Das Evangelium des Markus: Erweiterte Neuausgabe [4 ed.]
 9783417297386, 9783765597381

Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
Abkürzungen
I. Einleitung
1. Autor und Adressaten
1.1 Autor
1.1.1 Der äußere Befund
1.1.2 Der innere Befund
1.2 Adressaten
1.2.1 Literarische Charakteristika, die auf Adressaten schließen lassen
2. Geschichtliche Situation: Entstehungsverhältnisse der synoptischen Evangelien; Anlass, Absicht, Ort und Zeit der Abfassung des Markusevangeliums
2.1 Die Entstehungsverhältnisse der synoptischen Evangelien
2.1.1 Die modifizierte Zwei-Quellen-Hypothese, mit vorausgesetzter literarischer Abhängigkeit der synoptischen Evangelien
2.1.2 Die modifizierte Traditionshypothese, einschließlich der Hypothese anfänglicher literarischer Unabhängigkeit
Exkurs 1: Die mündliche Tradition in Palästina im 1. Jh. n.Chr.
2.1.3 Die Erklärung des Werdegangs der Evangelien innerhalb des Modells einer modifizierten Traditionshypothese
2.1.4 Zusammenfassung
2.2 Anlass
2.3 Absicht
2.4 Ort und Zeit der Abfassung
2.4.1 Abfassungsort
2.4.2 Zeit der Abfassung
Exkurs 2: Die 7Q5 Diskussion
3. Genre, Gliederung und narrative Merkmale
3.1 Genre
3.2 Gliederung
3.3 Narrative Merkmale
4. Theologische Aussage
4.1 Christologische Beobachtungen
4.1.1 Das Messiasgeheimnis nach Wrede
4.1.2 Das historische Messiasgeheimnis
4.1.3 Jesus als Mensch
4.1.4 Jesus als Sohn Gottes
4.1.5 Jesus als Herr
4.1.6 Jesus als Menschensohn
4.1.7 Die überraschende ἐξουσία ([exousia] Vollmacht) Jesu
4.2 Soteriologische Beobachtungen
4.3 Ekklesiologische Bemerkung
5. Textüberlieferung
6. Kurzüberblick zur Geschichte und Gegenwart der Auslegung
6.1 Zur Geschichte der Auslegung
6.2 Zur Auslegung in der Gegenwart
7. Geografische Notizen
8. Notiz zur Historizität der christologischen Aussagen
II. Kommentierung
1. Mk 1,1-15 als Einleitung zum Evangelium
1.1 Einleitung und Johannes der Täufer 1,1-8
1.2 Die Taufe Jesu 1,9-11
1.3 Versuchung in der Wüste 1,12-13
1.4 Summarium 1,14-15
2. Berufung der ersten Jünger, Lehre und Heilungen 1,16-45
2.1 Berufung der ersten Jünger 1,16-20
2.2 Dämonenaustreibung am Sabbat 1,21-28
2.3 Heilung der Schwiegermutter des Petrus 1,29-31
2.4 Heilungen 1,32-34
2.5 Jesus und Petrus 1,35-39
2.6 Heilung eines Aussätzigen 1,40-45
3. Jesu Verhalten und Lehre führenzum Konflikt 2,1-3,12
3.1 Heilung des Gelähmten 2,1-12
3.2 Berufung des Levi und Kontroverse 2,13-17
Exkurs 3: Die Besteuerung der römischen Provinzen
3.3 Fasten 2,18-22
Exkurs 4: Die Pharisäer
3.4 Sabbat 2,23-28
3.5 Die Tötungsabsicht der Gegner 3,1-6
3.6 Zulauf und Heilungen 3,7-12
4. Einsetzung der Jünger – Jesu wahre Verwandtschaft 3,13-35
4.1 Einsetzung der Jünger 3,13-19
4.2 Die wahre Verwandtschaft Jesu 3,20-35
5. Gleichnisse Jesu 4,1-34
Exkurs 5: Das messianische Reich Gottes
5.1 Das Gleichnis vom Sämann 4,1-9
5.2 Funktion und Bedeutung der Gleichnisse 4,10-12
5.3 Jesu Auslegung des Gleichnisses vom Sämann 4,13-20
5.4 Gleichnis vom Licht 4,21-25
5.5 Gleichnisse von der selbstwachsenden Saat und vom Senfkorn 4,26-29.30-32
5.6 Ziel der Gleichnisrede Jesu 4,33-34
6. Naturwunder, Heilungen, Unglaube 4,35-6,6
6.1 Stillung des Sturms 4,35-41
6.2 Heilung des besessenen Geraseners 5,1-20
Exkurs 6: Der Hellenismus
6.3 Die Tochter des Jairus und die Heilung der blutflüssigen Frau 5,21-43
6.4 Verwerfung Jesu in Nazareth 6,1-6
7. Aussendung der Zwölf – Tod des Täufers – Wunder 6,7-56
7.1 Aussendung der Zwölf 6,7-13
7.2 Herodes – das Ende des Täufers 6,14-29
7.3 Speisung der Fünftausend 6,30-44
7.4 Jesus wandelt auf dem See 6,45-52
7.5 Krankenheilungen 6,53-56
8. Menschengebote und Gottesgebot 7,1-23
8.1 Menschengebote und Gottesgebot 7,1-13
8.2 Verunreinigung des Menschen 7,14-23
9. Die syrophönizische Frau – Wunder – Warnung 7,24-8,26
9.1 Die syrophönizische Frau 7,24-30
9.2 Heilung des Taubstummen 7,31-37
9.3 Speisung der Viertausend 8,1-10
9.4 Zeichenforderung der Pharisäer 8,11-13
9.5 Warnung vor dem „Sauerteig“ der Gegner Jesu 8,14-21
9.6 Zweistufige Blindenheilung 8,22-26
10. Petrusbekenntnis – Leidensankündigung – Nachfolge – Verklärung – Heilung 8,27-9,29
10.1 Petrusbekenntnis – erste Leidensankündigung – Nachfolge 8,27-9,1
10.2 Die Verklärung Jesu 9,2-8
10.3 Fragen zur Auferstehung Jesu und zu Elia 9,9-13
10.4 Dämonenaustreibung 9,14-29
11. Zweite und dritte Leidensvoraussage – Nachfolgeunterweisungen 9,30-10,52
11.1 Zweite Leidensankündigung 9,30-32
11.2 Unterweisung der Jünger 9,33-50
11.3 Ehe und Ehescheidung 10,1-12
11.4 Kindersegnung 10,13-16
11.5 Der reiche Mann 10,17-27
11.6 Unterweisung der Jünger 10,28-31
11.7 Dritte Leidensankündigung 10,32-34
11.8 Unterweisung der Jünger 10,35-45
11.9 Der Blinde in Jericho 10,46-52
12. Einzug in Jerusalem – Tempelreinigung – Streitgespräche 11,1-12,44
12.1 Einzug in Jerusalem 11,1-11
12.2 Verfluchung des Feigenbaums 11,12-14
Exkurs 7: Der Tempel als einigendes Zentrum des Judentums bis 70 n.Chr.
12.3 Reinigung des Tempels 11,15-19
12.4 Unterweisung der Jünger 11,20-25(26)
12.5 Jesu Vollmacht – Unterweisung der Gegner Jesu 11,27-12,44
12.5.1 Die Frage nach Jesu Vollmacht 11,27-33
12.5.2 Gleichnis von den bösen Winzern 12,1-12
12.5.3 Frage der Steuerabgabe 12,13-17
12.5.4 Die Frage nach der Auferstehung der Toten 12,18-27
Exkurs 8: Die Sadduzäer
12.5.5 Das wichtigste Gebot 12,28-34
12.5.6 Der messianische Herr Davids 12,35-37
12.5.7 Unterweisung der Jünger 12,38-44
13. Zukunftsereignisse 13,1-37
Exkurs 9: Die Ähnlichkeit zwischen der Naherwartungs- und Verzögerungsthematik in der Apostelgeschichte und bei Markus
13.1 Das Ende des Tempels in Jerusalem 13,1-4
13.2 Anfang der Wehen 13,5-13
Exkurs 10: Das Verhältnis zwischen Nachfolge Jesu und Loyalität gegenüber der natürlichen Familie
13.3 Trübsal 13,14-23
Exkurs 11: Die Kaiseranbetung (Apotheosis) als politisches Mittel der Macht
13.4 Die Parusie des Menschensohnes 13,24-27
13.5 Unterweisung zum Wachen und Beten 13,28-37
14. Salbung in Bethanien – Abendmahl – Voraussage der Verleugnung des Petrus – Gethsemane – Gefangennahme 14,1-52
14.1 Plan der Gegner Jesu 14,1-2
14.2 Salbung in Bethanien 14,3-9
14.3 Verratsabsicht des Judas 14,10-11
14.4 Vorbereitung des Passahmahls 14,12-16
14.5 Voraussage des Verrats durch Judas 14,17-21
14.6 Einsetzungsworte 14,22-26
Exkurs 12: Die Beziehung zwischen Selbstoffenbarung Jesu und dessen Lehre über das Königreich Gottes (Mk 14,25)
14.7 Voraussage der Zerstreuung und Verleugnung 14,27-31
14.8 Gethsemane 14,32-42
14.9 Jesu Gefangennahme 14,43-52
15. Verhör vor dem Synedrion – Verleugnung durch Petrus – Verhör vor Pilatus –Verurteilung 14,53-15,19
15.1 Verhör vor dem Synedrion 14,53-65
15.1.1 Widersprüchliche Zeugenaussagen 14,53-56
Exkurs 13: Das Synedrion (der jüdische Hohe Rat)
15.1.2 Widersprüchliche Zeugenaussagen zum Thema „Tempel“ 14,57-60
15.1.3 Klimax des Verhörs und Urteilsspruch des Hohepriesters 14,61-65
15.2 Verleugnung des Petrus 14,66-72
15.3 Verhör vor Pilatus und Verurteilung 15,1-15
Exkurs 14: Pontius Pilatus
15.4 Verspottung Jesu 15,16-19(20)
16. Kreuzigung – Tod – Grablegung – Auferstehung 15,20-16,8
16.1 Kreuzigung und Tod 15,20-41
16.1.1 Kreuzigung 15,20-32
Exkurs 15: Chronologische Fragen zu Mk 15,25 und Joh 19,14
16.1.2 Verspottung – Tod – Bekenntnis des Hauptmanns – die treuen Frauen 15,33-41
16.2 Jesu Grablegung 15,42-47
16.3 Leeres Grab – Auferstehungsbotschaft 16,1-8
17. Addendum: Bemerkungen zum „längeren Markusschluss“, Mk 16,9-20
Exkurse
Exkurs 1: Die mündliche Tradition in Palästina im 1. Jh. n.Chr.
Exkurs 2: Die 7Q5 Diskussion
Exkurs 3: Die Besteuerung der römischen Provinzen
Exkurs 4: Die Pharisäer
Exkurs 5: Das messianische Reich Gottes
Exkurs 6: Der Hellenismus
Exkurs 7: Der Tempel als einigendes Zentrum des Judentums bis 70 n.Chr.
Exkurs 8: Die Sadduzäer
Exkurs 9: Die Ähnlichkeit zwischen der Naherwartungs- und Verzögerungsthematik in der Apostelgeschichte und bei Markus
Exkurs 10: Das Verhältnis zwischen Nachfolge Jesu und Loyalität gegenüber der natürlichen Familie
Exkurs 11: Die Kaiseranbetung (Apotheosis) als politisches Mittel der Macht
Exkurs 12: Die Beziehung zwischen Selbstoffenbarung Jesu und dessen Lehre über das Königreich Gottes (Mk 14,25)
Exkurs 13: Das Synedrion (der jüdische Hohe Rat)
Exkurs 14: Pontius Pilatus
Exkurs 15: Chronologische Fragen zu Mk 15,25 und Joh 19,14
III. Verzeichnisse
1. Bibliographie
1.1 Hilfsmittel (Auswahl)
1.2 Forschungsüberblicke und bibliographische Werke
1.3 Kommentare zum Markusevangelium
1.3.1 Klassisch
1.3.2 Zeitgenössisch
1.4 Monographien und Aufsätze
2. Register
2.1 Autorenverzeichnis
2.2 Stichwortverzeichnis

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beyer 001_016_blanko 14.03.13 08:47 Seite 1

Historisch-Theologische Auslegung Neues Testament Herausgegeben von Gerhard Maier · Rainer Riesner · Heinz-Werner Neudorfer · Eckhard J. Schnabel

Hans F. Bayer

Das Evangelium des Markus

SCM R.BROCKHAUS IM SCM-VERLAG GMBH & CO. KG, WITTEN BRUNNEN BRUNNEN VERLAG GIESSEN SCM R.BROCKHAUS٠ VERLAG GIESSEN

#22_0000 SCM - HTA Bayer-Das Evangelium des Markus KORR V.indd 1

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1. vollständig überarbeitete Auflage 2023, 4. Gesamtauflage © 2023 SCM R. Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Max-Eyth-Str. 41 · 71088 Holzgerlingen Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: [email protected] Umschlagsatz: Christoph Möller Satz: Breklumer Printservice, Breklum Druck und Bindung: Finidr s.r.o. Gedruckt in Tschechien ISBN 978-3-417-29738-6 (SCM R. Brockhaus) Bestell-Nr. 229.738 ISBN 978-3-7655-9738-1 (Brunnen) Bestell-Nr. 229738 Datenkonvertierung: Stephan Maier, Achern

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Inhalt

Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Autor und Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Der äußere Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Der innere Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Literarische Charakteristika, die auf Adressaten schließen lassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 2.1

2.2 2.3 2.4

3. 3.1 3.2 3.3

Geschichtliche Situation: Entstehungsverhältnisse der synoptischen Evangelien; Anlass, Absicht, Ort und Zeit der Abfassung des Markusevangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entstehungsverhältnisse der synoptischen Evangelien . . . . . . . . 2.1.1 Die modifizierte Zwei-Quellen-Hypothese, mit vorausgesetzter literarischer Abhängigkeit der synoptischen Evangelien . . 2.1.2 Die modifizierte Traditionshypothese, einschließlich der Hypothese anfänglicher literarischer Unabhängigkeit . . . . . . . 2.1.3 Die Erklärung des Werdegangs der Evangelien innerhalb des Modells einer modifizierten Traditionshypothese . . . . . . . . . . 2.1.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ort und Zeit der Abfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Abfassungsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Zeit der Abfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genre, Gliederung und narrative Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Narrative Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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21 21 21 26 34 34

36 36 37 38 47 54 55 56 57 57 58 64 64 68 71

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4. Theologische Aussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4.1 Christologische Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4.1.1 Das Messiasgeheimnis nach Wrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4.1.2 Das historische Messiasgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4.1.3 Jesus als Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4.1.4 Jesus als Sohn Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4.1.5 Jesus als Herr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 4.1.6 Jesus als Menschensohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 4.1.7 Die überraschende ἐξουσία ([exousia] Vollmacht) Jesu . . . . . 102 4.2 Soteriologische Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.3 Ekklesiologische Bemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 5.

Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

6. Kurzüberblick zur Geschichte und Gegenwart der Auslegung . . . . . . 111 6.1 Zur Geschichte der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 6.2 Zur Auslegung in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 7.

Geografische Notizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

8.

Notiz zur Historizität der christologischen Aussagen. . . . . . . . . . . . . . 125

1. 1.1 1.2 1.3 1.4

Mk 1,1-15 als Einleitung zum Evangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Einleitung und Johannes der Täufer 1,1-8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Die Taufe Jesu 1,9-11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Versuchung in der Wüste 1,12-13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Summarium 1,14-15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6

Berufung der ersten Jünger, Lehre und Heilungen 1,16-45. . . . . . . . . 160 Berufung der ersten Jünger 1,16-20. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Dämonenaustreibung am Sabbat 1,21-28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Heilung der Schwiegermutter des Petrus 1,29-31 . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Heilungen 1,32-34 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Jesus und Petrus 1,35-39 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Heilung eines Aussätzigen 1,40-45 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

3. 3.1 3.2 3.3

Jesu Verhalten und Lehre führen zum Konflikt 2,1–3,12 . . . . . . . . . . . 183 Heilung des Gelähmten 2,1-12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Berufung des Levi und Kontroverse 2,13-17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Fasten 2,18-22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

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3.4 Sabbat 2,23-28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 3.5 Die Tötungsabsicht der Gegner 3,1-6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3.6 Zulauf und Heilungen 3,7-12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 4. Einsetzung der Jünger – Jesu wahre Verwandtschaft 3,13-35 . . . . . . 213 4.1 Einsetzung der Jünger 3,13-19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 4.2 Die wahre Verwandtschaft Jesu 3,20-35 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 5. 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Gleichnisse Jesu 4,1-34 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Das Gleichnis vom Sämann 4,1-9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Funktion und Bedeutung der Gleichnisse 4,10-12 . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Jesu Auslegung des Gleichnisses vom Sämann 4,13-20 . . . . . . . . . . . 244 Gleichnis vom Licht 4,21-25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Gleichnisse von der selbstwachsenden Saat und vom Senfkorn 4,2629.30-32 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 5.6 Ziel der Gleichnisrede Jesu 4,33-34 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 6. 6.1 6.2 6.3

Naturwunder, Heilungen, Unglaube 4,35–6,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Stillung des Sturms 4,35-41 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Heilung des besessenen Geraseners 5,1-20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Die Tochter des Jairus und die Heilung der blutflüssigen Frau 5,21-43 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 6.4 Verwerfung Jesu in Nazareth 6,1-6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 7. 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5

Aussendung der Zwölf – Tod des Täufers – Wunder 6,7-56 . . . . . . . . 296 Aussendung der Zwölf 6,7-13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Herodes – das Ende des Täufers 6,14-29 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Speisung der Fünftausend 6,30-44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Jesus wandelt auf dem See 6,45-52 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Krankenheilungen 6,53-56 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324

8. Menschengebote und Gottesgebot 7,1-23 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 8.1 Menschengebote und Gottesgebot 7,1-13. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 8.2 Verunreinigung des Menschen 7,14-23 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 9. 9.1 9.2 9.3 9.4

Die syrophönizische Frau – Wunder – Warnung 7,24–8,26 . . . . . . . . 346 Die syrophönizische Frau 7,24-30 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Heilung des Taubstummen 7,31-37 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Speisung der Viertausend 8,1-10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Zeichenforderung der Pharisäer 8,11-13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362

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9.5 Warnung vor dem „Sauerteig“ der Gegner Jesu 8,14-21 . . . . . . . . . . . 365 9.6 Zweistufige Blindenheilung 8,22-26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 10. Petrusbekenntnis – Leidensankündigung – Nachfolge – Verklärung – Heilung 8,27–9,29 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 10.1 Petrusbekenntnis – erste Leidensankündigung – Nachfolge 8,27–9,1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 10.2 Die Verklärung Jesu 9,2-8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 10.3 Fragen zur Auferstehung Jesu und zu Elia 9,9-13 . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 10.4 Dämonenaustreibung 9,14-29 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 11. Zweite und dritte Leidensvoraussage – Nachfolgeunterweisungen 9,30–10,52 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 11.1 Zweite Leidensankündigung 9,30-32 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 11.2 Unterweisung der Jünger 9,33-50 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 11.3 Ehe und Ehescheidung 10,1-12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 11.4 Kindersegnung 10,13-16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 11.5 Der reiche Mann 10,17-27. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 11.6 Unterweisung der Jünger 10,28-31 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 11.7 Dritte Leidensankündigung 10,32-34 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 11.8 Unterweisung der Jünger 10,35-45 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 11.9 Der Blinde in Jericho 10,46-52. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 12. Einzug in Jerusalem – Tempelreinigung – Streitgespräche 11,1–12,44 480 12.1 Einzug in Jerusalem 11,1-11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 12.2 Verfluchung des Feigenbaums 11,12-14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 12.3 Reinigung des Tempels 11,15-19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 12.4 Unterweisung der Jünger 11,20-25(26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 12.5 Jesu Vollmacht – Unterweisung der Gegner Jesu 11,27–12,44. . . . . . 506 12.5.1 Die Frage nach Jesu Vollmacht 11,27-33 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 12.5.2 Gleichnis von den bösen Winzern 12,1-12 . . . . . . . . . . . . . . . . 510 12.5.3 Frage der Steuerabgabe 12,13-17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 12.5.4 Die Frage nach der Auferstehung der Toten 12,18-27 . . . . . . . 527 12.5.5 Das wichtigste Gebot 12,28-34 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 12.5.6 Der messianische Herr Davids 12,35-37 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 12.5.7 Unterweisung der Jünger 12,38-44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 13. Zukunftsereignisse 13,1-37 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 13.1 Das Ende des Tempels in Jerusalem 13,1-4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 13.2 Anfang der Wehen 13,5-13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561

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13.3 Trübsal 13,14-23 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 13.4 Die Parusie des Menschensohnes 13,24-27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 13.5 Unterweisung zum Wachen und Beten 13,28-37 . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 14. Salbung in Bethanien – Abendmahl – Voraussage der Verleugnung des Petrus – Gethsemane – Gefangennahme 14,1-52 . . . . . . . . . . . . . 587 14.1 Plan der Gegner Jesu 14,1-2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 14.2 Salbung in Bethanien 14,3-9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 14.3 Verratsabsicht des Judas 14,10-11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 14.4 Vorbereitung des Passahmahls 14,12-16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 14.5 Voraussage des Verrats durch Judas 14,17-21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 14.6 Einsetzungsworte 14,22-26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 14.7 Voraussage der Zerstreuung und Verleugnung 14,27-31 . . . . . . . . . . . 622 14.8 Gethsemane 14,32-42 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 14.9 Jesu Gefangennahme 14,43-52 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 15. Verhör vor dem Synedrion – Verleugnung durch Petrus – Verhör vor Pilatus – Verurteilung 14,53–15,19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 15.1 Verhör vor dem Synedrion 14,53-65 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 15.1.1 Widersprüchliche Zeugenaussagen 14,53-56 . . . . . . . . . . . . . . 645 15.1.2 Widersprüchliche Zeugenaussagen zum Thema „Tempel“ 14,57-60 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652 15.1.3 Klimax des Verhörs und Urteilsspruch des Hohepriesters 14,61-65 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 15.2 Verleugnung des Petrus 14,66-72 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 15.3 Verhör vor Pilatus und Verurteilung 15,1-15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665 15.4 Verspottung Jesu 15,16-19 (20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 680 16. Kreuzigung – Tod – Grablegung – Auferstehung 15,20–16,8 . . . . . . . 685 16.1 Kreuzigung und Tod 15,20-41 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686 16.1.1 Kreuzigung 15,20-32 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686 16.1.2 Verspottung – Tod – Bekenntnis des Hauptmanns – die treuen Frauen 15,33-41 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694 16.2 Jesu Grablegung 15,42-47 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702 16.3 Leeres Grab – Auferstehungsbotschaft 16,1-8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708

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17. Addendum: Bemerkungen zum „längeren Markusschluss“, Mk 16,9-20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 1. 1.1 1.2 1.3

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 731 Hilfsmittel (Auswahl). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 731 Forschungsüberblicke und bibliographische Werke . . . . . . . . . . . . . . . 733 Kommentare zum Markusevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733 1.3.1 Klassisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733 1.3.2 Zeitgenössisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734 1.4 Monographien und Aufsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 2. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768 2.1 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768 2.2 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 777

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Vorwort der Herausgeber

V

Die Kommentarreihe „Historisch-theologische Auslegung des Neuen Testaments“ will mit den Mitteln der Wissenschaft die Aussagen der neutestamentlichen Texte in ihrer literarischen Eigenart, im Hinblick auf ihre historische Situation und unter betonter Berücksichtigung ihrer theologischen Anliegen erläutern. Dabei sollen die frühere wie die heutige Diskussion und neben den traditionellen auch neuere exegetische Methoden berücksichtigt werden. Die gemeinsame Basis der Autoren der einzelnen Kommentare ist der Glaube, dass die Heilige Schrift von Menschen niedergeschriebenes Gotteswort ist. Der Kanon Alten und Neuen Testaments schließt den Grundgedanken der Einheit der Bibel als Gottes Wort ein. Diese Einheit ist aufgrund des Offenbarungscharakters der Heiligen Schrift vorgegeben und braucht nicht erst hergestellt zu werden. Die Kommentatoren legen deshalb das Neue Testament mit der Überzeugung aus, dass die biblischen Schriften vertrauenswürdig sind und eine Sachkritik, die sich eigenmächtig über die biblischen Zeugen erhebt, ausschließen. Wo Aussagen der biblischen Verfasser mit außerbiblischen Nachrichten in Konflikt stehen oder innerhalb der biblischen Schriften Spannungen und Probleme beobachtet werden, sind Klärungsversuche legitim und notwendig. Bei der Behandlung umstrittener Fragen möchten die Autoren vier Regeln folgen: 1. Alternative Auffassungen sollen sachlich, fair und in angemessener Ausführlichkeit dargestellt werden. 2. Hypothesen sind als solche zu kennzeichnen und dürfen auch dann nicht als Tatsachen ausgegeben werden, wenn sie weite Zustimmung gefunden haben. 3. Offene Fragen müssen nicht um jeden Preis entschieden werden. 4. Die Auslegung sollte auch für denjenigen brauchbar sein, der zu einem anderen Ergebnis kommt. Unser Kommentar will keine umfassende Darstellung der Auslegung eines neutestamentlichen Buches in Geschichte und Gegenwart geben. Weder bei der Auflistung der Literatur noch in der Darstellung der Forschungsgeschichte oder der Auseinandersetzung mit Auslegungspositionen wird Vollständigkeit angestrebt. Die einzelnen Autoren haben hier im Rahmen der gemeinsamen Grundsätze die Freiheit, beim Gespräch mit der früheren und aktuellen Exegese eigene Akzente zu setzen. Die Kommentarreihe unternimmt den Versuch einer „geistlichen Auslegung“. Über die möglichst präzise historisch-philologische Erklärung hinaus soll die Exegese die Praxis von Verkündigung, Seelsorge sowie Diakonie im Blick behalten und Brücken in die kirchliche Gegenwart schlagen. Die Autoren gehören zu verschiedenen Kirchen und Freikirchen der

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Das Evangelium des Markus

evangelischen Tradition. Unterschiede der Kirchen- oder Gemeindezugehörigkeit, aber auch unterschiedliche exegetische Meinungen wollen sie weder gewaltsam einebnen noch zum zentralen Thema der Auslegung machen. Die Auslegung folgt einem gemeinsamen Schema, das durch römische Ziffern am Seitenrand angezeigt wird. Leserinnen und Leser finden unter I eine möglichst genaue Übersetzung, die nicht vorrangig auf eine eingängige Sprache Wert legt. Unter II ist Raum für Bemerkungen zu Kontext, Aufbau, literarischer Form oder Gattung sowie zum historischen und theologischen Hintergrund des Abschnitts. Unter III folgt dann eine Vers für Vers vorgehende Exegese, die von Exkursen im Kleindruck unterbrochen sein kann. Abschließend findet man unter IV eine Zusammenfassung, in der das Ziel des Abschnitts, seine Wirkungsgeschichte und die Bedeutung für die Gegenwart dargestellt werden, soweit das nicht schon im Rahmen der Einzelexegese geschehen ist. Alle Auslegung der Bibel als Heiliger Schrift ist letztlich Dienst in der Gemeinde und für die Gemeinde. Auch wenn die „Historisch-theologische Auslegung“ keine ausdrückliche homiletische Ausrichtung hat, weiß sie sich dem Ziel verpflichtet, der Gemeinde Jesu Christi für ihren Glauben und ihr Leben in der säkularen Moderne Orientierung und Weisung zu geben. Die Herausgeber hoffen, dass die Kommentarreihe sowohl das wissenschaftlich-theologische Gespräch fördert als auch der Gemeinde Jesu Christi über die Konfessionsgrenzen hinaus dient. Im Frühjahr 2004 Dr. Gerhard Maier Dr. Heinz-Werner Neudorfer Prof. Dr. Rainer Riesner Prof. Dr. Eckhard J. Schnabel

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Abkürzungen ABD AGJU ALGHJ AncB ANRW AThANT BA BAR BASOR Bauer-Aland BBB BBR BDAG BDB BDR BEThL Bib. BiKi Bill. BJRL BJS BNot BNP BS BWANT BZAW BZ BZNW CBQ CBQ.MS DJD DJG DLNT DNP DNTB DPL DSD

A

Anchor Bible Dictionary. Hg. D.N. Freedman Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums Arbeiten zur Literatur und Geschichte des hellenistischen Judentums Anchor Bible Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Hg. W. Haase, H. Temporini Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments Biblical Archaeologist Biblical Archaeology Review Bulletin of the American Schools of Oriental Research Griechisch-Deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur. Hg. W. Bauer, K. Aland, B. Aland Bonner Biblische Beiträge Bulletin for Biblical Research A Greek-English Lexicon of the New Testament and Other Early Christian Literature. Third Edition. Hg. W. Bauer, F.W. Danker, W.F. Arndt, F.W. Gingrich Hebrew and English Lexicon. Hg. F. Brown, S.R. Driver, C.A. Briggs Grammatik des neutestamentlichen Griechisch. F. Blass, A. Debrunner, F. Rehkopf Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium Biblica Bibel und Kirche Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch. Hg. H.L. Strack, P. Billerbeck Bulletin of the John Rylands Library Brown Judaic Studies Biblische Notizen Brill’s New Pauly. Hg. H. Cancik, H. Schneider, M. Landfester Bibliotheca Sacra Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Biblische Zeitschrift Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Catholic Biblical Quarterly Catholic Biblical Quarterly Monograph Series Discoveries in the Judaean Desert (of Jordan) Dictionary of Jesus and the Gospels. Hg. J.B. Green u.a. Dictionary of the Later New Testament and Its Developments. Hg. P.H. Davids u.a. Der Neue Pauly. Hg. H. Cancik, H. Schneider Dictionary of New Testament Background. Hg. C.A. Evans u.a. Dictionary of Paul and His Letters. Hg. G.F. Hawthorne u.a. Dead Sea Discoveries

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12 EB EdF EDNT EKK ESV EtB ET EThL EÜ Elb.Ü EvQ EvTh EWNT FilN FRLANT fzb GBL GN GNB HAL Hfa HL HNT HS HThK HThR HUCA ICC IDB IEJ Int. ISBE JAC JBL JBTh JETh JETS JJS JSHRZ JSJ JSNT JSNT.SS JSP JSP.SS JThS Jud.

Das Evangelium des Markus Echter Bibel Erträge der Forschung Exegetical Dictionary of the New Testament. Hg. H. Balz, G. Schneider Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament English Standard Version Études Bibliques Expository Times Ephemerides Theologicae Lovanienses Einheitsübersetzung. Revision 1979 Elberfelder Übersetzung. Revision 1985 Evangelical Quarterly Evangelische Theologie Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Hg. H. Balz, G. Schneider Filologia Neotestamentaria Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Forschungen zur Bibel Das Große Bibellexikon. Hg. H. Burkhardt Gute Nachricht Bibel. Revision 1997 Good News Bible Hebräisches und Aramäisches Lexikon zum Alten Testament. Hg. W. Baumgartner, L. Koehler, J.J. Stamm Hoffnung für alle. Die Bibel Hapaxlegomenon (Wort, das nur ein Mal im NT, in einem Bibelbuch oder bei einem Autor vorkommt) Handbuch zum Neuen Testament Griechische Grammatik zum Neuen Testament. E. Hoffmann, H. v. Siebenthal Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament Harvard Theological Review Hebrew Union College Annual International Critical Commentary Interpreter’s Dictionary of the Bible Israel Exploration Journal Interpretation International Standard Bible Encyclopedia. Hg. G.W. Bromiley Jahrbuch für Antike und Christentum Journal of Biblical Literature Jahrbuch für Biblische Theologie Jahrbuch für Evangelikale Theologie Journal of the Evangelical Theological Society Journal of Jewish Studies Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit Journal for the Study of Judaism in the Persian, Hellenistic and Roman Period Journal for the Study of the New Testament Journal for the Study of the New Testament. Supplement Series Journal for the Study of Pseudepigrapha Journal for the Study of Pseudepigrapha. Supplement Series Journal of Theological Studies Judaica

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Abkürzungen KEK KG KJV KP KuD LN LSJ LThK LThG LÜ LXX Menge MM MNT NA27 NGÜ NIV NEB Neot. NewDocs NICNT NIDNTT NIGTC NRSV NSS NTA NTD NT NTOA NTS NT.S NW OBO OCD ÖTK OTP PEQ Preisigke PW RAC RB

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Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache. Zweiter Teil: Satzlehre. R. Kühner, B. Gerth King James Version Der Kleine Pauly. Hg. K. Ziegler, W. Sontheimer, H. Gärtner Kerygma und Dogma Greek-English Lexicon of the New Testament Based on Semantic Domains. J.P. Louw, E.A. Nida A Greek-English Lexikon. H.G. Liddell, R. Scott, H.S. Jones Lexikon für Theologie und Kirche Lexikon für Theologie und Gemeinde Lutherbibel. Revision 2017 Septuaginta Die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments. Übersetzt von H. Menge The Vocabulary of the Greek Testament Illustrated from the Papyri and Other Non-Literary Sources. J.H. Moulton, G. Milligan Münchener Neues Testament. Hg. J. Hainz, M. Schmidl, J. Sunckel Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, 27. Auflage Neue Genfer Übersetzung New International Version Neue Echter-Bibel Neotestamentica New Documents Illustrating Early Christianity. Hg. G.H.R. Horsley, S.R. Llewelyn New International Commentary on the New Testament New International Dictionary of New Testament Theology New International Greek Testament Commentary New Revised Standard Version Neuer sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament. W. Haubeck, H. von Siebenthal Neutestamentliche Abhandlungen Das Neue Testament Deutsch Novum Testamentum Novum Testamentum et Orbis Antiquus New Testament Studies Novum Testamentum Supplement Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus. Hg. G. Strecker, U. Schnelle Orbis biblicus et orientalis Oxford Classical Dictionary. Hg. S. Hornblower, A. Spawforth Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament Old Testament Pseudepigrapha. Hg. J.H. Charlesworth Palestine Exploration Quarterly Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden. F. Preisigke Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft. Hg. A.F. Pauly, G. Wissowa Reallexikon für Antike und Christentum Revue Biblique

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14 RdQ RGG RNT RSV SBB SBLDS SBLMS SBL.SP SBS SKKNT SNTSMS SNTU StANT StNT StUNT SÜ TANZ TDNT THAT ThBeitr ThBLNT ThHK ThLZ ThR ThWAT ThWNT ThZ TNIV TRE TU TynB VF VT VT.S WBC WdF WMANT WUNT ZAW ZBK ZNW ZPE ZThK ZB

Das Evangelium des Markus Revue de Qumran Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Auflage Regensburger Neues Testament Revised Standard Version Stuttgarter Biblische Beiträge Society of Biblical Literature Dissertation Series Society of Biblical Literature Monograph Series Society of Biblical Literature Seminar Papers Stuttgarter Bibelstudien Stuttgarter Kleiner Kommentar Neues Testament Society of New Testament Studies Monograph Series Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt Studien zum Alten und Neuen Testament Studien zum Neuen Testament Studien zur Umwelt des Neuen Testaments Schlachter-Übersetzung. Revision 2002 Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter Theological Dictionary of the New Testament. Hg. G. Kittel, G. Friedrich. Übers. und Hg. G.W. Bromiley Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament. Hg. E. Jenni, C. Westermann Theologische Beiträge Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament. Neubearbeitete Ausgabe. Hg. L. Coenen, K. Haacker Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament Theologische Literaturzeitung Theologische Rundschau Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament Theologische Zeitschrift Today’s New International Version Theologische Realenzyklopädie Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur Tyndale Bulletin Verkündigung und Forschung Vetus Testamentum Vetum Testamentum Supplements Word Biblical Commentary Wege der Forschung Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Zürcher Bibelkommentare Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik Zeitschrift für Theologie und Kirche Züricher Bibel. Revision 1971

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Abkürzungen

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Abk. biblischer Bücher: Gen Ex Lev Num Deut Jos Ri Rut 1Sam 2Sam 1Kön 2Kön 1Chron 2Chron Esr Neh Est Hiob Ps Spr Koh Hld Jes Jer Klgl Hes Dan Hos Joel Am Ob Jona Mi Nah Hab Zef Hag Sach Mal Mt Mk Lk Joh Apg Röm 1Kor 2Kor Gal Eph Phil Kol 1Thess 2Thess 1Tim 2Tim Tit Phlm Hebr Jak 1Petr 2Petr 1Joh 2Joh 3Joh Jud Offb

Kommentare werden lediglich mit dem Namen des Verfassers zitiert. Die übrige Sekundärliteratur wird mit dem Namen des Verfassers sowie einem abgekürzten Titel angeführt. Siehe weitere Abkürzungen bei S. Schwertner. Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Berlin 21992. Siehe ferner L. Coenen / K. Haacker. Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament. Wuppertal 1997.

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I. Einleitung

E

Einführung. Der vorliegende Kommentar unternimmt den Versuch, dem Leser die literarische, historische und theologische Welt dieses schlichten, jedoch tief greifenden und in sich geschlossenen Jesus-Zeugnisses zu eröffnen. Der Leser, der vor allem an einer kritischen Auseinandersetzung mit gängigen, jedoch nicht notwendigerweise am Markustext orientierten Modellen und Thesen der unüberschaubaren Sekundärliteratur interessiert ist, wird vom vorliegenden Kommentar eher enttäuscht werden. Dem Leser, der die vielschichtige historische, literarische und theologische Eigenart des markinischen Jesus-Zeugnisses ergründen möchte, hofft der Autor, auch durch Hinweise auf hilfreiche Sekundärliteratur dienlich zu sein. Dabei ist die Frage der Qualität der außerbiblischen Quellen (vor allem die der jüdischen Quellen zum 1. Jh. n.Chr.) weiterhin aktuell. Einzelstudien werden die Qualität der diversen Quellen weiterhin verifizieren oder falsifizieren müssen. Der Verfasser hofft jedoch, dass die betreffenden Erklärungen insgesamt dem Befund gerecht werden. Der Verfasser geht davon aus, dass die Fragen zur grundsätzlichen Glaubwürdigkeit und zum radikalen Anspruch des Markuszeugnisses nicht primär in der Einzelexegese geklärt werden können. Diesbezüglich betont Bauckham überzeugend: To insist, with some Gospel critics, that the historicity of each and every Gospel pericope must be established, one by one, with arguments for each, is not to recognize testimony for what it necessarily is.1

Dies betrifft vor allem die Frage, wie sehr die literarischen, historischen und theologischen Charakteristika, die Mk darstellt und vermittelt, eine in sich geschlossene, insgesamt glaubwürdige Einheit bilden (literarische, historische und theologische Kohärenz). Dabei ist dreierlei ausschlaggebend: 1. literarisch: die Genrefrage, Autorenfrage sowie die der literarischen Einheit; 2. historisch: der Bezug zur jüdischen, frühchristlichen und griechisch-römischen Umwelt des Neuen Testaments sowie

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Bauckham, Jesus, 502.

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3. theologisch-inhaltlich: die Kongruenz mit dem Alten Testament; ein plausibler Bezug zum palästinischen Judentum und frühen Christentum sowie ein in sich geschlossener Entwurf der Lehre und des Selbstanspruchs Jesu. Eine Gesamtschau erfordert ferner, Exegese und biblisch-theologische Fragestellungen aufeinander zu beziehen. Diesbezüglich macht Hengel Folgendes deutlich: Es geht mir … um den Nachweis, daß historische, religionsgeschichtliche Forschung und theologische – man könnte auch sagen dogmatische – Fragestellung nicht in unversöhnlichem Gegensatz zueinander stehen müssen, sondern daß vielmehr der Historiker das Wesen der neutestamentlichen Christologie verfehlt, wenn er ihre theologische Intention und innere Konsequenz nicht begreift, und daß umgekehrt eine dogmatische Betrachtungsweise, die den geschichtlichen Weg der Christologie während der ersten Jahrzehnte des Urchristentums nicht ernst nimmt, in der Gefahr ist, der abstrakten Spekulation zu verfallen.2

Der Verfasser konzentriert sich somit auf eine integrative Gesamtschau, die auch nicht davor zurückscheut, die Frage der aktuellen Relevanz des markinischen Zeugnisses für die zeitgenössische menschliche Existenz (Korrespondenz) zu stellen und den Versuch zu unternehmen, eine Antwort darauf zu finden. Letztendlich sieht der Verfasser eine relevante Beziehung zwischen dem Markuszeugnis und der Gesamtrealität des geschaffenen Universums, der menschlichen Existenz und vor allem der menschlichen Natur, sowohl in ihrer destruktiven als auch in ihrer konstruktiven Manifestation (siehe B. Pascals Paradox der menschlichen Natur als „la misère et la gloire“).3 Einführender Überblick zum Markusevangelium Die uns heute noch erhaltenen Manuskripte, die den griechischen Text des Mk Ev. enthalten, sind relativ alt und verlässlich. Als Teil des Neuen Testaments gilt das Mk Ev. als außerordentlich gut bezeugter Text. Dies ergibt sich u.a. aus einem Vergleich mit verschiedenen Textüberlieferungen der antiken, griechisch-römischen Welt aus der Zeit von etwa 100 v.Chr. bis 100 n.Chr. (siehe I. Einleitung, 5.). Das Genre des Mk Ev. (siehe I. Einleitung, 3.) entspricht in etwa dem der antiken Biographie (βίoς [bios]), deren Inhalt allerdings durch systematisches Auswendiglernen eingeprägt wurde. Damit erhebt das Mk Ev. zumindest den Anspruch, historische Verhältnisse wahrheitsgetreu zu vermitteln, innerhalb 2 Hengel, Sohn, 5. 3 Siehe Pascal, Penseés, 14 (Nr. 60 Brunschvicg); 97 (Nr. 347 Brunschvicg) und 124 (Nr. 434 Brunschvicg).

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Einleitung

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derer die beschriebenen Personen agieren und sprechen. Ferner wird damit ihre vorbildliche und zu imitierende Lebensweise vermittelt. Die historische Qualität des Mk Ev. (siehe I. Einleitung, 1., 2., 7., und 8.) wird bereits seit einigen Jahrhunderten durch eine unüberschaubare Menge an Publikationen kritisch beurteilt. Allerdings haben archäologische Ausgrabungen, Inschriften, historische Werke sowie theologische Untersuchungen bisher keine stichhaltigen Beweise geliefert, aufgrund derer die grundsätzliche Authentizität des markinischen Jesuszeugnisses (im Rahmen der antiken Biographie) bezweifelt werden müssen (siehe I. Einleitung, 1. und 2.). Ferner stützen viele Einzelstudien zum Mk Ev. die Glaubwürdigkeit seines literarischen, historischen und theologischen Gesamtkonzepts (siehe die gesamte Einleitung zum vorliegenden Kommentar). Der theologische Inhalt des Mk Ev. (siehe I. Einleitung, 4. und 8.) weist eine bedeutsame und auch für Heiden relativ leicht verständliche Kontinuität zum AT auf, die im gesamtbiblischen Rahmen von Verheißung (AT) und Erfüllung (NT) zu verstehen ist. Der Inhalt des Mk Ev. will somit als Erfüllung dessen verstanden werden, was Gott durch seine Propheten längst verheißen und in die Wege geleitet hat (vgl. Jes 40,3). Daneben treten auch verschiedene Elemente der Diskontinuität zum AT auf, wie z.B. verschiedene Reinheitsgebote. Kontinuität und Diskontinuität ergeben sich vor allem aus der Tatsache, dass Jesus zwar im Rahmen des Alten Testaments lehrt und handelt, aber die Erwartung des Alten Testaments nun zu weitreichender Erfüllung bringt. Ferner fügt sich der markinische Bericht überzeugend in den religiösen und soziologischen Rahmen des Judentums zur Spätzeit des Zweiten Tempels ein (vgl. vor allem Josephus und Qumran) sowie in den Kontext der zeitgenössischen, griechisch-römischen Welt. Schließlich lässt sich das Mk Ev. nicht nur als eigenständiges Werk, sondern auch als kompatibler und grundlegender Bestandteil des NT verstehen.4 Darüber hinaus lässt sich die Botschaft des Mk Ev. (siehe I. Einleitung, 4. und 8.) relevant und aktuell auf das gegenwärtige Dilemma menschlicher Existenz beziehen. Die Botschaft des Mk Ev. weist den Weg aus diesem Dilemma, indem es die unterschwelligen Probleme und Widersprüche menschlicher Existenz aufdeckt, sowohl in zwischenmenschlicher Beziehung als auch im Umgang mit der von Gott geschaffenen Natur. Die Lehre und das Verhalten Jesu beleuchten eine weithin zerrüttete, jedoch lebensnotwendige Beziehung zu dem, der die Welt geschaffen hat. Die versöhnende Wiederherstellung dieser Beziehung gilt als zentrales Anliegen Jesu, welches das Mk Ev. in einfachen Episoden schildert. Die versöhnende Wiederherstellung dieser Beziehung ist 4

Vgl. z.B. die NT-Theologien von I.H. Marshall und P. Stuhlmacher.

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vergleichbar mit der Neubestimmung eines Fluchtpunktes in einem perspektivischen Bild: Aufgrund dieser Wiederherstellung muss bei jedem Nachfolger Jesu alles ganz neu ausgerichtet werden.

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1. Autor und Adressaten

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1.1 Autor Entgegen weit verbreiteten Stimmen der Kirchenväter1 wird seit geraumer Zeit häufig die Ansicht vertreten, dass der Verfasser des Markusevangeliums2 unbekannt sei. Zutreffend ist, dass die Überschrift (inscriptio) ΚΑΤΑ ΜΑΡΚΟΝ [KATA MARKON] („Nach Markus“) dem Evangelium erst später3 hinzugefügt wurde. Es ist jedoch ein unbegründeter Schluss, die Autorenfrage aufgrund dessen schon beiseitezulegen.4

1.1.1 Der äußere Befund

Grundsätzlich ist der Befund der Kirchenväter5 zur Autorenfrage einstimmig: Markus, der dem Apostel Petrus nahesteht (Papias, Antimarcionitischer Prolog, Irenäus, Origenes), ist Verfasser des Markusevangeliums (Papias, Irenäus, Clemens von Alexandrien, Origenes, Hieronymus, Tertullian, Muratorischer Kanon, Antimarcionitischer Prolog). In der patristischen Literatur wird Mk als Verfasser des Evangeliums allerdings ausschließlich mit Petrus in Verbindung gebracht (vgl. Papias, Justin der Märtyrer [?], Irenäus, Tertullian, Origenes u.a.).6 Im Gegensatz zum NT wird in der patristischen Literatur die Beziehung Markus–Paulus nicht erwähnt. Auf dieses Phänomen ist später zurückzukommen.

1 Vgl. Papias von Hierapolis (s.u.), Justin der Märtyrer, Irenäus, Clemens von Alexandrien, Tertullian, Origenes, Hieronymus, Muratorischer Kanon, Antimarcionitischer Prolog. 2 Lit.: Orchard, Publication, 518-520; Martin, Mark, ad loc.; Millard, Reading, ad loc. Weitere Lit. bei: Guelich xxv (bis 1988); Pesch I 11 (bis 1980). 3 Spätestens Ende des 2. Jh.s n.Chr. Argumente für ein früheres Datum (erste Hälfte des 2. Jh.s n.Chr.) finden sich bei Hengel, Titles, 64-84, sowie Hengel, „Die Evangelienüberschriften“, 526-567. 4 Obwohl die Datierung des Evangeliums die Frage nach dem Verfasser beeinflusst, ist diese letztendlich doch enger mit der Überlieferungsqualität des Evangeliums verbunden als seine Datierung. 5 Lit.: Baum, Papias, 257-275; Baum, Viva Vox, 144-151; Baum, Presbyter, 20-35; Brown, Introduction, 159; Hengel, Studies, 47-64; Kürzinger, Papias, 69-87; Reicke, Roots, 163; Riesner, Jesus, 20-24; Schlatter, Einleitung, 302-303; Thornton, Justin, 93-110; Yarbrough, Date, 181-191; Black, Mark, ad loc.; Cullmann, Petrus, ad loc.; Körtner, Papias, ad loc. 6 Siehe ferner den Antimarcionitischen Prolog („iste interpres fuit Petri“). Der Prolog betont, dass Markus nach dem Tod des Petrus sein Evangelium in Italien verfasst; vgl. Lane 10.

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Hervorzuheben ist zunächst die sog. Papiasnotiz, die der erste Historiker der christlichen Kirche, Euseb von Caesarea (260–340 n.Chr.) überliefert: Καὶ τοῦθ’ ὁ πρεσβύτερος ἔλεγεν· Μάρκος μὲν ἑρμηνευτὴς Πέτρου γενόμενος, ὅσα ἐμνημόνευσεν, ἀκριβῶς ἔγραψεν, οὐ μέντοι τάξει τὰ ὑπὸ [τοῦ] κυρίου ἢ λεχθέντα ἢ πραχθέντα. οὔτε γὰρ ἤκουσεν τοῦ κυρίου οὔτε παρηκολούθησεν αὐτῷι· ὕστερον δὲ, ὡς ἔφην, Πέτρῳι, ὃς πρὸς τὰς χρείας ἐποιεῖτο τὰς διδασκαλίας, ἀλλ᾽ οὐχ ὥσπερ σύνταξιν τῶν κυριακῶν ποιούμενος λογίων, ὥστε οὐδὲν ἥμαρτεν Μάρκος οὕτως ἔνια γράψας ὡς ἀπεμνημόνευσεν. ἑνὸς γὰρ ἐποιήσατο πρόνοιαν, τοῦ μηδὲν ὧν ἤκουσεν παραλιπεῖν ἤ ψεύσασθαί τι ἐν αὐτοῖς.7 Nach Papias (ca. 110 n.Chr.),8 der sich auf einen „Presbyter“ namens Johannes9 als Quelle beruft, dient Markus als Schriftführer des Petrus (Μάρκος μὲν ἑρμηνευτὴς Πέτρου γενόμενος [Markos men, hermēneutēs Petrou genomenos]).10

7 Euseb, Hist. Eccl. 3,39,1-7.14-17; hier 3,39,15-16a. Auf Deutsch bei Riesner, „Markusevangelium“, 28-29: „Markus als hermeneutēs (ἑρμηνευτής [hermēneutēs]) des Petrus schrieb genau auf, an was er [Petrus] sich von dem durch den Herrn Gesagten und Getanen erinnerte, nicht in einer Ordnung (τάξις [taxis]), denn er [Markus] hatte weder den Herrn gehört noch ihn begleitet, später aber, wie ich sagte, den Petrus, der seine Lehren in Chrienform brachte (ὅς πρὸς τὰς χρείας ἐποιεῖτο τὰς διδασκαλίας [hos pros tas chreias epoieito tas didaskalias]), aber nicht wie einer, der eine Zusammenordnung (σύνταξις [syntaxis]) der Logia (λόγια [logia]) des Herrn machte, so dass Markus nicht fehlte, wenn er einiges aufschrieb, wie er [Petrus] es erinnert hatte. Denn er [Markus] machte es zu seiner Sorge, nichts auszulassen, was er gehört hatte, oder irgendetwas daran zu verfälschen“ (Euseb, Hist. Eccl. 3,39,15-16a). Auf Englisch bei Bauckham, Jesus, 203: “The Elder used to say: Mark, in his capacity as Peter’s interpreter [hermēneutēs], wrote down accurately as many things as he [Peter?] recalled from memory –– though not in an ordered form [ou mentoi taxei] –– of the things either said or done by the Lord. For he [Mark] neither heard the Lord nor accompanied him, but later, as I said, [he heard and accompanied] Peter, who used to give his teachings in the form of chreiai, but had no intention of providing an ordered arrangement [syntaxin] of the logia of the Lord. Consequently Mark did nothing wrong when he wrote down some individual items just as he [Peter?] related them from memory. For he made it his one concern not to omit anything he had heard or to falsify anything”. Vgl. u.a. Yarbrough, Date, 181-191; Reicke, Roots, 7.8.155166; Kürzinger, Papias, 69-87; Baum, Papias, 257-275 sowie Hengel, Studies, 47-50. 8 Zur Datierung, siehe Yarbrough, Date, 181-191 sowie Riesner, Jesus, 21 und Anm. 19 (mit Verweis auf Gutwenger und Kürzinger). Zur neueren Diskussion, vgl. Bauckham, Jesus, Kap. 7. 9 Aufgrund der Gesamtaussage des Papias ist der Presbyter Johannes mit dem Jesusnachfolger und Apostel Johannes gleichzusetzen (vgl. Irenäus, Adv. Haer. 5,33,4). Papias nennt auch die zwölf Apostel „Älteste“ bzw. „Presbyter“. Argumente dagegen finden sich bei Bauckham, Jesus, 2. Aufl., 358-471; 550-589. 10 Euseb, Hist. Eccl. 3,39,15.

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1. Autor und Adressaten

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Es ist weniger wahrscheinlich, dass ἑρμηνευτής [hermēneutes] hier „Übersetzer“ bedeutet.11 Es ist einleuchtender, dass der Begriff den Prozess des Niederschreibens und Weitergebens (“Mark ‘rephrases’ Peter”)12 aus dem Gedächtnis hervorhebt.13 Auch Justin der Märtyrer hält Markus für den Aufzeichner dessen, was Petrus vermittelt (ἀπομνημονεύματα αὐτοῦ [apomnēmoneumata autou]). Justin (Mitte des 2. Jh.s n.Chr.) verweist auf einen Text, der nur in Mk 3,16-17 vorhanden ist und beschreibt diesen als Ausschnitt aus den „Petrusmemoiren“.14 Der Antimarcionitische Prolog (160–180 n.Chr.) spricht von Markus als Interpret/Vermittler des Petrus (isti interpres fuit Petri).

Markus, der selbst kein Augenzeuge oder Nachfolger des irdischen Jesus ist,15 soll die Aussagen des Petrus zwar nicht in genauer Reihenfolge (die Formulierung οὐ μέντοι τάξει [ou mentoi taxei] wird wiederholt erwähnt), jedoch akkurat (ἀκριβῶς ἔγραψεν [akribōs egrapsen]) aufgezeichnet haben. Nach Papias verbürgt die unpräzise Stoffanordnung geradezu die Qualität des Markusevangeliums als Petrusüberlieferung und stützt damit seinen apostolischen Charakter. Überraschenderweise bietet Papias eine interessante Verknüpfung zwischen Petrus als mündlicher Quelle des Mk Ev. und dem bios-Genre des Ev.16 Laut Bauckham übermittelt das Papiaszitat nicht nur die Aussage, dass Johannes Markus die Erinnerungen von Petrus genau aufzeichnet, sondern auch die Tatsache, dass Petrus die Erinnerungen an die Taten und Worte Jesu in Form von chreiai (Chrien = kurze Episoden) übermittelt (ὃς πρὸς τὰς χρείας ἐποιεῖτο τὰς διδασκαλίας [hos pros tas chreias epoieito tas didaskalias]).17 Während Petrus diese Chrien zwar nicht in genauer Abfolge präsentiert, so hat er dennoch verlässlich übermittelt, was der Herr sagte und tat. Viele ältere Übersetzungen dieses Abschnitts bei Papias geben τὰς χρείας [tas chreias] als „Bedürfnisse“ seiner Hörer wider, an die Petrus seine Aussagen anpasst. Die neuere Interpretation von Bauckham ist dem alten Verständnis vorzuziehen, da sie besser belegt und im Papias-Kontext einleuchtender ist. Nach dem neueren Verständnis18 hat Petrus aus dem Gedächtnis verschiedene Chrien über Jesus vermittelt, deren Aneinanderreihung eine antike Biografie ausmacht. Hinsicht11 12 13 14 15

Pace Baum, Presbyter, 20-35. Brown, Introduction, 160. Vgl. ebenso, Riesner, Jesus, 20 (mit Verweis auf Kürzinger und van Unnik). Justin, Dial c Tryp, 106.3. Vgl. Euseb, Hist. Eccl. 3,39: οὔτε γὰρ ἤκουσε τοῦ κυρίου οὔτε παρηκολούθησεν αὐτῷ [oute gar ēkouse tou kyriou oute parēkolouthēsen autō]. 16 Siehe Bauckham, Jesus, 202-239 und Riesner, „Rückkehr“, 344. Vgl. Riesner, „Lokalkolorit“, 51–64. 17 Bauckham, Jesus, 214-239, der u.a. auf Theon of Alexandria, Progymnasmata, 3.2–3.3 (p. 215) verweist. Dort wird chreia als knapper Diskurs definiert. 18 Vgl. Riesner, Jesus, 22, sowie bereits Westcott, Introduction, 211-212.

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lich dieser Kombination vermittelt Petrus bereits selbst einen groben Aufriss der Ereignisfolge (Apg 10,34-43). Wenn nach Papias die verschiedenen Chrien nicht stringent und chronologisch geordnet sind, so bedeutet dies lediglich, dass die Stoff-Akoluthie (außerhalb der stark strukturierten Passionserzählung) nicht sehr fest geformt ist, jedoch immer dem groben Aufriss folgt, den Petrus selbst vermittelt. Beachtet man diese verschiedenen Faktoren, so ist es wahrscheinlich, dass Petrus über Johannes Markus die hellenistische Form der antiken Biografie verwendet, allerdings unter dem Einfluss von alttestamentlichen und zwischentestamentlichen historischen Berichten (vgl. etwa Teile von 1Makk und 2Makk).19 Der eigentliche Anlass für die Abfassung der vorliegenden, antiken Biografie entspringt den autoritativen Taten und Worten der zentralen Figur: Jesus. Dieser verfolgt einen überaus paradoxen Zweck in seinem Leben (er kam, um stellvertretend zu leiden und zu sterben) und eröffnet damit den Weg zu wahrem und verändertem Leben unter seiner Führung (vgl. 1Petr 2,24b). Die Leistung des Augenzeugen (Petrus) überrascht nur dann, wenn er von verschiedenen Forschern fälschlicherweise immer noch als einfacher galiläischer Fischer mit lediglich elementarer Schulausbildung gesehen wird. Viele bezweifeln immer noch, ob er innerhalb von dreißig Jahren tatsächlich die Fähigkeit erwerben konnte, auf Griechisch und in einem groben Aufriss Zeugnis über diese außergewöhnliche Person abzulegen. Dies gewinnt jedoch an Wahrscheinlichkeit, wenn bedacht wird, dass er etwa drei Jahre lang systematisch von Jesus geschult wurde (s.u., Exkurs 1) und aufgrund seiner Reisen im hellenistisch geprägten römischen Reich die Fähigkeit erwarb, dieses Zeugnis sodann in Form von biografischen Chrien und auf Griechisch an Johannes Markus weiterzugeben. Demgegenüber hinterfragt z.B. niemand, wie es dazu kommen konnte, dass ein ehemaliger Sklave, Felix, den hohen Rang eines Prokurators in Judäa (52–59 oder 60 n.Chr.) erreichen konnte.20 Für viele Ausleger der letzten zwei Jahrhunderte ist jedoch die Tatsache, dass Papias 1Petr 5,13 bereits kennt (so Euseb, Hist. Eccl. 3,39,17), Anlass zum Zweifel an der historischen Qualität seiner Aussagen.21 Daraus folgt etwa

19 Siehe A. Baum, Einleitung, ad loc., der vor allem von alttestamentlich geprägten Biographien ausgeht. 20 Vgl. Tacitus, Ann. 12.54 und Hist. 5.9. Den hilfreichen Verweis auf K.L. Elvers, „Felix“, BNP 5:378, verdanke ich E.J. Schnabel. Elvers macht geltend, dass „Felix“ („der Glückliche“) zu den gängigsten Sklavennamen und Beinamen der Kaiserzeit zählt. 21 Euseb, Hist. Eccl. 3,39,17. Vgl. die Diskussion bei Riesner, Jesus, 21-22.

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1. Autor und Adressaten

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für Pesch, dass das Spektrum der Informationsquellen des Papias auf die ihm vorliegenden neutestamentlichen Schriften begrenzt bleibt.22 Dieses Postulat ist besonders bei Papias historisch unbegründet. Denn es ist aufgrund der überlieferten Aussagen des Papias gar nicht anders zu erwarten, als dass er neutestamentliche Schriften kennt.23 Papias legt jedoch zusätzlich besonderen Wert auf glaubwürdige, mündliche Überlieferung.24 Papias darf daher nicht wegen seiner Kenntnis von 1Petr 5,13 eines wahrscheinlichen und eigens erwähnten, mündlichen (und vom NT unabhängigen) Quellenzugangs beraubt werden,25 zumal das übrige Zeugnis der Kirchenväter (vgl. den Antimarcionitischen Prolog sowie Irenäus) das Papiaszeugnis deckt. Die Bedeutung der Papiasnotiz gewinnt noch mehr an Gewicht, wenn die Wahrscheinlichkeit bedacht wird, dass der um 110–120 n.Chr. wirkende Bischof26 Zugang zu mündlicher, außerbiblischer Überlieferung des Apostels Johannes besitzt.27 Ein weiteres Argument gegen die historische Verlässlichkeit der Papiasnotiz besteht jedoch darin, dass er den Eindruck apologetischer Tendenz weckt.28 Zweifelsohne verfolgt Papias die Absicht, Genauigkeit und Unverfälschtheit des Markusevangeliums zu betonen, evtl. sogar zu verteidigen.29 Wir besitzen jedoch keinerlei Hinweise der Kirchenväter, dass diese bemerkbare Tendenz die Wahrheit des durch Papias Gesagten in Zweifel zieht.30 Die bei Papias vorhandene apologetische Tendenz darf somit mangels gegenteiliger Indizien nicht als Argument gegen Papias missbraucht werden.31 Grundsätzlich ist als bemerkenswert festzuhalten, dass eine relativ unbekannte, nicht apostolische Person „Markus“ bei den Kirchenvätern kontinu-

22 23 24 25 26 27 28 29

30 31

Pesch I 4. Vgl. Zahn, Einleitung, a.a.O., und Wenham, Redating, 137-138.141. Vgl. vor allem Baum, Viva Vox, 144-151. Vgl. Dickson, Mark, 257: „The tradition is so ancient, so consistent in its main affirmations, and so widely extended, that only internal considerations of exceptional weight could justify its rejection“. Vgl. Yarbrough, Date, 181-191. Riesner, Jesus, 21. Dagegen, Bauckham, Jesus, 2. Aufl., 358-471; 550-589. Es mag sein, dass Papias die vom Matthäusevangelium abweichende Stoffanordnung bei Markus verteidigt. Siehe hierzu Schlatter, Einleitung, 302-303. Schlatter geht davon aus, dass der Presbyter Johannes durch Papias bezüglich der nicht apostolischen Schrift (Markusevangelium) befragt wird. Es ginge also auch bei der Stellungnahme des Presbyters um die apostolische Beglaubigung des Markusevangeliums. Vgl. Riesner, Jesus, 23 (mit Verweis auf Hengel). Vgl. Hemer, Acts, Kap. 3 bezüglich verschiedener Tendenzen antiker Historiker.

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ierlich und unumstritten als Verfasser des kanonischen Evangeliums bezeugt wird.32 Es herrscht somit Einstimmigkeit unter den Kirchenvätern, dass Markus die petrinischen Aussagen niederschreibt und Petrus somit als mündliche Hauptquelle des Markusevangeliums gilt.33 Das geografisch und chronologisch breit gestreute Zeugnis der Kirchenväter ist daher viel ernsthafter zu erwägen, als dies bei vielen Exegeten der Fall ist.34

1.1.2 Der innere Befund

Hier ist aufgrund des patristischen Zeugnisses zu fragen, ob es Hinweise auf Petrus als Primärquelle des Markusevangeliums gibt. Indizien für Petrus als Primärquelle.35 1. Der Markusbericht enthält lebhafte und lebensnahe Schilderungen, die nicht selten Vertrautheit mit Augenzeugendetails verraten.36 In diesen Schilderungen nimmt Petrus eine Stellung ein, die die geschilderten Ereignisse aus seinem Blickwinkel erscheinen lassen (siehe u.a. 1,16-20; 1,29; 5,21; 9,2-13; 14,33-72 [hier vor allem die Verse 54.72]; 16,7).37 Auffallend ist hierbei, dass Petrus bei den zentralen Ereignissen der Kreuzigung und Grablegung sowie beim Auffinden des leeren Grabes nicht anwesend ist. Stattdessen werden hierfür erstaunlicherweise Nachfolgerinnen als Augenzeugen angeführt (siehe Bemerkungen zu 15,21–16,8 [vor allem 15,40.41.47; 16,1-8]).38 2. Mk berichtet Tadelnswertes über Petrus: 8,33; 9,5; 14,30f; 14,66ff. 3. Besonders hervorzuheben ist jedoch die Tatsache, dass Mk Lobenswertes, Beachtenswertes oder Erwähnenswertes über Petrus unterschlägt:39 Bei Mk fehlt (a) der Wandel des Petrus auf dem Meer (6,45-52; vgl. dagegen Mt 14,28f); (b) die Perikope zur Tempelsteuer; (vgl. dagegen Mt 17,24-27); 32 Vgl. ähnlich, Brown, Introduction, 159: “If someone was inventing a tradition about author­ ship, why attribute the Gospel to such a minor Christian figure?“ 33 Vgl. Bauckham, Jesus, Kap. 7. 34 Vgl. etwa Kümmel, Einleitung, 67-68; Kümmel meint (a.a.O., 67): „… daß Papias bzw. der von ihm zitierte Presbyter keine zuverlässige Kenntnis über die Beziehung des Verf. des Mk zu Petrus hatte“. Vgl. ferner Pesch I, a.a.O. Vgl. allerdings den vorsichtigeren Ansatz bei Brown, Introduction, a.a.O. 35 Lit. Jeremias, Theologie, 95; Lane 11-12; Taylor 26-32. 36 Vgl. Riesner, Jesus, 22, sowie ders., Rückkehr, 337-352. 37 Bauckham, Jesus, 155-182. Siehe seine Bemerkungen zum “plural to singular device”. 38 Freundlicher Hinweis durch Alexander Bychkov. 39 Die folgenden Überlegungen sind nur dann von Bedeutung, wenn die lobenden Aussagen über Petrus bei Mt und Lk als authentisch akzeptiert werden.

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(c) das Gebet Jesu für Petrus in Gethsemane; (vgl. dagegen Lk 22,31f); (d) das Felsenwort (Mk 8,27-30; vgl. dagegen Mt 16,18). Auch wird Petrus gelegentlich nicht beim Namen genannt, wo dies bei Mt und Lk der Fall ist (vgl. z.B. Mk 7,17 mit Mt 15,15; vgl. Mk 14,13 mit Lk 22,8). Es lässt sich somit als Tendenz festhalten, dass Mk oft schweigt, wo Petrus als lobenswerte Person hervorgehoben werden könnte. Man hat dem entgegengehalten, dass (a) Mk 14,13 und (b) Mk 14,72 wichtige Details unterschlagen, die bei einem Augenzeugen nicht fehlen würden. Es ist jedoch durchaus plausibel, beide Passagen ebenso als vielsagende, intendierte Auslassungen hinzuzurechnen: In Mk 14,13 (vgl. Mt 26,17) wird Petrus als einer der zwei Jünger, die das Passahmahl vorzubereiten haben, nicht mit Namen genannt (vgl. mit Lk 22,8: „Petrus und Johannes“). Mk 14,72 betont nicht das Ausmaß der Reue (πικρῶς [pikrōs]) des Petrus (vgl. dagegen Mt 26,75 / Lk 22,62). Diese Bemerkung bei den Seitenreferenten könnte als Hervorhebung der tiefen Reue des Petrus verstanden werden; ein Sachverhalt, den Petrus angesichts seiner Verleugnung Jesu schwerlich hervorzuheben wünscht, der jedoch von anderen Jüngern bezeugt wird. 4. Angesichts dieser Faktoren ist umso bemerkenswerter, dass Mk trotzdem die allgemein bekannte, hervorgehobene Stellung des Petrus unter den Jüngern bewahrt (vgl. z.B. die Seitenreferenten Mt und Lk zu Mk 1,36; 5,37; 8,29; 9,2; 11,21; 13,3; 14,33).40 Nimmt man das Zeugnis der Kirchenväter und die inneren Merkmale zusammen, ergibt sich kumulativ das einheitliche Bild, dass Johannes Markus, als Schreiber des Petrus, der Verfasser des Evangeliums ist.41 Dies bedeutet u.a., dass Petrus dem Markusevangelium als bekannte Primärquelle zur Verfügung stand. Zur Frage, ob apokryphe Evangelien als Vorlage des Mk dienten, vgl. den ausgezeichneten Aufsatz von Evans, “Are the Synoptics the Oldest Gospels?”42 Nach eingehender Diskussion vieler Analysen kommt Evans (mit Gärtner, Grant, Haenchen, Meier, Schrage, Snodgrass, Tuckett, u.a.) zu dem überzeugenden Ergebnis, dass keines der apo40 Brown, Introduction, 159 unterschätzt das Nebeneinander der allgemeinen, hervorgehobenen Stellung des Petrus, der petrinischen Erzählperspektive sowie der petrinischen Zurückhaltung im Markusbericht. 41 Vgl. Bauckham, Jesus, 12-38, 155-282, 202-239. Pesch I 10 argumentiert zu dogmatisch gegen diese Beobachtungen: „Die Annahme, dass Markus insbesondere Petrustraditionen benutze, lässt sich nicht wahrscheinlich machen; denn weder die Erwähnung der tadelswerten Züge im Bild des Petrus … noch der Hinweis auf die Rolle des Petrus als Sprecher der Jünger … kann die Behauptung begründen, diese Angaben könnten allein auf die Erzählung des Petrus zurückgehen“. 42 Evans xxx-xliii, mit ausführlicher Lit., xxx-xxxii, bis 1999.

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kryphen Evangelien (einschließlich EvThom, Papyrus Egerton 2, Hebräerevangelium, geheimes Markusevangelium und Petrusevangelium) als Vorlage für die synoptischen Evangelien diente.43

Wir wenden uns nun der Frage zu, was wir über die Person Johannes Markus wissen. In der folgenden Beurteilung wird deutlich, dass eine oberflächliche Spannung zwischen der Apostelgeschichte und dem Corpus Paulinum einerseits – nämlich Aussagen, die Johannes Markus vor allem (jedoch nicht ausschließlich) in den Pauluskreis einbeziehen – und der patristischen und markinischen Tendenz andererseits besteht, die Johannes Markus in den Kreis der Petrusbegleiter stellt. Die Person Johannes Markus44 Das (Sprach-)Milieu des Verfassers.45 Taylor macht u.a. folgende sprachliche, z.T. semitisch gefärbte, Charakteristika geltend: 1. Typische Formulierungen.46 Mk benutzt häufig εἰμί [eimi] oder ἐλθεῖν [elthein] mit Partizip (z.B. 1,15; 2,6.18; 4,38 etc.). Es liegt eine Häufung von Partizipien vor (1,21f; 1,41; 5,25ff; 14,67). Bemerkenswert sind die doppelten Verneinungen (z.B. 1,44: ὅρα μηδενὶ μηδὲν εἴπῃς [hora mēdeni mēden eipēs]; vgl. 5,3; 14,25 οὐκέτι οὐ μή [ouketi ou mē]). Manchmal verwendet Mk den Artikel mit Infinitiv (5,4 etc.). Mk verwendet häufig dort das Präsens historicum (ca. 150 Belege), wo er Begebenheiten nach einleitendem Aorist oder Imperfekt besonders lebhaft vermitteln möchte. (Allerdings ist zu erwägen, ob dies in der Übersetzung in einer Vergangenheitsform wiedergegeben werden sollte). Mk benutzt die unpersönliche Mehrzahl anstatt Formulierungen im Passiv (1,22.30.32.45; 2,3.18 usw.). Das ἤρξατο [ērxatō] als Hilfszeitwort kommt bei Mk oft vor (26 Belege, z.B. 1,45; 2,23; 4,1 usw.). Schließlich sind die Diminutive wie θυγάτριον [thygatrion], κοράσιον [korasion], κυνάριον [kunarion], παιδίον [paidion] hervorzuheben.

43 Evans xlii-xliii. 44 Lit.: Black, Approach, 40; Brown, Introduction, 159; Hengel, Studies, 46; Holmes, Description, 63-72; Schlatter, Einleitung, 293-294; Beyer, Syntax, 74.299 und passim. 45 Vgl. ferner, unten, Einleitung 1.2.1. Vgl. Riesner, Jesus, 20.408-414 sowie Maloney, Interference, passim. 46 Vgl. Taylor 45ff. Weiterführende Details bei Maloney, Interference, passim.

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2. Syntaktische Konstruktionen.47 Sehr häufig verwendet Mk das semitisch gefärbte, parataktische καί [kai]48 (80 Belege). Es gibt sechs Belege für δέ [de] als Einleitung eines neuen Paragrafen. Relativ häufig verwendet Mk Asyndeton (3,35; 4,28; 5,39b; 6,26 usw.)49 sowie Anakoluth (13 Belege; 2,22; 3,16f; 4,31f; 5,23 usw.). Pleonastische50 Konstruktionen liegen in 1,28.32.35.38; 2,20 usw. und vor allem bei 1,45 (ὁ δὲ ἐξελθὼν ἤρξατο κηρύσσειν πολλὰ καὶ διαφημίζειν τὸν λόγον [ho de exelthōn ērxato kēryssein polla kai diaphēmizein to logon]) vor. Sätze werden oft durch vorangestellte Verben eingeleitet. Schließlich gebraucht Mk οὖν [oun] nur selten. Der allgemein hellenistische Stil mit diversen semitischen Formulierungen51 weist auf ein griechisch-semitisches Sprachmilieu. Dies trifft etwa auf einen Juden zu, der aus dem Umfeld Palästinas (d.h. der Diaspora) stammt, jedoch z.T. auch in Palästina verweilt.52 Allerdings gibt es keine Indizien gegen die Annahme, dass das Evangelium von Anfang an in griechischer Sprache verfasst wurde.53 Für Taylor ist das sprachliche Gesamtphänomen bei Mk ein Hinweis auf den hohen historischen Wert des Markusevangeliums.54 Die Herkunft des Verfassers Der zweisprachige55 Mitarbeiter Johannes Markus stammt aus dem Umfeld Palästinas (Diaspora) und wächst in einer betont religiösen Atmosphäre des 47 In einem allgemeinen Überblick über die semitische Syntax in den Evangelien bemerkt Beyer, Syntax, 299, dass Mt, Mk und Lk eine vergleichbare Anzahl an Gräzismen aufweisen. Mt enthält im Gegensatz hierzu die meisten Semitismen, Lk etwas weniger und Mk beträchtlich weniger. Spezifisch zu Markus siehe die Details bei Maloney, Interference, passim. 48 Vgl. Beyer, Syntax, 74: „In semitischer Rede wird sehr oft, und zwar besonders, um doppelte Unterordnung zu vermeiden, eine logisch zweifellos vorliegende Unterordnung sprachlich überhaupt nicht zum Ausdruck gebracht, sondern die Ereignisse werden lediglich in ihrer zeitlichen Abfolge berichtet, ohne dass auf die zugleich vorliegende ursächliche Verknüpfung hingewiesen wird“. 49 Vgl. Black, Approach, 40. 50 Wiederholungen und Ergänzungen, bei denen die weitere Erklärung mitunter präziser als die Erstaussage sein kann. 51 Vgl. Rüger, Aramaismen, 84: „Die große Anzahl lexikalischer Aramaismen im Markusevangelium und die relative Einheitlichkeit ihrer Wiedergabe mit Hilfe des griechischen Alphabets lassen vermuten, dass Markus des Aramäischen mächtig war“. 52 Hengel, Studies, 46 ist davon überzeugt, dass der Verfasser ein griechisch sprechender Judenchrist ist, der zusätzlich mit Aramäisch vertraut ist. 53 Vgl. etwa McDonald und Porter, Early Christianity, ad loc. 54 Taylor 65, bemerkt: “The sympathies of Mark are Gentile in their range, but his tradition is Jewish Christian to the core”. Vgl. Dickson, Mark, ad loc. Anders Reiser, Syntax, ad loc. 55 Brown, Introduction, 159 erwartet von einem „historischen“ Johannes Markus, dass er aus dem Aramäischen übersetzt. Warum diese Erwartung? Nicht nur ist der Diasporajude Johannes Markus zweisprachig, sondern höchstwahrscheinlich auch sein apostolischer Lehrer Petrus (vgl. Hengel, Studies, 46).

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Judentums auf. Nach Kol 4,10 ist Markus der Vetter des Barnabas, der aus einer in Zypern ansässigen jüdischen Priesterfamilie stammt (s.u. zu weiteren Belegen).56 In Apg 13,5 („sie hatten aber auch Johannes zum Gehilfen“) wird Markus als ὑπηρέτης [hypēretēs] bezeichnet. Es ist erwägenswert, ὑπηρέτης [hypēretēs] als terminus technicus zur Bezeichnung eines Synagogendieners zu verstehen (vgl. Lk 1,2; 4,20; siehe jedoch 2Tim 4,11: „nützlicher Diener“). Riesner geht zumindest davon aus, dass Johannes Markus in der frühchristlichen Kirche als Katechet (vor allem im Bereich der Jesusüberlieferung) wirkt.57 Johannes Markus als Begleiter des Petrus und Paulus Der Gesamtbefund im NT sieht folgendermaßen aus: Apg 12,12 („Johannes Markus“); 12,25 („Johannes Markus“); 13,5 („Johannes“); 13,13 („Johannes“); 15,37 („Johannes Markus“); 15,39 („Markus“); 1Petr 5,13 („mein Sohn, Markus“); Philemon 24 („Markus“); Kol. 4,10 („Markus, Vetter des Barnabas“); 2Tim 4,11 („Markus, nützlich im Dienst“). Im NT wird ein „Johannes“ erwähnt (Apg 12,12 [im Hause seiner Mutter Maria, welches auch Petrus frequentiert] 12,25; 13,5.13; 15,37-39), dessen Zuname „Markus“ in Apg 12,12.25; 15,37 belegt ist.58 In Phlm 24 wird ein „Markus“ zusammen mit Epaphras (Phlm 23), Lukas, Demas und Aristarchus als Gehilfe des Paulus erwähnt. Ähnlich ist 2Tim 4,11: Wieder werden Lukas und „Markus“ als (nützliche) Gehilfen des Paulus erwähnt (vgl. 2Tim 4,10: Demas, Crescens, Titus; 2Tim 4,12: Tychicus). Kol 4,10 identifiziert einen „Markus“ als Vetter des Barnabas; neben Markus werden in Kol 4,7-14 Tychicus, Onesimus, Aristarchus, Jesus Justus, Epaphras, Lukas der Arzt und Demas erwähnt. Es ist hierbei bedeutsam, dass nicht irgendein Markus erwähnt wird, sondern eine Person, die in Begleitung eines klar umrissenen Pauluskreises (vor allem Lukas und Demas) immer wieder auftaucht. In einem derartigen Kreis festigt sich das Bild einer Person. Neben Andeutungen in der Apostelgeschichte (vgl. Apg 12,12) bringt lediglich 1Petr 5,13 einen „geliebten Sohn Markus“ mit Petrus in Verbindung. Ein grob datiertes Itinerar des Johannes Markus wäre wie folgt zu konzipieren:

56 Vgl. GBL I, 166-167. 57 Riesner, Jesus, 63 (mit Verweis auf Taylor). Vgl. Haenchen, Apostelgeschichte, 381, Anm. 7 (zu Apg 13,5), der (allerdings kritisch) auf Holmes’ (Description, 63-72) Argumente verweist. Holmes identifiziert ὑπηρέτης [hypēretēs] als Sammler von Dokumenten. 58 Fett und kursiv sind die Namen gesetzt, die in Verbindung mit Markus bei Paulus mehr als zweimal vorkommen. Kursiv gesetzt sind die Namen, die zweimal erwähnt werden.

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44 n.Chr. in Jerusalem bei seiner Mutter Maria; Kontakt mit Petrus u. Barnabas  Apg 12,12 45 geht mit Paulus und Barnabas nach Antiochien (syr.)  Apg 12,25 46 begleitet Barnabas und Paulus auf der ersten Missionsreise Apg 13,5 46 verlässt B. und P. (Perge) und kehrt vorzeitig nach Jerusalem zurück  Apg 13,13 49 Barnabas und J.M. gehen nach dem „antiochenischen Konflikt“ ca. 47/48 n.Chr. (Gal 2) nach Cypern: Doppel-Problem mit Barnabas über (a) Petrus und (b) Johannes Markus Apg 15,37-39 61 Begleiter des Paulus in Rom / Missionar in Kleinasien (?)  Phlm 23-24  Kol 4,10 63? Begleiter („geistlicher Sohn“) des Petrus in Rom (aus „Babylon“)59 1Petr 5,13 64 Begleiter des Paulus; Aufenthalt in Ephesus? 2Tim 4,11

Oberflächlich betrachtet ergibt sich somit, wie oben bereits angedeutet, eine gewisse Spannung zwischen dem patristischen und markinischen Zeugnis einerseits (Johannes Markus als Begleiter und Jünger des Petrus) und der Apg mit Corpus Paulinum ([Johannes] Markus als Begleiter des Paulus) andererseits. Vor allem ist der Aufenthalt des Johannes Markus in Rom (ca. 62–64 n.Chr.; vgl. 1Petr 5,13 mit 2Tim 4,11) ungeklärt: Ist er zu dieser Zeit Begleiter des Petrus oder des Paulus oder, wie Brown erwägt, Begleiter beider?60 Hier ist zunächst zu bemerken, dass von Petrus in narrativen Textabschnitten des NT in der Zeit unmittelbar nach den Jerusalemer Anfangsjahren der christlichen Gemeinde nicht viel die Rede ist. Wo Petrus jedoch dennoch ins Blickfeld rückt, ist ein möglicher Bezug zu Johannes Markus bemerkbar (vgl. Apg 12,12; 1Petr 5,13; evtl. Gal 2). Der Vergleich mit Silas/Silvanus macht historisch plausibel, dass Johannes Markus sowohl mit Petrus als auch Paulus Kontakt pflegen konnte. Dass es sich bei Silas/Silvanus um ein und dieselbe Person handelt, wird durch den Vergleich von 2Kor 1,19 (Silvanus und Timotheus) / 1Petr 5,12 (man beachte die Bekanntschaft des Silvanus mit Markus) mit Apg 17,14 und 18,5 (Silas und Timotheus) deutlich. Silas/Silvanus ist ein leitender Nachfolger Jesu (Apg 15,22.32.40), römischer Bürger (Apg 16,37f) und dient sowohl Paulus (Apg 15,40; 1Thess 1,1; 2Thess 1,1; 2Kor 1,19) als auch Petrus (1Petr 5,12). Das Beispiel Silas/Silvanus verwandelt die augenscheinliche Spannung bezüglich Johannes Markus in historisch glaubwürdige Verhältnisse. Das persönliche Bindeglied zwischen Petrus und Paulus im Fall des Johannes Markus ist der aus zypriotischer Levitenfamilie stammende Verwandte Barnabas (Kol 4,10). 59 Spätere, patristische Tradition sieht Johannes Markus als Begleiter des Petrus in Rom. Markus wird demnach durch Petrus als Missionar nach Ägypten gesandt. Er ist dort Begründer und erster Bischof der Kirche in Alexandrien. Sein Martyrium erfolgt 68 n.Chr. Seine Gebeine sollen nach Venedig überführt worden sein. 60 Brown, Introduction, 159. Vgl. Riesner, Jesus, 22.

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Johannes Markus erlebt vor allem im Haus seiner Mutter Maria eine Frühphase mit Petrus (ca. 35–45 n.Chr.). Darauf folgt eine gelegentlich stürmische Zeit mit Paulus (46–61 n.Chr.). Während der letzten Jahre, die Petrus und Paulus zeitweise gemeinsam in Rom verbringen, wirkt Johannes Markus als Begleiter beider Apostel. Auf diesem Gesamthintergrund ist Peschs Zweifel an dem Doppelkontakt des Johannes Markus mit Petrus und Paulus wenig begründet,61 zumal er selbst die Möglichkeit einräumt, dass es sich bei Johannes (Markus) in den neutestamentlichen Schriften durchweg um eine Person handeln mag. Johannes Markus als Zeuge der Apostel Markus ist somit eng mit apostolischer Lehre vertraut (vgl. Apg 4,36-37; 9,26; 13,5). Zusammen mit seinem Vetter Barnabas festigt er als persönliche Brücke die Verbindungen zwischen Vertretern des palästinischen Judenchristentums (vgl. Petrus) und dem stärker hellenistisch ausgerichteten Judenchristentum (vgl. Paulus). Johannes Markus dürfte bei Reden des Petrus unter Juden sowie bei Reden des Paulus unter Heiden dabei gewesen sein. Schlatter bemerkt: „Markus stand somit von Anfang an in besonderer Weise im Mittelpunkt der Kirche. Er hat die Erstlingsgestalt der jüdischen und die der griechischen Kirche gesehen, hat mit Petrus und mit Paulus längere Zeit in engem Verkehr gelebt und war so Zeuge der apostolischen Predigt in besonderem Maß geworden. Sodann hat er selbst eine umfangreiche Lehrtätigkeit in der Kirche ausgeübt“.62 Johannes Markus als Zeuge Jesu? Manche Ausleger vermuten, dass Johannes Markus Augenzeuge der letzten Tage Jesu war.63 Bei den Kirchenvätern gibt es diesbezüglich unterschiedliche Meinungen: Papias beruft sich auf den Apostel und Presbyter Johannes, der 61 Pesch I 8, bemerkt: „Falls der Jerusalemer Johannes Markus mit dem Phlm 24 genannten, Kol 4,10 als Vetter des Barnabas eingeführten und nach 2Tim 4,11 mit Timotheus zu Paulus (nach Rom) beorderten Markus identisch wäre, wäre Markus später nochmals bei Paulus gewesen (Phlm 24) und auch von der Paulusschule (Kol 4,10; 2Tim 4,11) als einer der ihren reklamiert worden. Für eine Petrusjüngerschaft und einen Dolmetscherdienst bei Petrus bliebe dann freilich daneben für diesen Markus kaum Platz, wenn auch ein erneuter Wechsel des Markus zu Petrus in Rom nach Hinrichtung des Paulus möglich bleibt“. Vgl. die Zweifel bei Brown, Introduction, 158f und Anm. 81, der aufgrund seiner Meinung, dass Kol ein pseudonymes Werk ist, eine unumstrittene Identifizierung zwischen „Johannes Markus“ (Apg) und einem Paulusbegleiter „Markus“ vermisst. 62 Schlatter, Einleitung, 293. Vgl. Cranfield 3-9; Lane 7-25; Riesner, Jesus, 23. 63 Siehe vor allem die Notiz in Mk 14,51.52: Die Auslassung würde die narrative Kontinuität wahren; handelt es sich um eine persönliche Erinnerung? Sind Simon von Kyrene, Alexander und Rufus (Mk 15,21) dem Autor bekannte Männer? Vgl. Mk 15,39.

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über Markus sagt, dass er kein Augenzeuge Jesu gewesen sei.64 Für Johannes Markus als Augenzeuge Jesu lässt sich der Canon Muratori (I.1.; ca. 200 n.Chr.)65 anführen. Jedoch lässt auch das Papiaszitat die Möglichkeit offen, dass Johannes Markus am Ende des irdischen Lebens Jesu Zeuge wird, da lediglich betont wird, dass Johannes Markus weder den Herrn „gehört“ hat, noch ihm „nachgefolgt“ ist. Es ist somit möglich, dass Johannes Markus Jesus am Ende seines irdischen Wirkens noch erlebt. Allerdings hat diese Möglichkeit keine bedeutenden Konsequenzen für die Einschätzung des Johannes Markus. Seine Hauptbedeutung erwächst aus seiner Beziehung zu den Aposteln Petrus und Paulus. Abschließende Bemerkungen zur Autorenfrage Der Bericht des Petrus, durch Johannes Markus vermittelt, enthält Elemente eines beträchtlichen Überraschungseffektes. Was Petrus von „seinem“ Messias erwartet, geschieht nicht. Vielmehr werden seine Erwartungen durch die Erlebnisse mit Jesus korrigiert und weit übertroffen. Der Bericht enthält hierdurch einen wichtigen Hinweis auf Authentizität. Indirekt wird durch den Bericht zugegeben, dass Petrus für etwas Zeugnis ablegt, was er nicht zu berichten beabsichtigt. Vielmehr wird der Berichterstatter überrascht und von den Ereignissen überrollt. Der Bericht ist transparent, ehrlich, selbstkritisch, ungeschmückt, nüchtern und einfach. Der Jünger gesteht seinen Unglauben und legt Zeugnis über seine Unfähigkeit ab, zentrale Aspekte der Person und Lehre Jesu zu verstehen. Der Meister wird als unfassbar und doch als sehr persönlich porträtiert. Petrus ist perplex und doch von ihm gefesselt. Aufgrund seiner außergewöhnlichen Macht ist Petrus geängstigt und doch angezogen durch die tiefe Hoffnung, die er ihm vermittelt. Was durch die Propheten über die Absichten Gottes in der hebräischen Bibel prophezeit wurde, wird durch diesen Meister in einer atemberaubenden Aktualität realisiert. Dies hat zur Folge, dass bestehende Überzeugungen, die im 1. Jh. n.Chr. in Palästina gang und gäbe sind, gehörig erschüttert werden, um dem verheißenen, eigenartigen „Kommenden“ (und damit Gottes Absichten) Raum zu machen. „Wer ist der?“ (Mk 4,41) ist damit die Zentralfrage, die sich wie ein Cantus firmus durch den Bericht des Petrus und Johannes Markus hindurchzieht. Schließlich ist der außergewöhnliche Anspruch, der den Hörer zur Entscheidung ruft, eine Konsequenz der eminenten Größe des Meisters, den Petrus so schlicht bezeugt (s.u., Einleitung 3.1, zur Frage des Genres des Markusevangeliums).

64 Euseb, Hist. Eccl. 3,39: οὔτε γάρ ἤκουσεν τοῦ κυρίου οὔτε παρηκολούθησεν αὐτῶι [oute gar ēkousen tou kyriou oute parēkolouthēsen autō]. 65 Hennecke, Apokryphen, I 19. Vgl. Pesch I, 7-8.

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1.2 Adressaten66 Überblick. Die Adressaten sind vor allem Heidenchristen,67 u.a. römischer Provenienz (s.u. Latinismen). Mk setzt voraus, dass Pilatus bekannt ist. Aramaismen werden erklärt, jüdische Traditionen und Gepflogenheiten werden z.T. erläutert. Die vorläufige Begrenzung der Königreichverkündigung auf Israel in Mt 10,5 wird in Mk 6,7ff ausgelassen. Mk 11,17 (im Unterschied zu Mt 21,13) berichtet allein, dass der Tempel ein Bethaus für πᾶσιν τοῖς ἔθνεσιν [pasin tois ethnesin] ist.68 Der zitierende und anspielende Verweis auf das Alte Testament hält sich im Vergleich zu Mt und Lk in Grenzen.69

1.2.1 Literarische Charakteristika, die auf Adressaten schließen lassen70 Gebrauch von Fremdwörtern, Übersetzungen und Erläuterungen. Der statistische Vergleich der vier Evangelien weist (im Gegensatz zu Lk und Joh) zunächst eine ähnliche Anzahl von Fremdwörtern zwischen Mt und Mk auf. Folgende Tabelle veranschaulicht dies: Mt Mk Lk Joh 1 Hebräisch/Aramäisch 7 11 (22 inkl. Namen) 0 Latinismen 16 15 6 8 Zu den mit Mt/Lk geteilten Latinismen bei Mk71 gehören Mk 5,9.15 λεγιών [legiōn]; 12,14 κῆνσος [kēnsos]; 12,42 κοδράντης [kodrantēs]; 15,15 φραγελλόω [phragelloō]; 15,16 πραιτώριον [praitōrion]. Jedoch geht Mk deutlich über diesen Befund hinaus. Folgende Faktoren weisen auf die Wahrscheinlichkeit hin, dass sich Mk vor allem an Heiden wendet. 1. Einige markinische Latinismen, Aramaismen und Hebraismen sind hapax legomena.72 Markus benutzt ferner gewisse lateinische Begriffe und 66 Lit.: Bauckham, Gospel, 1-70.173-194 (in 173-194 handelt es sich um einen Beitrag von S.C. Barton); Black, Roman Gospel, 36-40; Schlatter, Einleitung, 294; Martin, Mark, ad loc.; Suhl, Funktion, ad loc. 67 Vgl. Irenäus, Adv. Haer. 3.1.2 sowie Clemens von Alexandrien, Euseb, Hist. Eccl. 2.15.2; 6.14.6f. 68 Vgl. auch die Anklänge an Heidenmission in Mk 7,1‒8,9; 13,10 und 14,9. 69 Vgl. Suhl, Funktion, ad loc. sowie Schlatter, Einleitung, 294. 70 Lit.: Brown, Introduction, 161; Oyen, Intercalation, 949-974; Rüger, Aramaismen, ad loc. 71 Siehe weitere Latinismen (hapax legomena) unten. 72 Hapax legomena: Hebraismen/Aramaismen: 5,41 ταλιθα κοῦμ [talitha koum]; 7,34 ἐφφαθα, [ephphatha]. Latinismen: 2,4 κράβαττος [krabattos]; 6,27 σπεκουλάτωρ [spekoulatōr]; 7,4

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idiomatische Formulierungen73 und übersetzt darüber hinaus die von ihm gebrauchten semitischen Begriffe. 2. Markus übersetzt semitische Begriffe: 3,17 (Βοανηργές [Boanērges]); 5,41 (ταλιθὰ κοῦμ [talitha koum]); 7,11 (κορβᾶν [korban]); 7,34 (ἐφφαθά [ephphatha]); 9,43 (γέενναν [geennan]); 14,36 (ἀββά [abba]); 15,22 (Γολγοθᾶν τόπον [golgothan topon]); 15,34 (ἐλωΐ ελωΐ λεμα (λαμα) σαβαχθανί [elōi, elōi, lema (lama) sabachthani]). 3. Markus interpretiert jüdische Bräuche und allgemeine Tatsachen: 7,2ff erklärt rituelles Waschen der Hände; 12,42 erläutert, dass λεπτά δυό [lepta dyo] (…) einem κοδράντης [kodrantēs] (…) entsprechen; in Mk 15,42 wird der „Rüsttag“ als „Tag vor dem Sabbat“ erklärt. 4. Markus übergeht die (jüdische) Genealogie Jesu. 5. Die (vorläufige) Begrenzung der Mission Jesu auf Israel (Mt 10,5f) wird bei Mk (6,7ff; vgl. Lk 10,1ff) nicht explizit erwähnt, aber vorausgesetzt (siehe unten, I. 7. Geografische Notizen). Nur Mk (11,17) erwähnt, dass das Bethaus (Tempel) allen Völkern zusteht (Jes 56,7).74 6. Markus fügt eine geografische Notiz ein, die den Ölberg als κατέναντι τοῦ ἱεροῦ [katenanti tou hierou] (gegenüber dem Tempel) lokalisiert (13,3). Hieran wird deutlich, dass sich Mk vor allem an Hörer wendet, die relativ wenig mit dem Judentum vertraut sind und dennoch Palästina und die Gedankenwelt des Alten Testaments kennenlernen sollen. Das geschieht deshalb, weil nur so der Sohn Gottes in seiner geschichtlichen (einschließlich heilsgeschichtlichen) Gestalt und Bedeutung, in seiner Botschaft und Aufgabe als Menschensohn und Herr recht verstanden werden kann und somit das Fundament für die persönliche und gemeinschaftliche Nachfolge gelegt wird. Das hier Beobachtete bedeutet allerdings nicht, dass im Evangelium neben Heiden nicht auch Diasporajuden angesprochen werden.

ξεστής [xestēs]; 15,39.44.45 κεντυρίων [kentyriōn]. 73 Vgl. Brown, Introduction, 161, Anm. 88; transkribierte lateinische Begriffe: legion (5,9.15); denarius (6,37; 12,15; 14,5); wörtliche Übersetzung idiomatischer, lateinischer Ausdrücke: iter facere (ὁδὸν ποιεῖν [hodon poiein], 2,23); satisfacere (τὸ ἱκανὸν ποιεῖν [to hikanon poiein], 15,15). 74 Das Jesajazitat (56,7) wird lediglich bei Mk in vollem Umfang angeführt.

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2. Geschichtliche Situation: Entstehungsverhältnisse der synoptischen Evangelien; Anlass, Absicht, Ort und Zeit der Abfassung des Markusevangeliums 2.1 Die Entstehungsverhältnisse der synoptischen Evangelien1 Im Folgenden werden vor allem zwei Erklärungsmodelle erörtert, die sowohl historische als auch literarische Kriterien für die Erklärung der Entstehungsverhältnisse der synoptischen Evangelien beachten. Die Bezeichnung des Mk Ev. als „Evangelium“ beansprucht in Verbindung mit dem Genre der antiken Biografie (bios), sowohl historischer Zeugnisbericht als auch Verkündigung zu sein (s.u., Einleitung 3.1). Die Frage des synoptischen Phänomens, einschließlich der Frage der Entstehungsverhältnisse der synoptischen Evangelien, muss daher in diesem Zusammenhang beantwortet werden. Unabhängig davon, welches Erklärungsmodell für das Phänomen bevorzugt wird, ist es notwendig, sowohl historische (u.a. überlieferungsgeschichtliche) als auch literarische Faktoren zu beachten. Nur dann besteht die Hoffnung auf eine annähernd zufriedenstellende Erklärung des Phänomens. Allzu oft werden ausschließlich literarische Faktoren beachtet, obwohl bereits das Genre der antiken Biografie (bios) eine historische und literarische Analyse zur Erklärung des synoptischen Phänomens fordert. Zwei Erklärungsmodelle zum Phänomen der synoptischen Evangelien erscheinen plausibel, weil beide das „Bios-Genre“ (s.u., Einleitung 3.1) der Evangelien ernst nehmen und sowohl patristische wie auch andere historische Faktoren beachten. Ferner ist beiden Modellen gemeinsam, dass zusätzliche Fragen (wie etwa die Frage der historischen Authentizität des Berichts) nicht gleich von Anfang an in die Beantwortung des synoptischen Phänomens einbezogen werden.2

1 2

Lit.: Brown, Introduction, 151 sowie Anm. 66.67.152; Barnett, Jesus, ad loc.; Dahl, Jesus, ad loc. Weitere Lit. zum Synoptischen Phänomen bei: Evans xliii-xlv (bis 1999). Zur Einführung in die gängigen Hypothesen, vor allem der letzten hundert Jahre, vgl. unter vielen anderen, Evans xliii-xlv; Carson/Moo, Introduction, ad loc., Kümmel, Einleitung, ad loc., und Schnelle, Einleitung, ad loc.

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2.1.1 Die modifizierte Zwei-Quellen-Hypothese, mit vorausgesetzter literarischer Abhängigkeit der synoptischen Evangelien Guthrie präsentiert eine modifizierte Zwei-Quellen-Hypothese,3 die in verschiedenen Aspekten deutlich von der traditionellen Zwei-Quellen-Hypothese abweicht.4 Er geht davon aus, dass die Evangelien noch während der Zeit apostolischer Bestätigung entstanden sind und dass apostolische Verfasserschaft bzw. Verfasserschaft durch Apostelbegleiter historisch glaubwürdig ist. Aufgrund dieser Faktoren geht Guthrie davon aus, dass die apostolischen Zeugen nach dem Tod und der Auferstehung Jesu die jüngsten Ereignisse (Tod und Auferstehung Jesu sowie die damit zusammenhängenden Ereignisse) öffentlich erzählen und verkündigen. Weitere Berichte aus dem Leben und Wirken Jesu werden hinzugefügt. Diejenigen, die das Zeugnis aufnehmen, erhalten weitere Unterweisung, wofür der Erzählstoff (mündlich und schriftlich) didaktisch aufgebaut wird. Johannes Markus, Begleiter des Petrus, verfasst sein Evangelium aufgrund des lehrhaften Zeugnisses des Petrus (kērygma Iēsou-Material). Matthäus, der Apostel, erhält eine Kopie des Markusevangeliums und fügt als Augenzeuge weitere Aussagen Jesu sowie Taten Jesu hinzu. Lukas, der Johannes Markus persönlich kennt,5 beginnt einen umfassenden Bericht „von Anfang an“ zu verfassen. Nach Guthrie erhält er eine Kopie des Markusevangeliums, aber wahrscheinlich erst, nachdem er einen ersten Entwurf seines Evangeliums (Proto-Lukas-Hypothese) verfasst hatte, der aus der Logienquelle („Q“) sowie aus apostolischen Augenzeugenberichten („L“) besteht. Lukas hat sowohl für die Logienquelle als auch für „L“ Zugang zu Aposteln (47–49 n.Chr.), die diese Information in der Katechese, vor allem in Antiochien und Rom, evtl. auch in Jerusalem und Alexandrien, vermitteln.6 Während Guthrie für Mt und Lk sowohl die Verwendung von Mk als auch von „Q“ voraussetzt, bestehen Mk, „Q“ sowie der zusätzliche Stoff bei Mt und Lk aus Aussagen von apostolischen Augenzeugen, und zwar zu einer Zeit, zu der Augenzeugen verschiedene Evangelienschriften noch verifizieren bzw. falsifizieren konnten. 3 Eigentlich müsste man aufgrund des zusätzlichen Materials bei Mt (M) und Lk (L), welches nicht in Q und Mk enthalten ist, von einer „Vier-Quellen Hypothese“ sprechen. 4 Guthrie, Introduction, 234. Vgl., bis zu einem gewissen Grad, Morgenthaler, Synopse, 305306. 5 Vgl. Phlm 24; Kol 4,10.14; 2Tim 4,11. 6 Laut Guthrie, Introduction, ad loc., ist es möglich, dass Lukas Zugang zum Matthäusevangelium hat. Sollte dies zutreffen, so wäre die Annahme einer Quelle „Q“ überflüssig.

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2.1.2 Die modifizierte Traditionshypothese, einschließlich der Hypothese anfänglicher literarischer Unabhängigkeit7 Die Möglichkeit einer literarischen Unabhängigkeit. Bevor wir die zweite Erklärungsmöglichkeit erörtern, muss geklärt werden, ob die Hypothese einer literarischen Unabhängigkeit8 überhaupt vertretbar ist. Trotz divergierender Überzeugungen muss betont werden, dass sowohl Hypothesen, die von einer literarischen Abhängigkeit unter den synoptischen Evangelien ausgehen, als auch Hypothesen, die literarische Unabhängigkeit voraussetzen, Vor- und Nachteile aufweisen.9 Linnemann versucht zu zeigen, dass mehr Hinweise auf literarische Unabhängigkeit unter den synoptischen Evangelien vorliegen, als allgemein angenommen wird.10 Sie kommt sogar zu dem Ergebnis, dass literarische Abhängigkeit aufgrund von statistischen Analysen unwahrscheinlich ist. Je mehr man laut Linnemann die literarischen Übereinstimmungen unter den synoptischen Evangelien im Detail analysiert, umso geringer wird die Wahrscheinlichkeit literarischer Abhängigkeit. Vor allem zeigen ihre „repräsentativen Queranalysen“ des synoptischen Materials,11 dass lediglich ca. 22 % des dreifach bezeugten Materials bei den Synoptikern völlige Wortübereinstimmung aufweist. Identische Wortübereinstimmung bei Mt und Mk liegt bei ca. 41 %, die Wortübereinstimmung zwischen Mk und Lk liegt lediglich bei ca. 34 %.12 Wenn völlige Wortübereinstimmung vorliegt, erstreckt sich diese selten auf mehr als 7 Lit.: Bailey, Informal, 34-54; Bailey, Middle Eastern, 363-367; Balch, Canon, 183-205; BarIlan, Illiteracy, 46-61; Barnett, Jesus, ad loc.; Baum, Erwägungen, 37-55; Baum, Oral Poetry, 17-34; Baum, Lukas, 315-317; Baum, Bildhaftigkeit, 4-16; Bauckham, Jesus, Kap. 10.11.13; Bengel, Gnomon, 61; Best, Mark, ad loc.; Brown, Introduction, 149f; Byrskog, Story, ad loc.; Dunn, Jesus, ad loc.; Dunn, Setting, 139-175; Eddy, Jesus Legend, Kap. 6-7; Ellis, Traditions, 133-150; Gerhardsson, Gospel, ad loc.; Gerhardsson, Memory, ad loc.; Godet, Luke, ad loc.; Goulder, Gospel, 453-471; Harvey, Orality, 99-109; Havelock, Muse, ad loc.; Head, Role, 275-294; Hezser, Literacy, ad loc.; Kee, Studies, 245-269; Kelber, Gospel, ad loc.; Millard, Reading, 223-229; Neirynck, Agreements, 82-94; Orchard, Publication, 518-520; Reicke, Roots, 9-12.20-23.45-67; Riesenfeld, Gospel, ad loc.; Riesner, Jesus, ad loc. (Lit.); Schnabel, Mission, I 631-632; Stein, Recension, 167-183; Vorster, Production, 385-396; Wansbrough, Jesus, ad loc.; Wenham, Independence, 507-515; Wenham, Redating, 6-7.9-10; Westcott, Introduction, 212 und passim; Wright, Original Jesus, ad loc.; Zimmermann, Lehrer, passim; Linnemann, Problem, ad loc.; Vansina, Tradition, ad loc. 8 Literarische Unabhängigkeit liegt dann vor, wenn die synoptischen Evangelien unabhängig voneinander entstanden sind. 9 Neuerdings auch Dunn, Setting, 139-175. Vgl. Thomas, Views, ad loc. sowie Black, Gospels, ad loc. 10 Linnemann, Problem, ad loc. 11 Linnemann, Problem, 109-129. Linnemann untersucht 35 parallel zueinander verlaufende Perikopen. 12 Diese Zahlen sind geringer als bei Morgenthaler, Synopse, 189-190.281.

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zwei aufeinander folgende Wörter, geschweige denn auf einen ganzen Satz oder gar eine gesamte Perikope. Bei dreifacher Bezeugung benutzen Mt und Mk nur in ca. 62 % der Fälle dasselbe Wort.13 Es ist besonders beachtenswert, dass unter den 830 Wörtern, die Mt, Mk und Lk gemeinsam aufweisen, ein beträchtlicher Anteil zum Grundbestand des einfachsten, allgemeinen Wortschatzes gehört sowie zum charakteristischen Grundwortschatz des Neuen Testaments.14 Das klar umrissene und begrenzte Themenfeld in den Evangelien mag oft nur den Eindruck literarischer Abhängigkeit erwecken (vor allem bezüglich Wortwahl), wenn in Wirklichkeit lediglich eine begrenzte Wortoption vorliegt. Hierbei stellt sich jedoch die Frage, warum Joh (Johannesevangelium), der ebenso Jesus bezeugt, so grundsätzlich anders formuliert als die synoptischen Evangelien. Johannes kennt höchstwahrscheinlich das feste und schriftlich fixierte Zeugnis der synoptischen Evangelien und ergänzt dieses durch sein eigenes, persönliches Zeugnis. Der Berichterstatter (Joh) konfrontiert den Hörer nun ganz persönlich mit Jesus. Die Sprachweise Jesu bei Johannes mag durchaus den inneren Kern dessen widerspiegeln, wie und was Jesus vermittelte. Die synoptischen Evangelien sind in dieser Hinsicht eher „journalistisch“ ausgerichtet.

Eine literarische Unabhängigkeit unter den synoptischen Evangelien ist somit erwägenswert und sollte zumindest als legitime Alternative zur literarischen Abhängigkeit unter den synoptischen Evangelien weiter erörtert werden. Die modifizierte Traditionshypothese. Die klassische Traditionshypothese krankt an der Tatsache, dass sie die verbale Beziehung zwischen den synoptischen Evangelien (die sich bei näherem Hinsehen jedoch als weniger verbreitet herausstellt, als weithin angenommen) sowie die relativ ähnliche Akoluthie der drei Evangelien nicht zufriedenstellend beantwortet. Die modifizierte Traditionshypothese erklärt die Entstehung der synoptischen Evangelien als Kombination stereotyper, mündlicher sowie schriftlicher Notierungen (möglicherweise bereits vorösterlich), die in frühen, schriftlichen Evangelien ihren Niederschlag finden. Die Evangelien sind um die Passionsgeschichte als Kern angelegt. Zusätzlich geht die modifizierte Traditionshypothese mit Reicke und Schlatter (historisch plausibel) davon aus, dass die Evangelienschreiber von den anderen, anfänglich unabhängig voneinander verfassten Evangelien wuss-

13 Linnemann, Problem, 132. 14 Linnemann, ad loc., 134.

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ten (siehe unten; während der letzten Phase der Entstehung der syn. Evangelien fand evtl. ein literarischer Vergleich statt).15 Die modifizierte Traditionshypothese ist vor allem mit der sog. „Skandinavischen Schule“ (Nyberg, Byrskog, Riesenfeld, Gerhardsson) sowie mit Riesner, Reicke, Ellis und neuerdings Dunn,16 Bauckham17 und Keener18 verbunden.19 Sie benutzt ferner ältere Beobachtungen, wie z.B. die von Westcott, Godet und Schlatter. Allen genannten Forschern gemeinsam ist der Versuch, das synoptische Phänomen sowohl in seinem historischen Kontext (d.h. vor allem die Untersuchung verlässlicher, mündlicher Überlieferung) als auch in seiner literarischen Erscheinung zu erklären. Die oben genannten Forscher gehen ferner davon aus, dass das Zeugnis der Kirchenväter historisch ernst zu nehmen ist, wonach die Evangelien entweder von Aposteln (Matthäus und Johannes20) oder von Begleitern der Augenzeugen (Markus, Begleiter von Petrus; Lukas,21 der Zugang zu verschiedenen Aposteln hat) verfasst werden. Die zentrale Modifizierung (und z.T. Bekräftigung) der klassischen Traditionshypothese liegt in der genaueren historischen Analyse des Ursprungs und der Überlieferung der Evangelien sowie in der besseren Erklärung der literarischen Ähnlichkeiten der synoptischen Evangelien. Die hier gebotene Erklärung des synoptischen Phänomens schließt somit die Frage der Umstände und Gesetzmäßigkeiten der Entstehung und Überlieferung des apostolischen Zeugnisses (siehe u.a. Apg 1,15ff und das Kernevangelium in Apg 10,37-42) mit ein.22 Die Erklärung der genauen Beziehung zwischen den synoptischen Evangelien ist daher mit der historischen Frage ihrer Entstehung verbunden, 15 Vgl. Reicke, Roots, 180ff. Siehe die ähnliche Auffassung bei Schlatter, Einleitung, 276280.300f. Schlatter geht von einer mündlichen Phase aus, in der Worte und Taten Jesu (mitunter vom ursprünglichen Kontext getrennt) überliefert wurden („freie Behandlung der einzelnen kleinen Abschnitte“, a.a.O., 279-280). Die Grundstruktur des „Evangeliums“ geht nach Schlatter auf die apostolische Predigt zurück. Danach verfasst Matthäus sein Evangelium, indem er u.a. die Überlieferung ordnet. Markus benutzt das Matthäusevangelium, allerdings unter dem Einfluss petrinischer Überlieferung. 16 Dunn, Setting, 139-175. 17 Bauckham, Jesus, Kap. 10; vgl. Kap. 11 und 13. 18 Keener, Christobiography, passim. Vgl. ferner L. McGrew, Hidden in Plain View, passim. 19 Vgl. Reicke, Roots, 22; Ellis, Traditions, 133-150; Byrskog, Story, 48-91; Eddy, Jesus Legend, Kap. 6-7. Skeptisch: Berger, Formen, 73. 20 Vgl. die Studie von Byrskog, Story, 48-91, vor allem bezüglich der Augenzeugenberichte. Vgl. ferner Byrskogs ältere Arbeit, Jesus, passim. 21 Vgl. etwa die Arbeit von Thornton, Zeuge, passim, zur Frage der Verfasserschaft des lukanischen Doppelwerkes. Thornton kommt zu dem Ergebnis, dass der Paulusbegleiter Lukas das Doppelwerk verfasste. 22 Vgl. bereits Westcott, Introduction, 212 und passim. Vgl. Bauckham, Jesus, Kap. 11 und 13.

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nicht nur als literarkritische Aufgabe, sondern auch als historische Untersuchung. Insgesamt sind zur Erklärung des synoptischen Phänomens literarische, historische sowie sozio-historische Analysen notwendig.23 Exkurs 1: Die mündliche Tradition in Palästina im 1. Jh. n.Chr. Nach Dunn liegen drei unterschiedliche Modelle für die Deutung der mündlichen Überlieferung in Palästina zur Zeit Jesu vor:24 1. Bultmanns „unstrukturiertes/ formloses/flexibles, unkontrolliertes Modell“; 2. Baileys „unstrukturiertes/formloses/flexibles, kontrolliertes Modell“ sowie 3. Riesners und Reickes „strukturiertes/formales/unflexibles, kontrolliertes Modell“. Dunn bemerkt: “[W]e must endeavour to ‚imagine the oral period‘ for the sake of historical authenticity, to re-envisage how tradition was transmitted in an orally structured society; also that we can do so, or at least are more able to do so than has generally been rea­lized. Here we are in the fortunate position of being able to call upon a wide range of research into oral tradition”.25 Dunn geht davon aus, dass Baileys Modell den Gegebenheiten in Palästina zur Zeit Jesu entspricht. Dunn spricht von einer relativ flexiblen mündlichen Überlieferung26 in den Gemeinden, die mittels Rezitieren (als Form und Kontext der Erhaltung der Überlieferung) vonstattengeht. Vertreter des „strukturierten/ formalen/unflexiblen, kontrollierten Modells“ sprechen demgegenüber von stereotypen (unflexiblen) Augenzeugenberichten (kontrolliert); ein strukturierter und kontrollierter Prozess, der durch Jesus selbst initiiert wird.27 Neben anderen Faktoren übersieht Dunn die historische Tatsache, dass neben der mündlichen „Nacherzählung“ („Originale“) durch die Jünger vielfache Handlungs- und vor allem Sprachwiederholungen Jesu anzunehmen sind, die jedes Mal als leicht variierende „Originale“ erscheinen und von den Jüngern überliefert werden. Dunn definiert „Variation“ und „Flexibilität“ vor allem im Kontext eines mündlichen Überlieferungsprozesses (als „variierende, nacherzählende Vorträge“),28 ohne danach zu fragen, ob Jesus selbst durch „Wiederholung und Variation“ in seiner eigenen Lehre bereits eine Vielzahl von ähnlichen Aussagen vermittelte, die sodann in „unterschiedlicher Selektion“ der einzelnen Jünger aus der Vielfalt dessen, was Jesus tut und aussagt, überliefert werden.29 Mit anderen Worten: Leicht voneinander abweichende Logien Jesu in den Evangelien (sowie evtl. Berichte der Taten Jesu) sind nicht notwendigerweise 23 Riesner, Jesus, 5 bemerkt, dass bereits Schniewind die einseitige Betonung literarischer Beobachtungen bemängelt. 24 Dunn, Setting, 139-175. 25 Dunn, a.a.O., 149. 26 Dunn, a.a.O., 164. Vgl. Übereinstimmung und Kritik an Dunns und Baileys Ansatz bei Mournet, Oral Tradition, 291-293 und passim. 27 Dunn, a.a.O., 151, Anm. 47. 28 Dunn, a.a.O., 164. 29 Vgl. Chang, Repetitions, ad loc.

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Niederschlag eines begrenzt variierenden mündlichen Überlieferungsprozesses, sondern können durchaus Zeugnis davon ablegen, dass Jesus selbst seine Aussagen und Verhaltensweisen als Wanderprediger leicht variierte. Verschiedene Faktoren stützen das „strukturierte/formale/unflexible, kontrollierte Modell“, wobei Stabilität in der Überlieferung vorherrscht. Riesner modifiziert ältere Untersuchungen der mündlichen Überlieferung im palästinischen Judentum durch Gerhardsson und andere.30 Im Unterschied zu Gerhardsson, der mündliche Überlieferung vor allem im Kontext späterer rabbinischer Schulen untersucht, beschränkt sich Riesner auf eine umsichtige Analyse pädagogischer Verhältnisse zur Zeit Jesu.31 Ferner konzentriert sich Riesner im Gegensatz zu Gerhardsson auf das Lehrmilieu vor allem innerhalb der Synagogenschulen, da damit das Argument gegen Gerhardsson, Jesus habe formal nie als Rabbi gelehrt, entfällt. Sowohl Jesus als auch seine Jünger sind mit den pädagogischen Verhältnissen und Gepflogenheiten der Synagogenschulen vertraut. Es folgt nun ein kurzer Überblick über Aspekte der mündlichen Überlieferung, die vor allem Riesner (und andere)32 für das pädagogische Milieu der Synagogenschulen sowie das des Elternhauses33 und des Synagogengottesdienstes34 in Palästina zur Zeit Jesu geltend machen. Riesner kommt zu dem Ergebnis, dass pädagogische Prinzipien der Synagogenschulen, des Elternhauses und der Synagogengottesdienste den überzeugendsten Hintergrund für „Jesus als Lehrer“ darstellen. Die dort ermittelten Prinzipien schematischer und stereotyper, mündlicher Überlieferung erweisen sich als kompatibel mit indirekten Indizien der Evangelien über die pädagogische Vorgehensweise Jesu. Damit wäre eine erste, historisch glaubwürdige Brücke zwischen Jesus und dem frühchristlichen Zeugnis seiner Jünger sowie indirekt zu den schriftlich fixierten Evangelien geschlagen. Als wichtigstes Beispiel für derartige mündliche Unterweisung seien im Folgenden Grundelemente der Ausbildung in der Synagogenschule angeführt.35 Elementarschulausbildung in Synagogen Palästinas z.Z. des 1. Jh.s n.Chr. Die Ausbildung im 1. Jh. n.Chr. konzentriert sich auf mündliche Überlieferung und Einprägen biblischer (d.h. schriftlich fixierter) Texte. Das Schulhaus. Zur Zeit Jesu bestehen in Palästina längst36 meist pharisäisch37 geprägte, den einzelnen Synagogen angegliederte Schulen, die zur Ausbildung 30 Vgl. Bauckham, Jesus, Kap. 10 sowie Eddy, Jesus Legend, Kap. 7; siehe Gerhardsson, Tradition, ad loc. sowie ders., Origins, ad loc. 31 Vgl. ferner Barnett, Jesus, 138. Siehe, jedoch, ähnlich wie Riesner, Barnett, ad loc., 139. 32 Vgl. z.B. Wansbrough, Jesus, ad loc. 33 Riesner, Jesus, 102-118. 34 Riesner, a.a.O., 137-151. 35 Die folgenden Ausführungen basieren weitgehend auf Riesner, Jesus, 151-206 und passim. 36 Zur Herkunft der Synagogen im Judentum sowie deren Charakteristika, vgl. Riesner, Jesus, 123-137. Zur weiten Verbreitung von Synagogen z.Z. Jesu, vgl. Riesner, a.a.O., 136-137. 37 Riesner, Jesus, 189.198 und passim.

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der männlichen Jugend dienen.38 Generell gilt, dass die Synagogen zumindest einen Grundschulraum, mitunter sogar einen Raum für eine höhere Torahschule aufweisen.39 Der Lehrer. Neben Erteilung des Unterrichts hat der Grundschullehrer oft die Aufgabe des Synagogendieners,40 sowie die des Schreibers (Kopieren von Manuskripten).41 Der Schüler. Zur Zeit Jesu beginnen die meisten Jungen ihre etwa siebenjährige Grundschulausbildung im Alter von etwa sieben Jahren.42 Der Schulalltag geht von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, sechs Tage pro Woche.43 Lehrinhalt. Das zentrale Lehrziel ist es, den Jungen möglichst viele Abschnitte der hebräischen Bibel44 ins Gedächtnis einzuprägen.45 Wichtig sind hier u.a. die Abschnitte der Bibel, die für die Liturgie von Bedeutung sind (wie z.B. das „Schema Jisra’el“, die „Hallel“-Psalmen und die Tisch-Berachoth),46 da die Heranwachsenden dadurch auf ihren zukünftigen Dienst in der Synagoge vorbereitet werden. Ferner sind Lesen und Schreiben, u.a. mittels Kopieren und Diktat, zu vermitteln.47 Wiederum wird dafür die hebräische Bibel verwendet. Obwohl die Betonung auf mündlicher Kommunikation liegt, ist dennoch im Bereich des 38 Riesner, a.a.O., 198-199 (mit Verweis auf mChag 15b). Allein in Tiberias sind für diese Zeit dreizehn derartige Schulen bezeugt. Archäologische Ausgrabungen auf Masada deuten darauf hin, dass die dortige Synagogenschule auch noch während der Eroberungszeit durch die Römer (70–73 n.Chr.) geführt wird. 39 Riesner, Jesus, 183. Auf Masada liegt aufgrund der Topografie eine gewisse Distanz zwischen Synagoge und Schulraum vor. Die Grundschule ist als ‫( בית ספר‬bjt sphr), die höhere Schule als ‫(בית תלמוד‬bjt tlmud) bekannt. 40 Riesner, Jesus, 184. 41 Riesner, a.a.O., 184-185. Sowohl der Babylonische als auch der Jerusalemer Talmud nennen diesen Lehrer ‫( ספר‬sophr), während der Lehrer der höheren Torahschule ‫( חכם‬chkm; aram. ‫[ חכים‬chkjm]) genannt wird. Die Grundschullehrer erhalten einen Lebensunterhalt, während die Lehrer der höheren Schule noch in der Zeit vor Christi Geburt damit beginnen, auf ein Gehalt zu verzichten. In den Augen der „Chakam“ sind damit die Grundschullehrer als minderwertig zu betrachten. Dies mag dazu beitragen, dass Grundschullehrer in der jüdischen Gesellschaft allgemein als Mitglieder der unteren Gesellschaftsschicht angesehen werden. 42 Vgl. z. B. Josephus, Vita, 2.7-9, der mit vierzehn Jahren die Schule verlässt. Vgl. mAbot 5,21. Siehe ferner GenR 63,14, bezüglich der Notiz, dass Jakob und Esau als Dreizehnjährige die Schule verlassen (so Byrskog, Story, ad loc., sowie Riesner, Jesus, 187). 43 Riesner, Jesus, 187. Am Sabbatnachmittag kann der Vater den Jungen in mündlicher Rekapitulation über all das befragen, was er in der zurückliegenden Woche gelernt hat. 44 Riesner, a.a.O., 189. 45 Mindestens seit Ben Sira gilt, dass Weisheit und Gesetz beinahe als Synonyme gesehen werden (vgl. Schnabel, Law, passim). So dient das Erlernen der Torah als Schlüssel zur Weisheit (vgl. Riesner, Jesus, 188). 46 Riesner, Jesus, 112. 47 Allerdings ist die Frage, wie weit Lesen und Schreiben tatsächlich beherrscht werden, umstritten. Dunn, Setting, 139-175, meint, dass nur etwa 10 % der Bevölkerung in Palästina z.Z. Jesu lesen und schreiben kann. Dunn (a.a.O., 148, Anm. 34) verweist vor allem auf Bar-Ilan, Illiteracy, 46-61 sowie Hezser, Literacy, ad loc. Riesner, Jesus, 110-118.190-193, betont jedoch das mögliche Erlernen von Lesen und Schreiben bereits im Elternhaus.

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­ esens (und z.T. auch im Bereich des Schreibens) ein relativ hoher KenntnisL stand der männlichen Bevölkerung anzunehmen.48 Das Erlernen des Lesens beginnt oft mit schwierigen Texten aus Lev, um zu verhindern, dass die Schüler „aus dem Gedächtnis lesen“.49 Mitunter wird in den Synagogenschulen auch griechisch gelehrt. Zum Beispiel weisen Tiberias und Sepphoris (unweit von Nazareth) griechisch sprechende Synagogenmitglieder auf. Lehrmethoden.50 Wie bereits angedeutet, ist der Kern der Lehrmethode wie in vielen Kreisen der Antike (Ägypten, Mesopotamien, Griechenland, Rom) das Auswendiglernen (in diesem Fall von biblischen Texten).51 Das bedeutet, dass systematisches Einprägen von Lehrinhalten, vielmehr als kreatives Verstehen und Interpretieren, im Vordergrund steht. So müssen z.B. Sprüche 1‒9 auswendig gelernt werden, lange bevor der Inhalt verstanden werden kann. Der Schlüssel zum Erfolg ist die Wiederholung.52 Verschiedene mnemotechnische Hilfsmittel, die z.T. bereits im hebräischen Text vorliegen, werden zum Erreichen des angestrebten Ziels verwendet. Dazu gehören die Alliteration (vgl. Spr 18,20-22), Akrostichon (vgl. Spr 31,10-31; Ps 119), metrische Struktur, Paronomasie (Wortspiel) und das Kantillieren.53 Der Lehrer bedient sich ferner der mnemotechnischen Hilfsmittel von „Frage und Antwort“ sowie des Beginnens eines Schriftverses, den der Schüler sodann zu Ende sagen soll. All dies geschieht im Kontext strikter Disziplin.54 Riesner kommt zu folgendem Ergebnis: „Ein frommer Jude besaß eine solide, wenn auch einseitige Bildung. Er konnte Lesen und Schreiben und vermochte unter Anwendung einfacher mnemotechnischer Hilfsmittel große Stoffmassen im Gedächtnis zu behalten“.55 Parallelen und Differenzen zwischen der zeitgenössischen Grundschulausbildung in Synagogen und dem pädagogischen Vorgehen Jesu Parallelen. Es ergeben sich beträchtliche Parallelen zwischen der zeitgenössischen Grundschulausbildung in den Synagogen und dem pädagogischen Vorgehen Jesu. Indirekte Indizien in den Evangelien bestätigen nach Riesner, dass Jesus eben diese bestehenden pädagogischen Methoden in der Ausbildung seiner

48 Siehe Millard, Reading, 223-229. Vgl. ähnlich, Schnabel, Mission, I 631-632 sowie Lit. ebd., Anm. 314-317. Spezifisch für Judäa und Galiläa, vgl. Riesner, Jesus, 112-115. 49 Riesner, Jesus, 191. 50 Riesner, a.a.O., 195-198 betont, dass die diversen Lehrmethoden in der Antike weit verbreitet und nicht nur auf die jüdische Lehrmethode begrenzt sind. 51 Riesner, Jesus, 193-195. Vgl. Bauckham, Jesus, Kap. 13. 52 Vgl. Josephus, CAp 2,178. Nach einer Überlieferung soll Hillel bemerkt haben: „Wer nämlich seinen Abschnitt hundertmal wiederholt …, ist nicht mit dem zu vergleichen, der seinen Abschnitt hunderteinmal wiederholt“. Riesner, Jesus, 194, mit Verweis auf mChag 9b. 53 Riesner, Jesus, 195-196. 54 Riesner, a.a.O., 197-198. 55 Riesner, a.a.O., 199.

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Jünger einsetzt.56 Riesner kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass aufgrund dieser Korrelation die Entstehungsverhältnisse der Evangelien im Kontext fixierter, stereotyper und mündlicher (und z.T. schriftlicher) Überlieferung (Überlieferungsmethode) zu erklären sind. Folgende Aspekte sind hervorzuheben: Jesus bedient sich einprägsamer Schriftverweise, benutzt häufig Summarien und vermittelt seine Inhalte oft in Form eines Maschals (verschiedene Formen der übertragenen, bildhaften Rede). Jesu Lehrstil schließt Kürze, Bildhaftigkeit und lebensnahe Beschreibung ein. Er benutzt u.a. Parallelismus, Sprachrhythmus, Chiasmus, Paare, Alliteration, Assonanz und Aphorismen. Er verknüpft Ereignisse mit Unterweisungen und führt viele einprägsame, z.T. kontroverse Dialoge. All dies dient der einprägsamen Gedächtnishilfe. Die systematisch unterwiesenen Jünger dienen somit als Überlieferungsträger (mit Personalkontinuität der Überlieferungsträger)57 dessen, was Jesus lehrt, wie er lebt und was sich ereignet. Die terminologische Bezeichnung des Jüngers als μαθητής [mathētēs], der sodann auch als ἀπόστολος [apostolos] Inhalte vermittelt, ist diesbezüglich vielsagend.58 Die Verneinung und spätere Reue des Petrus akzentuiert diese Kontinuität dadurch, dass ein strauchelnder Jünger dennoch zum berufenen Botschafter wird. All dies dient u.a. der Bewahrung von anvertrauter und eingeprägter Überlieferung.59 Im Folgenden sollen zusätzliche, pädagogische Aspekte der Evangelien genannt werden, die zwar für den Grundschulunterricht der Synagoge nicht nachweisbar sind, jedoch für den Prozess der Entstehung der Evangelien pädagogisch und überlieferungsgeschichtlich bedeutsam sind. Differenzen. Folgende Differenzen sind beachtenswert, die die These einer stereotypen Überlieferung der Jesusworte und -taten bekräftigen:60 1. Die Lebensgemeinschaft, die Jesus mit seinen Jüngern bildet, geht über die bereits intensive Lehrer-Schüler-Gemeinschaft in der Synagogenschule hinaus. Diese Tatsache intensiviert den Lern- und Gedächtnisprozess. 2. Jesus beruft seine Jünger nach prophetischer Vorlage und ergreift damit gleich zu Beginn seiner öffentlichen Tätigkeit die Lehr-61 und Prägungsinitiative;62 dies geschieht u.a. im Gegensatz zu rabbinischen Schülern, die sich bei einem Rabbi bewerben.63

56 Vgl. Mk 1,16-20 und Mt 11,28-30. Vgl. Riesner, a.a.O., 357-407. 57 Riesner, Jesus, 19-20.408-498.499-502 und passim. 58 Vgl. Ridderbos, History, passim, bezüglich der Tatsache, dass die zwölf Jünger Jesu kerygmatisch, apostolisch und lehrend wirken. Die drei Grundfunktionen sind durch einen rückverweisenden Zeugendienst ausgewiesen. 59 Vgl. Riesner, Jesus, 422-453. 60 Vgl. zum Folgenden insgesamt Riesner, Jesus, 297-498; vgl. Eddy, Jesus Legend, Kap. 7. 61 Dunn, Setting, 139-175, hier: 155. 62 Vgl. Barnett, Jesus, 140. 63 Siehe z.B. Saul von Tarsus, der in Jerusalem durch Gamaliel ausgebildet wird.

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3. Parallel hierzu ist zu bemerken, dass Jesus mit einem außergewöhnlichen Autoritätsanspruch auftritt, der im palästinischen Judentum seinesgleichen sucht; wiederum ist dadurch ein pädagogischer Effekt zu erwarten.64 4. Die Tatsache, dass Jesus seine Jünger in Paaren zur Verbreitung seiner Botschaft und seines Herrschaftsanspruchs aussendet, hat den pädagogischen Effekt des Wiederholens und Einprägens dessen, was Jesus lehrt und tut (vgl. diesbezüglich auch Mt 28,19-20).65 5. Ein weiterer Faktor, der das stereotype Einprägen des Lehrens und Handelns Jesu fördert, ist die Berichterstattung dessen, was die ausgesendeten Paare jeweils taten und erlebten (vgl. Mk 6,30). 6. Da Jesus als Wanderprediger66 und -prophet wirkt, hören seine Jünger ungezählte, leicht variierende Wiederholungen.67 Wenham bemerkt diesbezüglich: “It is inevitable that an itinerant preacher must repeat himself again and again, sometimes in identical words, sometimes with slight variations, sometimes with new applications; sometimes an old idea will appear in an entirely new dress”.68 Bengel beobachtet: „Jesus hatte eine wandelnde Schule. In dieser Schule war es für die Jünger bei allen Gelegenheiten eine treffliche Unterweisung, vielmehr, als wenn sie an einem gewissen Ort ohne alle Anfechtung und Versuchung gewisse Tage und Stunden, wie in einem Collegium, bequem zu hören gehabt hätten“.69 Diese Beobachtungen beziehen sich vor allem auf Aussagen und Dialoge Jesu, die in jeweils festen Kontexten verankert sind,70 sowie auf die Maschal-Logien Jesu.71 Aspekte der Symmetrie und Variation innerhalb der Evangelienberichte wären somit auf die Wiederholungen und Variationen der Lehrweise Jesu zurückzuführen. Eine Konsequenz dieser Überlegungen ist, dass ähnliche Überlieferungen, die in den synoptischen Evangelien in unterschiedlichen Zusammenhängen vorkommen, durchaus leicht variierte Wiederholungen im Leben Jesu, und nicht gleich thematische Anordnung des Evangelisten, widerspiegeln können.72

7. Jesus fördert nicht nur das Auswendiglernen seiner Jünger, sondern auch die Interpretation des vermittelten Inhalts (vgl. z.B. MK 10,45).73 8. Aufgrund der intensiven Arbeit Jesu an den festgefahrenen Erwartungen und Überzeugungen seiner Jünger wird der denkende Lernprozess mit der inne64 65 66 67 68 69 70 71

Vgl. Barnett, Jesus, 140 und Anm. 35. Riesner, Jesus, 453-475. Riesner, a.a.O., 353-354. Baum, Lukas, 315-317. Wenham, Independence, 507-515, hier: 509, nach Baum, Lukas, 315-316, Anm. 21. Bengel, Gnomon, 61, nach Baum, Lukas, 315-316. Baum, Lukas, 316. Natürlich ist hier Vorsicht geboten: Manche Ereignisse sind eindeutig einmalig (vor allem während der Passionswoche). 72 Baum, Lukas, 316 verweist z.B. auf Lk 12,1 im Vergleich zu Mt 16,6 sowie auf Lk 12,16 im Vergleich zu Mk 9,11-12 par. 73 Vgl. Bauckham, Jesus, 264-357.

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ren Einstellung und Haltung immer mehr miteinander in Einklang gebracht. Das heißt, die Jünger erleben eine derart radikale Änderung ihrer Lebensperspektive, dass sie das von Jesus Gelernte und Erlebte immer angemessener einordnen und anwenden können.74 Dieser Prozess wird einst durch die Gabe des Heiligen Geistes fortgeführt (Joh 14,15-31; 16,4-15). 9. Es besteht ferner die Möglichkeit, dass ortsansässige Sympathisanten Jesu Aussagen und Taten aufgrund seiner Popularität bereits vor Ostern schriftlich notieren.75 10. Die zentralen Ereignisse des Todes und der Auferstehung Jesu dienen sodann als kräftiger Lern- und Interpretationsantrieb, weil sich das, was Jesus vorhersagt (8,31) nun bewahrheitet (vgl. Lk 24,25-27).

2.1.3 Die Erklärung des Werdegangs der Evangelien innerhalb des Modells einer modifizierten Traditionshypothese Die Erklärung des Werdegangs der Evangelien beginnt daher mit der Tatsache, dass Jesus als systematischer und prophetischer Lehrer auftritt. Sie enthält die Beobachtung, dass aufgrund der gesamten Selbstaussage der Evangelien eine bemerkenswerte Personalkontinuität vorliegt: Eben die berufenen und durch Jesus systematisch geprägten Jünger treten später als Zeugen des Lebens, der Lehre und des Handelns Jesu auf. Diese eindeutige Personalkontinuität dient als Fundament der Traditionskontinuität. Innerhalb der Personal- und Traditionskontinuität fungiert die stereotype, mündliche Überlieferung als modus operandi.76 Die sorgfältige Sammlung und systematische Übermittlung mündlicher (und z.T. schriftlicher) Tradition ist somit charakteristisch für die Entstehungsverhältnisse der Evangelien (vgl. z.B. Apg 20,35; 1Kor 7,10; 1Kor 11,23-25).77 74 Vgl. Bayer, Peter, 38-40; 214-267. 75 Siehe u.a. Riesner, Jesus, 487-498. 76 Hierin liegt eine Hauptkritik Riesners (ders., Jesus, 20) an der klassischen Formkritik (vgl. Bultmann, Geschichte, a.a.O., u.a.) begründet: Die klassische Formkritik ersetzt die historisch plausible Personalkontinuität (vom Jünger zum Zeugen) durch eine historisch unbegründete, kollektive Überlieferungsinstanz und postuliert gleichzeitig die Kreativität der Gemeinde als Ursprung und Anlass des Bekenntnisses zu Jesus. Die Ablehnung der Personalkontinuität unter traditionellen Formkritikern veranlasst Taylor zu der Bemerkung: “If the Form-Critics are right, the disciples must have been translated to heaven immediately after the resurrection” (nach Riesner, Jesus, 20, der Taylor, Formation, 41, zitiert). Der vorliegende Ansatz ergänzt die Auffassung von Westcott: “As long as the first witnesses survived, so long the tradition was confined within the bounds of their testimony; when they passed away, it was already fixed in writing”. (Westcott, Introduction, 211-212). Vgl. Bauckham, Jesus , 2. Auflage, 590615 sowie 240-357. 77 Vgl. Ellis, Traditions, 303-320, vor allem 310. Bauckham, Jesus, Kap. 11 und 13. Dunn, Setting, 139-175, hier: 156, stellt fest: “I believe the oral tradition model passes that test [nämlich das komplexe Phänomen der synoptischen Evangelien zu erklären, HFB] with flying colours”.

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Es besteht somit ein beträchtlicher Unterschied zwischen der Sicht einer mündlichen Phase des Erlernens der Aussagen und Taten Jesu einerseits und der Auffassung klassischer Formkritik.78 Neben der unhistorischen Verneinung der Personalkontinuität geht die klassische Formkritik apodiktisch von der theologischen und historischen (historisierenden) Kreativität der christlichen Gemeinden aus. Dieses Postulat widerspricht u.a. dem Selbstzeugnis der Evangelien, die betonen, dass der kreative Impuls eben gerade von Jesus ausgeht. Auch eine weniger historisch voreingenommene und eher literarische Klassifizierung der Formen (vgl. etwa M. Dibelius) läuft Gefahr, ausschließlich literarische Faktoren auf Kosten von historischen Gegebenheiten in der Überlieferung hervorzuheben.

Gebrauch verschiedener Sprachen z.Z. Jesu. Bevor wir der Frage der Entstehung der schriftlichen Evangelien als Niederschlag stereotyp eingeprägter, mündlich (und schriftlich) tradierter Überlieferung der apostolischen Jünger Jesu nachgehen, seien noch einige Bemerkungen zum Gebrauch verschiedener Sprachen z.Z. Jesu vorausgeschickt.79 Die Frage, welche Sprachen Jesus und die Jünger Jesu beherrschen oder zumindest benutzen, beeinflusst indirekt die Analyse des Werdegangs und der Qualität der Evangelien. Die aramäische Sprache wird von den meisten Forschern als Muttersprache vorausgesetzt. Aramäisch ist ein semitischer, syrischer Dialekt, ähnlich dem Dialekt in Samaria.80 Aramäisch ist z.Z. Jesu in Palästina weit verbreitet und ist auch die Hauptsprache der Synagoge. Der Synagogengottesdienst81 schließt sowohl eine aramäische Übersetzung des hebräischen Bibeltextes als auch eine aramäische Ansprache ein. Im NT wird dieser Dialekt gelegentlich als ‘Εβραϊστί [Hebraisti] (Joh 5,2; 19,13.17) bezeichnet. Diese Tatsache wird durch Josephus bestätigt, der ein eindeutig aramäisches Wort als ἑβραῖος [hebraios] bezeichnet (Josephus, Ant 3,252). Zu den Aramaismen und Hebraismen in den Evangelien gehören u.a.: Mt 5,22; 6,24; 11,9; 12,5.25; 26,2; Mk 3,17; 5,41; 7,11.34; 14,36; 15,34 (vgl. Mt 27,46); Lk 11,51; Joh 1,42. Zahn82 weist nach, dass Paulus bei seiner Verteidigung (Apg 21,40 und 22,2) aramäisch spricht. Zur Frage, ob Matthäus etwa eine aramäische Fassung vor der griechischen Fassung seines Evangeliums verfasst,83 ist es aufschlussreich zu wissen, dass Josephus seine „Geschichte des 78 Vgl. ferner Riesner, Jesus, 6-18. Siehe Bauckham, Jesus, 2. Auflage, 590-615. 79 Lit.: Bar-Ilan, Illiteracy, 46-61; Barnett, Jesus, 133-161; Godet, Luke, 35; Hengel, Studies, 46; Millard, Reading, 223-229 und passim; Reicke, Roots, 180ff; Riesner, Jesus, 197.382392.411-414; Schnabel, Mission, I 277-279.626-631; Westcott, Introduction, 211-212; Zahn, Einleitung, ad loc.; Batey, Jesus, passim; Hezser, Literacy, ad loc. 80 Vgl. Zahn, Einleitung, 3. 81 Vgl. Riesner, Jesus, 137-151. 82 Zahn, Einleitung, 6-7. 83 Siehe Baum, Urmatthäus, 257-272.

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jüdischen Krieges“ (Bell) zunächst auf Aramäisch verfasst, bevor er sie selbst (mithilfe von anderen) ins Griechische überträgt. Offensichtlich ist es von Bedeutung, wann die griechische Sprache im mündlichen und schriftlichen Überlieferungsprozess benutzt wird, und vor allem, ob die Jünger (neben Aramäisch; ggf. Hebräisch) die griechische Sprache derart beherrschen, dass die kompetente Übertragung aus dem Aramäischen gewährleistet ist.84 Der Einfluss der griechischen Sprache in Palästina beginnt mit den Eroberungskriegen Alexander des Großen (letztes Drittel des 4. Jh.s v.Chr.). Als wichtiges Zeugnis für die sprachliche Hellenisierung vor allem des östlichen Mittelmeerraums gilt die Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische (LXX von etwa 250 v.Chr. bis ca. 50 v.Chr.). Griechisch wird somit in Palästina nicht nur durch die aus der Diaspora zurückkehrenden, hellenistischen Juden gepflegt, sondern immer mehr auch von ansässigen Juden in Palästina selbst, die allerdings Aramäisch als Muttersprache beibehalten.85 Nach Zahn86 ist ein wichtiger Faktor, der die sprachliche Hellenisierung Palästinas vorantreibt, die römische Besetzung Palästinas vor allem nach 64 v.Chr. Zahn beschreibt Palästina als Region, in der Aramäisch vorherrscht, die jedoch zusätzlich durch eine griechisch sprechende Bevölkerung geprägt ist.87 Die vielen hellenistischen Städte, die von Josephus πόλεις ἑλληνίδας [poleis hellēnidas] (Josephus, Bell 2,97) genannt werden, sind ein Zeugnis hierfür.88 Derartige hellenistische Städte in und um Palästina (u.a. mit Theater, Amphitheater und Gymnasium) beherbergten vor allem eine griechisch sprechende Bevölkerung zusammen mit einer aramäisch sprechenden Minderheit. Aus jüdischer Perspektive bleibt Griechisch trotzdem die Sprache der βάρβαροι [barbaroi] (Josephus, Bell, Prooem. 1). Dennoch tauchen bereits 170 v.Chr. griechische Namen für jüdische Bürger auf (z.B. Jason für Jesus). Der Makkabäeraufstand verlangsamt bzw. behindert generell den Prozess der politischen und kulturell-religiösen, jedoch nicht den der sprachlichen Hellenisierung. Die Unterscheidung dieser zwei Tendenzen ist grundlegend für das Verständnis der Verhältnisse z.Z. des NT. Zahn bemerkt, dass die Gegenwart römischer Machthaber in Judäa und Samaria (mit kurzen Unterbrechungen vor allem in der Zeit von 6–70 n.Chr.) die 84 Vgl. etwa Schnabel, Mission I 278 (mit Verweis auf Riesner, Jesus, 412-413), zumindest bezüglich einiger Jünger. Vgl. McDonald und Porter, Early Christianity, passim. 85 Zahn, Einleitung, 3. 86 Zahn, a.a.O., 24f. 87 Zahn, a.a.O., 25f. 88 Vgl. z.B. Gadara, Hippos, Skythopolis, Gaza, Sepphoris, Pella, Dion, Ptolemaïs, Philadelphia, Sebaste, Antipatris (Apg 23,31), Phasaëlis, Caesarea, Abila, Gerasa. Vgl. 5,20; 7,31 und Mt 4,25.

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Verbreitung der griechischen Sprache begünstigt.89 Zahn geht davon aus, dass z.B. Zöllner (sowohl in Judäa und Samaria90 als auch im Galiläa des Herodes Antipas91) griechisch sprechen, unabhängig davon, ob es sich um Juden oder Heiden handelt. Hasmonäer und Herodianer sind mehr oder weniger (kulturell und sprachlich) hellenisiert. Vor allem ist Jerusalem nicht nur das Zentrum des palästinischen, sondern auch des hellenistischen Judentums92 (vgl. die vielen dort ansässigen Diasporajuden, Proselyten und Gottesfürchtigen). Diasporajuden, die sich in – und um – Jerusalem (zusammen mit Pilgern aus der Diaspora) in griechisch sprechenden Synagogen versammeln,93 bringen mit ihren Gaben und Opfern die griechische Sprache vor die Tore des Tempels. Palästinische Juden müssen mit diesen griechisch sprechenden Juden verkehren. Die griechische Sprache ist somit z.Z. Jesu im Herzen des Judentums angelangt, ohne allerdings den jüdischen Glauben, der auf dem AT basiert, anzutasten. Nur ganz deutlich identifizierbare Elemente im Judentum des 1. Jahrhunderts n.Chr. sind auch von der hellenistischen Kultur und Religiosität beeinflusst. Während die Sprache angenommen wird, widersetzen sich andererseits breite (vor allem pharisäische) Schichten des Judentums der Kultur und Religion des Hellenismus.94 Die Verfolgung der christlichen Sekte durch Saul von Tarsus dient als Beispiel dafür, dass der jüdische Monotheismus des Alten Testaments trotz Aufnahme der griechischen Sprache aufrechterhalten wird. Eindeutig ist ferner, dass zurückkehrende Diasporajuden den antihellenistischen Kern des Judentums nur stärken.95 In diesem Milieu ist es nicht verwunderlich, dass Jesu Lehre eines „komplexen Monotheismus“, die deutlich aus dem alttestamentlich-jüdischen, und nicht aus dem hellenistischen Kultur- und Glaubensgut erwächst, auf Griechisch verbreitet wird (vgl. die aramäischen Spurenelemente, vor allem bei Mk und Joh).96 89 90 91 92 93

Zahn, Einleitung, 27. Zahn, a.a.O., 27 verweist auf Josephus, Bell 2,284 und Lk 19,2-9. Zahn, a.a.O., 27 verweist auf Mk 2,14 und Mt 9,9. Zahn, a.a.O., 27f verweist auf Apg 6,1 und 9,27. Zahn, a.a.O., 28 verweist auf Apg 6,9 und meint, dass hier zwischen zwei Synagogen unterschieden wird: eine, die sich aus hellenistischen Juden von Alexandrien, Kyrene und Rom konstituiert; eine andere, die sich aus hellenistischen Juden von Zilizien und Kleinasien konstituiert. 94 Vgl. die schmerzliche Geschichte des Makkabäeraufstandes sowie die vielen Aufstände zu Beginn des 1. Jahrhunderts n.Chr. (vgl. Apg 5,35-39 sowie Josephus, Ant 18,23). 95 Siehe z.B. die Entdeckung griechischer Texte, die von Juden in Palästina geschrieben wurden und alltägliche sowie literarisch gehobene Inhalte vermitteln: vgl. Horsley, Documents, ad loc. Vgl. ferner jüdische Institutionen und Personen mit griechischen Namen (siehe etwa „Synagoge“, „Synedrion“ usw.). 96 Zahn, Einleitung, 1f.

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Aufgrund dieser Beobachtungen wird Jesus sowohl aramäisch als auch hebräisch (Lk 4,16-22)97 und zumindest etwas griechisch gesprochen haben.98 Seine Jünger sprechen aramäisch, hebräisch, und zumindest einige von ihnen griechisch (u.a. Petrus,99 Matthäus und Johannes). Riesner geht davon aus, dass in verschiedenen galiläischen Synagogen (u.a. Tiberias und Sepphoris) griechisch gesprochen wird.100 Die Entstehung der schriftlichen Evangelien als Niederschlag stereotyp eingeprägter, mündlich (und schriftlich) tradierter Überlieferung der apostolischen Jünger Jesu.101 1. Es ist historisch plausibel, von einer vorösterlichen, mündlichen und begrenzt schriftlichen Phase auszugehen, in der ein beträchtliches Volumen an stereotyp gelernten Aussagen Jesu sowie Erzählungen der Taten Jesu festgehalten werden. Der durch Jesus selbst wiederholte und variierte Lehrinhalt sowie seine Taten werden durch Wiederholung (Aussendung der Jünger) vertieft; dadurch wird eine systematische Vermittlung vorbereitet. Millard bringt ferner den Erweis, dass zumindest einige der Jünger schreiben können.102 Diese stereotyp geprägte, mündliche Phase ist zweisprachig in Aramäisch sowohl als auch in Griechisch denkbar (siehe oben, Vorüberlegungen bezüglich des Gebrauchs der griechischen Sprache unter der jüdischen Bevölkerung). Die stereotype Lehrweise Jesu begünstigt eine fundamentale (durchaus zweisprachige) Treue dem Gelernten gegenüber; dadurch ist z.T. die wörtliche, griechische Übereinstimmung unter den synoptischen Evangelien erklärbar.

97 Zahn, a.a.O., 2-7. 98 Batey, Jesus, ad loc. Ähnlich, Riesner, Jesus, 387-392. Ferner spricht Jesus ohne einen Übersetzer mit einer Samariterin (ein dem Aramäischen ähnlicher Dialekt; vgl. Joh 4,7ff und Lk 17,16) sowie mit einer syrisch sprechenden Frau (Mt 15,22; Mk 7,26). Zahn, Einleitung, 5. 99 Vgl. Hengel, Studies, 46. 100 Riesner, Jesus, 197. Robinson, Redating, 292-303 geht davon aus, dass die Jünger Jesu sowohl Aramäisch als auch Griechisch beherrschen. 101 Siehe Riesner, „Messianic Teacher“, 405-446, sowie Riesner, „Von Jesus zum Markusevangelium“, 15-44. Vgl. Barnett, Jesus, 133-158.159-161, der einen ähnlichen Entwurf vorlegt, ohne jedoch ausdrücklich auf Riesner und Reicke einzugehen. Vgl. Bauckham, Jesus, Kap. 11 und 13 sowie Eddy, Jesus Legend, Kap. 9-10. Hinsichtlich der paulinischen Betonung von verlässlicher Überlieferung, vgl. Barnett, a.a.O., 142-144 sowie Eddy, Jesus Legend, Kap. 5. 102 Millard, Reading, 223-229. Siehe Barnett, Jesus, 140 und Thiede/D’Ancona, Eyewitness, ad loc. bezüglich der Wahrscheinlichkeit, dass Matthäus eine zeitgenössische Form von Stenografie beherrscht. Vgl. ferner Brown, Introduction, 151 und Anm. 66 bezüglich der Koexistenz von mündlicher und schriftlicher Kultur in der griechisch-römischen Welt.

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Aufgrund der Tatsache, dass Jesus eine Gruppe von Jüngern beruft, ist wahrscheinlich, dass gegenseitiges Stützen im Erinnern erfolgt.103 2. Schon während seines irdischen Daseins lehrt Jesus vollmächtig als Prophet. Jetzt, da er trotz Kreuzestod so beispiellos und überraschend durch die Auferstehung gerechtfertigt ist, wird jedes Wort, welches der Meister seinen Jüngern einprägte, noch bedeutsamer, hat doch der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs seinen ewigen Sohn derart unmissverständlich in seinem Erniedrigungs- und Erhöhungsanspruch bestätigt (vgl. Apg 3,13). Sind doch die Worte des Meisters nicht nur Erläuterungen des gegenwärtigen Wirkens Gottes, seiner eigenen Aufgabe und eines auf ihn bezogenen Lebens, sondern auch Aussagen über das zukünftige (ewige) Leben (Mk 13,31). Auch hat sich Jesus bereits als zukünftiger Richter der Menschheit identifiziert (Mk 8,38). 3. Es leuchtet ein, dass sich das nachösterliche, evangelistische und lehrhafte Zeugnis über Jesus zunächst auf die unmittelbar zurückliegenden Ereignisse der Passion Jesu konzentriert. Sodann wird bald die zuvor fest eingeprägte, bereits vor Ostern vermittelte und erlebte Lehre sowie das Handeln Jesu mit dem Passions- und Auferstehungsbericht verquickt. In Anschluss an Kähler104 sieht Pesch im Mk Ev. das urchristliche Zeugnis gespiegelt. Er spricht vom markinischen Passionsbericht, der nach vorne erweitert wurde105 und betrachtet dies als Ursprung der Charakterisierung des bios-Berichts als „Evangelium“. Grundsätzlich wird diese These dadurch gestützt, dass das kērygma Iēsou in der ersten Petrusrede an die gottesfürchtigen Heiden (vgl. Apg 10,36-43; vgl. ferner Apg 2,22-36; 3,11-26) eine ähnliche Struktur aufweist, wie die des Markusevangeliums.106 Allerdings ist zu bedenken, dass dieses so entstandene Zeugnis im formalen Rahmen des Bios-Genres präsentiert wird (s.u., Einleitung 3.1.). Wir bemerken mit Westcott, dass das kērygma Iēsou des Petrus (vgl. Apg 10,36-43) den groben Aufbau des Evangelienberichts enthält, welchen Petrus

103 Vgl. Bauckham, Jesus, Kap. 11 und 13. Vgl. ferner die Tatsache, dass der vom Tod auferstandene Jesus seine Jünger erneut unterweist (Lk 24) und dass er den Beistand des Heiligen Geistes für den Prozess des Erinnerns verheißt (vgl. Joh 14,26 und 16,12-15). Diese Faktoren verbinden das historische Zeugnis mit dem Anspruch der Inspiration und der Tatsache der Kanonisierung der Evangelien als Teil der verlässlichen und autoritativen Offenbarung Gottes. Vgl. Röm 16,26. 104 Kähler, Jesus, 60. 105 Pesch I 1-40 und II 1-27. 106 Berger, Formen, 408.410. Berger, a.a.O., 390 zählt diesen „Evangelienabriss“ zur Gattung eines zusammenfassenden „Basis-Berichts“, der das „erfolgreiche Wirken von Missionaren darstellt“ (siehe a.a.O., 388). Vgl. ebenso Riesner, Jesus, 22 (mit Verweis auf Lane und Hengel). Siehe Papias über Petrus und Johannes Markus (vgl. Bauckham, Jesus, 202-239).

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dem Johannes Markus übermittelt.107 Ein Vergleich zwischen der Petrusrede in Apg 10,34-43 und dem Mk Ev. ergibt folgende Entsprechungen: Apg 10,34-36 → Mk 1,1; Apg 10,37 → Mk 1,2-11; Apg 10,38 → Mk 1,12-9,50; Apg 10,39a → Mk 10,1-15,20; Apg 10,39b → Mk 15,21-47; Apg 10,40 → Mk 16,1-8 (Mk 9,9); Apg 10,41 → Lk 24,36-43 und Mk 9,9; Apg 10,42 → Mk 8,38 und Mt 28,19-20; Apg 10,43 → Mk 10,45, Mk 1,8 und Lk 24,44-49.

Auch in dieser Phase ist anzunehmen, dass sowohl Aramäisch als auch Griechisch gesprochen wird. Die historische Wahrscheinlichkeit eines Passionsberichts mit einer ausgeweiteten Einführung durch Ausschnitte dessen, was Jesus den Jüngern systematisch einprägte, erklärt die grundsätzlich ähnliche Akoluthie der synoptischen Berichte (vgl. Apg 10,36-43). Zu beachten ist allerdings, dass dieser Gesamtbericht im Rahmen des Bios-Genres verfasst wird (s.u., Einleitung 3.1.). Zugleich fördert dieses Modell die Wahrscheinlichkeit, dass Matthäus, Markus und Lukas unabhängig voneinander schreiben, allerdings abhängig vom gemeinsamen Fundus stereotyp eingeprägter Inhalte. Der Umfang des Lehrens und Wirkens Jesu macht eine entsprechende Auswahl aus dem Fundus notwendig (vgl. Joh 20,30; 21,25). Diese Auswahl kann durchaus aufgrund besonderer Zeugnisinteressen erfolgen. Schließlich macht Riesner geltend, dass Markus als „urchristlicher Übermittler und Lehrer der Jesustradition“ die Tatsache betont, dass Jesus als Lehrer auftritt.108 4. Glaubensgemeinschaften entstehen in Judäa, Samaria, Galiläa und Syrien. Der Bedarf an glaubwürdigem, apostolischem Zeugnis wächst und bereitet den Boden für die schriftliche Fixierung der systematisch geschulten und durch Aussendung (Apostel) bereits versierten Jünger. 5. Godets Vorsicht im Umgang mit Lk 1,1-4 ist insofern bedenkenswert, als Lukas zwar von verschiedenen schriftlichen Berichten über Jesus weiß (Lk 1,1), für seinen eigenen Bericht allerdings nur mündliches, apostolisches Zeugnis verwendet und somit schriftliche Berichte (das würde prinzipiell die des Matthäus, Markus und evtl. Johannes einschließen) nicht benutzt (Lk 1,23).109 Lukas betont, Augenzeugen befragt zu haben110 (das könnte auch auf Pet­ rus, Matthäus und Johannes zutreffen). Die hier unterbreitete Rekonstruktion 107 Westcott, Introduction, 211-212. Vgl. Riesner, Jesus, 22. Bayer, Peter, 85-93, sowie Stuhlmacher, Biblische Theologie, I, 50-57.163-164 und Guelich, 11-12. Kritisch hierzu, vgl. G. Schneider, Die Apostelgeschichte II, 61-64 (Freiburg, 1980/1982). 108 Riesner, Jesus, 251-253. 109 Godet, Luke, 35. 110 Vgl. die Ausführungen von Riesner, Rückkehr, 337-352, mit Verweis auf Bauckham, Jesus, passim.

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einer, durch historische Indizien modifizierten, Traditionshypothese würde somit gut mit dem lukanischen Prolog übereinstimmen.111 6. Schließlich ist mit Reicke zu überlegen, ob etwa Matthäus und Markus (über Petrus) sowie Markus und Lukas (über Paulus) persönlichen Kontakt vor endgültiger Abfassung ihrer jeweiligen griechischen Evangelien pflegten.112 Vergleiche Phlm 24; Kol 4,10.14; 2Tim 4,11. Johannes Markus und Lukas sind wahrscheinlich während der Inhaftierung des Paulus in Caesarea zusammen; man beachte die Kontextparallelen dreifacher Bezeugung, zuzüglich der weiteren fünfzehn Kontextparallelen zwischen Markus und Lukas. Reicke geht davon aus, dass gewisse verbale Übereinstimmungen zwischen Matthäus und Markus sowie zwischen Markus und Lukas auf derartige Kontakte zurückgehen.113

2.1.4 Zusammenfassung

Die historischen Umstände, in denen die synoptischen Evangelien wahrscheinlich entstanden sind, weisen auf eine feste und tragfähige Verbindung zwischen dem irdischen Leben Jesu, dem stereotyp eingeprägten Zeugnis und den schriftlich fixierten Evangelien. Hengel bemerkt treffend: Die Tatsache, daß die Evangelien auf der Basis älterer Jesustradition überhaupt geschrieben wurden, zwingt uns unter Verwendung aller historischen Hilfsmittel immer wieder neu, nach der „Geschichte Jesu“ als der ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου [archē tou euangeliou] zurückzufragen. Der letzte Zielpunkt dieser Rückfrage ist weder der kerygmatische Anspruch des Evangelisten noch die tradierende oder auch historisierende Gemeinde, sondern Jesus selbst. Wenn die neutestamentliche Disziplin meint, aus methodischen oder theologischen Gründen auf diese Rückfrage verzichten zu können oder sie gar verbieten zu müssen, gibt sie sich im Grunde selber auf.114

Anstatt die beachtlichen, griechischen Übereinstimmungen und Differenzen in den synoptischen Evangelien historisch-kritisch auszubeuten, ist es angemessener, zunächst die Entstehung der synoptischen Evangelien sowohl historisch als auch literarisch zu erklären.115 Erst nach einem derartigen Versuch kann die Echtheitsfrage der synoptischen Evangelien immer wieder gestellt werden.

111 Vgl. Schlatter, Lukas, ad loc. 112 Reicke, Roots, 180ff. 113 Der persönliche Kontakt zwischen Matthäus und Lukas ist historisch kaum zu belegen. 114 Hengel, Kerygma, 323-336, hier: 336, in Pesch II 561-562. 115 Dies ist Teil eines vertretbaren Harmonisierungsversuchs. Vgl. Blomberg, Legitimacy, 135174. Vgl. ferner Childs, Testament, passim und vor allem Kap. 10, “A Canonical Harmony of the Gospels”, 157-205. Vgl. Riesner, Jesus, 4-5.

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Aus unserer Perspektive verspricht die historisch modifizierte Traditionshypothese das synoptische Phänomen zufriedenstellend zu erklären.116

2.2 Anlass117 Es ist möglich, dass ein konkreter, historischer Anlass für die Abfassung des Markusevangeliums mit der Verfolgung der Christen z.Z. Neros gegeben ist.118 Am 18. Juli 64 n.Chr. sucht ein verheerendes Feuer in Rom den Circus Maximus heim. Ein starker Wind verbreitet das Feuer und sorgt dafür, dass das Feuer neun Tage lang wütet und Tausende von Opfern fordert sowie zwei Drittel der Stadt zerstört. Nero befindet sich während des Feuers („vorsorglich“?) außerhalb der Stadt. Bald macht sich das Gerücht breit, Nero habe selbst das Feuer legen lassen, um Rom nach alexandrinischem oder antiochenischem Muster wiederaufzubauen und sich so ein bleibendes Denkmal zu setzen. Die Historiker Sueton und Dio Cassius machen Nero dafür verantwortlich, Tacitus beurteilt vorsichtiger und bemerkt, dass die Frage der Ursache offen bleiben muss. Nero setzt sich jedenfalls tatkräftig für unzählige Obdachlose ein, kann aber dennoch nicht die Verbreitung des Gerüchts eindämmen. Aufgrund der ungünstigen sozialen Stellung der Christen liegt es nahe, ebendiese Gruppe für das Feuer verantwortlich zu machen. Tacitus beschreibt die abscheuliche Verfolgung der Christen durch Massenverhaftung, Misshandlung, Kreuzigung oder Verbrennung.119 Das Leben der überlebenden Christen in Rom ist ernsthaft bedroht. Nimmt Markus, der sich zu dieser Zeit in Rom aufhält,120 tatsächlich dieses tragische Ereignis zum Anlass der Abfassung, gilt es nun, in dieser trostlosen Situation den derart verfolgten Christen in Rom anhand des Leidens und Lehrens Jesu Orientierung zu geben: Wie Jesus leiden musste (vgl. 1,12-13; 8,31; 9,31; 10,33-34.45), so müssen seine Jünger leiden (Mk 8,34-38); wie Jesus die Verfolgung seiner Jünger voraussagte (Mk 4,17.19; 9,49 [Sondergut]; 10,1722.30; 13,1-13), so erfüllt sich dies im Leben der römischen Christen. Lane folgert: „The Gospel of Mark is a pastoral response to this critical demand“.121 116 Vgl. Blomberg/Goetz, Burden, 39-63 bezüglich allgemeiner Fragen im Umgang mit den Evangelien. 117 Lit.: Bauckham, Gospel, 1-217. 118 Die Jahre 59–68 n.Chr. markieren die autoritäre und besonders ruchlose Phase Neros. 119 Tacitus, Ann. 15,36-38. 120 Siehe dazu unten, 2.4.1 Abfassungsort. 121 Lane 15.

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Wie Jesus die göttliche Rechtfertigung und Auferstehung bevorstand, so dient dies auch jenen als Grund der zukünftigen Hoffnung. Es ist allerdings zu fragen, ob dieser zwar plausible, aber doch sehr eng gefasste Anlass der historischen Gegebenheit tatsächlich entspricht. Steht doch die umfassende Darstellung des Geschicks Jesu als Glaubensgrundlage und nicht der Teilaspekt der Leidensnachfolge im Vordergrund. Ferner werden die Formen der Leidensnachfolge viel breiter gefasst, als dies die spezifische Situation in Rom vorgibt.122 Es ist einleuchtender, davon auszugehen, dass (im Falle einer Frühdatierung um 64 n.Chr., s.u.) die aktuelle Situation in Rom Mitte der Sechzigerjahre des 1. Jh.s n.Chr. lediglich einen Teilaspekt des breiter angelegten Anlasses ausmacht. Der Hauptanlass ist es wohl, den überall wachsenden Gemeinden die apostolisch beglaubigte Darstellung des Geschicks Jesu als Glaubensgrundlage (etwa in der Katechese) schriftlich zu vermitteln.123

2.3 Absicht124 Markus beabsichtigt, Jesu universalen Ruf in die Nachfolge darzustellen und zu legitimieren. Beachtenswert ist die narrative Wiederholung dieses Grundthemas sowie die Tatsache, dass sich die Hörer entweder mit den „Gegnern“ oder den „Jüngern“ identifizieren müssen. Die zweiteilige Gliederung des Evangeliums zeigt, dass der Nachfolgeruf durch die Präsentation und Legitimierung der Person, des Anspruchs, der Lehre und des Handelns Jesu vermittelt wird. Diese Beobachtung zeigt ferner, dass Nachfolge bei Mk grundsätzlich eine Funktion der Prägung durch die Selbsterniedrigung und Erhöhung der Person Jesu (Identität, Handeln, Lehre, Anspruch) ist, und nicht primär das Befolgen von bestimmten Verhaltensregeln beinhaltet. Nachfolge heißt vor allem Gemeinschaft mit Jesus (3,14), Beobachten des Verhaltens Jesu, Achten auf seine Lehre, Aufnehmen seines sühnenden Wirkens, Bekenntnis seiner Person vor Gegnern; all dies dient als Fundament für gewissenhaftes Handeln. Nachfolge ist praktizierte Christusabhängigkeit sowie Prägung durch Jesus. Untergeordnete Themen sind: 1. das Evangelium den Heiden zu vermitteln; 2. die messianische Identität Jesu alttestamentlich als „Herr“, „Menschen122 Für die leidenden Christen in Rom mag jedoch das Thema der Leidensnachfolge besonders hervorstehen; vgl. Lane 17, mit der Bemerkung: “The situation of the Christians in Rome was too intensely critical for them not to read the Gospel in this way”. 123 Siehe die einzelnen Beiträge in Bauckham, Gospel, passim. 124 Lit.: Bauckham, Gospel, 56-60 (M.B. Thompson).91-99 (L. Alexander).115-120 (R.A. Burridge). Weitere Lit. bei: Evans lxxx-lxxxi (bis 1999).

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sohn“ und als „leidenden Knecht“ im Gegensatz zur weit verbreiteten, politischen Messiaserwartung darzustellen; 3. parallele Lebensprinzipien zwischen Jesus und seinen Jüngern nachzuzeichnen, ohne die einmalige und analogielose Vollmacht und Bedeutung seines stellvertretenden Todes zu beeinträchtigen.

2.4 Ort und Zeit der Abfassung 2.4.1 Abfassungsort

Grundsätzlich ist Rom der von den Kirchenvätern125 favorisierte Abfassungsort.126 Da Petrus ohne Zweifel am Ende seines Lebens in Rom verweilt,127 ist auch für Markus Rom der am ehesten einleuchtende Aufenthaltsort. Nur Chrysostomos (Ende des 4. Jh.s n.Chr.) geht von Alexandrien128 als Abfassungsort aus. Allerdings erwähnen die alexandrinischen Väter Clemens (ca. 190 n.Chr.) und Origenes (ca. 200 n.Chr.) dies nicht. Sowohl der patristische Befund als auch die Diskussion der letzten Jahrzehnte hat neben Rom keinerlei überzeugende Alternativen hervorgebracht.129 Ein weniger stichhaltiges Argument für Rom ist die vermeintlich schwache Kenntnis des Autors von der Geografie Palästinas (vgl. jedoch unten, Einleitung 7.).130

125 Vgl. etwa Irenäus und Clemens von Alexandrien, in: Euseb, Hist. Eccl. 2,15; 6,14,6. Etwas allgemeiner konstatiert der Antimarcionitische Evangelienprolog: „in der Region Italien“. Vgl. Taylor 1-7. 126 Lit.: Black, Mark, 36-40; Botha, Setting, 27-55; weitere Lit.: Pesch I 15 (bis 1980); Guelich xxix (bis 1988). 127 Vgl. Thiede, Petrusbild, ad loc. 128 Dies geht wohl auf die weit verbreitete Tradition zurück, dass Markus später in Alexandrien verweilt. 129 Vgl. Pesch I 13: „Gegen eine römische Herkunft des Mk-Ev spricht nichts“. Pesch argumentiert mit Recht gegen Galiläa (W. Marxsen), Dekapolis (S. Schulz), Tyros (J. Schreiber), Syrien (W.G. Kümmel), Kleinasien oder Griechenland (H. Köster). Pesch, Markus I 13, Anm. 3, zitiert Hengel mit der Bemerkung: „Die Alternative zu Rom ist offensichtlich ein allgemeines Rätselraten“. Vgl. ferner die detaillierte Zusammenfassung der Argumente für Rom bei Guthrie, Introduction, 61-63. Siehe Brown, Introduction, 161, Anm. 87. Im Zusammenhang mit der Diskussion über literarische Züge des Markusevangeliums ist Rom als Abfassungsort plausibel (Latinismen). Vgl. Lane 24f. 130 Neuerdings wieder Brown, Introduction, 127 sowie 134, Anm. 17 bezüglich Mk 5,1.13; ders., aaO., 160, Anm. 83 bezüglich Mk 7,31. Gegen diese Argumente vgl. Guthrie, Introduction, ad loc.

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2.4.2 Zeit der Abfassung

Zunächst sind äußere Daten zur Abfassungszeit131 zu beachten. 1. Patristische Belege zur Existenz des Markusevangeliums.132 Irenäus (180 n.Chr.) spricht von τετράμορφον τὸ εὐαγγέλιον [tetramorphon to euangelion].133 Er zitiert Mk 1,24; 5,31.41.43; 8,31.38; 9,23.44; 10,38; 13,32 sowie 16,19: „In fine autem evangelii ait Marcus: Et quidem Dominus Jesus, postea quam locutus est eis, receptus est in caelos, et sedit ad dexteram Dei“.134 Jedoch impliziert bereits Tatians Diatessaron (τὸ διὰ τεσσάρων εὐαγγέλιον [to dia tessarōn euangelion]; ca. 160 n.Chr.) die Existenz des Markusevangeliums. Vor Irenäus und Tatian könnten vielleicht der Hirt des Hermas (ca. 140 n.Chr.) und Justin der Märtyrer (ca. 150 n.Chr.; Dialog mit Tryphon)135 auf die Existenz des Markusevangeliums hinweisen. Das Papiaszitat (ca. 110 n.Chr.) weiß bereits von Markus als Evangelienverfasser zu berichten (s.o. Einleitung 1.1.1).136 Unter den frühen apostolischen Vätern wird das Mk Ev. sonst kaum erwähnt. Es ist jedoch möglich, dass Clemens von Rom (96 n.Chr.) auf Mk 4,28-29 verweist.137 2. Belege der Kirchenväter zur Abfassungszeit des Evangeliums. Clemens von Alexandrien,138 Hieronymus139 und Origenes140 vertreten den Standpunkt, dass Markus das Evangelium noch zu Lebzeiten des Petrus verfasste.141 Es wurde danach unter der Schirmherrschaft des Petrus veröffentlicht. Wenn dies mit der Bemerkung eines „doppelten Martyriums“ (Petrus und Paulus; ca. 64– 66 n.Chr.) des Clemens von Rom142 zusammengestellt wird, folgt, dass Markus das Evangelium vor 66 n.Chr. verfasst hat.

131 Lit.: Black, Mark, 36-40; Botha, Setting, 27-55; Baum, Publikationsdaten, 77-92; Carson/ Moo, Introduction, ad loc.; Ellis, Date, 801-815; Hengel, Markus-Philologie, ad loc.; Wenham, Redating, 136-172.238; Martin, Mark, ad loc.; Thornton, Justin, ad loc. Weitere Lit. bei Guelich xxxi (bis 1988); Evans lxii (bis 1999); Pesch I 15 (bis 1980). 132 In der Zeit nach Irenäus wird Markus häufig zitiert (z.B. Hippolyt, Tertullian, Clemens von Alexandrien). 133 Irenäus, Adv. Haer. III,11.8. 134 Irenäus, Adv. Haer. III,10.6. 135 Z.B. Justin, Dial c Tryph 88; vgl. dies mit Mk 6,3 und 12,30: Τέκτονος νομιζομένου [Tektonos nomizomenou] (par.); nur bei Mk ist Jesus ein Zimmermann (omit Mt 13,55 und Lk 4,22). Vgl. ferner Justin (Dial c Tryph 106) mit Mk 16,19f. 136 Euseb Hist. Eccl. 3.39.15. Vgl. Reicke, Roots, 161-166. 137 Vgl. den „markinischen Stil“ in 1Clem 15,46. 138 Euseb, Hist. Eccl. 2,15,2 und 6,14,6f. 139 Hieronymus, De Vir. 3,8. 140 Vgl. Euseb, Hist. Eccl. 6,25,5. 141 Euseb verlässt sich hier auf Papias, der als Zeuge für die mündliche Überlieferung des Presbyters Johannes gilt. 142 Vgl. 1Clem 5.

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Demgegenüber vermitteln Irenäus (Adv. Haer. 33,1,2) sowie der Antimarcionitische Prolog (ca. 160–180 n.Chr.) die Ansicht, dass Markus das Evangelium in Italien (Rom) nach dem Tod des Petrus verfasst. Riesner erwägt, ob Mk frühere Aufzeichnungen (zu Lebzeiten des Petrus) nach dessen Tod als Evangelium zusammenstellt.143 Es ist näherliegend, die Papiasnotiz dahingehend auszulegen, dass Markus aus dem Gedächtnis niederschreibt. Papias kann in dieser Frage nicht als Entscheidungshilfe zu Rate gezogen werden, obwohl er davon auszugehen scheint, dass Petrus die Abfassung des Evangeliums nicht mehr erlebt. Resultat: Der äußere Befund lässt den Schluss zu, dass das Mk Ev. seit 110 n.Chr. in Gemeinden gelesen und als orthodoxes Evangelium angesehen wird. Ferner tendieren die Väter zur Ansicht, dass das Evangelium vor 66 n.Chr. verfasst wurde. Zu den inneren Belegen ist Folgendes hervorzuheben: Von besonderer Bedeutung sind die auf Tempel- und Jerusalemzerstörung hinweisenden eschatologischen Abschnitte (13,1-4.13.14-16.24.30.33; vgl. 9,1).144 Nach Meinung vieler Ausleger beweisen diese eschatologischen Abschnitte, dass Mk nach der Zerstörung Jerusalems und seines Tempels unter Kaiser Vespasian im August 70 n.Chr. verfasst wurde.145 Dagegen muss betont werden, dass weder bei Mk noch im übrigen NT (einschließlich Mt 24; Lk 21; Mt 22,1-10 par; Joh 2,20; Joh 11,47-48) die Tatsache dieser dramatischen Ereignisse erwähnt wird. Mit der Zerstörung Jerusalems und des Tempels enden das gesamte Opfersystem, die Tempelsteuer, die Wallfahrten zum Tempel und vieles mehr. Das Zentrum des Judentums wird damit zerstört. Die Konsequenzen sind vor allem für das palästinische Judentum tief greifend (s.u., Exkurs 7).

Warum verschweigt Markus die passende Seitenbemerkung, dass die durch Jesus prophezeite Zerstörung (ob authentisch oder nicht) nun erfolgt ist?146 Brown bemerkt treffend: “The failure of NT works to make specific and de143 Riesner, Jesus, 23 (mit Verweis auf Kürzinger). 144 Vgl. z.B. Balabanski, Eschatology, ad loc. 145 Repräsentativ seien Pesch I 14 und Gnilka, ad loc., genannt. Vgl. die Beschreibung dieser Zerstörung in Josephus, Bell 6,130-7,4. 146 Das NT enthält derartige Bemerkungen (etwa: „das ist bekannt, bis auf den heutigen Tag“). Vgl. z.B. Mt 27,8; 28,15; Apg 2,29. Ähnliche Formulierungen finden sich ebenso im AT: Gen 22,14; 26,33; 35,20; Deut 3,14; Jos 4,9; 6,25; 7,26; 8,28.29; 10,27; 13,13; 15,63; 16,10; Ri 1,21.26; 6,24; 10,4; 18,12; 1Sam 6,18; 2Sam 18,18; 2Kön 16,6; 1Chron 5,26; 2Chron 35,25; Hes 20,29.

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tailed mention of the destruction of Jerusalem and the Temple is very hard to explain”.147 Diese Frage muss jedoch zufriedenstellend beantwortet werden. Dies gilt vor allem bei jenen, die davon ausgehen, dass Mk das Endprodukt verschiedener, kreativer und situationsabhängiger Redaktionsphasen ist. Ferner muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass der verallgemeinernde Hinweis auf die Schaubrote (2,26a: „Die niemand essen darf als die Priester“) das gegenwärtige Bestehen des Tempelkultes vorauszusetzen scheint. Es ist zwar bekannt, dass Josephus und evtl. Clemens von Rom nach der Zerstörung des Tempels präsentische Aussagen über den Tempelkultus vermitteln.148 Clemens und Josephus scheinen jedoch prinzipiell (vgl. Hebr 10,1-11) die göttliche Einsetzung und Ordnung des Tempelkultes zu betonen, nicht seine gegenwärtige Praxis. Trotz der Tatsache, dass bei Mk keine explizite Bemerkung über die tatsächliche Zerstörung Jerusalems vorliegt, wird immer wieder konstatiert, der eschatologische Ausblick in Mk 13 (z.B. 13,1-4.14-16) enthalte vaticinia ex eventu, die auf die Zerstörung des Tempels und Jerusalems zurückblicken. Es bestehen gewichtige Gründe gegen eine vaticinia ex eventu Auffassung:149 1. Neben der Tatsache, dass die Annahme eines vaticinium ex eventu erst erwiesen werden muss, müssen dessen Befürworter glaubhaft machen, warum die kanonischen Evangelisten (im Falle eines vaticinium ex eventu) derart zurückhaltend und zukunfterwartend über dieses einschneidende und katastrophale Ereignis sprechen. Warum erwähnen die Evangelisten nicht explizit, dass Jerusalem nun zerstört ist? 2. Ferner müssen Befürworter von vaticinia ex eventu das Motiv erklären, das die Evangelisten zu Formulierung derartiger Weissagungen veranlasste. Oft wird lediglich behauptet, dass die Evangelisten historisierend Jesus als Prophet darzustellen gedachten. Was jedoch verneint wird, muss zuerst bewiesen werden, nämlich dass das explizite Zeugnis der Evangelisten über die prophetische Gabe Jesu nicht doch der historischen Tatsache entspricht. Deshalb genügt es nicht, nur auf einen gelegentlich vorliegenden apokalyptischen Stil der Verschleierung hinzuweisen (siehe Einzelkommentierung bezüglich des Fehlens apokalyptischer Merkmale in der eschatologischen Rede Jesu). Vieles weist darauf hin, dass Jesus über seine bevorstehende Krisis, über das Geschick Jerusalems und über das Geschick der gesamten Welt tatsächlich prophetisch spricht. Jesu Leben und Tod sind nach 147 Brown, Introduction, 163, Anm. 93. Brown, ebd., kritisiert, dass Robinson (Redating, ad loc.) diesen Faktor viel zu stark bemüht; allerdings räumt er ein: “we should not pretend that we have a satisfactory answer”. 148 Vgl. Josephus, Ant 3,151ff (in: Brown, Introduction, 696) und 1Clem 40,5–41,2. 149 Vgl. ferner Evans 295, der auf Hengel, Studies, 16 verweist.

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seiner Auferstehung durch göttliche Rechtfertigung bezeugt; somit ereignet sich das prophetische Reden Jesu in einem durch Gott beglaubigten Kontext. 3. Auch wenn Jesus die prophetische Fähigkeit versagt wird, sind die Aussagen über die Zerstörung Jerusalems immer noch nicht eindeutige vaticinia ex eventu. Robinson bemerkt, dass die bilderreichen Aussagen über die Zerstörung Jerusalems und des Tempels in Mk 13 par durchaus aus alttestamentlichen und zwischentestamentlichen Dokumenten entnommen werden konnten (vgl. etwa Dan 9,27; 11,31; 12,11 LXX; 1Makk 1,54; 2,28). Robinson betont, dass die inhaltliche Nähe zwischen derartigen Texten und Mk 13 viel direkter ist als die Beziehung zwischen Mk 13 und dem tatsächlichen Ereignis der Zerstörung des Tempels und Jerusalems 70 n.Chr.150 Die Zerstörung Jerusalems, die etwa in Jer 39,1-10 beschrieben wird, weist Parallelen zu Mk 13 par auf. Es ist somit ratsam, mit der vaticinia ex eventu-Hypothese kritisch zu verfahren. Zuntz vertritt die Auffassung, dass das Evangelium bereits um 40 n.Chr. verfasst wurde.151 Zuntz beruft sich hierbei auf J.A. Cramer, Kantenencorpus, der 1844 auf dem Codex Laudianus 33 (Oxford) eine subscriptio fand, die besagt, dass Markus sein Evangelium zehn Jahre nach Jesu Himmelfahrt geschrieben habe.152 Es gibt jedoch viele derartige Notizen aus dem Mittelalter, die ähnlich lauten. Zuntz nimmt ferner an, dass bereits Euseb Abfassungsdaten unter die jeweiligen Evangelien schreibt.153 Hierbei muss Zuntz Papias abwerten, da Papias aus Zuntz’ Sicht das Abfassungsdatum nach dem Tod des Petrus zu setzen scheint. Natürlich kann Zuntz als patristische Bestätigung seiner Sicht auf Euseb und Clemens von Alexandrien (Euseb, Hist. Eccl. 6,14,6) verweisen.

Dabei wird Mk 13,14 als „Hinweis auf Caligulas Absicht, sein Standbild im Tempel zu Jerusalem aufstellen zu lassen“ verstanden.154 Der Tod Caligulas im Januar 41 n.Chr. dient hierbei als terminus ante quem.155 Der „Gräuel der Verwüstung“ bzw. „Entheiligung“ (τὸ βδέλυγμα τῆϛ ἐρημώσεωϛ [to bdelygma tēs erēmōseōs]) wird als Anspielung auf Dan 9,27 LXX βδέλυγμα τῶν ἐρημώσεων [bdelygma tōn erēmōseōn] (vgl. Dan. 11,31; 12,11 LXX) gese-

150 Vgl. 1Thess 2,1-12 und Offb 13,18. Siehe die Rolle, die Daniel in Mk 13 spielt: V. 4 (Dan 12,7); V. 7 (Dan 2,28); V. 19 (Dan 12,1); V. 26 (Dan 7,13). 151 Zuntz, Wann, 47ff. 152 Zuntz, a.a.O., 47-66. 153 Zuntz, a.a.O., 66. 154 Zuntz, a.a.O., 47. Josephus berichtet über diese Spannung im Jahre 40 n.Chr. 155 Mk 13,14 wird als Grundbestandteil des Evangeliums gesehen.

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hen.156 Zuntz macht ferner (und weniger überzeugend) geltend, dass Mk noch vor den Paulusbriefen verfasst wurde, weil die Auferstehungserscheinungen im Mk Ev. noch fehlen und die Einsetzungsworte (14,22-25) noch einfacher als 1Kor 11,23-25 sind. Was die These von Zuntz u.a. unwahrscheinlich macht ist die Tatsache, dass 2Thess 2,4 (ca. 50 n.Chr.) den Hinweis auf den Gräuel (ὥστε αὐτὸν εἰς τὸν ναὸν τοῦ θεοῦ καθίσαι ἀποδεικνύντα ἑαυτὸν ὅτι ἔστιν θεός [hōste auton eis ton naon tou theou kathisai apodeiknynta heauton hoti estin theos]) bekräftigt und als noch zukünftig erwartet. Zuntz muss bezüglich 2Thess 2,4 ferner voraussetzen, dass hier der konkrete Tempel von Jerusalem im Blick ist. Dies ist weniger wahrscheinlich.157 Exkurs 2: Die 7Q5 Diskussion158 O’Callaghan und Thiede meinen, 7Q5 sei ein Fragment des Markusevangeliums (Mk 6,52-53) aus Qumran. Die bedeutendste Alternative für Mk 6,52f als Entsprechung zu 7Q5 ist 2Sam 4,12‒5,1. Die auffällige (unvollständige?) paragraphos (s.u.) sowie neuere Untersuchungen zu 7Q5 machen die Identifizierung mit Mk 6,52f jedoch wahrscheinlicher als die mit 2Sam 4,12–5,1. Weitere mögliche Entsprechungen sind 7Q6,1~Mk 4,28; 7Q7~Mk 12,17; 7Q15~Mk 6,48. Sicher ist, dass sich unter den griechischen Schriften von Qumran AT-Texte befinden. Die Qumranhöhle 7 liegt etwas abseits von anderen Höhlen und brachte ausschließlich griechische Papyrusfragmente zutage.

Was 7Q5 auszeichnet,159 sind 1) die (unvollständige)160 paragraphos auf Zeile 3 des Fragments, welche die von O’Callaghan identifizierten Verse 52 und 53 in Mk 6 trennt. 2) Der (unvollständigen) paragraphos folgt ein deutliches ΚΑΙ [KAI], welches der typischen, parataktischen Syntax des Markusevangeliums entspricht. 3) Das Fragment wurde inmitten anderer griechischer Papyri in einem Tonbehälter gefunden, der die Aufschrift ‫[( רומא‬romaʼ] als Ursprungsort?) trägt.161 156 Vgl. 1Makk 1,54: βδέλυγμα ἐρημώσεως ἐπὶ τὸ θυσιαστήριον [bdelygma erēmōseōs epi to thysiastērion], die Bedrohung des Tempels durch Antiochus Epiphanes (IV.). 157 Es kann vom Kontext von 2Thess 2,4 u.U. argumentiert werden, dass es sich bei τὸν ναὸν τοῦ θεοῦ [ton naon tou theou] um den Leib Christi, also um seine weltumspannende Gemeinde handelt. 158 Lit.: Aland, Papyri, 358-376; Charlesworth, Sense, 96-97; Fee, Notes, 109-112; Fitzmyer, Responses, ad loc.; Jaros, Qumranfragmente, 147-168; Johnson, Fragments, 16-25; Rohrhirsch, Qumranfragment, 97-99; Rosenbaum, CAVE, 189-205; Stanton, Gospel, 20-29; Thiede, Rückkehr, 538-559; Thiede, Studien, 247-249. Weitere Lit. bei Evans lx-lxi (bis 1999). 159 Das Fragment weist sechzehn bzw. neunzehn Buchstaben (z.T. Fragmente oder nicht rekonstruierbare Buchstaben) auf fünf Zeilen auf. 160 So Rosenbaum, CAVE, 189. 161 Siehe hierzu oben, Einleitung 2.3.1, Diskussion zum Abfassungsort.

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Trifft die Entsprechung zu, kann es sich jedenfalls nicht um ein vormarkinisches Fragment handeln. Mk 6,52-53 verknüpft nämlich zwei Perikopen unterschiedlicher Thematik (Jesu Wandeln auf dem See / Krankenheilung am See). Die (unvollständige?) paragraphos auf Zeile 3 (siehe unten), die einen neuen Abschnitt beginnt, bestätigt dies. Der terminus ante quem für Mk wäre somit 66-68 n.Chr. (Versiegeln der Höhlen und Flucht vor den Römern).162 Es müsste dann davon ausgegangen werden, dass das Abfassungsdatum noch um einige Jahre davor liegt.163 Das Alter des Fragments lässt sich nicht leicht festlegen. Thiede führt Gründe auf, das Manuskript aufgrund des Schriftstils („Zierstil“) etwa zwischen 50 v.Chr. und 50 n.Chr. zu datieren. Er betont ferner, dass das berühmte Papyrusfragment P52 (= Joh 18,31-33.37-38; ca. 125 n.Chr.) im Vergleich zu 7Q5 schwieriger identifizierbar und, vor allem, datierbar ist. Allerdings muss demgegenüber betont werden, dass die Entsprechung P52 = Joh 18,31ff viel eindeutiger ist, als die mögliche, aber keineswegs zweifelsfreie Entsprechung 7Q5 = Mk 6,52f, weil das P52 nicht nur ein recto, sondern auch ein codex-typisches verso aufweist (wie alle anderen bekannten NT Papyri), was das Fragment 7Q5 leider nicht besitzt. Problematisch ist ferner die Tatsache, dass die Entsprechung 7Q5 = Mk 6,52f das Wegfallen des bei allen anderen Zeugen zu Lesenden „ans Land“ notwendig macht. Viele Forscher sind somit aus verschiedenen Gründen davon überzeugt, dass 7Q5 keinen Markustext enthält.164 Insgesamt kann die Entsprechung 7Q5 = Mk 6,52f als möglich, jedoch keineswegs als wahrscheinlich bzw. gesichert gelten.165 Als Faktor für die Datierung des Markusevangeliums kann 7Q5 daher nicht benutzt werden.

Ergebnis aus dem äußeren und inneren Befund: Sofern Markus in Rom verweilt, gilt als terminus post quem der Anfang der Sechzigerjahre. Falls Markus noch zu Lebzeiten des Petrus schreibt, wäre der terminus ante quem 64–66 n.Chr. und damit vor der Zerstörung Jerusalems und des Tempels. Nimmt man alle äußeren und inneren Belege zusammen, ergibt sich 66-67 n.Chr. als das alle Faktoren am besten vereinbarende Abfassungsdatum.

162 Brown, Introduction, 164, Anm. 95 erwägt weniger überzeugend, ob Manuskripte in die Höhle 7 nach der Zerstörung der Qumrangemeinschaft gelangten. Warum sollten dort jedoch Manuskripte versteckt werden, wenn die Gefahr römischer Zerstörung vorüber ist? 163 So Thiede, Evangelienhandschrift, ad loc. Vgl. Wenham, Redating, 173.177-178. 164 Vgl. u.a. Rosenbaum, CAVE, 189-205; Stanton, Gospel, 20-29; Fee, Notes, 109-112. 165 Vgl. Rohrhirsch, Markus, 130.

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3. Genre, Gliederung und narrative Merkmale 3.1 Genre1 Die Bedeutung der Genre-Identifikation für die Interpretation. Es ist von großer Bedeutung, welche Genre-Identifikation für das Mk Ev. am meisten überzeugt. Sie dient dazu, die Aussage und den Anspruch des Evangeliums zu erörtern. Die Bestimmung des Genres beantwortet vor allem die Frage, welcher Erwartungshorizont vom Hörer eingenommen werden soll und welcher Gesamtrahmen für das Erzählte vorausgesetzt wird (siehe etwa die Unterschiede in der Erwartung beim Genre „Novelle“, „Drama“, „Essay“, „historische Monografie“, usw.).2 Der Autor teilt dem Leser mit der Genreselektion eine gewisse, den Rahmen bestimmende, Absicht mit, die dem Leser hilft, intenti­ onsgerecht zuzuhören oder zu lesen bzw. zu interpretieren. In der Antike gilt dabei weitläufig die Maxime: „Die Form dient dem Inhalt“. Wir müssen ferner klären, was die Selbstbezeichnung des Markusberichts als εὐαγγέλιον [euangelion]3 bedeutet und in welcher Weise diese Bezeichnung die Frage der literarischen Gattung beeinflusst bzw. mitbestimmt. Daraus ergeben sich weitere Hinweise auf die vom Autor beabsichtigte Interpretation des Inhalts.4 Im Gegensatz zur klassischen Formkritik, die von einer rationalistisch geprägten Geschichtsphilosophie und damit einem historisch-kritischen Umgang mit dem Genre und der Charakterisierung des Mk Ev. als „Evangelium“ (so1 Lit.: Aune, Biography, 107-126; Bauckham, Gospel, 113-145 (R.A. Burridge); Breytenbach, Gospel, 1-26; Burridge, Gospels, ad loc.; Cancik, Gattung, 85-113; Eddy, Jesus Legend, Kap. 8; Farmer/Dungan/McNicol, Outline, 212-239; Hengel, Kerygma, ad loc.; Keck, Introduction, 352-370; Kingsbury, Gospel, 341-409; Lang, Kompositionsanalyse, 1-24; Reicke, Roots, 24-33; Riesner, Jesus, 29-32; Sellew, Composition, 613-634; Telford, Mark, 96-98; Becker, Markus-Evangelium, passim; Vines, Problem, ad loc.; Barnett, Jesus, ad loc.; Dormeyer, Markusevangelium, ad loc.; Frankemölle, Evangelium, ad loc.; Standaert, L’évangile, ad loc.; Best, Mark, ad loc. Weitere Lit. bei Guelich xvii (bis 1988); Evans lxiv-lxv (bis 1999); Pesch I 3 (bis 1980). 2 Vgl. den Überblick bei Keener, Historical Jesus, 73-94. 3 In der griechisch-römischen Welt vermittelt dieser Begriff u.a. eine kaiserliche Proklamation. Siehe unten die Bemerkungen zu Mk 1,1. 4 Hinsichtlich der Beziehung zwischen εὐαγγέλιον [euangelion] als „gute Nachricht“ und dem Markusbericht als „Evangelium“ siehe Frankemölle, Evangelium, 1635-1639. Frankemölle macht geltend, dass „Evangelium“ im christlichen Kontext eine kerygmatische, christologische Botschaft bezeichnet, die eine heilsgeschichtliche Komponente aufweist. Freilich muss hier das historisch-biografische Fundament dieser Botschaft erneut hervorgehoben werden.

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wie, im Fall Bultmanns, von einer existenziellen kerygma-Kategorisierung) ausgeht,5 ist der Bericht der guten Nachricht (εὐαγγέλιον [euangelion]) und vor allem der literarische bios-Charakter des Schriftstücks dergestalt, dass weder eine rein historische (im Gegensatz zu Memoiren6) noch eine rein literarische (kerygma-)Kategorisierung dem Befund entspricht. Neuere Studien bestätigen, dass das Elementargenre, mit dem die Evangelien am engsten verbunden sind, das des antiken βίος [bios] (= antike Biografie) ist.1 Als solches besteht es aus einer Kombination von historischem Zeugnis und gleichzeitiger Botschaft. In einer ausführlichen Studie hat Burridge das Genre von zehn unterschiedlich datierten, griechisch-römischen biografischen Reminiszenzen (βίοι [bioi]) analysiert und kommt zu dem Ergebnis, dass die Evangelien dem relativ flexiblen literarischen Genre religiöser βίοι [bioi] näher steht als etwa dem der „philosophischen Abhandlung“,8 dem Genre der „Berichte von Heldentaten“, den „Memoiren von Helden“, dem Genre des „jüdischen apokalyptischen Dramas“ oder „Sammlungen göttlicher Menschen“.9 5

Vgl. Reickes scharfe Kritik an Bultmann (Geschichte, passim): “His keen jump from a formcritical analysis to manipulations with the two sources and his violent move of the data to the Hellenistic periphery did not disturb the experts, but was eagerly imitated” (Reicke, Roots, 15). Der klassische, formkritische Ansatz hat eine lange Vergangenheit. Seit der Aufklärung dominiert in Europa etwa bis 1960 vor allem die Vernunftautonomie, die weithin als stabiles und allein maßgebliches Instrument zur Wahrheitsfindung und Existenzbewältigung erhoben wird (vgl. hierzu Schlatter, Arbeit, passim). Die rationalistische Geschichtsphilosophie führt schrittweise zur klassischen Formkritik, die auf der Geschichtsphilosophie von Troeltsch u.a. aufbaut. Demgegenüber ist etwa der epistemologische Ansatz von M. Polanyi, der objektive und z.T. subjektive Elemente im Erkenntnisprozess herausarbeitet, ernsthaft zu erwägen (vgl. Polanyi, Knowledge, passim sowie ders., Sinngebung, passim; vgl. Riesners, Jesus, 80-86, Verweis auf Hedinger, Standortgebundenheit, 362-392). Polanyis Ansatz ergäbe eine interessante Diskussion mit dem Hedingers. Polanyi übt überzeugende Kritik am rationalistischen, die Gesamtwirklichkeit einschränkenden, epistemologischen Ansatz. Seit etwa 1960 erhebt sich eine Parallel- bzw. Reaktionsbewegung (Postmoderne) auf die Aufklärungstradition, deren Zentrum die Erfahrungsautonomie ist (vgl. hierzu McGrath, Passion, passim). 6 Vgl. z.B. Justin, Dial c Tryph 103,8, der die Evangelien als „Memoiren der Apostel“ charakterisiert. Vgl. Dahl, Memory, 26. 1 Berger, Formen, 403. Siehe ebd., 404, Argumente gegen diejenigen, die den biografischen Charakter der Evangelien bestreiten. Siehe Keener, Historical Jesus, 78-84, sowie Bond, First Biography, passim. 8 Siehe allerdings Berger, Formen, 404 hinsichtlich der Nähe zu Philosophenbiografien. 9 Vgl. Burridge in: Bauckham, Gospel, mit dem Titel “About People, by People, for People: Gospel Genre and Audiences”, 113-145. Siehe ferner Barnett, Jesus, 137; Berger, Formen, 403-415 mit Lit. 403 sowie Aune, New Testament, passim. Nach Dormeyer, Evangelium, 1543-1636, ist das Mk Ev. in der Nähe frühjüdischer und hellenistischer „Ideal-Biografien“ anzusiedeln. Dormeyer und Frankemölle gehen nach alter, formkritischer Perspektive unbegründet davon aus, dass die Evangelien die Person Jesu „idealisieren“. Siehe ferner Telford, Mark, 96-98 und Dormeyer, Markusevangelium, passim. Anders MacDonald, Epics, passim.

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Die Aretalogien (Sammlungen der Taten und Merkmale) der göttlichen Menschen, die von Wundern berichten, deren Helden als Märtyrer sterben und sodann eine apotheosis (Vergöttlichung) erfahren, weisen beachtliche Unterschiede zu den Evangelien auf; zu diesen gehört: 1) das Genre dieser Aretalogien ist schwer zu bestimmen; 2) viele Aretalogien sind wahrscheinlich jünger als die kanonischen Evangelien; 3) Parallelen zu den Evangelien begrenzen sich auf oberflächliche Analogien.10

Antike bioi beschreiben oft das bereits gereifte Leben wichtiger Personen,11 die zu Beginn benannt werden und sodann als Hauptpersonen in den jeweiligen Erzählungen auftreten. Eine einfache chronologische Abfolge, die vor allem zu Beginn und am Schluss bemerkbar ist, wird besonders im Mittelteil durch thematische Einschübe angereichert.12 Bioi berufen sich auf mündliche und schriftliche Quellen der einzelnen Taten und Worte der Hauptperson (sog. „Chrien“),13 um damit den Charakter der Person darzustellen. Berger hebt hervor, dass die Chrie als „veranlaßte … Rede oder Handlung im Leben einer bedeutenden Person“ einen wichtigen Bestandteil der Gattung „Biographie“ ausmacht.14 „Die Sammlung mehrerer Chrien über eine Person in schriftlicher Form hat nachweislich größte Bedeutung für das Entstehen der antiken Biographie“. Chrien haben „regulativen Charakter für eine Vielzahl von Menschen, die sich der jeweils genannten Autorität verpflichtet fühlen“.15 „Der entscheidende Schritt in Richtung Biographie geschieht also dann, wenn Chrien nur für diese eine Autorität gesammelt werden“.16 Die biografische Beschreibung ist meist ernsthaft und respektvoll gehalten.17 Von Bedeutung ist schließlich der Tod der Hauptperson, da der Tod zu-

10 Vgl. weitere Detailargumente bei Berger, Formen, 404-405. Siehe Telford, Mark, 97 und vor allem Blackburn, Theios Anēr, 13-72A.93. 11 Berger, Formen, 404. Allerdings enthalten manche Biografien das sog. Genethliakon: Weissagung über ein Kind; Berger, ebd., 405. 12 Berger, Formen, 404, sowie Keener, Historical Jesus, 81-82. 13 Untergattungen der Chrien, die allesamt einen biografischen Charakter aufweisen (Berger, Formen, 151), sind u.a.: Apophthegmen, erweiterte Chrien, wie etwa die dramatischen Chrien (a.a.O., 148-152). 14 Berger, Formen, 142; vgl. a.a.O., 143-152. Hervorhebungen stammen von Berger. 15 Berger, Formen, 143. Hervorhebungen stammen von Berger. 16 Berger, Formen, 144. Hervorhebungen stammen von Berger. 17 Berger, Formen, 408 macht darauf aufmerksam, dass der eschatologische Ausblick in Mk 13 gegen Ende des Markusevangeliums Analogien zu Deut 32f, Tob 14, Did 16 im Aufbau der jeweiligen Schrift aufweist: „Die Funktion des Schlußteils ist jeweils die einer peroratio. Die Weisungen werden mit dem Hinweis auf Gottes Zukunft motiviert“ (ebd.).

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sammen mit den letzten Worten (ultima verba)18 den Charakter der Hauptperson bestätigt bzw. infrage stellt.19 Barnett engt die Ergebnisse von Burridge dahingehend ein, dass die jeweiligen Passionsberichte der Evangelien eine andere Gewichtung erhalten, als dies bei vergleichbaren antiken βίοι [bioi] der Fall ist.20 Obwohl auch bei vergleichbaren βίοι [bioi] die Todesstunden der Hauptfiguren von Bedeutung sind, einschließlich des Berichts über deren letzte Worte vor dem Tod, sind die Evangelien mit ihrer Betonung des Todes der Hauptfigur als Ziel bzw. als Absicht ihres Lebens analogielos.21 Im Vergleich zu anderen βίοι [bioi] ist inhaltlich ferner analogielos, dass der schamvolle und gesellschaftlich äußerst verwerfliche Kreuzestod der Hauptfigur (man denke an die Exekution auf dem elektrischen Stuhl) stellvertretende und versöhnende Charakteristika aufweist.

Barnetts Beobachtungen zum Passionsbericht bekräftigen ferner, dass die Evangelien als antike Biografien (βίοι [bioi]) tatsächlich sowohl historisches Zeugnis als auch Verkündigung darstellen. Wir werden unten erläutern, dass auch das Element der Verkündigung auf Jesu eigene Interpretation der Ereignisse zurückgeht (vgl. etwa 10,45; 14,24). Das „Evangelium“ in der Genreform des bios vermittelt bereits den vom jeweiligen Autor konzipierten Vorstellungshorizont, der besagt, dass die Evangelien des Matthäus, Markus und Lukas (und Johannes) beabsichtigen, sowohl historisches Zeugnis als auch Verkündigung (Kerygma) der Bedeutung des Berichteten zu enthalten.22 Die Evangelien weisen sich selbst als Verkündigung durch historisches Zeugnis aus.23 Dahl bemerkt: “… [I]f one draws too sharp a distinction – either the gospel message or the ‚recollection of the apostles‘ – one introduces an opposition that early Christianity did not know”.24 Frankemölle bekräftigt dies mit der Feststellung, dass das „Evangelium“ historische Erzählung und Verkündigung vereint.25 18 Berger, Formen, 406. 19 Burridge, Gospels, 142-149 und Berger, Formen, 405. Weitere Details bei Berger, Formen, 414. 20 Barnett, Jesus, 159. 21 Vgl. Bond, First Biography, passim. 22 Vgl. Ridderbos, Gospel, passim. 23 Vgl. ähnlich, Hengel, Kerygma, 323-336. 24 Dahl, Memory, 27. Es muss betont werden, dass Dahl der traditionellen formkritischen Fehleinschätzung nahesteht, wenn er betont, dass die Erinnerungen der Apostel ihre Auffassung von Jesus widerspiegeln, und nicht notwendigerweise verlässliches Zeugnis über die Person Jesu darstellen. 25 Frankemölle, Evangelium, passim.

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Das Mk Ev. als bios26 erhebt in Verbindung mit systematischem Auswendiglernen der Lehre Jesu den Anspruch eines historischen Zeugnisses (biografische Darstellung), dessen Inhalt als Verkündigung weitergegeben wird. Im Gegensatz zu vergleichbaren antiken βίοι (bioi) liegt bei allen vier kanonischen Evangelien jedoch ein analogieloser Schwerpunkt auf dem Tod der Hauptperson, einschließlich dessen außerordentlicher Bedeutung. Das bios-Genre bietet insgesamt eine allgemeine und zutreffende Gattung für das Mk Ev., innerhalb derer die systematische Lehrweise Jesu (s.o., Exkurs 1) zu einer verlässlichen, apostolischen Übermittlung des Inhalts als „Evangelium“ führt.27

3.2 Gliederung28 Das Evangelium weist eine zweiteilige Struktur auf. Thematisch steht die Darstellung (1. Hälfte) und Bewährung der Vollmacht (ἐξουσία [exousia]) Jesu trotz Leiden (2. Hälfte) im Vordergrund. Die Hoheit des Messias wird durch seine Erniedrigung zwar ernsthaft infrage gestellt, aber letztendlich auch durch Erhöhung bestätigt. Die hier gebotene Gliederung beachtet Strukturmerkmale wie Summarien und Überleitungen (vgl. 1,14-15; 3,7-12; 6,6b; 8,22-26; 10,46-52). Ein weiteres formales Gliederungsmerkmal ist die inclusio der Heilung eines Blinden (vgl. Mk 8,22-26 und Mk 10,46-52), wodurch der Zentralabschnitt des Markusevangeliums (Mk 8,27-10,45) klar gekennzeichnet wird.29 Schließlich erfüllen die auffälligen Einschübe (sog. “sandwich structures”) eine wichtige Funktion. Edwards beobachtet, dass Mk vor allem bei Themen der „Nachfolge“ und des „Glaubens“ den Bericht häufig zu „unterbrechen“ scheint (vgl. u.a. 3,20-21.22-30.31-35; 4,1-9.10-13.14-20 und vor allem 14,1-2.3-9.10-11; 26 Vgl. jedoch die hiervon abweichenden Ausführungen von Baum, Einleitung, ad loc. 27 Die fehlende Analyse der jüdischen Lehr- und Verhaltensweise Jesu gehört zur Hauptschwäche der Genre-Argumentation von Licona, Differences, passim. Siehe die kritischen Rezensionen (zu Licona, Differences) von L. McGrew (Global Journal 15.3, 2019, 1-42) und C. Blomberg (Christian Research Journal, 40.2, 2017, 1-7). Diesbezüglich überzeugt Keener, Christobiography, passim, sowie L. McGrew, Hidden in Plain View, passim. Vgl. Bond, First Biography, passim. 28 Lit.: Breytenbach, Gospel, 1-26; Edwards, Sandwiches, 193-216; Farmer/Dungan/McNicol, Outline, 212-239; van Iersel, Locality, 45-54; Keck, Introduction, 352-370; Kingsbury, Gospel, 341-409; Perkins, Mark, 521ff; Sellew, Composition, 613-634. Weitere Lit. bei: Guelich xxxv-xxxvi (bis 1988); Pesch I 39 (bis 1980). 29 Vgl. van Iersel, Locality, 45-54.

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14,17-21.22-26.27-31 sowie 14,53-54.55-65.66-72).30 Edwards meint, dass diese Einschübe den Interpretationsschlüssel für derartige „A-B-A Abschnitte“ bieten: “The insertion interprets the flanking halves”.31 Dies geschieht vor allem mittels Illustration oder Gegensatz. Eine weitere literarische Eigenart in Mk 8,27–10,52 ist die Tatsache, dass jede der drei Voraussagen des Leidens und der Auferstehung Jesu (8,31; 9,31; 10,32-34) einer eingehenden Jüngerunterweisung vorausgeht (8,34-38; 9,32-50; 10,35-45). Die literarisch-thematische Gliederung ergibt sich wie folgt: Summarien/  Überleitungen32 Einleitung 1,1-13 (14-15)

1,14-15

Erste Hälfte: Darstellung der ἐξουσία [exousia] Jesu durch Wunder und Lehre 1,16–8,26 1. Hauptteil: Wirken in Galiläa 1,16–3,12 1. Berufung der Jünger 1,16–1,45 (Heilung) 2. Jesu Verhalten und Lehre führen zum Konflikt 2,1–3,12 (Streitgespräche bei Heilung und Berufung; Fasten-/Sabbatfrage)

3,7-12

2. Hauptteil: Der Höhepunkt in Galiläa 3,13–6,6 1. Einsetzung der Zwölf 3,13-35 2. Gleichnisse 4,1-34 3. Naturwunder und Heilungen 4,35–5,43 4. Unglaube 6,1-6

6,6b

3. Hauptteil: Aussendung der Zwölf und Wirken jenseits von Galiläa 1. Aussendung der Zwölf 2. Tod des Täufers / Wunder 3. Was macht „rein“, was „unrein“? 4. Heilungen / Aufenthalt in heidnischen Gebieten 5. Dekapolis 6. Region um Caesarea Philippi

8,22-26

6,7–8,26 6,7-13 6,14-56 7,1-23 7,24-30 7,31–8,10 8,11-26

Zweite Hälfte: Infragestellung und Bestätigung der ἐξουσία [exousia] Jesu durch Leiden 8,27–16,8[.9-20] 30 Edwards, Sandwiches, 193-216. 31 Edwards, Sandwiches, 196. 32 Vgl. Telford, Mark, 101.

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4. Hauptteil: Caesarea Philippi – Reise nach Jerusalem 8,27–10,52 1. Petrusbekenntnis und Erste Leidensankündigung 8,27-33 2. Nachfolgeanweisung 8,34-38 3. Verklärung / Heilung 9,1-29 4. Zweite Leidensankündigung / Nachfolgeanweisung 9,30-50 5. Lehre / Dritte Leidensankündigung / Nachfolgeanweisung 10,1-52 10,46-52 5. Hauptteil: Wirken in Jerusalem 1. Einzug in Jerusalem / Tempelreinigung 2. Lehre / Vollmacht Jesu 3. Eschatologischer Ausblick

11,1–13,37 11,1-19 11,20–12,44 13,1-37

6. Hauptteil: Passion in Jerusalem: Leidens- und Auferstehungserzählungen 14,1–16,8 1. Verrat 14,1-52 2. Verhör / Verurteilung 14,53–15,19 3. Kreuzigung und leeres Grab, Auferstehungsbotschaft 15,20–16,8 4. [Erscheinungen des Auferstandenen 16,9-14] 5. [Aussendung der Jünger / Himmelfahrt 16,15-20]

Folgende charakteristische Sondermerkmale im Aufbau des Mk Ev. sind noch hervorzuheben: Austreibung böser Geister: 1. Hauptteil 1,21b.23-28 2. Hauptteil 3,11-12; 5,1-20 3. Hauptteil 7,25-30 4. Hauptteil 9,14-29 Streitgesprächsammlung: 2. Hauptteil 2,18–3,6 (Todfeindschaft) 5. Hauptteil 11,27–12,12; 12,18-27 Gleichnissammlung: 2. Hauptteil Gottesherrschaft 4,1-34 5. Hauptteil Winzergleichnis 12,1-12 Wundergeschichten: 2. Hauptteil 3,7-12; 4,1.35-41; 5,1-43 3. Hauptteil 6,32-56 Todes- und Auferstehungsvoraussagen: 4. Hauptteil 8,31 (mit Unterweisung in Nachfolge) 9,31 (mit Unterweisung in Nachfolge) 10,32-34 (mit Unterweisung in Nachfolge)

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3.3 Narrative Merkmale In argumentativen Diskursen33, wie etwa den Briefen des NT, wird die darin enthaltene Botschaft auf direkte Weise vermittelt. Anders verhält es sich mit narrativen Diskursen, wie etwa dem Mk Ev., wo die beabsichtigte Botschaft eher indirekt übermittelt wird und aufgrund von verschiedenen Indizien vorsichtig eruiert werden muss. Dazu gehören literarische Faktoren, wie etwa die Situationsbeschreibung (z.B. geografische, soziologische, religiöse, kulturelle, und politische Situation), Zeitangaben, Kernereignisse und zentrale Figuren bzw. Gruppen, die den narrativen Text charakterisieren. Im Mk Ev. sind weitere Strukturmerkmale wie Überschriften, Summarien sowie Übergänge von großer Bedeutung für die Interpretation (vgl. z.B. 1,14-15; 3,7-12; 6,6b; 8,2226). Das jeweilige Handlungsschema (plot) bündelt diese diversen Aspekte. Im Gegensatz hierzu sind argumentative Texte durch einen logischen Aufbau der Teilargumente gekennzeichnet (z.B. Römerbrief). Narrative Diskurse verwickeln den Leser bzw. Hörer in erhöhtem Maße emotional und persönlich in die beschriebenen Ereignisse. Sie beeinflussen, welche Perspektive der Hörer einnehmen soll, und versuchen, den Hörer dadurch für neue Überzeugungen zu gewinnen. Schließlich wird der Leser einer Erzählung meist gegen Ende herausgefordert, persönlich Stellung zu beziehen. Ein typisches, alttestamentliches Beispiel ist die Geschichte, die Nathan erzählt, um David des Mordes und des Ehebruchs zu überführen (2Sam 12,1-15). Zweifelsohne trägt die Untersuchung der dargestellten Hauptpersonen und der Zentralthemen dazu bei, den Erzählverlauf und das Erzählziel (plot) des Markusevangeliums herauszuarbeiten. Es ist das narrative Ziel des Markusberichts, den bedeutsamen Tod der Hauptperson darzustellen. Entfaltung des Handlungsschemas: Das oben genannte Ziel des Handlungsschemas kristallisiert sich bei Mk durch die dynamische Beziehung zwischen Jesus und seinen Jüngern heraus. Dabei zeigt sich Jesus stets als Initiator. Dieses zentrale Handlungsschema wird ferner durch den tragischen Konflikt zwischen Jesus und seinen Gegnern unterstrichen, wie auch durch die wiederholte Spannung zwischen Jesus und seiner natürlichen Familie.34 Diese diversen Beziehungen akzentuieren die zentrale Frage, wer dieser rätselhafte Jesus tatsächlich ist und welche Ziele er mit seinen Jüngern letztendlich ver33 Lit.: Breytenbach, Gospel, 1-26; Ebner, Töne, 137-144; Edwards, Sandwiches, 193-216; Lang, Kompositionsanalyse, 1-24; Sellew, Composition, 613-634; Telford, Mark, 108-112; Longacre, Narrative Analysis, 141 und passim; vgl. ferner Horsley, Hearing, ad loc.; Kingsbury, Conflict, ad loc. 34 Telford, Mark, 108-112.

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folgt. Erst die Kreuzigung und die angedeutete Auferstehung klären letztendlich diese Doppelfrage (siehe unten, 10.4, IV zu 8,27–9,29). Aufgrund verschiedener literarischer Hinweise im Verlauf des Mk-Texts lassen sich folgenden Stadien für das sich entwickelnde Handlungsschema (plot) festhalten: Stadium 1: Situationsbeschreibung (1,1-15) Stadium 2: Entstehung von Spannung (1,16–6,6) Stadium 2a: Auslösen von Spannung (1,16–3,12) Stadium 2b: Genaue Beschreibung der Spannung (3,13–6,6) Stadium 3: Wachsende Spannung (6,7–13,37) Stadium 3a: Ausweitung der Spannung (6,7–8,26) Stadium 3b: Erhärtung der Spannung (8,27–10,52) Stadium 3c: Die scheinbar unüberbrückbare Spannung (11,1–13,37) Stadium 4: Tragischer Höhepunkt der Spannung (14,1–15,47) Stadium 5: Überraschende Auflösung der Spannung (16,1-8[.9-20]).35

Wir sind Fragen des Genres, des Aufbaus, der Struktur und der narrativen Charakteristika der Erzählung nachgegangen. Derartige literarische Analysen vermitteln den Eindruck, dass das Mk Ev. ein umsichtig verfasster Bericht ist, der einen schlichten, zweiteiligen Aufbau sowie einen sechsteiligen Erzählverlauf enthält, ergänzt durch auffällige literarische Hilfsmittel der Betonung und Erläuterung. Der gesamte Bericht weist das Genre eines Bios auf und vermittelt damit u.a. den Anspruch, sowohl einen historischen Bericht (biografische Reminiszenz) als auch eine, bereits durch Jesus vorgegebene Botschaft zu enthalten. Der Hörer wird im Erzählverlauf neben der Hauptperson vor allem mit Jüngern und Gegnern konfrontiert. Soll der Leser durch den Bericht der guten Botschaft die Entscheidung treffen, mit welcher Gruppe er sich letztendlich identifiziert?

35 Vgl. etwa Longacre, Narrative Analysis, 141.

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4. Theologische Aussage1

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Der Ort des Mk Ev. im Kontext der gesamtbiblischen Erzählung.2 Erstaunlicherweise beginnt Mk sein Ev. mit dem Verweis auf die Erfüllung von Jes 40,3. Johannes der Täufer versteht sich als prophetische Stimme, die das Volk Israel auf das rettende Kommen Jahwes vorbereitet (vgl. Mal 3,1 und Ex 23,20).3 Im Kontext der Gesamterwartung des AT (siehe unten, 4.1.2.b), kommt Jahwe, 1. um sich zu offenbaren, 2. um zu vergeben und 3. um erneut direkt über sein Volk zu herrschen (vgl. Jes 40,1-11; 52,7-10). Dieses „große Kommen“ gilt als Bestätigung seiner Bundestreue (12,1-6; vgl. Hebr 1,1-2). Jahwe kommt zu seiner Schöpfung, um seinen Herrschaftsanspruch trotz der Autonomie des Menschen und der Feindschaft Satans universal aufzurichten. Er tut dies als Prophet (Offenbarung), als Priester (Bund) und vor allem als König (Herrschaft). Lange Zeit nach der Rückkehr seines Volkes aus dem babylonischen Exil prophezeit Johannes der Täufer, dass dieses „Kommen Jahwes“ nun unmittelbar bevorsteht. Es trifft zwar zu, dass Jes 40,1-3 zunächst im Zusammenhang des Trostes für das zurückkehrende Volk aus dem babylonischen Exil zu sehen ist. Letztendlich zielt Jes 40,1-3 jedoch auf die umfassende Erfüllung durch das Kommen des Gesandten Gottes (1,1-13), der das Volk Gottes in der Kraft und Herrlichkeit Jahwes weiden wird (vgl. Mi 5,4; siehe unten 4.1.2.b). Der Beitrag des Mk Ev. zur gesamtbiblischen Erzählung (AT und NT). Wie oben bereits erwähnt (vgl. auch unten, 4.1.2.b), besteht der letztendliche Zweck des Mk Ev. darin, darzulegen, dass Jesus unmittelbar mit Jahwe ­verbunden und von 1 Weiterführende Lit. bei Guelich xxxvii-xxxviii (bis 1988); Evans lxvii-lxx (bis 1999) und Pesch I 63 (bis 1980). 2 Vgl. Bayer, Peter, 135, wo folgende Details aufgeführt werden: “Mark features especially the following OT quotations and allusions: 1:2–3 / LXX Isa. 40:3 (cf. Ex. 23:20 and Mal. 3:1); 4:12 / Isa. 6:9–10; 4:32 / LXX Ps. 103:12; 6:34 / Num. 27:17; 7:6–7 / LXX Isa. 29:13; 7:10 / Ex. 20:12 and 21:17; 8:18 / Jer. 5:21; 9:11 / Mal. 3:23; 9:48 / Isa. 66:24; 10:6–8 / Gen. 1:27 and LXX Gen. 2:24; 10:19 / LXX Deut. 5:16–20; 11:9–10 / Pss. 118:25–26 and 148:1; 11:17 / Isa. 56:7 and Jer. 7:11; 12:10–11 / Ps. 118:22–23; 12:19 / Deut. 25:5–6 and Gen. 38:8; 12:26 / Ex. 3:6, 15–16; 12:29–31 / Deut. 6:4–5 and Lev. 19:18; 12:32 / Deut. 6:5; 12:36 / Ps. 110:1; 13:14 / Dan. 12:11; 13:24-26 / Isa. 34:4 and also 13:10; 13:26 / Dan. 7:13–14; 14:27 / Zech. 13:7; 14:34 / Ps. 42:6, 12; 14:62 / Dan. 7:13 and also Ps. 110:1; 15:24 / Ps. 22:19; 15:34 / Ps. 22:2. See further the allusion to Isaiah 53 in Mark’s passion account: 14:24–25 / LXX Isa. 53:11–12; 14:48 / Isa. 53:7; 14:61 / Isa. 53:7; 15:27 / Isa. 53:12”. 3 Vgl. ebenso den Anspruch, den die Qumrangemeinschaft erhebt, den Weg des Herrn durch strikte Gesetzestreue und Trennung vom verunreinigten Tempelkultus in Jerusalem zu bereiten.

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ihm als „Kommender“ beauftragt ist.4 Aufgrund dessen besitzt er die außergewöhnliche Autorität, derart radikal zur Nachfolge zu rufen. Im Zusammenhang mit der unablässigen heilsgeschichtlichen Fürsorge Gottes im Umgang mit seinem Volk, vermittelt Jesu Sühnetod mit Ruf in die Nachfolge im Mk Ev. die verheißene Rettung und Sammlung seines weltweiten Volkes. S ­ omit wird sein Volk dazu befähigt, mindestens zur ursprünglichen Schöpfungsabsicht zurückzufinden. Die Nachfolger Jesu lernen erneut, ihr Leben in Gottesabhängigkeit zu gestalten (Gen 5,22-24). Dabei werden sie nach der Schöpfungsabsicht Gottes schrittweise wieder zu geheilten und echten Ebenbildern Gottes (vgl. Röm 8,29; 1Kor 15,49; 2Kor 3,18; Kol 3,10). Eine derart radikale Erneuerung hat eine graduelle Umkehrung der entstellenden Verzerrung des Sündenfalls zu Folge. Sie beginnt mit dem Glauben an Jesu stellvertretende und aufopfernde Versöhnung des Menschen mit Gott. Sie nimmt ihren Lauf durch Jesu Vorbild, seine Lehre und vor allem durch seine befähigende Kraft. Die Folgen dieser gnädigen und heilsamen Versöhnung werden im irdischen Leben zwar nicht völlig realisiert, aber sie spiegeln sich dennoch in der Tatsache, dass die Nachfolger Christus immer ähnlicher werden. Der radikale Ruf Jesu in die Nachfolge heilt den Menschen aus Gnade von seiner umfassenden und hartnäckig verfochtenen Selbstgenügsamkeit und Autonomie und befreit ihn vom moralischen Ungehorsam gegenüber den Geboten und Wegen Gottes. Sobald ein Mensch im Vertrauen auf Jesus ein Nachfolger unter seiner ewigen, königlichen Herrschaft wird, beginnt er am Volk Gottes teilzuhaben und mit diesem dem Nachfolgeauftrag Jesu nachzugehen (Mt 28,18-20). Dieser Auftrag ist allerdings im Gesamtrahmen der Schöpfung Gottes zu verfolgen. Die Nachfolger Jesu entdecken erneut, wie wichtig, bedeutsam und relevant das Schöpfungsmandat Gottes tatsächlich ist5 (vgl. Gen 1,28; 2,15-20). Das Schöpfungsmandat wird durch die Nachfolge endlich wieder realisiert. In all dem ist es grundsätzlich wichtig, dass Nachfolge stets als Folge des Wirkens (beginnend mit seinem Sühnetod) und des Einflusses Jesu gesehen wird. Grundsätzlich besteht Nachfolge nicht aus verschiedenen Verhaltensregeln, die der Nachfolger in Eigenregie vollbringt. Vielmehr lebt er nun in ständiger Abhängigkeit vom lebendigen Gott, der konkret und gegenwärtig herrscht (Jes 40,3.10). Der persönliche Ruf in die Nachfolge führt, wie bereits erwähnt, immer zur Gemeinschaft, weil Gott beabsichtigt, einen ewigen Tempel aus „lebendigen Steinen“ (d.h. aus geistlich erneuerten Menschen) zu bauen (siehe unten, zu 4.3, Der messianische Tempel). 4 Siehe dazu weiterführend Grindheim, Christology, passim. 5 Das „Schöpfungsmandat“ wird alternativ auch „Kulturmandat“ genannt. Siehe, allgemein, Moo/Moo, Creation Care, passim.

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Das Mk Ev. im Kontext des übrigen NT. Zusammen mit den weiteren kanonischen Evangelien beschreibt Mk das Werk Jesu als Grundlage des übrigen NT. Wie oben bereits bemerkt, ist Jesu Ruf in die Nachfolge am besten als Krönung des Werkes Gottes zu verstehen, in dem er sich ein gereinigtes, anbetendes und weltweites Volk (einen Tempel aus „lebendigen Steinen“) schafft. Diese große missio dei (Mission Gottes) nimmt ihren Lauf in der Inkarnation und im Sühnetod Jesu. Durch die tatsächliche und physische Auferstehung Jesu beginnt der dreieinige Gott seine ewige Herrschaft und sendet sein Volk aus, um Nachfolger zu rufen und zu fördern. Im übrigen NT wird dieser Reifeprozess für den Einzelnen und für die Gemeinschaft vertieft, einschließlich der Förderung des zeugnishaften Nachfolgerufs und der Erfüllung des Schöpfungsmandats. Das Mk Ev. unter den Synoptikern. Es bestehen viele grundsätzliche, inhaltliche Parallelen zwischen den drei (bzw. vier) Evangelien: Der Beginn des öffentlichen Dienstes Jesu; die Bildung des Jüngerkreises; Jesu Popularität und Wunderwirksamkeit; Jesu Lehre; eine wachsende Opposition und Feindschaft; die Zuspitzung des Konflikts in Jerusalem; der Tod und die Auferstehung Jesu. Im folgenden Abschnitt sollen darüber hinaus charakteristische, inhaltliche Züge, die vor allem die Aussageintention des Markus beleuchten, identifiziert werden. Die Besonderheiten bei Mk liegen in folgenden Bereichen: 1. Der öffentliche Dienst Jesu wird betont (daher das Fehlen von Genealogie und Kindheitsbeschreibungen). 2. Größere Reden fehlen (außer der eschatologischen Rede, Mk 13,1-37, sowie Mk 4 und Mk 7). Vielmehr stehen Ereignisse und Handlungen Jesu im Vordergrund. Jedoch ist bemerkenswert, dass Jesus oft als Lehrer (39 Verweise) bezeichnet wird.6 Mk bietet relativ wenige Gleichnisse.7 3. Mk übermittelt recht viele Wundererzählungen.8 4. Besonders prominent im narrativen Verlauf des Evangeliums sind die Rückzüge aus der Öffentlichkeit (u.Ä.) unmittelbar nach wichtigen Ereignissen (z.B. Wunderheilungen).9 5. Beachtenswert ist der geraffte Erzählstil10 und das Auslassen von Zusätzen (vgl. z.B. 8,10f mit den Seitenreferenten). Allerdings gilt ebenso, dass das, was Mk präsentiert, häufig lebensnahe Details enthält, die von Mt/Lk nicht berichtet 6 7

Vgl. Riesner, Jesus, 251-253. Vgl. jedoch Mk 4,3ff (Sämann); 4, 26ff (Selbstwachsende Saat); 4,30ff (Senfkorn); 12,1ff (Böse Winzer). 8 Vgl. Mk 1,23ff (Dämonenaustreibung); 1,30f (Heilung der Schwiegermutter des Petrus); 1,40-44 (Lepraheilung); 2,3-12 und 3,1-5 (Lahmenheilungen); 4,35-41 (Stillung des Sturms), usw. 9 Vgl. 1,35.45; 3,7; 6,31f (nach dem Tod des Täufers); 7,24 (nach Streitgespräch); 8,27; 9,2 (nach Voraussage der Passion); 11,11.19 (nach Tempelreinigung), usw. 10 Vgl. z.B. zu Mk 1,1-20, Schlatter, Einleitung, 293.

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werden (vgl. z.B. das markinische Sondergut in 3,20-21).11 6. Die erste Ankündigung von Tod und Auferstehung (8,31ff) ist im Erzählverlauf sehr prominent platziert. 7. Die Unmittelbarkeit der Handlung wird durch häufige Verwendung von εὐθύς [euthys] und den Gebrauch des Präsens akzentuiert. 8. Das markinische Sondergut hebt verschiedene Themen hervor (s.u. die betreffende Einzelauslegung). Dazu gehören: Die Kurznotiz (3,20-21); das Gleichnis der selbstwachsenden Saat (4,26-29); die Heilung eines Taubstummen (7,31-37; wichtig bei Mk); die Heilung eines Blinden bei Bethsaida (8,22-26; wichtig bei Mk); der nackt fliehende junge Mann (14,51-52; vgl. ferner 8,17f; 9,33; 14,65; 15,44). 9. Die Frage der Identität Jesu sowie die einprägsamen Aussagen Jesu zur Nachfolge. Grundsätzlich besteht im ersten Teil des Markusevangeliums (bis zum Antritt der letzten Reise nach Jerusalem) ein engerer Kontakt in der Akoluthie zwischen Mk und Lk als zwischen Mk und Mt. In der zweiten Hälfte besteht in der Ereignisabfolge grundsätzlich synoptische Parallelität mit Variationen im Detail.

4.1 Christologische Beobachtungen Wir werden unten detaillierter darlegen, dass das Mk Ev. schrittweise erzählt, wie „Jahwe in Sandalen“ erscheint und damit das Phänomen eines komplexen Monotheismus (vgl. 1,10-11; 9,7) präsentiert (vgl. 4.1.2.b sowie Exkurs 5). Die göttliche Erhabenheit Jesu zeichnet sich in Texten wie 2,5-12; 9,2-13; 12,1-12 und 14,62 bereits ab. Jahwe „kommt“ als Mensch in der Person seines ewigen Sohnes (vgl. unten, 4.1.2.b).12 Als solcher beginnt Jesus, die alttestamentlichen Erwartungen der Aufrichtung des göttlichen Reichs zu erfüllen (vgl. z.B. Jes 40,10-11). Zunächst verkündet auch er die hereinbrechende Herrschaft Gottes als „Kommen Jahwes“. Sodann wird schrittweise deutlich, dass der Verkündiger auch derjenige ist, der diese Herrschaft durch seinen Tod und seine Auferstehung selbst inaugu11 Lane 467 betont ferner, wie oft Markus den Leser anredet (2,10.28; 3,35; 7,3-4.11.19; 9,50; 16,4.8). 12 Lit.: Boring 248-258; Cullmann, Christologie, 1-338, bes. 138-244.276-297; Gathercole, Preexistent Son, 231-283; Hengel, Christologie, 43-67; Luz, Jesusbild, 347-374: Marshall, Ursprünge, 45-121; Schreiber, Christologie, 154-183; Taylor 117-124; Guelich, Christ, 3-17; Broadhead, Jesus, 3-18; Betz, Jesus, ad loc.; Brown, Christology, ad loc.; Goppelt, Theologie, ad loc.; Hahn, Hoheitstitel, ad loc.; Hengel, Studies, ad loc.; Hooker, Signs, ad loc.; Kingsbury, Christology, ad loc.; Wright, Jesus, ad loc. Weitere Lit. bei: Guelich xxxvii-xxxviii (bis 1988); Pesch I 63; II 46-47 (bis 1980).

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riert. Stück für Stück entlarvt sich Jesus als messianischer König (2Sam 7,16), der einst mit dem himmlischen Vater (14,25; vgl. Dan 7,14.27; Apg 2,30-32; 1Kor 15,25; Phil 2,9-11; Kol 1,13.18) und dem Heiligen Geist (2Kor 3,17-18) herrscht (vgl. unten, Exkurs 5). Indem Gott unter seinem Volk durch den Sohn und den Heiligen Geist direkt verweilt, zeichnet sich ab, wie er den ewigen, gereinigten und kerygmatisch ausgerichteten Tempel aus „lebendigen Steinen“ bauen wird (11,1-11; 12,1-12; vgl. Joh 2,19; Apg 15,15-17; 1Kor 3,9-17; Eph 2,20-22; 1Petr 2,5; Offb 21,3. Siehe unten, 4.3, Der Messianische Tempel). Die zentralen christologischen Termini bei Mk sind „Sohn Gottes“, „Herr“ sowie „Menschensohn“ (siehe die Ausführungen unten, Einleitung 4.1.4– 4.1.6). Ferner finden sich im Mk Ev. die christologisch bedeutsamen Bezeichnungen „Sohn Davids“ (10,47-48; 12,35), „Sohn Marias“ (6,3), „Rabbi“ (9,5; 11,21; 14,45), „Lehrer“ (zwölfmal, z.B. 4,38; 10,17; 12,14; 13,1; 14,14) sowie „Prophet“ (6,15; 8,28; vgl. 6,4).13 Neben diesen Termini sind die Vorstellung des Messias und die Bezeichnung „Christus“ (Gesalbter; 1,1; 8,29; 9,41; 12,35; 13,21; 14,61; 15,32; allerdings nie im Munde Jesu) von großer Bedeutung. Wir wenden uns zunächst der Frage der Messianität Jesu zu.

4.1.1 Das Messiasgeheimnis nach Wrede14

Das Motiv des Messiasgeheimnisses im Mk Ev. wird seit Wrede immer wieder erörtert.15 Ohne eingehende Begründung verbindet Wrede mit seiner Mes­ siasgeheimnistheorie drei unterschiedliche (und durchaus zu unterscheidende)16 markinische Motive: 1. Schweigegebote an Dämonen (1,23f; 3,11f; 5,6f), an Geheilte (1,43f; 5,43; 7,3b; 8,26) und an Jünger (8,30; 9,9); 2. Verhüllungsmotiv (Jesu) 7,24; 9,30 und 3. Unverständnismotiv (der Jünger) 8,17ff.31-33; 9,9–13.31f; 10,34ff.17

13 Zu dieser Liste, vgl. Taylor, 117-122. Vgl. Boring 255-257, der zusätzlich die Vorstellungen des „Hirten“ (14,27); des „Heiligen Gottes“ (1,14); des „Bräutigams“ (2,19-20); des „Königs der Juden“ bzw. „Israels“ (15,2.9.12.18.26.32); des „Kommenden“ (13,26) sowie des „Mächtigeren“ (3,22-27) hervorhebt. 14 Lit.: Boring 258, 264-271; Luz, Motif, 75-96; Räisänen, Messiasgeheimnis, passim; Tillesse, Secret, ad loc.; Tuckett, Secret, ad loc.; Wrede, Messiasgeheimnis, passim. Weitere Lit. bei: Pesch II 33.36-47. 15 Wrede, Messiasgeheimnis, passim. 16 So, mit vielen anderen, Pesch II 33.36-47. 17 Vgl. hierzu z.B. Pesch I 275-76.

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Details zu 1.: Die Schweigegebote an Dämonen werden aus geistlichen Gründen erteilt, weil die bösen Geister immerfort die Wahrheit verdrehen bzw. ihr widersprechen (siehe die Bemerkungen zu 1,23-28.32-34; 3,12). Als Heilender zeigt Jesus immer Barmherzigkeit und Mitgefühl. Allerdings wirkt Jesus meist in Situationen, die missverstanden werden können. Es trifft zu, dass Jesus den geheilten bzw. befreiten Personen oft ein Schweigegebot erteilt (u.a. 1,43-44; 5,42-43; 7,36; vgl., indirekt, 8,26), welches die Geheilten bzw. Befreiten selten einhalten.18 Trotzdem sind diese Schweigegebote notwendig, um dadurch wenigstens den Versuch zu unternehmen, die Bewegungs- und Handlungsfreiheit Jesu bis zu einem gewissen Grad zu bewahren (vgl. 7,36). Im Gegensatz zu den zwei bisher genannten Gründen für Schweigegebote befiehlt Jesus seinen Jüngern aus einem ganz anderen Grund, bis zum Zeitpunkt seiner Auferstehung (9,9) in der Öffentlichkeit über seine Messianität zu schweigen. Er erteilt dies, weil seine Jünger eine verengte Messiaserwartung vertreten (siehe unten, 4.1.2 Das historische Messiasgeheimnis). Die Schweigegebote an die Jünger sind daher mit dem Unverständnismotiv der Jünger und dem Verhüllungsmotiv eng verknüpft (siehe unten, Details zu 2. und 3.). Wredes ebenso scharfsinnige wie historisch unbegründete Hypothese lautet dagegen: Als angeblich kreativer Theologe verquickt Markus den Messiasglauben der Urgemeinde mit der vorösterlichen, nicht messianischen Tradition mittels seiner eigenen Messiasgeheimnisidee. Markus muss lediglich das Messiasgeheimnismotiv als narrative (redaktionelle) Verknüpfung zwischen diesen auseinanderklaffenden Strängen historisierend im Leben Jesu verankern. Markus kann dadurch sowohl seiner ihm überlieferten (nichtmessianischen) Tradition als auch dem verbreiteten Messiasglauben der Urgemeinde gerecht werden. Diverse Schweigegebote etwa werden durch Markus in die vormarkinische Tradition eingefügt (vgl. 8,30), um das nicht messianische Leben und Lehren Jesu (8,27f) mit dem „Messiasbekenntnis der Urgemeinde“ (8,29) zu verknüpfen. Ferner versucht Markus (so Wrede) mit dem Geheimnismotiv (Schweigegebote und Verhüllungsmotiv) zu erklären, warum Jesus zu Lebzeiten nicht als Messias erkannt wird und sich nicht als Messias ausgibt.

18 Eine Ausnahme hierzu bildet Jesu Wirken im hellenistischen Gebiet der Dekapolis, östlich vom See Genezareth. Dort beauftragt er eine geheilte Person, anderen von der Heilung zu erzählen (5,19-20). Allerdings erteilt er später auch dort ein allgemein gefasstes Redeverbot aufgrund einer Heilung (7,36).

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Wrede legt jedoch keine plausible Erklärung für den Ursprung und die Entstehung des charakteristischen, urchristlichen Messiasglaubens vor allem im Gegensatz zur weit verbreiteten Messiaserwartung des zeitgenössischen, palästinischen Judentums vor (siehe unten). Die Auferstehung kann den Messiasanwärter und den Messiasanspruch zwar bestätigen, aber die Messianität selbst nicht erweisen oder gar konstituieren. Nach dem neutestamentlichen Zeugnis bringt die Auferstehung einen verloren geglaubten Messiasanwärter (Lk 24,21) erneut ins Gespräch. Wrede bleibt seinen Lesern eine Antwort auf die Frage schuldig, wie die Urgemeinde zu ihrem ureigentlichen Messiasglauben im Kontext weit verbreiteter Messiasauffassungen gelangt.19 Ferner gelingt es Wrede nicht, einen nicht messianischen Jesus in der vor-markinischen Tradition nachzuweisen.20 Besteht jedoch eine historisch plausible Erklärung, die das Phänomen des markinischen Messiasgeheimnisses entschlüsselt (siehe unten), wird die allzu oft unkritisch wiederholte, rein literarische und spekulative These Wredes immer unwahrscheinlicher.21 Tatsächlich existiert eine plausible historische Erklärung für das von Markus angesprochene Messiasgeheimnis. Details zu 2. und 3.: Im Folgenden werden u.a. die zwei verbleibenden Motive des Verhüllungsmotivs Jesu und des Unverständnismotivs der Jünger im historischen Kontext erörtert.

4.1.2 Das historische Messiasgeheimnis22

Zwei historische Faktoren für das Messiasgeheimnis (d.h. Schweigegebote an die Jünger; Verhüllungsmotiv; Unverständnismotiv der Jünger) bei Mk sind vor allem zu nennen.

19 Siehe ferner die äußerst kritische Stimme, die dem Tod Jesu Sühnegeschehen abspricht und damit auch Jesu ureigene Messianität bezweifelt: Zager, Urchristentum, 165-186. 20 Brown, Introduction, 153. 21 Es ist erstaunlich, wie unkritisch Bultmann, Geschichte, 275-278.371 („die Theorie des Messiasgeheimnisses … (ist) eine Verschleierung der Tatsache, daß der Glaube an Jesu Messianität erst seit dem Glauben an seine Auferstehung datiert“) und viele seiner Nachfolger (z.B. H. Räi­sänen und B. Ehrman) Wredes Thesen quasi als erwiesene Tatsache übernehmen (etwas vorsichtiger sind Theißen u. Vielhauer in: Bultmann, Geschichte. Ergänzungsheft, 118). 22 Lit.: Gathercole, Preexistent Son, 231-242; Kingsbury, Christology, 1-23; Pesch II 33.36-47, mit zusätzlicher Lit. Vgl. Berger, Messiastraditionen, 1-44. Rüggemeier, Poetik, 372.506, vertritt die Ansicht, dass das Messiasgeheimnis bei Mk deshalb vorliegt, weil die bevorstehende, exklusive Offenbarung des Messias als Sohn Gottes erst durch Gott selbst geschieht.

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Erstens: Jesus als Messiasanwärter (vgl. 7,24; 8,30; 9,9.30). Erst zum Zeitpunkt der Auferstehung (vgl. 9,9) liegt die volle und öffentliche23 Bestätigung des Messiasanwärters vor. Ein Vergleich mit Apg 2,36 (im Gegensatz zu Joh 6,15) ist hier lehrreich: Jesus wird nach Tod und Auferstehung zum herrschenden Herrn und Messias eingesetzt – (ποιέω [poieō] = „machen“) ist hier im Sinn von „einsetzen“ zu verstehen; vgl. Bemerkungen zu 3,14).24 Der Messiasanwärter unterliegt somit bis zum Zeitpunkt seiner Bestätigung einer gewissen und notwendigen Verhüllung. Zweitens: Es bestehen unterschiedliche Messiasvorstellungen bei Jesus und seinen Zeitgenossen, einschließlich seiner Jünger.25 Der Hauptgrund für das historisch verankerte, von Jesus vorübergehend initiierte Geheimnis oder Verhüllungsmotiv seiner Messianität (mit Schweigegebote an seine Jünger) ist somit die große Spannung zwischen a) weit verbreiteten Messiasauffassungen z.Z. Jesu einerseits und andererseits b) alttestamentlichen Jahwe- (und Messias-) Erwartungen, zusammen mit c) Jesu eigenem Messiasanspruch. a) Die zwischentestamentliche und besonders nachmakkabäische Messiaserwartung im palästinischen Judentum (also auch die der Jünger Jesu) entspricht weder der jesuanischen Messiasidentität noch der bereits umfassend angelegten alttestamentlichen Messiasverheißung (siehe unten, b und c). Aus historischer Sicht ist im Judentum z.Z. Jesu die Erwartung weit verbreitet, dass der Messias als davidisch-politischer Befreier von römischer Unterdrückung auftritt. Die weit verbreitete Messiaserwartung z.Z. Jesu vor allem im pharisäischen Judentum konzentriert sich somit stark auf 2Sam 7,13-14.16 und Kontext.26 Dies lässt sich auch für Qumran belegen: Siehe z.B. 4QFlor 1,11-13, wo 2Sam 7,11-14 mit einer messianischen Interpretation von Am 9,11 verknüpft wird (vgl. 1QSa 2,11ff; 4Q174 [2Sam 7]; 4Q252 [Gen 49,10]; CD 7,16). Ferner sind bSan 96b, 97a, Lk 24,21 λυτροῦσθαι τὸν Ἰσραήλ [lytrousthai ton Israēl] (als Befreiung von Feinden)27 und Apg 15,16-17 (als messianische 23 Mitunter offenbart sich Jesus in seiner göttlichen Identität im Joh Ev. früher, aber eher in kleineren oder privaten Kreisen. 24 Der Messiasanwärter wird erst durch seine Lebensweise legitimiert. Ein außerbiblisches Beispiel hierfür ist der Messiasanwärter Simon Bar Kochba. Obwohl Rabbi Akiba (mit Verweis auf Num 24,17 und Hag 2,21-23; vgl. bTalmud, Sanh 97b) davon überzeugt ist, dass Bar Kochba der Messias ist, so scheiterte jener dennoch kläglich an diesem Anspruch. 25 Lit.: Betz, Frage, 20-48; Cullmann, Christologie, 111-137; Guelich, Christ, 3-17; Kingsbury, Christology, 1-23; Marshall, Ursprünge, 45-62; Rowe, Kingdom, 165-228; vgl. Brown, Christology, ad loc.; Collins, Scepter, ad loc.; Hengel, Studies, ad loc. 26 Collins, Scepter, passim und 209. Vgl. Boring 249. Zu Qumran, vgl. Zimmermann, Messianische Texte, 23-34.230-311.470-480. 27 Marshall, Luke, 895.

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Wiederherstellung des Hauses Davids) von Bedeutung (vgl. Apg 5,36-37).28 Zimmermann bemerkt zu Gemeinsamkeiten zwischen AT und den messianischen Erwartungen bei Qumran: „[D]ies gilt v.a. für die davidische Erwartung, wo die Hoffnung auf einen ,Davidssproß,‘ der als Heerführer die Feinde Israels vernichten und ein Friedensreich errichten wird, so etwas wie einen gemeinsamen Kern der messianischen Erwartung im Frühjudentum gebildet haben dürfte. Die qumranischen Besonderheiten sind hier v.a. in der Terminologie … zu suchen“.29 Pesch geht davon aus, dass angesichts der anstößigen, nicht davidischen Hasmonäerherrschaft bei den Pharisäern ein besonderes Interesse an davidischer Abstammung des Messias anzunehmen ist.30 Eine politische Engführung messianischer Erwartung begünstigt die Erinnerung an den Makkabäeraufstand. 2Makk beschreibt, wie Antiochus IV. erfolglos versucht, das jüdische Volk unter seiner Autorität zu hellenisieren. Er unterbindet das Befolgen des mosaischen Gesetzes, zwingt sie u.a., Schweinefleisch zu essen, und entheiligt den Tempel (2Makk 6,1-2). Der Erfolg des dadurch entfachten Makkabäeraufstandes wird später als Hanukkah-Fest („Weihe“; vgl. Joh 10,22) im Gedächtnis bewahrt, einschließlich der erneuten Weihe des Tempels (164 v.Chr.). 2Makk 8,1-4 beschreibt den Beginn dieses Aufstandes (ca. 167 v.Chr.): „Aber Judas Makkabäus und seine Gefährten schlichen heimlich in die Dörfer und riefen ihre Blutsverwandten zusammen und was sonst noch bei dem Glauben der Juden geblieben war und brachten an sechstausend Mann zusammen. Und sie riefen den Herrn an, er wolle das Volk ansehen, das von allen zu Boden getreten worden war, und sich erbarmen über den Tempel, den die gottlosen Menschen entheiligt hatten, und über die Stadt, die eben zugrunde ging … Auch wolle er doch das unschuldige Blut, das zu ihm rief, hören und der unschuldigen Kinder gedenken, die wider alles Recht umgebracht wurden, und sich an die Lästerung seines Namens erinnern und seinen Hass gegen all dies Böse erweisen“ (LÜ).

Dieser hatte um 164 v.Chr. die vorübergehende Wiederherstellung einer Theokratie in Israel zur Folge. Sie wurde als Sieg Gottes gefeiert. Aus der Sicht der Makkabäer hat Gott seinen gesetzestreuen Guerillakämpfern den Sieg über eine große Militärmacht gegeben. Zur Zeit Jesu mag dieses Ereignis, welches noch gut in der Erinnerung des erneut leidenden Volkes verankert ist, die breiter gefasste Perspektive alttestamentlicher Erwartungen mit eingeengt haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendein Messiasprätendent zur Revolte gegen Rom aufwiegeln würde, ist somit sehr groß. Das Volk erwartet vor allem einen politischen Messias (vgl. Joh 6,15). Eine derartige Engführung der Messia28 Vgl. Zimmermann, Messianische Texte, 23-34.46-229.470-480. Siehe Lane 435, Anm. 58. 29 Zimmermann, Messianische Texte, 480. 30 Pesch II 252.

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serwartung wird sich als beinahe unüberbrückbare Herausforderung für den ganz anders gearteten Messiasanspruch Jesu entpuppen (siehe unten, b und c). Sollte Jesus auch nur entfernt den Erwartungen eines davidisch-politischen Befreiers entsprechen (vgl. unten, die Bemerkungen zu 11,1-10), so könnte dies leicht zu einem Aufstand nach dem Muster der Makkabäer führen. Am Rande des palästinischen Judentums existieren zusätzliche und unterschiedliche Messiasvorstellungen. Collins bemerkt, dass neben der weit verbreiteten Grunderwartung eines davidischen Messias, der als König Israel wiederherstellt, in besonderen Kreisen auch die Erwartungen eines priesterlichen Messias, eines gesalbten Propheten bzw. eines himmlischen Menschensohnes bestehen.31 Der historische Beleg hierfür ist u.a. Qumran sowie verschiedene Schriften (vgl. u.a. äthHen; PsSal), die evtl. in den Zeit- und Kulturraum des palästinischen Judentums des 1. Jh.s n.Chr. gehören. Zu Qumran Neben dem erwarteten Propheten (ist es der Lehrer der Gerechtigkeit?)32 bereitet sich die Qumrangemeinschaft durch Zucht und rigoroses Befolgen des mosaischen Gesetzes auf einen priesterlichen (1QS9,11; 4Q175; CD 7) und vor allem einen königlichen (1QSa2,11ff; 4Q174; 4Q252) Messias vor.33 Obwohl die zwei Erwartungen (vgl. TestXII) zu unterscheiden und zu trennen sind, stellen sie Aspekte einer Gesalbtenvorstellung dar, bei der die davidische Erwartung dominiert.34 Der erwartete priesterliche Messias nimmt dabei eine wichtige, obschon sekundäre Stellung ein.35 Dies bedeutet, dass die Qumrangemeinschaft, die dem zeitgenössischen Jerusalemer Tempelkultus kritisch gegenübersteht, mit ihrer Messiaserwartung auch die Wiederherstellung des reinen Opferkultus in Jerusalem verbindet.36 In dieser Hinsicht greift die Gemeinschaft einen im Gesamtjudentum eher sekundär beachteten Aspekt der göttlichen Wiederherstellung auf. Zum äthHen 37–71 und zu den PsSal Neben Qumran bestehen am Rande des palästinischen Judentums weitere Sonderspekulationen zur danielischen Menschensohngestalt (äthHen) sowie zu anderen messiani31 Siehe Collins, Scepter, 209: “Jewish ideas of messianism were not uniform. There was a dominant notion of a Davidic messiah, as the king who would restore the kingdom of Israel, which was part of the common Judaism around the turn of the era. There were also, however, minor messianic strands, which envisaged a priestly messiah, or an anointed prophet or a heavenly Son of Man”. Vgl. Boring 249-250. 32 Vgl. Zimmermann, Messianische Texte, 312-417.455-457. 33 Siehe 1QS9, 9-11; vgl. CD19,10f. Vgl. Num 24,17. Vgl. Zimmermann, Messianische Texte, 23-34.230-311.312-417.470-480 und Berger, Messiastraditionen, 1-44. 34 Vgl. Zimmermann, Messianische Texte, 463-466 (Unterscheidung).478 (eine Gesalbtenvorstellung). 35 Zimmermann, Messianische Texte, 480. So auch Rowe, Kingdom, 217-218. 36 Qumran verbindet hiermit das erwartete messianische Mahl: 1QSa2,11-21.

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schen Vorstellungen („Herr“, PsSal 18). Allerdings bleibt ungeklärt, ob es sich hierbei um zeitgenössische Vorstellungen handelt (s.u.). Zum äthHen 37–71 Zunächst stellt sich die Frage, ob der Abschnitt äthHen 37-71 nachchristlicher Provenienz ist. Milik, Knibb und Lindars datieren den Text auf Ende des 1. bis zur Mitte des 2. Jh.s n.Chr.; Black datiert den Abschnitt dagegen vor 70 n.Chr. Isaac datiert auf das Ende des 1. Jh.s n.Chr.37 Es wird oft betont, dass eben dieser Abschnitt in den Qumranschriften zu Hen fehlt. Allerdings ließe sich diese Tatsache u.U. dadurch erklären, dass jüdische Schreiber diesen Abschnitt aufgrund der christlichen Identifikation des Menschensohns mit Jesus absichtlich ausließen. Die genaue Datierungsfrage ist m.E. noch ungeklärt.38 Ferner ist zu fragen, ob es sich um einen jüdischen (Isaac, Riesner, Berger39) oder um einen judenchristlichen (Milik) Text handelt. Diesbezüglich ist einleuchtender, von einer jüdischen Provenienz auszugehen.40 Berger bemerkt: „Wäre das Geschick von Henoch und Elias genuin christliche, vom Geschick Jesu her konstruierte Erwartung, so müsste man erst das Interesse deutlich machen, das eine Gemeinde dazu geführt haben könnte, sich Ereignisse auszumalen, die der Funktion der Auferstehung Jesu derart konkurrierten“.41 Im äthHen 49,2-4; 62,1-4 beispielsweise wird der Gesalbte und Erwählte mit dem Geist Gottes erfüllt. Die Menschensohngestalt wird dort analog zum messianischen Knecht (Jes 53) beschrieben und als Mann bezeichnet (vgl. äthHen 90,14.17.20) sowie als „mein Sohn“ (äthHen 105,2) ausgewiesen. Riesner (mit Verweis auf 4QMessAr 1,7f) bemerkt zum äthHen 37-71: „In ihm verbinden sich also die Traditionen des davidischen Messias, des danielischen Menschensohns, des Gottesknechts und der präexistenten Weisheit“.42 Zusammenfassend lässt sich sagen: Der äthHen 37-71 belegt höchstens eine mögliche, periphere, zeitgenössisch-jüdische Verbindung von Vorstellungen, die bei Jesus eindeutig vorliegen.

Zu den PsSal Bei den PsSal handelt es sind nach R.B. Wright um 18 vorchristliche, pseudepigrafische Psalmen, wahrscheinlich aus dem 1. Jh. v.Chr.43 Wright macht geltend, dass die prophetisch-messianische Gestalt (siehe vor allem PsSal 17,23-37) diesseitig, politisch-davidisch konzipiert ist.44 Allerdings ist hervorzuheben, dass die Mittel, mit denen dieser Messias für die Wiederherstellung einer jüdischen Theokratie und eines reinen Tempels kämpft, geistlicher Natur sind (vgl. PsSal 17,33-34.37). Der Einfluss dieses Messias ist sowohl Reinigung des Volkes als auch politischer Sieg über die heidnischen Unterdrü37 Siehe Milik, Books, 1-135, Lindars, Son of Man, 5.158 (mit Verweis auf Knibb) sowie Riesner, Jesus, 323. Vgl. Bayer, Predictions, 230 und Anm. 40 (mit Verweis auf M. Black). Siehe vor allem Isaac, Enoch, 6-7, mit Kritik an Miliks Vorgehensweise. 38 Siehe Charlesworth, Seminars, 315-323. Die in Tübingen (1977) und Paris (1978) abgehaltenen Seminare ergaben einen allgemeinen, eher flexiblen Konsens der Datierung auf das 1. Jh. n.Chr. 39 Berger, Auferstehung, 142. 40 Vorsichtig, Isaac, Enoch, 7-8. 41 Berger, Auferstehung, 142. 42 Riesner, Jesus, 323-324; Zitat a.a.O., 324. 43 Wright, Psalms, 639-646. Siehe ders., a.a.O., 640-641 zu Details der Datierung. 44 Wright, Psalms, 645.

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cker. Ein weiteres Charakteristikum ist die Tatsache, dass der Messias als „Herr Messias“ bezeichnet wird (PsSal 18,7). Allerdings ist dieser „Herr“ ein menschlicher Mittler (vgl. PsSal 18,7-9), der sein Volk zur Ehrfurcht vor Gott zurückführt.

Im Gegensatz zur weit verbreiteten Messiasvorstellung z.Z. Jesu bleiben Texte wie der äthHen und PsSal bezüglich der exakten Datierung, der genauen Provenienz und der präzisen theologischen Aussage in mancherlei Hinsicht ungeklärt. Vor allem ist jedoch (auch unter Einbeziehung von Qumran) zu betonen, dass sie keineswegs die weit verbreitete messianische Auffassung z.Z. Jesu repräsentieren, die vor allem durch das pharisäische Judentum ihre Prägung erhält.45 Im weit verbreiteten pharisäischen Judentum dominiert die Erwartung eines königlichen, diesseitigen, davidischen Messias,46 der die politischen Verhältnisse wieder nach Gottes Gesetzen ordnet.47 b) Alttestamentliche Erwartungen: das Kommen Jahwes in Verbindung mit der Sendung seines gesalbten Boten Das AT sollte zunächst nicht danach befragt werden, welche Messiaserwartungen dort zu finden sind, sondern welche Zukunftserwartungen allgemein erweckt bzw. bekräftigt werden. Wer das AT derartig befragt, kommt u.a. zu der Einsicht, dass viele Stränge der alttestamentlichen Zukunftserwartung mit dem Kommen Jahwes zusammenlaufen. Im Gegensatz zur oben beschriebenen Messiaserwartung zur Zeit Jesu vermittelt das AT eine komplexe Erwartung dieses Kommens Jahwes. Gott geht der Menschheit seit Beginn seiner guten Schöpfung nach. Er hat die Menschen in Beziehung zu sich selbst geschaffen. Diese Beziehung hat 1. eine kreatürliche Dimension (Leben in seiner Schöpfung), 2. den Charakter eines Bundes (Leben in segensreicher und verbindlicher Verantwortung mit – und vor – Gott und 3. den Aspekt der Herrschaft (Leben unter seinen Absichten und Zielen; vgl. das Schöpfungsmandat in Gen 1,28; 2,15-20). Infolge des katastrophalen Sündenfalls der Menschheit durch Adam und Eva (Gen 3) geht Gott der Menschheit vor allem seit Abraham als Vater seines zu rettenden Volkes nach. Mit Abraham soll der Mensch stets auf Gottes rettende und unverdiente Vorsorge vertrauen. Dies schließt z.B. den Exodus Israels aus der Sklaverei in Ägypten mit ein (Ex 13–19) wie auch die Weisung durch das mosaische Gesetz (Ex 20–23). Jene Gnade zeigt sich auch durch menschliche Mittler wie etwa Richter, Propheten, Priester und Könige. 45 Collins, Scepter, passim. 46 Rowe, Kingdom, 217. Vgl. sogar PsSal 17. Anders Berger, Messiastraditionen, 1-44. 47 Vgl. u.a. Zimmermann, Messianische Texte, 480.

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Gott bleibt seinen Verheißungen treu. Immer sucht und reinigt er sich ein Volk (siehe 4.3 sowie unten, Bemerkungen zu 14,53-65), um über dieses segnend zu herrschen (Jes 40,10-11). Dabei verfolgt er stets die Absicht, selbst unter seinem Volk zu leben (Lev 26,11; Offb 21,3). Dieser Grundsatz bleibt auch dann bestehen (vgl. 1Sam 8,7c.9 sowie 10,19 und Ps 24), wenn Israel nach einem irdischen König verlangt (1Sam 8,5). Obwohl Gott dieser Forderung für eine begrenzte Zeit entspricht, wird er einst dennoch wieder als König über sein Volk „zurückkehren“ (Jes 40,1-11). Jesu Lehre vom kommenden Königreich entspringt somit aus diesem alttestamentlichen Motiv und kennzeichnet indirekt die Zeit der Könige Israels lediglich als Zwischenzeit. Die Gesamterwartung im AT konzentriert sich auf das Kommen Jahwes als Prophet, Priester und König. Auch wenn eine derartige Sicht bejaht werden kann, bleibt dennoch die Frage offen, ob nun Jahwe nach dem AT direkt oder mittelbar „kommen“ wird. Manche atl. Erwartungen vermitteln den Eindruck, dass Jahwe selbst kommen wird (z.B. Deut 31,8; Ps 110,1; Jes 9,6; 40,1-11; 51,5.9; Hes 34,11-22; vgl., indirekt, 1Sam 8,7 und Jes 51,12). Viele andere Aussagen beschreiben jedoch das „Kommen Jahwes“ mittelbar, nämlich 1. durch einen einmaligen Propheten (Deut 18,15.18 [Prophet wie Mose]; vgl. Mk 9,7), 2. einen besonderen Priester (Jes 52,13–53,12 [sühnender Knecht Jahwes]; Mal 3,1 [Bundesbote]; vgl. Mk 10,45; 14,24) bzw. 3. einen ewig herrschenden König (2Sam 7,13-16 [Apg 2,30-31]; Ps 110,1.5 [Herr]; Jes 9,6-7 [Sohn]; 61,1-2; Dan 7,13-14 [Menschensohn]; Sach 9,9 [König]; vgl. Mk 8,29.31.38; 12,35-37; 14,62). Dieser Mittler besitzt bereits im AT sowohl menschliche als auch göttliche Züge. Jener königliche Hirte wird Wunder tun (Jes 35,4-6); er soll das Volk weiden (Micha 5,4) und den Heidenvölkern als Licht erscheinen (Jes 42,6; 49,6; 51,4-5). Er wird lange nach dem Tod Davids48 als Gottes „David“ (Hes 34,23-24) auftreten. Gottes „davidischer Hirten-Diener“ ist bei Hesekiel besonders außergewöhnlich, weil Jahwe bereits selbst als „Hirte“ auftritt (Hes 34,11-22). Der „Diener David“ (MT ‫[ ֶעבֶד‬ʽäbäd]; LXX δοῦλος [doulos]) herrscht als Prinz (MT ‫נָׂשִיא‬ [nāśī’] = „König“; LXX ἄρχων [archōn], „Herrscher“, „Herr“; Hes 34,23-24). Die im AT entfaltete Messiaserwartung eines zukünftigen, und schillernden „davidischen“ Königs, der einst nicht ausschließlich politischen und zeitlich begrenzten Aufgaben nachgehen wird (Jes 7,14; 9,5-6; 16,5; 22,22; 55,3-4; Jer 23,5; 30,9; 33,15.17; Hes 37,24-25; Hos 3,5; Sach 12,8.10; 13,1; siehe die NT Rezeption in Mt 12,23; 21,9.15; Mk 11,10; Lk 1,32.69; Apg 2,30; 15,16; Offb 3,7; 5,5; 22,16), verweist ebenso auf die Erwartung des direkten Wirkens Gottes. Dabei wird der politische Aspekt der unterschiedlichen Messiaserwar48 Zur Zeit Hesekiels war David bereits ca. 400 Jahre tot.

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tungen in der Person des göttlichen und menschlichen Messias Gottes mit aufgenommen (Apg 1,6-8; 2,30). Die beste, jedoch zunächst unlogisch klingende Antwort auf die Frage, wie Jahwe einst „kommen“ wird, ist die, dass er sowohl selbst als auch durch einen einmaligen Mittler kommen wird. Der Mk-Bericht wird dieses scheinbare Paradox auflösen. Dort „kehrt“ Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist „zurück“, um über sein Volk zu herrschen. Er erreicht dies, indem er seinen ewigen Sohn als Mensch und Retter sendet (10,45; 12,6; 14,22-24; Apg 3,17-21) und damit auch diesseitige Messiaserwartungen erfüllt (vgl. Apg 2,30). Der dreieinige Gott herrscht erneut, nachdem der Sohn als dienender König (d.h. als Gottesknecht) für die Sünden seines Volkes gesühnt hat (10,45; Jes 52,13-53,12). c) Jesu eigener Messiasanspruch in Kontinuität zum AT und in kritischer Distanz zur vorherrschenden, zeitgenössischen Messiaserwartung Kingsbury hat neben anderen deutlich gemacht, dass das Element der Korrektur herkömmlicher Messiasauffassungen (siehe oben, 4.1.2.a) ein auffallendes Element in allen Evangelien (vor allem bei den Synoptikern) ist.49 Die im Judentum weit verbreitete davidisch-königliche Messiasauffassung (z.T. aus dem AT gespeist) steht innerhalb des Mk Ev. in Spannung zu der umfassenden alttestamentlich-prophetischen Messiasidentität Jesu (siehe oben, 4.1.2.b). Durch Jesus erfährt die zeitgenössische Erwartung eine doppelte Korrektur (siehe unten). Gleichzeitig knüpft Jesus an eine breite Palette alttestamentlicher Erwartungen an (siehe Abschnitt b oben). Wie im AT bereits angelegt und somit nicht willkürlich durch Jesus entfaltet, vermittelt er eine für ihn charakteristische Messiaserwartung, die vor allem durch Erniedrigung (vgl. den königlichen Knecht Jahwes, Jes 52,13–53,12; Mk 8,31; 10,45; 14,24) und Erhöhung (Ps 110,1; Dan 7,13-14; Mk 14,25.62) gekennzeichnet ist. 1. Die Erniedrigung des Messias Gottes Im Gegensatz zur zeitgenössischen Messiaserwartung spricht der Messiasanwärter Jesus in anstößiger Weise davon, stellvertretend (10,45; 14,24) leiden zu müssen (8,31). In die Aussagen Jesu fließt somit der im Judentum z.Z. Jesu eher vernachlässigte Strang des messianischen „Ebed Jahwe“ (Knecht Gottes in Jes 52,13‒53,12) mit ein.50 Ferner sind alttestamentliche Texte wie Ps 16; 49 Kingsbury, Christology, 25-45. Vgl. Brown, Christology, passim. Pace Boring 257. 50 Vgl. etwa Cullmann, Christologie, 50-81; Marshall, Ursprünge, 46.50; Backhaus, Lösepreis, 106-118; Roloff, Anfänge, 50-64; Rüggemeier, Poetik, 294, 300-306; Stuhlmacher, Existenzstellvertretung, 27-29; Delling, Kreuzestod, 63-64.

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Dan 9,24-26 und Sach 12,10 (vgl. Mose als Knecht, Ex 14,31) zu beachten. Als königlicher Ebed Jahwe stirbt er stellvertretend, um das leidende Volk Gottes vor – und für – Gott zu reinigen (Jes 52,13–53,12). Zur kontrovers geführten Diskussion der Identität des „Ebed Jahwe“ in Jes 42–53 (a) kollektiv für Israel; b) Messias; c) Prophet-wie-Mose; d) Cyrus und e) die Stadt Zion), ist Folgendes zu bemerken:51 Während die ersten drei Gottesknechtslieder in Jes 42–50 immer wieder ganz Israel als leidenden „Knecht Gottes“ identifizieren (z.B. Jes 44,1-2.21; 45,4; 48,20; 49,3; vgl. Ps 136,22; Lk 1,54), muss es sich bei Jes 52,13–53,12 um einen Stellvertreter des Gottesvolkes handeln, der für das Gottesvolk leidet (vgl. Jes 53,4-6.8).52 Jes 52,13‒53,12 widersetzt sich selbst einer primär kollektiven Interpretation. Sonst ergäbe sich die bedeutungslose bzw. widersprüchliche Aussage, dass das Volk für sich stellvertretend leidet. Im größeren Zusammenhang von Jes 42–53 ist ferner immer die Rede davon, dass Gott selbst rettet und loskauft (vgl. Jes 42,6; 43,3.14; 44,6.22.24; 45,17.22; 47,4; 48,17.20; 49,6.8.26; 50,2; 51,5-6; 52,3.7.10). Der evtl. zeitgenössische TargJes 5353 erblickt in Jes 52,13‒53,12 wenigstens teilweise eine messianische Figur, obwohl die dortigen Leidensaussagen kollektiv auf das Volk Israel bezogen werden.54 Die Spannung zwischen kollektiver und individueller Interpretation von Jes 42–53 lässt sich jedoch folgendermaßen lösen. Der kollektive Ebed Jahwe (= Volk Gottes) erleidet viel und wird dadurch geläutert. Dennoch benötigt das leidende Gottesvolk selbst eine grundlegende Reinigung vor Gott. Der königliche und priesterliche Repräsentant des Volkes macht dies möglich (Jes 52,13– 53,12; vgl. Mk 10,45; 1Petr 2,21-24). Die vorchristliche Qumranrolle 1QJesa liest für Jes 53,8 „er wurde für die Übertretung meines Volkes gepeinigt“ (vgl. 1QJesa 53,6). Das leidende Gottesvolk wird durch seinen königlichen und dienenden Repräsentanten gereinigt, der selbst der „rettende Arm Gottes“ ist.55 Zum vierten Gottesknechtslied (Jes 52,13–53,12) macht Rowe ferner Folgendes geltend:56 Jes 52,13–53,12 ist eng mit den Leidenspsalmen (Ps 22; 69) sowie den königlichen Leidenspsalmen (Ps 89; 118) verbunden. Vor allem in 51 52 53 54

Rowe, Kingdom, 70-84. Vgl. Bayer, Peter, 145-147. J. Kim, „Targum Isaiah 53“, 81-98. Vgl. Lane, 303. Evans, „Isaiah 53“, 153-155 bemerkt, dass TargJes vor allem zu Jes 52,13 und 53,10 eine messianische Interpretation impliziert. 55 Vgl. Evans, „Isaiah 53“, 152, der meint, dass die messianische Interpretation von Jes 53 evtl. von Jes 37,35 herrührt (vgl. ebenso Ps 18,1 = LXX Ps 17,1), wo von David als „Knecht des Herrn“ die Rede ist. 56 Rowe, Kingdom, 76-79.

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Ps 89,39.44 ist die Rede vom Leiden des Königs. Das vierte Knechtslied enthält ebenso königliche Züge: Inthronisierung, Jes 52,13; Hoheit über andere Könige, Jes 52,15; Sieg, Jes 53,12. Diese Züge erinnern an Ps 2,2.6.8-10; 110,1-2.5-6. Ferner hat der Verweis auf „Wurzel“ (Jes 53,2) sein Echo in der messianischen Aussage von Jes 11,1.10. Jes 53,6 mag auf das königliche Hirtenmotiv in Jes 40,11; 44,28; Ps 78,70-72; Hes 34 verweisen: Ein Hirte bezahlt die Strafe für Schafe, die verloren gegangen sind. In Jes 52,7-9 werden die Motive des „Hirten“, des „Dieners“ und des „Herrschers“ miteinander verbunden (vgl. 2Sam 5,2b; 7,8; 1Chron 17,4.7). Die „Verlängerung“ der Tage des Knechtes (Jes 53,10) mag an 2Sam 7,12.13; Ps 132,11.12 erinnern. Der davidische Bund wird auf den Knecht (und auf das von seinem stellvertretenden Leiden wieder lebende Volk: Jes 53,11) bezogen (Jes 53,10).57 So, wie Jahwe in Jes 24,16 der „Gerechte“ ist, so ist der Knecht in Jes 53,11 „gerecht“ (vgl. das gerechte Regieren des Messias in Ps 72,1.2; Jes 9,7; 11,4.5; 32,1). Die Nation wird aufgrund seines Opfers als gerecht erfunden. Rowe kommt zum Ergebnis, dass hier wohl eine messianische Einzelperson im Blick ist, die sowohl königliche Hoheit als auch opferbereite Erniedrigung in sich vereint. Dieser Knecht dient der Gemeinschaft des leidenden Gottesvolkes.58 Entgegen Hooker sind sowohl Verwerfungsthematik als auch das stellvertretende Leiden des „Ebed Jahwe“ (Jes 53,8) eng mit dem von Jesus benutzten Menschensohn-Terminus (vgl. 8,31 und 2,20) und dem Verhalten Jesu verknüpft.59 In diesem Zusammenhang stellt vor allen Mk 10,45 (vgl. 14,24) eine einmalige und außergewöhnlich vielsagende Aussage Jesu dar. Viele Forscher sind davon überzeugt, dass Mk 10,45 an Jes 53,8 anklingt („geplagt für die Übertretungen meines Volkes“; LXX Jes 53,8, apo tōn anomiōn tou laou mou ēchthē eis thanaton = wegen der Gesetzlosigkeiten meines Volkes in den Tod geführt; vgl. lytrōthēsesthe, Jes 52,3). Ähnliches trifft auf Jes 53,12 zu.60 Der Verweis auf die „Vielen“ in Mk 10,45 knüpft ferner an die „Vielen“ in Jes 53,11-12 an. Die detaillierte Argumentation von Cullmann stützt diese Tatsache.61 Die Hoheit des Messias wird durch die Erniedrigung Jesu zwar vorübergehend infrage gestellt, aber nicht außer Kraft gesetzt. Der Kreuzestod steht somit in seiner allgemein-geschichtlichen Kausalität (12,12; 14,1-2; 15,10) sowie als göttlicher Wille (8,31; 9,31; 10,32ff.45; 14,22-24) im Zentrum der 57 58 59 60 61

Rowe, a.a.O., 79. Rowe, a.a.O., 77-78. Vgl. Hooker, Mark, passim; Hooker, Jesus, passim sowie Boring 252-253. Vgl. ferner die Bemerkungen unten zu Mk 1,9. Siehe die Detailargumentation bei Cullmann, Christologie, 163-164, der belegt, dass Jesus den Bezug zu Jes 53 herstellt. So auch Marshall, Ursprünge, 66-81. Vgl. Bellinger/Farmer, Jesus, passim und Hengel, Studies, passim.

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eigentümlichen Messianität Jesu. Dieser heilsame Tod konstituiert die Versöhnung des Menschen mit Gott. 2. Die Erhöhung des Messias Gottes Die zweite Korrektur zur oben beschriebenen, weit verbreiteten politischen Messiaserwartung erfolgt durch die überraschenden Aussagen Jesu über die Erhöhung und Verherrlichung des Messias Gottes (Ps 110,1.5 / Mk 12,35-37; Dan 7,13-14 / Mk 8,38; 14,62; vgl. Hes 34,23-24 und Mal 3,1). In der Lehre Jesu geht dieser Erhöhung das stellvertretende Opfer des Messias Gottes voraus. Es besteht somit die historische Tatsache, dass eine Spannung zwischen dem Messiasverständnis Jesu (welches an alttestamentliche Erwartungen anknüpft) und dem des zeitgenössischen, palästinischen Judentums existiert. Die Spannung besteht wegen dem unüberbrückbaren Unterschied zwischen der Erniedrigung und Erhöhung des Messias Gottes im Gegensatz zu einem politisch agierenden und von römischer Unterdrückung befreienden, irdischen Messias. Ein guter Beleg für eine derartige Spannung ist die beinahe nebensächliche und daher historisch umso bedeutsamere Bemerkung in Joh 6,15: „Da nun Jesus merkte, dass sie kommen würden und ihn greifen, damit sie ihn zum König machten, entwich er abermals auf den Berg, er selbst allein“. Die Gefahr, dass Jesus in die weit verbreitete, zeitgenössische Messiaserwartung gepresst wird, ist tatsächlich akut.62 Diese historische Gegebenheit vermittelt die komplexen Umstände, in denen sich der wahre Messias Gottes (und des Alten Testaments) befindet. Sie belegt gleichzeitig die Unfähigkeit seiner Jünger sowie der allgemeinen Öffentlichkeit, den Messias Gottes wegen fest vorgeprägter und durch viel Leid eingeengter Erwartungen zu verstehen (vgl. Lk 24,21 λυτροῦσθαι τὸν Ἰσραήλ [lytrousthai ton Israēl] als Befreiung von Feinden63 sowie Apg 1,6). Die Tatsache, dass Jesus wiederholt auf dieses Thema zurückkommen muss, ist gerade nicht (plumpe) markinische Erzählung (gegen Wrede),64 sondern spiegelt die gespannte historische und theologische Situation wider, in der sich Jesus, seine Jünger und seine Gegner über einen geraumen Zeitraum hinweg befinden.65 Diese Spannung zwischen weit verbreiteter Messiaserwartung und dem außergewöhnlichen Anspruch Jesu ist grundsätzlicher und bedeutsamer als die Frage, was Jesus mit den Schweigegeboten an die Jünger beabsich62 Vgl. Oegema, Gesalbte, passim und Collins, Scepter, passim. 63 Marshall, Luke, 895. 64 Siehe die Übereinstimmung mit Wrede (bei gleichzeitiger Verfeinerung der Argumente) in Boring 258 und 258 Anm. 38. 65 Weihs, Deutung, 185-186.

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tigt. Diese Spannung erhebt das historische Messiasgeheimnis zur historischen Notwendigkeit. Weihs vertritt zur Frage des markinischen Messiasgeheimnisses einen Kompromiss: Auf der einen Seite ist Mk „Bewahrer und Sammler“ (so etwa auch Pesch), auf der anderen Seite ist Mk „kompetente(r) Deuter dieser Überlieferung“.66 Nach Weihs ist die Deutung bei Mk vor allem folgendermaßen zu charakterisieren: „Der Evangelist wird in dieser Sichtweise als ein theologisch leistungsfähiger Interpret seiner Traditionen erfasst, der es nicht nur fertig gebracht habe, die ihm tradierten passionstheologischen Motive in ganzer Breite zur Sprache zu bringen und theologisch fruchtbringend aufeinander zu beziehen, sondern gerade durch diese interpretierende und verknüpfende Art und Weise des Umgangs mit seinen Traditionen seine eigene, die markinische Sicht des Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu vor Augen zu führen“. Weihs kommt zu folgendem Ergebnis: „Die markinische Deutung des Todes Jesu findet sich also nicht in einer einzelnen der von ihm verwendeten todesdeutenden Anschauungen, sondern ergibt sich aus der spezifischen Bezogenheit aller genutzten passionstheologischen Motive und aus der Einbindung dieses Motivnetzes in das Erzählganze der Schrift: also aus dem Mk Ev. in seiner Gesamtheit“.67

Allerdings ist zu fragen, ob die „wohlüberlegte kompositionelle Anordnung und Verknüpfung der traditionell übernommenen passionstheologischen Motive und Vorstellungen“68 lediglich zeigt, dass Markus (aufgrund von Petrus) die passionstheologisch gut integrierte Lehre Jesu verlässlich verstanden hat und diese in sich schlüssige Lehre kompetent weitergibt. Weihs deutet in diese Richtung, wenn er betont, dass das Mk Ev. durch „eine grundlegende Bezogenheit auf die konkrete Geschichte Jesu“ bzw. durch „Geschichtstreue“ bestimmt ist.69 Für Weihs sind die zentralen Aspekte der Passionstheologie des Markusevangeliums (göttliche Notwendigkeit des Leidens; Motiv der Überlieferung; passio iusti; verfolgter Prophet; stellvertretende Sühne) evtl. auf Jesus, aber zumindest auf die vorliegende „Tradition“ des Mk zurückzuführen.70 Weihs arbeitet zumindest die Integration dieser Motive bei Mk gut heraus. Bezüglich der Charakterisierung des Messiasgeheimnisses bewegt sich Weihs somit in die Richtung, die ausdrücklicher bei Kingsbury (u.a.) formuliert wird.

Boring repräsentiert demgegenüber diejenigen, die das Messiasgeheimnis als redaktionelle Idee des Markus verstehen wollen (vgl. Wrede, Bultmann, Räisänen, Ehrman).71 Gegen das oben vertretene, historisch begründete Messiasgeheimnis („biographical explanation“) macht Boring u.a. geltend, dass bei einem historisch begründeten Mes­ siasgeheimnis ein historisches „Geheimnis des Königreiches Gottes“ ebenso vonnöten wäre. Dem ist zu entgegnen, dass Jesus auch die öffentliche Lehre über das Königreich entgegen weit verbreiteter Auffassung modifiziert (siehe Exkurs 5); ein „Königreich-

66 67 68 69 70

Weihs, a.a.O., 186. Weihs, a.a.O., 597. Weihs, a.a.O., 184. Weihs, a.a.O., 590-591 u.a. mit Verweis auf Hengel, Probleme, 233. Weihs, Deutung, 591. Zur göttlichen Notwendigkeit des Leidens, siehe ebd. 273-289.342; zum Motiv der Überlieferung, siehe ebd. 290-331.354-358; zur passio iusti, siehe ebd. 337341.358-360; zum Thema des verfolgten Propheten, siehe ebd. 341-342; zur stellvertretenden Sühne, siehe ebd. 360-362.499-523. 71 Boring 238-239 sowie 264-271. Vgl. Berger, Messiastradition, 1-44; Conzelmann, Present, 43.

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geheimnis“ ist jedoch deshalb nicht notwendig, weil eine fehlerhafte Auffassung des Königreiches nicht zu einem „Missbrauch“ des Königreiches führt. Dieser Sachverhalt trifft jedoch bei einem fehlerhaften Messiasverständnis zu (vgl. Joh 6,15). Boring ist sich selbst nicht sicher, ob die Großevangelien Mt und Lk praktisch keine Messiasgeheimnisthematik vermitteln oder lediglich das Motiv weniger betonen.72 Nach Boring distanziert sich Johannes völlig vom markinischen Messiasgeheimnis.73 Vielsagend ist jedoch die Tatsache, dass Boring dabei Joh 6,15 völlig übergeht. Eben hier macht sich auch bei Johannes die historische Spannung zwischen der weit verbreiteten Messiaserwartung des Volkes einerseits und der Messiaslehre Jesu andererseits bemerkbar, eventuell sogar deutlicher, als dies bei den synoptischen Evangelien der Fall ist.

Das eigentliche, historische Messiasgeheimnis (nämlich das historische Verhüllungsmotiv mit Schweigegeboten an die Jünger), welches Jesus selbst verantwortet, ist somit aufgrund der starken Diskrepanz zwischen weit verbreiteter Messiaserwartung und dem wahren, alttestamentlich erwarteten Kommen Jahwes mittels des Messias Gottes notwendig. Das Geheimnis ist historisch und theologisch bis zu Jesu Einzug in Jerusalem unumgänglich (vgl. unten das Unverständnismotiv der Jünger). Jesus als Messias Gottes im Umgang mit seinen unverständigen Jüngern (Unverständnismotiv) Das Mk Ev. enthält solide, historische Belege für die Tatsache, dass Jesus seine Jünger über die Diskrepanz zwischen weit verbreiteter Messiaserwartung und dem Messias Gottes immer wieder aufmerksam macht. Diese Unterweisung trägt zum hartnäckigen Unverständnis der Jünger (vgl. 8,29-31) maßgeblich bei.74 In diesem Zusammenhang ist das „Sondergut“ (7,31-37 und 8,22-26) besonders hervorzuheben, welches im Kontext des gesamten Evangeliums die innere „Taubheit“ und „Blindheit“ der Jünger unterstreichen will (siehe unten die entsprechenden Auslegungen zu den o.g. Texten sowie unten, 10.4, IV zu 8,27–9,29). Das mit dem historischen Messiasgeheimnis und dem Unverständnis der Jünger verbundene und vorübergehend notwendige Schweigegebot an die Jünger (vgl. 9,9) leuchtet daher ein, weil die fest eingeprägte, politisch-davidische Messiaserwartung wie eine durch Sauerstoff angereicherte Benzinmischung verbreitet ist (vgl. die Bemerkungen zu 1,32-34; 8,30; 9,9). Nur wenig „Zünd72 Vergleiche Boring 269 mit 239. 73 Boring 239 macht geltend: Joh 1,41 – jedoch nicht öffentlich; Joh 4,25-29 – jedoch nicht öffentlich; Joh 7,26.31.41 – es handelt sich um eine Debatte über Jesus als Messias; vgl. etwa Mk 8,27-31; Joh 9,22 – Gegner unterdrücken ein Bekenntnis zu Jesus als Messias; vgl. etwa Mk 3,6; Joh 10,24-25 – Jesus sucht seine wahre Messianität durch seine Werke zu vermitteln; Joh 11,27 – nicht öffentlich. 74 Kingsbury, Christology, 11-15.21-22.136.147. Anders Berger, Messiastraditionen, 1-44.

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stoff“ (vor allem der eines politischen Messiasanwärters nach Makkabäer-Art) ist notwendig, um eine revolutionäre „Explosion“ auszulösen. Diese Tatsache wird u.a. durch Josephus untermauert: „So ließ sich das elende Volk damals von Verführern und Betrügern, die sich fälschlich als Gesandte Gottes ausgaben, beschwatzen“ (Josephus, Bell 6,288; vgl. Apg 5,36-37).75 Jesus hat somit die schwierige Aufgabe, seinen Jüngern die besonderen Absichten Gottes in dieser überspannten Situation zu vermitteln. Er kann auch unter seinen Jüngern sehr leicht missverstanden werden, weil sie zunächst die Auffassung der Menge teilen (vgl. Joh 6,15). Daher sind die wiederholten Schweigegebote an seine Jünger notwendig, um damit der Verbreitung von Missverständnissen vorzubeugen. Aufgrund der stark divergierenden Messiaserwartungen ist somit das beharrliche Unverständnis seiner Jünger historisch glaubwürdig. Durch ihre feste Prägung wehren sie sich lange dagegen, den eigenartigen, alttestamentlich bezeugten Messias Gottes wirklich zu akzeptieren (vgl. etwa 8,32-33; 9,32ff; 10,34ff).

4.1.3 Jesus als Mensch

Markus nennt viele Charakteristika, die Jesus als Menschen identifizieren. Jesus, aus Nazareth (vgl. 1,24; 10,47; 14,67 und 16,6) dient mit Barmherzigkeit (1,41; 6,34; 9,2). Er zeigt sich mitunter entrüstet bzw. zornig (1,43; 3,5; 8,2; 10,14). Er ist ein von Leid gezeichneter Mensch (14,33.34), der immer wieder seufzt (7,34; 8,12; vgl. 4,39; 6,6.31; 8,33; 11,12). Unter weiteren Indizien ist schließlich die Wendung in Mk 6,3 („ist dieser nicht der Baufachmann [Zimmermann], Sohn der Maria und Bruder des Jakobus, Joses, Judas und Simon? Und sind seine Schwestern nicht hier bei uns?“) zu nennen sowie weitere Hinweise auf die natürliche Familie Jesu.

4.1.4 Jesus als Sohn Gottes76

Es handelt sich um einen Grundbegriff im Mk Ev, der u.a. mit der Funktion des erhöhten Menschensohns und des erhöhten Herrn verknüpft ist. Auffällig 75 Es gibt z.Z. Jesu viele Messiasanwärter: z.Z. von Pontius Pilatus ist es ein Samaritaner (35 n.Chr.); z.Z. von Felix ist es ein anonymer Prophet sowie der falsche Prophet aus Ägypten; z.Z. von Fadus sind es Theudas, der Weber Jonathan in Kyrene, der Zelotenführer Menachem von Masada sowie Simon bar Giora. Vgl. Pesch II 298-299. 76 Lit.: Blackburn, Theios Anēr, 98-109; Bligh, Note, 51-53; Boring 250-251; Gathercole, Preexistent Son, 272-283; Hengel, Sohn, 9-31.90-130; Kingsbury, Christology, 47-155; Zimmermann, Messianische Texte, 128-170; 472-473; vgl. ferner Cullmann, Christologie, ad loc.; Rowe, Kingdom, ad loc.; Wright, Resurrection, passim; van Bruggen, Jesus, ad loc.; Feldmeier, Krisis, ad loc.; Hahn, Hoheitstitel, ad loc.; van Iersel, Sohn, ad loc.; Kazmierski, Jesus, ad loc.; Kim, Son of God, ad loc.

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ist die narrative Klammer in 1,1 und 15,39. Allerdings wird die „Sohn-Gottes-Aussage“ in 15,39 eher als ein theios anēr-Bekenntnis zu interpretieren sein (s.u. Einzelbemerkung zu 15,39). Folgende Texte sind bezüglich der Gottessohnschaft Jesu ferner von Bedeutung: 1,11; 3,11; 5,7; 9,7; 12,1-12; 14,6162. Zur einmaligen und ewigen „Vater-Sohn“ Beziehung, siehe die Einzelbemerkungen zu Mk 14,36 sowie 13,32. Unter all diesen genannten Aussagen gehören Mk 1,11; 9,7 sowie 14,61-62 zum Kern. Bevor wir uns diesen drei Kernaussagen zuwenden, folgen zunächst einige Bemerkungen zur „Sohn-Gottes-Vorstellung“ im AT und im zeitgenössischen Judentum. Im AT herrscht vor allem die kollektive Bezeichnung Israels als „Sohn“77 bzw. die individuelle Vorstellung eines davidischen Königs als irdischer „Sohn“ vor.78 Hengel verweist diesbezüglich auf 2Sam 7,12-14; Ps 89,4ff; 1Chron 17,13; 22,10; 28,6; Jes 9,5, und vor allem auf Ps 2,7 sowie Ps 110,3.79 Die Texte in Ps 2,7.11-12 („Sohn Gottes“),80 Gen 22,2.12.16 (Abrahams Opfer seines Sohnes), Ex 4,22f, 2Sam 7,14 und Jes 42,1 (der leidende Knecht) dienen lediglich als mögliche Anspielung, vermitteln jedoch ebenso wenig die Vorstellung einer ontologischen, präexistenten und einzigartigen Gottessohnschaft.

Von den Qumran-Schriften sind 4Q174, 4Q246 sowie 4Q534 hervorzuheben. Die motivgeschichtliche Wurzel des bedeutenden Textes 4Q246 findet sich in Ps 2 und der damit zusammenhängenden Erwartung eines davidischen Messias (Spross Davids).81 Der dort erwähnte „Sohn Gottes“ ist eine herausragende Gestalt, die Ähnlichkeiten mit der Menschensohngestalt von Dan 7,13f aufweist.82 Der Text belegt, dass eine vorchristliche Verbindung der Menschensohngestalt mit dem davidisch-messianischen Terminus „Sohn Gottes“ möglich ist.83 Allerdings bleibt auch hier offen, ob der Gedanke der Präexistenz mit der messianischen Vorstellung „Sohn Gottes“ verbunden ist. Wie bereits erwähnt, wird im äthHen 49,2-4 und 62,1-4 der Gesalbte und Erwählte mit dem Geist Gottes erfüllt (vgl. oben, Einleitung 4.1.2).84 Die dort erwähnte Menschensohngestalt wird analog zum messianischen Knecht (Jes 53) beschrieben und als „mein Sohn“ (äthHen 105,2) ausgewiesen. Der Text belegt jedoch höchstens die mögliche, zeitgenössisch-jüdische Verbindung von Vorstellungen, die bei Jesus eindeutig vorliegen. Es bleibt ferner unklar,

77 Hengel, Sohn, 35-37. 78 Hengel, a.a.O., 37-39. Vgl. Zimmermann, Messianische Texte, 159-160. 79 Zur Untersuchung der (messianischen) Königspsalmen (2; 18; 20; 21; 45; 72; 89; 110; 118; 132; 144), vgl. Rowe, Kingdom, 13-62, vor allem 37-49. Rowe betont, wie eng die Beziehung zwischen dem souveränen Jahwe und dem von ihm abhängigen König Israels dargestellt wird. 80 Vgl. Targ Ps 2,7, auf David bezogen; vgl. PsSal 17, wo Ps 2 auf den Messias bezogen wird, vgl. Midr Ps 2,9. Siehe die eingehende Studie zu Ps 2 bei Rowe, Kingdom, 242-261, sowie die detaillierte Diskussion in Watts, „Mark“, 122-127.129. 81 Zimmermann, Messianische Texte, 164.167.472-473. Zimmermann geht davon aus, dass es sich bei 4Q246 um einen nicht-essenischen Text handelt (a.a.O., 472). 82 Zimmermann, Messianische Texte, 158-161.472. 83 Zimmermann, Messianische Texte, 168.473. 84 Pesch I 93.

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Das Evangelium des Markus ob hier die Vorstellung einer ontologisch zu fassenden, präexistenten Sohnschaft vorliegt. Nach eingehender Analyse des alttestamentlichen, palästinisch-jüdischen, griechischen und gnostischen Befundes85 bemerkt Hengel:

„Grundsätzlich ist dabei zu bedenken, daß es sich hier nicht einfach um die simple Reproduktion älterer jüdischer Hypostasen- und Mittlerspekulationen handeln kann, sondern daß die früheste Christologie ein durchaus originäres Gepräge trägt und letztlich in dem kontingenten Ereignis der Wirksamkeit Jesu, seines Todes und der Auferstehungserscheinungen wurzelt: Der religionsgeschichtliche Vergleich kann nur die Herkunft einzelner Motive, Traditionen, Sprachelemente und Funktionen, nicht dagegen das Phänomen der Entstehung der Christologie als Ganzes erklären: Hier ist zugleich die Möglichkeit von ,analogieloser‘ Innovation in Betracht zu ziehen. Auch heute sind wir im Grunde über das – bei einem so hervorragenden Kenner der hellenistischen Religionsgeschichte wie A. Deißmann besonders bedeutsame – Urteil noch kaum hinausgekommen: ‚Die Entstehung des Christuskultes (und d.h. zugleich der Christologie!) ist das mütterliche Geheimnis der palästinischen Urgemeinde‘“.86

Die ersten beiden Kernaussagen (1,11 und 9,7) sind als göttliche Bestätigung der ontologischen (seinshaften) Sohnschaft Jesu zu interpretieren (d.h. nicht als Adoptionsformel; s.u., Einzelkommentierung zu den genannten Texten). Vor allem bekräftigt die Verklärung Jesu (9,7), dass Jesus als präexistenter Sohn Gottes von den größten Repräsentanten des Alten Testaments, Mose (Gesetz) und Elia (Propheten), grundsätzlich zu unterscheiden ist. Für kurze Zeit ermöglicht Jesus seinen Jüngern einen Einblick in seine göttliche Natur.87 Er offenbart sich als Quelle des Lichts (zur Herrlichkeit Jesu siehe Offb 21,23 und Mt 17,1-13; vgl. Hes 1,22-28). Im Gegensatz hierzu spiegelt Mose die Herrlichkeit Gottes beim Empfang der Zehn Gebote lediglich wider (Ex 24,15-18; 34,29-30.33.35; vgl. Dan 7,9-10). Die grundsätzliche Aufgabe alttestamentlicher Propheten ist es, das Volk Gottes an die Gebote Gottes zu erinnern und sie zur Umkehr zu bewegen. Jetzt aber treten Mose und Elia für kurze Zeit in Erscheinung, um mit Jesus über die Erfüllung von Gesetz und Propheten zu sprechen (vgl. Mt 5,17). Während der Verherrlichung Jesu beabsichtigt Petrus, drei Stiftshütten zu bauen. Zu diesem Zeitpunkt setzt Petrus immer noch voraus, dass Mose, Elia und Jesus grundsätzlich ebenbürtig sind. Nur langsam wird Petrus erkennen, wer der wahre Messias Gottes ist. Es ist zu beachten, dass die drei Zeugen der Verherrlichung Jesu zu seinem inneren Jüngerkreis gehören. Vor allem diese 85 Hengel, Sohn, 35-89, diskutiert u.a. Sir 4,10; 24,8-12 [zu Spr 8,22-30]; Weish 2,16-20; JosAs 6,2-6; 13,10; 21,3; hebrHen 30,2; 38,3; Gebet Josephs in: Orig. zu Joh 2,31 §189f; 4QFlor1,11f [zu 2Sam 7,14 und Ps 2]; 1QSa2,11f; Josephus, Ant 2,232; vgl. TargPs 89,27. 86 Hengel, a.a.O., 92 (Hervorhebungen HFB). 87 Vgl. Bird, God, passim; Bird, Jesus, passim.

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werden später das Ereignis bezeugen. In 2Petr 1,16-18 erwähnt Petrus dieses Ereignis und bemerkt, dass die göttliche Stimme Christus ehrt (2Petr 1,17). Petrus betont dort ferner, dass die alttestamentlichen Verheißungen durch Jesu Verherrlichung umso verlässlicher erscheinen. Die dritte Kernaussage befindet sich in Mk 14,61-62. Die Frage des Hohepriesters in Mk 14,61 ist wohl als Wiederholung einer bereits bekannten, ontologischen Gottessohnaussage Jesu zu verstehen (s.u., Bemerkungen zu 14,61f) und nicht als Reflektion einer messianischen Erwartung im palästinischen Judentum. Wie oben bereits dargelegt, sind die Belege zur messianischen Erwartung eines einmaligen und ewigen Gottessohnes im palästinischen Judentum des 1. Jh.s n.Chr. äußerst gering.88 Wie könnte der Hohepriester jedoch von einer derart anstößigen Selbstaussage Jesu gehört haben? Es ist durchaus möglich, dass das von Jesus öffentlich und kontrovers vorgetragene Gleichnis von den bösen Winzern (offizielle Anklage gegen die Verantwortlichen Israels) den historischen Anlass hierfür bietet (12,1-12). Dort beansprucht Jesus außergewöhnliche Sohnschaft (12,6; s.u., Bemerkungen zu 12,6). Die Gegner Jesu verstehen ferner, dass er auf autoritative Weise die geistlichen Führer Jerusalems als „Bauleute“ identifiziert, die den von Gott gesandten Sohn als „Erbe des Weinbergs“, d.h. als legitimen Herrn Israels, verwerfen. Deshalb wird Gott diese „Bauleute“ verwerfen. Es ist wahrscheinlich, dass der Hohepriester über dieses anstößige, die geistliche Führung richtende Gleichnis vor Jesu Prozess in Kenntnis gesetzt wurde. Jesu Reaktion auf die Frage des Hohepriesters in Mk 14,62 ist vielsagend: In keiner Weise korrigiert er die Aussage des Hohepriesters. Er identifiziert sich eindeutig als Messias und als ontologischer (seinshafter), präexistenter Sohn des Hochgepriesenen. Das heißt, auch wenn die Frage des Hohepriesters nicht direkt den Anspruch der präexistenten Sohnschaft Jesu implizieren sollte, ist die Reaktion Jesu dergestalt, dass die Anklage der Gotteslästerung (im vollen Sinn des Wortes; s.u., Einzelkommentierung zu 14,61-64)89 aus der Sicht der Gegner Jesu nun berechtigt ist; identifiziert sich Jesus doch als erhöhter Menschensohn nach Dan 7,13-14 und als Herr nach Ps 110,1.5. In Dan 7,13-14 beschreibt „Menschensohn“ ein Wesen, das zusammen mit dem Ewigen angebetet wird (s.u., Einleitung 4.1.6). Ferner identifiziert sich Jesus in Mk 12,35-37 (nach Ps 110,1.5) als Adonai (Herr; vgl. 14,62). Wiederum ist dieser „Adonai“ ein Wesen, das als Herr Davids die Ehre mit Jahwe teilt (s.u., Einleitung 4.1.5).

88 Vgl. vor allem Hengel, Sohn, 67-89. 89 Vgl. ähnlich, jedoch zurückhaltender, Bock, Blasphemy, 184-237.

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4.1.5 Jesus als Herr90

In Mk 12,35-37 verweist Jesus auf die merkwürdige Tatsache, dass der Messias der Herr Davids ist (Ps 110,1.5),91 der von Jahwe analogielos Ehre empfängt.92 Jesus kann bei seinen Hörern mit einer messianischen Interpretation von Ps 110 (zumindest seines Inhalts) rechnen. Rowe verweist auf 4QpJesa sowie TestIob 33,3.93 Bock weist auf die evtl. zeitgenössische messianische Interpretation von Ps 110 im äthHen 51,3; 55,4; 61,8; 62,2 (vgl. ferner bSan 38b).94 Rabbinische Belege für die messianische Interpretation von Ps 110 liegen jedoch erst ab Mitte des 3. Jh.s n.Chr. vor (BerRab 85,153a).95 Zur Frage der Identität dieses „Adoni/Adonai“ (Herrn) Davids in Ps 110,1.5 ist Folgendes zu bemerken: In Ps 110,1ff gibt Jahwe dem „Adonai“ Davids („Adoni“ = „mein Herr“, aus der Perspektive Davids) einen exklusiven Ehrenplatz zu seiner Rechten und verhilft ihm zur Überwindung seiner Feinde (vgl. ὑποκάτω [hypokatō] neben Mk 12,36 / Ps 110,1.5 in Ps 8,7;96 siehe ferner Ps 80,18; Dan 7,14; Mk 14,62). Dies geschieht (Ps 110,2) dadurch, dass Jahwe das Szepter der Macht des Adonai ausstrecken wird. Der Adonai Davids wird siegreich sein (Ps 110,3), Könige werden durch ihn zerschmettert und Heiden gerichtet werden (Ps 110,5-6).97 Ferner erklärt Jahwe den Adonai Davids zum Priester nach der Ordnung des Melchizedek. Jesus bezeichnet diesen überragenden „Adonai“ (Herrn) Davids als Messias (12,35-36). Dieser erhabene Adonai ist Herr über David, nicht (nur) Sohn Davids. Für den Hörer des Evangeliums folgt: Da Jesus sich bereits durch Petrus befürwortend als Messias bekennen ließ (8,29), ergibt sich, dass Jesus sich nun selbst als messianischer Adonai (als Herr Davids, d.h. als κύριος [kyrios]) nach Ps 110 identifiziert (vgl. 14,62; Apg 2,37).98

90 Vgl. Gathercole, Preexistent Son, 243-252; Eddy, Jesus Legend, Kap. 2. Vgl. Cullmann, Christologie, a.a.O. 91 So auch Pesch II 253. 92 Vgl. die detaillierte Diskussion bei Rowe, Kingdom, 278-294. Vgl. Boring 252. 93 Vgl. Rowe, Kingdom, 279, Anm. 279 (mit Verweis auf Brower, Beasley-Murray, Hay, Hengel und Juel). 94 Bock, Blasphemy, 158-159.220-222. 95 Vgl. Lane 437 und Billerbeck, Kommentar, IV, 452-465. 96 Vgl. Pesch II 254. 97 Umsichtige Exegese ergibt, dass „Adonai“ in Ps 110,5 dem „Adoni“ in V. 1 entspricht. Daraus ergibt sich die Gesamtinterpretation von Ps 110,1-6. 98 Vgl. Rüggemeier, Poetik, 412, 490, der dies allerdings ohne robuste Rückfrage auf den historischen Jesus betont. Vielmehr möchte Rüggemeier „den christologischen Standpunkt des Autors … bestimmen“ bzw. die den Leser beeinflussende Erzählweise des ursprünglich anonymen Autors eruieren (Rüggemeier, Poetik, 25).

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Die Verknüpfung von Jahwe bzw. Adon/Adonai mit κύριος [kyrios] ist für das palästinische Judentum vor Jesus belegt (11QPsa 28,7-8; Josephus, Ant 13,68 [Jes 19,19]; 20,4,90; TestLev 18,2; grHen 10,9). Dies gilt trotz der Tatsache, dass verschiedene frühe LXX Manuskripte „Jahwe“ bzw. „Adon“/„Adonai“ nicht mit κύριος [kyrios] übersetzen: Die vorchristlichen LXX Texte Pap. Fuad 266 und 8HevXII gr. fügen hebr. „Jahwe“ in den griechischen Text ein; es scheint, dass erst die bedeutenden LXX-Manuskripte aus dem 4. und 5. Jh. „Jahwe“ bzw. „Adon“/„Adonai“ mit κύριος [kyrios] übersetzen.99 Es ist zu betonen, dass Jesus eine Beziehung zwischen Adonai und κύριος [kyrios], evtl. über das aramäische māryā’, herstellt (siehe Einzelbemerkungen zu 12,35-37). Die Urgemeinde stellt aufgrund dessen eine Beziehung zwischen Jahwe/Jesus und κύριος [kyrios] her: Vgl. Apg 2,21 / Joel 3,5 ‫שׁם י ְהוָה י ִ ָ ּמלֵט‬ ֵ ‫[ יִק ְָרא ְב‬jiqerā ͗ beschem jehwāh jimmāleth] / ὃς ἂν ἐπικαλέσηται τὸ ὄνομα κυρίου σωθήσεται [hos an epikalesētai to onoma kyriou sōthēsetai] mit Apg 4,12 καὶ οὐκ ἔστιν ἐν ἄλλῳ οὐδενὶ ἡ σωτηρία, οὐδὲ γὰρ ὄνομά ἐστιν ἕτερον ὑπὸ τὸν οὐρανὸν τὸ δεδομένον ἐν ἀνθρώποις ἐν ᾧ δεῖ σωθῆναι ἡμᾶς [kai ouk estin en allō oudeni hē sōtēria, oude gar onoma estin heteron hypo ton ouranon to dedomenon en anthrōpois en hō dei sōthēnai hēmas] (d.h. Jesus). Vgl. ferner Apg 9,21 τοὺς ἐπικαλουμένους τὸ ὄνομα τοῦτο [tous epikaloumenous to onoma touto] (d.h. Jesus).

Aufgrund von Ps 110 rechnet Jesus als Messias Gottes, als Herr Davids und als Priester nach der Ordnung des Melchizedek damit, trotz seines bevorstehenden Todes (10,35-45) durch Jahwe erhöht zu werden (Auferstehung und Erhöhung) und über seine Feinde siegreich zu sein. Damit betont Jesus, dass das Kommen des Messias Gottes weit über die Erwartung einer Wiederherstellung des irdischen Davidreiches hinausreicht.100 Die Erhöhung des messianischen Herrn Davids zur Rechten Jahwes (vgl. hierzu auch Dan 7,13-14) macht das Ausmaß der Herrschaft deutlich, die der Messias Gottes antritt. Diese umfassende Perspektive nimmt die politisch-königliche Erwartung in sich auf (vgl. Apg 1,6-7 mit Apg 3,21) und stellt sie in einen breiteren Kontext, anstatt lediglich eine beschränkte, politische Erwartung zu schüren. Die weit verbreitete, politisch-königliche Messiaserwartung wird durch Jesus im Kontext der universalen Erwartung (aufgrund vieler alttestamentlicher Texte, einschließlich Ps 110, Dan 7,13-14 und 2Sam 7,13-14.16) erfüllt.101 Lane bemerkt treffend: “In this way the Scriptures affirming Davidic sonship and the Messiah as David’s Lord were united”.102

99 Siehe Art. κύριος [kyrios], EWNT II, 811-819. Fitzmyer bietet dort eine Fülle weiterer Details sowie eine ausführliche Literaturliste zum Begriff κύριος [kyrios]. 100 Vgl. Burge, Jesus, 25-57 und passim. 101 Bayer, Eschatology, 103-116. Vgl. Lane 438; Lane verweist auf Michaelis, Davidssohnschaft, 317-330. 102 Lane 438.

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4.1.6 Jesus als Menschensohn

Der Ausdruck „Menschensohn“103 findet sich etwa 70 Mal in den synoptischen Evangelien und immer als Aussage Jesu.104 Wahrscheinlich verwendet Jesus diesen relativ unspezifischen Ausdruck auch, um damit die zeitgenössische, politisierte Messiaserwartung (siehe oben, 4.1.1 und 4.1.2) zu korrigieren. Der Ausdruck wird im Urchristentum nie als Bekenntnisformel benutzt, wie etwa, „wer bekennt, dass Jesus der Menschensohn ist, wird gerettet“. Außerhalb der Evangelien ist „Menschensohn“ im übrigen NT selten belegt. Eine auffällige Ausnahme105 bildet Apg 7,56. Der gesteinigte Stephanus erblickt den Menschensohn als Fürsprecher vor dem himmlischen Vater. Es ist zu beachten, dass der, der stets zur Rechten des Vaters sitzt, hier stehend für Stephanus eintritt. Stephanus sieht die Realität des dreieinigen Gottes inmitten seiner Todesqual. Der Terminus „Menschensohn“ dient als wichtiger Schlüssel zum rechten Messiasverständnis Jesu und ist u.a. mit den Vorstellungen des Knechts Jahwes und des erhöhten Herrschers eng verbunden.106 Das heißt, Jesus verwendet den relativ „unbelasteten“ Menschensohnbegriff, um seine messianische Identität als erniedrigter Knecht Jahwes (Jes 53; siehe vor allem die Einzelauslegung zu Mk 10,45; 14,21) sowie als erhöhter Menschensohn (Dan 7,13-14) bzw. Herr (Adonai; Ps 110,1.5) zu vermitteln. Zunächst bezeichnet der Menschensohn-Terminus, vor allem bei Mt und Lk, Menschlichkeit sowie Niedrigkeit (vgl. etwa Lk 9,58). Der Begriff ist als Ersatz für das Personalpronomen der 1. Person belegt: der Menschensohn, d.h. „ein Mensch, wie ich“.107 Ferner verwendet Jesus den Terminus „Menschensohn“, um sein bevorstehendes Leiden mit folgender Auferstehung zu vermitteln: siehe vor allem Mk 8,31 (δεῖ [dei]); 9,9.12.31; 10,32-34 sowie das λύτρον [lytron]-Wort in Mk 10,45 (vgl. ferner 14,21.[24].41). Jesus beansprucht vor allem in Mk 10,45 103 Lit.: Boring 251-252; Gathercole, Son of Man, 366-373; Gathercole, Preexistent Son, 253271; Kingsbury, Christology, 157-179; Lindars, Son of Man, 17-84.101-114; Marshall, Son of Man, 327-351; Pesch, Passion, 166-195; Vermes, Use, 310-328; siehe ferner Dschulnigg 94-95; vgl. ferner Weihs, Deutung, ad loc.; van Bruggen, Christ, ad loc.; Caragounis, Son of Man, ad loc.; Casey, Son of Man, ad loc.; Coppens, Fils, ad loc.; Cullmann, Christologie, ad loc.; Hahn, Hoheitstitel, ad loc.; Hampel, Menschensohn, ad loc.; Hooker, Son of Man, ad loc.; J. Jeremias, Servant, ad loc.; Ruppert, Jesus, ad loc.; Tödt, Menschensohn, ad loc. Siehe die Einzelauslegungen zum erhöhten Menschensohn (2,10.28; 8,38; 13,26; 14,62) sowie zum erniedrigten Menschensohn (8,31; 9,12.31; 10,32-34.45; 14,21.41). 104 Der Ausdruck kommt 14-mal bei Mk und 12-mal im Joh Ev. vor; vgl. BDAG, 843. 105 Vgl. Offb 1,13 (Jesus als Menschensohn) und Offb 14,14 (ein Bote als Menschensohn). 106 Vgl. Santos, Slave, passim, der das Paradox der Hoheit/Erhöhung und Erniedrigung bei Jesus und seinen Jüngern herausarbeitet. Vgl. bereits Schweizer, Erniedrigung, passim. 107 Lindars, Son of Man, 19-29.58. Vgl. Bayer, Predictions, 232-237 (mit Kritik an B. Lindars).

