, einen bestimmten Erfolg zu verwirklichen 14 . Zwar brauche dies nicht der einzige oder der Hauptzweck der Handlung zu sein, charakteristisch für die „faute délictuelle" sei jedoch eine böse Absicht (intention méchante), d.h. der Wunsch, jemand anderes zu schädigen15. Auch eine Reihe anderer Autoren geht ebenso von einer Schädigungsabsicht aus 16 . Eine Mittelmeinung, die sich ebenfalls mit der deutschen Vorstellungstheorie auseinandersetzt, hält eine Schädigungsabsicht nicht für unbedingt erforderlich. Es genüge, wenn der Handelnde davon ausgehe, daß der schädigende Erfolg sicher eintreten werde und dies in Kauf nehme 17 . 11

v. Liszt: Vorsätzlich handelt, wer in Voraussehung der tatsächlichen und rechtlichen Tragweite seines Verhaltens pflichtwidrig handelt (Lehrbuch des deutschen Strafrechts, § 39 I, 238); im Gegensatz dazu steht die sogenannte Wülenstheorie nach Binding: Vorsatz ist der bewußt rechtswidrige Wille, das Wollen der Tat im Bewußtsein ihrer Rechtswidrigkeit (vgl. Binding, Die Schuld im deutschen Strafrecht, 30 ff., insbes. 41). 12 Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 413. 13 Vgl. u.a. Mazeaud/Mazeaud, Bd. II, 4. Aufl., Nr. 446; Dahan, 232; Brière de l'Isle, D. 1973, Chr., 259 (261). 14 So auch Lalou/Azard, Nr. 415-5 und 415-7; Rouast, Anm. zu Ch. réun. 15. Juli 1941, D.C. 1941,117(118). 15 Vgl. Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 413; Mazeaud/Mazeaud, Bd. II, 4. Aufl., Nr. 446; bei Mazeaud/Mazeaud, Bd. II, 5. Aufl., Nr. 446, heißt es aber nunmehr: „ . . . il y a faute délictuelle dès que l'auteur du dommage a su qu'en agissant il causerait ce dommage, même s'il n'a pas agi pour nuire à la victime4'. 16 Vgl. Memento pratique, Nr. 139; Savatier, Bd. II, Nr. 752; Saint-Jours, 61, und ders in Dr. soc. 1970, 387 (389); vgl. auch Jambu-Merlin, Anm. zu Cass. soc. 13. Jan. 1966, Dr. soc. 1966, 600, jedoch wird nicht klar, ob wirklich „Schadensabsicht" gemeint ist. Bei Jambu-Merlin, 156, heißt es, daß „faute intentionnelle" vorliege, „[si] l'auteur de l'acte a voulu causer un dommage à la victime". Es komme darauf an, daß die Handlung ausgeführt werden müsse, „pour causer un dommage" (so Jambu-Merlin in Dr. soc. 1966, 600). Es kann also sein, daß alle Autoren, die der Ansicht sind, daß „faute intentionnelle" vorliegt, wenn der Täter den Schaden bei einem anderen verursachen wollte („l'auteur a voulu causer le dommage"), immer eine Schädigungsabsicht voraussetzen. Da das aber nicht klar wird, werden hier nur diejenigen genannt, die eine solche Absicht ausdrücklich fordern. 17 Marty/Raynaud (Nr. 411), 404; vgl. auch Brière de l'Isle, D. 1973, Chr., 259 (261) (aber einschränkend).

I. Die Haftung für „faute intentionnelle"

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Eine weitergehende Meinung bejaht „faute intentionnelle" schon dann, wenn der Schädiger den Eintritt des Erfolges für wahrscheinlich oder möglich gehalten und ihn in Kauf genommen hat 1 8 .

bb) Die „faute intentionnelle" in der Rechtsprechung Die Rechtsprechung des Kassationshofes scheint als Voraussetzung für das Vorliegen einer „faute intentionnelle" eine Schädigungsabsicht anzunehmen. So heißt es z.B. in einem Urteil 1 9 : „ . . . une faute intentionnelle n'aurait pu être retenue que s'il avait été démontré que le dispositif dangereux qui avait provoqué l'accident, avait été établi en vue de causer des blessures." Die Absicht des Schädigers muß aber nicht das gesamte Ausmaß des Schadens umfassen, wie z.B. bei beabsichtigter vorsätzlicher Körperverletzung die Todesfolge. Die absichtliche Körperverletzung reicht hier nicht aus, um in bezug auf den Gesamtschaden „faute intentionnelle" zu bejahren 20 . Die „faute intentionnelle" ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch den Willen des Täters gekennzeichnet, den Unfall herbeizuführen. Grobe Nachlässigkeiten (die z.B. einen Sturz des später Geschädigten möglich machen) reichen nicht aus 21 . Liegt eine strafrechtliche Verurteilung wegen Totschlags oder vorsätzlicher Körperverletzung vor, so wird von einer „faute intentionnelle" ausgegangen22. Wurde die gefährliche Verrichtung, die den Unfall herbeiführte, nicht vorgenommen, um dem Opfer Verletzungen beizubringen, so wird eine „faute intentionnelle" nicht bejaht 23 . Dies gilt auch für den Fall, daß der Täter geisteskrank war 2 4 . 18 Planiol/Ripert (Esmein), Traité pratique de droit civil français, Bd. VI, Nr. 513; Aubry/Rau (Esmein), § 444 bis 3°; vgl. Picard/Besson, Les assurances terrestres en droit français, Bd. I (Nr. 67), 114; ferner Ferid, Bd. I, 2 M 83; Heldrich, Die allgemeinen Rechtsgrundsätze der außervertraglichen Schadenshaftung im Bereich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 29. 19 So: Cass. soc. 13. Jan. 1966, Dr. soc. 1966, 600, Anm. Jambu-Merlin; vgl. ferner Cass. soc. 26. Jan. 1972, J.C.P. 1972, IV, 357 = D. 1972, Somm., 33; vgl. J. cl., Fase. 653, Nr. 53, m.w.N. 20 Cass. crim. 22. April 1959, Bull. crim. (Nr. 239), 480; vgl. auch Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1829; Saint-Jours, 63, m.w.N.; dazu auch David, 240, mit Hinweisen auf die vorbereitenden Arbeiten zur Arbeitsunfallgesetzgebung von 1902/1903: ausreichend sei die Absicht, einen Unfall zu verursachen, ohne eine bestimmte „Erfolgs*'-absieht. 21 Cass. soc. 10. Mai 1955, Bull. civ. (Nr. 527), 399; Cass. soc. 14. Juni 1956, Bull, civ. (Nr. 552), 410. 22 Vgl. Cass. crim. 23. Dez. 1955, D. 1956, 373. 23 Cass. soc. 13. Jan. 1966, Dr. soc. 1966, 600, Anm. Jambu-Merlin. 2 4 Cass. soc. 6. Jan. 1977, J.C.P. 1977, IV, 49.

D. Besondere Haftungslagen

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b) Die Folgen der „faute intentionnelle " des Arbeitgebers Falls der Unfall durch „faute intentionnelle" des Arbeitgebers oder dessen Verrichtungsgehilfen herbeigeführt wurde, so haben der Geschädigte oder seine Hinterbliebenen nach Art. 469 einen Anspruch auf Schadensersatz nach dem allgemeinen Schadensrecht, soweit der Schaden nicht von der Kasse gedeckt wird. Diese ist zwar auch bei Vorliegen einer „faute intentionnelle" zur Leistung verpflichtet (Art. 469 Abs. 2), jedoch ist ein vollständiger Schadensausgleich aufgrund des pauschalierten Ersatzes nicht gewährleistet. Der Anspruch kann dann insbesondere auch den Ersatz des immateriellen Schadens umfassen 25. Die ergänzende Entschädigung kann in der Form einer Kapitalabfindung oder einer Rentenzahlung gewährt werden 26 . Falls es nicht zu einer gütlichen Einigung zwischen den Parteien kommt, entscheiden die ordentlichen Zivilgerichte. Falls ein Strafverfahren gegen den Arbeitgeber eingeleitet wird, ist eine Klage des Geschädigten im Adhäsionsverfahren auch zur Feststellung einer „faute" des Arbeitgebers vor dem Strafgericht zulässig27. Die Kassen der Sécurité sociale haben einen Rückgriffsanspruch gegen den Schädiger. Dieser Anspruch beinhaltet auch etwaige Folgekosten zur beruflichen Wiedereingliederung 28. Weiterhin hat die Sozialversicherungskasse - caisse régionale — nach Art. 469 Abs. 4 i.V.m. Art. 133 das Recht, zusätzliche Beiträge von dem Arbeitgeber zu verlangen, um ihn dazu anzuhalten, präventive Maßnahmen zur Arbeitsunfallverhütung durchzuführen. Nach Art. 471 ist der Geschädigte aber berechtigt, seine Ansprüche gegenüber dem Schädiger vorrangig geltend zu machen. Der Arbeitgeber kann sich selbst nicht gegen Rückgriffsansprüche versichern. Dieses Verbot ergibt sich aus Art. 12 des Gesetzes vom 13. Juli 1930 29 . 25

Vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1836. * Vgl. ebenda, Nr. 1837. 27 Vgl. ebenda, Nr. 1835; vgl. auch Cass. crim. 15. Okt. 1970, D. 1970, 733, Anm. Costa. 28 Vgl. Saint-Jours, 71 f. 29 „ . . . l'assureur ne répond pas, nonobstant toute convention contraire, des pertes et dommages provenant d'une faute intentionnelle ou dolosive de l'assuré" (Art. 12 des französischen Versicherungsvertragsgesetzes - Loi relative au contrat d'assurance - vom 13. Juli 1930). 2

I. Die Haftung für „faute intentionnelle"

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c) Besonderheiten der Arbeitgeberhaftung bei „faute intentionnelle " des „préposé" Falls ein „préposé" 30 — ein Verrichtungsgehilfe — einen Unfall vorsätzlich herbeiführt, gilt ebenfalls Art. 469. Dies sind auch hier meist Fälle des Raufhandels oder der Gewalttätigkeit gegenüber anderen Arbeitskollegen. Häufig ist der schädigende Gehilfe jedoch zahlungsunfähig, so daß der Geschädigte leer ausgehen müßte. Hier könnte nur ein Anspruch gegen den Arbeitgeber selbst Abhilfe schaffen. Ein solcher Rückgriffsanspruch des Geschädigten gegen den Arbeitgeber, der für „faute intentionnelle" seines „préposé" zivürechtlich haftet, ist erst in neuerer Zeit nach der Gesetzesreform vom 30. Oktober 1946 anerkannt worden. Früher wurde ein solcher Anspruch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgelehnt 31 , sowohl gegen den Arbeitgeber als auch den „préposé" (im Gegensatz zur Rechtsprechung der Berufungsgerichte 32) aufgrund des Art. 2 (Ausschluß der Anwendung allgemeinen Zivilrechts auf Arbeitsunfälle) und des Art. 7 (Anwendung des allgemeinen Zivilrechts nur bei Schädigung durch Dritte) des Gesetzes von 1898. Ein Raufhandel (rixe) wurde als Arbeitsunfall betrachtet, und somit hatte der Geschädigte nur Anspruch auf die Pauschalleistungen nach dem Arbeitsunfallgesetz, auch für den Fall vorsätzlichen Handelns des Schädigers. Erst durch Schaffung der neuen Regelungen in Art. 469 sah sich die Rechtsprechung in der Lage, diesen Rückgriffsanspruch des Geschädigten auch gegen den Arbeitgeber zu bejahen, um zu einem vollständigen Schadensausgleich zu kommen 33 . In der Literatur wurde diese Rechtsprechung nur vereinzelt angegriffen 34 . Ein Anspruch des Geschädigten gegen den Arbeitgeber wird im allgemeinen von der Rechtsprechung 35 auf Art. 1384 C. civ. — die Haftung des Geschäftsherrn (responsabilité des commettants) — gegründet 36. 30 Zum Begriff des „préposé" vgl. Anm. Breton/Vernerey zu Cass. soc. 15. Dez. 1971, D. 1973, 120. 31 Ch. réun. 8. Juni 1928, D.P. 1929, 1, 57, Anm. Rouast = S. 1929, 1, 114 = Gaz. Pal. 1928, 2, 156. 32 Dijon 31. März 1927, J.C.P. 1927, II, 858; Aix 24. Feb. 1927, Gaz. Pal. 1927, 1, 628. 33 Anfangs herrschte noch Uneinigkeit in der Rechtsprechung, vgl. die bei Saint-Jours, 76, Fn. 19, zitierte Rechtsprechung; erst verschiedene Urteüe der Chambre criminelle des Kassationshofes führten zu einer gefestigten Rechtsprechung, vgl. Saint-Jours, 76, mit zahlreichen Hinweisen. 3 4 Vgl. Dahan, 240, mit Hinweis auf Art. 467; Zustimmung zur Rechtsprechung z.B. von Saint-Jours, 77.

140

D. Besondere Haftungslagen

Voraussetzungen für die Haftung des Arbeitgebers sind nach Art. 1384 Abs. 5 C. civ., daß das schuldhafte Verhalten und die damit verursachte Schädigung im Rahmen der dem Gehilfen übertragenen Tätigkeit erfolgte. Erforderlich ist nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur, daß eine Weisungsgebundenheit des Schädigenden gegenüber seinem Arbeitgeber besteht, d.h. ein Über- und Unterordnungsverhältnis. Die Weisungsgebundenheit ergibt sich im Verhältnis Arbeitgeber—Arbeitnehmer meist aus dem Arbeits- oder Lehrvertrag 37 . Ferner muß der Schaden „dans les fonctions auxquelles ü est employé" verursacht worden sein. Die schadenstiftende Handlung muß also in einem Zusammenhang mit dem übertragenen Aufgabenkreis stehen, der nach dem Zivilrecht und nicht nach den Regeln des Arbeitsunfallrechts festzustellen ist 3 8 . Unumstritten ist, daß sich die Haftung des Geschäftsherrn nicht auf jene Fälle beschränkt, in denen der Gehilfe in Erfüllung der ihm übertragenen Tätigkeit fahrlässig Schaden stiftet 3 9 . Vorsätzliches Handeln des Gehilfen im Sinne von Art. 469 kann ebenfalls zu einer Haftung führen 40 . Auch ein Handeln gelegentlich der Erfüllung und selbst der „abus de fonctions" kann noch im Rahmen der dem Schädiger obliegenden Handlung liegen 41 . Bis zum Jahre 1950 wurde der Haftungsrahmen von der Rechtsprechung sehr weit gezogen, indem es als ausreichend angesehen wurde, wenn zwischen der aufgetragenen Tätigkeit und der schadenstiftenden Handlung nur ein gewisser äußerer Zusammenhang (zeitlich, örtlich oder sachlich) bestand 42 . 35

Vgl. Cass. crini. 21. Okt. 1969, J.C.P. 1969, IV, 281; vgl. auch Saint Jours, 75 ff., m.w.N.; Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 261, Fn. 13, m.w.N. 36 Art. 1384 Abs. 1 C. civ.: „On est responsable non seulement du dommage que Γοη cause par son propre fait, mais encore de celui qui est causé par le fait des personnes dont on doit répondre . . . Art. 1384 Abs. 5: „Les maîtres et les commettants, du dommage causé par leurs domestiques et préposés dans les fonctions auxquelles ils les ont employés." 37 Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 882, m.w.N.; Saint-Jours, 73, näher auch Kauffmann, Die Gehüfenhaftung im französischen Deliktsrecht, 33 ff.; unbestritten ist aber auch, daß das Weisungsrecht keine rechtswirksame Vertrags- oder Rechtsgrundlage haben muß, vgl. Cass. civ. 26. Jan. 1971, Buü. civ. I (Nr. 29), 23, und Kauffmann, 35, m.w.N. 38 Saint-Jours, 74; vgl. Jambu-Merlin, 157. 39 Vgl. Ferid, Bd. I, 2 M 132; Cass. crim. 21. Okt. 1969, J.C.P. 1969, IV, 281; vgl. Kauffmann, 52 ff., m.w.N. 40 Cass. civ. 9. Feb. 1967, BuU. civ. II (Nr. 63), 45; Cass. crim. 20. März 1968, Buü. crim. (Nr. 98), 233; Cass. crim. 10. Juli 1968, Buü. crim. (Nr. 220), 527; Cass. crim. 21. Nov. 1968, BuU. crim. (Nr. 315), 755; der Gehüfe hatte in diesem letzten Fall vom Arbeitsplatz ein Brett mitgenommen, mit dem er auf dem Heimweg seinen Polier erschlug. Die FäUe aus dem Jahre 1968 betreffen alle Körperverletzungen, die ein Arbeitnehmer einem Vorgesetzten oder Kollegen zugefügt hatte, weü seine Arbeitsleistung oder seine Arbeitsweise kritisiert wurde oder sonst eine Diskussion über die auszuführende Arbeit entstanden war; vgl. auch Kauffmann, 72. 41 Cass. crim. 20. März 1968, Bull. crim. (Nr. 98), 233; Cass. crim. 21. Okt. 1969, BuU. crim. (Nr. 258), 618; Cass. crim. 6. Jan. 1970, D. 1970, Somm., 79.

I. Die Haftung für „faute intentionnelle"

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Mit dem Urteil des zweiten Zivilsenats des Kassationshofes vom 1. Juli 1954 setzte dann ein Umschwung in der Rechtsprechung ein 4 3 . Nunmehr wurde ein genügend enger Kausalzusammenhang zwischen der schädigenden Handlung und der Funktion des Gehilfen gefordert 44 . Heute wird in der Rechtsprechung - wenn auch der Strafsenat und der Zivilsenat bei der Begründung der Haftungsbegrenzung unterschiedlich vorgehen 45 - eine Haftung des Geschäftsherrn im wesentlichen dann angenommen, wenn das Motiv der Schadensverursachung aufgabenbezogen war oder der Schaden auf ein meist objektiv gefährliches Arbeitsmittel zurückgeht bzw. auf einer typisch aufgabenbezogenen Gefahrensituation beruht 4 6 . Falls die schadenstiftende Handlung völlig losgelöst von der Tätigkeit des Gehilfen ist, allenfalls nur eine örtliche oder zeitliche Verbindung besteht, haftet der Geschäftsherr nicht. So wurde z.B. in folgendem Fall kein ausreichender Zusammenhang festgestellt 47 : Zwei Dockarbeiter gerieten während einer Betriebsversammlung in Streit, weil der später Geschädigte über die Lebensgefährtin seines Arbeitskollegen diesem gegenüber kränkende Bemerkungen machte, worauf dieser den Kollegen verletzte. Das Gericht war der Ansicht, daß die Haftung des Arbeitgebers ausgeschlossen sei, da der Streit unvorhersehbar gewesen sei und an jedem anderen Ort hätte entstehen können. Die Auseinandersetzung habe mit der Ausführung des Arbeitsvertrages nichts zu tun gehabt. Der Geschäftsherr haftet ebenfalls nicht für Schäden, die der Gehilfe gelegentlich seiner Funktion verursacht hat, wenn der Geschädigte erkannt hat oder hätte erkennen können, daß der préposé nicht in Erfüllung seiner Aufgaben gehandelt h a t 4 8 .

42 Vgl. die ausführliche Darstellung der Entwicklung in Rechtsprechung und Literatur zum Begriff „dans les fonctions" von Kauffmann, 52 ff. 43 Cass. civ. 1. Juli 1954, J.C.P. 1954, II, 8352 = D. 1954, 628, jeweüs die zweite Entscheidung; vgl. eine nähere Besprechung und Darstellung bei Kauffmann, 63. 4 4 Eine entgegengesetzte Entscheidung (Haftung wegen bloßer Erleichterung der Schadensverursachung durch Übertragung der Aufgabe) traf jedoch der Strafsenat in einem vergleichbaren Falle, Cass. crim. 20. März 1958, Gaz. Pal. 1958, 1, 438. Der Senat hielt auch weiterhin an dieser Ansicht fest. Die Streitfrage wurde im Jahre 1960 von den Vereinigten Kammern des Kassationshofes zugunsten der engeren Auffassung des Zivüsenats gefällt: Ch. réun. 9. März 1960, J.C.P. 1960, II, 559, Anm. Rodière = D. 1960, 329, Anm. Savatier. In der Entscheidung wurde die Haftung verneint für Schäden, die aus einer Schwarzfahrt mit einem LKW zu Privatzwecken des Arbeitnehmers entstanden. Zum Streit der Rechtsprechung des Strafsenats und des zweiten Zivüsenats: Anm. Larroumet zu Ch. crim. 2. Nov. 1971, D. 1973, 21, m.w.N.; vgl. auch Ferid, Bd. I, 2 M 139. 45 Dazu Kauffmann, 76 f. 46 Vgl. die Fn. 40; die dort angegebenen Entscheidungen sind als Beispiele in diesem Sinne anzusehen; vgl. weiter Cass. civ. 6. Feb. 1974, D. 1974, 409, Anm. Le Tourneau; Cass. crim. 28. März 1973, D. 1974, 77, Anm. Jaubert. 4 7 Cass. soc. 26. Mai 1961, J.C.P. 1961, II, 12272, Anm. R.L.; vgl. Saint-Jours, 74 f. 48 Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 914; Planiol/Ripert/Boulanger, Traité élémentaire de droit civil, Bd. II, Nr. 1134; vgl .Kauffmann, 77.

142

D. Besondere Haftungslagen

Eine ganz eindeutige Rechtsprechung zum Begriff „dans les fonctions", also zur Haftungsbegrenzung für den Geschäftsherrn, liegt allerdings nicht vor. Anzumerken ist, daß sich der Arbeitgeber gegen die „faute intentionnelle" eines Verrichtungsgehilfen versichern kann 4 9 . d) Rückgriffsansprüche

des Arbeitgebers und der Kassen

Der Arbeitgeber hat, falls er dem Geschädigten gegenüber Leistungen erbringt, einen Rückgriffsanspruch gegen seinen Verrichtungsgehilfen 50. Dieser Anspruch geht auf vollständigen Ersatz des zur Freistellung des „préposé" erforderlichen Aufwandes 51 . Nur bei Mitverschulden des „commettant" wird eine Einschränkung des Anspruchs vorgenommen 52. Die Kassen der Sécurité sociale haben gegenüber einem Arbeitgeber, der Leistungen aufgrund des Art. 1384 Abs. 5 erbracht hat, keine Rückgriffsansprüche hinsichtlich eigener Leistungen an den Geschädigten53. Sie sind mit solchen Ansprüchen ausschließlich an den Schädiger selbst verwiesen. Dies wird damit begründet, daß es in Abs. 2 des Art. 469 an einem Hinweis auf die Anwendbarkeit des allgemeinen Zivilrechts für den Rückgriff der Kassen fehle. Dies sei nur in Abs. 1 für den Rückgriff des Geschädigten vorgesehen 54. Zudem bestehe für die Kassen die Möglichkeit der Erhöhung der Beiträge des Arbeitgebers auch bei „faute intentionnelle" eines seiner Verrichtungsgehilfen.

49 Dies ergibt sich aus Art. 13 des Versicherungsvertragsgesetzes: „L'assureur est garant des pertes et dommages causés par des personnes dont l'assuré est civilement responsable en vertu de l'article 1384 du Code civil, quelles que soient la nature et la gravité des fautes de ces personnes"; siehe auch Nancy 12. Mai 1953, D. 1953, Somm., 65; Mazeaud/Tunc, Bd. Ill, Nr. 2651. 50 Cass. civ. 27. Okt. 1969, BuU. civ. II (Nr. 797), 561; Cass. civ. 11. JuH 1966, BuU. civ. II (Nr. 771), 541; Mazeaud/Mazeaud, Bd. II, 5. Aufl., Nr. 482; dies., Rev. trim. dr. civ. 1952, 218; Carbonnier, Bd. IV, Nr. 101 a.E.; Ferid, Bd. I, 2 M 144. 51 Dieser unbeschränkte Rückgriff ist jedoch nicht ganz unbestritten, vgl. Mazeaud/ Tune, Bd. I, Nr. 927, der ihn nur bei „faute lourde" gelten lassen wiü. 52 Siehe die Entscheidungen unter Fn. 50; Cass. civ. 15. Okt. 1954, J.C.P. 1955, II, 8473. 53 Cass. crim. 9. Nov. 1955, Gaz. Pal. 1955, 2, 402 = J.C.P. 1956, II, 9063, Anm. Besson; Cass. crim. 13. Jan. 1959, J.C.P. 1959, IV, 21; Cass. crim. 22. Mai 1963, Gaz. Pal. 1963, 2, 260; vgl. Saint-Jours, 78 f., m.w.N. 5 4 Siehe die Entscheidungen unter Fn. 53; vgl. Saint-Jours, 79 f., mit kritischen Anmerkungen zur Rechtsprechung: Der Art. 469 bilde eine Einheit und sei als Hinweis auf die Anwendung des allgemeinen Zivürechts bei „faute intentionneUe" anzusehen; er könne in seinen einzelnen Absätzen in bezug auf das „droit commun" nicht verschieden ausgelegt werden. Zudem könne sich der Arbeitgeber auch gegen einen Rückgriff der Kassen versichern.

