Das deutsche und gemeinschaftliche Lebensmittelrecht als Sicherheitsrecht: Lebensmittelrechtliche Aspekte innerhalb der Europäischen Union [1 ed.] 9783428486601, 9783428086603

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Das deutsche und gemeinschaftliche Lebensmittelrecht als Sicherheitsrecht: Lebensmittelrechtliche Aspekte innerhalb der Europäischen Union [1 ed.]
 9783428486601, 9783428086603

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SABINE RINGEL

Das deutsche und gemeinschaftliche Lebensmittelrecht als Sicherheitsrecht

Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Herausgegeben im Auftrag des Instituts für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Erlangen-Nümberg durch die Professoren Dr. Wolfgang Blomeyer und Dr. Karl Albrecht Schachtschneider

BandS

Das deutsche und gemeinschaftliche Lebensmittelrecht als Sicherheitsrecht Lebensmittelrechtliche Aspekte innerhalb der Europäischen Union

Von

Dr. Sabine Ringel

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CW-Einheitsaufnahme

Ringel, Sabine: Das deutsche und gemeinschaftliche Lebensmittelrecht als Sicherheitsrecht : lebensmittelrechtliche Aspekte innerhalb der Europäischen Union I von Sabine Ringel. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Beiträge zum europäischen Wirtschaftsrecht ; Bd. 5) Zugl.: Erlangen-Nümberg, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08660-0 NE:GT

n2 Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0947-2452 ISBN 3-428-08660-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 (§>

Vorwort Seit 1.1.1993 gilt für den Europäischen Staatenverbund der Binnenmarkt. Ein Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Vertragsbestimmungen der heutigen Europäischen Union gewährleistet ist (Art. 7 a EGV), erfordert bei allen Mitgliedstaaten ein Umdenken; es ist ein vertrauensvolleres Verhältnis notwendig, für das aber jedes Mitgliedsland entsprechende Voraussetzungen schaffen und darstellen muß. Die gewachsenen Kulturen und Besonderheiten der verschiedenen Nationen sollen weiterhin Bestandteile der Gerneinschaft Europas bleiben und nicht in Richtung eines möglichen "Großstaates Europa", dessen Erwägung durch das Maastricht-Urteil der Bundesrepublik aus dem Jahr 1993 eine klare Absage erteilt wurde, vereint oder aufgehoben werden. Für die Bereiche, in denen man gemeinschaftlich zum Wohle aller Mitglieder zusammenarbeiten will, müssen jedoch entsprechend gemeinschaftlich geltende Grundlagen geschaffen und befolgt werden. Der Lebensmittelbereich war und ist ein Bereich, der sowohl auf nationaler als auch auf europäischer und internationaler Ebene eine gewisse Regelungsqualität und -dichte erfordert(e), um damit Sicherheit beim Umgang mit Lebensmitteln zu schaffen, aufrechtzuerhalten und den sich ständig wandelnden Gegebenheiten unserer Gesellschaft anzupassen. Dabei kann sich jede Nation den für sich als sinnvoll erachteten Sicherheitsstandard gewähren. In einer Gerneinschaft und Union stellt sich dann die Frage nach der dort gewollten Sicherheit. Soll der Umgang mit Lebensmitteln einheitlich, und zwar vollständig, oder nur in Teilbereichen geregelt sein oder kann und will man mit verschiedenen, nebeneinander bestehenden nationalen Sicherheitsstandards leben? Um sich diesem Thema zu nähern, wird in dieser Arbeit zunächst nach der staatlichen Pflicht zum Schutz der Gesundheit arn für die Autorin naheliegenden Beispiel der Bundesrepublik Deutschland gefragt. Weiterhin wird auf die Notwendigkeit der Gefahrenabwehr und -vorsorge und den dafür zur Verfügung stehenden Mitteln im Bereich des Lebensmittelrechts eingegangen.