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(vgl. 14,24), dass der Menschensohn das Geschick des Ebed Jahwe (Jes 52,13– 53,12) erleidet (siehe oben, 4.1.2.c). Die Erniedrigung des Menschensohns ist vor allem für die Jünger (vgl. 8,32f) jedoch auch für seine Gegner ein Stein des Anstoßes. Grundsätzlich gilt für das einflussreiche pharisäische Judentum, dass die Vorstellung eines leidenden Menschensohnes fehlt (vgl. jedoch die möglichen „Randerscheinungen“, z.B. die des äthHen 37‒71; siehe vor allem äthHen 71,14-16).108 Allerdings besteht im AT nicht nur die Vorstellung eines leidenden Ebed Jahwe (Jes 53; siehe vor allem den Einzelkommentar zu Mk 10,45 und 14,24 sowie oben, Einleitung 4.1.2‒4.1.6), sondern auch das Motiv der passio iusti (das Leiden des Gerechten) sowie das des Leidensgeschicks der Propheten Gottes. Jesus knüpft an diese bestehenden Motive vor allem mittels des Menschensohn-Terminus’ und seines Handelns an.109

Es muss ferner betont werden, dass sich das gesamte Verhalten Jesu in den Rahmen des leidenden Gottesknechts einfügt (narrative Christologie). Als verworfener Menschensohn erlebt und erleidet er das Schicksal des Ebed Jahwe. Sowohl sein Verhalten als auch seine Worte sprechen vom gedemütigten und gerechtfertigten Menschensohn (8,31; 10,45), der stellvertretend für sein Volk sühnt (vgl. 14,24). Dieses Zeugnis des Petrus lässt sich auch in Apg 3,1315.26; 4,27.30 und 10,34-47 sowie in 1Petr 2,22-25 weiter verfolgen.110 Schließlich trägt Jesu Selbstanspruch, danielischer Menschensohn zu sein, zur Tötungsabsicht bei seinen Gegnern bei;111 fünfzehn Streitgespräche oder Konflikte werden allein in Mk 1‒12 zusammengetragen. Die Opposition gegen Jesus wächst parallel zu seiner Popularität und vor allem proportional zu seinem anstößigen Selbstanspruch (vgl. bereits Mk 2,5-12 mit 3,6). Die zentrale Anklage gegen Jesus entzündet sich vor allem am danielischen Menschensohnanspruch sowie am Anspruch, Herr Davids zu sein (vgl. 14,62f; s.o., Einleitung 4.1.5) und lautet „Gotteslästerung“ (s.u., Einleitung 8., „Notiz zur Historizität der christologischen Aussagen“ sowie Einzelkommentierung zu 14,61-64).112 Dies zeigt sich u.a. an der Tatsache, dass der Menschensohn-Terminus aufgrund von Dan 7,13-14 Autorität und Hoheit vermittelt (vgl. die Einzelkommentierungen zu 2,10.28; 8,38; 13,26; 14,62).113

108 Vgl. Berger, Auferstehung, 134-135 sowie Bayer, Predictions, 236. 109 Vgl. Bayer, Predictions, 233-241. 110 Vgl. Bayer, Peter, 214-219, 226-227. 111 Zur Diskussion der historischen Gründe für den Tod Jesu, vgl. etwa Pesch, Ursprung, ad loc. Siehe unten, Einleitung, 8. 112 Vgl. Bock, Blasphemy, 203.222-230. 113 Vgl. Gathercole, Preexistent Son, Kap. 2. Vgl. Snow, Son of Man, 305-308.

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Dan 7,13-14 spricht davon, dass der Ewige seine göttliche Herrlichkeit mit einem Menschensohn114 (7,13) teilt (vgl. Mk 8,38: ἐν τῇ δόξῃ τοῦ πατρὸς αὐτοῦ [en tē doxē tou patros autou]), indem er ihm ewige Macht, ewiges Reich und sogar Ehre (δόξα [doxa] LXX; τιμή [timē] Theodotion) überträgt (ἐδόθη [edothē]). Den Menschensohn, der (Mit-)Träger (vgl. 7,27) des ewigen, göttlichen Königreiches ist, werden ferner alle Völker und Sprachgruppen dienend anbeten (LXX λατρεύουσα [latreuousa] = anbeten;115 vgl. MT Dan 7,14: ‫[ י ִ ְפלְחּון‬jiphlechūn]). Das altaramäische ‫[ ָפלַח‬phālach]116 wird in biblischen Texten ausschließlich als Ausdruck der Anbetung (z.T. auch von Götzen) benutzt:117 Dan 7,27; siehe ferner 3,12.14.17-18.28; 6,17.21; Esr 7,24; vgl. Esr 7,19. Dagegen bietet Theodotion für ‫[ י ִ ְפלְחּון‬jiphlechūn] in Dan 7,14 lediglich das abgeschwächte δουλεύσουσιν ([douleusousin] = „dienen“). Bezeichnend ist, dass die Heiligen des Höchsten, die in Zukunft an der Ausübung der Königsherrschaft (mit dem Höchsten und dem Menschensohn)118 teilhaben (vgl. Dan 7,18.22.27),119 zwar mittelbar Macht, Reich und Gewalt erhalten (Dan 7,27), jedoch im Gegensatz zum Menschensohn (Dan 7,14) keine „Ehre“ empfangen. Auch beten alle Mächte den Höchsten an (Dan 7,27 LXX bietet ὑποταγήσονται [hypotagēsontai] = „unterwerfen“ für ‫[ י ִ ְפלְחּון‬jiphlechūn], was in Dan 7,14 LXX mit λατρεύω [latreuō] wiedergegeben wird; Theodotion bietet in Dan 7,27 wie in Dan 7,14 δουλεύσουσιν [douleusousin] = „dienen“). Die parallel verlaufende „Anbetung des Menschensohnes durch alle Völker und Sprachgruppen“ (Dan 7,14) und „Anbetung des Höchsten durch alle Mächte“ (7,27) fällt besonders auf. Auch wird in 7,27 deutlich, dass der Ewige weiterhin (und trotz 7,13-14) über sein ewiges Reich herrscht. Es ist nicht zwingend, in Dan 7,27 das sg. mask. Suffix zu „Königreich“ (‫[ ַמלְכּותֵ ּה‬malekūteh]) und das sg. mask. Pronomen ‫[ לֵּה‬leh] auf das heilige Volk (mask. sg.) des Höchsten zu beziehen. Die King James Version übersetzt Dan 7,27 treffend: „and the kingdom and dominion, and the greatness of the kingdom under the whole heaven, shall be given to the people of the saints of the most High, whose kingdom is an everlasting kingdom, and all dominions shall serve and obey him“. In Daniel ist das ewige Königreich vor allem mit dem Höchsten (ebenso mask. sg.; also „sein“ Reich) und seinem Menschensohn verknüpft (vgl. neben Dan 7,27: Dan 3,33; 4,31; 6,27 sowie Dan

114 Keil, Daniel, ad loc., bemerkt, dass die Formulierung ein göttliches Wesen in menschlicher Gestalt beschreibt. 115 Vgl. LN, ad loc. 116 Das Wort ist wohl verbunden mit dem assyrischen Begriff palâhu = fürchten, verehren (vgl. Gesenius, Handwörterbuch, 921). Siehe hierzu ferner HAL., ad loc. 117 Vgl. Keil, Daniel, ad Dan 7,14 und 7,27. Siehe ferner BDB, 1108b. 118 Keil, Daniel, ad loc. 119 Vgl. Wehnert, Teilhabe, 81-96 zum analog dazu verlaufenden ntl. Motiv.

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2,44120).121 Ferner ist geltend zu machen, dass für die Zeit Jesu eine messianische Interpretation von Dan 7,13-14 durchaus belegt ist (vgl. etwa 11QMel 2,18).122

Der apokalyptische Hintergrund des Menschensohnbegriffs ist vor allem aufgrund von Dan 7,13-14 gegeben,123 wo die Hoheit des Menschensohnes betont wird. Es handelt sich somit bei dem Terminus „Menschensohn“ um einen (messianisch) relativ unbelasteten, zunächst einfachen Begriff („ein Mensch wie ich“),124 der Jesus die Gelegenheit bietet, wider Erwarten, seine eigentliche Identität als unermesslich viel niedrigerer (Gottesknecht, Jes 53) und unermesslich viel erhabenerer (erhöhter Menschensohn, Dan 7,13-14) Messias zu vermitteln.125 Diese Spannung zwischen Niedrigkeit und Erhabenheit ist nicht Ausdruck divergierender, frühchristlicher Christologien, sondern Proprium und Charakteristikum der wahren Messianität Jesu.126 Jesus beansprucht daher nicht nur, zukünftiger, erhabener Menschensohn zu werden, sondern jetzt schon die Identität des erhöhten Menschensohns angesichts seiner bestehenden Gottessohnschaft zu besitzen (vgl. 2,10; 9,2ff; 14,62; vgl. auch 12,35-37: Der Messias ist der Herr Davids). Die Erwartung der zukünftigen Erhöhung offenbart, wer er bereits jetzt ist. Das zukünftige Element beschränkt sich auf die Tatsache der Inthronisierung und der öffentlichen Darstellung seiner Macht (vgl. Apg 2,36).127

120 Eine scheinbare Ausnahme liegt in 7,18 vor; es sei denn, was wahrscheinlich ist, dass die Heiligen lediglich ewige Mitregenten sind. 121 Vgl. Keil, Daniel, ad loc. Meinem Kollegen, Dr. C. John Collins, verdanke ich ferner den Hinweis auf den israelischen Daniel-Kommentar von Kiel; er nennt den ‫[ לֵּה‬leh]-Verweis in 7,27 „messianisch“ (Kiel, Daniel, ad loc.). 122 Vgl. Bock, Blasphemy, 223, der ferner 4Q491 sowie äthHen 46-71 erwähnt. Bock, a.a.O., 223, Anm. 95 verweist auf Horbury, Association, 34-55, hier 42. 123 Gegen Lindars, Son of Man, 1.8-16.86.106-114.159 und Casey, Son of Man, passim. Siehe die Einzelargumente bei Bayer, Predictions, 232-234. Vgl. ebenso, Hooker, Problem, 155-168, hier: 157.165f. 124 Vgl. Lindars, Son of Man, 1-16. 125 Vgl. Santos, Slave, passim. 126 Vgl. Gathercole, Preexistent Son, Kap. 2 und 231-283. Pace Luz, Motif, 75-96 und Boring 258 mit Anm. 38. 127 Dies kann Bultmann (Geschichte, 145 und Anm. 2) nicht zugestehen. Da er höchstens (mit A. Schweitzer, Geschichte, ad loc.) erwägt (und diese Erwägung sodann als „Phantastik“ verwirft), ob der leidende, nichtmessianische Mensch Jesus einst als erhöhter Menschensohn „verwandelt wird“ (ders., a.a.O., 145, Anm 2), kann er die erstaunliche Doppelwahrheit (Jesus ist zugleich Mensch und ewiger Sohn Gottes) in der Selbstoffenbarung Jesu nicht (an-)erkennen.

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4.1.7 Die überraschende ἐξουσία ([exousia] Vollmacht) Jesu128

Ein wichtiges Thema im Mk Ev. ist die Darstellung der sich immer mehr ausweitenden Vollmacht Jesu (vgl. etwa 1,22.27; 2,10; 3,15; 6,7; 11,28-29.33; 13,34; [16,18]). Die sich derart ausweitende Vollmacht ist narratives Pendant zu den christologischen Termini wie Sohn, Herr und Menschensohn. Dies trifft vor allem auf den ersten Hauptteil zu. Unabhängig davon, ob es sich um Lehre, um Dämonen, um Naturkräfte, um ein gottgefälliges Leben oder um Krankheiten handelt, bringt Jesus seine umfassende Vollmacht immer mehr zum Ausdruck. Die Verklärung macht deutlich, wer er tatsächlich als Mensch gewordener Sohn Gottes ist. Aufgrund der Tatsache, dass Jesus seine Vollmacht immer mit heilsamer Botschaft verknüpft129 und sich derart (verklärt) offenbart, kann nicht an das hellenistische Muster eines demonstrativen theios anēr gedacht werden.130 Mit der Verklärung wird die Quelle seiner Vollmacht unmissverständlich deutlich. Allerdings wird diese Vollmacht aufs Äußerste infrage gestellt werden, da der Wille Gottes den Sühne- und Gerichtstod dieses vollmächtigen Sohnes vorsieht.131 Der zweite Teil des Evangeliums beschreibt daher, wie der Vollmächtige angesichts des Todes und des stellvertretend erlittenen Gottesgerichtes besteht: Seine Vollmacht wird ihm vom Vater dadurch bestätigt (vgl. Phil 2,9-11) und zurückgegeben, dass er im stellvertretenden Tod und im Gottesgericht Rechtfertigung und physische Auferweckung zu Unsterblichkeit erfährt. Dieser paradoxe Kontrast prägt das Verständnis der Jünger zum Thema „Autorität und Dienst“.

4.2 Soteriologische Beobachtungen Das gesamte Handeln Jesu an den Jüngern kann als Heilshandeln verstanden werden. Der Nachfolgeruf erfolgt als heilsgeschichtliche und heilsame Antithese zum Sündenfall (vgl. vor allem die „Rettung“ in 8,35; 10,26; 13,13). Die Berufung der Jünger, Jesu gesamtes Handeln (Ausweitung seiner Vollmacht, einschließlich der Heilung als „Rettung“, vgl. 3,4; 5,23.28), wie auch seine Unterweisung in der Nachfolge (8,34-38; 9,33ff; 10,35-44) dienen dazu, die Jünger wieder in die ursprünglich beabsichtigte, vertrauende Gottesabhän128 Lit.: Blackburn, Theios Anēr, 127-133.137-141.258-259; Eddy, Jesus Legend, Kap. 2; vgl. ferner Oegema, Gesalbte, passim; Collins, Scepter, passim; Santos, Slave, passim. Weitere Lit. zu „theios anēr“ bei: Pesch I 281 (bis 1980). 129 Vgl. Blackburn, Theios Anēr, 227-228.240-241.258-260. 130 Vgl. Blackburn, Theios Anēr, 97-182. 131 Vgl. Santos, Slave, passim.

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gigkeit132 zu versetzen. Der bevorstehende, stellvertretende, bundesstiftende Opfertod Jesu133 ermöglicht dies (vgl. 10,45; 14,22-25, die gesamte Passionsgeschichte sowie das Paradox: „er kann sich selbst nicht retten“, Mk 15,30.31). Das Werk Jesu führt zur bleibenden Gemeinschaft mit – und in die Abhängigkeit von – Gott zurück. Taylor bemerkt treffend: “[T]he ‚ransom‘ is the price paid to effect deliverance from sin and from judgment. The ‚blood of the covenant‘ ratifies a covenant bond between God and men, a relationship of fellowship and obedience, which is based upon forgiveness, redemption, and reconciliation”.134 Aufgrund der narrativen Betonung des Sühnewerkes Jesu135 deutet Mk zumindest an, dass derjenige, der dieser Person vertraut, unter den Bundesschutz und die Gnade seines Opfertodes kommt (vgl. z.B. die Einzelauslegung zu 10,35-45; 14,24).136 In deutlicher Abgrenzung gegen den religionsgeschichtlichen Versuch, das Heilswerk Jesu nicht im jüdischen Kontext, sondern auf dem Hintergrund der hellenistischen Welt zu verstehen, bemerkt Taylor überzeugend, dass das Sühnewerk Jesu tief in der Glaubenswelt des Judentums verwurzelt ist. „Sühne“, „Erlösung“ und „Bund“ sind charakteristische, alttestamentliche Vorstellungen, bei denen es keinen Anlass gibt, über den Einfluss hellenistischer Vorstellungen zu spekulieren. Markus bezeugt die Gedankenwelt Jesu im Rahmen des palästinischen Judentums. Es handelt sich hierbei nicht um eine Glaubensprojektion der Urgemeinde.137

132 Vgl. Schlatter, Einleitung, 300. 133 Vgl. ebenso, Taylor 124. 134 Ebd. 135 Taylor 125. 136 So andeutungsweise auch Taylor 125, der auf die Nähe zum paulinischen ἐν Χριστῷ [en Christō] verweist. 137 Taylor 125: “Germane to the question whether it represents the ideas of Jesus Himself, or is a later construction reflecting early Christian beliefs, is this historical realism and the fact that at no point are we compelled to take a step outside the circle of Jewish beliefs. ‚Ransom‘, ‚cov­ enant‘, and ‚sinbearing‘, are distinctive Old Testament ideas, and recourse to the suggestion of the infiltration of Hellenistic concepts is entirely unnecessary. What we find in Mark is no superimposed dogmatic construction, but the virile ideas of Jesus Himself”.

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4.3 Ekklesiologische Bemerkung138 Die oben geschilderten Charakteristika zur Person Jesu sowie zur Soteriologie machen deutlich, dass Jesus durch seinen Opfertod den neuen und ewigen Bund zur messianischen Heilsgemeinde stiftet. Er beruft und befähigt diese Heilsgemeinde. Auf Jesus vertrauende Nachfolge ist nie ausschließlich Sache des Einzelnen, sondern immer auch Sache der berufenen, messianischen Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft stellt das eschatologische Gottesvolk aus Juden und Heiden dar. Damit errichtet Jesus die ewige Herrschaft Gottes (Reich Gottes) und baut den ewigen Tempel aus „lebendigen Steinen“ für Gottes Gegenwart. Die Herrschaft Gottes als ekklesiologisches Fundament Die hoffnungsvolle Rede Jesu von der kommenden Herrschaft bzw. dem Königreich Gottes (siehe Details in Exkurs 5 sowie Bemerkungen zu 1,15; 4,1ff; 9,1; 14,25; 15,43) setzt voraus, dass Gott sich weiterhin ein Volk (nun aus jüdischen und heidnischen Menschen) sammelt. Diese Kontinuität bestätigt Jesus dadurch, dass er bereits wie ein Hirte Jünger um sich schart. Die Absicht Gottes im AT ist es, inmitten der guten Schöpfung Gottes ein Menschenvolk zu sammeln, unter dem er selbst herrscht. Die Menschheit ist dazu geschaffen, mit Gott zu leben und das zu kultivieren, was Gott der Menschheit in seiner Güte anvertraut hat (Gen 1,28; 2,15-19). Trotz des Sündenfalls besteht diese Absicht Gottes nach wie vor. Gott verfolgt die Rettung seines Volkes inmitten dieser fundamentalen Verfehlung. Jahwe „kommt“ zu seinem Volk (siehe oben, 4.1.2.b). Inmitten der Erwartung seines Kommens zeigt sich somit auch die Erwartung seiner direkten Herrschaft über sein Volk. Der messianische Tempel als ekklesiologisches Modell In der Nachfolge formt Jesus seine Jünger zu „lebendigen Steinen“ eines neuen, ewigen Tempels (siehe vor allem die Andeutungen hierzu in 11,1-26; 12,10; 13,2). Das Motiv des Tempels hat tiefe, alttestamentliche Wurzeln. Grundsätzlich verbindet sich mit diesem Motiv die besondere Gegenwart Gottes. Der Tempel im AT. Das AT berichtet 1. vom ewigen, himmlischen Tempel (Ps 11,4; Jes 6,1-5; Jer 17,12; Hebr 9,11; 10,1.19). Gott existiert in diesem Tempel. Nach dem Sündenfall der Menschheit ist Gott 2. gegenwärtig bei der Bundeslade (2Sam 6,1-17) und in der Stiftshütte (2Sam 7,6). Gottes Gegenwart zeigt sich 3. im salomonischen (2Sam 7,6) und im zweiten Tempel (zusammen 138 Zur Bedeutung des Ausdrucks „Reich Gottes“ siehe oben, 4. Theologische Aussage. Lit.: Thomas, Reign, 11-16.

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4. Theologische Aussage

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rund tausend Jahre, von 950 v.Chr. bis 70 n.Chr). In seiner Herablassung erhört Gott dort Gebet (2Sam 22,7b), obwohl er Schöpfer des Universums ist (1Kön 8,27). Sein Name „wohnt“ dort (1Kön 11,36), solange das Volk seine Gebote befolgt (1Kön 6,12-13). Von seinem himmlischen Heiligtum aus (2Chron 30,27) erhört Gott das Gebet im Tempel von Jerusalem. Es ist allerdings immer die Absicht Jahwes, einen universalen Tempel aus „lebendigen Steinen“ zu bauen. Die Stiftshütte sowie der erste und zweite Tempel sind somit lediglich Abbilder dieses erwarteten, „lebendigen Tempels“ (vgl. Hebr 9,11.23-24). Der Tempel im NT. 1. Jesus betont, dass die zukünftige Anbetung Gottes „in Geist und Wahrheit“ weder auf einem Berg in Samaria noch ausschließlich in Jerusalem stattfindet (Joh 4,20-24; vgl. Mk 13,2). 2. Jesus ist gegenwärtiger Tempel, d.h. er vermittelt und repräsentiert die direkte Gegenwart Gottes (Joh 2,19-21; Offb 21,22).139 Er ist der messianische Eckstein (bzw. Schlussstein?) des neuen Tempels (Ps 118,22 / Mk 12,10; vgl. Mt 21,42; Lk 20,17; Apg 4,11; Eph 2,20-22; 1Petr 2,4-8). 3. Jesus dient als Versöhnungsmittler im Allerheiligsten derjenigen Stiftshütte, die „nicht von dieser Schöpfung“ stammt (Hebr 9,11-15). Er vollendet damit das ewig gültige, stellvertretende Sühnewerk (Mk 10,45). Dies dient als Voraussetzung für den neuen Tempel aus „lebendigen Steinen“.140 4. Jesus tritt ferner als Tempelbauer auf (11,1-11; 12,1-12; Eph 2,20-21). 5. Das universale Volk Gottes ist ein Tempel aus „lebendigen Steinen“ (1Kor 3,9-17; 6,19; 2Kor 2,1-10; 6,16; Eph 2,20-22; Hebr 9,23-24; 1Petr 2,1-10, vor allem V. 4-5; vgl. Ps 118,22). 6. Gott weilt (ἡ σκηνὴ τοῦ θεοῦ [hē skēnē tou theou] = „die Stiftshütte Gottes“; σκηνώσει μετ᾽ αὐτῶν [skēnōsei metʼ autōn] = „er wird wie in einer Stiftshütte unter ihnen verweilen“, Offb 21,3) einst (wieder) direkt und persönlich unter seinem Volk (vgl. Offb 21,22). Es bedarf somit keines von Menschen gebauten Tempels mehr. Bemerkungen zu Mk 11,1-26. 1. Der Einzug Jesu in Jerusalem (11,1-11) ruft politisch gefärbte, messianische Erwartungen wach. Das Echo aus Sach 9,9 hat im alttestamentlichen Kontext sowohl messianische als auch göttliche Dimensionen (siehe Bemerkungen zu 11,10 unten). Zur Zeit Jesu wird Sach 9,9 wohl vor allem im Rahmen der weit verbreiteten, politisch-messianischen Erwartung gesehen. Im Rahmen des alttestamentlichen Horizontes „besucht“ Jesus allerdings als Gegenwart Gottes den Jerusalemer Tempel, um gleichwohl „nachzusehen“, ob dort wahre Anbetung geschieht (vgl. 1Chron 29,11-12.14b15; 2Chron 29,10; Dan 7,13-14;141 Mal 3,1-3). 2. Jesus verflucht den Feigenbaum als symbolische Redehandlung über den „fruchtlosen“ Tempeldienst 139 Vgl. Perrin, Jesus, passim. 140 Vgl. Woodrow, Ascension, passim. 141 Vgl. Snow, Son of Man, 305-308.

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(11,12-14; vgl. 11,20-21). Der Jerusalemer Tempel wird deshalb bald zerstört werden (vgl. 13,2; Lk 13,34-35 / Mt 23,37-39; Lk 19,41-44). 3. Die vor­ übergehende Reinigung des Tempels (11,15-19; vgl. 1Chron 29,10-19; 2Chron 6,14-42; 29,16) antizipiert das Ende des Jerusalemer Tempels (13,2; 70 n.Chr.) sowie seine Ablösung durch den neuen, ewigen Tempel aus „lebendigen Steinen“. Eigentlich soll der Jerusalemer Tempel Menschen aller Nationen zu Reinigung und Anbetung führen (11,17; vgl. 1Kön 8,41-43.60; 2Chron 6,32-33; 7,1.3). 4. Es überrascht, dass Jesus unmittelbar nach der Tempelreinigung die Aufmerksamkeit seiner Jünger auf wahres Vertrauen auf Gott lenkt und damit das betende Verwerfen all dessen hervorhebt, was wahrer Anbetung Gottes im Wege steht, einschließlich Unversöhnlichkeit (11,22-25). Somit deutet Jesus bereits hier auf die kommende, neue Tempelgemeinschaft hin, die die wahre Frucht des Glaubens, der Anbetung (vgl. Jes 61,11), des Gebets und der Reinheit darbringt (12,10-11; 14,58; 15,29.38; vgl. 1Kor 3,16-17; 6,19; 2Kor 6,16; Eph 2,21; 1Petr 2,5). Dies ist mit ein Grund dafür, dass Gott seinem Volk den reinigenden „Feuer-Geist“ gibt (Lk 3,17), um es zu geläuterten, „lebendigen Steinen“ zu bereiten (Eph 2,21; 1Petr 1,6-7; 2,4-5). All dies weist zumindest indirekt auf einen neuen Tempel. Das Alte muss letztendlich dem Neuen weichen (Joh 4). Bemerkung zum verworfenen Eckstein (12,10). Auch hier spricht Jesus andeutungsweise von einem neuen Tempel (vgl. 12,8-12). Der von Menschen verworfene, aber von Gott wieder eingesetzte Eckstein dient als Fundament eines neuen Tempels. Bemerkung zu Mk 13,2. Jesus prophezeit die Zerstörung des Jerusalemer Tempels nicht nur als Gericht Gottes, sondern auch als Voraussetzung für das Entstehen des neuen, ewigen Tempels. Ausblick auf das übrige NT. Der heilsgeschichtliche Plan Gottes zielt auf einen Tempel aus „lebendigen Steinen“. Jesus ist „Eckstein“ (Mk 12,10) dieses neuen Tempels (Joh 2,19-21), und seine durch Gottes Geist erweckten jüdischen und heidnischen Menschen (1Kor 3,16; 6,19; 2Kor 6,16; Eph 2,21; 1Petr 2,5-10; Offb 21,22) sind „lebendige Steine“. Mk 11,1–13,2 lässt bereits erahnen, dass die Stiftshütte und die zwei alttestamentlichen Tempel lediglich Abbilder des himmlischen Tempels (Ps 11,4; Jes 6,1-5; Hebr 9,11-15; 10,1.19) sowie des Tempels aus „lebendigen Steinen“ sind (Eph 2,9-22; Hebr 9,11.2324; 1Petr 2,5). Diese Motive laufen einst in der zukünftigen „Stadt“ (als Metonymie für das Volk Gottes?) zusammen (vgl. Offb 3,12; 21,10.11-27), in der sich kein aus Stein gebauter Tempel mehr befindet (Offb 21,22a). Stattdessen weilt Gott selbst als „Tempel“ unter seinem Volk („denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel, und das Lamm“, Offb 21,22b). Das Gottesvolk wird

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mit „Pfeiler in dem Tempel“ verglichen (Offb 3,12). All dies reflektiert und antizipiert eine reichhaltige und bedeutungsträchtige Ekklesiologie.

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5. Textüberlieferung1 Als Teil des Neuen Testaments gilt das Mk Ev. als außerordentlich gut bezeugter Text. Dies ergibt sich u.a. aus einem Vergleich mit verschiedenen Textüberlieferungen der antiken, griechisch-römischen Welt aus der Zeit von etwa 100 v.Chr. bis 100 n.Chr. Die frühesten, uns erhaltenen Manuskripte des Gallischen Krieges (De Bello Gallico) von Julius Caesar (100–44 v.Chr.) stammen von 900 n.Chr., d.h., es besteht ein Zeitzwischenraum von etwa 950 Jahren zwischen den Autografen (ursprüngliche Handschriften) und den heute noch vorliegenden Manuskripten. Wir besitzen davon etwa zehn gute Manuskripte sowie einige Fragmente. Ein unvollständiges Manuskript (ca. 270 n.Chr.) und 19 unvollständige Manuskripte von ca. 950 n.Chr. sind uns noch vom Werk des Livius (59 v.Chr.–17 n.Chr.) über die Römische Geschichte erhalten. Das älteste, uns bekannte Manuskript (von insgesamt etwa 20) der Annalen von Tacitus (55–130 n.Chr.) wird auf ca. 1100 n.Chr. datiert. Etwa sieben erhaltene Manuskripte der Naturgeschichte von Plinius (dem Älteren) (23/24–79 n.Chr.) werden auf die Zeit von 850 n.Chr. datiert.

Im Vergleich hierzu weist sich das Neue Testament, welches zwischen 50 und 90 n.Chr. verfasst wurde, als besonders gut bezeugt aus. Das früheste Papyrus-Fragment stammt aus der Zeit von 125 n.Chr. (P52). Einige Manuskripte, die den Großteil des NT enthalten, werden auf 250 n.Chr. datiert. Wichtige, sehr verlässliche und vollständige Kopien des gesamten NT werden etwa auf 350 n.Chr. datiert. Einige dieser Manuskripte weisen eine plausible Nähe zu den nicht mehr erhaltenen Autografen auf. Die verstrichene Zeit zwischen den Autografen und den uns noch zugängigen Manuskripten ist im Vergleich mit den oben erwähnten, populären Texten aus der griechisch-römischen Welt besonders gering. Letztere weisen auf einen Zeitzwischenraum von etwa 850 bis 1000 Jahren zwischen den Autografen und den uns zugängigen Manuskripten. Im Gegensatz hierzu liegt der Zeitzwischenraum zwischen den neutestamentlichen Autografen und vielen wichtigen Abschriften zwischen 40 und 350 Jahren. Wir besitzen heute über 50 komplette Manuskripte des Neuen Testaments, von denen einige sehr alt und besonders verlässlich sind (wie z.B. der Sinaiticus [‫ ]א‬und Vaticanus [B]). Wir besitzen ferner über 120, oft frühe und bedeutsame Papyri-Fragmente des NT. Insgesamt liegen z.Z. über 5600 Manuskripte des Neuen Testaments vor, wobei allerdings zumindest 1000 davon relativ späte Abschriften sind. Im Vergleich hierzu besitzen wir lediglich 11 Kopien der Jüdischen Altertümer von Flavius Josephus (37–100 n.Chr.), wovon die meisten lediglich auf die Zeit von 900 n.Chr. zurückgehen. Neben dem NT ist das Werk Homers (Ilias, verfasst ca. 750 v.Chr.) besonders gut bezeugt. Bei manchen Papyri-Fragmenten der Ilias liegt die Zeit zwischen den Autografen und frühesten Handschriften bei ca. 400–500 Jahren. Neben ca. 1500 Papyri-Fragmenten und 190 mittelalterlichen Fragmenten, besitzen wir jedoch lediglich ein komplettes Manuskript der Ilias aus dem 13. Jh. n.Chr. Dennoch gilt der Text von Homers Ilias unter Fachleuten als sehr gut bezeugt. 1

Lit.: Aland, Text, 68-69.167; Epp, Papyrus Manuscripts, 3-21; Taylor 33-43; vgl. ferner Hurtado, Artifacts, passim; Lührmann, 1-3; Gnilka ad loc.; Swanson, Mark, ad loc. Vgl. Evans lviii-lxii (mit weiterführender Lit. bis 1999).

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5. Textüberlieferung

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Das Mk Ev. ist durch frühe, geografisch weit verbreitete und unterschiedliche Manuskripte sowie alte Versionen und Väterzitate gut bezeugt und überliefert. Taylor bietet eine übersichtliche Liste der Hauptmanuskripte, die den markinischen Text überliefern:2 1. zu den Majuskeln gehören vor allem ‫ א‬A B D (komplette Markustexte aus dem 4. und 5. Jh.); C W (annähernd komplette Markustexte aus dem 5. Jh.); L M N U P Δ Θ Π Σ Φ Ψ u.a. 2. zu den Papyri gehören P45 (3. Jh.: Fragmente aus 4,36–12,28); P84 (6. Jh.: Fragmente aus Kap. 2 und 6) sowie P88 (4. Jh.: 2,1-26).3 Neuerdings gesellt sich hierzu das Oxyrhynchus-Papyrus P137 (zweite Hälfte des 2. Jh.s, bzw. erste Hälfte des 3. Jh.s: Mk 1,7-9.16-18). Neben dem Kodex 069 aus dem 5. Jh. ist P137 der bisher einzige Markustext aus der Sammlung von Oxyrhynchus. Bei dem P137 Fragment handelt es sich um die früheste Bezeugung von Mk 1,7-9.16-18. Eine Rekonstruktion des mutmaßlichen Textumfelds (Mk 1,1-18) von P137 zeigt, dass die Textlänge in etwa dem vergleichbaren Abschnitt des ‫א‬-Manuskripts entspricht und damit Theorien indirekt widerlegt, die annehmen, dass Mk 1,1-3 ursprünglich fehlte.4 3. zu den Minuskeln gehören u.a. f1; f13; 28, 33, 157, 565, 579, 700, 892, 1071, 1342 (frühe Textform, 13.‒14. Jh.), 1424, 2427 (frühe Textform, 14. Jh.). 4. Viele wichtige, altlateinische MSS lesen das gesamte bzw. einen Teil des Markusevangeliums sowie wichtige syrische, ägyptische, georgische, armenische und äthiopische Versionen und patristische Zeugen.5 Ergänzend zur allgemein guten Textüberlieferung (vor allem, wenn ‫ א‬und B,6 [bei Aland beide Kategorie I7] sowie weitere, gute Textzeugen, übereinstimmen), ist der Papyrus P45 von Bedeutung (Aland, Kategorie I, „freier“ Text).8 P45 überliefert Mk 4,36–9,31; 11,27-33; 12,1-28. Das MS P45 (Evangelien und Apostelgeschichte) aus der ersten Hälfte des 3. Jh.s n.Chr. verläuft (im Gegensatz zum Chester Beatty P46 [200 n.Chr., Paulusbriefe]) nicht sehr parallel zu ‫ א‬oder B. Vielmehr zeigt P45 häufig eine Nähe zu W f1, f13, A, D, Θ, 565, 700 und nur gelegentlich eine Affinität zu B, bzw. nur selten zu ‫א‬.9 Der Papyrus belegt ferner, dass es frühe Textzeugen gibt, die spätere byzanti2 3 4 5 6 7 8 9

Taylor 33-37. Vgl. Evans lx. Vgl. Boring, 22. Siehe Parsons, Papyri, 4-7. Siehe Details bei Taylor 33-37. Dies sind die zwei ältesten MSS, die das gesamte Markusevangelium enthalten; vgl. Evans lx. Aland, Text, 167. Aland, a.a.O., 167. Vgl. Aland, Text, 68-69, zu P45. Taylor 41.

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nische Lesarten z.T. bestätigen (vgl. z.B. Mk 5,19; 6,23; 7,5.28; 8,18; 9,19.35 usw.). Taylor bemerkt, dass P45 verschiedenen westlichen Lesarten ähnelt.10 Taylor verweist auf verschiedene zweifelhafte Lesarten in P45, ist jedoch davon überzeugt, dass bei Übereinstimmung von P45 mit anderen MSS (vgl. z.B. A, W, Θ, f1, f13, 565 u.a.) dessen Abweichungen vor allem von B (und gelegentlich ‫ )א‬vorzuziehen sind. Dies trifft nach Taylor in dreizehn Fällen zu.11 Nestle/Aland27 nehmen jedoch lediglich die betreffende P45-Lesart (stets mit anderen Zeugen) zu Mk 8,28.35; 9,30 sowie, in Klammern, Mk 5,42b; 6,23 auf. Schwerwiegende Textänderungen ergeben sich aus der unterschiedlichen Bewertung von P45 nicht. Zur wichtigen textkritischen Frage, ob das Evangelium ursprünglich mit Mk 16,8 oder mit 16,20 endete, s.u., 17. Addendum.

10 Taylor 41-43. 11 Taylor 41-42 nennt v.l. zu Mk 4,36.40; 5,19.22.42b; 6,3.23.47; 7,5.28; 8,17.18.35; 9,2.19.23.28-30; 12,15.

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6. Kurzüberblick zur Geschichte und Gegenwart der Auslegung1

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6.1 Zur Geschichte der Auslegung Die Auslegungsgeschichte des Markusevangeliums sagt mitunter mehr über Weltanschauung, Hermeneutik und Exegese eines betreffenden Auslegers aus als über den eigenständigen Gehalt und Anspruch des Evangeliums.2 Oden und Hall bieten einen reichhaltigen Einblick in die Auslegung des Markusevangeliums der ersten 750 Jahre. Dabei fällt auf, dass nicht nur die antiochenische (mehr dem Literalsinn verpflichtete), sondern auch die alexandrinische Auslegungstradition (dreistufige Interpretationsebenen, analog zu Leib, Geist und Seele; vgl. Origenes)3 weniger allegorisch interpretiert als gemeinhin angenommen.4 Andererseits ist festzuhalten, dass allegorische bzw. übertragene Interpretation des Mk Ev. in jeder Phase der Auslegungsgeschichte vorzufinden ist. Mittels Kealys detaillierter Studie soll nun ein knapper, z.T. ergänzter Aufriss5 der Auslegungsgeschichte folgen:6 1. In den ersten fünfhundert Jahren behauptet sich das Mk Ev. neben den Großevangelien trotz der Tatsache, dass Mk in dieser Zeit weniger als die Großevangelien gelesen wird und weniger Anerkennung (z.B. durch Marcion) genießt7 (vgl. z.B. Ev.-Harmonien).

1

Lit.: Gnilka II 359ff.; Taylor 9-25; vgl. ferner Kealy, Gospel, ad loc.; Kümmel, Testament, ad loc.; Oden/Hall, Mark, ad loc. Siehe unten, III. 1.2 Bibliografie, bezüglich einer Auswahl von Forschungsüberblicken seit der Mitte des 20. Jh.s. 2 Siehe Schweitzer, Leben Jesu, passim. 3 Kealy, Gospel, 21. 4 Oden/Hall, Mark, xxxii. Nach ihrer statistischen Hochrechnung beläuft sich die allegorisierende Interpretation auf etwa 5 %. Oden/Hall, a.a.O., bemerken: “After making our selections on the basis of our criteria, we were ourselves surprised at the limited extent of protracted alle­ gorical passages. While allegory is an acceptable model of exegesis for the ancient Christian writers, especially those of the Alexandrian school, it does not turn out to be a dominating and ecumenical feature of ancient exegesis of Mark”. 5 Wir folgen ihm bis zur Zeit der Aufklärung. 6 Kealy, Gospel, 11-55. 7 Kealy, a.a.O., 11-13.

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2. Das Interesse, Evangelienharmonien zu verfassen, schließt Mk mit ein (z.B. Tatian; Augustin). Der Prozess des Harmonisierens soll nicht auf Kosten der Authentizität geschehen (Augustin).8 3. Allerdings antizipiert Augustin die abnehmende Bedeutung des Markus­ evangeliums im Mittelalter aufgrund seiner Annahme, dass Mk das Mt Ev. zusammenfasst: „Marcus eum subsecutus tanquam pedisequus et breviator eius videtur“.9 4. Victor von Antiochien macht geltend, dass es im 5. Jh. bis zur Abfassung seines Kommentars keinen Markuskommentar gibt.10 5. Im Mittelalter dominieren zwar Kommentare zu Mt (dreizehn sind bekannt), trotzdem werden zwischen 650 und 1000 n.Chr. mindestens vier Kommentare zu Mk, vier zu Lk und sieben zu Joh verfasst.11 Die einzelnen Evangelien werden jedoch nicht separat als literarische Einheit gesehen.12 6. Im Mittelalter herrscht eine spirituelle und pastorale Sichtweise vor, die den Literalsinn des Textes oft zugunsten des übertragenen (allegorischen), eschatologisch/himmlischen, oder des moralischen Sinns verdunkelt.13 Die Überlieferung bestimmter Interpretationsschulen/-traditionen wird mehr oder weniger starr gehandhabt. 7. Mt dominiert im Mittelalter, weil es a) im Gegensatz zu Mk von einem Apostel verfasst wurde, b) den Inhalt von Mk annähernd ganz wiedergibt und c) aufgrund seiner Gesamtstruktur leichter auswendig zu lernen ist.14 8. Schon z.T. mit Augustin, sodann emphatisch mit Thomas Aquin, wird der Literalsinn im Gegensatz zur „geistlichen“ (moralischen, allegorischen und eschatologischen) Interpretation stärker hervorgehoben.15 Zumindest dient die Erhebung des Literalsinns als Grundlage für die „geistliche“ Interpretation. 9. Die Reformation führt zur Hervorhebung und Betonung des Literalsinns (u.a. Luther, Melanchthon, Zwingli, Hoffmeister;16 vgl. Erasmus). Dies wirkt sich auch auf die Interpretation des Mk Ev. aus. 10. Calvin sieht Mk nicht als Zusammenfassung der Großevangelien; vielmehr dient Joh als Interpretationsschlüssel für die relativ eigenständigen Ev. Mk, 8 9 10 11 12 13

Kealy, a.a.O., 26. Augustin, De Consensu Evangelistarum, 1.2(.4). Vgl. Kealy, a.a.O., 27. Kealy, a.a.O., 28 Kealy, a.a.O., 31. Kealy, a.a.O., 35. Kealy, a.a.O., 33-34, der (a.a.O., 33) Augustin von Dacia († 1282) zitiert: „Littera gesta docet, quid credas allegoria, moralis quid agas, quo tendas anagogia“. 14 Kealy, a.a.O., 31-32 (mit Verweis auf Lightfoot). 15 Kealy, a.a.O., 33. 16 Vgl. Kealy, a.a.O., 48.

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6. Kurzüberblick zur Geschichte und Gegenwart der Auslegung

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Mt und Lk. Im Gegensatz zu Osiander sieht Calvin in den Evangelien keinen Anlass dazu, stets von einem stringenten chronologischen Aufbau auszugehen.17 11. Die Auslegung bis zur Aufklärung führt das Erbe der Reformation (z.B. Wettstein) mit vielen Variationen (u.a. in der Weiterführung allegorischer Interpretation; vgl. z.B. Cornelius à Lapide) fort.18 Die Evangelien werden weiterhin im Sinne von Augustin, Luther, Calvin, Osiander und anderen harmonisiert. 12. Mit der Aufklärung entsteht eine Sichtweise, bei der Mk als „lediglich historisches“ Dokument dem Autonomie- und Normativitätspostulat menschlicher Vernunft unterstellt wird. Es geht somit zunächst nicht um die Erhellung des Literalsinns, sondern um die Feststellung der Wahrheit aufgrund der Autonomie und Normativität menschlicher Vernunft (Rationalismus). Das Ergebnis ist meist ein „liberales Jesusbild“, bei dem Jesus einzig durch sein Vorbild zur „moralischen Ausbesserung“ des Menschen verhilft (siehe u.a. Strauss, Ritschl, Baur; vgl. bereits Schleiermacher). 13. Als alternativer Ansatz kristallisiert sich vor allem im 19. Jh. die heilsgeschichtliche Sichtweise heraus, die u.a. das innerbiblische, einheitliche Gefüge von „Verheißung und Erfüllung“ analysiert und dabei eine biblische Geschichtsphilosophie voraussetzt. Die weiterhin verlässliche Gottesoffenbarung steht über, aber nicht im prinzipiellen Gegensatz zur menschlichen Vernunft (ratio; vgl. u.a. von Hofmann sowie vor allem Schlatters hermeneutischen und exegetischen Beitrag).19 Eine Korrespondenz zwischen biblischer Offenbarung und menschlicher Glaubenserfahrung ist Konsequenz, nicht Fundament der Existenz vor Gott. 14. Der rationalistische Ansatz wird in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s weitergeführt:20 Mk gilt immer mehr als „ältestes“ Evangelium (Lachmann); die Großevangelien erscheinen mehr und mehr als urchristliche Erweiterung des „historischen Kerns“ (Mk als Quelle). Das Mk Ev. wird verstärkt im gedanklichen Umfeld des Hellenismus (griechische Mythologie) gesehen (Bultmann; siehe bereits Strauss). 15. In der ersten Hälfte des 20. Jh.s setzt sich die historisch-kritische Hermeneutik und Exegese, die auf dem Autonomie- und Normativitätspostulat menschlicher Vernunft basiert, auch am Mk Ev. fort (Wrede). Sowohl die Großevangelien wie auch Mk selbst stellen eine eigenständige, kreative 17 18 19 20

Kealy, a.a.O., 47. Kealy, a.a.O., 45.51.55. Vgl. Yarbrough, Fallacy, 28-58; 81-117. Siehe hierzu die detaillierte Präsentation bei Taylor, 9-25.

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Gestaltung der Überlieferung dar. In der Frage nach dem historischen Gehalt wird historisch-kritisch analysiert (Formgeschichte und Traditionsgeschichte; Bultmann). In der Frage nach der markinischen Gestaltung der Tradition wird der theologische Beitrag des Mk, die Methoden und Ergebnisse der Formgeschichte voraussetzend und aufnehmend, herausgearbeitet (Redaktionsgeschichte; Marxsen). 16. In der zweiten Hälfte des 20. Jh.s verläuft sich das historisch-kritische Programm, mangels Einheitlichkeit der Forschungsresultate sowie angesichts geistlich-exegetischer Leere (existenzielle Irrelevanz), und wird oft durch literarische Analysen des markinischen Gesamttextes mehr oder weniger ersetzt. Zugleich weitet sich im 20. Jh. die heilsgeschichtliche Sichtweise hermeneutisch und exegetisch aus (Cullmann, Goppelt, Jeremias, Bruce, Maier). Mk wird erneut im Kontext des palästinischen Judentums historisch und theologisch analysiert (Lane, Guelich/Evans, France, Pesch; vgl. bereits Schlatter und Riggenbach). Die biblische Denkform von „Verheißung und Erfüllung“ (etwa im Bereich der Christologie) wird exegetisch weiter untermauert und vertieft (Cullmann, Hengel, Marshall, Ladd, Ridderbos, Beale).21

6.2 Zur Auslegung in der Gegenwart a. Allgemeine Herausforderungen der Mk-Interpretation Das Mk Ev. gehört zur Gattung narrativer Diskurse. Eigenart eines derartigen Diskurses ist die Tatsache, dass die Absicht der Berichterstattung lediglich indirekt ermittelt werden kann, sofern kein Prolog (vgl. Lk Ev.) bzw. Epilog (vgl. Joh Ev.) vorliegt. Im Mk Ev. lässt sich die Absicht durch eine eingehende Analyse der literarischen Struktur und weiterer literarischer Merkmale ermitteln (z.B. Einleitungen, Zusammenfassungen, Wiederholungen, Überleitungen; vgl. oben, Einleitung 3.). Bei narrativen Texten ist es wichtig, längere Textabschnitte zu interpretieren (zumindest ganze Perikopen). Der folgende Grundsatz sollte beachtet werden: Je kürzer der zu interpretierende Textabschnitt, umso größer ist die Gefahr der unbegründeten oder willkürlichen Auslegung. Je länger der zu interpretierende Textabschnitt ist, umso eher werden einzelne Wortbedeutungen und Teilaussagen kontextkongruent ausgelegt.

21 Vgl. Yarbrough, Fallacy, 166-335 und passim.

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6. Kurzüberblick zur Geschichte und Gegenwart der Auslegung

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Die Interpretation von Gleichnissen. Eine besondere Herausforderung für die Auslegung sind die Gleichnisse. Definition. Die Gleichnisrede gilt als anschauliche Erzählung (narrativer Diskurs), die Inhalte sowohl bildhaft (Charakteristikum) als auch indirekt (wie alle narrativen Texte) vermittelt. Sowohl im AT (vgl. 2Sam 12,1-10; 14,5-20; 1Kön 20,35-40; Jes 5,1-7; Hes 17,2-10; 19,2-14) als auch im rabbinischen Judentum22 ist die Gleichnisrede geläufig. Vergleicht man die Gleichnisreden der synoptischen Evangelien mit den rabbinischen Gleichnissen, zeigt sich nach Flusser, dass der jeweilige Kontext der synoptischen Gleichnisse meist überzeugt und dass die Einleitungen sowie die abschließenden Bemerkungen jeweils notwendig sind.23 Rabbinische Gleichnisse sollen „enthüllen“ oder „verschleiern“, sie führen den Gedanken oft „vom Geringeren zum Größeren“ (a fortiori bzw. qal-wa-chomer) und werden meist allegorisch ausgelegt.24 Inhaltlich geht es in rabbinischen Gleichnissen vor allem um die Bedeutung und Auslegung des Gesetzes, während die Gleichnisse Jesu z.B. das anbrechende Reich Gottes, Gott als einladenden Vater, das zukünftige Gericht, das Gastmahl, Nachfolge zum Gegenstand haben.25 Gegen Jülicher (nur eine Parabel als narrativ erweiterte Simile oder Metapher kann als echtes Jesuswort gelten)26 ist mit Berger, Blomberg und Bailey (und bedingt mit Dodd und J. Jeremias) zu betonen, dass Gleichnisse in den synoptischen Evangelien die formale Vielfalt der apokalyptischen Offenbarungsrede bzw. des alttestamentlichen und apokryphen Maschals aufweisen.27 Das Wort παραβολή [parabolē] entspricht in der LXX oft dem hebräischen Begriff Maschal (28 von 39 Belegen; Hes 17,2-10 wird ausdrücklich Maschal genannt).28 Aufgrund der Beziehung zwischen παραβολή [parabolē] und Maschal und der daraus folgenden Gattungsvielfalt ist sogar eine formale Ka22 Es existieren etwa 2000 rabbinische Gleichnisse, von denen etwa 300 aus der Zeit vor 200 n.Chr. stammen. Nur sehr wenige sind vorchristlich. Vgl. Blomberg, Gleichnisse, 58-69. Zur Frage der Datierung der rabbinischen Gleichnisse sowie der Tatsache relativer Stabilität der rabbinischen Gleichnisform und -auslegung vom 2. bis zum 6. Jh. n.Chr., vgl. Blomberg, Gleichnisse, 58ff. 23 Flusser, Gleichnisse, 63-118.119-140 und passim. Blomberg, Gleichnisse, 59ff; Vgl. bereits Fiebig, Gleichnisse, passim. 24 Flusser, Gleichnisse, 141-176; Blomberg, Gleichnisse, 58ff. 25 Flusser, Gleichnisse, 17-30.31-50 und passim. 26 Vgl. Bergers (Formen, 95-97) Kritik an Jülicher. 27 Berger, Formen, 97: „Die Abwertung der Allegorie und die wiederholten Versuche, die allegorischen Gleichniserklärungen der Evangelien als nicht jesuanisch zu erweisen, sind aufzugeben“. Vgl. neben Blomberg, Gleichnisse, passim, Guelich 217 sowie Bailey, Poet, passim. Siehe Jeremias, Gleichnisse, 7-18, vor allem 12, Anm. 4, und 16-18 sowie Dodd, Parables, passim. 28 Art. παραβολή [parabolē], EWNT III, 35-38, vor allem Abschnitt 2 (Lit. 36).

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tegorisierung der synoptischen Gleichnisse in vier Hauptgruppen (erweiterte Simile, Beispiel, Gleichnis, Allegorie) nicht immer zufriedenstellend. Berger vertritt mit Verweis auf die antike Rhetorik einen Neuansatz gegenüber der klassischen Formkritik und spricht u.a. von Vergleich, Beispiel, Metapher, Gleichnis, Gleichniserzählung und Allegorie.29 Komplementär und begrifflich klärend zu den Ansätzen von Flusser, Blomberg und Bailey spricht Berger von Bildebene (anstatt Bildhälfte) und Ausgangsebene (anstatt Sachhälfte).30 Nach Berger ist der Hauptunterschied zwischen Allegorie (z.B. 4,19.13-20) und Gleichnis (z.B. 12,1-12) der, dass die Allegorie „kühne Metaphern“ vorweist während das Gleichnis lediglich allgemein verständliche bzw. übliche Metaphern als „Bausteine“ enthält. Ferner findet sich bei der Allegorie eine „Anwendung“, während beim Gleichnis dies nicht notwendigerweise vorliegt.31 Der bei Mk verwendete Sammelbegriff παραβολή [parabolē = Gleichnis; Parabel; hebr. Maschal] verweist somit auf ein breites Spektrum von literarischen Formen bzw. Stilfiguren (siehe vor allem die Bemerkungen zu 3,23; 4,2.10-11.12-13.30.33-34; 7,17; 12,1.12). Der griechische Begriff παραβολή [parabolē] leitet sich vom Verb paraballō ab und bedeutet zum Zweck des Vergleichs so viel wie „nebeneinandersetzen“.32 Das Mk Ev. enthält u.a. folgende Formen: 1. Vergleich, 7,17; 2. Sprichwort, 3,24-25; 3. Allegorie (Kurzgeschichte mit einer Reihe von „kühnen“ Metaphern)33, 4,3-9.13-20; 4. Simile (Parabel im technischen Sinn), 4,26-29 [markinisches Sondergut].30-32; 5. Metapher, 2,17.19-22; 3,27 und 6. Gleichnis (Kurzgeschichte mit einer Reihe allgemein verständlicher Metaphern), 12,1-12.34 Mk 4,2 signalisiert, dass Jesus häufig mittels unterschiedlicher Maschal-Formen lehrt. 29 Berger, Formen, 1-80 (Diskussion und Kritik der klassischen Formkritik; Präsentation der klassischen Rhetorik und anderer Ansätze); 81-120 (Bestimmung und Diskussion „gemischter Gattungen“, vor allem „analogischer und bildhafter Texte“). 30 Berger, Formen, 97-98 bemerkt: „Es handelt sich weder um Hälften, die erst zusammengenommen ein Ganzes bildeten, noch um Texte, die in sich fertig wären. Vielmehr zeigt gerade das Phänomen der semantischen Gemeinsamkeiten, daß sich hier Sprachebenen gegenüberstehen oder durchdringen. Es handelt sich nicht um die Sachebene, sondern um die Ausgangsebene. Damit ist gesagt: Hier ist der üblichere Sprachgebrauch gegeben; er besteht selbst großenteils aus usuellen oder lexikalisierten Metaphern, ist also keineswegs notwendig bildfrei, er repräsentiert nur die üblichere und unerhellte Weise, über ein Thema zu reden. Relativ in Bezug auf diese Ebene erscheint das Gleichnis als Bild. Damit ist in besonderer Weise dem Kontextprinzip Rechnung getragen: Gleichnis ist ein Text relativ zu seinem Kontext und nicht für sich“. Siehe ferner a.a.O., 90-91. 31 Berger, Formen, 99-100.117. 32 Vgl. Zerwick-Grosvenor, 109. 33 Berger, Formen, 99-100. 34 Lane 150.

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6. Kurzüberblick zur Geschichte und Gegenwart der Auslegung

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Die Gleichnisse Jesu führen die Schöpfung Gottes und das Heilswirken Gottes zusammen.35 Lane betont zu Recht, dass zwischen Schöpfungs- und Heilswirken Gottes nicht nur eine gewisse Analogie, sondern vielmehr ein innere Beziehung (“inner affinity“) vorliegt, weil beide in der Absicht Gottes begründet liegen und beide das Wirken Gottes widerspiegeln. Wenn Jesus den Beginn der messianischen Herrschaft Gottes auch mittels Schöpfungsgleichnissen ankündigt, ist eine innere Beziehung zwischen der Art und Weise, wie sich diese Herrschaft Gottes ausbreitet und wie das Wachstum der Natur geartet ist („Säen“, „Wachsen“, „Frucht tragen“, usw.) zu erwägen.

Interpretation. Die Interpretation jeglicher Bildworte bzw. Gleichnisse sollte zunächst damit beginnen, die Ausgangsebene, die Sachhälfte bzw. die vorliegende Geschichte in ihrer Eigenart zu verstehen. Es gilt, zunächst literarische Phänomene zu beobachten (vgl. z.B. die auffällige Häufung von Sehbegriffen in 8,22-26) um die etwaige Absicht eines Bildes oder einer Geschichte zu ­erfassen. Es sollte nicht unmittelbar gefragt werden, was die Geschichte „bedeutet“. Die Gefahr einer willkürlichen Auslegung ist hierbei groß, weil die meisten Bildworte und Gleichnis-Geschichten nach Mk nicht von Jesus selbst interpretiert werden. Der Ausleger muss sich somit vom Text und Kontext leiten lassen. Im Fall von Gleichnis-Geschichten sollte er sich in der Interpretation vor allem vom Anfang und Abschluss der jeweiligen Geschichte lenken lassen. Dort befinden sich häufig Aussagen, die die Interpretation in die beabsichtigten Wege weisen.36 Bei Gleichnis-Geschichten ist ferner stets zu fragen, ob es sich um einen, zwei oder drei Hauptbezugspunkte zwischen der Bild- und der Sachhälfte handelt. Erst dann kann die Frage gestellt werden, was Jesus mit einem Bild oder mit einer Geschichte aussagen möchte (der Schritt von der Sachhälfte [Ausgangsebene] zur Bildhälfte [Bildebene]). Dabei ist schließlich darauf zu achten, was die ursprünglichen Hörer am ehesten mit den Bildworten bzw. Geschichten Jesu verbunden haben (vgl. z.B. das landwirtschaftliche Bild vom Sämann [4,1ff] oder das Verständnis von „Bauleuten“ in Qumran-Schriften; siehe Bemerkungen zu 12,10b). b. Das Markusevangelium predigen In Anlehnung an die Interpretation von narrativen Diskursen (siehe oben) sollte auch die Predigt vom Mk Ev. nicht ein paar wenige Verse, sondern längere Sinnabschnitte oder Ereigniserzählungen enthalten. Erst hier wird der Sinn deutlich und somit die Predigtbasis tragfähig. Vor der Predigt durch das Mk Ev. ist es hilfreich, eine Beschreibung der Gedankenentfaltung des Mk Ev. zu erarbeiten. In einer derartigen Beschreibung geht es nicht um eine Inhaltsan35 Vgl. Lane 151 und Dodd, Parables, 20-21. 36 Vgl. Blomberg, Gleichnisse, passim.

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gabe, sondern um die Erklärung und Begründung der Gedanken- bzw. Aussagenfolge und -verknüpfung. Dabei geht es ebenso um die Frage, wie die einzelnen Perikopen im literarischen, historischen und theologischen Kontext zu verstehen sind. Der Ausleger sollte z.B. imstande sein, die Gedankenfolge von Mk 10–12 erklären zu können. Warum steht Mk 11 zwischen Kap. 10 und 12, und welche Funktion erfüllt Mk 11 in der Ereignis- und Erzählfolge? Infolge einer derartigen Beschreibung des fortlaufenden Gedankengangs können sodann einzelne Perikopen genauer untersucht werden. Folgende Fragen sollten hierbei mit beachtet werden: 1. Was ist der literarische Zusammenhang einer vorliegenden Perikope? 2. Welche historische Situation wird in dem vorliegenden Text beschrieben, bzw. vorausgesetzt? 3. Welche Verbindungen liegen hier etwa zum AT oder zu anderen Texten der Antike vor? 4. Wie haben die ursprünglichen Hörer Jesu sowie die ersten Hörer des Mk Ev. die Aussage der Perikope verstanden? 5. Welche Beziehung besteht zwischen dem vorliegenden Text und dem Schöpfungsmandat (Gen 1,28; 2,15-19)? 6. Was sagt der vorliegende Text über den Zustand des Menschen nach dem Sündenfall (Gen 3,1-24) aus? 7. Welche Beziehung besteht zwischen dem vorliegenden Text und dem Heilswirken Jesu? 8. Wie soll der Text im Rahmen einer biblisch begründeten Weltanschauung in Überzeugungen und Taten umgesetzt werden? 9. Was sagt der Text zu unseren persönlichen Bindungen oder Wertevorstellungen sowie zu unserem gemeinschaftlichen Leben? 10. Was sagt der Text über die allgemeine Gesellschaft aus?

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7. Geografische Notizen1

7

Der folgende Abschnitt soll verdeutlichen, dass Jesu Reisen außerhalb von Galiläa und Judäa aufgrund von historischen und theologischen Faktoren sinnvoll sind und eine deutliche Absicht verfolgen. 1. Jesus soll sich nach Mk in folgenden geografischen Gebieten aufgehalten haben: Galiläa Phönizien Tetrarchie des Philippus Dekapolis Peräa Samaria[?] Judäa

Mk 1,9.14.16.21.29.39; 2,1; 3,20; 5,21; 6,1; 9,30 Mk 7,24.31 (Tyrus/Sidon; vgl. Apg 11,19ff; 15,3) Mk 5,1.11; 8,22.27 (Caesarea Philippi); (vgl. Mt 17,14-21) Mk 5,1.20; 7,31 Mk 10,1 (eventuell 1,12) Keine Markusstelle; (vgl. jedoch Lk 9,52; 17,11); Joh 4,5-9 (vgl. Apg 15,3) Mk 1,5; 3,7;10,1.32; 11,11

2. Nach Mk 3,7-8 strömen Menschen zu Jesus aus Galiläa, Judäa, Idumäa2 (südlich von Judäa), Transjordanien (Dekapolis) und Phönizien (dem Bereich von Tyrus und Sidon). Nach Lk 6,17 kommen die Menschen aus Judäa, Jerusalem und dem Küstenstreifen bei Tyrus und Sidon. Mt 4,25 erwähnt Galiläa, Dekapolis, Jerusalem, Judäa und Peräa (südlich der Dekapolis in Transjordanien). 3. Zwischenbilanz: Mk erwähnt äußerste Landesgrenzen des Einflussbereiches Jesu (Reisen in diese Gebiete oder Reisende aus diesen Gebieten): Tyrus und Sidon zum Norden, Dekapolis und Peräa zum Osten, Idumäa zum Süden.

1

2

Lit.: Bayer, Hauptmotiv, 205-215; Ciampa, Decapolis, 266-268; Kopp, Stätten, 288; McCown, Geography, 1-25; Schnabel, Mission, I 729-780, mit detaillierter Beschreibung vieler Ortschaften und Städte; Schürer, History, II 85-198 und III 1-86; vgl. etwa in Bd. II 85-183, die detaillierte Beschreibung hellenistischer Ortschaften und Städte; vgl. ferner Dalman, Orte, ad loc. Idumäa liegt in dem Gebiet von Juda aus der Richterzeit: die Grenze Judas erstreckt sich ein gutes Stück südlich vom Toten Meer und verläuft dann westlich bis zum Mittelmeer.

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4. Beachtenswert ist, dass ebendieser geografische Raum in etwa den Stammesgebieten der Richterzeit entspricht. Dabei sind grundsätzlich vergleichbar: Galiläa Phönizien

Tetrarchie des Philippus

Dekapolis Peräa Samaria Judäa

Sebulon, Naphthali, Isaschar und ein Teil von Asser nördliches Küstengebiet; dessen südl. Bereich ein Teil von Asser war (einschließlich Tyrus und Sidon: 2Sam 24,4-8; siehe bereits Jos 19,24-31, vgl. jedoch mit Ri 1,31)3 Nordteil von Manasse in Transjordanien und wohl auch das neue4 Dan (z.Z. Jesu lag Caesarea Philippi nahe der ehemaligen Stadt Dan = Laisch); (vgl. Jos 19,47) Ostteil von Gad; Manasse in Transjordanien Ruben; Westteil von Gad Manasse (westlich vom Jordan); Ephraim (Jericho, Mk 10,46, liegt an der Grenze zwischen dem ehemaligen Benjamin, Ephraim und Manasse) Benjamin, Juda (sowie Simeon und das ursprüngliche Dan)

5. Trifft dies zu, so sucht Jesus, trotz der ganz anderen politisch-geografischen Lage seiner Zeit, alle ehemaligen Stammesgebiete Israels aus der Richterzeit auf.5 Und Menschen strömen aus diesen Gebieten zu Jesus; vor allem sind es jüdische Angehörige der ehemals geografisch lokalisierten (nunmehr lediglich durch Abstammung verbundenen) Stämme Israels aus der Richterzeit. 6. Aufgrund der hier gebotenen Erklärung erübrigt sich somit das allgemeine Rätselraten über das Motiv der Reisen Jesu (jeweils mit seinen Jüngern) nach Tyrus, Sidon, Caesarea Philippi und in die Dekapolis. Pesch bemerkt etwa: „Markus, der offenbar kaum über geographische Anschauung Palästinas verfügt …, bietet ab 6,45 ein eigentümliches Itinerar Jesu über 6,53 (Genezareth), 7,24 (die Gebiete 3 Vgl. Jer 25,22; 27,3; 47,4. 4 Vom Gebiet zwischen Ephraim und Juda zum Gebiet nordöstlich von Naphthali (Stadt Dan). 5 Natürlich werden Levi und Simeon ausgeschieden. Levi wird zum Priesterstamm und bekommt kein Land (vgl. Jos 13,33; 14,4). Zwar wird dem Stamm Simeon Land zugewiesen (Jos 19,1), allerdings nur innerhalb Judas. Vgl. die Kritik an Simeon in Gen 49,5-7 mit Deut 33,1-29: In der Erneuerung des Jakobsegens übergeht Mose Simeon. Dalman, Orte, 211214.219-221 geht sehr vorsichtig in die Richtung unserer Argumentation, entwickelt jedoch nicht die plausible Konvergenz zwischen den geografischen Angaben bei Markus und dem theologischen Hauptmotiv der Reisen Jesu nach Phönizien und in die Dekapolis.

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7. Geografische Notize

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von Tyrus), 7,31 (die Gebiete von Tyrus, Sidon, Galiläisches Meer, mitten in die Gebiete der Dekapolis), 8,10 (Dalmanutha) – bis Jesus mit seinen Jüngern 8,22 nach Bethsaida kommt. Der Evangelist komponiert nach sachlich-theologischen Aspekten, z.T. ohne Rücksicht auf Topographie (vgl. bes. zu 7,31)“.6

Bezüglich Mk 7,31 spricht Holtzmann von einem sehr weiten „Umweg“ (nämlich auf umständlichem Weg von Tyrus zum See Genezareth über Sidon und die Dekapolis zu gelangen.7 Wellhausen meint, „Sidon“ soll als „Bethsaida“ gelesen werden.8 Spitta schlägt vor, Markus habe die Tyrus-Erzählung mit der Bethsaida-Erzählung verwechselt.9 Bultmann vermisst überhaupt einen Zweck der Reise Jesu ins Gebiet von Tyrus und deutet somit auf redaktionelle Arbeit des Mk: „Denn von dem zwecklosen Exkurs muss Jesus doch wieder in die bekannte Umgebung zurückgeholt werden … Man muss also Jesu ‚Nordreise‘ als eine Phantasie aus der Geschichte streichen“.10 Selbst Dalman bemerkt, dass der genaue Grund für die ansonsten historisch glaubwürdige NordwestReise in das Gebiet Tyrus und Sidon unbekannt sei.11 Nach unserer Auffassung geht es nicht (wenigstens nicht primär) um die Verkündigung der guten Botschaft in heidnischen Gebieten. Auch ist das Motiv der Ruhe für Jesus und seine Jünger12 unzureichend. Sonst wäre es erstaunlich, dass Jesus sich öfter in der Tetrarchie des Philippus und vor allem in der Dekapolis (ehemals Ost-Manasse und Dan) aufhält, dort viel lehrt und viele heilt (vgl. z.B. 8,22-26). Auch die Rückkehr von Tyrus und Sidon durch die Dekapolis klingt unwahrscheinlich, wenn als Hauptmotiv das direkte Erreichen eines bestimmten geografischen Ziels vorausgesetzt wird.13 Der Hauptgrund für Jesu weitläufige Reisen ist vielmehr das Verkündigen der guten Nachricht unter jüdischen Menschen in allen ehemaligen Stammesgebieten Israels einschließlich Süd-Phönizien, Dekapolis, Peräa und Idumäa (vgl. Mt 15,24). Davon berichtet Mk in seiner gewohnten, skizzenhaften Weise.

6 7 8 9 10 11 12

Pesch I 359. Pesch I 393, Anm. 5 verweist ferner auf McCown, Geography, 1-25. Nach Dalman, Orte, 211. Nach Dalman, a.a.O., 211-212. Spitta, Streitfragen, 47ff in: Dalman, Orte, 212. Bultmann, Geschichte, 68. Dalman, Orte, 212-214. Vgl. Dalman, a.a.O., 213-214, der allerdings vor allem als Motiv „Ruhe vor Herodes Antipas“ annimmt. 13 Siehe Bayer, Hauptmotiv, 205-215. Pace Dalman, Orte, 214, der meint, die Reise „durch die Dekapolis“ (so Markus) sei „geographisch nicht orientiert, und wird nicht allzu ernst genommen werden dürfen“. Stattdessen tangiere Jesus lediglich die Dekapolis.

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7. Die jüdische Neubesiedlung der ehemaligen Stammesgebiete um die Zeit des Makkabäeraufstandes. Vor der Makkabäerzeit leben in den Küstenstädten vorwiegend Heiden.14 Allerdings weisen Feindschaften gegen jüdische Menschen zu Beginn der Makkabäerzeit, vor allem in den Städten Ptolemaïs, Tyrus15 und Sidon16 (1 Makk 5,15ff) auf die Wahrscheinlichkeit, dass zu dieser Zeit dort auch jüdische Menschen leben.17 Die Makkabäerzeit führt zur jüdischen Neubesiedlung bestimmter Gebiete (zunächst z.B. Ekron und Gazara od. Geser). Im Verlauf der Makkabäerzeit wird die Ausdehnung der jüdischen Bevölkerung in Palästina immer größer und beschränkt sich nicht nur auf Judäa und Galiläa.18 Seit Aristobul I. werden jüdische Menschen in Galiläa, Gileaditis (Teil der späteren Dekapolis) usw. gestärkt, unterstützt und nicht lediglich nach Judäa gebracht, wie es unter den frühen Makkabäern der Fall war.19 Unter Jonathan und Simon wird Joppe besetzt und jüdische Menschen lassen sich dort nieder.20 Hyrkanus erobert Sichem (in Samaria), den Berg Garizim und später die Stadt Samaria. Aristobul I. annektiert Teile von Ituräa (Teil der späteren Tetrarchie des Philippus, östlich von Galiläa), worauf dort ebenso eine jüdische Gemeinde entsteht. Alexander Jannaeus geht gegen die phönizische Küstenstadt Ptolemaïs vor und erobert 96 v.Chr. Gaza.

Jedes Mal entstehen durch diese Feldzüge neue jüdische Gemeinden. Das von den Makkabäern eroberte Land erstreckt sich zum Zeitpunkt des Alexander Jannaeus im Norden bis Hazor und Seleukia am Merom See und schließt beinahe alle Küstenstädte von Ägypten bis zum Karmel (und Ptolemaïs) ein. Überall dort entstehen nun jüdische Gemeinden.21 Durch Pompejus (63 v.Chr.) werden den jüdischen Machthabern die Küstenstädte vorübergehend wieder genommen.22 Palästina wird nun unter römischer Herrschaft zur Provinz Syrien gerechnet. Bemerkenswert ist jedoch, dass Julius Caesar jüdischen Bewohnern in Tyrus und Sidon Schutz gewährt (vgl. den in anderer Hinsicht etwas umstrittenen Abschnitt bei Josephus, Ant 14,190-210). Dadurch werden Hyrkanus II. (63–40 v.Chr.) syrische und phönizische Ortschaften einschließlich Joppe 14 15 16 17 18 19

Schürer, History, II 86-97. Weitere Details bei Schnabel, Mission, I 775. Weitere Details bei Schnabel, a.a.O., I 776. Vgl. Schürer, History, II 91. Schürer, History, I 164-173. Schürer, History, I 174-188. Siehe etwa Jonathans Feldzug gegen Syrien im nördlichen Galiläa in der Ebene von Hazor, zu dessen Abschluss er befreite Juden mit nach Judäa zurückführt. 20 Schürer, History, I 187. 21 Schürer, History, I 209-228. 22 Schürer, History, II 91-92.94.

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7. Geografische Notize

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wieder überlassen (Josephus, Ant 14,209).23 Marcus Antonius, 41-30 v.Chr., bekräftigt die Aussagen Julius Caesars ausdrücklich (Josephus, Ant 14,314– 323).24 Herodes der Große erweist Tyrus und Sidon finanzielle Gunst (Baugelder?). Es ist bekannt, dass auch Herodes zurückgekehrte, babylonische Juden zumindest in Bereichen östlich vom See Genezareth (Josephus, Ant 17,23-31)25 ansiedeln lässt. Zu Beginn des jüdischen Kriegs (66 n.Chr.) werden jüdische Menschen in Tyrus durch Vernichtung und Inhaftierung verfolgt bzw. jüdische Menschen in Sidon, Aspamea und Antiochien beschützt. Griechische Epitaphe der jüdischen Nekropolis bei Beth She’arim weisen auch im 3. und 4. Jh. n.Chr. jüdische Einwohner u.a. in Tyrus auf.26

Die jüdische Besiedlung der Dekapolis ist ebenso gut bezeugt. Alexander Jannaeus siedelt jüdische Gemeinden in der Dekapolis an,27 während Pompejus sie wieder unter heidnische Gewalt bringt.28 Dennoch leben z.Z. Jesu viele jüdische Menschen in den Städten der Dekapolis.29

Es darf somit als erwiesen gelten, dass z.Z. Jesu im gesamten Gebiet des ehemaligen Israels der Richterzeit jüdische Menschen und Gemeinden anzutreffen sind. 8. Der markinische Cantus firmus der Gottesreichverkündigung Jesu an Israel und die damit verbundenen Reisen von Dorf zu Dorf stützen oben genannte These. Man bemerke auch die Hervorhebung Israels in Mk 10,6; 15,24 („verlorene“ Schafe Israels) sowie Mk 10,23 (die Städte Israels). In Mk 7,27 spricht Jesus metaphorisch von „Kindern“, was wohl „Israel“ entspricht. Dort betont Jesus, dass er zuerst den „Kindern zu essen“ geben will; sein Auftrag gilt (zunächst) den Israeliten (die z.Z. Jesu wieder in den verschiedenen, oben genannten Gebieten, allerdings zerstreut und meist in der Minderheit, leben).30 Die Zurückhaltung Jesu, das Kind der syrophönizischen Frau von Dämonen zu be23 24 25 26 27 28 29 30

Schürer, History, I 274, Anm. 24 und a.a.O., 275. Schürer, History, I 250-251. Schürer, History, I 304-320; Dalman, Orte, 219-220. Schürer, History, III.1 14-15. Nach Josephus, Bell 2,462-463 wohnen in jeder syrischen Stadt jüdische Menschen. Josephus, Ant 13,393-397. Vgl. Schürer, History, I 226-228. Vgl. unter vielen anderen Beispielen, Schürer, History, II 136-137 (zu Abila und Gadara). Josephus, Bell 2,461; 2,478; 7,367. Vgl. Ciampa, Decapolis, 266-268. Siehe, ferner, Burge, Jesus, 25-57 und passim, der das auffällige Schweigen Jesu zur brennenden Frage des jüdischen Herrschaftsanspruchs über das geografische Israel aus der Richterzeit treffend interpretiert.

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freien, weist darauf hin, dass sein Aufenthalt in der nun phönizischen Gegend von Tyrus vor allem jüdischen Menschen gilt (vgl. ebenso die „Ausnahme“ in Lk 7,1-10). 1Kön 17,8 darf als bekanntes Motiv vorausgesetzt werden, wo Elia einer nicht israelitischen Frau mit ihrem Sohn hilft, während Israel Hunger leidet (vgl. das Thema „Essen“ in 7,27). Betont Jesus im Gegensatz zu Elia absichtlich, jetzt zuerst den „Kindern zu essen“ zu geben? Der neutestamentliche Cantus firmus „zuerst Israel“ (vgl. etwa Apg 11,19; 13,43; 14,1.4.19; 16,3; 17,4.12-13.17; 18,4-5.19; 19,10.17; 20,21; 21,20.27; 25,7; 26,4; 28,1727) nimmt hier seinen Anfang. Dass Jesus bei diesen Reisen auch Heiden antrifft und sie z.T. heilt (vgl. Lk 7,1-10), ist realitätsbezogen und entspricht dem Gesamtwirken Jesu. Es trifft ferner zu, dass Jesus darüber hinaus auch in Mk 7,27; 11,17; 13,10; 14,9 immer wieder auf die zukünftig erwartete Heidenmission durch seine Jünger verweist.31

31 Siehe Bayer, Hauptmotiv, 205-215.

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8. Notiz zur Historizität der christologischen Aussagen Die Grundfrage zur Historizität der christologischen Aussagen im Mk Ev. kreist um Mk 14,62 (mit 12,35-37 sowie 8,38): Hat sich Jesus selbst vor dem Hohepriester als erhöhter Menschensohn nach Dan 7,13-14 (s.o., Einleitung 4.1.6) sowie als inthronisierter Herr nach Ps 110,1.5 (s.o., Einleitung 4.1.5) identifiziert? Hat Jesus somit aus der Sicht des Hohepriesters die historisch glaubwürdige Anklage provoziert, Gott explizit zu lästern (14,63)? Alles spricht hierfür: Es besteht kein Zweifel, dass Jesus vor dem Hohepriester erscheint; es besteht ferner kein Zweifel, dass die Zeugenaussagen gegen Jesus aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit nicht beweiskräftig sind; es besteht schließlich kein Zweifel, dass Jesus durch den Hohepriester selbst der Gotteslästerung bezichtigt wird. Was also gibt Anlass zu dieser Hauptanklage?1 Es kann eine Aussage Jesu gewesen sein, die dieser Beschuldigung direkt vorausgeht (vgl. vor allem 12,112; siehe ferner die Einzelauslegung zu 14,61f). Was Mk 14,62 als Aussage Jesu bietet, ist sowohl alttestamentlich als auch für das autoritative Auftreten Jesu2 plausibel. Diejenigen Ausleger, die den in Mk 14,61-62 genannten Anlass für die in V. 63-64 erfolgende Anklage der Gotteslästerung als unhistorisch verwerfen, sind gezwungen, eine plausible Alternativerklärung zu unterbreiten, die sowohl historischen als auch biblisch-theologischen Gegebenheiten genügt. Eben in diesem Punkt mangelt es an überzeugenden Alternativen.3 Wenn jedoch Mk 14,62 als historische, biblische und theologisch glaubwürdige Erklärung zur Anklage der Gotteslästerung zutrifft,4 sind historischkritische Anfragen an die Historizität weiterer christologischer Aussagen (wie etwa die in Mk 2,10.18-20; 8,38; 12,1-12.35-37) kaum schlagkräftig: Wenn Jesus um 30 bzw. 33 n.Chr. vor dem Hohepriester seine unübertroffene, analogielose Beziehung zum Allerhöchsten (als ewiger Gottessohn) unmissverständlich zum Ausdruck bringt (nämlich als der, dem zusammen mit dem Vater Anbetung gebührt und der über alles Herr ist), sind indirekte Aussagen über seinen göttlichen Anspruch, die er etwa ein bis zwei Jahre vorher gemacht haben soll, durchaus glaubwürdig. Ferner stehen diese Selbstaussagen Jesu mehr oder wenig eigenständig gegenüber dem palästinischen Judentum und gegen1 Vgl. die Forschungsübersicht bei Strobel, Stunde, 77-92. 2 Vgl. Mk 8,38 und 12,35-37. Siehe ferner den analogielosen Aufruf, ihm „glaubend“ zu vertrauen. Vgl. Pesch I 305. 3 Ähnlich, jedoch vorsichtiger, Bock, Blasphemy, 5-29. Vgl. die Alternativen bei Strobel, Stunde, 77-81. 4 So z.B. Strobel, Stunde, 92-94. Siehe unten, 15.1.3.

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über den zunächst unverständigen Jüngern (als Wurzel des Urchristentums). Wie oben bereits erwähnt, ist die bei Markus geschilderte Kluft zwischen dem unerhörten Anspruch Jesu und der belegbaren, eingeengten messianischen Erwartung der Jünger Jesu historisch viel glaubwürdiger als das ahistorische, primär literarisch konzipierte Modell Wredes sowie dessen Befürworter. Entgegen dem Trend, eine „entfaltete Christologie“ dem Wirken der Urgemeinde und der frühen Kirche zuzuschreiben, erweist sich das sehr frühe, auf Petrus zurückgehende Markuszeugnis als tragfähiger Hinweis darauf, dass Jesus vor dem Hohepriester den unerhörten Anspruch einer mit dem Vater der Schöpfung geteilten Ehre erhebt (Mk 14,62 mit Verweis auf Dan 7,13-14 und Ps 110,1.5; vgl. Mk 8,38; 12,35-37) und eben dafür gekreuzigt wird. Der historische Anlass für die Kreuzigung Jesu ist im Kern der historisch gut bezeugte Anspruch Jesu vor dem Hohepriester und weiteren Mitgliedern des Hohen Rats im Jahr 30 n.Chr., zusammen mit dem Vater der Schöpfung rechtmäßig angebetet zu werden und als Herr über alles zu regieren. Diesem historisch glaubwürdigen, obschon kühnen Anspruch Jesu, der im AT verankert ist und über die zeitgenössische Messiaserwartung weit hinausgeht, stellen sich manche Ausleger des Markusevangeliums in ungenügender Weise, was folglich zu vielen spekulativen Ersatzerklärungen für den hier unterbreiteten, zentralen historischen Anlass der Kreuzigung Jesu führt.

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II. Kommentierung

K

Einführung zur ersten Hälfte des Berichts, Mk 1,16–8,26 Die erste Hälfte des Mk-Berichts beschreibt die sich konzentrisch ausbreitende Vollmacht Jesu, u.a. über Krankheiten, Naturgesetze und dämonische Mächte. Überragend sind allerdings die vollmächtige Berufung, Einsetzung und Aussendung der zwölf Jünger. Dabei pflegt Jesus stets auf außergewöhnliche Weise zu lehren. Nachfolge geschieht im Rahmen der Vollmacht und dynamischen Anweisung Jesu (siehe unten, 10.4, IV zu 8,27–9,29). Die Person Jesu beeinflusst somit direkt den Charakter der Nachfolge. Letztendlich lehrt, veranschaulicht und befähigt Jesus zur Nachfolge durch seinen stellvertretenden Opfertod. Damit verursacht, ermöglicht und vermittelt er ein neues Gottesvertrauen, welches die Umwandlung der Nachfolger im Bilde Jesu zur Folge hat. Unter seinem Einfluss reifen sie als Bundesteilnehmer des ewigen Gottesreichs. In der ersten Hälfte des Mk Ev. wird die Frage nach der Identität Jesu zunehmend akut. Sowohl in der ersten und vor allem auch in der zweiten Hälfte des Mk-Berichts ergeben sich u.a. folgende Antworten auf diese Frage. 1. Jesus ist wahrer Mensch. 2. Er repräsentiert und vergegenwärtigt das „Kommen Jahwes“ in Anklang an Jes 40,3 (vgl. Mi 5,3; Mal 3,1). 3. Er ist der messianische Herr Davids (12,35-37; 14,62; Ps 110,1.5). 4. Er ist der messianische und erhöhte Menschensohn (8,38; 14,62; Dan 7,13). 5. Er ist der erniedrigte Menschensohn, der als königlicher Gottesknecht (10,45; 14,22-25; Jes 52,13– 53,12) stellvertretend leidet. 6. Er vergibt dadurch Sünde und Sündhaftigkeit, wie es allein Gott bewerkstelligen kann (2,7; Neh 9,17; Ps 103,2-3; 130,4; Jes 43,25; Jer 31,34; Dan 9,9). 7. Er ist der ewige Sohn Gottes (1,11; 9,2-8; 12,112; Ps 2).1

1

Zur markinischen Betonung der Präexistenz Jesu, vgl. u.a. Gathercole, Preexistent Son, passim, sowie Rüggemeier, Poetik, 345-354.506-507. Letzterer fragt allerdings nicht nach der möglichen Verankerung der markinischen Christologie im historischen Jesus (im Gegensatz etwa zu Bauckham, Jesus, 2. Aufl., 290-357.509-549), sondern nach dem „christologischen Standpunkt des [anonymen, HFB] Autors“ (Rüggemeier, Poetik, 25). Dabei blendet Rüggemeier die bedeutsame Forschung zum Mk Ev. als antike Biografie und als möglichen Augenzeugenbericht mehr oder weniger aus.

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1. Mk 1,1-15 als Einleitung zum Evangelium Der Mk-Bericht erwähnt die Hauptperson zunächst als eine unter vielen. Viele jüdische Menschen folgen dem Umkehrruf von Johannes dem Täufer. Dieser tritt als Rufender auf und als der, der den „Kommenden“ ankündigt und das Volk somit auf das Kommen Jahwes vorbereitet. In rascher Folge erzählt Mk von der Taufe und der darauffolgenden Versuchung Jesu, bevor die Verkündigung Jesu mit Betonung von Umkehr und vertrauender Bereitschaft für die Herrschaft Gottes zusammenfassend und überleitend2 dargelegt wird (1,1415). Mk beginnt seinen durch viel Handlung belebten Bericht mit tief greifenden christologischen Aussagen. Der Täufer ebnet den Weg Jahwes als den „Kommenden“. Paradoxerweise tut er dies jedoch als Vorläufer eines weiteren Predigers, Jesus (vgl. Jes 40,3; Mi 5,3; Mal 3,1). Der knapp gehaltene Bericht erwähnt weder die Geburt des Täufers noch die von Jesus; auch vermittelt er keine Kindheitsgeschichten Jesu. Während Mt und Lk in ihren jeweiligen Versuchungsberichten die Aktivität Satans hervorheben, konzentriert sich Mk auf die Tatsache, dass Jesus in der einsamen Wüste (wie der Täufer, 1,4) als Ort der Läuterung und Vorbereitung (siehe die Bemerkungen zu 1,3-4.12-13.35.45; 6,31-32.35) versucht wird. Auch alttestamentliche Prediger rufen das Volk mitunter in der Wüste (1Kön 17,4.9; 2Kön 1,8; Sach 13,4). Das Volk Israels pilgert selbst durch die Wüste (Ex 16,31; Deut 8,16). Die Speisung der 5000 (6,31-44) ereignet sich ebenso an einem verlassenen Ort. Wie Gott sein Volk einst mit Manna versorgte (Ex 16,31-35; vgl. Ps 78,18-30; 105,40), so gibt Jesus einem hungrigen und hirtenlosen Volk in wüsten Gegenden zu essen. Weil Mk unter seinen Hörern vor allem Heiden anspricht, vermittelt er ihnen eine einfache heilsgeschichtliche Sichtweise des Wirkens Gottes durch den großen biblischen Bogen von Verheißung (AT) und Erfüllung (NT). Das bereits längst verheißene „Kommen“ Jahwes zu seinem Volk (Jes 40,10) ist dabei Kernstück dieser Sichtweise. Die paradoxe Tatsache, dass Jesus als der „Kommende“ beschrieben wird, erweist sich als Stein des Anstoßes für viele seiner jüdischen Hörer. Gleichzeitig kann Mk auch von Heiden dahingehend missverstanden werden, dass in diesem Bericht lediglich eine weitere Gottheit neben den vielen anderen Göttern der griechisch-römischen Welt vorgestellt

2

Siehe die Diskussion bei Dschulnigg 57 und Anm. 2 zur Abgrenzung des Prologs in 1,13 oder 1,15. Mk 1,14-15 dient jedenfalls als Überleitung.

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1. Mk 1,1-15 als Einleitung zum Evangelium

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wird. Aufmerksame Hörer des Mk-Berichts werden jedoch bemerken, dass beide Missverständnisse bei der Person Jesu nicht gerechtfertigt sind.3 Synoptischer Vergleich. Mk berichtet weder über die Geburt des Johannes noch über die von Jesus. Ebenso fehlen Geschlechtsregister und Erzählungen über die Kindheit Jesu (im Gegensatz zu Mt 1–2 und Lk 1–2). Grundsätzlich gilt, dass Mk eine betont geraffte4 und ereignisbezogene Erzählweise verfolgt, bei der der Messias stringent im Zentrum steht, während Mt und Lk längeren argumentativen Diskursen, weiteren Themen, Nebenpersonen und -ereignissen größere Beachtung schenken. Allerdings bietet Mk in verschiedenen konkreten Abschnitten dennoch mehr Details als die Großevangelien. Folgende Details ergeben sich aus einem Vergleich mit Mt und Lk: 1. Das Jesajazitat nimmt in Mk eine prominente Stellung ein. 2. Der Inhalt der Bußpredigt des Johannes ist kurz gefasst.5 3. Die „Feuertaufe“ (als Reinigung) wird nicht erwähnt und damit ist die Taufe mit dem Heiligen Geist „positiv“ betont. 4. Die Versuchung Jesu ist derart knapp gehalten, dass die Seitenreferenten Mt und Lk nicht als „Traditionserweiterer“ gesehen werden dürfen, sondern Mk als „Straffer“ der Vielfalt mündlicher Tradition.6 Guelich beobachtet, dass Mk den Akzent auf die Tatsache legt, dass Jesus in der Wüste verweilt, während die Seitenreferenten den Akzent auf die Tatsache legen, dass der Satan Jesus versucht.7 Ein Grund für die Perspektive bei Mk liegt darin, dass das Evangelium primär an Heiden(-christen) gerichtet ist (geraffter AT-Bezug), die mit Jesu Person, Handeln und Lehre als Erfüllung des bereits offenbarten Willens Gottes konfrontiert werden. Ferner wird deutlich, dass Markus eine auf Jesus konzentrierte und geraffte Erzählweise verfolgt. Literarischer Kontext. Durch den synoptischen Vergleich wird zumindest angedeutet, dass Mk mit dem Beginn des Evangeliums das bevorstehende, öf3

Lit. zum Textabschnitt: Arnold, Eröffnungswendungen, 121-127; Dautzenberg, Zeit, 219-234; Dormeyer, Prolog, 181-211; Giblin, Beginning, 975-986; Guelich, Beginning, 5-15; Hengel, Titles, 64-84; Keck, Introduction, 352-370; Kingsbury, Christology, 55-71; Materna, Pro­ logue, 3-20; Slomp, Words, 143-150; Snodgrass, Streams, 24-45; Zmijewski, Prolog, 41-62. Weitere Lit. bei: Guelich 3 (bis 1988); Pesch I 73.426 (bis 1980). Siehe ferner Lit. zu den Einzelabschnitten. Zur textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch I 74, Anm. a-c; 88, Anm. a-b; 100, Anm. a; France 49.60-61.73.89; Lane 41-42, Anm. 7-11; 53, Anm. 48; 63, Anm. 85-87. 4 Vgl. Schlatter, Einleitung, 293. 5 Vgl. Schlatter, Einleitung, 294f. Siehe das Auslassen der Bußworte und der Gerichtspredigt. Die Details sind eher für palästinische Juden von Bedeutung. 6 Ähnlich, Lane 59. Vgl. weitere Erklärungen bei Guelich 36-37. 7 Guelich 37.

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fentliche Auftreten Jesu verbindet. Die erste Klimax von Mk 1,1-8 liegt in der Lehraussage (V. 7-8): das Zeugnis des Wegbereiters weist unmittelbar auf den „Kommenden“ hin. Wir finden somit zu Beginn des Evangeliums ein Minimum an Einleitung. Das Auftreten des Kommenden ist unmittelbares Thema des Boten (ab V. 4, bes. ab V. 7), der wiederum alttestamentliche Prophetie erfüllt (V. 3; Jes 40,3). Das Summarium (1,14-15) beschreibt, was sodann in Mk 1,16–16,8 dargelegt wird.8 Das Mk Ev. (1,16–16,8) ist Bekanntmachung der „gute(n) Botschaft von Gott“, die besagt: „Die Zeit ist zur Erfüllung vorangeschritten und die Herrschaft Gottes ist in unmittelbarer Nähe; kehrt (stets) um in Buße und glaubt (stets) an die gute Botschaft“ (1,14b-15).9 Form und Aufbau. V. 1-310 sind Überschrift für die gesamte Einleitung (1,415).11 V. 2-8 sind formal als Mischzitat (Verheißung Gottes) mit Situationserzählung zu bezeichnen. Die Taufszene (V. 9-11) wird nach Pesch in der Form einer Deutevision wiedergegeben.12 V. 10-11 können formal jedoch entweder als Berufungs-, Deute-, oder Bestätigungsvision gelten.13 Die formale Entscheidung ist stark von der historischen Frage abhängig, was die Aussage des Vaters über Jesus bedeutet: Berufung,14 Deutung,15 oder Bestätigung.16 Letzteres trifft inhaltlich zu und wird so auch formal vorzuziehen sein. Eng damit verknüpft ist die Versuchungsszene Jesu (V. 12-13).17 Mk 1,12-13 besteht aus vier, parataktisch angeordneten Aussagen, verknüpft durch das Stichwort „Wüste“.18 Mk 1,13 ist der Gattung „Versuchung des Gerechten“ zuzuordnen.19 V. 14-15 dienen formal als überleitendes Summarium,20 wobei V. 14 den V. 15 einleitet und die Botschaft in V. 15 in zwei Paaren, jeweils durch synonyme Parallelismen, ausgedrückt wird.21 Das erste Paar in V. 15 enthält die Feststellung einer Tatsache (im Indikativ Perfekt), das zweite Paar lässt einen 8 Guelich 41-42. 9 Ebd. 10 Vgl. Pesch I 74, der lediglich V. 1 als Überschrift bzw. Buchtitel bezeichnet. 11 Vgl. Pesch I 75, der auf die formale Parallele in Hos 1,2a LXX sowie u.a. auf Mt 1,1; Offb 1,1 verweist. 12 Pesch I 88. 13 Guelich 30, mit Verweis auf Jeremias, Theologie, ad loc. 14 Fuller, Mission, 36-89. 15 Cullmann, Christologie, 65-67. 16 Taylor 162. 17 Pesch I 88. 18 Guelich 37. 19 Berger, Formen, 394. 20 Vgl. die Darstellung der diffusen Diskussion in Guelich 41. 21 Vgl. Guelich 41, der auf Mußner, Gottesherrschaft, 81-82 verweist.

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paränetischen Aufruf aufgrund dieser Tatsache folgen (im Imperativ Präsens). Berger zählt Mk 1,15 zu den „begründeten Mahnreden“; hier dient sie als „Zusammenfassung der Botschaft Jesu“.22 Guelich zeigt, dass der einführende Abschnitt 1,2-15 formal einen kontrastierenden Parallelismus zwischen dem Abschnitt über Johannes den Täufer und Jesus aufweist.23 Es entsprechen sich jeweils: 1,2-324 und 1,11: Wort Gottes 1,4-6 und 1,12-13: Person und Aufgabe (beide in der Wüste)25 1,7-8 und 1,14-15: Botschaft (vgl. κηρύσσω [kēryssō] V. 1,7.14 und 1,4).

Bereits auf der literarischen Ebene zeichnen sich somit bedeutsame Parallelen zwischen dem Täufer und Jesus ab: Beide werden in der Wüste durch ein Wort Gottes beglaubigt; beide werden in ihrer Person und Funktion beschrieben; ihre Botschaft wird jeweils zusammenfassend beschrieben. Während lediglich das bevorstehende Leid des Täufers anklingt (1,14), lernt der Hörer spätestens aus Mk 2,20, dass auch Jesus paradoxerweise den Weg der passio iusti (das Leiden des Gerechten) gehen muss. Gleichzeitig vermittelt der Text auch markante Unterschiede zwischen dem Täufer und Jesus: Die V. 7-8 beschreiben die überragende Stärke des „Kommenden“ und die V. 14-15 vermitteln seine überragende Botschaft.

22 23 24 25

Berger, Formen, 217. Guelich 40. Vgl. Pesch I 75, der in V. 2-4; V. 5-6 und V. 7-8 gliedert. Nach Lane 39-40 dient der Begriff „Wüste“ als Stichwortverknüpfung für den Abschnitt 1,113.

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1.1 Einleitung und Johannes der Täufer 1,1-826 I 1 Beginn der guten Botschaft von Jesus, dem Messias, Sohn Gottes.27 2 Wie geschrieben steht bei Jesaja, dem Propheten:28 „Siehe, ich sende meinen Boten vor deinem Angesicht; der soll deinen Weg bereiten“; 3 „Die Stimme eines Rufenden in der Wüste: ‚Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Pfade gerade‘“. 4 Johannes der Taufende war in der Wüste und predigte die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden. 5 Und Menschen aus dem ganzen jüdischen Land einschließlich Jerusalem bewegten sich hinaus zu ihm und ließen sich von ihm im Jordan taufen, während sie ihre Sünden frei bekannten. 6 Und Johannes war bekleidet mit Kamelhaaren und einem Ledergürtel um seine Hüfte und pflegte Heuschrecken und wilden Honig zu essen. 729 Und er predigte und sagte: „Der, der stärker ist als ich, kommt nach mir; ich bin nicht wert, mich zu bücken, um die Laschen seiner Schuhe zu öffnen (lösen). 8 Ich habe euch mit Wasser getauft; er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen“. 26 Lit.: Arnold, Eröffnungswendungen, 121-127; Dormeyer, Prolog, 181-182; Fitzmyer, Use, 3-58; Hahn, Hoheitstitel, 354-356; Slomp, Words, 143-150; Snodgrass, Streams, 24-45; Welker, Demut, 280-282; Zawadski, Boten, 23-52; Zmijewski, Prolog, 41-62. Weitere Lit. bei: Guelich 5-6.15-16 (bis 1988); Pesch I 86-87.426 (bis 1980). 27 Textkritische Diskussion: Taylor a.a.O. betrachtet den äußeren Befund (1‫א‬, B, D, L, W, pc latt sy co; vgl. A) als ausreichend für die Ursprünglichkeit von υἱοῦ θεοῦ [hyiou theou]. Allerdings bleibt bei Taylor die genaue Erklärung der Auslassung (etwa bei ‫א‬, Θ, 28c) als Homoioteleuton unbefriedigend. Guelich a.a.O. (vgl. bereits Kazmierski, Jesus, ad loc.) weist jedoch in Unterstützung der Ursprünglichkeit von υἱοῦ θεοῦ [hyiou theou] auf die Möglichkeit der versehentlichen Auslassung aufgrund der gewöhnlichen Abkürzungen ΙΥ, ΧΥ, ΥΥ, ΘΥ. Siehe ferner Zmijewski, Prolog, 41-62, hier 41. Es ist angesichts der Sachlage angemessen, υἱοῦ θεοῦ [hyiou theou] als wahrscheinlich ursprünglich, jedoch in Klammern zu lesen; vgl. Metzger, Textual Commentary, 62. Dann bildet υἱοῦ θεοῦ [hyiou theou] in 1,1 eine lose inclusio mit 15,39. Siehe allerdings unten, Einzelauslegung zu Mk 15,39. Vgl. Pesch I 74, Anm. a. sowie Slomp, Words, 143-150. 28 Der Alexandrinus (A), W, f13, Zeugen des Mehrheitstextes (M) sowie eine syrische Version (syh) versuchen das Problem (Verweis auf den Propheten Jesaja, mit zunächst folgendem Maleachizitat) dadurch zu lösen, dass sie anstatt „bei Jesaja, dem Propheten“, „bei den Propheten“ lesen. Diese Lesarten sind allerdings spät und können daher die hier gestellte Frage nicht zufriedenstellend beantworten. Vgl. Metzger, Textual Commentary, 62. 29 Neuerdings erhellt das recht frühe Oxyrhynchus Papyrus Fragment P137 (zweite Hälfte des 2. Jh.s bzw. erste Hälfte des 3. Jh.s n.Chr.) den Text von Mk 1,7-9.16-18 (siehe oben, 5. Textüberlieferung, 2.). Die Lesart von P137 stützt grundsätzlich den Text von NA28. Die wichtigste Abweichung von NA28 in Mk 1,7-9 ist die abgekürzte Schreibweise von πνεύματι [pneumati] mittels πνι [pni] mit darüberstehendem Querstrich (Mk 1,8). Es handelt sich hierbei um ein Beispiel dafür, dass der Heilige Geist in diversen Manuskripten als nomen sacrum gehandhabt wird.

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II Historischer Hintergrund und Historizität:30 Die wirkungsgeschichtliche Bedeutung von Jes 40,3 und der „historische Johannes“.31 Grundsätzlich ergänzen sich Josephus (Ant 18,116-119; ein etwas distanzierterer Bericht) und die neutestamentlichen Berichte über den Täufer.32 Sie stimmen im Verweis auf das Taufen des Johannes, die Menschenmenge und den Tod des Täufers durch Herodes Antipas33 überein. Die Taufe ist nach Josephus allerdings nur „Heiligung des Leibes“ und dient nicht als Zeichen der Buße zur Vergebung der Sünden; vielmehr sühnt bereits das „gerechte“ Leben (vgl. Qumran). Ein bedeutender und charakteristischer „Zusatz“ zu Josephus im NT ist die Tatsache, dass Johannes über sich hinausweist.34 Allerdings ist dies aufgrund des Selbstverständnisses der Qumrangemeinschaft (ebenso wie das des Täufers als Wegbereiter des Kommenden: Jes 40,3)35 nicht so außergewöhnlich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Der neutestamentliche „Zusatz“ ist im religiösen, zeitgenössischen Gedankengut fest eingebettet und daher auch für Johannes durchaus historisch glaubwürdig. Erstaunlich ist jedoch, dass Johannes im „Kommenden“ einen Menschen erwartet (vgl. gewisse Anklänge hierzu auch bei Qumran). In den Evangelien scheinen zwei Phasen im Leben des Täufers deutlich zu werden: a) eine Phase der zuversichtlichen und vollmächtigen Verkündigung des Kommenden (Mt 3,11f / Lk 3,16; einschließlich Joh 1,29-34; b) eine Phase des Zweifels während seiner Gefangenschaft (Mt 11,3 [Σὺ εἶ ὁ ἐρχόμενοϛ; sy ei ho erchomenos?] / Lk 7,18ff). Zu fragen ist hierbei, ob die Verweise des Täufers auf den Kommenden das stellvertretende Leiden des Messias mit einbeziehen, oder nicht. Nach Joh 1,21-28 (vgl. Mt 3,14f par; Joh 6,14) wird Jesus zunächst als der Kommende und der Größere bezeichnet. Der Begriff „Lamm Gottes“ (Joh 1,29-34) scheint jedoch auf das stellvertretende Sühneleiden des Kommenden hinzuweisen. Folgende Lösungsversuche sind möglich: (a) Der Täufer versteht den Kommenden nicht als leidenden Messias (es besteht sodann eine gewisse Unstimmigkeit mit Joh 1,29-34); (b) das Joh Ev. berichtet nicht chronologisch und 30 Lit.: Snodgrass, Streams, 24-45; vgl. Taylor, Immerser, ad loc.; Wink, John, ad loc. 31 Markus zeigt am Täufer durchaus Interesse: vgl. 1,6.9.14; 2,18; 4,14-25; 8,28; 11,30.32. 32 Pesch I 86 behauptet, dass das Urchristentum kein von christlicher Perspektive getrenntes Johannesverständnis besitzt: „Das Urchristentum war nicht in der Lage, Gestalt, Leistung und Bedeutung des Johannes selbständig zu würdigen“. 33 Tetrarch von Galiläa und Peräa, 4 v.Chr. bis 39 n.Chr.; vgl. Mt 14,1ff par. Siehe Jensen, Herod Antipas, passim. 34 Vgl. Joh 1,21f. 35 1QS8,12b-16a; vgl. 1QS9,17b-20a; 1QS11,9-12; 1QH4,29f (vgl. Lohse, Texte, 29f). Siehe ferner 1QS10,20-21, bezüglich eines Bußrufs (Braun, Qumran, I 12).

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nimmt die „Lamm Gottes“-Aussage vorweg; (c) Schlatters Erklärung, dass der Täufer trotz anfänglichem Verstehen des Sühneleidens des Kommenden angesichts seines eigenen Schicksals (Gefangenschaft und Verfolgung) in Zweifel gerät; (d) der Täufer erwartet den Messias vor allem als Richter, der zwar als „Lamm Gottes“ Sünde beseitigt (vgl. Offb 5,12; 6,16-17; 14,10),36 aber nicht als der barmherzige, sich selbst aufopfernde, sühnende Knecht Gottes auftritt. Letztere Möglichkeit (d) ist vor allem aufgrund von Lk 3,7-9.17 vorzuziehen.37 III 1 Das Evangelium beginnt mit artikellosem ἀρχή [archē] (Beginn) und fehlendem Verb, was als literarisches Indiz für eine formale Einleitung gelten kann38 (vgl. Mt 1,1; Offb 1,1). Die Verse 1-3 dienen als Überschrift für die gesamte Einleitung (1,1-15), da nicht der Täufer, sondern Jesus zuerst genannt wird.39 Im Unterschied zu Joh 1,1, wo wohl ein zeitlicher Sinn vorherrscht, kann hier mit ἀρχή [archē] entweder der Beginn (zeitlicher Sinn) oder die Grundlegung (übertragener Lokativ)40 des Wirkens Gottes41 im Blick sein.42 Da im Folgenden der Beginn des öffentlichen Dienstes Jesu beschrieben wird, liegt jedoch auch hier „Beginn“ oder „Anfang“ (zeitlicher Sinn43) näher.44 Allerdings ist dieser „Beginn“ heilsgeschichtlich in den Fortgang alttestamentlicher Prophetie sowie in das Wirken des Täufers eingebettet. Der Begriff εὐαγγέλιον [euangelion], gute(n) Botschaft, ist in der griechisch-römischen Welt relativ selten belegt, jedoch etwa als Verweis auf den Geburtstag oder den Sieg eines römischen Kaisers nicht unbekannt.45 Die sog. Kalenderinschrift von Priene (Kleinasien; 9 v.Chr.) bezeichnet Kaiser Augus36 Der Begriff „Sünde tragen“ in Joh 1,29 mag u.U. die Erwartung von priesterlichem Beseitigen der Sünden durch Gott gefällige Tempelopfer vermitteln. Siehe ferner die Vorstellung eines leidenden und richtenden Lammes (vgl. Gottes Gericht in der Botschaft des Täufers) in der Offenbarung: Offb 5,8-9, das leidende Lamm; Offb 5,17, das Lamm als Hirte; Offb 19,9, das Abendmahl mit dem Lamm; Offb 6,16-17, das Zornesgericht des Lammes; Offb 14,10, das ewige Gericht vor dem Lamm; Offb 5,12, das herrschende Lamm. 37 Zu weiteren formalen Beobachtungen, siehe oben 1. 38 Guelich 6. 39 Pace Dschulnigg 58, der den V. 1 lediglich als „überschriftsartig“ bezeichnet. 40 So Pesch I 75. 41 Lane 42. 42 Pesch I 75. Vgl. Hos 1,2a LXX: ἀρχὴ λόγου Κυρίου πρὸς Ὠσήε [archē logou Kyriou pros Hōsēe]. 43 Vgl. ferner Mk 10,6; 13,8.19. 44 Vgl. Dschulnigg 60. Der Begriff ἀρχή [archē] bezieht sich vor allem auf den nun folgenden schriftlichen Bericht (= Anfang); vgl. Pesch, Markus I, 438. Insgesamt geht Pesch, I 76 allerdings von einer Doppelbedeutung (zeitlicher Anfang und Grundlegung) aus. 45 Vgl. Lane 42-43 und Dormeyer, Prolog, 181-182.

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tus als Retter (sōtēra), dessen Geburtstag den Beginn der guten Nachricht (euangelion) für die Menschheit markiert: Beschluß der Hellenen in Asien auf Antrag des Oberpriesters Apollonios, Sohn des Menophilos, aus Azanoi: Da die Vorsehung, die unser Leben ordnet …, in Fürsorge und Eifer unser Dasein mit dem höchsten Schmuck gekrönt hat, da sie Augustus hervorbrachte, den sie zum Segen der Menschen … mit jeglicher Tugend erfüllte, uns und unseren Nachkommen als Retter [σωτῆρα], der den Kampf beendet, der alles ordnet … und da Cäsars Erscheinen [ἐπιφανεῖς] die Hoffnungen vorangehender (Zeiten) überboten hat, weil er nicht allein die vor ihm lebenden Wohltäter der Menschen übertraf, sondern auch den künftigen jede Hoffnung nahm, es ihm zuvorzutun, der Geburtstag des Gottes aber für die Welt die erste von ihm ausgehende Freudenbotschaft war (ἦρξεν δὲ τῶι κόσμωι τῶν δι᾽ αὐτὸν εὐανγελί[ων ἡ γενέθλιος] τοῦ Θεοῦ) (so wird der Vorschlag des Prokonsuls nebst Ehrungen für diesen angenommen).46

Im AT verbindet sich mit dem Begriff der guten Botschaft u.a. die Vorstellung von „Erlösung“ (bzw. Rettung) durch Gott.47 Siehe z.B. 2Kön 7,9 (MT ‫יֹום־ּבְׂש ָֹרה‬ [jōm beśorāh], LXX ἡμέρα εὐαγγελίας [hēmera euangelias], „ein Tag der guten Nachricht“ oder „guten Botschaft“) sowie Ps 96,2 (MT ‫י ְׁשּועָתֽ ֹו‬ … ‫ ַּבּׂש ְ֥רּו‬baśśerū … jeschūʽātō; LXX Ps 95,2 εὐαγγελίζεσθε … τὸ σωτήριον αὐτοῦ [euangelizesthe … to sōtērion autou], „verkündigt die gute Botschaft seiner Erlösung“).48 Vor allem sprechen Jes 40,9; 52,7;49 60,6 und 61,1 von der guten Botschaft der vielschichtigen Rettung durch Gott.50 46 I. Priene 105, 31.33-34.36-40, Neuer Wettstein II.1, Hg. G. Strecker, U. Schnelle, de Gruyter 1996, 8-9 (eckige Klammern zu „Retter“ und „Erscheinen“, HFB). Die englische Übersetzung der I. Priene 105, 31.33-34.36-40 lautet: „It seemed good to the Greeks of Asia, in the opinion of the high priest Apollonius of Menophilus Azanitus: ‚Since Providence, which has ordered all things and is deeply interested in our life, has set in most perfect order by giving us Augustus [τὸν Σεβαστόν], whom she filled with virtue that he might benefit humankind, sending him as a savior [σωτῆρα], both for us and for our descendants, that he might end war and arrange all things, and since he, Caesar, by his appearance [ἐπιφανεῖς] (excelled even our anticipations), surpassing all previous benefactors, and not even leaving to posterity any hope of surpassing what he has done, and since the birthday of the god Augustus was the beginning of the good tidings for the world that came by reason of him [ἦρξεν δέ τῶι κόσμωι τῶν δι᾽ αὐτὸν εὐανγελίων ἡ γενέθλιος (ἡμέρα) τοῦ Θεοῦ]‘“. Zitiert aus: Evans, „Inscription“, 68-69. Evans verweist auf C. Colpe, Hellenistic Commentary to the New Testament (Nashville, TN: Abingdon, 1995, 169). Vgl. Deissmann, Light, 366-367. Der griechische Text der Kalenderinschrift ist in Dittenberger, Orientis Graecae, 485 (repr. Hildesheim: Olms, 1960, 2.48–60) abgedruckt. Vgl. ferner Schnabel, Mission, 2002, I 1434, hinsichtlich Mk 1,1. 47 Lane 43. Vgl. Art. εὐαγγέλιον ([euangelion] Friedrich), ThWNT II, 705-735, siehe vor allem 718-719. 48 Vgl. ebenso 2Sam 18,19-20.25-27.31; 1Kön 1,42; Ps 68,11. 49 Siehe den Verweis auf die „gute Nachricht“ in der Petrusrede, Apg 10,36, sowie TargJes 53,1. 50 Siehe Lk 4,16-20; vgl. LXX Joel 3,5; Nah 2,1. Guelich 6, fasst die Prophetie des Jesaja als „gute Nachricht“ auf (Mk 1,1-2a). Er geht davon aus, dass sich die Bemerkung „es steht

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Im vorliegenden Zusammenhang signalisiert das Evangelium (εὐαγγέλιον [euangelion] = „gute Nachricht“; vgl. die Bemerkungen zu 1,14-15; 8,35; 13,10; 14,9) die Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen in Form des „Kommens“ Jahwes (1,14; vgl. Röm 1,1; 15,16.19; Gal 1,7). Durch die bei Mk nun folgenden Schriftzitate wird deutlich, dass die „gute Botschaft“ als Erfüllung der Absichten Gottes gesehen wird, nämlich dessen „Kommen“. Bei Mk ist sowohl das Auftreten Jesu als auch seine Botschaft weltbewegendes „Evangelium“. Die genaue Beziehung zwischen Person und Botschaft bleibt jedoch zunächst offen. Der vorliegende schriftliche Bericht als Evangelium ist von der Person und Lehre Jesu abgeleitet und abhängig. Ἰησοῦ Χριστοῦ ([Iēsou Christou]; von Jesus, dem Messias) ist als gen. subiectivus zu fassen: aufgrund des narrativen Charakters dessen, was folgt (Bericht dessen, wer Jesus ist, wie er handelt und was er lehrt), ist Beginn der guten Botschaft von Jesus, dem Messias (d.h. Jesus als Ursprung und Initiator der Nachricht, vgl. Mk 1,14) zu übersetzen.51 Natürlich werden die Botschaft Jesu und sein Handeln bereits im Bericht des Mk auch zum Gegenstand des Zeugnisses (Nachricht über Jesus52). Christus (Messias) ist eventuell noch messianischer Titel53 (siehe 8,29; 12,35; 13,21; 14,61; 15,32). Sohn Gottes klärt vorweg, wer der sich selbst offenbarende Messias Gottes ist (vgl. 14,6164; 15,32.39). Das folgende Zeugnis (d.h. das Mk Ev.) belegt diese Tatsache. 2-3 Verse 2-3 vermitteln die alttestamentliche Verheißung eines Wegbereiters für das Kommen des „Herrn“ (vgl. Joh 1,23).54 Im Verlauf der Einleitung (1,4-15) wird der Täufer mit dem prophezeiten „Wegbereiter“ und Jesus mit dem „Herrn“ identifiziert.55 Den Begriff (καθὼς) γέγραπται [(kathōs) gegraptai] ([wie] geschrieben steht), der im NT als terminus technicus für autoritatives Wort Gottes gilt,56 gebraucht Mk lediglich hier mit folgendem Schriftzitat (vgl. ohne folgendes Schriftzitat: 9,13; 14,21). Es dient als Grundlage für das, worüber er berichtet: Der Wegbereiter und der Kommende stehen auf dem

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geschrieben“ auf den vorhergehenden und nicht auf den kommenden Abschnitt bezieht, weil der Ausdruck kathōs gegraptai („wie geschrieben steht“) bei Mk anscheinend immer zurückverweist (vgl. Mk 9,13; 14,21). Pace Lane 44. So Pesch I 75. Pace Pesch I 76. Siehe Josephus, Ant 18, 116-119. Es ist von Bedeutung, dass der Begriff kataskeuazō („ich bereite“) in Hebr 3,3-4 für das Schöpfungshandeln Gottes verwendet wird. Köstenberger/Bouchoc, 218. Im weiteren Verlauf des Mk Ev. „bereiten“ später einige Jünger das Passahmahl (14,12-16). Das Perfekt vermittelt grundsätzlich den kulminativen Aspekt einer abgeschlossenen Handlung mit andauernder Konsequenz. Vgl. Guelich 10, bezüglich Qumran- und LXX-Parallelen zu dieser Formel. Grundsätzlich gilt, dass immer ein AT-Zitat folgt.

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Fundament der längst als „Schrift“ feststehenden und verlautbarten Absicht Gottes. Auch für den heidnischen Hörer soll dies aussagen, dass Johannes und Jesus aufgrund von göttlicher Verheißung auftreten. Handelt es sich bei dem nun folgenden, ausschließlich bei Mk stehenden Mischzitat (vgl. jedoch Mt 11,10; Lk 7,27) um ein messianisches Florilegium, welches als „Jesaja-Florilegium“ bekannt gewesen sein könnte?57 Mk spielt jedenfalls zuerst auf Mal 3,158 (evtl. als Textkombination mit Ex 23,20)59 an (Ἰδοὺ ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου πρὸ προσώπου σου, ὃς κατασκευάσει τὴν ὁδόν σου [Idou apostellō ton angelon mou pro prosōpou sou, hos kataskeuasei tēn hodon sou]),60 bevor er in V. 3 Jes 40,3 zitiert. Jes 40,3 LXX lautet: φωνὴ βοῶντος ἐν τῇ ἐρήμῳ, ἑτοιμάσατε τὴν ὁδὸν κυρίου, εὐθείας ποιεῖτε τὰς τρίβους τοῦ θεοῦ ἡμῶν [phonē boōntos en tē erēmō, hetoimasate tēn hodon kyriou, eutheias poieite tas tribous tou theou hēmōn].61 Mangels Belegen (vgl. allerdings 4QFlor und 4QTest, die zumindest die zeitgenössische Gewohnheit von Textzusammenstellungen aufzeigen)62 ist bei der Erklärungsmöglichkeit messianischer Florilegien Vorsicht geboten.63 Eher ist die Anspielung auf Mal 3,1 (evtl. zusammen mit Ex 23,20)64 neben Jes 40,3 schlicht als ‫„( הרץ‬Haraz“) zu verstehen.65 ‫[ הרץ‬hrz] bedeutet wörtlich „auffädeln“; es handelt sich um geläufige, lose Textzusammenstellung durch einfache Stichwortverknüpfung. Der Unterschied zu Florilegien bzw. Testimonien liegt darin, dass Florilegien explizite Zusammenstellungen von Beweistexten (z.B. messianische Beweistexte) sind, während „Haraz-Texte“ lediglich durch lose Stichwortverknüpfung (hier: Wegmotiv) konkordant miteinander verbunden sind. Die 57 Vgl. jedoch dieselbe Textkombination in einer späteren Episode (Mt 11,10 / Lk 7,27) bezüglich Johannes des Täufers. Vgl. Lane 45-46. 58 Grundsätzlich handelt es sich wohl um ein LXX-Zitat, bis auf σου (vgl. die weiteren Unterschiede zwischen Mk 1,2 und Mal 3,1 LXX bei Snodgrass, Streams, 34); MT Mal 3,1 omit τὴν ὁδόν σου [tēn hodon sou]. 59 Vgl. Snodgrass, Streams, 34. 60 Schlatter, Markus 15, versteht Mk 1,2b-3 als Wort des ewigen Vaters (mit Verwendung von Mal 3,1, Ex 23,20 und Jes 40,3), der mit seinem ewigen, noch nicht im Fleisch gekommenen Sohn über das Auftreten des Täufers spricht. 61 Im MT soll der Weg in der Wüste bereitet werden; in der LXX (und Targ) ist es der Rufende in der Wüste, der den Weg bereitet. Die LXX impliziert jedoch, dass damit auch der Weg in der Wüste bereitet wird. Die Textzeugen D und it stimmen durch τοῦ θεοῦ ἡμῶν [tou theou hēmōn] mit MT und LXX überein. Nach Kealy, Gospel, 24, ging bereits Hieronymus in Mk 1,2 von einem Irrtum des Markus aus. 62 Vgl. Fitzmyer, Use, 297-333; jetzt in: Essays, 3-58, vor allem 7-16. 63 Pace Donahue/Harrington, Mark, 35. 64 Vgl. Watts, „Mark“, 113. 65 Snodgrass, Streams, 34-36. Vgl. Gundry, Use, 125; Watts, „Mark“, 114 (Mal 3,1 und Ex 23,20 dienen als „sandwich“, die den Jesaja-Text näher deuten), sowie Pesch I 77.

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Tatsache, dass Mk keinerlei Erklärung darüber abgibt, warum er zunächst Mal 3,1 und nicht gleich Jes 40,3 zitiert, bewegt Snodgrass dazu, die Verknüpfung der zwei (bzw. drei) Texte als allgemein bekannt und vertraut vorauszusetzen.66 Hierbei wird ein Haupttext67 (hier: Jes 40,3 LXX) konkordant mit sekundären Paralleltexten, wie z.B. Ex 23,20 LXX (ἵνα φυλάξῃ σε ἐν τῇ ὁδῷ ὅπως εἰσαγάγῃ σε εἰς τὴν γῆν ἣν ἡτοίμασά σοι) und vor allem Mal 3,1 LXX (ἰδοὺ ἐγὼ ἐξαποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου καὶ ἐπιβλέψεται ὁδὸν πρὸ προσώπου μου) durch lose Stichwortverknüpfung verbunden. Vergleiche vor allem: ἐπιβλέψεται ὁδὸν πρὸ προσώπου μου [Mal 3,1 LXX] und ἑτοιμάσατε τὴν ὁδὸν κυρίου [Jes 40,3 LXX]; … der soll deinen Weg bereiten / … bereitet den Weg des Herrn. Im Hebräischen besteht ein ähnlicher Wortlaut zwischen Mal 3,1 (‫[ ִפנָּה־דֶ ֶרְך‬pinnāh-däräch]) und Jes 40,3b (‫[ ּפַּנּו ּדֶ ֶרְך‬pannū däräch]),68 wobei jeweils eine Form von ‫[ ַפּּנּו‬pannū] und von ‫[ דֶ ֶּרְך‬däräch] verwendet wird. Vgl. die spätere rabbinische Exegese, bei der die Kombination von Ex 23,20 mit Mal 3,1 bekannt ist (ExRab 32.9 zu Ex 23,20).69

Während eindeutige, zeitgenössische Belege für die spezifische Textkombination Jes 40,3 / Mal 3,1 / Ex 23,20 nicht vorliegen, ist es durchaus möglich, dass bereits z.Z. des Täufers eine konkordante Zusammenstellung von Texten zum Stichwort „Wegbereiter“ vorliegt. Snodgrass bezeichnet Jes 40,1-11 als Prolog von Jes 40–66 und verweist auf das doppelte Echo von Jes 40,3 in Jes 57,14 sowie Jes 62,10 (Piel von ‫[ ַפּּנּו‬pannū] mit ‫דֶ ֶּרְך‬ [däräch]).70 In Jes 57,14 und 62,10 gilt die Wegbereitung allerdings nicht Jahwe, sondern dem Gottesvolk.

Zumindest ist die Prominenz von Jes 40,3 im zeitgenössischen Judentum sowie die Vertrautheit mit konkordanten Textzusammenstellungen belegt (vgl. 4QFlor und 4QTest).71 Deshalb ist es aus jüdischer Sicht plausibel,72 dass Mk ein offensichtliches Mischzitat vereinfachend als „Jesajatext“, sprich: als „Jesaja-Haraz“ charakterisiert. Wer hierbei von einem Irrtum des Mk spricht, verfehlt somit die zeitgenössische Gepflogenheit. Ein derartiger Irrtum wäre zu offensichtlich. 66 Ebd. 67 Vgl. Pesch I 77, der Jes 40,3 als „Kern der Zitatkontamination“ bezeichnet (vgl. denselben Ausdruck bei Dschulnigg 61). Vgl. Gundry, Use, 125, bezüglich der jüdischen Gewohnheit, bei Textzusammenstellungen jeweils nur den Hauptautor zu nennen. 68 Snodgrass, Streams, 24-25.35 und Anm. 26. Vgl. ferner Pesch I 78. Zum möglichen rabbinischen Bezug zwischen Jes 40,3 und Mal 3 vgl. Snodgrass, ad loc. und Pesch, a.a.O. 69 Vgl. vor allem Snodgrass, Streams, 24-45, hier: 34, Anm. 20. Siehe ferner Billerbeck, Kommentar I 597. 70 Snodgrass, Streams, 25. 71 Vgl. Snodgrass, Streams, 24-45. 72 Vergleiche mit 4QFlor und 4QTest.

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Wie bereits erwähnt, hat die Qumrangemeinschaft den Text Jes 40,3 ebenso eschatologisch ausgelegt wie Johannes der Täufer. Vgl. vor allem 1QS8,12-16a sowie 1QS9,17b-20a; 1QS11,9-12; 1QS10,20-21; 1QH4,29f und 1QM1,3.73 Snodgrass bemerkt bezüglich der Qumrangemeinschaft: “Clearly Isaiah 40:3 has been programmatic for the community’s self-understanding”.74

Die Qumrangemeinschaft sieht die Wegbereitung (bereitet den Weg des Herrn) im Sinn des Torahstudiums und des Torahgehorsams.75 Snodgrass verweist vor allem auf 1QS8,15 sowie 1Q9,19.76 Das mit der Torah kongruente Leben „bereitet den Weg des Herrn“.77 Ein Anklang hierzu, allerdings mit anderem Ansatz (Buße mit ethischer Konsequenz, nicht bloße Torahtreue ohne Buße), findet sich in Lk 3,8-14. Mk macht deutlich, dass sich der Täufer im Sinn von Jes 40,3 ebenso als Wegbereiter versteht. Der im Gegensatz zu Qumran Umkehr predigende Täufer (Umkehr zur Vergebung der Sünden) wird später durch Jesus seinerseits als „im Geist Elias“ wiedergekehrter Prediger (siehe Mal 3,23; 4,5; 4Q558; vgl. Sir 48,10f) identifiziert (Mt 11,14; Lk 1,17; vgl. Mk 9,11-13; Joh 3,28).78 Im Gegensatz zur Qumrangemeinschaft, die vor allem Torahtreue als „Wegbereitung“ versteht, wird der Täufer somit durch Jesus als „authentischer Wegbereiter“ identifiziert. Die Hauptbetonung in Mal 3,1 und Jes 40,3 liegt auf dem Bereite(n) (ἐπιβλέπω [epiblepō] od. κατασκευάζω [kataskeuazō]) bzw. dem „Bereitmachen“ (ἑτοιμάζω [hetoimazō]) des „Weges“. Hervorgehoben wird die Empfangsbereitschaft für die messianisch-endzeitliche Gegenwart Gottes unter seinem Volk. Aufgrund des auffälligen Echos zu Jes 40,3 in Jes 57,14-15 hat das „Bereiten des Weges“ etwas mit Überwindung von stolzer Gottlosigkeit und Aufrichten von Niedergeschlagenen zu tun. Mal 3,1 spricht davon, dass der Bote einst den Weg bereiten wird (ἐπιβλέψεται [epiblepsetai] od. κατασκευάσει [kataskeuasei], fut.). Jes 40,3 betont dagegen die rufende Tätigkeit (ἑτοιμάσατε [hetoimasate], aor. impv.) des Boten. Der Täufer ist somit Mittel zum Zweck: Seine ureigene Funktion ist es, die Aufmerksamkeit von sich auf den Kommenden zu lenken (V. 7). 73 Vgl. Pesch I 77 sowie Snodgrass, Streams, 28. 74 Snodgrass, Streams, 29; vgl. Dschulnigg 61. 75 Siehe z.B. 1QS8,12-16a; 9,17b-20a; CD-B19,16; 1QM1,3. Vgl. Watts, „Mark“, 115. 76 Ebd. 77 Snodgrass, a.a.O., 30. Siehe die Erwartung des Kommens Jahwes in Tob 14,5a; Jub 1,15; 11Q19 59,11-12, und Ex Rab 29,6. 78 Vgl. dies mit 2Kön 2,9.15, wo der „Geist des Elia“ erwähnt wird.

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Der Täufer wird in Mal 3,1 (vgl. Ex 23,20) zunächst als Bote beschrieben (vgl. die Kombination von ἀποστέλλω [apostellō] und ἄγγελος [angelos] als Gottes Herold). Der Kontext von Mal 3,1 macht ferner deutlich, dass der Bote als Reinigender auftritt (Mal 3,2) und als Elia, d.h. als der, der „im Geist und in der Macht des Elia“ (Lk 1,17) erscheint (Mal 3,23; vgl. 4Q558). Der Reinigung folgt das Gericht (Mal 3,5) als „Kommen des Herrn“. Der Kontext von Ex 23,20 macht ferner deutlich, dass der Engel Gottes dem wandernden Volk Israel den Weg aus der Gefangenschaft ins verheißene Land bereitet. 3 Das Jesajazitat, die Stimme eines Rufenden in der Wüste: „Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Pfade gerade“, gibt die vorchristliche LXX wörtlich wieder,79 bis auf das hebräische „unseres Gottes“, welches durch αὐτοῦ [autou] ersetzt wird und damit die Identifikation Jesu mit κύριος [kyrios] begünstigt.80 Der Kontext von Jes 40,3 spricht vom „Kommen des Herrn“ (Jes 40,10a) als Offenbarung der Herrlichkeit Gottes (Jes 40,5) und als sein Herrschaftsantritt (Jes 40,10b). Gleichzeitig wird die Milde eines guten Hirten erwähnt, der seine Herde sammelt und weidet (Jes 40,11).81 Der Abschnitt 1,1-15 macht deutlich, dass der mächtige „Herr“, dem der Täufer den Weg bereitet (vgl. κύριος μετὰ ἰσχύος ἔρχεται [kyrios meta ischyos erchetai], „der Herr Jahwe kommt mit Macht“, Jes 40,10 LXX) überraschenderweise der Messias Jesus ist (vgl. V. 7). Die indirekte Identifizierung Jesu mit dem Herrn (der eine Gott Israels!) geschieht erstaunlicherweise ohne Kommentar, wohl aber mit nachfolgender Begründung durch das gesamte Evangelium (vgl. Jesu ἐξουσία und der durch den ewigen Vater bestätigte Sohn). Christologischer Ausblick: Im Lauf der Mk-Erzählung wird immer mehr deutlich, dass der Messias Gottes tatsächlich als ewiger Sohn Teil der Dreieinigkeit Gottes ist.82 Als menschgewordener, ewiger Sohn erfüllt er die unterschiedlichsten alttestamentlichen Verheißungen. Mal 3,1b deutet bereits an, dass der Herr (‫[ הָָאדֹון‬hāᵓādōn]), der „plötzlich zu seinem Tempel kommt“ (vgl. 11,15-17), kein anderer ist als der „Bote des Bundes“ (vgl. Mi 5,3; siehe unten die Bemerkungen zu 11,15-17). Der gesamte Mk-Text legt dar, dass Jesus sowohl als gesandter Repräsentant Gottes und als Gegenwart Gottes auftritt. Der ewige Vater sendet seinen ewigen Sohn in seinem Geist und als Bote des Bundes. Auf diese Weise „kommt“ Jahwe tatsächlich zu seinem Tempel (11,1-21) und zu sei79 Vgl. Snodgrass, Streams, 27, der auf den davon abweichenden Sinn des TargJes 40,3 verweist: Dort wird der Weg nicht Jahwe bereitet, sondern dem rückkehrenden Volk. Die spätere rabbinische Exegese geht jedoch wieder von der Wegbereitung des Herrn aus (Pesiq Rab 29 / 30A; 29 / 30B, 30, 33); vgl. Snodgrass, Streams, 32. 80 Vgl. Watts, „Mark“, 113; Lane 46. 81 Dschulnigg 62, sieht in Verbindung mit dem Wegmotiv bereits hier einen Verweis auf das Leid in der Nachfolge. Wenn überhaupt, so liegt dies hier nur entfernt vor. 82 Siehe z.B. Mk 1,1.11; 2,10; [3,11]; 5,7; 9,3.7; 12,6.35-37; 13,31; 14,24.36.61-64; [15,39]; 16,6.

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nem Volk (12,1-10).83 Neben der Stiftung des neuen Bundes (14,24; Lk 22,20; vgl. Jer 31,31-34), bewirkt dieser außergewöhnliche Bote die notwendige Reinigung seines zu ihm umkehrenden Volkes (Mal 3,2-4) und bringt das Gericht über die Gerichtswürdigen (Mal 3,5.6-15; vgl. Mk 16,16). Allerdings zerstört das reinigende „Feuer“ Jesu die Seinen nicht, sondern verursacht vielmehr Reinigung unter den Bundesanhängern (vgl. unten die Bemerkungen zu 8,34; 9,49-50; 10,39.45).

Der Bote Johannes erfüllt die Funktion des Vermittlers zwischen Prophetie und dieser außergewöhnlichen Erfüllung. 4 Es folgt die Erzählung des Auftretens des Täufers nach deutender Vorschau, die sein Wirken als Erfüllung von Gottes Willen präsentiert. Allein das Auftreten des Täufers signalisiert einen einschneidenden Wendepunkt im eschatologischen Heilswirken Gottes.84 Der Täufer bereitet den Weg Jahwes, indem er das Volk Gottes zur Umkehr ruft (vgl. ebenso Jesus, 1,15b). Der Ruf des Täufers ähnelt dem Umkehrruf alttestamentlicher Propheten, die das Volk Gottes jeweils dazu aufrufen, ihre selbstsicheren Wege aufzugeben, um wieder von Gott abhängig zu leben (vgl. Neh 9,6-38).85 Oft geschieht ein derartiger Umkehrruf im Kontext des unmittelbar bevorstehenden Gerichts Gottes (vgl. z.B. Jer 3–4). In der Umkehr sucht der Mensch Vergebung vor Gott für ein in Widerspruch zu Gottes Absichten gelebtes Leben (vgl. z.B. 2Kön 17,7-23). Dabei bestimmt Gott selbst den Weg zur Vergebung. Nicht einmal Israel kann vom bleibenden Schalom mit Gott aufgrund der Vorfahren, aufgrund der Beschneidung, aufgrund von selbstgewirkter Torahtreue, oder aufgrund der Zugehörigkeit zum Gottesvolk ausgehen (vgl. Joh 8,39). Nur wenn die Herzen tatsächlich gereinigt sind (die „Beschneidung der Herzen“, vgl. Deut 30,6; Kol 2,11), sind sie mit ihm tatsächlich versöhnt (vgl. Röm 2,25.29). Daher müssen sie sich einer inneren Umkehr unterziehen, die mit dem äußeren Zeichen und Siegel der Reinigung in Verbindung steht.86 Unabhängig davon, worauf die Taufe des Täufers historisch und theologisch verweist, überzeugt Schnabel, dass die Verfasser der Evangelien mit den Begriffen „taufen“ bzw. „Taufe“ grundsätzlich keine neuen Spezialbegriffe („technical term“) schaffen. Sie verwenden die im griechischen Sprachraum bekannten Begriffe im Sinn von „eintauchen“87 (allerdings oft verbunden mit Wasser), „reinigen“ (moralisch-ethische Reinigung, verbunden mit Wasser)

83 Siehe Keil/Delitzsch, Commentary, Bd. X, 458: „The coming of the Lord to His temple is represented as a coming of the covenant angel“. Er ist der einzigartige Bote Jahwes. 84 Vgl. Lane 49-50. 85 Vgl. Bayer, Peter, 63-81. 86 Vgl. ebenso Dschulnigg 62. 87 Schnabel, Jesus, „Baptism“, 266 verweist auf Ferguson, Baptism, 38-59.

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oder übertragen „überwältigt werden“. 88 Schnabel plädiert deshalb dafür, das Wort Taufe immer dann mit „Eintauchen“ bzw. „Untertauchen“ wiederzugeben, wenn es sich eindeutig nicht um die christliche Wassertaufe handelt.89 Obwohl wir den geläufigen Begriff „Taufe“ bzw. „taufen“ beibehalten, muss in jedem Kontext gefragt bzw. geklärt werden, was damit genau gemeint ist.90 Zerwick meint, dass βάπτισμα μετανοίας [baptisma metanoias] den Taufakt beschreibt, der in sich selbst Buße zum Ausdruck bringt.91 Wallace ist vorsichtiger und gibt zu bedenken, dass der Ausdruck durchaus auch eine Taufe beschreiben kann, die auf innerer Umkehr gründet. Wallace meint, dass diese Formulierung lediglich die Taufe mit Umkehr verbindet.92 Haubeck/von Siebenthal übersetzen (ähnlich wie Wallace) μετανοίας [metanoias] als gen. qualitatis zu βάπτισμα [baptisma]: „Taufe der Umkehr (d.h. wohl: Taufe als Zeichen der Umkehr; H-S §162b)“.93 Nach Pesch ist βάπτισμα μετανοίας εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν [baptisma metanoias eis aphesin hamartiōn], die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden, charakteristische Bezeichnung für die Taufe des Johannes, im Unterschied zum jüdischen Reinigungsbad, zur Proselytentaufe und zur christlichen Taufe.94 Das jüdische Reinigungsbad (‫[ ִמ ְקוֶה‬miqwäh]; „Eintauchen“ unter Wasser) wird als jüdisches Ritual oft wiederholt und ist z.Z. des NT gut belegt. Aufgrund der rituellen Wiederholung und der Tatsache, dass der Betreffende selbst untertaucht bzw. sich selbst reinigt, ist Vorsicht geboten, diesen Ritus mit dem Eintauchen im Jordan (Taufe des Johannes) als Ausdruck der grundsätzlichen Umkehr zu Gott gleichzusetzen.95 Es ist eher möglich, dass Johannes der Täufer überraschenderweise eine Art Proselytentaufe (innere Umkehr zu Gott mit äußerem Eintauchen in Wasser) von seinen jüdischen Zuhörern fordert.96 Eine derartige Taufe ist eigentlich für Heiden vorbehalten, die als Proselyten zum jüdischen Glauben übertreten wollen. Für jüdische Menschen wäre eine derartige Umkehr-Taufe eine Demütigung.97 Allerdings ist dies wohl der Weg der Vorbereitung auf das „Kommen“ 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97

Schnabel, Jesus, „Baptism“, 265-266. Schnabel, Jesus, „Baptism“, 266. Vgl. ferner, Ferguson, Baptism, passim. Siehe Zerwick-Grosvenor, 100-101. Vgl. Schnabel, Jesus, „Baptism“, 265: „an immersion resulting in cleansing from moral and spiritual defilement“. Vgl. Wallace, Grammar, 80. Haubeck/von Siebenthal, Schlüssel, I 209. Pesch I 79. Vgl. Guelich, 18. Marcus, 155. France, 66. Ferguson, Backgrounds, 513 geht davon aus, dass Proselytentaufe bereits vor Christus praktiziert wurde. Vgl. Lane 49. France, 66. Vgl. Schnabel, Jesus, „Baptism“, 256.

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Jahwes (vgl. Apg 10,37). Im Kontext von Jes 40,3 ist zu beachten, dass eine derartige Vorbereitung auf Gottes „Kommen“ u.a. die Demütigung bei Stolz (sowie Hoffnung bei Mutlosigkeit) beinhaltet (vgl. Jes 57,14-15). Liegt hier der Gedanke der Vergebung der Sünden durch Umkehr ohne Opfer vor? Wichtig ist, dass Johannes der Umkehr eine übergeordnete, alttestamentlich-prophetische Stellung einräumt. Sie ist im vorliegenden Kontext Voraussetzung der Sündenvergebung, nicht aber Grund derselben. Allerdings ist die Tatsache des Umkehrrufs ein Grund zur Scham; müssen doch nun beschnittene Juden, Mitglieder des Bundesvolkes, in gewisser Weise erneut durch den Jordan (vgl. das Motiv eines zweiten Exodus in Jes 40,3; vgl. Jos 3‒4)98 ins gelobte Land einziehen.99 Die angemahnte Umkehr des Volkes setzt voraus, dass es aus Selbstgenügsamkeit und Stolz zur erneuten, unmittelbaren Abhängigkeit von Gott zurückkehren soll. Wie bleibende Sündenvergebung jedoch bewirkt wird, ist allein von Gott abhängig. Er wird das gültige Sühneopfer nennen. Im vorliegenden Fall weist die Wüste ἔρημος [erēmos]100 auf „the Judean wilderness, the stony, barren eastern declivity of the Judaean mountains toward the Dead Sea and lower Jordan Valley“101 (vgl. die Wunder des Elia in der Wüste).102 Übertragen gilt die Wüste im AT als Ort der Versuchung, Reinigung und Strafe.103 Es ist der Ort, an dem Abhängigkeit von Gott unumgänglich ist und wo nach dem Exodus aus Ägypten das Leben vor Gott einst begann.104 5 Der Begriff ἐξεπορεύετο ([exeporeueto]; bewegten sich hinaus) vermittelt im Impf. den Aspekt einer anhaltenden Volksbewegung zum Jordan hin (vgl. Joh 1,28; 10,40); der Menschenstrom will nicht abbrechen. Dass der große105 „Erfolg“ des Bußpredigers historisch zutrifft, wird durch Josephus (Ant 18,116-119) bezeugt. Mk und Josephus beschreiben zwar im Detail unterschiedlich, stimmen jedoch in diesem Punkt völlig überein. Es ist wahrscheinlich, dass die Menschen ihre Sünden öffentlich bekennen. Siehe den seltenen Begriff ἐξομολογέω [exomologeō] (wörtl. „ich bekenne öffentlich“; nur zehnmal im NT).106 98 Vgl. Keener, Background, 135. 99 Lane 50. 100 Siehe das wiederholt auftauchende Wüstenmotiv in 1,12-13.35.45; 6,31-35; siehe jeweils die Bemerkungen zu den angegebenen Stellen. 101 BDAG, 309. 102 Pesch I 79. 103 Lane 50. Vgl. Hos 2,14. Siehe Snodgrass, Streams, 29, Anm. 9. 104 Lane 49-50. 105 Dschulnigg 62 spricht von „hyperbolisch gesteigert“. 106 Zerwick/Grosvenor, 100.

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6 Die Kleidung und Nahrung (… war bekleidet mit Kamelhaaren und einem Ledergürtel um seine Hüfte … Heuschrecken und wilden Honig) entspricht zwar der der Beduinen,107 bezeichnet jedoch vor allem die Tatsache, dass es sich hier um einen Wüstenprediger Gottes handelt108 (so Elia in 1Kön 17,4.9; 2Kön 1,8; Sach 13,4; vgl. Mal 3,1; 4,5-6).109 Die umschreibende Konjugation ἦν … ἐνδεδυμένος ([ēn … endedmenos]; war bekleidet) vermittelt eine andauernde Gepflogenheit oder einen Zustand: Der Täufer lebt in der Wüste. Äußere Entbehrung und einfachster Lebensstil in der Wüste kennzeichnen ihn als einen asketisch lebenden110 Propheten (vgl. Elia), der ganz seiner spezifischen Berufung als „Wegbereiter“ geweiht ist und von Gott unmittelbar abhängig ist. 7-8 Die Verse 7 und 8 bilden die vorläufige Klimax dessen, was über den Täufer zu sagen ist. Die Botschaft111 des Täufers soll vom Leser mit den Schriftzitaten, vor allem mit Jes 40,3, in Verbindung gebracht werden. Folgendes ergibt sich daraus: als „Wegbereiter“ weist der Täufer über sich hinaus: „Der, der stärker ist als ich, kommt nach mir“. Sein Umkehrruf an das Volk bereitet das Kommen Gottes. Allerdings ist überraschend, dass der Täufer im Stärkeren schillernd sowohl das Kommen Jahwes112 als auch das eines Menschen sieht. Das Lösen der Laschen seiner Schuhe ist Ausdruck äußerster Ehrerbietung und Dienstbereitschaft, die in der jüdischen und hellenistischen Welt vor allem Aufgabe eines Sklaven ist.113 Der Täufer erwartet das Kommen Gottes (Jes 40,3) in Menschengestalt (jemanden, der Sandalen trägt, V. 7; vgl. 1,1315). Er erweist jenem höchste Ehre.114 8 Beachtenswert ist der Kontrast ἐγώ … αὐτὸς δέ ([egō … autos de]; ich … er aber). Die Taufe mit dem Heiligen Geist115 wird bei Mt 3,11 / Lk 3,16 durch den Verweis auf die „Taufe mit Feuer“ (Reinigung) ergänzt (vgl. Jes 44,3). Der erwartete Stärkere ruft nicht nur zur Umkehr auf, sondern er reinigt und 107 Lane, Mark, 51, Anm. 42 bemerkt, dass Heuschrecken zu den kultisch reinen Nahrungsmitteln gehören; vgl. Lev 11,21-22. Weitere Details bei Pesch I 81. 108 Siehe oben, 1. Mk 1,1-15 als Einleitung zum Evangelium, Einführung. 109 Keener, Background, 136. 110 Vgl. nach Pesch I 81 die Parallele zu Johannes in der Person des Bannus (Josephus, Vit 11). 111 Siehe Dschulnigg 63, der die Bedeutung des „Verkündigens“ bei Mk als Leitwort hervorhebt: Der Täufer, Jesus, die Zwölf sowie die weltweiten Zeugen verkündigen gemeinsam die Botschaft Gottes. 112 Vgl. Dschulnigg 64. 113 Vgl. Keener, Background, 136. 114 Vgl. die Diskussion bei Pesch I 78, der u.a. auf Hahn, Hoheitstitel, 354-356 verweist. 115 Vgl. im AT: Jes 44,3; Jer 31,31-34; Hes 36,26f; Joel 3,1-2.

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segnet mittels des Heiligen Geistes (vgl. Jes 44,3; Hes 36, 25-27; Joel 3,1-2).116 Erneut liegen hier Anklänge an Jes 63,11.14 vor, wo der Geist das Volk in der Wüste leitet und ihm Ruhe verschafft.117 Das Motiv eines zweiten Exodus wird somit weitergeführt.118 Mit einfachen Worten vermittelt Mk die einschneidende Tatsache, dass das erwartete „Kommen“ Jahwes in der Ankunft Jesu realisiert wird. So verwundert es nicht, dass dieser außergewöhnliche „Bote des Bundes“ (Mal 3,1; vgl. Mi 5,3) einst auch mit dem Heiligen Geist als eschatologischem Wirken Gottes taufen119 wird (vgl. Joel 2,28-29; Joh 1,26-33 und Apg 2,33).

1.2 Die Taufe Jesu 1,9-11120 I 9 Und es ereignete sich in jener Zeit, dass Jesus aus Nazareth in Galiläa kam und sich von Johannes im Jordan taufen ließ. 10 Während er aus dem Wasser stieg, sah er unmittelbar, wie sich der Himmel öffnete und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. 11 Und eine Stimme erklang aus dem Himmel (, die sagte): „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Freude“. II Siehe oben 1., Bemerkungen zum Gesamtabschnitt. III 9 Jesus, der unbekannte (und einzige erwähnte) Galiläer aus Nazareth, folgt dem Menschenstrom zum Täufer. Im Gegensatz zu Judäa ist Galiläa z.Z. Jesu keine dominant jüdische Region. Allerdings ziehen im Zuge des siegreichen Makkabäeraufstandes jüdische Menschen verstärkt nach Galiläa um, vor allem während der ersten Hälfte des 1. Jh.s v.Chr. Später werden Übersiedlungen von jüdischen Menschen u.a. auch durch Herodes den Großen gefördert. Andererseits ist parallel hierzu die Hellenisierung verschiedener Gegenden von 116 Keener, Background, 136. 117 Lane 52. 118 Vgl. Watts, Influence, passim. 119 Schnabel, Jesus, „Baptism“, 280 überzeugt in der Aussage, dass „taufen“ hier im übertragenen Sinn von „eintauchen“ (in den Heiligen Geist) verstanden werden soll: „he will immerse you in the Holy Spirit“. 120 Vgl. Hosea, Amos und Jesaja. Lit.: Betz, Frage, 20-48; Mell, Taufe, 161-178. Weitere Lit. bei: Guelich 29 (bis 1988); Pesch I 98-100.427 (bis 1980).

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Galiläa zu vermerken. Während z.B. Kapernaum z.Z. Jesu stärker unter jüdischem Einfluss steht, sind Städte wie Sepphoris und Tiberias eher hellenistisch geprägt. Letzteres gilt z.B. auch für Bethsaida, den Geburtsort von Petrus, welches am nördlichen Ufer des Sees Genezareth und an der Grenze zwischen Galiläa und der hellenisierten Dekapolis liegt. Im Gegensatz zu Judäa wird Galiläa z.Z. Jesu durch einen „König“ (den Tetrarchen Herodes Antipas, vgl. 6,14) regiert, der allerdings Rom untersteht.121 Jesus nimmt an der notwendigen Reue und dringenden Umkehr des Volkes teil (… und sich von Johannes im Jordan taufen ließ). Der noch Unbekannte demütigt sich mit dem Volk vor Gott. Er erteilt zusammen mit dem Volk Selbstgenügsamkeit und menschlicher Autonomie eine deutliche Absage (vgl. Mose im ersten Exodus und Daniel im Exil). Der Umkehrruf an das Volk Israel ist Gottes Aufruf, seine kollektive Sohnschaft mit Gott zu erneuern.122 Jesus erscheint zunächst als „Teilnehmer“ des kollektiv umkehrenden „Sohnes“. Auffällige Parallelen liegen zwischen 1,5 und 1,9 vor, die allerdings im Gegensatz zwischen „vielen“ (1,5) und „dem einen“ (1,9) enden.123 Aufgrund der folgenden Erzählung im Mk Ev. bleibt kein Zweifel an der Tatsache, dass Jesus ein schuld- und sündenloses Leben lebt (vgl. etwa 2,5-12; 7,14-23; 10,45; 14,22-25). Daraus ergibt sich die Frage, warum Jesus dennoch mit dem umkehrenden und bußfertigen Volk zum Jordan geht. Indem sich Jesus vom Täufer taufen lässt, identifiziert er sich als Schuldloser mit der Sündhaftigkeit und den Sünden seines Volkes (vgl. Jes 53,4-6.8-12; siehe Dan 9,5-10.15-17). Er schlägt damit in einer gewissen Weise den Weg der stellvertretenden Sühne schon jetzt ein (vgl. 10,45). 10-11 Seine Taufe impliziert zunächst ein repräsentatives Sündenbekenntnis für sein Volk (vgl. Apg 10,38). Schon damit ist er einem besonderen Dienst geweiht (vgl. Jes 11,2; 42,1; 61,1). Allerdings zeigt der weitere Verlauf der Taufe Jesu, dass er aufgrund seiner Identität eine noch viel spezifischere Aufgabe erhält. Der Geist Gottes kommt wie eine Taube124 und ruht auf Jesus als Ausrüstung125 zum analogielosen und eschatologischen Dienst (vgl. Jes 42,1 sowie

121 Einige Verweise stammen von France, 33-34, 75, 621-622. Siehe ebenso Riesner, „Galilee“, 297-299. 122 Vgl. Lane 49-50. 123 Vgl. Lane 54 und Lohmeyer 20. 124 Dschulnigg 67 verweist mit Pesch und Greeven auf die Tatsache, dass die Taube in der vorderasiatischen Antike als Bindeglied zwischen dem Himmlischen und Irdischen gilt. 125 Dies bedeutet, dass Jesus bereits vor der Taufe den Geist Gottes besitzt.

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Jes 11,2; 61,1).126 Die „Öffnung des Himmels“ (vgl. Jes 63,19–64,1; Hes 1,1) gilt als Motiv, das „Gottes Eingreifen auf der Erde zu Heil oder Gericht signalisiert“.127 Die Ausgießung des Heiligen Geistes deutet auch ansatzweise auf ein trinitarisches Verständnis des einen Gottes. Mit der Stimme (V. 11) bricht unmittelbar die sonst unsichtbare und unhörbare himmlische Welt in die Welt der fünf Sinne herein.128 Zum temporalen und „stilistisch-interjektionellen“ εὐθύς [euthus], vgl. die Ausführungen bei Pesch. Er bemerkt, dass Mk den Begriff (insgesamt 26-mal) auch dann benutzt, wenn er Doppelszenen miteinander verknüpft, und er erwägt, ob dieses stilistische Mittel evtl. auf mündliche Tradition verweist.129 Was bei der Taufe Jesu nur kurz tangiert wird, gewinnt im Lauf der markinischen Erzählung immer mehr an Profil: Die himmlische Stimme (siehe ebenso 9,7; vgl. 12,1-6 und Mt 3,14) bestätigt die durch Liebe geprägte, außergewöhnliche Beziehung zwischen dem ewigen Vater und Jesus („Du bist mein geliebter130 Sohn“; vgl. 3,29; 9,7; 12,1-6.28-34; Joh 1,34; 12,28; siehe Jes 42,1; vgl. Ps 2,7).131 Die Taufe erlaubt einen ersten und kurzen Einblick in diese einmalige Beziehung zwischen Vater und Sohn (siehe oben, 4.1.4, Jesus als Sohn Gottes). Schritt für Schritt präzisiert die Erzählung im Mk Ev. diese außergewöhnliche Beziehung. Deshalb ist die vorliegende Aussage in V. 10-11 im Gegensatz zu alttestamentlichen Anspielungen (Ps 2,7; Jes 42,1) letztendlich im Sinne des Gleichnisses von den bösen Winzern zu interpretieren: Der Herr des Weinbergs (d.h., Israels, Jes 5,1), Gott selbst, sendet seinen Sohn zu seinem Volk (siehe unten zu 12,6). Gegen Ende des Mk Ev. offenbart sich Jesus sodann vor dem Hohepriester (siehe zu 14,62) eindeutig als einmaliger Sohn Gottes. Eben dies wird ihm zum Verhängnis und führt zur Anklage der direkten Gotteslästerung (siehe oben, Einleitung, 4.1.4, sowie unten zu 14,62). Die Taufe Jesu impliziert somit bereits die herausfordernde und komplexe Vorstellung der monotheistischen Dreieinigkeit.132

126 Vgl. Pesch I 91. Lane 56 verweist auf die Möglichkeit, dass der Bezug „Taufe“ und „Taube“ auf die rabbinische Vorstellung zurückgeht, nach der die „Taube“ mit dem Geist von Gen 1,2 in Verbindung gebracht wird. 127 Pesch I 90, der auf Jes 63,19 und 3Makk 6,18 verweist. Vgl. Watts, „Mark“, 129. 128 Vgl. Lane 55, der auf Jes 63,19 LXX (64,1 MT) als Parallele verweist. 129 Pesch I 89-90 sowie 89, Anm. 8 (Lit.). 130 Vgl. Dschulnigg 68, der mit Gundry 49 und Guelich I 33-34 auf die enge Beziehung zwischen „geliebt“ und „einzig“ in der LXX verweist. 131 Vgl. oben, Einleitung 4.1.4. 132 Vgl. Dschulnigg 68. Aufgrund der später erfolgenden, urchristlichen Anbetung Jesu und der Tatsache, dass adoptionistisches Gedankengut erst für das zweite Jahrhundert n.Chr. belegt ist, leuchtet diese Deutung am ehesten ein. Vgl. Rüggemeier, Poetik, 531, der in diesem Zu-

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Nach Watts und Lane gehören die beschriebenen Umstände der Taufe Jesu (vor allem die Öffnung des Himmels und das Kommen des Geistes) zum Motiv des zweiten Exodus (vgl. Jes 32,15; 44,3; 63,10-14).133 Das prophezeite und erwartete „Kommen des Herrn“ (Jes 40,3), die Erhabenheit des Stärkere(n), seine Aufgabe, mittels des Heiligen Geist(es) das Volk und den Tempel zu „reinigen“ (vgl. 1,8; siehe oben, 4.3) sowie die Tatsache, von Gott als „einziger Sohn“ bezeichnet zu werden,134 gehören also irgendwie zusammen. Dazu gehört auch das Motiv des Widerstands vonseiten dämonischer (z.B. 1,2327; 5,7-13) und menschlicher Mächte (2,6.16.18.24; 3,2.6.22; 7,1; 11,18.27; 12,12-13; vgl. Ps 2; Jes 42,1; PsSal 17; 4Q174) sowie der Reinigung des Tempels (11,12-14.17b.20-21; vgl. CD-A, 1,4-5; 1QS8,7-14).135 Aber wie diese charakteristischen Stränge in Jesus zusammenführen, bleibt dem Hörer noch verborgen. Mehr Fragen als Antworten werden bezüglich Jesus aufgeworfen, allerdings im allgemeinen Zusammenhang der Erwartung des erneuten Eingreifens Gottes in der Geschichte Israels, und dadurch der Menschheit. Diese Hoffnung wird durch den Täufer geweckt. Jesus erneuert zunächst stellvertretend die kollektive Sohnschaft Israels mit Gott136 sowie die des kollektiven Knechts Gottes (Jes 42,1).137 Er tut dies in der Wüste, durch Hosea 11,1-3 vorausgesagt.138

1.3 Versuchung in der Wüste 1,12-13 I 12 Alsbald trieb ihn der Geist in die Wüste. 13 Und er wurde vierzig Tage lang in der Wüste vom Satan versucht; er lebte mit den wilden Tieren, während die Engel ihm dienten. II Siehe oben 1., Bemerkungen zum Gesamtabschnitt. sammenhang auf das wichtige Bekenntnis in 1Kor 8,6 verweist. Er tut dies allerdings ohne spezifische Rückfrage auf den historischen Jesus. 133 Siehe vor allem Watts, „Mark“, 121-122.127-128. Lane 56; Keener, Background, 136 verweist ferner auf Jes 65,17. 134 Vgl. ähnlich Pesch I 92-94. Vgl. oben, Einleitung 4.1.4. 135 Watts, „Mark“, 128. 136 Watts, „Mark“, 124-127. 137 Vgl. Dschulnigg 67-68, der allerdings zu schnell von einem individuellen Gottesknecht spricht. 138 Lane 56.

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III 12-13 Zwischen Ausrüstung bzw. Bestätigung Jesu und dem Beginn seines öffentlichen Wirkens liegt der knappe Bericht der radikalen, vierzig Tage andauernden Versuchung Jesu in der Wüste.139 Siehe die ähnliche Reihenfolge von Salbung mit folgender Opposition bei David (2Sam 5,17; 1Chron 14,8). Dort handelt es sich jedoch vor allem um Opposition durch Menschen. Der Geist Gottes, der Jesus zum vollmächtigen Dienst gegeben ist, treibt (oder drängt) ihn paradoxerweise zunächst zum von wilden Tieren140 bewohnten Wüstenort der satanischen Versuchung, der scheinbaren Gottesverlassenheit (vgl. 1 QM1,2f).141 Pesch bevorzugt für ἐκβάλλειν [ekballein] dagegen weniger überzeugend die abgeschwächte Bedeutung von „führen“ bzw. „schicken“ (vgl. z.B. Joh 10,4).142 Allerdings ist „zwingen“ bei anderen Auslegern ebenso wenig kontextgemäß; vgl. 1,43 („fortschicken“) sowie 5,40.

Wie oben erwähnt (vgl. Bemerkungen zu V. 10-11), erhebt sich mit dem eschatologischen Kommen Jahwes durch den Gesandten auch der massive Widerstand durch dämonische Mächte. Satan, der mächtige, aber geschaffene Engel des Lichts (2Kor 11,14) versucht Jesus in der Wüste, um dadurch die rettende und versöhnende Absicht Gottes zu untergraben. Satan beabsichtigt, an seinem Einfluss über die Menschheit festzuhalten, um damit den entfremdeten Widerstand der Menschheit gegen Gott weiter zu schüren (vgl. Röm 16,20). All dies signalisiert, dass ein Machtkampf zwischen dem souveränen Gott und dem Widersacher Satan besteht. Dieser wird durch das Kommen des messianischen Reiches aufgrund von Jesu Sieg über Satan endgültig gegen Satan entschieden (1,14-15; 14,25).143 Die folgende Erzählung über das Wirken Jesu muss auf diesem Hintergrund des kosmischen Kampfes gesehen werden. Die Herrschaft Gottes, die Jesus bringt, bedroht die Macht Satans (sowie die Autonomie des Menschen). Wo Gott nun gezielt wirkt, konzentriert sich die Macht Satans. Daraus erklärt sich wenigstens zum Teil, warum sich dämonische Mächte derartig massiv gegen das öffentliche Wirken Jesu stemmen. 139 Lit.: Mauser, Christ, ad loc. Weitere Lit. bei: Guelich 36 (bis 1988); Pesch I 98-100.427 (bis 1980). 140 Siehe Lane 61, der überzeugend begründet, dass „Tiere“ hier nicht einen paradiesischen Zustand beschreiben (pace Pesch I 95-96), sondern das bedrängte, gottverlassene Leben in der Wüste unterstreichen. Keener, Background, 136 verweist auf Hes 34,25 und Dan 6,22. 141 Pesch I 94. 142 Ebd. 143 Siehe Apg 2,30-32; 1Kor 15,25; Phil 2,9-11; Kol 1,13.18.

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Während der 40-tägigen Versuchung stehen Boten Gottes144 Jesus dennoch fortlaufend und schützend zur Seite (vgl. Elia, 1Kön 19,55-57): während die Engel ihm dienten145 (vgl. Ps 91,11-13).146 Die Dauer von vierzig Tage(n) erinnert an die Zeit des Mose auf dem Sinai (Ex 24,18) sowie an Elia auf dem Horeb (1Kön 19,8-15).147 Wie bereits erwähnt, ist die Wüste ein Ort der Vorbereitung, Reinigung, Prüfung oder Versuchung sowie der Verkündigung (siehe 1Kön 17,4.9; 2Kön 1,8; Sach 13,4; vgl. ferner Ex 16,31; Deut 8,2.5.16). Die Versuchung hat hier zwei Komponenten: Satan, der Gott stets untergeordnete Widersacher, beabsichtigt, Jesus, den ihm überlegenen Sohn Gottes, zu Fall zu bringen (Versuchung als Zerstörung; vgl. Jesu Gegner, 8,11; 10,2; 12,15; 14,38). Satans Absicht intensiviert im Hörer die Frage, wer Jesus ist und warum gerade er von Satan derart frontal ins Visier genommen wird. Zweitens führt eine derartige Versuchung bei Gottesvertrauen zur bewährenden Bekräftigung und Bestätigung in Gott (Versuchung als Bestätigung).148 Im vorliegenden Text vermittelt das Partizip Präsens πειραζόμενος ([peirazomenos], von πειράζω [peirazō]) = „prüfen“; „versuchen“) in Verbindung mit dem Impf. ἦν [ēn; d.h. umschreibende Konjugation] eine andauernde bzw. wiederholte Handlung (d.h., er versuchte ihn immer wieder). Jesus überwindet Satan während seines Lebens stets durch unmittelbares Vertrauen auf den Willen seines himmlischen Vaters (siehe Mt 4,1-11; Lk 4,113; vgl. Kol 1,13). Jesu Kampf gegen Satan hat bereits begonnen. Die beharrliche Absicht Satans verfehlt jedoch nicht nur ihr Ziel, sie bewirkt im Vertrauen auf Gott ihr absolutes Gegenteil. Der demütige (und stellvertretende) Gang des Galiläers zum Jordan wird mit dem demütigenden (und stellvertretenden) Gang in die Wüste fortgesetzt. Das Thema der Erniedrigung vor der Erhöhung wird somit bereits hier angestimmt (vgl. Phil 2,5-11). Jesus übt auch in der Wüste149 (stellvertretend) Gehorsam gegenüber Gott, eben dort, wo viele Israeliten im ersten Exodus durch Ungehorsam (vgl. das Zeitmaß „vierzig“ als Zahl der Erprobung und Frist für Strafe150) den Tod finden. Die Verse 1213 deuten an, dass mit Jesus das neue, messianische „Israel Gottes“ beginnt.151 144 Vgl. Pesch I 96, der auf VitAd 4 verweist; dort werden Adam und Eva durch Engel gespeist. Vgl. Engel im ersten Exodus, Ex 14,19, etc. Siehe Lane 62. 145 Lane 62. 146 Siehe die Bemerkungen zu 1,3-4.35.45; 6,31.32.35. 147 Lane 60. 148 Vgl. ebenso Maier, Matthäus, Kap. 1–14, 366. Siehe Hebr 2,18; 11,17; Jak 1,13; 1Petr 1,7. Vgl. Ex 16,4; 20,20; Deut 13,4; Ri 2,22; 1Kön 10,1; LXX 2Chron 9,1; Ps 25,2. 149 Vgl. die Motivverknüpfung des Begriffs „Wüste“ in 1,3-4 und 1,12-13. 150 Vgl. Pesch I 95, der auf Ex 16,35; Deut 1,3; 2,7; 8,2.4; 29,4; Am 2,10; Neh 9,21 sowie Gen 6,5ff verweist. 151 Lane 62.

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Ferner mag hier ein biblisch-theologisches Echo zu Adam vorliegen: Der „zweite Adam“ widersteht der Versuchung, welcher der erste erlag; der erste schenkt Satan Glauben, der zweite vertraut Gott. J. Jeremias bemerkt treffend: „Jesus erschließt das Paradies neu, das sich der erste Mensch verscherzt hatte“.152 Insgesamt verdeutlicht Mk 1,12-13, dass die nun folgende biografische Erzählung auch auf dem kosmischen Hintergrund satanischer Versuchung zu verstehen ist.153

1.4 Summarium 1,14-15154 I 14 Nachdem Johannes aber (in die Hände seiner Feinde) überliefert worden war, kehrte Jesus nach Galiläa zurück und begann, die gute Botschaft von Gott zu verkündigen, 15 indem er sagte: „Die Zeit ist zur Erfüllung vorangeschritten und die Herrschaft Gottes ist in unmittelbarer Nähe; kehrt (stets) um in Buße und glaubt (stets) an die gute Botschaft“. II Siehe oben 1., Bemerkungen zum Gesamtabschnitt. III Der Todesschatten lieg bereits über dem Täufer. Bald wird er verhaftet und schließlich enthauptet werden (6,14.24-25). Mit dem Auftreten Jesu erfüllt sich eine zentrale heilsgeschichtliche Erwartung (vgl. 10,30; 13,33; 14,49).155 Die Verkündigung der Herrschaft Gottes weckt die Hoffnung auf Wiederherstellung all dessen, was im Sündenfall zerbrochen ist. Im Mk-Bericht bleibt lange offen, welche Beziehung zwischen Jesus und dem durch ihn verkündeten Gottesreich besteht (siehe Bemerkungen zu 14,25).156 Vor allem aufgrund des Makkabäeraufstandes im 2. Jh. v.Chr. wird im Judentum z.Z. Jesu die alttesta152 Art. Ἀδάμ (J. Jeremias), ThWNT I 141-143, hier: 141. 153 France 83-84. 154 Lit.: Dormeyer, Prolog, 181-211; Ladd, Kingdom, 230-238; Popkes, Christus, 144; Raitt, Summons, 30-49; Guelich, Beginning, 5-15; vgl. Ridderbos, Coming, ad loc.; Steck, Israel, ad loc. Weitere Lit. bei: Guelich 40 (bis 1988); Pesch I 107-108.427 (bis 1980). 155 „The Greek, when he uses such expressions, has in mind foreordination by an impersonal power in which compulsion rules, not the personal and consequently free decision of the living God, whose mercy brings about the fulfillment which kindles the rejoicing of human thanksgiving according to Mark 1:15“ (TDNT, VI, 295). 156 Siehe BDAG, 134.

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mentliche Erwartung des Eingreifens Gottes mehr oder weniger eingeengt und vor allem mit einem politisch-davidischen und messianischen Befreier verbunden (vgl. 2Sam 7; siehe oben, 4.1.2). Die innere Reinigung vor Gott durch Opfertod (Jes 53,8-12) sowie die weltweite Herrschaft eines erhöhten Messias (vgl. Ps 110,1; Dan 7,13-27) sind meist nicht Bestandteil einer derartigen Erwartung. Mk wird im Verlauf seiner Erzählung darlegen, dass die angemessene Reaktion auf die gute Botschaft das unmittelbare Vertrauen auf Jesus als ewiger Sohn (und damit auf den himmlischen Vater) ist.157 14-15 In knappen Worten stellt Mk fest, dass Johannes der Täufer überliefert bzw. ausgeliefert (παραδίδωμι [paradidōmi]; siehe unten)158 wurde. Die Aussage bedeutet, dass Gott (unergründlich)159 seine schützende Hand vom Täufer zurückzieht (siehe später auch bei Jesus),160 um somit den Gegnern des Täufers „freie Hand“ zu gewähren (in die Hände seiner Feinde). Was konkret geschehen ist, wird erst in 6,14-29 erläutert. Das Motiv der Übergabe bzw. Auslieferung zieht sich wie ein roter Faden durch das Mk Ev. Nachdem der Täufer überliefert wurde, wird auch Jesus in die Hände seiner Gegner überliefert (παραδίδωμι [paradidōmi]).161 Ähnlich werden auch die Nachfolger Jesu in böse Hände überliefert werden (παραδίδωμι [paradidōmi]; vgl. 13,9.11-12).162 Trotz Verwerfung der jeweiligen Boten Gottes (12,1-10) wird das Evangelium,163 d.h. die gute Botschaft des Heilswirkens Gottes,164 in die Welt hinausgetragen werden (6,12; 13,10; vgl. Jes 52,7), was zur Ausweitung der Herrschaft Gottes führt (vgl. 14,25).165 In der Kraft des Heiligen Geistes (Lk 4,14) beginnt Jesus sein öffentliches Wirken (nach dem Abtreten des Täufers, vgl. 6,14 und 1,7) mit Aussagen über

157 Vgl. 1,1; 8,35; 10,29; 13,10; 14,9; [16,15]. 158 Zum Motiv der „Überlieferung“ im Mk Ev., siehe unten, sowie die Bemerkungen zu 3,19; 9,30-31; 10,33; 13,9-13; 14,42.44; 15,1.10; vgl. 14,18.21. Vgl. Popkes, Christus, passim. 159 Siehe jedoch die lange Reihe der leidenden Gerechten (passio iusti, das Leiden des Gerechten); vgl. Steck, Israel, passim. Vgl. Pesch II 1-27, „Einführung zur vormarkinischen Passionsgeschichte“. 160 Vgl. Pesch I 101, mit Verweis auf Popkes, Christus, 144. 161 Siehe die Bemerkungen zu 1,14 und 14,10-11. 162 Dies geschieht allerdings nicht als Gottesgericht (vgl. dagegen 2Chron 12,5). 163 Der Genitiv „von Gott“ ist gen. obiectivus, d.h. das Evangelium über das Heilswirken Gottes; siehe BDAG, 318. 164 Siehe Bemerkungen zu 1,1; 8,35; 13,10; 14,9. 165 Siehe Jes 52,7; 61,6; Dan 7,22; Gal 4,4; vgl. 1Kön 2,45.

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das unmittelbare Anbrechen166 der Herrschaft Gottes167 (vgl. Jes 61,6;168 Gal 4,4).169 Diese Ankündigung ist gute Botschaft, in Anspielung auf eine kaiserliche Sieges- oder Frohbotschaft (siehe Bemerkungen zu V. 1), die verbreitet werden soll und auf das heilsame Eingreifen Gottes in der Geschichte des Gottesvolkes verweist (vgl. den ersten und zweiten Exodus).170 Der Begriff „Königreich Gottes“ (bzw. Herrschaft Gottes) wird zunächst nicht näher erklärt (siehe Exkurs 5, „Das messianische Reich Gottes“). Aus dem AT ergibt sich jedoch die Grunderwartung des direkten und persönlichen Eingreifens Gottes als Herrscher („Regierung“ vor „Region“; vgl. oben, 4.).171 Vor allem aufgrund der Makkabäerzeit wird diese Erwartung im palästinischen Judentum des 1. Jh.s n.Chr. mehr oder weniger auf die politische Ebene reduziert (vgl. 2Sam 7 im Rahmen einer rein diesseitigen, davidisch-königlichen Erwartung). Sie verschließt so den Blick für die Tatsache, dass der Begriff im Munde Jesu den Herrschaftsanspruch Gottes über das ganze Universum, über sein gesamtes (messianisches) Volk, den ganzen Menschen, einschließt (vgl. Dan 7,13-14). Die messianische Herrschaft Gottes beginnt mit der Sühnung und Reinigung von Sünde (als grundsätzliche Entfremdung von – und Feindschaft gegen – Gott). Deutlich ist, dass Jesus, im Gegensatz zu Johannes, die Erfüllung von Verheißung betont (die Zeit ist zur Erfüllung vorangeschritten (πεπλήρομαι [peplēromai] = „ich habe erfüllt“; „ich habe vervollständigt“; V. 15), während der Täufer jene Erfüllung noch erwartet.172 15 Die eben skizzierte Ausrichtung der Lehre Jesu auf die Heil bringen173 de Herrschaft Gottes wird dadurch bestätigt, dass mit Jesu Aufruf sowohl Umkehr174 (bzw. Buße; vgl. 1,4) als auch Glaube175 an die gute Botschaft gefordert werden und eben nicht primär politisches Handeln (etwa nach makkabäischem Muster). Um unter dem Einfluss der messianischen Herrschaft Gottes 166 Lane 66 verweist auf Mk 12,28: die „unmittelbare Nähe“ heißt, dass das Angesprochene als nächstes Ereignis erfolgt. 167 Siehe zum Stamm βασιλ- [basil-] Mk 1,15; 3,24; 4,11.26.30; 6,14.22f.25ff; 9,1.47; 10,14f.23ff; 11,10; 12,34; 13,8f; 14,25; 15,2.9.12.18.26.32.43. Vgl. Petrus in Apg 1,3.6; 4,26; 7,10.18; 8,12.27; 9,15; 12,1.20f; 1Petr 2,9.13.17; 2Petr 1,11. 168 Vgl. Rowe, Kingdom, 80 bezüglich der Wahrscheinlichkeit, dass Jes 61,1ff eine messianische Gestalt beschreibt, die eine Siegesrede hält. 169 Vgl. Pesch I 101. 170 Vgl. Watts, „Mark“, 124. 171 Vgl. Ladd, Kingdom, 230-238; Verweis bei Lane 64, Anm. 92. 172 Vgl. Lane 64, der auf Ridderbos, Coming, 48 verweist. 173 Vgl. Pesch I 101-102, mit Verweis auf Jes 56,1; Klgl 4,18b; Hes 7,3,12; 9,1. 174 Vgl. Pesch I 102-103, der auf Raitt, Summons, 30-49 verweist. Vgl. ferner Steck, Israel, ad loc. 175 Siehe ferner Bemerkungen zu 2,5; 4,40; 5,34.36; 6,6; 9,24. Vgl. Bemerkungen zum Stichwort „Glaube“ in 10,47.52; 11,22-24. Siehe 10.4, IV zu 8,27–9,29.

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zu wachsen, sind nach Jesus zwei innere Haltungen von grundlegender Bedeutung: 1. Fortdauernde Buße, bei der der Mensch von gottloser Autonomie zu einer ganzheitlichen Abhängigkeit von Gott zurückkehrt (vgl. z.B. Josia „der sich zum Herrn bekehrte“ [ὃς ἐπέστρεψεν πρὸς κύριον [hos epestrepsen pros kyrion], 2Kön 23,25 LXX). 2. Bleibendes Vertrauen (Glaube). Beide Verben beschreiben hier eine andauernde Handlung im durativen Präsens (μετανοεῖτε [metanoeite], „tut immerdar Buße“ [vgl. Bemerkungen zu 1,4; 6,12], und πιστεύετε [pisteuete], „glaubt / vertraut immerdar“).176 Im Zentrum eines derartig bußfertigen Glaubens geht es um die persönliche und kindliche Annahme des stellvertretenden Opfertodes Jesu (10,45; 14,22-24; vgl. Jes 52,13–53,12) als Mittel zur Versöhnung mit Gott (Röm 5,7-10; 1Petr 3,18).177 Das Gegenteil eines derartigen Vertrauens ist nicht Unglaube, sondern sich verselbstständigende Furcht (4,40; 5,36). Glaube an die tatsächliche Gegenwart Gottes schützt ferner vor der Versuchung, sich ohne Gott von der Macht des Bösen überwältigen zu lassen (13,11; 16,6). Ein gesunder Glaube an Gott ist scharf von Leichtgläubigkeit zu unterscheiden (13,21). Wahrer Glaube ist weder von mathematischer Beweisführung abhängig (siehe z.B. die verfehlte Forderung in 15,32), noch verlässt er sich auf Mythen oder haltlose Fabeln (vgl. 2Petr 1,16). Vielmehr geht er aus dem glaubwürdigen apostolischen Augenzeugnis über die Taten Gottes in und durch Jesus (16,1-8; [16,14]; vgl. Lk 1,1-4; Apg 14,17) hervor.178 Der Hörer wird schon hier mit den zwei großen Fragen des Markusevangeliums konfrontiert: 1. Wer ist dieser Galiläer? 2. Was bedeutet seine Ankündigung der nahen Herrschaft Gottes? In den ersten Versen des Markusevangeliums werden somit viele Fragen bezüglich der Identität Jesu aufgeworfen. Ferner bleibt die genaue Beschreibung des Königreiches Gottes aus (siehe Exkurs 5). Ganz unklar bleibt zunächst auch, wie sich Jesus und das Königreich Gottes zueinander verhalten. Erst gegen Ende des Evangeliums (vgl. Exkurs 12) werden die bis dahin getrennt erläuterten Größen (der „Kommende“ bzw. das „Königreich Gottes“) aufeinander bezogen. IV zu 1,1-15 Ziel. Die Überschrift (1,1-3) und Einleitung (1,4-15) enthalten den knapp gefassten, aber vielsagenden heilsgeschichtlichen Dreischritt von (1) Jesajas Prophetie einer ausstehenden Wegbereitung des Herrn, (2) dem Wegbereiter 176 Vgl. Zerwick-Grosvenor, 102. 177 Siehe 2,5; 5,34; 9,42; 10,52; vgl. 10,27. 178 Vgl. Bauckham, Jesus, passim.

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Johannes und (3) dem Kommenden. Dabei ist die Erwartung der Erfüllung der Prophetie Jesajas eine verbreitete Haltung im Judentum des 1. Jh.s n.Chr., die Art der Wegbereitung (Buße mit folgendem „gerechten“ Leben) ist dagegen bereits etwas überraschender (vgl. die typische Variante in der Qumrangemeinschaft: Wegbereitung durch konsequente und rigorose Gesetzestreue). Beachtlich ist schließlich, dass der historisch glaubwürdig präsentierte Wegbereiter im „Kommen des Herrn (Jahwe)“ einen Menschen erwartet (vgl. „Laschen der Schuhe“). Das „Kommen des Herrn“ eschatologisch mit dem Ausgießen des Heiligen Geistes zu verbinden ist geläufig (vgl. Joel 3,1; 4,16ff); wiederum erstaunt jedoch, dass es der Kommende ist, der vollmächtig mit dem Heiligen Geist taufen wird. Der Kommende greift die alttestamentlich verankerte Erwartung auf, dass Gottes Herrschaft neu aufgerichtet wird (1,14-15). In gewisser Weise verkündigt somit zunächst auch der Kommende (Jesus) parallel zum Täufer eine noch ausstehende Herrschaft Gottes (vgl. die literarische Parallelität zwischen 1,2-8 und 1,11-15). Die Erwartung konzentriert sich also anfänglich nicht auf den durch Johannes angekündigten Jesus, sondern auf dessen Verkündigung der kommenden Gottesherrschaft. Bekräftigt wird dies dadurch, dass der Kommende selbst zur Bußtaufe des Wegbereiters kommt; als stellvertretendes Schuldbekenntnis ist dies zugleich eine erste Andeutung für Jesu Selbstverständnis seines stellvertretenden Sühneleidens; vgl. Mk 10,45; 14,24. Jesus kommt zum Täufer als der eine, wahre Israelit, dessen Buße vollkommen ist (vgl. Mt 3,15). Er kommt als Sohn Gottes, dessen Sohnschaft in der Wüste bestätigt wird.179 Im Verlauf des Evangeliums verjüngt sich jedoch die Differenz zwischen dem Kommenden und seiner Verkündigung der Gottesherrschaft dergestalt, dass der Kommende durch sein Leben, Lehren und Handeln zum Begründer der messianischen Gottesherrschaft wird, ja sich selbst als Herrschender offenbart (vgl. den Kontext von Jes 40,3). Lediglich im Verlauf des Evangelienberichts wird die Aussage des Täufers erklärend bestätigt, dass der Kommende kein anderer als der herrschende Gott (κύριος [kyrios]; ewiger Sohn Gottes) in Gestalt eines Menschen ist (vgl. Phil 2,5-11; Kol 1,15-20). Je mehr die augenscheinliche Differenz zwischen Jesus und seiner Botschaft schwindet (der Verkündiger der Gottesherrschaft ist der Herrscher), umso mehr entfernt sich Jesus damit von der verbreiteten Messiaserwartung seiner jüdischen Zeitgenossen, einschließlich seiner Jünger. Das Auftreten und Lehren Jesu ist letztendlich die gute Botschaft. Das Kommen des göttlichen Herrn wird auf dem Hintergrund der alttestamentlichen Erwartung sowohl als Gericht als auch als Errettung verstanden. 179 Vgl. Lane 54.

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Dies trifft z.B. beim Passahfest zu (vgl. Qumran, CD 19,10f), wo die Zeit der Heimsuchung sowohl als Rettung der Gerechten als auch als Gericht der Ungerechten verstanden wird. Die gute Botschaft von (und damit auch über) Jesus, die in der Urgemeinde überliefert wird, wird hier schriftlich fixiert (vgl. den Bezug zu Apg 10,3638 als „Mikro-Evangelium“ des Petrus). Allerdings ist das Niederschreiben nichts absolut Neues. Erlebtes mit Jesus und Auszüge seiner Königreichbotschaft werden z.T. vorösterlich notiert und zwar parallel zur mündlichen, apostolischen Verkündigung.180 Sobald Jesus durch die Auferstehung endgültig als ewiger Sohn Gottes bestätigt ist, wird das, was er tut und lehrend sagt, in schriftlicher Form zu γραφή ([graphē] = Heilige Schrift), zu Offenbarung Gottes. Das Summarium kündet an, dass Umkehr und Glaube Hauptbetonungen des Verkündigers sind. Der Begriff „Glaube“ wird von „Bereitschaft, dass Jesus etwas tut“ bis hin zum „vertrauenden Annehmen des stellvertretenden Opfertodes“ entfaltet werden. Jesus wird einst das Gleichnis von den bösen Winzern erzählen (12,1-12). Bereits jetzt wird deutlich, dass alttestamentliche Prophetie sowie der Täufer als letzter Prophet Gottes den treuen und häufigen Ruf Gottes darstellen. Nun aber kommt der Sohn, sobald der letzte Prophet in mörderische Hände „überliefert“ ist (vgl. 1,14 mit 12,5-6). Kontextualisierung und Anwendung. Obwohl das Mk Ev. vor allem an Menschen außerhalb Palästinas und des Judentums gerichtet ist, wird der damalige Hörer gleich zu Beginn des Evangeliums mit einer für ihn u.U. fremden Denkweise und Weltanschauung konfrontiert. Er soll die gegenwärtigen Ereignisse nicht zusammenhangslos auffassen, sondern diese im heilsgeschichtlichen Denkrahmen von zurückliegender Prophetie, gegenwärtiger Erfüllung und zukünftiger Erwartung auffassen. Der Hörer soll verstehen, dass der lebendige Gott die gegenwärtigen Ereignisse (in Wort und Tat) schon längst ins Auge gefasst hat (womit Gott sich unmissverständlich in seiner Selbstoffenbarung beglaubigt) und diese vor allem durch den Propheten Jesaja verlautbaren lässt. Hierbei spielt die Frage, aus welcher Weltanschauung der Hörer stammt, keine bestimmende Rolle: Vielmehr soll der Leser bemerken, dass die beständige Gesetzmäßigkeit von „Verheißung und Erfüllung“, etwa im Gegensatz zum Koran, eine charakteristische Form der Selbstoffenbarung des lebendigen

180 Siehe oben Einleitung 2. „Die Entstehungsverhältnisse der synoptischen Evangelien“ sowie Exkurs 1.

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Gottes Israels ist. Ferner lernt der Hörer, dass Gott in der Geschichte handelt und Schlüsselereignisse deutlich initiiert und miteinander verknüpft.181 Der Hörer beobachtet, dass die Verheißung (Jesaja) zusammen mit ihrer Erfüllung (der Täufer) auf einen Kommenden verweist, der bereits durch diese Doppelbekundung als überaus bedeutend vorgestellt wird. Persönlich mit dem lebendigen Gott in Beziehung gestellt zu werden, bedeutet für den Hörenden also zunächst, das zeit- und raumübergreifende Reden und Wirken Gottes wahrzunehmen. Ferner ist es der Schöpfergott (vgl. den Schöpfungsrahmen der Herrschaft Gottes), der mit ihm gegenüber verantwortlichen Menschen Absichten verfolgt (Heil und Gericht). Der Hörer lernt ferner, dass die von Gott initiierten Ereignisse ganz sicher zum beabsichtigten Ziel führen werden, weil Gott bereits in der Vergangenheit Vorausgesagtes bewahrheitete. Damals, wie heute, soll der Hörende mit diesem mächtigen und majestätischen Faktum von Gottes Verheißung und Erfüllung vertraut werden und damit in seiner anthropozentrischen und autonomen Existenzhaltung infrage gestellt werden. Dieser Anspruch soll auch philosophisch reflektiert werden. Der Anspruch hinterfragt sowohl das Postulat der Vernunftautonomie182 (seit der Aufklärung, mit parallel dazu verlaufendem Autonomiepostulat empirischer Wissenschaft)183 sowie das Postulat der Erfahrungsautonomie (Postmoderne).184 Ferner ist die Frage des religiösen Pluralismus damit ebenso aufgeworfen.185 Angesichts der Wucht dieses großen heilsgeschichtlichen und Heil bringenden Bogens, soll die innere Haltung der Ehrfurcht vor einem derartig souverän handelnden Gott wachsen (vgl. die Betonung der Empfangsbereitschaft). Vorstellungen, die im Rahmen des Judentums und des Alten Testaments geläufig sind (der Gesalbte; die Herrschaft Gottes; Nachfolge; der Bote; Wegbereitung; Taufe; Umkehr; Vergebung der Sünden; die Erwartung des Kommenden; der Heilige Geist), mögen dem Hörer u.U. noch nicht (sehr) geläufig sein. Diese Einzelheiten werden im Verlauf der Evangelienerzählung erläutert und verdeutlicht. Es mag sein, dass der Hörer am Ende des Evangelienberichts nicht zum Nachfolgenden, zum Lernenden, zum Abhängigen von Jesus Christus und da181 Vgl. Cullmann, Heil als Geschichte, passim. 182 Allerdings nicht die Gottesgabe des Verstandes. 183 Allerdings nicht die Gottesgabe des wissenschaftlichen Forschens. 184 Allerdings nicht die Gottesgabe der Erfahrung. 185 Bei aller Betonung der absoluten Wahrheit der Gottesoffenbarung in der Bibel darf der Glaube an den Gott der Bibel allerdings nie zu militantem Verhalten bzw. zu Gewaltanwendung instrumentalisiert werden. Der Opfertod Jesu als Grund des Heils und als Vorbild für leidensbereites Gottesvertrauen widersetzt sich einer derartigen Verirrung, der christliche Kirchenangehörige in der Vergangenheit immer wieder anheimgefallen sind (vgl. z.B. die Kreuzzüge).

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mit von dem dreieinigen Gott wird. Er soll dennoch in Gottes Art der Selbstoffenbarung eingeführt werden und dessen unmissverständlichen Ruf zumindest hören. Allein der Ruf des Täufers an die Hörenden umzukehren, sich Gott zuzuwenden und Sünde zu bekennen, macht dem Lesenden deutlich, dass sogar das Bundesvolk Israel der inneren Umkehr zu Gott bedürftig ist. Wie viel mehr gilt dieser Ruf dann denen, die von diesem Gott wenig oder gar nichts wissen (wollen)? Der Hörende wird somit auf die grundsätzliche und existenzielle Frage seiner eigenen Beziehung zu diesem Gott angesprochen. Obwohl der Ruf der Umkehr nicht unmittelbar an den Leser ergeht, wird er dennoch durch die indirekte und einladende Art narrativer Aussagen in diese Grundsatzfrage verwickelt (vgl. direkter 8,34-38). Gleichzeitig wird durch den Verweis des Täufers auf den Kommenden deutlich, dass Umkehr zu Gott allein noch nicht das Endziel Gottes mit dem Lesenden ist. Es wird deutlich, dass das „Bereiten des Weges“ nicht endgültige Selbstreinigung bedeutet (im Unterschied zu Qumran), sondern, dass Umkehr lediglich Empfangsbereitschaft für den „Kommenden“ signalisiert: Umkehr vom Bewusstsein der eigenen Autonomie und der Feindschaft gegen Gottes Gebote, um Gottes notwendige Provision zu empfangen.186 So wird bereits hier die für Mk entscheidende Frage angeschnitten, wer der Kommende ist und wie sich sein Kommen, Wirken und Lehren auf die Hörenden und Lesenden auswirken wird. Wer sich in dieser Welt verlassen fühlt, soll genau hinhören: Gott schweigt nicht.187 Naturwissenschaftler verweisen z.B. auf das fein aufeinander abgestimmte Kräfteverhältnis des Kosmos.188 Trotz dieser Tatsache und unzähliger Naturphänomene sind das Schweigen, die Unsichtbarkeit189 und die erlebte Ferne Gottes für viele Menschen dennoch erdrückend bzw. Anlass dazu, anscheinend ohne Gott leben zu müssen. Hat Gott vielleicht dennoch einen unerwarteten Weg gebahnt, mittels dessen er sich persönlich kenntlich macht? Ist es vielleicht Gnade Gottes, dass er sich in seiner feurigen Macht nicht direkt (z.B. naturwissenschaftlich beweisbar) offenbart, weil wir als gottesferne und Gott innerlich abgewendete Menschen angesichts seiner Heiligkeit sonst unmittelbar umkämen? Ist das die Menschen verschonende Offenbarungsmittel 186 Vgl. analog hierzu den Beginn von Georg Friedrich Händels „Messias“. 187 Vgl. Schaeffer, He Is There, passim. 188 Siehe Ross, Creator, passim. Ross beschreibt das sehr unterschiedliche, jedoch äußerst fein aufeinander abgestimmte Verhältnis zwischen den vier kosmischen Elementarkräften (u.a. Elektromagnetismus und Schwerkraft). Ein geringes Abweichen von diesem komplexen Kräfteverhältnis würde katastrophale, kosmische Folgen nach sich ziehen. 189 Vgl. Jüngel, Geheimnis, passim.

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der Heilsgeschichte, nämlich die Selbstoffenbarung Gottes in der ‒ und durch die ‒ Geschichte (in Wort und Tat), doch der Hoffnungsschimmer für Skeptiker und Entmutigte, wodurch ein klarer, gangbarer und verlässlicher Weg zurück zum Schöpfer offensteht? Dies gilt besonders deshalb, weil etwa die Geschichtsphilosophie G.E. Lessings,190 die auf der Vernunftautonomie der Aufklärung basiert, letztendlich doch nicht tragfähig ist. Hat Lessing tatsächlich bewiesen, dass jegliche und alle Geschichtsberichte a priori relativ, fehlerhaft und als Mittel für Gottes Selbstoffenbarung unbrauchbar sind? Wer mit Vernunftautonomie beginnt, endet mit Vernunftautonomie, ohne jemals das objektive Faktum der Inkarnation Jesu wahrzunehmen.191 Gesetzt den Fall, Jesus ist als ontologischer Sohn Gottes tatsächlich Mensch geworden. Gesetzt den Fall, dass die Jünger nur einen Satz von Jesus hören (z.B. „liebet eure Feinde“) und verlässliche Zeugen der Tatsache werden, dass der gestorbene Jesus wieder lebendig vor ihnen steht, folgt daraus, dass dieses einfache, durchaus menschliche und historische Zeugnis brauchbar ist, um außerhalb der geschichtsphilosophischen Schranken Lessings (vor allem außerhalb des Postulats der immanenten Kausalität) als direkte Gottesoffenbarung zu gelten. Liegt die Klimax und Hoffnung nicht in der Inkarnation des ewigen Sohnes?

190 Vgl. Lessing, Beweis, 10-16. 191 An diesem Punkt setzt die immer noch aktuelle Kritik A. Schlatters an der Vernunftautonomie von I. Kant an (Schlatter, Arbeit). Vgl. ferner M. Polanyi, Wissen, sowie R. Bauckham, Jesus, passim.

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2. Berufung der ersten Jünger, Lehre und Heilungen 1,16-451

Jesus unterstreicht seinen radikalen Nachfolgeruf und seine Vollmacht zur Lehre, indem er Macht über satanische Kräfte und physische Gebrechen demonstriert (siehe 1,16–3,12). Das Motiv der Nachfolge wird ferner dadurch hervorgehoben, dass die drei Phasen des Wirkens Jesu in Galiläa jeweils durch zentrale Nachfolgeabschnitte eingeleitet werden (siehe unten). Dieses Phänomen wird in der zweiten Hälfte des Mk Ev. weitergeführt. Die drei großen Voraussagen des Todes und der Auferstehung Jesu werden jeweils durch Unterweisung in Nachfolge ergänzt (siehe unten). Diese Beobachtungen verdeutlichen, dass Nachfolge unmittelbar mit der Person, dem Anspruch und dem Leidensweg Jesu verknüpft ist. Nachfolge bedeutet grundsätzlich, unter dem direkten und bleibenden Einfluss Jesu zu stehen, um dadurch zu verwandelten Menschen zu werden, die die Art Jesu immer mehr widerspiegeln. Die inhaltliche Beziehung zwischen der Herrschaft Gottes und Nachfolge wird dadurch sichtbar: Das Kommen des ewigen Reichs Gottes nimmt vor allem mit der radikalen Umwandlung der Nachfolger Jesu seinen Lauf (siehe vor allem Mk 7–10). Synoptischer Vergleich: Befund. Die Synoptiker berichten in einheitlicher Akoluthie den Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu (Mt 4,12-17 / Mk 1,1415 / Lk 4,14-15) unmittelbar nach dessen Versuchung (Mt 4,1-11 / Mk 1,12-13 / Lk 4,1-13). Mt 4,18-22 / Mk 1,16-20 berichten von der Berufung der ersten Jünger (vgl. Lk 5,1-11), während Lk (4,16-30) zunächst direkt die Verwerfung Jesu in Nazareth erwähnt (vgl. Mt 13,53-58 / Mk 6,1-6). Mk 1,21-38 / Lk 4,31-43 berichten gemeinsam über Jesus in der Synagoge in Kapernaum (vgl. Mt 4,13.24; Lk 4,14), über die Heilung der Schwiegermutter des Petrus (vgl. Mt 8,14-15), über die Heilungen am Abend (vgl. Mt 4,24) sowie über das Verlassen von Kapernaum. Die Synoptiker berichten sodann gemeinsam über den öffentlichen Dienst Jesu in Galiläa (Mt 4,23-25 / Mk 1,39 / Lk 4,44). In der Akoluthie des Mt folgt nun die Bergpredigt (Mt 5,1–7,29). Die drei Synoptiker konvergieren erneut im Bericht der Heilung des Aussätzigen (Mt 8,1-4 / Mk 1,40-45 / Lk 5,12-16). 1

Zur textkritischen Diskussion des Abschnittes vgl. Pesch I 109, Anm. a-d; 118, Anm. a-d; 129, Anm. a-c; 133, Anm. a-b; 137, Anm. a; 141, Anm. a-d; France 99.106.108.111.115; Lane 70, Anm. 106; 79-80, Anm. 133; 84, Anm. 141-142.

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2. Berufung der ersten Jünger, Lehre und Heilungen 1,16-45

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Auswertung. Zu Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu konzentriert sich der Markusbericht auf die Berufung der Jünger, den Bericht über Jesu Lehrtätigkeit (allerdings bietet Mk relativ wenig von Jesu tatsächlicher Lehre; vgl. im Gegensatz hierzu Mt 5,1–7,29) sowie die Beschreibung verschiedener Heilungen. Literarischer Kontext. Indem Mk die Berufung der Jünger (1,16-20) unmittelbar an den Anfang des öffentlichen Wirkens setzt (so auch historisch glaubwürdig: vgl. Lk 1,1-2; Apg 1,21-22; Apg 10,37-39), wird betont, dass die Jünger dereinst glaubwürdige Zeugen des gesamten, öffentlichen Lehrens und Wirkens Jesu sein können, angefangen bei der Taufe des Johannes.2 Bedeutsam ist ferner, dass die formale Verknüpfung der Person Jesu mit der Nachfolgethematik uns auf Schritt und Tritt begegnet: Die drei Hauptabschnitte des Wirkens Jesu in Galiläa (1,16–3,12; 3,13–6,6; 6,7–8,26) werden jeweils durch Nachfolgethemen eingeleitet (1,16-20; 3,13-19; 6,7-13) und mit Bemerkungen zum Widerstand gegen Jesus abgeschlossen (3,1-6; 6,1-6a; 8,14-21).3 Die drei Leidens- und Auferstehungsvoraussagen Jesu (8,31; 9,31; 10,32-34) werden jeweils durch Nachfolgeunterweisungen (8,34-38; 9,32-50; 10,35-45) fortgesetzt. Guelich bemerkt treffend: „This interplay of Christology and discipleship offers one of the central themes in Mark’s Gospel“.4 Mk 1,40-45 dient als Klimax von 1,21-45. Was zunächst für Kapernaum gilt (1,21-39), trifft in 1,40-45 für ganz Galiläa zu: Jesus ist überall bekannt. Mk 1,40-45 dient ferner als Übergang zu 2,1–3,12 (vgl. die thematische Verknüpfung „Gesetz Mose“ in 1,44 und 2,1–3,6).5

2.1 Berufung der ersten Jünger 1,16-20 Der Vergleich dieses Abschnitts mit der prophetischen Berufung von Elisa durch Elia (1Kön 19,19-21) unterstreicht vor allem das gemeinsame Motiv der Nachfolge (siehe unten). Allerdings übertrifft Jesus den berufenden Elisa durch größere Autorität und Dringlichkeit. Jesus ruft seine Jünger zu derartig radikaler Loyalität ihm gegenüber, dass sie ihre gewohnten Arbeits- und Familienbeziehungen seinem direkten Einfluss unterstellen müssen (vgl. Abrams Berufung in Gen 12,1). 2 So Guelich 49. 3 Ebd. 4 Ebd. Vgl. Bayer, Theology, passim. 5 Guelich 73.

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I 166 Und als er am Galiläischen See entlangging, sah er Simon und dessen Bruder Andreas, wie sie im See Netze auswarfen, denn sie waren Fischer. 17 Und Jesus sagte ihnen: „Kommt mir nach und ich werde dafür sorgen, dass ihr Menschenfischer werdet“. 18 Gleich folgten sie ihm nach und ließen ihre Netze liegen. 19 Und nachdem er ein bisschen weitergegangen war, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus und dessen Bruder Johannes, wie sie damit beschäftigt waren, die Netze im Boot zu flicken, 20 und sogleich rief er sie zu sich und sie gingen ihm nach und ließen ihren Vater Zebedäus im Boot, zusammen mit den Tagelöhnern.7 II Mk 1,16-20 ist eine Berufungserzählung8 in zwei Szenen (1,16-18.19-20),9 jeweils nach dem Muster von 1Kön 19,19-21 aufgebaut:10 a. Situation (1Kön 19,19a / Mk 1,16.19); b. Ruf (1Kön 19,19b / Mk 1,17.20a); c. Reaktion (1Kön 19,20-21 / Mk 1,18.20b).11 Auffällig ist die Korrespondenz zwischen altem und neuem Beruf, Fischer (V. 16b) und Menschenfischer (V. 17b).12 III Historische Rekonstruktion, mit Verweis auf das Joh Ev. Nach Joh 1,35-42 ist Andreas zunächst Schüler von Johannes dem Täufer. Infolge der Aussage von Johannes dem Täufer, dass Jesus der Messias sei (Joh 1,36), folgt Andreas Jesus nach. Andreas berichtet seinem Bruder Simon Petrus über seine Entdeckung. Petrus begegnet Jesus hierbei ein erstes Mal. Bei einer zweiten Begegnung ruft Jesus die Brüder Petrus und Simon in die Nachfolge (Mt 4,19 / Mk 1,17), während jene Netze auswerfen (Mt 4,18 / Mk 1,16). Einige Zeit danach 6 Neuerdings erhellt das recht frühe Oxyrhynchus Papyrus Fragment P137 (zweite Hälfte des 2. Jh.s bzw. erste Hälfte des 3. Jh.s) den Text von Mk 1,7-9.16-18 (siehe oben, 5. Textüberlieferung, 2.). Die Lesart von P137 stützt grundsätzlich den Text von NA28. Die wichtigste Abweichung von NA28 in Mk 1,16-18 ist die Auslassung von ὁ Ἰησοῦς [ho Iēsous], hier wohl als nomen sacrum (Mk 1,17; so auch bei Φ und 1194). Es mag sich hierbei um ein Beispiel von Parablepsis handeln (d.h. das Übersehen von οις [ois] als nomen sacrum in αυτοιςοις [autoisois]). 7 Lit.: Schlatter, Evangelist, 118; Schnabel, Mission, I 275-277. Weitere Lit. bei: Guelich 48 (bis 1988); Pesch I 116.427 (bis 1980). Vgl. ferner Best, Disciples, ad loc.; Black, Disciples, ad loc.; Breytenbach, Nachfolge, ad loc.; Byrskog, Jesus, ad loc.; Cullmann, Petrus, passim; Hengel, Nachfolge, ad loc.; Schweizer, Erniedrigung, ad loc. 8 Berger (Formen, 372) zählt diese Berufungsgeschichte zur Mandatio-Gattung. 9 Vgl. Pesch I 109. 10 Vgl. Berger, Formen, 372-373. Vgl. ebenso Mk 2,14. 11 So Guelich 49; vgl. Pesch I 109, der ferner auf Joh 1,43 als Parallele verweist. 12 Vgl. Pesch I 110.

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heilt Jesus die Schwiegermutter des Petrus (1,29-31; vgl. Mt 8,14-15; Lk 4,3839). Lk 5,1-11 erwähnt nicht, wie Jesus die Jünger zur Nachfolge auffordert. Das mag die Annahme bestätigen, dass der eigentliche Nachfolgeruf (Mt 4,19 / Mk 1,17) vor dem Ereignis, welches in Lk 5,1-11 berichtet wird, an Simon und Andreas ergeht. Bei dem Ereignis von Lk 5,1-11 kommt Jesus erneut zu den ersten vier Jüngern, während jene nach einer erfolglosen Nacht des Fischens ihre Netze säubern (Lk 5,2.5). Aufgrund der außergewöhnlichen Anweisung Jesu (Lk 5,4), die Petrus erstaunlicherweise befolgt (Lk 5,5), erlebt Petrus (zusammen mit Jakobus und Johannes) den wundersamen und überwältigenden Fischfang (Lk 5,6-7). Seine Reaktion auf Jesus wird bei Lukas folgendermaßen festgehalten: „Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch“ (Lk 5,8; Luther 1984). Die gottgewirkte Selbsterkenntnis in der Gegenwart Jesu ist überwältigend und überführend.13 Sie wird im Verlauf des Mk Ev. immer wieder als Merkmal der Nachfolge zu beobachten sein. Jesu Verheißung, sie zu „Menschenfischern“ zu machen, erfolgt zu diesem Zeitpunkt (Lk 5,10). Die bei Mk und Mt vorliegende Verknüpfung des Nachfolgerufs mit der Absicht Jesu, sie zu „Menschenfischern“ zu machen (1,17; Mt 4,19), stellt somit eine erzählende Straffung der Ereignisse dar. 16-18 Zu Beginn seines öffentlichen Wirkens ruft Jesus nach Markus als erste Jünger zwei Fischer.14 Bei ἀμφιβάλλω [amphiballō] handelt es sich um einen terminus technicus, der das „Auswerfen des runden Wurfnetzes“ bezeichnet, bei dem der Fischer im Wasser steht und das Netz ggf. über einen beobachteten Fischschwarm wirft.15 Allerdings ist ebenso bezeugt, dass Petrus auch auf offener See Netze zieht (vgl. Lk 5,4.6; siehe oben die Einleitung zu diesem Abschnitt, Synoptische Rekonstruktion). Wie ein Prophet beruft Jesus Simon Petrus und Andreas (laut Joh 1,3840 folgt Andreas Jesus zunächst aufgrund seiner eigenen Entscheidung nach). Das bedeutet, dass sie in gewisser Weise als Prophetenschüler (und nicht nur als Schüler eines Lehrers)16 zu gelten haben, also zu einem prophetischen, verkündenden, bezeugenden Dienst ausgebildet werden. Nach alttestamentlichem Muster (siehe etwa Elisa) werden sie damit in unmittelbare Verantwortung vor 13 Siehe Bayer, Theology, passim. 14 Helyer, Life, 25 verweist auf Fischverarbeitungsanlagen (z.B. das Einsalzen von Fisch) bei Magdala und Kapernaum: „Processed fish from … Galilee was carted to Jerusalem and sold in its markets, as witnessed by the Fish Gate in postexilic Jerusalem (Neh 3:3)“. See Murphy-O’Connor, „Fishers of Men“, 22-27; 48-49. 15 Pesch I 110, Anm. 9. Ähnlich formuliert Mt 4,18: βάλλοντας ἀμφίβληστρον εἰς τὴν θάλασσαν [ballontas amphiblēstron eis tēn thalassan] „sie warfen ein Wurfnetz in die See“. 16 In diesem Fall würden sie sich beim Lehrer bewerben; vgl. Schnabel, Mission, I 277 und Anm. 87, der auf mAbot 1,6 verweist.

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Gott gestellt und lernen, aus diesem Verhältnis ihren spezifischen Dienst zu verrichten. Der Vergleich dieses Abschnitts mit der prophetischen Berufung des Elisa durch Elia (1Kön 19,19-21) unterstreicht neben weiteren Parallelen die Aufgabe, einem Meister nachzufolgen. Die LXX übersetzt den MT ‫ְו ֵא ְלכָה ַאח ֲֶריָך‬ ([weelekāh ’acharäjkā] = „ich gehe dir nach bzw. hinter dir her“) in 1Kön 19,2017 mit ἀκολουθήσω ὀπίσω σου ([akolouthēsō opisō sou] = „ich folge hinter dir her“). Ähnlich sind die Formulierungen in Mk 1,17 (δεῦτε ὀπίσω μου [deute opisō mou] = „kommt mir nach“)18 und in Mk 1,18 (ἠκολούθησαν αὐτῷ [ēkolouthēsanautō] = „[sie] folgten ihm nach“). Mk 1,20 formuliert schließlich ἀπῆλθον ὀπίσω αὐτοῦ ([apēlthon opisō autou] = „sie gingen hinter ihm her bzw. sie folgten ihm“).19 Im Gegensatz etwa zu 1Kön 19,19-21 erfolgt die Berufung von Petrus und Andreas (V. 17) unmittelbar (εὐθύς [euthys]),20 gleich folgten sie ihm nach (V. 18 und 20; vgl. 3,13-19; 10,28); sie erlaubt keine Zeit, um sich etwa von Familienangehörigen verabschieden zu können (oder noch anderen familiären Verpflichtungen nachzukommen, vgl. V. 20). In 1Kön 19,20a sagt Elisa zu Elia, „Lass mich meinen Vater und meine Mutter küssen, dann will ich dir nachfolgen“ (Luther 1984). Jesus beruft mit größter Vollmacht und Dringlichkeit. Das Motiv der Dringlichkeit wird auch durch die Reaktion der Jünger unterstrichen: Sie ließen ihre Netze liegen, „sie verlassen ihren Beruf, ihr Handwerk, ihr altes Leben“.21 Jesus beruft seine Jünger im Gegensatz zu Elia „aus eigener Vollmacht“ und, oberflächlich betrachtet, nicht „auf göttlichen Auftrag hin“. Als Anforderung gibt Jesus an, ihm „hinterherzugehen“: δεῦτε ὀπίσω μου [deute opisō mou], kommt mir nach.22 Das heißt, Jesus beruft seine Jünger zu einer unmittelbaren Lebens- und Lerngemeinschaft,23 die alles Lehren und Handeln Jesu umfasst (vgl. 3,13-19). Das Aufnehmen der Lehrinhalte, des Charakters, der Reaktionen und Umgangsweisen Jesu, all das schließt das „Hinterhergehen“ mit ein. Es wird sich herausstellen, dass sich die Jünger so17 Siehe ebenso 2Kön 23,3 LXX (τοῦ πορεύεσθαι ὀπίσω κυρίου καὶ τοῦ φυλάσσειν τὰς ἐντολὰς αὐτοῦ, „dem Herrn nachfolgen und seine Gebote halten“) sowie Hiob 34,27. 18 Vgl. 6,31; 12,7; siehe auch Mt 4,19. 19 Siehe Bemerkungen zu 2,14-15; 6,1; 8,34; [9,38]; 10,21.28.32.52; [14,54]; 15,41. 20 Das Wort εὐθύς („unmittelbar“) wird 42-mal bei Mk gebraucht (Köstenberger/Bouchoc, 218). Insgesamt wird es 59-mal im NT gebraucht. 21 Pesch I 111; für die folgende Bemerkung vgl. ebd. 22 Pesch I 111 erwähnt ein mögliches Echo hierzu in 2Kön 6,19 LXX „wo Elischa mit diesem Ruf … ein syrisches Heer in die Gewalt des Königs von Israel bringt.“ 23 Vgl. ebenso, Schnabel, Mission, I 275, mit Verweis auf Schlatter, Evangelist, 118.

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mit in Gottes ureigentliches Schöpfungsziel einfügen, d.h. vor Gott zu leben (vgl. Ps 84,6: Gott „nachzufolgen“). Ein Ziel der Jesusnachfolge ist es, Menschenfischer24 zu werden (vgl. 3,14; 6,7.30; Mt 4,19; Lk 5,10).25 Im Verlauf des Berichts wird deutlich, dass dieses Ziel aus der Gemeinschaft mit Jesus, aus der Prägung durch ihn, erwächst. Die gestellte Aufgabe ist somit keineswegs von Jesus getrennt.26 Die gemeinschaftlich gelernte und gelebte Botschaft soll andere Menschen unter Gottes gnädige Herrschaft (zurück-)bringen (vgl. 6,7-13 und 8,34-38), bevor es angesichts der Realität des kommenden Endgerichts zu spät ist. Die Botschaft ergeht zunächst an Israel, sodann an Menschen aller Nationen. Im AT ist Gott selbst gelegentlich Menschenfischer bzw. dessen Boten, und zwar im Zusammenhang mit bevorstehendem Heils- bzw. Gerichtshandeln Gottes. Um Heils- und Gerichtshandeln geht es in Jer 16,15-17 (Gericht und Sammlung Israels); um Gerichtshandeln geht es in Hes 29,4-5 und Am 4,2. Menschen als „unterdrückende Menschenfischer“ finden sich in Hab 1,14-17.27

Obwohl es keine direkte atl. Vorlage für den Begriff „Menschenfischer“ gibt,28 ist die Vorstellung vom „Menschenfischer als Boten Gottes“ vor allem in Jer 16,14-21 gegeben.29 Der Kontext des Kernverses Jer 16,16 („Siehe, ich will viele Fischer aussenden, spricht der Herr, die sollen sie fischen …“; Luther 1984) ist interessant: Der Makrokontext spricht vor allem vom bevorstehenden Gericht Gottes über sein Volk (Jer 1,1–16,13; vgl. vor allem die babylonische Gefangenschaft). Unmittelbar vor dem Kernvers Jer 16,16 ist die Rede allerdings proleptisch (vgl. Jer 16,18) von Wiederherstellung des Gottesvolkes (Jer 16,14), und zwar nach erfolgter babylonischer Gefangenschaft (Jer 16,14-15). Nach erfolgter Strafe (Zerstreuung, Jer 16,15.18) wird das Volk durch Boten „zurückgefischt“. Das heißt, die konkrete Vorstellung des „Fischens“ in Jer 16,16 ist die der gnädigen Wiederherstellung nach erfolgtem Gericht, allerdings mit notwendiger Reinigung (Jer 16,17). Die „Menschenfischer“ in Jer 16,16 haben die Gnadenaufgabe, ins verheißene Land zurückzurufen, wobei Gott sein Volk (einDas Substantiv Menschenfischer wird nur bei Mk und Mt gebraucht. Vgl. jedoch Lk 5,1-12. Vgl. Yoder, Fishers of Fish, passim; siehe Pesch I 111. Vgl. ähnlich, Schnabel, Mission, I 275-277. Vgl. Lane 67. Vgl. Schnabel, Mission, I 275-276, der hinzufügt, dass dies auch für hellenistische und rabbinische Texte gilt. Vgl. Schnabel, ebd., bezüglich weiterer Erklärungsvarianten zum atl. Hintergrund des Begriffs „Menschenfischer“. 29 Vgl. Pesch I 111 sowie Schnabel, Mission, I 276, der ferner auf 1QH3,26; 5,7-8 verweist. 24 25 26 27 28

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schließlich Heiden, Jer 16,19) reinigt, damit es Götzen verwirft und Gott wieder von Herzen dient. Die Ereignisfolge in Jer 16,14-21 ist somit: Bevorstehendes Gericht → folgende Wiederherstellung (Menschenfischer), mit Reinigung30 → Anbetung.31

Während Jesus als besonnener Gleichnislehrer durchaus den Begriff „Menschenfischer“ selbst geschaffen haben mag,32 ist folgende Analogie der Berufung der Jünger zu Jer 16,16 erwägenswert: Bevorstehendes, durch Jesus getragenes Gericht33 → folgende Wiederherstellung vor Gott (Menschenfischer), mit Reinigung durch Jesus → Anbetung Gottes durch Vertreter aller Völker.

Das Motiv eines zweiten Exodus wäre somit eine geistliche, persönliche und kollektive Rückkehr zu (bzw. Wiederherstellung vor) Gott. Natürlich blendet Jesus das bevorstehende Endgericht in seiner Lehre nie aus. Die Frage ist lediglich, ob der Begriff „Menschenfischer“, sowohl im Kontext von Jer 16,16 als auch von Mk 1,17, primär Gericht oder vor allem Wiederherstellung vermittelt.34 19-20 Die Entdeckung eines römischen Bootes aus der Zeit Jesu veranschaulicht die Bauweise und Dimension des hier genannten Bootes. Das 1986 gefundene Boot ist 8,2 m lang, 2,3 m breit und 1,2 m tief. Es bietet etwa fünfzehn Passagieren Platz.35

30 Vgl. Jer 33,8. 31 Vgl. analog hierzu z.B. Jer 30,3.8-9.11; 31,8.10.28; 32,8-15.37-38.42; 33,10-11. 32 So Schnabel, Mission, I 276. Es ist möglich, dass die Jünger bei diesem Begriff zunächst daran denken, dass der Makkabäeraufstand mit dem Sammeln von kampfbereiten Männern begann, die bereit waren, Antiochus zu widerstehen (2Makk 8,1). 33 Das Gericht über Jesus ist proleptischer, eschatologischer Teil des Endgerichts. Siehe unten, die Ausführungen zu Mk 10,35-45. 34 Vgl. bei Schnabel, Mission, I 276 die Auseinandersetzung mit Pesch I 111. Schnabel betont gegen Pesch, dass Jesus die Aussage in Mk 1,17 keineswegs gegen den Gerichtssinn von Jer 16,14-21.16 benutzt (so Pesch). Schnabel sieht, im Gegensatz zu unserer Darlegung, lediglich den allgemeinen, bevorstehenden Gerichtskontext in der Mission Jesu (siehe den Täufer), innerhalb dessen die Jünger Jesu als „Menschenfischer“ zur Umkehr zu Gott rufen. Dies trifft zwar heilsgeschichtlich zu, lässt jedoch das Spezifikum von Jer 16,16 etwas unklar. 35 Siehe u.a. folgende Webseite: Israel Ministry of Foreign Affairs, „Archaeological Sites in Israel-The Roman Boat from the Sea of Galilee“, 29. Juli 1998. https://www.mfa.gov.il/mfa/israelexperience /history/pages/archaeological%20sites%20in%20israel%20-%20the%20roman%20 boat%20fr.aspx

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Die Berufung der Brüder Jakobus und Johannes erfolgt ähnlich wie V. 16-18, wobei das Zurücklassen des Vater(s) und seiner Tagelöhner den unmittelbaren, radikalen Nachfolgeruf noch besonders stark akzentuiert. Die familiären Verpflichtungen werden nicht einfach beiseitegeschoben,36 sondern durch den noch bedeutsameren Nachfolgeruf überboten (vgl. Exkurs 10: „Das Verhältnis zwischen Nachfolge Jesu und Loyalität gegenüber der natürlichen Familie“). Pesch bemerkt zu Recht, dass der allgemeine Nachfolgeruf in 8,34 nichts an „konkreter Härte“ einbüßt, allerdings nach Ostern nicht mehr „räumlich konkret“, sondern „auf seinem Weg, in seiner Gemeinschaft und im Dienst an seiner Sache“ geschieht (vgl. Ps 84,5-6).37 Fundament dieser Gemeinschaft ist der stellvertretende Tod Jesu für den Jünger (10,45; 14,24), aufgrund dessen er in der Gemeinschaft mit Jesus erneuert wird und so die Sache Jesu weiterführen kann. Petrus wird später bemerken (10,28): „Siehe wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt“.38

2.2 Dämonenaustreibung am Sabbat 1,21-28 I 21 Und sie gelangen nach Kapernaum. Unmittelbar am Sabbat ging er in die Synagoge und begann zu lehren. 22 Und sie gerieten in äußerste Verwunderung über seine Lehre, denn er lehrte sie als einer, der Vollmacht hat – und nicht wie die Schriftgelehrten. 23 Und sogleich war in ihrer Synagoge ein Mann mit einem unreinen Geist, der laut schrie: 24 „Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazareth? Bist du gekommen, uns zu zerstören? Ich weiß, wer du bist, der Heilige Gottes“. 25 Jesus aber befahl ihm: „Schweige still und fahre aus ihm“. 26 Und nachdem der unreine Geist einen Anfall verursacht hatte, fuhr er aus ihm, mit großem Geschrei. 27 Und alle erschraken, sodass sie einer zum anderen fragend sagten: ‚Was soll dies bedeuten? Eine neue Lehre mit Vollmacht; sogar über unreine Geister übt er Macht aus und sie gehorchen ihm‘. 28 Und sogleich ging sein Ruf überall hinaus in die ganze Umgebung Galiläas.39 36 37 38 39

Pace Dschulnigg 77. Pesch I 112. Vgl. Pesch I 111. Lit.: Bauernfeind, Worte, 14-15; Blackburn, Theios Anēr, 185-187; Kee, Terminology, 232246; Schmücker, Funktion, 1-26; vgl. Koskenniemi, Miracle-Workers, ad loc.; Dalducci, In-

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II Mk 1,21-22 dient als Summarium für Jesu Lehrtätigkeit.40 Die Dämonenaustreibung (1,23-27) mit Verbreitungsnotiz41 in V. 28 (als erste Wundererzählung bei Mk), folgt formal dem Schema: a. Begegnung, 1,23 (21b); b. Widerstand, 1,23b-24; c. Ausfahrbefehl (mit Drohung und Schweigegebot), 1,25;42 d. Austreibung, 1,26 und e. Reaktion der Menge, 1,27.43 III 21-22 Die Kernabsicht Jesu ist zu lehren (vgl. 1,15 und ferner z.B. 2,1-12; 3,1-6; 7,1-13). Der durative Aspekt des Impf. ἐδίδασκεν [edidasken] vermittelt wohl ingressiv den Beginn seiner Lehre: „er begann, ausgiebig zu lehren“.44 Die Schriftgelehrten45 leiten aus juristisch-exegetischen und theologischen Traditionen Lehrmeinungen ab und treffen diesbezüglich differenzierte Entscheidungen. Jesus hingegen spricht an diesem exemplarisch gewählten Sabbat in Kapernaum mit unmittelbarer (göttlicher?) Autorität (also nicht wie die Schriftgelehrten). Kapernaum ist nun das neue Wahldomizil Jesu. Während seines öffentlichen Dienstes in Galiläa dient Kapernaum ferner als Stützpunkt seiner Reisen in die umliegenden Gegenden (2,1; 9,33; siehe Mt 4,13; 9,1; Lk 4,23; vergleiche mit Joh 2,12). Die Bedeutung dieses galiläischen Städtchens46 z.Z. Jesu (vgl. die Bemerkungen zu Mk 1,9 über Galiläa) ist nicht zu unterschätzen.47 Das am Nordwestufer des Galiläischen Sees liegende Kapernaum ist trotz der römischen Polizeistation (Mt 8,5ff) weniger hellenisiert und aufgrund der überwiegend jüdischen Bevölkerung „stärker traditionsgebunden“.48 Z.Z. Jesu liegt Kapernaum in der Nähe der Via Maris. Diese bedeutende Handelsstraße verbindet das syrische Damaskus mit Caesarea am Mittelmeer. Von dort aus führt die Straße nach Ägypten. Bei Megiddo trifft eine sekundäre, von Tyrus

40 41 42 43 44 45 46 47 48

demoniati, ad loc.; Dwyer, Motif, passim. Weitere Lit. bei: Guelich 53 (bis 1988); Pesch I 117.128.427 (bis 1980). Guelich 55; Pesch I 119: „Markus zeigt bewußt zu Beginn seines Evangeliums den lehrenden Jesus“. Pesch I 119. Berger, Formen, 314 spricht von der „abgrenzenden Funktion“ des Dialogs in 1,24-25. Guelich 55. Vgl. Brooks/Winberry 95. Pesch I 121, Anm. 8, betont, dass Schriftgelehrte als Theologen und Juristen zwar oft, aber nicht immer der Sekte der Pharisäer angehören (mit Verweis auf Reicke, Schürer, J. Jeremias und Lohse). Riesner, Neues, 134, nennt Kapernaum ein „Großdorf“. Zum Folgenden, siehe vor allem Mounce, „Capernaum“, 609-610. Pesch I 120.

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kommende Via Maris auf diese Straße. Kapernaum ist daher ein relativ großes Handels- und Fischereistädtchen mit etwa 1500 Einwohnern.49 Aufgrund seiner Lage ist es eines der wirtschaftlichen Zentren des allgemein florierenden Galiläas. Handelsreisende können sich in Kapernaum u.a. Reiseproviant, wie etwa getrockneten Fisch, besorgen. Daneben werden in Kapernaum verschiedene Steuern eingetrieben (vgl. Mt 9,9-13; Mk 2,14). Jesus beruft einen dieser Zöllner namens Levi, der nach Mk ebenso in Kapernaum wohnt (2,14-15). Römische Truppen sind dort ebenfalls stationiert (Mt 8,5-13).50 Gegen 20 n.Chr. lässt ein römischer Hauptmann dort eine Synagoge für die jüdische Bevölkerung bauen (vgl. Lk 7,4-5).51 Jesus lehrt oft in dieser relativ neuen Synagoge.52 Die Mutter Maria reist mit Jesu Halbbrüdern von Nazareth nach Kapernaum (Mt 12,46.48-49; vgl. Joh 2,12). Diese Synagoge wird 70 n.Chr zerstört. Zwischen 70 und 90 n.Chr. wird das sog. „Petrushaus“ in Kapernaum nicht mehr als Familienwohnsitz verwendet. Vielmehr scheint es stattdessen als Versammlungsort zu dienen, eventuell zum Zweck christlicher Gottesdienste. Dies ist allerdings nicht sicher, weil das pharisäische Judentum in der Zeit nach 70 n.Chr. in Galiläa und somit auch in Kapernaum judenchristliche Aktivitäten weniger duldet. Bekannt ist jedoch, dass gegen Ende des 4. Jh.s n.Chr. eine weiße Kalksteinsynagoge an der Stelle der vorhergehenden Synagoge(n)53 errichtet wird. Eine byzantinische Oktogonalkirche wird auf dem sog. „Petrushaus“ gegen 400 n.Chr. errichtet. Circa 100 Jahre später wird die weiße Kalksteinsynagoge wohl aufgrund erneuter, römischer Judenverfolgung mehr oder weniger aufgegeben. Gegen 640 n.Chr. führt eine arabische Kampagne zur Zerstörung Kapernaums. Es ist beachtlich, wie viele Wunder Jesus in – und um – Kapernaum wirkt. Oft geschehen sie in der dortigen Synagoge und z.T. an einem Sabbat.54 Jesus treibt (1.) Dämonen aus (1,23-28; Lk 4,33-36). Er heilt (2.) die Schwieger49 Mit der Annahme von 10 000 Einwohnern greift France (Mark, 101) wohl etwas zu hoch. Schnabel, 56 u. Anm. 7, geht von 600 Einwohnern aus. Er verweist jedoch auf den isra­ elischen Archäologen R. Arav, der lediglich 100 Einwohner annimmt. Siehe Schnabel 56 u. Anm. 7 hinsichtlich weiterer Forscher, die die Einwohnerzahl jeweils zwischen 600 und 2000 bestimmen. 50 France 101. 51 Siehe Riesner, Neues, 133-135, zur Frage, ob es sich bei dieser Synagoge um die bekannte Basaltsynagoge handelt (Corbo datiert diese auf das 1. Jh. n.Chr., Loffreda auf das 3. Jh. n.Chr.) oder um eine Synagoge, die dort vor der Basaltsynagoge stand. 52 Siehe Mk 1,21; 3,1; Lk 4,31-38; Joh 6,25-59. 53 Zur Frage verschiedener Synagogen, die an diesem Ort vor der weißen Kalksteinsynagoge standen, siehe Riesner, Neues, 133-135. 54 Die hier gebotene Liste folgt vor allem der markinischen Akoluthie. Vgl. Brown, „Miracles“, 374-375.

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mutter des Petrus,55 (3.) andere Kranke (Lk 4,40-41; vgl. Mk 1,32-34), (4.) Gelähmte56 und (5.) die Frau mit dem Blutfluss.57 Er bringt (6.) die Tochter des Synagogenvorstehers Jaïrus zum Leben zurück.58 Er befähigt (7.) vier Jünger zu einem großen Fischfang (Lk 5,1-11). Ferner heilt er (8.) den gelähmten Diener des römischen Hauptmanns (Mt 8,5-13; Lk 7,1-10), (9.) den Sohn eines Bediensteten am Hof des Herodes Antipas (Joh 4,46-54). Er heilt (10.) ebenso in der Umgebung von Kapernaum (Mt 15,1-20) und beauftragt (11.) Petrus, einen halben Schekel Steuergeld aus dem Mund eines Fisches zu nehmen (Mt 17,24-27). Jesus bewirkt durch seine außergewöhnliche Lehrtätigkeit, dass sich der ganze Mensch vor Gott stellen muss: Denn er lehrte sie als einer, der Vollmacht hat. Das ist erfrischend, ruft aber unterschiedliche Reaktionen und Erschütterung hervor: Sie gerieten in äußerste Verwunderung. Dwyer betont, dass das markinische Motiv des Erstaunens im Vergleich zu den anderen Evangelien stärker ausgeprägt ist.59 Er kommt zu dem Ergebnis, dass die unterschiedlichen Reaktionen der Zuhörer das Außergewöhnliche, Unheimliche, Furchterregende, Unkonventionelle, Göttliche an Jesu Auftreten und Lehre hervorheben. Jesus kündigt mit direkter (göttlicher?) Autorität die Herrschaft Gottes derart an, dass seine Hörer tief ergriffen werden. Die einen werden zornig (die Aussagen Jesu klingen anmaßend), die anderen sind bewegt.60 Seine vollmächtige Lehrweise unterscheidet sich von den gewohnten Unterweisungen derart, dass die Anwesenden wiederum fragen müssen, wer dieser Jesus tatsächlich ist. 23-28 Ebendiese Vollmacht ist es (vgl. 1,27), die in einem Dämonenbesessenen (ein Mann mit einem unreinen Geist, ἐν πνεύματι ἀκαθάρτῳ [en pneumati akathartō], V. 23)61 eine starke Reaktion hervorruft.62 Die Reich55 56 57 58 59

Siehe Mt 8,14-16; Mk 1,29-31; Lk 4,38-39. Siehe Mt 9,2-7; Mk 2,3-12; Lk 5,17-26. Vgl. Mt 12,9-14; Mk 3,1-6; Lk 6,6-11. Mt 9,20-22; Mk 5,25-34; Lk 8,43-48. Mt 9,18-25; Mk 5,22-24.34-43; Lk 8,40-56. Vgl. Dwyer, Motif, passim. Vgl. Lane 72, Anm. 110, bezüglich der sechs Begriffe, die Markus für die Beschreibung der Reaktionen der Zuhörer Jesu benutzt. 60 Lane 72. 61 Siehe Art. ἀκάθαρτος [akathartos], EWNT II, 535-542; Vgl. Sjöberg, ThWNT VI, 373-374; W. Foerster, ThWNT II, 1-21, hier: 6-9; F. Hauck, ThWNT III, 416-421 und K. Kleinknecht, ThWNT VI, 330-357. Vgl. Lane 260, Anm. 59, zur allgemeinen Vorstellung über Dämonen in der Antike. Lane verweist z.B. auf Sophokles, Ajax, 244. 62 Keener, Background, 137-138 betont, dass das AT lediglich David als Dämonenaustreiber kennt, 1Sam 16,23; vgl. u.a. auch Jub 10,1. Pesch I 122 verweist auf die terminologische Parallele in 1Kön 17,18.

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weite Jesu in die unsichtbare und doch reale Welt der Dämonen überrascht; in der Gegenwart Jesu wird alles, was in Gottesfeindschaft verfangen ist (was haben wir63 mit dir zu tun), sichtbar.64 Das Rätsel der Person Jesu wird komplexer, anstatt dass es sich lösen ließe. Die defensive Frage des Dämons: „Bist du gekommen, uns zu zerstören?“, deutet an, dass der Herrschaftsanspruch des Königreiches Gottes etwas mit der Vollmacht Jesu zu tun hat.65 Eine erste Verbindungslinie zwischen Jesu Ankündigung des Königreiches Gottes und Jesu Person und Handeln wird deutlich. Die Namensnennung Jesus von Nazareth … ich weiß, wer du bist, der Heilige Gottes entspricht dem dunklen Versuch, über Jesus Macht auszuüben.66 Die Aussage über den Heilige(n) Gottes ist also nicht freimütiges Bekenntnis; sie versucht vielmehr, Jesus zu „fassen“.67 Ob der Heilige Gottes als Gottesprädikat gemeint ist, ist nicht sicher. Deutlich ist jedoch, dass der Anspruch Jesu den ganzen Menschen fordert. Es erfolgt unmittelbar die Dämonenaustreibung (schweige still und fahre aus ihm)68 mit dem ersten, kontextkongruenten Schweigegebot an Dämonen (φιμόω [phimoō] bedeutet „bannen“ oder „knebeln“).69 Sie demonstriert den unerhörten und weit reichenden Autoritätsanspruch und die unmittelbare Vollmacht Jesu (vgl. 1,27). Die direkte Austreibung, fuhr … aus ihm mit großem Geschrei, unterscheidet sich deutlich von relativ selten bezeugten Dämonenaustreibungen aus dem Umfeld des NT. Siehe vor allem die zeremonielle Austreibung durch Eleazar in Josephus, Ant 8,46-49. Austreibungen sind im Umfeld des NT zwar bekannt, die direkte Art bei Jesus im Kontext der Königreich-Gottes-Verkündigung ist jedoch ohne Parallele.70 Das eschatologische Kommen 63 Dschulnigg 81 geht davon aus, dass der Plural „wir“ meint, „dass die ganze Welt der Dämonen gegen Jesus steht“. Siehe jedoch 5,9. 64 Vgl. Keener, Background, 138, der betont, dass Dämonenaustreiber im Umfeld des NT den Dämon zu erschrecken und ihn mittels einer höheren Macht auszutreiben suchen. 65 Vgl. Schmücker, Funktion, 21, der bemerkt: „Erst durch die Wundergeschichten wird sichtbar, was das Nahesein der βασιλεία τοῦ θεοῦ [basileia tou theou] bedeutet: Hilfe in Grenzsituationen menschlicher Aussichtslosigkeit“. Dies trifft zu, beschreibt jedoch keineswegs die Gesamtvorstellung des Königreiches Gottes. 66 Lane 73 und Anm. 114 bemerkt, dass die einleitende Aussage in V. 24 im AT im Zusammenhang von „Kampf“ oder „Gericht“ gängig ist. 67 Vgl. ebenso Lane 74 und Anm. 118, der auf Bauernfeind, Worte, 14-15 verweist. Siehe ferner Pesch I 122. 68 Zu ἐπιτιμάω [epitimaō] vgl. 1QM14,10; 1QGA20,28f. Siehe Kee, Terminology, 232-246. Pesch I 123, zitiert E. Stauffer (ThWNT II, 620-623, hier: 620), der bemerkt, dass der Begriff in der LXX das „machtwirkende Schelten und Drohen Gottes“ ausdrückt. 69 Pesch I 123. Siehe oben, Einleitung 4.1.1, bezüglich der fehlerhaften Analyse Wredes zum Messiasgeheimnis. Das Schweigegebot an Dämonen folgt stringent dem Gegensatz und Kampf zwischen dem Königreich Gottes und Satan. 70 Vgl. Blackburn, Theios Anēr, 185-187 sowie Lane 74-75 und Anm. 119.

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der Herrschaft Gottes ist Kampfansage an alles, was sich Gottes legitimem (Besitz-)Anspruch widersetzt. Dabei ist die widerrechtliche Autorität Satans innerhalb der Schöpfung Gottes eine Macht, die es zu überwinden gilt. Jesus tritt diesen Kampf an. Es kann sich bei dieser Begebenheit nicht ausschließlich um Befreiung von einer psychisch oder physisch71 bedingten Krankheit handeln. Es wird vielmehr unmissverständlich betont, dass in diesem Menschen eine separate Macht, ein eigenständiges, widerwärtiges Bewusstsein wirkt, das seine Persönlichkeit grundsätzlich beeinträchtigt (vgl. V. 24.26). Derartiges ist bei Schizophrenie oder ähnlichen seelischen Krankheiten mehrfacher Persönlichkeitsstrukturen und/oder einem gebrochenen Verhältnis zur Realität nicht belegt.72 Diese Beobachtung wird auch dadurch gestützt, dass sich die Aussagen der Dämonen über Jesus deutlich von den Aussagen psychisch kranker Menschen unterscheiden (V. 24). Kranke nennen Jesus „Herr“ (7,8), „Lehrer“ (9,17), „Sohn Davids“ (10,4748) und „Meister“ (10,51).73 Die Dämonen hingegen heben die besondere (Macht-) Stellung Jesu bei Gott hervor (vgl. z.B. 1,24; 3,11; 5,7). Die Reaktion auf Jesu vollmächtige Lehre (sie gerieten in äußerste Verwunderung) und seine Autorität über dämonische Mächte (alle erschraken) – die beiden Autoritätsmanifestationen bekräftigen sich gegenseitig – ruft zunächst weder Glaube noch Ablehnung hervor. Das entsetzte Erstaunen über die Vollmacht Jesu ist von betroffener Unsicherheit (was soll dies bedeuten?) gezeichnet.74 Die gewohnten Denk- und Glaubensparadigmen werden durch den noch unbekannten, direkt lehrenden (eine neue Lehre mit Vollmacht), handelnden und machtvollen (sogar über unreine Geister übt er Macht aus und sie gehorchen ihm) Jesus erschüttert. Die Folgen dieser Erschütterung bleiben noch unklar. Allerdings geschieht zunächst Folgendes: Jesus wird in ganz Galiläa bekannt. „The disturbance of men by God had begun“.75

71 Pesch I 123 meint z.B., dass die Ausfahrt des Dämons „dem Krankheitsbild der Epilepsie abgelesen“ sei. 72 Vgl. Lane 79, Anm. 131, der auf Dalducci, Indemoniati, passim verweist. 73 Lane 74. 74 Vgl. ähnlich Pesch I 124 und Dschulnigg 82. 75 Lane 76. Vgl. ähnlich, Pesch I 125.

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2.3 Heilung der Schwiegermutter des Petrus 1,29-31 I 29 Und als sie aus der Synagoge herausgekommen waren, gingen sie direkt zum Haus von Simon und Andreas, zusammen mit Jakobus und Johannes. 30 Aber die Schwiegermutter des Simon lag (schon länger) mit Fieber im Bett und man berichtet ihm sofort von ihr. 31 Und als er zu ihr kam, ergriff er ihre Hand und richtete sie auf. Das Fieber verließ sie und sie begann, ihnen zu dienen.76 II Die Heilungswundererzählung77 (1,29-31) weist eine einfache, stereotype Form auf: a. Situation / Art der Krankheit, 1,29-30; b. Heilung, 1,31a.b.; c. Vorstellung, 1,31c.78 III 29-31 Nach archäologischen Ausgrabungen soll das Haus des Petrus und Andreas in der Nähe der Synagoge von Kapernaum gewesen sein.79 Der Hörer lernt, dass Petrus verheiratet ist (Schwiegermutter des Simon) und dass der radikale Nachfolgeruf (1,17-18) nicht bedeutet, dass jeglicher Kontakt mit Familienangehörigen dadurch beendet wird. Der Nachfolgeruf besagt lediglich, dass der Wille des Meisters Vorrang hat. Im Verlauf des Wirkens Jesu wird deutlich, dass Familienangehörige bei aller Betonung des Willens Gottes immer im Blick bleiben (vgl. Exkurs 10). Jesu erstes Heilungswunder (Befreiung von Fieber, V. 31)80 nach Mk geschieht an der Schwiegermutter81 des Petrus und zwar während der Sabbatruhe (d.h. vor Sonnenuntergang; vgl. V. 32). Jesus heilt hier wortlos durch Berühren: ergriff er ihre Hand (vgl. 76 Lit.: Dalman, Orte, 163; Fander, Frauen, 413-432; Kopp, Stätten, 215-230. Weitere Lit. bei: Guelich 60 (bis 1988); Pesch I 132.427 (bis 1980). 77 Berger, Formen, 145 spricht von einer dramatischen, aus Wort und Tat bestehenden Chrie (s.o. Einleitung, 3.1.). Vgl. Pesch I 129, der allerdings die Gattung der Heilungswundererzählung gegen die direkte historische Authentizität der Erzählung (nicht allerdings gegen die Historizität des Ereignisses selbst; mit Verweis auf Apg 28,7ff) ausspielt. 78 Guelich 61. Noch detaillierter unterteilt Pesch I 129. 79 Vgl. Dalman, Orte, 163-166 sowie Kopp, Stätten, 215-230. 80 Vgl. Lane 77, der belegt, dass Fieber in der Antike als separate Krankheit gesehen wird. Pace Pesch I 130, der mit H.J. Horn, O. Böcher und K. Weiss von dämonischer Belastung ausgeht. 81 Fander, Frauen, 413-432, hier: 418, bemerkt zu Recht, dass viele Frauen im Markusevangelium empfangsbereiter sind als die männlichen Jünger (wie hier etwa die Schwiegermutter des Petrus). Allerdings lässt sich hieraus kein geschlechtsspezifischer Vorteil für die Nachfolge Jesu ableiten. Insgesamt berichtet Mk von fünf Heilungswundern an Frauen.

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5,41 und 9,27).82 Beachtenswert ist, dass Jesus erst der Schwiegermutter des Petrus heilend dient (V. 31), bevor jene sodann ihm (und den anderen) dienend zur Verfügung steht (dur. Impf. von διακονέω [diakoneō] = „ich diene“, „ich versorge“, „ich unterstütze“). Hiermit wird bereits das Thema des demütigen Heilsbringers angeschnitten (vgl. 10,45).83 Roloff betont, dass hier ein „eindeutig unspezifisch-funktionaler Gebrauch von διακονεῖν“ [diakonein] vorliegt.84 Dschulnigg macht ferner geltend, dass bei Mk neben Jesus (10,45) lediglich Engel (1,13) und Frauen (1,31; 15,41) „dienen“, „während die Jünger zum Dienersein (diákonos) ermahnt werden müssen (9,35; 10,43)“.85 Die Kraft, Kranke zu heilen,86 erweitert wiederum das Spektrum dessen, was Jesus vermag.

2.4 Heilungen 1,32-34 Der Sonnenuntergang signalisiert das Ende des Sabbats und der damit zusammenhängenden Ruhegesetze. Die Einwohner Kapernaums können nunmehr wieder ihren Geschäften und Verpflichtungen nachgehen. So kommen sie auch wieder mit ihren Bedürfnissen zu Jesus.87 Aus Barmherzigkeit und um seine Vollmacht zur Lehre zu unterstreichen (vgl. V. 38) heilt Jesus viele Menschen (vgl. 2,2; 3,2.10; 6,5.13). Er befreit viele von Dämonen und erteilt sodann Schweigegebote (vgl. 1,25; 3,12). Wie oben bereits angesprochen, erteilt Jesus aus unterschiedlichen Gründen Schweigegebote an drei verschiedene Gruppen:88 1. An Dämonen (z.B. 1,25; 3,12), weil jene niemals durch Falschrede Macht erlangen dürfen. 2. An Geheilte, weil deren Reden die Bewegungsfreiheit Jesu beeinträchtigt (z.B. 1,44; 5,43; 7,36; vergleiche mit Joh 11,54). 3. An seine Jünger (z.B. 8,30; 9,9), weil sie noch nicht begreifen, dass der Messias Gottes leiden und auferstehen muss, bevor er seine universale Herrschaft als erhöhter Herr antritt (8,31; 10,45; 14,25).89

82 Pesch I 130 weist darauf hin, dass in derartigen Beschreibungen das Stichwort „aufrichten“ immer wieder auftaucht (2,9.11; 3,3; 5,41; 9,27; 10,49). 83 Vgl. ebenso Dschulnigg 83-84. 84 Roloff, Anfänge, 38-64, hier: 53. 85 Dschulnigg 84. 86 Vgl. Pesch I 130 bezüglich der weit verbreiteten, sprachübergreifenden Formulierung „das Fieber hat ihn verlassen“. 87 Vgl. 1,45; 2,2; 3,7-12.20; 4,1; 6,31.53-56. 88 Siehe oben, Einleitung, 4.1.2. 89 Siehe oben, Einleitung, 4.1.2.

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I 32 Als es aber Abend geworden und die Sonne untergegangen war, begannen sie, alle Kranken und Besessenen zu ihm zu tragen. 33 Und am Ende war die gesamte Stadt vor der Tür versammelt. 34 Und er heilte viele Kranke mit unterschiedlichen Gebrechen und trieb viele Dämonen aus; er erlaubte den Dämonen jedoch niemals zu sprechen, da sie ihn stets kannten.90 II Mk 1,32-34 ist wiederum formal ein Summarium, diesmal mit einer „a-b-a“ Struktur: „a“ beschreibt jeweils die Kranken und Besessenen (1,32b sowie 1,34a); „b“ beschreibt Ort und Menschenmenge (1,33).91 Berger spricht von einem zusammenfassenden „Basis-Bericht“, der das „erfolgreiche Wirken von Missionaren darstellt“.92 III (31-)32 Da der Sabbattag um sechs Uhr abends endet, können nun Kranke und Besessene getragen werden,93 ohne das mosaische Gesetz bzw. die pharisäische Kasuistik missachten zu müssen.94 Angesichts dieser Tatsache ist anzunehmen, dass sich der Dienst (V. 31: διηκόνει αὐτοῖς [diēkonei autois]) der bereits geheilten Schwiegermutter des Petrus auf das Auftragen von schon zubereiteter Speise begrenzt.95 33 Die Übertreibung am Ende war die gesamte Stadt vor der Tür versammelt (vgl. V. 34: „viele“) unterstreicht, welchen Bekanntheitsgrad Jesus in Kapernaum bereits besitzt. Das Tätigkeitswort ἐπισυνάγω ([episynagō]; Pass.: versammelt sein) knüpft an συναγωγή ([synagōgē], V. 21 und 29) an. Um den Heilenden versammeln sich die Notleidenden. Der Andrang ist groß (vgl. u.a. 1,45; 2,2; 3,7-12.20; 4,1; 6,31.53-56).96 Die Vollmacht Jesu über Krankheiten und Dämonen wird durch Wiederholung gefestigt und bestätigt.

90 Lit. bei: Guelich 63 (bis 1988); Pesch I 136.427 (bis 1980). 91 Vgl. Pesch I 133 und Guelich 64. Guelich, a.a.O., bemerkt, dass sich neben 1,32-34 nur noch die Summarien in 3,7-12 sowie in 6,53-56 ausschließlich mit Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen beschäftigen. 92 Berger, Formen, 388; siehe 389-391. 93 Vgl. Pesch I 134 bezüglich φέρειν [pherein] bei Wundergeschichten: hier und in 2,3; 7,32; 8,22; 9,17-20. 94 Vgl. Lane 79, Anm. 130, der auf Jer 17,21-22 verweist. 95 Pace Lane 78. 96 So Pesch I 134.

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34 Jesus mildert aus innerer Anteilnahme das Leid dieser Menschen (zu θεραπεύω [therapeuō] heilen vgl. 3,2.10; 6,5.13),97 obwohl sein Kernauftrag stets in der Verkündigung liegt (vgl. V. 38 u.ö.). Zugleich werden dadurch jedoch seine Person und sein Auftrag beleuchtet. Dass die Dämonen Jesus kannten, wurde bereits in 1,24 erwähnt (vgl. Jesus als „Heiliger Gottes“, 3,11f und 5,7). Wird hier angedeutet, dass Jesus bereits eine lange „Vergangenheit“ hat? Das Schweigegebot Jesu an Dämonen er erlaubte den Dämonen jedoch niemals, zu sprechen (vgl. u.a. 1,25) ist im Gegensatz zu Wrede98 deutlich von anderen Schweigegeboten zu unterscheiden: Jesus erlaubt der dämonischen Welt, die mit Satan versucht, Gottes Absichten zu vereiteln, keinerlei Anspruch. Vielmehr ist Jesus gekommen, sie zu entmachten.

2.5 Jesus und Petrus 1,35-39 I 35 Und frühmorgens, noch bei Nacht, stand er auf, verließ das Haus und ging hinaus an einen einsamen Ort und begann dort zu beten. 36 Simon aber und die mit ihm, suchten ihn unentwegt 37 und fanden ihn (schließlich) und sagen ihm: „Alle fragen nach dir“. 38 Und er spricht zu ihnen: „Lasst uns anderswohin gehen in die benachbarten Städtlein, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich ausgezogen“. 39 Und er ging predigend durch das ganze galiläische Land und trieb immer wieder Dämonen aus.99 II Bei Mk 1,35-39 handelt es sich um ein „episodale(s) Kernstück“100 bzw. um eine Chrie101 (V. 36-38: Suche Jesu; Ausspruch Jesu) mit Rahmen (V. 35.39: Kontrast zwischen privatem Gebet Jesu und öffentlichem Dienst). III 35 Mk betont mit vier Verben, dass Jesus aktiv Gebetszeiten sucht: Stand auf … verließ (das Haus) … ging hinaus … begann zu beten.102 Während 97 Ebd. 98 Wrede, Messiasgeheimnis, passim; s.o., Einleitung 4.1.1–4.1.2. 99 Lit. bei: Guelich 67 (bis 1988); Pesch I 140.427 (bis 1980). 100 Pesch I 137. 101 Berger, Formen, 140. Zur Definition der Chrie, s.o. Einleitung, 3.1. 102 Allerdings berichtet Markus lediglich von drei Gebetszeiten Jesu (1,35; 6,46; 14, 32-42). Pesch I 138 bemerkt, dass ἀναστάς [anastas] wiederholt einen „Aufbruch“ beschreibt (2,14;

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Menschen mit ihren Bedürfnissen zu Jesus kommen, sucht Jesus Gemeinschaft mit Gott, seinem Vater (vgl. 6,46 und 14,32-39; vgl. Ps 5,4; 88,14).103 Jesus lässt sich nicht durch dringende Umstände vom Gebet – und damit von seiner Berufung – abbringen. Wie und wofür er betet, bleibt unklar. Lane meint, dass das Motiv der Wüste (vgl. 1,1-13.35: ἔρημον τόπον [erēmon topon] an einen einsamen Ort und 1,45; 6,31f.35) die Bereitschaft Jesu unterstreicht, Gericht Gottes zu (er-)tragen (vgl. 14,32-42).104 Es mag jedoch sein, dass es sich hier lediglich um einen abgelegenen Ort handelt.105 36 Jedenfalls lernen Simon und die anderen Jünger,106 wie wichtig ihrem Meister diese Gemeinschaft mit Gott ist. Wo sind die Jünger, während Jesus frühmorgens betet? 37-39 Jesus lässt sich trotz der bedrängenden Umstände (und wachsender Popularität: „Alle fragen nach dir“)107 nicht von seiner Kernaufgabe abbringen, nämlich die Herrschaft Gottes weit und breit zu verkündigen (er ging predigend durch das ganze galiläische Land, V. 39, im Präsens formuliert;108 vgl. 1,14.21) und dabei auch Dämonen auszutreiben (vgl. 1,38-39). Das Gebet mag dazu beitragen, dieser Berufung treu zu bleiben. Jesus befreit aus Barmherzigkeit und als Bestätigung seiner Botschaft. Er verbreitet die Tatsache der anbrechenden, messianischen Herrschaft Gottes aus dringender Berufung: „Lasst uns anderswohin gehen in die benachbarten Städtlein, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich ausgezogen“ (1,14-15.21f.27.3839.45; 6,2).109 Die Menschenmassen suchen bisher genau das Umgekehrte: Heilung und nicht Beugung unter die Herrschaft Gottes durch Umkehr zu Gott. Ähnlich wie später bei Paulus, dienen Jesus u.a. die Synagogen der Bezirksdörfer jeweils als Einstieg zur Verkündigung.

7,24; 10,1). 103 Dschulnigg 86 und Anm. 57 verweist auf die jüdischen Gebetszeiten am Morgen, Mittag und Abend. 104 Lane 81. 105 So Pesch I 138, der als Analogie zum Morgengebet auf Ps 5,4 und 87,14 verweist. 106 Pesch I 138 hebt (mit A. Schulz) die altertümliche Formulierung „Simon und die mit ihm“ hervor. 107 Vgl. Pesch I 138. 108 Ebd. 109 Ähnlich, Pesch I 138.

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Aufgrund von Josephus, Bell 3,41-343 sowie Strabo 12,2.5 wird deutlich, dass das ntl. hapax legomenon κωμόπολις [kōmopolis] auf ein bevölkerungsstarkes Bezirksdorf nach ptolemäischem Muster verweist, wie es in Galiläa z.Z. Jesu weit verbreitet ist.110

Ferner ist auffällig, dass Jesus ein deutliches Sendungsbewusstsein besitzt (vgl. Lk 4,43).111

2.6 Heilung eines Aussätzigen 1,40-45 I 40 Und ein Aussätziger kommt zu ihm, der ihn eindringlich bittet (und auf die Knie fällt) und spricht: „Wenn du willst, kannst du mich reinigen“. 41 Voller Mitleid streckte er die Hand aus, berührte ihn und spricht zu ihm: „Ich will, sei gereinigt“! 42 Und sofort verließ ihn der Aussatz und er war gereinigt. 43 Streng befahl er ihm, sofort wegzugehen, 44 und spricht: „Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst, sondern geh, zeig dich dem Priester und bring Opfer dar um deiner Reinigung willen, so, wie Mose es angeordnet hat, ihnen zum Zeugnis“. 45 Sobald er aber weggegangen war, sprach er immer wieder davon und verbreitete das Ereignis, sodass Jesus nicht mehr öffentlich in eine Stadt kommen konnte, sondern sich draußen an einsamen Orten aufhalten musste; aber sie kamen (dennoch) stets von überallher zu ihm.112 II Mk 1,40-45 weist erneut die einfache Struktur einer drei- bzw. sechsteiligen Heilungsgeschichte auf (siehe 1,29-31). III 40-42 Ein Aussätziger leidet unter verschiedenen Hautkrankheiten, wie z.B. Lepra.113 Er gilt somit als kultisch unrein (Lev 13,45-46; vgl. 1,41) und ist 110 Lane 83 und Anm. 138-140, mit Verweis auf Sherwin-White, Roman Society, 120-143. 111 Im Gegensatz hierzu sucht etwa Mohammed nach Sinn im Leben, bevor er in der Hira-Höhle Offenbarungen zu erhalten scheint. 112 Lit.: Paul, Guérison, 592-604. Weitere Lit. bei: Guelich 71 (bis 1988); Pesch I 149.428 (bis 1980). 113 Vgl. hierzu die Studie von van der Loos, Miracles, passim. Vgl. Lev 13-14. Lane geht davon aus, dass λεπρός auf unterschiedliche Hautkrankheiten verweist. So auch Pesch I 142 und Anm. 7 (mit weiteren Details), der auf Pauls Studie über Leprakranke (Paul, Guérison, 592604) verweist.

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damit aus der Lebensgemeinschaft ausgestoßen und finanziell von Almosen abhängig. Das hier beschriebene Heilungswunder (vgl. Num 12,10-15; 2Kön 5,1-14: Naamangeschichte114) hebt Jesu Mitleid und Barmherzigkeit hervor; der Kranke appelliert an Jesu Wille und Macht „wenn du willst, kannst du mich reinigen“. Beachtenswert ist die einzigartige Berührung eines Aussätzigen, der eigentlich verpflichtet ist, bereits aus der Ferne „unrein, unrein“ zu rufen.115 Ferner ist wahrscheinlich, dass z.Z. Jesu die Auffassung weit verbreitet ist, dass nur Gott Aussätzige heilen kann.116 Umso eindrücklicher ist die einfache Art des Heilens Jesu (vgl. Joh 11,33.38; Mk 7,34).117 Jesu Heilwort ist im Vergleich zu anderen Heilworten (2,10; 3,5; 5,41; 7,34; 10,52) besonders emphatisch und explizit: „Ich will, sei gereinigt“.118 „Der Erzähler charakterisiert (damit) Jesu Macht als göttliche Macht“.119 Siehe u.a. Jes 55,11 und Hiob 42,2.120 43-44 Während bereits in 1,25 das erste Schweigegebot an Dämonen ergeht, finden wir hier das erste, sehr streng gefasste121 (vgl. 3,12; 8,30; 10,48) Schweigegebot an einen Geheilten: „Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst“.122 Innerhalb des Schweigegebotes befiehlt Jesus dem Geheilten, sich als Zeugnis dem Priester zu zeigen, damit dieser ihn wieder als rein erklärt und ihn damit kultisch und sozial rehabilitiert (vgl. Lev 14,2-31).123 Zu fragen ist hier, ob dieses Zeugnis Jesu Treue zu Moses Gebot ausmacht (vgl. Mt 5,17) oder ob die Heilung dem Priester bezeugt werden soll.124 Die erste Möglichkeit ist wahrscheinlicher, da dies besser mit dem vorhergehenden Schweigegebot übereinstimmt. Ferner unterstützt dies der Verweis auf Opfer … um deiner Reinigung willen. Es ist jedoch möglich, dass dieses Zeugnis der Treue Jesu 114 Pesch I 144 bemerkt, dass die „Bitte um Reinigung“ den Sprachgebrauch der einzigen Aussätzigenheilungsgeschichte im AT (2Kön 5,10.12-14) aufgreift. 115 Vgl. Pesch I 143, mit Verweis auf Lev 13,45f. 116 So Pesch I 143, mit Verweis auf Billerbeck, Kommentar, IV 751. 117 Pesch I 144. 118 Pesch I 145. 119 Pesch I 143 (Ergänzung in Klammer, HFB). Allerdings rechnet Pesch im Fall eines historischen Kerns „mit starker Abschleifung des konkreten Profils zugunsten christologischer Stilisierung“ (Pesch I 147). Dieses unbegründete Urteil basiert z.T. auf einer Einschätzung des Messiasgeheimnisses bei Markus, das noch zu stark von Wredes unhaltbarer Theorie abhängt. 120 Vgl. Dschulnigg 89. 121 Weitere Details bei Dschulnigg 89 und Anm. 73. 122 Siehe oben, Einleitung 4.1.1–4.1.2 zum Thema „Messiasgeheimnis“. 123 Lane 87 und Anm. 154 geht davon aus, dass sich der Geheilte sowohl in seiner Heimatstadt als auch in Jerusalem dem betreffenden Priester zeigen muss. 124 Die Handlung als Zeugnis gegen die Priester zu verstehen („Belastungszeugnis“), ist unwahrscheinlich; man würde dann eher κατ᾽ ἀυτοῖς [kat᾽ autois] erwarten (ähnlich Pesch I 146 und Anm. 34).

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zum Gebot des Mose auch überführenden Charakter hat: Die Priester hören damit zwangsläufig von den Wundertaten Jesu (V. 45) und seiner Treue zu Moses Gesetz.125 Wie anders kann dies als Wirken Gottes gefasst werden? Verschließen sich die Priester davor, so verschließen sie sich vor dem Gott, dem sie zu dienen vorgeben. 45 Während die Dämonen dem Schweigegebot Jesu gehorchen, lässt sich die außerordentliche Freude des Geheilten nicht eindämmen (deshalb die Strenge des Verbots?). Weil er das ausdrückliche Schweigegebot missachtet, behindert er den öffentlichen Predigtdienst Jesu, sodass Jesus nicht mehr öffentlich in eine Stadt kommen konnte, sondern er sich draußen an einsamen Orten aufhalten musste (vgl. den immensen Zustrom aber sie kamen [dennoch] stets von überallher zu ihm und deshalb den notwendigen Rückzug Jesu): „Jesus kann nicht verborgen bleiben (1,45; 2,1f; 3,7-12; 3,20; 6,3133; 6,53-56; 7,24f usw.), obwohl er sich immer wieder der Öffentlichkeit zu entziehen sucht“.126 IV Ziel. Markus beabsichtigt in 1,16-45, die enge Verknüpfung zwischen dem öffentlichen Wirken Jesu und seinem Ruf in die Nachfolge, unmittelbar nach der Versuchung Jesu in der Wüste, darzustellen. Das bedeutet, die Ankündigung der Herrschaft Gottes konkretisiert sich schon hier in der autoritativen Lehre Jesu und in dem Ruf in die Nachfolge. Sobald Jesus öffentlich auftritt, sammelt er lernende Zeugen seines Lehrens und Handelns um sich. In dieser Grundkonstellation weitet sich sowohl die öffentliche Vollmacht und damit der Bekanntheitsgrad Jesu als auch der Anspruch an seine Jünger aus. Kontextualisierung und Anwendung. In rascher Folge beschreibt Mk Kernstücke des Wirkens Jesu: Vollmächtiger Ruf in die Nachfolge, Vollmacht in der Lehre, Vollmacht über dämonische Mächte, Vollmacht über Krankheit, Schweigegebot an Dämonen und an den Geheilten. Wie oben bereits erläutert, ist das Schweigegebot an Dämonen geistlich begründet: Wer Gott hasst, darf nicht reden, auch wenn das Gesagte wahr ist. Demgegenüber ist das Schweigegebot an den Geheilten aufgrund der historischen Spannung zwischen weit verbreiteter Erwartung des Messias und dem wahren Messias Gottes gesondert zu verstehen. Ferner bekommt der Hörer einen ersten Einblick in das persönliche Leben Jesu (Gebet am frühen Morgen).

125 Ähnlich Dschulnigg 89-90. 126 Pesch I 148.

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Im Verlauf des Markusevangeliums wird deutlich, dass Nachfolge primär Gemeinschaft (dass sie bei ihm seien, 3,14) mit Jesus bedeutet, aus der sich u.a. die Aufgabe des Verkündigens ableitet (3,14), und nicht, wie oft vermutet, das Befolgen diverser Regeln und Handlungsweisen, oft noch in Unabhängigkeit von der Person Jesu. Die Aufgabe, als Menschenfischer zu Gott zurückzurufen, erwächst aus der wachsenden Gemeinschaft mit dem, der das Gericht Gottes so erduldet, dass Versöhnung mit Gott möglich wird. Die direkteste Anwendung des vorliegenden Abschnittes liegt somit in der Aufnahme von – und persönlichen Öffnung zu – Jesus. Es ist die Begegnung des autonomen und sündhaften Menschen mit dem Schöpfungsmittler und Versöhnungsmittler Jesus, der ewig mit Gott, dem Vater, Gemeinschaft hat. Letztendlich besteht diesbezüglich kein großer Unterschied zwischen den Jüngern Jesu und einem beliebigen Menschen unserer Zeit. Der Nachfolgeruf Jesu steht diametral zum Abfall und zur Feindschaft gegen Gott (vgl. Röm 5,8.10). Nachfolge entspricht dem Schöpfungssinn, menschliche Autonomie spiegelt Entartung des Schöpfungsziels wider. Wer sich an der in der Schrift verankerten Lehre der Erbsünde reibt,127 der blicke (vor allem im Licht der Lehre und Person Jesu) in sein eigenes, autonomes Leben (im Denken, Handeln, Erfahren, Empfinden), um die realistische Aktualität, konkrete Wahrhaftigkeit und gnädige Liebe des Nachfolgerufs Jesu vernehmen zu können. Die Verlockung, allein der menschlichen Vernunft und/oder der Erlebnisautonomie zu vertrauen sowie der unmittelbaren Bindung an menschliche Tradition, ist Grundproblem menschlicher Existenz. Dieses elementare Dilemma verzerrt menschliche Beziehungen (Ehe, Familie, Freundschaft, Gesellschaft) sowie den Ausdruck der menschlichen Kreativität in Kultur, Arbeit und Entspannung. Der Nachfol­ge­ ruf Jesu ist somit gerade nicht in einer rein religiösen Domäne anzusiedeln (das würde einer gewaltsamen und willkürlichen Einengung entsprechen), sondern ist als fundamentale und breit angelegte Antwort zur umfassenden und mit Konflikt beladenen Problematik menschlicher Existenz zu verstehen. Die persönliche und vertrauende Öffnung Jesus gegenüber hat folgende Konsequenzen: Der Nachfolger liefert sich einer Persönlichkeit aus, die durch menschliche Denkformen, Traditionen und Gewohnheiten vorgeprägte Erwartungen, Loyalitäten und Bindungen konsequent sprengt. Die Persönlichkeit Jesu vermittelt eine unermessliche, sich stetig ausweitende Vollmacht und Autorität (vgl. Mt 11,29-30), die, wenn bösartig, nackte Angst einflössen würde. Nur aufgrund seiner „gezähmten“ und wohlwollenden Autorität, die 127 Vgl. u.a. Gen 3,1-19; Röm 1,18-32; 3,9.20.23; 5,6-21 und vor allem die Tatsache des stellvertretenden Sühneleidens Jesu (Mk 10,45; vgl. Mk 14,24) als deutliche Darstellung der profunden Ernsthaftigkeit menschlicher Autonomie und Entfremdung von Gott.

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sich durch lehrende Vermittlung des Willens Gottes und mittels Befreiung von dämonischer Belastung und Heilung von Krankheit zeigt, kann der Nachfolger Vertrauen fassen. Allerdings ist dieses Vertrauen immer mit unangenehmen, ja leidvollen Überraschungen in der Öffnung Jesus gegenüber verbunden. Nachfolge zeigt sich bereits hier als ganzheitliche, allumfassende Auslieferung an die Person, den Anspruch und das Wirken Jesu, ohne Garantie dafür, was danach kommen mag. Bonhoeffer hat dies in schwerster Anfechtung bewegend zum Ausdruck gebracht: Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr. Noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das Du uns geschaffen hast. Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus Deiner guten und geliebten Hand. Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, dann woll’n wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört Dir unser Leben ganz. Lass warm und hell die Kerzen heute flammen, die Du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen! Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht. Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all Deiner Kinder hohen Lobgesang. Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiß an jedem neuen Tag.128

Das Denken, Empfinden und Verhalten des Nachfolgers ist somit immer Ausdruck der Öffnung dem Erhabenen gegenüber, immer Ausdruck der Abhängigkeit von ihm, und nie bloßes Befolgen eines autonomen, auch noch so spirituell scheinenden, Verhaltensmusters oder eines sehr wichtig scheinenden Auftrags.

128 Bonhoeffer, Widerstand, 607-608. Bonhoeffer schrieb dieses Gedicht zu Silvester 1944 im S.S. Gefängnis Prinz-Albrecht-Straße, Berlin.

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3. Jesu Verhalten und Lehre führen zum Konflikt 2,1–3,121

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Dieser längere Abschnitt ist durch die Berufung des Zöllners Matthäus (Levi) sowie die vollmächtige Lehre Jesu gekennzeichnet. Die Erzählung endet mit einer Bemerkung über den zunehmenden Ruf Jesu und die Absicht seiner Gegner, ihn umzubringen. Es ist bemerkenswert, dass sowohl die Abschnitte 2,1–3,6 (fünf Episoden) als auch 11,27–12,37 (fünf Episoden) durch jeweils zunehmende Spannung mit Jesu Gegnern gekennzeichnet sind. Dies geschieht aufgrund der grundsätzlich abweisenden Haltung seiner Gegner und aufgrund der anstößigen Aussagen Jesu. Dieser Sachverhalt wird im Verlauf der Erzählung immer wieder erwähnt (vgl. u.a. 2,2.4-6; 3,6; 14,1).2 Nach Mk ist diese Spannung (vor allem durch die Anklage der Gotteslästerung, 2,7; vgl. 14,6164)3 letztendlich der historische Anlass für den Tod Jesu. Die Konflikterzählungen weisen allesamt darauf hin, dass Jesus nicht nur eine von seinen Gegnern abweichende Lehrmeinung über die Torah vertritt, sondern dass Jesu Vollmachtsanspruch (vgl. z.B. 2,6) weit darüber hinaus reicht. Deshalb steht bereits in 3,6 (literarisch und thematisch als vorläufige Klimax) die Tötungsabsicht der Gegner Jesu fest (vgl. 2,2.4-6; 11,18; 12,12; 14,1). Der ausgeweitete Vollmachtsanspruch Jesu, der aus den fünf Episoden hervorgeht (2,1–3,6), mag in den Augen seiner Gegner zur Anklage der Gotteslästerung berechtigen (vgl. die Verbindung zwischen 2,7 und 3,6).4 Synoptischer Vergleich: Befund. Die Synoptiker berichten gemeinsam über die Heilung des Gelähmten (Mt 9,1-8 / Mk 2,1-12 / Lk 5,17-26), die Berufung des Levi (Mt 9,9-13 / Mk 2,13-17 / Lk 5,27-32) sowie die Fastenfrage (Mt 9,14-17 / Mk 2,18-22 / Lk 5,33-39). Bei Matthäus folgt sodann ein längerer Abschnitt (Mt 9,18–11,30), der Inhalte enthält, die Mk in anderer Akoluthie später vermittelt (vgl. u.a. Mk 3,13-19; 5,21-43; 6,6-13; 8,34-35; 9,9-13). Die Synopti1 Lit. zum Textabschnitt: Bock, Blasphemy, 185; Houtman, Sünden, 33-44; Klinghardt, Boot, 183-202; Koch, Messias, 117-148. Siehe ferner Lit. zu den Einzelabschnitten. Vgl. die Lit. bei: Pesch I 151 (bis 1980). Zur eingehenden textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch I 152, Anm. a-d; 163, Anm. a-f; 170-171, Anm. a-c; 179, Anm. a-e; 188, Anm. a-c; 199, Anm. a-b; France 121.130.136.142.152; Lane 92, Anm. 1-6; 102-103, Anm. 34-37; 107, Anm. 50-53; 121, Anm. 1-3; 127, Anm. 25-27. 2 Vgl. Lane 91. 3 Siehe ähnlich Bock, Blasphemy, 184-237. 4 Guelich 133.

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ker konvergieren im Bericht über die Sabbatfrage (Mt 12,1-8 / Mk 2,23-28 / Lk 6,1-5) sowie die Heilung des Mannes mit der gelähmten Hand mit folgendem Summarium (Mt 12,9-21 / Mk 3,1-12 / Lk 6,6-19). Allerdings fügt Lk hier den Bericht der Einsetzung der Zwölf mit ein (Lk 6,12-16), während Mk dies nach dem Summarium berichtet (Mk 3,13-19). Mt hat die Berufung der Zwölf (Mt 10,1-4) bereits im Abschnitt über die Aussendung der Jünger (Mt 9,35–10,16) erwähnt. Auswertung: Mk konzentriert sich auf Heilungen, die Berufung eines weiteren Jüngers sowie die Fasten- und Sabbatfragen. Die bestätigende Beauftragung der Zwölf (3,13-19) schließt auch die Berufung einzelner Jünger ab. Literarischer Kontext und Form. Die vorliegenden fünf Episoden in 2,1–3,6 werden nicht notwendigerweise in chronologischer Abfolge präsentiert, sondern sind eher thematisch unter der Rubrik „Auseinandersetzung mit Jesu Gegnern“ (Streitgesprächsammlung)5 angeordnet (siehe die folgende thematische Begründung).6 Bemerkenswert ist die formale und inhaltliche Gemeinsamkeit zwischen 2,1-12 (Eröffnung der fünf Perikopen; 1. Episode) und 3,1-6 (Abschluss der fünf Perikopen; 5. Episode).7 Mk 2,13-17 (2. Episode) führt das Thema „Vergebung“ von 2,6-10 fort.8 Mk 2,18-22 (3. Episode; „erweiterte Chrie“9) liegt im Zentrum der fünf Episoden; sowohl 2,13-17 als auch 2,18-22 und 2,23-28 (4. Episode; „erweiterte Chrie“10) kreisen um Themen der jüdischen Nahrungsund Fastenpraxis.11 Die Verknüpfung zwischen 2,23-28 und 3,1-5 (5. Episode) liegt in der Kontroverse um den Sabbat, die in der Tötungsabsicht (3,6) kulminiert.12

3.1 Heilung des Gelähmten 2,1-12 Jesus erweitert seinen Vollmachtsanspruch, indem er eigenständig, direkt und damit kontrovers die Sünde eines Menschen vergibt. Dies ist ausschließliches 5 6 7 8

Pesch I 149. Lane 91. Guelich 132. Guelich 99. Berger (Formen, 140) bezeichnet Mk 2,16-17 als Chrie. Zur Definition der Chrie, s.o. Einleitung, 3.1. 9 Berger, Formen, 140.149. Zur Definition der Chrie, s.o. Einleitung, 3.1. 10 Berger, Formen, 140.149. Zur Definition der Chrie, s.o. Einleitung, 3.1. 11 Guelich 108. 12 Guelich 120.

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Proprium Gottes (vgl. die Bemerkungen zu 2,3-5). Aufgrund dessen wird er der Gotteslästerung bezichtigt. Später wird dies zum Hauptanklagepunkt im Verhör Jesu vor dem Hohen Rat (14,62-64). Gleichzeitig stellt Jesus klar, wer – und durch wen ein Mensch – Vergebung erlangen kann. Überraschenderweise kann sogar ein im zeitgenössischen Judentum verpönter Zöllner nicht nur derartige Vergebung erhalten (2,13-14; vgl. die „Zöllner und Sünder“ in 2,15-17), sondern sogar Mitglied des inneren Jüngerkreises werden. I 1 Und als er nach einigen Tagen wiederum nach Kapernaum kam, sprach sich seine Anwesenheit am gewohnten Ort herum. 2 Und viele versammelten sich, sodass nicht einmal Platz bei der Türe übrig blieb, und er verkündete ihnen das Wort. 3 Und vier Leute kommen schleppend zu ihm, die tragen einen Gelähmten. 4 Und weil sie (ihn) wegen der Menge nicht zu ihm bringen konnten, deckten sie das Dach des Hauses ab, in dem er sich befand; und als sie eine Öffnung herausgebrochen hatten, ließen sie die Matte, auf der der Gelähmte ruhte, langsam herunter. 5 Als aber Jesus ihren Glauben bemerkt, spricht er zum Gelähmten: „Mein Kind, deine Sünden sind dir vergeben“. 6 Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten unter sich insgeheim: 7 ‚Warum spricht dieser so? Er lästert Gott! Wer kann (denn) Sünden vergeben außer dem einen, Gott?‘ 8 Und alsbald erkennt Jesus in seinem Geist (bei sich), dass sie unter sich so denken und spricht zu ihnen: „Warum denkt ihr so unter euch? 9 Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen, deine Sünden sind (dir) vergeben, oder zu sagen, steh auf und nimm deine Matte und geh“? 10 Damit ihr aber gewiss seid, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden auf Erden zu vergeben – spricht er zu dem Gelähmten: 11 „Ich sage dir, steh auf, nimm deine Matte und gehe nach Hause“. 12 Und er erhob sich, nahm gleich die Matte auf und ging vor allen hinaus, sodass alle entsetzt staunten und Gott mit den Worten lobten: „So etwas haben wir noch nie gesehen“.13 II Mk 2,1-12 (1. Episode) ist formal eine ausgeweitete Heilungserzählung (Lahmenheilungserzählung)14 bzw. eine „dramatische Chrie“15 (Situation/Heilung/ Demonstration/Reaktion: V. 4 / 5b+11 / 12a / 12b). Inmitten dieser Erzählung 13 Lit.: Bock, Blasphemy, 185; Houtman, Sünden, 33-44; Koch, Messias, 117-148; Lamarche, Blasphème, 74-85; Rihbany, Sitten, 116-117; Wolter, Anakoluth, 269-275; Oegema, Gesalbte, ad loc. Weitere Lit. bei: Guelich 80-81 (bis 1988); Pesch I 162.428 (bis 1980). 14 Pesch I 152. 15 Berger, Formen, 145. Zur Definition der Chrie bzw. Chrienreihe s.o. Einleitung 3.1.

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ist ein Streitgespräch mit Gegnern Jesu eingeschoben (2,6-10; vgl. ähnlich Joh 5,14). III 1 Das Haus des Petrus und Andreas in Kapernaum16 wird immer mehr (vgl. 1,21) zum Zentrum des Wirkens Jesu in Galiläa. 2 Die Menschenmenge im Haus (viele versammelten sich, sodass nicht einmal Platz bei der Tür übrig blieb, vgl. 1,45; 5,14f; 5,21; 6,30ff; 7,32) kann sich etwa auf 50 Personen belaufen; die übrigen müssen, wenn möglich, von draußen zuhören.17 Kern des Wirkens Jesu ist kontinuierlich die Verkündigung der Herrschaft Gottes (er predigt das Wort),18 die Umkehr und Glaube erfordert.19 3-4 Das dramatisch (beachte vor allem die Anstrengung [schleppend], die notwendig ist, den Gelähmten zu Jesus zu bringen; vgl. 5,24.34; 9,14ff; 10,48) und anschaulich geschilderte Ereignis der Heilung des Gelähmten ist Ausgangspunkt der erneuten Ausweitung des Anspruchs Jesu. Das begehbare, jedoch lediglich mit Querbalken, Zweigen, Ästen und Lehm geformte Flachdach des Hauses, ggf. mit Matten ausgelegt, ist durch eine Außentreppe zugängig. Daher kann im Dach eine Öffnung gemacht werden. Vgl. Pesch bezüglich architektonischer Details und des Verweises auf die Spezialstudie von Rihbany.20 Vgl. die Parallele in Midrasch RLev 19,6.21 Ein Gelähmter gehört aufgrund der Tatsache, dass er körperlich nicht arbeiten kann, der armen Bevölkerungsschicht an.22

Jesus bezeichnet die Anstrengung der vier Freunde (schleppend … tragen einen Gelähmten … deckten sie das Dach des Hauses ab … als sie eine Öffnung herausgebrochen hatten, ließen sie die Matte … langsam herunter) als Glaube23, V. 5. Zwar ist es aus der Perspektive Jesu als Sohn Gottes leichter (d.h. näherliegend und zentraler; s. zu V. 9-11), Sünden (mit Blick auf seinen stellvertretenden Tod) direkt zu vergeben, jedoch heilt Jesus den 16 Kapernaum liegt etwa 47 km von Nazareth entfernt. 17 Vgl. Keener, Background, 139, der darauf hinweist, dass Ausgrabungen verschiedener Häuser in Kapernaum eine Maximalraumlänge von ca. sechs Meter ergeben haben. 18 Vgl. 1,45; 2,2; 4,33; [16,20]. Wer 4,14 auf urchristliche Tradition zurückführt, der geht auch in 2,2 von urchristlicher Provenienz aus (vgl. Gnilka I 98). 19 Vgl. 1,14-15; 2,2; 4,14-20.33: 7,13; 8,38; 10,24; 12,13; 13,31; 14,72 [16,20]. 20 Pesch I 155, Anm. 12. Rihbany, Sitten, 116-117. Siehe ferner Dschulnigg 93 und Anm. 84. 21 So Lane 93, Anm. 8; vgl. ferner Keener, Background, 139-140. 22 Zum Thema „Bahre“, siehe Art. κράββατος [krabbatos], EWNT II, 774 und Pesch I 154. 23 Siehe auch die Bemerkungen zu 1,15; 4,40; 5,34.36; 6,6; 9,24. Vgl. Bemerkungen zum Stichwort „Glaube“ in 10,47.52; 11,22-24. Siehe 10.4, IV zu 8,27-9,29.

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zuversichtlichen (πίστις [pistis]) Gelähmten, um damit u.a. seine Vollmacht zur Sündenvergebung zu bekräftigen. 5 Im Judentum herrscht die Vorstellung einer engen und oft kausalen Beziehung zwischen Sünde und Krankheit vor.24 Die barmherzige (vgl. die bei Mk ungewöhnliche Anrede mein Kind; siehe nur noch 10,24) Sündenvergebung des Gelähmten ist somit nicht gänzlich außergewöhnlich, obwohl sie in diesem Kontext dennoch überrascht.25 Das eigentlich Anstößige für die Schriftgelehrten als juristisch geschulte Torah-Interpreten ist jedoch Jesu unerhörter Autoritätsanspruch, den er mit der direkten Sündenvergebung erhebt. 6-7 Der Gedankengang der Spezialisten des schriftlichen und mündlichen (Halakha-)Gesetzes, d.h. der Schriftgelehrten, ist durchaus plausibel (vgl. 7,21; Gen 17,17; Deut 7,17).26 Die Art und Weise, wie Jesus die Sünden vergibt, schließt für sie die Alternativinterpretation einer mittelbaren Sündenvergebung aus (siehe etwa Nathan, dem König David gegenüber, 2Sam 12,13; vgl. Jes 6,7; Sach 3,4).27 Daraus folgt der gedachte Schluss der Gegner Jesu, dass Jesus Gott lästert (Blasphemie),28 was wiederum eindeutig mit Todesstrafe belegt ist (Lev 24,10-23; Num 15,30-31; vgl. Mk 14,62-64).29 Im AT und im palästinischen Judentum gilt allgemein der Grundsatz, dass allein Gott Sünden vergeben kann (vgl. Ex 34,6-7; Ps 103,3; 130,4; Jes 43,25; Dan 9,9 sowie 1QS2.9; CD3,18; 20,34).30 Es besteht allerdings die Interpretationsmöglichkeit, dass der Messias nach TargJes 53,5b Sünden vergeben kann.31 Diese Sicht würde allerdings von der offiziellen Lehrmeinung z.Z. Jesu abweichen. 8-9 Die Fähigkeit Jesu, Gedanken zu lesen (vgl. 5,30; 8,17; 2Kön 6,12),32 erweitert erneut das Ausmaß seiner Vollmacht (vgl. Gott als Herzenskenner: 1Sam 16,7; 1Kön 8,39; 1Chron 28,9, Ps 7,10; Jer 11,20; 17,1033). Um einem Missverständnis vorzubeugen, hätte Jesus an dieser Stelle leicht die Annahme der Schriftgelehrten korrigieren können, falls er nicht mit ihren Gedanken 24 Lane 94 verweist u.a. auf 2Chron 7,14; Ps 103,3; Jes 19,22; 38,17; vgl. bNed 41a. Lane 94 bemerkt, dass allgemein Krankheit und Tod Folgen der Trennung von Gott sind und somit keine konkrete Sünde für die konkrete Lähmung gesucht werden muss. 25 Vgl. Pesch I 156. 26 So Pesch I 158. 27 So etwa Houtman, Sünden, 33-44, hier: 43, der Jesus nach Lk 23,34 eher als Fürsprecher Gottes sieht. 28 Vgl. Pesch I 158 und Anm. 26 (mit Verweis auf H.W. Beyer, Billerbeck, G.F. Moore und H. Braun). 29 Vgl. u.a. Keener, Background, 140. 30 Vgl. Dschulnigg 93 und Anm. 87 sowie Lane 95, Anm. 14 und Pesch I 158. 31 Pesch I 159 und Anm. 26a, mit Verweis auf Koch, Messias, 117-148. 32 Keener, Background, 140. 33 So Pesch I 159. Dschulnigg 93 verweist ferner auf Sir 42,18.

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(V. 7) übereinstimmte. Die Tatsache, dass Jesus die unausgesprochene – aber in V. 9 beantwortete – Annahme der Schriftgelehrten stehen lässt (wer kann denn Sünden vergeben außer dem einen, Gott?), besagt, dass Jesus mit der Sündenvergebung bewusst den unerhörten Anspruch erhebt, wie der eine Gott direkt Sünden vergeben zu können (vgl. ἀφίενται [aphientai], passivum divinum in V. 5 und 9; vgl. V. 7): „Gott vergibt“, d.h. „ich vergebe deine Sünden“. Entgegen der hier gebotenen Interpretation bezweifelt Pesch die direkte Verbindung zwischen passivum divinum in 2,5.9 (Gott vergibt dir die Sünde) und der Haltung Jesu seinen Gegnern gegenüber („ich habe die göttliche Vollmacht, Sünden direkt zu vergeben“: 2,7-8.10).34

9-11 Der Gottesanspruch Jesu mittels Sündenvergebung wird dadurch bestätigt, dass Jesus die Schriftgelehrten direkt herausfordert. Die Gegenfrage, die er ihnen stellt, ist am besten aus der Perspektive Jesu als ewiger Sohn Gottes zu verstehen. Für ihn, und nur für ihn, ist es leichter, d.h. näherliegend, im Blick auf Golgota (10,45) Sünden zu vergeben;35 der Gelähmte wird jedoch zusätzlich geheilt,36 um Jesu Vollmacht zur Sündenvergebung zu demonstrieren.37 Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Jesus sich als vollmächtiger Menschensohn bezeichnet (vgl. 2,28; 8,38; 14,62). Ein Vergleich mit 8,31 zeigt, dass dieser erhöhte Menschensohn jedoch zunächst gedemütigt, getötet und gerechtfertigt werden muss (vgl. 10,45; siehe Jes 52,13‒53,12). Die Vollmacht des Menschensohnes steht in Verbindung mit der apokalyptischen Vorstellung eines Menschensohnes (vgl. Daniel 7,13-14), der zum Herrschaftsantritt in die Gegenwart Gottes tritt (vgl. Einleitung 4.1.6). Es trifft zu, dass Mk lediglich in 2,10.28 und 14,62 von Jesus als Menschensohn in der Öffentlichkeit berichtet; ansonsten erfolgen die Menschensohnaussagen (nach dem Petrusbekenntnis, 8,29) und im privaten Kontext der Belehrung der Jünger. Dennoch überzeugt Lane nicht, der die Authentizität von 2,10.28 bezweifelt.38 Eben die frühe und

34 Pesch I 160. 35 Pesch I 159 kommt zu demselben Schluss, jedoch über eine andere Argumentation („leichter ist das unbeweisbare Vergebungswort, schwerer das beweispflichtige Heilwort“); so auch Dschulnigg 94. Handelt es sich um Vergebung einzelner Sünden oder um Vergebung der Sündhaftigkeit des Menschen? 36 Vgl. Pesch I 157 bezüglich des „Umhergehens“ des Geheilten. Pesch I 157 verweist auf 2,9; Joh 5,8f; Apg 3,6.8 und 14,10. 37 Etwas anders Pesch I 159: „Die Vollmacht des Schwereren wird demonstriert, auf die des Leichteren kann geschlossen werden (Schluß: a maiore ad minus)“. 38 Lane, Mark, 96-98.

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öffentliche Aussage, dass der Menschensohn Vollmacht zur Sündenvergebung hat (2,10; vgl. 2,7), führt zur frühen, historisch plausiblen Absicht der Gegner, Jesus zu töten (3,6).

Sündenvergebung heißt vor allem Bereinigung der verschuldeten Entfremdung von Gott (ontologische Schuld; siehe den stellvertretenden Kreuzestod Jesu; 10,45; 14,24). Erst sekundär bedeutet sie sodann Bereinigung der durch konkrete Übertretungen belasteten Beziehung zu Gott (kasuistische Schuld). Durch sein Verhalten betont Jesus, dass die Bereinigung der Beziehung zu Gott viel grundsätzlicher und deshalb bedeutender und vorrangiger ist, als Heilung. 12 Die Reaktion der meisten Anwesenden (dass alle entsetzt staunten und Gott mit den Worten lobten: „So etwas haben wir noch nie gesehen“) erfolgt aus tiefem Erstaunen über die Heilung, aber nicht notwendigerweise aus Glaube an die göttliche Vollmacht Jesu. Die kühne Tat und Aussage Jesu macht dem Hörer klar, dass Jesus gleich zu Beginn seines öffentlichen Auftretens mit verschiedenen Formen von Opposition leben muss. Unter den Gegnern Jesu sind viele geistliche und politische Verantwortliche Israels (siehe vor allem 2,7). Die verantwortlichen Sadduzäer, Pharisäer und Herodianer versuchen jeweils auf ihre Weise, das prekäre politische, wirtschaftliche und religiöse Machtverhältnis zwischen Rom und den jüdischen Territorien aufrechtzuerhalten (vgl. 3,6.22-30; 6,4; 8,11-15). Inmitten dieser Spannung verurteilen sie den unerhörten und anstößigen Anspruch Jesu. Eine weitere Form der Opposition erduldet Jesus später vonseiten seiner natürlichen Familie (3,20-21.31-35). Auch Judas, der sich am Ende einer Jesus widersprechenden politischen Haltung (sowie Satan) hingibt, beteiligt sich an der Opposition zu Jesus (14,10; Lk 22,3; Joh 6,70). Schließlich wird ihn sogar Petrus verleugnen, um sein eigenes Leben zu retten (14,30). Die verschiedenen Arten von Opposition lassen einen grundsätzlichen Gegensatz erkennen: entweder autonome Selbstbewahrung oder offene Hingabe an Jesus. Wie so oft, offenbart Jesu Wundertat etwas Wichtiges über seine Person (siehe die sog. „johanneischen Zeichen“).

3.2 Berufung des Levi und Kontroverse 2,13-17 I 13 Und wieder einmal ging er am See entlang und alles Volk strömte zu ihm und er lehrte sie (ausgiebig). 14 Und als er weiterging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus, im Zollhaus sitzen und spricht zu ihm: „Folge mir nach“. Er erhob sich und folgte ihm nach. 15 Und es ereignet sich (ein-

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mal), dass er in dessen Haus zu Tisch sitzt und sich viele Zöllner und Sünder zu Jesus und seinen Jüngern zum Essen gesellten; denn es waren viele, die ihm treu nachfolgten. 16 Und die Schriftgelehrten der pharisäischen Partei, die sahen, dass er mit den Sündern und Zöllnern aß, sprachen zu seinen Jüngern: „Mit Zöllnern und Sündern pflegt er Tischgemeinschaft?“ 17 Jesus aber hört sie und spricht zu ihnen: „Die Gesunden bedürfen keines Arztes, sondern die Kranken; ich bin nicht gekommen um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder“.39 II Bei Mk 2,13-17 (2. Episode), Mk 2,18-22 (3. Episode) sowie Mk 2,23-28 (4. Episode) handelt es sich formal um episodische Kontroversen (mit Streitgespräch). Sie weisen die gemeinsame Struktur von Situation/Handlung/Frage/ Reaktion auf.40 Die 2. Episode weist die Besonderheit auf, neben dieser formalen Anordnung (2,15-17) die vorgespannte Berufung eines Jüngers (2,14) zu enthalten. Beachtenswert ist ferner die wiederholte Nennung der „Sünder“ in Mk 2,15-16. III 13 Jesus lehrt immerfort (vgl. 4,1-2). 14 Als Kollaborateur mit Herodes Antipas, wird Levi, Sohn des Alphäus (in 3,18 Matthäus genannt; vgl. Mt 9,9) als örtlicher Zollbeamter, τελώνης [telōnēs], von seinen Landsleuten verachtet.41 Lane verweist auf bSan 25b und bemerkt, dass bereits in mSan 3,3 die Rede von Unterdrückern ist, was oft als Verweis auf Zöllner interpretiert wird.42 Es ist anzunehmen, dass die spätere Gepflogenheit, Zollbeamte als Richter oder Zeugen vor Gericht zu disqualifizieren und sie sogar aus der Synagoge auszuschließen, bereits z.T. für die Zeit Jesu zutrifft. Möglich ist ferner, dass Levi in Kapernaum auch Fischzoll für Herodes Antipas eintreibt und deshalb einige Jünger Jesu bereits kennt.43

39 Lit.: Kruse, Negation, 385-400; Schlatter, Evangelist, 302. Weitere Lit. bei: Guelich 96-97 (bis 1988); Pesch I 169-170.428 (bis 1980). 40 Vgl. Pesch I 164, der die V. 15-17 dreigliedrig (Situation – Einspruch – Antwort) aufteilt. 41 Keener, Background, 140 bemerkt, dass z.B. für das Gebiet um Kapernaum Einfuhrsteuern erhoben werden, die sich z.B. auch auf den Fischhandel erstrecken. Vgl. ferner Dschulnigg 97 und Anm. 102. 42 Lane 101-102. Vgl. Danby, Mishnah, 385, Anm. 5. 43 Vgl. Lane 102, der auf Schlatter, Evangelist, 302 verweist. Siehe Edwards 82 hinsichtlich des Verweises von Philo auf den Zöllner Capito (ca. 40 n.Chr.): „Capito is the tax collector for Judea and he holds the population in contempt. When he came there he was a poor man, but he amassed much wealth in various forms by defrauding and embezzling … the people“.

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Bewusst beruft Jesus einen Repräsentanten dieser korrupten und verpönten Gesellschaftsgruppe (vgl. 2,15-16; vgl. Mt 11,19; Lk 7,34; 15,1) mit der Aussage „folge mir nach“ (ἀκολουθέω [akoloutheō], V. 14). Dieser Ausdruck ist im Mk Ev. von großer Bedeutung (siehe Bemerkungen zu 1,17-18.20; 2,15; 6,1; 8,34; [9,38]; 10,21.28.32.52; [14,54]; 15,41). Levi entspricht unmittelbar der überraschenden Aufforderung Jesu. Ebenso wie bei der Berufung der vier Jünger (1,16-20) wird auch Levi während der Arbeit in die Nachfolge gerufen.44 Exkurs 3: Die Besteuerung der römischen Provinzen45 Die römische Besatzungsmacht regelt das öffentliche Leben der Provinzen u.a. bezüglich der allgemeinen Ordnung, Gesetzgebung, zivilen Ruhe, Kaiseranbetung und militärischen Bewachung. Die Besteuerung der Provinzen nimmt hierbei einen wichtigen Platz ein.46 Vor allem werden bereits in der vorkaiserlichen Zeit Land- und Kopfsteuern (tributum soli und tributum capitis) durch ein leicht korrumpierbares System der Fremdverwaltung eingezogen. Vor der Zeit des Kaisers Augustus können reiche, aristokratische Bürger (ordo publicanorum) Besteuerungsrechte für ein bestimmtes Provinzgebiet kaufen. Sie müssen an die Staatskasse dafür einen festgelegten Betrag entrichten. In welcher Höhe und durch wen (z.B. durch regionale Pächter portitor) die Steuern jedoch dann eingezogen werden, überwacht Rom nicht mehr.47 Von Rom abhängige Herrscher führen die Steuerabgabe an Rom für ihr Herrschaftsgebiet durch.48 In anderen Territorien wird die Steuer durch den Präfekt oder Prokurator eingezogen. Dies trifft auch auf die Provinzen zu, in denen ein Prokonsul politische und militärische Verantwortung hat. In allen Fällen erfüllen einheimische Steuereintreiber die eigentliche Arbeit vor Ort. Unabhängig von der regionsbedingten Methode des Steuereinzugs ist das gesamte System leicht korrumpierbar. Z.B. berechnen regionale Pächter Zinsen für die Beträge, die sie ihren Vorgesetzten vor Einziehen der Steuern „vorstreckten“; diese Zinsen werden an die einzelnen Steuerzahler „weitergegeben“; es ist möglich, dass sowohl Matthäus als auch Zachäus an derartigen Geschäften, wohl im Zoll- und Geschäfts-49, nicht jedoch im Land- oder Kopfsteuerbereich, beteiligt sind. Ferner werden den Provinzen gelegentlich zusätzliche Steuern auferlegt. Das gesamte System ist somit mehr oder weniger ungerecht und tendierte dazu, die einheimische Bevölkerung zu unterdrücken.50 44 45 46 47 48

So Dschulnigg 97. Vgl. Art. τελώνης [telōnēs], EWNT III, 835-838, mit Lit. (835-836). Vgl. Herrenbrück, Jesus, passim. Vgl. Art. τελώνης [telōnēs], EWNT III, 835-838. Das politische und wirtschaftliche Verhältnis zwischen Galiläa und Rom z.Z. Jesu wird kontrovers diskutiert und beurteilt. Siehe unten, 7.2 III, Bemerkungen zu 6,14. 49 Beamte treiben z.B. Zoll- bzw. Umsatzsteuern (ca. 2-3 % des betreffenden Verkaufswertes) für eine betreffende Stadt ein. Keener, Background, 141. 50 Vgl. Art. τελώνης [telōnēs], EWNT III, 835-838.

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Für Juden in Palästina und der Diaspora wird ferner die jährliche Tempelsteuer (zum Erhalt des Tempels) von zwei Drachmen erhoben (= 0,5 Schekel; es entspricht etwa einem doppelten Tagelohn). Es gibt im Tempelbereich dreizehn Opferstöcke für die Tempelsteuer. Um diesen Betrag darf die Steuer an Rom reduziert werden. Siehe den Verstoß gegen diese Regelung durch Pilatus, die Tempelsteuer zum Bau eines Aquädukts zu verwenden (vgl. Exkurs 14). Ferner besteht das oft erwähnte freiwillige Tempelopfer (vgl. 12,41-44).

15-16 Die Tischgemeinschaft Jesu (als Zeichen persönlicher Aufnahme und Gemeinsamkeit) mit Zöllnern (vgl. den inhaltlichen Bezug zu 2,14) hat einen weiteren Konflikt mit seinen Gegnern zur Folge. Aus der Sicht der pharisä­ ischen Schriftgelehrten (vgl. 1,22; 2,6; s.u. Exkurs 4) entspricht eine derartige Tischgemeinschaft51 dem Bejahen der Ungerechtigkeit und Unreinheit der Zöllner (vgl. Lk 19,7-8; Mt 11,19; siehe ferner Gal 2,11f; Apg 11,1-3)52 und anderer Sünder. Ungerechtigkeit und Unreinheit sollen jedoch unter allen Umständen vor allem durch einen Gerechten gemieden werden (V. 17; vgl. Lev 10,10f).53 Ein dritter Weg, nämlich Gemeinschaft aus Barmherzigkeit und aufgrund von tatsächlicher Vergebung zu pflegen, bei der Jesus selbst nicht sündigt, wird von ihnen nicht gesehen, denn somit würden ja zumindest gewisse pharisäische Reinheitsgesetze immer noch gebrochen. Zum ersten Mal benutzt Mk hier den wichtigen und häufig vorkommenden Begriff μαθητής [mathētēs] und identifiziert damit einen inzwischen erweiterten Kreis der bisher erwähnten Jünger bzw. „lernenden Nachfolger“.54 Das Wort hat im NT die doppelte Bedeutungsnuance von „begleiten“ und vor allem von „lernen“.55 Je nach Kontext dominiert die eine oder andere Nuance; dies trifft auch auf Mk zu. Der Begriff „Jünger“ kann bei Mk jedoch oft mit dem Ausdruck „lernender Nachfolger“ gleichgestellt werden. Lebensgemeinschaft mit Jesus bedeutet, dass die Jünger mit denselben Menschen Umgang pflegen, mit denen ihr Meister Kontakt pflegt. Das kann sie durchaus, wie hier, in Verruf bringen; es kann sie sogar in Lebensgefahr bringen (Petrus begibt sich z.B. in Gefahr, indem er sich in der Nähe des gefangenen Jesus aufhält: 14,66-67). Im vorliegenden Text wird diese enge Verbindung deutlich und einfach ausgedrückt: πολλοὶ τελῶναι 51 Vgl. Pesch I 165 bezüglich weiterführender Lit. zum jüdischen Gastmahl. Pesch I 165, betont, dass ein Gastmahl Frieden, Vertrauen, Vergebung und Bruderschaft zum Ausdruck bringt. 52 Pesch I 165 und Anm. 4 bemerkt, dass Zöllner im palästinischen Judentum als Diebe gelten und wegen ihres Umgangs mit Heiden kultisch unrein sind. 53 Vgl. Pesch I 165. 54 Vgl. 2,15.16.18.23; 3,7.9; 4,34; 5,31; 6,1.29.35.41.45; 7,2.5.17; 8,1.4.6.10.27.33.34; 9,14.18.28.31; 10,10.13.23.24.46; 11,1.14; 12,43; 13,1; 14,12.13.14.16.32; 16,7. Vgl. Dschulnigg 97-98. 55 Vgl. Art. μαθητής [mathētēs], EWNT II, 915-921; siehe ebd. Lit. (915-916); vgl. LN, ad loc.

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καὶ ἁμαρτωλοὶ συνανέκειντο τῷ Ἰησοῦ καὶ τοῖς μαθηταῖς αὐτοῦ [polloi telōnai kai hamartōloi synanekeinto tō Iēsou kai tois mathētais autou]. Wenn Jesus aufgrund seiner Barmherzigkeit und Berufung (Lk 19,10; 1Tim 1,15) absichtlich Tischgemeinschaft mit „Zöllnern und Sündern“ pflegt (vgl. dat. sociativus, συνανέκειντο τῷ Ἰησου [synanekeinto tō Iēsou]), so befinden sich seine Nachfolger ebenso in deren Gesellschaft (ebenso dat. sociativus, συνανέκειντο … τοῖς μαθηταῖς αὐτοῦ [synanekeinto … tois mathētais autou]). Sie machen sich somit in den Augen der Gegner Jesu ebenso anrüchig. Dschulnigg vermutet, dass Jesu Gegner deshalb die Jünger und nicht Jesus selbst ansprechen, weil sie „sie vielleicht vor der verderblichen Praxis ihres Meisters warnen wollen“.56 17 Der sprichwortartige, antithetische Parallelismus verknüpft die Gesunden mit Gerechten sowie die Kranken57 mit Sündern. Nach der indirekten Aussage Jesu muss sich somit jeder Mensch selbst fragen, ob er sich als „gesund“ oder „krank“, also sündig oder gerecht einschätzt.58 Aufgrund ihrer Unbarmherzigkeit sind die Gegner Jesu jedenfalls als „kranke“ Sünder verdächtig (vgl. 2,23-27; 3,1-5; 7,1-15). Ferner warnt Jesus auch seine Jünger vor Hartherzigkeit (Mk 7‒8). Nach dem Befund der gesamten Schrift drängt sich die Frage auf, ob überhaupt jemand im vollen Sinn des Wortes vor Gott gerecht ist (Gerechtigkeit aus menschlicher Perspektive ist durchaus denkbar, vgl. etwa Phil 3,6). Ist vor Gott kein einziger Mensch gerecht (vgl. etwa Röm 3,9.2026), dann würde Jesus in keiner Hinsicht die pharisäische Trennung zwischen „gerecht“ und „sündig“ teilen (vgl. Joh 3,17; Röm 5,6.8.10; 1Tim 1,15). Das Sendungsbewusstsein Jesu (ἤλθον [ēlthon], ich bin (nicht) gekommen; vgl. Dan 9,23; 10,14.20; 11,2 LXX; Tob 12,18 LXX)59 macht deutlich, dass er als Ausdruck des anbrechenden, mit Gnade erfüllten Gottesreiches gezielt auch Tischgemeinschaft mit Sündern sucht. Jesus deutet hier bewusst auf messianische Vergebung hin und erwartet proleptisch das zukünftige messianische Mahl (vgl. 1QSa2,11ff). Siehe mA-

56 Dschulnigg 98. 57 Indirekt bejaht Jesus hier den Beruf des Arztes. Pesch I 166 und Anm. 9 (Lit.) verweist auf Parallelen des Sprichwortes in 2Clem 2,4; Barn 5,9; Justin Apol 1,15,8. Nach Pesch handelt es sich nicht um einen absoluten Gegensatz, sondern vielmehr um Jesu bevorzugte Hinwendung zu Kranken oder Ungerechten. Vgl. ebenso Dschulnigg 98. 58 Es ist fragwürdig, ob hier tatsächliche eine „dialektische Negation“ vorliegt, bei der Jesus den Sündern lediglich den Vorzug vor den Gerechten einräumt (pace Pesch I 166, und Anm. 8, der sich auf Kruse, Negation, 385-400 beruft). Danach wäre Jesus nicht nur, aber vor allem für die Sünder gekommen. Der Kontrast ist hier jedoch stark antithetisch: Wer nicht krank ist, benötigt keinen Arzt; wer krank ist, soll geheilt werden. 59 Vgl. Pesch I 167. Dschulnigg 99 und Anm. 108 spricht sich für die Authentizität des Doppelwortes aus.

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bot 4,16, wo das jetzige Leben als „Vorzimmer“ zum künftigen messianischen Festmahl gesehen wird.60 Jesu wachsende Autorität führt dazu, dass kulturell-religiöse Barrieren immer mehr durchbrochen werden (vgl. Apg 10 und 11), um den, der sich als Sünder bekennt, zu rufen und zu „heilen“. Auch hierin zeigt sich die sich stets ausweitende Vollmacht Jesu und zugleich die messianische Herrschaft Gottes, die von Menschen geschaffene, kulturell gewachsene Barrieren durchbricht.

3.3 Fasten 2,18-22 Jesus unterweist seine Jünger inmitten von Auseinandersetzungen mit seinen Gegnern. Mit der Metapher des Bräutigams, der einst „hinweggenommen“ wird, deutet Jesus indirekt zum ersten Mal auf sein bevorstehendes, gewaltsames Geschick. Dieses Ereignis wird seinen Jüngern einst zum Anlass dienen, in bleibender Abhängigkeit von ihm immer wieder zu fasten (2,19-20). I 18 Die Jünger des Johannes und die Pharisäer pflegten (immer wieder) zu fasten. Und sie kommen und sprechen zu ihm: „Warum fasten die Jünger des Johannes und die der Pharisäer, aber deine Jünger fasten nicht?“ 19 Jesus aber sprach zu ihnen: „Können etwa die Freunde des Bräutigams fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist? Während sie den Bräutigam bei sich haben, können sie nicht fasten. 20 Jedoch wird die Zeit kommen, zu der der Bräutigam von ihnen weggenommen wird, und dann, an jenem Tag, werden sie fasten. 21 Niemand näht ein frisches Stück Stoff auf ein altes Gewand; sonst reißt das Stück vom Gewand ab, das Neue vom Alten, und hat einen noch größeren Riss zur Folge. 22 Auch gießt niemand jungen Wein in alte Weinschläuche; sonst zerreißt der Wein die Schläuche und der Wein und die Schläuche gehen verloren; sondern frischer Wein gehört in neue Weinschläuche“.61 II Mk 2,18-22 (3. Episode) weist die Besonderheit einer ausgeweiteten „Reaktion“ auf. Im Einzelnen liegt eine episodische Kontroverse (2,18-19a) vor, die durch eine ausgeweitete Reaktion (2,19b-20 [Bildwort des Bräutigams]; 2,2160 Lane 106 und Anm. 49. 61 Lit.: Jeremias, Gleichnisse, 91; Ziesler, Removal, 190-194. Weitere Lit. bei: Guelich 106-107 (bis 1988); Pesch I 178.428 (bis 1980).

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22 [Doppellogion]) ergänzt wird. Das gemeinsame Thema der ausgeweiteten Reaktionen ist: „Jesus besitzt Vollmacht“. III 18 Das Fasten ist wichtiger Bestandteil des religiösen Lebens im palästinischen Judentum. Für diejenigen, die unter dem Einfluss Johannes des Täufers stehen,62 gilt wohl, dass sie aufgrund gegenwärtiger Buße fasten (vgl. 1,6; Mt 11,18; siehe auch Lev 16,1-34; 23,27ff; Num 29,7). Für Pharisäer gilt vor allem die, z.T. freiwillige, Tradition des Fastens. Der Fastende bereut vor Gott vor allem die Untreue der Vorfahren und bittet ihn um das Heil Israels.63 Exkurs 4: Die Pharisäer64 Während der Ursprung der Bezeichnung „Pharisäer“ unklar ist, steht es fest, dass die Pharisäer nicht von priesterlicher Abstammung sind.65 Parallel zu den Sadduzäern formiert sich die pharisäische Fraktion während der Makkabäerzeit.66 Riesner macht geltend, dass der Sammelbegriff „Pharisäer“ durchaus eine theologische Pluralität ausmacht.67 Im Gegensatz zu den Sadduzäern verfolgen die Pharisäer z.Z. Jesu einen eher indirekten Weg politischer Distanz.68 Wegen ihrer Betonung des gesetzeskongruenten Verhaltens in den Bereichen der Ethik, des Fastens, der Opfer, der Sabbat- und der Reinheitsgebote ergibt sich ein moderates Maß an Widerstand gegen die wachsende Macht Roms. Beispiele hierzu finden sich u.a. in Mk 2,16; Mk 12 sowie Apg 23,9. Zur Zeit des Neuen Testaments gibt es zwei, mitunter im Streit stehende, Hauptfraktionen innerhalb des pharisäischen Lagers.69 Die Schule des Hillel betont die Bedeutung und die Absicht der Torah. Mitglieder gehören meist zu niedrigeren Gesellschaftsschichten. Sie sind etwas flexibler in der Anwendung des Gesetzes und etwas konzilianter den Heiden gegenüber. Ein bekanntes Mitglied dieser Fraktion ist Gamaliel I. (Lehrer des Saul von Tarsus; vgl. Apg 22,23). Die 62 Lane 108 geht davon aus, dass μαθηταί [mathētai] in V. 18 allgemein zu verstehen ist. 63 Vgl. Lane 108-109 und Anm. 57-58. 64 Lit.: Van Bruggen, Jesus, 18-19.236-271; Hengel, Sanders, 17-41; Hengel/Deines, Common Judaism, 17-41; Gathercole, Judaism, 153-162; Quarles, Soteriology, 185-195; Riesner, Jesus, 173-179; Schreiner, Sacrifices, 275; Dschulnigg 98; vgl. ferner Saldarini, Pharisees, ad loc.; Sanders, Jesus, ad loc.; vgl. Carson/O’Brien/Seifrid, Justification I, passim; Deines, Pharisäer, passim; Jeremias, Jerusalem, ad loc.; Mason, Josephus, ad loc.; Montefiore, Josephus, ad loc. 65 Vgl. Bell, Exploring, 33-37. Zur Unterscheidung von Protorabbinen (oft aus gehobener Schicht stammend), Pharisäer sowie Rabbinen vgl. Riesner, Jesus, 173-179. 66 Vgl. Josephus, Bell 2,119, 2,162-163 und Josephus, Ant 13,171-172. Vgl. Riesner, Jesus, 131, der geltend macht, dass die nachmakkabäischen Pharisäer von „ihren chasidischen Vorgängern zu differenzieren“ sind. 67 Riesner, Jesus, 175. 68 Vgl. Josephus, Bell 2,102. 69 Vgl. Bell, Exploring, 33-37.

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Schule des Schammaj befolgt eine betont buchstäbliche Interpretation der Torah. Mitglieder stammen häufiger aus gehobeneren Gesellschaftsschichten; sie sind Fremden gegenüber relativ intolerant eingestellt. Insgesamt sind die Pharisäer z.Z. Jesu im Synedrion in der Minderheit; innerhalb dieser Minderheit ist die Schule des Schammaj jedoch stärker vertreten als die des Hillel. Während das palästinische Judentum unterschiedliche Fraktionen und theologische Richtungen aufweist, bleibt festzuhalten, dass die pharisäische Lehrmeinung das palästinische Judentum z.Z. Jesu allgemein bestimmt. Im Gegensatz zur sog. New Perspective über das palästinische – und damit auch über das pharisäische – Judentum bleibt festzuhalten, dass die Pharisäer eine gesetzliche,70 jedoch gesamtheitliche Lebensführung (im Gegensatz zur eher formalen Frömmigkeit der Sadduzäer) verfolgen,71 die vor allem von der Schrift, jedoch auch von mündlicher Überlieferung bestimmt wird. Infolge der Monografien von E.P. Sanders72 sowie anderer Beiträge (vgl. J.D.G. Dunn, N.T. Wright) ist in den letzten Jahrzehnten viel über die These eines covenantal nomism (Bundesnomismus) im Frühjudentum diskutiert worden. Danach soll das palästinische Judentum (und damit auch die pharisäische Lehrrichtung) das Befolgen des Gesetzes bewusst im Kontext der gnädigen Bundestreue Gottes mit seinem Volk verstanden haben. Der bekannteste Beleg für Qumran ist 1QS11,5-14. Dort ist die Rede von der Gnade Gottes, die trotz Ungerechtigkeit besteht. Ein kontextloses Festhalten am gesetzkonformen Leben außerhalb dieses theologischen Rahmens (Nomismus) soll nach Sanders nicht den historischen Tatsachen entsprechen. Viele Forscher haben dieser These allerdings widersprochen (vgl. z.B. Deines, Hengel, Carson, O’Brien, Seifrid, Gathercole, Quarles).73 Diese (und weitere Forscher) haben dargestellt, dass Sanders Auffassung vor allem bezüglich der Frage der Soteriologie im palästinischen Judentum nicht standhalten kann; d.h., die Frage des Heils ist im palästinischen Judentum nach wie vor primär eine Frage der Gesetzestreue (1QS3,9-12).74 Dies gilt sowohl für das Eintreten in den Bund (JosAs, Qumran [1QS6,13-23] und Josephus, Ant 2,137-13875) als auch besonders für das Bleiben im Bund (1QS11,3;76 Tob 12,9; Sir 3,3.30; 1QS3,6-12; 4QMMT,C25-26).77 Allerdings betont van Bruggen 70 Vgl. Dschulnigg 99. 71 So van Bruggen, Jesus, 18. 72 Vgl. z.B. Sanders, Paul, passim. 73 Siehe Hengel/Deines, Common Judaism, 17-41; Gathercole, Judaism, 153-162, sowie Quarles, Soteriology, 185-195. Vgl. ferner Schreiner, Romans, passim; Carson O’Brien/Seifrid, Justification I, passim; Thielman, Theology, passim; Deines, Pharisäer, passim, sowie Schlatter, Geschichte, passim. 74 Es geht hierbei um die Frage, ob das Erlangen des Heils und die Bewahrung des Heils durch Gnade oder durch eigene Anstrengung bewerkstelligt wird. Vgl. Gathercole, Judaism, 153162. 75 Vgl. Mason, Josephus, ad loc. 76 Gathercole, Judaism, 153-162 betont, dass 1QS11,3 die eigenen gerechten Taten betont, mit denen Gott Übertretungen beseitigt. 77 Gathercole, Judaism, 153-162. Vgl. Gundry, Grace, 1-38.

