Das Buch vom Glück [Reprint 2020 ed.]
 9783112364420, 9783112364413

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Das Buch vom Glück

RL

Das Buch vom Glück von

Otto Braun

und

Nora Braun

Leipzig

Verlag von Veit & Comp. 1909

Druck von Metzger a Wittig in Leipzig.

Rudolf Eucken dem hochverehrten Lehrer und Freunde in herzlichster Dankbarkeit

Zum Geleit TSiefeS kleine Buch soll ein Dank sein, ein bescheidener Dank dem Manne, dem wir unendlich viel verdanken,

innerlich und äußerlich.

Weil dieser Mann aber nicht

nur für uns so viel bedeutet, sondem schon vielen durch

sein starkes Wort zum Leile geworden ist, hoffen wir damit manchem aus dem Lerzen zu reden, der gleich uns

in Verehrung zu dem Schöpfer des Neuidealismus auf­

blickt.

Wir danken dem Meister, daß er uns gerade ge­

stattet, die Stimmung vieler ihm gegenüber auszusprechen. Als

anspruchslose Dankesgabe aus dem

Gefühl des

Glückes geistiger Einheit heraus möge das Buch an­ gesehen werden. Otto Braun

Inhalt Seite

Das Buch vom Glück....................................................................

1

Sehne« nach dem Glück Brautzeitlieder Abendgedanlen...................................................................................

5

Mein Glück.........................................................................................

6

Sutunft..............................................................................................

7

Gestern nachmittag.........................................................................

8

Die Tropfen fallen — du bist wett, so weit..........................

9

Auf dem „Landgrafen" bei Jena

...................................................... 10

Auf dem „Fuchsturm".......................................................................... 10

Bet Empfang deines Briefes...........................................................11 Dein Wort............................................................................................... 12

And steh, es duftet süß, so süß der Flieder!................................. 13 Zn blaffen, schweren Fliederdolden................................................ 15

„Götterdämmerung".........................................................................

16

Blaue Lilie«.......................................................................................... 17

Gelbe Iris.........................................................................................

18

Der letzte Abend..................................................................................... 19

Weihnachten 1906

.........................................................................

20

Der Einheit Glück Vom Leben

Wechnachten 1907

.........................................................................

23

Das Englein.......................................................................................... 24

Sette

Wechnachtsgedtcht für unsere Quinta................................................ 26

Jahreswende 1907/08

....................................................................

27

Denker und Dichter................................................................................ 29

Beim Anblick des kleinen Winterbildes au- unsrer Kindheit

31

Andante F-dur........................................................................................ 33 And deine Augen waren tief und klar..............................................35

Vom Schaffe« I Leimatlieder Ostpreußen............................................................................................... 39

Fühlst du es, Leimal?

Rahist dir dein Kindl..............................40

Ob meine Leimat schön?............................................................... 41 Im Winterschnee, du Leimaterde...................................................... 43 Du mein« Leimat, mir so nah,bist doch nicht mein ...

.

45

Sommernacht.......................................................................................... 47

Sommerlust................................................................................................49 Am Sonntag.......................................................................................... 50 Wiegenlied................................................................................................ 51

Bald stillt der Schnee, der Winter ist nicht weit

....

52

Flockenzauber.......................................................................................... 54 Le stoarvt all boal................................................................................ 55

Riz-aveilchen........................................................................................... 57

Weidenkätzchen...........................................................................................59 Kiebitzeier..................................................................................................... 60

Passion..................................................................................................... 63

Stimmung................................................................................................ 64 Die Linden blühn..................................................................................... 65

Eck koaml.

.

.

;................................................................................ 66

Wenn weiße Rosen lieben.................................................................... 68 Schwer lastete der Schnee..................................................................

70

II Lieder aus aller Zeit Sette

Anno domini 1200 ............................................................................ 75 Wohin des Wegs?.............................................................................. 79 Das Glück............................................................................................. 80 Giordano Bruno................................................................................... 82 Sein Tod.................................................................................................. 83 Winter in Siena................................................................................... 85 Leut abend, im Ahnensaalei.............................................................. 87 Die alte Mär........................................................................................88 Romanze.................................................................................................. 89 Die Krone............................................................................................. 91 Der blulgeweihte Deich........................................................................ 93 Lerbstmythos........................................................................................ 95 Wie einst zur Zeit, daGStterherrlichkeit.................................... 96 Iulnacht.................................................................................................. 97

III Welt und Geist. Ideen Die drei Nornen................................................................................. 101 Wahres Leben und wahrer Tod...................................................103 Sprüche................................................................................................ 112 I. Nicht Zweck des Menschen............................................ 112 II. Ich sah in hohlem Lasten............................................ 112 HI. Nicht tatenloses Anschau»............................................. 113 IV. Des Dichters Aufgabe................................................. 113 V. Ohne Ziel kannst du nicht schaffen............................. 113 VI. And fragst du nach dem Ziel.......................................114 VII. Als aus dem Argrund................................................. 114 Unfete Ruhstatt................................................................................. 115 Lhmne an den Weltgeist.................................................................. 117 DaS Ende........................................................................................... 120

Seite

Zwei Sonette an die „modernen Dichter". Erstes Sonett . 122 Zweites Sonett............................................................................ 123 Gegen einen „modernen Dichter". R. D..................................... 124 Gegen die moderne Künstelei............................................................. 126 An Richard Wagner....................................................................... 127 Religion................................................................................................ 128 IV Mären, Mythen und Gespräche

Ein wahres Märchen.................................................................. 131 Der Christbaum................................................................................. 148 Di« Geschichte vom kranken Prinzeßchen................................... 157 Lohengrin................................................................................................ 181 Ein Windmythos................................................................................. 189 GerSrS Rache...................................................................................... 193 Die Priesterin Freys...................................................................... 201 DeS Geiste- Weg................................................................................. 218 Der Ahorn ........................................................................................... 254 Eia Sylvestergespräch 1800/1801 .............................. - ... 261

Rudolf Eucken...................................................................................... 270

Das Buch vom Glück geht eine Sage so wunderbar

durch alle Zeiten hin. Wer weiß es, wer ihr Sänger war? Ich glaub' — des Menschen Sinn.

Des Menschen Sinn, der das Glück verlangt, der wies, daß es wirklich sei, und wer in der härtesten Fessel bangt, ersehnt noch des Glücks Melodei.

So viele liegen in Fesseln da und harren der lösenden Kraft; sie wissen es nicht, daß Lösung geschah

nm dem, der die Lösung sich schafftl

Wollt wissen ihr, wie das Glück man zwingt?

Wollt ihr sehn, wie zu uns es kam? Wer mutig mit allem Bösen ringt,

noch stets seine Stimme vernahm! Da» Buch vorn Glück

1

Doch kämpfen heißt eS und mutig sein, dem Genuß entsiiehn der Natur,

so kann man sein Leben dem Geiste weihn,

so kommt man dem Glück auf die Spur.

In einiger Lieb, in des Strebens Macht, da fühlm wir das Glück, da hat es froh uns angelacht,

so lang ich denk' zurück.

And dieses Buch soll künden laut

vom Glück, vom Glück im Geist! Wer ihm in die segnenden Augen schaut,

dem gleiches Glück sich weist! Nora Braull

Abendgedanken

^ausch'ges trautes Arbeitsstübchen, Liebes Plätzchen mir zum Denken, Zn Erinnerung versenken, Klein und doch die Welt für mich! Süll, vom Lampenschein umfiimmert, Spinnen sich die zarten Fäden, Spinnm sich Gedankenfäden, Eine inn're Welt entsteht. Traulich-trautes, liebes Bildchen Schaust so freundlich aus dem Rahmen! Mit welch' kosend Schmeichelnamen, Liebes Kind, nur ruf ich dich? Dir verdank' ich all mein Wesen, Dir verdank' ich alles Gute, 5lnd waS mir im Lerzen ruhte. Weckte auf dein LiebeSkuß! Eilt hinüber zu der Lolden, Gute Geister aus dem Stübchen; Sagt mir, ob das kleine Grübchen Auf der Wange ihr noch lacht?

Lausch'ges, trautes ArbettsMbchen, LiebeS Plätzchen mir zum Denken, Zn Erinnemng versenken: Welche Welt birgst du für mich! Otto Braun

Mei« Glück -^ageslicht wird trüb und trüber,

Düst're Dämmrung finkt Hemieder, Alles schwimmt in fahlem Grau. Doch im Innem ist ein Blinken,

Nebel vor der Sonne finken,

Freundlich lacht herab das Blau. Leise flüstert es, ganz leise Nach klein-winz'ger Geister Weise, Zischelt hin und zischelt her:

„Glücklicher, du kannst erfreuen. Kannst der Sorgm Zug zerstreuen. Sag, wa- willst du denn noch mehr?"

Zukunft Lo selig ist's, beglückt, selbst zu beglücken.

Zu geben alles, nichts mehr zu versagen. Nur dran zu denken, was dich könnt entzücken,

Lind frei, nach keiner Schranke mehr zu stagenl Erst dann bin froh ich, nichts wird dann mich drücken. Vereint mit dir, will alles ich ertragen.

Voll Glück und Schmerz, voll Wechsel ist das Leben, Ans trennt es nie, uns eint ein höh'reS Streben. Nora Braun

Gest«« nachmittag T\er Lampe Schein durchflutet leis das Zimmer und gießt das traute Licht in alle Eckm.

So heiß und fest ruhst du an mich gelehnt, und schwellend hebt fich deine Brust an meiner. So fest umschlungen halten wir uns beide,

als wenn wir niemals auseinander müßten. — So ist eS gut!

So möcht ich immer rühm,

wmn von des Tages Müh' ich müd geworden, und stille Nacht des SttebmS Wirrsal löset. An deinm Busen will ich dann mich betten, der mir so rofig-hold entgegenblüht. So werd ich Paradieseswonne kosten,

wie fie dem Sterblichen sonst stets entflieht!

Die Tropfe« fallen — du bist weit, so wett /Beregnet hat's, die Sonne ist geschieden. Ein graues Licht, das vom bewölkten Simmet glimmt. Erfüllt den Garten, still im Abendfrieden, Der unbestimmt im Dännnergrün verschwimmt. Vor mir, erfrischt durch warmen Sommerregm, Liegt düfteschwer der lange Lindengang; Von fern den sehnsuchtsschweren Abendsegen Der Sprosser singt so süß, erwartungsbang.

Verträumt schreit' ich im dunkelgrünen Schatten, Amwogt von würz'gem Lindenblütenduft. Lind mit dem Dämmerlicht, dem weichen, matten. Die Sehnsucht zittert durch die linde Lust.

Leis fallen Tränentropfen von den Zweigen, Die flüsternd hat bewegt ein zarter Lauch, And meinem Blick sich liebe Bilder zeigen, Da feuchten Tränen mir die Wimpern auch.

Wie ost gingst du auf diesen trauten Wegen Mit mir in stiller, tiefer Seligkeit! And jetzt? Ich seh' in'S Grau; ein raunend Regen, Die Tropfen fetten, — du bist weit, so weit. — Nora Braun

Auf dem „Landgrafe«" bei Zena ^ahl ruht der Nebel tief im Tale, iS Vor Sonnenpfeilen er nicht flieht,

And nur das Silberband der Saale Dahin durch graue Wiesm zieht.

Doch hier, hier obm lacht die Sonne, Amwebt mit milden Strahlen mich. So bin ich auch in Liebeswonne Vom Weltenweh gelöst durch dich! Otto Braun

Auf dem „Fuchsturme" ‘Tyr Sturm erbraust, der Nebel zieht, And aus dem Tal er aufwärts flieht,

Befiegt von Sonnenstrahlen. Lell liegt die Welt in Glanzeslust, Frei schlägt das Lerz mir in der Brust, Erlöst von Zweifels Qualm.

Ich weiß es ja, daß du mich liebst,

Daß du mein Streit mir vergibst. Nun auf! zu neuem Leben! Verachtend schau ich auf die Welt, Vor meinem Willen fie zerfällt!

Frisch auf zu frohem Streben! Otto Braun

Auf dem „Landgrafe«" bei Zena ^ahl ruht der Nebel tief im Tale, iS Vor Sonnenpfeilen er nicht flieht,

And nur das Silberband der Saale Dahin durch graue Wiesm zieht.

Doch hier, hier obm lacht die Sonne, Amwebt mit milden Strahlen mich. So bin ich auch in Liebeswonne Vom Weltenweh gelöst durch dich! Otto Braun

Auf dem „Fuchsturme" ‘Tyr Sturm erbraust, der Nebel zieht, And aus dem Tal er aufwärts flieht,

Befiegt von Sonnenstrahlen. Lell liegt die Welt in Glanzeslust, Frei schlägt das Lerz mir in der Brust, Erlöst von Zweifels Qualm.

Ich weiß es ja, daß du mich liebst,

Daß du mein Streit mir vergibst. Nun auf! zu neuem Leben! Verachtend schau ich auf die Welt, Vor meinem Willen fie zerfällt!

Frisch auf zu frohem Streben! Otto Braun

11

Bei Empfang deines Briefes ^rch dank' dir für dein ernstes Streben -*/ And süßer Lohn winkt dir! Ein reiches, arbeitsvolles Leben,

And Glück und Ruh bei mir.

3ch hab beglückt dich ganz verstandm, Ach, könnt' ich bei dir sein!

Zn einer Sehnsucht sich die Seelen fanden: In Lust und Leiden dein.

Verzweifle nicht! Das Glück schaffst du unS beiden. Stets ist mein Lerz bei dir. And bald vorüber ist der TreMung Leiden, And du vergißt bei mir!

Dein Wort

4Zi war so kalt, so dunkel um mich her, '*■* Fast glaubt ich, könnt' ich's nicht ertragen.

Sieh, Kraft und Loffnung haben war so schwer. In Einsamkeit und Weh wollt' ich verzagm. Da dacht' ich Dein, und eS ward Ruhe mir; Mein müdes Laupt schmiegt ich in deine Lände, And wie so oft fand ich den Trost bei dir. Da dünkt mich's auch, daß einst das Glück ich fände.

Erst glaubt ich's nicht, denn alles war so trüb. Ich dachte nur an ein gemeinsam Leiden. Ein- bist du ja mit mir, hast mich so lieb. And nicht-, nicht Leid, nicht Tod kann je uns scheiden.

And dann, in dieses Dunkel klang dein Wort, Dein liebmd, mutvoll Wort, es gab mir Leben. Nimm meinen Dank in weiter Feme dort: O nimm mich hin zu glücklich-emstem Streben! Nora Braun

Lind sieh, es tmftet süß, so süß der Flieder! ch war noch Kind. Daheim in unserm Garten lag träumend ich. Die linde Sommemacht sank sanft auf mich herab. Sehnen im Lerzen,

3

sah ich rings um mich her die Blütenpracht Ein dunkles Ahnen zog von tiefsten Schmerzen, von süßster Seligkeit durch meine Brust, und so ersehnt ich, was ich nie gewußt. Ganz leise sang ich kleine Kinderlieber-------es duftete so süß, so süß der Flieder. Die Zeit verging. Längst mußt ich scheiden von meinem Leim. Ich fand es dann bei dir. Du gabst mir. Liebster, jene Seligkeiten, und gold'ges Glück empfing ich froh von dir. Die Liebe lehrte auch der Sehnsucht Leiden, nun fühl' ich fie im tiefsten Trennungsweh, wenn ich um mich den Blütenjrühling seh! And sehnend fing ich leise Liebeslieder-------es duftet draußen süß — so süß der Flieder.

Die Zeit vergeht.

Bald wirst du bei mir weilen,

und endlich — werd' ich ganz dein Eigen sein.

Dann stirbt das Sehnen sacht in Seligkeiten, wenn weltfem, glücksdurchglüht wir find allein.

Dann lockt der Lenz, — und Glück un- zu bereiten,

streut Blütendolden rings er um uns her,

und unser Garten steht so düfteschwer. Die Nachtigall fingt leise Liebeslieder----------

und fieh — es duftet süß — so süß der Flieder. —

•“'In blaffen, schweren Fliederdolden

mit matten Schleiern schlank die Sehnsucht steht.

Sie lächelt bang, und um ihr offnes Laar, so sonnengolden, der Kelche Duft betäubend, kosend weht....

So steht sie schwank, den Blüten wie ein Traum entstiegen.

Ein Traum von künst'ger Zeit, so wintt sie mir

im Mondesglanz, und ihre kühlen Arme schmiegen sich fest um mich, ich folge ttäumend ihr zum Blütentanz. Dann ist sie schwebend mir entschwunden, ich bin im nächt'gen Garten ganz allein. Ein Blütenzweig hat kühl sich um mein Laupt gewunden. Es zirpt, — ein Vogel muß erwacht wohl sein am nahen Teich. Rora Braun

„Götterdämmerung" T*\et hohen Künste tiefste zu vernehmen *•' An deiner Seite, eng an dich geschmiegt, So aufzugehn im heilig Ewig-Schönen Am Quell deS Ideals, der nie versiegt: Das gibt uns Kraft für ttübes Weltgetriebe, Das hebt in Limmelssphären unsre Liebe. Richt müßgen Anschauns, leichten AusruhnS Freude, War uns das Fühlen dieser Wunderkunst! Vor unfern Augen wuchs ein Weltgebäude And stürzt', umtost von Weltenbrandes Bmnst. So wurde Schauen, Lören zum Erleben, Wir fühlten uns vom Ideal umgeben. Brennt jetzt der Trennung Weh in deinem Lerzen, So schöpfe Kraft aus diesem höchsten Glück! Denk an Brünnhildes nie geschmerzte Schmerzen: Sie blieb als Siegerin im Leid zurück. Denk an die Welt, die wir uns selbst erbauen, Sie läßt uns freudig in die Zukunft schauen. Otto Braun

Blaue Lilien tYVifct du, mein Lieb, wie schön auf unserm Teich Die schlanken, blauen Lilien blühn. Wenn Maienwinde warm und weich Leis raunend durch das Schilfrohr ziehn?