I. Die Haftung für „faute intentionnelle"

2. „ F a u t e

intentionnelle"

des

143

Geschädigten

a) Die Folgen der „faute intentionnelle " Zwar werden grundsätzlich die Folgen eines schuldhaften Verhaltens des Arbeitnehmers selbst von der Sécurité sociale getragen; für den Fall des Vorliegens von „faute intentionnelle" jedoch haben der Geschädigte bzw. seine Hinterbliebenen keine Ansprüche auf Entschädigungsleistungen der Kasse gemäß Art. 467 Abs. 1. Der Geschädigte kann lediglich Ansprüche auf Naturalleistungen der Krankenversicherung, wie Heilbehandlung, Arzneimittel, orthopädische Hilfen usw., geltend machen, wenn die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Nach Art. 396 entfällt bei „faute intentionnelle" des Verletzten auch der bei dessen Todesfall fällige Kapitalbetrag für seine Hinterbliebenen. Keine Änderungen ergeben sich aber für die Altersrentenversicherung. b) Der Begriff der „faute intentionnelle de la victime" aa) Die Meinung in der Literatur Die „faute intentionnelle de la victime" umfaßt jede schadenstifende Handlung, die sich der Arbeitnehmer selbst zufügt. Es sind dies die recht seltenen Fälle, in denen ein Unfall absichtlich herbeigeführt wird 5 5 . In der Literatur wird insbesondere von Saint-Jours 56 als unbedingte Voraussetzung für das Vorliegen einer „faute intentionnelle de la victime" eine betrügerische Absicht des Arbeitnehmers gegenüber der Sécurité sociale verlangt. Dies geschieht mit dem Hinweis auf Art. 12 des französischen Versicherungsvertragsgesetzes von 1930, in dem auf die Absicht abgestellt wird, Entschädigungsleistungen der Versicherung zu erhalten 57 . Ferner wird darauf verwiesen, daß es ohne eine solche Voraussetzung zu einer geradezu „krankhaften Erweiterung" (Hypertrophie) des Begriffs der „faute intentionnelle de la victime" komme, weil man dann die „faute inexcusable" darin aufgehen lasse58.

55

So z.B. bei Selbstverstümmelung, vgl. Nfmes, 5. Nov. 1934, D.H. 1935, 60; in neuerer Zeit vgl. die Affäre der „pouces coupés de Brest": Vier Betrüger schlossen mehrere Versicherungsverträge bei verschiedenen Versicherungsgesellschaften ab und amputierten sich daraufhin einen Daumen. Einer dieser Betrüger stellte diese Amputation als Arbeitsunfall dar, vgl. Rennes 30. Jan. 1961 (unveröffentlicht, zitiert nach Saint-Jours, 82, Fn. 3). 56 Saint-Jours, 81 ff.; ders., Dr. soc. 1970, 387 (391); wohl auch Jambu-Merlin, 156, der von „escroqueries aux accident de travail" spricht; Lyon-Caen, Anm. zu Cass. civ. 6. Jan. 1960, D. 1960, 397; Dahan, Nr. 384; ablehnend David, Nr. 196. 57 Lyon-Caen, Anm. in D. 1960, 397. 58 Saint-Jours, Anm. zu Cass. soc. 24. April 1969, D. 1969, 649.

D. Besondere Haftungslagen

144

bb) Die Rechtsprechung Im Gegensatz dazu scheint die Rechtsprechung des Kassationshofes zu stehen. Den außerordentlich knapp gefaßten Entscheidungen ist aber eine Definition des Begriffs der „faute intentionnelle de la victime" nur schwer zu entnehmen, zumal ausdrücklich eine solche nie gegeben wurde. In einem neueren Fall hatte der oberste Gerichtshof sich mit folgendem Sachverhalt zu befassen 59: Ein Arbeiter hatte sich während der Arbeit mit einem Arbeitskollegen gestritten und diesen im Verlaufe des Streits in einen Kessel gestürzt, der eine gefährlich ätzende Lösung enthielt. Während der Kollege tödliche Verletzungen erlitt, verletzte er sich selbst durch ätzende Spritzer der Lösung. Es ging um die Frage, ob der Arbeiter eine Entschädigung erhalten sollte. Die Cour d'Appel von Grenoble 60 hatte dies bejaht mit der Begründung, daß der Arbeiter nicht in der Absicht gehandelt habe, sich Verletzungen zuzufügen, die ihm ein Recht auf die Kassenleistungen hätten verschaffen können. Der Kassationshof lehnte diese Begründung ab, denn: „ . . . les lésions survenues à P.O. étaient la conséquence directe des violences qu'il avait volontairement exercées contre F. et participaient par suite du caractère intentionnel de la faute qu'il avait commise" 61 . Der oberste Gerichtshof stellt hier also nicht auf eine betrügerische Absicht ab. Es soll genügen, daß die Verletzung eine direkte Folge einer absichtlich begangenen Handlung ist. Diese Absicht bezieht sich hier auch nur auf eine Fremdschädigung. In zahlreichen Fällen, die Selbstmord oder Selbstmordversuche betreffen, hat sich der Oberste Gerichtshof ebenfalls mit der „faute intentionnelle" befaßt. Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen bewußtem und unbewußtem Selbstmord (bzw. Selbstmordversuch) und setzt den bewußten Suizid mit der „faute intentionnelle" gleich 62 . Falls sich der Selbstmörder seiner Handlung nicht bewußt ist, so besteht ein Anspruch auf Leistungen der Sécurité sociale, vorausgesetzt, daß der Unfallcharakter gewahrt bleibt, d.h., daß der Tod oder die Schädigung von einem plötzlichen Ereignis herrührt, das bei Gelegenheit

59

Cass. soc. 24. April 1969, D. 1969, 649, Anm. Saint-Jours. Entscheidung vom 15. Dez. 1967. 61 Die bei P.O. eingetretenen Verletzungen waren die direkte Folge der Gewalttätigkeiten, die er vorsätzlich gegen F. verübte, und waren folglich Teü der absichtlichen Handlung, die er begangen hatte. Dazu insbes. die Darstellungen von Saint-Jours, 97; ders., D. 1970, Chr., 93; ders., Dr. soc. 1970, 387 (401), jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung; Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1827; vgl. Cass. soc. 6. Jan. 1960, D. 1960, 397, Anm. Lyon-Caen. 60

I. Die Haftung für „faute intentionnelle"

145

der Arbeit eintritt 6 3 . Auch hier findet wieder die Kausalitätsvermutung Anwendung. In allen diesen Fällen bestehen erhebliche Schwierigkeiten, den Beweis eines be wußten Selbstmords zu führen. Einige Beispiele sollen verdeutlichen, wie schwierig eine Begriffsbestimmung der „faute intentionnelle de la victime" selbst ist und wie groß die Probleme bei einer Beweisführung sind. Um „faute intentionnelle de la victime" ging es z.B. in der folgenden Entscheidung 64 : es handelte sich um den Selbstmordversuch eines jungen Mädchens von 15 Jahren. Das Mädchen hatte später in Abwesenheit ihres Vaters vor dem vereidigten Untersuchungsbeamten der Sécurité sociale erklärt, daß es sich freiwillig aus dem Fenster gestürzt habe. Nicht klar war jedoch, ob das Mädchen sich im Augenblick der Tat seiner Handlung bewußt gewesen war. Eine Überlastung durch seine Arbeit konnte ebenso wenig festgestellt werden wie etwa eine vorangegangene Krankheit, die die Tat hätte erklären können. Von einer betrügerischen Absicht konnte ebenfalls nicht die Rede sein. Dennoch wurde eine „faute intentionnelle" bejaht. Dies geschah auch in einer späteren Entscheidung im Falle eines Selbstmordes65 : der vermutliche Selbstmörder war von dem Schiff, auf dem er beschäftigt war, ins Meer gestürzt und ertrunken. Die Klage des Vaters auf Hinterbliebenenrente wurde abgewiesen. Der Ertrunkene habe nachgewiesenermaßen bereits vor der Tat Selbstmordabsichten geäußert und sei depressiv gewesen. Diese beweiskräftigen Tatsachen seien dahingehend zu würdigen, daß er sich der Weisungsbefugnis seines Arbeitgebers entzogen habe und daß ein Selbstmord als bewiesen anzusehen sei. Es ging in diesem Falle in erster Linie darum, ob eine „faute intentionnelle" von der Kasse bewiesen werden konnte. Das Bestehen einer „faute intentionnelle" ist aber nach dem Urteil davon abhängig, ob sich der Geschädigte der Autorität des Arbeitgebers entzieht oder nicht. Diese Begründung ist nur schwer verständlich. Hier muß Saint-Jours zugestimmt werden, der darauf verweist, daß Kausalitätsprobleme und die Voraussetzungen einer „faute intentionnelle" voneinander zu trennen sind 66 . In einem früheren Urteil (zum Sozialversicherungsrecht) wurde eine „faute intentionnelle" abgelehnt 67 : Ein Minderjähriger von 17 Jahren hatte sich des 63

Dazu näher siehe: Saint-Jours, D. 1970, Chr., 93 (95 f.). Cass. soc. 16. Dez. 1968, Bull. civ. V (Nr. 596), 494. 65 Cass. soc. 11. Feb. 1971, D. 1971, 454, Anm. Saint-Jours. 66 Vgl. Saint-Jours, Anm. zu Cass. soc. 5. März 1970, D. 1970, 690, und Anm. zu Cass. soc. 11. Feb. 1971, D. 1971,454. 67 Cass. soc. 6. Jan. 1960, D. 1960, 397, Anm. Lyon-Caen. 6 4

146

D. Besondere Haftungslagen

Autos seines Vaters bemächtigt. Er verursachte damit einen Verkehrsunfall, bei dem der Wagen beschädigt wurde. Aus Furcht vor den Folgen schoß sich der Minderjährige eine Kugel in den Kopf, wodurch er sich schwer verletzte. Die Kasse verlangte die von ihr erbrachten Krankheits- und Invaliditätsleistungen vom Arbeitgeber des Täters zurück. Dieser hatte seinerseits versäumt, die notwendigen Beiträge für den Geschädigten an die Kasse abzuführen. Der Arbeitgeber berief sich auf Art. 396 („faute intentionnelle" des Krankenversicherten). Er unterlag jedoch auch vor dem Kassationshof. Dies geschah mit folgender Begründung: Die Tat sei unter solchen Umständen geschehen, bei denen sich der Täter selbst nicht unter Kontrolle hätte halten können und keinen freien Willen besessen hätte. Seine Verantwortlichkeit sei insgesamt herabgesetzt gewesen. Auch in einem anderen Fall wurde „faute intentionnelle" abgelehnt 68 . Es handelte sich um eine Schlägerei, bei der die Haftung zwischen den beiden Hauptbeteiligten geteilt wurde. Der Verletzte war während der Schlägerei in den Petroleumtank gefallen. Hier erkannte der Kassationshof nur eine „faute inexcusable" 69 des Verletzten an. Als Sonderfall einer „faute intentionnelle de la victime" könnte der Alkoholmißbrauch anzusehen sein. In Frankreich wird dies jedoch abgelehnt, und aus diesem Grunde werden die Leistungen der Sécurité sociale nicht eingeschränkt 70 . Aus den zitierten Beispielen kann nur entnommen werden, daß der Kassationshof zwischen dem Begriff der „faute intentionnelle de la victime" und „de l'employeur et ses préposés" keinen Unterschied macht und im Gegensatz zu einer Meinung in der Literatur keine betrügerische Absicht bei „faute intentionnelle" des Geschädigten voraussetzt. 3. „ F a u t e intentionnelle" eines H i n t e r b l i e b e n e n Für den Fall der Erwerbsunfähigkeit des Arbeitnehmers oder seines tödlichen Unfalls haben die Hinterbliebenen des Getöteten bestimmte Rentenansprüche gegenüber der Kasse71. Diese Anspruchsberechtigten (ayant-droits de la victime) sind in Art. 454 aufgeführt 72. Sie verwirken jedoch nach Art. 4 6 7 7 3 ihre Ansprüche, wenn sie den Unfall selbst absichtlich herbeigeführt haben. 68 69 70 71 72

Cass. soc. 20. Jan. 1961, BuU. civ. IV (Nr. 98), 77. Dazu unten D II. Vgl. Saint-Jours, 126 f. und 134. Vgl. Art. 451 ff. Dazu Paris 22. Feb. 1964, D. 1964, Somm., 100.

I . Die Haftung f r „faute i n e l e "

147

Die Ansprüche gehen dann auf die in Art. 454, I I genannten Kinder bzw. die Abkömmlinge über bzw. auf die folgenden Anspruchsberechtigten.

I I . Die Haftung für „faute inexcusable" beim Arbeitsunfall

Eine besondere Haftungslage ist neben der „faute intentionnelle" ferner bei Vorliegen einer „faute inexcusable" gegeben. Dies gilt sowohl für den Arbeitgeber und dessen Vertreter nach Art. 468 als auch für den geschädigten Arbeitnehmer gemäß Art. 467 Abs. 2. Falls eine „faute inexcusable" festgestellt wird, kommt es zwar nicht zur Anwendung des allgemeinen Zivilrechts, jedoch können die Leistungen der Kasse an den Geschädigten erhöht oder herabgesetzt werden.

1. D e r

Begriff

der

„faute

a) Historischer

inexcusable"

Überblick

Der Begriff der „faute inexcusable" wurde durch das Gesetz vom 9. April 1898 in das französische Recht eingeführt und kann mit „unentschuldbarer Fahrlässigkeit" übersetzt werden. Eine Legaldefinition ist im Gesetz über Arbeitsunfälle nicht vorhanden, man findet jedoch eine gesetzliche Begriffsbestimmung in Art. 321-4 des Code de l'aviation civile in der Fassung vom 30. März 1967 7 4 : Die im Sinne des Art. 25 des Abkommens dem Vorsatz gleichzuachtende Fahrlässigkeit ist die unentschuldbare Fahrlässigkeit. Sie ist gegeben bei bewußter Fahrlässigkeit, welche das Bewußtsein der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes und seine waghalsige Inkaufnahme ohne rechtfertigenden Grund umfaßt. Außerhalb des Arbeitsunfallrechts und des Luft- und Seerechts ist diese Schuldstufe bisher nicht eingeführt worden, wenn man auch die Möglichkeit ihrer Übernahme ins allgemeine Deliktsrecht für denkbar hält 7 5 . Sie wird im 73 Diese Regelung wurde durch das Gesetz Nr. 74-1027 vom 4. Dez. 1974 dem Art. 467 hinzugefügt. 74 Die wesentlichsten Bestimmungen des Code de l'aviation civüe vom 30. März 1967 sind abgedruckt im Anhang der Codes Dalloz d'audience (vgl. Ferid, Bd. I, 2 M 92, Bd. II, 3 D 65). Das gleiche güt auch im Seeverkehr nach Art. 40 Abs. 2 des Gesetzes vom 18. Juni 1966 (Gesetz Nr. 66-420, J.O. 24. Juni 1966, 5206). 75 Brière de Tlsle, La faute inexcusable, D. 1970, Chr., 73, schlägt vor, die „faute inexcusable" für den Bereich der Unfälle im Straßenverkehr zu nutzen; vgl. Cass. soc. 21. Dez. 1965, D. 1966, 675, Anm. Ghestin; vgl. Cass. soc. 20. Nov. 1967, D. 1968, 138, Anm. J.L.

148

D. Besondere Haftungslagen

allgemeinen zwischen der „faute intentionnelle" und der „faute lourde" angesiedelt 76 . Schon bei den vorbereitenden Arbeiten zu dem Gesetz von 1898 bestand ein grundsätzlicher Konflikt zwischen den Vertretern der „théorie du risque professionnel" 77 und deren Gegnern, Anhängern des Code civil. Die Anhänger der „théorie du risque professionnel" waren der Ansicht, daß es für jeden Arbeitsunfall eine Pauschalentschädigung geben müsse, unabhängig von einem etwaigen Verschulden, ausgenommen bei Vorliegen einer „faute intentionnelle". Ihre Gegner meinten, daß ein Verschulden einen Einfluß auf die Höhe der Entschädigung haben müsse 78 , wenigstens aber ein Verschulden im Sinne einer „faute lourde" 7 9 . Man einigte sich darauf, daß eine „faute inexcusable" als Regulativ in die „théorie du risque" eingeführt werden sollte. Hierdurch bestand jedoch mangels einer Definition seitens des Gesetzgebers immer noch keine endgültige Einigkeit über den genauen Inhalt dieses neu geschaffenen Begriffs. Die Chambre des Députés setzte die „faute inexcusable" mit der „faute lourde" gleich 80 , während man im Senat die „faute inexcusable" ganz in die Nähe der „faute intentionnelle" rückte 81 . In der Rechtsprechung des Arbeitsunfallrechts kam es erst im Jahre 1941 8 2 zu einer klarstellenden Definition der „faute inexcusable", die bis heute in Rechtsprechung und Literatur Gültigkeit hat. Zuvor hatte sich die Cour de cassation geweigert, sich zu diesem Problem zu äußern, da sie es nur für eine Tatfrage hielt, die von den Untergerichten zu entscheiden sei, und nicht für eine Rechtsfrage. Ihre Meinungsänderung brachte sie bereits in einem Urteü aus dem Jahre 1932 zum Ausdruck, in dem schon grundsätzliche Merkmale der „faute inexcusable" aufgezeigt wurden 83 . Lalou/Azard, Nr. 415-6; Saint-Jours, 156; Ferid, Bd. I, 2 M 92; Brière de l'Isle, D. 1970, Chr., 73 (74) (mit zahlreichen Literaturhinweisen zur „faute inexcusable"); Viney, D. 1975, Chr., 263. 77 Dazu insbesondere Kage, 61 ff. 78 Siehe Saint-Jours, 157 ff., und Kage, 81 ff. 79 „Faute lourde" = schweres Verschulden, wird im französischen Deliktsrecht hinsichtlich seiner Folgen mit „dol" gleichgesetzt und steht der groben Fahrlässigkeit im deutschen Recht nahe; dazu Ferid, Bd. I, 2 M 88. 80 Vgl. Rapport Maruéjouls vom 7. Juni 1897 (annexe Nr. 2624), J.O. vom 31. Dez. 1897, zit. nach Saint-Jours, 159. 81 Beratung des Senats vom 15. bis 18. und 19. März 1898, vgl. Saint-Jours, 158 f.; Brière de l'Isle, D. 1970, Chr., 73 (74). 82 Ch. réun. 15. Juli 1941, D.C. 1941, 117, Anm. Rouast = J.C.P. 1941, II, 1705, Anm. Mihura. 83 Cass. civ. 22. Feb. 1932, D.P. 1932, 1, 25 ; zur weiteren Entwicklung in der Rechtsprechung vgl. Anm. Rouast zu Ch. réun. 15. Juli 1941, D.C. 1941, 117.

I . Die Haftung für „faute i n e l e "

149

In dem Urteil vom 15. Juli 1941 der Chambres réunies heißt es: La faute inexcusable „doit s'entendre d'une faute d'une gravité exceptionnelle, dérivant d'un acte ou d'une omission volontaire, de la conscience du danger que devait en avoir son auteur, de l'absence de toute cause justificative et se distinguant par le défaut d'un élément intentionnel de la faute intentionnelle".

b) Die Definition in der neueren Rechtsprechung Diese Begriffsbestimmung aus dem Jahre 1941 wird auch in der neueren Rechtsprechung aufrechterhalten. Demnach charakterisieren fünf Merkmale eine „faute inexcusable": 1. 2. 3. 4. 5.

une faute d'une gravité exceptionnelle l'acte ou l'omission volontaire le défaut d'un élément intentionnel la conscience du danger l'absence de toute cause justificative.

aa) „Une faute d'une gravité exceptionnelle" Es muß ein außergewöhnlich schweres Verschulden vorliegen, dessen Feststellung - es muß mindestens einer „faute lourde" entsprechen 84 - dem Richter obliegt, der die Tatumstände zu würdigen hat. Grundsätzlich dürfen die Folgen der schadenstiftenden Handlung dabei nicht berücksichtigt werden, in der Praxis soll dies jedoch geschehen85. Nicht notwendig ist, daß der Richter in seiner Entscheidung ausdrücklich auf alle fünf Merkmale eingeht. Es reicht aus, daß diese klar aus seinen Tatsachenfeststellungen hervortreten 86 . Ein besonders schweres Verschulden wird z.B. bei Verstößen der Arbeitgeber gegen ihre Verpflichtung, über die Sicherheit ihres Personals zu wachen, angenommen. Hierunter fällt zunächst die Nichtbeachtung von Sicherheitsvorschriften. Die Mißachtung der Vorschriften für sich betrachtet, ist aber nicht von vornherein als „faute inexcusable" anzusehen87. Es kommt dabei immer auf den Einzelfall an. Folgende Fälle sollen als Beispiele für diese Nichtbeachtung von Sicherheitsvorschriften 88 genannt werden: 8 4 85 86 87 88

Vgl. Jambu-Merlin, 158; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 214), 547. Vgl. Saint-Jours, 162 f.; Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1481. Cass. soc. 31. März 1971, J.C.P. 1971, IV, 125. Cass. soc. 4. Feb. 1971, D. 1971, Somm., 73. Vgl. dazu auch Rép. dr. soc. et trav., 1979, Nr. 1508, m.w.N.

150

-

D. Besondere Haftungslagen

Benutzung von Benzol als Lösungsmittel, um einen Heizölkessel zu reinigen, trotz eines Verbots durch das Dekret vom 29. Dezember 1948, dieses gefährliche Gift zu benutzen 89 .

- Nichtbeachtung von Sicherheitsmaßnahmen durch den Arbeitgeber - hier die französischen Transportbetriebe R.A.T.P. - , die er selbst vorgeschrieben hatte 9 0 . - Nichtbeachtung von Vorschriften, die die Beschäftigung Minderjähriger betreffen, wie die Beschäftigung mit gefährlichen Maschinen91. Der Arbeitgeber kann sich nicht durch ein Aushängen der Sicherheitsvorschriften entlasten. Er muß immer die entsprechenden Maßnahmen zur Einhaltung der Bestimmungen vornehmen, gerade wenn sich Arbeitnehmer dem widersetzen 92 . Auch unabhängig von bestimmten Vorschriften oder berufsüblichen Gebräuchen besteht die Verpflichtung des Arbeitgebers, für die Sicherheit seiner Arbeitnehmer zu sorgen. „Faute inexcusable" ist deshalb ebenfalls angenommen worden bei einer Verletzung von elementaren Vorsichtsmaßregeln, wie z.B. in folgenden Fällen: -

das Rangieren eines Krans unmittelbar in der Nähe einer Hochspannungsleitung 93 ;

-

die Beförderung von Arbeitern in einem Lieferwagen, der schon mit Arbeitsmaterialien beladen ist und dessen Reifen zu fast 100 % abgenutzt sind 9 4 ;

- eine übermäßige Verlängerung der vorschriftsmäßigen Arbeitszeit 95 ; - einem Lkw-Fahrer auferlegte Tätigkeitsbedingungen, die ihn unweigerlich früher oder später in Gefahr bringen 96 ; - (in bezug auf einen Arbeitnehmer) das Benutzen einer alten Granate, die auf dem Bauplatz gefunden wurde, als Hammer 97 . Ebenso wurde „faute inexcusable" bejaht bei Fehlen jedweder Sicherheitsvorrichtung, wie z.B. Arbeiten in einem unabgestützten Graben 98 oder Repara89 90

166 f.

Cass. soc. 18. Nov. 1960, D. 1961, Somm., 60. Cass. soc. 24. Okt. 1963, D. 1964, Somm., 52; weitere Beispiele bei Saint-Jours,

91 Cass. soc. 18. Jan. 1968, J.C.P. 1968, IV, 29; siehe auch Saint-Jours, 167 f., m.w.N.; Rép. dr. soc. et trav., 1979, Nr. 1504. 92 Vgl. Cass. soc. 4. Feb. 1971, J.C.P. 1971, IV, 63. 93 Cass. soc. 26. März 1963, J.C.P. 1963, IV, 61. 9 4 Cass. soc. 21. Dez. 1965, D. 1966, 675, Anm. Ghestin. 95 Cass. soc. 8. Mai 1961, J.C.P. 1962, II, 12844, Anm. Munier = D. 1961, Somm., 72. 96 Cass. soc. 5. März 1970, J.C.P. 1970, IV, 109. 97 Cass. soc. 17. Juli 1952, J.C.P. 1955, II, 8513, 1. Urteil. 98 Cass. soc. 15. Dez. 1968, J.C.P. 1968, IV, 45.