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überzeugend und in moderater Kritik am reformatorischen Erbe, dass Pharisäer nicht pauschal als „gesetzlich“, „nationalistisch“ und als „Heuchler“ charakterisiert werden können. Van Bruggen sieht in ihnen eine Gruppe populärer Juden, die angestrengt versuchen, ihr gesamtes Leben, einschließlich ihrer Rechtsprechung, nach dem Gesetz zu gestalten.78 Allerdings geschieht dies vor allem aus eigener Kraft (vgl. Phil 3,1-9). Van Bruggen folgt hierin vor allem den Aussagen des Josephus79 und geht mit den PsSal eher vorsichtig um. Aus den Reihen der Pharisäer gehen viele Juristen, Schreiber und Gesetzeskundige (d.h. Schriftgelehrte) hervor. Daraus erklärt sich die Tatsache, dass die Pharisäer als Fraktion zwar vor 70 n.Chr. weniger offizielle Macht ausüben als die Sadduzäer, trotzdem jedoch mehr populären Einfluss auf die Bevölkerung haben („Fraktion des Volkes“) 80 als die aristokratischen Sadduzäer. Sie bestimmen damit die theologische Auffassung über Themen wie freier Wille und Gottes Souveränität, Auferstehung der Toten, ewiges Leben, Dämonen und Engel. Allerdings verfolgen die Pharisäer zusammen mit den Sadduzäern (und damit gegen die Essener und die zelotisch eingestellten Juden) eine bereits durch die Hasmonäer eingeleitete Realpolitik der Kooperation und Beschwichtigung Rom gegenüber, die sie auch in den Jahren vor dem jüdischen Krieg (66–70 bzw. 73 n.Chr.) weiterführen.81 In gewisser Weise sind sie flexibler als die Sadduzäer, was sich vor allem nach dem jüdischen Krieg zeigt. Das Judentum muss ja dann einen religiösen Weg finden, der ohne Tempel und Opfersystem auskommt. Rabbinische Schulen weisen zumindest nach der Zerstörung des Tempels diesbezüglich eine gewisse Spannung auf: Der Babylonische Talmud berichtet z.B., dass Rabbi Josua sagte: „Wehe uns! Denn dieses Haus liegt in Trümmern und der Ort, an dem für die Sünden Israels gesühnt wurde!“ Andererseits bemerkt Rabbi Johanan ben Zakkai: „Mein Sohn, trauere nicht, denn wir haben ein anderes, wirksames Sühnemittel, nämlich Liebe zu üben, wie geschrieben steht, ‚Denn ich suche Barmherzigkeit und nicht Opfer‘“82 (vgl. Hos 6,6). Schreiner bemerkt, dass nach 70. n.Chr. Buße, Gebet, Fasten und das Studium der Torah das Opfer im Tempel ersetzen (mit Verweis auf bBer 15a-b; 17a; bSuk 49b; bBaba Bat 9a; bMen 110a; ARN 19a).83 Die Pharisäer bestimmen den Kurs des rabbinischen Judentums nach 70 n.Chr. und legen somit Grundsteine für das verzweigte, gegenwärtige Judentum.

78 Van Bruggen, Jesus, 18-19.236-271. Vgl. Deines, Pharisäer, passim. Siehe ferner die umsichtigen Beobachtungen bei Dschulnigg 99. 79 U.a. mit Verweis auf Mason, Josephus, passim. 80 Vgl. Josephus, Bell 2,166 und Josephus, Ant 13,288 sowie ders., Ant 18,15. Van Bruggen, Jesus, 18, spricht von ihrer Milde und ihrem humanitären Anliegen. Sie glauben durchaus an die Gleichwertigkeit der Menschen. 81 Vgl. Baumbach, Sadduzäerverständnis, 17-37. 82 Schreiner, Sacrifices, 275. 83 Ebd.

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Wiederum ergibt sich aus der Fastenfrage warum fasten84 die Jünger des Johannes (vgl. Mt 11,18 / Lk 7,33) und die der Pharisäer85, aber deine Jünger fasten nicht (vgl. Mt 11,19 / Lk 7,34)? eine Ausweitung der Vollmacht Jesu und gleichzeitig wachsende Opposition (V. 18 und 24). Es ist bemerkenswert, dass Jesus diese Erweiterung seiner Vollmacht jeweils durch zeichenhaftes Handeln hervorruft. 19 Jesu Gegenfrage erwartet eine verneinende Antwort.86 In der Lehre Jesu ist das Fasten im Gegensatz zum verdienstlichen87 oder sühnenden Fasten der Pharisäer nie als religiöse Routine zu verstehen. Es ist vielmehr Ausdruck herzlicher Hinwendung zu Gott in Trauer, Buße oder Fürbitte. Fasten ist eine von Gott abhängige und auf ihn bezogene Tätigkeit. Wenn Gott in seiner Herrschaft nahe herbeigekommen ist, fragt sich, wie es um das Fasten steht. Die Metapher des Bräutigams vermittelt indirekt das Sendungsbewusstsein Jesu.88 Das Bild vom Bräutigam und den Freunden des Bräutigams betont, dass in der Gegenwart Jesu „Festen statt Fasten“ angesagt ist (während sie den Bräutigam bei sich haben, können sie nicht fasten). Seine Gegenwart ist Grund zur Freude, zumal durch ihn die messianische Heilszeit anbricht (vgl. Jes 61,10; 62,5; Mt 22,2ff; 25,1-12; Offb 19,7).89 Dies kann wiederum nur in Verbindung mit der Ausweitung der Vollmacht Jesu verstanden werden: Jesus, der Rätselhafte, handelt nicht nur als Prophet, sondern wie Gott. Das hat Auswirkungen auf das Fasten. Thematisch und inhaltlich passt dieser Abschnitt durchaus in die Gesamtbotschaft Jesu und braucht deshalb nicht als sekundär ausgewiesen werden.90 20 Durch den Gebrauch von ἀπαιρέω [apaireō] (von ihnen weggenommen werden, vgl. ἀπαιρέω [apaireō] in Jes 53,8 LXX) vermittelt Jesus eine erste, sehr indirekte Todesvorhersage durch Anspielung auf Jes 53,8. Die Aussage ist jedoch derart indirekt, dass viele Argumente gegen die Authentizität von V.

84 Die umschreibende Konjugation vermittelt eine „gepflegte Tradition“ (Dschulnigg 101). 85 Dschulnigg 101 erinnert mit Verweis auf Lk 18,12 an die Tradition der Pharisäer, neben dem Versöhnungstag zweimal pro Woche zu fasten. 86 Im Kontext einer Frage erwartet μὴ (δύνανται) [mē (dynatai)] eine verneinende Antwort. Vgl. Dschulnigg 101. 87 Pesch I 172. 88 Pesch I 173. Nach Pesch, a.a.O., Anm. 10, weist lediglich Pesiq 149a eine messianische Interpretation von „Bräutigam“ auf. Dschulnigg 101 meint ebenso, dass der Begriff „kein verbreitetes Messiasprädikat“ sei. Vgl. ferner die ältere Arbeit von Gnilka, Bräutigam, 298-303, zur Frage, ob es sich bei diesem Begriff um eine spätjüdische Messias-Bezeichnung handelt. Ein Hochzeitsfest dauerte etwa sieben Tage; vgl. Keener, Background, 141. 89 Schriftverweise bei Pesch I 173, Anm. 11. 90 Pace Pesch I 170-176.

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20a91 von vornherein nicht stichhaltig sind, weil sie ohne Grund einen von Mk beabsichtigten, direkten Verweis auf Jes 53,8 unterstellen.92 V. 20b verknüpft die Gesamtaussage von V. 19-20 derart, dass V. 20a fest darin verankert ist. In Jes 53 wird der Knecht Jahwes zur Rettung seines leidenden Volkes getötet (s.o., Einleitung, 4.1.2 und 4.1.6). Das endgültige Hinterfragen der Vollmacht Jesu durch dessen Tod wird in seinen Jüngern erneutes Fasten bewirken.93 Dies geschieht, weil Jesus in seiner Passion nicht nur sühnend leidet, sondern auch den Nachfolgeweg der Erniedrigung (u.a. Fasten) und Erhöhung vorlebt. 21 Das Bild der Flicken94 und des Tuches95 („Schneiderregel“ niemand näht ein frisches Stück Stoff auf ein altes Gewand)96 betont im unmittelbaren Kontext, dass zwischen Jesus und religiöser Handlung (hier das Fasten) eine dynamische Verbindung bestehen soll. Wenn Gott durch Jesus erneut und neu handelt, soll sich die gute Handlung des Fastens jetzt danach richten (Kompatibilität der „Stoffe“, als Einsicht aus dem Bildwort). Der Vers spricht daher nicht etwa von der Inkompatibilität „alter Strukturen“ und der „Kraft des Geistes“ in unterschiedlichen Gemeinden,97 sondern von der Tatsache, dass geistliches Leben nie getrennt von direkter Gottesabhängigkeit und direktem Gottesbezug vonstattengehen darf. 22 Ein zweites Bild („Küferregel“: „Auch gießt niemand jungen Wein in alte Weinschläuche“)98 bekräftigt dieselbe Tatsache: So wie alter, nicht dehnbarer Stoff mit neuen, dehnbaren Flicken bricht, platzen alte, nicht dehnbare Weinschläuche bei gärendem Wein.99 Das durch Gott direkt motivierte Fasten des Menschen hängt jetzt vom Geschick und von der Person Jesu ab, nicht von Tradition, persönlicher Spiritualität oder Gewohnheit. Von Jesus abhängige – und auf Jesus bezogene – Frömmigkeit (u.a. in Abhängigkeit von seiner Gerechtigkeit; vgl. Mt 6,33; Röm 3,26; Tit 3,5; 1Petr 2,24; 3,18) lebt von dieser unmittelbaren und direkten Beziehung. Die Motivation zum Fasten wird hinfort die Lehre und das versöhnende Wirken Jesu zum Fundament haben. Der Weg der Nachfolge ist sodann von Erniedrigung (u.a. Fasten) und Erhöhung geprägt. Das Fasten wird somit zu seinem theozentrischen Kern und 91 Gegen die Authentizität von V. 20a, siehe z.B. Dschulnigg 102 und Anm. 118. 92 Vgl. Lane 111; pace Jeremias, Gleichnisse, 49, Anm. 3 sowie 67. 93 Vgl. Mt 6,16ff; Apg 10,30; 13,2; 14,23; 27,9; 1Kor 7,5; 2Kor 6,5; 11,27; Did 8,1. Zur urchristlichen Tradition des Fastens, siehe Dschulnigg 102. 94 Pesch I 176, identifiziert den Flicken als ungewalkten „Flicklappen“. Vgl. Hahn, Bildworte, 357-375. 95 Vgl. die „zersagte Form“ (so Pesch I 176) der Aussagen in EvThom 47. 96 Pesch I 176. 97 Vgl. ebenso Dschulnigg 102-103. 98 Pesch I 177. 99 Vgl. auch Keener, Background, 141. Vgl. Hahn, Bildworte, 357-375.

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Zweck zurückgeführt und verliert die anthropozentrische Verselbstständigung bzw. seine Instrumentalisierung durch menschliche, egoistische Religiosität.100

3.4 Sabbat 2,23-28 I 23 Es ereignete sich aber, dass er am Sabbat durch die Getreidefelder ging und seine Jünger sich einen Weg bahnten und dabei Ähren abrissen. 24 Und die Pharisäer sprachen zu ihm: „Sieh hier, warum tun sie am Sabbat, was unerlaubt ist?“ 25 Und er spricht zu ihnen: „Habt ihr niemals in der Lesung gehört, was David tat, als er in Not war und ihn hungerte, zusammen mit denen, die bei ihm waren? 26 Wie er in das Gotteshaus eintrat – (zu lesen) bei (od.: im Abschnitt über) Abiathar, dem Hohepriester – und die Schaubrote aß, die ausschließlich der Priester essen darf, und auch denen, die mit ihm waren, (davon) gab?“ 27 Und er sprach zu ihnen: „Der Sabbat besteht um des Menschen willen und nicht der Mensch um des Sabbats willen, 28 damit der Menschensohn auch Herr sei über den Sabbat“.101 II Mk 2,23-28 (4. Episode) weist erneut (vgl. Mk 2,18-22) die Besonderheit einer ausgeweiteten Reaktion auf. Die episodische Kontroverse (2,23-24) wird durch eine ausgeweitete Reaktion ergänzt (2,25-28 [Antwort in den V. 25-26, mit folgender, chiastisch angeordneter Spruchfolge; dadurch das hervorgehobene Stichwort „Sabbat“102]). Das gemeinsame Thema der ausgeweiteten Reaktionen ist: Jesus besitzt Vollmacht. Authentizität. Das sog. Abiathar-Problem, welches bei einer temporalen Übersetzung von Mk 2,26 („zur Zeit des Hohepriesters Abiathar“; s.u.) vorliegt, wird kontrovers diskutiert.103 Die prekären Umstände, in denen sich David im 100 Anders Dschulnigg 102-103, der das „Neue“ des „Nichtfastens der Jünger“ (einschließlich der welt-missionarischen „Kraft des Neuen“) dem „Alten“ der jüdischen Tradition gegenüberstellt. 101 Lit.: Blomberg, Reliability, 193; Dillman, Bedeutung, 5-9; Jeremias, Theologie, I 265. Weitere Lit. bei: Guelich 117-118 (bis 1988); Pesch I 187.428 (bis 1980). 102 Pesch I 179. 103 Mit vielen anderen Exegeten geht Dschulnigg 105 und Anm. 129 davon aus, dass Ahimelech in Mk 2,26 „wohl versehentlich Abjatar genannt“ wird. Andere Erklärungsversuche bezeichnet er als „Ausweg“.

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Heiligtum von Nob befand, ereigneten sich jedenfalls z.Z. des Hohepriesters104 Ahimelech, dem Vater von Abiathar (1Sam 21,2-6; 1Sam 22,20; 23,6.9). Die Ermordung von Ahimelech wird in 1Sam 22,18 erzählt. Mt und Lk (par) nennen (evtl. aufgrund der Namenskonflikte?) keinen Namen. Sofern es sich bei der Präposition ἐπί [epi] um eine Zeitangabe handelt,105 ist zumindest zwischen Mk 2,26 und 1Sam 21,2-3 eine sachliche Inkongruenz zu konstatieren. Allerdings kann die Aussage als Zeitangabe u.U. auch folgendermaßen gemeint sein: „Zur Zeit von Abiathar“, der, genau genommen, erst später Hohepriester wird (1Sam 23,6), aber zu diesem Zeitpunkt bereits zur hohepriesterlichen Familie gehört. Eine überzeugendere Interpretationsalternative unterbreitet u.a. Blomberg. Er versteht die Präposition ἐπί [epi] örtlich als Verweis auf eine Schriftstelle.106 Als Vergleich kann Mk 12,26 herangezogen werden, wo ἐπί [epi] (mit Gen.) explizit auf eine Schriftstelle im zweiten Buch Mose verweist (Ex 3,1-2; vgl. Lk 20,37).107 Der Verweis auf eine längere Schriftstelle mittels ἐπί [epi] identifiziert jeweils die für den Abschnitt bekannteste und prominenteste Person; in diesem Fall ist es Ahimelechs Sohn Abiathar (1Sam 22,20; 23,6), der im Verlauf von 1Sam (vgl. 21,1–30,7) an Bedeutung gewinnt und am Ende der einzig überlebende Priester (1Sam 22,20) seines Hauses ist (vgl. auch 2Samuel, 1Könige und 1Chronik). Er bleibt auch dem König David treu. Trifft diese Interpretationsmöglichkeit zu, so wäre Mk 2,26 folgendermaßen zu übersetzen: … wie er in das Gotteshaus eintrat – (zu lesen) im Abschnitt über Abiathar, den Hohepriester – und die Schaubrote aß, die ausschließlich der Priester essen darf, und auch denen, die mit ihm waren, (davon) gab. Nach 1Sam 21,2 war ferner „kein Mann“ bei David. 1Sam 21,3 erwähnt jedoch die „Leute“ Davids, die dennoch mit David in Kontakt bleiben (vgl. auch 1Sam 22,2-3). Diese Interpretationsalternative wird ferner durch Jesu Verweis auf die (öffentliche?) Lesung der Schrift (V. 25) gestützt. III Die eben beobachtete Bezugsbestimmung zwischen dem Fasten und Jesus gilt auch für das kontrovers bestimmte Verhältnis zwischen dem Feiern des Sabbats und Jesus. Siehe vorher bereits die Bezugsbestimmung Sünder und Jesus sowie Sündenvergebung und Jesus. 104 Allerdings wird er auch „Priester“ genannt (1Sam 22,11.14-16). 105 Pesch I 182. 106 Blomberg, Reliability, 193. 107 Pesch I 182, Anm. 15, verweist auf Josephus, Ant 6,13,1, der den Priester in 1Sam 22 nicht sehr stark hervorhebt.

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23-24 Um den Hunger zu stillen (V. 25-26)108 ist nach Deut 23,25f das einfache Verzehren von Ähren auf dem offenen Feld erlaubt. Allerdings ist jegliche Arbeit am Sabbat untersagt (Ex 34,21).109 Zum juristischen terminus technicus es ist unerlaubt, vgl. neben 2,24 noch 2,26; 3,4; 10,2; 12,14 sowie Joh 5,10.110 Da die Pharisäer (als Hauptgegner Jesu; vgl. 3,6; 7,1.5; 8,11; 10,2; 12,13)111 bereits das Pflücken einzelner Ähren als Erntearbeit einstufen (eine von 39 verbotenen Arbeiten, vgl. mSab 7,2; pSab 9c,1-7),112 wird aus ihrer Sicht das Gebot der Sabbatruhe113 übertreten (warum tun sie am Sabbat, was unerlaubt ist?). Bei Nichtbeachten der Sabbatruhe droht nach Ex 31,14-15 (vgl. mSan 7,4) die Todesstrafe durch Steinigung. V. 24 ist als juristisch signifikante Verwarnung zu verstehen. J. Jeremias kommentiert mit folgender Bemerkung: „Man muß dazu wissen, daß nach zeitgenössischem jüdischen Recht Kapitalverbrechen erst dann judiziabel wurden, wenn der Täter nachweislich vor Zeugen verwarnt worden war und auf diese Weise sichergestellt war, daß er vorsätzlich gehandelt hatte“.114 Die Verwarnung geschieht somit in 2,24; die direkte Beschuldigung erfolgt sodann in 3,1-6.115 25-28 Habt ihr niemals in der Lesung gehört, was David tat, als er in Not war und ihn hungerte … Jesus verweist auf die Ausnahmesituation in welcher der in Not geratene David wahrscheinlich an einem Sabbat116 von verbotenen Schaubroten aß (1Sam 21,1-10).117 Die Notsituation des Hungers hat Vorrang vor ritueller Reinheit.118 Jesus lockert damit die von den Pharisäern als absolut deklarierte Gesetzesverordnung, vor allem die Sabbatverordnung,

108 Vgl. Pesch I 180. 109 Dschulnigg 104, verweist ferner auf Philo, Mos II,22. Zur Bedeutung des Sabbats im Judentum bis zum 1. Jh. n.Chr., vgl. Dschulnigg 104-105, der u.a. auf Ex 20,8-11; Deut 5,12-15; Jub 2,29f; 50,6-13; CD 10,14–11,18 verweist. 110 Verweise bei Pesch I 181. 111 Vgl. Pesch I 180. 112 Vgl. Lane 115 und 80; Pesch I 181. 113 Ex 16,22; 31,12-17; 34,21; Deut 5,12-14. 114 Jeremias, Theologie, I 265, mit Anm. 10; vgl. Pesch I 181. 115 Vgl. Pesch I 181. 116 Lane 116, Anm. 87 (mit Verweis auf Murmelstein), betont, dass der Babylonische Talmud zu 1Sam 21,5 (§130) in bMen 95b und bJalqut Shim’oni (Rabbi Shim’on) von einem Sabbat ausgeht. Allerdings ist diese Angabe zunächst nur ein Beleg für die Zeit nach dem 2. Jh. n.Chr. 117 Pesch I 182 verweist auf Billerbeck, Kommentar, I 618f, der auf verschiedene entschuldigende Erklärungen in der jüdisch-schriftgelehrten Diskussion verweist, wie z.B. die Annahme, dass David lediglich die beiseitegelegten Schaubrote isst, da soeben frische Schaubrote aufgelegt worden waren (Lev 24,8). 118 Vgl. Dschulnigg 105; Keener, Background, 142. Siehe oben, 3.4 II Authentizität.

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im Sinne des AT auf. Dies gilt insbesondere für die eng gefasste, mündlich überlieferte Tradition der pharisäischen Schriftgelehrten. Wie oben (3.4 II Authentizität) bereits erwähnt, macht Blomberg geltend, dass ἐπί [epi] mit gen. hier, wie in Mk 12,26, auf den Abschnitt einer Schriftrolle verweist.119 Alternativ schlägt Keener vor, dass der Begriff „Hohepriester“ auf alle Familienmitglieder des amtierenden Hohepriesters anwendbar ist, sofern diese ein offizielles Amt innehaben.120

Daraus folgt jedoch nicht, dass Jesus das Gesetz selbst und damit den Sabbat aufhebt oder gar verachtet. Vielmehr beabsichtigt er, die Intention des Gesetzes zu befolgen.121 Ferner gibt die nahe herbeigekommene Gottesherrschaft und das erstaunliche Handeln Jesu Anlass dazu, das Abhängigkeitsverhältnis des Sabbatfeiernden von Gott, d.h. von Jesus selbst erneut zu beachten und wiederherzustellen. Nach Gottes Schöpfungsordnung und in Abhängigkeit von ihm dient der Sabbat dem Menschen (zur geistlichen und körperlichen Erquickung) und nicht der Mensch dem Sabbat (V. 27: „Der Sabbat besteht um des Menschen willen und nicht der Mensch um des Sabbats willen“; vgl. Jub 2,17; 2Makk 5,19).122 Dies wird sich auch gegen die überspitzte und mündlich überlieferte Interpretation des Sabbatgebotes bei den Schriftgelehrten richten, hat letztere doch deutlich anthropozentrische Ansätze und Züge. Die Abhängigkeit von Gott beim Feiern des Sabbats wird dadurch noch bekräftigt, dass Jesus, der Menschensohn (vgl. 2,10), sich als Herr (κύριος [kyrios]) des Sabbats bezeichnet (V. 28). V. 28 ist thematisch eng mit V. 23-27 verknüpft. Die Vokabel ὥστε [hōste] ist im Sinn von „so“ zu verstehen; vgl. 10,8 für einen ähnlichen Gebrauch. Dies gilt im Gegensatz zur Alternativbedeutung von „sodass“ (vgl. 1,27.45; 2,2.12; 3,10.20; 4,1.32.37; 9,26; 15,5). Das bedeutet, dass die These eines redaktionellen Einschubs (V. 28) nicht beweiskräftig ist.123

Wie die Sündenvergebung (2,10) und das Fasten (2,19-20), so ist auch das Feiern des Sabbats in existenzieller Abhängigkeit von Jesus (und damit von Gott) zu sehen. Jesus betont dies erneut mittels des Menschensohn-Terminus, der hier neben 2,10 wieder einen Hoheitsanspruch impliziert.124 Herr mag in die119 Blomberg, Reliability, 193. Weiteres zum Abiathar Problem, s.o., „historischer Hintergrund“. 120 Keener, Background, 142. 121 Pesch I 182. 122 Vgl. Lane 119, der auf die rabbinische Parallele in Mekhilta Sab I Ex 31,13f verweist. Vgl. Dschulnigg 106 und Pesch I 184 mit Anm. 26, zu weiterführenden Belegen. 123 Pace Lane 120; siehe auch seine Ausführungen zu 2,10, die ebenso wenig überzeugen. 124 Vgl. Dschulnigg 106.

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sem Text zunächst lediglich „Autorität“ (über den Sabbat) bedeuten, und nicht schon als christologischer Titel dienen (wie dann etwa in 12,37). Dennoch deutet eine derartige Aussage an, dass Jesus auch hinsichtlich des Sabbats einen außergewöhnlichen Vollmachtsanspruch erhebt. Im Gesamtzusammenhang des Mk Ev. wird deutlich, dass der ewige Gottessohn immer Leben schafft und ermöglicht. Als derjenige, der die Schöpfungsordnung des Sabbats mit dem Vater als Lebens-Mittel eingesetzt hat und durch Mose dies bekräftigen ließ, tritt der Menschensohn hier als autoritativer Interpret („Herr des Sabbats“) dieser Ordnung auf. Der in Abhängigkeit von Jesus gefeierte Sabbat (Heilsruhe) findet somit zur Schöpfungsbestimmung zurück (vgl. Gen 2,3), erfüllt seine mosaische Gesetzesintention und weist auf die zukünftige und andauernde Ruhe (vgl. Hebr 4,3-4.9-10).

3.5 Die Tötungsabsicht der Gegner 3,1-6 Jesus lässt sich von seinen Gegnern nie einschüchtern. Absichtlich (und in auffälligem Gegensatz zu vielen anderen Heilungen, z.B. 1,44) erhebt er die Heilung des Lahmen an einem Sabbat zu einem öffentlichen Ereignis, um die Heuchelei seiner Gegner bloßzulegen und sie damit herauszufordern (vgl. auch die Bemerkungen zu 2,24). Die Gegner Jesu wähnen sich als treue Befolger der Sabbatgebote. In Wahrheit folgen sie jedoch auf Kosten des barmherzigen Erhalts von Leben (vgl. Mt 6,24; 25,31-46) ihren eigenen Lehrmeinungen (7,8). Aufgrund ihrer irrtümlichen Gesetzesinterpretation übersehen sie die Tatsache, dass der Auftrag der Nächstenliebe in keiner Weise durch Sabbatgebote aufgehoben werden soll. Vielmehr wird der Sabbat durch Nächstenliebe veredelt, solange der Ruhetag dennoch eine Zeit der Anbetung, Hingabe an Gott und der Ruhe vom alltäglichen Werk bleibt. I 1 Und wiederum ging er die Synagoge. Und ein Mann mit einer gelähmten Hand war da. 2 Und sie passten darauf, ob er ihn am Sabbat heilen würde, um ihn (dann) anzuklagen. 3 Und er spricht zu dem Mann mit der gelähmten Hand: „Komm in die Mitte“ 4 und er spricht zu ihnen: „Ist es erlaubt am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun, Leben zu retten oder zu töten?“ Sie aber blieben still. 5 Und nachdem er sie einzeln zornig angeschaut hatte, tief traurig über ihre Hartherzigkeit, sagt er zu dem Mann: „Strecke die Hand aus“. Und er streckte (sie) aus und seine Hand war wie-

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derhergestellt. 6 Sogleich aber gingen die Pharisäer mit den Herodianern weg und schmiedeten einen Plan gegen ihn, um ihn zu töten.125 II Mk 3,1-6 (5. Episode) weist formal eine Mischform126 auf: Es handelt sich um eine episodische Kontroverse mit Streitgespräch (3,2.4), Heilung (3,1.3.5)127 und eine biografische Bemerkung (3,5a.6).128 Berger bezeichnet den Abschnitt als „apologetische Argumentation“.129 Der Abschnitt 3,1-6 schließt als fünftes Beispiel den Zyklus der Streitgespräche in Galiläa (2,1–3,12) ab.130 III 1 Jesus tritt in Kapernaum131 erneut in das Spannungsverhältnis zwischen enger Torahinterpretation der Schriftgelehrten132 und einer der Intention der Torah verpflichteten Interpretation (vgl. Mt 5,17). Wie in 2,23-28, geht es auch hier um den rechten Umgang mit der Schöpfungsordnung des Sabbats, hier allerdings nun um Heilung (der gelähmten Hand eines Mannes; vgl. Lk 6,6 sowie 1Kön 13,4) am Sabbat. 2 Nach Ansicht der Schriftgelehrten ist das Heilen am Sabbat Arbeit und ist somit nicht erlaubt.133 Bei κατηγορέω ([katēgoreō], anklagen) handelt es sich um einen forensischen terminus technicus, der der Aussage gerichtliches Gewicht beimisst (siehe die Verwarnung in 2,24).134 Wiederum scheint Jesus ihre Gedanken zu lesen (vgl. V. 3). 3 Jesus geht die Situation zielbewusst und provokativ an (er spricht zu dem Mann mit der gelähmten Hand: „Komm in die Mitte“). Wörtlich übersetzt sagt Jesus zu dem Mann mit der lahmen Hand, „erhebe dich, komm in unsere Mitte“ bzw. „erhebe dich, gesell dich zu uns“ (vgl. u.a. auch 2,5.14.1517). Er demonstriert u.a. damit, dass er sich von einer der Intention des Gesetzes widersprechenden Schulrichtung (d.h. mündlicher Überlieferung) nicht einschüchtern lässt. Ganz im Gegenteil ist er bereit, dieser öffentlich zu wider-

125 Lit. bei: Guelich 130-131 (bis 1988); Pesch I 197.428 (bis 1980). 126 Vgl. ähnlich Pesch I 189. 127 Pesch I 189, meint, dass „strukturell das Schema der Wundergeschichte dominiert“. 128 Guelich 131. 129 Berger, Formen, 166. 130 Siehe Lane 121. 131 Dschulnigg 109. 132 Pesch I 191 spricht von einem „kasuistisch-gesetzlich orientierte(n) Denken“. 133 Lane 122 verweist auf Ex 31,14-17: Das Übertreten des Sabbats ist mit Todesstrafe belegt (vgl. Ex 35,2). 134 Vgl. Pesch I 190.

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sprechen. Die pharisäische Schulrichtung erlaubt derartige Arbeit am Sabbat nur dann, wenn akute Lebensgefahr bzw. Kriegszustand vorliegen.135 4 Jesus betont gemäß der Torahintention den Vorrang der Barmherzigkeit (vgl. Mt 6,24; 25,31-46) und die Pflicht, Leben zu erhalten (ist es erlaubt … Gutes zu tun oder Böses zu tun, Leben zu retten oder zu töten?). Eventuell verweist Jesus hier auf Gen 2,7.136 Barmherzigkeit gegenüber Notleidenden steht nach Jesus über der Schöpfungsordnung des Sabbats (Gen 2,3) und dem mosaischen Gebot der Sabbatruhe, ohne dadurch die bleibende Bedeutung der Sabbatruhe auszuschalten (vgl. Mt 19,16-17). Damit verleiht Jesus dem Bewahren von Leben, der Barmherzigkeit und der Güte wieder ihre zentrale Bedeutung (vgl. Jak 4,17). Die gesamte Absicht der guten Schöpfung Gottes untermauert die Bewahrung und den Schutz allen Lebens. Sie aber blieben still: Die Gegner Jesu hüllen sich in verlegenes Schweigen (vgl. das Schweigen der Jünger in 9,34137), welches deren Wissen signalisiert, dass sie auf Jesu provokative Frage mit Ja hätten antworten müssen (vgl. 1Kön 18,21). Hätten sie dies getan, so hätten sie damit allerdings ihre Treue zur mündlichen Überlieferung ihrer Vorväter verworfen (vgl. 7,5.8). Obwohl ihre Absicht, einen sicheren „Zaun“ um das Gesetz des Mose zu bauen (vgl. mAbot 1,1; 3,13), eventuell wohlgemeint ist, verfehlen sie damit die Absicht des mosaischen Gesetzes. Der Mensch soll mittels des Gesetzes Gerechtigkeit und Liebe üben und demütig sein vor seinem Gott (vgl. Mi 6,8). Dadurch nimmt er teil an der Absicht Gottes (vgl. Ex 19,1-6; Deut 4,34-39; 6,20-25; 10,2-5), der sich ein Volk nach seinem eigenen Herzen sammelt. Allerdings bleibt es Jesus vorbehalten, die Menschen durch seinen Opfertod hierzu zu befähigen (Röm 8,4). 5 Die Emotion des Zorns und der Betrübnis über Hartherzigkeit (vgl. 6,52; 8,17; siehe ferner Lk 10,5) spiegeln wider, wie tief Jesus in die einzelnen Herzen seiner Gegner blickt.138 Gelegentlich reagiert Jesus zornig, tief traurig über ihre Hartherzigkeit (V. 5; vgl. Lk 10,5; Joh 11,33). Er legt die innere 135 Siehe z.B. mJom 8.6: Rabbi Heresh erlaubt am Sabbat das Verabreichen eines Medikaments, sofern Lebensgefahr vorliegt („R. Matt. b. Heresh said: If a man has a pain in his throat they may drop medicine into his mouth on the Sabbath, since there is doubt whether life is in danger, and whenever there is doubt whether life is in danger this overrides the Sabbath“; „R. Matt. B. Heresh sagte: Wenn jemand Schmerz im Hals verspürt, können sie ihm am Sabbat ein Medikament verabreichen weil unsicher ist, ob Lebensgefahr besteht; das Sabbatgebot ist zweitrangig, wenn unsicher ist, ob Lebensgefahr vorliegt“). Vgl. Keener, Background, 143 sowie Pesch I 190 und Anm. 13. 136 So Pesch I 193. 137 Ebd. 138 Pesch I 194 betont zu Recht, dass hier das von Steck, Israel, passim, erarbeitete Motiv der Verfolgung der Propheten Gottes anklingt. Pesch, a.a.O. verweist auf Mk 12,1-12; Mt 23,2936; Lk 13,31-33.34; Apg 7,51f.

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Haltung seiner Gegner bloß. Es handelt sich hierbei um den Begriff πώρωσις ([pōrōsis] = „Erhärtung“, „Empfindungslosigkeit“, „Widerspenstigkeit“, „Undurchdringlichkeit“ [gegen Mitleid oder klare Argumentation]).139 Thematisch liegt Verhärtung des Herzens auch in 4,10-12 (vgl. Jes 6,9-10 LXX) vor, sowie in 4,33 und 7,6.21-23. „Verstockung meint eine Verhärtung des Herzens, des Sitzes von Verstand, Erkenntnis und Wille, die nicht mehr offen und empfänglich sind für Gottes Einfluss“.140 Schließlich wird Jesus sogar seine eigenen Jünger mit der grundsätzlichen Problematik der Hartherzigkeit und Unreinheit konfrontieren (vgl. die Bemerkung des Markus bereits in 6,52 (πωρόω [pōroō]); siehe sodann 7,20-23; 8,15.17 (πωρόω [pōroō]); 8,18-21 [vgl. Jer 5,21]).141 Er lässt sich jedoch nicht davon bestimmen, sondern heilt aus Barmherzigkeit auch am Sabbat (… und seine Hand war wiederhergestellt; ἀποκαθίστημι [apokathistēmi] „ich bringe in den ursprünglichen Zustand“; vgl. 8,25; 9,12; vgl. Joh 2,19; Apg 3,21).142 Dies geschieht im Sinne der Torah und getreu seiner messianischen Berufung. 6 Jesu kontinuierliche Ausweitung seiner Vollmacht einschließlich seiner Pauschalkritik an der mündlichen Tradition der Pharisäer und seines Selbstanspruchs hat bereits früher Widerspruch hervorgerufen (vgl. 2,7.16.18.24; 3,2). Mit V. 6 wird diesbezüglich ein vorläufiger Höhepunkt erreicht.143 Zum ersten Mal berichtet Mk, dass die Gegner Jesu (Pharisäer und Vertraute des Herodes; vgl. Gen 37,18; Ps 2,1f als Echo zu diesem Bündnis) beabsichtigen (sie schmiedeten einen Plan gegen ihn), ihn aufgrund seines Verhaltens und Lehrens, vor allem wegen Gotteslästerung (2,7) zu töten. Die Herodianer gelten als „Parteigänger des herodianischen Herrscherhauses“ oder genauer: als Parteigänger des Hauses Herodes Antipas, der in Galiläa die „Kapitalgerichtsbarkeit“ innehat.144 Die Gegner sehen in Jesus eine direkte Herausforderung ihrer Autorität und Macht sowie, im Falle der Pharisäer, ihres Verständnisses des alttestamentlichen Monotheismus.145 Die Frage ist lediglich noch, wie dies ohne großen Volksaufstand zu bewerkstelligen ist. Auffallend ist die Heuchelei der verantwortlichen Pharisäer: Sie beschuldigen Jesus, mit Sündern Tischgemeinschaft 139 Zerwick-Grosvenor, 108. Vgl. Röm 11,25; Eph 4,18. Zum Verb πωρόω [pōroō] siehe 6,52; 8,17, sowie Joh 12,40; Röm 11,7; 2Kor 3,14. 140 Dschulnigg 110. 141 Vgl. ebenso Dschulnigg 111. 142 Dschulnigg 111 geht bei diesem Begriff von einem „endzeitlichen Klang“ aus. 143 Lane 121 verweist auf die Parallelität zwischen 3,3-6 und 12,34-35. Mk 3,6 ist, so Lane 121, der Höhepunkt des Konflikts in Galiläa. 144 Pesch, I 195. Vgl. Dschulnigg 111 und Anm. 155.156. 145 Vgl. Lane 124.

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zu pflegen, während sie selbst mit Vertrauten des unterdrückenden Rom-Kollaborateurs Herodes Antipas (vgl. 12,13) gemeinsame Sache machen.146 Ein gemeinsamer Feind führt zu seltsamen Allianzen.147 Hierbei dominiert wohl unter den Pharisäern die Furcht, religiösen Einfluss unter dem Volk einbüßen zu müssen, während die Herodianer eher das Eingreifen Roms bei Nichtbewältigung von Aufständen gegen Antipas befürchten. Mit der Tötungsabsicht steht die Gewissheit des Todes Jesu bereits von Anfang an fest und erfolgt nicht erst später, etwa als Ersatz für die ursprünglich erwartete messianisch-irdische Thronnachfolge Davids. Die Sabbatwächter beabsichtigen, denjenigen zu töten, der Leben bringt (vgl. Apg 3,15: „den Fürst des Lebens habt ihr getötet“).148 Die Tötungsabsicht weist nicht nur auf das bevorstehende Leiden Jesu, sondern auch auf die geistliche Selbstzerstörung seiner Gegner. Indem sie den, der Leben bringt, abweisen, verstricken sie sich weiter in Egoismus und geistlichen Tod.

3.6 Zulauf und Heilungen 3,7-12 I 7 Und Jesus zog sich mit seinen Jüngern zum See zurück, jedoch folgten ihm viele Menschen von Galiläa, Judäa, 8 Jerusalem, Idumäa, Transjordanien und (den Gegenden) um Tyrus und Sidon; viele Menschen kamen zu ihm, als sie hörten, was er alles tat. 9 Und er bat seine Jünger, ihm wegen der Menge ein Boot bereitzustellen, damit sie ihn nicht erdrückten. 10 Er heilte aber viele, sodass alle, die krank waren, sich (immer mehr) an ihn herandrängten, damit sie ihn berührten. 11 Und jedes Mal, wenn die unreinen Geister ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder und schrien laut heraus: „Du bist der Sohn Gottes“. 12 Und streng wies er sie zurecht, ihn nicht kenntlich zu machen.149 II Literarischer Kontext. Der erste Hauptteil (1,16‒3,12) wird durch das überleitende Summarium (3,7-12) abgeschlossen. Er beginnt mit dem Nachfolgeruf 146 Siehe Mk 6,3b: μετὰ τῶν Ἠρῳδιανῶν συμβούλιον ἐδίδουν [meta tōn Hērōdianōn symboulion edidoun]. 147 Lane 124 hebt hervor, dass diese Allianz die Ernsthaftigkeit des „Falles Jesu“ betont. 148 Vgl. Lane 125. 149 Lit.: Klinghardt, Boot, 183-202. Weitere Lit. bei: Guelich 141 (bis 1988); Pesch I 202.429 (bis 1980).

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und nimmt seinen Lauf über die Ausweitung der ἐξουσία [exousia] Jesu und die parallel hierzu wachsende Opposition. Das überleitende Summarium (3,712) antizipiert ferner den zweiten Hauptabschnitt, der mit der Berufung und Einsetzung der zwölf Jünger ansetzt (3,13-19). Der dritte Hauptabschnitt beginnt nach dem überleitenden Summarium (6,6b) mit der Aussendung der Jünger (6,7-13). Nach Lane verhalten sich Berufung und Aussendung der Jünger zueinander wie Verheißung und Erfüllung.150 In jedem Hauptteil weitet Jesus seine Vollmacht (ἐξουσία [exousia]) aus, vertieft das Wirken unter seinen Jüngern und trifft zugleich auf wachsenden Widerstand. Form und Aufbau. Mk 3,7-12 dient als überleitendes Summarium151 (vgl. 1,1415.32-34.35-39), welches sowohl die fünf Episoden (2,1‒3,6) abschließt als auch einen neuen Zyklus der Lehr- und Wundertätigkeit Jesu einleitet.152 Mk 3,7-8 gehört formal zur Gattung der „Listen und Kataloge“.153 III 7-8 Der Kreis derer, die Jesus vor allem wegen seiner Wundertaten (V. 8) aufsuchen, erweitert sich (vgl. 1,39) und scheint den Kreis der Umkehrenden bei Johannes zu übertreffen (vgl. 1,5 mit 3,7-8). Von Galiläa ausgehend, wird der Wirkungsbereich Jesu in alle Himmelsrichtungen (S → W → N) beschrieben.154 Das Gebiet Idumäa liegt südwestlich von Judäa (mit gesonderter Erwähnung von Jerusalem). Riesner bemerkt: „Bei Idumäa handelt es sich um das „edomitische (…) Restsiedlungsgebiet (…) in Süd-Judäa … (1Makk 4,29; 5,65)“ … „Der Hasmonäer Johannes Hyrkanus besiegte um 128 v.Chr. die Idumäer und zwang sie durch Beschneidung, zum Judentum überzutreten (Jos Ant Jud. XIII.258)“. … „in röm. Zeit war es nur noch eine Toparchie Judäas im Gebiet um Hebron“.155 Wahrscheinlich ist, dass in der SW-Region um Hebron z.Z. Jesu sowohl Nachfahren der nichtjüdischen Idumäer als auch in Judäa

150 Lane 126. 151 Guelich 144 meint, es handle sich hier um den Rückblick auf 1,21-3,6 und den Ausblick auf 4,35‒5,43 (evtl. bis 6,56). 152 Guelich 142. Pesch I 199 legt die Betonung auf die den Abschnitt 3,13–6,29, einleitende Funktion des Summariums. 153 Berger, Formen, 284. 154 Vgl. Pesch I 200. 155 Riesner, Art. Idumäa, GBL II, 611.

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ansässige Juden leben (vgl. Josephus, Bell 3,55). Mt 4,25 erwähnt wohl aus diesem Grund Idumäa nicht gesondert.

Die Städte Tyrus und Sidon liegen nördlich von Galiläa in Syrophönizien. Das Transjordanland schließt die Gebiete Peräa (entlang des linken Jordanufers) und die Dekapolis (hellenistisches „Zehnstädtegebiet“) ein. Das Einzugsgebiet und Wirkungsfeld Jesu geht also deutlich über die Grenzen des zeitgenössischen Israel hinaus. Allerdings handelt es sich bei diesen Regionen um ehemalige jüdische Stammes- und Siedlungsgebiete aus der Richterzeit (vgl. oben, Einleitung 7., Geographische Notizen), die Jesus alle persönlich aufsucht (mit Ausnahme von Idumäa) oder deren Menschen zu Jesus kommen.156 9-10 Und er bat seine Jünger, ihm wegen der Menge ein Boot157 bereitzustellen, damit sie ihn nicht erdrückten. Erneut wird durch das eindrücklich geschilderte, historische Detail deutlich, dass der Kern des Wirkens Jesu die Ankündigung der anbrechenden messianischen Herrschaft Gottes ist (V. 9, nur bei Mk). Daneben weist sich Jesus in seiner messianischen Autorität und Barmherzigkeit als Heilender und Exorzist (V. 11-12) aus. 11-12 Während die Dämonen Jesus bereits als „Heilige(n) Gottes“ bezeichneten (1,24) und ihn „kannten“ (1,34), nennen sie Jesus nun wiederholt (jedes Mal, wenn die unreinen Geister ihn sahen) Sohn Gottes. Wiederum handelt es sich hierbei nicht um ein Bekenntnis, sondern um die Absicht, durch magische Namensnennung Macht zu ergreifen. Das konsequent und souverän erteilte Schweigegebot an Dämonen impliziert jedoch an dieser Stelle, dass die Aussage Sohn Gottes durchaus korrekt ist (und streng wies er sie zurecht, ihn nicht kenntlich zu machen). Trotzdem wird diese Dämonenaussage von Jesus nicht toleriert. Ferner wird die Aussage nicht der politisch gespannten Situation gerecht, die es notwendig macht, die volle Aufklärung darüber, wer Jesus ist, noch aufzuschieben (siehe oben, Einleitung 4.1.2, „Das historische Messiasgeheimnis“). Die Dämonenaussage läuft damit auch dem Willen Gottes zuwider. Es ist ironisch, dass die Dämonen Jesus (er)kennen, während die Menschen Jesus vor allem deshalb aufsuchen, weil er ihnen helfen kann.158 IV zu 2,1-3,12 Ziel und Wirkungsgeschichte. Ein kritischer Punkt in der Erzählung der Ausweitung der Vollmacht wird dadurch erreicht, dass Jesus unmissverständlich beansprucht, wie Gott Sünden zu vergeben und nicht lediglich mittelbar als 156 Vgl. ansatzweise ebenso Keener, Background, 143. 157 Siehe oben die Einzelbemerkungen zu Mk 1,19-20. 158 Lane 129.

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3. Jesu Verhalten und Lehre führen zum Konflikt 2,1–3,1

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Prophet. An diesem Punkt entzündet sich vor allem die Opposition der religiösen Führer gegen Jesus, die sich bei Lehrthemen zum Sabbat und zum Fasten erhärtet. Inmitten dieser sich anbahnenden Polarisierung beruft Jesus einen Teilnehmer des anstößigen und unreinen Standes der Steuer- und Zolleintreiber zum Jüngerkreis und spricht bereits jetzt in verhüllter Weise von seinem bevorstehenden gewaltsamen Geschick. Kontextualisierung und Anwendung. Die Öffnung zu Jesus sowie die Ausbreitung seiner Vollmacht nehmen in diesem Abschnitt neue Dimensionen an. Der Gelähmte wird von Freunden gebracht. Sie rechnen fest damit, dass Jesus (wer auch immer er sei) helfen kann. Die unbeirrbare Zielsetzung, mit der der Gelähmte trotz aller Hindernisse zu Jesus gebracht wird, ist bewundernswert. Allerdings soll dieser Wille nicht das Zentrum unserer Aufmerksamkeit einnehmen; vielmehr ist es die Tatsache, stets mit Jesu Fähigkeit zu rechnen; das macht die Größe dieses Vertrauens aus. Das Ausmaß der Bereitschaft ist somit direkt abhängig von der Größe des Gebenden. Wie bereits angedeutet, ist Offenheit Jesus gegenüber immer mit Überraschungen verbunden. Anstatt, wie erwartet, den Gelähmten zu heilen, scheint Jesus die Angelegenheit zu spiritualisieren, indem er dem Gelähmten „lediglich“ die Sünden vergibt. Oder ist es doch umgekehrt? Jesus richtet den Blick auf das zentrale Problem auch dieses kranken Menschen (eben nicht seine Krankheit, sondern seine Distanz zu Gott). Gleichzeitig erhebt er unter den Anwesenden den unerhörten Anspruch, direkt Sünden vergeben zu können. Anstatt die Annahme seiner Gegner zu entkräften (etwa: „ich vergebe nur so, wie Nathan mittelbar David vergeben hat“), bekräftigt Jesus den Anspruch, wie Gott vergeben zu können. Im Grunde ist hiermit bereits sein Tod wegen Gotteslästerung besiegelt. Für den offenen, vertrauenden Jünger ergibt sich jedoch ein anderes Bild: Der, der vollmächtig lehrt, der Vollmacht über Dämonen und Krankheiten besitzt, hat die direkte Befähigung und Autorität, das Grundproblem menschlicher Existenz zu lösen. Jesus spricht nicht nur über Vergebung, sondern er nimmt seine Jünger bis ans Kreuz mit (10,45). Nur in Verbindung mit 10,45 und 14,22-25 gewinnt die Aussage Jesu in 2,9 letztendlich an Gewicht. Vor 70 n.Chr. gibt es zumindest im palästinischen Judentum noch keine Sündenvergebung ohne Blutvergießen. Jesus erklärt hiermit seine göttliche Autorität. Erst die Auferstehung Jesu (vgl. 16,1-8) bestätigt diesen unerhörten Anspruch. Der sich Jesus öffnende Jünger kann bereits hier erahnen, dass Jesus tatsächlich das Grundproblem seiner menschlichen Existenz sieht und heilend darauf zugeht. Dies wird durch die Berufung des verachteten und als Opportunist verworfenen Steuereintreibers Levi bekräftigt sowie durch die ironische Aussage Jesu, dass er für die „Kranken“ gekommen ist. Der einzelne Mensch wird herausgefordert, sich selbst

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wahrheitsgemäß einzuschätzen. In der Moderne und Postmoderne fällt diese Selbsteinschätzung oft dahingehend aus, dass sowohl aufgrund der scheinbaren Abwesenheit Gottes sowie des guten Potenzials des Menschen kein Bedarf an Sündenvergebung besteht. Und doch lebt der Mensch aus Gottes Perspektive in existenzieller Entfremdung. Jesus geht auf den Entfremdeten Levi direkt zu. Der Nachfolgeruf gilt auch ihm und damit dem Heimatlosen, Familienlosen, Mittellosen und gesellschaftlich Verachteten. Jesu Aussagen über das Fasten und den Sabbat haben den gemeinsamen Nenner, dass ein gottergebenes Leben aus der Abhängigkeit von Jesus wächst. Es gibt keinen geistlichen Automatismus, es gibt keinen autonomen Gebetsund Sabbatrhythmus. Vielmehr sind diese guten Einrichtungen im allumfassenden Leben des Menschen vor Gott und damit in Abhängigkeit von Jesus auszuleben. Das heißt, beim Fasten und beim Feiern des geweihten Ruhetages vor Gott ist der Mensch auf die Person Jesu, und damit auf die Person des unsichtbaren Vaters und des Geistes unmittelbar ausgerichtet; er ist abhängig von der Gnadengabe der Sündenvergebung, er ist abhängig von Jesu Gegenwart in Dankbarkeit und Anbetung. Fasten und Feiern des Gott geweihten Ruhetages sind damit besondere Gelegenheiten zum Einüben im Gottvertrauen, bei denen auf die gewohnte und vertraute menschliche Autonomie bewusst verzichtet werden soll.

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4. Einsetzung der Jünger – Jesu wahre Verwandtschaft 3,13-351

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Jesus setzt eine zweite Phase in der Beziehung zu seinen engsten Jüngern in Gang. Er beruft sie nun, damit sie stets bei ihm verweilen und unter seinem Einfluss reifen. Schlussendlich werden sie zu zentralen, glaubwürdigen und ganzheitlichen Zeugen des Lebens, Todes und der Auferstehung Jesu heranwachsen (vgl. u.a. Apg 1,8.21-22.32; 3,15; 5,32; 10,39.41). Sie werden einst als „lebendige Briefe“ bezeugen, wie radikal Jesus sie verändert hat (vgl. 2Kor 3,2). Unter dem Einfluss Jesu werden die Jünger zunächst darauf vorbereitet, in Abhängigkeit von Jesus die wachsende Herrschaft Gottes zu verkündigen, Dämonen auszutreiben und ihm damit in Wort und Tat zu folgen (3,13-19). Damit legt Jesus das Fundament für das weltweite, messianische Volk Gottes. Widerstand gegen Jesus kommt vonseiten seiner natürlichen Familie (3,2021.31-35) und der religiösen Verantwortlichen Israels (3,22-30). Dies nimmt Jesus zum Anlass zu beschreiben, wer tatsächlich zur neuen und ewigen Familie Gottes gehören darf (3,33-35). Synoptischer Vergleich: Befund. Die Berufung und Einsetzung der Zwölf (Mk 3,13-19) wird von den Seitenreferenten in anderer Akoluthie berichtet (Mt 10,1-4 / Lk 6,12-16). Der Konflikt zwischen Jesus und seinen Familienangehörigen wird durch Mk 3,20-21 besonders stark hervorgehoben (vgl. schwächer Lk 8,19). Mt und Mk verlaufen bezüglich der Beelzebul-Kontroverse (Mt 12,22-37 / Mk 3,22-30) sowie der folgenden Aussage Jesu über seine wahren Verwandten (Mt 12,46-50 / Mk 3,31-35) parallel. Allerdings fügt Matthäus (Mt 12,38-45) zusätzlich einen Abschnitt über die Zeichenfrage der Pharisäer (vgl. Mt 16,1-4; Mk 8,11-12; Lk 11,16-32) sowie die Aussage Jesu über die Rückkehr des bösen Geistes (Mt 12,43-45) ein. Auswertung: Für Mk (vgl. ebenso die lukanische Akoluthie) ist die Berufung und Einsetzung der Zwölf weniger zentral als für Mt (Mt 9,35–11,1), der die Berufung mit Belehrung der Jünger verbindet. Das zentrale Thema mit der Belehrung der Jünger wird bei Mk später aufgegriffen und eng mit dem Leidensgeschick Jesu verknüpft (Mk 8,27–10,45). Obwohl Mk die Spannung zwischen 1

Lit. zum Textabschnitt: Klinghardt, Boot, 183-202. Siehe ferner Lit. zu den Einzelabschnitten. Zur textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch I 203, Anm. a-d; 210, Anm. a-c; 221, Anm. a-c; France 157-158.164.167.177; Lane 131, Anm. 41-44; 138, Anm. 73-75; 140, Anm. 82-84; 146, Anm. 103.

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Jesus und seinen Verwandten nur relativ kurz erwähnt, wird das Thema doch (vor allem durch 3,31-35; vgl. 3,20-21) auf dem Hintergrund des synoptischen Vergleichs profiliert. Seine Familienangehörigen sind bis auf Weiteres (vgl. die spätere Zugehörigkeit der Mutter Jesu und seiner Brüder zur Urgemeinde, Apg 1,14)2 Gegner des Willens Gottes (3,35). Literarischer Kontext. Im auffälligen Gegensatz zur Menge in 3,7-12, konzentriert sich Jesus nun (wieder) auf die Wenigen (3,13-19). Wellenartig und sich steigernd, entfaltet sich der Stoff bei Mk:3 1. der bescheidene Anfang der persönlichen Berufung einiger Jünger in 1,1620 kulminiert im öffentlichen Widerstand (3,6) und im Segen für die Menge (3,7-12); 2. der bescheidene Anfang der privaten Gemeinschaft, Teilhabe und Einsetzung einiger Jünger in 3,13-19 findet seine Fortführung in starkem öffentlichen Widerstand (3,20-21.22-30.31-35; 4,11-12; 5,14-17; 6,1-6) und im bedingten Segen für die Menge (z.B. 4,1-2.33-34).4 3. der bescheidene Anfang der persönlichen Aussendung der Zwölf in 6,7-13, erreicht in 8,26 (mit vielen Segnungen und Warnungen) das Ziel der nunmehr weit verbreiteten Verkündigung der guten Botschaft.5 Mk 3,20-35 folgt unmittelbar der Einsetzung der Zwölf und verdeutlicht, dass die Jünger immer mehr mit tief greifenden Entscheidungen konfrontiert werden. Dies trifft zu, weil ihr Meister sowohl von seiner eigenen Familie als auch (erneut) von seinen Gegnern scharf angegriffen wird.6 Wie werden sie angesichts dieser Herausforderungen bestehen?

4.1 Einsetzung der Jünger 3,13-19 I 13 Und er geht auf den Berg und beruft, die er (bei sich) haben wollte, und sie kamen zu ihm. 14 Und er setzte zwölf ein (die er auch Apostel nannte), dass sie (immer) bei ihm seien und dass er sie aussende, zu predigen 15 und Vollmacht zu haben, böse Geister auszutreiben. 16 (Und er ernannte die Zwölf) und gab Simon den Beinamen Petrus, 17 Jakobus aber, 2 3 4 5 6

Vgl. Bauckham, Brothers, 686-700. Vgl. Guelich 155. Vgl. Guelich 155-156. Vgl. Guelich 156. Vgl. Guelich 171-172.

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dem Sohn des Zebedäus, und Johannes, dem Bruder des Jakobus, gab er den (die) Beinamen Boanerges, was Söhne des Donners bedeutet. 18 (Er ernannte) Andreas und Philippus und Bartholomäus und Matthäus und Thomas und Jakobus, den Sohn des Alphäus, und Thaddäus und Simon Kananäus 19 und Judas Iskarioth, der ihn auch (später) überantwortete.7 II Mk 3,13-19 stellt formal eine Mischform dar: Berufungserzählung8 bzw. zusammenfassender „Basis-Bericht“9 mit Zwölferkatalog: Ruf / Reaktion / Einsetzung / Liste der beauftragten Jünger.10 III 13-15 Mk setzt, wie oft, stillschweigend voraus, dass Jesus inzwischen weitere Jünger berufen hat. Auf einem Berg setzt Jesus nun von dieser größeren Zahl Zwölf zu einer spezifischen Aufgabe ein. Dabei wird der Nachfolgeruf (vgl. 1,17.20; 2,14) wiederholt und verstärkt (3,13-14) sowie durch die Aussendungsaussage ergänzt (3,14b). Die von Jesus abhängige und von Jesu Vollmacht (ἐξουσία [exousia]) abgeleitete Ermächtigung, zu predigen bzw. zu verkündigen (V. 14) und Dämonen auszutreiben (V. 15), zeichnet das bisherige Handeln Jesu analog nach. Die von ihm abhängigen und von ihm beauftragten Jünger sollen lehrend und handelnd das widerspiegeln, was Jesus ihnen vorlebt (vgl. Lk 6,40). Damit deutet Jesus auf ein umfassendes Motiv der Nachfolge: Sein Leben und Handeln (in Erniedrigung und Erhöhung) wird die Jünger derart prägen, dass sie in gewisser Weise sein Geschick (in Erniedrigung und Erhöhung) teilen werden. Das Nachfolgemotiv der imitatio Christi soll also als Lebenskonsequenz der Gemeinschaft mit Jesus verstanden werden und nicht als autonomes Nachahmen Jesu. Dabei ermöglicht der Glaube an den stellvertretenden Tod Jesu diese Gemeinschaft. 13 Berg(e) gelten bei Mk und im AT (z.B. Ex 19,3-6) häufig als Orte der Offenbarung und des Heilshandelns Gottes (vgl. 6,46; 9,2.9.12; 13,3; siehe Mt 28,16; Apg 1,8.12 sowie Ex 19,3-6).11 Der „Berg“ kann in den Evangelien unterschiedliche Zwecke erfüllen. Er dient als Ort für: a. Gebet, 6,46 (vgl. Mt 14,23; Lk 9,28; Joh 6,15); b. Entscheidungen (Lk 6,12-13); c. Unterweisungen 7 8 9

Lit. bei: Guelich 153-154 (bis 1988); Pesch I 209.429 (bis 1980). Pesch I 203 verweist auf 1,16-20. Berger, Formen, 388.390. Berger (a.a.O., 389) macht geltend, dass Basis-Berichte „nicht Verkürzungen am Rande, sondern … die entscheidende Fülle des Wirkens“ darstellen. 10 Vgl. differenzierter Guelich 154-155. 11 Vgl. Lane 132 und Anm. 47 und Pesch I 204.

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(Mt 5,1; Joh 6,3) und d. Heilung (Mt 15,29). Jesus beruft vollmächtig (vgl. Apg 2,39; 13,2; 16,10).12 Die Voraussage Jesu, seine Jünger zu „Menschenfischern“ zu machen (1,17), wird hier wie in 6,7-13 partiell erfüllt. 14-15 Jesus verfolgt zwei Ziele mit den besonders berufenen Zwölf: 1. dass sie bei ihm seien (vgl. die er bei sich haben wollte) und dadurch von ihm zwangsläufig immer mehr geprägt werden (vgl. 14,33); 2. dass er sie aussende (vgl. 1,17; 9,37). Diese Doppelabsicht soll im Leben der Jünger bestehen bleiben. Jesus setzt die Zwölf erwählten Jünger in Abhängigkeit von ihm für eine bestimmte Aufgabe ein: ποιέω [poieō] bedeutet hier nicht „machen“, sondern „zu einer Aufgabe einsetzen“ (vgl. 3,16; Mt 19,28). ποιέω [poieō] kann in diesem Sinn auch in der LXX und im übrigen NT (Apg 2,36) verwendet werden, siehe z.B. alttestamentliche Amtseinsetzungen in Ex 18,25 (Israels Richter); 1Kön 12,6 (Aaron); 1Kön 13,33 und 2Chron 2,17-18 (Priester).13 Mit V. 14 beginnt Mk diesen Kreis der Jünger als „die Zwölf“ zu bezeichnen (vgl. 3,16; 4,10; 6,7; 9,35; 10,32; 11,11; 14,10.17.20.43). In verschiedenen Dokumenten außerhalb des NT beschreibt der Begriff Apostel14 (ἀπόστολος [apostolos] = hebr. šālîaḥ)15 u.a. einen „Lieferschein“, einen „militärischen Vorstoß“, ein „Reisedokument“ oder eine „politisch beauftragte Delegation“.16 Allerding ist der Gebrauch des Begriffs vor der Zeit Alexander des Großen eher selten, obwohl er gelegentlich als Bezeichnung einer Delegation vorkommt.17 In geringem Maße wird der hebr. Begriff šālîaḥ = „Bote“ in der LXX oder anderen griechischen Übersetzungen des AT mit apostolos wiedergegeben.18 Auch Josephus benutzt apostolos, um eine politische Delegation (Abgesandte) zu beschreiben.19 Im lukanischen Doppelwerk wird der Begriff beinahe ausschließlich für die Zwölf verwendet (vgl. Gal 1,17): „Apostel“ sind dort diejenigen, die von Anfang an bei Jesus gewesen sind und Augenzeugen des Todes und der Auferstehung Jesu werden (vgl. Apg 12 Vgl. Pesch I 204. 13 Schriftverweise bei Pesch I 204. Lane 132, Anm. 45, verweist ferner auf 1Sam 12,6 LXX; 1Kön 12,31. Guelich 155, bezeichnet diesen Gebrauch von ποιέω als Semitismus. 14 Der Zusatz οὓς καὶ ἀποστόλους ὠνόμασεν [hous kai apostolous ōnomasen] ist vor allem aufgrund der möglichen Interpolation von Lk 6,13 textkritisch umstritten. Allerdings ist der äußere Befund zugunsten des Zusatzes relativ gut (u.a., ‫ א‬B Θ f13; vgl. Metzger, Commentary, 69). 15 Vgl. Rengstorf, TDNT I, 398–447. Für den Inhalt dieses Abschnitts, siehe Bayer, Peter, 113114, vor allem 113, Anm. 166. 16 Siehe z.B. Papyrus Oxy. 3, 522.1; 9, 1197; 10, 1259. 17 Herodotus, Hist., 1,21; 5,38. 18 Siehe LXX, 3Kön [= MT, 1Kön] 14,6; Aquila, 3Kön 14,6; Symmachus, Jes 18,2. 19 Josephus, Ant 17,300.

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1,15.22-26). Diese Beobachtung akzentuiert die Tatsache, dass sowohl Paulus20 als auch der Herrenbruder Jakobus dabei als „Apostel“ Sonderstellungen einnehmen (vgl. 1Kor 15,5.7; Gal 1,19). Im lukanischen Doppelwerk werden Barnabas und Paulus nur zwei Mal als „Apostel“ bezeichnet (einmal in Ikonion [14,4]; einmal in Lystra [14,14]).21 Die dortige Verwendung mag bereits darauf hinweisen, dass der Begriff sodann bei den Kirchenvätern für Gemeindegründer oder Evangelisten im weiteren Sinn von „Entsandten“ gebraucht wird.22 Für das Wachstum der christlichen Gemeinde ist von großer Bedeutung, dass diejenigen, die Jesus zu sich beruft, um bei ihm zu sein und von ihm zu lernen, eben diejenigen sind, die später als apostolische Zeugen den Tod und die Auferstehung Jesu weit und breit verkündigen (Mt 28,18-20; Mk 13,9-13; vgl. Mt 10,40 par; Joh 13,20).23 Aufgrund der Tatsache, dass Jesus zunächst (vgl. 7,27: πρῶτον [prōton]) Nachkommen der zwölf Stämme Israels24 zum messianischen Reich Gottes ruft (siehe oben, Einleitung 7., „Geographische Notizen“) und zu diesem Zweck die zwölf Jünger aussenden wird (6,7-13), liegt es nahe, die Ernennung von Zwölf als Repräsentanten der neuen messianischen Gottesgemeinschaft zu verstehen (vgl. Offb 21,14).25 Charakteristikum dieser beauftragten Repräsentanten ist es, dass sie mit Jesus gehen und von ihm bevollmächtigt sind, seine machtvolle Botschaft weiterzugeben (vgl. 1,14.39; 6,12).26 Wie bei Jesus, schließt dies der Lehre beigeordnete Heilkraft und Macht über Dämonen ein (zu predigen [d.h. das Evangelium Gottes, 1,14.39; 6,12; vgl. Lk 9,2] und Vollmacht zu haben, böse Geister auszutreiben; vgl. 1,34.39).27 Mk 6,13 fügt hinzu, dass sie auch Krankheiten heilten. Die enge Verknüpfung zwischen dem Tun Jesu und dem Auftrag seiner Jünger beschreibt bereits den Kern der Nachfolge (mit oder ohne Austreibung unreiner Geister und Heilung): Ebenso, wie Jesus sich in Leid demütigt und von Gott durch Auferstehung bestätigt wird, so werden seine Nachfolger im Leid gedemütigt und durch Gott einst bestätigt (vgl. 1Petr 5,6-7). Es besteht somit eine analoge Dynamik von Erniedrigung und Erhöhung,28 wobei jedoch die unübertroffene Einmaligkeit des 20 21 22 23 24 25 26 27 28

Siehe 1Kor 9,1-2; 15,9; 1Thess 2,6; 1Tim 2,7; 2Tim 1,11. Vgl. Haacker, Apostelgeschichte, ad loc. Siehe z.B. die Didache 11,3-12.14-16 und Justin, Dial c Tryph, 75, 3. Siehe NIDNTT, I, 136. Siehe Apg 1,8.21-22.32; 3,15; 5,32; 10,39.41. Siehe 1Kön 18,31-32; vgl. Offb 21,14. So auch Dschulnigg 117 und Lane 133. Vgl. Keener, Background, 143. Vgl. Pesch I 205. Vgl. Pesch I 205, der allerdings die Macht über Dämonen zu stark hervorhebt. Schweizer, Erniedrigung, passim.

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stellvertretenden Sühneleidens Jesu für die „Vielen“ (10,45) bewahrt wird. Vielmehr leiden die Nachfolger Jesu inmitten ihres Zeugendienstes und reifen in der Anfechtung. Ihre gegenwärtige Berufung wird sodann in 6,7-12.30 in die Tat umgesetzt. 16-17 Die Liste29 des engeren Jüngerkreises hebt drei von ihnen durch Voranstellung sowie durch neue Beinamen (vgl. mit 2Kön 24,17; Dan 1,7) besonders hervor (siehe Bemerkungen zu 1,29; 5,37; 9,2.38; 10,35.41; 13,3; 14,33): Simon (1,16) wird Petrus genannt (= „Fels“; vgl. Mt 16,18; Joh 1,42; 1Kor 15,5),30 Jakobus und sein jüngerer Bruder (Mt 17,1) Johannes (1,19) werden als Söhne des Zebedäus (10,35) Boanerges31 genannt (= „Donnersöhne“, z.B. 1,29; 5,37; 9,2.38; 10,35-41; 14,33; vgl. Lk 9,54). Es ist möglich, dass der „zweite Jünger“ in Joh 1,35 (vgl. Joh 1,40) der Jakobusbruder Johannes ist. Dann wäre Johannes ursprünglich Nachfolger von Johannes dem Täufer gewesen. Diese drei Jünger bilden den engsten Vertrautenkreis um Jesus. Andreas gehört nicht zu dieser Gruppe, obwohl er der Bruder des Petrus ist und Jesus in dessen Haus ein- und ausgeht (1,29; 2,1). 18 Die Nennung des Andreas (vgl. 1,16.29 und 13,3; vgl. Joh 1,40ff)32 folgt unmittelbar, während der bei Mk bereits früher erwähnte Matthäus (Levi; vgl. 2,14-15) hier erst an siebter Stelle genannt wird. Petrus, Andreas, Jakobus, Johannes und Philippus stammen ursprünglich aus Bethsaida (Joh 1,44) bevor sie nach Kapernaum übersiedeln (vgl. 1,29). Die Söhne des Fischers Zebedäus, Jakobus und Johannes, sind wohl Geschäftspartner der Bootsbesitzer und Brüder Petrus und Andreas: Lukas nennt sie μετόχοις [metochois] (= „Partner“; Lk 5,7) und κοινωνοί [koinōnoi] (= „Genossen“; Lk 5,10).33 Von den genannten Jüngern sind die Namen Petrus, Andreas und Philippus griechischen Ursprungs. Sofern Alphäus in 2,14 und 3,18 dieselbe Person meint, sind im engen Jüngerkreis drei Brüderpaare vertreten: Jakobus und Johannes, Petrus und Andreas, Jakobus und Levi-Matthäus (vgl. 2,14; 3,18; Mt 9,9; Lk 5,27).34 Simon Kananäus (Hebr. qannā’) kann entweder „zelotisch“ (vgl. 29 30 31 32 33

Vgl. Mt 10,2-4; Lk 6,14-16; Apg 1,13. Siehe Bayer, Peter, 9-49. Vgl. Pesch I 206 und Anm. 12 bezüglich „Söhne des Donners“. Weitere Details bei Pesch I 207 und Dschulnigg 119. Helyer, Life, 25 und Anm. 22, meint, dass die zwei Begriffe eine formale Geschäftsbeziehung kennzeichnen. 34 Vgl. Lane 135-36. Vgl. Keener, Background, 143, der darauf verweist, dass „Thaddäus“ (Mk und Mt) auch als „Judas, Sohn des Jakobus“ (Lk 6,16; Apg 1,13) bekannt ist. Vgl. ferner Pesch I 207. Zur kritischen Diskussion des Doppelnamens Levi-Matthäus, vgl. Bauckham, Eyewitnesses, 108-112. Hat Bauckham jedoch überzeugend bewiesen, dass ein jüdischer Mann z.Z. Jesu unmöglich zwei relativ populäre semitische Namen haben konnte?

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4. Einsetzung der Jünger – Jesu wahre Verwandtschaft 3,13-35

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Lk 6,15; Apg 1,13) oder „Eiferer“ bedeuten.35 Ein derartiger Beiname beweist allerdings nicht, dass Simon Mitglied einer möglichen politischen Befreiungsbewegung gewesen ist.36 19 Der Verräter Judas Iskarioth (aus Karioth; vgl. v.l. Joh 6,71) wird zuletzt genannt. Laut Joh 6,71 und 13,2.26 trägt auch „der Vater des Judas, Simon, … den Beinamen Iskariot; so „dürfte die Deutung als Herkunftsbezeichnung am ehesten zutreffen“.37

Der Verweis auf dessen Verrat (der ihn auch (später) überantwortete; vgl. 14,10f.18.20f.41-44) zeigt, dass Mk durchaus in der Erzählung vorweggreifen kann, ohne jedoch damit die getreue Beschreibung des historischen Werdegangs des Wirkens Jesu zu beeinträchtigen. Der Verräter wird von Jesus berufen, bei ihm zu sein; er wird als einer der Zwölf (vgl. 14,10.20.43) zum Dienst eingesetzt (predigen; heilen; Dämonen austreiben); er wird von ihm geliebt und durch ihn gewarnt (Joh 6,64.70). Jesus setzt sein Vertrauen in ihn, da Judas die Gemeinschaftskasse führt. Dennoch glaubt bzw. vertraut Judas Jesus nicht (Joh 6,64). Die Gegenwart und göttliche Messianität Jesu verhärtet (vgl. Mk 4,9-12) sein bereits ungläubiges Herz zu einem „Diabolos“ (Joh 6,70; vgl. Joh 6,44). Das Motiv der Überantwortung (παραδίδωμι [paradidōmi] = „ich übergebe“, „ich liefere aus“, „ich überantworte“, „ich verrate“) zieht sich wie ein roter Faden durch das Mk Ev.38 Johannes der Täufer wird überliefert bzw. verhaftet (παραδίδωμι [paradidōmi]; vgl. Bemerkungen zu 1,14).39 Jesus wird von seinem himmlischen Vater in die Hände verwerflicher Menschen überliefert (παραδίδωμι [paradidōmi]; 9,31; 10,33; 15,1).40 Judas verrät ihn (παραδίδωμι [paradidōmi]). Die geistlichen Verantwortlichen und Pilatus liefern ihn dem Tod aus (παραδίδωμι [paradidōmi]; 14,10-11.18.21.41-42.44; 15,10.15). Jesus sagt ferner voraus, dass seine Jünger ebenso geistlichen und politischen Verantwortlichen ausgeliefert werden wie auch feindschaftlich eingestellten Familienmitgliedern (13,9.11-12).41 Das hebräische Verb ‫נָתַ ן‬ 35 Siehe Lane 136 und vor allem Pesch I 207 und Anm. 22. 36 Pesch I 207 und Anm. 22. Dort geht er auf die kontrovers geführte Diskussion ein. 37 Pesch I 207, Anm. 23. So auch Dschulnigg 119, der daraus schließt, dass Judas als einziges Mitglied des Zwölferkreises aus Judäa stammt. 38 Siehe die Bemerkungen zu 1,14; 9,30-31; 10,33; 13,9-13; 14,10-11.41-42.44; 15,1; vgl. 14,18.21. 39 Siehe die Bemerkungen zu 3,19. 40 Vgl. ebenso 1Kor 11,23-24. 41 Obschon nicht als Gottesgericht, im Gegensatz zu 2Chron 12,5.

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([natan] = „ich gebe“) wird in der LXX mitunter mit παραδίδωμι [paradidōmi] wiedergegeben. In Hiob 2,6 liefert (παραδίδωμι [paradidōmi]) Gott Hiob dem Einfluss Satans aus. Als Strafe Gottes können Menschen (einschließlich Mitglieder seines eigenen Volkes) jeweils ihren Feinden „ausgeliefert“ werden (παραδίδωμι [paradidōmi], Jer 38,3;42 Hes 25,4; Sach 11,6; vgl. ebenso 1Kön 14,16). In den Evangelien vermittelt dieses Auslieferungsmotiv grundsätzlich die Tatsache, dass Gott seine schützende Hand zurückzieht (so z.B. bei Johannes dem Täufer und Jesus) um dadurch zu richten (Jesus) oder zu läutern (Jünger; vgl. Hiob). Vor allem bei Jesus wird deutlich, dass Gott seinen unschuldigen und einzigen Sohn deshalb richtend „ausliefert“ (vgl. παραδίδωμι [paradidōmi] in LXX Jes 53,12), weil jener gewillt ist, stellvertretende Sühne zu tragen (vgl. παραδίδωμι [paradidōmi] in LXX Jes 53,6) und damit Vergebung zu bewirken. Er wird „an unserer statt“ in sündige Hände „ausgeliefert“ (vgl. 9,31 mit 10,45).

4.2 Die wahre Verwandtschaft Jesu 3,20-35 I 20 Und er ging nach Hause; wiederum kommt das Volk zusammen, sodass sie nicht einmal (Brot) essen konnten. 21 Als aber seine Familienangehörigen (das) hörten, gingen sie aus, um ihn zu fassen; denn sie bestanden darauf, dass er von Sinnen sei. 22 Und die aus Jerusalem herabkommenden Schriftgelehrten behaupteten, dass er (den) Beelzebul habe und dass er durch den Anführer der bösen Geister die Dämonen austreibe. 23 Und als er sie zu sich gerufen hatte, begann er, in Bildern zu ihnen zu reden: „Wie kann Satan den Satan austreiben? 24 Und wenn ein Königreich in sich gespalten ist, so kann jenes Königreich nicht bestehen. 25 Und wenn ein Haus in sich gespalten ist, so wird jenes Haus nicht bestehen können. 26 Und wenn Satan gegen sich selbst aufstand und gespalten wurde, so kann er nicht bestehen, sondern ist am Ende. 27 Aber niemand kann in das Haus des Starken eindringen, um seine Habe zu plündern, ohne vorher den Starken zu binden; dann kann er sein Haus plündern. 28 Amen, ich sage euch, dass den Menschen alle Sünden und Gotteslästerungen, sooft sie sie begehen, vergeben werden, 29 wer aber gegen den Heiligen Geist lästert, findet niemals Vergebung, sondern ist ewiger Sünde schuldig“. 30 (Er sagte dies,) weil sie sagten, er habe einen unreinen Geist. 31 Und 42 MT Jer 38,3 entspricht LXX Jer 45,3.

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seine Mutter kommt mit seinen Brüdern; sie stehen draußen und schickten rufend nach ihm. 32 Und das Volk saß um ihn herum und sie sprachen zu ihm: „Siehe, deine Mutter und deine Brüder (und deine Schwestern) fragen draußen nach dir“. 33 Und er antwortete ihnen und sprach: „Wer sind meine Mutter und (meine) Brüder?“ 34 Und er schaut die an, die im Kreis um ihn herumsitzen, und spricht: „Siehe, meine Mutter und meine Brüder; 35 (denn) wer den Willen Gottes tut, dieser ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter“.43 II Mk 3,20-35 ist formal eine Mischform: 1. biografische Notiz (3,20-21); 2. Streitgespräch (3,22-26) mit abschließender Gleichnisaussage (3,27; vgl. 3,23a); 3. Lehraussage (3,28-29) mit Zusammenfassung (3,30); 4. biografische Notiz (3,31-35).44 Berger spricht bei Mk 3,23-30.31-35 von einer „erweiterten Chrie“.45 Mk 3,20-35 stellt ferner das erste markinische „sandwich“46 dar; es handelt sich dabei um eine chiastisch aufgebaute Perikope: a. Jesus und seine Familie (3,20-21) / b. Beschuldigung Jesu (3,22) / c. Antwort Jesu / b′. Beschuldigung Jesu (3,30) / a′. Jesus und seine neu konstituierte Familie (3,31-35).47 III 20 Er ging nach Hause: Jesu „Wahlwohnsitz“ ist in Kapernaum bei Petrus und Andreas. Der knappe Bericht über den großen Andrang erinnert an 2,1-2 (vgl. 1,29.32f; siehe ferner 3,7-12; 6,31).48 (Brot) essen ist ein Semitismus (pars pro toto; Metonymie) für „Nahrung zu sich nehmen, eine Mahlzeit halten“.49 21 Was die Verwandten Jesu (vgl. 3,31-35) im Detail hörten, ist nicht klar – vielleicht lediglich, dass Jesus zurückgekehrt sei? Oder dass er nichts essen konnte?50 Näherliegend ist, sein ganzes Verhalten in eindringlichem Wort und analogieloser Tat dafür verantwortlich zu machen, dass sie ihn für irre halten (denn sie bestanden darauf, dass er von Sinnen sei, ἐξέστη [exestē], vgl. 43 Lit.: Dschulnigg, Grenzüberschreitungen, 113-120; Hengel, Nachfolge, 72; Jeremias, Abba, 149; Wenham, Meaning, 295-300. Weitere Lit. bei: Pesch I 220-221. 225.429 (bis 1980); Guelich 166-167 (bis 1988); vgl. Exkurs 9. 44 Guelich 168. Weitere Details bei Pesch I 211. 45 Berger, Formen, 140.149. Zur Definition der Chrie, s.o. Einleitung, 3.1. 46 Guelich 171 verweist auf Best, Mark iii, 314. 47 Guelich 171 verweist auf Lambrecht, Relatives, 241-258. Details zu 3,31-35 bei Pesch I 221. 48 Vgl. Pesch I 211. 49 Pesch I 211-212. 50 Pace Lane 139.

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2Kor 5,13).51 Neben seinen Gegnern (siehe erneut in 3,22.30; vgl. 14,1f) muss Jesus nun auch den Spott (vgl. Joh 7,5) und die Verurteilung seiner eigenen Familie ertragen. Die Formulierung οἱ παρʾ αὐτοῦ [hoi parʾ autou] in V. 21 weist höchstwahrscheinlich auf Familienangehörige (vgl. den Sinnzusammenhang mit 3,31),52 da Mk die Formulierung οἱ περὶ αὐτόν [hoi peri auton] (4,10) als Hinweis auf seine Begleiter/Jünger benutzt (so auch die meisten Lexika).53 Ferner unterstreicht 3,31-35 diese Annahme.54 Vergleiche die Anklage Jesu durch seine Familie (3,21) mit derjenigen vonseiten seiner Gegner (3,22.30; siehe Joh 10,20 als Parallele zu beiden Anklagen: „Er ist von Sinnen“; „er ist von Dämonen besessen“).55 Siehe Sach 13,3-6 und Weish 5,1-5, wo Spötter sich schämen, den Gerechten verachtet zu haben.56

Dass dies zu den Leiden Jesu gehört, wird u.a. durch den Begriff κρατέω ([krateō] „ich verhafte“; „ich fasse“) um ihn zu fassen deutlich:57 Die Familie will sich Jesu „mit Gewalt bemächtigen“, um ihn in seine familiäre Verantwortung (evtl. sogar als Familienoberhaupt) zurückzuführen und ihn vor seinem „Irrsinn“ zu bewahren. Obwohl sie beabsichtigen, ihn gewaltsam zu fassen, wird er unter keinen Umständen die Verbindung mit seiner Mutter und seinen Halbbrüdern und Halbschwestern abbrechen lassen (vgl. Apg 1,14). Allerdings folgt er stets dem Willen und Ruf Gottes (vgl. V. 31-35; Lk 2,49; siehe unten, Exkurs 10). 22 Es wird deutlich, dass die Gegner Jesu (Schriftgelehrte) nun auch aus dem geistlichen, juristischen und politischen Zentrum Jerusalem kommen (handelt es sich sogar um eine offizielle Delegation?).58 Es ist wohl die Folge der bereits erwähnten pharisäisch-herodianischen Absicht, Jesus zu töten (3,6). Erneut geht es den Gegnern nicht so sehr um Feststellung der Sachlage, wie um die Bestätigung ihrer Ablehnung Jesus gegenüber. Die Gegner können die außerordentlichen Werke Jesu nicht mehr verneinen. Andererseits sind die Selbstaussagen Jesu derart unerhört und seine Vollmacht derart überragend, dass er bereits jetzt als Gotteslästerer (und deshalb des Todes würdig) und politisch als zu mächtig bzw. zu gefährlich erachtet wird. Also bleibt ihnen nur die Alternative, anstelle des Heiligen Geistes (vgl. Mt 12,28) den mächti51 52 53 54 55 56 57 58

Der Begriff ἐξίστημι [exhistēmi] ist hier intransitiv gebraucht: „Ich bin außer mir“. Vgl. ebenso Dschulnigg 123. Lane 138, Anm. 75. Vgl. Lane 139. Vgl. ebenso, Pesch I 212 und Anm. 4. Lane 137. Vgl. Lane 139, Anm. 81. Vgl. vor allem Pesch I 212, der u.a. auf Hengel, Nachfolge, 72 verweist. So Pesch I 213, mit Verweis auf 7,1. Vgl. Dschulnigg 124.

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gen Dämonenanführer Beelzebul für die Taten und Worte Jesu verantwortlich zu machen (dass er durch den Anführer der bösen Geister die Dämonen austreibe) und damit zu meinen, einen weiteren Grund für die Beseitigung Jesu gefunden zu haben.59 Beelzebul (Βεελζεβοὺλ) bezeichnet einen im Dienst Satans stehenden Anführer der Dämonen. In 2Kön 1,2-6 ist Baalzebub („Herr der Fliegen“) ein Orakelgott der Philister, deren Name hier verächtlich mit Beelzebul „Herr der himmlischen Wohnungen“ wiedergegeben wird (vgl. auch V. 23.26).60 In der jüdischen Polemik wird Irrlehre ferner auf dämonische Aktivität zurückgeführt.61 23-26 Jesus bedient sich in der Verwerfung dieser falschen Beschuldigung62 (von Dämonen besessen zu sein und mittels des satanischen Beelzebul Dämonen auszutreiben) zweier Bildworte (Maschal), dessen erstes als Frage formuliert ist: „Wie kann Satan den Satan austreiben? – wenn ein Königreich in sich gespalten ist, so kann jenes Königreich nicht bestehen“. Die Bildworte (παραβολαῖς [parabolais] als Maschal; vgl. 4,2.10f) belegen unmissverständlich, dass Satan unmöglich Ursprung der Taten Jesu sein kann, treibt Jesus doch machtvoll satanische Geister aus (wenn Satan gegen sich selbst aufstand und gespalten wurde, so kann er nicht bestehen, sondern ist am Ende). Ein Königreich, ein Haus, kann nicht in sich gespalten sein und dennoch machtvoll fortbestehen (vgl. Mt 12,26). Da jedoch Satan (noch) machtvoll fortbesteht, ist seine Macht nicht in sich gespalten. Das Ende der Macht Satans kommt anders; dies wird im nun folgenden Vers erörtert. 27 Jesus geht noch einen Schritt weiter: Das Bild des Starken (Satan bzw. der satanische Beelzebul), der gebändigt werden muss, impliziert, dass Jesus sowohl die Verkündigung der Herrschaft Gottes und die Heilungen als auch die Austreibung unreiner Geister als „Berauben“ Satans versteht (niemand kann in das Haus des Starken eindringen, um seine Habe zu plündern, ohne vorher den Starken zu binden; dann kann er sein Haus plündern). Was Satan besitzt, wird ihm durch Jesus, der stärker ist (1,7; vgl. Lk 10,18; 11,20; 17,22),63 entrissen (vgl. Jes 24,21f; 49,25; 53,12).64 Der Herrschaftsanspruch Gottes bezieht sich auf Menschen sowie auf die übrige sichtbare und unsichtbare Schöpfung. Satan hat illegalen, unberechtigten Machteinfluss (vgl. Mt 4,9), der ihm jetzt durch Jesu ἐξουσία [exousia] streitig gemacht wird. 59 60 61 62

Lane 140, Anm. 82. Vgl. Dschulnigg 124. Vgl. Art. Βεελζεβοὺλ [Beelzeboul], EWNT I, 507-508. Vgl. Pesch I 213. Lane 142, Anm. 88, betont, dass die spätere, rabbinische Tradition Jesus als Magier abstempelt (bSan 43a). 63 So Pesch I 215. 64 Schriftverweise bei Pesch I 215-216. Dschulnigg 125 verweist ferner auf TestLev 18,12.

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28-30 Wer wie die Gegner Jesu argumentiert, macht sich der Sünde gegen den Heiligen Geist schuldig.65 Jesus bekräftigt zunächst feierlich die allumfassende und wiederholte (sooft sie sie begehen) Vergebung von Sünden und Gotteslästerungen (αἱ βλασφημίαι ὅσα ἐὰν βλασφημήσωσιν [hai blasphēmiai hosa ean blasphēmēsōsin]). Beachtenswert sind folgende Teilaspekte der Aussage Jesu: a. „Amen, ich sage euch“ (Ἀμὴν λέγω ὑμῖν [Amēn legō hymin]) gilt als emphatische Beteuerung.66 Das feierliche und bekräftigende „Amen“ (vgl. u.a. 9,41; 10,15; 13,30; 14,25) ist in der Rede Jesu ohne Analogie, sowohl im übrigen NT als auch in der alttestamentlich-jüdischen, rabbinischen und griechischen Literatur.67 b. Das passivum divinum von ἀφεθήσεται [aphethēsetai]: Gott ist der Handelnde. „Der Spruch (in V. 28bc; HFB) sagt unbedingte und umfassende Vergebung zu, formuliert die Grundlage der Predigt und des Wirkens Jesu. Ein wahrhaft unerhörtes Wort!“68 Was allerdings vom Geist Gottes gewirkt ist (nämlich die Lehre und die Taten Jesu, vgl. 1,10), darf nie als satanisch bezeichnet werden. Wer das Wirken des Heiligen Geistes (3,30) durch Jesus als satanisch bezeichnet (V. 30; vgl. Jes 5,20: „Weh denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen“), lästert den Heiligen Geist und verneint damit das von Gott ausschließlich bestimmte Mittel zur Buße, zur Sündenerkenntnis und damit zur glaubenden Annahme des Opfertodes Jesu sowie die daraus entstehende Hingabe an Gott.69 Jesus deutet hier sowohl die göttliche Natur des Heiligen Geistes an als auch die göttliche Bestätigung seiner eigenen Person und Handlungsweise: Gott vergibt alle Sünden (in Jesu Opfertod); jedoch nicht die Sünde gegen seinen Geist, der durch seinen Sohn wirkt. Lästern βλασφημέω [blasphēmeō] kann zunächst lediglich bedeuten, dass jemand verleumdet wird. Auf Gott bzw. auf den Geist Gottes bezogen, bedeutet βλασφημέω [blasphēmeō] Blasphemie bzw. „Verteufelung des Heiligen Geistes“.70 Wer so lästert, der ist ewiger Sünde schuldig (beachte den wiederholten Verweis εἰς τὸν αἰῶνα – αἰωνίου [eis ton aiōna - aiōniou] sowie die emphatische Betonung „keine Vergebung – ewige Sünde“ οὐκ ἔχει ἄφεσιν …

65 Vgl. Lk 12,10; Did 11,7; EvThom 44. 66 Vgl. Dschulnigg 125, u.a. mit Verweis auf Cranfield 139-140 und Guelich I, 177. 67 Vgl. Art. ἀμήν [amēn], EWNT I, 166-168; Siehe Lane 144; Jeremias, Abba, 149 sowie Pesch I 216. 68 Pesch I 217. 69 Vgl. ähnlich Dschulnigg 126. 70 Pesch I 218. Zum markinischen Gebrauch, siehe 2,7; 7,22; 14,64.71; siehe ferner Apg 26,11; 1Petr 4,4; 2Petr 2,2.10-12; vgl. 1Kor 12,3; 16,22; Gal 1,8-9. Siehe vor allem Art. βλασφημέω [blasphēmeō], EWNT I, 527-531 (Lit. 528).

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ἀλλὰ … αἰωνίου ἁμαρτήματος [ouk echei aphesin … alla … aiōniou hamartēmatos]).71 31-35 Die kurze Notiz über die Familienangehörigen Jesu in 3,21 wird nun als inclusio72 erweitert (vgl. ferner 6,3). Trotz ernster Vorwürfe verwirft Jesus keineswegs seine familiären Beziehungen (vgl. unten, Exkurs 10), sondern stellt lediglich die ursprüngliche Priorität des Willens Gottes (V. 35) über familiäre Treue wieder her (vgl. die Priorität der Treue zu Gott vor Fasten und vor Heiligung des Sabbats). Seine Mutter Maria befindet sich zu diesem Zeitpunkt nicht unter den Nachfolgern Jesu; sie scheint sich zumindest mit den weiteren Familienangehörigen um Jesus zu sorgen, während jene davon überzeugt sind, dass Jesus von Sinnen ist (3,21; vgl. Joh 7,3-9). 32 Siehe, deine Mutter und deine Brüder (und deine Schwestern) fragen draußen nach dir. Jesus hat neben seiner Mutter Maria Halbbrüder (Jakobus, Joses, Judas und Simeon)73 und Halbschwestern.74 Es ist anzunehmen, dass der Pflegevater Jesu, Joseph, bereits gestorben ist. 33-34 Wer sind meine Mutter und (meine) Brüder? Die grundsätzlich und neu konstituierte „Familie“ ist die messianische Gemeinschaft der Jünger Jesu, die Gottes Willen tut: „Siehe, meine Mutter und meine Brüder, (denn) wer den Willen Gottes tut …“ Diese wachsende Gemeinschaft hat einen verbindlichen Stellenwert, ohne die in der Schöpfung begründete „natürliche“ Familie als Bundesgemeinschaft aufzuheben. Umgekehrt benutzt Jesus familiäre Begriffe (Mutter, Brüder), um die Nähe zueinander in der Gemeinschaft der Nachfolgenden zu bekräftigen. Siehe Ps 22,23 („Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern, ich will dich in der Gemeinde rühmen“) als atl. Vorahnung dieses ntl. Sachverhalts (vgl. z.B. Hebr 2,11-12).75 35 Alttestamentliche Vergleiche zur Priorität des Willens Gottes über Familienzugehörigkeit finden sich in Ex 32,25-29 und Deut 33,8-9.76 Bereits der Nachfolgeruf kündigt bei Mk diese Priorität an (1,16-20); spätere Lehre 71 Vgl. Pesch I 218: „Die Sünde ewiger Verdammnis ist die Verweigerung, die sich dem Wirken des heiligen Geistes (und damit der Vergebung selbst) verschließt“. 72 Vgl. Lane 137. Pace Pesch I 222, der mit Schnackenburg I 95, davon ausgeht, dass die Familienangehörigen hier lediglich zu Jesus kommen, „um ihn zu besuchen“. In 3,21 machen sich die Familienangehörigen entrüstet auf den Weg; in 3,31 kommen sie an, um das in 3,21 Ausgesprochene durchzuführen. In 3,21 bleiben die Familienangehörigen deshalb draußen stehen, weil das Haus nach 3,20 überfüllt ist. Pesch scheint diese Indizien auszublenden. 73 Vgl. Apg 1,14. 74 Vgl. Bauckham, Brothers, 686-700. Mt 1,18 verdeutlicht, dass Maria mit Jesus noch als Jungfrau schwanger wurde. Daher ist es angemessen, von Halbbrüdern und Halbschwestern Jesu zu sprechen. 75 Vgl. Lane 148, Anm. 108. 76 So Lane 147, Anm. 105.

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vertieft (10, 28-30; Mt 18,4) und qualifiziert sie (7,9-13). Das Tun des Willens Gottes ist fundamental für die Nachfolge (vgl. Mt 6,10; 7,21ff; 26,42; Lk 12,46f; Joh 7,17; Röm 12,2; Hebr 13,21; 1Petr 4,2).77 Das „Tun des Willens Gottes“ ist nicht vorrangig auf das „Befolgen der Torah“ bezogen, sondern ist vielmehr mit der „Verwandtschaft mit Jesus“ verbunden.78 „Sie sind das von Jesus endzeitlich zu sammelnde Volk Gottes, das Gottes Willen aus der Mitte des Herzens und getrieben durch Gottes Geist tut (vgl. 3,29; Jer 31,31-34; Hes 11,19f; 36,26f)“.79 Allerdings bleibt hier ungeklärt, ob das Tun des Willens Gottes zur Familienzugehörigkeit mit Jesus berechtigt, oder ob die neue Familienangehörigkeit zum Tun des Willens Gottes führt. In der Gesamtlehre Jesu wird jedoch deutlich, dass „messianische Familienangehörigkeit“ durch Glaube an Jesus Grundlage für das Tun des Willens Gottes ist (vgl. Mk 8,3438; Mt 5,17-20). IV zu 3,13-35 Ziel: Rückführung zur Schöpfungsordnung. Mk beabsichtigt, die Ausweitung des Wirkens Jesu zu vermitteln. Diese zeigt sich positiv in der Bestätigung und Berufung der Jünger; sie zeigt sich negativ in der massiven Beschuldigung Jesu, dämonisiert zu sein, sowie in der Spannung mit seiner natürlichen Familie. So, wie sich die Opposition intensiviert und ausweitet, so konsolidiert Jesus den engen Kreis der Jünger und überträgt ihnen Mitverantwortung. Der Wille Gottes ist ausschlaggebend für die Konstituierung der messianischen „Familie Gottes“. Die Jünger werden zwar mit Jesus enger vertraut, erleben jedoch gleichzeitig, wie umstritten ihr Meister und Lehrer ist. Wachstum in der Nachfolge ist daher nicht einfach. Kontextualisierung und Anwendung. Jesus ergreift eine weitere Initiative: Die ursprüngliche Berufung der Jünger als Wegbegleiter stellt sich lediglich als Beginn einer am Ende sehr viel engeren Verbindung mit Jesus heraus. Eine bestimmte Zahl der Jünger soll „mit ihm sein“ sowie die von Jesus vorgelebten Aufgaben der Verkündigung und Dämonenaustreibung übernehmen. Sowohl die Gemeinschaft mit Jesus als auch die durch ihn gestellte Aufgabe ist eng an die Person Jesu gebunden. Jesus prägt durch seine Persönlichkeit und durch seine Tätigkeit. Die Jünger sollen unter seinem ständigen Einfluss stehen und, durch ihn befähigt, das nachleben, was er ihnen vorlebt. Es ist historisch wahrscheinlich, dass Jesus viele reisende (vgl. die Gruppe von treuen Frauen) 77 Schriftverweise bei Pesch I 224. 78 Vgl. Pesch I 224. 79 Dschulnigg 127.

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und ortsansässige Jünger hat. Die Zwölf werden aus diesem größeren Kreis nochmals besonders um Jesus gesammelt. Daraus ergeben sich z.T. Besonderheiten, die nicht ohne Weiteres auf die Nachfolger Jesu im 21. Jh. zu beziehen sind (s.u. Einzelheiten). Aufgrund von Mk 8,34 wird jedoch deutlich, dass Jesus beabsichtigt, die Nachfolge der Zwölf prinzipiell auch auf die Nachfolge des Hörenden zu beziehen. Es bestehen gemeinsame Grundlinien dessen, was Jesus an den Zwölf, an den vielen Nachfolgern z.Z. Jesu sowie an heutigen Nachfolgern bewirkt. Grundsätzlich ist dann von historischen Besonderheiten auszugehen, wenn eindeutig einmalige Ereignisse oder Umstände vermittelt werden. Dies liegt z.B. bei der Ausstattung für die Aussendung der Zwölf vor: Es liegt nahe, dass es sich hier um einmalige Begebenheiten handelt, da bei der Aussendung der Siebzig sowie bei der Verkündigung und Aussendung der Apostel in der Apostelgeschichte andersartige bzw. keinerlei Verweise auf eine bestimmte Ausstattung vorliegen. Sodann können auch aus dem vorliegenden Abschnitt getrost die Konsequenzen für heutige Nachfolger gezogen werden. Damals wie heute ist ein Nachfolger nicht nur jemand, der sich Jesus öffnet und gewillt ist, seinen Willen zu tun,80 sondern jemand, der Gemeinschaft mit Jesus mittels des gegenwärtigen und vermittelnden Heiligen Geistes (Apg 1,8; 10,44-48; Röm 8,9-11) sucht und pflegt (vgl. Joh 17,20-21). Damals wie heute ist das Herzstück dieser Gemeinschaft, sich von Jesu Persönlichkeit, durch sein Lehren und Handeln prägen zu lassen.81 Aufgrund der Tatsache, dass Jesus als erhöhter Herr weiterhin existiert (Apg 3,36) und sowohl durch sein apostolisch beglaubigtes Wort wie auch durch den Heiligen Geist direkt wirkt (vgl. Apg 2,33), ist die Zuversicht, durch die Persönlichkeit Jesu (und damit durch den dreieinigen Gott: vgl. Joh 5,22; 1Joh 2,23; 2Joh 9) direkt geprägt zu werden, auch heute noch realistisch. Der Nachfolger wird mit der Tatsache konfrontiert, dass das „bei Jesus sein“ mit einschneidenden Kosten verbunden ist.82 Dazu gehört, dass die Beziehung zur natürlichen Familie aus der Perspektive Jesu neu bedacht werden muss. In manchen Kulturen ist die Familie der Anfang und das Ausmaß aller Existenz; in anderen Kulturen ist die Familie eher sekundär. Worin liegt die Bedeutung und Funktion der natürlichen Familie? Alle von Gott geschaffenen Institutionen, wie z.B. die Familie, sollen aufgrund der absoluten Priorität der Nachfolge (und damit dem Tun des Willens Gottes) neu betrachtet werden. Jesus 80 Natürlich bedeutet Nachfolge bereits für diejenigen in Jerusalem, die aufgrund der Predigt des Petrus früh zum Glauben kommen, nicht mehr, Jesus buchstäblich „nach-zu-folgen“, sondern mittels der Gegenwart des Heiligen Geistes die Willenshingabe und Gemeinschaft mit Jesus zu pflegen (vgl. Ps 84,5-6). Vgl. Bayer, Peter, 220-221. 81 Vgl. Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, vor allem Kap. III. 82 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, vor allem Kap. I.

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setzt die natürliche Familie nicht in einem prinzipiellen Gegensatz zu Gottes Willen (das ist ein Kennzeichen verschiedener Sekten), sondern er ordnet sie ihm lediglich unter. Alles soll aus der zentralen und absoluten Bedeutung des Willens Gottes gesehen werden. Andererseits bricht Jesus nie die Verbindung mit seiner natürlichen Familie ab. Die messianische Gemeinschaft, die sich um Jesus und damit um den Willen Gottes in Fortführung des herkömmlichen Gottesvolkes bildet, steht in einer kreativen und dynamischen Spannung mit der natürlichen Familie (vgl. Exkurs 10: „Das Verhältnis zwischen Nachfolge Jesu und Loyalität gegenüber der natürlichen Familie“ sowie 1Kor 7,1-16). Die Spannung zwischen der messianischen Gemeinschaft und der natürlichen Familie wird durch ein zusätzliches und besonderes Moment im Leben Jesu verschärft. Jesus muss mit der Tatsache leben, von seinen Halbbrüdern, Halbschwestern und evtl. von seiner Mutter (3,21; Joh 7,5) als verrückt angesehen zu werden. Die Realitätsnähe, die diese Auskunft vermittelt, spricht sowohl für Authentizität als auch für die Tatsache, dass Jesus selbst mit dieser Spannung lebt; eine ähnliche Spannung ist für seine Nachfolger ebenso zu erwarten. Wer „bei Jesus ist“, der muss zusätzlich mit scharfen Beschuldigungen rechnen. Wenn Jesus selbst durch seine Gegner der Gotteslästerung bezichtigt wird, kann – und wird – dies den Nachfolgern ebenso geschehen. Wer vor dem Hintergrund des Korans sagt, dass Jesus der ewige Sohn Gottes sei, der macht sich der Gotteslästerung schuldig: Koran, Sura 4:171; 5:116-117; 19:34-35.88-93; vgl. ferner Sura 4:169; 5:77.

Schließlich warnt Jesus davor, sich dem Wirken des Heiligen Geistes zu widersetzen. Wer dies tut, der kann Jesu einzigartige Überbrückung der Entfremdung des Menschen von Gott nicht erfahren. Die umfassende Vergebung durch Jesu Sühnetod ist dem nicht heilsam, der das überführende Wirken des Geistes und den damit verbundenen Glaubensschritt verpönt. Ferner hört der Nachfolger die Gnadenbotschaft, dass im Werk Jesu alle verheerende Sünde und Sündhaftigkeit getilgt wird. Wer sich dem lebendigen Jesus vertrauend und glaubend öffnet, der folgt dem, der Macht über all die Mächte hat, die den dreieinigen Gott hassen.

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5. Gleichnisse Jesu 4,1-341

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Jesus lehrt diejenigen, die „draußen“ sind, durch Gleichnisse. Für sie dienen die Gleichnisse als ernsthafte Warnung vor bevorstehendem Gericht (V. 1012). Den Jüngern dienen die Gleichnisse allerdings als Lehrmittel. Jesus lehrt oft durch Gleichnisse (vgl. oben, 6.2.a, Interpretation von Gleichnissen), d.h., er benutzt Worte, Begriffe und Geschichten, um durch deren übertragenen Sinn eine einfache und eindringliche Botschaft zu vermitteln (hebr. Maschal). Ein zentrales Thema ist hierbei die messianische Herrschaft Gottes. Jesus versucht, den Jüngern deren verborgene Eigenart und Besonderheit durch übertragene Redeweise zugänglich zu machen. Er vermittelt dadurch ferner die Tatsache, dass er nicht nur Verkündiger der bevorstehenden Herrschaft Gottes ist, sondern diese selbst einführt, um neues und von Sündhaftigkeit befreiendes Leben zu spenden. Wer unter die messianische Herrschaft Gottes kommt, der muss die fest verwurzelte und umfassende Realität persönlicher und gemeinschaftlicher Autonomie Gott gegenüber ablegen (Tod der Selbstsicherheit). Der Mensch lebt entweder unter dem neuen Einfluss Jesu als Vermittler der Herrschaft Gottes, oder er bleibt an das „Königreich der Eigenbestimmung“ gebunden. Das Wachstum unter der Herrschaft Gottes geschieht zunächst unscheinbar (4,1-34). In den Gleichnissen vom Königreich beschreibt Jesus, wie Gott seine Herrschaft aufbaut (4,1-32) und wer der Gott des Königreichs ist: Er offenbart sich vor allem als Vater (Mt 6,26), der einlädt (Lk 15,3-32) und einst richten wird (Mt 25,34.41). Die vier Gleichnisse in Mk 4,3-32 betonen vor allem, wie Gott als König direkt, persönlich und fruchtbringend auf das Herz der Menschen einwirkt. Synoptischer Vergleich: Befund. Die Synoptiker präsentieren das Gleichnis vom Sämann, seine Interpretation sowie einen jeweils eingeschobenen Ab1 Lit.: Berger, Formen, 81-120 mit weiterer Lit. 81-82; Black, Parables, 273-287; Jeremias, Gleichnisse, 7-14.26-27.38.75-84.89-93.97-106.109-110.120.145-153; Moule, Mark, 95111; Payne, Authenticity, 163-207; Wenham, Interpretation, 299-319; vgl. ferner Blomberg, Gleichnisse, ad loc.; Dodd, Parables, ad loc.; Flusser, Gleichnisse, passim; Jülicher, Gleichnisreden, passim; Räisänen, Parabeltheorie, ad loc.; Klauck, Allegorie, ad loc.; Gnilka, Verstockung, ad loc.; Bailey, Poet, passim. Siehe ferner Lit. zu den Einzelabschnitten. Weitere Lit. bei: Pesch I 227-228.429 (bis 1980). Zur textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch I 228, Anm. a-b; 236, Anm. a-c; 242, Anm. a-c; 247, Anm. a-c; 251, Anm. a-b; 255, Anm. a-b; 260, Anm. a; 265, Anm. a; France 181; Lane 152, Anm. 12-13; 160, Anm. 36-37; 164, Anm. 47-48; 170, Anm. 70-72.

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schnitt über die Bedeutung der Gleichnisrede Jesu parallel zueinander (Mt 13,1-15.18-23 / Mk 4,1-20 / Lk 8,4-15). Nur Mt fügt Jesu Segensspruch über die Jünger als Augenzeugen hinzu (Mt 13,16-17). Der synoptische Vergleich, spezifisch zum Abschnitt über die Bedeutung der Gleichnisrede Jesu, ergibt folgendes Bild: Mk 4,12 vermittelt (mit Jes 6,9-10, MT und LXX) die Endgültigkeit und damit Gerichtsreife der Hartherzigkeit; die Seitenreferenten Mt 13,13 und Lk 8,10 scheinen diese absolut scheinende Aussage im Sinne des Jesaja-Targums abzuschwächen (siehe Einzelauslegung). Mit Lukas (Lk 8,1618) verfolgt Markus weiterhin das Thema „Gleichnisse“ (u.a. das rechte Hören der Gleichnisse, Mk 4,21-25 / Lk 8,16-18; vgl. Mt 13,122). Mk 4,26-29 ist markinisches Sondergut. Mit Matthäus bietet Markus das Gleichnis vom Senfkorn (Mt 13,31-32 / Mk 4,30-32; vgl. Lk 13,18-193) und schließt mit Mt den Abschnitt durch eine zusammenfassende Aussage Jesu über die Gleichnisrede ab (Mt 13,34-35 / Mk 4,33-34). Auswertung: Mk konzentriert sich (wie Mt) auf das Thema „Gleichnisse“ (einer der wenigen längeren Lehrabschnitte bei Mk). Entsprechend des Grundcharakters des markinischen Berichtes, ist der Inhalt stärker gerafft (u.a. weniger Gleichnisse) als bei Mt. Literarischer Kontext. Es handelt sich bei Mk 4,1-34 um einen der größeren Lehrabschnitte im Mk Ev. (vgl. ferner 7,1-23 sowie 13,3-37). Der Abschnitt 4,10-20 gilt als narrativer Einschub4 in den Handlungsablauf des Lehrens vom Boot aus (siehe Jesus im Boot in 4,1 und 4,36).5 Dieser Einschub hebt hervor, dass Gemeinschaft mit Jesus auch im Bereich des Verstehens Konsequenzen hat: Jesus eröffnet den Jüngern den Einblick in die grundsätzliche Bedeutung seiner gleichnishaften Rede in der Öffentlichkeit (4,2.1012) und erklärt ihnen ein konkretes und grundlegendes Gleichnis (4,13-20). Der V. 34b (κατ᾽ ἰδίαν δὲ τοῖς ἰδίοις μαθηταῖς ἐπέλυεν πάντα [kat᾽ idian de tois idiois mathētais epelyen panta]) bekräftigt die Tatsache, dass Jesus seinen 2 Guelich 227 bemerkt, dass einzelne Logien aus Mk 4,21-25 in Mt 5,15 (Mk 4,21), Mt 7,2 (Mk 4,24c) und Mt 10,26 (Mk 4,22) enthalten sind. Aufgrund der Tatsache, dass Jesus als Wanderprediger viele seiner Aussagen oft wiederholt, ist ein mehrfacher historischer Kontext für einzelne Aussagen durchaus möglich (Pace Guelich 227: „… but the original context so important for determining their meaning in that setting has been lost to us“). 3 Vgl. EvThom 20; so Guelich 247. 4 Historisch ist die private Unterweisung der Jünger (4,10-20) zu einem späteren Zeitpunkt anzunehmen. Guelich, 199-203 bietet eine komplizierte, redaktionell konservative Erklärung (siehe dort die sehr differenzierte Darlegung der einschlägigen Diskussion der alten, formkritischen Schule), die sich mit der plausiblen und einfachen Annahme eines separaten historischen Ereignisses (private Unterweisung der Jünger in 4,10-20) erübrigt. 5 Lane 155. Siehe oben die Einzelbemerkungen zu Mk 1,19-20.

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5. Gleichnisse Jesu 4,1-34

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Jüngern auch andere Gleichnisse erklärt.6 Der Begriff des „Hörens“ wird in 4,3-33 dreizehn Mal benutzt (neun Mal in 4,3-20). Form und Aufbau: Die Gleichnisrede gilt als anschauliche Erzählung (narrativer Diskurs), die Inhalte sowohl bildhaft (Charakteristikum) als auch indirekt (wie alle narrativen Texte) vermittelt (siehe oben, Einleitung, 6.2.a, Interpretation von Gleichnissen). Der Aufbau von 4,1-34 ist wie folgt: 1. 4,1-2, Einleitung; 2. 4,3b-8, zweigliedriges, allegorisch angelegtes Gleichnis7 (die Saat abstoßender [dreigliedrig] und sie aufnehmender Boden) mit Aufruf zum Hören (4,3a.9); 3. Parabelgeheimnis, 4,10-12 als Unterweisung der Jünger; 4. 4,13-20, allegorische Deutung des Gleichnisses als Unterweisung der Jünger; 5. 4,21-32, Unterweisung der Menge; 6. 4,33-34, abschließendes Summarium in Form eines antithetischen Parallelismus8 zum Thema „Jesu Lehre in Gleichnissen“.9 Motivgeschichtlicher Hintergrund. Das Bild des Pflanzenwachstums spricht gegen zelotische, strikt endzeitlich-apokalyptische Erwartungen sowie die Vorstellung eines plötzlichen Eingreifens Gottes, wie es bei Qumran der Fall ist. Vielmehr vermittelt dies die Vorstellung eschatologischer Ereignisse, die Aspekte des endgültigen „Tag des Herrn“ vorwegnehmen. Da die Gleichnisse Jesu bei Mk Aspekte des Königreiches Gottes beleuchten, widmen wir uns im folgenden Exkurs zunächst diesem Thema. Exkurs 5: Das messianische Reich Gottes10 Gemäß dem AT ist es die Schöpfungsabsicht Gottes, ein Universum zu schaffen und zu bewahren, welches auf der Erde eine Vielfalt von Lebensformen ermöglicht, innerhalb dessen der Mensch als Krönung dieser Schöpfung lebt. Die Menschheit existiert, um „mit Gott zu wandeln“ und somit seine Schöpfung zu kultivieren und zu bewahren (Gen 1,28; 2,15-19). Trotz des Sündenfalls (Gen 3) bleibt diese Schöpfungsabsicht bestehen, wobei Jahwe der Menschheit zugleich heilend und versöhnend nachgeht, um sie durch Umkehr wieder als Volk 6 7 8 9 10

Vgl. Guelich 190. Berger, Formen, 118. Guelich 255. Guelich 254. Siehe oben, Bemerkungen zu 4.3. Lit.: Art. βασιλεία [basileia] EWNT I, 483-491 mit Lit. (481-482); Vgl. Bayer, Art. Reich Gottes, a) biblisch, LThG, 1676b-1677a; Beasley-Murray, Kingdom of God, 19-30; Blomberg, Response, 31-36; Boring, Kingdom, 131-146; Calvin, Institutes, I 525; Caragounis, Kingdom, 223-238; Hedrick, Parable, 179-199; Henry, Re­ flections, 39-49; Ladd, Kingdom, 230-238; O’Neill, Kingdom, 130-141; Rowe, Kingdom, 13-86.88-161; Thomas, Reign, 11-16; Vos, Theology, 372-387; Wehnert, Teilhabe, 81-96; Wright, Jesus, 198-243; vgl. ferner Bock, Jesus, passim; Dodd, Parables, ad loc

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zu segnen. Die oben beschriebene alttestamentliche Erwartung des „Kommens Jahwes“ (siehe oben, 4. sowie 4.1.2.b; vgl. Jes 40,3) geschieht mittels des Gesandten und Bundesboten (Mi 3,1-2; vgl. mit Mi 5,3: „Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes“, Luther 1984). Die Erwartung der messianischen Herrschaft Gottes knüpft somit an diesem Punkt an: Gott ist immer segnender Herrscher über seine Schöpfung (vgl. etwa Ps 29,10; 47,6-9; 95,3; 103,10.19; 145,13; Jes 6,5; 24,21ff; Jer 10,10; 46,18; vgl. 1QH10,8; 4Q381) sowie Herrscher über alle Nationen (2Chron 20,6b). Er ist letztendlicher Herr über die rebellische Menschheit sowie über die Feindschaft Satans. Zwar ist das Begriffspaar „Königreich Gottes“ im AT selten belegt,11 die Vorstellung – vor allem die der herrschenden Macht Gottes – wird jedoch häufig erwähnt (siehe oben, 4.1 und 4.3). In der Heilsgeschichte wird deutlich, dass Gott (Jahwe) der einzige Herr ‫[ ָאדֹון‬adon] / κύριος (gegenwärtig und zukünftig) seines Volkes ist (vgl. etwa Ex 15,18; 19,6; Ps 10,16; Ps 29,10; Ps 114,7; Jes 24,23; 43,15; Jer 31,31-34; Sach 14,1-10; Ob 21; vgl. TargJes 40,9; 52,7 und 11QPsa28,7-8), auch wenn dies z.T. mittelbar durch verschiedene Propheten, Priester und Könige geschieht (Deut 18,15.18 [4Q175]; Jes 9,11; Jer 33,1516; Hes 11,17; 34,23f; Am 9,11.13-15; vgl. 4QDibHam; 4QFlor; 4QMess Apk; 4Q381; PsSal 17; 18). In Ps 2; 110,1.5; Jes 2,12-17; 9,6-7; 11,1-5; 35,4-5.10; 40,1-11; 53,1-12; Jer 33,14-18; Dan 7,13-27; vgl. 2Sam 7,11-16; Jer 30,4-9; Hes 34.23-31; 37,26ff; Dan 2,36-45; Mi 4,1-5; Apg 2,30-31 (vgl. CD 20,25-26) liegen sowohl diesseits-irdische (10,48) als auch transzendent-kosmische (14,25), gegenwärtige und zukünftige Elemente vor, die erst im Kommen Jesu miteinander verbunden werden.12 Parallel zu unterschiedlichen Messiaserwartungen (siehe oben, 4), bestehen z.Z. Jesu ebenso unterschiedliche Erwartungen der Herrschaft Gottes. Dominant ist die oben erwähnte, weit verbreitete Erwartung einer politisch ausgerichteten, diesseitig-theokratischen Herrschaft Gottes (mit Befreiung von römischer Unterdrückung) unter der Führung eines irdischen, „davidischen Königs“. Es bestehen jedoch unterschiedliche Meinungen im zwischentestamentlichen Judentum hinsichtlich der Art und Weise, wie diese Theokratie aufgerichtet wird (z.B. militärische Gewalt oder göttliche Intervention). Am Rande bestehen ferner apokalyptisch ausgerichtete Erwartungen des Gottesreichs.13 Im Gegensatz hierzu lehrt Jesus eine vom AT herrührende, viel breiter angelegte Sicht über die andersartige Aufrichtung der messianischen Herrschaft Gottes sowie seiner ganz eigenen Züge. Grundsätzlich vermittelt Jesu Lehre über die messianische Herrschaft Gottes (gen. auctoris, vgl. 1,15; 9,1; 14,25; 15,43) 11 Vgl. Ladd, Kingdom, 230-238. 12 Vgl. Ladd, Kingdom, 230-238; Vos, Theology, 372. 13 Dies im Gegensatz zur Lehre Jesu, die das Reich Gottes den außenstehenden, verachteten jüdischen Mitbürgern sowie Samaritern in Aussicht stellt; vgl. Art. βασιλεία [basileia] EWNT I, 481-491.

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eine universale Fortführung des erwählten Volkes unter Gott (13,10), wobei diese universale Herrschaft jetzt jenseits von politischen (theokratischen) Eingrenzungen liegt, und die begrenzte Konzentration auf ein bestimmtes Land (Israel) zugunsten der ganzen Erde ausgeweitet wird (vgl. Apg 1,6 mit 1,8 und 3,21). Dies geschieht unter Einbeziehung jüdischer (siehe den „heiligen Rest“ in Röm 9–11) sowie heidnischer Menschen. Es entsteht ein weltweites, messianisches Volk Gottes (Mk 13,10). Seit seiner Auferstehung und Himmelfahrt herrscht Jesus auf dem „Thron Davids“ (Apg 2,30; vgl. 1Kön 2,45; Dan 7,13-27) über die ganze Welt. Dies erfolgt als Erfüllung der Verheißung an Abraham (Röm 4,13). Menschen aus allen Nationen kommen zu ihm (13,10; [16,15]) um den einen, wahren und dreieinigen Gott anzubeten (Joh 4,21-24). Was die unterschiedlichen Gottesreich-Erwartungen z.Z. Jesu ferner verbindet, ist die Antizipation eines neuen Äons, der den gegenwärtigen, von Gott abtrünnigen Äon ersetzt (Mt 3,1-12; 12,32; siehe den Kontrast hierzu in Offb 11,15). Die Besonderheit der Lehre Jesu besteht darin, dass die erwartete, zukünftige Gottesherrschaft (Joh 18,36) mit seiner Person bereits im alten Äon real wirksam wird (4,26; Lk 4,21 / Jes 61,1-2; Mt 11,2-6 / Jes 35,5-6; vgl. unten, Exkurs 12), einschließlich der Entmachtung Satans (Mt 12,29; siehe insgesamt das Thema des Kampfes gegen satanische Mächte). Dies ist ein genuin eschatologisches Ereignis. Ferner wird dadurch deutlich, dass Jesus trotz seines bevorstehenden Todes damit rechnet, am kommenden Reich teilzunehmen (Mk 14,25). Die göttliche Notwendigkeit seines Todes als Menschensohn (Mk 8,31; 9,31; 10,32-34; Lk 12,49-50), die Gewissheit seiner Rechtfertigung und Auferstehung (Mk 8,31; 9,31; 10,32-34), die soteriologische Bedeutung seines Todes (Mk 2,10f; 10,45) sowie der Verweis auf den neuen Bund in seinem Blut (Mk 14,24) bezeugen, dass durch Überwindung der Tauf- und Kelch-Krisis des Gottessohnes (Mk 10,38-39; 14,36) der Grundstein der ewigen messianischen Gottesherrschaft gelegt wird (vgl. Mk 12,10). Umkehr und Vergebung durch Jesus sind somit eng mit dem Kommen der Herrschaft Gottes verknüpft (Mk 4,12; vgl. Mk 1,14-15 / Jes 52,7; siehe Ps 32,5).14 Das heißt, der von Gott entfremdete Mensch soll als Nachfolger Jesu wieder unter die der Schöpfungsabsicht entsprechenden richtungweisenden und fürsorglichen Autorität und Führung Gottes gelangen; siehe die Begriffe „empfangen“ bzw. „eingehen“ (Mk 4; Mt 13; Lk 8 sowie Mt 6,33; 11,11; Lk 7,28; 18,17). Autonome Menschen werden zur Buße und zum Vertrauen auf Jesus gerufen (10,17.23-26.30). Dadurch gelangen sie wieder unter die Herrschaft Gottes. Jesu Lehre von der Herrschaft Gottes ist z.T. äußere Beschreibung dessen, was im Kommen des Messias Gottes und dessen Nachfolgeruf persönlich vermittelt wird: Jesus lebt und lehrt, um Menschen in der persönlichen und ge14 Rowe, Kingdom, 158 und passim vermutet einen Bezug zu Jes 52,7 und damit zu Gottes direkter Herrschaft (vgl. die Psalmen der königlichen Herrschaft Jahwes).

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meinschaftlichen Nachfolge unter die lebensnotwendige und ewig bleibende, direkte Herrschaft Gottes zurückzuführen.15 Ein Vergleich der engen Beziehung zwischen Jesu Lehre von der „Herrschaft Gottes“, der „Erlösung“ und dem „ewigen Leben“ in Mk 10 verdeutlicht dies: „Ewiges Leben“ (10,17.30; vgl. oft im Johannesevangelium); „Erlösung“ (10,26); „Eingehen ins Reich Gottes“ (10,15.23-25; vgl. Joh 3,3.5). Wie bei den anderen synoptischen Evangelien liegt bei Mk sowohl der Aspekt des gegenwärtigen (oder realisierten) Reiches16 (Mk 1,15; 9,1(?); 10,14-15.23-25; 12,34; vgl. Lk 11,20; 16,16; 17,20-21; Mt 11,13; 12,28f; 13,16) als auch der Aspekt des zukünftigen, sichtbaren Reiches (Mk 9,4748; 14,25; Mt 6,10; 25,34; Lk 16,19-31; 19,11) vor. Gelegentlich mögen beide Aspekte konvergieren (Mk 4,11.26.30; vgl. die zeitlich neutrale Aussage in Mk 15,43). Nach der Lehre Jesu vergeht der gegenwärtige, Gott feindlich gegenüberstehende Äon erst im Letzten Gericht (siehe die Bemerkungen zu 13,1-37). Erst danach besteht ausschließlich die Realität der ewigen Herrschaft Gottes über seine gesamte, erneuerte Schöpfung (vgl. Joh 18,36). Bis zum Letzten Gericht lebt das weltweit wachsende und zu Gott umkehrende Volk (1,14-15; 4,12) somit ein neues, ewig währendes Leben inmitten dieses alten Äons. Es wächst zu einem „lebendigen Tempel“ zur Ehre Gottes heran. Ein derartiges Leben gedeiht inmitten der Spannung von „schon“ und „noch nicht“, auch im Kampf gegen das Böse (Mt 12,29). Ferner ist charakteristisch, dass das Reich Gottes bescheiden und unscheinbar beginnt (vgl. z.B. Mk 4,26),17 jedoch einem überaus triumphalen, zukünftigen Ende entgegenstrebt. Unabhängig davon, wann dieses Ende kommt, gilt bereits jetzt folgende Maxime: Wo Jesus ist, ist das ewige Reich Gottes bereits angebrochen, allerdings noch nicht vollständig realisiert. In den Königreich-Gleichnissen Jesu wird Gott als Vater (Mt 6,26; Lk 12,32), als Einladender (Mt 22,1ff; Lk 14,16ff; Lk 15; vgl. Mk 2,15-17) sowie als Richter (Mt 25,34.41) besonders charakterisiert. Die drei Gleichnisse in Mk 4 verbindet die Tatsache, dass Gott direkt18 wirkt und Wachstum schenkt: Im Gleichnis vom Sämann (4,1-20) ist es das Wort Gottes, d.h. vor allem Jesu Leben und Lehre, das die „Frucht“ der Versöhnung, der Anbetung und der ganzheitlichen Vermittlung der guten Nachricht bewirkt. Der Nachfolger wird aufgerufen, im Vertrauen auf Gott ganz loszulassen, um viel Frucht zu tragen (Joh 12,23-24). Im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat 15 Vos, Theology, 387, der im Gegensatz zum Eigenbezug des Menschen auf Gottes Macht (Mt 12,28), Gerechtigkeit (Mt 6,33), Gesetz (Ps 72 und Jes 33,22) sowie auf die Gabe des Glaubens (Mk 9,17-24) aufmerksam macht. 16 Vgl. Calvin, Institutes, I 525, der betont, dass Jesu Ankündigung der Herrschaft Gottes Glaube, Sündenvergebung, Erlösung und Leben in Christus beinhaltet. A.a.O., II 189 bemerkt Calvin, dass Gott dann herrscht, wenn der Mensch Gottes Gerechtigkeit sucht und deshalb seine Eigeninteressen aufgibt. 17 Vos, Theology, 374 und 387. 18 Vgl. Rowe, Kingdom, 158.

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(4,26-29) ist es die Tatsache, dass Gott Wachstum (= Reifeprozess bzw. Heiligung in der Nachfolge) bewirkt. Im Gleichnis vom Senfkorn (4,30-32) ist es die Tatsache, dass ein geringer Anfang des neuen Lebens mit Gott zu einem verheißungsvollen Ende führt.19 Gott wirkt. Der Skeptiker, der die Stimme Gottes nicht direkt hört, soll wissen, dass Gott wirkt. Das Problem ist letztendlich nicht das vermeintliche Schweigen Gottes, sondern die fehlende Bereitschaft des Menschen, die Leben spendende Mitteilung Gottes so aufzunehmen, dass sie ihn durch die Kraft Gottes von innen heraus ändert.

5.1 Das Gleichnis vom Sämann 4,1-9 Das Mk Ev. enthält relativ wenige Beispiele der Gleichnislehre Jesu (vgl. oben, 6.2.b, sowie die Bemerkungen zu 3,23 und vor allem 4,10-12; 7,17; 12,1-10). In Mk 4 kommt der Begriff παραβολή [parabolē] acht Mal vor.20 Wie bereits bemerkt (siehe oben, Einleitung, 6.2.b), gehören manche „Parabeln“ Jesu zur Kategorie eines Simile (= „womit kann ich [dies] vergleichen“, 4,26-29.3032). Manche Geschichten Jesu sind Gleichnisse im engeren Sinn des Wortes („Parabel“), wobei eine kurze Geschichte (Bildebene) jeweils nur einen Bezugspunkt zur beabsichtigten Aussage (Sachebene) aufweist. Schließlich sind manche Geschichten als eng begrenzte Allegorien zu verstehen (Ansammlung von Metaphern), bei denen lediglich zwei oder drei Hauptbeziehungen zwischen einer Erzählung und der beabsichtigten Aussage (Sachebene) vorliegen (vgl. 4,3-9.13-20; 12,1-12). Das vorliegende Gleichnis und seine allegorische Erklärung (4,1-20) führt in eine Grundwahrheit (vgl. 4,13) des messianischen Gottesreiches ein: Die angemessene Reaktion auf Jesu Lehre vom anbrechenden Königreich sowie auf seine eigene Identität ist Sache eines empfänglichen, lernbereiten Herzens.21 I 1 Und wieder einmal begann er, am See zu lehren; und sehr viel Volk versammelt sich bei ihm, sodass er ins Boot steigt und (so) auf dem See sitzt; und alles Volk war am Ufer. 2 Und er lehrte sie vieles mithilfe von Gleichnissen und sprach zu ihnen in seiner Lehre: 3 „Hört zu: Siehe, der Sämann ging aus zu säen. 4 Und es geschah beim Auswerfen der Saat, dass etwas davon am Weg entlang herabfiel, und die Vögel kamen und fraßen 19 Vgl. Schlatter, Geschichte, 348-349. 20 Mk 4,2.10.11.13(2x).30.33.34. Vgl. Köstenberger/Bouchoc 252. 21 Boring 112, mit Verweis auf Tolbert, Sowing, 164-165.

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es auf. 5 Anderes (Saatgut) fiel auf felsigen Boden, der nicht viel Erde hatte, und gleich ging es auf, weil die Erde nicht tief war; 6 und als die Sonne aufging, wurde es versengt und es vertrocknete, weil es keine Wurzeln (getrieben) hatte. 7 Und anderes22 fiel in die Dornen, und das Gestrüpp ging auf und erstickte das Saatgut und es trug keine Frucht. 8 Und anderes fiel auf guten Boden und brachte Frucht hervor, indem es wuchs und sich entfaltete, und trug dreißigfach, sechzigfach und hundertfach (Körner)“. 9 Und er sprach: „Wer Ohren hat zu hören, der höre“.23 II Mk 4,3-9 (vgl. Mk 4,13-20) ist zunächst als Maschal zu identifizieren: Aufgrund des Kontexts und der inneren Struktur ist Mk 4,3-9 sodann ein begrenzt übertragen zu interpretierendes Gleichnis24 zum Thema „Vergehen oder Frucht bringen“25 (s.u., Einzelauslegung zu V. 3) mit abschließendem Warnruf.26 Das Gleichnis gliedert sich in Einleitung (V. 1-2); Schilderung des Sämanns (V. 3); dreifach unterschiedene Bodenbeschaffenheit, die das Wachstum der ausgesäten Saat behindert (V. 4.5-6.7); Boden, der das Wachstum der ausgesäten Saat in dreifach unterschiedener Weise begünstigt (V. 8).27 Mk 4,13-20 enthält sodann eine allegorische Interpretation28 der Bildhälfte bzw. Bildebene,29 die analog zum Aufbau des Gleichnisses in 4,3-9 folgt: V. 3 entspricht V. 14; V. 4 – V. 15; V. 5f – V. 16f; V. 7 – V. 18f; V. 8 – V. 20.30

22 NA28 liest ἀλλά [alla], Neutr. Plur. Eine wörtliche Übersetzung wäre somit „andere“ (… Samen/Körner). Wir übersetzen „anderes“ (… Saatgut), was ebenso den Sinn einer Menge vermittelt. 23 Lit.: Berger, Formen, 117-120; Black, Parables, 273-287; Jeremias, Gleichnisse, 7-8.24.7577; Moule, Mark, 95-113; Payne, Authenticity, 163-207; Wenham, Interpretation, 299-319; Blomberg, Gleichnisse, Kap. 7.3; Dalman, Acker, 120-132; Lohfink, Gleichnis, 36-69; vgl. ferner Dodd, Parables, ad loc.; Gnilka, Verstockung, ad loc; Klauck, Allegorie, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 235-236.429 (bis 1980); Guelich 186-187 (bis 1988). 24 Vgl. Berger, Formen, 118 und Blomberg, Gleichnisse, Kap. 7.3. 25 Berger, Formen, 104. 26 Pesch I 231.235 spricht von „Weckruf“. 27 Vgl. Berger, Formen, 118 und Blomberg, Gleichnisse, Kap. 7.3. 28 Pesch I 242 verweist auf 1QpHab, als Analogie zur Art der Allegorisierung in 4,13-20. 29 Berger, Formen, 97-98. 30 Vgl. Pesch I 243.

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III 1 Jesus konzentriert sich nach wie vor auf das Lehren.31 Die Popularität Jesu (vgl. 2,2; 3,7; 5,21; 6,30; 7,1) wächst mehr und mehr.32 2 Mk führt Beispiele (er lehrte sie vieles; vgl. 6,34f) der Gleichnislehre Jesu an. Jesu Gleichnisse (vgl. 3,23) beziehen sich oft auf anschauliche Tatsachen aus der Natur oder aus dem täglichen Leben. Die Gleichnisse Jesu dienen vor allem dem Zweck, den Hörern das nicht leicht zugängliche Thema der messianischen Herrschaft Gottes nahezubringen.33 Der rhetorische Zweck von Gleichnissen (s.o. 5. II) besteht im alttestamentlichen und zeitgenössischen Judentum aus zwei Aspekten: 1. Zum einen dienen sie bei fortwährender Hartherzigkeit des Gottesvolkes als Höchstwarnung, vor allem im Kontext der prophetischen Bußrede (vgl. z.B. 2Sam 12,1-10; 14,5-20; Jes 5,1-7; Hes 17,212). 2. Zum anderen werden sie als einprägsames, pädagogisches Lehrmittel verwendet (s.u., Einzelauslegung zu 4,10-12). Denjenigen, die mit offenem Herzen auf die Gleichnisse hören, eröffnen sie wichtige Einblicke in die Absichten Gottes. 3 Der Aufruf zum Hören bildet in V. 3 eine inclusio mit V. 9.34 Zur Interpretation des Gleichnisses ist es notwendig, zunächst die (literarische und inhaltliche) Aussageabsicht der Bildhälfte bzw. Bildebene35 zu verstehen. Es ist wichtig, weder willkürlich zu allegorisieren, noch pauschal vorauszusetzen, dass jedes Gleichnis eine Parabel im engen literarischen Sinn des Wortes sein muss (s.o., 5. II). Ferner soll vor allem die rhetorische und literarische Analyse jedes Gleichnisses als Ausgangspunkt dienen, um textbezogen von der Bildhälfte (Bildebene) zur Sachhälfte bzw. Ausgangsebene36 zu schreiten.37 Das vorliegende Gleichnis ist durch folgende Merkmale besonders ausgezeichnet: 1. Es liegt eine „Beziehung zu Gericht in der Zukunft und zu Scheidung und Entscheidung jetzt vor“. 2. Die Struktur „von Anfang und Ende“ (Saat-Ernte) fällt auf.38

31 Keener, Background, 144 bemerkt, dass eine größere Bucht am See Genezareth nahe Kapernaum für etwa siebentausend Menschen Platz bietet, in der die Stimme eines vom Boot aus Sprechenden gut hörbar ist. Zur Beschreibung eines römischen Bootes aus der Zeit Jesu siehe oben die Einzelbemerkungen zu Mk 1,19-20. 32 Vgl. Pesch I 230. 33 Siehe BDAG 617. 34 Lane 153. Vgl. Dschulnigg 132, der bei dem Stichwirt „Hören“ an Deut 6,4-5 erinnert (vgl. Bemerkungen zu V. 9). 35 So Berger, Formen, 97-98. 36 Berger, a.a.O. 37 Vgl. Blomberg, Gleichnisse, Kap. 5, Abschnitt 5 und passim. 38 Berger, Formen, 104.

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Das Bild des Sämanns ist der weit verbreiteten Agrargesellschaft gut vertraut. Das Aussäen entspricht den landwirtschaftlichen Gepflogenheiten und geologischen Gegebenheiten Palästinas im 1. Jh. n.Chr. Es beschreibt die einfache Tatsache, dass Frucht dort wächst, wo fruchtfördernder Boden vorliegt. Die Saat enthält die gesamte „Information“, die zum Fruchttragen notwendig ist. Die Erde ist lediglich „Gastgeber“. Zwei grundsätzlich unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten werden beschrieben: 1. Verschiedene Formen von „ungastlichen“ Bodenarten, die am Ende alle unfruchtbar bleiben; 2. „Gastfreundlicher“ Boden, der unterschiedlichen Ernteertrag abwirft. Jesus vermittelt eine allegorische Interpretation (V. 13-20; siehe oben, 5.1. Einführung) der Geschichte (V. 3-9). Im Folgenden sollen einige Details genannt werden. 4 Der hier beschriebene Bauer benutzt eine von zwei ihm vertrauten Möglichkeiten: In dieser Erzählung sät er (als weniger verbreitete Gewohnheit) auf ungepflügten Boden beim Auswerfen der Saat.39 Alternativ könnte der Bauer auch vor dem Aussäen pflügen (häufiger verbreitet). V. 7 deutet an, dass der Bauer auch nach dem Säen nicht pflügt. Allerdings muss man sich hierbei ein Stück Land vorstellen, das vor allem guten Boden aufweist. Dies ist aus geologischen und vor allem aus grammatikalischen Gründen (s.u.) wahrscheinlich. Das Bild der Vögel, die etwas von der Saat auffressen, hat eine prägnante Parallele in Jub 11,11: „Da schickte der Fürst Mastema [= Satan] Raben und andere Vögel, damit sie die auf dem Boden gesäte Saat fräßen, zum Zwecke, die Erde zu verderben und so die Menschen ihres Arbeitsertrages zu berauben. Bevor sie den Samen einpflügten, pickten ihn die Raben vom Boden auf“.40 Während in den Versen 4, 5 und 7 jeweils im Singular von „etwas Saat“ die Rede ist (ὃ μὲν … ἄλλο … ἄλλο … [ho men … allo… allo …]), wird ἄλλα ([alla], Plural; wörtlich etwa: „die andere Saat“ oder „die anderen Samen/Körner“) für das Aussäen des Samens auf fruchtbaren Boden benutzt (V. 8). D.h., viel Samen fällt auf fruchtbaren Boden, jeweils nur etwas auf unfruchtbaren Boden. Der geschilderte Weg ist wohl kein permanenter Weg, sondern ein von Jahr zu Jahr nach Aussaat wechselnder Gehweg. Saat kann auf diesen (engen) Trampelwegen nicht aufgehen. 5-6 Ohne Pflügen kommen Steine im Boden nicht an die Oberfläche. So können diese das Wachsen der Saat, besonders bei Trockenheit und Hitze (und als die Sonne aufging, wurde es versengt und es vertrocknete, weil es keine Wurzeln getrieben hatte) verhindern. 39 Siehe die Verweise in Lane 153, Anm. 15, die vor allem auf Dalman, Acker, 120-132, zurückgehen. Siehe Pesch I 232 und Anm. 15, der Vertreter der verschiedenen Positionen vorstellt. Vgl. Jeremias, Gleichnisse, 7-8. 40 Zitiert nach Pesch I 232.

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7 Weniger wahrscheinlich scheint in der Landwirtschaft das Dulden von dornigem Gestrüpp zu sein, es sei denn, die Pflanze ist relativ klein und niedrig und nicht sehr verbreitet (siehe oben zu V. 4). Der Bauer im Gleichnis duldet jedoch das Aufwachsen des (nicht allzu häufig vorkommenden) dornigen Gestrüpps.41 Das Ausbleiben von ertragreicher Frucht (καρπός [karpos]),42 kann auf alle bisher geschilderten Fälle angewendet werden.43 8 Der fruchtbare Boden begünstigt das Aufgehen, Wachsen und ertragreiche Reifen (ἐδίδου καρπόν [edidou karpon]) der eingesäten Saat. Hundertfacher Ertrag (vgl. Gen 26,12: hundertfache Frucht als Segenszeichen)44 grenzt an das landwirtschaftlich Realisierbare45 und berührt (bereits absichtlich?) den Bereich der Hyperbel. 9 Jesu Gleichnisrede entspricht bei Hartherzigkeit einem ultimativen Warnruf zur Buße. Nicht jedermanns Ohren und Herzen nehmen das Gehörte wirklich auf (vgl. Ps 115,5-8; Jes 6,10; 43,8; 44,18 Hes 12,2).46 Im AT wird immer wieder betont, was es bedeutet, „mit dem Herzen zu hören“, und was geschieht, wenn dies unterbleibt (vgl. z.B. Ps 115,5-8; Jes 6,9-10; 29,13; 43,8; 44,18; Jer 5,21; Hes 12,2). Ein derartiges Hören erfordert von den Menschen, dass sie Selbstgenügsamkeit zugunsten von Gottvertrauen aufgeben. Das Gleichnis vom Sämann, in Verbindung mit Jesu allegorischer Auslegung, enthält nicht weniger als neun Verweise auf das „Hinhören“ (4,3.9 [2x].12 [2x].15.16.18.20; vgl. 4,23 [2x].24.33; 8,18).47 Jesu Aussagen in 7,31-37 unterstreichen die Tatsache, dass Jesus selbst die physischen und geistlichen Ohren seiner Hörer öffnet, was zu einer bleibenden Änderung der inneren Einstellung führt. Bevor wir zur Sachhälfte bzw. Ausgangsebene48 kommen (V. 13-20), sind folgende Sachverhalte der Bildhälfte bzw. Bildebene festzuhalten: a) Zwei Arten von Boden werden beschrieben: Der eine behindert das Wachstum, der andere fördert beherbergend das Wachstum. Der das Wachstum behindernde Boden gliedert sich in drei Untergruppen auf: Ein sehr stark behindernder Boden, ein stark behindernder Boden, ein behindernder Boden. Letztendlich tragen diese drei behindernden Böden keine ertragreiche Saat. b) Der Boden an sich produziert in keinem der Fälle ertragreiche Saat (das gilt auch für 41 Pesch I 233 verweist auf Parallelen in Spr 15,19; Jer 4,3f; 12,13; Jes 5,2-6; 7,23-25; 32,13. 42 Vgl. Art. καρπός [karpos], EWNT II, 619-623. Boring 115 meint ohne Begründung, dass bereits in der Bildhälfte (V. 8) der übertragene Sinn von „Frucht“ vorliegt. 43 So Pesch I 233. 44 Vgl. Pesch I 234. 45 Vgl. Pesch I 234, Anm. 20 sowie Keener, Background, 144. 46 Keener, Background, 144. 47 Vgl. Jon Coody, Motif, passim. 48 Berger, Formen, 97-98.

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den guten Boden; s.u.); es ist lediglich die Saat, in der alles Wichtige zum Wachstum und Fruchttragen bereits enthalten ist, die zum Ertrag führt. D.h., auch der wachstumsfördernde Boden ist lediglich „Gastwirt“, der die Saat „beherbergt“. Allerdings nimmt sich dabei die Saat alles aus dem beherbergenden Boden und seinem Umfeld, was sie benötigt. Die behindernden Bodenarten sind so beschaffen, dass der Saat jeweils kein Eintritt, keine Bleibe bzw. keine ausschließliche Herberge gewährt wird. c) Der Same bestimmt die Art der ertragreichen Saat, nicht der Boden. Die „genetische Information“ des Samens schafft die Form und Größe des Ertrags. d) Die Hauptabsicht des Gleichnisses ist es also nicht, unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten zu beschreiben (bei aller Betonung ihrer hindernden bzw. fördernden Bedeutung), sondern letztendlich den hervorbrechenden, überreichen Ertrag der fruchtbringenden Saat vor Augen zu malen.49

5.2 Funktion und Bedeutung der Gleichnisse 4,10-12 I 10 Und als er (mit ihnen) allein war, begannen die, die um ihn waren mit den Zwölf hinsichtlich der Gleichnisse zu fragen. 11 Und er sprach zu ihnen: „Euch ist das Geheimnis des Königreiches Gottes gegeben; jenen aber, die draußen sind, ereignet sich alles in Gleichnissen, 12 damit sie angestrengt sehen und nicht erkennen, und angestrengt hören und nicht verstehen, dass sie nicht etwa umkehrten und ihnen vergeben werde“.50 II Mk 4,10-12 enthält das sog. Verstockungslogion (V. 11-12), das als Antwort auf eine dem Gleichnis (V. 3-9) folgende Frage (V. 10) gegeben wird. III 10 Die Jünger Jesu (die Zwölf und andere;51 vgl. 3,14.32.34) fragen sich verwundert, was die Gleichnisse Jesu bedeuten. Als Antwort auf ihre Frage folgt im vertrauten Kreis, als er (mit ihnen) allein war, die Erklärung der Bedeu49 Vgl. Berger, Formen, 104, der thematisch von „Vergehen oder Frucht bringen“ ausgeht. Siehe ähnlich Lane 154. 50 Lit.: Siehe oben, Lit. zu 4,1-34 sowie zu 4,1-9. Berger, 118; Blomberg, Gleichnisse, Kap. 2.2.1; Dodd, Parables, 14-15; Jeremias, Gleichnisse, 9-14.64.97; Lampe, Deutung, 140-150; Suhl, Funktion, 149-152; vgl. ferner Gnilka, Verstockung, ad loc.; Räisänen, Parabeltheorie, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 241.429 (bis 1980); Guelich 198-199 (bis 1988). 51 Vgl. Dschulnigg 135.

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tung und Funktion der Gleichnisrede (vgl. 3,23; 4,2; 12,1), z.T. mithilfe des Verstockungslogions.52 Sowohl die Frage V. 10 ἠρώτων [ērōtōn] als auch die Antwort V. 11 ἔλεγεν [elegen] wird im durativen Impf. (evtl. Impf. der Gewohnheit) formuliert: Im vertrauten Kreis der Jünger erklärt und vertieft Jesus ausgiebig (vgl. 7,17; 10,10), was er in der Öffentlichkeit angesprochen hat.53 1154 Erst jetzt wird bei Mk deutlich, dass ein Hauptthema der Gleichnisse Jesu die Herrschaft Gottes betrifft: „Euch ist das Geheimnis des Königreiches Gottes gegeben“. Das Kommen des Gottesreiches ist vordergründig nicht, wie erwartet, eine politisch-soziale Bewegung, sondern die Herrschaft Gottes setzt an der Wurzel allen Übels an, nämlich am Innersten des Menschen in seiner Beziehung zu Gott. Das war zwar bisher Geheimnis (vgl. andeutungsweise in 1,14f),55 wird aber nun durch Jesus offen dargelegt (vgl. pass. div.: Gott schenkt „Sehen“ und „Hören“, d.h., Glauben; vgl. 4,34b; siehe Jesu Bekräftigung dieser Tatsache in Mt 13,16-17).56 Mit vielen Gleichnissen (4,2.1314.30.33; vgl. mit 12,1.12) offenbart Jesus (vgl. 4,34b) das bisher verborgene Geheimnis (μυστήριον [mystērion];57 vgl. 1,14-15; siehe Dan 2,27-28.47) des Königreiches Gottes. Es war bisher verborgen, wann, zu wem und vor allem auf welche Art und Weise die messianische Herrschaft Gottes kommen wird. Derartige Offenbarung zeigt erneut, welche außergewöhnliche Vollmacht Jesus besitzt. Wer bei Jesus ist, ist „drinnen“, also in der Nähe Gottes, welche Wahrheitserkenntnis und innere Wandlung bewirkt;58 wer Jesus lediglich aus der Distanz hört, ist (noch) draußen. Guelich verweist auf die ähnliche Vorstellung „draußen/drinnen“ bei Joh 6,44.64-65; 10,26; 16,25-26; Apg 28,17-29; Röm 9–11 (vor allem 11,25) sowie 1QS3,13–4,14.59 Der Begriff draußen gilt als „rabbinische(r) Schulausdruck für Heiden oder ungläubige Ju52 Vgl. die Ausführungen von Dodd, Parables, 14-15, der gegen die Authentizität der V. 11 und 12 argumentiert. Jeremias, Gleichnisse, 11-14, äußert sich für die Authentizität der Verse, jedoch nicht im vorliegenden Kontext. Für Authentizität, vgl. z.B. Lane 156, Anm. 24 sowie Blomberg, Gleichnisse, ad loc. 53 Manche Aussagen Jesu im Johannesevangelium, die zeitlich „früher“ als in den synoptischen Evangelien angeführt werden, mögen evtl. in persönlicheren Kreisen bereits gesagt worden sein, als das bei dem eher öffentlichen Auftreten Jesu in den synoptischen Evangelien der Fall ist. 54 Lit.: Haacker, Erwägungen, 219-225. 55 Vgl. Pesch I 238-239. 56 Lane 157 verweist auf Daniels zukunftsträchtige Geheimnisse als Analogie. Vgl. ferner Pesch I 238. 57 Dschulnigg 135 hebt die Tatsache hervor, dass die Seitenreferenten von Mysterien (pl.) reden. 58 Ähnlich Dschulnigg 135, der (u.a. mit Gnilka I 165.171 und Cranfield 153) Jesus treffend als „Geheimnis des Reiches Gottes schlechthin“ bezeichnet. 59 Guelich 200.

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den“,60 vor allem „Häretiker und Schismatiker“61 (vgl. ferner 1Thess 4,12; 1Kor 5,12f; Kol 4,5).

Wer noch draußen ist, also noch in Gottesferne lebt, vernimmt Jesu Handeln und Reden nur als letztendlich unverständliches Geheimnis. Jesus ist diesem Menschenschlag ein Buch mit sieben Siegeln. Wer in Gottesferne lebt (siehe die Gegner in 3,6), wird durch Gleichnisse als ultimative, prophetische Gerichtsrede gewarnt.62 Dies ist immer noch ein Zeichen der Treue Gottes. Die geläufige und ernüchternde Beziehung zwischen Geheimnis und Gleichnisrede (s.u., Einzelbemerkungen zu V. 12) spricht für Authentizität.63 Die Beziehung zwischen Gottesherrschaft und Jesus wird dahingehend angedeutet, dass Jesus direkt (für die Jünger) und indirekt (für die Gegner) von den Gesetzmäßigkeiten der anbrechenden Gottesherrschaft zu berichten weiß. Das Offenbarungshandeln Gottes weist eine lange Geschichte auf, wobei die Menschen stets mit Glaube oder Abweisung reagieren (vgl. Apg 7,1-52; Hebr 1,1-2).64 12 Der Wortlaut von Mk 4,12 (ἵνα βλέποντες βλέπωσιν καὶ μὴ ἴδωσιν, καὶ ἀκούοντες ἀκούωσιν καὶ μὴ συνιῶσιν, μήποτε ἐπιστρέψωσιν καὶ ἀφεθῇ αὐτοῖς [hina blepontes blepōsin kai mē idōsin, kai akouontes akouōsin kai mē syniōsin, mēpote epistrepsōsin kai aphethē autois]) hält sich als stark verkürzendes Teilzitat relativ eng an Jes 6,9-10.65 Der weiter unten gebotene Vergleich zwischen Jes 6,9-10 und Mk 4,12 bezieht sich nicht so sehr auf den Wortlaut, sondern auf die zentrale Frage, wie die Aussage Jesu jeweils im Kontext von Jes 6,9-10 bzw. Mk 4,12 zu verstehen ist. Handelt es sich bei Jesus um eine endgültige Gerichtsaussage oder um eine ultimative Warnung vor bleibender Hartherzigkeit? Die Übersetzung des MT von Jes 6,9-10 lautet nach Luther (2017): „… Höret und verstehet’s nicht; sehet und merket’s nicht!“ (Jes 6,10) „… dass sie … sich nicht bekehren und genesen“. Der entsprechende LXX-Text lautet: (Jes 6,9) ἀκούσετε καὶ οὐ μὴ συνῆτε καὶ βλέποντες βλέψετε καὶ οὐ μὴ ἴδητε … 60 Vgl. Pesch I 239 und Anm. 8, der ferner auf Billerbeck, Kommentar II 7 und III 362 verweist. 61 Dschulnigg 135. 62 Es geht also nicht nur darum, den tieferen Sinn der Gleichnisse Jesu zu erfassen, sondern die innere, Gott feindlich gegenüberstehende Beschaffenheit des Herzens (vgl. Röm 5,10) in den Blick zu bekommen; pace Berger, Formen, 118, der lediglich zwischen oberflächlichem Aufnehmen und tieferem Aufnehmen der Gleichnisrede Jesu spricht. 63 Vgl. Lane 157. 64 Ebd. 65 Das Jes-Zitat in Mk 4,12 kehrt allerdings die Reihenfolge im MT von „Hören“ und „Sehen“ um und bietet „vergeben“ statt „heilen“. Dschulnigg 136 sprich unsachgemäß von einer „freien Aufnahme“ von Jes 6,9f in Mk 4,12 und behauptet ohne Begründung, dass „das Zitat … stark vom hebräischen Text und von der LXX“ abweicht. Zutreffend ist, dass Mk relativ wenig von Jes 6,9-10 zitiert.

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(Jes 6,10) μήποτε … ἐπιστρέψωσιν καὶ ἰάσομαι αὐτούς [akousete kai ou mē synēte kai blepontes blepsete kai ou mē idēte … mēpote … epistrepsōsin kai iasomai autous]. Das Jesajazitat (Jes 6,9-10)66 dient zur Bekräftigung der Tatsache, dass Jesu Gleichnisse bei Hartherzigkeit als prophetische Gerichtsrede zu verstehen sind, damit sie angestrengt sehen und nicht erkennen, und angestrengt hören und nicht verstehen, dass sie nicht etwa umkehrten und ihnen vergeben werde. Jesaja spricht von einem Endzustand der Hartherzigkeit,67 der bereits zum Gericht führt.68 Umkehr ist, evtl. im Gegensatz zum TargJes 6,9-10, im Wortlaut von MT-LXX Jes 6,9-10 ausgeschlossen. Allerdings geht aus Jes 6,11-13 hervor, dass das Gericht zeitlich begrenzt ist und dass ein heiliger Rest bleibt (6,13). Somit darf auch im Kontext von Jes 6,9-10 von einem vorübergehenden Gericht gesprochen werden. Deutlich ist, dass Jesaja die harte Aussage auf Israel bezieht (6,9; vgl. den ähnlichen Verweis auf Jes 6,9-10 in Röm 11,3; Apg 28,26-27 und Joh 12,40), während sich die warnende Aussage in Mk 4,12 auf alle Menschen (Juden und Heiden) bezieht, die nicht glaubend auf Jesu Sendung, Botschaft und Werk eingehen.69 Guelich (mit Lampe) interpretiert ἵνα [hina] weniger überzeugend epexegetisch (vgl. Mk 8,18 und 9,12) im Sinn von „das heißt“.70 Nach Suhl sind viele markinische Verweise auf das AT nicht im Rahmen von „Verheißung und Erfüllung“ zu verstehen, sondern als Analogie gemeint.71 Dies ist jeweils im Einzelfall zu klären. Im vorliegenden Fall liegt jedoch tatsächlich eher eine Analogie vor. Μήποτε [mēpote] ist nach Lampe (und Guelich) Einleitung einer indirekten Frage im Sinn von „vielleicht“.72 Demnach gäbe es kaum einen Unterschied zu den Seitenreferenten Mt und Lk.

Der Jesajatext ist somit als endgültige Absichtsaussage (damit) im Kontext eines vorübergehenden Gerichts zu verstehen, aus dem ein heiliger Rest her66 Lane 158 und Anm. 32 verweist auf Manson, Teaching, ad. loc., und Jeremias, Gleichnisse, 11-14 bezüglich der Nähe des Jes-Zitats in Mk 4,12 zum TargJes 6,9f, im Gegensatz zur LXX und zum MT. 67 Die aramäische Variante in TargJes ist mehrdeutiger und lässt eine mögliche Umkehr eher zu (vgl. Guelich 209-210, mit Verweis auf Manson, Teaching, 77-79 und Jeremias, Gleichnisse, 11-14). Vgl. ferner Gnilka, Verstockung, 48-49, der für das rabbinische Judentum auf Billerbeck, Kommentar, I 662-663 verweist. Weitere Details bei Dschulnigg 136. Zur Interpretation von Jes 6,9f vgl. ferner Vahrenhorst, „Gift“, 145-167. 68 Siehe Jes 6,9-10. Die Seitenreferenten Mt 13,13 und Lk 8,10 scheinen diese absolut scheinende Aussage, ähnlich wie der TargJes, abzuschwächen. 69 Vgl. Guelich 210-211 und Dschulnigg 136. 70 Guelich 211-212 folgt Lampe, Deutung, 140-150, hier: 141-143; vgl. ähnlich, Suhl, Funktion, 149-152. 71 Suhl, Funktion, 149-152. 72 Guelich 211-212 und Lampe, Deutung, 140-150, hier: 141-143.

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vorgeht.73 Jesus konstatiert in 4,11-12 eine Analogie hierzu. Jesus spricht aufgrund von 4,33-34 mit seinen Gleichnissen als prophetischer Gerichtsrede eine Höchstwarnung aus (vgl. TargJes 6,9-10; Mt 13,13 und Lk 8,10; s.u. zu 4,33-34), ohne damit endgültiges Gericht über Hartherzige anzukündigen.74 Schlussendliche Umkehr (vgl. ebenso Jes 6,13) ist in Jesu Gleichnisrede nicht völlig ausgeschlossen (obwohl sie im Fall von 12,1-12 einen bereits verhärteten Zustand besiegelt). Die Tatsache, dass Jesus in Gleichnissen redet, bescheinigt den Gegnern Jesu jedenfalls einen höchst gefährlichen Grad an Hartherzigkeit. Verkündigt Jesus das messianische Gottesreich in Gleichnissen, so warnt er damit die einen (draußen) und unterweist (mit Erläuterungen; vgl. 4,34) die anderen („drinnen“).75 Somit bedeutet das Auftreten Jesu zugleich „Gnade und Gerichtswarnung, Offenbarung und Verhüllung“.76

5.3 Jesu Auslegung des Gleichnisses vom Sämann 4,13-20 I 13 Und er sprach zu ihnen: „Versteht ihr dieses Gleichnis nicht, wie werdet ihr dann alle (anderen) Gleichnisse verstehen können? 14 Der Sämann sät das Wort. 15 Folgende aber sind die, bei denen entlang des Weges (gesät wird): Zwar wird das Wort gesät, aber sobald sie es hören, da kommt sofort der Satan und nimmt das in sie gesäte Wort weg. 16 Und Folgende sind die, bei denen auf felsigen Boden gesät wird: Sobald sie das Wort hören, nehmen sie es sofort mit Freude auf, 17 haben aber keine eigenen Wurzeln, sondern sind unbeständig, erfahren sodann noch Trübsal oder Verfolgung wegen des Wortes und werden (dadurch) sogleich davon abgebracht. 18 Andere aber sind die, bei denen in das Dornengestrüpp gesät wird; diese sind die, die das Wort gehört haben, 19 aber die sich einstellenden Sorgen des täglichen Lebens, die Täuschung des Reichtums und die übrigen Begierden erwürgen das Wort und es bleibt fruchtlos. 20 Jene aber sind die, bei denen auf guten Boden gesät wurde, welche das Wort

73 Vgl. Boring 124-127. Marcus, Mystery, ad loc. 74 So auch Dschulnigg 136; pace Boring 140-142. 75 Vgl. Jes 32,3 als Gegenstück zu Jes 6,9-10; der Kontext von Jes 32,3 handelt von der Herrschaft der Gerechtigkeit. 76 Lane 159.

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emsig hören, es beständig aufnehmen und immerdar Frucht tragen, dreißig-, sechzig- und hundertfach“.77 II Mk 4,13-20 folgt formal dem Aufbau von Mk 4,3-8: V. 3 entspricht V. 14; V. 4 – V. 15; V. 5f – V. 16f; V. 7 – V. 18f; V. 8 – V. 20.78 Der Abschnitt enthält eine allegorische Interpretation79 der vorhergehenden Bildhälfte bzw. Bildebene80 (Maschal). Wie oben bemerkt (siehe 5. II), ist bereits Mk 4,3-9 ein gemäßigt allegorisch zu interpretierendes Gleichnis81 mit abschließendem Warnruf.82 Der vorliegende Text weist drei Hauptbeziehungen zwischen Bild- und Sachebene auf (siehe Details unten). Historizität. Entgegen Pesch („die Deutung der Parabel stammt nicht von Jesus“)83 ist es keineswegs notwendig, die vorliegende, allegorische Interpretation ausschließlich von der urchristlichen Mission und Gemeinde her zu verstehen (s.o. 5. II).84 Die Chronik der Reaktionen auf die prophetische Predigt im AT bietet bereits genügend Anschauungsmaterial dafür, wie das Herz des Menschen auf Gottes Wort oft negativ reagiert. Zu erinnern ist lediglich an das Jahrhunderte andauernde Verhalten Israels mit der an das Volk ergehenden prophetischen Umkehrpredigt (vgl. etwa Neh 9,1-37; Jer 15,16; 23,28 LXX; Spr 4,4; 25,12) sowie den fruchtbaren, heiligen Rest (s.o., Einzelbemerkungen zu 4,11-12).85 Das bedeutet, dass die allegorische Interpretation (gleichnishafter, prophetischer Warnruf vor Hartherzigkeit) auch in die Zeit Jesu passt.

77 Lit.: Siehe oben, Lit. zu 4,1-34; 4,1-9 sowie 4,10-12. Siehe ferner: Berger, Formen, 118-120; Moule, Mark, 95-113; Wenham, Interpretation, 299-319; Blomberg, Gleichnisse, Kap. 7.3; Jeremias, Gleichnisse, 10-11.75-78.84.97.105. Weitere Lit. bei: Pesch I 247.429 (bis 1980); Guelich 215-216 (bis 1988). 78 Vgl. Pesch I 243. 79 Pesch I 242 verweist auf 1QpHab, als Analogie zur Art der Allegorisierung in 4,13-20. 80 Berger, Formen, 97-98. 81 Berger, Formen, 103-104.117-118. Vgl. Blomberg, Gleichnisse, Kap. 7.3. 82 Pesch I 231.235 spricht von „Weckruf“. 83 Pesch I 245 und viele andere. Neuerdings wieder Boring 129-130, der u.a. Jülichers Auffassung teilt. Boring meint, weniger überzeugend, dass die ursprünglichen Hörer Jesu Erklärung des Gleichnisses nicht verstehen konnten, weil sie weder etwas von Verfolgung noch etwas von der Verführung des Reichtums verstanden. Falsch ist, wenn Boring 130 meint, dass in 4,16.18.20 die „Saat“ metaphorisch mit den „Hörern“ identifiziert wird. 84 Vgl. Berger, Formen, 103.117-119; Moule, Mark, 95-113; Wenham, Interpretation, 299-319; Gerhardsson, Sower, 165-193; France 204 sowie Blomberg, Gleichnisse, Kap. 7.3. 85 Pace Pesch I 244 u.ö. Boring 130 ignoriert diesen reichhaltigen Hintergrund und interpretiert ausschließlich auf dem Hintergrund der christlichen Gemeinde.

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Sowohl Johannes der Täufer als auch Jesus treten als prophetische Umkehrprediger auf. Das in der Geschichte Israels schon lang bestehende Motiv der prophetischen Umkehrpredigt im Kontext des gewaltsamen Geschicks der Propheten Israels wurde vor allem durch O.H. Steck eingehend untersucht.86 Dabei verfolgt er dieses Motiv im Zusammenhang mit dem alttestamentlichen und zwischentestamentlichen Geschichtsbild, a. der Untreue Israels, b. des Langmuts Gottes mit Vermahnungen durch Propheten, c. der ungeachtet dessen anhaltenden Halsstarrigkeit des Volkes und d. des angekündigten Strafgerichtes Gottes.87 Steck kommt in seiner eingehenden Studie zu folgendem Ergebnis: „Eine jahrhundertelang lebendig gebliebene Vorstellungstradition …, deren theologische, traditionsgeschichtliche und traditionskritische Bedeutung für das palästinensische Spätjudentum, aber auch für das palästinensische Urchristentum nicht leicht überschätzt werden kann“.88

Ferner entspricht die bodenständige Auslegung der allgemeinen Vorgehensweise Jesu. Er greift Alltägliches auf und lehrt mit leicht verständlichen Bildern.89 Zur Frage der Historizität von 4,13-20 betont Lane ferner, dass Gleichnis und Erklärung eng miteinander verknüpft sind und dass die Erläuterung Jesu mit den historischen Umständen (Opposition und Nachfolge) seiner Königreichverkündigung übereinstimmt.90 Die Tatsache, dass das EvThom 9 zwar das Gleichnis vom Sämann, jedoch nicht seine Deutung enthält, spricht in keiner Weise gegen die Authentizität von 4,13-20. Das EvThom bietet auch anderweitig lediglich Fragmente von unumstrittenen Perikopen der kanonischen Evangelien und wird in der neues­ ten Forschung auf einige Jahrzehnte nach den kanonischen Evangelien datiert.91 III 13 Die Notwendigkeit der Erklärung des Gleichnisses bedeutet, dass auch die Jünger Jesu in Sachen Gottesreich unverständig sind (siehe die Frage Jesu als Tadel).92

86 Steck, Israel, 60-214. Vgl. Moessner, Banquet, 296-307. 87 Vgl. Moessner, Paul in Acts, 97-101, der dieses Schema in Anlehnung an Steck für das Lukasevangelium (Lk 11,37-54; 13,34-35; 19,42-44; 21,8-36) nachzeichnet. 88 Steck, Israel, 318. 89 Berger, Formen, 97-98.103-106. 90 Lane 163, mit Black, Parables, 273-287, hier: 278-279. Vgl. ähnlich, Pesch I 243. 91 Vgl. ähnlich Guelich 189. 92 Vgl. Pesch I 243, mit Verweis auf Mk 7,18; vgl. 8,17-18. Siehe ferner Dschulnigg 138.

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Jesus betont, dass das Verstehen des Gleichnisses vom Sämann Grundvoraussetzung zum Verstehen aller anderen (πάσας [pasas]) Gleichnisse ist.93 14-20 Jesus erklärt das Gleichnis über die Gottesherrschaft mit allegorischen Mitteln, eine Interpretationsform, die durchaus in den weiten Maschal-Rahmen jüdischer Bildrede und -interpretation passt (s.o. 5. II).94 Die jeweiligen Entsprechungen zwischen Bildhälfte (Bildebene) und Sachhälfte (Ausgangsebene)95 sind: Saat (des Sämanns) (V. 3) = Wort (V. 14) 1. Unempfänglicher Boden: · Weg (fester Boden; V. 4) = hörendes, aber verschlossenes Herz (V. 15) o Vögel = Satan · Steiniger Boden; (V. 5-6) = hörendes, aufnehmendes, aber oberflächliches Herz (V. 16-17) o Sonne = Trübsal und Verfolgung führen zum Verwerfen des Wortes · Boden mit dornigen Sträuchern (V. 7)96 = hörendes, aufnehmendes Herz; aber die Sorgen des Lebens, der Täuschung desReichtums und die Begierde erwürgen das wachsende Wort (V. 18-19) 2. Empfänglicher Boden: · Guter Boden (V. 8)97 = hörendes, aufnehmendes Herz; bringt Frucht des Wortes (V. 20)

Grundsätzlich vermitteln sowohl die Bildhälfte als auch die Sachhälfte die Grundwahrheit, dass der Boden bzw. das menschliche Herz keineswegs selbst Frucht tragen können. Ohne (fremde) Saat wächst keine Frucht. Ohne Jesu Wort der hereinbrechenden Herrschaft Gottes in – und mit – Jesus, gibt es keine Frucht für Gott. Der Mensch kann sich noch so anstrengen, aber ohne das, was Jesus gibt, kann er Gott nicht gefallen. Der Mensch ist jedoch gefordert, das Wort und das Wirken Jesu zu beherbergen und dabei wachsam

93 Lane 153 und 160. 94 Pace Jeremias, Gleichnisse, 75-77. Allerdings erwähnt Jeremias viele Einzelheiten zu Mk 4,38 (a.a.O., 7-8.149-150), die zumindest die Ursprünglichkeit des Gleichnisses deutlich werden lassen. Mit vielen anderen Auslegern gehen Gnilka I 173 und Dschulnigg 137 immer noch davon aus, dass Jesus keinerlei allegorische Interpretation beabsichtigte. Mk 4,13-20 sei daher eher aus dem frühchristlichen Milieu der Mission hervorgegangen. 95 Die Begriffe „Bildebene“ und „Ausgangsebene“ stammen von Berger, Formen, 97-98. 96 Im Gegensatz zu den zwei anderen, ungastlichen Bodenarten, bei denen Vögel bzw. die Sonne als Gegner erwähnt werden, ist der Strauch selbst auch erstickender Gegner der Saat. 97 Weder Vögel noch Sonne noch Sträucher können einer derart wachsenden Saat etwas antun.

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zu bedenken, dass es vielerlei Gefährdungen für wahres Wachstum des aufgenommenen Wortes gibt. 14 Viele Menschen hören das Wort Jesu (V. 14; vgl. 4,33)98 über die anbrechende Gottesherrschaft (V. 11). Aufgrund der ungemein häufigen alttestamentlichen Verwendung der Formulierung „das Wort Gottes [geschah]“ ([ἐγένετο] λόγος κυρίου [(egeneto) logos kyriou] / ‫([ ) ַויְהִי( דְ בַר י ְהוָה‬wajehῑ) debar jehwāh]) sowie dem prophetischen Auftreten Jesu ist die Verbindung Saat des Sämanns = Wort mit „Jesus als Verkündiger des Gotteswortes“ auch vor Ostern plausibel.99 Siehe neben vielen weiteren Belegen (alles LXX Angaben): Num 11,23; Jos 23,14; 2Kön 23,2; 3Kön 13,20; 4Kön 9,36; Ps 32,4; 118,89.105; 147,4; Spr 4,4 („Wort im Herzen“); 25,12 („Wort des Boten, wie Schnee“); Hos 1,1; Mi 1,1; Joel 1,1; Jon 1,1; Zef 1,1; Hag 1,1; Sach 1,1 (und häufig); Jes 37,22; Jer 1,4 (und häufig); Jer 15,16 („essen“ des Wortes); Jer 23,28 (das Wort Gottes wird mit „Feuer“ und einem „Hammer“ verglichen); Hes 1,3; Dan 9,2. Der Prophet Jes (55,10-11) verbindet das etwas anders geartete Bild des Regens, der auf Saat und Boden fällt, mit dem Wort, das aus dem Munde des Herrn hervorgeht.

Jesu Verkündigung ruft (wie bei alttestamentlichen Propheten) ganz unterschiedliche Reaktionen hervor. Zum einen finden sich abweisende, zum anderen aufnehmende Herzen. Siehe das Gebet in 4Esr 8,6: „Ach, unser Herr, gestatte deinem Knecht, vor dir zu beten. Streu Samen in ein neues Herz. Verleih uns des Verstandes Pflege, daß Frucht erwachse“.100 Vgl. ferner 4Esr 9,30ff: „Hör, Israel, auf mich! Du Jakobsstamm! Merk jetzt auf

98 Markus spricht von „Wort“, die Seitenreferenten sprechen von „Wort des Reiches“ (par Mt) bzw. „Wort Gottes“ (par Lk). Deutlich wird in allen drei Evangelien, dass es sich hierbei um Jesu Verkündigung handelt. Vgl. Art. λόγος [logos], EWNT II, 880-887 (mit Lit. 880). 99 Pesch I 243 führt aus, dass „das Wort“ sodann terminus technicus für die urchristliche Mission ist (vgl. u.a. Apg 4,4; 6,4; 8,4; 1Thess 1,6; Gal 6,6; Kol 4,3; 2Tim 4,2; Jak 1,21). Gegen Dschulnigg 138, der davon ausgeht, dass dieser Begriff aus der frühchristlichen Verkündigung stammt. Während der Begriff in der frühchristlichen Mission durchaus formelhafte Züge annimmt, so muss der alttestamentliche Hintergrund (Wort Gottes) ernst genommen werden. Ferner verwenden Mt 5,37 und Mt 28,15 den Ausdruck „Wort“ im Sinn von „Aussage“ bzw. „Rede“. 100 Zitiert nach Pesch I 231.

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meine Worte! Ich säe heute mein Gesetz in euch; in euch bringt dieses Frucht, und dadurch sollt ihr ewige Glorie erlangen“.101

Im narrativen Kontext wurde bereits deutlich, dass Jesus sowohl Jünger als auch entschiedene Gegner hat (vgl. 2,7; 3,6). Es gibt im Wirken Jesu bereits diejenigen, die seine Lehre aufnehmen oder die sein Wort ablehnen. 15 Bei einer Gruppe von Menschen (fester Weg) macht die bekundete Botschaft keinerlei Eindruck. Der Satan ist „kooperativ“ zur Stelle (vgl. Dämonenaustreibung). Siehe Jub 11,11 (s.o.) und ApkAbr 13,3ff zur Verbindung „Vogel“– „Satan“. Laut Paulus behindert u.a. Satan die urchristliche Mission (1Thess 2,18; 3,5; vgl. 2Kor 11,3).102

Er ist letztendlicher Grund für einen derartigen Widerstand. 16-17 Eine weitere Menschengruppe hört die Botschaft vom Königreich Gottes und nimmt sie als „gesäte“ Mitteilung103 zu Herzen. Allerdings rechnen diese „Augenblicksmenschen“104 nicht mit Verfolgung und Entbehrung, die das Aufnehmen des Wortes (der frohen Botschaft) u.a. mit sich bringt (siehe 10,30; vgl. 8,34-37).105 Es ist jedoch eine Botschaft, die den Herrschaftsanspruch Gottes über seine Schöpfung deutlich macht. Da sind Menschen und dämonische Mächte, die sich diesem göttlichen Anspruch in ihrem Autonomiebestreben widersetzen und sich damit auch gegen die wenden, die diesem legitimen Herrschaftsanspruch Gottes Folge leisten. 18-19 Die nächste Menschengruppe kommt dem das Wachstum fördernden Boden sehr nahe. Die Botschaft wird gehört und aufgenommen (impliziert). Anstatt äußerer Verfolgung, wird der Herrschaftsanspruch und das Wirken Gottes allerdings durch drei Folgen des eigenen menschlichen Autonomiestrebens unterbunden (erwürgt). Das Sorgen eines Menschen ist dadurch charakterisiert, dass seine Lebensweise einem etsi deus non daretur gleichkommt (vgl. Mt 6,25f). Wer ohne Gott lebt und seine ständig wechselnden und labilen Lebensumstände vorsichtig und umsichtig beobachtet, hat allen 101 Ebd. 102 Siehe Pesch I 243. 103 Vgl. Pesch I 243, der auf 4Esr 8,41 und äthHen 68,6 verweist. 104 So Pesch I 244. 105 Vgl. Pesch I 244, mit vielen Verweisen auf die urchristliche Gemeinde, u.a. 1Thess 1,6; 2Thess 1,4; 2Kor 4,8; Röm 8,35; Gal 5,11; 2Tim 3,11. Hier zeigt sich die Schwäche der Auffassung von Dschulnigg 139: Nicht nur leidet die urchristliche Gemeinde (siehe Apg und Paulusbriefe), sondern es leiden auch die atl. Propheten, der Täufer, Jesus sowie seine Nachfolger noch vor Ostern (siehe deren Zerstreuung).

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Grund zur Sorge. Reichtum erweckt hierbei den Anschein unerschütterlicher Sicherheit, die allem gewappnet zu sein scheint. Das ist jedoch ein täuschender Irrtum. Trotz Reichtum sind im Leben eines Menschen immer noch Tausende von Faktoren außer Kontrolle. Mit Lust und Begierde (u.a. Reichtum mit einbeziehend) versucht der Mensch das zu befriedigen, was allein Gott füllen kann. Sorge, Reichtum und Begierde verbindet der gemeinsame Nenner, dass sie allesamt aus einem Leben ohne Gott entspringen und von einem andauernden autonomen Selbstbezug bestimmt sind. Der autonome Mensch besitzt letztendlich keine bleibenden Mittel, mit Sorge, Drang nach Reichtum und Begierde zurechtzukommen (siehe das durative Präsens εἰσπορευόμεναι [eisporeuomenai] = „sie dringen stets oder immer wieder ein“, V. 19; vgl. Kol 2,23). „Wurden zuvor Widerstände benannt, die schnell wirken (vgl. euthýs: sogleich; V. 15.16.17), sind es jetzt jene, die über lange Zeit die Glaubenden bedrohen …“.106 Dieser destruktive Selbstbezug („erwürgen stets das Wort“: συμπνίγουσιν [sympnigousin], duratives Präsens)107 widerspricht direkt der Absicht Gottes und seinem Herrschaftsanspruch. Der Selbstbezug behindert ferner das expansive Wachstum der Herrschaft Gottes in den Herzen der Menschen und damit in der Welt. Daher das ernüchternde Ergebnis der „Fruchtlosigkeit“ (bleibt fruchtlos). Die drei Wachstumshindernisse, die Jesus hier erwähnt, entsprechen ursprünglich guten Schöpfungsqualitäten. Sie wurden durch den Sündenfall entstellt und verunstaltet. 1. Anstatt autonomer Sorge, die Ausdruck von gottloser Verantwortlichkeit ist, kümmerte sich der auf Gott vertrauende Mensch ursprünglich um all das, was ihm als Ebenbild Gottes anvertraut war (vgl. Gen 1,28; 2,15). 2. Anstatt egoistischem Gebrauch und Missbrauch von Besitz und Reichtum war der Mensch einst darauf bedacht, sein Hab und Gut vor Gott (und somit vor Menschen, Tieren und Pflanzen) verantwortungsvoll und barmherzig zu verwalten (vgl. 1Tim 6,17).108 3. Anstatt Gier und lustvollem Begehren stand der Mensch ursprünglich in reinen und fürsorglichen Beziehungen zu anderen Menschen und Dingen, ohne besitzergreifend zu raffen, zu instrumentalisieren oder zu zerstören. Aufgrund dieses Zerfalls bleibt auch diese vielversprechende, dritte Art des Umgangs mit dem Wort Gottes letztendlich fruchtlos. Neben äußeren Anfechtungen und äußerer Opposition warnt Jesus seine Jünger vor diesen inneren Herausforderungen, damit sie das wertvolle Leben Gottes nicht durch

106 Dschulnigg 139. 107 BDAG, 787. 108 Vgl. Blomberg, Poverty, passim.

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selbstbezogene Sorge, Täuschung des Reichtums und Gier unterdrücken bzw. verwirken. 20 Die (große?) Menschengruppe, die tatsächlich Frucht trägt, nimmt das durch Jesus gepredigte Wort der Gottesherrschaft bereitwillig auf (emsig hören … es beständig aufnehmen). Im Gegensatz zum einfachen Aorist von ἀκούω [akouō] in V. 15.16.18 ist der durative Aspekt von ἀκούω [akouō] in V. 20 (ἀκούουσιν [akouousin] „emsig bzw. immer wieder hören“) bei den fruchtbringenden Herzen hervorzuheben. Im Gegensatz zu den fruchtlosen Herzen, die dem Wort lediglich oberflächlich und vorübergehend Gehör schenken, sind die Fruchttragenden fortdauernd Aufnehmende.109 Sie bleiben bei der einen Sache. Diese Menschen lassen sich von seiner Botschaft allumfassend bestimmen und verändern. Der Inhalt der Botschaft hat sie völlig engagiert und mitgerissen. Sie sind bleibender „Gastwirt“ der Ziele Gottes geworden. Ihre gesamten Ressourcen, die bereits eine Gabe Gottes sind, gehören nun wieder Gott. Jakobus beschreibt diesen Sachverhalt folgendermaßen: „Darum legt ab alle Unsauberkeit und alle Bosheit und nehmt das Wort an mit Sanftmut, das in euch gepflanzt ist und Kraft hat, eure Seelen selig zu machen“ (Jak 1,21; Luther 1984). Neben dem Verb „hören“ sind auch die zwei weiteren Tätigkeitswörter in V. 20 im durativen Präsens (παραδέχονται [paradechontai] = „sie empfangen stets“ und καρποφοροῦσιν [karpophorousin] = „sie tragen stets Frucht“; vgl. 4,28). Die fruchtbringenden Jünger sind diejenigen, die Gott in ihrem Herzen mehr und mehr Raum geben, ohne dabei unverantwortlich zu werden. Vielmehr lernen sie, verschiedene Bereiche der Verantwortung in wachsender Abhängigkeit von Gott zu tragen. Das Fruchttragen kann nicht aus sich selbst erwachsen; es kann nur aus der Abhängigkeit von der Quelle des Lebens hervorgehen. Frucht zu tragen heißt im Gesamtkontext des Mk Ev., nach der Absicht Gottes, die im verkündeten Wort der Gottesherrschaft begründet ist, unter Gottes Herrschaft bußfertig zu leben, zu denken und zu handeln; in Überwindung einer selbstbezogenen Existenz ihm zu dienen; nach seinen Herrschaftsabsichten zu fragen (einschließlich des stellvertretenden Sühnetodes Jesu) und im Vertrauen auf ihn in innerer Reinheit zu wachsen und die Botschaft in Wort und Tat110 weiterzutragen (vgl. ferner Mt 3,8-10; 7,16-17; Gal 5,22).111 Schließlich bedeutet „Frucht tragen“ auch die Überwindung von satanischen Mächten.

109 Pesch I 245 verweist auf Röm 7,4-6; Kol 1,10. 110 Vgl. Mt 3,8-10; 7,16-17; Röm 7,4; Kol 1,6.10; Tit 3,14; 2Petr 1,8. 111 Zu weiteren Details siehe Art. καρπός [karpos], EWNT II, 619-623.

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Eine angemessene Reaktion auf dieses Gleichnis ist das aufrichtige Gebet, dass Gott herzverändernd eingreifen möge (vgl. Joh 6,43; Eph 2,8-10; Phil 1,9-11; siehe 1Kön 8,58.61). Die Debatte um die realized eschatology (vgl. etwa C.H. Dodd) ist insofern irreführend, als in Wirklichkeit ein „sowohl – als auch“ vorliegt. „Frucht tragen“ geschieht bereits jetzt; gleichzeitig wird die endgültige Realisierung des „Fruchttragens“ in der Parusie Jesu erwartet (vgl. die gerichtsbezogene Metapher der endzeitlichen „Ernte“; vgl. oben, Exkurs 5: „Das messianische Reich Gottes“).

Bei seiner gegenwärtigen und ihrer zukünftigen Verkündigung lehrt Jesus seine Jünger, eine derart vielschichtige Reaktion der Hörenden auf die durch Jesus inaugurierte, messianische Gottesherrschaft zu erwarten. Im Mk Ev. bewahrheitet sich diese Tatsache zumindest in groben Umrissen (vgl. 3,20-34; 4,10-12; 12,1-10: Gegner/Jünger). Als sekundäre Anwendung mag das gesamte Gleichnis (vor allem die Aussagen über Verfolgung und die Sorgen des Lebens usw., V. 18-19) als Warnung für den gelten, der Jesus bereits fruchtbringend nachfolgt (vgl. die durativen Präsenstempora in V. 20).112 Die Frage, ob der Hörende selbst fähig ist, das Wort Jesu über das anbrechende messianische Gottesreich fruchtbringend aufzunehmen oder nicht, liegt nicht im Horizont des Gleichnisses.113 Insgesamt gilt jedoch für das NT, dass der Hörende bei aller menschlichen Verantwortung letztendlich durch Gott zum Aufnehmen (Glaube als Gabe Gottes: Eph 2,8-9) und Fruchtbringen geführt werden muss (vgl. Joh 6,43), um sodann wachsam in Hinblick auf Verfolgung und Sorgen der Welt im Glauben zu wachsen. Da Jesus selbst das Wort (4,14.33) vom Königreich predigt (vgl. 1,14-15; 2,2), liegt eine indirekte Bezugsbestimmung zwischen Jesus und der Gottesherrschaft vor: Der, der das Wort sagt, gibt das, was (trotz Opposition und Unscheinbarkeit des Anfangs) zum Fruchttragen im Gottesreich führt (vgl. Joh 6,40; 12,23-34).114 Im Verlauf des öffentlichen Dienstes Jesu wird ferner deutlich, dass er selbst das lebendige Wort ist (vgl. Joh 1,1.14; 1Petr 2,8; 1Joh 1,1; Offb 19,13). Hier zeigt sich somit ein erstaunliches Phänomen: Jesus erzählt gleichnishafte Geschichten, die zunächst parallel und analog zu seinem eigenen Han112 Vgl. ähnlich Lane 163. 113 Pesch I 245 betont, dass die fruchtbringenden Menschen Gottes Saat sind. 114 Lane 163 bemerkt überzeugend: „Jesus draws attention both to the veiled manifestation of the Kingdom, hindered by many obstacles and Satanic opposition, and to the disclosure of the Kingdom, which manifests itself in fruitfulness, which is the more startling precisely because of the encountered opposition“.

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deln verlaufen. In gewisser Weise „steigt“ Jesus sodann durch sein Handeln in seine eigenen Geschichten „ein“. Somit ist sein Handeln gewissermaßen eine lebendige „Auslegung“ und „Veranschaulichung“ seiner Gleichnisse.

5.4 Gleichnis vom Licht 4,21-25 I 21 Und er sprach zu ihnen: „Bringt man denn die Lampe herbei, dass sie unter ein Gefäß gestellt wird oder unter ein Bett? Ist es nicht vielmehr so, dass man (sie) auf einen Ständer stellt? 22 Denn es ist nur verborgen, damit es (letztendlich) offenbart wird, und insgeheim geschieht nur, dass es (schließlich) ans Licht kommt. 23 Wenn jemand Ohren hat zu hören, der höre“. 24 Und er sprach zu ihnen: „Nehmt auf, was ihr hört. Mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird euch ausgeteilt werden und wird euch noch hinzugefügt werden. 25 Denn wer hat, dem wird (mehr) gegeben werden; wer nicht hat, von dem wird genommen, was er hat“.115 II In 4,21-23 handelt es sich um Aphorismen (oder Meschalim; vgl. oben, Kommentierung 5. II): V. 21 ist ein antithetischer, V. 22 ein synonymer Parallelismus; beide werden durch einen Weckruf infolge der Maschal-Rede abgeschlossen (V. 23).116 In 4,24-25 liegt eine die vorausgehenden Aphorismen vertiefende weckrufartige, prophetische Aussage117 mit abschließendem gerichtwortartigem Sprichwort (V. 25) vor. Dabei unterstreichen die wiederholten passiva divina das richtende Wirken Gottes.118 Der Verweis auf „Hören“ 4,23 und 4,24b verbindet diesen Abschnitt stichwortartig mit 4,1-20 (vgl. dort den häufigen Verweis auf „Hören“: 4,3a.9.11-12.14-20).119

115 Lit.: Blomberg, Gleichnisse, Kap. 4.1.2; Jeremias, Gleichnisse, 11.89-91.93; Rüger, Maß, 174-182; vgl. Dodd, Parables, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 254.430 (bis 1980); Guelich 226 (bis 1988). 116 Pesch I 247-248. 117 Vgl. Pesch I 252, der betont, dass es sich hierbei um weisheitliche Formsprache in apokalyptischem Zusammenhang handelt. 118 Vgl. Guelich 226-227, der die vier Logien als Weisheitssprüche kategorisiert. 119 Vgl. Guelich 227.

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III 21-22 Da dieser Abschnitt zwischen zwei Gleichnissen zum Thema „Reich Gottes“ steht,120 liegt es nahe, Jesu Aussagen über das weithin scheinende Licht einer Öllampe121 (vgl. Mt 5,15; Lk 8,16; 11,33)122 und das rechte (Er-) Messen des nun eröffneten Geheimnisses (V. 22; vgl. Mt 10,26; Lk 8,17;123 EvThom 5 und 6)124 ebenso auf Gesetzmäßigkeiten des Gottesreiches zu beziehen. Jesus wendet sich wieder der allgemeinen Hörerschaft zu (vgl. 4,3334 sowie 4,9.26). Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass Jesus (V. 22) kontrastierend vom Offenbarwerden des bisher Verborgenen spricht (vgl. 4,11: „Euch ist das Geheimnis des Königreiches Gottes gegeben“). Ferner steht die Aussage über rechtes Hören (V. 23) parallel zu derselben Aussage am Ende des Gleichnisses vom Sämann (V. 9). Das gegenwärtige Bringen der Lampe ist Sinnbild der durch Jesus öffentlich angekündigten Gottesherrschaft („ist es nicht vielmehr so, dass man (sie) auf einen Ständer stellt?“).125 Diese Botschaft wird nicht verborgen, sondern öffentlich vermittelt und weit verbreitet. V. 22 impliziert jedoch auch Folgen dieses Offenbarwerdens (der Absicht und des Wirkens Gottes): Das menschliche Herz wird damit auch durchleuchtet, dass es (schließlich) ans Licht kommt (vgl. Joh 3,21). Wer sich der Gottesbotschaft widersetzt, dessen Herzenshaltung tritt zutage. Das bereits angesprochene Motiv des „Menschenfischers“ (s.o., Einzelauslegung zu 1,16-18), welches gnädige Wiederherstellung und heilsame Läuterung vermittelt, bietet hierzu eine Parallele. 23-25 Vgl. V. 9. Die Aussage über das rechte Hören wird erweitert. Keener bemerkt, dass der Begriff des „Messens“ dem Verkaufsgeschehen des Marktes entnommen ist (vgl. Lk 6,38a).126 Das Maß, mit dem gemessen wird (V. 24),127 bezieht sich wohl auf die Art und Weise, wie der Mensch auf Jesu Wort und Tat reagiert (V. 23). Besonders der Vergleich von Mk 4,24 mit Lk 6,37-38 (vgl. Mt 7,2) legt nahe, dass Jesus jeweils vom persönlichen Ausmaß bzw. Fehlen von Großzügigkeit spricht, mit dem „gehört“, „beurteilt“, „ver120 Pesch I 248 verweist auf derartige Reihungsformen, wie z.B. im EvThom und in Pirqe Abot. 121 Details bei Pesch I 248. Ein Scheffel ist ein Gefäß, das z.B. als Getreidemaß benutzt wird: vgl. Scott, Weights, 22-40. 122 Schriftverweise bei Pesch I 248. 123 Aufgrund der Tatsache, dass Jesus als Wanderprediger seine Botschaft sehr häufig wiederholt und selbst variiert, ist ein unterschiedlicher Kontext für das Logion nicht gleich Indiz für Kontextentfremdung bei Mk 4,22. 124 Schriftverweise bei Pesch I 250. 125 Vgl. ähnlich Pesch I 249. 126 Keener, Background, 145. 127 Schriftverweise bei Pesch I 252. Lane 167, Anm. 60 (mit Verweis auf M. Smith), macht auf die rabbinischen Parallelen aufmerksam (Mekhilta Ex 13,19ff; mSot 1.7; bSot 3.1).

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geben“ oder „gegeben“ wird. Vertrauende Offenherzigkeit Gott gegenüber als „Grundsatz eschatologischen Rechts“128 führt zu Segen im Leben mit Gott. Dabei ist zu beachten, dass ein derartiger Segen (u.U. auch Gottes Gerichtshandeln)129 nicht von Menschen bestimmt werden soll, sondern von Gott selbst. Siehe das wiederholte passivum divinum μετρηθήσεται ([metrēthēsetai] = „wird euch gemessen werden“) und προστεθήσεται ([prostethēsetai] = „wird euch hinzugefügt werden“). Wird der Botschaft Jesu von der hörenden Menge große Bedeutung („großes Gewicht“) beigemessen? Trifft dies zu, dann wird viel Frucht wachsen. Wenn Gott im hörenden Menschen tatsächlich neues Leben wirkt, dann wird der Mensch durch Gottes gnädiges Handeln „über sich hinauswachsen“ (mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird euch ausgeteilt werden und wird euch noch hinzugefügt werden). Der in den synoptischen Evangelien wiederholte Verweis auf die Tätigkeit des Messens kann durchaus auf unterschiedliche Situationen der Lehre Jesu zurückgehen (vgl. etwa Mk 4,24 mit Mt 25,14-30).130 25 Denn wer hat, dem wird (mehr) gegeben werden; wer nicht hat, von dem wird genommen, was er hat. Das im Judentum bekannte Paradox (4Esr 7,25; Mekhilta Ex 15,26; vgl. Mt 13,12; 25,29; Lk 6,39; 19,26; EvThom 41)131 lässt sich in unserem Zusammenhang dahingehend auflösen, dass der Mensch, der die Botschaft ernsthaft aufnimmt, in Gottes segnendes Werk einbezogen wird; wer die Botschaft verwirft, kann mit dem, was er (z.B. an Fähigkeiten bzw. Hab und Gut) besitzt, nichts bewirken, was vor Gott Bestand hat (vgl. Lk 8,18 sowie 1Kön 3,11-13).132

5.5 Gleichnisse von der selbstwachsenden Saat und vom Senfkorn 4,26-29.30-32 I 26 Und er sprach: „Derart ist das Königreich Gottes: Wie ein Mann den Samen auf die Erde wirft 27 und er des Nachts schläft und des Tages wach ist und der Same aufgeht und stetig wächst; wie, das weiß er selbst nicht. 28 Ganz von selbst bringt die Erde Frucht hervor, erst den Halm, dann 128 Dschulnigg 141. 129 Vgl. Dschulnigg 141. 130 Vgl. anders, Art. μέτρον [metron], EWNT II, 1036-1037. Siehe Rüger, Maß, 174-182. 131 Schriftverweise bei Pesch I 253 und Anm. 8 sowie Verweis auf Billerbeck, Kommentar I 660ff. Vgl. Lane 167 Anm. 60. 132 Vgl. Dschulnigg 142.

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die Ähre, dann den vollen Weizen an der Ähre. 29 Wenn die Frucht reif ist, schickt er sogleich die Sichel, weil die Ernte gekommen ist“. 30 Und er sprach: „Womit sollen wir das Königreich Gottes vergleichen, oder in welches Gleichnis sollen wir es fassen? 31 Wie einem Senfkorn kommt es gleich, das, sobald es in die Erde gesät wird – es ist ja das kleinste aller Samenkörner auf Erden –, 32 aufgeht und größer als alle anderen Gartenpflanzen wird und große Zweige treibt, sodass die Vögel des Himmels in seinem Schatten Schutz finden können“. II Die Abschnitte Mk 4,26-29 und Mk 4,30-32 enthalten zwei Gleichnisse zum Thema „Gesetzmäßigkeiten des Reiches Gottes“.133 Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26-29)134 ist dreiteilig strukturiert: a. säen; b. wachsen; c. ernten. Beachtenswert ist im Gegensatz zu Mk 4,3-8 die Wechselwirkung zwischen Saat und Bauer.135 Mk 4,26-29 gehört ferner zum markinischen Sondergut.136 Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 4,30-32) ist ebenso dreiteilig aufgebaut: a. Frage; b. kleiner Same; c. große Pflanze, mit starkem Kontrast zwischen b. und c. Es besteht eine thematische Verknüpfung durch den Kontrast „Verschleierung“/„Enthüllung“ (vgl. 4,21-22 mit 4,11-12 sowie 4,26-32).137 Die zwei Gleichnisse in 4,26-32 sind ferner durch das Stichwort „Saat“ und das Thema „Reich Gottes“ mit 4,1-20 verknüpft.138 III 26-28 Erneut nimmt Jesus das Bild eines säenden und sodann schlafenden und wachenden Sämanns139 auf, um einen weiteren Aspekt der Herrschaft Gottes (Königreich Gottes) gleichnishaft zu erläutern.140 Die überraschende 133 Guelich 238.247. 134 Berger, Formen, 103 zählt diesen Abschnitt zu Gleichnissen, die „Handlungen des allgemeinen Menschenlebens“ beschreiben und erst im Kontext zu Gleichnissen werden (a.a.O., 101). 135 Guelich 239. 136 Pesch I 255 deutet an, dass 1Clem 23,4 das Gleichnis „in einer freien Transposition“ nacherzählt. 137 Guelich 226-227. 138 Guelich 227. 139 Dschulnigg 144 meint im Unterschied zu Gnilka I 184, dass Jesus hier mit anthrōpos (in der unausgesprochenen Sachhälfte) auf den Menschensohn verweist. Die Hauptbetonung des Gleichnisses liegt in der Sachhälfte jedenfalls auf dem unergründlichen Wachstum des Gottesreiches. 140 Lit. zu 4,26-29: Blomberg, Gleichnisse, Kap. 8.1.4; Jeremias, Gleichnisse, 92.104.151153.224; Strobel, Motiv, 34-35; Theißen, Bauer, 167-182; vgl. Dodd, Parables, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 259.430 (bis 1980); Guelich 237 (bis 1988).

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Betonung der Tatsache, dass die Saat ganz von selbst (αὐτόματος [automatos], V. 28, vgl. wie, das weiß er selbst nicht), also „ohne sichtbare Ursache“141 wächst, deutet an, dass die Botschaft des Gottesreiches und besonders das dahinterstehende souveräne Wirken Gottes für brauchbare Frucht verantwortlich ist, nicht der Mensch. Auch wenn das Wort Jesu über die messianische Herrschaft Gottes nicht von allen aufgenommen wird (4,13-20), führt es dennoch (bei vielen) zum Wachstum und Fruchttragen. Die ermutigende Gewissheit des großen Endes steht hier im Vordergrund. 28 Die detaillierte Beschreibung der Wachstumsstadien (vom Halm über die Ähre zum vollen Weizen142) weist darauf hin, dass Wachstum im messianischen Gottesreich durchaus schrittweise, jedoch ganz gewiss vonstattengeht (vgl. V. 27 und stetig wächst). Jesus modifiziert somit die weit verbreitete Ansicht des Täufers, seiner eigenen Jünger und der allgemeinen Bevölkerung, die das Anbrechen der messianischen Herrschaft Gottes allesamt mit dem Letzten Gericht aufs Engste verknüpfen.143 Die messianische Herrschaft Gottes beginnt jedoch unscheinbar (siehe die bescheidene Gruppe von Jesusjüngern),144 sie wächst in der Zwischenzeit auf unerklärliche Weise und weist im Letzten Gericht überraschenderweise große Frucht auf. 29 Hier wird Frucht umfassend verstanden. Alles, was die eschatologisch bereits bestehende Gottesherrschaft im alten Äon bewirkt – Zeugnis, Nachfolge, persönliches Wachstum in Ergebenheit Gott gegenüber, Kampf gegen die satanischen Kräfte (vgl. Jak 4,7), Überwinden der Sorgen und Begierde der Welt, ganzheitliches Leben unter Gottes Hand, Ausleben der Ehre Gottes in der säkularen Gesellschaft, Gemeinde als „Gewissen“ des Staates – wird im Letzten Gericht (Sichel und Ernte145; vgl. Joel 4,13) „eingesammelt“. Nichts, was bereits jetzt unter Gottes Herrschaft geschieht, bleibt vor ihm unbemerkt oder unwichtig. Das Motiv der Zuversicht (vgl. Mk 13,32) bestimmt sowohl Bildwort als auch die Sachhälfte.146 Es liegt hier ferner die Vorstellung des „eschatologischen Maßes“ vor (vgl. Joel 4,13; Offb 14,14-20), bei dessen Fülle das Gericht erfolgt.147 141 So Pesch I 256 und Anm. 8 (in Anlehnung an R. Stuhlmann). 142 Vgl. Pesch I 257. 143 Vgl. Lane 155. 144 Vgl. Keener, Background, 146. 145 Pesch I 257 bemerkt, dass der metaphorische Verweis auf „Ernte“ im NT entweder Mission (Lk 10,2; Joh 4,35) oder Gericht meint (Mt 13,30.39; Offb 14,15). 146 Vgl. ähnlich Pesch I 258. 147 Schriftverweise bei Pesch I 257, der ferner auf 3Esr 4,35ff und Jak 5,7 sowie auf ApkBarsyr 22,5f; 70, 2 verweist. Dschulnigg 144, meint, dass hier ein weiteres Indiz dafür vorliegt, dass der anthrōpos des Gleichnisses auf den Menschensohn weist.

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30148 Ein drittes und letztes Bild hebt hervor, dass die Gottesherrschaft anders als erwartet beginnt und ein überraschendes Ziel aufweist. Wird im palästinischen Judentum zur Zeit Jesu nach makkabäischem Muster die Befreiung Israels von römischer Unterdrückung erwartet (s.o., Einleitung 4.1.2 und Lk 24,21: λυτροῦσθαι τὸν Ἰσραήλ [lytrousthai ton Israēl] als Befreiung von Feinden149), so spricht Jesus im Gegensatz hierzu vom unscheinbaren Anfang,150 sowie vom erstaunlichen, großen Ende des Gottesreiches. V. 30 hebt hervor, dass Jesus darum bemüht ist, die Gesetzmäßigkeiten des Gottesreiches zu veranschaulichen. Allerdings erweckt die Aussage auch den Eindruck, dass die Gesetzmäßigkeiten des Gottesreiches letztendlich nicht völlig in menschlichen Kategorien fassbar sind. Der Hörer muss sich bewusst machen, dass Gottes Herrschaft anders ist, als gängige Vorstellungen, Erwartungen, Gesetzmäßigkeiten und Zielsetzungen. Die Gleichnisse sollen jedoch eine „Ahnung“ davon vermitteln, wie Gott das ewige, messianische Reich aufrichtet. 31-32 Die Verse unterstreichen den Kontrast des geringen Anfangs und des herrlichen Endes.151 Das Senfkorn ist sprichwörtlich der kleinste Same,152 der zwischen ein bis drei Meter hohe153 Sträucher hervorbringt.154 Der schattige Schutz, den der große, gewachsene Strauch den Vögeln bietet (vgl. Ri 9,815; Ps 80,8ff; 104,12; Hes 17,22-24; 31,1-9; Dan 4,9-12.17-23; 1QH8,4-9)155, erinnert an Gott, den Schützenden (Ps 91,1-2).156 Entgegen aller Erwartung (Pesch spricht von einer „eschatologische(n) Umkehrung der Verhältnisse“157) und entgegen aller Erfahrung ist die Größe, der Schutz und Schatten des überwältigenden Endes gewiss (vgl. Hes 17,22-24; Dan 4,7-10.17-19).158 Auf dem Hintergrund der Weltherrscher kann dieses Gleichnis ferner andeuten, dass die

148 Lit. zu 4,30-32: Blomberg, Gleichnisse, Kap. 8.2.3; Hirth, Senfstaude, 15-16; Jeremias, Gleichnisse, 90.92.104.145-148; Manson, Teaching, 133; vgl. Dodd, Parables, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 264.430 (bis 1980); Guelich 246 (bis 1988). 149 Marshall, Luke, 895. 150 Hirth, Senfstaude, 15-16 verweist auf ähnliche alttestamentliche Texte, wie z.B. Hes 17,23 und 2Kön 14,8-10. 151 Vgl. Lane 171. 152 Details bei Pesch I 261. Das Senfkorn Brassica nigra hat ca. 1–1,5 mm Durchmesser („etwa die Größe eines Stecknadelkopfes“; Dschulnigg 147). Siehe „Flora of Israel Online“: http:// flora.huji.ac.il (Suchbegriff „brassica“). 153 Pesch I 261. 154 Vgl. Lane 171, Anm. 74, der auf Billerbeck, Kommentar I 699 und O. Michel, ThWNT III, 811-812 sowie 811, Anm. 1, verweist. 155 So Pesch I 260. 156 Vgl. Lane 171, Anm. 78, der auf Ps 104,12; Dan 4,12.21; Hes 17,23; 31,6 verweist. 157 Pesch I 262. 158 Schriftverweise bei Pesch I 262.

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Herrschaft Gottes über allen irdischen Machtbereichen stehen wird.159 Allerdings ist dieser weitere Horizont im Gleichnis nicht ausdrücklich erwähnt.160 Es steht aber prinzipiell fest, dass der zukünftigen Größe des weltumspannenden, messianischen Gottesreiches nichts widerstehen kann.

5.6 Ziel der Gleichnisrede Jesu 4,33-34 I 33 Und er sprach zu ihnen das Wort mithilfe vieler ähnlicher Gleichnisse, ganz so, wie sie es aufnehmen konnten. 34 Er sprach nur in Gleichnissen zu ihnen, erklärte aber gesondert alles seinen eigenen Jüngern.161 II Der zur symbuleutischen (auffordernden bzw. mahnenden) Gattung gehörende Abschnitt Mk 4,33-34 schließt den markinischen Zyklus der Gleichnisreden Jesu ab.162 Mk 4,33 ist durch das Stichwort „Wort“ mit 4,3-10a.14-20.26-32 verknüpft.163 III 33-34 Τοιαύταις παραβολαῖς πολλαῖς ([toiautais parabolais pollais], mithilfe vieler ähnlicher Gleichnisse; dat. instrumentalis oder dat. der Art und Weise) besagt, dass Mk lediglich eine (kleine) Auswahl der Gleichnisse Jesu anführt. Die Gleichnisse vermitteln und verdeutlichen bildhaft den Inhalt des Wortes (vgl. 1,45; 2,2; 8,32),164 welches Jesus zum Thema „Herrschaft Gottes“ verkündigt (vgl. etwa 4,12). Durch das rhetorische Mittel der „Gleichnisrede“ warnt Jesus als prophetischer Lehrer gleichzeitig alle Hörenden vor Hartherzigkeit. Wie bereits erwähnt, birgt diese Randnotiz des Mk (auf Petrus zurückgehend) einen Schlüssel zum Verständnis der Gleichnisrede Jesu. Καθώς ([kathōs], V. 33) ist nicht als „soweit sie (es aufnehmen konnten)“ zu fassen, sondern als ganz so, wie sie es aufnehmen konnten.165 159 So Lane 173. 160 Siehe die kritischen Bemerkungen bei Pesch I 263, in Auseinandersetzung mit Manson, Teaching, 133 und Jeremias, Gleichnisse, 146. 161 Lit. bei: Pesch I 267.430 (bis 1980); Guelich 253 (bis 1988). 162 Berger, Formen, 179. 163 Guelich 254-255. 164 Vgl. Pesch I 265. 165 Guelich 254.

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Mk 4,33-34 bezieht sich inhaltlich auch auf die „Absicht und Bedeutung der Gleichnisrede Jesu“ in 4,10-12 (s.o., Einzelauslegung zu 4,10-12).166 Wie oben bereits erwähnt, ist der angedeutete Jesajatext (6,9-10) in 4,12 als endgültige Absichtsaussage (damit) im Kontext eines vorübergehenden Gerichts zu verstehen, aus dem allerdings ein heiliger Rest (Jes 6,13) hervorgeht.167 Jesus konstatiert in 4,11-12 eine Analogie hierzu. Jesus spricht aufgrund von 4,33-34 mit seinen Gleichnissen als prophetischer Gerichtsrede eine Höchstwarnung aus (vgl. TargJes 6,9-10; Mt 13,13 und Lk 8,10), ohne damit endgültiges Gericht über Hartherzige anzukündigen (so ist evtl. auch Jes 6,9-13 zu verstehen).168 Eine bedingte Möglichkeit zur Umkehr ist somit in Jesu Gleichnisrede nicht völlig auszuschließen (obwohl sie im Fall von 12,1-12 tatsächlich einen verhärteten Zustand besiegelt). Die Gleichnisrede Jesu signalisiert den Gegnern Jesu jedoch stets einen gefährlichen Grad an Hartherzigkeit. Sieht man also Mk 4,10-12 (einschließlich Jes 6,9f) und 4,33-34a ohne redaktionelle Spekulation zusammen, ergibt sich die Tatsache, dass Jesus seine Gegner durch prophetische Gleichnisrede angesichts ihrer Hartherzigkeit überaus ernsthaft warnt, aber nicht endgültig richtet (vgl. heiliger Rest, Jes 6,13).169 Die Gleichnisrede Jesu bedeutet immer Warnung und Ruf, „Verschleierung und Verdeutlichung“.170 34 Er sprach nur in Gleichnissen zu ihnen: Jesus sprach mit seinen Gegnern in vielerlei Formen, nicht nur in Gleichnissen. Es ist möglich, dass sich diese Aussage auf Jesu Lehre über das Königreich beschränkt. Überzeugender ist jedoch die Interpretation, dass alles, was Jesus repräsentiert und lehrt, den Gegnern verschleiert (gleichnishaft) erscheint.171 Wer Jesus nachfolgt, dem wird die Bedeutung des gleichnishaften Redens Jesu deutlich (er … erklärte aber gesondert alles seinen eigenen Jüngern); dem Jünger wird wahres, fruchtbringendes Leben eröffnet. IV zu 4,1-34 Ziel. Mk beabsichtigt, die vertiefende Belehrung der Jünger zu beschreiben und gleichzeitig die öffentliche Lehre an das einfache Volk weiter darzustellen. Hier wie dort geht es um die offenherzige Aufnahme des „Wortes“ (d.h. zunächst der Reich-Gottes-Botschaft Jesu). Die prophetische Gleichnisrede 166 Guelich 255. 167 Vgl. Boring 124-127. Marcus, Mystery, ad loc. 168 Pace Boring 140-142. 169 Pace Boring 141, der zugunsten einer Scheidung zwischen Redaktion (V. 34) und Tradition (V. 33) diese Möglichkeit verwirft. 170 Lane 171-172 (Übers. HFB). 171 Vgl. Lane 173, mit Mauser, Christ, 120-122.

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warnt ernsthaft vor Härte des Herzens. Aufgrund der Tatsache, dass die Jünger „bei“ Jesus sind, werden sie unverhüllt vor der Gefahr der Herzenshärte gewarnt und durch das Geheimnis des stetigen Wachstums der Herrschaft Gottes ermutigt. Kontextualisierung und Anwendung. Jetzt erst führt Mk das dritte große Thema im Mk Ev. ein: Neben der Frage, wer Jesus ist sowie der damit zusammenhängenden Frage, was Nachfolge tatsächlich bedeutet, wird jetzt das große Thema der hereinbrechenden, messianischen Herrschaft Gottes (bzw. des Gottesreiches) entfaltet. Zwar hat Mk bereits angekündigt, dass Jesus während seines öffentlichen Wirkens zentral über die Herrschaft Gottes lehrt (1,14-15), aber er bietet erst jetzt einen Einblick, wie die kommende Herrschaft Gottes zu verstehen ist. Jesus entfaltet die Vorstellung der messianischen Herrschaft Gottes zunächst unabhängig von der Frage, wer der Messias Gottes ist. Beide Vorstellungen werden im Judentum z.Z. Jesu unterschiedlich gefasst. Es ist daher notwendig, dass Jesus diese Vorstellungen in seinem Sinn getrennt beschreibt, bevor er sie vor allem in Mk 14,25 (vgl. 8,38) aufeinander bezieht (vgl. unten, Exkurs 12). Wie bereits erwähnt (siehe Exkurs 5), beinhaltet die messianische Herrschaft Gottes eine universale Weiterführung und Ausbreitung des erwählten Gottesvolkes, wobei die universale Herrschaft Gottes nun jenseits von politischen (theokratischen) Eingrenzungen liegt und die begrenzte Konzentration auf ein bestimmtes Land (Israel)172 zugunsten der ganzen Erde, unter Einbeziehung jüdischer (siehe den „heiligen Rest“ in Röm 11) sowie heidnischer Menschen, ausgeweitet wird (vgl. Apg 1,6 mit 1,8 und 3,21). Umkehr und Vergebung sind eng mit dem Kommen der Herrschaft Gottes verknüpft (4,12; vgl. 1,14-15). Das heißt, die von Gott entfremdeten jüdischen und heidnischen Menschen sollen wieder unter die der Schöpfungsabsicht entsprechende richtungweisende und fürsorgliche Autorität und Führung Gottes gelangen. Jesu Lehre von der Herrschaft Gottes ist äußere Beschreibung dessen, was im Kommen des Messias Gottes und dessen Nachfolgeruf persönlich vermittelt wird: Jesus lebt und lehrt, um Menschen in der Nachfolge unter die lebensnotwendige und ewig bleibende Herrschaft Gottes zu bringen. Beachtenswert ist die enge Beziehung zwischen Jesu Lehre von der „Herrschaft Gottes“, der „Erlösung“ und dem „ewigen Leben“ in Mk 10 („ewiges Leben“: 10,17.30; „Erlösung“: 10,26; „Eingehen ins Reich Gottes“: 10,23-25).

172 Burge, Jesus, 25-57.58-72 und passim.

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Den drei Gleichnissen gemeinsam ist die Tatsache, dass Gott wirkt: Im Gleichnis vom Sämann ist es das Wort Gottes, d.h. Jesu Leben und Lehre, das die Frucht der Versöhnung, der Anbetung und der Weitervermittlung der guten Nachricht bewirkt. Im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat ist es die Tatsache, dass Gott Wachstum (Reifen in der Nachfolge) bewirkt. Im Gleichnis vom Senfkorn ist es die Tatsache, dass ein geringer Anfang des neuen Lebens mit Gott zu einem verheißungsvollen, überwältigenden Ende führt. Gott wirkt. Der Skeptiker, der die Stimme Gottes nicht hört, soll wissen, dass Gott wirkt. Er soll aufmerken, wenn Jesus mit dem Gleichnis vom Sämann warnt, die Beschaffenheit des eigenen Herzens wachsam und ehrlich bloßzulegen. Das Problem ist letztendlich nicht das vermeintliche Schweigen Gottes, sondern die fehlende Bereitschaft des Menschen, die Leben spendende Mitteilung des Handelns Gottes so aufzunehmen, dass sie (durch die Kraft Gottes) den Menschen von innen heraus ändert. Allerdings liegt hier eine scheinbar paradoxe Gesetzmäßigkeit vor: Auf der einen Seite ruft Jesus alle zur Umkehr; auf der anderen Seite betont er, dass nur die auf seinen Ruf reagieren werden, die vom Vater bereits berufen sind (Joh 6,43; vgl. Mk 13,20). Die Betonung des einen oder anderen Sachverhalts hängt u.a. davon ab, wie radikal und weitreichend die Entfremdung des Menschen von Gott tatsächlich ist. Je stärker diese Entfremdung gesehen wird (vgl. etwa Joh 3,16.18; Röm 3,9.20.23; 5,10; Phil 3,9), umso mehr gewinnt Joh 6,43 an Bedeutung. Konkret sieht die Warnung Jesu im Gleichnis vom Sämann folgendermaßen aus: Voraussetzung für ein fruchtbringendes Leben ist die Bereitschaft, das Wirken Gottes zu „beherbergen“. Der gemeinsame Nenner der „ungastlichen“ Herzen ist die Eigenbestimmung: Der Spannungsbogen reicht von der Unfähigkeit, überhaupt die Not der Gottesunabhängigkeit zu sehen, über den Opportunisten,173 der schnelle Resultate fordert, bis hin zu dem Menschen, bei dem die Gabe Gottes „greifbar“ scheint. Allerdings gibt sich dieser dritte Menschentyp allerlei gottloser Angst, Besitzsucht und Lust hin, und verdrängt somit das gegenwärtige Wirken Gottes, das Gestalt annehmen soll. Natürlich soll der Mensch Verantwortung tragen, Besitz verwalten und sich an Gottes Schöpfung erfreuen. Aber in der Gottesferne entarten diese guten Verantwortungen und Freuden jeweils zu Sorge, Habsucht und egoistischer Lust. Die Eigenbestimmung setzt sich auf Kosten der Gegenwart Gottes und seines Willens durch. Das empfangsbereite, fruchttragende Herz lässt sich jedoch von Gottes Gabe erfüllen. Die Gegenwart Gottes „nimmt sich“ beim betreffenden Menschen alles, was zum Fruchttragen notwendig ist. „Frucht“ bedeutet „weiter173 Luther nennt diesen Menschen „wetterwendisch“ (Mk 4,17; Luther 1984).

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sagen“ (vgl. die Aussendung der Jünger) sowie das Reifen an der souveränen Gegenwart und dem Willen Gottes im individuellen und gemeinschaftlichen Leben (Nachfolge; Heiligung).174 Das Thema des Unverständnisses der Jünger klingt hier bereits an. Es ist ebenso eine Warnung für selbstsichere, eingebildete, und scheinbar viel wissende Nachfolger im 21. Jh.: Letztendlich unterscheiden sich Nachfolger und Gegner Jesu nicht so sehr darin, wie viel die einen und anderen von Jesus wissen, oder wie umfassend sie Jesu Lehre verstehen, sondern darin, ob sie bei Jesus sind oder nicht (vgl. diesbezüglich den gesamten Warnungsabschnitt 7,31–8,22). Die Bedeutung der bleibenden und wachsenden Abhängigkeit von Jesus wird hierdurch hervorgehoben. Jesus lehrt seine Jünger damals wie heute durch Gleichnisse. So ist z.B. das Gleichnis vom Sämann zugleich Programm Jesu und Vorbereitung der Jünger, mit Aufnahme und Verwerfung der Botschaft Jesu zu rechnen. Jesus konfrontiert den Nachfolger des 21. Jh.s mit sich selbst und bereitet ihn nüchtern auf seine Zukunft vor. Trotz der Nüchternheit wird mit der Aussage über großes Fruchttragen eine tiefe Hoffnung vermittelt. Dies trifft auf alle Gleichnisse zu, die Mk präsentiert. Sie betonen insgesamt eine Sichtweise, die Verzagtheit angesichts aktueller Probleme in den Rahmen der sicher wachsenden Herrschaft Gottes stellt. Die Perspektive Gottes ist die des Bloßstellens des menschlichen Herzens, des offenen Annehmens des Wirkens Gottes, des geschenkten Wachstums und des großen Endes trotz des geringen Anfangs. Das soll die Perspektive des Nachfolgers bestimmen. Nachfolge heißt dann auch, dass Jesus ihnen das anvertraut, was vielen anderen zur Hoffnung dient.

174 Im weiteren Kontext des NT bedeutet „Frucht tragen“, das ewige Leben erben (Joh 4,36; 12,24) und, durch Gottes Wirken, einen gottgefälligen Charakter zu entfalten (Röm 6,22). Die „Frucht des Geistes“ wird in Gal 5,22 mittels Charaktereigenschaften erläutert (vgl. Eph 5,9: Frucht ist dort „Güte“, „Gerechtigkeit“ und „Wahrheit“). Hebr 13,15 spricht schließlich von der „Frucht der Anbetung“.

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6. Naturwunder, Heilungen, Unglaube 4,35–6,61 In Anwesenheit seiner Jünger und anderer Zuhörer demonstriert Jesus erneut das Ausmaß seiner Vollmacht, sowohl über Naturgesetze (4,35-41) als auch über dämonische Mächte (5,1-20). Diese Machterweise gehen Hand in Hand mit seinen außergewöhnlichen und provokativen Aussagen. Die zweiteilige Erzählung über die Wiederbelebung der Tochter des Jairus (5,21-24.35-43) rahmt die Heilungserzählung der blutflüssigen Frau ein (5,25-34; „sandwich“-Muster, siehe oben, 3.2). Jesus erweist hierbei seine Macht über Krankheit und Tod (5,21-43). Trotz seiner barmherzigen und machtvollen Taten stößt Jesus in seiner Heimatstadt auf Skepsis. Ist er tatsächlich von Gott berufen und bevollmächtigt (6,1-6)? Ebenso wie der erste Zyklus (2,1–3,12) in Opposition gegen Jesus endet (3,1-6), schließt der vorliegende Zyklus (3,13–6,6) erneut mit dem Motiv der Ablehnung Jesu (6,1-6). Synoptischer Vergleich: Befund. Gemeinsam mit Lk berichtet Mk über die Stillung des Sturms (Lk 8,22-56 / Mk 4,35-41; vgl. Mt 8,18.23-27), den besessenen Gerasener (Lk 8,26-39 / Mk 5,1-20; vgl. Mt 8,28–9,1), die Tochter des Jairus und die blutflüssige Frau (Lk 8,40-56 / Mk 5,21-43; vgl. Mt 9,18-26). Im Unterschied zu Lk berichtet Mk mit Mt sodann erst über die Verwerfung Jesu in Nazareth (Mt 13,53-58 / Mk 6,1-6; vgl. im Gegensatz hierzu Lk 4,16-30). Auswertung: Mk erweitert konsequent das Thema der Vollmacht Jesu sowie die Tatsache der wachsenden Opposition gegen seine Person und seinen Anspruch. Literarischer Kontext. Mk 4,35-41 beginnt einen Zyklus2 von vier aufeinanderfolgenden Wundergeschichten (mit der Struktur „Situation“ – „Wunder“ – „Resultat/Heilung“): a. 4,35-41, Vollmacht über die Natur; b. 5,1-20, Vollmacht über Dämonen; c. und d. 5,21-43 (zwei Heilungsgeschichten: 5,25-34 1

2

Lit. zum Textabschnitt: Blackburn, Theios Anēr, 141-265; Kee, Terminology, 232-246; Klinghardt, Boot, 183-202; vgl. ferner Koskenniemi, Miracle-Workers, ad loc.; Betz, Wesen, ad loc. Zur textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch I 268, Anm. a-e; 283-284, Anm. a-f; 296-297, Anm. a-f; 315, Anm. a-c; France 221.226.233.241; Lane 174, Anm. 88; 179-180, Anm. 1-2; 189, Anm. 32-34; 191, Anm. 40-42; 195. Anm. 56-58. In Mk 6,45-52 wird schließlich die Frage von 4,41 (Τίς ἄρα οὗτός ἐστιν ὅτι καὶ ὁ ἄνεμος καὶ ἡ θάλασσα ὑπακούει αὐτῷ; [tis ara houtos estin hoti kai ho anemos kai hē thalassa hypakouei autō) beantwortet (vgl. Guelich 263).

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innerhalb von 5,21-43), Vollmacht über Krankheit und Tod. Jesu Verwerfung in Nazareth (Mk 6,1-6) wirft einen ersten Schatten auf die Aussendung der Jünger in 6,7-13;3 sie dient ferner als Vorbereitung auf die Frage in der Öffentlichkeit, wer Jesus ist (6,14-16; 8,27-29).4 Mk 5,6-10 weist bezüglich der Benennung Jesu durch Dämonen Parallelen zu 1,24.34 und 3,11 auf.5 Thematisch liegt eine Verknüpfung von vollmächtigem Lehren und Handeln vor,6 was dem Gesamtabschnitt 4,1–6,6 Kohärenz verleiht.7 Mk 5,21-43 ist mit 4,35–5,20 durch die „Situation am See“ (vgl. 5,21) verbunden. Das Thema „Unreinheit“ (vgl. 5,1-20; Lev 15,25) taucht erneut in 5,25-34 und im Berühren der toten Tochter des Jairus (5,41) auf.8 Ferner findet sich das Motiv der „Furcht“ sowohl in 4,41 als auch in 5,15 und 5,36.9 Schließlich ist das Motiv der „Verzögerung“ sowohl in 4,37-38, 5,3-5 als auch in 5,26.35 bemerkbar.10 Das Thema „Glaube“ (4,40; 5,34.36) steht in Kontrast zum Thema „Unglaube“ in 6,1-6.11 Mk 6,2.5 ist thematisch durch das Stichwort „Macht“ mit 5,30 verbunden.12 In gewisser Hinsicht schließt 6,1-6 einen ersten Abschnitt über die Worte (3,20– 4,34) und Taten Jesu (4,35–5,43) ab.13

6.1 Stillung des Sturms 4,35-41 I 35 Als es an jenem Tag Abend geworden war, sagt er zu ihnen: „Lasst uns ans jenseitige Ufer fahren“. 36 Sie entließen das Volk und nahmen ihn, wie er im Boot war, mit; auch waren andere Boote dabei. 37 Und es brach ein großer Wirbelsturm los und die Wellen begannen ins Boot überzuschlagen, sodass sich das Boot bereits füllte. 38 Er aber schlief im Heck 3 4 5 6

Guelich 307. Vgl. ebd. Guelich 274. Vgl. Guelich 274, der auf Mt 5-7 (vollmächtige Lehre) und Mt 8-9 (vollmächtiges Handeln) als Analogie verweist. 7 Vgl. ähnlich Guelich 263. 8 Guelich 293. 9 Vgl. Matjaž, Furcht, passim. 10 Ebd. 11 Guelich 294.307. 12 Guelich 307. 13 So Guelich, a.a.O.

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auf einem Kissen. Sie aber wecken ihn und sagen: „Lehrer, macht es dir nichts aus, dass wir verderben?“ 39 Er aber erwachte, wies den Wind zurecht und sprach zum See: „Beruhige dich, sei still“. Und der Wind legte sich und es wurde ganz still. 40 Und er sprach zu ihnen: „Was seid ihr so verzagt? Habt ihr immer noch keinen Glauben?“ 41 Und sie wurden von einer großen Furcht ergriffen und sagten untereinander: „Wer ist denn dieser, dem sogar Wind und Wasser gehorchen?“14 II Form und Aufbau. Mk 4,35-41 wird häufig als Wundergeschichte15 identifiziert. Der elementare Aufbau, wie bei anderen Wundergeschichten, besteht aus „Situation“ (V. 35-38) – „Wunder“ (V. 39) – „Resultat“ (V. 40-41). Allerdings gibt Guelich zu bedenken, dass die vorliegende Erzählung sowohl durch den fehlenden Hilferuf (vgl., wenn überhaupt, eine indirekte Bitte in 4,38) als auch durch die Schelte Jesu (4,40) vom üblichen Aufbau einer Wundergeschichte abweicht.16 Der Abschnitt mag auf Ps 107,23ff und evtl. auf Jona 1 anspielen (siehe unten, Einzelauslegung). Motivgeschichtlicher Hintergrund und Historizität. Die mögliche Anspielung auf Ps 107,23ff und auf Jona 1 in Mk 4,35-41 ist kein Indiz für eine „Entwicklung urchristlicher Christologie“,17 da Jesus im gesamten Mk Ev. durchaus historisch glaubwürdig als „der in der Macht Jahwes Auftretende“ angesehen werden kann. So ist dieser Abschnitt sowie Mt 12,41 par („hier ist mehr als Jona“) durchaus im überraschenden und historisch verankerten Selbstanspruch Jesu zu lokalisieren.18 Die natürlichen Umstände (abendlicher Sturm auf dem See Genezareth) der folgenden Erzählung werden durch Details ergänzt, die einem Augenzeugenbericht (Petrus) entsprechen: Die Abendszene mit Suche nach Ruhe (an dem Kapernaum gegenüberliegenden Ostufer des Sees Genezareth; vgl. 5,1); die mitfahrenden Boote (ein neues Phänomen); das sich mit Wasser füllende Boot19 angesichts des heftigen Sturms; das Ausruhen Jesu am etwas ruhigeren 14 Lit.: Blackburn, Theios Anēr, 141-145.152.193-194; Dalman, Orte, 128ff.197-198; Goppelt, Typos, 84; Schmücker, Funktion, 1-26; vgl. ferner Hooker, Signs, ad loc.; Kertelge, Wunder, ad loc.; Loos, Miracles, ad loc.; Theißen, Wundergeschichten, ad loc.; Wenham, Miracles, passim; Brown, Miracles, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 277.430 (bis 1980); Guelich 259260 (bis 1988). 15 Vgl. etwa Pesch I 268 („Rettungswundererzählung“). 16 Guelich 261. 17 So Pesch I 276. 18 Pace Pesch I 269.276. 19 Siehe oben die Einzelbemerkungen zu Mk 1,19-20.

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Heck des Bootes sowie die Erwähnung des Kissens.20 Auf der anderen Seite sind eigenartige Elemente zu bemerken: Jesus kann mitten im Wirbelsturm schlafen (vgl. die Ruhe des Glaubenden in Ps 4,8; Spr 19,23);21 die Jünger wecken Jesus in der Hoffnung, dass er ihnen helfen kann; vor allem überrascht, dass Jesus nun auch Macht über Wind und Wellen hat (vgl. Gottes Macht über Wind und Wasser in Ps 107,29).22 III 35 Zum Grund für das Übersetzen über den See, siehe 1,38.23 36 Möglicherweise impliziert der Vers, dass Jesus wiederum von einem Boot24 aus lehrt, nachdem er in Kapernaum gelehrt hatte (bis 3,35). 37 Die Tatsache gefährlicher (Wirbel-)Stürme λαῖλαψ [lailaps] auf dem See ist gut bezeugt.25 37-38 Es bestehen mögliche Parallelen zu Jona (LXX): Siehe Jon 1,4 (Mk 4,37), 1,5 (Mk 4,38), 1,6 (Mk 4,38), 1,11 (Mk 4,39) und 1,16 (Mk 4,41).26 Während durchaus ein gewisses thematisches Echo vorliegt (z.B. Notsituation, Schlaf im Sturm, Stillung des Sturms, Erstaunen), ist dennoch festzuhalten, dass die Verweise auf den Sturm, die Furcht sowie den Schlafenden nicht notwendigerweise eine genealogische Abhängigkeit von Jona 1,4-16 beweisen,27 sondern wegen zu vieler Unterschiede im Detail eher im Bereich der Analogie anzusiedeln sind.28 Der Hauptunterschied liegt ferner in der Tatsache begründet, dass Jona vor Gott flieht, während Jesus in der Gegenwart Gottes dient („[d]er in souveränem Vertrauen im Heck schlafende Jesus“)29. Jona beabsichtigt, vor Gott zu fliehen, während Jesus mit Gott versöhnt. Eine wichtige alttestamentliche Parallele zu 4,37-38 liegt allerdings in Ps 107,23-32 20 21 22 23 24 25

26 27 28

29

Vgl. ähnlich bereits Lane 174-175. Keener, Background, 146. Vgl. ebd. Vgl. Lane 175. Siehe oben die Einzelbemerkungen zu Mk 1,19-20. Aufgrund der Tiefe des Sees bleibt die Wassertemperatur auch im Frühjahr und Sommer relativ niedrig. Zu diesen Jahreszeiten stößt die Wärme der umliegenden Landschaft somit auf kühlere Luft. Siehe Dschulnigg 150. Vgl. Lane 175, der auf Dalman, Orte, 128ff und 197f verweist. Pesch I 271 hebt hervor, dass λαῖλαψ [lailaps] einen Wirbelsturm beschreibt. Lane 175-76 und Anm. 91, mit Verweis (u.a.) auf Goppelt, Typos, 84. So, emphatisch, Pesch I 270-275 mit vielen Details zu Parallelen zwischen Mk 4,35-41 und Jon 1 bzw. Ps 107,23ff sowie TestNaph 6. Pesch I 273-274 betont, dass eine genealogische Abhängigkeit des Abschnitts Mk 4,35-41 von griechisch-hellenistischen Geschichten der Rettung aus Seenot nicht vorliegt, weil dort die Rettung „vorzüglich durch die Epiphanie eines Gottes, der mitunter im Gebet angerufen wird …“, geschieht. Dschulnigg 150.

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vor. Die Furcht zu verderben, ist trotz der Gegenwart Jesu (im Heck πρύμνα [prymna] schlafend)30 überwältigend. Die Frage der Jünger in V. 38 hat den Ton eines verhaltenen Vorwurfs: „Lehrer,31 macht es dir nichts aus, dass wir verderben?“ (Διδάσκαλε, οὐ μέλει σοι ὅτι ἀπολλύμεθα; [Didaskale, ou melei soi hoti apollymetha?]). Es handelt sich deshalb um einen verhaltenen Vorwurf, weil die Verneinung οὐ [ou] impliziert, dass die Jünger eine entgegenkommende Antwort des Angesprochenen erwarten.32 Die von ihnen erwartete Antwort könnte etwa so lauten: „Doch, es macht mir natürlich etwas aus.“ Der beabsichtigte Ton ihrer Frage kann z.B. folgendermaßen umschrieben werden: „(Obwohl du Macht hast,) scheint es so, Lehrer, als ob es dir nichts ausmacht, dass wir verderben“. Ist ihre Furcht dennoch Glaubensmangel (V. 40)? Sollten sie nicht grundsätzlicher darauf vertrauen, dass sie wegen Jesu Gegenwart im Sturm nicht umkommen werden? Beide Fragen sind zu bejahen. Obwohl sie bereits ansatzweise mit der Fürsorge Jesu rechnen, müssen die Jünger noch viel grundsätzlicher lernen, dass ein existenzielles und beständiges Vertrauen auf Jesus alle Furcht überwindet (vgl. V. 40). 39 Jesus spricht zu Wind und Wellen als ob sie Personen wären. Ebenso wie bei Krankheiten und Dämonen (1,25) hat Jesus Macht über Naturgesetze33 (Stillung des Sturms) bzw. kann er diese nach seinem Willen beeinflussen. Der Begriff κοπάζειν [kopazein] (der Wind) legte sich wird auch in LXX Jon 1,11.12 (allerdings nicht in LXX Jon 1,15) sowie in LXX Gen 8,1-11 verwendet.34 30 Pesch I 271 geht unnötigerweise davon aus, dass Jesus in unserem Bericht nur deshalb im äußersten und hintersten Teil des Bootes (wo eigentlich der Steuermann steht) schläft, weil Mk in Abhängigkeit von Jon 1,5 berichtet (dort ist allerdings die Rede vom untersten Teil des Schiffes). Πρύμνα [prymna] kann jedoch durchaus allgemeiner „im Heck“ des Bootes bedeuten (vgl. Apg 27,29.41). Pesch überzieht die Aussage bei Bauer, Wörterbuch, 5. Aufl., 1437 („d. äußerste Hinterende des Schiffs“), der ebd. zu Mk 4,38 bemerkt: „er befand sich auf dem Hinterschiff im Schlaf“. Siehe ebenso Bauer-Aland, 6. Aufl., 1450 „er schlief am Heck“. Somit haben dort sowohl der Steuermann als auch Jesus Platz. Zur Beschreibung des römischen Bootes aus der Zeit Jesu siehe oben die Einzelbemerkungen zu Mk 1,19-20. Das 1986 entdeckte sog. „Jesus-Boot“ kann etwa 15 Personen fassen. Es weist einen Sitz im Heck auf. Vgl. S. Wachsman, Art. The Galilee Boat 2,000 year-Old Hull Recovered Intact, BAR, 14/5 (1988), 18-33. Siehe ferner 4,35.38; 5,21; 6,32.53; 8,10.13. 31 Dschulnigg 150 bemerkt, dass Jesus im Mk Ev. hier zum ersten Mal als Lehrer bezeichnet wird. 32 Vgl. ebenso Lk 10,40: Κύριε, οὐ μέλει σοι ὅτι ἡ ἀδελφή μου μόνην με κατέλιπεν διακονεῖν; [Kyrie, ou melei soi hoti hē adelphē mou monēn me katelipen diakonein?] = „Ηerr, macht es dir nichts aus [kümmert es dich nicht], dass mich meine Schwester [ganz] allein dienen lässt?“ Martha erwartet von Jesus aufgrund von οὐ [ou] die Antwort: „Doch, es macht mir etwas aus“. 33 Pesch I 272 geht mangels Beweisen zu weit, wenn er die Stillung des Sturms quasi als Dämonenaustreibung identifiziert. 34 Vgl. Pesch I 273.

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Im AT beruhigt der Gott Israels die Wellen (Ps 33,7; 65,7; 77,16; Hiob 12,15) und stillt den Sturm (Ps 107,25-30; 147,18; Spr 30,4; Hiob 28,25; Am 4,13; Nah 1,3-4).35 Somit ist die Entsprechung „Jesus ist und handelt wie der Gott Israels“ (Ps 107,29; vgl. Ps 104,7) zumindest angedeutet, wenn nicht sogar hervorgehoben.36 „Auf den großen Sturm (V. 37) folgt die große Stille“.37 40 Jesus spricht von fehlendem Glauben.38 Meint Jesus, dass die Jünger mit entsprechendem Glauben den Sturm selbst hätten stillen können? Zeigen sie nicht gerade rechten Glauben, indem sie sich an den wenden, der allein Macht über Wind und Wasser hat? Oder sollten sie trotz Sturm ruhig bleiben, weil Jesus bei ihnen ist? Jesus tadelt sie vor allem wegen ihres Verzagens, d.h. ihrer Furcht zu verderben. Sie verfallen angesichts des Sturmes in den Zustand vermeintlicher Gottesverlassenheit; das ist hier Unglaube. Jesu Rüge eröffnet ein Thema, das vor allem in Mk 7‒9 (7,18; 8,17-18.21.32-33; 9,19) aufgegriffen und vertieft wird (vgl. 11,22-23). Die Jünger sind nur deshalb „besser dran“ als die „draußen“ (vgl. 4,11.34), weil sie bei Jesus sind, und nicht, weil sie große Erkenntnisse und Einsicht besitzen, geschweige denn wirklich offene und vertrauende Herzen für das Wirken und Wollen Gottes. V. 40 gehört zum Thema „Unverständnis der Jünger“ (vgl. 4,13.40; 6,52; 7,18; 8,14-21; 8,31; 9,6.10.19.32-35; 10,35-45; 14,10f.43-46; 14,27.50; 14,29-31.32-41.54.66-72), und lediglich indirekt zum Thema „Messiasgeheimnis“ (s.o. Einleitung 4.1.2). Das Unverständnis der Jünger wird nur durch Jesus überwunden und zwar „durch seine Lehre (4,13.14-20; 7,18.19-23), seine ,Erinnerung‘ (8,17f.19f), seine Machttaten, welche die Augen öffnen (vgl. zu 8,22-26; 10,46-52 …), zuletzt durch seinen Weg zu Leiden, Tod und Auferstehung selbst (8,27ff)“.39

41 Die Jünger scheinen Jesu Aussage über derart fehlenden Glauben nicht zu registrieren. Vielmehr sind sie über den furchtsam erstaunt, der tatsächlich Macht über Wind und Wasser hat. Siehe den wiederkehrenden Cantus firmus des furchtsamen Erstaunens angesichts des machtvollen Handelns Jesu.40

35 Vgl. Lane 176, Anm. 95 und 96. 36 Bauckham, Jesus, 504. Ähnlich Pesch I 272-273, der allerdings davon ausgeht, dass der Abschnitt (u.a. deshalb) seinen Ursprung in der urchristlichen Gemeinde hat. Vgl. Dschulnigg 150. 37 Dschulnigg 150. 38 Siehe auch Bemerkungen zu 1,15; 2,5; 5,34.36; 6,6; 9,24. Vgl. Bemerkungen zum Stichwort „Glaube“ in 10,47.52; 11,22-24. Siehe 10.4, IV zu 8,27–9,29. 39 Pesch I 275-276. 40 Vgl. Dschulnigg 150-151.

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Vgl. die Ausführungen von Dwyer zum Thema „furchtsames Erstaunen“.41 Dwyer macht geltend, dass dieses Erstaunen Ausdruck der überraschten Anteilnahme am überragenden Ereignis ist. Dies ist ein weiteres Indiz gegen die Annahme von Pesch, dass der Abschnitt eine genealogische Abhängigkeit von Jona aufweist.42 Zwar ist in Jon 1,10.16 ebenso von furchterfüllter Ehrerbietung die Rede, aber das breit angelegte Motiv des furchtsamen Erstaunens ist derart fest im Gesamtkontext des Markusevangeliums verankert, dass auch diesbezüglich von Unabhängigkeit von Jon ausgegangen werden muss. Jedes Mal, wenn Gott selbst in die Geschichte der Menschen eingreift, entsteht furchtsames Erstaunen.

In Vergleich hierzu beanspruchte der römische Feldherr Pompejus Macht in geopolitischer Hinsicht: Ἐγὼ κύριος γῆς καὶ θαλάσσης ἔσομαι [egō kyrios gēs kai thalassēs esomai] = „ich werde Herr über Land und Meer sein“.43 Die zentrale Frage: „Wer ist denn dieser (dem sogar Wind und Wasser gehorchen)?“ gewinnt aufgrund des bisher Erzählten an Prägnanz. Glaube und Vertrauen sollen wachsen, während Jesus sich schrittweise seinen Jüngern zu erkennen gibt. Wie allerdings Glaube an Gott (als Gegensatz zur Furcht) und die Person Jesu aufeinander zu beziehen sind, bleibt noch unklar.

6.2 Heilung des besessenen Geraseners 5,1-20 I 1 Und sie gelangten ans jenseitige Seeufer im Gebiet der Gerasener. 2 Sobald er aber aus dem Boot gestiegen war, kam ihm gleich ein Mann mit einem unreinen Geist von den Gräbern entgegen; 3 der pflegte bei den Gräbern zu hausen, und niemand vermochte ihn mehr mit Ketten zu binden, 4 weil er schon oft an Hand und Fuß gebunden worden war, er aber die Handschellen zerbrochen und die Fußfesseln zerkleinert hatte und so niemand ihn zu bändigen vermochte. 5 Und Tag und Nacht schrie er in den Gräbern und auf den Bergen und schlug sich mit Steinen. 6 Sobald er aber Jesus von Weitem sah, rannte er herbei, fiel vor ihm nieder 7 und schrie mit lauter Stimme: „Was hast du mit mir zu tun, Jesus, Sohn des höchsten Gottes? Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht“. 8 Er aber sprach zu ihm: „Böser Geist, fahre aus dem Mann“. 41 Dwyer, Motif, ad loc. 42 Pesch I 273. 43 Vgl. PsSal 2,29, bei Evans lxxxvii. Vgl. Pesch I 272, bezüglich Antiochus (2Makk 9,8) sowie viele weitere Beispiele aus der hellenistischen Welt; ders., 274.

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9 Und fragte ihn: „Wie heißt du?“ Der aber sprach zu ihm: „Ich heiße ‚Legion,‘ denn wir sind viele“. 10 Und er bat ihn eindringlich, dass er sie nicht aus dem Gebiet austreibe. 11 Es war aber dort in der Nähe des Berges eine große Schweineherde beim Fressen. 12 Und sie baten ihn: „Sende uns zu den Schweinen, damit wir in sie fahren“. 13 Und er erlaubte es ihnen. Und die unreinen Geister verließen ihn und fuhren in die Schweine, und die Herde stürzte von einem steilen Abhang in den See, wohl an die zweitausend, und sie ertranken darin. 14 Und die Schweinehirten flohen und erzählten (von der Begebenheit) in der Stadt und auf den Feldern. Und sie kamen, um (selbst) zu sehen was sich ereignet hatte, 15 und kommen zu Jesus und bemerken den Besessenen, in dem die Legion gewesen war, wie er gekleidet und bei Sinnen dasitzt; da überkam sie Furcht. 16 Und die Augenzeugen erläuterten ihnen, was mit dem Besessenen und den Schweinen geschehen war. 17 Und sie baten ihn ausdrücklich, aus ihrer Region zu weichen. 18 Und als sie ins Boot einsteigen, bittet ihn der (ehemals) Besessene, mit ihm gehen zu dürfen. 19 Er aber erlaubte es ihm nicht, sondern sagte zu ihm: „Geh nach Hause zu deinen Angehörigen und lasse sie wissen, was der Herr dir getan hat und wie er sich deiner erbarmte“. 20 Und er ging weg und begann in der ganzen Dekapolis zu verkünden, was Jesus an ihm getan hatte, und alle verwunderten sich.44 II Mk 5,1-20 ist formal eine Dämonenaustreibung,45 die allerdings Besonderheiten aufweist (die Aussage des Dämons, V. 7 sowie die außergewöhnliche Verbannung, V. 13).46 Mk 5,1-20 enthält vier Elemente: a. Jesus und der Dämon, 5,1-10; b. die Schweine, 5,11-13; c. die Zeugen, 5,14-17; d. der Befreite, 5,18-20.47 III 1 Im Umkreis des am See gelegenen Städtchens Gerasa (von der bekannten, 55 km vom See entfernten Stadt Gerasa zu unterscheiden), gibt es keine Menschenmenge, die Jesus hören und von ihm geheilt werden will.

44 Lit.: Blackburn, Theios Anēr, 208-214; Kee, Terminology, 232-246; Mauser, Christ, 126; vgl. ferner Bauernfeind, Worte, ad loc.; Betz, Wesen, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 295.430 (bis 1980); Guelich 271 (bis 1988). 45 Differenzierter Pesch I 284. 46 Siehe Guelich 273. 47 Vgl. Guelich 274, der vor allem auf Taylor 277 verweist.

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Siehe die verschiedenen Lesarten: Gerasa (Γερασηνῶν [Gerasēnōn]; B, ‫*א‬, D, latt, sa, Eus), Gadara (Γαδαρηνῶν [Gadarēnōn]; A, C, M, Ψ; handelt es sich hier um eine Assimilation mit Mt 8,28?), Gergesa (Γεργεσηνῶν [Gergesēnōn]; acorr, L, Origen).48 Aufgrund des besseren äußeren Befundes ist Gerasa textkritisch zu bevorzugen.49 Lane geht überzeugend davon aus, dass das von Mk beschriebene Gebiet um das Städtchen Gerasa mit dem Gebiet um das moderne Kersa oder Koursi verknüpft ist und somit von der bekannteren und größeren Stadt Gerasa zu unterscheiden ist.50 Die Topografie von Kersa (oder Koursi) im Umkreis von etwa 4 km entspricht der markinischen Erzählung, zumal Mk keinen präzisen Ort, sondern eine Gegend nennt. Die größere und bekannte Stadt Gerasa liegt etwa 55 km südöstlich vom See Genezareth, Gadara in derselben Richtung etwa 12 km vom See, Gergesa (Origenes) unweit vom See (die genaue geografische Lokalisierung ist unklar).51

Gerasa liegt in dem hellenistisch geprägten, nordöstlich von Galiläa liegenden Gebiet der Tetrarchie des Herodes Philippus (dem Bruder des Herodes Antipas, Tetrarch von Galiläa und Peräa) und nahe dem Gebiet der südöstlich von Galiläa liegenden Dekapolis (vgl. V. 20). 2 Der Besessene, ein Mann mit einem unreinen Geist, der auf Jesus zukommt, bedarf allerdings seiner Hilfe. „Er wohnt im heidnischen Land, das als unrein gilt, in Gräbern, in Stätten der Unreinheit, in denen Dämonen hausen“.52 Alles, was über den Besessenen bekannt ist, deutet darauf hin, dass das Ziel der Dämonen stets die „Entartung und Zerstörung der Ebenbildlichkeit Gottes im Menschen“53 ist. Die gottesfeindlichen Mächte können nichts Eigenes schaffen; ihre „Tätigkeit“ beschränkt sich auf Besitznahme fremden Eigentums (z.B. die Persönlichkeit eines Menschen), lügende Beschmutzung und Anschuldigung, Beraubung, abartige Anbetung und schließlich Zerstörung (vgl. 5,13) der guten Schöpfung Gottes. Sein Leben ist vom Tod gezeichnet. All dem tritt Jesus autoritativ entgegen und bringt das zum himmlischen Vater zurück, was ursprünglich ihm gehört. 3-20 Die folgende Beschreibung (vor allem die Verse 3-5; 11-20) ist voller Augenzeugendetails:54 Die Gräber, die Grabhöhlen und umliegenden Berge als Wohnstätte; das bisherige Versagen, den Besessenen irgendwie zu bändigen; seine übermächtigen Kräfte; sein schreiendes und sich selbst zerstörendes Verhalten; die große Herde Schweine und ihr Ende; die Bitte der 48 Lane 181, Anm. 6. 49 Metzger, Textual Commentary, 72. Vgl. ferner Dschulnigg 154. 50 Lane 181, Anm. 6 mit Sherwin-White, Roman Society, 128, Anm. 3. Vgl. dagegen Dschulnigg 154, der sich für die größere Stadt Gerasa (Dscherasch) ausspricht. 51 Keener, Background, 147 geht allerdings von einer Ungenauigkeit bei Mk aus. 52 Pesch I 285, mit Verweis auf weiterführende Lit. 53 So Lane 180 (Übers. HFB), mit Verweis auf W. Foerster, ThWNT II, 1-21, hier: 17-21. 54 Pesch I 285 bezeichnet dies als „umständlich(e)“ Beschreibung.

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Ansässigen, Jesus möge ihre Region (angesichts des gewerblichen Verlustes?) verlassen; das Abweisen der Bitte des Geheilten durch Jesus. 3-5 Diejenigen, die den Besessenen kennen (die Schweinehirten und die Bewohner der Umgegend?) dürften Jesus und seinen Jüngern erzählt haben, wie schwer er zu bändigen war (vgl. 14-16); siehe die markinische Detailbeschreibung seines Aufenthaltsortes, seiner hoffnungslosen Lebensumstände und seiner physischen Kräfte. Schreien und Selbstzerstörung (schlug sich mit Steinen) sind Manifestation des unreinen Geistes. „Ein Todgeweihter lebt unter Toten, von der Kommunikation des Lebens abgeschnitten, entfremdet, verloren“.55 6-7 Die Erzählung von Vers 2 wird nun fortgesetzt. Der Besessene fällt vor Jesus als Widersacher nieder, nicht als Betender. Wiederum (vgl. 1,24) beteuern die Dämonen, dass Jesus der Sohn des höchsten (ὕψιστος [hypsistos]) Gottes sei und geben zu, dass Jesus deshalb Befehlsgewalt über sie hat. Wörtlich lautet die Aussage: Ἰησοῦ υἱὲ τοῦ θεοῦ τοῦ ὑψίστου [Iēsou hyie tou theou tou hypsistou] = „Jesus, Sohn Gottes des Höchsten“. Dschulnigg weist darauf hin, dass hypsistos neben der Gottesbezeichnung in der LXX in der hellenistischen Welt „öfter als Prädikat des Zeus gebraucht wird“.56

Das Nennen des Namens bedeutet, beschwörend Macht über den Betroffenen ausüben zu wollen (vgl. V. 9).57 Allerdings haben sich die Dämonen mit der Benennung Sohn des höchsten Gottes (vgl. 1,24; 3,11) in eine ausweglose Situation manövriert: Sie versuchen (verzweifelt), durch derartige Namensnennung Macht über Jesus zu gewinnen. Sie können jedoch lediglich verzweifelt um mildernde Umstände bitten: „Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht“ (vgl. V. 10). 8-9 Überraschend ist es, dass Jesus während des Austreibungsbefehls böser Geist fahre aus dem Mann noch nach dem Namen des Dämons fragt. Legion58 gilt als Gruppe von Dämonen (vgl. Lk 8,2; Mt 12,45), die einen Men-

55 Pesch I 286, mit Verweis auf Jes 65,1-7 LXX. Zum möglichen Einfluss von Jes 65,1-7, siehe Dschulnigg 155 (vorsichtig) und Gundry 258-259 (skeptisch). 56 Dschulnigg 155. Vgl. Apg 16,17. Mk 11,10 gebraucht den Begriff eher im Sinn von „himmlische Welt“ (vgl. Lk 2,14). Zur heidnischen Vorstellung des „Allerhöchsten“ als ὕψιστος [hypsistos] siehe ferner Art. ὕψιστος [hypsistos], EWNT III, 979-980 sowie Pesch I 287. 57 Vgl. Lane 184 und Pesch I 287. 58 Dschulnigg 156 denkt bei dem einfachen Gebrauch des lateinischen Militärbegriffs vorschnell an eine mögliche Anspielung an „römische Fremdherrschaft“.

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schen gefesselt halten. Die namentliche Selbstoffenbarung bedeutet endgültige Blöße vor Jesu Vollmacht.59 10 Je mehr Jesus den unreinen Geist zurückdrängt, umso bescheidener werden dessen Bitten.60 Wiederholt fleht er eindringlich (πολλά [polla]), nun lediglich irgendeine Behausung „zum Überleben“ gewährt zu bekommen.61 11 Aufgrund der längst erfolgten Hellenisierung der Tetrarchie des Philippus und vor allem der Dekapolis ist die Existenz von Schweineherden, die für Juden kultisch unrein sind, in diesem Gebiet durchaus realistisch. Das geistlich Unreine (Dämonen) wird mit dem kultisch Unreinen (Schweine) verbunden.62 Exkurs 6: Der Hellenismus63 Der Sieg Alexanders des Großen (ursprünglich König von Mazedonien) über Syrien im Jahr 333 v.Chr. markiert das Ende der medo-persischen64 und den Beginn der hellenistischen Periode Palästinas. Bereits 334–333 v.Chr. erobert Alexander Kleinasien. Obwohl der plötzliche Tod des 33-jährigen Alexander im Jahre 323 v.Chr. die Aufteilung seines expansiven Reiches zur Folge hat, wird doch das gesamte Reich, später durch Rom fortgesetzt, hellenisiert. Roetzel bemerkt, dass Alexanders militärische Kampagnen „internationalized commerce, established a network of routes from Egypt to India and sprinkled cities throughout Asia to radiate Greek culture“.65 Unter dem Einfluss aristotelischer Lehre kommt Alexander früh zur Macht und beginnt seine militärischen Kampagnen derart erfolgreich, dass er um 332 v.Chr. bereits den östlichen Mittelmeerraum beherrscht, Alexandrien gründet und Pharao Ägyptens wird. In den folgenden Jahren (bis 327 n.Chr.) erstreckt sich die hellenistische Hegemonie Alexanders bis zum heutigen Afghanistan und Indien. Die Kosten dieser Hellenisierung schließen blutige Kämpfe und Massaker ein (vor allem in Indien), was sodann zunächst durch niedrigere Steuern und ein gewisses Maß an Autonomie abgelöst wird. Handelsstraßen über Land und Wasser, Einwanderung und die Gründung von Städten führen u.a. zur Vermischung der griechisch-mazedonischen Kultur mit anderen, einheimischen Kulturen und Traditionen im Bereich 59 Vgl. Keener, Background, 147, der den Sachverhalt der Namensnennung auch für außerbiblische Texte betont. 60 Vgl. Keener, Background, 147, der auf Parallelen in äthHen 12-14 und TestSal 2,6 verweist. 61 Vgl. Pesch I 289, der diesbezüglich auf die aus persischer Zeit stammende Exorzismuserzählung der Bentresch-Stele sowie auf rabbinische Texte verweist. 62 Dschulnigg 156 bemerkt, dass die „übertreibende Zahl zweitausend“ bei den Seitenreferenten (Mt 8,32; Lk 8,33) fehlt. 63 Lit.: Roetzel, World, 2-11.71; Schürer, History II, 1-183; Eddy, Jesus Legend, Kap. 2; Tarn, Alexander, 145-147; vgl. ferner Batey, Jesus, ad loc.; Freyne, Galilee, ad loc.; Hengel, Judentum, ad loc. 64 Die Region der Meder konzentriert sich auf das alte Babylon, die Region der Perser schließt das moderne Iran, Afghanistan und das westliche Pakistan ein. 65 Roetzel, World, 2, mit Bezug auf Tarn, Alexander, 145-147.

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der Literatur, Philosophie, Religion, Kunst usw. (d.h. der frühe Hellenismus bis etwa 323 v.Chr.), was sich sodann schrittweise zum späteren Hellenismus weiterentwickelt. Schon die Frühstadien des Hellenismus unterscheiden sich vom attischen Griechentum: Z.B. im Bereich der Philosophie, weg von Aristoteles und Plato hin zur Stoa und zu Epikur; im Bereich der Religion weg von olympischen Göttern hin zum Polytheismus und den Mysterien; im Bereich der Rhetorik wird die Form immer mehr über den Inhalt gestellt. Der Einfluss des Hellenismus macht sich sodann in Palästina, in Kleinasien,66 Mazedonien, Griechenland, Italien, usw. auf unterschiedliche Weise bemerkbar, je nachdem, wie die örtliche Kultur auf den hellenistischen Einfluss durch Widerstand oder Assimilation reagiert.67 Die darauf folgende römische Herrschaft modifizierte den hellenistischen Einfluss u.a. dahingehend, dass äußere Gesellschaftsformen (wie z.B. Rechtsformen, Militär und Wirtschaft) römische Prägung erhalten. Allerdings blieben Grundelemente, wie die griechische Sprache sowie das hellenistische Gedankengut weiterhin bestehen.68 Roetzel bemerkt: “Wittingly or not, he [Alexander] cleared away barriers to a lively reciprocal exchange of cultures, ideas, reli­gions, social forms, and political institutions between Hellenism and the eastern traditions”.69 Ein Beispiel hierfür ist die Tatsache, dass sich neo-platonisches Gedankengut (u.a. die Vorrangstellung des Geistigen auf Kosten des Physischen) u.a. in der Stoa, bei Philo, in proto-gnostischem Gedankengut sowie im Gnostizismus zeigt. Aufgrund des ptolemäischen – und später seleukidischen – Einflusses, kommt es zur Gründung von mindestens 30 hellenistischen Städten in Palästina.70 Zu diesen gehören Caesarea Philippi (durch Philippus, Tetrarch von Ituräa, wieder aufgebaut), Caesarea mit Hafenanlage, Tiberias (22 n.Chr. begründet), Philadelphia, Joppe, Pella, Samaria, Gadara, Hippos, Skythopolis, Gaza, Sepphoris,71 Dion, Sebaste, Antipatris (Apg 23,31), Phasaëlis, Abila,72 und Gerasa. Der Städtebau fördert die Hellenisierung (in den Städten entstehen Kulturzentren, die u.a. die griechische Sprache, Literatur und Kunst fördern). Diese hellenistischen Städte beherbergen ferner Tempel, Theater, Sportarenen, Märkte und Versammlungsorte. Während die Mehrheit in Judäa (und z.T. in Galiläa) jüdisch ist (vgl. die jüdischen Neuansiedlungen während und nach der Makkabäerzeit; s.o., Einleitung 7.), so siedeln sich vor allem in den o.g. Städten auch viele Heiden an.73 66 Viele Griechen ziehen im 3. Jh. v.Chr. nach Kleinasien; vgl. Roetzel, World, 10. 67 Vgl. die zerspaltene Welt des Paulus (vgl. z.B. Gal 3,28 und Röm 1,14 sowie Eph 1–2). 68 Siehe oben, Einleitung 2. „Die Entstehungsverhältnisse der synoptischen Evangelien“, bezüglich der Sprachen in Palästina z.Z. Jesu. 69 Roetzel, World, 9. 70 Roetzel, World, 11 und 71. 71 Vgl. Batey, Jesus, passim. Sepphoris wird durch Herodes Antipas wieder aufgebaut. 72 Vgl. Mk 5,20; 7,31 sowie Mt 4,25. Einige dieser Städte gehören zur sog. Δεκάπολις (Dekapolis). 73 Man beachte das Halten von kultisch unreinen Schweinen jenseits des Sees.

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Für das palästinische Judentum gilt jedoch festzuhalten, dass dort der sich ausbreitende Hellenismus niemals (bis auf die sog. „Hellenistische Reform“, 175–164 v.Chr.) religiöse Grundüberzeugungen des Judentums verdrängen kann, sondern eher das jüdische Selbstverständnis als Volk Gottes, das vom Weltschöpfer das Gesetz erhalten hatte, verstärkt. Hengel bemerkt treffend: „With very few individual exceptions, the ‚Hellenization‘ of Samaritans and Jews cannot be precipitately identified with crude syncretism, assimilation to a pagan environment, or open apostasy. This is true for the motherland as for the diaspora“.74 Roetzel charakterisiert die Welt des Neuen Testaments folgendermaßen: “Its Scriptures were Jewish; its language, Greek; its urban setting, Hellenistic; its political and legal forum, Roman”.75 Es ist also festzuhalten, dass trotz der Hellenisierung Palästinas, die jüdische Identität, jüdische Kultur, jüdischer Glaube nicht nur nicht geschwächt, sondern eher gestärkt werden. Hengel kommt zu dem Schluss: “The predominant Hellenistic civilization … continued its influence upon Jewish Palestine again after the miscarried ‚Hellenistic Reform‘ in 175 bce, but could not further threaten the religious and ethnic identity of the Jews, but rather strengthened it and made it more creative and fruitful”.76

12-13 Es erstaunt, dass Jesus den Dämonen einen Wunsch gewährt. Allerdings besiegeln sie damit das Ende einer für sie notwendigen Behausung. Alles Unreine77 stürmt78 fort und verendet im See und somit im Tod. Zumindest betont Jesus hiermit zeichenhaft, dass Satan trotz seiner machtvollen Gegenwart keine endgültige Macht (mehr) besitzt. 14-17 Die Ruhe und vernünftige Besonnenheit, die den ehemals Besessenen nun bestimmt (sie bemerken … wie er gekleidet und bei Sinnen dasitzt [vgl. Apg 26,25]), verursacht in den durch die Hirten benachrichtigten Stadtund Landbewohnern Furcht (vgl. 4,41). Aufgrund ihrer beständigen, negativen Reaktion (V. 17, obwohl sie über die Begebenheit nun unterrichtet werden V. 14 u. 16), ist es naheliegend, dass ihre „Furcht“ als „erstaunte Ablehnung“ zu definieren ist. Ist der wirtschaftliche Verlust79 vorrangiger als die Heilung eines Besessenen? Oder liegt ihre Furcht darin begründet, dass der ihnen unbekannte (und somit vielleicht unheimliche) Jesus größere Macht repräsentiert, als die der Dämonen? Im Gegensatz hierzu fasst der von Dämonen Befreite völliges Vertrauen auf Jesus (V. 18). 74 75 76 77

Hengel, Judaism, 16. Roetzel, World, VIII. Hengel, Judaism, 29. Vgl. Pesch I 291 bezüglich der Verweise auf außerbiblische Quellen, die die Verbannung von Dämonen in Tiere beschreiben. 78 Vgl. Pesch I 291, der mit Verweis auf G. Bertram, ThWNT V, 470, den Aspekt des ungestümen und unkontrollierbaren Verhaltens in ὁρμάω [hormaō] hervorhebt. 79 Vgl. Keener, Background, 147 und Dschulnigg 156.

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16 Es sind neben den Jüngern Jesu noch weitere Begleiter dabei (vgl. 4,36),80 die den durch die Schweinehirten benachrichtigten Bewohnern die Begebenheit der Heilung des Besessenen und das Verenden der Schweine mitteilen: Die Augenzeugen erläuterten ihnen, was mit dem Besessenen und den Schweinen geschehen war. 18 Der genaue Grund für Jesu Ablehnung der ruhigen und dankbaren Anfrage des Geheilten bleibt verborgen. Der von Dämonen befreite Mann bittet eventuell vertrauensvoll darum, zum engeren Jüngerkreis Jesu gehören zu dürfen.81 Die Formulierung ἵνα μετ᾽ αὐτοῦ ᾖ [hina met᾽ autou ē], mit ihm gehen bzw. bei ihm sein zu dürfen, erinnert zumindest an die Formulierung ἵνα ὦσιν μετ᾽ αὐτοῦ [hina ōsin met᾽ autou], die bei der Berufung der Zwölf in 3,14 gebraucht wird. Die folgende Aussage Jesu erlaubt den Rückschluss, dass Jesus ihn jedoch als Zeugen im Gebiet der Dekapolis wissen will. 19 Entgegen Wredes ahistorischen Hypothesen zum Messiasgeheimnis erteilt Jesus hier erstaunlicherweise keinerlei Schweigegebot (vgl. im Gegensatz hierzu z.B. 1,44; 2,11; 7,30). Ganz im Gegenteil, der Geheilte wird durch die Entlassungsformel explizit dazu aufgefordert, im größeren Familienkreis82 von Gottes barmherziger Wohltat zu sprechen: „Geh nach Hause zu deinen Angehörigen und lasse sie wissen, was der Herr dir getan hat und wie er sich deiner erbarmte“. Pesch bemerkt: „… [D]aß ein Geheilter einen Verkündigungsauftrag bekommt, ist in der syn Wundertradition singulär“.83 Die politisch-religiöse Situation der Dekapolis (vgl. V. 20; es gibt hier z.B. keine Messiaserwartung) bedarf zunächst keines Schweigegebots (vgl. jedoch 7,36). Die Bekanntgabe der Wohltaten Jesu wird in der Dekapolis (im Gegensatz zu Galiläa und Judäa) nicht unmittelbar in eine messianisch-politische Bewegung entgleisen (vgl. Joh 6,15), vielmehr wird die Bekanntgabe der Taten Jesu (was der Herr dir getan hat) die magische bzw. abergläubische Tendenz der Dekapolisbewohner evtl. korrigieren (es handelt sich um Gottes Taten).84 Ferner fällt auf, dass im Gegensatz zur Anweisung an den geheilten Aussätzigen (1,44) keinerlei Hinweise auf das mosaische Gesetz vorliegen. Dies entspricht den Gegebenheiten dieses hellenistisch-heidnisch geprägten Gebiets. Das Schweigegebot, welches Jesus später dem geheilten Taubstummen erteilt (7,36), mag angesichts der gewachsenen Popularität Jesu eine veränderte Situation in der Dekapolis reflektieren. 80 Alternativ könnte mit οἱ ἰδόντες [idontes] erneut auch die Gruppe der Hirten gemeint sein (so etwa Lane 187). 81 Lane 187. 82 Die Befreiung führt zur erneuerten Vertrautheit mit seiner Familie. 83 Pesch I 293. 84 So Keener, Background, 148.

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20 Allerdings geht der Geheilte aus Dankbarkeit und Freude über die Grenzen des Familien- und Freundeskreises hinaus. Der Auftrag Jesu bedeutet etwa: „Lass deine Familie wissen“ (punktueller Aspekt); der Geheilte verkündet (κηρύσσειν [kēryssein]) jedoch im ganzen Zehnstädtegebiet, was an ihm geschehen ist. Die grammatikalische und semantische Konstruktion begünstigt die Annahme, dass der Geheilte eine anhaltende Verkündigungsreise beginnt (punktueller Aorist mit durativem Präs. Inf.). Somit weitet sich der in Mk 3,7f beschriebene Wirkungsbereich Jesu mittels Zeugen auf die Dekapolis aus.85 Jesus hat den Befreiten beauftragt, bekannt zu machen, was Gott der barmherzige Herr (ὁ κύριος [ho kyrios]) an ihm getan hat (V. 19). Was dieser nun verkündigt (V. 20), ist, was Jesus an ihm getan hat. Eine indirekte Verknüpfung zwischen „Herr“ (κύριος [kyrios]) und Ἰησοῦς [Iēsous] liegt damit vor. Nach Mauser liegen Gemeinsamkeiten zwischen Jesu Stillung des Sturms und der Dämonenaustreibung vor: So, wie die See schäumt, verhält sich der Dämonisierte; so, wie Stille nach dem Sturm eintritt, tritt der Befreite ruhig vor Jesus hin (vgl. ἐπιτιμάω [epitimaō] in 4,39 bezüglich „Wind“ und ἐπιτιμάω [epitimaō] in 1,25; 3,12 und 9,25 bezüglich Dämonen).86 Beide Male wirkt Jesus kraft seiner Vollmacht (ἐξουσία [exousia]) als Friedensbringer.

6.3 Die Tochter des Jairus und die Heilung der blutflüssigen Frau 5,21-43 I 21 Und als Jesus (im Boot) ans andere Ufer übergesetzt hatte, versammelte sich gleich am Seeufer viel Volk um ihn. 22 Und einer der Synagogenvorsteher namens Jairus kommt herbei, erblickt ihn, fällt vor seine Füße 23 und fleht ihn inständig an: „Meine Tochter liegt im Sterben; du mögest kommen, deine Hände auf sie legen, damit sie geheilt werde und lebe“. 24 Und er ging mit ihm. Und viel Volk folgte ihm und drängte sich um ihn. 25 Und es war eine Frau darunter, die seit zwölf Jahren unter Blutfluss litt 26 und sie hatte viel unter zahllosen Ärzten gelitten und all ihren Besitz dafür aufgebracht, und ihr wurde nicht geholfen, vielmehr wurde ihr Zustand schlimmer; 27 als sie von Jesus hörte, kam sie in der Menge von hinten und berührte sein Gewand; 28 denn sie sagte sich, ‚wenn ich nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt werden.‘ 29 Und sofort hörte ihr Blutfluss auf, und sie spürte an ihrem Körper, dass sie von der Krankheit 85 Vgl. Pesch I 294. 86 Verweis bei Lane 174 auf Mauser, Christ, 126. Vgl. Lane 177, Anm. 99.

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geheilt worden war. 30 Und Jesus, der sogleich an sich bemerkte, dass von ihm Kraft ausgegangen war, drehte sich in der Menschenmenge um und sprach: „Wer hat mich am Gewand berührt?“ 31 Und seine Jünger sprachen zu ihm: „Du siehst die dich bedrängende Menschenmenge und sagst, ‚wer hat mich berührt‘?“ 32 Er aber blickte von einem zum anderen, um herauszufinden, wer dies getan hatte. 33 Die sich fürchtende und zitternde Frau, die ja wusste, was ihr geschehen war, kam und fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. 34 Er aber sprach zu ihr: „Tochter, dein Glaube hat dich geheilt. Geh in Frieden deines Weges und sei von deiner Krankheit geheilt“. 35 Während er noch spricht, kommen einige vom Haus des Synagogenvorstehers und sagen: „Deine Tochter ist gestorben; was bemühst du noch den Lehrer?“ 36 Jesus aber, der das Gesagte hört, spricht zum Synagogenvorsteher: „Fürchte dich nicht mehr, sondern glaube nur“. 37 Und er erlaubte außer Petrus, Jakobus und Johannes, dem Bruder des Jakobus, niemandem, mit ihm zu gehen. 38 Und sie kommen zum Haus des Synagogenvorstehers und er sieht das Durcheinander, mit Weinen und viel Wehklagen 39 und tritt ein und spricht zu ihnen: „Was seid ihr so erregt und weint unentwegt? Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft“. 40 Und sie beginnen, ihn auszulachen. Er aber schickt alle weg und behält (nur) den Vater des Kindes, die Mutter und die, die ihn begleiteten, und geht hinein zum Kind. 41 Er ergreift die Hand des Mädchens und spricht zu ihr: „Talitha kum“, was übersetzt heißt: „Mädchen, ich sage dir, wache auf“. 42 Und das Mädchen erhob sich sofort und begann umherzugehen; es war zwölf Jahre alt. Und da gerieten sie in höchste Verwunderung. 43 Und er gebot ihnen strengstens, dass niemand die Begebenheit herausfinden solle, und sagte, man solle ihr etwas zu essen geben.87 II Form und Aufbau. Die Totenerweckungserzählung88 in Mk 5,21-43 enthält vier Szenen: 1. Jesu Rückkehr/Begegnung mit Jairus (als stellvertretendem Hilfesuchenden)89 in der Menge, 5,21-23; 2. Auf dem Weg zu Jairus’ Haus, 5,2437, mit eingeflochtener, zweiteiliger Erzählung der Heilung der blutflüssigen Frau: 5,25-34: a. Heilungsgeschichte, V. 25-29, b. Demonstration der Heilung, 87 Lit.: Hengel, Heilungen, 331-361; Schmücker, Funktion, 1-26; Kertelge, Wunder, 116; vgl. ferner Theißen, Wundergeschichten, ad loc.; Wenham, Miracles, ad loc.; Hooker, Signs, ad loc.; Koch, Bedeutung, ad loc.; Betz, Wesen, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 314 (bis 1980). 88 Pesch I 297 betont, dass die Totenerweckungserzählung formal den Heilungswundererzählungen gleicht. 89 Pesch I 297.

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mit Betonung des Glaubensmotivs, V. 30-34;90 3. Einzug im Haus des Jairus, (mit Ausschluss von Scheintodhypothesen),91 5,38-40a; 4. Auferweckung der Tochter (5,40b-43): a. Auferweckung (V. 41), b. Demonstration und Geheimhaltungsgebot (V. 42-43; vgl. 1,43; 7,36; 8,26).92 Historizität und motivgeschichtlicher Hintergrund. Die Anspielung auf Elia und Elisa in Mk 5,21-43 bietet nicht genügend Evidenz für die Annahme von Pesch, dass eine ursprüngliche Heilungserzählung der todkranken Tochter des Jairus zu einer Totenerweckungserzählung umformuliert wurde.93 Vielmehr dient der alttestamentliche Hintergrund als bekannte Analogie zum Handeln Jesu. III 2194 Der Bekanntheitsgrad Jesu am Westufer des Sees wächst weiter. Sobald er dorthin zurückkehrt (vgl. 4,35; 5,1), stellt sich wieder eine große Menge ein (vgl. 2,13; 3,7; 4,1). Der Leser muss sich erneut auf die ganz andere politisch-religiöse Situation im primär jüdischen Einflussbereich umstellen. 22 Synagogenvorsteher (vgl. 6,15; 8,28) sind angesehene Laien und gehören vor allem zum pharisäischen Judentum. Jairus95 hat organisatorische und lehrende Verantwortung für den Synagogengottesdienst sowie u.a. Verantwortung für das Gebäude.96 Im Gegensatz zu vielen Schriftgelehrten unter den Pharisäern (vor allem denjenigen aus Jerusalem) hat ein einfacher Synagogenvorsteher nicht die Absicht, durch eine Fangfrage Jesus der Gesetzesübertretung zu überführen. Sein Kniefall ist Ausdruck der Not, durch die er sich öffentlich vor Jesus demütigt.97 23 Jairus rechnet aufgrund von Jesu Ruf fest (vgl. die doppelte ἵνα [hina]-Konstruktion) damit, dass er seine sterbenskranke Tochter durch Handauflegung (vgl. 6,5; 7,32; 8,23.28; 16,18)98 heilen kann. 24 Jesus sieht den Menschen Jairus und sein Leid, nicht seine Zugehörigkeit zum Stand der Pharisäer. Jesus willigt ein. Die Erwähnung der Men90 91 92 93 94 95

Vgl. Pesch I 298-299. Pesch I 298. Guelich 293. Pesch I 313. Lit. zu 5,21-24 bei: Pesch I 314.430 (bis 1980); Guelich 289 (bis 1988). Dschulnigg 162, weist mit anderen Auslegern darauf hin, dass der Name („Er, Gott, wird erwecken“) evtl. auf die spätere Wiederbelebung Bezug nimmt. 96 Vgl. Pesch I 300. 97 Keener, Background, 148. 98 Vgl. Pesch I 300, mit der Bemerkung, dass Handauflegung bei Heilung im AT (bis auf 2Kön 5,11 LXX) nicht geläufig ist.

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schenmenge ist situationsgemäß. Gleichzeitig leitet die Bemerkung zum nun folgenden Einschub über. 25-3499 Innerhalb der Erzählung über Jairus’ Tochter fügt Mk die Erzählung über die blutflüssige Frau ein. Kein Argument spricht gegen die Annahme, dass diese zwei miteinander verflochtenen Erzählungen eine zusammengehörende, historische Begebenheit widerspiegeln. 25-33 Wiederum enthält die folgende Erzählung100 bemerkenswerte Details, die auf einen Augenzeugenbericht weisen: Die Tatsache, dass die Frau zwölf Jahre an ihrem Blutfluss litt; die vielen ergebnislosen Arztbesuche,101 die dadurch verursachten Kosten und ihr sich daraus ergebender Armutszustand; der gegenwärtig verschlimmerte Zustand; ihr (aus der Magie stammender?) Gedanke, Jesus nur berühren zu müssen, um geheilt zu werden; Jesu eigenartige Frage in V. 30 und die verständlicherweise, als leicht sarkastisch zu verstehende Reaktion seiner Jünger (V. 31); die Furcht der Frau, nachdem Jesus etwas Ungewöhnliches bemerkt hat; ihr „Bekenntnis“ zu ihrer Tat. 25 Bei dem Blutfluss der Frau handelt es sich um ständige Blutungen, deren Ursache unklar ist. Nach Pesch (mit Verweis auf W. Bunte), handelt es sich um den kultisch verunreinigenden gonorrhoischen Blut-Eiter-Ausfluss der Frau (mit Verweis auf Lev 15,29.25f.28.30), d.h. um ein chronisches Menstruations- oder Gebärmutterleiden.102 Sicher ist, dass die Frau dadurch immer kultisch unrein ist (vgl. Lev 15,25-28) und damit u.a. vom Betreten des Tempels (vgl. Josephus, Bell 5,426f), von Wallfahrtsfesten und vielen anderen Aspekten gemeinschaftlichen, jüdischen Lebens ausgeschlossen ist.103 Nach der (späteren) Mischna gilt sie als eine „Zabah“104 und muss sich von anderen fernhalten (vgl. Lev 15,31 und vor allem Lev 15,25-27 sowie Lev 15,19-23; 18,19; Num 19,11-22).105

99 Love, Jesus, 85-101. Weitere Lit. zu 5,25-34 bei: Pesch I 314.430 (bis 1980); Guelich 289 (bis 1988). 100 Die V. 25-28 enthalten nicht weniger als sieben Partizipien; vgl. Dschulnigg 162. 101 Vgl. Keener, Background, 148-149, der auf 2Chron 16,12; Tob 2,10; GenApocryphon 20, 1920 als Parallelen verweist. 102 Pesch I 301. Medizinisch spricht man im angelsächsischen Sprachraum von einem „dysfunctional, uterine bleeding“ (DUB). 103 Vgl. Pesch I 301-302. 104 Siehe mZab 5,1.6 sowie den gesamten Abschnitt mZab. Lane 192, Anm. 46, verweist auf Billerbeck, Kommentar, I 520 bezüglich verschiedener, eigenartiger Arzneimittel, die unter diesen Umständen verabreicht werden. 105 Lane 191.

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26 Ärzte sind in der alttestamentlichen und zwischentestamentlichen Zeit z.T. nicht sehr angesehen (vgl. 2Chron 16,12; Hiob 13,4; Tob 2,10; siehe jedoch Sir 10,10; 38,15).106 27 Die Frau hat von Jesu Fähigkeit zu heilen (vgl. 3,8.10; 6,2.56) gehört. Dadurch, dass sie Jesus berührt, macht sie ihn und andere in der Menge kultisch unrein (Lev 15,19-23; siehe mZab 5,1.6).107 Ihre Not ist größer als die Bestimmung von Lev 15. 28 Wenn bereits das Berühren von Kleidern eines Unreinen unrein macht (Lev 15,28), folgert die Frau in ihrem (magisch angehauchten?) Selbstgespräch, dass bereits das Berühren der Kleider Jesu (vgl. Apg 5,15; 19,12) auch die Möglichkeit der Heilung/Reinigung in sich birgt: Wenn ich nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt werden.108 V. 27-28.30-31 belegen, dass tatsächlich durch glaubendes Berühren der Kleider Jesu Kraft von Jesus auf die Frau übertragen wird (siehe Bemerkungen zu V. 34).109 29 Die Heilung erfolgt unmittelbar und völlig. Anstelle der sonst üblichen Heildemonstration des in V. 2-9 behaupteten Heilerfolgs erfolgt die Erfahrung der Frau und die Beglaubigung durch Jesus, V. 30-34 (vgl. 1,40-45).110 30 Die Kraft (δύναμις [dynamis]), die von Jesus ausgeht,111 geht durch sein Gewand.112 Im Gegensatz zu den Zahlungen an die vielen Ärzte erfährt sie nun kostenlose und bleibende Heilung. Ihre körperlichen Gebrechen sind beseitigt, ihre wirtschaftlichen Probleme mögen eine Wende nehmen, und sie kann in die Gemeinschaft der Gläubigen zurückkehren (vgl. Lev 15,19-33). Jesus beginnt die öffentliche Beglaubigung der Heilung mit der Frage: „Wer hat mich berührt?“ 31 Ohne Kenntnis der unsichtbaren Kraftübertragung ist die leicht sarkastisch zu verstehende Bemerkung der Jünger Jesu verständlich. 32 Warum bemüht sich Jesus um die öffentliche Bekundung der nun geheilten Frau? Geht es Jesus vor allem darum, der geheilten Frau den Friedenssegen zu vermitteln? Eine Antwort hierauf findet sich in V. 34 (siehe Bemerkungen zu V. 34).

106 Pesch I 302. 107 Vgl. mZab, 771. Lane 192, Anm. 45, weist darauf hin, dass der gesamte Mischna-Traktat Zabim (zu Lev 15) dem Thema gewidmet ist, wie sich eine derartige Person zu verhalten hat. 108 Vgl. Pesch I 302, mit weiteren Verweisen. 109 Pesch I 303. 110 Vgl. Pesch I 303. 111 Lane 192 geht davon aus, dass es sich hier um die Kraft Gottes handelt. 112 Vgl. Apg 19,12 (heilende Stoffe des Paulus) und Apg 5,15 (Heilung durch den Schatten des Petrus).

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33 Die Furcht bzw. Angst der Frau ist zumindest teilweise dadurch zu erklären, dass ihr schmerzlich bewusst ist, Jesus und viele andere durch ihr Handeln kultisch unrein gemacht zu haben, also gegen Lev 15,19-27 (und damit weitere pharisäische Regeln) verstoßen zu haben. Andererseits ist sie aufgrund der Heilung überwältigt. Das „volle Bekenntnis“ der Frau113 (und sagte ihm die ganze Wahrheit) bestätigt, dass Jesu Frage (V. 30) durchaus berechtigt ist und dass die Jünger Jesus erneut unterschätzen. 34 Es soll bekannt werden, dass die Frau durch einfachen Glauben114 an die Heilkraft Jesu gesund geworden ist (vgl. 7,29; 10,52; 12,44; 15,40-41). Hierbei ist zu betonen, dass das Vertrauen auf den Heilenden außerhalb des NT nicht mit Glaube (πίστις [pistis]) beschrieben wird.115 Siehe im Gegensatz zum Glauben der Frau die durchwachsene Glaubenshaltung der zwölf Jünger (8,17-21; 9,19, u.ö.).116 Der einfache Glaube der Frau mag durchaus mit Elementen der Magie (Berühren von Kleidern) verknüpft sein.117 „Jesu Zuspruch bringt nicht Glaube und Magie in Widerstreit, sondern hebt magisches Denken im Glauben auf … Jesus erlöst die magische Fähigkeit des Menschen, indem er sie streng auf Gottes Allmacht bezieht; sie wird zum heilenden Glauben … Der Glaube von Geheilten in der synoptischen Tradition ist an Jesus gebunden, an seine Offenbarerqualität … Die christologische Konzentration in der urchristlichen Überlieferung ist von Jesus selbst her angestoßen“.118

Ferner soll die Frau (Jesus nennt sie, als Ausdruck herzlicher Anteilnahme, Tochter)119 sowohl den Segen des Friedens120 als auch die Gewissheit bleibender Heilung vom Blutfluss empfangen. Jesus ist darum bemüht, in der Frau den rechten Glauben, der frei von Magie ist, zu fördern.121 35122 Die enge, zeitgleiche Verflechtung der zwei Erzählungen wird durch die durative Aktionsart (Präsens) der vier Verben (Simultanhandlungen) sowie 113 Pesch I 304: „Die Frau ist aus den ihr gesetzten tabuisierten Grenzen ausgebrochen; von Jesus her kommt ihr Ermutigung und Bestätigung zu“. 114 Siehe auch Bemerkungen zu 1,15; 2,5; 5,36; 6,6; 9,24. Vgl. Bemerkungen zum Stichwort „Glaube“ in 10,47.52; 11,22-24. Siehe 10.4, IV zu 8,27-9,29. 115 Vgl. Pesch I 305. 116 So Keener, Background, 149. 117 So Lane 193. 118 Pesch I 305. 119 Vgl. Pesch I 304, der auf Mk 2,5 sowie auf Rut 2,8; 3,10 und Ps 45,11 verweist. 120 Vgl. den Friedensgruß in Lk 7,50; Apg 16,36 u.ö.: so Lane 194, Anm. 53. 121 Lane 193. 122 Lit.: Kertelge, Wunder, 116. Weitere Lit. zu 5,35-43 bei: Pesch I 314.430 (bis 1980); Guelich 289 (bis 1988).

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durch das Adverb ἔτι [eti] unterstrichen. Die Frage drängt sich auf, warum Jesus, der sehr wohl um den Zustand der Tochter des Jairus weiß, sich nicht beeilt, sie zu retten (vgl. dies mit Joh 11,6). Beachtenswert ist der scharfe Kontrast zwischen Tochter, dein Glaube hat dich geheilt (V. 34) und deine Tochter ist gestorben (V. 35). Der Leser bekommt den Eindruck, dass die dramatische „Verzögerung“ (V. 25-34) das Eingreifen Jesu im Leben der Tochter des Jairus vereitelt (deine Tochter ist gestorben). Die höfliche Rücksichtnahme auf Jesus was bemühst du noch den Lehrer? spiegelt die Auffassung wider, dass der Tod wohl auch Jesus Grenzen setzt. 36 Wiederum verweist Jesus auf den Glauben123 als Gegensatz zur Furcht124: Fürchte dich nicht mehr, sondern glaube stattdessen (vgl. 4,40 und 9,23; siehe ferner 2,2; 5,34.39). Der Aspekt der zwei durativen Imperative (μὴ φοβοῦ, μόνον πίστευε [mē phobou, monon pisteue]) vermittelt folgenden Sinn: „Höre auf, dich zu fürchten; stattdessen fange an (oder fahre fort) [ausschließlich] zu glauben“. Allerdings ist Glaube an Jesu Fähigkeit in unmittelbarer Konfrontation mit dem Tod eine große Herausforderung für den Syn­ ago­gen­vorsteher (vgl. Joh 11,15) und die, die Jesu Aussage hören. Jesus beabsichtigt jedoch, Jairus durch seine Aufforderung Hoffnung zu machen. „Das Erschwernismotiv fordert den Glauben als Grenzüberschreitung schlechthin heraus, er soll sich auch angesichts des Todes bewähren“.125 37 Die Menge muss sich zurückziehen (vgl. 7,33; 8,23).126 Drei der vier erstberufenen Jünger Petrus, Jakobus und Johannes (außer Andreas; vgl. 1,16-20; 3,16-17) dürfen mit Jesus gehen (sowie Vater und Mutter des Kindes, V. 40). Dieser innere Kreis dient bei entscheidenden Selbstoffenbarungen Jesu als besondere Zeugengruppe. Jesus beabsichtigt, dass dieser innere Kreis als Gruppe von Augenzeugen immer wieder anwesend ist (siehe auch 5,37; 9,2-8; 14,33; vgl. mit 7,33; 8,23; 13,3), um sie später als Hauptzeugen in der Urgemeinde einzusetzen: „Markus legt Wert auf die apostolische Bezeugung der Tradition (nicht erst Lk)!“127 Diese Vorbereitung bezieht sich vor allem auf zwei Jünger. Petrus wird einst als Hauptzeuge und Sprecher der zwölf apostolischen Zeugen auftreten.128 Er wird als Hauptquelle des Mk Ev. dienen, zentrale Aspekte des urchristlichen Zeugnisses (vgl. die erste Hälfte der Apo-

123 Siehe auch Bemerkungen zu 1,15; 2,5; 5,34; 6,6; 9,24. Vgl. Bemerkungen zum Stichwort „Glaube“ in 10,47.52; 11,22-24. Siehe 10.4, IV zu 8,27-9,29. 124 Vgl. Matjaž, Furcht, passim. 125 Dschulnigg 164. 126 Schriftverweise bei Pesch I 307. 127 Pesch I 307. 128 Vgl. Bayer, Peter, 41-85.165-166.

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stelgeschichte) formen und schließlich zwei Briefe schreiben.129 An zweiter Stelle steht Johannes, der Jesus in seinem Evangelium bezeugen sowie als Verfasser von drei Briefen und der Offenbarung dienen wird.130 In Apg 12,2 wird das frühe Martyrium (d.h. „Zeugnis im Tod“) von Jakobus, dem Bruder von Johannes erwähnt. 38 Er sieht das Durcheinander, mit Weinen und … Wehklagen. Die Beschreibung entspricht der Situation nach dem Tod eines Familienangehörigen. Das Beweinen des Verstorbenen (mit offiziellem Trauergesang, Instrumenten, Klatschen und Todestanz) entspricht der zeitgenössischen Sitte und spiegelt den offenen Ausdruck tiefen Schmerzes wider. Eigens für die Trauer bestellte Wehklagende befinden sich unter den Trauernden. Die grundsätzliche Aufgabe von Berufstrauernden131 war es, die Betroffenen in der Wehklage zu leiten und ihnen in der Klage beizustehen. 39-40 Sie beginnen, ihn auszulachen: Die spöttische Reaktion der Berufstrauernden auf Jesus bedeutet, dass sie Jesu Aussage das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft (καθεύδω [katheudō])132 im wörtlichen Sinne von „es ist nicht tot, sondern schläft nur“ (vgl. 4,27; 14,37 u.ö.; οὐκ ἀπέθανεν [ouk apethanen]) verstehen. Nach ihrer Meinung ist Jesus somit schlicht außerstande, die harte Realität des Todes zu akzeptieren. Warum sagt Jesus, dass das allem Anschein nach tatsächlich gestorbene (vgl. Lk 8,55) Mädchen „schläft“? Aus der Sichtweise und Kenntnis der Menschen ist das Mädchen tatsächlich gestorben; es handelt sich hier nicht um einen Scheintod (vgl. 5,23 ἐσχάτως ἔχει [eschatōs echei]; 5,35 ἀπέθανεν [apethanen]; vgl. 5,38.40.42b; siehe im Gegensatz hierzu 9,26, wo es sich deutlich um einen Scheintod handelt). Aus der Sichtweise Jesu ist dieser tatsächliche Tod kraft seiner Vollmacht jedoch lediglich wie Schlaf. Kertelge bemerkt treffend: „In seinem Wort äußert sich daher ein unerhörter Anspruch, nämlich der Anspruch Gottes selbst, der nach Mk 12,27 nicht ein ,Gott der Toten‘ ist, sondern ,Gott der Lebenden‘“.133 40 Nie geht es Jesus darum, etwas zur Schau zu stellen: Er erlaubte außer Petrus, Jakobus und Johannes niemandem, mit ihm zu gehen (V. 37) … er aber schickt alle weg und behält (nur) den Vater des Kindes, die Mutter 129 Die Verfasserschaft der Petrusbriefe ist in der Forschung allerdings nach wie vor sehr umstritten. Vgl. die kontroverse Diskussion in Bayer, Peter, 103-117. 130 Zur eingehenden Diskussion der Verfasserfrage des johanneischen Schrifttums vgl. u.a. Carson/Moo, Introduction, ad loc. 131 Vgl. Lane 196, der auf Stählin, ThWNT III, 829-860, hier: 843-846, bezüglich jüdischer Trauerprozedur verweist. Vgl. ferner Billerbeck, Kommentar, I 521-523. 132 Vgl. Pesch I 308 zum euphemistischen Gebrauch des Begriffs. Siehe jedoch Taylor 285286.295, der aufgrund des schillernden katheudō einen Scheintod erwägt. 133 Kertelge, Wunder, 116. Pesch I 309 verweist auf 1Thess 4,13-14 als Parallele zu V. 39. Vgl. ebenso Dschulnigg 165.

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und die, die ihn begleiteten. Der relativ heftige Begriff ἐκβάλλω ([ekballō] = wörtl. „ich werfe hinaus“)134 taucht bei Mk in unterschiedlichen Zusammenhängen auf. So „treibt“ der Geist Gottes Jesus in die Wüste (1,12). Jesus sieht zu, dass Dämonen „ausgetrieben“ werden (1,39; 3,15; 7,26). Er warnt seine Jünger eindringlich, Sünde resolut zu „entfernen“ (siehe Bemerkungen zu 9,47). Im vorliegenden Zusammenhang „entfernt“ er entschieden alle neugierigen Zuschauer (vgl. 11,15).135 Jesus tut und sagt nur das Wesentliche. 41 Die Berührung durch die blutflüssige Frau und noch mehr die Berührung eines Toten (er ergreift die Hand des Mädchens) verursachen die kultische Verunreinigung Jesu (vgl. Lev 15,26-28; Num 19,11).136 Ein vergleichbares Ereignis findet sich im Wirken des Elisa (2Kön 4,17-37; vgl. ferner 1Kön 17,19.23 und Apg 9,39).137 Die aramäisch und griechisch überlieferte Aufforderung Jesu talitha kum … Mädchen, ich sage dir, wach auf (Impv. von ἐγείρω [egeirō]) erlaubt keinen Rückschluss auf den Zustand des Mädchens. Das Verb kann bei Auferweckung, Wiederbelebung oder einfach beim Aufwecken aus dem Schlaf benutzt werden. Allerdings ergibt sich zumindest aus V. 23 (σῴζω [sōzō] im Sinn von heilen), dass das Mädchen an einer lebensbedrohenden Krankheit litt (meine Tochter liegt im Sterben, V. 23) und davon jetzt (mit der Auferweckung aus dem tatsächlich erfolgten Tod) geheilt wird. Gelegentlich führt Mk den aramäischen Wortlaut einer Aussage Jesu an (vgl. u.a. 3,17; 7,11.34; 10,46; 14,36) und lässt damit (zumindest seinen Anspruch) deutlich werden, dass er einen Zeugenbericht vorlegt. Der griechisch transkribierte aramäische Wortlaut ταλιθα κουμ [talitha koum] hat nichts mit der Übermittlung eines magischen Zauberwortes durch einen theios anēr zu tun.138 Jesus handelt durch Berühren und Sprechen. Bemerkenswert ist die schlichte Art des Handelns Jesu im Gegensatz zu Elia (1Kön 17,21f), Elisa (2Kön 4,3337), Petrus (Apg 9,40) und Paulus (Apg 20,10).139 42-43 Die erfolgreiche Wiederbelebung ruft ekstatisches Erstaunen hervor: Da gerieten sie in höchste Verwunderung; das Mädchen geht umher (Impf. mit durativem Aspekt). Zu den scheinbar nebensächlichen Details, die der Erzählung jedoch Augenzeugencharakter verleihen, gehören der Verweis,

134 Siehe jedoch die sanftere Bedeutung von ekballō in Joh 10,4. 135 Vgl. Apg 9,40. 136 Vgl. Keener, Background, 148, der ferner auf die spätere mToh 5,8 verweist, wo die Regelung gegen Verunreinigung sogar noch verschärft wird. 137 Vgl. Pesch I 307, Anm. 39, bezüglich weiterer Parallelen. 138 Vgl. Pesch I 310. 139 Vgl. Pesch, a.a.O.

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dass das Mädchen zwölf Jahre alt ist140 und dass Jesus darum bittet, ihr etwas zu essen zu geben. Beachtenswert ist ferner, dass das emphatische Schweigegebot mit der Fürsorge Jesu um das leibliche Wohl des Mädchens (essen) eng verknüpft ist und darüber hinaus zur vorhergehenden „Absonderung vom Publikum“141 gut passt. Das spricht gegen die Annahme, dass das wichtige historisch-theologische Thema des Schweigegebots hier ein redaktioneller Einschub sein soll (gegen Wrede). Vielmehr folgt aus dieser kombinierten Bemerkung Jesu, dass das Schweigegebot Jesu ein ernsthaftes, historisch und theologisch zu erklärendes Anliegen Jesu ist (s.o. Einleitung 4.1.1‒4.1.2). Lane betont ferner, dass das Schweigegebot hier gezielt um der ungläubigen Spötter willen erteilt wird, die weder aufrichtig trauern, noch bereit sind, glaubend und vertrauend auf Jesus zu- und einzugehen, um zu erkennen, dass Jesus sogar Macht über den Tod besitzt.142 Manson betont ferner, dass das Schweigegebot die Mittel, durch die das Mädchen wiederbelebt wird, der Menge vorenthält, während die Tatsache der Wiederbelebung allen bekannt werden wird.143

6.4 Verwerfung Jesu in Nazareth 6,1-6 Inzwischen ist Jesus in seiner Heimatstadt wohlbekannt. Sein Ruf ist jedoch umstritten. In den Augen vieler Bewohner verwirrt der wohltätige Jesus durch seine anstößigen und vollmächtigen Behauptungen (vgl. 3,6). Dieser Sachverhalt mag an die eigenartigen Träume von Joseph erinnern (Gen 37,6-11). Gewiss ist, dass die tragische Geschichte derjenigen, die Gottes Wege und seine gesandten Propheten verwerfen, tiefe Wurzeln hat (12,1-5; vgl. Neh 9,16-19.26-30.34; Apg 7,2-53). Sie zeigt sich im leidvollen Leben des Täufers (6,14-29) und gipfelt in der bevorstehenden Verwerfung und Tötung des außergewöhnlichen Gesandten Gottes (12,6-8). Bis zu einem gewissen Grad ist die Verwerfung und Anfechtung der Nachfolger Jesu (8,34; 10,39)144 sodann eine Weiterführung dieses Motivs.

140 Lane 197, Anm. 70, verweist auf Billerbeck, Kommentar, II 10, um zu dokumentieren, dass das Mädchen somit noch nicht ganz das heiratsfähige Alter von 12½ Jahren erreicht hat. 141 Vgl. Dschulnigg 165, der sich allerdings trotzdem nicht zur historischen Frage des Schweigegebots Jesu äußert. 142 Lane 198-99. 143 Manson, Studies, 212; vgl. Lane 199, Anm. 77. Vgl. oben, Einleitung 4.1.1, Kritik an Wredes Messiasgeheimnistheorie. 144 Siehe Apg 4,3.21; 5,17-18; 7,58; 12,1-5; 21,11.30-33; 24,1-9; 26,6.

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I 1 Und von dort ging er hinaus und kehrt in seine Vaterstadt zurück, und seine Jünger folgen ihm. 2 Und als der Sabbat gekommen war, begann er in der Synagoge zu lehren und viele, die ihn hörten, gerieten in entsetztes Erstaunen und sagten: „Woher sind diesem solche Dinge gegeben, und wer (ist verantwortlich für) die Weisheit, die diesem gegeben ist, und (für) derartige Machttaten, die durch seine Hände geschehen? 3 Ist dieser nicht der Zimmermann, Sohn der Maria und Bruder des Jakobus, Joses, Judas und Simon? Und sind seine Schwestern nicht hier bei uns?“ Und sie gerieten über ihn in ernsthafte Zweifel. 4 Jesus aber sprach zu ihnen: „Ein Prophet ist nicht ohne Ehre, außer in seiner Vaterstadt, unter seinen Verwandten und in seiner Familie“. 5 Und er vermochte dort keinerlei Wundertaten zu verrichten, außer dass er ein paar kranken Menschen die Hände auflegte und (sie) heilte. 6 Und er war sehr erstaunt über ihren Unglauben. Und er ging in die umliegenden Dörfer, um zu lehren (und lehrte).145 II Mk 6,1-6 ist ein biografischer Bericht bzw. eine „erweiterte Chrie“,146 wobei die Verbindung zwischen Glaube und Wunder hervorgehoben wird. Der Bericht lässt sich in vier Abschnitte aufteilen: 1. Jesus lehrt in der Synagoge, 6,1-2a; 2. Erstauntes Fragen, 6,2-3; 3. Spruch als Antwort, 6,4; 4. Bemerkung zur Reaktion auf Jesus, 6,5-6a. Mk 6,6b dient als Summarium (vgl. 1,21-22; 2,1-2.13; 4,1-2; 6,30-34; 10,1)147 und Übergangsvers (vgl. 1,14-15; 3,7-12).148 III 1 Während Kapernaum im nordöstlichen Teil von Galiläa das Zentrum des Wirkens Jesu (in Galiläa) ist, spricht und heilt Jesus auch in den umliegenden Gebieten, einschließlich seiner südwestlich gelegenen Vaterstadt Nazareth149 (vgl. 1,9.24, siehe ferner Joh 1,46). Das Dorf Nazareth liegt etwa 40 km150 süd145 Lit.: Hartman, Mk 6,3a, 276-279; vgl. ferner Marshall, Faith, ad loc.; Schlatter, Glaube, ad loc.; Söding, Glaube, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 325.430 (bis 1980); Guelich 305 (bis 1988). 146 Vgl. Guelich 306, der auf Pesch I 316 verweist. Zur Chrie, vgl. Berger, Formen, 140; zur Definition der Chrie, s.o., Einleitung 3.1. 147 Guelich 313. 148 Guelich 314. 149 Vgl. Details bei Pesch I 316, der betont, dass Nazareth wohl bis ins 4. Jh. n.Chr. eine rein jüdische Bevölkerung besitzt. 150 Es sind etwa 32 km Luftlinie.

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westlich von Kapernaum, ca. 4 km südlich von Sepphoris, 12 km südlich von Kana, unweit der Ebene Genezareth. Obwohl Jesus nun mit seiner Familie Kontakt haben wird, betont Mk, dass seine Jünger bei ihm sind. Der Wille Gottes und seine Herrschaft sind auch jetzt ausschlaggebend. Jesus reist mit den Jüngern, die ihm nachfolgen (ἀκολουθέω [akoloutheō])151, in seine Heimatstadt Nazareth (1,9.24; Joh 1,46). Trotz der Spannungen mit seiner natürlichen Familie (vgl. 3,21.31-35) geht er dennoch dorthin. 2 Dies wird im Synagogengottesdienst152 vollends deutlich. Wiederum lehrt (siehe Bemerkungen zu 1,21-22) Jesus am Sabbat (vgl. 1,21.39; 3,1; vgl. ferner 4,1; 6,34; 8,31).153 Es ist wahrscheinlich, dass Jesus während des Synagogengottesdienstes gebeten wird, Erläuterungen zur Schriftlesung zu geben. Nach Lk 4,17-21 erhebt Jesus in Nazareth den unerhörten Anspruch, Jes 61,1-2a zu erfüllen. Jesaja prophezeit das Kommen eines Gesalbten Gottes, der den Unterdrückten gute Botschaft und das Jubeljahr Gottes mitteilt und dabei Kranke heilt. Jesus wird noch mehr gesagt haben (siehe V. 2b). Manche sind erstaunt (ἐκπλήσσω [ekplēssō] passiv: „außer sich geraten“; siehe Bemerkungen zu 1,21-22; 2,12; 5,42; 6,51; 7,37; 10,26; 11,18; 16,8). Die daraus folgenden Fragen der äußerst erstaunten Bewohner kreisen um den Ursprung seiner Lehre, seiner Weisheit (vgl. Lk 2,40.52 und Jes 11,2) sowie seiner machtvollen Wunderkraft (vgl. die Frage der schriftgelehrten Pharisäer in Mk 5,22-27; vgl. Mt 21,25; Joh 7,27f; 8,14; 9,29f; 19,9).154 Dies wird durch πόθεν [pothen], das passivum divinum δοθεῖσα [dotheisa], und die Formulierung, dass Wundertaten „durch seine Hände gehen“ (διὰ τῶν χειρῶν αὐτοῦ γινόμεναι [dia tōn cheirōn autou ginomenai]),155 eindrücklich klar: Woher sind diesem solche Dinge gegeben und wer (ist verantwortlich für) die Weisheit, die diesem gegeben ist, und (für) derartige Machttaten, die durch seine Hände geschehen? Die Antwort auf diese Fragen kann unterschiedlich ausfallen: von Gott (Mk 11,30), von Menschen (11,30) oder von Satan (3,22.30).156 3 Die drei Fragen nach dem Ursprung derartig großer Fähigkeiten werden durch skeptische Fragen relativiert, die alle mit „ja“ zu beantworten sind. Viele Einwohner Nazareths, die ihn und seine Familie kennen (V. 3), sind sich über den genauen Ursprung (V. 2) folgender Aspekte seiner Person unsicher: 1. seine Lehre; 2. seine Weisheit (vgl. Lk 2,40.52; Joh 7,15) und 3. seine Macht, Wunder zu vollbringen (Machttaten; siehe 5,14.22.30; vgl. mit 1,22 und 151 Siehe Bemerkungen zu 1,17-18.20; 2,14.15; 8,34; [9,38]; 10,21.28.32.52; [14,54]; 15,41. 152 Vgl. Art. συναγωγή [synagōgē] (Schrage), ThWNT VII, 798-850, hier: 810-833. 153 Schriftverweise bei Pesch I 317. 154 Die meisten Schriftverweise findet man bei Pesch I 317. 155 Vgl. hierzu Pesch I 318. 156 So Pesch I 317.

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9,39). Jesus wird jedoch (in Form von rhetorischen Fragen) abfällig (vgl. Joh 6,42; 7,25-31; 8,13-20; 9,24-34)157 nach seinem gesellschaftlich bescheidenen Beruf (Zimmermann, wie sein Vater; vgl. Mt 13,55)158 und nach seiner eventuell berüchtigten Familienabstammung (ein uneheliches Kind?) eingeordnet. Τέκτων [tektōn] verweist auf einen Handwerker, der mit Holz (dann also Zimmermann τέκτων ξύλων καὶ ἀρχιτέκτων [tektōn xylōn kai architektōn] oder Schreiner), Metall oder Stein (τέκτων λίθων [tektōn lithōn]) arbeitet.159 Ein einfacher Beruf schließt selbst nicht aus, dass Jesus dennoch ein einflussreicher Lehrer sein kann (vgl. tKidd 1,11; bSan 106a,b);160 Rabbi Schammaj war ebenfalls Zimmermann.161 Deshalb ist die Aberkennung eines handwerklichen Berufs Jesu bei Origenes (Contra Cels 6,34.36) unnötig.

Die ältere und ursprünglichere Formulierung ist dieser nicht der Zimmermann (bzw. Handwerker), Sohn der Maria162 weist (so Cranfield) indirekt auf die Möglichkeit der Jungfrauengeburt. Siehe im Unterschied hierzu die Parallele bei Lk 4,22 (Jesus als Sohn Josephs), wo allerdings die Jungfrauengeburt bereits ausdrücklich konstatiert wurde (Lk 1,34; vgl. Lk 3,23). Das Gerücht, Jesus sei als uneheliches Kind aufgewachsen, wurde bereits zu seinen Lebzeiten verbreitet.163 Diese, vom Volk vorgenommene, abwertende Einordnung Jesu, erklärt jedoch in keiner Weise, wodurch er derart befähigt ist. Aufgrund dieser Unerklärlichkeit wird er ihnen (Passiv) immer mehr (duratives Impf.) zum Zweifel hervorbringenden Ärgernis (σκανδαλίζω [skandalizō]; vgl. Mt 11,6 par: καὶ μακάριός ἐστιν ὃς ἐὰν μὴ σκανδαλισθῇ ἐν ἐμοί [kai makarios estin hos ean mē skandalisthē en emoi]). Das Ärgernis besteht aus der Spannung zwischen den außergewöhnlichen, übernatürlichen Fähigkeiten Jesu, die ihn als Messias ausweisen, und seiner einfachen, evtl. berüchtigten Herkunft (bestenfalls: „Er ist lediglich einer von uns“). Diese Spannung (Jesus besitzt keinerlei Lehr- und Heilungsbefugnis) führt zu Spott gegenüber der Anmaßung Jesu. Nach bester Textbezeugung wird Joseph nicht erwähnt (nach Mt 13,55 ist Jesus allerdings als „Sohn des Zimmermanns“ ὁ τοῦ τέκτονος υἱός 157 Schriftverweise bei Pesch I 318. 158 Textkritische Diskussion: Die Frage, ob „dieser ist der Zimmermann“ (‫א‬, A, B, C, D, K, f1, et al.) oder „dieser ist der Sohn des Zimmermanns“ (P45 vid, f13, 700, pc it, et al.; vgl. Mt 13,55) zu lesen ist, wird aufgrund der besseren äußeren Bezeugung zugunsten der ersten Lesart zu entscheiden sein. 159 Art. τέκτων [tektōn], EWNT III, 820-821 mit Lit. Vgl. Lane 202 und Anm. 9 sowie Pesch I 319 und Riesner, Jesus, 219. 160 Art. τέκτων [tektōn], EWNT III, 820-821. Vgl. BDAG 816. 161 Vgl. Keener, Background, 149. 162 Vgl. Hartman, Mk 6,3a, 276-279. 163 Vgl. Lane 203, der auf Joh 8,41; 9,29 sowie auf Cranfield 195 und Billerbeck, Kommentar, I 39-43 verweist. Anders Pesch I 319.