Vorwort

6

Es schließt sich die Erörterung des durch das Europäische Gemeinschaftsrecht geschaffenen Instrumentariums im Hinblick auf seine Tauglichkeit zur lebensmittelrechtlichen Gefahrenabwendung an und schließlich interessieren die damit zusammenhängenden Fragen nach entsprechender Umsetzung und einer sachgerechten Kontrolle. Das Vorwort schließt mit der Danksagung an alle, die mich bei der Erstellung dieser Arbeit unterstützt haben. Mein besonderer Dank gebührt Herrn Prof. Dr. K. A. Schachtschneider, meinem Doktorvater, der es immer verstand, durch intensive Gespräche wissenschaftliche Neugier und Ungeduld zu wecken und gerade durch seine dabei einfließende Lehre "res publica res populi" meine Lebenseinstellung um Wertvolles zu bereichern. Vielen Dank auch an Herrn Prof. Dr. J. G. Helm, der das Zweitgutachten übernommen hat. Dank sage ich Herrn Prof. Dr. R. Streinz, Herrn Prof. Dr. R. Gröschner, Herrn Dr. M. Horst vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde sowie den Mitarbeitern des Chemischen Untersuchungsamtes der Stadt Nürnberg, insbesondere Herrn Dr. E. Beil, Herrn Dr. G. Schleifer, Herrn G. Jungkunz und Frau Dr. D. Kugler, und auch den Mitarbeitern des Lehrstuhls für Öffentliches Recht der WiSo-Fakultät Nürnberg, bei denen ich zu jeder Zeit ein offenes Ohr für meine Fragen fand. Den Mitarbeitern der EDV-Abteilung der Firma Leo Ringel sei ebenfalls für ihre technische Unterstützung gedankt. Bedanken möchte ich mich bei meiner Familie und meinen Freunden, die mich besonders in den unumgänglichen Zeiten der Frage nach der sich lohnenden Mühe der Arbeit unterstützt haben. Der letzte Dank gilt speziell meiner Mutter, die als stetiger Anlaufpunkt und durch ihre unermüdliche Unterstützung und Hilfe gerade auch bei der Ausfertigung der Arbeit die Grundlage für deren Fertigstellung schaffte. Hieran anschließend sei diese Arbeit meinen Eltern und Großeltern gewidmet. Nürnberg, im Dezember 1994

SabineRingel

Inhaltsverzeichnis Erster Teil

Die staatliche Pflicht zum Schutz der Gesundheit

1. Kapitel: Die staatliche Pflicht zwn Schutz der Gesundheit in Deutschland ..... .. ..... 17 2. Kapitel: Das Recht auf Schutz der Sicherheit ....................................................... 24 3. Kapitel: Die "europäische" Pflicht zwn Schutz der Gesundheit ............................. 27

Zweiter Teil Gefahrenabwehr und -vonorge im Lebensmittelbereich auf nationaler Ebene am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland

1. Kapitel: Einleitung................................................................................................ 32 2. Kapitel: Gefahren im Lebensmittelbereich ............................................................ 34 3. Kapitel: I. II. ill.

Öffentliche Sicherheit und Ordnung ........................................................ Die öffentliche Sicherheit ....................................................................... Die öffentliche Ordnung ......................................................................... Die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Lebensmittelrecht.. ................

35 35 36 38

4. Kapitel: Lebensmittelrechtliche Gefahrenabwendung i. S. einer "hinreichenden" Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts .............................................. 39 I. Gesundheitsschädigung ........................... ...................... .......................... 41 II. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Gesundheitsschädigung ......... 41 1. Die Eignung zur Schädigung gemäß § 8 Nr. 1 und Nr. 2 LMBG ........... 42 2. Die Eignung zur "Schädigung" gemäß § 17 LMBG .............................. 44 3. Die Geflilirdung der Gesundheit ............................................ ............... 45 ill. Exkurs: Das sogenannte Mißbrauchsprinzip ........................................... 46

5. Kapitel: Lebensmittelrechtliche Gefahrenabwendung i. S. einer nur theoretisch

vorhersehbaren Möglichkeit eines Schadenseintritts ................................ 48

8

Inhaltsverzeiclmis

I. ll.

Ill. IV.

Das Verbotsprinzip im Bereich der Zusatzstoffe .... ....................... ........... 48 Zulassung von Ausnahmen für Zusatzstoffe ........... .. ...... ......... . .... .......... . 50 1. Gesundheitliche Unbedenklichkeit .. ... .. ....................... ........ ........ ........ 50 2. Teclmologische Notwendigkeit ........................................................... 51 Das sogenannte Restrisiko ...................................................................... 52 Weitere Verbote zwn Schutz des Verbrauchers ....................................... 54

6. Kapitel: Staatliche Maßnahmen zur lebensmittelrechtlichen Gefahrenabwendung . 55 I. Unmittelbare Instrwnente ......................... .............................................. 55 ll. Mittelbare Irrstnunente ........................................................................... 57 1. WarnWlgen Wld EmpfehlWlgen ........................................... ................ 57 a) Gnmdrechtliche Relevanz ............................................................... 57 b) Zulässigkeit .................................... ................................................ 60 c) Verhältnismäßigkeit ....................................................................... 63 2. Zuständigkeit fitr WarnWlgen .............................................................. 66

Dritter Teil

Gefahrenabwehr und -vorsorge im Lebensmittelbereich auf Europäischer Gemeinschaftsebene