I . Die Haftung für „faute i n e l e "

151

turarbeiten eines Arbeitnehmers an einem Gebäudedach ohne Sicherheitsgurt oder sonstige Sicherheitsvorrichtung 99. Als Verletzung von Vorsichtsmaßregeln wurde auch die Einstellung einer Arbeiterin betrachtet für eine Arbeit, die einer Facharbeiterin oblag, obwohl die Arbeiterin keinerlei Ausbildung für diese Arbeit besaß 100 . Bei Benutzung von schadhaftem Material wird zu Lasten des Arbeitgebers meist eine „faute inexcusable" bejaht: so bei mangelhaftem Zustand der Bremsen eines Lastwagens, der schlecht gewartet wurde 1 0 1 . Tritt aber trotz größtmöglicher Vorsichtsmaßregeln des Arbeitgebers ein Unfall ein, so wird eine „faute inexcusable" verneint 102 . Die besondere Schwere des Verschuldens wird also u.a. danach beurteilt, ob der Täter unentschuldbar leichtsinnig gehandelt hat, welches und wie groß die Gefahr für die gerade betroffenen Arbeitnehmer war und wie zwingend mißachtete Vorsichtsmaßregeln oder Sicherungsbestimmungen waren 103 . Allgemeine Regeln dafür, wann ein solch schweres Verschulden vorliegt, gibt es jedoch nicht. Es kommt entscheidend auf die Tatumstände an. bb) „L'acte ou l'omission volontaire" Es wird weiterhin vorausgesetzt, daß der Täter bewußt und willentlich gehandelt hat. Bloße Unachtsamkeit reicht nicht aus 1 0 4 . cc) „Le défaut d'un élément intentionnel" Der Handelnde muß die Tat bzw. die Unterlassung gewollt haben und sich bewußt gewesen sein, damit eine Gefahrenquelle zu schaffen, ohne jedoch einen Unfall herbeiführen zu wollen 1 0 5 . Ein „élément intentionnel" — wenigstens durch das Bewußtsein des schädigenden Charakters der Handlung gekennzeichnet 106 - darf bei „faute inexcusable" nicht vorliegen. 99 Cass. soc. 9. Nov. 1967, J.C.P. 1967, IV, 177 = D. 1968, Somm., 44; vgl. auch Cass. soc. 26. Mai 1976, D. 1976,1.R., 185. Weitere Hinweise bei Saint-Jours, 163 ff., und Rép. dr. soc. et trav., 1979, Nr. 1506. wo Cass. soc. 18. Juli 1955, D. 1955, 755, Anm. = Gaz. Pal. 1955, 2, 284; ähnlich (Lehrling) Cass. soc. 29. April 1975, D. 1975,1.R., 125. !0i Cass. soc. 21. Jan. 1965, J.C.P. 1965, IV, 25. 102

Vgl. Cass. soc. 11. Feb. 1970, J.C.P. 1970, IV, 85. Vgl. Saint-Jours, 162 und 168; Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1502 ff. !04 Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 214), 548; J. cl., Fase. 337, Nr. 140. 103

105 Es wird im übrigen vermutet, daß die Tat vorsätzlich geschah. Der Täter hat also nachzuweisen, daß die Handlung nicht seinem Wülen entsprach; vgl. Saint-Jours, 169. 106 Vgl. oben D I 1 a und Saint-Jours, 66 f.

152

D. Besondere Haftungslagen

Eine Abgrenzung zwischen „faute intentionnelle" und „faute inexcusable" ist häufig sehr schwierig. Man kann dabei 107 von einer abstrakten Würdigung des Wissens um die Gefahr bei „faute inexcusable" im Gegensatz zu einer konkreten Würdigung bei „faute intentionnelle" ausgehen; es wird konkret geprüft, ob dem bestimmten Täter der schädigende Charakter einer gewollten Handlung bewußt war. Wenn dies nicht der Fall ist, z.B. aufgrund eines krankhaften Zustandes, kann eine „faute intentionnelle" nicht vorliegen. dd) „La conscience du danger" Die Gefahr muß dem Handelnden bewußt gewesen sein; es reicht aber auch, daß ihm in Anbetracht seiner Ausbildung, der beruflichen Gebräuche oder einer gültigen Regelung diese Gefahr hätte bewußt sein müssen108. Es handelt sich hier also — wie bereits erwähnt — um eine Würdigung „in abstracto". Dies haben die Vereinigten Senate anhand des Falles aufgeführt, der die schon genannte Grundsatzentscheidung zum Begriff der „faute inexcusable" büdet 1 0 9 . Ein Bauunternehmer hatte elementare Regeln der Baukunst nicht eingehalten. Das Gebäude brach zusammen und verursachte den Tod eines Arbeiters. Der Unternehmer berief sich darauf, daß er sich der Gefahr nicht bewußt gewesen sei, und führte als Beweis dazu u.a. an, er selber habe mit seiner Familie bereits im Erdgeschoß gewohnt. Der Kassationshof erkannte dies jedoch nicht als ausreichend für den Ausschluß einer „faute inexcusable" an, da dem Unternehmer die Gefahr, der er seine Arbeiter aussetze, hätte bewußt sein müssen. Das gilt auch für die Fälle, in denen die Arbeitnehmer selber z.B. Schutzvorrichtungen entfernten und der Arbeitgeber diesen Zustand kannte und duldete 1 1 0 . Ein Bewußtsein der Gefahr wird als vorhanden angenommen in Fällen, in denen eine solche ganz offensichtlich und augenscheinlich ist, so z.B. - wenn ein Ingenieur sich nicht vergewissert, ob der Stromteiler (sectionneur de courant) noch unter Spannung steht 1 1 1 ; - oder wenn schweres und gefährliches Material gehandhabt wird, ohne daß den Beteiligten genaue Instruktionen gegeben werden 112 . 107

So Saint-Jours, 66 ff. Cass. soc. 20. Mai 1954, Bull. civ. IV (Nr. 337), 254; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 214), 548; Saint-Jours, 169; Jambu-Merlin, 158; Brière de l'Isle, D. 1970, Chr., 73 (74); J. cl., Fase. 337, Nr. 142. i ° 9 Ch. réun. 16. Juli 1941, D.C. 1941, 117, Anm. Rouast. 110 Cass. soc. 21. März 1973, D. 1973,1.R., 81. 111 Cass. soc. 18. Feb. 1970, J.C.P. 1970, IV, 91. 112 Cass.soc. 9. Okt. 1969, J.C.P. 1969, IV, 265; weitere Beispiele vgl. Saint-Jours, 170. 108

I . Die Haftung für „faute i n e l e "

153

Ferner wird es als unmöglich angesehen, die Gefahr nicht zu kennen, wenn der Arbeitgeber durch einen bereits vorher eingetretenen Unfall hätte gewarnt sein müssen oder wenn er von einer qualifizierten Person (wie z.B. von einem Betriebsrat, einem „inspecteur du travail" oder einem Delegierten des Komitees für Hygiene und Sicherheit) auf die Gefahr aufmerksam gemacht worden i s t 1 1 3 . Dies ist für die spätere Beweisführung zum Bewußtsein der Gefahr bei dem Arbeitgeber eines geschädigten Arbeitnehmers von Wichtigkeit. Auch kann eine moralische oder gesetzliche Verpflichtung bestehen, die Gefahr zu erkennen. Dies kann sich z.B. aus persönlicher Erfahrung (z.B. berufliche Kenntnisse 114 ) oder bei Vorliegen besonderer gesetzlicher Bestimmungen oder berufsüblicher Bräuche ergeben 115 . Eine „faute inexcusable" wird nicht angenommen, wenn die „conscience du danger" fehlt. Das ist häufig bei technischem oder menschlichem Versagen der Fall. So wurde z.B. keine „faute inexcusable" bejaht, als ein Arbeitgeber praktisch von einer Verkettung unmittelbar aufeinanderfolgender Ereignisse „überrollt" wurde und nicht genügend Zeit hatte, diese alle in Betracht zu ziehen 116 . Auch für den Fall, daß der Handelnde aufgrund eines Irrtums zu seiner Tat verleitet wird, kann eine „faute inexcusable" abgelehnt werden; so z.B. bei Verkehrsunfällen, wenn einem anderen irrtümlich die Vorfahrt genommen wird oder eine besonders hohe Geschwindigkeit gefahren w i r d 1 1 7 . Anders wird jedoch entschieden, wenn zusätzlich zu dem Irrtum z.B. eine mangelhafte Unterhaltung des Fahrzeugs t r i t t 1 1 8 .

ee) „L'absence de toute cause justificative" Als Rechtfertigungsgründe für eine Handlung, die eine „faute inexcusable" darstellen könnte, gelten besondere Umstände, wie z.B. Notstand, die Dringlichkeit bestimmter Arbeiten, die für den Betrieb wesentlich sind 1 1 9 ; das Ver113

Cass. soc. 15. Okt. 1953, D. 1953, 680 = Gaz. Pal. 1954, 1,48; Cass. soc. 21. Jan. 1965, J.C.P. 1965, IV, 25; Saint-Jours, 170 f., m.w.N.; vgl. Bollache, Les responsabilités de l'entreprise en matière d'accidents du travail, 43; J. cl., Fase. 337, Nr. 145, m.w.N., und Nr. 147, m.w.N. 114 Cass. soc. 7. Feb. 1962, J.C.P. 1962, IV, 41. 115 Saint-Jours, 171, m.N. 116 Cass. soc. 19. Juli 1966, D. 1966, Somm., 119 = J.C.P. 1966, IV, 133. 117 Vgl. Cass. soc. 20. Nov. 1967, D. 1968, 38, Anm. J.L.; vgl. Saint-Jours, 173, m.w.N.; Saint-Jours ist der Ansicht, daß die Gerichte in diesen Fällen zu große Milde zeigen. 118 Cass. soc. 21. Dez. 1965, D. 1966, 675, Anm. Ghestin. 119 Riom 3. Nov. 1961, Gaz. Pal. 1961, 2, 359; J. cl., Fase. 337, Nr. 149.

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D. Besondere Haftungslagen

hindern einer Katastrophe 120 oder das Fehlen einer besonderen Gefahr 121 . Ein Irrtum ist aber grundsätzlich kein Rechtfertigungsgrund 122. Insgesamt sind diese fünf kennzeichnenden Merkmale der „faute inexcusable" als Einheit anzusehen und werden in der Praxis nicht sorgfältig auseinandergehalten. Falls eines von ihnen jedoch deutlich fehlt, wird eine „faute inexcusable" nicht bejaht. Die Handlung muß die „cause déterminante" des Unfalls sein 1 2 3 . Es muß ein Kausalzusammenhang zwischen der schadenstiftenden Handlung und dem Unfall bestehen 124 .

c) Die Beziehung zwischen „faute pénale" und „faute inexcusable " Ob die „faute inexcusable" mit einer „faute pénale" (strafrechtliches Verschulden) gleichzusetzen ist, ist nicht ganz eindeutig geklärt. Grundsätzlich sind sie voneinander unabhängig 125 . Da der Fall aber meistens strafrechtlich verfolgt werden muß aufgrund von Art. 312 und 320 C. pén. (fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung) oder auch des Art. 159 des zweiten Buches des Code du travail (Verstöße gegen die Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen), entsteht das Problem der Rechtskraftwirkung des Strafurteils in bezug auf den „sozialen" Rechtsstreit (l'autorité de la chose jugée au criminel). Der Kassationshof hat zwar seit dem Jahre 1912 eine Identität zwischen der „faute civile" und der „faute pénale" bejaht 1 2 6 , für die „faute inexcusable" jedoch anerkannt, daß diese Verschuldensart sich von der des Strafrechts unterscheidet. Die Tatsache, daß die strafbare Handlung strafrechtlich verfolgt wird, bedeutet nicht, daß diese Handlung auch eine „faute inexcusable" nach dem Arbeitsunfallrecht darstellt, denn eine strafrechtliche Verurteilung beinhaltet nicht, daß der Täter gleichzeitig eine „faute inexcusable" begangen h a t 1 2 7 , weil das Strafgesetz oft, wie z.B. die Fahrlässigkeitsdelikte in bezug auf die Unver120 vgl, Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 214), 548. 121

Vgl. Saint-Jours, 175, m.w.N. Cass. soc. 18. Feb. 1970, J.C.P. 1970, IV, 91. 123 Cass. soc. 2. März 1961, J.C.P. 1961, II, 12245;Cass. soc. 14. Jan. 1976, D. 1976, I.R., 53; vgl. auch unten D II 2 a aa. 124 Vgl. Cass. soc. 30. Nov. 1977, D. 1978,1.R., 61. 125 Cass. soc. 9. Nov. 1967, J.C.P. 1967, IV, 177; Cass. soc. 25. Feb. 1970, J.C.P. 1970, IV, 99. 126 Cass. civ. 18. Dez. 1912, S. 1914, 1, 219, Anm. Morel; Cass. civ. 12. Juni 1914, D.P. 1915, 1, 17, Anm. L.S.; vgl. dazu auch Pirovano, Faute civile et Faute pénale, 1 ff. 1 2 7 Vgl. Cass. soc. 23. Mai 1975, BuU. civ. V (Nr. 275), 242. 122

I . Die Haftung für „faute i n e l e "

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sehrtheit der körperlichen Integrität, ein so schweres Verschulden, wie es die „faute inexcusable" darstellt, zur Tatbestandserfüllung nicht voraussetzt 128 . Eine „faute inexcusable" kann aber vorliegen, wenn eine strafrechtliche Verurteilung erfolgt, d.h. die Gründe für diese Entscheidung können eine „autorité de la chose jugée" haben 129 . Der Kassationshof entschied im übrigen erstmals im Jahre 1968 1 3 0 , daß das Strafgericht (im Adhäsionsverfahren) für die Feststellung des Vorliegens einer „faute inexcusable" nicht zuständig ist. Es besteht aber die Möglichkeit, daß der Geschädigte im Strafprozeß als Zivükläger (partie civile) auftritt. Die Zulässigkeit einer solchen Klage wird damit begründet, daß der Verletzte ein Interesse an der Wahrheitsfindung und an der Feststellung der strafrechtlichen Schuld habe, da er dadurch die Möglichkeit erhalten könne, eine höhere Rente zu verlangen 131 . Wenn jedoch ein Freispruch erfolgt, so bedeutet dies, daß keinerlei Fahrlässigkeit vorgelegen hat (bzw. diese nicht nachgewiesen werden konnte) und somit ein Verschulden (diesen Tatbestand betreffend) 132 verneint werden muß. Dies güt dann ebenso für das Sozialgericht 133 . In der Literatur 1 3 4 wird diese Rechtsprechung insbesondere von Saint-Jours stark kritisiert: Die Rechtskraftwirkung bei Freispruch des Arbeitgebers — selbst wenn sie aufgrund des Prinzips „in dubio pro reo" erfolge — und andererseits eine bedingte Rechtskraftwirkung im Falle einer Verurteilung erwecke den Eindruck, daß eher der Arbeitgeber geschützt werde als der Geschädigte und seine Hinterbliebenen. Zudem habe das strafrechtliche Verschulden mit der „faute inexcusable" keinerlei Gemeinsamkeiten und beide seien streng zu trennen. 128

Vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 214), 549, Fn. 1; vgl. dazu auch Saint-Jours, 176 ff.; ders., Anm. zu Cass. soc. 3. Okt. 1973, D. 1974, 109 (110), mit vielen Angaben zur Rechtsprechung; Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1482. 1 2 9 Vgl. Cass. soc. 21. Dez. 1965, D. 1966, 675, Anm. Ghestin. 13° Cass. soc. 8. Mai 1968, D. 1968, 497 = J.C.P. 1968, IV, 104. 131 Vgl. Paris 19. Juni 1963, J.C.P. 1963, II, 13397, Anm. A.P., bestätigt durch das Urteü: Cass. crim. 16. März 1964, J.C.P. 1964, II, 13744, Anm. A.P. = D. 1964, Somm., 79; ebenso Cass. crim. 15. Okt. 1970, J.C.P. 1970, IV, 286 = D. 1970, 733, Anm. Costa. 132 vgl. Paris 9. Feb. 1960, D. 1960, Somm., 47 (Freispruch vom Delikt der Brandstiftung; aber „faute inexcusable", weü das Rauchen bei der Arbeit im geschlossenen Raum mit leicht entflammbaren Produkten nicht verboten wurde). 133 Cass. soc. 3. Okt. 1973, D. 1974, 109, Anm. Saint-Jours; vgl. Cass. soc. 3. Dez. 1975, Dr. soc. 1976, 210, Anm. Saint-Jours; J. cl., Fase. 337, Nr. 155; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 214), 545, Fn. 1. 134 Saint-Jours, Anm. zu Cass. soc. 3. Okt. 1973, D. 1973, 109 (110); ders., 207 (212 ff.); vgl. Ghestin, Anm. zu Cass. soc. 21. Dez. 1965, D. 1966, 675 (677).

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D. Besondere Haftungslagen

Saint-Jours zeigt ferner auf, daß Art. 466 und somit der Wille des Gesetzgebers mißachtet werde, wonach allein die Sozialgerichte über die „faute inexcusable" zu befinden haben. In der Tat ist die Rechtsprechung nicht eindeutig und erscheint widersprüchlich. Während die Strafgerichtsbarkeit das Vorliegen einer „faute inexcusable" nicht beurteilen darf, folgt die Sozialgerichtsbarkeit ihr dennoch bei bestimmten Entscheidungen.

2. D i e

Schadensurheber

a) Besonderheiten der „faute inexcusable " des Arbeitgebers oder seiner Vertreter Die „faute inexcusable" der Arbeitgeber, wie zum Teil oben bereits dargestellt, setzt also ein bestimmtes außergewöhnliches Verhalten voraus: elementare Vorsichtsmaßnahmen werden nicht getroffen, Sicherheitsbestimmungen werden mißachtet, mangelhaftes Material wird verwendet 135 . Der Arbeitgeber haftet aber nicht nur fur sich persönlich, sondern auch für seine Vertreter „ . . . ceux qu'il s'est substitués dans la direction", Art. 468 Abs. 1. Zu diesen Vertretern gehören alle Personen, denen der Arbeitgeber eine besondere Überwachungs- und Kontrollbefugnis übertragen hat und die eine Anordnungsbefugnis besitzen 136 , wie z.B. Vorarbeiter. Es reicht auch eine nur kurzfristige Direktionsbefugnis aus 1 3 7 . Während noch vor einiger Zeit ein Fahrer, der damit betraut war, die Arbeitnehmer von und zur Arbeitsstelle zu fahren, als „substitué dans la direction" angesehen wurde 1 3 8 , scheint in jüngerer Zeit eine etwas einschränkende Bestimmung dieses im übrigen weit ausgelegten Begriffs vom Kassationshof vorgenommen zu werden 139 . So wurde ein Lkw-Fahrer, der regelmäßig Arbeitnehmer des Unternehmens transportierte, nicht als Direktionsberechtigter angesehen140. 135

Saint-Jours, 180, bezeichnet die „faute inexcusable de l'employeur" treffenderweise als „faute de direction"; vgl. zur „faute inexcusable" des Arbeitgebers auch die Entscheidungen in J. cl., Fase. 337, Nr. 178 ff. 136 Vgl. Cass. soc. 2. Nov. 1945, J.C.P. 1946, II, 3011, Anm. Gauguier; vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 215), 550 und Fn. 1; J. cl., Fase. 337, Nr. 167 ff., m.w.N. 137 Cass. soc. 19. Feb. 1969, J.C.P. 1969, IV, 79; J. cl., Fase. 337, Nr. 172. 138 Cass. soc. 15. Mai 1953, Bull. civ. IV (Nr. 364), 268; J. cl., Fase. 337, Nr. 170, m.w.N. 139 J. cl., Fase. 337, Nr. 170; vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 215), 550, Fn. 1. 140 Cass. soc. 4. Juli 1967, J.C.P. 1967, IV, 125; vgl. auch Cass. soc. 4. Dez. 1969, D. 1970, 327, Anm. Minjoz (Fahrer eines Lieferwagens, der beauftragt war, den Handelsvertreter seines Unternehmens mitzunehmen. Bei einem Unfall verunglückte dieser tödlich: keine Direktionsbefugnis des Fahrers).

I . Die Haftung für „faute i n e l e "

157

Nicht ausreichend ist, wenn der betreffende Arbeitnehmer nur eine Sicherungsfunktion h a t 1 4 1 . Der „substitué dans la direction" muß sich in der Ausübung seiner Direktionsbefugnis befinden und nicht nur gerade seine eigene Arbeit ausführen 142 . Im Falle von „travail temporaire" gilt folgendes: Es ist das Gesetz Nr. 72-1 vom 3. Januar 1972 1 4 3 , erweitert durch das Gesetz Nr. 73-608 1 4 4 vom 6. Juli 1973, anzuwenden. Danach (Art. 2 des Gesetzes Nr. 73-608) darf die Verleihung von Arbeitnehmern, die zu gewinnbringendem Zweck vorgenommen wird, nur im Rahmen des Gesetzes Nr. 72-1 erfolgen. Ein „entrepreneur de travail temporaire" (Verleiher) ist jede natürliche oder juristische Person, deren Tätigkeit ausschließlich darauf gerichtet ist, Benutzern zeitweilig Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen, und die die Arbeitnehmer zu diesem Zweck einstellt und entlohnt. Dieser Verleiher bleibt — wie im deutschen Recht — allen Verpflichtungen aus der Arbeitsunfallgesetzgebung unterworfen. Der entleihende Unternehmer bzw. seine Verrichtungsgehilfen werden als dem Verleiher (bzw. dessen Verrichtungsgehilfen) untergeordnet angesehen, und zwar als „substitués dans la direction" 1 4 5 . Der Verleiher kann jedoch gegen den Urheber der „faute inexcusable" eine Klage auf Rückzahlung (action en remboursement) erheben. Eine schädigende Handlung eines gewöhnlichen Arbeitskollegen des Geschädigten im Gegensatz zu einem Vertreter des Arbeitgebers kann niemals eine „faute inexcusable" begründen, die dem Arbeitgeber zuzurechnen wäre 1 4 6 . Falls es sich um einen Unfall handelt, der sowohl durch Verschulden des Kollegen als auch durch Verschulden des Arbeitgebers (oder dessen Vertreter) herbeigeführt wurde, wird „faute inexcusable" des Arbeitgebers nur dann angenommen, wenn das Verschulden des Kollegen für den Unfalleintritt nur 141

Vgl. Cass. soc. 15. März 1962, J.C.P. 1962, IV, 61 (Bahnarbeiter, der auf die Sicherheit seiner an den Schienen arbeitenden Kollegen achten sollte); vgl. ähnlich Cass. soc. 4. Juli 1973, D. 1973,1.R., 169. 142 Cass. soc. 13. März 1975 und 18. Okt. 1973, D. 1975, 611, Anm. Saint-Jours. 143 J.O. 5. Jan. 1972, 141 = D. 1972, L., 48; vgl. die Definition von „travail temporaire" in Art. 1 des Gesetzes: „Est, au sens de la présente loi, un entrepreneur de travail temporaire, toute personne physique ou morale dont l'activité exclusive est de mettre à la disposition provisoire d'utilisateurs, des salariés, qu'en fonction d'une qualification convenue elle embauche et rémunère à cet effet." - Dieses Gesetz kann mit dem deutschen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vom 7. August 1972 verglichen werden; Erläuterungen zu dem Gesetz Nr. 72-1 geben Lyon-Caen und Ribettes-Tilhet, Sociétés de travail temporaire et travailleurs temporaires, D. 1972, Chr., 63. 1 4 4 J.O. 7. Juü 1973, 7340 = D. 1973, L., 276. 145 Art. 26 des Gesetzes Nr. 72-1 (Fn. 143). 146 Vgl. dazu Cass. soc. 13. März 1975 und 18. Okt. 1973, D. 1975, 611, Anm. SaintJours.