Dmkst du daran, wie plätschernd unser Boot Durch stille Wasser weiterglitt. And wie das müde Abendrot Ans seinen letzten Schein gab mit? Auch er verglomm; und Silberwellen goß Der Mond aufs abenddunkle Land umher. Weißt du, wie fest dein Akm mich da umschloß? Wie lastete die nahe Trennung schwer! Nun bist du fort! — o komm doch, komm zu mir. Wenn auf dem Teich die schwanken Lilien blühn. O komm doch bald, ich sehn' mich so nach dir, Wenn Maienwinde durch das Schilfrohr ziehn. Nora Braun

Das Buch vom Glück

2

—HM-.—18

Gelbe Iris frYynn frische Morgenwinde wehen, ***,/ Wenn alles ringsum grünt und blüht,

Lind auf Masurens sonngen Seen Im goldnen Glanz die Iris glüht: Dann wirst du wieder mich umschlingen Lind sel'ges Glück wird uns der Frühling bringen. Dann ist erlöst das dunkle Sehnen, Ein frischer Wind bewegt den stillen See, Beglückt will ich mein Laupt an deines lehnen, Befreit vom bittern, dumpfen Trennungsweh. Fest wird dein Arm die Glückliche umschließm, Wenn licht in unser Boot die Lilien grüßen.

Der letzte Abend T\er letzte Abend senkt sich leis hernieder, *■'' Den ich getrennt von dir noch weilen muß; Die Arbeit ruht; es steigen auf die Lieder, Ich träume still von deinem Liebeskuß. Wie oft hab ich am Abend hier gesessen. Mit dir geplaudert und bei dir geweilt, And Sorg' und Mühen hab ich dann vergessen. In deiner Liebe ward ich stets geheilt. Bei dir find ich Verstehen für mein Streben, And deine Land streicht mir die Stirne glatt And läßt der Sorgen Wolken fernab schweben. An dich lehn ich den Kopf, vor Arbeit matt.

So fand ich jeden Abend Glück und Frieden. Doch heute fühl' ich Limmelsseligkeit! Nicht länger bin ich mehr von dir geschieden! O selig, übersel'ge Weihnachtszeit! Otto Braun

—20

Weihnächte« 1906 (QÄxx Jahr verging. Ist viel darin geschehen. '*■* Durch innre Kraft erzwangm wir vereint, daß auch die Welt als Einheit uns erkennt. Die Zeit dahin schien damals lang, so lang! Wir kürzten sie durch unsre starke Liebe, die alles zwingen kann und alles zwingt, wenn nur die innre Einheit uns umschließt. —

Ein Jahr verging! 's ist Weihnacht wieder heut, das schöne Fest der höchsten, reinsten Liebe, das Fest der Innenwelt und ihrer Kraft. Wir sind vereint, ganz innerlich verwachsen — und doch noch nicht vereint, und sehnen uns. Wir sehnen uns nach unserm kleinen Leim! Sei still, mein Kind, mein liebes, kleines Kind, die nächste Weihnacht soll schon unser sein. Drauf nimm mein Wort als innerlich Geschenk: in einem Jahr sind wir allein zu zwei«!

23

Weihnachten 1907 V^un sag, mein Kind, hab ich dir Wort gehalten? *■ „3n einem Jahr sind wir allein zu zwein!"

So sagt' ich dir zum Trost vor einem Jahr, als traurig du in all dem Trubel warst. Leut flammt der Lichterbaum in unserm Leim

und leuchtet unserm einsam stillen Glück. So haben wir's ersehnt. Durch eigne Kraft,

die aus der innren Einheit uns erwuchs, ist uns das Glück entstanden, das wir fühlen! Drum kann uns niemand in der Welt es nehmen, denn unser innres Wesen macht es aus. Laß alle Sorgen, Kind! Sieh, dort den Baum, wie er so fteundlich hell durchs Zimmer strahlt. So hell wie er ja leuchtet uns das Ziel, das hohe Ziel, dem unser Leben gilt: die Geistesliefe dieser Welt zu mehren! Das gibt uns Ruhe, Glück und innren Wert. — Wie soll, mein Kind, die nächste Weihnacht sein? Im äußren Leben wird sich wenig ändern, doch jene Welt, der unser Streben gilt, sie soll gewachsen sein in uns und außen. Drum hör mein Kind, mein liebes, liebes Kind: in einem Jahr ist Größeres vollbracht!

Das Englein T*\roben im Limmel beim Lerrgotte stand einstmals ein Englein und blickte ins Land, blickt' auf die grünende Erde. Inniglich hub eS zu bitten dann an, flehte und bat wie's ein Englein nur kann: daß es ein Menschlein mal werde!

Gottvater schüttelte weigemd sein Laupt, nimmer den Englein zu gehn sei erlaubt dort auf den sündigen Auen. Fragte das Englein, warum das denn sei, blickte dem Lerrgott ins Auge so frei, sprach er da gütig es streichelnd:

„Sieh' mal, mein herzliebeS Engelein klein, nimmer kannst rein auf der Erde du sein, bitte mich dmm nicht so schmeichelnd!" Traurig nun schlich sich daS Engelskind fort, sah noch gar oft von dem wolkigen Bord, möcht doch dm Lerrgott nicht frönten. Doch wenn es hörte von Leid und von Schuld, wünscht' es dm Menschen in göttlicher Äuld, all seine Liebe zu schenken.

Weil es aus Liebe sich sehnte herab, endlich Gottvater Erlaubnis ihm gab, sich auf die Erde zu schwingen. Doch daß nicht schlecht würd' sein schneeweißes Kleid dott auf der Erde so schmutzig und weit, ließ er die Wolken sich bringen. „Wolken, gebt all eure Weiße nun her, macht, daß die Erde so öd' und so leer strahle in schneeigem Glanze! Breitet als Teppich dem himmlischen Kind weich eure Federchen drunten geschwind. Wirbelt zu blinkendem Tanze!"

Wißt ihr, welch Wunder der Welt nun geschah? Wolkenweiß lagen die Felder bald da, ruhten in schneeiger Reine. Englein auch nahm alle (Sterne sich mit, wie das nur blinkte bei jeglichem Schritt alles in himmlischem Scheine.

Sttll in der strahlenden, heiligen Nacht hat dann das Englein zur Erde gebracht all seine segnende Liebe. Nora Vraun

Weihnachtsgedicht für unsere Quinta n fernem Land, vor vielen, vielen Jahren, 3n einer stillen, warmen Sommemacht Lat einst ein treues Paar des Limmels Glanz erfahren, Als froh ihr liebes Kind zum Licht der Welt erwacht.

3

Das Kind ward groß und allen seinen Wegen Lat Gottes Liebe hell vorangestrahlt, So ward es einer ganzen Welt zum Segen And von Jahrtausenden die heiligste Gewalt. Der eine Tag doch, wo zum ersten Male Das Kind in Elternliebe froh erwacht. Er ward zum höchsten Weihefest für alle. Zum Fest der Liebe und des Glücks gemacht.

In unserm Land, fern jenen heißen Zonen, Liegt alles still in weißer Winterpracht, Wenn überall, wo liebe Menschen wohnen. Sich segnend niedersentt die heil'ge Nacht. Dann strahlt der Tannenbaum im tiefen Winter Gar schön geschmückt zu Christuskindchens Ehr, Das Fest der Eltem wird zum Fest der Kinder, And Weihnachtswonne jubelt rings umher. Nora Braun

Jahreswende 1907/08 Schneeflocken umwirbeln in flimmerndem Spiel Von einem fernen, reinen Land die Mauer, Dort finden alljährlich Gestalten ihr Ziel Mit Zügen glückverklärt, voll Ruhm und Trauer.

Ich klopfe, verschneit bei dem wintemden Weg, Ganz leise an kristall'ne hohe Türen. Man öffnet facht, und auf verfchlung'nem Steg Seipt man das Märchen mich zum Saale führen. Ich sehe beglückt so wie Sterbliche nie Mein träumend Saupt von Wundern licht umgeben. Gestalten in das Reich der Phantafie Aus gold'ner Löhe schimmernd niederfchweben. Da winkt mir Frau Muse so lieblich und hold, Zch schmiege mich ihr huldigend zu Füßen, Umspielt von ihrer Locken lichtem Gold, Seh ich den ernsten Genius freundlich grüßen.

Dann Durch „Sieh „Sier

treten bei Klängen gar wunderbar hohe Pforten still zwei schlanke Frauen. dort in Schleiern harrt dein neue- Jahr, dem vergang'nen darfst ins Aug' du schauen."

Zo

'M/

So weist mich Frau Muse.

Mit forschendem Blick Die Augen laß ich da mir Kunde geben,

And sieh, von Liebe sprechen sie und Glück, Von freud'gem Schaffen und von hohem Streben. „Das Vergang'ne reiht dem Vergang'nen sich zu, „So bildet ewig jung sich dir dein Leben,

„And eine Ewigkeit gewinnest du, „Wenn ernst du strebst dem Ideal ergeben."

Mit hallenden Worten im heiligen Schein Der Genius spricht's. Ich kniee vor ihm nieder. Gesegnet geh' ich nun ins neue Jahr hinein: Wär's doch noch strebender, so glücklich wieder. Nora Braun

.



Denker «nd Dichter Vn dem Schreibtisch sitz ich bei der Arbeit, Großer Denker Weisheit um mich her; Doch sie kann mich heule gar nicht fesseln: Durch das offne Fenster da grad vor mir Flutet mild und warm ein Sommermorgen, Wie so köstlich selten er erlebt. Eingewiegt hat mich die duft'ge Wärme, Lat den ernsten Schritt der Logik mir zerstört. Langsam sinkt das Buch mir aus den Länden And ganz verträumt schau' ich hinaus ins Blaue. Zart°leise Klänge ziehn mir durch den Sinn, — Wie schade doch, daß ich kein Dichter bin! And wie die Blicke noch im Grünen schweifen. Da regt es sich auf einmal dort ganz hinten, Wo sommerlich die Linde würzig duftet And tausend Bienen summend eifrig sind. Durch ihren Schwarm, vom lauen Wind getragen, Fliegt auf mein Fenster zu ein Engelskind. And sieh! Da ist es schon! Sitzt mir zur Rechten Auf einem Stapel Weisheit lachend da, Wie lustig sieht das aus, als es so sitzt. And was ich denke, scheint es zu erraten; Dmn fteundlich blickend fragt es: „Du kein Dichter? 3a, Denkersmann, sag', weißt du das genau? So dichte doch mal zu, ich will dir helfen!" Da mir's just grabe so zumute ist, So sag’ ich: „Gut, ich will es gern versuchen!"

And nun beginnt's; ich dichte frisch vom Sommer And von dem Fleiß der Bienen dort in ihm, And wie wir's uns zum Beispiel nehmen sollen, Denn Arbeit ist des Menschen höchste Pflicht, Nicht leicht von selbst fällt ihm sein Wesen zu, Denn wenig herrscht der Geist ja nur in ihm, Monismus ist nicht da, er soll erst werden — Doch halt — was schwirrt so schnell dort durch das Fenster? Ich seh mich um — das Engelskind ist fort — Doch nein — da sitzt es ja auf einem Ast! Wie? Seh ich recht? Lacht es mich etwa aus? „Was ist dir denn?" so frag ich ganz erstaunt. „Du bist ein unverbesserlicher Denker!" So spricht's und wippt und schüttelt sich vor Lachen. „Du bist mir zu gelehrt, du kannst nicht dichten!" And husch! Da ist eS auch schon fort ins Blaue. Betrübt und seufzend schließe ich das Fenster: So geht's, ja, ja, die Wissenschaft macht starr, Sie läßt dem warmen Leben uns ersterben. And schließlich lacht uns aus ein muntres Kind! — So sitz ich noch, da tut sich auf die Türe, And leise, leise tritt es hinter mich, Zwei Arme legen sich um meinen Lals, Ein lieber Mund küßt mir die müde Stirne. In Mem Glück ruh ich an ihrer Brust. „Bei dir, mein Kind, ist Wissenschaft das Lebm. And ging das Dichten heute nicht allein, So geht es doch vielleicht vereint zu zwein?" Otto Braun

31

Beim Anblick des kleine« Wi«terbildes ans unsrer Kindheit tTyr sitzen traulich Wang' an Wang' geschmiegt und kramen eifrig in Erinnerungen. Die schwere Truhe steht gefüllt vor uns, wo wir Gedanken, liebe Bilder bergen aus längst vergangner Zeit. Da zeigst du plötzlich mir mit stillem Lächeln ein kleines Bild voll holdem Stimmungsreiz: wir beide sind's, in deiner Eltern Garten, ein halbes Jahr nach unserm ersten Sehn. — Dort unten in dem kleinen, schmalen Tal von allem Stadtgetriebe abgeschnitten da stehn wir zwei im tiefen, weißen Schnee. Der Bäume zarte Äste, schneegeschmückt, verzweigen glitzernd sich ob unsern Läuptern; ein zarter, keuscher Glanz strahlt von dem Bild, von Winterzauber, sonn'gem Kinderglück. Du ziehst, ein stolzer Bub von „schon" elf Jahren, da- kleine, blonde Ding so ritterlich im Schlitten fort, und ich in meiner Mütze gar ernsthaft nach dem starken Führer seh. . . . . . . Mich rührt so seltsam dieses liebe Bild: ob wir schon damals ahnten, was das Leben uns nun seit lange schon so glücklich gemacht? . . . Es scheint, als ob du wüßtest, was du wolltest.

32 So selbstverständlich ziehst du deine Last, und ich bin still in deinem starken Schutze. Mir scheint ein lieblich Bild zukünftgen Glücks

dies Kinderbild in Wintereinsamkeiten. Wie damals, hab ich weiter dir vertraut, und du gabst Ruhe mir, und Glück und Freude, —

nun hast du uns ein kleines Leim gebaut . . .

und stilles Schaffen eint beglückt uns beide. Rora Braun

33

Andante F-dur

—~ »sw. 7t-* r Beethoven. CLo still und traulich ist's in deinem Zimmer, Die ernsten Bücher grüßen freundlich mich. Du siht am Instrument, die Lände gleiten liebkosend weich, und zaubern Klänge vor. Ich seh dein liebes, dunkles Laupt, und Danken erfüllt mich ganz für all mein tiefes Glück. Voll fluten des Andante Larmonim und wecken träumende Erinnerung an eine Zeit, die weit nun liegt zurück. ... An unsres alten Lauses niedre Fenster, durch die ich schon seit Jahren nicht mehr seh, klopft langsam, stetig, warmer Sommerregen, der rieselnd draußen graue Schleier webt. Ich steh' am Fenster unsres Gartenzimmers, wo hellgeblümte Möbel traulich stehn, aus Llrgroßmutter's Zeit Erinnrungszeichen. Es rieselt, rieselt vor den kühlen Scheiben. Der alte Apfelbaum mit grüner Frucht glänzt matt von all den schweren Regenperlen; leis schüttelt er sein dunkelgrünes Dach. — Dort, hinter seinen breiten, knorr'gen Zweigen Da» Buch vom Glück

3

liegt unser Teich mit seinem morschen Steg. Ein nasses Entchen steht und sieht mit Schnattern, wie Regenttopfen plätschemd Kreise ziehn. Dann geht e- auch . . . kein Leben in der Sülle, grau rieselt's durch das Grün, und aus dem Saal klingt das Andante sehnsuchtsvoll hinüber, so traurig macht es mich, so ahnungsschwer. Du spielst es ... mit so weichen Kinderhänden; ja, Kinderhänden, die kein Kampf gestählt. Ich aber lausch', . . . und kann nur weinen, weinen, voll Sehnsucht, Liebe, weher Zukunftsangst, im Kinderherzen ttäumerisches Trauem. Die düstren Klänge jetzt, die lauter tönen, sie raunen mir von schwerem, Wnft'gem Kampf. — Ich eile hin zu dir, und wie zum Troste löst sich das Drohen auf in Larmonien . . . And plötzlich fällt aus Muttchens ttautem Zimmer ein Heller Lampenschein bis her zu unS; Du läßt die Töne neckend schneller huschen — ich lache selig auf in Kinderlust . . . And Stille, aus dem Träumen des Vergangnen schreck' ich empor, und nicht im Eltemhaus mehr bin ich, unser Leim umgibt mich fteundlich, du stehst, ein kampfgewohnter Mann, vor mir und schließt die Glückliche in deine Arme. Rora Braun

35

Lind deine Augen waren tief «nd klar . . .

CLag, weißt du's noch? Es war ein Kindertraum; im Sternenschein umgaben uns die Fluren, wie rasch wir doch durch ihre Stille fuhren, ein kleines Licht erglomm am Waldessaum. „Dort ist's so schaurig", leise flüstert ich, und schmiegte fester, fester mich an dich: »Fahr zu, fahr zu, ich möchte Lichter sehn!"