1. Kapitel: Die europäische Idee .................................. .............................. ............... 70 2. Kapitel: Gemeinschaftliche Irrstnunente der Integration ........................................ 74 I. Die AngleichWlg ..................................................................................... 74 I. Art.IOOEGV ..................................................................................... 75 2. Art. 100 a EGV ................................................................................... 77 3. Die Lebensmittelbestrahlung als Problemfall der Rechtsangleichung ... 81 ll. Die Anerkennllilg ... ................................................................................. 87 1. Die Idee der AnerkennWlg .................... ....................... .. ..... ...... .. ....... . 87 2. bmergemeinschaftliche Anerkennungaufgrund der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 30, 36 EGV ............ .............................................. .. 88 a) Die "Dassonville-Formel" ... ............................................................ 89 b) Die Anwendung der Cassis de Dijon-Rechtsprechung ..... ........ ...... .. 90 c) Das "Keck"-Urteil ........................................................................... 96 3. Gegenseitige Anerke1mm1g durch gemeinschaftlichen Rechtssatz ........ 97 4. AnerkennWlg einer Gleichwertigkeit einzelstaatlicher Regelungen gemäß Art. 100 b EGV ....................................................................... 98 5. Die innergemeinschaftliche Anerkennung als Mittel der Rechtsaugleichung wtter Art. 100/100 a EGV ................................................. 103 6. Die Inländerdiskriminienmg als Problem der innergemeinschaftlichen Anerkennung ................ .............. .... ...... ....... .. ........... .. ... ......... I 04

9

Inhaltsverzeichnis

a) Gemeinschaftsrechtliche Betrachtlmg 104 b) Nationalrechtliche Betrachtlmg am Beispiel des deutschen Rechts. 107 · · ·· · ·· · oo • o o · · · · · · · · o o · · · · ···· · · · · · ··· · o o·

3. Kapitel: Die "neue Strategie" zur Vollendung des Europäischen Binnerunarkts ... I. Die "neue Strategie" ............................................................................. II. Das Lehensmittel-Kennzeichnungsrecht unter dem Aspekt der "neuen Strategie" ....... .................... .. ......... ............. .. . ... ........ ... ....... ... . ... 1. Der mündige Verbraucher 2. Die Kermzeichnung a) Die "richtige" Kermzeichnung b) Die Reichweite der Kermzeichnung am Beispiel neuartiger Lebensmittel ................................................................ ................. c) Kermzeichnung und fairer Wettbewerb 00 0 0 0 0 0 0 . . 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 . . 0 0 00 0 0 .

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114 114 118 119 125 125 129 133

Vierter Teil

Gefahrenabwehr und -vonorge durch entsprechende nationale Umsetzung des Europäischen Gemeinschaftsrechts im Lebensmittelbereich sowie deren Kontrolle 1. Kapitel: § 47 a LMBG

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2. Kapitel: Die Lebensmittelüberwachung I. Die Lebensmittelüberwachung in der Bundesrepublik Deutschland . 1. Die Zuständigkeiten . 2. Die Lebensmittelüberwachung in der Praxis II. Die Lebensmittelüberwachung im EG-Binnenmarkt 1. Rechtliche Handhabe und gegenseitiges Vertrauen 2. Behördliche Zusammenarbeit a) Informationelle Zusammenarbeit b) Gemeinschaftliche Frühwarnsysteme c) "Gemeinschaftliche" Warnung d) Gemeinschaftsinspektionen 3. Die europäische "Ausrichtlmg" von amtlichen Prüflabomtorien

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Ausblick ..... Schlußwort Zusammenfassung.................................................................................................. Literaturverzeichnis .................. ......................... ........ ......... ..... ... ... ........ .. . ..... ... ...... 00 •



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135 138 138 138 140 144 144 148 148 151 153 154 155

160 163 164 173

Abkürzungsverzeichnis ABI. Abs. Abschn. AGLMBG AID

allg. AllMBl a.M. Amtl., amtl. ÄndG ÄndV Arun. anschl. AöR Art.

Aufl. BayVBl. BayVerfGH BB Bd. Begr., begr. Bek. bes. Beschl. v. best. BGA BGBl.I BGBl. II BGH BGHZ BLL BMJFFG BR BR-Drucks.

Amtsblatt Absatz Abschnitt (e) Ausfilhrungsgesetz zum Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz Auswertungs- und Infonnat.ionsdienst filr Ernährung, Landwirtschaft und Forsten e.V., Bonn, mit Förderung durch den Bundesminister filr Ernährung, Landwirtschaft und Forsten allgemein (e, r, s) Allgemeines Ministerialblatt der Bayerischen Staatsregierung amMain amtlich, (e) Änderungsgesetz Änderungsverordnung Arunerkung anschließend Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Betriebsberater Band, Bände Begründung, begründet Bekanntmachung besonders Beschluß vom bestirn[nt(e,r,en) Bundesgesundheitsamt Bundesgesetzblatt Teil I Bundesgesetzblatt Teil II Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bund ftl.r Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. Bundesministerium filr Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Bundesrat Verhandlungen des Deutschen Bundesrats, Drucksachen

Abkürzungsverzeichnis

11

Brem. PolG bspw. BT BI-Drucks. Bull.EG BVerfG BVerfGE BVerwG

Bremisches Polizeigesetz v. 21.3.1983 (GBl. S. 141) beispielsweise Bundeslag Verhandlungen des Deutschen Bundestags, Drucksachen Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise

CEN

Comite Europeen de Normalisation Centrate Marketinggesellschaft der deutschen AgrarwirtschaftmbH

d.

der, des Definition derselbe das heißt dieselben Deutsches Institut für Normung Dissertation Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Rechts-Zeitschrift ( 1946 - 1950) Deutsche (r, s) Deutsche Lebensmittel-Rundschau Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitung für Wirtschaftsrecht

bzw.