158

D. Besondere Haftungslagen

gering war oder erst von dem Verschulden des Arbeitgebers herrührt. War das Verschulden des Kollegen aber bestimmend für das Unfallereignis, so wird der Arbeitgeber von jeder „faute inexcusable" entlastet 147 .

aa) Die Bedeutung eines mitwirkenden Verschuldens des Geschädigten Ein Verschulden des Geschädigten, das weder eine „faute intentionnelle" noch eine „faute inexcusable" darstellt, zieht grundsätzlich keine Minderung der Leistungen aufgrund des Arbeitsunfallrechts nach sich. Wenn es sich aber um eine „faute déterminante" (auch: „cause déterminante" genannt) handelt, also das Verschulden des Geschädigten an dem Unfall überwiegt, wird der Arbeitgeber von einer „faute inexcusable" seinerseits entlastet 148 . Wenn das Verschulden des Arbeitnehmers eine „cause secondaire" darstellt, d.h. es von zweitrangiger Bedeutung für den Unfalleintritt war, bleibt eine etwaige „faute inexcusable" des Arbeitgebers in vollem Umfange — also mit allen Folgen — aufrechterhalten. Der erste Fall tritt häufig durch Nichtbeachtung von Vorschriften oder Anordnungen des Arbeitgebers auf. So wurde in der Rechtsprechung z.B. in folgendem Fall eine „faute déterminante" des Geschädigten angenommen: obwohl er als Monteurmeister und Mitglied des Sicherheitskomitees des Betriebes auf die Sicherheit der Arbeitsstelle zu achten hatte, hatte der Geschädigte es unterlassen, dem Arbeitgeber zu melden, daß seine Anordnungen über das Anbringen von Schutzvorrichtungen nicht befolgt worden waren 149 . Das Verschulden des Arbeitgebers wurde im Verhältnis zum Verschulden des Geschädigten geringer angesehen und somit nicht als „faute inexcusable" betrachtet. Eine „faute déterminante" ist oft auch bei Verstößen gegen allgemeine elementare Vorsichts- und Sicherheitsmaßregeln befürwortet worden 1 5 0 . Das Verschulden des Geschädigten muß aber immer von besonderer Gewichtigkeit („d'une gravité prépondérante") sein 1 5 1 . Für den Fall jedoch, daß das Verschulden des Geschädigten die Folge eines Verstoßes des Arbeitgebers gegen die Sicherheitsbestimmungen ist oder aufgrund von mangelnden Vorsichtsmaßnahmen des Arbeitgebers beruht, bleibt die „faute" des Arbeitgebers „inexcusable" und diejenige des Arbeitnehmers 147

Cass. soc. 11. Feb. 1970, J.C.P. 1970, IV, 85. J. cl., Fase. 337, Nr. 184; Saint-Jours, 184 ff., m.w.N.; vgl. oben D II 1 b ee. 149 Cass. soc. 14. Mai 1969, D. 1969, 727, Anm. Saint-Jours, Rép. dr. soc. et trav., 1979, Nr. 1488, m.w.N. 150 Vgl. Cass. soc. 10. Okt. 1974, D. 1974,1.R., 225 (Vorarbeiter, der gegen elementare Sicherheitsregeln verstieß und verunglückte); Saint-Jours, 185 f. 151 So Saint-Jours, 186; vgl. Cass. soc. 7. Feb. 1962, D. 1962, Somm., 75. 148

I . Die Haftung für „faute i n e l e "

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gilt als „secondaire" 152 . Auch wenn eine „faute" des Geschädigten zwar keine Folge des schuldhaften Verhaltens des Arbeitgebers ist, jedoch nur zweitrangige Bedeutung hat, wird die „faute inexcusable" des Arbeitgebers, wie bereits erwähnt, bejaht 1 5 3 . bb) Die Folgen der „faute inexcusable" des Arbeitgebers oder seiner Vertreter Nach Art. 4 6 8 , 1 0 1 5 4 hat eine „faute inexcusable" des Arbeitgebers oder seiner Vertreter für den Geschädigten zunächst die Folge einer Erhöhung seiner Rente 1 5 5 . Der Umfang dieser Erhöhung ist gesetzlich begrenzt: danach darf die erhöhte Rente insgesamt nicht höher sein als „soit la fraction du salaire annuel correspondant à la réduction de capacité, soit le montant de ce salaire dans le cas d'incapacité totale", d.h. also, entweder darf die Rente nicht höher sein als der Bruchteil des - realen - Jahresarbeitsverdienstes, der dem Grade der Minderung der Erwerbsfähigkeit 156 entspricht, oder bei völliger Erwerbsunfähigkeit dem Betrag des Verdienstes. Da der Unterschied zwischen der normalen Rente und der Höchstgrenze einer erhöhten Rente beträchtlich sein kann 1 5 7 , stellt sich die Frage nach den Gründen für eine stärkere oder schwächere Anhebung der Rente. Hierzu gibt es zwei sehr unterschiedliche Theorien 158 . Nach der sog. „théorie de la gravité de la faute" bedeutet die Rentenerhöhung eine Bestrafung für schuldhaftes Verhalten. Daher soll die Anhebung nach dem Grade dieses Verschuldens bemessen werden. Nach der sog. „théorie de l'indemnisation du préjudice" ist der Umfang des Schadens maßgeblich für die jeweilige Rentenerhöhung. Der Kassationshof hält seit dem Jahre 1962 in ständiger Rechtsprechung

152 Riom 11. Mai 1964, D. 1964,659, Anm. Cass. soc. 9. Nov. 1967, D. 1968, Somm., 44; vgl. Cass. soc. 4. Juli 1973, Bull. civ. V (Nr. 444), 404. 153

Saint-Jours, 188. In der Fassung des Gesetzes Nr. 76-1106 vom 6. Dez. 1976, J.O. 7. Dez. 1976, 7028 = D. 1976, L., 457, mit wesentlichen Änderungen der Entschädigungsleistungen; vgl. zu diesem Gesetz: Saint-Jours, Prévention et responsabilité en matière d'accidents du travaü, D. 1977, Chr., 185, m.w.N. zur Literatur; vgl.auch: La loi du 6 décembre 1976 relative au développement de la prévention des accidents du travail, Dr. soc., numéro spécial, Nr. 3, März 1977, mit Beiträgen verschiedenster Autoren. 155 Nicht erhöht wird die „indemnité journalière", das Tagegeld, dazu oben Β IV 2 a. 156 Als „taux d'incapacité partielle et permanente (taux d'I.P.P.)" bezeichnet. 157 Vgl. Dupeyroux, Anm. zu Cass. soc. 17. Jan. 1962, D. 1962, 197, mit Beispiel. 158 Vgl. Saint-Jours, 191 f.; vgl. Dupeyroux, Anm., D. 1962, 197 (198). 154

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D. Besondere Haftungslagen

den Verschuldensgrad für bestimmend 159 , stellt aber gelegentlich auch auf den schadensersatzrechtlichen Charakter der Rentenerhöhung a b 1 6 0 . Man wird daher davon ausgehen können, daß die Rentenerhöhung bei „faute inexcusable" des Arbeitgebers einen Privatstrafecharakter besitzt und gleichzeitig einen Schadensersatz beinhaltet. Es ist aber zu beachten, daß mit einer Anerkennung des Schadens als Bemessungsgrundlage für die Höhe der Rente der Reparationsgedanke aus dem allgemeinen Zivilrecht wieder in das Arbeitsunfallrecht einfließt, während der Präventionsgedanke, der für das Arbeitsunfallrecht charakteristisch ist, nur bei alleiniger Anwendung der „théorie de la gravité de la faute" zum Ausdruck kommt. Dennoch wird, wohl aus Gründen der Billigkeit, eine Verbindung beider Theorien vorgezogen 161. Für den Fall eines tödlichen Unfalls sieht das Gesetz vor, daß der Umfang der Erhöhung so festgesetzt wird, daß die Summe aller Renten und Erhöhungen, die allen Hinterbliebenen 162 gewährt wird, nicht die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes überschreitet. Falls eine Hinterbliebenenrente ausläuft (z.B. bei Waisenrenten durch Überschreiten der Altersgrenze), wird die Erhöhung, die der bzw. den Renten entspricht, so angepaßt, daß der Gesamtumfang der erhöhten Renten - so wie zu Anfang festgelegt - erhalten bleibt 1 6 3 . Dies bedeutet eine Ergänzung des alten Gesetzes und wird zugleich eine Änderung der Rechtsprechung des Kassationshofes nach sich ziehen. Dieser hatte sich noch in jüngster Z e i t 1 6 4 gegen eine Übertragung der Erhöhung der Waisenrente auf den überlebenden Ehegatten gewandt. Für den Fall, daß die Rente des überlebenden Ehegatten z.B. nach Wiederverheiratung und erneuter Verwitwung wieder auflebt (Art. 454-1-d Abs. 3), gilt dies auch für die Erhöhung. Die Sécurité sociale zahlt dem Geschädigten bzw. dessen Hinterbliebenen auch die erhöhte Rente. Sie hat dem Arbeitgeber gegenüber ein Rückgriffsrecht in der Form einer Erhöhung seiner Beiträge (cotisations supplémentaires) zur Arbeitsunfallversicherung, den sog. „cotisations d'accident du travail" 1 6 5 . 159

Vgl. das bereits zitierte Urteü Cass. soc. 17. Jan. 1962, D. 1962, 197 = Dr. soc. 1962, 318, Anm. Brun = J.C.P. 1962, IV, 29. wo Vgl. Cass. soc. 23. Feb. 1967, J.C.P. 1967, IV, 49. 161 Vgl. Cass. soc. 23. Feb. 1967, J.C.P. 1967, IV, 49; ebenso Saint-Jours, 193; vgl. auch Bollache, 52 f.; Granger, Dr. soc. 1955, 500 (578 f.); vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1979, Nr. 1522-1523, m.w.N. 162 vgl. die Aufzählung der Hinterbliebenen in Art. 454. 163 Beispiele in: La Fédération Nationale des Mutilés du Travail, Les réformes apportées par la nouvelle loi en matière de faute inexcusable de l'employeur, Dr. soc., numéro spécial, Nr. 3, März 1977, 105 (106), und bei Martin, Le nouveau régime applicable à la faute inexcusable de l'employeur, Dr. soc., numéro spécial, Nr. 3, März 1977, 94 (97 ff.). 164 Cass. soc. 12. Feb. 1976, D. 1976, I.R., 77; Cass. soc. 14. Okt. 1976, D. 1976, I.R., 289; vgl. auch Paris 3. Nov. 1970, D. 1971, 133, Anm. Minjoz. 165 Diese zusätzlichen Beiträge dürfen nach Art. 468 nicht über eine längere Zeit als 20 Jahre erhoben werden. Der Beitragssatz darf 50 % des normalen Beitragssatzes des Ar-

I . Die Haftung für „faute i n e l e "

161

Unabhängig von der Rentenerhöhung hat der Geschädigte die Möglichkeit, gemäß Art. 468 von dem Arbeitgeber den Schaden ersetzt zu verlangen, den er, wie es im Gesetz heißt, „aufgrund seiner physischen und seelischen Leiden (les souffrances physiques et morales)" erlitten hat, ferner den Schaden, der darin liegt, daß er körperlich entstellt ist und daß seine Lebensfreude gemindert ist (ses préjudices esthétiques et d'agrément). Ebenfalls muß ihm der Schaden ersetzt werden, den er dadurch hat, daß sein beruflicher Aufstieg nur noch beschränkt oder gar nicht mehr möglich ist. Außerdem hat der Geschädigte bei 100 %iger Erwerbsunfähigkeit Anspruch auf eine Pauschalentschädigung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohnes, der zur Zeit der Konsolidierung bestand. Er erhält damit auch eine zusätzliche Entschädigung bei „faute inexcusable" 1 6 6 . Bei einem tödlichen Unfall haben sowohl die Hinterbliebenen nach Art. 454 als auch die Verwandten auf- bzw. absteigender Linie, die kein Recht auf eine Rente haben, Anspruch auf einen immateriellen Schadenersatz (Art. 468,2°, Abs. 2). So können — seit 1976 — z.B. Eltern eines verunglückten jungen Arbeitnehmers oder volljährige Kinder eines Geschädigten ihren immateriellen Schaden ersetzt verlangen. Die Sécurité sociale erbringt auch in diesen Fällen des Art. 468,2° die Leistungen. Damit geht eine etwaige Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zu Lasten des Begünstigten. Die Kasse erlangt - wie es im Gesetz knapp formuliert wird — den Betrag vom Arbeitgeber wieder (la caisse . . . „en récupère le montant auprès de l'employeur"). Diese Rückforderung erfolgt nach allgemeinem Zivilrecht 167 . Nach Art. 468,3° Abs. 2 ist es nicht gestattet, sich gegen die Folgen seiner eigenen „faute inexcusable" zu versichern. Der Verursacher haftet mit seinem eigenen Vermögen. Der Gesetzestext hat aber zur Folge, daß sich der Arbeitgeber gegen eine „faute inexcusable" seiner Verrichtungsgehilfen (substitués; z.B. Direktionsmitglieder etc.) versichern kann 1 6 8 . beitgebers nicht überschreiten, ebenso nicht 3 % der Gehälter, die die Grundlage für den normalen Beitragssatz darstellten. Für den Fall der Übertragung oder der Aufgabe des Unternehmens wird das Kapital, das den Beitragsrückständen entspricht, sofort fällig. Dieses Kapital bzw. die erhöhten Beiträge werden entsprechend den Art. 138 und 139 als bevorrechtigte Forderungen angesehen. - Diese Bestimmungen haben jedoch keinen Einfluß auf die Rente des Geschädigten (vgl. Cass. soc. 4. Feb. 1960, D. 1960, Somm., 103). 166 y o r 1976 W U r d e diesen Geschädigten eine weitere Erhöhung versagt, weil sie bereits eine Rente in Höhe von 100 % ihres Jahresarbeitsverdienstes bezogen. 167

Vgl. Martin, Dr. soc., numéro spécial, Nr. 3, März 1977, 99. Vgl. ebenda, 102; Saint-Jours, 190; La Fédération Nationale des Mutilés du Travail, Dr. soc., numéro spécial, Nr. 3, März 1977, 108; jeweils mit kritischen Anmerkungen. 168

162

D. Besondere Haftungslagen

Neben dem Problem, das eine genaue Definierung von Arbeitgeber und „substitué" aufwirft, stellt sich u.a. auch die Frage nach dem Rückgriff der Versicherungen gegen den Verrichtungsgehilfen, der dann mit seinem eigenen Vermögen einstehen muß, und nach der durch diese Folge des Gesetzestextes beschränkten Präventionswirkung des Art. 468. cc) Verfahrensrechtliches zur „faute inexcusable" des Arbeitgebers In Art. 468,3° ist zunächst eine gütliche Einigung zwischen der Kasse, dem Geschädigten oder seinen Hinterbliebenen auf der einen Seite und dem Arbeitgeber auf der anderen Seite vorgesehen. Diese betrifft sowohl das Vorliegen einer „faute inexcusable" überhaupt wie auch den Umfang der Rentenerhöhung und den Schadenersatz nach Art. 468,2°. Scheitert eine solche Einigung, so entscheiden die zuständigen von dem Geschädigten, dessen Hinterbliebenen oder der Kasse angerufenen Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (juridictions du contentieux de la sécurité sociale). Der Geschädigte bzw. dessen Hinterbliebene müssen der Kasse den Streit verkünden oder umgekehrt (Art. 471 Abs. 3 ) 1 6 9 . Die Ansprüche verjähren innerhalb von zwei Jahren. Die Frist beginnt mit dem Tag der Zustellung der Ergebnisse der gesetzlich vorgeschriebenen Unfallermittlungen der Kasse an den Geschädigten oder dessen Hinterbliebenen. Die Verjährung wird unterbrochen, wenn der Geschädigte bei der Kasse einen Antrag auf Anerkennung einer „faute inexcusable" stellt 1 7 0 . Das streitige Verfahren verläuft entsprechend den Vorschriften des Dekrets Nr. 58-1291 vom 22. Dezember 1958 1 7 1 . Gemäß Art. 471 Abs. 2 hat die Bezirkskasse dem Geschädigten (oder dessen Hinterbliebenen) auf Antrag die vollständigen Ermittlungsergebnisse und alle erforderlichen Auskünfte zu geben.

b) „Faute inexcusable " des Geschädigten und deren Folgen Es gibt nur wenige Urteile des Kassationshofes zur „faute inexcusable" des Geschädigten. Der Begriff entspricht in den begründenden Elementen der „faute inexcusable" des Arbeitgebers. 169 Vgl. dazu auch Martin, Dr. soc., numéro spécial, Nr. 3, März 1977, 99 ff., mit vergleichenden Anmerkungen zum Verlauf des Verfahrens bei „faute inexcusable" vor dem Gesetz Nr. 76-1106 vom 6. Dez. 1976. 170 Vgl. Martin, Dr. soc., numéro spécial, Nr. 3, März 1977, 100. 171 J.O. 23. Dez. 1958, 11613 = D. 1959, L., 49.

I . Die Haftung für „faute i n e l e "

163

Den Nachweis über das Vorliegen einer „faute inexcusable" hat die Kasse zu erbringen. Um das Bewußtsein der Gefahr des später geschädigten Arbeitnehmers festzustellen, werden u.a. dessen Alter, Herkunft, Intelligenz und dessen Erfahrung berücksichtigt. So kann zum Beispiel bei jungen unerfahrenen Arbeitnehmern, bei denen vom Arbeitgeber eine besondere Überwachung verlangt w i r d 1 7 2 , aufgrund Fehlens dieser Kontrolle eine „faute inexcusable" verneint und dann sogar diejenige des Arbeitgebers begründet werden 1 7 3 . Von Saint-Jours 174 wird daher — nicht unberechtigt — die Ansicht vertreten, daß die „faute inexcusable de la victime" folgende Besonderheit aufweise: Wegen der Ausführung der Arbeit könne gegen einen geschädigten Arbeitnehmer nie ein Verschulden geltend gemacht werden. Dies ergebe sich aus dem Unterordnungsverhältnis. Wenn der Arbeitnehmer Weisungen des Arbeitgebers nicht befolge, so könne sich dieser nicht auf „faute inexcusable" berufen, vielmehr müsse er seine Disziplinargewalt einsetzen. Ein Mangel an Autorität des Arbeitgebers rufe keine „faute inexcusable" bei dem Geschädigten hervor. Dies könne nur in extremen Fällen zu einer Entlastung des Arbeitgebers wegen seiner eigenen „faute inexcusable" führen. Bei einem solchen Verschulden des Geschädigten komme es auf die eigene Initiative des Arbeitnehmers an, die er unabhängig von seiner Arbeit ergreife, wie z.B. in dem Fall des Sturzes eines Arbeiters während eines Raufhandels mit dem Vorarbeiter auf der Brücke eines Tankers 175 , oder wenn der Arbeitnehmer ohne Wissen des Arbeitgebers an seinem Arbeitsplatz ein geladenes Gewehr mitbringt, das er in der Hoffnung auf eine Gelegenheit zur Jagd in der Nähe bereit legt 1 7 6 . Berücksichtigt wird bei der Beurteilung des Verhaltens des Arbeitnehmers auch, inwieweit gefährliche Praktiken am Arbeitsplatz üblich sind und dadurch das Bewußtsein einer Gefahr gemindert werden k a n n 1 7 7 . Ein Verstoß gegen ausdrückliche und begründete Verbote oder gegen Vorsichtsmaßnahmen, die durch Aushang, Warn tafeln und dergleichen bekannt gemacht werden, kann auf eine „faute inexcusable" des Geschädigten hindeuten. Einfacher Ungehorsam gegenüber Anweisungen der Direktion reicht jedoch nicht aus, wenn nicht besondere Vorkommnisse dazutreten, die den Arbeitnehmer darauf hätten aufmerksam machen müssen oder wenn ganz offensichtlich 172

Vgl. auch oben D II 2 a aa. Vgl. J. cl., Fase. 337, Nr. 158 und Nr. 182,183, m.w.N.; Cass. soc. 31. Jan. 1963, Bull. civ. IV (Nr. 122), 98. 174 Saint-Jours, 199 ff. 175 Cass. soc. 20. Jan. 1961, Bull. civ. IV (Nr. 98), 77. 176 Cass. soc. 7. März 1968, J.C.P. 1968, IV, 63. 177 Vgl. J. cl., Fase. 337, Nr. 159, m.w.N. zur allerdings älteren Rechtsprechung (vgl. Cass. civ. 26. März 1934, D.H. 1934, 269); Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1536. 173

164

D. Besondere Haftungslagen

eine gefährliche Handlung oder Unterlassung vorlag. Es wird dabei immer auf den Einzelfall abgestellt 178 . Geschieht eine Handlung aber im Zustand der Trunkenheit und ist diese die bestimmende Ursache für den Unfall, so liegt „faute inexcusable" vor. Die Trunkenheit wirkt nicht etwa entlastend 179 . Wenn der Verwaltungsrat der Kasse oder der dazu beauftragte Ausschuß der Ansicht ist, daß „faute inexcusable de la victime" vorliegt, kann er die Rente des Geschädigten bzw. dessen Hinterbliebenen gemäß Art. 467 Abs. 2 1 8 0 herabsetzen.

I I I . Die Haftungslage beim Wegeunfall

Für den Wegeunfall ist eine Abgrenzung zwischen den verschiedenen Schuldstufen nicht notwendig, da auf jeden Fall seit dem Gesetz vom 6. August 1963 1 8 1 ein Rückgriff des Geschädigten und der Kassen gegen den Schädiger (Art. 470-1, 470, 471) möglich ist, d.h. also, daß das allgemeine Zivilrecht ergänzend Anwendung findet. Im Gegensatz zum Arbeitsunfall selbst wird beim Wegeunfall eine zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers, des Verrichtungsgehilfen und jeder Person, die dem gleichen Unternehmen wie der Geschädigte angehört, nicht ausgeschlossen 1 8 2 . Falls der Unfall auf dem Wege zur oder von der Arbeit eintritt und von einem Arbeitskollegen verursacht wird, der keinem besonderen Auftrag seines Arbeitgebers untersteht, so wird der Arbeitgeber nicht zu einer Haftung herangezogen, da er nicht als „commettant" angesehen werden kann 1 8 3 . Der Geschädigte hat vielmehr einen Anspruch auf Leistungen der Kasse und besitzt ein Rückgriffsrecht gegen den Schädiger auf Ergänzung dieser Entschädigung. Auch die Kasse hat diesem gegenüber ein Rückgriffsrecht. Der Arbeitskollege wird damit bei einem Wegeunfall wie ein Dritter angesehen. 178 Vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1535 ff.; J. cl., Fase. 337, Nr. 159 ff. 179 Vgl. Cass. req. 9. Mai 1927, D.H. 1927, 318; Sachet/Gazier, Bd. II, Nr. 1425; J. cl., Fase. 337, Nr. 162, m.w.N.; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 214), 548, Fn. 3, ist der Ansicht, daß bereits die gewohnheitsmäßige Trunkenheit selber eine „faute inexcusable" darstelle. 180 Gegen diese Entscheidung steht der Rechtsweg vor den zuständigen Gerichten offen (Art. 467 Abs. 2); vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1541. * 8 1 Gesetz Nr. 63-820, J.O. 8. Aug. 1963, 7357 = D. 1963, L., 271. 182 Für einen Haftungsausschluß noch: Ch. réun. 27. Juni 1962, D. 1962, 717, Anm. Rouast; vgl. dazu Fabry, 166 ff.; Rouast, La responsabilité de l'employeur et de ses préposés dans les accidents de trajet, D. 1963, Chr., 265 ff.; Lindon, Le nouveau régime des accidents de trajet, J.C.P. 1963,1, 1788. 18 3 Rouast, D. 1963, Chr., 265 (267); Fabry, 170.

IV. Die Haftungslage bei Verschulden eines Drittschädigers

165

Befindet sich der schädigende Arbeitskollege „dans l'exercice de ses fonctions", also in Ausübung seiner ihm übertragenen Aufgaben im Sinne von Art. 1384 C. civ., so haben der Geschädigte und die Kassen einen Rückgriffsanspruch sowohl gegen ihn als auch gegen den Arbeitgeber 184 . Wenn der Arbeitgeber selbst den Unfall verursacht, so haben sowohl die Kasse wie auch der Geschädigte ein Rückgriffsrecht gegen ihn. Anders ist es nur dann, wenn der Geschädigte zur Zeit des Unfalls eine Arbeit ausführte und von einem Arbeitskollegen verletzt wird, der sich auf dem Weg von der oder zur Arbeit befand. In diesem Fall ist der Unfall für den Geschädigten als Arbeitsunfall anzusehen und für den Schädiger gilt der Haftungsausschluß nach Art. 470,466 1 8 5 . In der Literatur ist diese unterschiedliche Behandlung der Fälle, je nachdem, ob der Arbeitnehmer sich auf dem Weg in Ausübung seiner Arbeit befindet oder nicht, kritisiert worden 1 8 6 . Der Geschädigte eines Wegeunfalls sei einem Geschädigten eines Arbeitsunfalls gegenüber unberechtigterweise im Vorteil aufgrund des Rückgriffsrechts gegen Mitglieder des gleichen Unternehmens.

I V . Die Haftungslage bei Verschulden eines Drittschädigers

1.

Einführung

Häufig beruht der Arbeitsunfall eines Arbeitnehmers auf dem Verschulden einer betriebsfremden Person. Grundsätzlich gilt dann folgendes: Nach Art. 470 Abs. 2 ist die Sécurité sociale dem Verletzten gegenüber verpflichtet, auch in diesem Falle alle Leistungen im Rahmen der Arbeitsunfallgesetzgebung zu erbringen. Gleichzeitig hat der Geschädigte gegen den Dritten einen Anspruch auf Ersatz seines erlittenen Schadens nach den allgemeinen Zivürechtsbestimmungen, soweit dieser nicht bereits von der Sécurité sociale ersetzt worden ist (Art. 470 Abs. 1). Die Kasse wiederum kann ihre Leistungen an den Geschädigten von dem Schädiger im Rahmen seiner zivilrechtlichen Schadensersatzpflicht zurückverlangen (Art. 470 Abs. 2 und 3). Die Probleme, die sich aus dem Zusammentreffen der beiden Arten der Schadensregulierung ergeben, sind in der Hauptsache zivilrechtlicher Natur. Das 184 Lindon, J.C.P. 1963, I, 1788; Fabry, 170, mit Hinweis auf einen Runderlaß (circulaire) vom 27. Dez. 1963, im J.O. unveröffentlicht. 185 Cass. soc. 17. Juli 1964, D. 1965, Somm., 3; vgl. auch Paris 13. Juni 1964, Gaz. Pal. 1964, II, 284. 186 Fabry, 174 ff. (176); Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 193 bis 195), 518 f.; Rouast, D. 1963, Chr., 265 (267); siehe dazu auch bereits oben Β III 6.

166

D. Besondere Haftungslagen

Zivilrecht hat aber aufgrund des Eingreifens des Rechts der sozialen Sicherheit vielfach Einschränkungen und Änderungen erfahren, wie die nähere Betrachtung insbesondere der verschiedenen Ausgleichsmöglichkeiten zwischen den Beteiligten zeigen wird.