Lind weiter ging's. Es war ein Kindertraum, was mir da plötzlich meine Wünsche wiesen . . . Gedenkst du noch der beiden Tannenriesen am kleinen Laus? Ich glaub', du sahst sie kaum! Ich aber sah sie! Lind sie schimen mir, so eng vereint, von mir ein Bild und dir, von uns, die stolz und hoch emporgestrebt. Ich saß bei dir! Es war ein Kindertraum, der mich da führte in die weite Ferne: ich — war dein Weib, und unsres Glückes Sterne, sie standen eng vereint im Weltenraum! Ob's je so ward? Mir blieb die Zukunft stumm, ich sah nach dir mich hilfeflehend um, . . . und — deine Augen waren tief und klar. — Nora Braun

Ostpreußen /Cin frischer Lauch liegt noch auf deinen Feldern,

still ruhen sie in weichem, Hellem Grün, und heil'ger Friede webt in deinen Wäldern. An schmalen Gräben einsam Blumen blühn, die keine fremden Lände brechen dürfm. tim schwanke, blaue Glocken weht

ein leiser Wind, der über Wiesen geht, wo weiße Falter süßen Lonig schlürfen. Fern liegst du von der Städte lautem Schall, ihr grauer Staub konnt' nimmer dich bedecken, kein hastend Weltkind ruhte hier in Qual, und keine bleiche Land durft' dich beflecken. Der Großstadt müdem Aug' nicht botest du des Augenblicks Genuß. So voller Fülle, so weich in deiner frischen, fernen Stille liegst du vor mir und winkst mir freudig zu. Ja, du bist mein! Ich weiß, du bist mein Eigen, du große Kraft, in kenne jubelnd dich. Mein Lied soll deiner Schönheit Wunder zeigm, in deiner Ruhe Glück erkenn' ich mich.

Fühlst d« es, Heimat? Nah ist dir dein Kind! L^ohe Häuser, Straßen, Menschen, die so hasten, *7 auf denen diese düstren Mauern lasten! — Da ist nichts Eignes mehr, die Masse nur wirkt lähmend. Nichts Gesundes kann ich sehen,

eS scheint ein Höchstes hier mir zu vergehen: Des Einzelmenschen schaffende Natur! Wie mich die Enge drückt!

3ch möchte ssiehen,

zurück in meine Heimat möcht' ich ziehen, woher ich kam, und wo mein Wesen ward. Du stilles Land, das ich so stark muß lieben,

von dem ein reiner Abglanz mir geblieben, in deiner Weite wuchs mir meine Art! Das Einzelne, das Starke nur begreifen kann ich. Auf weiten, weiten Feldern schweifen von frischer Lust umweht: das klärt den Blick. Nicht müde Sehnsucht ist's, was in mir quillet,

ich liebe dich, dir gleich, und mich erfüllet gleich dir ein stilles, aber starkes Glück. Ich kenne dich! And will dich stets verstehn,

stolz will ich immer deine Wege gehn, die weitm Wege, die so segnend sind. Ich eil' dir zu! Fort aus den düstren Mauern, wo Massen um ihr einst'ges Menschtum trauern. Fühlst du es Heimat? Nah ist dir dein Kind! Nora Braun

Ob meine Heimat schön? zTXb meine Heimat schön? Wie sollt ich sonst sie lieben!

Vielleicht versteht ihr diese Schönheit nicht. Vielleicht dünkt sie euch arm, wie manches Land mit Wiesen, Feldern, Wäldern auch und Wasser.

In solche öde Gegend geht nicht gem, wer sich von Städtehast „erholen" will. Wie bin ich froh, daß ihr die Schönheit nicht

erkennt von meinem fernen, stillen Land; sie wäre tot, wenn alle, alle kämen, und Ruhe heischend, ihr die Ruhe nähmen! Schon fanden viel zu viele ihren Weg in unser Land; und seine Einsamkeit

muß oft schon lauten, müß'gen Schwärmen weichen, die ihre Schönheit töten, nicht verstehn. Wer kennt denn anders deinen Zauber, Land, als deine Kinder nur, die von ihm schweigen? In stiller Arbeit fühlen sie dein Glück, das ihnen nimmer wird bewußt und klar.

Es ist in ihnen, ihr gesunder Sinn läßt nimmer sie zergrübeln sich und denken, wenn sie durchs weite Feld die Pflüge lenken. Dies unbewußte Glück ist schön, so schön,

ein Stück Natur mir diese Menschen sind, die oft wie die Natur auch hart erscheinen.

Nicht alle sind so, doch die Echten find's, und fie nur lieb ich, so wie deine Sem, Die weiten, weiten Seen in grünen Wiesen, worin der klare Limmel spiegelt fich. — Tiefdunkel hinter dir dehnt fich ein Land, das fremd dir, nie dein Wesen konnt' durchdringen, da- nicht zu dir, und doch nach Deutschland kam. Des Slaven dumpfen Sinn, du hassest ihn. Ein Grmzland, bist du Deutschlands bester Lüter, das lieb ich, daß du deutsch und kraftvoll bist. Die großen Sem, dann weites, stilles Land, nur wenig Läufer; endlich gelbe Dünm, die strahlmd an des Meeres Ufer stehn; und Wälder, heimlich, so voll Zauber noch, wo Elche aus der Vorzeit Größe hausm: DaS, Leimst, ist dein heimlich-schönes Wesen, das ich auS deinem klaren Aug' gelesen!

Sm Winterschnee, du Heimaterde

m Winterschnee, du Heimaterde, bestrahlt vom schönsten Sonnenlicht, im kühnsten Traume träumt ich nicht, daß ich dich Wiedersehen werde.

3

Als einst ich ging mit wehem Lerzen und müdem abschiedsschwerem Blick, da blieb bei dir mein ganzes Glück, und du gabst mir der Sehnsucht Schmerzen. Du lagst so schön im Morgenschimmer, so frei, so voller Ruhe da, so wie mein letzter Blick dich sah, so standst vor meinem Aug' du immer.

And draußen in dem kalten und in der Sorgen düstrem da fühlte ich die Sehnsucht nach Ruh' und Freiheit in

Ringen Zwang, bang mich dringen.

Dann fand ich meine Leimat wieder, die treuste Liebe gab sie mir, ich danke Ruh' und Frieden ihr, ihr tönen jubelnd meine Lieder.

Noch träumt wie du im Winterkleide die Liebe mein dem Frühling zu, und sehnend in der Wintersruh

Harm der Vereinigung wir beide. Doch traurig nicht ist unser Sehnen, froh ist's, wie du im Winterschnee,

und selig ich dich wiederseh, in meinen Augen Glückestränen. Nora Braun

45

Du Heimat, mir so »ah, bist -och nicht mei« . . .

'■"td) bin nach langen, langen Trennungsjahren In meine Heimat zum Besuch gefahrm Zu Großchen, die in einer kleinen Stadt Dort ihre freundlich-traute Wohnung hat.

Doch seit ich hier, kann ich nicht Rnhe finden, And meinem Sehnen lange Jahre schwinden; Lab einmal ich, der Gegenwart mtrückt. Erst über jene Dächer fortgeblickt. Weit fort, wo hinter winterweißm Wiesen Die hohen Bäume unsres Gartens grüßen. Sie rauschen über unserm alten Laus, Das freundlich grüßt aufs weite Land hinaus.

Wie oft hab ich wohl unter jenen Bäumen Gespielt, und mich in süßen. Men Träumen Dem fernen Glücke zugesehnt. — Wie oft mich wohl ans graue Laus gelehnt. . .

Der liebe Teich, Mhl Im Lerbst der alten Amrankt vom wilden, And Garten, Felder:

in des Sommers Grünm, „Ritterburg" Ruinm roten Wein; alles, alles mein! —

—46 And hier, am Fenster mußte oft ich warten. Ob nach des Rollens dumpfem Klang nicht scharrten Vorm Laus die Rappen, die mich führten weit Aus der verhaßten Stadt zur Einsamkeit . . .

. . . Ich lausche ... ob von fern nichts silbern läutet? Ob nicht, vom Klang der Lufe hell begleitet. Ein schneller Schlitten kommt herangebraust. . . . Nichts höre ich, der kalte Wind nur saust. And wieder seh ich sehnsuchtsschwerm Blickes Lin zu der Leimat meines Kinderglückes.

Wo einst ich war, dott darf ich nie mehr sein: Du Leimat, mir so nah, bist doch nicht mein. Nora Braun

47

Sommernacht ^T'iefblau und klar stand überm Los der Limmel, And warm und still umhüllte mich die Nacht, Ganz bang schaut' ich empor, so ernst gemacht Von all dem Schweigen sah ich in den Simmel.

Mein Ball lag neben mir, ich möcht' nicht spielen. Das kleine Lerz erfüllt' ein still Gebet. War alle- mir so fremd, weil's schon so spät? Ob wohl die Steme funkelnd niederfielen? Leis zitterten im Wind der Pappeln Äste,

Die standen hoch vorm alten Scheunentor, AuS seiner Bude kam jetzt Tyras vor. Ein Vogel schrie im Traum von seinem Neste. Noch stiller ward es; und der Simmel schien so ferne. Die Wagen mit dem Gras, der Pstug in Ruh, Sie schliefen. Auch die Ställe waren zu. Nur Tyras wachte noch, ich und die Sterne. Ich schlich zu Tyras ängstlich, und mit Sehnen Sört ich, ob nicht der Wagen rollte schon. Ob wohl der hohe Simmel Gottes Thron? Mir ward so angst, wenn doch die Eltem kämen!

Still lag der Los, von Ställen rings umgeben, So sah ich nicht das weite, dunkle Land,

Wär' nur der Simmel nicht so unbekannt! Da bellte Tyras hell, und weckte Leben. Vorn Landweg rollt' es schnell, Latemen glommen,

And schon stand auch der Wagen vor dem Lau-, And Väterchen und Muttchen stiegen auS And haben warm ihr Kind an- Serz genommen.

Sommerlust tpie würzig es duftet, wie's flimmert und glüht, ich ruhe am Graben von Blumen umblüht. Auf zitternden Stielen Maßliebchen sich wiegen, und goldgelbe Falter um Kornblumen fliegen. Mit Blumen umschlungen den schattenden Lut nun steh' ich M-selig in segnender Glut, weit breiten vor mir sich des Korns goldne Wogen, vom Feldweg dort drüben ein Lied kommt gezogen. Schwer schwank auf dem Wagen das Leu da nach Laus, die Tücher der Mägde bunt grüßen hinaus ins fruchtbare Land, ich jauchz' ihm entgegen! Wie lieb ich dich, Leimat, wie reich ist dein Segen.

Da- Buch vom Glück

4

Am Sonntag Draußen fingt'S und zirpt's und die Maisonne lacht. Wie es strahlet doch und leuchtet! Wie bin ich so herzensfroh aufgewacht. Labt Dank, daß ihr auf mich scheuchtet!

Der Sonntag geht selig-sacht durch die Flur — And sieh doch, — er segnet und lächelt nur. Dort am hellm Weg, wie die Weiden nur blühn.

Wie es duftet doch und summet! And Mfrohe Menschen zur Kirche zieh», — Von fern schon die Glocke brummet. Ich stehe am blühenden Fliederstrauch, — And betende Freude erfüllt mich auch. Rora Braun

Wiegenlied CLte^, wie scheint der Mond so hell Über unsrer Scheune, Dunkle Wolken eilen schnell 3n die weite Ferne. Frägst mein Lerzblatt ernsthaft du. Weshalb so schnell sie laufen? Schau, sie möchten gern zur Ruh, Können nicht verschnaufen.

Gelt, da hast du's besser, Kind? Komm in deine Kiffen, Sieh, zur Ruh mit Vater Wind Auch die Wolken müssen. Schlafe, schlaf' mein kleines Lerz, Bald gibt's Weihnachtsfreude. Morgen ftüh zu Spiel und Scherz Wachen auf wir beide. Nora Braun

Bald fällt der Schnee, der Winter ist nicht weit raukalte Wolken hängen droben schon, und von den Bäumen fällt das letzte Blatt, — mir scheint's, als ob der erste Schnee soll droh'n. Der frühe Abend dehnt sich matt.

®

Lerb weht die Lust, es ist so winternah, — rasch auf die Wagen, Frost wohl gibt's heut Rächt, noch liegen Rüben auf dem Felde da, die müssen heut' noch werden eingebracht. Wir fahren hin. Der Pferde Atem dampft durch'- fahle Grau; nun an die Arbeit schnell! Wenn stark ein Roß die kalte Erde stampft, scheint mir zu öffnen sich ein Segensquell.

Ein und Ein und

Quell, auS dem der Leimat Kraft entquillt segnmd sich in unsre Lerzen gießt. starker Trost, der alle Sehnsucht stillt der zu Larmonien zusammenfließt.

Warm macht die Arbeit, und nun ist's getan, heim geht's, gar schnell dem Men Lose zu. Wir bringen ftoh des Lerbstes Segen an, hinein zur langen, weißen Wintersruh.

Nun komme Frost! Wie warm das Licht dort winkt! Hnb aus der Küche kommt ein würz'ger Lauch, — welch frische Freude wohlig uns durchdringt, ein gar bescheiden Glück, ein Glück doch auch! Ein Helles Fenster in der kalten Nacht,

ein schützend Laus und frohe Tätigkeit! Ein ftüher Frost kommt wohl noch über Nacht — bald fällt der Schnee, der Winter ist nicht weit. — Nora Braun

54 Flockenzauber

L^ieh doch die Flocken! Sie wirbeln und locken Mich in den Garten, O laß mich hinaus! Wie sie nun spielen Die Lustigen, Vielen, Als ob sie mich narrten, Die lang' blieb im Laus. Da bin ich, ihr Weißen! So laßt uns nun kreisen Zn wirbelndem Reihn Zum Tannenhain hin. Da schmücken die Äste

Schneekrönchen aufs Beste, Mit glitzerndem Schein Nun strahlm sie drin. Auch mich sollt ihr krönen! Leid Winters vielschönem Blondhaar'gem Gespiel Die Krone verleiht. Da gebt ihr mir Sterne Aus schneeiger Ferne; O, gebt mir nur viel Zum Krönungsgeschmeid. Nora Draulr

55

He stoarvt all boal1 tTVid) lag der Sommerabend über unserm Garten, In Blüten träumte der Kastanienbaum, So dämmerweiß erglänzten seine Kerzen. Welch süßer Duft! Ein warmer Sommertraum Amwebte uns, und keiner mochte scherzen. Welch Zauber nur? Ich glaub, — wir sprachen kaum.

Da, — leise zog es durch das weiche Schweigen, So leis und zart, ein elfenleichter Laut . . . Was war's? Es kam vom Felde hergezogen, Wo übern Teich still die Ruine schaut. Nun schwoll es an, und mit den Düstewogen Umtoste uns ein Lied so heimattraut.

So heimattraut! . . . und weckte wehe Trauer, So süß, und doch voll schluchzend tiefem Weh; Um weiße Blüten schwebten seine Töne, Mir ist's, als ob ich noch die Blütm seh! Nun jauchzt' es auf zu jubelnd-heller Schöne, Ein Frühlingslied im ersten Blütenschnee.

1 Er stirbt nun bald

—56 Ein Waldhorn war's.

Wer mochte es nur spielen?

Lang lauschtm wir, . . . dann brach es plötzlich ab. Der alte Kutscher kam vom Los gegangen:

„Wer spielte, Karl? Noch nie gehört ich hab Dies schöne Lied!" — Des Sitten Worte drangen Gleichgültig da zu uns: „Le speelt sien Graw, Lerri Dat's dä Willm, un siene Long' äs kroank, Le stoarvt all boal, dä Willem lävt nech loang."

Noch einmal klang ein Ton so todeSbang, Dann war's ganz ftiö; der Wilhelm lebt nicht lang! Rora Braun

57

Nizzaveilche« später Schnee ist noch gefallen, dichte Flocken sinken sacht;

grauer Nebel um die Läufer,

der die Stadt noch düstrer macht. And die Menschen hasten unwirsch durch die Straßen, Alltagsmüh fesselt sie, wie graue Schemen

eilen durch die Flocken sie.

Leid und Schatten, solche Enge!

Wäre ich doch weit ach, weit. Da umfängt mich süßes Duften; Veilchenduften, wo es schneit? Veilchenduften. And nun tönt es fremd und heiser

und so sehnend neben mir: „Schöne, frische Nizzaveilchen, schöne Nizzaveilchen, hier! Nizzaveilchen!"

And ich seh in dunkle Augen, dunkle Augen leuchten dicht neben mir so voller Sehnsucht aus des Knaben Angesicht „Nizzaveilchen?" Fragend, bittend wieder klingt eaus des welschen Knaben Mund, und er schüttelt weiße Flocken von dem kleinen, blauen Bund. Welches Duften I Seine Augm bitten brennend. 3n des Nordens kaltem Schnee sprechen sie von ferner Wärme, glühen sie in Leimatsweh. „Nizzaveilchen?" And er schüttelt immer weiter kühlen Schnee von ihrem Duft. „Gib sie her, ich nehme alle!" Weiß fällt's durch die graue Lust. Späte Flocken ....

Durch die dumpfen, engen Sttaßen folgen seine Augm mir, und ich hör' die heis'ren Motte: „Schöne Nizzaveilchm hier, „Nizzaveilchen?"

Weidenkätzchen )2laß steht der Simmel über öden Feldern, doch es ist nicht mehr des Lerbstes langer Schlummer, der in den Winter alle Wiesen wiegt. Der Stare lust'ger Aug schon drüben stiegt und schwatzt hinweg des Schweigens langen Kummer. Zwar in den Furchen und ben Gräben schimmert noch der letzte Schnee, des Winters Abschiedszeichen, doch schmilzt er bald, wenn heiß die Sonne grüßt, und unter ihrem Liebeskuffe fließt das grüne Eis von Ahlen, tiefen Teichen. Noch ist es kalt. Kahl stehn am Weg die Weiden, nur hier an den niedren Sträuchem welch ein Blinken? Solch weiße, weiche Kätzchen dicht bei dicht, aus denen erstes Frühlingsahnen bricht. Wie freundlich fie mir Ostergrüße winken! Erwarte, flüstem fie, erwarte, du Natur. Nora Braun

Kiebitzeier ^Kiebitzeier, Kiebitzeier! ■*•'■ kommt es ist die rechte Zeit,

hört, wie's aus dem Bruche schreit, dort vom tiefen Weidenweiher. „Kinder, welche großen Taschen! Bringt nur alle voll zurück, bestes Kiebitzeierglück; laßt euch nicht vom Torfmann Haschen!"