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[ho tou tektonos hyios] bekannt). Er muss zu dieser Zeit bereits gestorben sein, nachdem er mit Maria mindestens vier Söhne (Jakobus, der spätere Leiter der Jerusalemer Gemeinde: vgl. Gal 1,19; 2,9.12; Apg 12,17; 15,13; 21,18; Judas: vgl. Jud 1, als Bruder des Jakobus; sowie Joses164 und Simon) und zwei Töchter gehabt hatte (vgl. Apg 1,14). Die „vier Brüder Jesu“ tragen „Patriarchennamen, was die fromme Gesinnung seiner Familie anzeigen wird“.165 Mk erwähnt ferner zwei Töchter der Maria (vgl. par Mt 13,56). Obwohl diese leider auch später nicht namentlich genannt werden (vgl. Apg 1,14), sind die Töchter Marias zusammen mit ihren bekehrten Brüdern (vgl. Joh 7,5 mit Apg 1,14) wahrscheinlich ebenso Mitglieder der Urgemeinde in Jerusalem.166 3-4 Nicht nur in der Vaterstadt, sondern sogar im Familienkreis (Sippe) trifft Jesus, wie Propheten vor ihm, auf Unverständnis, Hohn und sogar Zorn (vgl. 3,21.31-35; 6,3 σκανδαλίζω [skandalizō]).167 Die erwähnten Halbgeschwister Jesu sind direkte Kinder der Maria. Hätte Mk von weitläufigeren Verwandten sprechen wollen, wäre der Begriff (Ἡρῳδίωνα) τὸν συγγενῆ (μου) [(Hērōdiōna) ton syngenē (mou)] greifbar gewesen (vgl. Röm 16,11).168 Indirekt bekräftigt Jesus somit den in V. 2 erhobenen Anspruch, Prophet Gottes zu sein (siehe 12,1-11; vgl. Mt 23,37-39).169 Er reiht sich in die Gruppe der verworfenen Propheten ein (vgl. 6,14-16; 9,11-13; 12,1-12; Mt 13,52; Lk 4,24; 24,19; Joh 4,44):170 Siehe u.a. das Geschick von Joseph, Mose, Jeremia (Jer 11,21; 12,6) und vom Täufer (Mk 6,17-29) sowie 2Chron 36,16; Jes 53,3. Jesus antizipiert damit sein eigenes, „gewaltsames Geschick“.171 5 Jesus wird durch diese ablehnende und verwerfende Haltung „gehindert“ (er vermochte dort keinerlei Wundertaten zu verrichten, außer …), Notleidende zu heilen. Bedarf es des Glaubens (als Bereitschaft Jesus gegenüber) als Anstoß und Grund, um geheilt zu werden?172 Oder widerspricht es vielmehr 164 Siehe Dschulnigg 169-170 hinsichtlich der Frage, ob dieser auch der „Sohn der Maria unter dem Kreuz (15,40.47)“ ist. 165 Dschulnigg 170. 166 Der Begriff adelphoi (pl.) in Apg 1,14 kann sich auf Brüder und Schwestern beziehen. Dschulnigg 170 deutet dies zumindest an. 167 Zu Parallelen aus der griechischen Welt vgl. Pesch I 320. 168 Vgl. Keener, Background, 149. Zur Diskussion, ob es sich hierbei um Geschwister (so auch der katholische Ausleger Pesch I 319.322-324, allerdings mit vorsichtiger Behandlung der Frage der Jungfrauengeburt Jesu) oder um andere Verwandte (vgl. etwa Gen 13,8; 14,14 mit Gen 12,5) handelt, siehe u.a. Dschulnigg 170. 169 Ähnlich, Pesch I 320-321, der in 321 betont, dass der Prophet Gottes in Wort und Tat mächtig ist, Weisheit besitzt (Apg 7,22) sowie Zeichen und Wunder wirkt (7,36). 170 Einige Schriftverweise aus Pesch I 320. 171 Um den Titel von O.H. Stecks Werk zu verwenden: „Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten“. Vgl. Pesch I 321. 172 So Pesch I 321.

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dem Charakter und Willen Jesu, dort zu heilen, wo prinzipielle Ablehnung (als Reaktion auf ihn) trotz der Kenntnis seiner Vollmacht herrscht? Mit anderen Worten: Liegt das Ausbleiben der Heilungen primär im (resistenten) Willen der Menschen, oder vor allem in der souveränen Grundhaltung Jesu,173 nur dort zu heilen, wo glaubende Offenheit ihm gegenüber besteht? Beides hängt zusammen; Letzteres ist jedoch ausschlaggebend.174 Das heißt, Jesus vermochte dort keinerlei Wundertaten zu verrichten, weil er nur dort heilen will, wo ihm zumindest Offenheit (als Reaktion) entgegengebracht wird, wo der einzelne Mensch zumindest damit rechnet, von Jesus geheilt werden zu können. Jesus setzt sich somit willentlich keineswegs über die abweisende Haltung der Menschen, etwa durch „kalte“ (sprich: magische) Wundertaten, hinweg.175 Der zweite Teil des Verses belegt für hellenistisches Griechisch176 und für Mk (vgl. 5,37; 9,9), dass eine absolut klingende Aussage (keinerlei Taten) durchaus relativiert werden kann (außer …).177 „Darin dürfte sich eine Neigung des Evangelisten zu überspitzten Formulierungen in Gegensätzen zeigen“.178 6179 Unglaube180 ist hier völliges Ausbleiben der Offenheit oder des Vertrauens Jesus gegenüber (vgl. das Alpha privativum in ἀ-πιστία [a-pistia]). Die Ablehnung beginnt mit Verwerfen des Anspruchs Jesu und mündet in Ablehnung seiner offenkundigen Heilkraft. Jesus ist nicht überrascht, sondern erstaunt (vgl. 15,5.44), ja bestürzt über die allgemein ablehnende Haltung der Nazarener. Die Spannung zwischen „Glaube“ und „Unglaube“ (als prinzipielle Skepsis) sowohl in dieser Perikope als auch in 6,7-13 (vgl. 9,24) steht im Vordergrund.181 Trotz Ablehnung in seiner Vaterstadt setzt Jesus seinen Lehrdienst fort (vgl. u.a. 1,22.23; 4,1.2; 6,2). Dies wird durch das durative Präsens διδάσκων [didaskōn] = „lehrend“ unterstrichen (siehe Bemerkungen zu 1,2122; vgl. Mt 9,35).

173 Die Vollmacht Jesu wird durch fehlenden Glauben nicht absolut eingeschränkt. Dogmatische Entscheidungen dürfen nicht auf derartige Einzelbemerkungen aufbauen. Ein Einzelmoment im Gesamtbild des Wirkens Gottes unter den Nazarenern lässt kein Gesamturteil zu. 174 Ähnlich Dschulnigg 171. Bereitschaft Jesus gegenüber ist nach Joh 6,44 (vgl. Joh 12,32) letztendlich auch Wirken des Heiligen Geistes. 175 Vgl. ähnlich, Keener, Background, 149. 176 Nach Beyer, Syntax, I 304 ist dies für das Semitische nicht belegt. 177 Anders Pesch I 321, der von „einer einschränkenden Interpolation“ ausgeht. 178 Dschulnigg 172. 179 V. 6b ist Übergangsvers. Lane 206 bemerkt, dass es sich hierbei um die dritte Galiläareise handelt (vgl. 1,14 und 1,39). 180 Siehe auch Bemerkungen zu 1,15; 2,5; 4,40; 5,34.36; 9,24. Vgl. Bemerkungen zum Stichwort „Glaube“ in 10,47.52; 11,22-24. Siehe Abschnitt 10.4, IV zu 8,27–9,29. 181 Lane 204.

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IV zu 4,35–6,6 Ziel. Aufbauend auf der Mahnung, die Lehre Jesu aufzunehmen (4,1-34), beabsichtigt Mk nun, das Vertrauen auf Jesus (auf seine schützende Macht, seine Macht über den Tod, Dämonen und Krankheit) zu betonen. Es geht also nun nicht nur um die kontinuierliche Ausweitung der Vollmacht Jesu, sondern um entsprechendes Vertrauen auf ihn. Ein Aspekt der lehrenden Botschaft Jesu ist der überraschende Ruf zum Vertrauen auf ihn. Es wird immer deutlicher, dass die hereinbrechende Herrschaft Gottes eng mit vorbehaltlosem Vertrauen auf Jesus verknüpft ist. Dem gegenüber steht der grundsätzliche Unglaube, bzw. die prinzipielle Skepsis (hier: in Nazareth; vgl. das Gesamtthema der „Gegner Jesu“). Kontextualisierung und Anwendung. Der Abschnitt wird durch das Thema „Vertrauen“ eröffnet und beendet (inclusio; vgl. jedoch ferner 6,7-13). Der Unterschied zwischen den Jüngern und den Gegnern Jesu ist diesbezüglich wiederum gering. Der Unglaube der Jünger bezieht sich auf Furcht vor verheerenden Naturmächten, trotz der Gegenwart Jesu und seiner Macht über diese Mächte. Der Nachfolger des 21. Jh.s hat eine Unmenge an inneren und äußeren Anlässen, sich zu fürchten und zu sorgen. Dabei läuft der Nachfolger Gefahr, so zu leben, als ob Gottes Gegenwart, vermittelt durch den Heiligen Geist, eine rein kognitive Vorstellung, aber nicht wirkliche Realität wäre. Die zu befürchtenden Umstände sind hierbei real. Demgegenüber betont Jesus, seine alles überragende Gegenwart, die in der Urgemeinde wie heute durch den Heiligen Geist vermittelt wird, ernst zu nehmen und nicht von dämonischen, materiellen und psychischen Quellen der Furcht bestimmt zu sein. Es handelt sich hier nicht um die Sektenlehre der „Christlichen Wissenschaft“, die davon ausgeht, dass das Böse und Krankhafte wegzudenken ist, sondern darum, die Realität und überragende Vollmacht Jesu trotz – und im Angesicht – der realen Quellen der Furcht anzuerkennen. Das heißt nicht, dass der Nachfolger nie durch verheerende Naturereignisse umkommen kann (ganz im Gegenteil; vgl. Lk 13,1-5) oder allerlei Anfechtung erleidet (vgl. z.B. Apg 7,59-60; Jak 1,2-4), sondern dass er stets und zentral auf die Realität der Gegenwart Gottes baut. Die Szene der Dämonenaustreibung ist derart einprägsam, dass sie dem ängstlichen Nachfolger Mut macht: Auch die schlimmsten Mächte müssen Jesus gehorchen. Dass Jesus dem Befreiten die direkte Nachfolge verwehrt, heißt nicht, dass er nicht Nachfolger Jesu geworden ist. Lediglich ist seine Nachfolge im Kontext der mit ihm nunmehr versöhnten Familie und dem von früher her gewohnten Umfeld auszuleben (er verbreitet die Nachricht über die Wohltat und Macht Jesu in der Dekapolis).

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Wenn der Nachfolger des 21. Jh.s unter belastender Krankheit, dämonischer Bedrängnis oder traumatischen Erlebnissen in der Familie leidet (siehe die blutflüssige Frau und die Familie des Jairus), wird die Frage der gegenwärtigen Kraft Jesu im Kontext des wachsenden messianischen Reiches (vgl. Verfolgung und Leiden inmitten des wachsenden Königreichs Gottes, u.a. Apg 7; 9; 12; 14,22) akut und existenziell immer wieder gestellt.182 Zunächst muss gesagt werden, dass Jesus bei Weitem nicht alle Menschen heilt und befreit. Nirgends sagt Jesus, dass alle Gebrechen der Nachfolger durch seine Macht behoben werden sollen. Die Hoffnung, dass Jesus im Leben des Nachfolgers nach seinem Willen barmherzig, heilend und von Bösem befreiend eingreift, ist jedoch immer als Möglichkeit gegeben. Zu fordern, dass Gott auf eine bestimmte Weise zu wirken habe, entspricht allerdings nicht der Lehre Jesu. Es gilt, das von Jesus gelebte und gelehrte Maß zu finden: Beugung unter seinen souveränen Willen, mit Offenheit und Bereitschaft für sein barmherziges, übernatürliches Eingreifen. Es wird im weiteren Verlauf des Markusevangeliums jedoch deutlich werden, dass Jesus die Bereitschaft zur Leidensnachfolge (vgl. u.a. 8,34-38) viel zentraler ansetzt als die Hoffnung auf mögliche Heilung und Segnung. Das Ziel Jesu ist die Verkündigung und Realisierung der Versöhnung mit Gott (vgl. Mk 1–2) und miteinander, z.T. mittels seiner leidenden Nachfolger. Die echte Umkehr eines Menschen zu Gott und damit Versöhnung mit dem Nächsten ist und bleibt das übernatürliche Wunder eo ipso. Die möglichen Machterweise Gottes bekräftigen lediglich diese Botschaft. Der Unglaube in Nazareth ist zwar wegen deren Vertrautheit mit dem Zimmermann Jesus bedingt verständlich, zeugt aber dennoch von Hartherzigkeit, weil Jesus deutlich gemacht hat, dass er weit mehr als der ihnen bekannte Zimmermann ist. Der Unglaube in Nazareth wirft ferner folgende Frage auf: Sind Glaube und Vertrauen Voraussetzung dafür, dass Jesus heilt? Es ist wohl eher die souveräne Grundhaltung Jesu, nur dort zu heilen, wo Bereitschaft ihm gegenüber besteht. Vermittelt durch den Geist Gottes, will sich Jesus auch heute nicht über die abweisende, verhärtete Haltung des einzelnen Menschen ihm gegenüber hinwegsetzen. Andererseits ist zu betonen, dass auch derartiger Glaube eine Gabe Gottes ist (siehe Eph 2,8-10; vgl. Joh 6,44; 12,32). Sowohl Jesus als auch seine Jünger (vgl. 6,11) werden mit Bereitschaft (Glaube) und Verschlossenheit (Unglaube) der Botschaft gegenüber konfrontiert. Die Mitteilung der messianischen Herrschaft Gottes muss in einem derart „gemischten“ Umfeld geschehen. Jesus bereitet somit die Jünger durch sein ei182 U.a. in Pfingstgemeinden, Charismatische Bewegung, Vineyard Gemeinden, Toronto Erweckung.

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genes „Nazareth-Erlebnis“ auf bevorstehende Verwerfung ihrer Verkündigung vor (wie der Meister verworfen wurde, so werdet auch ihr verworfen werden).183

183 Ähnlich, vgl. Lane 204-205.

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7. Aussendung der Zwölf – Tod des Täufers – Wunder 6,7-561

Mk beschreibt einen dritten Zyklus in der Ausbildung der Jünger durch Jesus. Er sendet sie paarweise aus, um das zu lehren und zu tun, was er bisher selbst gelehrt und getan hat. Sie sollen die Menschen zur Buße rufen, Dämonen austreiben und Kranke heilen (6,12.30; siehe das Echo zu 3,13-15). Ferner wirft der Tod des Täufers (6,14-29)2 einen langen Schatten über Jesu eigenes Geschick (vgl. 1,14; 3,1-6; 6,1-6). Sein Leben ist bereits durch seine vollmächtigen Aussagen und außergewöhnlichen Wundertaten bedroht. Im Umkreis des weithin bekannten Jesus entstehen viele Meinungen und Gerüchte über ihn. Der galiläische Tetrarch Herodes Antipas, der den Täufer enthaupten ließ, meint, Jesus sei der zum Leben zurückgekehrte Täufer (6,16). Inmitten unterschiedlicher Verwerfungsmotive (6,1-6.14-29; siehe Bemerkungen zu 1,16-45) werden die Jünger nun ausgesandt, um die gute und segensreiche Botschaft über das Handeln Gottes zu verbreiten (V. 7-13). Die systematisch geschulten Jünger verkündigen somit die messianische und ewige Herrschaft Gottes in Verbindung mit Heilungen und Austreibungen von Dämonen. Unmittelbar nach der Verwerfung Jesu in seiner Heimatstadt berichtet Mk die Festnahme (6,17), den Tod (6,27c) und die Grablegung (6,29) des schuldlosen Täufers. Jesus setzt sich ebenso mit Opposition auseinander (vgl. 1,14; 3,1-6; 6,1-6; 14,1-2). Letztendlich muss der schlechthin Sündlose denselben Weg gehen, den der Täufer vor ihm gegangen ist, einschließlich Verhaftung (14,46; 15,1), Tod (15,10.14-15) und Grablegung (15,45-46). Ein Leidens- und Anfechtungsweg wird auch die Jünger prägen (vgl. 8,27–10,52; Apg 4,3). Im vorliegenden Abschnitt dient u.a. der Begriff „Gefängnis“ als inclusio (vgl. V. 17 und 27). Dadurch entsteht ferner das Paradox, dass Gerechte im Gefängnis darben, während Ungerechte ein großes Festmahl feiern. Synoptischer Vergleich: Befund. Im Gegensatz zu Mt berichtet Mk mit Lk erst jetzt über die Aussendung der Zwölf (Mk 6,6b-13 / Lk 9,1-6; vgl. Mt 1

Zur textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch I 326, Anm. a-b; 333, Anm. a-b; 337338, Anm. a-b; 347-348, Anm. a-d; 357-358, Anm. a-b; 365, Anm. a; France 251.254.260.268269; Lane 205, Anm. 18-22; 211, Anm. 45-46; 214-215, Anm. 57-59; 227, Anm. 94-95; 233, Anm. 111-113; 239, Anm. 127-130. 2 Vgl. Edwards, Art. Sandwiches, 193-216.205-206 zum Schema der „Markan sandwiches“; vgl. etwa 6,7-13; 6,14-29; 6,30.

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7. Aussendung der Zwölf – Tod des Täufers – Wunder 6,7-56

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9,35–10,16 und Lk 10,1-16). Den Synoptikern gemeinsam folgt sodann das Urteil des Herodes über Jesus (Mt 14,1-2 / Mk 6,14-16 / Lk 9,7-9) sowie der zur Aussendung der Zwölf passende Bericht über die Rückkehr der Zwölf (mit Speisung der Fünftausend; Mt 14,13-21 / Mk 6,30-44 / Lk 9,10-17). Bei Mt liegen somit Aussendung und Rückkehr weiter auseinander. Mt und Mk erwähnen noch vor der Rückkehr der Zwölf den Tod des Täufers (Mt 14,3-12 / Mk 6,17-29: passend zur Perikope über Herodes; vgl. Lk 3,19-20) sowie darauf folgend die Erzählung von der Macht Jesu über Naturkräfte und Krankheit (Mt 14,22-33 / Mk 6,45-56). Auswertung: Mk verfolgt im Kontext der Verwerfung (Mk 6,1-6.14-29) das Thema der Aussendung der Zwölf sowie die kontinuierliche Ausweitung der Vollmacht Jesu. Dies verdeutlicht, dass die Sendung und Botschaft Jesu durch keinerlei Opposition (auch nicht durch den Tod des Vorboten Johannes) behindert werden kann, bis das Ziel, für das Jesus gekommen ist, erreicht ist. Literarischer Kontext und Form. Mit Mk 6,7 beginnt der dritte Abschnitt (6,7– 8,26) der ersten Hälfte des Evangeliums. Jeder der drei Abschnitte beginnt mit einem Thema der Nachfolge: Berufung (1,16-20), Einsetzung mit summarischem „Basis-Bericht“3 (3,7-19), Aussendung der Jünger als „Basis-Bericht“ (6,7-13).4 Jeder Abschnitt endet mit Widerstand gegen das Wirken Jesu (3,16; 6,1-6a; 8,14-21).5 Der Einsetzungsbericht (3,7-19) erwartet seine Erfüllung in 6,7-13. Allerdings bewahrheitet sich ein Aspekt der Einsetzung unmittelbar: Dass sie „bei Jesus seien“ (3,14) ist durchweg (siehe z.B. 3,20.34; 4,1012.34.35.38.40.41; 5,31.37; 6,1) sichtbar.6 Beachtenswert in dem gesamten Abschnitt von 6,7–8,26 ist ferner die Tatsache, dass ein Taubstummer (7,31-37; „Hören“) und ein Blinder (8,22-26; „Sehen“) geheilt werden. Ferner werden die Wunder der Speisung der Fünftausend (6,35-44) und Viertausend (8,1-10) erzählt. Diese Wunder unterstreichen nicht nur die messianische Barmherzigkeit und Autorität Jesu, sondern sie zielen auf die Kernfrage Jesu, ob seine Jünger ebenso hartherzig sind, wie die Pharisäer und die Herodianer (vgl. das Doppelthema „Hören“ und „Sehen“ in 8,17-18). Neben der Barmherzigkeit dienen diese Wunder nach alttestamentlichem Vorbild zugleich als prophetisches und heuristisches Mittel, die Jünger mit ihrer eigenen Herzenshaltung zu konfrontieren: Selbstgerechtigkeit (8,1421; „Sauerteig“) verhindert wahre Reinheit (7,14-23), wirkliches „Hören“ und 3 4 5 6

Berger, Formen, 390. Berger (a.a.O. 388) definiert summarische „Basis-Berichte“ als „Texte …, die das erfolgreiche Wirken von Missionaren darstellen“. Berger, Formen, 390. Siehe ferner Guelich 316. Guelich 316. Vgl. ähnlich Guelich 320.

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„Sehen“ (7,31-37; 8,17-18.22-26) sowie Ehrfurcht vor der Größe Jesu (siehe alle erwähnten Wunder in diesem Abschnitt und der wiederholte Verweis auf „Brot“, 6,52; 7,2.28; 8,14-21).7 Die Erzählung von Mk 6,7-13 wird in 6,30 fortgeführt. Der Einschub über das gewaltsame Geschick des Täufers (vgl. 1,14a) erstreckt sich von 6,17 bis V. 29 (mit Vorspann8 in 6,14-16, zum Thema der populären Auffassungen über Jesus, einschließlich der Spekulation über den wiederbelebten Täufer). Dieser Einschub signalisiert, dass sich das gewaltsame Geschick des Täufers durchaus auch auf Jesus9 und damit auf seine Jünger ausweiten kann. Das Thema des leidenden Menschensohns sowie der Leidensnachfolge wird somit bereits angedeutet und in 8,27–10,52 entfaltet (vgl. oben, Einleitung 4.1.6).10 Guelich fasst die Parallelen zwischen dem gewaltsamen Geschick des Täufers (6,14-29) und der Passion Jesu zusammen: Verhaftung, 6,17 / 14,46;15,1; Tötungsabsicht, 6,19 / 14,1b; Furcht, 6,20 / 11,18.32; 12,12; 14,2; gewaltsamer Tod eines Unschuldigen, 6,26c / 15,10.14-15; Grablegung, 6,29 / 15,45-46.11 Im Gegensatz zu Herodes Antipas lehren Jesus und der Täufer, dass Jesus der vom Täufer (Letzterer als Elia Figur, vgl. Lk 1,17; Mk 9,11-13 und 4Q558) antizipierte Kommende ist, und nicht, wie Herodes Antipas abergläubisch annimmt, Jesus ein Johannes redivivus sei. Ferner wird deutlich, dass die Verkündigung der Jünger 6,7-13.30 zumindest publizistischen „Erfolg“ hat: Sogar der Hof des Herodes Antipas hat nun von Jesus gehört (6,14-16).12 Die Jünger sind nun direkt autorisiert, sein Werk an Jesu statt (vgl. 9,3841) fortzuführen.13 Das bedeutet jedoch nicht (vgl. 4,11.13.41), dass die Jünger bereits Jesus so kennen, wie er tatsächlich ist (vgl. 6,35–8,26).14 Die Hartherzigkeit der Jünger (siehe vor allem 8,14-21) verläuft weithin parallel zur Hartherzigkeit der Gegner Jesu (4,11-12; vgl. 3,6 und 6,1-6a). Allerdings haben die Jünger aufgrund des Wirkens Jesu und seiner Gegenwart einen gewissen Einblick in die Person Jesu („halb sehend“, wie der halb geheilte Blinde, 8,22-26; s.u., Einzelauslegung zu 8,22-26). Die Gesamtreaktion der Jünger in der zweiten Hälfte des Evangeliums entspricht (höchstens) dieser „halben“ Einsicht.15 7 Vgl. Lane 210. 8 Vgl. Guelich 320.328. 9 Vgl. Guelich 328. 10 Vgl. Guelich 321. 11 Guelich 328. 12 Ebd. 13 Guelich 320. 14 Guelich 320-321.338. 15 Guelich 316.

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7. Aussendung der Zwölf – Tod des Täufers – Wunder 6,7-56

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Mk 6,53-56 schließt einen Zyklus von Wundergeschichten (mit Betonung der Vollmacht Jesu) ab.16

7.1 Aussendung der Zwölf 6,7-13 Was bereits in 3,14-15 angedeutet wird, ereignet sich nun. Die Zwölf sind jetzt, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, systematisch ausgebildete Nachfolger des Meisters. Sie sind dazu beauftragt und befähigt, so zu reden und zu handeln, wie Jesus dies bisher getan hat (vgl. z.B. 4,11-34).17 Dabei sollen sie zentral zur Buße rufen (V. 10-12). Die Seitenreferenten Mt und Lk verbinden den Auftrag der Jünger noch unmittelbarer mit der Gegenwart des messianischen Gottesreiches als dies bei Mk geschieht (vgl. Mt 10,7-8; Lk 10,9.11). Die Jünger empfangen die Macht, unreine Geister auszutreiben (V. 7) und zu heilen (V. 13). Dadurch erweitert sich der Radius der Verkündigung und der messianischen Herrschaft Gottes. I 7 Und er ruft die Zwölf zu sich und begann, sie in Paaren auszusenden und ihnen Vollmacht über unreine Geister zu geben, 8 und befahl ihnen, nichts auf den Weg mitzunehmen außer einem Stab, kein Brot, keine Tasche (Bettelsack) und keinen Geldgürtel. 9 Aber bereits angezogene Sandalen (durften sie mitnehmen), allerdings nur ein (Unter-)Gewand. 10 Und er sprach zu ihnen: „Wo immer ihr in ein Haus einkehrt, bleibt dort, bis ihr von dort wieder abreist. 11 Und geht aus dem Ort, der euch nicht willkommen heißt, noch euch hören will; streift den Staub unter euren Füßen ab, als Zeugnis gegen sie“. 12 Und sie gingen aus und riefen die Menschen zur Buße, 13 und dabei trieben sie viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie.18

16 Guelich 355. 17 Vgl. 1,14-15; siehe Bemerkungen zu 1,16-45. 18 Lit.: Blomberg, Reliability, 145-146; Hoffmann, Studien, 320-329; Mauser, Christ, 133-134; Power, Staff, 241-266; Hengel, Nachfolge, 32-37; vgl. ferner Marshall, Faith, ad loc.; Schweizer, Erniedrigung, ad loc.; Söding, Glaube, ad loc.; Breytenbach, Nachfolge, ad loc.; Byrskog, Jesus, ad loc.; Donahue, Theology, ad loc.; Watts, Influence, ad loc.; Best, Jesus, ad loc.; Black, Disciples, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 331-332.430 (bis 1980); Guelich 318 (bis 1988).

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II Mk 6,7-1319 ist eine Erzählung (6,7.12-13), die drei Logien enthält (6,8-11).20 Die Analogie zur Erwählung und Berufung der Jünger in 3,13-15 ist offensichtlich: a. Aussendung (vgl. 3,14 mit 6,7); b. Verkündigung (vgl. 3,14 mit 6,12); c. Vollmacht über Dämonen (vgl. 3,15 mit 6,7.13); d. „bei Jesus zu sein“ (vgl. 3,14 mit 6,30).21 Mk 6,13 erwähnt jedoch Krankenheilungen, was in Mk 3,3.13-15 fehlt. Der knappe Erzählstil wird in 6,7 transparent sichtbar: Erwähnt Mk hier lediglich die Aussendung der Jünger und die Vollmacht, Dämonen auszutreiben, so wird aufgrund der V. 12-13 deutlich, dass sie ebenso die Botschaft der Umkehr zu Gott (vgl. deshalb 1,14-15 mit 4,12: Umkehr und Sündenvergebung) vermitteln sowie Kranke heilen. Es ist also wichtig, die meist knappe Ausdrucksweise des Mk jeweils kontextgemäß zu ergänzen (hier z.B. V. 7 durch V. 12-13), um ein umfassenderes Bild dessen zu gewinnen, was Mk insgesamt vermitteln will. III 7-13 Jesu Wirken an seinen Lebensnachfolgern besteht bis zu diesem Punkt: a) aus deren Berufung (Berufungen werden nur selektiv berichtet, vgl. 1,1620), b) besonderer, namentlicher Aussonderung und Einsetzung der Zwölf (vgl. 3,13-19) und c) Unterweisung durch Lehre (4,11-34) und Vorbild (vgl. z.B. Mk 5). Bereits in 3,14-15 berichtet Mk von Jesu Absicht, die Zwölf zum Verkündigen und Exorzismus auch auszusenden. Nun geschieht, was bereits in 3,14-15 ins Auge gefasst wird. Während in 3,14-15 lediglich von Verkündigung und Exorzismus die Rede ist, sendet Jesus seine Jünger nun zum Austreiben der unreinen Geister (V. 7), zum Verkündigen der Bußbotschaft (V. 1012) sowie zum Heilen (V. 13) aus. 7 „V. 7 schildert sein Tun in drei Akten: Herbeirufen, Aussenden, Vollmachtsübertragung“.22 Mk berichtet zunächst, dass Jesus seine Jünger bevollmächtigt, unreine Geister auszutreiben. Sie bleiben dabei immer von Jesus abhängig: Das durative Imperfekt ἐδίδου [edidou] mag vermitteln, dass Jesus ihnen immerfort bzw. immer wieder ἐξουσία ([exousia] „autoritative Macht“; „Vollmacht“) in seinem Namen gewährt. Wenn sie allerdings paarweise (vgl. 11,1; 14,13) von Ort zu Ort ziehen, dann folgen sie vor allem dem Muster ihres Meisters (vgl. den Übergangsvers 6,6b): Sie verkündigen angesichts der 19 Lit.: Dormeyer, Passion, 47; Fowler, Loaves, 68-90; Theißen, Wundergeschichten, 102-107. 20 Guelich 319. 21 Ebd. 22 Dschulnigg 174.

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unmittelbar bevorstehenden Gottesherrschaft (V. 12) die Botschaft der Buße (V. 10-12), ergänzt durch Austreiben von unreinen Geistern und Heilungen (V. 13). Es handelt sich hierbei also um die bedeutsame Ausweitung der Vollmacht Jesu durch legitime, autorisierte Botschafter (siehe ἀποστέλλειν [apostellein] mit ἐξουσία [exousia]; vgl. 6,30, ἀπόστολοι [apostoloi]; siehe Bemerkungen zu 3,15).23 „Ziel seiner Sendung ist die endzeitliche Sammlung des Volkes Gottes“.24 Die paarweise Aussendung hat neben dem juristisch-zeugenartigen Motiv25 den pädagogischen Effekt der Vertiefung gelernter Lehrinhalte Jesu (vgl. später z.B. Paulus und Barnabas; Petrus und Johannes).26 Auch wird die gegenseitige Stützung und Berichtigung dadurch begünstigt. Die paarweise Aussendung von Boten ist sowohl im Judentum als auch im Hellenismus verbreitet.27 8-9 Die Bedingungen, die Jesus seinen Jüngern auferlegt, sind spezifisch auf die bevorstehende Aufgabe ausgerichtet.28 Sie können nicht ohne Weiteres auf die allgemeine Nachfolge Jesu ausgeweitet werden, weil Jesus diesbezüglich keinerlei Aussagen macht. Die Sonderbestimmungen Jesu sollen Zeichen (Friedfertigkeit; Wehrlosigkeit; Gottvertrauen; Dringlichkeit)29 für die unmittelbar bevorstehende Verkündigungsaufgabe unter jüdischen Mitmenschen setzen (vgl. im AT etwa die Zeichen setzende Verkündigung des Jona und Hosea).30 Außer einem Wanderstab (scheinbar anders in Mt 10,10; Lk 9,3; s.u.), Schuhen (bzw. Sandalen; scheinbar anders in Mt 10,10; s.u.) sowie einem (Unter-)Gewand (vgl. Lk 9,3), dürfen sie nichts mitnehmen, weil Brot, (Bettel- oder Reise-)Tasche (pera),31 (Kupfer-)Geld (chalkos; d.h. Kleingeld) für den Gürtel und ein zweites Gewand (für die Nachtruhe) Lebensunterhalt und Lebenssicherung repräsentieren; dies soll von gastfreundlichen Menschen kommen, die Buße vor Gott tun. 23 Grundzüge der Funktion eines ἀπόστολος [apostolos] / ‫[ שליח‬schljch] als prophetischer Botschafter (Lane 415-421; 424-430) liegen hier bereits vor. 24 Dschulnigg 174. 25 Vgl. Lane 207, der u.a. auf Deut 17,6 und Num 35,30 verweist. Vgl. ferner Deut 19,15. Siehe ebenso Dschulnigg 174. 26 Verweis bei Pesch I 327. 27 Keener, Background, 149. 28 Keener, Background, 149 bemerkt, dass auch Elia, kynische Wanderphilosophen sowie der Täufer, derart leicht beladen umherreisen. 29 Vgl. Pesch I 328, der auf Hoffmann, Studien, 320-329 verweist. 30 Vgl. Pesch I 328 bezüglich der Parallelen zum kynisch-stoischen Wanderphilosophen, mit Verweis auf Hengel, Nachfolge, 32-37. Die Analogie ist allerdings keineswegs auf diese Tradition beschränkt. Es ist näherliegend, etwa bei Elia oder dem Täufer engere Bezugspunkte zu suchen. Der mögliche Kontakt zu kynischen Wanderphilosophen mag später in 1Thess 2,1-12 vorliegen. 31 Vgl. Pesch I 328.

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Vgl. im Gegensatz hierzu Mt 10,8-10 (keine Schuhe und keinen Stecken) und Lk 9,3 (keinen Stecken); 10,4; 22,35. Nach Power handelt es sich beim Stab in Mk (Mk 6,8: ῥάβδος [rhabdos] = Rute, Stab, Stock) um einen Wanderstab.32 Der „Stab“, der bei Mt 10,10 (ῥάβδος [rhabdos]) und Lk 9,3 (ῥάβδος [rhabdos]) nicht erlaubt ist, ist im Gegensatz hierzu ein Verteidigungsstab, den der Schäfer zur Verteidigung seiner Schafe benutzt. Der Sinn der Aussage Jesu wäre somit, dass die Jünger sowohl in materieller Hinsicht als auch bezüglich ihrer Sicherheit auf Gott vertrauen sollen. Blomberg vermutet, dass Mt eventuell Jesu Aussagen zur Aussendung der Zwölf (Mt 10,8-10; vgl. Lk 9,3f) mit Aussagen zur Aussendung der zweiundsiebzig (Lk 10,124) verknüpft, unter denen sich die Zwölf wiederum befinden (vgl. Lk 10,17.23).33 Mt unterscheidet demnach nicht die zwei Aussendungsphasen, die Lk genau präsentiert (Lk 9,1-6 und 10,1-24). Die Zwölf wären sodann zunächst durchaus mit Wanderstab (aber immer ohne Verteidigungsstab, Lk 9,3) und Schuhen (Lk 9,3 schweigt hierzu) losgezogen; im Gefolge des erweiterten Kreises wären die Zwölf jedoch sogar ohne Schuhe (Lk 10,4 ὑποδήματα [hypodēmata]; ein Stab wird hier nicht erwähnt; Mt 10,10 ὑποδήματα [hypodēmata]) ausgezogen. Carson geht davon aus, dass αἴρω [airō] in Lk 9,3 „kaufen“ bedeutet (vgl. die Parallele in Mt 10,9: κτάομαι [ktaomai] – „erwerben“; Mk 6,8 liest αἴρω [airō] = „nehmen“).34

„Die Ausgesandten sollen in dieser Weise in beispielhafter Armut leben und darin noch kynisch-stoische Wanderphilosophen übertreffen, denen etwas Nahrung und ein Ranzen zum Betteln gestattet war“.35 Alles zielt auf unmittelbare Abhängigkeit von Gott36 und erinnert an den ersten Exodus (vgl. Ex 12,1137 mit Mk 6,8-9): Es geht um die Befreiung von „Knechtschaft“, jetzt allerdings im tiefsten Sinne des Wortes. 10 Bleibt dort, bis ihr von dort wieder abreist: der Sinn dieser Aussage ist schwierig zu fassen. Soll damit ausgesagt werden, dass die Jünger Jesu solange in einem Haus bleiben sollen, wie sie dort willkommen sind? Oder soll damit ausgesagt sein, dass sie jeweils zur Verkündigung in einer Stadt in einem Haus unterkommen sollen, bis sie in dem betreffenden Ort überall verkündigt und gewirkt haben? Letzteres ist wahrscheinlich.38 11 Diese letztere Möglichkeit wird auch durch V. 11 begünstigt.39 Analog zu seiner eigenen Erfahrung (6,1-6a; vgl. 3,6) bereitet Jesus seine Jünger auf 32 33 34 35 36 37 38

Power, Staff, 241-266, bei Lane 207, Anm. 31. Blomberg, Reliability, 145-146. Carson, Matthew, 241-247. Dschulnigg 175. Vgl. ähnlich, Lane 207. Vgl. Watts, Influence, passim, und vor ihm Mauser, Christ, 133-134. So auch Pesch I 329 und Dschulnigg 175; Letzterer mit Verweis auf eine ähnliche Auffassung in der späteren rabbinischen Überlieferung (bAr 16b; Billerbeck, Kommentar, I 569). 39 Lane 208, Anm. 34, verweist auf die Tatsache, dass die Didache (11,4-5) in der Zeit der Apostolischen Väter festlegt, dass der Besuch eines Wanderpredigers wegen der Gefahr des Miss-

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mögliche Verwerfung der Botschaft vor (geht aus dem Ort, der euch nicht willkommen heißt, noch euch hören will, vgl. 9,37; 10,15). Das zeugnisartige (vgl. 1,44; 13,9)40 Verhalten, den Staub unter den Füßen abzustreifen, bedeutet, dass die prophetisch handelnden Verkündiger keine Schuld (mehr) tragen und die Verwerfenden vor Gott im Gericht (nun) allein verantwortlich sind. Zumindest spätere rabbinische Quellen (tBaba Kam 1.5) bezeugen, dass das Abstreifen des Staubes Gepflogenheit gesetzestreuer Juden ist, die aus heidnischen Gebieten nach Hause kommen.41 Sie reinigen sich damit von der Verunreinigung durch Kontakt mit Heiden.42 In deutlichem Gegensatz zu Mohammeds Vorgehen leitet Jesus seine Jünger zu keinerlei Gewalt- oder Kriegshandlung gegenüber den „Ungläubigen“ an. Das Gericht überlässt der Bote Jesu ausschließlich und immer Gott selbst (vgl. 1Kor 4,5; 5,13). 12-13 Die Jünger Jesu sind geistlich wenigstens so reif, dass sie die von Jesus gelehrte und vorgelebte Umkehrpredigt (sowie die Herrschaft Gottes) verinnerlicht haben und nun weitergeben können (sie gingen aus und riefen die Menschen zur Buße; vgl. 1,15; 3,14). Ferner sind sie durch Jesus (mittels des Heiligen Geistes) bevollmächtigt, Dämonen auszutreiben und Kranke wiederherzustellen. Die Verwendung von Öl wird von Jesus nicht sonderlich erwähnt, ist jedoch im Judentum gewohntes Mittel (z.T. auch selbst Heilmittel)43 in der Bitte um Heilung durch Gott (vgl. Jak 5,14-15).

7.2 Herodes – das Ende des Täufers 6,14-29 Es kursieren nunmehr vielerlei Meinungen und Gerüchte über Jesus.44 Aufgrund von Aberglauben nimmt der Tetrarch Herodes Antipas, der den Täufer enthaupten ließ, an, dass Jesus der wiederbelebte Täufer sei (6,16; vgl. 8,28). Derartige Spekulationen haben wenig mit Realität, Wahrheit oder Tatsachen zu tun. In Mk 6,17-29 sind die Beweggründe und Umstände aufgeführt, unter denen Antipas den Täufer enthaupten ließ (V. 16; vgl. mit 2Chron 24,20-22). brauchs lediglich zwei Tage dauern darf. 40 Vgl. Pesch I 329. 41 Vgl. Lane 209, Anm. 36, mit Verweis auf Billerbeck, Kommentar, I 571. Vgl. Pesch I 329, mit Hinweis auf weiterführende Lit. 42 Pesch I 329 geht mit Billerbeck, Kommentar, I 571, davon aus, dass es sich hierbei ursprünglich um einen Fluchgestus handelt. Mangels zeitgenössischer Quellenbelege äußert sich Dschulnigg 176 wohlweislich eher skeptisch. 43 Pesch Markus I 330; Lane 210; vgl. Art. ἔλαιον [elaion] (H. Schlier), ThWNT II, 468-470, hier: 470 sowie Keener, Background, 150. 44 Siehe oben, Einführungen in 7. und 7.1.

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I 14 Der König Herodes aber hörte auch (davon), denn sein Name war (nun) bekannt; und manche meinten, Johannes der Täufer sei von den Toten auferstanden, und deshalb seien die Kräfte in ihm. 15 Andere aber meinten, er sei Elia; wieder andere vertraten die Ansicht, er sei ein Prophet wie einer der früheren. 16 Als aber Herodes (das) hörte, sprach er: „Der, den ich persönlich enthaupten ließ, Johannes, dieser ist auferstanden“. 17 Denn Herodes selbst hatte Johannes festnehmen und ihn ins Gefängnis bringen lassen, wegen Herodias, der Frau seines Bruders Philippus, denn er hatte sie geheiratet. 18 Johannes aber hatte dem Herodes gesagt: „Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders als Ehefrau zu haben“. 19 Die Herodias war ihm (deshalb) feindlich gesinnt und wollte, dass er sterbe, konnte es aber nicht (erreichen). 20 Herodes aber hatte Respekt vor Johannes, da er wusste, dass er ein gerechter und gottergebener Mensch war; er schützte ihn und wurde (jedes Mal) sehr unsicher, wenn er ihn hörte und hörte ihn (trotzdem) gern. 21 Aber ein gelegener Tag war gekommen, als Herodes anlässlich seines Geburtstages zu Ehren seiner Beamten, der Offiziere und Prominenten Galiläas ein Festmahl gab; 22 und als die Tochter der Herodias eintrat und tanzte, gefiel sie Herodes und den Gästen, die mit ihm speisten. Der König sprach zum Mädchen: „Erbitte von mir, was du willst, und ich werde es dir gewähren“. 23 Und er schwor ihr nachdrücklich: „Was immer du von mir erbittest, werde ich dir gewähren, bis zur Hälfte meines Reiches“. 24 Sie aber ging hinaus und sprach zu ihrer Mutter: „Was soll ich erbitten?“ Sie aber sprach: „Das Haupt Johannes des Täufers“. 25 Sofort aber kam sie stracks auf den König zu und stellte ihre Forderung: „Ich will, dass du mir umgehend auf einer Platte das Haupt Johannes des Täufers gibst“. 26 Und der König war tief beunruhigt, aber wegen des Eides und seiner Gäste wollte er sie nicht abweisen. 27 Und sogleich sandte er den Henker und befahl, sein Haupt zu bringen. Und er ging hin, enthauptete ihn im Gefängnis 28 und brachte sein Haupt auf einer Platte und gab es dem Mädchen, und das Mädchen gab es seiner Mutter. 29 Als aber seine Jünger das hörten, kamen sie und nahmen seinen Leichnam und legten ihn in ein Grab. II Mk 6,14-29 enthält einen Bericht45 über öffentliche, dem Herodes Antipas bekannte Jesus-Vorstellungen (6,14-16), gefolgt durch die Mk 6,14-16 erläu-

45 Pesch I 333.

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ternde und erklärende Erzählung über den Tod des Täufers (Mk 6,17-29).46 Der Bericht enthält gewisse Merkmale jüdischer Märtyrergeschichten (vgl. die Passionsgeschichte Jesu in Mk 14,1ff), bei denen der gerechte und gesetzestreue (V. 17-18.20) Märtyrer durch Ungerechte stirbt. Beispiele jüdischer Märtyrergeschichten finden sich in 2Chron 24,20-22; 2Makk 6,1831; 2Makk 7.47 Im Gegensatz hierzu preisen hellenistische Märtyrergeschichten die Rechtfertigung eines Märtyrers (vgl. z.B. die Verteidigungsrede des Sokrates in Athen).48

Der Bericht beginnt mit einer Situationsbeschreibung bzw. einer Vorgeschichte49 (6,17-20), sodann folgt die Beschreibung der Tötung des Täufers (6,21-29: Festmahl/Schwur/Befehl und seine Ausführung/Bestattung).50 Bemerkenswert ist der krasse Kontrast zwischen Gefängnis und Festmahl, wobei der Verweis auf das Gefängnis (V. 17 und 27) als inclusio für das Festmahl dient. Dieser Kontrast unterstreicht die Aussage in Mk 9,13 („sie taten an ihm, was sie wollten“).51 Historizität. Vgl. Mk 6,17-29 mit Josephus, Ant 18,116-142.52 Guelich stellt die Differenzen zwischen Mk und Josephus zusammen:53 a. der Grund für die Verhaftung des Täufers (politisch od. persönlich?); b. der Ort der Inhaftierung (Machaerus od. Tiberias?); c. der Name der Tochter (Herodias od. Salome?); d. der Name des früheren Mannes der Herodias (Herodes od. Philippus?). Im Einzelnen ergeben sich folgende Erklärungen: Zu a. Es liegen wahrscheinlich sowohl persönliche (Mk 6,17 konzentriert sich auf die ethische Fragestellung; vgl. jedoch Josephus, Ant 18,116-119) als auch politische (Josephus, Ant 18,116-119 betont die politisch bedeutsame Popularität) Gründe für die Verhaftung des Täufers vor.54 Zu b. Es bleibt offen, wo der Täufer anfänglich verhaftet wurde; klar ist, dass der Täufer auf der Festung Machaerus inhaftiert ist und dort schließlich enthauptet wird (Josephus, Ant 18,116-119).55 Die Annahme, dass es sich aus 46 47 48 49 50 51 52

Vgl. Guelich 326. Vgl. Guelich 326, der auf Dormeyer, Passion, 47 verweist. Plato, Apol. Vgl. ferner Pesch I 338 und Anm. 1, mit weiteren Literaturangaben. Pesch I 338. Vgl. Guelich 328. Siehe Pesch I 340. Zur ausführlichen Beurteilung von 6,17-29 im Vergleich mit Josephus (Ant 18,116-119; 18,130-142), siehe, neben Guelich, Lane 215-218. 53 Guelich 326. 54 Guelich 331. 55 Guelich 330.

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logistischen Gründen um die Residenz des Antipas in Tiberias handeln muss, ist nicht zwingend.56 Zu c. Das Mädchen wird deutlich als Tochter der Herodias identifiziert (6,24.28; vgl. Mt 14,16).57 Nach Josephus, Ant 18,130-142 heißt die Tochter der Herodias Salome, die Frau von Philippus dem Tetrarch.58 Zu d. Der Name des früheren Mannes der Herodias war Herodes Philippus, Bruder des Herodes Antipas (Josephus, Ant 18,116-119); es handelt sich dabei nicht um Philippus den Tetrarchen, Halbbruder des Herodes Antipas, der nach Josephus Salome, die Tochter der Herodias, heiratete (Josephus, Ant 18,116119).59 Herodes Antipas heiratete somit die Herodias, Tochter seines Bruders Aristobulus und frühere Ehefrau seines Bruders Herodes Philippus.60 Siehe ferner die Einzelauslegung. III 1461 Der Tetrarch (= Verwalter einer „Viertel-Provinz“) Herodes Antipas, siebter Sohn von Herodes dem Großen, ist Verwalter der Geschäfte in Galiläa und Peräa von 4 v.Chr. bis 39 n.Chr.62 Herodes Antipas versteht es, seine Macht auszuüben und betätigt sich (wie sein Vater) vor allem durch verschiedene Bauprojekte. Sepphoris („Augustus“) wird z.B. durch Herodes wieder aufgebaut. Die Hauptstadt Tiberias wird (auf dem Gelände eines alten jüdischen Friedhofs!)63 durch ihn als hellenistische Stadt 22 n.Chr. gegründet. Der See Genezareth wird durch ihn zum See Tiberias umbenannt.64

Er hört von Jesus durch dessen wachsenden Bekanntheitsgrad.

56 Guelich 332 und Pesch I 343. 57 Falls die Lesart „seine“ Tochter zutrifft (vgl. etwa Guelich 332), so folgt, dass es sich um seine Stieftochter handeln muss. 58 Guelich 332. 59 Guelich 331. 60 Ebd. 61 Lit.: Bucher-Gillmayr, Kopf, 103-116; Cullmann, Christologie, 30-35; vgl. ferner Jensen, Antipas, passim; Taylor, Immerser, ad loc.; Wink, John, ad loc. Weitere Lit. zu 6,14-16 bei: Pesch I 337.430 (bis 1980); Guelich 324 (bis 1988). 62 Mk 3,8; vgl. Mt 2,22. Siehe Josephus, Bell 2,94. Vgl. Jensen, Antipas, passim. 63 Lane, Mark, 211. 64 Vgl. Jensen, Antipas, passim.

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Als Galiläer verbringt Jesus somit sein gesamtes Leben unter der Herrschaft des Herodes Antipas (vgl. Lk 9,9; 13,31.32 [„dieser Fuchs“]; Lk 23,6-12 [Verhör]).

Dass Mk ihn als König bezeichnet (im Gegensatz zu Mt 14,1 par Lk; vgl. Josephus), ist zwar ungenau, aber nicht falsch. Der offizielle Titel König wird Antipas durch Augustus untersagt.65 Antipas wird jedoch evtl. vom Volk als „König“ bezeichnet.66 Die Bezeichnung König hat bei Mk eventuell auch einen ironischen Beigeschmack67 (vgl. die großspurige Aussage des Antipas in Mk 6,23: „die Hälfte meines Königreiches“), denn Herodes Antipas wird 39 n.Chr. durch den römischen Kaiser Gaius Caligula deshalb abgesetzt,68 weil er sich anschickt, tatsächlich König zu werden. Im Gegensatz zu römischen Territorien (wie z.B. Judäa), die direkt durch einen römischen Präfekt geführt werden, wird Galiläa durch einen „einheimischen“ Verwalter bzw. „Klientelfürsten“69 (Antipas) regiert, der Rom gegenüber eine gewisse Verantwortlichkeit hat.70 14b-15 Die Verse 14b-15 vermitteln als eingeschobener Bericht populäre, sich steigernd71 angeordnete Auffassungen über die Identität Jesu als Prophet. Ein Vergleich mit 8,27b-28 ergibt,72 dass in beiden Abschnitten die populären Auffassungen bezüglich Jesus in gleicher Reihenfolge aufgeführt werden. Jesus sei 1) Johannes der Täufer redivivus; 2) der erwartete Elia; 3) [wie] einer der Propheten.73 Während in 6,16 sodann die (falsche) Auffassung des Herodes Antipas erwähnt wird (Jesus sei Johannes der Täufer redivivus; vgl. 9,11-13; Offb 11,3-12), folgt der ähnlichen Liste in 8,27-28 das Bekenntnis des 65 66 67 68 69 70

71 72 73

Vgl. Lane 211 und Jensen, Antipas, passim. Vgl. Pesch I 333, Gnilka 247 sowie Dschulnigg 180. So Lane 211. Vgl. Josephus, Ant 18,12-15; 18,332-339. W. Eck, Rom und Judäa: Fünf Vorträge zur römischen Herrschaft in Palaestina, Tübingen 2007, 41. Das politische und wirtschaftliche Verhältnis zwischen Galiläa und Rom z.Z. Jesu wird kontrovers diskutiert und beurteilt. Manche vertreten die Auffassung, dass Galiläa keinerlei Steuern an Rom abführt (z.B. Schnabel 70 mit Verweis auf F. Udoh, in Fiensy/Strange, Galilee I, 371-379; vgl. bereits O. Holtzmann, Leben Jesu, 338). Andere meinen, dass Rom von Galiläa „Freundschaftsgelder“ erwartet. Manche heben jedoch hervor, dass auch Galiläa Steuern an Rom entrichtet (z.B. A. Grabner-Haider, Hg., Kulturgeschichte der Bibel, Göttingen 2007, 299). Zumindest betont W. Eck, Rom und Judäa: Fünf Vorträge zur römischen Herrschaft in Palaestina, Tübingen 2007, 9-52, dass auch die Städte in Galiläa und Samaria durch die „Klientelfürsten“ und den Einfluss der Provinz Syrien letztendlich unter römischer Macht stehen. Pesch I 335. Siehe dort die Einzelbemerkungen. Mt 16,14 erwähnt Jeremia als „einen der Propheten“.

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Petrus, dass Jesus der Messias sei. Die Auffassung, Jesus sei der wiederbelebte Täufer, beruht auf Unwissen betreffs beider Personen, da Jesus durch den Täufer als Zeitgenosse getauft wurde.74 Die Erwartung des „Kommens“ des Elia in der Endzeit ist im palästinischen Judentum weit verbreitet (vgl. Mal 3,1-2; 4,5-6; Sir 48,10; 4Q558;75 vgl. Lk 1,17; 9,7.54f). Im Gegensatz zur populären und verständlichen Auffassung, Jesus sei der erwartete Elia, verbindet Jesus selbst das „Kommen des Elia“ mit dem Täufer (Mk 9,11-13; vgl. Lk 1,17). Pesch betont, dass „die von ihren Widersachern getöteten eschatologisch-prophetischen Gestalten (Elia, Henoch) von Gott auferweckt und so ihren Gegnern gegenüber, die aufs neue zur Buße gerufen werden, gerechtfertigt [werden] … die Rede von der Auferweckung des Täufers paßt genau in das Konzept der jüdischen Tradition, nach der Elia im Angesicht seines Widersachers, der ihn umbrachte, aufersteht“.76

Oder ist Jesus lediglich „ein Prophet“ (siehe 8,28; Mt 16,14 erwähnt Jeremia; vgl. Lk 7,39; Joh 4,19)?77 Der prominenteste unter den erwarteten Propheten für die Endzeit ist der Prophet-wie-Mose (Deut 18,15.18).78 Nach Deut 18,15.18 wird einst ein jüdischer Prophet wie Mose auftreten, dem Gehorsam gebührt (vgl. die messianische Interpretation von Deut 18,15.18 in 4Q175). Tatsächlich ist Jesus auch dieser Prophet-wie-Mose (Apg 3,22; 7,37); allerdings beschreibt dies nicht im Kern, wer Jesus ist. 16 Eine Wiederbelebung bzw. Auferstehung vom Tod (sogar bei Enthauptung!) halten Pharisäer für möglich.79 Die angstvolle, im Volksglauben begründete Aussage des Herodes ist emphatisch formuliert: „Den ich persönlich enthaupten ließ“. Die aus einem schlechten Herzen80 entspringende Bemerkung des Herodes, dass Jesus „Johannes der Täufer redivivus“ sei, bildet die Hauptaussage des gesamten Abschnitts (6,14-29), da 17-29 lediglich einen Rückblick bietet und 6,30 bereits einen neuen Abschnitt beginnt. Herodes Antipas handelt von hier an unter dieser folgenschweren Fehleinschätzung Jesu, die sich bis zum Verhör Jesu (vgl. Lk 23,6-12) hinzieht. Unter dieser Fehleinschätzung kann er Jesus beim Verhör nur noch verspotten (Lk 23,11). Jesus steht somit in der Reihe des „gewaltsamen Geschicks“ der Propheten. Jesus 74 75 76 77 78 79

Lane 212. Vgl. Zimmermann, Messianische Texte, 413-414.478. Pesch I 334. Schriftverweise bei Pesch I 335. Vgl. Cullmann, Christologie, 12-49. Skeptisch Dschulnigg 181. Vgl. Dschulnigg 180. Die Frage, ob (und wenn ja, wie weit verbreitet) die Annahme einer individuellen Auferstehung von den Toten im pharisäischen Judentum geläufig ist, muss allerdings eher skeptisch beurteilt werden. 80 Lane 213, der sich auf Grundmann, ThWNT II, 286-318 beruft.

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wird die Hartherzigkeit des Herodes Antipas später als Sauerteig des Herodes (Mk 8,15) bezeichnen. 17-2981 Die folgenden Verse (17-29) geben dem Hörer und Leser den Hintergrund, warum und unter welchen Umständen Herodes Antipas den Täufer (einen weiteren Propheten in der langen Geschichte der leidenden Gerechten [die passio iusti, „das Leiden der Gerechten“])82 enthaupten ließ. 17-18 Mk betont, dass es Herodes war, der Johannes den Täufer gefangen legen ließ. Der Täufer hatte Herodes Antipas öffentlich und mutig des Gesetzesbruches83 (vgl. Lev 18,16; 20,21) beschuldigt („es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders als Ehefrau zu haben“). Siehe das Motiv der prophetischen Herausforderung von Machthabern in 1Kön 19,1-2; 1Kön 21;84 2Chron 21,12ff; Jer 38,14ff; Sir 48,12.22; 2Makk 6,18-31; 4Makk 5,16.30; Mk 13,9; Apg 25,23ff.85 Herodes hatte sich von seiner ersten Frau scheiden lassen und 27 n.Chr. die Herodias (Tochter des Aristobulus, Nichte des Antipas und Schwester von Agrippa I.), die frühere Frau86 seines noch lebenden (Halb-)Bruders Herodes (Josephus, Ant 18,109) Philippus geheiratet (17-18).87 Bei „unserem“ Herodes Philippus handelt es sich um den Sohn der Mariamne II. und Herodes des Großen, nicht um Herodes, den Sohn der Kleopatra, noch um den Tetrarchen Philippus, Ehemann der Salome (Tochter der Herodias aus erster Ehe). Vgl. Josephus, Ant 18,116-119.88

Wir wissen damit auch, dass der Zeitpunkt der Gefangennahme Johannes des Täufers um 28 n.Chr. liegt; derselbe Zeitpunkt, zu dem Jesus sein öffentliches Wirken beginnt (Mk 1,14 entspricht zeitlich Mk 6,17). Die gewaltsame Verfolgung des Täufers durch den herausgeforderten Fürsten wirft einen ominösen Schatten auf das prophetische Wirken des Messias Gottes (vgl. die einst ähnli-

81 Lit.: Siehe Lit. zu 6,14-16; Bucher-Gillmayr, Kopf, 103-116; vgl. ferner Steck, Israel, ad loc; Jensen, Antipas, passim. Weitere Lit. zu 6,17-29 bei: Pesch I 344.430 (bis 1980); Guelich 324 (bis 1988). 82 Vgl. Steck, Israel, passim. 83 Pesch I 340 betont, dass der Täufer „Herodes nicht wegen Ehescheidung oder Polygamie, sondern wegen Heirat der Frau seines Halbbruders zurechtgewiesen (hat); diese ist vom Gesetz nicht erlaubt“. 84 Zur diesbezüglichen Analogie „Elia – Täufer“, vgl. Pesch I 339. 85 Schriftverweise bei Pesch I 339, der Gnilka 87-88, zitiert. 86 Pesch I 340, Anm. 9, betont, dass Herodias sich wohl nach römischem, und nicht nach jüdischem Recht von Herodes Philippus hatte scheiden lassen. 87 Siehe Lk 3,19; 9,7-9 und Mt 14,1-12. 88 Vgl. ferner Pesch I 340 und Jensen, Antipas, passim.

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che Verhaftung Jesu: 14,1.44.46.49; 15,1);89 ruft er doch ebenso zur Buße und tritt mit einem unerhörten Vollmachtsanspruch, der das Wirken des Täufers weit übertrifft, öffentlich auf.90 19-20 Die ehemalige Frau des Herodes Philippus steht hinter der Absicht, den länger inhaftierten,91 gesetzestreuen Täufer aus Rache zu beseitigen (vgl. 1Kön 18,13 und 19,1-2): Die Herodias war ihm (deshalb) feindlich gesinnt und wollte, dass er sterbe.92 Ihr neuer Ehemann, Herodes Antipas, stellt sich aus politischen (siehe die Popularität des Täufers, Mk 1,5) und persönlichen Gründen (Herodes … hatte Respekt vor Johannes …; er schützte ihn …, V. 20) gegen eine derartige Absicht und ordnet „lediglich“ die Inhaftierung93 des Täufers an. Dies ist angesichts der aktuellen Bedrohung durch die Nabatäer als innen- und außenpolitische Maßnahme opportun.94 Antipas kann sich vom Täufer nicht so einfach losreißen; er muss ihn, beinahe gegen seinen eigenen Willen, immer wieder hören.95 Als hellenistisch beeinflusster Regent wird Herodes ferner befürchten, dass ihn das Schicksal strafen wird,96 wenn er sich an einem derart gerechten und gottergebenen Mann wie Johannes vergreifen sollte. Vgl. Josephus, Ant 18,109-129, wo die spätere Niederlage des Antipas 36 n.Chr. durch die Nabatäer beim Volk als Strafe Gottes für die Ermordung des Täufers interpretiert wird.

Herodes Antipas fürchtet sich vor dem Täufer (ἐφοβεῖτο [ephobeito] dur. Impf., „stets oder immer wieder fürchtete er [ihn]“). Wenn er in der Nähe des Täufers ist, ergreift ihn eine eigenartige Ambivalenz (V. 20): Er ist verlegen (dur. Impf. von ἀπορέω [aporeō] = „ich bin stets verlegen“ / „unruhig“ / „unsicher“ / „perplex“), und trotzdem hört er ihn immer wieder gern (dur. Impf. ἤκουεν [ēkouen]; vgl. 12,37). Beachtenswert ist ferner die Analogie Herodes – Pilatus (siehe 14,6-15).97 89 Guelich 330. 90 Lane 215 und Anm. 61 sieht gewisse inhaltliche Parallelen zwischen 6,17-29 (der Täufer und Antipas) und 15,1-47 (Jesus und Pilatus). 91 Pesch I 340, mit Verweis auf Mt 11,2. 92 Vgl. Guelich 331. 93 Pesch I 340, spricht, zu stark abmildernd, von einer „Schutzhaft“. Allerdings will Herodes den Täufer vor dem Tod bewahren: συνετήρει αὐτόν [synetērei auton]. 94 Vgl. Lane 219. 95 Vgl Keener, Background, 150-151, der auf Hes 33,31-33 verweist. 96 Siehe Lane 223, Anm. 82. Vgl. ferner Josephus, Ant 19,343-350,354-355 mit Apg 12, bezüglich Herodes Agrippa I. Vgl. Apg 24,24-26. 97 Guelich 332.

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21-25 Die Verse 21-29 beschreiben relativ ausführlich, wie der Täufer durch Raffinesse schließlich doch getötet wird. Die Verse 22-25 werden durch unterschiedliche Verbformen von eintreten/kommen (V. 22.25), tanzen (V. 22) und hinausgehen (V. 24) sowie bitten/fordern (V. 22.23.24) und wollen (V. 22.25), belebt und strukturiert.98 Die geladenen Gäste99 repräsentieren a. die angesehenen zivilen Regierungsbediensteten (beamtete Leiter der zehn Toparchien)100 des Antipas; b. seine, durch Rom begrenzte, Anzahl von Offizieren sowie c. wohlhabende und einflussreiche, prominente „Ehrenbürger“101 des relativ wohlhabenden Galiläas.102 Das Geburtstagsfest,103 welches wahrscheinlich auf der Festung Machaerus (Josephus, Ant 18,116-119) stattfindet,104 dient der Konsolidierung der durch Rom begrenzten Macht des Antipas. Dieses pompöse public relations-Festmahl nutzt Herodias zu ihren Gunsten. Der (suggestive?) Tanz schöner Frauen bei Festgelagen ist im gehobenen römischen Kulturraum eher verpönt.105 Allerdings ist es trotz des gesellschaftlichen Stigmas gehobener Schichten durchaus möglich, dass derartige Tänze (im griechischen und römischen Kulturraum) dennoch stattfinden, vor allem, wenn das moralische Niveau des gesamten herodianischen Hauses in Betracht gezogen wird. So weiß auch Josephus von mit Alkohol angereicherten Tanzgelagen im herodianischen Haus zu berichten.106 Herodias’ Tochter Salome (Tochter aus Herodias’ erster Ehe)107 scheint den Anwesenden zu gefallen. 98 Pesch I 342. 99 Nach Pesch I 341 ist die Liste der Gäste „konkret“ und nicht „typisch“ angeordnet. 100 So Pesch I 341, Anm. 16. 101 Pesch I 341 nennt sie die „galiläische Aristokratie“. 102 Lane 220 hebt hervor, dass diese drei Gruppen die Machtstruktur römischer Herrscher widerspiegeln. Dies zeigt, dass Antipas so deutlich wie möglich als „römischer“ Machthaber gesehen werden will. 103 Pesch I 343 bemerkt mit Verweis auf Persius, Satura 5,180, dass das herodianische Haus für Geburtstagfeiern bekannt ist. 104 Dschulnigg 182, meint dass „unsere Erzählung eher an Galiläa und näherhin an Tiberias, wo Herodes Antipas residiert, denken lässt“. Er gesteht allerdings zu, dass Mk den genauen Ort der Hinrichtung des Täufers nicht nennt. 105 Vgl. Lane 221 und Anm. 76. Allerdings betont Pesch I 341 und Anm. 17, dass der Tanz einer Prinzessin „ohne Vorbild und Parallele“ sei. 106 Siehe Lane 221 Anm. 76, der auf Josephus, Bell 2,26-32 verweist. 107 Es ist textkritisch unklar, ob es sich um die Tochter des Herodes namens Herodias (θυγατρὸς αὐτοῦ Ἡρῳδιάδος [thygatros autou Hērōdiados]; besserer äußerer Befund, u.a., ‫ א‬und B) oder um Salome handelt, die Tochter der Herodias (θυγατρὸς [αὐτῆς] τῆς Ἡρῳδιάδος [thygatros (autēs) tēs Hērōdiados] u.a., A C K θ Π; besserer innerer Befund). Aufgrund von V. 24 ist jedoch die Tochter der Herodias gemeint. Die vorliegende textkritische Schwierigkeit belegt, dass in seltenen Fällen der innere Befund ausschlaggebend sein kann (so auch Pesch I 338 und Anm. b sowie Dschulnigg 182, Anm. 221; pace Metzger, Commentary 77). Pesch I 341, Anm.

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Als κοράσιον [korasion] (V. 22.28) ist sie im heiratsfähigen Alter. „Das passt vorzüglich zur Chronologie der Vita des Johannes, dessen Tod gegen das Jahr 30 anzusetzen ist“.108

Ein durch Eid (V. 23) bekräftigtes Angebot (erbitte von mir, was du willst und ich werde es dir gewähren) von Seiten des unbedachten (V. 26, evtl. lustvollen)109 Antipas (V. 22b-23) ist nichts Außergewöhnliches, vor allem, wenn es dem Gastgeber gelegen ist, Wohlstand zu demonstrieren.110 Das allzu großzügige Angebot (vgl. Parallelen bei Ester 1,3.19; 2,9.12.15-16; 4,8.11.16; 5,3.6; 7,2; 9,25)111 mag verwundern; allerdings ist im griechisch-römischen sowie im semitischen Kulturraum eher an eine Formel im übertragenen Sinn und nicht an eine buchstäblich gemeinte Aussage zu denken, zumal die Verfügungsmacht des Vasallen Antipas durch Rom ohnehin eingeschränkt ist.112 Die eidliche, und damit gesetzlich verbindliche, Bekräftigung (er schwor ihr nachdrücklich: „Was immer du von mir erbittest, werde ich dir gewähren, bis zur Hälfte meines Reiches“) zeigt zusätzlich, dass Herodes Antipas seine Gäste zu beeindrucken wünscht. 24 Das reibungslose und zügige Zusammenwirken (vgl. V. 25)113 zwischen Tochter und Mutter erlaubt den Rückschluss, dass Herodias die Aufeinanderfolge der hier beschriebenen Ereignisse vorsichtig geplant hat, einschließlich der aus Erfahrung gewonnenen Kalkulation, wie Herodes Antipas auf das Tanzen ihrer Tochter reagieren wird. Dass Herodias sich fragen lässt, was die Tochter antworten soll (Was soll ich erbitten?), bekräftigt diese Annahme und erlaubt den Einblick, dass Herodias ihrer Tochter jeweils nur den nächsten Schritt ihres verwerflichen Gesamtplanes vermittelt.114 25 Dennoch überrascht die anscheinend regungslose Reaktion der Tochter auf die grässliche Forderung der Mutter: „Das Haupt Johannes des Täufers“. Sie zögert bei dieser grausamen115 Bitte keineswegs und lässt dabei nicht eine 19, verweist auf Josephus, Ant 18,136.137. Der Tetrarch Philippus heiratet Salome und stirbt 34 n.Chr. 108 Pesch I 342, Anm. 19. 109 Vgl. Keener, Background, 151, der auf Lev 20,14 verweist. 110 Vgl. Pesch I 342, Anm. 22, der auf das bei Josephus (Ant 18,289-304) festgehaltene Versprechen Caligulas gegenüber Herodes Agrippa verweist. 111 So Pesch I 339, mit weiteren Verweisen. Vgl. Keener, Background, 151. 112 Lane 221 (mit Verweis auf Rengstorf) spricht von „formula of the Judean Royal Ritual“. Vgl. Keener, Background, 151. 113 Keener, Background, 151 bemerkt, dass aufgrund von Ausgrabungen auf Machaerus belegt ist, dass sich dort jeweils ein Männer- und ein Frauenspeisesaal befanden. 114 Vgl. ähnlich, Lane 222. 115 Vgl. Keener, Background, 151, der bemerkt, dass Enthauptung ein römisches Strafmittel gegen römische Staatsbürger und höhergestellte Bürger ist.

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Minute verstreichen (sofort aber kam sie stracks auf den König zu und stellte ihre Forderung).116 Die Tatsache, dass die Tochter die Bitte als ihre eigene Forderung steigernd117 formuliert (ich will, dass du mir) verhindert umso mehr, dass sich Herodes118 aus seinem eidlichen Versprechen herauswinden kann. Verstärkt wird dies noch durch ihre Forderung Herodes gegenüber, umgehend zu handeln. Die Tochter wird auf den Hass gegen den Täufer durch Herodias eingespielt worden sein, um derart resolut handeln zu können. 26-28 Aufgrund seiner aus Furcht gespeisten Unsicherheit Johannes gegenüber (Schicksalsangst), die nun in tiefe, beunruhigte Betrübnis mündet (περίλυπος γενόμενος [perilypos genomenos] = „er wurde tief betrübt“ oder „er wurde tief beunruhigt“),119 will er der Bitte vielleicht nicht gleich entsprechen (vgl. Pilatus, 15,14-15).120 Herodias hat deshalb geplant, das Ganze in aller Öffentlichkeit geschehen zu lassen. Sein Ruf (hohe Gäste) und seine Autorität (Eid) stehen auf dem Spiel. Antipas hat keine Wahl. Die Absicht der Herodias erfüllt sich; Antipas entsendet einen zur Militärpolizei121 gehörenden speculator (sogleich sandte er den Henker und befahl, sein Haupt zu bringen).122 V. 28 besiegelt den „Erfolg“ der Herodias (das Mädchen gab es seiner Mutter), die das Manipulationsmittel der öffentlich tanzenden und fordernden Tochter effizient einzusetzen versteht.123 29 Nur hier erwähnt Mk, dass der Täufer, ebenso wie Jesus, Jünger hat (vgl. 2,18).124 Durch das Johannesevangelium erfahren wir ferner, dass einige Johannesjünger bereits zur Zeit des öffentlichen Wirkens des Johannes Jesusjünger werden (Joh 1,35-37). Vgl. den ominösen Vorschatten der Bestattung des Täufers für die Grablegung Jesu (15,43-46).

116 „Die Dringlichkeit wird durch drei … Wörter in V. 25 unterstrichen (euthýs, metá spoudés, exautés)“; Dschulnigg 182. 117 Vgl. ebenso Pesch I 342. 118 Die Bezeichnung „König“ mag die populäre Redeweise widerspiegeln (s.o.; vgl. das Nebeneinander von „Tetrarch“ und „König“ in Mt 14,1.9), so Pesch I 342. 119 Später wird Jesus aus anderem Grund „tief betrübt“ (περίλυπος [perilypos]; 14,34). Lane 222, bemerkt, dass dieser Begriff nur noch ein weiteres Mal in Mk vorkommt (14,34). 120 Guelich 333. 121 Pesch I 342 spricht von einem Leibwächter (nach Brauch „an einem orientalischen Hof“). 122 Lane 222, führt aus, dass ein speculator im römischen Militär polizeiliche und z.T. anderweitige, berühmt-berüchtigte Funktionen wahrnimmt (vgl. Tacitus, Hist. 1,24-25; 2,73). 123 Rechtlich kann Antipas die Todesstrafe an Johannes vollziehen, weil er nicht einem Präfekt (wie im Fall des Synedrions in Judäa) verantwortlich ist; vgl. Keener, Background, 151. 124 Dschulnigg 182, erwägt mit Verweis auf Witherington 216, ob es sich hierbei auch um die Tradenten der Erzählung handelt.

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7.3 Speisung der Fünftausend 6,30-44 Einführung zu 6,30–8,26. Der größere literarische Kontext von 6,30-44 (d.h. 6,30–8,26) beschreibt Jesu Tätigkeit jenseits von Galiläa. Weiterhin demonstriert er die sich stetig ausweitende Vollmacht, um damit seine Botschaft und seinen Autoritätsanspruch zu unterstreichen. In diesem Rahmen betont Jesus, dass die anbrechende Herrschaft Gottes radikale Konsequenzen für seine Nachfolger hat. Er konfrontiert sie mit der Tatsache, dass ihr hartes Herz (siehe vor allem 8,14-21) Haupthindernis zur rechtmäßigen Aufrichtung der Herrschaft Gottes ist (siehe Bemerkungen zu 1,16-45). Diese Warnung ergeht an seine Jünger trotz des Vorrechts, an seinem Wirken und seinem Auftrag teilnehmen zu dürfen. Aufgrund ihrer Hartherzigkeit verkennen sie immer noch, wer Jesus tatsächlich ist (siehe Bemerkungen zu 8,22-26) und wer sie selbst in den Augen Gottes tatsächlich sind (vgl. Bemerkungen zu 8,14-21).125 Einführung zu 6,30-44. Die Speisung der Fünftausend (vgl. mit der Speisung der Viertausend, 8,1-10) beschreibt erneut die sich ausweitende Vollmacht Jesu (vgl. 6,31-56). Durch die Kombination der außergewöhnlichen Taten mit seinem provokativen Autoritätsanspruch gerät Jesus in den Augen seiner Gegner immer mehr in Gefahr. Die Speisung der Fünftausend (und später die der Viertausend) erinnerte an die Wüstenspeisung Israels mit Manna (Ex 16,31; Deut 8,16). Jesus stillt den Hunger des Volkes so, wie Gott sein Volk Israel in der Wüste versorgte. Die außergewöhnlichen (vgl. Jos 5,12) und übernatürlichen Speisungen im AT und NT offenbaren jeweils, wer der Geber tatsächlich ist. I 30 Und die Apostel versammelten sich bei Jesus und teilten ihm alles mit, was sie getan und gelehrt hatten. 31 Und er spricht zu ihnen: „Kommt ihr, (gehen wir) alleine an einen einsamen Ort, und ruht euch ein wenig aus“. Denn es war ein ständiges Kommen und Gehen, und sie fanden nicht einmal Zeit zu essen. 32 Und sie fuhren im Boot an einen einsamen, entlegenen Ort. 33 Einige aber sahen, wie sie abfuhren; viele fanden dies heraus und rannten zu Fuß von allen Städten herbei und kamen ihnen zuvor. 34 Und als er ausgestiegen war, sah er viele Menschen, und er empfand Mitleid mit ihnen, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten hatten, und er begann, sie viele Dinge zu lehren. 35 Und als es schon spät geworden war, kamen seine Jünger zu ihm und sprachen: „Der Ort (hier) ist verlassen und es ist bereits spät; 36 entlasse sie, damit sie in die umlie125 Siehe Bayer, Theology, 61-88. Siehe unten, 10.4 Abschnitt IV zu 8,27–9,29.

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genden Höfe und Dörfer gehen (können) und sich etwas zu essen kaufen (können)“. 37 Er aber antwortete ihnen: „Ihr sollt ihnen zu essen geben“. Und sie sprachen zu ihm: „Sollen wir (etwa) gehen und für zweihundert Denare Brote kaufen und ihnen zu essen geben?“ 38 Er aber sprach zu ihnen: „Wie viele Brote habt ihr? Geht und seht nach“. Die Rückmeldung lautete: „Fünf, und zwei Fische“. 39 Und er gebot ihnen (dafür zu sorgen), dass alle auf dem grünen Gras in Gruppen sitzen sollten. 40 Und sie saßen in Gruppen zu je hundert und fünfzig. 41 Er aber nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte auf zum Himmel, dankte Gott und brach die Brote und gab (sie) den Jüngern, dass sie sie austeilten; und die zwei Fische teilte er unter allen. 42 Und alle aßen und wurden satt; 43 und sie sammelten zwölf Körbe voll Brotstücke, auch von den Fischen (sammelten sie Reste). 44 Und die Zahl der Leute, die (Brot) aßen, betrug fünftausend. II Mk 6,30-44 besteht aus Summarium (6,30), Überleitung (6,31), Einführung zur Wundererzählung (6,32-34) und Wundererzählung (6,35-44: Speisungsbzw. Vermehrungswunder).126 Die Wundererzählung selbst besteht aus einem Gespräch mit den Jüngern über die bestehende Notlage (6,35-38), aus der Speisung (6,39-42) sowie dem Nachweis des Wunders (6,43-44). Die Speisung der Fünftausend weist viele Parallelen zur Speisung der Viertausend in 8,1-10 auf: Jesu Mitleid / der öde Ort / Unterredung mit den unverständigen Jüngern / Beschreibung der vorhandenen Nahrungsmittel / Gebet / Verteilung / Sammlung der Reste / Nennen der Anzahl der Gespeisten.127 Dennoch bestehen charakteristische Unterschiede, die verhindern, die zwei Speisungen lediglich als Dublette zu identifizieren (s.u., Einzelauslegung).128 III 30-34129 Mk 6,30 knüpft thematisch an 6,7-13 an. Somit ist Mk 6,14-29 eine Einfügung. In der Vergangenheit begannen die Jünger, die Botschaft und Absicht Jesu zu lernen und zu verinnerlichen. Sie taten dies durch Zuhören, Auswendiglernen und durch erste Schritte der inneren Veränderung (vgl. 4,1-20; siehe später Mk 7–8). Jetzt beginnen sie, selbst zu verkündigen und zu lehren 126 Guelich 336. Weitere Details bei Pesch I 348. 127 Guelich 336-337. 128 Guelich 337 verweist für diese Sicht auf Fowler, Loaves, 68-90. 129 Lit.: Hahn, Hoheitstitel, 380-392; Klinghardt, Boot, 183-202; Knackstedt, Brotvermehrungen, 309-335; Koskenniemi, Miracle-Workers, 173; Ziener, Brotwunder, 282-285; vgl. ferner Koch, Bedeutung, ad loc.; Riesner, Jesus, ad loc.; Watts, Influence, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 346.430 (bis 1980); Guelich 334-335 (bis 1988).

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(διδάσκω [didaskō]). Sie lernen, das im Leben umzusetzen, was Jesus verkündet, lehrt und lebt (vgl. auch 5,14.19). Die alttestamentliche Parallele eines Jüngers des Propheten Elisa klingt hier an. Der Prophetenjünger wird gesandt, um im Auftrag Elisas einen zukünftigen König zu salben und die Botschaft Elisas zu überbringen (2Kön 9,1-10). 30 Beachtenswert ist die Tatsache, dass die zurückgekehrten Jünger (hier nun Apostel, d.h. von Jesus bevollmächtigte Ausgesandte genannt; vgl. Bemerkungen zu 3,14; 6,7)130 erzählend wiederholen, was sie erlebt, getan und gelehrt hatten (vgl. 5,14.19; siehe Lk 9,10a). „[D]ie Verkündigung wird auffallend mit didáskō (lehren) bezeichnet, was sonst im Mk nur von Jesus gesagt wird“.131 Neben der sich wiederholenden und einprägsamen Lehrweise Jesu und dem Vermitteln der Lehre Jesu an jüdische Menschen, kommt somit nun ein drittes Lernmoment der rückblickenden Berichterstattung hinzu. Die Tätigkeit der Berichterstattung stärkt ihr Gedächtnis und vertieft den graduellen Umwandlungsprozess der Verinnerlichung. Damit bereitet Jesus seine Jünger u.a. auf ihr einzigartiges apostolisches Zeugnis nach seinem Tod und seiner Auferstehung vor (13,9).132 Ihre zukünftige, zeugnishafte apostolische Lehre (vor allem in Apg 1–15) spiegelt somit grundsätzlich das wider, was sie unter dem Einfluss Jesu an ganzheitlicher, eindrücklicher und umwandelnder Prägung erlebt haben. „Die ‚Lehre der Apostel‘ (vgl. Apg 2,42) wird, daran liegt Markus, im Leben Jesu verankert, und ihr Wirken entspricht seinem Auftrag“.133 31 Die Aussage mag implizieren, dass Jesus seine Jünger zum Ausruhen wegschickt. V. 34 macht jedoch deutlich, dass Jesus mit ihnen geht (kommt ihr, [gehen wir] alleine an einen einsamen Ort und ruht euch ein wenig aus). Hier wird deutlich, dass nun auch die Jünger Jesu einen Zustrom haben (denn es war ein ständiges Kommen und Gehen) und somit wie Jesus (vgl. 3,20 / 1,35 mit 6,31) einen geistlichen und körperlichen Ausgleich benötigen (vgl. Ps 22,2 LXX).134 Gelegentlich gewährt Mk einen Einblick in die ausgleichende (Gebets-)Ruhe, die Jesus mit seinen Jüngern trotz aller Not und Bedürftigkeit des Volkes sucht (vgl. 1,35). 32 Wenn Jesus Ruhe sucht, begibt er sich zielbewusst an einen einsamen, entlegenen Ort; siehe die betonte Wiederholung von εἰς ἔρημον τόπον (κατ᾽ ἰδίαν) [eis erēmon topon (kat᾽ idian)] in V. 31.32.35; vgl. 1,35.45. Da die Menschenmenge Jesus am Ufer entlang nachfolgen wird (V. 33), kann nicht an 130 Dschulnigg 186-187 erwägt ferner, ob es sich aufgrund ihrer Vollmacht bereits um einen titularen Gebrauch von apostolos handelt. Der funktionale Gebrauch ist auf alle Fälle vorrangig. 131 Dschulnigg 187. 132 Vgl. Apg 1,22; 4,33; 22,15; Eph 2,20; 3,5; 1Petr 5,1; 2Petr 3,2. 133 Pesch I 345. Vgl. Riesner, Jesus, passim, sowie Bayer, Peter, 35-49.82-124. 134 Vgl. Pesch I 346 und Lane 224.

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eine Überquerung des Sees gedacht werden (siehe die Fortsetzung der Reise als Überfahrt nach Bethsaida in 6,45). Von der Umgebung Nazareths zurückgekehrt (6,6), werden sie an der Westseite des Sees ihre Schiffsreise beginnen. 33-34 Die Menschenmenge (vgl. 5,21.24.27.30.31 sowie 3,7-8; 6,53-56)135 zeigt nicht nur Verlangen nach Jesu Heilkraft, sondern sucht (unwissentlich) geistliche Hilfe (einige aber sahen, wie sie abfuhren; viele fanden dies heraus und rannten zu Fuß von allen Städten herbei und kamen ihnen zuvor). Anstatt Entrüstung (aufgrund von Erschöpfung), empfindet Jesus Mitleid.136 Der Verweis auf Schafe, die keinen Hirten haben mag andeuten, dass das einfache Volk ohne geistliche Führung ist (vgl. Num 27,17 und Hes 34,4-5).137 Ferner erinnert die Aussage an Sach 13,7. Allerdings ist dort von der Strafe des Hirten die Rede, die zur läuternden Zerstreuung der Herde führt (vgl. 14,27). Die folgende (lange) Lehre kommt der hirtenlosen Schar zugute. Nach Lane und Mauser weist der gesamte Abschnitt 6,30-34 erneut auf das Wüstenmotiv (vgl. V. 31.32.35) eines zweiten Exodus.138 Auch die Anspielungen auf Num 27,17 (der Exodus in die Wüste)139 und Hes 34,5 (messianische Ruhe in der Wüste) können auf einem derartigen Hintergrund gesehen werden. In Num 27,17 und Kontext bittet Mose Gott um einen Nachfolger, damit das Volk Gottes nicht wie Schafe ohne Hirten sei. Jesus (und seine Jünger) führen demnach einen zweiten Exodus durch die läuternde Wüste an (vgl. Jes 63,10-14 und Jer 30,23‒31.6), der vorläufig in der Wüstenspeisung der Fünftausend kulminiert (vgl. unten, V. 35-44; siehe 2Kön 4,42-44). Die Gruppierung zu je hundert und fünfzig (V. 40) erinnert in etwa an die Richter, die Mose (Ex 18,23-27, bes. V. 21.25; vgl. Ex 7,4; 13,18)140 über das Volk Israel während der Wüstenwanderung einsetzt. Die Speisung in der Wüste geschieht ebenfalls gruppenweise (Ex 16,16).

Zweifelsohne klingt dieses Motiv an. Wie zentral es jedoch diesen Abschnitt bestimmt, bleibt unklar. Jesus als messianischer Verkündiger (V. 34) der Herrschaft Gottes, steht auch bei einem möglichen Exodusmotiv stark im Vordergrund. Der tatsächliche Befreier und wahre Hirte (V. 34; vgl. Gen 48,15; Jes 40,11; Jer 23,4; 31,10; Ps 23,1-4), der in die Nachfolge ruft, führt das Volk im geistlichen, jedoch konkreten Exodus (Jesus als „Prophet-wie-Mose“; vgl. 135 Schriftverweise bei Pesch I 349. 136 Dschulnigg 188, deutet dies als „Barmherzigkeit Gottes“. 137 Vgl. Lane 226. 138 Lane 225-226. Vgl. Watts, Influence, passim. Dagegen Pesch I 350, der bei ἔρημος τόπος [erēmos topos] lediglich von einem „abgelegenen Ort“ ausgeht. 139 Vgl. Pesch I 350. 140 Boring, 186. Vgl. ähnlich Lane 229, der ferner bemerkt (ebd., Anm. 101), dass Qumran als „wahres Israel“ in eben solchen Gruppen das apokalyptische Ende in der Wüste erwartet: CD 13,1; 1QS2,21; 1QSa1,14-15.

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Joh 6,14)141 aus Gottesferne zur Gottesnähe, aus Versklavung durch Sünde und Dämonen zur Freiheit und Ruhe (V. 31) des messianischen Gottesvolkes. „Das Hirtenbild fügt sich vorzüglich zum Speisungswunder, weil Hirtensorge vorzüglich Nahrungssorge ist!“142 35-44143 Jesus untermauert die Vollmacht seiner Lehre und seiner Selbst­ aussagen durch die Speisung der Fünftausend (6,31-44) in einer öden (Wüsten-)Gegend (V. 31.32.35). Nachdem er der Menge die Herrschaft Gottes ­verkündigt hat, empfangen sie sodann auf übernatürliche Weise die Grundnahrungsmittel Brot und Fisch. 35-38 Die nun folgende Wunderspeisung (Gerstenbrot und Fisch sind Grundnahrungsmittel; vgl. Lk 24,42; Joh 21,9)144 in einer verlassenen (Wüsten-?)Gegend (siehe die Bemerkungen zu 1,3-4.12-13.35 und 6,31-32)145 bekräftigt die ausgiebige146 Lehre Jesu und intensiviert die Frage nur noch mehr, wer er eigentlich ist. Alttestamentliche Propheten verrichten gelegentlich ein Speisewunder an einem abgelegenen Ort (z.B. 1Kön 17,1-24) und das Volk Israel pilgert hungernd durch die Wüste (Ex 16,1-3; Deut 8,15). Wie Gott dem Volk Israel Manna vom Himmel gab (Ex 16,31-35; Deut 8,16),147 so speist Jesus nun ein hirtenloses Volk an einem verlassenen Ort. Obwohl Elisa ein vergleichbares (obschon „bescheideneres“) Wunder verrichtet (2Kön 4,4244), ist nicht zu übersehen, dass Jesus mit seinen Selbstaussagen und weiteren Wundertaten weit über Elisa hinausragt. Aufgrund ihrer Hartherzigkeit begreifen seine Jünger immer noch nicht, wer er eigentlich ist (vgl. V. 52 und 8,18-21). Die Bemerkung der Jünger: Der Ort ist verlassen (abgelegen) und es ist bereits spät; entlasse sie, damit sie in die umliegenden Höfe und Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen (können) ist aus ihrer begrenzten Perspektive verantwortungsbewusst. 37 Jesu Aufforderung an die Jünger ihr sollt ihnen zu essen geben ist aus ihrer Sicht unerfüllbar. Ihre Frage sollen wir … für zweihundert Denare Brote kaufen und ihnen zu Essen geben? ist daher als sarkastische Äußerung

141 Pesch I 354, mit Verweis auf Hahn, Hoheitstitel, 380-392. 142 Pesch I 350. 143 Lit.: Klinghardt, Boot, 183-202; Knackstedt, Brotvermehrungen, 309-335; vgl. ferner Koch, Bedeutung, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 356-357.431 (bis 1980); Guelich 334-335 (bis 1988). 144 Pesch I 351 bemerkt, dass es sich bei Gerstenbrot und Fisch um „die normale Nahrung der galiläischen Bevölkerung am See“ handelt. Vgl. Keener, Background, 151. 145 Lane 227 macht auf den Kontrast aufmerksam, der zwischen dem Bankett des „Königs“ Antipas und dem wahren Hirten, der das einfache Volk speist, besteht. 146 Siehe die Zeitangabe durch den Gen. abs.; vgl. Dschulnigg 188. 147 Vgl. ebenso Ps 78,18-30; 105,40.

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aufzufassen148 (vgl. die Frage der Jünger in Mk 5,31). Die Hartherzigkeit149 der Jünger (vgl. 8,17-21) zeichnet sich bereits ab. 38-40 Jesus antwortet nicht. Vielmehr verfolgt er sein eigenes Ziel durch die Frage: „Wie viele Brote habt ihr? Geht und seht nach“. Die Frage muss den Jüngern allerdings als sinnlos erscheinen. Sie werden sich aufgrund des mageren Suchergebnisses bestätigt fühlen (fünf Brote, zwei Fische), lässt es doch die Aufforderung Jesu, die Menge zu verköstigen, umso fabelhafter erscheinen. Jesus lässt sich nicht von seiner Absicht abbringen. Er weiß, was er seinen Jüngern aufträgt: „Ihr sollt ihnen zu essen geben“. Jesus führt seine Jünger bewusst und absichtlich an ihre eigene Grenze, damit sie sodann völlig auf Jesus angewiesen sind; dazu gehört auch die Aufforderung in V. 39: „Er gebot ihnen (dafür zu sorgen), dass alle auf dem grünen Gras in Gruppen sitzen sollten“.150 Allerdings zeigt sich, dass sie die grundsätzliche Notwendigkeit dieser Abhängigkeit von Jesus weder verstehen noch suchen (vgl. V. 52). Das geordnete Hinsetzen zu je hundert und fünfzig (vgl. Ex 18,21.25; vgl. Ps 23,2) ist Voraussetzung für die bevorstehende und von Jesus längst beabsichtigte Verteilung der wunderbar vermehrten Nahrung.151 41-42 Ähnlich wie Elisa152 wirkt Jesus das Wunder einer Vermehrung153 von derart wenig Brot und Fisch. Die Vermehrung erwächst aus dem dankenden Aufblicken Jesu zu Gott (vgl. 7,34), dem Vater, der Quelle allen Lebens (vgl. Joh 11,41; 17,1; siehe Apg 3,15). Mit dem Dankgebet folgt Jesus dem AT und dem Brauch des palästinischen Judentums.154 Da Danken (εὐλογέω [eulogeō] = „ich lobe“, „ich preise“, „ich segne“), Brechen (vgl. 8,7; 14,22) und Austeilen im Judentum zu Grundelementen einer gewöhnlichen Mahlzeit gehören, ist eine Anspielung auf das Abendmahl Jesu unwahrscheinlich.155 Durch das Wunder werden alle gesättigt. „Das Wunder … dient dem Alltäglichen, der 148 Zweihundert Denare entsprechen etwa dem siebenmonatigen Einkommen eines Tagelöhners (vgl. Mt 20,2ff: ein Denar entspricht einem Tagelohn); vgl. Keener, Background, 151. 149 Dschulnigg 189 geht dagegen von einem „Missverständnis“ aus. 150 Dschulnigg 189-190 erwähnt das mögliche Echo der Passahzeit (vgl. Joh 6,4.10). Lane 228 verweist auf Mose, der in Num 11,13.22 seufzt: „Woher soll ich Fleisch nehmen, um es all diesem Volk zu geben? ... oder kann man alle Fische des Meeres einfangen, dass es für sie genug sei?“ 151 Pesch I 352 nimmt an, dass die wunderbare Vermehrung der Speise das zukünftige messianische Festmahl andeutet; vgl. 1QS2,21f; 1QSa1,14f; 1,27-2,1; 2,11-22; 1QM4,1-5; CD13,1-2. Vgl. ferner Dschulnigg 190. 152 2Kön 4, 42-44; siehe ferner Elia in 1Kön 17,7-16; sowie das Manna in der Wüste, Ex 16,3135; vgl. Ps 78,18-30; 105,40. Siehe die vielen Detailbeobachtungen zu diesen Texten bei Pesch I 350-356. 153 Vgl. analog hierzu Joh 2,3 sowie die Diskussion bei Guelich 336. 154 Lane 230 und Anm. 102, der auf Lev 19,24 und Deut 8,10 verweist. 155 So Lane 230 und Anm. 103 sowie Pesch I 352 und Dschulnigg 191.

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Speisung von Menschen und der Behebung irdischer Not“.156 In den Augen der Anwesenden handelt Jesus nicht nur wie ein Prophet, sondern so, wie Gott seinerzeit am Volk Israel handelte (Ex 16,31-35; vgl. Ps 78,18-30; 105,40). In bleibender Abhängigkeit von seinem Vater vermehrt er selbst die Speise157 (vgl. ebenso 8,6; 14,22; Joh 11,41). Als fürsorglicher Hirte sättigt er sie (vgl. ebenso 8,19; siehe Ps 23,2). Aufgrund von Joh 6,29-35 wird gesamtbiblisch deutlich, dass Jesus bei der Speisung nicht nur wie Gott handelt, sondern, dass er darüber hinaus beansprucht, selbst das „Brot des Lebens“, d.h. die „Grundnahrung“ zu sein (vgl. Jes 55,1-3). Der Leser soll sich nicht auf die Wundertat, sondern auf den Wundertäter konzentrieren und somit auf seine Lehre und seine Güte vertrauen. 43 Ähnlich wie bei Elia und Elisa (vgl. 1Kön 17,16; 2Kön 4,7.42-44; vgl. Lk 5,6f; Joh 21,6.11) bleibt viel von der vermehrten Nahrung übrig (sie sammelten zwölf Körbe voll Brotstücke, auch von den Fischen [sammelten sie Reste]). Der Rest wird respektvoll in typische Behälter (κόφινος [kophinos] = Umhängetaschen bzw. kleine Körbe; diese sind kleiner als σπυρίς [spyris], vgl. etwa Apg 9,25)158 gesammelt, die jeder der Jünger Jesu bei sich trägt.159 44 Das Wunder der Brot- und Fischvermehrung unter fünftausend Menschen erweitert erneut den Machtbereich Jesu.160 Die Frage, wer Jesus wirklich ist, drängt sich den Jüngern immer mehr auf.

7.4 Jesus wandelt auf dem See 6,45-52 I 45 Und sogleich bestand Jesus darauf, dass seine Jünger ins Boot steigen und ans jenseitige Ufer nach Bethsaida vorausfahren sollten, bis er das Volk entlasse. 46 Und als er sich von ihnen verabschiedet hatte, zog er sich auf einen Berg zurück, um zu beten. 47 Und als es spät geworden war, befand sich das Boot inmitten des Sees, und er war allein an Land. 48 Und als er sieht, wie sie beim Rudern hin und her geworfen werden, weil der Wind ihnen entgegenblies, kommt er ihnen um die vierte Nachtwache auf dem See entgegen und will an ihnen vorbeigehen. 49 Die ihn aber auf dem 156 Dschulnigg 190-191. 157 Zerwick, Biblical Greek, §271. 158 Zu weiteren Details bezüglich κόφινος [kophinos] und σπυρίς [spyris] siehe Art. κόφινος [kophinos], EWNT II, 774 und Art. σπυρίς [spyris], EWNT III, 638 sowie Einzelbemerkungen zu Mk 8,8. 159 Vgl. Lane 231. 160 Eventuell sollten Frauen und Kinder zur Zahl der Anwesenden noch hinzugerechnet werden.

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See gehen sahen, nahmen an, dass es eine Erscheinung sei und schrien laut auf. 50 Alle aber sahen ihn und wurden von heller Angst ergriffen. Er aber sprach sogleich mit ihnen und ruft ihnen zu: „Nur Mut, ich bin es; hört auf, euch zu fürchten“. 51 Und er stieg zu ihnen ins Boot, und der Wind hörte auf, und sie waren untereinander völlig erstaunt. 52 Denn sie gewannen beim (Wunder) der Brote keine Einsicht, sondern jeder hatte ein verhärtetes Herz.161 II Mk 6,45-52162 ist eine Wundererzählung (Rettungswunder)163 bzw. eine „Theophanie-Erzählung“:164 1. V. 45-47, Einführung in die Szene; 2. V. 48-51a, Not und Rettung; 3. V. 51b, Verwunderung.165 Das Unverständnis der Jünger steht als Klimax im Vordergrund (vgl. 4,41 mit 6,52).166 III 45 Eventuell versucht Jesus nochmals, seinen Jüngern Ruhe zu verschaffen, indem er sie dazu auffordert (ἀναγκάζω [anankazō] = er bestand darauf), Richtung Bethsaida, nun den See überquerend, vorauszufahren. Lk 9,10 berichtet, dass Jesus vor der Speisung der Fünftausend nach Bethsaida „weggeht“. Da Lk jedoch ebenso berichtet, dass sich die Speisung (als „Reiseunterbrechung“) in einer Einöde ereignet (Lk 9,12), steht den präziseren Ortsangaben bei Mk nichts im Wege. Lk rafft.167 Was geografische Bemerkungen betrifft, fasst Lk 9,10 den Abschnitt Mk 6,31-45 zusammen. Lk 9,11-17 entspricht dann inhaltlich Mk 6,32-44. Nach Pesch

161 Lit.: Blackburn, Theios Anēr, 8-9.145-154; Marshall, Luke, 359; Schmücker, Funktion, 1-26; vgl. ferner Brown, Miracles, ad loc.; Kertelge, Wunder, ad loc.; Koch, Bedeutung, ad loc.; Loos, Miracles, ad loc.; Theißen, Wundergeschichten, ad loc.; Betz, Wesen, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 364.431 (bis 1980); Guelich 345-346 (bis 1988). 162 Siehe Einführung zu 7.3. 163 Pesch I 358 präzisiert (mit Verweis auf Theißen, Wundergeschichten, 102-107) folgendermaßen: Es handelt sich um eine „Epiphaniegeschichte“, weil sich Gott durch ein Wunder nicht nur mittelbar offenbart (das trifft auf alle Wundererzählungen zu), sondern weil sich Jesus hier (mittels eines Selbstoffenbarungswortes in V. 50) direkt in seiner göttlichen Natur offenbart. 164 Berger, Formen, 345. 165 Zu weiteren Details vgl. Pesch I 358. 166 Guelich 347. 167 Siehe Marshall, Luke, 359.

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liegt in der Ortsangabe „nach Bethsaida“ eine Richtungsangabe, nicht aber eine Zielangabe vor. Der V. 45 „harmoniert mit V. 53 (Landung in Genezareth)“.168

46 Jesus selbst sucht nach übermäßig viel Aktivität Einsamkeit und Gebetsruhe (vgl. 1,35-39 und 14,26-42).169 47-52 Das Wunder der Macht Jesu über die Schwerkraft ereignet sich wiederum aufgrund von Barmherzigkeit (vgl. 4,35-41 und Joh 6,16-21). Nach Pesch wird Jesus hier „als der mit Jahwes Kraft und Vollmacht ausgerüstete ,Sohn Gottes‘ (vgl. Mt 14,33) epiphan“ (siehe Deut 33,2; Hab 3,3).170 47-50 Die von Jesus wiederholt getrennten Jünger handeln jedes Mal in Angst statt in Vertrauen (4,38.40; 6,49-52; vgl. auch 9,18-19 und 5,36).171 48-50 Ein abendlicher Nordostwind ist für den See Genezareth gut bezeugt. Die vierte Nachtwache ist zwischen 3 und 6 Uhr morgens (vgl. die Hilfe Gottes früh am Morgen, Ex 14,24; Mk 16,2).172 Die Theophanievorstellung, in der Gott „auf den Fluten kommt“, ist alttestamentlich belegt (vgl. Ps 77,20; Jes 43,16; Hiob 9,8; 38,16). Daher besteht keine Notwendigkeit, bei Mk 6,4552 eine genealogische Abhängigkeit von hellenistischen und außerhellenistischen Berichten zu konstatieren.173 Warum vermittelt Jesus den Anschein, an ihnen vorbeigehen zu wollen, wenn er doch (schon seit geraumer Zeit?) ihre Not sieht?174 Nach V. 48a beabsichtigt Jesus zumindest, seinen Jüngern in ihrer Not entgegenzugehen. Die Formulierung ἤθελεν παρελθεῖν αὐτούς [ēthelen parelthein autous] er will (wörtl. „er wollte“) an ihnen vorbeigehen kann wohl nicht im Sinn von Lk 24,28 (προσεποιήσατο [prosepoiēsato]: „er tat, als ob er weitergehen wollte“)175 verstanden werden. Vielmehr ist sie im Sinne einer alttestamentlichen Theophanie zu fassen (Ex 33,19, ἐγὼ παρελεύσομαι πρότερός σου [egō pareleusomai proteros sou] oder Ex 33,22, παρέλθῃ μου ἡ δόξα [parelthē mou hē doxa]; vgl. Ex 34,5f; 1Kön 19,11): Er erweckte bei ih-

168 Pesch I 359. 169 So Lane 235. 170 Pesch I 359. Pesch I 360 und Anm. 8 betont, dass es sich hierbei nicht um eine „vordatierte Ostererzählung“ handelt, da die Erzählung deutlich macht, dass „sich der irdische Jesus offenbart, in dem Jahwe epiphan wird“. Allerdings sieht Pesch die Erzählung dennoch als Ausdruck des Osterglaubens der judenchristlichen Urgemeinde (Pesch I 363). 171 Vgl. Lane 235 und Anm. 118, mit Verweis auf Tillesse. 172 So Pesch I 360. 173 Vgl. Pesch I 360, der auf hellenistische und außerhellenistische Berichte verweist. 174 Pesch I 360 deutet die Sehfähigkeit Jesu bei Nacht und bei großer Entfernung als göttliches Wissen. 175 Zu fragen ist, ob sogar Lk 24,28 im Sinne einer alttestamentlichen Theophanie zu verstehen ist.

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nen den Anschein, an ihnen vorbeigehen zu wollen bzw. vorbeizugehen.176 Die markinische Formulierung besagt, dass Jesus seinen Jüngern so „erscheint“, wie Gott dem Mose.177 Dies wird durch die göttliche Beschwichtigungsaussage in V. 50 (nur Mut, ich bin es; hört auf, euch zu fürchten) bekräftigt.178 Unabhängig davon, ob ἐγώ εἰμι [egō eimi] hierbei als christologische Hoheitsaussage (vgl. Ex 3,14) zu verstehen ist oder nicht, vermittelt das Verhalten und Reden Jesu eindeutig göttlichen Hoheitsanspruch (vgl. Hiob 9,8).179 „Die Klärung der Identität des Erscheinenden geschieht doppelbödig theologisch: In dem auf dem Meer einherschreitenden irdischen Jesus (ἐγώ εἰμι [egō eimi] als Identitätsproklamation) wird Jahwe epiphan (ἐγώ εἰμι [egō eimi] als Offenbarungsformel)“.180

49 Ein φάντασμα [phantasma] ist eine Angst einflößende, evtl. übernatürliche Erscheinung bzw. wahrscheinlich „eine gespenstische Erscheinung“ (vgl. das Manuskript D in Lk 24,37 anstatt πνεῦμα [pneuma]; Apg 12,9).181 Es gibt somit auch z.Z. Jesu sprachliche Mittel und Kategorien, zwischen einer gespenstischen Erscheinung und einer physisch realen Person zu unterscheiden. Daher liegt die Beweislast bei denjenigen, die bei derartigen Berichten von einer „vorkritischen“ oder „naiven“ Betrachtungsweise ausgehen, bei der Realität und Phantasie undifferenziert ineinanderfließen. Vorausgesetzt, es handelt sich hierbei um einen Zeugenbericht, so besagt eine derartige Erzählung, dass die Jünger das Ereignis gerade deshalb äußerst schwer einordnen können, weil sie zwischen φάντασμα [phantasma] („Gespenst“) und Realität unterscheiden können. 50 Es handelt sich nicht um eine Einzelvision und bekräftigt somit also „die Realität der Erscheinung“.182 Die beruhigende Anrede Jesu: „Nur Mut, ich bin es“ (vgl. 2,5; 5,36) macht ihrer hellen Angst ein Ende und zeigt, dass 176 Keener, Background, 152 verweist auf Hiob 9,11. Vgl. Dschulnigg 194 mit Anm. 274 und Anm. 275, u.a. mit Verweis auf Gnilka I 268-269 und Guelich I 350-351, zu alttestamentlichen Verweisen. 177 Vgl. ähnlich Lane 236, der ferner auf 1Kön 19,11 und Hiob 9,8 hinweist. Lane erwähnt ferner andere, weniger wahrscheinliche Erklärungen. Eine Alternativerklärung wäre die, dass Jesus, ähnlich wie bei Lk 24,28, bewusst beabsichtigt, an ihnen vorüberzugehen, um sie zum Handeln zu bewegen (d.h., Jesus um Hilfe zu rufen). 178 Lane 237 verweist auf Ps 115,9ff; 118,5-6; Jes 41,4ff; 43,1ff; 44,2ff; 51,9ff. 179 So Pesch I 360 sowie Keener, Background, 152. 180 Pesch I 362 und Anm. 14, mit Verweis auf Zimmermann, Offenbarungsformel, 54-69, 266276 sowie Schnackenburg, Johannesevangelium, I 59-70. Vgl. ferner Dschulnigg 194 (Jesus offenbart sich durch die Formel als „Retter und Heilbringer“). 181 So Pesch I 361. Siehe Art. φάντασμα, EWNT III, 992 und Art. φαντάζω, φάντασμα, ThWNT IX, 7 („in der urchristlichen Literatur findet sich φάντασμα nur in der Bedeutung Gespenst“). 182 Pesch I 361.

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ihre Annahme, es sei ein φάντασμα [phantasma], nicht zutrifft. Die verneinende Aufforderung von μὴ φοβεῖσθε ([mē phobeisthe], Präs. Impv.) vermittelt den Sinn von „hört jetzt auf, euch immer noch zu fürchten“. 51 Hier liegt ein Anklang an die Stillung des Sturms (4,35-41) vor. Erneut erweist Jesus seine Macht über Naturkräfte (Wind und Schwerkraft). Die Jünger finden auf die immer dringender werdende Frage, wer Jesus tatsächlich ist, keine Antwort; vielmehr bleiben sie furchtsam und erstaunt. 52 Schon das Vermehrungswunder sollte sie in der Frage, wer Jesus wirklich ist, weiterbringen. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt erweitern jedoch weder die Speisungswunder noch sein Erscheinen auf dem See die vorgefasste und festgefahrene Perspektive der Jünger. Nach wie vor verkennen sie die göttliche Natur und Aufgabe Jesu: „denn sie waren um nichts verständiger geworden angesichts der Brote, sondern ihr Herz war verhärtet“ (Luther 1984; siehe 8,18-21; vgl. mit 3,5; 4,12). Ein verhärtetes Herz (vgl. 8,17) geht nicht auf Gottes Wollen und Wirken ein,183 vielmehr widersetzt es sich, zur inneren Einsicht zu gelangen und Jesus als dem Gesandten des Vaters glaubend zu vertrauen. „An einer Herzensverhärtung leiden also nicht nur Jesu Gegner (vgl. … 3,5), sondern auch seine engsten Vertrauten, die Jünger“.184 Das überwältigende Erlebnis des Wandelns Jesu auf dem See überfordert ihr begrenztes Fassungsvermögen nur noch mehr.

7.5 Krankenheilungen 6,53-56 I 53 Und als sie ans andere Ufer gekommen waren, kamen sie nach Genezareth und legten an. 54 Und unmittelbar, als sie aus dem Boot ausgestiegen waren und die Leute ihn erkannten, 55 liefen Menschen in jener ganzen Gegend hin und her und begannen die Kranken auf Liegen von überall her dorthin zu bringen, wo sie ihn ausfindig gemacht hatten. 56 Und jedes Mal, wenn er in Dörfer oder in Städte oder zu Land(-häusern) kam, legten sie die Kranken auf den (Markt-)Plätzen nieder und baten ihn, dass sie

183 Siehe ähnlich, Dschulnigg 195 und Anm. 277, der bei V. 52 allerdings einen starken redaktionellen Eingriff von Mk voraussetzt. 184 Dschulnigg 195.

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(auch nur) die Quaste seines Gewandes berühren dürften; und die, die ihn berührten, erfuhren Heilung.185 II Mk 6,53-56 dient als überleitendes Summarium: Ankunft in Genezareth sowie Krankenheilungen, teilweise durch Berühren Jesu.186 III 53 Sie haben sich in Richtung Bethsaida aufgemacht (πρός [pros], Mk 6,45) und sind, bedingt durch den starken Ostwind, westwärts gedriftet.187 Sie legen nördlich von Magdala im Raum der Ebene Genezareth (also südwestlich von Bethsaida) an.188 54-56 Nach einer schlaflosen Nacht werden Jesus und seine Jünger erneut durch viele189 Notleidende bedrängt. Die Beschreibung enthält das Augenzeugendetail des überraschten und aufgeregten Hin- und Herlaufens (vgl. 5,6; 6,33). Die jeweilige Anwesenheit Jesu verursacht immer mehr Aktivität unter den Angehörigen von Kranken. 56 Jesus verfolgt weiterhin seine Grundaufgabe, in alle Dörfer (vgl. 6,6.36), Städte (vgl. 1,33.45; 5,14; 6,33) und Landhäuser bzw. Gehöfte (vgl. 5,14; 6,36) zu gehen, um zu lehren.190 Das glaubende Berühren191 der Quasten (vgl. Num 15,38-39; Deut 22,10-12)192 seines Gewandes erinnert an die blutflüssige Frau (5,23.28.34; vgl. 2,3-5 sowie Apg 5,15; 19,12).193 Neu ist, dass Jesus nun vielfach dadurch heilt, dass er sich lediglich von Notleidenden berühren lässt (vgl. 3,10; 5,31). Jesus scheint durch seine Popularität in der Westregion des Sees Genezareth beinahe durch Notleidende überwältigt zu werden. 185 Lit.: Dalman, Orte, 184ff. Weitere Lit. bei: Pesch I 367.431 (bis 1980); Guelich 354 (bis 1988). 186 Guelich 354. Pesch I 365, bemerkt: „Typisch für die Summarien ist, daß Züge aus Einzelerzählungen steigernd generalisiert werden“. 187 So Lane 240. Vgl. Pesch I 359 und Dschulnigg 196. 188 Weitere Details bei Pesch I 365 und Dschulnigg 196. 189 Lane 240, Anm. 131, verweist auf Dalman, Orte, 128ff.184ff und bemerkt, dass die Ebene Genezareth im 1. Jh. n.Chr. dicht bevölkert ist. 190 Schriftverweise bei Pesch I 366. 191 Vgl. Lane 240. 192 Die vier Quasten am Gewand eines gesetzestreuen jüdischen Mannes sollen ihn „an alle Gebote Gottes … erinnern“ (Dschulnigg 196). 193 Pesch I 366 geht davon aus, dass bei Mk eine Steigerung vorliegt, die die Kraft Jesu verdeutlicht: zunächst das Berühren Jesu (3,10), dann das Berühren seiner Kleider (5,27-28), bis hin zum Berühren seiner Quasten.

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IV zu 6,7-56 Ziel. Im Kontext der Verwerfung verfolgt Mk die weitere Beschreibung des Wirkens Jesu an seinen Jüngern: Er sendet sie aus, damit sie das tun, was er bereits vorgelebt hat. Jesus wird dadurch weiter bekannt, sodass auch Herodes Antipas davon hört (weil der Wegbereiter Jesu enthauptet wurde, müssen Jesus und seine Jünger ernsthaft damit rechnen, selbst verfolgt zu werden). Während Jesus weiterhin das Ausmaß seiner Vollmacht demonstriert (sie erleben selbst die Macht des Heiligen Geistes), bleiben seine Jünger dennoch in Herz und Verstand über die eigentliche Identität Jesu weithin im Dunkeln (6,52). Kontextualisierung und Anwendung. Jesus beauftragt die Jünger, sein eigenes Werk weiterzuführen.194 Sie sollen ihren jüdischen Zeitgenossen in Galiläa195 die elementare Umkehr zu Gott (einschließlich Vergebung der Sünden, vgl. Mk 4,12) nahebringen, trotz Beschneidung, trotz Synagogenbesuch, trotz Torahkenntnis, trotz Gebeten, trotz Almosen, trotz Selbstsicherheit, zum Bundesvolk Gottes zu gehören, trotz der subjektiven Einstellung, ein gottergebenes Leben zu führen. Sie sollen sie von Dämonen befreien und sie heilen. Der Verkündiger lernt dabei immer am meisten. Die Jünger verinnerlichen somit, was sie selbst fundamental benötigen, nämlich echte, lebendige Gemeinschaft mit Gott durch Vergebung des Stolzes vor Gott. Sie lernen zunächst, anderen zu sagen, was sie selbst so bitter nötig haben. Sind sie damit Heuchler? Nur dann, wenn sie ihre auf Jesus fixierte Gemeinschaft aufgeben; nur dann, wenn sie nicht weiterhin im Vertrauen auf Jesus leben, sich von ihm formen lassen und theozentrisch (um-)denken lernen (vgl. V. 30). Die Ähnlichkeit dessen, was Jesus tut und was nun die Jünger tun, deutet auf einen wichtigen Aspekt der Nachfolge: Jesu Lehre, Jesu Handeln, Jesu Verhalten prägen dermaßen, dass die Jünger durch diese Prägung anders werden: Anders denken, anders handeln, anders reden (vgl. Lk 6,40). Während diesbezüglich noch ein weiter Weg vor den Jüngern liegt, wird jetzt schon deutlich, in welche Richtung sie sich entwickeln. Ein Aspekt dieser Prägung ist die Nacherzählung dessen, was sie auf der Reise erlebt haben. Sie berichten Jesus und leben damit ihre Offenheit und ihre Abhängigkeit Jesus gegenüber aus. Ferner prägen sie sich die durch Jesus vermittelten Lehrinhalte durch Wiederholung tiefer ein. Dem Nachfolger im 21. Jh. steht Ähnliches bevor: Er soll sich von Jesus, vermittelt durch das geschriebene, inspirierte Zeugniswort und 194 Vgl. Guelich 319-320: „For Mark, their ministry was obviously an extension of Jesus’ ministry, as the summary (6:30) referring to all they did … and taught … indicates“. 195 Die „Ausrüstung“ zur Verkündigungsreise ist historisch einmalig und verfolgt den Zweck, als einfache und prophetische Boten Gottes unter das jüdische Volk zu gehen, ohne die Existenzabsicherung des Besitzes und Schutzes (vgl. Jesus und Johannes der Täufer).

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durch den Heiligen Geist, in seinem Denken, Handeln, Reden und Leiden prägen lassen. Er soll umdenken, theozentrisch leben, handeln und reden. Es geht also nicht nur um Evangelisation, sondern um glaubwürdige Rede, glaubwürdiges Handeln, glaubwürdigen Charakter des Nachfolgers als eines von Jesus existenziell und konkret Geprägten. Das verhärtete Herz, das Jesus bei seinen Jüngern offenlegt (vgl. V. 52), verdeutlicht, dass Zeichen und Wunder damals wie heute eben gerade nicht die Herzen Gott gegenüber erweichen.196 Der Mensch ist durchaus dazu fähig, derartige Ereignisse lediglich als außergewöhnliche Begebenheiten hinzunehmen, ohne dass er sich innerlich verändert. Aber gerade deshalb ist Jesus gekommen: Das autonome Herz, der autonome Verstand, die autonome Handlung des Menschen soll zu ihrer eigentlichen Schöpfungsbestimmung zurückgebracht werden. Deshalb ist Jesus trotz seiner Barmherzigkeit, mit der er Dämonen austreibt, Krankheiten heilt und Menschen speist, zentral darauf bedacht, das Wirken des Geistes gezielt auf die Änderung des Herzens zu beziehen, als vielmehr Wunder als Mittel der Herzerweichung zu gebrauchen. Die Aussage Jesu in Lk 16,31 gilt allgemein: „Wenn sie nicht Mose und die Propheten hören, werden sie auch dann nicht überzeugt werden, wenn jemand von den Toten aufersteht“. Jesus prägt seine Jünger auch dadurch, dass er sie Umstände erleben lässt, die sie in Angst und Furcht versetzen und sie gezielt an ihre Grenzen führen. Das Erscheinen Jesu auf dem Wasser verdeutlicht zum einen seine Macht über das Naturgesetz der Schwerkraft, zum anderen macht es deutlich, wie sehr die Jünger noch lernen müssen, mit Jesus zu rechnen, auf ihn zu vertrauen, sich regelmäßig an ihn zu wenden, immer nach ihm Ausschau zu halten. Die Jünger lernen durch die Ereignisse um Johannes den Täufer, dass der, der Gottes Gegenwart und seinen Willen ernst nimmt, u.U. mit seinem Leben bezahlen wird. Das bevorstehende Leiden Jesu und die bevorstehende Leidensnachfolge wird hiermit bereits am Horizont angedeutet. Die unsichtbaren und sichtbaren Kräfte, die sich gegen den offenbarten Willen Gottes stemmen, werden auch die Jünger mehr und mehr erleben. Wiederum gibt Mk einen kurzen Einblick in das persönliche Leben Jesu: Er sondert sich von seinen Jüngern und der Menschenmenge ab, um allein mit seinem Vater Gemeinschaft zu pflegen.

196 Gegen Wimber, Evangelisation, passim.

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8. Menschengebote und Gottesgebot 7,1-23 Neben den längeren Reden Jesu in Mk 4 und 13 vermittelt der Abschnitt 7,1231 wichtige und grundsätzliche Lehraussagen Jesu. Aufgrund der Verhaltensweise und der Aussagen Jesu tauchen immer wieder Streitfragen zur Torahinterpretation zwischen Jesus und seinen Gegnern auf. Jesus betont, dass die Vernachlässigung der Frage der Reinheit des Herzens zugunsten ritualer und äußerlicher Reinheit die eigentliche Absicht des Gesetzes verneint (vgl. Ps 51,1-7.16-17.19). Mk 7,1-13 führt in die Kontroverse ein, indem Jesus den Gegensatz zwischen Menschensatzungen und Gottes Gesetz hervorhebt. Aufgrund der tiefen Verunreinigung und gottlosen Selbstsicherheit des menschlichen Herzens wird sogar das Wort Gottes missbraucht, uminterpretiert und schließlich verneint. Jesus zieht daraus den Schluss, dass bei bleibender Verunreinigung des Herzens alle Reinheits- bzw. Reinigungsanstrengungen des Menschen vergeblich sind (7,14-23). Letztendlich dienen 7,1-21 als Illustration für 7,22-23: bei verunreinigtem Herzen (7,22-23; vgl. 7,14-21) wird das Gesetz Gottes verdorben bzw. seines Zwecks beraubt (7,1-13.14-21). Synoptischer Vergleich: Befund. Die gemeinsame Reihenfolge von Mt und Mk bleibt bis auf Weiteres bestehen. Die weitreichende Frage der Reinheit und Unreinheit steht im Zentrum des Berichtes (Mt 15,1-20 / Mk 7,1-23; vgl. Lk 11,38). Auswertung: Auch für Mk ist es wichtig darzustellen, dass Jesus zunächst deshalb gekommen ist, um dem jüdischen Volk die Reinheit des Herzens bei aller Achtung des mosaischen Gesetzes zu bringen (vgl. Mk 10,45; 14,24), bevor dies auch den anderen Völkern gegeben wird (vgl. Mt 15,21-28 / Mk 7,24-30). Literarischer Kontext. Der Abschnitt 7,1-23 als Teil des größeren Abschnitts 6,30‒8,26 handelt von äußerlicher, zeremonieller Reinheit („Tradition der Ältesten“, V. 7,1-2.5) im Gegensatz zur Unreinheit des Herzens (7,14, vgl. das Thema „Unreinheit“ in Mk 7,2.5.15.18.20.23).2 Nicht nur die Gegner Jesu verfolgen äußerliche Reinheit bei bleibender Unreinheit des Herzens, sondern selbst die Jünger leiden (so der Gesamtabschnitt 6,30‒8,26 und vor allem 6,52; vgl. bereits 4,10-13) unter verhärteten Herzen (siehe Bemerkungen zu 8,171 2

Zur textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch I 369, Anm. a-f; 378, Anm. a-b; France 275-276; Lane 242-243, Anm. 1-9; 249, Anm. 21-24; 252-253, Anm. 33-37. Guelich 374.

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18.21). Vor allem der Verweis auf das „Essen von Broten mit unreinen Händen“ (7,2: ὅτι κοιναῖς χερσίν, τοῦτ᾽ ἔστιν ἀνίπτοις, ἐσθίουσιν τοὺς ἄρτους [hoti koinais chersin, tout’ estin aniptois, esthiousin tous artous]) ist eng verknüpft mit Jesu Schelte seiner Jünger, dass sie sowohl die Brotvermehrung als auch die Aussage über den Sauerteig aufgrund von Hartherzigkeit nicht verstehen (siehe 8,17.21; vgl. 6,52).3

8.1 Menschengebote und Gottesgebot 7,1-13 I 1 Und die Pharisäer sowie einige Schriftgelehrte, die aus Jerusalem gekommen waren, versammeln sich bei ihm. 2 Und sie bemerken, dass einige seiner Jünger mit unreinen, das heißt mit ungewaschenen Händen ihr Brot essen 3 – denn die Pharisäer und überhaupt alle Juden essen nicht, bevor sie sich nicht die Hände bis zum Handgelenk waschen und damit die Überlieferung der Ältesten befolgen. 4 Und wenn sie vom Markt kommen, essen sie nicht, bevor sie sich nicht (die Hände) gewaschen haben; und vieles andere halten sie, was sie als Überlieferung empfangen haben, so z.B. das Waschen der Becher, Krüge und Kupferschalen (und Reinigen der Betten od. Sitzpolster) – 5 und die Pharisäer und Schriftgelehrten fragten ihn: „Warum verhalten sich deine Jünger nicht nach der Überlieferung der Ältesten, sondern essen Brot mit unreinen Händen?“ 6 Er aber sprach zu ihnen: „Zutreffend prophezeite Jesaja über euch Heuchler, wie es geschrieben steht: ‚Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, jedes ihrer Herzen ist jedoch weit von mir entfernt. 7 Umsonst beten sie mich an, wobei sie von Menschen gemachte Gebote als Lehre verbreiten.‘ 8 Erst vernachlässigt ihr das Gebot Gottes, dann haltet ihr die Überlieferung der Menschen“. 9 Und er sprach zu ihnen: „Sehr wohl legt ihr die Anweisung Gottes beiseite, damit ihr eure Überlieferung aufrichten könnt. 10 Denn Mose sprach: ‚Ehre deinen Vater und deine Mutter‘ und ‚wer Schändliches über Vater oder Mutter sagt, soll sterben‘. 11 Ihr aber sagt: ‚Wenn ein Mensch zu Vater oder Mutter sagt: Ich deklariere das, was du von mir erhalten solltest, als Korban,‘ was (Gottes-)Gabe bedeutet, 12 so erlaubt ihr (damit), dass er überhaupt nichts mehr für Vater oder Mutter

3

Vgl. ähnlich, Guelich 362.

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tun muss; 13 ihr setzt das Wort Gottes durch eure Überlieferung, die ihr weitergebt, außer Kraft. Und dergleichen tut ihr vieles“.4 II In Mk 7,1-23 handelt es sich, neben dem Gleichniskapitel (Mk 4) und dem eschatologischen Ausblick (Mk 13), um einen weiteren Lehrabschnitt. Bei Mk 7,1-13 geht es formal um eine episodische Kontroverse5 bzw. um eine Chrie6 mit dem Aufbau: 1. Situation, V. 1-2 (das anstößige Verhalten der Jünger, wofür Jesus aus der Sicht der Gegner bereits „verantwortlich“ ist); 2. Erklärung, V. 3-4; 3. Vorwurf der Gegner Jesu, V. 5; 4. Zweiteilige,7 herausfordernde Reaktion Jesu, V. 6-8.9-13 (Heuchelei der Gegner, vgl. Jes 29,13 sowie der Verweis auf Korban), in der die in V. 6-8 „gegebene grundsätzliche Antwort durch ein Beispiel belegt“ wird.8 Im zweiten Teil der Reaktion Jesu, V. 9-13, liegt durch den in den V. 9 und 13 wiederholten Vorwurf aus V. 8 eine inclusio vor.9 III 1-13.14-23 Weitere Streitfragen zwischen Jesus und seinen Gegnern entstehen hinsichtlich der rechten Interpretation des Gesetzes des Mose. Jesus tritt als verheißener Prophet-wie-Mose auf (Deut 18,15.18; vgl. Apg 3,22; 7,37). Er betont, dass die annähernd ausschließliche und übertriebene Beschäftigung mit zeremoniellen Reinheitsgeboten auf Kosten der Sorge um die Reinheit des Herzens der zentralen Absicht des mosaischen Gesetzes direkt widerspricht. Aufgrund der tief verankerten und hartnäckigen Verunreinigung des menschlichen Herzens wird sogar die Offenbarung Gottes uminterpretiert bzw. praktisch verneint, um damit vielfältige, menschliche Gier zu befriedigen. Paulus kommt als bekehrter Jesusnachfolger ebenso zu dem Schluss, dass das Gesetz aufgrund dieser Sündhaftigkeit nicht befolgt werden kann (vgl. z.B. Röm 3,9.20.23; 7,13). Ohne die Gottesgabe eines von ihm gereinigten Herzens (10,45; 14,22-24; Joh 3,16; vgl. Ps 51,1-2.7.10) kann weder die Absicht des 4 Lit. zu 7,1-8: Hengel, Mc 7,3, 182-198. Weitere Lit. bei: Pesch I 368.377.431 (bis 1980); Guelich 359 (bis 1988). 5 Pesch I 369, spricht von „Streitgespräch“. Die Bezeichnung „episodische Kontroverse“ wird der Tatsache gerecht, dass es sich formal um ein Streitgespräch im Zusammenhang einer Ereignisbeschreibung handelt. 6 Berger, Formen, 140. Zur Definition der Chrie, s.o. Einleitung, 3.1. 7 Pesch I 369, beobachtet die zweistufige Struktur der Antwort Jesu in episodischen Kontroversen (2,15-17; 2,18-22; 2,23-28), die Pesch allerdings als „sekundär“ einstuft. 8 Pesch I 369. Vgl. Guelich 361. 9 Pesch I 370.

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8. Menschengebote und Gottesgebot 7,1-23

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guten Gesetzes erreicht werden (vgl. Röm 8,4), noch ist der Mensch dazu fähig, ein immer gottgefälligeres Leben zu führen (7,1-23; Kol 2,23). 1 Die Breitenwirkung der Lehre und des Wirkens Jesu in Galiläa reicht inzwischen bis zu den Schriftgelehrten in Jerusalem (vgl. das besonders für Jerusalemer Schriftgelehrte relevante „Korban“-Beispiel Jesu10). Schon längst ist klar (vgl. 2,15-28), dass viele Pharisäer und Schriftgelehrte nur deshalb zu Jesus kommen, um ihn irgendwie zu Fall zu bringen (vgl. 3,6.20-30; 7,2). In der folgenden Auseinandersetzung geht es um mündlich tradierte und die Torah erweiternde oder relativierende Reinheitsvorschriften (7,3; vgl. 5,21-43; siehe mAbot 3,13), die allerdings im mosaischen Zeremonialgesetz (Ex 30,19; 40,13) verankert sind. 2-4 Einige Jünger Jesu halten sich (wie Jesus selbst in Lk 11,37-38) nicht an die gängige, rituelle Reinheitsvorschrift (vgl. Lev 15,11), die Hände vor dem Essen mit einer Hand voll11 Wasser zu benetzen (‫[ נְטִילַת י ָדַ י ִם‬netilat jādajim]), d.h. zu waschen.12 Jesus leitet damit seine Jünger (der Meister haftet für seine Jünger)13 an, mündlich tradierte (vgl. mAbot 1,1) Lehre oder die Halakha14 (7,3; vor allem pharisäischer Richtung), wie etwa die rituelle Handwaschung (vgl. jedoch bShab 14b; tBer 5,14), Besprengen der Speisen vom Markt, Reinigen des Geschirrs (Becher, Krüge, Kupferschalen) sowie der Möbel (Betten, Sitzpolster)15 als Menschensatzung zu ignorieren (vgl. den Ton in 7,4 und 7,7-9; siehe ferner Mt 23,25-26 par). Siehe den bekannten Verweis auf mAbot 3,13, wo die mündlich überlieferte und von Pharisäern auf Mose zurückgeführte Halakha (vgl. mAbot 1,1) als Schutz-„Zaun“ um die Torah gesehen wird.

Vielmehr soll nur das schriftliche Wort (hier: das mosaische Gesetz) beachtet werden, und zwar, wie schon immer beabsichtigt, in Abhängigkeit von Gott selbst. 10 So Pesch I 370. 11 Zu πυγμῇ ([pygmē] = wörtl. „mit einer Faust“, d.h. „mit einer Hand voll Wasser“), siehe Hengel, Mc 7,3, 182-198. Siehe die detaillierte Diskussion bei Pesch I 371. 12 Vgl. Lane 245, der auf den vorchristlichen Aristeasbrief, §305 verweist: „And as the custom of all the Jews, they washed their hands and prayed to God“. Pesch I 370 und Anm. 4, führt aus, dass (nach pharisäischen Vorschriften) unreine Hände das Essen und damit den Essenden verunreinigen, was wiederum kultunfähig macht. 13 Pesch I 372. 14 Vgl. Pesch I 372: Die Halakha regelt „den religiös-sittlichen Wandel“; vgl. περιπατέω [peripateō], V. 5. 15 Zu diesen Reinheitsvorschriften, vgl. Pesch I 371-372 und Anm. 10-12. Siehe ferner Dschulnigg 204.

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5 Die Überlieferung der Ältesten zu missachten bedeutet, die Autorität zu hinterfragen, auf die sich Pharisäer und Schriftgelehrte berufen (mEdu 5,6).16 Kurz: Ihr Autoritätsanspruch sowie ihr Verständnis des gesetzestreuen Verhaltens (die Jünger machen sich unrein) steht auf dem Spiel. Die Gegner Jesu können auch damit rechnen, dass das Volk über die Missachtung dieser streng befolgten und durchgesetzten Satzungen empört sein und eventuell die göttliche Autorisierung Jesu deshalb infrage stellen wird. Die Frage, die die Pharisäer an Jesus richten, hat also zumindest zwei Motive, deren gemeinsamer Nenner die feste Absicht ist, Jesus zu beseitigen. 6-8 Jesus entlarvt das Grundproblem seiner Gegner: Das Befolgen mündlich tradierter Satzungen führt nicht zu wachsender Reinheit des Herzens, sondern lenkt ab von der Problematik bestehender, autonomer, menschlicher Existenz vor Gott. Jesus entlarvt die fundamentale Unreinheit vor Gott, nämlich das von Gott entfernte und damit autonome Herz des Menschen (vgl. vor allem Jes 29,13 LXX), was sich sodann im Missachten von Gottes Wort äußert (V. 8; vgl. 10,5.19; 12,28.31).17 Wer sich über dieses Grundproblem mittels Kompensation durch Äußerlichkeiten hinwegsetzt, ist ein Heuchler18 vor Gott.19 Gibt er doch vor, mittels einer derartigen Kompensation20 vor Gott, trotz bestehender Entfremdung, rein sein zu können. Entgegen der z.T. zutreffenden, aber sehr einseitigen Meinung, dass viele Pharisäer nur deshalb Heuchler sind, weil sie nicht tun was sie von anderen fordern, wird hier deutlich, dass Jesu Anklage, Heuchler zu sein, viel tiefer ansetzt. Diese Heuchelei ist keineswegs Spezifikum pharisäischer Frömmigkeit, sondern scheint vielmehr ein Charakteristikum menschlicher Existenz zu sein. Als Verdeutlichung bezieht Jesus die Aussage in Jes 29,13 (vgl. Kol 2,22)21 auf seine Gegner: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, jedes ihrer Herzen ist jedoch weit von mir entfernt. 16 Vgl. Lane 247, Anm. 19, der auf mEdu 5,6 verweist; dort wird die Missachtung der Tradition der Ältesten scharf verurteilt. 17 Schriftverweise bei Pesch I 373. 18 Der Begriff wird bei Mk nur hier verwendet; vgl. Dschulnigg 204. 19 Vgl. Pesch I 372-373, der (mit U. Wilckens) ὑποκριτής [hypokritēs] mit ‫[ ַהנֵף‬hāneph] verbindet und damit den Heuchler als Frevler identifiziert, dessen Tun und Bekenntnis auseinanderklaffen. Siehe, ders., a.a.O., bezüglich weiterer Details. 20 Die Pharisäer sind überzeugt davon, dass sie Gott gefallen. Rabbi Aqiba (ca. 135 n.Chr.) lehrt (mAbot 3,13): „[Oral] tradition [of the fathers] is a fence around the Torah [of the Mosaic Law]“. Ein durchaus frommer Beweggrund: Das strenge Befolgen der Torah wird durch Überbieten ihrer Anweisungen und Verbote gesichert. Lev 18,30 macht jedoch deutlich, dass das Gesetz innerhalb des Bundeskontextes befolgt werden soll. Viele Gesetzeslehrer trennten die Torah theologisch und vor allem praktisch vom Bundeskontext und konzentrieren sich auf äußeres Befolgen der Anweisungen. Sie fragen nicht nach der inneren Abhängigkeit von Gott und dem damit zusammenhängenden Sündenbewusstsein (siehe Exkurs 4: „Die Pharisäer“). 21 Pesch I 372.

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8. Menschengebote und Gottesgebot 7,1-23

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Umsonst beten sie mich an, wobei sie von Menschen gemachte Gebote als Lehre verbreiten“ (V. 6-7). Jesus betont dabei die scharfe Antithese zwischen Gebot Gottes und Gottergebenheit einerseits (vgl. Jes 1,10-20),22 sowie von Menschen gemachte Gebote und Autonomie andererseits (V. 7-8; vgl. 8,33; 10,9; 11,30; 12,14).23 Der krasse Gegensatz zwischen den beiden Begriffspaaren, ist bedeutsam. Er stellt eine unüberbrückbare Alternative dar: Entweder folgt der Mensch (durch Gottes Kraft) von Herzen dem Gebot Gottes (V. 8) oder er befolgt die Forderungen menschlicher Überlieferung (und dieses aus eigener Kraft, V. 8).24 Es gibt keine Vermittlung zwischen gottgewollter Reinheit vor Gott und von Menschen ausgedachter Reinheit vor Gott, auch wenn diese letztere „Reinheit“ (wie im Fall der Pharisäer) oft auf alle Lebensbereiche ausgedehnt wird. 925 Der Vers dient als Überleitung. Während V. 8 lediglich vom Verlassen bzw. Vernachlässigen (ἀφέντες [aphentes]) des Gottesgebots spricht, betont V. 9 steigernd die Konsequenz des Vernachlässigens, nämlich das Gebot Gottes beiseite zu legen, es aufzuheben bzw. es zu verwerfen (ἀθετεῖτε [atheteite]; vgl. V. 13: ἀκυροῦντες [akyrountes], außer Kraft setzen: vgl. 10,5.19; 12,28.31).26 Siehe im Gegensatz hierzu die Aussage Jesu in Mt 5,17: Er ist nicht gekommen, um das Gesetz (und die Propheten) aufzulösen oder zu zerstören (καταλῦσαι τὸν νόμον [katalysai ton nomon]), sondern es zu tun und zur Erfüllung zu bringen (πληρῶσαι [plērōsai]). Die von Menschen geschaffenen Traditionen sind unbrauchbar, um die Verunreinigung des menschlichen Herzens zu beheben. Wer die Verunreinigung des Herzens ignoriert, läuft Gefahr, sogar das Wort Gottes zu verwerfen (siehe ein Beispiel hierfür in 7,1013). Wenn die Verunreinigung des Herzens jedoch durch Gottes Eingreifen behoben wird (10,45; vgl. Ps 51,7.10), werden menschliche Traditionen als „Hilfsmittel“ zur Gottesgefälligkeit überflüssig. Stattdessen freut sich ein derart erneuerter Mensch an Gottes Wort mit seinen weisen Geboten (vgl. Mt 5–7; vgl. Ps 119). Im Gegensatz hierzu, werden die menschlichen Überlieferungen im hartherzigen Lebensvollzug gehalten (V. 8), sodann werden sie (als feste Satzung?) steigernd aufgerichtet (V. 9). Diese Bemerkung bereitet gleichzei22 So Keener, Background, 153. 23 Schriftverweise bei Pesch I 373. 24 Vgl. Pesch I 373, der auf einige zwischentestamentliche Aussagen verweist, die das Aufheben der Gebote Gottes durch Menschensatzungen bemängeln (vgl. etwa TestLev 10,3; 16,2; CD 4f; Jub 6,38; 23,19-21 sowie bereits Deut 31,27.29). 25 Lit. zu 7,9-13: Fitzmyer, Qorbān, 60-65; Pratscher, Bedeutung, 189-204. Weitere Lit. bei: Pesch I 377.431 (bis 1980); Guelich 359 (bis 1988). 26 Vgl. Kol 2,23. Pesch I 374 bemerkt, dass das wiederholt erwähnte, ironische καλῶς [kalōs] (V. 6 und 9) betont, „wie ‚trefflich‘ die Prophetie des Jesaja in Erfüllung geht“.

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tig die „Korban“-Aussage (V. 10-13) vor. Letzteres dient als Beispiel für das Verlassen und Aufheben der Gebote Gottes.27 10-13 Jesus benutzt die Korban-Aussage als Beispiel (V. 13: „dergleichen tut ihr vieles“) dafür, wie der Umgang des innerlich verunreinigten Menschen mit dem Gebot Gottes zum Missbrauch eines der Zehn Gebote führen kann (vgl. V. 13). Implizit bekräftigt Jesus hierdurch die bleibende Bedeutung des mosaischen Gesetzes (vgl. explizit Mt 5,17 sowie die gesamte Bergpredigt und Röm 8,4). Er hält die Jünger deshalb an, die Verunreinigung des Herzens aufs Tiefste ernst zu nehmen. 10 Damit bei den Gegnern Jesu kein Missverständnis auftritt, greift Jesus ein Beispiel aus dem Gesetz des Mose auf (Ex 20,12; vgl. Deut 27,6). Keiner zweifelt an der großen Bedeutung des zum Dekalog gehörenden Gebots: „Ehre deinen Vater und deine Mutter“ (4. bzw. 5. Gebot; vgl. Deut 5,16). Damit betont Jesus, dass er in keiner Weise die Autorität des mosaischen Gesetzes als Gebot Gottes aufheben will. Er befolgt und erfüllt es vielmehr (vgl. Mt 5,17).28 Das von Jesus gewählte Torahthema ist zentraler Bestandteil von Gottes Willen; die Missachtung dieses Gebots hat in Israel die Todesstrafe zur Folge (Ex 21,17; Lev 20,9). Die Ehrerbietung den Eltern gegenüber schließt die finanzielle und persönliche Altersversorgung (V. 11) mit ein.29 Wer Gott nahe ist, soll u.a. seine alternden oder bedürftigen Eltern gerne durch vielerlei Hilfe ehren. 11-13 Menschliche Überlieferung (als extreme Interpretation; hier Num 30,3) bietet jedoch die Gelegenheit, sich dieser gottgewollten Verpflichtung zur Altersversorgung der Eltern durch einen „geistlichen Kunstgriff“ zu entziehen. Ein bestimmter Betrag wird durch die Weihformel (Verbotsgelübde)30 Korban (κορβᾶν [korban] ist die geläufige Transliteration des hebr. ‫ק ְָרּבָן‬ [qorbān] = „Gott geweiht“ bzw. Gottesgabe δῶρον [dōron]) juristisch verbindlich und unwiderruflich den Eltern entzogen: „So erlaubt ihr …, dass er überhaupt nichts mehr für Vater oder Mutter tun muss“ (V. 12; vgl. Num 30,3).31 Das Korban-Gelübde geht auf priesterliche Regelungen in Lev 2,1; 27 Vgl. Pesch I 373. 28 Im biblisch-theologischen Gesamtrahmen erfüllt Jesus durch seine aktive und passive Gerechtigkeit u.a. die Bundesstipulationen des mosaischen Gesetzes (vgl. 2Kor 5,20f). Er ist die Gerechtigkeit des Nachfolgers. Dies schließt die Diskontinuität der Zeremonialgesetze mit ein, da sie im Opfertod Jesu ihre Erfüllung finden. 29 Vgl. Pesch I 374. 30 Siehe Pesch I 374, der dies von einem Weihegelöbnis unterscheidet. Jedenfalls handelt es sich nicht um eine Schwurformel. Siehe ferner Baumgarten, Korban, 5-17. 31 Hinsichtlich der späteren Möglichkeit im rabbinischen Judentum, ein solches Gelübde auflösen zu können, siehe Pesch I 374-375, der auf mNed 9,1 (im Gegensatz zu mNed 5,6) verweist.

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4,12-13 LXX (vgl. Num und Hes) zurück.32 Fitzmyer verweist ferner auf eine Grabinschrift mit dem Wortlaut: ”All that a man may find-to-his-profit in this ossuary (is) an offering to God from who is within it”.33 Es wird deutlich, dass Korban eine Weihaussage und nicht eine Schwurformel bezeichnet. „Mit einer solchen Gelöbnisformel konnte man sein Eigentum den eigenen Eltern verwehren, sich seiner Unterhaltspflicht entziehen“.34 Das mag einen geistlichen Anschein haben, widerspricht jedoch direkt der barmherzigen Intention Gottes (V. 8 und 13; vgl. Jes 29,13), die Schwachen und Bedürftigen durch die Torah zu schützen. Zudem kann die „Opfergabe“ dem Tempel35 zugutekommen, falls der Besitzer dies wünscht, und damit dem Gebenden Ansehen einbringen. Der scheinheilige Anstrich fußt auf Eigennutz. Die menschliche Autonomie, die sich hier als Habgier offenbart, steht bei allem geistlichen Vortäuschen im Mittelpunkt. Das geistliche und soziale Endresultat ist Gottesferne, Lieblosigkeit, außer Kraft setzen (ἀκυροῦντες [akyrountes]) der Gebote Gottes (in V. 13 als Wort Gottes bezeichnet) sowie das ungeminderte Leid der Schwachen und Notleidenden.36 Was bleibt, sind nackte Eigeninteressen. „Dergleichen tut ihr vieles“: Das eventuell nicht häufig praktizierte37 Beispiel veranschaulicht den allgemeinen und verbreiteten Umgang mit Gottes Wort sowie die zugrunde liegende Herzenshaltung.

8.2 Verunreinigung des Menschen 7,14-23 I 14 Und wieder rief er die Menge zusammen und sprach zu ihr: „Hört mir alle zu und versteht. 15 Nichts, was von außen in den Menschen hineingeht, kann ihn verunreinigen, sondern die Dinge, die aus dem Men-

32 Art. κορβᾶν [korban], EWNT II, 762; ThWNT III, 860-866 und X, 1146-1147. Vgl. Lane 250-251. 33 Fitzmyer, Qorbān, 60-65. 34 Pesch I 375. 35 Siehe die mit Korban verbundene Diskussion um Pilatusʼ Verwendung von Geldern aus der Tempelkasse (korbōnas) zum Bau eines Aquädukts (Josephus, Bell 2,175) in Chapman/ Schnabel, Trial, 180.182. 36 Lane 251 betont, dass die mündlichen Satzungen vorschreiben, dass aufgrund einer „Korban– Weihe“ den Eltern überhaupt nicht mehr geholfen werden muss (vgl. V. 12). 37 Vgl. Dschulnigg 205, Anm. 29: „Ein solcher Missbrauch des Gelübdes wird auch von den späteren Rabbinen nicht toleriert und dürfte alles andere als gesamtpharisäisch geübte Praxis gewesen sein“ (vgl. mNed 9,1).

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schen herauskommen, verunreinigen den Menschen. 1638 17 Und als er von der Menge ins Haus eintrat, begannen ihn seine Jünger hinsichtlich des Gleichnisses zu fragen. 18 Und er spricht zu ihnen: „Seid auch ihr so unverständig? Wisst ihr nicht, dass alles, was von außen in den Menschen hineinkommt, ihn nicht verunreinigen kann, 19 denn es geht nicht in sein Herz, sondern in seinen Magen und wird auf der Toilette ausgeschieden – alle Speisen sind rein“. 20 Er sagte aber: „Was aus dem Menschen herauskommt, das verunreinigt den Menschen. 21 Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen entspringen die bösen Gedanken, sexuelle Unzucht, Diebstahl, Mord, 22 Ehebruch, Habgier, Bosheit, Betrug, sinnliche Zügellosigkeit, Missgunst, Lästerung, Stolz, Torheit. 23 All diese Sünden kommen von innen heraus und verunreinigen den Menschen“.39 II Nach Daube handelt es sich bei Mk 7,14-23 (vgl. 10,1-12) um die Struktur eines rabbinischen Gesprächsmusters: a. Frage eines Gegners; b. verdeckte Antwort des Lehrers; c. Bitte der Jünger um Klärung; d. private Unterweisung der Jünger.40 Es ist möglich, dass ein derartiges Gesprächsmuster bereits zur Zeit Jesu geläufig ist. In 7,14-23 handelt es sich auf jeden Fall um eine Lehrerzählung,41 mit dem Aufbau: 1. Öffentliche, gleichnisartige Aussage Jesu in der Form eines antithetischen Parallelismus (V. 14-15); 2. Private, zweiteilige Unterweisung der Jünger (V. 17-19.20-22), in der Jesus auf beide Teile des Parallelismus eingeht: „Was eingeht, verunreinigt nicht“ (18b-19); „was aus dem Herzen hervorkommt, verunreinigt“; mit asyndetisch angeordnetem Lasterkatalog (7,20-22); 3. Summarium (V. 23).42 III 14-15 Jesus beginnt öffentlich zu erläutern, in welchem Bereich sich der Mensch grundsätzlich und vor allem um Verunreinigung sorgen soll (siehe die inhaltliche Verknüpfung mit 7,1-13; vgl. V. 15-16).43 Es geht um die unsichtbare, aber folgenschwere Herzenshaltung vor Gott (vgl. Mk 7,6-7; und Jer 38 Textkritische Diskussion: Obwohl V. 16 durch viele Manuskripte bezeugt ist (vor allem enthalten viele byz. Lesarten den Zusatz „Wer Ohren hat zu hören, der höre“; vgl. 4,9.23), fehlt der Vers u.a. in den wichtigen Manuskripten ‫ א‬B L Δ*. Eventuell ist der Vers ein Einschub nach Mk 4,9.23. Vgl. Metzger, Textual Commentary, 81. Siehe die Anmerkungen zur textkritischen Beurteilung bei Lane 253, Anm. 34. Vgl. ebenso, Pesch I 378, Anm. a. 39 Lit. bei: Pesch I 384.431 (bis 1980); Guelich 371-72 (bis 1988). 40 Nach Guelich 202.373, der auf Daube, Judaism, 141-150 verweist. 41 Vgl. Pesch I 378. 42 Guelich 361. 43 Vgl. Dschulnigg 206.

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17,9-1044) und damit auch die Haltung vor anderen Menschen.45 Jes 29,13-16 besagt, dass Gott mit seinem Volk „wunderlich“ umgehen wird:46 „Weil dies Volk mir naht mit seinem Munde und mit seinen Lippen mich ehrt, aber ihr Herz fern von mir ist und sie mich fürchten nur nach Menschengeboten, die man sie lehrt“ (Jes 29,13). Nach Pesch tritt Jesus hier als Weisheitslehrer auf, „der Offenbarung bringt (vgl. Dan 9,23)“.47 15 Der antithetische Parallelismus (V. 15)48 lenkt die Aufmerksamkeit auf das Herz des Menschen (aus dem Menschen). Die Aussage könnte u.U. mit dem mosaischen Gesetz in Konflikt stehen, wenn Unreinheit hier lediglich „Unreinheit nach dem mosaischen Zeremonialgesetz“ bedeuten sollte (vgl. Lev 11–15; Deut 14,3ff).49 Der Kontext (vgl. V. 21) macht jedoch deutlich, dass Jesus mit der Frage der Unreinheit weit über die Grenzen des mosaischen Zeremonialgesetzes (und nicht prinzipiell gegen dieses; vgl. jedoch V. 19c) hinausgeht (vgl. 9,42-50). Hierin liegt das Grundproblem der Ausführungen von Dschulnigg50, der irrtümlich davon ausgeht, dass erst die Urgemeinde „alle Bestimmungen der Tora … über rein und unrein“ unvermittelt aufhebt.51 Vielmehr verweist Jesus hier, wie viele Umkehrpropheten vor ihm (vgl. Jeremia), auf die Unreinheit des Herzens als Grundproblem, welches die Frage des Zeremonialgesetzes (z.B. Reinheitsgebote) weit übertrifft (vgl. Ps 51,1619). Damit ebnet Jesus selbst den Weg zur Völkermission, auf dem jüdische und heidnische Menschen vor Gott mit derselben grundsätzlichen Sündhaftigkeit konfrontiert werden. Dschulnigg vermutet dagegen, dass erst die nachösterliche Gemeinde „die Gesetze zu Reinheit und Unreinheit, im Dienst der Völkermission“ aufgibt.52 Er verkennt dabei die Tatsache, dass bereits die Grundbereinigung des Herzens durch den Opfertod Jesu Fragen der bleibenden Bedeutung verschiedener Zeremonialgesetze in neuem Licht erscheinen lässt („Erfüllung“ des Gesetzes, Mt 5,17) oder sie sich auf der Basis dieser

44 Dieser Verweis stammt von Lane 254, Anm. 40. 45 Vgl. 1Sam 16,7: Gott sieht nicht auf äußeres Aussehen, sondern auf das Herz. 46 Die altaramäische Übersetzung des hebräischen Textes lautet: „Ihr Herz ist weit entfernt davon, mich zu fürchten“. Jes 29,15 spricht vom sinnlosen Versuch, menschliche Pläne und Absichten vor Gott zu verhüllen. 47 Pesch I 379. Dschulnigg 203 (mit Anm. 16; Lit.).204.206, bezweifelt im Gegensatz zu Mt 15,11 die Authentizität von V. 15. Allerdings ist die Grundaussage bei Mk mit der in Mt 15,11 identisch. 48 Lane 254 und Anm. 39. Pesch I 379 verweist bei dem vorliegenden Lehrspruch auf EvThom 14. 49 Ähnlich, Pesch I 379-380, mit weiteren Details zur Frage der Reinheitsvorstellung im Judentum. 50 Dschulnigg 203-204. 51 Dschulnigg 206 beurteilt V. 18-19 als „etwas rationalistische Erklärung der Unbedenklichkeit aller Speisen“, welche „hellenistischem Denken entsprochen und eingeleuchtet haben“ dürfte. 52 Dschulnigg 203.

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grundsätzlichen Reinigung als nicht mehr notwendig erweisen (siehe Apg 10,15; Röm 14,14.20; Hebr 10,22; vgl. Gal 5,19; Eph 5,3). Siehe Bemerkungen zu V. 18-19.

Die anfängliche Diskussion über Reinheitsgebote (7,1-13, d.h. das Aufheben der Gebote Gottes durch Menschensatzung) dient also lediglich als Sprungbrett zu vertiefenden Ausführungen über die Frage, was wirkliche Reinheit ausmacht. Es wird deutlich, dass ein „unreines“ Herz in keiner Weise durch äußere Zeremonialgesetze bereinigt werden kann.53 Was nützt es, mit gewaschenen Händen zu essen, wenn man zuvor jemanden getötet hat? Dennoch überrascht, dass Verunreinigung dann eintritt (V. 15), wenn der Mensch aus dem Herzen (etwa in Unzucht; vgl. V. 21) handelt. Gemeint ist in V. 15, dass die Unreinheit, die bereits im Herzen verborgen liegt, den Menschen noch mehr verunreinigt, der sie auslebt. 16 V. 16 ist textkritisch umstritten und aufgrund der Manuskriptevidenz wahrscheinlich sekundär.54 17 Wiederum pflegt Jesus neben dem öffentlichen Dienst, den privaten Umgang mit seinen Jüngern. Sie fragen ihn eingehend bzw. eindringlich (Impf. iterativ [?] von ἐπερωτάω [eperōtaō]). Es erstaunt, dass die Jünger Jesu die vorhergehenden Aussagen Jesu als Gleichnis bzw. als Bildsprache auffassen. Handelt es sich doch in den vorhergehenden Aussagen Jesu, oberflächlich gesehen, um Direktaussagen ohne Gebrauch von Metaphern oder Vergleichen. Die Bildsprache55 entsteht jedoch durch den indirekten Vergleich zwischen zeremoniellen Speisegeboten und der inneren Reinheit bzw. Unreinheit des Herzens. Mit der Frage der Reinheit des Herzens wird ein Thema weitergeführt (siehe hierzu den gesamten Abschnitt 6,30–8,26, vor allem 6,52; 7,18-23; 8,1421), das zumindest bis 8,21 immer wieder angesprochen wird. Die folgenden Aussagen ergehen erneut ausschließlich an die Jünger Jesu (Sonderbelehrung)56 und nicht an die Menge (vgl. 4,10ff). 18-19 Seid auch ihr so unverständig? Siehe erneut das Motiv des den Gegnern Jesu ähnlichen Unverständnisses der Jünger; vgl. 4,10-13; 4,40; 6,52; 8,14-21.57 Jesus wiederholt die vorhergehenden Aussagen und macht deutlich, dass schwerwiegende Verunreinigung mit dem Herzen (vgl. V. 21 und 23; Hebr 9,14) und nicht primär mit dem Befolgen von Zeremonialgeset53 54 55 56

Lane 255. Siehe oben 8.2, I, Anmerkung zu V. 16. Dschulnigg 206 nennt dies vereinfachend „Rätselwort“. Vgl. Pesch I 384, der diesen Abschnitt allerdings als „urkirchliche Auslegung des Jesuslogions“ versteht. 57 Vgl. Pesch I 380.

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zen (vgl. V. 15 und 18) in Verbindung steht. Ein Nebenprodukt dieser Denkweise ist, dass Speise in diesem grundsätzlichen Sinn nicht verunreinigen kann (V. 19). Jesus unterscheidet also zwei Ebenen der Speisereinheit: Im tiefsten Sinn verunreinigt keine Speise das Herz des Menschen (siehe Röm 14,14; vgl. Jes 6,5; Ps 15; 24; 51; Spr 3,23).58 Im isolierten Kontext der weitaus weniger wichtigen Zeremonialgesetze kann durchaus zwischen „rein“ und „unrein“ unterschieden werden (vgl. etwa Lev 11,1-47). Damit setzt sich Jesus jedoch hier nicht zentral59 auseinander, da es ihm, im Gegensatz zu seinen Gegnern, stringent um die wesentliche Reinheit60 geht, ohne welche Zeremonialgesetze oberflächlich und relativ belanglos sind. Im biblisch-theologischen Gesamtkontext der Evangelien, der Apostelgeschichte (vgl. etwa Apg 10,9-15), des Corpus Paulinum (Röm 14,14; Gal 3,24; Kol 2,20-22; vgl. Gal 2,11-17) und vor allem des Hebräerbriefes wird deutlich, dass Jesus durch seinen eigenen, stellvertretenden Tod als ewig verbindlichen Bundesschluss (Hebr 8,6-13) die Grundelemente des mosaischen Zeremonialgesetzes nicht nur befolgt, sondern vollständig erfüllt und sie damit z.T. „aufhebt“ (Diskontinuität des Zeremonialgesetzes; Mk 7,19; Hebr 9,9-10; vgl. Mt 5,17). Der stellvertretende Sühnetod des Sündlosen bewirkt radikale Reinigung alles Unreinen (vgl. Hebr 9,14). Das Zeremonialgesetz war für die wiederholten Sühnopfer (Hebr 9,25; 10,1-4) bundestheologisch notwendig, wies es doch u.a. auf die bleibende Notwendigkeit der Reinigung des Herzens. Es wird nun durch den endgültigen Sühnetod Jesu abgelöst und verliert dadurch seine Verbindlichkeit (Hebr 9,10; vgl. Mt 5,17, πληρῶσαι [plērōsai] im Sinn von „erfüllen“). Das gesamte mosa­ ische Zeremonialgesetz dient also letztendlich als bleibender prophetischer Verweis auf die endgültige und tief greifende Reinigung durch Jesus (Gal 3,24; vgl. Röm 10,4). Allerdings veranschaulicht das Zeremonialgesetz beispielhaft auch heute noch, wie bedeutsam „Reinheit“ und „Unreinheit“ vor Gott sind.61

20-23 Nun wird die Hauptbetonung Jesu vollends deutlich: Jesus meint mit Verunreinigung das Ausleben von Sünde im moralischen, sozialen und gedanklichen Bereich menschlichen Lebens.62 Lane fasst die Liste der elemen-

58 Die meisten Schriftverweise finden sich bei Pesch I 381. 59 Siehe jedoch V. 19c. Im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Sühnetod Jesu (10,45) muss V. 19c allerdings nicht als sekundär verworfen werden. Dagegen meint Dschulnigg 206-207, „V. 19c wird sicherlich nicht auf Jesus selbst zurückgehen und ist möglicherweise auch im Rahmen des Mk sekundär“. 60 Vgl. Lane 258. 61 Vgl. Sklar, Prohibitions, 167-168. 62 Dschulnigg 207 und Anm. 38 (mit Verweis auf Gnilka I 285) betont, dass „mit Ausnahme des ,bösen Augesʻ alle zwölf Laster auch in Katalogen des Corpus Paulinum“ vorkommen.

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taren „Grundverunreinigungen“ des menschlichen Herzens in V. 21-2263 übersichtlich zusammen:64 a) die umfassende und grundlegende Tatsache böser, d.h. gottloser Gedanken (V. 21a; vgl. Hes 11,19; 36,26); b) sechs Bereiche (im Plural) böser Taten (sexuelle Unzucht [vor- und außerehelicher Geschlechtsverkehr]; Diebstahl; Mord; Ehebruch; Habgier; Bosheit), wobei die letzten drei jeweils spezifische Bereiche der ersten drei aufgreifen; sie betreffen „Hauptvergehen der zweiten mosaischen Tafel“65 (V. 21b-22a)66; c) sechs Bereiche (im Singular) eines unmoralischen Charakters (Betrug; Zügellosigkeit; Missgunst [Neid, Geiz]; Lästerung; Stolz; Torheit) V. 22b). Wir greifen im Folgenden nur eine Auswahl erklärungsbedürftiger Begriffe auf.67 Unter den genannten Begriffen bezeichnet πορνεία [porneia] allgemein sexuelle Unzucht (vgl. 1Kor 5,10-11; 2Kor 12,20-21; Gal 5,19-21; Eph 5,3-5; Kol 3,5-8; 1Tim 1,9-10; Offb 9,21; 21,8; 22,15),68 die der Schöpfungsordnung und dem moralischen Gesetz widerspricht, während μοιχεία [moicheia] sich auf den spezifischen sexuellen Bereich des Ehebruchs bezieht (vgl. 1Kor 6,910).69 Der Begriff πλεονεξία [pleonexia] bezeichnet besitzergreifende Habgier bzw. „mehr haben wollen“70 (vgl. Röm 1,29-31; Eph 4,19; 5,3; Kol 3,5-8),71 sowohl auf materiellem als auch auf sexuellem Gebiet.72 Der Begriff πονηρία [ponēria] verweist auf Bosheit unterschiedlichster Art, einschließlich irreführender bzw. ausbeutender Absichten und Handlungen. Schließlich erwähnt Jesus sechs Bereiche eines unmoralischen Charakters (V. 22b): Der Begriff δόλος [dolos] beschreibt hinterlistiges, täuschendes Handeln bzw. Betrug (14,1; vgl. Röm 1,29-31; 1Petr 2,1); ἀσέλγεια [aselgeia] bezeichnet Lüsternheit oder sinnliche Zügellosigkeit, sowohl auf sexuellem als auch auf anderen Gebieten (vgl. Röm 13,13; 2Kor 12,20-21; Gal 5,19-21; Eph 4,19; 1Petr 4,3). Der Semitismus ὀφθαλμὸς πονηρός [ophthalmos ponēros] 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Pesch I 381 verweist auf die Klammer „schlechte Gedanken“ V. 21 und „all dies Böse“ V. 23. Lane 256-257. Lane 257, Anm. 46, verweist auf 1QS4.9-11. Pesch I 382. Vgl. ebd. Siehe Lane 257. Vgl. Pesch I 382. Zu „Diebstahl“ und „Mord“, vgl. Pesch I 382. Zerwick-Grosvenor, 129. Art. πλεονεξία [pleonexia], EWNT III, 243. Art. πλεονέκτης κτλ. [pleonektēs ktl.], ThWNT VI, 266-274, vor allem Abschnitt C.

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(= wörtl. „ein böses Auge“; vgl. Deut 15,9; 28,54; Mk 10,22; Mt 6,22-23 par)73 spricht von Missgunst bzw. Neid und gelegentlich von Geiz.74 Abschließend nennt Jesus Lästerung (βλασφημία [blasphēmia]; siehe Bemerkungen zu 2,7; 3,28-29; 14,64; 15,29; vgl. Eph 4,31; Kol 3,5-8; 1Tim 6,4; 2Tim 3,2-5); Stolz, d.h. Überheblichkeit bzw. prahlerische Arroganz (ὑπερηφανία [hyperēphania]; vgl. Röm 1,29-31; 2Tim 3,2-5), bei der der Mensch auf andere herablassend oder überheblich reagiert, und schließlich Unvernunft bzw. Torheit (ἀφροσύνη [aphrosynē], d.h. der Zustand, bei dem der Verstand ungenutzt bleibt; vgl. Ps 10,3-4; 14,1).75 Jesu Zusammenfassung all diese Sünden kommen von innen heraus und verunreinigen den Menschen (V. 23) mag implizieren, dass die Liste (V. 21-22) wichtige Beispiele, jedoch nicht alle Bereiche menschlicher Verunreinigung enthält. Diese Bereiche sind mit dem Innersten des Menschen (= Herzen) aufs Engste verquickt. Die genannten Verunreinigungen haben eines gemeinsam: Allesamt suchen sie den eigenen Vorteil, die eigene Befriedigung, auch wenn dies zu Ungerechtigkeit und gottlosem Handeln führt. Hierauf soll das Augenmerk dessen liegen, der im Innersten „rein“ sein will. Jesus lenkt in dieser Perikope den Blick seiner Hörer auf das Wesentliche und Auschlaggebende (vgl. 3,5; 6,52; 7,6; 8,17). Die Frage aber, wie der Jünger zu einer derartigen, radikalen Herzensreinheit gelangt, wird erst in 10,45 und 14,24 angedeutet und schließlich durch den freiwilligen Kreuzestod Jesu beantwortet (vgl. z.B. 15,39 sowie Phil 2,6-7 und Kol 2,11-15). IV zu 7,1-23 Ziel. Mk beabsichtigt aufgrund des Themas „Reinheit – Unreinheit“ den entblößenden Umgang Jesu mit seinen Gegnern und seinen Jüngern tiefer zu beleuchten. Die durch Jesus deklarierte Gottesferne der religiösen Pharisäer überrascht: Jesus diagnostiziert nicht die Phänomene des scheinbar gesunden religiösen Verhaltens, sondern er entblößt die Motive des Herzens, d.h. die wahre Grundhaltung des Menschen vor Gott, vor Mitmenschen und vor Gottes guter Schöpfung.76 Die Gegner Jesu sind im tiefsten Innern Gott nicht ergeben, auch wenn sie äußerlich so erscheinen. Deshalb heben sie durch menschliche Tradition das Gesetz Gottes auf. Sie versuchen, das Gesetz Gottes den menschlichen Schwächen anzupassen. Was noch mehr überrascht, ist allerdings die 73 Ebd. 74 Lane 257. 75 Vgl. Louw/Nida, §32.53, ἀφροσύνη [aphrosynē]. Siehe Schriftverweise bei Pesch I 382-383. 76 Moo/Moo, Creation Care, passim.

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Tatsache, dass die Jünger unter derselben Krankheit leiden. Jesus weist auf ein Grundproblem (vgl. Röm 3,9.20.23; Kol 1,21), ohne dabei gleich auf die Behebung desselben einzugehen. Kontextualisierung und Anwendung. Die Jünger lernen von Jesus sowohl in Streitgesprächen wie auch in privaten Unterhaltungen. In diesem Lehrkapitel lernt der Jünger, dass jeder Mensch dazu tendiert, alles, ja sogar Gottes Wort, aus Egoismus bzw. aus eigener Perspektive anzugehen, anstatt vielmehr tatsächlich und grundsätzlich erst und vor allem nach Gott und seinem Willen zu fragen. Jesus entlarvt die „Tradition der Ältesten“ (V. 4-5) nicht nur als menschlichen Zusatz zu Gottes Selbstoffenbarung, sondern als Mittel, Gott mundtot zu machen. Wieviel mehr trifft dann zu, dass der Mensch nicht nur aufrichtig zweifelt, nicht nur zum Atheismus oder Agnostizismus neigt, sondern Gefahr läuft, seinen Zweifel oder seine atheistische Überzeugung als Mittel dazu einzusetzen, um sich der Verantwortung vor dem Schöpfer zu entziehen. Genauso gehen viele Zeitgenossen Jesu mit Gottes Wort um: Es ist Mittel zum eigenen Zweck. Der eigene Zweck ist es, nicht mehr Gott gegenüber verantwortlich sein zu müssen. Die Nachfolger des 21. Jh.s sind nicht anders veranlagt. Es ist eine ständige Gefahr, Gottes gute Schöpfung, Gottes glaubwürdige, heilsgeschichtliche Selbstoffenbarung im Alten und Neuen Testament sowie das Wirken des Heiligen Geistes für eigene Zwecke, für eigene Bedürfnisse, für eigene Interessen, für eigenen Gewinn auszuschlachten. Jesu Lehre bewirkt, dass der Leser in Konfrontation mit sich selbst die beängstigende Nähe zwischen den Jüngern Jesu und seinen Gegnern erkennt. Mit Jesu Verweis auf Jesaja wird deutlich, dass die Zeitgenossen Jesajas, die Zeitgenossen Jesu, die damaligen Nachfolger sowie die Nachfolger des 21. Jh. unter dieser fundamentalen Entfremdung von Gott leiden.77 Die Neigung zur Autonomie liegt somit z.Z. des Jesaja, z.Z. des NT und in unserer Zeit vor: Was im Herzen des Menschen verborgen liegt, bestimmt sein Äußeres. Die tief verwurzelte Verunreinigung des Herzens ist das Kernproblem 77 Zwar hat K. Marx (Das Kapital) einen Teilaspekt menschlicher Existenz in seiner Entfremdung von der (industriellen/technologischen) Arbeit z.T. treffend diagnostiziert, aber als Schüler des Rationalisten L. Feuerbach die grundsätzliche Entfremdung des Menschen von Gott, seinen Mitmenschen und sich selbst verkannt oder aufgrund seines Weltbildes als irrelevant oder gar abwegig betrachtet. Diese Fehleinschätzung hatte im Fall von Marx und seinen Verehrern schwerwiegende Folgen, weil die jeweiligen Machthaber (etwa in verschiedenen Ausprägungen des Kommunismus) nach wie vor aus dieser fundamentalen Entfremdung heraus Macht ausübten. Ähnliches lässt sich auch bei der Form des ungeregelten Kapitalismus beobachten.

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menschlicher Existenz. Die Beseitigung dieser Verunreinigung ist allerdings aus eigener, menschlicher Kraft nicht möglich (vgl. Röm 3,9.20.23; 6; 8,1-17). Jesus macht in Mk 7,1-23 lediglich auf dieses Kernproblem aufmerksam; erst später wird deutlich, wie Jesus diese Verunreinigung durch seinen eigenen, stellvertretenden Tod beseitigen wird (10,45; 14,22-24; vgl. Kol 2,11-15). Die kulturübergreifenden, allgemein verbreiteten Verunreinigungen, die Jesus hier auflistet, sind in jedem Nachfolger in unterschiedlicher Gewichtung und Akzentuierung mal latent, mal offenkundig präsent. Der Jünger soll nicht von sich ablenken, indem er auf das gesetzlich ausgerichtete pharisäische Judentum verweist78 oder auf disziplinierte Stoiker (vgl. Kol 2,23) sowie Existenzialisten, Materialisten, Atheisten, Kommunisten, Kapitalisten, Opportunisten, militante Islamisten etc.: Das Problem liegt bereits unmittelbar im Herzen jedes Menschen, egal welcher Nation, egal welcher Kultur, egal welcher Zeitperiode, egal welcher Sprache, egal welchen Geschlechts oder Alters: Alle leiden unter der einen oder anderen Verunreinigung des Herzens.79 Nicht das vermeintliche Schweigen Gottes ist letztendlich das Problem, sondern der moralische und/oder noetische Versuch des Menschen, angesichts dieser Verunreinigung, Gottes Reden zu bezweifeln (Skeptiker),80 Gottes Reden zu neutralisieren (vgl. z.B. das palästinische Judentum und die Stoa) oder Gottes Reden aufgrund der erlebten Gottesverlassenheit zu ignorieren (Existenzialismus; Postmoderne). Jesus bekräftigt das AT (erfüllend)81 und macht das Herz des Menschen für die gottesferne Verunreinigung verantwortlich. Paulus wird später ausführen (vgl. z.B. Röm 3,9.20.23; 6,6-14; 8,1-17), dass nicht das Gesetz, sondern die Sünde (d.h. die Feindschaft gegenüber Gott und die Indifferenz gegenüber dessen Lebensanweisungen) eine umfassende und weitreichende Fundamentalkrise auslöst, die nur durch Gottes Eingreifen in Jesus überwunden werden kann. Was der Mensch im Innern beschließt, wird zu seiner denkerischen Überzeugung, prägt seine Weltanschauung und formt schließlich seine moralischen und ethischen Entscheidungen (vgl. Röm 1,18ff; Kol 1,21). Der Mensch entscheidet grundlegend in seinem Herzen, was er zu denken und glauben gewillt ist. Wenn aber dieses Innere nachweislich verunreinigt ist, was wird dann aus seinen denkerischen Überzeugungen, aus seiner Weltanschauung, aus seinem Umgang mit objektiver, naturwissenschaftlicher Evidenz, aus seinen 78 Vgl. Gathercole, Judaism, 153-162. 79 Seneca soll gesagt haben: „Du wirst kaum jemanden finden, der mit offenen Türen lebt“. 80 Vgl. Schlatter, Methoden, passim, der deshalb von „atheistischen Methoden“ in der Theologie spricht. 81 Jesus befolgt das alttestamentliche Gesetz und bringt gleichzeitig Verheißungen zur Erfüllung (vgl. die Doppelbedeutung von πληρόω [plēroō] in Mt 5,17).

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moralischen und ethischen Wertmaßstäben, aus den Motiven seines Handelns? C.S. Lewis bemerkt treffend:82 “Five senses, an incurably abstract intellect; a haphazardly selective memory; a set of preconceptions and assumptions so numerous that I can never examine more than a minority of them – never become conscious of them all. How much of total reality can such an apparatus let through?” C.K. Chesterton83 betont ähnlich wie C.S. Lewis: “A man was meant to be doubtful about himself, but undoubting about the truth; this has been exactly reversed. Nowadays the part of a man that a man does assert is exactly the part he ought not to assert – himself. The part he doubts is exactly the part he ought not to doubt – the Divine Reason”. Man denke auch an das alttestamentliche Mischzitat des Paulus in Röm 3,10-18: Da ist kein Gerechter, auch nicht einer; da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der Gott sucht. Alle sind abgewichen, sie sind allesamt untauglich geworden; da ist keiner, der Gutes tut, da ist auch nicht einer. Ihr Schlund ist ein offenes Grab; mit ihren Zungen handelten sie trügerisch. Otterngift ist unter ihren Lippen. Ihr Mund ist voll Fluchens und Bitterkeit. Ihre Füße sind schnell, Blut zu vergießen; Verwüstung und Elend ist auf ihren Wegen, und den Weg des Friedens haben sie nicht erkannt. Es ist keine Furcht Gottes vor ihren Augen. (Elberfelder)

Das ganze Gefüge (Herz, Denken, Handeln) der eigenen Existenz sowie konsequenterweise das der gesamten Gesellschaft wird dadurch grundsätzlich beeinträchtigt. Deshalb kann nicht einmal eine gut entwickelte und gereifte Demokratie (mit Meinungsfreiheit in den Medien, mit einem freien und transparenten Wahlsystem, mit einer von der Exekutive getrennten Justiz, mit einer zivilen Gesellschaft, die wirtschaftlich, kulturell und religiös respektvoll funktioniert, mit einer Trennung von Staat und Kirche usw.) langfristig stabil bleiben, wenn die einzelnen Mitglieder in ihrem Innern die Verunreinigung, auf die Jesus weist, immerfort tolerieren oder gar gutheißen (sprich: „Selbstverwirklichung auf Kosten anderer“). Erst im Verlauf des Markusevangeliums (kulminierend in der stellvertretenden Kreuzigung Jesu) wird die Lösung dieses destruktiven Grundproblems angesprochen. Paulus wird später sagen (Eph 2,1-5.10): Auch euch [hat er auferweckt], die ihr tot wart in euren Vergehungen und Sünden, in denen ihr einst wandeltet gemäß dem Zeitlauf dieser Welt, gemäß dem Fürsten der Macht der Luft, des Geistes, der jetzt in den Söhnen des Ungehorsams wirkt. Unter diesen hatten auch wir einst alle unseren Verkehr in den Begierden unseres Fleisches, indem wir den Willen des Fleisches und der Gedanken taten und von Natur Kinder des Zorns 82 Lewis, Grief, 76. 83 Chesterton, Orthodoxy, 60, Anm. 33.

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waren wie auch die anderen. Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, hat um seiner vielen Liebe willen, womit er uns geliebt hat, auch uns, die wir in den Vergehungen tot waren, mit dem Christus lebendig gemacht – durch Gnade seid ihr errettet … Denn wir sind sein Gebilde, in Christus Jesus geschaffen zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen. (Elberfelder)

Sobald Jesus einen Menschen derart tief greifend verändert, wird das, was als Verschmutzung des Herzens durch Jesus bemängelt wird, in seine von Gott intendierte Gegenseite gekehrt. Der Katalog der Boshaftigkeit Gott und den Menschen gegenüber wird zum Katalog der Frucht des Wirkens Gottes; der Jünger denkt und existiert grundlegend in Abhängigkeit von Gott. Als Umkehrung von Mk 7,20-23 wachsen: 1) Wertschätzung und Achtung dem anderen Geschlecht gegenüber; 2) Wertschätzung und Achtung vor dem Besitz des Anderen; 3) ehrfürchtiges Bewahren des Lebens; 4) Dankbarkeit in der Ehe; 5) Genügsamkeit in den gegebenen Lebensumständen; 6) Freundlichkeit; 7) eine transparente Lebensweise; 8) Mäßigkeit; 9) Freude am Besitz und am Erfolg anderer;84 10) gute Rede über andere; 11) Bereitschaft, Fehler willig einzugestehen; 12) Weisheit, Herausforderungen im Leben zu bewältigen. Während der gemeinsame Nenner der menschlichen Übel der Egoismus ist, ist der gemeinsame Nenner einer derartigen Umkehrung eine individuelle und gemeinschaftliche Achtsamkeit, die existenziell aus Gott lebt und dem Nächsten dienlich ist.

84 Dschulnigg 207, Anm. 40, verweist (mit Pesch I 382, Anm. 14) auf das „gute Auge“, nämlich Freigebigkeit bzw. Einfalt (vgl. Spr 22,9 und Sir 35,10).

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9. Die syrophönizische Frau – Wunder – Warnung 7,24–8,261

Jesu tief greifende Lehre verläuft weiterhin parallel zu seiner Macht über ­Dämonen sowie seinen Wundern der Heilungen und der Brotvermehrung (7,24–8,10). Obwohl sich Jesus zunächst an das Volk Israel wendet (7,27), beabsichtigt er mittels seiner Jünger auch die Heiden mit der Botschaft der Herrschaft Gottes vertraut zu machen (vgl. z.B. 13,10). Die Dämonenaustreibung bei einem heidnischen Mädchen (7,24-30) ist jedoch nicht als Beginn einer Heidenmission zu sehen (siehe Bemerkungen unten). Wie die syrophönizische Heidin den Jüngern als markantes Vorbild für Demut und Gottesvertrauen dient, so gilt ihnen die skeptische Haltung der jüdischen Verantwortlichen (8,11-13) als Warnung. Jesus bezeichnet die Haltung seiner Gegner bildhalft als „Sauerteig“ (8,14-21). Mehr denn je konfrontiert Jesus seine Jünger mit ihrem festgefahrenen Unverständnis (8,17.21; vgl. 7,22). Sie „sehen“ und „hören“ (8,18) nicht, wer in Jesus tatsächlich vor ihnen steht. Er konfrontiert sie damit mittels der Heilung des Taubstummen (7,32-35) und der zweistufigen Heilung des Blinden (8,22-26).2 Obwohl diese Heilungen Ausdruck seiner messianischen Barmherzigkeit sind, dienen sie im Zusammenhang mit Jesu Warnungen in 8,17-18.21 gleichzeitig als Spiegel der inneren Verfassung seiner Jünger: Im übertragenen Sinn sind sie Jesus gegenüber „taub“ und „blind“. Die Motive des buchstäblichen und übertragenen „Sehens“ und „Hörens“ werden in 7,31–8,26 stark hervorgehoben (siehe Bemerkungen unten). Deshalb dient die Erzählung der Heilung des Taubstummen3 (7,31-37; siehe jedoch Mt 15,29-31) bis zu einem gewissen Grad als thematische inclusio mit der zweistufigen Heilung des Blinden (8,22-26).4 Diese inclusio stützt die Annahme, dass Jesus seine Jünger durch Wort und Tat absichtlich mit ihrer inneren „Taubheit“ und „Blindheit“ konfrontieren will (siehe ferner 6,52). Die tatsächliche Heilung des Taubstummen und des Blinden dienen somit u.a. als 1

Zur textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch I 385, Anm. a-b; 392, Anm. a-c; 401, Anm. a-b; 406, Anm. a-c; 411-412, Anm. a-c; 416, Anm. a-b; France 295.299300.305.313.321; Lane 258, Anm. 50-54; 264, Anm. 69-72; 270-271, Anm. 1-6; 275-276, Anm. 17-22; 279, Anm. 31-35; 283-284, Anm. 42-47. 2 Auf der Ebene des Mk-Berichts dienen 8,22-26 und 10,46-52 als inhaltliche inclusio durch das wiederholte Thema der Blindenheilung. 3 Nur bei Mk berichtet. 4 Nur bei Mk berichtet. Auf der literarischen Ebene dient Mk 8,22-26 als Überleitung.

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9. Die syrophönizische Frau – Wunder – Warnung 7,24–8,26

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Veranschaulichung ihrer inneren Verfassung (vgl. 8,17-21). Die innere Verhärtung verdunkelt ihre Wahrnehmung von Jesus (siehe z.B. das unzulängliche Messiasbekenntnis des Petrus, 8,29) und hindert sie daran zu erkennen, wer sie selbst aus Gottes Perspektive sind. Deshalb erfassen sie nicht das Ausmaß ihres Unglaubens und ihrer inneren Verunreinigung. Deshalb verkennen sie regelmäßig, was Jesus sagt und tut (contra Wrede). Obwohl er persönlich bei ihnen ist, ist ihr Wahrnehmungsvermögen höchstens das des halbwegs geheilten Blinden, der die Menschen lediglich als sich bewegende Bäume wahrnimmt (8,24). Mit den anderen Jüngern erwartet Petrus einen politisch-davidischen Messias, der weder als leidender Gottesknecht (bzw. Menschensohn) noch als erhöhter Menschensohn bzw. Herr erscheinen soll. Deshalb können die Jünger nicht begreifen, wer Jesus in seiner Demut und in seiner Herrlichkeit tatsächlich ist. Gleichzeitig sind sie sich deshalb nicht bewusst, wie dringend sie jemanden benötigen, der sie von ihrer inneren Verunreinigung vor Gott reinigt (siehe oben, 4.1, sowie 10.4, IV zu 8,27–9,29). Synoptischer Vergleich: Befund. Bis auf das markinische Sondergut (die zweistufige Heilung des Blinden, Mk 8,22-26; siehe ferner das Sondergut in 7,3137; vgl. jedoch Mt 15,29-31) verlaufen die Berichte bei Mt und Mk parallel (Mt 15,21–16,12 / Mk 7,24–8,21): Das Gespräch mit der syrophönizischen Frau; die Heilung des Taubstummen (Mt berichtet über die Heilung Vieler); die Speisung der Viertausend; die Zeichenforderung der Pharisäer (vgl. Mt 12,38-42 sowie Lk 11,16.29-32 und 12,54-56)5 sowie die Warnung vor dem Sauerteig der Pharisäer. Auswertung: Vergleicht man die Synoptiker miteinander, konzentriert sich Mk auf zwei Themen: Zum einen beschreibt er die weitere Ausbreitung der Vollmacht Jesu (Mk 7,1–8,10), zum anderen belehrt er seine Jünger am Beispiel der Pharisäer über ihre eigene Hartherzigkeit (Mk 7,1-23 sowie Mk 7,11-21). Literarischer Kontext. Es ist notwendig, den historischen (siehe die Einzelauslegung von V. 24) und literarischen Kontext zu unterscheiden und vorsichtig aufeinander zu beziehen. Der vorliegende Abschnitt passt gut in den vorhergehenden literarischen Kontext zum Thema „Unreinheit/Reinheit“.6

5 6

Vgl. die Diskussion zum synoptischen Vergleich von Mk 8,11-12 / Mt 12,40-42 / Lk 11,30-32 bei Guelich 411 sowie Bayer, Predictions, 111-127. Vgl. Lane 259 und Guelich 383.

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Jesus soll der Tochter der syrophönizischen Frau helfen (7,24-30). Das Mädchen leidet unter einem unreinen Geist (7,25).7 Im Gegensatz zu den sich als „rein“ wähnenden pharisäischen Gegnern Jesu, zeigt sich die „unreine“, syrophönizische Frau als eine Jesus vertrauende Person; im Gegensatz zum Unverständnis (7,17-18) der Jünger Jesu zeigt sich die heidnische Frau sehr verständig.8 Der historische Anlass findet sich jedoch in der Absicht Jesu, weiteren jüdischen Menschen, die erneut in ehemaligen Gebieten des Israels der Richterzeit leben (vgl. Mk 3,8; s.o., Einleitung 7., „Geografische Notizen“), das Evangelium mitzuteilen. Es ist durchaus möglich, dass das Ereignis mit der syrophönizischen Frau historisch nicht unmittelbar auf die geschilderten Ereignisse in 7,1-23 folgt, während der (geraffte?) literarische Bericht durch die Stichwortverknüpfung „rein“/„unrein“ einen interessanten Kontrast aufweist. Die Heilung des Taubstummen (Mk 7,31-37) bildet mit der zweistufigen Heilung des Blinden (8,22-26) eine wichtige thematische inclusio im Kontext des Markusevangeliums: Die Jünger „hören“ und „sehen“ nicht, obwohl der Messias Gottes in ihrer Mitte ist (Mk 8,14-21).9 Hierbei mag eine „a – b – a′ – b′“-Struktur vorliegen: a. 7,32-35: „taub“; b. 8,18a: „Augen“; a′. 8,18b: „Ohren“; b′. 8,22-26: „blind“. Die zweite Speisung (hier: der Viertausend) in Mk 8,1-9 verstärkt den Eindruck, wie hartnäckig die Jünger angesichts des Wirkens und Lehrens Jesu sind (vgl. 8,14-21).10 Es besteht eine gewisse Parallelität zwischen der ersten Speisung der Fünftausend (6,30-43) mit (bald darauf folgender) episodischer Kontroverse (Mk 7,1-13) sowie der zweiten Speisung der Viertausend (8,1-9) mit unmittelbar darauf folgender episodischer Kontroverse (8,10-13).11 Mk 8,14-21 greift im unmittelbaren Kontext das Stichwort „Pharisäer“ (8,11-13) auf. Ferner besteht ein deutlicher Bezug zwischen Mk 8,19-20 und den zwei Speisungen (6,30-43; 8,1-9). Durchgehend wird dadurch das Unverständnis der Jünger beleuchtet: 6,30-44.45-52; 7,14-16.18.19-23; 8,1-9; vgl. 4,10-13.12 7 Guelich, a.a.O. 8 Vgl. ähnlich, Guelich 383. 9 Vgl. etwa Guelich 391: „Jesus’ role in healing the deaf-mute in the Decapolis and the blind man at Bethsaida has a deeper significance for his relation with the disciples and their seeing and hearing what he was revealing to them about God“. 10 Vgl. Guelich 403, der auf Schweizer 156 verweist; Schweizer bemerkt, dass die zwei Speisungen betonen, wie blind der Mensch angesichts des Wirkens Gottes ist. 11 Vgl. ähnlich, Guelich 413. 12 Vgl. Guelich 419.

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9. Die syrophönizische Frau – Wunder – Warnung 7,24–8,26

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Die zwei Speisungen (6,30-43; 8,1-9) werden durch den Aberglauben des Herodes (6,14-16.17-29) sowie durch die Zeichenforderung der Pharisäer (8,10-13) eingerahmt (vgl. 8,15: „Sauerteig der Pharisäer und des Herodes“).13 Mk 8,22-26 folgt thematisch der kritischen Bemerkung Jesu seinen Jüngern gegenüber (8,17.18.21). Die zweistufige Heilung des Blinden gibt den hartherzigen Jüngern Hoffnung. Erst nach der Auferstehung „sehen“ die Jünger, wer Jesus tatsächlich ist, und was er für sie bewirkt hat.14 Insgesamt liegt eine Parallelstruktur zwischen 6,31–7,37 und 8,1-26 vor.15 Mk 8,26 beendet die erste Hälfte des Evangeliums. Wie bereits bemerkt, besteht die erste Hälfte aus drei Abschnitten (1,16–3,12; 3,13–6,6; 6,7–8,26), die jeweils mit der sich ausweitenden Berufung bzw. Beauftragung der Jünger beginnen (1,16-20; 3,13-19; 6,7-13) und mit Verwerfung (3,1-6; 6,1-6a; 8,1021) bzw. Hoffnung durch Jesus (3,7-12; 6,6b; 8,22-26) enden.16

9.1 Die syrophönizische Frau 7,24-30 Auf literarischer Ebene besteht ein dynamischer Kontrast zwischen 7,1-23 und 7,24-30. Während Jesus seine selbstsicheren Gegner und seine festgefahrenen Jünger mit der Verunreinigung des Herzens konfrontiert, befreit er die Tochter einer demütigen, heidnischen Mutter von einem unreinen Geist. Während die Jünger Jesus nicht verstehen (7,17-18), geht die syrophönizische Frau mit Umsicht und beachtlicher Demut auf Jesu schwierige und befremdende Aussage ein. Erneut unterstreicht Jesus seine Lehre durch Machterweise über Dämonen und Krankheit (vgl. den weiteren Kontext von 7,24–8,10). Wie oben bereits bemerkt, gilt Jesu Aufmerksamkeit zunächst dem Volk Israel. Bei gegebenem Anlass leitet er seine Jünger allerdings an, die gute Botschaft auch Heidenvölkern zu bringen (vgl. 7,24-30; [11,17]; siehe Apg 10–11). Menschen auf der ganzen Welt sollen mit dem rettenden Wirken Gottes gesegnet werden (13,10; vgl. Mt 28,18-20).17 I 24 Von dort brach er auf und ging in die Gegend von Tyrus. Und ohne dass es jemand bemerken sollte, ging er in ein Haus, konnte aber dennoch nicht 13 Ebd. 14 Guelich 430. 15 Lane 265. 16 Guelich 431. 17 Vgl. Ps 87; Jes 42,1.4.6.10-12; 49,1.6.22.

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verborgen bleiben; 25 vielmehr hörte eine Frau von ihm, deren Tochter einen unreinen Geist hatte; die kam und fiel ihm zu Füßen. 26 – Die Frau aber war hellenistisch, von syrophönizischer Abstammung. – Und sie bat ihn, den bösen Geist aus ihrer Tochter auszutreiben. 27 Und er sprach zu ihr: „Erlaube, dass zuerst die Kinder satt werden, denn es ist nicht recht, den Kindern das Brot wegzunehmen und es den Haushunden hinzuwerfen“. 28 Sie aber antwortete und spricht zu ihm: „Herr, die Haushunde dürfen aber unter dem Tisch18 von den (heruntergefallenen) Krümeln der Kinder essen“. 29 Und er sprach zu ihr: „Aufgrund dieser Aussage, geh, der böse Geist ist bereits aus deiner Tochter gefahren“. 30 Und sie ging weg in ihr Haus und fand die Tochter auf dem Bett liegen und der böse Geist war ausgefahren.19 II Mk 7,24-30 ist formal wahrscheinlich eine Wundererzählung (Fernheilungswunder)20 mit beigefügtem Dialog.21 Berger bezeichnet den Abschnitt als „Dialog in wunderhaften Erzählungen“.22 Beachtenswert ist dabei vor allem die vorläufige Ablehnung der Bitte durch Jesus (vgl. Mt 8,7), die einen Dialog auslöst, wodurch sich Jesu Ablehnung in Bereitwilligkeit kehrt.23 III 24 Die heidnische (vgl. Mt 11,2f par) Stadt Tyrus liegt in Phönizien, nördlich von Galiläa, ca. 50 km Luftlinie nordwestlich von Kapernaum, ca. 55 km nördlich des Karmel, südlich vom Libanon-Gebirge, etwa auf derselben Höhe wie Caesarea Philippi. Nach Josephus (Bell 3,38) liegt das Gebiet um Tyrus an der Grenze Galiläas.24 Nicht nur in Judäa, sondern auch im nichtjüdischen, hellenistischen Phönizien weiß man von Jesus (vgl. Mk 3,8).25 Aufgrund der Absichtserklärung Jesu, dem ganzen Volk Israel die Herrschaft Gottes zu verkündigen, leuchtet 18 Vgl. dagegen Schlatter, 142: „,unten am Tisch‘ auf dem Boden (nicht ,unter dem Tisch‘)“. 19 Lit.: Bayer, Hauptmotiv, 205-215; Berlis, Syrophönizierin, 16-28; Dschulnigg, Grenzüberschreitungen, 113-120; Feldmeier, Syrophönizierin, 211-227; Käser, Juden, 70. Weitere Lit. bei: Pesch I 391.431 (bis 1980); Guelich 381 (bis 1988). 20 Pesch I 386, bemerkt, dass die Bittsteller bei Fernheilungswundern Heiden sind. Siehe die Verweise auf außerbiblische Fernheilungserzählungen, ders., I 386. 21 Guelich 382 verweist auf Kertelge, Wunder, 121. Siehe allerdings Feldmeier, Syrophönizierin, 211-227. 22 Berger, Formen, 314. 23 Vgl. Pesch I 386, der auf weitere Besonderheiten verweist. 24 Vgl. Pesch I 387. 25 Pace Lane 260.

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es nicht ein, dass Jesus vor allem um der Ruhe willen mit seinen Jüngern einen relativ weiten Weg nach Phönizien (in das Gebiet von Tyrus und Sidon) auf sich nimmt; vgl. jedoch die Absicht Jesu, unerkannt bleiben zu wollen (ohne dass es jemand bemerken sollte; vgl. 1,44f; 2,1f; 6,32f).26 Andererseits weist auch nichts darauf hin, dass Jesus deshalb nach Phönizien zieht, um nun plötzlich (und unvermittelter Dinge) unter Heiden das Königreich zu verkündigen.27 Aufgrund der oben bereits präsentierten historisch-geografischen Studie (s.o. Einleitung 7., „Geografische Notizen“) ist davon auszugehen, dass Jesus auch die u.a. von Juden besiedelten Gebiete außerhalb Galiläas und Judäas bereist, welche in der Richterzeit zum ursprünglichen Land der Stämme Israels gehörten.28 Es geht somit weiterhin um den Primärauftrag Jesu, zunächst dem Volk Israel, welches auch außerhalb Galiläas und Judäas ansässig ist, die Herrschaft Gottes zu verkündigen. Dass Jesus bei diesen Reisen auch Heiden antrifft und sie z.T. heilt, ist realitätsbezogen und entspricht dem Gesamtwirken Jesu. Die später einsetzende Heidenmission wird bereits in Mk 7,27; 13,10; 14,9 angedeutet.29 Letztendlich ruft Jesus „ganz Israel und dieses als ,Licht für die Völkerʻ“.30 25 Der Vers erinnert an Elia (1Kön 17,8.17-24), der in Sarepta (das zu Sidon gehört; 15 km südlich von Sidon) der heidnischen Witwe und ihrem Sohn während einer Hungersnot hilft. Als Mutter eines Kindes mit einem unreinen Geist (vgl. 5,23) erleidet die syrophönizische Frau größte Not. Diese Not erklärt ihre mutige und demütige Haltung, stellvertretend Hilfe zu suchen.31 Zunächst ist (aus jüdischer Sicht) die Rede von einem „unreine(n) Geist“, der sodann in den V. 26.29f (aus heidnischer Perspektive; vgl. 5,1-20) „Dämon“ bzw. böser Geist genannt wird.32 26 Mk beschreibt detailliert, welcher kultureller (Hellenistin) und geografisch-ethnischer (Syrophönizierin)33 Herkunft die Frau ist: Sie ist „nicht einmal“ eine hellenistische Diasporajüdin, sondern eine Heidin. Das weist darauf hin, dass sich Jesus bei dieser Begegnung außerhalb seines Primärauftrags befindet. Sie bittet um Austreibung des bösen Geistes ihrer Tochter. 26 Schriftverweise bei Pesch I 387. 27 Vgl. Andeutungen in diese Richtung bei Lane 259. Dschulnigg 210 sieht das Verborgenheitsmotiv als Indiz dafür, „dass er nicht als aktiver Verkündiger und Wundertäter im nichtjüdischen Gebiet wirkt“. 28 Pace Dschulnigg 210, der wie viele andere Ausleger von einer redaktionellen „Routenführung der Reise Jesu durch den Verfasser“ ausgeht. 29 Weitere Details bei Bayer, Hauptmotiv, 205-215. 30 Kertelge 41, zitiert nach Dschulnigg 117. 31 Ähnlich, Lane 261. 32 Pesch I 387. 33 Mehr Details bei Dschulnigg 210.

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27 Obwohl Jesus bisher immer bereit war zu heilen, weist er die syro­ phönizische Frau (zunächst) ab. Die Bildsprache, die Jesus benutzt, begünstigt die zunächst sehr befremdende Interpretation, die Kinder mit dem jüdischen Volk (vgl. Hos 11,1; Deut 14,1; Jes 1,2),34 das Brot mit der Botschaft und dem heilsamen Wirken Jesu sowie Hunde mit nichtjüdischen Menschen35 gleichzusetzen.36 Das bedeutet, dass Jesus in eigentümlich befremdender und abwertender Weise die Frau zunächst zugunsten der jüdischen Bevölkerung abweist (es ist nicht recht besagt: Es ist „sittlich (vor Gott) untersagt“).37 Allerdings wird durch πρῶτον [prōton] (= zuerst) unmittelbar deutlich, dass Jesus den Segen für nichtjüdische Menschen nicht ausschließt, sondern lediglich das theologisch gewichtige „zuerst den Juden“38 vor allem für seinen eigenen Auftrag (vgl. Mk 10,6.23; 15,24) beibehält. Schlatter bemerkt treffend: „,Zuerst‘! Das nimmt der Abweisung des Heiden die unbedingte Geltung und gibt auch ihm die Verheißung“.39 Die vorläufige Weigerung Jesu, die Tochter der syrophönizischen Frau zu befreien, weist u.a. darauf hin, dass der Aufenthalt in der hellenistisch geführten Tetrarchie des Philippus (vor allem) jüdischen Menschen gilt (vgl. ferner Mk 3,7: Die Menschen, wohl jüdischer Abstammung, kommen aus vielen ehemaligen Gebieten des Israels der Richterzeit). Der Abschnitt in 1Kön 17,8.17-24 darf, wie bereits erwähnt, als bekanntes Motiv vorausgesetzt werden, wo Elia ironischerweise einer nicht israelitischen Frau mit ihrem Sohn hilft, und zwar während einer Hungersnot in Israel (vgl. Mk 7,27). Beabsichtigt Jesus im Gegensatz zu Elia bewusst, jetzt zuerst den Kindern zu essen zu geben? Der neutestamentliche Cantus firmus „zuerst Israel“ ist durchaus auch hier ausschlaggebend.40 Es ist ferner sinnvoll anzunehmen, dass Jesus die Frau mit seiner befremdenden und abwertenden Aussage lediglich prüft (siehe unten, V. 29-30), also die anstößige Aussage nicht absolut meint.

34 Pesch I 388. Lane 261 verweist ferner auf Ex 4,22; Deut 32,6; Jer 31,4; Röm 9,5; mAbot 3.1415. 35 Siehe Art. κύων κτλ. [kyōn ktl.] (O. Michel), ThWNT III, 1100-1104. Rabbinische Quellen (bChag 13a; Pirqe Rabbi Eliezer 29; ExR 9.2 zu Ex 7,9) vergleichen „Heiden“ mit „Hunden“. Siehe ferner Pesch I 388-389, Käser, Juden, 70 und Dschulnigg 210, Anm. 54. 36 Vgl. Käser, Juden, 70: „Jesus gebraucht hier Brot metaphorisch, in der Bedeutung eines Wirkens, das der Frau bzw. deren Tochter zur Hilfe wird. Und es legt sich eine Identifizierung der Kinder mit den Juden einerseits und der Hunde mit den Heiden anderseits nahe. Jesus stellt hinsichtlich seines Wirkens Juden vor Heiden, lässt aber die Heidin auch daran teilhaben“. 37 Pesch I 389. 38 Vgl. Röm 1,16; 2,9-10; Apg 1,8; 3,26; 13,46. 39 Schlatter 141. Vgl. Dschulnigg 210. 40 Schlatter 141.

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28 Die überraschend demütige, weise und glaubende Reaktion der Frau ist bewundernswert. Sie nimmt erstaunlicherweise keinerlei Anstoß an Jesu befremdender Aussage, sondern wiederholt ihre Bitte im Kontext der Bildsprache Jesu und erweist damit Jesus gegenüber nach wie vor Achtung (vgl. κύριε [kyrie])41 und Zuversicht: „Herr, die Haushunde dürfen aber unter dem Tisch von den (heruntergefallenen) Krümeln der Kinder essen“. Dies setzt voraus, dass sie die Aussage Jesu (aus jüdischer Sicht) verstanden hat und um den in der Offenbarung begründeten göttlichen Vorzug des jüdischen Volkes (vgl. Ex 4,22)42 aufgrund der ortsansässigen jüdischen Bevölkerung weiß und ihn anerkennt. 29-30 Wie bereits bemerkt, lässt die Reaktion Jesu vermuten, dass er die Aussage von vornherein nicht absolut, sondern als Prüfung meint: „Aufgrund dieser Aussage, gehe, der böse Geist ist bereits aus deiner Tochter gefahren“. Öfter spricht Jesus spezifisch in die Situation eines Menschen (vgl. 10,17-21). Aufgrund der bekundeten Demut der Frau und ihrer Zuversicht zu Jesu Barmherzigkeit ist er bereit, auch die Tochter dieser Frau von einem bösen Geist zu befreien. So dient das Handeln und Reden dieser unscheinbaren Frau als Mahnung an die Jünger.

9.2 Heilung des Taubstummen 7,31-37 I 31 Und als er die Gegend von Tyrus wieder verließ, ging er über Sidon und durch das Gebiet der Dekapolis zum galiläischen See. 32 Und sie bringen einen Taubstummen zu ihm und bitten ihn eindringlich, dass er die Hand auf ihn lege. 33 Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und steckte seine Finger in seine Ohren; auch spuckte er und berührte seine Zunge; 34 und er blickte auf zum Himmel, stöhnte, und sagt zu ihm: „Effata“, was „Öffne dich“ bedeutet. 35 Und (gleich) wurde sein Gehörsinn wiederhergestellt und er wurde von seiner Zungenlähmung befreit und begann, richtig zu sprechen. 36 Und er gebot ihnen, niemandem (davon) zu erzählen. Je häufiger er (es) ihnen aber gebot, umso mehr verbreiteten sie (es). 37 Und sie

41 Dschulnigg 211 (und Anm. 57) interpretiert die Anrede als Bekenntnis. Hier ist (mit Cranfield 248) Vorsicht geboten. Die Beweislast liegt m.E. bei Dschulnigg und anderen Exegeten, die ähnlich argumentieren. 42 So Keener, Background, 154.

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waren äußerst verwundert und sprechen: „Alle Dinge hat er gut gemacht, sogar befähigt er die Tauben zu hören und die Stummen zu sprechen“.43 II Mk 7,31-37 ist eine Wundererzählung (Bitte um Heilung, 7,32 / Heilung, 7,3335 / erfolgloses Schweigegebot, 7,36 / Zeugen, 7,37).44 III 31-37 Jesu Heilung des Taubstummen (nur bei Mk überliefert)45 weist einige Parallelen zur zweistufigen Heilung des Blinden (8,22-26) auf und konstituiert mit 8,22-26 eine gewisse inclusio. Das ernsthafte Anliegen Jesu, seinen Jüngern ihre geistliche „Taubheit“ und „Blindheit“ durch Wort und Tat zu vergegenwärtigen, schwingt von 7,32 bis 8,26 immer mit (vgl. vor allem Jesu Aussage in 8,17-18.21). 31 Die geografische Beschreibung kann irreführen,46 wenn ein anderer als der oben genannte Grund für Jesu Reisen durch Südphönizien angenommen wird (siehe oben Einleitung 7., „Geografische Notizen“). Jesus fährt fort, vor allem jüdischen Menschen die nahe Herrschaft Gottes mitzuteilen. Sidon gilt in der Richterzeit als wichtiger Ort für Assers geografische Eingrenzung. V. 31 soll also nicht so verstanden werden, dass Jesus so schnell wie möglich von Tyrus zum galiläischen See reist. Wäre das der Fall, dann wäre die Reise nach Sidon, das etwa 40 km nördlich von Tyrus liegt, ein gehöriger Umweg in entgegengesetzter Richtung; dann könnte man behaupten, dass Mk tatsächlich mit den geografischen Verhältnissen Palästinas wenig vertraut ist.47 Nichts deutet jedoch auf eine derartige Reiseabsicht Jesu hin. Die geografische Notiz erläutert lediglich, dass Jesus nach seinem Verweilen im ehemaligen Asser (im Be-

43 Lit.: Dalman, Orte, 214; Hengel, Heilungen,331-361; Schmücker, Funktion, 1-26; vgl. ferner Theißen, Wundergeschichten, ad loc.; Betz, Wesen, ad loc.; Kertelge, Wunder, ad loc.; Koch, Bedeutung, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 400.431 (bis 1980); Guelich 389-390 (bis 1988). 44 Guelich 390. Siehe dort die Auseinandersetzung mit Kertelge, Wunder, 158, der die Wundergeschichte aufgrund einiger Detailelemente als hellenistische Wundergeschichte einordnet. Guelich 390, betont jedoch, dass die Heilung selbst, wie immer, aufgrund des Wortes Jesu erfolgt. Pesch I 393, fügt hinzu, dass das „Schweigegebot, dessen Durchbrechung, Admiration und Akklamation“ markante Unterschiede zu hellenistischen Wundertexten aufweist. Er betont, dass der Berichterstatter die Wundertat Jesu auch formal „bewusst auf heidnischem Boden an einem Heiden“ geschehen lässt. 45 Vgl. jedoch Mk 7,31-37 mit Mt 15,29-31. 46 Deshalb geht auch Dschulnigg 213 (mit Gnilka I 296-297 und Kertelge 78) von einer „redaktionell entworfene(n) Nordreise durch nichtjüdische Gebiete“ aus. 47 Sogar Dalman, Orte, 211-215 tendiert z.T. in diese Richtung.

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reich Tyrus und Sidon) das ehemalige Manasse in Transjordanien (Dekapolis) bereist und schließlich zum See Genezareth zurückkehrt. 32 Ein Taubstummer wird zu Jesus gebracht (vgl. 1,32; 2,3; 8,22; 9,1720). Das seltene Wort μογιλάλον [mogilalon] = „stumm“ (μόγις [mogis] = kaum; λαλέω [laleō] = sprechen) mag an Jes 35,6 LXX (μογιλάλων [mogilalōn])48 erinnern und dadurch dem Leser den Eindruck vermitteln, dass Jesus messianische Erwartung49 (einschließlich Jes 35,5-6) erfüllt.50 Dies ist möglich, aber nicht zwingend. 33 Dass Jesus den Taubstummen51 beiseite nimmt (vgl. 5,37.40), entspricht der gelegentlich bekundeten Absicht, seine Heilkraft nicht zur Schau stellen zu wollen (vgl. das Schweigegebot in V. 36). Im Gegensatz zu anderen Heilungen, benutzt Jesus sowohl seine Finger (Heilung der Ohren) als auch Speichel (Heilung der Zunge).52 34 Das Seufzen bzw. Stöhnen ist Ausdruck des Leides Jesu, angesichts der Hartherzigkeit (1,41; 8,12; vgl. 8,17) und physischer Gebrechen, die als Folge des Sündenfalls gelten (vgl. vor allem 9,19: „Wie lange muss ich euch ertragen?“).53 Wie in 5,41 erfolgt das Heilswort durch eine semitische Formulierung, die sowohl Ohren als auch Mund betrifft: „Effata“, was „Öffne dich“ bedeutet (vgl. Jes 35,5).54 35 Deissmann vermutet, dass die Wiederherstellung der Sprachorgane (Gehörsinn und Zunge) eine Dämonenbefreiung beschreibt.55 Allerdings fehlt in diesem Kontext jegliche feindselige Auseinandersetzung mit Dämonen.56 Der Geheilte spricht nun klar (d.h. richtig; vgl. Jes 35,6 LXX; siehe ferner Gen 1,31).57 36 Das Schweigegebot (vgl. 1,44; 5,20.34; 8,26) ist an alle Augenzeugen gerichtet, nicht nur an den Geheilten: „Er gebot ihnen, niemandem (davon) zu erzählen“. Jesus will evtl. durch das Schweigegebot bewirken, dass er sei48 49 50 51 52 53 54 55 56 57

Vgl. Lane 266. Lane 266, Anm. 77, verweist auf GenR 95; MidrTeh 146,8. Vgl. Pesch I 394. Keener, Background, 154, bemerkt, dass von einem Taubstummen nicht erwartet wird, die Torah zu befolgen. Siehe weitere Details bei Pesch I 395. Vgl. Dschulnigg 213 und Anm. 68. Pesch I 396, deutet nicht nur den Aufblick zum Himmel (zutreffend), sondern auch das Seufzen als Ausdruck seines Kraftempfangs (fragwürdig). Siehe 5,41. Vgl. Pesch I 396-397 und Anm. 27, der darauf hinweist, dass die Bestimmung einer aramäischen oder hebräischen Verbform für ἐφφαθά [ephphatha] umstritten ist. Deissmann, Licht, 258-261. So auch Lane 267. Pace Pesch I 397. Vgl. Pesch I 397, der auf außerbiblische Parallelen zur Heilung von Tauben und Stummen hinweist.

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ne Tätigkeit in diesem Gebiet der Dekapolis ungehindert und relativ unauffällig weiterführen kann. Ferner will er nicht als hellenistischer θεῖος ἀνήρ [theios anēr] (göttlicher Mensch) gelten.58 Während Jesus dem befreiten Besessenen aufträgt, seine Familie in der Dekapolis über die Heilung zu informieren (5,19), erfolgt hier nun ein Schweigegebot. Dies mag evtl. aufgrund der gewachsenen Popularität Jesu eine veränderte Situation in der Dekapolis widerspiegeln. Sowohl der befreite Besessene (5,20) als auch der geheilte Taubstumme (sowie Zeugen) verbreiten die Kunde über Jesus immer mehr: Je häufiger er (es) ihnen aber gebot, umso mehr verbreiteten sie (es). Das Nichtbeachten der Schweigegebote Jesu ist Ausdruck der unbändigen Freude über Befreiung und Heilung (vgl. 1,44-45). Jesus beabsichtigt, durch die Schweigegebote an geheilte Menschen u.a. deutlich zu machen, dass es ihm zentral um die Botschaft von Buße und Gottesvertrauen und nicht um bloße Heilung oder Dämonenaustreibung geht. 37 Verwunderung heißt nicht, dass sie an Jesus in seiner vollen Identität glauben; es bedeutet höchstens, dass sie ihn für einen Messiasanwärter nach politisch-davidischer Vorstellung halten (vgl. Jes 35,5-6).59

9.3 Speisung der Viertausend 8,1-10 I 1 In jenen Tagen, als wieder eine große Menge (versammelt) ist und sie nichts zu essen haben, ruft er die Jünger herbei und spricht zu ihnen: 2 „Die Menge tut mir leid, denn sie verweilen bereits drei Tage bei mir und haben nichts zu essen. 3 Und wenn ich sie hungrig nach Hause gehen lasse, werden sie auf dem Weg ermatten; und einige von ihnen sind von weither gekommen“. 4 Seine Jünger aber antworteten ihm: „Woher wird jemand hier in der Öde Brote (herbeischaffen), um sie sättigen zu können?“ 5 Und er erkundigt sich bei ihnen: „Wie viele Brote habt ihr?“ Sie aber sprachen: „Sieben“. 6 Und er befiehlt dem Volk, sich auf dem Erdboden hinzusetzen. Und er nahm die sieben Brote, sagte Dank, brach sie und begann, (sie) seinen Jüngern zum Austeilen zu geben, und sie verteilten (sie) unter der Menge. 7 Und sie hatten einige kleine Fische bei sich. Und er sprach den Segen über sie und ließ auch diese verteilen. 8 Und sie aßen und wurden gesättigt; es waren sogar noch sieben große Körbe Brotreste 58 Lane 268. Vgl. Blackburn, Theios Anēr, passim. 59 Lane 268; Guelich 391.

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übrig. 9 An die viertausend (Menschen) waren anwesend. Und er entließ sie. 10 Gleich danach stieg er in das Boot mit seinen Jüngern und kam in die Region Dalmanutha.60 II Bei Mk 8,1-9.10 handelt es sich erneut (vgl. 6,30-44) um ein Speisungswunder (Vermehrungswundergeschichte):61 1. Situation, V. 1-5; 2. Wunder, V. 6-7; 3. Ergebnis des Wunders und Entlassung, V. 8-9.62 Mk 8,10 ist ein Übergangsvers. Im Gegensatz zum Speisungswunder in 6,30-44 (leibliche und geistliche Not), liegt hier die Betonung auf der leiblichen Not der Menschen. Ferner liegt ein ausgeweiteter Dialog zu Beginn der Erzählung (8,2-5) vor. Eine Reaktion der Empfänger wird nicht erwähnt.63 Beim Speisungswunder an den Fünftausend in 6,30-44 sind fünf Brote vorhanden, beim vorliegenden Wunder der Speisung der Viertausend sind es sieben Brote. In Mk 6,38.41 sind zwei Fische vorhanden, in Mk 8,7 sind es „wenige“ Fische. In Mk 6,43 werden zwölf Körbe mit Brotresten gezählt, in Mk 8,8 sind es sieben (zu den Zahlen „Zwölf“ und „Sieben“ siehe Einzelbemerkungen zu Mk 8,8).64 Vergleich zwischen Mk 6,31‒7,37 und 8,1-30. Beachtenswert ist die strukturelle Parallelität zwischen 6,31‒7,37 und 8,1-30: „Speisungen“, 6,31-44 und 8,1-9; „Reisen“, 6,45-56 und 8,10; „Gegner Jesu“, 7,1-23 und 8,11-13; „Unterweisung der Jünger“, 7,24-30 und 8,14-21; „Heilungen“ von „Ohr“ und „Augen“, 7,31-36 und 8,22-26; „Aussagen über Jesus“, 7,37 und 8,27-30.65 Es bleibt jedoch unklar, ob 8,27-30 wirklich noch zu diesem Zyklus gehört, oder ob 8,27 bereits den zweiten Teil des Evangeliums einleitet, zumal 7,37 lediglich die immer wiederkehrende Reaktion der Menschenmenge mitteilt und nicht ein „Glaubensbekenntnis“ darstellt.66 Der gesamte Abschnitt 6,31‒8,26 kreist bezüglich der Belehrung der Jünger um das Thema „Unverständnis durch Herzenshärte“ (vgl. 6,52; 7,14-18; 60 Lit.: Klinghardt, Boot, 183-202; Knackstedt, Brotvermehrungen, 309-335; Ziener, Brotwunder, 282-285; vgl. ferner Koch, Bedeutung, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 405.431 (bis 1980); Guelich 399-400 (bis 1988). 61 Pesch I 401 und 404-405, der die Erzählung trotz der Unterschiede im Detail für judenchristlich-hellenistische Nachbildung von Mk 6,32-44 hält. Berger, Formen, 371, rechnet den Abschnitt zu den „wunderhaften Erzählungen“. 62 Guelich 401. 63 Ebd. 64 Vgl. weitere Details bei Pesch I 401. 65 Lane 269. 66 Pace Lane 269, der jedoch einräumt, dass die allgemeinen Entsprechungen im Detail gewichtige Unterschiede aufweisen.

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8,14-21).67 Es wird deutlich, dass die Wunder Jesu neben Barmherzigkeit an den Notleidenden eine heuristische Wirkung bei den Jüngern beabsichtigen: Sie sollen sich bewusst werden, dass sie geistlich „taub“ und „blind“ sind und deshalb nicht wahrnehmen, wer ihnen in Jesus (z.B. ausgewiesen durch wundersame Speisungen) tatsächlich gegenübersteht. Als erste und vorläufige Frucht dieser wiederholten Warnungen Jesu gilt das Messiasbekenntnis des Petrus (8,28-29). III 1-10 Zu diesem Abschnitt siehe die vergleichbare Begebenheit in 2Kön 4,4244 (Elisa). Vergleich zwischen 6,34-4468 und 8,1-9:69 Es ist nicht möglich, 8,1-9 lediglich als literarische Dublette von 6,34-44 zu deklarieren.70 Zumindest ist aufgrund von 8,19-20 (vgl. 8,1) festzuhalten, dass Jesus nach Mk wenigstens zweimal Speise vermehrt.71 Trotzdem sind formale Ähnlichkeiten in der Erzählweise festzustellen, wie etwa die Nennung der Zahl der Anwesenden als Abschluss des Berichts (6,44; 8,9); das Mitleid Jesu (6,34; 8,2); die Anweisung, sich zu lagern (6,39; 8,6); die Frage, wie viel die Jünger an Nahrung bei sich haben (6,38; 8,5); die Nennung von Brot und Fisch (6,38.41; 8,5-7); Jesu Dank vor dem Austeilen (6,41; 8,6.7).

Offensichtlich ist der Unterschied in der Anzahl von Broten und Fischen, von Körben mit Resten sowie von Anwesenden: In 6,34-44 sind fünf Brote und zwei Fische vorhanden (6,38.41); es bleiben zwölf Körbe sowie Fischreste übrig (6,43); fünftausend sind anwesend (6,44). In 8,1-10 sind sieben Brote (8,5) und etliche kleine Fische (8,7) vorhanden; es bleiben sieben Körbe übrig (8,8); viertausend sind anwesend (8,9; zu den Zahlen „zwölf“ und „sieben“ siehe Einzelbemerkungen zu Mk 8,8).

Die Jünger Jesu sind infolge der ersten Speisung erstaunlicherweise nicht gleich bereit, ihm ein zweites Mal das Wunder zuzutrauen. Im Gegenteil. Sie reagieren so, als ob Jesus noch nie auf übernatürliche Weise Speise vermehrt hätte; sie fragen (8,4): Woher wird jemand hier in der Öde Brote (herbeischaffen)?72 (vgl. unten, Einzelauslegung zu V. 4). Allerdings machen sie diesmal wenigstens keine ironische Bemerkung, sondern erwähnen lediglich, dass es in einer wüsten Gegend (eine Öde in der Dekapolis) nichts zu essen 67 68 69 70

Vgl. Lane 269. Siehe oben, die Bemerkungen zu 6,30-44. Vergleiche ferner Mt 15,32-39 mit Mt 14,13-21. Lane 271, Anm. 7, verweist etwa auf Ziener, Brotwunder, 282-285 (eine Dublette favorisierend). So auch Pesch I 402.404-405. Vgl. dagegen Knackstedt, Brotvermehrungen, 309-335, der von zwei gesonderten Brotvermehrungen ausgeht. 71 Vgl. auch Lane 272. 72 Hinsichtlich des Motivs eines verlassenen bzw. öden Ortes, vgl. die Bemerkungen zu 1,35 und 6,31-44.

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gibt (vgl. 6,37 mit 8,4). Auch bleibt die Aufforderung an die Jünger, die Menge zu sättigen (6,37), nun aus. Ferner wird die Nennung von Brot und Fisch diesmal getrennt (8,5-6; 8,7). Die oben bereits angedeutete Tatsache der tief sitzenden und verblendenden Hartherzigkeit der Jünger wird sich als Schlüssel für die Erklärung dieser paradoxen Umstände herausstellen (siehe unten, Bemerkungen zu V. 4; contra Wrede). 2 Hier steht das leibliche Wohl der Menschen im Vordergrund, während 6,34 zusätzlich die geistliche Not hervorhebt. Die Nebenbemerkung die Menge tut mir leid, denn sie verweilt bereits drei Tage bei mir erlaubt den historischen Rückschluss, dass Jesus gelegentlich über Tage hinweg lehrt und heilt. 3 Jesus ist ganz praktisch um das leibliche Wohl der Menschenmenge besorgt, die z.T. von weit her angereist ist (siehe das HL bei Mk ἥκω [hēkō] „ich bin gekommen“; vgl. 5,6). Es ist durchaus möglich, dass sich unter der Menge auch Heiden befinden (vgl. 7,31; 8,1).73 Dieser Vers bringt erneut das in V. 2 geschilderte Mitleid (σπλαγχνίζομαι [splanchnizomai] = „ich empfinde Mitgefühl“; vgl. 1,41; 6,34)74 zum Ausdruck. Jesus zeigt oft derartig tief empfundenes Mitgefühl. Dabei gilt seine Anteilnahme sowohl dem physischen als auch dem geistlichen Wohlergehen der Menschen, indem er das Volk, manchmal über Tage hinweg, unermüdlich lehrt (siehe Bemerkungen zu 1,21-22). 4 Die Jünger fragen: „Woher wird jemand hier in der Öde Brote (herbeischaffen), um sie sättigen zu können?“ Haben die Jünger Jesu bei der letzten Speisung nicht gelernt, dass ihr Meister die übernatürliche Kraft besitzt, Nahrung zu vermehren? Es befremdet zunächst in Mk 8,4, dass sich die Jünger überhaupt nicht an die Speisung der Fünftausend (Mk 6,35-44) zu erinnern scheinen. Allerdings wird durch 8,19-20 unmissverständlich deutlich, dass sich die Jünger später (zumindest nach Mk) durchaus der zwei Ereignisse bewusst sind (vgl. ferner Mk 8,1: „als wieder eine große Menge versammelt war“). Warum also das Rätselraten der Jünger in Mk 8,4, als ob bisher noch nichts geschehen sei? Es ist erwägenswert, ob die Frage der Jünger auf die Tatsache weist, dass sie sich nun, im Gegensatz zur Speisung der Fünftausend, in einer Gegend befinden, in der sich niemand Nahrung beschaffen kann.75 Es bestünde also aus ihrer Perspektive jetzt noch mehr Grund, an einer natürlichen Speisung zu zweifeln. Nach 8,17 und 8,32-33 ist vor allem die Perspektive der Jünger immer nur praktisch, konkret und in ihren eigenen Vorstellungen verfangen; d.h. sie gehen nach wie vor (eben trotz der vielen Wunder- und Machterweise 73 Dschulnigg 217 verweist auf Jos 9,6.9; Jes 39,3; 49,12; 60,4; Sach 6,15. 74 Siehe Mt 9,36; 14,14; 15,32; 18,27; 20,34; Lk 7,13; 15,20. Vgl. Lk 1,78. 75 Andeutungsweise bei Pesch I 403.

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Jesu) von ihrem gewohnten, selbstbezogenen und verblendeten Erlebnis- und Erwartungshorizont aus. Diese Hartherzigkeit bezieht sich nicht nur auf die Unfähigkeit, die Erfahrung des ersten Speisungswunders auf die vorliegende Situation zu beziehen, sondern auf ihre allgemeine Unfähigkeit, alles, was Jesus bisher getan hat, auf die gegenwärtige Situation anzuwenden. Das ist die konkrete Art der Hartherzigkeit, die Jesus bloßlegt. Das Problem einer derartigen Hartherzigkeit, trotz des wunderbaren, überwältigenden Eingreifens Gottes, ist nicht neu. Ps 81,10-13 spricht von der Tatsache, dass das Volk Israel trotz der wunderbaren und überwältigenden Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten nicht gewillt ist, auf Gott zu hören und mit seiner Kraft zu rechnen. Das Wunder öffnet somit nicht automatisch die Herzen für Gott. Gott liefert sie deshalb ihrer eigenen Hartherzigkeit aus, er übergibt sie ihrem eigenen Ratschluss (vgl. ähnlich, Röm 1,18ff).76 Trifft diese Erklärung zu, ergibt sich, dass die Jünger nun durchaus wissen, dass Jesus Speise vermehren kann. Allerdings wenden sie sich trotzdem nicht vertrauend an ihn, sondern bleiben verblendet in ihrem gewohnten und alltäglichen Erlebnis- und Erfahrungshorizont verfangen. Trotz der bisherigen Lehre und des wundersamen Eingreifens Jesu gehen sie nach wie vor von sich selbst aus. Das hiermit umrissene Unverständnis der Jünger wird eigens in 8,17-21 von Jesus thematisiert. Ironisch wirkt dort, dass die Jünger die Aussage Jesu über den „Sauerteig“ in 8,15 als Vorwurf missverstehen, nicht vorgesorgt zu haben und nur ein Brot dabei zu haben (8,14.16). D.h., falls dies tatsächlich die Aussageabsicht Jesu gewesen wäre (was nicht zutrifft), rechnen die Jünger auch dann nicht mit Jesu Wundermacht.

V. 4 (vgl. 8,16-21) macht also höchstwahrscheinlich deutlich, wie festgefahren die Jünger sind und wie unfähig sie sind, ihr Leben in der neu gefundenen Abhängigkeit von – und dem Rechnen mit – Jesus zu leben. Eine angemessene Reaktion auf derartig tief sitzende Hartherzigkeit ist nicht das Bezweifeln der historischen Glaubwürdigkeit der Perikope,77 sondern das Hinterfragen der eigenen und erlebten Unfähigkeit, existenziell Gott zu vertrauen und mit seinem Eingreifen zu rechnen. Schließlich ist auf literarischer Ebene zu fragen, ob der stark geraffte Stil bei Mk zum unvermittelten und etwas unbeholfenen Nebeneinander der zwei Speisungen beiträgt. 5 Die Frage Jesu wie viele Brote habt ihr? verdeutlicht für die Jünger, wie groß das Wunder der Vermehrung tatsächlich ist. 76 Im Gegensatz hierzu, prägt Jesus seine Jünger langfristig derart, dass sie letztendlich auf Gottes Wegen gehen (siehe die gesamte Apg; vgl. Ps 81,13-16). 77 Siehe etwa, Wrede, Messiasgeheimnis, passim.

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6-7 Die Jünger sind persönlich am Austeilen des wunderbar vermehrten Brotes beteiligt (vgl. 6,41). Der V. 6 enthält eine Form von εὐχαριστέω [eucharisteō] = „ich sage Dank“ (vgl. 14,23, Danksagung über dem Kelch im letzten Passahmahl; siehe Joh 11,41), während der V. 7 eine Form von εὐλογέω [eulogeō] = „ich segne“ (in Danksagung; vgl. 6,41; 11,9-10) enthält.78 Siehe das Segnen des Mazzahbrotes beim Passahmahl (14,22; vgl. 14,62). Wieder soll sich das Volk lagern. Die Jünger sind beim Austeilen beteiligt und erleben somit „hautnah“, dass Jesus erneut Brote und Fische vermehrt. Der Dank dem Vater gegenüber79 bezeugt, dass Gott der Gebende ist. Wiederum ist die Annahme nicht notwendig, dass ein Anklang an das Abendmahl Jesu vorliegt. Dank, Brechen und Austeilen sind Aspekte allgemeiner jüdischer Mahlzeiten (siehe Bemerkungen zu 6,34-44). 7 Die separate Nennung der kleinen Fische (mit separatem Segen als Dank) unterstreicht u.a. den Unterschied zur Speisung der Fünftausend (6,34-44). 8 Der Überfluss (es waren sogar noch sieben große Körbe von Brotresten übrig; vgl. 6,43; Joh 6,12) verweist auf die große Kraft Jesu und seine Fähigkeit, über die Maßen für das physische Wohl von Menschen sorgen zu können. Boring geht davon aus, dass die Zahl „Sieben“ Heiden bzw. die gesamte Schöpfung repräsentiert (vgl. Deut 7,1; Apg 6,1-6; 13,19), während die Zahl „Zwölf“ (Mk 6,43) jüdische Menschen beschreibt (vgl. Lk 9,1-10).80 Diese Zahlenspekulationen lassen sich entgegen Boring zumindest nicht am Unterschied zwischen κόφινος [kophinos] (Mk 6,43; 8,19; Joh 6,13; nach Boring handelt es sich hier vor allem um eine Tasche, die von jüdischen Menschen gebraucht wird; Juvenal 3,14; 6,542)81 und σπυρίς [spyris] (Mk 8,8.20; Apg 9,25; nach Boring handelt es sich hier um eine gewöhnliche Tasche)82 festmachen.83

9 Es wird lediglich eine runde Zahl (an die viertausend)84 der Gespeisten angegeben (vgl. anders 6,44).

78 Siehe Mt 21,9; 23,39; 25,34; Lk 1,42 und öfter; vgl. Joh 12,13. 79 Pesch I 403-404, geht hier von einer Angleichung an den Abendmahlsbericht in Mk 14,22 aus. So auch Dschulnigg 217. Terminologische Ähnlichkeit beweist noch keine genealogische Abhängigkeit. 80 Redaktionskritische Spekulationen finden sich bei Dschulnigg 217-218. 81 Vgl. jedoch Art. κόφινος [kophinos], EWNT II, 774. 82 Vgl. jedoch Art. σπυρίς [spyris], EWNT III, 638. Im Vergleich mit κόφινος [kophinos] ist σπυρίς [spyris] größer (vgl. etwa Apg 9,25: Dort passt Paulus in einen derartigen Korb). 83 Boring 220-221. 84 Siehe Dschulnigg 218 als Befürworter einer möglichen symbolischen Auslegung: „Menschen aus allen Völkern“.

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10 Jesus überquert den See Genezareth von der Dekapolis aus kommend und legt am Westufer bei Dalmanutha (= Taricheae = Magdala) an.85

9.4 Zeichenforderung der Pharisäer 8,11-13 Der hartnäckige Unglaube der jüdischen Verantwortlichen (8,11-13)86 dient den Jüngern als warnendes und ernüchterndes Beispiel. In diesem Zusammenhang verwendet Jesus die Metapher „Sauerteig“ (8,15). In Mt 16,6.11-12 wird der „Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer“ als „falsche Lehre“ identifiziert. Der übertragene Sinn von „Sauerteig“ im NT vermittelt vor allem die innere Haltung von autonomer Selbstgenügsamkeit oder von heuchlerischer Selbstgerechtigkeit (vgl. Lk 12,1; 1Kor 5,6-8; Gal 5,9). Die Gegner Jesu haben sich als unverständig erwiesen. Erstaunlicherweise spricht Jesus jetzt mithilfe dieser alttestamentlichen Metaphern auch von der Unverständigkeit und Hartherzigkeit seiner eigenen Jünger (8,17.21), die weder „sehen“ noch „hören“ (8,18), was Gott durch ihn bringt (vgl. 3,5; 6,52).87 I 11 Und die Pharisäer gingen aus und begannen, ihn zu hinterfragen, denn sie forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel, um ihn (so) auf die Probe zu stellen. 12 Und er stöhnte in seinem Geist und spricht: „Warum fordert dieses Geschlecht ein Zeichen? Amen, ich sage euch, diesem Geschlecht wird kein Zeichen gegeben“. 13 Und er verließ sie, stieg wiederum (in ein Boot) und wechselte auf die andere Seeseite.88

85 Vgl. Dalman, Orte, 52f. Weitere Details zur Lokalisierung bei Pesch I 406-407. Pesch I 406 geht aufgrund von Mt 15,39 davon aus, dass „Dalmanuta … durch Glossierung aus Magadan entstanden“ ist. Über eine Konjektur kommen wir hier mangels Evidenz nicht hinaus. So auch Dschulnigg 219. Vgl. Art. Δαλμανουθά [Dalmanoutha], EWNT I, 660. 86 Vgl. die Bemerkungen zur Textüberlieferung bei Nicklas, Skizze, 316-327, hier: 320-322, zu Mk 8,11-21. 87 Vgl. Jes 6,9-10; 42,18-19; 43,8; Jer 5,21; Hes 12,2. Siehe oben, 9. Einführung zu 7,24–8,26 sowie 9.1 Einführung. 88 Lit.: Bayer, Predictions, 111-127; Gibson, Refusal, 37-66; Glombitza, Zeichen, 259-366; Linton, Demand, 112-129; vgl. ferner Hooker, Signs, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch I 410.431 (bis 1980); Guelich 410 (bis 1988).

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II Mk 8,11-13 stellt eine episodische Kontroverse bzw. eine „erweiterte Chrie, d.h. eine Chrienreihe“ dar (Zeichenforderung / Reaktion Jesu / Trennung).89 Kern dieser Kontroverse ist die Doppelaussage Jesu, bestehend aus einer rhetorischen Frage und einer Schwurformel/Amenwort (8,12; vgl. 3,28). III 11 Die gegnerische Absicht der Pharisäer wird immer offensichtlicher. Es kann sich bei ihnen nicht mehr um ein ernsthaftes Bemühen handeln, Jesus, seinen Auftrag sowie seine göttliche Autorisierung recht verstehen zu wollen. Vielmehr beabsichtigen sie, ihn zu hinterfragen (συζητέω [syzēteō] = „ich disputiere“; „ich streite“; vgl. 9,10.14.16; 12,28), um ihn damit zu Fall zu bringen (1,13; πειράζω [peirazō], hier: „ich versuche jmd., um jmd. damit zu Fall zu bringen“):90 Sie begannen ihn zu hinterfragen … um ihn (so) auf die Probe zu stellen. Pace Pesch, der συζητέω [syzēteō] eher neutral als „disputieren“ versteht (mit Verweis auf 9,10.14.16; 12,28; allerdings spricht Pesch ebenso von „Streit“).91 Der angespannte, ja feindschaftliche Gesamtkontext muss bei der semantischen Analyse jedoch mitbeachtet werden, vor allem in Kombination mit dem Begriff πειράζω [peirazō].

Die Forderung eines den außerordentlichen Vollmachtsanspruch Jesu (vgl. 11,27-33) beglaubigenden Zeichens (vgl. 1Sam 2,30-33; 10,1ff; Jes 7,10-13; 1Kor 1,22)92 direkt von Gott (vom Himmel)93 soll, allerdings ohne Änderung des Herzens, allen Zweifel ausschließen. Zunächst scheint diese Forderung legitim zu sein. Nach Rengstorf trägt die Forderung eines Zeichens „in einer erstaunlich präzisen Weise seiner (Jesu) Erscheinung Rechnung“.94 89 Vgl. Guelich 410, der auch andere formale Kategorien erwägt. Zur Chrienreihe, vgl. Berger, Formen, 140.149. Zur Definition der Chrie, s.o. Einleitung, 3.1. Pesch I 406 spricht von einer „Spruchgeschichte“ bzw. einem Apophthegma. Zur Kritik an Bultmanns Apophthegma-Kategorie siehe Berger, Formen, 142-148. 90 Zum Gebrauch von πειράζω („ich versuche“, „ich prüfe“) im Mk Ev. siehe Bemerkungen zu 1,13; 10,2; 12,15 und 14,38. Vgl. Mt 19,3; 22,35; Lk 11,16; Joh 6,6; 8,6. Ein Beispiel für den „positiven“ Gebrauch von πειράζω im Sinne von „ich prüfe“, findet sich z.B. in 2Chron 9,1 LXX. 91 Pesch I 407. 92 Im vorliegenden Kontext handelt es sich um die Forderung eines göttlichen Beglaubigungszeichens. Natürlich können sēmeia (Zeichen) in anderen Zusammenhängen auch Unheilszeichen sein. Dschulnigg 219 verweist diesbezüglich auf Lk 21,11.25; Offb 12,1.3; 15,1. 93 Dschulnigg 219 verweist (mit Pesch I 407 und Gundry 402) auch auf das Pass. div. [dothēsetai] in V. 12. 94 Zitiert nach Pesch I 407 und Anm. 3.

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12 Dieses Geschlecht ist stehender Ausdruck des leidenden Propheten Gottes (vgl. Deut 32,5.20; Ps 94,10 LXX; Jub 23,14-16; vgl. äthHen 93,9).95 Ps 94,10 LXX (= Ps 95,10 MT) verdeutlicht, dass γενεά [genea] (Geschlecht) zwar jeweils eine bestimmte Generation meint („vierzig Jahre“, Ps 94,10a LXX), aufgrund der sich wiederholenden Hartherzigkeit weiterer Generationen (Ps 94,7b.8a LXX) allerdings eine „unheilsgeschichtliche“ Reihe des jeweiligen Geschlechts im Blick ist. Der Ausdruck „dieses Geschlecht“ weist bei Jesus ebenso meist auf die gegenwärtige Generation, jedoch oft im Kontext „anderer Generationen der Hartherzigkeit“ (vgl. vor allem Lk 11,29-32.50-51 par). Aufgrund dieses „unheilsgeschichtlichen“ Kontextes kann γενεά [genea] (Geschlecht) hier (und vor allem in Mk 8,38; 13,30) als „Menschenschlag“ verstanden werden (siehe unten, Bemerkungen zu 8,38; 9,19 und 13,30).

Das prophetische96 Stöhnen bzw. Seufzen Jesu (vgl. 1,41; 3,5; 6,41; 7,34; vgl. Hes 21,11f; Jes 21,2; Joh 11,33; 13,21)97 geschieht angesichts der Hartherzigkeit seiner Gegner. Schon deshalb gewährt Jesus kein übernatürliches Zeichen. Wie bereits erwähnt, ist die Zeichenforderung, oberflächlich betrachtet, plausibel: Angesichts der bisher beschriebenen Machterweise und des Anspruchs Jesu bedarf es einer direkten Autorisierung von Gott. Jesus entspricht dieser Forderung deshalb nicht, weil er die Herzenshaltung der Menschen nie ausblendet (vgl. u.a. den Umkehrruf). Wollten die Gegner mit offenem Herzen wirklich erkunden, wer er ist, könnten sie anhand seiner Taten und seiner Lehre zufriedenstellend erkennen (Erweis, aber nicht Beweis), dass er lediglich von Gott beauftragt sein kann (siehe Lk 2,34). Während Mk eine ausschließlich verneinende Aussage Jesu vermittelt (Gott gibt diesem hartherzigen Geschlecht gewiss kein derartiges Zeichen),98 bezeugen Mt und Lk eine einschränkende Aussage: Kein Zeichen wird gegeben, bis auf das „Zeichen des Jona“ (Mt 12,39 par; Mt 16,4). Wiederum zeigt sich der knappe Stil des Mk Ev. Die Ironie des „Zeichens des Jona“ liegt auf der Hand: Die Pharisäer fordern ein Zeichen des Himmels, d.h., dass Gott direkt und unmittelbar wirkt. Jesus stellt bei den Seitenreferenten lediglich ein „Jonazeichen“ in Aussicht, nämlich seine Auferstehung vom Tod. Das jeweilige Zeichen geschieht an Jona bzw. an Jesus jeweils in der Rettung aus Lebensgefahr bzw. Tod. So wie Jona, vom Fisch gerettet, den Niniviten zum Zeichen

95 Pesch I 408; bemerkt: „Die Umkehrpredigt … ist wie die Verstockung selbst Grund der Zeichenforderung. Die Verweigerung des Zeichens ist zugleich strenger Rückverweis auf die Umkehrforderung“. Zu γενεά [genea] im Sinn einer „letzten Generation“ vgl. 1QHab2,6-7. 96 So Pesch I 408. 97 Schriftverweise bei Pesch I 408. 98 Vgl. Dschulnigg 220 und Anm. 97.

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wird, so wird Jesus, vom Tod auferweckt, den Menschen ein Zeichen.99 Beide Male liegt die Umkehrbotschaft vor; beide Male wirkt das Zeichen nicht unabhängig von der Herzenshaltung der Menschen. Mk widerspricht Mt und Lk deshalb nicht, weil Jesus bei keinem der drei Evangelisten das geforderte Zeichen vom Himmel (d.h. Beweis, unter Ausschluss der Herzenshaltung) gewährt. Mt und Lk berichten somit lediglich weitere Aspekte der Unterredung.100 13 Wiederum macht sich Jesus mit seinen Jüngern (vgl. 8,14) zum Ostufer des Sees (ins Gebiet von Bethsaida, vgl. V. 22) auf.

9.5 Warnung vor dem „Sauerteig“ der Gegner Jesu 8,14-21 I 14 Und sie hatten vergessen, Brote mitzunehmen und hatten (so) bis auf ein Brot nichts bei sich im Boot. 15 Und er schärfte ihnen ein und sagt: „Passt auf und hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und dem Sauerteig des Herodes“. 16 Und sie fragten sich ernsthaft untereinander (ob er meine), dass sie keine Brote bei sich hätten. 17 Und er bemerkt es und sagt zu ihnen: „Warum unterhaltet ihr euch darüber, dass ihr keine Brote habt? Erkennt ihr noch (immer) nicht, versteht ihr noch nicht? Sind eure Herzen in verhärtetem Zustand? 18 Ihr habt Augen und seht nicht und Ohren und hört nicht? Und könnt ihr euch nicht erinnern, 19 als ich die fünf Brote brach für die fünftausend, wie viele Körbe voll von Brotstücken ihr (da) aufgesammelt habt?“ Sie antworten ihm: „Zwölf“. 20 „Als ich die sieben (Brote brach) für die viertausend, wie viele Körbe voll von Brotstücken habt ihr (da) aufgesammelt?“ Und sie sagen (ihm): „Sieben“. 21 Und er sprach zu ihnen: „Versteht ihr noch nicht“?101 II Mk 8,14-21 ist eine dreiteilige Unterweisung der Jünger: 1. Situation (8,14.16); 2. Warnung Jesu (8,15); 3. Dialog über das Unverständnis der Jünger, zusam-

99 Vgl. Details bei Bayer, Predictions, 110-148; pace Pesch I 409. 100 Es ist daher müßig zu fragen, ob Lk 11,29 oder Mk 8,12 „primär“ ist. Siehe ferner markinische, absolute Aussagen, die dann doch eingeschränkt werden; z.B. Mk 6,5: „Und er konnte dort nicht eine einzige Tat tun, außer daß er wenigen Kranken die Hände auflegte und sie heilte“ (Luther 1984). 101 Lit.: Siehe oben, Lit. zu Exkurs 4: „Die Pharisäer“; vgl. ferner Bayer, Predictions, a.a.O. Weitere Lit. bei: Pesch I 415.431 (bis 1980); Guelich 417 (bis 1988).

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men mit rhetorischen Fragen sowie Frage und Antwort (8,17-21).102 Berger bezeichnet 8,14-15 als „Chrienreihe“.103 III 14-15 Die Bemerkung: und (sie) hatten bis auf ein Brot nichts bei sich im Boot104 bereitet die folgende Unterredung (14-21) vor. Dabei geht es bei den Jüngern um das Missverständnis, den Begriff Sauerteig (V. 15) wörtlich zu verstehen, während Jesus davon im übertragenen Sinn spricht. 15 Jesus spricht emphatisch und warnend: „Passt auf und hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und … des Herodes“. Der Begriff διαστέλλομαι ([diastellomai] „ich befehle“; „ich ordne an“; „ich warne“; „ich beauftrage“) leitet bei Mk u.a. Schweigegebote ein (5,43; 7,36; 9,9).105 Die Interpretation der übertragenen Vorstellung von Sauerteig muss in der vorliegenden Aussage sowohl auf Pharisäer als auch auf Herodes Antipas anwendbar sein.106 Im späteren rabbinischen Judentum wird diese Metapher jedenfalls für die boshafte, innere Haltung eines Menschen gebraucht.107 Der übertragene Gebrauch von Sauerteig beinhaltet jedoch bereits im NT „Heuchelei“ (Lk 12,1), „sich selbst rühmen“, „Bosheit“ und „Schlechtigkeit“ (1Kor 5,6-8) sowie „Selbstgerechtigkeit“ (Gal 5,9). „Sauerteig“ ist hier eine alles durchdringende,108 verhärtete und ungläubige Herzenshaltung (V. 17), die das wahre Erkennen (vgl. V. 18.21) der Person Jesu (vgl. 19-21) prinzipiell verhindert. Was verbindet jedoch Herodes mit den Pharisäern? Viele Pharisäer verfolgen, trotz gegenteiliger Stimmen in der neueren Forschung, eine Grundhaltung der anthropozentrischen Religiosität (siehe Exkurs 4). Zwar trifft zu, dass nicht alle Pharisäer Heuchler sind; als Gruppe vertreten sie jedoch, wie alle Fraktionen im palästinischen Judentum, z.B. eine kasuistische anstatt einer ontologischen Hamartologie. Das bedeutet, dass sie das autonome Befolgen des Gesetzes wie Saul vor seiner Bekehrung als „machbar“ (vgl. Phil 3,6: bezüglich der Gerechtigkeit im Gesetz vollkommen, κατὰ δικαιοσύνην τὴν ἐν νόμῳ 102 Vgl. Guelich 419. Weitere Details bei Pesch I 412. 103 Berger, Formen, 140.149. Zur Definition der Chrie, s.o. Einleitung, 3.1. 104 Siehe oben die Einzelbemerkungen zu Mk 1,19-20. 105 Vgl. Pesch I 413. 106 Die übertragene Bedeutung von „Sauerteig“ verweist im AT u.a. auf „Eile“ (Ex 12,15-17) inmitten von Gottes Gericht über Ungerechtigkeit; vgl. Keener, Background, 155. Pesch I 413, spricht mit Verweis auf Lk 12,1 von „Denkungsart“. 107 Vgl. Dschulnigg 222 mit Verweis auf Gnilka I 310 und Billerbeck, Kommentar, I 728-729. 108 Siehe jedoch den positiven und übertragenen Sinn von „Sauerteig“ im Sinn von „alles mit Gutem durchdringen“ in Mt 13,33. Jesus vergleicht dort das sich ausbreitende Himmelreich Gottes mit der Dynamik des Sauerteigs.

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γενόμενος ἄμεμπτος [kata dikaiosynēn tēn en nomō genomenos amemptos]; vgl. Phil 3,9) einschätzen.109 Jesu Warnung, auf den Sauerteig der Pharisäer achtzugeben, weist eben auf dieses Problem der Autonomie, des Selbstbezugs, der Selbstgerechtigkeit, des Befolgens von Gottes Geboten aus eigener Kraft (vgl. Gal 5,9; Phil 3,9 stellt den Gegensatz zwischen „Vertrauen“ und „der eigenen Gerechtigkeit aus dem Gesetz“ besonders in den Vordergrund). Eine derartige Haltung kann sehr gottesfürchtig aussehen und ist doch ganz und gar auf sich selbst gestellt (vgl. die Einzelauslegung zu Mk 7,1ff). Sie unterschätzt dabei das ernste Gewicht der Sündhaftigkeit (pondus peccati) vor Gott. Die rechte Haltung z.Z. Jesu repräsentieren im Gegensatz hierzu z.B. Simeon und Hanna, die zwar das Gesetz zu befolgen suchen und den Opferkultus praktizieren, immer jedoch nach dem Erlöser bzw. der Erlösung Ausschau halten (Lk 2,29-35.36-38). Sie sehen stets ihre eigene Not (vgl. 2,17; siehe Joh 7,37b; Offb 3,15-20). Der Sauerteig des Herodes ist etwas anders geartet. Herodes Antipas steht in enger Verbindung mit den römischen Machthabern und ist von ihnen abhängig. Er handelt als Opportunist und übt seine begrenzte Macht in Eigeninteresse aus (d.h. u.a. auf Kosten des Volkes; vgl. die Spannung mit Pilatus, Lk 23,12). Herodes hatte z.B. Johannes den Täufer ins Gefängnis geworfen, weil dieser sein unmoralisches Leben anprangerte. Der Sauerteig des Herodes ist somit im Unterschied zu den Pharisäern viel offensichtlicher als Verfolgen der Eigeninteressen identifizierbar.110 Was Herodes und viele Pharisäer miteinander verbindet, ist die Tatsache, dass sie in Autonomie leben und aus eigener Kraft bzw. nach eigenen Maßstäben handeln, einschließlich in ihrer Eischätzung von Jesus.111 Sowohl die Pharisäer als auch Herodes suchen ein Zeichen, welches die Vollmacht Jesu ohne Herzensänderung bestätigen soll (vgl. Mk 8,11-13; Lk 23,8). Dadurch wird deutlich, dass sie einen festgelegten Standpunkt einnehmen und Jesus aus dieser unwandelbaren Perspektive „beurteilen“. Damit vermeiden Herodes und die Pharisäer, sich jeweils kritisch mit ihrem eigenen, autonomen Standpunkt auseinanderzusetzen (Entfremdung von Gott, die sich u.a. in Unglauben, anthropozentrischer Religiosität, Opportunismus, unmoralischem Verhalten und Abweisung von Jesus zeigt). Pesch spricht hier weniger überzeugend lediglich von der „pharisäischen davidisch-politischen Messiasvorstellung“ sowie von den „politischen Ambitionen des Herodes“.112 Vielmehr kümmern sich weder 109 Man beachte den selbstkritischen Kontext von Phil 3,6. 110 Siehe Dschulnigg 222-223 zu weiteren Interpretationsmöglichkeiten der Metapher. 111 Dschulnigg 223 interpretiert die Sauerteigmetapher als „Widerstand und Todesfeindschaft gegen Jesus“. 112 Pesch I 413.

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die Pharisäer noch Herodes um das Grundproblem ihrer Existenz, auf welches Jesus mittels der Metapher „Sauerteig“ hinweist. Allerdings sind nicht nur die Pharisäer und die Anhänger von Herodes Antipas von einer derartigen Einstellung ergriffen (vgl. ferner 3,5; 4,12),113 sondern auch die Jünger. Jesus warnt somit auch seine Jünger (passt auf und hütet euch) vor einer derartig festgefahrenen, verhärteten und selbstsicheren Perspektive (vgl. Mt 16,5-12). Ihr unverständiges und unbewegliches Verhalten Jesus gegenüber legt nahe, dass sie ebenso von diesem „Sauerteig“ befallen sind. Die innere Haltung der Hartherzigkeit äußert sich z.B. in Selbstsicherheit und in heuchlerischer Selbstgerechtigkeit (vgl. V. 17), die die Wahrnehmung der eigentlichen Person Jesu und des eigenen, notvollen Zustands vor Gott behindert (V. 18-21). Der „Vorteil“, den die Jünger haben, ist lediglich die Tatsache, dass sie nach wie vor unter dem Einfluss Jesu stehen. Dies unterscheidet sie vor allem anderen von den Pharisäern und Herodianern. 16-17 Das Missverständnis der Jünger: Sie fragten sich ernsthaft untereinander (ob er meine), dass sie keine Brote bei sich hätten (vgl. 9,33), ist schwer verständlich, unterstreicht jedoch die Notwendigkeit der Warnung Jesu. Sie bleiben gerne am Sichtbaren hängen, ohne tiefere, unsichtbare, von Gott gegebene Wahrheiten zu ergründen. Jesus dagegen sieht auf das Herz seiner Jünger (vgl. 2,8). Letztendlich fällt es den Jüngern schwer, die überragende Größe und Bedeutung dessen, der sie lehrt, zu erfassen (erkennt ihr noch … nicht, versteht ihr noch nicht?) und sich folglich von ihm ganz prägen zu lassen. Das ist der „Sauerteig“, das ist das verhärtete Herz, vor dem sie Jesus warnt. Es besteht eine Verbindung zwischen Brote und der Aussage Jesu: Die Brotvermehrungen sind Hinweise auf die Vollmacht Jesu und seine außerordentliche Identität. Brotvermehrung im wörtlichen Sinn ist Hinweis auf Jesus. „Sauerteig“ im übertragenen Sinn ist menschlicher Widerstand gegen diesen Hinweis (vgl. Jes 29,9-10; 42,19-20; 44,18; Hes 12,2114). 18 Ihr habt Augen und seht nicht und Ohren und hört nicht? (vgl. 4,12; Jes 6,9-10). In 4,12 ist das Ausbleiben von „Sehen“ und „Hören“ (im übertragenen Sinn) Ausdruck von Verhärtung. So auch hier: Die Aussage erinnert an Jer 5,21-22a LXX (ἀκούσατε δὴ ταῦτα λαὸς μωρὸς καὶ ἀκάρδιος ὀφθαλμοὶ αὐτοῖς καὶ οὐ βλέπουσιν ὦτα αὐτοῖς καὶ οὐκ ἀκούουσιν 22 μὴ ἐμὲ οὐ φοβηθήσεσθε λέγει κύριος [akousate dē tauta laos mōros kai akardios ophthalmoi autois kai ou blepousin ōta autois kai ouk akouousin mē eme ou phobēthēsesthe legei kyrios]; vgl. Hes 12,2). Während Jes 6,9-10 in 4,10-12 auf die Hartherzigkeit 113 Verweis bei Dschulnigg 223. 114 Keener, Background, 155.

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derjenigen hinweist, die „draußen“ sind, wendet Jesus die Anspielung auf Jer 5,21 hier auf seine hartherzigen Jünger an.115 Er warnt sie somit, ihre eigene Hartherzigkeit und Unbeweglichkeit (vgl. 7,14-18; 10,10-12) neben der der Pharisäer und Herodianer (vgl. 12,12) nicht zu unterschätzen.116 Ferner verweist das chiastisch angeordnete „Sehen“ und „Hören“ auf die Blindenheilung (8,22-26; Augen) bzw. die Heilung des Taubstummen (7,31-35; Ohren). Die einzige Hoffnung, die die Jünger letztendlich im Gegensatz zu den Gegnern Jesu haben, ist, dass sie „bei Jesus bleiben“ und unter seinem Einfluss schrittweise von ihrer Hartherzigkeit bzw. durch seinen stellvertretenden Tod von ihrer Schuld befreit werden. 19-21 Die Unfähigkeit der Jünger Jesu, die Bedeutung der Brotvermehrungen recht zu verstehen, weist somit auf Hartherzigkeit hin. Insgesamt sind 8,14-21 als Warnung der Jünger vor ihrer selbstbezogenen Herzenshaltung zu verstehen.117 Der erste Schritt zur Erneuerung ist die durch Jesus ausgelöste Selbsterkenntnis. Ferner unterstreichen die V. 19-20, dass, nach Mk, zwei Brotvermehrungen stattfanden.

9.6 Zweistufige Blindenheilung 8,22-26 Jesus unterstreicht die Tatsache, dass auch seine engsten Jünger im übertragenen Sinn „taub“ und „blind“ sind. Durch die barmherzige Heilung des Taubstummen (7,32-35) und die zweistufige Heilung des Blinden (8,22-26; vgl. 10,46-51) hält er ihnen den Spiegel ihres inneren Zustandes vor. Diese zwei Heilungswunder werden ausschließlich im Mk Ev. erwähnt.118 Es handelt sich hierbei sowohl um messianische Heilungswunder (vgl. Jes 61,1-2a) als auch um warnende Lehrhandlungen den Jüngern gegenüber (8,15.17-18.21). Dies wird z.B. aufgrund der häufigen Wiederholung von Seh-Begriffen in Mk 8,2226 angedeutet (siehe Bemerkungen zu 8,22-26). Als prophetische Handlungsreden („prophetic speech-acts“) entblößen sie die innere Haltung der Jünger. Diese Art der Lehre greift alttestamentliche, prophetische Gepflogenheiten auf, wo im übertragenen Sinn wiederholt von „Blindheit“ gesprochen wird (siehe unten). Das Verständnis der Jünger ist höchstens vergleichbar mit dem Sehvermögen des halbwegs geheilten Blinden, der Menschen lediglich „wie 115 Vgl. ähnlich, Guelich 201. 116 Pace Guelich 201, der diese thematische Linie falsch einschätzt und deshalb unnötigerweise eine markinische Inkongruenz konstatiert. 117 So auch Pesch I 415. 118 Siehe oben, 9. Einführung zu 7,24–8,26 sowie 9.1 Einführung.

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sich bewegende Bäume“ sieht (8,24). Eine derart enge Sichtweise schließt das göttlich inspirierte aber „menschlich“ verstandene Messiasbekenntnis des Pet­ rus mit ein (8,29; vgl. Mt 16,17). Zusammen mit den übrigen Jüngern verbindet Petrus hier ein wahres Messiasbekenntnis mit verschiedenen Formen traditioneller, menschlicher Messiaserwartungen (8,33).119 I 22 Und sie kommen nach Bethsaida. Und sie bringen zu ihm einen Blinden und bitten darum, dass er ihn berühre. 23 Und er nahm den Blinden bei der Hand, führte ihn aus dem Dorf hinaus und rieb Speichel in seine Augen, legte (seine) Hände auf ihn und fragte ihn: „Was siehst du?“ 24 Und er blickte auf und sagte: „Ich sehe die Menschen dergestalt umherlaufen, dass sie wie Bäume aussehen“. 25 Dann legte er wiederum die Hände auf seine Augen, und er konnte (nun) deutlich sehen, war ganz geheilt und begann, alles scharf ins Auge zu fassen. 26 Und er hieß ihn nach Hause gehen und sagt: „Geh nicht hinein in das Dorf“.120 II Form und Aufbau. Mk 8,22-26 (nur bei Mk) ist wiederum eine Wundererzählung (vgl. den Aufbau des markinischen Sonderguts in 7,31-37).121 Auffällig ist der eigentliche Heilungsabschnitt, der, für die Synoptiker einmalig, als zweistufig geschildert wird.122 Kontext. Bemerkung zum Gesamtlehrinhalt von 7,31–8,26. Insgesamt fällt auf, dass die kurze Erzählung (8,22-26) durch betonte und sich steigernde Wiederholung der „Sehbegriffe“ (siehe unten) sowie durch die zweistufige Heilungshandlung über sich selbst hinausweist und sich somit nahtlos in den vorhergehenden Kontext der geistlichen Blindheit der Jünger einfügt (vgl. besonders 8,17-21). Es liegen hierbei nicht weniger als neun Verweise auf das Thema „Blindheit/Sehen“ vor: U.a. τυφλὸν [typhlon]; τὰ ὄμματα [ta ommata]; βλέπεις [blepeis]; ἀναβλέψας [anablepsas]; ὀφθαλμοὺς [ophthlamous]; διέβλεψεν [dieblepsen]; ἐνέβλεπεν [eneblepen]. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass die Heilung des Taubstummen (7,31-35; vgl. Jes 35,5-6) und die zweistufige Heilung des Blinden (8,22-26) 119 Siehe oben, Einleitung, 4.1.2; vgl. Einleitung 4.1.1. 120 Lit.: Best, Following, 134-139; Blackburn, Theios Anēr, 191; Johnson, Mark, 370-383; Lang, Kompositionsanalyse, 1-24, hier: 7; Williams, Followers, 130-132. Weitere Lit. bei: Pesch I 421.431 (bis 1980); Guelich 428 (bis 1988). 121 Guelich 429. Pesch I 416, spricht von einer „Heilungs-Wundererzählung“. 122 Guelich 430. Pesch I 416, spricht deshalb von „Therapie“.

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als thematische inclusio für Jesu Warnung vor dem „Sauerteig“ der inneren Verhärtung ihm gegenüber dient. Die Heilungen, die Jesus aus Barmherzigkeit vollbringt (vgl. Ps 146,8; Jes 29,18; 35,5),123 dienen zusätzlich im übertragenen Sinn auch als Indiz für die Fähigkeit Jesu, Menschen zum rechten „Hören“ und „Sehen“ der Dinge Gottes zu verhelfen. Ebendas ist es, was die Jünger Jesu (sowie seine Gegner) so dringend benötigen. Dagegen dienen die Brotvermehrungen (neben Barmherzigkeit) eher dazu, die Identität Jesu zu beleuchten (vgl. etwa 8,19-21).124 Das bedeutet für Mk 7,31–8,26, dass die konkreten, historischen Wunderereignisse zugleich Hinweise auf Jesu Identität (Brotvermehrung) sind und in übertragenem Sinn auf den inneren, bedürftigen Zustand der Jünger Jesu (Heilung des Taubstummen und des Blinden) verweisen. Die Wunder Jesu in Mk 7–8 sind somit zusätzlich als zeichenhafte Lehrhandlungen Jesu zu verstehen, wie etwa das Handeln der atl. Propheten Jona und Hosea.125 Die zweistufige Heilung ist somit keineswegs Ausdruck der „Schwachheit“ Jesu (vgl. die direkte Heilung eines Blinden in Mk 10,52), sondern hat ausschließlich einen heuristischen Grund. Die Jünger sind im Hinblick auf ein angemessenes Verständnis Jesu und seiner Botschaft wie Taubstumme und Blinde. Nur Jesus kann sie vor „Taubheit“ und „Blindheit“ ihm gegenüber (und damit dem Willen Gottes) retten (vgl. Jes 61,1-2a und Jes 43,8). Die Aussage von Mk 4,11 wird hier also einprägsam illustriert (vgl. Jes. 6,9-10) und dahingehend weitergeführt, dass zur Heilung des Herzens bleibende Gemeinschaft mit Jesus grundsätzlich notwendig ist. Hier wird erneut deutlich, dass zwischen den unverständigen Jüngern und den hartherzigen Gegnern Jesu kein sehr großer Unterschied besteht (vgl. 8,17-21). Die hoffnungsvollere Situation der Jünger (im Gegensatz zu Jesu Gegnern) beruht einzig auf der Tatsache, dass sie Gemeinschaft mit Jesus pflegen und unter seinem Einfluss stehen (vgl. Mt 13,16-17). Es ist möglich, die folgende Perikope Mk 8,27-33 mit der zweistufigen Heilung des Blinden dahingehend in Verbindung zu bringen, dass das Mes­ sias­bekenntnis des Petrus (8,29) dem Stadium entspricht, in dem sich der halbwegs geheilte Blinde befand (8,24). So, wie der halbwegs Geheilte die Menschen nur ganz grob ausmachen kann, so ist das Messiasbekenntnis des Petrus zwar wahr (vgl. Mt 16,17), jedoch in Hinblick auf das stellvertretende Leiden des messianischen Menschensohnes und seiner Erhöhung in beträchtlichem 123 So Lane 286. 124 Vgl. zur übertragenen („symbolischen“) Interpretation von Mk 8,15 sowie 6,30-44.8,1-10, Berger, Formen, 312. 125 Keener, Background, 156 verweist ferner auf Jes 20,2-6; Jer 19,1-15; Hes 4,1-5,17; 12,1-11.

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Maß korrekturbedürftig bzw. „verschärfungsbedürftig“. Was allerdings vor allem hervorzuheben ist, ist die Tatsache, dass nur mit Jesus der Weg von geistlicher Taubheit und Blindheit hin zu wahrem Hören und Sehen zu finden ist. Es wird deutlich, dass geistliches „Hören“ und „Sehen“ direkt mit der Frage zusammenhängt, wie Jesus in seiner Identität und seinem Handeln aufgefasst und aufgenommen wird. Wer recht „hören“ und „sehen“ will, muss eine offene Herzenshaltung zum einmaligen, messianischen Knecht und Menschensohn Jesus haben und sich vertrauend von ihm prägen und ändern lassen. III 22-26 Die zweistufige Heilung des Blinden (vgl. 10,46.49.51) ist markinisches Sondergut und unter den Wundererzählungen der vier kanonischen Evangelien (sowie generell auch im weiteren Kulturraum)126 einmalig. Zur Formulierung vergleiche die Ähnlichkeiten zu 7,32ff (Heilung des Taubstummen). Der Messias Gottes heilt den Blinden aus Barmherzigkeit (vgl. Ps 146,8; Jes 29,18; 35,5; 61,1-2a) sowie als veranschaulichendes Lehrmittel für die innere Haltung der Jünger. Jesu außergewöhnliche Frage Was siehst du? mag z.T. wegen der Herzenshaltung der Jünger gestellt worden sein. Im Kontext von 7,31–8,26, vor allem aufgrund der direkten Aussagen über die Hartherzigkeit der Jünger in 8,17-21, bietet die Antwort des halbwegs geheilten Blinden einen Vergleichspunkt zur inneren Haltung der Jünger. Wie der halbwegs geheilte Blinde, so ist das „Sehvermögen“ der Jünger hinsichtlich Jesus und ihrer eigenen, inneren Verfassung sehr begrenzt. Dieses unscharfe „Sehvermögen“ schließt auch das Messiasbekenntnis des Petrus (8,29) mit ein. Der Grund hierfür ist die Tatsache, dass Petrus den vor ihm stehenden Messias immer noch in die „Gussform“ herkömmlicher, politischer Messiaserwartungen zwängen will. Er hat noch nicht den Blick für den Messias Gottes als stellvertretend leidenden Menschensohn und Hirtenkönig (8,31; 10,45; Jes 53) sowie als erhöhten Herrn (8,28; 14,62; Ps 110,1). Weil Jesus durchaus in der Lage ist, einen Blinden in einem Handlungsgang zu heilen (vgl. 10,46-52), ist es wahrscheinlich, dass er hier absichtlich in zwei Stufen heilt (siehe πάλιν [palin] = „wieder“, V. 25), um dadurch seine Jünger mit ihrer eigenen Herzensverfassung zu konfrontieren. Diese Annahme wird u.a. durch die Tatsache bekräftigt, dass der knappe Abschnitt von Mk 8,22-26 nicht weniger als neun Sehbegriffe enthält (siehe oben, II Kontext; vgl. ebenso Mt 13,13-17). Jesus verfolgt mit der zweistufigen

126 Keener, Background, 156, betont, dass Berichte von zweistufigen Heilungen nur selten belegt sind.

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Heilung u.a. die Spiegelung der inneren Blindheit der Jünger.127 Es liegt nahe, dass Jesus hierbei wie ein alttestamentlicher Prophet handelt, der seine Rede mit Beispielhandlungen (sog. speech-acts) unterstreicht.128 Ebenso finden sich im AT häufig Verweise auf das übertragen gemeinte „Sehen“ bzw. die „Blindheit“ des Herzens (vgl. z.B. Ps 146,8; Jes 29,18; 35,5-6). Allein durch den intensiven und umfassenden Einfluss Jesu auf die Jünger wird die durch den Sündenfall gebrochene Gottesauffassung (inkl. Messiaserwartung) und Selbsteinschätzung schrittweise geheilt (vgl. Jes 43,8; 61,1-2). Während die zweistufige Heilung des Blinden eher die gebrochene und unzulängliche „Blindheit“ der Perspektive der Jünger hervorhebt (vgl. 4,11; Offb 3,17), betonen die Speisungswunder eher die Unfähigkeit der Jünger, die überragende Person Jesu angemessen einzuordnen. Dabei ist zu beobachten, dass die unzulängliche Sicht Gottes sowie die mangelhafte Selbsteinschätzung eng miteinander verbunden sind. Petrus wird in beiden Bereichen nur langsam Fortschritte machen (siehe unten, 10.4, IV zu 8,27–9,29; vgl. 8,29; 14,72; Apg 2,36; 1Petr 2,21-25; 3,18).129 22 Jesus befindet sich mit seinen Jüngern nach wie vor am Ostufer des Sees in der Tetrarchie des Philippus; er geht in diesem Gebiet sowohl nach Bethsaida (vgl. 6,45)130 und schließlich auch nach Caesarea Philippi (8,27), wo der Jordan seinen Ursprung hat. 23 Wiederum trennt Jesus den Patienten von der Menge (führte ihn aus dem Dorf131 hinaus, vgl. 5,35-43; 7,33).132 Wiederum benutzt Jesus Speichel (vgl. 7,33; Joh 9,1-11).133 Die Tatsache, dass Jesus den Blinden in beiden Stadien des Heilungsprozesses berührt (vgl. 8,23.25) aber nur am Anfang Speichel verwendet (vgl. V. 25; siehe 7,33), lässt vermuten, dass die Person und die Macht Jesu im Mittelpunkt stehen (vgl. 10,52) und nicht die mögliche aber

127 Eine derartige Beobachtung kann auch die philosophische Frage einer tragfähigen Epistemologie tangieren. Vgl. z.B. Johnson, Biblical Knowing, passim und Johnson, Epistemology, passim. 128 Vgl. Jes 20,2-6; Jer 19,1-15; Hes 4,1-5.17; 12,1-11; Hos 1,2-11. Siehe Jona 2,10 in Verbindung mit Jona 3,4. 129 Vgl. Details bei Bayer, Theology, 41–98 und Bayer, Peter, 211-267. 130 Siehe Details zu Bethsaida bei Pesch I 417 und Dschulnigg 225 mit Anm. 119. 131 Das Dorf (kōmē) Bethsaida (8,23.26) wird in Mt 11,20 und Joh 1,44 Stadt (polis) genannt. Dschulnigg 225, Anm. 119 zitiert Theissen, Wundergeschichten 131: Bethsaida war „keine Polis im rechtlichen Sinn, sondern Hauptstadt einer Toparchie“. 132 Vgl. im Gegensatz hierzu, 1,23-28; 3,1-5; 9,14-27 und 10,46-52: so Lane 284. 133 Pesch I 418 und Anm. 9 und 11, betont, dass die Benutzung von Speichel zur Blindenheilung weit verbreitet ist (mit Angabe von außerbiblischen Belegen, z.B. Vespasians Heilung eines Blinden aus Alexandrien). Allerdings gilt eine Blindenheilung immer als Wunder.

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begrenzte Heilkraft von Speichel.134 Jesu Frage nach dem Befinden des Patienten („Was siehst du?“) ist im gesamten Bestand der Wundererzählungen der vier kanonischen Evangelien einmalig.135 Einmalig ist ferner die Tatsache der zweistufigen Heilung und der doppelten Handauflegung (vgl. zur Handauflegung 5,23; 7,32).136 24 Die Antwort: „Ich sehe die Menschen dergestalt umherlaufen, dass sie wie Bäume aussehen“ erlaubt den Rückschluss, dass der Patient eventuell nicht von Geburt an blind gewesen ist. Er kann nun, allerdings noch undeutlich, sehen.137 25 Sobald Jesus zum zweiten Mal die Hände auf die Augen des Patienten legt (πάλιν ἐπέθηκεν τὰς χεῖρας [palin epethēken tas cheiras]), kann er (wieder) scharf bzw. klar (τηλαυγῶς [tēlaugōs; das Adverb erscheint im NT nur hier]) und andauernd sehen (durativer Aspekt, ἐνέβλεπεν [eneblepen]). Die Erzählweise mag den Leser darauf aufmerksam machen, dass der Heilungsprozess, richtig sehen zu können, schwierig ist. 26 Ein mildes, indirektes Schweigegebot (geh nicht hinein in das Dorf, vgl. 1,43; 5,43; 7,36) schließt die Perikope ab. IV zu 7,24–8,26 Ziel. Anknüpfend an das Thema „Reinheit-Unreinheit“, zeigt sich die Heidin als Jesus demütig Vertrauende und beschämt damit die Gegner und Jünger Jesu. Trotzdem weiß sich Jesus nach alttestamentlichem Muster zuerst zum jüdischen Volk gesandt, bevor auch die Heiden die gute Botschaft erfahren und erleben dürfen. Der beunruhigende Vergleich zwischen den Gegnern Jesu und seinen Jüngern wird sodann fortgesetzt. Jesus warnt seine Jünger vor der Selbstbezogenheit (Metapher des „Sauerteigs“) seiner Gegner (8,15) und konfrontiert sie zugleich mit der Tatsache, dass sie ebenso unter dieser Selbstbezogenheit leiden. Siehe die Metaphern der „Taubheit“ (vgl. die Heilung des Taubstummen) und der „Blindheit“ (vgl. die Heilung des Blinden; 8,17-18.21b). Die zweistufige Blindenheilung signalisiert die zweistufige Erkenntnis des Messias Gottes seitens der Jünger: Alles, was die Jünger über Jesus vor seinem Tod und seiner 134 Siehe z.B. den römischen Schriftsteller Plinius (der Ältere, 23/24–79 n.Chr.), Naturgeschichte 7,125, der die heilende Wirkung von Speichel beschreibt. 135 Vgl. hierzu Pesch I 418 (Jesus erkundigt sich nach dem Befinden wie ein Arzt), mit Verweis auf Lohmeyer 159. 136 Vgl. Lane 285. 137 Pesch I 419 verweist auf eine außerbiblische Parallele, in der ein stufenweise geheilter Blinder in einem Traumgesicht Bäume sieht. Pesch betont die genealogische Unabhängigkeit der zwei Berichte.

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Auferstehung tatsächlich aufnehmen, entspricht dem halb geheilten Blinden. Volles „Sehen“ erfolgt erst, wenn Jesus seinen Jüngern nach seiner Auferstehung erneut begegnet und sie sodann mit dem Heiligen Geist tauft (Apg 2,33). Kontextualisierung und Anwendung. Das Thema der inneren Haltung (sowohl bei den Jüngern als auch bei den Gegnern Jesu) wird fortgeführt. Während der Abschnitt über die syrophönizische Frau vor allem die Tatsache hervorhebt, dass Jesus die befreiende, messianische Herrschaft Gottes zuerst seinem jüdischen Bundesvolk mitzuteilen hat, wird doch deutlich, dass die demütige Haltung der Frau etwas über ihre Herzensverfassung aussagt: Im Gegensatz zu den Gegnern Jesu ist hier eine Frau, die demütig mit dem Eingreifen Jesu rechnet und ihn um die Befreiung ihres Kindes bittet. Der große Abschnitt 7,32–8,26 dient im Leben der Jünger und dem des Lesers dazu, die subtile, alles durchdringende Kraft des anthropozentrischen, vom Schöpfer entfremdeten Lebensansatzes weiter bloßzustellen (in Fortführung von 7,1-23). Jesus handelt am Taubstummen und am Blinden zunächst aus Barmherzigkeit. Zugleich (und vor allem) prägt Jesus seinen Jüngern damit ein, dass auch sie im übertragenen Sinn immer noch „taub“ und „blind“ sind. Die wiederholten (und daher emphatischen) Kernfragen Jesu in Mk 8,17.18.21b machen dies unmissverständlich deutlich: V. 17 Erkennt ihr noch (immer) nicht, versteht ihr noch nicht? Sind eure Herzen in verhärtetem Zustand? V. 18 Ihr habt Augen und seht nicht und Ohren und hört nicht? V. 21b Versteht ihr noch nicht? Jesus verweist direkt auf die zwei Speisungen (der Fünftausend und der Viertausend) in Verbindung mit dem Sinnbild des „Sauerteigs“ der Schriftgelehrten und des Herodes. Die Speisungen (vor allem die zweite) hätten den Jüngern deutlich machen sollen, dass der Nachfolger Jesu immer und überall mit der Gegenwart und dem Wirken Jesu rechnet. Wir wiesen bereits darauf hin, dass diese Art von Hartherzigkeit trotz des außergewöhnlichen Eingreifens Gottes nicht neu ist. Ps 81,10-13 spricht z.B. von der Tatsache, dass das Volk Israel trotz der wunderbaren Rettung aus der Knechtschaft in Ägypten nicht gewillt ist, auf Gott zu hören. Das Wunder öffnet keineswegs die Herzen für Gott. Die sich der Gegenwart und Vollmacht Jesu diametral widersetzende Selbstbezogenheit („Sauerteig“) blendet eben diese Abhängigkeit Jesus gegen-

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über aus.138 Der übertragene Gebrauch von „Sauerteig“ beinhaltet „Heuchelei“ (Lk 12,1), „sich selbst rühmen“, „Bosheit“ und „Schlechtigkeit“ (1Kor 5,6-8) sowie „Selbstgerechtigkeit“ (Gal 5,9). Diese Attribute weisen allesamt einen selbstbezogenen Lebensansatz auf. Die Brotvermehrung im wörtlichen Sinn ist Verweis auf die Vollmacht Jesus. „Sauerteig“ im übertragenen Sinn ist Widerstand gegen die bedeutsame Gegenwart und den Willen Jesu. Deshalb gewährt Jesus auch seinen Gegnern kein „Zeichen des Himmels“,139 keine „Evidenz jenseits allen Zweifels“, weil die innere, autonome, entfremdete, krankhafte, moralisch verantwortliche Haltung des Menschen dadurch keineswegs behoben wird (vgl. Ps 81,10-16). Jesus warnt seine Nachfolger damals wie heute vor dieser gefährlichen Verhärtung des Herzens (8,17). Die Gegner Jesu gehen von ihrer festgelegten Haltung aus. Aus ihrer Sicht muss sich Jesus in dieses Schema einfügen lassen. Jesus hingegen fordert die Pharisäer und Herodes heraus, sich selbst in Wahrheit zu sehen. Sie gewähren allerdings keinen Raum für diesen Spiegel Gottes. Letztendlich ist dies das Grundproblem menschlicher Existenz: Das menschliche Erleben (Postmoderne) und der menschliche Verstand (Moderne) kämpfen autonom und normativ um die eigene Unabhängigkeit, die eigenen Ziele, Absichten und Erfahrungen, auch wenn dies mitunter einen religiösen Anstrich bekommt. Angesichts der autoritativen Gegenwart Jesu werden die autonomen Motive der Pharisäer, des Herodes, der ersten Jünger und der heutigen Nachfolge bloßgelegt. Jesus erweist sich zunächst als der, der die Herzenshaltung seiner Gegner als Eigeninteresse und Selbstbezug offenlegt. Opposition gegen Jesus erweist sich als Verteidigung der eigenen Autonomie und als Selbstschutz. So liegt es nahe, den Herausforderer zu beseitigen um „in Ruhe“ autonom weiterleben zu können. C.S. Lewis hat dieses Phänomen folgendermaßen beschrieben: “To love at all is to be vulnerable. Love anything, and your heart will certainly be wrung and possibly be broken. If you want to make sure of keeping it intact, you must give your heart to no one, not even to an animal. Wrap it carefully round with hobbies and little luxuries; avoid all entanglements; lock it up safe in the casket or coffin of your selfishness.

138 Vgl. Dostojewskij, Karamasow, 332-357; der Großinquisitor spricht zum erschienenen Christus (ders., aaO., 337): „Warum bist Du gekommen, uns zu stören?“ 139 Dies gilt auch für die Seitenreferenten, in denen Jesus vom Zeichen des Jona spricht. Vgl. Bayer, Predictions, 110-148.

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But in that casket safe, dark, motionless, airless it will change. It will not be broken; it will become unbreakable, impenetrable, irredeemable”.140

Der Nachfolger ist selbst nicht besser als der Gegner Jesu. Die Hoffnung auf ein offenes Herz, auf geistliches Erfassen – und Vertrautheit mit – der Person Jesu, die Hoffnung auf Befreiung von Gottlosigkeit, liegt einzig und allein in der prägenden Gemeinschaft mit Jesus (und damit mit dem Vater und dem Heiligen Geist).141 Diese Gemeinschaft erfolgt aufgrund des glaubenden Annehmens seines stellvertretenden Todes. Vielleicht weiß man heute mehr über Jesus als die ursprünglichen Jünger, aber es liegt in der menschlichen Natur, sich grundsätzlich gegen existenzielle Abhängigkeit von Gott zu stemmen, weil sie immer den Schritt zum Loslassen, zur Aufgabe von gottloser Selbstbestimmung und Autonomie, zur Leidensnachfolge beinhaltet (8,34; Mt 11,2830; Joh 12,24; vgl. Röm 6).

140 C.S. Lewis, The Four Loves. New York, N.Y., 1960, 169. 141 Vgl. Jonathan Edwards, Affections, passim, der bemerkt, dass er seine Entfremdung von Gott mehr und mehr erkannte, je intensiver er die Gegenwart und Ehre Gottes suchte.

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10. Petrusbekenntnis – Leidensankündigung – Nachfolge – Verklärung – Heilung 8,27–9,291 Einführung in die zweite Hälfte des Ev. (8,27–16,8). Die meisten Kommentatoren gehen davon aus, dass die zweite Hälfte des Mk Ev. mit 8,27 beginnt. Die erste Hälfte des Mk Ev. (1,1–8,26) beschreibt die sich immer mehr ausweitende Vollmacht Jesu trotz Opposition. Nun wird der Leser in der zweiten Hälfte des Mk Ev. (Mk 8,27–16,8) mit der ernsthaften Prüfung bzw. Infragestellung seines außergewöhnlichen Anspruchs und Handelns durch Verwerfung, Leiden und Tod konfrontiert. Konkret beschreibt die zweite Hälfte die göttliche Notwendigkeit des Leidens Jesu sowie die sich anbahnende Leidensnachfolge seiner Jünger. Die Erzählung kulminiert in der unerhörten Spannung der Kreuzigung des vollmächtig Redenden und Handelnden. Das gesamte Lehren und Leben Jesu, einschließlich seines Rufs in die Nachfolge, scheint ein katastrophales Ende genommen zu haben (siehe 16,8!). Erst durch die überraschende Auferstehung vom Tod wird diese außerordentliche Spannung überwunden. Bei Mk wird die Auferstehungshoffnung allerdings nur andeutungsweise zur Sprache gebracht (vgl. z.B. 10,34; 14,25). Dieser Weg Jesu prägt die Jünger in ihrem grundsätzlichen Gottes- und Selbstverständnis sowie in ihrer Teilnahme an der darauf folgenden messianischen Mission Gottes. In der ersten Hälfte des Ev. erfassen die Jünger Jesu trotz seiner Machterweise nicht, mit wem sie es hier zu tun haben. In der zweiten Hälfte des Mk Ev. sind sie nun umso mehr verwirrt, weil Jesus als Messiasanwärter gezielt und wiederholt von Leid und Tod spricht (vgl. allerdings ebenso Jes 52,13–53,12; Dan 9,26). Derartige Aussagen Jesu stehen in direktem Gegensatz zur weit verbreiteten Messiaserwartung und Interpretation von alttestamentlichen Texten der Pharisäer (siehe z.B. die diesseitig-politische Interpretation von 2Sam 7,13-14 sowie von Jes 9,6-7 und 11,1-10).2 Die zweite Hälfte des Mk Ev. vermittelt somit die bedrückende Notwendigkeit des Leidens Jesu zum Wohl der Menschheit sowie die folgerichtige Konsequenz des Opfers, des Leids und der Verheißung, die die Nachfolger Jesu erwartet. Die Spitze der Prüfung des Hoheitsanspruchs Jesu liegt in seiner 1

2

Zur textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch II 28, Anm. a; 48, Anm. a-c; 57, Anm. a-d; 69-70, Anm. a-b; 85, Anm. a-f; France 332.360-361; Lane 287-288, Anm. 56-58; 294295, Anm. 71-77; 304-305, Anm. 94-99; 314-315, Anm. 8-13; 322, Anm. 25-30; 327-328, Anm. 38-44. Siehe oben, Einleitung, 4.1.2.

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Kreuzigung. Paradoxerweise werden seine Nachfolger hierdurch dazu befähigt, versöhnt und dienend mit Gott und anderen Menschen zu leben. Letztendlich hebt das Kreuzesleiden Jesu seinen Hoheitsanspruch in keiner Weise auf. Vielmehr bedeutet das auf die Kreuzigung folgende Ereignis der Auferstehung die umfassende, göttliche Rechtfertigung des außergewöhnlichen Anspruchs Jesu. Das scheinbare Ende Jesu markiert die Wiege der Erlösung und des neuen Lebens. Die dunklen Ereignisse des Leidens Jesu schärfen die Sichtweise seiner Jünger. Sie lernen, sich endlich nüchtern im Lichte der Notwendigkeit des Leidens Jesu selbst einzuschätzen und die unerwartete Absicht Gottes recht einzuordnen. Sie begreifen langsam, dass sie durch das stellvertretende Leiden Jesu (10,45; 14,22-24) wieder in eine ewig gesicherte und liebevolle Beziehung mit Gott gestellt werden (vgl. Röm 8,35-39; 1Petr 1,3-9). Ähnlich wie Jesus werden sie allerdings durch Satan und menschliche Opposition in ihrem Jesusbekenntnis versucht und geprüft werden. Synoptischer Vergleich: Befund. Ab Mk 8,27 bis zum Ende des Evangeliums liegt eine stärkere Konvergenz zwischen den synoptischen Evangelien vor.3 Außer der lediglich mit Mt gemeinsamen Perikope über das Kommen des Elia (Mt 17,9-13 / Mk 9,9-13) präsentieren alle drei Synoptiker der Reihe nach das Petrusbekenntnis, die erste Leidens- und Auferstehungsvoraussage, die Leidensnachfolge, die Verklärung Jesu sowie die Heilung des epileptischen Kindes (Mt 16,13–17,20 / Mk 8,27–9,29 / Lk 9,18-43).4 Auswertung: Das Thema des Kommens des Elia ist mit der Verklärung Jesu verbunden. Mk bekräftigt hierdurch die Bedeutung des Täufers und der heilsgeschichtlichen Verankerung des Handelns und Offenbarens Gottes. Ansonsten entspricht die Reihenfolge der Überlieferung der apostolischen/petrinischen Passionsgeschichte (vgl. Apg 10).5 Literarischer Kontext. Die zweite Hälfte des Markusevangeliums beginnt mit einer eingehenden Unterweisung der Jünger über den Leidensweg des Messias Gottes sowie über die Leidensnachfolge (Mk 8,27–9,1; vgl. bereits 2,19-20). So wie die Taufe Jesu (Mk 1,9-11) Identifikation mit der Sünde des Volkes signalisiert, so weist Jesus nun auf seinen notwendigen Leidensweg (8,31) als stellvertretende Sühne für die Sünde des Volkes (10,45; 14,24). So wie die 3 Vgl. oben, Einleitung, 2. „Die Entstehungsverhältnisse der synoptischen Evangelien“ sowie Exkurs 1: Nach Pesch und Kähler ist die urchristliche Evangelienüberlieferung eine „nach vorne ausgeweitete Passionsgeschichte“. 4 Evans 48, bemerkt zu Recht, dass Mt 17,14-20 / Lk 9,37-43a diese Begebenheit knapper als Mk berichten. 5 Vgl. Bayer, Peter, 85-87; 103-111.

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himmlische Stimme Jesus als Sohn bekennt (1,11), so wird Jesus vor seinen Jüngern erneut als Sohn bestätigt (9,7).6 Es handelt sich somit in der zweiten Hälfte des Markusevangeliums keineswegs um einen Kurswechsel7 (etwa: von Vollmacht zur Ohnmacht, angesichts der Verwerfung Jesu in Jerusalem), sondern vielmehr um die Infragestellung und schlussendliche Bestätigung der bereits demonstrierten (1. Hauptteil des Evangeliums) Vollmacht Jesu (in Wort und Tat)8 durch Sühnetod und Auferstehung. Auf jede Voraussage des Todes und der Auferstehung des Menschensohnes (8,31; 9,31; 10,32-34) folgt eine Unterweisung der Jünger (8,32–9,1; 9,33-50; 10,35-45), mit Betonung auf Leidensnachfolge und demütigem Dienst.9 Mk 9,9-13 weist sowohl auf die Auferstehung (V. 9; vgl. 8,31) als auch auf die Passion des Menschensohnes (V. 11-13, das Geschick des Elia; vgl. Elia in 9,4-5).10 Jesus belehrt die Jünger wiederholt (8,31; 9,9-13) über seine bevorstehende Krisis. Die zweite Hälfte des Evangeliums wird durch Kontroversen, Opposition und Leiden gekennzeichnet sein.11 Das Thema der übertragenen Autorität der Jünger (vgl. 6,7-12) wird fortgeführt (9,14-16.28-29). Mk 9,14-29 folgt 8,27–9,13 als Hinweis auf die Tatsache, dass nicht nur Jesus (8,31; 9,9-13) sondern auch seine Jünger mit Widerstand (9,14-16; hier satanischen Ursprungs) zu rechnen haben. Sowohl ihre eigene Hartherzigkeit, als auch ihr Kampf gegen Opposition ist durch Glaube und Gebet (9,23-24.29) zu überwinden.

10.1 Petrusbekenntnis – erste Leidensankündigung – Nachfolge 8,27–9,1 Der Kontext von 8,27–9,1. Der längere Abschnitt 8,27–10,45 enthält drei große Voraussagen des Todes und der Auferweckung Jesu (8,31; 9,31; 10,32-34), die jeweils durch Unterweisung der Jünger abgerundet werden. Letztere behandeln das Opfer und die Verheißung der Nachfolge (8,32-37) sowie die durch Jesus verursachte Demut in der Nachfolge (8,32–9,1; 9,33-50; 10,35-44; vgl. Phil 2,5-11). Die Unterweisungen Jesu rufen jeweils zu radikalem Opfer („los6 7 8 9

Vgl. ähnlich, aber mit überholter, redaktioneller Argumentation überfrachtet, Evans 35. So leider wieder Evans 11; siehe jedoch Evans 4. Vgl. z.B. Schmücker, Funktion, 1-26. Es ergibt sich somit eine grobe Struktur für Mk 1–10: Berufung zur Nachfolge – Opposition gegen Jesus – Leidensvoraussage Jesu – Voraussage der Leidensnachfolge. 10 Evans 41. 11 Ebd.

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lassen“; „sich selbst verleugnen“; „demütiges Dienen“) und verweisen gleichzeitig auf die Frucht einer derartigen Hingabe, nämlich Jesus ganz und frei zur Verfügung zu stehen, echtes Leben zu finden, ihn freimütig zu bekennen und anderen als demütiges Vorbild zu dienen. Der Inhalt von 8,27–9,1. Jesus beginnt einen längeren Dialog mit seinen Jüngern, welcher das Bekenntnis des Petrus (V. 29b), ein Schweigegebot (V. 30), die erste Leidens- und Auferstehungsvoraussage (V. 31), die Schelte des Petrus (V. 32-33), das Opfer der Nachfolge (V. 34) und weitere Unterweisungen (V. 35-38) mit einbezieht. Dies zeigt, dass Jesus mit Beginn der zweiten Hälfte des Mk Ev. in 8,27 viel direkter an der engen Sichtweise arbeitet, die seine Nachfolger von ihm und von sich selbst haben. Er bewerkstelligt dies vor allem mittels des relativ neutralen Begriffs „Menschensohn“. In seinem Vorgehen korrigiert und erweitert Jesus dadurch die politisch eingeengte Messiaserwartung seiner Jünger.12 Er verfolgt dies, indem er sowohl vom Leiden (8,31; vgl. Jes 52,13–53,12) und Sühnen des Menschensohns (10,45; 14,2224; vgl. Jes 53,1-12) spricht als auch von der Erhöhung des Menschensohns (8,38; 14,62; vgl. Dan 7,13-14) und des messianischen Herrn (= kyrios; 12,3537; 14,62; vgl. Ps 110,1.5). I 27 Und Jesus begab sich mit seinen Jüngern in die um Caesarea Philippi13 liegenden Dörfer. Und auf dem Weg begann er seine Jünger zu fragen: „Für wen halten mich die Menschen?“ 28 Sie aber antworteten ihm und sagen: „Für Johannes den Täufer, und andere für Elia, andere aber, dass (du) einer der Propheten (seiest)“. 29 Er aber befragte sie: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Petrus antwortet und sagt zu ihm: „Du bist der Messias“. 30 Und er befahl ihnen, sie sollten mit niemandem darüber (od. über ihn) sprechen. 31 Und er begann sie zu unterweisen, dass der Menschensohn viel leiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden müsse und getötet und nach drei Tagen auferstehen müsse. 32 Und er machte diese Aussage in aller Offenheit. Petrus nahm ihn beiseite und begann, ihn scharf zurechtzuweisen. 33 Er aber drehte sich um, sah seine Jünger an und wies Petrus ernsthaft zurecht und spricht: „Weiche hinter mich, Satan, denn du bist nicht bekümmert um die (Absichten) Gottes, sondern um die der Menschen“. 34 Er rief die Menge zu sich, zusammen mit seinen Jüngern, und sprach zu ih12 Siehe oben, Einleitung, 4.1.2. 13 Vgl. Josephus, Ant 18,27-28. Die Stadt hieß ursprünglich Paneas, nahe dem Ursprung des Jordan.

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nen: „Wer (beständig) hinter mir her folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir (immerzu) nach. 35 Denn, wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinet- und der guten Botschaft willen verliert, wird es retten. 36 Denn was hilft es einem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen, wenn er (dabei) sein Leben einbüßt? 37 Denn was kann ein Mensch als Ersatz für sein Leben geben? 38 Denn wer sich für mich und meine Worte unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht schämt, für den wird sich der Menschensohn schämen, wenn er in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln kommt“. 9,1 Und er sprach zu ihnen: „Amen, ich sage euch, einige, die hier stehen, werden ganz sicher nicht den Tod erleben, bis sie sehen, dass das Königreich Gottes mit Kraft gekommen ist“.14 II Form und Aufbau. Mk 8,27–9,1 stellt eine episodische Unterweisung15 der Jünger dar. 1. Mk 8,27-30 beinhaltet einen von Jesus initiierten Dialog. Der Dialog wird jeweils durch zwei Fragen (V. 27.29a) eingeleitet sowie durch zwei Antworten (V. 28.29b; vgl. eine ähnliche Liste in 6,14-16) abgeschlossen. Berger bezeichnet Mk 8,27-30 als „Akklamation und Deutung“.16 Der Dialog mündet in Unterweisung (wiederum mit Dialog; 8,31–9,1). 2. Die erste Leidens- und Auferstehungsvoraussage (8,31), gefolgt von einem kontroversen Dialog (8,32-33 – „Belehrung durch Schelte“17), führt zum locus classicus des allgemeinen Rufs in die Nachfolge (8,34). 3. Dieser Ruf wird durch vier Aussagen vertieft (8,35-38) und durch das überleitende Logion des machtvollen Kommens der Gottesherrschaft (9,1) abgeschlossen.18 Berger bezeichnet Mk 8,35–9,1 als symbuleutische (beratende, befehlende od. mahnende) Argumentation.19

14 Lit.: Bayer, Predictions, 149-166; Betz, Frage, 20-48; Kingsbury, Christology 89-102; Coppens, Fils, 5-51; Collins, Scepter, 209; Hengel, Christologie, 43-67; vgl. ferner Hooker, Jesus, ad loc.; Thiede, Petrusbild, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 35-36 (bis 1980); Evans 3-8 (bis 1999). 15 Pesch II 28-29 und Anm. 1, spricht bei Mk 8,27-30 von einer gattungslosen, „berichtende(n) Erzählung“, bei 8,31-33 (ders., II 48) von einer „konstruierte(n) Erzählung“. 16 Berger, Formen, 291-292. 17 Berger, Formen, 253. 18 Evans 24. Ob es sich dabei tatsächlich um ein Naherwartungslogion handelt, muss in der Exegese, nicht jedoch ausschließlich in der literarischen Analyse, erörtert werden (pace Pesch II 59). 19 Berger, Formen, 153-156.

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Literarischer Kontext. Bis zu diesem Punkt hat Mk über die immer weiter reichende Vollmacht Jesu berichtet. Die Gegner verschwören sich (3,6) mit dem Ziel, Jesus als Magier (3,22-30) und vor allem als Gotteslästerer (2,10) zu beseitigen. Die Jünger Jesu gelangen allerdings aufgrund von Hartherzigkeit auch nicht zu einer angemessenen Einschätzung ihres Meisters (einschließlich des unzureichenden und Jesus einschränkenden Messiasbekenntnisses in V. 29). Nun beginnt Jesus, von der allumfassenden Infragestellung der von ihm beanspruchten Vollmacht (zweiter Teil des Markusevangeliums) zu sprechen. Das verwirrt die Jünger nur noch mehr. Gehen sie doch in ihrer vorgeprägten Messiaserwartung (einschließlich 8,29) von einem davidisch-königlichen Erwartungshorizont (vgl. etwa 2Sam 7,13f; Jes 9,6-7; 11,1-10; Ps 2; vgl. oben, Einleitung 4.1.2)20 aus. Wenn seine erwiesene Vollmacht (Mk 1,1–8,26) diesen Erwartungshorizont bereits sprengt (also bereits über das Messiasbekenntnis des Petrus in 8,29 hinausgeht), kann seine Rede von dem Tod des Messias Gottes (8,27‒10,34) nur noch mehr auf Unverständnis stoßen. Der Erwartungshorizont eines leidenden Messias (vgl. etwa Jes 52,13‒53,12 und Dan 9,26) bleibt seit Jahrhunderten, u.a. durch die stürmische Makkabäerzeit bedingt, mehr oder weniger ausgeblendet. Einzig ein herrschender Messias in Jerusalem wird im Volk erwartet, der entweder durch politisch-militärische oder geistliche Maßnahmen21 das Joch der unterdrückenden Machthaber zerbrechen soll und die irdische Theokratie in Israel wiederherstellen wird.22 Bemerkungen zum Gesamtabschnitt 8,27–9,29.23 Die drei Voraussagen des Todes und der Auferstehung Jesu (8,31; 9,31; 10,32-34) auf dem letzten Weg nach Jerusalem24 weisen deutlicher als bei Mt und Lk wie Geburtswehen auf die bevorstehende „Krisis“ in Jerusalem hin. Jeder Voraussage folgt eine Unterweisung der immer noch unverständigen (8,32; 9,32; 10,38) Jünger 20 So auch Keener, Background, 156. 21 Vgl. Collins, Scepter, 209 und passim. 22 Vgl. Keener, Background, 156: „Although Jesus’ future kingdom would transform the world irresistibly, the present aspect of his messianic mission in the Gospels is to transform human hearts to live out the values of the kingdom in the face of the opposition of this age“. Anders Berger, Messiastraditionen, 1-44. 23 Lit.: Bayer, Predictions, 154-179.196-217; Farmer, Passages, 558-570; Kingsbury, Chris­ tology, 89-102; Lindars, Son of Man, 44.60-65.67.106-107.109-115.133-135.200-205; Pesch, Passion, 166-195; Strecker, Leidensvoraussagen, 52-75; Taylor, Origin, 60-71; Vermes, Use, 310-328; Coppens, Fils, 5-51; vgl. ferner Caragounis, Son of Man, ad loc.; Casey, Son of Man, ad loc.; Hahn, Hoheitstitel, ad loc.; Higgins, Jesus, ad loc.; Hooker, Son of Man, ad loc.; Jeremias, Servant, ad loc.; Ruppert, Jesus, ad loc.; Tödt, Menschensohn, ad loc.; Weihs, Deutung, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 46-47 (bis 1980); Evans 4-8 (bis 1999). 24 Vgl. Lane 293, der auf die geografischen Reisenotizen in 8,27; 9,30; 9,33 und 10,1.17.32-34 verweist. Zum Gesamtthema, vgl. Bayer, Predictions, 149-166; Taylor, Origin, 60-71; Strecker, Leidensvoraussagen, 52-75; Farmer, Passages, 558-570.

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(8,32–9,1; 9,32-35; 10,35-45). Der gesamte Abschnitt (8,31–10,52) leitet die Infragestellung der ἐξουσία [exousia] Jesu (zweiter Hauptteil des Evangeliums) ein und vermittelt die göttliche Notwendigkeit (δεῖ [dei]) des Leidensweges des Messias sowie den Einfluss, den dieser Leidensweg auf das Leben seiner Jünger haben soll (Behebung der Hartherzigkeit sowie demütiger und leidensbereiter Lebenswandel in Abhängigkeit von Jesus).25 III 27-33 Markus 8,27-33 beschreibt mehr als jeder andere Abschnitt im Mk Ev., wie Jesus seine Jünger in eine doppelte Krise der Selbstwahrnehmung und der Gotteswahrnehmung führt.26 Dies ist notwendig, weil sie nicht erkennen, wer der Messias Gottes tatsächlich ist und was er im Rahmen der großen Mission Gottes (missio dei) beabsichtigt. Zweitens sind sie sich nicht bewusst, wie fest sie an ihrer eigenen Autonomie und Selbstsicherheit festhalten. Durch vorbildliches Handeln, durch Fragen und Herausforderungen entfernt Jesus schrittweise die verdunkelnden Schichten falscher Auffassungen, damit seine Jünger letztendlich erkennen können, wer Gott tatsächlich ist und wie dringend sie in ihrem eigenen Leben Gottes Versöhnung und Reinigung benötigen. 27-29 In der Nähe der Jordanquelle beginnt Jesus „auf dem Weg“ (vgl. 9,33f; 10,32.52) den Jüngern sein bevorstehendes Leiden anzukündigen. Das unter römischem Einfluss stehende Caesarea Philippi ist Hauptsitz von Herodes Philippus, der als Tetrarch u.a. über das Gebiet von Ituräa herrscht.27 Caesarea Philippi liegt somit außerhalb von Galiläa und ist „vom galiläischen See aus in ein bis zwei Tagen erreichbar“.28 Die „Dörfer von Caesarea Philippi“ sind Dörfer um Caesarea Philippi, die, wie in anderen Bereichen des hellenisierten Palästinas, von der Stadt Caesarea abhängig sind.

27 Jesus beginnt wahrscheinlich in der Nähe einer der drei Quellen des Jordan, d.h. der Banias-Quelle, seine Jünger zu lehren (siehe Bemerkungen zu 1,2122). Er lehrt sie, dass der Messias Gottes sterben muss und auferweckt werden wird (8,31). Die mehr oder weniger hellenistisch und heidnisch geprägte Stadt Caesarea Philippi ist nach Philip, dem Bruder von Herodes Antipas benannt.29 Zusammen mit ihren umliegenden Dörfern wird die Stadt mit Folgendem as25 Schweizer, Erniedrigung, passim. 26 Die „doppelte Krise“, mit der Jesus seine Jünger konfrontiert, konzentriert sich auf die Frage, wer sie in den Augen Gottes sind und wer Gott wirklich ist. Siehe hierzu die Bemerkungen in 10.4, IV zu 8,27-9,29. 27 Vgl. Lane 289. 28 Dschulnigg 231. 29 Siehe France 327-328.

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soziiert: 1) Die Stadt enthält einen herodianischen Tempel, der dem Kaiser Augustus und der Gottheit Roma geweiht ist. 2) Pan, die griechische Gottheit der Totenwelt, wird dort verehrt.30 Siehe den Verweis Jesu auf die „Pforten od. Tore des Hades“ (d.h. des Totenreichs) im Paralleltext, Mt 16,18. 3) Der dortige Sieg der Makkabäer über den Seleukiden Antiochus „Epiphanes“ IV. bleibt in lebendiger Erinnerung. Jetzt steht allerdings grundlegender Kampf gegen das Böse, gegen den Tod, und die Sündhaftigkeit der Menschheit bevor, in dem Jesus seinen Blick auf die Reise von Caesarea nach Jerusalem richtet, um dort sein gottgegebenes Schicksal zu erdulden. Der Sieg im gegenwärtigen Kampf wird nicht auf militante Weise, sondern mittels eines stellvertretenden Opfertodes entschieden. Dieser Weg wird durch rhythmisch wiederholte Voraussagen seines Leidens (und des Leidens seiner Jünger) begleitet (8,31 / 8,32.38; 9,31 / 9,32-50; 10,32-33 / 10,34-44.45). In der Doppelfrage Jesu für wen halten mich die Menschen? … ihr aber, für wen haltet ihr mich? (V. 27 und 29; vgl. 9,33) geht es um Klarstellung sowohl der populären als auch der von den Jüngern gehegten Sicht seiner Identität. Die Frage zielt auf Klärung, wer der wahre Messias Gottes in seiner göttlichen Erhabenheit (8,38; vgl. Mk 1–8,26) und sühnenden Erniedrigung (8,31; 10,45; vgl. Mk 8,27–16,8) ist. Siehe ferner Jesu Fragen in 9,33 und 12,24.35.31 Ähnlich wie in 8,27 geben auch dort die Fragen Jesu Anlass zu tieferer Erkenntnis. Evans verweist auf die deutlich sekundäre Parallele im EvThom 13: Petrus identifiziert Jesus dort als „gerechten Engel“, während Matthäus Jesus dort als „weisen Philosophen“ bezeichnet.32 Thomas kann nicht einmal aussprechen, was er von Jesus hält.

28 Die Jünger wiederholen knapp (allerdings mit bedeutenden Unterschieden im Detail),33 was Mk bereits in gleicher Reihenfolge etwas ausführlicher über populäre Auffassungen zu berichten wusste (s.o. die Einzelbemerkungen zu 6,14-15.16). Die populären Auffassungen über Jesus sind: 1. Er ist der wiederbelebte Täufer Johannes. Die Auffassung basiert auf Unkenntnis, da Jesus und Johannes bereits gemeinsam am Jordan verweilten. 2. Er ist der erwartete Elia. Die Erwartung des „Kommens“ des Elia in der Endzeit ist im palästinischen Judentum verbreitet (vgl. Mal 3,1-2; 4,5-6; 4Q558;34 vgl. Lk 1,17; 9,7.54f). Im Gegensatz zur populären und verständlichen Auffassung, Jesus 30 31 32 33 34

Keener, Background, 156. Vgl. ferner den Verweis auf Josephus bei Pesch II 30. Vgl. Lane 289. Evans 10. Siehe die Details bei Pesch II 31. Vgl. Zimmermann, Messianische Texte, 413-414.478.

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sei der erwartete Elia, verbindet Jesus selbst das „Kommen des Elia“ mit dem Täufer (Mk 9,11-13; vgl. Lk 1,17), der „im Geist und in der Macht“ des Elia kommt (Lk 1,17; er ist also nicht ein Elia redivivus). 3. Er ist ein Prophet Gottes (Mt 16,14 erwähnt Jeremia; vgl. Lk 7,39; Joh 4,19). Der prominenteste unter den erwarteten Propheten für die Endzeit ist der Prophet-wie-Mose (Deut 18,15.18).35 Nach Deut 18,15.18 wird einst ein jüdischer Prophet wie Mose auftreten, dem Gehorsam gebührt (vgl. die messianische Interpretation von Deut 18,15.18 in 4Q175). Tatsächlich ist Jesus auch dieser Prophet-wie-Mose (Apg 3,22; 7,37); allerdings beschreibt dies nicht im Kern, wer Jesus ist. Alle populären Auffassungen (vgl. Joh 1,19-23) sehen in Jesus zwar einen Propheten Gottes (im Gegensatz zu seinen Gegnern), aber nicht seine einmalige Funktion als Messias Gottes (in Erniedrigung und Erhöhung).36 29 Aus dem Kontext und den Seitenreferenten (vor allem Mt) geht hervor, dass das Petrusbekenntnis (vgl. Petrus als repräsentativer „Sprecher“: z.B. 1,36; 8,32; 9,5; 10,28; 11,21; 14,29; Mt 15,15; 17,24f; 18,21; Lk 8,45; 12,21; Joh 6,68; 13,6-9; Apg 1–9)37 du bist der Messias (vgl. Mk 14,61 par; Joh 10,24)38 als Gottesoffenbarung (Mt 16,17) und als treffendes, obschon unzureichendes, Bekenntnis zu verstehen ist. „Die Messiasprädikation Jesu hat, worauf auch 12,35-37 und 14,61 hinweisen, ihren traditionsgeschichtlich ursprünglichen Haftpunkt nicht erst in der nachösterlichen Christologie, sondern im Leben Jesu, in dem (wie auch 6,14-16 ausweist) der Streit um seine Messianität lebendig war“.39

Das Petrusbekenntnis übertrifft populäre Auffassungen, indem es die messianische Sonderstellung Jesu unter den Propheten Gottes bekennt.40 Er ist der von Gott Gesalbte. Die Jünger gehen bei diesem Messiasbekenntnis allerdings nach wie vor von der weit verbreiteten, politisch-königlichen Vorstellung aus (vgl. 2Sam 7,14-16 [in eingeschränkter, jüdischer Interpretation]; Jes 55,3-4; Jer 23,5-6;

35 Vgl. Cullmann, Christologie, 12-49. 36 Vgl. ähnlich, Lane 290. 37 Schriftverweise bei Pesch II 32. Vgl. Lane 290, der auf Mk 9,5; 10,28; 11,21 und 14,29 verweist. Zur weiteren Entfaltung dieses Themas vgl. Bayer, Peter, 41-44.50-54.58-59.6368.165-166 sowie Cullmann, Petrus, 25–31. Vgl. ferner Brown/Donfried/Reumann, Peter, passim und Thiede, Petrusbild, passim. 38 Dschulnigg 231, bemerkt, dass nach Mk 1,1 Christos hier zum ersten Mal im Mk-Bericht erwähnt wird. 39 Pesch II 32-33. Pesch II 33, Anm. 12, verweist ferner auf Hengel, Christologie, 43-67. 40 Ähnlich, Pesch II 33.

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vgl. 1Sam 16,13)41 und sehen noch nicht, dass der Gesalbte Gottes als Menschensohn und Herr viel erhabener (vgl. z.B. Dan 7,13-14; Ps 110,1.5) und viel erniedrigter (z.B. Jes 52,13–53,12) sein wird, als es die weit verbreitete Vorstellung vorgibt. Während zur Zeit Jesu neben der politisch-königlichen Messiasvorstellung durchaus auch andere, jedoch weniger verbreitete, Vorstellungen kursieren (z.B. die apokalyptische Vorstellung eines prophetischen Menschensohn-Messias, äthHen 37–71 bzw. die Vorstellung eines prophetischen und eines priesterlichen Messias in Qumran),42 dominiert doch im Volk die politisch-königliche, diesseitige Auffassung.43 Keine der gängigen Vorstellungen (siehe allerdings den umstrittenen Abschnitt äthHen 37–71) verarbeitet das alttestamentliche, messianische Motiv des leidenden Gottesknechtes (Jes 52,13–53,12; s.o., Einleitung 4.1.2–4.1.6) in zufriedenstellender Weise. Während andere Gottesknechtslieder in Jes 42-50 durchaus ganz Israel als „Knecht Gottes“ identifizieren, muss es sich bei Jes 52,13–53,12 um einen Stellvertreter des leidenden Gottesvolkes handeln, der stellvertretend für das Gottesvolk leidet und es somit reinigt. Im z.T. umstrittenen TargJes 5344 wird Jes 52,13–53,12 nur teilweise auf eine messianische Figur bezogen, während die dortigen Leidensaussagen kollektiv auf das Volk Israel bezogen werden. Jes 52,13–53,12 widersetzt sich selbst einer derartigen Interpretation.

Hierin liegt der Konflikt zwischen der Auffassung des Petrus und dem wahren Messias Gottes: Hier die politisch-königliche Eingrenzung der Messiaserwartung, dort die alttestamentlich begründete Erweiterung der erhabenen Messiasidentität (Sohn Gottes; erhöhter Menschensohn; Herr Davids) und der erniedrigten Messiasfunktion (stellvertretender Tod des Knechtes Jahwes; erniedrigter Menschensohn; passio iusti, das Leiden der Gerechten).45 Jesus bewerkstelligt die Korrektur46 der herkömmlichen Messiaserwartung durch wiederholte Verweise auf die Identität und Funktion des Menschensohnes in

41 Lane 291. Lane verweist ferner auf 4Q1.3-4 („der gerechte Messias, der Spross Davids“; vgl. Jer 23,5). Vgl. Dschulnigg 232. Anders Pesch II 33, der zwischen der prophetischen Auffassung und der politischen Erwartung einen Gegensatz sieht. 42 Siehe oben, Einleitung 4.1.2–4.1.6. So Collins, Scepter, 209-210 und passim. 43 Vgl. Lane 291, der auf PsSal 17,23ff und 18,1-10 verweist. Ähnlich auch Dschulnigg 232. Anders Berger, Messiastraditionen, 1-44. 44 Lane 303. 45 Vgl. oben, Einleitung 4.1.2-4.1.6. Vgl. Dschulnigg 232. Für die Verbindung zwischen „Menschensohn“ und „Knecht“ sprechen u.a.: Lane 300; Jeremias, Servant, 96ff; Coppens, Fils, 5-51, Hengel, Sohn, 9-11.102-104. Dagegen spricht vor allem Hooker, Jesus, ad loc. 46 Vgl. Kingsbury, Christology, 25-45, der von „corrective Christology“ bereits in der Lehre Jesu spricht. Pace Boring 257.