2. D e r

Begriff

des

Dritten

a) Arbeitskollegen Der Art. 470 Abs. 1 wird in den Fällen angewandt, in denen ein Unfall verursacht wurde „par une personne autre que l'employeur ou ses préposés". Dritter ist also jemand, der weder Arbeitgeber noch dessen Verrichtungsgehilfe ist. Arbeitskollegen sind somit im Verhältnis zueinander nicht Dritte 1 8 7 . Der Begriff des Verrichtungsgehilfen wird von der überwiegenden Lehre und in der Rechtsprechung mit dem des Art. 1384 Abs. 5 gleichgesetzt188. Falls der Schädiger kein Arbeitskollege ist, kann er dennoch als „préposé occasionnel" betrachtet werden und ist dann ebenfalls kein Dritter. So hatte der Kassationshof folgenden Fall zu entscheiden: Ein Autobesitzer wurde von einem Angestellten einer Werkstatt aufgefordert, auf die Hebebühne zu fahren. Bei dieser Gelegenheit wurde der Angestellte schwer letzt, weil sich der Wagen aus ungeklärten Gründen weiter fortbewegt hatte und den Mann gegen eine Mauer quetschte 189 . Der Kassationshof entschied, daß der Eigentümer des Wagens nicht Dritter im Sinne der Arbeitsunfallgesetzgebung gewesen sei, sondern als „préposé occasionnel" des Werkstatteigentümers zu betrachten sei. Denn der Unfall sei aufgrund eines Rangiermanövers eingetreten, das eigentlich die Angestellten der Werkstatt hätten ausführen müssen. Der Eigentümer des Wagens sei nur der Aufforderung des Verrichtungsgehilfen nachgekommen und habe sich dessen Weisungen und dessen Kontrolle unterstellt. Irf einem anderen Urteil hatte der Kassationshof über den Fall eines Werkstattangestellten bei einem Autokauf zu entscheiden: Der potentielle Käufer machte eine Probefahrt mit dem Wagen, fuhr jedoch so unvorsichtig, daß er den Angestellten verletzte 190 . 187

Vgl. auch Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1865 ; anders beim Wegeunfall. Siehe Breton/Vemerey, Anm. zu Cass. soc. 15. Dez. 1971, D. 1973, 120 (121), mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur; a.A. Spreregin, Les accidents du trajet et leur place dans la législation du 30 octobre 1946, Gaz. Pal. 1959, 1, Doctr., 24. 189 Cass. soc. 4. Nov. 1961, D. 1962, 186. M Cass. crim. 20. Feb. 1975, D. 1975,1.R., 70. 188

IV. Die Haftungslage bei Verschulden eines Drittschädigers

167

Der Kassationshof vertritt die Ansicht, daß hier nach den Tatsachenfeststellungen keine Weisungsgebundenheit bestanden habe und der Schädiger daher als Dritter anzusehen sei. Die Rechtsprechung stellt demnach zur Feststellung, ob jemand „préposé" im Sinne der Arbeitsunfallgesetzgebung ist, auf die Weisungsgebundenheit des Schädigers ab 1 9 1 .

b) Leih- und Gruppenarbeitsverhältnisse aa) „Travail en commun" Beim gewöhnlichen Arbeitsunfall ist der Arbeitnehmer eines Unternehmens, der einen anderen Arbeitnehmer eines anderen Unternehmens schädigt, als Dritter im Verhältnis zum Geschädigten und der Sécurité sociale anzusehen. Falls jedoch mehrere Arbeitnehmer aus verschiedenen Betrieben zu gemeinsamer, auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Arbeit verbunden sind und unter einem einheitlichen Direktionsrecht eines Arbeitgebers stehen, sind weder diese noch die anderen Arbeitnehmer Dritte im Sinne des Art. 470: „II ne saurait y avoir de travail en commun . . . que lorsqu'il est constaté que les préposés de plusieurs entreprises . . . travaillaient simultanément pour un objet et un intérêt communs et sous une direction unique" 1 9 2 . An den Begriff der gemeinsamen Arbeit werden strenge Anforderungen gestellt 1 9 3 . Es kommt darauf an, daß eine gemeinsame, untrennbare Einheit von Arbeitsleistungen erbracht wird, die eine notwendige und enge Zusammenarbeit zwischen zwei Unternehmen voraussetzt. Immer muß eine einheitliche Leitung (direction unique) dieser Arbeiten vorhanden sein 1 9 4 . bb) ,,Prêt ou location de main d'oeuvre" Bei Leiharbeitsverhältnissen werden ähnliche Grundsätze angewandt. Schon seit der Entscheidung der Chambres réunies vom 8. Januar 1908 1 9 5 galt: wenn 191 Vgl. das allg. Zivilrecht, dazu oben D I 1 c, und Breton/Vernerey, Anm. in D. 1973, 120(122), m.w.N. 192 Cass. crim. 19. Okt. 1972, D. 1973, Somm., 1, m.w.N.; vgl. Cass. soc. 4. März 1971, D. 1971, Somm., 201; Cass. soc. 17. Okt. 1974, D. 1974,1.R., 229. 193 Beweispflichtig für das Vorliegen einer „travail en commun44 ist der Urheber des Unfalls, Cass. soc. 11. Feb. 1954, Gaz. Pal. 1954, 1, 207; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 370), 971. 194

Montpellier 25. Nov. 1953, D. 1954, 686; Cass. soc. 28. Mai 1954, D. 1954, 644; siehe dazu auch J. cl., Fase. 653, Nr. 37 bis 40, mit zahlreichen Beispielen; ferner Rép. dr. soc. et trav., 1960 und 1979, Nr. 1872, m.w.N. 195 D.P. 1908,1, 185, Anm. Dupuich.

D. Besondere Haftungslagen

168

ein Arbeiter von seinem Patron einem anderen Unternehmer zur Verfügung gestellt wurde, konnte der Verletzte gegen letzteren keine Klage nach dem allgemeinen Zivilrecht erheben. Diese Entscheidung hat bis heute Gültigkeit 196 . Leiharbeitsverhältnisse sind in dem Gesetz Nr. 72-1 und Nr. 73-608 - wie bereits erörtert 197 - geregelt. Danach bleibt der Verleiher allen Verpflichtungen aus der Arbeitsunfallgesetzgebung unterworfen. Der entleihende Unternehmer und seine Verrichtungsgehilfen werden als dem Verleiher (bzw. dessen Verrichtungsgehilfen) untergeordnet — „substitués" — angesehen und sind damit also nicht Dritte 1 9 8 .

3. D e r

R ü c k g r i f f des G e s c h ä d i g t e n gegen den D r i t t e n

Der Geschädigte (bzw. dessen Hinterbliebene) hat gegen den Dritten (gegebenenfalls gegen dessen Vertreter, dessen Versicherer, etc.) einen Anspruch auf Ersatz seines von der Sécurité sociale nicht gedeckten Schadens199. Grundsätzlich soll bei einem Zusammentreffen von allgemeinem Haftpflichtrecht und dem System der sozialen Sicherheit Ausgewogenheit herrschen: der Schädiger soll weder be- noch entlastet werden, der Verletzte soll nicht über das Maß eines Schadens hinaus begünstigt werden 200 . Ein prozeßrechtliches Mittel, um darauf hinzuwirken, wurde in Art. 471 Abs. 2 geschaffen. Danach muß der Geschädigte bei Klageerhebung gegen den Dritten der Kasse den Streit verkünden. Der Schaden (so u.a. auch besondere medizinische Unkosten, Gehaltsverluste, immaterielle Schäden, Sachschäden) wird vor den ordentlichen Gerichten nach den Bestimmungen des allgemeinen Zivilrechts ermittelt 2 0 1 , ohne eine 196

Vgl. Cass. crim. 29. Juni 1971, J.C.P. 1971, IV, 213. Siehe oben in und zu Fn. 143 bis 145. 198 Siehe Art. 26 und 27 (bei faute inexcusable und faute intentionnelle) des Gesetzes Nr. 72-1 (Fn. 143). 199 Ein Verzicht auf die Leistungen der Sécurité sociale ist dem Verletzten nicht gestattet, vgl. Cass. crim. 31. Mai 1958, J.C.P. 1958, II, 10867, Anm. Esmein; vgl. auch Cass. soc. 10. Juni 1976, J.C.P. 1976, IV, 255; siehe Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 374), 981, m.w.N. Während vor dem Gesetz vom 30. Okt. 1946 der Grundsatz galt, daß der Geschädigte von dem Dritten Ersatz seines Gesamtschadens nach dem allgemeinen Zivilrecht verlangen konnte und der Arbeitgeber bzw. dessen Versicherer bis zu der geschuldeten Summe befreit war (Art. 7 des Gesetzes vom 9. April 1898, geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 2. Juli 1938), wurde mit dem Gesetz vom 30. Okt. 1946 in Art. 66 (Art. 466 C. séc. soc.) ein neues Prinzip geschaffen. 200 Vgl. Cass. crim. 12. Feb. 1975, D. 1975,1.R., 57. 201 Zur Schadensermittlung nach dem Zivilrecht: u.a. Le Roy, Un tournant dans l'évaluation du préjudice corporel, D. 1978, Chr., 57, m.w.N.; siehe auch Biesalski, 8 ff. 197

IV. Die Haftungslage bei Verschulden eines Drittschädigers

169

Bindung an Entscheidungen der Kasse 202 oder auch anderer Gerichte über die Ansprüche des Geschädigten gegenüber der Sécurité sociale 203 . Es besteht auch die Möglichkeit, daß der Verletzte seine Klage gem. Art. 3 C. pr. pén. vor dem Strafgericht erhebt, wenn gegen Dritte eine öffentliche Klage erhoben wird. Persönliche Ausgaben des Verletzten aufgrund des Unfalls werden nach Art. 471 Abs. 4 vorrangig vor etwaigen Ansprüchen der Sécurité sociale erstattet 204 . Das Gericht hat dann die Höhe des Betrages zu bestimmen, den die Kasse aufgrund eines Rückgriffsanspruches gegen den Dritten ihrerseits fordern kann. Falls dieser der Sécurité sociale zustehende Betrag nicht die Summe erreicht, die der Dritte als Gesamtschadenersatz zu leisten hat, so erhält der Geschädigte den Differenzbetrag (indemnité complémentaire) 205 . Bei einer anteiligen Haftung des Dritten und einem Mitverschulden des Geschädigten geht dieser jedoch aufgrund des eben genannten Rückgriffsrechts der Kassen meist leer aus, d.h. letztlich aufgrund des Kumulierungsverbotes des allgemeinen Schadenersatzes mit den Sozialleistungen. Für den Fall, daß sowohl den Dritten als auch den Arbeitgeber bzw. dessen Verrichtungsgehilfen ein Verschulden trifft - dies geschieht häufig bei Verkehrsunfällen, wenn sich der Verletzte in dem vom Arbeitgeber gefahrenen Wagen befindet - gilt folgendes: Nach allgemeinem Zivilrecht haften beide Unfallverursacher „in solidum", d.h., der Geschädigte kann den Gesamtschaden von einem der Urheber ersetzt verlangen. Dieser kann sich dann im Innenverhältnis an den anderen halten. Im Arbeitsunfallrecht müßte also der Dritte für den ganzen Schaden einstehen, könnte aber wegen des Haftungsausschlusses des Arbeitgebers nicht gegen diesen vorgehen. In langjähriger Rechtsprechung wurde deshalb die Anwendung der gesamtschuldnerischen Haftung abgelehnt 2 0 6 ; der Dritte sollte nur zum Schadenersatz in Höhe des Anteils seiner eigenen Haftung verurteilt werden können. Von dieser Rechtsprechung rückte man jedoch teilweise wieder ab. Der zweite Zivilsenat 207 und der Strafsenat 208 des Kassationshofes entschieden, daß 202 Cass. soc. 16. Juni 1966, J.C.P. 1966, IV, 109; Cass. crim. 18. Nov. 1970, J.C.P. 1970, IV, 323. 203

Cass. soc. 29. Jan. 1965, J.C.P. 1965, IV, 29. Vgl. J. cl., Fase. 653, Nr. 136 f.; Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1883. 205 Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 374), 982. 2 °6 Z.B. Cass. crim. 25. Nov. 1958, J.C.P. 1959, II, 11021; Cass. soc. 19. Juni 1960, J.C.P. 1961, II, 11987; Cass. crim. 5. Juli 1977, D. 1977,1.R., 391; vgl. ferner Rép. dr. soc. et trav., 1960 und 1979, Nr. 1945, m.w.N.; J. cl., Fase. 653, Nr. 148. 2 0 4

207

Cass. civ. 2. Juli 1969, J.C.P. 1971, II, 16582. Cass. crim. 2. Juli 1964, D. 1964, Somm., 99; Cass. crim. 27. Jan. 1971, J.C.P. 1973, II, 17303, 1. Urteü; anders jedoch: Cass. crim. 19. Nov. 1974, D. 1974,1.R., 249. 208

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D. Besondere Haftungslagen

der Geschädigte gegen den Dritten Anspruch auf Ersatz des Gesamtschadens hat. Der Sozialsenat209 und der Conseil d'Etat 2 1 0 schlossen sich diesen Entscheidungen jedoch nicht an. Bei Wegeunfällen dagegen kann der Geschädigte von dem Dritten in jedem Falle den Gesamtschaden (unter Abzug der Sozialleistungen) ersetzt verlangen 211 . Die Kasse hat ein beschränktes Rückgriffsrecht auf den Schadenersatzanspruch des Verletzten. Gemäß Art. 470 Abs. 4 kann sie Erstattung ihrer Leistungen nur in dem Maße verlangen, in dem diese diejenigen überschreiten, die zu Lasten des Arbeitgebers nach dem allgemeinen Zivürecht gegangen wären 212 . Dies soll an einem Zahlenbeispiel verdeutlicht werden: Trifft den Dritten und den Arbeitgeber jeweils zur Hälfte ein Verschulden an dem Arbeitsunfall des Geschädigten, so kann die Kasse bei einem Gesamtschaden von 18 000 F und Leistungen ihrerseits in Höhe von 12 000 F von dem Dritten nur 3000 F verlangen. Der Geschädigte hat Anspruch auf den Unterschiedsbetrag zwischen dem von dem Dritten geschuldeten Schadenersatz (d.h. 9000 F) und diesen 3000 F; d.h. also, er kann von dem Dritten 6000 F verlangen. Diese Vorschrift güt jedoch nur für den Arbeitsunfall, nicht auch für den Wegeunfall oder den Unfall nach allgemeinem Recht 2 1 3 . Die Berechnung der „indemnité complémentaire" des Geschädigten birgt erhebliche Schwierigkeiten in sich, da die Leistungen der Sécurité sociale häufig wiederkehrender Natur sind, wie z.B. bei der Rente, oder auch variieren. Bei der Rente stellt man mit Hilfe von Tabellen (barèmes) deren Gegenwert in Kapital fest 2 1 4 . Dies geschieht auch in den Fällen, in denen Ausgaben zur Pflege des Verletzten auf Dauer feststehen 215 . Bei einer Veränderung der Leistungen der Sécurité sociale vor der Entscheidung über den Anspruch des Geschädigten - z.B. durch Besserung des Gesundheitszustandes, Wiederverheiratung der Witwe, etc. - hat das Gericht einmal die Notwendigkeit einer endgültigen Feststellung der „indemnité complémentaire", zum anderen den Rückgriffsanspruch der Kassen bei einer eventuellen Wiederaufnahme der Rentenzahlungen zu berücksichtigen. Deshalb soll nach der Rechtsprechung von dem anfangs geschätzten Gesamtschaden eine ge209 Cass. soc. 13. Nov. 1970, D. 1971, 17, Anm. Dupeyroux = J.C.P. 1971, II, 16583; Cass. soc. 8. Juli und 28. Okt. 1971, J.C.P. 1973, II, 17303, 2. und 3. Urteü; Cass. soc. 3. Mai 1974, Gaz. Pal. 1974, 2, Somm., 186. 210 Conseü d'Etat 2. Juli 1971, Dr. soc. 1972, 520, Anm. Moderne. 211 Cass. crim. 28. April 1964, Gaz. Pal. 1964, 2,165; Cass. soc. 1. Feb. 1968, J.C.P. 1968, IV,35. 212 Vgl. Cass. soc. 13. Nov. 1970, D. 1971, 17, Anm. Dupeyroux; siehe auch J. cl., Fase. 653, Nr. 149 und 150; ferner Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 373), 980. 213 Cass. soc. 1. Feb. 1968, J.C.P. 1968, IV, 35. 214 Zu den besonderen Schwierigkeiten der Berechnung siehe Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 374), 982 f.; nähere Einzelheiten auch bei J. cl., Fase. 653, passim; Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1930 ff., und 1979, Nr. 1885 und 1930 ff. 215 Siehe Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 374), 983.

IV. Die Haftungslage bei Verschulden eines Drittschädigers

171

schätzte Summe abgezogen werden, abhängig vom Grade der Wahrscheinlichkeit dieser erneuten Leistungen, um die Rückgriffsansprüche der Kassen zu schützen, ehe die „indemnité complémentaire" festgesetzt w i r d 2 1 6 . Für den Fall einer Änderung nach der Entscheidung über den Schadenersatzanspruch verbietet grundsätzlich die Rechtskraft des Urteils, daß der festgelegte Umfang des Schadenersatzes durch eine spätere Wiederaufnahme der Sache sowohl im Hinblick auf die Feststellung des Gesamtschadens217 als auch auf die Höhe der Rückerstattung an die Kassen 218 oder auch auf den Betrag der „indemnité complémentaire" des Geschädigten geändert werden kann 2 1 9 . Dieser Grundsatz hat jedoch verschiedene Ausnahmen erfahren. So kann im Falle einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Verletzten der Schadenersatz zu Lasten des Dritten erhöht werden 220 . In einigen Entscheidungen wird bei zusätzlich nach dem Urteil geltend gemachten Schäden eine Rechtskrafterstreckung auch auf diese abgelehnt und eine Klage der Kassen zugelassen. Dies geschieht unter der Voraussetzung, daß der Schaden (erst später aufgrund neuer unfallbedingter Faktoren) nicht in dem ursprünglichen Antrag hat aufgenommen werden können 2 2 1 . In anderen Entscheidungen wird jedoch eine nachträgliche Erhöhung der Leistungen des Dritten gegenüber den Kassen abgelehnt 222 . Eine nachträgliche gesetzliche Aufwertung der Renten kann nach der Rechtsprechung ebenfalls nicht mehr für eine Änderung des Schadensumfanges in Betracht gezogen werden 223 . Eine Aufhebung, eine einstweilige Zahlungseinstellung oder eine Kürzung der Rente kann eine entsprechende Kürzung der Schadenersatzpflicht des Drit216 So ebenda wohl inhaltlich, wenn auch nicht ausdrücklich; Ch. mixte 22. Juni 1973, Gaz. Pal. 1974, 1, 2 = D. 1973, I.R., 189 („prestations essentiellement variables de la Sécurité sociale"); ferner ausdrücklich Ch. mixte 22. Juni 1973, Gaz. Pal. 1974, I, 1 (Fall aus der Sozialversicherung). 217 Cass. soc. 5. Jan. 1968, Bull. civ. V (Nr. 15), 12; aber offenbargegen eine Rechtskrafterstreckung auf den Gesamtschaden und für eine Rechtskrafterstreckung auf die einzelnen Entscheidungen zugunsten der jeweiligen Partei, Ch. mixte 22. Juni 1973, Gaz. Pal. 1974,1, 2 = D. 1973,1.R., 189. 218 Cass. soc. 20. Juni 1968, Bull. civ. V (Nr. 313), 255. 219 Cass. soc. 19. Dez. 1966, J.C.P. 1967, IV, 13. 220 Cass. civ. 28. Mai 1968, Bull. civ. II (Nr. 157), 112; Cass. soc. 19. Dez. 1972, D. 1973,1.R., 5; siehe aber Cass. soc. 4. Juli 1973, D. 1973,1.R., 177. 221 Cass. soc. 8. Juli 1971, Bull. civ. V (Nr. 533), 449; Cass. soc. 5. Juli 1972, J.C.P. 1972, IV, 217. 222 Cass. soc. 20. Nov. 1968, J.C.P. 1969, IV, 1; Cass. soc. 1. Juli 1971, Bull. civ. V (Nr. 515), 432. 223 Cass. soc. 7. März 1963, J.C.P. 1963, IV, 49.

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D. Besondere Haftungslagen

ten nach sich ziehen 2 2 4 , obwohl dies nicht ganz unstreitig in Rechtsprechung und Literatur war 2 2 5 . Zu der Frage, ob aufgrund dieser Kürzung bzw. Zahlungseinstellung die Zahlung des Dritten an den Verletzten zu leisten ist, sind in der Rechtsprechung gegensätzliche Standpunkte vertreten worden. Die Chambre criminelle und die Chambre civile haben dem Geschädigten einen Anspruch auf einen entsprechenden Betrag zugesprochen 226. Die Chambre mixte 2 2 7 hat sich für die Lösung der Chambre sociale des Kassationshofes entschieden und eine solche Zahlung abgelehnt. Durch die beiden Urteile der Chambre mixte (zum Schadenersatz nach allgemeinem Zivilrecht) vom 6. November 1974 2 2 8 , in denen die Indexrente gutgeheißen wurde, erhofft man sich im übrigen in der Literatur eine Entschärfung einiger Probleme, die das Rückgriffsrecht gegen den Dritten 2 2 9 durch das Zusammentreffen von Entschädigungsleistungen der Sozialversicherung und dem Schadenersatzrecht des Zivilrechts aufgeworfen hat.

4. D e r

R ü c k g r i f f der S é c u r i t é gegen den D r i t t e n

sociale

a) Rechtliche Grundlagen des Rückgriffs Nach Art. 470 Abs. 3 hat die Kasse das Recht, die Erstattung ihrer Leistungen zu verlangen: „Si la responsabilité du tiers auteur de l'accident est entière ou si elle est partagée avec la victime, la caisse est admise à poursuivre le rembourse2 2 4

Cass. soc. 8. März 1962, J.C.P. 1962, IV, 57. Vgl. fur das Zivilrecht: ablehnend bei Besserung des Gesundheitszustandes des Verletzten Cass. civ. 12. Okt. 1972, D. 1974, 546, Anm. Malaurie mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung und Literatur; dazu auch Jambu-Merlin, 223 f. 22 * Cass. civ. 17. Jan. 1962, J.C.P. 1962, IV, 31; Cass. civ. 14. Feb. 1968, Bull. civ. II (Nr. 56)/$6; Cass. crim. 24. Okt. 1962, J.C.P. 1962, IV, 155; vgl. Cass. crim. 16. Okt. 1969, J.C.P. 1969, IV, 276; vgl. dazu insgesamt Brunei, Difficultés relatives au montant du recours de la victime contre le tiers responsable, dans le cas de modification des prestations de sécurité sociale, Gaz. Pal. 1974,1, Doctr., 1., mit zahlreichen Nachweisen. 227 Ch. mixte 22. Juni 1973, Gaz. Pal. 1974, 1, 1 (2 Urteüe); so jetzt ebenso Cass. soc. 23. Jan. 1975, J.C.P. 1975, IV, 78; Cass. soc. 6. März 1975, J.C.P. 1975, IV, 135; Cass. soc. 24. Juni 1976, J.C.P. 1976, IV, 273; zustimmend Brunei, Gaz. Pal. 1974, 1., Doctr., 1. 228 Ch. mixte 6. Nov. 1974, J.C.P. 1975, II, 17978, conci. Gégout, Anm. Savatier = D. 1974,1.R., 256. 229 So Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 374), 985; vgl. ferner Cass. civ. 17. April 1975, D. 1976, 152, Anm. Sharaf Eldine mit Zustimmung zu einer Indexierung. 225

IV. Die Haftungslage bei Verschulden eines Drittschädigers

173

ment des prestations mises à sa charge à due concurrence de la part d'indemnité mise à la charge du tiers qui répare l'atteinte à l'intégrité physique de la victime, à l'exclusion de la part d'indemnité, de caractère personnel, correspondant aux souffrances physiques ou morales par elle endurées et au préjudice esthétique et d'agrément. De même, en cas d'accident suivi de mort, la part d'indemnité correspondant au préjudice moral des ayants droit leur demeure acquise." Umstritten ist, ob die Kassen dies im Wege einer „subrogation" 230 , also eines Eintritts in die Rechte der Geschädigten gegen den Dritten oder aufgrund eines eigenen Anspruchs gegen den Schädiger oder auch mit Hilfe dieser beiden rechtstechnischen Mittel erreichen können. Ein eigener Anspruch der Kassen gäbe diesen im Gegensatz zu einer „subrogation" mehr Rechte: z.B. könnte eine Aufrechnung von gegenseitigen Forderungen des Geschädigten und des Dritten den Forderungen der Kasse nicht entgegengehalten werden, ebenso wenig ein Berufungsverzicht des Geschädigten einer Berufungseinlegung durch die Kasse 231 . Eine eindeutige gesetzliche Regelung wie im deutschen Recht in § 1542 RVO gibt es bisher nicht, obwohl im Jahre 1973 2 3 2 eine gesetzliche Änderung des Code de la sécurité sociale in dieser Hinsicht stattfand. In Art. 3 9 7 2 3 3 , der entsprechenden Vorschrift des Rückgriffs im Sozialversicherungswesen, hatte man sich vor dem Jahre 1973 deutlich in seinem Abs. 1 für die „Subrogation" entschieden: „ . . . les caisses de sécurité sociale sont subrogées de plein droit à l'intéressé . . . " 230 Zum Wesen der Surrogation kraft Gesetzes (Art. 1251 Ziff. 1 bis 4 C. civ.) und kraft Vereinbarung (Art. 1250 Ziff. 1 und 2 C. civ.) und die Unterschiede gegenüber der Zession siehe Ferid, Bd. I, 2 E 146 ff. Der Begriff der Surrogation in der Privat- und Sozialversicherung hat eine etwas geänderte und erweiterte Bedeutung im Vergleich zu Art. 1251 C. civ. ; vgl. dazu auch Durin, Des recours des caisses de sécurité sociale en matière d'accidents, 48. Im Unterschied zu Art. 1251 C. civ. wird hier der Versicherer in die Ansprüche des Verletzten „subrogiert", obwohl er diesem gegenüber eine eigene Verpflichtung erfüllt, vgl. De la Morandière, L., De Taction des administrations contre le tiers responsable de l'accident survenu à un membre de leur personnel, D. 1958, Chr., 179 (186 ff.). So weist auch Ferid darauf hin, daß der Versicherer die von ihm selbst dem Versicherten gegenüber geschuldete Leistung erbringt, nicht etwa die Leistung eines anderen Schuldners; dazu auch Granger, Dr. soc. 1955, 504 ff.; die „subrogation de plein droit" entspricht in ihrem Ergebnis weitgehend dem in Deutschland verwandten gesetzlichen Forderungsübergang (siehe § 1542 RVO; § 87 a BBG). 231 Vgl. Cass. soc. 14. Dez. 1967, J.C.P. 1968, IV, 9 (Aufrechnung); Cass. soc. 24. Feb. 1966, J.C.P. 1966, IV, 49 (Berufungsverzicht); siehe ferner J. cl., Fase. 653, Nr. 6; siehe auch zur „constitution de partie civüe des caisses de sécurité sociale44 Dahan, Nr. 106 f.; vgl. auch Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1907; Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 267, Fn. 11. 232 Gesetz Nr. 73-1200 vom 27. Dez. 1973, J.O. 30. Dez. 1973, 14152 = D. 1974, L., 42. 233 Dieser Art. entsprach dem Art. 95 der Ordonnance Nr. 45-2454 vom 19. Okt. 1945, J.O., 20. Okt. 1945, 672 = D. 1945, L., 294.