Muttchen lacht. Wir eilen, eilen, auf dem Lof die Pfützen stehn; hei, die Sonne scheint so schön! Schnell zum Bmch, und kein Verweilen.

Wie daS frei ist, wie das leuchtet, warm ist's wie im Sommer schier: seht, schon Weidenkätzchen hier! Still — wenn ihr den Kiebitz scheuchtet! Reine, klare Frühlingslüfte! Ellig durch den braunen Bruch folgen wir dem Kiebitzflug. Spürt ihr wohl die würz'gen Düste?

61 Emsige Entdeckerfahrten; welch Geheimnis birgt das Feld! Wie der Vögel Schrei nur gellt, die voll Angst der Eier warten.

Dort der Lusch! Von daher siiegen eben zwei! Wir laufen hin, da — im runden Neste drin grasumhegt zwei Eier liegen! Lelles Jauchzen! In der Sonne wie sie nur so reizend sind. Würzig weht der Frühlingswind, uns erfüllt Entdeckerwonne.

Eines bleibt zum Trost den Alten, dieses in die Tasche sacht, wenn wir's glücklich heimgebracht, soll es Mütterchen erhalten.

And wir suchen immer über Schollen, Gräben steudig bellt der große und wir jubeln, jubeln

weiter fort, Lord, weiter.

Frühlingsschwarz die Schollen liegen, feuchter Glanz umspielt das Feld, wunderschwangre Frühlingswelt — ach, ich möchte fliegen — fliegen!

Lört, schon gehn die Mittagsglocken, schnell zum Weg, wir müssen heim, wie wird Mütterchen sich freun!

Sind auch eure Schuhe ttocken? Stolz mit unserm Ei wir kommen heim, und Mütterchen mit Recht

freut sich still, daß wir so schlecht unfern Raubzug unternommen.

Warm bestrahlt den Bruch die Sonne, hell erklingt der KiebiHschrei, junge- Leben webt sich neu: welch geheime Frühlungswonne. Nora Braun

Passion ■T\te Orgel schweigt. Es naht der Priester schon, **' und alle knieen betend auf dm Fliesen.

Gebetbuchknistern in der kalten Luft, die grabgeschwängert ist mit Moderduft. Dann geht ein dumpfer, grauer Trauerton hin durch dm Raum, er spricht von TodeSleiden,

von Todesleiden in dem Todeshaus, indessen draußen auf den grünen Weiden die frühen Blumen blühen froh hinaus. Ich seh verquält das Volk zum Altar schauen, die Alten packt des nahen Todes Grauen, die Jungen blicken heimlich, sehnsuchtsvoll zum Hohm Fenster, wo just neckisch-toll

hintanzt ein Sonnenstrahl von Frühlingsaum. Rora Braun

Stimmung

d) ruh in Mittagsstille, Sonnenfluten umströmen mich, durchstrahlen alle Dinge,

3

und in der blauen Luft, dm würz'gm Gluten sacht schweben schöne, bunte Schmetterlinge.

And Bläue, Bläue, sommersel'ges Träumm, ein Duften und ein Summm in den Bäumen.

And Ruhe, Ruhe, sanftes Blütenhauchen, wenn Falter selig in die Kelche tauchen. Nora Braun

Die Linden blüh« ‘Tsie Linden blühn und duften durch die Nacht, und warme Wellen fluten aus dem Garten aufs Feld, und mischen süß sich mit dem Klee zu einem einz'gen sommertrunknen Lauchen.

Klar steht der Mond und webt zu weichem Traum, was so vertraut im Sonnenlicht sich breitet. Welch seltsam Flüstern von des Kornfeld's Saum, welch leises Lied, von Zitherklang begleitet? . . . Der Schweizer ist’», der bei der Lerde wacht, und seiner Heimat Sehnsuchtsgmß gebracht. — Wie duftet doch das Leu, — sanft wiegt der Wagen, den Limmel über uns, vom Duft umhüllt, so fahren wir dahin. Still, still, nicht fragen: o du, ich fühle, was die Nacht erfüllt! And Flüstem, Flüstern, wie der Wagm wiegt, wie weich das Leu sich um die Glieder schmiegt! Jetzt unter Bäumen hin, die leis errauschen, und Lindenblüten fallen duftend ab: o still doch, still, sie könnten ja erlauschen, daß du mich liebst, daß ich so lieb dich hab’. . . . Nora Braun

DaS Buch vom Glück

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Eck koam! /Geheimnisvoll aus dunklen Büschen leuchtet und düfteschwer der schneeige Jasmin. Mit kühlem Kuß der Tau die Kelche feuchtet, die still-verlangend ihm entgegenblühn. And Dusten, Dusten, und der Garten ein einzig, sehnsuchtsbang Erwarten. Vom Los ein Pumpenton; im Stalle stampfen die Pferde dumpf. Die Nebelwiesen dampfen. And Sülle — Sülle. Vom Lause löst sich scheu ein Schatten los, von nackten Füßen knirschen weiche Tntte, Am Zaun die Linden stehen füll und groß. And alles atmet eine süße Bitte, die eine Bitte, die der Mann so heiß und bebend jetzt dem Weib zu sagen weiß. Ein Wort ist's nur, ein kurzes Flüstern nur, und mit ihm stüstett werbend die Natur. Die Linden duften . . .

67 „Koam!"

Junge, wilde Kraft strömt von ihm aus,

erschauernd schmiegt sie sich in seinen Arm

und huscht dann schnell zurück zum Hellen Laus;

die Luft umrieselt sie so weich und warm. And dunkel wird's im Laus. Die Laden schließen sich kreischend. Wieder wie von nackten Füßen ein Rascheln; und nun klingt es bang und weich: „Eck koaml" Der Mond schwimmt silbern auf dem Teich. Die Blumen schlafen . . . Nora Braun

AQ

Wenn weiße Rose« lieben . . . T\ie Rosen leuchten durch die Nacht, '**' die vollen, weißen Rosen,

und Wärme webt sich weich und sacht um ihre Men Kelche. Wie blaß im Hellen Sonnenlicht, sehnsuchtsgesenkt sie standm; . . . die bunten Falter kamen nicht, sie fürchteten ihr still Gesicht, im sel'gen Blau sie schwanden. Da hat die Purpurros' gelacht, es kicherten die andern: „Ihr könnt' wohl harren bis zur Nacht, das Grübeln hat euch bleich gemacht, die Falter weiter wandern!"

Dann sank die Sonne. Alle ruhn, verhüllt die bunten Farben, und auch die bunten Falter ruhn, die methumtaumelt warben. Nun find die weißen Rosen wach und finnen ihrer Liebe nach.

And dunkel, groß und königlich die hohen Freier nahen sich. Die weißen Rosen lächeln tief und öffnen ihre Kelche weit, was in des Tages Tändeln schlief, erschauert jetzt in Seligkeit. And schwere Königsliebe sinkt auf ihre Schönheit hin, die liebesstark der Lohe trinkt. Da wird so weltenfremd ihr Sinn, und Königssehnsucht bleibt darin, wenn in die blaue Nacht sich schwingt der Freier Leldenzug . . . And wieder leuchten durch die Nacht die weißen Rosen licht, und träumen, was ihr Glück gebracht, und lächeln, daß der Tag gelacht: er kennt die tiefe Süße nicht, wenn weiße Rosen lieben! . . . Rora Braun

Schwer lastete der Schnee . . . schwer lastete der Schnee. Wie tot der Rasen liegt: graugelbe Flächen um den See, und dürr das Schilf sich wiegt im FrühlingSwind.

Kühl ist's, und herb der Wind, kein Frühlingssäuseln, kein süßes Weben, weich und lind. And doch — die Wellen kräuseln vom Eis besteit. Vom kahlen Äser schreckt jetzt schreiend auf ein Wasserhuhn, von unserm Schritt geweckt. Ein zweites nun folgt eilig nach. Sie rüdem schwarz und klein schnell weiter durch die kühle Flut, von ferne noch ein schrilles Schrein, dann find fie fort; und einsam ruht der öde Sttand. Die schlanken Weiden stehn noch kahl, und doch, ein Helles Grün durchquillt den Stamm, es wehn die Gertm froh von Mnst'gem Blühn im Sonnenwarm.

Von künft'gem Blühn, daS schnell

aufbricht in einer weichen Nacht;

durch warmen Frühlingsregenquell aus braunen Knospen froh erwacht

zu Dust und Glanz. Jetzt weht der Wind noch kalt,

und alles liegt noch herb verschlossen, und doch, wie bald, wird sel'ges Leben sprossen

am todten See. Schwer lastete der Schnee.

Bald wird die Sonne scheinen.

Wer kennt mein einsam Weh, daß ich von diesem herbm Keimen

nicht das Erblühen seh . . . Nora Braun

Anno domini 1200 /C9 war in einem Kloster am schönen, sonn'gen Rhein,

da saßen wohl im Saale die frumben Mönchelein:

Apage satanas! Die schwarzen Kutten schmückten

gar ehrsam ihren Leib, sie dienten nur dem Lerren und nimmer Welt und Weib.

Apage satanas! Doch Wein und schöne Lieder, wer wehrte ihnen die? Zwar war der Abt recht grausam,

allein, was kümmert's siel Apage satanas! So saßen sie nun schmunzelnd

und stattlich Mann an Mann, und hörten erst recht eifrig des Abtes Rede an.

Apage satanas!

Doch warm durch's bunte Fenster die liebe Sonne sah, gemütlich war's im Saale, so kam denn, was geschah.

Apage satanas! Die Lände über'm Bäuchlein gefaltet saßen rings die Frumben, und wie Schnarchen jetzt durch die Reihm ging's.

Apage satanas! Entsetzt sah auf die Lämmlein der hagre, kluge Abt, die sanft statt seiner Predigt ein kleines Schläfchen labt.

Apage satanas! And wie der Abt auch redet, vergebens redet er, wie einst die Jünger, schlummem die Mönche tief und schwer.

Apage satanas! Der Abt war klug und witzig

und plötzlich fiel ihm ein, daß jüngst die Lerm nicht schliefen beim Spielmannsliedelein.

Apage satanas!

And er beginnt von neuem mit heimlichem Verdruß: „Lört, Brüder, neue Märe vom König Aretus!" Apage satanas!

Da wachten auf die Mönche, sie horchten hin gespannt. Doch ach, sie hörten Schlimmes, der Abt schrie wutentbrannt: „Apage satanas!

„Leut ist zu euch getreten der Teufel in Person, statt Büßen und statt Beten, sprecht ihr der Predigt Lohn! Apage satanas! Kein Spielmann darf mehr nahen des Klosters Heilgem Tor; die Straf' sollt ihr erfahren, leiht ihr der Sünde Ohr. Apage satanas!"

Die Mönchlein sahn verschüchtert zu ihrem strengen Lerrn, sie hörten bei dem Weine den Spielmann gar so gern! Apage satanas!

3m Klostergarten lauschend

ein lustger Spielmann stand, der schrieb dies kleine Liedlein und sang es rings im Land, zu Nutz und Lehr den Frommen

und manchem auch — zum Spaß! Ich rat: sag, wer's vernommen: „Apage satanas!“ R-ra Braun

l^ohin des Wegs? Ich weiß es nicht! *•*•’' Dein Weggenoß? Die Sehnsucht ist! Was ist dein Ziel? Ich such' das Glück!------------Ein leises Lachen hallt durch dunkle Auen, — Verschwunden ist die Fragen»: „O Träumer du, nicht wirst das Glück du schauen. Es gibt sich nur dem starken Kämpfer hin." Nora Vraun

Das Glück ^.chneeweite Felder und frostharter Weg. Ein ernster Reiter folgt dem matten Schimmer, der auf dem Boden huschend ostwätts flieht. Kalt ist die Nacht und dämmerweiß der Steg; ob er wohl heut das Ziel gewinnt, dem immer so kampsesmutig er entgegenzieht? Weit ist der Weg, der Feinde find ihm viel, und immer wieder zwang er ihre Scharen, um endlich fiegend fich dem Glück zu nahn. Er stutzt; ein Schrei dringt durch der Flocken Spiel, am Wegesrand muß er ein Weib gewahren, so sterbensmüd' sieht es den Ritter an im ersten, matten Dämmermorgenschein. „O nimm mich mit, ich kann nicht weiter gehen," heiß fleht ihr tiefer, wundersamer Blick. „Du Starker, laß mich sterbend nicht allein o laß mich nicht vergebens zu dir flehen!" „So folge mir, nicht laß ich dich zurück."

Voll Mitleid hebt er sie zu sich aufs Pferd, ein müdes, nicht mehr junges Weib, mit Laaren von goldner Fülle, aber blaß und krank. Ihn dünkt sie um des Leidens willen wett; welch Tiefen doch in ihren Augen waren. Still sinnt der Mann, der Weg ist kalt und lang.

„Denkst du des Ziels?" Weich klingt der Stimme Laut. „Sprich doch mit mir, gern würde ich dir lauschen." And zu der Frau, die nie er noch gekannt, spricht er, weil seltsam sie ihm scheint vertraut und ernst sie der Gedanken Fülle tauschen, da fühlt er, daß ihr Streben ihm verwandt. „Sag mir, o Frau, willst du wohl mit mir gehn? Nicht heitres Los kann ich dir wonnig bieten, doch treues Lerz und edlen Zieles Glanz." „Nicht jung bin ich, gesund nicht und nicht schön, doch lieb ich nicht, gleich dir, den müden Frieden, wie du, so lieb auch ich nicht Spiel und Tanz." Leis sagst's das Weib. Da nimmt er ihre Land: „Dein Blick, er spricht von reiner Lieb und Treue, sei mein!" Sie nickt. Da leuchtet's rosig auf, des Morgens Glanz durchstrahlt das weite Land und aus den Wolken klingt's: „Sei ohne Reue, du nahmst das Glück vom dunklen Wege auf!

„AuS Mitleid, reinster Liebe nähmest du, von ihrem Geist durchglüht, das Weib zu eigen, sie ist dein Glück, eins sollt' ihr ewig sein. So eilt vereint dmn Kampf und Siegen zu!" Süll ist's. Da soll ein Wunder ihm sich zeigen: sein Glück sieht er im ersten Morgenschein! So blühend stark naht ihm das schönste Weib, ein weiß Gewand umschließt den schlanken Leib, im Sonnenhaar lacht froh es ihm entgegen, und licht vom Limmel sinkt der Liebe Segen. Nora Das Buch vom Glück

6

Braun

Giordano Bruno Es fiel im Kampf die Ewigkeit dir zu ^rch weiß so wohl, daß mich die Flamme tötet, «*? Lind liebe doch das Licht. So sprachst einst du In Todesahnen, als noch nicht gerötet Die Glut fich hatte, der du eiltest zu.

Was war's, das dich aus Deutschlands stillen Auen Zurücktrieb nach Italiens kaltem Laß, Das dich zu list'gen Feinden zog von Englands Frauen, War's Sehnsucht nach der Leimat, war es das? Nicht doch! Dein Feuergeist, er konnt' nicht weilm. Verachtend trieb er dich in Schächers Land. Er ließ zum Tod dich nach der Leimat eilen, Llnd seinen größten Sohn verdarb das tör'ge Land. Des Geiste- Sein, du sahst's im Bild der Lohe, Die zehrend himmelan dein Wesen hat erfüllt; Begeistert für das Edelste, das Lohe, Trugst ahnend du des Leldentodes Bild.

Für die „Llnendlichkeit" hast du den Tod gelitten, Für deiner Lehre Geist verglühtest du, So nimm denn hin, was stolz du dir erstritten: Es fiel im Kampf die Ewigkeit dir zu! Rora Braun

Sein Tod "Y)om feierte. Des Papstes Jubelfest zu teilen Von allen Ländern eilten Fromme hin, Der Sitten oberste und Pilger sah man weilen Am heil'gen Ort mit gottgefäll'gem Sinn.

Sie beteten. And um ihr Frommsein zu belohnen. Sie sollten heut' ein würdig Schauspiel sehn. Am fromm dem Tod des Ketzers beizuwohnen Sah man fie nach dem Blumenmarkte1 gehn. Sie warteten. And hoch ob ihren Köpfen ragte Der Thronsitz, den des blinden Eifers Wahn Dem größten Geist der Zeit zu bieten wagte. Auf dem er opferte den besten Mann. Da nahte er. Ihm folgten dumpfe, dunkle Scharen, Die haßgeblendet seines Geistes Licht, And die nun, rachedürstend, seine Richter waren; Der Lohe, Stolze aber sah sie nicht.

Er stieg hinan. Mit edler Ruhe, festen Schritten Erkomm er seines Todes Lochaltar; So hob er sich hinaus aus aller Kleinheit Mitten, Es kündete sein Tod noch, daß er Sieger war. 1 Bruno wurde auf dem „Campo bei Fiori" zu Rom am 17. Februar 1600 verbrannt, wo ihm 1889 ein Denkmal gesetzt worden ist.

Schwül war der Tag.

Rings lag deS Mittags Sülle,

Da flammte knisternd auf die Todesglut. Der Flammen feur'ge Not schuf ihm sein starker Wille, Des Geistes ew'ge Kraft gab ihm nun heil'gm Mut.

Die Feinde voller Lohn des Kruzifixe- Zeichen, Sie wiesen's ihm, der nie wie fie geglaubt. Doch auch im Tod fie sahen ihn nicht weichen,

Süll wandt er davon ab sein ernstes Laupt. And seines Lebens Werk, inmitten TodeSqualm Sah er's verklärt in fernster Zeiten Lauf, Als ihn, den Göttlichen, umlohten Limmelsstrahlen.