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seiner Erhabenheit (2,10; 8,38; 14,62; vgl. Dan 7,13-14) sowie in seiner Erniedrigung und Stellvertretung (8,31; 10,45; 14,24; vgl. u.a. Jes 53,8). 30 Obwohl das Bekenntnis des Petrus auf die Vorstellung eines davidisch-königlichen Herrschers beschränkt und fixiert ist, deutet das Schweigegebot (vgl. 1,35; 2,1f; 5,37.40; 6,31f; 7,24; 9,30)47 darauf hin, dass Jesus das Bekenntnis zunächst so stehen lässt (vgl. Mt 16,17).48 Jesus erteilt das Schweigegebot u.a. wegen der gefährlichen politischen Lage,49 ihn voreilig und gegen den Willen Gottes zum Messias gemäß ihren eigenen Vorstellungen zu machen (vgl. vor allem Joh 6,15): er befahl ihnen, sie sollten mit niemandem darüber sprechen.50 Der Begriff ἐπιτιμάω ([epitimaō] = „ich weise zurecht“; „ich tadle“; „ich fordere heraus“) wird in den folgenden Versen drei Mal verwendet: 1) hier in V. 30, d.h. im Zusammenhang mit dem Schweigegebot Jesu (vgl. 3,12); 2) in 8,32, d.h. in der Herausforderung Jesu durch Petrus, und 3) in 8,33, d.h. in Jesu scharfer Zurechtweisung des Petrus (siehe unten, Bemerkungen zu 8,32-33 [vgl. 16,14]).51 3152 Das Schweigegebot (V. 30) weist darauf hin, dass Jesus die weit verbreitete, von seinen Jüngern geteilte politisch-königliche Messiasvorstellung (vgl. 2Sam 7,12-16; Ps 2) dahingehend korrigieren muss,53 dass der Leidensweg des Messias als conditio sine qua non von seinen Jüngern (und anderen) verstanden wird und als alttestamentlich prophezeit (Jes 52,13–53,12; Dan 9,26; vgl. Gen 3,15b) gesehen wird. Der wahre Messias Gottes muss (vgl. das „göttliche δεῖ [dei]“ in 9,12; 14,21.49)54 nach Gottes ewigem Ratschluss und souveränem Willen viel leiden (πολλὰ παθεῖν [polla pathein]; passio 47 Vgl. Pesch II 33. 48 Vgl. Betz, Frage, 20-48. 49 Ähnlich Pesch II 33 und Anm. 13 (mit Verweis auf H. Schürmann). Auch Dschulnigg 232 bemerkt treffend, dass die Schweigegebote an die Jünger von den „Schweigegeboten an die Dämonen“ und den „Geheimhaltungsgeboten in Wundererzählungen“ trotz aller Ähnlichkeiten zu unterscheiden sind. 50 Vgl. ähnlich Dschulnigg 232. Zu den unterschiedlichen Beweggründen für diverse Schweigegebote siehe oben Einleitung 4.1.2. 51 Der Gebrauch von ἐπιτιμάω im Mk Ev. ist vielfältig: U.a. weist Jesus unreine Geister zurecht (ἐπιτιμάω; 1,25; 9,29) und stillt einen Sturm (ἐπιτιμάω; 4,39). Die Jünger tadeln die Kinder (ἐπιτιμάω; 10,13) und die Menge tadelt den blinden Bartimäus (ἐπιτιμάω; 10,48). Dank gebührt meinem Assistenten Samuel Belz für seine Analyse von ἐπιτιμάω im Mk Ev. 52 Lit. zu 8,31-33: Bayer, Predictions, 154-166; Hahn, Hoheitstitel, 49; Hoffmann, Mk 8,31, 170-204; Kingsbury, Gospel, 341-409; Michel, Umbruch, 310-316; Vermes, Use, 310-328; vgl. ferner Oberlinner, Todeserwartung, ad loc.; Popkes, Christus, ad loc.; Schweizer, Erniedrigung, ad loc.; Steck, Israel, ad loc.; Weihs, Deutung, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 56 (bis 1980); Evans 4-8 (bis 1999). 53 Vgl. Kingsbury, Gospel, 341-409 und ders., Christology, 147-148.166-171. 54 Vgl. die ausführliche Diskussion bei Weihs, Deutung, ad Mk 8,31-33.

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iusti), verworfen (ἀποδοκιμασθῆναι [apodokimasthēnai]; vgl. 12,10, mit Ps 118,22) und getötet werden (ἀποκτανθῆναι [apoktanthēnai]) sowie auferstehen (ἀναστῆναι [anastēnai]; vgl. 9,9-10.31; 10,34; 14,28; 16,6).55 „Vor Kreuz und Auferstehung ist es missverständlich, von Jesus als Messias zu sprechen. Erst von diesem Ausgang der Geschichte Jesu her wird deutlich, wer Jesus als Messias ist.“56 Dies muss geschehen, damit er auf der tiefsten und grundsätzlichsten Ebene, in völliger Versöhnung zwischen Gott und seinem Volk, die messianische Herrschaft Gottes, auch über Satan, aufrichte. Diese Herrschaft wird nach Dan 7,13-14 kein Ende haben. Konkret korrigiert Jesus die politisch-königliche Messiasauffassung mittels des relativ „unbelasteten“ terminus technicus Menschensohn (vgl. oben, Einleitung 4.1.6).57 Jesus kann somit die bevorstehende Notwendigkeit seines Leidens mittels eines weniger geprägten Begriffs einführen (vgl. u.a. 8,31; 9,9.12.31; 10,34.45; 14,21.41). Zunächst bedeutet aram. bar nasha lediglich: „Jemand, wie ich“ (oft im Kontext von Demütigung oder Todesgefahr). Sodann verweist der Begriff auf einen Propheten Gottes, z.B. Hes 2,1.58 Jesus kann überdies durch den Begriff auf die erhabene Menschensohngestalt (Dan 7,13-14; vgl. vor allem Mk 2,10; 8,38; 13,26; 14,62) verweisen. Damit sollen die Jünger von ihrer festgefahrenen Vorstellungswelt wegkommen und den Blick für den gesamten alttestamentlichen Ratschluss Gottes (vgl. u.a. Offb 4,11; 5,9-10.12-13), der auf atl. Prophetie fußt, geöffnet bekommen. Beim Messias Gottes gilt: Sündenbereinigung vor Herrschaftsantritt. Der Leidensweg des Messias (8,31) steht ferner in der langen Reihe der Boten Gottes (vgl. passio iusti, das Leiden der Gerechten; vgl. Ps 34,7.18.20; siehe auch Ps 20,20; 30,9 LXX; 68,17; 101,2),59 die meist auf Widerstand stoßen und verworfen (vgl. 12,10 und Ps 118,22) bzw. getötet werden.60 Jesus sagt seinen Tod voraus.61 Seine bereits erwiesene prophetische Berufung (durch Lehre und Wunder) wird durch historische und alttestamentliche Indizien gestützt: 1) Jesus weiß um das gewaltsame Geschick des Täufers, der wie er zur Umkehr rief (6,17-29); 2) er weiß, dass ihn seine Gegner als Gotteslästerer betrachten (2,7) und von Dämonen besessen wähnen (3,22-30) und ihn somit zu töten beab55 56 57 58 59

Schriftverweise bei Pesch II 49. Dschulnigg 233. Siehe oben, Einleitung 4.1; vgl. Lane 297ff. Lane 297, der auf Vermes, Use, 310-328 verweist. Vgl. Pesch II 1-27: Exkurs zur vormarkinischen Passionsgeschichte sowie ders., 49 und Anm 5, mit Verweis auf Ruppert, Jesus, 23-65; Ruppert, Feinde, 81-85 sowie Tödt, Menschensohn, 154. 60 Vgl. Steck, Israel, ad loc. 61 Vgl. Oberlinner, Todeserwartung, ad loc.

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sichtigen (3,6);62 3) der Weg des königlichen Gottesknechtes weist auf Leiden und stellvertretenden Tod (Jes 52,13–53,12). Mit dem Stichwort Hohepriester (pl.) ist wohl vor allem die hohepriesterliche Familie gemeint, in der z.Z. Jesu nicht nur Caiaphas Hohepriester war, sondern Annas, ehemaliger Hohepriester, auch als „graue Eminenz“ fungiert.63 Die Ältesten gehören als Laien oder Priester der Fraktion der Sadduzäer an. Sie sind, zusammen mit den vor allem der Fraktion der Pharisäer angehörenden Schriftgelehrten (vgl. 1,22; 7,1.5)64 im Synedrion verantwortliche Führer Israels (vgl. diese Dreiergruppe als Gegner Jesu in 10,33; 11,18.27; 14,1.10.43.53.55; 15,1.31).65 Die bei Mk mehrmals angekündigte Absicht, Jesus zu töten (vgl. 3,6),66 wird laut Jesus „erfolgreich“ sein. Allerdings stirbt Jesus letztendlich nicht aufgrund der Tötungsabsichten seiner Gegner, sondern aufgrund der göttlichen Notwendigkeit und Dringlichkeit (muss), durch seinen Tod bleibende Versöhnung mit Gott dem Vater zu schaffen. Das satanisch Böse muss sich ebenso dem souveränen Willen Gottes beugen und „kollaboriert“ unbeabsichtigt in der Überwindung seiner selbst (vgl. 5,13). Die Auferstehung einer Einzelperson (vgl. 9,9.31; 10,34; 14,28; 16,6; siehe ferner Jes 52,13; 53,10-12)67 ist für einen jüdischen Menschen unverständlich, weist die Vorstellung der Auferstehung (vgl. Ps 19,9; 40,9.11 LXX) doch immer auf ein kollektives Endereignis (vgl. Dan 12,2; siehe den TargHos 6,1-2, der Hos 6,2 als kollektive Auferstehungsvoraussage interpretiert; vgl. Jona 2,1).68 Das bedeutet, dass diese Aussage den Jüngern in keiner Weise Trost spendet, sondern sie noch mehr verwirrt. Erst nach den Ereignissen der Passion Jesu wird aus diesen Aussagen Jesu Trost und interpretative Hilfestellung erwachsen. Der Verweis auf drei Tage kann übertragen bedeuten, dass

62 Vgl. Lane 301. 63 Vgl. Lane 295 Anm. 74, der auf Josephus, Bell 2,411-416 (auch Plural); Schürer, History, II 238-291 und Jeremias, Jerusalem, 178-179 verweist. Pesch II 51, weitet diese Gruppe auf „Inhaber der gehobenen Priesterämter“ sowie die führende Fraktion im Synedrion aus. Vgl. Bond, Caiaphas, ad loc. 64 Pesch II 51, bemerkt, dass nach Josephus, Ant 18,17 die Minderheit der Pharisäer im Synedrion dennoch eine bedeutende Fraktion ausmacht. 65 Schriftverweise bei Pesch II 49. Pesch II 50-51, betont, dass das Motiv der passio iusti (das Leiden des Gerechten) durchweg die Nennung von feindseligen Machthabern aufweist, die die Gerechten bedrücken (siehe ders., 50-51, mit vielen Belegen). 66 Pesch II 51 und Anm. 17 u.18 verweist auf die Tatsache, dass dieses Motiv sowohl bei der passio iusti als auch bei dem gewaltsamen Geschick der Propheten Israels von großer Bedeutung ist (mit Verweis auf Ruppert, Feinde, 118-124; Ruppert, Gerechte, 142f.165; Hahn; Hoheitstitel, 49). 67 Vgl. Lane 302. 68 Bayer, Predictions, 227; vgl. Lane 302.

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eine kritische Zeit zwischen Tod und Auferweckung verstreichen wird (vgl. Hos 6,1-2).69 32 Jesus spricht jetzt im Gegensatz zu früher (vgl. 2,20) offen (παρρησία [parrēsia] = [mit] „full liberty of speech, outspokenness, frankness of speech that glosses nothing“)70 und direkt über sein bevorstehendes Geschick als leidender Messias.71 Petrus bekennt Jesus zwar als Messias (8,29b), ist aber nach wie vor Befürworter der weit verbreiteten, politisch-davidischen Messiasauffassung. Danach darf der Messias keineswegs sterben, weil dies der Erwartung eines siegreichen und regierenden Fürsten in Jerusalem diametral entgegensteht. Mit dem Tod des Messias würde diese gesamte Erwartung in sich zusammenstürzen. Aus jener Überzeugung heraus fühlt sich Petrus verpflichtet, Jesus scharf zurechtzuweisen (vgl. denselben Ausdruck bei Dämonenaustreibungen; vgl. Bemerkungen zu 1,36).72 Dazu nimmt Petrus seinen Lehrer selbstbewusst beiseite (προσλαβόμενος [proslabomenos]). Der Aorist ἤρξατο ([ērxato] = „er begann“) in Kombination mit einem durativen Präsens Inf. (hier: ἐπιτιμᾶν [epitiman] = „ich weise zurecht“; „ich warne“) wird mitunter als Ersatz zum entsprechenden Imperfekt und als Hervorhebung einer länger andauernden Aussage benutzt. Die Aussageintention ist somit: „er begann damit, ihn eingehend zurechtzuweisen“.73 Siehe Ps 55,13-15 bezüglich des passio iusti-Motivs des „vertrauten Freund(es) als Widersacher“.74 33 Die schärfste Zurechtweisung, die Jesus je an Petrus richtet („weiche hinter mich, Satan“) meint nicht, Petrus sei Satan,75 sondern Jesus verwirft den Gedanken als satanisch (sprich: nicht von Gott ausgehend, vgl. Mt 4,8-10; siehe ferner Weish 2,22) und weist Petrus in seiner auf menschliche Vernunft gründenden Aussage zurecht (vgl. 2Kön 9,19). Dies bedeutet, dass die weit verbreitete Messiaserwartung, die Petrus zu diesem Zeitpunkt noch teilt, längst den sicheren Boden göttlicher Vorsehung und Prophetie verlassen hat, indem sie sich auf wenige atl. Aussagen einschränkt und politische Erwartungen (vor 69 Lane 303, Anm. 91, verweist auf Midr Teh zu Ps 22 §5, der Verweise auf Gen 22,4; Gen 42,17; Ex 15,22; 2Kön 20,5; Jes 2,16 und Jon 2,1 enthält. Lane 303, bemerkt, dass aus biblischer Sicht die Aussage „nach drei Tagen“ der Formulierung „am dritten Tag“ sachlich entsprechen kann: vgl. Gen 42,17; 2Chron 10,5.12. Vgl. ferner, Bayer, Predictions, 205-208, sowie Weihs, Deutung, ad loc. 70 Zerwick-Grosvenor, 133. 71 Vgl. Lane 294. Nach Pesch II 53, ist dies ein weiteres Merkmal für Jesus als „Gerechter“. Siehe im Gegensatz hierzu u.a. 2,20; vgl. Mt 16,21. 72 Lane 303. 73 Siehe die Bemerkungen zu epitimaō in 8,30.33. 74 So Pesch, Markus II 54. 75 Dschulnigg 235 meint, dass Jesus den Petrus als „teuflische(n) Widersacher verurteilt“, ihn jedoch nicht mit dem Teufel identifiziert.

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allem aufgrund der Makkabäerzeit) viel zu stark in den Vordergrund stellt.76 Sie setzt sich dabei vor allem über das fundamentale Problem der existenziellen Entfremdung des Menschen von Gott leichtgläubig und oberflächlich hinweg. Ferner unterschätzt diese Erwartung die Macht Satans. Der göttliche Weg geht an die Wurzel dieser Probleme. Jegliche Religion oder Lebensphilosophie, die diese Wurzelprobleme der grundsätzlichen Entfremdung von Gott sowie der Macht Satans überspielt oder verharmlost (so z.B. das palästinische Judentum, der Koran, das Buch der Mormonen, Buddhismus, die Lehre des Konfuzius, Hinduismus; vgl. ferner z.B. die stoische Lebensphilosophie), widersetzt sich, wie im Fall des Petrus, letztendlich der Herrschaft Gottes und seinem Willen. Es geht hier also um die grundsätzliche Tatsache, dass der Mensch aufgrund seiner eigenen idealistischen Perspektive keinen stellvertretend leidenden Messias benötigt. Nur aus der offenbarten Perspektive Gottes erkennt der Mensch seine schwerwiegende und ernsthafte Entfremdung und Feindschaft gegen Gott (pondus peccati) sowie die Macht Satans; er wird sich erst dadurch bewusst, dass er auf den stellvertretend leidenden und sodann herrschenden Messias existenziell angewiesen ist. 34-37 Jesus fordert seine Jünger heraus, Selbstgenügsamkeit und autonome Selbstsicherheit aufzugeben, sodass sie ihm und seinen Absichten dienen und dadurch Frucht tragen können. Ähnlich wie bei Elisa (1Kön 19,19-21) müssen sie lernen, dass die Voraussetzung zur Nachfolge das Loslassen der angeborenen, autonomen Lebensweise bedeutet. Im größeren Zusammenhang der Geschichte Gottes mit den Menschen markiert der radikale Nachfolgeruf Jesu den Wendepunkt der autonomen Feindschaft bzw. Indifferenz der Menschen gegenüber Gott. Jesus befähigt seine Jünger dazu, wieder nach der ursprünglichen Schöpfungsabsicht mit Gott und nach seinen Absichten zu leben. Dies hat u.a. eine neue Selbsteinschätzung, eine neue Sicht der zwischenmenschlichen Beziehungen sowie die Umwandlung vieler Aspekte des Lebens in der Gesellschaft und Natur zur Folge. 3477 Nach der ersten großen Vorhersage des Leidens und der Auferstehung Jesu folgt unmittelbar eine Belehrung über Nachfolge. Zum ersten Mal wird der Nachfolgeruf (vgl. Mt 10,38 par) auf alle Menschen ausgeweitet: „Wer (beständig) hinter mir her folgen will, der verleugne sich selbst und nehme 76 Vgl. Dschulnigg 236. 77 Lit. zu 8,34-9,1: Blomberg, Matthew, 261; Wehnert, Teilhabe, 81-96; Dautzenberg, Leben, 203-219; Fletcher, Condemned, 156-164; Moore, Parousia, 92-107; vgl. ferner Best, Disciples, ad loc.; Breytenbach, Nachfolge, ad loc.; Donahue, Theology, ad loc.; Hengel, Nachfolge, ad loc.; Byrskog, Jesus, ad loc.; Black, Disciples, ad loc.; Schweizer, Erniedrigung, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 67-68 (bis 1980); Evans 20-23 (bis 1999).

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sein Kreuz auf sich und folge mir (immerzu) nach“.78 Hier ergeht der Ruf zur Nachfolge nun im Prinzip an alle Menschen (im Gegensatz zum konkreten Nachfolgeruf z.B. in 1,17). Das Ziel des Nachfolgerufs ist nicht Selbstverleugnung (verleugne sich selbst) oder Kreuztragen (nehme sein Kreuz auf sich), sondern Bereitschaft und Befähigung, Jesus nachzufolgen (vgl. 1,18; 2,15).79 Das bedeutet, Selbstverleugnung80 (vgl. 14,30.31.72) und Kreuztragen81 können niemals mit Kasteiung des Körpers,82 Selbstzerstörung oder pathologischer Selbstanklage, Selbsthass, Verlust der eigenen Persönlichkeit oder gar einem Märtyrerkomplex gleichgesetzt werden. Sie sind vielmehr notwendige Voraussetzung zur echten und gesunden Nachfolge (nachfolgen): nicht mehr und nicht weniger. Selbstsicherheit und autonomes Selbstvertrauen abzulegen bedeutet, von ablenkenden, sündhaften und zerstörenden Loyalitäten und Götzen frei zu werden, um Jesus immer mehr in seinem Herrschaftsanspruch treu nachzufolgen zu können. Das Problem bei fragwürdigen Interpretationen von „Selbstverleugnung“ und „Kreuztragen“ ist gerade, dass sie Egoismus und autonome Selbstbestimmung in keiner Weise überwinden, sondern diese lediglich pseudo-geistlich verschleiern. Selbstverleugnung und Kreuztragen müssen also das Loslassen (vgl. Ps 49,6-7) beinhalten, welches zur wachsenden Abhängigkeit von Jesus und seinem Willen befähigt (d.h. zur Nachfolge; vgl. Paulus: „Mit Christus sterben“ führt zu „Leben mit Christus“, Röm 6,3-4).83 Alttestamentliche Vorbilder finden sich etwa bei Abraham, der seine Heimat aus Gehorsam Gott gegenüber verlässt sowie bei Joseph und Daniel, die Gottes Wege in gottesfernen Kulturen gehen. Beachtenswert sind die zwei Verben im durativen Präsens zu Beginn und am Ende des Verses: θέλει ὀπίσω μου ἀκολουθεῖν [thelei opisō mou akolouthein] = „er/sie will hinter mir herlaufen“ und ἀκολουθείτω μοι [akoloutheitō moi] = „er/sie soll mir stets nachfolgen“. 78 Diese Ausweitung des leidensvollen Nachfolgeweges ist somit auch für die bereits verfolgten Christen z.Z. des Markus aktuell. Vgl. Lane 306. Siehe die Christenverfolgung in Rom unter Nero, 64 n.Chr. 79 Siehe Dschulnigg 237. Bonhoeffer, Nachfolge, 75-85 formuliert überspitzt: Nachfolge heißt, Jesus zu kennen und sich selbst nicht mehr zu kennen: „Selbstverleugnung heißt nur Christus kennen, nicht mehr sich selbst, nur noch ihn sehen, der vorangeht …“ (ders., a.a.O., 79). Siehe meine partielle Kritik an dieser Aussage Bonhoeffers in, Bayer, Theology, Appendix 2, 193203. 80 Pesch II 59, spricht von „Widerspruch gegen die eigenen Vitalinteressen …, Absage an das sünde- und todverfallene Selbst“. 81 Pesch II 60, sieht im Kreuztragen lediglich ein Bekenntnis zu Gott (vgl. Hes 9,4-6). Das trifft zwar zu, verkennt jedoch das allgemein verbreitete Wissen um die Scham des Kreuztragens in der von Römern dominierten Welt. 82 Vgl. Dschulnigg 239. 83 Siehe Röm 8,13: sich dem Willen Gottes hingeben; 2Tim 2,13: ἀρνέομαι [arneomai] bedeutet „gegen seine Natur handeln“.

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Die Aufforderung, nachzufolgen (ἀκολουθέω [akoloutheō]) wird bei Mk oft erwähnt.84 Wer dem Messias nachfolgt, soll ihm ganz und immer gehören (1,18; 2,15).85 Dieser Auftrag entspricht in etwa der alttestamentlichen Aussage „mit Gott zu wandeln“,86 geprägt durch singuläre Loyalität und Glaubensgehorsam (z.B. Abraham; vgl. Rut 1,16-17 und 2Sam 15,21). Sich selbst zu verleugnen (ἀπαρνησάσθω ἑαυτὸν [aparnēsasthō heauton]) bedeutet in unserem Kontext, autonome Selbstbestimmung (Ps 49,6-7) und den angeborenen Drang, alles bestimmen zu müssen aufzugeben. Stattdessen soll sich im Loslassen eine umfassende und direkte Abhängigkeit und Loyalität dem Messias gegenüber bewähren.87 Jesus fordert jeden Nachfolger ferner auf, sein Kreuz auf sich zu nehmen (ἀράτω τὸν σταυρὸν αὐτοῦ [aratō ton stauron autou] = „er nehme sein Kreuz auf sich“; αἴρω τὸν σταυρὸν ([airō ton stauron] = „ich trage das Kreuz“). Er meint dies im übertragenen Sinn (täglich; so Lk 9,23!). Im Gegensatz hierzu trägt Simon von Kyrene für eine gewisse Zeit buchstäblich das Kreuz Jesu (αἴρω τὸν σταυρὸν [airō ton stauron], 15,21).88 Das Kreuz auf sich nehmen89 bedeutet somit, sein Leben so zu leben, als ob man den letzten Gang zur eigenen, schmachvollen Hinrichtung im Kontext der römischen Bestrafung gehe, bei der man sein eigenes patibulum, d.h. den Querbalken seines Kreuzes, zu tragen hatte. Der im römischen Strafsystem Verurteilte muss jeweils den Horizontalbalken (patibulum) selbst zur Stätte der Hinrichtung tragen und sich dem Spott der Menge aussetzen.90 Josephus weiß z.B. zu berichten, dass Varus, der römische Statthalter Syriens, 2000 jüdische Menschen kreuzigen ließ (Josephus, Ant 17,269-298; Bell 2,241-244). Das Leben in Eigenbestimmung ist somit gänzlich vorüber. Das neu (und unverdient) geschenkte Leben in der Abhängigkeit von Jesus ist nur deshalb möglich, weil Jesus dem Jünger bei der bevorstehenden Kreuzigung der gerechten Strafe Gottes stellvertretend zuvorgekommen ist. Jesus hat bereits das Letzte Gericht an den Jüngern proleptisch und real auf sich genommen. Hierin liegt die Gnade der guten Botschaft.

Siehe Bemerkungen zu 1,17-18.20; 2,14.15; 6,1; [9,38]; 10,21.28.32.52; [14,54]; 15,41. Siehe Mt 10,38-39; Lk 14,27-33; 17,33; Joh 12,25-26. Siehe z.B. Gen 5,22.24; 6,9; 17,1; 24,40; 48,15; Deut 5,33; 8,6; 10,12; Dan 9,10. Vgl. Gambrell, Portrayal, 43. Vgl. die Parallele in Joh 19,17: βαστάζων ἑαυτῷ τὸν σταυρόν [bastazōn heautō ton stauron] = wörtl. „das Kreuz für sich tragen“. 89 Dschulnigg 238-239 neigt dazu, den Ursprung dieser Aussage in der nachösterlichen Gemeinde zu lokalisieren. Er verweist jedoch auf Gnilka II 23-24, der die Aussage Jesus zuerkennt. 90 Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 282-292; 565-566; 606-608 sowie 416-418; 581-583. Vgl. Lane 307 und Anm. 104. Lane verweist auf Fletcher, Condemned, 156-164, der das Logion ähnlich auslegt. 84 85 86 87 88

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All dies dient dazu, anstatt für sich selbst nun in einfacher und ganzer Hingabe unter der souveränen Herrschaft Jesu zu leben. Loslassen von Eigenbestimmung und Autonomie (Selbstverleugnung und Kreuztragen) hat Abhängigkeit von Jesus und damit der Beginn eines neuen, von Gott gegebenen Lebens (vgl. 2Kor 1,9b) zum Ziel. Diese gesunde Abhängigkeit beginnt damit, dankend den stellvertretenden Tod Jesu persönlich und glaubend anzunehmen. Innerhalb dieser Abhängigkeit ist viel Raum, die Liebe Jesu zu erfahren, sich an der unverdienten Gnade Jesu dankbar zu freuen, in der Individualität und Besonderheit der eigenen Begabungen in neu gefundener Abhängigkeit von Gott zu wachsen und anderen zu dienen. Selbstverleugnung und Kreuztragen haben also nichts mit einem krankhaften Persönlichkeitsverlust zu tun. Es handelt sich vielmehr um einen Herrschaftswechsel von Selbstbestimmung zur Abhängigkeit von Jesus. Innerhalb dieses neuen Abhängigkeits- und Loyalitätsverhältnisses ist jedoch auch Leid (8,34.38) und Verfolgung um Jesu willen zu erwarten (ein weiterer, abgeleiteter Sinn von Kreuz auf sich nehmen).91 Derartiges Loslassen schließt ferner die Bereitschaft ein, um seinetwillen als Zeuge (μάρτυς [martys]) zu sterben (Märtyrer). Was an Jesus geschieht, charakterisiert in gewisser Weise das Leben seiner Jünger: Im Loslassen ist Leiden um Jesu willen inbegriffen (vgl. etwa 1Petr 1,6-7; 2,21; 4,12-14); dennoch steht die Rechtfertigung der Sache Jesu durch Auferstehung in Aussicht.92 Der Prozess des Loslassens führt auch dazu, aufgrund der aktiven Liebe Jesu so verwandelt zu werden (vgl. Röm 5,5.8), dass der Nachfolger im Grundmuster Jesus immer ähnlicher wird, wobei er seine Persönlichkeit, seine Gaben und Fähigkeiten immer mehr zur Ehre Gottes einsetzt. Die Metapher des „Sklaven-Jochs“, die Jesus in Mt 11,28-30 verwendet, ergänzt das vorliegende Bild Jesu vom „Kreuztragen“.93 Je mehr der Nachfolger all seine Lebenssorgen Jesus übergibt und ihm existenziell zur Verfügung steht, umso mehr ist er gewillt, durch Jesus geleitet zu werden, d.h. „sein leichtes Joch“ zu tragen. Dies zeigt sich sowohl in seiner Haltung gegenüber dem offenbarten Wort Gottes (4,20) als auch in der Aufmerksamkeit, die er der täglichen Gegenwart, Überführung und Leitung des Heiligen Geistes widmet (vgl. Joh 16,8-15; Röm 8,11.14). 35-37 Die V. 35-37 erläutern V. 34.

91 Cranfield 282, greift allerdings zu schnell zu dieser abgeleiteten Bedeutung und reduziert damit den intendierten, weiten Aussagehorizont Jesu. Ähnlich wie Cranfield, vgl. Dschulnigg 237-240. 92 Vgl. Lane 306.308, der auf Röm 8,17 verweist. 93 Es ist bezeichnend und zutreffend, dass D. Bonhoeffer dem Abschnitt von Mt 11,28-30 in seinem Buch über Nachfolge sehr viel Aufmerksamkeit widmet.

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35 Die zunächst paradox klingende Aussage, denn, wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinet- und der guten Botschaft willen verliert, wird es retten (vgl. Mt 10,39 par; Joh 12,25; EvThom 55)94 fordert eine übertragene Interpretation von Leben95 (ψυχή [psychē]), um Sinn zu geben.96 Wer weiterhin in Eigenbestimmung, Habgier und existenzieller Absicherung lebt (sein Leben retten [σῴζω, sōzō]), wird kein (ewiges) Leben in Gemeinschaft mit Gott finden (wird es verlieren [ἀπόλλυμι, apollymi]); wer um Jesu willen Selbstbestimmung aufgibt (ἀπόλλυμι [apollymi] = vernichten, verlieren; ζημιοθῆναι [zēmiothēnai] = eine Absage erteilen), der wird (ewiges) Leben in Gemeinschaft mit Gott finden (… wird es retten). Somit bekräftigt V. 35 das, was bereits oben angemerkt wurde (V. 34). Selbstbestimmung (z.B. Stoa, palästinisches Judentum, Islam, anthropozentrisches Kulturchristentum) steht im Gegensatz zu Loslassen (um meiner und der guten Botschaft willen). Zum ersten Mal kommt der absolute Selbstanspruch Jesu zum Ausdruck: „Um meiner und der guten Botschaft willen“.97 Am Bekenntnis zu seiner Botschaft und seiner Person entscheidet sich wahres, ewiges Leben. Die Aussage ἕνεκεν (ἐμοῦ) καὶ τοῦ εὐαγγελίου [heneken (emou) kai tou euangeliou] ist nur bei Mk bezeugt. Allerdings weist Lk 9,26 (par Mk 8,38) die Doppelaussage „sich meiner und meiner Worte schämen“ auf; die Tatsache, Jesu Person und seine Botschaft zu verbinden, liegt also nicht ausschließlich im Mk Ev. vor. Lane geht von einer redaktionellen Ergänzung durch Mk aus und fasst den Genitiv „des Evangeliums“ (V. 35) weniger überzeugend als Botschaft über Jesus auf.98 Aufgrund des Parallelismus zu V. 38 (meiner und meiner Worte; vgl. Lk 9,26), ist eher von der Botschaft, die Jesus verkündigt, auszugehen.

In V. 38 wird vollends deutlich, dass sich an Jesus und seinen Worten (über mich und meine Worte, με καὶ τοὺς ἐμοὺς λόγους [me kai tous emous logous]) ewiges Leben entscheidet (einschließlich dem Befinden des Menschen im Letzten Gericht). 36-37 Jesu Warnung in V. 36-37 bedeutet nicht, dass die Möglichkeit zur Umkehr in irgendeiner Lebensphase nicht mehr gegeben ist (vgl. Lk 15,24.32). Umkehr heißt, von der autonomen Haltung und Lebensweise zur Abhängigkeit 94 Schriftverweise bei Pesch II 61. 95 Vgl. Dschulnigg 239. 96 Lane 308, Anm. 105, verweist auf Dautzenberg, Leben, 51-64, der auf die ähnlich klingende rabbinische Aussage (ARN 11.35) verweist; dort heißt es in etwa: „wer ein Wort der Torah bewahrt, bewahrt sein Leben; wer ein Wort der Torah unterschlägt, verliert sein Leben“. 97 Lane 308. 98 Lane 308-309.

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von Gott zurückzukehren. Allerdings warnt Jesus seine Zuhörer auf ernsthafte Weise. Wer sein Leben dem Lebensspender übergibt, der bewahrt es und erhält die Zusicherung wahrer Ruhe für seine Seele (vgl. 8,38).99 36 Sein Leben in Selbstbestimmung und Autonomie erhalten zu wollen, kann sich u.a. in Habgier manifestieren. Jesus formuliert in Form von rhetorischen Fragen.100 Die paradoxe Hyperbel, bei der derjenige, der sogar die ganze Welt gewinnt, dennoch Schaden an seiner Seele nehmen kann, betont, dass Gewinn und Besitz (oder jegliche Art egoistischer, autonomer „Bereicherung“) in keiner Weise Seelennahrung sind oder der Seelenerhaltung dienen können (vgl. Ps 49,7-9.15; siehe Lk 12,13-21).101 Die Seele erreicht nicht das Ziel, wozu sie geschaffen wurde, nämlich eine wahre, Gott ergebene und von Gott erfüllte Lebensweise. Die Eigenbestimmung um Jesu Willen aufzugeben, erhält die Seele (wohl zum ewigen Leben; vgl. V. 38). Impliziert ist ferner, dass Gewinnsucht (z.B. Hos 2,7) der Seele dem wahren, authentischen und ewigen Leben sogar schadet: Sie raubt bzw. verwirkt einer Person die Gelegenheit zu einer Lebensweise, die Gottes Absicht und Gottes Fülle entspricht (vgl. 1Petr 2,11). 37 Weil menschliches Leben unermesslich bedeutsam und wertvoll bzw. unbezahlbar ist (Lk 12,13-21), darf es nicht wegen täuschender, egoistischer Gewinnsucht vergeudet werden (8,35).102 Es gibt keinen Ersatz, kein Tauschmittel103 für ein derart geschädigtes Leben (vgl. Hiob 28,17 im Sinn von „Wechselkurs“ oder „Ersatz“). Nichts auf der Welt kann das derart verlorene Leben wieder zurückkaufen (vgl. Ps 49,7-9 im Gegensatz zu Ps 49,16). „Jeglicher Versuch der Selbstsicherung … muss scheitern, weil die Mittel keine Macht über … den Tod vermitteln“.104 38 Sich zu Jesus und seinem Anspruch zu bekennen (vgl. Lk 12,9 par), wird von (ehebrecherischen und sündigen) Mitmenschen nicht notwendigerweise freudig aufgenommen. Verfolgung mag die Konsequenz sein. Jesus deshalb verleugnen zu wollen (sich über mich und meine Worte unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht schäm[en] = ἐπαισχύνομαι, epais­ chynomai) ist verständlich.

99 Siehe Mt 11,29; vgl. Jer 6,16. 100 Pesch II 63. 101 So Dschulnigg 240 und Lane 309. Vgl. Keener, Background, 157, der u.a. auf 2Bar 17,2-3; 51,15-16 verweist. 102 Vgl. mit Hiob 28,17 sowie Lk 15,13.30. Siehe den Kontrast zwischen V. 7-9 und V. 15 in Ps 49. 103 So Dschulnigg 240. 104 Pesch II 63.

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Wie oben bereits bemerkt, ist die Formulierung dieses Geschlecht (siehe Einzelauslegungen zu 8,12 und vor allem 13,30) stehender Ausdruck des leidenden Propheten Gottes (vgl. Deut 32,5.20; Ps 94,10 LXX; Jub 23,14-16; vgl. äthHen 93,9).105 Ps 94,10 LXX verdeutlicht, dass γενεά [genea] (Geschlecht) zwar jeweils eine bestimmte Generation meint („vierzig Jahre“, Ps 94,10a LXX), aufgrund der sich wiederholenden Hartherzigkeit weiterer Generationen (Ps 94,7b.8a LXX) allerdings eine „unheilsgeschichtliche“ Reihe des jeweiligen Geschlechts im Blick ist. Der Ausdruck „dieses Geschlecht“ weist bei Jesus ebenso meist auf die gegenwärtige Generation im Kontext „anderer Generationen der Hartherzigkeit“ (vgl. vor allem Lk 11,29-32.50-51 par). Aufgrund dieses „unheilsgeschichtlichen“ Kontextes kann γενεά [genea] (Geschlecht) hier (in 8,12 und in 13,30) als „Menschenschlag“ verstanden werden.

Jedoch warnt Jesus die willigen Jünger mit der entsprechenden „Gegenverleugnung“ eines derartigen Verleugners: „Über den wird sich der Menschensohn schämen (ἐπαισχύνομαι, epaischynomai; vgl. 38a), wenn er in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln kommt“. Ewiges Leben hängt somit vom gegenwärtigen Bekenntnis zu Jesus hier auf Erden ab.106 „Wer ewiges Leben verwirkt, der erlebt völligen Verlust, auch wenn er mit seiner Verneinung Jesu und des Evangeliums die Zustimmung der ganzen Welt erworben hat“.107 Das Kommen des Menschensohnes in der Herrlichkeit seines Vaters weist auf Dan 7,13-14 hin. Zwar wird in den Evangelien durchaus impliziert, dass Jesus mit Tod und Auferstehung seine (eher unscheinbare) messianische Herrschaft antritt (d.h. ein „Kommen in die Herrlichkeit des Vaters“), aber das endgültige Kommen Jesu in der Herrlichkeit seines Vaters, bei dem auch die Heiligen Macht übertragen bekommen (Dan 7,18.22.27), fällt mit der Parusie Jesu zusammen (vgl. 13,26-27 und 14,62). Zum Folgenden s.o., Einleitung 4.1.6 (Jesus als Menschensohn). Wir zeigten bereits, dass Dan 7,13-14 davon spricht, dass der Ewige seine göttliche Herrlichkeit mit einem Menschensohn108 (7,13) teilt (vgl. Mk 8,38), indem er jenem ewige Macht, ein ewiges Reich und sogar Ehre (δόξα [doxa]) überträgt. Den Menschensohn, als (Mit-)Träger (vgl. 7,27) des ewigen, göttlichen Königreiches, werden ferner alle Völker und Sprachgruppen dienend anbeten (LXX λατρεύουσα [latreuousa] = anbeten;109 MT Dan 7,14: ‫[ י ִ ְפלְחּון‬jiphlechūn]). Zum altaramäischen ‫[ ָפלַח‬phalach] im Sinn von „anbeten“, s.o., Einleitung 4.1.6 zu Dan 7,13-14. Bezeichnend ist, dass die Heiligen des 105 Pesch I 408; bemerkt: „Die Umkehrpredigt … ist wie die Verstockung selbst Grund der Zeichenforderung. Die Verweigerung des Zeichens ist zugleich strenger Rückverweis auf die Umkehrforderung“. Im Sinn einer „letzten Generation“ vgl. 1QHab2,6-7. 106 Pesch II 64, bezeichnet die Aussage in V. 38 als „eschatologisches ius talionis“. 107 Lane 309 (zu V. 36; Übersetzung HFB). 108 Keil, Daniel, ad loc., bemerkt, dass die Formulierung ein göttliches Wesen in menschlicher Form beschreibt. 109 Vgl. LN, ad loc.

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Höchsten, die in Zukunft an der Ausübung der Königsherrschaft (mit dem Höchsten und dem Menschensohn)110 teilhaben (vgl. Dan 7,18.22.27),111 zwar mittelbar Macht, Reich und Gewalt erhalten (vgl. Dan 7,27), jedoch im Gegensatz zum Menschensohn (Dan 7,14) keine „Ehre“ empfangen. Auch beten alle Mächte den Höchsten an (Dan 7,27, ‫[ י ִ ְפל ְ֖חּון‬jiphlechūn]). Die parallel verlaufende „Anbetung des Menschensohnes durch alle Völker und Sprachgruppen“ in Dan 7,14 und die „Anbetung des Höchsten durch alle Mächte“ in Dan 7,27 fällt besonders auf. Auch wird in Dan 7,27 deutlich, dass der Ewige weiterhin (und trotz 7,13-14) über sein ewiges Reich herrscht. Es ist nicht zwingend, in Dan 7,27 das sg. mask. Suffix zu „Königreich“ (‫[ ַמלְכּותֵ ּה‬malekūteh]) und das sg. mask. Pronomen ‫[ לֵּה‬leh] auf das heilige Volk (mask. sg.) des Höchsten zu beziehen. In Daniel ist das ewige Königreich vor allem mit dem Höchsten (ebenso mask. sg.; also „das Königreich des Ewigen“) und seinem Menschensohn verknüpft (siehe neben Dan 7,27 noch Dan 3,33; 4,31; 6,27 sowie Dan 2,44112).113 Ferner ist geltend zu machen, dass für die Zeit Jesu eine messianische Interpretation von Dan 7,13-14 durchaus belegt ist (vgl. etwa 11QMel2,18).114

So wird in Mk 8,38 der göttliche Selbstanspruch Jesu zumindest indirekt angedeutet. Weil Jesus göttlichen Selbstanspruch erhebt, ist die Gesamtaussage in V. 35-38 so absolut formuliert: Es geht hier nicht um die Stiftung einer neuen Religion, sondern um Umkehr bzw. Rückkehr zum ewig existierenden, dreieinigen Schöpfergott, der allein über ewiges Leben verfügt. Ferner ist zu betonen, dass Jesus den Hochbetagten bzw. Höchsten aus Dan 7,13 als Vater bezeichnet. Die unmittelbare Forderung Jesu basiert auf diesem göttlichen Selbstanspruch und gewinnt dadurch Plausibilität und endgültige Dringlichkeit.115 Darauf gründet ferner der Selbstanspruch Jesu, als Richter im Letzten Gericht aufzutreten. Gegen die Auffassung Bultmanns, dass Jesus sich nicht mit dem zum Gericht kommenden Menschensohn identifiziert, spricht bereits der auffällige Parallelismus in 8,38a und b: In V. 38a verweist Jesus auf sich selbst (με [me]), in der entsprechenden Aussage in V. 38b auf den Menschensohn.116 Ferner gibt es

110 Keil, Daniel, ad loc. 111 Vgl. Wehnert, Teilhabe, 81-96 zum analog dazu verlaufenden ntl. Thema. 112 Eine scheinbare Ausnahme liegt in Dan 7,18 vor; es sei denn, was wahrscheinlich ist, dass die Heiligen lediglich ewige Mitregenten sind. 113 Vgl. Keil, Daniel, ad loc. Meinem Kollegen, Dr. C. John Collins verdanke ich ferner den Hinweis auf den israelischen Daniel-Kommentar von Kiel; er nennt den ‫[ לֵּה‬leh]-Verweis in 7,27 „messianisch“ (Kiel, Daniel, ad loc.). 114 Vgl. Bock, Blasphemy, 223, der ferner 4Q491 sowie äthHen 46-71 erwähnt. Bock, a.a.O., 223, Anm. 95 verweist auf Horbury, Association, 34-55, hier 42. 115 Lane 310, Anm. 109, verweist auf Herm Sim 9.14.6 und 9.21.3: hier kommentiert und paraphrasiert der im Rom ansässige Autor um 140 n.Chr. den Abschnitt Mk 8,35-38. 116 So Lane 310. Natürlich ist der Gesamtanspruch Jesu Basis der Richterfunktion Jesu.

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keinerlei Indizien im vorliegenden Text oder im Mk Ev., die eine Differenzierung zwischen Jesus und dem kommenden Menschensohn nahelegen. Dschulnigg beschreibt treffend die thematische Verknüpfung der V. 35-38: „Nach den Aussagen über Gewinn und Verlust des bleibenden Lebens (V. 3537) wird nun mit einem Gerichtswort zur Kreuzesnachfolge ermahnt (V. 38)“.117 9,1(-2)118 Beachtenswert ist, dass dieses schwierig zu deutende Amen-Wort (vgl. 9,41; 10,15; 13,30; 14,25; EvThom 1) im Gegensatz zu Mt 16,28 nicht direkt (allerdings auf den endzeitlichen V. 38 folgend) das Kommen des Menschensohnes in Macht und Herrlichkeit erwähnt. Vielmehr ist hier lediglich die Rede vom Kommen der Herrschaft bzw. des Königreichs Gottes „mit Kraft“ (letztere Aussage nur bei Mk, im Gegensatz zu Lk 9,27). Dennoch gehören Mt 16,28 und Mk 9,1 sachlich eng zusammen.119 Sowohl Mt 16,28 wie auch Mk 9,1 lassen sich mit 2Petr 1,16-18 auf die Verklärung Jesu (9,2-8) als Ermutigung und Ausblick angesichts der ernüchternden Nachfolgeaussagen120 beziehen. Das Ereignis der Verklärung wird zwar unmittelbar nach der Aussage in 9,1 geschildert, ist jedoch zeitlich (vgl. die überraschend genaue Zeitangabe: nach sechs Tagen; vgl. Ex 24,16) von der Aussage in 9,1 ausreichend getrennt. Mit Cranfield ist zu bemerken, dass die Aussage einige, die hier stehen, werden ganz sicher nicht den Tod erleben, bis sie sehen … relativ zeitlos ist und lediglich besagt, dass einige der Anwesenden (nämlich die drei Jünger des „inneren Kreises“; vgl. 9,2) vor ihrem Tod das ins Auge gefasste Ereignis erleben werden.121 Die Aussage kann somit auf das bevorstehende und erstaunliche Ereignis auf dem Berg der Verklärung verweisen, an dem drei Jünger teilnehmen. Dies wäre besonders dann möglich, wenn sich die Aussage bis sie das Kommen des Königreiches gesehen haben (Perfekt) mit Kraft (9,1b; vgl. mit Lk 9,27) zumindest in gewisser Weise auf das bezieht, was die Jünger auf dem Berg sehen und hören werden (vgl. 2Petr 1,16-18).

117 Dschulnigg 241. 118 Lit.: Hatina, Kingdom, 20-34. 119 Vgl. Mk 8,38. Siehe Lane 312, bezüglich der engen Beziehung zwischen „Königreich Gottes“ und „Jesus“ in 1,14-15; 4,11; siehe vor allem Mk 14,25. 120 So Lane 312-313; Lane 314, bemerkt, dass die Verklärung auch als Warnung für die Christenverfolger dient: Der, der so herrlich offenbart wurde (9,2-13), wird ganz sicher als Richter kommen (8,38). 121 So Blomberg, Matthew, 261 und Anm. 8; Cranfield 285-288. Vgl. ferner Lane 314 und Anm. 5. Vgl. den Interpretationsüberblick bei Moore, Parousia, 92-107.

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Eine überzeugende Interpretation von 9,1122 hängt somit vor allem davon ab, worauf die Bemerkung „mit Kraft“ (en dynamei)123 verweist. Zunächst ist zu betonen, dass sich das Königreich in „Macht“-Wellen manifestiert, die bereits z.T. geschehen sind, bzw. noch bevorstehen. Das Reich kommt mit Macht (vgl. exousia), wenn Jesus seine unmittelbare Nähe verkündet (1,14-15). Es kommt mit Macht, wenn Jesus böse Geister austreibt (vgl. Lk 4,36; 11,20) und heilt (vgl. Lk 5,17). Es kommt mit Macht, wenn er seine Vollmacht über die Natur erweist (siehe Mk 1–6; vgl. Apg 10,38). Es kommt mit Macht, wenn seine Jünger Ähnliches vollbringen (Mk 6–7; vgl. Mt 6,10). Die eben genannten und bereits zurückliegenden „Macht-Wellen“ können sich allerdings nicht auf Mk 9,1 beziehen, weil diese Aussage in die Zukunft blickt. Bei dem darauffolgenden Ereignis der Verklärung wird zumindest der Verkündiger des Königreiches in seiner Herrlichkeit offenbart, was Rückschlüsse auf seine gegenwärtige und zukünftige Macht erlaubt. Petrus äußert sich später über dieses Ereignis wie folgt: Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge (2Petr 1,16-18; Luther 1984).

Das Königreich kommt ferner mit Macht, wenn Jesus über den Tod triumphiert (16,6a),124 von den Toten auferweckt wird (8,31; Röm 1,4) und damit den ewigen und universalen Bund etabliert (14,24; vgl. 13,10; Offb 5,12). Siehe den Verweis auf das bevorstehende machtvolle Ereignis in Jerusalem im Kontext der Verklärung Jesu in Lk 9,31. Dort ist die Rede von Jesu „Exodus“, was wahrscheinlich nicht nur auf seinen bevorstehenden Tod verweist (vgl. Hebr 11,22 im Gegensatz zu

122 Ähnliche Fragen ergeben sich bei zwei weiteren Texten, die oft als „Naherwartungslogien“ bezeichnet werden (Mt 10,23 und Mk 13,30; siehe die Bemerkungen zu Mk 13,30). Aufgrund der Ungewissheit darüber, was diese Texte genau aussagen, ist bei der Interpretation Vorsicht geboten. Bei aller Erwartung des bevorstehenden Endes des gegenwärtigen Äons spricht Jesus oft genug und deutlich von einer Verzögerung. Ferner ist bei der relativ unbegründeten These einer angeblich weit verbreiteten Auffassung der Parusieverzögerung im Urchristentum äußerste Vorsicht geboten. Pace Dschulnigg 244. Siehe Bayer, Eschatology, 236-250. 123 Es handelt sich wahrscheinlich um einen instrumentalen Dativ. Eine plausible Alternative hierzu wäre ein Dativus modi („concomitant circumstances“), Zerwick-Grosvenor, 134. 124 Vgl. Lk 9,31; 1Kor 1,17; 2Kor 13,4; Kol 2,13-15.

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2Petr 1,15). Der große und machtvolle „Exodus“, den Jesus anführen wird, ist die überwältigende Befreiung aus der Macht der Sünde, Satans und des Todes (vgl. Kol 2,13-15).

Das Königreich kommt mit Macht, wenn alle Nachfolger Jesu in der Urgemeinde mit dem Heiligen Geist gefüllt werden (Lk 24,49; Apg 2,2-4; 4,33).125 Schließlich wird sich das Königreich mit endgültiger Macht bei seiner Wiederkunft manifestieren (14,25; vgl. mit 13,26).126 Es ist zu betonen, dass Jesus den Zusatz „mit Macht“ ausgerechnet in 14,25 nicht benutzt, obwohl gerade dort die Rede vom zukünftigen, machtvollen und endgültigen Kommen des Königreichs ist. Man vergleiche dies mit dem Kommen des Menschensohns „mit Macht“ in Mt 24,30 (vgl. Mk 13,26). Schließlich deutet Mk 14,25 an, dass aufgrund einer erwarteten Zwischenzeit zwischen Auferstehung und Wiederkunft (vgl. 13,32; siehe auch Apg 3,21) eine Naherwartung der Parusie ausgeschlossen ist. Somit sind verschiedene Interpretationsmöglichkeiten, die Mk 9,1 mit einer vermeintlichen Naherwartung verbinden, eher unwahrscheinlich. Sofern obige Interpretation zutrifft, sagt Mk 9,1 aus, dass einige Jünger den Tod nicht sehen werden, bis sie eine der mächtigen Manifestationen des kommenden Königreichs, nämlich die Verklärung als Vorwegnahme der zukünftigen Herrlichkeit und Macht des Menschensohns gesehen haben (vgl. Mt 16,28; Offb 21,23; siehe Hes 1,22-28).127 Eventuell kann aufgrund von Lk 9,31 (siehe oben) neben der Verklärung auch der Tod und die Auferstehung mit dem hier erwähnten „Kommen des Königreichs“ im Blick sein. Das Ereignis der Verklärung ist somit wahrscheinlich proleptisches Erleben (vgl. 2Petr 1,16-18) des zukünftigen Daseins des Menschensohnes als herrlicher Richter und ewiger König (Parusie; 8,38; 13,26; vgl. Joh 1,14b).128 Jesus sagt später vor dem Hohepriester: „und ihr werdet sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen mit den Wolken des Himmels“ (14,62; Luther 1984). So ist den Dreien beschieden, was die Menschheit erst zur Parusie (13,26) erleben wird (Cranfield). Das endgültige Kommen des Königreichs Gottes 125 Vgl. Röm 15,13; Eph 3,16; Kol 1,11; 1Thess 1,5. 126 Dschulnigg 242 versteht 9,1 in diesem endgültigen Sinn und schließt (mit Gnilka II 26) daraus, dass die Aussage „eher ein urchristliches Prophetenwort als ein Jesuswort“ ist. Siehe Apg 1,11 und 3,21. 127 Mk 9,1 kann sich evtl. auch auf den Tod und die Auferstehung Jesu beziehen. Viele Ausleger der ersten Hälfte des 20. Jh.s (z.B. A. Schweitzer) fassen die Aussage in 9,1 als Naherwartungslogion, welches sodann vermeintlich belegt, dass Jesus sich in seiner überspannten Zukunftserwartung grundsätzlich getäuscht hat. 128 So etwa Pesch II 67, allerdings mit der Feststellung, dass dies lediglich die markinische Redaktion widerspiegelt.

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mit Kraft und das Kommen des Menschensohnes in der Herrlichkeit seines Vaters (8,38) ereignet sich erst im Zusammenhang mit der zukünftigen Parusie Jesu, ist jedoch in der Verklärung (siehe Jesu leuchtende Herrlichkeit, die Wolke, die Stimme aus der Wolke) für kurze Zeit,129 aber real, vorweggenommen. Für die Jünger gehören der eigene Leidensweg (8,34) und der Ausblick auf die Herrlichkeit Jesu und seines Reiches (9,2ff; vgl. 1Petr 1,3-7) zusammen. Dies wird in 9,9-13 sowie in 14,32-42, verdeutlicht.130

10.2 Die Verklärung Jesu 9,2-8 Die Verklärung Jesu (9,2-8) mit folgender Dämonenaustreibung (9,14-29) weist gewisse Ähnlichkeiten zu Jesu Taufe (1,9-11) mit folgender Versuchung in der Wüste (1,12-13) auf. Die Verklärung ermöglicht den drei anwesenden Jüngern einen kurzen Einblick in die göttliche Natur Jesu (9,2-8). Auf die Erzählung der Herrlichkeit Jesu folgt die erneute Auseinandersetzung mit Dämonen und Gegnern Jesu. Der Kampf gegen derartige Mächte geschieht durch Gebet und Fasten (9,29). I 2 Und nach sechs Tagen nimmt Jesus Petrus, Jakobus und Johannes mit und führt sie auf einen hohen Berg, ganz für sich. Und er wurde vor ihnen verwandelt, 3 und seine Kleider wurden durch und durch weiß leuchtend, wie sie kein Bleicher auf Erden derart bleichen kann. 4 Und es erschienen ihnen Elia und Mose und sie unterhielten sich (ausgiebig) mit Jesus. 5 Und Petrus reagierte und sprach zu Jesus: „Rabbi, es ist gut, dass wir hier sind, so lasst uns drei Zelte (Hütten) aufstellen; dir eins, und Mose eins und Elia eins“. 6 Er wusste aber nicht, was er sagen sollte, denn sie wurden (alle drei) von Furcht ergriffen. 7 Und eine Wolke umhüllte sie und eine Stimme kam aus der Wolke: „Dieser ist mein (einzig) geliebter Sohn, achtet auf seine Worte“. 8 Und plötzlich, als sie sich umschauten, sahen sie bei sich überhaupt niemanden (mehr), außer allein Jesus.131

129 Lane 314, Anm. 5. 130 So Pesch II 67. 131 Lit.: Standhartinger, Jesus, 66-85; Zeller, Bedeutung, 303-321; vgl. ferner Baltensweiler, Verklärung, ad loc.; van Iersel, Sohn, ad loc.; Nützel, Verklärungserzählung, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 82-84 (bis 1980); Evans 30-33 (bis 1999).

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II Bei der Verklärung Jesu (9,2-8)132 handelt es sich nicht um eine ursprüngliche Auferstehungsgeschichte, sondern um eine vorösterliche Episode zur Belehrung der Jünger.133 Es liegen Parallelen zum Sinaierlebnis des Mose in Ex 24 vor (vgl. 33-34).134 Der Abschnitt gliedert sich in 1. Einleitung, V. 2; 2. Metamorphose Jesu, V. 2-3; 3. Gespräch zwischen Elia, Mose und Jesus, V. 4; 4. Reaktion des Petrus, V. 5-6; 5. Erläuternde, himmlische Stimme und Ende der Verklärung, V. 7-8. Unmittelbar auf die Verklärung Jesu folgen: Schweigegebot, V. 9; Fragen zur Auferstehung und dem Kommen Elias, V. 10-11 sowie die Antwort Jesu, V. 12-13. III Der lukanische Verklärungsbericht enthält die zusätzliche Auskunft, dass die Anwesenden über den „Exodus“ (ἔξοδος [exodos] = „Ausgang“, Lk 9,31) Jesu sprechen. Dieser Begriff kann mitunter den physischen Tod bezeichnen (d.h., „Ausgang des Lebens“; vgl. 2Petr 1,15). Allerdings gibt es auch andere griechische Begriffe, um den physischen Tod zu beschreiben (vgl. Apg 20,29; 2Tim 4,6). Nun erwähnt Lukas (Lk 9,31) den Begriff „Exodus“ im Beisein von Mose. Ferner verbindet Lukas den Begriff „Exodus“ mit der vielsagenden Aussage „… den er in Jerusalem erfüllen muss“ (Lk 9,31). Es ist daher möglich, dass „Exodus“ hier mehr als den bevorstehenden Tod Jesu anspricht. Jesus würde somit durch seinen stellvertretenden Tod (vgl. das geschlachtete Passahlamm als Schutz vor Gericht) und seine Auferstehung einen großen, zweiten Exodus anführen, der diesmal die Befreiung aus der Knechtschaft der Sünde, der Macht des Todes und Satans bewirken wird. Der mosaische Exodus wäre somit lediglich ein Vorläufer dieses umfassenden und kulminierenden Exodus. 2-8 (9-13) Die gesamte Erzählung der Verklärung Jesu dient den ausgewählten Jüngern als Offenbarungsgeschehen: Jesus nimmt sie mit auf einen hohen Berg und wird vor ihnen verwandelt (V. 2), Elia und Mose erscheinen ihnen (V. 4), die Stimme spricht zu ihnen (V. 7), Jesus spricht zu ihnen (V. 9.12-13).135 Das Ereignis (mit nachfolgender Wiedervereinigung mit den üb-

132 Pesch II 70 spricht (mit M. Dibelius) zögernd von einer „Epiphanieerzählung“. Da es sich bei der Verklärung um eine Person handelt, die sich soeben noch als Mensch zeigte, ist die formale Identifizierung als Epiphanie fragwürdig. 133 Siehe die ausführliche Diskussion bei Evans 33-34. Berger, Formen, 338-341, weist den Abschnitt der Gattung der „Berichte über Visionen“ zu. 134 Evans 43, mit Verweis auf Mauser, Christ, 110-119. 135 Vgl. Pesch II 70.

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rigen Jüngern) wird eindeutig aus der Perspektive von einem der drei Zeugen der Verklärung erzählt.136 2-7 Jesus nimmt die drei vertrauten Jünger Petrus, Jakobus und Johannes (vgl. 5,37; 14,33) gesondert (4,34; 6,31-32; 7,33; 9,28-29; 13,3; vgl. 2Petr 1,16-18) auf einen hohen Berg,137 um ihnen einen tiefen Einblick in seine umfassende, herrlich-transzendente Identität zu gewähren. Dschulnigg hebt vor allem die Nähe zum mosaischen Bundeschluss in Ex 24,1.9.16 hervor (siehe dort die Bedeutung des Berges, der drei Begleiter des Mose sowie der Wolke).138 Das pass. divinum beschreibt die Verklärung „als Handlung Gottes“.139 Keener erwähnt, dass sowohl in griechischer Mythologie als auch in jüdischer Apokalyptik Berichte von Umwandlungen und Verklärungen belegt sind.140 Pesch unterscheidet allerdings die hellenistische Metamorphose als „Verwandlung der Gestalt“ vom jüdisch-apokalyptischen Verständnis als „Verwandlung zur himmlischen Auferstehungsherrlichkeit“.141 Siehe 1Kor 15,51f.

Sie sollen im Gegensatz zu weit verbreiteten Erwartungen immer mehr wahrnehmen, wer der Messias Gottes (9,7) tatsächlich ist.142 Dass der Messias Gottes verworfen und getötet werden muss, hat Jesus den Jüngern bereits ein erstes Mal deutlich gemacht (8,31; vgl. 2,20). Nun gewährt er ihnen den Einblick in seine göttliche Natur (vgl. Joh 1,14; Phil 2,6) sowie seine Erhabenheit über Mose (Theophanie auf dem Sinai; Mose repräsentiert das Gesetz; Ex 24,1.9; vgl. Hebr 3,1-6)143 und Elia (Theophanie auf dem Horeb; Elia repräsentiert die Propheten, 1Kön 19,8). Dieser Einblick wird als historisches Ereignis geschildert (vgl. 9,2.3.5).

136 Vgl. Lane 329. 137 Pesch II 71 verweist auf die Berg-Analogie in Gen 22,2.13-14; Ex 19,3; 1Kön 17,19; 19,8. 138 Dschulnigg 244 und Anm. 79. 139 Pesch II 72. 140 Keener, Background, 158. 141 Pesch II 72 und Anm. 6 (siehe dort Belege). Hervorhebung: Pesch. 142 Bird, God, passim. 143 Vgl. Pesch II 72.

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Obwohl die Verklärung proleptisch auch auf die Auferstehung Jesu144 verweist, offenbaren sowohl die überragende Hoheit Jesu über Mose und Elia als auch vor allem die himmlische Stimme die göttliche Natur Jesu.

Das Ereignis bekräftigt ferner Jesu außerordentliche, einmalige Beziehung zu Gott als Vater (9,7; vgl. 1,11). Die Elemente der Erniedrigung (Mk 8,31) und der Erhabenheit (Mk 9,2-8) sprengen den Rahmen der weit verbreiteten Messiaserwartungen und verdeutlichen, dass die Jünger in ihrer Nachfolge primär Jesus kennenlernen sollen, um sich von ihm prägen zu lassen. Die nach dem Muster der atl. Theophanie (vgl. vor allem die Sinai-Theophanie in Ex 24,1218) vermittelte Verklärung dient der Ermutigung und Unterweisung der Jünger (vgl. 9,2.4.7),145 damit sie das Leiden ihres Meisters (Jes 52,13–53,12; Mk 14,1–16,8) und ihr eigenes Leidensgeschick (8,34-38) ertragen und wenigstens ansatzweise verstehen können (vgl. Jes 52,13-15).146 3-5.7 Das Leuchten seiner Kleider147 ist schwer vorstellbar. Durchdrun­ gen von einer derart konzentrierten Lichtquelle im Innern Jesu, leuchtet folglich das Gewand Jesu (στίλβω [stilbō] = „ich leuchte“, „ich scheine“).148 Die leuchtende Erscheinung Jesu (vgl. die Stimme aus der Wolke, V. 7; vgl. 2Petr 1,16-18) besagt zumindest, dass Jesus nicht nur Mensch ist, sondern auch göttliche Wesenszüge besitzt (vgl. Lk 9,31; Phil 2,6). Zwar leuchtet das Gesicht von Mose (als Reflexion) nach seiner erneuten Begegnung mit dem Allmächtigen (Ex 34,29.33-35; vgl. Dan 10,5-6), aber die Verwandlung Jesu (μετεμορφώθη [metemorphōthē], V. 2) und sein Leuchten von innen heraus (im Kontrast zu Mose, Ex 34,33-35) weisen auf den qualitativen und wesentlichen Unterschied zwischen Mose und Jesus. Während der Verklärung geht von Jesus sichtbares, göttliches Licht aus (vgl. Offb 1,16b). Die Offenbarung des Johannes spricht oft von weißen Kleidern als Metapher der Reinheit.149 Das Ereignis stellt die direkte Offenbarung der Herrlichkeit Gottes dar.150 Jesus ist Ort der Herrlichkeit Gottes. Die Verklärung erweitert somit erneut das Ausmaß der Identität Jesu (vgl. 8,38; vgl. 2Kor 3,18). So, wie die Jünger auf Jesu Lehre und 144 Ebd. 145 Lane 316-17. 146 So Lane 316. 147 Pesch II 72-73, deutet dies in Anschluss an Dan 12,3 und äthHen 38,4; 50,1; 62,16; 104,2 ausschließlich als Manifestation der Auferstehungsherrlichkeit. Dschulnigg 245 betont die Tatsache, dass das Tragen weißer Kleider auf Engel oder auf Selige im Himmel verweist (vgl. Mk 16,5; 2Makk 3,26). 148 Siehe BDAG, 945: In der LXX wird dieses Wort verwendet, um z.B. das Leuchten von Sternen oder den Glanz von Metall zu beschreiben. 149 Siehe Offb 1,14; 3,5.18; 4,4; 6,11; 7,9.13-14; 19,14; (20,11) und vergleiche mit Mk 15,5. Siehe Bühner, EDNT, II, 350-351, sowie Michaelis, TDNT, IV, 241-250. 150 Lane 318.

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Wundertaten mit Unverständnis und Hartherzigkeit reagieren (8,17-18.21; vgl. 9,10), so zeigt sich hier wiederum, dass Petrus das Leuchten Jesu im vorgeprägten Rahmen seiner herkömmlichen Messiasauffassung interpretiert: etwa, als der besondere, göttliche Segen, der auf dem Messias ruht (vgl. Ex 34,29, als bekannt vorauszusetzende Analogie). Während seines irdischen Lebens bleibt die stets vorhandene göttliche Natur Jesu dem menschlichen Auge meist verborgen (vgl. Phil 2,5-7). Nur selten wird sie direkt (9,3) oder indirekt sichtbar.151 Im Kontext der Leidens- und Auferstehungsankündigung Jesu besagt die Verklärung, dass Jesus über Tod und Auferstehung hinaus durch den ewigen Vater derart bestätigt wird (9,7) und wesenhafte Herrlichkeit mit ihm teilt (9,23; vgl. 1,11; 12,6; 14,61-62), dass seine warnende Parusieaussage in 8,38 völlig ernst zu nehmen ist.152 Der, der so verherrlicht vor den drei Jüngern steht, ist gewiss autorisiert, die Menschheit in seiner zukünftigen Parusie souverän zu richten (vgl. Apg 10,42; 17,31).153 Die verdeutlichende Nebenbemerkung über den Bleicher auf Erden ist Charakteristikum eines Augenzeugenberichts (Petrus). „Walker oder Tuchscherer krempelten Wolle, kratzten Tücher auf und reinigten schmutzige Gewänder“.154 4 Bei den Erscheinungen von Mose und Elia155 handelt es sich nicht um Reinkarnationen. Auch wird deutlich, dass das erwartete „Kommen des Elia“ (vgl. 9,11-13; siehe ferner 8,29) in der Person Johannes des Täufers hier nicht gemeint sein kann.156 Ferner gilt festzuhalten, dass Mose und Elia im Gegensatz zum toten Propheten Samuel, den Saul durch ein Medium heraufbeschwört (1Sam 28,7-20), ohne Totenbeschwörung vor Jesus und den Jüngern erscheinen. Mose und Elia erscheinen aus der Gegenwart Gottes157 und können sich mit Jesus (nach Lk 9,31 über seinen „Exodus“ als Verweis auf den „zweiten“ bzw. „großen“ Exodus) ausgiebig unterhalten (vgl. συλλαλέω [syllaleō] in Ex 34,35; vgl. Ex 34,29 λαλέω [laleō]).158 Mose repräsentiert dabei das Gesetz 151 Vgl. mit Phil 2,8-11; siehe 1Kor 8,5-6. 152 Ähnlich, Lane 318. 153 Vgl. Pesch II 74, der auf äthHen 71,1-14 verweist. Dort wird Henoch nach seiner Entrückung verwandelt und nach Dan 7,13f als Menschensohn vor dem Hochbetagten inthronisiert. Siehe oben, Einleitung 4.1.2–4.1.6. 154 Dschulnigg 245 mit Verweis auf Gnilka II 34. 155 Vgl. die Verweise bei Pesch II 74, auf außerbiblische, jüdisch-apokalyptische Parallelstellen. 156 Der Täufer kommt im „Geist und in der Macht des Elia“, Lk 1,17. 157 Dschulnigg 245 meint, dass das Erscheinen von Mose und Elia nur deshalb für möglich gehalten wird, weil Mose und Elia „aufgrund biblischer Überlieferung (2Kön 2,11) und gemäß dem Volksglauben in den Himmel entrückt worden sind“. Aufgrund der Lehre Jesu (Mk 12,26-27) ist das Erscheinen von Mose und Elia auch ohne die Überlegung von Dschulnigg möglich. 158 So Pesch II 74.

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(siehe den Exodus mit Gesetzgebung am Berg Sinai; vgl. Deut 18,15.18; Hebr 11,22), Elia den prophetischen Dienst (vgl. Mal 3,23-24; Sir 48,9-10; Mk 9,1113).159 Jesus überragt beide, u.a. als Erfüllung des Gesetzes und der Propheten (Mt 5,17). 5-6 Wiederum (vgl. 8,32) erfasst Petrus trotz Verklärung nicht, wer sein Meister (Rabbi = Lehrer; vgl. 10,51; 11,21; 14,45) wirklich ist. Jedes Mal, wenn Jesus den Vorstellungshorizont seiner Jünger ausweitet, schätzen sie ihn aufgrund ihrer vorgefassten Erwartungen falsch ein (vgl. etwa 4,40; 6,52; 7,18; 8,17-21; 8,32-33; 9,32; 14,26-42).160 Hier nimmt Petrus an, dass Jesus den verehrten Vätern Mose und Elia lediglich gleichzustellen ist; deshalb möchte er jedem der drei ein irdisches Zelt („irdische Hütten für himmlische Gestalten“;161 vgl. Lk 16,9) aufstellen.162 Petrus reduziert somit die zukunftsweisende Situation (Verklärung/Parusie), in der Jesus bereits jetzt das Gesetz und die Propheten vollständig erfüllt (Mt 5,17) und in der Parusie alles wiederherstellen wird (9,12; Apg 1,6), auf den engen Rahmen alttestamentlicher Begegnung mit Gott in der Stiftshütte (vgl. den Hebräerbrief). Ferner unterschlägt Petrus die göttliche Notwendigkeit des Leidens Jesu (V. 12-13) als conditio sine qua non der Herrschaft (8,38) und Wiederherstellung aller Dinge (Apg 3,21).163 Zuerst muss die Entfremdung der Menschheit von Gott ernst genommen und gesühnt werden, sodann offenbart sich die Herrlichkeit Jesu als unermesslich größer als die des Mose und Elia.164 Petrus verkennt somit „die einmalige Besonderheit des Geschehens …: Jesus ist als Menschensohn nur proleptisch in himmlische Herrlichkeit verwandelt und muss seinen Weg zur Auferstehung erst noch durch Leiden und Tod gehen.“165 6 Die Aussage ist schwierig zu fassen. Die drei Jünger werden jedenfalls von Furcht166 ergriffen; Petrus weiß evtl. nichts Weiteres zu sagen. Es ist jedoch durchaus möglich, dass V. 6a lediglich den Beginn von V. 5 wiederholt: ἀποκριθεὶς ὁ Πέτρος [apokritheis ho Petros] … (V. 5); οὐ γὰρ ᾔδει τί ἀποκριθῇ [ou gar ēdei ti apokrithē] … (V. 6); dann hieße es: Petrus wusste nicht was er

159 Verweise bei Dschulnigg 245. 160 Schriftverweise bei Pesch II 76. 161 So Pesch, II 75. Zum Vergleich mit dem Laubhüttenfest, siehe Dschulnigg 246, der u.a. auf Gnilka II, 34-35 verweist. 162 Lane 317, Anm. 16, der auf Hes 37,27; 43,7.9; Joel 3,21; Sach 2,10-11; 8,3.8; 14,16-19 verweist: Dort findet sich die Erwartung, dass Gott in den letzten Tagen sein Zelt unter den Menschen errichtet. 163 Lane 319. 164 Ähnlich, jedoch mit anderem Akzent, Pesch II 75. 165 Dschulnigg 246. 166 Vgl. Matjaž, Furcht, passim.

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in seiner Aussage (V. 5) antwortete; er machte jene Aussage (V. 5) aus Furcht (V. 6). 7 Die an den ersten Exodus erinnernde (Ex 24,15-16) Stimme aus der Wolke (als Offenbarungsquelle)167 greift die göttliche Bestätigung Jesu bei seiner Taufe am Jordan (Mk 1,11) auf. Diesmal ermahnt die himmlische Stimme dazu, ausschließlich dem einzigen, dem geliebten Sohn168 (vgl. Ps 2,7; Jes 42,1 sowie Gen 22,2.12.16)169 Gehör zu schenken. Diese Aufforderung greift Deut 18,15.18 auf (vgl. Apg 3,22; 7,37; siehe die messianische Interpretation von Deut 18,15.18 in 4Q175): „Einen Propheten wie mich (Mose) wird der HERR, dein Gott, dir erwecken aus dir und aus deinen Brüdern; dem sollt ihr gehorchen“ (Luther 1984; vgl. ἀκούετε αὐτοῦ [akouete autou] Mk 9,7 mit αὐτοῦ ἀκούσεσθε [autou akousesthe], „den sollt ihr hören“, Deut 18,15 LXX). Mit dieser prophetischen Aussage weist Mose deutlich über sich hinaus (vgl. diesbezüglich auch den Täufer) und drängt eindringlich dazu, diesem kommenden jüdischen Propheten170 Gehör zu schenken und zu gehorchen, um nicht vom Volk ausgerottet zu werden. Seine Worte sind über allem anderen zu beachten. Es gilt: Wer Jesus nicht hört, widersetzt sich dem Mose. Die dadurch erneut hervorgehobene Bestätigung Jesu durch den Vater macht deutlich, dass Jesu Aussagen über sein bevorstehendes Leidensgeschick (8,31) sowie seine zukünftige Erhabenheit (8,38) absolut verbindlich sind.171 „Wurde 1,11 eine Aussage über den Gottesknecht durch ,mein Sohn, der geliebteʻ in eine einzigartige Sohnesbeziehung überhöht, so an dieser Stelle eine Aussage über den verheißenen eschatologischen Propheten wie Mose. Jesus, der an beiden Stellen gemeint ist, ist die Erfüllung atl. Verheißung.“172 8 Und plötzlich, als sie sich umschauten, sahen sie bei sich überhaupt niemanden (mehr), außer allein Jesus. Das Ziel der Verklärung Jesu, die Absicht der Erscheinungen von Mose und Elia sowie der Zweck der himmlischen Stimme ist erreicht: Die drei Jünger haben für einen Augenblick die göttliche Natur Jesu mit ihren eigenen Augen gesehen, sie haben seine Erhabenheit über Mose und Elia vernommen (vgl. Hebräerbrief) und mit eigenen Ohren gehört, was der Wille des ewigen Vaters in Erfüllung umfassender, alttestamentlicher 167 Vgl. Ex 13,21. Lane 320 verweist auf Ex 16,10; 19,9; 24,15-16; 33,1. Pesch II 76 verweist auf Jub 1,2-3. 168 Vgl. oben, I.4.1.4. 169 Schriftverweise bei Pesch II 76-77. Pesch erwägt, ob hier und in V. 2 Gen 22 derart anklingt, dass aufgrund des Opfers Isaaks an das Leiden des Sohnes (vgl. Mk 12,6) im Sinne von Jes 53 gedacht ist. 170 Diese prophetische Aussage kann somit nicht auf den Propheten Mohammed bezogen werden. 171 Lane 321. 172 Dschulnigg 247.

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Prophetie ist (vgl. 1Joh 1,1).173 Die den Jüngern bisher vertraute, menschliche Daseinsweise Jesu ist bei Beendigung der Verklärung wiederhergestellt. Der bevorstehende Leidensweg Jesu geschieht allerdings auf dem Hintergrund der göttlichen Macht Jesu und verschärft dadurch nur noch mehr die tragische (jedoch heilsbringende) Paradoxie des Handelns Jesu. Das Verklärungsereignis trägt entscheidend dazu bei, dass die drei Jünger (Petrus, Jakobus und Johannes) zu gewissenhaften Augenzeugen der außergewöhnlichen Identität Jesu (2Petr 1,16) heranreifen. Sie werden mit seiner Erhabenheit über Mose (vgl. Hebr 3,3) und Elia konfrontiert. Sie werden ferner zu Zeugen der göttlichen Bestätigung Jesu als ewiger Sohn (vgl. Hebr 1,5). „Der Verklärte ist als der geliebte Sohn der vom Gesetz und den Propheten verheißene eschatologische Prophet, der jetzt Gottes Wort spricht und vollendet, so dass ihm Hingabe und Gehorsam gebühren“.174 Das Loslassen von autonomer Selbstsicherheit mit Glaubensgehorsam Jesus gegenüber (8,34) geht Hand in Hand mit der Vorahnung zukünftiger, herrlicher Lebensfülle (9,1.2-8). Der Weg vom Tod (im Sinn von „Loslassen“; 8,31; 14,32-42) zu lebendiger Herrlichkeit (8,38) wird hier vom Messias beispielhaft vorgezeichnet (vgl. 1Petr 2,21). Es besteht eine Muster-Analogie von Erniedrigung und Erhöhung bei Jesus und seinen Jüngern, bei der der stellvertretende Opfertod Jesu allerdings immer als einmaliges Lebensfundament dient.175

10.3 Fragen zur Auferstehung Jesu und zu Elia 9,9-13 Das Schweigegebot an die Jünger, welches besagt, dass sie erst nach seiner Auferstehung (9,9) über das Ereignis der Verklärung sprechen dürfen, ist deshalb notwendig, weil sie nach wie vor einen ausschließlich diesseitigen, politischen, davidisch-königlichen Messias erwarten (8,32-33). Obwohl Petrus aufgrund von göttlicher Offenbarung (Mt 16,17) Jesus als Messias bezeugt (Mk 8,29), begreift er zusammen mit den anderen Jüngern noch nicht, wer Jesus als ewiger Sohn Gottes (12,6; vgl. Ps 2; 110,1.5) und als erhöhter Menschensohn wirklich ist (8,38; Dan 7,13-14), der als solcher stellvertretend für die Sünden Vieler sühnen wird (8,31; 10,45; 14,24; Jes 52,13–53,12).

173 Lane 321 bemerkt: “Jesus is himself the new Tabernacle of divine glory”. 174 Dschulnigg 247. 175 Ähnlich, aber mit anderem theologischen Fundament, vgl. Schweizer, Erniedrigung, 35-44, 51-54.

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I 9 Und während sie vom Berg herabstiegen, gab er ihnen Anweisung, niemandem mitzuteilen, was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei. 10 Sie behielten die Aussage fest bei sich und besprachen untereinander, was ,von den Toten auferstehen‘ bedeutet. 11 Und sie begannen, ihn zu fragen, und sagen: „Die Schriftgelehrten sagen, Elia müsse zuerst kommen“. 12 Er aber sagt zu ihnen: „Gewiss kommt Elia zuerst und stellt wieder alles her; aber wie steht über den Menschensohn geschrieben, dass er (trotzdem) viel leidet und verachtet wird? 13 So sage ich euch (denn), Elia ist (tatsächlich) bereits gekommen, und sie sind mit ihm umgegangen, wie (immer) sie wollten, so wie es über ihn geschrieben steht“.176 II Mk 9,9-13 ist eine episodische Unterweisung der Jünger. Sie besteht aus Schweigegebot, V. 9; Fragen zur Auferstehung und dem Kommen Elia, V. 10-11 sowie aus der Antwort Jesu, V. 12-13.177 Die inhaltliche Beziehung zwischen V. 10 und 11 liegt in der Tatsache begründet, dass der, der von „Auferstehung“ spricht (V. 10), vom Ende dieses Äons spricht (vgl. Dan 12). Bevor jedoch dieses Ende kommt, muss Elia wiederkehren (der Täufer kommt „im Geist und in der Macht“ des Elia, Lk 1,17; vgl. Mk 9,11-13; Mt 17,13; Mal 3,23; 4Q558).178 III 9-10 Der Abstieg vom Berg mag an Ex 34,29 anklingen.179 Er gab ihnen Anweisung, niemandem mitzuteilen, was sie gesehen hatten: Warum erteilt Jesus dieses Schweigegebot (vgl. 5,43; 7,36; 8,30)? Soll die göttliche Erhabenheit Jesu erst dann bekannt werden (vgl. 13,10; 14,9), wenn die Erniedrigung und der Tod des Menschensohnes erfolgt ist (vgl. 16,7)?180 Hängt das zeitlich begrenzte181 Schweigegebot bis der Menschensohn von den Toten auferstanden (ist) damit zusammen, dass Jesus die Möglichkeit ausschließen 176 Lit.: Zawadski, Boten, 23-52. Weitere Lit. bei: Pesch II 82-84 (bis 1980); Evans 39-40 (bis 1999). 177 Details bei Pesch II 71. 178 Vgl. andeutungsweise, Evans 41. 179 So Pesch II 77. 180 Zu Recht betont Lane 323, dass 9,9 die Absicht Jesu widerspiegelt, seine Erhabenheit nur in Verbindung mit seinem stellvertretenden Tod zu verkündigen. 181 Vgl. Dschulnigg 249, der betont, dass Jesus nur hier ein zeitlich begrenztes Schweigebot erteilt; siehe Lane 323.

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muss, vom Volk vorschnell als politischer Messias deklariert zu werden (Joh 6,15; vgl. das Unverständnis des Petrus, 8,32; 9,5; s.o., Einleitung 4.1.2, „Das historische Messiasgeheimnis“)? Jedenfalls scheinen sich die Jünger daran zu halten, wundern sich jedoch, was Jesus mit dem Verweis auf die Auferstehung von den Toten meint. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass die Rede von der Auferstehung im palästinischen Judentum nur dann verständlich ist, wenn eine kollektive Auferstehung am Ende der Zeit und zu Beginn des neuen Äons (Dan 12,2; vgl. Mk 6,14.16; 12,18-27)182 gemeint ist, allerdings nach dem Kommen des Elia (V. 12). Jesu Rede von seiner eigenen, individuellen Auferstehung (bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist) ist damit für sie ebenso unverständlich wie seine Rede vom Tod des Messias.183 11-13 Noch schwieriger zu verstehen ist Jesu Aussage, dass der Elia-Typos bereits in Johannes dem Täufer gekommen ist (V. 13; vgl. Mt 11,14.18; 21,32). Es ist zu betonen, dass Jesus das Kommen Elias im Auftreten des Täufers lediglich übertragen als Kommen „im Geist und in der Macht“ Elias versteht (Lk 1,17) im Gegensatz zur Mehrheit des jüdischen Volkes, welches die buchstäbliche Rückkehr des anscheinend nie verstorbenen Elia erwartet.184 Wenn Elia bereits gekommen ist, müsste nach der im palästinischen Judentum gängigen Ansicht (vgl. Mk 9,11) das apokalyptische Ende unmittelbar bevorstehen (das wäre eine Interpretationsalternative von Mal 3,1.23-24; vgl. 4Q558; Sir 48,10).185 Das scheint Jesus jedoch in keiner Weise andeuten zu wollen. Das bereits erfolgte Kommen des Elia-Typos bedeutet nach Jesus die eschatologische Wegbereitung (vgl. Mk 1,2-8; vgl. Mal 3,1).186 In begrenzter Weise bedeutet dies Wiederherstellung (V. 12; ἀποκαθιστάνω [apokathistanō], vgl. Lk 1,17); jedoch nicht so, dass Verfolgung der Gottesboten (angesichts des vermeintlichen Endgerichts) hinfort ausbleibt. Die Verse 12 u. 13 betonen die atl. prophezeite Leidensgeschichte der Gottesboten (passio iusti, das Leiden der Gerechten; vgl. Ps 22,6.25; 69,33; 89,39; vgl. ferner Dan 8,4; 11,3.36; CD 11,4).187 Sie macht auch vor dem Täufer (und sie sind mit ihm umgegangen, wie [immer] sie wollten, so wie es über ihn geschrieben steht) und vor allem vor Jesus als Menschensohn (dass er … viel leidet und verachtet wird) nicht Halt. Ebenso wie viele alttestamentliche

182 Vgl. Lane 324. 183 Vgl. ebenso Dschulnigg 249. 184 Vgl. 4Q558; Keener, Background, 158. Pace Dschulnigg 249, der von „Elija redivivus“ spricht. 185 Vgl. Lane 325, mit Verweis auf Mekhilta Ex 16,33. 186 Keener, Background, 158 verweist ferner auf Sir 48,1-10. 187 Vgl. Pesch II 79 und 80.

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Propheten188 müssen Johannes der Täufer (6,26; vgl. Elias Leidensweg in 1Kön 19,2.10.14)189 und Jesus (14,1–15,47)190 Verachtung erdulden (ἐξουδενηθῇ [exoudenēthē] „er wird verachtet“, bzw. „geschmäht“, V. 12). Siehe die Anspielung auf Ps 88,38 LXX mittels ἐξουδενέω [exoudeneō] in Mk 9,12b (vgl. 2Kor 10,10). Beide müssen viel leiden (8,31; vgl. 1Kön 19,2.10.14).191 Beachtenswert ist hier vor allem die Parallele zu Jes 53,3 LXX (ἠτιμάσθη καὶ οὐκ ἐλογίσθη [ētimasthē kai ouk elogisthē] „er wurde verachtet und nicht geehrt“; vgl. Ps 22,6-7). Derartiges Leiden der Gerechten ist von Gott vorhergesehen (es „steht geschrieben“; V. 12-13; vgl. 1Petr 1,10-12). Jesus lehrt somit, dass die Erwartung in Mal 3,22-24 mit dem leidenden Knecht von Jes 52,13–53,12 zusammengehört. Der Täufer wird alles wiederherstellen (ἀποκαθιστάνω [apokathistanō] „ich bringe zum ursprünglichen Ort zurück“192 bzw. bringe „alles wieder zurecht…“, Luther 1984), indem er den Weg für den endgütigen Wiederhersteller (V. 12b) ebnet (Mal 3,1; Mt 11,14; 17,11.13).193 Wiederherstellung durch den Täufer bedeutet nach Jesus also den prophetischen Verweis auf Gottes Willen (Umkehrruf; vgl. Mal 3,23-24 und Elia als Umkehrprediger).194 Der Verweis konzentriert sich vor allem auf den kommenden Messias und nicht auf die Durchführung der allumfassenden Wiederherstellung, die dem Messias Gottes (vor und zum Zeitpunkt seiner Parusie) anheimgestellt ist (vgl. hierzu vor allem Apg 1,6; 3,21).195 Indem die Jünger mit einem Teil der Schriftgelehrten das Kommen Elias unmittelbar mit dem Endgericht verknüpfen (zwar nach Mal 3,23, aber ohne eigens auf Mal 3,24 zu achten), verbauen sie sich den Blick für den notwendigen Leidensweg des erhabenen Messias bzw. Menschensohns (vgl. wie steht über den Menschensohn geschrieben; Jes 53,3; Mk 9,12b). Dient dieser Leidensweg doch zur Beseitigung der elementaren Sündenschuld und somit als Voraussetzung für die Durchführung der durch den Täufer (der „im Geist und in der Macht“ des Elia bereits gekommen ist, Lk 1,17) lediglich eingeleiteten Buße und Versöhnungsbewegung (Mal 3,24). In Bezug auf alttestamentliche Prophetie müssen nach Jesus Mal 3,23-24 und Jes 52,13–53,12 zusammen gesehen und verstanden werden. 188 Vgl. 1Kön 19,2.10; Ps 22,6.25; 69,33; 88,38; 89,39; siehe Bemerkungen zu 12,1-10. 189 So Lane 326. 190 So auch Pesch II 79. 191 Siehe TDNT V, 913–916. 192 Der Begriff wird in 3,5 und 8,25 mit der spezifischen Bedeutung von „heilen“ benutzt. 193 Siehe Lk 1,17; Apg 1,6 und 3,21; vgl. Jes 11,1-12; Jer 12,14-17; Am 9,11. 194 Lane 325, Anm. 33, verweist ferner auf Sir 48,10, Pirqe Rabbi Eliezer 43 (25a) und SifDtn §41. 195 Vgl. unten, Exkurs 9.

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Schließlich ist aufschlussreich, dass Jesus sowohl das Leidensgeschick des Täufers als auch sein eigenes Leiden heilsgeschichtlich in der schriftlichen Offenbarung Gottes angesagt und festgelegt sieht (wie steht über den Menschensohn geschrieben … so, wie es über ihn [den Täufer] geschrieben steht).

10.4 Dämonenaustreibung 9,14-29 Der Bote und Begründer der ewigen Herrschaft Gottes setzt seinen Kampf gegen Dämonen fort und lehrt inmitten von Opposition. Das Kampfmittel ist hierbei vor allem Gebet (und Fasten, 9,29). Obwohl es in der zweiten Hälfte des Mk Ev. weniger prominent ist, bekräftigt Jesus seine Lehre nach wie vor durch Machterweise über Dämonen und Krankheiten (9,14-28; 10,46-52). Während einigen Jüngern (und späteren Hauptzeugen) neben seiner menschlichen nun auch seine göttliche Natur vor Augen geführt wurde, bleibt die Auseinandersetzung mit vielen Gegnern bestehen. Hierbei wird die Art und Weise der sich manifestierenden Gottesherrschaft sichtbar: Sie beginnt nicht in einem Wurf, sondern sie etabliert sich Schritt für Schritt. Sie wächst von einer eher schwachen Unscheinbarkeit bis zur zukünftigen Größe und herrlichen Kulmination. Dies wird gewiss geschehen,196 auch wenn sie mit viel Opposition und vielerlei Rückschlägen nur langsam Fuß fasst (vgl. Apg 14,22). I 14 Sie kamen zu den (anderen) Jüngern und sahen eine große Menschenmenge um sie und Schriftgelehrte, die mit ihnen stritten. 15 Und sobald die Menge ihn sah, waren sie sehr überrascht, kamen auf ihn zu und grüßten ihn. 16 Und er fragte sie: „Was streitet ihr euch mit ihnen?“ 17 Einer aber aus der Menge antwortete ihm: „Lehrer, ich habe meinen Sohn zu dir gebracht, weil er von einem die Sprache hindernden Geist besessen ist. 18 Und wann immer er ihn übermannt, wirft er ihn zu Boden, und er schäumt aus dem Mund und knirscht mit den Zähnen und wird steif. Und ich bat deine Jünger, dass sie ihn austreiben sollten, aber sie vermochten (es) nicht“. 19 Er aber antwortete ihnen und spricht: „O ungläubiges Geschlecht, wie lange muss ich (noch) bei euch bleiben? Wie lange muss ich euch (noch) ertragen? Bringt ihn zu mir“. 20 Und sie brachten ihn zu ihm. Als ihn aber der Geist sah, warf er ihn (den Jungen) hin und her; er aber 196 Siehe Bemerkungen zu den Königreich-Gleichnissen in 4,1-34.

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fiel zu Boden und rollte mit schäumendem Mund (viel) umher. 21 Und er fragte seinen Vater: „Wie lange ist er bereits in diesem Zustand?“ Der aber antwortete: „(Er hat es) von Kindheit an. 22 Und oft wirft er ihn ins Feuer und ins Wasser, um ihn zu töten; aber wenn du etwas tun kannst, so habe Mitleid mit uns und hilf uns“. 23 Jesus aber sprach zu ihm: „Was (deine Aussage) ‚wenn es dir möglich ist‘ betrifft, so sind dem alle Dinge möglich, der glaubt“. 24 Sofort schreit der Vater des Kindes heraus: „Ich glaube, hilf du meinem Unglauben“. 25 Als Jesus aber sah, dass die Menge immer mehr zusammenlief, trat er dem unreinen Geist entgegen und sagt zu ihm: „Stumm und taub machender Geist, ich befehle dir, fahre aus ihm heraus und komme nicht wieder zu ihm zurück“. 26 Und nach Geschrei und viel Zerren verließ er (ihn). Und er war wie tot, sodass die meisten sagten, er sei gestorben. 27 Jesus aber ergriff seine Hand, rüttelte ihn wach und er stand auf. 28 Und als er ins Haus gekommen war, begannen seine Jünger ihn gesondert zu fragen: „Warum konnten wir ihn nicht austreiben?“ 29 Und er sprach zu ihnen: „Diese Art (von Dämon) kann durch nichts ausfahren außer durch Gebet“197.198 II Bei Mk 9,14-29 handelt es sich um eine episodische Kontroverse (V. 14-16), mit folgender Dämonenaustreibung und Dialog (V. 17-27); nach Berger handelt es sich um einen „ausgeprägten Jüngertadel … als Offenbarungsdialog“:199 1. vergebliche Heilungsbemühung (V. 17-18); 2. Schelte des Heilenden (V. 19); 3. Konfrontation (V. 20); 4. Dialog (V. 21-24); 5. Austreibung (V. 25-27)200 sowie 6. private Unterweisung der Jünger (V. 28-29).201

197 Textkritische Diskussion: viele Manuskripte (P45vid 2‫ א‬A C D L W Θ Ψ f1 f13 33 M lat syha co) fügen in 9,29 (wohl sekundär) „und fasten“ hinzu. Die wichtigen Manuskripte ‫ *א‬B (vgl. 0274 2427 k) bezeugen die Auslassung. Siehe Metzger, Textual Commentary, 85, sowie France 360-361. Siehe weitere Details unten zu 9,28-29. 198 Lit.: Blackburn, Theios Anēr, 124-126.190; Hengel, Heilungen, 331-361; Kee, Terminology, 232-246; Schmücker, Funktion, 1-26; vgl. ferner Kertelge, Wunder, ad loc.; Koch, Bedeutung, ad loc.; Marshall, Faith, ad loc.; Söding, Glaube, ad loc.; Theißen, Wundergeschichten, ad loc.; Bauernfeind, Worte, ad loc.; Betz, Wesen, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 97-98 (bis 1980); Evans 45-46 (bis 1999). 199 Berger, Formen, 312. 200 Details bei Pesch II 86. 201 Evans 47-48 verweist auf Parallelen in Mk, in denen ein Wunder Jesu mit Dialog verbunden ist: 1,40-45; 2,1-12; 3,1-6; 5,1-14.21-43; 7,24-30. Pesch II 86, identifiziert den Abschnitt 9,14-29 insgesamt als Austreibungserzählung.

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III Das markinische Sondergut in 9,14b-16.21-24.26-27 verstärkt den Eindruck, dass der Bericht 9,14-29 aus der Sicht eines der Begleiter Jesu auf dem Berg der Verklärung formuliert wird.202 Der scharfe Kontrast zwischen Verklärung (9,2-8) und Dämonenaustreibung (9,14-29) entspricht dem der Taufe (1,9-11) und der Versuchung Jesu (1,12-13).203 14-18 Die Jünger lernen immer mehr, Jesus zu repräsentieren (vgl. bereits bei der Aussendung, 6,7-13). Sowohl die Schriftgelehrten als auch der Vater des besessenen Sohnes beabsichtigen, Jesus anzutreffen; sie müssen sich jedoch in dessen Abwesenheit mit seinen Jüngern begnügen. Die Anforderungen, die damit an seine Jünger gestellt werden, entsprechen denen, die an Jesus selbst gestellt werden. Die Schriftgelehrten (vgl. 8,31; 9,11) führen zunächst ein Streitgespräch mit ihnen (vgl. durativ συζητέω [syzēteō] = „andauernd“, bzw. „immer wieder streiten“, „argumentieren“, „disputieren“; V. 14.16). Es ist möglich, dass es sich hierbei wiederum um offizielle, von Jerusalem aus gesteuerte Überprüfung der Lehre Jesu handelt (vgl. 3,22-30; 7,1-5).204 Ebenso wie Jesus stets mit Opposition und Leid konfrontiert wird (z.B. 8,31; 9,9-13), so erleben die Jünger Widerstand und Hartherzigkeit. Sie werden dabei herausgefordert, diese durch Glaubensgehorsam und Gebet (9,23-24.29) zu überwinden. Sie sollen dies nie durch eigene Macht oder Gewaltanwendung bewerkstelligen. Ein Vater bittet sodann um die Austreibung eines bösen Geistes aus seinem Sohn. Darin waren die Jünger bereits seit ihrer Aussendung zu je zwei geübt (6,7-13); von Streitgesprächen mit Schriftgelehrten ist jedoch dort (noch) keine Rede. Auch stoßen die Jünger jetzt an ihre Grenzen (s.u., Bemerkungen zu 9,18.28-29). Trotz der Abwesenheit Jesu sowie der drei Jünger bricht der Menschenstrom nicht ab. 15-18 Die sich überstürzenden Reaktionen auf die Rückkehr Jesu enthalten Züge eines Augenzeugenberichtes: Überraschung der Menschenmenge über die Rückkehr Jesu (vgl. 2,13; 6,54; 10,17; 11,18),205 die Begrüßung, Jesu (mahnende?) Frage an die Schriftgelehrten,206 sowie die Bitte des Vaters um Befreiung seines Sohnes.

202 Lane 329. 203 Ebd. 204 So auch Lane 330. 205 Vgl. Pesch II 87. 206 Lane 331. Pesch II 88, bemerkt, dass Gegner Jesu bei Wunderszenen selten (vgl. jedoch in 3,2) erwähnt werden; er sieht dies als „Indiz (für) konkret-historische … Überlieferung“. Alternativ könnte Jesus seine Jünger fragen, warum sie sich mit den Schriftgelehrten streiten.

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17 Der bittende Vater207 ergreift die Gelegenheit und fordert Jesu (als Lehrer; vgl. 4,38; 5,35; 9,38; 10,17.20.35; 12,14.19.32; 13,1; 14,14)208 ganze Aufmerksamkeit. Der Sohn ist von einem Geist besessen, der ihn taubstumm macht (vgl. V. 25). 18, 20-22a Der Sohn wird von dem Geist übermannt und hat der Epilepsie ähnliche Anfälle („Konvulsion, Speichelfluss und Krämpfe“;209 vgl. V. 18.20.26).210 Allerdings wird deutlich, dass es sich um einen Dämon handelt (vgl. 3,30) und nicht um ein rein physisches Gebrechen, weil er die Absicht verfolgt, den Jungen zu verbrennen oder zu ertränken (vgl. V. 20, 22 sowie das Schreien, V. 26).211 Die Frage Jesu wie lange ist er bereits in diesem Zustand? (V. 21) mag belegen, dass Jesus nur von Zeit zu Zeit die frei auf sich genommene Grenze seiner Inkarnation (einschließlich des beschränkten, menschlichen Wissens, vgl. Phil 2,5-8) durchbricht, zeigt aber auch herzliche Anteilnahme an den bitteren Umständen, mit denen der Vater schon so lange zu kämpfen hat „(er hat es) von Kindheit an … oft wirft er ihn ins Feuer und ins Wasser, um ihn zu töten“ (vgl. V. 21b.22). Die Unfähigkeit der Jünger, den Dämon im Namen Jesu (vgl. 9,28) auszutreiben (sie vermochten es nicht), führt Jesus auf Mangel an Gebet zurück (V. 29). Gebet ist u.a. Ausdruck von Vertrauen auf Jesus und seine Vollmacht (vgl. V. 19.23-24). Wenn Dämonen im „Namen Jesu“ (d.h. seine Person repräsentierend) auszutreiben sind und damit enges Vertrauen auf Jesus verbunden ist, ist erneut die Gottesfrage Jesu gestellt. Nicht nur Vertrauen auf den ihnen bekannten, einen Gott ist gefordert, sondern beständiges Vertrauen auf Jesus als Teilhaber dieses einen Gottes. Eben dies ist ein Zentralzeugnis bei Mk. 19.22b-24 Die entrüstete, scheltende Reaktion Jesu überrascht: „O ungläubiges Geschlecht, wie lange muss ich (noch) bei euch bleiben? Wie lange muss ich euch (noch) ertragen?“ (zum Ausdruck Geschlecht vgl. die Einzelauslegungen zu 8,12.38 und 13,30). Jesu ermatteter Unmut (vgl. die Prophetenklage in Num 11,11ff; 14,27; Deut 32,5.20; 1Kön 19,4; Jes 6,11; 65,2; Jer 5,21-22; 15,18; Hes 12,2 sowie Spr 1,20ff)212 und seine Einsamkeit unter 207 Als Stellvertreter (vgl. 5,22; 7,25), so Pesch II 88. 208 Schriftverweise bei Pesch II 88. 209 Dschulnigg 253. 210 Keener, Background, 158, bemerkt zu Recht, dass z.B. Mt 4,24 Epilepsie und dämonische Besessenheit unterscheidet. Contra Pesch II 88-89.91, der von Epilepsie ausgeht, die in der Antike oft als Dämonisierung gesehen wird (jedoch z.B. nicht bei Hippokrates). Ähnlich wie Pesch vgl. Dschulnigg 253. 211 Pesch II 91 geht hierbei von Pyromanie (Feuersucht) und Hydromanie (Wassersucht) aus. Vgl. ebenso Dschulnigg 254. 212 Schriftverweise bei Pesch II 90, mit weiteren Hinweisen auf die Formulierung „bis wann“ bei Schelten oder Klagen.

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den Menschen,213 bezieht sich sowohl auf die Jünger als auch auf die Menge (einschließlich der Schriftgelehrten).214 Jesus führt alles auf Unglauben zurück (vgl. 6,6; 9,23). Unglaube als fehlendes Vertrauen auf Gott215 hat viele Ausdrucksformen: Da ist die Opposition der Schriftgelehrten gegenüber der Lehre Jesu; da ist das Bedürfnis der Menge, geheilt zu werden, ohne notwendigerweise nach Jesus zu fragen (siehe etwa den Vater des besessenen Sohnes, V. 22); da ist die Unfähigkeit der Jünger, Jesus in seiner Vollmacht und Identität recht einzuschätzen (vgl. 4,40; 6,50.52; 8,17-21; 9,5.10)216 und daraus die Konsequenzen zu ziehen (etwa beim Austreiben des Dämons durch volles und andauerndes Vertrauen auf die souveräne Macht Jesu). Allen gemeinsam ist die Frage, was Jesus mit dem Aufruf „zu glauben“ (V. 23) zu tun hat. Die V. 22b-24 machen deutlich, dass der, der lediglich damit rechnet, dass Jesus etwas tun kann (vgl. 22b), noch weit von Jesu Absicht entfernt ist. Jesus fährt trotz Entmutigung fort zu dienen und die Jünger dadurch weiterhin zu unterweisen.217 Die Unterredung zwischen Jesus und dem Vater zielt darauf, Vertrauen auf Jesus zu wecken. Der Vater des besessenen Sohnes soll nicht skeptisch nachforschen, ob Jesus „etwas tun kann“, sondern unmittelbar auf Jesus, wie auf Gott, vertrauen lernen: „Was (deine Aussage) ,wenn es dir möglich ist‘ betrifft, so sind dem alle Dinge möglich, der glaubt“ (vgl. 10,27; 14,36). Der Vater ist zu allem bereit, aber u.a. aufgrund von Zweifel und Enttäuschung über die Jünger Jesu unfähig, dieses Vertrauen auszuüben. Seine Haltung ist jedoch insofern vorbildlich, als er sich sofort in seiner Glaubensarmut aufschreiend an Jesus wendet, um einen derartigen Glauben zu empfangen und einzuüben (ich glaube, hilf du meinem Unglauben),218 d.h., „ich will vertrauen, hilf mir, meinen Zweifel zu überwinden“. „Dieser so menschliche Glaube, der immer auch durch Zweifel und mangelndes Vertrauen bedroht ist, bleibt unkommentiert stehen.“219 25-27 Noch mehr Menschen versammeln sich um Jesus (vgl. V. 15). Jesus hat direkte Vollmacht. Wer im „Namen Jesu“ austreibt, wendet sich in völli-

213 So Lane 332. 214 Pace Lane 332, der αὐτοῖς [autois] in V. 19 ausschließlich auf die Jünger bezieht. Die unmittelbar darauf folgende Aufforderung Jesu, den Taubstummen zu ihm zu bringen, schließt zumindest den Vater des Besessenen mit ein. 215 Lane 332, zieht die Parallele zwischen Jesus / dem Unglauben der Jünger (und Zuhörer) und Gott / dem Unglauben Israels (Jes 63,8-10). 216 Vgl. auch Lane 332. 217 Vgl. Lane 332, bezüglich der Geduld Jesu: 3,14-19; 9,28-29; 14,27-28; 16,7; vgl. 9,23. 218 Siehe auch zu 1,15; 2,5; 4,40; 5,34.36; 6,6. Vgl. die Bemerkungen zum Stichwort „Glaube“ in 10,47.52; 11,22-24. Siehe 10.4, IV zu 8,27–9,29. 219 Dschulnigg 254-255.

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ger Abhängigkeit an diese vollmächtige Person. Wie zuvor,220 gebietet Jesus dem stumm und taub machenden (vgl. 1,23) Geist, nicht wieder zurückzukommen (V. 25; vgl. 5,12).221 Obwohl der befreite Sohn hier völlig erschöpft222 (wie tot)223 daliegt, ist doch der Friede ein wichtiges Zeichen dafür, dass der Dämon ausgefahren ist. Durch Jesu Kraft kann der Erschöpfte wieder aufstehen. Jesu Macht über Satan bewirkt Leben (V. 27).224 28-29 Wie bereits erwähnt, sind auch die Jünger Jesu herausgefordert, unmittelbares, betendes Vertrauen auf Jesus (vgl. 11,24)225 zu lernen. Die misslungene Dämonenaustreibung ist lediglich ein Indikator dieser notwendigen Unmittelbarkeit. Neben Unverständnis der Jünger (8,17-18.21; 9,5) gesellt sich nun auch die Unfähigkeit, den Auftrag Jesu (durch vertrauendes Gebet; vgl. Jesu Beten in 1,35; 6,46; 14,32-42) auszuführen: „Warum konnten wir ihn nicht austreiben?“ (vgl. 6,7.13). Der Misserfolg gibt Anlass zur weiteren Unterweisung. Jesus lehrt seine Jünger im privaten Kreis: „Diese Art (von Dämon) kann durch nichts ausfahren außer durch Gebet“ (vgl. 4,10; 7,17; 10,10).226 Ihr Auftrag (vgl. 6,7) kann nur in beständiger Abhängigkeit, d.h. betend  – vgl. Apg 8,24; 9,40.49; 28,8; Jak 5,15227  – und glaubend, erfüllt werden.228

220 Lane 332, betont, dass sich bei Markus die beschriebenen Dämonenaustreibungen verschärfen: 1,23-27; 5,1-20; 9,14-29. 221 Lane 334 bemerkt, dass dieser zweiteilige Befehl auch in Josephus, Ant 8,42-49 und Philostratus, Vita Apollonii, 4,20 belegt ist. Vgl. ferner Pesch II 94. 222 Weitere Quellen zu einer derartigen Erschöpfung bei Pesch II 94. 223 Im Gegensatz zu Mk 5,35.39 handelt es sich hier nun eindeutig um den Anschein des Todes (ὡσεὶ νεκρός). 224 Lane 334-335. 225 Textkritische Diskussion: der Zusatz „und fasten“ ist wohl sekundär (Auslassung bei ‫ *א‬B 0274 2427 k). Allerdings ist der Zusatz u.a. durch P45vid 2‫ א‬A C D L W Θ Ψ f1 f13 33 M lat syh co relativ gut bezeugt. Lane 329, Anm. 45, verweist auf ähnliche Tendenzen in Mt 17,21; Apg 10,30; 1Kor 7,5. Vgl. Metzger, Textual Commentary, 85, sowie Pesch II 96-97. 226 So Lane 335. 227 Schriftverweise bei Pesch II 96. 228 Vgl. Lane 335. Dschulnigg 255 (mit Verweis auf Billerbeck, Kommentar I 760; IV/1 203-204, 528-529) macht geltend, dass im Judentum „das Beten des Schma Jisrael sowie der Psalmen 3 und 91 als wirksames Schutzmittel gegen Dämonen“ galt.

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IV zu 8,27–9,29, mit grundsätzlichen Überlegungen zur Nachfolge bei Markus229 Ziel. Im Verlauf dieses Abschnittes vertieft Jesus die Unterweisung und Prägung seiner Jünger. Zwar bekennt Petrus (als Sprecher der Zwölf)230 Jesus als Messias, aber er verwahrt sich gegen den Willen Gottes, dass der Messias (ironischerweise auch um seinetwillen) leiden muss. Wie oben dargelegt (siehe Einleitung, 4.1.2.c), enthält das Mk Ev. solide, historische Belege für die Tatsache, dass Jesus seine Jünger über die Diskrepanz zwischen weit verbreiteter Messiaserwartung und dem Messias Gottes unterweist, und zwar trotz – und gerade wegen – Unverständnis der Jünger (vgl. 8,29-31).231 Die Jünger müssen in der Nachfolge lernen, ihre eigenen Erwartungen (auch ihre Messiaserwartungen) und Absichten zugunsten der Erwartungen und Absichten Gottes aufzugeben. Jesus fordert sie genau in ihrem starren Erwartungssystem heraus und führt sie zurück zu einem persönlichen Vertrauen auf den dreieinigen Gott. Im Gegensatz zu der Behauptung, die Jünger und der Verfasser des Mk Ev. wären ihren Einbildungen bzw. Glaubensprojektionen erlegen (vgl. z.B. L. Feuerbach), betont das Markuszeugnis genau das Gegenteil.232 Jesus prägt die Jünger durch die Voraussage seines Leidens; er prägt durch die Unterweisung der Leidensnachfolge; er prägt durch die Selbstoffenbarung als ewiger Sohn Gottes; er prägt durch die heilsgeschichtliche Erklärung, dass der Täufer der erwartete Elia gewesen ist; er prägt durch die Unterweisung, gewisse Dämonen lediglich durch Gebet (d.h. in direkter Abhängigkeit von Jesus) austreiben zu können. Sowohl ihre eigene Hartherzigkeit als auch ihr Kampf gegen Opposition ist nur durch Glaube und Gebet (9,23-24.29) zu überwinden. Kontextualisierung und Anwendung. Es steht bereits fest, dass Jesus u.a. deshalb gekommen ist, um seine Jünger (damals wie heute) als berufene Teilnehmer des messianischen Reiches zu prägen.233 Die enge Beziehung zwischen 229 Verschiedene Abschnitte der folgenden Beobachtungen zur Nachfolge bei Markus stammen aus Bayer, Theology, 41-132. Dabei hat Herr Raphael Schuster wichtige Vorarbeit (erste Übersetzung verschiedener Abschnitte sowie Verweise auf weitere Autoren) geleistet. Für seine Vorarbeit danke ich ihm an dieser Stelle. Manche Teile seiner Übersetzung werden hier mit geringfügigen Änderungen übernommen. 230 Vgl. Bayer, Peter, 42-44; 50-68; Cullmann, Petrus, passim. 231 Kingsbury, Christology, 11-15.21-22.136.147. Anders Berger, Messiastraditionen, 1-44. 232 Vgl. Calvin, Inst. I 4,1: „So ergreifen sie ihn nicht, wie er sich offenbart, sondern bilden sich ihn ein, wie sie ihn in ihrer Vermessenheit ersonnen haben“ (Verweis durch Herrn Raphael Schuster). 233 Natürlich haben die ersten Jünger zusätzlich die besondere Funktion, apostolisches (d.h. eigens autorisiertes) Zeugnis über Jesus, sein Tun und seine Lehre abzulegen. In diesem Sinne

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Jesus (durch sein Verhalten und seine Lehre) und seinen Jüngern wird bereits deutlich. Jesus prägt durch seine Person, sein Wirken, seine Gespräche und durch seinen Umgang mit Gegnern. Nachfolge ist zentral Gemeinschaft mit Jesus, nicht das Erlernen bestimmter Glaubens- oder Verhaltensmuster. Der Ruf in die Jüngerschaft ist eingebettet in die tiefe Demut (Mt 11,29) und erhabene Größe des Rufenden. Wer ihm und seinem Sühneopfer vertraut, ihn bekennt und von seiner Person und Lebensführung gekennzeichnet ist, wird in seinem Innersten verändert und handelt dementsprechend. Im zweiten Teil des Ev. vertieft Jesus diese Prägung, indem er den Jüngern immer deutlicher vor Augen führt, dass sein Leiden um ihrer Teilnahme am messianischen Reich Gottes willen, unumgänglich ist. Gleichzeitig prägt Jesus die Jünger mit einem zentralen Charakteristikum des jetzt schon wachsenden Reiches Gottes, nämlich der Leidensnachfolge. Was Jesus somit erleidet, geschieht sowohl um der Jünger willen als auch, um die Jünger auf ihren eigenen Weg des Loslassens und Vertrauens auf Jesus vorzubereiten. Jesus verändert seine Jünger durch die Hingabe seines eigenen Lebens, um sie dadurch zu christusähnlichem Dasein und Verhalten zu befähigen (10,35-45). Auf diesem Weg entdecken sie immer mehr, dass Gott sie wirklich liebt und sie mit sich versöhnt, um sie ins Bilde Jesu zu verwandeln. Diesen Prozess verfolgt Jesus vor allem durch zwei Kernfragen, die die Jünger in eine doppelte Krise führen. Diese Kernfragen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. „Für wen hältst du dich?“ und 2. „Für wen hältst du Gott?“234 1. Die Krise der Selbstwahrnehmung 2. Jesus macht seine Nachfolger darauf aufmerksam, dass sie sich von Gott her und in seinem Licht sehen sollen. Sie gelangen nicht zu einer wahren Selbsterkenntnis, wenn sie sich lediglich selbst im Spiegel sehen (vgl. 1Joh 1,5-10). Die Selbsterkenntnis, die Jesus hervorruft, ist demnach keine psychologische Selbsteinschätzung ihrer Persönlichkeit oder ihres Temperaments, sondern sie konfrontiert seine Jünger mit der krassen Realität des verunreinigten Herzens der Menschen (7,14-23). Die Heilungen in Mk 7,31-35 und Mk 8,22-26 sind nicht nur barmherzige Taten Jesu, sondern sie verweisen seine Jünger auch auf ihr begrenztes, geistliches Seh- und Hörvermögen (vgl. 10,46-52). Besonders die zweistufige Blindenheilung will die Jünger mit ihrer Hartherzigkeit konfrontieren (vgl. Deut 29,3-4; Jes 6,9-10; Jer 5,21; Hes 12,2). Die Ermahnungen Jesu erreichen in 8,14sind die ersten Jünger historisch einmalig (vgl. den Apostelbegriff in der Apg: außer Apg 14,4.14 ist der Begriff dort ausschließlich auf die Zwölf bezogen). 234 Weitere Details bei Bayer, Theology, 61-88.

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21 ihren Höhepunkt: Er verknüpft dort die Heilung des Blinden und des Taubstummen mit der schon im AT beklagten Hartherzigkeit des Volkes und stellt fest, dass die Jünger daran ebenso leiden, wie die ungläubige Menge und die Gegner Jesu (vgl. 4,13; 6,52). Der Unterschied zwischen den Jüngern und den Gegnern Jesu besteht lediglich darin, dass die Jünger bei Jesus bleiben (8,27; vgl. 3,13-14). Mit „Sauerteig“ meint Jesus eine autonome Einstellung des Menschen, die sich selbst – trotz aller äußerlichen Frömmigkeit – nicht im Licht Gottes wahrzunehmen vermag (vgl. 12,24; 14,3-9). Ein solcher Mensch möchte unabhängig von Gott für sich und nach seinem eigenen Willen und Urteil leben und von Gott nicht behelligt werden (vgl. 8,10-13; vgl. Phil 3,1-8). Die Lösung dafür liegt im Bekenntnis der eigenen sündigen Gebundenheit und Gebrochenheit gegenüber Gott und in der vertrauenden Abhängigkeit von ihm (vgl. 7,24-30). Aus Gottes Perspektive erfolgt die Lösung in der stellvertretenden, sich dienend hingebenden Identifizierung des Menschensohns mit seinem sündigen Volk, welches er durch sein Leiden, Sterben und Auferstehen erlöst (10,45; 14,36; 15,39). 3. Die Krise der Gotteswahrnehmung 4. Die Herausforderung, die eigene Maske abzunehmen und sich im Licht Jesu zu sehen, dient zugleich der Gotteserkenntnis. Auf dem langen Weg nach Jerusalem gibt sich Jesus seinen Jüngern zu deren Erschrecken (8,33; 9,6.10.19.32; 10,24.26.32) zunehmend zu erkennen. Am Anfang dieses Prozesses steht die Kernfrage, welche über dem gesamten Evangelium steht: „Für wen haltet ihr mich?“ (8,27). Damit deckt Jesus die begrenzte Wahrnehmung der Jünger auf (vgl. 8,24). Petrus als Sprecher der Zwölf antwortet ihm: „Du bist der Messias“. Er scheint jedoch in Gedanken Folgendes hinzuzufügen: „Und ich habe feste Vorstellungen und Pläne dafür, wie deine siegreiche, messianische Herrschaft verlaufen soll“ (8,29.32). Sowohl die eigenen Schlussfolgerungen von Petrus als auch Jesu Speisungswunder (8,19-20) zeigen, dass es sich nicht nur um ein oberflächliches Problem von missverstandenen Worten zwischen Jesus und seinen Jüngern handelt. Die Größe und Offensichtlichkeit der Wunder hätten den Jüngern zu denken geben müssen (8,18), wen sie tatsächlich vor sich haben. Aufgrund ihres harten Herzens widersetzen sie sich jedoch jeglicher Änderung ihrer Sichtweise. Die satanische Welt und die Autonomie des Menschen arbeiten hier auf erschreckende Weise zusammen (8,33): Die Ziele Satans sind aufs Engste mit der Abkehr von der göttlichen Notwendigkeit des Todes Jesu verbunden. Indem sich Jesus immer mehr öffnet, wird die wahre Absicht des lebendigen Gottes offenbar.

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Die Größe Jesu und damit die Größe dessen, der die Jünger formt, wird durch die Todes- und Auferstehungsvoraussage sowie die Verklärung, eingeprägt. Letztendlich löst Jesus jedoch die oben genannte Doppelkrise durch seinen stellvertretenden Tod. Der Menschensohn muss als Ebed („Diener“; Jes 53) stellvertretend sterben (vgl. 10,45; 14,24). Stellvertretung ist hier deshalb notwendig, weil der Nachfolger selbst kein geeignetes Mittel besitzt, um seine Entfremdungsschuld vor Gott zu beseitigen oder seiner Verstrickung in Sündhaftigkeit aus eigener Kraft zu entkommen. Der, der sterben muss (8,31), ist der ewige Sohn Gottes (9,7; vgl. 12,6). Nur deshalb ist seine Sühne für die Schuld der Menschen wirksam. Jesus ist erhabener als Elia, der die Propheten repräsentiert, ja er ist sogar erhabener als Mose (vgl. Hebr 3,5-6), der das Gesetz repräsentiert. All dies entspricht der Absicht Gottes (8,33). Diese Absicht steht im Gegensatz zur Absicht der Jünger sowie zu ihren vorgeprägten Vorstellungen, wer der Messias ist und was es bedeutet, an Gott zu glauben. Jesus macht damit deutlich, was es kosten wird, Menschen mit dem dreieinigen Gott zu versöhnen. So, wie der Menschensohn loslässt, um durch Gottes Eingreifen Leben zu spenden (vgl. Phil 2,5-11), so soll der Nachfolger des 21. Jh.s analog zu Jesu Erniedrigung und Erhöhung,235 jedoch nicht in direkter Imitation (der Nachfolger wird z.B. nie sühnend leiden), loslassen (8,34-38). Im Vollzug des Loslassens wächst in der Nachfolge ein neuer Charakter, der immer im Vertrauen auf Gott ruht (vgl. 9,19.23.24, wo Jesus die elementare Bedeutung des Vertrauens auf Gott hervorhebt; siehe auch 1,15; 4,40; 7,2829; 10,27; 11,22-24; 13,11; 14,32-36; 16,6). Dieses Loslassen kann nie bedeuten, dass sich der Nachfolger selbst klein und gering macht. Dann wäre er ja immer noch in seinem Selbstvertrauen verfangen. Das krankhafte „sich selbst gering machen“ ist die Kehrseite des Stolzes, der sich grundlos hervortut. Beides liegt in der Autonomie des Menschen begründet. Sich zu „verneinen“, sein Leben als tatsächlich „gerichtsreif“ („kreuzigungsreif“: „sein Kreuz auf sich nehmen“) zu sehen, kann nur ein Ziel haben, nämlich ein Jesus unvoreingenommen verfügbarer Nachfolger zu werden, Jesus ganz gehören zu können (8,34). Wer sich selbst gering macht, ist als Nachfolger ebenso untüchtig wie der, der sich vor Gott und Menschen brüstet (siehe Bemerkungen zu 8,34). Wegen Unglauben, wegen Autonomie, wegen Selbstsicherheit, wegen Entfremdung von Gott muss Jesus den Sühnetod (10,45; vgl. 1Petr 3,18) sterben. Jesus scheint sichtlich von diesem Unglauben umgeben zu sein (9,19). Das Gegenstück hierzu ist Vertrauen, Offenheit, Gehorsam und Abhängigkeit Gott

235 Vgl. Schweizer, Erniedrigung, 35-44, 51-54.

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gegenüber.236 Es ist nicht großer Glaube, sondern einfaches gottgeschenktes (9,24; vgl. Eph 2,8-9) Vertrauen auf einen erhabenen Gott. Das Gebet (siehe Jesu Vorbild und Gebetsunterweisung: 1,35; 6,46; 9,29; 11,24-25; 14,32-36), die lobpreisende und fürbittende Hinwendung zu Jesus (und damit zum Vater und zum Heiligen Geist) ist zentrale Glaubenstätigkeit. Gebet ist Loslassen von eigenen Götzen und Gelüsten, es ist Festklammern an Gottes Macht, an Gottes Absicht (im Gegensatz zu Lk 7,30), an Gottes Willen, an Gottes Tun und an Gottes Ehre (vgl. Ps 37,4).237 So sind Mk 9,23 und 9,29 zu erklären. Ausschlaggebend ist nicht die „Kraft des Glaubens“ oder die „Kraft des Gebets“, sondern die Macht des Objektes des Glaubens oder die Macht des Objektes des Gebets (vgl. Dan 9,2-19), nämlich der erhabene, dreieinige Gott. An dem soll sich der Mensch dankbar und verbindlich festmachen. Nachfolge ist somit praktizierte Christusabhängigkeit und fortlaufende Prägung durch Jesus. Einige weitere Charaktereigenschaften, die allgemein für Nachfolger Jesu im Mk Ev. von besonderer Bedeutung sind, sollen abschließend noch genannt werden. Dabei sind diese Eigenschaften jeweils als Konsequenz des Vorbildes und des heilsamen Wirkens Jesu und somit als „Frucht“ zu sehen:238 a. die Achtsamkeit über die eigene, innere Herzenseinstellung (3,29; 4,1-9. [10-20]; 6,52; 7,14-23; 8,17-21.33; 9,42-47.49; 10,35-44; 14,36.38); b. die Demut im Dienst am Nächsten (9,33.35.37.41; 10,13.15-16.42-44.45; 14,36); c. die Bereitschaft und Fähigkeit zu vergeben (2,5; 10,45; 11,[23-24].25; 14,36); d. die Kraft, Versuchungen und Verfolgung zu widerstehen (1,12-13; 2,1-10; 3,6; 10,[29].30; 13,9ff.33.37; 14,8.30.32-41.66-72; vgl. 8,31; 9,31; 10,3234) sowie e. die Freude, Jesus in Wort und Tat zu bezeugen (3,14; 8,38; 13,10).

236 Vgl. Schlatter, Glaube, passim. 237 Vgl. Hallesby, Gebet, passim. 238 Weitere Details bei Bayer, Theology, 89-132. Die folgenden Charaktereigenschaften als „Frucht“ der Nachfolge im Mk Ev. ergeben sich aus einer einfachen Frage: Wo finden sich im Mk Ev. Eigenschaften, die Jesus durch eine allgemeingültige Formel, etwa „Wer mir nachfolgen will, der …“ kennzeichnet? Folgende Formulierungen finden sich bei Mk: „Wer auch immer …“ in 3,29.35; 4,25; [7,10]; 8,35.38; 9,37.40-42; 10,11.15.43-44; 11,23; [16,16]; „Jeder, der …“ in 4,23; 8,34; 9,35.49; 11,25.

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11. Zweite und dritte Leidensvoraussage – Nachfolgeunterweisungen 9,30–10,521

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Einführung zu 9,30–10,16. Im Rahmen der letzten Jerusalemreise (8,27–10,52) spricht Jesus ein zweites Mal von seiner bevorstehenden Passion (9,31) und unterweist seine Jünger in grundlegenden Charaktereigenschaften, die sie von nun an kennzeichnen sollen (9,33-37), und in geduldiger Ausdauer (9,38-41). Dabei betont er gleichzeitig den radikalen und läuternden Prozess der Nachfolge (9,42-50). Die zweite Leidens- und Auferstehungsvoraussage (9,31) lenkt die Aufmerksamkeit auf die Beteiligung der Heiden am Tod Jesu. Im darauffolgenden zweiten Zyklus der Nachfolgeunterweisung (9,33-50) betont Jesus kindliches Vertrauen und wahre Demut (vgl. vor allem 9,35). In Zusammenhang mit Streitgesprächen spricht Jesus ferner über die Ehe (10,2-12) und erneut über kindliches Vertrauen (10,13-16). Mk betont besonders die Verbindung zwischen dem einzigartigen Leiden und der Auferstehung Jesu mit dem Leiden und der Hoffnung der Jünger. Derartiges Leiden ist durch gesunde und echte Demut gekennzeichnet, einschließlich eines geduldigen Gottesvertrauens in die schlussendliche Rechtfertigung seines Volkes (vgl. 1Petr 5,6). Einführung zu 10,17-52. In Fortführung der Streitgespräche betont Jesus die Spannung, die zwischen materiellem Besitz und Zugang zur Herrschaft Gottes besteht. Er verweist erneut auf das Opfer und den Segen der Nachfolge (10,17-31). Die dritte Leidens- und Auferstehungsvoraussage (10,32-34) steht erneut in engem Zusammenhang mit der Herausforderung der Jünger, in echter Demut und dienender Haltung als Leiter zu wachsen (10,35-44). Diese Jüngerunterweisung endet in der Voraussage des einzigartigen, stellvertretenden Sühnetodes Jesu (10,45). Gleichzeitig dient 10,45 als Beispiel bzw. als Muster-Analogie für die Erniedrigung und Erhöhung der Nachfolger (vgl. 1Petr 2,21-24). Die darauffolgende Blindenheilung des Bartimäus (10,46-52) bildet mit der zweistufigen Blindenheilung (8,22-26) eine inclusio.

1

Zur textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch II 98, Anm. a; 103, Anm. a; 106, Anm. a; 108, Anm. a-c; 113, Anm. a-c; 119-120, Anm. a-d; 131, Anm. a; 135-136, Anm. a-f; 148, Anm. a; 153-154, Anm. a; 168, Anm. a-c; France 375.379.386-387.395.398-399.406.410.414; Lane 338, Anm. 57-58; 341-342, Anm. 64-68; 346-347, Anm. 74-77; 351-352, Anm. 1-5; 358359, Anm. 22; 362-363, Anm. 30-37; 371, Anm. 54-56; 373, Anm. 60; 376-377, Anm. 69-75; 385-386, Anm. 94-99.

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Synoptischer Vergleich: Befund. Die Synoptiker berichten gemeinsam von der zweiten Todes- und Auferstehungsvoraussage Jesu sowie der darauf folgenden Belehrung der Jünger Jesu (Mt 17,22-23 und 18,1-5 / Mk 9,30-37 / Lk 9,4348). Sodann berichtet Mk gemeinsam mit Lk vom fremden Dämonenaustreiber (Mk 9,38-41 / Lk 9,49-50) sowie, gemeinsam mit Mt, vom Ärgernis (Mk 9,4248 / Mt 18,6-9). Die Aussage Jesu über das Salz (Mk 9,49-50) weist lediglich entfernte Parallelen bei Mt und Lk auf (vgl. Mt 5,13 und Lk 14,34-35). Der ausgedehnte lukanische Reisebericht (Lk 9,51–18,14) wäre hier anzusetzen. Alle Synoptiker vermitteln Jesu Segnung der Kinder und das Gespräch Jesu mit dem reichen Jüngling (Mt 19,13-30 / Mk 10,13-31 / Lk 18,15-30), nachdem Mk und Mt die Perikope vom Verbot der Ehescheidung vorausschicken (Mt 19,1-12, ausführlicher als Mk 10,1-12; vgl. Lk 16,18; Mt 5,31-32; siehe die sog. „Ausnahmeklauseln“ in Mt 19,9 und 5,32).2 Die dritte Voraussage des Leidens und der Auferstehung Jesu sowie die Heilung des Bartimäus werden ebenso bei allen Synoptikern erwähnt (Mt 20,17-34 / 10,32-52 / 18,31-43). Allerdings lassen Mt und Mk (im Gegensatz zu Lk) unmittelbar nach der dritten Leidens- und Auferstehungsankündigung Jesu eine dritte Unterweisung der Jünger Jesu folgen (Mt 20,20-28 / Mk 10,35-45). Auswertung: Es wird deutlich, dass Mk (mit Mt) die Verknüpfung der Leidensvoraussagen Jesu mit Unterweisungen in der Nachfolge konsequent hervorhebt (vgl. u.a. Mk 9,33-50; 10,13-31). Das Verbot der Ehescheidung (Mk 10,1-12 / Mt 19,1-12) kann ebenso im Kontext der Nachfolgeunterweisung (angesichts des Leidens Jesu) gesehen werden. Literarischer Kontext. Mk 9,30-32 führt das Doppelmotiv der Leidensankündigung und des Unverständnisses (mit Furcht, 9,32) der Jünger fort. Der zweiten Todes- und Auferstehungsvoraussage (9,30-32) folgt erneut eine episodische Unterweisung der Jünger (9,33-50). Mk 9,33-37 enthält das zentrale Logion über die Notwendigkeit der dienenden Haltung der Jünger (V. 35; vgl. das gemeinsame „Muster“ des Dienens: Mk 9,31 / 9,35). Die episodische Unterweisung in Mk 10,1-31 behandelt die Frage, was es heißt, zur Familie Gottes zu gehören. Dies geschieht u.a. im Kontext der Schöpfungsordnung der Ehe (10,2-12) und immer im Kontext des kindlichen Glaubens (10,13-16; vgl. 9,35-37).3 Die Unterweisung über die Kosten, am Reich Gottes teilnehmen zu können, wird durch einen Dialog (10,17-22: Reichtum als Hindernis; vgl. den Gegensatz zur kindlichen Bereitschaft zu

2 3

Vgl. Evans 80. Vgl. Evans 91, der auf die Parallele in EvThom 22 verweist.

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11. Zweite und dritte Leidensvoraussage – Nachfolgeunterweisungen 9,30–10,52

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Nachfolge)4 und durch eine weitere Unterweisung (10,23-31: Gefahr des Reichtums) fortgeführt.5 Ein letzter Zyklus der Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, mit Unterweisung in Leidensnachfolge, folgt (10,32-34.35-45). Die dritte Leidensvoraussage entspricht in vielen Teilen der Erzählung der Passion Jesu, ist jedoch nicht mit ihr identisch.6 Die Unterweisung kulminiert in der Aussage Jesu, stellvertretend für viele zu leiden (10,45). Der Abschnitt endet mit der Heilung des blinden Bartimäus (10,46-52, mit Hervorhebung des Glaubens des Bar­ti­ mäus). Mk 10,46-52 dient gleichzeitig als Überleitung zur Passionsgeschichte (erneute geografische Ausrichtung auf Jerusalem).

11.1 Zweite Leidensankündigung 9,30-32 I 30 Und sie gingen von dort weg und zogen durch Galiläa; und er wollte nicht, dass (es) jemand erfahre. 31 Er begann (erneut) seine Jünger zu unterweisen und sprach zu ihnen: „Der Menschensohn wird7 in die Hände von Menschen übergeben und sie werden ihn töten; und nachdem er getötet worden ist, wird er nach drei Tagen auferstehen“. 32 Obwohl sie die Aussage nicht verstehen konnten, hatten sie nicht den Mut, ihn (diesbezüglich) zu fragen.8 II Mk 9,30-32 ist eine Unterweisung der Jünger (zweite Leidens- und Auferstehungsvoraussage, mit Unverständnismotiv, V. 32; vgl. 8,31 sowie 10,32-34).9

4 5 6 7 8

Vgl. Evans 91. Vgl. ähnlich, Evans 4. Vgl. Bayer, Predictions, 172 und Evans 106. Oder: „ist … (bereits) übergeben“. Lit.: Bayer, Predictions, 169-171; Kingsbury, Christology, 89.100.105.147.167-171.175; Lindars, Son of Man, 60.63.66.73.162.184; Vermes, Use, 310-328; Pesch, Passion, 166-195; Weihs, Deutung, 413-423; vgl. ferner Popkes, Christus, ad loc.; Tödt, Menschensohn, ad loc.; Caragounis, Son of Man, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 101 (bis 1980); Evans 54-55 (bis 1999). 9 Pesch II 98, spricht bei Mk 9,33-35 von einer „berichtende(n) Erzählung“, bei Mk 9,36-37 (ders., 106) von „Jüngerinstruktion“.

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III 30-31 Auf dem Weg von Caesarea Philippi nach Jerusalem geht Jesus ein letztes Mal durch den Nordteil von Galiläa, wohl westlich am See Semachonitis vorbei (Hauptverbindungsweg NS), in Richtung Chorazin. Er beabsichtigt wieder einmal, von der Menge unerkannt zu bleiben (vgl. 7,24), denn (γάρ [gar] in V. 31) er beabsichtigt, seine Jünger vermehrt mit der Notwendigkeit vertraut zu machen (zu unterweisen, V. 31), dass der Messias Gottes leiden muss. Damit soll das Fundament der ewigen, von Grund auf gerechten, messianischen Herrschaft Gottes gelegt werden. 31 Die zweite Leidensankündigung ist kürzer als die erste, was gegen die These spricht, dass, zumindest im Markuszeugnis, derartige Traditionen im Überlieferungsprozess langsam mit Zusätzen versehen werden.10 Die mögliche Paronomasie Menschensohn … in Menschenhände, ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου (παραδίδοται) εἰς χεῖρας ἀνθρώπων [ho hyios tou anthrōpou (paradidotai) eis cheiras anthrōpōn] (vgl. 14,41; siehe ferner 2Sam 24,14; Sir 2,18)11 leuchtet sowohl im Aramäischen (bar ’ānasă … bene anashim) wie im Hebräischen ein. Während der Schwerpunkt in der ersten Leidensankündigung auf der Auslieferung12 Jesu in die Hände von jüdischen Machthabern liegt, ist im vorliegenden Bildwort zusätzlich die Übergabe bzw. Auslieferung (vgl. Jer 26,24)13 in die unreinen Hände von Heiden im Blick (vgl. Mk 14,41). Die Gesamtaussage in V. 31 zielt auf das Paradox, dass die grausame, real bevorstehende Übergabe des Menschensohnes in den Tod (vgl. 3,19; 10,33; 14,10-11.18.42.44; 15,1.10.15)14 gleichzeitig den vom himmlischen Vater (vgl. das passivum divinum von παραδίδωμι [paradidōmi]; vgl. ebenso 10,33; 14,21.41)15 gewollten Weg der Befreiung von Schuld und Sünde darstellt.16 „Das dunkle Wort greift eine Spitzenaussage der Theologie vom leidenden Gerechten (und vielleicht vom leidenden Gottesknecht) auf, die das Judentum im Ganzen eher scheut:

10 Natürlich kann dem entgegnet werden, dass die kürzere Aussage in 9,31 ursprünglicher ist als die ausführlichere in 8,31. Aber zumindest spricht die vorliegende Akoluthie dagegen. Weitere Details bei Bayer, Predictions, 169-171. 11 Schriftverweise bei Pesch II 99. 12 Vgl. 3,19 sowie 14,41. Lane 337 erläutert, dass παραδίδωμι [paradiōmi] hier die Bedeutungsnuance der „von Gott gewollten Auslieferung“ vermittelt. Vgl. Weihs, Deutung, 413-423; Popkes, Christus, passim, sowie Dschulnigg 257. 13 So Lane 337. 14 Angaben bei Dschulnigg 257. 15 Zum Motiv der „Übergabe“ bzw. der „Hingabe“ im Mk Ev., siehe die Bemerkungen zu 1,14; 3,19; 10,33; 13,9-13; 14,10-11.21.41-42.44; 15,1; vgl. 14,18.21. Vgl. Popkes, Christus, passim. 16 Vgl. Dschulnigg 257 sowie Lane 337.

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Gott gibt den Gerechten preis“.17 Dieses Paradox klingt bereits in Jes 53,6.12 an,18 wo der gerechte und schuldlose Knecht Gottes (Jes 53,11) die Sünden Israels vom Herrn aufgebürdet bekommt (Jes 53,6 LXX: κύριος παρέδωκεν αὐτὸν ταῖς ἁμαρτίαις ἡμῶν [kyrios paredōken auton tais hamartiais hēmōn]) und deshalb in den Tod gegeben bzw. dem Tod ausgeliefert (Übergabe) wird (Jes 53,12 LXX: παρεδόθη εἰς θάνατον ἡ ψυχὴ αὐτοῦ … διὰ τὰς ἁμαρτίας αὐτῶν παρεδόθη [paredothē eis thanaton hē psychē autou … dia tas hamartias autōn paredothē]). Aufgrund des gemeinsamen Paradoxes (Mk 9,31 / Jes 53,6.12) liegt es entgegen Hookers Auffassung19 viel näher, die Jes-53-Anspielung in Mk 9,31 auf Jesus selbst zurückzuführen (vgl. 10,45). In eben diesem, historisch glaubwürdigen, Kontext des Unverständnisses seiner Jünger (V. 32) hat die Jes-53-Anspielung ihren plausibelsten Ort und Ursprung. Wiederum betont Jesus, dass er nach drei Tagen auferstehen wird (vgl. hierzu die Einzelbemerkungen zu 8,31). 32 Weil Jesus erneut von der Auferstehung einer Einzelperson spricht, gepaart mit dem aus ihrer Sicht unvorstellbaren Tod des Messias (vgl. V. 34), können sie die ῥῆμα [rhēmα]-Aussage20 (wieder) nicht verstehen (ἀγνοέω [agnoeō] als HL).21 Ihr eigener Vorstellungshorizont ist tief und fest verwurzelt und bedarf wiederholter, sogar schockierender Korrektur, ohne dadurch allerdings ein gänzlich neues Verständnis hervorzurufen.22 Trotzdem lehrt Jesus seine Jünger, damit sich diese Aussage als Interpretationsrahmen in ihr Gedächtnis einprägt. Dadurch werden sie einst die unmittelbar bevorstehenden Ereignisse des Todes und der physischen Gemeinschaft mit dem auferweckten Jesus nach dessen Tod wirklichkeitsgetreu einordnen können. Jesus tritt somit als Interpret seines eigenen Geschicks auf.23 Der Ursprung des neutestamentlichen Zeugnisses eines leidenden Messias liegt am überzeugendsten bei dem lehrenden Jesus selbst, dessen Aussage z.T. grundsätzlich von den Erwartungen seiner Jünger abweicht und die atl. Rolle des leidenden Knechts aufgreift. Warum scheuen sich die Jünger (sie hatten nicht den Mut), Jesus zu fragen? Vielleicht, weil er sie bereits der Hartherzigkeit gescholten und er Petrus mit ernsten Worten zurechtgewiesen hatte. Aufgrund von V. 34 wird jedenfalls 17 Pesch II 99. 18 Vgl. Lane 337. Zur Diskussion der Identität des „Ebed Jahwe“ in Jes 42–53 (kollektiv für Israel; Messias; Prophet-wie-Mose; Kyrus; die Stadt Zion), vgl. Rowe, Kingdom, 70-84. 19 Hooker ad 9,31, die davon ausgeht, dass diese Verbindung auf die Kreativität der Urgemeinde zurückzuführen ist. So auch Boring 253. 20 Vgl. Mk 14,72. 21 Vgl. Pesch II 100. 22 Wrede, Messiasgeheimnis, passim, hat dieses Phänomen zu leichtfertig als psychologisierende Interpretation verworfen. 23 Vgl. Bayer/Yarbrough, Konzeption, 319-347.

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deutlich, dass die Jünger Jesu weiterhin auf ihrer Sicht der Messiaserwartung beharren und deshalb an Ehre und Macht denken,24 nicht an Schmach, Leiden, Verfolgung und sogar Tod, die Teil eines Gott ergebenen Lebens sein können (vgl. etwa 1Petr 2,20; 3,14.17; 4,19).

11.2 Unterweisung der Jünger 9,33-50 I 33 Und sie gelangten nach Kapernaum. Und als er ins Haus gekommen war, begann er sie zu fragen: „Was habt ihr auf dem Weg besprochen?“ 34 Sie aber schwiegen; denn sie hatten unterwegs untereinander ein Streitgespräch darüber geführt, wer der Größte sei. 35 Er setzte sich hin und rief die Zwölf zu sich und spricht zu ihnen: „Wenn jemand Erster sein will, der werde der Letzte und der Diener von allen“. 36 Und er nahm ein Kind, stellte es in ihre Mitte, nahm es in seinen Arm und sprach zu ihnen: 37 „Wer auch immer eines dieser Kinder in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat“. 38 Johannes aber sprach zu ihm: „Lehrer, wir sahen jemanden, der versuchte, in deinem Namen Dämonen auszutreiben; wir aber versuchten es ihm zu versagen, denn er folgt(e) uns nicht nach“. 39 Jesus aber sprach: „Hindert ihn nicht mehr. Denn niemand, der Wunder in meinem Namen vollbringt, ist so schnell fähig, schlecht von mir zu reden. 40 Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns. 41 Denn wer euch einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr Christus angehört, Amen, so sage ich euch, der wird seinen Lohn empfangen. 42 Und wer einem dieser kleinen (mir) Glaubenden ein Anlass zur Sünde wird, für den wäre es besser, wenn er mit einem um seinen Hals gelegten Mühlstein ins Meer geworfen würde. 43 Und wenn deine Hand dich zum Sündigen verleitet, haue sie ab; es ist besser als Krüppel ins Leben einzugehen, als mit beiden Händen in die Hölle, ins nicht zu löschende Feuer, zu gehen. (44)25 45 Und wenn dich dein Fuß zum Sündigen verleitet, haue ihn ab; es ist besser, mit einem lahmen Bein ins Leben einzugehen, als mit 24 Vgl. Lane 339 und Anm. 60, der auf Schlatter, Matthäus, 543 sowie auf 1Q2.20-23; 5.20-24; 6.3-5.8-10; 1Qsa2.11-22 verweist: Rang und Stellung sind weit verbreitete Werte in der Gesellschaftsordnung, in der die Jünger Jesu leben. 25 Textkritische Diskussion (auch zu V. 46): Wichtige und frühe Manuskripte (‫ א‬B C W itk sys copsa) lesen diesen Vers (ὅπου ὁ σκώληξ ... οὐ σβέννυταί [hopou ho skōlēx … ou sbennytai]) nicht. Nach Metzger, Textual Commentary, 86, handelt es sich wahrscheinlich um eine Interpolation aufgrund von Mk 9,48. Vgl. ferner die textkritische Diskussion bei Pesch II 113.

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zwei Füßen in die Hölle geworfen zu werden. (46)26 47 Und wenn dich dein Auge zum Sündigen verleitet, nimm es heraus; es ist besser, einäugig in das Reich Gottes einzugehen, als mit zwei Augen in die Hölle geworfen zu werden, 48 wo immer ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht ausgeht. 49 Denn jeder (von euch) soll mit Feuer gesalzen werden. 50 Das Salz ist gut; wenn aber das Salz ausgelaugt ist, womit werdet ihr es (wieder) würzig machen? Habt unter euch Salz und lebt untereinander in Frieden“.27 II Mk 9,33-50 ist eine episodische Unterweisung der Jünger (oft herrscht hierbei die Dialogform vor): 1. Der Jünger als demütiger Diener aller, 9,33-37 – eine „erweiterte Chrie“;28 2. die tolerante Haltung einem Fremden gegenüber, der (unautorisiert) im Namen Jesu Dämonen austreibt, 9,38-41 (mit Erfahrungsregel und Maxime) – ebenso eine „erweiterte Chrie“;29 3. der Dienst im Namen Jesu, ohne dem Nächsten ein Hindernis zu werden / Wachsamkeit hinsichtlich Versuchung, 9,42-50.30 Berger bezeichnet 9,43-47 als Sentenz, die eine Mahnung begründet.31 Beachtenswert ist die inhaltliche Stichwortverknüpfung durch die Begriffe „Kind“ (9,36.37.42), „Feuer“ (9,48.49) und „Salz“ (9,49.50).32 Das Bildwort in Mk 9,50 fasst 9,33-50 zusammen.33 Der Abschnitt 9,33-37 folgt dem bereits erwähnten Rhythmus: Todes- und Auferstehungsvoraussage, mit folgender Belehrung der Jünger (zunächst vor allem des inneren Kreises mit Petrus, Johannes und Jakobus):34 8,31 / 8,32– 9,1; 9,30-31 / 9,33-37; 10,32-34 / 10,35-45. Unterschiedliche Erklärungsversuche liegen allerdings für die Beziehung von 9,38-50 zu 9,33-37 vor: Handelt es sich um verschiedene Stichwortverknüpfungen in der Lehre Jesu (vgl. „in meinem Namen“, V. 37.38.39.41; „Kinder“, V. 37.42; „Ärgernis“, V. 42.43.45.47 sowie die inclusio Mk 9,33-37 und 26 Textkritische Diskussion siehe oben zu V. 44. 27 Lit. zu 9,33-37: Wenham, Redating, 100.251 Anm. 17; Wuckelt, Reich, 136-141; vgl. ferner Black, Disciples, ad loc.; Breytenbach, Nachfolge, ad loc.; Hengel, Nachfolge, ad loc.; Schweizer, Erniedrigung, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 102.105.107 (bis 1980); Evans 58-59 (bis 1999). 28 Berger, Formen, 140.149. Zur Definition der Chrie bzw. Chrienreihe, s.o. Einleitung, 3.1. Pesch II 103, nennt diesen Abschnitt „Spruchgeschichte“. 29 Berger, Formen, 140.149. Vgl. Pesch II 108, der Mk 9,38-41 als „Schulgespräch“ bezeichnet. 30 Pesch II 113, nennt Mk 9,42-50 eine „Spruchfolge“. 31 Berger, Formen, 124. 32 Vgl. Evans 69, der auf Taylor 409-410 verweist: Taylor bemerkt, dass hier eine mnemotechnische Überlieferungsweise (durch Stichwortverknüpfung) sichtbar wird. Es muss sich hierbei jedoch keineswegs um eine redaktionelle Stichwortverknüpfung handeln. 33 Evans 4. Ähnlich, Pesch II 113 und 118, der den Vers allerdings für „sekundär“ hält. 34 Vgl. Lane 342: Petrus in 8,32-33; Johannes in 9,38; Jakobus und Johannes in 10,35-37.

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9,50: „habt Frieden untereinander“),35 oder um eine spätere Zusammensetzung verschiedener Logien Jesu?36 Aufgrund der Lehrmethode Jesu37 ist durchaus plausibel, dass Jesus selbst derartige Stichwortverknüpfungen benutzt und dass unterschiedliche (synoptische) Akoluthie der Aussagen Jesu nicht von vornherein auf einen redaktionellen Eingriff des Mk weist. In den Aussagen des Wanderlehrers Jesus ist häufige Wiederholung mit Variation im Detail (so etwa Mk 9,42-50 und separat Lk 17,1-2) durchaus plausibel.38 Die Unterweisung der Jünger greift Demut (9,33-37), Duldsamkeit (9,3841) und, als letzte Steigerung, den persönlichen Ernst der Nachfolge (9,42-50) auf. Wenn Nachfolge derart ernsthafte Entscheidungen fordert, sind Duldsamkeit und Demut beinahe selbstverständlich. III 33–34 Nach dem Vorbild des Makkabäeraufstandes und verbunden mit einer tief verankerten, politisch-davidischen Messias- und Befreiungserwartung rechnen die Jünger fest damit, dass die Verbindung mit Jesus einen siegreichen Status, Ehre und Machtstellung mit sich bringt (10,35-37.43). Schlatter bemerkt, dass das Frömmigkeitsideal im palästinischen Judentum z.Z. Jesu zum Ziel hat, in der Gesellschaft etwas darzustellen (siehe unten, Bemerkungen zu V. 34).39 33 Der Weg nach Jerusalem führt ein letztes Mal durch Kapernaum.40 Wie so oft, führt Jesus mit seinen Jüngern Gespräche des tieferen Verstehens, der Rekapitulation oder der persönlichen Nachfrage in der Privatsphäre des Hauses (vgl. etwa 4,10.34; 6,30; 7,17; 9,28; 10,10). Die einleitende Frage Jesu: „Was habt ihr auf dem Weg besprochen?“ spiegelt nicht Unwissen, sondern Wissen Jesu wider.41 Jesu Fragen antizipieren stets vertiefende Lehre oder persönliche Einsicht beim Befragten (vgl. z.B. die Dynamik in 8,27.29 → 8,31).42

35 Vgl. Lane 338-339. 36 Letzteres könnte aufgrund des synoptischen Vergleichs angenommen werden: Mk 9,33-37 par Mt 18,1-5 / Lk 9,46-48; Mk 9,38-41 par nur bei Lk 9,49-50; Mk 9,42-50 par bei Mt 18,6-9 und, in unterschiedlicher Akoluthie, Lk 17,1-2. Siehe jedoch das im Haupttext nun folgende Argument. 37 Vgl. Riesner, Jesus, passim. 38 Siehe Wenham, Redating, 51-76; vgl. 251 Anm. 17. 39 Siehe Schlatter, Matthäus, 543 und Schlatter, Lukas, 424. Vgl. Dschulnigg 260, Anm. 120, der auf Billerbeck, Kommentar I, 249-50.773-774; II 257-258 verweist. 40 Pesch II 103, betont den für Markus singulären Charakter der Formulierung „im Haus angelangt“. 41 Vgl Pesch II 104. 42 Lane 339.

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34 In V. 32 schweigen die Jünger, weil sie sich scheuen; nun schweigen sie, weil sie sich schämen. Inmitten des bevorstehenden Leidens Jesu denken seine Jünger gemäß ihrer Messiaserwartung, ihrem kulturellen Umfeld43 und der menschlichen Natur an Status, Rang, Geltung und Macht (vgl. 10,35-37.43). Sobald ihr Messias siegreich in Jerusalem eingezogen sein wird, versprechen sie sich prominente Positionen (nach dem Muster der Makkabäer). 35 Mit Geduld lehrt Jesus sitzend44 seine Jünger, dass das Los des Leidens, das ihm als Messias des ewigen Reiches beschieden ist, in Form von erduldendem Dienen (als konkrete Anwendung von 8,34)45 auch ihnen gilt. Zunächst lehrt Jesus dies mittels eines allgemeinen Maxims: „Wenn jemand Erster sein will, der werde der Letzte und der Diener von allen“ (vgl. 10,43-44; siehe Mt 18,4; 23,11; Lk 9,48; 26,26-27).46 Dabei soll der Jünger konkrete Schritte unternehmen, sich bewusst an unwichtiger und untergeordneter Stelle zu platzieren und den anderen (Jüngern Jesu?) dienend (vgl. 10,43-44) behilflich zu sein. Diese Gesetzmäßigkeit, die dem usus menschlicher Natur diametral widerspricht (vgl. 8,34; 10,31), soll ein Charakteristikum des ewigen Reiches Gottes sein (opferbereiter Dienst und Liebe im Gegensatz zu Stellung und Rang).47 36-37 Eine derartige dienende und demütige Haltung übersieht nicht einmal ein im damaligen sozialen Gefüge48 „unwichtiges“ bzw. unbeachtetes oder schutzloses Kind (d.h. wenn dies bei einem hilfsbedürftigen Kind zutrifft, wie viel mehr dann bei anderen Menschen), sondern bemerkt es und kümmert sich

43 Pesch II 104 und Anm. 5, betont (mit Verweis auf Schlatter, Matthäus, 543), dass Rangfolge einen überaus wichtigen Faktor im palästinischen Judentum darstellt. Vgl. ferner Keener, Background, 159. Siehe u.a. 1Kor 14,27 für den hellenistischen Kulturkreis. Die Hoffnung vieler ist es ferner, durch Befolgen der Gebote einen höheren Rang in der zukünftigen Welt zu erlangen. 44 Pesch II 104 geht davon aus, dass hier eher historische Reminiszenz vorliegt. Es ist jedoch allgemein bekannt, dass ein offiziell Lehrender gewöhnlich sitzt. 45 Lane 339-340, bemerkt, dass diese Haltung das Liebesgebot verdeutlicht (12,31; Lev 19,18). Lane 340 verweist auf die parallele Formulierung von 8,34 und 9,35: „εἴ τις θέλει [ei tis thelei] …“ 46 Stellenangaben bei Dschulnigg 260, der zusammenfassend bemerkt: „… so dass bei den Synoptikern insgesamt eine siebenfache Wiederholung der Ermahnung der Leitenden zum Dienen vorliegt“. Dschulnigg gibt aufgrund dessen überzeugend zu bedenken, dass „Amtsträger jeder Art“ stets darauf bedacht sein müssen, die „mit dem Amt verbundene Macht“ nicht „zu missbrauchen“. 47 Lane 340, zitiert Polycarp, Ad Phil 5,2, wo die Dienstbereitschaft des Christen von Jesus als „Diener aller“ abgeleitet wird. Pesch II 104 bemerkt: „Das Amt ist Dienst“. Zur umfassenden, neutestamentlichen Frage der Demut vgl. Macaskill, Humility, passim. 48 Vgl. Ferguson, Background, 64-70.73-74.515-516.536-538.

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darum.49 Das wiederholt aufgegriffene Stichwort aufnehmen50 signalisiert allerdings, dass Jesus mehr als bloße Demut im Sinn hat. Es geht um demütiges Annehmen des Kindes und damit um demütiges Aufnehmen Jesu („Wer … in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf“). Jesus solidarisiert sich mit dem „unwichtigen“ bzw. unbeachteten Kind (ein weiterer semantischer Aspekt von „aufnehmen“ oder „empfangen“, vgl. 6,11). Mit Jesus solidarisiert sich sodann der ihn sendende himmlische Vater (vgl. Mt 10,40; Lk 10,16; Joh 13,2051): „Wer mich aufnimmt, nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat“. Bemerkenswert ist zunächst die Selbstaussage Jesu, dass er sich von Gott dem Vater gesandt weiß.52 Nie ist er Suchender, im Gegensatz etwa zu Mohammed oder Buddha. Jesus bekennt sich stets zu einem klaren Auftrag, den er erfüllt. Ferner ist beachtlich, wie eng Jesus mit dem Vater verbunden ist: „Wer Jesus aufnimmt, der nimmt den Vater auf“.53 Der Vater hat Jesus gesandt. Die angemessene Reaktion der Menschen ist es, der Absicht des Vaters zu entsprechen. D.h., wer Gott, dem Vater, demütig begegnen will, der nimmt Jesus auf; wer jedoch Jesus demütig begegnen will, der nimmt unscheinbare Menschen (nicht nur Kinder) auf. Das Aufnehmen unscheinbarer Menschen heißt, unvoreingenommen davon auszugehen, dass Jesus am Geschick des unscheinbaren Menschen beteiligt ist und im Jünger eine Anteilnahme an diesem Wirken Jesu sucht. Die Konsequenz des Aufnehmens in unserem Kontext ist zunächst das gemeinsam dienende Zusammenleben der Jünger Jesu, also der Gemeinschaft der Jünger Christi (vgl. V. 42). Nichts weist jedoch darauf hin, dass diese dienende und aufnehmende Haltung auf Jünger Jesu beschränkt sein soll. Im Gegenteil, er nimmt sodann Repräsentanten aller „unscheinbaren“ Menschen auf (vgl. V. 38-41). 3854 Im Gegensatz zu Jesu Betonung des „Aufnehmens im Namen Jesu“ (V. 37) weist Johannes (vgl. 10,35) mit den anderen Jüngern den ab, der „im Namen Jesu“ zwar Dämonen auszutreiben versucht,55 aber nicht zum engen Jüngerkreis gehört56 („wir aber versuchten es ihm zu versagen, denn er 49 50 51 52 53

Lane 340, spricht von einem Demonstrationsbeispiel mittels eines Kindes. Vgl. Dschulnigg 261. Schriftverweis bei Pesch II 106. Vgl. Keener, Background, 159, der auf 1Sam 8,7 verweist. Pesch II 106, charakterisiert (mit zitierendem Verweis auf K.H. Rengstorf) den „Schaliach-Gedanken: ‚Der Gesandte ist wie der Sendende‘“. Vgl. Dschulnigg 261. 54 Lit. zu 9,38-42: Vgl. Marshall, Faith, ad loc.; Schlatter, Glaube, ad loc.; Söding, Glaube, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 112 (bis 1980); Evans 63 (bis 1999). 55 Pesch II 108-109, betont, dass eine derartige Vorgehensweise Außenstehender bereits zu Lebzeiten Jesu vorstellbar ist. 56 Lane 343 geht überinterpretierend davon aus, dass es sich bei dem Exorzisten um einen auf Jesus vertrauenden Menschen handelt (mit Verweis auf Mt 7,21-23 und Apg 19,13-16).

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folgt(e) uns nicht nach)“. Beachtenswert ist ferner die Wendung er folgt(e) uns nicht nach; weist dies darauf hin, dass sie sich aufgrund der wachsenden Popularität Jesu wichtig vorkommen? 39-40 Ähnlich wie Paulus (Phil 1,17-18) hält Jesus seine Jünger an, sich nicht über die zu grämen, die (wohl) mit unlauteren Motiven „den Namen Jesu“ (als Repräsentant der Person) zu Dämonenaustreibungen gebrauchen. Jesus sagt zumindest, dass ein derartiger Mensch nicht so schnell in üble Nachrede (vgl. Apg 19,9) gegen Jesus verfallen kann.57 Die sprichwortartige58 Aussage Jesu „wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“ (V. 40) weist evtl. auch darauf hin, dass jemand, der Jesus nicht direkt nachfolgt, dennoch in seinem Namen (d.h. in der Autorität seiner Person) ein Wunder vollbringen kann.59 Wer immer jedoch ein Wunder in meinem Namen vollbringt, ist damit nicht gleich genuiner Jünger Jesu (vgl. etwa die nüchterne Warnung in Mt 7,21-23). Der Kern der Nachfolge ist, den Willen des Vaters zu tun; der Kern des Willens des Vaters ist, seinem Sohn zu vertrauen und ihm zu gehorchen. Ohne diese vertrauende Abhängigkeit ist alles andere nichtig. Die von Johannes erwähnten Menschen sind nicht zu schelten, obwohl sie mit der Zeit durchaus auch gegen Jesus aussagen können. Manche davon mögen auch Jüngern Jesu gegenüber freundlich gesinnt sein, was vor Gott durchaus etwas bedeutet (vgl. V. 41). 41 Jemandem (vgl. Mt 10,42) Wasser zu reichen, gilt als sehr bescheidene Tat der Gastfreundschaft,60 die jedoch trotzdem Beachtung61 (bekräftigt durch ein Amen-Wort; vgl. Mt 10,42) findet. Man bemerke hier wieder das Argument vom „Kleinen“ zum „Großen“: Sogar ein „Becher Wasser“ gilt etwas; wie viel mehr dann größere Wohltaten. Wieder ist eine derartige Tat jedoch damit verbunden, dass sich Jesus mit dem Empfangenden solidarisch erklärt (weil ihr Christus angehört). Der Gebende gibt somit (wissentlich oder nicht) in der Gegenwart Jesu. Der Lohn (μισθός [misthos] = „Lohn“; „Vergütung“) ist hier nicht mit der Ursache des Heils zu verbinden, welches ausschließlich vom vollendeten Werk Jesu abhängig ist (10,45; 14,22-24). Es handelt sich vielmehr um eine unerklärliche, freie „Zugabe“ Gottes (vgl. etwa das Paradox in 4,25), zusätzlich zum unverdienten Heil in Christus. Auch die geringste Handreichung entgeht Gott nicht.

57 Vgl. Pesch II 109. 58 Vgl. Keener, Background, 160. 59 Siehe den ganz anderen Kontext bei der Jesusaussage in Mt 12,30 par. Weitere Details hierzu bei Dschulnigg 262. 60 Vgl. Pesch II 110. 61 Zum Lohngedanken, vgl. Pesch II 111 und Anm. 21. Siehe Mt 6,2.5.16; 10,41.

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42 Jesus betonte bereits, Kinder, d.h. Geringe „im Namen Jesu aufzunehmen“ und zu „empfangen“, sich um sie zu kümmern und ihren Bedürfnissen in der Gegenwart Jesu offen zu begegnen (V. 37).62 Jetzt warnt Jesus davor, den Geringen, die auf Jesus vertrauen (dieser kleinen [mir]63 Glaubenden),64 ein Hindernis im Glauben oder ein Anlass zur Sünde zu werden (σκανδαλίζω [skandalizō] = Anlass zum Unglauben bzw. zum Straucheln zu geben; vgl. 4,17; 6,3; 14,27.29).65 Es ist verwerflich, eine derartig vertrauende Person zum Unglauben zu verführen, durch den die Person zu Haltungen und Handlungen gelangt, die Gott entgegenstehen. Dies gilt vor allem dann, wenn derart Strauchelnde den verwerfen, den Gott zur Rettung gesandt hat (Mt 11,6; Lk 17,12). Der bedenklichste und ernsthafteste Aspekt der Sünde ist Trennung von Gott.66 Im vorliegenden Kontext des demütigen Aufnehmens der „Gesandten“ und des daraus folgenden Dienens (V. 35.37), ist all das Hindernis und Anstoß (zum Sündigen), was aus exklusivem, eigennützigem Stolz hervorgeht (V. 34.38). Der Stolz dem Geringen gegenüber mag den Geringen im Vertrauen auf Gott ins Zweifeln bringen. Diese Stolzen sollten besser nicht mehr leben.67 Es droht ihnen die Verdammnis (vgl. V. 43-48).68 43-4869 Durch die im palästinischen Judentum verbreitete Stichwortverknüpfung (Anlass zur Sünde werden, vgl. V. 42) lenkt Jesus nun das Augenmerk seiner Jünger auf ihren persönlichen Lebenswandel im Umgang mit anderen. Die Hand, der Fuß und das Auge dienen als Metonymie für Sünden, die mittels dieser Organe (sie können zu Sünde verleiten) ihren Ausdruck finden (z.B. die gewaltsame Hand als Metonymie für Mord). Ein Anlass zur Sünde werden ist in jedem der drei Fälle „zum Abfall vom Glauben gegenüber Gott zu verleiten“. Aufgrund von Mk 7,20-23 kann jedoch das konkrete Beseitigen der Hand, des Fußes oder des Auges in keiner Weise die tiefe Verwurzelung und Ubiquität der Sünde beheben. 62 Indirekt nimmt V. 42 auch die V. 38-41 mit auf, in dem der Kontrast „notwendiges Aufnehmen“ (V. 37 und V. 42) und „unbegründetes Abweisen“ (V. 38-41) deutlich wird. 63 Der Zusatz „mir“ (Glaubenden: εἰς ἐμέ [eis eme] = „an mich“) ist bei ‫ א‬D Δ it nicht belegt. Vgl. die mögliche Assimilation mit Mt 18,6 bei A B L W Q Y f1 f13 sys copsa u.a.), welche εἰς ἐμέ in Mk 9,42 lesen. 64 Siehe auch zu 1,15; 2,5; 4,40; 5,34.36; 6,6; 9,24. Vgl. die Bemerkungen zum Stichwort „Glaube“ in 10,47.52; 11,22-24. Siehe 10.4, IV zu 8,27–9,29. 65 Vgl. die ähnlichen Formulierungen in 4,17; 6,3 („Ärgernis nehmen“); 9,42.43.45.47 („Ärgernis nehmen“) sowie 14,27.29. Vgl. Pesch II 114. 66 Vgl. TDNT, VII, 351-352. 67 Keener, Background, 160, bemerkt, dass der Begriff einen großen Mühlstein bezeichnet. 68 Vgl. Pesch II 114. 69 Lit. zu 9,43-50: Berger, Jesus, 119-127. Weitere Lit. bei: Pesch II 118-119 (bis 1980); Evans 67-68 (bis 1999).

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Vgl. im Gegensatz hierzu 2Makk 7,2-41,70 wo das Opfern einer Gliedmaße als Gehorsamsakt Gott gegenüber gelobt wird. Die sokratische Überlieferung erwähnt das Opfern einer Hand oder eines Fußes um der Wahrheit willen.71

Dies wird auch dadurch deutlich, dass das Abhauen von lediglich einer Gliedmaße das Problem des Sündigens durch die anderen Gliedmaßen nicht löst.72 Die übertragen zu interpretierenden Begriffe73 dienen also als schockierende Warnung bezüglich der Ernsthaftigkeit der Sünde und angesichts des ernüchternden Endes: Ewiges Leben bzw. Anteil am Königreich Gottes (V. 43.45.47; vgl. 10,17.30) oder Hölle (vgl. Jes 66,24) des ewigen Feuers (V. 47; vgl. 8,3537 sowie Mt 7,23; 25,41.46).74 „Gehenna“ (Hölle; 9,43.45.47) bezeichnet im Judentum ewiges Feuer.75 Die Reinigung, von der V. 49 handelt, setzt also viel tiefer an als beim Beseitigen einer Gliedmaße. 44 Der textkritisch sekundäre Vers76 betont, dass die Hölle ein Ort der ewigen Trennung von Gott ist.77 45 Vgl. die Bemerkungen zu V. 43. Der frevelhafte Fuß dient vor allem als Metonymie dafür, etwas Sündhaftes zu unternehmen. 46 Siehe die Bemerkungen zu V. 44. 47 Vgl. die Bemerkungen zu V. 43. Das bösartige Auge ist vor allem Metonymie für Ehebruch und den lüsternen Blick (vgl. Mt 5,27-30). Während Jesus in V. 43 und 45 davon spricht, ins Leben einzugehen, erwähnt er hier das Eingehen in das Reich Gottes. Dies legt nahe, dass zumindest hier die Inhalte dieser zwei Formulierungen (ewiges Leben / Reich Gottes) sehr eng miteinander verknüpft sind.78 48 Siehe die Bemerkungen zu V. 44 (vgl. V. 46). Siehe Jes 66,24. 49-50 Es handelt sich um markinisches Sondergut. Nun wird vollends deutlich, dass die Verweise auf „Hand“, „Fuß“ und „Auge“ übertragen zu 70 So Lane 348. 71 Lane 348, Anm. 79. 72 Wörtlich verstanden dient im Judentum das Abhauen einer Gliedmaße dem Vermeiden der Todesstrafe. Vgl. Pesch II 115. 73 So auch Dschulnigg 263: „Die drei Logien rufen zur radikalen und entschiedenen Trennung von der Sünde auf.“ 74 Lane 348, erinnert an die radikalen Nachfolgeaussagen in 8,34–9,1; 10,21.28-39. 75 Vgl. Lane 349 und Anm. 80-81: 4Esr 7,36; 2Bar 59,10; 85,13; Sib 1.103; 2.291; 4.186; Sir 7,17; Jdt 16,17. Weitere Details zu Gehenna bei Dschulnigg 263 und Anm. 138. 76 Siehe oben, 11.2 I. Die Verse 44 und 46 enthalten jeweils denselben Wortlaut, der auch in V. 48 steht. 77 Siehe McClymond, Redemption, passim. Vgl. R. Peterson, Hell, passim, bezüglich der biblischen Betonung, dass die Trennung von Gott ewig ist. Jesus betont, dass auch der von Gott entfremdete Mensch mit dem Tod nicht aufhört zu existieren. 78 Vgl. den Exkurs 5, „Das messianische Reich Gottes“.

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verstehen sind, geht es doch hier um Läuterung und Reinigung des Herzens. Der textkritisch umstrittene Zusatz „und jedes Opfer wird mit Salz gesalzen“79 (V. 49) weist in die korrekte Interpretationsrichtung des gesicherten Textes: Wer zu Gott gehört, wird als Darbietung (= salzen) für Gott (Röm 12,1)80 durch Bereinigung (Feuer) und Überwindung von Sünde befreit. Im AT geschieht Reinigung durch gesalzene Opfer (Lev 2,13; Hes 43,24).81 Salz dient hier als Metonymie für die gesamte Läuterung und Reinigung des zu Opfernden, sowohl im alttestamentlichen (Tiere und Pflanzen) wie im neutestamentlichen Kontext (dargebotene Menschenleben, vgl. Röm 12,1).82 Die Anfechtung, der Kampf gegen Sünde,83 sowie Verfolgung sollen reinigenden (Feuer) Effekt für die Jünger haben (vgl. Lk 3,16b: Jesus tauft im Heiligen Geist und in Feuer). Es soll ihnen in der Hingabe als Reinigung (mit Feuer salzen) dienen.84 50 Der Satz „habt unter euch Salz“ (vgl. Mt 5,13 par) führt den Gedanken fort: Das Opfer-Salz85 gilt weiterhin als Metonymie für Hingabe. „Das Salz der Leidens- und Opferbereitschaft ist gut.“86 Wenn diese Hingabe durch Läuterung und Reinigung (Feuer) wächst (vgl. Hiob 6,6; Sach 13,9; Mal 3,2b-4), d.h. würzig wird, folgt der zwischenmenschliche, versöhnte Frieden. Wodurch allerdings der Jünger als zu Gott gehörend gesehen wird und so im Prozess der Läuterung wächst, wird erst am Kreuz in Jerusalem klar. Jesus führt seine Jünger gedanklich von Demut zur Reinigung des Herzens als conditio sine qua non eines gemeinschaftlichen Lebens unter seiner Herrschaft (vgl. die ähnliche Rückführung auf das Herz in Mk 7,14-23).

79 Textkritische Diskussion. Drei Lesarten sind uns übermittelt: 1. „jedes Opfer wird mit Salz gesalzen“ (u.a. D itb.c.d.i); 2. „jeder wird mit Feuer gesalzen und jedes Opfer wird mit Salz gesalzen“ (u.a. A C K Π) 3. „jeder wird mit Feuer gesalzen“ (u.a. B L Δ f1 f13 sys copsa 565 700). Der äußere Befund der Lesart 3 ist im Vergleich mit Lesart 1 und 2 relativ gut. Metzger, Textual Commentary, 102-103 geht davon aus, dass Schreiber der Lesart 1 den vorliegenden und etwas unverständlichen Text (Lesart 3) aufgrund von Lev 2,13 ersetzten. Lesart 2 stellt eine Kombination der Lesarten 1 und 3 dar. 80 Lane 349. 81 Vgl. Lane 349. Keener, Background, 160f verweist ferner auf Jub 21,11. 82 Vgl. Lane 349. Ähnlich, jedoch zögernd, Pesch II 116-117. 83 Lane 349 verweist auf 1Petr 1,7; 4,12. 84 Ähnlich Dschulnigg 264 mit Gnilka II 66. 85 Im rabbinischen Judentum bedeutet „Salz“ im übertragenen Sinn auch „Torah“ und „Weisheit“; vgl. O’Brien, Colossians, ad Kol 4,5. 86 Dschulnigg 264.

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11.3 Ehe und Ehescheidung 10,1-12 Die ethische Frage zur Ehe (10,1-12) kommt deshalb zur Sprache, weil die Gegner nach wie vor versuchen, Jesus als Gegner Mose und damit als Übertreter der Gebote Gottes zu überführen. Dies wäre umso gewichtiger, weil Mose von allen Parteien des palästinischen Judentums als autoritativ angesehen wird. Im Gegensatz hierzu legt Jesus die Hartherzigkeit seiner Gegner bloß (10,5). Zusammen mit Mk 10,17-31 stehen die vorliegenden Abschnitte Mk 10,1-12 (Ehe) und Mk 10,13-16 (Kinder) in einer gewissen Verbindung mit den sog. „Haustafeln“, bzw. „Hausordnungen“ (vgl. z.B. Eph 5,21-33; 1Petr 2,18–3,7). I 1 Und er macht sich von dort auf und kommt in die Nähe von Judäa, (nämlich) jenseits des Jordan;87 und es versammelt sich wieder eine Menschenmenge um ihn, und wie gewohnt beginnt er, sie wieder zu lehren. 2 Und Pharisäer kamen zu ihm und begannen ihn mit der Frage, ob sich ein Mann von einer Frau scheiden lassen dürfe, auf die Probe zu stellen. 3 Er aber antwortete und sprach zu ihnen: „Was hat euch Mose befohlen?“ 4 Sie aber sprachen: „Mose hat (es) zugelassen, eine Scheidungsurkunde auszustellen und sich zu scheiden“. 5 Jesus aber sprach zu ihnen: „Um eurer Hartherzigkeit willen hat er euch dieses Gebot geschrieben. 6 Seit Anfang der Schöpfung hat er (Gott) sie als Mann und Frau geschaffen; 7 deshalb wird ein Mann seinen Vater und (seine) Mutter verlassen (und mit seiner Frau ganz vereint werden), 8 und die zwei werden ein Leib sein; deshalb sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Leib. 9 Was nun Gott zusammengefügt hat, soll ein Mensch nicht trennen“. 10 Und im Haus fragten ihn die Jünger wiederum hinsichtlich dieser (Aussage). 11 Und er spricht zu ihnen: „Wer sich von seiner Frau scheiden lässt und heiratet eine andere, der begeht ihr gegenüber Ehebruch. 12 Wenn sie sich von ihrem Mann scheiden lässt und heiratet einen anderen (Mann), begeht sie Ehebruch“.88 II Mk 10,1-45 ist ein weiterer Abschnitt episodischer Unterweisung der Jünger (vgl. die Verknüpfung von 10,17-22 mit 10,23-31 durch das Thema „Reich-

87 So die Lesart von ‫א‬, B und 2427. 88 Lit.: Daube, Concessions, 1-13. Weitere Lit. bei: Pesch II 126-127 (bis 1980); Evans 76-78 (bis 1999).

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tum“ und „Lohn“).89 Berger bezeichnet Mk 10,1-12.13-16.35-40 als „erweiterte Chrien“.90 Mk 10,17-22.26-27.28-31 sind ebenso „erweiterte Chrien“, allerdings in der gattungsgeschichtlich mit der Chrie eng verknüpften Form des Dialogs: „Der Chrienkomplex … ist ein längerer Dialog mit wechselnden Partnern“.91 Nach Daube handelt es sich bei Mk 10,1-12 (vgl. Mk 7,14-23) um ein rabbinisches Gesprächsmuster: a. Frage eines Gegners; b. Verdeckte Antwort des Lehrers; c. Bitte der Jünger um Klärung; d. Private Unterweisung der Jünger.92 Formal ist Mk 10,1-12 ein Streitgespräch:93 Frage der Gegner, V. 2; Jesu Gegenfrage, V. 3; Antwort der Gegner, V. 4; Jesu anklagende Kritik, V. 5-9; Unterweisung der Jünger, V. 10-12.94 Über die formale Einordnung als episodische Unterweisung der Jünger hinaus kann Mk 10,1-31 inhaltlich als Pendant zu Haustafeln (z.B. Eph 5,21-33) in den paulinischen Briefen95 angesehen werden: Mk 10,1-12, „Ehe“; Mk 10,13-16, „Kinder“;96 Mk 10,17-31,97 „der wahre Haushalt im Reich Gottes“.98 III 1 Der Gang Jesu nach Jerusalem (vgl. 10,17.32.46; 11,1) führt nun endgültig aus Galiläa heraus. Jesus überquert wohl kurzfristig das Gebiet der Dekapolis, geht wahrscheinlich99 am Ostufer des Jordan entlang, passiert Pella und gelangt in das Gebiet von Peräa (neben Galiläa ein Teil der Tetrarchie des Antipas und Teil von Transjordanien).100 Ca. 10-15 km vom nördlichen Rand des Toten Meeres entfernt führt ein Weg westwärts in Richtung Jericho (vgl. 10,46; siehe 10,17.32; 11,1), Judäa.101 Das Lk Ev. enthält eingehendere Details über diese Reise (Lk 9,51–19,44). In dieser Gegend befindet sich wohl Jesus nun mit seinen Jüngern, zusammen mit Festpilgern, die zum Passahfest nach Jerusalem 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98

Evans 76. Berger, Formen, 140.149. Zur Definition der Chrie bzw. Chrienreihe, s.o. Einleitung, 3.1. Berger, Formen, 149; vgl. a.a.O. 140. Nach Guelich 202, der auf Daube, Judaism, 141-150 verweist. Pesch II 120, spricht in Mk 10,1-12 von „Schulgespräch“. Vgl. Mk 4,10; 7,17; 9,28; zu Mk 10,11 vgl. Mt 5,32 par. Vgl. Pesch II 121. Vgl. Keener, Background, 160-161. Pesch II 131, nennt diesen Abschnitt „Sprucherzählung“. Pesch II 136, bezeichnet einen Teil dieses Abschnitts als „Schulgespräch“. Details bei Pesch II 136-137, der den paradigmatischen Charakter der Perikope allerdings als sekundär erachtet. 99 Lane 353 vermutet demgegenüber einen Weg durch die Berge Samariens (vgl. Lk 9,52). 100 Siehe nähere Details zum Reiseweg Jesu (mit textkritischen Hinweisen) bei Dschulnigg 267. 101 Siehe Details bei Pesch II 121.

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reisen.102 Gemäß seiner Gewohnheit, lehrt Jesus die Menschenmenge über die Herrschaft Gottes. Er wird nicht müde, seine Hörer immer wieder und ausgiebig zu lehren (ὡς εἰώθει [hōs eiōthei] = „wie er gewohnt war“; ἐδίδασκεν [edidasken]; duratives Impf., „er pflegte [sie] zu lehren“).103 Er ist nun auch in diesem Teil des Landes wohlbekannt. 1-2 Nun schließt sich der geografische Kreis des öffentlichen Wirkens Jesu, denn im Gebiet Peräa begann das öffentliche Wirken Jesu mit seiner Taufe.104 Jesus kehrt zu diesem Ort ein letztes Mal zurück, bevor er endgültig nach Jerusalem zieht. Auch erinnert die folgende Fangfrage der Gegner Jesu zum Thema „Ehescheidung“ an den Grund des Todes des Täufers (6,17-18).105 Jesus ist also auch einem gewissen politischen Druck ausgesetzt, in seiner Äußerung zur Ehescheidung eben Herodes Antipas nicht zu kritisieren, der den Täufer wegen dessen Kritik an seinem moralischen Verhalten töten ließ. Allerdings scheint diesmal das Schüren dieses politischen Drucks nicht das Hauptmotiv der Gegner Jesu gewesen zu sein, da hier keinerlei Hinweis darauf besteht, dass die Herodianer (vgl. allerdings 3,6 und 12,13) aus der Antwort Jesu (V. 9) Kapital geschlagen hätten. Deutlich bekräftigt Jesus jedoch die Aussagen des Täufers gegen Antipas und Herodias (vgl. 10,5-12).106 2-12 Das Motiv der Gegner Jesu (Pharisäer) wird im Markusbericht wieder aufgegriffen. Kaum überrascht mehr, dass die Gegner keinerlei Rat oder Hilfe von Jesus suchen. Vielmehr greifen sie in Form einer Fangfrage (πειράζοντες αὐτόν [peirazontes auton]; peirazō = „ich versuche“; „ich prüfe“; vgl. die Bemerkungen zu 1,12-13; 8,11; 10,2-12; 12,15; 14,38)107 wiederum ein Thema auf, bei dem sie hoffen, Jesus als Torahverräter zu brandmarken (vgl. Mt 19,3). Sie beabsichtigen nach wie vor, ihn zu Fall zu bringen (vgl. 8,11; 12,15).108 Das Thema der Scheidung ist allerdings etwas anders geartet als die Frage der zeremoniellen Reinigung (Mk 7,5). Zum Thema zeremonielle Reinigung reagiert Jesus „liberaler“, als dies die Pharisäer (mit deren tradierter Menschensatzung) wollen. Bezüglich Ehescheidung, die als „Privileg des Mannes“ 102 Vgl. Pesch II 121. 103 Siehe, BDAG, 295. Zum Thema Jesus als „Lehrer“, siehe Bemerkungen zu 1,15.21-22.27. (38-39); 2,(2).13; 4,1-2; 6,2.6.(30).34; 8,31; 9,31; 11,17-18; 12,35.(38); 14,49. Im Mk Ev. wird Jesus 12 Mal als Lehrer bezeichnet (4,38; 5,35; 9,17.38; 10,17.20.35; 12,14.19.32; 13,1; 14,14). Siehe die Verweise auf Rabbi („Lehrer“) in 9,5; 10,51; 11,21; 14,45, sowie die Auszüge aus der Lehre Jesu in den Kapiteln 4; 7; 13. 104 Vgl. Lane 353. 105 Lane 354. 106 Vgl. Lane 357. 107 Siehe Schneider und Brown, NIDNTT, III, 804. 108 Vgl. Pesch II 122. Pace Dschulnigg 268, der peirazō hier im positiven Sinn von „prüfen“ versteht.

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gilt,109 lehrt Jesus oberflächlich betrachtet „restriktiver“ (vgl. V. 9; siehe CD 4,20–5,2) als das Gesetz des Mose (vgl. Deut 24,1-4) und als die pharisäischen Schulen z.Z. Jesu.110 Es ist zunächst Folgendes zu bedenken: Obwohl Mose die Scheidung unter bestimmten Umständen zulässt (vgl. V. 4; Deut 24,1), wäre ein pauschales Verbot eine Meinung, die im Kontext der restriktiven Absicht des pharisäischen Judentums zumindest keinen Anstoß erregen würde. Worin besteht also der Fallstrick der Gegner Jesu? Er besteht eventuell darin, dass innerbiblisch die Möglichkeit der Ehescheidung nicht durchgehend einheitlich ist (Ehe als feste Schöpfungsordnung; die Möglichkeit der Ehescheidung bei Mose; Anmahnung der Treue bzw. Beklagen der Treulosigkeit unter den Propheten; siehe Einzelbemerkungen zu V. 4-9). Der Fallstrick wäre somit die Frage, ob Jesus eine innerbiblische Einheit verteidigen kann oder einer innerbiblischen Kritik verfällt. 3 Jesus beginnt sein Argument (als Gegenfrage formuliert) auf der Basis des mosaischen Gesetzes, welches für die Pharisäer unumstritten ist. Es ist anzunehmen, dass Jesus in seiner klärenden Gegenfrage nicht nur nach einer Erlaubnis bei Mose, sondern eben nach einer expliziten Befürwortung der Ehescheidung fragt: „Was hat euch Mose befohlen?“111 4 Die Antwort der Gegner weicht der Frageintention Jesu aus: „Mose hat (es) zugelassen“.112 Sie wissen wohl, dass Deut 24,1-3 die Scheidung lediglich duldet. 5-9 Bedenkenswerterweise führt Jesus die Ehe auf die Schöpfungsordnung (V. 6-9; vgl. Gen 1,27; 2,24 und CD 4.13–5.5113) zurück. Er betont, dass die vor allem vom Mann initiierte Ehescheidung (siehe unten zu V. 10-12) ein Zugeständnis des mosaischen Gesetzes aufgrund von Hartherzigkeit (sklērokardia)114 ist (V. 5)115 und nicht der ursprünglichen und endgültigen Absicht Gottes entspricht. Dies ermöglicht es Jesus, eine gesamtbiblische Einheit zu 109 Siehe Dschulnigg 268 mit Anm. 164. 110 Vgl. Lane 353 und Anm. 7, der an die zeitgenössischen Schulen Shammaj (vor allem ethische Interpretation von Deut 24,1) und Hillel (ethische und soziale Beweggründe in der Interpretation von Deut 24,1) erinnert. Jesus geht nicht auf diese Schulmeinungen ein, sondern konzentriert sich auf die Schrift (vgl. 7,1-23; 10,17-20). 111 Hervorhebung, HFB. Vgl. Lane 354. Keener, Background, 161, bemerkt, dass in jüdischer Auslegung deutlich zwischen „Befehl“ und „Erlaubnis“ des mosaischen Gesetzes unterschieden wird. 112 Hervorhebung, HFB. 113 Vgl. Lane 356, Anm. 14. Keener, Background, 161, bemerkt, dass Qumran (CD 4.13‒5.5) dieselbe Hermeneutik auf die Verwerfung der Polygamie anwendet. Ebenso, Pesch II 123. 114 Vgl. Details zu „Hartherzigkeit“ (als Ungehorsam, Abfall und Götzendienst) bei Pesch II 123. 115 Lane 355, Anm. 10, verweist auf Daube, Concessions, 1-13. Vgl. Sir 25,26 als Beleg für den hartherzigen Umgang mit einer Ehefrau. Zugleich dient Deut 24,1 als Schutz für Frauen (Lane 355).

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konstatieren und damit jegliche Unterstellung zu unterbinden. Laut Jesus hat sich das „Volk Gottes … Gottes Willen verschlossen … Um ihre sündige Situation rechtlich aufzufangen, habe Mose den Scheidebrief als Konzession an die Schwäche der Männer ermöglicht.“116 Wer vor allem als Mann das Problem der Hartherzigkeit (sprich Selbstbezug in der Ehe) zu lösen vermag (vgl. 9,49-50), für den ist das Zugeständnis in Deut 24,1 belanglos. Für den sind Gen 1,27 sowie Gen 2,24 und Ex 20,14 allein ausschlaggebend.117 In gewisser Hinsicht weist die Antwort Jesu auf die heilsgeschichtliche Lebensdeutung von Schöpfung (Gen 1,27; vgl. CD 4,21), Sündenfall (Deut 24,1) und Erlösung (Mk 10,9-12; 9,49-50). Teilkonsequenz der Erlösung ist die erneute Betonung der ehelichen Gemeinsamkeit und Ebenbürtigkeit von Mann und Frau („die zwei werden ein Leib sein; deshalb sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Leib“; vgl. Gen 2,24) vor allen Fragen der geschlechtlichen und funktionalen Differenzen.118 Die Qualität zwischenmenschlicher Beziehung (Liebe, Treue, Achtung, Dienst, usw.) ist konkreter Ausdruck eines versöhnten Lebens mit – und vor – Gott.119 7 Der Vers gehört nicht zum Kern der Argumentation Jesu. Dennoch drückt er grundsätzliche Wahrheiten aus, die auch hier (keine Ehescheidung) von Bedeutung sind. Das Verlassen von Vater und Mutter und Vereintwerden zwischen Mann und Frau ist Grundvoraussetzung für die Begründung einer neuen Familie.120 Die Schöpfungsordnung sieht bei Eheschließung ein neues Loyalitätsverhältnis (weg von den Eltern und hin zu den betreffenden Ehepartnern) vor. Diese neue Einheit, die als Fundament jeglicher Gesellschaft dient, soll nicht zerstört werden (vgl. V. 9). Falls die Eheleute Nachfolger Jesus sind, sind sie besonders darum bedacht, miteinander vereint zu leben (προσκολλάω [proskollaō] = „ich bin treu zugewandt“; „ich halte zu“; „ich bin eng verbunden mit“; „ich hafte an“), indem sie sich in wachsendem Maße und von Herzen einander widmen (siehe V. 8).121

116 Dschulnigg 268. 117 Lane 357, sieht in der Aussage Jesu (10,5-12) einen verhüllten Verweis auf seine messianische Vollmacht, innerhalb derer die Torah ihren Stellenwert im Gesamtkontext der Schöpfung und Erlösung erhält. 118 Vgl. Lane 356. 119 Vgl. Lane 357. Zur Befürwortung der Echtheitsfrage von Mk 10,6-8 (AT-Textkombination), siehe Dschulnigg 269, in kritischer Auseinandersetzung mit Pesch und Gnilka. 120 Zu verschiedenen Fragen der Homosexualität als Alternative zur Schöpfungsordnung, siehe Sklar, Prohibitions, 187-190. Siehe dort die Betonung der bleibenden Bedeutung der Schöpfungsordnung (Ehe zwischen einem Mann und einer Frau) sowohl in Lev 18,22; 20,13 als auch in der Lehre Jesu. 121 Siehe ebenso Eph 5,31 sowie κολλάω, „ich halte daran fest“ (Mt 19,5).

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8 Jesus verweist auf Gen 2,24. Vgl. die Interpretation von Gen 2,24 in Jub 3,6 und Sir 25,26.122 Grundsätze der Nachfolge beeinflussen die „Atmosphäre“ einer Ehe auf nachhaltige Weise. Die Ehepartner setzen sich hierbei mehr und mehr mit ihren jeweiligen Bereichen der tief sitzenden Hartherzigkeit (vgl. 10,5) selbstkritisch auseinander, vor allem im Bereich des autonomen Stolzes und dem Drang, alles in Selbstbezug steuern und kontrollieren zu wollen. Dieser Reifeprozess wirkt grundsätzlich gegen das Auseinanderleben in der Ehe (vgl. 9,49-50; siehe Deut 10,16; Jer 4,4 und Mk 7,20-23). Eine derartig wachsende Verbindung hat tiefe Wurzeln (vgl. 8,37 in diesem Zusammenhang) und ist eine Gabe Gottes (Mal 2,15-16). Hierauf basiert die Antwort Jesu seinen Gegnern gegenüber (vgl. ebenso 1Kor 7,10-11). 9 Die Aussage „was nun Gott zusammengefügt hat, soll ein Mensch nicht trennen“ dient als Fundament für die gesamte Perikope. Man kann fragen, ob denn tatsächlich Gott Ehepartner zusammenfügt, wenn doch Menschen entscheiden, Ehen zu schließen.123 Die Spitze der Aussage besagt allerdings, dass die, die sich verehelichen, von Gott zusammengefügt werden (vgl. Mal 2,15-16). „Die Einheit der Ehepartner ist von Gott gestiftet und der Mensch soll sie nicht trennen. Die Schöpfungsordnung ist heilig und unantastbar, weil sie von Gott zum umfassenden Wohl der Menschen geschaffen wurde … Jesus hat durch seine Verkündigung der Herrschaft Gottes dessen ursprünglichen Schöpfungswillen wieder frei gelegt …, in der eine beständige Liebe zwischen Ehepartnern in lebenslanger Treue wieder ermöglicht wird, wenn auch, bis zur Vollendung des Reiches Gottes, immer bedroht durch Sünde“.124

Aufgrund von V. 8 ist anzunehmen, dass die geschlechtliche Vereinigung von Mann und Frau bereits eine neue Einheit bildet, die von Gott geschaffen ist. So besteht jede Ehe unabhängig von Glaubensüberzeugungen als Schöpfungsordnung vor – und in der Gegenwart von – Gott.125 10-12 Die Unsicherheit der Jünger Jesu ist verständlich, scheint Jesus doch über Mose hinausgehend die Ehescheidung generell auszuschließen. Im privaten Kreis (vgl. hierzu 4,10; 7,17ff; 9,28-29; 9,33ff u.ö.) erläutert Jesus, dass Ehebruch dann vorliegt, wenn ein Ehepartner den Ehebund verlässt und sich 122 Vgl. Pesch II 124. 123 Pesch II 124 und Anm. 13, betont (mit Billerbeck, Kommentar I, 208 und Berger, Gesetzesauslegung I, 536f), dass das zeitgenössische Judentum davon ausgeht, dass Gott Eheleute zusammenfügt. 124 Dschulnigg 269-270. 125 Vgl. Lane 356.

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mit einem anderen verehelicht. So wird sich V. 11 (der begeht ihr gegenüber Ehebruch) plausibler auf die erste Frau beziehen (so auch V. 12).126 Das heißt, Jesus schließt hier nicht jegliche Scheidung (bzw. Trennung) aus, sondern er spricht spezifisch gegen (Ehe-)Bruch der fortbestehenden ersten Ehe (auch in Fall von Scheidung oder Trennung) durch erneute Heirat (bzw. Geschlechtsverkehr). Jesus betont somit, dass die Schöpfungsabsicht Gottes gegen Scheidung spricht (vgl. Ex 20,14; Deut 5,18), jedoch gewährt sie das mosaische Gesetz wegen Hartherzigkeit (Jesus spricht hier nicht explizit gegen Mose). Die V. 11-12 richten sich ferner gegen die zeitgenössische Interpretation alttestamentlicher Texte, die dem Mann im Fall der Scheidung größeren Freiraum gewährten als der Frau. Die Möglichkeit, dass die Frau eine Scheidung veranlasst, ist im Judentum z.Z. Jesu sehr begrenzt (vgl. vor allem Josephus, Ant 18,130-142).127 Keener macht u.a. aufgrund von Mk 6,17 geltend, dass Frauen der aristokratischen Schicht u.U. Scheidungen bewirken können.128

Jesus bindet den Mann genauso an Treue wie die Frau.129 Das Gesamtthema der Ehescheidung muss unter Rücksichtnahme anderer Aussagen Jesu (und des gesamten AT und NT) behutsam erarbeitet werden (vgl. etwa Mt 5,32 und 19,9 sowie Lk 16,18 und 1Kor 7,10-16130). Für die synoptischen Evangelien kann zumindest Folgendes festgehalten werden: 1) Jesus betont, dass die Ehe von Gott geschaffen ist und als Schöpfungsordnung nicht geschieden werden soll (Mk 10,1-12). 2) Wenn aufgrund von Hartherzigkeit (vor allem durch außerehelichen Geschlechtsverkehr = Ehebruch, Mt 5,32131; 19,9) die Ehe geschieden wird, ist Wiederheirat nur dann zulässig, wenn damit

126 Nach Lane 357, ist diese Aussage Jesu ohne Parallele im pharisäischen Judentum. 127 Vgl. Lane 358, mit Verweis auf Billerbeck, Kommentar, II 23. Siehe Dschulnigg 267 und 270, der kategorisch davon ausgeht, dass V. 12 eine „aktualisierende Anpassung an hellenistische Rechtsverhältnisse“ darstellt, „wo der Frau ebenfalls ein Scheidungs- und Wiederverheiratungsrecht zustand“ (270). Warum soll Jesus nicht schon vor Paulus (vgl. 1Kor 7,10-16) darauf verwiesen haben, dass die grundsätzliche Verantwortung der Ehepartner hinsichtlich ihrer Hartherzigkeit trotz der jüdischen Rechtslage sowohl beim Ehemann als auch bei der Ehefrau liegt? 128 Keener, Background, 161. 129 Vgl. Lane 357. 130 1Kor 7,10-16 wird z.T. dazu verwendet, um (weniger überzeugend) weitere Rechtsgrundlagen (Vernachlässigung, Verweigerung des Geschlechtsverkehrs, Verlassen) für Scheidung zu unterbreiten. 131 Nach Mt 5,32 ist derartiger Ehebruch legitimer Grund zur Scheidung bzw. Wiederheirat für den Geschädigten.

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kein Ehebruch begangen wird. Das ist nur dann der Fall, wenn ein geschiedener Partner während seiner ersten Ehe eindeutiges Opfer eines Ehebruchs wurde.132

11.4 Kindersegnung 10,13-16 Gottes Gnade und Absicht ist es, alle Menschen zu erreichen, einschließlich (und mitunter vor allem) diejenigen, die von ihrer jeweiligen Gesellschaft weder geehrt noch für wert geachtet werden. Nach der kontroversen Auseinandersetzung über die Frage der Ehescheidung erweist Jesus den gesellschaftlich weithin unbeachteten und schutzbedürftigen Kindern exemplarisch Aufmerksamkeit mit Liebe und Segen. Ihr kindliches Vertrauen dient als zentrales Beispiel für diejenigen, die an der Herrschaft Gottes teilnehmen wollen. I 13 Und sie brachten zu ihm Kinder, dass er sie (segnend) berühre. Aber die Jünger wiesen sie entschieden ab. 14 Als aber Jesus (dies) bemerkte, war er entrüstet und sprach zu ihnen: „Erlaubt, dass die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes. 15 Amen, ich sage euch, wer das Reich Gottes nicht wie ein Kind empfängt, kann gewiss nicht hineinkommen“. 16 Er nahm sie in seinen Arm und segnete (sie), indem er die Hände auf sie legte.133 II Mk 10,13-16 ist eine episodische Unterweisung der Jünger. Über die formale Einordnung als episodische Unterweisung der Jünger hinaus kann Mk 10,1-31, wie bereits erwähnt, inhaltlich als Pendant zu Haustafeln (z.B. Eph 5,21-33) in den paulinischen Briefen angesehen werden: Mk 10,1-12, „Ehe“; Mk 10,1316, „Kinder“; Mk 10,17-31, „der wahre Haushalt im Reich Gottes“. III Die thematische Verknüpfung von „Ehe“ (10,1-12) und „Kindersegnung“ (10,13-16) ist natürlich. 13 In der Nähe der Herberge wird wohl bekannt, dass Jesus da ist. Eine Kindersegnung ist am 8. Lebenstag im Zusammenhang mit der Beschnei132 Pesch II 125, setzt nach jüdischem Recht die Polygamie voraus. Jesus reflektiert davon nichts. 133 Lit.: Beisser, Markus, 244-251; Berger, Amen-Worte, 41; Heckel, Kindersegnung, 327-345; Wuckelt, Reich, 136-141. Weitere Lit. bei: Pesch II 134 (bis 1980); Evans 87-89 (bis 1999).

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dung eines Jungen bekannt. Segnung durch einen Propheten verspricht ferner ­besonderen Schutz Gottes.134 Das erklärt den Versuch (προσέφερον [prosepheron], Impf. de conatu) einiger Eltern, ihre kleinen Kinder (παιδία [paidia]) zu Jesus zu bringen. In der griechisch-römischen und jüdischen Welt z.Z. Jesu ist die Geringschätzung von Kindern recht weit verbreitet (9,36-37.42).135 Die Jünger reagieren daher negativ (aber die Jünger wiesen sie entschieden ab; ἐπιτιμάω [epitimaō], „ich weise zurecht“; „ich tadle“) auf den Versuch der Eltern (vgl. 2Kön 4,27). Ihre Reaktion ist insofern verständlich, weil Jesus in ihren Augen „wichtigere“ Dinge zu tun hat, als sich mit Kindern abzugeben (vgl. 9,36-37.42). Ihre stolze Reaktion zeigt, dass sie trotz ihrer Berufung als Nachfolger Jesu immer wieder eigene Ziele und Zwecke verfolgen sowie eigene Wertmaßstäbe beibehalten. Sie spiegeln noch nicht den Charakter des schöpfungsbejahenden und Heil bringenden Meisters wider (siehe den Auftrag in 2Kor 3,3; Eph 1,12). 14-16 Jesus reagiert scharf auf die abweisende Haltung der Jünger136 (markinisches Sondergut):137 er war entrüstet (ἀγανακτέω [aganakteō] = „ich bin aufgebracht“ / „unwillig“ / „zornig“; vgl. 8,32-33; siehe Bemerkungen zu 10,41; 14,4). Dieser Sachverhalt wird durch die asyndetische Verknüpfung („erlaubt, dass die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht“) noch verstärkt. Für Jesus ist zweierlei wichtig: a. Er hält verwundbare und verletzbare Kinder für genauso wichtig wie Erwachsene (V. 14b.16; vgl. 9,36-37). Deshalb sollen sie ebenso durch Umarmung geliebt und geehrt werden (10,16; vgl. 9,36-37; siehe auch 5,23).138 b. Das einfache, direkte Vertrauen von Kindern charakterisiert die Grundhaltung, die zum Eingehen in das messianische Reich Gottes notwendig ist.139 134 Vgl. Lane 359, Anm. 23, mit Verweis auf Billerbeck, Kommentar, I 807-808. 135 Vgl. Art. παῖς κτλ. [pais ktl.], ThWNT V, 636-653, Abschnitt B.II (vor allem 644-645); vgl. Art. παῖς [pais], EWNT III, 11-12. Für die griechisch-römische Gesellschaft, siehe Ferguson, Backgrounds, 73-74; Bell, Exploring, 240. 136 Pesch II 132, Anm. 5. 137 Vgl. Lane 359 und Anm. 24, mit weiteren Verweisen auf die emphatische Reaktion Jesu in 1,41.43; 3,5; 7,34; 9,19. Vgl 10,41; 14,4. Wuckelt, Reich, 137, bemerkt: „Auffällig ist, dass Markus nur an dieser Stelle vom Unwillen und der Verärgerung Jesu spricht … Die massive Verärgerung Jesu gegenüber den Jüngern findet ihre Entsprechung in der Umarmung der Kinder“. 138 Die Aussage „hindert sie nicht“ kann mit Mt 3,14-15 verglichen werden, wo der Täufer Jesus daran „hindern“ möchte, von ihm getauft zu werden. 139 Keener, Background, 162, bemerkt zu Recht, dass unterschiedliche Auffassungen über den Modus des Kommens des Gottesreiches bestehen, u.a. die, der Anwendung von Gewalt. Dem gegenüber betont Jesus wehrlose Abhängigkeit von Gott (und seinem Schutz) als Charakteristikum des kommenden Gottesreiches. Vgl. Art. παιδίον [paidion], EWNT III, 9-10 (Lit. 9); W.

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Hierbei muss V. 14 durch das erläuternde, semitisch gefärbte140 AmenWort in V. 15 interpretiert werden:141 Kinder gehören somit nicht automatisch zum Reich Gottes.142 Vielmehr steht die kindliche Haltung143 (ὄς … ὡς παιδίον [hō … os paidion]: wer … wie ein Kind) im Vordergrund. Hierbei ist das „nominativische Verständnis“ (so, wie das Kind etwas annimmt) dem „akkusativischen Verständnis“ (so, wie es ist, wenn man ein Kind aufnimmt) vorzuziehen.144 Es handelt sich um das rückhaltlose Vertrauen auf Jesus als Bedingung für Jung und Alt, um unter der ewigen Herrschaft Gottes leben zu dürfen (siehe die Bedingungen zum Eingehen ins Gottesreich in 9,43.45.47; 10,23-24; vgl. Mt 5,20; 7,21; 21,31; 23,13; Joh 3,3.5).145 Der Vergleichspunkt ist somit ihre kindliche Hilflosigkeit und ihr natürliches Vertrauen, nicht das Kind selbst.146 Jesus spricht daher über jemanden, der die Herrschaft Gottes als Gabe auf kindliche Weise mit Hilflosigkeit und Vertrauen (vgl. 9,37; vgl. mit 10,23-24) empfängt (δέχομαι [dechomai], „ich empfange demütig“ / „nehme an“ / „heiße willkommen“).147 Bemerkenswert ist schließlich die Analogie zu mir kommen (V. 14) … ins Reich Gottes hineinkommen (V. 15). Aus dieser Perikope lässt sich schwerlich eine Tauflehre ableiten.148 Unser Text sagt nicht mehr und nicht weniger, als dass Jesus Kinder ebenso wie ErEgger macht dort geltend, dass Jesus deshalb ein Kind anführt, weil dieses das Gesetz Gottes noch nicht halten kann. 140 Vgl. Pesch II 133 und Anm. 9, mit Verweis auf Beyer, Syntax, I 1.227.304. 141 Aufgrund der häufigen Wiederholung von Lehraussagen Jesu, ist der andere Kontext für die ähnliche Aussage in Mt 18,3 kein Indiz dafür, dass Markus mit Mk 10,15 redaktionell den Gedankenfluss von 10,14 und 10,16 unterbricht (vgl. Lane 360, Anm. 26). Mk 10,15 ist wichtiger Bestandteil von 10,13-16, wobei V. 13-14a und 16 als inclusio dienen. 142 Pace Dschulnigg 272-273, der dies irrtümlicherweise anzunehmen scheint („weil das Reich Gottes für sie bestimmt ist“; Kinder als „Erben des Reiches Gottes“). Allerdings diskutiert Dschulnigg dann doch die eigentlichen Interpretationsmöglichkeiten, die jeweils nur von einem Vergleich zwischen Kindern (hōs paidion) und dem Eingehen ins Reich Gottes ausgehen. 143 So z.B. auch Gnilka 81 und Schmithals 443; anders Wuckelt, Reich, 139-140. 144 Die erstere Variante ist im vorliegenden Kontext wahrscheinlicher, weil in V. 14 das Kind (bzw. seine Haltung) und nicht das Aufnehmen eines Kindes im Mittelpunkt steht. Die akkusativische Variante erfordert ferner eine deutlichere Formulierung, z.B. „wie man ein Kind annimmt“. Dschulnigg 272, möchte beide Möglichkeiten offenlassen. 145 Schriftverweise bei Pesch II 133. Vgl. ders., 133-134, bezüglich der eingehenden Diskussion zur Formulierung „das Reich Gottes empfangen“ bzw. „das Reich Gottes aufnehmen“. 146 Siehe auch Brown, NIDNTT, I, 285, „The reason why the kingdom belongs to children is not because of any subjective qualities that they may have; it lies in their objective helplessness.“ 147 Vgl. Mt 18,3; Joh 3,3.5. 148 So auch Lane 360 und Anm. 25, der zu Recht die κωλύω–Interpretation abweist, die den Begriff mit der Taufdiskussion der frühen Kirche verbinden will. Siehe ebenso, Pesch II 132, der mit Argyle, Theory, 17, gegen Cullmann, Traces, 424-434 und J. Jeremias, Mc 10,13-16, 243-245 argumentiert.

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wachsene (umarmend und handauflegend; vgl. 9,36) segnet.149 Heckel betont zu Recht, dass „die Verbindung eines Segens mit Umarmung und Handauflegung … an den Segen Jakobs in Gen 48“ erinnert.150 Ferner werden die Kinder als Lehrgegenstand des unmittelbaren Vertrauens vorgestellt (V. 15). Kinder und Erwachsene, die kindlich-vertrauend zu Jesus als Brücke zur Herrschaft Gottes kommen, erhalten Zugang zum ewigen Reich Gottes. Immer sind kindliche Abhängigkeit von Gott und einfaches Vertrauen Charakteristika vom „Empfangen der Herrschaft Gottes“. Das Hineinkommen ins Reich Gottes hängt somit nicht von Verdienst oder eigenständigem Befolgen des Gesetzes ab, sondern ist stets Folge des kindlichen Annehmens der unverdienten Gnadengabe Gottes (vgl. Phil 3,7-10).151 Das Empfangen schließt alles das ein, was Gott mit seinem – und durch seinen – Messias Jesus beabsichtigt. Das ist u.a.: a. Versöhnung des Menschen mit Gott durch Vertrauen auf das Sühnewerk Jesu (10,45; 14,22-25) und damit das Eingehen in das Reich Gottes; b. Wachstum in der von Jesus (als erhöhtem Menschensohn) abhängigen Nachfolge als Gegenmuster zur menschlichen Autonomie (Umkehrung der Konsequenzen des Sündenfalls). Diese Urversöhnung hat zur Folge, „radikal und konsequent nach dem Prinzip der Umkehrung aller Dinge im kommenden Äon zu handeln: Die Aufforderung, wie Kinder zu werden, ist die kürzeste Formulierung für die Forderung, auf Ansehen, Macht, Reichtum und Sicherheiten zu verzichten“.152 Sowohl Frauen als auch Kinder erhalten somit die aktiv liebende Aufmerksamkeit Jesu, die in bemerkenswertem Kontrast zur Umwelt Jesu steht.

11.5 Der reiche Mann 10,17-27 Einführung zu 10,17-52. Die folgenden, weiteren Streitgespräche setzen sich mit der Spannung zwischen Besitz und Eingang ins Reich Gottes sowie Opfer und Lebensgewinn in der Nachfolge (10,17-31) auseinander. Die dritte Leidens- und Auferstehungsvoraussage Jesu (10,32-34) wird durch eingehende Lehre in Demut und Dienstbereitschaft abgerundet (10,35-44). Jesu Lehre kulminiert in der Voraussage seines stellvertretenden Sühneleidens (10,45). 149 Pesch II 132, bemerkt, dass κατευλογέω [kateulogeō] HL im NT ist. Keener, Background, 162 verweist auf Gen 48,14. Vgl. Beisser, Markus, 244-251. 150 Heckel, Kindersegnung, 372-345, hier: 329. 151 Siehe Egger, EDNT III, 4. 152 Aus Pesch II 133, der hier Berger, Amen-Worte, 41, Anm. 38, zitiert.

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Gleichzeitig dient die Aussage in 10,45 als Grundlage für das analoge Lebensmuster seiner Jünger. Die darauffolgende Blindenheilung (10,46-52) bildet mit 8,22-26 eine inclusio. Einführung zu 10,17-27. Jesus geht nach wie vor der Frage nach, was es bedeutet, unter die Herrschaft Gottes zu kommen bzw. ewiges Leben zu erhalten (vgl. 10,28-31). Ähnlich wie bei Hartherzigkeit in der Ehescheidung (10,1-12) und entgegen dem kindlichen Vertrauen (10,13-16) steht der reiche Jüngling im Bann materieller Güter; diese sind seine eigentliche Lebensquelle (10,22).153 Demgegenüber ruft ihn Jesus zu kindlichem Vertrauen auf ihn (und damit auf den dreieinigen Gott). Der Grund hierfür ist, dass der Mensch zum Vertrauen auf Gott als Lebensquelle geschaffen wurde. Jeglicher Ersatz für diese exklusive Quelle führt zur Verarmung der Existenz bzw. zur götzenartigen Übertreibung eines Teils der Schöpfung. I 17 Und als er seine Reise fortsetzte, rannte einer herzu, kniete vor ihm und fragte ihn: „Guter Lehrer, was soll ich tun, um ewiges Leben zu erhalten?“ 18 Jesus aber sprach zu ihm: „Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut, außer einem, Gott. 19 Du kennst die Gebote: Du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen, du sollst kein falsches Zeugnis ablegen, du sollst niemanden betrügen, ehre deinen Vater und (deine) Mutter“. 20 Er aber sprach zu ihm: „Lehrer, alle diese (Gebote) habe ich von Jugend auf gehalten“. 21 Jesus aber sah ihm in die Augen, begegnete ihm liebevoll und sprach zu ihm: „In einer Sache hast du Mangel: Geh, verkaufe, was immer du hast, und gib es (den) Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach“. 22 Er aber ging, tief betrübt über diese Aussage, mit Schmerz erfüllt weg; denn er hatte viel Besitz (angehäuft). 23 Und Jesus sah sich um und spricht zu seinen Jüngern: „Wie schwer werden die, die über Reichtum verfügen, in das Reich Gottes eingehen“. 24 Die Jünger aber waren über seine Worte bestürzt. Jesus aber ergreift wieder das Wort und sagt zu ihnen: „Kinder, wie schwer ist es, ins Reich Gottes einzugehen. 25 Es ist leichter für ein Kamel durch ein Nadelöhr zu schlüpfen, als dass ein Reicher ins Reich Gottes eingeht“. 26 Sie aber gerieten umso mehr in Bestürzung und sagen zueinander: „Wer kann dann gerettet werden?“ 27 Jesus schaut sie direkt

153 Im Gegensatz zu 10,28-31; vgl. Lk 10,25.

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an und sagt: „Bei Menschen ist es unmöglich, aber nicht bei Gott. Denn bei Gott ist alles möglich“.154 II Mk 10,17-27 ist ein Gespräch mit episodischer Unterweisung der Jünger. Berger ordnet Mk 10,17-22.23-31 der Gattung „Beispielerzählungen aus dem Jüngerkreis“ zu.155 Über die formale Einordnung als episodische Unterweisung der Jünger hinaus kann Mk 10,1-31, wie bereits erwähnt, inhaltlich als Pendant zu Haustafeln (z.B. Eph 5,21-33) in den paulinischen Briefen angesehen werden: Mk 10,1-12, „Ehe“; Mk 10,13-16, „Kinder“; Mk 10,17-31, „der wahre Haushalt im Reich Gottes“. III Der Abschnitt 10,17-27 verfolgt (mit 10,28-31) das Thema Eingehen in das Reich Gottes (vgl. u.a. 10,23) weiter. Dabei wird der zentrale Aspekt „kindliches Vertrauen“ vertieft. Der reiche Mann (10,17-27; vgl. vor allem V. 22) vertraut letztendlich seinem Vermögen; dies geht nicht nur aus dem textkritisch umstrittenen aber dennoch relativ gut bezeugten Zusatz zu V. 24 („für die, die auf Reichtum vertrauen“ τοὺς πεποιθότας ἐπὶ χρήμασιν [tous pepoithotas epi chrēmasin]) hervor (s.u. die Bemerkungen zu V. 24), sondern aus dem Gesamtduktus des Dialogs. Die Jünger (10,28-31) befinden sich hingegen im Lernprozess, Jesus existenziell nachzufolgen – und ihm damit zu vertrauen. Die diesem Abschnitt (10,17-31) folgende dritte Leidensankündigung (V. 32-34) verstärkt Jesu Aufruf an seine Jünger, loszulassen und ihm vertrauend nachzufolgen.156 17-18 Jesus reist mit seinen Jüngern weiter in Richtung Jericho (10,46). Im absoluten Sinn ist die Anrede des reichen Mannes (guter Lehrer) nicht akzeptabel und widerspricht der Tatsache, dass alle Menschen Sünder sind und damit nicht als gut bezeichnet werden können. Der Mann will mit seiner zuvorkommenden Anrede (kniend; vgl. 1,40) mehr als Hochachtung vor einem verehrten Lehrer ausdrücken (vgl. 12,14).157 Die Aussage des Mannes (guter 154 Lit.: Dschulnigg, Grenzüberschreitungen, 113-120; Lux, Bibel, 2-21; vgl. ferner Rihbany, Sitten, ad loc.; Breytenbach, Nachfolge, ad loc.; Byrskog, Jesus, ad loc.; Cullmann, Petrus, ad loc.; Hengel, Nachfolge, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 146-147 (bis 1980); Evans 87-89 (bis 1999). 155 Berger, Formen, 379-380. 156 Vgl. Lane 363. 157 Zur später bezeugten Ehrerbietung einem Rabbi gegenüber, vgl. Lane 364 und Anm. 40, der auf Rengstorf, ThWNT II, 138-168, hier: 154-160, verweist. Pesch II 137, betont (in Anlehnung an W. Grundmann 210), dass eine derartige Anrede z.Z. Jesu ungewöhnlich ist.

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Lehrer) muss als Ehrerbietung, die nur Gott gebührt, verstanden werden, da die bescheidene Formulierung „der gute Mensch“ bekannt ist, vgl. Spr 12,2; 14,14; Koh 9,2; Mt 12,35.158 Jedoch fehlt die Formulierung „guter Lehrer“ beinahe völlig im Judentum (im Gegensatz zum Hellenismus).159 Er verkennt zusätzlich, mit wem er es tatsächlich zu tun hat. Jesus ist in allen Aspekten der Wahrheit verpflichtet. Deshalb geht er zunächst nicht auf die wichtige und aufrichtig gestellte Frage des Mannes ein, sondern weist die wohlgemeinte Ehrerbietung des Mannes entschieden zurück. Da der Mann Jesus als wahren und tatsächlich guten160 Sohn Gottes nicht erkennt, sondern ihn als außergewöhnlichen Lehrer zu ehren sucht, muss er durch Jesus im Kontext seines eigenen, verdienstabhängigen Verständnishorizontes korrigiert werden. Die Aussage Jesu ist somit in keiner Weise eine Absage an seine eigene Gottessohnschaft.161 Allein die unverwechselbare Gerechtigkeit Gottes (nur Gott ist im absoluten Sinn gut, vgl. 12,29; siehe Philo, Decal 176; vgl. Deut 6,4162) wird hierdurch hervorgehoben. Die Frage des Mannes, „was soll ich tun, um ewiges Leben zu erhalten?“ ist im Kontext des Markusevangeliums nicht neu. So hat Jesus in privater (9,43.45 „Leben“; vgl. 9,47) und öffentlicher (10,15.17; vgl. Mt 19,29; Lk 6,46; 10,25; 18,18; Joh 6,28; vgl. Apg 2,37) Unterweisung vom Empfangen des ewigen Lebens (vgl. V. 30) gesprochen. Die Formulierung „ewiges Leben“ (hebr. ‫[ ַחּי ֵי עֹולָם‬chajjē ʽolām]; Gr. ζωὴν αἰώνιον [zōēn aiōnion]) „erben“ (κληρονομέω [klēronomeō] = „ich erhalte“ / „erbe“; HL bei Mk; vgl. Joh 5,39) ist im Judentum der zwischentestamentlichen Zeit geläufig (vgl. 2Makk 7,9; 4Makk 15,3).163 „‚Ewiges Leben erben‘ ist feste Formel eschatologischer Heilserwartung“ (vgl. Dan 12,2). Es ist daher wahrscheinlich, dass der junge Mann diese Formulierung und Erwartung bereits in seiner Jugend gelernt hat. Der Vergleich der V. 17.21.23 zeigt deutlich, dass Jesus die Vorstellung des „Ererbens von ewigem Leben“ (V. 17), „ihm nachzufolgen“ (V. 21) und „eingehen ins Reich“ (V. 23) eng miteinander verknüpft (vgl. „gerettet werden“, Joh 3,17). „Eingehen ins Reich“, d.h. unter Gottes Herrschaft zu leben (vgl. Joh 3,3.5), ist die eher formale und äußere Seite derselben Medaille, auf deren 158 Vgl. Lane 364. 159 So Lane 365 und Anm. 41. 160 Vgl. Lane 365. 161 Vgl. Lane 366 und Anm. 43, mit Verweis auf Warfield, Confession, 177-228. Vgl. Loke, Origin, ad loc. 162 Vgl. Pesch II 139. 163 Vgl. PsSal 14,6.10; äthHen 38,4; 40,9; 48,3; 2Makk 7,9; 4Makk 15,3 sowie bBer 28b [Barai­ tha]. Vgl. Pesch II 138, mit Anm. 9 u. 10. Siehe Mt 19,29; Mk 10,30; Lk 18,18 und oft bei Joh (z.B. 3,15.16.36; 4,14.36; 5,25; 6,47; 10,28). Vgl. Lane 365 und Anm. 42.

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Kehrseite sich das persönlichere und beziehungsbetonte „Erben des ewigen Lebens“ befindet (vgl. Joh 3,15-16). Naheliegend ist die Möglichkeit, dass der Mann Jesu Aussage über das „kindliche“ Eingehen in das Reich Gottes gehört hat, nun aber seine Frage im Sinne von „Eigenleistung“ („was soll ich tun“) stellt. 19-20 Jesus korrigiert den Fragenden zunächst nicht bezüglich seiner mit „Eigenleistung“ durchsetzten Frage (V. 17). Der Hörer des Evangeliums bemerkt jedoch sogleich, dass zwischen der vorhergehenden Aussage Jesu (10,15), in einfachem Vertrauen unter die Herrschaft Gottes zu kommen (und damit ewiges Leben als freie Gabe zu erhalten, vgl. 9,43.45.47) und der Frage des Mannes (V. 17) ein unüberbrückbarer Gegensatz besteht.164 Dies wird in dem nun folgenden Dialog vollends deutlich. Ähnlich wie bei der Frage über die Scheidung (10,3-4) nimmt Jesus zunächst Bezug auf das mosaische Gesetz (du kennst die Gebote, V. 19). Der Verweis auf das mosaische Gesetz scheint zunächst ebenso im Gegensatz zu Jesu Aussage über das vertrauende Eingehen in das Reich Gottes (V. 14-15) zu stehen. Jesus scheint dem Mann in seiner im palästinischen Judentum allgemein verbreiteten Meinung zuzustimmen (V. 20), nämlich dass treues Befolgen des mosaischen Gesetzes das Eingehen in Gottes Reich garantiere (siehe Bemerkungen zu V. 17-18; „Leben“ im atl. und zwischentestamentlichen Kontext ist allerdings meist diesseitig zu verstehen; vgl. Deut 30,15-16; Hes 33,15).165 In der hier aufgeführten (nicht direkt zitierten),166 zusammengefasst präsentierten Liste der zweiten Hälfte des Dekalogs (V. 19; Ex 20,12-16 und Deut 5,16-20), befindet sich die Eigentümlichkeit des Begriffs ἀποστερήσῃς [aposterēsēs] (du sollst niemanden betrügen), der wohl das 9. und 10. Gebot zusammenfasst.167 Der Ausdruck ist nicht leicht zu deuten; sofern es sich nicht um eine Zusammenfassung des 9. und 10. Gebots handeln sollte, wäre er eine Variante von κλέψῃς [klepsēs], stehlen. Deutlich ist allerdings, dass Jesus die Gebote hervorhebt, die sich auf zwischenmenschliches Verhalten beziehen (vgl. Mk 12,31).168 Die Gebote schützen jeweils vor grundsätzlichem Zerfall der Gesellschaft und weisen lebensnotwendige Richtlinien auf. Die diese lebensnotwendigen Gebote stützende Verehrung Gottes (vgl. die ersten drei Gebote des Dekalogs und ihre Zusammenfassung in Deut 6,4.5) setzt Jesus entweder stillschweigend voraus (vgl. V. 18), oder er sieht, dass der Fragende in der vertrauenden Liebe Gott gegenüber aufgrund seines Reichtums ohnehin versagt. 164 Pesch II 138. 165 Vgl. ähnlich, Lane 365. 166 Stellenangaben bei Lane 366. 167 Vgl. die Details bei Pesch II 139. 168 Lane 366.

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20 Ähnlich wie Phil 3,6 betont der Reiche (nun mittels der angemessenen Anrede „Lehrer“), diese (und alle anderen Gebote, ταῦτα πάντα [tauta panta]) von Jugend auf befolgt zu haben. Eine ähnliche Haltung ist auch für das spätere rabbinische Judentum belegt.169 Der Mann ist dafür seit seinem 12. bzw. 14. Lebensjahr, nach Abschluss seiner Schulzeit und Einführung in den Synagogengottesdienst, verantwortlich (vgl. mBer 2.2 und Lk 2,42).170 Aus der Sichtweise des Menschen (so auch Phil 3,6) ist die Aussage alle diese (Gebote) habe ich von Jugend auf gehalten möglich. Sobald jedoch das unermessliche Licht der überragenden Gerechtigkeit Gottes hereinbricht (siehe ansatzweise Mk 7‒8; 10,21; siehe sodann Apg 9; 22; 26; Röm 3,2126 und Phil 3,7-11), erscheint diese menschliche Tadellosigkeit (menschliche Gerechtigkeit) nach dem Gesetz plötzlich als anthropozentrische Feindschaft gegen Gott (10,22; Röm 3,9-31; 5,6.8.10; Phil 3,7ff; Kol 1,21ff). 21 Jesus kommt nun liebevoll (vgl. Joh 11,5) auf seine Aussage in 10,14-15 zurück: er sieht voller Barmherzigkeit (sah ihm in die Augen, begegnete ihm liebevoll) im Innersten des Mannes den Mangel (ὑστερεῖ [hysterei]) des ungebrochenen Vertrauens in Gott, welchen dieser durch Reichtum auszufüllen bzw. zu ersetzen sucht. Der Begriff ὑστερέω [hystereō] („ich verfehle“ / „leide Mangel“ / „entbehre“) spricht oft von ernsthaftem Mangel (vgl. z.B. Mt 19,20; Lk 15,14; 22,35).171 Das Paradox für jemanden, der meint, es „fehle ihm an nichts“ ist offensichtlich: Jesus setzt der selbstsicheren Auffassung des Mannes die Tatsache entgegen, dass ihm etwas ganz Grundsätzliches fehlt. Mit drei Imperativen fordert er den Reichen auf, loszulassen. Dabei handelt es sich um die innere Bereitschaft, denen zu helfen, die Mangel leiden. Der Mangel des reichen Mannes besteht also darin, dass er sich innerlich vor den Mangelnden verschließt. Das hindert ihn daran, „kindlich“, also gerade ohne Rückhalt, Gott zu vertrauen. Indem er sich auf Besitz als Lebensquelle und -sicherung verlässt (vgl. Jak 5,1-5), distanziert er sich von direktem, kindlichen Vertrauen auf Gott. Wer allerdings auf Gott direkt vertraut, der sammelt sich bleibende Schätze bei Gott. Dies steht in direktem Gegensatz zu den „Schätzen“ des reichen Jünglings. Damit stellt er sich gegen die drei ersten Gebote des Dekalogs und verfehlt somit die Ziele Gottes durch grundsätzlichen Unglauben. Die radikale und aus tiefster Liebe (siehe 2Sam 15,4-6) hervorgebrachte „Arznei“, die Jesus dem reichen Mann „verschreibt“ (völlige Besitzauflösung; vgl. V. 22; 14,5), ist auf ihn spezifisch zugeschnitten und darf nicht unmittelbar als Voraussetzung der Nachfolge verallgemeinert werden. Siehe etwa die Warnung in 169 Lane 366 und Anm. 45; Billerbeck, Kommentar, I 814. 170 Vgl. Lane 366; allerdings nennt mAbot 5,21 dafür das 13. Lebensjahr. 171 Vgl. 1Kor 12,24.

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1Kor 13,3, dass die Vergabe des Besitzes ohne das Vorhandensein von Liebe nutzlos ist. Auch ist aufgrund von Apg 12,12 zu bedenken, dass Besitz im Sinn von „Verwaltung und Verantwortung vor Gott“ durchaus akzeptabel ist.172 Die radikale Forderung Jesu spiegelt vielmehr den Ernst der spezifischen „Krankheit“ des Reichen wider. Jesus fügt damit der Liste nicht noch ein elftes Gebot hinzu: Vielmehr weist er auf eine gefährliche Grundhaltung seines Herzens, die sein Verhältnis zu den Geboten Gottes beeinträchtigt. Jesus fordert den reichen Mann mit dem heraus, was ihn prinzipiell vom einfachen und direkten Vertrauen und Eingehen auf Gott (als Schatz im Himmel)173 abhält. Wie so oft, betont Jesus auch hier, dass das Herz des Menschen ganz auf Gott ausgerichtet sein soll.174 Infolgedessen soll der Nachfolger Jesu irdischen Besitz immer mit der Haltung eines verwaltenden Dieners handhaben. Während Jesus dem befreiten Besessenen nicht erlaubt, ihm nachzufolgen (vgl. 5,18-19), lädt er den Reichen ausdrücklich dazu ein: „Und komm, folge mir nach“ (ἀκολουθέω [akoloutheō]).175 Somit gipfelt die harte Forderung, loszulassen, in der erstaunlichen Einladung, bei Jesus zu sein (vgl. 8,34).176 Anders als sich dies der Reiche gedacht hat, besteht das Erhalten des ewigen Lebens u.a. aus Loslassen all dessen, was von Gott und Gottesabhängigkeit abhält. Der reiche Jüngling soll Gott direkt und persönlich vertrauen, um ewiges Leben zu erhalten (vgl. 8,34-35). Es wird nicht durch Leistung (etwa durch Gesetzestreue; vgl. Eph 2,8-10) erworben. Erfüllung des Gesetzes erfolgt nicht durch Leistung, sondern aufgrund der Hingabe an Jesus (Röm 8,4), vor allem die glaubende Annahme seines stellvertretenden, Gnade wirkenden Sühnetodes (vgl. 2Kor 5,21).177 Derartiges Vertrauen führt sodann zu Barmherzigkeit gegenüber tatsächlich notleidenden Menschen. Der Schatz, den Jesus als Gabe in Aussicht stellt, ist nicht Besitz, sondern all das, was Gott an geistlichem Gut bereithält, wie z.B. Versöhnung und ewiges Leben unter seiner fürsorglichen Herrschaft. Wiederum liegt eine indirekte Verknüpfung zwischen Loslassen, 172 Vgl. Blomberg, Poverty, passim. 173 Vertrauen auf Gott hat barmherziges Handeln zur Folge. Vgl. Pesch II 140, zur außerbiblischen Thematik des „Schatzes im Himmel“ als Anhäufung guter Werke. Pesch unterschätzt jedoch in Mk 10,1-31 die Kausalität guter Werke im kindlichen Vertrauen auf Gott, die mit Eph 2,8-10 durchaus kompatibel ist. Vgl. jedoch Pesch II 141, bezüglich des Reichen: „Ihm fehlt Gelassenheit, unbedingtes Gottvertrauen, die Basis wirklich sozialer Praxis“. 174 Vergleiche dies jedoch mit den herausfordernden Aussagen in Mk 10,25; Lk 12,15-40 (vor allem V. 33); Jak 5,1; Offb 3,17. 175 Zum Thema der Nachfolge, siehe Bemerkungen zu 1,17-18.20; 2,14.15; 6,1; 8,34; (9,38); 10,28.32.52; (14,54); 15,41. Siehe ferner 1Kor 13,3 und 1Tim 6,17. 176 Lane 368. 177 Ähnlich, Lane 367. Jesus ist „unsere Gerechtigkeit“ (2Kor 5,21), bevor wir in einem neuen Leben Wesenszüge Jesu reflektieren können.

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Nachfolge Jesu und Erhalten des Ewigen Lebens vor (vgl. 8,34-37). Implizit sagt Jesus damit, dass er Vollmacht besitzt, ewiges Leben zu spenden. 22 Die Reaktion des Reichen (er aber ging, tief betrübt über diese Aussage, mit Schmerz erfüllt weg; vgl. Jes 57,17 LXX; Dan 2,12)178 bestätigt unsere Annahme. Er erkennt, dass seine anthropozentrische Frömmigkeit nur soweit besteht, wie es ihn nicht direktes Vertrauen auf Gott kostet. Er ist nicht bereit, so loszulassen (vgl. 8,34-37), dass er in allen Bereichen seines Lebens Gott direkt vertraut. Am Königreich Gottes teilzuhaben, bedeutet unmittelbares, existenzielles, reales Vertrauen auf Gott (10,15). Dem kann sich der Reiche nicht beugen. Er benötigt die scheinbar handfeste Absicherung durch Reichtum. Die Betrübnis und der Schmerz ergeben sich aus der Unüberbrückbarkeit, die sich vor ihm auftut: Er möchte gerne ewiges Leben erhalten (oder besser: erwerben, V. 17), sofern er weiterhin so leben kann, wie er es für sicher erachtet. Jesu erklärt die zwei (allzu menschlichen) Absichten des Reichen zum hoffnungslosen Gegensatz. Die abweisende Entscheidung des Reichen weist darauf hin, dass zumindest ein Zweck des Gesetzes, nämlich Hunger nach Gottes Gerechtigkeit und nach gerechtem Leben zu wecken (Mt 6,33; Gal 3,24), ausbleibt; damit verwirkt der Reiche die notwendige Selbsterkenntnis (vgl. diesbezüglich das Wirken Jesu an den Jüngern in Mk 7–8), die im Spiegel der Gebote Gottes überführenden Charakter hat.179 23-24 Jesus betont in der folgenden Unterweisung seiner Jünger (beachte die außergewöhnliche und vertrauliche Bezeichnung Kinder; vgl. Joh 13,33; 21,5),180 dass materieller Reichtum ein Lebensbereich sein kann,181 der die verheerende Unabhängigkeit von Gott nur noch fördert und festigt, und damit den einzigen Weg des Eingehens in Gottes Reich bzw. „Leben“, nämlich einfältige Abhängigkeit von Gott, verbaut. Obwohl dies schwer ist (vgl. 9,43.45.47),182 sagt Jesus nicht, dass es unmöglich sei, für einen derart Reichen dennoch loszulassen. 24 Die Jünger Jesu sind u.a. bestürzt, weil sie z.T. selbst Besitz haben (vgl. Petrus) und z.T. zum unteren Mittelstand gehören (u.a. Petrus, Jakobus, Johannes, Andreas, Matthäus). Dies gilt trotz V. 28, denn dort ist die Rede vom Verlassen und nicht vom Verkaufen. Der textkritisch sekundäre, aber dennoch relativ gut bezeugte Zusatz („für die, die auf Reichtum vertrauen“, 178 Schriftverweis bei Pesch II 141. 179 Lane 368-369. 180 So Pesch II 141. 181 Lane 369 betont, dass im AT der materielle Reichtum durchaus als Segen Gottes gesehen werden kann: z.B. Hiob 1,10; 42,10; Ps 128,1-2; Jes 3,10. 182 Vgl. Pesch II 141.

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ἐστιν τοὺς πεποιθότας ἐπὶ χρήμασιν [estin tous pepoithotas epi chrēmasin])183 bekräftigt, dass Jesus hier das „Vertrauen auf Reichtum“ als Gegensatz zum „Vertrauen auf Gott“ versteht und nicht pauschal die Möglichkeit abstreitet, dass ein rechter Jünger Jesu vor Gott verantwortlich Besitz verwalten kann.184 25-26 Wer jedoch existenziell auf Reichtum vertraut (als Ersatz – und damit als Gegensatz – zum direkten Gottvertrauen), der kann nicht ins Reich Gottes eingehen, weil er seine bleibende Not, Hilflosigkeit und Abhängigkeit (vgl. Kol 1,17) nicht erkennt und zugesteht.185 Dieser scharfe Gegensatz kann auf keine Weise gemindert oder überbrückt werden. Der Reiche wähnt sich autonom und abgesichert. Die Hyperbel (Nadelöhr und Kamel) betont die Unmöglichkeit eines derartigen Unterfangens (vgl. Mt 7,3-5; 23,24), unabhängig davon, was das Bild genau aussagt. Allerdings ist das Bild wohl ganz wörtlich zu fassen: Ein Kamel kann nicht durch ein Nadelöhr schlüpfen. Keener bemerkt, dass das wörtlich verstandene Nadelöhr der Alternativinterpretation vorzuziehen ist, wonach Nadelöhr als Metonymie für ein „Tor Jerusalems“ gesehen wird. Nach Keener ist letzterer Sprachgebrauch erst im Mittelalter bezeugt.186 Pesch lehnt ferner die Deutung „Kamel – Schiffstau“ ab und betont, dass die einfache Deutung „kleinste Öffnung des Nadelöhrs“, und „größtes Tier Kamel“ durchaus belegt ist.187 Auch aufgrund der Reaktion der Jünger wer kann dann gerettet werden? (V. 26) ist es wahrscheinlich, dass die Einzelelemente der Hyperbel buchstäblich zu interpretieren sind. Es ist absolut unmöglich, dass jemand, der auf Reichtum vertraut, gleichzeitig auf Gott vertrauen kann (vgl. Mt 7,13-14).188 26 Die Jünger erkennen, dass diese Haltung dem Reichtum gegenüber (als Ausdruck der Autonomie) auch mit relativ bescheidenen Gütern in ihrem Land weit verbreitet ist. Hier wird auch deutlich, dass gerettet werden (V. 26), ewiges Leben haben (V. 17; vgl. 9,43.45 und Joh 3,3.5.15) und ins Reich Gottes eingehen (V. 23.24.25; vgl. 9,47) beinahe synonym und immer als Gabe Gottes gebraucht werden. Es handelt sich dabei grundsätzlich um geschenkte Nähe zu Gott (durch die Gabe der Reinheit, 9,42-50; 10,45 und durch Vertrauen, 10,14-27). 183 Textkritische Diskussion: Die Bemerkung fehlt bei wichtigen und frühen Zeugen wie etwa ‫א‬ B Δ Ψ k sa). Der sekundäre Zusatz findet sich mit leichten Variationen u.a. in A C D Θ f1 f13 28 565 M lat sy bo. 184 Siehe Blomberg, Poverty, passim. 185 Dschulnigg, Kamel, 61-82. 186 Keener, Background, 162. 187 Pesch II 141 und Anm. 29, mit Verweis auf Billerbeck, Kommentar, I 828 und Lohmeyer 214. 188 Vgl. ähnlich, Lane 369. Lane, ebd., Anm. 52, verweist auf spätere, rabbinische Quellen, die ähnliche antithetische Aussagen bezüglich eines Elefanten und eines Nadelöhrs kennen: bMet 38a; bcEru 53a; bBer 55b.

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27 „Denn bei Gott ist alles möglich“ (vgl. 9,23; 14,36)189: Ausschließlich durch die Kraft Gottes, nicht durch irgendwelche eigene Anstrengung, kann das hartnäckige Autonomiestreben eines derartig Reichen (aller autonomen Menschen?) gebrochen werden. Lediglich Gott selbst ist fähig, einen derartig Reichen seiner unermesslichen, verdrängten Bedürftigkeit zu überführen, genauso, wie es Jesus eben mit dem reichen Mann begonnen hat. Aus den V. 26-27 kann man schließen, dass jegliches Vertrauen auf „Ersatzgötter“ (vgl. Mt 6,24) derart verheerend ist und dass das Eingehen in das Reich Gottes immer nur aufgrund des Wirkens Gottes (πάντα … δυνατὰ παρὰ τῷ θεῷ [panta … dynata para tō theō] V. 27) möglich ist. Der Mensch ist immer ἀδύνατος [adynatos] „unfähig“ (V. 27).190

11.6 Unterweisung der Jünger 10,28-31 I 28 Petrus sagte zu ihm: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir (seither) nachgefolgt“. 29 Jesus sprach: „Amen, ich sage euch, es gibt niemand, der Haus, Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Felder um meinetwillen und des Evangeliums willen verlässt, 30 ohne dass er jetzt in dieser Zeit hundertfach Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Felder inmitten von Verfolgung empfängt und im kommenden Zeitalter ewiges Leben. 31 Viele Erste aber werden Letzte sein, und Letzte werden Erste sein“.191 II Bei Mk 10,28-31 handelt es sich um eine Nachfolgeunterweisung. III 28 Vielleicht um sich gegenüber dem reichen Mann zu rechtfertigen und um sich seines Platzes im messianischen Königreich zu vergewissern, spricht Petrus (wieder als Sprecher der Zwölf)192 vom Verlassen seiner Güter (also nicht vom Verkaufen, wie das der reiche Mann tun soll) und seiner Familie (1,1820), um Jesus nachzufolgen. 189 Dschulnigg 278, verweist auf Gen 18,14; Hiob 42,2; Sach 8,6. 190 Vgl. ähnlich, Lane 370. 191 Lit. vgl. Breytenbach, Nachfolge, ad loc.; Cullmann, Petrus, ad loc.; Hengel, Nachfolge, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 146-147 (bis 1980); Evans 87-89 (bis 1999). 192 Siehe Bayer, Peter, 41-43.50-59.63-68; vgl. Lane 371, mit Verweis auf 8,29.32; 9,5; 11,21.

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29-30 Jesus geht nicht auf die mögliche Selbstrechtfertigung ein, sondern bekräftigt bei dieser Gelegenheit eine Grundwahrheit, die mit der Nachfolge zusammenhängt. Die Aussage (als Amen-Wort) scheint zunächst eine direkte, proportionale Entsprechung zu enthalten: „Verlasse das, was du hast und du bekommst hundertfach zurück“. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die Aussage Jesu keine direkte Entsprechung enthält. Vielmehr gibt Jesus beim Verlassen von Haus, Feldern (fehlt bei Lk 18,29) und Familie (als konkrete Anwendung von 8,34-37; 9,33-37; 10,21;193 vgl. 1,16-20; 6,10; Mt 10,42; Apg 2,44-45) eine Verheißung. Das Verlassen kann wörtlich oder als Metonymie verstanden werden. Dabei fehlt bei der Liste der Familienangehörigen bemerkenswerterweise ein Hinweis auf den möglichen Ehepartner (so auch Mt 19,29 im Gegensatz zu Lk 14,26; 18,29). Das Motiv ist deutlich: alles zurücklassen, um Jesus nachzufolgen (ἕνεκεν ἐμοῦ [heneken emou]; 8,35.38; Mt 19,29; vgl. Lk 12,8-9)194 und um die gute Botschaft zu verkündigen (um … des Evangeliums willen; Lk 18,29: „um des Königreiches willen“).195 Da die Jünger bereits vorösterlich bei Jesus sind und den Verkündigungsdienst aufnehmen, ist dieser Zusatz nicht als sekundär zu betrachten.196 30 Die nun folgende Verheißung ist im Gesamtzusammenhang folgendermaßen zu interpretieren: Jesus spricht hyperbolisch vom hundertfachen Empfangen der Häuser, Geschwister, Mütter,197 Kinder und Felder, die in dieser Zeit (d.h. in diesem Äon) inmitten von Verfolgung empfangen werden (der Verweis auf Verfolgung fehlt bei den Seitenreferenten Mt 19,29 und Lk 18,30). Ferner spricht Jesus vom Empfangen des ewigen Lebens im kommenden Zeitalter.198 Zur Vorstellung diese Zeit … kommendes Zeitalter, d.h. Äon, siehe Pesch, der betont, dass die vor allem im apokalyptischen Judentum geläufige Aufteilung in den gegenwärtigen und zukünftigen Äon für Jesus durchaus anzunehmen ist.199 Dabei ist jedoch bedeutsam, dass der gegenwärtige Äon für die Jünger Jesu bereits segensreiche Elemente des zukünftigen Äons aufweist: Es liegt bei Jesus das einzigartige und charakteristische „Schon-und-noch-nicht-Prinzip“ der Herrschaft Gottes vor, die eschatologisch und heilsbringend in den gegenwärtigen Äon einbricht, ohne ihn unmittelbar zu beenden. 193 So Keener, Background, 162-163. 194 Vgl. Pesch II 145. 195 Dschulnigg 278 spricht treffend von „personaler Bindung an Jesus selbst“. 196 Pace Pesch II 145, der diesen Zusatz für sekundär hält. 197 Väter werden nicht erwähnt; vgl. Pesch II 145, der dies dahingehend deutet, dass der Jünger nunmehr einen himmlischen Vater hat; vgl. Mt 23,9. 198 Vgl. oben, Exkurs 5 „Das messianische Reich Gottes“. 199 Pesch II 145.

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Diese außergewöhnlichen Elemente (sowie der Kontrast zu V. 29) weisen darauf hin, dass es sich beim hundertfachen Empfangen von Häusern und Äckern nicht direkt um Besitz sowie bei vielen Brüdern und Schwestern, Müttern und Kindern nicht buchstäblich um blutsverwandte Familienangehörige handelt, sondern um reichliche Teilhabe an der familiären Gemeinschaft der Jünger Jesu, zusammen mit dem Besitz, den manche von diesen verwalten. All diese irdische Teilhabe ereignet sich jedoch inmitten von Verfolgung (die Jünger Jesu werden mit ähnlichen Gegnern konfrontiert wie ihr Meister, vgl. 4,17; 8,34-37; 13,9-13). Die Verfolgung intensiviert die Gemeinschaft der Jünger Jesu untereinander (1Petr 4,14.16).200 Die Leidensnachfolge ist derart im Markuszeugnis verankert, dass die Aussage über die Verfolgung nicht als sekundär betrachtet werden muss.201 Alles zielt auf ewiges Leben mit Gott, welches sich jetzt schon durch die Gemeinschaft der Jünger mit Jesus abzeichnet.202 Eine rein materielle Erwartung (hundertfachen materiellen Gewinn als diesseitigen Lohn für das Zurücklassen) soll der Hörer daher mit dieser Verheißung in keiner Weise verbinden. Eine derartige Fehlinterpretation würde auch der vorhergehenden Perikope über den reichen Mann (10,17-27) direkt widersprechen. 31 Der hier angeschlossene Weisheitsspruch „viele Erste aber werden Letzte sein, und Letzte werden Erste sein“ (antithetischer Parallelismus; vgl. Mt 20,16; Lk 13,30)203 ist schwierig zu fassen: Im unmittelbaren Zusammenhang204 kann er bedeuten, dass der Unscheinbare, der dem Nachfolgeruf Jesu folgt, einst zu Ehren kommt (vgl. 1Kor 4,9; 2Kor 6,9), während der jetzt Sichtbare (z.B. ein Reicher) einst unscheinbar sein wird. Zumindest wird deutlich, dass eine paradoxe Umkehrung des erwarteten Sachverhalts erfolgen wird,205 was der Aussage in V. 29-30 entspricht: Trotz Verlassen („der Letzte“) empfängt der Jünger hundertfachen, geistlichen Segen („der Erste“) durch Teilhabe an der messianischen Gemeinschaft der Jünger Jesu (und umgekehrt).

200 Lane 372. 201 Pace Pesch II 145. 202 In diesem Sinn weicht die Aussage Jesu von der apokalyptischen Geschichtsbetrachtung des zeitgenössischen Judentums ab (pace Dschulnigg 279). 203 Lane 372. Schriftverweise bei Pesch II 145. 204 Die Aussage findet sich auch in anderen Zusammenhängen: Mt 20,16; Lk 13,30. Vgl. Lane 372. Aufgrund der wiederholenden Lehrweise Jesu ist historisch wahrscheinlich, dass Jesus eine derartige Aussage öfters wiederholt. 205 Ähnlich, Pesch II 146.

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11.7 Dritte Leidensankündigung 10,32-34 Jede der drei großen Leidens- und Auferstehungsvoraussagen Jesu (8,31; 9,30-32; 10,32-34) wird durch eine Nachfolgeunterweisung ergänzt (8,32-38; 9,35-37; 10,35-44.[45]). Ebenso wie Jesus seinen Leidensweg geht, werden die Jünger auf einen Weg des Loslassens vorbereitet, dem der Lebens- und Leidensweg Jesu als Analogiemuster zugrunde liegt (vgl. 1Petr 2,21). Die Jünger begreifen allerdings noch nicht, dass ihr Meister die ewige Herrschaft Gottes durch sein Leiden und seine Sühne einführt. Sie sehen auch noch nicht, dass ihre Teilnahme an der Herrschaft Gottes vom schmerzlichen Loslassen der autonomen Selbstsicherheit abhängt, zugunsten dessen, was Gott selbst bereitet (vgl. Mt 5,11-12). Durch seinen eigenen Leidensweg (vgl. 10,45) betont Jesus erneut die grundsätzliche Charaktereigenschaft der wahren und gesunden Demut, die vor allem bei dienenden Leitern und Hirten wachsen soll. I 32 Sie befanden sich aber unterwegs im Anstieg hinauf nach Jerusalem, und Jesus ging ihnen voraus, und sie waren sehr bestürzt; die ihm aber folgten, wurden von Furcht ergriffen. Erneut nahm er die Zwölf zu sich und begann ihnen deutlich zu machen, was ihm geschehen sollte: 33 „Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem, aber der Menschensohn wird den Hohepriestern und den Schriftgelehrten ausgeliefert werden und sie werden ihn zum Tode verurteilen und ihn den Heiden ausliefern. 34 Und sie werden ihn verspotten, bespucken, auspeitschen und ihn töten, und nach drei Tagen wird er auferstehen“.206 II Bei Mk 10,32-34 handelt es sich um eine Unterweisung der Jünger.207 III Die Abschnitte 10,32-34 und 10,35-45 verlaufen parallel zu 9,30-37.208 Nicht nur ist der messianische Leidensweg Jesu für die Jünger unverständlich, sondern auch das Loslassen der Selbstbestimmung. So muss Jesus diese Wahrheit 206 Lit.: Kingsbury, Christology, 89.147.169-171; Lindars, Son of Man, 60.63.64.73.162.184; Pesch, Passion, 166-195; Vermes, Use, 310-328; Bayer, Predictions, 171-174.204; vgl. ferner Caragounis, Son of Man, ad loc.; Higgins, Jesus, ad loc.; Hooker, Son of Man, ad loc.; Popkes, Christus, ad loc.; Weihs, Deutung, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 150 (bis 1980); Evans 104105 (bis 1999). 207 Pesch II 148, spricht von „Spruchgeschichte“. 208 Lane 378.

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öfters wiederholen. Historisch mag Jesus ähnliche Aussagen noch häufiger gemacht haben.209 32-34 Die dritte Leidensankündigung ist ausführlicher und detaillierter. Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass die Aussage in der nachösterlichen Überlieferung ausgeweitet wurde.210 Vielmehr bereitet Jesus seine Jünger nun detaillierter auf die bevorstehenden Ereignisse in Jerusalem (einschließlich der provokativen Reinigung des Tempels) vor. Jesus ist sich der gefährlichen politischen Lage bewusst (vgl. das bekannte Geschick Johannes des Täufers sowie Mt 5,11-12) und kennt das römische Exekutionsvorgehen.211 Ferner ist die alttestamentliche Leidensgeschichte der passio iusti (Leiden der Gerechten) längst bekannt (z.B. Ps 22,6-8; Jes 50,6; 52,13‒53,12). So ergeben sich aus den Motiven des AT und der konkreten historischen Situation viele Anhaltspunkte für die dritte Leidensvoraussage Jesu. Zu bedenken ist ferner, dass Jesus sein eigenes Geschick als Prophet voraussagt. Die Abfolge sowie die terminologische Formulierung der Ereignisse, die in V. 34 vorliegen, entsprechen nicht genau der Passionserzählung in 15,15-20.212 Ein detaillierter Vergleich ergibt folgenden Kontrast zwischen 10,34 und 15,15-20 (neben Verurteilung zum Tod, vgl. 14,64; sowie Auslieferung an die Heiden, 15,1):213 10,34

ἐμπαίξουσιν [empaixousin] verspotten

ἐμπτύσουσιν [emptysousin] anspeien

μαστιγώσουσιν [mastigōsousin] auspeitschen

15,15-20

15 φραγελλώσας [phragellōsas] geißeln

16-18 (ἀσπάζεσθαι) [aspazesthai] verspotten

19a ἔτυπτον [etypton] schlagen

19b ἐνέπτυον [eneptyon] anspeien

19c (προσεκύνουν) [prosekynoun] verspotten (παρέδωκεν) [paredōken]

Jesus betont, dass ihn die jüdischen Machthaber zwar verurteilen werden, ihn aber nach römischem Recht den Heiden (d.h. Pilatus) zur Tötung übergeben (παραδίδωμι [paradidōmi]) werden.214

209 Bayer, Predictions, 224-228.237-240. 210 Bayer, Predictions, 171-174. 211 Lane 375. Siehe Bayer, Predictions, 204 und passim. 212 Lane 375. 213 Siehe weitere Details hierzu bei Dschulnigg 281. 214 Siehe die Bemerkungen zu 1,14; 3,19; 9,30-31; 13,9-13; 14,10-11.41-42.44; 15,1; vgl. 14,18.21. Siehe die Exkurse 13 und 14. Vgl. Popkes, Christus, ad Mk 10,32-24.

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32 Jesus befindet sich mit seinen Jüngern (und weiteren Festpilgern; vgl. 11,9)215 auf dem Weg Richtung Jericho (10,46). Der Weg führt ca. 4 km westlich von Jericho (ca. 250 m u.M.) zum Wadi-Anstieg („Maaleh Adummim“) aus der Jordanebene hinauf zu den Anhöhen Judäas nach Jerusalem (ca. 840 m ü.M., d.h. es bestehen ca. 1090 m Höhenunterschied; daher hinaufgehen nach Jerusalem, V. 32).216 Wieder geht Jesus getrennt (er ging ihnen voraus) von seinen Jüngern. Haben die Jünger nun aufgrund der früheren Aussagen Jesu eine ominöse Vorahnung (sie waren sehr bestürzt; die ihm aber folgten, wurden von Furcht ergriffen, vgl. 1,27; 10,24 und „Furcht“, vgl. 4,41; 9,3233; 16,8)?217 Zumindest wissen die Jünger, dass Jesus viele einflussreiche Gegner hat, die dort ihr Machtzentrum haben, wohin sie sich mit Jesus begeben. Da die Jünger nach wie vor in Jesus vor allem einen politischen Messias sehen, rechnen sie eventuell auch mit (langen) Kämpfen und Aufständen der Bevölkerung gegen die römischen Machthaber, wie sie das von den Makkabäern aus dem 2. Jh. v.Chr. kennen.218 Jesus wiederholt demgegenüber, was im souveränen Plan Gottes geschehen muss (vgl. 8,31; 13,4). Noch ist unklar, wie die Leidensnotwendigkeit des Messias Gottes mit der Ankündigung der Gottesherrschaft zusammenzubringen ist. 33-34 Zwar weist 8,31 bereits darauf hin, dass Jesus in Jerusalem leiden muss; nun aber spricht Jesus genauer davon, dass der Messias Gottes als Menschensohn zielstrebig seinem Leiden in Jerusalem entgegengeht. In Jerusalem befindet sich der Tempel Gottes, in dem (noch täglich und jährlich) gesühnt wird. In Jerusalem, das nach Gottes Namen benannt ist, beginnt auch das Gericht Gottes, das seinen Gesalbten treffen soll (siehe die Parallelen zur babylonischen Gefangenschaft in Jer 25,18.29; vgl. Jes 51,52-53). Während die erste Leidensankündigung (8,31) die Verurteilung durch jüdische Machthaber hervorhebt (vgl. noch 11,18; 14,1; 15,31),219 die zweite Leidensankündigung (9,31) eher die der Heiden anspricht, erwähnt Jesus nun die Verurteilung durch Vertreter beider Instanzen (einschließlich Judas). Jesus weiß, dass Hinrichtung primär in der Kompetenz des römischen Präfekts liegt220 (V. 34), das Synedrion ihn jedoch zum Tode verurteilen kann (V. 33). Es liegt hier eine unerträgliche Spannung vor, die sich daraus ergibt, dass der Messias, der nach weit verbreiteter Auffassung sein Volk aus heidnischer Unterdrückung befreien soll, nun von den Verantwortlichen seines Volkes ebendiesen heid215 Schriftverweis bei Pesch II 148. 216 Vgl. Pesch II 148. 217 Ebd. 218 Anders Berger, Messiastraditionen, 1-44. 219 Schriftverweise bei Pesch II 149. 220 Vgl. unten, Exkurs 13.

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nischen Machthabern ausgeliefert werden soll.221 Diese boshafte Absicht der geistlichen Führung Israels (Hohepriester und Schriftgelehrte; vgl. 14,64) und die mörderische Schuld römischer Machthaber (vgl. 15,1) dienen dennoch gemeinsam der Absicht Gottes, durch den Tod seines Gesalbten Versöhnung für die jüdischen und heidnischen Menschen zu schaffen, die die freie und gnädige Opfergabe Gottes glaubend aufnehmen. Jesus bewirkt in den erdrückenden Menschenhänden der Ungerechtigkeit gerade die (Auf-)Lösung dieser Ungerechtigkeit. Daher ist jegliche pauschale Schuldzuweisung für den Tod Jesu (etwa gegenüber jüdischen Menschen) entschieden abzuweisen: Die kollektive Schuld der Menschheit vor Gott, die den universalen Opfertod Jesu notwendig macht, verbietet eine derartige Schuldzuweisung. Die dankbare Annahme der unverdienten Gnade Gottes ist die einzig angemessene und ausschließliche Reaktion. Die detaillierte Strafprozedur der Römer (in V. 34 angedeutet: „Sie werden ihn verspotten, bespucken, auspeitschen und ihn töten“) wird in tausendfacher Wiederholung öffentlich vollzogen, sodass Jesus inzwischen nur zu gut damit vertraut ist. Wieder betont Jesus, dass Gott ihn als Einzigen auferwecken wird (nach drei Tagen wird er auferstehen).

11.8 Unterweisung der Jünger 10,35-45 Nach seiner dritten Leidens- und Auferstehungsvoraussage spricht Jesus zu seinen Jüngern ein drittes Mal über ein zentrales Merkmal der Nachfolge. Ebenso, wie er sich selbst in unübertroffener Weise demütigt (vgl. Phil 2,5-11), ruft er seine Jünger zum Loslassen und zur gesunden Demut, vor allem als werdende Leiter. Der Abschnitt kulminiert in der Aussage Jesu, dass er stellvertretend für das Volk Gottes sühnt (10,45). Damit legt er seinen Nachfolgern gleichzeitig ein analoges Lebensmuster ans Herz, welches charakteristisches Merkmal der messianischen Herrschaft sein soll (vgl. Mt 11,28-30; Phil 2,1-11). I 35 Und Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, kommen auf ihn zu und sagen zu ihm: „Lehrer, was immer wir erbitten, wollen wir von dir erfüllt haben“. 36 Er aber sprach zu ihnen: „Was soll ich für euch tun?“ 37 Sie aber sprachen zu ihm: „Gewähre uns, dass einer (von uns) zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitze in deiner Herrlichkeit“. 38 Jesus aber sprach zu ihnen: „Ihr wisst nicht, was ihr erbittet. Könnt ihr den 221 Vgl. Lane 376.

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Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe erdulden, die ich erdulde?“ 39 Sie aber sprachen zu ihm: „Dazu sind wir fähig“. Jesus aber sprach zu ihnen: „Den Kelch, den ich trinke, werdet ihr zwar trinken und die Taufe, die ich erdulde, werdet ihr erdulden, 40 aber wer zu meiner Rechten oder Linken sitzt, gewähre ich nicht, sondern (es ist denen gewährt,) für die es (bereits) bereitet ist“. 41 Als aber die zehn (davon) hörten, waren sie über Jakobus und Johannes verärgert. 42 Jesus aber rief sie zu sich und spricht zu ihnen: „Ihr wisst, dass die, die als Herrschende der Völker gelten, sie (ständig) unterdrücken, und deren Machthaber die Gewohnheit haben, ihre Macht zu missbrauchen. 43 Nicht soll es jedoch so unter euch sein, sondern der, der unter euch groß sein will, der soll euer Diener sein, 44 und der, der unter euch der Erste sein will, der soll der Sklave von allen sein; 45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele (hin-)zugeben“.222 II Mk 10,35-45 besteht als paradigmatisch angelegtes Bittgespräch (vgl. Schulgespräch)223 aus zwei Lehrteilen: 1. die Bitte der zwei Jünger, kombiniert mit der Reaktion Jesu, 10,35-40; 2. die Reaktion der anderen Jünger auf die Bitte der Zwei, kombiniert mit der Unterweisung Jesu (Demut und Dienst), 10,4145.224 Nach Berger geht es in Mk 10,41-45 um eine „symbuleutische“ (befehlende, mahnende) „Argumentation“, mit Betonung von „kommunikativen Elementen“.225 III Auch auf die dritte Leidensankündigung (10,32-34) folgt eine Unterweisung der Jünger Jesu (10,35-45). Wiederum geht es um Charakteristika des „Loslassens“ und „Dienens“ in der Nachfolge (vgl. 8,34-38 und vor allem 9,35). Entgegen ihrer Erwartung geht es in der Nachfolge nicht darum, Ehrenplätze zu erhalten (vgl. 8,35-37; 9,34). Die Charakteristika des „Loslassens“ und „Dienens“ spiegeln das ureigene Geschick Jesu wider. Der Jünger kann nie das vollbringen, was Jesus tut; dennoch nimmt der Jünger charakteristische 222 Lit.: Dschulnigg, Grenzüberschreitungen, 113-120; Feuillet, Coupe, 363; Wischmeyer, Herrschen, 28-44; Bayer, Predictions, 54-84; vgl. ferner Hengel, Nachfolge, ad loc.; Breytenbach, Nachfolge, ad loc.; Byrskog, Jesus, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 166-167 (bis 1980); Evans 109-110 (bis 1999). 223 Vgl. Pesch II 154. 224 Vgl. Evans 113. 225 Berger, Formen, 160; vgl. a.a.O., 153-161.

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Merkmale in sein Leben auf, die dem Geschick Jesu unverkennbar ähnlich sind (analoge Eigenschaften; vgl. z.B. Mt 5,12; Lk 6,40). 35-37 Jakobus und Johannes (vgl. 1,19.29; 3,17; 5,37; 9,2; 10,41; 14,33)226 gehören als Brüder zum inneren Kreis Jesu; sie versprechen sich damit eine Chance gegen Petrus, besondere Ehre zu erhalten, wenn Jesus als gesalbter König (nach dem zu erwartenden Aufstand gegen Rom in Jerusalem) in Jerusalem regiert (V. 37). Immer noch gehen sie davon aus, dass Jesus der von ihnen erwartete politische Messias ist, der nach Jerusalem geht, um das Volk gegen die römischen Machthaber angesichts seiner Popularität zu mobilisieren und schließlich zum militärischen Sieg nach dem Muster des Makkabäeraufstandes zu führen. Vgl. die ähnlichen Ausführungen bei Lohmeyer und Grundmann.227 Anders Pesch, der die Messiaserwartung der Jünger Jesu von der „nationalpolitische(n) Messiaserwartung seiner Gegner“ unterscheidet.228 Eine derartige Trennung muss jedoch erst erwiesen werden. Mk 8,29, zusammen mit Mk 8,32f, spricht eher für die grundsätzliche Gemeinsamkeit messianischer Erwartungen der Jünger und der Gegner Jesu (vgl. ferner Apg 1,6). Erst nach der Auferstehung Jesu beginnen die Jünger das Lehrgut Jesu recht zu verstehen.

Die Bitte (vgl. 6,22-23) der Zebedaiden in V. 35 („Lehrer,229 was immer wir erbitten, wollen wir von dir erfüllt haben“) als Vorbereitung zur Hauptfrage verrät ein gewisses Maß an Scham, aber auch an Zuversicht. Zur Rechten und zur Linken sitzen230 bedeutet ein Höchstmaß an Ehre, Einfluss und Macht. Herrlichkeit kann hier durchaus „irdische, politische Macht“ bedeuten (Joh 12,43; vgl. Mt 4,8; 6,29; siehe jedoch auch Mk 8,38; 13,26).231 38 Da Jesus einst tatsächlich in der Herrlichkeit Gottes als Messias regieren wird, verwirft Jesus die Aussage nicht völlig. Tatsächlich wird die Frage bestehen, wer in der Nähe Jesu Ehrenplätze erhalten wird. Allerdings erkennen die zwei Jünger nicht, dass ihr begrenzter Horizont irdischer Macht die viel größere Realität Jesu im ewigen Reich Gottes völlig einengt. Auch verkennen sie, dass in dieser größeren Realität andere Gesetzmäßigkeiten herrschen: Je226 Schriftverweise bei Pesch II 154. 227 Lohmeyer 222 sowie Grundmann 217. 228 Pesch II 155. 229 Dschulnigg 284 verweist hinsichtlich dieser Anrede auch auf 4,38; 9,38; 10,20. 230 Lane 379 verweist auf 1Kön 2,19; Ps 110,1; Sir 12,12; Josephus, Ant 6,235-241. Vgl. 2Sam 16,6 LXX. Dschulnigg 284 Anm. 225 verweist auf Billerbeck, Kommentar, I 835f. 231 Dschulnigg 284 meint ohne weitere Begründung, dass die Zebedäussöhne nach äthHen 45,3; 51,3; 55,4; 61,8 „erwarten, im Gericht herausragende Richter Israels zu sein (vgl. Mt 19,28par.)“.

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der, der dort „groß“ sein will, muss hier Diener sein (V. 43). Deshalb beginnt Jesus damit, die Voraussetzungen zur besonderen Ehre im Reich Gottes durch eine Doppelfrage zu entfalten. Die erwartete Antwort auf die von Jesus gestellte Frage lautet: „Nein, ihr könnt dies nicht tun“. Die Voraussetzungen sind im Fall Jesu Gerichtsleiden, im Fall der Jünger, aufgrund des stellvertretenden Leidens Jesu, gnädige Läuterung und Leidensnachfolge. Jesus muss einen Gerichtskelch (V. 39; vgl. 14,36)232 trinken (vgl. Jes 51,11.17-23; Jer 25,1528; Jer 49,12; vgl. Ps 60,3; Ps 75,8-9; Klgl 4,21-22; Hes 23,31-35; Hab 2,16; Sach 12,2). Er muss sich ferner einer Gerichtstaufe233 unterziehen (erdulden; vgl. Ps 42,7-8 LXX; Symm Ps 49,3.15; Aq Ps 69,2-3.14-15; Aq Hiob 9,31; 22,11; Aq Jes 43,2; Aq Jona 2,3-6; siehe ferner die Vorstellung der Überflutung als Gericht Gottes in Jes 30,27-33; Lk 12,49-50).234 Beide Metaphern verweisen auf vehementes Strafgericht Gottes, bei dem innere (Kelch) und äußere (Taufe) Überflutung das überwältigende Gericht Gottes beschreiben. Jesus ist bereits im Begriff („den Kelch …, den ich trinke“), dieses Gericht Gottes (zunächst durch starke Opposition) zu erfahren.235 In Jes 51,11.17-23 und Jer 25,15-28 kommt ein Gericht Gottes zunächst über Jerusalem, bevor es diejenigen trifft, die das Volk Gottes peinigen (vgl. Jes 51,22-23 und Jer 25,29). Jetzt bezieht Jesus dieses Gerichtsmuster auf sich selbst. Er ist der Erste, der vom Gerichtskelch trinkt und durch Gerichtsfluten überwältigt wird (vgl. Lk 12,50). Aufgrund der sodann folgenden Aussage Jesu wird deutlich (siehe Bemerkungen zu V. 39), dass er dadurch seine Nachfolger schützt, die nach ihm den Gerichtskelch trinken und die Gerichtstaufe erdulden sollen. In den Gerichtsmetaphern des Kelches und der Taufe klingt die Auferstehungsgewissheit Jesu an, da das Gericht von Jesus nicht als absolutes Ende gesehen wird (vgl. etwa Lk 12,50; sowie 8,35; 10,40; 12,18-25; 14,36)236 und 232 Vgl. Bayer, Predictions, 54-84.71-77. Vgl. zu zwischentestamentlichen Schriftverweisen, Pesch II 157 (dort vor allem ein „Becher des Todes“, Martyrium). Obwohl er sich des alttestamentlichen Motivs des Gerichtskelchs bewusst ist, deutet Dschulnigg (284-285) die Aussage Jesu aufgrund von AscJes 5,13 zu eng als Verweis auf Martyrium. 233 Vgl. Bayer, Predictions, 77-85. Schnabel, Jesus, „Baptism“, 281 betont zu Recht, dass sowohl „Taufe“ als auch „taufen“ hier im übertragenen und im damaligen griechischen Umfeld durchaus geläufigen Sinn von „eintauchen“ bzw. „überwältigt werden“ („immerse“ bzw. „overwhelm“) zu verstehen ist. Vgl. Lane 380, Anm. 85; vgl. ferner die Sintflut als Gericht Gottes sowie 2Sam 22,5 und Josephus, Bell 4,137. Vgl. Lk 12,50. 234 Mit Verweis auf 2Sam 22,5 und Ps 69,3 sieht Dschulnigg 285 auch hier lediglich „tödliche Gefährdung“. 235 Bayer, Predictions, 84-85. Lane 380 Anm. 82, betont, dass dies auch für das Umfeld des Neuen Testaments zutrifft: PsSal 8,14-15; 1QpHab11,10-15; Lane verweist ferner auf Le Déaut, Goûter, 82-86. 236 Vgl. Bayer, Predictions, 84 und passim.

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Jesus, trotz Strafgericht, auf die messianische Herrschaft zuversichtlich zugeht (10,37.40; 14,25.62).237 39 Im Gegensatz hierzu verstehen die zwei Jünger Jesus evtl. dahingehend, dass Kelch und Taufe einen gewissen (Leidens-)Kampf gegen römische Machthaber bedeuten. Im späteren rabb. Judentum bedeutet z.B. das „Trinken eines Kelches“ die Teilhabe am Geschick eines anderen.238 Dazu sind sie bereit. Wiederum liegt ein Körnchen Wahrheit darin, dass sie bereit sind, zu leiden.239 Deshalb führt Jesus aus, dass die Jünger nach seinem Leiden ebenso eine Form des Gerichts, jedoch in Form von gnädiger Läuterung,240 erfahren werden. Nur so erklärt sich, warum Jesus das „Trinken“ und „Getauftwerden“ in V. 38 für die Jünger ausschließt, während er dies in V. 39 dann doch bejaht: „Den Kelch, den ich trinke, werdet ihr zwar trinken und die Taufe, die ich erdulde, werdet ihr erdulden“. Dadurch, dass Jesus sich als Erster dem Gericht Gottes unterzieht, und darin stellvertretend leidet (vgl. V. 45; 14,24), wird das sich nun ausweitende Gericht (vgl. Jer 25,15.17.28) für die Jünger zu einer Form der gnädigen Läuterung umgewandelt (vgl. Jes 53,5; Sach 13,9; Mal 3,3), da Jesus bereits das volle Maß des Gerichtes Gottes zur Sühne auf sich genommen hat.241 Bereits der Täufer hatte über Jesus gesagt: „… er wird euch im Heiligen Geist und Feuer taufen“ (Lk 3,16; vgl. 1Petr 4,17). Aufgrund des stellvertretenden Sühneleidens Jesu, der den Gerichtskelch als Erster nimmt (vgl. 10,45), wird das nun folgende Gericht, analog zum Passah in Ägypten, zu einem gnädigen Kelch und einer gnädigen Taufe der läuternden Reinigung für die Jünger. Somit müssen die glaubenden Jünger niemals das erleiden, was allein Jesus erleidet (vgl. V. 38). Allerdings müssen sie einen gnädigen Läuterungsprozess durchmachen, der dem Gerichtsleiden Jesu in seiner erniedrigenden und demütigenden Struktur (bis hin zum möglichen Martyrium)242 ähnelt (V. 39; vgl. Apg 9,16; 1Petr 4,13).243 Damit entspricht die vorliegende Nachfolgeaussage der von Mk 8,34-38.244

237 Vgl. Pesch II 158. 238 Siehe Lane 380 und Anm. 80, mit Verweis auf Billerbeck, Kommentar, I 836-838. 239 Zum Martyrium des Zebedaiden Jakobus um 41 n.Chr. (Apg 12,12), vgl. Pesch II 159. 240 Auch hier geht Dschulnigg (285) lediglich von einem Martyrium aus (siehe jedoch a.a.O., Anm. 230). 241 Dies verneint nicht, dass das Letzte Gericht dennoch kommt. Der, der nicht unter dem Schutz Jesu steht, ist nach wie vor dem gerechten Gericht Gottes ausgesetzt (vgl. Joh 3,16b). 242 Vgl. Keener, Background, 163, der darauf hinweist, dass einer der Fragenden, Jakobus, als erster der Zwölf hingerichtet wird; Apg 12,2. 243 Vgl. Bayer, Predictions, 77-85, vor allem 84. Siehe Feuillet, Coupe, 363. Schweizer, Erniedrigung, passim. 244 So auch Lane 381. Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, 77-85, vor allem 79-83.

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40 Nachdem Jesus die Voraussetzung für Ehrenstellungen (vgl. Mt 19,28; Offb 20,4) erläutert hat, kommt er nun auf ihre Bitte (vgl. V. 37) zu sprechen. Allein Gott der Vater bestimmt, wer neben dem durch den Vater erhöhten Jesus Ehrenstellungen erhält (vgl. das „Majestätsreservat“245 in 13,32; Apg 1,7).246 Wiederum macht Jesus von göttlicher Allwissenheit nicht Gebrauch (vgl. evtl. auch 8,23), sondern akzeptiert willentlich die Grenzen menschlicher Existenz (vgl. Phil 2,5-8). Auch unterstellt sich Jesus als Sohn stets seinem Vater (vgl. Joh 6,38; 1Kor 11,3). Allerdings wird ebenso deutlich, dass Jesus mit seiner einstigen Erhöhung und göttlichen Ehre dennoch rechnet. 41 Die verärgerte bzw. murrende (vgl. 10,14; 14,4)247 Reaktion der übrigen zehn Jünger (man denke etwa an Petrus) ist nicht so sehr Verstehen dessen, was Jesus soeben gesagt hat, sondern Neid und Entrüstung über das „Vordrängen“ der Zebedaiden. Diese Interpretation wird durch die V. 42-45 gestützt. Ehrgeiz und Neid herrschen zunächst noch unter denen, die später Zeugen und Leiter der messianischen Gemeinde werden sollen.248 42-45 Anstatt einer stolzen und von Neid geprägten Haltung sollen die Jünger als zukünftige Leiter an dienender und gesunder Demut249 erkennbar sein. Jesus erreicht dieses Ziel mit seinen Jüngern, indem er stellvertretend für sie sühnt und sie reinigt (V. 38-40). Als zukünftig Leitende sollen sie den Drang, alles kontrollierend in der Hand haben zu müssen, zugunsten der herzlichen Fürsorge für die ihnen Anvertrauten aufgeben (siehe Bemerkungen zu V. 4244).250 Die folgenden Aussagen stützen die obige Auslegung. Die Jünger (als „Kontrastgesellschaft“251) sollen begreifen, dass es im Reich Gottes um die neue Gesetzmäßigkeit der dienenden Demut geht, nicht um (militärische und steuerliche) Machtausübung oder Ehrenplätze der Macht (V. 42; vgl. Lk 1,5253; Gal 2,2.6.9; Jak 2,6; 1Petr 5,3).252 Die Münzenaufschriften erfüllen im römischen Reich folgende Funktion: Sie erinnern den Besitzer daran, wem Ehre gebührt und wer souveräne Autorität (u.a. durch Steuern) über den Besitzer der Münze ausübt.253 Siehe hierzu das gesamte System der römischen Kaiserverehrung (Exkurs 11: „Die Kaiseranbetung (Apotheosis) als politisches Mittel der Macht“). Keener erinnert daran, dass sowohl die Herrscher des Nahen Ostens als 245 Pesch II 160. 246 So Lane 382. 247 Schriftverweis bei Pesch II 160. 248 Lane 382. 249 Vgl. Macaskill, Humility, passim. 250 Vgl. Lk 1,52-53; Gal 2,2.6.9; Jak 2,6; 1Petr 5,3. 251 Pesch II 160. 252 Schriftverweise bei Pesch II 161. 253 Lane 382.

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auch griechische und römische Machthaber vor allem durch Gewalt und Tyrannei ausgezeichnet sind.254

Die Frucht der gnädigen Läuterung (Kelch und Taufe; siehe Bemerkungen zu 10,39) ist dienende Demut und Abhängigkeit von Gott.255 All das wird durch Jesu stellvertretendes Leiden ermöglicht und vorgelebt. 42 Die Kritik Jesu an den Herrschern der Völker ist nicht, dass sie grundsätzlich unrechtmäßig Autorität innehaben, sondern dass sie diese Macht häufig durch unterdrückende Gewalt rücksichtslos und in Feindschaft gegen Gottes Ordnung zu missbrauchen gewohnt sind (siehe den durativen Aspekt [Präsens] der Verben κατακυριεύουσιν [katakyrieuousin] und κατεξουσιάζουσιν [katexousiazousin]). Im Gegensatz hierzu sei an dieser Stelle das ursprüngliche Schöpfungsziel in Erinnerung gerufen (Gen 1,28). Die Menschen sollen: 1. ‫[ פּ ָָרה‬pārāh], „Frucht tragen“; „fruchtbar sein“; LXX αὐξάνεσθε [auxanesthe] („wachsen“); 2. ‫[ ָרבָה‬rābāh] „sich vermehren“; LXX πληθύνεσθε ([plēthynesthe] „sich vermehren“); 3. ‫[ ָ ּכבַׁש‬kābāsch], „Herrschaft ausüben“ (ohne Ausbeutung und Unterdrückung); LXX κατακυριεύσατε ([katakyrieusate] hier: „positive und lebensfördernde Herrschaft ausüben“), sowie 4. ‫[ ָרדָ ה‬rādāh], „herrschen“, „regieren“; LXX ἄρχετε ([archete] „herrschen“; „regieren“). Ferner sollen sie nach Gen 2,15 das Land: 5. ‫( ָאבַד‬ābad), „kultivieren“, „bearbeiten“; LXX ἐργάζεσθαι [ergazesthai], sowie 6. ‫שמַר‬ ׁ ָ (schāmar), „bewahren“; LXX φυλάσσειν ([phylassein] „bewachen“; „bewahren“; „beschützen“).

43-44 Die gemeinschaftlichen (siehe das dreimalige ἐν ὑμῖν [en hymin])256 Gesetzmäßigkeiten der Herrschaft Gottes sollen dem Machtmissbrauch direkt entgegenstehen (unterstrichen durch den synonymen Parallelismus; vgl. 9,35): „Der, der unter euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und der, der unter euch der Erste sein will, der soll der Sklave von allen sein“.257 Das Dienen im Gegensatz zum unterdrückenden Machtmissbrauch ist Grundlage des messianischen Gemeinschaftsgefüges (vgl. Röm 15,25.31; 16,1; 1Kor 16,15; 2Kor 4,5; Eph 4,1-16; Phil 2,1-4; Kol 1,7.25).258 Die Aussagen in „9,35 und 10,43f. sind je im Gegenüber zu Rangstreitigkeiten im Jüngerkreis formu-

254 Keener, Background, 163. 255 Lane 383 betont, dass Dienst am Nächsten und Anbetung Gottes eng miteinander verknüpft sind: 1Kor 9,19; 2Kor 4,5; Gal 5,13; 1Petr 5,3. 256 Pesch II 161. 257 Lane 382. 258 Schriftverweise bei Pesch II 162.

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liert“. Die Aussage Jesu widerspricht sowohl der gesamten damaligen Kultur als auch allgemein der menschlichen Natur.259 45260 Diese Forderung wird nicht nur an die Jünger Jesu gestellt, sondern Jesus begründet die messianische Herrschaft Gottes durch die größte Form des Dienens, nämlich selbst zu leiden. Jesus opfert sich als sühnender Stellvertreter. Im vorliegenden Kontext bedeutet der Ausdruck „für“ (ἀντὶ [anti]) wahrscheinlich „anstelle von“ (vergleiche mit ὑπὲρ πολλῶν [hyper pollōn] in Mk 14,24; vgl. Jes 52,14.15; 53,11.12).261 Jesus gibt sich hin für viele (ἀντὶ πολλῶν [anti pollōn], vgl. 14,24; Jes 53,11).262 Er nimmt das Gericht auf sich, welches dem sündigen Volk bevorsteht.263 Diese Hingabe gilt als λύτρον [lytron] (= Loskauf oder Lösegeld,264 vgl. Jes 11,11; 53,8.10.12; Mt 20,28; siehe ferner Röm 4,25; 1Kor 15,3; 1Tim 2,6).265 Keener bemerkt zu Recht, dass z.B. Jes 41,8; 43,10; 44,2.21; 49,3 ganz Israel als „Knecht Gottes“ identifiziert.266 Da das leidende und angefochtene Israel selbst jedoch ungehorsam und unrein ist (Jes 42,19), muss der eine königliche Knecht sowohl für Israel als auch für die Heiden stellvertretend leiden (Jes 49,5-7; 52,13–53,12). Λύτρον [lytron] vermittelt vor allem im griechisch-römischen Kultur- und Sprachraum die Vorstellung des Loskaufs von Sklaven (vgl. z.B. Josephus, Ant 12,46; POxy 48,6; 49,8). In unserem Kontext vermittelt λύτρον [lytron] jedoch vor allem eine stellvertretende (ἀντὶ [anti]) Löse- bzw. Opfergabe Gott gegenüber, um die Sünden vieler (πολλῶν [pollōn]) zu tilgen (vgl. Josephus, Ant 14,371).267 259 Dschulnigg 286, verweist treffend auf die Gefährdung durch „Herrschsucht und Machtmissbrauch … (vgl. 1Kor 16,15f.; Röm 16,1f.; 1Petr 5,2f.)“. 260 Lit. zu 10,45: Siehe vor allem Page, Authenticity, 137-161 zur eingehenden Diskussion und Befürwortung der Authentizität von Mk 10,45; contra Pesch II 162 (und viele andere); vgl. Koch, Messias, 117-148; Maurer, Knecht, 1-38; Oberlinner, Botschaft, 56-65. Roloff, Anfänge, 38-64; Rowe, Kingdom, 235-241; Wischmeyer, Herrschen, 28-44; Zager, Urchristentum, 165-186; Emerton, Background, 334-335; Jeremias, Lösegeld, 216-229; Feuillet, Logion, 365-402; Kertelge, Menschensohn, 225-239; Barrett, Background, 1-18; Haubeck, Loskauf, ad Mk 10,45; Weihs, Deutung, 499-523. Weitere Lit. bei: Evans 111-112 (bis 1999). 261 Vgl. Pesch II 164. 262 Lane 384 verweist auf 1QSa6,11-13, wo der Begriff „viele“ die erwählte Gemeinschaft Gottes bezeichnet. Vgl. Kim, „Targum“, 81-98. 263 Siehe Schlatter, Matthäus, 1963, 603-604, auf den Brown, NIDNTT III, 196-197 verweist. Wallace, Grammar, 365-367, erklärt, dass die Präposition ἀντὶ [anti] eher im Sinn von „anstatt“ bzw. „anstelle“ (also nahe am Sinn von ὑπὲρ [hyper] = „anstelle“) als im Sinn von „für“ bzw. „zugunsten von“ zu interpretieren ist. 264 Vgl. Haubeck, Loskauf, ad Mk 10,45. Vgl. ferner Wischmeyer, Herrschen, 28-44. 265 Vgl. Lane 384 und Anm. 91, zum Thema „stellvertretender Loskauf“ (Lit.). Vgl. Kim, „Targum“, 81-98. Siehe ferner Dschulnigg 286. 266 Keener, Background, 164. 267 Vgl. dies mit dem eng verwandten apolytrōsis-Begriff in Lk 21,28; Röm 3,23-24; 1Kor 1,30; Eph 1,7; Kol 1,14; Hebr 9,15.

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Vergleiche V. 45 vor allem mit Jes 53,11, ‫[ יַצְדִ ּיק צַדִ ּיק ַעבְדִ ּי ל ַָר ִבּים‬jazdīq zaddīq ʽabdī larabbīm], mein gerechter Diener macht (Hiph.) viele gerecht, indem er ihre Sünden trägt (LXX δικαιῶσαι δίκαιον εὖ δουλεύοντα πολλοῖς καὶ τὰς ἁμαρτίας αὐτῶν αὐτὸς ἀνοίσει; … wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden“, Luther 1984). Vgl. ferner Sach 13,7 und Mk 14,27. Das stellvertretende (Sühne-)Leiden des messianischen Knechts (Ebed) wird in Jes 53 mehrmals hervorgehoben: Jes 53,4 οὗτος τὰς ἁμαρτίας ἡμῶν φέρει [houtos tas hamartias hēmōn pherei]; Jes 53,5 διὰ τὰς ἁμαρτίας ἡμῶν [dia tas hamartias hēmōn]; Jes 53,6 κύριος παρέδωκεν αὐτὸν ταῖς ἁμαρτίαις ἡμῶν [kyrios paredōken auton tais hamartiais hēmōn]; Jes 53,11 τὰς ἁμαρτίας αὐτῶν αὐτὸς ἀνοίσει [tas hamartias autōn autos anoisei] sowie Jes 53,12 ἀνθ᾽ ὧν παρεδόθη εἰς θάνατον ἡ ψυχὴ αὐτοῦ … αὐτὸς ἁμαρτίας πολλῶν ἀνήνεγκεν καὶ διὰ τὰς ἁμαρτίας αὐτῶν παρεδόθη [anthʼ hōn paredothē eis thanaton hē psychē autou … autos hamartias pollōn anēneuken kai dia tas hamartias autōn paredothē].

Obwohl im Fall Jesu kein weiteres Lösegeld an andere entrichtet wird, impliziert die Aussage Jesu in V. 45b die Befreiung (Lösung) von Sünde (und Satan) aufgrund dieser stellvertretenden Sühne vor Gott (vgl. Röm 3,24; Kol 2,13-15). Wenn das ewige Gottesreich auf diese außergewöhnliche Weise inauguriert wird (vgl. Phil 2,5-11), soll die Haltung des demütigen und Gott ehrenden Dienens alles im Reich Gottes durchdringen (vgl. 1Joh 3,16). Es ist wichtig zu beobachten, dass in V. 45 zwei Mal das Verb διακονέω [diakoneō] („ich diene“) steht: Jesus kommt nicht, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen (vgl. 2,17 und 1Tim 2,6a). Sein opferbereiter und stellvertretender Dienst prägt proleptisch die Atmosphäre seiner ewigen Herrschaft (siehe Bemerkungen zu 10,43-44; vgl. Hes 34,23-24).268 Ebenso prägt er die innere Haltung seiner Nachfolger, vor allem derjenigen, die einst als Leiter seines messianischen Volkes dienen werden.269 Der Loskauf durch den erhabenen Menschensohn (Dan 7,13-14; Mk 8,38; 14,62) mittels stellvertretender Sühne (Lev 5,14–6,7; 7,1-7; Num 5,5-8)270 betont, dass die Jünger zu ihrer Befreiung aus Sklaverei (Sünde) und zur Tilgung der daraus folgenden Schuld vor Gott (vgl. Röm 3,21268 Vgl. 1Kor 9,19; 2Kor 4,5; 1Joh 3,16. 269 Vgl. Joh 13,14; Phil 2,1-11; 1Petr 5,1-7. Vgl. Weiser, EDNT I, 303, “In Mark the idea of service takes on an extraordinary place through the series of parenetic sayings in 10:42-45. In contrast to normal relationships involving authority in the world, among the disciples of Jesus true greatness is demonstrated only in service. The service of the Son of Man in death is the basis for this motif, one that forms an essential part of the meaning of discipleship.” 270 So Lane 384.

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26) nicht fähig (vgl. 8,37) und sie daher auf Jesus völlig angewiesen sind. Das Geschick Jesu konstituiert und prägt somit unwiderruflich und umfassend das wieder gewonnene Leben seiner Jünger. Hier werden nun Kelch und Taufe Jesu (als einmaliges, stellvertretendes Sühneleiden) sowie Kelch und Taufe der Jünger (als Läuterung zur dienenden Demut; vgl. 1Joh 3,16271) deutlich voneinander unterschieden und trotzdem unzertrennbar miteinander verbunden. Jesus weiß sich zu diesem Zweck berufen („denn auch ist der Menschensohn nicht gekommen, um bedient zu werden“; vgl. 2,17). Die Aussage fasst das Ziel der Inkarnation des erhabenen Menschensohnes ins Auge. Aufgrund der Erhabenheit Jesu erfährt sein stellvertretender Tod universale Bedeutung, die unermesslich weit über das Martyrium eines gerechten Menschen hinausragt.272 Der Opfertod eines Tieres oder gar eines Menschen genügt nicht, um die fundamentale und schuldbeladene Entfremdung des Menschen von Gott zu beheben. Allein die stellvertretende Sühne des erhabenen Sohnes vermag das Ausmaß der Schuld derart zu tilgen, sodass bleibende Versöhnung mit Gott erfolgt.

11.9 Der Blinde in Jericho 10,46-52 Das Mk Ev. berichtet von zwei Blindenheilungen (8,22-26; 10,46-52). Auf literarischer Ebene handelt es sich hierbei um eine lose inclusio, die die drei zentralen Leidens- und Auferstehungsvoraussagen Jesu mit jeweiliger Jüngerunterweisung einrahmt. Erneut wird die innere Blindheit (8,18) hinsichtlich der wahren Identität Jesu und einer wirklichkeitskongruenten Selbsteinschätzung der Jünger hervorgehoben (siehe 8,34-35, im Gegensatz zu 9,34 und 10,37). Die Heilung weist ebenso auf das wiederkehrende Motiv der Barmherzigkeit Jesu, der gesellschaftlich „unwichtige“ Menschen ehrt, sie zur Nachfolge ruft, für sie stellvertretend leidet und sie so zum Reich Gottes ruft. I 46 Und sie kommen nach Jericho. Und als er und seine Jünger inmitten einer großen Menschenmenge aus Jericho herauskamen, da saß am Weg der blinde Bettler Bartimäus, Sohn des Timäus. 47 Und als er hörte, dass es Jesus von Nazareth sei, begann er zu schreien und sagt: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich über mich“. 48 Und viele befahlen ihm, zu schweigen. Er aber schrie umso mehr: „Sohn Davids, erbarme dich über mich“. 271 Lane 385. 272 So Lane 383.

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49 Jesus aber hielt inne und sprach: „Ruft ihn herbei“. Und sie rufen den Blinden und sagen zu ihm: „Sei guter Dinge, steh auf; er ruft dich“. 50 Der aber warf seinen Mantel ab, sprang auf die Beine und ging (hin) zu Jesus. 51 Und Jesus fragte ihn und sprach: „Was soll ich dir tun?“ Der Blinde aber sprach zu ihm: „Rabbuni, (ich möchte,) dass ich wieder sehen kann“. 52 Und Jesus sprach zu ihm: „Gehe deines Weges, dein Glaube hat dich geheilt“. Und gleich konnte er wieder sehen und folgte ihm auf dem Weg.273 II Mk 10,46-52 ist eine Heilungswundererzählung274 bzw. eine „Epideixis“275 (Jesus als „Sohn Davids“276). Besondere Kennzeichen sind vor allem die „Erschwernis der Annäherung“, V. 47-48; die Initiative des Wundertäters, V. 49, sowie die Begegnung mit dem Wundertäter, V. 50-51.277 III Der markinische Bericht enthält (z.T. sogar humorvolle) Augenzeugendetails, wie z.B. den genauen Namen des Blinden Bartimäus, Sohn des Timäus, V. 46, das ständige Schreien, V. 47, die Schelte der Menge, V. 48, das Herbeirufen des Blinden, V. 49, das Abwerfen seines Mantels, V. 50, die schlichte Bitte, V. 51 und die Tatsache, dass er nach seiner Heilung Jesus und seinen Jüngern auf dem Weg nach Jerusalem folgt278 (V. 52).279 46 Jesus gelangt mit seinen Jüngern nach Jericho (vgl. 10,1.32). Das alttestamentliche Jericho ist z.Z. Jesu wohl (wenn überhaupt)280 sehr dünn besiedelt; es liegt nahe am Weg nach Jerusalem. Das neutestamentliche, herodiani273 Lit.: Blomberg, Reliability, 128-129; Eckstein, Markus, 33-50; Hengel, Heilungen, 331-361; Ketter, Lokalisierung, 411-418; Marshall, Luke, 692-693; Schmücker, Funktion, 1-26; vgl. ferner Theißen, Wundergeschichten, ad loc.; Betz, Wesen, ad loc.; Koch, Bedeutung, ad loc.; Hooker, Signs, ad loc.; Kertelge, Wunder, ad loc.; Wenham, Miracles, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 175 (bis 1980); Evans 126-128 (bis 1999). 274 Vgl. Pesch II 168, der als Indiz für die Historizität (gegen Bultmann, Geschichte, 228: „Es ist kaum möglich, eine ursprüngliche, stilgemäß erzählte Wundergeschichte als Grundlage zu erkennen“) hervorhebt, dass die Geschichte nicht „stilgemäß“ erzählt wird. Schwerlich wird eine literarische Form allein Auskunft über die Historizität des Gesagten geben können. 275 Berger, Formen, 369. Berger (a.a.O., 367) rechnet alle Texte zur erzählenden Gattung „Epideixis“, „in denen ein Geschehen so berichtet wird, daß am Ende die … Zeugen darauf mit Verwunderung, Staunen oder Fragen reagieren. 276 Vgl. Evans 129-130, bezüglich des historischen und motivgeschichtlichen Hintergrunds des Titels. 277 Zitat und Details bei Pesch II 168. 278 Vgl. das durative Imperfekt. 279 Vgl. ähnlich, Pesch II 172-174. 280 Nach Marshall, Luke, 693, ist das alte Jericho z.Z. des Neuen Testaments unbewohnt.

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sche Jericho281 liegt etwas südlich davon (ebenso in Richtung Jerusalem) und etwas abseits (südöstlich) vom Pilgerweg nach Jerusalem (man muss also von der Pilgerstraße auf demselben Weg nach Jericho ein- und von Jericho ausziehen). Mk beschreibt wiederum sehr knapp. Beim Verlassen der herodianischen Ortschaft282 (d.h. auf der weggleichen Rückkehr zur Pilgerstraße nach Jerusalem: und als er und seine Jünger inmitten einer großen Menschenmenge aus Jericho herauskamen) ereignet sich die Begebenheit mit dem blinden Bartimäus283 (vgl. Mt 20,29; Joh 9,8). Der blinde Bettler verspricht sich vor dem Passahfest, „zu dem die frommen Juden besonders zum Almosengeben verpflichtet waren“, Bettelerfolg, zumal er unweit vom Weg nach Jerusalem sitzt, „wo ihn die Pilger passieren mussten“.284 Jericho gilt als letzte Pilgerstation vor Jerusalem, die u.a. als Zollstation und als Sammelplatz fungiert.285 Lk (18,35) lokalisiert die Blindenheilung jedoch anscheinend beim Einzug nach Jericho. Es gibt zwei vertretbare Erklärungen für die synoptische Lokalisierung dieser Blindenheilung:

1. Bartimäus befindet sich zwischen dem alten, baufälligen Jericho aus der alttestamentlichen Zeit und dem aufblühenden, herodianischen Jericho. Mk 10,46 und Mt 20,29 gehen vom Ersten (also vom Verlassen des alten Jericho), Lk 18,35 hingegen vom Letzteren aus (also vor dem Erreichen des herodianischen Jericho).286 2. Es handelt sich bei allen Synoptikern ausschließlich um das herodianische Jericho und die Synoptiker sind sich darin einig, wo der Blinde geheilt wird. Mk und Mt ordnen ihr Zeugnis jedoch chronologisch, Lk thematisch. Lk 18,35 schildert zunächst lediglich die Begebenheit, bei der der Blinde vor dem Stadteingang unweit vom Pilgerweg, also am Eingang und Ausgang vom herodianischen Jericho (Lk 18,35) bettelt und, ohne genaue Zeitangabe, dort auch geheilt wird (Lk 18,38). Mt 20,29 (zwei Blinde) und Mk 10,46 schildern die Blindenheilung am selben Ort, aber mit genauer Zeitangabe, nämlich beim Verlassen des herodianischen Jericho. Ein weiterer Hinweis, der den 2. Lösungsvorschlag stützt, ist die Tatsache, dass Lk 18,35 keine Menschenmenge erwähnt (im Gegensatz zu Mk 10,46 und Mt 20,29). D.h., Lk beschreibt in 18,35 den (etwas unscheinbareren) Einzug, Mt und Mk beschreiben gleich den (dem aufsehenerregenden Zachäus-Ereignis folgenden) Auszug aus Jericho. Die Menschenmenge um Jesus erscheint daher sinnvoller beim Verlassen von Jericho. Um der thematischen Verknüpfung willen (Glaube und sich steigernde Barmherzigkeit Jesu), schildert Lk jedoch die chronologisch folgende Bartimäusheilung vor dem Zachäus-Ereignis (Lk 19,1).287 Dieser zweite Erklärungsversuch ist sowohl historisch als auch literarisch am überzeugendsten. 281 Vgl. Josephus, Bell 4,459. 282 So auch Pesch II 170. 283 Pesch II 170, betont, dass Namensnennung in Wundergeschichten, zumal mit Nennung der dazugehörigen Ortschaft, „ein Anzeichen historischer Vorgaben“ ist. 284 Pesch II 170-171. 285 Pesch II 170. 286 So etwa Ketter, Lokalisierung, 411-418. 287 So Blomberg, Reliability, 128-129. Vgl. Marshall, Luke, 692, der diese Erklärung in Erwägung zieht.

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47 Der Glaube, von dem Jesus später spricht (V. 52),288 bezieht sich auf die (durch Berichte entstandene) Zuversicht des sozial abhängig lebenden Blinden,289 von Jesus aus Nazareth (vgl. 14,67; 16,6)290 geheilt werden zu können. Sohn Davids genannt zu werden, heißt nicht notwendigerweise, als Messias identifiziert zu werden.291 Allerdings kann der Begriff zeitgenössisch „national-politisch“ interpretiert werden.292 Jesus weist die Bezeichnung jedenfalls nicht zurück (vgl. mit 12,35-37). Sicher ist, dass Jesus „messianisch“ handelt (vgl. Jes 35,4-5; 61,1). 48 Bartimäus stört die Menge, die wohl Jesus zuhören will, durch sein ständiges Schreien. In ihren Augen ist er nicht wichtig (vgl. den Ehrgeiz der Jünger Jesu in 10,37; 11,9-10; vgl. ferner 10,13).293 Bei der Erzählung von dem Blinden Bartimäus ist der Kontrast (zwischen Blinden und Sehenden) noch schärfer: Während die Sehenden Jesus verkennen, sieht ein Blinder in Jesus von Nazareth den Sohn Davids“.294

49 Einige aus der Menge sind Bartimäus dann freundlich gesinnt, sobald sich Jesus um ihn annimmt: „Ruft ihn herbei“. Sie sagen zu ihm: „Sei guter Dinge, steh auf; er ruft dich“. Sogar auf dem Leidensweg nach Jerusalem dient Jesus dem Verachteten und Übersehenen (vgl. 10,43-45). 50 Die Beschreibung vermittelt den Mut des Blinden, sein armseliges Hab und Gut zurückzulassen (der aber warf seinen Mantel ab) sowie die frohe Erwartung an Jesus, geheilt zu werden. Der Mantel dient tagsüber als Bettelteppich, nachts als Bett.295 51 Die Frage Jesu, „was soll ich dir tun?“ wird trotz offensichtlicher und erkennbarer Not auch anderweitig gestellt (vgl. 8,23; 9,21; Joh 5,6). Jesus nimmt damit stets persönlichen Kontakt mit dem Notleidenden auf und bringt

288 Siehe auch die Bemerkungen zu 1,15; 2,5; 4,40; 5,34.36; 6,6; 9,24. Vgl. die Bemerkungen zum Stichwort „Glaube“ in 10,52; 11,22-24. Siehe Abschnitt 10.4, IV zu 8,27–9,29. 289 Der Hilfeschrei wendet sich an Gott und seinen Gesandten: so Lane 387, mit Verweis auf Ps 4,1; 6,2; 41,4.10; 51,1; 109, 26; 123,3. 290 Pesch II 171. 291 So Pesch II 171, mit Verweis auf Josephus, Ant 9,64; Lk 16,24; siehe bei Pesch, ebd., weitere Details. Allerdings verweist Lane 387, auf messianische Anspielungen in Jes 11,1-12; Jer 23,5-8; Hes 34, 23-25. 292 Pesch II 172. Zur davidischen Herkunft des Messias siehe vor allem die Verweise im Mt Ev.: Mt 9,27; 12,23; 15,22; 20,30-31 (vgl. Dschulnigg 289). 293 So Keener, Background, 164. 294 Eckstein, Markus, 33-50, hier: 49. 295 Vgl. Keener, Background, 164.

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ihm Respekt entgegen.296 Ferner gibt er dadurch dem Blinden Gelegenheit, seiner Not sowie seiner glaubenden Zuversicht in Jesus Ausdruck zu verleihen.297 Bartimäus war nicht von Geburt an blind (vgl. auch V. 52). Er bringt Jesus ein einfaches Vertrauen entgegen, dass jener die Macht besitzt, ihn zu heilen (V. 47; vgl. 5,34). Rabbuni als Anrede ist im Gegensatz zu Rabbi (vgl. 9,5; 11,21; 14,45) bis auf Joh 20,16 im NT „singulär“.298 52 Ohne Handauflegung heilt Jesus den Blinden. Bemerkenswert ist die Aussage Jesu im Vergleich mit dem Verhalten des Geheilten: „Gehe deines Weges“ … er folgte ihm auf dem Weg. Jesu Aussage „dein Glaube299 hat dich geheilt“ bedeutet: Dein Vertrauen, dass ich dir helfe, hat dich geheilt. Der Begriff „Glaube“ gewinnt schon bei Mk seine Bedeutung aus dem Objekt des Vertrauens, nicht aus Vertrauen an sich (vgl. Bemerkungen zu 5,34). Die Aussage hat dich geheilt gibt den griechischen Begriff σώζω [sōzō] = „ich rette“ / „befreie“ / „bewahre“ wider. Σώζω [sōzō] wird hier im einfachen Sinn von „Befreien“ von Krankheit gebraucht. Die Vorstellung vom rettenden Glauben, d.h. σώζω [sōzō] im Sinn von Rettung aus Sündenschuld und Tod zu ewiger Gemeinschaft mit Gott, wird erst später thematisiert (vgl. 8,35; 10,2426; 13,13.20; [16,16]). Im Erzählzusammenhang fällt, wie bereits bemerkt, auf, dass der große Abschnitt über die Leidensvoraussagen mit Jüngerunterweisung jeweils durch eine Blindenheilung eingerahmt ist (inclusio: 8,22-26; 10,46-52). Weil Jesus die Jünger im Kontext der zweistufigen Blindenheilung auf ihre eigene „Blindheit“ im übertragenen Sinn aufmerksam macht (8,18), liegt nahe, dass Jesus seine Jünger bei der Heilung des Bartimäus erneut ihrer geistlichen Blindheit überführt. Siehe das Verlangen nach einer Ehrenstellung (9,34; 10,37) und gleichzeitiges Verkennen der wahren Sendung Jesu (vgl. das einrahmende Motiv „Messias“, 8,29 und „Sohn Davids“, 10,47.48).300 IV zu 9,30–10,52 Ziel. Der Bericht schildert Jesu wiederholte Leidensvoraussagen, die im krassen Gegensatz zu bleibenden Ambitionen der Jünger stehen. Jesu bevorstehender Leidensweg und das festgefahrene Unverständnis seiner Jünger stehen sich somit weiterhin gegenüber.

296 Lane 388. 297 Lane 389. 298 Dschulnigg 290. 299 Siehe auch die Bemerkungen zu 1,15; 2,5; 4,40; 5,34.36; 6,6; 9,24. Siehe die Bemerkungen zum Stichwort „Glaube“ in 10,47; 11,22-24. Siehe den Abschnitt 10.4, IV zu 8,27–9,29. 300 Ähnlich, Pesch II 175.

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Jesus prägt dennoch durch Betonung des Dienens, nämlich durch Hervorhebung des Geringen bzw. kindlich Vertrauenden. Jesus thematisiert das, was am Zugang (Rettung bzw. ewiges Leben) zum Reich Gottes hindert (Ehescheidung ist Ausdruck der Hartherzigkeit des menschlichen Herzens; selbstsicherer Reichtum hindert am Vertrauen auf Gott). Der Jünger soll auf Jesus vertrauend eingehen, während Jesus für ihn stellvertretend leiden wird. Kontextualisierung und Anwendung. Der gesamte Abschnitt kreist um das Thema Demut: Demut des Opfers, des kindlichen Vertrauens im Gegensatz zu Stolz, Hartherzigkeit und Reichtum. Jesus vertieft somit das Grundthema der Gottesabhängigkeit im Gegensatz zur Autonomie des Menschen. Die zweite und dritte Leidensvoraussage bekräftigt die Tatsache, dass die Nachfolger ohne das stellvertretende Leiden Jesu (10,45) kein Mittel haben, mit ihrem Stolz, mit ihrer Hartherzigkeit und ihrem Reichtum fertig zu werden. Manche suchen Ehrenplätze (vgl. u.a. 9,34 und 10,35ff). Sie wollen das Geringe nicht wertschätzen (9,37; 10,14). Sie wollen das nicht loslassen, was sie von Gott trennt (10,42-47). Sie benötigen Gesetze, die ihre Hartherzigkeit toleriert (10,5ff). Sie sehen selbstsicheren Reichtum nicht als Hindernis zur Abhängigkeit von Gott (10,26; Mk 10,28 klingt beinahe wie eine Selbstrechtfertigung). Der Zugang zur Herrschaft Gottes wird immer enger. Die Traurigkeit des gesetzestreuen Reichen (10,22) bezieht sich vor allem auf die Tatsache, dass sein Reichtum, trotz Torah-Ergebenheit, „ihm“ gehört; er versteht sich (und mit sich selbst auch seinen Besitz) nicht als Eigentum Gottes. Der Reiche übt sich in anthropozentrischer Gesetzestreue ohne generelle Hingabe an Gott. Jesus entlarvt diesen Versuch als gescheitert. Für die Jünger ist Jesu Aussage „bei Menschen ist es unmöglich, aber nicht bei Gott. Denn bei Gott ist alles möglich“ (10,27) Quelle großer Hoffnung (vgl. 10,45). „Zugang zum Leben“ (9,42) ist synonym mit „Eingehen ins Reich Gottes“ (9,47; 10,15) und „Rettung“ (10,26). Die Begriffe beschreiben verschiedene Dimensionen und Aspekte derselben Sache: Es geht um „schöpfungsintendiertes Leben“ mit Gott, es geht um Leben unter „Gottes Leitung und Herrschaft“, es geht um „Befreiung vom autonomen Selbst“ sowie von der Macht Satans. Der Leser mag nun endlich mit dem Unverständnis und der Hartherzigkeit der Jünger ungeduldig werden: Warum verstehen sie nicht, warum lenken sie nicht endlich ein? Nur der Nachfolger, der aus eigener Erfahrung weiß, dass tägliches Rechnen mit der Gegenwart Gottes immer wieder durch die bedrängenden Lebensumstände infrage gestellt wird, versteht, dass das zähe Verhalten der Jünger Jesus ganz in der Nähe des eigenen Lebensvollzugs steht. Je mehr sich der Nachfolger des 21. Jh.s im Spiegel des Wortes Gottes und des Heiligen Geistes sieht, umso mehr erkennt er, dass das beständige Unverständ-

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nis der Jünger Jesu eine treffende Repräsentation der eigenen Hartherzigkeit ist. Auch er benötigt alle Mittel, die Jesus bei seinen Jüngern anwendet: Sein stellvertretendes Leiden, sein Lehren, seine Geduld, sein Vorbild, sein Eingreifen, seine Fürbitte (vgl. Lk 22,32). Jesus lehrt viel über Demut: Das Aufnehmen des Kindes als Wertschätzung des gesandten Geringen (9,37); das Dienen für denjenigen, der „groß“ sein will (9,35; 10,42-43); das schmerzliche Loslassen all dessen, was an der Demut vor Gott und dem Mitmenschen hindert (9,42ff); das Zulassen der Kinder in die Gegenwart Jesu (10,14); das kindliche Eingehen in das Reich Gottes (10,15), das mutige Loslassen von Geliebten (10,30). Die Klimax in diesem Abschnitt ist 10,45, wo Jesus seinen Jüngern sowohl sein stellvertretendes Leiden (siehe die wehenartige Wiederholung der Leidensvoraussagen 8,31; 9,31; 10,32-34) als auch das Vorbild des Loslassens schlechthin einprägt (vgl. Phil 2,1-11).301 „Loslassen“ (vgl. 8,34-38) bedeutet keineswegs den Sprung ins Nichts, sondern das existenzielle „sich Überlassen“ in die reale Gegenwart Gottes (vgl. Phil 2,8). Weil Jesus als Erster (vgl. Kol 1,18) derartig loslässt (vgl. Phil 2,5-7), haben die Jünger einen ewigen Schutz vor dem Zornesgericht Gottes über den Unglauben (vgl. den alttestamentlichen Hintergrund der Kelch- und Taufmetaphern). Die abschließende Blindenheilung bekräftigt, dass vertrauendes Hinwenden zu Jesus (Glaube, 10,52) das Gegenmittel zu Stolz, Hochmut und Autonomie ist. Es wird jedoch immer deutlicher, dass das fruchtbringende Fundament der vertrauenden Hinwendung zu Jesus aus Offenheit, Empfangsbereitschaft und Dankbarkeit für seinen stellvertretenden Tod besteht (10,45). Die Hoffnung der Nachfolger ist also nach wie vor, dass sie „mit Jesus sind“ (3,14) bzw. zu Christus gehören (9,41: ὅτι Χριστοῦ ἐστε [hoti Christou este]). Ihre Hoffnung auf ein von Gott abhängiges Leben liegt in Jesu stellvertretendem Tod. Hier befindet sich das Tor zum Leben (Joh 3,16-21; 1Joh 3,14; vgl. Gen 3,24).

301 Vgl. im Gegensatz hierzu Rüggemeier, Poetik, 468, 492, 497, der das sacramentum der Person Jesu hervorhebt und das Motiv von Jesus als exemplum bei Mk weniger entfaltet sieht (siehe jedoch die Bemerkungen zur Nachfolge im vorliegenden Kommentar; siehe vor allem 10.4, IV zu 8,27–9,29). Ferner weiß Rüggemeiers Studie wenig über die zeugnishafte Verankerung der markinischen Christologie im historischen Jesus zu berichten.