CMA

Def. ders. d.h. dies.

DIN

Diss.

DÖV

DRZ Dt. Dt. Lebensm.-Rdsch. DVBl. DZWir e.

EAG EAGV ebd. ed. EG EGKS EGKSV EGV EN endg. Entsch. entspr. EP ern. EU EuGH

ein (e, r, s) Europäische Atomgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) v. 25.3.1957, BGBl. ll S. 1014 ebenda Edition Europäische Gemeinschaft(en) Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl V. 18.4.1951 (BGBl. 1952 n S. 447) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, i.d.F. V. 7.2.1992 (BGBl. li S. 1253, 1255) Europäische Norm endgültig Entscheidung entsprechend (e, r, s) Europäisches Parlament erneuert (e,r,s) Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

12 EuGRZ

Abkürzungsverzeiclmis

EWR

Europäische Gnmdrechte-Zeitschrift Europarecht Vertrag über die Europäische Union v. 7.2.1992 (BGBl. ll S. 1253) Europäische Zeitschrift filr Wirtschaftsrecht eingetragener Verein Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründtmg der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft v. 25.3.1957 (BGBl. n S. 753, 766) Europäischer Wirtschaftsraum

F. FAZ f., ff. Fn. FS

Fassung Frankfurter Allgemeine Zeitung folgende (r, s), fortfolgende Fußnote Festschrift

G GA GABl. GBl. GDCh geänd. gesetzl. GewArch GG

Gesetz Generalanwalt Gemeinsames Amtsblatt (des Landes..... ) Gesetzblatt Gesellschaft Deutscher Chemiker e. V. geändert gesetzlich (e, r, s) Gewerbearchiv Gnmdgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23.5.1949 (BGBl. S. I) Gesundheitseinrichtungen-Neuordnungs-Gesetz v. 24.6.1994 (BGBl. I S. 1416) grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler

EuR

EUV EuZW e.V. EWG EWGV

GNG grdstzl. GRUR GRUR Int.

Teil

GS GVBl. GWB

Gesetzessantmlung Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Hrsg. Hs HStR

Herausgeber Halbsatz Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland

i.d. i.d.F. i.d.Rspr. i.d.S. i.d.Zshg. i.E. i.e.S.

in der in der Fassung in der Rechtsprechung in diesem Sinne in diesem Zusanunenhang im Erscheinen im engeren Sinne

Abkürzungsverzeiclmis i.f.

13

im folgenden

i.gl.S. insbes. i.S.(v.) i.S.e. i.V.m. i.Zshg.m

im gleichen Sinne insbesondere im Sinne (von) im Sinne einer (s) in Verbindung mit im Zusammenhang mit

Jg. JöR jur. JZ

Jahrgang Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart juristisch (e, r, s) Juristenzeitung

Kap. KG KOM Korn. KSE

Kapitel Kanunergericht Kommission, so zitiert in ihren Dokumenten Kommission Kölner Schriften zum Europarecht

LG lit. LMBG

Landgericht litera Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz v. 15.8.1974 (BGBl. I S. 1945), i. d. Bek. vom 8. Juli 1993 (BGBI. I S. 1169), geändert durch EWR-Ausftlluungsgesetz v. 27.4.1993 (BGBl. I S. 512), zuletzt geändert durch Medizinproduktegesetz v. 2.8.1994 (BGBI. I S. 1963, 1983) Lebensmittelgesetz i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des LMGs v. 21.12.1958 (BGBl. I S. 950) Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung, i.d.Bek. v. 6. 9. 1984 (BGBl. I S. 1221), i.d.F. v. 18.12.1992 (BGBl. I

LMG LMKV

s. 2423)

LRE LSA

Sanunlung lebensmittelrechtlicher Entscheidungen Land Sachsen-Anhalt

m. m.E. m.entspr.N. m.w.N.

mit meines Erachtens mit entsprechenden Nachweisen mit weiteren Nachweisen

n.F. NJW Nr.

neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift ftlr Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen ohne Datum Organization for Economic Cooperation and Development Oberlandesgericht

NRW

NVwZ

NW

o.D. OECD OLG

14

Ab~gsverzeicb[ris

OVG o.Vom.

Oberverwaltungsgericht ohne Vomahme

PCB PrPVG

Polychlorbiphenyle Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz v. 1.6.1931 (GS 77)

Rdnr.(n.) Red. RGBl.

Randnwnmer(n) Redaktor Reichsgesetzblatt (1871- 1921; dann aufgeteilt in Teil I und Teil II ( 1922 - 1945)) Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen ( 1880 1944) Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie, -n Rechtssache Rechtsprechung

RGSt RIW Rl(.) Rs. Rspr.