Die feinen Geist durchglüht, sie zehtten hell ihn auf. Die Menge höhnete und konnt' doch nicht erwehren Sich heil'gen Schauers bei des Selben Tod — Ein innerlicher Tüeb zwang still ihn zu verehren. Der hehr war aufgeloht zu seines Wesens Gott. Die Zeit verging. An seines einst'gen Leidens Stelle Erhebt sein Denkmal sich, das ein Jahrhundert schuf. Zu dem, verklärt weit über trübe LaffeSwelle, Lindrang des Geisteshelden starker Ruf.

So steht er dort, wie einst er hat gestanden. And ew'ger Glanz umfließt fein edles Laupt, Sein Bildnis schuf die Zeit, zum Denkmal allen Landen, An die in seinem Tod prophetisch er geglaubt. Rora Braun

Winter in Siena1 V>on den hohen Alpen brauset **' Kalter Winter über Siena,

Zephir nicht mehr Locken zauset, Streng nur herrscht die Tramontana. Weiße, kühle Wirbelflocken Tanzen in den schmalen Gaffen,

Spielen in der Frauen Locken,

Schmücken die Palazzostraßen. An den offnen Fenstern stehen

Lachend schöne stolze Frauen; Goldne, schwarze Locken wehen, Neckend sie nach unten schauen. Formen mit den schlanken Länden AuS dem Schnee von Fensterborden

Weiße Bälle, die sie senden Blonden Rittern auS dem Norden.

Knisternd rauschen die Gewänder Am den hohen Wuchs der Frauen, Lustig flattern Liebesbänder, Lelles Jauchzen, sehnend Schauen I 1 Nach einer Schilderung des Äneas Sylvius Piccolomini aus der Stimmung seines „Lucrezia und Euryalus" entstanden.

In manch' Fenster wohlgezielet Fliegt ein Ball, von kund'gen Länden

Zu der Liebsten hingespielet, Am ihr holden Gruß zu senden.

In ihm ruht, wohl eingeschloffen, Süßer Brief mit Werbeworten, Spricht von Stunden, traut genossen An verborg'nen, stillen Orten.

Bittet um ein neu Gewähren Fem dem eifersücht'gen Gatten,

Wenn die Nacht mit ttaumesschweren Augen sinkt aus weiche Matten.

Leihe Frauenaugen winken Süß Gewähr.

Die Bälle fliegen,

Silberflocken leise sinken, Winterweiß die Straßen liegen. Nora Braun

87

Heut Abend, im Ahnensaale! '*tn des Burghof's Dämmer schallt Lufenklang, -N? And lustige Rufe erklingen. Da tummeln die Ritter sich froh und frank And blihend die Schwerter sie schwingen.

Am das Fenster klettern Rosen licht Von des Fräuleins Kemenate, And eine rote Rose bricht Mit schlanken Händen Agathe.

Die flattert dem braunlock'gen Ritter auf's Schild, Ein leuchtendes Liebesfanale, Von Strahlen umspielt grüßt der Trautesten Bild: Heut Abend! Im Ahnensaale!

Hell klingen die Schwerter, der Ritter siegt, Der Lornruf durchjubelt die Auen, Des Siegers Blick da gar minniglich fliegt Hinauf zu der lieblichen Frauen. Was weiter geschah, ihr Ahnen wißt's! Im pfeilergeschmückten Saale, Da hat des Herzogs Kind geküßt Der Ritter wohl tausend Male! Rora Braun

Die alte Mär CLag, blonder Knab, wo schaust du hin mit solch sonnentrunkenen Augen? Du schaust wohl gar nach der Königin? Solch Sonnm zum Blenden nur taugen! Lab acht, sonst bleicht deiner Wangen Rot, Es winkt der Tod! Er hört eS nicht, wild eilt er fort, hin zu des Königs Schlosse, die Königin steht an des Fensters Bord, da wird er Knappe im Trosse. Alltäglich nun sieht er die holde Frau, so weh wird ihm von der sehnenden Schau. — And treulich der Knappe die Königin minnt, läßt nimmer das trotzige Wagen, da haben sie ihn ob der großm Sünd' hinaus zum Friedhof getragen. Wie heiser die Raben doch krächzen und schrein: es muß geschieden, geschieden sein! Loch droben um des Fensters Bord, da weht ein eis'ger Wind, der Knabe ruht am dunklen Ort, still weint das Königskind. Rora Braun

* 89

Romanze (Cetfe, leise durch den Wald Luscht's mit schnellen Schritten, Doch dem blonden Kind kommt bald Einer nachgeritten.

An der jungen Tanne dott Trifft der Leld die Lolde; Strahlt ihr Laar am dunklen Ott Schimmernd wie von Golde.

Wie ein Märchen da erschien Wohl die Maid dem Knappen, Tausend werter dünkt sie ihn Als sein stolzes Wappen. Schnell, wie Märchen nur vergehn, Will sie ihm entfliehen. Seine dunklen Augen flehn. Daß sie mit soll ziehen.

Leise zögemd stockt ihr Fuß, Spttngt er aus dem Bügel; . . . Rößlein ttabt zum nahen Fluß, Raschelnd schleift der Zügel.

—90 And des Knappen Arm umschlingt

Fest die Traute, Feine, . . .

Fern ein kleiner Vogel singt Leis im Mittagsscheine.

Blondes Kind im Märchenhaar Ward da froh die Seine, And der junge Lelde war

Nimmer mehr alleine. Nora Braun

Die Krone TtAer sitzt auf dem weißen Mauerrand, wer sitzt unter blühndem Geäst? Leiß blicken die Augen in's dunkle Land, weiß glänzt durch die Blätter die kleine Land: was eiltest du fort von dem Fest, Prinzeßchen? Der Mond lugt lächelnd vom Limmel herab, leis zittern die Blütendolden. „Ach wie ich doch Sehnsucht, Sehnsucht hab, ich möchte ins blühende Land hinab! Was soll mir die Krone so golden? Ich schmkte sie gern meinem Lolden!"

And unter dm blühenden Bäumen sie sitzt, ein Blütchm auf schimmernder Mauer, und die Krone im Mondenlicht leuchtet und blitzt, und der Mond durch das Blätterdach lächelt verschmitzt, durch die Nacht beben Frühling-schauer. Wie hoch, ach wie hoch ragt die Mauer!

„Ich möchte singen und weiß doch kein Lied, ach, ich möchte jubeln und weinen! Lätt' ich doch einen, der mit mir zieht, könnt' ich doch blühen, wie alles hier blüht, könnt' ich wie Sterne doch scheinen! Ach lachen, und sehnen und »einen, so weinen!" . . .

Sie setzt sich die Krone auf's blonde Laar, «nd die blitzt und leuchtet und funkelt, und die Blüten duften so wunderbar . . .

. . . And sie dufteten weiter Jahr um Zahr so süß wie damals, als jung noch war, so sehnsuchtsjung das Prinzeßchen. And die Krone? Sie hat ihr das Laupt geknickt,

und alle die Sehnsuchtsgedanken zerdrückt, sie hat ihr die Welt verdunkelt und funkelt und blitzt und funkelt! . . . Nora Braun

93

Der blutgeweihte Deich ■yi^ein Kind, gebt mir mein Kind zurück,

’*'■ *• sonst seid verflucht, verflucht!" So schaurig klagt es durch die Nacht, daß es den Wächter grausen macht. Ein Weib am Deiche sucht,

und flucht und fleht und lacht. „Weh euch, ihr Larten, gebt mein Kind,

sagt mir, wo seine Glieder sind! Lier, hier im Deiche ruht das liebe, junge Blut!" So wimmert sie, ihr gelbes Laar zerfetzt im Winde fliegt, in ihren Augen, einst so klar, ein irres Flackern liegt. „3ch hab es sanft gewiegt . . . weh dir, verfluchte Schar!" Sie kratzt mit ihren Länden wild am grünbewachs'nen Deich.

Der Wind heult aus, das Wasser schwillt feucht ist der Damm und weich. And lauter noch der Sturmwind saust, und näher stets das Wasser braust; der Wächter eilt zum Dorf, ihn graust am flutumleckten Deich.

Die Leute ziehn vom Dorfe her, das Zauberweib voran: „Mit Zauber scheuche ich das Meer, die Wogen hält mein Zauberbann: halt, Wassermann, halt ein, uns schützt das Kindgebein!" „Der Körper von dem Kinde mein! Verflucht, verflucht, verflucht!" Die Mutter kreischt's vom hohen Wall. „Das Meer soll euch verschlingen und mir mein Kindlein bringen." Loch bäumt der Wogenschwall.

Dann brodelt es und wühlt und zischt, und überm Deich flockt hoch der Gischt, Erdschollen brechen, gurgelnd stürzt die Flut ins Land hinein. Ein geller Schrei, die Mutter sucht im Meer ihr Mndelein. And alle müssen mit hinein und find verflucht, verflucht.

95 Herbstmythos ■Tsurd) Tau und Tann weht wild im Wald des Herbststurms Lauf. Falb flattert gelb, lohrot das Laub! Lui, heult Lerr Fasolt zur Jagd! Dem Weibe folgt werbend er nach, das bange dem Brausenden flieht. Ellefru eile, eile nur zu! Wild tost der Tolle ohn' Rast und Ruh!

Gelb glimmt ihr Laar; durch Tann und Laub licht lockt es ihn der Lieblichen nach. Wirbelndes Blatt, wehender Wind wild geht zu jauchzender Jagd. Wie Nebel umweht sie ihr Kleid, das wütend der Wilde fast fängt. Elleflu fliehe, fliehe nur fort, sonst bannt dich der Wilde am ödesten Ort. Nora Braun

Wie einst zur Zeit, da Götterherrttchkett . . . tTVfjt ihr, was einstenS war?

Das Feuer knistert,

und im Kamin der Zulnacht Zauber flüstert, die Flocken tummeln um das Laus. Vergangenheit, verlorne Zeit! — Es flüstert von der Götter lichtem Zuge,

wenn in dem monddurchzuckten Wolkenfluge sie ritten nach der Erde hin im Götterglanz, beim Flockentanz. Es flüstert von dem einsam-stillen Lause, wo alles harrt dem frohen Götterschmause, vom Torfhaus klein im Julnachtschein. Es flüstert traut von Friggens lichten Locken, die goldig spielen um den vollen Wocken. Welch Zauber stiller Winterlust! O Götterzeit, Zulherrlichkeit! Lauscht still, was einstens war. Das Feuer knistert,

und die Vergangenheit, sie flüstert, flüstert. Der Schnee sintt weich wie einst aufs niedre Laus,

wie einst zur Zeit, da Götterherrlichkeit. Nora Braun

Julnacht sland, eisumschloßnes Eiland, Silbern blinken Sterne dir. Deine schneebedeckten Felsen Tragen stolz der Äoheit Zier. Aber weißen Flächen leuchtet Glutrot Feuer, Lokis Lust, And es glüht der Julnacht Schauer Äeiß in deiner Söhne Bmst. Zulfeuer glühe dem Wiking loh, Thor, mach' die Äerzen mutig und froh!

3

In der fackelhellen Lalle Steht gedeckt der Geistertisch. Kommt, ihr Götter, euch zu laben, Iulheil komme, Leuchte lisch! Fern erflammt der Berg des Feuers, Silbern glitzert rings der Schnee, Alles ruht. — Da steigt's hernieder. Glänzend naht es von der See. Iulfeuer glühe den Göttern hehr! Lerrlich erstrahlet Thors Lerrscherspeer. Das Buch vorn Glück

7

'**»^g^w

yo

w Dunkel ist der Grund unseres Wesens, doch in ihm schlummert das Licht: laßt

es uns wecken! So ist uns unser äußerer Weg verschleiert, und es ist gut so. Denn wo würde unser Streben bleiben, wenn wir alles schon wüßten? Wissen wir aber gar nichts von dem äußeren Wege? Doch — eins wissen wir ganz genau: das Ende! Wie innerlich, so kennen wir auch äußerlich das Ziel: denn unser Aller harrt der Tod! Nichts wissen wir so genau, als dieses, von der Zukunft. Wir wissen es, und glauben es — und doch, 's ist selt­

sam, — nur unser Wissen weiß es, nicht unser Gefühl. Der Gedanke des Todes, so klar und deutlich er an sich ist, er bewegt uns nicht, trotzdem gerade der Tod sonst so gewaltig unser Gefühl zu erregen vermag. Verschiedene Erklärungen sucht sich der Mensch dafür: den meisten erscheint der Tod zeitlich so fern und damit so unwirklich.

daß seine Vorstellung das Gefühl nicht bewegt.

mehr:

Noch

wir wissen wohl, daß der Tod uns naht, aber

nicht wie und wann: er ist so unbestimmt, dieser Tod, er ist eigentlich nur eine Abstraktion — und eine solche

kann nicht unser Gefühl erregen. And das ist ja für unser Leben von größtem Werte:

nichts schwächt die Lebensenergie ja mehr, als ein Ge­ danke an das Ende! Wir sollen nicht an das Ende denken, wir sollen schaffen für die Anendlichkeit! Kläg­ lich ist dieser Endlichkeitsgedanke, wenn er zum Schreck­

mittel für zagende Menschen herabgesetzt wird, kläglich ist es und unwürdig einer geistigen Kultur, wenn der Mensch verpflichtet wird, zu bestimmter Zeit seiner End­

lichkeit zu gedenken. Doch — mir scheinen alle die Erklärungen für die An­ wirksamkeit des Todesgedankens nicht recht auszureichen, es ist doch eine zu merkwürdige Erscheinung, daß uns dieses Erlöschen aller Funktionen so wenig berührt. Sollte das nicht ein Anzeichen sein dafür, daß ein metaphysischer Grund da im Spiele ist? Vielleicht ist es so: wir fühlen den Gedanken des Todes so wenig als schreckhaft, weil es — gar keinen Tod gibt? Wenigstens keinen gänzlichen? 3a, gewiß, so muß es ja sein: in uns lebt ja Gott, und Gott ist ewig! Was also göttlich in uns ist, das

muß bestehen! Wir vergehen, aber Gott lebt. And ist es uns im Leben gelungen, Gott voll in uns lebendig zu machen, so bleibt unser ganzes wahres Wesen bestehen. Was wir aus ihm heraus geschaffen, das wirkt weiter in der Welt, das überdauert uns! Wir sind nur ver­ gängliche Wohnstätten des Ewigen, doch in uns breitet

es sich weiter und voller aus, und wenn es aus uns

hervorgeht, dann ist mehr Licht in der Welt. So schließt sich alles Göttliche zusammen, bis daß Gott voll offen-

bart sein wird Menschengeist!



und

was

dann?

Das

rät kein

So gibt es in Wahrheit keinen Tod, das ist der tiefste Gmnd dafür, daß wir ihn so wenig fürchten. And doch! And doch! Mir ist, als wenn auch dies

noch nicht genügte, für mich ist es noch nicht genug — denn ich bin ja nicht allein! 3ch darf auch nicht allein sein, denn ich bin endlich, bin begrenzt — was Hilst es mir, daß ich diese Begrenztheit, so weit es geht, besiege?

Ich kann es nicht allein — ein zweites Geisteswesen muß mit mir vereint sein, mit ihm erst bin ich eine wahre Einheit. Wahres Leben gibt es nur in Zweisamkeit, denn jeder einzelne ist eng begrenzt, zwei sind vereint ein höher Wesen. Das ist die Liebe! And was ist der

Tod? Darf er die Einheit lösen, die göttlich ist, die Gott ja selbst gewollt? Er darf es nicht! Sonst wäre

er ja Gott! Wie nun? Stirbt eins von zwein, die so vereinigt sind — was tut das andre dann? Sind sie getrennt noch eins? — Za, sagt so oft die Welt, die Kirche auch sagt: ja! Ich aber sage: nein! Ich sage es — kein andrer braucht es sagen — für mich sag ich dies Nein! Es ist nur meine Antwort, nicht die

eure! Sucht diese nur euch selbst, ich kann nur meine geben, denn hier hört ja die Absolutheit auf, da jeder anders lebt und leben muß. Ich aber sage: nein! Die Einheit, dieses göttliche Weihgeschenk, sie löst sich auf, wenn eins vereinsamt stirbt!

Es zieht daS andre mit —

nur so ist Einheit.

Was bin denn ich allein?

Ich kann's

nicht denken! And geh' ich fort, so kommst du mit mir! So schreckt der Tod uns nicht, komm, laß uns weiter

streben! Ein wahres Leben, eins zu zwein, in Gott,

And wahrer Tod, der unsre Einheit stärkt, Das ist das Glück, komm, laß uns weiter streben! Otto Braun

Sprüche

I V^icht Zweck des Menschen ist es, in der Enge *'*’ Des Lebens trüben Sinns dahinzuziehn.

And allem Großen, Edlen zu entstiehn

Ins niedre Außen, zu der stachen Menge. Die innre Welt soll kämpfend er erbauen. Nicht in die Tiefen, nach den Lohen schäum!

II ch sah in hohlem Lasten, trübem Streben Nach oberflächlich leicht verrauschter Lust Die Menschen nur dem flachen Außen leben. And banges Grauen zog durch meine Brust. Kann denn Genuß des Daseins Zweck bedeuten. Ist alles Leben wesenloser Schein? In diesem innren Kampf und äußren Streiten,

3

In all der tiefen, selbstgeschaff'nen Pein, Da hat das hehre Wort mir Kraft gegeben:

„Nur deine innre Welt hat wahres Leben!"

113

III V^-icht tatenloses Anschaun, nicht Versenken *'*' 3rt schon Geschaffenes ist des Lebens Sinn;

Nicht kampfeslos wird sich das Ewige dir schenken. Dem Schaffenden nur gibt der Geist sich hin. Nicht gut ist diese Wett, sie kann es werden. Durch deine Arbeit auch, wie durch der Großm Tat. An Ewigkeiten schafft, wer hier auf Erden

Sich eine innre Wett erkämpfet hat.