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12. Einzug in Jerusalem – Tempelreinigung – Streitgespräche 11,1–12,441 Synoptischer Vergleich: Befund. Die Synoptiker bezeugen gemeinsam die zentralen Bausteine dieses Abschnittes: Jesu Einzug in Jerusalem (Mt 21,19 / Mk 11,1-10 / Lk 19,28-38); die Frage nach Jesu Vollmacht (Mt 21,2327 / Mk 11,27-33 / Lk 20,1-8); das Gleichnis von den bösen Winzern (Mt 21,33-46 [mehr Details als Mk] / Mk 12,1-12 / Lk 20,9-19 [weniger Details als Mk]); die Steuerfrage und die Frage zur Auferstehung (Mt 22,15-33 / Mk12,13-27 / Lk 20,20-40); Jesu Frage bezüglich des (messianischen) Sohnes / Herrn Davids sowie Jesu Rede gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten (Mt 22,41-23,36 / Mk 12,35-40 / Lk 20,41-47). Darüber hinaus teilt Mk mit Mt die Verfluchung des Feigenbaums (Mt 21,18-19 / Mk 11,12-14; allerdings steht dies bei Mt nach der Tempelreinigung,2 bei Mk vor der Tempelreinigung3), die Aussage über die Kraft des Glaubens (Mt 21,20-22 / Mk 11,2025; vgl. Mt 17,20 und Lk 17,6 sowie 1Kor 13,2 und EvThom 40.106),4 sowie die Frage nach dem großen Doppelgebot (Mt 22,34-40 / Mk 12,28-34; vgl. Lk 10,25-29).5 Mit Lk teilt Mk die Erzählung der Witwe am Opferstock (Mk 12,41-44 / Lk 21,1-4). Auswertung: Mk konzentriert sich, wie zu erwarten, weniger auf das Geschick Jerusalems als auf das Geschick Jesu. Siehe das markinische Schweigen zur Weissagung der Zerstörung Jerusalems (Mt 21,16 / Lk 19,39-44) sowie zur Wehklage Jesu über Jerusalem (Mt 23,37-39 / Lk 13,34-35). Sogar die dreifach bezeugte Tempelreinigung ist bei Mk durch die vorangestellte Verfluchung des 1

Zur textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch II 176, Anm. a-b; 190, Anm. a; 202203, Anm. a-c; 209, Anm. a; 225, Anm. a; 229-230, Anm. a-b; 237, Anm. a-b; 250, Anm. a-b; 257, Anm. a; 261, Anm. a; France 428.435.452.469-470.476.482.488; Lane 391-392, Anm. 2-7; 399, Anm. 21-22; 403, Anm. 32-34; 408-409, Anm. 48-51; 412, Anm. 60-65; 415, Anm. 1-5; 421-422, Anm. 20-23; 426, Anm. 33-34; 431, Anm. 43-44; 439, Anm. 71; 441, Anm. 82. 2 Vgl. die Diskussion bei Evans 149. 3 Hinsichtlich der historischen Frage, die sich daraus ergibt, vgl. Blomberg, Reliability, 170175. Mitunter ist es nicht mehr möglich, genaue historische Sequenzen zu rekonstruieren. Bei Mk ist jedenfalls deutlich, dass die Verfluchung des Feigenbaums direkt die Tempelreinigung antizipiert; es scheint, dass dies die historische Sequenz widerspiegelt, während Mt aufgrund seiner Betonung Jerusalems und des Tempels die Verfluchung des Feigenbaums eher nebenbei erwähnt. 4 Vgl. Evans 185. 5 Vgl. Evans 262, zur komplexen Diskussion der Seitenreferenten. Handelt es sich bei Lk um eine andere Begebenheit?

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Feigenbaums stringent auf Fruchttragen (bzw. das Fehlen desselben) Israels angesichts des Kommens des Herrn bezogen (Mk 11,12-25 und Mk 11,1-11; vgl. dagegen Mt 21,10-22 und Lk 19,45-48). Literarischer Kontext. Mit 11,1 beginnt Mk die Beschreibung des zeichenhaften und kontroversen Vorgehens Jesu in Jerusalem (siehe vor allem die provokativen Kontroversen in 11,1-18 und 11,27–12,44), was ab 14,1 sodann zur Passionsgeschichte Jesu führt. Die Gegner sind bereits seit Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu präsent (vgl. 2,16.18.24; 3,6; 7,1-5; 8,11.15; 10,2). Nun allerdings spitzt sich dieser unüberbrückbare Gegensatz unheilvoll zu.6 Evans hebt die souveräne Autorität Jesu in der kritischen Auseinandersetzung mit zentralen Fragen des zeitgenössischen Judentums hervor (das Thema des zweiten Hauptteils ist die „Infragestellung der Vollmacht Jesu“):7 a. Kritik am Umgang der jüdischen Verantwortlichen mit dem Tempel, 11,15-18 (was wiederum die Gegner in ihrer Tötungsabsicht bekräftigt, Mk 12,12);8 b. Steuerabgabe an die römische Besatzungsmacht, 12,13-17 (eng verknüpft mit der Absicht, Jesus durch Fangfragen trotz seiner Popularität, Mk 12,12, öffentlich zu beschuldigen);9 c. kontroverse Lehren, 12,18-37. Der Haupttenor in 11,1–12,44 (siehe jedoch 11,22-25 [Stichwortverknüpfung „Gebet“ mit 11,12-21] und 12,41-44) ist somit die Auseinandersetzung zwischen Jesus und seinen Gegnern, während der Abschnitt davor (8,27– 10,45) sowie der folgende Abschnitt (13,1-37) wiederum hauptsächlich der Unterweisung der Jünger gewidmet ist.10 Die souveräne Autorität Jesu wird auch im folgenden Abschnitt, 13,1-36, durch die Prophetie der Zerstörung Jerusalems und des Tempels sowie der Endzeitereignisse fortgeführt.11

6 7 8 9 10 11

Vgl. Evans 244. Evans 126. Evans 168-169. Evans 244. Evans 186. Evans 126.

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Form und Aufbau.12 Der größere Abschnitt 11,1–12,3713 lässt sich thematisch in zwei Teile aufgliedern:14 a. 11,1-26, dreitägiges, zeichenhaftes und kontroverses Handeln Jesu, mit Unterweisung der Jünger, z.T. durch kontroverses Handeln („Gleichnishandlungen“): Es handelt sich zunächst um den „davidischen“ Einzug in Jerusalem (11,111) als „erzählte Akklamation“.15 Dabei beschreiben Mk 11,1-6 die Vorbereitung, Mk 11,7-11 den feierlichen Einzug (vgl. Sach 9,9).16 Catchpole analysiert die Struktur von zwölf Erzählungen „feierlicher Einzüge“.17 Er identifiziert fünf Elemente, die auch in Mk 11,1-11 vorliegen: a) der erhabene Status der Hauptfigur steht bereits fest; b) zeremonieller Einzug; c) Akklamation der Hauptperson unter Anrufung Gottes; d) Einzug in die Stadt und ggf. in den Tempel; e) entweder Opfer am - oder Reinigung des - geweihten Ort(es).

In 11,12-14.20-21 beschreibt Mk die Verfluchung des Feigenbaums. Formal handelt es sich um eine Wundererzählung bzw. Zeichenhandlung18 (Natur- und Fluchwunder als „Gleichnishandlung“, wie in Jes 20,1-6; Jer 13,1-11; Hes 4,115; Hos 1‒219: Situation/Wunder/Bestätigung);20 sie dient gleichzeitig durch interpretierende21 inclusio der Tempelreinigung als ethisch motivierte, biografische Notiz.22 Mk 11,15-18 enthält die Tempelreinigung als kontroverse „Zeichenhandlung“,23 V. 15b-16; Jesu Unterweisung, V. 17, Reaktion der Gegner, V. 18.24 In 11,19.22-26 wird das Vorhergehende durch die Unterweisung in Glaube, Gebet und Vergebung als episodisches Lehrstück interpretiert (11,2224, Beziehung zu Gott; 11,25, Beziehung zu Mitmenschen; vgl. 13,33 und 14,38).25

12 Lit.: Taylor, Formation, 75-76. 13 Vgl. Lane 390, weitet den Abschnitt allerdings bis 12,44 aus. 14 Ebd. 15 Berger, Formen, 291. 16 Pesch II 177 spricht von einer „berichtende(n) Erzählung“. 17 Catchpole, Entry, 319-321. 18 Berger, Formen, 378. 19 Vgl. Evans 151. 20 Evans 150. 21 Vgl. Evans 152. 22 Vgl. Evans 165, der auf Taylor, Formation, 75-76 verweist. 23 Berger, Formen, 378. 24 Evans 164. Zu Mk 11,12-21 vgl. ferner Pesch II 191. 25 Evans 185 und 186.

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b. Mk 11,27–12,37 enthält sechs episodische Kontroversen (Situation/Frage/ Reaktion)26 mit Jesu Gegnern (vgl. 2,1–3,6). Die Kontroversen lassen sich folgendermaßen gliedern: Mk 11,27-33 enthält die Frage27 nach Jesu Vollmacht (als Reaktion auf Jesu Templereinigung/Tempeldemonstration);28 das Gleichnis von den bösen Winzern, Mk 12,1-12 (als indirekte Antwort auf die Frage der Vollmacht Jesu, vgl. 11,27; 12,1-12) ist dreiteilig: a. Nachsicht des Besitzers des Weinbergs; b. Gericht über die Pächter; c. der Besitzer setzt andere Pächter ein;29 Mk 12,13-17 handelt von der Steuerabgabe an die römische Besatzungsmacht (Streitgespräch);30 Mk 12,18-27 vermittelt die Tatsache der Auferstehung, im Gegensatz zur Lehre der Sadduzäer (Streitgespräch);31 Mk 12,28-34 vermittelt einen zweiteiligen Lehrmeinungsdialog:32 a. 12,28-31, Gespräch; b. 12,32-34, Antwort und Bewertung (siehe die Verknüpfung mit 12,18-27 durch 12,28 und die Themenverknüpfung „Gesetzestreue“ mit 12,18-27);33 Mk 12,35-37 ist ein Herrenwort,34 mit zwei rhetorischen Fragen zum Thema „der Messias als Herr Davids“. Der Abschnitt 11,1–12,44 endet mit einer weiteren, zweiteiligen Unterweisung der Jünger, 12,38-44: Zunächst vermittelt Mk die vor der Heuchelei der Schriftgelehrten warnenden Herrenworte, 12,38-40;35 der Abschnitt ist dreiteilig: Warnung / Charakterisierung der Schriftgelehrten / Gerichtsaussage. Man beachte die Stichwortverknüpfung „Witwen“ mit 12,41-44. Siehe den ironischen und scharfen Kontrast zwischen 12,38-40 und 12,41-44.36 Sodann folgen die episodischen Herrenworte in 12,41-44,37 mit Hervorhebung des Gottvertrauens der Witwe (vgl. das Amen-Wort in V. 43) und implizierte

26 27 28 29 30 31 32 33 34

Evans 198 verweist auf Cranfield 362, vor allem bezüglich Mk 11,27-33. Vgl. die Gegenfrage Jesu in Lk 12,13-17; Evans 197. Evans 197. Evans 138. Pesch II 225 spricht von „Schulgespräch“. Pesch II 230 spricht von „Schulgespräch“. Evans 261. Pesch II 237 spricht (wie Bultmann, Geschichte, 57) von einem „Schulgespräch“. Evans 261. Pesch II 250, spricht von „Spruchgeschichte“. Pesch II 251, stellt die Doppelfrage Jesu in die Nähe einer im Rabbinat benutzten „haggadischen Antinomiefrage“. Allerdings räumt Pesch selbst ein, dass Jesus, im Gegensatz zur rabbinischen Argumentation, nicht von einem innerbiblischen Widerspruch ausgeht, der im Rabbinat dadurch gelöst wird, dass jeweils ein unterschiedlicher Bezug ins Auge gefasst wird, sondern dass Jesus unterschiedliche messianische Erwartungen anspricht, die einer gesamtbiblischen Erklärung bedürfen. 35 Vgl. Pesch II 257, „Spruchkomposition“. 36 Vgl. Evans 277.281. 37 Pesch II 261, spricht von einer „Spruchgeschichte“ als „berichtende(r) Erzählung“.

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Verurteilung der Ausbeutung durch die Schriftgelehrten; dies mündet in den eschatologischen Ausblick, Mk 13.

12.1 Einzug in Jerusalem 11,1-11 Jesu feierlicher Einzug in Jerusalem (11,1-11) scheint für eine kurze Zeit der weit verbreiteten, davidisch-königlichen Messiaserwartung zu entsprechen (11,10). Obwohl Jesus die politisch-messianische Erwartung seiner Zeitgenossen niemals teilt, duldet er vorübergehend eine begeisterte und möglicherweise gefährliche Huldigung, die als Einlenken auf die weit verbreitete Messiaserwartung missverstanden werden kann. Andererseits ist der Hörer des Evangeliums inzwischen mit dem ganz anderen Zweck und Ziel Jesu gut vertraut (8,31; 10,45; vgl. Joh 6,15).38 Als einzigartiger Repräsentant Jahwes (Mal 3,12) kommt Jesus nach Jerusalem, um den Tempel als Zentrum der Gegenwart Gottes unter seinem Volk zu „besuchen“. Jesus kommt demütig zum Tempel, um eifrig „nachzusehen“, wie es dort um aufrichtige Gottesanbetung steht. Die darauffolgende Verfluchung des Feigenbaums (11,12-14.20-21) ist in Verbindung mit der Tempelreinigung (11,15-18) als symbolischer, prophetischer Gerichtsakt zu verstehen. Er steht in scharfem Gegensatz zum aufrichtig anbetenden Glauben, der die gute Frucht des Gebets und der Vergebung trägt (11,22-25). Jenseits dieser Handlungen blickt Jesus stets auf sein Los, als stellvertretendes Sühneopfer zu sterben. I 1 Und als sie in der Umgebung von Jerusalem nach Bethphage und Bethanien in Richtung Ölberg gelangten, schickt er zwei der Jünger voraus 2 und sagt zu ihnen: „Geht in das vor euch liegende Dorf, und sobald ihr hineinkommt, werdet ihr einen jungen, angebundenen Esel vorfinden, auf dem noch kein Mensch geritten ist. Bindet ihn los und bringt ihn. 3 Und wenn jemand zu euch sagt: ‚Warum tut ihr dies?‘ so sagt: ‚Der Herr benötigt ihn und er wird ihn bald wieder zurückschicken‘“. 4 Und sie gingen weg und fanden den jungen Esel bei der Tür draußen auf der Straße festgebunden und sie banden ihn los. 5 Und einige, die da standen, sagten zu ihnen: „Was tut ihr (da), dass ihr den jungen Esel losbindet?“ 6 Sie aber erwiderten, was Jesus ihnen gesagt hatte, und sie gestatteten es. 7 Und sie führten den jungen Esel zu Jesus und warfen ihre Umhänge auf das Tier 38 Siehe oben, Einleitung 4.1.2.

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und er setzte sich darauf. 8 Und viele breiteten ihre Umhänge auf dem Weg aus, andere aber (legten) Laubzweige (aus), die sie auf den Feldern geschnitten hatten. 9 Die aber, die (ihm) voraus und hinterher gingen, riefen immer wieder: „Hosanna; gesegnet sei, der im Namen des Herrn kommt! 10 Gott segne das (nun) kommende Reich unseres Vaters David; Hosanna, gepriesen seist du in der Höhe!“ 11 Und er zog in Jerusalem bis zum Tempel ein, besah sich alles und ging, da es bereits spät geworden war, sodann mit den Zwölf nach Bethanien.39 II Es handelt sich um die „davidische“ Einzugserzählung in Jerusalem als „erzählte Akklamation“:40 Mk 11,1-6, Vorbereitung; Mk 11,7-11, feierlicher Einzug (vgl. Sach 9,9).41 Wie oben bereits erwähnt, identifiziert Catchpole fünf Elemente antiker Einzugserzählungen, die auch in Mk 11,1-11 vorliegen: a) Der erhabene Status der Hauptfigur steht bereits fest; b) zeremonieller Einzug; c) Akklamation der Hauptperson unter Anrufung Gottes; d) Einzug in die Stadt und ggf. in den Tempel; e) entweder Opfer am – oder Reinigung des – geweihten Ort(es).42

Historizität und motivgeschichtlicher Hintergrund. Mk unterlässt den direkten Verweis auf Sach 9,9 in Mk 11,1-11 (im Gegensatz zu Mt 21,4-5 und Joh 12,14-15). Die Historizität des Ereignisses kann somit nicht durch den in der klassischen Formkritik oft beschworenen „Schriftbeweis“ entkräftet werden.43 Daraus ergibt sich ferner, dass dort, wo Schriftzitate gegeben werden, nicht automatisch die Authentizität des Berichtes bezweifelt werden kann. Ist es möglich, von einem nicht messianischen, historischen Ereignis auszugehen, welches erst später „messianisch“ präsentiert wurde? Das ist deshalb unwahrscheinlich, weil der Einzug allein aufgrund des bisherigen Handelns und Leh-

39 Lit.: Jeremias, Gleichnisse, 121.182; Meier, Jew I 134; II 986; Sanders, Jesus, 66-67.364; Sevrin, Groupement, 438-439; Wright, Jesus, 421-422; Catchpole, Entry, 319-335; ­Schröten, Spiel, 228-237; vgl. ferner Snodgrass, Parable, ad loc.; Telford, Temple, ad loc.; Hooker, Si­ gns, ad loc. und Berger, Jesus, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 189 (bis 1980); Evans 135-137 (bis 1999). 40 Berger, Formen, 291. 41 Pesch II 177, spricht von einer „berichtende(n) Erzählung“. 42 Catchpole, Entry, 319-321. 43 Vgl. Evans 140, mit Verweis auf Taylor 451; Schweizer 140; Cranfield 348; Gundry 632.

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rens Jesu sowie aufgrund der politisch-davidischen, messianischen Erwartung der Menge z.Z. Jesu historisch plausibel ist (Joh 6,15).44 III Der Inhalt von Mk 11,1-11 folgt wohl auch historisch unmittelbar dem vorhergehenden Abschnitt. Der Bericht lässt eine gewisse Spannung zwischen messianischer Selbstoffenbarung und Zurückhaltung Jesu vermuten.45 Allerdings scheint 11,1-11 im Rahmen des Mk Ev. die weit verbreitete messianische Auffassung des zeitgenössischen Judentums am ehesten zu teilen. Der Einzug Jesu in Jerusalem riskiert, dass falsche, politisch-messianische Hoffnungen mit dem Handeln Jesu verknüpft werden (11,10). Sach 9,9 schillert bereits im alttestamentlichen Kontext hinsichtlich diesseitig messianischer und göttlicher Motive. Eventuell wird dort Jahwe selbst als kommender König erwartet.46 Z.Z. Jesu wird Sach 9,9 wohl vor allem diesseitig, politisch-messianisch verstanden. Geht man jedoch vom alttestamentlichen Kontext aus, so „besucht“ evtl. Jahwe selbst Jerusalem und den Tempel, um „nachzusehen“, ob dort aufrichtiger Gottesdienst geschieht. Weil der Leser bereits etwas von der göttlichen Natur Jesu ahnt (vgl. 2,5-12; 9,2-7), kann er Jesu Kommen als Gottes „Visitation“ verstehen (so auch Lk 13,34-35; vgl. Mal 3,1-2). Wird er dort jedoch wahre Anbetung vorfinden? 1 Bethphage liegt am nordöstlichen Anstieg (Wadi Maaleh Adummim) von Jericho nach Jerusalem. Bethanien (Aufenthaltsort Jesu, vgl. 11,11-12.19; 14,3)47 liegt jedoch 2 km südöstlich von Bethphage an einem separaten OstWest-Weg nach Jerusalem, der von Pilgern benutzt wird.48 Ist die Aussage so zu verstehen, dass Jesus sich mit seinen Jüngern in der Nähe von Bethphage, Bethanien und Jerusalem befindet und in Richtung Ölberg zieht?49 Das Dorf, das vor Jesus liegt (vgl. V. 2), ist jedenfalls Bethphage.

44 Vgl. Evans 145, der diese Spannung zwischen Jesus und der Menge als Indiz der Authentizität erkennt. 45 Vgl. Lane 393. 46 Siehe die Bemerkungen zum Abschnitt 11,1-26 (oben) und konkret zu 11,7 (unten). 47 Pesch II 178, bemerkt, dass Grabinschriften in Bethanien darauf hinweisen, dass dort Galiläer wohnten. 48 Lane, 394. 49 Siehe Dschulnigg 294, der (mit Cranfield 348 und Pesch II 177) dafür votiert, dass Mk „die Ortschaften gewollt vom Ziel Jerusalem her rückwärts“ präsentiert. Schweizer 125 bezichtigt Mk der unzureichenden Ortskenntnis.

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Es handelt sich dabei um eine „zutreffende Beschreibung des von Jericho nach Jerusalem führenden Weges der Festpilger aus Jerusalemer Perspektive“.50

Der Einzug Jesu auf dem jungen Esel (vgl. Sach 9,9) ereignet sich somit von Bethphage aus, ca. 800 Meter von Jerusalem entfernt, hinauf zum Ölberg, ca. einen Kilometer vom Tempel entfernt. Der Ölberg ist Ort des Gebets (Hes 11,23; 2Sam 15,32)51 und zukünftiger Erwartung (vgl. Sach 14,4 und Josephus, Ant 20,169-170; Josephus, Bell 2,261-262).52 Siehe die messianische Interpretation im bBer 56b: „Wer einen Esel im Traum sieht, hoffe auf das messianische Reich, denn es heißt (Sach 9,9): Siehe dein König“. Vgl. ferner GenR 75 zu Gen 32,6, wo Gen 49,11 mit Sach 9,9 verbunden wird. Die messianische Deutung von Gen 49,10-11 liegt auch in 4QPatr 1-4 vor.53

Der Weg führt sodann (an Gethsemane vorbei) durch das Kidrontal sowie das Osttor hinauf nach Jerusalem. 2-6 Die Art und Weise, wie der junge Esel (πῶλος [pōlos])54 auf Veranlassung Jesu herbeigeholt wird, mutet zunächst eigenartig an (vgl. ähnlich, 14,1316). Siehe Gen 49,11 als atl. Hintergrund (vgl. den messianischen „Schiloh“-Verweis in Gen 49,10; siehe 4QPatr, 1.1-6).55 Die spätere rabbinische Tradition verbindet Gen 49,10-11 und Sach 9,9 miteinander: BerRab 98,8 zu Gen 49,11.56

Allerdings enthält die Beschreibung wiederum Realitätsdetails, die sich einer Legendeninterpretation widersetzen: 1) Das junge Tier soll lediglich ausgeliehen werden (vgl. V. 3); die Realität des Besitzverhältnisses bleibt bewahrt. 2) Der Ort, wo das Tier gefunden wird, wird genau beschrieben (sie fanden den jungen Esel bei der Türe draußen auf der Straße festgebunden, V. 4). 3) Sobald die Jünger das Tier losbinden, melden sich die Verantwortlichen und bitten um Rechenschaft („Was tut ihr (da), dass ihr den jungen Esel losbindet?“ V. 5). 50 51 52 53 54

Pesch II 177. Dschulnigg 294. Siehe Pesch II 178. Vgl. Pesch II 179. Vgl. Lane 393, Anm. 2, zur Diskussion, ob πῶλος [pōlos] hier „Fohlen“, oder überzeugender, „junger Esel“ bedeutet. 55 Lane 395. 56 So Lane 396, Anm. 16.

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Diese Details weisen darauf hin, dass die Begebenheit, bei allem Vorauswissen Jesu (V. 2-3), als historisches (siehe unten, zu V. 3) und durch die Details betontes57 Ereignis vermittelt wird. Eigenartig ist trotzdem, dass die Jünger nicht erst fragen, und dass die für das Tier Verantwortlichen die Jünger gewähren lassen (siehe unten zu V. 3).58 Jesus weiß nicht nur, dass sich das Tier dort befindet, dass es noch nie beritten wurde (auf dem noch kein Mensch geritten ist), sondern auch, dass die Verantwortlichen von den Jüngern Rechenschaft fordern werden. Das Reiten auf einem Esel ist für Pilger ungewöhnlich, da die letzte Strecke einer Pilgerreise zu Fuß zurückgelegt wird.59 Ohne dass Mk darauf verweist, verfolgt Jesus somit bewusst, was in Sach 9,9 (vgl. Gen 49,11)60 prophezeit wird: Der bejubelte Einzug des Königs auf einem Esel (vgl. Ps 118,25-26). Nach Num 19,2; Deut 21,3; 1Sam 6,7; 2Sam 6,3 sowie Lk 23,53 ist es notwendig, für geheiligte Zwecke einen (noch) nicht berittenen Esel zu benutzen.61 Jesus macht dadurch deutlich, dass die folgende Handlung in besonderer Weise Gott geweiht ist (das Echo zu Sach 9,9 wird dadurch noch deutlicher). 3 „Der Herr benötigt es“: Was bedeutet diese Aussage für die Verantwortlichen des Tieres? Lane geht davon aus, dass der Besitzer momentan bei Jesus verweilt (d.h., „der Besitzer = Herr, der sich ggw. bei Jesus aufhält, benötigt es“).62 Wenn dies zutreffen sollte, warum dann die Zusage, dass das Tier baldmöglichst zurückgebracht werden wird; kann der Besitzer nicht über sein Tier frei verfügen? Pesch geht im Gegensatz hierzu davon aus, dass es sich hierbei um das in „der ganzen Antike bekannte Königsrecht“ der angaria (königliche Requisition von Transportmitteln; vgl. 1Sam 8,16-17; Num 16,15) handelt. Aus späterer Zeit ist ebenso das Recht eines Rabbi auf Transportmittel der Bevölkerung bekannt.63 Vom Blickpunkt des messianisch-davidisch interpretierbaren Einzugs Jesu in Jerusalem ist eine derartige Interpretation durchaus möglich.64

57 Lane 395. 58 Keener, Background, 164, macht geltend, dass die Bewohner Jerusalems zu Zeiten der Wallfahrtsfeste großzügig gegenüber den Bedürfnissen der Pilger sein müssen. 59 Lane 393. 60 Pesch II 179, betont, dass Mk 11,2 auf den masoretischen Text von Sach 9,9 und Gen 49,11 anspielt, nicht auf die jeweilige Lesart der Septuaginta. 61 Vgl. Lane 395 sowie Pesch II 179. 62 Lane 395. 63 Vgl. Pesch II 180, der betont, dass das Recht auch für die römische Besatzung in Jerusalem belegbar ist. 64 Ähnlich Dschulnigg 295.

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4 Mk bietet mehr Details als notwendig. Warum? Die betonte Wiederholung der V. 2-3 („in genauer Entsprechung“)65 in der Ausführung der Aufforderungen Jesu unterstreicht das außergewöhnliche und bedeutsame Vorhaben Jesu (vgl. 14,12-16).66 5 Während die Jünger das Tier loszubinden beginnen (durativ, V. 4), erheben Anwesende erwartungsgemäß Einspruch. 6 Und sie gestatteten es. Warum lassen die Verantwortlichen dies zu? Ist der Ruf Jesu nun derart gewachsen, dass sein „Herr sein“ (V. 3) zumindest als von Gott gesegneter Prophet interpretiert werden kann (vgl. V. 8-9)? Möglicherweise erkennen die Anwesenden zumindest, dass es sich um einen königlichen Anspruch (angaria) auf ein Transportmittel handelt.67 7 Die Jünger scheinen keineswegs über die Absicht Jesu erstaunt zu sein, auf dem jungen Tier in Jerusalem einziehen zu wollen. Warum? Es muss sich bei Sach 9,9 um eine bereits verbreitete Auffassung und Erwartung handeln, dass der Messias Gottes derart reitend in Jerusalem einziehen wird. Während sich Jesus stets der weit verbreiteten Messiaserwartung widersetzt (8,31; 10,45; vgl. Joh 6,15), duldet er dennoch das gegenwärtige Ereignis, um die Verheißung des königlichen Einzugs des Gesandten Gottes (Sach 9,910) in Erfüllung gehen zu lassen. Sach 9,9-10 deutet evtl. an, dass Jahwe selbst als König einzieht: „Du, Tochter Zion, freue dich sehr“ … „Siehe dein König kommt zu dir“ (MT melek; LXX, basileus, ein Verweis auf Jahwe?),68 „ein Gerechter“ (LXX, dikaios) „und ein Helfer/Retter“ (LXX, sōzōn), „arm/demütig“ (MT ’aniy = „arm“/„bedrängt“/ „gedemütigt“ LXX, praÿs)69 „und reitet auf einem … Füllen der Eselin“ … „er wird Frieden gebieten den Völkern“ (MT, schalom lagoyim, d.h. den Heiden), „und seine Herrschaft“ (MT, moschel)70 „wird sein … vom Strom bis an die Enden der Erde“ (nach Luther 1984).71

Ähnlich wie der Verweis auf die Heiden in Sach 9,10 herrschte bereits David über Heiden (2Sam 22,44-51, vor allem V. 44-46 und 48-50).

65 66 67 68 69 70 71

Pesch II 181. Lane 395-396. Vgl. Pesch II 181, zur genauen Ortsbeschreibung des Fundortes. So Pesch II 181. Vgl. Rose, „Zechariah“, 219-232. Vgl. Mt 11,29. Im vorliegenden Text liegt die Vorstellung der Herrschaft über ein Gebiet im Vordergrund. Vergleiche mit Gen 49,11 sowie Mt 21,5; siehe ferner Joh 12,14-15.

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Mk verwendet hier eine Form von καθίζω (er setzte sich darauf) anstatt von ἐπιβαίνω, vielleicht um königliche Würde auszudrücken (vgl. Ps 75,6; Jer 26,4; Hos 14,4 u.ö.).72

Aufgrund der politisch fixierten Messiaserwartung der Jünger Jesu und der Menge ist der Hosanna-Ruf in diesem Kontext zu verstehen. Die Menge scheint sich sodann in Jerusalem schnell zu zerstreuen.73 8 Mk berichtet von einer großen Menschenmenge von Festpilgern, die Jesus beim Einzug begleitet. Sind sie bereits die 20 km mit Jesus und seinen Jüngern in Richtung Jerusalem gereist? Das freudige und gegenseitige Grüßen mit grünen Zweigen (Laubzweige, die sie auf den Feldern geschnitten hatten) bzw. Büscheln von Ölbäumen74 (ebenso ein Zeichen der Verehrung eines Herrschers)75 ist Ausdruck des Gotteslobs bei Pilgerfesten (vgl. 2Makk 10,7 mit politischen Untertönen). Eintreffende Pilger grüßen und werden von den bereits Anwesenden im Namen des Herrn begrüßt.76 Die Menge legt in Anklang an Jehu (vgl. 2Kön 9,12-13 zur Einsetzung des Königs) ehrerbietig Kleidungsstücke aus (viele breiteten ihre Umhänge auf dem Weg aus).77 Mehr als an irgendeiner anderen Stelle im Mk Ev. scheint Jesus hier die Huldigung als politischer Messias zu tolerieren (siehe Bemerkungen zu V. 9-10). Aus 1Makk 13,50b-53 ist bekannt, wie der Hasmonäer und Freiheitskämpfer Simon Makkabäus siegreich in Jerusalem einzieht. Etwa tausend Jahre vor Jesus flieht David über den Ölberg aus der Stadt (2Sam 15,30), als sein Sohn Absalom gewaltsam versucht, die Macht zu ergreifen. David weint auf der Flucht und reitet eventuell ebenso auf einem Esel (2Sam 16,2). Nun zieht Jesus über den Ölberg in Jerusalem ein. Nach Lk 19,41 weint er über die Hartherzigkeit der Stadt und reitet erneut auf einem Esel (V. 7-11). Als Salomo zum König Israels gesalbt wird (1Kön 1,38-40), reitet dieser auf einem Maultier.78 Wahrscheinlich vermittelt Jesus mit seinem Einzug in Jerusalem auf einem Esel die Haltung der Demut.79

72 So Pesch II 182. 73 Lane 393. 74 Vgl. Pesch II 182. Es sind nicht unbedingt Palmenzweige; vgl. jedoch Joh 12,13. Keener, Background, 165, bemerkt, dass die großen Palmenzweige erst für das später im Jahr liegende Laubhüttenfest verwendet werden. 75 Vgl. Pesch II 182 und Anm. 21. Siehe ferner Keener, Background, 165, der auf 1Makk 13,51; 2Makk 10,7 verweist. 76 Keener, Background, 165. 77 Lane 396. Weitere Belege bei Pesch II 182. 78 Ein Maultier ist eine Kreuzung zwischen einer Pferdestute und einem Eselhengst. 79 Siehe Brown, NIDNTT I, 117.

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9-10 Der Freudenzug nach Jerusalem scheint Jesus insgesamt spontan als Messias auf dem Thron Davids80 zu feiern (als Akklamation;81 siehe V. 10), mit den Worten: „Hosanna; gesegnet sei, der im Namen des Herrn kommt! Gott segne das (nun) kommende Reich unseres Vaters David; Hosanna, gepriesen seist du in der Höhe!“82 Ps 118 gehört wohl schon z.Z. Jesu zu den Hallel-Psalmen (113–118), die u.a. zu Wallfahrten gesungen werden. Zur möglichen messianischen Interpretation von Ps 118,22, vgl. MidrPs 118,22.83

Die messianisch eher neutrale Aussage aus Ps 118,25-26 gilt allerdings nicht so sehr als Lobpreis,84 sondern vielmehr als Segensbitte für das erwartete politisch-messianischen Reich (hosanna, aram.: hoschiʻah naʼ = „errette doch“);85 es ist eine Bitte, die aufgrund dieses Hallel-Psalms besonders zur Zeit des Passahfestes (und nicht nur z.Z. des Laubhüttenfestes)86 auf den Lippen der Pilger liegt.87 Die Menge ist auf das diesseitige, von Gott gesegnete, davidische Reich fixiert (vgl. u.a. 2Sam 7,14; Jes 9; 11; Jer 2388; s.o., Einleitung 4.1.2).89 Die bevorstehende Feier des Passahfestes erinnert besonders an die Befreiung des Volkes aus der Knechtschaft in Ägypten; dies erhöht die Hoffnungen auf Befreiung von römischer Unterdrückung und Verunreinigung.90 Hier scheint alles plötzlich sehr „natürlich“ und „harmonisch“ zu verlaufen. Es besteht anscheinend keinerlei Spannung mehr zwischen der umfassenden Absicht Jesu (vgl. 2,8-10; 8,31; 10,45) und der politisch-messianischen Erwartung der Menge (vgl. 8,27-28) sowie der der Jünger. Zum ersten und einzigen Mal ist dies bei Mk der Fall (siehe Bemerkungen zu V. 7 und 8). Jesus ist sich dennoch sicher, dass nichts mehr dem ihm vorgezeichneten Opfertod im Weg stehen kann (10,45; 14,24). Sein königlicher Einzug in Jerusalem ist daher ganz anders geartet als der eines Guerillakämpfers, der mit seiner Gefolgschaft um80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90

Siehe viele Details zu dieser Aussage bei Pesch II 185. So Pesch II 183. „Höhe“ im Sinn von „himmlische Welt“: vgl. Art. ὕψιστος [hypsistos] EWNT III, 979-980. Vgl. Pesch II 184 und Billerbeck, Kommentar, I 849f. So deutet letztendlich Dschulnigg 295. Vgl. Lane 392, Anm. 7. TargPs 118,25-26 legt nahe, dass die Bitte um den Segen Gottes mit dem Zuruf des Gesandten Gottes (David) verbunden wird; vgl. Dschulnigg 296. Weitere Details hierzu bei Pesch II 183. Siehe die Diskussion bei Rowe, Kingdom, 262-277. Keener, Background, 165. So Keener, Background, 165. Vgl. Lane 398, der auf das Achtzehngebet verweist. In der 14. Bitte wird täglich neu für die Wiederherstellung des davidischen Reiches gebetet. Vgl. Keener, Background, 165.

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gehend einen militärischen Aufstand gegen Rom anzufachen gedenkt. Jesus lässt die Menge u.a. deshalb gewähren, weil die Absicht Gottes (der Opfertod des Messias) nun nicht mehr gefährdet wird. Schließlich ist noch zu bemerken, dass der Einzug in Jerusalem nach Sach 9,9 viel unscheinbarer ausfällt, als dies bei einer politisch motivierten „Machtübernahme“ bzw. Revolte gegen Rom zu erwarten wäre. Das Volk beendet das Bittgebet mit einem Lobpreis Gottes. 11 Jesus, der durch seine Jünger und die Menge als erhoffter Befreier und Wiederhersteller des davidischen Königreiches gefeiert wird, zieht in Jerusalem ein91 und kommt zum Tempel (vgl. 11,15.27; 14,1). Im Gegensatz zu seiner üblichen Lehre duldet Jesus all dies, da jetzt nichts mehr seinen stellvertretenden Tod als Einsetzung des ewigen messianischen Reiches in Jerusalem vereiteln kann. Deshalb gewährt Jesus seinen Jüngern und der Menge, ihn, immer noch aus enger und einseitiger Perspektive, als davidischen Messiasanwärter zu feiern (vgl. Ps 118,26 und 1Kön 1,32-40). Evans macht auf die Tatsache aufmerksam, dass im TargPs 118,22-29 David als Herrscher und König gesehen wird.92

Die Jünger werden sich jedoch einst erinnern, dass Jesus ihnen Dimensionen des Messias Gottes eröffnete (viel erhabener, viel gedemütigter), die diese enge Erwartung weit übertrifft und in der Errichtung des messianischen Reiches an der Wurzel allen Übels ansetzt. Jesus betrachtet abends93 den Tempel nicht als Pilger, sondern um festzustellen, ob dort wahrer Gottesdienst (Mal 3,1) geschieht.94 Dies bereitet die folgenschweren Tage bereits vor. Bethanien ist der Aufenthaltsort Jesu und seiner zwölf Jünger (vgl. 11,19; 14,3).

12.2 Verfluchung des Feigenbaums 11,12-14 I 12 Am anderen Morgen verließen sie Bethanien (in Richtung Jerusalem), und er verspürte Hunger. 13 Und da sah er von Weitem einen Feigenbaum mit Blättern und ging (hin), um zu sehen, ob er vielleicht an ihm (Frucht) 91 Zur Analyse der letzten Tage Jesu in Jerusalem siehe jetzt Schnabel, Jerusalem, passim. 92 Evans 140. 93 Pesch II 186 verweist auf die Tatsache, dass bei Anbruch der Dämmerung die Tempeltore geschlossen werden. 94 Lane 398.

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finden würde; als er aber hinkam, fand er nichts als Blätter; denn es war außerhalb der Feigensaison. 14 Daraufhin sagte er aber zum Feigenbaum: „Möge niemand von dir jemals mehr Frucht essen“. Und seine Jünger hörten es.95 II In 11,12-14.20-21 handelt es sich, wie bereits erwähnt, um die Verfluchung des Feigenbaums als Wundererzählung bzw. Zeichenhandlung96 (Natur- und Fluchwunder als „Gleichnishandlung“, wie in Jes 20,1-6; Jer 13,1-11; Hes 4,115; Hos 1–297: Situation/Wunder/Bestätigung);98 sie dient gleichzeitig durch interpretierende99 inclusio der Tempelreinigung als ethisch motivierte, biografische Notiz.100 Historizität. Evans bemerkt zur Historizität von Mk 11,12-14.20-21, dass eine weit verbreitete Tradition zum Thema „Feigenbaum“ sowohl im AT als auch im rabbinischen Judentum belegt ist.101 N.T. Wright hebt vor allem die Beziehung zu Jer 8,11-13 hervor: Jesus übt in Mk 11,15-17 ohnehin mit Jer 7,11 Kritik am Tempelkult.102 III Die thematische Abfolge von 11,12-21 (Feigenbaum – Tempelreinigung – Feigenbaum) weist bereits darauf hin, dass die Abschnitte über den Feigenbaum zur Tempelreinigung gehören und sich beide Themen gegenseitig interpretieren.103 95 Lit.: Bird, Clauses, 171-187; Buchanan, Fig Trees, 249-269; Schmücker, Funktion, 1-26; vgl. ferner Koch, Bedeutung, ad loc.; Telford, Temple, ad loc.; Theißen, Wundergeschichten, ad loc.; Betz, Wesen, ad loc.; Brown, Miracles, ad loc.; Wenham, Miracles, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 201-202 (bis 1980); Evans 147-148 (bis 1999). 96 Berger, Formen, 378. 97 Vgl. Evans 151. 98 Evans 150. 99 Vgl. Evans 151-152. Evans spricht hierbei von einem „sandwich pattern“. 100 Vgl. Evans 165, der auf Taylor, Formation, 75-76 verweist. 101 Evans 152 verweist auf Telford, Temple, 237, gegen Meier, Jew, II 986, Anm. 63. Meiers Argument, dass dies das einzige berichtete Strafwunder Jesu in den Evangelien ist, spricht aufgrund der oben angeführten Argumente (feste Verankerung im Kontext der Tempelkritik Jesu) nicht gegen Historizität. Dasselbe Argument könnte gegen die Tempelreinigung Jesu angeführt werden, obwohl auch diese Handlung Jesu durchaus historisch und theologisch glaubwürdig ist. 102 Wright, Jesus, 421-422. Ähnlich Evans 152, der dennoch weithin der Argumentation von Meier, Jew, II 986, Anm. 63, folgt. 103 Lane 400.

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12-14 Jesus hält sich für die kommenden Tage nachts in Bethanien bei den Freunden Lazarus, Maria und Martha auf. Von dort aus geht er in den folgenden drei Tagen jeweils 2,5 km hinauf nach Jerusalem. „Nur von Jesus allein wird gesagt, dass ihn hungert.“104 Warum aber verflucht Jesus105 einen Feigenbaum, von dem er, anscheinend ohne berechtigten Grund, vorzeitig Frucht erwartet? Keener geht davon aus, dass die gereiften Frühjahrsfrüchte des Feigenbaums (Frühfeigen) ca. sechs Wochen nach Passah zu erwarten sind; zur Passahzeit können jedoch bereits unreife Früchte gesehen werden.106 Hat der Feigenbaum zur Passahzeit jedoch noch keine unreife Frucht, dann gibt es in diesem Jahr weder Frühjahrs- noch Herbstfrucht (Spätfeigen).

Jesu Vorgehen kann lediglich in Verbindung mit dem Tempeldienst verstanden werden: Jesus, der Sohn Gottes, kommt zu genehmer oder, wie hier, ungenehmer Zeit: Findet er im Tempel als Zentrum des Gottesdienstes Israels Glaube (Frucht des Feigenbaums als Metapher) vor, der in rechten Gottesdienst mündet (vgl. V. 15-18; vgl. vor allem Mal 3,1)? Der Feigenbaum dient im AT als Metapher für Israel und seiner Stellung vor Gott (vgl. Deut 8,8; 1Kön 4,25; Jer 8,13.24; 24,1-10; Hos 9,10.16; Joel 1,7; Mi 4,4; 7,1-2; siehe ferner Lk 13,6-9.13).107 Wenn der Feigenbaum hier zerstört wird, weist dies auf „Gericht Gottes über Israel“.108 13 Jesus weiß, dass es (noch) nicht die Zeit des Fruchttragens ist (es ist ja erst Anfang April).109 Im Gesamtkontext wird jedoch deutlich, dass Jesus deshalb Frucht am Feigenbaum sucht (vgl. Mi 7,1; Jer 8,13), weil er dies mit dem übertragenen Suchen von Frucht (= wahres Gebet und Gerechtigkeit) am Tempel verbindet (denn es war außerhalb der Feigensaison).110 Die Fruchtsuche am Feigenbaum dient vor allem als Lehrgegenstand für die Fruchtsuche im Tempel. 104 Dschulnigg 301. 105 Zum Hunger Jesu, vgl. Pesch II 192, der darzulegen versucht, dass es sich hierbei nicht um einen übertragen zu verstehenden „Hunger nach der Gerechtigkeit Israels“ handelt. 106 Keener, Background, 165. Dschulnigg 301 geht jedoch davon aus, dass Jesus zu dieser Jahreszeit bereits gereifte und begehrte (Jes 28,4) Frühfeigen erwarten kann. 107 Vgl. Lane 400. 108 Vgl. Lane a.a.O., der bezüglich „Gericht“ vor allem auf Hos 2,12; Jes 34,4 und Lk 13,6-9 verweist. Vgl. Blomberg, Reliability, 95-96. 109 Es sei denn, dass Jesu Einzug in Jerusalem mit dem im Spätsommer liegenden Laubhüttenfest verbunden ist und Jesus sodann bis zum nächsten Passah in Jerusalem verweilt. Die Aussage in 11,13 spricht dagegen. 110 Lane 401, Anm. 29, verweist auf Bird, Clauses, 171-187. Bird bemerkt, dass γάρ [gar] hier auf eine tiefere Bedeutung aufmerksam macht (vgl. Mk 1,16).

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Jesus findet am Feigenbaum nichts als Blätter (für März bzw. April ist dies nur insofern erstaunlich, als unreife Frucht bereits zu erwarten wäre; die Frühjahrsfrucht wird erst Ende Mai reif; s.o., zu V. 12-14; vgl. 13,28),111 d.h. übertragen auf die folgende Tempelszene, er findet im Tempel „Religiosität ohne geistliche Frucht“ vor. 14 Der bedrückende Fluch (vgl. Mt 25,41) über den Feigenbaum: „Möge niemand von dir jemals mehr Frucht essen“ ist sinnlos, es sei denn er weist eindrücklich darauf hin, dass der veräußerlichte, zeremonielle Tempeldienst seinem Ende entgegen geht (vgl. 12,9, bezüglich der „Weinberg“-Metapher).112 Derart zeichenhaftes Handeln ist im AT gut bezeugt (Jes 20,1-6; Jer 13,1-11; Jer 19; Jer 27; Hes 4,1-15; vgl. Hos 1–2).113 Zu weiteren Details über den Fluch in der antiken Welt, siehe Pesch.114

Die Bemerkung des Mk, dass die Jünger dies hören, ist wichtig. Im unmittelbaren Zusammenhang weist die Aussage zunächst auf V. 21 (Petrus „erinnert sich“ an Jesu Fluch vom Vortag). Ferner deutet die Aussage an, dass die Jünger diese Begebenheit in Zukunft verstehen werden, wenn das von Jesus prophezeite Ende des Tempeldienstes eintreten wird. Exkurs 7: Der Tempel als einigendes Zentrum des Judentums bis 70 n.Chr.115 Mit dem Aufblühen des persischen Imperiums wird der Wiederaufbau des Tempels (zweiter Tempel)116 als Zentrum des jüdischen Lebens möglich. Der Tempel dient erneut als Zentrum der Gegenwart Gottes.117 In ihm wird das mosaische Gesetz verehrt und gelehrt,118 welches auf ein gerechtes Leben weist und so dem jüdischen Volk Identität, Herz und Einheit verleiht. Der Tempel vereint durch tägliche und wöchentliche Opfer sowie durch zyklische Wallfahrtsfeste,119 die im Passahfest, dem Pfingstfest und dem Laubhüttenfest kulminieren und Gottes Heilstaten sowie den Segen über seine Schöpfung feiern.120 Die Priester opfern 111 Vgl. Pesch II 192. Vgl. die Details zum Feigenbaum bei Pesch II 192. 112 Lane 402. 113 Vgl. Lane 400. 114 Pesch II 193. 115 Lit.: Ferguson, Backgrounds, 377-378.527-530; van Bruggen, Jesus, 38-39; vgl. Bruce, History, 151; Riesner, Jesus, 130.123-151. 116 Der salomonische Tempel (oder der „erste Tempel“ ca. 950 v.Chr.) erfüllt bereits diese Funktion (vgl. das Weihgebet Salomos in 1Kön 8,22-61). Der Tempel wird 587 v.Chr. durch Nebukadnezar, den König Babylons, zerstört. 117 Zur Differenzierung zwischen Synagoge und Tempel, vgl. Riesner, Jesus, 130.123-151. 118 Van Bruggen, Jesus, 38. 119 Vgl. Ferguson, Backgrounds, 377-378.527-530; vgl. Bruce, History, 151. 120 Siehe mTamid 4,1.

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täglich morgens und nachmittags Lämmer,121 Brandopfer, Friedens- und Dankopfer; sie opfern auch für den römischen Kaiser. Sie besitzen allerdings unter dem religio licita-Gesetz die Erlaubnis, nicht dem Kaiser122 opfern zu müssen. Die täglichen Gottesdienste enthalten u.a. Chorgesang, gemeinsames Gebet, Dankopfer, Rezitieren des „Schema Jisra’el“ (Deut 6,4), das Segnen des Volkes, Lobpreis sowie das Singen eines Psalms.

Der Tempel bringt das jüdische Volk (einschließlich der Diaspora) ferner durch die Tempelsteuer zusammen sowie durch persönliche Opfer.123 All dies hat auch politische Konsequenzen, da die Anbetung im Tempel ein gottgeweihtes Leben fordert (der eine Tempel in Jerusalem, dem einen Gott geweiht).124 Diese Tatsache bleibt trotz großer innerer Differenzen und Spannungen (siehe u.a. die Qumrangemeinschaft und die z.T. korrupte Einsetzung von Hohepriestern) grundsätzlich im 2. und 1. Jh. v.Chr. und im 1. Jh. n.Chr. bis zur Zerstörung des Tempels bestehen. Die Bedeutung des Tempels wird dann besonders sichtbar, wenn er von außen verunreinigt wird (vgl. die Verunreinigung 167-164 v.Chr. durch Antiochus Epiphanes IV, die den Makkabäeraufstand zur Folge hat). Obwohl Herodes der Große unter dem Volk keineswegs angesehen ist, kann er sich doch aufgrund der beträchtlichen Erweiterung des Serubbabel-Tempels (vor allem zwischen 19 und 9 v.Chr.) ein gewisses Maß an distanziertem Wohlwollen erkaufen.125 Als 40 n.Chr. der Kaiser Gaius Caligula seine Kultstatue im Tempel aufzurichten gedenkt, entsteht ein großer Volksaufstand. Der bald darauf folgende Tod Caligulas vereitelt den Plan. Die Zerstörung des Tempels 70 n.Chr. beendet eine annähernd 1000 Jahre währende Zeit, in der das jüdische Volk einen Tempel in Jerusalem besitzt (bis auf die Exilszeit mit folgender Zeit des Wiederaufbaus).126 Ein letzter Anlass für den jüdischen Krieg (66–73 n.Chr.) ist die Tatsache, dass einfache Priester in Jerusalem die Opfer der Fürbitte für den römischen Kaiser verweigern. Rom interpretiert dies als klares Zeichen politischen Widerstandes.

121 Vgl. Apg 3,1; Lk 1,10. 122 Diese Regelung gilt von Kaiser Augustus bis Nero. 123 Die Tempelsteuern und freiwilligen Gaben werden in Schatzkammern des Tempels aufbewahrt; vgl. Ferguson, Backgrounds, 530. Siehe Apg 21,23ff. 124 Josephus, Ant 12,142-145. Drei weitere Tempel existieren zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten: in Elephantine, Ägypten (6. Jh. v.Chr.); am Berg Garizim (z.Z. Alexander des Großen) sowie in Leontopolis, Ägypten (in der Spätzeit der Seleukiden). 125 Vgl. Mk 13,1, Mt 24,2. 126 Vgl. Ferguson, Backgrounds, 527-530 sowie van Bruggen, Jesus, 38-39. Vgl. Dschulnigg, Zerstörung, 167-187.

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12.3 Reinigung des Tempels 11,15-19 I 15 Und sie kommen nach Jerusalem. Als er aber in den Tempel kam, fing er an, die Verkäufer und Kunden im Tempel zu vertreiben und die Tische der Geldwechsler und die Stühle der Taubenverkäufer umzustürzen; 16 und er untersagte es, dass jemand Verkaufsgüter durch den Tempel trage. 17 Und er begann sie zu unterweisen und sprach zu ihnen: „Steht es nicht geschrieben, dass mein Haus Gebetshaus für alle Völker genannt werden wird? Ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht“. 18 Die Hohepriester und Schriftgelehrten hörten davon und suchten nach Wegen, ihn zu töten; aber sie fürchteten sich vor ihm, denn das ganze Volk war von seiner Lehre sehr beeindruckt. 19 Und als es spät geworden war, machten sie sich wie gewohnt auf den Heimweg.127 II Mk 11,15-18 beschreibt die Tempelreinigung als kontroverse „Zeichenhandlung“:128 a. kontroverses Handeln, V. 15b-16; b. Jesu Unterweisung, V. 17; c. Reaktion der Gegner, V. 18.129 Historizität.130 Haenchen bezweifelt, dass Jesus das allein bewerkstelligen kann, was er als Hintergrund von Mk 11,15b-17 vermutet:131 Das Vertreiben von Hunderten von Tieren und unzähligen Verkäufern in der Gegenwart von Tempelpolizei und Tempelpriestern sowie römischen Soldaten und der tempeltreuen Menge. Andererseits bleibt bei Mk die Frage offen, was Jesus konkret tut. Handelt er eher „exemplarisch“,132 indem er z.B. lediglich einige Tische umwirft?133 Evans betont zu Recht, dass es sich bei der Tempelreinigung 127 Lit.: Ådna Stellung, 157-178.239-299.334-432 und passim. Zu messianischen Tempeltraditionen im AT und Frühjudentum, vgl. ebd., 25-89. Zu Jesu bejahender Stellung dem Tempel gegenüber, vgl. ebd., 434-440; zu Jesu Tempelkritik, vgl. ebd., 440-444. Siehe ferner Berger, Jesus, 119-127; Eppstein, Historicity, 42-58; Hengel, Revolutionär, 15-16; Blinzler, Prozeß, ad loc.; Telford, Temple, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 201-202 (bis 1980); Evans 161-163 (bis 1999). 128 Berger, Formen, 378. 129 Ådna, Stellung, 157-178. Evans 164. Zu Mk 11,12-21 vgl. ferner Pesch II 191. 130 Siehe die umsichtig und detailliert geführte Diskussion bei Ådna, Stellung, passim. Zur Historizität der Tempelaktion, siehe vor allem Ådna, Stellung, 300-328 sowie 157-178.212-238. 131 Vgl. Haenchen, Weg, 384-386. Evans 165-166 verweist ferner auf Grundmann 308, Lohmeyer 166 und Schmithals II 490-491. 132 So etwa Schweizer 231 und Sanders, Jesus, 69-70.75: siehe Evans 167. 133 Evans 166 verweist u.a. auf Lührmann 192-193; Nineham 301; Schweizer 231; Pesch II 189190; Cranfield 357, Sanders, Jesus, 61-76; Wright, Jesus, 334-135.418-428.

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lediglich um eine Demonstration und nicht um eine gewaltsame Einnahme des Tempelbezirks handelt.134 Ådna kommt nach eingehender Untersuchung zu folgendem Ergebnis: „Wegen des ausbleibenden Einschreitens der Tempelpolizei und der im Tempel stationierten römischen Truppe ist damit zu rechnen, daß diese Aktion Jesu äußerlich betrachtet ein recht bescheidenes Unterfangen gewesen ist“.135 Ferner ist die kritische Haltung Jesu angesichts des Tempelmissbrauchs (vgl. Qumran) historisch völlig plausibel136 und mit anderen Aussagen Jesu kompatibel.137 Evans verweist auf die weitreichende Tempelkritik in Qumran: a. Der Hohepriester als „korrupter Priester“, 1QpHab1,13; 8,9; 9,9; 11,4; b. der die Armen ausbeutet, 1QpHab8,12; 9,5; 10,1; 12,10; c. der sich bereichert, 1QpHab8,8-12; 9,4-5; d. der das Heiligtum Gottes verunreinigt, 1QpHab12,8-9.138 Siehe ferner Josephus, Ant 20,213; 20,179-81; 20,207; Josephus, Vita 195-196. Nach Josephus, Ant 18,63-64 wurde Jesus Pontius Pilatus durch „unseren ersten Mann“ ausgehändigt.139 Evans zieht daraus den Schluss, dass Jesus aufgrund seines Verhaltens im Tempelbezirk Rom ausgeliefert wird.140 Dies mag ein Teilgrund für das Vorgehen des Hohepriesters gewesen sein; Hauptgrund ist jedoch die vermeintliche Gotteslästerung Jesu.141

Schließlich ist zu betonen, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Tempelreinigung und der Absicht der Gegner Jesu besteht, ihn zu beseitigen (vgl. Mk 11,18; 14,57-58).142 III 15-17 Die Verfluchung des Feigenbaums zielt exemplarisch auf die nun folgende und viel bedeutungsträchtigere Begebenheit der „Reinigung“ des Tempels (vgl. die dreimalige Nennung des Tempels in V. 15.16;143 siehe Mal 3,1-4; Sach 10,3; 14,21),144 was wiederum einen Teil des prophetischen Hinweises 134 Evans 166. 135 Ådna, Stellung, 332. Er bezweifelt damit Rekonstruktionen, die von einer Großaktion Jesu ausgehen (vgl. Ådna, Stellung, 304-305). 136 Pace Sanders, Jesus, 66-67.364, Anm. 1. 137 Evans 168 verweist auf Mk 12,1-12.38-40.41-44; Mt 24,45-51 / Lk 12,24-27; Mt 17,24-27; Mk 11,17 (Jer 7,11). 138 Evans 168. 139 Evans 167. 140 Evans 167.169. 141 Vgl. Chilton, Rabbi, 17-18 sowie Strobel, Stunde, 92-94. 142 Ådna, Stellung, 324-328. Allerdings ist entgegen Ådna, Stellung, 326 zu betonen, dass die Gegner Jesus nicht ausschließlich wegen der Tempelreinigung zu beseitigen beabsichtigen (vgl. u.a. Einleitung 8.). 143 So Pesch II 197. 144 Vgl. Evans 166.

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auf die Zerstörung Jerusalems und des Tempels ausmacht.145 Ådna macht geltend, dass Jesu Tempelreinigung letztendlich auf das messianische Königreich mit seinem neuen „nicht mit Händen gemachten“ Tempel (vgl. Mk 14,58: Jesu Auferstehungsleib; vgl. Hebr 9,11) verweist.146 Damit liegt auch eine Beziehung zwischen Jesu Sendungsbewusstsein und der Tempelreinigung vor.147 Die Tempelreinigung hat „ihre bleibende Bedeutung als Zeichenhandlung, die auf den Sühnetod Jesu als definitiven Ersatz des Sühnopferkultes im Jerusalemer Tempel hinweist“.148 Vor allem anlässlich großer Wallfahrtsfeste werden auf dem Ölberg149 und im für Heiden zugänglichen Tempelvorhof Verkaufsstände aufgebaut.150 Z.Z. Jesu befinden sich vier Verkaufsstände für kultisch reine Opfergegenstände auf dem zum Tempelbezirk gehörenden Ölberg; unter Caiaphas werden zusätzlich noch Stände im für Heiden zugänglichen Tempelvorhof erlaubt.151

Für die diversen Sünd- und Dankesopfer werden u.a. Tauben, Lämmer, Trankopferwein, Öl und Salz benötigt (vgl. Lev 1,14; 5,7.11; 12,8; 14,22.30).152 Das meist römische Geld der Diaspora-Pilger muss für die jährliche Tempelsteuer (ein halber Schekel, Ex 30,13-16), den Erwerb der Opfer sowie Geldopfer in die notwendigen Schekel gewechselt werden.153 Die „Reinigung“ beinhaltet zunächst die symbolisch und wahrscheinlich nur auf einen geringen Teil des 450 mal 300 m messenden Bazars angewendete154 äußerliche Beseitigung von Kommerz im Tempelvorhof: Er fing an, die Verkäufer und Kunden im Tempel zu vertreiben und die Tische der Geldwechsler und die Stühle der Taubenverkäufer umzustürzen … er untersagte es, dass jemand Verkaufsgüter durch den Tempel trage. Die Reinigung nimmt das bildhafte Versetzen von Bergen vorweg, d.h. das Beseitigen all dessen, was wahren Glauben und 145 Lane 400. 146 Ådna, Stellung, 136-153.381-387. 147 Ådna, Stellung, 136-142.142-153. Ådna, Stellung, 433 bemerkt: „Die religiösen Führer und mit ihnen das ganze Volk müssen sich angesichts des eschatologischen Heilshandelns Gottes in und durch seinen Sohn und Repräsentanten Jesus von der alten Kulturordnung lösen und sich dem hereinbrechenden Reich Gottes öffnen“. 148 Ådna, Stellung, 446. 149 Vgl. Details bei Pesch II 199. 150 Lane 406. 151 Lane 403-404. Lane, ebd. verweist auf Eppstein, Historicity, 42-58. Vgl. ebenso, Pesch II 199. 152 Schriftverweise bei Pesch II 198-99. 153 Lane 405, bemerkt, dass dabei ein Wechselkurs von 1/24 Schekel berechnet werden kann. 154 Siehe oben, II Historizität; vgl. Pesch II 198 und 200 sowie Anm. 40-41; dort der Verweis auf – und das ausführliche Zitat aus – Hengel, Revolutionär, 15-16. Siehe ferner Dschulnigg 302.

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aufrichtiges Gebet hindert (s.u., zu V. 23-25). Die Reinigung zielt auf die (vom Hohepriester dennoch nicht befolgte, vgl. V. 18) vorübergehende Wiedereinsetzung des Tempels als Gebetshaus für alle Völker (V. 17). Die thematische Verknüpfung von Verkaufsgüter (V. 16) und Vertreiben der Verkäufer (V. 15) erinnert an Sach 14,21.155 16-17 Das heißt, niemand soll im Tempelvorhof mehr Geschäften nachgehen,156 sondern der Tempel soll, wenigstens für kurze Zeit, wieder gemäß dem Willen Gottes Sammelstätte des Gebetes sein (vgl. Jes 56,7; 1Kön 8,28-30.4143; Jes 60,7 LXX)157. Der Verweis Jesu auf Jes 56,7 (vgl. Jer 7,2.11-15; Sach 14,16) besagt, dass das Gebet zum Gott Israels nicht ausschließlich für jüdische Menschen, sondern für Menschen aller Völker offen steht (ἔθνεσιν [ethnesin] bedeutet hier also nicht nur „Heiden“, sondern alle Völker, einschließlich des jüdischen Volkes).158 Das geschäftige Treiben der Händler verwandelt den Tempel Gottes in eine dunkle Räuberhöhle von Menschen (vgl. Jer 7,11: Es gibt im Tempel für die Sünder Israels keinen Schutz, Jer 7,3-15),159 die Gott der Frucht des Gebets und des Lobpreises berauben, und stattdessen gierig eigenem Gewinn nacheifern. Keener bemerkt, dass derartige Höhlen (σπήλαιον [spēlaion]) den Räubern (λῃστῶν [lēstōn]) als Versteck ihrer Beute dienen.160 Nach Josephus sind die Römer, die einst den Tempel im jüdischen Krieg von 66–70 n.Chr. zerstören werden, „Räuber“.161

Durch die im heidnischen Vorhof angesiedelten Verkäufer werden vor allem die gottesfürchtigen Heiden am Gebet behindert. Spätestens hier wird deutlich, dass Jesus auch für die Heiden gekommen ist. Sein bevorstehender Leidenstod (Mk 10,45; 14,24) gilt auch ihnen. 18 Der paradoxe Sachverhalt ist offensichtlich: Die für das Leben mit Gott verantwortlichen Hohepriester und Schriftgelehrten (die Händler werden von den jüdischen Verantwortlichen geduldet)162 suchen den zu töten bzw. zu vernichten (vgl. 3,6; 15,31-32), der allein die Gottesferne beheben kann. Angesichts der Drohung Jesu sind sie von Angst getrieben: Angst vor dem 155 Vgl. Lane 406. 156 Nach Dschulnigg 302 handelt es sich hierbei u.a. „um die missbräuchliche Praxis, den Tempelplatz als Abkürzungsweg für Händler und Lastenträger von einem Teil Jerusalems zum anderen zu benützen“. 157 So Lane 406. 158 Vgl. Pesch II 198. 159 Vgl. Keener, Background, 166. 160 Ebd. 161 Ebd. 162 Vgl. Pesch II 199.

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wirtschaftlichen, sozialen und politischen Machtverlust; Angst vor einem Aufstand, angesichts der populären Breitenwirkung Jesu (aber sie fürchteten sich vor ihm, denn das ganze Volk war von seiner Lehre sehr beeindruckt), Angst vor den römischen Machthabern (wenn sie nicht fähig sind, im Tempel Ruhe zu bewahren, dann werden es die römischen Soldaten tun). Nur Gottesfurcht ist nicht in diesem Gemisch. Die lang gehegte Absicht der geistlichen Oberschicht Israels, Jesus umzubringen (vgl. bereits 3,6), erhärtet sich nun vollends. Die Tempelreinigung ist nicht Ursache, sondern lediglich ein weiterer Anlass für die finstere Absicht der Gegner Jesu.163 Es geht somit nicht mehr um die Frage, ob Jesus sterben muss, sondern nur noch darum, wie sie dies ohne großen Volksaufstand bewerkstelligen können. Die Menschenmenge ist nicht notwendigerweise von Vertrauen auf Jesus getragen (siehe hier lediglich das große Erstaunen über seine Lehre: Das ganze Volk war von seiner Lehre sehr beeindruckt).164 Zusammen mit dem messianisch-davidischen Einzug in Jerusalem versprechen sie sich eher Erleichterung durch Jesus, was durch die außerordentliche Autorität (siehe Tempelreinigung und Verkündigung) Jesu geschürt wird. Zur Liste der Gegner Jesu, siehe 8,31 und 10,32-34. 19 Wie in Galiläa zieht sich Jesus wiederholt auch hier (nach Bethanien) zurück (vgl. V. 11).165

12.4 Unterweisung der Jünger 11,20-25(26) I 20 Als sie aber frühmorgens am Feigenbaum vorbeikamen, sahen sie, dass er von der Wurzel her ganz verdorrt war. 21 Und Petrus erinnert sich (daran) und sagt zu ihm: „Mein Lehrer, siehe, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt“. 22 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: „Habt Vertrauen auf Gott! 23 Amen, ich sage euch, wer zu diesem Berg sagt, ‚werde versetzt und ins Meer geworfen‘ (Gott versetze dich und werfe dich ins Meer) und (dabei) in seinem Herzen nicht (daran) zweifelt, sondern immerfort (Gott) vertraut, dass sich das Gesprochene ereignen wird, dem wird es (so) geschehen. 24 Deshalb sage ich zu euch, alles, worum ihr betet und was ihr erbittet, glaubt, dass ihr es empfangen habt, 163 Pace Ådna, Stellung, 326 und passim sowie Blinzler, Prozeß, ad loc. 164 Vgl. Lane 408: Jesus mag durchaus mehr gelehrt haben. Andererseits scheint in 1,27 das Handeln Jesu als „Lehre“ aufgefasst worden sein. 165 Keener, Background, 166, bemerkt, dass dies aufgrund der Menschenmassen in Jerusalem historisch durchaus einleuchtet.

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und es wird euch geschehen. 25 Und jedes Mal, wenn ihr im Gebet steht, vergebt, wenn ihr etwas gegen jemanden habt, damit euch euer Vater im Himmel eure Vergehen vergebe“.166 (26).167 II In 11,12-14.20-21 handelt es sich, wie bereits erwähnt, um die Verfluchung des Feigenbaums als Wundererzählung (Natur- und Fluchwunder als „Gleichnishandlung“, wie in Jes 20,1-6; Jer 13,1-11; Hes 4,1-15; Hos 1–2:168 Situation/ Wunder/Bestätigung).169 Sie dient gleichzeitig durch interpretierende170 inclusio der Tempelreinigung als ethisch motivierte, biografische Notiz.171 Im episodischen Lehrstück (Mk 11,19.22-26) wird das Vorhergehende durch die Unterweisung in Glaube, Gebet und Vergebung interpretiert (11,2224, Beziehung zu Gott; 11,25, Beziehung zu Mitmenschen, vgl. 13,33 und 14,38).172 III 20-21173 Etwa vierundzwanzig Stunden nachdem Jesus den Feigenbaum verflucht hat, ist dieser völlig verdorrt (ξηραίνω [xērainō]; vgl. 4,6;174 siehe Hiob 18,16; Hos 9,16). Das heißt: zwischen Fluchaussage und sichtbarer Konsequenz kann durchaus etwas Zeit verstreichen (vgl. somit Jesu Voraussage der Tempelzerstörung). Das Verdorren des Feigenbaums ist alttestamentliches Sinnbild für das Gericht Gottes (Jes 34,4; Hos 2,14; Joel 1,7-12; Am 4,9; Hab 3,17-19; vgl. Ps 105,33).175 Das völlige Verdorren des Feigenbaums ist Bild für

166 Lit.: Buchanan, Fig Trees, 249-269; Schmücker, Funktion, 1-26; vgl. ferner Telford, Temple, ad loc.; Theißen, Wundergeschichten, ad loc.; Koch, Bedeutung, ad loc.; Loos, Miracles, ad loc.; Wenham, Miracles, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 208 (bis 1980); Evans 147-148.183184 (bis 1999). 167 Textkritische Diskussion: Unterschiedliche Textgruppen (darunter frühe Zeugen) lesen den V. 26 nicht (u.a. ‫ א‬B L W Δ Ψ 565 700 sys sa bopt). Der sekundäre Zusatz „wenn ihr aber nicht vergebt, so wird euer himmlischer Vater eure Übertretungen auch nicht vergeben“ (V. 26) wird u.a. durch A Θ M lat syp.h bopt bezeugt. Nach Metzger, Textual Commentary, 110 handelt es sich um eine Interpolation aufgrund von Mt 6,15. 168 Vgl. Evans 151. 169 Evans 150. 170 Vgl. Evans 152. 171 Vgl. Evans 165, der auf Taylor, Formation, 75-76 verweist. 172 Evans 185 und 186. 173 Siehe die einleitende Anknüpfung an V. 12-14.19. 174 Siehe Joh 15,6 und Jak 1,11; vergleiche mit 1Petr 1,24. 175 Verweise bei Pesch II 195.

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die bevorstehende völlige Diskontinuität des Tempeldienstes (13,2).176 Es geht hier letztendlich nicht mehr um Reinigung zur Wiederherstellung des Tempeldienstes (vgl. oben, 4.3). Jesu Umgang mit dem Feigenbaum verdeutlicht, dass das, was er sagt, ganz sicher geschieht. Petrus spricht erneut stellvertretend für die Zwölf (siehe 8,29; 10,28; vgl. 9,5).177 Die Anrede Rabbi von Seiten des Petrus ist in den Ev. selten. Bei Mk kommt die Formulierung lediglich in 9,5; 11,21 (im Munde des Petrus) und 14,45 (im Munde des Verräters Judas) vor. 21 Siehe die Bemerkungen zu V. 12-14. Petrus ist über das rasche Eintreten des Fluchs erstaunt: „Siehe, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt“. Petrus erinnert sich (ἀναμιμνῄσκω [anamimnēskō]) an das, was Jesus gesagt hat (V. 14).178 Er wird sich ebenso an die Vorhersage seiner dreifachen Verleugnung Jesu erinnern (14,72).179 Derartiges Erinnern, zusammen mit der Anrede „Rabbi“ (vgl. 9,5; 11,21), stützt den Gesamtbefund, nach dem Petrus einst als Hauptzeuge auftreten wird und für die Verlässlichkeit des Zeugnisses über die Person, das Wirken, die Lehre sowie Tod und Auferstehung in den kanonischen Evangelien, der Apg und den Petrusbriefen bürgen wird.180 22 Jesu überraschende Antwort: „Habt Vertrauen auf Gott“ lässt aufmerken. Was hat Glaube181 mit dem verfluchten Feigenbaum zu tun?182 Das Vertrauen auf Gott soll (im Gebet) eben das beseitigen (verdorren), was geistliches Fruchttragen hindert. Gott hat einen berechtigten Anspruch auf fruchtbringenden Gottesdienst, der alle Bereiche des Lebens einbezieht. 23-24 Eng verknüpft mit der Episode des verfluchten Feigenbaums, entfaltet Jesus (durch ein weiteres Amen-Wort) nun die Bedeutung des Gebets: 176 Lane 409 verweist auf Mk 13,2 und Ps 90,6 und vor allem auf Hos 9,16 und Joel 1,12. Vgl. Jer 8,13. Pesch II 195 geht von einer „ursprünglich (trotz der Verschachtelung mit der Erzählung von Jesu Tempelaktion) nicht symbolisch“ ausgelegten Aussageintention aus. Er bemerkt ferner: „Die symbolische Deutung der Verfluchung des Feigenbaums durch Jesus sollte, da sie exegetisch nicht verantwortbar ist, aufgegeben werden, zumal sie antijudaistische Tendenzen in das NT einträgt, von denen abzurücken christliche Theologie mehr denn je verpflichtet ist“. Allerdings gibt Pesch (ebd.) zu bedenken, dass zumindest Mk eine derartige Interpretation im Sinn hat. Der Abschnitt ist nicht antijudaistisch, sondern es handelt sich um den Umgang Gottes mit seinem Volk (vgl. etwa Röm 9‒11, vor allem bezüglich des „heiligen Rests“). Wer dies jedoch antijudaistisch oder antisemitisch ausschlachtet, verfährt unverantwortlich. 177 Vgl. Dschulnigg 303. 178 Siehe Mt 16,9; 26,13; Mk 14,9; Lk 24,6; Joh 15,20; 16,4; Apg 20,35; 2Tim 2,8; 2Petr 1,15; Jud 17; vgl. mit Mk 8,18. 179 Vergleiche mit Lk 22,19; 1Kor 11,24-25. 180 Siehe Lk 24,8; Joh 2,22; 12,16; 14,26; 16,4; Apg 11,16; 2Petr 3,2. Vgl. Bayer, Peter, 50-124. 181 Siehe auch Bemerkungen zu 1,15; 2,5; 4,40; 5,34.36; 6,6; 9,24. Siehe die Bemerkungen zum Stichwort „Glaube“ in 10,47.52. 182 Der Kontext (vgl. vor allem 11,24) spricht gegen Lanes Auffassung (Lane 409), dass es sich hier um die Treue Gottes (gen. subiectivus) anstatt um Vertrauen auf Gott (gen. obiectivus) handelt.

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„Wer zu diesem Berg sagt, ,werde versetzt und ins Meer geworfen und (dabei) in seinem Herzen nicht (daran) zweifelt, sondern immerfort (Gott) vertraut, dass sich das Gesprochene ereignen wird, dem wird es (so) geschehen“. Obwohl eine wörtlich gemeinte, endzeitlich zu verstehende Aussage eventuell möglich ist,183 ist die Aussage aufgrund des Zusammenhangs (11,12-26; vgl. vor allem das Motiv der Templereinigung 11,15-18; vgl. Mt 21,21) wohl übertragen zu verstehen.184 Die Aussage von „Glaube, der Berge versetzt“ findet sich im übertragenen Sinn (als Spruch) auch in 1Kor 13,2 (vgl. Jes 41,15; 54,10).185 Das „Versetzen eines Berges“186 (was Jesus selbst nie buchstäblich tut), hat durch den Kontext eine negative Aussagerichtung mit der Absicht, dass das beseitigt wird, was dem „Fruchttragen wie ein unüberwindbarer Berg“ im Wege steht, d.h., was Gott und der Anbetung Gottes widerstrebt. Einen „Berg zu versetzen“ (V. 23) dient also nicht dem eigenen Vorteil oder der Demonstration des eigenen Glaubens (im Gegensatz etwa zu 1Kor 13,2), sondern dem Fördern des wahren Gottesdienstes und der Ziele Gottes. Dies geschieht im Gegensatz zum gegenwärtigen Tempeldienst (vgl. V. 13-17).187 Das Gebet des derart Glaubenden, der in seinem Herzen nicht (daran) zweifelt, sondern immerfort (Gott) vertraut, dass sich das Gesprochene ereignen wird, ist somit auch von dieser Aussagerichtung bestimmt: Sowohl die Bitte als auch das Empfangen (V. 24) beinhalten betende Überwindung dessen, was Gott widerstrebt (vgl. V. 15-17), einschließlich der eigenen Sünde der Unversöhnlichkeit (V. 25). Daran soll ohne Zweifel (als 183 Pesch II 204, interpretiert buchstäblich. Lane 410 verweist auf Sach 14,4 (vgl. 1-10): Die Stadt Jerusalem wird durch Heiden belagert und erobert; die Bewohner der Stadt werden zur Hälfte verschleppt; zu der Zeit wird sich der Ölberg spalten, wenn der Herr mit seinen Heiligen kommt. Es gibt bezüglich der Bedeutung dieses Textes zu viele ungelöste Fragen. Ein direkter Verweis Jesu auf Sach 14,4 liegt nicht vor. Manche Ausleger meinen, dass sich „dieser Berg“ (11,23) konkret auf den Tempelberg bezieht, den Jesus und seine Jünger auf dem Weg von Bethanien (11,12-15) sehen können. Obwohl diese Interpretation möglich ist, so gibt es doch kein Motiv für die Beseitigung des Tempelberges (im Gegensatz zur Prophezeiung der Tempelzerstörung). 184 Vgl. u.a. Dschulnigg 303 mit Kertelge 113. 185 Es ist ungewiss, ob die „Beseitigung des Berges“ in Mt 17,20b und Lk 17,6 ebenso übertragen zu verstehen ist. Allerdings ist als Indiz für die übertragende Interpretation auch hier festzuhalten, dass die „Beseitigung des Berges“ im Kontext von Dämonenaustreibung (Mt 17,20) sowie von Buße und Vergebung (Lk 17,6) erwähnt wird. 186 Keener, Background, 166, bemerkt, dass rabbinische Interpretation mit der Vorstellung des „Berge versetzen“ übertragen von der „Unmöglichkeit, alles über das Gesetz zu wissen“ sprechen. 187 Implizit mag „der zu versetzende Berg“ doppeldeutig auch auf den „Berg des Hauses (Tempel) des Herrn“ (Jes 2,2) verweisen; dies wäre somit ein weiterer Hinweis auf die bevorstehende Zerstörung des Tempels.

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innerer Widerstreit)188 festgehalten werden. Der hier erwähnte Zweifel (von διακρίνω [diakrinō] = Med. „ich zweifle“) ist von grundsätzlicher und bleibender Skepsis scharf zu unterscheiden. Im vorliegenden Text handelt es sich lediglich um eine innere, zweifelnde Unsicherheit bzw. um Zögern (vgl. Mt 17,20; Jak 1,6). Wer bleibend darauf vertraut, dass Gott selbst seine Zwecke und Ziele erreichen wird, der wird stets erbitten, dass all das entfernt wird, was der aufrichtigen Gottesanbetung im Wege steht (11,15-17). Derartiges „Entfernen“ beginnt mit dem Zugeständnis der eigenen, immer wiederkehrenden Unversöhnlichkeit (11,25; vgl. Lk 17,3-6). Ein derartiges Einüben im Vertrauen ist nicht zu verwechseln mit eigenständigem Bestehen auf „Glaubensforderungen“. Die innere Haltung ist immer die der Demut, die sich um die Zwecke und Absichten Gottes (auch auf Kosten der eigenen Ansichten und Ziele) bemüht und dort betend verweilt. Hieraus entspringt die tiefe Gewissheit, mit welcher der mit ungeteiltem Herzen Gott Vertrauende an der Erfüllung seines Gebets festhalten kann (vgl. Mt 17,20).189 Ganz gewiss ist dies Gottes Wille, betend um die Beseitigung all dessen zu ringen, was ihm und der Verehrung seiner Herrlichkeit widerstrebt. Die Aufforderung Jesu, „alles, worum ihr betet und was ihr erbittet, glaubt, dass ihr es empfangen habt, und es wird euch geschehen“, ist also kontextgebunden zu verstehen: „Bittet darum, dass das Widerstreben gegen Gott beseitigt werde (Berge versetzen), und Gott wird es geben“ (vgl. Mt 7,78; Lk 11,9-10). Allerdings muss dabei bedacht werden, dass Jesus selbst das „Grundproblem des autonomen Widerstrebens“ durch stellvertretendes Leiden und Opfer beseitigen wird. Ferner ist stets zu beachten, dass der betende und glaubende Mensch immer dem souveränen, herrlichen und unfassbaren Gott gegenübersteht (vgl. Dan 9,1-19). Im vorliegenden Kontext verweist die Aussage alles, worum ihr betet und was ihr erbittet wohl primär auf zweierlei: 1) stets die Ehre und Souveränität Gottes anzuerkennen, und 2) darum zu bitten, dass alles, was Gottes Zwecken widersteht, entfernt werden wird („Berge versetzen“). Der Schlüssel zum Gebet (vgl. Joh 14,13-14)190 ist somit das kindliche und einfältige Suchen nach dem Willen Gottes (Mt 6,12; Mk 3,35; Lk 11,4). Im Gegensatz zu verhärteten inneren „Ohren“ und „Augen“ der Gegner und sogar der Jünger Jesu, sind Gottes „Ohren“ und „Augen“ derartigem, bußfertigen Beten stets geöffnet. Der Betende wendet sich an Gott

188 Vgl. Pesch II 205. 189 Ebd. 190 Siehe auch Mt 7,7-8; Lk 11,4; vgl. 2Chron 6,24.

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in der Zuversicht auf sein Eigreifen, seine Stärkung und seine Rettung (siehe Bemerkungen zu 11,25).191 24-25 Das, was erbeten192 werden kann und soll (vgl. Joh 14,13-14; 15,7.16; 16,23-24 und Mt 7,7-8 / Lk 11,9-10),193 erfährt also seinen Rahmen im ausdrücklichen Willen Gottes (vgl. Mt 6,12; Lk 11,4), nämlich das zu beseitigen (durch Opfer, Liebe, Wahrheit, Glaube, usw.), was wahrem Gottesdienst und wahrer Anbetung widerstrebt. Es widerspricht der Wahrhaftigkeit Gottes und seiner messianischen Gemeinde, derartig zu Gott zu beten, ohne selbst ins Reine zu kommen (vgl. Mt 5,23; Offb 2,4.14.20).194 Dabei ist die Bereitschaft, Vergehen anderer zu vergeben, fundamental195 (vgl. Mt 6,14 und 5,23; vgl. Sir 28,2.3-12).196 Die prophetische Warnung Jesu (mittels Feigenbaum und Tempelreinigung) zielt somit auf umfassende Bereinigung des Gottesdienstes sowie der Anbetung Gottes aufgrund der stellvertretenden Sühne, durch Versöhnung sowie durch die Gabe des glaubenden Gebets. Insgesamt ergibt sich aus den V. 22-25 ein Hinweis Jesu auf den Bau eines neuen Tempels, in dem wahrer Gottesdienst geschieht (siehe oben, 4.3). 26 Der Vers ist textkritisch umstritten.197

12.5 Jesu Vollmacht – Unterweisung der Gegner Jesu 11,27– 12,44 Obwohl Jesus das mosaische Gesetz niemals übertritt, wächst dennoch die Opposition gegen ihn. Er widerspricht seinen Gegnern, indem er ihre verborgene Hartherzigkeit hinsichtlich einer angemessenen Auslegung des mosaischen Gesetzes bloßlegt. Er tut dies hinsichtlich der Frage der Steuerzahlung sowie zu Fragen der Ehescheidung. Ebenso konfrontiert er seine Gegner mit einer alttestamentlichen Gesamtsicht des Messias Gottes, bei der er nicht nur der Sohn Davids (Mk 10,48), sondern vor allem der Herr Davids ist. Dabei stellt er die Autorität Moses nie infrage, sondern weist nach, dass seine Gegner Mose 191 Vgl. 2Chron 6,26.40; 7,15-16; 12,6.7.13. 192 Gewöhnlich „steht“ der Betende (vgl. Keener, Background, 166). 193 Evans 185. 194 Schriftverweise bei Pesch II 207. 195 Vgl. die ausführliche Besprechung bei Pesch II 206-207. 196 Vgl. die Diskussion in Lane 410-411 bezüglich der Frage, ob 11,25 eine Glosse aufgrund von Mt 6,14 ist. Lane, ebd., führt ausreichende Gründe für die Ursprünglichkeit von 11,25 im markinischen Kontext an. 197 Siehe oben 12.4 I., Anmerkung zu V. 26.

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widersprechen oder die Aussagen Moses falsch interpretieren („weil ihr weder die Schrift kennt noch die Kraft Gottes“, 12,24 [Luther 1984]). An dieser Stelle kommt ein lernbereiter Schriftgelehrter auf ihn zu und fragt ihn, was zu den Kerngeboten Moses gehört (vgl. 12,28-34).198 In allen Aussagen stellt sich Jesus nicht gegen Mose, sondern erweist sich vielmehr in seinem Verhalten als der Prophet-wie-Mose, der das Gesetz und seine Absichten verlässlich und autoritativ auslegt und erfüllt (vgl. Mt 5,17-20). Einführung zur Verknüpfung der einzelnen Abschnitte. Der nun folgende Abschnitt (11,27-33) bestätigt, dass Frucht des Glaubens (d.h. wahrer Gottesdienst) unter der geistlichen Führung Israels allgemein fehlt. Im darauf folgenden, einprägsamen Gleichnis von den bösen Winzern (12,1-12) bekräftigt Jesus, dass die „Bauleute“, d.h. die geistlich Verantwortlichen in Jerusalem, keine Frucht tragen. Mk 12,1-12 ergänzt somit den Abschnitt über die Tempelreinigung (11,15-19), indem Jesus das Gericht über die Verantwortlichen Jerusalems und den Tempeldienst voraussagt (12,10). Erneut laufen die Motive der Verwerfung Jesu und Unglaube hinsichtlich der heilsgeschichtlichen Ziele Gottes ineinander (11,27–12,12). Das Motiv der ausbleibenden Frucht wird durch Fangfragen der Pharisäer und Herodianer (12,13-17; zur Steuerzahlung an Rom) sowie durch die der Sadduzäer (12,18-27; zur Frage der Auferstehung von den Toten) weitergeführt und bestätigt. Die beiden Streitgespräche werden durch drei weitere Zyklen ergänzt, die Auseinandersetzungen mit Schriftgelehrten enthalten: a) 12,28-34 geht der Frage nach, was zu den Kerngeboten des Gesetzes gehört; b) 12,35-37 enthält die Frage Jesu, wie Psalm 110 angemessen zu verstehen ist; c) in den Kurzabschnitten 12,38-40 und 12,41-44 hebt Jesus den Gegensatz zwischen der Heuchelei seiner Gegner und der Aufrichtigkeit der armen Witwe hervor. Dabei zeigt ein einzelner Schriftgelehrter ein gewisses Maß an Verständnis (12,28-34), was wiederum der Aussage Jesu, der messianische „Herr Davids“ zu sein, den Weg ebnet (12,35-37). Form und Aufbau des Gesamtabschnittes. Mk 11,27–12,37 enthält sechs episodische Kontroversen mit Jesu Gegnern (vgl. 2,1–3,6), jeweils mit dem Aufbau: Situation/Frage/Reaktion.199 Mk 12,38-44 besteht aus einer zweiteiligen (12,38-40; 12,41-44) Unterweisung der Jünger.

198 Siehe Deut 6,4-5 und Lev 19,18. 199 Evans 198 verweist auf Cranfield 362, vor allem bezüglich Mk 11,27-33.

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12.5.1 Die Frage nach Jesu Vollmacht 11,27-33 I 27 Und sie gelangen wieder nach Jerusalem. Während er im Tempel umhergeht, kommen die Hohepriester, die Schriftgelehrten und die Ältesten zu ihm 28 und sie sprachen zu ihm: „Mit welcher Macht tust du diese Dinge? Oder wer hat dir diese Vollmacht gegeben, diese Dinge zu vollbringen?“ 29 Jesus aber sagte zu ihnen: „Ich werde (muss) euch etwas fragen; antwortet mir, so werde auch ich euch sagen, mit welcher Vollmacht ich diese Dinge vollbringe. 30 War die Taufe des Johannes vom Himmel (Gott) oder von Menschen (gesandt)? Antwortet mir“. 31 Und sie begannen sich zu beraten und sagten zueinander: ‚Wenn wir sagen, vom Himmel, (so) wird er sagen, warum habt ihr ihm (dann) nicht geglaubt? 32 Wenn wir aber sagen, von Menschen (was wird dann hinsichtlich des Volkes)?‘ – sie hatten (ja) Angst vor dem Volk, denn alle hielten Johannes wirklich für einen Propheten. 33 Und sie antworten Jesus und sagen: „Wir wissen es nicht“. Jesus aber spricht zu ihnen: „So sage ich euch auch nicht, mit welcher Vollmacht ich diese Dinge vollbringe“.200 II Die Frage201 nach Jesu Vollmacht (11,27-33; als Reaktion auf Jesu Tempelreinigung/Tempeldemonstration) hat die Form einer episodischen Kontroverse bzw. einer Chrienreihe (Situation/Frage/Reaktion).202 III 27-30 Jesus ist auch am nächsten Tag (zum dritten Mal: vgl. 11,11; 11,1519)203 lehrend (vgl. 14,49) im Tempel.204 Die Frage der Gegner (Hohepriester, Schriftgelehrte und die Ältesten; es handelt sich hier nun wieder um die offiziellen Vertreter des Synedrions; vgl. 8,31; 14,53.55; 15,1)205 nach Jesu Vollmacht (bezüglich der Tempelreinigung und seiner Lehre im Tempelbereich; vgl. V. 18) beabsichtigt erneut, Jesus vor dem Volk zu diskreditieren (vgl. V. 200 Lit.: Huber, Frage, 5-19; vgl. ferner Berger, Jesus, ad loc. und Hooker, Signs, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 213 (bis 1980); Evans 196 (bis 1999). 201 Vgl. die Gegenfrage Jesu in Lk 12,13-17; Evans 197. 202 Evans 197. Zur Chrienreihe, vgl. Berger, Formen, 140.149. Zur Definition der Chrie bzw. Chrienreihe, s.o. Einleitung, 3.1. Zur Historizität von 11,27-33 vgl. Evans 198, Cranfield 362 und Taylor 469. 203 Vgl. Pesch II 210. 204 Lane 413, betont, dass Jesus sich in Jerusalem vor allem im Tempelbereich aufhält: 11,11.1518.27; 12,35.41; 13,1-2; 14,49. 205 Vgl. Pesch II 210.

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31-32). Jesus sieht sich in heilsgeschichtlichem Zusammenhang mit der Taufe des Johannes. Wer den Täufer verwirft, verwirft auch Jesus und damit den Willen Gottes, der beides bewirkt (vgl. Deut 18,18-19).206 Wer dem Umkehrruf des Täufers folgt, vertraut auf Jesus. Beide sind durch Gott autorisiert und vertreten und offenbaren den rettenden Willen Gottes (vgl. zur Liste der Gegner Jesu: 8,31; 10,32-34 und 11,18).207 29-30 Jesu Einleitung zu seiner Gegenfrage („Ich werde euch etwas fragen; antwortet mir, so werde auch ich euch sagen, mit welcher Vollmacht ich diese Dinge vollbringe“) bedeutet nicht, dass er ihrer Frage ausweicht.208 Vielmehr stellt er hierdurch die gottesfernen Motive seiner Gegner bloß: „War die Taufe des Johannes vom Himmel oder von Menschen? Antwortet mir“. Die Gegner des Täufers sind jetzt auch Gegner Jesu (vgl. 11,18 und 12,38 sowie bereits 3,6); sie widersetzen sich als geistlich Verantwortliche konstant dem einen Willen Gottes, der durch den Dienst des Täufers und Jesu vollmächtig (vgl. 9,37) und als Erfüllung des AT (vgl. Mk 1,1-3) offenbart wird. Himmel ist semitische Umschreibung für Gott.209 31-32 Hier erfährt der Hörer nochmals, dass es den Verantwortlichen Israels nicht zuallererst um Wahrheits- und Gottesfindung geht, sondern lediglich um ihren Vorteil, ihr Ansehen, ihre (prekäre) Machtstellung sowie ihre Theologie gegenüber Jesus. Die Gegner, die Jesus zu Fall bringen wollen, befinden sich aufgrund der Gegenfrage Jesu in einer Zwickmühle: Gestehen sie zu, dass der Täufer von Gott gesandt war, wird Jesus sagen, warum habt ihr ihm (dann) nicht geglaubt? Wegen ihrer indirekten Abhängigkeit von der Volksmeinung können sie es sich andererseits nicht leisten, den populären Täufer zu diskreditieren (vgl. 11,18.32; 12,12).210 Sie fürchten um ihre Macht und ihre anthropozentrische Theologie, und können (und wollen) Jesus daher nicht antworten. 33 Die Antwort der Gegner Jesu: „Wir wissen es nicht“ spiegelt sowohl ihre geistliche Blindheit als auch ihre grundsätzliche Loyalität wider. Bereits zu Lebzeiten Johannes des Täufers haben sie nicht ernsthaft vor Gott erwogen, ob es sich bei seiner Botschaft vielleicht doch um einen genuinen Umkehrruf Gottes handeln könnte. Mit ihrer kalkulierten Zweideutigkeit halten sie sich notgedrungen alle Wege offen, versuchen politisch und gesellschaftlich die Oberhand zu behalten und sind Gott letztendlich nicht verantwortlich. Mit dieser Haltung sind sie jedoch Gegner Jesu und damit Gegner des Willens Gottes. 206 Vgl. Keener, Background, 167. 207 Lane 413. 208 Nach Lane 413, ist im rabbinischen Judentum das Stellen einer Gegenfrage geläufig. 209 Vgl. Dschulnigg 307 und Anm. 60, mit Verweis auf Billerbeck, Kommentar, I 862-865. 210 So Lane 414.

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Jesus weicht ihrer Frage somit keineswegs aus: „So sage ich euch auch nicht, mit welcher Vollmacht ich diese Dinge vollbringe“. Vielmehr wird deutlich, dass sie aufgrund ihrer Haltung gar nicht daran interessiert sind herauszufinden, woher die Vollmacht Jesu tatsächlich stammt. Indirekt lässt Jesus jedoch durch den Verweis auf den Täufer, der deutlich von Gott gesandt war, erkennen, dass er ebenso in der Vollmacht Gottes handelt und lehrt, einschließlich der Tempelreinigung und der damit verbundenen Lehre.

12.5.2 Gleichnis von den bösen Winzern 12,1-12

Einführung. Das Gerichtsgleichnis bezieht sich vor allem auf die religiösen Verantwortlichen Israels einschließlich des Synedrions (12,1.12), nicht auf das gesamte Volk.211 Das Gleichnis ist daher eng verknüpft mit dem vorhergehenden Abschnitt hinsichtlich der Handhabung des Gottesdienstes im Tempel sowie der Verwerfung des Täufers durch die Verantwortlichen Israels. Die Erzählung (12,1-9), die mit einem erklärenden Schriftzitat endet (12,10-11), passt zur allgemeinen Lebenserfahrung seiner Hörer. Sie kennen Landbesitzer, die irgendwo in der Ferne leben. Gleichzeitig beschreibt sie treffend die spannungsgeladene Situation Jesu in Jerusalem (11,17.28; 13,2; 14,58). Der Schlüssel zum Verständnis des Gleichnisses liegt in 12,12 (vgl. 12,1.5). Die Verantwortlichen unter seinen Hörern wissen genau, dass sie die „Bauleute“ sind, von denen Jesus spricht. Trotz oberflächlichem Verstehen trifft das Gleichnis auf verhärtete Herzen (siehe Bemerkungen zu 4,2.10-12).212 I 1 Und er begann, zu ihnen in Gleichnissen zu sprechen: „Ein Mensch pflanzte einen Weinberg, er umgab ihn mit einer Mauer, er grub eine Grube zum Keltern, er baute einen Wachtturm, er verpachtete ihn an Winzer und ging auf Reisen. 2 Und zur Erntezeit sandte er einen Diener zu den Winzern, um von den Winzern den ihm zustehenden Teil des Ernteertrags in Empfang zu nehmen. 3 Sie aber packten ihn, schlugen ihn und schickten ihn leer fort. 4 Und wieder sandte er ihnen einen anderen Diener; diesem schlugen sie auf den Kopf und behandelten ihn schmählich. 5 Und er sandte einen weiteren (Diener); diesen töteten sie. (So geschah es) auch vielen anderen (Dienern), welche sie entweder schlugen oder töteten. 6 Er hatte noch einen: den geliebten Sohn; den sandte er ihnen zuletzt, weil er (sich) sagte: ‚Meinen Sohn werden sie respektieren.‘ 7 Diese Winzer aber sagten untereinander: ‚Dieser ist der Erbe; kommt, töten wir ihn, so wird 211 Siehe oben, Bemerkungen zu 3,23; 4,2.10-12; 7,17. 212 Siehe oben, Einleitung, 6.2, zur Interpretation von Gleichnissen.

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uns das Erbe zufallen.‘ 8 Sie packten und töteten ihn und warfen ihn aus dem Weinberg. 9 Was wird (nun) der Besitzer des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Winzer töten und den Weinberg anderen anvertrauen. 10 Habt ihr diese Schrift (noch) nicht gelesen: ‚Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden; 11 vom Herrn ist er (so) geworden und er ist in unseren Augen wunderbar‘?“ 12 Und sie trachteten danach, ihn zu fassen, fürchteten sich aber vor dem Volk, denn sie merkten, dass er das Gleichnis auf sie ausrichtete. Sie aber ließen es (einstweilen) dabei bewenden und gingen weg.213 II Die Gleichniserzählung214 von den bösen Winzern (12,1-12; als indirekte Antwort auf die Frage der Vollmacht Jesu, vgl. 11,28.29.33; episodische Kontroverse) ist dreiteilig: a. Nachsicht des Besitzers des Weinbergs; b. Gericht über die Pächter; c. der Besitzer setzt andere Pächter ein.215 Berger betont, dass es sich hierbei nicht um eine Allegorie handelt, sondern um eine Gleichniserzählung, deren „usuelle Metaphern“ Einblick in die Ausgangsebene (Sachhälfte) ermöglichen (s.o., 5. II).216 Zur Authentizität von 12,1-12:217 Die Bildhälfte bzw. Bildebene218 passt in den Kontext der letzten Tage Jesu in Jerusalem,219 da dort sein Anspruch direkt und offen präsentiert wird. Seit Jülicher220 besteht das (unbegründete) Hauptargument gegen die Authentizität von 12,1-12 in der Behauptung, dass Jesus selbst nicht in allegorischen Gleichnisreden lehrt, sondern dass sie vielmehr das Ergebnis theologischer Arbeit der Urgemeinde sind (s.o. 5. II; vgl. Einleitung 6.2). Die meisten Argumente, die die kürzere Parallele im EvThom 65 (und 213 Siehe oben 12.5.2 II. Lit.: Berger, Formen, 111-115; Bammel, Gleichnis, 11-17; Bayer, Predictions, 97-99.103-104; Blank, Sendung, 11-41; Blomberg, Gleichnisse, ad Mk 12,1-12; Danove, Stone, 64-65; Derrett, Allegory, 92-98; Derrett, Stone, 60-67; Dodd, Parables, 93; Feldmeier, Heil, 5-22; Hengel, Gleichnis, 9-31; Huber, Weinberglied, 71-94; van Iersel, Sohn, 124-145; Jeremias, Gleichnisse, 67-75.78.166.202; Klauck, Gleichnis, 118-145; Schmeller, Erbe, 183-201; Schottroff, Gleichnis, 18-48; Schrage, Verhältnis, 137-141; Schröten, Spiel, 228-237; Steck, Israel, 271; Weihs, Jesus, passim. Vgl. ferner Snodgrass, Parable, ad loc., Mell, Winzer, passim. Weitere Lit. bei: Pesch II 223 (bis 1980); Evans 210-214 (bis 1999). 214 Berger, Formen, 106. 215 Evans 138. 216 Berger, Formen, 106-111.112-115. 217 Vgl. Snodgrass, Parable, ad loc. 218 Berger, Formen, 97-98. 219 Vgl. Pesch II 214. 220 Jülicher, Gleichnisreden, II 385-406; siehe Evans 216.

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66) als ursprünglicher ansehen, beruhen auf derselben Annahme.221 Evans, Sevrin und Meier betonen, dass die Parallele im EvThom 65 und 66 jedoch den heilsgeschichtlichen Aspekt des Gleichnisses (siehe die synoptischen Versionen) wegen der gnostischen (sprich: geschichtslosen/zeitlosen/anti-physischen)222 Weltanschauung kürzt (wie dies häufig im gnostischen EvThom, ca. 130 n.Chr., der Fall ist).223 Für andere Ausleger ist das Verhalten des Besitzers und der Pächter im Gleichnis unglaubwürdig. Evans betont überzeugend, dass eine derartige Beurteilung den Charakter vieler Gleichnisse (Maschal), nämlich bereits die Bildhälfte hyperbolisch darzustellen,224 verkennt. Ferner ist zu betonen, dass die Interpretation des Gleichnisses als Kurzfassung der Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk (vgl. etwa Apg 7) durchaus den Gegebenheiten entspricht. Wenn das Gleichnis im Kontext zeitgenössischer und späterer rabbinischer Maschal-Aussagen225 gesehen wird (s.u., Einzelauslegung), so sind die hyperbolische Bildhälfte, die vielen Metaphern, die heilsgeschichtliche Sachhälfte sowie das abschließende Schriftzitat226 keineswegs außergewöhnlich, sondern Indizien für Authentizität. Ferner dient das Gleichnis als Beispiel der parabolischen Gerichtsrede Jesu. Qumran (4Q500) belegt die zeitgenössische (und nicht nur spätere, rabbinische) Auffassung des „Weinbergs“ in Jes 5 als Metapher für Israel227 (mit zusätzlichen allegorischen Elementen). Die Verknüpfung von Gleichnis mit folgendem Schriftzitat ist aus dem rabbinischen und vorrabbinischen Schrifttum geläufig.228 Dem Maschal (= Bildwort; vgl. Ps 77,2 und Mk 3,23) folgt oft ein Nimschal (Lehre), das häufig aus einem Schriftzitat besteht.229 Die Annahme, dass das Schriftzitat in Mk 12,10-12 sekundär ist, überzeugt daher nicht (vgl. ferner die Verknüpfung von V. 1 und 9 mittels Anklang an Jes 5,2.5).

221 Vgl. Evans 216-217, der diesbezüglich auf die älteren Arbeiten von Dodd, Parables, 124-132, sowie auf Jeremias, Gleichnisse, 67-75 (siehe vor allem 68.70 sowie 72, Anm 2) verweist. Das sog. „Jesus Seminar“ folgt diesen Annahmen: Funk/Hoover, Gospels, 100-101.510-511. 222 Meier, Jew, I 134. 223 Evans 218-219, der mit Dehandschutter, Parabole, 203-219, betont, dass die Version im EvThom eine verkürzte Version der kürzeren Fassung von Lukas ist. Vgl. Sevrin, Groupement, 438-439 sowie Meier, Jew, I 134. 224 Evans, a.a.O. Vgl. Berger, Formen, 111-115 und Pesch II 214. 225 Siehe rabbinische Belege bei Evans 220. Vgl. SifDtn §312 (zu Deut 32,9). 226 Berger, Formen, 110 betont, dass sich in der rabbinischen Gleichniserzählung oft ein Schriftverweis findet. 227 Vgl. Berger, Formen, 112. 228 Berger, a.a.O. 229 Vgl. Evans 221; vgl. SifDtn §312 (zu Deut 32,9). Vgl. Snodgrass, Parable, ad loc.

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Evans kommt zu folgendem Ergebnis: „The form of the parable of the Wicked Vineyard Tenants is true to the parabolic form found in Judaism of late antiquity. There is nothing in it that requires us to see the hand of later Christian allegorizers trying to give it a new form and a new meaning“.230 Der semitische Charakter, das Schriftzitat mit dem verknüpfenden Wortspiel „Sohn“ ‫ֵבּן‬ [ben] – „Stein“ ‫[ ֶאבֶן‬äbän], der auffällige Verweis auf Jes 5,1-7 (vgl. 4Q500) sowie der sinnvolle, historische Kontext (vgl. 11,17.28; 13,2; 14,58), in dem das Gleichnis erzählt wird, sprechen allesamt für die Authentizität des Gleichnisses (siehe ferner die Einzelauslegung).231 Motivgeschichtlicher Hintergrund. Die Frage Jesu über die Vollmacht des Täufers (11,29-30) ebnet den Weg für das Gerichtsgleichnis von den bösen Winzern. Hier wie dort wird deutlich, dass es sich bei der Hartherzigkeit gegen den Messias Gottes um eine konstante „unheilsgeschichtliche“ Tradition handelt (vgl. etwa Neh 9,9-35, Mt 5,12 sowie die Stephanusrede in Apg 7,2-53). Längst bevor Jesus auftritt, stellen sich die Vorfahren seiner Gegner gegen Boten Gottes: Es ist eine unheilvolle Tradition, die bis hin zu Johannes dem Täufer anhält. Um es in Anklang an O. H. Stecks Buchtitel zu formulieren: „Das gewaltsame Geschick der Propheten Gottes“ hat eine lange „Unheilsgeschichte“.232 Ferner knüpft das Gleichnis an das Thema „Fruchttragen“ (vgl. 11,13-21; 12,2) an. Jedes Mal, wenn Gott seine Gesandten sendet, sucht er die „Frucht“ der Umkehr, des Glaubens und des Gebets. Die Adressaten des folgenden Gerichtsgleichnisses sind vor allem die religiösen Verantwortlichen Jerusalems und Israels (vgl. V. 1 und 12).233 Die Bildhälfte des Gleichnisses ist also einleuchtend (wenn auch vorläufig hyperbolisch) und zeitgeschichtlich aktuell. Hengel belegt, dass Jesus die aktuelle zeitgenössische Situation von (häufig unterdrückenden) Landbesitzern und (häufig unterdrückten) Landarbeitern schildert.234

Diener des (meist abwesenden) Weinbergbesitzers fordern nach angemessener Zeit235 von den Pächtern oder Landarbeitern einen Teil des Ertrags (V. 230 Evans 222. Zur detaillierten Diskussion bezüglich der Authentizität des Gleichnisses, siehe Evans 224-228. 231 Vgl. Evans 224-231. Siehe ferner Dschulnigg 311 und Pesch II 218 im Gegensatz zu Gnilka II 143. Letzterer geht hierbei von redaktioneller Arbeit des Mk aus. 232 Steck, Israel, ad loc. 233 Berger, Formen, 113. 234 Hengel, Gleichnis, 9-31. Vgl. Lane 416. 235 Pesch II 216 geht von fünf Jahren aus, weil dann der Weinberg in der Regel Frucht trägt.

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2).236 Zur Zeit Jesu sind sowohl das obere Jordantal als auch Teile Galiläas z.T. durch Fremdherren derartig verpachtet. Anstatt Ertrag zu erstatten, beseitigen die Pächter die vielen Gesandten des sich im „Ausland“ befindenden Besitzers (V. 3-5), einschließlich seines rechtlichen Erbnachfolgers (V. 6-8). Streitigkeiten zwischen abwesenden Besitzern, vor allem zwischen deren Vertretern und ansässigen Pächtern sind für die Zeit Jesu bezeugt.237 Mit diesem letzten Akt (Beseitigung des Erben) verweigern die Pächter jedoch nicht nur den geforderten Ertrag zu entrichten, sondern sie ergreifen damit unrechtmäßig fremden Besitz (V. 7). Die Strafe hierfür ist der Tod der mörderischen Pächter; andere Pächter werden an ihrer Stelle eingesetzt (V. 9). Der Schlüssel zum Verständnis der beabsichtigten Sachhälfte bzw. Ausgangsebene liegt in V. 12 (vgl. auch V. 1 und 5):238 Die Gegner Jesu verstehen das Gleichnis als Anklage gegen sie. Der letzte Gesandte ist der Sohn des Weinbergbesitzers (der „Weinberg“ ist Metapher für Israel, Jes 5,1-5; vgl. V. 9), der als messianischer „Stein“ verworfen wird (V. 10; Ps 118,22).239 Er wird durch die „Pächter“240 (d.h. die Verantwortlichen Israels) getötet. Die Pächter sind „Bauleute“ (V. 10), eine weitere, bekannte Metapher (siehe Qumran) für geistlich Verantwortliche.241 Das begrenzt allegorisch zu interpretierende Gleichnis242 beschreibt somit den bereits bestehenden und sich nun zuspitzenden Konflikt zwischen Jesus und seinen Jerusalemer Gegnern im großen Rahmen des Heilswirkens Gottes und der Widerspenstigkeit der Verantwortlichen seines Volkes. Auch fügt sich das Gleichnis nahtlos in die lange Reihe prophetischer Aussagen über die Verwerfung von Gottes Boten (vgl. etwa Neh 9,6.26.28-31.33-35 und Apg 7,2-53).243 Jesus selbst fördert diese heilsgeschichtliche Sichtweise (Mk 9,13; 14,21; Lk 13,34; vgl. Lk 11,44-51).244 Das vorliegende Gleichnis belegt ferner, dass die Gleichnislehre Jesu entweder die innere Haltung der Hö236 Bezüglich Sachzahlungen verweist Lane 417, Anm. 10, auf Dodd, Parables, 93, Anm. 17; Dodd führt z.B. die Oxyrhynchus Papyri 1631, 1689 und 1968 an. 237 Lane 415-416 verweist auf Hengel, Gleichnis, 12-14. 238 Vgl. Bayer, Predictions, 90-109, vor allem 96-98 und Snodgrass, Parable, ad loc. 239 Vgl. Berger, Formen, 113. 240 Berger, a.a.O. 241 Vgl. Bayer, Predictions, 103-104. Siehe CD 4,19-20; 8,3.12 sowie Billerbeck, Kommentar, I 876; III 379 und Apg 4,11; vgl. ferner den Verweis bei Gundry 690 auf 1Kor 3,10-15. 242 Siehe allerdings Berger, Formen, 112-113, der betont, dass Mk 12,1-12 keine Allegorie sondern eine mit Metaphern angereicherte Gleichniserzählung darstellt. Vgl. Blomberg, Gleichnisse, ad Mk 12,1-12. 243 Siehe Bayer, Peter, 68-81. Vgl. Steck, Israel, 63-85; 117-133. 244 Es ist aufgrund der weit verbreiteten, heilsgeschichtlichen Sichtweise in den Evangelien (die analog zur Perspektive des AT verläuft) keineswegs erwiesen, dass Lukas Jesus heilsgeschichtliches Gedankengut in den Mund legt (siehe Steck, Israel, passim, gegen Conzelmann, Mitte, passim).

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rer ihm gegenüber öffnet (4,1-9.13-20) oder schließt (12,1-12).245 Der Effekt des Gleichnisses ist die verbissene Absicht seiner Gegner, Jesus umso mehr zu fassen. Die Gegner Jesu „verstehen“ zwar die Aussage des Gleichnisses, lassen sich jedoch innerlich dadurch nicht bewegen (vgl. 4,11-12).246 Sie „verstehen“ das Gleichnis nicht in dem Sinne, dass sie angesichts ihrer erschütternden Rebellion gegen Gott etwa doch noch umkehren. Versuche, das Logion 65 aus dem EvThom gegenüber Mk 12,1-12 als ursprünglicher darzustellen,247 sind, wie oben bereits dargelegt, nicht überzeugend. Es ist wahrscheinlich, dass das EvThom 65 von einer späteren, sahidischen Version (vor allem der Version, die den Text aus Lk 20,9-19 zugrunde legt) abhängig ist.248 III 1 „Jesus spricht nun zu den Führenden Israels (11,27) in Gleichnisform“.249 Das Weinberg-Motiv (vgl. Gen 9,20; Deut 20,6; Ps 107,37; Jer 2,21; Hes 19,10 u.ö.)250 erinnert vor allem an Israel (sowie die Pächter) als „Weinberg Gottes“ (Anspielung auf Jes 5,1-5; 27,3; vgl. Neh 9,16-37; Ps 80,9; Jes 27,2; Jer 2,21; 12,10; Hes 15,1-8; 17,5-10; 19,10-14; Hos 10,1).251 Da Jesus auch anderweitig zumindest die Metapher des Weinstocks benutzt (Joh 15,1-11), gibt es keinen zwingenden Grund, die Historizität der Weinbergaussage zu bestreiten (s.o., 12.5.2 II Historizität und motivgeschichtlicher Hintergrund).252 Mauer (Einfriedung aus Stein) und (Wacht-)Turm dienen zum Schutz gegen wilde Tiere; die Grube zum Keltern dient der Produktion von Saft253 (vgl. die Parallele zu Jes 5,2.5). Die detaillierte Beschreibung hebt u.a. die Kosten hervor, die zur Einrichtung eines derartigen Weinbergs aufzuwenden sind und rechtfertigt 245 Siehe oben Bemerkungen zu Mk 4,2.10-12. 246 Pace Lane 420, der davon ausgeht, dass Jesus nun plötzlich „Verständnis“ weckt. Die Worte Jesu führen nicht zur Umkehr, sondern zur Verhärtung. Auch wenn Jesus sich jetzt mehr offenbart, so wächst das Verständnis der Gegner Jesu keineswegs. Lane verwechselt „deutlichere Selbstaussage Jesu“ mit „Verstehen“; Ersteres trifft zu, Letzteres bleibt aus. 247 Lane 416 verweist u.a. auf Dodd, Parables, 96, Anm. 22; Jeremias, Gleichnisse, 67-75 (siehe vor allem 68.70 sowie 72, Anm. 2), sowie auf van Iersel, Sohn, 124-145. 248 Vgl. Lane, Mark, 416 und Anm. 7 und 8, der vor allem auf Schrage, Verhältnis, 137-141 und Hengel, Gleichnis, 9-31 verweist. 249 Dschulnigg 310. Vgl. Ps 78,2: Dort bedeutet der Begriff „Parabel“, dass das heilsgeschichtliche Handeln Gottes an Israel (Exodus; Gesetz auf dem Sinai; Ungehorsam in der Wüste; Kanaan; Silo; Zion; David) auf poetische Weise, u.a. mit vielen Vergleichen, nacherzählt wird. 250 Schriftverweise bei Pesch II 215. 251 Die meisten Schriftverweise stammen von Pesch II 220, der bemerkt, dass hierbei häufig ein Gerichtskontext vorliegt. Vgl. Berger, Formen, 112. 252 Vgl. Lane 417; obwohl in Lk 20,9 und in EvThom 65 der Weinbergverweis fehlt. 253 Weitere Details bei Pesch II 215.

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somit den zu erwartenden Anspruch des Besitzers (ein Mensch, V. 1; Besitzer des Weinbergs, V. 9) auf einen angemessenen Anteil am Ertrag.254 2 Im Gegensatz zur Erzählung über den Feigenbaum (11,13), kommt hier ein Diener des Besitzers zur Erntezeit (vgl. Lev 19,23ff).255 Die Winzer (als Pächter) suchen jedoch ihren eigenen Vorteil (vgl. 11,15: Tempelkommerz) und verweigern die Abgabe eines Teils des Ertrags, der dem abwesenden Besitzer rechtmäßig zusteht (den ihm zustehenden Teil des Ernteertrags; καρπός [karpos], „Ertrag“/„Gewinn“/„Frucht“). Die Abgabemenge an den Besitzer kann sich auf 25-50 % des Traubenertrags belaufen.256 Mitunter werden alttestamentliche Propheten als Diener bezeichnet (vgl. Jer 7,25-26; Am 3,7; Sach 1,6). Der indirekte Verweis auf Jes 5,1-5 in V. 1 des Gleichnisses mag ebenso andeuten, dass Jesus das Motiv des gerechten „Fruchtbringens“ Gott gegenüber (vgl. den Tempeldienst in 11,17) weiterführt. Die Aussage ἀπὸ τῶν καρπῶν τοῦ ἀμπελῶνος [apo tōn karpōn tou ampelōnos] ist „zumal im Blick auf die Jes-Anspielung von V. 1, eigentümlich metaphorisch offen“; d.h., je mehr die gesandten Diener als Propheten Gottes erscheinen, umso mehr wird diese „Frucht“ die Anbetung und der Gehorsam Israels sein.257 3 Der Vers betont realitätsgetreu,258 dass keinerlei (leer; vgl. Gen 31,42; Deut 15,13) Ertrag entrichtet wird (vgl. die schlechten Trauben in Jes 5,2.4). Im Gegenteil, sie packten ihn, schlugen ihn und schickten ihn leer fort. 4-5 Der Hörer bemerkt die Steigerung in der Erzählung: Schlagen, V. 3; auf den Kopf schlagen, V. 4; töten, V. 5 sowie die häufige Wiederholung dieser Ereignisse („so geschah es auch vielen anderen, welche sie entweder schlugen oder töteten“). V. 1 weist bereits von der Bildhälfte auf die intendierte Sachhälfte bzw. Ausgangsebene:259 Es geht bei der Metapher des Weinbergs um Israel als Volk Gottes.260 In den V. 3-5 wird nun deutlich, dass dieses Volk neben seiner Heilsgeschichte261 auch eine „Unheilsgeschichte“ (vgl. Neh 9,9-35; Mt 5,12; Apg

254 Vgl. Pesch II 215, mit Verweis auf Hengel, Gleichnis, 16-23. 255 Dschulnigg 310, rechnet mit dem Verstreichen von fünf Jahren, bevor der Weinberg erste Frucht trägt. 256 Keener, Background, 167. 257 Pesch II 216, mit Verweis auf Steck, Israel, 271. 258 Pesch II 216, Anm. 10, verweist auf Hengel, Gleichnis, 25-31. 259 Berger, Formen, 97-98. 260 Berger, Formen, 112. 261 Vgl. die Geduld und Treue Gottes, sein Volk immer wieder durch Propheten zu rufen. Hebr 1,1-3 weist eine „positive“ Parallele zu Mk 12,1-12 auf: Dort liegt die Betonung auf der Ausdauer und Geduld Gottes, hier auf der Widerspenstigkeit und Hartherzigkeit des Volkes.

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7,1-53) hat,262 die in der Verwerfung und Tötung263 seiner Boten gipfelt.264 Alttestamentliche Propheten werden häufig als Diener bezeichnet (Jer 7,25-26; 25,4; Am 3,7; Sach 1,6).265 Sie werden zu den „Führenden Israels“ immer wieder von Gott gesandt, jedoch von jenen häufig „abgewiesen oder gar getötet … vgl. 1Kön 19,10; 2Chron 36,15f)“.266 6 Bemerkenswert ist wiederum die sich steigernde Hervorhebung des letzten Gesandten: „Er hatte noch einen267 … den sandte er ihnen zuletzt, (nämlich) den geliebten Sohn“ („griech. agapētós: geliebt steht für hebr. jachid: einzig; vgl. Gen 22,2.12.16; Jer 6,26; Am 8,10, Sach 12,10“268). Der Besitzer geht davon aus, dass die Pächter seinen Sohn als rechtsfähigen269 Erben (V. 7) respektieren werden (d.h., zumindest Respekt vor Gott und seinem Gesandten haben, vgl. Ex 10,3; Lev 26,41; 2Chron 7,14; 12,7.12; 34,27; 36,11-16).270 Das ist ebenso sinnvoll in der Bildhälfte, wie auch in der Sachhälfte, bei der das Echo im Markustext zu 1,11 und 9,7 kaum zu überhören ist (vgl. oben, Einleitung 4.1.4). Natürlich weiß Gott der Vater, dass die Verantwortlichen Israels seinen Sohn (vgl. 9,7)271 nicht respektieren werden; dennoch trifft zu, dass sie dies aufgrund seiner rechtmäßigen Identität hätten tun sollten. Siehe allerdings das rabbinische Gleichnis der bösen Pächter in SifDtn 32,9 §312.272 Dort ist der „Sohn“ der Patriarch Jakob, der Israel repräsentiert. Beachtenswert ist allerdings, dass „Sohn“ auch dort einen individuellen Repräsentanten meint und nicht kollektiv (Israel als „Sohn“) versteht. In jenem rabbinischen Gleichnis ist „Sohn“ mit „Bote Gottes“ eng verknüpft.

In der Sachhälfte identifiziert Jesus den „Sohn des Grundbesitzers“ (12,6) mit dem verworfenen, messianischen „Stein“ (12,10). 262 Vgl. Keener, Background, 167, der bemerkt, dass bereits z.Z. Jesu verschiedene jüdische Ausleger Jes 5,1-5 als Voraussage der Zerstörung des Tempels 586 v.Chr. interpretierten, was die Warnung Jesu nur noch unterstreicht. 263 Vgl. hierzu Pesch II 217 und Anm. 16. 264 Berger, Formen, 113. So auch Pesch II 217. 265 Lane 418. Vgl. Pesch II 216 und Anm. 12, mit weiteren Verweisen. Vgl. 1QpHab2,9; 7,5 (siehe Gnilka II, 146). 266 Dschulnigg 311. 267 Vgl. Pesch II 218, zum Bezug „geliebt“ – „einzig“. 268 Dschulnigg 311. 269 Zur Möglichkeit, den Anspruch durch eine Klage vor einem örtlichen Gericht geltend zu machen, siehe Pesch II 217. 270 So Pesch II 218, der betont, dass der Begriff ἐντρέπομι [entrepomai] in den Kontext der Prophetengeschicktradition gehört. 271 Vgl. Berger, Formen, 113. 272 Dieses Gleichnis wird auf ca. 300 n.Chr. datiert und darf somit, wenn überhaupt, nur mit großer Vorsicht in die Diskussion mit einbezogen werden. Vgl. Lane 418.

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7 Die Winzer setzen sich jedoch auch über diese letzte und beträchtliche Hürde dreist hinweg (entgegen ihrer offiziellen, rechtlichen Stellung, aber durchaus im Sinn der, zumindest in rabbinischen Quellen bezeugten, widerrechtlichen Besitzergreifung):273 „Dieser ist der Erbe; kommt, töten wir ihn, so wird uns das Erbe zufallen“. Es geht auch hier um eine übertrieben formulierte Steigerung des Widerstands gegen den Besitzer: Von der Verweigerung des Ertrags über die Tötung der Boten bis hin zur Besitzergreifung durch Tötung des Erben (vgl. das Geschick Josephs in den Händen seiner Brüder, Gen 37,19-20). Möglicherweise wird angenommen, dass der Sohn kommt, weil der Besitzer tot ist.274 Wiederum gibt es Analogien zur Besitzer-Pächter Situation im Palästina Jesu. Im Todesfall eines Besitzers kann unter bestimmten Umständen von den Pächtern Besitzanspruch erhoben werden.275 Feldmeier bemerkt die unterschwellige Ironie, dass „in der Erzählung der Sohn getötet wird, weil ihn die Pächter als Sohn erkennen, während Jesus selbst ja getötet wird, gerade weil er nicht als Gottes Bevollmächtigter anerkannt wird“.276 Jesus warnt seine Gegner, die meinen, sie könnten mit der Beseitigung des Sohnes den Anspruch Gottes an sie endgültig beseitigen.277 8 Die kriminelle Tat des Mordes wird durch die schamlose Behandlung des Leichnams noch akzentuiert (sie warfen ihn aus dem Weinberg), wird er doch so wilden Tieren ausgesetzt. Die Bildhälfte lässt den Hörer fragen, warum der Besitzer nicht schon viel früher eingegriffen hat.278 9 Das in Zukunft erwartete Gerichtshandeln des noch lebenden Besitzers ist schließlich resolut: Als „Herr des Weinbergs“279 „wird er kommen und die Winzer töten und den Weinberg anderen anvertrauen“. Vor allem aufgrund seiner bereits erwiesenen Langmut (vgl. V. 3-6)280 ist diese Vorgehensweise gerechtfertigt. Wiederum spielt die Aussage Jesu auf die Gerichtsaussage in Jes 5,5-6 LXX (vgl. 5,3) an.281 So vertieft Jesus nur noch mehr, worum es ihm in der Sachhälfte des Gleichnisses geht: Das Volk Israel und vor allem der Sohn, der zu ihm gesandt ist, gehört Gott, und wer die geistliche Verantwortung für dieses Volk veruntreut und sich vor allem am ewigen und von Gott entsandten Sohn Gottes vergreift (vgl. 11,27‒12,12), der muss mit dem (verderbenden) 273 Pesch II 218 und Anm. 19. 274 Pesch II 220, nennt dies „hybride Selbstüberschätzung“. 275 Lane 418, mit Verweis auf Bammel, Gleichnis, 11-17 und Hengel, Gleichnis, 18-31. 276 Feldmeier, Heil, 5-22, hier: 11. 277 Vgl. Berger, Formen, 113. 278 Berger, Formen, 114. Vgl. Keener, Background, 168. 279 Pesch II 220, bemerkt: „die eigentümliche Symbolizität der Figur ist ein Kriterium der Authentie der Parabel“. 280 Vgl. auch Dschulnigg 311. 281 So Lane 419. Vgl. Huber, Weinberglied, 71-94, hier: 84ff.

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Gericht Gottes rechnen.282 Jesus warnt seine Gegner unmissverständlich und eindrücklich. Im Weinberglied (Jes 5,1-7) ist das gesamte Volk fruchtlos (Jes 5,4.7), während im Gleichnis von den bösen Winzern die geistliche Führung des Volkes für Fruchtlosigkeit (wohl des ganzen Volkes) verantwortlich gemacht wird (vgl. 14,62).283 Nach Jes 5,7 besteht die Fruchtlosigkeit des damaligen Israels vor allem im Ausbleiben von „Rechtsspruch“ und „Gerechtigkeit“; stattdessen duldet das Volk „Rechtsbruch“ und „Geschrei über Schlechtigkeit“ (Luther 1984). 10 Ps 118,22-23 (LXX Ps 117,22-23) ist bereits z.Z. Jesu in messianischer Interpretation bekannt („der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden“, vgl. 11,10).284 Der Kontext von Ps 118,2223 handelt von Sieg inmitten von Unterdrückung. Im späteren rabbinischen Judentum gilt der Stein als Metapher für Abraham, David oder den Messias.285 Diese messianisch interpretierbare „Stein“-Metapher schließt unmittelbar an Jesu Aussage über den Sohn an.286 Der Begriff Bauleute dient z.B. in den Qumran-Texten als geläufige Metapher für „geistliche Führer“ (u.a. das Synedrion; vgl. CD 4,19f mit CD 8,3.12).287 Diese Verantwortlichen töten den „messianischen Stein“ (12,7.10). V. 10 greift das Thema des Verwerfens erneut auf (ἀποδοκιμάζω [apodokimazō], siehe V. 6; vgl. 8,31; Lk 9,22; 17,25 als Motiv des gewaltsamen Geschicks der Propheten; Neh 9,9-35; Apg 7,1-53). Auch verbinden V. 9 und 10 die heilsgeschichtliche Zuversicht, dass Gottes Volk (= Weinberg) weiterhin existiert. Siehe hierzu die alttestamentliche Parallele der Wiederherstellung des gerichteten Weinbergs (= Israel; Jes 5,5-7) in Jes 27,2-6. Laut Jesaja erlöst Gott einst sein Volk (Jes 25–27) nach einer Zeit des Gerichts (Jes 22,1-14). Zur Zeit Jesu kommt das Volk Gottes unter neue Führer, und zwar so, dass alle zum Volk Gehörenden den Sohn als Gottesboten, Erbe, Besitzer und Grund- bzw. Eckstein (vgl. Hiob 38,6; Jer 31,26; Sach 4,7) aufnehmen.288 Die überraschende Einsetzung des als verworfen geltenden

282 Berger, Formen, 113. 283 Berger, a.a.O.; vgl. Lane 419. Vgl. ferner Sach 11,16-17 als Gegenstück zu Joh 10,11-16. 284 Vgl. MidrPs 118,22; vgl. Jeremias, Abendmahlsworte, 247-251. Feldmeier, Heil, 5-22, hier: 16, betont mit vielen anderen, dass der Psalm in „der jüdischen Passahliturgie“ zu Hause ist. Siehe ferner die eingehende Studie von Rowe, Kingdom, 262-277. Vgl. Danove, Stone, 6465. 285 Lane 420. 286 Vgl. Pesch II 222, Anm. 33, mit Verweis auf Black, Use, 1-14: hier 11-14. 287 Bayer, Predictions, 102-106. Vgl. ExR 23,122c. 288 Vgl. Berger, Formen, 114, der bemerkt: „Die Schriftanspielung in Mk 12,1 und das Schriftzitat in Mk 12,10f. weisen darauf, daß es in diesem Gleichnis so deutlich wie nirgends sonst um den Streit über die Lehrvollmacht geht“.

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Steins (Sohnes) folgt also auf V. 9.289 Damit liegt eine derart enge Verknüpfung vor, dass sich die Annahme einer späteren, frühchristlichen Einfügung von V. 10 in der Überlieferung erübrigt.290 Sowohl V. 9 als auch V. 10 verweisen auf göttliches Eingreifen in die Geschehnisse (vgl. Ps 118,22-23): In V. 9 legt Gott die Verantwortung für sein Volk in andere Hände; in V. 10 wird der zunächst verworfene „messianische Stein“ (vgl. V. 6-7) durch göttliches Eingreifen (V. 11) als Eckstein für den neuen Tempel eingesetzt (siehe oben, 4.3).291 Diese Interpretation bringt den „verworfenen Stein“ in enge Verbindung mit dem Tod des (ewigen) Sohnes (vgl. V. 6.10). Aufgrund dieser Aussagen rechnet Jesus mit seiner Rettung aus dem Tod.292 Viel später und unbegründet ist ferner die moslemische Identifikation des „verworfenen Steines“ (Ps 118,22 / Mk 12,10) mit dem Kaʽba-Stein in Mekka (Sure 3,96; 5,97).293 Der Grund hierfür ist die Tatsache, dass Jesus den „Stein“ aus Ps 118,22 bereits längst auf sich bezogen hat (12,6.10). Dies geschieht auch in Verbindung mit dem friedfertigen, weltweiten Wachstum der Herrschaft und des Tempels aus „lebendigen Steinen“ (siehe oben, 4.3, Der messianische Tempel).294 11 Gott selbst ist wunderbarer Urheber der Rechtfertigung295 des von den Verantwortlichen verworfenen Messias (vom Herrn ist er (so) geworden und er ist in unseren Augen wunderbar; vgl. Apg 4,11; Eph 2,20; Phil 2,8-9; 1Petr 2,4.7). Das neue Israel aus Juden und Nichtjuden wird den Sohn offenherzig als rechtmäßigen Gesandten, Verkünder, Erben und Eckstein (Jes 28,16) der ewigen Herrschaft (vgl. Jer 30,8-9) und des ewigen Tempels Gottes (vgl. Sach 4,7) empfangen296 (vgl. oben, 4.3). 12 Die Tötungsabsicht der Gegner (vgl. mit 11,18.27 und 12,1; Mk 12,12 ist Voraussetzung für 14,1)297 kreist schon längst nur noch um die Frage, wie dies zu bewerkstelligen ist. Die Popularität Jesu verhindert vorerst noch einen

289 Lane 420 verweist auf Apg 4,11 und 1Petr 2,7. 290 Vgl. Berger, Formen, 114, Dschulnigg 312-313, Cranfield 368-369 und Evans II, 228-230. Pace Pesch II 222. Lane 420, Anm. 15, bemerkt, dass das EvThom den Verweis auf Ps 118,22 als separates und darauf folgendes Logion 66 bietet. Vgl. Snodgrass, Parable, ad loc. 291 Siehe vor allem 1Petr 2,4.6-7. Vgl. mit Eph 2,20 und Lk 20,18. 292 Vgl. ebenso Dschulnigg 312. 293 Die Kaʽba als Teil des Hauses Abrahams. 294 Siehe Apg 4,11; 15,15-17; 1Kor 3,9.16; Eph 2,20; 1Petr 2,4.7; vgl. Barn 6,2-4. 295 Vgl. Bayer, Predictions, 101.106 und passim. 296 Vgl. Blomberg, Parables (2. Aufl.), 330. Blomberg bemerkt, dass TargJes 5,1-7 den Turm und die Weinpresse des Weinbergs Gottes mit dem Tempel und seinem Altar identifiziert. 297 So auch Pesch II 223.

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öffentlichen Vorstoß gegen ihn (vgl. 11,32; 14,1-2). Wie oben bereits erwähnt,298 liegt der Hauptschlüssel zum Verständnis des Gleichnisses in V. 12 (vgl. 12,1.5). Die Gegner Jesu lassen sich durch das Gleichnis nicht umstimmen. Stattdessen verfolgen sie nur noch emphatischer das Ziel, ihn zu töten (siehe Bemerkungen zu 3,6; vgl. mit 11,18.27). Aus ihrer Perspektive ist das einzige Hindernis, um ihr Ziel zu erreichen, die Tatsache, dass Jesus unter dem Volk sehr beliebt ist: aber sie fürchteten das Volk (vgl. 11,32; 14,1-2). Deshalb lassen sie ihn widerwillig noch eine kurze Zeit gewähren (vgl. Mt 22,22). Der V. 12 dient als letztes Bindeglied einer ominösen Kette. Er verbindet 1) den geliebten, jedoch getöteten Sohn des Landbesitzers (V. 6); 2) den verworfenen aber wieder eingesetzten „messianischen Stein“ (V. 10) und 3) die Absicht der Gegner, den künftig Gerechtfertigten (16,8) zu verhaften und zu töten (V. 12). Das Gleichnis belegt, dass Jesus mit dem Maschal-Genre sowohl Suchende unterweist als auch Gegner in ihrer Feindschaft gegen Gott erhärtet (denn sie merkten, dass er das Gleichnis auf sie ausrichtete; vgl. Bemerkungen zum Parabelgeheimnis in 4,11-12). Diese Schlussbemerkung bestätigt Jesu Aussage in 4,11-12: Zwar begreifen die Gegner Jesu, dass sie im Gleichnis angesprochen werden; d.h., sie verstehen die Worte Jesu. Jedoch hat das Gleichnis erhärtende Wirkung hinsichtlich ihrer inneren Haltung Jesus gegenüber: Sie gehen nicht auf die tiefere und warnende Absicht des Gleichnisses ein. „Wahres Verstehen der Gleichnisse wird nur denen geschenkt, die umkehren und sich von Gott vergeben lassen.“299 Es ist lehrreich, das gesamte Gleichnis (12,1-12) aus dieser Perspektive zu betrachten.300 In der Reaktion der Gegner bewahrheitet sich, was Jesus in 4,10-12 voraussagt.

12.5.3 Frage der Steuerabgabe 12,13-17 I 13 Und sie schicken einige Pharisäer und Herodianer zu ihm, um ihm mit einer Aussage eine Falle zu stellen. 14 Als sie nun ankommen, sagen sie zu ihm: „Lehrer, wir wissen, dass du aufrichtig bist und dich um niemandes Gunst bemühst; denn du siehst nicht auf das Ansehen von Menschen, sondern lehrst wahrheitsgetreu den Weg Gottes; ist es recht, dem Kaiser Steuer zu entrichten oder nicht? Sollen wir (sie) bezahlen oder nicht?“ 15 Er aber bemerkte ihre Heuchelei und sprach zu ihnen: „Warum stellt 298 Siehe oben, Einleitung, 6.2 zur Interpretation von Gleichnissen, sowie die Bemerkungen zu 4,2.10-12. 299 Dschulnigg 313 in kritischer Auseinandersetzung mit Pesch II 223. 300 Mk 12,1-10 dient somit als Beispiel für die prophetische Warnung Jesu in 4,10-12.

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ihr mir eine Fangfrage? Bringt mir einen Denar, damit ich (ihn) ansehe“. 16 Sie aber brachten (einen). Und er spricht zu ihnen: „Wessen Abbild und Aufschrift ist dies?“ Sie aber sprachen zu ihm: „Des Kaisers“. 17 Jesus aber sprach zu ihnen: „Gebt dem Kaiser das, was dem Kaiser (gehört), aber Gott das, was Gott (gehört)“. Und sie waren über ihn aufs Äußerste erstaunt.301 II Es folgen in Mk 12,13-37 vier Erzähleinheiten: a. 12,13-17, Weisheit und Gesetz; b. 12,18-27, Verleumdung und Auferstehung; c. 12,28-34, gottergebenes Verhalten; d. 12,35-37, Auslegungsfragen. Berger rechnet diese vier Erzähleinheiten zu den Chrienreihen.302 Handelt es sich dabei jeweils um ein Schema ähnlich der vier charakteristischen Stadien und Fragen der Passahliturgie?303 Mangels genauer Belege kann dies lediglich als Möglichkeit in Erwägung gezogen werden. Mk 12,13-17 (die Frage der Steuerabgabe an die römische Besatzungsmacht) hat die Form einer episodischen Kontroverse (Streitgespräch) bzw. Chrienreihe.304 Authentizität. Die Parallelen zu Mk 12,13-17 im EvThom 100 und im Egerton Papyrus 2, frag. 2 recto, sind von den Synoptikern (sowie Joh) abhängig.305 III 13 Parallel zu 11,27-28 intensivieren die Gegner den Versuch, Jesus in Fangfragen (ἀγρεύω [agreuō], „ich fange“, ist ntl. HL) zu verwickeln (vgl. 8,11 und 10,2). Allerdings wird hier nun deutlich, dass das Haus des galiläischen Herodes Antipas verstärkt (vgl. jedoch bereits Mk 3,6 und Kap. 6–7) mit den populären religiösen Führern Judäas (Pharisäer) kollaboriert. Dies ist aufgrund unterschiedlicher politischer Einstellungen nicht selbstverständlich und bedarf einer signifikanten, gemeinsamen Bedrohung.306 301 Lit.: Cranfield, Responsibility, 176-192; Deissmann, Licht, 252.338-384; Hengel, Zeloten, 132-145; Huber, Frage, 5-19; Schreiber, Caesar, 65-85; Stauffer, Christ, 112-137; vgl. ferner Loewe, Caesar, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 229 (bis 1980); Evans 240-242 (bis 1999). 302 Berger, Formen, 140.149. Zur Definition der Chrie bzw. Chrienreihe, s.o., Einleitung, 3.1. 303 So Lane 421, mit Verweis auf Daube, Evangelisten, 119-126, der vor allem Mekhilta Ex 13,8 §4, pPes 10 37d und bNid 69b-71a anführt. 304 Zur Chrienreihe, vgl. Berger, Formen, 140.149. Zur Definition der Chrie bzw. Chrienreihe, s.o. Einleitung, 3.1. Pesch II 225 spricht von „Schulgespräch“. 305 Evans 244. 306 Vgl. ferner Keener, Background, 168.

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14 Aufgrund all dessen, was bisher über die Gegner berichtet wurde (vgl. die Frage der Gegner in 11,28; siehe 12,1.12), ist die laudatio („Lehrer, wir wissen dass du aufrichtig bist und dich um niemandes Gunst bemühst; denn du siehst nicht auf das Ansehen von Menschen, sondern lehrst wahrheitsgetreu den Weg Gottes“) bestenfalls als heuchlerische (V. 15) und oberflächliche captatio benevolentiae zu bezeichnen. Die sarkastisch „lobende“ Aussage und Frage der Gegner fordert von Jesus, der doch behauptet, den Weg Gottes recht zu lehren, gegen korrupte und ausbeuterische Steuerabgaben (κῆνσος [kēnsos], lat. census, ist Kopf- und Grundsteuer) an den Unterdrücker Rom eindeutig Stellung zu nehmen („ist es recht, dem Kaiser Steuer zu entrichten oder nicht?“). Die Frage ist politisch307 und theologisch (siehe die Kaiseranbetung) voller Zündstoff.308 Eine Absage Jesu an die ausbeutende Steuerabgabe würde einem Aufruf zur womöglich gewaltsamen und blutigen politischen Rebellion (siehe z.B. die Zeloten) gegen Rom gleichkommen. Ein einfaches Bejahen der Steuerabgabe würde dem alleinigen Gehorsam Gott gegenüber widersprechen und gleichsam Gottes Autorität und Gottes Gesetz Rom unterordnen (vgl. Josephus, Ant 18,1-10).309 Die Herodianer, Sadduzäer und, zögernd, Pharisäer, akzeptieren die Steuerabgabe, evtl. unter Berufung auf Dan 2,21.37ff; 4,14.29310 notgedrungen. 15 Das Element der Heuchelei ὑπόκρισις [hypokrisis] (vgl. 7,6) geht aus der Tatsache hervor, dass die Gegner Jesu mehr (Herodes Antipas, Sadduzäer) oder weniger (Pharisäer) willentlich Steuern abführen und somit (aus ihrer Sicht) Gehorsam Gott gegenüber dem unterordnen. Jesus bezeichnet die Frage als Fangfrage (τί με πειράζετε; [ti me peirazete?], wörtl.: „Was versucht ihr mich?“ Vgl. ἀγρεύω [agreuō], „ich fange“, V. 13), d.h. als Mittel, ihn von seinem allumfassenden Gehorsam Gott gegenüber abzubringen und ihn damit zu Fall zu bringen (bzgl. πειράζω [peirazō], siehe Bemerkungen zu 1,12-13; 8,11; 10,2-12; 14,38). Die Veranschaulichung durch die Silbermünze (ein zur Steuerentrichtung notwendiger Denar) schließt jeglichen Zweifel an der Aussageintention Jesu aus. Grundmann gibt ein Beispiel für die verschiedenen sich im Umlauf befindlichen Münzen: Die Denar-Münze „zeigt auf ihrer Vorderseite das Brustbild des Kaisers Tiberius in 307 Vgl. Pesch II 226, und Anm. 5, der u.a. auf Hengel, Zeloten, 132-145 verweist. 308 Vgl. Lane 423 und Anm. 24 und 25: dass die Steuerabgabe z.Z. Jesu eine Form der Unterdrückung darstellt, ist durch Josephus (z.B. Ant 5,76-78) zweifelsfrei erwiesen. Zwei Jahrzehnte vor Jesus führt eine Steuerrevolte zu verheerenden Repressalien (vgl. Keener, Background, 168). Lane, ebd., Anm. 24 u. 25, verweist ferner auf Stauffer, Jesus, 21-32. Vgl. ferner Cullmann, Staat, passim. 309 So Lane 423, mit Verweis auf Apg 5,37. 310 So Pesch II 226.

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olympischer Nacktheit, geschmückt mit dem Lorbeerkranz, der seine göttliche Würde bezeichnet, versehen mit der Inschrift: Tiberius, Cäsar, des göttlichen Augustus Sohn, Augustus. Auf der Rückseite steht Pontifex Maximus, dazu das Bild der Mutter des Kaisers, auf einem Götterthron sitzend, in der rechten Hand das olympische Langszepter, in der linken den Ölzweig, der sie als irdische Inkarnation der himmlischen pax charakterisiert, eine Münze, die Macht – und Kultsymbol in einem ist“.311

16 Das Bildnis (εἰκών [eikōn] = „Bild“/„Ebenbild“/„Gestalt“) mit Namensnennung (Aufschrift = ἐπιγραφή [epigraphē]) repräsentiert die Person und seine Autorität. Das Bild ist wahrscheinlich das des römischen Kaisers Tiberius (14–37 n.Chr.; s.o., zu V. 15). Die eine Münzseite enthält, wie oben bereits erwähnt, die Aussage: „Tiberius Caesar Augustus, Sohn des göttlichen Augustus“, die andere: „Pontifex Maximus“ (höchster Priester).312 Tiberius gilt im Kontext des religiösen Kaiserkultes als Sohn des göttlichen Augustus und der göttlichen Livia, der Mutter von Tiberius (vgl. Exkurs 11). Obwohl die jüdische Bevölkerung von Galiläa und Judäa meist Kupfermünzen ohne Bildnis benutzt,313 besitzen Gegner Jesu einen silbernen Denar, was etwa dem Tagelohn eines Arbeiters entspricht (vgl. Mt 20,2), mit Abbild des römischen Kaisers.314 Damit wird z.B. die Kopfsteuer im römischen Reich seit 6 n.Chr. bezahlt.315 17 „Gebt (ἀποδίδωμι [apodidōmi] = hier: „ich komme der Zahlungspflicht nach“)316 dem Kaiser das, was dem Kaiser (gehört), aber Gott das, was Gott (gehört)“. Jesu geniale Unterscheidung der Sphäre des Kaisers (z.B. Steuergeld) und (καί [kai] ist adversativ zu verstehen; d.h. „Gebt … aber Gott das, was …“)317 der Sphäre Gottes (z.B. die Frucht des Glaubens und des Gebets; vgl. 11,12–12,12) fördert weder zelotischen Aufstand gegen Rom, noch neutralisiert sie die grundlegende Hinwendung Gott gegenüber.318 Bei genauem Hinsehen handelt es sich jedoch nicht um eine banale Aufteilung der vermeintlich getrennten Sphären Gottes und Caesars: Jesus lehrt vollen,

311 Grundmann 244; vgl. Pesch II 226-27. 312 So Lane 424. Lane verweist auf Stauffer, Christ, 112-137. Vgl. Deissmann, Licht, 214.287324. 313 Allerdings macht Dschulnigg 316, Anm. 96, geltend, dass „auch der tyrische Schekel … das Bild eines fremden Gottes (Melkart)“ trägt, obwohl er als Tempelgeld benutzt wird. 314 Keener, Background, 168. 315 Siehe France 468-469 und Dschulnigg 315. 316 Siehe BDAG, 109-110. Vgl. France 468, der hier mit apodidōmi die Bezahlung dessen verbindet, „which already belongs to the receiver, especially paying a debt.“ 317 Pesch II 227. 318 Vgl. Lane 424, Anm. 29, der auf die o.g. entfernten Parallelen zu Jesu Aussage im Egerton Papyrus 2 (Fragment 2, recto) sowie auf EvThom 100 verweist.

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allumfassenden Gehorsam Gott gegenüber, der Akzeptanz innerweltlicher Autoritätsstrukturen einbezieht. „Der zweite Teil der Antwort hat größeres Gewicht und grenzt die Anerkennung des Kaisers ein, wenn dieser Forderungen erhebt, die Gottes Souveränität und Herrschaft in Frage stellen oder verneinen … die innerweltlichen Autoritäten und Strukturen sind so weit anzuerkennen, wie diese keinen absoluten Gehorsam verlangen und selbst keinen göttlichen Anspruch erheben“.319

Überblick über die Auffassung Jesu hinsichtlich der Gesetzessphäre des zivilen Staatsgefüges im Rahmen der Herrschaft Gottes:320 Der Mensch, „der Gottes Bild trägt“,321 ist ganz und gar Besitz Gottes (vgl. 12,28-34; Mt 6,24). Dieser Gehorsam Gott gegenüber bezieht Steuerabgabe an die von Gott eingerichtete, gewollte und separate Gesetzessphäre des Staatsgebildes mit ein (vgl. 2Chron 20,6b).322 So vertritt Jesus bereits keine theokratische Auffassung mehr (vgl. ebenso Röm 13,1ff; 1Petr 2,13-17),323 sondern sieht die mit Bezug auf Gott relative und begrenzte Autorität des Staates (als Prinzip) neben der allmählichen Errichtung der Herrschaft Gottes in den Herzen des messianischen Gottesvolkes.324 „Jesus lässt neben Gott keinen zweiten absoluten Wert gelten“.325 Die Frage, ob die zeitgenössische, imperialistische, unterdrückende und ausbeutende Handhabung dieser prinzipiell gottgegebenen Staatsmacht (in diesem konkreten Fall ist es das römische Kaiserreich) Gottes Willen tatsächlich entspricht (was in vieler Hinsicht keineswegs zutrifft; vgl. 10,42; Lk 13,32), ist nicht Gegenstand der vorliegenden Aussage Jesu (siehe unten). Fest steht allerdings, dass Jesus der stets relativen Staatsgewalt durch den zweiten und betonten Teil seiner Aussage deutliche und scharfe Grenzen setzt.326 Der absolute Gehorsam gegen Gott bestimmt auch das Verhältnis zum Kaiser (u.a. durch Leidensbereitschaft, vgl. 1Petr 2,12-17). „Die in Jesus in diese Welt einbrechende und in dieser Welt anbrechende Herrschaft Gottes ist also nicht 319 Dschulnigg 316. 320 Vgl. Cullmann, Staat, passim. 321 Pesch II 227. 322 Siehe H. Dooyeweerd, Political Philosophy, passim. Vgl. Lane 424; er verweist ferner auf 1Tim 2,1-6; Tit 3,1-2; 1Petr 2,13-17. 323 So auch Pesch II 227. Vgl. Burge, Jesus, 25-57 und passim. Burge macht deutlich, dass Jesus in keiner Weise auf die Wiedergewinnung der Macht über jüdische Gebiete pocht. Vielmehr geht er überall lediglich den zerstreuten jüdischen Menschen nach. 324 Lane 424. 325 Pesch II 227. 326 Hinsichtlich der Grenzen, die im römischen Imperium oft maßlos überschritten werden, vgl. u.a. Lane 424-425 und Anm. 30.31; Goppelt, Freedom, 183-194; Barth, Stream, 13-54; Cranfield, Responsibility, 176-192; vgl. Cullmann, State, passim.

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auf einen geistigen oder religiösen Sektor zu beschränken, sondern greift nach dem ganzen Menschen“.327 Die Gegner sind somit nach wie vor herausgefordert, Gott von ganzem Herzen zu dienen, was jedoch die Abgabe von Steuern (z.B. an Rom) mit einbezieht. Es mag sein, dass Jesus bei seinen Gegnern nebenbei ein mögliches götzenartiges Festhalten am Geld aufgrund mangelnder Hinwendung zu Gott anprangert. Details: Während der gesamten Menschheitsgeschichte ist Gott immer der souveräne Herr allen Lebens. Für eine gewisse, heilsgeschichtliche Zeit besteht Israel als Theokratie.328 Nun bringt Jesus die weltweite und ewig währende Herrschaft Gottes. Das hierbei entstehende Volk Gottes besteht aus neugeborenen (Joh 3,3) jüdischen und heidnischen Menschen, die unter seiner Herrschaft leben (10,45; 14,22-25). Verschiedene Staatsgefüge, einschließlich das Roms, gehen ihren Geschäften unter der Verantwortung vor Gott nach. Sie haben jeweils die Aufgabe, Böses zu begrenzen und Gutes unter den ihn anvertrauten Menschen zu fördern (Röm 13,3-4; 1Petr 2,13-17). Sie tun dies vor allem für diejenigen, die noch nicht unter der Herrschaft Gottes leben, aber auch für diejenigen, die Jesus bereits nachfolgen. Jede Gesellschaft benötigt eine derartige Eingrenzung des Bösen. Diejenigen, die Gott dienen, sollen dem souveränen Gott von ganzem Herzen dienen (12,28-34; vgl. Mt 6,24). Eine derartige Hinwendung zu Gott schließt Beugung unter die staatliche Autorität mit ein, weil sie grundsätzlich damit beauftragt ist, Böses zu ahnden und Gutes zu fördern.329

Jesus betont (12,30), wie wichtig es nach dem mosaischen Gesetz ist, Gott voll und ganz in allen Lebensbereichen zu lieben. Das zweite, zentrale mosaische Gesetz, nämlich den Nächsten wie sich selbst zu lieben (12,31), betont ebenso, wie wichtig es ist, das Gute für jeden Menschen eines Staates zu suchen und zu fördern. Die spezifische Gesetzgebung eines Staates, einschließlich die Roms, steht ebenso unter der o.g. Absicht Gottes.330 Allerdings bejaht Jesus im vorliegenden Abschnitt lediglich die grundsätzliche Legitimität und Notwendigkeit eines gegebenen Staates, einschließlich der Notwendigkeit, Steuern einzutreiben, um den Aufgaben eines Staates nachzukommen. Jesus spricht hier jedoch nicht über den Missbrauch derartiger Macht (siehe unten). Im Gegensatz zum alttestamentlichen Israel und zum Islam, ist die weltweite Herrschaft Gottes nicht theokratisch konstituiert. Stattdessen toleriert oder unterstützt sie verschiedene Staatsgefüge und lässt sie als legitime Institutionen (nach Dooyeweerd sog. „law-spheres“) mit der wachsenden Herrschaft Gottes koexistieren. Derartige Staatsformen stehen jedoch stets unter der Autorität Gottes. Sie bestehen unter seiner Obhut zum Schutz aller Menschen. Gott steht sowohl über diesen Institutionen als auch über seinem wiedergeborenen Volk aus allen Nationen. Wie oben bereits angedeutet, spricht Jesus hier nicht die Frage an, ob etwa der römische Staat in vielen Einzelfragen gerecht oder ungerecht handelt; ob er den Absichten Gottes entspricht oder sie in Eigennutz oder Unterdrückung missbraucht. Allerdings ist zu beachten, dass Jesus den Missbrauch von politischer Macht an anderer Stelle scharf kritisiert (10,42; vgl. Lk 13,32). Wenn ein Staat den von Gott bestimmten Zielen, nämlich das Böse einzudäm327 Pesch II 228. 328 Vgl. Cullmann, Heil, passim und Cullmann, Staat, passim. Siehe Dooyeweerd, Political Philosophy, passim. 329 Siehe Dunn, NIDNTT, I, 269. 330 Vgl. Röm 13,1-7; 1Petr 2,13-14; vgl. 1Tim 2,1-6; Tit 3,1-2.

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men und das Gute zu fördern, nicht gerecht wird, so können bzw. sollen die Nachfolger Jesu auf gewaltlose Weise als Gewissen des Staates (zusammen mit anderen) auftreten. In Apg 4,19b sagen Petrus und Johannes den jüdischen Machthabern: „Urteilt selbst, ob es vor Gott recht ist, dass wir euch mehr gehorchen als Gott“. Es ist durchaus rechtens, auf gewaltlose Weise dem Staat gegenüber dort Ungehorsam zu leisten (mit Leidensbereitschaft; z.B. Apg 4,21; 1Petr 2,12-15), wo Machtmissbrauch oder Gesetzlosigkeit herrscht, solange die Ziele Gottes aufrechterhalten bleiben.331 Die Geschichte weiß von vielen Staatsgefügen und Regierungen zu berichten, die ihre Macht missbrauchten und somit ihrer Aufgabe nicht gerecht wurden.332 Stattdessen waren sie sich ihr eigenes Gesetz und wurden sogar zum Verfechter des Bösen. Ein Beispiel hierfür sind die Verbrechen des Nationalsozialismus. Ein derartiger Staat handelt gegen Gottes Absichten; er zerstört und missbraucht Recht, Wahrheit, Menschenwürde und Leben. Weil Staatsgefüge immer in Verantwortung vor Gott bestehen, müssen sich alle Menschen, die darin Macht ausüben, vor Gott spätestens am Letzten Tag verantworten. Dies gilt besonders für unterdrückendes und ausbeutendes Handeln (siehe Jes 14,9-20; vgl. Mk 10,42; Lk 13,32).

Das Staunen der Gegner (vgl. 12,34.37) sagt wenig über ihren inneren Zustand und ihre tatsächliche Einstellung aus.333

12.5.4 Die Frage nach der Auferstehung der Toten 12,18-27

I 18 Und Sadduzäer, die meinen, es gebe keine Auferstehung, kommen zu ihm und fragen ihn folgendermaßen: 19 „Lehrer, Mose schrieb uns: Wenn jemandes Bruder stirbt und eine kinderlose Frau hinterlässt, so soll dessen Bruder die Frau annehmen und seinem Bruder Nachkommen schaffen. 20 Es waren sieben Brüder. Und der erste heiratete eine Frau und starb, ohne Nachkommen zu hinterlassen. 21 Und der zweite nahm sie zur Frau, starb aber, ohne Nachkommen zu hinterlassen. Und der dritte ebenso. 22 Und die sieben hinterließen keine Nachkommen. Zum Schluss starb auch die Frau. 23 Mit wem von ihnen ist die Frau bei der Auferstehung (wenn sie auferstehen) verheiratet? Denn (alle) sieben hatten sie zur (Ehe-)Frau gehabt“. 24 Jesus sprach zu ihnen: „Irrt ihr euch (wohl) deshalb, weil ihr weder die Schrift noch die Kraft Gottes kennt? 25 Denn wenn sie von den Toten auferstehen, heiraten sie nicht und geben nicht zur Heirat, sondern sie sind (vielmehr) wie Engel im Himmel. 26 Aber nun zur (Tatsache), dass die Toten auferstehen: Habt ihr nicht im Mosebuch, 331 Siehe etwa den mutigen Widerstand von Pastor Paul Schneider gegen den verheerenden deutschen Nationalsozialismus, der die Form des Rechtstaats systematisch unterwanderte und für eine äußerst destruktive Ideologie missbrauchte. 332 Vgl. dies mit der Anweisung in Röm 13,1-7 und 1Petr 2,13-14. 333 Vgl. Dwyer, Motif, ad loc. Es handelt sich hierbei um eine „grudging admiration“ (BDAG, 303). Vgl. die Bemerkungen zu 1,21-22.27; 2,12; 5,42; 6,2.51; 7,37; 9,15; 10,24.26.32; 11,18; 12,2; 16,8.

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im Abschnitt zum Dornbusch, gelesen, wie Gott zu ihm sprach und sagte: ‚Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs‘? 27 Er ist nicht Gott der Toten, sondern der Lebenden. Ihr irrt euch sehr“.334 II Bei Mk 12,18-27 handelt es sich wiederum um eine episodische Kontroverse (Streitgespräch zur Tatsache der Auferstehung, im Gegensatz zur Lehre der Sadduzäer) bzw. um eine Chrienreihe.335 III Jesus wird jetzt auch von anderer Seite herausgefordert: Die im Vergleich zu den Pharisäern weniger populären, aristokratischen Sadduzäer (s.u., Exkurs 8), die bis 70 n.Chr. die Mehrheit im Synedrion (jüdischen Rat) innehaben, melden sich nun auch zu Wort. Warum? Weil Jesus inzwischen derart populär und kontrovers ist, dass er auch von Seiten der Sadduzäer wenigstens als Irrlehrer öffentlich bloßgestellt werden muss. Warum ausgerechnet eine Frage zur Auferstehung, die scheinbar nur bei den von ihnen nicht anerkannten Propheten gelehrt wird (vgl. Hos 6,2; Dan 12,2)? Die Sadduzäer sind davon überzeugt, dass Torahtreue und Auferstehungsglaube nicht zusammengehen; erhoffen sie sich deshalb mittels dieser Frage, Jesus evtl. als Gegner der Torah (weil Befürworter der Auferstehung) bloßstellen zu können? Falls Jesus als Gegner der Torah gelten könnte, würden alle Fraktionen im palästinischen Judentum Jesus als Irrlehrer identifizieren müssen.336 Allerdings ist ihre theologische Position (Verneinung der Auferstehung von den Toten; vgl. Apg 23,8; 1Kor 15,12-13) weniger populär als die die Auferstehung bejahende Auffassung der Pharisäer. Zur Auffassung der Sadduzäer über die Auferstehung siehe Josephus, Ant 18,16-17, Josephus, Bell 2,162-166 und pChag 4 77b.337 Zur Auferstehungslehre der Pharisäer siehe vor allem den zweiten Segen der Shemoneh ‘Esreh sowie TosBer 7.5 und mSan 10.1.338

334 Lit.: Dreyfus, L’argument, 213-224; Huber, Frage, 5-19. Weitere Lit. bei: Pesch II 235-236 (bis 1980); Evans 249-250 (bis 1999). 335 Zur Chrienreihe siehe Berger, Formen, 140.149. Zur Definition der Chrie, bzw. Chrienreihe, s.o. Einleitung 3.1. Pesch II 230 spricht von „Schulgespräch“. 336 Pace Evans 251, der diese Überlegungen nicht anstellt. 337 Lane 427, Anm. 37. 338 Lane 427.

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Exkurs 8: Die Sadduzäer339 Die Sadduzäer treten vielleicht bereits unter der Herrschaft der Seleukiden auf, sicher jedoch während der Zeit der Hasmonäer.340 Neben den Pharisäern (und den später von den Pharisäern abgespaltenen Essenern)341 bilden sie innerhalb des Judentums in den Jahrhunderten vor – und im 1. Jh. nach – Chr. eine machtvolle Fraktion.342 Zur Zeit des Neuen Testaments sind die aristokratischen, reichen Sadduzäer (Besitz- und Priesteradel) im Jerusalemer Synedrion an der durch Rom tolerierten (jedoch sehr eingeschränkten) Macht. Die Sadduzäer stammen angeblich von Zadok, einem der Hohepriester Davids, ab.343 Vor allem während der Makkabäerzeit344 verfolgen sie eine Politik der Assimilation und Akkommodation, was unter Juden anderer religiöser Auffassung und niedrigerer Stellung nicht populär ist. Im öffentlichen Leben zeigen sich die Sadduzäer als konservativ-fromm und tempeltreu (mit starker Betonung der levitischen Reinheitsgebote).345 Während der Regierungszeit der Makkabäer Johannes Hyrkanus und Alexander Jannäus erfreut sich diese kleine Aristokratie wachsender Macht. Diese Machtstellung setzt sich unter Rom in begrenzter Weise so fort, dass die Sadduzäer von 37 v. Chr. bis 68 n.Chr. die Hohepriester (sowie manche Schriftgelehrte) stellen. Aufgrund ihrer meist rein formalen Treue den Grundelementen des jüdischen Kultus gegenüber sowie aufgrund ihrer politischen Neigung widersetzen sie sich sowohl messianischer Agitation (und messianischer Erwartung) als auch politischer Resistenz innerhalb des Judentums gegen Rom. Auf der anderen Seite treten sie häufig für die Interessen des jüdischen Volkes Rom gegenüber ein und erreichen vor allem in Verhandlungen mit dem jeweiligen Präfekt Judäas in vielen konkreten Bereichen Linderung oder gar Änderung der unterdrückenden Politik Roms. Theologisch betonen die Sadduzäer den „freien Willen“ des Menschen vor Gott (gegenüber der Prädestinationsauffassung der Pharisäer) und betrachten ausschließlich die Torah als autoritativ. Sie verwerfen die Autorität der Propheten und halten sich nicht an mündliche Tradition. Sie interpretieren die Torah eher buchstäblich und glauben weder an eine Auferstehung vom Tod noch an ewiges Leben, Engel und Dämonen. Es gibt aus ihrer Sicht nur einen diesseitigen Äon.346 Josephus stellt Vergleiche zwischen Sadduzäern und Epikuräern auf und zeigt, 339 Lit.: Baumbach, Sadduzäerverständnis, 17-37; Ferguson, Backgrounds, 486-487; Cook, Treatment, ad loc.; Saldarini, Pharisees, ad loc. 340 Vgl. Josephus, Bell 2,119 sowie Bell, Exploring, 32-37. 341 Vgl. 1Makk 2,42. 342 Josephus nennt diese Fraktionen „Sekten“ bzw. „Parteien“; vgl. z.B. Josephus, Ant 13,297298. 343 Bell, Exploring, 32-33. Vgl. 2Sam 8,17; 15,27; 20,25; 1Kön 2,35. 344 Ihr Ursprung ist ungewiss. Während der Zeit der Hasmonäer (ab 167 v.Chr.) ist ihre Existenz sicher belegt. Vgl. allerdings bereits Sir 51,12. 345 Bemerkenswert ist ihre Distanz zum Volk. Vgl. Josephus, Bell 2,166 und Josephus, Ant 13,298. 346 Pesch II 232.

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wie sowohl ihre Theologie als auch ihre Anthropologie anthropozentrisch vom freien Willen und Denken des Menschen bestimmt sind.347 Pesch bezeichnet den Sadduzäismus sogar als „praktischen Atheismus“.348 Die Hermeneutik der Sadduzäer ist grundsätzlich nicht offenbarungsabhängig, sondern anthropozentrisch geartet.349

18 Die übertrieben formulierte und theoretische Frage geht von einer Spannung zwischen der Torah (Leviratsehe) und der Lehre der Auferstehung aus, vor allem, wenn Monogamie derart stark betont wird, wie das bei Jesus der Fall ist (Mk 10,1-12 / Gen 1,27; 2,24).350 Sadduzäer leugnen die Auferstehung der Toten (vgl. Apg 23,8; Josephus, Bell 2,165 und Ant 18,16-17).351 19-23 Die hypothetische Frage der Sadduzäer (oder der Schriftgelehrten, die mit Sadduzäern sympathisieren)352 könnte auch an die Pharisäer gerichtet sein: Wie kann eine monogame Ehe nach der vermeintlichen Auferstehung angesichts von sieben353 legitimen, kinderlosen Ehen eines Menschen auf Erden (vgl. Deut 25,5-6, Gen 38,8; Rut 4; Levirats- oder Schwagerehe zum Schutz von Witwen)354 bewahrt bleiben? Für die Sadduzäer steht somit bereits fest, dass bei Ausschluss von Polygamie eine physische Auferstehung, die das Fortbestehen von sieben Ehen impliziert, unmöglich ist. Die Sadduzäer hoffen mit diesem Argument sowohl Jesus zu Fall zu bringen als auch die Pharisäer zu „belehren“. 22 Die Tatsache, dass alle sieben Brüder keine Kinder hinterlassen, bedeutet, dass die Notwendigkeit, Nachkommen zu schaffen, zum Zeitpunkt des Todes der Frau nach wie vor besteht. Diese Sachlage intensiviert die Problematik der physischen Auferstehung, da ja immer noch die Pflicht der Leviratsehe vorliegt. 23 Die Frau müsste nach (einer vermeintlichen) Auferstehung wieder ihren ersten Mann heiraten, damit aber ihren sechs anderen Ehemännern gegenüber untreu sein. Aus der Sicht der Sadduzäer widerspricht somit der Auferstehungsglaube der Torah.355

347 Vgl. Baumbach, Sadduzäerverständnis, 17-37. 348 Vgl Pesch II 231 und Anm. 2 349 Vgl Pesch II 234. 350 Vgl. Evans 251. 351 Verweise bei Dschulnigg 319. 352 Evans 252. 353 Lane 427 verweist auf Tob 3,8.15; 6,13; 7,11, wo die fromme Sara hintereinander mit sieben Männern kinderlos verheiratet ist. 354 Evans 251, der ferner auf Josephus, Ant 4,254-256 verweist. 355 Vgl. Pesch II 232 und Dschulnigg 319.

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24 Der Irrtum der Sadduzäer wird auch in V. 27 hervorgehoben. Jesus wirft den Sadduzäern zweifaches vor: Unkenntnis der Schrift, d.h., entweder kennen sie nicht die ganze Schrift (evtl. Ausschluss der Prophetenbücher; vgl. „die Schriften“, pl.) oder sie verfehlen die Aussageintention der Schrift. Letzteres ist wahrscheinlicher, weil Jesus weiterhin mithilfe der Torah argumentiert. Zweitens zeigt ihre Frage Unkenntnis der (lebendigen) Kraft Gottes (vgl. 14,62). Gott kann sehr wohl von den Toten auferwecken (16,6). Ihr Gott ist, im Gegensatz zu dem der Pharisäer, eher ein zweidimensionales, ideelles Kunstgebilde, das sich hinter einem flachen Lippenbekenntnis verbirgt. Deshalb haben sie sich getäuscht (πλανάω [planaō], „ich betrüge“; hier durativ Präs. Pass., „ich verirre mich stets“ / „verfalle in den Zustand des Irrtums“; vgl. V. 27 und 13,5-6).356 Ihnen bleibt das Phantom einer Gottesidee, die in ihren sozialpolitischen Interessen einen bescheidenen Platz findet.357 Sie ist mehr oder weniger von der Realität losgelöst. 25 Die Aussage Jesu über das Ausbleiben von ehelichen Beziehungen im physischen Leben jenseits des Todes mag überraschen. Allerdings ist von Ehe im Leben nach dem Tod nirgendwo im AT die Rede. Die physische Auferstehungsexistenz (vgl. Dan 12,2) gleicht vielmehr der von Engeln (deren Existenz ebenso von den Sadduzäern geleugnet wird, vgl. Apg 23,8).358 26-27 Jesus hinterfragt nun grundsätzlich die unhaltbare Auffassung der Sadduzäer. Es ist erstaunlich, dass Jesus (u.a. in Rücksichtnahme auf die Schrifthaltung der Sadduzäer?) nicht prophetische „Beweistexte“, wie etwa Ps 16; Jes 53,11f; Dan 12,2, oder Hos 6,1-2, anführt. Vielmehr hebt er die viel grundlegendere Tatsache hervor, dass der auch für Sadduzäer verbindliche359 Pentateuchtext Ex 3,6 nie bedeuten kann, dass Gott sich Mose als Gott der Toten zu erkennen gibt: „Habt ihr nicht im Mosebuch, im Abschnitt zum Dornbusch, gelesen, wie Gott zu ihm sprach und sagte: ,Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs? Er ist nicht Gott der Toten, sondern der Lebenden“. Es besteht kein Zweifel, dass Ex 3,6 als göttliche Erkennungsformel zu verstehen ist.360 Gott weist sich aus als Gott der drei Patriarchen, als Bundesstifter (vgl. vor allem Abraham). Er ist der treue, be-

356 Vgl. mit 2Tim 3,13; 1Joh 1,8; 2Joh 7; Offb 20,3.10. 357 Vgl. mit 1Kor 15,16-17.33-35, wo Paulus Verirrungen, Unkenntnis Gottes, gottloses Handeln und die Leugnung der Auferstehung miteinander verbindet. 358 Pesch II 233, mit weiteren, außerbiblischen Verweisen. 359 Lane 428. 360 Lane 429 und Anm. 41-42 verweist auf Dreyfus, L’argument, 213-224, der betont, dass die offiziellen Gebete z.Z. Jesu die Formel ‚Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs‘ als Erkennungsformel auffassen, die die Bundestreue, den Schutz und die Erlösung Gottes beschreiben.

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wahrende und erlösende Gott (vgl. Ex 3,15.16; 4,5).361 Alles was über Gott in seinem Umgang mit den Patriarchen deutlich wird, gehört zu Gottes Art. Gott soll sowohl durch seine Natur als auch durch sein Handeln erkennbar sein. Oberflächlich betrachtet, könnte man zunächst meinen, dass die gestorbenen Patriarchen jetzt nicht mehr existieren und Ex 3,6 lediglich in Erinnerung ruft, wie Gott damals an den Patriarchen handelte. Nach Lane gehen viele Ausleger von Mk 12,26-27 davon aus, dass Jesus aufgrund von Ex 3,6 keineswegs die Auferstehung der Toten beweist.362 Für viele ist diese Art der „Beweisführung“ lediglich Ausdruck rabbinischer Auslegung, bei der eher Behauptungen als Beweise vorgetragen werden. Lane verweist u.a. auf Rabbi Gamaliel II, der aufgrund von Num 11,9 die Auferstehung der Toten „nachweist“. Jesu Auslegung von Ex 3,6 ist jedoch viel tiefgründiger und beweiskräftiger. Die skeptische Sichtweise verfehlt vor allem das Ziel von Ex 3,6 und das der Aussage Jesu (V. 27): Die göttliche Erkennungsformel (Ex 3,6) beschreibt vor allem Gott und nicht die Patriarchen.363 Weil sich die Formel auf Gott konzentriert, wird bekräftigt, dass Gott immer so ist und immer so bleibt, nämlich der ewige Bundesgott dieser Patriarchen. Da Gott immer so bleibt, folgt, dass die Patriarchen als Empfänger seiner bleibenden Bundestreue (eben z.Z. des Mose und dann auch z.Z. Jesu) nach wie vor auch nach ihrem physischen Tod existieren (vgl. Röm 8,35-39).364 Wäre das nicht der Fall, müsste Gott nun anders beschrieben werden (etwa: damals war Gott der Gott der Patriarchen, mit denen er den Bund begründete; nun ist er der Gott von Aaron und Mose bzw. von Gamaliel und Nikodemus, mit denen er den Bund fortführt). Da der Bundesgott immer lebt, existieren die fort, mit denen er den Bund schließt und mittels derer er sich in Bundestreue erkennbar macht: Abraham, Isaak und Jakob. Gott ist nicht Bewahrer und Bundesgott der Toten, sondern der Lebendigen. “If God has assumed the task of protecting the patriarchs from misfortune during the course of their life, but fails to deliver them from that supreme misfortune which marks the definitive and absolute check upon their hopes, his protection is of little value … If the death of the patriarchs is the last word of their history, there has been a breach of the promises of God guaranteed by the covenant”.365

Damit ist zumindest die Voraussetzung zur physischen Auferstehung gegeben. Die menschliche Seele existiert nach Ex 3,6 auch noch nach dem Tod (vgl. die 361 So Lane 430. 362 Lane 428 und Anm. 40. 363 So auch Lane 429. 364 Lane 428. 365 Lane 430.

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bleibende Existenz von Mose und Elia, Mk 9,4). Gott hält den Seinen auch jenseits des physischen Todes die Bundestreue (vgl. Röm 8,38-39).366 Glaubende, die gestorben sind, leben bei ihrem lebendigen und treuen Bundesgott.367 Dass er ihnen einst noch einen neuen Körper geben wird, kann daraus folgen.

12.5.5 Das wichtigste Gebot 12,28-34

I 28 Und einer der Schriftgelehrten, der gehört hatte, wie sie ihn befragten, und gesehen hatte, dass er ihnen trefflich geantwortet hatte, trat vor und fragte ihn: „Welches Gebot ist das wichtigste von allen?“ 29 Jesus antwortete: „Das wichtigste ist: ‚Höre, Israel, der Herr unser Gott ist Herr allein, 30 und du sollst den Herrn deinen Gott lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Verstand und mit deiner ganzen Kraft.‘ 31 Das zweite ist dies: ‚Du sollst deinen Mitmenschen lieben wie dich selbst.‘ Es gibt kein anderes Gebot, das größer ist als diese“. 32 Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: „Fein, du hast recht gesprochen, Lehrer, dass einer ist und kein anderer außer ihm, 33 und ihn zu lieben mit ganzem Herzen, mit ganzem Verstehen, mit ganzer Kraft und den Mitmenschen wie sich selbst zu lieben ist wichtiger als alle Brandopfer und Opfer (überhaupt)“. 34 Und Jesus sah, dass er verständig antwortete und sagte zu ihm: „Du bist nicht weit vom Königreich Gottes“. Und niemand wagte es mehr, ihn (noch etwas) zu fragen.368 II Form und Aufbau. Mk 12,28-34 ist im Rahmen einer episodischen Kontroverse bzw. einer Chrienreihe369 ein zweiteiliger Lehrmeinungsdialog:370 a. 12,28-31, Gespräch; b. 12,32-34, Antwort und Bewertung. Siehe durch 12,28 den Bezug zu 12,18-27 sowie die Themenverknüpfung „Gesetzestreue“ mit 12,18-27.371 366 Vgl. Lane 428-430. Siehe Dschulnigg 320 hinsichtlich der Frage der Erhaltung des Namens von Verstorbenen. 367 Pesch II 234 verweist auf außerbiblische Quellen, die die zeitgenössische Auffassung stützen, dass die Patriarchen als bei Gott lebend gesehen werden. 368 Lit.: Folkers, Wahrheit, 27-29, hier: 27; Huber, Frage, 5-19; Jeremias, Jerusalem, 101-114; Kertelge, Doppelgebot, 38-55.41; Oswald, Gespräch, 82-100; Pratscher, Bedeutung, 189-204; Stern, Citation, 312-316; vgl. ferner Chilton, Rabbi, ad loc.; Jeremias, Gebete, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 249 (bis 1980); Evans 258-260 (bis 1999). 369 Zur Chrienreihe siehe Berger, Formen, 140.149. Zur Definition der Chrie, bzw. Chrienreihe, s.o. Einleitung 3.1. 370 Evans 261. Pesch II 237 spricht (wie Bultmann, Geschichte, 57) von einem „Schulgespräch“. 371 Evans 261.

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Literarischer Kontext. Nachdem Mk vier Gruppen von Gegnern Jesu vorgestellt hat, gliedern sich nun drei Episoden über Schriftgelehrte an: V. 28-34, erste Episode; V. 35-37, zweite Episode; V. 38-40, dritte Episode. Bisher sind Vertreter des Synedrions (11,27), der Pharisäer (12,13), des Herodes Antipas (12,13) und der Sadduzäer (12,18) gegen Jesus angetreten. III 28-34 Die erste Episode (12,28-34; durch das Mithören der Diskussion, V. 28, mit 12,18-27 thematisch verknüpft) enthält einen freundlichen Dialog mit einem aufgeschlossenen Schriftgelehrten; siehe jedoch die Kritik an der Lehre der Schriftgelehrten (V. 35-37) und die emphatische Warnung vor Schriftgelehrten in der dritten Episode (12,38-40). D.h.: Jesus betrachtet durchaus differenzierend jeden Menschen für sich. Die Schriftgelehrten sind oft (aber nicht ausschließlich)372 pharisäischer Ausrichtung und manche sind Mitglieder des Synedrions. Sie sind die theologisch Geschulten. Im vorliegenden Abschnitt V. 28-34 wird deutlich, dass Zugang zum Königreich Gottes (vgl. V. 34) nicht von Partei oder Status abhängig ist, sondern von der inneren Haltung Jesus gegenüber. 28 Ein Vertreter dieser Gruppe stellt keine Fangfrage,373 sondern geht ernsthaft der hermeneutischen Frage nach, worin die Hauptbetonung oder das Hauptgewicht (Hauptgebot) des Gotteswortes liegt, an der sich alle anderen Aussagen der Schrift orientieren: „Welches Gebot ist das wichtigste von allen?“ Das wichtigste (πρώτη [prōtē]) ist also im Sinn von „zentral“ oder „grundlegend“ (vgl. Mt 22,40) und nicht im Sinn einer Rangordnung zu verstehen.374 Fragen zur relativen Gewichtung der 613 Weisungen des AT sind im palästinischen Judentum durchaus geläufig.375 29 Jesus geht direkt376 auf dessen Frage ein. Das nur bei Mk zitierte „Schema Jisra’el“: „Das wichtigste ist: ‚Höre, Israel, der Herr unser Gott ist 372 Lane 431, Anm. 46, verweist u.a. auf Jeremias, Jerusalem, 286-303. Allerdings betont Jeremias, dass Pharisäer und Schriftgelehrte dennoch deutlich zu unterscheiden sind (siehe vor allem ders., a.a.O., 286-289). 373 Das Wort καλῶς [kalōs] ist positiv zu fassen (vgl. Bauer-Aland, 814-815, vor allem Abschnitte 1.-5.). Ein ironischer Gebrauch müsste aus dem Text hervorgehen. Vgl. France 710. 374 Vgl. Dschulnigg 323. 375 Vgl. Lane 431. Pace Pesch II 238, der anstatt eines „Hauptgebotes“ (unsere Auffassung) an die Bestimmung von „Erstrangigkeit“ denkt. Siehe die Belege für die Auffassung des „Hauptgebotes“ bei Lane 431. Auch sonst äußert sich Jesus über das Verhältnis der Gebote zueinander (vgl. Mk 7; vgl. 1Sam 15,22; Ps 39,7; 50,21; Hos 6,6; Jes 1,11; Spr 21,3; Dan 3,38ff; 1QS9,4-5; Verweise bei Pesch II 243). Dies muss nicht als Indiz für ein hellenistisch-judenchristliches Milieu dienen. 376 Pesch II 238, weist darauf hin, dass diese Redeeinführung bei Mk „singulär“ ist.

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Herr allein‘“ (Deut 6,4-5a) ist zumindest seit dem 2. Jh. v.Chr. Grundgebet und Fundament des jüdischen Glaubensbekenntnisses.377 Zwei Mal täglich betet das jüdische Volk:378 „Höre, Israel: Der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer“ (bzw. „der Herr allein“, Luther 1984).379 30-31 Allerdings zielt Deut 6,4 auf das darauf folgende Hauptgebot (vgl. V. 33): „Den Herrn deinen Gott lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Verstand und mit deiner ganzen Kraft“ (Deut 6,5; vgl. Jos 22,5; 7,19.21) sowie auf das Gebot der Nächstenliebe (Lev 19,18; vgl. der „Fremde“ als Mitmensch bzw. als „Nächster“ in Lev 19,34). In Deut 6,5 liegt die Dreiteilung Herz, Seele, Kraft vor; vgl. den D-Text Mk 12,30 sowie Mk 12,33. Der Zusatz [dianoia] „mit ganzem Verstand“ oder „mit ganzer Urteilskraft“ oder „von ganzem Gemüte“ wiederholt das hebräische ‫[ נֶפֶׁש‬näphäsch].380 Siehe ferner die vorchristliche, jüdische Kombinationen von Deut 6,5 und Lev 19,18: z.B. in Test XII Iss 5,2; SifDtn 3,29; SifLev 19,18.381

Die Erhabenheit und Einheit Gottes als liebender Bundesgott stellt die Voraussetzung zum allumfassenden (das Innerste, das Existenzielle, das Vermögen betreffende)382 Liebesgebot dar (vgl. 1Joh 4,10.19). Da Gott sich immer wieder als liebender Bundesgott erweist (siehe z.B. Exodus), ruft er zu allumfassender, vom Innersten des Menschen kommender,383 rationaler (vgl. V. 33) und emotionaler Liebe ihm gegenüber auf. Dieser „Liebesaustausch“, der sich dann auch konsequenterweise in der Nächstenliebe manifestiert (vgl. 1Joh 4,11; Jak 2,14-17), ist Ziel menschlicher Existenz (vgl. Mt 22,40; Röm 13,810; Gal 5,14; Jak 2,8).384 Das Liebesgebot richtet sich an die Glaubensgemeinschaft und nicht nur an den Einzelnen.385 Der von Gott entfremdete Mensch widersetzt sich allerdings sowohl der Liebe Gottes als auch der Liebe dem Mitmenschen gegenüber.386 Nach Gottes Ordnung ist die individuelle und gemeinschaftliche Liebe Gott gegenüber deshalb unzertrennlich mit der Nächs377 Vgl. Lane 432 und Anm. 50, mit Verweis, z.B. auf Josephus, Ant 4,212-213 sowie 1QS10,13,9-11; 1QH12,4-7. Lane führt u.a. Jeremias, Abba, 67-80, an. 378 Allison, Mark 12:28-31, 275. 379 Vgl. diese Formulierung mit dem vorliegenden Vers. 380 Vgl. Lane 431, Anm. 43. 381 Siehe Pesch II 241. Lane 432, Anm. 49, zitiert Stern, Citation, 312-316. Vgl. ferner zu Philo, Keener, Background, 169. 382 Details bei Pesch II, 240. 383 Vgl. Pesch II, 240. 384 Schriftverweise bei Pesch II, 241. Dschulnigg 324 meint, dass Jesu Verweis auf die Nächstenliebe überrascht, weil sie „über die Fragestellung des Schriftgelehrten“ hinausgeht. 385 Vgl. Pesch II, 240. 386 Vgl. Lane 433.

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tenliebe verbunden, weil Gottesliebe bereits Antwort auf die empfangene Liebe Gottes ist: Wie kann ein Mensch mit ungeteiltem Herzen auf die Liebe Gottes antworten, jedoch gleichzeitig den Nächsten hassen (vgl. Jak 2,14-17)? Jesus geht damit weit über eine etwaige Streitfrage pharisäischer Schriftauslegung hinaus und betont mit dieser Aussage das Fundament der heilsamen und gerechten Gebote Gottes (Hauptgebot), nicht lediglich eines der besonders wichtigen Gebote (Rang).387 Lane verweist zu Recht auf den weiteren Horizont von Jesu Lehre über die Nächstenliebe (vgl. Mt 7,12). Der „Nächste“ ist nicht nur ein Kind „deines Volkes“ (Lev 19,18), sondern nach Lk 10,25-37 (vgl. Mt 5,43-48; Lev 19,34; siehe sogar Ex 23,4-5) der jeweils Not leidende Nachbar bzw. Mitmensch, unabhängig von seiner jeweiligen Herkunft oder Glaubenseinstellung.388 32 Interessanterweise geht der Schriftgelehrte zunächst nicht auf die Schriftauswahl Jesu ein (V. 28) oder auf den Inhalt der zwei Hauptgebote. Vielmehr konzentriert er sich zunächst auf die Einleitung zur Schema (Deut 6,4). Er hebt dabei hervor, dass Jahwe ‫’[ ֶאחָד‬ächād] („einer“) ist und dass keiner neben ihm ist (καὶ οὐκ ἔστιν ἄλλος πλὴν αὐτοῦ [kai ouk estin allos plēn autou]).389 Dies wird durch die angedeutete Kombination von Deut 6,4 mit Deut 4,35 (Hervorhebung von Gottes Macht, vgl. Ex 8,6; Jes 45,21) unterstrichen. Es ist deshalb durchaus möglich, dass der Schriftgelehrte Jesus indirekt warnt, mit den Aussagen über seine Nähe zu Jahwe vorsichtig zu sein (siehe Bemerkungen zu 12,1-12).390 Eventuell deutet er an, dass Jesus als Lehrer (vgl. 10,17; 12,14.19) auf gefährliche Weise von der mosaischen, monotheistischen Orthodoxie abweicht. Allerdings weicht Jesus nicht vom Monotheismus ab. Vielmehr vermittelt er einen „komplexen“ Monotheismus (vgl. z.B. 12,1-10), der die „Einheit“ ‫’[ ֶאחָד‬ächād] Jahwes (Deut 6,4) stets aufrechterhält. Im AT gibt es verschiedene, kollektive Verwendungen von ‫’[ ֶאחָד‬ächād]: So wird etwa die Einheit zwischen Ehemann und Ehefrau mit ‫’[ ֶאחָד‬ächād] beschrieben (Gen 2,24, d.h. es sind zwei Personen und eine Einheit) sowie die komplexe Einheit verschiedener Teile der Stiftshütte („… dass es eine ‫’[ ֶאחָד‬ächād] Wohnung würde“, Ex 36,13). 33 Darauf aufbauend stimmt er nun mit Jesus durchaus überein. Dass es sich um eine hermeneutische Grundsatzfrage handelt (siehe Bemerkungen zu V. 28), wird auch daraus ersichtlich, dass der Schriftgelehrte diese zwei Lie-

387 Pace Pesch II 238; siehe oben, die Bemerkungen zu V. 28. 388 Vgl. Lane 433, der ferner auf Röm 13, 8-9; Gal 5,14 und Jak 2,8 verweist. 389 Vgl. mit Ex 8,6; Deut 4,35 und Jes 45,21. 390 Vgl. Mt 22,35.

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besgebote über (περισσότερον [perissoteron], vgl. 12,40)391 das Zeremonialgesetz (z.B. Brandopfer) stellt (vgl. etwa Hos 6,6; Spr 2,5-6).392 Siehe ferner Mt 22,40, SifLev §195 (zu Lev 19,1-4) und mHag 1,8. Die gängige Haltung der meist pharisäisch eingestellten Schriftgelehrten z.Z. Jesu beinhaltet die Ebenbürtigkeit der Liebesgebote und des Opferkultus (vgl. etwa mAbot 1,2). Wo die Liebesgebote Priorität haben (z.B. DtnR 5, 201d; ARN 4.2), ist dennoch eher an das Befolgen der Liebesgebote als Sühne zu denken.393

Der Schriftgelehrte gibt Jesus somit uneingeschränkt Recht, dass unmittelbare Liebe zu Gott und dem Nächsten als Hauptgebote qualitativ über dem Zeremonialgesetz stehen.394 34 Unabhängig davon, wie die Antwort des Schriftgelehrten in V. 32 genau gemeint ist, greift Jesus die verständnisvolle (νουνεχῶς [nounechōs] ntl. HL) Antwort des Schriftgelehrten395 offenherzig auf: „Du bist nicht weit vom Königreich Gottes“ (vgl. im Gegensatz hierzu die Warnung vor Schriftgelehrten, 12,38-40). Was trennt den Schriftgelehrten noch vom Eingehen ins messianische Reich Gottes (siehe hier den gegenwärtigen Aspekt des Gottesreiches396)? Aufgrund der vorsichtigen Aussage Jesu bleibt diese Frage offen.397 Eventuell ist der Ausdruck nicht weit als Litotes (verneinende Untertreibung mit dem Ziel besonderer Betonung), d.h. im Sinn von „sehr nahe“ zu verstehen.398 Jesus behält im Dialog das letzte Wort.399 Die intensive Befragung Jesu endet hier (vgl. 34b). Der Dialog wird durch eine eigenartige Bemerkung abgeschlossen. Sie ist deshalb besonders auffallend, weil es sich im vorhergehenden Abschnitt ausnahmsweise um eine „freundliche“ Unterredung mit einem Schriftgelehrten handelte. Mk berichtet: niemand wagte es mehr, ihn (noch etwas) zu fragen.400 Die Bemerkung mag signalisieren, dass hier ein Punkt erreicht wird, wo das Reden und das Fragen 391 Verweis bei Pesch II 242. 392 Dschulnigg 325 verweist mit Gnilka II 166 hinsichtlich der Kultkritik u.a. auf 1Sam 15,22 und Ps 51,20-21. 393 Vgl. Evans 262; Lane 434. 394 Vgl. Lane 434. 395 Folkers, Wahrheit, 27-29, hier: 27, bemerkt: „Der Kern der Thora … ist zwischen dem, in diesem Schriftgelehrten repräsentierten, wahren Judentum und der Jesusfraktion nicht im Streit“. 396 Vgl. ebenso Dschulnigg 326. 397 Nach Jesu Gesamtlehre ist es u.a. bekennender Glaube an ihn (Mk 8,28) sowie Annehmen seines stellvertretenden Todes (Mk 10,45; vgl. 14,24). Kertelge, Doppelgebot, 38-55, hier: 41, scheint hier etwas weiter zu gehen. 398 So Pesch II 243 und Dschulnigg 325-326. 399 Edwards 374. 400 Vgl. mit Mt 22,46 und Lk 20,40.

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nun der Herzensänderung und der Handlung weichen muss. Wenn es tatsächlich zutrifft, dass der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs seinen ewigen Sohn gesandt hat (12,6; vgl. Joh 3,16; 5,43), was sollte dann die Reaktion sein? Wenn es zutrifft, dass der lebendige Gott diesen Jesus bestätigt (1,11; 9,7), was sollte dann die Haltung Jesus gegenüber sein? Wenn Gott Menschen auffordert, „auf ihn zu hören“ (9,7; vgl. Deut 18,15.18-19) und auch ihn zu lieben (Joh 14,21; vgl. Ex 20,6 und 1Petr 1,8), dann würden sie tatsächlich das Gebot in Deut 6,4-5 übertreten, wenn sie ihm die Liebe versagten. Der Gott des AT bestätigt ferner die Sühne des ewigen Sohnes (8,31; 14,22-24).401 Von nun an402 lehrt Jesus öffentlich nur noch aus eigener Initiative und geht zielbewusst den Weg des stellvertretenden Leidens.

12.5.6 Der messianische Herr Davids 12,35-37

I 35 Und als Jesus im Tempel lehrte, ergriff er das Wort und sagte: „Wie sagen die Schriftgelehrten, dass der Messias der Sohn Davids sei? 36 David selbst hat durch den Heiligen Geist gesagt: ‚Der Herr sprach zu meinem Herrn; setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde unter deine Füße gelegt habe.‘ 37 David selbst nennt ihn Herrn; wie ist er sein Sohn?“ Und das ganze Volk hörte ihm gerne zu.403 II Mk 12,35-37 ist ein Herrenwort404 mit zwei rhetorischen Fragen zum Thema: „Der Messias als Herr Davids“. Der Messias ist nicht nur „Sohn“ Davids (vgl.

401 Vgl. Joh 5,42-47; Apg 2,36; 3,13. 402 Vgl. Kertelge, Doppelgebot, 38-55, hier: 41. 403 Lit.: Bayer, Eschatology, 103-116; Betz, Frage, 20-48; Bligh, Note, 51-53; Bock, Blasphemy, 220-222; Broadhead, Jesus, 3-18; Cullmann, Christologie, 83-88.132-134.209.210.296.299; Folkers, Wahrheit, 27-29; Guelich, Christ, 3-17; Hahn, Hoheitstitel, 244-245; Hengel, Christologie, 43-67; Kingsbury, Christology, 12.54.108-113.149; Marshall, Ursprünge, 95-107; Michaelis, Davidssohnschaft, 317-330; Rowe, Kingdom, 278-294; Schneider, Davidssohnfrage, 65-90; Schreiber, Christologie, 154-183; Taylor 117-124; vgl. ferner Chilton, Rabbi, ad loc.; Coppens, Fils, ad loc.; Feldmeier, Krisis, ad loc.; Goppelt, Theologie, ad loc.; Higgins, Jesus, ad loc.; Kazmierski, Jesus, ad loc.; Oegema, Gesalbte, ad loc.; Wright, Jesus, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 256-257 (bis 1980); Evans 267-269 (bis 1999). 404 Berger zählt diesen Abschnitt zur Gattung der Chrienreihe (Berger, Formen, 140.149). Zur Definition der Chrie, bzw. Chrienreihe, s.o. Einleitung 3.1. Vgl. Pesch II 250, „Spruchgeschichte“.

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Röm 1,3-4; 2Tim 2,8 sowie die Genealogien in Mt und Lk), sondern vor allem sein Herr.405 Authentizität und motivgeschichtlicher Hintergrund. Die Authentizität von 12,35-37 wird oft aufgrund der Initiative, die Jesus hier ergreift, bezweifelt.406 Allerdings ergreift Jesus in den meisten Lehrsituationen, Nachfolgeberufungen, Nachfolgeunterweisungen, zeichenhaften Handlungen sowie auf dem Weg nach Jerusalem die Initiative. Die Lehraussage Jesu tangiert lediglich die Frage der davidischen Provenienz des Messias; die Hauptbetonung liegt auf der Tatsache, dass der Messias Gottes der Herr Davids ist. Damit erhebt Jesus einen weiteren Anspruch (vgl. 2,8-10), der, zusammen mit 12,1-12, in der Anklage der Gotteslästerung vor dem Hohepriester kulminiert (Mk 14,61-64). III 35 Jesus ergreift nun wieder die Lehrinitiative. Sie beginnt im Tempel mit einer rhetorischen Frage, wer der Messias Gottes sei, im Gegensatz zur fehlgeleiteten Lehrmeinung der Schriftgelehrten. Die weit verbreitete Messiaserwartung z.Z. Jesu konzentriert sich u.a. auf 2Sam 7,1314.16 und Kontext. 4QFlor1,11-13 verknüpft 2Sam 7,11-14 mit einer messianischen Interpretation von Am 9,11 (so auch CD 7,16; bSan 96b, 97a: messianische Wiederherstellung des Hauses Davids).407 Pesch geht davon aus, dass angesichts der nicht davidischen Hasmonäerherrschaft bei den Pharisäern ein besonderes Interesse an davidischer Abstammung des Messias anzunehmen ist.408 Siehe ferner oben, Einleitung 4.1.2.

Im Gegensatz zur bisherigen Lehrweise Jesu werden die Grundwahrheiten über den Messias Gottes nun sehr klar, direkt und transparent dargelegt. Was Jesus im Folgenden öffentlich im Tempelbereich darlegt, entspricht dem, was seine Jünger bereits über ihn erfahren und gehört haben. Die Frage Jesu ist zugleich einfach und tief greifend: Ist der von Gott gesandte Messias grundsätzlich Sohn oder Herr Davids? Es ist wahrscheinlich, dass Jesus nicht bestreitet, dass der Messias Sohn Davids ist (10,47-48; 11,10; vgl. Jes 9,1-7; 11,1; Jer 23,5-6; 33,14ff; Hes 405 Pesch II 251, stellt die Doppelfrage Jesu in die Nähe einer im Rabbinat benutzten „haggadischen Antinomiefrage“. Allerdings räumt Pesch selbst ein, dass Jesus, im Gegensatz zur rabbinischen Argumentation, nicht von einem innerbiblischen Widerspruch ausgeht, der im Rabbinat dadurch gelöst wird, dass jeweils ein unterschiedlicher Bezug ins Auge gefasst wird, sondern dass Jesus unterschiedliche messianische Erwartungen anspricht, die einer gesamtbiblischen Erklärung bedürfen. 406 Siehe Evans 270-272. 407 Lane 435, Anm. 58. 408 Pesch II 252.

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34,32-34; 37,24; Ps 2; 89,20ff; 132),409 d.h. aus der Nachkommenschaft Davids hervorgeht.410 Die Aussage „und wo ist er sein Sohn“ wäre demzufolge so zu verstehen, dass Jesus in diesem Text einen Beleg vermisst, in dem der Messias als Sohn Davids bezeichnet wird. Jesus hinterfragt die unbegründete und unberechtigte (πῶς [pōs]; vgl. 9,12)411 Eingrenzung der Identität des Messias lediglich als Sohn Davids.412 Zur Verknüpfung von Davidsohn und erhöhtem Messias, siehe ferner Mt 12,41-42; Apg 2,29-34; 13,23-39; Hebr 1,5-13; Röm 1,3-4; 2Tim 2,8413 sowie die jeweilige Genealogie in Mt und Lk.414

Es liegt somit eine Parallele zwischen dem Messiasbekenntnis des Petrus (8,29) mit folgender Belehrung durch Jesus (8,31-33) und der Ansicht der Schriftgelehrten (12,35) mit Jesu darauffolgender Belehrung (12,36-37) vor.415 36 Jesu Verweis auf Davids eigene Aussage416 in Ps 110,1417 ist vielschichtig (siehe die Ausführungen oben, Einleitung 4.1.4–4.1.5, zu „Gottessohn“ und „Herr“). Zunächst betont Jesus die göttliche Inspiration des Davidpsalms durch den Heiligen Geist (vgl. 2Sam 23,2).418 Jesus kann bei seinen Hörern ferner mit einer messianischen Interpretation von Ps 110 (zumindest seines Inhalts) rechnen. Rowe verweist auf 4QpJesa sowie TestIob 33,3.419 Siehe Bock zur evtl. zeitgenössischen messianischen Interpretation von Ps 110 im äthHen 51,3; 55,4; 61,8; 62,2; vgl. ferner bSan 38b.420 Lane meint jedoch, dass rabbinische 409 So Pesch II 251 und Anm. 3-6, der ferner auf den Bezug „David – Tempel“ verweist. Vgl. Keener, Background, 169. Pace Bultmann, Geschichte, 144-146, Lohmeyer 262 und Schneider, Davidssohnfrage, 83. Vgl. Pesch II 252, der mit Hahn, Hoheitstitel, 244-245, davon ausgeht, dass die davidische Abstammung Jesu „als ausreichend bezeugt“ gilt. 410 Lane 435 verweist u.a. auf Jes 9,2-7; 11,1-9; Jer 23,5-6; Hes 34,23-24; Hos 3,5 und Am 9,11; vgl. PsSal 17,21-23 und bSan 98a. 411 Siehe Pesch II 252. 412 Vgl. ähnlich, Lane 436. 413 So Lane 437-438. 414 Vgl. Pesch II 254. 415 Vgl. Pesch II 251. 416 So auch Pesch II 253. 417 Vgl. die detaillierte Diskussion bei Rowe, Kingdom, 278-294. 418 Pesch II 253 und Anm. 14, erwägt (mit Neugebauer, Davidssohnfrage, 89) die Möglichkeit, dass der Ausdruck „im Heiligen Geist“ (vgl. Hes 11,24; 37,1; Offb 1,10; 4,2; 17,3; 21,10) evtl. sogar auf eine besondere Offenbarung an David verweist, in der der entrückte David die in Ps 110,1 festgehaltene himmlische Unterredung hört. 419 Vgl. Rowe, Kingdom, 279, Anm. 279 (mit Verweis auf Brower, Beasley-Murray, Hay, Hengel und Juel). 420 Bock, Blasphemy, 158-159.220-222.

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Belege für die messianische Interpretation von Ps 110 erst ab Mitte des 3. Jh.s n.Chr. vorliegen (BerRab 85,153a).421

Sodann geht Jesus auf den messianischen Inhalt des Psalms ein: Jahwe (der Herr) gibt „Adoni“ (meinem Herrn, aus der Perspektive Davids) einen exklusiven Ehrenplatz zu seiner Rechten und verhilft ihm zur Überwindung seiner Feinde (siehe ὑποκάτω [hypokatō] in Mk 12,36 und Ps 8,7;422 vgl. Ps 80,18; Dan 7,14; Mk 14,62): „Setze dich zu meiner Rechten bis ich deine Feinde unter deine Füße gelegt habe“.423 Dies geschieht (Ps 110,2) dadurch, dass Jahwe das Szepter der Macht des Adonai ausstrecken wird. Der Adonai Davids wird siegreich sein (Ps 110,3), Könige werden durch ihn zerschmettert und Heiden gerichtet werden (Ps 110,5-6).424 Ferner erklärt Jahwe den Adonai Davids zum Priester nach der Ordnung des Melchizedek. Jesus selbst deklariert diesen überragenden „Adonai“ (Herrn) Davids als Messias (12,35-36). Dieser erhabene, messianische Adonai ist Herr über David, nicht (nur) Sohn Davids. „Zwischen David als Sprecher und dem von Gott angesprochenen Messias besteht ein Autoritätsgefälle.“425 In neutestamentlichen Texten, die sich auf die LXX berufen, wird sowohl Jahwe als auch Adonai mit κύριος [kyrios] (= Herr) wiedergegeben: εἶπεν ὁ κύριος τῷ κυρίῳ μου [eipen ho kyrios tō kyriō mou] (Ps 109,1 LXX).426 Für den Hörer des Evangeliums folgt: Da Jesus sich bereits durch Petrus als Messias bekennen ließ, ergibt sich, dass Jesus sich nun selbst als messianischen Adonai (also als Herr Davids, als κύριος [kyrios], evtl. über das aramäische māryā’) von Ps 110 identifiziert (vgl. Mk 14,62; Apg 2,37). Jesus als Messias Gottes, als Herr Davids, als Priester nach der Ordnung des Melchizedek, rechnet damit, trotz seines bevorstehenden Leidens und seines Todes (10,35-45) durch Jahwe erhöht zu werden (Auferstehung und Erhöhung) und über seine Feinde (gerade mittels seines Opfertodes, 10,45; 14,24; vgl. Kol 2,14-15) überaus siegreich zu sein. Damit betont Jesus, dass das Kommen des Messias Gottes weit über die Erwartung einer Wiederherstellung des irdischen Davidreiches hinausreicht. Die Erhöhung des messianischen Herrn 421 Lane, 437. Vgl. Billerbeck, Kommentar, IV 452-465. 422 Vgl. Pesch II 254. 423 Vgl. Pesch, a.a.O., bezüglich der Verweise auf Ps 110,1 in 1Kor 15,25; Eph 1,20-22; Hebr 1,13; Apg 2,34-35 sowie des Verweises auf Ps 8,7 in 1Kor 15,27; Hebr 2,8. Zur Authentizität von Mk 10,35-37 siehe Pesch II 255-256, im Gegensatz zu Hahn, Hoheitstitel, 113-115 und Gnilka II 169. 424 Umsichtige Exegese zeigt, dass „Adonai“ in Ps 110,5 dem „Adoni“ in V. 1 entspricht. Daraus ergibt sich die Gesamtinterpretation von Ps 110,1-6. 425 Dschulnigg 327. 426 Siehe Details hierzu oben, Einleitung 4.1.5.

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Davids zur Rechten Jahwes macht erneut das Ausmaß der Herrschaft deutlich, die der Messias Gottes antritt. Diese Perspektive nimmt die politisch-königliche Erwartung z.T. in sich auf (vgl. Apg 1,6-7 mit Apg 3,21) und gibt ihr eine universale Zuordnung, anstatt eine beschränkte geografisch lokalisierte Erwartung zu schüren. Die weit verbreitete politisch-königliche Messiaserwartung wird durch Jesus im Kontext der universalen Erfüllung (aufgrund vieler alttestamentlicher Texte, einschließlich Ps 110 und 2Sam 7,13-14.16) erfüllt.427 “In this way the Scriptures affirming Davidic sonship and the Messiah as David’s Lord were united”.428 37 „Wie ist er sein Sohn?“ bedeutet: „Wo“ bzw. „in welcher Weise“ (wie) ist hier denn die Rede davon, dass der Messias der Sohn Davids sei? Jesus bestreitet damit nicht, dass der Messias Nachkomme Davids ist (s.o., Bemerkungen zu V. 35). Die Popularität Jesu unter der Menge (vgl. duratives ἤκουεν [ēkouen]) nimmt weiter zu, was die Vorsicht erklärt, mit der seine Gegner gegen ihn vorzugehen gedenken.

12.5.7 Unterweisung der Jünger 12,38-44

Während Jesus nach wie vor das Denken seiner Gegner infrage stellt, fordert er sie auch hinsichtlich der Konsequenz ihrer Lehrmeinung heraus: Ihre Handlungen dienen ihnen selbst. Dies verdeutlicht Jesus seinen Jüngern gegenüber am Beispiel der armen Witwe. Im Gegensatz zu den stolzen Gegnern Jesu vertraut sie direkt auf Gott (12,38-44). Damit kritisiert Jesus die habgierigen und ausbeutenden Eigeninteressen derjenigen, die die Tempelsteuer und Tempelopfer verwalten. I 38 Und in seiner Lehre betonte er: „Nehmt euch in Acht vor den Schriftgelehrten, die darum bemüht sind, in langen Kleidern herumzugehen, Grüße auf dem Markt (zu empfangen), 39 Ehrenplätze in den Synagogen und bei Festmahlen (einzunehmen), 40 die auf den Besitz der Witwen lauern und mit falschen Motiven lange Gebete sprechen. Diese werden umso mehr verurteilt werden“. 41 Und als er gegenüber dem Opferkasten saß, schaute er zu, wie das Volk Münzen in den Opferkasten warf. Und viele Reiche warfen viel hinein. 42 Und eine arme Witwe kam vorbei und warf zwei Kupfermünzen ein, was einem Quadrans entspricht. 43 Und er rief 427 Bayer, Eschatology, 103-116. Vgl. Lane 438; Lane verweist auf Michaelis, Davidssohnschaft, 317-330. 428 Lane 438.

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seine Jünger zu sich und sagte zu ihnen: „Amen, ich sage euch, diese arme Witwe hat mehr als alle anderen in den Opferkasten geworfen. 44 Denn alle (anderen) haben aus ihrem Überfluss gegeben; diese aber hat in ihrer Armut alles was sie hatte, ihren ganzen Lebensunterhalt, eingeworfen“.429 II Der Abschnitt 11,1–12,44 endet mit einer weiteren, zweiteiligen Unterweisung der Jünger (12,38-44): a. Mk 12,38-40 enthält Herrenworte, die vor dem Stolz der Schriftgelehrten warnen.430 Der Abschnitt ist dreiteilig: Warnung / Charakterisierung der Schriftgelehrten / Gerichtsaussage. Man beachte die Stichwortverknüpfung „Witwen“ (V. 40) mit 12,41-44; der Tempeldienst sollte den Witwen dienlich sein. Es liegt ein ironischer und scharfer Kontrast zwischen 12,38-40 und 12,41-44 vor.431 b. In 12,41-44 folgen wiederum Herrenworte432 bzw. Chrien,433 die das Gottvertrauen der Witwe hervorheben sowie evtl. eine Verurteilung der Ausbeutung durch die Schriftgelehrten implizieren. Mk 12,41-44 sind nicht Zusatz sondern eher Höhepunkt des Erzählabschnitts.434 Dies mündet in den eschatologischen Ausblick, Mk 13. III 38-39 In einer dritten Perikope wendet sich Jesus lehrend (vgl. Bemerkungen zu 1,22.27; 4,2; 11,18; 12,38) gegen protzige, unterdrückende und scheinheilige Schriftgelehrte (vgl. 8,15). Markus hebt vor allem die Spannung zwischen den Jerusalemer Schriftgelehrten und Jesus hervor (vgl. 3,22-30; 7,1-5; 11,18.27-28; 12,12).435 Während in 12,28-34 ein konzilianter Ton gegenüber einem Schriftgelehrten angestimmt wird, entblößt Jesus hier negative Seiten der Schriftgelehrten (als Gruppe). Es handelt sich hierbei um eine „innerjüdische Kritik“ und damit nicht um einen frühchristlichen Antijudaismus.436 429 Lit. zu 12,38-40: Huber, Frage, 5-19; vgl. Saldarini, Pharisees, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 260 (bis 1980); Evans 276-277 (bis 1999). 430 Berger, Formen, 205, ordnet den Abschnitt der symbuleutischen (warnenden, ermahnenden) Gattung („Warnung vor falschen Lehrern“) zu. 431 Vgl. Evans 277.281. 432 Pesch II 261, spricht von einer „Spruchgeschichte“ als „berichtende(r) Erzählung“. 433 Berger zählt diesen Abschnitt zur Gattung der Chrienreihe (Berger, Formen, 140.149). Zur Definition der Chrie bzw. Chrienreihe s.o. Einleitung 3.1. Vgl. Pesch II 257, „Spruchkomposition“. 434 Vgl. Wallis, Plot Structure, 36 sowie Swartley, Role, 20. 435 Lane 439. 436 Pesch II 259.

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Schriftgelehrte tragen z.Z. Jesu weiße, lange, aus Leinen gefertigte Gewänder, die in der Öffentlichkeit auffallen.437 Sie sind vor allem am Sabbat438 durch besondere Kleidung gekennzeichnet.439 Neben der auffälligen Kleidung sind Schriftgelehrte durch ihre außergewöhnliche Ehrenstellung in der Öffentlichkeit440 gekennzeichnet. Sie erwarten öffentliche Beachtung auf dem Markt, beim Festmahl und in der Synagoge (vgl. Lk 11,43; 14,7-11). Begünstigt durch eine Gesellschaft, die einen derart hohen Wert auf voneinander abgegrenzte Schichten und deren Statussymbole legt, schleicht sich leicht die Eitelkeit ein. Jesus öffnet den Blick dafür, immer den ganzen Menschen in allen seinen Taten und Motiven zu sehen. 40 Sie beuten bedürftige und in der gesellschaftlichen Rangordnung niedrig stehende Witwen (zumindest indirekt) aus (lauern auf den Besitz), verschaffen ihnen trotz ihrer kostspieligen Anwaltstätigkeit kein Recht441 und geben sich selbst als besonders religiös (vgl. jedoch Ex 22,22.24; Deut 10,18; 14,29; 24,17.19-21; 26,12-13; 27,19; Jes 1,23; 10,2; Hes 22,7; Hiob 22,9; 24,3).442 Wie die alttestamentlichen Propheten vor ihm (vgl. Am 2,7; 8,5-6), trennt Jesus nicht zwischen Hingabe an Gott und sozialer Gerechtigkeit.443 Torahlehrer (im Gegensatz zu Grundschullehrern) sollen z.Z. Jesu keine Bezahlung für ihre Lehrdienste annehmen.444 Das führt zu der Versuchung, die Gaben der Armen anzunehmen (potenzielle Ausbeutung der Armen), als vielmehr mit den Gaben der Wohlhabenden zufrieden zu sein bzw. damit die Armen zu unterstützen (vgl. Jes 1,17).445 Der ursprüngliche Auftrag zum Lehr- und Handlungsgottesdienst446 der Schriftgelehrten wird somit zum „Gewerbe“ umfunktioniert. Das Gerichtsurteil Gottes über sie wird dementsprechend gravierend sein. Jesus kritisiert hier die zwielichtigen Beweggründe für ein langes Gebet (vgl. Mt 6,5-6), nicht das lange Gebet selbst.447 437 Lane 439-440. 438 Vgl. Pesch II 258. 439 Vgl. weitere Details hierzu bei Pesch II 258. 440 Lane 440 verweist a) auf die ehrenvolle Anrede wie „Rabbi“, „Vater“ oder „Meister“; b) auf die Tatsache, dass Schriftgelehrte häufig zu besonderen Gastmahlen eingeladen werden; c) darauf, dass sie oft mehr verehrt werden als die Eltern. 441 So Pesch II 259. AssMos 7,6 geht davon aus, dass sich manche Schriftgelehrte dadurch bereichern, dass sie sich für hohe Geldsummen um die Belange von Witwen kümmern (vgl. Dschulnigg 329). 442 Vgl. Evans 277. 443 Vgl. Keener, Background, 170. 444 Lane 440 verweist u.a. auf mAbot 1,13 sowie mBek 4,6. 445 Lane 440-441 verweist auf Jeremias, Jerusalem, 127-135, der die relative Armut der Schriftgelehrten in Jerusalem belegt. 446 Ähnlich Pesch II 260, mit Verweis auf Mt 23,3 und Jak 3,1. 447 Keener, Background, 170.

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41-44448 Jetzt greift Jesus die Unterweisung seiner Jünger wieder auf und verlässt (im markinischen Bericht) endgültig das Umfeld der Streitgespräche.449 Jesus befindet sich „im Tempelbezirk im Vorhof der Frauen“.450 Im Erzählzusammenhang handelt es sich hier um einen Höhepunkt.451 41 Durch Stichwortverknüpfung wird das Thema armer Witwen (vgl. V. 40) nochmals aufgegriffen. Das eigentliche Opfer452 für den Tempel (und damit für Gott) wird durch die geringe Gabe einer an ihrer Tracht erkennbaren453 Witwe erbracht (V. 42).454 Reiche und Heuchler sind nicht an wahrem Gottesdienst interessiert (vgl. Mt 6,2), obwohl sie viel in den für den Tempel bestimmten Opferkasten455 einwerfen. 42 Sie warf zwei Kupfermünzen ein: Es handelt sich um die kleinste Münze, die z.Z. Jesu in Palästina umgeht.456 Der Wert des Betrags (zwei griechische bzw. jüdische leptoi bzw. Peruṭa entsprechen einem römischen kodrantēs [lat. Quadrans]) kommt dem Bruchteil eines Cents gleich.457 43-44 Jesus lehrt die herbeigerufenen Jünger erneut durch ein AmenWort: „Amen, ich sage euch, diese arme Witwe hat mehr als alle anderen in den Opferkasten geworfen“. Das mehr bedeutet: Sie opfert wirklich für Gott, weil sie trotz ihrer bereits vorhandenen Bedürftigkeit dennoch ihren geringen Besitz als Gottesgabe abgibt.458 44 Die Reichen (u.a. Zöllner) geben von ihrem Überfluss (vgl. auch V. 41), den sie u.a. durch Ausbeutung der Armen an sich gerafft haben. Siehe die verwandten Begriffe περισσότερον [perissoteron] (V. 40, sie erwartet größe448 Lit. zu 14,41-44: Smith, Closer Look, 27-36; Jeremias, Jerusalem, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 264 (bis 1980); Evans 280 (bis 1999). 449 Vgl. Lane 441. 450 Pesch II 261; vgl. dort weitere Details zur Schatzkammer, mit dazu gehörigen Opferstöcken. 451 Wallis, Plot Structure, 36 sowie Swartley, Role, 20. 452 Im Frauenvorhof sind dreizehn Opferstöcke platziert (vgl. Lane 442, der auf mShek 6,5 verweist). 453 Vgl. Pesch II 262. 454 Smith, Closer Look, 35. 455 Dschulnigg 331 bemerkt, dass es dreizehn Opferkästen für „Opfer und freiwillige Gaben“ gab, „die sich im inneren Tempelbezirk im Vorhof der Frauen befanden“. 456 Vgl. Pesch II 262, der betont, dass sich z.Z. Jesu in Palästina „die verschiedensten Münzsysteme“ mischen. Nur für das Entrichten der Tempelsteuer muss die Tempelwährung benutzt werden (vgl. 11,15). 457 Vgl. Pesch II 262, der ferner bemerkt, dass die Umrechnungen (vgl. 10,46; 15,22.34.42) bereits im jüdischen Kontext denkbar sind. Weitere Diskussion zum Anlass der markinischen Umrechnung in römische Währung, vgl. Dschulnigg 154. Vgl. Lane 442, Anm. 84, mit weiterführender Literatur. 458 Vgl. Pesch II 262-263, der rabbinische und außerjüdische Parallelen mit der Schlussbemerkung anführt: „Die konkrete Szenerie und Jesu unverwechselbares Wort sperren sich gegen voreilige und unnötige Ableitungen“.

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res Gericht) und περισσεύοντος [perisseuontos] (V. 44, aus ihrem Überfluss geben). Die arme Witwe (u.a. verarmt durch ausbeutende Schriftgelehrte bzw. Rechtsanwälte?) gibt von ihrem minimalen Lebensunterhalt alles (siehe Lk 6,20; vgl. 15,12),459 was sie besitzt. Gundry betont das Gottvertrauen der Witwe.460 Evans geht jedoch davon aus, dass die Betonung in Mk 12,38-44 auf der Ausbeutung der Witwen durch die Schriftgelehrten liegt.461 Das Verhalten der Witwe ist somit nach Evans vor allem Indiz gegen die Schriftgelehrten. Fitzmyer betont aufgrund von Mk 3,1-5; 7,10-13; 12,28-34, dass menschliche Bedürfnisse religiösen Verpflichtungen gegenüber Vorrang haben.462 Evtl. liegt bei Fitzmyer und Evans ein falscher Gegensatz vor: Jesus verurteilt die heuchelnde Ausbeutung der Schriftgelehrten und preist gleichzeitig das Gottvertrauen der Witwe, ohne dass dies die Verurteilung der Schriftgelehrten aufhebt: Die Tempelgaben sollten tatsächlich der Witwe zugutekommen.

Sie hat (zumindest für eine gewisse Zeit) nichts mehr, worauf sie zurückgreifen könnte. Es bleibt ihr existenzielles Vertrauen auf den lebendigen Gott sowie eventuell die Gabe einer örtlichen Synagoge.463 IV zu 11,1–12,44 Ziel. Trotz großer Freude beim Einzug Jesu in Jerusalem (nun kommt doch der erwartete davidische Messias!) zeichnet Mk vor allem die wachsende Opposition (vgl. 11,18; 12,12) gegen Jesus nach. Die Vollmacht Jesu, die bald aufs Tiefste infrage gestellt werden wird, zeigt sich nun in dem göttlichen Anspruch, Lobpreis, Gottvertrauen, Gebet (aus allen Nationen) und Vergebung als „Frucht“ des Tempeldienstes einfordern zu können. Da diese Frucht nicht vorhanden ist, kündigt Jesus vollmächtig Gericht an. Dies erfolgt zunächst mit dem Fluch über den Feigenbaum und dem Gleichnis der bösen Winzer, später durch die Voraussage der Zerstörung des Tempels. Jesu Vollmacht findet ferner ihren Ausdruck durch umsichtige und treffende Lehre zum Thema „Steuern“, „Auferstehung“, mosaisches „Doppelgebot“ und „der Messias als Herr Davids“. Die Vollmacht wird auch durch Jesu scharfe Kritik an der Falschheit seiner Gegner deutlich, die sich bis hin zur gewissenlosen Ausbeutung von armseligen und dennoch Gott vertrauenden Witwen erstreckt.

459 So Pesch II 262. 460 Gundry 728; vgl. Evans 281-282. 461 Evans, 281-282. 462 Fitzmyer, Luke, II 1320-1321; vgl. Evans, 281-282. 463 Vgl. Keener, Background, 170.

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Kontextualisierung und Anwendung. Der gesamte Abschnitt stellt verschiedene Formen des selbstbezogenen Unglaubens dem Gottesvertrauen gegenüber. Der Unglaube wird durch Jesu Kritik am ungeistlichen Umgang mit dem Tempel bloßgelegt. Bezeichnend ist auch, dass der Tempel in Jerusalem Gebetshaus für alle Völker ist (siehe oben, 4.3). Die geistlichen Führer dulden nicht nur, dass der Tempel kommerziell missbraucht wird, sondern sie kommen auch dem Auftrag nicht nach, dass die Heiden ihrem Vertrauen auf den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs Ausdruck verleihen. Diejenigen, die für den rechten Umgang mit dem Tempel verantwortlich sind, haben ihn in eine eigennützige Börse verwandelt, anstatt dort vor Gott zu flehen, ihn anzubeten, ihn zu loben und vor ihm umzukehren. Der Feigenbaum verdorrt als Sinnbild der kommenden Zerstörung des Tempels (vgl. 13,2): Denn was keine Frucht (d.h. Gebet, Lobpreis und Demut) trägt, wird letztendlich beseitigt (vgl. Joh 15,6). In enger Verbindung hiermit steht das Gleichnis von den bösen Winzern (12,1-12). Hier ist die geistliche Verantwortung für das ganze Volk Israel im Blick, nicht nur die des Tempelkultus. Beide Male endet die Aussage Jesu in einer scharfen Gerichtsankündigung (siehe oben, 4.3). Beide Male (11,18 / 12,12) erhärtet sich gleichzeitig die Tötungsabsicht der Gegner Jesu, die sich in der Vollstreckung nur wegen der Popularität Jesu etwas verzögert (vgl. 11,18). Wer dem Bußruf des Täufers und Jesu nicht folgt (11,27-30), der wird Jesus mehr und mehr als „Hindernis“ für die eigenen Absichten erleben und weiterhin mit geteiltem Herzen leben (12,38ff). Der Hörer kann im Verlauf der Erzählung immer weniger neutral bleiben: Entweder identifiziert er sich mit den (noch) unverständigen Jüngern, die Jesu Auseinandersetzung mit seinen Gegnern als ernsthafte Warnung hören und zu Herz nehmen sollen, oder er stimmt mit den unbeweglichen, selbstbezogenen Gegnern überein. Es zeigt sich, dass die Gegner Jesu durchaus theologisch denken, aber eben auch im denkerischen Bereich von autonomen Prämissen ausgehen: So gehen sie die Frage der Steuern (12,14), der Ehe nach der Auferstehung (12,19) sowie des Doppelgebots der Liebe an (12,29-31). Sie zeigen dabei unterschiedliches Verständnis, unterschiedliche Kenntnis und Gewichtung der Schrift sowie Unkenntnis der Kraft Gottes (12,24). Was fehlt, ist fundamentales, existenzielles, unmittelbares Vertrauen. All dem entgegengesetzt ist das Vertrauen auf Gott. Es zeigt sich u.a. im Lobpreis beim Einzug Jesu in Jerusalem (11,7-9).464 Jesus lehrt seine Jünger unmittelbar nach der Tempelreinigung, dass Vertrauen auf Gott, Beten

464 Allerdings verharren die Lobpreisenden in ihrer Erwartung eines diesseitigen, davidischen Königreiches (11,10).

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im Vertrauen auf Gott465 und Vergebung vor Gebet zum „Fruchtbringen“ Gott gegenüber gehören (11,22-25). Es zeigt sich ferner bei der Witwe, die Gott als Ausdruck des Vertrauens ihren ganzen Besitz gibt (12,41ff). Gottergebenes Vertrauen heißt, im scharfen Gegensatz zu verschiedenen Formen des Positivismus in der Moderne und Postmoderne sowie zu anderen Religionen, Gott so anzunehmen, wie er tatsächlich ist: Der unsichtbare Vater macht sich durch seinen ewigen, in der Geschichte Mensch gewordenen Sohn (12,6-8) kenntlich. Der ewige Sohn ist der messianische Herr (Adonai) des Königs David (12,35-37). Er ist der, der im „Namen des Herrn“ (d.h. als dessen unmittelbarer Botschafter)466 kommt (11,9). Wer den messianischen „Jesusstein“ (Ps 118,22-23) verwirft, der wird selbst verworfen werden (12,9-11). Diese vertrauende Offenheit dem sich durch die Vollmacht Jesu offenbarenden Gott gegenüber ist auch Fundament der Existenz des heutigen Jüngers. Er wird hierdurch wahre Frucht des Gebets, der Vergebung und des Lobpreises darbringen.

465 Das „Versetzen der Berge“ ist übertragen zu verstehen: Es geht um betendes Beseitigen alles dessen, was sich Lobpreis, Gebet und Glaube widersetzt. 466 Vgl. Jesus als „Apostel“ (ἀπόστολος [apostolos]) in Hebr 3,1. Siehe Mk 12,6. Vgl Jesus als Gesandter bei Joh 3,17; 4,34; 5,23-24.30.36-38; 6,29.38-39.44; 7,29 usw.; Angaben bei Dschulnigg 261.

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13. Zukunftsereignisse 13,1-37

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Synoptischer Vergleich: Befund. Die Synoptiker berichten gemeinsam über die Zukunftsaussagen Jesu. Diese Aussagen beginnen mit der Zerstörung des Tempels (Mt 24,1-3 / Mk 13,1-4 / Lk 21,1-4) und erstrecken sich in gemeinsamer Akoluthie vom Beginn der Leiden, der Verfolgung der Jünger Jesu,1 der Bedrängnis in Judäa, dem Gleichnis des Feigenbaumes bis zum Zeitpunkt der Parusie des Menschensohnes (Mt 24,4-22.29-36 / Mk 13,5-20.24-32 / Lk 21,8-33). Darüber hinaus teilen Mt und Mk die Warnung vor falschen Messias- und Prophetenanwärtern (Mt 24,23-28 / Mk13,21-23; vgl. Lk 21,8) sowie Jesu Aufforderung zum Wachen und Beten (Mt 24,42 / Mk 13,33-37; vgl. Lk 12,38). Auswertung: Neben grundsätzlicher synoptischer Gemeinsamkeit, betont Mk die Leidensnachfolge, die Bedrängnis durch falsche Propheten sowie die damit zusammenhängende Notwendigkeit zum Wachen und Beten. Literarischer Kontext. Nach Lane dient der eschatologische Diskurs (13,1-37)2 als Brücke zwischen dem Zyklus der Streitgespräche (11,11–12,12) und der Passionsgeschichte Jesu (Kap. 14–16).3 Die theologische Bedeutung dieser literarischen Brücke ist es, die Beziehung zwischen der Tempelzerstörung und dem Leiden Jesu darzustellen bzw. zu verdeutlichen: a. Einsetzung eines ewigen Opfers als Ablösung des Tempelopfers und als Sühne für die Sünde der Menschen; b. Bau eines neuen Tempels aus „lebendigen“ Steinen (Mk 12,1011; vgl. 11,22-25; siehe oben, 4.3).4 Im weiteren Umfeld von Mk 12–14 prophezeit Jesus neben der Zerstörung des Tempels und Jerusalems Folgendes: a. das Ende der priesterlichen Führung Israels (12,1-12); b. seinen Tod (14,9); c. seinen Verrat (14,17-21); d. die Zerstreuung der Jünger (14,26-31); e. seinen Tod und die Auferstehung (14,2728.41; vgl. 8,31; 9,31; 10,32-34).5 1

Teile von Mk 13,9-13 befinden sich in der Mt-Parallele außerhalb des dortigen eschatologischen Ausblicks von Mt 24 (vgl. Mt 10,17-22.30 und Lk 12,7.11-12). 2 Zur textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch II 269, Anm. a; 274, Anm. a; 277, Anm. a-b; 283, Anm. a; 290, Anm. a-c; 297, Anm. a-c; 302, Anm. a; 306, Anm. a-c; 313, Anm. a; France 494.497; Lane 450, Anm. 17-18; 455-456, Anm. 36-39; 459-460, Anm. 51-58; 465466, Anm. 69-73; 473-474, Anm. 87-89; 477-478, Anm. 97-99; 480-481, Anm. 106-108. 3 Lane 444. 4 Ebd. 5 Siehe Evans 295.

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Evans hebt die thematische Verknüpfung von 12,38-40 (Warnung vor den Schriftgelehrten), die Tempelgabe der Witwe (12,41-44) und die Zerstörungsvoraussage des Tempels (13,1-2) hervor und bemerkt: “The scribes are part of, and the impoverished widow is contributing to, a temple establishment that soon will be destroyed”.6 Der Abschnitt 13,28-37 ist durch verschiedene Stichworte verknüpft: „diese Dinge“, V. 29 und 30; „vergehen“, V. 30 und 31; „Wachsamkeit“, V. 33, 35 und 37; „Tor“, V. 29 und 34.7 Form und Aufbau. Es handelt sich bei Mk 13,1-2.3-37 um eine Unterweisung der Jünger in Form eines warnenden und voraussagenden Monologs („Mahnund Lehrrede“)8 bzw. einer „erweiterten Chrie“.9 Berger macht darauf aufmerksam, dass der eschatologische Ausblick in Mk 13 unmittelbar vor der Passionsgeschichte Analogien zu Deut 32-33, Tob 14, Did 16 im Aufbau der jeweiligen Schrift aufweist: „Die Funktion des Schlußteils ist jeweils die einer peroratio: Die Weisungen werden mit dem Hinweis auf Gottes Zukunft motiviert“.10 Lane meint, dass es sich bei Mk 13 formal (wie in Joh 13–17, Apg 20,1735; vgl. 2Tim und 2Petr)11 um eine Abschiedsrede handelt, in der Paränese und Ermutigung vorherrschen.12 Dabei betont er vor allem den paränetischen Charakter der eschatologischen Abschiedsrede.13 Obwohl Elemente einer Abschiedsrede (mit Vermächtnis) vorhanden sind, fehlen doch in Mk 13 charakteristische Merkmale einer Abschiedsrede (z.B. fehlender Rückblick auf die Vergangenheit; fehlende Situationsangabe des Sterbenden).14 Es bestehen ferner gewisse Gemeinsamkeiten zwischen jüdischen, apokalyptischen Reden und Mk 13. Folgende Motive sind zu nennen: Verweis auf „Familienspannungen“, V. 12; „Voraussage der Verfolgung“, V. 13; „apokalyptische Wehen“, V. 19; „kosmische Ereignisse“, V. 24-25; „Engel, die die 6 7 8 9 10 11 12 13

14

Evans 297, mit Verweis auf Best, Jesus, 155. Evans 333. Pesch II 266. Berger zählt diesen Abschnitt zur Gattung der erweiterten Chrie (Berger, Formen, 140.149). Zur Definition der Chrie bzw. Chrienreihe, s.o. Einleitung 3.1. Berger, Formen, 408. Vgl. ferner ebd., 361-362. Evans 290, fügt ferner Gen 49; Deut 33; Jos 23-24; 1Sam 12; 1Chron 28-29 hinzu. Vgl. Lane 444 sowie 445 und Anm. 2. Lane 445, Anm. 3, hebt u.a. folgende Imperative hervor: βλέπετε [blepete] (V. 5.9.23.33), μὴ θροεῖσθε [mē throeisthe] (V. 7), μὴ προμεριμνᾶτε [mē promerimnate] (V. 11), μάθετε [mathete] (V. 28), γινώσκετε [ginōskete] (V. 29), ἀγρυπνεῖτε [agrypneite] (V. 33), γρηγορεῖτε [grēgoreite] (V. 3.37). So treffend, Evans 290.

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Erwählten sammeln“, V. 27; „der kommende Menschensohn“, V. 26.29.15 Im Gegensatz zu jüdischen apokalyptischen Reden ist allerdings der paränetische Ton dieser Rede hervorzuheben, wie auch die befehlende und warnende Anrede in der 2. Pers. Plural.16 Morgenthaler ergänzt, dass apokalyptische Texte im Gegensatz zu Mk 13 u.a. durch „Geschichtsschreibung in Form von Prophetie, himmlische Szenerie, astronomische Spekulationen, Tier-, Farben- und Zahlsymbolik, visionärer Charakter …, Pseudonymität, exakte Zeitberechnung“ bestimmt sind.17 Vgl. ferner Evans, der weitere Unterschiede zwischen der jüdischen, apokalyptischen Rede und Mk 13 präsentiert.18

Als weiteren Unterschied zur jüdisch-apokalyptischen Rede erwähnt Evans ferner die andersartige Situation in Mk 13, in der der Lehrer auf eine Frage der Jünger antwortet, sowie die Tatsache, dass verschiedene Voraussagen mit den Warnungen verbunden sind.19 Es ist daher angemessen, bei Mk 13 von einer paränetischen Zukunftsrede Jesu zu sprechen, die allenfalls gewisse Züge einer Abschiedsrede bzw. einer jüdisch-apokalyptischen Rede enthält.20 Lane bemerkt diesbezüglich treffend: “[T]he primary function of Ch. 13 is not to disclose esoteric information but to promote faith and obedience in a time of distress and upheaval. With profound pastoral concern, Jesus prepared his disciples and the Church for a future period which would entail both persecution and mission”.21

Die Redeform ist die der Paraklese, d.h., Jesus gibt sowohl eine begründete Warnung (Paränese) vor eschatologischen Ereignissen (im Imperativ) als auch Trost und Ermutigung (im Indikativ).22 Formal dienen V. 4b und 23 (vgl. V. 30) als inclusio: Die Frage der Jünger über diese Dinge (V. 4b) entspricht der Antwort Jesu über diese Dinge (V. 23).23

15 16 17 18 19 20

Vgl. Evans 289, der zu den Versen 24-25 auf Jes 13,10 verweist. Vgl. ferner Jes 34,4. Lane 445; vgl. Evans 289. Morgenthaler, Art. „Geschlecht“, ThBLNT, I 518. Evans 289. Evans 289. So Evans 289, der u.a. auf Cranfield 388 und Gundry 751-52 verweist. Ähnlich auch Pesch II 291. 21 Lane 446-447: 22 Vgl. Lane 445-446. 23 Vgl. Evans 292, der den Verweis auf die inclusio (V. 4b und V. 23) bei Gnilka II 180, erwähnt.

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Bezug zwischen Aufbau und Inhalt. Sowohl 13,5-1324 als auch der konkretere25 Abschnitt 13,14-17.18-20.21-2326 enthalten Aussagen, die möglicherweise auf die Zeit vor 70 n.Chr. bezogen werden können: Titus im Tempel als „Entheiligung des Tempels“, V. 14; Die Flucht der Christen nach Pella als „Flucht in die Berge“, V. 14; die Belagerung Jerusalems als „viel Leid“, V. 7-13.19; verschiedene Messiasanwärter, die u.a. durch Josephus als „falsche Messiasse und Propheten“ beschrieben werden, V. 5.22.27 Ebenso deutlich ist jedoch, dass verschiedene Aussagen mit Ereignissen um 70 n.Chr. inkongruent sind (u.a. die Arbeit auf den Feldern während der römischen Belagerung?) bzw. weit darüber hinausweisen. Dazu gehören: Das Auftreten falscher, zukünftiger Messiasanwärter, V. 6; viele Kriege, V. 7; Erdbeben und Hungersnöte, V. 8; die weltweite Verkündigung der guten Botschaft, V. 10 und unermessliches Leiden ohne historische Parallele, V. 19. Das bedeutet, dass Mk 13,5-23 teils auf die Ereignisse vor 70 n.Chr., teils auf die (beträchtliche) Zwischenzeit bis zur Parusie des Menschensohnes verweist, die in den V. 24-27 beschrieben wird. Die apokalyptische Weissagung28 der V. 24-27 (kosmische Zeichen, V. 2425; das Kommen des Menschensohnes, V. 26; die Sammlung der Berufenen durch die Engel Gottes, V. 27) ist zeitlich deutlich von ihrem Umfeld abgesetzt: V. 24 beginnt einen Abschnitt, der (als Klimax zu 13,5-23)29 Ereignisse „nach dieser Trübsal (V. 4-13.14-23)“ beschreibt.30 In 13,28-37 sind sowohl die Anzeichen (V. 4-23) als auch die Parusie Jesu (V. 24-27) im Blick. Der Feigenbaum dient hier als Beispiel, Vorzeichen recht zu interpretieren (V. 28-31). Der schwierig zu verstehende V. 30 bezieht sich wahrscheinlich im Gesamtzusammenhang von 13,1-37 sowohl auf die Trübsal (V. 4-23.28-29) als auch auf die Parusie (V. 24-27). Dies Geschlecht (V. 30) bezieht sich wohl auf die gottlose Menschheit, die (im Gegensatz zur jüdischen Zukunftserwartung) vor der Parusie und der kosmischen Erneuerung aller Dinge neben der messianischen, sich in Jesus reinigenden Gemeinde Gottes existiert (vgl. Einzelauslegungen zu Mk 8,12.38; 13,30; vgl. Exkurs 5, „Das messianische Reich 24 Vgl. Pesch II 278, der 13,5-8 als „apokalyptische Belehrung“ einordnet; siehe ebd. weitere formale Details. 25 Evans 317. 26 Pesch II 297, identifiziert 13,21-23 als „umgeformten Warnspruch aus apokalyptischer Tradition“. 27 Vgl. Evans 316. 28 Vgl. Pesch II 302. 29 Evans 326. 30 Evans 327, der gegen Hatina, Focus, 43-66, argumentiert. Es ist ferner nicht möglich, Mk 13,2-27 ausschließlich auf die Zeit vor 70 n.Chr. zu beziehen, ohne dem Text Gewalt anzutun.

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Gottes“). Eine ausschließlich auf die zeitgenössische „Generation“ bezogene Bedeutung von Geschlecht wäre somit nicht im Blick. Alternativ könnte V. 30 mit V. 4.7.14 auch erneut den Beginn der Trübsal (vor der Parusie, V. 24-27) ansprechen; der Beginn der Trübsal würde dann noch in der zeitgenössischen Generation liegen. Die Betonung im Griechischen liegt ohnehin auf dem Beginn der Trübsal (bis all diese Dinge ihren Lauf nehmen: ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ παρέλθῃ ἡ γενεὰ αὕτη μέχρις οὗ ταῦτα πάντα γένηται [amēn legō hymin hoti ou mē parelthē hē genea hautē mechris hou tauta panta genētai], V. 30). Die V. 32-37 („eschatologische Paränese“31 mit Gleichnis)32 betonen die notwendige Wachsamkeit (vgl. V. 9.23), da die genauen Zeitverhältnisse (im Gegensatz zur gängigen Apokalyptik) unbekannt sind.33 Die Struktur von 13,1-37 wird durch die wiederholten Warnungen (V. 5.9.23.33) angedeutet.34 Die ersten drei Warnungen beziehen sich auf die Gefahr, fälschlicherweise verschiedene historische Ereignisse als Zeichen der aktuellen Parusie Jesu zu interpretieren: V. 5: Tempelzerstörung; V. 9 (vgl. V. 13): Verfolgung der Jünger Jesu; V. 23: die große Gotteslästerung und antichristliche Verführung. Die letzte Warnung (V. 33) dient als Aufruf zur Wachsamkeit. Motivgeschichtlicher Hintergrund und Historizität. Die Rede Jesu vermittelt die Überzeugung, dass es sich um historische Zukunftsereignisse handelt, die zwischen seiner Auferstehung und Parusie liegen.35 Die Jünger sollen ihr Augenmerk jedoch nicht spekulativ auf die Leidensperioden werfen (vgl. 2Thess 2,1-12; Offb 6–18),36 sondern in der Vorhersage Jesu Trost finden und weiterhin auf Jesus vertrauen. D.h., die Zukunftsaussage Jesu zielt auf nüchterne, vertrauende und hoffnungserfüllte Leidensbereitschaft in der gegenwärtigen Nachfolge, nicht auf leere Zukunftsspekulation. Das bereits vorliegende Motiv des Leidens vor endgültigem Gericht (vgl. 8,34-38) wird erneut thematisiert: Das messianische Volk Gottes wird inmitten der verschiedenen historischen Perioden leidend und verfolgt auf den großen Tag des Gerichts (Parusie des Menschensohnes) hin leben.37 Vergleiche das Geschick des kollektiven und individuellen Ebed Jahwe in Jes 42–53. 31 32 33 34 35 36 37

Pesch II 314. Vgl. die Diskussion zur Authentizität in Evans 339-340. Vgl. die Gliederung bei Evans 292, der grundsätzlich Gundry 733 folgt. Lane 445. Lane 447. Evans 304. Vgl. Lane 447.

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Gegen die Authentizität von Mk 13,1-37 wird u.a. angeführt, dass in der Rede eine Spannung zwischen einer plötzlichen Parusie (Jesu eigene Erwartung der Parusie wird oft mit Naherwartung verbunden) und verzögernden Vorzeichen besteht. Allerdings ist der Gesamtbefund der Evangelien der, dass Jesus sowohl von Vorzeichen (Verzögerungsmotiv) als auch von dem plötzlichen, in der heilsgeschichtlichen Abfolge stets nahen Kommen des Menschensohnes spricht (Naherwartungsmotiv). Exkurs 9: D  ie Ähnlichkeit zwischen der Naherwartungs- und Verzögerungsthematik in der Apostelgeschichte und bei Markus38 Eine Parallele zum markinischen Verzögerungs- und Naherwartungsmotiv findet sich u.a. in der Apg. Lk betont sowohl die heilsgeschichtliche Nähe der Parusie Jesu (vgl. etwa Apg 2,16-21; Lk 21,29-36)39 als auch Ereignisse, die sich vor der Parusie im heilsgeschichtlichen Verlauf noch ereignen müssen (vgl. etwa Apg 1,6f; 3,18-21).40 Carroll betont mit Recht, dass Lk eher die heilsgeschichtliche Abfolge als einen bestimmten Zeitrahmen betont.41 Die von Christus abhängige, eschatologische Abfolge der Heilsgeschichte löst die oberflächlich bestehende Spannung zwischen zeitlicher Naherwartung und sog. Verzögerung der Parusie.42 Die heilsgeschichtliche Abfolge ist stringent von Jesus selbst abhängig; Zeitfaktoren sind dabei immer relativ. Die Denkstruktur der Zukunftserwartung ist daher eher relational auf Christus bezogen (zusammen mit einer heilsgeschichtlich geprägten Abfolge von Ereignissen) und nicht linear, zeitlich festgelegt. In Apg 2 und 3 besteht ferner eine dynamische Spannung zwischen Buße und Zukunftsereignissen. Da Jesus lebt, ist die Zukunftserwartung immer mit Hoffnung gefüllt. Kurz behauptet: ”Ac 3:19-26 confirms that Luke’s christology is heavily influenced by his eschatology“.43 Aus unserer Sicht trifft genau das Gegenteil zu: Die frühchristliche Eschatologie ist direkt von einer lebendig gehaltenen Christologie abhängig.44 38 Lit.: Carroll, Response, 165; Kurz, Acts, 318; Marshall, Luke, 781-783; Soards, Speeches, 279; Wainwright, Luke, 77. 39 Vgl. ferner Marshall, Luke, 781 und Soards, Speeches, 279. 40 Vgl. Carroll, Response, 166f. Siehe ferner Marshall, Luke, 783, der die Meinung, „Jesus did not expect an interval before the parousia“ als falsche Annahme bezeichnet. Vgl. ferner Bayer, Predictions, 244-249. 41 Vgl. z.B. Lk 12,35-48 und Apg 1,6-8. Vgl. Carroll, Response, 165. Die Gewissheit des plötzlichen Kommens Jesu (Lk 21,34f) ist bei Lukas Fundament aller Aussagen über die Zukunft. Vgl. Lk 17,22-37; 21,24ff.34-36; Apg 1,6ff; 3,19-26; siehe ferner Apg 10,42 und 17,31. Hinsichtlich einer lebendigen, jedoch zeitlich nicht fixierten Erwartung der Nähe vgl. Lk 18,1-8; 21,32. 42 Dies trifft auch auf die Pfingstpredigt des Petrus zu; dort markiert die Ausgießung des Heiligen Geistes den Beginn der Endzeit. 43 Kurz, Acts, 318. 44 Vgl. Evans 290.

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Von besonderer Bedeutung ist die Aussage: ἄχρι χρόνων ἀποκαταστάσεως πάντων ὤν ἐλάλησεν ὁ θεὸς [achri chronōn apokatastaseōs pantōn hōn elalēsen ho theos] (Apg 3,21). Hier liegt die Erwartung der Wiederherstellung all dessen vor, was sich aus dem prophetischen Vorrat noch nicht ereignet hat.45 Dies bezieht sich nicht nur auf Erwartungen für Israel, sondern schließt nun auch die Heiden mit ein (vgl. z.B. die Gedankenentfaltung von Apg 1,6 zu 1,8). Es sind hier nicht nur alttestamentliche Aussagen wie Jes 61,1-5; Am 9,11-1546 und Jes 1,26,47 sondern die Heidenwelt mit einbeziehende Aussagen wie Jes 49,6-7,48 Jes 66,18-22, Hes 37,21-2849und Dan 7,13-2750 von Bedeutung, die von einer allgemeinen und universalen Wiederherstellung sprechen.51 Sowohl Juden als auch Heiden sollen durch einen Erlöser mit Gott versöhnt werden (vgl. etwa Eph 2,11-19) und zu einem gewissen Zeitpunkt die ganze Erde erben (vgl. Röm 4,13: Abraham – mit seinen Glaubensgenossen – gilt hier erstaunlicherweise als „Erbe der Welt“ in Erfüllung von Deut 1,8 und vor allem Gen 17,7; vgl. Mt 5,5).52 Apg 2,25-36 dient ferner als wichtiger Wendepunkt im Verständnis der Beziehung zwischen David und Jesus (vgl. Mk 12,35-37): Jesus, der Messias, ist der ewige und erhabene Herrscher auf dem Thron Davids (Apg 2,30; wie bereits erwartet in 2Sam 7,13-16 und in Gen 22,18).53 Gemäß der Apg ist der erhöhte Herr der, der die Verheißungen an Abraham und David (unter zukünftigem Einschluss des Besitzens der Erde) bereits erfüllt (vgl. Gal 3,14). Die „kleine Welle“ der Erwartungen von spezifischen und lokalen Verheißungen an Israel (vgl. etwa Apg 1,6) wird durch die „größere Welle“ der Erwartung

45 Wainwright, Luke, 76-79; hier 77, überzeugt nicht; er engt alttestamentliche Erwartungen der Wiederherstellung auf Elia ein (Mal 4,6 LXX und Sir 48,1-18). 46 Durch den Wiederaufbau des „Zeltes Davids“ sollen bessere Zeiten für Israel kommen. Dieser Text enthält sowohl lokale (Am 9,11.13-15) als auch universale (Am 9,12; vgl. vor allem den LXX-Text) Dimensionen. 47 Wiederherstellung der Richter und Ratsherren. Beachte das „Rest“-Motiv in Jes 1,27-28. 48 Der erwählte Diener Jahwes als a. Wiederhersteller Israels und b. als erlösendes Licht für die Heiden bzw. Nationen (vgl. die terminologische Parallele zu Apg 1,8) sowie c. als überaus erhöhter, demütiger Herrscher (vgl. Lk 2,32; Apg 13,47 und 26,23). 49 Hes 37,25: ewiger Bund und messianische Herrschaft; Hes 37,26: ewiges Gotteshaus (vgl. die parallelen Themen im Hebräerbrief und in Offb 21); Hes 37,27: Gott wohnt unter ihnen; Hes 37,28: die Heiden werden Gott kennen, der mitten unter seinem geheiligten Volk lebt. 50 Menschen aller Nationen werden den messianischen Menschensohn anbeten, der ein ewiges Reich empfangen wird (Dan 7,14); das jüdische und heidnische Volk Gottes wird mit dem erhöhten Menschensohn regieren (Dan 7,27). 51 Siehe z.B. Jer 31,31-38: Hier empfängt Israel einen Neuen Bund, Vergebung und Wiederherstellung Jerusalems. Hebr 8,8-10 und 10,16 bezieht Jer 31,31-34 auf all diejenigen (Heiden und Juden), die durch das stellvertretende Opfer Jesu gereinigt sind. 52 Vgl. παλιγγενεσία [palingenesia] in Mt 19,28 und Offb 21,1f. Vgl. Röm 8,20-21 sowie die rabbinischen Verweise auf die Schöpfung in GenRab 12. 53 Die Betonung der Thronnachfolge Davids (Apg 2,30) stammt von Rev. Ron Lutjens, St. Louis, Vortrag am 19.2.2006.

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von globalen Verheißungen an Juden54 und Heiden (Apg 3,21) übertroffen. Dies gilt sowohl für die Beschreibung des messianischen Volkes Gottes (jetzt Juden und Heiden; Eph 2,11-19) als auch für die Bestimmung des verheißenen Landes (jetzt die ganze Welt; Röm 4,13). Das alttestamentliche Israel dient somit als musterartiger Mikrokosmos dessen, was Gott durch seinen Messias nun für alle Völker und die ganze Welt tut. Jetzt liegt eine universale, alle Völker umschließende Perspektive (vgl. Apg 1,355) sowie eine globale Perspektive des „Landes“ (vgl. Apg 1,8 „bis zum Ende der Erde“) vor, die mit der Inthronisierung des Gottessohnes (Apg 2,36) bereits begonnen hat und einst ihren Endpunkt erreichen wird (Offb 21,2.10.22.24.27; vgl. Hebr 12,22). Das Gesamtbild der urchristlichen Zukunftserwartung in der Apg ist somit durchaus mit dem von Mk 13 kompatibel: a. die Zukunftserwartung ist stringent auf Jesus bezogen; b. bei aller lebendigen Erwartung der nahen Parusie Jesu (Naherwartungsmotiv) sind universale Elemente der heilsgeschichtlichen Abfolge (Verzögerungsmotiv; vgl. Mk 14,25) deutlich sichtbar.

Ferner wird gegen die Authentizität von Mk 13 betont, dass die Frage der Jünger (V. 4) durch die folgende Rede angeblich nicht beantwortet wird.56 Sie wird jedoch zumindest indirekt beantwortet (V. 5-23; siehe vor allem V. 7).57 Allerdings fügt Jesus so viel hinzu, dass die konkrete Frage in den Hintergrund rückt und eher als Anlass zur weiteren Unterweisung dient. Dies ist bei Jesus als Lehrer historisch durchaus belegt.58 Als Indiz für Authentizität bemerkt Evans, dass Mk 13 in der Voraussage der Zerstörung des Tempels (und nur indirekt der Zerstörung Jerusalems, im Gegensatz zu Lk 19,44)59 vor allem das Detail des Feuers vermissen lässt (im Gegensatz zum Bericht bei Josephus, Bell 6,275; 6,413; 7,1; 7,114-115).60 Derartige Argumente sind mögliche, jedoch nicht zwingende Hinweise. Evans betont schließlich, dass die zwischentestamentliche Literatur Voraussagen der Zerstörung Jerusalems und/oder des Tempels aufweist (z.B. TestXII Levi 16,4; TestXII Jud 23,3; Sib 3,665; Liv Pro 10,10-11; vgl. pSot 6,3), die auch in Josephus ihren Niederschlag finden (Josephus, Bell 6,109), ja sogar als Traum Josephus selbst eingegeben werden (Josephus, Bell 3,35154 Siehe Röm 11,5.14.21.23.26: Gott hat Israel nicht verworfen, weil er sich immer einen „heiligen Rest“ bewahrt. 55 Vgl. ferner Apg 8,12; 14,22; 19,8; 20,25; 28,23-31. 56 Vgl. Evans 290 (der auf Cranfield a.a.O. verweist). 57 Vgl. Evans 303. 58 Vgl. Evans 290, der auf Mt 24,3 verweist, wo die Jünger u.a. nach dem Vorzeichen der Parusie Jesu fragen. 59 Vgl. Evans 295, der zu Recht bemerkt, dass die Voraussagen der babylonischen Zerstörung sowohl den Tempel als auch Jerusalem betreffen, vgl. Hes 9–11; Jer 7. 60 Vgl. Evans 291 und vor allem 295, der auf Gundry 754-756 verweist.

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352).61 Evans hebt vor allem Jesus ben Ananias hervor, der, so Josephus, ca. 60 n.Chr. die Zerstörung Jerusalems und des Tempels weissagt, und zwar wie Jesus von Nazareth (Mk 11,7 / Jer 7,11) mit Verweis auf Jer 7.62 Alttestamentlicher Hintergrund. Der Auslegungshorizont von Mk 13 schließt die Erwägung mit ein, dass vor allem die Aussagen in Dan 7,8-27; 8,9-26; 9,24-27 und 11,21–12,13 als alttestamentlicher Hintergrund dienen.63 Evans betont, dass Jesus nicht nur hier verschiedene AT-Texte miteinander verknüpft, sondern dies auch in Mk 10,6-7 (Gen 1,27; 2,26); Mk 11,17 (Jes 56,7; Jer 7,11) und Mk 12,1-12 (Jes 5,1-7; Ps 118,22-23) tut.64 Obwohl verschiedene Ausleger in Mk 13 diverse apokalyptisch-jüdische, jesuanische und urchristliche Elemente zu entdecken meinen, betont Lane, dass für Mk keine derartige redaktionelle „Synopse“ nachzuweisen ist.65 Zur Bedeutung von Mk 13 für die Datierung des Markusevangeliums vgl. oben, Einleitung 2.3.2. Wir kommen dort zu dem Ergebnis, dass Mk 13 keine Aussagen enthält, die die Ereignisse von 70 n.Chr. zweifelsfrei voraussetzen. Ferner sind die Aussagen eines ausgewiesenen Propheten wie Jesus durchaus in der Zeit vor 70 n.Chr. denkbar.

Einführung zur Einzelauslegung. Mk 13,1-3766 enthält die längste Rede Jesu im Mk Ev.67 Theologisch ist der eschatologische Ausblick durch Zuversicht in die Souveränität und Macht Gottes gekennzeichnet. Sowohl die erschütternden wie auch die ermutigenden Ereignisse müssen so kommen. Allerdings soll hier, wie im gesamten NT, deutlich zwischen dem persönlichen, souveränen Willen des liebenden und richtenden Schöpfergottes einerseits und der Vorstellung eines unpersönlichen, quasi mechanischen Schicksals (andeutungsweise sogar bei den Pharisäern, ausgeprägter bei den Stoikern) unterschieden werden. 61 Evans 296-297. 62 Evans 297. Lane 449 geht ferner davon aus, dass 1Thess 4,15 (als „Wort“ oder „Rede“ des Herrn) Bestandteil der eschatologischen Rede Jesu in Mk 13 ist und Mk 13 damit grundsätzlich auf Jesus zurückgeht. 63 Zum Beispiel Lane 449, Anm. 10. 64 Evans 291. 65 Vgl. Lane 449-450, der zur Begründung auch auf Mk 4 verweist: In Mk 4 bewahrt Markus die unterschiedlichen Aussagen Jesu über das Königreich Gottes, ohne sie zu einer gleichnishaften Gesamtrede („Synopse“) zum Thema „Königreich Gottes“ redaktionell zusammenzufügen. 66 Lit.: Wenham, Generation, 127-150; Zeller, Wissen, 266; vgl. ferner Hartman, Prophecy, ad loc.; Wenham, Rediscovery, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 267-268 (bis 1980); Evans 285289 (bis 1999). 67 Lane 444.

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Der Ölberg ist nach Hes 43,2-9 und Sach 14,1-9 Ort zukünftiger „Offenbarung der Herrlichkeit Gottes“.68 Dies bewahrheitet sich in Mk 13.

13.1 Das Ende des Tempels in Jerusalem 13,1-4 I 1 Und als er aus dem Tempel herausgeht, bemerkt einer seiner Jünger: „Lehrer, siehe, was für wunderbare Steine und Gebäude!“ 2 Jesus aber sprach zu ihm: „Du siehst (noch) diese großen Gebäude? Hier bleibt kein Stein auf dem anderen zurück, der nicht abgerissen wird“. 3 Und als er sich auf dem Ölberg, gegenüber vom Tempel, niedersetzte, begannen Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas ihn für sich zu fragen: 4 „Sage uns, wann werden diese Dinge geschehen und was ist das Zeichen dafür, dass all diese Dinge im Begriff sind, in Erfüllung zu gehen?“69 II Siehe oben 13., Bemerkungen zum Gesamtabschnitt. III 1 Der Tempelbereich ist immer noch Aufenthaltsort Jesu (d.h. die Voraussage der Tempelzerstörung geschieht kontextkongruent im historischen Zusammenhang des Aufenthaltsortes Jesu). Die Tempelerweiterung, begonnen durch Herodes den Großen, führt dazu, dass der Zweite Tempel in Größe und Ausführung prächtiger („siehe, was für wunderbare Steine und Gebäude“) und etwa doppelt so umfassend wie der salomonische Tempel ist.70 Das Motiv für den nichtjüdischen, kaltblütigen Idumäer Herodes ist zweifelsohne, durch die Tempelerweiterung die Loyalität der jüdischen Bevölkerung zu gewinnen und damit seine Machtstellung (auch gegenüber Rom) langfristig zu festigen und zu sichern. Siehe u.a. Josephus (Ant 15,391-402; Bell 5,184-245), Tacitus (Hist. 5,8) sowie rabbinische

68 Lane 394. 69 Lit.: Theißen, Tempelweissagung, 144-158; vgl. Robinson, Redating, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 273.277 (bis 1980); Evans 293-294.300-302 (bis 1999). 70 Keener, Background, 170, betont, dass die Tempelsteuergelder auch aus der gesamten Diaspora eintreffen.

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Quellen (bSuk 51b, Baraitha; bBB 4a, Baraitha), die allesamt von dem großen Eindruck zeugen, den der herodianische Tempel hinterlässt.71

2 Der hier unbenannte Jünger und Fragende hat bisher nicht bemerkt, dass Jesus das Ende des Tempelkults bereits angedeutet hat (vgl. schon Mk 7,1-23 und 10,45; hauptsächlich aber 11,12-25; vgl. die Priorität des Liebesgebotes über Opfergesetze, 12,33). Jesus zitiert in Mk 11,17 Jer 7,11. In Jer 7,11 spricht Jeremia von der Tatsache, dass die Zerstörung des ersten Tempels aufgrund von Gottlosigkeit erfolgt.72

Die bevorstehende Zerstörung des Tempels geschieht wegen Missbrauch durch die Verantwortlichen73 und wegen der Tatsache, dass endgültige Befreiung von Sünde letztendlich nicht durch das Opfersystem im Tempel bewerkstelligt werden kann. Zusätzlich liegen zwischentestamentliche Erwartungen der Tempelerneuerung vor (vgl. 4Q174), z.T. sogar in Verbindung mit messianischer Erwartung (PsSal 17; TSach 6,12-13; TJes 53,5; vgl. oben, 4.3).74 Direkt hat Jesus bereits von der Entmachtung der (auch) für den Tempel Verantwortlichen gesprochen (vgl. 12,9). Jesus prophezeit nun auf äußerst emphatische Weise75 (ca. 33 n.Chr.) die völlige Zerstörung des Tempels („hier bleibt kein Stein auf dem anderen zurück, der nicht abgerissen wird“) und evtl. weiterer Gebäude (V. 2). Die Zerstörung des Tempels sowie ganz Jerusalems (vgl. Jesu Voraussage in Lk 19,41-44)76 erfolgt mittels Feuer und Bestürmung 66–70 n.Chr. durch Titus, Sohn des Kaisers Vespasian und dessen Nachfolger in Rom. Titus lässt einige Steine der äußeren Stützmauer77 des Tempels als Mahnmal stehen, der Tempel selbst wird jedoch völlig zerstört.78 Die Voraussage Jesu weist keinerlei Anzeichen eines vaticinium ex eventu auf.79 Alttestamentliche Beschreibungen 71 Vgl. Lane 451 sowie Anm. 19 und 20. Weitere Details bei Pesch II 270. 72 Lane 452. 73 Lane 453, Anm. 30, betont, dass bShab 119b ebenso voraussetzt, dass die Zerstörung Jerusalems aufgrund der Sünde des Volkes erfolgt. Vgl. Keener, Background, 170. 74 Siehe die ausführliche Diskussion bei Ådna, Stellung, 35-89, vor allem 44-47.62-70.76-86. 75 Die emphatischen Verneinungen οὐ μή [ou mē] unterstreichen dies. 76 Näheres hierzu bei Pesch II 271. 77 Es handelt sich hierbei um die heutige „Klagemauer“, auch Kotel oder „Western Wall“ genannt. 78 Vgl. Josephus, Bell 4,220-266; 7,1-4. Lane 452, Anm. 25, verweist auf Abel, Topographie, 238-255. 79 Dschulnigg 334-335, ist geneigt, die Aussage als authentisch stehen zu lassen: „Da … der Tempel zunächst durch Feuer zerstört worden ist und erst nachträglich noch geschleift wurde,

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(vgl. 1Kön 9,7-8; Jer 7,14; 26,6.9.18; Mi 3,1-6.12; vgl. Josephus, Bell 6,301; 7,1ff) sowie allgemeine Kenntnis von Zerstörungen lassen die Voraussage bereits erklären.80 Allein die Tatsache, dass die Zerstörung (ohne Jesu Zutun; vgl. im Gegensatz hierzu die falschen Aussagen gegen Jesus in 14,58; 15,29)81 jetzt (wieder) bevorsteht, weist auf Jesus als Prophet.82 3 Der sich auf der Ostseite des Kidrontals direkt gegenüber dem Tempel befindende Ölberg liegt etwas höher als der Tempelberg. Anders als sonst, gesellt sich zum inneren Dreierkreis (Petrus, Johannes und Jakobus) noch Andreas, der Bruder des Petrus (1,16-20). Wieder lehrt Jesus nach jüdischer Sitte sitzend. Genauere Erklärungen erfolgen (wie auch zuvor; vgl. 4,10ff; 7,17; 9,2ff.28; 10,10) im privaten Jüngerkreis (von jeweils unterschiedlicher Größe). 4 Die Doppelfrage der Jünger83 ist vor allem zeitlich gefasst: „Wann werden diese Dinge geschehen?“ (vgl. V. 3 und 35) … „was ist das Zeichen dafür, dass all diese Dinge im Begriff sind, in Erfüllung zu gehen?“ Viele Ausleger gehen von einem synonymen Parallelismus membrorum aus, in dem das zweite Glied (das Zeichen all dieser Dinge; vgl. Dan 12,6-7) die Aussage des ersten Teils (Zeitaussage; vgl. Dan 12,7) vertieft.84 Dies mag zutreffen; allerdings muss aufgrund des Gesamtkontextes dennoch ein gewisser inhaltlicher Unterschied zwischen den zwei Gliedern beibehalten werden. Jesus antwortet in chiastischer Anordnung: Die Frage der Jünger betrifft erst Zeit, dann das Zeichen;85 Jesus beschreibt jedoch zunächst verschiedene Zeichen86 (zumindest in V. 5-27), bevor er schließlich eine Antwort auf die direkte Zeitfrage gibt. Damit bekräftigt Jesus die Priorität von Ereignisfolgen über Zeitfragen.87 Die Frage der Jünger schließt die vorausgesagte Tempelzerstörung mit ein, geht aber auch darüber hinaus. Wie bei der Aussage über die Auferstehung, gehen die Jünger in Anlehnung an zeitgenössische, apokalyptische Erwartun-

80 81 82 83 84 85 86 87

wäre im Nachhinein wohl präziser formuliert worden. … Die Kürze und Prägnanz der Aussage … spricht eher für eine Entstehung vor 70 n. Chr., das Wort kann durchaus auf Jesus selbst zurückgehen“. Lane 453. Vgl. Robinson, Redating, passim. Vgl. Pesch II 271. Vgl. Taylor 501 und Evans II 295.298. Vgl. Lane 454, der darauf hinweist, dass Fragen der Jünger (4,10; 7,17; 9,28; 10,10) oft Lehrstücke Jesu einleiten (vgl. 4,11-20; 7,18-23; 9,29; 10,11-12). Siehe Lane 454 und Anm. 33. Details hierzu bei Pesch II 275: Es handelt sich hierbei um eschatologische Erwartungen. In zeitgenössischen, apokalyptischen Erwartungen wird ebenso „das endzeitliche Geschehen … durch bestimmte Zeichen angekündigt“ (Dschulnigg 338). Vgl. oben, Exkurs 9: „Die Ähnlichkeit zwischen der Naherwartungs- und Verzögerungsthematik in der Apostelgeschichte und Markus“.

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gen fälschlicherweise (u.a. aufgrund von Jesu Aussage über die Tempelzerstörung, vgl. V. 2) von einem einzigen, zukünftigen Endereignis aus. Nach jener Erwartung gehören die Tempelzerstörung und das „Ende der Zeit“ (Ablösung des gegenwärtigen durch den kommenden Äon im Endgericht; vgl. V. 7 u. 13) unzertrennlich zusammen. Dieser Annahme widerspricht Jesus. Er vermittelt stattdessen eine teleskopisch dehnbare, heilsgeschichtliche (V. 7-8.10.1921.24.26-29) Zukunftserwartung (siehe Bemerkungen zu 5-37). Dabei sind die Zerstörung des Tempels und das durch die Wiederkunft Jesu angekündigte Ende zeitlich getrennte Ereignisse. Wieviel Zeit dabei allerdings verstreicht, bleibt offen. In seiner heilsgeschichtlichen Sichtweise liegt der Schwerpunkt auf aufeinanderfolgenden Ereignissen und nicht auf bestimmten Zeiträumen (vgl. Exkurs 9). Weil Jesus bereits von derartigen Ereignissen gesprochen hat, sollen die Nachfolger nicht entmutigt werden, wenn sie sich ereignen. Die Auserwählten (V. 20.22.27) werden in ihrem Vertrauen auf Gott trotz Leid bewahrt.

13.2 Anfang der Wehen 13,5-13 I 5 Jesus aber begann zu ihnen zu sprechen: „Habt acht darauf, dass euch nicht jemand täusche. 6 Viele werden in meinem Namen kommen und behaupten, dass ich es bin und sie werden viele in die Irre führen. 7 Wenn ihr aber von Kriegen und Kampfberichten hört, erschreckt nicht. Es muss so kommen, jedoch bedeutet es noch nicht das Ende. 8 Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere, es wird in verschiedenen Orten Erdbeben und Hungersnot geben; dies ist der Beginn der Wehen. 9 Habt aber acht auf euch selbst: Sie werden euch dem Synedrion ausliefern, ihr werdet in den Synagogen geschlagen werden und ihr werdet vor Herrschern und Königen stehen, um meinetwillen, ihnen zum Zeugnis. 10 Und allen Völkern muss zuerst die gute Botschaft verkündet werden. 11 Und wann immer sie euch zur Gerichtsverhandlung festnehmen, kümmert euch nicht im Voraus darum, was ihr sagen sollt, sondern was immer euch in jener Stunde gegeben wird, das sagt. Denn nicht ihr seid es, die sprechen, sondern der Heilige Geist. 12 Und der Mann wird seinen Bruder dem Tode ausliefern, so auch der Vater (sein) Kind, und Kinder werden gegen die Eltern aufbegehren und sie tö-

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ten; 13 Und ihr werdet von allen (Menschen) gehasst werden um meines Namens willen; wer bis zum Ende ausharrt, dieser wird gerettet werden.88 II Siehe oben 13., Bemerkungen zum Gesamtabschnitt. III 5-37 Die ausführliche Antwort Jesu (vgl. die Parallelstruktur in Apg 1,6-8) betont die notwendige Ereignisabfolge, nicht einen genauen Zeitplan (vgl. V. 32-33). Jesus bereitet seine Jünger auf eine teleskopisch dehnbare, heilsgeschichtliche Ereigniskette vor (vgl. V. 7-8.10.19-21.24.26-29). Die Veranschaulichung durch den Feigenbaum soll die Bedeutung der Ereignisfolge (wichtiger als Zeitpunkte) noch weiter verdeutlichen (V. 28-29). Die Ereigniskette besteht zumindest aus zwei Einheiten (V. 5-23 und V. 24-27): Die erste umfasst Lokal- und Weltereignisse (s.o., 13. II: Bezug zwischen Aufbau und Inhalt), einschließlich Tempelzerstörung, Verführung (V. 6.21), Verfolgung (9.11.12.13), weltweite Evangelisation (V. 10) und Trübsal (7.8.14.15-20; vgl. V. 23). Die zweite besteht aus kosmischen Ereignissen, einschließlich des Endes bzw. der Erneuerung (Offb 21) des bisher bestehenden Kosmos (V. 24-25) und der Parusie des Menschensohnes (V. 26-27). Zweck und Ziel der gesamten Unterweisung ist nicht Zukunftsspekulation, sondern der warnende89 und ermutigende (vgl. 13,7; 2Thess 2,2) Aufruf zur gegenwärtigen Wachsamkeit (V. 35-37, vgl. V. 9.23.33). Dieser Aufruf geschieht angesichts der verwirrenden („irreführende Lehre über die Endvollendung“)90 und bedrängenden, obgleich nun vorausgesagten (d.h., göttlich verordneten) Ereignisse (V. 23). Die Ereignisse werden das Vertrauen auf Jesus (besonders als kommenden Menschensohn) ernsthaft erschüttern (V. 20) und infrage stellen (V. 33-37). Allerdings werden die Gläubigen als Auserwählte von Gott beschützt und bewahrt (V. 20.22.27). 5-7 Die erste Bemerkung Jesu bestätigt, dass er im Gegensatz zum jüdischen Erwartungshorizont seiner Jünger nicht die Frage des Zeitpunktes der Tempelzerstörung anspricht, sondern zunächst auf den ganzen Komplex zukünftiger Endereignisse eingeht (vgl. V. 7). Dabei ist die Gefahr, vom Vertrauen auf Jesus abgeworben zu werden, akut. Die Warnung vor (vielen) Ver88 Lit.: Grässer, Problem, 5-6.159-161; Kümmel, Verheißung, 83; vgl. ferner Wright, Jesus, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 282.289 (bis 1980); Evans 300-302 (bis 1999). 89 Vgl. Pesch II 279. 90 Pesch II 278. Die Irrlehre bezieht sich (zumindest bei Mk) „auf eine an die Tempelzerstörung gebundene Naherwartung der Parusie Jesu, des Menschensohnes (V. 26)“.

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führern91 und falschen Lehrern („habt acht darauf, dass euch nicht jemand täusche … viele werden in meinem Namen kommen und behaupten, dass ich es bin und sie werden viele in die Irre führen“; V. 5b u. 6) wird auch in 13,9.21-2392.33 wiederholt. Bereits hier wird die Frage der Parusie Jesu angedeutet (V.6). Jesus warnt schon hier vor überhitzter Naherwartung (vgl. ferner V. 7-8; vgl. Dan 11,27) und vor solchen, die Jesu ausschließliche messianische Richterautorität (vgl. 6,50; 14,62) anmaßend für sich in Anspruch nehmen (vgl. V. 21-22; vgl. 9,37.39). Im vorliegenden Text liegt wohl kein Gottesanspruch Jesu vor (lediglich die Warnung vor dem Anspruch anderer, der verheißene Messias zu sein).93 7-8 (Vgl. die Zeichenfrage in V. 4.) Die Notwendigkeit der Kriege („es muss so kommen“, V. 7) gehört zu den unergründlichen eschatologischen Wehen (vgl. etwa Offb 13,7; 17,14; 19,11.19; vgl. Dan 2,28-29.45). Die Tatsache von Kriegen ist kollektiver Ausdruck der gottlosen, unversöhnten Menschheit. Ein Volk (Königreich) wird sich kriegerisch (wie bisher, jetzt aber vermehrt) gegen ein anderes Volk (Königreich) erheben (vgl. Dan 9,26; 11,44; ferner 2Chron 15,6; Jes 19,2),94 Erdbeben95 werden (wie bisher, jetzt aber vermehrt) geschehen,96 sowie die oft mit Krieg kausal zusammenhängende97 Hungersnot (vgl. Offb 6,4).98 Die Metapher der Wehen (vgl. u.a. Jes 26,17; Jer 22,23)99 vermittelt die Vorstellung, dass diese Ereignisse immer häufiger und immer länger andauernd geschehen, wie bei den Wehen einer gebärenden Mutter. Sowohl V. 7 als auch 8 enthalten eine „retardierende Bemerkung“,100 die bei Ankündigung der nun bevorstehenden Anfänge der eschatologischen Wehen einer überzogenen Naherwartung wehren. 9-13 Jesus warnt seine Jünger persönlich: „Habt aber acht auf euch selbst“ (vgl. V. 5). Als Zeugen Jesu („um meinetwillen, ihnen zum Zeug91 Josephus bezeugt die vielen Messiasanwärter im 1. Jh. n.Chr. bis hin zu Rabbi Aqiba, der um 135 n.Chr. Jesus Bar Kochba als Messias feiert; siehe Keener, Background, 170-171. 92 Pesch II 279, spricht bei V. 6 von einer inclusio mit V. 21-23. 93 Pace Lane 457 und Anm. 43. 94 Schriftverweise bei Pesch II 280. Lane 458 verweist auf Jes 14,30 und 19,2. Pesch II 279 verweist auf Josephus, Bell 2,187. 95 Vgl. Pesch II 280, der mit Verweis auf Jer 10,22; 29,3; Nah 3,2 auch das „Beben der Erde unter dem Stampfen der Kriegsheere“ mit einbeziehen will. 96 Lane 458, Anm. 47, verweist u.a. auf Ri 5,4-5; Jes 24,19; 64,1.3. 97 Pesch II 280. 98 Lane 458, Anm. 48, verweist u.a. auf Jer 15,2 und Hes 14,13. Dschulnigg 339 verweist ferner auf ApkEsr 3,11-15 und 4Esr 13,30-31. Keener, Background, 171, betont, dass jüdische Zukunftserwartungen oft ähnliches Leiden vor dem Ende enthält. 99 Vgl. Dschulnigg 339; Lane 458-459 verweist ferner auf Jes 13,8; Jer 4,31; Hos 13,13; Mi 4,910, u.ö. Vgl. ebenso Billerbeck, Kommentar, I 950. 100 So Pesch II 281.

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nis“; V. 9, εἰς μαρτύριον [eis matryrion]; siehe V. 13; vgl. 8,35; 10,29; Mt 5,11-12)101 werden sie sich vor heidnischen und jüdischen Herrschern und Königen (in Palästina und darüber hinaus) und vor jüdischen Gerichten (Synedrion und Synagogen)102 unter der Leitung des Heiligen Geistes (V. 11) zu verantworten haben.103 Ebenso, wie der Täufer (vgl. 1,14) und Jesus „überliefert“ bzw. „ausgeliefert“ (παραδίδωμι [paradidōmi]) wurden, werden die Nachfolger durch ihre Gegner verschiedenen Gerichtsinstanzen in der ganzen Welt (V. 10)104 ausgeliefert (παραδίδωμι) werden (V. 9.11-12).105 Dabei repräsentieren der Sanhedrin (Hohe Rat) das jüdische (14,55; 15,1.43), die Statthalter das heidnische Gericht. Könige können u.U. jüdische Vasallen(-könige) bezeichnen, beziehen sich jedoch vor allem auf heidnische Machthaber. Jesu Voraussage bewahrheitet sich für die Nachfolger in vielerlei Hinsicht, sowohl vor jüdischen als auch vor heidnischen Gerichten.106 10 „Und allen Völkern muss zuerst die gute Botschaft verkündet werden“. Manche Ausleger beurteilen V. 10 als Fremdkörper im Kontext von V. 9 und 11-13.107 Allerdings setzt V. 9 bereits voraus, dass die Jünger wegen ihres Zeugendienstes vor heidnische und jüdische Gerichte kommen. Die V. 11-13 entfalten lediglich die Tatsache der Überantwortung und den Beistand des Heiligen Geistes108 aufgrund des Zeugnisses um Jesu willen. V. 10 ordnet sich somit nahtlos in die thematische Gedankenfolge der Notwendigkeit (vgl. 1,14-15) des Zeugnisses und seiner Folgen ein. Lediglich die universale Dimension des Zeugendienstes mag hier befremdend klingen. Zwar weiß sich Jesus selbst ausdrücklich für das Volk Israel berufen, aber er blickt dennoch

101 Schriftverweis bei Pesch II 284. 102 Vgl. Lane 461 und Anm. 60, bezüglich der Tatsache, dass die Synagoge auch als Ort der öffentlichen, z.T. körperlichen Züchtigung gilt (vgl. 2Kor 11,24, mit alttestamentlichem Hintergrund in Deut 25:2-3; vgl. mSan 1,2, und mMak 3,10.12.14). 103 Vgl. Bayer, Peter, 224-227; 253-265. Pesch II 284 geht davon aus, dass sie somit auch der Prügelstrafe ausgesetzt werden. 104 Siehe ferner 7,27; 8,35; 10,29; 13,27 [16,15]. 105 Siehe die Bemerkungen zu 1,14; 3,19; 9,30-31; 10,33; 14,10-11.41-42.44; 15,1; vgl. 14,18.21. 106 Siehe bereits in Apg 4,1.3.5-6.15; 5,21.27.41; 6,12.15; 9,21; 12,3.6; 22,5.30; 23,1.6.15.20; 24,20-21.23; 25,12.21; 26,6; vgl. u.a. 1Petr 4,12. 107 So Pesch II 285 und Dschulnigg 339. Vgl. die bei Lane 461, Anm. 62, erwähnten Autoren Kümmel, Verheißung, 83, Grässer, Problem, 5-6, 159-161. Zur Diskussion von Authentizität bzw. frühchristlicher Tradition, vgl. Schnabel, Jesus, „Beginnings“, 23-24. Andere Ausleger gehen davon aus, dass das Logion zwar authentisch ist, aber ursprünglich nicht in diesem Zusammenhang überliefert wurde (so z.B. Lane 462). 108 Lane 463, macht auf Präzedenzfälle des Beistandes Gottes aufmerksam: Ex 4,12 und Jer 1,9. Lane 464, beobachtet ferner, dass der Beistand des Heiligen Geistes Ausrüstung zum Zeugendienst und nicht notwendigerweise Befreiung vor Gericht bewirkt.

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deutlich über diese Grenzen hinaus (vgl. neben 13,10 auch 7,27 und 13,27).109 V. 9 schließt Verantwortung vor (heidnischen) Gerichten außerhalb Palästinas keineswegs aus110 und setzt somit indirekt voraus, dass das anstößige, aber Hoffnung bringende Evangelium in der ganzen Welt verkündet wird (wie V. 10 sodann explizit feststellt; vgl. ferner V. 13). Ferner ist der Gedanke der Evangeliumsverkündigung (mit potenzieller Verantwortung vor Gericht) bereits in der erfolgten Aussendung der Jünger begründet. Allein das Kommen, Lehren und siegreiche Handeln des Messias Gottes macht die weltweite Mitteilung dieser Tatsache notwendig.111 Analog zur Apg führt die weltweite Vermittlung dieses Sieges u.a. zu Verfolgung und Widerstand (Motive gegen das Christuszeugnis sind u.a. Neid, scheinbare Gotteslästerung, dämonischer Widerstand, wirtschaftlicher oder finanzieller Nachteil, politischer Machtverlust). So werden a. das siegreiche Handeln Jesu, b. dessen weltweite Mitteilung (Stichwort zuerst) und c. die folgende, kosmische Machtübernahme bei der Parusie als heilsgeschichtliche Abfolge miteinander verknüpft. Verkündigung und Parusie stehen in dynamischer Relation zueinander, obwohl die Frage der genauen Zeitabfolge immer offen bleibt. Dies trifft auch für V. 10 zu. Schließlich ist zu beobachten, dass V. 10 kontextkongruent einer überhitzten Naherwartung wehrt (muss zuerst … verkündet werden). 11 Siehe die Verknüpfung mit V. 9 und 10. Das passivum divinum δοθῇ [dothē]112 ermutigt dazu, auch (oder besonders) vor Gericht mit der Gegenwart Gottes zu rechnen. Die wachsende Abhängigkeit der Jünger von Jesus ist gleichzeitig Abhängigkeit vom Heiligen Geist (vgl. Joh 14,26). Der Begriff λαλέω [laleō] = „ich spreche/rede/sage“ wird hier dreimal verwendet. Vor Gericht erscheinen zu müssen, ist eine Form des Bekenntnisses zur guten Nachricht (V. 10; vgl. Lk 12,11-12; 21,14-15; Apg 27,24). Ein derartiger Leidensweg fordert vom Nachfolger, immer weniger auf sich selbst und immer mehr auf Gott und seinen Geist zu vertrauen (vgl. 2Kor 1,9).113 12-13 Sogar innerhalb von Familien (Bruder gegen Bruder; Vater gegen Kind, Kinder gegen Eltern) wird dieser Zeugendienst zu ernsten Spannungen

109 Vgl. Lane 462, der bezüglich des alttestamentlichen Hintergrundes auf Jes 42,6; 49,6.12; 52,10; 60,6 und Ps 96 verweist. Siehe oben, Bemerkungen zu 7,27. 110 Pace Pesch II 284. Es besteht kein zwingender Grund, die allgemeinen Begriffe für politische und gerichtliche Verantwortungsträger in V. 9 auf Palästina zu begrenzen. 111 Vgl. Wright, Jesus, ad. loc.; nach hellenistischem Muster muss der Triumph eines Siegers überall mitgeteilt werden. 112 Vgl. Pesch II 285. 113 In den Jahrzehnten nach der Passion Jesu werden u.a. Petrus, Johannes und Paulus zu derartig verfolgten Zeugen gehören (vgl. Bemerkungen zu 13,9).

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(vgl. Mi 7,2.5-7; vgl. Sach 13,3; Dan 11,32.35; 12,1.12; Hab 2,3),114 bis hin zur Tötung führen (siehe die Spannungen Jesu mit seiner natürlichen Familie: 3,20-21; Mt 10,35-36; Lk 12,50-53; vgl. ferner unten, Exkurs 10: „Das Verhältnis zwischen Nachfolge Jesu und Loyalität gegenüber der natürlichen Familie“).115 Die Spannungen entstehen, weil Nachfolge dort, wo Gottesfeindschaft besteht, Nachteile und Verfolgung mit sich bringt. Auch innerhalb der Familie kann sich ein Mitglied durch Verrat Vorteile bei Machthabern versprechen. Exkurs 10: D  as Verhältnis zwischen Nachfolge Jesu und Loyalität gegenüber der natürlichen Familie Grundthese: Zumindest nach den vier kanonischen Evangelien ist Nachfolge Jesu verbindlicher als Loyalität gegenüber der natürlichen Familie. Nach Lk 14,26 (par Mt 10,37) steht die individuelle und gemeinschaftliche Nachfolge als grundsätzlicher Anspruch Jesu (und somit der auf das Königreich bezogene Wille Gottes) über der Loyalität zur natürlichen Familie.116 „Hassen“ ist Semitismus für „weniger lieben als …“; so Mt 10,37; siehe Spr 13,24; Deut 21,15-17; Gen 29,31-33; vgl. Deut 33,8.

Dennoch wird das der Schöpfungsordnung entsprechende und die Familie bewahrende Gebot, die Eltern zu ehren, keineswegs außer Kraft gesetzt (vgl. Lk 18,20; Mk 7,10; 10,19; Mt 15,4).117 Das Bundesgefüge der messianischen Gemeinde ersetzt somit nicht das der natürlichen Familie, sondern erhält durch Jesus einen grundsätzlichen und alles transformierenden Stellenwert, dem die bleibende Bedeutung der natürlichen Familie unter- bzw. zuzuordnen ist. Eine einfache und vorläufige Orientierung ergibt sich aus dem Verhalten Jesu. Jesus weist durchweg auf die grundlegende Bedeutung seiner Verantwortung vor seinem himmlischen Vater (vgl. bereits die Vorahnung in Lk 2,19.51), lässt aufgrund dessen jedoch seine spannungsgeladene Beziehung zu seiner natürlichen Familie nie abreißen. Als zwölfjähriger Junge macht er diesen Sachverhalt bereits deutlich (Lk 2,51). Die Familienverhältnisse sind vor allem durch die Tatsache seiner vier

114 Vgl. Pesch II 286-287, mit weiteren, außerbiblischen Verweisen. Pesch II 286 (mit Dschulnigg 339-340) nennt die „Familienzerrüttung“ einen „Gemeinplatz der Apokalyptik (vgl. … Jub 23,19; äthHen 100,1-2; 4Esr 5,9; 6,24 …)“. 115 Lane 463 verweist auf Mi 7,4-5. 116 Pesch I 223, Anm. 7, verweist (mit Braun, Qumran, I 65f) auf Parallelen bei Qumran: 4QTest16ff; 1QS6,2f.19f; 1QH4,8f; vgl. Josephus, Bell 2,120ff. 117 Pace Pesch I 213, der (in Anlehnung an Hengel, Nachfolge, 14f.72) zu absolut formuliert: „Die unbedingte Orientierung an Gottes Herrschaft löste Jesus von den natürlichen Familienbindungen …“ Vgl. ebenso Pesch I 223.

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Halbbrüder118 (Jakobus, Joses, Judas und Simeon) belastet (vgl. Mk 6,3). Sowohl seine Mutter als auch seine Halbbrüder (und Halbschwestern?) meinen, Jesus habe seinen Verstand verloren (Mk 3,21). Jesu Anspruch ist ein Stein des Ansto­ ßes für seine sarkastisch reagierenden Halbbrüder (siehe Joh 7,3-4; vgl. ferner die Verhältnisse beim Patriarchen Joseph). Sie schenken ihm keinen Glauben (Joh 7,5). Trotz dieser Spannungen pflegt Jesus weiterhin Kontakt mit seiner Familie. Dies wird auch bei seiner Kreuzigung deutlich. Als ältester Sohn überträgt er die Verantwortung für seine Mutter an seinen Jünger (und Verwandten?)119 Johannes (Mt 27,56; Joh 19,26-27). Zwar hält Jesus dabei an seiner familiären Verantwortung Maria gegenüber fest, sieht sich allerdings nach einem geistlich Fürsorgenden um (und dies ist zu jenem Zeitpunkt [noch] nicht der zweitälteste Sohn Marias). Nach seiner Auferstehung erscheint Jesus seinem Halbbruder Jakobus (1Kor 15,7). Laut Apg 1,14 sind unter den betenden Gläubigen in Jerusalem auch Jesu Mutter und überraschenderweise seine Halbbrüder. Innerhalb von zehn Jahren ist der durch Petrus und Johannes (Gal 2,9) unterrichtete Halbbruder Jakobus Leiter der Jerusalemer Gemeinde (Gal 1,18f; Apg 12,17; 15, 4-29). Jesu Halbbruder Judas nennt sich in Judas 1,1 „Diener Jesu und Bruder des Jakobus“. Das Verhalten Jesu gegenüber seiner natürlichen Familie dient somit als Kommentar zu Lk 14,26 par Mt 10,37. Während Jesus die Schöpfungsordnung und die Torah bezüglich der Familie bekräftigt, bezeichnet er den Willen Gottes, der sich vor allem in seinem Kommen und damit im messianischen Reich ausdrückt, als vorrangig. Die Gemeinschaft der Jünger ist Anfang der messianischen Herrschaft Jesu. Diese Gemeinschaft als „messianische Familie“ ist von höherer Bedeutung als die der natürlichen Familie. Dies macht Jesus in Mk 3,31-35 deutlich: „Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder, meine Schwester, meine Mutter“ (vgl. Lk 8,21). Paulus führt diese Auffassung weiter (1Tim 3,15; Gal 4,6-7). Die messianische Familie dient u.a. auch als Basis und Ausgangspunkt für einen, von der Nachfolge geprägten und an ihr orientierten Liebesdienst in der natürlichen Familie. Allerdings ergeben sich aus dieser klaren Priorität auch Spannungen für die natürliche Familie (vgl. Lk 12,50). Die Schöpfungsordnung (und Torahordnung) der natürlichen Familie wird nicht durch die messianische Familie verdrängt oder gar ersetzt; vielmehr erfährt die von Jesus bejahte Schöpfungsordnung der Familie den eschatologischen Einbruch der messianischen Familie (in der es in der Zukunft keine Ehe mehr gibt). Familienglieder werden dazu aufgerufen, in der individuellen und kollektiven Nachfolge erneuert und vom Herrn der Herren geprägt zu werden. Dies geschieht jedoch nur unvollkommen und ansatzweise, bis Jesus in der Parusie

118 Vgl. die Diskussion hierzu aus katholischer Sichtweise, Pesch I 322-324 (Exkurs: „Zur Frage der Brüder und Schwestern Jesu“). Pesch, a.a.O., 323, kommt zu dem Ergebnis, dass es sich um leibliche Brüder und Schwestern handeln muss. Vgl. Bauckham, Brothers, 686-700. 119 Vgl. Robinson, Priority, ad loc.

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alles neu macht und allein die Bundesfamilie der von Jesus geprägten Nachfolger besteht.

13 Spannungen entstehen auch im Zuge der weltweiten Evangelisation (unter Verfolgung). Implizit spricht Jesus nochmals von der Notwendigkeit, allen Völkern die gute Botschaft (der Herrschaft Gottes und seines Messias) zu verkündigen (explizit, V. 10). Der Hass (oder zumindest der Widerstand und die Verfolgung) gegenüber den Jüngern („ihr werdet von allen (Menschen) gehasst werden;“ vgl. 13,9120) ist derselbe Hass, den Jesus bereits erlebt hat und noch drastischer erleben wird.121 Ebenso, wie Jesus verworfen und verabscheut wird, werden seine Nachfolger missgünstig behandelt werden. Neben 13,13 (vgl. ebenso die Bemerkungen zu 13,33-37) gibt es im NT viele Ermahnungen, in Versuchung und Anfechtung auszuharren (vgl. ὑπομένω [hypomenō], „ich halte stand / halte durch“).122 Nachfolge heißt unter anderem, für die Gemeinschaft mit Jesus zu leiden (… um meines Namens willen; vgl. 8,34-38). “This saying amounts to a call for complete reliance upon God in the fulfillment of mission in a hostile world”.123 Das Pendant zu Jesu Festhalten seiner auserwählten Jünger (vgl. V. 20.22.27) ist deren Ausharren bis ans Ende. Auf der anderen Seite sollen Nachfolger Jesu nicht wegen ihrer eigenen Torheit oder Unbesonnenheit leiden (vgl. 1Petr 2,20; 4,15). Allerdings ist allein die Tatsache der Zugehörigkeit zu Jesus Anlass für sichtbare und unsichtbare Anfechtung, Opposition und Hass. Obwohl die Nachfolger als Erwählte (V. 20.22.27) sicher in der Hand Gottes sind, so müssen sie im Kampf dennoch „bis zum Ende“ bestehen.124 Im vorliegenden Kontext bedeutet σωθήσεται [sōthēsetai] (Fut. Pass.) nicht Heilsrettung, sondern „er/sie wird von Gott aus der Verfolgung (heraus-)gerettet werden“ (vgl. V. 20).

120 Siehe Joh 15,18-21; 1Joh 3,13. 121 Lane 461, Anm. 59, verweist auf Larsson, Christus, 39-41, der Ähnlichkeiten in der Formulierung zwischen Mk 13,9-13 und Mk 14–15 feststellt. 122 Siehe z.B. Röm 12,12; 1Kor 13,7; 2Tim 2,10.12; Hebr 12,7; Jak 1,12; 1Petr 1,6-7; 2,19-20; Offb 2,2; 13,10. Vgl. Dan 12,12. 123 Lane 464. Lane, ebd. verweist auf Phil 1,29-30. 3,8-11; siehe eventuell auch Kol 1,24 (dort kann jedoch das Leiden Jesu als tatsächliches Haupt der Gemeinde gemeint sein). 124 Obwohl hier wohl das Ende des gegenwärtigen Äons gemeint ist, erwägt Dschulnigg (340) die Möglichkeit, dass es sich hier zusätzlich um das Ende der jeweiligen Märtyrer handelt. Siehe die vielen Hinweise auf „überwinden“ in der Offenbarung (u.a. Offb 2,7; 3,5.10; 15,2; 17,14; 21,7; vgl. Mt 24,13).

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13.3 Trübsal 13,14-23 I 14 „Wenn ihr aber den Gräuel der Verwüstung stehen seht, wo er nicht stehen soll – der Leser bedenke es – dann sollen die, die in Judäa sind, in die Berge fliehen. 15 Wer (aber) auf dem Dach ist, der komme nicht herab, noch gehe er in sein Haus, um etwas herauszuholen. 16 Und wer auf dem Feld ist, der gehe nicht zurück, um seinen Umhang zu holen. 17 Wehe aber in jenen Tagen den Schwangeren und Stillenden. 18 Betet aber, dass es nicht im Winter geschehe. 19 Denn jene Tage werden (so voller) Trübsal sein, wie sie so (noch) nicht gewesen sind seit Anfang der Schöpfung, als Gott (die Erde) schuf, bis jetzt und auch nie wiederkehren werden. 20 Und wenn der Herr die Tage nicht verkürzt hätte, würde niemand gerettet (werden). Aber um der Erwählten willen, die er erwählt hat, hat er die Tage verkürzt. 21 Und wenn dann jemand zu euch sagt: ‚Siehe, hier ist der Messias‘, ‚siehe, dort‘, schenkt dem keinen Glauben. 22 Denn mancher falsche Messias und Prophet wird auftreten und Zeichen und Wunder vollbringen, um irrezuführen; wenn möglich, (auch) die Auserwählten. 23 Ihr aber habt acht; ich habe euch (deshalb) alles vorher gesagt“.125 II Die V. 14-23 beziehen sich auf eine sich konzentrisch ausbreitende universale Trübsal, die mit dem Jüdischen Krieg (66–70/73 n.Chr.) beginnt.126 Dies verläuft parallel zum (sich konzentrisch ausbreitenden) Zeugendienst.127 III 14 Jesus knüpft wiederum an V. 4 an (Zeichenfrage). Der Gräuel (βδέλυγμα [bdelygma]; „Greuelbild“ [Luther 1984]) ist im AT ‫[ ּתֹו ֵעבַה‬tōʽebah] oft mit ­Götzen bzw. Götzendienst verbunden (vgl. z.B. Deut 7,25.26; 12,31; 13,15; 17,4; 20,18; 27,15; 32,16; Jes 41,24; Mal 2,11; vgl. Lk 16,15; Offb 17,4-5; 21,27).128 Dieser alttestamentliche Hintergrund spielt auch hier eine grund125 Lit.: Lohse, Texte, 177. Weitere Lit. bei: Pesch II 296.301 (bis 1980); Evans 314-315 (bis 1999). 126 Siehe ferner oben 13., Bemerkungen zum Gesamtabschnitt. 127 Relativ ähnlich deutet Dschulnigg 343: „V. 14–25 ist jenes Endgeschehen im Blick, das bruchlos in das Kommen des Menschensohnes (V. 26f.) mündet und somit bestimmt als zukünftig vorgestellt ist. Für die Endzeitrede Mk 13 liegt das entscheidende Zeichen des ,Gräuels der Verwüstungʻ in der Zukunft und daher ist auch der Tempel noch nicht zerstört. Die Rede ist m.E. also vor 70 n. Chr. verfasst“. 128 Vgl. Sklar, Prohibitions, 167-168, der ferner bemerkt, dass der Begriff mitunter auch auf verwerfliche sexuelle (Deut 23,19) oder andere unmoralische Handlungen (Deut 25,16) ver-

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legende Rolle (s.u.). Gräuel der Verwüstung bzw. Entheiligung (vgl. Dan 9,27; 11,31; 12,11; vgl. den expliziten Verweis auf Daniel in Mt 24,15) weist, proleptisch in der Zerstörung des Tempels 70 n.Chr. antizipiert,129 auf die letztendliche Anmaßung des Antichrists130 gegenüber Gott und seinem Tempel (Tempel als „universales Volk Gottes“; vgl. 2Thess 2,1-12, vor allem V. 4). Ausschließlich von der Zerstörung des Tempels 70 n.Chr. auszugehen, ist deshalb unwahrscheinlich, weil unser Text nicht so sehr von Zerstörung als von Verunreinigung, Beschmutzung bzw. Entweihung des Heiligtums Gottes (vgl. Dan 9,27) handelt.131 Dies wird vor allem durch das zweimal erwähnte Stichwort stehen (stehen seht, wo er nicht stehen soll) deutlich. Allerdings geht Josephus (Ant 10,263-281) davon aus, dass Dan 9,27; 11,31 und 12,11 in den Jahren 66–68 n.Chr., also noch vor der endgültigen Zerstörung Jerusalems und des Tempels, erfüllt werden.132 Nach Josephus (Bell 4,147-192; 4,334-344; 4,377-388) verursachen die Zeloten die Verunreinigung des Tempels a. durch die Ermordung der Priester, b. durch den freien Zugang zum Allerheiligsten und c. durch die gesetzeswidrige Ernennung des bäuerlichen Phanni zum Hohepriester (im Winter 67–68 n.Chr.).133 Josephus verweist auf einen möglichen Vorschatten, jedoch nicht auf die in V. 14 angesprochene endgültige Verunreinigung. Es gilt festzuhalten: Jesus betont in V. 14 Verunreinigung, nicht Zerstörung.

Der Gräuel der Verwüstung bzw. der Entheiligung des Tempels durch den Seleukiden Antiochus Epiphanes IV. im Jahr 167 v.Chr. (obwohl auch damals ein Teil des Tempels durch Antiochus zerstört wird) steht unserem V. 14 als Vorschatten viel näher als die direkte Zerstörung 70 n.Chr.134 Antiochus IV. lässt im Jerusalemer Tempel einen dem Zeus geweihten Altar errichten, worauf er ein Schwein opfern lässt; ferner verbietet er allgemein die Ausübung der jüdischen Religion (vgl. 1Makk 1,54-59; 6,7).135

Einen weiteren Vorschatten verursacht Kaiser Caligula, der 40 n.Chr. (also kurz vor seinem Tod 41 n.Chr.) beabsichtigt, durch den Statthalter von Syrien, P. Peweisen kann. 129 So Lane 466, mit Verweis auf Dan 9,27; 11,31. 130 Das das Nomen beschreibende Partizip ist Maskulin: „es steht ihm nicht zu“. Pesch II 291, bemerkt jedoch, dass der Begriff „Gräuel der Verwüstung od. „Entheiligung“ bzw. „Scheusal der Verödung“ nicht sicher gedeutet werden kann. 131 Siehe ebenso Dschulnigg 343. 132 Vgl. Lane 468-469. 133 Vgl. ebd. 134 Pace Pesch II 266. 135 Siehe Lane 466.

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tronius, im Jerusalemer Tempel sein zu verehrendes Abbild zu errichten. Diese Absicht wird wohl wegen des Kaisers Tod vereitelt.136 Der endgültige Gräuel der Verwüstung bzw. die Entheiligung ist, wie bereits angedeutet, höchstwahrscheinlich die zukünftige Anmaßung des Antichrists, unter den Jüngern Jesu (als „lebendigem“ Tempel; siehe oben, 4.3) die Stellung und Würde Gottes einnehmen zu wollen (siehe oben, Götzendienst). Allerdings nimmt dies mit der Verunreinigung und Zerstörung des Jerusalemer Tempels 66–70 n.Chr.137 proleptisch seinen Anfang. Nicht einmal der Verweis auf Judäa muss heißen, dass nur dort Trübsal besteht; die Aussage bezieht lediglich die, die in Judäa sind, mit ein. Auch die V. 15-18 müssen nicht ausschließlich auf Judäa begrenzt werden, weil sie als Beispiel (V. 19 „denn in diesen Tagen“ und V. 20, der von einer universalen Perspektive ausgeht) der universalen, endzeitlichen Trübsal (V. 19-22) dienen (siehe ferner die Einzelauslegung zu V. 19-22). Es ist schließlich zu bedenken, dass die Trübsal, die mit dem Gräuel der Verwüstung bzw. götzenartigen Entheiligung in Verbindung steht, weitreichende Verfolgung ankündigt. Auch dies ist zwar mit der Tempelzerstörung 70 n.Chr. angedeutet, allerdings erst im Kommen des Antichrists (sowie antichristlicher Vorzeichen, vgl. 2Thess 2,1-12; 1Joh 2,18) voll realisiert. 15-19 Impliziert wird hier, dass diese einstmalige Anmaßung des Antichrists (V. 14) eine Trübsal138 von unvorstellbarer, universaler Dimension hervorruft (daher der Verweis auf Flucht, vgl. Gen 19,17).139 Zunächst mag es um die Flucht der jüdischen Christen vor der Zerstörung Jerusalems gehen (67 n.Chr. nach Pella, Transjordanien, nordöstlich von Jerusalem).140 Die Fliehenden sollen nicht mehr zurück ins Haus gehen. Die Fliehenden sollen beten, dass ihre Flucht nicht in den Winter fällt.141 Allerdings mögen bereits die V. 136 Lane 468 verweist auf Philo, Leg. Ad Gaium; Josephus, Ant 18,261-309 sowie Tacitus, Hist. 5,9. 137 Vgl. Pesch II 291-292, der weitere, konkrete historische Ereignisse der Entweihung des Jerusalemer Tempels anführt. 138 Ist die Trübsal als Gericht Gottes zu verstehen? So Lane 467, mit Verweis auf Gen 19,17; Jer 16,16; Hes 7,14-16; Sach 14,5. 139 Vgl. Lane 467, der das Thema „Flucht“ in den V. 15-22 betont. Im Gegensatz hierzu ist die Flucht am Ende der Zeiten nutzlos (Offb 6,15-17). 140 Vgl. Pesch II 295-296, der die Flucht nach Pella aufgrund von Euseb, Hist. Eccl. 3,5,2-3 (und weitere Quellen) als historisches Ereignis wertet. 141 Vgl. Lane 468-469. Lane 470 verweist auf die Flucht von Mattathias mit seinen fünf Söhnen aufgrund der Unterdrückung durch Antiochus Epiphanes (1Makk 2,28). Die Flucht der Bewohner Jerusalems und Judäas wird von Jesus gesondert erwähnt. In Palästina ist die Flucht zur Winter- und Frühjahrszeit deshalb so schwierig, weil vermehrter Regen die Überquerung von Flüssen behindert oder gänzlich unmöglich macht (vgl. Lane 470, der auf Josephus, Bell 4,426-436 verweist). Ähnlich, Pesch II 293 und Dschulnigg 343. Zum apokalyptischen Weheruf, vgl. die Schriftverweise bei Pesch II 293: Offb 8,13; 9,12; 11,14; 12,12; 18,10.16.19.

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14-18 nicht ausschließlich Judäa im Blick haben, sondern Judäa lediglich in die Trübsal mit einbeziehen (s.o.). Es ist somit denkbar, dass die Zerstörung Jerusalems und des Tempels sowie die Flucht der Christen 67 n.Chr. proleptisch antizipieren, was universal mit dem Kommen des Antichrists geschehen wird. Sodann (vgl. V. 19) spricht Jesus von Flucht vor der unvorstellbaren, universalen Verfolgung durch den Antichrist, der Anbetung einfordert. 19-22 Die hier gebotene Interpretation von V. 14 als anfänglich ortsgebundenes, schließlich jedoch universales Endzeitereignis (vgl. 15-18) wird dadurch gestützt, dass die Trübsal (θλῖψις [thlipsis], V. 19-23, eng mit V. 14-18 verknüpft) sehr tief greifend (wie sie so noch nicht gewesen sind),142 weltweit (seit Anfang der Schöpfung bis jetzt) und endgültig (und auch nie wiederkehren werden, καὶ οὐ μὴ γένηται [kai ou mē genētai) ist (vgl. die V. 19 nahestehende Aussage in Dan 12,1b). Hiermit kann schwerlich das zwar niederschmetternde und grausame, aber doch lokale Ereignis des Jüdischen Krieges mit Flucht und Tempelzerstörung (64–73 n.Chr.) ausschließlich gemeint sein. Auch deuten die V. 20-22 auf ein universales Endzeitereignis hin, das jedoch mit der Tempelzerstörung seinen Anfang nimmt. Lane nimmt dagegen an, dass die universale Sprache lediglich charakteristisches Merkmal apokalyptischer Prophetie ist und deshalb durchaus ausschließlich auf die Zerstörung Jerusalems weisen kann (vgl. Dan 9,12b).143 Nach Lane beschreibt auch Josephus die Zerstörung Jerusalems in ähnlich übertriebener bzw. universaler Weise (vgl. Josephus, Bell 1,38; 5,442).144 Josephus berichtet von unbeschreiblichem Leiden; aber die überaus betonte Aussage Jesu, dass derartig tief greifende Trübsal weder davor noch danach bestehen wird (Mk 13,19), vermisst man sowohl bei Josephus als auch in den einschlägigen AT-Texten (einschließlich Dan 9,12b; 12,1). Vor allem weist 1QM1,11-12 (eine Stelle, die Lane als wichtigen Beleg für seine Auffassung zitiert) entschieden gegen seine Auslegung: Der Kontext von 1QM1,11-12 handelt eben von der Tatsache, dass der letzte, kosmische Kampf ungleich größere Trübsal bringt als alles davor (vgl. ebenso Joel 2,2c).145 Die Ähnlichkeit zwischen 1QM1,1-17 und Mk 13,1-20 liegt somit darin, dass zwar in beiden Texten konkrete Einzelheiten geschildert werden (in 1QM1,9 z.B. die Kittäer; bei Mk 13,14 u.a. Judäa), der jeweilige Gesamtkontext jedoch eindeutig auf endzeitliche und kosmische Ausmaße (Trübsal und Kampf) weist. 142 Pesch II 294 verweist auf Ex 9,18; Joel 2,2; Dan 12,1; Jub 16,8; Offb 16,18. Vgl. Deut 4,32. 143 Lane 471. Lane, ebd. verweist u.a. auf Mi 1,2, Jes 13,6-10, Jer 30,7; Joel 2,2; Bar 2,2; 1Makk 9,27. 144 Ebd. Vgl., ähnlich zu Lane, Pesch II 294. 145 Lohse, Texte, 177.

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Lohse bemerkt zu 1QM1: „Für Ausrüstung, Aufstellung und Kampfweise der Truppen werden recht genaue Anweisungen erteilt, aus denen hervorgeht, dass der Krieg als ein wirklicher Kampf dargestellt werden soll. Dessen Ausmaße sind jedoch in den Rahmen des apokalyptischen Endgeschehens eingespannt: Belial und sein Heer stehen auf der einen Seite, Michael und seine Engel auf der anderen, der Sieg aber wird allein Gottes Tat sein“.146

20 Der in V. 20 angesagte Trost durch die Verkürzung der Leidenstage besagt, dass Gott, trotz Trübsal, souverän handelt, indem er um der Erwählten willen (vgl. ferner V. 22.27; siehe Lk 18,7; Joh 15,16; Röm 8,33; 11,7; Eph 1,45; Kol 3,12; 2Thess 2,1-12; 2Tim 2,10)147 schützend eingreift. Die Auserwählten (ἐκλεκτός [eklektos] = „auserlesen“/„auserwählt“) sollten sich niemals als Elite oder als exklusive Gruppe verstehen, die irgendwie die Gnade Gottes verdient hätte. Vielmehr sind sie lediglich weltweite Empfänger der gnädigen, unverdienten und heilbringenden Berufung und Bewahrung des souveränen Gottes.148 Als ehemals Entfremdete besitzen sie nichts, womit sie sich rühmen könnten (1Kor 1,29; 4,7; Eph 2,9), es sei denn sie rühmen sich in dem unverdienten, stellvertretenden Opfertod Jesu (Gal 6,14), der im Glauben sicheres Heil vermittelt. 21-22 Die eschatologische Trübsal (von der Tempelzerstörung bis zur Parusie) ist geprägt durch Leid sowie durch falsche Propheten bzw. Messias­ anwärter, die vorgeben, bereits vor der kosmischen Klimax (V. 24-25) der wiedergekehrte Christus zu sein („er warnt vor Parusieschwärmern, die bereits in der Tempelzerstörung das Zeichen der Parusie sehen wollen“).149 Sie versuchen durch Zeichen und Wunder … irrezuführen (vgl. V. 3-6; Deut 13,2, vgl. 1Joh 2,18.22; 4,3; 2Joh 7).150 Im Unterschied zum offenbarten Wort Gottes, verweisen „Zeichen und Wunder“ nicht eindeutig auf den Willen Gottes. Wer 2Kor 12,12 mit 2Thess 2,9 vergleicht, wird dies erkennen. Es ist deshalb immer notwendig, etwaige Zeichen und Wunder dahingehend zu prüfen, ob sie mit der bestehenden und autoritativen Offenbarung Gottes übereinstimmen oder nicht. Ferner ist zu fragen, ob derartige „Zeichen und Wunder“ von Gott als ausschließlichem Glaubensobjekt abwerben. Der Nachfolger konzentriert sich stets auf die Offenbarung Gottes, die den stellvertretenden Tod und die Auferstehung Jesu als Offenbarungsmitte vermittelt, wobei der Heilige Geist Vertrauen auf 146 Lohse, Texte, 177. 147 Dschulnigg 344 verweist auf 4Esr 4,26; 2Bar 20,1; äthHen 80,2. 148 Vgl. Röm 8,33; Kol 3,12; 2Thess 2,1-12. 149 Pesch II 298. 150 Diese Warnung zieht sich durch das NT, z.B. 2Thess 2,9-12. Vgl. bereits Deut 13,6.7.11.14. Siehe Lane 473.

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Gott, Beharrlichkeit in Anfechtung, ein geheiligtes Leben und ganzheitliches Zeugnis fördert. Im vorliegenden Kontext handelt es sich um irreführende und gefährliche „Zeichen und Wunder“. Die falschen Propheten werden dadurch immer wieder versuchen, die Auserwählten täuschend zu verführen (πρὸς τὸ ἀποπλανᾶν [pros to apoplanan], Präs. Inf., „um irrezuführen“ / „um zu verführen“; mitunter geschieht dies durch täuschende Interpretation von Tatsachen; vgl. Kol 2,4.8). Es folgt hier eine Auswahl aus den vielen Beispielen falscher Propheten- und Messiasanwärter im 1. Jh. n.Chr.: Unter Pontius Pilatus ist es ein Samariter, 35 n.Chr.; unter Felix ist es ein anonymer Prophet sowie der falsche Prophet aus Ägypten; unter Fadus sind es Theudas, der Weber Jonathan in Kyrene, der Zelotenführer Menachem von Masada sowie Simon bar Giora.151 Josephus (Bell 6,288) resümiert für die Zeit der Belagerung Jerusalems: „So ließ sich das elende Volk damals von Verführern und Betrügern, die sich fälschlich als Gesandte Gottes ausgaben, beschwatzen“.152

Aufgrund der souveränen Macht Gottes versuchen die falschen Propheten allerdings erfolglos (εἰ δυνατόν [ei dynaton], vgl. 14,35), auch die Auserwählten (siehe oben die Bemerkungen zu V. 20; vgl. V. 27) irrezuführen (V. 5).153 Manche römischen Kaiser im 1. Jh. n.Chr. bieten für den hier geschilderten zukünftigen Gräuel der Verwüstung und die Trübsal einen gewissen Vorschatten (vgl. u.a. bereits die Anbetung von Nebuchadnezzar in Dan 3,5). Exkurs 11: Die Kaiseranbetung (Apotheosis) als politisches Mittel der Macht154 Das sich ausbreitende römische Reich sucht Mittel, die sehr unterschiedlich geprägten Völkerschaften, die es besiegt, zu vereinen. Ein Mittel hierzu ist das der unterschiedlich155 gearteten Kaiseranbetung bzw. Kaiserverehrung. Beispielsweise gilt in Jerusalem in der Zeit von Augustus bis Nero, dass Priester im Tempel „für Kaiser und die römische Nation“ täglich opfern. Die griechische Hierarchie weist noch den Aufbau „Schicksal“→ „Götter“ bzw. „Philosophie“→ „der Stadtstaat mit demokratischen Entscheidungen“ auf. Das römische, nachrepublikanische Hierarchiegefüge besteht dagegen aus „Götter“→ „Philosophie“ (im Abklang)→ „autokratische Kaiser“ (seit Julius Caesar und Augustus) bzw. „göttliche Menschen“. 151 Vgl. die weiteren Beispiele falscher Propheten- und Messiasanwärter im 1. Jh. n.Chr. bei Pesch II 298-299. 152 So Pesch, II 298-299. 153 Vgl. Pesch II 298. 154 Lit.: Bruce, History, 316; Deissmann, Licht, 287-324; Evans lxxxii-xciii; Roetzel, World, 74; Schnabel, Mission, I 617-621, mit Lit. 617, Anm. 249; vgl. ferner Bell, Exploring, ad loc., sowie Winter, Divine Honours, passim. 155 Vgl. Schnabel, Mission, I 620.