S. SGb Slg.

SOG

sog. SozEp-Hefte

Sp. st. Rspr. StrLSchV

Satz, Seite Die Sozialgerichtsbarkeit Amtliche Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung sogenannte (r, s) Hefte des Instituts f. Sozialmedizin u. Epidemiologie des BGA,Berlin Spalte ständige Rechtsprechung VO über den Schutz v. Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung) v. 13.10.1976 (BGBl. I S. 2905)

tk-

tietkühl-

u.

und Unterabsatz und andere, unter anderem und ähnliches übersetzt Unterpunkt Urteil Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. 7.6.1909 (RGBl. S.499)

V.

vom, von Verwaltungsakt verbundene Rechtssachen vergleiche Verordnung Vorbemerkung

U.-Abs. u.a. u.ä. übers. U.-Pkt. Urt. UWG

VA verb. Rs. vgl.

vo

Vorb.

Abkürztmgsverzeichnis

VVDStRL VwVfG

15

Veröffentlich\Ulgen der VereiniglUlg der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwalt\Ulgsverfahrensgesetz v. 25.5.1976 (BGBl. I S. 1253)

Württ.-Bad. VGH WuW

World Health Organization Wirtschaft lUld VerwaltlUlg (Vierteljahresbeilage zum Gewerbearchiv) Württembergisch- Badischer VerwaltlUlgsgerichtshof Wirtschaft lUld Wettbewerb

z.B. z.T.

zum Beispiel zum Teil

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WiVerw

ZHR

Ziff.

ZLR

ZStaatw. zul.

zw.

Zeitschrift filr das gesamte Handelsrecht lUld Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift filr das gesamte Lebensmittelrecht Zeitschrift filr die gesamte Staatswissenschaft

zuletzt

zwischen

Erster Teil

Die staatliche Pflicht zum Schutz der Gesundheit In einem vereinten Europa mit einem Binnenmarkt ohne Grenzen muß Sicherheit als Freiheit vom privaten Übergriff auf grundrechtlich geschützte Rechtsgüter1 so geregelt sein, daß deren Gewährleistung gemeinschaftsweit möglich ist. Insbesondere die Versorgung mit sicheren, d. h. gesundheitlich unbedenklichen Lebensmitteln muß für jeden, der (sich) in der Europäischen Staatengemeinschaft2 (aufhält) lebt, gleichermaßen, unteilbar3 gewährleistet werden.

1. Kapitel

Die staatliche Pflicht zum Schutz der Gesundheit in Deutschland Die staatliche Pflicht zum Schutz der Sicherheit läßt sich für die Bundesrepublik Deutschland aus der Verfassung herleiten. Dabei ist die dogmatische Begründung grundrechtlicher staatlicher Schutzpflichten in der Schaffung des

Siehe J. Isensee. Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: J. Isensee/P. Kirchhof(Hrsg.), HStR, Bd. V, 1992, §I II, Rdnr. 84 f. 2 Zum Zeitpunkt des Jahres 1994 besteht die Europäische Staatengemeinschaft aus 12 Mitgliedstaaten, vgl. dazu die Präambel des EUV v. 7.2.1992, BGBI. li S. 1253, in Kraft m. d. Bek. v. 19.10.1993, BGBI. II S. 1947, sowie Fn. 333. Zu Beitritten zum 1.1.1995, die von österreich, Finnland, Schweden und Norwegen angestrebt werden, vgl. die Stellungnahme des Bundesrates, EuZW 1994, 133 f.; die EP-Zustimmung zu diesen Beitritten, EuZW 1994, 327; speziell zu den Beitrittsverhandlungen österreichs, EuZW 1994, 246 f.; zur Absage des Beitritts durch Norwegenaufgrund eines negativen Referendums (52,2% stimmten gegen den Beitritt, 47,8% dafilr) vgl. FAZ v. 30.11 .94, Nr. 278 (48 0), S. I, 3, I 5; die Aufuahme weiterer Mitglieder richtet sich nach Art. 0 des Unionsvertrages v. 7.2.1992, BGBI. II S. 1253. 3 Siehe R. Streinz, Deutsches und Europäisches Lebensmittelrecht, WiVerw 1993, 38.

2 Ringel

18

Erster Teil: Staatliche Pflicht zwn Schutz der GeSWldheit

Staates als Friedensgarant zu sehen, d. h. der Bürger verzichtet weitestgehend auf die eigene Verteidigung seiner Rechtsgüter4 und vertraut auf deren Bewahrung durch den Staat. 5 "Denn Sicherheit ist der Zweck, weshalb die Menschen sich andem unterwerfen." 6 "In dieser(...) Unterwerfung besteht das Wesen des Staates. •o7 Der Zweck, "zu welchem jeder Staat errichtet wird", ist das "Wohl des Volkes", zu dem gerade "Sicherheit des Lebens" und "die dazu nötigen Bequemlichkeiten" gehören. 8 Zu diesem Zweck hat der Staat grundsätzlich das alleinige Recht, Gewalt anzuwenden, also die Gebietshoheit 9