IV Des Dichters Aufgabe

tYW andren kaum zu deuten ward gegeben: Der Erde Schönheit und des Geistes Macht, Du gibst in deinem Lied ihm Leben; So nütze deines Genius Limmelskraft!

Sieh, alles Läßliche, es soll nicht stören. Tot ist es nach des Geistes Machtgebot. Du sing' vom Lebenden, wo Tausende dich hören. Von ew'ger Schöne sing', vom ew'gen Gott.

/1>hne Ziel kannst du nicht schaffen, streben, Es ist kein Weg, dem nicht ein Ziel gestellt. And so ist auch ein heilig Ziel gegeben.

Zum Ansporn dir, der ew'gen Geisteswelt. Da kannst in schwerem Kampf das Dunkle, Böse zwingm, And sie an deinem Platz dem Ziele näherbringen. Das Dach vom Glück

8

VI

llnb fragst du nach dem Ziel von aller Geistigkeit, So sag' ich, daß auch du des Ziels Vollender bist: Wenn Gott, durch Menschenkrafr vom Irdischen befreit, Als ganz vollendet, ewge Einheit ist. VII

^118

aus dem Argrund ruhnden Seins Der Wille brach, um Wollen sich zu geben. Da ward die Welt. Doch sieh, es fehlte eins: Das Ziel dem Willen, und der Sinn dem Leben. Da wies Vernunft als höchstes Ziel den Gott, Doch hielt Natur den Willen auch in Banden, Zn dieses Zwiespalts heißer Kampfesnot Die Menschen ihres Lebens Inhalt fanden. Doch in dem Kampf reibt sich der Wille auf. And die Vollendung hemmt der Weltm Lauf. Sie ist, worauf des Geistes Streben wirkt, Ein Gott, in dem kein künfr'ger Fall sich birgt. Nora Braun

115

-sMr—

Unsere Ruhstatt Aeh, ich möchte einst ruhen,

Lieber, mit dir allein. Einsam, in ttaulicher Schöne will ich bei dir sein. Wo in häßlicher Masse nah bei der Städte Kast endlose Gräber sich reihen, suchen wir nimmer Rast.

Lieber, in meiner Kindheit blühte ein Garten mir, einsam im Men Lande lebt ich und träumte von dir. Lieber sieh, solch ein Garten einst unser Eigen sei, dott wollen stark wir schaffen, dott unser Ende feil

116 Eins im Tod wie im Leben, gehen wir glücklich fort, Geist und segnende Schöne leuchtend umschweben uns dort. Eines umschlinget uns ewig: Der Geist, zu dem wir gestrebt, holde Schönheit umblühet den Ort, wo wir gelebt.

Winters weht glitzernde Kühle schneeig um unser Laus, sommers blicken die Fenster rosmumrankt hinaus. Goldene Morgenlichter huschen zu uns hinein, umspielen licht unser Lager mit erdenschönem Schein. Nora Braun

117 -MA—-sMr—

Hymne an den Weltgeist et'aß doch die Schönheit licht uns umleuchten, laß doch die Fülle stoh uns umgeben, segne die Erde, ewiger Geist!

Töte die Menge, tilge die blöde von deiner Fluren strahlender Weite. Laß sie nicht schmähen Deine Gewalt!

Dumpfig und enge wird uns die Erde, mdlos und staubig dehnt sich die Straße, maffendurchwallet, hin zu dem Ziel.

118 Laß doch die Menge

jene nicht hindern, die zu den Löhen sehnsuchtsvoll streben.

Laß uns doch frei sein, ewiger Geist!

Willst du nicht töten, soll uns die Masse wogengleich brandend,

brausend umschließen,

laß sie denn groß sein,

würdig dem Ziel!

Nicht mehr der Kleinheit, wimmelndes Leben! Laß sie erkennen,

laß sie ergreifen

all deine Größe,

ewiger Geist!

Was ihrem Leben einzig nur Wert leiht,

gib uns die Gabe,

donnernd zu künden, daß alle Starken

streben zu dir.

119 Alle die Starken, laß sie erkennen! Laß sie erfüllen, jubelnd und wissend, alles Erschaffnen urtiefster Sinn!

Dann wird noch einmal Schönheit uns strahlen, dann wird noch einmal Fülle uns locken, die wir zerstören, sterbend dem Ziel! Rora Brann

—120 Das Ende tXalt ein, Naturi

Entheilge nicht dein Wesen,

■*7 Nicht mehr der Massen lauter Nichtigkeit!

Laß uns in deinen großen Zügen lesen. Daß du die Stille bist, die Einsamkeit. Kalt ein, du hehre Herrscherin, halt ein, Laß doch genug des trüben Stromes sein! Wamm denn immer mehr des rohen Vielen? Warum entheiligst deine Stille du?

Wenn ächzend einstens deine Wälder fielen. Dann stürbe alle Schönheit, stürbest du. Laß deine Weite, laß sie nicht entweihn. Laß doch das Ende jubelnd, strahlend sein! Wie deine Blüten still und zart vergehen:

Ein letzter Blumenblick, sie sinken hin! Ich höre leis aus ihren Kelchen wehen:

„Vollendung ist des Sterbens tiefster Sinn." Auch du stirbst der Vollendung höchstem Sein,

Mit dir vergeht des Gottes lange Pein. So stirb denn groß!

Laß nicht im wehsten Leiden,

O ew'ger Geist, uns die Erlösung sehn! Wenn sich das Ew'ge wird vom Leben scheiden,

Dann sei das Ende ewig, einzig schön! Des Willens Welt vergehe nimmer klein, Ihr Tod, das soll der letzte Wille sein.

121 Die Welt ward stets von Wenigen getrieben,

Die Großen nur, sie haben Gott erkannt,

Das Äöchste können nur die Lohen lieben. Das Niedre ist der Vielheit festes Band! Die Einzelnen nur können dich befrein: Einsam und groß des Einen Ziel muß sein!

Wenn in der Schönheit stiller, weiter Größen Die Großen stark und siegend werden stehn, Dann wird ein Flammenwunsch den Geist erlösen. Dann wird im Iubelsturm die Welt vergehn! Dann glüht in Sttahlenglanz das ew'ge Sein,

And selig stirbt, ein Blumenblick, der Schein! Nora Braun

122

Zwei Sonette an die „modernen Dichter"

Der dentsche Vers als Eingang V^icht deutsche Att ist's, fremde Form zu leihen, das deutsche Wort fügt sich nicht fremdem Zwang, allein der Inhalt muß die Form auch weihen: Durch Melodie erst wirket der Gesang!

Dem edlen, deutschen Inhalt wird natürlich und leicht die echte, deutsche Form entblühn, doch da ihr heute gar zu unmanierlich, erlaubt, euch im Sonett ein wenig zu erziehn.

Erstes Sonett. gute Form vergaßt ihr längst zu pflegen,

ob aus „Genie", aus Faulheit, wer kann's sagen? Ich will mich in dies Wespennest nicht wagen; man soll den Wert stets auf den Inhalt legen. Doch euer Inhalt? Laßt mich überlegen! — Mir scheint zu unsern 99 Plagen

hat er die hundertste hinzugettagen. Zeus, daß nicht alle dichten, welch ein Segen!

Doch tun es viel zu viele, 's scheint ein jeder den Drang zu fühlen, seine Häßlichkeiten in ... Punkten, Worten ... Punkten hinzukritzeln. Ich glaube, manchmal sträubt sich gar die Feder und kleckst empört zu all den „Schattenseiten". Die „Deutschm" wüsten und die Juden witzeln. Zweites Sonett.

^kch bin nur ein Sonett, doch eure Dichter, die allergrößten haben mein begehret, drum sei mir jetzt zu sprechen nicht verwehret, und jene Größten seien eure Richter.

Mir wird das Dunkel eures Wahnes lichter. Seht, Knechtschaft ist, was ihr als Freiheit lehret, und krankhaft ist, wonach ihr lüstern gehret, des Scheines Netz umstrickt euch immer dichter. Ihr glaubt euch Goethe gleich! And wollt nun singen gleich ihm von eurem Lieben, eurem Irren, nur leider, daß es klein und häßlich ist!

Dem Größten nur kann Lust auch Schönheit bringen, zur Dichtung werden ihm nur süße Wirren: Weh dem Verweg'nen, der mit ihm sich mißt!

—124

Gegen eine« „modernen Dichtet R. D. .»* ' ' ZuV

7M/

sein, nicht eins von tausend Schönen! Ich möchte sterben in Schönheit ohne Leid!" Sinnend sagt der Ahom: „Manche sterben in Schönheit und leben dann fort, weil ihr letzter Schönheitsblick nicht vergeht, weil auf den lichten Lenz nicht folgt der bleiche Lerbst! Der herbe Lerbst ist nur für Früchte, nicht für Blütenseelen! Doch seht, aus euch allen wird ja eine Frucht!" „Ich bin Blüte, Blüte," jauchzt die goldige Dolde, „laß mich sterben denn!" Da kommt ein sanfter Lauch und löst ihre zarten Lebensbande, und sacht sinkt sie und goldig herab, goldig, auf ein Meer von Gold. Das Menschen­ kind schrickt auf: sieh doch, in seinen Laaren hängt eine Ahorntraube, Honigdustende Blütchen! Da löst das Mädchen sie zart, und einige Goldhärchen bleiben daran hängen. „Wie schön sie ist", flüstert das Menschenkind, „ich schicke sie heut mit im Brief, im Brief!" And es lächelt selig. Droben im Ahom aber sagt eine große, starke Blüte stolz: „Ich werde ein Baum, das ist viel schöner!" And die Bienen summen, und der Ahom blüht, stühwarm ist's, da scheint die liebe Sonne in ein kleines Zimmer, wo ein kleines Mädchen schreibt. Loldes Menschenkind du, was hast du für Weisheit zu sagen? Lieber Gunther und Freund! Der Ahorn blüht nun schon, ist das nicht herrlich? Ich schick Dir auch ein Blütchen, schadet nichts, wenn Ihr auch Ahom habt, dies ist von meinem Ahom. Be­ wahr ihn nur auf, in der ollm Schachtel von mir. Du weißt doch, der schwarzen. Später wenn wir Mann und

257

Frau sind, dann sehn wir da 'mal nach! Fein! — Also — unsre Lotte hat nun gekalbt, das kleine Kalb ist süß, es ttinkt mächtig viel Milch. Ach so. Du weißt wohl nicht, was kalben ist? Das ist, wenn die Kuh erst sehr krank ist, es kommt auch Onkel Tierarzt, und dann bringt er wohl das Kalb, denn es ist da und so süß. — Ich hab wundervolle Karl Mays gelesen. Deine auch alle, Winnetou ist himmlisch, ich bin ganz eine Squaw. Mutti sagt, elf­ jährige Mädchen lesen sonst so was nicht. Na ja, das ist ja egal. Gestern hielt ich mit Tyras, Box und Freya Feldmäusejagd, fein, es blühten auch noch solch köstliche Weidenkätzchen an den Schienen von der Ziegelei. Ziegel­ meisters sind ausgeriffen, Väü schimpfte da sehr, und sie haben auch betrogen. Ebenso riß auch eine Mamsell aus, aber die neue ist sehr nett. Komm bloß zum Lerbst, lieber Gunther, wird das schön, ach Gott, ich bang mich so nach Dir. Die Schul­ kinder sind eklig, ich hab keine Freundin, Du bist mein einz'ger Freund. In der Stadt und Schule ist es so schauderhaft, schön ist nur unser zu Laus und unser Land, da allein bloß so für mich ist schön, aber erst recht mit Dir. Ich lese viel, da bangt man sich nicht so doll. Vor 3 Wochen warst Du noch da, ach, war das schön! — Fehler sind nich im Brief, eben hat Muttt nachgesehen. Ich grüß Dich uud küß Dich; Du, warst Du bloß groß diesmal! Vielleicht lachst Du mich aus, weil Du schon 15 bist, aber mein Gedicht ist sehr hübsch, nicht? Deine treue Freundin Äiltrud. Da- Buch vom Glück

17

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Ahornblüte. Leut fiel mir eine Blüte aufs Laar, Ach, wie die schön und duftend war. Vom alten Ahorn fiel fie herab. Nun ich fie Dir geschenket hab. Bewahr sie, Gunther, auf bei Dir, And komm im Lerbst recht schnell zu mir. Von mir ganz alleine gedichtet!

*

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Liltrud sitzt lange noch vor ihrem kleinen Schreibpult und sieht auf ein ernstes Knabenbild, das neben ihr sieht, und draußen ist Frühling. . . . „Wie groß der Ahom geworden ist!" Die Augen der schönen, ernsten Frau ruhen sinnend aus dem starken Baum. Blau und jung, tief und klar sind diese Augen, sie paffen hinein in das sinnende und doch so ftohe Gesicht. Mit inniger Liebe zieht der große, dunkle Mann sein Weib an sich, weich sagt er: „Das ist nun auch 30 Jahre her, Liltrud, seit wir ihn pstanzten, Lerbst war's damals, Vorfrühlung für uns. And dann kamen lange Jahre, Liltrud! Leiß war der Sommer, und nun, sieh, es ist Lerbst!" Glücklich sieht das Weib zu ihm auf: „Lerbst, Gunther, ja, starker, stiller Lerbst, und deine Früchte reifen!" „And deine Blüten bleiben ftühlingsfrisch, sie sind nicht verblichen, auch Blüten schönen den Lerbst!" Sie lächelt. — Da zieht er eine alte Ledertasche hervor: „Sieh her, das ist solch eine Blüte, die nicht gestorben ist." In einem vergilbten Zettel liegt eine Ahornblüten-dolde gepreßt. „Erinnerst du dich daran, Lilttud?" Beide

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lesen den kleinen Zettel, da steht mit ungelenker Kinderhand gekritzelt ein Gedichtchen. Die beiden Menschen lächeln, und Blüten duften ftühlingsftisch im Lerbst. „Weißt du damals?" And nun quellen all die Erinnerungen auf, Helles Kinderlachen und Tränen auch, und Blüten und Sonnenschein. „Damals im Äerbst, wie war es schön doch! Die Lasenkopfäpfel schmeckten so kühl und süß! And im Lehmstich die Räuberhöhle! Za, damals psianzten wir diesen Ahom, der war auch so ein kleiner, frecher Nasenkneifer, weißt du noch?" Silbern lacht Frau Äilttud. „Dann sagtest du, der würde groß, so groß wie der alte! And ich glaubte dir nicht, Gunther. Da setztest du ihn ein, und schon im nächsten Frühjahr hatte er zwei niedliche Blättchen. Wie ist er nun groß! Gunther, so groß wie all deine Werke! And sie wachsen und zeugen neues Leben wie der Baum, und spenden Blüten und Früchte, ewig jung, Leben weckend und selber wachsend. Du bist so stark und groß!" „And du, Liltrud? Was bin ich ohne dich?" Sie sieht ihn an, mit tiefer Liebe: „Alles bin ich nur durch dich, ohne dich wäre ich lange, lange tot! Sieh, du wecktest mich und zogst mich empor zu deiner lichten Löhe! Sieh, du ließest mich gesunden und gabst meinem Leben Wett. Ohne dich wäre ich wie eine Blüte, die im Frühling ftuchtlos stirbt. Doch wie die Ahomblüte, so wahrte deine Güte mich, das ich nun auch im Lerbst dir lachen kann zum Dank!" And Lilttud küßt mit innigem Danken seine Land. Da schüttelt er den Kopf. „Weil du meinen Ruf vemahmst, Lilttud, weil du mich verstandest, deshalb konnte ich dich gewinnen, beglückt dich beglücken. Doch nicht in Worte läßt sich 17*

—2ßo ^GK-—-sM— fassen, was ewiges Geheimnis ist, und dmnoch ewige Offenbarung! Ich glaube, daß der ewige Geist uns ur­ anfänglich füreinander hat bestimmt! Aus dieser Einheit segensvollem Glück strahlt mir sein Bild, winkt mir das einst'ge Ziel. Laß deiner Lieder Blüten sich um des Denkens ernste Früchte weiter schlingm, bis sie vergehn, um ewig erst zu sein!" Kühler, klarer Lerbst gießt sein sanftes Licht um ihre Gestalten, und in dem starken Ahorn fiüstert es. „Seht dort, die Blütmtraube von den beiden war mein Schwesterchen. Es starb damals im Lenz! And nun — nun lebt es noch? Aber ich lebe auch, ich zeuge Leben und wachse selber. Jetzt kommt der lange Winter, und dann wieder das Regen und Blühen im Frühjahr! Frühjahr! Süll — laßt mich erzählen von damals, da­ mals, als mein Schwesterchen im goldigen Frühlingslicht vom alten Ahorn siatterte. Damals — die Bienen summten, summten, und der alte Ahorn blühte.... Rora Braun

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Osi 1

Ein Sylvestergespräch 1800/1801 ■^kie Räume des herzoglichen Schlosses in Weimar sind strahlend XJ erhellt; eine bunte Menge wogt darin auf und ab. Der Maskenaufzug, von Goethe veranstaltet, ist vorbeigerauscht, der Ball hat begonnen. Mitternacht ist schon vorüber, man begrüßt das anbrechende Jahrhundert mit ausgelassener, doch in den Grenzen des Schönen bleibender Fröhlichkeit. Von der Menge der Gäste sondern sich vier Gestalten ab und treten in eifrigem Gespräch in ein kleines behagliches Nebenkabinett; das Feuer tm Kamin knistert, nur wie fernes Brausen dringt das Gewoge aus den Festsälen herüber. Einige Flaschen edle« Weines werden geleert, die Unterhaltung wird immer lebhafter.