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Manche Historiker bezweifeln die Ernsthaftigkeit, mit der die römische Oberschicht der Kaiseranbetung bzw. der Kaiserverehrung nachkommt156 bzw. wie sie vom jeweiligen Kaiser (vgl. etwa Vespasian) eingefordert wird.157 Generell gilt jedoch, dass seit Augustus eine politisch-religiöse Form der Kaiseranbetung bzw. Kaiserverehrung als Indiz für Loyalität gilt, die bei Nichtbefolgen ernsthafte Konsequenzen haben kann.158 Während die Griechen weniger dazu neigen, ihre Machthaber anzubeten (siehe jedoch unten bzgl. Alexander des Großen), pflegen Perser und Ägypter dies seit Langem (Proskynesis) und vergöttern damit ihre Machthaber (z.B. Pharao als Inkarnation einer Gottheit). Alexander der Große z.B. ist persönlich zunächst nicht sonderlich an einer derartigen Würde interessiert, akzeptiert dies jedoch von Völkern, die er erobert hat (beispielsweise wird Alexander in Ägypten als Pharao, d.h., als Inkarnation einer Gottheit geehrt). Mitunter fordert Alexander sogar die proskynēsis und, ca. 324 v.Chr., gar göttliche Ehren von den Griechen ein. Unter den römischen, nachrepublikanischen Machthabern erhält Julius Caesar nach seinem Tod auf Anlass seines Nachfolgers, Kaiser Augustus, vom Senat göttliche Ehren. Daraufhin wird dem genius159 Julius Caesars ein Tempel gebaut.160 Im Verlauf seiner Herrschaft führt Augustus den priesterlichen Titel pontifex maximus (ein Titel, den bereits Julius Caesar vor Antritt seiner Alleinherrschaft führt). Augustus’ Selbstbezeichnung divi filius ist wahrscheinlich als politische Aussage zu sehen.161 Ab 27 v.Chr. lässt sich Augustus zusätzlich divus nennen. Die Ägypter nennen ihn „Gott der Götter“. Trotzdem verweigert er es, von römischen Bürgern angebetet zu werden. Nach seinem Tod wird er als „Gott, Sohn Gottes“ verherrlicht (Virgil). Sein schützender Geist (genius) soll als deus (Gott) neben anderen Göttern angebetet werden. Die Kaiser Tiberius and Claudius verwehren sich gegen die Bezeichnung „Herr“, „Erlöser“ und „Gott“.162 Claudius verbietet es, vor ihm kniefällig niederzufallen. Er möchte lieber wieder die Religiosität der altrömischen Republik einführen. Der unberechenbare Kaiser Gaius Caligula fordert jedoch, als dominus et deus („Herr und Gott“) sowie als „Bringender guter Nachricht“ (vgl. gr. „Evangelium“) verehrt zu werden.163 156 Vgl. ferner, Schnabel, Mission, I 620. 157 Vgl. Schnabel, Mission, I 617, der unterstreicht, dass die Apotheosis vielerorts eher von der einheimischen Bevölkerung eingefordert wird. 158 Winter, Divine Honours, passim. 159 Schnabel, Mission, I 619-620, betont, dass die einzelnen Kaiser (vor allem zu Lebzeiten), nicht direkt Gegenstand von Anbetung oder Verehrung sind. Er macht (ebd.) ferner geltend, dass vor allem der genius des verstorbenen Kaisers, nicht die Person selbst, zusammen mit anderen Göttern verehrt wird. 160 Vgl. die Details bei Schnabel, Mission, I 617-618, bezüglich weiterer Tempel, die verstorbenen Herrschern geweiht sind. 161 So Schnabel, Mission, I 618. 162 Vgl. Roetzel, World, 74. 163 Bell, Exploring, 63. Vgl. Sueton, Vesp. 7. Siehe ferner Philo, Leg. Ad Gaium, 357, bezüglich des jüdischen Widerstandes gegen Caligula in Alexandrien.

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Neros Umgang mit dieser Frage ähnelt dem des Caligula. Vespasian distanziert sich eher vom Brauch der Kaiserverehrung und wird wohl kurz vor seinem Tod eher ironisch gesagt haben: „Ich bin im Begriff, eine Gottheit zu werden“.164 Domitian folgt dem Beispiel Caligulas und lässt sich und seine Familie als deus et dominus noster anbeten. Domitian versucht, auch Christen zur Kaiseranbetung zu zwingen (siehe etwa die Hinrichtungen 93 n.Chr.). Nach Domitian wird die Vorschrift der Kaiseranbetung noch rigoroser verfolgt. Der Widerstand gegen die Kaiseranbetung bzw. Kaiserverehrung gestaltet sich folgendermaßen: a. Die Juden unterscheiden scharf zwischen dem einen Schöpfergott einerseits sowie Macht ausübenden Menschen andererseits (vgl. Jes 26,13). Im römischen Imperium besitzt der jüdische Glaube den Sonderstatus einer religio licita und ist damit von der Kaiseranbetung befreit. Die jüdische Religion gilt als legaler Kultus.165 Allerdings besteht dieser Sonderstatus nur, solange er die öffentliche Ordnung nicht stört (etwa durch Propaganda oder öffentliche Praxis des Kultus). b. Die Judenchristen sind zunächst ebenso durch die religio licita geschützt. Der christliche Glaube an Jesus als „Herr“ (dominus – κύριος [kyrios], vgl. etwa Apg 2,36; Phil 2,11) ist bei polytheistischen Römern so lange harmlos, wie weitere „Herren“ ebenso von den Christen toleriert werden. Sobald jedoch Jesus als Herr des römischen Kaisers oder gar als alleiniger Herr eo ipso gesehen wird, kann dies als Treuebruch bzw. als Gehorsamsverweigerung dem Kaiser gegenüber gesehen werden. Die Christen werden für dieses Zeugnis mit ihrem Blut bezahlen (vgl. Offb 12,11).

Der kommende Antichrist (als Letzter der falschen Messiasprätendenten) wird jedoch Endpunkt dieser antitheistischen und antichristlichen (ψευδόχριστοι [pseudochristoi]) Bewegung sein (vgl. 1Joh 2,18; 2Thess 2,3.7.8-12). 23 „Ihr aber habt acht; ich habe euch (deshalb) alles vorher gesagt“. Die Absicht der Vorhersage Jesu bedeutet Stärkung der Jünger zur Treue Jesus gegenüber, Kräftigung zum Widerstand sowie Warnung vor satanischer Verwirrung.166

13.4 Die Parusie des Menschensohnes 13,24-27 I 24 „Aber in jenen Tagen nach dieser Trübsal wird die Sonne verdunkeln und der Mond wird nicht (mehr) sein Licht abgeben 25 und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Himmelskräfte werden erschüttert. 164 Sueton, Vesp. 23-24. 165 Vgl. Bruce, History, 316. 166 Lane 473 verweist auf das alttestamentliche Echo in Deut 13,4-14.

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26 Und dann werden sie den Menschensohn in den Wolken kommen sehen mit großer Kraft und Herrlichkeit. 27 Und dann wird er die Engel aussenden und die (seine) Erwählten aus allen Himmelsrichtungen sammeln, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels“.167 II Siehe oben 13., Bemerkungen zum Gesamtabschnitt. III 24-25 Deutlich setzt Jesus die hier beschriebenen Endereignisse von der vorausgehenden, eschatologischen Trübsal (V. 14-23) ab („in jenen Tagen nach dieser Trübsal“).168 Andererseits liegt eine Steigerung von Tempelschändung und Tempelzerstörung, über falsche Messiasprätendenten mit Trübsal (mit endgültiger Entheiligung des Tempels, d.h. des Gottesvolkes), bis hin zur Parusie des Menschensohnes vor. Nun beschreibt Jesus die kosmischen End­er­eig­ nisse, die der universalen Trübsal (irgendwann)169 folgen (vgl. Jes 13,10; 34,4; vgl. Joel 2,10-11; 3,4; 4,15-16). Die von Gott geschaffenen Gesetze des Weltalls werden ausgesetzt werden (vgl. Jes 34,4). Jesus formuliert hier besonders stark alttestamentlich: Die Verdunkelung der „gottgeschaffenen Lichtquellen“170 (Sonne, Mond und Sterne; vgl. Joel 2,10; 3,4; 4,15 sowie Jes 13,10 und 34,4) als Tag des Gerichts (Zef 1,15);171 die kosmischen Ereignisse als Vorzeichen der Parusie (im Gegensatz zu antichristlichen „Zeichen und Wunder“), vgl. Joel 3,3-5.172 26-27 Sodann erfolgt das Kommen des Menschensohnes.173 Es ist wohl das herrliche (vgl. Offb 1,7) Kommen des Menschensohnes, des endgültig 167 Lit.: Hatina, Focus, 43-66; Stegemann, Markusevangelium, 301. Weitere Lit. bei: Pesch II 305 (bis 1980); Evans 324-326 (bis 1999). 168 Pace France 531-532, der diesen Neuansatz (entgegen Pesch II 302) eher abschwächt. Nach der Auffassung von France 530-540.501-504 spricht Jesus im gesamten Abschnitt (13,1-32) ausschließlich von der Tempelzerstörung. Allerdings räumt France 541-546, ein, dass Mk 13,33-37 auf die Parusie Jesu verweist. 169 Vgl. Lane 474. 170 Pesch II 302. 171 Lane 475, der ferner auf Hes 32,7-8 und Am 8,9 verweist. Der Verweis auf kosmische Ereignisse kann in Verbindung mit lokalisierten Ereignissen proleptisch erwähnt werden, sie zielen jedoch teleologisch stets auf ein tatsächliches Endereignis von derart kosmischem Ausmaß (vgl. 1Kor 15; die kosmische Erneuerung der Welt). 172 Lane 475. Pesch II 303 verweist auf Stegemann, Markusevangelium, 301, der die Verbindung zwischen apokalyptischer Verfinsterung und dem vierten Schöpfungstag (Gen 1,14) hervorhebt. 173 Lane 394, Anm. 9, verweist auf bSan 98a: Hier verbindet die spätere rabbinische Schule Sach 9,9 und das „Kommen des Menschensohnes in den Wolken“ (Dan 7,13-14) mit dem Wirken

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Herrschenden (vgl. 9,7; 14,62), zu seinen Auserwählten (vgl. V. 20.22) gemeint. Dies schließt das Gericht über alle Ungerechtigkeit und Unterdrückung mit ein (vgl. 8,38; 14,62; vgl. äthHen 62,2). Dies wird dadurch untermalt, dass auch die Engel gesandt werden, die Auserwählten zu sammeln (V. 27; siehe oben die Bemerkungen zu V. 20 und 22; Deut 30,3-4; Sach 2,10). Lane bemerkt, dass der Verweis auf Engel Deut 30,4 und Sach 2,10 kombiniert.174 Das Sammeln des Gottesvolkes ist Zeichen der Gnade Gottes (vgl. z.B. Jes 11,12), Zerstreuung ist Zeichen des Gerichtes Gottes (vgl. z.B. Hes 5,10.12). Siehe ferner 2Thess 2,1.175

Bei der zukünftigen Parusie kommt Jesus (als Repräsentant des Gottesvolkes) in der Gegenwart des Vaters, um das Reich (in seiner Fülle) mit seinen Auserwählten zu führen. Siehe 14,62b, wo Jesus Dan 7,13-14 lediglich als Teilereignis der Parusie interpretiert.176 Die Abfolge des Geschicks des Menschensohnes im gesamten Mk Ev. ist somit: Leiden, Tod, Auferweckung (z.B. 8,31), Erhöhung (Mk 14,62a, „Sitzen zur Rechten Gottes“, Ps 110,1.5) und Parusie als kosmisches Ereignis. Dabei kommt Jesus zu den Seinen (Mk 13,26-27), um das Reich mit ihnen in der Gegenwart des Vaters (vgl. Mk 8,38) in einer neuen bzw. erneuerten Schöpfung zu führen (Mk 14,62b; Dan 7,13-18.22.27; vgl. 2Petr 2,12-13; Offb 21,1).177 Dabei sind alle Feinde endlich überwunden (Ps 110,1). Das Kommen in den Wolken markiert die endgültige Enthüllung der Person Jesu und seines Reiches (Volkes).178 Das Sammeln der Auserwählten vom Ende der Erde (vgl. Deut 30,3-4; Sach 2,10) betont, dass das Gottesvolk weit über die politischen Grenzen Israels hinausreicht, jedoch das jüdische Volk keineswegs übergeht (Joh 11,52). Vielmehr setzt mit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem die eschatologische Ausweitung des Gottesvolkes als „lebendiger Tempel“ ein (siehe oben, 4.3), das aus dem gläubigen Rest Israels (vgl. u.a. Röm 9‒11) und gläubigen Heiden besteht.179

des Messias. 174 Lane 476. 175 Vgl. Keener, Background, 173. 176 Vgl. Lane 476, der darauf hinweist, dass das Sammeln der Zerstreuten Gottes ureigenes Werk ist (Deut 30,3-4; Ps 50,3-5; Jes 43,6; 66,8; Jer 32,37; Hes 34,13; 36,24; Sach 2,6.10). 177 Vgl. Dschulnigg 345, der im Gegensatz zu Pesch (II 303-304) den Heilsaspekt über den Gerichtsaspekt der Parusie des Menschensohnes stellt. 178 Vgl. Lane 476. 179 Vgl. Schnabel, Römer, 498-508. Siehe oben, Exkurs 9: „Die Ähnlichkeit zwischen der Naherwartungs- und Verzögerungsthematik in der Apostelgeschichte und Markus“.

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Lane resümiert: Wenn sich früher das Volk Israel um den Tempel scharte, so schart sich das eschatologische, messianische Volk Gottes (Juden und Heiden) nun um den erniedrigten und erhöhten Menschensohn.180

13.5 Unterweisung zum Wachen und Beten 13,28-37 I 28 „Vom Feigenbaum aber lernt (dies) Gleichnis: Sobald seine Zweige sprossen und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. 29 So auch ihr: Wenn ihr seht, dass diese Dinge geschehen, so sollt ihr wissen, dass (das Ende) nahe vor der Tür ist. 30 Amen, ich sage euch, dass dies Geschlecht sicher nicht vergehen wird, bis all diese Dinge ihren Lauf nehmen. 31 Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden sicher nicht vergehen. 32 Niemand aber weiß um jenen (genauen) Tag oder die Stunde, weder die Engel im Himmel noch der Sohn, außer dem Vater. 33 Seht euch vor, seid wachsam; denn ihr wisst nicht, wann der Zeitpunkt (gekommen) ist. 34 (Es ist) wie ein Mann auf Reisen, der sein Haus verließ und seinen Dienern in ihren betreffenden Aufgaben die Verantwortung überließ und dem Torhüter befahl, dass er beständig wache. 35 So wacht nun beständig; denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt, ob abends, ob um Mitternacht, ob vor Sonnenaufgang, ob am Morgen, 36 auf dass er nicht plötzlich komme und euch schlafend vorfinde. 37 Was ich euch sage, sage ich allen, wacht“.181 II Siehe oben 13., Bemerkungen zum Gesamtabschnitt. III 28-29 Nun bedient sich Jesus erneut der Metapher (Gleichnis) des Feigenbaumes,182 diesmal jedoch als Beispiel, die Zeitfolge der Trübsal (V. 5-23) und der Endereignisse (V. 24-27) recht beurteilen zu können (anders 11,13). Die Beobachtung des sprossenden Feigenbaums soll die Jünger umsichtig wer180 Lane 477. Vgl. Dschulnigg 345, der diesbezüglich auf Lk 23,43; Phil 1,23; 1Thess 4,17 und Offb 20,4 verweist. 181 Lit. bei: Pesch II 312-313.318 (bis 1980); Evans 330-332.337-339 (bis 1999). 182 Lane 479, führt aus, dass der Feigenbaum, im Gegensatz zu den meisten Bäumen in Palästina, im Winter seine Blätter verliert. Somit kann beim Feigenbaum die Jahreszeit bestimmt werden. Unmittelbar vor dem Passahfest treibt der Feigenbaum zumindest Sprossen. Was Jesus beschreibt, geschieht gegenwärtig in der Natur. Vgl. ebenso, Pesch II 307.

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den lassen: Sie sollen die „Zeichen der Zeit“ recht deuten und dabei vor allem nicht verzagen. Ob hier tatsächlich zeitliche Naherwartung ausgesprochen ist (siehe vor allem: „Sobald seine Zweige sprossen und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist“),183 ist fraglich (trotz ἐγγύς [engys], das nicht nur zeitlich, sondern eben auch heilsgeschichtlich verstanden werden kann), weil weitere Hinweise im Text fehlen (vgl. ferner V. 30.32). Es besteht eine terminologische und thematische Beziehung zwischen V. 4, 5-23 und 29-30: Die Frage, wann dies alles geschieht (V. 4), wird in V. 23 und V. 29 wiederholt.184 Wie oben bereits ausgeführt, geht es in V. 5-23 thematisch jedoch nicht ausschließlich um die Zerstörung Jerusalems und des Tempels (nicht einmal ausschließlich in V. 14-18), sondern um eine eschatologische Kettenreaktion, die in der Parusie des Menschensohnes kulminiert. Mit anderen Worten: Jesus beantwortet die lediglich auf den Tempel bezogene Frage der Jünger bezüglich diese(r) Dinge (V. 4) weit ausführlicher und breiter, als erwartet. Die Trübsal, die mit der Zerstörung Jerusalems und des Tempels verbunden ist, gilt somit als Anfang und Muster: In jeder neuen und darauf folgenden Situation der eschatologischen Kettenreaktion ist Wachsamkeit geboten; die Trübsal, die vor der Parusie besteht (V. 19), soll zur Wachsamkeit vor Irrlehrern anleiten (V. 21-23). Diese Dinge (V. 29; vgl. alles, V. 23) bezeichnen somit einen viel breiter angelegten Ausblick auf die Zukunft, als die Frage bezüglich des Tempels (diese Dinge, V. 4) erwarten lässt. 30-32 Jesus geht nun zumindest indirekt auf die gestellte Frage des Zeitpunktes ein (vgl. V. 4), nachdem die verschiedenen „Zeichen“ beschrieben worden sind (V. 5-29). 30 Die feierliche Amen-Aussage (V. 30) umschließt die jeweils zeitlich undeutlich angesagten Ereignisse der Tempelzerstörung (V. 2), der Kriege und Erdbeben, der Verfolgung und Trübsal (V. 5-23), die kosmischen Endereignisse sowie die Parusie des Menschensohnes (V. 24-27). Liegt hier somit Naherwartung vor?185 Rechnet Jesus mit dem baldigen und kosmischen Kommen des ewigen Gottesreiches, wie A. Schweitzer es vermutete?186 Zumindest verweist Jesus im gesamten Ausblick auf eine längere, bevorstehende Zeitspanne (vgl.

183 So Pesch II 307. 184 Lane 478, bemerkt, dass die Zeitaussagen in V. 4, 23, und 29-30 „cannot refer to the celestial upheavals described in verses 24-25 which are inseparable from the parousia (verse 26) and the gathering of the elect (verse 27)“. 185 Dschulnigg 348, rechnet bei 9,1 und 13,10 sowie Mt 10,23 und 23,36 mit sog. Naherwartungslogien. 186 Schweitzer, Reich Gottes, 36.122. Vgl. Schweitzer, Geschichte, 620.

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V. 5-10.13.20-22). Sicher ist auch, dass Jesus in keiner Weise beabsichtigt, genaue Zeitangaben zu machen (vgl. vor allem V. 32). Letztendlich ist die Frage der Zeitaussage davon abhängig, wie der Verweis auf dieses Geschlecht, ἡ γενεὰ αὕτη [hē genea hautē] (V. 30; vgl. 8,12.38; 9,19) in Verbindung mit γένηται [genētai] (V. 30) zu verstehen ist. Unabhängig von der Frage, wie dieses Geschlecht zu interpretieren ist, besagt γένηται [genētai] (Aor. Konj. Med.) jedenfalls, dass diese Dinge mit diesem Geschlecht ihren Lauf nehmen werden (wörtl. bis all diese Dinge werden; d.h. mit der Zerstörung des Tempels, etwa 40 Jahre nach Jesu Voraussage, beginnen die vorausgesagten Ereignisse; vgl. V. 4). Das Ende, d.h. die Parusie, ist damit nicht festgelegt, weil im vorhergehenden Abschnitt selbst (V. 5-27) eine gewisse – vielleicht sogar beträchtliche – Zeitdauer impliziert wird (wie oben bereits dargelegt). Zwei Interpretationsmöglichkeiten von Geschlecht stehen hier offen: 1. Dieses Geschlecht (Generation) verweist auf die Zeitgenossen, die gegenwärtig leben.187 2. Dieses Geschlecht (= Generation) beschreibt den „Menschenschlag“ des gesamten, gegenwärtigen Äons (siehe oben, 13. II: Bezug zwischen Aufbau und Inhalt), der in gottlosem Wesen bis zum Letzten Gericht lebt. Wir haben bereits oben erwähnt, dass die Formulierung dieses Geschlecht (siehe Einzelauslegungen zu 8,12.38) stehender Ausdruck in der Predigt der leidenden Propheten Gottes (vgl. Deut 32,5.20; Ps 94,10 LXX; Jub 23,14-16; vgl. äthHen 93,9) ist.188 Ps 94,10 LXX verdeutlicht, dass γενεά [genea] (Geschlecht) zwar jeweils eine bestimmte Generation meint („vierzig Jahre“, Ps 94,10a LXX), aufgrund der sich wiederholenden Hartherzigkeit weiterer Generationen (Ps 94,7b.8a LXX) allerdings eine „unheilsgeschichtliche“ Reihe des jeweiligen Geschlechts im Blick ist. Der Ausdruck „dieses Geschlecht“ weist bei Jesus ebenso meist auf die gegenwärtige Generation, allerdings wiederum im Kontext anderer Generationen der Hartherzigkeit (vgl. vor allem Lk 11,2932.50-51 par). Aufgrund dieses „unheilsgeschichtlichen“ Kontextes kann γενεά [genea] (Geschlecht) hier (und in Mk 8,12.38) als „Menschenschlag“ verstanden werden. Morgenthaler bemerkt: „Der Ton liegt vollständig auf der Sündhaftigkeit dieser Art, dieses Schlages“.189 „Diese Generation“ bezeichnet somit die Menschheit, die gottlos und moralisch sündhaft ist (vgl. Mk 8,12.38; 9,19; Mt 12,39; 17,17; Apg 2,40; Phil 2,15). Siehe ferner Büchsel, der γενεά [genea] in Mt 1,17, Apg 13,36; 14,16; 15,21; Eph 3,5 und Kol 1,26 im Sinn von „Zeitalter“ bzw. „Periode“ deutet.190 Im Gegensatz hierzu, vgl. Lane,

187 Vgl. etwa Art. γενεά [genea] EWNT I, 579-581. So deutet etwa auch Dschulnigg 348. 188 Pesch I 408; bemerkt: „Die Umkehrpredigt … ist wie die Verstockung selbst Grund der Zeichenforderung. Die Verweigerung des Zeichens ist zugleich strenger Rückverweis auf die Umkehrforderung“. Im Sinn einer „letzten Generation“ vgl. 1QHab2,6-7. 189 Morgenthaler, Art. „Geschlecht“, ThBLNT, I 518-519. 190 Art. γενεά κτλ. [genea ktl.], (Büchsel), ThWNT I, 660-663, hier: 661.

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der u.a. aufgrund von Mk 8,12.38 und 9,19 weniger überzeugend davon ausgeht, dass Mk mit diesem Geschlecht immer und ausschließlich die Zeitgenossen Jesu meint.191

Diese zweite Interpretationsmöglichkeit ist somit am wahrscheinlichsten. Allerdings meint Gundry (mit Zustimmung von France), dass eine derart zeitlose Interpretation des Begriffs Geschlecht bzw. Generation der Aussage in Mk 13,30 den Sinn entzieht.192 Diese von Gundry vertretene Auffassung trifft auf dem Hintergrund der jüdischen Zukunftserwartung allerdings nicht zu. Gerade das Nebeneinander endzeitlicher Trübsal für die Erwählten Gottes und das Fortbestehen „dieser (gottlosen) Menschenart“ (Geschlecht) ist für alttestamentlich geschulte Ohren unerwartet und bedarf der durch Jesus besonders betonten Klarstellung: Die „gottlose Menschenart“ wird (unerklärlicherweise) bis zum Kommen des Menschensohnes fortbestehen, während zugleich die Erwählten das (weithin unscheinbare) Wachsen des ewigen Königreiches erleben. In diesem Sinn sind die beschriebenen Ereignisse in V. 4-23 sinnecht eschatologisch, weil während dieser Endereignisse das erwählte Gottesvolk neben der „gottlosen Menschenart“ lebt und leidet. Der Sinn von V. 30 ist somit wie folgt: „Diese gottlose Menschenart“ (Geschlecht) wird erst dann durch Gott gerichtet, wenn all die durch Jesus beschriebenen, teleskopisch dehnbaren Endzeitereignisse (V. 5-29) geschehen sind. Dann, allerdings, wird „diese gottlose Menschenart“ (Geschlecht) vergehen, d.h. endgültig gerichtet werden. 31-32 Jesus bekräftigt in Anklang an V. 25, dass seine Worte (wie die Torah, vgl. Mt 5,18; vgl. ferner Ps 148,6)193 über den Gesetzen der Schöpfung stehen, d.h. sie bestehen jenseits von Raum und Zeit. Seine Worte entsprechen nicht nur dem Willen Gottes, der über der Schöpfung und den Weltereignissen steht, sondern sie sind Worte Gottes.194 Jesus beansprucht, dass seine eigenen Worte so verbindlich sind wie das offenbarte und geschriebene Wort Gottes (γραφή [graphē]; vgl. Jes 51,6; Jer 31,35-37). Von seiner göttlichen Vollmacht macht Jesus keinerlei Abstriche, obwohl er sich stets unter den Willen des Vaters stellt (vgl. 1Kor 11,3): „Niemand, aber, weiß … außer dem Vater“ (V. 32). Die vor allem inkarnationsbedingte,195 191 Lane 480; vgl. ebenso Dschulnigg 348. 192 Gundry 791, bemerkt: Natürlich vergeht „diese Generation“ nicht, wenn sie zeitlos verstanden wird. France 539, Anm. 32. 193 Vgl. Pesch II 309. 194 Lane 480 verweist auf atl. Texte, in denen Gottes Wort über der scheinbar konstanten Stabilität der Schöpfung steht (Ps 102,25-27; Jes 40,6-8; 51,6). 195 Vgl. P. Hawthorne, Philippians, ad Phil 2,6-7, zur „Kenosis“ in Phil 2,7 als inkarnationsbedingter Selbstbegrenzung. Dschulnigg 349 übergeht diese Erklärungsalternative.

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willentliche Begrenzung des Wissens Jesu,196 die zusätzlich ein Motiv apokalyptischer Aussage ist,197 beeinträchtigt nicht seine göttliche Natur. Bis auf die Verklärung und einige Selbstaussagen äußert sich Jesus meist in verhüllter Weise und bejaht ausdrücklich die Begrenztheit seines menschlichen Daseins (vgl. Phil 2,5-8; Hebr 5,7). So zeigt Jesus neben Mitleid und Barmherzigkeit (vgl. 1,41; 6,34; 8,2) auch Zorn und Erregung (vgl. 3,5; 8,33; 10,14), Erschöpfung durch Leiden (vgl. 14,33-34), seelische Ermüdung (vgl. 7,34; 8,12), Hunger (vgl. 11,12), Schlafbedürftigkeit (4,38) und Erstaunen (vgl. 6,6). Das Moment der Überraschung (bezüglich der Parusie Jesu; V. 32 und 33) ruft zur Wachsamkeit auf.198 Zusammenfassung zu V. 28-32. Die Verse 28-29 sollen dazu aufrufen, die Anzeichen zu den jeweiligen, von Gott zugelassenen, verheerenden Ereignissen (z.B. Tempelzerstörung) wachsam zu erkennen und dabei nicht zu verzagen (vgl. 13,23; vgl. Hebr 12,1b-2a). Sodann bekräftigt V. 30, dass auch das „gottlose Geschlecht“ bestehen bleibt; auch diesbezüglich sollen die Jünger nicht verzagen und etwa meinen, Gott habe keine Macht über das „gottlose Geschlecht“. V. 32 bekräftigt, dass der genaue Zeitpunkt der geschilderten Ereignisse unbekannt ist; auch diesbezüglich sollen die Jünger nicht verzagen und etwa meinen, Gott verzögere seinen Plan oder er habe sie in ihrer Trübsal vergessen (vgl. 2Petr 3,9). Vielmehr sollen sie auf Gott vertrauend wachen (vgl. V. 33-37; der Schwerpunkt liegt hier auf der Hoffnung der Wiederkunft Jesu). 33-37 Die Absicht des vorhergehenden Ausblicks ist es, alle (vgl. V. 37) Jünger zur Wachsamkeit (vgl. V. 5.9.23) aufzurufen. Das gesamte Kapitel 13 enthält verschiedene Begriffe, mittels derer Jesus seine Jünger warnt. Er spricht von 1) βλέπω [blepō] = „ich sehe zu“ (13,5.9.23.33);199 2) γρηγορέω [grēgoreō] = „ich wache“/ „bin achtsam wach“ (13,34.35.37)200 und 3) ἀγρυπνέω [agrypneō] = „ich bin wachsam“ / „wache über“ (13,33).201 Derartige Wiederholungen betonen, dass die Jünger nicht über den genauen Zeitpunkt von Zukunftsereignissen spekulieren sollen. Vielmehr spricht Jesus von zukünftigen Ereignissen vor allem deshalb, damit seine Jünger nüchtern, urteilsfähig und betend in den kommenden, verwirrenden Ereignissen bestehen können. Die

196 Lane 482 verweist auch auf Apg 1,6-7. 197 Vgl. Pesch II 310, mit Verweis auf Sach 14,7; PsSal 17,21; ApkBarsyr 21,8. 198 Lane 481 verweist auf atl. Texte, die das plötzliche Kommen des Tages des Herrn beschreiben (vgl. z.B. Am 8,3.9.13; 9,11; Mi 4,6; 5,9; 7,11; Joel 3,18; Sach 9,16). 199 Vgl. Mk 4,24; 8,15; 12,38. 200 Vgl. Mk 14,34.37-38; siehe Apg 20,31; 1Kor 16,13; Offb 3,2. 201 Siehe Lk 21,36; vgl. 1Thess 5,1-2.

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Unterweisung zielt somit auf eine gegenwärtige und geheiligte Lebenspraxis (siehe Bemerkungen zu 13,34-37). Zunächst bezieht sich diese Wachsamkeit auf die innere Einstellung, jederzeit mit dem Kommen Jesu (d.h. der Parusie des Menschensohnes) zu rechnen. Aufgrund der vorhergehenden Aussagen Jesu schließt Wachsamkeit damit auch die Fähigkeit ein, falsche Propheten zu entlarven und Kriege, Verfolgung, Trübsal sowie das Kommen des Antichristen in steter und lebendiger Erwartung Jesu geduldig und glaubend zu ertragen.202 34-36 Wiederum bedient sich Jesus eines Bildwortes.203 Er skizziert, in Anlehnung an das Gleichnis von den bösen Winzern, wie ein Besitzer während einer längeren Reise (ἀπόδημος [apodēmos])204 seinen Dienern Verantwortung überträgt. Die Verantwortung schließt die des Torhüters ein, der darüber wacht, wer ins Haus kommen darf und wer das Haus verlässt.205 Die V. 35-36 verquicken die Bildhälfte und Sachhälfte derart, dass eine scharfe Unterscheidung nicht möglich ist. Die Verknüpfung ist wohl von Jesus beabsichtigt: Die plötzliche Parusie („auf dass er nicht plötzlich komme und euch schlafend vorfinde“, V. 36) entspricht der plötzlichen Rückkehr des Hausherrn (V. 34; vgl. Mt 24,50 par; 24,43 par; Lk 8,18; 17,24.26-32; 21,34; 1Thess 5,3).206 Anstatt zu spekulieren (vgl. V. 32)207 soll das „Überraschungsmoment“ zur Wachsamkeit anspornen. Bild- und Sachhälfte bzw. Ausgangsebene mögen ferner den Eindruck vermitteln, dass die Parusie Jesu der „Rückkehr des Besitzers in sein Eigentum“ entspricht. Jesus kommt „in sein Haus“ zurück. Die satanischen und menschlichen Mächte, die unrechtmäßig Besitz ergriffen haben, sind dann endgültig überwunden (siehe Ps 110,1.5; Dan 7,13-27; vgl. Mk 12,35-37; 13,26-27; 14,62). 36 Schlaf208 ist hier Metapher für einen Lebenswandel, der nicht mit dem plötzlichen Kommen Jesu rechnet, sondern der Kriege, Verfolgung, Trübsal und das Kommen des Antichrists (mit seinen vielen Vorläufern, vgl. V. 22) als Zeichen der „Gottesferne“ und nicht als Vorzeichen des „Kommens Jesu in Macht“ deutet und durchlebt. 202 Vgl. Berger, Formen, 348. Derartige Voraussagen sollen helfen, „Leiden zu bewältigen“. 203 Lane 483, betont, dass es sich hierbei um Sondergut des Markus handelt. Vgl. Spr 7,19-20 (so Keener, Background, 173). 204 Pesch II 314. 205 Vgl. Keener, Background, 173. 206 Schriftverweise bei Pesch II 317. 207 Keener, Background, 137, bemerkt, dass (nach römischer Tageseinteilung) „Abend“ 9 Uhr, „Mitternacht“ 12 Uhr, das „Krähen des Hahnes“ 3 Uhr morgens, und „Sonnenaufgang“ 6 Uhr morgens bedeuten. 208 Schlaf anstatt wachsamer Dienst wird bestraft (Keener, Background, 173).

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37 Wie in 8,34 (alle Jünger sollen „loslassen“) liegt auch hier für alle Jünger Jesu ein Aufruf zur Wachsamkeit vor. Das gemeinschaftliche Element des gesamten eschatologischen Abschnitts wird vollends deutlich: Die, die Jesus nachfolgen, sollen die Trübsal im Vertrauen auf Jesus einzeln und gemeinsam in Wachsamkeit ertragen und durchstehen: „Das letzte Wort von Kap. 13 lautet: ,Wachet!ʻ Es ist die grundlegende paränetische Weisung der gesamten Endzeitrede, die allen gilt“.209 IV zu 13,1-37 Ziel. Unmittelbar vor dem Leiden Jesu berichtet Mk über die ermahnende und zumindest ermutigende Unterweisung der Jünger. Sie verfolgt das Ziel, die Jünger auf das Kommende vorzubereiten. Die Zerstörung des Tempels löst eine Kettenreaktion der eschatologischen Trübsal aus, die sich bis hin zum Kommen Jesu als erhöhtem Menschensohn erstreckt. Zwischen Tempelzerstörung und Parusie liegt eine leidensvolle Zeit des Zeugnisses und der Verfolgung (vgl. oben, 4.3). So, wie Jesus Gegner hat, die ihm nach dem Leben trachten, so werden die Jünger während vieler Generationen ebenso Gegner haben. Die Jünger sollen wachsam beten, um im Vertrauen auf Gott in dieser Zwischenzeit bestehen zu können (vgl. Hebr 12,1b-2a). Kontextualisierung und Anwendung. Jesus ruft zu äußerster Wachsamkeit (V. 35-37) inmitten von Verfolgung und dem Einfluss falscher Wunder-Propheten. Das Gottesvertrauen der Jünger wird in Zukunft aufs Äußerste geprüft (V. 20.33-37). Die Jünger sind jedoch begnadigte Auserwählte (V. 20.22.27) und werden deshalb bewahrt. Jesus spricht über die Zukunft, um seine Nachfolger zu beruhigen: Die schrecklichen Ereignisse sind kein „Zufall“, sie sind vielmehr bei Gott „bekannt“. Er weiß um das Schreckliche. Die tiefe und beunruhigende Frage, warum das so sein muss, bleibt jedoch unbeantwortet. Allerdings steht fest, dass Gott an seiner messianischen Gemeinde Gutes wirkt und dass er für sie durch Jesus den sicheren Sieg über alle Mächte davonträgt (V. 24-27, mit Sammlung der Erwählten). Was Jesus sagt, ist höher und bedeutsamer als die Tatsache der Schöpfung selbst (V. 31). Hier findet sich ein Grund, warum die Urgemeinde die Worte und Taten Jesu so behutsam bewahrt. Jesus selbst wird als erhöhter Menschensohn wiederkommen (V. 6.26). Die Zerstörung des Tempels und Jerusalems, die Verführung und Verfolgung, die weltweite Verkündigung dessen, was Jesus lehrt und tut (vgl. oben, 4.3): All das sind „Wehen“ (V. 7-8). Es liegt hierbei keine präzise Chronologie vor. Al209 Dschulnigg 350.

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lerdings nehmen diese Trübsal-Ereignisse bei aller Unregelmäßigkeit an Häufigkeit und Andauer (wie die Wehen einer gebärenden Mutter) zu. Die Nachfolger wollen wissen, wann alles passiert. Jesus will jedoch vielmehr, dass sie den verheerenden Ereignissen gewachsen sind: Sie sollen sich vor vermeintlichen messianischen Propheten in Acht nehmen, die durch „Zeichen und Wunder“ Gottes Macht vortäuschen (V. 21-23); sie sollen wissen, dass es mehr und mehr Kriege, Hungersnöte und Erdbeben geben wird (V. 7-8); sie sollen wissen, dass sowohl Juden wie Heiden feindselig auf das reagieren werden, was Jesus lehrt und tut (V. 9). Sie sollen wissen, dass jüdische und heidnische Nachfolger in der Leidensnachfolge weltweit bezeugen sollen, wer Jesus ist und was er tut. Sie sollen wissen, dass der Heilige Geist besonders in der Leidensnachfolge beisteht (u.a. zum Zeugnis in Gerichtsverhandlungen). Sie sollen wissen, dass sogar innerhalb der Familien gewaltsame Feindseligkeit entstehen wird (V. 12). Ohne wachsames Vertrauen auf Gott gibt es keine Kraft, hierbei zu bestehen (V. 12.20.33-37). Unabhängig von der detaillierten Exegese des Kapitels steht fest, dass überwältigende, furchterregende, historische Ereignisse in keiner Weise den festen Heilsplan Gottes und damit das fundamentale Heil des Gottesvolkes beeinträchtigen können. Egal welche verheerenden und entmutigenden Umstände in der gegenwärtigen Weltsituation (Kriege, Hungersnöte, Naturkatastrophen, Korruption, Ausbeutung, sexuelle Verirrung, Gewalt, militanter Islamismus, Zerstörung der Natur, usw.) bestehen, die Worte Jesu und die Zusage Jesu (V. 20) stehen felsenfest (V. 31). Die Kontingenz der Weltereignisse muss ernst genommen werden (Zeichen erkennen). Es muss bei aller Vorläufigkeit und Unbeständigkeit menschlichen Tuns gewissenhaft gehandelt werden. Jedoch steht fest, dass nichts in dieser Welt die Gewissheit des Kommens Jesu in unermesslicher Richtermacht hindern wird. Das Letzte Gericht ist u.a. deshalb vonnöten, weil verheerende Ungerechtigkeit und Unterdrückung (man denke etwa an Hitler und Stalin) aufgrund der Gerechtigkeit Gottes nicht ungeahndet bleiben dürfen (vgl. Jes 14,2-20). Die verständliche Urangst menschlicher Existenz findet in Jesu Zusage einen realistischen, tragfähigen und machtvollen Gegenpol, gegen den nicht anzukommen ist. Wer berufen ist (V. 20.22 und 27) und sich auf Jesus und sein Wort verlässt (V. 11.13.20.22.36-37), der wird den endgültigen Sieg Gottes (V. 13.26-27.35) über Menschen- und Dämonenfeindschaft erleben. Schließlich besteht die Ermahnung und Ermutigung Jesu in der Voraussage, dass sich die verhängnisvolle Ereignisabfolge zunehmend zuspitzt und verschärft. Der Nachfolger kann sich somit in den kleinen Anfechtungen des täglichen Lebens im Gottesvertrauen „üben“, um auch mit Gottes Hilfe im Härtefall bestehen zu können.

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14. Salbung in Bethanien – Abendmahl – Voraussage der Verleugnung des Petrus – Gethsemane – Gefangennahme 14,1-52

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Die Leidensgeschichte Jesu wird bei Mk knapp, prägnant und in schnell wechselnden Szenen erzählt. Bis zu diesem Punkt hat Jesus seine umfassende Macht auf unterschiedliche Weise erwiesen. Jetzt steht ihm die radikale Prüfung all dessen bevor, was er bisher für sich beansprucht hat, vor allem seine Anspielungen auf göttliche Würde sowie die damit verbundene Vollmacht, Sünden zu vergeben.1 Die Erzählung des Verrats Jesu (14,1-52)2 vermittelt eine Vorahnung dieser Prüfung. Unmittelbar vor dem Passahmahl (14,12-26) wird die Tötungsabsicht seiner Gegner ein letztes Mal erwähnt (14,1-2). Nach der ominösen Salbung (14,3-9) wird Jesus durch einen Vertrauten aus seinem Zwölferkreis in die Hände seiner Gegner ausgeliefert (14,10-11). Die Feier des Passahfestes (14,12-26) enthält erneut eine Voraussage des stellvertretenden Opfertodes Jesu (14,22-24; vgl. 10,45). Inmitten seiner eigenen Schmach sagt Jesus die Verleugnung durch Petrus, den Sprecher der Zwölf, voraus (14,27-31; vgl. 14,66-72). Er betet inbrünstig im Garten von Gethsemane (14,32-42). Ein letztes Mal erwähnt Mk die Gemeinschaft zwischen Jesus und seinen Jüngern (14,42). Diverse alttestamentliche Motive laufen beim Verrat und Tod Jesu zusammen: 1) Das Motiv der „passio iusti“ und des Verrats durch einen vertrauten Freund (Ps 34,19.21; 37,12); 2) die Verwerfung des Gesandten Gottes (siehe Bemerkungen zu 6,1-6 und 12,1-12) und 3) die göttliche Notwendigkeit, dass der Messias Gottes einen stellvertretenden Sühnetod zugunsten der Menschheit sterben muss (8,31; 9,31; 10,321 Siehe 2,1-10.19-20; 10,45; vgl. 14,22-24 und Jes 53,1-12. 2 Lit. zu 14,1-16,8: Jeremias, Abendmahlsworte, 14-19; Sherwin-White, Trial, 97-116; vgl. ferner Best, Temptation, ad loc.; Brown, Death, ad loc.; Kertelge, Prozess, ad loc.; Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 323ff (bis 1980); Evans 343-349 (bis 1999). Lit. zur Chronologie der Passionsgeschichte sowie dem Datum der Kreuzigung: Pesch II 328 (bis 1980); Evans 349-351 (bis 1999); Billerbeck, Kommentar II 812-813. Lit. zu 14,125: Danker, Unity, 467-472; vgl. ferner Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Siehe ferner bibliographische Angaben zum jeweiligen Einzelabschnitt. Zur textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch II 319, Anm. a; 329, Anm. a-b; 337, Anm. a; 340, Anm. a; 346, Anm. a-b; 354, Anm. a-b; 377, Anm. a-c; 386-387, Anm. a-c; 398, Anm. a-b; France 549.559.573.580; Lane 489, Anm. 8-10; 491, Anm. 13-16; 495, Anm. 26; 496, Anm. 28-30; 500, Anm. 35-39; 504, Anm. 48-50; 509-510, Anm. 61-64; 513-514, Anm. 71-75; 523, Anm. 94-96.

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34.45; vgl. Jes 52,13–53,12). Zum Abschluss dieses Abschnitts wird der Verrat durch Judas (14,43-45) und die darauffolgende Verhaftung Jesu (14,46-52) kurz erwähnt. Synoptischer Vergleich: Befund. Während bei den Seitenreferenten bis zu diesem Punkt viele Abweichungen bzw. Ergänzungen vorliegen, so weist die Passionsgeschichte in der Akoluthie nun grundsätzlich3 starke synoptische Parallelen auf: Gemeinsam berichten sie über die Tötungsabsicht der Gegner Jesu, den Verrat des Judas, das Abendmahl (als letztes Passahmahl),4 die Voraussage der Verleugnung durch Petrus, Jesus in Gethsemane und die Gefangennahme Jesu (Mt 26,1-5.14-56 / Mk 14,1-2.10-52 / Lk 22,1-20.39-53 [bes. Lk 22,4046 weist stärkere Unterschiede zur Mk-Parallele auf; vgl. ferner Hebr 5,7-8]). Gemeinsam mit Mt berichtet Mk ferner über die Salbung Jesu in Bethanien (Mt 26,6-13 / Mk 14,3-9; vgl. Lk 7,37-38). Auswertung: Charakteristische Merkmale für Mk ergeben sich vor allem aufgrund folgender Detailaspekte: Der Bericht der Salbung Jesu in Bethanien verfolgt weiterhin die konsequente Konzentration auf das Geschick Jesu sowie die damit eng verknüpfte Reaktion eines seiner Jünger (Mk 14,26-31). Das zentrale Spannungsverhältnis „Jesus – Jünger – Gegner“ bleibt ferner bestehen. Literarischer Kontext. Die nun folgende markinische Passionsgeschichte führt zentrale Motive des gesamten Evangeliums zusammen:5 Dies trifft vor allem auf die Hauptanklage der Gotteslästerung zu (14,63-64;6 vgl. bereits 2,1–3,5, vor allem 2,7), aufgrund derer Jesus zum Tode (vgl. bereits 3,6) verurteilt wird. Im Kontext des gesamten Evangeliums wird deutlich, dass Jesus das folgenschwere (vgl. Mk 14,34-36) Ziel des stellvertretenden Todes (Mk 10,45; vgl. 14,24) nie aus den Augen verliert (vgl. bereits 2,19-20).7 Somit verdeutlicht auch die Passionserzählung, dass die im vorliegenden Kommentar gebotene Zweiteilung des Evangeliums in „Präsentation der Vollmacht Jesu“ (Mk 1,1–8,26) und „Infragestellung und Bestätigung der Vollmacht Jesu“ (Mk 8,27–16,8) zutrifft. 3 Lk berichtet ferner über die Frage der Rangordnung in der Herrschaft Gottes (Lk 22,24-30; vgl. Mt 20,25-28, Mk 10,42-45) sowie über das schwierig zu interpretierende Logion der zwei Schwerter (Lk 22,35-38). 4 Vgl. Pesch II 364-377, bezüglich einer eingehenden Erörterung der verschiedenen Überlieferungen zum Abendmahl. 5 Lane 485. 6 Vgl. ähnlich Bock, Blasphemy, 184-237. 7 Vgl. Evans 353.

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14. Salbung in Bethanien – Abendmahl – Voraussage der Verleugnung des Petrus …

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Form und Aufbau. Die literarische Stringenz (Ereignisse in – und um – Jerusalem;8 ein fester Zeitrahmen) und Kohärenz (das Thema ist die Vorbereitung auf – und das Ereignis von – Kreuzigung und Auferstehung Jesu) der Passionserzählung ist deutlich sichtbar.9 Die markinische Passionsgeschichte ist daher als narrative Einheit zu sehen. Der Abschnitt 14,1–15,47 lässt sich in zwei Hauptteile aufteilen: 1. Tötungsabsicht, Verrat, Verlassenheit und Festnahme (14,1-11 und 14,12-52); 2. Verurteilung, Kreuzigung, Tod und Grablegung (14,53–15,47).10 Mk 14,3-9.12-42 ist umgeben vom Tötungsmotiv der Gegner und enthält verschiedene, indirekte Todeshinweise Jesu (14,3-9.18-20.21.22-24). Die Passionsereignisse (Hauptteil 1: 14,1-52), die zur Kreuzigung Jesu führen, werden eng verknüpft und aufeinander aufbauend dargestellt: a. 14, 1-2 Einleitung der Passionsgeschichte durch ein dreiteiliges, „berichtendes, kontextgebundenes Erzählstück“:11 14,1a mit Zeitrahmen, der u.a. Zeitdruck für die Gegner signalisiert 14,1b die Tötungsabsicht der Hauptgegner Jesu 14,2 die Begründung der Notwendigkeit, Jesus unauffällig zu fassen. b. 14,3-912 Als eingeschobene Erzählung13 (vgl. 14,1-2.10-11) folgt die Salbung Jesu (vgl. Lk 7,36-50;14 Joh 12,1-8): Salbung Jesu, 14,3 Beurteilung der Handlung, 14,4-5 Dreiteilige Reaktion Jesu, 14,6-7.8.9.15 c. 14,10-11 Im krassen Gegensatz zur opferbereiten Hingabe der Frau, die Jesus salbt,16 folgt nun die Absicht des Judas,17 Jesus (im Wissen um seine Todesgefahr)18 für Geld zu verraten (vgl. Lk 22,3; Joh 13,18.27). d. 14,12-25.26 Zweiteilige Passahmahlerzählung:

8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

Vgl. Schnabel, Jerusalem, passim. Vgl. Evans 351-352, mit detaillierter Diskussion. Lane 488. Pesch II 319. Pesch II 329, spricht erneut von „berichtende(r) Erzählung“. Siehe ebd. weitere Details. Siehe ferner 11,11.15; 11,12-13.20. Vgl. Evans 358 und 370. Vgl. Evans 358-359, der überzeugend betont, dass es sich bei Lk 7,36-50 um eine separate Begebenheit handelt (mit Verweis auf Fitzmyer, Luke, I 684-685). Anders Wenham, Easter, 28-31. Evans 358. Evans 364. Evans 364, beton mit Recht die enorme Spannung in der Tatsache, dass einer der Zwölf, der Mitregent Jesu werden soll (Mt 19,28 / Lk 22,28-30), ihn stattdessen verrät. Evans 365.

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14,12-21,19 „Botensendung“;20 14,12-16, Mahl mit den Jüngern (vgl. 1Sam 10,1-5); 14,17-21, „berichtende Erzählung“ (mit Amen-Wort, V. 18).21 14,22-25.26, Einsetzung des Herrenmahls als „berichtendes Erzählstück“.22 Die Einsetzung des Herrenmahls (V. 22-26) geschieht im Rahmen eines Passahmahls: Segnung und Verteilung des Brotes (V. 22); Danksagung und Reichen des Kelches, mit Deutungswort „dies ist mein Blut des Bundes, ausgegossen für viele“ (V. 23-24); Zukunftsaussage über Jesu Geschick und das kommende Gottesreich (V. 25; V. 26 ist Übergangsvers). e. 14,27-42 Gebet in Gethsemane: 14,27-31 enthält die Voraussage der Zerstreuung der Jünger in Form eines Wechselgesprächs (14,17-21;23 vgl. 8,27-33);24 Voraussage der Zerstreuung (V. 27); Voraussage der Auferstehung und Gemeinschaft in Galiläa (V. 28); Reaktion des Petrus (V. 29); Voraussage der Verleugnung durch Petrus (V. 30); Reaktion der Jünger (V. 31). 14,32-42 besteht aus fünf Erzähl- und fünf Redeteilen („mit sechzehnfacher καί-Reihung“):25 Absonderung von acht Jüngern (V. 32-33); dreimalige Absonderung von den übrigen drei Jüngern (V. 35.39.41). Der V. 42 dient als Überleitung. f. 14,43-52 Festnahme Jesu, in Form eines „episodal gegliedert(en)“26 Berichts: Festnahme Jesu nach Verrat durch Judas (V. 43-46) Verwundung des Dieners des Hohepriesters (V. 47) Jesu rügende Entblößung seiner Gegner (V. 48-49) Flucht aller Jünger sowie des ungenannten Jünglings (V. 50-52). Evans bemerkt zu Recht, dass sich Jesu Voraussagen des Todes und der Auferstehung mit der Festnahme zu erfüllen beginnen.27 19 Folgender Aufbau liegt vor: Zeitangabe und Vorbereitung des Mahls, 12-16 (vgl. Mk 11,1-6); Voraussage des Verrats, 17-18; Reaktion der Jünger, 19; Urteil Jesu über den Verräter, 20-21. 20 Pesch II 341, mit weiteren formalen Details. 21 Pesch II 346. 22 Pesch II 354-356, mit vielen Details. 23 Pesch II 378. 24 Vgl. Evans 398. Hier wie dort folgt auf eine Prophetie Jesu mit selbstsicherer Reaktion des Petrus eine ernüchternde Aussage Jesu (vgl. Mk 8,32-33 mit Mk 14,27-30; siehe allerdings 14,31). 25 Pesch II 387; dort weitere Details. 26 Pesch II 398. 27 Evans 421.

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14. Salbung in Bethanien – Abendmahl – Voraussage der Verleugnung des Petrus …

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Die eigentliche Passion Jesu beginnt mit dem Verhör Jesu (14,53–15,47; 16,1-8) vor dem Synedrion (14,53-65); sie nimmt ihren Lauf mit der Verleugnung durch Petrus (14,6672), dem Verhör vor Pilatus sowie der Geißelung Jesu (15,1-15). Den Höhepunkt bildet die Kreuzigung selbst (15,16-41). Der Abschnitt wird durch die Grablegung (15,42-47) sowie durch das Auffinden des leeren Grabes und der Botschaft der Auferstehung Jesu (16,1-8) abgeschlossen.28

Fragen zur Historizität.29 Grundelemente der markinischen Passionsgeschichte (14,1–16,8) lassen sich nicht nur im Vergleich mit den anderen kanonischen Evangelien, sondern auch aus den paulinischen Briefen und der Apg bestätigen.30 Die Historizität des Berichts beschränkt sich nicht nur auf die erzählten Ereignisse31 (siehe unten Historischer Hintergrund, die Einzelbemerkungen zu Mk 14,53-64 sowie die Exkurse 13 und 14), sondern auch auf ihre theologische Interpretation: Jesus hat bereits als Interpret seines eigenen Geschicks gelehrt (vgl. unter vielen Beispielen etwa Mk 2,8-10; 12,1-12) und damit seinen Jüngern (einschließlich Petrus als Hauptquelle des Mk Ev.) den historischen Interpretationsrahmen systematisch eingeprägt (siehe oben, Einleitung 2.1.2–2.1.4 sowie Exkurs 1).32 Die wiederholten Voraussagen des Leidens und der Auferstehung Jesu (8,31; 9,12.31; 10,32-34) zeugen u.a. hiervon.33 Wer als Einzelner durch Gott einst zu physischer Unsterblichkeit vom Tode auferweckt wird, dessen Todesumstände müssen eine besondere von Gott gewollte Bedeutung haben. Ferner interpretiert Jesus in Anlehnung an Jes 52,13‒53,12 seinen bevorstehenden Tod als stellvertretendes Sühneleiden34 (10,45; Jes 53,8).35 Zuletzt interpretiert Jesus seinen stellvertretenden Tod als konstitutives Opfer des neuen Bundes (14,22-24: in Vertiefung und Bekräftigung des Abraham-Bundes; vgl. Gen 15,6-18 und vor allem Gen 17,2.4.7.19.21).

28 Vgl. Evans 352. 29 Lit.: Bayer, Predictions, 149-220; Bayer/Yarbrough, Konzeption, 319-347; Hofius, Vergebung, 313-337.324; Maurer, Knecht, 1-38; Saunderson, Gethsemane, 224-233. 30 Lane 485, Anm. 1, fasst folgendermaßen zusammen: Der Verrat, die nächtliche Festnahme, Vorführung vor dem Hohepriester, Verurteilung durch Pilatus, Kreuzigung, Tod, Grablegung, Auferstehung und das leere Grab gehen aus Apg 2,23-24; 3,13-15; 4,10; 5,30; 10,39-40; 13,28-30; 17,3; 26,23; 1Kor 1,23-24; 11,23-25; 15,3-5; Gal 6,14 und 1Tim 6,13 hervor. 31 Siehe Chapman/Schnabel, Trial, passim. 32 Vgl. Bayer/Yarbrough, Konzeption, 319-347. 33 Vgl. Bayer, Predictions, 149-220 und passim. 34 Lane 487, Anm. 5, verweist u.a. auf Maurer, Knecht, 1-38 sowie J. Jeremias, ThWNT V, 676713, hier: 703-713. 35 Lane 487, bemerkt, dass neben Jes 53 auch die Psalmen 22, 38, 41, 42 und 69 eine wichtige Rolle spielen. Zumindest lässt sich der Verweis auf Ps 22 auf Jesus zurückführen (Mk 15,34).

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Hofius bemerkt zur Historizität der vier neutestamentlichen Einsetzungsberichte: „Diese Worte stimmen – trotz mancher Abweichung im Wortlaut – in der Substanz voll und ganz überein. Ein Doppeltes ist hier wichtig: Die Berichte bezeugen zum einen übereinstimmend, daß Jesus das gebrochene Brot in Beziehung zu seinem Leib und den, mit dem Kelch ausgeteilten, Wein in Beziehung zu seinem Blut gesetzt hat. Und die Berichte bezeugen zum anderen übereinstimmend, daß Jesus erklärt hat, daß sein Leib bzw. sein Blut »für« andere dahingegeben wird. Wenn das Wörtchen »für« bei Paulus nur im Brotwort, bei Markus und Matthäus nur im Kelchwort und bei Lk in beiden Worten erscheint, so ist das ohne Belang; denn beide Gabeworte enthalten … in der Sache die gleiche soteriologische Aussage“.36

Argumente gegen die historische Authentizität des Unterabschnitts (Mk 14,1221) gehen nicht über Vermutungen hinaus: Markus (oder jemand vor ihm) habe den Bericht nach dem Muster von 1Sam 10,1-5 geschaffen;37 manche vertreten allgemein unbegründete, klassisch-formkritische Urteile (d.h., es handle sich um eine Legende).38 Siehe weitere historische Details in der Einzelauslegung der betreffenden Abschnitte. Historischer Hintergrund. Im Zeit- und Handlungsablauf eines Passahfestes liegen folgende, allgemeingültige Fakten vor:39 10. Nisan: Beschaffen des Passahlammes 14. Nisan: Rüsttag (Mk 14,12; 15,42): Mittag und Nachmittag (also gegen Ende des 14. Nisan) erfolgt das Schlachten der Passahlämmer40 (vgl. Deut 16,2-3.5; 2Chron 35,1); es ist sogleich im Volksmund „der erste Tag der Ungesäuerten Brote“ (Josephus, Ant 2,317; 3,249) im Gegensatz zu Lev 23,5-6 und Num 28,16-17)41 14. Nisan: Nachmittags: Fastenzeit

36 Hofius, Vergebung, 313-337, 324. 37 Evans 36,9 verweist u.a. auf die Diskussion bei Cranfield 420. 38 Bultmann, Geschichte, 283-284: In Mk 14,12-16 liegt ein „Märchenmotiv“ vor; Mk 14,17-21 ist eine „Legende“ (entfaltet aus dem Motiv von Ps 40,10 LXX). 39 Ferguson, Backgrounds, 521-525. Billerbeck, Kommentar, II 812-813. Vgl. Pesch II 323ff. Allerdings bestehen durchaus Fragen, ob die Essener (früher?) und die Sadduzäer (später?) das Passahfest zum selben Termin feiern wie die Masse des Volkes (vgl. Billerbeck, Kommentar II, 812-853; Jeremias, Abendmahlsworte, 15-17; siehe die Diskussion unten). Vgl. ferner Ruckstuhl, Chronologie, passim. 40 Dies geschieht nachmittags („von 2 Uhr ab“, Jeremias, Abendmahlsworte, 17). Ferguson, Backgrounds, 523 geht allerdings vom 13. Nisan aus. 41 Josephus, Ant 3,249 nennt die offiziellen Daten des Festes der ungesäuerten Brote: 15.-21. Nisan. Siehe Billerbeck, Kommentar, II 812-813. Vgl. Ferguson, Backgrounds, 523 und van Bruggen, Christ, 212. Vgl. Ex 12,15.18-19.

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15. Nisan: Offizielles Passah; unmittelbar zu Beginn des Nisan 15, nach 18 Uhr, Essen des Passahlammes (Ex 12,8; 2Chron 35,7).42 Jesus nimmt das Mahl mit seinen Jüngern ein (14,17-26; vgl. Joh 13,2). Das Passahlamm muss innerhalb der Mauern Jerusalems eingenommen werden. 15. und 16. Nisan: Ist der 16. Nisan ein Sabbat, so kann auch der 15. Nisan idiomatisch als „Vorbereitungstag“ bzw. „Rüsttag“ (vgl. Mk 15,41-42; Joh 19,31) für den besonderen Passah-Sabbat bezeichnet werden.43 In diesem Jahr fällt dieser „Vorbereitungstag“ (15,42),44 der ebenso als erster Passah-Tag gilt (Ex 12,16), auf einen Freitag, Nisan 15. Wie wahrscheinlich alle45 Festteilnehmer in Jerusalem, isst Jesus das Passahmahl am Abend, zu Beginn des 15. Nisan. Die Vorbereitung darauf erfolgt durch die Jünger am Nachmittag des 14. Nisan (Mk 14,12; vgl. Mt 26,17; Lk 22,7). Die Verhaftung, das Verhör (Mk 15,6: „zum Fest“) und die Kreuzigung ereignen sich während des weiteren Verlaufs des 15. Nisan, der in diesem Jahr gleichzeitig „Vorbereitungs- oder Rüsttag“ auf den darauf folgenden Sabbat bzw. Samstag (Mk 15,42 / Lk 23,54 / Joh 19,31; s.u.) ist. Die Gegner Jesu wollen zeremoniell rein bleiben, um weitere Mahlzeiten während der Woche der ungesäuerten Brote, die auch „Passah“ genannt wird (vgl. Josephus, Ant 17,213; 18,29; 20,106; s.u.), essen zu können. Vom 15.–21. Nisan werden jeweils Passahopfer im Tempel dargebracht (Lev 23,6; Num 28,16-25; Josephus, Ant 3,249; 9,271; 11,110). Joh 18,28 verweist nicht auf das eigentliche Passahmahl, sondern es handelt sich dort vielmehr um das Hagigah, das Mittagsmahl am Passahtag (Nisan 15; s.u.). Zwar essen die Essener in Qumran ihr Passah evtl. früher,46 aber es ist trotzdem unwahrscheinlich,47 dass in Jerusalem z.Z. Jesu zwei (oder gar drei) unterschiedliche Termine koexistieren.48 Mk 14,12 sagt deutlich, dass Jesus

42 43 44 45

Vgl. mPes 7,13ff. Vgl. Mt 27,62 und Lk 23,54. Siehe Joh 19,14.31.42. Siehe die Diskussion bei Jeremias, Abendmahlsworte, 15-17 hinsichtlich der These, dass das Passahmahl an unterschiedlichen Tagen eingenommen wurde (s.u.). 46 Ferguson, Backgrounds, 524. Vgl. Marshall, Last Supper, 71-75; Hoehner, Aspects, 81-90. 47 Jeremias, Abendmahlsworte, 18-19 verweist u.a. auf Jaubert, Date, ad loc., die davon ausgeht, dass Jesus bereits am Dienstag verhaftet, allerdings erst am Freitag gekreuzigt wird. Das Abendmahl mit den Jüngern findet nach ihr Dienstagabend statt (solare Zeitrechnung mit Qumran und Jubiläen). Nach Jaubert benutzt Johannes den offiziellen Mondkalender. Siehe die eingehende Kritik an Jauberts Entwurf bei Jeremias, Abendmahlsworte, 18-19. Vgl. Lane 498, Anm. 33 (Lit.). 48 Jeremias, Abendmahlsworte, 15-17; Blomberg, Reliability, 175-178.

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und seine Jünger das Passahmahl an dem Tag einnehmen (am Abend dieses Tages), an dem die Lämmer (während des Tages) geschlachtet worden waren. Die einschlägigen Passagen bei Johannes (Joh 13,1.2.29; 18,28; 19,14.31.42) sind allesamt dahingehend interpretierbar, dass Jesus mit seinen Jüngern auch bei Johannes das Passah zu Beginn des 15. Nisan nach Sonnenuntergang feiert:49 1. Joh 13,1 beschreibt einen Zeitpunkt vor dem Passahfest. 2. Joh 13,2 beschreibt hingegen den Zeitpunkt des Essens des Passahs. 3. In Joh 13,29 kauft Judas vermeintlich Vorrat für das „Fest“, d.h. für die übrige Festwoche. „Passah“ gilt durchaus als Sammelbegriff für die sieben Festtage (so immer bei Johannes: 2,13.23; 6,4; 11,55; 12,1; 13,1; 18,39).50 4. In Joh 18,28 wollen sich die Gegner nicht verunreinigen,51 um eine Mahlzeit am 15. Nisan essen zu können. Joh 18,28 (Vermeiden der Verunreinigung) kann folgendermaßen interpretiert werden: Es handelt sich nicht um das Essen des eigentlichen Passahlammes (das war bereits geschehen), sondern um das Mittagsmahl am 15. Nisan. Dies ist die sog. Hagigah bzw. Chagigah-Opfermahlzeit, die am 15. Nisan eingenommen wird (vgl. Num 28,1823).52 Nach Deut 16,2f und 2Chron 30,21; 35,7-9 (vgl. Lk 22,1) werden dieses und ähnliche Opfermahlzeiten während der Woche der Ungesäuerten Brote ebenso Pesach genannt. Bei 18,28 würde es sich also um die Mahlzeit am Tag nach dem vorabendlichen Passahmahl handeln (der Tag des Nisan 15).53 Wenham bemerkt zu Joh 18,28: “[I]t seems best to take John’s ‚eat the passover‘ in the sense of ‚eat the meal that fell on that day of the passover festival‘”, 5. Joh 19,14 (ἦν δὲ παρασκευὴ τοῦ πάσχα [ēn de paraskeuē tou pascha], Rüsttag des Passahfestes): Die Formulierung „Rüsttag“ bzw. „Tag der Vorbereitung“ ist griechisch für „Freitag“, d.h. der Freitag des Passahfests bzw. der siebentägigen Passahwoche.54 Siehe 2Chron 35,17; Jub 49,22; Josephus, Ant 3,249 und Josephus, Bell 2,10, als Parallelen zur Doppelbezeichnung „Passah“ und „Fest“ (pl.).55 Vgl. παρασκευή [paraskeuē] als Verweis auf „Freitag“ in Mt 27,62; Mk 15,42; Lk 23,54. 6. Joh 19,31 (παρασκευή [paraskeuē]) ist ebenso als „Tag der Vorbereitung (Rüsttag) auf den regulären Sabbat“ zu interpretieren. „Besonders“ oder „groß“ (Joh 19,31) ist der darauffolgende, normale Sabbat deshalb, weil er dem Passahtag (15. Nisan) folgt und in der festlichen Passahwoche liegt. Joh meint also: Es war der Tag der Vorbereitung auf den besonderen Sabbat während der Passahwoche. So ist auch Mk

49 Vgl. van Bruggen, Christ, 215-219. Dschulnigg 356, spricht allerdings von einem Widerspruch zwischen Johannes und den Synoptikern. 50 Vgl. van Bruggen, Christ, 216. 51 Die Verunreinigung während des Tages endet jeweils am betreffenden Abend. 52 Vgl. van Bruggen, Christ, 218, mit weiterführender Begründung sowie Lane 498. 53 Jeremias, Abendmahlsworte, 14-15 gesteht diese Möglichkeit zu. Vgl. Lane 498-499 und Anm. 33. Nach Lane geht Johannes (einschließlich Joh 18,28) mit Mk davon aus, dass Jesus am 15. und nicht am 14. Nisan gekreuzigt wird. Vgl. ebenso Wenham, Easter, 151, Anm. 7 und Edersheim, Life, V, Kap. 14. 54 Wenham, Easter, 151, Anm. 7. Vgl. ähnlich, Schnabel, Korinther, 647-648. 55 Vgl. van Bruggen, Christ, 217.

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14. Salbung in Bethanien – Abendmahl – Voraussage der Verleugnung des Petrus …

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15,42 gemeint: Der Todestag Jesu ist der „Tag der Vorbereitung“, nämlich der Tag vor dem regulären Sabbat.

Die hier unterbreitete Interpretation versucht, oberflächliche Gegensätze zwischen den Synoptikern und Johannes zu erklären.56 Dahingehend ist auch Mk 14,2 zu verstehen: Jesus soll nicht während der Passahwoche beseitigt werden; von jüdischer Seite aus gesehen, ist der Kurzprozess gegen Jesus vor Tagesbeginn (also vor Beginn der zweiten Hälfte) des 15. Nisan abgeschlossen. Die Verurteilung und Kreuzigung durch die Römer ist nicht mehr ihre Sache und Verantwortung. Die Auferstehung geschieht eindeutig am Sonntag, am Tag nach dem regulären Sabbat. Der hier vorgelegte Entwurf entspricht in etwa der ersten Erklärungsvariante bei J. Jeremias: „die Synoptiker sind im Recht; Johannes ist dementsprechend zu deuten“.57

Die zweite Erklärungsvariante bei Jeremias lautet: „Johannes ist im Recht; die Synoptiker sind dementsprechend zu deuten“.58 Riesner präsentiert hierfür gute Gründe.59 Ob die Passahamnestie (s.u. 15.3.II sowie die Bemerkungen zu Mk 15,6) sowie Jesu Prozess vor Pilatus (s.u. Exkurse 13 und 14) allerdings ausschließlich für den 14. Nisan, jedoch nicht für den 15. Nisan zutreffen können (vgl. Joh 18,39), muss eingehender geprüft werden. Eventuell schätzt Riesner die Aussagen in mPes 8,6, in der Baraitha zu bSanh 43a sowie im Petrusevangelium (2,5) hinsichtlich der vorliegenden Frage etwas zu hoch ein. Jeremias gibt zu dieser zweiten Erklärungsvariante zu bedenken: „Diese Auffassung scheitert sowohl an dem Wortlaut von Mk 14,12 par. als auch an der Tatsache, daß eine privatim antizipierte Passafeier eine Unmöglichkeit war“.60 56 Van Bruggen, Christ, 216-217 macht ferner gegen Billerbeck, Kommentar II, 812-853 geltend, dass ʽereb pesah den Abend vom 14. auf den 15. Nisan bezeichnet, während παρασκευὴ τοῦ πάσχα [paraskeuē tou pascha] „Freitag“ bedeutet. Vgl. Lane 498, Anm. 33. Vgl. ähnlich, Schnabel, Korinther, 648. Siehe unten, Exkurs 15: „Chronologische Fragen zu Mk 15,25 und Joh 19,14“. 57 Lane 489-490. 58 Vgl. ebenso Schnabel, Korinther, 647-648. Vgl. Jeremias, Abendmahlsworte, 14-15, der diese Erklärung als „möglich“ einstuft (s.u. Details). Siehe ferner Wenham, Easter, 151, Anm. 7. Zur Alternativerklärung der einschlägigen Johannespassagen vgl. Pesch II 324-326. Eine Alternativerklärung zur Chronologie findet sich bei Evans 370-372. 59 Jeremias, Abendmahlsworte, 14. Pesch II 323-328, argumentiert in diese Richtung, identifiziert allerdings die betreffenden Johannespassagen (eventuell bis auf Joh 18,39) als sekundär. Er bemerkt allerdings (a.a.O., 326): „In der joh. Tradition war … vermutlich der Todestag Jesu auch auf den 15. Nisan datiert“. 60 Jeremias, a.a.O. 15.

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Die dritte Variante lautet: „Sowohl die Synoptiker als auch Johannes sind im Recht“. Diese dritte Variante ist nach Jeremias ebenso „möglich“; es fehlen jedoch u.a. historische Indizien dafür, dass tatsächlich „an zwei aufeinanderfolgenden Tagen im Tempel die Passalämmer geschlachtet“ wurden.61

Die Frage, inwieweit die Astronomie zur Klärung des Todestages Jesu beiträgt, wird kontrovers diskutiert. Riesner unterbreitet verschiedene Faktoren, die nahelegen, dass Jesus am 14. Nisan (7. April 30 n.Chr.) gekreuzigt wurde (was die zweite Erklärungsvariante von J. Jeremias, s.o., stützt).62 Allerdings gilt diesbezüglich die Einschränkung von J. Jeremias auch heute noch: „Es bleiben … Unsicherheitsfaktoren: … Die faktische Sichtbarkeit des Neulichts: Wenn die astronomische Berechnung ergibt, daß das Neulicht gesehen werden konnte, so ist damit noch nicht gesagt, daß es wirklich gesehen wurde, weil die faktische Sichtbarkeit von heute nicht mehr rekonstruierbaren Faktoren abhängt (ob die Atmosphäre rein oder dunstig war, der Horizont klar oder bedeckt, die Dämmerung schwach oder stark)“.63 Ferner ist die Frage des Schaltjahres zu bedenken.64 Bei allem Fortschritt in der astronomischen und kalendarischen Berechnung seit J. Jeremias ist weiterhin zu fragen, ob aufgrund von bleibenden Unsicherheitsfaktoren absolute Aussagen (14. Nisan oder 15. Nisan; auch für das Jahr 30 n.Chr.) möglich sind. Auch für das Jahr 30 n.Chr. erwägt J. Jeremias (allerdings als „erheblich schwächere Möglichkeit“), dass der 15. Nisan auf einen Freitag fiel.65 Pesch kommt zu folgendem Schluss: „Insofern alle verfügbaren Traditionen zur Berechnung des Todesdatums Jesu am ehesten auf den 7. April 30 führen, ist dieser vorzuziehen (aber nicht mit dem 14., sondern dem 15. Nisan dieses Jahres zu identifizieren)“.66

Einführende Bemerkungen zu 14,1-52; (14,53–16,2).67 Mit 14,1 beginnt der Passionsbericht, der genauere Zeit- und Ortsangaben enthält (vgl. 14,12; 15,42), als dies bisher der Fall war. Das eigentliche Passahfest beginnt um 18 Uhr abends, zu Beginn des 15. Nisan (s.o.; Deut 16,1; im April oder Mai) etwa bei Sonnenuntergang (Mk 14,17).68 Am Tag des 14. Nisan spricht der 61 62 63 64 65 66 67

68

Riesner, Frühzeit, 43-44. Riesner beruft sich u.a. auf Ruckstuhls Beiträge von 1963 und 1988. Jeremias, Abendmahlsworte, 15. Jeremias, Abendmahlsworte, 18. Riesner, Frühzeit, 44-45, u.a. mit Verweis auf die Studie von Humphreys-Waddington (1983). Vgl. vor Riesner u.a. Strobel, Termin, 69-101. Jeremias, Abendmahlsworte, 31 (Hervorhebungen bei Jeremias). Jeremias (a.a.O., 31) geht von einer „Schwankung“ aus, die „höchstens einen Tag“ umfasst. Vgl. Pesch II 327. Jeremias, Abendmahlsworte, 35. Jeremias, a.a.O., 33, führt ferner aus: „Der 15. Nisan fiel … in den Jahren 30, 31 und 34 möglicherweise auf einen Freitag … der 14. Nisan fiel in den Jahren 30 und 33 wahrscheinlich … auf einen Freitag“. Siehe die Argumentation ausschließlich für den 14. Nisan (7. Apr. 30 und 3. April 33) bei Riesner, Frühzeit, 44ff. Pesch II 327 in kritischer Auseinandersetzung mit Strobel, Termin, 69-101. Pesch (ebd.) macht ferner geltend: „Teilt man die (angesichts der Unsicherheitsfaktoren bei der Neulichtberechnung ungerechtfertigte) Vorentscheidung Strobels nicht, der 7. April 30 sei mit dem 14. Nisan gleichzusetzen, würdigt man andererseits die davon unabhängigen Zeugnisse, die nach Strobel für das Jahr 30 sprechen, so bleibt angesichts der feststehenden Tatsache, daß Jesus an einem Freitag starb, nur die Konsequenz übrig, daß Freitag, der 7. April 30, sofern er Jesu Todestag war, der 15. Nisan, der Paschafesttag jenes Jahres, gewesen ist“.

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14. Salbung in Bethanien – Abendmahl – Voraussage der Verleugnung des Petrus …

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Volksmund bereits vom Beginn des „Festes der ungesäuerten Brote“ (das Fest erstreckt sich eigentlich vom 15.-21. Nisan; Deut 16,1;69 vgl. 14,12). In der zwischentestamentlichen Zeit wird die Passahwoche mit dem Fest der ungesäuerten Brote gleichgesetzt, wobei beim Fest der ungesäuerten Brote von acht Tagen die Rede ist.70 Der jeweils wechselnde Wochentag, auf den das jährliche Passahfest (mit folgender siebentägiger Passahfestwoche)71 fällt, richtet sich nach dem Neumond. Sofern sich die Nisan-Daten nach jüdischer Gepflogenheit jeweils auf einen 24-Stunden-Tag von Sonnenuntergang zu Sonnenuntergang beziehen, ergibt sich folgender jüdischer Kalender: Die Zeitangabe in 14,1 fällt auf den 12. Nisan.72 Der populär gefeierte erste Tag der ungesäuerten Brote (Ex 12,15; vgl. Ex 12,18) und der Tag der Vorbereitung auf das Passahfest am 15. Nisan (auch „Schlachttag“ genannt; Ex 12,6; Num 9,3.5; vgl. Deut 16,6: „am Abend, wenn die Sonne untergegangen ist“) ist der 14. Nisan (Mk 14,12, d.h. der Rüsttag).73 Am Abend (nach Sonnenuntergang), also zu Beginn des 15. Nisan, beginnt das besondere Passahfest mit Essen des Passahlammes (Ex 12,8); sodann folgt die „heilige Versammlung“ am Passahtag, 15. Nisan (Ex 12,16). Dies bedeutet, dass das abendliche Passahmahl, Gethsemane, Verrat, Verhör, Kreuzigung, Tod und Grablegung allesamt im Verlauf des 15. Nisan geschehen.74 Mk 14,2 ist so zu verstehen, dass die jüdischen Verantwortlichen zumindest zu Tagesanbruch (Freitagmorgen, den 15. Nisan) nicht mehr „Verantwortung“ für Jesus tragen, sondern diese bereits Pilatus „übertragen“ wurde.75 D.h., sie wären nicht mehr für einen möglichen Volksaufstand verantwortlich. Jesus wird am Freitagmorgen (zweite Hälfte des 15. Nisan) vor Pilatus verhört (15,1).76 Die Kreuzigung (15,25) und der Tod Jesu (15,34; ca. 15 Uhr) ereignen sich gegen Ende des 15. Nisan. An diesem Abend, noch vor dem Ende des 15. Nisan und kurz vor Beginn des regulären Sabbats, kauft Joseph von Arimathäa Leinen, um Jesus zu begraben (15,42-46). Der Vergleich von 69 Lit.: Blomberg, Reliability, 175-178; Hoehner, Aspects, 81-90; Marshall, Last Supper, 71-75; Miller, Time, 157-166; Sommer, Passionsgeschichte, ad loc.; Wenham, Easter, 151. Weitere Lit. bei: Evans 353 (bis 1999); Pesch II 322.328 (bis 1980). 70 Lane 489 und Billerbeck, Kommentar IV 1.54. 71 Josephus, Ant 3,249. Vgl. Billerbeck, Passahmahl, in: Billerbeck, Kommentar IV 41-76 und Jeremias, Abendmahlsworte, 10-12. 72 Pesch II 320.342. 73 Vgl. Pesch II 320. Lane 489-490 verweist auf 2Chron 35,17 sowie auf Jub 49,22; Josephus, Ant 3,249; Josephus, Bell 2,10 als Parallele zur Doppelbezeichnung „Passah“ und „Fest“ (pl.). 74 Lane 490. 75 Pesch II 341-342. 76 Lane 497, hält ebenso den 15. Nisan für den Kreuzigungstag Jesu.

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14,12 mit 15,42 ergibt dies. Am Samstagabend, zu Beginn des 17. Nisan, nach Sonnenuntergang und somit nach dem Ende des regulären Sabbats, kaufen die Frauen Öle und Salben (16,1). Dies ist der Beginn des ersten Tages der Woche, also ein Sonntag (Mk 16,2; Beginn eines regulären Arbeitstages). Sonntagmorgen (am „ersten Tag der Woche“), zu Beginn des 2. Teils des 17. Nisan, kommen die Frauen zum Grab Jesu (16,2).

14.1 Plan der Gegner Jesu 14,1-2 I 1 Es waren aber noch zwei Tage bis zum Passahfest und (dem Fest) der ungesäuerten Brote. Und die Hohepriester und Schriftgelehrten trachteten (weiterhin) danach, wie sie ihn durch Überlistung verhaften und töten könnten. 2 Sie sagten aber: „(Es kann) nicht zum Fest geschehen, sonst gibt es noch einen Volksaufstand“. II Es handelt sich um die Einleitung der Passionsgeschichte durch ein dreiteiliges, „berichtendes, kontextgebundenes Erzählstück“:77 a. 14,1a mit Zeitrahmen, der u.a. Zeitdruck für die Gegner signalisiert; b. 14,1b die Tötungsabsicht der Hauptgegner Jesu; 14,2 die Begründung der Notwendigkeit, Jesus unauffällig zu fassen. III 1-2 Die Aussage Es waren aber noch zwei Tage bis zum Passahfest und (dem Fest) der ungesäuerten Brote (vgl. 2Chron 35,17; 3Esr 1,17; Jub 49,22; Josephus, Bell 2,10; Josephus, Ant 3,249) bedeutet „am zweiten Tag von heute gerechnet“.78 Die Zeitangabe verweist somit auf den 12. Nisan. Der Begriff Passah (πάσχα [pascha]) ist die transkribierte Form des aramäischen ‫[( פסחא‬pschᵓ]; so auch in der LXX)79 und beschreibt in unserem Kontext die Passahfeier. Die Israeliten erinnern sich gemeinsam und von Generation zu Generation an die rettende Heilstat Gottes, der sein Volk einst aus der Knechtschaft Ägyptens befreit hat. Sie empfinden diese Heilstat auch an sich selbst als gegenwärtige Wohltat Gottes. 77 Siehe unten, Exkurs 14. 78 Siehe unten, Exkurs 14. 79 Pesch II 319.

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14. Salbung in Bethanien – Abendmahl – Voraussage der Verleugnung des Petrus …

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Erneut wird die Tatsache erwähnt, dass ein gewaltsames Vorgehen gegen Jesus (vgl. V. 1 als Steigerung von 11,18; 12,12, jeweils mit durativem Aspekt von ἐζήτουν [ezētoun])80 einen für die Jerusalemer Amtsträger politisch ungünstigen Volksaufstand81 verursachen könnte (vgl. 11,18; 12,12; vgl. Joh 2,23; 7,11). Noch ist die Popularität Jesu ein Hindernis für die lang gehegte Tötungsabsicht (vgl. bereits 3,6; vgl. 8,31; 11,18; 12,12) seiner Gegner. Siehe wiederum das Motiv des gewaltsamen Geschicks der Boten Gottes (passio iusti, das Leiden des Gerechten).82 Jesus hat nun zusätzlich die Integrität der Tempelverantwortlichen kritisch angegriffen (11,15-18) und das Gericht über sie ausgesprochen (12,1-12). Nun soll Jesus angesichts der Festmenge durch Überlistung (δόλος [dolos] = „List“/„Hinterlist“/„Trug“) unauffällig (vgl. Lk 22,6) gefasst werden (vgl. Ex 21,14).83

14.2 Salbung in Bethanien 14,3-9 I 3 Und er hielt sich in Bethanien im Haus des Leprakranken Simon auf und war gerade beim Essen. Da kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll echtem, kostbarem Nardenöl herbei, brach das Fläschchen auf und entleerte es auf seinem Haupt. 4 Einige aber wurden entrüstet darüber und (sagten) zueinander: „Wozu dient (denn) die Verschwendung dieses Öls? 5 Denn dieses Öl hätte man für mehr als dreihundert Denare verkaufen können, um (den Erlös) den Armen zu geben“; und sie machten ihr heftige Vorwürfe. 6 Jesus aber sprach: „Lasst sie gewähren; warum belastet ihr sie? Sie hat an mir ein gutes Werk vollbracht. 7 Denn die Armen habt ihr immer bei euch und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht immer (bei euch). 8 Was sie konnte, tat sie; im Voraus hat sie meinen Körper zum Begräbnis einbalsamiert. 9 Amen,

80 81 82 83

Pesch II 319-320.342. Dschulnigg 355, mit Verweis auf Lührmann (232). So Pesch II 320. Ferguson, Backgrounds, 523-524. Lane 490, bemerkt, dass Jerusalem z.Z. Jesu während der Festtage von gewöhnlich 50 000 auf ca. 250 000 Menschenseelen anwächst (vgl. Jeremias, Jerusalem, II.B.2.). Keener, Background, 173, bemerkt, dass nach Josephus einige Jahrzehnte nach diesen Ereignissen (Mk 14,2) 30 000 Menschen bei einem Passahfest niedergetrampelt werden. Dieses spätere Ereignis verdeutlicht, warum der Präfekt mit seinen Soldaten bereits z.Z. Jesu zum Passahfest von seinem Amtssitz in Caesarea nach Jerusalem kommt, um u.a. Aufstände zu verhindern.

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ich sage euch, wo immer das Evangelium in der ganzen Welt verkündet wird, wird auch das, was sie getan hat, berichtet, ihr zum Gedächtnis“.84 II Mk 14,3-985 ist eine eingeschobene Erzählung86 in der Form einer „erweiterten Chrie“87 (vgl. 14,1-2.10-11); sie hat die Salbung Jesu zum Thema (vgl. Lk 7,36-50;88 Joh 12,1-8): Die Handlung geschieht aus der Sicht der Frau wohl zum Zweck der Salbung bei Festlichkeiten (vgl. Ps 23,5; 141,5; bHul 94a).89 Das Motiv der Hingabe an Jesus ist nicht auszuschließen. Ob es sich allerdings aus der Sicht der Frau um eine messianische Salbung handelt,90 bleibt ungewiss. Jesus verbindet jedoch die Salbung mit seinem bevorstehenden Tod (vgl. Mk 14,8).

Der Aufbau ist wie folgt: a. Salbung Jesu, 14,3; b. Beurteilung der Handlung, 14,4-5; dreiteilige Reaktion Jesu, 14,6-7.8.9.91 III Nach der Gewohnheit des Mk92 trennt die eingeschobene Erzählung der Salbung Jesu in Bethanien (V. 3-9) die Tötungsabsicht der Gegner (V. 1-2) vom Verrat Jesu durch Judas (V. 10-11). Hierdurch wird der scharfe Gegensatz zwischen den Gegnern Jesu und einer Nachfolgerin akzentuiert.93 Der Hörer wird dadurch weiterhin mit der grundsätzlichen Frage konfrontiert, ob er ein Gegner oder Jünger Jesu ist. Beachtenswert ist ferner die spannungsreiche und tiefgründige Tatsache, dass die Gegner planen, wie sie Jesus töten werden, während die Frau ihn als Zeichen der Treue (unbeabsichtigt?) zur Grablegung salbt.94 Jesus selbst vermittelt die „harmonisierende“ Interpretation beider Tatsachen, nämlich die bereits von ihm wiederholt betonte Notwendigkeit seines 84 Pesch II 320, mit Verweis auf Ps 37,32; 41,6-9; 54,5; 71,10-11; 86,14. Lane 490 verweist auf Mt 26,57 und Joh 11,47-53, woraus hervorgeht, dass der Hohepriester Caiaphas das gewaltsame Vorgehen gegen Jesus anführt. 85 Pesch II 329, spricht erneut von „berichtende(r) Erzählung“. Siehe ebd., weitere Details. 86 Siehe ferner 11,11.15; 11,12-13.20. Vgl. Evans 358 und 370. 87 Berger, Formen, 140.149. Zur Definition der Chrie, bzw. Chrienreihe, s.o. Einleitung 3.1. 88 Siehe oben, 14.II Form und Aufbau b. Wir bemerkten dort, dass es sich bei Lk 7,36-50 um eine separate Begebenheit handelt. 89 Evans 359. 90 Ebd. 91 Evans 358. 92 Vgl. Lane 492 Anm. 17, mit Verweis auf ähnliche Einschübe bei Mk 3,20-35 und 5,21-43. 93 Lane 492. 94 Ebd.

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Todes. Der Ps 41 ist für den Abschnitt (vor allem 3.8-9; vgl. V. 1-2) sowie für 14,10-11 von Bedeutung.95 3-5 Jesus sucht immer noch Gemeinschaft mit gesellschaftlich Ausgestoßenen. Der Mann ist jedoch z.Z. der Begebenheit nicht mehr Leprakranker. Mk erinnert damit lediglich an den ehemaligen Zustand des Mannes.96 Die folgende Erzählung enthält erneut historische Details. Hervorzuheben sind vor allem: a. der geografisch treffende Verweis auf Bethanien (vgl. 11,11.12; 13,1-2; 14,17);97 b. der Hinweis auf Tischgemeinschaft mit einem (durch Jesus früher geheilten?)98 Simon; c. die Kostbarkeit des Öls; d. die plausible und vorwurfsvolle Bemerkung über die „unverantwortliche“ Verschwendung des Öls sowie e. das vorwurfsvolle Vorgehen der Jünger gegen die Frau.99 Warum die Frau ein derartiges Opfer bringt, wird nicht erwähnt.100 Eine ähnliche, jedoch davon zu unterscheidende Begebenheit (Lk 7,36-50) führt das Motiv auf Sündenerkenntnis zurück. Dies könnte auch hier Motivationsgrund sein.101 Allerdings ist es ebenso möglich, Dankbarkeit und Hingabe als Motiv anzunehmen.102 Die Begebenheit in Bethanien, die in Joh 12,1-8 vermittelt wird, stimmt in vielen Details nicht mit Mk 14,3-9 überein.103 Bei Joh findet eine Salbung im Haus des wiederbelebten Lazarus statt, nicht im Haus von Simon, dem ehemals „Leprakranken“ (Mk 14,3). In Joh 12,1-8 ist es Maria, die Schwester der Martha und des Lazarus, die mit dem Öl Jesu Füße bedeckt, nicht sein Haupt (Mk 14,3). Blomberg bemerkt allerdings zu Recht, dass Salbungen oft von Kopf bis Fuß vorgenommen werden (vgl. Joh 11,2).104

95 Vgl. Pesch II 338. 96 Lane 492. 97 Vgl. Pesch II 331. 98 Siehe die Diskussion bei Pesch II 331, der diese Möglichkeit abweist. 99 Keener, Background, 174, bemerkt, dass das Haupt bedeutsamer Gäste mit Öl begossen wird. 100 Fander, Frauen, 413-432, hier: 426, vermutet: „Die Frau salbt den leidenden Messias und setzt damit ein prophetisches Zeichen im Hinblick auf den Tod Jesu. Sie greift – auf irgendwelcher Ebene – was die meisten Jünger nicht greifen“. 101 Allerdings würde dies nicht zutreffen, wenn es sich hier um Maria, die Schwester des Lazarus, handelte, die es dann aus Hingabe getan hätte. 102 Lane 493. 103 Blomberg, Reliability, 173, meint dennoch, dass es sich hier um dieselbe Begebenheit handelt. Vgl. ebenso, Wenham, Easter, 24. Wenham, a.a.O., 24-28 geht davon aus, dass zwar zwei unterschiedliche Begebenheiten berichtet werden (Lukas/Galiläa und Mt-Mk-Joh/Bethanien), es sich jedoch um dieselbe Person (Maria, Schwester des Lazarus) handelt. Vgl. Wenham, a.a.O., 28-33. 104 Blomberg, Reliability, 173.

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3 Das echte, aromatische und kostbare Nardenöl wird aus einer vor allem im Himalaja vorzufindenden Wurzel gewonnen.105 Um das Aroma zu bewahren, wird es in Alabastergläschen aufbewahrt. 4-5 Der Verkauf des Öls hätte den Lohn von etwa 300 Arbeitstagen eines gewöhnlichen Arbeiters (ca. dreihundert Denare) einbringen können.106 Das Thema Armut ist besonders zum Anlass des bevorstehenden Passahfestes aktuell, da, zumindest nach der Mischna, vor dem Passahfest Almosen gegeben werden (vgl. 10,21).107 Die Frau wird von den Jüngern scharf kritisiert: Sie wurden entrüstet darüber und (sagten) zueinander: „Was dient (denn) die Verschwendung dieses Öls? … man hätte es für mehr als dreihundert Denare verkaufen können, um (den Erlös) den Armen zu geben“; und sie machten ihr heftige Vorwürfe (zu ἐμβριμάομαι [embrimaomai], vgl. 1,43).108 6 Die wohlwollende Reaktion Jesu macht deutlich, dass das bevorstehende Ereignis seines Todes nicht nur feststeht, sondern, dass das Opfer, welches die Frau Jesus gegenüber bringt, ein gutes Werk ist. Dem, der für die Sünden vieler sterben wird, opfert sie nach ihren Kräften (proleptisch) eine Dankes- und Ehrengabe (vgl. V. 8).109 Ps 41 (mit passio iusti-Motiv) mag als besonders einprägsamer atl. Hintergrund für die Aussage Jesu dienen: Der (arme) Gerechte wird trotz seiner Feinde und dem Spott seiner Freunde von Gott gerechtfertigt. Jesus bezeichnet sich als armer Leidender, der nicht immer bei ihnen sein wird.110 7 Jesus spricht sehr realistisch über Armut. Er ermutigt dazu, dieser aktiv Abhilfe zu leisten („wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun“), ohne die falsche Erwartung zu schüren, dass Armut vor dem Letzten Gericht und der Parusie Jesu jemals ganz beseitigt wird („die Armen habt ihr immer bei

105 Vgl. Art. νάρδος [nardos], EWNT II, 1127. Mit νάρδος [nardos] (Nardenpflanze) ist wohl nardostachys jatamansi gemeint. Das Öl wird aus den Wurzeltrieben der Narde gewonnen. Siehe ferner Lane 492 und Anm. 19. Lane 491, Anm. 13, versteht aufgrund von Black, Approach, 223-225, πιστικῆς [pistikēs] als aramäische Transliteration von ‫( ּפִיסְּתְ קָא‬Pistazienöl, als Grundsubstanz für die Produktion teurer Salben) und nicht als Alternativlesart von πιστῆς [pistēs] (rein). 106 Vgl. Pesch II 332 und Keener, Background, 174. 107 Lane 493 und Anm. 21, verweist auf mPes 9.11; 10.1 sowie auf Joh 13,29. Vgl. ferner Pesch II 332. 108 Verweis bei Pesch II 332. 109 Zur jüdischen Unterscheidung zwischen „Almosen“ und „Liebeswerk“ und der Priorität des Letzteren vgl. Pesch II 333. 110 Vgl. Lane 493 und Danker, Unity, 467-472. Lane bemerkt ferner, dass diejenigen Jünger, die sich gegen die „Verschwendung“ äußern, nach Ps 41,2 ebenso mit dem besonderen Segen Gottes rechnen können. Es ist daher umso erstaunlicher, dass Jesus die Frau mit dem angekündigten ‚Gedenken‘ ehrt.

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euch“; vgl. Deut 15,11).111 Hängt dies damit zusammen, dass unter den vielen Wurzeln der Armut auch individuelle und gesellschaftliche Gottlosigkeit und die damit zusammenhängende, moralische und ethische Sünde zu finden ist? V. 7b enthält ferner eine weitere, indirekte Todesvoraussage Jesu.112 8 Jesus geht direkt und bewusst auf seine Todesstunde zu. Aufgrund von 15,46 („Begräbnis in Eile“) und 16,1 (eine beabsichtigte, „verspätete“ Salbung?) könnte der Eindruck entstehen, dass Jesus nur hier, also nur vor seinem Tod, zum Begräbnis einbalsamiert113 wird. Lane geht davon aus, dass dieser Umstand eindeutig auf einen gewaltsamen Tod verweist.114 Allerdings wird aufgrund von Joh 19,39-40 deutlich, dass Joseph und Nikodemus den Leichnam in aller Eile (Joh 19,42) zumindest noch vorläufig einbalsamieren. 9 Die Amen-Aussage Jesu („wo immer das Evangelium in der ganzen Welt verkündet wird, wird auch das, was sie getan hat, berichtet, ihr zum Gedächtnis“ = μνημόσυνον [mnēmosynon]; vgl. 11,20-21) erfolgt nicht so unvermittelt, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Jesus hat seine Jünger in den zurückliegenden Jahren auf ihren bevorstehenden Zeugendienst (vgl. 13,9-11) systematisch vorbereitet. Er hat ferner bereits über seine Absicht gesprochen, die Botschaft von Gottes Reich und seinem stellvertretenden Tod (10,45) in alle Welt tragen zu lassen (13,10). Die gesamte Dynamik seines Wirkens zielt auf die sich konzentrisch ausbreitende (vgl. zuerst, 7,27), d.h. schließlich weltweite Verkündigung dessen, was er lehrt und tut sowie auf das, was mit ihm geschieht.115 Damit ist V. 9 eine natürliche und anderweitig belegbare Nebenbemerkung und kein „Fremdkörper“.116 Die Nachfolger Jesu sind als ganzheitliche und verkündende Zeugen (κηρύσσω [kēryssō]; vgl. 13,9-11) auf der ganzen Welt (ὅλον τὸν κόσμον [holon ton kosmon]; vgl. 16,15) berufen (vgl. Apg 1,8).117 Ferner vermittelt diese Aussage die Auffassung und Absicht Jesu, dass seine Jünger die vielen Ereignisse, die sie in Gemeinschaft mit ihm erleben, im Rahmen des Evangeliums einst weitererzählen werden. Sie sind dazu berufen, in Wort und Tat Zeugnis von der guten Nachricht (Evangelium; vgl. Bemerkungen zu 1,1.14) abzulegen, was die Erzählung dieses bemerkenswerten Ereignisses mit einschließt. D.h., Jesus ist sich der Zielsetzung 111 So Keener, Background, 174. 112 So auch Dschulnigg 358. 113 Andere Anlässe zur Salbung sind u.a. die Salbung eines Königs oder eines Priesters zum Dienst vor Gott (1Kön 9,6; 1Sam 10,1; vgl. Keener, Background, 174 und Dschulnigg 357). 114 Lane 494. 115 Lane 494 (mit Verweis auf Moore, Parousia, passim) bemerkt ferner, dass die Aussage Jesu indirekt Auferweckungsgewissheit trotz Todesgewissheit enthält. 116 Vgl. Pesch II 334, der (u.a. mit Verweis auf Apg 10,4.31) ferner das Moment des Verdienstes der Frau an Jesus („ihr zum Gedächtnis“) zu erblicken meint. 117 Vgl. die Bemerkungen zu πάντα τὰ ἔθνη in 13,10 sowie die Bemerkungen zu 7,27-29.

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der weltweiten (vgl. 8,36; Offb 14,6) Verkündigung bewusst, während die Ereignisse geschehen und während er seine Jünger lehrt. Was im Mk Ev. durch einzelne Erzählungen (wie 14,3-8) vermittelt wird, ist somit Evangeliumsverkündigung, wie sie von Jesus beabsichtigt ist (14,9). Die Bemerkung Jesu in V. 9 erlaubt somit einen kurzen Einblick in die Absicht Jesu, seine Jünger so zu schulen, dass sie sich als zukünftige Zeugen die Taten und vollmächtigen Aussagen Jesu gut ins Gedächtnis einprägen (vgl. 1,17; siehe oben, Exkurs 1).

14.3 Verratsabsicht des Judas 14,10-11 I 10 Und Judas Iskarioth, einer von den Zwölfen, ging weg zu den Hohepriestern, um ihnen Jesus auszuliefern. 11 Über diese Nachricht wurden sie froh und sie versprachen, ihm Geld zu geben. Und er bemühte sich darum, Jesus zu einem gelegenen Zeitpunkt zu verraten.118 II Im Gegensatz zur opferbereiten Hingabe der Frau, die Jesus salbt,119 folgt nun die Absicht des Judas,120 Jesus (im Wissen um seine Todesgefahr)121 für Geld zu verraten (vgl. Lk 22,3; Joh 13,18.27). III 10-11 Judas Iskarioth, einer von den Zwölfen (vgl. 3,19; 14,20.43), trifft noch vor dem Passahmahl Vorbereitungen, Jesus den Hohepriestern122 auszuliefern. Das Thema der Verfolgung und Tötung Jesu wird weitergeführt (vgl. 14,1.8). Nach Joh 11,57 hat das Synedrion einen öffentlichen Aufruf zur Verhaftung Jesu verbreitet.123 Warum reagiert gerade der berufene Jesusjünger Judas auf diese Initiative? Keine Beweggründe werden bei Mk genannt. Zusammen mit den anderen Jüngern (wie evtl. auch früher Johannes der Täufer) 118 Lit.: Blomberg, Reliability, 170-173; vgl. ferner Moore, Parousia, ad loc. und Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 340 (bis 1980); Evans 363-364 (bis 1999). 119 Evans 364. 120 Evans 364, betont mit Recht die enorme Spannung in der Tatsache, dass einer der Zwölf, der Mitregent Jesu werden soll (Mt 19,28 / Lk 22,28-30), ihn stattdessen verrät. 121 Evans 365. 122 Die Mehrzahl „Hohepriester“ (vgl. Josephus, Bell 2,331) schließt neben Caiaphas (vgl. V. 53a) frühere Hohepriester (u.a. Annas) sowie die Tempelvorsteher und den Tempelschatzmeister mit ein (vgl. Lane 531-532). 123 Vgl. Lane 496.

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erwartet Judas allerdings, dass Jesus nun endlich politische Konsequenzen aus seiner Botschaft zieht (s.o., Einleitung 4.1.2). Der bereits zurückliegende, feierliche Einzug in Jerusalem könnte diesbezüglich für ihn ein „ermutigendes Zeichen“ gewesen sein. Allerdings trifft Jesus in Jerusalem keinerlei weitere Vorkehrungen, einen Volksaufstand, nach Vorbild der Makkabäerrevolte, gegen Rom anzuführen. Stattdessen reinigt er (erneut)124 und eher zeichenhaft den Tempel, um auf rechten Gottesdienst hinzuweisen, führt nach wie vor Streitgespräche mit seinen Gegnern, überführt sie der Hartherzigkeit, beantwortet Fangfragen, lehrt über den Messias Gottes als Herr Davids, lobt die Opferbereitschaft und Aufrichtigkeit der Witwe, gibt einen großen Ausblick auf die Zukunft (in dem kein Wort von einem messianischen Aufstand zu hören ist) und spricht erneut von seinem Tod. All dies ist deutliches Indiz dafür, dass die feststehende Erwartung des Judas, einer messianisch-politischen Widerstandsbewegung gegen Rom anzugehören, völlig und endgültig enttäuscht wird. Auf diesem Hintergrund ist das Vorgehen des zelotisch eingestellten Judas „verständlich“.125 Jesu Person, Jesu Lehre, Jesu Handeln hat das Herz des Judas erstaunlicherweise nicht ergriffen, stattdessen öffnet er sich dem Einfluss Satans. Im Gegensatz zu Judas bleiben die anderen Jünger (trotz Unverständnis!) bei Jesus und ziehen aus ihrer Enttäuschung über Jesu unpolitisches Handeln nicht dieselben Konsequenzen wie Judas. Im Gegensatz zu den politischen Erwartungen von Judas weisen Jesu Taten und Worte in eine ganz andere Richtung.126 Dieser bereitet sich systematisch auf seinen Sühnetod vor (14,22-24; vgl. 8,31 und 10,45). Natürlich ist Jesus inzwischen wohlbekannt und muss von Judas nicht sonderlich identifiziert werden. Aufgrund der Popularität Jesu ist es jedoch notwendig, ihn unauffällig (zu einem gelegenen Zeitpunkt, V. 11) zu verhaften, um unter allen Umständen einen Volksaufstand zu vermeiden (14,2; vgl. Lk 22,6).127 Dazu sind die Dienste eines Vertrauten Jesu vor allem bei Nacht nützlich. Judas scheint dies nicht um des Geldes willen zu tun (er wird

124 Vgl. Blomberg, Reliability, 170-173. Blomberg sieht beträchtliche Unterschiede zwischen der „milderen“ Tempelreinigung in Joh 2,13-25 und den synoptischen Berichten der „schroffen“ Tempelreinigung gegen Ende des öffentlichen Wirkens Jesu. 125 Vgl. Lane 496, Anm. 27, der auf Stauffer, Jesus, 112 und passim verweist. Viel später (ca. 140–160 n.Chr.) ist das apokryphe, unlängst wiedergefundene „Evangelium des Judas“ einzuordnen; vgl. Hennecke-Schneemelcher, Apokryphen, I 228-229. In diesem apokryphen Evangelium vermutet der gnostische Autor, Judas habe als engster Vertrauter Jesu das universale Heil durch seinen Verrat bewirkt, indem Jesus vom physischen Dasein befreit wird. Vgl. dagegen Mk 14,21. 126 Siehe 11,15; 12,1-12.17.37; 14,7. 127 Vgl. 15,3.10.43.

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dadurch höchstens etwas williger),128 da die Initiative diesbezüglich beim Hohepriester und seiner Gefolgschaft, als Anführer der Verfolgung Jesu,129 liegt (14,61). Diese Beobachtung stützt die obige Erklärung des Motivgrundes für das Vorgehen des Judas zumindest indirekt. Zweimal wird das Motiv des Verrats (παραδίδωμι [paradidōmi] = „ich übergebe“ / „liefere aus“ / „überliefere“) in den V. 10 und 11 erwähnt.130 Ein vertrauter Freund wird zu Verräter und Feind (siehe V. 18). Der Gegensatz zwischen dem Verrat durch Judas und der (Todes-)Salbung durch die Frau (14,3-9) könnte nicht größer sein. Der Verräter, der wohl zu denen gehörte, die die Verschwendung der Frau kritisierten (V. 4; vgl. Joh 12,4-6),131 wird zum Feind des vertrauten Gerechten (vgl. V. 18). Siehe die Parallele zu Ps 41,9, wo der ehemalige Freund des Gerechten als Gegner handelt (vgl. ferner Ps 43,1-2; 52,3-6; 109,2-5).132 Judas trifft Vorkehrungen, um Jesus verratend zu „überliefern“ (vgl. 9,31; 10,33; 15,1).133 Die Verantwortlichen reagieren mit Freude, endlich ihr lange gehegtes Ziel zu erreichen.

14.4 Vorbereitung des Passahmahls 14,12-16 Warum beabsichtigt Jesus, dass seine Jünger über die bevorstehende Kreuzigung, die die Befreiung aus der Sünde und aus der Macht Satans sowie den Schutz vor dem Letzten Gericht bewirkt, im Rahmen des Passahfestes nachdenken? Die alljährliche Passahwoche erinnert das Volk Israel an ihre eigene Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten. Jetzt wird das Volk Gottes noch viel grundsätzlicher von den Folgen des Sündenfalls befreit. Die vergangene und gegenwärtige Befreiung wird jeweils durch Gottes Gericht über das Böse bewirkt: damals wurde die Unterdrückung durch Ägypten bestraft, jetzt die der Sünde und Satans. Beide geschehen durch Stellvertretung: damals durch das Blut der geopferten Lämmer, jetzt durch das einmalige und universal wirksame Opferblut des ewigen Sohnes. Einstmals musste das Volk Israel durch das Blut von Tieren vom Gericht geschützt werden. Jetzt werden diejenigen, die das Opfer Jesu annehmen, in den Schutz genommen (vgl. Lev 17,11; Hebr 128 Vgl. Pesch II 338. Siehe jedoch Mt 26,15. 129 Pesch II 338. 130 Siehe die Bemerkungen zu 1,14; 3,19; 9,30-31; 10,33; 13,9-13; 14,42.44; 15,1; vgl. 14,18.21. 131 Handelt es sich hierbei um eine separate Salbung? Vgl. gegen diese Sichtweise, Blomberg, Reliability, 173-174. 132 Vgl. Lane 495. Schriftverweise auch bei Pesch II 338. 133 Vgl. Pesch II 338 und Popkes, Christus, ad loc.

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9,22). Während jüdische Teilnehmer am Passahfest zeichenhaft ungesäuertes Brot essen, essen die Jünger nun das Brot, auf welches Jesus die Wirksamkeit seines einmaligen Opfertodes bezieht. Wenn die jüdischen Passahteilnehmer den dritten Kelch trinken (s.u.), hoffen sie damit auf das Kommen des Messias. Jetzt spricht Jesus über eben diesem dritten Kelch: „Dies ist mein Blut des Bundes, welches für viele vergossen wird“ (14,24). Am Ende des Passahmahles (14,25-26) singen jüdische Teilnehmer den zweiten Teil (Ps 115–118) des sog. Ägyptischen Hallel (Ps 113–118). Auch Jesus singt jetzt mit seinen Jüngern. Es besteht kaum ein Zweifel, dass die Jünger diese Bezugslinien erkennen sollen. Sie sollen wissen, dass das Passah in Ägypten, zusammen mit dem großen Tag der Versöhnung, auf die gegenwärtigen Ereignisse weist, die sowohl jüdischen als auch heidnischen Menschen zustehen. Im jetzigen Passah (und Versöhnungsgeschehen) feiern sie den endgültigen Exodus aus der Versklavung durch Sünde und Satan. Der einmalige Opfertod bewahrt sie ebenso vor Verdammnis im Letzten Gericht (vgl. Lk 9,31). Der große Exodus eröffnet den Weg zum endgültigen Kanaan, nämlich dem Reich „seines geliebten Sohnes“ (Kol 1,13) und „der Stadt des lebendigen Gottes“ (Hebr 12,22). I 12 Und am ersten Tag der ungesäuerten Brote, wenn sie das Passahlamm schlachteten, sprechen seine Jünger zu ihm: „An welchem Ort sollen wir Vorbereitungen treffen, dass du das Passahlamm essen (kannst)?“ 13 Und er sandte zwei seiner Jünger und spricht zu ihnen: „Geht in die Stadt, und jemand, der einen Wasserkrug trägt, wird euch begegnen. Folgt ihm. 14 Und wo immer er hineingeht, sagt dem (betreffenden) Hausbesitzer: „Der Lehrer spricht: ‚Wo ist mein Raum, in dem ich mit meinen Jüngern das Passah essen kann?‘ 15 Und er wird euch ein großes, ausgestattetes und bereitetes Obergemach zeigen. Und dort bereitet (es) für uns“. 16 Und die Jünger machten sich auf und kamen in die Stadt und fanden es so, wie er es ihnen gesagt hatte, und sie bereiteten das Passah(-mahl).134

134 Lit.: Blomberg, Reliability, 173-174; vgl. ferner Popkes, Christus, ad loc. und Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 345 (bis 1980); Evans 367-368 (bis 1999).

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II In Mk 14,12-16 handelt es sich um eine „Botensendung“135 bzw. ein vaticinium,136 wobei nach einer Zeitangabe die Vorbereitung auf das Mahl mit den Jüngern beschrieben wird (vgl. Mk 11,1-6; 1Sam 10,1-5). III 12-16 Es handelt sich nach populärer Auffassung beim ersten Tag der ungesäuerten Brote höchstwahrscheinlich (s.o., 14.2 Historischer Hintergrund) um den Tag der Vorbereitung auf das Passahmahl (Schlachten der Lämmer am Nachmittag des 14. Nisan)137 und damit zugleich um den Beginn des Wochenfestes, das z.Z. Jesu bereits mit dem 14. Nisan verbunden wird (vgl. die Deutung von Ex 12,15.18 auf den 14. Nisan).138 Das Passahmahl soll innerhalb der Mauern Jerusalems eingenommen werden.139 Die folgende Begebenheit (V. 12-16) erinnert an Jesu Vorbereitung auf den Einzug in Jerusalem (11,1-6). Jesus sendet jeweils zwei Jünger zu einem bestimmten Ort (11,1-2 / 14,13). Er weiß genau, was sie dort erwartet (11,2 / 14,13). Eine Unterredung wird vorausgesagt (11,3 / 14,14), und in beiden Berichten folgt die Aussage des Sendenden, der Herr benötigt es (11,3) bzw. der Lehrer, od. Meister spricht (14,14). Beide Male reagieren die Fremden überraschenderweise wohlwollend (11,6 / 14,15-16). Die Jünger finden alles so vor, wie Jesus es gesagt hat (11,4 / 14,16). Die aufwendigen Vorbereitungen werden in Jerusalem deshalb getroffen, weil Jesus unbemerkt feiern muss.140 Jesus feiert das Passahmahl in großer innerer und äußerer Bedrängnis. 13 Die Jünger sollen von Bethanien (vgl. 14,3) in die Stadt nach Jerusalem (11,19) gehen. Dass der Diener des Hausherrn „… einen Wasserkrug trägt, den normalerweise Frauen zum Wassertransport benutzen, während Männer eher Lederschläuche bevorzugen, soll ihn wohl eindeutig erkennbar machen“.141 Dies mag auf ein zuvor bestimmtes Zeichen hinweisen.142 14 Die Botenformel der Lehrer spricht: „Wo ist mein Raum, in dem ich mit meinen Jüngern das Passah essen kann“? verweist auf einen Sen-

135 Pesch II 341, mit weiteren formalen Details. 136 Berger, Formen, 347. 137 Pesch II 341. Vgl. Dschulnigg 360-361. 138 Pesch II 341-342, u.a. mit Verweis auf Josephus. Vgl. Keener, Background, 174. 139 Pesch II 342 und Anm. 7. Vgl. Keener, Background, 174. Siehe im Gegensatz hierzu die Qumrangemeinschaft. 140 Vgl. Keener, Background, 174. Vgl. Lk 22,8-13. 141 Pesch II 343; Hervorhebungen Pesch. 142 Vgl. Lane 499.

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denden, der Anspruch auf ein Gemach erhebt.143 Handelt es sich um einen Bekannten Jesu? 15 Es geht um einen großen Raum im Obergeschoss des Hauses. 16 Der Auftrag wird, wie von Jesus vorausgesagt (und fanden es so, wie er es ihnen gesagt hatte), ausgeführt.

14.5 V  oraussage des Verrats durch Judas 14,17-21 I 17 Und als es Abend geworden war, kam er mit den Zwölfen. 18 Und als sie zu Tisch saßen und aßen, sagte Jesus: „Amen, ich sage euch, einer von uns, der mit mir isst, wird mich verraten“. 19 Sie wurden traurig und begannen einer nach dem anderen, zu ihm zu sagen, „Nicht ich (bin es)?“ 20 Er aber sprach zu ihnen: „(Es ist) einer der Zwölf, der mit mir in die Schale eintaucht. 21 Zwar geht der Menschensohn den Weg, wie über ihn geschrieben steht; wehe aber jenem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird; es wäre besser, wenn jener Mensch nicht geboren worden wäre“.144 II In Mk 14,17-21 erfolgt die „berichtende Erzählung“ über die Mahlzeit (mit Amen-Wort, V. 18a) als „Lehrdialog“,145 innerhalb dessen Jesus den Verrat durch Judas voraussagt.146 Der Aufbau ist wie folgt: Situationsangabe (V. 17-18a); betonte Voraussage des Verrats (V. 18b); Reaktion der Jünger (V. 19); Urteil Jesu über den Verräter (V. 20-21). Historischer Hintergrund zum Passahmahl. Das Passahmahl verläuft etwa folgendermaßen (vgl. mPes 10.2-9):147 a. Der pater familias spricht den Segen zur Feier und über den Wein (Weihespruch) 143 Ähnlich Pesch II 343. 144 Lit.: Danker, Unity, 467-472; Suhl, Funktion, 51-52; vgl. ferner Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 353 (bis 1980); Evans 367-368 (bis 1999). 145 Berger, Formen, 308-309. 146 Pesch II 346. 147 Vgl. Ferguson, Backgrounds, 523. Siehe Pesch II 348-349 und Lane 501-502.

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b. Trinken des ersten Kelches (Kidduschbecher; verdünnter Wein; vgl. Lk 22,17-18) c. Auftragen des ungesäuerten Brotes, der bitteren Kräuter (Sklaverei) mit Gemüse, der gedünsteten Früchte (Haroseth; Lehmfarbe, um an die Backsteinproduktion während der Sklaverei zu erinnern) d. Auftragen des Lammfleisches (Blutopfer, das vor dem Gericht Gottes schützt) e. Frage des Jüngsten, warum dieses Fest gefeiert wird f. Der pater familias erzählt die aktuell nachvollzogene Heilsgeschichte der Befreiung Israels aus der Sklaverei in Ägypten (mPes 10,4) mit abschließendem Singen des ersten Teils des Hallel (Ps 113–114) g. Trinken des zweiten Kelches (Haggadabecher) h. Dankes-Segen über dem ungesäuerten Brot,148 Brechen des Brotes und Verteilen (von Person zu Person; vgl. 14,22) i. Essen des Brotes mit den Kräutern und Frucht (vgl. Mk 14,18-21) j. Verzehren des Lammes k. Trinken des dritten Kelches (Segensbecher) nach dem Dankessegen über dem Kelch (vgl. Mk 14,22-25) l. Singen des zweiten Teils des Hallel (Ps 115–118; Mk 14,26) m. Abschließendes Trinken des vierten Kelches (Hallalkelch). III 17 Nach Sonnenuntergang am Donnerstagabend, zu Beginn des 15. Nisan, wird das Passahfest mit einer ausgedehnten Mahl- und Erinnerungsfeier eröffnet; es dauert gewöhnlich von Sonnenuntergang bis Mitternacht.149 Die zwei Jünger werden Jesus und die zehn (einschließlich Judas) „abgeholt“ haben. Die Feier des Passahfestes vergegenwärtigt für die Anwesenden, dass Gott sein Volk im Gericht über die Erstgeborenen Ägyptens deshalb „überging“, weil sich das Opferblut eines Lammes über dem Türpfosten eines jeden jüdischen Haushalts befand. Zugleich erinnert sich das Volk bei der Passahfeier an die damit verbundene Befreiung aus der Sklaverei. Schließlich blickt das Volk in der Feier jedes Jahr auf die endgültige, messianische Befreiung (Ex 12,42).150 Jetzt erwartet das Volk ein viel größeres Gericht, vor dem nur ein ganz anderes und einmaliges „Opferlamm“, nämlich der alleinige Sohn Gottes (12,6), schützt (vgl. 10,35-45; 14,36). Wer dieses Opfer annimmt, der wird 148 Vgl. mBer 6,1. 149 Pesch II 347. 150 Lane 501. Lane verweist auf Mekhilta Ex 12,42, 14.20a: „In dieser Nacht wurden sie erlöst, und in dieser Nacht werden sie erlöst“.

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im Gericht „übergangen“ (10,45; 14,36). Hier zeigt sich eine Konsequenz des Aufrufs Jesu, „bei ihm“ zu sein (3,14). 18-20 Vgl. 14,10-11. Beim Passahmahl besteht die rituelle Pflicht, dass auch der Ärmste Israels als Zeichen der Freiheit zu Tische liegt.151 Judas, einer seiner engsten Jünger, wird ihn verraten. Zum Motiv der „Übergabe“/„Auslieferung“ (παραδίδωμι [paradidōmi]) bei Mk, siehe u.a. die Bemerkungen zu 14,10-11)152 Das Eintauchen des Mazzabrotes in die Schale mit Früchtesoße geschieht jeweils in Zweier- oder Dreiergruppen (V. 20). Der bevorstehende Verrat („Über- bzw. Auslieferung“) durch einen Jünger des inneren Kreises (vgl. V. 18, 19, 20; vgl. 14,10)153 erinnert, wie bereits erwähnt, an Ps 41,9-10.154 Tischgemeinschaft ist Ausdruck enger und herzlicher Verbundenheit (vgl. V. 19). Umso schmerzlicher ist der Kontrast zum Vorhaben des Verräters.155 19 Die Betrübtheit (sie wurden traurig; vgl. 10,22) der übrigen elf Jünger zeigt, dass ihre Treue Jesus gegenüber inzwischen gewachsen ist. Trotzdem halten sie immer noch an gewissen Aspekten ihrer Fehleinschätzung seiner messianischen Person und Sendung fest (vgl. Apg. 1,6). 21 Neben der Aussage, dass der Menschensohn seinen Weg geht (vgl. Mk 8,31; 9,31; 10,32-34), erwähnt Jesus nun zum ersten Mal die Tatsache, dass dies in der Schrift vorhergesagt ist („wie über ihn geschrieben steht“; vgl. u.a. Ps 41; 55,13-14; Jes 52,13‒53,12 und Dan 9,25-26; siehe ferner das Gesamtmotiv der passio iusti).156 Die Unheilaussage (Weheruf) über den Verräter Judas („wehe aber jenem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird; es wäre besser, wenn jener Mensch nicht geboren worden wäre“; vgl. Ps 41,10)157 besagt Folgendes: a. Der durch Jesus berufene Jünger Judas ändert keineswegs den durch Gott vorherbestimmten Weg des Messias. b. Aufgrund seiner Hartherzigkeit kooperiert er lediglich (ohne „Erfolg“) mit all den (natürlichen und übernatürlichen) Feinden, die sich gegen den Mes-

151 Ferguson, Backgrounds, 523; vgl. Pesch II 348. 152 Siehe ferner die Bemerkungen zu 1,14; 3,19; 9,30-31; 10,33; 13,9-13; 14,42.44; 15,1. Siehe Joh 13,21-26 und vergleiche mit Ps 41,9-10. Lane 503, hebt jedoch hervor, dass Mk Judas weder bei Namen nennt (im Gegensatz zu Mt 26,25), noch darauf hinweist, dass Judas die Mahlgemeinschaft vor den Einsetzungsworten Jesu verlässt (im Gegensatz zu Joh 13,26-30). 153 Lane 502. 154 Lane 502, mit Verweis auf Suhl, Funktion, 51-52; vgl. Danker, Unity, 467-472.470-471. 155 Keener, Background, 175. 156 Pesch II 351, mit Verweis auf Ps 41,10; 55,15; Jer 20,10; 1QH5,23f. 157 Vgl. Lane 503, der den Kontrast zwischen der reumütigen, gesegneten Frau (Mk 14,9; vgl. Ps 41,2) und dem selbstsicheren, heillosen Judas (Mk 14,21; vgl. Ps 41,10) hervorhebt.

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sias Gottes wenden und damit paradoxerweise dennoch den Willen und die Absicht Gottes vorantreiben (vgl. 12,7). c. Für die verwerfliche Tat des Verrats ist Judas vor Gott auch als berufener Jünger Jesu verantwortlich. d. Er sollte deswegen seine Geburt verwünschen (vgl. Hiob 3,3ff; Sir 23,14).158 Die Berufung durch Jesus rettet Judas nicht vor dem Gericht Gottes. Nur der Jünger, der Jesu Person, Werk und Absicht auf sich wirken lässt, der sich durch Jesus bezüglich seiner Hartherzigkeit warnen lässt (vgl. 8,17.21), der letztendlich dankbar Jesu stellvertretende Sündenvergebung persönlich als heilsnotwendig aufnimmt (10,45), geht ein in sein ewiges Reich. Diese notwendige, innere und vertrauende Reaktion auf Jesus kann nur der Mensch „vorweisen“, der durch Gottes Geist verdienstlos erweckt wird (Mk 13,20.22.27) und auf Gottes Geist eingeht (vgl. 3,28-29; 10,27). Wer das Evangelium hört, der bete: „Herr, ich will glauben, hilf meinem Unglauben“ (vgl. Mk 9,24). Dies ist bei Judas offenkundig nicht der Fall (V. 21). Letztendlich bekundet Jesu Unheilaussage über Judas seine eigene Siegesgewissheit über die sichtbaren und unsichtbaren Mächte, die seinen Tod und sein Verderben vorantreiben.159

14.6 Einsetzungsworte 14,22-26 I 22 Und als sie aßen, nahm er Brot, bat um Segen, brach es und gab (es) ihnen und sprach: „Nehmt, dies ist mein Leib“. 23 Und er nahm den Kelch, sagte Dank, gab ihnen (davon) und sie tranken alle daraus. 24 Und er sprach zu ihnen: „Dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. 25 Amen, ich sage euch: Ich werde bestimmt nicht (mehr) von der Frucht des Weinstocks trinken, bis zu jenem Tag, an dem ich davon von Neuem trinke im Reich Gottes“. 26 Und nachdem sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie zum Ölberg.160 158 Schriftverweise bei Pesch II 351. 159 Vgl. Lane 503. 160 Lit.: Backhaus, Jesus, 343-356; Bayer, Prospect, 74-84; Blank, Ausblick, 508-518; Glatzer, Passover, 27; Haubeck, Loskauf, ad Mk 14,22-25; Hofius, Vergebung, 313-337; Jeremias, Abendmahlsworte, ad Mk 14,22-25; Karrer, Kelch, 198-221; Koch, Messias, 117-148; Marshall, Last Supper, ad Mk 14,22-25; Maurer, Knecht, 1-38; Oberlinner, Botschaft, 5665; Schlier, Passa, 155-159; Wischmeyer, Herrschen, 28-44; Wright, Jesus, 579-584; Zager, Urchristentum, 165-186; vgl. Ferner Weihs, Deutung, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 363364 (bis 1980); Evans 379-385 (bis 1999).

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II Mk 14,22-25.26 enthält die Einsetzung des Herrenmahls als „berichtendes Erzählstück“161 in Form einer „Akklamation und Deutung“.162 Die Einsetzung geschieht im Rahmen eines Passahmahls: a. Segnung, Verteilen des Brotes und Deutewort „dies ist mein Leib“, V. 22; b. Danksagung und Reichen des Kelches, mit Deutewort „dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird“, V. 23-24; c. Zukunftsaussage über Jesu Geschick und das kommende Gottesreich, V. 25. Der V. 26 dient als Übergangsvers. Historizität. Die Frage, ob es sich in Mk 14,12-26 tatsächlich um ein genuines Passahmahl handelt, wird immer wieder kontrovers diskutiert. Allerdings bezeugen Mk 14,12.14.16-25 / Mt 26,17.19 / Lk 22,7-8.15-16, dass das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern höchstwahrscheinlich im Rahmen eines Passahmahls eingenommen wird. Folgendes spricht dafür: a) das Einnehmen des Mahles innerhalb Jerusalems (vgl. mPes 7,9); b) eine Mahlzeit spät am Abend (Ex 12,8; Jub 49,12); c) das obligatorische Liegen beim Passahmahl (mPes 10,1); d) im Gegensatz zu normalen Mahlzeiten bricht Jesus das Brot erst nach Einnahme eines Gerichtes (Mk 14,18-20.22); e) verdünnter Wein wird gewöhnlich zu besonderen Anlässen, wie etwa zum Passah benutzt (mPes 10,1); f) die Einsetzungsworte fügen sich sinnvoll in den Kontext eines Passahfests.163 Wann dieses Passahmahl von Jesus und seinen Jüngern allerdings eingenommen wird, ist umstritten (s.o., 14. II Fragen zur Historizität sowie zum historischen Hintergrund). III 22 Nach dem Segen über das ungesäuerte Brot teilt Jesus im Rahmen des Hauptmahles das Mazzabrot aus (siehe oben, 14.5 II). Obwohl normalerweise dabei geschwiegen wird, unterbricht Jesus die Stille durch das sogenannte „Einsetzungswort“: „Nehmt, dies ist mein Leib“.164 Dadurch gewinnt die Aussage Jesu besondere Akzentuierung. Jesus teilt das Mazzabrot aus, während er noch lebt. Das heißt, die Einsetzungsworte können nicht wörtlich seinen eigenen, physischen Leib (oder sein eigenes Blut) beschreiben, da sowohl das Mazzabrot mit Wein als auch sein Leib mit Blut physisch gegenwärtig sind. Das Wort über dem Mazzabrot (und später über dem Kelch) ist also wie beim Passahmahl übertragen, geistlich 161 Pesch II 354-356, mit vielen Details. 162 Berger, Formen, 293; vgl. a.a.O., 290-292. 163 Vgl. Lane 497. 164 Vgl. Lane 506.

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und zeichenhaft gemeint (vgl. 1Kor 10,16). Brot und Wein stehen allerdings in sehr enger Beziehung zum Leib (und Tod) Jesu: ‚Dieses Mazzabrot entspricht, nunmehr zweckgebunden, meinem zu opfernden Leib‘.165 Zusammen mit Lk 22,19 bedeutet dies: In Zukunft werde ich immer noch geistlich und real gegenwärtig sein und die bleibende Gültigkeit meines einmaligen Todes, vermittelt durch das Zeichen und Siegel des Brotes, immer wieder auf meine Jünger ausweiten und anwenden.166 So, wie dieses Mazzabrot gebrochen wird, so wird mein eigener Leib „gebrochen“. Im alttestamentlichen Kontext bedeutet diese lebensrettende Nahrung des Mazzabrotes Stärkung für die unmittelbar bevorstehende (daher hefefreies Brot)167 Rettung aus der Sklaverei in Ägypten.168 In der jüdischen Feier des Passahfestes repräsentiert das Mazzabrot Folgendes: „Dies ist das Brot der Bedrängnis, welches unsere Vorfahren in Ägypten aßen“.169 Die übertragene Aussage bedeutet geistliche Lebensrettung (neues Leben bei Gott) durch Zerbrechen des Leibes Jesu für die, die glauben. Das zweckgebundene Zeichen und Siegel des Brotes stärkt zum Glauben. 23-24 Im Anschluss an das Hauptmahl spricht der pater familias den Segensspruch bzw. den Dank über dem dritten Kelch (dem „Segensbecher“; siehe oben, 14.5 II).170 Dieser Segensspruch enthält das Gebet, welches „Gott um das Gedenken des Messias anfleht“,171 auf das ewige Leben ausblickt und Gott für seine Bundestreue und seinen Frieden dankt (siehe Bemerkungen zu V. 17).172 Der Kelch enthält (wieder) verdünnten Wein.173 Dieser Wein (Kelch als Metonymie, worauf dies in V. 24 verweist) repräsentiert im Passahmahl 165 Lane 506, Anm. 53, verweist auf J. Behm, ThWNT III, 726-743, hier: 735, der σῶμα [sōma] auf ‫[ ּגּופִי‬gūphī] („Person“, oder „Ich selbst“) zurückführt. 166 Vgl. etwa Beza, Confessio, I 26-27. Siehe ferner Calvin, Glaubenslehre 4.14.13. Vgl. schließlich das Erste Helvetische Bekenntnis, Art. 20, 1106.25-43. 167 Vgl. Jeremias, Abendmahlsworte, 63ff. 168 Nach Lane 505 (mit Verweis auf Glatzer, Passover, 20) lautet der vorgeschriebene Spruch über dem Mazzabrot folgendermaßen: „Dies ist das Brot der Bedrängnis, welches unsere Vorväter in Ägypten aßen. Wen hungert, der komme und esse. Jeder Bedürftige komme und esse das Passahmahl“. (Übersetzung HFB). 169 Vgl. Keener, Background, 175. 170 Vgl. ebenso Dschulnigg 365. Es handelt sich um den dritten von vier Kelchen; vgl. Billerbeck, Kommentar IV.1. 74-75. Der erste Kelch entspricht Lk 22,17-18. Vgl. die Diskussion zum ersten (Kiddusch) Kelch bei Bayer, Predictions, 37-39. Der dritte Kelch ist der Segenskelch nach dem Hauptmahl; so auch Billerbeck, Kommentar IV.1.62.72.75. Vgl. 1Kor 10,16. Die Einsetzungsworte geschehen über dem dritten Segenskelch. 171 Pesch II 357 und Anm. 9, mit Verweis auf Jeremias, Abendmahlsworte, 242-243. 172 Nach Lane 506 (vgl. Glatzer, Passover, 27) enthält das Gebet ferner den Dank für die Mahlzeit. 173 Vgl. Billerbeck, Kommentar IV.1, 58.72, bezüglich der Verdünnung von Wein: Die vier Becher enthalten insgesamt etwa ⅛ l Wein.

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zunächst den Segen, der durch Vergießen des Passahbluts Schutz im Gericht bietet und den Auszug aus ägyptischer Sklaverei ermöglicht.174 Und jetzt repräsentiert der Wein zweckgebunden das bundesstiftende Blut Jesu, das zur stellvertretenden (ὑπέρ [hyper] = für)175 Sühne für viele einmalig vergossen werden wird (vgl. oben zu V. 22; vgl. Bemerkungen zu 10,45).176 Exodus 24,8 enthält die Aussage: „dies ist mein Blut des Bundes“177 (Deut 32,43; Jes 53,11-12;178 Jer 31,31-34; Sach 9,11; Gal 1,4; Tit 2,14). Um vor Gott zu sühnen, muss stets Blut (als Ursprung des Lebens) vergossen werden: „… ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung“ (Hebr 9,22 [Luther 1984]; vgl. Lev 17,11). Analog zum Passah, schützt das Blut Jesu vor Gottesgericht (vgl. Joh 3,16). Der neue Bund179 (vgl. Lk 22,20; 1Kor 11,25) vermittelt dieselbe Bundesvorstellung wie der Bund im AT (vgl. Ex 24,1-8; Sach 9,11). Gott ist stets derjenige, der die Vertragsbedingungen einseitig bestimmt. Ein derartiger Bundesvertrag (Suzeränitätsvertrag) ist daher von einem bilateralen Vertrag zu unterscheiden.180 Der Bund, den Jesus einsetzt, erfüllt die universal ausgerichtete Verheißung Gottes an Abraham (Gen 17,2-21; vgl. Jer 31,31-34; Joh 8,56; Gal 3,14-19). Das Wort über dem Kelch ist wiederum übertragen, geistlich und zeichenhaft gemeint. Der Wein steht jedoch in enger, zweckgebundener Beziehung zu seinem zu vergießenden Blut. In Zukunft wird Jesus immer noch geistlich und real gegenwärtig sein und die bleibende Gültigkeit seines Todes, verdeutlicht

174 Keener, Background, 175, betont, dass die jüdische Interpretation den dritten Kelch des Passahmahls nicht mit Blutvergießen verbindet. Dennoch ist durch die inhaltliche Kausalität „Blutvergießen → Segen“ ein gewisser Bezug vorhanden, vor allem, wenn es sich um den dritten Kelch handelt, der an Befreiung von Sklaverei (u.a. durch Blutvergießen) sowie an Gottes Bundestreue erinnert. 175 BDAG, 1030. 176 Man beachte in diesem Zusammenhang Eph 1,7. Vgl. Ex 24,6; Hebr 9,18.20.28; 10,29; 12,15. 177 Textkritische Diskussion: Aufgrund der Tatsache, dass ‫ א‬B C Dc L Θ Ψ 565 itk copsa (ms), bo geo1 καινῆς („neu“) nicht lesen, ist es auch aufgrund der Parallelen in Lk 22,20 und 1Kor 11,25 eher denkbar, dass A K P Δ f1 f13 und viele Minuskeln καινῆς hinzugefügt haben. Vgl. Metzger, Textual Commentary, 95. 178 Zur deutlichen Beziehung zwischen Jesu Menschensohnaussagen und Jes 53 siehe Pesch II 359-360. Vgl. Rowe, Kingdom, 235-241. 179 Dschulnigg 366 scheint im markinischen Kontext eher von einer Bundeserneuerung auszugehen. Allerdings signalisiert das stellvertretende (10,45) „Blut des Bundes“ (10,24) die Einsetzung eines neuen Bundes im Gegensatz zu Passahlämmern, die als Schutz- bzw. Dankopfer geschlachtet werden. Vgl. hierzu (neben Lk 22,20 und 1Kor 11,25) auch 2Kor 3,6; Hebr 8,8.13; 9,15; 12,24. 180 BDAG, 228.

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durch das Zeichen und Siegel des Weines, auf seine Jünger ausweiten und anwenden.181 Wenn Christen folglich das Abendmahl feiern, nehmen sie Brot mit Wein (oder Traubensaft) in der realen, geistlichen Gegenwart Jesu zu sich, vermittelt durch den Heiligen Geist. Die bleibende Wirkung des einmaligen Opfertodes Jesu vor den Toren Jerusalems wird hiermit bekräftigt und in Form einer Bundesbestätigung gefeiert. Indem Jesus das derart gedeutete Passahmahl mit seinen Jüngern feiert, lenkt er ihre Aufmerksamkeit von der gewohnten Erinnerung an die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten auf die bevorstehende Erfüllung in der befreienden Rettung aus der Macht Satans, der Sünde und der ewigen Trennung von Gott. Hinsichtlich der Vorstellung eines stellvertretenden Opfers, siehe die Diskussion bei Evans, der u.a. auf Hengel, Wright und Jeremias verweist.182 Sowohl im Hellenismus als auch im palästinischen Judentum ist die Vorstellung eines stellvertretenden Opfers geläufig: Evans hebt in Anlehnung an Hengel vor allem Euripides, Alc 968-69, 4Makk 1,11b; 18,3-4 sowie insbesondere 4Makk 17,21b-22,183 (wahrscheinlich vor 70 n.Chr.) hervor;184 vgl. ferner 4Makk 6,29. Siehe schließlich die Vorstellung eines „Märtyrers für das Volk“ in 1Makk 6,44; 2Makk 7,33.37-38. Evans (mit Verweis auf Charlesworth) konstatiert aufgrund von Liber Antiquitatum Biblicarum 18,5 (bezüglich der Opferbereitschaft Isaaks), dass die Vorstellung eines „stellvertretenden Opfers“ für die Synagoge vor 70 n.Chr. als geläufig anzunehmen ist.185 Evans macht ferner auf TMos 9,6b-10,1 aufmerksam: Hierbei liegt eine interessante Parallele zu Mk 14,25 vor, da in beiden Fällen der Tod eines Gerechten und das Kommen des Gottesreiches miteinander in Verbindung gebracht werden. Schließlich verweist er auf die Vorstellung der Sühne durch gerechtes Handeln und durch Leiden in 1QS8,3-4 und 5,6; 9,4.186 Spätere rabbinische Tradition (2. Jh. n.Chr.) führt die Vorstellung der „stellvertretenden Sühne“ fort: Evans verweist auf pSan 11,5; SifDtn §333 zu Deut 32,43; Mekhilta Ex 12,1 (Pisha §1).187

181 Siehe hierzu Beza, Confessio, I 26-27. Siehe ferner Calvin, Glaubenslehre 4.14.13. Vgl. schließlich das Erste Helvetische Bekenntnis, Art. 20, 1106.25-43. 182 Vgl. Evans 386-388, der u.a. auf Hengel, Sühnetod, 9-14 und passim; Wright, Jesus, 579-584 und Jeremias, Abendmahlsworte, 211-223 verweist. Vgl. ferner Pesch II 358-359.362. 183 4Makk 17,21b-22 lautet: καὶ τὸν τύραννον τιμωρηθῆναι καὶ τὴν πατρίδα καθαρισθῆναι ὥσπερ ἀντίψυχον γεγονότας τῆς τοῦ ἔθνους ἁμαρτίας 22 καὶ διά τοῦ αἵματος τῶν εὐσεβῶν ἐκείνων καὶ τοῦ ἱλαστηρίου τοῦ θανάτου αὐτῶν ἡ θεία πρόνοια τὸν Ισραηλ προκακωθέντα διέσωσεν [Kai ton tyrannon timōrēthēnai kai tēn patrida katharisthēnai hōsper antipsychon gegonotas tēs tou ethnous hamartias kai dia tou haimatos tōn eusebōn ekeinōn kai tou hilastēriou tou thanatou autōn hē theia pronoia ton Israēl prokakōthenta diesōsen]. 184 Evans 386-387. 185 Ebd. Charlesworth, Pseudepigrapha, II 300. 186 Evans 388. 187 Ebd.

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Hätte Jesu seinen bevorstehenden Tod nicht als stellvertretende Sühne gedeutet, wäre anzunehmen, dass die Urgemeinde Jesu Tod eher als Märtyrertod gedeutet hätte.188 Die Aussage für viele (V. 24) erinnert an 10,45 und weist unmissverständlich auf Jes 53,10-12. Jesus spricht deutlich von einem Bundesopfer (s.u.; Bundeserneuerung; vgl. Jer 31,31-34).189 Zusammen mit dem Wort zum Mazzabrot spricht Jesus von seinem bevorstehenden Tod und dem Segen, den dieser Tod für die Teilnehmer bedeutet. Ferner spricht er von der Begründung (als Erfüllung der Abraham-Verheißung) eines ewigen Bundes in seinem Blut. Die Gemeinschaft der mit Gott durch Jesu Blut versöhnten (vgl. Lev 16,1-34) Jünger ist somit die erwartete, ewig bestehende Heilsgemeinschaft. Evans bemerkt treffend: “Jesus has deliberately taken over the words ,blood of the covenant‘ (Exod 24:8; Zech 9:11) and has applied them to his death with the eschatological perspective of Jer 31:31 and the vicarious aspect of Isa 53:12”.190

Die Bundesterminologie (Bundesschluss durch Blutvergießen) erinnert u.a. an Ex 24,1-8; Sach 9,11 sowie an Jer 31,31-34. Dabei sind Bundesstipulationen (jetzt vertrauende Nachfolge), Opfer (jetzt der Tod Jesu), persönliche Verpflichtung (jetzt Glaube an Jesus) und Besprengung mit Blut (jetzt Abendmahl, in dem Jesus geistlich real präsent ist; hierbei bleiben die zweckgebundenen Elemente Brot und Wein) zentrale Charakteristika des neuen Bundes, als Erfüllung der Verheißungen im Bundesschluss mit Abraham (vgl. Gen 12; 15; 17; 22; Gal 3; Joh 8,56). 25 Alles, was Jesus bisher vermittelt hat, wird im Kern nun nochmals bekräftigt. Prominent ist die Hoffnungsaussicht,191 die über den hier erneut erwähnten Tod Jesu hinausreicht. Diese Hoffnungsaussicht gibt den vorhergehenden Todesaussagen tieferen Sinn, indem der bevorstehende Tod aus Jesu Sicht keineswegs als Ende seines Wirkens verstanden werden kann. Der bevorstehende Tod gewinnt vielmehr durch den Blick auf das zukünftige Wirken Jesu vermehrten Sinn und Zweck.192 Ferner dient der nun folgende eschatologische Ausblick als Schlüssel zur Beantwortung der Frage nach der Funktion Jesu im Kontext seiner Lehre vom Reich Gottes. Jesus verquickt hier (endlich) sein eigenes Geschick „Ich werde bestimmt nicht (mehr) von der Frucht des Weinstocks trinken …“ (Todesvoraussage) mit der Gewissheit, einst als (auferstandener) pater familias und als messianischer Herr Davids (Mk 12,35188 Vgl. ähnlich, Evans 388. 189 Vgl. Ex 24,6-8 und Jer 31,31-34; siehe Lane 507. 190 Evans 394. Vgl. ähnlich, Pesch II 360. 191 Zur detaillierten Diskussion des messianischen, himmlischen Mahles, vgl. Pesch II 361. 192 Vgl. Pesch II 361.

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37; Ps 110,1.5) mit seinen Jüngern im Reich Gottes zu herrschen „… bis zu jenem Tag, an dem ich davon von Neuem trinke im Reich Gottes“ (siehe unten, Exkurs 12). Es ist denkbar, dass Jesus sich mit dieser Aussage das Trinken des vierten Kelches im Rahmen des Passahfestes untersagt.193 Die vier Kelche des Passahfestes repräsentieren 1) Auszug, 2) Befreiung, 3) Segen (bei Jesus verbunden mit Blutvergießen) und 4) Gemeinschaft mit Gott.194 Womöglich „vertagt“ Jesus mit der Aussage dieses Verses das Trinken des vierten Kelches bis auf die Zeit, zu der er im messianischen Mahl die Gemeinschaft mit dem Volk Gottes feiert (vgl. 1QSa2,11ff).195 Während religiöse Opfermahlzeiten auch in verschiedenen Mysterienkulten des Hellenismus geläufig sind,196 ist unmissverständlich deutlich, dass das Herrenmahl im Kontext eines Passahmahles ganz im Milieu des palästinischen Judentums und der Vorstellung des Alten Testaments verankert ist. Es dient im heilsgeschichtlichen Rahmen als Erfüllung von atl. Verheißung. Exkurs 12:197 Die Beziehung zwischen Selbstoffenbarung Jesu und dessen Lehre über das Königreich Gottes (Mk 14,25)198 Vor Mk 14,25 lehrt Jesus meist gesondert über das messianische Königreich Gottes (vgl. die Details oben, Exkurs 5: „Das messianische Reich Gottes“) bzw. über die Identität des Messias Gottes (s.o., Einleitung, vor allem 4.1.2–4.1.6). Wie bereits oben dargelegt, hat das messianische Königreich Gottes nach Jesus eine gegenwärtige, realisierte und unscheinbare Komponente (mit Bedingung zur Teilnahme) sowie eine zukünftige, überragende Dimension (das Gericht Gottes und die messianische Feier). Das Kommen Jesu verbindet unterschiedliche Stränge alttestamentlicher Vorstellungen zum Reich Gottes. Charakteristische, alttestamentliche Enderwartung ist es, dass letztendlich Gott selbst herrscht. Die Besonderheit der Lehre Jesu besteht darin, dass die erwartete, zukünftige Gottesherrschaft (Joh 18,36) mit seiner Person bereits noch im alten Äon real wirksam wird (Lk 4,21 / Jes 61,1-2; Mt 11,2-6 / Jes 35,5-6), einschließlich der graduellen Entmachtung Satans (Mt 12,29). Umkehr und Vergebung durch Jesus sind somit eng mit dem Kommen der Herrschaft Gottes verknüpft (Mk 4,12; vgl. Mk 1,14-15 / Jes 52,7). Das heißt, 193 Vgl. Lane 508. 194 Lane 508, der auf pPes 10,37b verweist. 195 Vgl. Lane 509, der ferner auf Lk 14,15 sowie Offb 3,20-21; 19,6-9 verweist. Vgl. Keener, Background, 175, der bezüglich des messianischen Mahls auf Am 9,13 verweist. 196 Vgl. Evans 388, der z.B. auf Diodorus Siculus, Lib Hist, 4.3.4; Apuleius, Metam 11; Supplementum Epigraphicum Graecum, 4.247 und Justin, 1 Apol 66.3 verweist. 197 Vgl. oben, Exkurs 5: „Das messianische Reich Gottes“. Siehe Details bei Bayer, Prospect, 74-84. Vgl. Pesch II 364-377. 198 Lit.: Bayer, Predictions, 29-45.223-226.249-253; Bayer, Prospect, 74-84; Rowe, Kingdom, 229-306; Zeller, Wissen, 266; vgl. ferner Smith, Banquet, ad loc.

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der von Gott entfremdete Mensch soll wieder unter die der Schöpfungsabsicht entsprechende richtungweisende und fürsorgliche Autorität und Führung Gottes gelangen. Die Gleichnisse Jesu betonen den unscheinbaren und einfachen Beginn des messianischen Königreiches und das überragende, herrliche Ende. Bis auf den zeitlosen Verweis auf das Königreich in Mk 15,43, stellt Mk 14,25 die letzte Erwähnung des zukünftigen Königreiches dar. Es ist bezeichnend, dass Jesus mit Ausnahme von Mk 14,25 im gesamten Mk Ev. niemals explizit aussagt, dass er als derart autorisierter Lehrer des Reiches Gottes zugleich sein vorbestimmter König ist. Siehe jedoch die dies andeutende Aussage, dass der leidende Menschensohn gerechtfertigt und erhöht wird (Mk 8,31.38; vgl. die Anklänge an „Herrschaft“ in Dan 7,13-14 / Mk 8,38 sowie Ps 110,1.5 / Mk 12,35-37).199 Mk 14,25 bringt nun endlich diese zwei separat entfalteten Stränge zusammen. Der Leser des Markusevangeliums entnimmt aus Mk 1,1–14,24, wie er sich das messianische Königreich auf dem Gesamthintergrund des AT vorstellen soll, und, getrennt hiervon, wer der wahre Messias Gottes ist (als leidender Knecht Jahwes und erhöhter Menschensohn bzw. Herr). Jesus entfaltet diese zwei so unterschiedlich gedeuteten Stränge gesondert, u.a. wegen der politisch explosiven Atmosphäre (vgl. Joh 6,15). Aufgrund der eng gefassten, weit verbreiteten, politisch-davidischen Erwartungen muss Jesus sowohl die Vorstellung des messianischen Königreiches als auch die Vorstellung des Messias zunächst alttestamentlich-prophetisch „korrigieren“, bevor er diese zwei komplementären Größen so aufeinander beziehen kann, dass daraus keine politisch-davidische Engführung entsteht. So dient Mk 14,25 im Kontext des letzten Passahmahles als wichtiger Interpretationsschlüssel, der diese zwei zentralen Stränge des Evangeliums endlich explizit aufeinander bezieht. Nur wenn es kein Zurück mehr gibt, wenn die Sendung des Menschensohnes „als Lösegeld für viele“ (10,45; vgl. 14,24) unwiderruflich zum Ziel am Kreuz gelangt, verbindet Jesus diese Vorstellungen miteinander. Vor dem Hohepriester (Mk 14,62) erfährt der Strang der Identität des Messias Gottes (als Herr und erhöhter Menschensohn) noch einen weiteren, kreativen und interpretativen Impuls. Während Mk 12,35-37 (Jesus als „Herr Davids“, Ps 110,1.5) und Mk 13,26 (vgl. 8,38; Jesus als erhöhter Menschensohn, nach Dan 7,13-14) die Aussage in Mk 14,62 antizipieren, werden diese zwei messianischen Stränge erst in Mk 14,62 miteinander verbunden. Während Mk 14,62 diese messianischen Stränge, die allerdings beide bereits einen impliziten Bezug zum Königreich Gottes aufweisen (vgl. Dan 7,14-27; Ps 110,2.6), miteinander verbindet, repräsentiert Mk 14,25 eine für das Mk Ev. einmalige Verbindung zwischen der wahren und einmaligen Messianität Jesu und dem messianischen

199 Siehe den Ausdruck „König der Juden“ in Mk 15,2.9.12.18.26.32.

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Königreich. Mk 14,62 dient in dieser Hinsicht lediglich als Bekräftigung der Beziehung, die in Mk 14,25 bereits konstatiert wird. Die Verbindung zwischen dem Makrotext des Markusevangeliums und dem unmittelbaren Umfeld von Mk 14,25200 ergibt thematisch, dass Jesu demonstrierte Vollmacht (ἐξουσία [exousia]) nun im göttlich verheißenen, menschlich unumgänglichen Tod als notwendiger, konstitutiver Schritt zum Herrschaftsantritt im messianischen Königreich infrage gestellt und sodann bestätigt wird.201 Mk 14,25 betont zunächst den Kontrast, dass dem Messias Gottes eine fundamentale Krisis bevorsteht, während das zukünftige Gottesreich dennoch Hoffnung bringend bevorsteht. Nur durch die Aussage, dass Jesus einst wieder trinken wird sowie die Tatsache, dass sein Tod soteriologische und bundestheologische Bedeutung hat (10,45; 14,22-24), wird dieser Kontrast erklärend überbrückt. Eine eingehende Analyse ergibt, dass es sich bei Mk 14,25 nicht so sehr um ein feierliches Gelöbnis der Abstinenz, sondern vor allem um eine Todesvoraussage handelt. Die Struktur in Mk 14,25 lautet: (ἀμὴν [amēn]) (λέγω [legō]) … οὐκέτι οὐ μὴ [ouketi ou mē] (mit aor. konj.) … ἕως [heōs] (ὅταν [hotan]) (mit Aor. Konj.). Vgl. mit Mk 9,1; 10,15; 13,30.202 Zu ἀμὴν λέγω ὑμῖν [amēn legō hymin], vergleiche mit Mk 3,28; 8,12; 9,1 (Königreich); 9,41; 10,15 (Königreich); 10,29; 11,23; 12,43; 13,30; 14,9.18.25 (Königreich); 14,30. Der Begriff ἡμέρα [hēmera] vermittelt unterschiedliche Vorstellungen bei Mk: Mk 2,20 spricht von einer undefinierten Zeit; 13,17 von naher Zukunft; 13,19.20 von naher oder ferner Zukunft; vgl. 13,24.32. Aufgrund von ἐκείνηϛ [ekeinēs] in Verbindung mit ἕως [heōs], muss ἡμέρα [hēmera] in 14,25 als unbestimmte Zukunftsaussage (ähnlich wie Mk 2,20) verstanden werden. Der selten gebrauchte Begriff καινόν [kainon] (vgl. Mk 2,21.22; 2Petr 3,13 und Offb 21,1) betont die Zukunftsausrichtung. Die Aussage ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ [en tē basileia tou theou] weist hier auf die zukünftige Erwartung des Gottesreiches.203 Wenn der erste Teil von Mk 14,25 im Vordergrund stünde (die Affirmation), so könnte es sich evtl. um ein abgeschwächtes Gelöbnis der Abstinenz handeln. Allerdings ist es wahrscheinlicher, dass die Betonung auf der zweiten Hälfte des Verses liegt (die Konsequenz) und somit der erste Teil eine indirekte Todesvoraussage vermittelt, die durch die Zuversicht im zweiten Teil des Verses ergänzt wird.204 Dabei ist die emphatische Verneinung οὐκέτι οὐ μὴ [ouketi ou mē] besonders hervorzuheben. Diese Todesaussage steht somit im unmittelbaren literarischen Kontext der Tötungsabsicht der Gegner und Jesu eigener Todesvoraussage. 200 Versuche, Mk 14,25 von seinem literarischen Kontext zu scheiden, scheitern; vgl. Bayer, Predictions, 29-42, z.B. gegen Becker, Jesus, 340ff. 201 Zum ausführlichen Vergleich mit Mt 26,29 und Lk 22,18, siehe Bayer, Prospect, 74-84 sowie Bayer, Predictions, 32-34. 202 Siehe ferner Mt 5,18.26 par Lk 12,59; Mt 10,23; Mt 23,39 par Lk 13,35. Vgl. Dewey, Curse, 103. 203 Weitere Diskussion bei Bayer, Predictions, 249-253. 204 Vgl. ebd.

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Zeller fasst die Aussage in Mk 14,25 treffend zusammen: „… [S]o wahr ich jetzt nicht mehr von diesem Gewächs der Rebe trinken werde, so gewiß werde ich davon aufs Neue trinken im Reich Gottes“.205 Es gibt keinerlei Indizien dafür, dass Jesus durch seine bekundete Abstinenz beabsichtigt, das kommende Königreich gewaltsam heraufzubeschwören. Implizit vermittelt Jesus hier die Vorstellung einer zeitlich unbestimmten Zwischenzeit zwischen Aussetzen des Trinkens und messianischer Feier (vgl. τῆς ἡμέρας ἐκείνης … καινόν [tēs hēmeras ekeinēs … kainon]; vgl. ἀπὸ τοῦ νῦν [apo tou nyn] in Lk 22,18). Im Kontext von Mk 14,22-24 vermittelt Mk 14,25 somit die Erwartung Jesu, aus seinem bundesspendenden („Blut des Bundes“, Ex 24,8), stellvertretenden („für viele“, vgl. Jes 53,7-8.10.11-12) Tod physisch hervorzugehen und einst als pater familias der gereinigten und mit Gott versöhnten messianischen Festgemeinde vorzustehen. Jesus tritt als autoritativer und prophetischer Lehrer auf, der das Kommen des messianischen Gottesreiches durch Zeichen und Wunder ankündigt. Die Tatsache seiner physischen Auferstehung, seines Todes für viele (Mk 14,24) und seines Vorsitzes beim messianischen Mahl bedeutet, dass er eine Persönlichkeit ist, die (im Gegensatz zu anderen historischen Gestalten) auch gegenwärtig von existenzieller Bedeutung ist. Bezüglich des messianischen Festmahles (vgl. 1QSa2,11ff) verweist Smith auf die thematische Verknüpfung von „Sieg“, „Feier“, „Festmahl“, „Gegenwart des Messias“, „Gericht“ sowie „Wallfahrt der Nationen“.206 Er verweist dabei auf 1Chron 12,38-40; Jes 25,6-8; 34,5-7; 54,5–55,5; Joel 2,24-26; Sach 9,15; 3Makk 6,30-41; vgl. ferner 1Hen 62,12-14; Mt 22,1-10; Mk 2,18-20; Offb 19,7-9. Nimmt man Mk 14,25 und 14,62 zusammen, bleibt kein Zweifel an dem markinischen Gesamtzeugnis, dass der gerechtfertigte Menschensohn (siehe das Herrschaftsmotiv in Dan 7,13-14.22.27)207 sowie der inthronisierte Herr Davids (Ps 110,1-5) bereits jetzt (mit dem Vater und dem Geist) das universale Königreich baut und führt. Der Bote des messianischen Gottesreiches erweist sich somit zugleich als sein vom Vater bestimmter Herrscher. Auch wenn viele Einzelfragen über das messianische Königreich offenbleiben, wissen wir zumindest, dass die vertrauende Beziehung zu diesem inthronisierten Herrscher, der stellvertretend für viele leidet, die Teilnahme am zukünftigen Königreich bestimmt. Ein zentrales Merkmal der gegenwärtigen Beziehung ist die Teilnahme am Abendmahl als persönlicher und gemeinschaftlicher Ausdruck der Annahme des stellvertretenden Todes Jesu sowie als erwartungsvolle Vorausschau auf das zukünftige, messianische Mahl (vgl. 1QSa2,11ff).

205 Zeller, Wissen, 266. 206 Smith, Banquet, ad loc. 207 Vgl. Bayer, Predictions, 253.

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Aufgrund des eschatologischen Ausblicks und seines Kontextes wird deutlich, dass das zukünftige, messianische Königreich untrennbar mit dem gegenwärtig herrschenden Jesus in Verbindung steht.

Durch die prophetischen Einsetzungsworte Jesu gewinnt das Passahfest einen neuen Erfüllungscharakter, der die zentrale Erwartung im herkömmlichen Passahfest erfüllt und Jesus als ewigen Heilsbringer identifiziert.208 26 Die Passahfeier wird durch das Singen des zweiten Teils der Hallel-Psalmen (das sog. „kleine Hallel“, Ps 115–118) beendet: Ps 115 hebt u.a. den Segen für diejenigen hervor, die dem Herrn trauen. Ps 116 drückt Liebe zu Gott aus, aufgrund seiner Rettung aus Unheil. In Ps 117 stimmen die Heiden mit ein. Ps 118 betont die Tatsache, dass der treue Gott aus großer Anfechtung errettet. Die Fußstrecke zum Ölberg dauert wenige Minuten, die die elf Jünger (ohne Judas, vgl. Joh 13,30) mit Jesus gehen.209 J. Jeremias bemerkt: „Nach zeitgenössischer Exegese von Deut 16,7 mußte man in der Passahnacht in Jerusalem übernachten“.210 Dies erklärt, warum Jesus in dieser Nacht nicht nach Bethanien zurückkehrt.

14.7 Voraussage der Zerstreuung und Verleugnung 14,27-31 I 27 Und Jesus sagt zu ihnen: „Alle werdet ihr abfallen, denn es steht geschrieben ‚Ich werde den Hirten erschlagen und die Schafe werden zerstreut werden.‘ 28 Aber nachdem ich auferstanden bin, werde ich euch nach Galiläa vorausgehen“. 29 Petrus aber sprach zu ihm: „Wenn auch alle (anderen) abfallen, (so werde) ich (es) aber nicht (tun)“. 30 Jesus aber spricht zu ihm: „Amen, ich sage dir, heute Nacht, bevor der Hahn zweimal gekräht hat, wirst du mich dreimal verleugnen“. 31 Er aber sagte immer wieder mit Nachdruck: „(Auch) wenn es nötig sein sollte, dass ich mit dir sterbe, so werde ich dich (trotzdem) nicht verleugnen“. In ähnlicher Weise äußerten sich auch die anderen.211 208 Ähnlich, Lane 507. 209 So Keener, Background, 175. 210 Jeremias, Abendmahlsworte, 49-50. Vgl. Ferguson, Backgrounds, 523. 211 Lit.: Bayer, Predictions, 174-176.199-201; Burkill, Revelation, 252-257; Jeremias, Abendmahlsworte, 49-50; Öhler, Hahnschrei, 145-150; Wilcox, Denial-Sequence, 426-436. Weitere Lit. bei: Pesch II 384-385 (bis 1980); Evans 396-398 (bis 1999).

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II In 14,27-42 findet sich der Bericht über Jesu Gebet in Gethsemane. Mk 14,2731 enthält die Voraussage der Zerstreuung der Jünger212 in Form eines Wechselgesprächs213 bzw. eines „erzählenden Dialogs“214 (vgl. 8,27-33 und Mk 14,17-21). Der Abschnitt gliedert sich wie folgt: Voraussage der Zerstreuung, V. 27; Voraussage der Auferstehung und Gemeinschaft in Galiläa, V. 28; Reaktion des Petrus, V. 29; Voraussage der Verleugnung durch Petrus, V. 30; Reaktion der Jünger, V. 31. Historizität. Der Inhalt von Mk 14,27-31215 lässt sich einleuchtend als selbstkritischer Augenzeugenbericht des Petrus erklären. Die dereinst große „Säule“ in der Urgemeinde (Gal 2,9) legt transparentes, schlichtes Zeugnis von der Zerstreuung der Jünger und seiner eigenen Verleugnung Jesu ab.216 III 27-31 Während Judas bereits einen anderen Weg geht, wähnen sich die restlichen elf Jünger nach wie vor als treue Jünger Jesu (vgl. V. 31). Unter dem bevorstehenden, durch sie völlig unterschätzten Druck (Inhaftierung; Lebensgefahr aufgrund der Nähe zu Jesus) wird Petrus seinen Meister jedoch tatsächlich verleugnen (V. 30; vgl. 14,66-72; Lk 22,31-34; Joh 13,36-38). Die anderen Jünger werden aus Furcht fliehen (V. 27; 14,43-50); d.h. „alle werdet ihr abfallen“. 27-28 Jesu Anspielung auf Sach 13,7 („ich werde den Hirten erschlagen und die Schafe werden zerstreut werden“) ist tiefgründig. Es handelt sich hierbei durchaus um eine kontextbezogene Adaption von Sach 13,1-9.217 Die „offene Quelle … gegen Sünde und Befleckung“ (Sach 13,1) steht für die bereit, die sich von Götzen, falschen Propheten und dem „Geist der Unrein212 Die Tatsache, dass 14,27-31 als Einschub betrachtet werden kann, beweist nicht, dass markinische Redaktion vorliegt (pace Lane 510). Der Erzählstil des Markus ist voller Einschübe (vgl. oben, Einleitung 3.), die gleichzeitig historisches Fundament besitzen können (was Lane allerdings nicht verneint). Lane fällt hier einer falschen Dichotomie zwischen Erzählstil und Historizität des Berichts zum Opfer. 213 Pesch II 378. Vgl. Evans 398. Hier wie dort folgt auf eine Prophetie Jesu mit selbstsicherer Reaktion des Petrus eine ernüchternde Aussage Jesu (vgl. Mk 8,32-33 mit Mk 14,27-30; siehe allerdings 14,31). 214 Berger, Formen, 348-349. 215 Zur Frage der zwei Hahnschreie, vgl. z.B. Öhler, Hahnschrei, 145-150. 216 Vgl. Evans 399, der (mit Cranfield 399) vor allem gegen die formkritische und traditionsgeschichtliche Identifizierung von „apologetischer Glaubenslegende“ argumentiert. 217 Der weitere Kontext von Sach 13, vor allem der Gedankengang von Sach 8–12 und Sach 14, müsste im Einzelnen untersucht werden. Eine chronologische Abfolge von Sach 8–14 wäre ebenso im Einzelnen zu untersuchen.

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heit“ abkehren (Sach 13,2-6). Jesu bevorstehender, stellvertretender Sühnetod am Kreuz führt zu Buße und Reinigung des heiligen Rests Israels (vgl. Sach 13,7.9) sowie bußfertiger Heiden (Mk 13,10; vgl. Ps 22,28). Nach Sach wird der wahre Hirte,218 der dem Herrn Zebaoth „der Nächste ist“ (Sach 13,7),219 zum Zweck der Läuterung bzw. der Reinigung (Sach 13,1.2-7.9) des wahren Volkes Gottes geschlagen (vgl. Sach 13,7-9; schlagen bedeutet bei Sach „der tödliche Schlag [des Schwertes]),“ d.h. getötet.220 Eine inhaltliche Beziehung liegt somit zwischen Sach 13,1 und Sach 13,7.9 (stellvertretende Sündenbehebung und Läuterung) vor.221 Jesus bezieht die Aussage in Sach 13,7 auf sein gewaltsames Leidensgeschick (als „Quelle gegen Sünde“, Sach 13,1). Ferner sieht Jesus die gegenwärtige Flucht aller Jünger (σκανδαλισθήσεσθε [skandalisthēsesthe], Fut. Pass. = „ich gebe Anstoß“ / „verleite zur Sünde“; Pass. „werde zu Sünde verführt“ / „falle ab“)222 im Kontext von Sach 13,7.223 Aufgrund der Anspielung auf Sach 13,1-9 bezeichnet sich Jesus somit indirekt als Hirte (vgl. 6,32-44; Lk 12,32; Joh 10,15.17-18).224 Die bevorstehenden Ereignisse der Flucht und Verleugnung durch die Jünger Jesu (vgl. 14,50) entsprechen ferner der Zerstreuung der Schafe (Sach 13,7; vgl. Sach 9,14.16 sowie 14,50;225 Joh 16,32; Mt 10,16).226 Sogar die erwähnte Läuterung in Sach 13,9 mag inhaltlich mit der prophezeiten Läuterung der Jünger in Mk 9,49-50; 10,35-44 in Verbindung stehen. 28 Die prophezeite Untreue der Jünger wird jedoch nicht unbegrenzt andauern. Jesus sagt voraus, dass er sie (als Hirte) erneut zu sich sammeln wird (vgl. ebenso Mk 16,7).227 Nach der Zerstreuung der Jünger erwartet Jesus somit die überraschende Sammlung (προάγω [proagō] = „ich gehe voran“ / „führe an“) seiner Schar (d.h. nach seiner Auferstehung; vgl. 16,7). Dieses Motiv kann mit Mi 2,12-13 verglichen werden, wo Jahwe als König sein Volk wie Schafe sammelt und leitet.228 So wird es möglich, dass er seine Jünger einst wieder in der Nachfolge leiten wird (z.B. Apg 2,33). Der vorliegende Vers unterstreicht ferner, dass Jesus seinem gewaltsamen und unheimlichen Tod

218 Siehe Lk 12,33; Joh 10,15.17-18. 219 Im Gegensatz zu 1Kön 22,17. 220 Vgl. BDAG, 786, sowie Pesch II 380.4. Vgl. Lk 12,49-50. 221 Lane 511, Anm. 65, verweist auf Wilcox, Denial-Sequence, 426-436. 222 Vgl. 4,17; 9,43.45.47; 14,29. 223 Siehe Bemerkungen zu 14,50; vgl. Joh 16,32. 224 Vgl. Pesch II 380. 225 Vgl. Mt 10,16; Joh 16,32. 226 Schriftverweise bei Pesch II 381. 227 So Lane 512. 228 Siehe 2Makk 10,1 sowie Offb 7,17.

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mit Auferstehungszuversicht (vgl. bereits bei Sach) entgegengeht.229 Die Auferstehungszuversicht Jesu ist angesichts seiner Todesgewissheit conditio sine qua non einer erneuten Gemeinschaft mit seinen Jüngern.230 Ähnlich wie die Auferstehungsvoraussagen Jesu in 8,31, 9,31-32 und 10,32-34231 können die Jünger die erneute Auferstehungszuversicht Jesu (aufgrund ihrer Auffassung einer kollektiven Auferstehung zum Letzten Gericht) keineswegs verstehen oder einordnen. Warum wird Jesus ihnen jedoch nach Galiläa232 vorausgehen?233 Geschieht dies, um von einem politischen oder apokalyptischen Ereignis, das immer mit Jerusalem verbunden ist (vgl. etwa Joel 3,5), abzulenken? Der normale, erwartungsgemäße Lauf der Dinge ist jedenfalls, nach dem Passahfest die Reise zurück nach Hause anzutreten. Wie dem auch sei: Hervorzuheben ist die Tatsache, dass Jesus seine Jünger nach der Zerstreuung wieder sammelt (ich werde euch vorausgehen). Dies entspricht der gesamten Nachfolgethematik im Mk Ev. 29 Petrus kann sich immer noch nicht wirklichkeitsgerecht einschätzen: „Wenn auch alle (anderen) abfallen, (so werde) ich (es) aber nicht (tun)“. Ebenso wie die anderen Jünger („das gleiche sagten sie alle“, V. 31, Luther 1984) schwört er, dass er bereit sei, mit Jesus bis in den Tod zu kämpfen (V. 31). Er ist sich sicher, dass er keineswegs abfallen wird (σκανδαλίζω [skandalizō]).234 Petrus stellt sich nach wie vor einen Kampf vor (V. 29), der die politische und religiöse Befreiung Israels aus römischer Unterdrückung zum Ziel hat.235 Er unterschätzt, wie sehr auch er um eine tief verwurzelte Treue zu einem derart anderen Messias, als er ihn erwartet, ringen muss. Ferner unterschätzt er die gefährliche Feindseligkeit, die ihm wegen seiner Nähe zu Jesus entgegengebracht werden wird (vgl. 14,67.69-70). 30 Wiederum weiß Jesus bis ins Detail, unter welchen Umständen und mit welcher Vehemenz Petrus ihn verleugnen wird: „Amen, ich sage dir, heute Nacht, bevor der Hahn zweimal gekräht hat, wirst du mich dreimal ver-

229 Vgl. Bayer, Predictions, 174-175.199-200.208-209 und passim. Weihs, Deutung, ad loc. 230 Vgl. Lane 512. 231 Bayer, Predictions, 227-229 und passim. 232 Nach Lohmeyer, Galiläa, 10ff (so Lane 511, Anm. 67), sind Mk 14,28 und Mk 16,7 Beweise dafür, dass Markus Galiläa als besonderen Ort der „Offenbarung“ und der „Parusie“ versteht. Nach Lane, ebd., argumentiert Burkill, Revelation, 252-257, überzeugend gegen diese These. 233 Der Begriff des „Vorausgehens“ lehnt sich wiederum an das Motiv des Hirten an (vgl. Joh 10,4.37; Mi 2,12-13); so Pesch II 381. 234 Siehe auch die Bemerkungen zu 14,27; vgl. Joh 13,36-38. 235 Siehe Bemerkungen zu 8,17-21.32-33; 9,32; 10,32.35-37; 11,1-11. Vgl. Apg 1,6.

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leugnen“ (d.h. Freitagmorgen, vor Sonnenaufgang; vgl. 14,68.70-72).236 Die letzte, passionsbezogene237 Amen-Aussage (vgl. 14,9.18.25) ist emphatisch formuliert.238 Trotz aller Beteuerung der Treue zu Jesus scheitert Petrus angesichts der unmittelbaren und lebensbedrohlichen Situation, in der er sich befindet. Jesus hatte Petrus einst dazu aufgefordert, sich selbst zu verleugnen (ἀπαρνέομαι [aparneomai]; siehe Bemerkungen zu 8,34), d.h. Jesus die Priorität der Treue einzuräumen (anstelle gegenüber sich selbst).239 Stattdessen wird Petrus nun am Freitagmorgen Jesus dreimal verleugnen (wiederum ἀπαρνέομαι [aparneomai]).240 Ebenso verlassen die anderen Jünger ihren Meister und verleugnen ihn damit. 31 Petrus denkt (wie die Mehrheit seiner Mitbürger) nach wie vor an einen Volksaufstand gegen Rom, etwa nach dem Muster der Makkabäerrevolte. Jesus soll sie in diesem Aufstand als messianischer Anführer zum Sieg und zur Wiederherstellung der Theokratie Israels führen (vgl. 8,17-21.32-33; 9,32; 10,32.35-37; 11,1-11; und Apg 1,6). Zwar rechnet Petrus dabei aufgrund der Vollmacht Jesu eventuell nicht mit seinem eigenen (oder Jesu) Tod,241 macht jedoch eine dahingehende (συναποθνήσκω [synapothnēskō], „ich sterbe zusammen mit“; nur hier bei Mk),242 schwurartige Aussage, um damit das Ausmaß seiner Treue zu Jesus zu beteuern. Nur in diesem Sinn liegt ein Fortschritt (im Vergleich zu 8,32) im Verständnishorizont des Petrus vor. Jesu Prägung bewirkt zumindest, dass die elf Jünger (in ähnlicher Weise äußerten sich auch die anderen) nun die Absicht verfolgen, Jesus treu zu bleiben. Allerdings schätzen sie mit dieser Haltung immer noch sowohl die Person und die Zielsetzung Jesu als auch die Umstände, in denen sie sich selbst befinden, falsch ein (vgl. 14,71-72).

14.8 Gethsemane 14,32-42 Jesus setzt sich nun dem unbeschreiblichen Leid aus, sein Leben für viele hinzugeben. Dieser Leidensprozess beginnt mit Gebetskampf in Gethsemane (14,32-42). Das Leiden, welches Jesus auf sich nimmt, vermittelt dem Hörer 236 Nach Keener, Background, 176, ist das mögliche Krähen eines Hahns schon kurze Zeit nach Mitternacht bezeugt. 237 Vgl. Pesch II 382. 238 Lane 512, der auf 3,28 verweist. 239 Siehe Bemerkungen zu 8,34. 240 Vgl. 14,68.70-72; siehe auch Lk 22,31-34 und Joh 13,36-38. Vgl. Hiob 1,6-12; 2,1-7. 241 Pace Lane 512. 242 Vgl. Pesch II 383.

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des Mk Ev. ein gewisses Gefühl dafür, was Jesus anstelle des Hörers zu ertragen hat. Völlig verlassen erleidet er die gesamte Gerichtsstrafe, welche für die Rebellion der Menschheit bemessen ist. Im verheerenden Leidenskampf schreit er den Anfang von Ps 22 in den verdunkelten Himmel. Er ruft damit immer noch den lebendigen Gott an. Nur er kann ihn noch vom verheerenden Gerichtskelch befreien (vgl. Hebr 5,7 sowie Ps 22,2-31). I 32 Und sie kommen an den Ort, der Gethsemane heißt, und er spricht zu seinen Jüngern: „Setzt euch hier nieder, während ich bete“. 33 Und er nimmt Petrus, Jakobus und Johannes mit sich und begann, tief betrübt zu sein und in Ängste auszubrechen 34 und er spricht zu ihnen: „Meine Seele ist in Todesqualen; bleibt hier und wacht“. 35 Und er ging ein wenig weiter, fiel zu Boden und betete: „Wenn es möglich ist, lass die Stunde an mir vorübergehen“; 36 und er sprach: „Abba, Vater, dir ist alles möglich; nimm diesen Kelch von mir; aber nicht, was ich will, sondern was du (willst, soll geschehen)“. 37 Und er geht und trifft sie schlafend an und spricht zu Petrus: „Simon, du schläfst? Kannst du nicht eine Stunde wachen? 38 Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet; der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach“. 39 Und er ging ein wenig abseits und wiederholte das Gebet. 40 Und er kam zurück und wieder fand er sie schlafend, denn ihre Augen waren schwer geworden, und sie wussten nicht, was sie ihm antworten sollten. 41 Und er kommt ein drittes Mal und spricht zu ihnen: „Ihr schlaft noch und ruht euch aus; genug damit; die Stunde ist gekommen; siehe, der Menschensohn wird in die Hände der Menschen gegeben. 42 Steht auf, lasst uns gehen; siehe, der mich verrät, ist gekommen“.243 II Mk 14,32-42 besteht aus fünf Erzähl- und fünf Redeteilen („mit sechzehnfacher καί-Reihung“):244 a. Absonderung von acht Jüngern, V. 32-33; b. dreimalige Absonderung von den übrigen drei Jüngern, V. 34-41, vor allem V. 35.39.41; c. Überleitung, V. 42.

243 Lit.: Bayer, Predictions, 63-65; Cranfield, Cup, 137-138; Jeremias, Abba, 15-67.146.163.209; Le Déaut, Goûter, 82-86; Mohn, Gethsemane, 194-208; Pola, Gethsemane-Perikope, 37-44; Unnik, Möglich, 27-36; vgl. ferner Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 396 (bis 1980); Evans 404-407 (bis 1999). 244 Pesch II 387; dort weitere Details.

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Historizität. Mk 14,32-42 schließt Petrus (trotz des Halbschlafs)245 als möglichen Augen- und Ohrenzeugen ein: Sowohl das entblößende Versagen der drei engsten Vertrauten Jesu als auch das erschütternde, existenzielle Gebetsringen Jesu mit dem Gericht des ewigen Vaters (vgl. Mk 10,38) sprechen für Authentizität und gegen das Urteil Bultmanns.246 Evans bemerkt zu Recht, dass dieser Bericht gleichzeitig eine paränetische Komponente aufweist (Ermahnung der Jünger zum wachsamen Gebet).247 Diese Komponente ist in Jesu Lehre und Handeln im Umgang mit den Jüngern stets vorhanden (vgl. z.B. 13,34-37) und vermittelt somit auch in dieser Erzählung historische Plausibilität. Ferner erfüllt sie eine heuristische Funktion im Leben des Lesers. III 32-42 Der nun folgende Bericht über das existenzielle Gebetsringen Jesu in Gethsemane (V. 32-42) steht zwischen Jesu Voraussage der Untreue seiner Jünger (14,27-31) und deren Zerstreuung (14,43-50).248 Jesu Gebet vor seiner Verhaftung ist in unterschiedlichen Quellen gut bezeugt (Mk 14,32-42 par; Joh 17,1–18,1; Hebr 5,7).249 32-36 Gegen Mitternacht geht Jesus mit den elf Jüngern in den Garten Gethsemane250 am Fuß des Ölbergs,251 um unweit vom engeren Kreis der elf Jünger (vgl. 5,37; 9,2) zu beten.252 Nun beginnt die schwere Erfahrung dessen, was Jesus bereits vorausgesagt hat. Selbst für Jesus ist das Erleben anders als das Vorherwissen. Jesus trinkt bereits den Kelch des Gerichtes und der Gottesferne (vgl. V. 36; 10,38). Der Kelch (als Metapher) repräsentiert nicht primär Leiden und Tod, sondern Gericht Gottes (s.u., zu V. 33-34; vgl. Jes 51,17-23; Jer 25,8-38; Ps 60,3).253 Dies erklärt Jesu Aussage „meine Seele ist in Todesqualen“ (V. 34). 245 Vgl. Evans 408, gegen Saunderson, Gethsemane, 224-233. Es ist möglich, dass der ungenannte Jüngling ebenso Augenzeuge dieser Begebenheit ist. 246 Bultmann, Geschichte, 288 meint, es handle sich um eine „Einzelgeschichte ganz legendarischen Charakters“, d.h., um eine Geschichte aus einem späteren Stadium der hypothetischen Traditionsgeschichte. 247 Evans 408-409. 248 Lane 514. 249 Ebd. 250 Die genaue Lage von Gethsemane ist unklar. 251 Siehe Lane 515, der das Landgut „Gethsemane“ (Hebr. für „Ölpresse“) am Fuß des Ölbergs lokalisiert (vgl. Lk 22,39; Joh 18,1-2). Weitere Details hierzu bei Pesch II 388. 252 Lane 515-516 beobachtet, dass eben diese drei des inneren Kreises wortstark das Geschick Jesu und damit ihr eigenes Geschick lenken wollen (in 10,38-40 sind es die Zebedaiden, vgl. das „Kelchecho“ zu 14,36; in 14,29.31 ist es Petrus). 253 Vgl. Bayer, Predictions, 54-84.

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33-34 Jesus trennt sich von der Gruppe, nimmt jedoch die drei Jünger des engeren Kreises (vgl. u.a. 9,2-13) mit sich. Der Aufruf Jesu zur Wachsamkeit (V. 34; vgl. V. 37-38 und 13,34-37) ist eng verknüpft mit der bereits bestehenden Leidensangst Jesu (V. 33b.34). Der betrübte Zustand Jesu (V. 33b.34)254 zeugt von derart innerer, seelischer Belastung (vgl. Ps 31,23; 42,10; 43,2; 55,56; 61,3; 116,11),255 dass der physische Tod nicht lange ausbleiben wird.256 35-36.39 Er ging ein wenig weiter: Sobald Jesus allein betet (Impf. mit durativem Aspekt), fleht er darum, dass die gegenwärtige Erfahrung des Gottesgerichts257 (die „Stunde258 des Gerichts“) aufhöre. Die Kombination von παρέρχομαι [parechomai] mit ἀπό [apo] kann bedeuten, dass der beschriebene Zustand bereits besteht und aufhören soll.259 Die alttestamentliche Vorstellung des vorübergehenden Gerichtskelches (z.B. Jes 51,17-23), der mit den Einwohnern Jerusalems beginnt und sodann auf die Feinde Jerusalems übergeht, macht die Bitte Jesu etwas verständlicher. Allerdings hat Jesus bereits bekräftigt (10,45), dass er dieses Gericht Gottes stellvertretend erleidet. Wenn also der Gerichtskelch endlich vorübergeht (vgl. Hebr 5,7), ist der, der in Jesu stellvertretendem Tod Schutz findet, nicht mehr dem weitergereichten Gerichtskelch Gottes ausgesetzt, sondern der Gerichtskelch wird zu einem Kelch der Läuterung (s.o., Einzelauslegung zu 10,38-39). Jesus ist nicht primär darum bekümmert, sterben zu müssen (vgl. Mt 10,28), sondern dass er unter der einsetzenden Gottesferne (als Gerichtskelch) unbeschreiblich leidet (vgl. Hebr 5,7).260 Dieses Leiden ist auf dem Hintergrund ewiger, trinitarischer Einheit und Liebe unvorstellbar tief. Die Voraussagen Jesu bezüglich seines bevorstehenden Todes (vgl. u.a. 2,20; 8,31; 9,31; 10,32-34; 10,38; 10,45; 14,22-24; siehe ferner 1,8-13) und der Auferstehung (z.B. 8,31; 9,9.31; 10,34; 14,25) stehen nicht in Widerspruch zu dieser Bitte. Die Voraussagen beschreiben die innere Gewissheit Jesu, dass Gott, der Vater seinen Sohn in die mordenden Hände der Menschen im Rahmen seiner Gerichtshandlung ausliefert und dass er sterben muss. Jesus ist bereit, dies zu tragen. Inmitten des nun zu erduldenden Gerichts bittet Jesus allerdings (dreimal V. 35-36.39.41) darum, dass das schwere, bereits bestehende Gericht der 254 Pesch II 389, bezeichnet Jesus als „klagenden Gerechten“: vgl. Ps 42,6.12; 43,5. 255 Vgl. Pesch II 389. 256 Lane 516 verweist auf Ps 115,2 LXX (Ps 116,3 MT). 257 Lane 517 verweist auf den Parallelismus zwischen V. 35b und V. 36a, der die Sinnentsprechung der zwei Metaphern („Stunde“ und „Kelch“) bekräftigt. Vgl. Bayer, Predictions, 54-89. 258 Die gekommene „Stunde“ in 14,41 ist spezifischer auf die bevorstehende Verhaftung bezogen. Sie ist ein Teil der „Gerichtsstunde“. 259 Bayer, Predictions, 70-77. Vgl. den Hallel-Psalm Ps 116,3-4.15. 260 Bayer, Predictions, 73-77.

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Gottesferne ablasse bzw. vorübergehe. Diese Bitte erfüllt Gott der Vater nicht unmittelbar, sondern erst, nachdem Jesus stirbt (vgl. Hebr 5,7). Das Sühneblut muss geopfert werden. Die flehende Anrede „Abba (mein) Vater“ (sg.) ist außergewöhnlich, da z.Z. Jesu nur der kollektive Ausdruck „unser Vater“ belegt ist (s.o., Einleitung 4.1.4). Vgl. die Details hierzu bei Pesch und vor allem die durch J. Jeremias herausgearbeitete Tatsache, dass die singuläre Anrede Gottes als (mein) „Vater“ im palästinischen Judentum ohne Analogie ist.261

Somit liegt erneut ein außergewöhnlicher Anspruch Jesu vor, welcher der ewigen Sohnschaft Jesu nahe kommt. Die gemeinschaftliche Nähe, die Jesus durch die familiäre und vertraute Anrede „Abba (mein) Vater“ bekundet (V. 36), wird dieses eine Mal vom Vater nicht (unmittelbar) erwidert (vgl. 15,34).262 Als Gebetsopfer: „Abba, Vater, dir ist alles möglich; nimm diesen Kelch von mir; aber nicht, was ich will, sondern was du (willst, soll geschehen)“ stellt sich Jesus erneut unter den souveränen, tatsächlich263 allmächtigen Willen seines Vaters (V. 36; vgl. Ps 40,9), der allein bestimmt, wie lange und in welchem Maß dieses einmalige und fürchterliche Gericht, einschließlich Kreuzestod, andauern muss. 37-38 Die Gottverlassenheit und das Leid Jesu (Hebr 2,18) wird durch die Untreue bzw. Unwachsamkeit seiner Jünger (er trifft sie schlafend an; vgl. V. 40.41) krass akzentuiert. Dennoch übt er nur deshalb Kritik an seinen Jüngern, weil sie sich bei ausbleibender Wachsamkeit selbst schaden und der Versuchung aussetzen. Jesus spricht besonders Petrus an („Simon, du schläfst? Kannst du nicht eine Stunde wachen?“, V. 37), der seine Treue vehement zum Ausdruck gebracht hatte (14,29). Das Versagen des Petrus lässt dessen bevorstehende Verleumdung (14,66-72) bereits vermuten.264 Jesus ist trotz seiner eigenen Versuchung und seines eigenen Leidens wiederholt auf das Befinden seiner Jünger bedacht.265 Obwohl er im Gericht selbst der Versuchung durch Satan widerstehen muss, ermahnt er seine Jünger, in der bevorstehenden Ver261 Vgl. Pesch II 391 und Jeremias, Abba, 15-67, vor allem 58-63. Keener, Background, 176, bemerkt ferner, dass auch Erwachsene jeweils ihre Väter sowie die Schüler ihre Lehrer, mit „Abba“ anreden können. Lane 518 verweist auf Baumann, Abba, 73-78. Vgl. jedoch Barr, Abba, 28-47. 262 Bayer, Predictions, 70-77. Vgl. Lane 516, der auf L. Goppelt, ThWNT VI, 135-161, hier: 152153 verweist. 263 Vgl. Pesch II 391. 264 Vgl. Lane 519. 265 Pola, Gethsemane-Perikope, 37-44, verbindet hiermit die hohepriesterliche Funktion Jesu.

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folgung Jesu wachsam zu bleiben266 und der satanischen Versuchung (d.h., aufgrund der eigenen Lebensgefahr Jesus zu verneinen, vgl. 14,27-31) mittels Gebet nicht zu erliegen267 (V. 38; vgl. Mt 6,13 par; Lk 22,31-32).268 Die Tatsache der Prüfung bzw. Versuchung (πειρασμός [peirasmos], hier: „Versuchung, um zu Fall zu bringen“) wird im Mk Ev. immer wieder erwähnt.269 Im vorliegenden Zusammenhang erwächst sie aus der Macht Satans sowie aus einem unreinen Herzen.270 Die ntl. Vorstellung von πειρασμός [peirasmos] (Prüfung, Versuchung) bedeutet im Willen Gottes immer Prüfung, um im Glauben bekräftigt zu werden (vgl. etwa Jak 1,13). Im Willen Satans hat Versuchung (πειρασμός [peirasmos]) immer die Absicht, zu Fall zu bringen. Die eigene Sünde ist ferner Grund, der Versuchung zu erliegen (Jak 1,14f). Der Beter des Vaterunsers (Mt 6,9-13) bittet darum, dass Gott ihn davor bewahren möge, der destruktiven Versuchung Satans ausgesetzt zu sein.

38 Sie sollen Gott darum bitten, dass sie nicht in satanische Versuchung geraten (vgl. ähnlich wie die Bitte im Vaterunser, Mt 6,13).271 Die folgende Zerstreuung und die Verleugnung Jesu (Mk 14,50-52.66-72) bezeugen das Versagen aller Jünger. Sie erliegen (vorübergehend) dem Versuch Satans, sie zu Fall zu bringen. Der Geist Gottes ist „willig“ (vgl. Ps 51,10-12.14; Jes 31,3; im Gegensatz zu Num 27,16).272 Aber das Fleisch, d.h. die eigene, von Gott unabhängige, zur Sünde neigende menschliche Anstrengung ist der Versuchung Satans nicht gewachsen (vgl. 2Kor 1,8-10).273 Die Aussage über „Geist“ und „Leib“ ist somit nicht neoplatonisch oder protognostisch (der menschliche „Geist“ ist gut, sein „Körper“ ist schwach) zu verstehen; denn dann wäre die Aussage lediglich folgendermaßen zu verstehen: „Die Absicht des Menschen ist gut, aber sein Körper kann ermüden“.274 Die Aussage wäre somit nur eine tautologische Wiederholung des Offensichtlichen: „Ihr seid zwar willig, jedoch müde“. Jesus ermahnt seine Jünger, auch in den schwierigsten Umstän266 Lane 519, Anm. 86, verweist auf die Beziehung zwischen Wachsamkeit bei der Parusie Jesu (Mk 13,33-35.36.37) und ausbleibender Wachsamkeit in Mk 14,37.40. 267 Siehe 13,22.33.35-37; 14,50-52.66-72. Siehe ebenso Lk 21,36; Eph 6,18; Kol 4,2 und 1Petr 4,7. 268 Lane 519. 269 Siehe Bemerkungen zu 1,12-13; 8,11; 10,2-12; 12,15. 270 Vgl. Schneider/Brown, NIDNTT III, 803. 271 Ebenso Maier, Matthäus, Kap. 1–14, 366. 272 So auch Pesch II 392 und Dschulnigg 372; anders, Link, NIDNTT III, 994. 273 Vgl. auch Lane 520, der auf die ähnliche Formulierung in Ps 51,12 verweist. Vgl. Dunn, NIDNTT III, 694 und Dschulnigg 372, der betont, dass die menschliche Schwachheit das „Einfallstor von Versuchungen ist“. 274 Vgl. ebenso Keener, Background, 176.

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den durch Gebet und Wachsamkeit auf Gott und seinen Geist zu vertrauen. Er tut dies mitten in seinem eigenen Leidens- und Prüfungskampf. Der, der sie berufen hat, ist treu und machtvoll. Sie werden in Jesus erneut Schutz finden (Mk 16,7; Lk 22,31-32). Die Macht und Treue Jesu ist derart umfassend, dass ihr Versagen aufgefangen wird. Jesu Aufforderung zu Wachsamkeit und Gebet (V. 38) zielt auf bedingungsloses und wachsendes Gottvertrauen. Nur dort findet der Jünger die notwendige Kraft und Vollmacht, dem zerstörenden Versucher tatsächlich widerstehen zu können. Während alle Jünger versagen, lebt Jesus ihnen in größter existenzieller Versuchung absolutes Gottvertrauen vor (V. 35-36.39). Auch diese aktive Gerechtigkeit Jesu im Widerstand gegen Satan wird dem bußfertigen und glaubenden Jünger zuerkannt (Mt 5,17; Röm 3,21-28; 2Kor 5,21). 39 Nur hier wird die insgesamt dreimalige (vgl. V. 41) Wiederholung eines Gebets Jesu erwähnt (vgl. Jesu Gebete in 1,35 und 6,46).275 40 Die physische und psychische Müdigkeit der Jünger ist realistisch: Er kam zurück und wieder fand er sie schlafend, denn ihre Augen waren schwer geworden, und sie wussten nicht, was sie ihm antworten sollten.276 Nur der, der die bevorstehende Gefahr recht einschätzt, ist wachsam und betet. Das einmalige Ereignis der schlafenden Jünger in Gethsemane gilt jedoch als Warnung für alle Jünger. Siehe diesbezüglich Mk 13,37 (vgl. ferner 13,33.35 und den Verweis auf „schlafen“ in 13,36); somit kann die Gethsemane-Erzählung exemplarisch für alle Jünger verstanden werden. 41-42 Die Bemerkung, „genug damit“, bezieht sich wahrscheinlich auf das Schlafen der Jünger.277 Jesus bezeichnet in V. 41 die Auslieferung in die Hände seiner Gegner (Menschen) metaphorisch als Stunde (V. 41; vgl. Joh 2,4; 7,30; 8,20; 12,23.27; 13,1; 17,1). In V. 35 bittet Jesus darum, dass die Stunde an ihm vorübergehe (vgl. oben, Bemerkungen zu V. 35-36.39). Dort ist „Stunde“ eng mit dem Gerichtskelch (V. 36) verbunden, d.h. sie ist als „Gerichtsstunde“ bzw. als „Gerichtsphase“ zu verstehen. Die Aussage in V. 41 (die Stunde ist gekommen) bezeichnet dagegen spezifischer den Zeitpunkt der Auslieferung Jesu in die Hände der Gegner. Er geht dieser Auslieferungsstunde zielstrebig entgegen. Im Unterschied hierzu bittet Jesus in V. 36 darum, dass der sich bereits entleerende Kelch des Gerichtes (der Grund des Verzagens in Gethsemane) vom Vater wegge275 Vgl. Lane 515. Lane, ebd., erwähnt die Tatsache, dass Markus zu Beginn, in der Mitte, und zu Ende seines Evangeliums vom Gebet Jesu in Einsamkeit berichtet. 276 Lane 521, Anm. 91, verweist auf die Parallele zur Verklärung Jesu: Dieselben drei Jünger sind bei Jesus und sie verstehen nicht, was geschieht (vgl. 9,6 mit 14,40). 277 Zögernd Pesch II 391-392, mit eingehender Diskussion der Alternativen.

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nommen werde, ohne, dass dadurch sein physischer Tod vereitelt würde (siehe oben, Bemerkungen zu V. 36). Trotz Todesgewissheit (vgl. u.a. Mk 8,31; 9,31; 10,32-34.45; 14,22-24.41) bittet Jesus am tiefsten Punkt seines Verzagens (V. 36) um Verkürzung des verheerenden Gerichtes Gottes.278

Im wiederholten Gebet vor seinem Vater, nimmt Jesus jedoch erneut und zielbewusst sein ureigenes Kreuz auf sich, nämlich unsagbares Gottesgericht, einschließlich des Todes am Kreuz (V. 41; vgl. diese letzte Todesaussage mit 9,31). Wiederum bezeichnet sich Jesus als leidender Menschensohn. Die Beziehung zum erhöhten Menschensohn (Mk 8,38; 13,26) wird nur im Heilswillen des Vaters verständlich:279 Der erhabene, transzendente Menschensohn, der mit dem Vater gepriesen wird (Dan 7,13-14), erniedrigt sich willig als leidender Menschensohn und Knecht Gottes (vgl. Mk 10,45; 14,24; Jes 53,1-12; Phil 2,5-11), lässt sich den feindseligen Menschen und Satan ausliefern (vgl. 9,31), um im Heilstod den Sieg über Sünde und Satan im Vertrauen auf den Vater zu erringen. Jesus fordert seine Jünger ein letztes Mal auf, mit ihm zu gehen; allerdings werden sie sich angesichts seiner Verhaftung bald „zerstreuen“. Jesus weiß, dass sein berufener Jünger Judas in der Nähe ist, um ihn zu verraten. Damit beginnt die Auslieferung des Menschensohns in die Hände der Menschen (vgl. Bemerkungen zu 9,31).

14.9 Jesu Gefangennahme 14,43-52 I 43 Und unmittelbar, während er noch sprach, kommt Judas, einer der Zwölf und mit ihm eine Menge mit Schwertern und Knüppeln, (gesandt) durch die Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten. 44 Der Verräter von Jesus hatte mit ihnen ein Zeichen ausgemacht: ‚Wen ich küsse, der ist es; packt ihn und führt ihn unter strenger Bewachung ab.‘ 45 Und er kam, ging sofort auf ihn zu und spricht: „Mein Lehrer“ und küsst ihn. 46 Sie aber ergriffen ihn und nahmen ihn fest. 47 Einer aber, der dabeistand, zog das Schwert, schlug den Diener des Hohepriesters und schnitt ihm (dabei) ein Ohr ab. 48 Jesus aber reagierte auf sie mit folgender Aussage: „Wie zu einem Räuber seid ihr herausgekommen, mit Schwertern und Knüppeln, 278 Hebr 5,7 verweist vor allem auf eine zusätzliche Komponente in Gethsemane: Durch Hebr 5,7 wird deutlich, dass der Vater Jesu Gebet um „Errettung vom Tod“ erhört (Auferstehung). 279 Lane 522.

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um mich zu greifen. 49 Täglich lehrte ich bei euch im Tempel und ihr habt mich nicht festgenommen. Aber (es geschieht), damit die Schrift erfüllt wird“. 50 Und sie ließen ihn zurück und flohen alle. 51 Und ein gewisser Jüngling, der nur einen leinenen Umhang anhatte, war ihm nachgefolgt; und sie fassten ihn. 52 Der aber schlüpfte aus dem Umhang und floh nackt davon.280 II Mk 14,43-52 enthält den Bericht der Festnahme Jesu, in Form eines „episodal gegliedert(en)“281 Berichts: 1. Festnahme Jesu, V. 43-46; 2. Verwundung des Dieners des Hohepriesters, V. 47; 3. Jesu rügende Entblößung seiner Gegner, V. 48-49; 4. Flucht aller Jünger sowie des ungenannten Jünglings, V. 50-52. Mit der Festnahme beginnen sich Jesu Voraussagen des Todes und der Auferstehung konkret zu erfüllen.282 Historizität. Nach Evans enthält Mk 14,43-52 wenig, was die Urgemeinde zu erfinden gewillt wäre: Der schändliche Verrat eines von Jesus eigens zum Jünger Berufenen; das gewaltsame Eingreifen eines Jüngers gegen den Willen Jesu283 sowie die Flucht aller Jünger. Diese Begebenheiten sind ungeeignet, um apologetischen und dogmatischen Motiven der Urgemeinde Ausdruck zu verleihen.284 Auch Mk 14,48-49 entspricht dem, was Jesus seinen Gegnern bereits in der Vergangenheit zu sagen hatte.285 Nicht einmal der Verweis auf die Erfüllung der Schrift (V. 49b) darf automatisch als urchristliches Motiv beurteilt werden; ist doch historisch deutlich, dass Jesus durchaus selbst mit der

280 Lit.: Bickermann, Crucis, 172-174; Blinzler, Prozeß, 100; Wenger, Quellen, 288.537; vgl. ferner Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. und Wünsche, Kuss, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 403-404 (bis 1980); Evans 419-420 (bis 1999). 281 Pesch II 398. 282 Vgl. Evans 421. 283 Evans 422, bemerkt, dass die zusätzlichen Details aus den anderen Evangelien (das rechte Ohr wird verletzt: Lk 22,50, Joh 18,10; der Verletzte heißt Malchus: Joh 18,10; der Verletzte wird durch Jesus geheilt: Lk 22,51; der, der Gewalt anwendet, ist Petrus: Joh 18,10) nicht automatisch als „legendär“ zu beurteilen sind. Allerdings nimmt Evans dennoch an, dass Mt, Lk und Joh prinzipiell legendäre Zusätze enthalten. Vgl. die Ausführungen bei Bultmann, Geschichte, 289-290: „Mt und Lk zeigen, wie das legendarische Element wächst“. (ders., a.a.O., 290). 284 Mit Evans 421, gegen Bultmann, Geschichte, 289. Letzterer geht von einer frühchristlichen Legende aus: „… auch dieser Bericht ist legendarisch gefärbt durch das Motiv des küssenden Verräters und durch Jesu Worte V. 48f., die nach Gemeindeapologetik und -dogmatik klingen“. 285 Evans 422.

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Erfüllung der Schrift rechnet (vgl. etwa Mk 10,45 / Jes 53,10-12; Mk 12,1-12 / Ps 118,22 und Mk 14,21 / Jes 53,4-11).286 III 43 Die Verhaftung Jesu287 geschieht durch die jüdischen Verantwortlichen, d.h. durch Organe des Synedrions (Hohepriester, Schriftgelehrten und Älteste). Gewaltsam wird Jesus verhaftet (vgl. κρατέω [krateō], „ich nehme fest“ / „nehme gefangen“, 14,44.46.49).288 Siehe die parallelen Verweise in V. 47 (Diener des Hohepriesters, vgl. 14,10) und V. 53 (Jesus wird zum Hohepriester und nicht zu römischen Verantwortlichen abgeführt; vgl. 8,31; 11,27).289 Judas, einer der Zwölf (vgl. 14,10.20),290 führt die Söldner des Synedrions an. Die Schwerter und Knüppel bzw. Stangen291 sowie die relativ große Schar besagen, dass Jesus, wenn notwendig, nun mit Gewalt gefasst und beseitigt werden soll (vgl. 14,1.11.48). Das Synedrion verfügt innerhalb des römischen Rahmengesetzes292 sowohl über eine Art Tempelpolizei, die für die Ordnung des Tempelbezirks verantwortlich ist (Leviten), als auch über weitere Sicherheitskräfte innerhalb und außerhalb des Tempelbezirks. Diese letztere Abteilung (hier z.B. in Gethsemane aktiv; vgl. V. 49: „Ich bin … bei euch im Tempel gewesen“) kann verhaften, vor das jüdische Gericht führen, Gefangene bewachen und bedingt Gerichtsurteile vollstrecken.293 44-45 Die verehrende Anrede mein Lehrer und das ausgemachte Zeichen (σύσσημον [syssēmon] ist ntl. HL)294 des normalerweise vertraulichen Kusses,295 womit Jesus durch Judas bei Nacht (und somit ohne großen Aufruhr)296 identifiziert wird, sind in höchstem Maß sarkastisch zu verstehen.297 Die Anrede („Rabbi“) besagt, dass Jesus als Meister und Lehrer gilt (vgl. 9,5; 10,51; 11,21); der Kuss bedeutet grundsätzlich friedliches Wohlwollen.298 Judas missbraucht somit die Zeichen der Verehrung (Rabbi) und des freundschaftli286 So auch Evans 422. 287 Vgl. das parallele Vorgehen gegen Jesus ben Ananias, ca. 60 n.Chr. (vgl. Josephus, Bell 6,300309, nach Evans 169). 288 Vgl. 14,1.11.48.53. 289 Vgl. Lane 524. 290 Vgl. Pesch II 399. 291 Näheres zur „Charakterisierung einer Polizeitruppe durch Schwerter und Knüppel“, bei Pesch II 399 und Anm. 1. 292 Vgl. Lane 525: das Zivil- und zum größten Teil das Kriminalgesetz. 293 Vgl. Lane 524. 294 Vgl. Pesch II 399. 295 Vgl. Pesch II 400, betont das emphatische καταφιλέω [kataphileō]. 296 Lane 524. 297 Keener, Background, 177 verweist auf Spr 27,6. 298 Es sei denn, es ist der „Kuss des Feindes“, vgl. Gen 27,26-27; 2Sam 20,9; Spr 7,13; 27,6.

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chen Vertrauens, um den Meister durch Identifikation zu verraten, der ihm mit wahrer Liebe und Gottes überragendem Heilsplan begegnet ist.299 Dessen Plan übertrifft in jeder Hinsicht die zelotisch-politische Absicht, die Judas meint, verfolgen zu müssen. 46 Sie aber ergriffen ihn und nahmen ihn fest. Was Jesus voraussagt (siehe vor allem 9,31, παραδίδοται εἰς χεῖρας ἀνθρώπων [paradidotai eis cheiras anthrōpōn]; vgl. 14,41), ereignet sich nun: ἐπέβαλον τὰς χεῖρας αὐτῷ [epebalon tas cheiras autō] (vgl. ferner 15,1.15).300 Die gewaltsame Verhaftung des Gerechten erinnert an Ps 37,15-16 und 41,7.301 Lane erwägt die möglichen (bei Mk zumindest angedeuteten) juristischen Beweggründe für den Haftbefehl gegen Jesus durch das Synedrion: a) Gotteslästerung (2,7); Verstoß gegen den Sabbat (2,24; 3,2-6); dämonisches Treiben (3,22).302 Dem ist hinzuzufügen, dass Jesus nun auch als Tempelkritiker bezeichnet werden kann (vgl. 11,15; 13,1; 14,58). Das Synedrion besitzt, wie bereits erwähnt, juristische Kompetenz, eine derartige Verhaftung innerhalb der Rahmenbedingung des römischen Rechtes durchzuführen (vgl. Exkurs 13).303 47 Es geht aus dem Markusbericht nicht hervor (vgl. dagegen Mt 26,51 und Lk 22,49-50, die andeuten, dass es einer der Jünger Jesu ist), wer dem Diener (Malchus, Joh 18,10) des Hohepriesters das (rechte: Lk 22,50; Joh 18,10) Ohr abschlug. Nur Johannes weiß zu berichten, dass es Simon Petrus ist (Joh 18,10).304 Warum ist der Markusbericht von allen vier Berichten diesbezüglich am undeutlichsten, steht doch Petrus selbst stärker hinter dem markinischen Zeugnisbericht? Will Petrus von dem dramatischen Ereignis der Festnahme seines Meisters so wenig wie nur möglich ablenken? Könnte die Nennung seines Namens als „lobenswertes“ Zeichen seiner aktiven, mutigen und verteidigenden „Einsatzbereitschaft“ für die Sache Jesu gewertet werden? Ist dies ein weiteres Beispiel für die Tendenz im gesamten Mk Ev., Petrus eher ungünstig bzw. selbstkritisch, als positiv erscheinen zu lassen?305 48-49 Jesus entlarvt die feige Hinterhältigkeit seiner Gegner: „Wie zu einem Räuber seid ihr herausgekommen, mit Schwertern und Knüppeln, um mich zu greifen. Täglich lehrte ich bei euch im Tempel und ihr 299 Vgl. ähnlich: Lane 525. 300 Vgl. Pesch II 400. 301 Ebd. 302 Lane 525. 303 Vgl. Lane 525, der auf Blinzler, Prozeß, 100, Bickermann, Crucis, 172-174 sowie auf Wenger, Quellen, 288 und 537, Anm. 16 verweist. 304 Pace Pesch II 400-401, der davon ausgeht, dass es sich um einen Begleiter der Häscher handelt. 305 Siehe 14.9 II, Historizität.

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habt mich nicht festgenommen“ (vgl. 11,18; 12,12). Ihr Vorgehen ist durch theologisch geschürten Hass, Neid und Furcht vor dem Volk bestimmt (vgl. 14,1.2.10). Sie gehen gegen den gewaltlos Lehrenden und Gesalbten Gottes wie gegen einen „Räuber oder (bewaffneten) Banditen“306 (λῃστής [lēstēs]) vor (vgl. 9,31). Vor seiner Verhaftung (vgl. Joh 18,12) hatten ihn seine Gegner täglich im Tempelbereich beim Lehren beobachtet (14,49).307 Damit dienen sie paradoxerweise dem in der Schrift308 fixierten Willen Gottes (14,21; vgl. 8,31; 10,32-34; 14,27). Alttestamentliche Aussagen zur Auslieferung des Gesalbten in die Hände der Gegner finden sich z.B. in Jes 53,12 und Sach 13,7 (vgl. Mk 14,27). Entgegen der Auffassung von Bultmann309 muss es sich hier nicht um einen redaktionell eingefügten Schriftverweis handeln. Zumindest beansprucht Mk, dass es sich um ein historisches Ereignis handelt, das in Aussagen des Alten Testaments lediglich eine Parallele findet. Jesu Verweis (vgl. Mk 14,27) hebt diese Parallele hervor. 50 Nun bewahrheitet sich die von Jesus vorausgesagte (Mk 14,27; vgl. Sach 13,7; 2Sam 17,2-3) Zerstreuung aller Jünger: Und sie ließen ihn zurück und flohen alle (vgl. 14,27.29.31;310 vgl. dasselbe Motiv in der passio iusti in Ps 31,12; 38,12; 88,9.19).311 Dies schließt Petrus mit ein, der allerdings zunächst noch aus sicherer Distanz dem Geschehen folgt. Mk beschreibt, dass er Jesus von Weitem nachfolgt: Man bemerke hier den ironisch klingenden Nebenton des Wortes (vgl. 14,54). Die Angst um das eigene Überleben nimmt überhand und überschattet alles, was bisher an Vertrauen (Glauben) gewachsen ist, einschließlich aller Versprechen (vgl. 14,31). 51-52 Oft wird gefragt, ob der Jüngling der in Jerusalem ansässige Johannes Markus selbst ist (vgl. Apg 12,12). Jegliche Antwort hierauf ist Spekulation.312 Deutlich ist jedoch, dass es sich bei diesem markinischen Sondergut (14,51-52) um ein relativ nebensächliches Detail handelt (evtl. ein „Schau306 Der Begriff kann einen aufständischen Rebellen oder einen Räuber bezeichnen. Vgl. Pesch II 401. 307 Vgl. Lk 19,47-48; 21,37; Joh 18,20. Siehe Bemerkungen zu 11,17-18 und 12,12 sowie zu 1,21-22. 308 Pesch II 401 erwägt die konkreten Schriftstellen Jes 53,12 sowie Ps 37,14; 71,11; Jer 26,8; 37,13-14. Er kommt jedoch zum Ergebnis, dass mit dem allgemeinen Schriftverweis das Gesamtthema des leidenden Gerechten (vor allem der Gerechte Jesus als leidender Menschensohn) angedeutet wird. 309 Bultmann, Geschichte, 289-290, und vor allem 303-305. 310 Schriftverweis bei Pesch II 402. 311 Vgl. Pesch II 402. 312 Vgl. verschiedene Spekulationen in Lane 527, der u.a. auf Am 2,16 hinweist. Lane verweist ferner auf Weiss, Evangelium, 405-407. Weiss untersucht patristische Interpretationen von Mk 14,51-52. Vgl. Jackson, Youth, 273-289.

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lustiger“,313 der zufällig in den Tumult verwickelt wird), das wiederum charakteristisch für einen Augenzeugenbericht ist. Ferner illustriert dieses Detail kontextgetreu, welche Furcht nicht nur die Elf, sondern auch andere Augenzeugen ergreift. Niemand bleibt Jesus treu. Jesus befindet sich, in Fortführung des Gethsemanekampfes, in völliger Gottes- und Menschenverlassenheit (vgl. jedoch Joh 16,32). IV zu 14,1-52 Ziel. Mk verfolgt stringent die Beschreibung der Umstände, die zu Jesu stellvertretendem Tod am Kreuz als „Infragestellung und Bestätigung der Vollmacht Jesu“ führen. Dies wird äußerlich durch die erneut beschriebene Tötungsabsicht der Gegner Jesu deutlich, die in der Festnahme Jesu einen ersten „Erfolg“ erzielen. Jesus spricht in unterschiedlichen Situationen selbst von seiner bevorstehenden Krisis: a. die indirekte Todesvoraussage bei der Salbung in Bethanien b. die Voraussage des Verrats durch Judas c. die Deutungsworte (stellvertretende Sühne) bei der Feier des letzten Passahmahles d. die Gebete Jesu in Gethsemane („Kelch“ als Metapher des göttlichen Gerichts). Inmitten der Erwartung der Verwerfung und Tötung Jesu, schimmert die Zuversicht der Rechtfertigung Jesu durch (14,28). Die Jünger sind einer ersten Prüfung des in Mk 13 angemahnten „Wachens und Betens“ ausgesetzt. Erneut ermahnt Jesus sie, nicht in Sünde zu fallen, sondern wachsam zu beten. Kontextualisierung und Anwendung. Das Spannungsverhältnis zwischen Jesus, seinen Jüngern und seinen Gegnern wird immer größer. Je mehr Jesus deutlich macht, wozu er gekommen ist, umso mehr wird das gewachsene Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinen Jüngern belastet. Dass die Frau Jesu Körper zum Begräbnis einbalsamiert, ist für die Jünger anstößig. Judas, der mehr als alle anderen von Jesus nach wie vor politisch-religiöse Agitation erwartet, verrät ihn (14,10-11). Er kann die wachsende Spannung nicht mehr überbrücken, die zwischen Jesu Lehre und Verhalten und seinen eigenen, immer noch festen Vorstellungen besteht. Die Jünger, die noch bei Jesus sind, stehen in einer ähnlichen Spannung: Sie erhoffen sich Jesu Sieg in Jerusalem, sie erhoffen sich einen messianischen König auf dem Thron Davids (8,32; 313 So Pesch II 402.

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14. Salbung in Bethanien – Abendmahl – Voraussage der Verleugnung des Petrus …

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10,36). Andererseits wollen sie Jesus trotz seiner eigenartigen Todesaussagen (14,8.21-23.25.28.32.35-36) aus Treue zu ihm nicht verleugnen (14,31). Die Unterweisung, die Jesus seinen Jüngern im eschatologischen Ausblick (Mk 13) gibt, ist jetzt schon anzuwenden: Die Jünger sollen „wachen und beten“, damit sie gegen Versuchung gewappnet sind (14,38). Sie wissen ferner, dass die Verleugnung Jesu als Sünde gilt (14,27-30; vgl. 8,38). Jeder der Jünger versagt trotz alledem völlig (14,50). Was jedoch bei ihrem Versagen, damals wie heute, in ihren Ohren klingt, ist die bestimmte Aussage Jesu: Der bevorstehende Tod ist stellvertretender Tod, durch den der beständige (neue) Bund zwischen den Jüngern und Gott etabliert wird. Das Versagen der Jünger wird nur deshalb nicht zum Desaster, weil Gott ihre Schwäche überbrückt. Jesus blickt auf einen schrecklichen Straftod (vgl. 14,32-34) und vor allem auf das zunächst andauernde Gericht Gottes (vgl. die atl. Kelch-Metapher als Gericht Gottes, 14,36). Dabei verlässt er sich völlig auf seinen Vater (14,28; vgl. Phil 2,8) und rechnet mit seiner Rechtfertigung (vor allem durch die Auferstehung aus dem Tod). Damit geht er seinen einzigartigen, stellvertretenden Leidensweg und zeichnet zugleich als Analogie den Weg der Nachfolger vor: Loslassen vom Selbstbezug und stetiges Einüben des persönlichen, direkten Vertrauens auf Gott und Rechtfertigung durch ihn (vgl. Phil 2,1-4 mit Phil 2,5-11). Im Gegensatz zu seinen Jüngern ist Jesus verlässlich: Jedes Mal, wenn er etwas voraussagt (Verrat durch Judas, 14,18-20; Verleugnung durch Petrus, 14,27-30; Voraussage seines Todes und der Auferstehung, 14,28), bewahrheitet es sich (vgl. u.a. 14,45; 14,66-72; 16,6). Der Offenbarungscharakter Gottes, der im biblischen Spannungsbogen der heilsgeschichtlichen „Verheißung und Erfüllung“ begründet liegt, spiegelt sich im Verhalten Jesu wider. Was er voraussagt, das tut er. Was er tut, hat immer auch eine heuristische Komponente. Paradoxerweise überschneidet sich die Tötungsabsicht der Gegner Jesu (14,1.10-11.46) mit Jesu Sicht seines eigenen Leidensweges (14,21; vgl. 10,45 und Jes 53). Dieser Sachverhalt erinnert an Gen 50,20: „Ihr habt Böses gegen mich beabsichtigt, aber Gott hat es zum Guten gewendet“ (vgl. Apg 3,17). Jesus geht nicht nur zielbewusst auf seinen stellvertretenden Tod als Gottesgericht zu, sondern er sieht darüber hinaus auf die weltweite Mitteilung dessen, was er lehrt und bewirkt (14,9; vgl. 13,31). Im Gegensatz zu Mohammed handelt Jesus314 durchweg gewaltlos. Er ist bereit, für seine Sache (stellvertretend) zu sterben, um anderen (unverdient)

314 Allerdings nicht die im Namen Jesu kämpfenden Kreuzfahrer; sie (und andere christliche Gewaltanwender) haben kein Mandat Jesu.

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Leben zu bringen. Es widerspricht grundsätzlich der Botschaft, dem Handeln und dem Selbstverständnis Jesu, für seine Sache andere zu töten. Der Nachfolger des 21. Jh.s ist gefordert, sein eigenes Versagen (Verleugnung Jesu im Lebensvollzug und vor anderen) unmissverständlich und wahrheitsgetreu zuzugeben. Das Problem der Hartherzigkeit wird durch Jesu Leidensweg schonungslos und radikal ins Visier genommen, als auch endgültig gelöst. Der Mensch ist schlechthin unfähig (vgl. Mk 7), sich selbst in seiner gebrochenen Beziehung zu Gott zu verbessern und sich selbst von dieser Urkrankheit zu heilen. Er ist unfähig, aus eigener Kraft die verheerende noetische und moralische Autonomiesünde seiner Existenz zu überwinden, die alle anderen Lebensbereiche beeinträchtigt. Ohne den unverdient ermöglichten Bund, mit dem notwendigen, konstitutiven Reinigungsopfer Jesu ist der Mensch als Geschöpf Gottes und in Verantwortung vor Gott verloren (vgl. Röm 3,9.20.23). Er verfehlt das Ziel seiner Existenz. Ohne Tat Gottes an unserer statt, ohne feste Treue Gottes uns gegenüber gäbe es keine Hoffnung, dieses Grundproblem menschlicher Entfremdung von dem, der ihn geschaffen hat, zu lösen. Alle Lehre Jesu wäre sonst unerreichbare Utopie (vgl. etwa Mk 7,14-23). Der Nachfolger des 21. Jh.s soll das Geschick Jesu unbedingt bis zum Kreuz verfolgen, um zu erkennen, dass er die teure Gnade, die sich dort im stellvertretenden Tod Jesu zeigt, in keiner Weise verdient, aber zur Überbrückung der selbstverschuldeten Entfremdung315 von Gott persönlich dringend benötigt. Er lernt, dass die wachsende Spannung zwischen seiner eigenen Vorstellung, seiner eigenen Lebensauffassung und seiner Auffassung darüber, wer Jesus wirklich ist, nichts Neues ist: Die fundamentale Krisis, die diese Spannung hervorbringt, erwartet ihre Lösung in der vertrauenden Hingabe an Jesus in seiner ganzen Vollmacht und Demut.

315 Vgl. Jesu Warnung vor Hartherzigkeit, Mk 7,31–8,26.

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15. Verhör vor dem Synedrion – Verleugnung durch Petrus – Verhör vor Pilatus – Verurteilung 14,53–15,19

1

Der Prozess Jesu sowie die Verurteilung Jesu ist weder eine rein jüdische noch eine rein römische Angelegenheit; die letztendliche Verantwortung für die Geißelung1 und den Tod Jesu liegt jedoch bei Pilatus.2 Das Verhör vor dem Hohen Rat führt zum Urteil der Gotteslästerung, welches mit der Todesstrafe belegt wird. Allerdings hat nur der römische Statthalter Pilatus die Autorität, dieses Urteil zu vollstrecken. Obwohl die nun folgenden Ausführungen eine grundsätzliche Kompatibilität zwischen den Berichten der Evangelien und den verlässlichen, außerbiblischen Quellen zum Verhör vor dem Synedrion und vor Pilatus aufweisen, kann aus dem gewonnenen Gesamtbild weder eine antisemitische noch eine pro-römische Haltung der Evangelien abgeleitet werden. Hierin liegt ein Grundfehler der zweitausendjährigen Rezeptionsgeschichte, der auch heute immer wieder auftaucht.3 Wenn die jüdischen Verantwortlichen nach den Evangelien gewichtige Mitschuldige an der Kreuzigung Jesu sind und der kalkulierende Pilatus während des Verhörs relativ unbescholten „davonkommt“, so bedeutet dies lediglich, dass die uns zugänglichen Berichte die historischen Lage so widerspiegeln. Dies berechtigt jedoch keineswegs dazu, das damalige (geschweige denn, das allgemeine) jüdische Volk für die Kreuzigung Jesu zu beschuldigen oder gar verantwortlich zu machen. „Die bösartige, antijüdische Behauptung einer Kollektivschuld ,der Judenʻ am Tod Jesu, findet … im Mk keinen Zeugen.“4 Es berechtigt ebenso wenig, deshalb das römische Reich dafür freizusprechen. Fest steht, dass Pilatus letztendlich für die Kreuzigung Jesu verantwortlich ist, unabhängig davon, wie er sich während des Verhörs verhält. Schließlich enthalten die Evangelien den Schlüssel für eine einzig angemessene und den Evangelien entsprechende Beurteilung der immer wieder disku1

2 3 4

Vgl. Evans 487, mit Verweis auf die sekundäre Parallele im Petrusevangelium, vgl. vor allem 3,7. Siehe Evans 488-489, bezüglich vieler historischer Parallelen zur Geißelung Jesu; so z.B. Dio Cassius 64.20-21, bezüglich des entmachteten Vitellius, 69 n.Chr.; vgl. Plutarch, Pomp 24.7-8. Vgl. Evans 475, u.a. mit Verweis auf Hengel, Crucifixion, 84-90. Zweifel an der historischen Glaubwürdigkeit der Evangelien dürfen nicht aufgrund dieser tragischen Rezeptionsgeschichte erhoben werden. Dschulnigg 390 und Anm. 176 (Lit.).

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tierten „Schuldfrage“: Die Kreuzigung Jesu geschah wegen der Sünde jedes einzelnen Menschen vor Gott (Mk 10,45; 14,22-24). Anderweitige Schuldzuweisungen sind damit endgültig ad absurdum geführt und sollten angesichts der tragischen und bitteren Rezeptionsgeschichte als unhaltbar und gefährlich verworfen und verurteilt werden. Synoptischer Vergleich: Befund. Die weitgehende Gemeinsamkeit unter den synoptischen Evangelien liegt auch in diesem Abschnitt der Passionsgeschichte (vor allem bezüglich der Akoluthie) vor. Alle Synoptiker berichten über die Ermittlung gegen Jesus im Synedrion, die Verleugnung durch Petrus, die Übergabe Jesu an Pilatus, das Verhör vor Pilatus und die Verurteilung Jesu (Mt 26,57–27,2.11-26 / Mk 14,53–15,15 / Lk 22,54–23,5.13-25). Gemeinsam mit Mt berichtet Mk sodann über die verspottende Misshandlung Jesu durch die römischen Soldaten (Mt 27,27-31 / Mk 15,16-19; ohne lukanische Parallele). Auswertung: Bei allgemeiner Gemeinsamkeit konzentriert Mk seinen Bericht weiterhin auf die zentralen Momente, die zur Verurteilung Jesu führen (der Tod des Judas und die Vorstellung vor Herodes gehören beispielsweise nicht dazu).5 Literarischer Kontext. Unmittelbar auf Gethsemane und die Gefangennahme Jesu folgt der Abschnitt 14,53–15,19.6 In 15,20 beginnt der Bericht der Kreuzigung Jesu (s.u., Bemerkungen zu Form und Aufbau der Einzelabschnitte).

15.1 Verhör vor dem Synedrion 14,53-65 Unmittelbar nach der Verhaftung Jesu und der Flucht seiner Jünger (14,43-52) muss sich Jesus ad hoc in einem Verhör7 vor dem Synedrion noch vor Tagesanbruch verantworten (14,53-65).8 Die Verhaftung durch die Tempelpolizei 5 Lukas präsentiert ferner die Vorstellung Jesu vor Herodes (Lk 23,6-12); Matthäus berichtet gesondert über den Tod des Judas (Mt 27,3-10). 6 Zur textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch II 424, Anm. a; 429, Anm. a-c; 447, Anm. a-d; 455, Anm. a; 460, Anm. a-d; 469, Anm. a-c; France 597.618.624; Lane 528-529, Anm. 108-110; 540-541, Anm. 150-152; 545, Anm. 1-3; 558, Anm. 39-40. 7 So Chapman/Schnabel, Trial, 1-2; 15-16. 8 Lit.: Betz, Frage, 20-48; Bock, Blasphemy, 189-238; Broadhead, Jesus, 3-18; van Bruggen, Christ, 220-241; Cullmann, Christologie, 86-88.117-128.188.286; Folkers, Wahrheit, 27-29; Guelich, Christ, 3-17; Hengel, Christologie, 43-67; Kingsbury, Christology, 118.151; Schreiber, Christologie, 154-183; Taylor 117-124; Vermes, Use, 310-328; Marshall, Ursprünge, 108-121; Pesch, Passion, 166-195; Catchpole, Trial, 250-254; vgl. ferner Kazmierski, Jesus, ad loc.; Kertelge, Prozess, ad loc.; Oegema, Gesalbte, ad loc.; Ruppert, Jesus, ad loc.; Betz,

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sowie das Verhör vor Mitgliedern des Synedrions hat nicht zum Ziel, die Wahrheit zu eruieren bzw. zu einem gerechten Urteil zu gelangen. Vielmehr stellt es die Kulmination des lang gehegten Ziels der Verantwortlichen in Jerusalem dar, Jesus zu töten. Nur wenn Jesus tatsächlich ein Gotteslästerer sein sollte, wäre ihr Urteil gerechtfertigt. Jesus macht sich vor dem Hohepriester und den Mitgliedern des Synedrions eindeutig kenntlich. Er beansprucht, ewiger Sohn Gottes, der Herr Davids und der erhöhte Menschensohn zu sein. Der Hohepriester spricht aufgrund dessen das Urteil der Gotteslästerung aus. Paradoxerweise kann nur der ewige Sohn Gottes, der erhöhte Menschensohn und Herr Davids seine Ankläger und „die Vielen“ von Sündhaftigkeit (einschließlich der ungerechten Verurteilung Jesu) auf derart universalgültige Weise befreien.9 Wie oben bereits erwähnt, lässt sich der Abschnitt 14,1–15,47 in zwei Hauptteile aufteilen: 1. Tötungsabsicht, Verrat, Verlassenheit und Festnahme (14,1-11 und 14,12-52); 2. Verurteilung, Kreuzigung, Tod und Grablegung (14,53–15,47).10 Mit Mk 14,53 beginnt somit die kritische Phase der Passion Jesu. Der zweite Teil (14,53–15,47) beginnt mit dem Verhör Jesu vor dem Synedrion (14,5365); er nimmt seinen Lauf mit der Verleugnung durch Petrus (14,66-72; siehe den Kontrast zwischen dem mutigen Bekenntnis Jesu und dem Christusleugner Petrus),11 dem Verhör vor Pilatus sowie der Geißelung Jesu (15,1-15). Die Klimax bildet die Kreuzigung selbst (15,16-41). Der Gesamtabschnitt wird durch die Grablegung (15,42-47) abgeschlossen.12 Der Bericht13 führt stringent zum Verhör vor dem – und der Verurteilung durch das – Synedrion (14,53-65): 1. Abführen Jesu ins Haus des Hohepriesters, mit Petrus im Vorhof (V. 53-54);14 2. Falsche Anklagen gegen Jesus (V. 55-56.57-61a); 3. Frage des Hohepriesters (V. 61b); 4. Jesu überwältigende Antwort (V. 62); 5. Urteilsspruch der „Gotteslästerung“ durch den Hohepriester (V. 63-64); 6. Misshandlung Jesu (V. 65).15

9 10 11 12 13 14 15

Jesus, ad loc.; Cook, Treatment, ad loc.; Feldmeier, Krisis, ad loc.; Wright, Jesus, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 444-446 (bis 1980); Evans 430-434 (bis 1999); zum Prozess Jesu: Pesch II 422-424 (bis 1980). Siehe Jes 25,9; 33,22; 35,4; 37,20; 38,20; Jer 17,14; Sach 8,7; 9,16; Hebr 7,25. Lane 488. So Dschulnigg 379-380 und Anm. 127 mit Verweis auf Pesch II 452. Vgl. Evans 352. Vgl. die detaillierte literarische Analyse bei Dschulnigg 378-379. Pesch II 425, identifiziert 14,53-54 als „Überleitungsszenen“. Vgl. Evans 439. Nach Pesch II 430, scheint Mk 14,55-65 „historische Nachrichten aus dem Prozeß Jesu … in einer episodal gegliederten Szene in martyrologisch-erbaulicher, Jesus als den leidenden Gerechten (= den Menschensohn) zeichnender Perspektive zu präsentieren“.

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Historizität des Verhörs (siehe oben, 14. II Historizität und historischer Hintergrund, sowie unten, Exkurs 13).16 Die Beurteilung der Historizität des Verhörs Jesu vor dem Hohen Rat zur Zeit eines Wallfahrtsfestes hängt z.T. davon ab, ob alttestamentlichen und frühen tannaitischen Texten oder späteren rabbinischen Texten der Vorrang eingeräumt wird (s.u. Einzelauslegungen zu 14,53-64).17 Während spätere rabbinische Texte eher gegen die historische Wahrscheinlichkeit eines derartigen Verhörs sprechen, vor allem, wenn es sich um ein Kapitalverbrechen wie Gotteslästerung handelt,18 ergibt sich aus Deut 13,12; 17,6.13; 21,21 sowie tSan 11.7, dass Verurteilungen bei Kapitalverbrechen zur Zeit eines Wallfahrtsfestes der Abschreckung wegen durchgeführt werden sollen.19 Bei den nachchristlichen rabbinischen Texten ist zumindest unklar, ob sie die Vorgehensweise im 1. Jh. n.Chr. tatsächlich widerspiegeln (siehe unten, Bemerkungen zu V. 53).20 Das Synedrion (siehe Einzelbemerkungen zu 14,53-64 sowie die Exkurse 13 und 14), kann während der Zeit römischer Besatzung zwar verurteilen (Kapitalgerichtsbarkeit), im Fall eines Todesurteils die Strafe jedoch nicht selbst vollstrecken.21 Während Jesus als populäre Person gilt, bei der diese römische Rahmenbedingung aus Sicherheitsgründen unbedingt eingehalten werden muss, nimmt sich das Synedrion u.a. im Fall der Steinigung des Stephanus (Apg 7,56.58; vgl. v.l. 5,33 sowie 26,10) und des Herrenbruders Jakobus (Josephus, Ant 20,200-203) illegal, aber kalkuliert, die Freiheit heraus, römisches Gesetz zu brechen. Gnilka bemerkt: „Das Synedrion usurpierte gelegentlich die potestas gladii“.22

Aufgrund der vorliegenden Quellenlage kann der markinische Bericht durchaus als historisch glaubwürdig gelten.23 Sofern der im Synedrion Beschuldigte des Todes sterben soll, muss der römische Präfekt, vor allem im Fall einer 16 Zur Geschichte der jüdischen Einschätzung des Prozesses Jesu siehe Catchpole, Trial, passim. 17 Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 40.92.477. 18 Vgl. Lane 529, der auf mJom 5,2; TosJom 4,4 hinweist; siehe jedoch auch Philo, Migration Abraham §91. Vgl. Evans 456, der in diesem Fall von rabbinischen Quellen absieht. Vgl. Bruce, Trial, 7-20. 19 Siehe die detaillierte Studie von Strobel, Stunde, 5-94. 20 Dschulnigg 380-381. 21 Gnilka, Prozeß, 28-31; Sherwin-White, Roman Society, 36; Müller, Möglichkeit, 44-66; Catchpole, Trial, 250-254. Van Bruggen, Christ, 222-241, versucht zu zeigen, dass das Synedrion einen gewissen Spielraum bezüglich der Kapitalgerichtsbarkeit besitzt (vgl. Joh 11,53; 19,6). Van Bruggen versteht die Aussage in Joh 18,31 dahingehend, dass die jüdischen Verantwortlichen angesichts der Tatsache des Passahfestes keine mosaische Erlaubnis haben, Jesus zu töten. 22 Gnilka, Prozeß, 31. Siehe ebd. 30 weitere Beispiele. Vgl. u.a. Joh 11,53. 23 Vgl. Pesch II 404-424 und Bock, Blasphemy, 209-232. Eher skeptisch äußert sich Dschulnigg 380-381.

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öffentlich bekannten und umstrittenen Person, dies befürworten sowie das Todesurteil vollstrecken (s.u. Einzelauslegungen zu 14,53-64 sowie die Exkurse 13 und 14).24 Authentizität der Hauptanklage des Verhörs.25 Es ist nach Evans durchaus möglich, dass Petrus Kernstücke des Verhörs im Vorhof des Hauses des Hohepriesters mitverfolgt. Mehr ist im Markusbericht nicht enthalten.26 Ferner ist geltend zu machen, dass nach Joh 18,15-18 auch „der andere Jünger“ zugegen ist, der ebenso Zeuge des nun folgenden Verhörs sein kann. Historisch ist ferner wahrscheinlich, dass Nikodemus und Joseph von Arimathäa als Mitglieder des Synedrions27 (vgl. Joh 3,1; 19,39 und Lk 24,50-51) Zeugen des Verhörs sind. Schließlich ist aufgrund der erneuten Begegnung zwischen Jesus und seinen Jüngern nach Tod und Auferstehung keineswegs auszuschließen, dass er selbst seinen Jüngern Inhalte des Verhörs mitteilt (vgl. Lk 24,44-50 und Apg 1,3).28

15.1.1 Widersprüchliche Zeugenaussagen 14,53-56 I 53 Und sie führten Jesus ab zum Hohepriester; und alle aus der hohepriesterlichen Familie, alle Ältesten und Schriftgelehrten versammeln sich. 54 Und Petrus folgte ihm aus sicherem Abstand bis hinein zum hohepriesterlichen Innenhof; und er gesellte sich (dort) zu den Dienern und wärmte sich am Feuer. 55 Die Hohepriester und das ganze Synedrion forschten intensiv nach belastendem Beweismaterial gegen Jesus, um ihn zu töten, 24 Vgl. Lane 530, der u.a. auf Sherwin-White, Roman Society, 1-47; Blinzler, Prozeß, 229-244; Sherwin-White, Trial, 97-116 verweist. 25 Lit.: Bock, Blasphemy, 184-232; Bond, Pilate, 199-200; Brown, Death, II 695-705; Hengel, Crucifixion, 84-90; Houtman, Sünden, 33-44; Koch, Messias, 117-148; Lamarche, Blas­ phème, 74-85; McGing, Pilate, 416-438; vgl. ferner Deissmann, Licht, ad loc.; Oegema, Gesalbte, ad loc.; Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Vgl. Pesch II 404-424, Exkurs zum Prozess Jesu. Pesch meint, dass die vormarkinische Passionsgeschichte einschließlich des Prozesses Jesu „allein Ausgangspunkt überlieferungskritisch-historischer Untersuchung sein kann“. Siehe ebd. viele historische und rechtshistorische Details. 26 Evans 439. 27 Zu Nikodemus als Mitglied des Synedrions, vgl. Schnackenburg, Johannesevangelium I ad Joh 3,1-12. 28 Siehe ferner Evans 456, der betont, dass Unstimmigkeiten zwischen mSan, passim, und dem Verhör Jesu vor dem Hohepriester keineswegs bedeuten, dass Mk unhistorisch berichtet: Die bei Mk und mSan berichteten Vorgehensweisen liegen zeitlich so weit auseinander, dass Unterschiede durchaus erklärbar sind.

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aber sie konnten nichts ausfindig machen. 56 Zwar legten viele falsches Zeugnis gegen ihn ab, aber die Zeugnisaussagen stimmten nicht überein.29 II Siehe oben 15.1, Bemerkungen zum Gesamtabschnitt. III 53 Jesus wird am Freitag, den 15. Nisan, noch vor Tagesanbruch dem Hohepriester (Mt 26,57 identifiziert ihn als Caiaphas, 18–37 n.Chr.)30 und dem übrigen Synedrion (und alle aus der hohepriesterlichen Familie, alle Ältesten und Schriftgelehrten versammeln sich) vorgeführt.31 Nach Joh 18,13 wird Jesus zuerst von Annas,32 dem ehemaligen Hohepriester (6–15 n.Chr.) und Schwiegervater von Caiaphas, befragt. Dieser gehört nach wie vor zur aristokratischen, hohepriesterlichen Familie und behält ein gewisses Maß an Macht (vgl. Lk 3,1-2; Apg 4,5-6). Joh 18,24 berichtet sodann, dass Jesus auf Anordnung von Annas gefesselt zum Hohepriester Caiaphas (Joh 11,49; 18,13) geführt wird. Sie versammeln sich, um gegen Jesus vorzugehen. Siehe hierzu das ähnliche passio iusti-Motiv in Ps 2,2; 22,17; 31,14; 54,5; 71,10; 86,14.33 Exkurs 13: Das Synedrion (der jüdische Hohe Rat)34 Seit ca. 198 v.Chr.35 existiert das Synedrion als „aristokratischer Senat“36 mit legislativen, richterlichen und beratenden Funktionen, dem der Hohepriester vorsteht.37 Das Synedrion besteht aus einer Mehrheit von Sadduzäern und einer Minderheit von Pharisäern. Unter den Sadduzäern befindet sich der Hohepriester bzw. der Oberpriester (vgl. Josephus, Bell 2,331) sowie die Gruppe der Ältesten.38 Unter den Pharisäern befinden sich vor allem die Schriftgelehrten (Juristen und Theologen). 29 Lit.: Blinzler, Prozeß, 197-229; Cohn, Evidence, 103-115; Strobel, Stunde, 61-81; Gnilka, Prozeß, 36-39 (Lit. 39-40); Müller, Möglichkeit, 41-83; vgl. ferner Jeremias, Jerusalem, ad loc.; Bond, Caiaphas, ad loc.; Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 427 (bis 1980). 30 Vgl. Mt 26,3; Lk 3,2; Joh 11,49; 18,13.14.24.28; Apg 4,6. Zu Caiaphas, vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 10-15. 31 Bei Joh 18,12-14.19-24 handelt es sich um ein Vorverhör. 32 Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 3-10. 33 Pesch II 426. 34 Lit.: Ferguson, Backgrounds, 533-536; Bruce, History, 56; van Bruggen, Christ, 220-241; Wolff, Samenstelling, 299-320; Mantel, Studies, ad loc.; Schürer, History, ad loc. 35 Vgl. Josephus, Ant 12,138; 12,142. Vgl. 1Makk 12,6; 2Makk 4,49; 11,27. 36 Bruce, History, 56. 37 Ferguson, Backgrounds, 534. 38 Vgl. Pesch II 431, zum Plural von „Hohepriestern“: Neben dem Hohepriester wird damit die hohepriesterliche Familie beschrieben.

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Der Hohe Rat setzt sich neben dem Hohepriester aus siebzig Mitgliedern zusammen. Zur Zeit der römischen Besatzung wird der Hohepriester durch Rom, d.h. durch den Präfekt von Judäa, ein- bzw. abgesetzt. Sein Handlungsspielraum hängt vom Wohlwollen Roms ab. Bestechungsgelder wurden bereits schon an Machthaber, die vor Rom über Palästina Einfluss ausübten, bezahlt. Mitglieder des Synedrions verfolgen häufig die Ausweitung ihrer Macht sowie ihres persönlichen Reichtums. So leistet z.B. das Synedrion zu Beginn des hasmonäischen Aufstandes Widerstand gegen die Makkabäer. Die politische Grundeinstellung des Synedrions ist die der Akkommodation (im Gegensatz zur Konfrontation anderer Elemente des Judentums) den jeweiligen Besatzungsmächten gegenüber. Generell liegt die Autorität des Synedrions meist in der juristisch-zeremonialen Umsetzung des mosaischen Gesetzes (z.B. die Bekanntmachung des Neumondes; Rechtsprechung ziviler Rechtsfälle, Verantwortung für die Geschäfte des Tempels, usw.). Während der römischen Besatzung hat das Synedrion u.a. die Befugnis der Festnahme eines Beschuldigten sowie des Verhörs und der Verurteilung eines Angeklagten nach jüdischem Recht (siehe etwa Mt 26,47).39 Grundsätzlich gilt bereits nach 40 v.Chr., dass ein ggf. ausgesprochenes Todesurteil nur durch römisch geduldete Machthaber vollstreckt werden darf (von Rom abhängige Kapitalgerichtsbarkeit).40 Mit der Ernennung Herodes des Großen 40 v.Chr. zum rex socius et amicus populi Romani wird „das absolut vorgeordnete römische Rechtsprinzip“ bleibend in Judäa etabliert.41 Die Kompetenz des Synedrions ist nun direkt von römischer Gesetzgebung abhängig. Dies wird erhärtet, als Kaiser Augustus 6 n.Chr. Herodes Archelaus in die Verbannung schickt und dadurch das römische Machtgefüge in dem neu geschaffenen kaiserlichen Territorium Judäa noch weiter verdichtet (vgl. Josephus, Ant 18,2; Bell 2,117).42 Allein der Präfekt bzw. Prokurator hat hinfort das Recht (ius gladii), das Todesurteil zu vollstrecken (vgl. Josephus, Bell 2,117; 6,300-309; Ant 18,2; 20,199-203; mSan 7,2b; Joh 18,31).43 Vgl. Strobel,44 der dem Synedrion allgemein die Blutgerichtsbarkeit bei religiösen Kapitalverbrechen abstreitet und bemerkt: „prinzipiell hat Rom auf seine juristische Oberhoheit niemals verzichtet“.45 Bereits vierzig Jahre vor der Zerstörung Jerusalems dürfen die Juden nicht mehr das Todesurteil vollstrecken. 39 Ferguson, Backgrounds, 534-535. 40 Gnilka, Prozeß, 28-31.37; Ferguson, Backgrounds, 534-535. Siehe Details bei Müller, Möglichkeit, 44ff, mit Verweis auf Josephus, Ant 14,384-389 und Bell 1,282-285. 41 Müller, Möglichkeit, 45, mit vielen weiteren historischen Details, ebd. 46-52. 42 Müller, Möglichkeit, 48ff. Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 27-28. Schnabel interpretiert pSan 18a, 42-43 dahingehend, dass der Verlust der Kapitalgerichtsbarkeit aufseiten der Juden „40 Jahre“ vor der Zerstörung des Tempels grob „eine Generation“ beschreibt; somit lässt sich der Verlust der Kapitalgerichtsbarkeit aufseiten der jüdischen Machthaber einleuchtender auf 6 n.Chr. datieren. 43 Siehe Chapman/Schnabel, Trial, 15-31. 44 Strobel, Stunde, 18-43. 45 Strobel, Stunde, 21; siehe Pesch II 441. Vgl. pSan 1,1; 7,2 sowie 18a und 24b.

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Wahrscheinlich sind es sogar mehr als vierzig Jahre.46 Es bleibt in der Kompetenz des Synedrions, lediglich Urteil zu sprechen (vgl. auch pSan 18a und 24b). Gewisse Ausnahmen bei rein religiösen, vor allem auf den Tempel in Jerusalem bezogenen Delikten (vgl. Philo, Leg. Ad Gaium 306-308) lassen sich hinsichtlich der Kapitalgerichtsbarkeit des Synedrions jedoch auch für die Zeit Jesu belegen: In Einzelfällen vollstreckt das Synedrion die Strafe durch Steinigung.47 Josephus weiß diesbezüglich von zwei Umständen zu berichten, in denen das Synedrion an Kapitalsachen (evtl. mit Exekutionsrecht) beteiligt ist: Im Fall des Betretens des inneren Vorhofs des Tempels durch Heiden (vgl. Josephus, Bell 6,124-127) und bei prophetischen Aussagen gegen den Tempel und Jerusalem (Josephus, Bell 6,300-305).48 Es gibt in der Kapitalgerichtsbarkeit des Synedrions ferner vereinzelte Ausnahmen, wie etwa die Tötung des relativ unbekannten Stephanus durch Steinigung (Apg 7) oder die des Jakobus (Josephus, Ant 20,200-203).49 Dies bedeutet lediglich, dass römisches Recht nicht immer befolgt bzw. umgesetzt wird oder dass sich die Delikte auf den Tempel, den Tempelbezirk und religiöse Fragen beziehen.50 Im Verhör vor dem Synedrion werden Anklagen gegen Jesus u.a. wegen seiner Tempelkritik erhoben (vgl. Mk 13,2; 14,56-61; 15,29; vgl. Mt 26,60-63; Apg 6,14; Joh 2,19). Dies weist auf die historische Wahrscheinlichkeit hin, dass sich das Synedrion berechtigt fühlt, zumindest gerichtlich gegen Jesus tätig zu werden.51 Im öffentlichen und bekannten Fall Jesu kann die jüdische Aristokratie und Führung allerdings nur versuchen, Jesus im Rahmen römischer Generalbefugnis sodann zu beseitigen. Dies liegt z.T. an der Tatsache, dass das Passahfest den Handlungsspielraum des Synedrions beeinträchtigt, vor allem jedoch an der o.g. römischen Vorgabe, Todesurteile selbst zu vollstrecken.52

46 Vgl. Müller, Möglichkeit, 55-57 und Blomberg, Reliability, 179. Vgl. Ferguson, Backgrounds, 535. Differenzierter argumentiert Gnilka (Prozeß, 28-31), der dennoch betont, dass das ius gladii (das Recht zur Vollstreckung von Todesurteilen) allein beim Statthalter liegt (ebd. 31). 47 Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 15-16. Schnabel verweist auf die Stein-Inschrift am Tempel (CIIP I/1 2), auf die auch Josephus, Bell 5,194; Josephus, Ant 15,417 verweist. Vgl. Megillat Taʽanit 6 [13-15]; pSan 18a, 42-43; bSan 41a; bʽAbodah Zarah 8b. 48 Müller, Möglichkeit, 66-78. Vgl. die Diskussion dieser Texte bei van Bruggen, Christ, 230239, der von einem größeren Spielraum der Kapitalgerichtsbarkeit des Synedrions ausgeht. 49 Zur Detailanalyse über die unrechtmäßige Tötung des Herrenbruders Jakobus, vgl. Müller, Möglichkeit, 55-56. 50 Ferguson, Backgrounds, 535. Siehe ferner den informativen Überblick bei van Bruggen, Christ, 220-241. 51 Vgl. Müller, Möglichkeit, 78-83. Es ist unnötig davon auszugehen, dass ausschließlich Jesu Tempelkritik den historischen Kern des Verhörs gegen Jesus ausmacht (pace Müller, a.a.O., 78-83). 52 Müller, Möglichkeit, 44-66. Siehe van Bruggen, Christ, 227.241.

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Der gewöhnliche Ort für die Versammlung des einundsiebzigköpfigen Hohen Rates (mSan 1,6) ist das Amtsgebäude im Tempelbezirk (mSan 11.20). Es handelt sich um den „Saal des Rats“ an der Westmauer des Tempelbezirks und unmittelbar an der ersten Nordmauer. Beim vorliegenden Verhör53 (vgl. Lk 22,66) wird jedoch lediglich ein Raum im Haus des Hohepriesters Caiaphas54 benutzt.55 Wahrscheinlich wird der Hohe Rat kurzfristig einberufen. Dabei haben nicht notwendigerweise alle siebzig zu erscheinen.56 Dreiundzwanzig Anwesende57 konstituierten bereits ein Quorum. Der Begriff alle kann somit bedeuten, dass jeweils Repräsentanten der drei Gruppen erscheinen und eine beschlussfähige Versammlung konstituieren.58 Die Dreiergruppe von Hohepriestern, Ältesten und Schriftgelehrten entspricht der Beschreibung des Synedrions (vgl. 14,55; 15,1; Josephus, Bell 2,269-571 sowie mSan 1.6).59 Die Mehrzahl Hohepriester, οἱ ἀρχιερεῖς [hoi archiereis], ist geläufig (vgl. Josephus, Bell 2,331) und schließt neben Caiaphas (vgl. V. 53a) frühere Hohepriester (u.a. Annas) sowie die Tempelvorsteher und den Tempelschatzmeister mit ein, d.h., es handelt sich um eine Gruppe aus der hohepriesterlichen Familie.60 Die Ältesten gehören zu einflussreichen, aristokratischen Familien, die über viel Land verfügen. Mitglieder dieser zwei ersten Gruppen sind, im Gegensatz zur dritten Gruppe der Schriftgelehrten, meist Sadduzäer.61 Die Schriftgelehrten sind vor allem pharisäisch eingestellte Rechtsgelehrte.62 Es ist denkbar, dass weitere Priester und Schriftgelehrte anwesend sind, die kein Amt im Synedrion bekleiden. Auf dem Hintergrund der späteren Mischna verläuft die Verhandlung in vielen Teilen gesetzeswidrig (siehe oben, 15.1 II Historizität des Verhörs):63 z.B. ein Verhör am Rüsttag eines Feiertages (mSan 4,1), ein Verhör bei Nacht 53 Befürworter des Verhörs Jesu als vorläufiges Verhör sind u.a. Bammel, Trial, ad loc.; Gordis, Trial, 6-74; Winter, Trial; ad loc.; Stewart, Procedure, 94-109; Pesch II 425 (sowie den Exkurs zum Prozess Jesu). Für eine förmliche Synedrialsitzung, vgl. etwa Gnilka, Prozeß, 38. 54 Pesch II 425, bemerkt, dass Caiaphas von 18–37 n.Chr. als Hohepriester amtiert. 55 Lane 530-531. 56 Dschulnigg 381. 57 Pesch II 417. Siehe Gnilka, Prozeß, 38, der mit P. Mikat davon ausgeht, dass sich im Haus des Hohepriesters „maßgebliche Synedristen einfanden, um das Anklagematerial, das im entscheidenden römischen Prozeß gegen Jesus vorzubringen war, einzusammeln“. 58 Siehe Lane 531, mit Verweis auf Wolff, Samenstelling, 299-320. Dschulnigg 381, geht von einer unhistorischen, hyperbolischen Stilisierung aus. 59 Vgl. Lane 531 und Anm. 117. 60 Lane 531-532. 61 Lane 532. 62 Ebd., mit Verweis auf Jeremias, Jerusalem, 167-181. 63 Siehe die Detaildiskussion bei Strobel, Stunde, 46-48; Ferguson, Backgrounds, 534. Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 31-82.83-98.

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(mSan 4,1) und im Haus des Hohepriesters (anstelle des Versammlungsorts des Synedrions). Obwohl Strobel davon ausgeht, dass „die mischnische Gesetzgebung sachgemäß die Rechtssituation des 1. Jahrhunderts n.Chr. widerspiegelt“, betont er, dass es „sich im Falle des Prozesses Jesu um einen Kriminalfall nichtdurchschnittlicher Art“ handelt.64 Die Frage, ob die gesamte Gesetzgebung der späteren Mischna tatsächlich z.Z. Jesu zutrifft, muss allerdings offen bleiben.65 Dies gilt vor allem dann, wenn bedacht wird, dass „grosse Teile der mischnischen Verlautbarungen rein rechtstheoretischer Natur sind“.66 Nach Blinzler wird Jesus ausschließlich nach dem Strafbuch der Sadduzäer verurteilt.67 Strobel macht jedoch geltend, dass bei derartigen Spezialvergehen (religiöses Sonderdelikt; vgl. mSan 7 und 8 sowie tSan 10,11) eine Übereinstimmung zwischen pharisäischem und sadduzäischem Rechtsdenken vorliegt (siehe oben, 15.1 II, Historizität des Verhörs).68 54 Jesus befindet sich im Haus des Caiaphas. Dorthin ist Petrus aus sicherem Abstand „nachgefolgt“ (vgl. 15,40-41; vgl. Ps 38,12).69 Obwohl Petrus ihn entgegen seiner Beteuerung im Stich lässt (14,31), folgt er ihm dennoch aus einiger Distanz nach (ἀκολουθέω [akoloutheō], „ich folge nach“ / „gehe hinterher“).70 Die Ortsbestimmung für Petrus kann durch 14,66-67 präzisiert werden. Die sich am Feuer (wörtl. „Licht“) wärmenden Bediensteten des Hohepriesters und der Mitglieder des Synedrions71 sind nur wegen des nächtlichen Verhörs im Innenhof72 des hohepriesterlichen Palastes zugegen.73 Die doppelte, umschreibende Konjugation ἦν συγκαθήμενος [ēn synkathēmenos] … καὶ θερμαινόμενος [kai thermainomenos] (= „er setzte sich“ oder er gesellte sich … und er wärmte sich) vermittelt eine länger andauernde Zeit.74 Die Verleugnung durch Petrus und das Verhör Jesu gesche­ hen zur selben Zeit.

64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74

Strobel, Stunde, 48; vgl. ebd. 49-55. Gnilka, Prozeß, 37. Müller, Möglichkeit, 43. Blinzler, Prozeß, 216-229. Strobel, Stunde, 55-61. So Pesch II 427. Siehe die vorliegende Ironie im Gegensatz zu Jesu Auftrag (Mk 8,34; vgl. 1Petr 2,21), ihm nachzufolgen. Zum Motiv der Nachfolge, siehe die Bemerkungen zu 1,18.20; 2,14-15; 6,1; 8,34; (9,38;) 10,21.28.32.52; 15,41. Pesch II 426. Vgl. Pesch II 426 und Anm. 5, bezüglich der Ausgrabung von „Baulichkeiten mit Höfen aus herodianischer Zeit (1. Jh. v.Chr.)“. Lane 533. Vgl. Dschulnigg 381-382.

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55(-59) Mk richtet seine Aufmerksamkeit jedoch zunächst auf das Verhör Jesu.75 In V. 55, 56, 57 und 59 betont Mk, dass das Zeugnis der vielen Ankläger Jesu ohne Substanz, widersprüchlich (aber die Zeugnisaussagen stimmten nicht überein) und falsch ist.76 Laut jüdischem Gesetz, welches gewissenhafte Zeugenvernehmung einschließt (vgl. Deut 17,6; 19,15; Num 35,30; CD 9,28; 9,16–10,2; Josephus, Ant 4,219 sowie mSan 5,1-5),77 kommt somit keine tragfähige Anklage, die zum Todesurteil berechtigen würde, zustande (siehe Bemerkungen zu V. 55 u. 56).78 55 Sie forschten intensiv (ἐζήτουν [ezētoun] = impf., durative oder iterative Handlung) nach belastendem Beweismaterial: Laut jüdischem Gesetz werden nun vom Synedrion bestellte Zeugen als Ankläger vernommen, deren Aussage zu einer Verurteilung durch den Hohepriester führen soll. Siehe hierzu das analoge passio iusti-Motiv (das Leiden des Gerechten) in Ps 37,32; 38,13; 53,3; 63,10; 70,3; 71,10; 86,14; 109,16; Jer 26,11.79 Die bestellten Zeugen sollen das bereits festgelegte Vorgehen gegen Jesus (Mk 3,6; 11,18; 12,12; 14,1.11) ermöglichen.80 56 Die Übereinstimmung von mindestens zwei Zeugen im Fall eines Kapitalverbrechens ist mosaisches Gesetz (Deut 17,6). Falsches Zeugnis abzulegen (ψευδομαρτυρέω [pseudomartyreō] = „ich lege falsches Zeugnis ab“; durativ; wiederholte Handlung) ist ein schwerwiegender Verstoß gegen die Zehn Gebote (siehe Ex 20,16; Deut 5,20). Eine falsche Zeugenaussage bei einem Verhör wird deshalb nach Deut 19,15-21 mit der Todesstrafe geahndet.81 Pesch erwähnt zusätzlich das passio iusti-Motiv eines Angeklagten inmitten von Falschzeugen (vgl. Ps 27,12; 31,19; 35,11; 37,12; 109,2)82 und bemerkt: „Die Falschzeugen erweisen seine Unschuld (vgl. Dan 13,44ff)“.83

75 Die Absicht des Hohen Rates (Todesurteil) steht bereits fest (vgl. 14,1; 14,55). Lane 533, Anm. 126, verweist auf Blinzler, Prozeß, 197-210. 76 Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 40, 89, 92. 77 Allgemein zur gewissenhaften, jüdischen Handhabung von Zeugenaussagen, siehe Chapman/ Schnabel, Trial, 82-98; zusätzlich zu den o.g. Verweisen, vgl. z.B. Susanna, 44-62; tSan 6,3. 78 Vgl. Lane 533, der auf Cohen, Evidence, 103-115 verweist. 79 Pesch II 431. 80 Vgl. Pesch II 432. 81 Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 40. 82 Pesch II 432. 83 Ebd.

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15.1.2 Widersprüchliche Zeugenaussagen zum Thema „Tempel“ 14,57-60 I 57 Einige erhoben sich und legten mit folgender Aussage falsches Zeugnis ab: 58 „Wir haben ihn sagen hören: ‚Ich werde diesen mit Händen gemachten Tempel zerstören und innerhalb von drei Tagen werde ich einen anderen, nicht mit Händen gemachten Tempel erbauen‘“. 59 Auch so stimmte ihr Zeugnis nicht überein. 60 Und der Hohepriester bewegte sich zur Mitte und fragte Jesus: „Antwortest du überhaupt nicht (dem), was diese gegen dich aussagen?“84 II Siehe oben 15.1, Bemerkungen zum Gesamtabschnitt. III 57-59 Auf widersprüchliche Falschaussagen (V.56) folgen nun widersprüchliche Halbwahrheiten. Diese falschen Zeugenberichte (wiederum ψευδομαρτυρέω [pseudomartyreō] = „ich lege falsches Zeugnis ab“; durativ; wiederholte Handlung; siehe V. 56; vgl. Ps 35,11)85 beziehen sich nun auf den Tempel (Jesus soll gesagt haben, „ich werde diesen mit Händen gemachten Tempel zerstören“; vgl. Mt 26,61; Apg 6,13-14), in dessen Nähe sie sich befinden. Die Aussagen sind zumindest insofern falsch, als Jesus nie davon spricht, selbst den Tempel zu zerstören. In Mk 13,2 spricht Jesus im privaten Kreis von der zukünftigen Zerstörung des Tempels durch andere (13,14; siehe ferner 11,17 und Joh 2,19). Die Zerstörung eines sakralen Ortes im gesamten Bereich des römischen Reiches gilt als Kapitalverbrechen.86 Siehe ferner Jeremia, der aufgrund seiner prophetischen Aussage über die Zerstörung Jerusalems (und damit des Tempels) zum Tode verurteilt werden soll (Jer 26,1-24, vor allem V. 8.16.24).87

Joh 2,19-22 erläutern ferner, dass Jesus die Aussage über „diesen Tempel“ metaphorisch auf seinen Tod und seine Auferstehung bezieht. Dies wird durch die evtl. korrekte Wiedergabe einer Aussage Jesu bestätigt: „Und innerhalb von 84 Lit.: Strobel, Stunde, 61-81; vgl. ferner Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 444-446 (bis 1980); Evans 434-435 (bis 1999). 85 Pesch II 432. 86 Lane 534. Vgl. Juster, Juifs, 459-469. Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 40.66.86.122-127. 87 Lane, a.a.O.

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drei Tagen werde ich einen anderen, nicht mit Händen gemachten Tempel erbauen“88 (V. 58b). Zum Begriffspaar χειροποίητος [cheiropoiētos] – ἀχειροποίητος [acheiropoiētos] vgl. die Diskussion bei Pesch.89 Der Ausdruck mit Händen gemacht verweist auf menschliches, z.T. sündiges bzw. verunreinigtes Tun, im Gegensatz zum Werk Gottes (vgl. u.a. Lev 26,1; Jes 46,6; Kol 2,11). Mitunter verweist der Ausdruck auf den Gegensatz zwischen dem Geschaffenen und dem Ewigen: „die größere und vollkommenere Stiftshütte, die nicht mit Händen gemacht ist, das ist: die nicht von dieser Schöpfung ist“ (Hebr 9,11; Luther 1984). In der zwischentestamentlichen Zeit ist die messianische Erwartung belegt, dass der Messias „den Endtempel bauen werde“ (vgl. MidrPs 90 §19 [198c] sowie 4QFlor1,1-13; 1QSa2,11; TargJes 53,5).90 Allerdings ist hierbei niemals die Rede davon, dass der Messias den bestehenden Tempel selbst zerstört.

Da die falschen Zeugen die Aussageintention Jesu nicht verstehen (Jesus will den Tempel nicht selbst zerstören), verkehren sie dessen Worte (vgl. 15,29b). Nach Deut 19,16-21 führt, wie bereits erwähnt, ein falsches Zeugnis zur Todesstrafe.91 Es ist möglich, dass sich hinter diesen Halbwahrheiten eine tatsächliche Aussage Jesu (V. 58b; vgl. Joh 2,19) hinsichtlich eines neuen Tempels verbirgt.92 Aufgrund weiterer Einzelaussagen bei Mk lässt sich Jesu andeutende Erwartung eines neuen Tempels aus „lebendigen Steinen“ erschließen (siehe oben, 4.3). 60 Der Hohepriester Caiaphas93 weiß, dass die widersprüchlichen und bestenfalls halbwahren Aussagen (V. 55.59.63) nicht als legitimes Zeugnis gegen Jesus geltend gemacht werden können.94 Er kann somit als Richter95 kein Urteil fällen. Allerdings wird deutlich, dass Jesu öffentliche Reinigung des Tempels (Mk 11,15-18) sowie seine Voraussage über die Zerstörung des Tempels (Mk 13,2 [privat]; Joh 2,19 [öffentlich, aber übertragen gemeint]) potenziell strafbar (vgl. Josephus, Ant 12,406; Bell 6,300-309)96 und eine direkte Bedrohung der Machtposition des Hohepriesters sind.97 Er und seine priesterliche Fami88 Vgl. Pesch II 434: Die Zeitangabe verweist auf einen (wunderbar) kurzen Zeitraum, vgl. 15,29. 89 Pesch II 434. 90 Pesch II 435. Vgl. ferner Pesch II 435, Anm. 24-25. 91 Vgl. Keener, Background, 178. 92 Vorsichtig abwägend Dschulnigg 382-383. 93 Bond, Caiaphas, ad loc. Vgl. Lane 531: Caiaphas (von 18–37 n.Chr. Hohepriester) heißt mit Vornamen Joseph; vgl. Josephus, Ant 18,29-35.90-95. 94 Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 82-98. 95 Pesch II 435, nennt ihn „Präsident des Gerichtshofes“. 96 Chapman/Schnabel, Trial, 122-127. 97 Chapman/Schnabel, Trial, 14, mit Verweis auf Hengel, Johannesevangelium, 327.

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lie profitiert doch von beträchtlichen Einkünften des Tempelbetriebs.98 Ferner kann er Jesu Tempelkritik als Geringschätzung Gottes interpretieren.

15.1.3 Klimax des Verhörs und Urteilsspruch des Hohepriesters 14,61-65 „Hier gibt Jesus im Mk erstmals öffentlich sein Geheimnis preis und seinen Messiasanspruch kund“ … „Hier ist die Messias-, Sohn Gottes- und Menschensohnaussage im Bekenntnis gebündelt, die drei wichtigsten titularen Aussagen des Mk werden zusammengeführt und von Jesus unmissverständlich bejaht.“99 I 61 Er aber schwieg und antwortete überhaupt nichts. Nochmals fragte ihn der Hohepriester und sprach zu ihm: „Bist du der Gesalbte, der Sohn des Hochgelobten?“ 62 Jesus aber sprach: „Ich bin (es) und ihr werdet den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten der Macht (Gottes) und kommen sehen mit den Wolken des Himmels“. 63 Der Hohepriester aber zerreißt sein Gewand und spricht: „Was bedürfen wir noch (weiterer) Zeugen? 64 Ihr habt die Gotteslästerung gehört. Wie scheint es euch?“ Sie alle aber urteilten, dass er des Todes würdig sei. 65 Und einige begannen ihn anzuspucken und ihm die Augen zu verbinden und ihn zu schlagen und zu ihm zu sagen: „Weissage“; und die Diener empfingen ihn mit Schlägen.100 II Siehe oben 15.1, Bemerkungen zum Gesamtabschnitt.

98 So z.B. die Einkünfte aus den vielen rituellen Bädern. 99 Dschulnigg 380. 100 Lit.: Betz, Frage, 20-48; Bligh, Note, 51-53; Blinzler, Prozeß, 138-161; Blomberg, Reliability, 179; Bock, Blasphemy, 184-238; Borsch, Mark, 565-567; Broadhead, Jesus, 3-18; Cullmann, Christologie, 86-88.117-128.188.286; Evans, Blasphemy, 407-434; Fitzmyer, Contribution, 391-394; Folkers, Wahrheit, 27-29; Guelich, Christ, 3-17; Hengel, Christologie, 43-67; Hengel, Sohn, 95-101; Irmscher, Σὺ λέγεις 151-158; Kingsbury, Christology, 14.129.131.155; Lamarche, Blasphème, 74-85; Lindars, Son of Man, 64.110-112.140-142.163.205.212; Marshall, Ursprünge, 115-116; Müller, Möglichkeit, 41-83; Moore, Parousia, 184-186; Pesch, Passion, 166-195; Schreiber, Christologie, 154-183; Strobel, Stunde, 73-76; Taylor 117-124; Vermes, Use, 310-328; vgl. ferner Caragounis, Son of Man, ad loc.; Goppelt, Theologie, ad loc.; Tödt, Menschensohn, ad loc.; Wright, Jesus, ad loc. Weitere Lit., vor allem zu V. 61-62, bei: Evans 435-438 (bis 1999).

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III 61-62 Das beängstigende Schweigen101 Jesu (vgl. das Schweigen eines leidenden Gerechten – passio iusti – in Ps 38,14-15; 39,10; Jes 53,7)102 verschlimmert die Lage für den Hohepriester und den versammelten Rat: Hätte Jesus zu den Falschaussagen Stellung genommen, so wäre eventuell dadurch eine Anklage gegen ihn zustande gekommen.103 Das mögliche Scheitern des Verhörs ist wohl Anlass dafür, dass der Hohepriester nun selbst, als Ankläger in der Mitte der Versammelten stehend (V. 60), die zentrale Frage („besonders gewichtig“)104 über die wahre Identität Jesu stellt. Die Frage „bist du der Gesalbte, der Sohn des Hochgelobten?“ folgt einerseits dem bisherigen Thema des Verhörs, ist jedoch andererseits auch überraschend: 1. Sie folgt dem Thema des Verhörs, da Bemerkungen bezüglich des nicht von Händen gemachten105 Tempels als „messianische Aussage“ gedeutet werden können. Ferner erheben Jesu Aussagen im Tempelbereich (Mk 12,35-37) zumindest einen messianischen Anspruch.106 2. Überraschend ist die Frage allerdings deshalb, weil unklar ist, inwieweit im palästinischen Judentum vom Messias als Sohn des Hochgelobten gesprochen wird.107 Gottessohnschaft ist lediglich im individuellen Sinn eines gesalbten, davidischen Menschen belegt (s.o., Einleitung 4.1.4 und 8.). Dschulnigg bemerkt, dass die „ehrfurchtsvolle Umschreibung des Gottesnamens … gut zum Fragesteller“ passt.108 Siehe 4QpsDanAa = 4Q243 und 4Q246; vgl. ferner die messianisch-davidische Interpretation von Ps 2,7-8 und 2Sam 7,13-14 in 1QSa2,1ff und 4QFlor1,10-11; siehe schließlich PsSal 17,27.36; 18,6.8.109

101 Schnabel, Jesus, „Silence“, 32-36, betont zu Recht, dass das Schweigen Jesu deshalb besonders auffällig ist, weil Jesus bei Mk sonst stets auf Fragen von Sympathisanten und Gegnern eingeht. 102 Pesch II 436. 103 Vgl. Pesch II 436, mit Verweis auf 15,29-32. 104 Ebd. 105 Die Formulierung ist Umschreibung für „Gott“ (vgl. Apg 7,48; 17,24; 2Kor 5,11; Kol 2,11; Hebr 9,11.24). Siehe Art. ἀχειροποίητος [acheiropoiētos], EWNT III, 1112-1114, sowie ThWNT IX (E. Lohse), 425-426. 106 So auch Pesch, a.a.O. Vgl. Bock, Blasphemy, 210-213. 107 So auch Dschulnigg 383 und Anm.144. 108 Dschulnigg 383. 109 Vgl. Pesch II 437 und Anm. 33, mit Verweis auf Fitzmyer, Contribution, 382-407.391-394.

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Gottessohnschaft ist ferner im kollektiven Sinn von „Israel als Sohn“ belegt.110 Es gibt jedoch keine (bzw. nur mehrdeutige) Belege für die Auffassung einer tatsächlichen und direkten (seinshaften) Gottessohnschaft des Messias, die vor allem auf ein Individuum bezogen ist.111 Bock kommt in seiner detaillierten Studie zu dem Ergebnis, dass zwar gelegentlich davon die Rede ist, zur Rechten Gottes sitzen zu dürfen; niemand beansprucht jedoch dieses Vorrecht für sich selbst.112 Aufgrund der sicheren Aussage des Hohepriesters ist die Erklärung am überzeugendsten, dass der Hohepriester von Jesu öffentlichem Anspruch bzw. von öffentlichen Bekundungen gehört hat, einziger, messianischer Sohn Gottes im vollen Sinn des Wortes zu sein.113 Dies geht aus Mk 3,5-11, vor allem jedoch aus 12,1-12 sowie – im Tempelbereich – aus 12,35-37 hervor (vgl. privat: 1,11; 9,7; 13,32; 14,36; vgl. den Verlauf des Verhörs nach Lk 22,67-71, vor allem V. 70: „Bist du denn Gottes Sohn? Er sprach zu ihnen: Ihr sagt’s ich bin’s“). Es geht somit in diesem Verhör weiterhin um verschiedene Berichte über frühere Aussagen Jesu.114 Die Antwort Jesu auf die Frage des Hohepriesters (V. 62) weist in dieselbe Richtung: Vor allem unter Berücksichtigung von Mk 12,1-12 bejaht Jesus seine außergewöhnliche, seinshafte, präexistente Gottessohnschaft durch das Mischzitat aus Ps 110,1 (vgl. 12,35-37) und Dan 7,13 (vgl. 8,38). Alternativ, aber weniger wahrscheinlich, kann die Aussage des Hohepriesters dahingehend verstanden werden, dass der Zusatz Sohn des Hochgelobten in Apposition zu „Messias“ zu verstehen ist, und er somit lediglich der Erwartung eines irdischen Messias (siehe etwa 4QFlor1,10-11; vgl. Lk 22,67) Ausdruck verleiht, der Gott „wie ein Sohn“ ist.115 62 Unabhängig davon, wie die Frage des Hohepriesters letztendlich zu verstehen ist, weist die Antwort Jesu jedoch deutlich in eine Richtung: Jesus, der Mensch aus Nazareth, gibt die vielsagende ἐγώ εἰμι [egō eimi]-Antwort (vgl. 6,50; 13,6), die das unerhörte Erhöhungsmotiv des Adonai (Herrn) Davids aus

110 Vgl. Lane 535, der ferner auf Blinzler, Prozeß, 150-151, Anm. 45, verweist. 111 Vgl. oben, Einleitung 4.1.4. Vgl. Hengel, Sohn, 67-89. So auch Lane 535. 112 Bock, Blasphemy, 113-183. 113 Siehe den Forschungsüberblick bei Strobel, Stunde, 77-81 zur Frage warum Jesus verurteilt wurde. 114 Viel schwammiger und letztendlich nicht überzeugend, Strobel, Stunde, 80 („die Sohn-Gottes-Aussagen“ sind „urchristlich-bekenntnishaften Charakters“). 115 So etwa Lane 535 sowie Pesch II 437. Siehe ferner die Diskussion bei Bock, Blasphemy, 232 und Anm. 120.

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Ps 110,1-5 (vgl. Mk 12,35-37) mit dem Erscheinen des Menschensohnes vor Gott, dem Vater, aus Dan 7,13-14 (vgl. Ps 80,17)116 verbindet117 und auf sich bezieht: „Ich bin (es) und ihr werdet den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten der Macht (Ps 110,1) und kommen sehen mit den Wolken des Himmels (Dan 7,13f)“.118 Durch die kreative und außergewöhnliche Kombination von Ps 110,1 mit Dan 7,13-14 entsteht eine Verstärkung des Hoheitsanspruchs119 sowie eine dynamische Spannung zwischen sitzen und kommen.120 „Im Kontext jüdischer Traditionen interpretiert, widersetzt sich V. 62 allen Versuchen, Jesu Antwort vor dem Hohen Rat Jesus selbst abzusprechen“.121 Folgendes entspricht somit der wahren Identität des Messias Gottes und Sohn der Maria: 1. Er ist der Sohn des „Besitzers“ Israels sowie verworfener und eingesetzter, messianischer Grundstein (Mk 12,1-12) des messianischen Reichs. 2. Er ist der Herr Davids (κύριος [kyrios]), der zu höchster Ehre neben – und mit – dem ewigen Vater erhoben wird und über alle seine Feinde triumphiert (Mk 12,35-37). 3. Er ist der messianische Menschensohn, dem Macht, Ehre und Reich sowie die Anbetung aller Völker geziemt, dessen Macht und Reich zusammen mit dem Uralten ewig ist und der die Gottesfürchtigen als Mit-Regenten einsetzt (siehe die Einzelbemerkungen, jeweils zu 8,38 und 13,26). Der Prediger des nahen messianischen Gottesreiches weist sich somit offiziell vor dem höchsten jüdischen Rat als einziger, ontologischer Sohn Gottes, als einzusetzender Herr über alle Könige sowie als zukünftiger Richter aus.122 Hier berühren sich verlässliche Geschichte und analogielose Christologie in unzertrennlicher, fundamentaler Weise. Jesus reagiert nicht auf falsche Anklagen, aber er identifiziert sich ohne Vorbehalt in seiner ganzen, seinshaften Fülle (siehe die Seitenreferenten Mt 26,64-65 und Lk 22,67-71; vgl. Joh 19,7).123 Unabhängig davon, ob eine „einfache“ Antwort Jesu (z.B. „Ja, ich bin der erwartete, davidisch-königliche Messias“) seine Verurteilung verursacht haben 116 Vgl. Pesch II 439. 117 Vgl. Bock, Blasphemy, 19-29 (vor allem mit Verweis auf Hengel, Gundry und Evans). 118 Vgl. die Detaildiskussion bei Bock, Blasphemy, 222-233. Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 106-107.110-111.130. 119 Chapman/Schnabel, Trial, 106-130. 120 Vgl. Bock, Blasphemy, 26-29.200-202.220-224.230-231, mit Verweis auf Evans, Blasphemy, 407-434, hier: 409-411. 121 Pesch II 439. 122 Hinsichtlich der Authentizität von 14,62 vgl. Lane 537, Anm. 138. Lane, ebd. verweist ferner auf Moore, Parousia, 184-186; Borsch, Mark, 565-567 sowie auf Blinzler, Prozeß, 158, Anm. 66. Vgl. Dschulnigg 383-384. 123 Vgl. Lamarche, Blasphème, 74-85. Diese Konsequenz zieht Pesch (II 440) aus dem Text nicht und erwägt höchstens, ob Jesus durch eine derartige Aussage eine „unüberbietbare Gottesnähe“ deklariert.

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könnte oder nicht: Jesu unerwartete und alle herkömmlichen Messiasvorstellungen sprengende Antwort führt direkt (und in den Augen des Hohepriesters berechtigt) zur Beschuldigung der Gotteslästerung (siehe unten, V. 64).124 Jesus erhebt einen derart erhabenen Anspruch, dass die berechtigte Beschuldigung der Gotteslästerung nur dann nicht zutrifft, wenn sich der Anspruch Jesu dennoch als wahr herausstellt. Der unerhörte Anspruch Jesu ist im Gesamtkontext des zeitgenössischen Judentums unfassbar und ohne Parallele. Allein die tatsächliche Auferstehung Jesu aus dem Tod, in der der ewige Vater den Hoheitsanspruch Jesu voll und ganz bekräftigt (vgl. Apg 3,13), kann als Bestätigung der Tatsache dienen, dass Jesu Hoheitsanspruch zutrifft. Trotz des sicheren Todes rechnet Jesus mit Erhöhung,125 und damit indirekt mit seiner Auferstehung sowie der Bestätigung seiner Hoheitsaussagen. 63-64 Die Aussage Jesu ist aus der Sicht des Hohepriesters sowie der übrigen Versammelten eindeutig Gotteslästerung (vgl. Mt 26,65; vgl. Joh 10,36).126 Die zentrale Anklage des Hohepriesters gegen Jesus lautet, dass Jesus auf sündhafte Weise Gott lästert (vgl. Einleitung 4.1.4–4.1.6 und 8.). Hier befindet sich der Kern, in dem historische Glaubwürdigkeit des Berichts und theologische Stringenz unzertrennbar zusammenliegen: Der überzeugendste Grund, warum Jesus letztendlich Pilatus überantwortet wird, ist die Anklage der Gotteslästerung vonseiten des Hohepriesters.127 Evans erläutert in einem Exkurs über „Gotteslästerung“, dass die Anklage der Gotteslästerung verschiedene Interpretationsebenen erlaubt: 1. Die Anklage kann bedeuten, dass der Betreffende das Tetragramm JHWH (Jahwe) aussprach (Philo, Moses 2,203-208);128 2. Sie kann bedeuten, dass der Betreffende Gottes Namen missbraucht129 (Lev 24,11.15-16; z.B. Josephus, Ant 4,198.202; mSan 6,4; 7,5) bzw. eine abschätzige oder fluchende Äußerung über Gott macht (vgl. mSan 7,5); 3. Sie kann schließlich bedeuten, dass der Betreffende Gottes Ehre zu teilen gedenkt (vgl. z.B. Philo, Somn. 2,129-132; äthHen 27,2; bSan 38b).130

124 Ähnlich, jedoch etwas zurückhaltender, Bock, Blasphemy, 233. 125 Pesch II 438. 126 So auch Pesch II 439. Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 98-130, Bock, Blasphemy, 233, sowie Evans 453-457 (Lit.: ders., a.a.O., 453). 127 Strobel, Stunde, 92-94. Vgl. die Exkurse 13 und 14. 128 Vgl. Pesch II 440. Gundry 915-916, nach Evans 457, geht davon aus, dass Jesus vor dem Hohepriester das Tetragramm ausspricht. Dies ist historisch unwahrscheinlich und ändert ohnehin an der gesamten Sachlage nichts (vgl. ferner Evans 457). 129 U.a. durch einen Fluch. Evans 454 verweist z.B. auf 1Kön 21,13 und Hiob 2,9-10. 130 Evans 453-457, Lit. 453. Ferner kann die Bedrohung des Tempels (Josephus, Ant 12,406; Bell 6,300-309) oder der Angriff auf die von Gott eingesetzten Autoritäten (Josephus, Ant 13,293296) als Gotteslästerung gesehen werden. Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 99.122-130.

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Allen drei Interpretationsebenen gemeinsam ist allerdings, dass der Betreffende jedes Mal die majestätische Ehre des Höchsten einschränkt (zentraler Aspekt jeglicher Gotteslästerung). In Mk 14,62 kann entweder die erste oder dritte Interpretation vorliegen. Aufgrund der Anspielungen auf Dan 7,13-14 und Ps 110,1 (vgl. Mk 8,38; 12,35-37) ist die dritte Interpretationsvariante für die Anklage gegen Jesus am überzeugendsten. Bock bemerkt, dass der Anspruch Jesu (in den Augen des Hohepriesters) gleichzeitig Gott dadurch lästert, dass er den Hohepriester direkt herausfordert.131 Gotteslästerung muss im palästinischen Judentum mit dem Tode bestraft werden (Lev 24,16; Josephus, Ant 4,202; mSan 6,5a). Gleichzeitig wird damit jedoch unmissverständlich deutlich, dass der Mensch Jesus, der Messias Gottes (durch seinen Lebenslauf beglaubigt und durch die Auferstehung bestätigt), selbst den Anspruch erhebt, göttlicher Natur zu sein und damit alle gängigen messianischen Vorstellungen des Judentums weit übertrifft. Der zentrale historische Grund, warum Jesus verurteilt wird, ist zugleich der tiefste und direkteste Zugang zum Selbstverständnis Jesu: Er identifiziert sich vor dem höchsten, geistlichen Repräsentanten des Volkes Israel unmissverständlich als erhöhter Menschensohn (Dan 7,13-14), der als Herr Davids (Ps 110,1.5) göttliche Ehre mit dem Ewigen zeitlos teilt (Mk 14,62; vgl. Mk 1,11; 9,7; 12,6; 13,32 sowie 3,11).132 Jesus erhebt hier den uneingeschränkten Anspruch, Gottes Ehre zu teilen (im Gegensatz zu Jes 42,8; s.o. Einzelbemerkungen zu V. 62).133 Er macht sich in der Perspektive des Hohepriesters somit schuldig, die ausschließliche Eigenart Gottes zu teilen (vgl. z.B. Philo, Decal. 61-63; pTaʽanit 65b,61-70). Zusätzlich mag sich Jesus in den Augen des Hohepriesters an der Missachtung seiner geistlichen, von Gott verliehenen Autorität (Josephus, Ant 13,293-296) sowie am heiligen Tempel (Josephus, Ant 12,406; Bell 6,300-309) versündigt haben.134 63 Als Ankläger und Richter zerreißt der Hohepriester zum Zeichen seiner Entrüstung über die (vermeintliche) Gotteslästerung sein Gewand. Das Zerreißen des Gewandes ist bei Gotteslästerung erforderlich (siehe 2Kön 18,37-19,1; Josephus, Bell 2,321-22; mSan 7,5b).135 Nach der späteren Bar­ aitha (bMQ 25b) wird das Gewand „wegen schlimmer Nachrichten und wegen 131 Bock, Blasphemy, 236. Einzelheiten bei Bock, Blasphemy, 189-208. Vgl. Strobel, Stunde, 92-94. Evans 457, mit Verweis auf Gundry 457. 132 Ähnlich, jedoch etwas zurückhaltender, Bock, Blasphemy, 197-208.231.236-237. Vgl. Evans 456, der u.a. auf die Rüge des verehrten Rabbi Aqiba, Anfang des 2. Jh.s n.Chr., (bSan 38b) verweist. 133 Siehe die Diskussion bei Bock, Blasphemy, 201-209.220-237. Vgl. Dschulnigg 384. 134 So Schnabel in Chapman/Schnabel, Trial, 130. 135 Pesch II 439; vgl. Keener, Background, 178.

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Gotteslästerung und wegen eines Torahbuches, das verbrannt wurde …“ zerrissen.136 Wahrscheinlich trägt der Hohepriester zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht das „Prachtornat“137 (vgl. sonst den Widerspruch zu Lev 21,10).138 Wenn der Hohepriester allerdings erkannt hätte, wer Jesus tatsächlich ist, so hätte er nicht sein Gewand zerrissen, sondern vielmehr sein Herz: „Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider und bekehrt euch zu dem HERRN, eurem Gott! Denn er ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte, und es gereut ihn bald die Strafe“ (Joel 2,13; Luther 1984). 64 Die durch den Hohepriester und den Hohen Rat (alle; siehe V. 53.55; vgl. Mt 26,66; Lk 22,71) konstatierte Gotteslästerung (vgl. 10,33)139 ist nach dem Urteil (κατακρίνω [katakrinō]; vgl. 10,33)140 mit Steinigung zu bestrafen (Lev 24,10-16; Num 15,30-31; vgl. ferner Gen 26,11; Num 35,31). Nach Keener muss der Hohepriester zusammen mit dem Hohen Rat über die vorliegende Aussage Jesu befinden.141 Da das Synedrion besonders dann, wenn es sich um eine bekannte Person handelt, in Judäa nicht dazu befugt ist, die Todesstrafe zu vollziehen (vgl. Josephus, Bell 6,126.300-309; Ant 20,199-203; mSan 7,2b; Philo, Leg. Ad Gaium 306ff; siehe Joh 18,31),142 muss die Entscheidung darüber vom römischen Präfekt Pilatus getroffen werden (siehe Bemerkungen zu 15,1; vgl. die Exkurse 13 und 14).143 Dessen reguläre Residenz befindet sich in Caesarea. Aufgrund des Passahfestes hält er sich mit seinen Gefolgsleuten zur „Gewährleistung des Friedens“ in Jerusalem auf. 65 Die einzige Alternative, die sie nicht erwägen, ist, dass alttestamentliche Texte (wie Ps 110,1 und Dan 7,13-14) tatsächlich von einem erhabenen Messias sprechen. Sie erkennen daher nicht den, „auf dem … das Siegel Gottes des Vaters“ ist (Joh 6,27; vgl. Apg 3,13; Kol 2,9). Die später erfolgende Auferstehung vom Tod wird alle kühnen Aussagen Jesu bestätigen. Zum Zeitpunkt der Verurteilung wird er jedoch höhnisch verachtet und missbraucht (vgl. 10,34; 136 Zitiert nach Strobel, Stunde, 92. 137 So Pesch II 439. 138 Lane 538-539. Vgl. Pesch II 439, mit Verweis auf Blinzler, Prozeß, 160-161, Anm. 71. 139 Vgl. Lane 539, der auf Blinzler, Prozeß, 184-186 verweist. 140 Vgl. Pesch II 440. 141 Keener, Background, 178-179. 142 Siehe oben, Exkurs 13. Die Befugnis zum Urteil (pace Dschulnigg 384), aber nicht zur Vollstreckung, ist gegeben. Vgl. Strobel, Stunde, 18-43, der dem Synedrion allgemein die Blutgerichtsbarkeit bei religiösen Kapitalverbrechen abstreitet und bemerkt: „prinzipiell hat Rom auf seine juristische Oberhoheit niemals verzichtet“ (ebd. 21); siehe Pesch II 441; Dschulnigg 384. 143 Siehe oben, Exkurse 13 und 14. Vgl. pSan 1,1; 7,2 sowie 18a und 24b: Mindestens vierzig Jahre vor der Zerstörung Jerusalems dürfen die Juden nicht mehr das Todesurteil vollstrecken. Wahrscheinlich sind es eher 64 Jahre. Vgl. Gnilka (Prozeß, 28-31), der betont, dass das ius gladii (das Recht zur Vollstreckung von Todesurteilen) allein beim Statthalter liegt (ebd. 31).

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15,19; Jes 50,6; 53,2-3). Einige begannen ihn anzuspucken und ihm die Augen zu verbinden und ihn zu schlagen und zu ihm zu sagen: „Weissage“; und die Diener empfingen ihn mit Schlägen:144 Der Spott und die Misshandlung (siehe den leidenden Knecht, ‫[ ֶעבֶד‬ʽäbäd], in Jes 50,6; 53,2-3; vgl. 10,34; 15,19)145 folgen somit dem plausiblen aber falschen Urteil.146 Bei den Misshandelnden handelt es sich wahrscheinlich um Diener und Wächter im Hof des Hohepriesters (vgl. Lk 22,63-64).147

15.2 Verleugnung des Petrus 14,66-72 Das Verhör vor dem Hohen Rat führt zum verbindlichen Urteil, dass Jesus aufgrund seiner Gotteslästerung des Todes würdig ist. Inmitten der bedrohlichen Umstände seines Meisters leugnet Petrus, jemals bei Jesus gewesen zu sein (14,66-72). I 66 Petrus aber hält sich unten im Innenhof auf, als eine der Dienerinnen des Hohepriesters vorbeikommt; 67 als sie aber Petrus erblickte, wie er sich wärmte, schaute sie ihn direkt an und spricht: „Auch du warst mit dem Nazarener, dem Jesus“. 68 Er aber leugnete es und sprach: „Ich weiß und verstehe nicht, wovon du redest“. Und er schlich hinaus in den Vorhof (und der Hahn krähte).148 69 Als aber die Dienerin ihn erblickte, begann sie von Neuem den Dabeistehenden zu sagen, dass dieser zu ihnen gehörte. 70 Erneut verneinte er es. Und nach einer Weile sprachen die Dabeistehenden nochmals zu Petrus: „Tatsächlich bist du (einer) von ihnen, denn auch du bist ein Galiläer“. 71 Er aber begann, einen Fluch auf sich zu nehmen, falls die geschworene Aussage nicht stimme, dass er diesen Mann nicht kenne, von dem sie sprachen. 72 Und unmittelbar krähte der Hahn ein zweites Mal. Petrus aber erinnerte sich an das Wort, als Jesus zu ihm 144 Vgl. 1Kor 4,11; 1Petr 2,20. 145 Vgl. Pesch II 441. Lane 539 verweist u.a. auf Hiob 30,10; Num 12,14; Deut 25,9. Siehe Dschulnigg 385. 146 Nach Lane 540, erinnert die Behandlung Jesu an die rabbinische Interpretation von Jes 11,2-4 (bSan 93b), wonach der Messiasanwärter ohne Gehör und Sehkraft, lediglich durch seinen Geruchsinn, einen Menschen beurteilen kann. Allerdings ist zu bemerken, dass in V. 65 die Frage nicht mitschwingt, ob Jesus vielleicht der Messias sei. Im Gegenteil, es steht für die Gegner bereits fest, dass er es nicht ist. 147 So Dschulnigg 384-385. 148 Siehe unten, Bemerkung zu V. 68.

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sagte: „Bevor der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen“; und er fiel nieder und begann zu weinen.149 II Es folgt die narrative Episode der Verleugnung durch Petrus (14,66-72), worauf 14,54 bereits vorbereitet. Die Verleugnung durch Petrus steht in direkten Kontrast zum Bekenntnis Jesu (14,55-64).150 Evans geht aufgrund der Parallele in Joh 18,15-18 davon aus, dass es sich bei der Verknüpfung des Verhörs Jesu mit der Verleugnung durch Petrus um eine historische Reminiszenz handelt und nicht um eine literarische Gepflogenheit des Markus, Ereignisse zu verknüpfen (sandwich-Muster).151

Mk 14,66-72 enthält eine deutliche Steigerung: Erste Verleugnung vor einer Person (V. 66-68); zweite Verleugnung vor einer Gruppe (V. 69-70a); dritte, schwurartige Verleugnung vor einer Gruppe (V. 71). Abschließend erfüllt sich die Voraussage Jesu (Mk 14,30) durch das Krähen des Hahnes, mit darauffolgender Reue des Petrus (V. 72).152 Historizität. Aufgrund des Ansehens, welches Petrus von 33 n.Chr. bis in die Sechzigerjahre des 1. Jh.s n.Chr. genießt,153 kann die entblößende Selbstoffenbarung in Mk 14,66-72 lediglich als biografisches Zeugnis des Petrus betrachtet werden.154 Was würde die frühe Kirche dazu veranlassen, einen derartigen Abschnitt einzufügen? III 66-70 Der folgende Abschnitt, der an V. 54 anknüpft, beschreibt die schmerzliche Erfüllung der Voraussage Jesu über die Verleugnung Jesu durch Petrus (vgl. 14,30). Die Beschreibung enthält Details eines Augenzeugen: 1. der Innenhof (V. 66), der zum Saal des Rats führt; 2. das offene Feuer, wegen der nächtlichen Kälte (V. 67); 3. der Vorhof (V. 68)155 und 4. die Tatsache, dass Petrus aufgrund seines Dialekts als Galiläer identifiziert wird (V. 70). 149 Lit.: Öhler, Hahnschrei, 145-150; Seitz, Epibalon, 199-211; Wilcox, Denial-Sequence, 426436. Weitere Lit. bei: Pesch II 453 (bis 1980); Evans 460-461 (bis 1999). 150 Dschulnigg 378. 151 Evans 440-441. Vgl. Dschulnigg 378. 152 Vgl. Evans 463. 153 Vgl. Bayer, Peter, 42-44; 63-68. 154 Vgl. ähnlich Evans 463. 155 Pesch II 449, spricht ebenso von Ortskenntnis.

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66-67 Ein „Diener Jesu“ befindet sich unter den Dienern156 seiner Gegner. Die Feindseligkeit gegen Jesus überträgt sich auf Feindseligkeit gegen seine Jünger (vgl. Bemerkungen zu 2,15-16). Die Dienerin (vgl. Joh 18,16) muss Petrus beobachtet – oder ihn an seinem Dialekt erkannt – haben (vgl. V. 70). Der Hinweis auf Nazareth (vgl. 10,47) betont galiläische Provenienz. Impliziert wird hierbei, dass die „Diener des Synedrions“ dessen Feindschaft gegen Jesus teilen: „Auch du warst mit dem Nazarener, dem Jesus“. 68 Der Gegensatz zwischen der unlängst geäußerten Treuebekundung des Petrus (vgl. V. 14.29.31) und der nun erfolgten, direkten Verleugnung („ich weiß und verstehe nicht, wovon du redest“) könnte nicht größer sein. Sind doch höchstens drei oder vier Stunden seit der Beteuerung der Treue Jesus gegenüber verstrichen. Der feindselige und lebensgefährliche Druck, den Petrus jetzt spürt, nimmt ihm allen Mut und spiegelt (im Gegensatz zu Jesu Aufforderung in 8,34) die Oberflächlichkeit seiner Treue zu Jesus. Die Furcht um das eigene Ansehen und das eigene Leben sind stärker als das, was Jesus Petrus bedeutet. Die Erwähnung des ersten Krähens des Hahnes (V. 68b) ist textkritisch umstritten und wahrscheinlich sekundär.157

69 Die drei Anklagen steigern sich insofern, als die Dienerin Petrus zunächst selbst anspricht (V. 67), sodann die Dabeistehenden diesbezüglich mit einbezieht (V. 69) und schließlich die ganze Gruppe Petrus beschuldigt (V. 70, mit erwidernder Beteuerungsformel).158 70-71 Die zweite Verleugnung (mit iterativem Impf.)159 entspricht der ersten. Die dritte Verleugnung (V. 71; nach der dritten Anklage „Tatsächlich bist du (einer) von ihnen, denn auch du bist ein Galiläer“) repräsentiert eine weitere Steigerung, als Petrus die Verleugnung durch Selbstverfluchung und 156 Keener, Background, 179, bemerkt, dass Diener der Aristokraten mehr Macht haben, als gewöhnliche Israeliten. 157 Textkritische Diskussion: Das erste Krähen des Hahnes (καὶ ἀλέκτωρ ἐφώνησεν [kai alektōr ephōnēsen]) wird u.a. durch A C D Θ Ψc 067 f1 f13 33 M lat syp.h gut bezeugt. Ebenso gut (oder besser?) bezeugt ist die Auslassung durch ‫ א‬B L W Ψ* 579 892 2427 sys sa bo. Sowohl die Auslassung (Harmonisierung mit den anderen Evangelien, in denen lediglich von einem einmaligen Krähen des Hahnes die Rede ist) als auch der Einschub (Erfüllung von V. 30) von V. 68b leuchten ein. Eine eindeutige textkritische Entscheidung ist aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes nicht möglich. Die verschiedenen Ausgaben des griechischen Textes (27Nestle-Aland bzw. 4UBS) setzen V. 68b daher in eckige Klammern. Weitere Lit. bei Dschulnigg 377, Anm. 116. 158 Pesch II 450. 159 Vgl. ebd.

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Schwur bekräftigt: Er aber begann, einen Fluch auf sich zu nehmen, falls die geschworene Aussage nicht stimme, dass er diesen Mann nicht kenne, von dem sie sprachen. Der Hörer mag sich an Jesu Aussage erinnern, in der er diejenigen warnt, die sich seinetwegen vor den Menschen schämen und ihn dadurch verleugnen (Mk 8,38). Nun werden Ernst und Kosten der Nachfolge noch deutlicher, als dies z.B. aus Mk 8,34-37 und 10,29-30.39 hervorgeht. Galiläer sind an ihrem Dialekt (sowohl aramäisch als auch griechisch)160 erkennbar. Die Tatsache, dass Petrus (wie Jesus) aus Galiläa stammt, ist somit offenkundig.161 72 Unabhängig davon, wie die textkritische Entscheidung zu V. 68b ausfällt (siehe die Bemerkungen zu V. 68; V. 68b ist wahrscheinlich sekundär), bewahrheitet sich die Aussage Jesu über das zweimalige, nächtliche162 Krähen des Hahnes (vgl. 14,30) nach dreimaliger Verleugnung „bevor der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verneinen“. Damit wird auch ein weiteres Zeitzeichen gesetzt. Das dreimalige Krähen eines Hahnes zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens, also während der dritten Nachtwache, ist für Jerusalem durchaus belegt.163 Der Freitagmorgen, die zweite Hälfte des 15. Nisan, wird nun bald anbrechen. In Reue (er begann zu weinen; ἐπιβαλὼν ἔκλαιεν [epibalōn eklaien] = „in Tränen ausbrechen“)164 erinnert sich Petrus an Jesu Voraussage (14, 27-31) und sieht sich mit seinem eigenen Versagen konfrontiert. Bemerkenswert ist die schlichte Beschreibung seiner Reue. Während das Weinen des Petrus bei Mt 26,75 und Lk 22,62 mit πικρῶς [pikrōs] qualifiziert wird (er weint bitterlich), reflektiert Mk das Selbstzeugnis des Petrus so einfach wie möglich.165 Zwar versucht Petrus, Jesus bei der Festnahme durch Gewaltanwendung zu „verteidigen“ und „folgt“ ihm zum Hohepriester „nach“, verleugnet letztendlich jedoch die fundamentale und ausschlaggebende Nähe und Zugehörigkeit zu Jesus.166 Der selbstkritische Bericht der Verleugnung Jesu durch den zukünftigen Sprecher der Jünger und Zeugen Jesu (Apg 1‒9) ist entwaffnend. Aufgrund der Gnade, aufgrund der Vergebung, die Jesus Petrus entgegenbringt 160 Vgl. Pesch II 450, mit Verweis auf Apg 2,7. Keener, Background, 179. Vgl. Einleitung 2. „Die Entstehungsverhältnisse der synoptischen Evangelien“, vor allem bezüglich der „Sprachen in Galiläa und Judäa z.Z. Jesu“. 161 Vgl. Lane 542-543, der bezüglich des galiläischen Dialekts auf b‛Eru 53b und bMeg 24b verweist. 162 Irgendwann zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens; vgl. Pesch II 449. 163 Kosmala, Time, 118-120; 132-134; Lane 543 und Anm. 156. 164 Haubeck/von Siebenthal, NSS I 334, mit Verweis auf BDR §3082. Dschulnigg 385, Anm. 157: „er dachte daran (nämlich an Jesu Wort)“. 165 Vgl. oben, Einleitung 1.1.1 zur engen Beziehung zwischen Markus und Petrus. 166 Lane 543-544.

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(vgl. Mk 16,7),167 kann die Verleugnung im Zeugnisbericht offen bekannt werden und als Warnung für alle Jünger Jesu gelten. Der tatsächliche Trost, der aus der unverdienten Treue Jesu zu Petrus trotz Verleugnung entspringt, ist somit umso tiefer, realistischer und greifbarer. Es ist Glaubensfundament für jeden Jünger, der strauchelt (vgl. Lk 22,31-32).

15.3 Verhör vor Pilatus und Verurteilung 15,1-15 In schneller Abfolge erfährt der Hörer des Ev. von den Ereignissen (Urteilsspruch des Synedrions; Verhör vor Pilatus, 15,1-20), die zur Kreuzigung Jesu führen. Jesus schweigt vor Pilatus und verteidigt sich nicht. Er verhält sich jetzt wie ein unschuldiges Lamm, das geopfert wird (vgl. mit Jes 53,7, Apg 8,32 und 1Petr 1,19). I 1 Und frühmorgens fassten die Hohepriester mit den Ältesten und Schriftgelehrten, also das ganze Synedrion, sogleich den Entschluss, Jesus gebunden abzuführen und Pilatus auszuliefern. 2 Und Pilatus fragte ihn: „Bist du der König der Juden?“ Er aber antwortet ihm und spricht: „Du sagst es“. 3 Die Hohepriester aber brachten vehement Anklagen gegen ihn vor. 4 Pilatus aber fragte erneut und sprach: „Antwortest du (denn) überhaupt nichts? Siehe, wie sehr sie dich anklagen“. 5 Jesus aber antwortete überhaupt nichts mehr, sodass sich Pilatus wunderte. 6 Zum Anlass des Festes pflegte er ihnen jedoch einen Gefangenen nach ihrer Wahl freizugeben. 7 Ein Mann aber namens Barabbas war mit Rebellen, die beim Aufstand einen Mord begangen hatten, inhaftiert worden. 8 Die Menge kam herauf und begann darauf zu bestehen, dass er ihnen gegenüber (nach dieser Gewohnheit) handle. 9 Pilatus aber erwiderte mit der Aussage: „Wollt ihr, dass ich euch den König der Juden freigebe?“ 10 Denn ihm wurde bewusst, dass ihn die Hohepriester aus Neid ausgeliefert hatten. 11 Aber die Hohepriester spornten die Volksmenge an, dass er ihnen stattdessen Barabbas freigeben solle. 12 Pilatus aber fragte erneut und sprach zu ihnen: „Was soll ich nun mit dem König der Juden tun?“168 167 Vgl. ebenso Lane 544. 168 Textkritische Diskussion: Diese kürzere Lesart von V. 12b ist bezeugt durch A (B: Auslassung von ὅν [hon]) D W Θ f1 f13 565 700 lat sy sa. Textkritisch etwas umstrittener (siehe u.a. ‫ א‬C Ψ 0250 33 M syp.h bo; vgl. Mt 27,22) ist: „Was soll ich mit dem anfangen, den ihr König der Juden nennt“? Vgl. Metzger, Textual Commentary, 118.

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13 Wieder aber riefen sie laut: „Kreuzige ihn!“ 14 Pilatus aber sprach zu ihnen: „Aber was hat er Strafbares getan?“ Sie aber riefen noch mehr: „Kreuzige ihn“. 15 Pilatus aber entschied, der Menge den Gefallen zu tun und setzte ihnen den Barabbas auf freien Fuß; Jesus aber ließ er peitschen und übergab ihn zur Kreuzigung.169 II Jesus wird Pilatus vorgeführt; es erfolgt ein Kurzprozess, der mit Verurteilung und Geißelung endet (15,1-15). Mk 15,1-15 besteht aus zwei Hauptteilen: 1. Auslieferung Jesu an Pilatus (mit der politisierten Anklage, dass er beanspruche, „König der Juden“ zu sein) und Verhör Jesu (15,1-5); 2. Pilatus lässt die Anwesenden über Barabbas und Jesus entscheiden (15,6-15).170 Evans hebt treffend den generellen Kontrast hervor, dass Pilatus im ersten Teil den letztendlich schweigenden Angeklagten verhört, während er im zweiten Teil die rufende Menge befragt. Evans macht auf die unterschiedliche Art der Antwort Jesu auf die Frage des Hohepriesters („Ich bin’s“, Mk 14,62) und auf die Frage des Pilatus („Du sagst es“, Mk 15,2) aufmerksam. Wahrscheinlich ist aufgrund des jeweiligen Kontextes der Bedeutungsunterschied der zwei Aussagen gering und bejaht jeweils die Frage.171

Historizität (siehe oben 14.II Historizität und historischer Hintergrund). Zu verschiedenen historischen Fragen des Verhörs Jesu vor dem Synedrion und vor Pilatus, siehe die Exkurse 13 und 14. III 1 Gemeint ist das Synedrion, wobei auch weitere Priester und Schriftgelehrte dabei sein können. Das Synedrion hat beschlossen, d.h. das Urteil gefällt, dass Jesus wegen Gotteslästerung sterben muss (siehe Bemerkungen zu 14,64). Nun muss Jesus unmittelbar (nach Formulierung eines „Anklagebeschlusses“, vgl. 14,65)172 dem römischen Präfekt (praefectus) Pilatus ausgeliefert bzw. überantwortet (vgl. ἀποφέρω [apopherō] und παραδίδωμι [paradidōmi])173 werden 169 Lit.: Blinzler, Prozeß, 229-250; Garnsey, Jurisdiction, 51-59; Gnilka, Prozeß, 26-36 (Lit. 3940); Müller, Möglichkeit, 41-83; Vardaman, Inscription, 70ff; Wilton, Roman Law, 73-81; vgl. ferner Kertelge, Prozess, ad loc.; Stauffer, Pilatusinschrift, ad loc.; Winter, Trial, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II, 459.468 (bis 1980); Evans 468-469.471-472 (bis 1999). 170 Vgl. Evans 473. Weitere Details zur Gliederung bei Dschulnigg 387. 171 Siehe Evans 473-474. 172 So Pesch II 456. 173 Zum theologisch bedeutsamen Motiv der „Auslieferung“ siehe die Bemerkungen zu 1,14; 3,19; 9,31; 10,33; 13,9-13; 14,10-11.18.21.41-42.44; vgl. Pesch II 456.

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(vgl. die Exkurse 13 und 14).174 Drei Beweggründe liegen vor: 1. Bei Tagesanbruch wollen die religiösen Entscheidungsträger wegen des nun andauernden Passahfestes (es handelt sich um die zweite Hälfte des 15. Nisans und zugleich um den „Rüsttag“ auf den regulären Sabbat am 16. Nisan)175 nicht mehr beim Geschäft einer Verurteilung gesehen werden. 2. Die Befugnis, das Todesurteil zu vollstrecken, liegt, vor allem bei bedeutenden und bekannten Personen, in Händen der römischen Besatzungsmacht (siehe die Exkurse 13 und 14).176 3. Die täglichen Angelegenheiten, über die Pilatus zu befinden hat, müssen, um gehört zu werden, frühmorgens (von Tagesanbruch etwa bis Mittag) vorgebracht werden. Die frühen römischen Gerichtssitzungen sind ein Grund für das nächtliche Verhör Jesu vor dem Synedrion.177 Die Geschäfte des Pilatus ruhen während der Passahfesttage nicht. Jesus wird vom Haus des Hohepriesters (im Essenerviertel) gebunden abgeführt. Er wird entweder zum westlich vom Tempel gelegenen Palast des Herodes in der Oberstadt an der ersten Nordmauer geführt,178 oder zum „ehemaligen hasmonäischen Königspalast gegenüber der S-W-Ecke des Tempels“ gebracht (s.u., Einzelbemerkungen zu Mk 15,16).179 Obwohl sich das Hauptquartier des Pilatus in Caesarea befindet, hält er sich mit seinem Begleitpersonal anlässlich der jüdischen Feste als Sicherheitsvorkehrung in Jerusalem auf (vgl. Josephus, Bell 2,280-281 sowie Exkurs 14). 2 Nun befindet sich Jesus in den Händen des römischen Machthabers. Der Ablauf eines römischen Prozesses ist grundsätzlich einfach: Konsultation des Statthalters mit seinen Ratgebern nach erfolgter und offiziell beendeter Anklage und Selbstverteidigung des Angeklagten (Kognitionsverfahren).180 Danach erfolgt das Urteil mit unmittelbarer Ausführung der Strafe.181 Im Gegensatz zum Synedrion (kollektive Gerichtsbarkeit) entscheidet der Statthalter unter römischem Gesetz eigenständig.182 Das stellt ein gewisses Risiko für die 174 Zum komplizierten Verfahren der Übertragung eines örtlichen Prozesses an den jeweiligen römischen Machthaber, siehe Chapman/Schnabel, Trial, 142-151. Siehe Josephus, Bell 6,303305. 175 Siehe oben, 14. II Historizität und historischer Hintergrund. 176 Lane 547 verweist auf Joh 19,10 sowie auf Blinzler, Prozeß, 229-244; Garnsey, Jurisdiction, 51-59. 177 Vgl. Lane 549, der auf Seneca, De Ira 2.7.3 verweist. Siehe ferner Pesch II 457, Anm. 6. 178 Lane 548 und Anm. 10 (mit Verweis auf Eckhardt, Benoit, Aline, Blinzler). Lane, ebd., Anm. 9, bemerkt, dass die römischen Statthalter gerne Paläste früherer Machthaber benutzen. 179 Vgl. die Details bei Riesner, GBL III, 1221-1222. 180 Pesch II 457. 181 Vgl. Blinzler, Prozeß, 251-346. 182 Lane 549. Die Rechtsgelehrten und Amtsträger, die um Pilatus sind, haben keine richterliche Kompetenz, sondern besitzen lediglich beratende Funktion.

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Gegner Jesu dar, da Pilatus den jüdischen Verantwortlichen gegenüber seit 26 n.Chr. immer wieder zu zeigen versucht, wer „Herr im Hause ist“. Seine z.T. unüberlegten „Machterweise“ fallen nicht immer zugunsten des Pilatus aus (gelegentlich sogar mit negativen politischen Konsequenzen für Pilatus). Zur Zeit des Verhörs Jesu hat Pilatus aufgrund seiner zurückliegenden Auseinandersetzungen in Judäa wohl etwas weniger Machtspielraum (siehe die Exkurse 13 und 14) als zu Beginn seiner Amtszeit in Judäa. Exkurs 14: Pontius Pilatus183 Pontius Pilatus wird als Nachfolger von Valerius Gratus (15–26 n.Chr.) durch Kaiser Tiberius (14–37 n.Chr.) als fünfter Präfekt in Judäa (und Samaria) eingesetzt (26–36 n.Chr.).184 Der militärische Rang des Präfekten (Statthalter) liegt unter dem eines römischen Senators. Siehe die lateinische Inschrift, die 1961 in Caesarea gefunden wurde: Pilatus wird dort als „[praef]ectus Iudae[a]e“ bezeichnet.185 Erst z.Z. des Claudius (41–54 n.Chr.) wird der Begriff „Prokurator“ benutzt (pace Tacitus, Ann. 15,44, der Pilatus anachronistisch „Prokurator“ nennt).186 Das ius gladii (das Recht zur Vollstreckung von Todesurteilen) liegt allein beim Statthalter (siehe Exkurs 13 sowie unten).187 Die Aufgaben eines Präfekten konzentrieren sich auf folgende Ressorts: 1. Aufsicht über Steuereinnahmen; 2. Richterfunktionen; 3. Befehlshaber der Streitkräfte von etwa 3000 Soldaten; 4. Überwachung der ortsansässigen Verantwortlichen (z.B. Synedrion; Einsetzung des Hohepriesters). Die späteren Briefe von Plinius (der Jüngere) an Kaiser Trajan belegen, dass mittels Korrespondenz immer wieder Rat und Schutz vom Kaiser eingeholt werden. Pilatus wird Tiberius öfters über Unruhen und weitere Angelegenheiten in Judäa und Samaria informiert haben. Laut Philo (Leg. Ad Gaium 299-305), dessen Aussagen über Pilatus unterschiedliche historische Qualität aufweisen und daher mit Vorsicht beurteilt werden sollten,188 ist Pilatus bestechlich, unflexibel, ruchlos und eigensinnig; ein Mann, der die jüdische Kultur und Religiosität nicht versteht bzw. nicht verstehen will.189 Was vor allem aufgrund von Josephus, relativ unabhängig von Philo, zutrifft, ist die Tatsche eines abnehmenden Machtspielraums, je länger Pilatus in den 183 Lit.: Chapman/Schnabel, Trial, 153-198. Bell, Exploring, 73; Bond, Pilate, passim; Bond, „Philo“, 238-244; Bruce, History, 203. 184 Zu weiteren Details vgl. Gnilka, Prozeß, 27. Vgl. weiterführende Lit. bei Evans 469-471. 185 Vgl. Lane 549 und Anm. 11 (Vardaman, Inscription, 70ff; Stauffer, Pilatusinschrift, ad loc.); vgl. ferner Bond, Pilate, ad loc. Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 165. 186 Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 160. 187 Gnilka, Prozeß, 28-31. 188 Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 172-174. 189 Philo, Leg. Ad Gaium, 299-305. Vgl. Pesch II 456 sowie Bell, Exploring, 73. Z.T. berechtigt ist die Kritik gegenüber der Aussage des Philo bei Reinbold, Prozess, 75-76. Vgl. ferner die nur teilweise überzeugende Analyse von Bond, „Philo“, 238-244.