4 Vgl. dazu die Rechte der Selbstverteidigung§§ 226- 229 BGB, und das Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG; K. Hesse, Grundztlge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 18. Aufl., 1991, Rdnr. 757 ff.; i. Zshg. m. dem Widerstandsrecht vgl. auch K. A. Schachtschneider, Res

publica res populi, 1994,7. Teil, 4. Kap., S. 581 f[

5 Vgl. dazu BVerfGE 49, 24 (56 f.); W. Zeidler, Ansprache des Prlsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Wolfgang Zeidler anllßlich seiner Amtseinft1hrung arn 3. Juli 1970, DVBI. 1970, 562 ff., insbes. 566 f.; H. H. Klein, Verf118Sunpreue und Schutz der Verf118Sung. VVStRL 37 (1979), S. 108 ff.; J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 21 ff.; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung ftlr die Risiken der Technik, 1985, S. 102 ff.; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 3 f., S. 127; G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 77; E. Klein, Grundrechtliche Schutzpflicht des Staates, NJW 1989, 1635, 1636; H.Chr. Link, Staatszwecke im Verfii88Ußpstaat, VVDStRL 48 (1990), S. 7 ff., insbes. S. 27 ff.; G. Ress, Staatszwecke im Verfii88Ußgsstaat, VVDStRL 48 (1990), S. 56 ff., insbes. S. 83 ff.; K. A . Schachtschneider, Res publica res populi, 7. Teil, 3. Kap., S. S4S ff.; vgl. bereits Hobbes, Leviathan, 1651, ed. Mayer/Diesselhorst, 1970/80, S. 160 f.; fllr Hobbes hat die staatliche Friedensordnung die Sicherheit fiir das Leben des Individuums und seine Selbsterhaltung zu gcwlhr1eisten, vgl. Leviathan, S. 278, 151 f.; siehe auch J. Locke, Ober die Regierung, 1690, ed. Tidow/Mayer-Tasch, 1974/83, S. 6S, 73, 95 ff., 101 ff., lOS f, der die gegenseitige Erhaltung des Lebens, der Freiheiten und G1l1er der Menschen als Teile des Eigentums durch den Zusanunenschluß mit anderen betont; siehe als weiteren Kant, Zum ewigen Frieden, 1795/96, in: W. Weisehedei (Hrsg.), Werke in zehn Binden, Bd. 9, 1964, S. 203 ff. und Metaphysik der SiUen, 1797/98, ebd., Bd. 7, 1956, S. 345 ff., fllr den die Freiheit als das vom Staat zu sichernde Gut im Mittelpunkt steht; vgl. dazu und zum Leitgedanken preußischer Autkllrung J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 3 ff., 8; zur geschichtlichen Entwicklung der staatlichen Schutzpflicht siehe auch G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 148 ff.; weiterhin W. Martens, Wandlungen im Recht der Gefahrenabwehr, DÖV 1982, 90. 6 Hobbes, Vom BQrger, 1647, ed. G. Gawlick, 1977, S. 133; i. d. S. auch ders., Leviathan, S. 191, 197; vgl. dazu auchJ. Isensee, Die verdrlngten Grundpflichten des BQrgers, DÖV 1982,612. 7 Hobbes, Vom Bürger, S. 132. 8 Hobbes, Leviathan, S. 278. 9 Vgl. BVerfGE S4, 277 (292); H.-Chr. Link, VVDStRL 48 (1990), S. 28 ff.; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 83 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 7. Teil, 3. Kap., S. 548 f[ m. w. N.; ders., Die extentielle Staatlichkeit der Völker Europas, in: W. Blomeyer/K. A Schachtschneider (Hrsg. ), Die europlisehe Union als Rechtsgemeinschaft, 1994, S. 81 ff.; so schon ders., Die Staatlichkeil der Europlisehen Gemeinschaft, in: M. Brunner (Hrsg.), Kartenhaus Europa?, 1994, S. 120 ff.

1. Kapitel: Schutz der Ges\Uldheit in Deutschland

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Dem Staat als Institution des Volkes 10 steht dafür eine Verfassung zur Verfügung. 11 In ihr sind die Grundrechte, die auf ihnen basierenden, politischen Grundentscheidungen wie die Ausgestaltung des Staates als Republik, Demokratie, sozialer Rechtsstaat und Bundesstaat, 12 sowie organisatorische und verfahrensmäßige Prinzipien vereint. Dieses so ausgestaltete Grundgesetz soll die Gesetzlichkeit und somit die Freiheit und den allgemeinen Frieden gewährleisten. 13 Die letztliehe Verantwortung fiir die Gesetze und damit für Freiheit und Frieden liegt beim Volk selbst.l4 Die Grundrechte dürfen nicht- wie in der Grundrechtslehre etabliert15 -nur als "staatsgerichtete Abwehrrechte" 16 gesehen werden. Sie sollen darüber

10 Vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 5. Teil, 5. Kap., S. 371 f.; 7. Teil, 1. Kap., S. 519 ff.; 8. Teil, 1. u. 3. Kap., S. 638 ff., 707 ff. 11 "Die Verfassung ist die Verfassung des Volkes, nicht die Verfassung filr das Volk", so E. G.