Schiller (zu Goethe gewandt): Ich bedauere es jetzt von Lerzen, daß ich mich durch die Unfreundlich­ keit unseres Lerzogs von der Teilnahme an dem Ar­ rangement des Maskenzuges habe abschrecken lassen. Ich hätte dann öfter den Genuß gehabt, den mir jetzt nur ein flüchtiges Vorbeiziehen gewähren konnte. Wie läßt sich auch würdiger ein Jahrhundert verabschieden und ein neues beginnen, als so, daß man noch einmal all die Bestrebungen an sich vorbeigleiten läßt, die das vergangene Säkulum begann und das folgende fort­ führen soll?

ZOZ Goethe (lebhaft einfallend): Wir, wir haben sie be­ gonnen, nicht das Säkulum; sprechen wir doch konkret und lassen wir die Abstraktton den Metaphysikem! (Lachend) Damit die armen Leute doch auch etwas zu tun haben! Schelling nickt nachdenklich. Schiller (fährt ungestört fort): Was doch die Macht der Idee aus dem gestalten kann, was sonst bei den Menschen lächerliches, oft Kndisches Getnebe ist! Der Maskenzug, den Geist beseelte, war auch für mich eine ästhettsche Freude! Ganz bezaubert war ich von der Dar­ stellung der „Musik": diese fließenden Gewänder in schönster Farbenharmonie, diese edlen Bewegungen, die einen einwiegten, wie eine gleitende Melodie! Das Innerste schim sich da zu offenbaren. Goethe (übermütig): Das Innerste — die Schönheit der Frau, nichtwahr? Schiller (ungestört): Der rhythmische Tanz ist doch die Schwesterkunst der Musik: vereint vermögen sie der Seele innerste Regungen auszusprechen, jene unsichtbaren Dinge uns gegenständlich zu machen, von denen Leonardo sprach. Goethe (lebhaft): Alles bloß GedanMche muß Gegen­ stand werden, sonst bleibt es ein toter Begnff! Schiller (ungestört): Diese- Ansichtbare ist eben das Wesentliche an den Dingen, das Ideelle, Typische. An­ sichtbar ist es, und doch sichtbar, denn es spricht in der Schönheit zu uns. Die Kunst beruht ja eben darauf, das Wesen der Dinge uns sichtbar zu machen. Darum ergriffen mich die Maskengestalten so: bei ihnen waltete die Kunst, die wahre Kunst, die die Natur verttest und

ZOO

und auf ihr Wesen führt. Denn in den Dingen steckt die Kunst; wer sie herausholt, der hat sie, sagt schon Meister Dürer. So kamen die Menschen zur Kunst, indem sie der Natur folgten; leichtschwebend fühlte sich ihr Blick vom schlanken Wuchs der Zeder aufgezogen, den ahmten sie dann nach und schufen Säulen, deren ragende Löhe den Blick zum Limmel fliegen läßt. Goethe (lebhaft einfallend): Das Material führte die Menschen zur Kunst. Das meine ich! Nehmt die Ägypter: wie kamen sie zu ihrm Obelisken? 3m

syenitischen Gebirge dort in Oberägypten da liegt der Granit in Parallelpipeden, die ost diagonal geteilt sind; wenige Schläge mit dem Lämmer und ein Obelisk be­ geistert das betrübte Menschenherz! Ein vollkommenes Kunstwerk ist ein Werk des menschlichen Geistes und damit auch ein Werk der Natur; aber es faßt die zer­ streuten Gegenstände in eins — damit ist es mehr als Natur! Schiller: Lächerlich ist es, die bloße Nachahmung der Natur von der Kunst zu verlangen! Der Kunst des Ideals ist es aufgegeben, den tiefen Geist des Alls zu ergreifen und in einer körperlichen Form zu binden. Zwar kann auch die Kunst dieses Ideelle nicht eigentlich vor die Sinne bringen, aber doch durch ihre schaffende Gewalt vor die Einbildungskraft. Dadurch aber wird sie wahrer, als alle WirKichkeit! Nur die Schönheit führt uns zur Wahrheit, und im Genusse der Schönheit und im Schaffen der Schönheit ist der Mensch erst wahrhaft Mensch! Der Spieltrieb ist das Göttliche im Menschen. Aber alles, was er schafft, schafft er mit Lilfe der Form: und des-

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wegen sind mir die Ideen deS Schlegel so zuwider. Schließlich kommt's bei diesen Leuten auf ein Wogen und Wallen des Gefühls hinaus, das keine Form und Grenze mehr hat. Eins durch das andere auflösen, das wollen sie und so verschwimmt alles in formlosem Nebel! Goethe: So ungebundene Geister kommen nicht leicht zur Löhe! Sie müssen noch die wahre Freiheit finden, die sich selbst das Gesetz gibt! Im übrigen: ganz tüchtige Leute! Schelling: Weil dieKunst Vollendung und Begren­ zung deS ewig Fortschreitendm in der Wissenschaft gibt, deswegm ist sie mir die höchste Betätigung des Menschen. Das Allerheiligste öffnet sie dem Menschen, wo in einer Flamme brennt, was in Natur und Geschichte ewig ge­ sondert ist! AuS der gemeinen Wirklichkeit gibt uns vor allem die Poesie einen AuSweg: in ihr schwinden wie vor der siegenden Sonne die Rebel an einem Frühlingsmorgen. Schiller: Das soll gerade die Kunst wirken, die sinnliche Welt, die sonst wie ein roher Stoff auf uns lastet, als blinde Macht auf uns drückt, in die Feme zu rücken und den aufdringlichen Stoff durch Ideen zu be­ herrschen! Leiliger Ernst ist die Kunst, nicht ein augen­ blicklicher Traum von Freiheit. Ein reges und reines Gefühl für Schönheit hat den größten Einfluß auf das moralische Leben; es Hilst am meisten dazu, die Seele so weit zu bilden, daß sie sich der Leitung des Affektes ohne Scheu überlassm kann. Die schöne Seele kann das; ihren Werdegang suche ich in dem Leben jenes seltsamen Mädchms darzustellen, dem die Franzosm so bitter un­ recht tun: dem Mädchen von Orleans. Mit vollstem

Lerzen schaffe ich an dieser Gestatt: sie soll unsterblich leben! Schelling: Mir geht in Ihrem Begriff der schönen Seele ein Ideal auf. Schon lange fühlte ich das Anrecht in Kants kategorischer Pflichtmoral. So muß es sein: höchste Güte muß zur Schönheit werden, Larmonie ist wahre Sittlichkeit! — Ich plane eine Philosophie der Kunst; eine solche scheint mir die höchste Aufgabe des Denkens. Von den Löhen der Metaphysik aus die Kunst betrachten und begreifen... Goethe (lebhaft gestikulierend): Daß Ihr mir mit Euern toten Begriffen nicht den heiligen Tempel der Kunst verdunkelt, mit diesen Leichen dort nicht Moder­ geruch verbreitet! Dürre und Finsternis dehnen sich, wo Ihr das Leben fortstehlt mit Euren Begriffen! Leben und Individualität! Persönlichkeit! Darauf kommt's an! Im übrigen ist mir eine Philosophie schon recht, wenn sie das ausspricht, was ich so lebhaft empfinde: ein Welt­ geist schafft in der ganzen Natur und im Menschen! Spinoza — das wäre etwas für Siek Schelling nickt gedankenvoll. Schiller: Leilig sei uns die Philosophie! Aber nur nicht zu hoch in die Wolken steigen! Die Metaphyfiker sollen doch nicht vergessen, daß die Löhen, auf denen fie weilen, nur dazu da find, um die bunte Fülle des Tales zu überschauen; sie selbst gebrauchen sie ja auch nur dazu, sonst wäre es ihnen auch bald zu öde da droben! Schelling: Fichte ist mit der Natur schlecht ver­ fahren: ihm schwand sie in der Löhe. And doch ist sie so schön. So strebe ich sie festzuhalten und mit Ideen zu

7DU7^ ZOO durchleuchten.

Freund Steffens, wie steht's mit Ihren

Gedanken über das Innere der Erde?

Steffens: Ich bemühe mich, Erfahrung und Speku­

lation in Larmonie zu setzen! Goethe (begeistert): Recht so, recht so! Nur nicht zu viel Begriffe! Inhalt und Wärme müßt Ihr Euren Systemen geben. Schwinden darf uns ja nicht das Meta­

physische, lieben müssen wir es, religiös müssen wir sein! Nur solange wir Religion haben, können wir produktiv sein in Kunst und Wissenschaft! Schelling: Auf den Geist kommt es vor allem an, wenig auf das Einzelne! Die große Liebe zur Idee muß jeder im Lerzen haben, wenn sein Leben nicht leer sein soll! In dem wahrhaften Gelehrten muß die Idee zum Charakter werden! Nur durch die Lingabe an die Idee

kommt Einheit in unser Lebm! Auch Deutschland muß durch einen Gedanken geeint werden und in einer Lehre sich finden, sonst hat es keinen Bestand. Eine Einheit müssen all unsere Wissenschaften bilden, denn fie find Ab­ bilder des einen Arwiffens. Nur dadurch erhalten sie Kraft, sonst sind sie nichts! (Er wird unterbrochen; ein Schwarm heiter fröhlicher Masken drängt sich in die Türe. Goethe blickt auf und schüttelt das Äaupt; die Masken verschwinden eilig.)

Schelling (begeistert auffahrend): Wir haben in unsern Gedanken, die das Zeitlose suchten, den Wandel der Zeiten vergessen. Aber seht diese Menschen: sie denken

an den Wechsel des Jahrhunderts und sind dabei ftoh und empfänglich für alles Schöne. Wie könnte sich ihre

Freude veredeln, wenn sie an das Geistige, Zeitliche dabei

dächten I Könnten wir ihnen nicht die Liebe zur Idee wecken, daß ihnen die Augen aufgehen und sie hellsichtig werden? Daß sie den Eros nach dem Geistigen, die geistige Liebe zu Gott empfänden? In sich würden sie dann etwas Linendliches finden I Wenn sie über die Stunde hinausdenken, dann verlieren sich ihre Gedanken zu den kleinlichen Kriegs­ wirren, die auch der Bauer im Wirtshaus bespricht. Wie unendlich reich wäre das Leben der Menschen, wenn sie in der Idee lebten und das Leben aus ihr betrachteten! Goethe: Nur nicht das Leben durch die Theorie verblassen! Schelling: Nein, wahrlich nicht! Aber das Einzelne erhält erst Sinn und Wert vom Ganzen her; und auf dieses müssen die Menschm blicken. Sie finden es am ersten in des Lerzens eigener Tiefe! Goethe: Laßt uns den Menschen sagen: suchet in euch, so werdet ihr alles finden, und freuet euch, wenn da draußen, wie ihr eS immer heißen möget, eine Natur liegt, die Ja und Amen zu allem sagt, was ihr in euch selbst gefunden habt! Dies Evangelium wollen wir den Menschen predigen, damit fie frei und groß werden im kommenden Jahrhundert! (Sie blicken sich mit flammenden Augen an, die Gläser klingen hell aneinander. Der Arzt Äufeland tritt herein, der bald nach Berlin übersiedeln will. Draußen fröhliche Auflösung des Festes. Man geht gemeinsam nach Lause.)

Goethe (zu Schiller): Ich fürchte, ich fürchte, es wird doch immer so bleiben: das Große wird für die Großen sein, das Lohe für die Lohen! Die Kleinen — die müssen ja auch da sein, lassen wir sie drum! —

Nachwort.

Vorstehendes Gespräch ist die freie Ausgestaltung einer Notiz, die ich in Steffens: „Was ich erlebte" (1840) fand. Die kurze Erzählung bewegte mich seltsam und mir wurde der Geist jener Tage lebendig, so daß es mir schien, als wäre ich Zeuge des Gespräches jener Großen gewesen. Am aber nicht willwrliche Phantasten zu geben, suchte ich aus Briefen und Gesprächen, die uns aus jenen Tagen überliefert find, das zu erkennen, was jene Genien wirklich bewegte; in freier Benutzung des Wortlautes habe ich mich öfters dessen bedient. Wenn ich Gedanken herangezogen habe, die in etwas früherer oder späterer Zeit gerade so ausgesprochen sind, so handelt es sich stets um Theorien über das Wesen der Kunst, wie sie unsere Klassiker ihr Leben lang vertreten und sie vor allem in dem gemeinsamen Gespräch gewonnen haben. — Die Stelle bei Steffens lautet mit unwesent­ lichen Kürzungen folgendermaßen: „Den wirMchen An­ fang des Jahrhunderts verlebte ich ... mit meinen Jenaer Freunden, und zwar in Weimar auf einer Maskerade, durch den Äof veranstaltet.... Ein wohlgeordneter, von Goethe entworfener Aufzug machen den Anfang. Später fing der Maskenball an.... Nach Mitternacht zogen Goethe, Schiller und Schelling sich in ein Neben­ kabinett zurück. Ich durfte von der Gesellschaft sein. Einige Bouteillen Champagner standm auf dem Tisch und die Anterhaltung ward immer lebhafter. Da fiel mir... die Veränderung auf, die mit zwei so bedeutenden Persönlichkeitm vorging. Goethe war unbefangen lustig.

269 ja übermütig, während Schiller immer ernsthafter ward

und sich in breiteren doktrinärm ästhetischen Explikaüonen erging ... und er ließ sich nicht stören, wenn Goethe ihn durch irgend einen geistreichen Einwurf... zu verwirren suchte. Schelling behielt fortdauernd seine ruhige Lat­ tung. . . . Der Arzt Lufeland . . . trat etwas später

herein...." Otto Braun

Rudolf Eucken tT^ir haben das Glück, in einer Zeit zu leben, die noch nicht fertig ist, in der alle Probleme wieder im Fluß findl

Wir haben das feste Vertrauen, daß wir — vor

allem unser deutsches Volk — berufen sind, mitzuschaffen an dem Fortschritt des Geisteslebens. Ich wünsche Ihnen

allen, daß Sie — jeder an seinem Platze — kräftig mit­ arbeiten können und dabei die vollste Befriedigung finden.

Tatkräftiges Stteben und energische Arbeit: das ist es ja, was den Menschen beglückt! Mögen Sie alle dazu gelangen!" Diese Begeisterung wirkenden Motte tönten laut über das atemlos lauschende Auditorium hinweg. Die klaren, blauen Augen des Meisters blitzten noch einmal prüfend über die Versammlung, dann schritt er gesentten Lauptes durch die Schar seiner Schüler dem Ausgange zu, von endlosem „Gettampel", dem Ausdruck höchster studentischer Begeisterung, begleitet. Dann erhob sich die Versammlung und erregte Gruppen verließen das ehrwürdige, schmucklose Llniversitätsgebäude, um sich in lebhafter Disputation in den winkligen Sttaßen des alten Thüringer Städtchens zu verlieren. Da wurden die Ge­ danken Euckens — dmn er ist es, der eben seine letzte Vorlesung beendet — weitergesponnen und besprochen, denn wie immer hatte er bis ins Innerste seine Lörer

—271

bewegt. Wie oft sind wir da zusammen in eine gemütliche „Bude" gestiegen und haben dort disputiert, oder haben die kleine, köstliche Stadt hinter uns gelassen und sind

die sanften Berge hinaufgestiegen, auf denen unsere Großen schon gewandelt, Goethe und Schiller, Fichte, Schelling und Legel, der ganze Kreis der Romantik und

viele, viele andere!

Wie herrlich ließen sich dort oben

die Gedanken austauschen, im Schatten der hohen Buchen­ stämme, mit dem Blick ins grüne Tal, durch das sich sanft das Silberband der Saale zieht, oder gar in einer

Mondnacht, wmn alles in mildem Lichte liegt! Ja, durch Euckens begeisternde Lehre erstehen die Zeiten vor 100 Jahren wieder, als sich die geistige Bewegung aus den Lochschulen fortpflanzte und endlich alle Schichten des Volkes ergriff. Jena ist jetzt wieder ein geistiger Mittelpunkt unseres deutschen Volkes — hoffen wir, daß von dort aus sich eine edlere Kultur über unser ganzes

Volk verbreite! Eucken hatte in seinen Schlußwotten noch einmal die Lehre zusammengefaßt, die er nie müde wurde, seinen Schülern einzuprägen: nur rastlose „Arbeit" im

edelsten Sinne kann uns selbst zu einer Persönlichkeit bilden und dadurch auch eine Wirkung nach außen und wahres Glück erzeugen! Arbeit bezeichnet eben für Eucken

nicht eine aufgezwungene Last; das Große an ihr ist gerade, daß sie aus einem anfänglichen Zwange zu einer Betätigung höchster Freiheit wird. „Die Arbeit kann uns so lieb und wett werden, daß wir ihrem Gelingen Opfer

bringen, sie in direttem Gegensatz zu unserem eigenen Votteil fottführen können" (Grundlinien einer neuen Lebensanschauung, S. 98). Die Arbeit, die erst etwa aus

272 Not des Lebens unternommen wurde, erhält allmählich einen ganz eigenen Wert, wir haben ein ganz anderes Interesse an ihr als ursprünglich, die Arbeit ist etwas anderes geworden. Damit ist im besten Sinne ein Wunder geschehen: der naturhafte Charakter ist von der Arbeit ab­ gestreift, die bloß nützliche Seite an ihr, die sie in der gegebenen Welt festhält, ist überwunden und ihre geistige Kraft hat sich offenbart. Daß Eucken auf diese innerliche Macht der Arbeit immer wieder hinweist und zu rastlosem Streben mifruft, ist ein schöner Ausfluß seiner eigensten Wesensart. Eine belebende Frische strahlt von ihm aus, wenn er spricht, von einer tatkräftigen Energie ist sein ganzes Wesen ge­ tragen. Jeder, der ihn nur einmal gehört hat, wird mir da beistimmen, und im näheren Verkehr tritt dieser Grundzug seiner geistigen Individualität immer deutlicher hervor. Wie zündend wirkt seine Rede, er hat die Kraft, feine -öftrer im Innersten zu bewegen: und zwar nicht durch spitzfindige Dialektik, sondern durch das gewaltige ethische Pathos, das seine Worte trägt. Man fühlt so deutlich: das sind nicht bloße Gedankenprobleme, die sich da vor uns entrollen, sondern es sind reale Lebensmächte, die da miteinander ringen. Warmes pulsierendes Leben entrollt Eucken vor uns, nicht bloß Abstraküonen, die Schemen des Lebens. Dieses mehr äußerliche Moment ist natürlich nur ein Bild seine- Innern. Seine gesamte Weltanschauung er­ hält ihr eigentümliches Gepräge durch diesen Drang zur Tätigkeit. An einer anderen Stelle habe ich darum seine Weltanschauung als „dramatische Lebensphilosophie" be-

273

zeichnet.