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turbulenten Territorien von Judäa und Samaria wirkt. Grundsätzlich muss Pilatus stets dem Auftrag und Willen des Kaisers Tiberius, dem er mehr oder weniger direkt unterstellt ist, gerecht werden (z.B. Josephus, Ant 18,57). Er muss das Volk in Judäa und Samaria deshalb so führen, dass Steuern bezahlt werden und keine Aufstände entstehen. Hierzu sind folgende Tatsachen zu beachten: 1. Pilatus, der zwar über etwa 3000 Soldaten verfügt, muss die ersten sechs Jahre seiner Amtszeit in Judäa ohne weitere militärische Unterstützung des ihm vorgesetzten Statthalters der Provinz Syrien, Lucius Aelius Lamia auskommen. Aus ungeklärten Gründen behält Tiberius den verehrten Senator und Statthalter Lamia bis zu dessen Tod 33 n.Chr. in Rom. Das beeinträchtigt die Macht, die Pilatus u.a. mittels Soldaten besitzt. 2. Laut Josephus ist Pilatus als Präfekt weniger als seine Vorgänger fähig und bereit, sich auf die Besonderheiten und Eigenarten der Bevölkerung in Judäa und Samaria einzustellen (Josephus, Ant 18,56.59). Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass Pilatus antisemitisch eingestellt ist,190 wovon ältere Studien z.T. ausgehen. Es zeigt jedoch, dass sein Verhalten starrsinnig ist. 3. Bereits während der ersten Wochen nach Amtsantritt (ca. 26 n.Chr.)191 befremdet er das jüdische Volk dadurch, dass er, im Gegensatz zu seinen umsichtiger eingestellten Vorgängern (siehe oben, 2.), kaiserliche Feldzeichen (signa, jeweils mit einem imago des Tiberius) in Jerusalem auffahren lässt, die nicht nur militärisch, sondern auch bei der Kaiserverehrung bzw. -anbetung seit Augustus verwendet werden (vgl. Josephus, Bell 2,169-174; Ant 18,55-59; vgl. Philo, Leg. Ad Gaium, 299-305).192 Der Widerstand der jüdischen Bevölkerung (vgl. Ex 20,4) dagegen ist so vehement, dass er sich letztendlich dem Willen des Volkes beugen muss.193 Pilatus wird durch den Kaiser Tiberius für seine unvorsichtige Vorgehensweise bei dieser oder einer ähnlichen, späteren Begebenheit194 gerügt (vgl. Philo, Leg. Ad Gaium, 305). 4. Etwa zwei Jahre später (28 oder 29 n.Chr.) benutzt er Tempelsteuer, um damit einen kostspieligen Aquädukt zu subventionieren (Josephus, Bell 2,175177; Ant 18,60-62).195 Eventuell verfolgt er dies mit Zustimmung der jüdischen Verantwortlichen.196 Bei dem damit entfachten Aufstand der jüdischen Bevölkerung setzt er jedoch derartig viele Soldaten ein, dass er die empörte

190 Siehe die Diskussion über ältere und neuere Pilatus-Studien bei Chapman/Schnabel, Trial, 173-174. 191 Chapman/Schnabel, Trial, 177. Schnabel bezeichnet diese zeitliche Einordnung mit „perhaps“. 192 Vgl. Lk 13,1,2. 193 Josephus, Bell 2,174 und ders., Ant 18,55-59. Vgl. eventuell Megillat Taʽanit 9 [20]. 194 Siehe Chapman/Schnabel, Trial, 169-171. Schnabel geht davon aus, dass es sich bei dem Philo-Bericht um eine spätere Begebenheit handelt als die, die von Josephus (Bell 2,169-174; Ant 18,55-59) beschrieben wird. 195 Siehe Chapman/Schnabel, Trial, 180-183.185-186. 196 Chapman/Schnabel, Trial, 182-183.

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Menge niederdrückt.197 Auch wenn die Soldaten seine Anweisungen wohl gewaltsam überschreiten (Josephus, Ant 18,62),198 ist Pilatus dennoch für das Blutbad verantwortlich und sein Ruf wird unter der Bevölkerung dadurch weiter beeinträchtigt. Pilatus bleibt eine Quelle der Irritation.199 5. Nach etwa ein bis zwei Jahren erfolgt der Prozess Jesu (s.u.). Pilatus verfügt zu diesem Zeitpunkt aufgrund der vorhergehende Ereignisse über einen geringeren Machtspielraum.200 6. Während Kaiser Tiberius seinem Lebensende entgegengeht, wird Pilatus schließlich aufgrund der Anordnungen des syrischen Statthalters Lucius Vitellius 36 n.Chr. nach Rom geschickt,201 nachdem Pilatus erneut in eine blutige Auseinandersetzung mit einer Gruppe von Samaritern verwickelt war (Josephus, Ant 18,85-89; vgl. Lk 13,1). Allerdings scheint dieses Ereignis weniger öffentlich gewesen zu sein, als die vorhergehenden Auseinandersetzungen zwischen dem jüdischen Volk oder den jüdischen Verantwortlichen und Pilatus. Pilatus muss sich in Rom schließlich dafür vor Gericht verantworten (Josephus, Ant 18,89), während er in Judäa zunächst durch Marcellus (ca. 36 n.Chr.) und später durch den Präfekt Marullus (ab 37 n.Chr.) ersetzt wird.202 Nach 37 n.Chr. verlieren sich die historischen Spuren des Pilatus. Ein vermeintlicher Brief an Tiberius besagt, er sei Christ geworden; ein anderer Bericht weiß vom Selbstmord des Pilatus zu berichten. Zur konkreten Situation des Prozesses Jesu ist Folgendes zu bemerken:203 Bei großen Festen wohnt Pilatus mit erweitertem, militärischem Aufgebot im Palast des Herodes (vgl. Josephus, Bell 2,280-281.330-332.404.430-432)204 bzw. im „Hasmonäerpalast“ (vgl. Einzelbemerkungen zu Mk 15,16). Pilatus besitzt in Judäa die alleinige Macht, bei Kapitalverbrechen (ius gladii) das Todesurteil zu vollstrecken: „Die Vollmacht, Todesurteile zu fällen und zu vollstrecken war vor Ort die alles tragende Rückwand seiner Macht“.205 Dies wird vor allem bei Josephus, Bell 2,117 deutlich: μέχρι τοῦ κτείνειν λαβὼν παρὰ Καίσαρος ἐξουσίαν [mechri tou kteinein labōn para Kaisaros exou-

197 Josephus, Ant 18,60-62 und ders., Bell 2,175-177. 198 Chapman/Schnabel, Trial, 183. 199 Blinzler, Prozeß, 264 Anm. 14 verweist ferner auf die Tatsache, dass Pilatus eine Münzprägung veranlasst, die polytheistische Opfersymbole darstellt. 200 Im NT wird Pilatus relativ häufig genannt. Neben den vier Evangelien im Zusammenhang mit dem Prozess Jesu siehe Lk 3,1; 13,1; Apg 3,13; 4,27; 13,28 sowie 1Tim 6,13. 201 Zu den möglichen Motiven für das Vorgehen von Vitellius siehe Chapman/Schnabel, Trial, 191. 202 Zu einem „positiveren“ Pilatusbild siehe Reinbold, Prozess, 73-78, H. Bond, Pilate, passim, sowie, ausgewogener, Chapman/Schnabel, Trial, 196-198. 203 Vgl. die detaillierte Studie von Strobel, Stunde, 95-137. 204 Müller, Möglichkeit, 54. Vgl. Pesch II 456. 205 Müller, Möglichkeit, 54. Chapman/Schnabel, Trial, 161.

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sian] (vgl. Josephus, Bell 6,126; Ant 20,199-203; mSan 7,2b; Philo, Leg. Ad Gaium 306ff; vgl. Mk 15,1; Joh 18,31).206 Evans verweist mit Recht auf die erstaunliche historische Parallele des Prozesses gegen Jesus bar Ananias, der vier Jahre vor dem Ausbruch des jüdischen Krieges in Jerusalem auftritt (vgl. Josephus, Bell 6,300-309).207

Pilatus muss bei derartigen Prozessen immer persönlich anwesend sein.

Das Verhör Jesu vor Pilatus fügt sich gut in das politische, historische, und psychologische Gesamtbild, das sich von Pilatus zur Zeit der Kreuzigung Jesu ergibt (siehe oben). Pilatus hat zu diesem Zeitpunkt bereits ca. vier Jahre als Präfekt in Judäa gewirkt und einiges an Machtspielraum eingebüßt (s.o.).208 Es ist umstritten, ob Jesus einem genuinen Prozess oder lediglich einem Verhör ausgesetzt wird. Es ist wohl überzeugender, von einem genuinen, obschon kurzen Prozess auszugehen.209 Fest steht zumindest, dass Pilatus Jesus verurteilt und ihn kreuzigen lässt (Josephus, Ant 18,64;210 Tacitus, Ann. 15,44.3; vgl. Justin, Dial c Tryph 85,2). Der Druck, den die jüdischen Verantwortlichen (Josephus, Ant 18,64) zu Beginn des Passahfestes auf Pilatus ausüben, vereitelt allerdings einen umfassenden Prozess. Pilatus und seine Soldaten halten sich wegen des Passahfestes und der damit zusammenhängenden erhöhten Gefahr eines Aufstandes im Prätorium (s.o. Einzelbemerkung zu 15,16) nahe dem Tempel auf.211 Pilatus befindet sich in einer schwierigen Lage: Aufgrund seiner z.T. inkonsequenten und anstößigen Art im Umgang mit dem jüdischen Volk seit Beginn seiner Amtsperiode, besitzt er nun weniger politisches Kapital als zu Beginn seiner Amtszeit.212 206 Siehe oben, Exkurs 13. Dort bemerken wir Folgendes: Nur die Befugnis zum Urteil, aber nicht zur Vollstreckung, ist dem Synedrion gegeben. Vgl. Strobel, Stunde, 18-43, der dem Synedrion allgemein die Blutgerichtsbarkeit bei religiösen Kapitalverbrechen abstreitet und bemerkt: „prinzipiell hat Rom auf seine juristische Oberhoheit niemals verzichtet“ (ebd. 21); vgl. pSan 1,1; 7,2 sowie 18a und 24b: Bereits vierzig Jahre vor der Zerstörung Jerusalems dürfen die Juden nicht mehr das Todesurteil vollstrecken. Wahrscheinlich sind es bereits mehr als vierzig Jahre. Dass Verurteilte dennoch getötet werden (vgl. Stephanus [Apg 7] sowie Jakobus [Josephus, Ant 20,200]) bedeutet lediglich, dass römisches Recht nicht immer befolgt wurde. Differenzierter argumentiert Gnilka (Prozeß, 28-31), der dennoch betont, dass das ius gladii (das Recht zur Vollstreckung von Todesurteilen) allein beim Statthalter liegt (ebd. 31). 207 Evans 485. 208 Dschulnigg 388 bemerkt im Gegensatz hierzu, dass Pilatus „in der markinischen Darstellung – jedoch historisch wenig plausibel – zum beinahe hilflosen Zeugen der Unschuld Jesu“ wird. Vgl. Bruce, History, 203, Anm. 27. 209 Siehe die Detailargumente bei Gnilka, Prozeß, 31. Vgl. Chapman/Schnabel, Trial, 210-255. 210 Zur Diskussion der Authentizität des sog. Testimonium Flavianum (Josephus, Ant 18,63-64), siehe Chapman/Schnabel, Trial, 187-188, mit Lit. in Anm. 178-181. 211 Vgl. Ferguson, Backgrounds, 523. 212 Siehe vor allem den Bericht über Pilatus von Josephus, Ant 18,55-62. Eventuell beurteilen Chapman/Schnabel, Trial, 183-186 diverse kritische Aussagen von Josephus über Pilatus (vgl.

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Der vorliegende Prozess enthält die Anklage des Verrats (Lk 23,2). Pilatus hätte somit die Möglichkeit, Jesus auf dem Hintergrund jüdischer Freiheitskämpfer (auctor seditionis) zu verstehen (siehe z.B. Judas den Galiläer sowie Barabbas), aber er tut dies wohlweislich nicht. Offensichtlich gibt es bei Jesus hierzu keine Anhaltspunkte: Weder kann Jesus als sicarius (Meuchelmörder) noch als latro (Bandit) beschuldigt werden.213 Pilatus kommt zu dem Schluss, dass die Anklage haltlos ist (vgl. Joh 18,38). Er versucht, Jesus als schuldlos zu entlassen. Pilatus besitzt schließlich noch die Option der Passah-Amnestie (siehe Bemerkungen zu Mk 15,6; vgl. Joh 18,39). Nach Bultmann gibt es jedoch weder nach jüdischem noch nach römischem Gesetz eine sog. „Passah-Begnadigung“.214 Evans macht allerdings geltend, dass ein derartiges Vorgehen eines Präfekten weder des jüdischen noch des römischen Gesetzes bedarf.215 Strobel spricht sich für eine jüdische Passahamnestie z.Z. Jesu aus (mit Verweis auf 1Sam 14,44f; Josephus, Ant 20,208-215; mPes 8,6a; bPes 91a).216 Es gibt zumindest einige Hinweise auf die Tatsache, dass römische Machthaber in verschiedenen Regionen des Reiches eigenmächtig Gefangene begnadigen (vgl. etwa P Flor 61, Zeilen 59-60,64 um 85 n.Chr., s.u.; Plinius der Jüngere, Ep 10.31; vgl. Josephus, Ant 17,204, bezüglich Archelaus),217 um mit relativ einfachen Maßnahmen die Spannung zwischen Rom und der zu regierenden Region abzubauen oder um das Wohlwollen der Menge für sich zu gewinnen.218 Strobel geht davon aus, dass Pilatus eine Passahamnestie mit einer Volksbefragung (acclamatio populi) verknüpft.219 Der Papyrus Flor 61, Zeile 59-60.64, enthält das Protokoll einer Gerichtsverhandlung, in der der Statthalter von Ägypten, G. Septimius Vegetus, dem angeklagten Phibion sagt: „Verdient hättest Du, daß Du Geißelhiebe erhieltest … ich will Dich aber dem Volkshaufen schenken (χαρίζομαι δέ σε τοῖς ὄχλοις [charizomai de se tois ochlois])“.220 Phibion hatte eigenmächtig einen angeblichen Schuldner sowie Frauen eingesperrt (siehe unten, Einzelbemerkungen zu Mk

z.B. Josephus, Ant 18,56.59) etwas zu positiv. 213 Vgl. Strobel, Stunde, 117. 214 Bultmann, Geschichte, 293, Anm. 3. 215 Siehe jedoch bezüglich des römischen Begnadigungsrechts (abolitio, indulgentia und venia) Waldstein, Untersuchungen, passim und 41f; Verweis bei Gnilka, Prozeß, 36, Anm. 45. 216 Strobel, Stunde, 120-124. 217 Vgl. Evans 480. Siehe Chapman/Schnabel, Trial, 255-269. 218 Evans 479-480, der u.a. auf Bond, Pilate, 119 verweist. 219 Strobel, Stunde, 124-127, vor allem 125. Etwas vorsichtiger geht Gnilka vor, der dann doch von einer historisch glaubwürdigen „Begnadigung durch Akklamation“ spricht (Prozeß, 35; vgl. ebd. 26). 220 Deissmann, Licht, 229. Bultmann, Geschichte, 293, Anm. 3 kann die vorliegende Evidenz nicht als Indiz für die Historizität des Mk-Berichtes stehen lassen. Vielmehr vermutet er, dass die (fiktive, HFB) „Gemeindetradition“ einen derartigen „historischen Fall“ „mit der Verurteilung Jesu“ zusammenstellt.

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15,6.8).221 Auch enthält eine früh zu datierende Notiz der mPes 8,6a die Aus­ sage: “They may slaughter for one … whom they have promised to bring out of prison”. Dies gilt als historisches Indiz dafür, dass um die Zeit Jesu beim Passahfest ein Verurteilter begnadigt werden konnte.222 Bedenkt man ferner, dass das politische Handeln von Pontius Pilatus durchwachsen ist und er deshalb sein politisches Kapital in Judäa um 30 n.Chr. z.T. bereits beträchtlich verspielt hat, so passt der Markusbericht über die Begnadigung des Barabbas gut in das historische Gesamtbild.223 Aufgrund seiner prekären, politischen Position gibt er mittels der Passahamnestie den Forderungen des durch die jüdischen Verantwortlichen aufgewühlten Volkes nach. Dies geschieht schließlich durch die (politisierte) Aussage: „Wenn du diesen Menschen gehen lässt, so bist du dem Kaiser untreu“ (Joh 19,12; vgl. 18,28‒19,6). Der Druck vonseiten des Kaisers ist tatsächlich groß. Pilatus kann es sich nicht leisten, dass ein möglicher Bericht des Synedrions zu Tiberius gelangt, der Pilatus der Untreue dem Kaiser gegenüber bezichtigt. Beschwichtigt er andererseits ohne Weiteres die Forderungen der jüdischen Verantwortlichen, so hat er eine weitere Einengung seines Machtspielraums zu befürchten. Letztendlich verurteilt Pilatus Jesus aufgrund des crimen maiestatis224 und spricht deshalb das Todesurteil vom Richterstuhl aus (vgl. Joh 19,13). Er macht sich dadurch für den Tod Jesu verantwortlich. Zu weiteren Einzelheiten, siehe die Einzelbemerkungen zu Mk 15,1-19. Pilatus zeigt der Bevölkerung gegenüber ferner ein gewisses Maß an Respekt, indem er erlaubt, dass ein jüdischer Mann (Joseph von Arimathäa) den gekreuzigten Leib Jesu nach jüdischer Sitte begraben darf (Mk 15,43; Joh 19,38).

Der prekäre Machtspielraum des Pilatus begünstigt die Position der jüdischen Verantwortlichen, indirekt Druck auf ihn auszuüben. Die anwesenden jüdischen Machthaber versuchen,225 Pilatus zur Vollstreckung eines Urteils zu bringen.226 Pilatus versucht seinerseits festzustellen, ob Jesus gegen römisches Recht verstößt. Daher seine rein politische Frage bezüglich der Anklage, die 221 Deissmann, Licht, 229-230. Vgl. Lane 552-553 und Anm. 24-26, der u.a. gegen Winter, Trial, passim, argumentiert. Siehe ferner Pesch II 462 sowie Blinzler, Prozeß, 301-303. 222 Vgl. Strobel, 120-124 sowie Chavel, Releasing, 273-281. 223 Vgl. Evans 475, der u.a. auf Brown, Death, II 695-705, sowie auf McGing, Pilate, 416-438 verweist. Vgl. Strobel, 127-131. 224 Zur eingehenden Diskussion siehe Chapman/Schnabel, Trial, 210-243, vor allem 241-243. 225 Lane 549, meint, dass dies mittels Übersetzer geschieht; er verweist auf Josephus, Bell 5,361; 6,94ff; vgl. ferner Josephus, Bell 6,129. Allerdings sind die von Lane genannten Abschnitte bei Josephus eher dahingehend zu verstehen, dass Titus den jüdischen Landsmann Josephus als psychologisch effektiven Übermittler seiner Botschaften an die Zeloten in Jerusalem einsetzt. Trotzdem gilt, dass Griechisch die lingua franca ist. Vgl. Jensen, Antipas, ad loc. 226 Zur Anwesenheit der jüdischen Verantwortlichen bei anderen Prozessen, vgl. Josephus, Bell 2,301.

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ihm, als scheinbare Behauptung Jesu, von jüdischer Seite unterbreitet wird (vgl. V. 9.12 und vor allem V. 26).227 Pilatus geht dieser Anklage nach: „Bist du der König der Juden?“ Aus jüdischer Perspektive wird Jesus als „König Israels“ bezeichnet (15,32); aus römischer Perspektive heißt Jesus nun „König der Juden“ (vgl. 15,2.9.12.18.26).228 Aus jüdischer Perspektive ist diese Anklage das tragfähigste Pendant zu ihrer Hauptanklage der Gotteslästerung. Vor dem Synedrion hat sich Jesus als gesalbter König (Messias) bekannt, allerdings in Verbindung mit göttlicher Ehre und überpolitischer Aufgabe und Macht. Nun wird der messianische Aspekt politisch eingeengt bzw. umgewandelt.229 Der vermeintliche Anspruch, König der Juden zu sein (der womöglich einen romfeindlichen Aufstand anführt), ist eine für römische Machthaber ernstzunehmende Anklage. Die Zelotenführer Simon (Josephus, Ant 17,273-74), Anthrogenes (Josephus, Bell 2,6062) und Judas (Josephus, Ant 17,271-272) bezeichnen sich jeweils als „König“.230

Der Begriff König ist in römischen Ohren durchaus ein Reizwort. Z.B. wird Herodes Antipas (39 n.Chr.) einst durch Kaiser Caligula seines Amtes enthoben, weil er die Würde und Macht eines „Königs“ beansprucht.231 Die Antwort Jesu, „du sagst es“, kann unterschiedlich aufgefasst werden.232 Obwohl sie viel zurückhaltender ist als die Antwort Jesu auf die Frage des Hohepriesters (14,62),233 scheint sie dennoch zu implizieren, dass Jesus sich tatsächlich als König (vgl. Mk 14,62; 15,32) bezeichnen lässt. Dies mag Pilatus als Vertreter des römischen Kaisers in Rom234 verunsichern und ihn dazu veranlassen, der Anklage weiter nachzugehen.235 Während Mk nur noch das Schweigen Jesu hervorhebt, macht Joh 18,33-38 deutlich, dass Jesus auf privater Ebene Pilatus gegenüber zu erkennen gibt, dass sein Königreich als Herrschaft Gottes und

227 Vgl. Lane 550, der aufgrund von Blinzler betont, dass der Statthalter eine mündliche oder schriftliche Anklage erhalten hat. 228 Vgl. Pesch II 457. 229 Strobel, Stunde, 114. 230 Siehe Pesch II 457, Anm. 9. Vgl. Blinzler, Prozeß, 247-250. 231 Ferguson, Backgrounds, 394. Allerdings spielt hierbei auch die Ambition des Herodes Agrippa I. eine Rolle. Letzterer darf den Titel „König“ aufgrund seiner ungebrochenen Loyalität zu Kaiser Caligula führen (vgl. Lk 3,1). 232 Lane 551 verweist auf BDR §441.4 und Irmscher, Σὺ λέγεις, 151-158. 233 Dschulnigg 389. 234 Vgl. Pesch II 457. 235 Lane 551.

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nicht politisch (auf alle Fälle nicht militärisch oder aufständisch) zu verstehen ist.236 3 Auf die halbwahre Anklage der jüdischen Verantwortlichen (vgl. die Details bei Lk 23,2.5)237 geht Jesus (jetzt) nicht (mehr) ein. Aufgrund des durativen Impf. von κατηγορέω [katēgoreō] („ich klage an“ / „beschuldige“, 15,3.4; vgl. 3,2) ist zu erwägen, ob die Gegner immer wieder versuchen, ihn anzuklagen (konativer bzw. iterativer Impf.; vgl. Lk 23,5). Tatsächlich spricht Jesus vor dem Hohepriester und vor Mitgliedern des Synedrions unerschrocken über seine messianische und göttliche Identität (siehe Bemerkungen zu 14,60-62). 4-5 Pilatus aber fragte erneut: „Antwortest du (denn) überhaupt nichts? Siehe, wie sehr sie dich anklagen.“ Erhofft sich Pilatus eine deutlichere Aussage Jesu, die ihm ermöglichen würde, Jesus den jüdischen Verantwortlichen wieder zurückzugeben und damit die Verurteilung Jesu zu vereiteln? Deutlich ist, dass der verwunderte Pilatus von Jesus eine Widerlegung der Anklage erwartet. Jesus geht inmitten von Unglaube und Feindseligkeit schweigend238 den Weg des „leidenden Gerechten“ (passio iusti; vgl. vor allem Jes 53,7 sowie Jes 52,15; Ps 38,21; 109,4).239 “Mark’s reader senses in Jesus’ passivity and silence that the sovereign Lord of history is accomplishing his mysterious purposes to which even the Son of Man must be submissive”.240

Nach römischem Recht ist das Schweigen eines Angeklagten ein deutlicher Vorteil für die Ankläger.241 Der Präfekt ist in diesem Fall eher gehalten, den Angeklagten zu verurteilen.242 6-8 Es bleibt Pilatus also nur noch die Option des Freispruchs kraft seines Amtes (Amnestieverfahren durch Volksakklamation).243 Nach römischem 236 Lane 552. 237 Jesus ruft angeblich zum Widerstand gegen Rom auf, verbietet die Steuerzahlung an den Kaiser und behauptet, ein König zu sein. 238 Zum Schweigen Jesu in den Evangelien, vgl. Schnabel, Jesus, „Silence“, 31-81. Schnabel, ebd., 32-36 betont zu Recht, dass das Schweigen Jesu auf die Frage des Pilatus deshalb besonders auffällig ist, weil Jesus bei Mk sonst immer auf Fragen von Sympathisanten und Gegnern eingeht. Siehe jedoch Jesu Schweigen bei Beschuldigungen bzw. Nötigungen, 14,59.61.65. 239 Vgl. Keener, Background, 180, der auf das Erstaunen von Heiden über das Schweigen von Märtyrern verweist (2Makk und 4Makk). 240 Lane 552. 241 Gnilka, Prozeß, 33 geht davon aus, dass Schweigen als confessio gilt. Anders Keener, Background, 180. 242 Lane 551. 243 Strobel, Stunde, 118-130. Siehe Chapman/Schnabel, Trial, 255-269.

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Recht stehen Pilatus die abolitio (Freisprechung vor Verurteilung) oder die indulgentia (Freisprechung nach Verurteilung) zur Verfügung.244 Pilatus strebt nach dem markinischen Bericht die abolitio an (vgl. Apg 3,13). Die spezifische Gepflogenheit (κατὰ ἑορτήν [kata heortēn] = „zu jedem Fest“)245 des Pilatus, einen Angeklagten jeweils zum Passahfest zu begnadigen („Passahamnestie“, V. 8; vgl. Joh 18,39246), ist für Pilatus außerhalb des NT nicht bezeugt (siehe jedoch oben, 15.1 II: „Historizität und motivgeschichtlicher Hintergrund zu 15,1-15“ und 15.3 II: „Historizität“ sowie Exkurs 14). Allerdings stimmt eine derartige Vorgehensweise a. sowohl mit dem Gesamtbild über Pilatus überein, welches sich aus verschiedenen Quellen ergibt (s.o., Exkurs 14), als auch b. mit dem weit verbreiteten römischen Führungsstil.247 Die Begnadigung (Passahamnestie) eines jüdischen Gefangenen nach Wahl des Volkes soll der Beschwichtigung des Widerstands gegenüber Rom dienen.248 Das bei Mk berichtete Vorgehen des Pilatus fügt sich insgesamt gut in das historisch rekonstruierbare Gesamtporträt des Präfekts. 7 Barabbas249 gehört einer Gruppe von politisch motivierten Rebellen (στασιαστής [stasiastēs], „Revolutionär“/„Aufrührer“)250 bzw. Aufständischen (handelt es sich um Zeloten oder Sicarii) an, die gewaltsam gegen die unterdrückende Macht Roms aufbegehren.251 Es ist eine Ironie, dass ausgerechnet ein aktiver Feind (aufständischer Mörder) Roms durch den römischen Statthalter begnadigt wird. 8 Die durch das Synedrion mobilisierte Menge (vgl. V. 13-14), die von der in 11,9 erwähnten lobpreisenden Pilgermenge zu unterscheiden ist,252 ist inzwischen beim Palast des Herodes253 bzw. beim „Hasmonäerpalast“, in dem Pilatus verweilt, eingetroffen (siehe Einzelbemerkungen zu 15,16). Josephus

244 Siehe Lane 552, der auf Waldstein, Untersuchung, passim verweist. 245 Dschulnigg 386 mit Verweis auf BDR § 200,3, Anm. 11. 246 Vgl. zu Joh 18,39 Pesch II 325. 247 Siehe Chapman/Schnabel, Trial, 268-269. Schnabel kommt zu dem Ergebnis (269), dass Pilatus im Fall von Jesus von einer Amnestie Gebrauch machen will (und kann), weil er die römische Rechtsgrundlage für eine Verurteilung Jesu vermisst. 248 Vgl. Dschulnigg 389. 249 Näheres hierzu bei Pesch II 462-463, der allerdings von der Unschuld des Barabbas ausgeht. 250 Vgl. BDAG, 940, § 2. 251 Aufstände gegen Rom sind im 1. Jh. n.Chr. häufig: Vgl. Lane 554, und Anm. 27, der auf Josephus, Ant 18,1.1 und 18,3.2 sowie auf Lk 13,1 verweist. 252 Vgl. Dschulnigg 390. 253 Details bei Pesch II 463.

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beschreibt eine ähnliche Situation: „Als Pilatus nach Jerusalem kam, drängte sie (die Menge) sich schreiend und schimpfend um den Richterstuhl“.254 9 Vgl. 15,2.12.18.26. Pilatus macht die Aussage „Wollt ihr, dass ich euch den König der Juden freigebe?“ teils aus Spott (vgl. V. 14: in seinen Augen ist Jesus schuldlos, vgl. Apg 3,13), teils um die jüdischen Verantwortlichen zu reizen.255 10 Das von Pilatus vermutete Motiv des Neides256 der Gegner Jesu wird sonst nirgends bei Mk erwähnt.257 Es mag sein, dass die Gegner Jesu u.a. von Neid getrieben sind. Mk macht jedoch deutlich, dass es sich hierbei vor allem um eine Vermutung vonseiten des Pilatus handelt. Es macht deutlich, dass Pilatus den Gegnern Jesu nicht traut und davon ausgeht, dass ihre offizielle Anklage gegen Jesus hintergründige Motive haben muss.258 Es bekräftigt ferner, dass das Verhältnis zwischen Pilatus und dem Synedrion weiterhin und realitätsgetreu angespannt ist. 11 Die jüdischen Verantwortlichen üben sowohl auf Pilatus als auch die relativ begrenzte Menschenmenge ihren Einfluss aus: Die Hohepriester spornten die Volksmenge an, dass er ihnen stattdessen Barabbas freigeben solle.259 Ihre lange gehegte Absicht (vgl. 11,18; 12,12; 14,1-2.10-11) soll endlich „Frucht“ tragen.260 12 Pilatus ist eher leichtfertig und spöttisch, als unsicher: „Was soll ich nun mit dem König der Juden tun?“ Versucht er dennoch die Menge (vgl. V. 8) umzustimmen?261 13 Hier wird erneut deutlich, wie knapp bemessen der Machtspielraum des Pilatus tatsächlich ist. Er soll römisches Strafrecht („Kreuzige ihn!“)262 auf eine jüdische Verurteilung anwenden; dazu bedarf es eines stichhaltigen Grundes. Die Aussage der Menge, die jetzt dem Willen des Synedrions entspricht (im Gegensatz zur Menge der galiläischen Festpilger, 11,9),263 spiegelt in etwa eine römische Volksbekundung wieder, von der ein Statthalter bei einem Ver-

254 Josephus, Bell 2,175, zitiert nach Gnilka, Prozeß, 35. 255 Näheres bei Pesch II 464. 256 Neid, der die Tötungsabsicht einbezieht; so Pesch II 465, mit Verweis auf Gen 4 und Weish 2,24. 257 Vgl. par Mt 27,18 sowie das Motiv des Neides in Apg 17,5. 258 Vgl. auch Lane 554-555. 259 Vgl. Pesch II 465. 260 Vgl. ähnlich, Pesch II 465. 261 So Pesch II 465. 262 Es ist historisch durchaus wahrscheinlich, dass jüdische Verantwortliche die Kreuzigung eines Juden befürworteten; siehe Chapman/Schnabel, Trial, 477-532. 263 Der Unterschied wird auch von Pesch II 465 betont.

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hör mitunter Gebrauch macht.264 Schließlich ist es wichtig zu beachten, dass die Kreuzigung vor allem bei Nichtrömern angewendet wird (u.a. Sklaven; Rebellen; Kriminelle; Räuber; Kriegsgefangene; Deserteure; Christen).265 Nur in seltenen Fällen des Hochverrats werden auch römische Bürger gekreuzigt.266 14-15 Vielleicht ändert sich nun die Haltung des Pilatus ein wenig. Er kehrt sich von leichtsinnigem Spott ab und kommt zur Kernfrage zurück, warum Jesus des Todes würdig ist: „Aber was hat er Strafbares getan?“ Keine handfeste und gut bezeugte Anklage wird gegen Jesus vorgebracht (vgl. die Unschuld des „leidenden Gerechten“ in Ps 38,20-21; 109,5; Jes 53,9).267 Pilatus entspricht dem Willen der jüdischen Verantwortlichen erst, nachdem er deutlich gemacht hat, dass nach römischem Gesetz keine wirkliche Anklage gegen Jesus vorliegt (vgl. Apg 3,13). Damit versucht er, die jüdischen Führer allein für die Kreuzigung verantwortlich zu machen. Das gelingt jedoch deshalb nicht, weil Kreuzigung eindeutig unter seiner ausschließlichen Gerichtsbarkeit steht (vgl. die Exkurse 13 und 14). Das durch Pilatus gefällte Doppelurteil steht in direktem Gegensatz zur Wahrheit und zu gerechter, römischer Rechtsprechung. Man beachte dabei die Ironie: Der Schuldige wird begnadigt, der Unschuldige wird verurteilt: Pilatus … entschied, der Menge den Gefallen zu tun und setzte ihnen den Barabbas auf freien Fuß; Jesus aber ließ er peitschen und übergab ihn zur Kreuzigung. Siehe das alttestamentliche Sühnemotiv am Tag der Versöhnung (Lev 16,7-10): Einer der zwei Böcke wird als stellvertretender „Sündenbock“ geopfert; der andere wird in die Wüste geschickt. Das Urteil zeigt, dass Pilatus sowohl gegenüber Jesus (er scheint in seinen Augen unschuldig zu sein) als auch gegenüber dem Synedrion und der Menge aufgrund seiner eigenen Entscheidung und der Furcht vor dem Kaiser relativ schwach dasteht: Er sieht sich deshalb gezwungen, das öffentliche Amnestieversprechen einzuhalten bzw. ihnen den Gefallen zu tun V. 15; (vgl. Joh 19,12).268 Er vollstreckt das Urteil der Todesstrafe durch Kreuzigung nach der lex Iulia maiestatis, das seit Augustus einem Verbrecher bei Hochverrat bevorsteht.269 Vor römischen Gerichten ist dies für Staatsverräter die vorgesehene Strafe (vgl. das Vorgehen von Herodes Antipas gegen den Täufer; Mt 14,5).270 264 Pesch II 466 erwägt die Möglichkeit, ob „die Menge zum politischen Klientel der jüdischen Tempelaristokratie“ gehört. Vgl. weitere Lit. bei Lane 556, Anm. 32. 265 Siehe vor allem Cicero, In Verrem 2,1.6-7.9.12-13; 2,3.6.58-59.70.112; 2,4.24.26; 2,5.163.165166.168-169.170-171. Vgl. Josephus, Bell 2,308. 266 Siehe Chapman/Schnabel, Trial, 532-638. 267 Pesch II 466. 268 Zur Rechtssprache in V. 15, vgl. Pesch II 466. 269 Lane 556 und Anm. 33. Lane, ebd. verweist u.a. auf Wilton, Law, 73-81. 270 Siehe Bietenhard, NIDNTT II, 801.

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Peitschen (φραγελλόω [phragelloō] = „ich lasse auspeitschen“; Latinismus von lat. flagello) bzw. Geißelung ist entweder eine separate Strafe, oder es ist Teil des römischen Vorgehens gegen einen bereits zum Tode Verurteilten („Begleitstrafe der Geißelung“).271 Dies erfüllt die Voraussage Jesu in 10,34, wo er bereits von auspeitschen spricht (μαστιγόω [mastigoō] = „ich peitsche aus“; vgl. Joh 19,1). Betrachtet man nur den Markusbericht, so könnte der Eindruck entstehen, dass Jesus als bereits Verurteilter gegeißelt wird. Aufgrund von Joh 19,1-4 wird jedoch deutlich, dass Pilatus durch die verabreichte Geißelung zum letzten Mal versucht, das Synedrion und die Volksmenge umzustimmen. Geißelung kann derart verheerend sein (siehe das verruchte flagellum), dass der so Bestrafte aufgrund der unbegrenzten Schläge bereits stirbt.272 Jesus, der durch das Amnestieverfahren de facto von vorne herein als Schuldiger befunden wird (das ist das juristische Risiko, das Pilatus sowohl bei abolitio als auch bei indulgentia auf sich nimmt),273 wird durch Pilatus übergeben bzw. überliefert (vgl. 9,31).274 Erneut wird der vielsagende Begriff παραδίδωμι [paradidōmi] („ich liefere aus“ / „übergebe“) verwendet. Jesus wird von einer „Hand“ (bzw. Situation) in die andere „übergeben“.275 Hier wird er der Kreuzigung und damit dem Tod ausgeliefert.276 Siehe die Parallele in Jes 53,6.12 LXX.277 Beachtenswert ist vor allem das sog. Testimonium Flavianum, Josephus, Ant 18,64. Dort wird (unter Abzug wahrscheinlicher christlicher Interpolationen) das Todesurteil Jesu durch Pilatus eindeutig erwähnt.278 Tacitus (Ann. 15,44.3) bestätigt historisch verlässlich,279 dass Jesu Kreuzigung z.Z. des Kaisers Tiberius geschieht: „Auctor nominis eius (d.h. der zuvor erwähnten Christen) Christus Tiberio imperitante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio adfectus erat“280 (Christus, von dem ihr Name [d.h. der zuvor 271 Pesch II 466; Lane 557; Dschulnigg 390-391 mit Verweis auf Blinzler, Prozeß, 321. 272 Vgl. Details bei Pesch II 466-467, mit Verweis auf Philo, In Flaccum 9,72; Seneca, Ad Marciam 26,3. Vgl. Lane 557, der u.a. auf Josephus, Bell 2,306.308; 2,449; 7,200.202 sowie Livius 33,36,3 verweist. 273 Vgl. Pesch II 467. 274 Vgl. Popkes, Christus, ad loc. 275 Siehe die Bemerkungen zu 1,14; 3,19; 9,30-31; 10,33; 13,9-13; 14,10-11.41-42.44; 15,1.10; vgl. 14,18.21. 276 Siehe Tacitus, Ann. 15,44.3. 277 Lane 557. 278 Siehe Ferguson, Backgrounds, 459-450; Schürer, History, 428-441; Meier, Josephus, 76-103; Bruce, Jesus, 36-41; vgl. ferner Feldman/Gohei, Josephus, Judaism, passim; Feldman/Gohei, Josephus, the Bible, passim und Pines, Arabic Version, passim. Siehe Lane 558, Anm 37, bezüglich älterer Lit. zum Testimonium Flavianum in Josephus, Ant 18,64. 279 Hengel, Crucifixion, 2-3. Vgl. Prchlík, „Auctor nominis“, 95-110. Siehe Müller, Möglichkeit, 41. 280 Zitiert nach Hengel, Crucifixion, 2.

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erwähnten Christen] stammt, erlitt während der Herrschaft des Tiberius die [harte] Strafe durch den Prokurator Pontius Pilatus).

15.4 Verspottung Jesu 15,16-19 (20) I 16 Die Soldaten führten ihn nun ab, hinein zum Palast, der Prätorium heißt, und riefen die gesamte Kohorte zusammen. 17 Und sie zogen ihm einen Purpurumhang an und setzen ihm einen geflochtenen Dornenkranz auf; 18 und sie begannen, ihn mit „Sei gegrüßt, König der Juden“ zu begrüßen; 19 und sie schlugen immer wieder mit einem Rohrstock auf sein Haupt, spuckten ihn an, fielen auf die Knie und verbeugten sich vor ihm.281 II Die narrative Klimax des Passionsberichts besteht aus Kreuzigung (15,16-41), Grablegung (15,42-47), Auffinden des leeren Grabes sowie der Botschaft der Auferstehung Jesu (16,1-8).282 Diese Klimax beginnt mit der Geißelung Jesu283 durch römische Soldaten (15,16-19), mit V. 20a/b als Übergangsvers. Hierbei ist 15,16-19 eingebettet in die inclusio von 15,1-15 und 15,20b-32.284 Der Aufbau ist wie folgt: a. Sammlung der Soldaten (V. 16); b. Geißelung Jesu (V. 17-19); c. Ende der Geißelung (20a) und Beginn des Weges nach Golgota (V. 20b).285 III 16-19 Das Prätorium (Latinismus), in dem sich Pilatus aufhält, befindet sich entweder beim Oberen Palast des früheren Herrschers Herodes am Westhügel Jerusalems, entlang der ersten Nordmauer, oder „im ehemaligen hasmonä­ ischen Königspalast gegenüber der S-W-Ecke des Tempels“.286

281 Lit.: Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 474 (bis 1980); Evans, Mark, 486-487 (bis 1999). 282 Vgl. Evans 352. 283 Evans 488 verweist auf die Parallele bei Philo, In Flaccum 6 §36-39. 284 Dschulnigg 391. 285 Vgl. Evans 487. 286 Riesner, GBL III, 1222. Vgl. bei Riesner, a.a.O., 1221-1222, die Argumente gegen den Oberen Palast des Herodes. Anders Dschulnigg 392.

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Der Hinweis auf „hinaufziehen“ (15,8) und die Nähe zum hohepriesterlichen Palast (14,54) spricht zumindest gegen die Annahme, dass es sich beim Prätorium um die Burg Antonia, nordwestlich vom Tempelbezirk, handelt.287

Der Spott und Hohn, der den Verurteilten stets von Seiten der angeheuerten Soldaten288 entgegengebracht wird,289 wird bei Jesus noch verschlimmert, da der Verurteilte vermeintliche Aufstände gegen Rom initiiert (eine ganze Kohorte σπεῖρα [speira], lat. cohors,290 wird zusammengerufen). Jesus gilt nun als offizieller Feind Roms. Er wird vor allem als vermeintlicher König der Juden verspottet,291 weil die jüdischen Verantwortlichen diese Bezeichnung an Pilatus als Hauptanklage weitergeben und Pilatus diese Bezeichnung im Verhör (V. 9.12; vgl. 26) wiederholt. Der einfache Purpurumhang (Mt 27,28)292 eines römischen Soldaten sowie der Dornenkranz (vgl. im Gegensatz hierzu Offb 19,11-16)293 sollen auf spöttische Weise „königliche Würde“ vortäuschen (vgl. Joh 19,2.5).294 In 1Makk 10,20.62.69 sowie 11,58 treten hellenistische Könige in Purpurmantel und vergoldetem Blätterkranz auf.295 Es ist möglich, dass die Soldaten Zweige eines dornigen Akanthusbusches benutzen.296

Neben Spott, höhnischer Verehrung und Anspucken (vgl. 14,65) wird Jesus durch den Dornenkranz und durch Schläge (mit einem Rohrstock)297 auch körperlich misshandelt. Bei dem höhnischen Gruß „Sei gegrüßt, König der Juden“ (V. 18; vgl. das römische Ave Caesar298) sowie der kniefälligen Anbetung (προσκυνέω [proskyneō], „ich falle kniefällig“ oder „… anbetend nieder“, V. 19; vgl. 10,34) handelt es sich u.U. um die anbetende Proskynese, wie 287 Vgl. Pesch II 471. Vgl. weitere Gründe gegen die Festung Antonia bei Riesner, GBL III, 1221. 288 Vgl. Art. στρατιώτης [stratiōtēs], ThWNT VII, 701-713, vor allem A.5 und D.2; siehe Art. στρατιώτης [stratiōtēs], EWNT III, 670. Pesch II 472 geht davon aus, dass es sich um nichtjüdische Einwohner Palästinas handelt. Vgl. ebenso Lane 559 und Blinzler, Prozeß, 91-98. 289 Vgl. Lane 559, Anm. 61, bezüglich weiterer Quellen zur qualvollen Behandlung von Verurteilten. 290 Siehe BDAG, 936. Eine Kohorte besteht aus etwa 600 Mann (vgl. Josephus, Bell 3,67). 291 Siehe Mt 27,28; Joh 19,2-4; vergleiche mit Lk 23,11. 292 Vgl. Pesch II 472. Zu den vielen eher entfernten, außerbiblischen Verweisen eines „Possenspiels“, vgl. Pesch II 470-472. Eine Analogie (ohne literarische Genealogie) nimmt Pesch bei Philo, In Flaccum 6 §36-39, sowie bei Josephus, Bell 4,155-157, an. 293 Siehe Grundmann, TDNT, VII, 632. 294 Siehe BDAG, 855. 295 Lane 559. 296 Vgl. Keener, Background, 180. 297 Vgl. Pesch II 473. 298 Vgl. Lane 560 und Blinzler, Prozeß, 327.

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vor dem Kaiser. Diese Gesten weisen auf die Verspottung Jesu als angeblicher Königsanwärter (siehe den Gegensatz zu Mt 2,2; vgl. Exkurs 11).299 Die Gegner Jesu haben ihr lang gehegtes Ziel nun endlich erreicht (siehe Bemerkungen zu 3,6). Jesus wird unter römischer Eskorte zur Kreuzigung abgeführt (15,20b; Joh 19,16). IV zu 14,53–15,19 Ziel. Jeder Schritt, der zum Tod Jesu am Kreuz führt, wird kurz dargestellt: Aufgrund der juristischen Gegebenheit kann das Synedrion zwar nach jüdischem Gesetz verurteilen, im Fall des Urteils der Todesstrafe jedoch nicht handeln. Deshalb berichtet Mk die doppelte Vernehmung (mit doppelter Misshandlung) Jesu. Im Synedrion führt diese zum Todesurteil wegen Gotteslästerung; vor Pilatus gelangt sie jedoch nicht zu einem nach römischem Gesetz juristisch tragfähigen Urteil.300 Vielmehr scheint der angebliche „König der Juden“ in den Augen des Pilatus harmlos und unschuldig zu sein. Der Verweis auf den Neid der Gegner Jesu (vgl. Apg 17,5) macht ferner deutlich, dass Pilatus die Tragfähigkeit des Urteils über Jesus (nach römischem Gesetz) ernsthaft bezweifelt. Dennoch wird Jesus durch Pilatus zum Vollzug des Todesurteils übergeben. Alle Jünger haben Jesus verlassen, Petrus hat seinen Meister schwurartig verleugnet. Dem Tod Jesu steht nichts mehr im Weg. Kontextualisierung und Anwendung. Der Konflikt zwischen menschlicher Vorstellung und Erwartung einerseits und dem, was Gott der Vater durch den Sohn beabsichtigt, spitzt sich nun derart zu, dass endlich auf beiden Seiten alle Motive und Identitätsfragen offen dargelegt werden. Die Gegner wähnen sich in ihrem „Gottesdienst“ völlig sicher: Nach dem „Schema Jisra’el“ (Deut 6,4) und dem ersten Gebot des Dekalogs (Deut 5,67) lästert derjenige Gott, der neben ihm einen anderen bekennt. Die Gegner Jesu wähnen sich sicher, gewissenhafte Diener des einen Gottes zu sein. Siehe später Saul, der ebenso selbstsicher für Gott gegen Nachfolger Jesu kämpft (Apg 9,1-2; Phil 3,6). Der Neid, den Pilatus unter den Motiven der Gegner Jesu vermutet (15,10), mag präsent sein, ist jedoch nicht Hauptmotiv für die Gegner Jesu. Das Verhör vor dem Hohen Rat ermangelt tragfähiger Zeugenaussagen. Es gibt keinerlei handfeste Anklagepunkte gegen Jesus, sondern es bleibt lediglich der vorher gefasste Entschluss, Jesus zu beseitigen. Das Hauptmotiv dieses Entschlusses ist seit Mk 2,7; 3,6 und vor allem 14,62, Jesus wegen Got299 Schönweiss/Brown, NIDNTT, II, 877. 300 Vgl. Strobel, Stunde, 95-137.

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teslästerung zu töten. Die definitive Antwort Jesu auf die Frage des Hohepriesters lässt aus der Sicht der jüdischen Verantwortlichen keinen Spielraum mehr: Jesus lästert Gott, indem er beansprucht, Ehre mit dem Ewigen zu teilen (14,63-64). Die Gegner Jesu sind der Alternativinterpretation völlig verschlossen: Dass Jesus eben deshalb Gott nicht lästert, weil er, durch jenen autorisiert, offen und vollmächtig darlegt, dass der eine Gott des „Schema Jisra’el“ komplexer ist, als sich dies die geistlichen Führer Israels vorstellen.301 Bereits in der ihnen vorliegenden Heiligen Schrift ist zu lesen, dass der eine Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs seine Ehre mit einem Menschensohn (Dan 7,13-14; Mk 14,62) bzw. mit einem Herrn Davids (Ps 110,1; Mk 14,62) teilt. Das ist unerhört, da Gott seine Ehre sonst mit niemandem teilt (vgl. etwa Jes 45,22.23-25). So gilt: Der Ewige teilt absichtlich und mit Freude (vgl. Apg 3,13; Kol 1,19) seine göttliche Ehre mit Jesus, dem erhöhten und regierenden Menschensohn (Dan 7,13-14; vgl. Mk 8,38; 13,26; 14,62) und dem erhöhten Herrn Davids (κύριος [kyrios], Ps 110,1; vgl. Mk 12,35-37; 14,62), weil Jesus selbst an dem einen, ewigen Gott teilhat. Der unerhörte Anspruch Jesu, einmaliger, seinshafter Sohn Gottes zu sein (14,62; vgl. 3,11; 12,6; 13,32; 14,36), wird schließlich durch die Auferstehung bestätigt. Der Ewige verwirft Jesus keineswegs mit seinem Anspruch; vielmehr bestätigt er ihn durch die Auferstehung erneut darin (vgl. 1,11; 9,7). Das heißt: Das Fundament der Nachfolge konzentriert sich auf die Antwort der grundlegenden und kritischen Frage: Wer ist Gott denn wirklich? Was hat Jesus mit der Gottesfrage gemeinsam? Der Anspruch Jesu besagt, dass unmittelbares Vertrauen auf ihn Nähe zum dreieinigen Schöpfergott vermittelt. Denn Nachfolge bei Mk steht und fällt mit noetischem und persönlichem Vertrauen auf Jesus: Er beansprucht die Auslieferung der gesamten persönlichen Lebensphilosophie sowie des gesamten Lebensvollzugs. So steht die Frage im Raum: Wem vertraue ich? Welcher spezifischen Gottesoffenbarung gebe ich mich existenziell hin? Oder vertraue ich vielmehr mit I. Kant, G.E. Lessing und L. Feuerbach der Normativität und Tragfähigkeit der autonomen Vernunft oder gar der Normativität und absoluten Tragfähigkeit meiner eigenen Erfahrung? Wo befindet sich meine letzte Instanz? Mk 14,62 wird entweder zum größten Stein des Anstoßes für den Hörer (vgl. 12,10) oder zur Lösung der Grundfragen menschlicher Existenz: Der eine Schöpfergott und Erlöser des Universums ist komplexer, als allgemein gedacht; er existiert in drei Personen (zur Person des Heiligen Geistes, vgl. u.a. 301 Allerdings macht Strobel (Stunde, 140-141) geltend, dass Caiaphas im Rahmen seiner Gesetzeswelt konsequent handelt.

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Mk 1,8-12; Joh 14–16, Apg 1–2; 2Kor 3,17-18), die ewig liebend zusammenwirken (siehe u.a. die Vater-Sohn-Aussagen Jesu in Mk 1,11; 9,7; 12,6; 13,32; 14,36). Nur die Dreieinigkeit Gottes birgt in sich die Chance, den autonomen Menschen sowohl moralisch und gesetzlich gerecht zu strafen als auch in unendlicher Liebe mit sich selbst zu versöhnen. Der ewige Gottessohn steht vor dem Hohepriester Israels (Mk 14,62), um auch ihn mittels seines Todesopfers mit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zu versöhnen, sofern jener glaubt. Der Hörer ist aufs Äußerste gefordert. Nimmt er diesen unerhörten Anspruch Jesu an, so bejaht er: 1. den ausdrücklichen Willen des ewigen Vaters; 2. den Nachfolgeruf und die Nachfolgelehre Jesu; 3. die Notwendigkeit, seine eigene, selbst unlösbare Entfremdung von Gott durch das Opfer des Gottessohnes überbrücken zu lassen; 4. im Vertrauen auf diesen dreieinigen Gott, das Schöpfungsziel im Gegensatz zur verheerenden Autonomie zu befolgen, indem er auf Gott vertrauend lebt, reift und dient. Petrus ist ebendieser Spannung ausgesetzt (14,54) und versagt zunächst (15,66-72). Pilatus ist gänzlich unfähig, außerhalb von politischen (15,2) und oberflächlichen, zwischenmenschlichen (15,10) Perspektiven zu denken. Für ihn gibt es keine höhere Instanz als die des Kaisers. Bemerkenswert ist hier die Entsprechung „Leiden Jesu – Leiden und Verfolgung der Nachfolger“ (u.a. bereits unter Nero im Rom):302 Das schweigende Verhalten Jesu vor Pilatus wird auf dem Hintergrund des Willens Gottes erzählt; die Nachfolger wissen bereits, dass auch sie leiden werden (vgl. u.a. 8,34-38; 10,35-44; 13,9-13; vgl. 1Petr 2,21-25). Leiden und Verfolgung sind nicht der Machtlosigkeit Gottes zuzuschreiben, sondern sie gehören u.a. zur Art und Weise, wie Gott seine Macht und Herrlichkeit ausweitet, nämlich in – und durch – Erniedrigung, Leiden und Verfolgung (vgl. 1Petr 1,6ff). Dem, der sich Gottes Handeln durch Jesus widersetzt, stehen lediglich die Anklage, Unterdrückung des Anspruchs Gottes oder vorgetäuschte Indifferenz zur Verfügung. Das stellvertretende Gericht Jesu nützt ihm nichts: Er ist dem Endgericht weiterhin ausgesetzt (vgl. Joh 3,16).

302 Lane 546. Lane verweist ferner auf 1Tim 6,13: „… Christus Jesus, der unter Pontius Pilatus bezeugt hat das gute Bekenntnis“.

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16. Kreuzigung – Tod – Grablegung – Auferstehung 15,20–16,8

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In rascher Abfolge und knapper Beschreibung vermittelt der vorliegende Abschnitt die Kreuzigung (15,21-36; V. 20 dient als Übergangsvers), Jesu Tod (15,37-41) sowie seine Grablegung (15,42-47). Der Abschnitt kulminiert im überraschenden Bericht des leeren Grabes und der Verkündigung der physischen Auferstehung des Gekreuzigten (16,1-8).1 Die Kreuzigung selbst wird mit wenigen Worten beschrieben. Dabei sprechen und handeln die Gegner und Spötter lediglich vor dem Tod Jesu (15,2136). Nach Meinung der Gegner wird Jesus mit dem Tod endlich zum Schweigen gebracht. Diejenigen, die ihm nach wie vor Respekt und Vertrauen entgegenbringen, werden nach dem Tod Jesu erwähnt (15,39-47). Auf literarischer Ebene trennt der Tod Jesu die Spötter von seinen treuen Verehrern. Das Mk Ev. erwähnt keine Auferstehungserscheinungen. Jedoch erzählt ein Bote den treuen und Jesus immer noch nachfolgenden Frauen von seiner Auferstehung (16,6). Sie sind Augenzeugen seiner Kreuzigung, Grablegung und jener erstaunlichen Auferstehungsverkündigung. Das leere Grab ist notwendige Voraussetzung der Voraussage Jesu, dass er vom Tod auferstehen wird (8,31; 9,9.31; 10,32-34; vgl. 14,25). Synoptischer Vergleich und literarischer Kontext: Befund. Die Synoptiker folgen gemeinsam einer stringenten Akoluthie, die vor allem bei Mk in rascher Abfolge die Erzählungen des Leidensweges Jesu nach Golgota, Kreuzigung, Tod, Begräbnis und leeres Grab enthalten (Mt 27,31-61; 28,1-8 / Mk 15,20– 16,8 / Lk 23,26–24,12). Mt ergänzt mit dem Bericht über die Grabwächter (Mt 27,62-66). Auswertung: Mk konzentriert sich weiterhin in knapper und einprägsamer Weise kontinuierlich auf das für ihn Wesentliche. Da die Jünger zerstreut sind und die Gegner Jesu ihr Ziel erreicht haben, liegt das Augenmerk des Mk nun ausschließlich auf Jesus.

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Zur textkritischen Diskussion des Abschnitts vgl. Pesch II 475-476, Anm. a-c; 482, Anm. a-c; 492, Anm. a-d; 504, Anm. a; 510, Anm. a-b; 521, Anm. a-b; France 639.649.661.670; Lane 560-561, Anm. 43-45; 570-571, Anm. 65-69; 577, Anm. 83-85; 582-583, Anm. 1-6.

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16.1 Kreuzigung und Tod 15,20-41 Das berichtende Erzählstück2 (Mk 15,20-41) hat eine zweiteilige Grundstruktur. 1. Kreuzigung Jesu, V. 20-32: Hinführung nach Golgota, V. 20-22; Kreuzigung „zur dritten Stunde“, V. 23-25; Inschrift – titulus crucis, V. 26; Verspottung durch die Gegner, V. 27-32.3 2. Tod Jesu, V. 33-41: Dunkelheit zur „sechsten Stunde“, V. 33; Ausruf Jesu, mit Reaktion der Gegner, V. 34-36; Tod Jesu, V. 37; Zerreißen des Tempelvorhangs, V. 38; das Bekenntnis des römischen Hauptmanns, V. 39; Beobachtung aus der Distanz, V. 40-41.4 Historizität und motivgeschichtlicher Hintergrund. Evans präsentiert den alttestamentlichen, motivgeschichtlichen Hintergrund zu Mk 15,20-41, wobei der Bezug zu Ps 22 besonders auffällt:5 V. 24 / Ps 22,18, Aufteilen der Kleidungsstücke; V. 29 / Ps 22,7, Beschimpfung; V. 30-31 / Ps 22,8, „Rette dich selbst“; V. 32 / Ps 22,6, verächtlicher Sarkasmus; V. 34 / Ps 22,1, Schrei der Gottverlassenheit; V. 36 / Ps 69,21, Essiggetränk; V. 40 / Ps 38,11, Beobachtung aus der Distanz. Wiederum ist zu fragen, ob die historischen Ereignisse vor allem an Ps 22 erinnern oder ob Ps 22 als Ursprung und Anlass für viele Aussagen in 15,20-41 dient.6 Zumindest ist der Schrei der Gottverlassenheit kaum als theologischer „Beitrag“ der Urgemeinde zu identifizieren. Plausibler ist die Erklärung, dass Mk die theologisch schwierige Aussage deshalb bezeugt, weil Jesus in Anlehnung an Ps 22,1 tatsächlich diese Aussage macht. Ferner berichtet Johannes unmissverständlich, dass die vorliegenden Ereignisse Anlass (und nicht Folge) für die Schriftzitate sind (vgl. Joh 19,24.28.36).

16.1.1 Kreuzigung 15,20-32

I 20 Und als sie ihren Spott mit ihm getrieben hatten, zogen sie ihm den Purpurumhang aus und kleideten ihn (wieder) in seine Kleider. Und sie führten ihn hinaus, um ihn zu kreuzigen. 21 Und sie zwangen einen gewissen Passanten, Simon von Kyrene, den Vater von Alexander und Rufus, der (gerade) vom Feld kam, sein Kreuz zu tragen. 22 Und sie führten ihn bis zum Platz Golgota, was übersetzt Schädelstätte heißt. 23 Und sie hiel2 3 4 5 6

Vgl. Pesch II 483. Siehe die etwas andere Detailgliederung bei Pesch II 483. Vgl. Evans 499. Evans 498, mit Verweis auf Marcus, Way, 175. Vgl. Moo, Testament, 264-283, so Evans 498.

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16. Kreuzigung – Tod – Grablegung – Auferstehung 15,20–16,8

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ten ihm mit Myrrhe versehenen Wein hin. Er aber nahm ihn nicht. 24 Und sie kreuzigen ihn und teilen unter sich seine Kleider, indem sie auslosen (um zu entscheiden), was jeder bekommt. 25 Es war nun die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. 26 Und die Aufschrift seiner Anklage lautete: „Der König der Juden“. 27 Und mit ihm kreuzigen sie (noch) zwei Aufrührer, einen zu seiner Rechten und einen zu seiner Linken. (28)7 29 Und die Passanten lästerten immer wieder über ihn, schüttelten den Kopf und sprachen: „Ha, du wolltest den Tempel zerstören und ihn in drei Tagen aufbauen; 30 steig vom Kreuz und rette dich selbst“. 31 Ähnlich machten sich auch die Hohepriester über ihn lustig und sprachen zueinander, zusammen mit den Schriftgelehrten: „Andere konnte er retten, sich selbst kann er nicht retten; 32 Christus, du König Israels, steig jetzt vom Kreuz herab, damit wir sehen und glauben“. Auch die, die mit ihm gekreuzigt worden waren, beschimpften ihn.8 II Siehe oben 16. und 16.1, Bemerkungen zum Gesamtabschnitt. III 20-22 Der Vers 20 dient als Überleitung. Der zum Tode Verurteilte wird normalerweise auf dem Weg zur Kreuzigung erneut geschlagen (Josephus, Ant 19,263-271; Dionysius von Halikarn. 7.69). Da dies bei Jesus bereits erfolgt ist, unterbleibt diese weitere Misshandlung, die bei Jesus wohl zum Tod vor der Kreuzigung geführt hätte.9 Jesus wird ca. zwischen sieben und acht Uhr (vgl. V. 25) am Freitagmorgen, dem 15. Nisan, zur Kreuzigung an der Nordseite der Stadt (sicher nördlich der ersten Nordmauer, evtl. sogar außerhalb der zweiten Nordmauer)10 hinausgeführt (der Begriff ἐξάγω [exagō] ist markinisches HL). Nach römischem (Plautus, Miles Gloriosus II.4.6f) und jüdischem Gesetz (Lev 24,14; Num 15,35f; Joh 19,20) müssen Hinrichtungen außerhalb von ummauerten Städten stattfinden.11 Jesus muss hierzu auf öffentlichen Wegen12 nach Golgota (V. 22) gehen. Aufgrund von V. 20b ist anzunehmen, dass 7 Textkritische Diskussion: Der Befund spricht gegen die Ursprünglichkeit von V. 28: Gute und alte Manuskripte (u.a. ‫ א‬A B C D Ψ 2427 k sys sa bopt) enthalten V. 28 nicht. Folgende Manuskripte enthalten den V. 28: L Θ 083 0250 f1 f13 33 M lat syp.h. Es handelt sich in V. 28 wohl um eine spätere Interpolation aufgrund von Lk 22,37 (Jes 53,12). 8 Lit.: Blinzler, Prozeß, 362; Dunn, Jesus, 855; vgl. ferner Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 481.491 (bis 1980); Evans 491-495 (bis 1999). 9 Vgl. Lane 560. 10 Vgl. Lane 563 und Anm. 48. 11 Pesch II 476 und Anm. 1, mit Verweis auf Blinzler, Prozeß, 362 und Anm. 27. 12 Dies dient wiederum der Abschreckung, vgl. Lane 562.

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Jesus zunächst sein eigenes patibulum (Querbalken) trägt. Dies wird explizit bei Joh 19,17 festgehalten. Die Details in V. 21 (einen gewissen Passanten … Vater von Alexander und Rufus, der [gerade] vom Feld kam) weisen auf einen Augenzeugenbericht.13 Sie zwangen … Simon …, sein Kreuz zu tragen: Wahrscheinlich soll der aus Nordafrika stammende Diasporajude Simon von Kyrene14 (vgl. Apg 2,10; 6,9; 11,20; 13,1) das horizontale patibulum tragen (vgl. Plutarch, Moralia 554A).15 Die Römer können aufgrund ihres Besatzungsrechtes Dienste der Bevölkerung (angaria) einfordern (vgl. 11,3).16 Simon kommt vom Feld; dies bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass er von der Arbeit zurückkehrt. Es ist somit kein Indiz gegen die Annahme, dass es sich beim Kreuzigungstag um den 15. Nisan handelt. Pesch bemerkt zusätzlich, dass am 15. Nisan „Feldarbeit nicht vollständig verboten war“.17 Nach Num 28,16-25 darf allerdings nur das Allernötigste getan werden. Der (größere) Vertikalbalken des Kreuzes ist bereits im Boden eingelassen.18 Golgota (aram. ‫[ ֻּג ְל ֻּגלְּתָ א‬gulguleta’] für „Schädel(stätte)“, d.h. ein kahler, niedriger Hügelrücken) ist der Ort der Kreuzigung, der sich außerhalb der ummauerten Stadt befindet.19 Die Römer übernehmen und perfektionieren das schreckliche persische Verfahren der Kreuzigung. Siehe die Beschreibungen der Kreuzigung im 1. Jh. n.Chr. bei Seneca, Dial 3.2.2; 6.20.3 und Josephus, Bell 5,449-451.20 Siehe ferner Cicero, Pro Rabirio 5.16 und In Verrem 5.64.66.21

Die Kreuzigung gilt auch in der Antike als letztes und abscheuliches Mittel der Misshandlung und Tötung von Verurteilten.22 Römische Machthaber 13 Nur Mk erwähnt die Namen der Söhne des Simon von Kyrene, Alexander und Rufus (vgl. Röm 16,13?). Siehe Lane 563 und Dschulnigg 396, die auf mögliche historische Details zu Simon von Kyrene verweisen. 14 Hinsichtlich eines Ossuariums, das auf der Inschrift einen Simon und Alexander nennt, vgl. Pesch II 477. 15 Siehe Chapman/Schnabel, Trial, 282-292. Lane 564 verweist auf Artemidorus, Oneirokritika 2,56 sowie, ders., 562, auf Plutarch, Moralia 554A. Evans 499 verweist auf Plautus, Carbonaria Fragment 2; Mil. Glor. 358-360. 16 Vgl. Pesch II 476. 17 Pesch II 477. 18 Lane 564. 19 Pesch II 478. Vgl. Lane 563, der auf Lev 24,14; Num 15,35; Joh 19,20; Apg 7,58 sowie (für dieselbe römische Gepflogenheit) Plautus, Mil. Glor. 2.4.6f verweist. 20 Vgl. Evans 499. 21 Vgl. Müller, Möglichkeit, 58-66 sowie Hengel, Crucifixion, 22-90 und Chapman/Schnabel, Trial, passim. 22 Siehe Chapmans ausführliche Diskussion der Primärquellen in der gesamten Antike in Chapman/Schnabel, Trial, 299-532. Lane 561 und Anm. 46 verweist auf Josephus, Bell 7,123-131.

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greifen vor allem in den Provinzen tausendfach und routiniert zur Kreuzigung (vor allem von Nichtrömern) zum Zweck öffentlicher Abschreckung.23 Bei der Kreuzigung stirbt der Verurteilte meist aufgrund von Erschöpfung.24 23 Die mit Wein gemischte Myrrhe soll, im Gegensatz zur durststillenden Essigmischung, als mildes Betäubungsmittel dienen. Siehe die Aufzeichnungen des Militärarztes Dioskurides Pedanius (Materia Medica, I.64.3; 1. Jh. n.Chr.), der unter den Hunderten durch ihn untersuchten Pflanzen und pflanzlichen Substanzen Myrrhe als Betäubungsmittel identifiziert.25 Jesus lehnt dieses (eventuell von jüdischen Frauen gereichte26) Myrrhegemisch im Gegensatz zur Essigmischung ab (vgl. Ps 69,22). 24 Und sie kreuzigen ihn: Der zu Kreuzigende wird jeweils oberhalb des Handgelenks an das patibulum (Horizontalbalken) genagelt. Alternativ können die Arme an das patibulum gebunden werden. Das patibulum wird sodann zusammen mit dem zu Kreuzigenden am Vertikalbalken befestigt.27 Ein Nagel heftet die an den Fersen übereinander liegenden Füße an den Vertikalbalken. Siehe das 1968 bei Jerusalem (Giv’at ha-Mivtar) gefundene Grab (ca. 20–30 n.Chr.) eines mit Nägeln Gekreuzigten (Yēhôhānān).28 Evans betont, dass dieser Fund die bekannten Details der Grablegung eines Gekreuzigten bestätigt.29 Er macht ferner geltend, dass Gekreuzigte nach jüdischer Gepflogenheit nur dann nicht begraben werden, wenn Kriegszustand o.ä. herrscht.30 Evans verweist auf Philo, Flaccus 10 §83 und vor allem auf Josephus, Bell 4,317, der unmissverständlich deutlich macht, dass sogar gekreuzigte Übeltäter vor Sonnenuntergang begraben werden.31

Ein Sitzpflock am Vertikalbalken dient dazu, den Tod des Gekreuzigten zu verzögern. 23 Zur Auffassung der Abscheulichkeit und Qual der antiken Kreuzigung, siehe Chapman/ Schnabel, Trial, 697-754. Müller, Möglichkeit, 58-66, der die lange Kette der unzähligen Kreuzigungen ab 4 v.Chr. detailliert belegt. Lane 561-562 verweist auf Tacitus, Hist. 5,9, der bemerkt, dass Judäa unter Tiberius „ruhig“ ist (was aus der heutigen nicht-römischen Perspektive ironisch klingt). 24 Lane 566. 25 Lane 564 verweist auf Dioskurides Pedanius, Materia Medica, I.64.3. Weitere Details bei Pesch II 478. Vgl. Keener, Background, 181, der auf Spr 31,6-7 verweist. 26 Vgl. Lane 564, der auf bSan 43a verweist. 27 Lane 565, bemerkt, dass der Vertikalbalken gewöhnlich nicht viel höher als die Größe eines Menschen ist. Da Jesus die Essigmischung durch einen Stab gereicht bekommt (15,36), ist wahrscheinlich, dass das Kreuz Jesu wegen des stärkeren Abschreckungseffekts höher steht. 28 Lane 564-565. 29 Evans 501-502 und 516. 30 Evans, 516; Crossan, Jesus, 160-188. 31 Evans, 516. Evans 517 verweist ferner auf McCane, Where, passim. Weitere Details zur Kreuzigung bei Pesch II 479. Vgl. Hengel, Crucifixion, 22-90, vor allem 84-90.

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Die römische Gepflogenheit, die letzten Besitztümer des Verurteilten (z.B. Kleider; sie gehören laut Gesetz dem Staat) durch Los unter den Kreuzigenden zu verteilen, ist gut belegt.32 Bei Jesus handelt es sich um ein (zweiteiliges?) Gewand, einen Gürtel sowie Sandalen.33 Der Bericht der Verteilung der wenigen Besitztümer muss somit nicht aus Ps 22,18-19 entnommen sein; vielmehr bietet Ps 22,18 wohl eine sachlich unabhängige Parallele: In beiden Fällen ist der Gottverlassene (passio iusti) machtlos.34 25 Nach Lane ist die Zeitnotiz der Kreuzigung Jesu zur dritten Stunde nicht mit Joh 19,14 (Kreuzigung zur sechsten Stunde) zu vereinbaren.35 Er geht deshalb davon aus, dass Mk 15,25 eine frühchristliche Glosse darstellt.36 Cranfield nimmt im Rahmen seiner Rekonstruktion dagegen an, dass Johannes den Zeitpunkt bewusst verschiebt, damit Jesus in etwa zur Zeit des Schlachtens der Passahlämmer am 14. Nisan stirbt.37 Siehe jedoch den folgenden Exkurs 15.38 Exkurs 15: Chronologische Fragen zu Mk 15,25 und Joh 19,14 Zunächst muss deutlich gemacht werden, dass die Zeitnotiz in Joh 19,14 den letzten Teil des Verhörs vor Pilatus beschreibt, während die Zeitnotiz in Mk 15,25 einen späteren Zeitpunkt beschreibt, zu dem Jesus bereits auf Golgota ist. Es ist erwägenswert, ob Markus und Johannes evtl. unterschiedliche Zeitskalen voraussetzen. Danach würde Markus die jüdische (von sechs Uhr morgens an gerechnet; die „dritte Stunde“ wäre somit neun Uhr morgens), Johannes hingegen die römische Zeiteinteilung benutzen (von Mitternacht gerechnet wäre die „sechste Stunde“ somit sechs Uhr morgens). Nach Johannes beginnt das Verhör vor Pilatus „früh am Morgen“ (Joh 18,28), vielleicht bereits um fünf Uhr morgens. Johannes weiß um Details des Gesprächs mit Pilatus und kennt sich in römischen Gepflogenheiten aus. Warum soll er nicht auch die römische Tageseinteilung kennen? Blomberg macht dagegen geltend, dass die römische Zeitrechnung in Palästina erst nach der Zeit des Neuen Testaments eingeführt wird.39 Er geht somit davon aus, dass sowohl die Synoptiker als auch Joh die jüdische Zeitskala benutzen. Er schlägt vor, dass Markus (zusammen mit den anderen Synoptikern) den Tag in grobe Viertel aufteilt. Bei den Synoptikern sowie in der Apg ist beinahe ausschließlich von der „dritten“, der „sechsten“ und der „neunten“ Stunde die 32 33 34 35 36

Lane 566 verweist auf Tacitus, Ann. 6,29 (vgl. bSan 48b). Vgl. die ganz andere Aussage des Täufers bezüglich der Sandalen Jesu (Mk 1,7). Vgl. Lane 566. So auch Dschulnigg 396. Lane 566-567, mit Verweis auf das Petrusevangelium (4,10; 5,15; 6,22) sowie Blinzler, Prozeß, 416-420. Vgl. ebenso, Pesch II 484. 37 So die Rekonstruktion bei Cranfield 455-456. Vgl. Gundry 957; so (und mit) Evans 503. 38 Vgl. Pesch II 483. 39 Blomberg, Reliability, 179-180.

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Rede (vgl. Mt 20,3.5; 27,45.46; Mk 15,33.34; Lk 23,44; Apg 2,15; 3,1; 10,3.9.30; 23,23).40 Die dritte Stunde könnte bei Mk somit einen Zeitraum zwischen neun Uhr morgens und zwölf Uhr mittags beschreiben. Demgegenüber bezeichnet Joh 19,14 („um die sechste Stunde“)41 einen Zeitpunkt, etwa um Mittag. Johannes ist generell etwas genauer in seinen Zeitangaben als die Synoptiker (vgl. etwa Joh 1,39; 4,52). Dieser Erklärungsvorschlag ist den anderen vorzuziehen.

2642 Der Gekreuzigte muss eine Tafel entweder selbst zur Kreuzigungsstätte tragen, oder sie wird vor ihm hergetragen.43 Bei der Tafel handelt es sich um den titulus crucis44 (vgl. τίτλος [titlos] in Joh 19,19.20), der die Aufschrift45 seiner Anklage (causa poenae) enthält.46 Nach der Kreuzigung wird diese Tafel oben am Kreuz angeheftet.47 Pilatus greift die Anklage der jüdischen Verantwortlichen gegen Jesus auf und benutzt nun die Bezeichnung König der Juden (V. 2.9.12.18; vgl. V. 32),48 um sich für die Hinrichtung Jesu vor anderen Römern zu rechtfertigen („hier stirbt ein Gegner Roms“)49 und gleichzeitig die jüdischen Verantwortlichen damit zu reizen (vgl. 15,10; Joh 19,1922). Er lässt die Tafel (titulus crucis) mit diesem Wortlaut ans Kreuz heften. „Der Kreuzestitel bestätigt, daß Jesus als politischer Verbrecher, als Messiasprätendent hingerichtet worden ist“.50 27-32 Die Kreuzigung Jesu zwischen zwei militanten Freiheitskämpfern, Aufrührern bzw. Räubern (δύο λῃστάς [duo lēstas], siehe unten)51 sagt vielerlei aus. Aufgrund des römischen Rechts ist es wahrscheinlich, dass es sich 40 Blomberg, Reliability, 180, bemerkt, dass die Ausnahme (Mt 20,9) aufgrund des Kontextes des Gleichnisses genauere Zeitangaben fordert. Blomberg, ebd. verweist auf Miller, Time, 157-166 sowie Ramsay, Sixth Hour, 216-223. 41 Nach Blomberg, Reliability, 180. 42 Lit. zu V. 26: Blomberg, Reliability, 180; vgl. ferner Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Weitere Lit. bei: Evans 496 (bis 1999). 43 Vgl. Pesch II 479. 44 Siehe Sueton, Caligula, 32,1-2; Sueton, Domitian 10,1; Dio Cassius, Hist. Rom. 54,3,6-7; 73,16,5 und Euseb, Hist. Eccl. 5,1,44. Siehe Chapman/Schnabel, Trial, 292-298 sowie Pesch II 484. 45 Zur Diskussion des exakten Wortlautes der Aufschrift (vor allem der Vergleich mit Joh 19,19), vgl. Pesch II 485. 46 Vgl. Gnilka, Prozeß, 33. Lane 568 verweist auf Juvenal, Satire, 6,230 und Plinius der Jüngere, Briefe, 6,10.3; 9,19.3. 47 Pesch II 479. 48 Vgl. ähnlich Mt 27,37; Lk 23,38 und Joh 19,19. 49 Gnilka, Prozeß, 33. 50 Pesch II 484 und Anm. 6. Siehe Pesch, ebd., bezüglich der Ausführungen zur Rechtssprache in V. 26 (ἡ ἐπιγραφὴ τῆς αἰτίας [hē epigraphē tēs aitias]). Vgl. Dschulnigg 397. 51 Im Unterschied zu dem politisch stärker gefärbten στασιασταί [stasiastai] (Mk 15,7), vgl. Pesch II 486 und Anm. 18.

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bei diesen Aufrührern wie bei Barabbas um staatsfeindliche Revolutionäre handelt.52 Jesus, der Gerechte, wird zusammen mit diesen zwei Rebellen als politischer Verbrecher identifiziert.53 Bemerkenswert ist auch die Ironie um den Begriff „Räuber“ in Mk 14,48 und 11,17: Jesus wird von seinen Gegnern wie ein Räuber behandelt (14,48), während die Gegner wie Räuber den Tempel entheiligen (11,17) sowie Rebellen begnadigen (15,7.15). Der textkritisch umstrittene V. 2854 verweist auf die Tatsache, dass Jesus nach der Schrift wie ein Übeltäter behandelt wird (Jes 53,12). Wichtig ist die historische Dimension dieser Beschreibung. Die Routine, mit der Römer kreuzigen, wird hierdurch (drei Kreuzigungen in einem Vorgang)55 illustriert. Aus der Sicht der Römer und des Volkes ist die Kreuzigung Jesu somit weder Einzelfall noch Spezialfall. Rein äußerlich gesehen ist Jesus lediglich eines der ungezählten Opfer römischer Abschreckungsstrategie. 29-30 Und die Passanten lästerten ihn immer wieder: Kreuzigungen finden an stark frequentierten Straßen(kreuzungen) statt, um den Abschreckungseffekt zu steigern. Zu diesem Zeitpunkt sind wegen der Passahwoche besonders viele Menschen unterwegs. „Ha, du wolltest den Tempel zerstören und ihn in drei Tagen aufbauen, steig vom Kreuz und rette dich selbst“. Nochmals wiederholen Spötter und lästernde Verleumder (ἐβλασφήμουν [eblasphēmoun],56 vgl. Ps 22,7-8; Klgl 2,15; Ps 109,25)57 die Halbwahrheit der Zerstörung und des Wiederaufbaus des nicht weit vom Kreuzigungsort entfernten Tempels (vgl. 14,58). Ironisch ist, dass sie bezüglich des Tempels als Metapher für Jesu Leib (vgl. Joh 2,19.21) unwissentlich recht haben (vgl. Bemerkungen zu 14,57-59). Der Anspruch Jesu, Vollmacht zu besitzen, wird nun verspottet (vgl. Ps 35,25).58 Jesus soll sich nun bitte selbst retten (vgl. Ps 22,9), indem er als Messias vom Kreuz herabsteigt.59 Ihr Sarkasmus enthält das indirekte Zugeständnis, dass 52 Vgl. Lane 568, der auf Joh 18,40 und Mk 15,7 verweist. Keener, Background, 181, vermutet, dass Barabbas ursprünglich der dritte an diesem Tag zu kreuzigende Revolutionär ist. Dschulnigg 397 meint, dass die zwei „aus dem Kreis von Verbrechern um Barabbas stammen (vgl. V.7)“. 53 Vgl. Pesch II 485. 54 Siehe oben, 16.1.1 I. 55 Pesch II 486 und Anm. 17, macht darauf aufmerksam, dass nach mSan 6,4 nur ein Kapitalverbrecher pro Tag hingerichtet werden darf. Nach römischem Verfahren werden jedoch Massenhinrichtungen vollzogen (vgl. bei Pesch, ebd., die vielen Verweise auf Josephus, Ant und Bell). 56 Pesch II 486 verweist auf ähnlichen Wortgebrauch in 2Kön 19,22; 1QpHab10,13; 1QH2,35. 57 So Lane 569. 58 Vgl. Lane 569, der auf eine ähnliche Aussage in MidraschTan 3,23 verweist. 59 Vgl. Pesch II 487.

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Jesus tatsächlich andere retten konnte (σῴζω [sōzō], auch zweimal in V. 31).60 Siehe Pesikta Rab 36: „Die Völker der Welt verspotten das gemarterte Volk Israel und sprechen: ‚Wo ist dein Gott? Warum rettet er dich nicht?‘“ Dies geschieht nun am Repräsentanten Israels (vgl. Jes 52,13‒53,12). 31-32 Die jüdischen Verantwortlichen (Hohepriester und Schriftgelehrte) wähnen sich mit ihrem von „Erfolg“ (vgl. 3,6; 11,18; 12,12; 14,1-2.1011.53.55.64; 15,1.3.11)61 gespeisten Spott (ἐμπαίζοντες [empaizontes] sie machen sich (schmähend) über ihn lustig; vgl. 2Chron 36,16; Ps 22,7-8; 31,12; 39,9; 42,11; 69,8.10; 101,9; 109,25)62 in falscher Sicherheit. Man beachte hier das göttliche δεῖ [dei] (vgl. 8,31), ohne welches Jesus niemals in die Hände der Menschen überliefert worden wäre. Sie gestehen, wie gesagt, zu, dass Jesus andere retten konnte (vgl. 5,23.28.34; 6,56; 10,52).63 Aller Spott zielt auf die offensichtliche Überzeugung, dass Jesus nun machtlos ist und damit sein umfassender ἐξουσία [exousia]-Anspruch sowie seine Wundertaten zusammen mit ihm sicher und endgültig ans Kreuz genagelt werden (15,31; vgl. 10,33). Jesus scheint nun für ewig schweigen zu müssen. Der Triumph über Jesus gipfelt in der Aussage der jüdischen Verantwortlichen, dass der vermeintliche Christus (Messias) und König Israels nun als Lügner und Verdammter die gerechte Strafe Gottes für seine Gotteslästerungen erhält. Denn „ein Aufgehängter ist verflucht bei Gott“ (vgl. Deut 21,23; mSan 6,5a; Josephus, Ant 4,202; vgl. Weish 2,16-20). Er kann nicht mehr vom Kreuz herabsteigen. Die Römer sprechen, wie bereits erwähnt, aus fremder Sicht vom König der Juden (15,26), die Juden sprechen aus interner Perspektive vom König Israels (z.B. 15,32).64 Allerdings wollen sie nicht erkennen, dass der letztendliche Triumph darin liegt, dass die Erniedrigung des Gekreuzigten zur Erlösung „für viele“ geschieht (vgl. 8,31; 9,12; 10,45; 14,21.24.36.49). „Gerade dann, wenn Jesus so handelte, wie sie es erwarteten, wäre er ein Pseudomessias“.65 Die Gegner sind unter keinen Umständen bereit, Gott zu glauben, obwohl sie dies (spottend) immer wieder beteuern (vgl. 8,10-12; 11,28).66 Zunächst beschimpfen (ὠνείδιζον [ōneidizon]; dur. Impf. „sie beschimpften ihn fortwährend“) ihn auch die zwei anderen, die mit ihm gekreuzigt wer60 Bei Mk vermittelt σῴζω oft die Vorstellung von Rettung bzw. Befreiung von Krankheit oder dämonischer Besessenheit (vgl. BDAG, 982, § 1). In Verbindung mit Wundererzählungen, vgl. 5,23.28.34; 6,56; 10,52; allgemein, 8,35; 10,26; 13,13; siehe auch 16,16. Vgl. Ps 21,9 LXX (= Ps 22,9 MT), wo σῴζω mit „retten“ zu übersetzen ist. 61 Siehe Lane 569. 62 Vgl. Lane 569. 63 Vgl. Pesch II 487-488. 64 Schriftverweise bei Pesch II 488. 65 Vgl. Lane, Mark, 570; so auch Pesch II 488, u.ö. 66 Ähnlich, Pesch II 489.

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den (vgl. das passio iusti-Motiv in Ps 69,10; 89,51-52; 102,9),67 besonders, weil Jesus aus ihrer Sicht keinerlei Widerstand gegen Rom leistet.68 Einer von ihnen kehrt jedoch noch vor dem in wenigen Stunden erfolgenden Tod Jesu um (vgl. Lk 23,40-43). In letzter Minute muss er eine innere Wandlung durchgemacht haben (vgl. Lk 23,39).69 Es ist möglich, dass er, ähnlich wie der Hauptmann, aus dem Verhalten von Jesus zur Überzeugung gelangt, dass jener unschuldig ist (vgl. 15,39). Er bemerkt sicher, dass Jesus trotz unermesslicher Schmerzen kein betäubendes Getränk zu sich nimmt.70 Kurz vor seinem Tod kehrt er in Buße zu Gott um und bittet Jesus, an ihn zu denken „wenn du in dein Reich kommst“ (Lk 23,42).

16.1.2 Verspottung – Tod – Bekenntnis des Hauptmanns – die treuen Frauen 15,33-41 I 33 Und als die sechste Stunde gekommen war, wurde es bis zur neunten Stunde im ganzen Land dunkel. 34 Und zur neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: „Eloi, Eloi, lema sabachthani?“ Was übersetzt bedeutet: „Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen?“ 35 Und einige, die dabeistanden und es hörten, sagten: „Siehe, er ruft Elia an“. 36 Einer aber rannte, füllte einen Schwamm mit Essigwein, setzte ihn auf eine Stange, reichte ihn (Jesus) zum Trinken und sagte: „Wartet, lasst uns sehen, ob Elia kommt, um ihn herabzunehmen“. 37 Jesus aber gab einen lauten Schrei von sich und starb. 38 Und der Vorhang des Tempels wurde von oben bis unten entzwei gerissen. 39 Als aber der Hauptmann, der Jesus gegenüber stand, sah, dass er auf diese Weise starb, sagte er: „Wahrlich, dieser Mensch war der Sohn Gottes“. 40 Aber auch (einige) Frauen verfolgten aus einiger Distanz (alles) mit; unter ihnen befanden sich auch Maria aus Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen und von Joses und Salome, 41 welche ihm in Galiläa nachzufolgen und zu dienen pflegten; und viele andere (waren anwesend), die mit ihm nach Jerusalem gekommen waren.71

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Schriftverweise bei Pesch II 489. Lane 570. Eine Alternativinterpretation bietet Wallace, Grammar, 405. Siehe Bemerkungen zu 15,23 und 15,35-36. Lit.: Bligh, Note, 51-53; Oberlinner, Botschaft, 56-65; Ramsay, Sixth Hour, 216-223; Schwemer, Worte, 5-29; vgl. ferner Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 502-503 (bis 1980); Evans 491-496 (bis 1999).

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II Siehe oben 16. und 16.1, Bemerkungen zum Gesamtabschnitt. III 33 Die Finsternis (vgl. Lk 23,44), die im Zeitraum72 von 12 bis 15 Uhr stattfindet (also zwischen sechster und neunter Stunde, d.h. die Zeit des Nachmittagsgebets, Apg 3,1),73 kann keine Sonnenfinsternis sein, da um den 15. Nisan die Zeit des Vollmondes ist. Es ist möglich, von einer Verdunkelung „durch schwarz aufziehende, tief hängende Wolken (so schon Origenes)“ auszugehen.74 Es handelt sich jedoch wahrscheinlich um das souveräne Eingreifen Gottes in die Naturgesetze (vgl. z.B. Josephus, Ant 10,12-14). Dies gilt trotz der vielen analogen, hellenistischen Berichte, in denen der Tod einer bedeutenden Person (z.B. eines Herrschers) durch Sonnenfinsternis hervorgehoben wird. Der Unterschied wird z.B. durch das bedeutsame Detail des Aufhörens der Dunkelheit beim Tod Jesu (Mk 15,33) deutlich.75

Die Bedeutung dieses außergewöhnlichen Naturereignisses lässt sich aus dem AT und aus Jesu eigener Aussage erheben. Im Zusammenhang mit dem eschatologischen Gericht als „Tag des Herrn“ (Am 8,9-10) bedeutet die Dunkelheit „Trauer um den einzigen Sohn“.76 Siehe jedoch vor allem den vielsagenden Abschnitt Ex 10,21-23: Beim ursprünglichen Passah bedeutet die Dunkelheit „Gericht Gottes über Ägypten“.77 Nach Jesu eigener Aussage handelt es sich bei seinem Tod (dem Tod des Gerechten und des ewigen Sohnes) um das Gericht Gottes wegen der Sünden „vieler“. Dies geht aus a. Mk 10,38-39 (Gerichtskelch und -taufe), b. Mk 10,45 / Jes 53,8 (stellvertretende Sühne „für viele“), c. Mk 14,24 (das Blut des neuen Bundes, „für viele“ vergossen), d. Mk 14,36 (Gerichtskelch) sowie e. Mk 15,34 (Gottesverlassenheit) hervor. Die auf

72 73 74 75

Vgl. oben, Exkurs 15: „Chronologische Fragen zu Mk 15,25 und Joh 19,14“. Vgl. Dschulnigg 400. Dies erwägt Pesch II 493. Vgl. Pesch II 493, der auf Philo, De Providentia 2,50 (nach Euseb, Praep. Ev. 8,14,50; eine Mond- oder Sonnenfinsternis weist auf den „Tod eines Königs oder die Zerstörung einer Stadt“); Vergil, Georgica I, 466-67; Josephus, Ant 14,309; Plutarch Pelopid. 295a und Diogenes Laertius, Carnead. 4,33,12 verweist. 76 Lane 571 und Anm. 70, der ferner auf Billerbeck, Kommentar, I 1040-1042 verweist. Vgl. ferner Jer 15,8-9. 77 Lane 572, mit Verweis auf Gal 3,13. Keener, Background, 181, betont das Thema der „Finsternis“ auch für andere (z.T. zukünftige) Zeiten des Gerichts: Jes 13,10; Hes 32,7; Joel 2,2.10.31; 3,15; Am 5,18; 8,9; Sach 14,6.

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Jesus vertrauenden und seinen stellvertretenden Tod annehmenden Nachfolger bleiben dadurch vor dem Letzten Gericht verschont.78 34 Jesus befindet sich nach der unbeschreiblichen und erschöpfenden Geißelung immer noch drei Stunden lang im Todeskampf.79 In seinem verzweifelten und bedrängten Gebetsausruf beginnt Jesus,80 den aramäischen (anders: LXX81) Text des passio iusti-Psalms 2282 zu zitieren: „Eloi, Eloi, lema sabachthani? Was übersetzt bedeutet: Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen?“ Lane meint, dass sich der Verweis auf Ps 22,2 wahrscheinlich auf den TargPs 22 bezieht, in dem die einleitende Aussage auf Hebräisch, die folgende Frage jedoch auf Aramäisch, formuliert ist.83 Anders als Mt 27,46 (ηλι [ēli] als griechische Transkription des hebr. Begriffs), liegt bei Mk ελωι [elōi] (griechische Transkription des aramäischen Begriffs mit ω [ō] als dumpfem A-Laut) vor.84 Keener bemerkt, dass der Beginn von Ps 22 mitunter zu dieser Tageszeit rezitiert wird.85 Sowohl die aramäische als auch die hebräische Fassung kann zu einem mutwilligen Verdrehen durch die Spötter Anlass gegeben haben.86 Der Begriff ‫[ ָלמָה‬lāmāh] wird in der LXX mit ἵνα τί [hina ti], in Mk mit εἰς τί [eis ti] wiedergegeben. Entgegen Pesch ist zu erwägen, ob die LXX den Sinn von ‫[ ָלמָה‬lāmāh] final: „wozu?“ und nicht kausal „warum?“ vermittelt.87 Der bedrängte Gerechte ruft Gott um Rechtfertigung angesichts seiner übermächtigen Verfolger. Jesus schreit mit Ps 22,2 das Leid der unermesslichen Gottesferne und des vollen Gottesgerichts zu Gott (vgl. Jes 59,2) heraus,88 welches er jetzt stellvertretend (vgl. Mk 1,9-11; 10,45; 14,24) erleidet (vgl. Ps 27,7.9; 31,23; 69,4).89 Allerdings weist Ps 22,2 auf die vielsagende Tatsache hin, dass sich Jesus dennoch an seinen Vater wendet, von dem, wenn überhaupt, wahre Hilfe kommen kann („Jesu Gebet ist kein Verzweiflungsschrei, sondern Vertrauensäußerung“;90 vgl. Hebr 5,7; 1Petr 2,23b). Der weite78 Vgl. Dschulnigg 400. 79 Lane 574, bemerkt, dass Jesus bewusster und relativ „rascher“ stirbt als viele andere, die langsamer am Kreuz verenden. 80 Zur Frage der Historizität des Gebetsrufs vgl. Dschulnigg 400-401, Anm. 217. 81 Vgl. Pesch II 494-495. 82 Vgl. die Studie von Rowe, Kingdom, 295-303. 83 Lane 572. 84 Vgl. Pesch II 495. 85 Keener, Background, 181. 86 Vgl. Pesch II 495 und Anm. 11. 87 Pesch II 495-496. 88 Vgl. Lane 573, der auf Deut 21,23; Gal 3,13 und 2Kor 5,21 verweist. 89 Schriftverweise bei Pesch II 495. 90 Vgl. Dschulnigg 401 und Pesch II 495.

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re Kontext von Ps 22 eröffnet die Zuversicht des Psalmisten, tatsächlich durch Gottes wunderbares Eingreifen gerettet zu werden. Aufgrund jüdischer Gepflogenheit, ganze Psalmen aus dem Gedächtnis zu rezitieren, ist es durchaus wahrscheinlich,91 dass der tiefe Aufschrei Jesu auch den weiteren Verlauf des Psalms andeutet bzw. dass Jesus den gesamten Psalm zu beten beginnt.92 Das verheerende, unbeschreibliche Gericht des Vaters einerseits und dennoch die rückhaltlose Zuversicht Jesu auf dessen Hilfe stehen in antithetischer und ungelöster Spannung zueinander (vgl. Hebr 5,7-9). Diese Spannung gilt es im Interpretationsvollzug des Markuszeugnisses auszuhalten und zu tragen. „Bis zu seinem letzten Atemzug denkt und lebt Jesus in und aus der heiligen Schrift Israels.“93 Die Übertragung vom Aramäischen ins Griechische weist darauf hin, dass Markus sich vor allem an Menschen außerhalb des aramäisch sprechenden Judentums Palästinas wendet. 35 Das mutwillige94 „Missverständnis“ erwächst aus Spott und Hohn. Siehe die spätere Tradition, die den populären Glauben an den Beistand Elias (vor allem zugunsten von bekannten Lehrern)95 in Not belegt.96 36 Der Essigwein (ὄξος [oxos], V. 36) wird auf einem aufgespießten97 Schwamm gereicht (ἐπότιζεν [epotizen] „er gab zu trinken“),98 um den Durst zu stillen; er dient also nicht als Betäubungsmittel (im Gegensatz zu V. 23).99 Dieser Essigwein wird eventuell mit der Absicht verabreicht, den Todeskampf eines Gekreuzigten zu verlängern (vgl. Joh 19,28). Geschieht das zu diesem Zeitpunkt, um abzuwarten (er wartet zu sehen), ob Elia vielleicht zur Hilfe kommt (vgl. Weish 2,17; Ps 22,9)?100 Auch diese Handlung ist Teil des Hohns (vgl. das passio iusti-Motiv in Ps 69,22), der die Erwartung der Rückkehr Elias 91 So auch Dschulnigg 400. Pace Lane 572. Natürlich besagt der Aufschrei, dass Jesus aufgrund seines stellvertretenden Todes die verheerende Gerichtstrennung vom Vater erlebt und erduldet. 92 So auch Pesch II 494. 93 Dschulnigg 399. 94 Pesch II 495. Dschulnigg 401: Es „bleibt offen … ob sie dies spottend oder wohlwollend meinen“. 95 So Keener, Background, 181. 96 Vgl. Billerbeck, Kommentar, IV 2, 767-779 und Jeremias, ThWNT II, 930-943. So auch Pesch, Markus II 496 und Lane 573. 97 Dies ist nach Pesch II 496, ein Indiz dafür, dass Jesus an einem Hochkreuz hängt. 98 Das Imperfekt vermittelt evtl. eine gewisse Dauer der Handlung: „er hielt es ihm hin“ (vgl. NGÜ); anders Pesch II 496 und Dschulnigg 401, die das Imperfekt konativ verstehen (er versuchte es …). Offen für beide Optionen bleiben Haubeck/von Siebenthal, NSS I 341-342. Vgl. ferner Ps 69,22. 99 Lane 573 verweist auf Num 6,13; Rut 2,14 sowie auf Plutarch, Cato Major I.13; Papyrus London, 1245,9. 100 So auch Pesch II 496.

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vortäuscht. Wer wirklich sucht, der wird hören, dass Elia bereits in der Gestalt Johannes des Täufers gekommen ist (s.o., Bemerkungen zu 9,13), um Menschen zur Umkehr und zur Erwartung Jesu (als „Kommen Jahwes“, Jes 40,3) zu rufen. Wie bereits erwähnt, muss Essigwein von der Weinmischung mit Myrrhe oder Galle (οἰνον μετὰ χολῆς [oinon meta cholēs], Mt 27,34) unterschieden werden. Letztere Mischung ist dazu bestimmt, den Schmerz durch Betäuben der Sinne zu lindern.101 Obwohl Jesus dem Tod nahe ist (15,36-37), nimmt er den Essigwein noch an (vgl. Joh 19,28-30); zu keiner Zeit akzeptiert er jedoch die Betäubungsmischung.102 Hier enden Spott und Hohn, die Jesus ertragen muss (V. 29.31.32.36). 37 Jesus aber gab einen lauten Schrei103 von sich und starb. Mit dem schmerzerfüllten Tod Jesu verstummen im Markusbericht die Stimmen der Spötter und Gegner (Männer). Der Tod stellt sich etwas nach 15 Uhr, Freitagnachmittag, etwa drei Stunden vor dem Ende des 15. Nisan und dem Beginn des regulären Sabbats am 16. Nisan, ein. Jesus stirbt104 etwa um die Zeit des täglichen Nachmittagsopfers im Tempel.105 Vor der Kreuzigung schmähen und lästern „Vorübergehende, Hohepriester und Schriftgelehrte sowie Mitgekreuzigte“106 den sterbenden Jesus. Sein Tod scheint ihn zum endgültigen Schweigen gebracht zu haben. Nach der Kreuzigung Jesu werden bei Mk nur noch wohlwollende und trauernde Stimmen (der Hauptmann und die Frauen) laut. Das Kreuz trennt endgültig Gegner und Nachfolger. Der Markusbericht konfrontiert den Leser ein letztes Mal eindringlich mit der brennenden und folgenschweren Frage (vgl. Mk 8,38): „Bist du Gegner oder Nachfolger Jesu?“ Diese Frage soll jeder für sich beantworten. 38 Der Tempel besteht aus dem Allerheiligsten, dem Heiligtum, dem priesterlichen Vorhof, dem Hof Israels, dem Vorhof der Frauen sowie dem Vorhof der Heiden. Nur der Hohepriester darf einmal im Jahr zum Versöhnungstag in das Allerheiligste treten (vgl. Ex 26,31-35; 27,21; 30,6; Lev 16,2.12-15.21.23; 24,3; 2Chron 3,19; mJom 5,1).107 Neben dem inneren Vorhang, der das Allerheiligste vom Heiligtum trennt, gibt es ferner einen äußeren Vorhang, der das Tempelgebäude vom Vorhof der Frauen (Ex 26,37; 38,18; Num 3,26) trennt.108 Der äußere Vorhang kann von 101 Hinsichtlich dieser Unterscheidung siehe Bemerkungen zu 15,23. 102 Vgl. Morris, NIDNTT II, 28. 103 Zu unterschiedlichen Interpretationen des Schreis vgl. Dschulnigg 401-402. 104 Weitere Details zum Tod Jesu bei Pesch II 498. 105 Keener, Background, 181. 106 Dschulnigg 395. 107 Schriftverweise bei Lane 574. 108 Lane 574.

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vielen Menschen gesehen werden, während der innere lediglich von Priestern gesehen wird. Aufgrund der Tatsache, dass zumindest einige der mit Christen sympathisierenden Priester über dieses Ereignis berichten können (vgl. u.a. Nikodemus, Joh 19,39, Joseph von Arimathäa, Lk 24,50-51 sowie Gamaliel, Apg 5,33), ist nicht auszuschließen, dass es sich in 15,38 um den inneren Vorhang handelt. Ferner ist folgende Überlegung von Bedeutung: Weil Mk die genaue Bestimmung des Vorhangs unterlässt, ist zu fragen, welcher der beiden Vorhänge unter Juden und vor allem unter begrenzt informierten Heiden der bekanntere ist. Dies weist wohl ebenso auf den inneren Vorhang (vgl. ferner den bestimmten Artikel τὸ [to] vor καταπέτασμα [katapetasma]).109 Handelt es sich also wahrscheinlich um das Zerreißen des inneren Vorhangs, eröffnet dies einen Bezug zum Hebräerbrief110 (Hebr 6,19; 9,2-3.67.11-12; 10,19-20),111 der betont, dass der direkte Zugang zum Vater durch den alleingültigen, stellvertretenden Opfertod Jesu geschaffen wurde. Dies geschieht durch Beseitigen von Sünde (Jes 53,8; vgl. Mk 10,45; 14,24), welches die Herrlichkeit Gottes „enthüllt“ (vgl. das Motiv der Verhüllung z.B. in Ex 35,12; 40,21).112 Das Entzweien (Zerreißen) des Vorhangs (welcher Mensch zerreißt den inneren Vorhang des Tempels von oben bis unten?)113 antizipiert als conditio sine qua non die Hinfälligkeit des Jerusalemer Tempels (vgl. 11,11-25; 12,9-10; 13,1-2; 14,57-59; 15,29-30),114 dessen zentraler raison d’être der Sühne wirkende Opferkultus ist (vgl. 13,2; 14,58; 15,29). Natürlich darf dies nicht als antijudaistische Interpretation gesehen werden (hierin stimmen wir mit Pesch völlig überein115). Dennoch signalisiert das Ereignis den Beginn des Endes des Jerusalemer Tempelkultes. Das so interpretierte Ereignis verweist auf das ureigene Wirken Gottes, der jüdischen und heidnischen Menschen den unmittelbaren Zugang zum neuen und bleibenden Tempel in Gemeinschaft mit ihm eröffnet (vgl. Röm 6–8 und 9–11; siehe oben, 4.3, Ekklesiologische Bemerkungen).116

109 Vgl. Pesch II 498 und Dschulnigg 402. 110 Vgl. die vielen, alternativen Interpretationsvarianten bei Pesch II 498-499. 111 Vgl. Lane 575, Anm. 79. 112 So auch Dschulnigg 403. 113 Ist das Zerreißen des Vorhangs „von oben bis unten“ betont als Akt Gottes zu sehen? 114 Vgl. Dschulnigg 402 und Anm. 228, der auf Gnilka, Lohmeyer, Schweizer, Lührmann, u.a. verweist. 115 Pesch II 499. 116 So auch Dschulnigg 402-403 und Anm. 232, mit Verweis u.a. auf Feldmeier, Moule und Kertelge.

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Handelt es sich jedoch um den äußeren Vorhang, so wäre durch das stellvertretende Sühneleiden Jesu das Ende der Trennung zwischen Frauen und Männern sowie Heiden und Juden antizipiert. Die erste Interpretationsmöglichkeit ist jedoch insgesamt überzeugender. 39 Die Aussage des Hauptmanns: „Wahrlich, dieser Mensch war der Sohn Gottes“117 bildet eine lockere inclusio mit Mk 1,11 (siehe 9,7 und vgl. 14,61). Der Hauptmann macht diese Aussage aufgrund der Haltung des gekreuzigten Jesus.118 Die Art und Weise, mit der Jesus seinem grauenhaften Tod entgegengeht (dass er auf diese Weise starb, u.a. kein Verfluchen seiner Feinde), beeindruckt den Hauptmann, der wohl schon viele Kreuzigungen miterlebt hat. Der Hauptmann geht in seiner Aussage wahrscheinlich von einer weit verbreiteten, griechisch-römischen theios anēr-Vorstellung aus (vgl. Weish 2,12-20; 5,1-7; Lk 23,47).119 Auch wenn die Glaubensauffassung des Hauptmanns aus christlicher Sicht unzureichend ist,120 so tritt dennoch der Gegensatz zwischen den Gegnern Jesu (Tötungsabsicht) und diesem Römer (Hochachtung vor der Haltung Jesu) in den Vordergrund. 40-41121 Nun richtet Mk sein Augenmerk auf die Jesus nachfolgenden galiläischen Frauen. Im Gegensatz zum engeren Kreis der zwölf (nunmehr elf) Jünger und Gesandten, brechen sie Jesus nie die Treue und verfolgen auch jetzt (alles) aus einiger Distanz mit. Hervorzuheben sind die durativen Impf.-Konstruktionen ἀκολουθέω [akoloutheō] (siehe Bemerkungen zu 1,1718.20; 2,14-15; 8,34; [9,38]; 10,21.28.32.52; [14,54]) und διακονέω [diakoneō] in V. 41 (welche ihm in Galiläa nachzufolgen und zu dienen pflegten),122 welche Loyalität und Beständigkeit zum Ausdruck bringen.123 Im Gesellschaftsgefüge des damaligen Israel ist es durchaus außergewöhnlich, dass Frauen zu den mitreisenden Jüngern Jesu in Galiläa und Judäa gehören (vgl. das Qualifikationskriterium für den Ersatz des Judas in Apg 1). Dies ist be117 In Lk 23,47 sagt der Hauptmann: „Dieser ist ein gerechter (δίκαιος [dikaios]) Mensch gewesen“. Marshall (Luke, 876) betont, dass der Hauptmann bei Lk die Unschuld Jesu betont. 118 Lane 576. 119 Bligh, Note, 51-53, hebt zurecht die Spannung hervor, dass hier ein Römer, der eigentlich den amtierenden Kaiser als „Gottessohn“ (d.h. als Sohn des göttlichen Augustus) zu bekennen hat, Jesus als solchen bezeichnet und damit evtl. Gefahr läuft, der Untreue dem Kaiser gegenüber bezichtigt zu werden. Vgl. Pesch II 500 und Lane 576, Anm. 82 mit weiteren Verweisen. Siehe ferner, Blackburn, Theios Anēr, 13-15. 120 Vgl. Dschulnigg 403. 121 Lit. zu 15,40-41: Beavis, Women, 3-9; Dschulnigg, Frauen, 75-86; Fander, Frauen, 413-432; Ruckstuhl, Freund, passim. Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 509 (bis 1980). 122 Vgl. Pesch II 508, der ferner darauf hinweist, dass die Frauen Jesus mit ihrem Vermögen dienen, Lk 8,2. Vgl. Dschulnigg, 405. 123 Beavis, Women, 3-9.

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deutsam, da die Aufgaben der Frauen z.Z. Jesu primär an das Haus gebunden sind. Jesus geht damit einen vom herkömmlichen Sozialgefüge abweichenden Weg, der die Schöpfungsordnung der Gleichwertigkeit und Würde von Frau und Mann (vgl. 5,21-43; 7,29; vgl. Gen 1,27) wiederherstellt.124 Sie dienen auch als entscheidende und bedeutsame Zeugen des Todes, der Grablegung und der Auferstehung Jesu.125 Viele Frauen folgen Jesus nach. Z.B. verweist Lk 8,3 auf die von Jesus geheilten Frauen Johanna (die Frau des Chusa, Hausverwalter von Herodes Antipas) und Susanna (vgl. Lk 24,10). Markus erwähnt lediglich eine Auswahl126 dieser ehrenwerten und beachtenswerten Frauen, welche im Gegensatz zu den zwölf Jüngern auch während dieser kritischen Stunden bei Jesus bleiben. Unter ihnen befanden sich auch:127 Maria Magdalena, Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen … und Salome (V. 40). 1) Zu Maria Magdalena (15,40.47; 16,1[.9]; Lk 24,10):128 Die aus Magdala (am Westufer des Sees Genezareth) stammende Maria Magdalena war zuvor von Dämonen befreit worden (Lk 8,1-2).129 Dass sie früher Prostituierte gewesen (vgl. die davon zu unterscheidende Sünderin in Lk 7,36-50) sowie die Maria aus Bethanien (Lk 10,38-42; Joh 11,20; 12,1-8) sei, bleibt unklar.130 2) Zu Maria, die Mutter Jakobus des Jüngeren (Kleinen) und des Joses (15,40.47; 16,1):131 Über diese Maria ist nicht viel bekannt. Pesch unterscheidet Maria, die Mutter des Jakobus von Maria, der Mutter des Joses (durch Vergleich von 15,40 mit 15,47 und 16,1).132 Manche Ausleger erwägen, ob diese Maria die Mutter Jesu ist. Es trifft zwar zu, dass zwei Halbbrüder Jesu Jakobus und Joses heißen (Mk 6,3). Allerdings wird „unsere“ Maria (Mutter des Jakobus) beim leeren Grab als „die andere Maria“ identifiziert (Mt 27,61).133 Ein derartiger Verweis auf die wohlbekannte Mutter Jesu wäre zumindest eigenartig. Nach Mk 6,3 wird die allen bekannte Maria als „Mutter Jesu“ bezeichnet. Warum sollte Mk die Mutter Jesu hier nun plötzlich durch die Namen der weniger bekannten Söhne identifizieren? Ferner ist zu beachten, dass die Namen „Jakobus“ und „Joses“ z.Z. Jesu recht oft vorkommen.134 3) Zu Salome (15,40; 16,1): Liest man Mk 124 Vgl. Keener, Background, 182, der u.a. auf Lk 10,39 verweist. Vgl. 5,21-43; 7,29. 125 Siehe Bemerkungen zu 15,47; 16,1-8. 126 Vgl. die Bemerkungen „unter welchen“, V. 40, sowie „viele andere“, V. 41. 127 Siehe die detaillierte Vorstellung der verschiedenen Frauen bei Pesch II 505-506. 128 Vgl. Lk 8,2. 129 Lane 576. 130 Vgl. Pesch II 505. 131 Mt 27,56 benennt „Joses“ mit dem Alternativnamen „Joseph“. 132 Pesch II 505-508. Lane 577 verweist auf 15,21. 133 Vgl. Mt 28,1. 134 Siehe France 664.

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15,40 zusammen mit Mt 27,56 (wo Salome allerdings nicht mit Namen genannt wird),135 so ergibt sich die Möglichkeit, dass Salome die Frau des Zebedäus und somit die Mutter der zwei Jünger Jakobus und Johannes ist (vgl. 1,19.20; 3,17; 10,35; 16,1).136 Die Tatsache, dass Mk lediglich eine Auswahl von Frauen erwähnt, lässt die Möglichkeit offen, dass z.B. Maria, die Mutter Jesu, durchaus auch dabei gewesen ist: und viele andere …, die mit ihm nach Jerusalem gekommen waren. Joh 19,25 ergänzt das markinische Bild der treuen Frauen: „Es stand aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, des Kleopas Frau“. Einige dieser Frauen sind somit unmittelbare Augenzeugen der Kreuzigung, des Todes (V. 40; vgl. V. 37) und der Grablegung (vgl. 15,47) Jesu sowie des leeren Grabes (16,1-4) und der Auferstehungsaussage des Engels (16,6; vgl. Joh 20,11-18). V. 41 vermittelt, was für die Frauen bereits jetzt zutrifft, jedoch für alle Nachfolger von grundsätzlicher Bedeutung sein wird: „Diese Kirche der Kreuzesnachfolge und des Dienens entsteht aus dem Bekenntnis zum gekreuzigten Sohn Gottes und seiner Auferstehung und wird alle Völker umfassen (vgl. 15,39-41; 16,6f).“137

16.2 Jesu Grablegung 15,42-47 I 42 Und es war bereits Abend geworden; da es Rüsttag war, das heißt der Tag vor dem Sabbat, 43 machte sich Joseph von Arimathäa, ein angesehenes Mitglied des Synedrions, der selbst (das Kommen) von Gottes Reich erwartete, mutig auf und ging zu Pilatus und bat um den Leib Jesu. 44 Pilatus aber fragte sich verwundert, ob er schon tot sei und rief deshalb den Hauptmann herbei und erkundigte sich bei ihm, ob er bereits gestorben sei. 45 Als er sich durch den Hauptmann vergewissert hatte, überließ er Joseph den Leichnam. 46 Der aber kaufte ein Leinentuch, nahm ihn herab, wickelte ihn in das Tuch und legte ihn in eine Grabhöhle, die aus dem Felsen gehauen war, und rollte einen Stein vor den Eingang zum Grab.

135 Mt 27,56 verweist lediglich auf „die Mutter der Söhne des Zebedäus“. 136 Vgl. 1,19-20; 3,17; 10,35; 16,1. 137 Dschulnigg, 405.

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47 Maria Magdalena und Maria, Mutter des Joses, sahen aber, wo er (ihn) hingelegt hatte.138 II Die berichtende Erzählung (Mk 15,42-47) lässt sich in vier Abschnitte aufteilen: 1. Bitte, Jesus begraben zu dürfen, V. 42-43; 2. Erstaunen des Pilatus über den schnellen Tod Jesu / Vergewisserung, V. 44-45; 3. Grablegung, V. 46; 4. Mitwissen der zwei Frauen, wo sich die Grabstätte befindet, V. 47. III 42-43 Vergleiche das mosaische Gebot, noch am selben Tag zu begraben (Deut 21,23). Der Rüsttag (παρασκευή [paraskeuē], vgl. ebenso Joh 19,42; siehe Josephus, Ant 16,163) gilt als terminus technicus für einen regulären Freitag139 und ist somit der Tag „der Vorbereitung“ auf einen regulären Sabbat. Der 15. Nisan ist im gegebenen Jahr somit ein Freitag.140 Im Gegensatz zu den Jüngern des Täufers (vgl. Mk 6,29) sind die Jünger Jesu und die Familienangehörigen Jesu (evtl. bis auf Maria, vgl. Joh 19,2526?) nicht am Begräbnis Jesu beteiligt.141 Joseph von Arimathäa will Jesus noch vor Beginn des Sabbats am 16. Nisan, um 18 Uhr, begraben.142 Wenham führt aus, dass Joseph ein wohlhabendes Mitglied des Hohen Rates ist (vgl. die Parallele in Lk 23,50-56).143 Vorsichtiger, jedoch schließlich zustimmend, äußert sich Pesch, der (für den Fall seiner Mitgliedschaft im Synedrion) eine mögliche Spannung zwischen 14,64 und 15,43 bezweifelt, da trotz der Bezeichnung „alle“ (14,64) nicht von einer Vollzahl des Synedrions auszugehen ist.144

Joseph von Arimathäa ist ein angesehenes Mitglied des Synedrions145 und hat damit ein gewisses Maß an Einfluss Pilatus gegenüber. Trotzdem ist die Bitte um den Leib Jesu ein gewisses Wagnis seinerseits (Joseph machte sich 138 Lit.: Blinzler, Prozeß, 385-393; Brown, Death, II 1240-1241; Smith, Tomb, 87-88; Wenham, Easter, 63-80; Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 518-519 (bis 1980); Evans 512-514 (bis 1999). 139 Vgl. Pesch II 512. 140 So Pesch II 511. Vgl. Lane 577. 141 Vgl. Keener, Background, 151. 142 Zur Historizität dieser Begebenheit, vgl. Brown, Death, II 1240-1241. Pesch II 512, betont, dass die Formulierung „noch den späten Nachmittag vor Sonnenuntergang bezeichnen“ kann. 143 Wenham, Easter, 63. 144 Pesch II 513. Anders Gnilka, Prozeß, 20. 145 Keener, Background, 182, betont, dass innerhalb des Synedrions durchaus unterschiedliche Ansichten, auch bezüglich Jesus, anzunehmen sind.

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mutig auf und ging zu Pilatus).146 Es wird bei Mk nicht gesagt, dass Joseph an Jesus als Messias Gottes glaubt. Er erwartet jedoch zumindest mit vielen seiner jüdischen Landsleute Gottes zukünftiges Reich (vgl. Lk 24,50-51).147 Der Text betont allerdings, dass diese Hoffnung ein persönliches Anliegen des Joseph ist. Eventuell ist Joseph somit enttäuscht darüber, dass Jesus das Kommen dieses Reiches nicht bewirkt hat, obwohl Jesus in den Augen des Joseph ein ehrbarer und ernst zu nehmender Messiasanwärter gewesen ist. Nach Mt 27,57 ist er jemand, der von Jesus gelernt hatte (ἐμαθητεύθη [emathēteuthē], von ματητεύω [mathēteuō] = „ich lerne“), also nicht notwendigerweise ein Jünger Jesu. In Joh 19,38 steht, dass er ein „heimlicher Jünger“ Jesu ist (ὢν μαθητὴς τοῦ Ἰησοῦ κεκρυμμένος δὲ [ōn mathētēs tou Iēsou kekrymmenos de]). Deshalb erweist er ihm nun die letzte Ehre. Zusätzlich hält er sich damit an das mosaische Gesetz. Das Gesetz in Deut 21,23 wird höher eingestuft als die Feiertagsbestimmung zum 15. Nisan148 (vgl. Josephus, Bell 4,317).149 Joseph bittet nicht um den Leichnam (V. 45), sondern um den Leib Jesu (als Geste der Hochachtung vor Jesus?). Römisches Recht sieht die Bestattung von Gekreuzigten nicht vor.150 Nach römischem Gesetz ist die davon abweichende Erlaubnis, dass Angehörige einen Gekreuzigten dennoch begraben dürfen, vom Präfekt oder Statthalter abhängig.151 Die Erlaubnis hierzu ist vor allem bei Hochverrat152 juristisch höchstens als Ausnahme zu sehen,153 während die Bitte in der Praxis oft gewährt wird. Sonst würde der Gekreuzigte den Vögeln überlassen oder in einem Massengrab154 verscharrt werden. Normalerweise bemühen sich Familienangehörige oder enge Freunde um eine derartige Erlaubnis. Außer einigen Frauen, der Mutter Maria und Johannes ist jedoch niemand anwesend, dies zu tun (siehe die Zerstreuung der Jünger sowie den Spott der Familienangehörigen). Es ist ohnehin unklar, ob diesen Geringen der Zugang zu Pilatus gewährt worden 146 Vgl. Pesch II 513. 147 Vgl. Pesch II 513 und Dschulnigg, 407. Keener, Background, 182 geht aufgrund dessen davon aus, dass Joseph kein Sadduzäer ist. 148 Vgl. Pesch II 512. 149 Vgl. Pesch II 512, der auf Josephus, Ant 4,264 verweist; danach kann ein Begräbnis (nicht jedoch das Herunternehmen des Toten vom Pfahl) noch nach Sonnenuntergang vorgenommen werden, allerdings nicht zu Beginn eines Sabbats. 150 Pesch II 514. 151 Zu den folgenden Aussagen, vgl. Lane 578-579, der u.a. auf Tacitus, Ann. 6,29; Plutarch, Antonius 2; Cicero, Orationes Philippicae 2.717; Philo, Adv. Flaccum 10. §83; Horaz, Briefe, 1, 16.48 und Petronius, Satura 111 verweist. 152 Vgl. Pesch II 513 und Anm. 18, mit Verweis auf Blinzler, Prozeß, 385-387. 153 Lane 578, mit Verweis auf Blinzler, Prozeß, 386 und Anm. 14. 154 Wenham, Easter, 63.

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wäre. Joseph von Arimathäa mag diesen Sachverhalt mit in seine mutigen Überlegungen einbezogen haben. Allerdings stehen die Chancen für eine Bewilligung seiner Bitte insgesamt trotzdem schlecht.155 Dass Pilatus der Bitte entspricht (V. 45), ist als ausdrückliches Entgegenkommen (politisches Kalkül?) zu werten.156 Aus jüdischer Perspektive ist es unbedingt notwendig, den Leichnam zu begraben (vgl. Joh 19,40; siehe Bemerkungen zu V. 46).157 Der wohlhabende Joseph kann mit Dienern die Grablegung innerhalb kurzer Zeit bewerkstelligen.158 Nimmt man die vier Evangelien zusammen, so ergibt sich das historische Bild, bei dem sich Joseph in aller Eile um Leinentücher müht, während Nikodemus kurzfristig trockene Spezereien159 zur Eindämmung des Verwesungsgeruches besorgt (Joh 19,39-40). Nach Joh 19,40; 20,7 handelt es sich um eine Anzahl von ὀθόνια [othonia] (sg. ὀθόνιον [othonion] = „Leinentuch“) und ein soudarion (σουδάριον [soudarion] = ein separates Tuch für den Kopf; Luther: „Schweißtuch“). Vgl. Joh 11,44, wo bei Lazarus ebenso von einem soudarion die Rede ist.

Am ersten Tag der Woche beabsichtigen die Frauen, Jesu Leib dann endlich mit Kräuterölen einzubalsamieren (siehe Bemerkung zu V. 46). Nach Mk 16,1 macht die Zeitnot dies vor Beginn des Sabbats unmöglich. Neben diesen zwei Männern sind zumindest Maria Magdalena und die andere Maria gegenwärtig; sie beobachten, wo und wie Jesus begraben wird (V. 47).160 44-45 Der Realitätsbezug des Berichtes wird durch die verständliche, verwunderte Reaktion von Pilatus auf die Bitte des Joseph deutlich. Jesus ist in wenigen Stunden am Kreuz gestorben. Dieser Leidensprozess kann u.U. Tage andauern.161 Allerdings währt die gewaltsame und lebensgefährdende Misshandlung Jesu nun schon viele Stunden. Pilatus vergewissert sich bei dem bereits erwähnten Hauptmann (15,39) über den tatsächlichen Tod Jesu (nur bei Mk). Dies geschieht deshalb, weil bei römischer Kreuzigung der Abschreckungseffekt des grausamen Todes konsequent beibehalten werden muss (vgl. Joh 19,31-32).162 Erst danach entspricht Pilatus Josephs Bitte. Blinzler überzeugt mit der Aussage, dass Pilatus nur deshalb den Leichnam eines wegen 155 Pesch II 514, mit Verweis auf Blinzler, Prozeß, 387. 156 Pesch II 514. 157 Lane 578 verweist auf Josephus, Bell 3,361-382, Deut 21,23; mSan 6,6; bSan 46b. 158 Ähnlich, Pesch II 514-515. Vgl. ferner Nikodemus, der eventuell ebenso Diener einsetzt. Vgl. Lane 580. 159 Wenham, Easter, 64, erklärt, dass 100 „litrai“ etwa 33 kg entsprechen. 160 Vgl. Wenham, Easter, 64. 161 Vgl. Evans 516. 162 Vgl. z.B. Müller, Möglichkeit, 58-66; ähnlich, Pesch II 514.

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Hochverrats Gekreuzigten freigibt, weil er nach wie vor von dessen Unschuld überzeugt ist.163 Das außergewöhnliche Vorgehen des Pilatus mag schließlich noch eine nachträgliche, trotzige, obschon inkonsequente Lektion an die jüdischen Machthaber darstellen: „Nach wie vor behält der Präfekt das Sagen“. Eine derartige Lektion wäre eher ein politisches Manöver und würde nicht notwendigerweise Macht widerspiegeln. Ähnliches ließe sich über Pilatus auch in anderen, vor allem späteren Phasen seiner prekären Amtszeit in Judäa belegen (vgl. Exkurs 14). 46 Der Leichnam Jesus wird vom Kreuz herabgenommen. Der Begriff καθελών [kathelōn] ist „der technische Ausdruck für die Abnahme eines Leichnams vom Kreuz“ (vgl. Polybius, I, 86,6; Philo, In Flaccum 83; Josephus, Bell 4,317).164 Aufgrund der knappen Zeit vor Beginn des regulären Sabbats um 18 Uhr (16. Nisan) salbt Joseph165 den eigentlich zu waschenden Leichnam nicht ordnungsgemäß ein (vgl. 16,1 und 14,8). Mitsamt der Myrrhe und Aloe von Nikodemus (Joh 19,39) wickelt er ihn stattdessen lediglich rasch in ein eilig gekauftes166 und einbalsamiertes (Joh 19,40) Leinentuch. Diese Spezereien sind von den Kräuterölen der Frauen zu unterscheiden, mit denen sie nach Ende des Sabbats Jesus einbalsamieren wollen (vgl. 16,1 und siehe 14,8). Keener bemerkt, dass unter normalen Umständen der einbalsamierte, in Leinentuch gewickelte Leichnam für ein Jahr in ein Grab gelegt wird; sodann werden die Gebeine (durch den ältesten Sohn) in ein Ossuarium gelegt und in einer kleinen Nische entlang der Grabeswand endgültig bestattet.167 Grabhöhlen dieser Art, gelegentlich mit einem großen Rundstein am Haupteingang (vgl. 16,3), der zu verschiedenen Gräbern führt,168 sind für die Zeit des ersten Jahrhunderts unter wohlhabenden Menschen bezeugt. Joseph legt den Leichnam in der Grabhöhle auf eine in Stein gemeißelte Bestattungsbank (Joh 19,41-42).

163 Blinzler, Prozeß, 392-393, in Lane 579. 164 So Pesch II 515. 165 Nach Joh 19,38-42 ist Nikodemus mit Joseph am Begräbnis Jesu beteiligt. 166 Zur Frage eines möglichen, aber nicht zu streng befolgten Kaufverbots am 15. Nisan, vor Beginn des regulären Sabbats, vgl. Pesch II 516. Dschulnigg 408 räumt die Möglichkeit des käuflichen Erwerbs an einem Feiertag (u.a. in Übereinstimmung mit Ernst) ein, „weil wir über die Ausnahmen von der Feiertagsruhe nicht ausreichend und vollständig informiert sind“. 167 Keener, Background, 182. Siehe ferner eine unlängst bei Tiberias entdeckte, ca. 2000 Jahre alte Grabkammer. Die ca. 2 Meter hohe Grabkammer aus Kalkstein enthält etwa zehn Grabnischen, die über den Haupteingang bzw. den Hauptraum erreicht werden können. Diverse Inschriften sind auf Griechisch verfasst. Ossuarien aus Stein bzw. aus Keramik sind ebenso vorhanden. 168 M. Völkel, EDNT II, 435.

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Nach Pesch handelt es sich auf jeden Fall um ein Felsengrab, „in das man hineingehen … kann“.169 Er bemerkt: „Der Rollstein lief als Verschluß auf einer zum Grabeingang gesenkten Rille und konnte deshalb nicht leicht fortbewegt werden“.170 Im Felsengrab selbst befinden sich Bestattungsbänke. Derartige Grabstätten werden u.a. deshalb mit einem Rollstein versiegelt, um die Gräber vor wilden Tieren zu schützen.171 Der Wechsel von μνῆμα [mnēma] V. 46a zu μνημεῖον [mnēmeion] V. 46b (vgl. 16,2.3.5.8) mag „unterschiedlicher Vorstellung der gesamten Grabanlage (,Grabstätte‘) und der Grabkammer (,Grab‘), gleichsam [einer] Fern- und Nahsicht entsprechen“.172

Aufgrund seines Einflusses ist es plausibel, dass Joseph zu einem derartigen Grab Zugang hat. Die Bestattung eines Hingerichteten in einem Privatgrab ist nach mSan 6,7c verboten.173 Pesch bezweifelt jedoch, dass dies immer befolgt wird: „Der Grabfund eines Gekreuzigten in der Nähe Jerusalems aus der 1. Hälfte des 1. Jh.s n.Chr. zeigt, daß Ausnahmen möglich waren“.174

Die Grabstätte wird nördlich und unweit von Golgota (vgl. Joh 19,41) gelegen haben, außerhalb der Nordseite der zeitgenössischen (ersten) Stadtmauer. Die traditionelle Grabstätte („Grabeskirche“) ist dem sogenannten „Felsengrab“ vorzuziehen.175 Nach Robinson ist die Grablegung Jesu eines der frühesten und bestbezeugten Fakten über Jesus.176 47 Wiederum werden Maria Magdalena und Maria, Mutter des Jakobus und Joses bei Namen genannt (vgl. V. 40).177 Sie haben damit Josephs Vorgehen als Augenzeugen mitverfolgt und wissen wohl,178 wohin Joseph den Leichnam innerhalb der (verzweigten) Grabstätte legt. Der reguläre Sabbat am 16. Nisan beginnt Freitagabend um 18 Uhr. Der Parallelbericht in Mt 28,1-15 besagt, dass auf Anlass des Hohen Rates am Grab römische Wachen platziert werden. Dies scheint, so Wenham, auf den ersten Blick christ-

169 Pesch II 515. 170 Ebd. 171 Lane 580-581, der auf Smith, Tomb, 87-88 sowie Cox Evans, Sepulchre, 112-136 verweist. 172 Pesch II 516. 173 Pesch II 515. 174 Ebd. 175 Riesner, GBL I, 178. Vgl. Wenham, Easter, 18. 176 Robinson, Face, 131. 177 Siehe Bauckham, Jesus, 2. Aufl., 39-47, 48-51, 52-92, 509-524, der belegt, dass es sich hierbei durchaus um die Nennung von Informationsquelle(n) bzw. Überlieferer von Tradition handelt. 178 Ebenso, zögernd, Pesch II 517.

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liche Apologetik zu sein.179 Unwahrscheinlich klingen ferner a. der erneute Besuch der jüdischen Verantwortlichen bei Pilatus; b. das erneute Erdbeben; c. der Engel, der den Grabstein wegrollt, und vor allem d. das Bestechungsgeld, um die Wachsoldaten dazu zu bewegen, vorzutäuschen, dass sie während des Wachdienstes eingeschlafen seien. Allerdings ist die beste Erklärung die, dass diese Ereignisse tatsächlich der Wahrheit entsprechen (so Wenham)180 und z.T. widerspiegeln, wie verzweifelt und mit welchen Mitteln die jüdischen Verantwortlichen gegen ein Wiederaufleben dieser „Sekte“ kämpfen.

16.3 Leeres Grab – Auferstehungsbotschaft 16,1-8 Das Mk Ev. enthält keinen expliziten Auferstehungsbericht.181 Dennoch spricht der Bote Gottes zu den Frauen unmissverständlich über die physische Auferweckung Jesu (16,6). I 1 Als aber der Sabbat vorüber war, kauften Maria Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome aromatische Öle, um hinzugehen und ihn einzubalsamieren. 2 Und sehr früh am ersten Tag der Woche kommen sie beim Sonnenaufgang zum Grab. 3 Und sie fragten sich untereinander: „Wer wird uns (wohl) den Stein vor dem Eingang der Grabeshöhle wegrollen?“ 4 Und als sie aufblickten, da sahen sie, dass der Stein bereits zur Seite gerollt worden war; denn er war sehr groß. 5 Sie traten in die Grabeshöhle und sahen rechter Hand einen Jüngling in einem leuchtenden Umhang dasitzen, und sie wurden von Furcht ergriffen. 6 Er aber sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht; ihr sucht Jesus, den Nazarener, den Gekreuzigten; er ist auferstanden, er ist nicht hier; seht das Lager, auf welches sie ihn gelegt haben. 7 Geht aber und berichtet seinen Jüngern und dem Petrus: „Er geht euch nach Galiläa voraus; dort werdet ihr ihn sehen, wie er (es) euch gesagt hat“. 8 Und sie eilten aus der Grabhöhle und flohen, denn es hatte sie Zittern und großes Erstaunen ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie waren von Furcht ergriffen.182 179 Vgl. Wenham, Easter, 76-79. Wenham, a.a.O., 79, bemerkt zunächst: „It bristles with improb­ abilities at every point“. 180 Wenham, Easter, 79-80. 181 Die expliziten Auferstehungsberichte finden sich u.a. in Mt 28,9-10.16-20; Lk 24,15-31; Joh 21,14-22; Apg 1,2-9 und 1Kor 15,3-8; vgl. Dan 12,2. 182 Lit.: Bolt, Mark, 27-37; Crossan, Empty Tomb, 135-152; Dschulnigg, Grenzüberschreitungen, 113-120; Horst, Book, 121-124; Kittel, Grab, 458-479; Metzger, Ending, 127-147; Waetjen, Ending, 114-116; Wenham, Easter, 123-155; vgl. ferner Morison, Stein, ad loc.; Sommer, Passionsgeschichte, ad loc. Weitere Lit. bei: Pesch II 541-543 (bis 1980); Evans 522-526.526529 (bis 1999).

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II Die berichtende Erzählung183 (Mk 16,1-6) ist wiederum vierteilig: 1. Ankunft der Frauen, um Jesu Leib einzubalsamieren, V. 1-3; 2. Vorfinden des leeren Grabes, V. 4; 3. die Aussage des Jünglings, V. 5-7; 4. Furcht der Frauen, V. 8.184 Historizität. Evans macht zu Mk 16,1-8 geltend, dass die vorliegende Erzählung vom leeren Grab mit dem frühchristlichen Bekenntnis verknüpft ist, Jesus sei vom Grab „auferstanden“ (ἐγείρω [egeirō] bzw. ἀνίστημι [anhistēmi]). D.h., es liegt eine jüdische Vorstellung der Auferstehung von den Toten vor (vgl. Dan 12,2; 1Kor 15,3-4).185 Ein wichtiges Indiz für die Authentizität des Berichts ist die Tatsache, dass zuerst Frauen das leere Grab entdecken.186 Da Frauen im zeitgenössischen, palästinischen Judentum generell nicht als Zeugen auftreten können (s.o. die Einzelauslegung zu 15,40-41 sowie unten, zu 16,7), ist der markinische Bericht angesichts der zentralen Bedeutung des berichteten Ereignisses umso bemerkenswerter. Petrus, der hinter dem Markuszeugnis steht, macht das für ihn beschämende Zugeständnis, dass Frauen die Ersten Zeugen des leeren Grabes sind. Ferner sind die Frauen die ersten, denen der Auferstandene erscheint (Mt 28,9; Joh 20,14 [vgl. Mk 16,11]). Dies spricht für die Authentizität des Berichts. Aufgrund des leeren Grabes werden die anderweitig bezeugten Erscheinungen Jesu zutreffend als die des auferstandenen Jesus (vgl. vor allem Joh 183 Vgl. die ausführliche Diskussion bei Pesch II 521 und Anm. 1 sowie 522-527, der (mit Kremer, Diskussion, 146-151) „apokalyptische Formtradition“ vermutet. Pesch II 521 verweist u.a. auf Gen 5,24 (vermeintliche Entrückung des Mose: Deut 34,5-6, AssMos 11,5-8) sowie auf 2Kön 2,11.16-18. Aufgrund der Gattungsanalyse, kommt Pesch II 527, zu folgendem Ergebnis: „Auf dem Boden des Glaubens an Jesu Auferweckung ist – unter Einfluß von Türöffnungswunder- und Epiphanietraditionen – die Suche und Nichtauffindbarkeit seines Leichnams erzählt, jedoch in sehr eigenständiger Form“ (vgl. ferner Pesch II 536-540). Diese Aussage umgeht die Frage, ob diese Erzählung historische Realität widerspiegelt (was sie vorgibt) oder nicht. Pesch II 536 verankert die gesamte Perikope historisch im Auferstehungsglauben der Urgemeinde. Sind Gattungsbestimmungen jemals für umfassende historische Urteile ausreichend? 184 Evans 533. Vgl. Rowe, Kingdom, 295-303. 185 Evans 531. Lit. zur Gesamtfrage der Historizität der Auferstehung Jesu: Wenham, Easter, 76-102; Evans 526-529 (Lit.); vgl. ferner Wright, Resurrection, passim; Davis, Risen, passim; Morison, Stein, passim; Craig, Evidence, passim; Kremer, Osterevangelien, passim; Hempelmann, Auferstehung, passim; Pannenberg, Grundzüge, passim. Gegen die Historizität der Auferstehung Jesu vgl. u.a. Lüdemann, Jesus, passim. 186 Evans 531, der gegen die Annahme von Crossan, Cross, ad loc., argumentiert, dass der apokryphe, unglaubwürdige Bericht des Petrusevangeliums (in dem keine Frauen am leeren Grab sind) älter als der des Markus sei.

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20,19-29) und nicht als Erscheinungen eines Gespenstes (vgl. Lk 24,36-43) interpretiert.187 Bolt macht geltend, dass römische und griechische Vorstellungen des mysteriösen Abhandenkommens begrabener Helden keinen Einfluss auf den markinischen Bericht haben.188 Auch handelt es sich im markinischen Bericht keineswegs um eine Entrückung.189

Evans verweist ferner auf die Nazareth-Inschrift (ein Datum vor 70 n.Chr. ist wahrscheinlich), die demjenigen die römische Todesstrafe androht, der Gräber beraubt.190 Zur Historizität des Todes Jesu, der Grablegung sowie der Auferstehung ist grundsätzlich zu bemerken, dass 1Kor 15,3-5 diesbezüglich ein urchristliches Zeugnis enthält, dessen Entstehung Dunn bis zu ein bis zwei Jahren nach Jesu Tod zurückverfolgt.191 III 1-2 Am Ende des wöchentlichen Sabbats, Samstagabend nach 18 Uhr, können Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome nun endlich aromatische Öle (ἀρώματα [arōmata] = Kräuteröle) einkaufen, um den Leichnam am nächsten Morgen, Sonntag (dem ersten Tag der Woche) nach sechs Uhr morgens (sehr früh, beim Sonnenaufgang), gegen den Geruch der Zersetzung192 angemessen einzubalsamieren.193 Der Anlass hierfür ist deshalb plausibel, weil das Einbalsamieren zur Gewohnheit gehört, und weil eben diese Frauen wissen können, dass dies aufgrund der Eile bei Jesus noch nicht geschehen ist. Trotz der bereits einsetzenden Verwesung ist zu bedenken, dass „im Frühjahr eine Leiche in einem kühlen Felsengrab besser konserviert bleibt“.194

187 Evans 531. 188 Vgl. Evans 533, mit Verweis auf Bolt, Mark, 27-37. 189 Evans, 533. 190 Ebd., u.a. mit Verweis auf Metzger, Inscription, 91 und van der Horst, Epitaphs, 159-160. 191 Dunn, Jesus, 855. 192 Vgl. Lane 585, der betont, dass die Salben im jüdischen Kontext nicht zum Zweck der Konservierung (vgl. Ägypten) benutzt werden. 193 Lane 585 verweist auf Blinzler, Prozeß, 399, der diesen Brauch für das 1. Jh. n.Chr. in Palästina belegt. Pesch II 529, bezeichnet die Salbung eines bereits Begrabenen als „höchst ungewöhnlich“ und ohne Parallele. Pesch II 530 kann der Salbungsabsicht der Frauen keinen historischen Sinn abgewinnen. Anders Dschulnigg, 412. 194 Dschulnigg, 411-412.

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Oberflächlich liegt eine gewisse Spannung zwischen sehr früh (Mk 16,2; Lk 24,1) bei Sonnenaufgang (Mk 16,2) und „frühe, noch bei Finsternis“ (Joh 20,1; vgl. Mt 28,1: „Anbrechen des Tages“) vor. „Sehr früh“ ist jedoch ein ausreichend relativer Begriff.195 Wenham schlägt vor, dass Mt und Joh den Ausgangspunkt (Beginn des Weges) im Blick haben, während Mk und Lk das Erreichen des Grabes (Ende des Weges) ansprechen.196 Somit wäre der Beginn des Weges noch bei Dunkelheit, das Ende des Weges bei Tagesanbruch zu denken (kommen sie beim Sonnenaufgang zum Grab, V. 2).

Dies geschieht am „dritten Tag“ (vgl. Lk 24,21; 1Kor 15,4), was der Zeitaussage in 8,31; 9,31; 10,34 entspricht.197 Zur Hilfe Gottes „am Morgen“, vgl. das passio iusti-Motiv in Ps 17,15; 143,8.198 3 Die Erzählung ist plausibel (vgl. 15,47). Der festsitzende und große Rollstein vor dem Haupteingang der Grabeshöhle ist schwer zu bewegen (s.o., zu V. 46; vgl. 16,4). Die Frauen gehen auf dem Weg davon aus, dass keine Hilfe da sein wird. Würden römische Wachen sie zusätzlich am Öffnen der Grabstätte hindern (vgl. Mt 27,62-66)? 4 Dass der Zugang zur Grabstätte bereits offen ist (vgl. den kulminativen Aspekt des Perfekts ἀνακεκύλισται [anakekylistai]),199 bedeutet für die Frauen zunächst lediglich, dass andere Trauernde bereits den schweren Rollstein zur Seite geschoben haben, um ihre eigenen Verstorbenen in der verzweigten Grabstätte aufzusuchen. 5 Sie traten in die Grabeshöhle und sahen rechter Hand einen Jüngling in einem leuchtenden Umhang sitzen. Erst jetzt entsetzen und fürchten sich die Frauen (vgl. 9,15 und 16,8) wegen der unerwarteten Anwesenheit eines außergewöhnlichen jungen Mannes, eines göttlichen Boten, sowie angesichts der Tatsache des leeren Grabes.200

195 Vgl. Wenham, Easter, 81 und Lane 585. 196 Wenham, Easter, 81-82. 197 Pesch II 530. 198 Vgl. Pesch II 531. 199 So auch Pesch II 532. 200 Vgl. Lane 587, Anm. 13, der auf Waetjen, Ending, 114-116 verweist. Waetjen verweist auf νεανίας [neanias] in Josephus, Ant 5,276-278 („himmlischer Bote“), als nahe Parallele zu Mk 16,5. Zu außerbiblischen Verweisen auf Engel in weißen Gewändern, vgl. Pesch II 532. Vgl. Offb 6,11; 7,9.13.

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Insgesamt sind zwei Boten anwesend (Lk 24,4).201 Wenham bemerkt: „the matter is complementary“.202 Er geht davon aus, dass lediglich einer der zwei Engel zu den Frauen spricht und deshalb nur ein Bote in Mt und Mk genannt wird. Lk ist an dieser Stelle genauer.

Das furchtsame Entsetzen (ἐξεθαμβήθησαν [exethambēthēsan] = „sie erschraken“) bezieht sich auf die Tatsache, dass Gottes Eingreifen unerwartet ist, dass es den menschlichen Erwartungshorizont sprengt, dass der Mensch nicht mehr die Kontrolle über alle Erfahrungswerte besitzt: Er ist stattdessen der machtvollen Größe Gottes direkt ausgeliefert.203 Die Parallele zum engen Kreis seiner Jünger ist offensichtlich: Jedes Mal, wenn Jesus seine übernatürliche Natur offenbart, reagieren auch sie mit Furcht (vgl. 4,41; 5,15.33.36; 6,50; 9,6.32).204 Im Kontext des zeitgenössischen Judentums verbindet sich mit der Vorstellung der Auferstehung das apokalyptische Ende (vgl. Dan 12,2).205 6 Das Heilshandeln Gottes bedarf der offenbarenden Interpretation. Jesus handelt und interpretiert (vgl. Mk 10,45; 14,24).206 Nun erklärt die Aussage des Boten („fürchtet euch nicht; ihr sucht Jesus, den Nazarener, den Gekreuzigten; er ist auferstanden, er ist nicht hier; seht das Lager, auf welches sie ihn gelegt haben“; vgl. 8,38) eindeutig, was sonst Verwirrung auslösen könnte. Er erklärt vier aufeinander bezogene Phänomene: 1. die leere Grabstätte (etwa im Gegensatz zu Davids Grabstätte, Apg 2,29), in der der Leichnam zuvor gelegen hatte;207 sie ist 2. conditio sine qua non für die nun bekräftigte Auferstehung; 3. die Tatsache, dass es sich immer noch um denselben Jesus aus Nazareth handelt; 4. die Tatsache, dass dieser Jesus zuvor gekreuzigt wurde (vgl. 1Kor 1,23; 2,2; Gal 3,1).208 Der, der hier als Leichnam lag, der aus Nazareth stammt, der gekreuzigt wurde, eben dieser ist vom Tod auferstanden (ἠγέρθη [ēgerthē] = „er wurde auferweckt“; vgl. Apg 2,24-31).209 Zusammen mit den deutenden Auferstehungsvoraussagen Jesu (u.a. Mk 8,31; 9,9; 9,31; 10,32-34; 12,12; vgl. 14,25) 201 Vgl. Wenham, Easter, 84-85. 202 Wenham, a.a.O., 85. 203 Vgl. ähnlich, Lane 590-591 sowie Dschulnigg 412, der darauf hinweist, dass der hier verwendete Begriff des Entsetzens nur viermal im NT verwendet wird, und zwar ausschließlich bei Mk. 204 Vgl. Matjaž, Furcht, passim und Lane 591. 205 Vgl. Bayer, Predictions, 227 und passim. 206 Vgl. Bayer/Yarbrough, Konzeption, passim. Vgl. ferner Lane 587, der auf Ex 15,1-18 verweist; auch hier liegen historische Grundelemente (Ereignis und Interpretation) vor. 207 Vgl. Blackburn, Theios Anēr, 197-199, 234-238; Stauffer, Jesus, 143-147 sowie Daniélou, Tomb, 215-222, gegen Hamilton, Tradition, 415-421. Siehe Lane 586, Anm. 11. 208 Verweise bei Dschulnigg 413. 209 Siehe die weiterführende Lit. zur Auferstehung Jesu bei Evans 526-529.

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bedeutet dies im Gesamtkontext des Markusevangeliums: Jesus ist zu leiblicher Unsterblichkeit (siehe „Trinken“ im zukünftigen und ewigen Reich Gottes, Mk 14,25) auferstanden;210 es handelt sich also nicht nur um die Wiederbelebung eines Toten (wie etwa bei Lazarus). Das Zeugnis über die physische Auferstehung Jesu reicht, wie oben bereits erwähnt, bis in die ersten Anfänge des Urchristentums zurück. Es ist u.a. wahrscheinlich, dass der von Paulus überlieferte Auferstehungsbericht (1Kor 15,3-5) aus den ersten Jahren nach dem Ereignis selbst stammt.211 Aus pharisäischer Perspektive muss der Bericht von der Auferstehung einer Einzelperson allerdings ungewöhnlich klingen, weil lediglich die Auferstehung aller Menschen am Ende der Zeit erwartet wird (Dan 12,2). Dennoch ist das Zeugnis über die individuelle Auferstehung Jesu einstimmig. Die Auferstehungsaussage des Engels212 ist direkt an die Aussage des leeren Grabes (er ist nicht hier)213 und an die Kreuzigung geknüpft; d.h., die Kreuzigung, das leere Grab und die Auferweckung Jesu werden auf derselben weltanschaulichen Ebene gesehen und bezeugt.214 Ohne leeres Grab ist die Zeugenaussage der Auferstehung Jesu nichtig. Sogar das Gerücht des Diebstahls (Mt 28,15) setzt die Tatsache des leeren Grabes voraus.215 Die Realität des leeren Grabes sowie der einfache Bericht darüber legen nahe, dass die darauffolgenden Erscheinungsberichte des Auferstandenen in den kanonischen Evangelien216 plausibler sind als alternative Deutungsversuche (Erscheinung eines Geistes, Lk 24,36-43; Diebstahl des Leichnams). Ferner ist der, der gekreuzigt wurde, derselbe, der auferstanden ist. Es handelt sich um fundamentale Personalkontinuität. Das historische Ereignis der Auferstehung ist mit der von Menschen erlebten Realität verbunden, geht jedoch nicht ausschließlich in ihr auf. Mehr als jedes andere Wunder sprengt das Ereignis den gewohnten Rahmen dessen, was Menschen an Ursache und Wirkung allgemein bekannt ist. 7 Wieder fällt der Realitätsbezug auf: Die Jünger Jesu sind zerstreut; nur die treuen Frauen sind zugegen. 210 Zur Auferstehung Jesu vgl. Evans 526-529 (Lit.); Crossan, Empty Tomb, 135-152; vgl. ferner Davis, Risen, passim; Wenham, Easter, passim; Wright, Resurrection, passim; Craig, Evi­ dence, passim; Craig, Son, passim; Morison, Stein, passim; Kremer, Osterevangelien, passim; Hempelmann, Auferstehung, passim; Charlesworth, Resurrection, ad loc. (Lit. bis 2004); Pannenberg, Grundzüge, passim. Gegen die Historizität der Auferstehung Jesu vgl. u.a. Lüdemann, Jesus, ad loc. Siehe ferner Lit. unten, Einzelauslegung zu 16,6. 211 Dunn, Jesus Remembered, 855. 212 Vgl. Wenham, Easter, 88-89. 213 Zur Historizität des leeren Grabes vgl. Kremer, Osterevangelium, 49-50 und passim. 214 Vgl. ähnlich Lane 584. Vgl. 1Kor 15,3-4. 215 Vgl. Lane 588. 216 Siehe z.B. Mt 28,9-10.16-20; Lk 24,15-31; Joh 20,19-29; 21,14-22.

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Einige dieser Frauen sind somit unmittelbare Augenzeugen der Kreuzigung (V. 40) und Grablegung (vgl. 15,47) Jesu sowie des leeren Grabes (16,15.6) und der Auferstehungsaussage des Engels (16,6). Dieses Faktum weist auf Authentizität, da, wie oben bereits erwähnt, im zeitgenössischen Judentum und in der griechisch-römischen Welt weibliche Augenzeugen meist als nicht verlässlich gelten.217 Nach mRoschHasch 1,8 sind Frauen als Zeugen untauglich.218 Dies geht ferner aus mSchab 4,1; Josephus, Ant 4,219 (das Zeugnis von Frauen und Sklaven ist vor Gericht untauglich); Num Rab 10,159b sowie pZom 6,2 hervor.219 Allerdings bezeugen mJeb 16,7; mKet 2,5 und m‛Edu 3,6, dass Frauen als Augenzeugen dann herangezogen werden können, wenn keine Männer anwesend sind.220 Aufgrund der o.g. Tatsache, dass Frauen unmittelbare Augenzeugen der Kreuzigung, des Todes, der Grablegung, des leeren Grabes (und der Auferstehung) Jesu sind, erscheinen zwei Positionen als eher unwahrscheinlich: 1. dass der Auferstehungsglaube Ausgangspunkt für die Bekundung der Auferstehungstatsache ist oder 2. dass es sich um eine mythologische oder legendäre Aussage handelt. In beiden Erklärungsversuchen wird verkannt, was es im Kontext der antiken Sicht der Frau bedeutet, dass gerade sie als Zeugen der unerhörten Tatsachen des leeren Grabes und der Auferstehung auftreten. Falls diese Tatsachen erst nachträglich und somit historisierend entfaltet werden (d.h. Auferstehungsglaube als Ausgangspunkt), würde dies gewiss nicht durch das Zeugnis von Frauen bewerkstelligt werden. Trotz der zeitgenössischen, abwertenden Auffassung über Frauen als Zeugen, und trotz des unglaublichen Inhalts ihres Berichts schreibt Markus so schlicht, wie Petrus es ihm, laut Papias, übermittelt: Ungeachtet des in der damaligen Kultur peinlichen Faktums, sind einige mit Namen genannte Frauen direkte und erste Augenzeugen (noch vor den genannten Zeugen in 1Kor 15,3-5) dieser analogielosen, jedoch historisch bezeugten Begebenheiten. Das verbreitete und verwerfliche Vorurteil gegen Frauen als unverlässliche Zeugen kann der Tatsächlichkeit der unerhörten Ereignisse in diesem Fall keinen Abstrich tun. Im Gegenteil, dieses antike Vorurteil gegen Frauen bekräftigt die Verlässlichkeit des Berichts. Die Frauen, die bei Mk als Nachfolgerinnen Jesu beschrieben werden (15,41), suchen auch dann noch die Nähe Jesu, als seine Jünger bereits geflohen sind (15,42‒16,8).

217 Siehe auch Lk 24,11.22-24 sowie Mk 16,11. Vgl. Evans 517. 218 Lane 581. 219 Lane 589, Anm. 20. 220 Vgl. Wenham, Easter, 150, Anm. 26, mit Verweis auf R.T. Beckwith.

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Somit wird hier die enge Beziehung zwischen Ereignis und verlässlicher, zeugenartiger Berichterstattung besonders deutlich.221 Die Aufforderung des Engels „Geht aber und berichtet seinen Jüngern“ ist deshalb außergewöhnlich. Der Engel überträgt eben gerade Frauen diesen wichtigen Zeugendienst.222 Trotz seiner Verleugnung wird Petrus (vgl. 1Kor 15,5) gesondert genannt. Dies weist auch auf die Tatsache hin, dass der Bote an Jesu statt spricht. Während der folgenden vierzig Tage (vgl. Apg 1,3) erscheint Jesus immer wieder den Frauen, den Jüngern und anderen in Galiläa sowie in und um Jerusalem. Wenham geht davon aus, dass die meisten der Jünger, außer Petrus und Johannes, während dieser Zeit in Bethanien bei Maria, Martha und Lazarus verweilen.223

Warum sollen jedoch die Jünger Jesus in Galiläa sehen (vgl. 14,28)? Nach den ersten Begegnungen mit dem auferstandenen Jesus in Jerusalem, ist Galiläa der Ort der Vorbereitung. Wenham geht ferner davon aus, dass Jesus dadurch erneut die falsche Erwartung mindert, dass er nun endlich als davidischer Messias in Jerusalem regiert (vgl. die Frage der Jünger in Apg 1,6). Er bemerkt treffend: “In the atmosphere of Galilee they were weaned afresh from the idea of a temporal Jewish Messianic kingdom”.224 Der Bote bestätigt das, was Jesus den Jüngern bereits gesagt hat (vgl. 11,6; 14,16).225 Ferner leuchtet ein, dass die Jünger nach dem Passahfest zunächst wieder in ihre Heimat zurückkehren. Sie empfangen den Missionsbefehl (Mt 28,18-20) zunächst in Galiläa (Mt 28,16), bevor er ihnen in Verbindung mit der darauffolgenden Pfingstwallfahrt (Schawuot) erneut in Jerusalem erscheint (Apg 1,4-8). 8 Sie werden von Zittern und Erstaunen (τρόμος [tromos] und ἔκστασις [ekstasis] „Verwunderung“, „Entsetzen“;226 vgl. V. 5 sowie 5,14; 9,6)227 ergriffen. Diese alarmierte Reaktion sowie das fluchtartige Verlassen der Grabhöhle erklären sich aus dem Eindringen von übernatürlichen, göttlichen Gesetzmäßigkeiten (vgl. Dan 7,15.28; 8,27; 3Esr 12,3)228 und Verhältnissen in die begrenzte Welt der erschütterten und immer noch traurigen Frauen (4,41;

221 Siehe Bauckham, Jesus, 48-51. Vgl. G. O’Collins, „Mary Magdalene as Major Witness to Jesus’ Resurrection“, Theological Studies, 48, 1987, 631–646. 222 Vgl. Beavis, Women, 3-9. 223 Wenham, Easter, 95. 224 Wenham, Easter, 123. 225 Vgl. Pesch II 535. 226 BDAG, 309, Paragraph 1. 227 Vgl. ebd. 228 Schriftverweise bei Pesch II 535.

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5,14-15.33; 9,6; 10,32).229 Im Kern sind sie jedoch von der göttlichen Offenbarung tief ergriffen.230 Die Aussage über ihr zeitlich begrenztes Schweigen (und sie sagten niemand etwas; vgl. 1Sam 3,16; Dan 7,28) ist so zu verstehen, dass sie aufgrund ihres Zustandes beim Gehen niemandem etwas davon berichten.231 Unbeschreibliche Freude folgt allerdings bald darauf: „Und sie gingen eilend vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, dass sie es seinen Jüngern verkündigten“ (Mt 28,8; Luther 1984).232 Siehe Wenham, der aufgrund von Mt 28,8 und Lk 24,9-11 einleuchtend betont, dass die Frauen nur solange schwiegen, bis sie zu den anderen Jüngern gelangten.233

Erstaunen und göttliche Furcht, die durchaus mit Freude gemischt sein kann,234 sind die letzten Reaktionen, mit denen Mk seinen Bericht in der jetzigen Form zum Abschluss bringt. Es ist durchaus denkbar, dass der Markusbericht mit der Tatsache der Auferstehung Jesu durch das Faktum des leeren Grabes und durch Bekundung seiner Auferstehung Jesu (als Bestätigung seiner Voraussagen) endet. Keener verweist auf Homers Ilias, wo sowohl der Tod des Achilles als auch der Fall Trojas angedeutet werden, ohne dass die Ereignisse selbst beschrieben werden. Er verweist ferner auf das historiografische Werk des Pseudo-Philo sowie auf Reden und Aufsätze von Plutarch.235 Ferner ist es durchaus möglich, dass der Mk-Bericht mit γάρ [gar] endet (vgl. Plotinus, Ennead 5.5; Plato, Protagoras 328d sowie Lucian, Courtesans Gespräche 6).236 IV zu 15,20–16,8 Ziel. Die Kreuzigung Jesu ist aus der Sicht seiner Gegner notwendige und folgerichtige Strafe Gottes: a. Jesus wird als Gotteslästerer zum Tode verurteilt; b. nach jüdischem Gesetz soll Jesus gesteinigt werden, mit folgendem 229 Cf. Dan. 7:15, 28; 8:27. 230 Vgl. Bertram, TDNT III, 5-6. Siehe bei Mk die verschiedenen Reaktionen des Erstaunens über Jesus in Mk 1,21-22.27; 2,12; 5,42; 6,2.51; 7,37; 9,15; 10,24.26.32-34; 11,18; 12,2.17; 15,5.42; 16,5-6. 231 Vgl. Dschulnigg 414. France 683-684 scheint auf diese vorübergehende Reaktion zu viel Gewicht zu legen. Siehe 1,44 und vergleiche mit 7,36; 8,30; 9,9. Siehe auch Mt 28,8. 232 Siehe ebenso Lk 24,41 und Joh 20,20. 233 Wenham, Easter, 88-89. 234 Wenham, Easter, 155, Anm. 14, verweist auf Phil 2,12. Vgl. Dschulnigg 411 und Matjaž, Furcht, passim. 235 Vgl. Homer, Ilias, Buch 24. Keener, Background, 183. 236 Zum möglichen Berichtende mit γάρ [gar] vgl. die Diskussion bei Pesch I 46-47. Siehe ferner die Ausführungen von Metzger, Ending, 127-147; Horst, Book, 121-124; Denyer, Mark 16:8, 149-150, sowie Waetjen, Ending, 114-116.

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Aufhängen des Toten an einem Pfahl; c. aufgrund der Rechtslage müssen sich die Verantwortlichen Israels jedoch an Pilatus wenden (siehe die Exkurse 13 und 14); d. Pilatus lässt das Todesurteil gegen Jesus stehen; e. aufgrund des römischen Strafrechts muss Jesus statt Steinigung den Kreuzestod erleiden; f. unabhängig davon, ob Jesus durch Kreuzigung oder durch Steinigung stirbt, triff aus ihrer Sicht Deut 21,23 zu: „Denn ein Aufgehängter ist verflucht bei Gott“ (vgl. Gal 3,13). Deshalb wird Jesus nach seiner Kreuzigung bis zu seinem Tod weiterhin beschimpft. Jegliche Beschimpfung verstummt bei Mk mit Jesu Tod. Die Dunkelheit in der Natur und die Zertrennung des Tempelvorhangs dient als schauerliches Omen für die Verantwortlichen des Tempels, Jerusalems und Israels. Sie wissen nicht, gegen welche überragende Macht sie vorgehen (vgl. Apg 9,5; 26,14). Joseph von Arimathäa und die treuen Frauen fügen sich innerlich trauernd der Tatsache des Todes Jesu. Umso unerwarteter ist die Tatsache, dass die Frauen nach Ablauf des Sabbats vor einem leeren Grab stehen und hören, dass Jesus vom Tod auferstanden ist. Kontextualisierung und Anwendung. Die Gegner Jesu spotten ein letztes Mal (15,29-32). Erneut fordern sie sarkastisch ein Wunderzeichen Jesu (15,32). Sie ruhen in sich selbst; ihre Weltanschauung hat sich nicht geändert. Sie können in ihrer Lebensgestaltung nach wie vor autonom von sich selbst ausgehen, sie brauchen auf die warnenden Worte des nun sterbenden Jesus nicht mehr zu achten. Er ist tot, sie leben. Es ist der scheinbare Triumph des menschlichen, auch geistlichen, Stolzes. Es ist die Scheinsicherheit des satanischen Urausspruches „Sollte Gott gesagt haben?“ Der sich selbst bestätigende und rechtfertigende Mensch wähnt sich sicher (vgl. Phil 3,6). Und doch wird deutlich, dass der Spötter nur deshalb (noch) nicht das vernichtende Gericht Gottes erfährt, weil der, der vor dem Spötter am Kreuz hängt, stellvertretend leidet. Jesus stirbt (15,37). Die Dunkelheit macht nochmals deutlich, dass Gottes Gericht (Ex 10,21-22) über Jesus liegt. Deshalb ergeht sein beängstigender Urschrei der völligen Gottverlassenheit (15,34), in der er den Psalm 22 zu zitieren beginnt. Das Zerreißen des inneren Tempelvorhangs (15,38) macht ferner deutlich, dass Gott im Tode Jesu wirkt. Das Ende des Tempelkultus wird damit antizipiert. Ein neuer Tempel aus „lebendigen Steinen“ wird nun ins Leben gerufen (siehe oben, Einleitung 4.3). Nach Deut 21,23 ist ein „Aufgehängter verflucht bei Gott“. Paradoxerweise ist dies auch die Sicht des ewigen Vaters (Gal 3,13; vgl. 2Kor 5,21). Allerdings ist der hier Verfluchte gänzlich unschuldig (vgl. 1,9-11; 10,38.45; 14,36;

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15,34). Vielmehr nimmt der Gerichtete bewusst die gerechte Verfluchung der Menschen auf sich (vgl. Jes 53,8). Da der Mensch ursprünglich und grundsätzlich zur fortwährenden Abhängigkeit von – und zum Vertrauen auf – Gott geschaffen ist, schafft die stellvertretende Verfluchung Jesu (vgl. den Gerichtskelch in Mk 10,38-39; 14,36) die notwendige Voraussetzung zur Versöhnung des Menschen mit Gott (Mk 10,45; 14,24; vgl. Röm 3,21-26; 1Kor 5,20). Die göttliche Gabe des Glaubens (Eph 2,8-10; vgl. Röm 3,27-28; 5,2) vermittelt dem einzelnen Menschen diese Versöhnung als freie Gnadengabe (Röm 3,24). Deshalb ist der unvorstellbare und abscheuliche Kreuzestod des ewigen Sohnes paradoxerweise Grundlage der „guten Botschaft von Jesus Christus“. Der Nachfolgeruf Jesu (8,34-38), der im stellvertretenden Tod Jesu kulminiert, ist letztendliches (vgl. Hebr 1,13) und gnädiges Pendant zur Ausweisung von Adam und Eva (und damit der Menschheit) aus der lebensnotwendigen und in der Schöpfung beabsichtigten Nähe zu Gott. Nach dem Tod Jesu schweigen alle Spötter. Der Hauptmann (15,39) sowie die Frauen (15,40-41) und Joseph von Arimathäa (15,42-46) dienen – und trauern um – Jesus. Jeder Jünger muss die Misshandlung und Kreuzigung Jesu auf sich wirken lassen. Er weiß, dass alle Zwölf Jesus auf unterschiedliche Weise untreu werden. Er muss die Kreuzigung Jesu im Zusammenhang der Vollmacht Jesu (über Dämonen, über Krankheit, über Naturkräfte, in der Lehre), im Zusammenhang der Reinheit und Wahrhaftigkeit Jesu, im Zusammenhang seiner dienenden Liebe und seiner Bemühung um die Jünger sehen. Das Verhalten Jesu während der letzten Stunden vor seinem Tod ist eng verknüpft mit allem, was davor geschah. Es besteht kein Bruch, sondern eine Fortführung dessen, wozu Jesus gekommen ist. Wer das Leben Jesu von der Passion Jesu trennt, der erfasst letztendlich weder die Bedeutung seines Lebens noch die Bedeutung seiner Passion. Sie interpretieren sich gegenseitig. Die Befreiung des schuldigen Menschen von Autonomie durch Jesu Opfertod ist die Voraussetzung für ein gottergebenes, Gott vertrauendes Leben. Die Lehre Jesu ist letztendlich erst dann umsetzbar (vgl. etwa Mk 7), wenn die Heilstat Jesu im Herzen des Menschen wirksam geworden ist. Alles Wirken und Lehren Jesu zielt auf seinen Opfertod; alles fügt sich aufgrund des Opfertodes Jesu. Das einfache Auferstehungszeugnis der treuen und verlässlichen Frauen (16,1-8) ist ebenso schlicht wie tief greifend: Alles ist wahr, was Jesus gelehrt und für sich beansprucht hat; sogar der unerhörte Anspruch Jesu, mit dem Ewigen Ehre und Anbetung zu teilen. Seine Vollmacht ist von Gott. Sogar der Gerichtstod Jesu wird durch das Eingreifen des ewigen Vaters zu dem, was Jesus sagt: zur stellvertretenden Sühne für viele (10,45). Die Auferstehung verleiht

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dem Leben und Lehren Jesu unübertroffene Bekräftigung und Bestätigung. Er muss ernst genommen werden. Philosophisch hat die Auferstehung Jesu tief greifende Konsequenzen. Der Fehler des Analogie- und Korrelationspostulats von Troeltsch liegt in der Tatsache begründet, dass die Analogie- und Korrelationsprüfung nur dann verlässlich ist, wenn vollkommenes und absolutes Wissen vorliegt bzw. alle Fakten des Universums vorliegen. Troeltsch bietet keine derartige Beweisführung. Die historisch bezeugte Auferstehung Jesu korrigiert somit das lediglich immanent (siehe I. Kant) konzipierte Korrelations- und Analogieverhältnis und stellt das atheistische Autonomiepostulat menschlicher, normativer Vernunft sowie, neuerdings, das atheistische Autonomiepostulat menschlicher, normativer Erfahrung grundsätzlich infrage (vgl. Apg 26,8).237 Die heilige Furcht der Frauen (16,6.8) erklärt sich vor allem aus der Tatsache, dass Gott unmittelbar nahegekommen ist. Die Auferweckung Jesu hinterlässt das Schreckensgefühl der unvorstellbaren, überwältigenden Gegenwart Gottes. Die tätige Gegenwart Gottes kann man an den Gesichtern und der Reaktion der Frauen ablesen. Der Leser soll wissen: Es handelt sich bei diesem Zeugenbericht nicht lediglich um einfache Geschichte, sondern um das wahrhaftige Eingreifen Gottes in die Geschichte.238 Wo Gott tatsächlich jenseits des menschlichen Wissens und der begrenzten und oft autonomen Vorstellung, Erfahrung und Erwartung des Menschen handelt, dort herrschen Entsetzen und Furcht vor Gott. Dies ist von gottloser Angst und Furcht deutlich zu unterscheiden. Weil er gnädig, heilend und erlösend handelt, sind das Entsetzen und die göttliche Furcht vor ihm Ausdruck der direkten Begegnung mit dem allmächtigen, transzendenten Schöpfergott im Kontext der Bundessicherheit seiner Gnade. Der Hörer wird, soweit wir das Ende des Markusevangeliums kennen, mit diesem letzten Eindruck aus der Zeugniserzählung entlassen. Er hat alles empfangen, was notwendig ist, um selbst Jünger und Nachfolger Jesu zu werden: 1. Er weiß, dass er zur vertrauenden Abhängigkeit von Gott geschaffen ist und dass Jesus, der ewige Sohn Gottes, deshalb lehrt und wirkt, um den Leser durch seinen universalen, zeitlos gültigen, stellvertretenden Tod erneut in diese Abhängigkeit zu bringen. Jesus ist nicht nur Lehrer; Jesus ist nicht nur Prophet; Jesus ist nicht nur Messias: Er ist vielmehr der, der als ewiger

237 Vgl. Schlatter, Arbeit, passim. 238 Vgl. Cullmann, Heil, passim.

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Gottessohn den Menschen aus seiner entfremdeten, einsamen Autonomie errettet und erneut unter die heilsame Herrschaft des ewigen Vaters stellt. Der Hörer lernt, dass die individuellen und gemeinschaftlichen ethischen und moralischen Anweisungen Gottes nur in Abhängigkeit von ihm zu lernen und im Leben fruchtbringend umsetzbar sind. Dabei muss er in unendlich vielen Bereichen seines Lebens immer wieder umkehren, loslassen, um sich immer mehr an Gottes Willen, an Gottes Herrschaftsanspruch glaubend festzumachen, nicht an sich selbst. Der Hörer weiß ferner, dass eine bestimmte und fruchtbringende Lebensaufgabe erst aus der bleibenden und wachsenden Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott erwachsen kann. Er weiß, dass die Befähigung und Kraft des Heiligen Geistes zur rechten Ausübung dieser Aufgabe notwendig ist. Er ist sich ferner der Tatsache bewusst, dass ein Leben unter Gottes Vollmacht und Führung inneren und äußeren Widerstand und Feindschaft hervorrufen kann, weil der direkte Anspruch und die Vollmacht Gottes stets das Ende der menschlichen Autonomie und die Entmachtung Satans bedeuten. Die Leser dürfen zuversichtlich mit der sich ausbreitenden messianischen Herrschaft Gottes rechnen, die im Leben, Tod und in der Auferstehung Jesu ihren nimmer endenden Lauf nimmt und die weltweite Gemeinschaft des ewigen Gottesvolkes hervorbringt.

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17. Addendum: Bemerkungen zum „längeren Markusschluss“, Mk 16,9-20

1

Unter den etwa 5600 verfügbaren neutestamentlichen MSS gibt es eine sehr große Anzahl von relativ kleinen Unterschieden. Es liegen jedoch nur zu wenigen Stellen textkritische Fragen vor, deren Antwort von weitreichender, inhaltlicher Bedeutung sind. Unter diesen Wenigen befindet sich Mk 16,9-20.1 Unabhängig von der schwierigen Frage, ob dieser Abschnitt ursprünglich zum Mk Ev. gehört oder nicht, besteht jedoch kein Zweifel, dass der größere Anteil des Inhalts deshalb für die Gemeinde von Bedeutung ist, weil er auch in unumstrittenen Abschnitten des NT vorliegt (siehe Details unten). Von den drei wichtigsten überlieferten Markusschlüssen sind aufgrund der textkritischen Sachlage zwei ernsthaft zu erwägen: 1. Mk endete ursprünglich „abrupt“ mit 16,8. 2. Mk endete ursprünglich mit 16,20.2 Viele Bibelausgaben enthalten Mk 16,9-20 als sog. „längeren Markusschluss“. Allerdings steht der Abschnitt dann oft in Klammern. Die weniger überzeugende, dritte Alternative ist der sog. „kürzere Markusschluss“:3 Das wichtige MS k bezeugt ihn ohne den „längeren Markusschluss“. Folgende MSS bezeugen den „kürzeren Markusschluss“, allerdings zusammen mit dem immer darauf folgenden „längeren Markusschluss“: L Ψ 083 099 0112 274mg 579 sowie verschiedene Versionen. Der „kürzere Markusschluss“ fehlt bei ‫ א‬A B C D W Θ f1 f13 33 2427 M lat sowie weiteren Versionen.

Textkritischer Befund.4 Aufgrund des äußeren Befundes und der Tatsache der lectio brevior wird der „abrupte“ Markusschluss in Mk 16,8 (‫א‬, B, 304, 1 2 3

Es handelt sich um etwa 40 bis 50 gewichtige, textkritische Probleme im NT. Zur eingehenden Diskussion, vgl. Aland, Text, 293-294. Zum sog. „kürzeren Markusschluss“, vgl. Aland, Text, 294; Metzger, Textual Commentary, 123-124; Pesch II 557-559; France 685-688; Lane 601-605. 4 Textkritische Diskussion und Beurteilung vom ursprünglichen Ende des Mk Ev.: Siehe ne­ ben Metzger, Textual Commentary, 122-126 und Black, Hrsg., Perspectives, passim, folgende Werke: Farmer, a.a.O.: pro ursprüngliche Inklusion des längeren Markusschlusses. Ähnlich wie Farmer, Wenham, Easter, 147-148, Anm. 8. Kritik an Farmer (contra Inklusion des längeren Markusschlusses): Birdsall, Besprechung, 151-160. Contra ursprünglicher Inklusion des längeren Markusschlusses: France 685-688; Lane 591-592; 601-605; Pesch II 544-548. Wallace, Grammar, 688, bemerkt zum sog. „längeren Markusschluss“: „… a text most likely not original but still valuable for illustrative purposes“. Zu Details von textkritischen Fragen in den einzelnen Versen des „längeren Markusschlusses“ siehe Pesch II 548, Anm. a-e.

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2386, itk, sys, weiteren Versionen sowie bei Origenes5) von den meisten Textkritikern dem sog. „längeren Markusschluss“ vorgezogen. Der sog. „längere Markusschluss“ (Mk 16,9-20) ist – trotz seines Fehlens in ‫א‬, B, 304, 2386, itk, sys, weiteren Versionen sowie bei Origenes – dennoch relativ gut bezeugt (A, C, D, K, L, W, X, Δ, Θ, Π, Ψ, 28, 33, 274, 565, 700, 892, 1009, latt syc p h pal, coppt): 1. Es sind uns viele, z.T. relativ frühe, MSS überliefert; 2. es besteht eine gute geografische Streuung; 3. der Text wird durch unterschiedliche Texttypen bezeugt; 4. er wird in verschiedenen Versionen sowie in Väterzitaten bezeugt; evtl. schon durch Justin, Apol 45.5 (Verweis auf Mk 16,20?) sowie deutlich in Irenäus, Adv. Haer. 3,10.6, mit Zitat von Mk 16,9.6 Der äußere Befund belegt somit, dass Mk 16,9-20 zumindest seit der Mitte des 2. Jh.s n.Chr. existiert.7 Der innere Befund (Vokabular, Stil, Inhalt, etc.) spricht eher gegen die Ursprünglichkeit des „längeren Markusschlusses“, weil sich in diesem Abschnitt einige für Markus ungewöhnliche Wörter und Stilformen befinden. Allerdings ist bei der Beurteilung von Wortstatistiken und stilistischen Beobachtungen mangels objektiver Maßstäbe stets Vorsicht geboten. Bei aller Unterschiedlichkeit in der Sprache und Wortwahl gibt es trotzdem einige sprachliche Verbindungen zwischen dem „längeren Markusschluss“ und dem übrigen Mk Ev.8 Ferner liegen auch inhaltliche Verbindungen vor, wie z.B. „der weltweite Horizont der Verkündigung“, die „Überwindung der Welt der Dämonen“, die „Wunderwirksamkeit der Jünger“ und vor allem „die Heraushebung des Unglaubens und der Herzenshärte der Jünger“.9 Insgesamt lässt sich sagen, dass der „längere Markusschluss“ zwar nicht ursprünglich zum Evangelium gehört,10 jedoch derart gut bezeugt ist, dass er mit Recht bei Nestle/Aland28 und in weiteren Bibelausgaben in eckigen Klammern angeführt wird.

5 Vgl. Aland, Text, 293-294 und Metzger, Textual Commentary, 122-123. Klemens von Alexandrien, Tertullian, Cyprian sowie Cyrill von Jerusalem scheinen den längeren Markusschluss auch nicht gekannt zu haben. Eusebius und Hieronymus bemerken, dass die meisten der ihnen bekannten Manuskripte Mk 16,9-20 nicht enthalten. 6 Siehe ferner die arabische Version des längeren Schlusses bei Tatian. 7 Lane 603 sowie Kealy, Gospel, 23. 8 Vgl. Dschulnigg, 418, Anm. 14. Er verweist auf die Verbindungen zum übrigen Mk Ev. u.a. durch κηρύσσω, τὸ εὐαγγέλιον sowie ἐκβάλλειν δαιμόνια. 9 Dschulnigg 418. 10 Metzger, Textual Commentary, 125; Aland, Text, 293-294. Vgl. mit vielen, Lane 601. Lane betont vor allem die fehlende Überleitung von V. 8 zu V. 9.

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17. Addendum: Bemerkungen zum „längeren Markusschluss“, Mk 16,9-20

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I 9 Nachdem er aber früh am ersten (Tag) nach dem Sabbat auferstanden war, erschien er zuerst der Maria Magdalena, aus der er sieben böse Geister ausgetrieben hatte. 10 Jene ging hin und berichtete es denen, die mit (bei) ihm gewesen waren, als sie (noch) trauerten und weinten. 11 Und als jene hörten, dass er lebe und von ihr gesehen worden sei, glaubten sie es nicht. 12 Nach diesen (Ereignissen) erschien er ferner zweien von ihnen unterwegs in anderer Gestalt, als sie aufs Land gingen. 13 Auch jene gingen hin und berichteten es den anderen. Auch jenen glaubten sie nicht. 14 Schließlich erschien er den Elf selbst, als sie zu Tisch saßen (lagen) und er tadelte ihren Unglauben und ihre Hartherzigkeit, weil sie denen nicht geglaubt hatten, die ihn als Auferstandenen gesehen hatten. 15 Und er sagte zu ihnen: Geht in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung. 16 Wer glaubt und getauft ist, wird gerettet werden; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden. 17 Folgende Zeichen werden die Glaubenden begleiten: In meinem Namen werden sie böse Geister austreiben, sie werden in neuen Sprachen reden, 18 Schlangen werden sie aufheben, und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird es ihnen gewiss nicht schaden; auf Schwache werden sie Hände legen, und es wird (für sie) gut werden. 19 Nachdem er mit ihnen geredet hatte, wurde der Herr Jesus sodann in den Himmel aufgenommen, und er setzte sich zur Rechten Gottes. 20 Jene aber gingen hinaus und verbreiteten die Nachricht überall; zugleich wirkte der Herr immerdar mit und bestätigte stets das Wort durch begleitende Zeichen.11 II Inhalt, mit synoptischem Vergleich. Der synoptische Vergleich ergibt, dass die Seitenreferenten Mt und Lk bis Mk 16,8 relativ parallel zu Mk verlaufen, sie jedoch bei Mk 16,9-20 stark von Mk abweichen.12 Auch wenn, wie bereits erwähnt, die genaue Provenienz dieses frühen, nachmarkinischen Textes unklar bleibt,13 lässt sich grundsätzlich beobachten, dass der Inhalt dieses Abschnitts generell anderweitig im kanonischen NT 11 Lit.: Aland, Text, 293-294; Lane 601-605; Taylor 610-614; vgl. ferner Kelhoffer, Miracle, ad loc. Weitere Lit. zu Mk 16,9-20 findet sich bei Pesch I 47.426; II 556.559 (bis 1980); Evans 540-543 (bis 1999). 12 Lane 601. 13 Siehe die Zusammenstellung verschiedener, recht hypothetisch klingender Erklärungsversuche bei Dschulnigg, 417-418. Im 10. Jh. n.Chr. bringt eine armenische Version den „längeren Schluss“ mit dem bei Papias erwähnten Aristion (Euseb, Hist. Eccl. 3,39,15) in Verbindung. Näheres bei Lane 605, Anm. 11.

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belegt ist.14 D.h., auch wenn der vorliegende Text nicht ursprünglich ist, findet sich sein grundsätzlicher Inhalt dennoch an anderer Stelle im NT wieder. Dschulnigg meint, dass „der längere Mk-Schluss zwar ein sekundärer, aber keineswegs ein unpassender Zusatz zum … Evangelium ist“.15 Im Einzelnen sehen die Verweise auf NT-Parallelen, vor allem auf die anderen kanonischen Evangelien, folgendermaßen aus:16 a. 16,9-11 Der Auferstandene erscheint der Maria Magdalena zu V. 9, vgl. Lk 8,2 zu V. 10, vgl. Joh 20,11-18 zu V. 11, vgl. Lk 24,11.14 und Mt 28,9-10.17b b. 16,12-13 Der Auferstandene erscheint den zwei Reisenden zu V. 12-13, vgl. Lk 24,13-35; Joh 20,19.26 c. 16,14-18 Der Auferstandene erscheint den elf Jüngern (vgl. Lk 24,25-29; Joh 20,19-29) zu V. 14, vgl. Lk 24,41; Mt 11,20 zu V. 15-17, vgl. Mt 28,18-20 zu V. 16, vgl. Joh 3,17-18; siehe ferner 1Petr 3,21 und Tit 3,5 zu V. 17-18, vgl. Joh 14,12 zu V. 17, vgl. Mk 9,37; Apg 2,3-4; 10,46; 19,6; 1Kor 12,28; Eph 6,10-18 zu V. 18, vgl. Apg 28,3-4; Jak 5,13-16; siehe ferner Lk 10,19 und Jes 11,8 d. 16,19-20 Himmelfahrt Jesu, Sitzen zur Rechten Gottes und Verkündigung zu V. 19, vgl. Lk 24,50-53; Apg 1,2.9-11.22; 7,55-56; Röm 8,34; Eph 1,20; Kol 3,1; 1Tim 3,16; Hebr 1,3; 8,1; 10,12; 12,2; 1Petr 3,22; Offb 3,21 zu V. 20, vgl. Mt 28,18-20; Apg 2–28, vor allem 1,8; 2,43; 4,30; 5,12; 8,13; 14,3; Hebr 2,3-4. Der sogenannte „längere Markusschluss“ (d.h., Mk 16,9-20) vermittelt somit zwei relativ persönliche Auferstehungserscheinungen Jesu (16,9-13), die durch die Begegnung der Jünger mit dem Auferstandenen abgerundet werden. Im Kontext von Glaubensermutigung und Wundern erteilt Jesus seinen Jüngern hierbei den „markinischen“ Missionsauftrag (16,14-18; vgl. V.20).

14 Vgl. z.B. Evans, 546 und Pesch II 545-546. 15 Dschulnigg 418. 16 Vgl. vor allem Taylor 610-614.

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III/IV Neben den verschiedenen Erzählungen über die Begegnungen mit dem Auferstandenen, bringt das theologische Gesamtthema des Abschnitts17 die Spannung zwischen „Glaube und Unglaube“ zur Sprache.18 Die drei Erscheinungserzählungen (16,9-11; 16,12-13; 16,14-18) enthalten jeweils eine kritische Aussage über den Unglauben (V. 11, vgl. Lk 24,11; V. 13, vgl. Lk 24,33-35.41; V. 14, vgl. Lk 24,38). Die zwei ersten Erscheinungserzählungen erwähnen jeweils den Unglauben derjenigen, die das betreffende Auferstehungszeugnis verwerfen (V. 11; V. 13). In der dritten Erscheinungserzählung (16,14-18) rügt der auferstandene Jesus (V. 14) den Unglauben und die Hartherzigkeit der elf Jünger im Umgang mit den Auferstehungszeugnissen von Maria Magdalena (16,11) und der zwei Jünger (16,13). Jesus macht deutlich, dass Glaube und Vertrauen dann vorliegen, wenn das Auferstehungszeugnis, welches dem Sühnetod folgt, aufgenommen wird (vgl. Joh 20,29). Dieser Glaube steht im Gegensatz zu Trauer und Weinen (V. 10) als Ausdruck des Unglaubens. Zusammen mit dieser Ermahnung beauftragt Jesus seine Jünger, weltweite Zeugen seiner Auferstehung zu werden (16,15-18; vgl. bereits 7,27; 13,10). Der innere Kern der Evangeliumsverkündigung wird damit nochmals betont: der Messias Jesus, der sich stellvertretend opferte und starb, ist jetzt auferstanden (8,31; 10,45; 16,15). Der sog. „längere Mk-Schluss“ endet mit der Erzählung der Himmelfahrt und Inthronisation Jesu (vgl. 14,62) sowie der segensreichen Verkündigung der Jünger (16,19-20). 9-11 Jesus erscheint Maria Magdalena (vgl. Lk 8,2; Joh 20,11-17) vor Pet­ rus und den elf Jüngern (vgl. 1Kor 15,5; Lk 24,34).19 Ihr Zeugnis wird von den elf Jüngern Jesu nicht aufgenommen (vgl. Mt 28,9-10.17b und vor allem Lk 24,11.14.41). 12-13 Es handelt sich hier um eine Anspielung auf die Erzählung der Emmaus-Jünger in Lk 24,13-35 (vgl. Joh 20,19.26). 14-18 Der Abschnitt 16,9-14 erreicht seinen Höhepunkt20 in der Rüge Jesu (V. 14) wegen des Unglaubens und der Hartherzigkeit seiner Jünger21 und bereitet gleichzeitig den Aussendungsbefehl (V. 15-18) vor. Im Aussendungsbefehl (vgl. Mk 7,27; 13,10; 14,9) werden nun auch die elf Jünger aufgefordert,

17 Zur detaillierten Erläuterung von Mk 16,9-20, siehe u.a. Pesch II 544-556, Evans 540-551, Taylor 610-614 (dort vor allem viele Details zum andersartigen Vokabular des „längeren Markusschlusses“), sowie vor allem die Monografie von Kelhoffer, Miracle, ad loc. 18 Vgl. Lane 604. 19 Dschulnigg 419. 20 Vgl. Taylor 611. 21 Dschulnigg 419.

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als Auferstehungszeugen tätig zu werden. Hinsichtlich verschiedener Parallelen, vgl. vor allem Lk 24,25-29 und Joh 20,19-29. 14 Jesus erscheint seinen Jüngern und tadelt (ὀνειδίζω [oneidizō], „ich rüge“; vgl. ähnlich Mk 8,14-21) sie angesichts ihres Unglaubens (ἀπιστία [apistia]; siehe Bemerkungen zu 6,6; 9,24) und ihrer Hartherzigkeit (σκληροκαρδία [sklērokardia]; siehe Bemerkungen zu 6,52; 8,17-21; 10,5).22 Zu Parallelen, siehe Mt 11,20 und vor allem Lk 24,41. 15 Im vorliegenden Kontext beruht die Evangeliumsverkündigung (V. 15) zentral auf der Verlässlichkeit des Auferstehungszeugnisses (V. 11.13.14). Der Verkündigungsauftrag erinnert an 13,9-10. Eine wörtliche Übersetzung des vorliegenden Auftrags lautet: „geht in die ganze (bewohnte) Welt hinaus und predigt jedem Geschöpf (bzw. aller Kreatur) die gute Nachricht“ (πορευθέντες εἰς τὸν κόσμον ἅπαντα κηρύξατε τὸ εὐαγγέλιον πάσῃ τῇ κτίσει [poreuthentes eis ton kosmon hapanta kēryxate to euangelion pasē tē ktisei]). Dabei ist die Formulierung bemerkenswert, dass die Verkündigung in der ganzen Welt23 (κόσμος [kosmos]; vgl. Mk 8,36; 14,9; [16,20])24 und jedem Geschöpf (κτίσις [ktisis], vgl. Kol 1,6.23)25 gilt, im Unterschied zum Aussendungsbefehl bei Matthäus (Mt 28,18-20), bei dem der Auftrag „allen Völkern“ (πάντα τὰ ἔθνη [panta ta ethnē]) gilt (V. 19). Es ist einleuchtend, dass sich dieser Auftrag auf den Menschen als „Sachwalter Gottes in der Schöpfung“ bezieht,26 in enger und bleibender Verbindung mit der gesamten Schöpfung Gottes (vgl. Röm 8,19-23). 16 In V. 16 bedeutet wer glaubt Vertrauen27 auf das Auferstehungszeugnis und somit auch Vertrauen auf Jesu autoritative Person und Lehre (vgl. den Kontext zu V. 11.13-14). Glaube und Taufe (als „eintauchende“ Identifizierung mit Jesus?; s.u.)28 führen zur Erlösung (vgl. Lk 8,50); Unglaube führt zu Verdammnis als Trennung von Gott (vgl. Joh 3,18.36). Handelt es sich bei getauft ist um Wassertaufe29 oder um persönliches Sterben und Auferstehen mit Jesus (etwa nach Röm 6,1-14)? Es ist möglich, den Begriff der Taufe auf die persönliche Identifikation mit Jesus zu beziehen,30 und zwar als Konsequenz 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Vgl. Deut 10,16; Jer 4,4 und Röm 2,5; siehe den Gegensatz zu Hes 36,26-27. Vergleiche mit 16,20; siehe Mt 28,19; Lk 24,47. Vgl. Mk 8,36; 14,9; Mt 28,18-20; Lk 3,6; Apg 2,36. In Übereinstimmung mit Cranfield 473 und Taylor 612 meint Evans 549 zu Recht, dass πάσῃ τῇ κτίσει [pasē tē ktisei] „jedem Geschöpf“ und nicht „der ganzen Schöpfung“ bedeutet; vgl. Kol 1,23. Vgl. Dschulnigg 419. BDAG, 817, Abs. 2. Vgl. Schnabel, Jesus, „Baptism“, 259-287. Nähere Details bei Taylor, 612. Vgl. Röm 6,3-5; 1Petr 3,21; Tit 3,5.

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des Vertrauens auf die Heilstat Jesu. Andererseits ist es ebenso möglich, dass hier das Bundeszeichen und Bundessiegel (vgl. Röm 4,11) der Wassertaufe für den Glaubenden im Blick ist (Lk 8,50; vgl. Apg 18,8). Sicher ist, dass es sich in V. 16 nicht um Neugeburt allein durch Wassertaufe (eine sog. „baptismal regeneration“) handelt. Erlöst zu werden bedeutet u.a., vor ewiger Verdammnis bewahrt31 zu werden. Nach Joh 3,16-18.36 ist die Bewahrung vor ewiger Verdammnis nur durch den persönlichen Glauben an die Heilstat Jesu möglich. Das letztendliche Urteil Gottes über denjenigen, der das Heilswerk Gottes in beständigem Unglauben verwirft („wer nicht glaubt“),32 ist ewige Trennung von Gott. 17-18 Dieser Abschnitt weist Parallelen zu Lk 10,19; Joh 14,12;33 Apg 28,3-4 sowie Jak 5,13-16 auf.34 Siehe die Bemerkungen zu V. 20.35 Im Gegensatz zur Apg, wo „Zeichen und Wunder“ in der Regel das apostolische Zeugnis bestätigen (s.u.), werden Zeichen in V. 17 all denen zugesprochen, die Jesus vertrauen (vgl. Joh 14,12). Im Einzelnen sind es die Zeichen der Dämonenaustreibung (vgl. Apg 16,18), der Zungenrede (vgl. 1Kor 12,28; wohl nicht Apg 2,4, da es sich dort um bekannte Sprachen oder Dialekte handelt), der wunderbaren Bewahrung vor Vergiftung (vgl. Apg 28,3-6; vgl. Lk 10,19) sowie der Krankenheilung (vgl. Apg 9,12.17; Jak 5,15). Dabei ist zu bemerken, dass der Begriff παρακολουθήσει [parakolouthēsei] (V. 17) diese Zeichen als Beigabe, als zusätzliches Phänomen bezeichnet, nicht als Herzstück der Evangeliumsverkündigung (V. 15; vgl. V. 20 und Joh 14,12). Die übermäßige Betonung derartiger Gaben Gottes, vor allem auf Kosten der Buße und Leidensnachfolge, mag zur fragwürdigen Lehre des „Wohlstands durch Glauben“ („prosperity gospel“) beitragen. Eine derartige Haltung kann zur Versuchung führen, z.B. auf die Schöpfungsgabe der ehrlichen Arbeit und der auf Gott vertrauenden Anstrengung zu verzichten sowie die guten Dienste von Ärzten gänzlich zu meiden. Dabei ist ferner die Gefahr groß, Gott durch selbstsichere Glaubens- und Verheißungsforderungen zu bedrängen. Demgegenüber soll die Grundhaltung der Nachfolger Jesu immer die des Loslassens, des Gehorsams, des Opfers und des direkten Vertrauens auf Gott sein, und zwar im Rahmen der vollen Bejahung der Schöpfung. Wenn Gott in seiner Barmherzigkeit sodann übernatürlich eingreift, so gebührt ihm allein Dank und Lobpreis.

31 32 33 34 35

BDAG, 982-983, Abs. 2. BDAG, 103, Abs. 1. Zum Phänomen der Heilungen siehe Apg 9,12.17 und Jak 5,15. Vgl. Jes 11,8. Siehe ebenso Mk 9,37; Apg 2,3-4; 10,46; 19,6; 1Kor 12,28 und Eph 6,10-18.

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19 Abschließend werden die Himmelfahrt (vgl. Lk 24,51; Apg 1,2.11.22)36 und die Inthronisation Jesu (vgl. Apg 1,21; 2,36; 4,33)37 zur Rechten Gottes (V. 19; vgl. Ps 110,1.5; Mk 12,36)38 erwähnt. 20 Der Aussendungsbefehl erfüllt sich (vgl. V. 15-16 sowie 16,7). Ähnlich wie in der Apg (vgl. z.B. 1,8; 2,43; 4,30; 5,12; 14,3) bestätigt Jesus als erhöhter Herr die apostolische Verkündigung durch Zeichen (V. 20; Hebr 2,3-4): Jene aber gingen hinaus und verbreiteten die Nachricht überall; zugleich wirkte der Herr immerdar mit und bestätigte stets das Wort durch begleitende Zeichen (vgl. 16,7). Die Tatsache, dass Jesus bei ihrer Verkündigung „mitwirkt“ (συνεργοῦντος [synergountos]), erfüllt sein Versprechen, dass er mittels des Heiligen Geistes stets bei ihnen sein wird (13,11; vgl. Mt 28,20).39 Vor allem „wirkt“ Jesus nach dem vorliegenden Vers dadurch „mit“, dass er ihr apostolisches Zeugnis (d.h., ihre Botschaft; 16,19) durch Zeichen und Wunder bestätigt. Bereits in V. 17 verspricht Jesus vielen das „Zeichen“, Dämonen austreiben zu können (vgl. Apg 16,18), sowie die Gabe, in fremden Sprachen sprechen zu können (vgl. 1Kor 12,28). Im vorliegenden V. 20 sind „Zeichen und Wunder“, ebenso wie anderweitig im NT, vor allem als Bestätigung des apostolischen Auferstehungszeugnisses zu verstehen. Dieser Sachverhalt liegt sowohl in der Apg40 wie auch in den Briefen vor.41 An diesem apostolischen Zeugnis (vgl. Hebr 2,3-4)42 entfacht sich der Glaube an den erniedrigten und erhöhten Jesus. Es ist stets zu beachten, dass auch Irrlehrer „Zeichen und Wunder“ vollbringen können, die selbst jedoch nicht unter der Autorität Jesu stehen, sondern stattdessen ihren eigenen Vorteil suchen.43 Der längere Markusschluss betont somit vor allem, dass Jesus den Glauben als Vertrauen auf das wahre Auferstehungszeugnis seiner Nachfolger bezeichnet. Während Zeichen und Wunder als Beigabe verheißen werden, sind sie im Fall der elf Jünger (vgl.

36 Vgl. 2Kön 2,1-18. 37 Zur Himmelfahrt Jesu vgl. Lk 24,50-53; Apg 1,2.11.22; 7,55-56; Röm 8,34; Eph 1,20; Kol 3,1; 1Tim 3,16; Hebr 1,2-3; 8,1; 10,12; 12,2; 1Petr 3,22 und Offb 3,21. Hinsichtlich der Inthronisierung Jesu siehe Mk 12,36; vgl. Ps 110,1.5. 38 Vgl. Taylor 613. 39 Im Gegensatz hierzu sind die Apostel und ihre Helfer „Mitarbeiter“ Gottes (1Kor 3,9; 2Kor 1,24; 6,1; Kol 4,11; 1Thess 3,2; 3Joh 8). 40 Siehe Apg (1,8; 2,19) 2,22.43; 4,30; 5,12; (7,36); 14,3; 15,12. Ausnahmen hierzu finden sich lediglich in Apg 6,8 (Stephanus) und Apg 8,13 (Philip). 41 Siehe Röm 15,19; 2Kor 12,12; Hebr 2,3-4. 42 Schönweiss, NIDNTT, I, 659 bemerkt: „These signs are an indication that the living Lord himself is speaking and working through his witnesses, and that their witness is therefore true and reliable.“ 43 Siehe Mt 24,24; Mk 13,22; 2Thess 2,9.

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16,11.13) sowie bei allen, die das Evangelium hören, nicht für den Glauben konstitutiv. Schließlich warnt Jesus vor einer falschen Herzenshaltung, bei der nur dann der Botschaft Vertrauen entgegengebracht wird, wenn „Zeichen und Wunder“ vorliegen (Joh 2,18). Lukas berichtet von einem Gleichnis, in dem Jesus Abraham dem reichen Mann sagen lässt, dass Menschen nicht einmal dann dem Evangelium glauben werden, wenn jemand von den Toten auferweckt wird: „Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde“ (Lk 16,31 [Luther 1984]; vgl. Joh 5,46).

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Bibliographie

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III. Verzeichnisse 1. Bibliographie Artikel aus Nachschlagewerken werden im Literaturverzeichnis nicht eigens aufgeführt.

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Das Evangelium des Markus

2. Register 2.1 Autorenverzeichnis Abel, F.M. 559 Ådna, J. 497, 498, 499, 501, 559 Aland, K. 11, 13, 62, 108, 109, 268, 534, 663, 721, 722, 723 Allison, D.C. 535 Argyle, A.W.O. 448 Arnold, G. 129, 132 Aune, D.E. 64, 65 Backhaus, K. 86, 612 Bailey, K.E. 38, 115, 116, 229 Balabanski, V. 59 Balch, D.L. 38 Baltensweiler, H. 403 Bammel, E. 511, 518, 649 Bar-Ilan, M. 38, 43, 48 Barnett, P. 36, 38, 42, 45, 46, 48, 51, 64, 65, 67 Barr, J. 630 Barth, K. 525 Barton, S.C. 34 Batey, R.A. 48, 51, 274, 275 Bauckham, R. 17, 22, 23, 25, 26, 27, 34, 38, 40, 42, 44, 46, 47, 48, 51, 52, 53, 55, 56, 64, 65, 127, 154, 159, 214, 218, 225, 269, 567, 707, 715 Bauernfeind, O. 167, 171, 271, 415 Baum, A. 21-25, 38, 46, 48, 58, 68 Baumann, R. 630 Baumbach, G. 197, 529, 530 Bayer, H.F. 47, 53, 73, 83, 87, 97, 98, 99, 101, 119, 121, 124, 141, 161, 163, 216, 218, 227, 231, 284, 285, 314, 316, 347, 350, 351, 362, 365, 373, 376, 379, 382, 383, 386, 388, 390, 391, 393, 401, 420, 421, 424, 427, 428, 429, 458, 461, 462, 465, 467, 468, 503, 511, 514, 519, 520, 538, 542, 554, 564, 591, 612, 614, 618, 620, 621, 622, 625, 627, 628, 629, 630, 662, 712 Beasley-Murray, G.R. 96, 231, 540

Becker, J. 64, 620 Beisser, F. 446, 449 Bell, A.A. 49, 50, 59, 92, 123, 178, 195, 197, 210, 281, 306, 311, 335, 350, 390, 394, 447, 467, 475, 487, 528, 529, 530, 556, 558, 559, 560, 563, 566, 570, 571, 572, 574, 575, 594, 597, 598, 604, 635, 646, 647, 648, 649, 653, 658, 659, 660, 667, 668, 669, 670, 671, 673, 674, 677, 678, 679, 681, 688, 689, 692, 704, 705, 706 Bellinger, W.H. 88 Bengel, J.A. 38, 46 Berger, K. 40, 52, 65, 66, 67, 79, 82, 83, 84, 90, 91, 99, 115, 116, 130, 131, 162, 168, 173, 175, 176, 184, 185, 205, 209, 215, 221, 229, 231, 236, 237, 239, 240, 242, 245, 246, 247, 256, 259, 288, 297, 321, 330, 350, 357, 363, 366, 371, 382, 383, 387, 404, 415, 420, 431, 436, 440, 444, 446, 449, 451, 463, 465, 474, 482, 485, 493, 497, 508, 511, 512, 513, 514, 515, 516, 517, 518, 519, 520, 522, 528, 533, 538, 543, 550, 584, 600, 608, 609, 613, 623 Berlis, A. 350 Best, E. 38, 64, 162, 221, 299, 370, 392, 550, 587, 594 Betz, O. 76, 80, 145, 264, 271, 279, 321, 354, 382, 388, 415, 474, 493, 538, 642, 654 Beyer, K. 28, 29, 187, 292, 448 Beza, T. 614, 616 Bickermann, E. 634, 636 Billerbeck, P. 11, 96, 138, 179, 187, 202, 242, 243, 255, 258, 281, 285, 287, 290, 302, 303, 366, 419, 432, 444, 445, 447, 454, 457, 466, 468,

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2. Register

491, 509, 514, 541, 563, 587, 592, 595, 597, 614, 695, 697 Birdsall, J.N. 721 Black, 21, 28, 29, 34, 38, 57, 58, 83, 162, 229, 236, 246, 299, 392, 431, 519, 620, 721 Black, M. 83 Blackburn, B. 66, 92, 102, 167, 171, 264, 266, 271, 321, 356, 370, 415, 700, 712 Blank, J. 511, 612 Bligh, P.H. 92, 538, 654, 694, 700 Blinzler, J. 497, 501, 634, 636, 645, 646, 650, 651, 654, 656, 657, 660, 666, 667, 670, 673, 674, 679, 681, 687, 690, 703, 704, 705, 706, 710 Blomberg, C. 54, 55, 68, 115, 116, 117, 200, 201, 203, 229, 231, 236, 237, 240, 241, 245, 250, 253, 256, 258, 299, 302, 392, 400, 455, 457, 474, 475, 480, 494, 511, 514, 520, 593, 597, 601, 604, 605, 606, 607, 648, 654, 690, 691 Bock, D. 95, 96, 99, 101, 125, 183, 185, 231, 399, 538, 540, 588, 642, 644, 645, 654, 655, 656, 657, 658, 659 Bolt, P. 708, 710 Bond, H.K. 65, 67, 68, 103, 390, 645, 646, 653, 668, 670, 672 Bonhoeffer, D. 182, 227, 393, 395, 468 Boring, M.E. 76, 77, 80, 82, 86, 88, 89, 90, 91, 92, 96, 98, 101, 109, 231, 235, 239, 244, 245, 260, 317, 361, 387, 429 Borsch, F.H. 654, 657 Botha, PJ. 57, 58 Braun, H. 133, 187, 566 Breytenbach, C. 64, 68, 71, 162, 299, 392, 431, 451, 458, 465 Brooks, J.A. 168, 731 Brower, K.E. 96, 540 Brown 59, 76, 80, 86, 441, 448, 471, 490, 631, 682 Brown, C. 169, 299, 321, 493 Brown, R.E. 21, 23, 26, 27, 28, 29, 31, 32, 34, 38, 51, 57, 60, 63, 79, 386, 587, 645, 673, 703

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Bruce, F.F. 114, 495, 574, 576, 644, 646, 668, 671, 679 Bruggen, J. van. 92 Buchanan, G.W. 493, 502 Bucher-Gillmayr, S. 306, 309 Bultmann, R. 47, 65, 79, 90, 101, 113, 114, 121, 474, 483, 533, 540, 592, 628, 634, 637, 672 Burkill, T.A. 622, 625 Burridge, R.A. 56, 64, 65, 67 Byrskog, S. 38, 40, 43, 162, 299, 392, 451, 465 Calvin, J. 112, 113, 231, 234, 420, 614, 616 Caragounis, C.C. 98, 231, 383, 427, 461, 654 Carroll, J.T. 554 Carson, D.A. 36, 58, 195, 196, 285, 302 Casey, M. 98, 101, 383 Catchpole, D.R. 482, 485, 642, 644 Chang, P. 41 Charlesworth, J.H. 62, 83, 616, 713 Chavel, C.B. 673 Childs, B. 54 Chilton, B.D. 498, 533, 538 Ciampa, R.E. 119, 123 Cohen, B. 651 Collins, C.J. 101, 399 Collins, J.J. 80, 82, 84, 89, 102, 382, 383, 387 Conzelmann, H. 90, 514 Cook, M.J. 529, 643 Coppens, J. 98, 382, 383, 387, 538 Cox, E. 707 Craig, W.L. 709, 713 Cranfield, C.E.B. 32, 224, 241, 290, 353, 395, 400, 402, 483, 485, 486, 497, 507, 508, 520, 522, 525, 551, 556, 592, 623, 627, 690, 726 Crossan, J.D. 689, 708, 709, 713 Cullmann, O. 21, 76, 80, 86, 88, 92, 96, 98, 114, 130, 157, 162, 306, 308, 386, 420, 448, 451, 458, 523, 525, 526, 538, 642, 654, 719 Dahl, N.A. 36, 65, 67 Dalducci, C. 167, 172 Dalman, G.H. 119, 120, 121, 123, 173, 236, 238, 266, 267, 325, 354, 362

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Das Evangelium des Markus

Danby, H. 190 Daniélou, J. 712 Danker, F.W. 587, 602, 609, 611 Danove, P.L. 511, 519 Daube, D. 336, 439, 440, 442, 522 Dautzenberg, G. 129, 392, 369 Davis, S.T. 709, 713 De Tillesse, G.M. 77, 322 Dehandschutter, B. 512 Deines, R. 195, 196, 197 Deissmann, A. 135, 355, 522, 524, 574, 654, 672, 673 Delling, G. 86 Denyer, N. 716 Derrett, J.D.M. 511 Dewey, J. 620 Dibelius, M. 48, 404 Dickson, W.P. 25, 29 Dillman, R. 200 Dodd, C.H. 115, 117, 229, 231, 236, 240, 241, 252, 253, 256, 258, 511, 512, 514, 515 Donahue, J.R. 137, 299, 392 Dormeyer, D. 64, 65, 129, 132, 134, 151, 300, 305 Dreyfus, F. 528, 531 Dschulnigg, P. 98, 128, 134, 138, 139, 140, 141, 143, 144, 146, 147, 148, 167, 171, 172, 174, 177, 179, 180, 186, 187, 188, 190, 191, 192, 193, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 202, 203, 205, 207, 217, 218, 219, 221, 222, 223, 224, 226, 237, 240, 241, 242, 243, 244, 246, 247, 248, 249, 250, 255, 256, 257, 258, 267, 268, 269, 272, 273, 274, 276, 280, 281, 284, 285, 287, 291, 292, 300, 301, 302, 303, 307, 308, 311, 313, 316, 317, 318, 319, 320, 323, 324, 325, 331, 332, 335, 336, 337, 338, 339, 345, 350, 351, 352, 353, 354, 355, 359, 361, 362, 363, 364, 366, 367, 368, 373, 384, 386, 387, 388, 389, 391, 392, 393, 394, 395, 396, 397, 400, 401, 402, 405, 406, 407, 408, 409, 410, 411, 412, 417, 418, 419, 428, 432, 433, 434, 435, 437, 438, 440, 441, 442, 443, 444, 445, 448,

451, 457, 458, 459, 460, 462, 465, 466, 467, 468, 471, 476, 477, 486, 487, 488, 491, 494, 496, 499, 500, 503, 504, 509, 513, 515, 516, 517, 518, 520, 521, 524, 525, 530, 533, 534, 535, 537, 541, 544, 545, 548, 559, 560, 563, 564, 566, 568, 569, 570, 571, 573, 578, 579, 580, 581, 582, 585, 594, 599, 603, 608, 614, 615, 631, 641, 643, 644, 649, 650, 653, 654, 655, 657, 659, 660, 661, 662, 663, 664, 666, 671, 674, 676, 679, 680, 688, 690, 691, 692, 695, 696, 697, 698, 699, 700, 702, 704, 706, 708, 710, 712, 716, 722, 723, 724, 725, 726 Dunn, J.D.G. 38, 40, 41, 43, 45, 47, 196, 474, 526, 631, 687, 710, 713 Dwyer, T. 168, 170, 270, 527 Ebner, M. 71 Eckstein, H.-J. 105, 106, 474, 476, 511, 519, 520 Eddy, P.R. 38, 40, 42, 45, 51, 64, 96, 102, 274 Edersheim, A. 594 Edwards 190, 537 Edwards, J. 377 Edwards, J.R. 68, 69, 71, 296 Ellis, E.E. 38, 40, 47, 58 Epp, E.J. 108 Eppstein, V. 497, 499 Evans, C.A. 11, 27, 28, 36, 56, 58, 60, 62, 64, 73, 87, 108, 109, 114, 135, 270, 379, 380, 382, 383, 385, 388, 392, 403, 404, 411, 415, 426, 427, 431, 434, 436, 439, 440, 446, 451, 458, 461, 465, 471, 474, 480, 481, 482, 483, 485, 486, 492, 493, 497, 498, 502, 506, 507, 508, 511, 512, 513, 520, 522, 528, 530, 533, 537, 538, 539, 543, 544, 545, 546, 549, 550, 551, 552, 553, 554, 556, 557, 558, 560, 562, 569, 574, 577, 579, 587, 588, 589, 590, 591, 592, 595, 597, 600, 604, 607, 609, 612, 616, 617, 618, 622, 623, 627, 628, 634, 635, 641, 643, 644, 645, 652, 654, 657, 658, 659, 662, 666, 668, 671,

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2. Register

672, 673, 680, 686, 687, 688, 689, 690, 691, 694, 703, 705, 707, 708, 709, 710, 712, 713, 714, 723, 724, 725, 726 Fander, M. 173, 601, 700 Farmer, W.R. 64, 68, 88, 383, 721 Fee, G. 62, 63 Feldmeier, R. 92, 350, 511, 518, 519, 538, 643, 699 Ferguson, E. 141, 142, 433, 447, 495, 496, 529, 592, 593, 599, 609, 611, 622, 646, 647, 648, 649, 671, 674, 679 Feuillet, A. 465, 468, 471 Fitzmyer, J.A. 62, 97, 132, 137, 333, 335, 546, 589, 654, 656 Fletcher, D.R. 392, 394 Flusser, D. 115, 116, 229 Folkers, H. 533, 537, 538, 642, 654 Fowler, R.M. 300, 315 France, R.T. 114, 129, 142, 146, 151, 160, 169, 183, 213, 229, 245, 264, 296, 328, 346, 378, 384, 415, 425, 480, 524, 534, 549, 577, 582, 587, 642, 685, 701, 716, 721 Frankemölle, H. 64, 65, 67 Freyne, S. 274 Garnsey, P. 666, 667 Gathercole, S. 76, 79, 92, 96, 98, 99, 101, 127, 195, 196, 343 Gerhardsson, B. 38, 40, 42, 245 Gesenius, W. 100 Giblin, C.H. 129 Gibson, J. 362 Glatzer, N. 612, 614 Glombitza, O. 362 Gnilka, J. 59, 108, 111, 186, 198, 229, 236, 240, 241, 243, 247, 256, 307, 309, 323, 339, 354, 366, 394, 402, 407, 408, 438, 443, 448, 513, 517, 537, 541, 551, 644, 646, 647, 648, 649, 650, 660, 666, 668, 671, 672, 675, 677, 691, 699, 703 Godet, F. 38, 40, 48, 53 Goppelt, L. 76, 114, 266, 267, 525, 538, 360, 654 Gordis, R. 649 Grässer, E. 562, 564

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Grundmann, W. 308, 451, 466, 497, 523, 524, 681 Guelich, R.A. 21, 53, 57, 58, 64, 68, 73, 76, 80, 114, 115, 129, 130, 131, 132, 134, 135, 136, 142, 145, 147, 149, 151, 161, 162, 168, 173, 175, 176, 178, 183, 184, 185, 190, 194, 200, 205, 208, 209, 214, 215, 216, 221, 224, 230, 231, 236, 240, 241, 243, 245, 246, 253, 256, 258, 259, 260, 264, 265, 266, 271, 280, 281, 283, 288, 297, 298, 299, 300, 305, 306, 309, 310, 313, 315, 318, 319, 321, 323, 325, 326, 328, 329, 330, 333, 336, 347, 348, 349, 350, 354, 356, 357, 362, 363, 365, 366, 369, 370, 440, 538, 642, 654 Gundry, R.H. 137, 138, 147, 196, 273, 363, 485, 514, 546, 551, 553, 556, 582, 657, 658, 659, 690 Guthrie, D. 37, 57 Haenchen, E. 27, 30, 497 Hahn, F. 76, 92, 98, 132, 144, 199, 315, 318, 383, 388, 390, 538, 540, 541, 622, 625, 661, 662, 664 Hallesby, O. 424 Hamilton, N.Q. 712 Hampel, V. 98 Hartman, L. 288, 290, 557 Harvey, J.D. 38 Hatina, T.R. 400, 552, 577 Haubeck, W. 142, 471, 612, 664, 697 Havelock, E.A. 38 Hawthorne, G.F. 582 Hay, L.S. 96, 540 Head, P.M. 38 Heckel, U. 446, 449 Hedinger, H.W. 65 Hedrick, C.W. 231 Hemer, C.J. 25 Hempelmann, H. 709, 713 Hengel, M. 18, 21, 22, 25, 28, 29, 48, 51, 52, 54, 57, 58, 60, 64, 67, 76, 80, 88, 90, 92, 93, 94, 95, 96, 114, 129, 162, 195, 196, 221, 222, 274, 276, 279, 299, 301, 330, 331, 354, 382, 386, 387, 392, 415, 431, 451, 458, 465, 474, 497, 499, 511, 513, 514,

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Das Evangelium des Markus

515, 516, 518, 522, 523, 538, 540, 566, 616, 641, 642, 645, 653, 654, 656, 657, 679, 688, 689 Henry, C.F.H. 231 Herrenbrück, F. 191 Hezser, C. 38, 43, 48 Higgins, A.J.B. 383, 461, 538 Hirth, V. 258 Hoehner, H.W. 593, 597 Hoffmann, P. 299, 301, 388 Hofius, O. 591, 592, 612 Holmes, B.T. 28, 30 Holtzmann, H.J. 121, 307 Hooker, M.D. 76, 88, 98, 101, 266, 279, 362, 382, 383, 387, 429, 461, 447, 485, 508 Horbury, W. 101, 399 Horsley, G.H.R. 50 Horsley, R.A. 71 Houtman, C. 183, 185, 187, 645 Huber, K. 508, 511, 518, 522, 528, 533, 543 Hurtado, L.W. 108 Iersel, van B.M.F. 68, 92, 403, 511, 515 Irmscher, J. 654, 674 Isaac, E. 83 Jackson, H.M. 637 Jaros, K. 62 Jaubert, A. 593 Jensen, M.H. 133, 306, 307, 309, 673 Jeremias, J. 26, 98, 114, 115, 130, 151, 168, 194, 195, 199, 200, 202, 221, 224, 229, 236, 238, 240, 241, 243, 245, 247, 253, 256, 258, 259, 383, 387, 390, 448, 471, 485, 511, 512, 515, 519, 533, 534, 535, 544, 545, 587, 591, 592, 593, 594, 595, 596, 597, 599, 612, 614, 616, 622, 627, 630, 646, 649, 697 Johnson, A.F. 62 Johnson, D. 373 Johnson, E.S. 370 Juel, D. 96, 540 Jülicher, A. 115, 229, 511 Jüngel, E. 158 Juster, J. 652 Kähler, M. 52, 379, 688 Kant, I. 159, 683, 719

Karrer, M. 612 Käser, A. 350, 352 Kazmierski, C.R. 92, 132, 538, 642 Kealy, S.P. 111, 112, 113, 137, 722 Keck, L.E. 64, 68, 129 Kee, A.C. 38, 167, 171, 264, 271, 415 Keener, C.S. 40, 64, 65, 66, 68, 143, 144, 145, 148, 149, 170, 171, 186, 187, 190, 191, 198, 199, 202, 203, 206, 210, 217, 218, 237, 239, 254, 257, 267, 272, 274, 276, 277, 280, 281, 283, 286, 290, 291, 292, 301, 303, 310, 312, 313, 318, 319, 323, 333, 353, 355, 366, 368, 371, 372, 383, 385, 397, 405, 412, 417, 433, 434, 435, 436, 438, 440, 442, 445, 447, 449, 457, 459, 468, 469, 470, 471, 476, 488, 490, 491, 494, 500, 501, 504, 506, 509, 516, 517, 518, 522, 523, 524, 535, 540, 544, 546, 558, 559, 563, 578, 584, 599, 601, 602, 603, 608, 611, 614, 615, 618, 622, 626, 630, 631, 635, 653, 659, 660, 663, 664, 675, 681, 689, 692, 695, 696, 697, 698, 701, 703, 704, 706, 716 Keil, C.F. 100, 101, 141, 398, 399 Kelhoffer, J.A. 723, 725 Kertelge, K. 266, 279, 283, 285, 321, 350, 351, 354, 415, 471, 474, 504, 533, 537, 538, 587, 642, 666, 699 Ketter, P. 474, 475 Kiel, Y. 101, 399 Kim, S. 87, 92, 471 Kingsbury, J.D. 64, 68, 71, 76, 79, 80, 86, 90, 91, 92, 98, 129, 382, 383, 387, 388, 420, 427, 461, 538, 642, 654 Klauck, H.J. 229, 236, 511 Klinghardt, M. 183, 208, 213, 264, 315, 318, 357 Knackstedt, J. 315, 318, 357, 358 Koch, D.A. 183, 185, 187, 279, 315, 318, 312, 354, 357, 415, 471, 474, 493, 502, 612, 645 Koch, K. 183, 185, 187, 279, 315, 318, 321, 354, 357, 415, 471, 474, 493, 502, 612, 645

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2. Register

Kopp, C. 119, 173 Körtner, U.H. 21 Koskenniemi, E. 167, 264, 315 Kremer, J. 709, 713 Kruse, H. 190, 193 Kümmel, W.G. 26, 36, 57, 111, 562, 564 Kurz, W. 554 Kürzinger, J. 21, 22, 23, 59 Ladd, G.E. 114, 151, 153, 231, 232 Lamarche, P. 185, 645, 654, 657 Lambrecht, J. 221 Lampe, P. 240, 243 Lane, W.L. 21, 26, 32, 52, 55, 56, 57, 76, 81, 87, 96, 97, 114, 116, 117, 129, 131, 134, 135, 136, 137, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 153, 155, 160, 165, 170, 171, 172, 173, 175, 177, 178, 179, 183, 184, 186, 187, 188, 190, 194, 195, 199, 202, 203, 205, 207, 208, 209, 210, 213, 215, 216, 217, 218, 219, 221, 222, 223, 224, 225, 229, 230, 237, 238, 240, 241, 242, 243, 244, 246, 247, 252, 254, 255, 257, 258, 259, 260, 264, 267, 269, 272, 273, 277, 278, 281, 282, 283, 285, 287, 290, 292, 295, 296, 298, 301, 302, 303, 305, 306, 307, 308, 310, 311, 312, 313, 316, 317, 318, 319, 320, 322, 323, 325, 328, 331, 332, 335, 336, 337, 338, 339, 340, 341, 346, 347, 349, 350, 351, 352, 355, 356, 357, 358, 371, 373, 374, 378, 383, 384, 385, 386, 387, 389, 390, 391, 393, 394, 395, 396, 397, 398, 399, 400, 403, 405, 406, 407, 408, 409, 410, 411, 412, 413, 416, 418, 419, 425, 428, 429, 430, 431, 432, 433, 434, 437, 438, 440, 441, 442, 443, 444, 445, 447, 448, 451, 452, 453, 454, 455, 456, 457, 458, 460, 461, 462, 464, 466, 467, 468, 469, 470, 471, 472, 473, 476, 477, 480, 482, 486, 487, 488, 489, 490, 491, 492, 493, 494, 495, 499, 500, 501, 503, 504, 506, 508, 509, 513, 514, 515, 517, 518, 519, 520, 522,

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523, 524, 525, 528, 530, 531, 532, 533, 534, 535, 536, 537, 539, 540, 541, 542, 543, 544, 545, 549, 550, 551, 553, 557, 558, 559, 560, 563, 564, 565, 566, 568, 570, 571, 572, 573, 576, 577, 578, 579, 580, 581, 582, 583, 584, 587, 588, 589, 591, 593, 594, 595, 597, 599, 600, 601, 602, 603, 604, 605, 606, 608, 609, 610, 611, 612, 613, 614, 617, 618, 622, 623, 624, 625, 626, 628, 629, 630, 631, 632, 633, 635, 636, 637, 642, 643, 644, 645, 649, 650, 651, 652, 653, 656, 657, 660, 661, 664, 665, 667, 668, 673, 674, 675, 676, 677, 678, 679, 681, 684, 685, 687, 688, 689, 690, 691, 692, 693, 694, 695, 696, 697, 698, 699, 700, 701, 703, 704, 705, 706, 707, 710, 711, 712, 713, 714, 721, 722, 723, 725 Lang, F.G. 24, 55, 64, 71, 370 Larsson, E. 568 Lessing, G.E. 159, 683 Lightfoot, R.H. 112 Lindars, B. 83, 98, 101, 383, 427, 461, 654 Linnemann, E. 38, 39 Linton, O. 362 Lohmeyer, E. 146, 374, 457, 466, 497, 540, 625, 699 Lohse, E. 133, 168, 569, 572, 573, 655 Longacre, R.E. 71, 72 Loos, H. van der, 178, 266, 321, 502 Lord, A.B. 22, 97, 141, 542, 675, 728 Lüdemann, G. 709, 713 Lührmann, D. 108, 497, 599, 699 Lutjens, R. 555 Lux, R. 451 Luz, U. 76, 77, 101 Madvig, D.H. 736 Maier, G. 114, 150, 631 Maloney, E.C. 28, 29 Manson, T.W. 243, 258, 259, 287 Marcus, J. 142, 244, 260, 686 Marshall, C.D. 114, 288, 299, 415, 434 Marshall, I.H. 19, 76, 80, 86, 88, 89, 98, 258, 321, 474, 475, 538, 554, 593, 597, 612, 642, 654, 700

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Das Evangelium des Markus

Martin, R.P. 21, 34, 58 Marxsen, W. 57, 114 Mason, S. 195, 196, 197 Materna, F.J. 129 Maurer, C. 471, 591, 612 Mauser, U.W. 149, 260, 271, 278, 299, 302, 317, 404 McCane, B.R. 689 McCown, C.C. 119, 121 McDonald, L.M. 29, 49 McGing, B.C. 645, 673 McGrath, A. 65 Meier, J.P. 27, 485, 493, 512, 679 Mell, U. 145, 511 Metzger, B.M. 132, 216, 272, 311, 336, 415, 419, 430, 438, 502, 615, 665, 708, 710, 716, 721, 722 Michaelis, W. 97, 406, 538, 542 Michel, O. 258, 352, 388 Milik, J.T. 83 Millard, A. 21, 38, 44, 48, 51 Miller, J.V, 597, 691 Mohn, W. 627 Montefiore, H. 195 Moo, D.J. 36, 58, 74, 285, 341, 686 Moore, A.L. 187, 392, 400, 603, 604, 654, 657 Morgenthaler, R. 37, 38, 551, 581 Morison, F. 708, 709, 713 Moule, C.F.D. 229, 236, 245, 699 Müller, K. 664, 646, 647, 648, 650, 654, 666, 670, 679, 688, 689, 705 Mußner, F. 130 Neirynck, F. 38 Neugebauer, F. 540 Nicklas, T. 362 Nineham, D.E. 497 Nützel, J.M. 403 Oberlinner, L. 388, 389, 471, 612, 694 Oden, T.C. 111, 318, 358 Oegema, G. S. 89, 102, 185, 538, 642, 645 Öhler, M. 622, 623, 662 Orchard, B. 21, 38 Oswald, W. 533 Oyen, G. van 34 Pannenberg, W. 709, 713 Pascal, B. 18

Paul, A. 178, 196, 246, 527 Payne, P.B. 229, 236 Pesch, R. 21, 25, 26, 27, 32, 33, 52, 54, 57, 58, 59, 64, 68, 73, 76, 77, 79, 81, 90, 92, 93, 96, 98, 99, 102, 114, 120, 121, 125, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 136, 137, 138, 139, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 160, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 190, 192, 193, 194, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 205, 206, 207, 208, 209, 213, 215, 216, 217, 218, 219, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 229, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 245, 246, 248, 249, 251, 252, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 264, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 276, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 286, 288, 289, 290, 291, 292, 296, 299, 301, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 308, 309, 310, 311, 312, 313, 315, 316, 317, 318, 319, 321, 322, 323, 325, 328, 330, 331, 332, 333, 334, 335, 336, 337, 338, 339, 340, 341, 345, 346, 350, 351, 352, 354, 355, 357, 358, 359, 361, 362, 363, 364, 365, 366, 367, 369, 370, 373, 374, 378, 379, 382, 383, 385, 386, 387, 388, 389, 390, 391, 392, 393, 396, 397, 398, 402, 403, 404, 405, 406, 407, 408, 409, 411, 412, 413, 415, 416, 417, 419, 425, 427, 428, 429, 430, 431, 432, 433, 434, 435, 436, 437, 438, 439, 440, 441, 442, 443, 444, 446, 447, 448, 449, 451, 452, 453, 455, 456, 457, 458, 459, 460, 461, 463, 465, 466, 467, 468, 469, 470, 471, 474, 475, 476, 477, 480, 482, 483, 485, 486, 487, 488, 489, 490, 491, 492, 493, 494, 495, 497, 498, 499, 500, 502, 503, 504, 505, 506, 508, 511, 512, 513, 515, 516, 517, 518, 519, 520, 521, 522, 523, 524, 525, 526, 528, 529, 530, 531, 533,

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534, 535, 536, 537, 538, 539, 540, 541, 543, 544, 545, 546, 549, 550, 551, 552, 553, 557, 558, 559, 560, 562, 563, 564, 565, 566, 567, 569, 570, 571, 572, 573, 574, 577, 578, 579, 580, 581, 582, 583, 584, 587, 588, 589, 590, 592, 595, 596, 597, 598, 599, 600, 601, 602, 603, 604, 606, 607, 608, 609, 610, 611, 612, 613, 614, 615, 616, 617, 618, 622, 623, 624, 625, 626, 627, 628, 629, 630, 631, 632, 634, 635, 636, 637, 638, 642, 643, 644, 645, 646, 647, 649, 650, 651, 652, 653, 654, 655, 656, 657, 658, 659, 660, 661, 662, 663, 664, 666, 667, 668, 670, 673, 674, 676, 677, 678, 679, 680, 681, 685, 686, 687, 688, 689, 690, 691, 692, 693, 694, 695, 696, 697, 698, 699, 700, 701, 703, 704, 705, 706, 707, 708, 709, 710, 711, 715, 716, 721, 723, 724, 725 Peterson, R. 437 Pines, S. 679 Pola, T. 627, 630 Polanyi, M. 65, 159 Popkes, W. 151, 152, 388, 427, 428, 461, 462, 606, 607, 679 Power, E. 151, 299, 302 Pratscher, W. 333, 533 Quarles, C.L. 195, 196 Räisänen, H. 77, 79, 90, 229, 240 Raitt, T.M. 151, 153 Ramsay, W. 691, 694 Reicke, B. 21, 22, 38, 39, 40, 48, 51, 54, 58, 64, 65, 168 Reinbold, W. 668, 670 Reiser, M. 29 Rengstorf, K.H. 216, 312, 363, 434, 451 Ridderbos, H.N. 45, 67, 114, 151, 153 Riesenfeld, H. 38, 40 Riesner, R. 1, 10, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 30, 31, 32, 38, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 51, 52, 53, 54, 59, 64, 75, 83, 146, 168, 169, 195, 209, 290, 315, 316, 432, 495, 595, 596, 667, 680, 681, 707

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Rihbany, M.A. 185, 186, 451 Ritschl, A. 113 Robinson, J.A.T. 51, 60, 61, 558, 560, 567, 707 Roetzel, C.J. 274, 275, 276, 574, 575 Rohrhirsch, F. 62, 63 Roloff, J. 86, 174, 471 Rosenbaum, H.-U. 62, 63 Ross, H. 158 Rowe, R.D. 80, 82, 84, 87, 88, 92, 93, 96, 153, 231, 233, 234, 429, 471, 491, 519, 538, 540, 615, 618, 696, 709 Rüger, H. 29, 34, 253, 255 Ruppert, L. 98, 383, 389, 390, 642 Saldarini, A.J. 195, 529, 543 Sanders, E.P. 195, 196, 485, 497, 498 Santos, N.F. 98, 101, 102 Saunderson, B. 591, 628 Schaeffer, F. 158 Schlatter, A. 21, 25, 28, 32, 34, 39, 40, 54, 65, 75, 103, 114, 129, 137, 159, 162, 164, 190, 196, 235, 288, 343, 350, 352, 424, 430, 432, 433, 434, 471, 719 Schleiermacher 113 Schlier, H. 303, 612 Schmithals, W. 448, 497 Schmücker, R. 167, 171, 266, 279, 321, 354, 380, 415, 474, 493, 502 Schnabel, E. 24, 38, 43, 44, 48, 49, 119, 122, 135, 141, 142, 145, 162, 163, 164, 165, 166, 169, 307, 335, 394, 467, 492, 564, 574, 575, 578, 589, 591, 594, 595, 642, 644, 646, 647, 648, 649, 651, 652, 653, 655, 657, 658, 659, 667, 668, 669, 670, 671, 672, 673, 675, 676, 677, 678, 688, 689, 691, 726 Schnackenburg, R. 225, 323, 645 Schneider, G. 53, 441, 527, 538, 540, 631 Schnelle, U. 36, 135 Schniewind, J. 41 Schreiber, J. 57, 76, 538, 642, 654 Schreiber, S. 522 Schreiner, T. 195, 196, 197, 290 Schroten, J. 485, 511

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Das Evangelium des Markus

Schulz, A. 57, 177 Schürer, E. 119, 122, 123, 168, 274, 390, 646, 679 Schürmann, H. 388 Schweitzer, A. 101, 111, 402, 580 Schweizer, E. 98, 162, 217, 299, 348, 384, 388, 392, 410, 423, 431, 468, 485, 486, 497, 699 Scott, R.B.Y. 254 Seitz, E. 662 Sellew, P. 64, 68, 71 Sevrin, J.-M. 485, 512 Sherwin-White, A.N. 178, 272, 587, 644, 645 Sjöberg, E. 170 Slomp, J. 129, 132 Smith, D.E. 618, 621 Smith, G.A. 545 Smith, M. 254 Smith, R.H. 703, 707 Snodgrass, K.R. 27, 129, 132, 133, 137, 138, 139, 140, 143, 485, 511, 512, 514, 520 Soards, M.L. 554 Söding, T. 288, 299, 415, 434 Sommer, U. 587, 597, 604, 607, 609, 627, 634, 645, 646, 652, 680, 687, 691, 694, 700, 703, 708 Standaert, B.H.M. 64 Standhartinger, A. 403 Stanton, G. 62, 63 Stauffer, E. 171, 522, 523, 524, 605, 666, 668, 712 Steck, O.H. 151, 152, 153, 206, 246, 309, 388, 389, 511, 513, 514, 516 Stegemann, E. 577 Stein, R. 38, 708, 709, 713 Stern, J.B. 533, 535 Stewart, R.A. 649 Strecker, G. 135, 383 Strobel, A. 125, 256, 498, 596, 644, 646, 647, 649, 650, 652, 654, 656, 658, 659, 660, 670, 671, 672, 673, 674, 675, 682, 683 Stuhlmacher, P. 19, 53, 86 Suhl, A. 34, 240, 243, 609, 611 Swartley, W.M. 543, 545 Tarn, W.W. 274

Taylor 26, 28, 29, 30, 47, 57, 76, 77, 103, 108, 109, 110, 111, 113, 130, 132, 271, 285, 306, 431, 485, 508, 538, 560, 642, 654, 723, 724, 725, 726, 728 Taylor, J.E. 133 Taylor, V. 47, 383, 482, 493, 502 Telford, W.R. 64, 65, 66, 69, 71, 485, 493, 497, 502 Theißen, G. 79, 256, 266, 279, 300, 321, 354, 415, 474, 493, 502, 558 Thiede, C.P. 51, 57, 62, 63, 382, 386 Thielman, F. 196 Thomas, C. 104, 321 Thomas, R. 38 Thornton, C.-J. 21, 40, 58 Tödt, H.E. 98, 383, 389, 427, 654 Tolbert, M.A. 235 Troeltsch, E. 65, 719 Tuckett, C. 27, 77 Unnik, W.C. 23, 627 Vansina, J. 38 Vardaman, J.A. 666, 668 Vermes, G. 98, 383, 388, 389, 427, 461, 642, 654 Vines, M.E. 64 Vorster, W. 38 Vos, G. 231, 232, 234 Waetjen, H. 708, 711, 716 Wainwright, A. 554, 555 Waldstein, W. 672, 676 Wallis, B. 543, 545 Warfield, B.B. 452 Watts, R. 93, 137, 139, 140, 145, 147, 148, 153, 299, 302, 315, 317 Wehnert, J. 100, 231, 392, 399 Weihs, A. 89, 90, 98, 383, 388, 391, 427, 428, 461, 471, 511, 612, 625 Weiss, J. 637 Weiss, K. 173 Wellhausen, J. 121 Wenger, L. 634, 636 Wenham, D. 221, 229, 236, 245, 266, 276, 474, 493, 502, 557 Wenham, J.W. 25, 38, 46, 58, 63, 431, 432, 589, 594, 595, 601, 703, 704, 705, 707, 708, 709, 711, 712, 713, 714, 715, 716, 721

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2. Register

Westcott, B.F. 23, 38, 40, 47, 48, 52, 53 Wilcox, M. 622, 624, 662 Williams, J.F. 370 Wilton, C.W. 666, 678 Wimber, J. 327 Wink, W. 133, 306 Winter, P. 574, 575, 649, 666, 673 Wischmeyer, O. 465, 471, 612 Wolff, M. 646, 649 Wolter, M. 185 Wrede, W. 77, 78, 79, 89, 90, 113, 176, 287, 347, 359, 360, 429 Wright, N.T. 38, 76, 92, 231, 485, 493, 497, 538, 562, 565, 612, 616, 643, 654, 709, 713

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Wright, R.B. 83 Wuckelt, A. 431, 446, 447, 448 Wünsche, A. 634 Yarbrough, R. 21, 22, 25, 113, 114, 429, 591, 712 Zager, W. 79, 471, 612 Zahn, T. 25, 48, 49, 49, 50, 51 Zawadski, R. 132, 411 Zeller, D. 403, 557, 618, 621 Ziener, G. 315, 357, 358 Ziesler, J.A. 194 Zimmermann, J. 38, 58, 80, 81, 82, 84, 92, 93, 288, 290, 294, 308, 323, 385 Zmijewski, J. 129, 132 Zuntz, G. 61, 62

2.2 Stichwortverzeichnis Abba, 221, 224, 535, 627, 630, 737, 738, 752 Abendmahl, 134, 319, 361, 587, 588, 593, 617, 621, 758 Aberglaube, 277, 349 Abfallen, 622, 623, 625 Abhängigkeit, 37, 38, 39, 103, 143, 182, 199, 203, 212, 216, 263, 267, 268, 270, 302, 319, 322, 326, 331, 332, 345, 360, 361, 375, 377, 384, 393, 419, 420, 423, 447, 449, 456, 478, 509, 565, 718, 719, 720 Abiathar Problem, 200, 203 abolitio, 672, 676, 679 Abschiedsrede, 550, 551 Abschreckung, 644, 687, 689, 692, 705 acclamatio populi, 672 Achtung, 328, 345, 353, 443 Adonai, 95, 96, 97, 98, 541, 548, 656 Adoptionsformel, 94 Adressaten, 21, 34, 513 Agnostizismus, 342 Akklamation, 354, 382, 482, 485, 491, 613, 672 Akkommodation, 529, 647 Akoluthie, 25, 39, 53, 76, 160, 213, 428, 432, 549, 588, 642, 685 Akrostichon, 44

Allegorie, 111, 115, 116, 229, 236, 245, 511, 514, 754 Allegorische Gleichniserklärung, 115 Allerheiligstes, 570, 698 Alliteration, 44, 45 Almosen, 475 Alter Äon, 233, 257, 411, 459, 529, 581, 618 Altersversorgung, 334 Älteste, 328, 329, 332, 342, 381, 390, 508, 645, 646, 649, 665 Amen-Worte, 220, 224, 362, 382, 400, 430, 435, 446, 448, 449, 458, 459, 483, 501, 503, 543, 545, 579, 580, 590, 599, 603, 609, 612, 622, 625, 626, 739 Anakoluth, 29, 766 Analogie, 66, 117, 166, 177, 224, 236, 241, 243, 244, 245, 260, 265, 267, 280, 300, 301, 309, 310, 405, 407, 448, 518, 550, 630, 639, 681, 719 Anbetung, 100, 125, 166, 212, 234, 262, 263, 272, 398, 470, 496, 506, 516, 574, 575, 657, 681, 718 angaria, 488, 489, 688 Angst, 181, 262, 321, 322, 323, 327, 500, 508, 637, 719 Anklage, 95, 99, 125, 183, 222, 332, 514, 539, 643, 648, 651, 655, 657,

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Das Evangelium des Markus

658, 659, 663, 665, 666, 667, 672, 673, 674, 675, 677, 678, 684, 687, 691 Anthropologie, 530 Anthropozentrische Religiosität, 366 Anthropozentrisches Kulturchristentum, 396 Anthropozentrische Theologie, 509 Antichrist, 570, 571, 572 Antijudaismus, 543, 699 Antijudaistische Interpretation, 699 Antithese, 102, 333, 457 Antithetischer Parallelismus, 193, 231, 336, 337, 460 Aphorismen, 45, 253 Apologetische Argumentation, 205 Apologetische Tendenz, 25 Apotheosis, 66 Apposition, 656 Aramäisch, 29, 34, 48, 49, 50, 51, 97, 243, 286, 428, 541, 602, 664, 696, 697, 739 Aramaismen, 29, 34, 48, 760 Aramäch, 53 Aretalogie, 66 Ärgernis, 290, 426, 431 Argumentativer Diskurs, 71 Armut, 281, 450, 498, 544, 545, 599, 602, 611 Arzt, 278, 281, 282 Assonanz, 45 Astronomie, 596 Asyndeton, 29, 336, 447 Atheismus, 342, 530, 753 auctor seditionis, 672 Auferstehung, 37, 52, 56, 72, 75, 76, 79, 80, 83, 97, 98, 156, 197, 211, 233, 269, 308, 349, 375, 380, 383, 390, 392, 398, 404, 406, 407, 410, 411, 412, 426, 429, 480, 483, 522, 527, 528, 529, 530, 532, 541, 546, 547, 549, 553, 560, 567, 589, 590, 591, 595, 621, 623, 625, 629, 633, 634, 639, 645, 652, 658, 659, 680, 683, 685, 708, 709, 710, 712, 713, 714, 716, 718, 719, 720, 724, 739, 750, 758 Auferstehungsgewissheit, 467

Auferstehungsleib, 499 Auferstehungsvoraussage, 70, 161, 379, 382, 390, 423, 426, 427, 431, 763 Auferstehungszeugnis, 718 Auferweckung, 102, 280, 286, 308, 391, 578, 709, 713, 719 Aufklärung, 65, 111, 113, 157, 159 Aufnehmen, 56, 164, 242, 249, 252, 274, 434, 436, 479 Aufrührer, 691, 692 Aufstand, 647, 671 Augenzeuge, 27, 37, 40, 53, 230, 271, 272, 277, 286, 325, 355, 474, 628, 638, 645, 662, 702, 707, 714 Augenzeugenbericht, 266, 281, 416, 623, 638, 688, 705, 713 Auserwählte, 569, 574, 578 Ausgangsebene, 116, 237, 239, 247, 511, 514, 516, 584 Auslegungsgeschichte, 111, 557 Auslieferung, 182, 428, 462, 611, 632, 633, 637, 666, 683 Ausnahmeklauseln, 426 Aussätzige, 160, 178, 179, 277 Aussendung, 51, 53, 69, 70, 184, 209, 214, 227, 263, 265, 296, 297, 299, 300, 301, 302, 416, 565 Aussendung der Jünger, 296 Austreibungsbefehl, 273 Authentizit, 513 Authentizität, 33, 36, 54, 112, 173, 188, 198, 200, 228, 241, 242, 246, 360, 471, 485, 486, 487, 511, 512, 513, 553, 554, 556, 592, 628, 657, 709, 714 Autonomie, 113, 146, 158, 181, 212, 274, 327, 332, 333, 335, 342, 367, 376, 377, 393, 423, 449, 457, 478, 479, 684, 718, 720 Autonomiepostulat, 157, 719 Autonomiestreben, 249 Autonomiesünde, 640 Autoritätsanspruch, 46, 187, 332 Autoritätsanspruch, 171 Barmherzigkeit, 92, 134, 177, 179, 187, 192, 197, 206, 207, 210, 278, 294,

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297, 322, 327, 345, 353, 358, 371, 375, 454, 475, 583 Basis-Bericht, 52, 175, 215, 297 Bauleute, 95, 507, 511, 514, 519 Befehlsgewalt, 273 Beispielerzählung, 451 Bekenntnis, 56, 91, 93, 171, 210, 281, 283, 307, 332, 371, 386, 388, 393, 396, 398, 614, 616, 684, 686, 694, 747 Bereitschaft, 156, 177, 211, 235, 262, 291, 292, 294, 345, 393, 426, 506 Berufung, 69, 102, 130, 144, 160, 161, 164, 166, 167, 177, 183, 184, 189, 190, 207, 209, 211, 213, 214, 226, 277, 297, 300, 349, 380, 389, 523, 612 Berührung, 239, 279, 282 Beschwichtigungsaussage, 323 Besitz, 172, 262, 278, 345, 397, 450, 455, 456, 460, 478, 514, 525, 529, 542, 544, 545, 548, 584 Besteuerung, 191 Besteuerungsrechte, 191 Betäubungsmittel, 689, 697 Betrübnis, 206, 313, 456 Betrug, 336, 340 Bettelteppich, 476 Beweismaterial, 645, 651 Bildebene, 116, 236, 237, 239, 245, 247, 511 Bildhälfte, 116, 236, 237, 239, 245, 247, 511, 512, 513, 516, 517, 518, 584 Bildsprache, 338, 352, 353 Bildwort, 194, 199, 257, 428, 431, 512 Biographische Notiz, 221, 482, 493, 502 Biographischer Bericht, 288 Biographische Reminiszenz, 72 Bios, 36, 52, 53, 65, 66, 67, 68, 72 Bittgespräch, 465 Blindheit, 91, 348, 354, 358, 370, 371, 372, 374, 375, 477, 509 Blut des Bundes, 590, 612, 613, 615, 621 Blutfluss, 264, 278, 279, 281, 283, 286, 294, 325

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Bosheit, 336, 340, 366, 376 Botensendung, 590, 608 Bräutigam, 194, 198 Buddha, 434 Bundesgott, 532, 533, 535 Bundesnomismus, 196 Bundesstiftung, 531 Bundesterminologie, 617 Bundestreue, 196, 531, 532, 533, 614, 615 Bundesvolk, 158, 326, 375 Buße, 130, 133, 139, 143, 151, 153, 155, 195, 197, 198, 224, 239, 296, 299, 301, 303, 308, 310, 413, 554 captatio benevolentiae, 523 causa poenae, 691 census, 523 Charakter, 23, 65, 66, 67, 180, 263, 292, 327, 432, 440, 456, 512, 513, 550, 551, 622 Chiasmus, 45, 200, 221, 369, 560 Chrie, 66, 173, 176, 184, 185, 221, 288, 330, 363, 366, 431, 440, 508, 522, 528, 533, 538, 543, 550, 600 Chrienreihe, 185, 363, 366, 431, 440, 508, 522, 528, 533, 538, 543, 550, 600 Christologie, 18, 76, 80, 86, 88, 94, 114, 125, 126, 266, 306, 308, 382, 386, 538, 554, 642, 654, 657, 744, 750, 751, 752, 754, 756, 758, 762, 766 Christus, 77, 136, 142, 151, 152, 157, 234, 345, 376, 388, 393, 427, 428, 430, 461, 462, 479, 554, 568, 573, 606, 607, 679, 684, 687, 693, 718, 745, 750, 753, 755, 757, 759, 761, 763, 765 Christusabhängigkeit, 56 Dämonen, 77, 102, 123, 170, 171, 172, 175, 176, 177, 179, 180, 197, 210, 211, 215, 217, 220, 222, 223, 264, 265, 272, 273, 274, 276, 277, 278, 293, 299, 300, 318, 326, 327, 355, 389, 417, 420, 430, 431, 434, 529, 701, 718, 737

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Das Evangelium des Markus

Dämonenaustreibung, 75, 167, 168, 171, 226, 249, 268, 271, 278, 293, 356, 414, 415, 416, 419 Dankgebet, 319 Davidische Messiaserwartung, 381, 484, 486 Davidischer Messias, 347 Dekalog, 334, 651 Dekapolis, 57, 69, 119, 120, 121, 122, 123, 210, 271, 272, 274, 275, 277, 278, 293, 353, 356, 358, 362, 440 Demokratie, 344 Demut, 132, 353, 432, 434, 438, 465, 469, 470, 473, 478, 479, 547, 640, 766 Denar, 315, 318, 319, 522, 523, 524, 599, 602 Dialog, 45, 46, 58, 168, 350, 357, 365, 382, 415, 426, 431, 440, 451, 453, 534, 537, 623 Diaspora, 29, 49, 192, 496, 499, 558 Diebstahl, 336, 340 Diener, 30, 430, 431, 433, 465, 467, 470, 510, 513, 516, 517, 555, 567, 608, 633, 635, 636, 654, 661, 663, 682, 705 Dienst, 10, 30, 43, 102, 146, 149, 160, 163, 167, 175, 176, 219, 223, 338, 380, 431, 433, 443, 465, 470, 509, 584, 603 divi filius, 575 dominus, 575, 576 dominus et deus, 575 Doppelgebot, 480, 533, 537, 538, 546, 753 Dreieinigkeit, 147, 684 Dublette, 315, 358 Eckstein, 474, 476, 511, 519, 746 Egoismus, 208, 335, 342, 345, 393 Ehe, 181, 309, 311, 345, 426, 439, 440, 442, 444, 445, 446, 451, 527, 530, 531, 547, 567 Ehebruch, 336, 340, 437, 439, 444, 446 Ehescheidung, 237, 260, 309, 426, 439, 441, 442, 443, 444, 445, 453, 478, 620

Ehre, 95, 96, 100, 126, 144, 257, 288, 329, 334, 377, 398, 424, 430, 466, 467, 469, 657, 658, 659, 674, 683, 704, 718 Ehrenplatz, 465, 466, 469, 478, 542 Ehrerbietung, 144, 334, 451, 452 Ehrfurcht, 84, 157, 298 Ehrgeiz, 367, 469, 476, 477 Eid, 304, 312 Eigenbestimmung, 262, 394, 396, 397 Eigene Gerechtigkeit, 367 Eigeninteresse, 367, 376 Eigenleistung, 453 Einbalsamieren, 705, 708, 709, 710 Eingehen ins Gottesreich, 451 Einprägen, 46 Einsamkeit, 322, 417, 632 Einsetzung, 60, 69, 184, 209, 213, 214, 215, 297, 300, 490, 496, 519, 549, 590, 613 Einzugserzählung, 485 Elia, 94 Elia-Typos, 412 Endereignisse, 562, 577, 579, 580, 582 Endgericht, 165, 166, 412, 413, 561, 684 Entfremdung, 153, 181, 189, 212, 228, 262, 332, 342, 367, 377, 392, 408, 423, 473, 640, 684 Entrüstung, 317, 469, 659 Entsetzen, 712, 716, 719 Entstehungsverhältnisse, 36, 45, 47, 156, 275, 379, 664 Epideixis, 474 Epikuräer, 529 Epilepsie, 172, 417 Episodische Herrenworte, 483 Episodische Kontroverse, 190, 194, 200, 205, 330, 348, 363, 415, 483, 507, 511, 528 Episodische Unterweisung, 440 Erbnachfolge, 514 Erdbeben, 552, 561, 563, 580, 586, 708 Erfahrungsautonomie, 65, 157 Erhabenheit, 101, 148, 385, 388, 405, 406, 409, 411, 473, 535 Erhöhter Menschensohn, 381 Erlebnisautonomie, 181

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2. Register

Erlösung, 103, 135, 224, 234, 261, 367, 443, 531, 693 Ermutigung, 283, 400, 406, 550, 551, 586 Erniedrigte Menschensohn, 381 Erniedrigung, 68, 88, 98, 99, 150, 162, 215, 299, 384, 385, 386, 388, 392, 406, 411, 423, 431, 684, 693, 762 Erntezeit, 510, 516 Erstaunen, 172, 189, 267, 270, 286, 288, 501, 583, 675, 703, 708, 715 Erwählung, 300 Erweiterte Chrie, 184, 431, 440 Erweiterte Simile, 115, 116 Erzählstil, 75, 300, 623 Erzählstoff, 37 Erzählweise, 129, 358, 374 Eschatologischer Ausblick, 60, 66, 330, 484, 543, 550, 557, 617, 639, 740 Eschatologische Wegbereitung, 412 Eschatologische Wehen, 550, 561, 563, 585, 586 Ethische Wertmaßstäbe, 344 Evangelienharmonien, 112 Evangelisation, 327, 562, 568, 766 Evangelium, 21, 29, 35, 36, 37, 40, 52, 56, 58, 59, 61, 64, 65, 67, 68, 113, 128, 129, 134, 136, 140, 156, 348, 565, 575, 600, 603, 605, 612, 620, 637, 722, 734, 735, 736, 745, 748, 751, 754, 763, 764, 766 Ewiges Leben, 197, 234, 261, 396, 398, 399, 437, 450, 452, 453, 455, 456, 457, 458, 459, 460, 478, 529 Exodusmotiv, 317 Exorzismus, 300 Familienkreis, 277, 291 Familienzugehörigkeit, 225, 290 Fangfrage, 280, 441, 481, 507, 523, 534, 605 Fasten, 69, 184, 194, 195, 197, 199, 201, 203, 211, 212, 225 Feigenbaum, 484, 492, 493, 494, 501, 502, 503, 506, 516, 546, 552, 562, 579 Felsengrab, 707 Felsenwort, 27

522, 198, 495, 547,

781

Fernheilungswunder, 350 Fest der Ungesäuerten Brote, 592, 597 Festpilger, 440, 463, 490 Feuertaufe, 129 Finsternis, 224, 695, 711 flagellum, 679 Fluch, 495, 552, 658, 661, 664 Formkritik, 47, 48, 64, 65, 114, 116, 759 Frauen, 173, 226, 311, 442, 445, 449, 598, 601, 608, 672, 689, 694, 698, 700, 701, 702, 703, 704, 705, 709, 710, 711, 712, 713, 714, 715, 716, 717, 718, 719, 747 Freigabe eines Gefangenen, 665, 676 Freispruch, 675 Freundlichkeit, 345 Friede, 283, 344, 496 Frieden, 192, 279, 431, 432, 438, 614 Friedensbringer, 278 Friedenssegen, 282 Frucht, 117, 234, 236, 239, 240, 245, 247, 251, 252, 255, 257, 262, 263, 345, 358, 470, 492, 494, 495, 500, 507, 513, 516, 524, 546, 547, 548, 612, 617, 677, 764 Fruchttragen, 240, 252, 257, 262, 263, 481, 503, 504, 513 Furcht, 208, 265, 266, 267, 269, 270, 271, 276, 281, 283, 284, 293, 298, 313, 327, 344, 403, 408, 426, 461, 463, 586, 623, 637, 638, 663, 708, 709, 712, 716, 719 Gastfreundschaft, 435 Gebet, 27, 94, 176, 177, 197, 212, 267, 315, 316, 322, 380, 415, 417, 419, 420, 424, 481, 482, 494, 496, 500, 502, 503, 504, 505, 506, 513, 524, 544, 546, 547, 548, 590, 614, 623, 627, 628, 631, 632, 633, 696 Gebot, 179, 202, 206, 329, 333, 334, 439, 453, 455, 533, 534, 535, 566, 682, 703 Geburtswehen, 383 Gedächtnisprozess, 45 Gegner des Täufers, 152

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782

Das Evangelium des Markus

Gegner Jesu, 56, 72, 95, 183, 184, 186, 187, 188, 192, 193, 206, 207, 214, 222, 224, 244, 260, 263, 293, 298, 308, 328, 330, 332, 334, 338, 339, 341, 342, 348, 353, 357, 365, 369, 371, 374, 375, 376, 377, 386, 390, 416, 421, 441, 442, 460, 466, 481, 483, 484, 498, 501, 506, 507, 509, 514, 515, 523, 524, 526, 534, 542, 547, 587, 588, 593, 598, 600, 605, 634, 638, 639, 668, 677, 682, 683, 685, 692, 717 Geheimnismotiv, 78, 80, 280 Geißelung, 591, 641, 643, 666, 679, 680, 696 Geldopfer, 499 Geldwechsler, 497, 499 Gelöbnis der Abstinenz, 620 Geltung, 352, 433 Gemeinschaft, 45, 56, 82, 88, 102, 104, 165, 167, 177, 181, 192, 214, 215, 225, 226, 227, 228, 230, 282, 326, 327, 371, 377, 396, 429, 434, 460, 471, 567, 568, 590, 601, 603, 617, 618, 623, 625, 720 Genealogie, 539 Generation, 364, 398, 553, 557, 581, 582 genius, 575 Genre, 33, 36, 40, 52, 53, 64, 65, 66, 67, 68, 72, 521, 765, 766 Genügsamkeit, 345 Geographische Notizen, 35, 119, 210, 217, 348, 351, 354 Gerechtigkeit Gottes, 452, 454 Gericht, 115, 134, 140, 147, 155, 157, 165, 166, 171, 177, 181, 190, 237, 243, 244, 257, 260, 303, 366, 394, 396, 399, 463, 467, 468, 483, 494, 502, 511, 517, 519, 546, 564, 565, 571, 578, 581, 599, 602, 610, 612, 615, 618, 621, 625, 628, 629, 630, 635, 639, 670, 684, 695, 697, 714, 717 Gerichtsgleichnis, 513 Gerichtskelch, 467, 629, 632, 695, 718 Gerichtsleiden, 467, 468 Gerichtsmetapher, 467

Gerichtsstunde, 629, 632 Gerichtstaufe, 467 Gerichtsurteil, 635 Gerücht des Diebstahls, 713 Gesalbter Gottes, 387 Geschichtsphilosophie, 64, 65, 113, 159 Geschichtstreue, 90 Geschick der Propheten, 519 Geschlecht, 362, 364, 382, 397, 398, 414, 417, 552, 579, 581, 583 Geschlechtsverkehr, 340, 444, 445 Gesetz, 43, 94, 161, 175, 180, 197, 203, 234, 275, 276, 277, 309, 331, 332, 334, 337, 340, 341, 343, 366, 405, 408, 423, 442, 445, 448, 453, 454, 495, 504, 522, 523, 644, 651, 667, 672, 682, 687, 690, 704, 716, 764 Gesetzestreue, 155, 196, 455, 478, 483, 533 Gespenst, 323 Gethsemane, 27, 487, 587, 588, 590, 591, 597, 623, 626, 627, 628, 630, 632, 633, 635, 638, 642, 757, 758, 761 Gewaltlosigkeit, 637, 639 Gewaltsames Geschick, 291 Gewinnsucht, 397 Gewissheit, 208, 233, 257, 283, 505, 554, 586, 617, 629 Glaube, 9, 10, 50, 68, 79, 125, 151, 153, 156, 157, 172, 185, 186, 189, 226, 227, 234, 241, 242, 243, 252, 265, 266, 269, 270, 276, 279, 283, 284, 287, 288, 291, 292, 294, 299, 324, 380, 415, 418, 419, 420, 424, 426, 427, 434, 436, 464, 474, 475, 476, 477, 479, 480, 482, 494, 499, 502, 503, 504, 506, 507, 513, 524, 537, 548, 567, 569, 576, 614, 617, 631, 637, 697, 709, 718, 720, 725, 738, 757, 758, 761, 763 Glaubensmotiv, 280 Gleichnis, 76, 95, 116, 156, 229, 230, 231, 234, 235, 236, 237, 239, 240, 244, 245, 246, 247, 252, 253, 254, 256, 258, 262, 263, 336, 338, 480, 483, 507, 510, 511, 512, 513, 514,

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2. Register

515, 516, 517, 518, 519, 521, 546, 547, 549, 553, 579, 584, 691, 737, 740, 750, 754, 762 Gleichniserzählung, 116, 511, 512, 514 Gleichnishandlung, 482, 493, 502 Gleichnislehrer, 166 Gleichnisrede, 115, 230, 231, 239, 241, 242, 244, 259, 260 Gleichnisse, 69, 75, 115, 117, 199, 229, 230, 231, 234, 236, 237, 238, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 247, 253, 255, 256, 258, 259, 263, 485, 511, 512, 514, 515, 619, 740, 747, 748, 750, 753 Gnade, 103, 158, 193, 196, 244, 345, 395, 464, 578, 640, 664, 719 Gnade Gottes, 158, 196, 464, 578 Gnostizismus, 275 Gottergebenheit, 333 Gottesabhängigkeit, 103, 199, 478 Gottesdienst, 492, 494, 503, 506, 507, 545, 605, 682 Gottesferne, 242, 262, 318, 335, 341, 500, 584, 628, 629, 696 Gottesfrage, 417, 683 Gottesgericht, 102, 633, 639 Gottesherrschaft, 70, 130, 155, 203, 233, 242, 247, 248, 251, 252, 254, 257, 258, 301, 382, 463, 618, 757 Gottesknecht, 428 Gottesknechtlieder, 87, 387 Gotteslästerung, 95, 99, 125, 183, 187, 207, 211, 220, 222, 224, 228, 383, 389, 498, 539, 553, 565, 588, 636, 643, 644, 654, 658, 659, 660, 665, 666, 674, 682, 683, 693, 716 Gottessohn, 95, 233, 556, 684, 747 Gottesverlassenheit, 149, 269, 343, 695 Göttliche Erkennungsformel, 531, 532 Göttliche Natur Jesu, 403, 405 Gottverlassenheit, 630, 686, 717 Grab, 70, 304, 344, 591, 598, 601, 685, 689, 702, 706, 707, 708, 709, 711, 713, 717, 754 Grabeskirche, 707 Grabhöhle, 272, 702, 706, 708, 715 Grablegung, 298, 313, 589, 591, 597, 599, 600, 601, 603, 638, 643, 680,

783

685, 689, 702, 703, 704, 705, 706, 707, 710, 714 Graecismen, 29 Gräuel der Verwüstung, 61, 569, 570, 571, 574 Griechische Sprache, 49, 50, 275 Großevangelien, 111, 112, 113, 129 Grundschule, 43 Grundschullehrer, 43 Habgier, 336, 340, 397 Haftbefehl, 636 Haggadabecher, 610 Hagigah, 593, 594 Halakha, 187, 331 Halbbrüder, 225, 567 Hallalkelch, 610 Hallel, 43, 491, 610, 622, 629 Hallel Psalmen, 491 Handauflegung, 280, 374, 449, 477 Handelsstrassen, 274 Handwerker, 290 Hartherzigkeit, 193, 204, 206, 230, 239, 243, 244, 245, 259, 260, 294, 298, 309, 319, 321, 324, 327, 328, 329, 347, 355, 360, 364, 368, 369, 375, 380, 383, 384, 407, 420, 429, 439, 442, 445, 478, 513, 516, 605, 611, 612, 640 Hauptanklage, 125, 588, 674, 681 Hauptgebot, 534, 536 Haushund, 350, 352, 353 Haustafeln, 440, 446, 451 Hebraismen, 34, 48 Hegemonie, 274 Heidenchristen, 34 Heidenmission, 34, 124 Heildemonstration, 282 Heilerfolg, 282 Heiliger Geist, 52, 129, 132, 144, 145, 148, 155, 199, 212, 213, 220, 222, 224, 225, 227, 228, 263, 273, 292, 293, 303, 326, 327, 342, 344, 351, 377, 416, 424, 438, 478, 538, 540, 554, 564, 565, 683, 720, 755 Heilkraft, 217, 283, 292, 317, 355 Heilsgemeinschaft, 617

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Das Evangelium des Markus

Heilsgeschichte, 64, 113, 114, 143, 159, 232, 342, 420, 443, 512, 516, 554, 556, 562, 565, 610, 738 Heilungsbefugnis, 290 Heilungsgeschichte, 178, 279 Hellenisierung, 49, 274, 275, 276 Hellenismus, 13, 50, 113, 274, 275, 276, 301, 452, 616, 618, 751 Hellenistische Märtyrergeschichten, 305 Hellenistische Reform, 276 Hellenistische Städte, 275 Hermeneutische Grundsatzfrage, 536 Herodes Antipas, 50, 121, 133, 190, 207, 208, 272, 275, 298, 304, 306, 307, 308, 309, 310, 312, 326, 366, 367, 368, 441, 522, 523, 534, 674 Herodianer, 50, 207, 208, 297, 369, 441, 507, 521, 523 Herr, 33, 35, 56, 77, 80, 83, 84, 92, 95, 96, 97, 98, 99, 101, 102, 125, 126, 132, 136, 138, 139, 140, 148, 154, 155, 165, 172, 182, 200, 203, 223, 227, 231, 232, 270, 271, 277, 278, 350, 353, 387, 429, 480, 481, 483, 484, 485, 488, 489, 490, 491, 504, 507, 511, 518, 520, 533, 534, 535, 538, 539, 540, 541, 546, 548, 555, 557, 567, 569, 575, 576, 583, 601, 605, 608, 612, 617, 619, 621, 622, 624, 656, 657, 659, 668, 683, 695 Herrlichkeit., 464, 577 Herrschaftswechsel, 395 Herrschender Messias, 383 Herzenshaltung, 254, 297, 335, 336, 364, 365, 366, 369, 372, 376 Heuchelei, 335 Heuchler, 197, 326, 329, 332, 366, 545 Heuristisches Mittel, 297, 371 Hingabe, 224, 438, 455, 478, 544, 589, 600, 601, 604, 640 Hirte, 77, 88, 134, 140, 276, 277, 314, 317, 318, 622, 623, 624, 625 Hirtenbild, 318 Historisches Zeugnis, 68 Historisch-kritische Hermeneutik, 113 Historizität, 99, 125, 133, 173, 245, 246, 266, 280, 305, 474, 485, 493,

497, 499, 508, 515, 522, 539, 553, 591, 592, 613, 623, 628, 634, 644, 645, 662, 666, 667, 672, 676, 686, 703, 709, 710, 713 Hochverrat, 678, 704 Hoheit, 68, 88, 98, 101, 406 Hoheitsanspruch, 203, 323, 657, 658 Hohenpriester, 381, 461, 496, 604, 646, 649 Hohn, 291, 681, 697 Hölle, 430, 437 Homoioteleuton, 132 Hören, 46, 158, 159, 180, 182, 230, 231, 236, 237, 240, 241, 243, 244, 245, 248, 251, 253, 254, 271, 284, 297, 299, 303, 310, 327, 336, 348, 354, 360, 368, 371, 372, 375, 495, 547, 605, 652, 698, 717 Hungersnot, 351, 552, 561, 563, 586 Hyperbel, 239, 397, 457, 459, 512, 513 imitatio Christi, 215, 423 Immanenz, 719 inclusio, 68, 132, 225, 237, 293, 305, 330, 348, 354, 371, 431, 448, 477, 482, 493, 502, 551, 563, 700 indulgentia, 672, 676, 679, 765 Innerer Vorhang, 699 Innerjüdische Kritik, 543 Intention des Gesetzes, 203, 205 Interpretationsrahmen, 429 Interpretationsschule, 112 Ironie, 210, 352, 360, 364, 420, 518, 534, 543, 692 Islam, 396 ius gladii, 648, 660, 668, 671 Jesu Reisen, 119, 354 Jesustradition, 53, 54 Jüdische Märtyrergeschichten, 305 Jüdischer Krieg, 197, 496, 500, 572 Jünger, 27, 31, 41, 45, 46, 91, 102, 164, 192, 194, 209, 211, 214, 215, 226, 231, 252, 261, 263, 269, 294, 297, 298, 316, 319, 326, 331, 336, 356, 359, 360, 368, 369, 371, 374, 381, 395, 415, 416, 419, 421, 423, 426, 433, 434, 440, 460, 463, 465, 468,

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2. Register

473, 478, 488, 560, 585, 601, 604, 607, 623, 625, 630, 632, 634, 638, 665, 715, 719, 744 Jungfrauengeburt, 290, 291 Kaiseranbetung, 191, 469, 523, 574, 575, 576 Kantillieren, 44 Kapitalgerichtsbarkeit, 207, 644, 647, 648, 757 Kapitalverbrechen, 202, 644, 647, 652, 660, 670, 671 Kasuistische Hamartologie, 189, 366 Katechese, 30, 37, 56 Kelch, 182, 233, 465, 467, 468, 470, 473, 479, 592, 610, 612, 613, 614, 615, 627, 628, 629, 630, 632, 638, 639, 753 Kernabsicht Jesu, 168 Kidduschbecher, 610 Kind, 66, 123, 185, 187, 279, 285, 430, 431, 433, 446, 448, 536, 561, 565, 767 Kindersegnung, 446, 449, 750 Knecht Jahwes, 83, 86, 87, 88, 98, 99, 101, 134, 199, 387, 390, 429, 471, 619, 633, 756 Knechtschaft, 302, 360, 375, 491 Kognitionsverfahren, 667 Kommender Äon, 561 König, 82, 89, 93, 187, 274, 304, 307, 313, 402, 466, 487, 492, 495, 548, 619, 638, 665, 666, 674, 675, 677, 680, 681, 682, 687, 691, 693 Königreich, 561, 563 Königreich Gottes, 90, 100, 115, 117, 130, 151, 153, 154, 155, 157, 170, 171, 172, 177, 180, 186, 194, 210, 220, 223, 231, 232, 233, 234, 235, 240, 241, 247, 249, 252, 254, 255, 256, 257, 259, 260, 261, 263, 293, 294, 303, 317, 350, 351, 354, 375, 382, 389, 392, 400, 402, 421, 426, 428, 431, 437, 440, 441, 446, 447, 448, 449, 450, 451, 453, 456, 457, 458, 459, 466, 467, 469, 471, 472, 478, 479, 485, 487, 491, 499, 525, 533, 534, 537, 552, 557, 566, 567,

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568, 578, 588, 603, 612, 617, 618, 619, 621, 622, 657, 674, 702, 704, 713, 720 Königreichverkündigung, 34, 123, 246 Königspsalmen, 93 Kontrastgesellschaft, 469 Koran, 228 Korban, 329, 330, 331, 333, 334, 335, 747 Korrelationspostulat, 719 Kräuteröle, 705, 710 Kreuz, 211, 382, 393, 423, 438, 619, 633, 638, 640, 682, 686, 688, 689, 691, 692, 693, 696, 698, 705, 706, 717, 758, 762 Kreuzestod, 52, 67, 86, 88, 189, 341, 717, 718, 745 Kreuzigung, 55, 70, 72, 126, 344, 378, 379, 394, 567, 587, 589, 591, 593, 595, 597, 642, 643, 666, 678, 679, 680, 685, 686, 687, 688, 689, 690, 691, 692, 698, 702, 705, 713, 714, 716, 717, 718 Kreuztragen, 393 Krieg, 552, 563, 580, 584, 586 Krisis, 60, 92, 233, 380, 383, 538, 620, 638, 640, 643, 747 Kultische Reinheit, 202, 328, 333, 441, 718 Kultische Unreinheit, 178, 192, 274, 281, 282, 283 Kultstatue, 496 Lamm Gottes, 133, 134 Lasterkatalog, 336 Lästerung, 336, 340, 341 Latinismen, 34, 57 latro, 672 Laubhüttenfest, 490, 494, 495 laudatio, 523 Läuterung, 438, 467, 468, 470, 473, 624 Läuterungsprozess, 468 Lebensgemeinschaft, 45 Lebensnachfolger, 300 Lebenssicherung, 301 Lebensunterhalt, 43, 301, 543, 546

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Das Evangelium des Markus

Leeres Grab, 591, 680, 702, 709, 711, 712, 713, 714, 716 Lehrdienst, 292 Lehre, 18, 32, 33, 41, 47, 50, 52, 56, 69, 70, 75, 90, 102, 129, 136, 153, 154, 160, 161, 166, 167, 170, 172, 180, 181, 183, 198, 199, 217, 224, 225, 231, 232, 233, 234, 235, 255, 260, 261, 262, 263, 265, 269, 274, 289, 293, 294, 300, 316, 317, 318, 326, 329, 331, 333, 364, 387, 389, 392, 406, 416, 418, 420, 421, 431, 432, 483, 492, 497, 501, 508, 510, 512, 528, 530, 534, 536, 542, 546, 562, 605, 617, 618, 628, 638, 640, 718 Lehrer, 29, 38, 42, 43, 44, 45, 47, 53, 75, 77, 82, 163, 172, 195, 226, 259, 266, 268, 279, 284, 290, 414, 417, 430, 450, 451, 454, 464, 466, 501, 521, 523, 527, 533, 536, 551, 556, 558, 607, 608, 619, 621, 630, 633, 635, 719, 759, 767 Lehrerzählung, 336 Lehrinhalt, 43, 51 Lehrinhalte, 164, 301, 326 Lehrmeinungsdialog, 483, 533 Lehrmethode, 44, 432 Lehrmilieu, 42 Leichnam, 304, 603, 702, 704, 705, 706, 707, 710, 712 Leidender Gerechte, 152, 428, 637, 643, 655, 675, 678 Leidender Gottesknecht, 57, 93, 387 Leidender Menschensohn, 99 Leidender Messias, 383, 429 Leidender Prophet, 364, 398, 581 Leiden des Gerechten, 99, 152, 309, 387, 389, 390, 412, 462, 599, 651 Leidensgeschick der Propheten, 99 Leidensnachfolge, 56, 294, 298, 327, 377, 379, 380, 420, 421, 427, 460, 549, 586 Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 69 Leidensvoraussage, 55, 70, 90, 97, 161, 233, 378, 379, 380, 382, 383, 392, 407, 419, 420, 423, 425, 426, 427, 428, 431, 433, 451, 461, 462, 463,

465, 467, 477, 478, 479, 537, 538, 541, 553, 588, 590, 591, 601, 629, 634, 639, 697, 737, 747, 760, 763, 765, 767 Leidensweg, 379, 384, 388, 389, 403, 410, 413, 461, 476, 477, 639, 640 Leinentuch, 702, 706 Lerngemeinschaft, 164 lex Iulia maiestatis, 678 Liebe, 181, 197, 345, 395, 433, 443, 453, 454, 506, 535, 537, 547, 622, 636, 684, 718, 753 Literalsinn, 111, 112, 113 Litotes, 537 Liturgie, 43 Lobgesang, 182, 612 Los, 433, 690 Lösegeld, 465, 471, 619 Loskauf, 471, 472, 612, 750 Macht, 33, 96, 100, 101, 140, 158, 167, 171, 172, 179, 197, 207, 210, 217, 223, 228, 232, 234, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 273, 274, 276, 287, 293, 294, 297, 306, 311, 322, 324, 326, 327, 344, 367, 386, 392, 397, 398, 400, 407, 410, 411, 412, 413, 418, 419, 424, 430, 433, 449, 465, 466, 469, 470, 478, 508, 509, 524, 529, 536, 541, 557, 574, 576, 583, 584, 586, 632, 647, 654, 657, 663, 670, 674, 684, 706, 717 Machtspielraum, 668, 673, 677 Machttaten, 269, 288, 289 Magie, 210, 223, 277, 281, 282, 283, 286, 292, 383 Mahnrede, 131 Mahnung, 293, 353, 431 Majestätsreservat, 469 Makkabäeraufstand, 49, 50, 122, 466, 496 Makkabäerzeit, 122, 153, 195, 275, 392, 529 Makkabäerzeit, 383 Markusschluss, 721, 722 Märtyrer, 305, 616 Märtyrerkomplex, 393 Märtyrertod, 617

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2. Register

Martyrium, 31, 467, 468, 473, 749 Masada, 43, 92, 574 Maschal, 45, 46, 115, 116, 223, 236, 245, 247, 253, 512, 521 Mäßigkeit, 345 Maxim, 433 Maxime, 64, 431 Medienfreiheit, 344 Melchizedek, 96, 97, 541, 736 Memoiren, 65 Menschenfischer, 162, 165, 166, 181, 216, 254 Menschengebote, 328, 329 Menschensatzung, 331, 338, 441 Menschensohn, 35, 57, 77, 82, 83, 92, 93, 95, 98, 99, 100, 101, 102, 125, 185, 188, 200, 203, 233, 298, 371, 372, 380, 381, 383, 387, 389, 398, 399, 400, 402, 403, 407, 411, 412, 413, 414, 423, 427, 428, 449, 461, 463, 465, 472, 473, 549, 551, 552, 553, 554, 555, 562, 576, 577, 578, 579, 580, 582, 584, 585, 609, 611, 619, 621, 627, 633, 637, 643, 654, 657, 659, 683, 739, 750, 753, 757, 758, 763, 765 Menschensohnanspruch, 99 Menschensohnterminus, 88, 98, 99, 101 Menschliche Gerechtigkeit, 454 Messianische Heilsgemeinde, 104 Messianische Identität, 56, 98 Messianischer Herr, 381 Messianischer Knecht, 83, 93, 372 Messianischer Stein, 514 Messianischer Tempel, 234 Messianisches Mahl, 82, 621 Messias, 33, 68, 77, 78, 80, 81, 82, 83, 84, 87, 88, 89, 91, 93, 95, 96, 97, 101, 132, 133, 136, 140, 158, 180, 187, 233, 261, 290, 308, 309, 348, 374, 379, 381, 383, 384, 385, 386, 387, 388, 389, 391, 392, 405, 407, 412, 413, 420, 423, 428, 429, 433, 449, 463, 466, 471, 476, 477, 483, 489, 491, 492, 513, 519, 520, 538, 539, 540, 541, 542, 546, 549, 555, 556, 563, 565, 568, 569, 578, 601,

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605, 611, 612, 614, 618, 619, 620, 621, 625, 645, 653, 655, 656, 657, 659, 661, 674, 692, 693, 715, 719, 739, 754 Messiasanspruch, 79 Messiasanwärter, 79, 80, 86, 356, 492, 552, 563, 573, 574, 661, 704 Messiasbekenntnis, 78, 358, 371, 383, 540 Messiasbekenntnis des Petrus, 370 Messiaserwartung, 57, 79, 80, 82, 86, 89, 91, 97, 126, 155, 232, 277, 383, 387, 389, 391, 407, 420, 430, 433, 466, 490, 539, 542 Messiasgeheimnis, 77, 78, 79, 90, 91, 171, 176, 179, 210, 269, 277, 412, 759, 766 Messiasgeheimnistheorie, 77, 287 Messias Gottes, 94 Messiasidentität, 80, 86, 387 Messiasprädikation, 386 Messiasverständnis, 89, 91, 98 Messiasvorstellung, 80, 82, 84, 367, 387, 388, 658, 767 Metapher, 115, 116, 123, 198, 245, 252, 338, 352, 368, 374, 467, 494, 495, 511, 512, 514, 515, 516, 519, 563, 579, 584, 628, 629, 632, 638, 639, 652, 692 Metonymie, 436, 437, 438, 457, 459, 614 Militärpolizei, 313 Mischzitat, 130, 137, 138, 344, 656 Missgunst, 336, 341 Missverständnis, 187, 334, 366, 368, 697 Mitregenten, 101, 399 Mnemotechnische Hilfsmittel, 44 Moderne, 10, 212, 376, 548 Mohammed, 178, 434, 639 Monogamie, 530 Moralische Ausbesserung, 113 Mord, 336, 340, 436, 665, 754 Mosaisches Gesetz, 506 Mose, 94 Motiv des Staunens, 170 Mündliche Überlieferung, 25, 42, 47, 58, 205, 331

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Das Evangelium des Markus

Nacherzählung, 41, 326 Nachfolge, 31, 35, 56, 68, 70, 76, 102, 104, 115, 157, 161, 162, 165, 167, 173, 180, 181, 182, 192, 215, 221, 222, 226, 227, 234, 235, 246, 257, 261, 262, 263, 293, 294, 297, 299, 301, 317, 326, 343, 375, 376, 377, 378, 380, 382, 392, 393, 406, 423, 426, 427, 431, 432, 435, 449, 451, 454, 458, 459, 465, 468, 478, 553, 566, 567, 568, 617, 625, 629, 664, 683, 702, 741, 747, 751, 763 Nachfolgeruf, 56, 102, 167, 173, 181, 208, 212, 215, 225, 233, 261, 392, 460, 684, 718 Nachfolgeunterweisung, 161, 425, 539 Nächstenliebe, 535 Nadelöhr, 450, 457 Naherwartung, 554, 556, 560, 562, 563, 565, 578, 580 Nardenöl, 599, 602 Naturgesetz, 327 Natürliche Familie, 213 Neid, 340, 341, 469, 565, 637, 665, 677, 682 Nero, 55, 393, 496, 574, 684 Neuer Äon, 233, 412, 449, 458, 459 New Perspective, 196, 746 Nimschal, 512 Nomismus, 196 Obergemach, 607 Offenbarungsdialog, 415 Offenbarungsgeschehen, 404 Öl, 299, 303, 499, 599, 601 Ölberg, 35, 484, 486, 487, 499, 504, 558, 560, 612, 622 Olympische Götter, 275 Ontologische Hamartologie, 366 Opfer, 55, 93, 143, 178, 179, 195, 197, 438, 446, 482, 485, 495, 496, 499, 505, 506, 533, 545, 555, 570, 591, 601, 602, 617, 623, 684, 692 Opferbereitschaft, 605, 616 Opferkasten, 542, 545 Opferstock, 192, 545 Opfersystem, 59, 197, 559

Opfertod, 103, 156, 541, 718 Opportunist, 211, 262, 367 Opposition, 75, 99, 198, 209, 211, 226, 246, 252, 264, 297, 376, 380, 418, 420, 467, 546 ordo publicanorum, 191 Ossuarium, 706 othonia, 705 Palästinisches Judentum, 59, 97, 99, 196, 276, 343, 392 Papiasnotiz, 22, 25, 33, 58, 59 Papyri, 13, 62, 63, 109, 514, 736 Parabel, 115, 237, 245, 518 Parabelgeheimnis, 231, 521 Parabolische Gerichtsrede, 512 Paradox, 102, 262, 396, 410, 428, 429, 460, 500, 717, 743 Paraklese, 551 Parallelismus, 45, 131, 253, 336, 396, 399, 470, 560, 629 Parallelität, 76, 155, 207, 222, 348, 357 Parallelstruktur, 349, 562 Paränese, 550, 551, 553 Paronomasie, 44, 428 Parusie, 252, 398, 402, 407, 408, 413, 549, 552, 553, 554, 556, 562, 563, 565, 567, 573, 576, 577, 578, 580, 581, 583, 584, 585, 602, 625, 631 Passahamnestie, 595, 672, 673, 676 Passahfest, 156, 440, 475, 491, 495, 579, 592, 594, 596, 597, 598, 599, 602, 610, 614, 618, 622, 625, 644, 648, 667, 671, 673, 676 Passahlamm, 592, 593, 597 Passahliturgie, 519, 522 Passahmahlerzählung, 589 Passahopfer, 593 Passamahl, 27, 614 passio iusti, 90, 99, 152, 309, 387, 389, 390, 391, 412, 462, 599, 602, 611, 637, 646, 651, 655, 675, 696, 711 Passion, 425 Passionsgeschichte, 39, 103, 152, 305, 379, 389, 427, 481, 549, 550, 587, 588, 589, 591, 597, 598, 604, 607, 609, 627, 634, 642, 645, 646, 652,

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2. Register

680, 687, 691, 694, 700, 703, 708, 758, 761, 763 Passionstheologie, 90 passivum divinum, 188, 224, 289, 428, 565 pater familias, 609, 610, 614, 617, 621 patibulum, 688, 689 pax, 524 peroratio, 66, 550 Personalkontinuität, 45, 47, 48, 713 Petrus, 94 Petrusbekenntnis, 70, 188, 378, 379, 380, 386 Pharisäer, 168, 194, 195, 196, 197, 198, 200, 202, 205, 207, 213, 280, 289, 297, 308, 329, 331, 332, 341, 347, 348, 349, 362, 363, 364, 365, 366, 367, 368, 369, 376, 390, 439, 441, 442, 480, 507, 521, 522, 523, 528, 529, 530, 531, 534, 745, 755 Pilatus, 34, 92, 192, 310, 313, 367, 462, 498, 574, 591, 597, 641, 642, 643, 658, 660, 665, 666, 667, 668, 670, 671, 673, 674, 675, 676, 677, 678, 679, 680, 681, 682, 684, 690, 691, 702, 703, 704, 705, 708, 717 Pilgerweg, 475 plot, 71 Pluralismus, 157 Politische Macht, 466 Polygamie, 309, 442, 446, 530 pondus peccati, 392 pontifex maximus, 524, 575 Popularität, 47, 75, 99, 177, 237, 277, 305, 310, 325, 356, 435, 466, 481, 520, 542, 547, 599, 605 portitor, 191 Positivismus, 548 Postmoderne, 65, 157, 212, 343, 376, 548 potestas gladii, 644 Prädestination, 529, 551, 569, 573, 577, 582, 585 Präexistent, 94, 95 Präfekt, 191, 307, 313, 463, 529, 599, 644, 660, 666, 668, 672, 675, 676, 704, 706

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Prägung, 56, 84, 165, 215, 227, 275, 326, 327, 368, 372, 406, 420, 626 Prägungsinitiative, 45 Prätorium, 671, 680, 681 Priesterlicher Messias, 82 Prokonsul, 191 Prokurator, 191, 647, 668 Prophetennachfolger, 163 Prophetische Gerichtsrede, 244, 260 Prophet wie Mose, 330, 507 Prophet-wie-Mose, 87, 308, 317, 386, 429 Proselyten, 50 Proselytentaufe, 142 proskynēsis, 575, 681 Prozess, 41, 45, 49, 52, 95, 112, 255, 438, 641, 642, 645, 649, 666, 668, 670, 671, 740, 754, 759 Prüfung, 353, 631, 638 Purpurmantel, 680, 681, 686 Quaste, 325 Qumrangemeinschaft, 63, 82, 133, 139, 155, 496, 608 R, 35 Rabbi, 42, 45, 77, 197, 202, 206, 290, 332, 352, 403, 413, 451, 488, 498, 503, 532, 533, 538, 544, 563, 635, 659, 743 Rabbinische Gleichnisse, 115 Rabbinisches Gesprächsmuster, 336, 440 Rang, 430, 433, 536, 668 Rationalismus, 113 Räuber, 500, 633, 636, 692 Räuberhöhle, 497, 500 Realized eschatology, 252 Rechtfertigung, 56, 61, 102, 233, 395, 520, 553, 638, 639, 696 Rechtsgelehrte, 649 Redaktionsgeschichte, 114, 745, 756 Rede, 29, 31, 45, 60, 66, 75, 88, 165, 190, 196, 224, 238, 239, 253, 268, 270, 300, 308, 317, 327, 345, 383, 400, 412, 416, 456, 480, 531, 542, 551, 553, 554, 556, 557, 597, 653, 663, 691, 705, 739

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Das Evangelium des Markus

Reich, 232, 431, 437, 446, 447, 448, 459, 499, 555, 618, 761, 767 Reichtum, 250, 426, 440, 449, 450, 451, 454, 456, 457, 478 Reinheit, 297, 328, 332, 333, 338, 339, 341, 347, 374, 457 Reinheit des Herzens, 328 Reinheitsgebot, 195, 338, 529 Reinheitsvorschrift, 331 Reinigung, 83, 129, 140, 143, 144, 153, 165, 166, 178, 179, 282, 339, 437, 438, 482, 485 Reinkarnation, 407 Rekapitulation, 43, 432 religio licita, 496, 576 Religiöses Sonderdelikt, 650 retro satana, 391 Rettung, 102, 156, 199, 267, 321, 375, 478, 614, 622 Reue, 27, 45, 146, 662, 664 Rezitieren, 41, 496 Rhetorische Frage, 290, 366, 397, 483, 538 Rollstein, 707, 711 Römisches Boot, 166, 237, 268 Römisches Reich, 134, 275, 574 Rückkehr der Zwölf, 297 Rüsttag, 592, 593, 594, 597, 649, 667, 702, 703 Sabbat, 35, 167, 168, 184, 195, 200, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 211, 212, 288, 289, 544, 593, 594, 595, 636, 667, 702, 703, 707, 708 Sabbatruhe, 173, 202, 206 Sachhälfte, 116, 237, 239, 247, 257, 511, 512, 514, 516, 517, 518, 584 Sadduzäer, 196, 197, 390, 483, 507, 523, 527, 528, 529, 530, 531, 534, 592, 649, 650, 704 Salbung, 386, 587, 588, 589, 599, 600, 601, 603, 606, 638, 710 Salz, 426, 431, 438, 499 Sandwich, 68, 221, 662 Sarkasmus, 281, 282, 523, 567, 635, 686, 717

Satan, 129, 148, 150, 171, 176, 220, 223, 238, 244, 247, 249, 276, 289, 381, 389, 419, 605, 630, 633 Sauerteig, 297, 309, 329, 346, 347, 349, 360, 365, 366, 367, 368, 371, 374, 375 Schatz im Himmel, 450, 455 Schaubrote, 202 Scheintodhypothese, 280 Schekel, 192, 499 Schema Jisra’el, 43, 496, 534, 682, 683 Schicksalsangst, 313 Schlachttag, 597 Schmerz, 450, 456 Schöpfung, 117, 126, 172, 223, 225, 249, 262, 272, 342, 361, 439, 443, 495, 555, 569, 572, 582, 585 Schöpfungsordnung, 203, 205, 226, 340, 426, 442, 443, 566, 567, 701 Schöpfungsziel, 165, 204, 327, 684 Schriftgelehrte, 167, 168, 185, 187, 188, 190, 192, 203, 205, 220, 222, 280, 329, 331, 332, 375, 381, 390, 411, 413, 414, 416, 418, 461, 464, 480, 483, 484, 497, 500, 507, 508, 529, 530, 533, 534, 536, 537, 538, 539, 540, 542, 543, 544, 546, 550, 598, 633, 635, 645, 646, 649, 665, 666, 687, 693, 755, 758 Schriftzitat, 512, 513, 519 Schule des Hillel, 195 Schule des Schammaj, 196 Schwagerehe, 530 Schweigegebot, 77, 78, 89, 90, 91, 168, 171, 176, 179, 180, 210, 277, 287, 354, 355, 356, 366, 374, 388, 404, 411 Schweigen, 158, 206, 235, 262, 343, 480, 655, 674, 675, 716 Schwert, 633, 636 Schwurformel, 334, 335, 363 Segensbecher, 610 Segnung, 446 Sehen, 162, 203, 207, 240, 241, 243, 262, 271, 297, 348, 349, 368, 370, 371, 372, 374, 375, 376, 382, 386, 387, 393, 400, 423, 463, 474, 492, 544, 573, 575, 577, 589, 654, 657,

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687, 694, 697, 699, 704, 708, 715, 724 Selbstbezogenheit, 374, 375 Selbsterniedrigung, 56 Selbstgerechtigkeit, 297, 366, 376 Selbstoffenbarung, 101, 154, 156, 158, 159, 274, 284, 342, 420, 486, 618 Selbstsicherheit, 326, 423 Selbstverleugnung, 382, 392, 393 Selbstverwirklichung, 344 Semitismus, 29, 216, 221, 340, 566 Sendungsbewusstsein, 178, 193 Sentenze, 431 Seufzen, 355, 364 sicarius, 672 Sidon, 119, 120, 121, 122, 208, 210, 351, 353, 354 Simile, 116 Skeptiker, 159, 235, 262, 343 Sklaverei, 144, 472, 610, 614, 615, 714 Sohn, 30, 31, 83, 92, 93, 94, 95, 124, 162, 189, 190, 197, 201, 215, 218, 288, 290, 306, 309, 351, 387, 403, 414, 416, 417, 419, 473, 474, 476, 499, 510, 511, 513, 514, 515, 517, 518, 519, 524, 538, 539, 559, 567, 654, 656, 695, 700, 706 Sohn Davids, 77, 96, 172, 473, 474, 476, 477, 538, 539, 542 Sohn Gottes, 35, 52, 77, 92, 93, 94, 95, 101, 102, 132, 136, 146, 147, 148, 150, 155, 156, 159, 186, 188, 208, 210, 228, 270, 322, 380, 387, 403, 409, 420, 423, 435, 452, 469, 494, 518, 548, 579, 610, 629, 630, 643, 654, 655, 656, 657, 682, 683, 684, 694, 700, 719, 751, 752 Sokratische Überlieferung, 437 Sonderbelehrung, 338 Sonderbestimmungen, 301 Sondergut, 55, 76, 91, 116, 230, 256, 347, 372, 416, 437, 447, 584, 637 soudarion, 705 Souveränität, 257, 294, 418, 469, 481, 695 Spannung, 28, 31, 61, 86, 89, 91, 101, 180, 183, 197, 213, 226, 228, 290, 292, 367, 463, 486, 491, 530, 543,

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554, 589, 604, 638, 640, 657, 672, 684, 697, 700, 703, 711 speculator, 313 Speisungswunder, 318, 357 Sportarena, 275 Spott, 222, 290, 394, 602, 661, 677, 678, 681, 686, 692, 693, 697, 704 Spötter, 222, 287, 692, 696, 698, 717, 718 Sprachmilieu, 29 Staatsfeindliche Revolutionäre, 692 Stammesgebiete Israels, 120 Statthalter, 394, 570, 648, 660, 667, 668, 671, 672, 674, 676, 677, 704 Status, 433, 482, 485, 534, 746 Steigerung, 325, 370, 432, 475, 516, 517, 518, 577, 599, 662, 663 Steinigung, 202, 644, 648, 660, 717 Stellvertretender Sühnetod, 57, 90, 103, 186, 228, 339, 343, 379, 380, 390, 395, 411, 423, 473, 479, 492, 499, 591, 603, 616, 617, 638, 639, 640, 695, 718, 719, 751 Stellvertretende Sühne, 425, 449, 461 Stellvertreter, 87, 387, 417 Stellvertretung, 388, 423 Steuerabgabe, 191, 481, 483, 521, 522, 523, 525 Steuerabgaben, 523 Stichwortverknüpfung, 131, 137, 138, 348, 431, 436, 481, 483, 543, 545 Stiftshütte, 408, 410 Stoa, 275, 343, 396, 557 Stolz, 143, 326, 336, 340, 341, 423, 436, 478, 479, 543, 717 Strafgericht, 467, 468 Straftod, 639 Streitgespräch, 69, 75, 99, 186, 190, 205, 221, 330, 342, 416, 430, 440, 480, 483, 522, 528, 545, 549, 605, 747, 752 Sühne, 90, 102, 103, 339, 423, 468, 472, 506, 537, 549, 615, 616, 699 Sühnegeschehen, 79, 767 Summarium, 130, 151, 156, 168, 175, 184, 208, 209, 231, 288, 315, 325, 336 Sündenerkenntnis, 224, 601

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Das Evangelium des Markus

Sündenfall, 102, 355, 443 Sündenschuld, 413 Sündenvergebung, 143, 187, 188, 189, 201, 211, 212, 234, 300, 612, 754 Symbuleutische Argumentation, 382, 465 Symbuleutische Gattung, 259, 543 Synagoge, 42, 43, 44, 45, 48, 50, 51, 160, 167, 173, 177, 190, 204, 288, 495, 542, 544, 546, 561, 564, 616 Synagogendiener, 30, 43 Synagogengottesdienst, 48, 280, 289, 454 Synagogenschule, 42, 44 Synagogenvorsteher, 278, 279, 280, 284 Synedrion, 50, 196, 313, 390, 463, 508, 519, 528, 529, 534, 561, 564, 591, 604, 635, 636, 641, 642, 643, 644, 645, 646, 647, 648, 649, 650, 651, 660, 663, 665, 666, 667, 671, 674, 676, 677, 678, 679, 682, 702, 703, 766 Synonym, 457, 478 Tanz, 311 Taubheit, 91, 348, 354, 358, 371, 372, 374, 375, 415, 419 Tauflehre, 448 Tempel, 34, 35, 50, 59, 60, 61, 62, 63, 83, 192, 197, 275, 281, 335, 463, 480, 481, 482, 485, 487, 492, 494, 495, 496, 497, 498, 499, 500, 501, 504, 508, 517, 538, 539, 540, 545, 546, 547, 549, 550, 552, 556, 557, 558, 559, 560, 570, 571, 572, 574, 575, 577, 578, 579, 580, 581, 585, 593, 605, 634, 635, 636, 648, 652, 653, 655, 667, 687, 692, 694, 698, 699, 717, 736 Tempelbezirk, 192, 498, 499, 508, 539, 545, 558, 649, 655, 656, 681 Tempeldienst, 494, 495, 504, 543 Tempel in Jerusalem, 486 Tempelkritik, 493, 497, 498, 648, 654 Tempelkultus, 60, 82, 493, 547, 717 Tempelmissbrauch, 498 Tempelopfer, 134, 192

Tempelpolizei, 497, 635 Tempelreinigung, 70, 75, 462, 480, 482, 493, 497, 498, 499, 500, 501, 502, 503, 506, 508, 510, 547, 605, 653, 736 Tempelschatzmeister, 604, 649 Tempelsteuer, 26, 59, 192, 496, 499, 545, 669 Tempelvorhang, 686, 717 Tempelvorhof, 499, 500 Testimonium Flavianum, 679, 758 Tetragramm, 658 Textüberlieferung, 108, 109, 362, 758 Theater, 49, 275 theios anēr, 93, 102, 286, 700 Theokratie, 83, 383, 626 Theophanie, 321, 322, 405, 406 Theophanie-Erzählung, 321 Thron Davids, 491, 555, 638 Tischgemeinschaft, 190, 192, 193, 207, 601, 611 titulus crucis, 686, 691 Todesqualen, 627, 628 Todesstrafe, 187, 202, 205, 313, 334, 437, 653, 660, 682, 710 Todestanz, 285 Todesurteil, 644, 645, 647, 651, 660, 667, 670, 671, 673, 679, 682, 717 Todesvorhersage, 198 Torahinterpretation, 328 Torahlehrer, 544 Torahverräter, 441 Torheit, 336, 340, 341 Tötungsabsicht, 183, 184, 204, 208, 298, 481, 520, 547, 588, 589, 598, 599, 600, 620, 638, 639, 643 Tötungsmotiv, 589 Tradition, 10, 31, 38, 41, 42, 47, 57, 78, 79, 90, 114, 129, 147, 181, 195, 199, 203, 207, 223, 260, 283, 284, 301, 308, 328, 332, 341, 342, 487, 493, 513, 529, 552, 616, 697, 712, 737, 741, 742, 743, 746, 748, 750, 753, 755, 756, 757, 758, 759, 762, 763, 764, 765, 766 Traditionsgeschichte, 114, 628 Traditionshypothese, 38, 39, 40, 47, 54, 55

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Traditionskontinuität, 47 Trauergesang, 285 Treue, 51, 179, 225, 442, 443, 445, 503, 516, 529, 576, 600, 611, 625, 626, 630, 632, 639, 640, 663, 665, 700 tributum capitis, 191 tributum soli, 191 Trübsal, 244, 247, 552, 553, 562, 569, 571, 572, 573, 574, 576, 577, 579, 580, 582, 583, 584, 585, 586 Tyrus, 119, 120, 121, 122, 124, 208, 210, 349, 350, 351, 353, 354 Übergangsvers, 288, 292, 300, 357, 590, 613, 680 Überlieferung, 22, 25, 40, 41, 42, 44, 45, 46, 48, 51, 90, 109, 112, 114, 151, 152, 156, 196, 283, 329, 332, 333, 334, 354, 379, 416, 462, 520, 564, 588, 679, 693, 722, 747, 751, 763, 764, 765, 766 Überlieferungsprozess, 49, 428 Überlieferungsträger, 45 Umkehr, 132, 139, 142, 144, 146, 153, 156, 157, 158, 166, 177, 186, 233, 243, 244, 260, 261, 262, 294, 300, 326, 389, 399, 515, 618, 698 Umkehrpredigt, 398, 581 Umkehrruf, 144, 146, 245, 303, 364, 365, 413, 509 Uneheliches Kind, 290 Unglaube, 33, 69, 264, 265, 269, 288, 292, 293, 294, 347, 367, 415, 418, 423, 479, 507, 547, 612, 675, 725 Unheilsgeschichte, 364, 398, 513, 516, 581 Unreinheit, 192, 265, 272, 328, 332, 337, 338, 339, 341, 347, 374, 624 Unreinheit des Herzens, 328, 330 Unschuldiger, 298 Unsterblichkeit, 102, 591, 713 Unterweisung, 42, 46, 70, 102, 230, 231, 300, 336, 357, 365, 379, 380, 382, 383, 406, 411, 415, 419, 420, 426, 427, 430, 431, 432, 439, 440, 446, 451, 452, 456, 458, 461, 464, 465, 481, 482, 483, 497, 501, 502,

506, 507, 542, 543, 545, 550, 562, 579, 585, 639 Untreue, 195, 624, 628, 630, 700 Unverständnis, 77, 91, 263, 269, 321, 338, 348, 357, 360, 365, 407, 412, 419, 420, 426, 427, 477, 478, 605 Unzucht, 336, 338, 340

793 556, 291, 383, 429,

Vater, 93, 102, 125, 126, 130, 140, 162, 167, 177, 181, 201, 212, 219, 234, 262, 272, 279, 306, 319, 324, 327, 329, 334, 361, 377, 382, 390, 398, 399, 403, 406, 407, 409, 415, 416, 418, 424, 428, 434, 435, 443, 450, 458, 459, 469, 485, 491, 502, 517, 544, 548, 561, 565, 566, 578, 579, 582, 621, 627, 628, 629, 630, 631, 632, 633, 639, 657, 658, 682, 684, 686, 688, 696, 697, 699, 717, 718, 720, 738 vaticinium ex eventu, 60, 559 Verborgenheit, 180, 253, 254, 277, 338, 342, 350 Verdammnis, 225, 436 Verfluchung, 717 Verfluchung des Feigenbaums, 480, 481, 482, 492, 493, 498, 502, 503 Verfolgung, 50, 55, 134, 206, 244, 245, 247, 249, 252, 294, 309, 395, 397, 412, 430, 438, 458, 459, 460, 549, 550, 553, 562, 565, 566, 568, 571, 572, 580, 584, 585, 604, 606, 631, 684 Verführung, 245, 553, 562, 585 Vergebung, 188, 211, 502 Vergleich, 338 Verhaftung, 298, 305, 310, 593, 604, 628, 629, 633, 635, 636 Verhärtung, 368, 371, 376 Verheißung, 113, 114, 130, 136, 137, 153, 156, 157, 209, 243, 352, 459, 460, 562, 564, 618, 639, 754 Verheißung und Erfüllung, 113, 114, 156, 157, 209, 243, 639, 754 Verhör, 70, 307, 308, 591, 593, 597, 641, 642, 643, 644, 645, 647, 648, 649, 650, 651, 654, 655, 656, 662,

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Das Evangelium des Markus

665, 666, 667, 668, 671, 681, 682, 690 Verhüllungsmotiv, 77 Verkaufsstände, 499 Verklärung, 70, 94, 102, 378, 379, 400, 403, 404, 405, 406, 407, 408, 409, 410, 416, 423, 583, 632, 737 Verkündigung, 9, 14, 36, 67, 68, 121, 155, 156, 171, 176, 177, 186, 214, 223, 226, 248, 294, 295, 298, 300, 301, 302, 501, 565, 603, 739, 745, 754, 762 Verkündigungsaufgabe, 301 Verkündigungsdienst, 459 Verkündigungsreise, 278, 326 Verleugnung, 27, 587, 588, 590, 591, 622, 623, 624, 639, 640, 641, 642, 643, 650, 661, 662, 663, 664, 715 Verleugnung durch Petrus, 189 Verleugnung Jesu durch Petrus, 587, 626 Vermehrungswunder, 315, 324 Vernunft, 113, 181, 391, 683, 719 Vernunftautonomie, 65, 157, 159 Verrat, 26, 70, 219, 466, 549, 566, 588, 589, 590, 591, 597, 600, 604, 605, 609, 611, 612, 627, 633, 634, 636, 638, 639, 643, 672 Verräter, 219, 503, 590, 606, 609, 611, 633, 634 Versammlungsort, 275 Versetzen von Bergen, 499 Verspottung, 680, 682, 686, 694 Verstockungslogion, 240, 241 Versuchung, 46, 129, 130, 143, 148, 149, 150, 160, 180, 416, 431, 544, 627, 630, 631, 632, 639 Verteidigungsstab, 302 Vertrauen, 182, 192, 219, 251, 270, 276, 283, 287, 293, 294, 322, 326, 360, 367, 372, 417, 418, 419, 423, 435, 436, 447, 449, 451, 453, 455, 456, 457, 458, 477, 478, 501, 503, 546, 547, 548, 562, 585, 586, 637, 683, 684, 718 Verunreinigung, 286, 303, 331, 335, 336, 338, 339, 341, 342, 343, 344, 491, 496, 498, 570, 571, 594

Verunreinigung des Herzens, 347 Verwandte Jesu, 221 Verwerfung, 160, 223, 263, 264, 265, 287, 295, 297, 303, 326, 349, 380, 442, 514, 517, 638 Verwerfung Jesu, 264 Verworfene Propheten, 291 Verwunderung, 167, 170, 172, 279, 286, 321, 356, 474 Verzögerung, 265, 284, 554, 556, 560 Verzögerungsmotiv, 578 Volksakklamation, 675 Volksaufstand, 207, 496, 501, 597, 598, 599, 605, 626 Volksbekundung, 677 Vollmacht, 57, 68, 70, 102, 167, 170, 172, 175, 180, 181, 185, 187, 188, 189, 194, 195, 198, 199, 200, 207, 209, 210, 211, 214, 215, 217, 222, 264, 272, 274, 278, 285, 292, 293, 297, 299, 300, 301, 322, 326, 347, 367, 368, 375, 380, 383, 417, 418, 443, 456, 480, 481, 483, 506, 508, 509, 510, 511, 513, 529, 546, 548, 582, 588, 632, 638, 640, 670, 692, 718, 720 Vollmachtsanspruch, 183, 204, 310, 363 Vorbild, 113, 300, 311, 479, 605, 755 Vorhof der Frauen, 545 Vorhof der Heiden, 698 Wachsamkeit, 431, 550, 553, 562, 580, 583, 584, 585, 629, 630, 631, 632 Wahrheit, 279 Wallfahrtsfest, 281, 644 Wanderprediger, 46, 230, 254 Wanderstab, 301, 302 Warnung, 252, 260, 262, 263, 346, 347, 365, 367, 368, 369, 371, 400, 435, 437, 454, 483, 506, 517, 534, 537, 543, 547, 549, 550, 551, 553, 562, 573, 576, 632, 640, 665 Wechselgespräch, 590, 623 Wegbereiter, 130, 133, 136, 138, 139, 144, 154, 155, 326 Wehklage, 279, 285, 480 Weihformel, 334

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2. Register

Weinberg, 95, 483, 511, 512, 515, 516, 518, 761 Weinberg Gottes, 515 Weinberglied, 511, 518, 519, 752 Weinstock, 515, 612, 617 Weisheit, 43, 83, 288, 289, 291, 345, 438, 522 Weisheitslehrer, 337 Weisheitsspruch, 460 Weltanschauung, 111, 156, 343, 512, 717 Wiederbelebung, 286, 308, 385, 601, 713 Wiederheirat, 445 Wiederherstellung, 81, 82, 83, 97, 165, 355, 408, 412, 413, 491, 503, 539, 541, 555, 626 Wiederholung, 41, 44, 46, 51, 56, 95, 175, 316, 326, 370, 385, 432, 448, 462, 464, 479, 489, 516, 631, 632, 692 Wiederkehr Elias, 411 Wille Gottes, 210, 221, 225, 228, 263, 327, 371, 388, 390, 393, 420, 500, 506, 509, 567, 582, 612, 631, 637 Wirtschaft, 275 Witwe, 351, 480, 483, 542, 543, 545, 546, 548, 550, 605 Wohlstand, 312 Wundererzählung, 168, 315, 321, 350, 354, 370, 482, 493, 502 Wundergeschichten, 70, 171, 175, 205, 264, 266, 299, 300, 321, 354, 415, 474, 475, 493, 502, 761, 764 Wunderkraft, 289 Wüste, 129, 130, 131, 132, 137, 140, 143, 144, 145, 148, 149, 150, 155, 177, 180, 317, 319, 321, 356, 358, 359 Zeichen des Jona, 364, 376, 749 Zeichenforderung, 347, 349, 362, 363, 364, 398, 581 Zeichenhandlung, 482, 493, 497, 499 Zeichen und Wunder, 291, 327, 569, 573, 577, 586, 621 Zeitnotiz, 690

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Zeremonialgesetz, 331, 334, 337, 338, 339, 537 Zerstörung Jerusalems, 59, 60, 61, 63, 480, 481, 499, 556, 559, 570, 571, 572, 580, 647, 652, 660, 671 Zerstreuung, 165, 317, 549, 578, 590, 622, 623, 624, 625, 628, 631, 637, 704 Zeuge, 9, 37, 47, 63, 109, 110, 132, 159, 161, 180, 190, 202, 271, 277, 278, 284, 354, 356, 457, 469, 474, 502, 563, 651, 653, 654, 664, 709, 714, 765 Zeugendienst, 45, 564, 565, 569, 603, 715 Zeugnis, 25, 26, 27, 31, 33, 37, 39, 40, 42, 49, 52, 53, 54, 60, 67, 79, 130, 136, 159, 178, 179, 257, 299, 326, 420, 450, 475, 561, 564, 576, 586, 623, 646, 651, 652, 653, 662, 710, 714 Zeugnisbericht, 36, 636, 665 Zollbeamte, 190 Zöllner, 50, 190, 192, 545, 751 Zollstation, 475 Zorn, 291, 583 Zügellosigkeit, 336, 340 Zukunftserwartung, 552, 554, 556, 582, 741 Zuversicht, 227, 257, 353, 466, 476, 477, 519, 557, 620, 638, 697 Zweifel, 24, 32, 57, 125, 133, 134, 288, 290, 342, 363, 376, 418, 504, 523, 531, 621 Zwei-Quellen Hypothese, 37 zweistufige Heilung, 370 Zweistufige Heilung, 347, 349, 371, 372 Zweiter Exodus, 143, 145, 148, 153, 166, 317, 407 Zwischenzeit, 257, 552, 585, 621 Zöllner, 57, 232, 233, 235, 236, 693, 946 Zollstation, 602 Zorn, 364, 740 Zügellosigkeit, 422, 427, 428 Zukunftserwartung, 701, 704, 706, 739, 937

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Das Evangelium des Markus

Zuversicht, 282, 320, 444, 591, 602, 604, 659, 708, 789, 812, 886 Zweifel, 25, 35, 66, 149, 160, 360, 363, 430, 457, 474, 528, 639, 664, 674, 789 Zwei-Quellen Hypothese, 41

zweistufige Heilung, 467 Zweistufige Heilung, 436, 438, 467, 469 Zweiter Exodus, 172, 174, 178, 185, 202, 397, 398, 514 Zwischenzeit, 320, 701, 743, 789

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