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D. Besondere Haftungslagen

Da in Art. 470 eine solche klare Aussage nicht getroffen war, wurde in der Lehre angenommen, daß es sich hier um ein eigenes Recht der Kassen handeln müsse 234 , immer begrenzt jedoch durch die Höhe des vom Dritten zu leistenden Schadenersatzes nach dem allgemeinen Zivilrecht. Dieser Gedanke ist auch von der Rechtsprechung aufgenommen worden 2 3 5 . Andererseits, wurde sowohl in der Rechtsprechung 236 als auch in der Literat u r 2 3 7 ebenfalls von einer „subrogation" gesprochen. Mit der Gesetzesänderung im Jahre 1973 wurde der neu gefaßte Art. 397 in seinem Abs. 3 dem Art. 470 Abs. 3 fast wörtlich angeglichen. Jedoch läßt sich weder in der Rechtsprechung noch in der Lehre eine eindeutige Meinung zu der Frage nachweisen, wie der Rückgriff rechtstechnisch einzuordnen i s t 2 3 8 . Es soll nicht näher darauf eingegangen werden, ob es sich hier um eine „subrogation" oder ein eigenes Recht handelt, da der Gesetzgeber in Art. 470 jedenfalls eine ausführliche Regelung des Rückgriffsrechts getroffen h a t 2 3 9 . Im folgenden sollen daher die Auswirkungen dieses Rückgriffsrechtes aufgezeigt werden. b) Der Umfang des Rückgriffsanspruches aa) Begrenzung durch die Leistungen der Kassen Der Rückgriff betrifft alle Leistungen, die nach dem Code de la sécurité sociale von den Kassen zu erbringen sind 2 4 0 . 2 3 4 Im Gegensatz zu Art. 397; „thèse dualiste44 (nach Dahan, Nr. 132): vgl. Meurisse, Le recours des caisses de sécurité sociale contre le tiers, Gaz. Pal. 1950, 1, Doctr., 24; vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1904 f., m.w.N. 235 Cass. soc. 24. Feb. 1966, J.C.P. 1966, IV, 49; Cass. soc. 29. Okt. 1970, J.C.P. 1970, IV, 297. 236 Cass. soc. 24. Okt. 1958, Gaz. Pal. 1959,1, 118. 237 „Thèse moniste44: Dahan, Nr. 116, Nr. 134 ff.; vgl. Esmein, Le recours des caisses de Sécurité Sociale contre le tiers responsable d'un accident, J.C.P. 1952,1, 964; Granger, 500 (504 ff.); Andrieux, Le recours des caisses du régime général de sécurité sociale contre le tiers responsable d'un accident de droit commun - Tableaux de la jurisprudence de la Cour de cassation, D. 1960, Chr., 195 ff.; Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 267. 238 Siehe zur Problematik insgesamt Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 367), 964 ff., der eine „subrogation44 befürwortet (966 f.). 239 Im übrigen wird im allgemeinen der Begriff der „subrogation44 benutzt, womit dann das Rückgriffsrecht aus Art. 470 bezeichnet wird. Die Konsequenz, daß bei Anerkennung eines eigenen Rechts der Kassen diese verlangen können, daß automatisch auch alle Schäden ersetzt werden, die nicht zur Ersatzforderung des Verletzten zu zählen sind, wird nicht gezogen, dazu noch unten unter D IV 4 b aa. 2 4 0 Voraussetzung einer Erstattung ist natürlich immer, daß auch ein Zusammenhang zwischen den Leistungen und dem Unfall besteht, Cass. soc. 20. Jan. 1972, J.C.P. 1972, IV, 51; vgl. dazu J. cl., Fase. 653, Nr. 89 ff.

IV. Die Haftungslage bei Verschulden eines Drittschädigers

175

Wenn diese Leistungen tatbestandlich begründet sind, unterliegen sie keiner besonderen Schadenswürdigung durch den ordentlichen Richter (juge de droit commun). Dieser hat dann vielmehr die Erstattung anzuordnen 241 . In zahlreichen Fällen treten jedoch aufgrund des Zusammentreffens der verschiedenen Schadenersatzsysteme des Sozialrechtes (Zahlung von meist variablen Einzelleistungen, je nach Schadensentwicklung) und des Zivilrechts (Zahlung einer bestimmten Summe) Schwierigkeiten bei der Bemessung des Schadens auf. Es sollen deshalb beispielhaft einige Fälle dargestellt werden. Für den Fall der Entschädigung bei zeitweiliger völliger Erwerbsunfähigkeit (Tagegeld) gilt: Bei Uneinigkeit des gerichtlichen Sachverständigen und der Kasse über den Zeitpunkt der Heilung oder der Konsolidierung der Verletzungen kann die Kasse auch Ersatz ihrer Leistungen verlangen, die noch nach dem vom Sachverständigen bestimmten, maßgebenden Zeitpunkt erbracht wurden 2 4 2 . Ebenso wurde u.a. im Falle von Krankenhauskosten entschieden 243 . Die Sécurité sociale kann Ersatz aller ihrer Rentenzahlungen verlangen. Ein Anspruch auf Erstattung des der künftigen Rente entsprechenden Kapitals wird jedoch von der Rechtsprechung abgelehnt 244 . Der Dritte ist nur zur Zahlung der schon erbrachten Kassenleistungen verpflichtet, die an den Geschädigten ausgezahlt worden sind. Spätere Erhöhungen der Renten aufgrund von Rentenansprüchen gehen aber zu Lasten der Kasse 245 . Der Dritte (bzw. dessen Versicherer) hat jedoch auch die Möglichkeit, „un capital représentatif des rentes", also eine Kapitalabfindung für die Rentenleistung, zu zahlen 2 4 6 . Wird aufgrund eines Todesfalles ein Kapitalbetrag fällig (capital-décès; Sterbegeld) gemäß Art. 362, so hat der Dritte auch diesen zu ersetzen 247 . 2 4 1

So Cass. crim. 19. März 1968, J.C.P. 1968, IV, 82. Cass. civ. 21. Feb. 1968, J.C.P. 1968, IV, 60; Cass. crim. 27. Juli 1970, J.C.P. 1970, IV, 248. 2 4 3 Ch. mixte 29. Mai 1970, J.C.P. 1970, II, 16467. 2 4 4 Ständige Rechtsprechung seit Cass. crim. 8. März 1951, D. 1951, 241 = J.C.P. 1951, II, 6119, Anm. J.G.; siehe zahlreiche Nachweise in Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1915 (auch zur historischen Entwicklung der Rechtsprechung in dieser Hinsicht). Der Kapitalwert der Renten ist aber vom Gericht zu berechnen, weü der Verletzte nur einen darüber hinausgehenden Schadenersatzanspruch hat (vgl. Jambu-Merlin, 227; Cass. soc. 7. Jan. 1955 und 25. März 1955, J.C.P. 1955, II, 8881, mit krit. Anm. von G.H.G.). 24 5 Rép. dr. soc. et trav., 1960 und 1979, Nr. 1918, m.w.N. 2 4 6 Vgl. Art. 126 A des Dekrets Nr. 46-2959 vom 31. Dez. 1946 i.d.F. des Dekrets Nr. 61-28 vom 11. Jan. 1961, J.O. 12. Jan. 1961, 503 = D. 1961, L., 54: „Les dépenses à rembourser aux caisses de sécurité sociale en application de l'article L. 470 du code de la sécurité sociale peuvent faire l'objet d'une évaluation forfaitaire dans les conditions prévues par arrêté du ministre du travail". 2 4 7 Heute ständige Rechtsprechung: Ch. réun. 2. Juli 1957, J.C.P. 1957, II, 10145; Ass. plén. 30. Juni 1960, J.C.P. 1960, II, 11841 bis; vgl. auch ebenso Conseü d'Etat 8. März 2 4 2

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D. Besondere Haftungslagen

Für Leistungen der Kassen gegenüber Personen, die nach dem allgemeinen Zivilrecht keinen Schadenersatzanspruch haben, hat der Dritte i m übrigen nicht einzustehen 2 4 8 . Verwaltungskosten, Kosten der Ermittlungen und der ärztlichen Prüfungen können der Kasse aufgrund des A r t . 470 nicht ersetzt werden. Umstritten ist, ob diese Kosten i m Rahmen eines eigenen Anspruchs der Kassen gemäß A r t . 1382 ff. C. civ. von dem Dritten erstattet werden müssen 2 4 9 . I n der Rechtsprechung wurde ein solcher Anspruch für die Sécurité sociale wegen besonderer Ermittlungskosten und Kosten der ärztlichen Überprüfung b e j a h t 2 5 0 , aber auch abgelehnt 2 5 1 . Den Versicherungsträgern der Sondersysteme (régimes spéciaux) und der Zusatzsysteme (régimes complémentaires) wird ein dem der Sécurité sociale (régime général) ähnlich gestaltetes Rückgriffsrecht zugestanden 2 5 2 . I n den meisten Fällen ist in den Statuten der öffentlichen Unternehmen bestimmt, daß diese eine Klage aus dem Recht des Geschädigten erheben können (action subrogatoire) 2 5 3 . A u c h hier entsteht dann das Problem der Erstattung von Nebenkosten und vor allem auch von Leistungen, die das Unternehmen als Arbeitgeber trägt (z.B. auch diejenigen, die dem Geschädigten nicht ausgezahlt werden und nicht als Ersatz für seinen Schaden anzusehen sind). I m Rahmen 1957, Gaz. Pal. 1957, 2, 22. Auch das Sterbegeld, das z.B. der Konkubine des Verunglückten oder deren Kinder gezahlt wurde, kann die Kasse ersetzt verlangen, wenn feststeht, daß die Beteiligten einen Schaden erlitten haben, der unmittelbar von dem Unfall herrührt, J. cl., Fase. 653, Nr. 111, m.N.; die Erstattung dieses Kapitals wurde ebenfalls auf der Grundlage des Art. 1382 befürwortet, Cass. civ. 17. Nov. 1955, J.C.P. 1956, II, 9085. 2 4 8 Cass. crim. 17. Jan. 1957, Gaz. Pal. 1957, 1, 434 (Witwe, die seit langem von ihrem verunglückten Mann getrennt und im Konkubinat lebte); Cass. soc. 16. Juni 1966, J.C.P. 1966, IV, 109 (Witwe, die zu Lebzeiten ihres verunglückten Mannes bereits seit mehr als 20 Jahren von diesem getrennt lebte); aber siehe Fn. 247. 2 4 9 Siehe Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 267-5, m.w.N. 250 Cass. civ. 18. Juli 1963, Buü. civ. II (Nr. 544), 407; Cass. civ. 21. Juni 1966, Bull, civ. II (Nr. 627), 522. 251 Cass. civ. 4. Mai 1960, D. 1960, Somm., 116; ebenso Cass. crim. 5. März 1975, D. 1975,1.R., 77; vgl. Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 267-5, Fn. 4. 252 Vgl. Rép. dr. soc. et trav., 1960 und 1979, Nr. 1949. Mit Marschall von Bieberstein, Reflexschäden und Regreßrechte, 90 ff., ist anzumerken, daß die Frage der Ansprüche der öffentlichen Unternehmen, aber auch des Staates und der privaten Arbeitgeber zu den umstrittensten in der französischen Rechtsprechung und Literatur zu rechnen sind und daß es daher eine nahezu unübersehbare Füüe von Literatur und Urteilen gibt. Marschau von Bieberstein steüt diese gesamte Problematik in seiner oben genannten Arbeit, 90 ff., in Umrissen dar. Zur „subrogation" des Arbeitgebers in die Rechte seines Arbeitnehmers siehe auch bei Ferid, Bd. I, 2 E 163, und bei Almuth Larenz, Ersatzansprüche des Unternehmers bei Verletzung eines Mitarbeiters mit fortlaufenden Bezügen nach französischem und deutschem Recht, 19 ff. 253 Z.B. für die E.D.F./G.D.F., annexe n° 3, Art. 4, § 6, zum Dekret Nr. 46-1541 vom 22. Juni 1946, J.O. 25. Juni 1946, 5680; weitere Nachweise bei Blaevoet, Recours des organismes publics à statut particulier contre les tiers responsables d'accidents causés à leurs agents, S. 1962, Chr., 45 ff. Zur besonderen Stellung der öffentlichen Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit siehe Marschall von Bieberstein, 96.

IV. Die Haftungslage bei Verschulden eines Drittschädigers

177

dieser Arbeit soll jedoch nicht auf die Kontroversen in Rechtsprechung und Literatur eingegangen, sondern nur auf entsprechende V o r s c h r i f t e n 2 5 4

und

Fundstellen 2 5 5 hingewiesen werden. V o n einer einheitlichen Rechtsprechung zum Rückgriffsrecht i m Hinblick auf die einzelnen Leistungen aufgrund der Satzungen der Versicherungsträger kann jedoch auch heute noch nicht gesprochen w e r d e n 2 5 6 .

bb) Begrenzung durch die Höhe des zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches gegen den Dritten Der Rückgriff wird nicht nur durch den Umfang der erbrachten Leistungen der Kasse begrenzt, sondern auch durch die Höhe des zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches des Verletzten gegen den Dritten. Er erfaßte nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bis i n die jüngste Zeit sämtliche Schadenersatzansprüche des Geschädigten einschließlich des — keiner Leistung der Kassen entsprechenden — immateriellen Schadenersatzes 257 und sogar der Sachschäd e n 2 5 8 . Ausgenommen waren nur die Ansprüche, die dem Verletzten vorrangig gebühren 2 5 9 . 2 5 4

Vgl. Ordonnance Nr. 59-76 vom 7. Jan. 1959, J.O. 8. Jan. 1959, 5663, Actions en réparation civile de l'Etat, geändert durch das Gesetz Nr. 68-1 vom 2. Jan. 1968, J.O. 3. Jan. 1968, 19. 255 Siehe J. cl., Fase. 653, Nr. 256 ff., m.w.N.; Rép. dr. soc. et trav., 1979, Nr. 1949 ff., m.w.N.; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 368), 967 f., m.w.N.; Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 268-7, Fn. 9; Jambu-Merlin, 229 ff. 256 Die Rechtsprechung scheint einen Anspruch aus Art. 1382 ff. C. civ. jedoch zu befürworten, wenigstens im Hinblick auf die „charges accessoires aux salaires", vgl. Ass. plén. 30. April 1964, J.C.P. 1964, II, 13734, 2 Urteile, Anm. Esmein = D. 1965, 149, Anm. Bredin. Die unterschiedlichen Bewertungen zu den verschiedenen Leistungen durch die Gerichte beruhen wohl auch darauf, daß die Probleme des Kausalzusammenhangs zwischen Unfall und Schaden im Rahmen des Art. 1382 C. civ. nicht deutlich geklärt sind; vgl. dazu Marschall von Bieberstein, 44; ferner Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 268-7, Fn. 9. 257 Cass. crim. 10. März 1953, J.C.P. 1954, II, 8007, Anm. P.A. in Gaz. Pal. 1953, 2, 88; Ch. réun. 27. April 1959, J.C.P. 1959, II, 11176, Anm. G.B. = D. 1959, 345, Anm. Esmein, in beiden die Entscheidung ablehnenden Bemerkungen wird eine Gesetzesänderung gefordert; ebenso David-Constant, L'influence de la sécurité sociale sur la responsabilité civile, 235 (242); zur Rechtsprechung und Literatur siehe die zahlreichen Nachweise bei Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 267-8, Fn. 1; Rép. dr. soc. et trav., 1960 und 1979, Nr. 1927. 258 Vgl. die allgemeine Aussage in Cass. soc. 10. März 1955, D. 1956, Somm., 9; ferner Dahan, Nr. 284; Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 267-8 und Fn. 3. 259 Art. 471 Abs. 3, nach der Gesetzesänderung durch Gesetz Nr. 76-1106: Art. 471 Abs. 4; dieses Vorzugsrecht bezieht sich auch auf alle Unkosten des Geschädigten. Umstritten ist aber, ob es sich nur auf Verauslagungen für Leistungen der Kassen bezieht (so Cass. soc. 9. Juli 1968, J.C.P. 1968, IV, 153; Cass. soc. 11. Juni 1976, J.C.P. 1976, IV, 255) oder auf alle Unkosten, die die Kassen nicht übernehmen (z.B. Begräbniskosten), Cass. crim. 10. Nov. 1954, Gaz. Pal. 1955, 1, 89; zur weiteren Rechtsprechung siehe J. cl., Fase. 653, Nr. 130 ff.

178

D. Besondere Haftungslagen

Bezüglich der Sachschäden wurde der Grundsatz: „Le droit des caisses s'exerce sur l'ensemble des éléments de préjudice matériel ou moral" 2 6 0 durchbrochen 261 und wird wohl in der heutigen Rechtsprechung abgelehnt 262 . Im Falle eines sogenannten „préjudice commercial" (geschäftlicher Schaden) wird dem Geschädigten ebenfalls ein Vorrecht eingeräumt 263 . Bis zum Jahre 1973 wurde der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens zur Befriedigung der Kassen herangezogen; so z.B. der Schmerzensgeldanspruch, der Ersatzanspruch wegen körperlicher Entstellung (préjudice esthétique) und der entgangenen Lebensfreude (préjudice d'agrément) 264 . Diese ständige Rechtsprechung des Kassationshofes war sehr umstritten und wurde von vielen Untergerichten ebenso wie in der Literatur abgelehnt. Das Gesetz Nr. 73-1200 vom 27. Dezember 1973 2 6 5 brachte eine entscheidende Wende: der Art. 397 (für die allgemeine Sozialversicherung) und Art.470 wurden geändert. Nunmehr kann der immaterielle Schadenersatzanspruch nicht mehr zur Befriedigung der Sécurité sociale herangezogen werden. Es heißt im Gesetz: „ . . . la caisse est admise à poursuivre le remboursement des prestations mises à sa charge . . . à l'exclusion de la part d'indemnité, de caractère personnel, correspondant aux souffrances physiques ou morales par elle endurées et au préjudice esthétique et d'agrément" 266 . Nach der Rechtsprechung wird damit aber nicht der Teil der Entschädigung dem Rückgriff der Kassen entzogen, der den erlittenen „troubles physiologiques" (physiologische Störungen) des Geschädigten entspricht 267 .

260

Cass. soc. 10. März 1955, D. 1956, Somm., 9; vgl. auch Cass. crim. 10. März 1953, D. 1954, Somm., 29 = J.C.P. 1954, II, 8007, 1. Urteil, Anm. P.A. 261 Cass. crim. 24. Nov. 1953, J.C.P. 1954, II, 8007, 2. Urteil, Anm. P.A.; Cass. crim. 18. Dez. 1956, J.C.P.. 1957, II, 9835, 1. Urteü; Rép. dr. soc. et trav., 1960, Nr. 1928, m.w.N. 2 2 * Vgl. Cass. civ. 7. Feb. 1963, D. 1963, Somm., 104; Cass. crim. 4. Dez. 1963, D. 1964, 36, Anm. Mazard. 263 Cass. civ. 22. Aprü 1955, D. 1956, 69, 2. Urteü, Anm. Tunc. 2 64 Rép. dr. soc. et trav., 1960 und 1979, Nr. 1927, m.w.N.; Mazeaud/Tunc, Bd. I, Nr. 267-8, Fn. 1. 265

(Fn. 232); siehe auch bereits oben unter D IV 4 a. *6 Art. 470 Abs. 3; Cass. crim. 3. Mai 1977, D. 1977, I.R., 335; siehe dazu auch Lambert, Les droits des victimes assurées sociales à l'égard des tiers auteurs de leur accident, Gaz. Pal. 1974, 1, 233; vgl. auch Le Roy, D. 1978, Chr., 57; ferner zur Definition des „préjudice d'agrément" Paris 2. Dez. 1977, Gaz. Pal. 1978, 1, 36, Anm. M.L.R. 2

267

m.w.N.

Siehe Cass. soc. 9. Nov. 1976, J.C.P. 1976, IV, 391; J. cl., Fase. 653, Nr. 135,

IV. Die Haftungslage bei Verschulden eines Drittschädigers

179

5. Z u s a m m e n f a s s u n g d e r R e g e l u n g e n zum Q u o t e n v o r r e c h t Für die Regelung des Quotenvorrechts kommt es darauf an, weshalb der Dritte nicht den vollen Schaden ersetzt. Eine nur anteilige Haftung des Dritten aufgrund eines mitwirkenden Verschuldens des Geschädigten bewirkt nicht, daß die Kasse nur Anspruch auf den die Haftung des Dritten entsprechenden Bruchteil ihrer Ausgaben hat, sondern sie besitzt ein Rückgriffsrecht auf den Gesamtschadenersatz, der von dem Dritten zu leisten ist 2 6 8 unter Abzug des immateriellen Schadens269 und der Sachschäden270. Insoweit haben die Kassen also ein Quotenvorrecht 271 . Wenn es jedoch um die Beitreibung der Summen geht, die der Haftpflichtige an die Kasse und den Verletzten aufgrund eines Urteils zu zahlen hat, und Insolvenz des Dritten oder Erschöpfung der Deckung seiner Haftpflichtversicherung vorliegt, so besteht kein Quotenvorrecht der Kassen. Vielmehr hat dann der Verletzte gemäß Art. 471 Abs. 4 das Vorrecht auf Erstattung bestimmter Unkosten 2 7 2 . In bezug auf alle anderen Forderungen des Verletzten sind dieser und die Kasse gleichberechtigt 273 , d.h. die verfügbaren Summen werden quotenmäßig aufgeteilt 274 .

268 Siehe oben D IV 4 b bb; vgl. auch (für die Sozialversicherung) Cass. civ. 31. Mai 1972, Bull. civ. II (Nr. 167), 137. 269 Vgl. Cass. crim. 27. Nov. 1974, D. 1975, I.R., 1 (Schadenersatz wegen entgangener Lebensfreude). 270

Vgl. J. cl., Fase. 653, Nr. 146, m.w.N. Das gleiche gilt, wenn wegen Unabhängigkeit der Gerichte bei der Schadenersatzfestlegung der zivilrechtliche Schadenersatzanspruch niedriger ist als die Summe der Kassenleistungen und der Restschäden des Geschädigten. Vgl. auch oben unter D IV 3. 272 Vgl. Mazeaud/Tunc, Bd. III, Nr. 2698-10, 11; andere „Geschädigte" als die Sécurité sociale - wie z.B. der Staat - sind aber immer quotenmäßig an der Haftpflichtentschädigung des Dritten beteüigt; vgl. auch Weyers, Unfallschäden, 171. 273 Bei Ungewißheit der Vermögenslage des Schuldners kann die Sécurité sociale nach Art. 68 ihre Forderungen aufgrund der Art. 468 bis 470 einschränken. Diese Entscheidung muß begründet werden; J. cl., Fase. 653, Nr. 175. 2 7 4 Cass. civ. 3. Juni 1966, J.C.P. 1966, IV, 102; Cass. soc. 8. Feb. 1968, J.C.P. 1968, IV, 41. 271

E. Der Rechtsweg Bis zum Jahre 1946 gab es im französischen Recht keine einheitliche Sozialgerichtsbarkeit. Die verschiedenen sozialen Zweige unterlagen einer Fülle von Einzelbestimmungen. Im Bereich der Arbeitsunfälle war der „juge de paix" (Friedensrichter, dessen Funktion dem heutigen „tribunal d'instance" entsprach) zuständig bei zeitweiliger Arbeitsunfähigkeit und allen medizinischen Kosten1 und das „tribunal civil" bei Erwerbsunfähigkeit. Der Rechtsstreit wurde zwischen aem Geschädigten auf der einen und dessen Arbeitgeber und der Versicherungsgesellschaft auf der anderen Seite ausgetragen2. Mit dem Gesetz vom 24. Oktober 19463 wurde eine relativ einheitliche Gerichtsbarkeit der sozialen Sicherheit geschaffen. Dieses Gesetz wurde durch die Ordonnance Nr. 58-1275 4 vom 22. Dezember 1958 und das Dekret Nr. 58-12915 gleichen Datums aufgehoben und ersetzt 6 . In dieser Fassung hat es bis heute Gültigkeit, abgesehen von einer Fülle kleinerer Änderungen und Ergänzungen. Für Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern, Arbeitgebern und den Kassen wurde also ein besonderer Rechtsweg geschaffen. Dieser könnte zwischen die Zivilgerichtsbarkeit und die Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeordnet werden 7. 1

Vgl. Art. 15 des Gesetzes vom 9. April 1898. Vgl. Jambu-Merlin, 92. 3 Gesetz Nr. 46-2339 vom 24. Okt. 1946, J.O. 25. Okt. 1946, 9038 = D. 1946, L., 417. Dieses Gesetz wurde später als zweites Buch - Art. 190 bis 239 - in den Code de la sécurité sociale aufgenommen. 4 J.O. 23. Dez. 1958, 11559 = D. 1959, L., 27. 5 J.O. 23. Dez. 1958, 11613 = D. 1959, L., 49 (bis heute gültig, wenn auch in mehrfach geänderter. Form). 6 Bis auf Art. 237; durch die Ordonnance wurden in den Art. 190 bis 197 des zweiten Buchs des Code de la sécurité sociale die neuen Grundzüge des „contentieux de la sécurité 4 sociale ' dargestellt. Das Dekret enthält die näheren Einzelbestimmungen. Es stellt die Prozeßordnung in Verbindung mit der Zivilprozeßordnung dar und wurde seit 1958 vielfachen Änderungen unterworfen (auch abgedruckt in:Codes de la Sécurité sociale [Petits Codes Dalloz], 365 ff.). 7 Es handelt sich wohl um eine Sondergerichtsbarkeit, die aber zur ordentlichen Gerichtsbarkeit gerechnet werden kann; vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 375), 987 („ . . . les juridictions sont des juridictions d'exception dans l'ensemble des structures juridictionneUes, mais peuvent être considérées comme des juridictions de droit commun dans l'ensemble des structures juridictionnelles..."); Jambu-Merlin, 96 (juridictions civiles d'exception); letzter betont (93, 94), daß es sich um „juridictions de l'ordre judi2

I. D

een

Streitverfahren

181

D u p e y r o u x 8 weist auf die Schwierigkeiten einer genauen Einordnung h i n 9 . Er meint, daß der „contentieux de la sécurité sociale" dazu bestimmt zu sein scheine, zwischen der richterlichen Gewalt und der Verwaltung hin und her zu schwanken 1 0 . Es werden aber auch die verwaltungsrechtlichen und ordentlichen Streitverfahren zur Regelung von Streitigkeiten der sozialen Sicherheit herangezogen 11 . Innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit wird zwischen dem „contentieux général", d.h. dem allgemeinen Streitverfahren, und den „contentieux spéciaux", d.h. verschiedenen besonderen Streitverfahren, unterschieden.