Mahrenholz, Das Volk, abgewickelt, Der Spiegel14/1994, S. 45.

12 Zur umfassenden Erläuterung der Leitprinzipien der deutschen Verfassung siehe filr viele K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, §§ 4 -7; zu dem zu diesen Grundentscheidungen zählenden

Sozialstaatsprinzip, das ebenfalls zur Herleitung einer staatlichen Schutzpflicht herangezogen wird, siehe die Erörterung bei G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 129 ff.. Als Ergebnis wird festgestellt, daß durch die allgemein gehaltene Bestimmung dieses Prinzips es nur sehr begrenzt als Begründungsnorm der staatlichen Schutzpflicht gegenüber Dritten gelten kann; ebenso das Rechtsstaatsprinzip, das - ohne ROckgriff auf in den Grundrechten genannte Rechtsgüter keine ausreichende Basis einer Schutzpflicht-Begründung bildet; dazu G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 133 f. m. entspr. N. l3 K. A. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, 4. Aufl., 1992, Rdnr. 12; ders., Res publica res populi, 5. Teil, 1. Kap., S. 253 ff.; insbes. aber 6. Teil, 7. Kap., S. 493 f., in dem besonders die Offenheit der Verfassungsbestandteile betont wird. Nur durch eine solche Offenheit ist die Verfassung jederzeit, entsprechend den jeweiligen Gegebenheiten, einsetzbar und bindend; sie entspricht der praktischen Vernunft, siehe dazu auch im 9. Teil, 11. Kap., S. 1033 ff.; zur Interdependenz von Grundrechten und Staatsorganisation siehe J. Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen, in: J. Isensee/P. Kirchhof(Hrsg.), HStR, Bd. V, 1992, § 115, Rdnr. 102 ff. 14 Siehe Art. 20 Abs. S. 1 GO; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 5. Teil, 5. Kap., S. 370 ff., 374 ff.; 9. Teil, 1. Kap., S. 820 f.

15 BVerfOE 5, 13 (15); 7, 198 (204); 7, 377 (400); 51, 324 (343f.); vgl. H. H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 1974, S. 18 ff., m. entspr. N.; E.-W. Böckenforde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation (1974), in: Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 221 f.; ablehnendK. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 6. Teil, 3. Kap., S. 545 ff. 16 Vgl. BVerfOE 7, 198 (204 f.); die Notwendigkeit staatsgerichteter Abwehrrechte zeigt sich schon in dem Satz von Hobbes, Vom Bürger, S. 139: "Denn der, welcher Macht genug hat, alle zu schützen, hat auch Macht, alle zu unterdrücken."; H. H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 32 ff.; E.-W. BOckenftJrde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, S. 221 (224 ff.); J. Jsensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 1 f.; B. Schlink, Freiheit durch Eingriffsabwehr, EuGRZ 1984, 457 ff.; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung filr die Risiken der Technik, S. 88, der gerade bei der Erörterung von Beeinträchtigungen des Lebens und der Gesundheit durch Private diese liberal-rechtsstaatliche Grundrechtskonzeption zugrundelegt; weiterhin ders.: Nochmals: Staatshaftung von Waldschäden?, NVwZ 1987, 481; E. Klein, Grundrechtliche Schutzpflicht des Staates, NJW 1989, 1633; K. Hesse, Grundzage des Verfassungsrechts, Rdnr. 287.

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Erster Teil: Staatliche Pflicht zwn Schutz der Geswtdheit

hinaus objektive Wertentscheidungen 17 oder Leitentscheidungen i. S. v. "Optimierungsgeboten" 18 darstellen, was sich auch im Schutz gegen nichtstaatliche Gefahrdungen oder Eingriffe ausdrückt.19 Die Grundrechte benennen die für die staatliche Friedensordnung unabdingbar erachteten Rechtsgüter; diese Bestimmungen materialisieren somit die Schutzpflichten des Staates. 20 Ein Grundrecht auf Sicherheit wird dabei nicht als ein neues, weiteres Grundrecht neben den bereits verfassungsmäßig geschützten Grundrechten gesehen. Das Grundrecht auf Sicherheit soll vielmehr aus den Gemeinsamkeiten der bestehenden Grundrechte entstehen. Inhalt, Reichweite und Grenzen der aus diesem Grundrecht auf Sicherheit erwachsenen staatlichen Schutzpflicht stellen sich damit aus der Zusammenschau der Inhalte, Reichweiten und Grenzen der vorhandenen Grundrechte dar.21 Durch die Gewährleistung dieser Verfassungsnormen ergibt sich also das "Grundrecht auf Sicherheit". 22 Art. 1 Abs. 3 GG bindet alle drei Staatsgewalten an die Grundrechte. Die grundrechtliehen Rechtsgüter gegen Gefahrdung und Verletzung seitens

17 St. Rspr. seit BVerfOE 7, 198 (205 f.); dazu auch BVerfOE 56, S4 (73); 77, 170 (214); K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 9. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 821 ff., 831 ff.; dazu kritisch G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 112; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 299; zur geschichtlichen Entwicklung des objektiv-rechtlichen Gehalts der Grundrechte sieheE.-W. Böckenforde, Staat, Verfassung, [)emQkratie, 1. Aufl., 1991, S. 161 ff. 18 Optimierungsgebote deshalb, weil die Grundrechtsnormen als Prinzipien in unterschiedlichen Graden erfillh werden können, abhAngig von den tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten. Dabei sollen ihre Inhalte möglichst gemäß ihren Bestimmungen realisiert werden, vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1. Aufl., 1986, S. 1S ff.; K. A . Schachtschneider, Res publica res populi, 9. Teil, 1. Kap., S. 825 f.; dazu auchE.-W. Böckenforde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 124. 19 Vgl. H. D. Jarass, Grundrechte als Wertentscheidungen, AöR 110 (1985), S. 378 ff.; kritischD. Murswiek, Die staatliche Verantwortung ftlr die Risiken der Technik, S. 101 ff., insbes. S. 107. 20 Vgl. E. Klein, Grundrechtliche Schutzpflicht des Staates, NJW 1989, 1633, 1636; K. Stern, Das Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 948; weiterhin K. A . Schachtschneider, Res publica res populi, 9. Teil, 1. Kap., S. 821 f.; J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 229 ff., kritisch S. 240; vgl. i. d. Zshg. zum Schutz des Wesensgehalts von Grundrechten L. Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts von Grundrechten nach Art. 19 Abs. 2 GG, 1983, insbes. S. 155 ff., S. 259 ff. 21 Vgl. G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 15. 22 Ein eigenstandiges Grundrecht auf Sicherheit, wie es im Entwurf des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vorgesehen war, ist schließlich nicht aufgeftlhrt worden; siehe dazu Parlamentarischer Rat, Entwürfe, S. 42, u. Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 533, 744, zitiert und erläutert bei G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. I S ff.; J. Jsensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 34 ff.

1. Kapitel: Schutz der GesWidheit in Deutschland

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Dritter zu schützen und somit Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu schaffen und zu bewahren, ist Pflicht aller Staatsgewalt. 23 Durch Art. 2 Abs. 1 GG wird fiir jedes Individuum das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit anerkannt. 24 Dabei wird von einem umfassenden und offenen Konzept der von Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheit ausgegangen, das jegliches menschliche Verhalten zur persönlichen Entfaltung zuläßt. 25 Art. 2 Abs. 1 GG wird als "eine Art Summenrecht" verstanden26 , das einzelne Freiheitsrechte enthält. 27 Der Freiheit des Menschen, als einem geistig-sittlichen Wesen, sich selbst zu bestimmen und sich zu verwirklichen, ist durch das Eingebundensein in die

23 K. Stern, Das Staatsrecht, Bd. 11111, S. 948, 950; vgl. dazu auch H. H. Rupp, Vom Wandel der Grundrechte, AöR 101 (1976), S. 161 ff.; J. Isensee, Die verdrlngten Grundpflichten des Bürgers, DÖV 1982, 612; zu den Mitteln des Staates zur Schutzpflichterfilllung siehe J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, HStR, Bd. V, § 111, Rdnr. 139. 24 Siehe dazu BVeriDE 27, 344 (351); 33, 367 (376 f.); 35, 202 (220); Beurteilung des Art. 2

Abs. 1 GG als "materielles Hauptfreiheitsrecht": G. Dang, in: Maunz-DOrig (Hrsg.), Kommentar zum GG, (1992), Art. 2 Abs. 1 00, 1958, Rdnr. 6 ff.; H. C. Nipperdey, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: Bettermann!Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 4, 1962, S. 741 ff. (758 ff.). Beurteilung des Art. 2 Abs. 1 nach der Persönlichkeitskerntheorie: H. Peters, Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, 1963, S. 47 ff.; H. Ridder, Preisrecht ohne Boden, AOR 87 (1962), S. 311 ff. (329 f.); H .-U. Evers, Zur Auslegung von Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes, insbesondere zur Persönlichkeitskerntheorie, AöR 90 (1965), S. 88 ff.. Beurteilung, daß Art. 2 Abs. 1 00 kein selbständiges Grundrecht enthalte: D. Haas, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, DÖV 1954, S. 70 ff. (71); H. Wehrhahn, Systematische Vorfragen einer Auslegung des Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes, AOR 82 (1957), S. 250 ff. (267); Wertenbruch (o.VJ, Der Grundrechtsbegriffund Art. 2 Abs. 1 00, DVBI. 1958, 481 ff. (486). 25 Nach Schachtschneider kann man sich nur durch ein Handeln "verhalten"; ein Unterlassen entspricht einem pflichtwidrigen Handeln, vgl. Res publica res populi, 5. Teil, 3. Kap., S. 297 f. ; siehe weiterhin ebd., 5. Teil, 4. Kap., S. 332 ff.; nach H.-U. Erichsen, Allgerneine Handlung