I . Das allgemeine Streitverfahren 1.

„Le de

la

contentieux sécurité

général

sociale"

I m allgemeinen Streitverfahren der sozialen Sicherheit ( A r t . 1 9 0 1 2 ) werden sämtliche Streitsachen geregelt, die sich aus der Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen und der Verordnungen für die soziale Sicherheit und die landwirtschaftliche Sozialversicherung ergeben und die ihrer N a t u r 1 3 nach oder aufciaire" (ordentliche Gerichte) handele, im Gegensatz zu Verwaltungsgerichten. So auch Trib. conflits 22. April 1974, J.C.P. 1974, II, 17856. 8 Dupeyroux, Les juridictions sociales dans la réforme judiciaire, Dr. soc. 1960, 153. 9 Die ersten Reformpläne sahen vor, den „contentieux de la sécurité sociale" als „contentieux administratif 4 abzufassen und somit also in die Verwaltungsgerichtsbarkeit einzugliedern. Es sollten Kommissionen gebüdet werden, denen ein Beamter der Bezirksleitung Vorsitzen sollte. Die Entscheidung in letzter Instanz läge dann beim Conseil d'Etat. Die Vertreter der Arbeitgeber lehnten diese Lösung jedoch strikt ab; vgl. Jambu-Merlin, 93; Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 375), 989. 10 Anzumerken ist, daß mit „Verwaltung" hier auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit gemeint ist. Die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit wird von der ordentlichen Gerichtsbarkeit streng getrennt und ist nicht Teil einer einheitlichen richterlichen Gewalt. Sie gehört vielmehr zur Verwaltung als deren besonderer Teü, der sich nur durch die Art der Tätigkeit eindeutig von der „tätigen Verwaltung" unterscheidet. Dieser ist aber Rechtsprechung wie die ordentliche Gerichtsbarkeit; vgl. Lederer, Verwaltungsgerichtsbarkeit und Justiz in Frankreich, AöR, Bd. 81, 449 (450). 11 Vgl. auch Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 375), 989 f. 12 Art. 190 lautet: „II est institué une organisation du contentieux général de la sécurité sociale. - Cette organisation règle les différends auxquels donne lieu l'application des législations et réglementations de sécurité sociale et de mutualité sociale agricole, et qui ne relèvent pas, par leur nature, d'un autre contentieux." 13 Über Rechtsstreitigkeiten, die „ihrer Natur nach" in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichte fallen, wurde in neuerer Zeit vom Tribunal des conflits entschieden: Trib. conflits 22. April 1974, J.C.P. 1974, II, 17856, Anm. Saint-Jours (2 Urteile); vgl. dazu auch Anm. Lachaume, D. 1974, 773. Danach sind die Verwaltungsgerichte zuständig für Rechtsstreitigkeiten, die die Gesetzesmäßigkeit von Runderlassen betreffen. Einmal handelte es sich um eine Kasse, die eine privatrechtliche Anstalt, im zweiten Fall um eine Kasse, die eine öffentlich-rechtliche Anstalt darstellte.

182

E. Der Rechtsweg

grund anderer gesetzlicher Regelungen (vgl. Art. 192, 193) keinem anderen Rechtsweg zugewiesen sind. Der Bereich des allgemeinen Streitverfahrens erstreckt sich grundsätzlich auf alle Streitigkeiten, die das „régime général" (alle Zweige), das landwirtschaftliche System und die Sondersysteme (régimes spéciaux) betreffen 14 . Ihm unterligen insbesondere Streitfälle, die aus den Beziehungen der Sozialversicherungsträger mit den Arbeitgebern und Arbeitnehmern entstehen, so z.B. Streitigkeiten um die Versicherungspflicht (contentieux de l'assujettissement), um die Beitragsberechnung und Beitragsdeckung und um die Leistungen. Im Arbeitsunfallrecht werden Streitfälle umfaßt, die u.a. betreffen: — die Anerkennung des Unfalls als Berufsunfall; — die Feststellung, daß der Geschädigte leistungsberechtigt ist; — die Bestimmung des Datums der Konsolidierung oder Heilung der Verletzung; — die Anerkennung einer „faute inexcusable" und die Festsetzung der Rentenerhöhung und gegebenenfalls des immateriellen Schadenersatzes15. Diesem allgemeinen Streitverfahren unterliegen - abgesehen von den besonderen Verfahren - solche Streitigkeiten nicht, die sonstige Bereiche des Privatrechts betreffen. So gehören aufgrund besonderer Zuweisung oder originär zur Zuständigkeit der Zivilgerichte, z.B. alle Rechtsstreitigkeiten über interne Betriebsangelegenheiten der Kassen (Personal, Lieferanten etc.); ferner solche Streitigkeiten, die die Zusatzsysteme (régimes complémentaires) betreffen 16 oder die zur ausschließlichen Zuständigkeit der Zivilgerichte gehören, wie Personenstandsangelegenheiten. Im Bereich des Arbeitsunfallversicherungsrechtes sind der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Zivil- oder Strafgerichte) insbesondere zuzurechnen: Rechtsstreitigkeiten der Kasse mit Drittschädigern (Regreßprozesse); Streitigkeiten über einen ergänzenden Schadenersatz (Arbeitnehmer — Dritter; Arbeitnehmer - Betriebsangehöriger, beim Wegeunfall); Streitigkeiten, die die Haftpflicht des Arbeitgebers oder seines „préposé" bei „faute intentionnelle" betreffen; die Ahndung strafrechtlicher Tatbestände17. Das allgemeine Streitverfahren sieht ein (außerstreitiges) Vorverfahren und drei Instanzenzüge vor. 14 Vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 375), 988; Jambu-Merlin, 95; letzterer zur Frage, ob es sich um eine ausschließliche Zuständigkeit handelt (verneint), 96 f. 15 Vgl. weitere Beispiele bei Godard, Accidents du travail, 57 ff.; vgl. auch J. cl., Fase. 649, Nr. 9 ff. W Vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 396), 1045 ff. (1052). 17 Vgl. Godard, Accidents du travail, 57 f.

I. D

een

Streitverfahren

183

Das Vorverfahren 18 ist Zulässigkeitsvoraussetzung für die Erhebung einer Klage in erster Instanz. Es findet vor der „commission de recours gracieux", der zuständigen Versicherungsanstalt, statt und betrifft alle Streitigkeiten, die aufgrund der Entscheidungen der Kassen entstehen. Einer Entscheidung dieser Kommission 19 muß grundsätzlich der Verwaltungsrat der zuständigen Kasse zustimmen. Im allgemeinen ist die Kommission jedoch zu einer ständigen Vertretung des Verwaltungsrates befugt 20 . Sie entscheidet innerhalb von vier Wochen nach Einlegung des Einspruchs. Eine Nichterledigung gilt dabei als Abweisung. Nach Ablauf dieser Frist bzw. nach Zustellung des Bescheides der Kommission kann binnen 2 Monaten Klage vor der „commission de première instance" erhoben werden. Den Vorsitz dieser ersten Instanz 21 führt der Präsident des „tribunal de grande instance", in dessen Amtsbereich die Kommission ihren Sitz hat, oder ein von ihm bestellter Richter. Diesem sind zwei Beisitzer beigegeben, die jeweils die Arbeitnehmer, die Arbeitgeber oder die Selbständigen vertreten. Falls das Gericht nicht vollzählig zusammentreten kann, entscheidet der Richter als Einzelrichter 22 . Örtlich zuständig ist grundsätzlich die Kommission, in deren Bezirk sich der Wohnsitz des Begünstigten oder des beteiligten Arbeitgebers befindet. Bei Streitigkeiten zwischen Sozialversicherungsträgern, die ihren Sitz jeweils in verschiedenen Kommissionsbezirken haben, ist der Sitz des beklagten Trägers maßgebend. Abweichend von dieser allgemeinen Regelung ist folgender Ort jeweils maßgebend: — im Falle eines nicht tödlich verlaufenen Arbeitsunfalls: der Unfallort oder der Aufenthaltsort des Verunglückten 23 ; - im Falle eines tödlichen Arbeitsunfalls: der letzte Wohnsitz des Opfers; — bei Streitigkeiten des geschädigten Arbeitnehmers mit dem Arbeitgeber: der Aufenthaltsort des Geschädigten; - bei Streitigkeiten um die Versicherungspflicht und die Beiträge: die Lage des Betriebes des jeweiligen Unternehmers 24 . Die sachliche Zuständigkeit der Kommission besteht grundsätzlich für alle Streitigkeiten, die sich aus der Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen über 18 19

(Fn. 5). 20

Vgl. Art. 1 bis 6 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). Zur Besetzung der Kommission vgl. insbesondere Art. 2 des Dekrets Nr. 58-1291

Art. 4 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). Art. 191 i.V.m. Art. 7 ff. des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). 22 Art. 18 Abs. 2 des Dekrets (Fn. 5). 23 Der Verletzte hat ein Wahlrecht zwischen beiden Orten. 2 4 Zur örtlichen Zuständigkeit der Kommission vgl. auch näher Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 375), 991. 21

184

E. Der Rechtsweg

die soziale Sicherheit ergeben, es sei denn, daß eine ausdrückliche Zuweisung zu einem besonderen Rechtsweg vorliegt oder die Streitigkeit ihrer Natur nach einer anderen Gerichtsbarkeit oder einem anderen Verfahren zuzuordnen ist 2 5 . So ist die Kommission z.B. zuständig für Streitigkeiten über die Mitgliedschaft bei der Versicherung (contentieux de l'affiliation), über die den Versicherungsträgern geschuldeten Beiträge, über die Leistungen an die Versicherungsnehmer - immer vorausgesetzt, daß kein besonderer Rechtsweg im Einzelfall vorgesehen ist. Die Kommission entscheidet in Fällen mit einem Streitwert bis zu 3500 F „en dernier ressort" 26 . Gegen diese Entscheidung ist dann das Rechtsmittel der Berufung nicht zulässig, sondern es kann nur noch um Entscheidung des Kassationshofes ersucht werden 27 . Die Kommission entscheidet immer „en dernier ressort" über Beschwerden, die Verzugszuschläge betreffen 28 . Grundsätzlich gibt es aber das Rechtsmittel der Berufung gegen Entscheidungen der Kommission. Für die Berufung sind die Chambres sociales (Senate für Sozialsachen) der Berufungsgerichte (Cours d'appel) zuständig 29 . Berufung wird bei dem verkündenden Gericht eingelegt. Die Einlegungsfrist beträgt 1 Monat nach Zustellung der Entscheidung der Kommission. Gegen die Entscheidung der Cour d'appel gibt es die Möglichkeit des „pourvoi en cassation" beim Kassationshof 30. Auch beim Kassationshof besteht ein Sozialsenat. Seit dem 1. Januar 1968 ist dieser für alle Rechtsstreitigkeiten zuständig, die die soziale Sicherheit betreffen 31 . 2. P r o z e ß v e r t r e t u n g

und

Kosten

Im Verfahren vor der „commission de première instance" und dem Berufungsgericht besteht kein Rechtsanwaltszwang. Die Parteien können persönlich 25

Vgl. oben E vor I. * * Art. 21 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5) i.V.m. Art. 8 Code de procédure civile; „en dernier ressort" entspricht etwa dem deutschen Begriff: in letzter Instanz. 27 Art. 197 i.V.m. Art. 53 bis 56 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5); vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 379), 998 f.; bei unbestimmten Anträgen (une demande indéterminée) ist eine Berufung immer möglich; vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 376), 992; anders als der deutsche Bundesgerichtshof steht der Kassationshof außerhalb des Instanzenzuges, vgl. Ferid, Bd. I, 1 A 41. 28 Art. 20 des Dekrets Nr. 72-230 vom 24. März 1972, J.O. 26. März 1972, 3134 = D. 1972, L., 164. 29 Art. 24 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). 30 Art. 197 i.V.m. Art. 53 bis 56 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). 31 Vor dem Jahre 1968 war dieser Sozialsenat nur für Streitigkeiten bei Arbeitsunfällen zuständig. Ein „pourvoi en cassation44, der die Familienleistungen oder die Sozialversicherungen betraf, kam vor den 2. Zivilsenat, vgl. Jambu-Merlin, 94.

II. Die besonderen Streitverfahren

185

auftreten oder sich auch durch einen Rechtsanwalt oder eine andere gesetzlich bestimmte Person vertreten lassen32. Dies gilt nicht für das Verfahren vor dem Kassationshof 33. Das sozialgerichtliche Verfahren ist kostenlos („la procédure est gratuite et sans frais") 3 4 . Die Rechtsanwaltsgebühren, die aufgrund des Rechtsanwaltszwangs bei Verfahren vor dem Kassationshof entstehen, hat die jeweilige Partei zu tragen. Bei Bedürftigkeit kann aber auch hier Gebührenfreiheit auf Antrag erlangt werden. Falls der Berufungskläger unterliegt, wird er dazu verurteilt, bis zu 100 F zu zahlen. Es kann aber in der Entscheidung von einer solchen Zahlung abgesehen werden 35 . Falls festgestellt wird, daß die Klage mißbräuchlich oder zum Zwecke der Verzögerung eingelegt wurde, kann der unterliegende Kläger sowohl in erster wie in zweiter Instanz zur Zahlung einer Buße in Höhe von 100 bis zu 10 000 F und gegebenenfalls zur Zahlung der Prozeßkosten, insbesondere der Kosten der Ermittlungen und Sachverständigengutachten verurteilt werden. Kosten, die durch Verschulden einer Partei entstehen, können in jedem Falle geltend gemacht werden 36 .

II. Die besonderen Streitverfahren - „Les contentieux spéciaux" Es gibt — wie bereits erwähnt - für bestimmte Streitigkeiten eine Reihe von besonderen Streitverfahren mit jeweils eigenen Rechtswegen37. 1. „ C o n t e n t i e u x technique" n a c h A r t . 193 Z i f f . 1-4 Gegenstand des „contentieux technique" 38 nach Art. 193, zunächst Ziff. 1-4, sind Streitigkeiten über 32

Art. 17 und 24 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). Art. 53 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). 3 4 Art. 57 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5); zu näheren Einzelheiten der Kostenregelung insgesamt siehe Art. 57 und 58 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). 35 Art. 57 Abs. 1 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). 36 Art. 57 Abs. 2 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). 37 Im folgenden können nur die wesentlichsten Streitverfahren genannt werden. 38 Vgl. Art. 29 ff. des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5) mit Einzelheiten zur Prozeßordnung. 33

186

E. Der Rechtsweg

(1) das Bestehen oder den Grad der Invalidität (l'état ou le degré d'invalidité) bei Unfällen und Krankheiten, die nicht beruflicher Natur sind, und den Stand der Erwerbsunfähigkeit (l'état d'inaptitude au travail); (2) das Bestehen und den Grad dauernder Minderung der Erwerbsfähigkeit der von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten betroffenen Personen; (3) und (4) bestimmte Fälle der Invalidität, die die gesondert behandelten landwirtschaftlichen Unfälle betreffen. Für Streitigkeiten, die das Bestehen oder den Grad der Invalidität (Ziff. 1) oder der Erwerbsunfähigkeit (Ziff. 2) betreffen, sind in erster Instanz die „commissions régionales d'invalidité et d'incapacité permanente" zuständig; für die Streitfälle, die die Erwerbsunfähigkeit (Ziff. 1) betreffen (um vorzeitige Altersrente zu erhalten), sind es die „commissions régionales d'inaptitude au travaü" 3 9 . Diese Kommissionen setzen sich unter Vorsitz des Bezirksdirektors der Sécurité sociale zusammen u.a. aus einem Angehörigen der Arbeitsverwaltung, drei Ärzten und je einem Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer 40 . Gegen die — begründete — Entscheidung der Kommission kann bei der „commission nationale technique" Berufung eingelegt werden 41 . Diese Kommission ist in Abteilungen (sections) aufgeteilt, deren Zuständigkeit besonders geregelt ist. Jede Abteilung entscheidet im allgemeinen unter Vorsitz eines Richters der Verwaltungs- oder der ordentlichen Gerichtsbarkeit und setzt sich im übrigen aus Richtern, Verwaltungsbeamten und Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen 42 . Es wird nach der Aktenlage entschieden. Gutachten und Ermittlungen können neu herangezogen werden 43 . Die Entscheidung der Kommission kann beim Kassationshof angefochten werden 4 4 .

2. „ C o n t e n t i e u x technique" n a c h A r t . 193 Z i f f . 5 Für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Beiträgen für den Zweig der Arbeitsunfälle - Art. 193 Ziff. 5 - ist die „commission nationale technique" in 39

Art. 29 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). Art. 194 i.V.m. Art. 31 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5), mit näheren Einzelheiten. 41 Art. 195 i.V.m. Art. 37 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). 42 Vgl. Art. 38 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5) und die Art. 42 ff. dieses Dekrets zur näheren Prozeßordnung. 43 Art. 47 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). 4 4 Art. 197 i.V.m. Art. 53 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). 4 0

II. Die besonderen Streitverfahren

187

erster Instanz und zugleich „en dernier ressort" zuständig 45 . Dieser Rechtsweg betrifft u.a. die Festsetzung der Beitragssätze - die Unternehmen werden nach ihrem gewerblichen Risiko eingestuft —, die Auferlegung von Zusatzbeiträgen (nicht bei „faute inexcusable"), die Rückvergütung und die Festsetzung der Beiträge zum Gemeinschaftsfonds 46. Die Entscheidung der Kommission kann beim Kassationshof angefochten werden 47 .

3. D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n oder „ c o n t e n t i e u x du c o n t r ô l e technique" Streitigkeiten, die im Rahmen der Berufsausübung von Ärzten, Zahnärzten, Hebammen, Apothekern und ärztlichen Hilfskräften entstehen, werden in einem Verfahren ausgetragen 48. Gegenstand des Verfahrens sind nach Art. 403: „fautes, abus, fraudes et tous faits intéressant l'exercice de la profession". Es handelt sich um eine Ehrengerichtsbarkeit. Die Gerichte sind aber zur Vermeidung von Mißbräuchen so zusammengesetzt, daß Vertretern der sozialen Sicherheit ein großes Mitspracherecht bei den Entscheidungen eingeräumt wird. In erster Instanz entscheidet eine „section des assurances sociales du conseil régional de discipline". Das Gericht entscheidet unter Vorsitz eines Präsidenten des Verwaltungsgerichts bzw. eines von ihm bestellten Vertreters. Es setzt sich zusammen aus zwei Mitgliedern der jeweiligen Ärzteschaft (oder einem Mitglied der Ärzteschaft und einer Hebamme bzw. einer ärztlichen Hilfskraft) und zwei Vertretern der sozialen Sicherheit, darunter ein Vertrauensarzt 49 . Berufung kann bei der „section des assurances sociales du conseil national" der entsprechenden Berufsverbände eingelegt werden 50 . Den Vorsitz führt ein Staatsrat (conseiller d'Etat). Die weitere Besetzung erfolgt ähnlich wie in der ersten Instanz 51 . Die Entscheidung kann beim Conseil d'Etat angefochten werden 52 . 45

Art. 196. Vgl. zu diesem „fonds commun des accidents du travaü" Art. 491. 4 7 Art. 53 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). 48 Vgl. Art. 403 ff. und vgl. Art. 1 ff. des Dekrets Nr. 66-35 vom 7. Januar 1966, J.O. 9. Jan. 1966, 286 = D. 1966, L., 82 (vgl. insbesondere Art. 7 ff. des Dekrets Nr. 66-35 die Apotheker betreffend). Auf Einzelheiten zu diesem Verfahren wurde auch hier verzichtet. 49 Art. 403 Abs. 3 sowie Art. 1, 2 und 5 des Dekrets Nr. 66-35 (Fn. 48). 50 Art. 403 Abs. 1. 51 Art. 405 und Art. 4 des Dekrets Nr. 66-35 (Fn. 48). 52 Vgl. Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 382), 1003. 46

188

E. Der Rechtsweg

Diese Gerichte können von den Organen und Dienststellen der sozialen Sicherheit und den jeweiligen Berufsverbänden angerufen werden 53 . Es können bestimmte Strafen verhängt werden: Die Verwarnung (l'avertissement); der Tadel mit oder ohne Veröffentlichung (le blâme, avec ou sans publication); das zeitlich begrenzte oder dauernde Verbot, Sozialversicherte zu behandeln (l'interdiction temporaire ou permanente du droit de donner des soins aux assurés sociaux). Bei Verstößen wegen Überschreitung oder Unzulänglichkeit der Honorarforderung kann Rückzahlung angeordnet werden, ebenso kann Erstattung der Kosten von mißbräuchlich verschriebenen Medikamenten verlangt werden 54 . Bei Schadenersatzansprüchen müssen die ordentlichen Gerichte angerufen werden.

4. D a s ä r z t l i c h e Sachverständigengutachten - „L'expertise médicale" Bei der Arbeitsunfall- und Krankenversicherung gibt es als weiteres besonderes Verfahren die „expertise médicale" oder „expertise technique", das ärztliche Sachverständigengutachten 55. Gegenstand dieses Verfahrens sind Streitigkeiten über den Zustand des Geschädigten (oder des Kranken), insbesondere über den Zeitpunkt der Konsolidierung oder Heilung des Unfallverletzten oder auch über den berufsmäßigen Charakter der Verletzung, der Krankheit oder des Rückfalls 56 . Das Gutachten kann jederzeit eingeschaltet werden. Der Verletzte hat sich dazu einer Untersuchung durch einen ärztlichen Sachverständigen zu unterziehen. Der Sachverständige wird von dem behandelnden Arzt und dem Vertrauensarzt in gegenseitigem Einverständnis oder — falls kein Einverständnis erzielt wird — von dem Leiter des Bezirksgesundheitsamtes (directeur départemental de la santé) bestellt 57 . In besonderen Fällen kann das Gutachten auch von einem Ärzteausschuß (3 Mitglieder) erbracht werden 58 . Das Verfahren kann von dem Verletzten (bzw. Kranken) oder der Kasse beantragt werden 59 . 53

Art. 404. Art. 406; siehe aber Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 382), 1003, Fn. 2. 55 Vgl. Art. 1 ff. des Dekrets Nr. 59-160 vom 7. Jan. 1959, J.O. 10. Jan. 1959, 718 = D. 1959, L., 278; vgl. dazu auch Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 198), 524 f. und (Nr. 163) 426. 56 Streitfälle über das Vorliegen der Invalidität und die Versehrtenstufe oder über die Arbeitsunfähigkeit sind ausgenommen, vgl. oben E II 1. 57 Art. 2 Abs. 1 des Dekrets Nr. 59-160 (Fn. 55). 58 Art. 2 Abs. 2 des Dekrets Nr. 59-160 (Fn. 55). 59 Art. 3 des Dekrets Nr. 59-160 (Fn. 55). 5 4

II. Die besonderen Streitverfahren

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Im übrigen haben die Gerichte des allgemeinen Streitverfahrens im Falle auftauchender Schwierigkeiten bei medizinischen Problemen, die den Zustand des Geschädigten (bzw. Kranken), insbesondere den Zeitpunkt einer Konsolidierung oder eine Heilung betreffen, das ärztliche Sachverständigengutachten anzuordnen 60 . Das Gutachten ist für alle Beteiligten, einschließlich der zuständigen Gerichte, bindend 61 . Eine Anfechtung ist nur möglich bei Verstößen gegen die gesetzlichen Formvorschriften oder Ungenauigkeit und Unklarheit der Ergebnisse 62. In diesem Fall kann das Gericht ein Sachverständigengutachten anordnen, welches dann der freien Beweiswürdigung unterliegt 63 .

60 Art. 20 und 26 des Dekrets Nr. 58-1291 (Fn. 5). « Art. 7 des Dekrets Nr. 59-160 (Fn. 55). 62 Vgl. Cass. soc. 16. Feb. 1961, J.C.P. 1961, II, 12089, Anm. R.L. = D. 1961, Somm., 91; Cass. soc. 5. Mai 1961, J.C.P. 1961, II, 12191; Cass. soc. 7. Okt. 1966, Dr. soc. 1967, 338, Anm. Jambu-Merlin. 63 Vgl. auch Jambu-Merlin, 124.

F. Vereinheitlichung auf europäischer Ebene: Hinweise zum Schutz des Arbeitnehmers im Bereich der Europäischen Gemeinschaften1

Nach Art. 48 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 2 soll die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft hergestellt werden 3. Um dieses Ziel zu erreichen, soll gemäß Art. 51 EWG-Vertrag auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit ein System eingeführt werden, welches aus- und einwandernde Arbeitnehmer und deren anspruchsberechtigte Angehörige sichert durch: a) die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen; b) die Zahlung der Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen. Auf der Grundlage dieses Artikels in Verbindung mit Art. 227 Abs. 2 EWGVertrag ergingen die Verordnungen Nr. 3 vom 25. September 1958 4 und Nr. 4 vom 3. Dezember 19585 über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer 6. 1 Siehe dazu auch den ausführlichen Bericht (allerdings nicht mehr auf dem neuesten Stand) des Internationalen Arbeitsamtes, vorgelegt zur Europäischen Regionaltagung über die Verwaltungsprobleme der sozialen Sicherheit der Wanderarbeitnehmer, die von der Internationalen Vereinigung für soziale Sicherheit vom 20. bis 25. März 1972 in Estoril/ Portugal veranstaltet worden war, in: BKK 1972, 118 bis 129. 2 Im folgenden „EWG-Vertrag'4 genannt, abgedruckt in BGBl. 1957 II, 766. 3 Zur sozialpolitischen Zielsetzung in der Gemeinschaft siehe Art. 117 bis 128 EWGVertrag; zur Europäischen Sozialpolitik siehe auch Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 931 ff., insbesondere zur sozialen Sicherheit, 944 f.; ferner Heise, Sozialpolitik in der EWG, 78 ff., 121 ff., 240 ff., 266 ff. 4 Abi. vom 16. Dez. 1958 (Nr. 30), 561, und BGBl. 1959 II, 473. Die VO Nr. 3 entspricht im wesentlichen dem Abkommen vom 9. Dez. 1957, das in Rom zwischen den Mitgliedstaaten der EGKS zur weitgehenden Ablösung der bilateralen Verträge im Bereich der sozialen Sicherheit zwischen diesen Staaten geschlossen wurde. 5 Abi. und BGBl. (Fn. 4); diese VO erging zur Durchführung und Ergänzung der VO Nr. 3. 6 Der Geltungsbereich der Verordnungen umfaßte gemäß Art. 2 der VO Nr. 3 u.a. die Renten-, Invaliden-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung und die Familienbeihüfen. Beide Verordnungen traten am 1. Jan. 1959 für die EWG-Mitgliedstaaten in Kraft. Zwi-

F. Vereinheitlichung auf europäischer Ebene

191

In dem Artikel 29 der VO Nr. 3 und den Artikeln 48 bis 58 der VO Nr. 4 werden die Ansprüche der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten auf Sach- und auch Geldleistungen bei Eintritt eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit geregelt. Beide Verordnungen stellten supranationales, d.h. unmittelbar geltendes Recht dar, das ohne Ratifizierung durch die innerstaatlichen Parlamente anwendbar war 7 . Die Verordnungen schufen kein selbständiges System der sozialen Sicherheit, sondern bestimmten im wesentlichen, welches innerstaatliche Recht anzuwenden sei und mit welchen Abweichungen dies gegebenenfalls zu geschehen habe8. Sie galten für Arbeitnehmer und ihnen Gleichgestellte - einschließlich der Rentner - , die Staatsangehörige eines Vertragsstaates sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge in einem Vertragsstaat wohnen; ferner für deren Familienangehörige und Hinterbliebene 9. Die Verordnungen beruhten auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Staatsangehörigen aller Mitgliedstaaten. Es sollte sichergestellt sein, „daß für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen alle nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Zeiten zusammengerechnet und die Leistungen an Personen gezahlt werden, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen" 1 0 . So wurden z.B. Renten und Sterbegelder auch für den Fall gezahlt, daß der Berechtigte im Hoheitsgebiet eines anderen als dem des Mitgliedstaates wohnte, in dem der verpflichtete Träger seinen Sitz hatte 1 1 . sehen diesen bestehende zweiseitige Sozialversicherungsabkommen traten mit dem gleichen Tage bis auf wenige ausdrücklich in den Verordnungen Nr. 3 und Nr. 4 erwähnte Vorschriften außer Kraft (siehe Art. 5 und 6). Daneben galt und gilt bis heute z.B. das Abkommen über die soziale Sicherheit der Rheinschiffer vom 27. Juli 1950 (BGBl. 1951 II, 241) i.d.F. vom 13. Feb. 1961, die am 1. Jan. 1970 (BGBl. 1969 II, 1359) zugleich mit den entsprechenden Verwaltungsvereinbarungen in Kraft trat. Beteiligt sind die Anliegerstaaten Belgien, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz. Die Regelung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten erfolgt in Art. 16 bis 19. 7 Siehe Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. I, 412; Bericht des Internationalen Arbeitsamtes, BKK 1972, 118 (125). 8 Ipsen, 945, spricht davon, daß die Sozialversicherung des Heimatlandes auf Zeit trotz Arbeitsaufnahme im EWG-Ausland „im Sinne einer Ausstrahlungstheorie und unter Überwindung des Territorialitätsprinzips' 4 in Kraft bleiben kann. 9 Näher dazu Art. 4 der VO Nr. 3. Für die soziale Sicherheit der Grenzgänger und Saisonarbeiter galten besondere - später ergänzte - Vereinbarungen: für Grenzgänger galt die VO Nr. 36/63, Abi. vom 20. April 1963, 1314; für Saisonarbeiter die VO Nr. 73/63, Abi. vom 24. Juli 1963,2011. 10 Einführung zu der VO Nr. 3. 11 Art. 10 Abs. 1 der VO Nr. 3; eine genauere Darstellung des Inhaltes der Verordnungen Nr. 3 und Nr. 4 siehe bei Wannagat, 412; vgl. auch den Bericht des Internationalen Arbeitsamtes.

192

F. Vereinheitlichung auf europäischer Ebene

Beide Verordnungen wurden dann durch mehrere Verordnungen abgeändert, ergänzt 12 und schließlich neu gefaßt. An die Stelle der VO Nr. 3 trat die VO Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 13 des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaften zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern. Diese Verordnung enthält u.a. eine allgemeine Koordinierung der Grundregelungen, die zur Durchführung von Art. 51 des EWG-Vertrages zugunsten der Arbeitnehmer - einschließlich der Grenzgänger und Saisonarbeiter und der Seeleute erlassen worden sind, und stellt eine Neufassung und Verbesserung der VO Nr. 3 dar 1 4 . Es wurden ebenfalls neue Durchführungsbestimmungen mit der VO Nr. 574/72 15 vom 21. März 1972 geschaffen, da die VO Nr. 4 aufgehoben worden war 1 6 . Nach dem Beitritt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, des Königreichs Dänemark und der Republik Irland am 1. Januar 1973 in die EWG wurden beide Verordnungen erneut abgeändert und den neuen Verhältnissen angepaßt17. Seit dem 1. April 1973 haben sie auch für die neuen Mitgliedstaaten Gültigkeit 18 . 12 So durch die bereits erwähnte VO Nr. 36/63 und die VO Nr. 73/63 (Fn. 9); siehe auch die VO Nr. 47/67 vom 7. März 1967, Abi. vom 10. März 1967 (Nr. 44), 641, durch die auch die Seeleute in den Geltungsbereich der VO Nr. 3 und Nr. 4 einbezogen wurden. 13 Abi. vom 5. Juli 1971 (Nr. L 149), 2. Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten werden in den Art. 52 bis 63 geregelt. 14 Siehe den 6. Gesamtbericht der EG 1972, Ziff. 208; nähere Darstellung bei Kinzel, Die EWG-Verordnungen über die soziale Sicherheit, DAngVers 1973, 289 bis 297 und 338 bis 346, und Kaupper, Die Verordnung Nr. 1408/71 des Rates der EWG zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, BKK 1972, 257 ff.; siehe dazu auch Dupeyroux, Sécurité sociale (Nr. 390), 1020 ff. 15 Abi. vom 27. März 1972 (Nr. L 74), 1. W Art. 99, VO 1408/71 (Fn. 13). 17 Dazu näher Kaupper, Die Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und 574/72 nach dem Beitritt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, des Königreichs Dänemark und der Republik Irland in die EWG, BKK 1973, 77 ff. 18 In diesem Zusammenhang und ganz allgemein aufgrund der Anpassung des Gemeinschaftsrechts an innerstaatliches Recht ergingen im wesentlichen folgende Verordnungen zur Änderung der VO Nr. 1408/71: - die VO Nr. 2059/72 vom 26. Sept. 1972, Abi. vom 29. Sept. 1972 (Nr. L 222), 18 - die VO Nr. 2864/72 vom 19. Dez. 1972, Abi. vom 31. Dez. 1972 (Nr. L 306), 1 - die VO Nr. 1392/74 vom 4. Juni 1974, Abi. vom 8. Juni 1974 (Nr. L 152), 1 - die VO Nr. 1209/76 vom 30. April 1976, Abi. vom 26. Mai 1976 (Nr. L 138), 1 - die VO Nr. 2595/77 vom 21. Nov. 1977, Abi. vom 26. Nov. 1977 (Nr. L 302), 1 - die VO Nr. 1517/79 vom 16. Juli 1979, Abi. vom 21. Juli 1979 (Nr. L 185), 1; zur Änderung der VO Nr. 574/72: - die VO Nr. 878/73 vom 26. März 1973, Abi. vom 31. März 1973 (Nr. L 86), 1 - die VO Nr. 1392/74 vom 4. Juni 1974, siehe oben - die VO Nr. 2639/74 vom 15. Okt. 1974, Abi. vom 19. Okt. 1974 (Nr. L 283), 1

F. Vereinheitlichung auf europäischer Ebene

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Am 31. Dezember 1977 legte die Kommission dem Rat einen Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der VO Nr. 1408/71 vor, um deren Anwendung auch auf Selbständige und ihre Familien auszudehnen19; am 28. September 1978 erfolgte eine Änderung zu diesem Vorschlag 20 , die auf die Erweiterung des Geltungsbereichs der Verordnung von 1971 auf alle Versicherten abzielt (wenn auch noch einschränkende Formulierungen verwandt werden). Das in einer Entschließung21 des Europäischen Parlaments formulierte Ziel der Bildung eines gemeinschaftlichen Systems der sozialen Sicherheit scheint angesichts der Bestrebungen einer ständigen Koordinierung der Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten als „langfristige Gesamtlösung"22 doch verwirklicht werden zu können.

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die VO Nr. 1209/76 vom 30. April 1976, siehe oben die VO Nr. 2595/77 vom 21. Nov. 1977, siehe oben die VO Nr. 1517/79 vom 16. Juli 1979, siehe oben. 19 Abi. vom 18. Jan. 1978 (Nr. C 14), 9. 20 Abi. vom 17. Okt. 1978 (Nr. C 246), 2. 21 Abi. vom 8. Juni 1976 (Nr. C 125), 42.

22 So die Entschließung des Europäischen Parlaments (Fn. 21). Unabhängig vom Rat der EWG erarbeitete der Europarat ein Europäisches Abkommen über soziale Sicherheit, das am 14. Dez. 1972 von Frankreich, Italien, Luxemburg, Österreich und der Türkei unterzeichnet wurde, siehe auch Kinzel, DAngVers 1973, 338 (346).

Anhang: Auszüge aus dem Code de la sécurité sociale Art. L . 241. Sont affiliées obligatoirement aux assurances sociales, quel que soit leur âge et même si elles sont titulaires d'une pension, toutes les personnes de nationalité française de l'un ou de l'autre sexe, salariées ou travaillant à quelque titre ou en quelque lieu que ce soit, pour un ou plusieurs employeurs et quels que soient le montant et la nature de leur rémunération, la forme, la nature ou la validité de leur contrat. Art. L · 415. (Décr . 27 sept. 1958) Est considéré comme accident du travail, quelle qu'en soit la cause, l'accident survenu par le fait ou à l'occasion du travail à toute personne salariée ou travaillant, à quelque titre ou en quelque lieu que ce soit, pour un ou plusieurs employeurs ou chefs d'entreprise. Art. L. 415-1. (L. n° 68-698 du 31 juill. 1968) « Est également considéré comme accident du travail, lorsque la victime ou ses ayants droit apporte la preuve que l'ensemble des conditions ci-après sont remplies ou lorsque l'enquête permet à la caisse de disposer sur ce point de présomptions suffisantes, l'accident survenu à un travailleur visé par le présent livre, pendant le trajet d'aller et de retour, entre » : ( Ord . n° 67-707 du 21 août 1967) a) Sa résidence principale, une résidence secondaire présentant un caractère de stabilité ou tout autre lieu où le travailleur se rend de façon habituelle pour des motifs d'ordre familial, et le lieu du travail ; b) Le lieu du travail et le restaurant, la cantine ou, d'une manière plus générale, le lieu où le travailleur prend habituellement ses repas, et dans la mesure où le parcours n'a pas été interrompu ou aétourné pour un motif dicté par l'intérêt personnel et étranger aux nécessités essentielles de la vie courante ou indépendant de l'emploi ». — Travail temporaire : V. L. n° 72-1 du 3 ]anv. 1972, art. 24, infra, ANN. IV.

Art. L. 415-2. (Décr. 27 sept. 1958) Bénéficient notamment des dispositions du présent livre, même s'ils ne sont pas occupés dans l'établissement de l'employeur ou chef d'entreprise, même s'ils possèdent tout ou partie de l'outillage nécessaire à leur travail : a) (Ord. n° 59-127 du 7 janv. 1959) « Les travailleurs à domicile soumis aux dispositions des articles 33 et suivants du livre I e r du Code du travail » ; b) (L. n° 73-486 du 21 mai 1973) «Les vovageurs et représentants de commerce soumis aux dispositions des articles 29 k et suivants du livre I e r du code du travail [nouv. C. trav., art. L. 751-1 et s. ] et, sans préjudice du i du présent article réglant la situation des sous-agents d'assurances, les mandataires non patentés visés au 4° de l'article 31 du décret-loi du 14 juin 1938, rémunérés à la commission, qui effectuent d'une façon habituelle et suivie des opérations de présentation d'assurances pour une ou plusieurs entreprises d'assurances telles que définies par l'article 1 e r dudit décret, et qui ont tiré de ces opérations plus de la moitié de leurs ressources de l'année précédente, les membres des sociétés coopératives ouvrières de production, ainsi que les

Anhang

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gérants non salariés des coopératives et les gérants de dépôts de sociétés à succursales multiples ou d'autres établissements commerciaux ou industriels » ; c) Les employés d'hôtels, cafés et restaurants ; d) Les conducteurs de voitures publiques dont l'exploitation est assujettie à des tarifs de transport fixés par l'autorité publique, lorsque ces conducteurs ne sont pas propriétaires de leur voiture ; e) Les porteurs de bagages occupés dans les gares s'ils sont liés par un contrat avec l'exploitation ou avec un concessionnaire ; f ) Les ouvreuses de théâtres, cinémas et autres établissements de spectacles, ainsi que les employés qui sont, dans les mêmes établissements, chargés de la tenue des vestiaires et ceux qui vendent aux spectateurs des objets de nature diverse ; g) ( Ord . n° 59-127 du 1 janv. 1959) « Les gérants de sociétés à responsabilité limitée, à condition que lesdits gérants ne possèdent pas ensemble plus de la moitié du capital social, étant entendu que les parts appartenant, en toute propriété ou en usufruit, au conjoint et aux enfants mineurs non émancipés d'un gérant sont considérées comme possédées par ce dernier » ; h) Les présidents directeurs et directeurs généraux des sociétés anonymes ; i) Les sous-agents d'assurance travaillant d'une façon habituelle et suivie pour un ou plusieurs agents généraux et à qui il est imposé, en plus de la prospection de la clientèle, des tâches sédentaires au siège de l'agence. L'employeur au sens du présent livre est celui qui est désigné au livre III. I l est responsable des cotisations prévues aux articles L. 122 et L. 123.

Art. L. 415-3. (L. n° 61-1410 du 22 déc. 1961) Bénéficient des dispositions du présent livre les artistes du spectacle visés a l'article L. 242-1. L'employeur, au sens du présent livre, est celui qui est désigné à l'article L. 242-1. Art. L. 415-4. (L. n° 63-806 du 6 août 1963) Bénéficient des dispositions du présent livre, les journalistes et assimilés visés à l'article L. 242-3. Art. L . 416. Bénéficient également des dispositions du présent livre, sous réserve des prescriptions spéciales du décret en Conseil d'Etat : 1° Les délégués à la sécurité des ouvriers mineurs pour les accidents survenus par le fait ou à l'occasion de leur service ; 2° Les élèves des établissements d'enseignement technique et les personnes placées dans les centres de formation, de réadaptation ou de rééducation professionnelle pour les accidents survenus par le fait ou à l'occasion de cet enseignement ou de cette formation. — V. L. n° 71-575 du 16 juill. 1971 ,art. 37, infra, ANN. III (§ A). Les écoles et les cours d'enseignement commercial donnant à des élèves réguliers et à des élèves intermittents un enseignement complémentaire et de perfectionnement tel que : commerce, sténographie, sténotypie, mécanographie, dactylographie, français commercial, correspondance commerciale, droit commercial, comptabilité, publicité, langues étrangères et autres enseignements de nature intellectuelle, sont en dehors du champ d'application du présent livre ; 3° Les personnes accomplissant un stage de réadaptation fonctionnelle ou de rééducation professionnelle dans les conditions prévues par les articles L. 441 et L. 444, les assurés sociaux bénéficiaires de l'article L. 293 ou

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titulaires d'une pension d'invalidité en vertu du chapitre IV du titre I I du livre I I I et les personnes autres que celles appartenant aux catégories ci-dessus et qui, en vertu d'un texte législatif ou réglementaire, effectuent un stage de rééducation professionnelle dans les écoles administrées par l'office national des anciens combattants et victimes de la guerre, pour les accidents survenus par le fait ou à l'occasion de la réadaptation ou de la rééducation ; 4° Les pupilles de l'éducation surveillée, pour les accidents survenus par le fait ou à l'occasion d'un travail commandé, dans les conditions déterminées par un décret pris sur la proposition du ministre du Travail et de la Sécurité sociale, du garde des sceaux, ministre de la Justice et du ministre des Finances. — V. Décr. 29 nov. 1951 (D. 1951. 422 ; B. L. D. 1951. 950), mod. par Décr. n° 61-1405 du 18 déc. 1961 (D. 1962. 22 ; B. L. D. 1961. 783). 5° {Décr. n° 62-1378 du 19 nov. 1962) « Les détenus exécutant un travail pénal pour les accidents survenus par le fait ou à l'occasion de ce travail, dans les conditions déterminées par un décret pris sur la proposition du ministre du Travail et de la Sécurité sociale, du garde des sceaux, ministre de la Justice et du ministre des Finances » ; — V. Décr. n° 49-1585 du 10 déc. 1949 (D. 1949. 449 ; Rect. 1950. 10 ; B. L. D. 1949. 1082), mod. par Décr. n° 62-477 du 13 avr. 1962 (D. 1962. 163 ; B. L. D. 1962. 306) et par Décr. n° 67-805 du 19 sept. 1967 (D. 1967. 345 ; B. L. D. 1967. 613). — Arr. 2 févr. 1950 (B. L. D. 1950. 121 ; J. O. 10

févr.), mod. par Arr. 8 août 1957 (J. O. 17 sept.), Arr. 26 sept. 1967 (J. O. 15 oct.). 6° (L. n° 61-1312 du 6 déc. 1961) « Les personnes qui participent bénévolement au fonctionnement d'organismes à objet social créés en vertu ou pour l'application d'un texte législatif ou réglementaire, dans la mesure où elles ne bénéficient pas à un autre titre des dispositions du présent livre. Un décret détermine la nature des organismes visés par la présente disposition ; il peut en établir la liste ». — V. infra, ANN. IV, Décr. n° 63-380 du 8 avr. 1963 et Arr. 23 déc. 1974 (J. O. 29 déc.). En ce qui concerne les personnes visées aux 1°, 2° et 3° du présent article et non assujetties aux assurances sociales en vertu du livre I I I , le (Décr. n° 61-26 du 11 janv. 1961) « décret en Conseil d'Etat » et, pour les personnes visées aux (L. n° 61-1312 du 6 déc. 1961) « 4°, 5° et 6° », les décrets prévus par ceuxci, déterminent à qui incombent les obligations de l'employeur. Pour les personnes qui ne sont pas rémunérées ou ne reçoivent pas une rémunération normale, ils fixent les bases des cotisations et celles des indemnités. Aus: Codes de la sécurité sociale et de la mutualité (Petits Codes Dalloz)

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Schrifttumsverzeichnis Ripert, Georges/Roblot, René: Traité élémentaire de droit commercial, Bd. I, 7. Aufl., Paris 1972; Bd. II, 7. Aufl., Paris 1973 Rohwer-Kahlmann, Harry: Auf dem Wege zu einem Sozialgesetzbuch, SGb 1972,1 Rohwer-Kahlmann, Harry/Frentzel, Louise: Das Recht der sozialen Sicherheit, Einführung und Fälle aus der Praxis, Bad Godesberg 1969 Rohwer-Kahlmann, HarryjStröer, Heinz: Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil SGB I, Kommentar, München 1979 Rouast , André: La responsabilité de l'employeur et de ses préposés dans les accidents de trajet, D. 1963, Chr., 265 Rouast , André/Durand, Paul: Précis de droit du travail, 3. Aufl., Paris 1963 Rüfner, Wolfgang: Einführung in das Sozialrecht, München 1977 Empfiehlt es sich, die soziale Sicherung für den Fall von Personenschäden, für welche die Allgemeinheit eine gesteigerte Verantwortung trägt, neu zu regeln? Gutachten (E) für den 49. Deutschen Juristentag, München 1972 Sachet , Adrien/Casteil, François: Traité théorique et pratique de la législation sur les accidents du travail et les maladies professionnelles, Bd. I, 8. Aufl., Paris 1934 (zit.: Sachet/Casteil, Bd. 1) Sachet , Adùen/Gazier, Henri: wie Sachet/Casteil, Bd. II, 8. Aufl., Paris 1936; Bd. III, 8. Aufl., Paris 1937 (zit.: Sachet/Gazier, Bd. I I bzw. Bd. III) Sainctelette, Charles: De la responsabilité et de la garantie (Accidents de transport et de travail), Paris, Brüssel 1884 Saint-Jours , Yves: La faute dans le droit général de la sécurité sociale, thèse, Paris 1972 Le suicide dans le droit de la sécurité sociale, D. 1970, Chr., 93 La faute intentionnelle dans le droit de la sécurité sociale, Dr. soc. 1970, 387 Prévention et responsabilité en matière d'accidents du travail (Commentaire de la loi du 6 décembre 1976), D. 1977, Chr., 185 Saleilles , Raymond: Les accidents du travail et la responsabilité civile, Paris 1897 Sauzet , Marc: De la responsabilité des patrons vis-à-vis des ouvriers dans les accidents industriels, Rev. crit. 1883, 596 Savatier , René: Traité de la responsabilité civile en droit français, Bd. I und II, 2. Aufl., Paris 1951 S che we, Dieter /Schenke, Klaus/Meurer, Anne/Hermsen, Karl-Werner: Übersicht über die Soziale Sicherung (Hrsg.: Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung), 10. Aufl., Bonn 1977 Schulin, Bertram: Sozialversicherungsrecht. Ein Studienbuch, Düsseldorf 1976 Solus, Henry: Le rapport de la Cour de cassation (Année judiciaire 1968-1969), J.C.P. 1970,1,2321 Sonnenschein, Jürgen: Schwarzarbeit, JZ 1976,497 Spreregin, S.: Les accidents du trajet et leur place dans la législation du 30 octobre 1946. - Notion du préposé sur le trajet. — Recours contre un copréposé en trajet. - Evolution de la jurisprudence en cette matière, Gaz. Pal. 1959, 1, Doctr., 24

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Stern , Marc: Die Auswirkungen des Streiks und der Aussperrung in der Sozialversicherung, BB 1973,201 Sumien , P.: L'évolution de la notion d'accident du travail, D. 1947, Chr., 9 Tarbouriech , Ernest: Droit romain. De la responsabilité contractuelle et délictuelle. — Droit français. Des assurances contre les accidents du travail; assurances collective et de responsabilité civile, thèse, Besançon 1889 Thomas , J.-F./Bernard, M.: Juris-classeur de la Sécurité sociale. Bd. I und II, Paris 1955 ff. (1979) (zit.: J. cl.) Tune , André: Force majeure et absence de faute en matière délictuelle, Rev. trim. dr. civ. 1946, 171 Viney , Geneviève: Remarques sur la distinction entre faute intentionnelle,faute inexcusable et faute lourde, D. 1975, Chr., 263 Vollmar, Karl: Zur Frage des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes von Schädigungen durch allgemein wirkende Gefahren, Soz. Vers. 1959, 258 Wannagat, Georg: Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd.I, Tübingen 1965 Weyers, Hans-Leo: Unfallschäden. Praxis und Ziele von Haftpflicht- und Vorsorgesystemen, Frankfurt 1971 Wolffgramm, Eckhard: Das System des Arbeitsunfallrechts (Workmen's Compensation) in den USA - Eine rechtsvergleichende Arbeit unter Berücksichtigung der Entwicklung in Großbritannien, Diss. Berlin 1971