In seinem neuesten Werke, den „Grundlinien

neuen Lebmsanschauung" (1907) stellt er selbst den Tätigkeitscharakter ausdrücklich in den Vordergmnd. Am aber die betreffenden Ausführungen recht zum Ver­

einer

ständnis zu bringen, muß ich die Grundlage von Euckens Anschauungen kurz skizzieren. Ich folge dabei in erster

Linie den Ausführungen der „Grundlinien", um einen ungefähren Begriff von dem Gange der Antersuchung in diesem Buche zu geben. Das Grundproblem von Euckens ganzem Denken ist daS Leben, allerdings nicht biologisch gefaßt! Wir

finden in der Amwelt eine Reihe von „Lebensordnungen"

vor: die sozialistische, naturalistische, künstlerisch-subjekti­ vistische usw. Wir fühlen heute aber lebhaft das An­ genügen all dieser Weltdurchblicke, das Ganze des Lebens ist uns zum Problem geworden, dem Leben selbst find seine Spiegelungen im menschlichen Geiste zu eng gewordm. „Das Gedankengefüge, von dem aus wir bis

dahin die Wirklichkeit sahen und die zuströmende Flut der Erscheinungen lenkten, hat fich gelockert und aufgelöst; so find wir wehrlos geworden gegenüber den Eindrücken

der Amgebung, die uns mit wachsender Stärke packen und bald hierhin, bald dorthin werfen. In solcher Auflösung ist uns nicht bloß dieses oder jenes am menschlichen Sein, sondem es ist uns das Ganze dieses Seins problematisch geworden" (Grundlinien S. 82). Dabei handelt es fich nicht bloß um den Kampf verschiedener Weltdeutungen,

sondern um den Grundbestand der Wirklichkeit selbst wird gekämpft. Die Gestaltung des Lebensprozeffes selbst ist der Äauptgegenstand des Kampfes, nicht zwischen Welt Das Buch »am Slück

18

—274

und Leben verläuft die Bewegung, sondem durchaus innerhalb des Lebens selbst. Diese immanente Be­ trachtungsweise setzt der Untersuchung als Lauptziel „eine

Entdeckung und Aufrufung von Leben, nicht eine Zurecht­ legung in bloßen Begriffen" (S. 87). „Es käme also

darauf an, etwas, das in uns steckt, zu voller Selbst­ tätigkeit zu erwecken und zugleich innerlich zu erhöhen, waS zerstreut nach der gesuchten Richtung schon wirkt, zu gemeinsamer Leistung zu verbinden, in dem Alten und vermeintlich Selbstverständlichen Neues und vielleicht über­ raschendes zu erkennen, damit die Wahrheit der Welt

auch unsere Wahrheit werde und unserem Leben Kraft gebe" (S. 80). Auf das Leben also kommt es an, nicht auf bloße

Begriffe. Damit lehnt Eucken den Intellektualismus ab. Es entspricht seiner energischen, dem vollen Leben zu­ gewandten Art, daß seine Arbeit nicht auf begriMche Zurechtlegung der Wirklichkeit ausgeht, sondern dem Leben selbst gilt. Die Vertiefung des Lebens ist sein Problem. Am zu einem solchen vordringen zu können, lehnt er aufs

schärfste den heute so grassierenden Naturalismus ab, und kämpft mit allen Mitteln gegen die Anschauung, daß es nur „Natur" im Menschen gibt. Das Geistesleben im Menschen ist eine Sphäre über der Natur, nicht mit seinem ganzen Wesen ist der Mensch an die Natur ge­ kettet, sein Geist vermag ihn von dieser Bindung los­ zulösen. Wir finden im Menschenleben verschiedene Punkte, an denen ein solches „Kinauswachsen über die Natur" erkennbar ist; die „Arbeit" haben wir daraufhin

schon betrachtet.

Unser Denken entfaltet ein Reich zeit-

275

und raumloser Wahrheit über die Natur, die innerlichen Verbindungen der Familie, des Staates führm uns in ein anderes Reich. „Es steigt in dem menschlichen Leben etwas auf, das unbeMmmert um das Wohl und Wehe des Menschen mit absoluter Forderung seinen eigenen Weg verfolgt, das mehr als irgend etwas anderes alles ruhige Behagen stört und zerstört" (S. 103). In der Seele selbst scheiden sich damit zwei Stufen, eine natur­ hafte und eine geistige. „So vereinigt sich alles zu dem Ergebnis, daß in unserer Seele eine neue Art des Lebens gegenüber der bloßen Natur aufsteigt." Daraus ergibt sich aber ein schweres Problem: „Wie kann eine neue Welt aufbauen, was vor allem ein Stück einer gegebenen Welt ist?" (S. 110). So werden wir durch die Not­ wendigkeit des Lebens selbst zu einer Llmwandlung des Weltanblicks getrieben, die Wahrheit des geistigen Lebens zwingt uns zu einer Metaphysik. Das Dilemma kann nicht anders überwunden werden, „als indem wir im Geistesleben ein dem Menschen überlegenes, ihm sich mit­ teilendes, ihn zu sich erhöhendes Weltleben erkmnen und anerkennen". Wir dürfen uns vor dieser metaphysischen Forderung nicht scheuen, denn die übliche Furcht vor der Metaphysik ist nur durch eine bestimmte Art derselben hervorgerufen, und man darf dieses Mißtrauen nicht auf die Metaphysik an sich ausdehnm. Eucken lehnt deshalb sehr richtig die Vorwürfe ab, die nur der intellektualistischen Spekulation gelten, und verlangt für sich die Freiheit, eine eigene, neue Metaphysik mit neuer Methode zu erschließen. (Vgl. Hauptfragen der Religionsphilosophie der Gegen­ wart, 1907.) „Es kann auch eine Metaphysik nicht aus 18*

dem bloßen Denken, sondern aus dem ganzen Leben hervor­ gehen; sie besagt dann dieses, daß im Leben selbst eine

Verlegung des Schwerpunktes und damit eine Umwälzung des bisherigen Standes zu erfolgen hat, daß eine in ihm

schon wirksame Tatsächlichkeit aus der bisherigen Zurück­ stellung herausgehoben und damit zu voller Wirkung ge­ bracht wird. Es wird also nicht zu einer vorhandenen WirMchkeit etwas nur hinzugedacht oder sie in ein Gewebe

von Begriffen umgedacht, sondem es wird die Wirklichkeit bei sich selbst zu ergreifen und in ihrer vollen Tiefe für uns zu beleben gesucht. Alle Wandlung des Denkens ruht dann auf einer Wandlung des Lebens." Damit gibt Eucken seine ganz eigentümliche Methode an, die ihn vom Intellektualismus scheidet: er geht vom Leben aus und bleibt nicht bei bloßen Begriffm stehen, sondem fordert, daß Wandlungm des Lebens hinter den Gedankengrößen stehen. Was Hilst eine Metaphysik, die das Geistige als eine Äberwelt faßt, es theoretisch als das edelste Gut des Menschen schätzt — und das Leben bleibt arm, trotz dieser schönen Gedanken, sein Schwerpunkt verlegt sich nicht ins Geistige? Leben zu wecken und Leben zu vertiefen — das ist die Ausgabe! Damit das Geistesleben gegenüber der Natur selbständig werden kann, darf es nicht nur am

einzelnen Punkte sich finden, sondern muß sich zu einer eigenen Welt zusammenschließen. Es muß jenseits der

Individuen ein Gesamtleben bilden, es muß in sich selbst einheitlich sein und die Mannigfaltigkeit umspannen. Als

ein ursprüngliches und wesenhaftes Reich müssen wir uns das Geistesleben denken, nicht als etwas Schatten- oder Schemenhaftes. Es ist die höchste Realität und das Ge-

wisseste, was wir überhaupt haben. Unser wahres Leben liegt ganz in ihm und gehört ihm an. Nur dann sind wir wahrhaft, wenn wir aus der Innerlichkeit heraus

unser Leben gestalten. „Wenn einmal die Wirklichkeits­ bildung von innen her in Fluß kommt und das Verlangen nach einer substantiellen Innerlichkeit gegenüber der bloß

subjektiven Macht gewinnt, so muß die Unzulänglichkeit, ja Unerträglichkeit alles dessen, was gewöhnlich Leben heißt, voll zur Empfindung gelangen....

Erst die Er­

öffnung eines bei fich selbst befindlichen und fich selbst zu einer Wirklichkeit entfaltenden Lebens kann darin Wandel

schaffen und vom Schein und Schatten des Lebens zu wahrhaftigem Leben führen." Soll dieses echte Leben zur Durchbildung kommen, so muß die Geisteswelt in dem Menschen gegenwärtig sein und der Mensch muß die Fähigkeit haben, fie in fich aus­ zugestalten, d. h. also sein Wesen zu wandeln. So können wir in keiner Weise auf eine wahrhafte Freiheit verzichten. Die Stellung des Menschen im Ganzen der Welt ist ja in unserer Anschauung eine ganz andere geworden. „Sier erhält der Mensch eine besondere Bedeutung dadurch, daß bei ihm die beiden Welten sich begegnen, und daß ihre Verschiebung an dieser Stelle nicht ohne sein Mitwirken

erfolgen kann; das Problem seines Lebens reicht daher über das Tun hinaus in das Sein, die Frage geht dahin, wie weit die verschiedenen Welten seine eigene Wett, sein Leben werden, es handelt sich gegenüber dem Anfangs­ stande um eine Verlegung des Schwerpunttes des Lebms."

Vorausgesetzt wird dabei natürlich immer die Möglichkeit einer inneren Erhöhung.

Eine solche stellt aber gewisse

Z/o Fordemngen an die Wett. „Die Wett muß bei uns noch

in Fluß und der Mensch darf nicht bloß ein geschloffenes

und begrenztes Einzelwesen sein, die Anendlichkeit des Geisteslebens muß ihm als Ganzes gegenwärtig sein und

eine neue Wett bei ihm beleben, in ihrer Kraft und ihrem Gehatt muß sein Tun wurzeln; nur dann wird begreiflich, daß auch an dieser Stelle eine Bewegung und WaMung in Fluß kommt." Damit verwirft Eucken jeden Ästhetizis­ mus.

Dieser hat ja als Grundthese die Lehre von der

Geschlossenheit der Welt, das sehen wir z. B. an Schelling, dem größten und bedeutendsten aller ästhetischen Denker. Die innerste Tiefe der Wett ist das Absolute, und dieses

ist fertig und gegeben. Damit ist die Stellung des Menschen zur Welt bestimmt: er ist als Glied einem vollmdetm Ganzen eingefügt, kann nicht selbst am Grund­ bestände der Wirklichkeit mitarbeiten, kann nur Zuschauer

sein. Daher denn die Neigung zu tatenloser Kontemplation. Die ästhetische Weltanschauung „läßt nur zwei Stellungen zum Leben zu. Entweder ein traumhaftes Versinken in die Dinge oder eine fatalistische Unterordnung unter zufällig gegebene Machtverhältniffe". (Goldstein, Über ästhetische Weltanschauung. Deutsche Rundschau, II, 1906.) Wie sollte ein Mensch wie Eucken, dem der „Tatcharatter" des Geisteslebens an erster Stelle ficht, es er­

tragen, als gleichgültiger Zuschauer neben dem Leben und der Welt zu stehen? So wird er denn nicht müde, den verflachenden Ästhetizismus, zu dem unsere Zeit so neigt, zu brandmarken und abzuweisen. Für ihn ist es eben Lebensbedingung, mitarbeiten zu können an der Voll­ endung der Wirklichkeit.

Damit kommen wir zu einer

höchst eigentümlichen und charakteristischen Fassung von

„Wirklichkeit"; Wirklichkeit ist hier kein Faktum, „sondern ein Problem und Ideal, sie liegt nicht am Anfang,

sondern am Ende des WegeS". Das ist der vollste Ausdruck von Euckens ganzem Wesen, die konsequente, begriffliche Ausgestaltung seiner persönlichen

Anlage.

Den

so

überaus

wichtigen und

interessanten Zusammenhang von Lehre und Leben sehen wir bei Eucken so deutlich. Der Kreis unserer Be­

trachtung schließt sich jetzt, wir sind zu der metaphysischen Konsequenz gekommen, die Eucken ziehm mußte, um sein Wesen in der Welt ausgestalten zu können. Als Not­ wendigkeit seines geistigen Lebens erscheint hier seine Metaphysik — das entspricht ja nur seiner Methode, die er die „noologische" nennt. Die hier in großen Zügen nur angedeutete Lebens­ ordnung „empfängt ihre eigentümliche Färbung und Stimmung namentlich durch die Voranstellung der Tat­ sache, daß wir nicht von Laus aus einer Welt der Ver­ nunft angehören, die nur in Anschauung und Genuß zu

»«wandeln wäre, sondern daß wir zu einer solchen Welt erst vordringen müssen und dazu einer Umwälzung der erstm Lage bedürfen". Der Standort wahrm Lebens ist immer von neuem zu erringen, und es enthält auch die Leistung im einzelnen imm« eine Entscheidung von Ganzem zu Ganzen. Nur in unablässiger Tätigkeit kann das Leben die errungene Löhe wahren, nach der

näheren Gestaltung der Tätigkeit bemißt sich auch, was

eS erfährt und empfängt. Bei solchem Vorantreten der Tätigkeit, solcher Aktivität, darf dieses Lebenssystem wohl

—280

das des Aktivismus heißen.

Sv charakterisiert Eucken

selbst sein System durch die Voranstellung der Aktivität. Selbst

wenn wir in uns eine wesenhafte Innerlichkeit

durchgebildet habm, dürfen wir uns nicht lässig dem Ge­ nusse deS Erworbenen überlassen: der Geist bleibt nicht

von

selbst auf der Löhe, sondem dauerndes Streben

kann ihn nur darauf erhalten. Die Einwendung unseres Lebens zum Geiste besteht nicht in einem einmaligen

raschen Entschluß, nicht plötzlich setzt sich die höhere Welt der Natur gegenüber durch. Die Welt der Selbsttätigkeit muß lebendig im Menschen gegenwärtig sein und dauerndes Ringen kann nur uns von der sinnlichen Natur

allmählich befteien. Damit erlangt die Aktivität einen ethischen Charakter, indem sie in dem Aufnehmen der Unendlichkeit in unser Wollen besteht. „Wenn dabei das Lande!» über das Gefallen und das Interesse deS bloßen Subjekts hinausgehoben wird, so geschieht das

nicht einem Fremden zuliebe, sondern unter Erhöhung des eigenen Wesen- und um dieses echten Wesens, um

unseres

geistigen Selbst willen ..."

„Eine derartige

Selbsttätigkeit ist keineswegs bloß eine Sache subjektiver Gesinnung, sie verlangt eine eigentümliche Gestaltung deS Lebensbestandes. Sie verlangt gegenüber der Zerfahren­ heit und Zerflossenheit deS Lebens eine kräftige Zusammen­

fassung und Durchbildung, sie dringt auf Methoden und Gesetze des Gegenstandes gegenüber spielender Willkür, auf eine innere Logik der Sache gegenüber dem Be­ harren bei Widersprüchen, auf eine Weiterbildung der ersten Eindrücke gegenüber bequemer Nachgiebigkeit, auf

einem mutigen Fortgang und Aufbau des Lebens gegen*

Zoi über einem willfährigen Linnehmen des Schicksals, sie gibt dem Leben einen dramaüschen Charakter gegenüber einem

lyrisch-sentimentalen, wobei sie vollauf anerkennen kann, daß ein echtes Drama viel Lyrik in sich zu schließen pflegt."

verstehm wir jetzt genauer, wie Eucken zur Schätzung der „Arbeit" kommt und wie dieser Begriff So

mit seinem ganzen System zusammenhängt. Das System ist eine Einheit, da es aus einer einheitlichen, starken

Persönlichkeit entsprungen ist. Eucken und seine Lehre sind der schneidendste Gegensatz zu jeder Dekadenze und jeder Müdigkeit. Er selbst arbeitet — rein äußerlich

zunächst — rastlos weiter, in diesem Jahre sind zwei neue Bücher erschienen, ein drittes wird noch heraus­ kommen, dazu zwei neue Auflagen (Kampf um einen geistigen Denker).

Lebensinhalt und Lebensanschauungen großer Dazu kommt seine Tätigkeit als Universitäts­

lehrer, der er sich mit völliger Selbstlosigkeit hingibt: nie wird er müde, zu raten und zu helfen, mit Interesse und warmer Teilnahme verfolgt er die Arbeiten seiner Schüler. Vorlesungen und Vorträge reihen sich anein­ ander — kurz, rein äußerlich schon eine Energieentfaltung von seltenem Umfange. Und nun die innerliche Arbeit der Gedankenbewegung! An ihm aber hat sich auch der Segen der Arbeit

bewährt, er hat es an sich selbst erlebt, daß nur die un­ bedingte Unterordnung unter dm Zwang der Sache be­

friedigen kann. Das gilt ja nicht nur von der Arbeit des Denkers, sondem von jeder Tätigkeit in Bemf usw. Ein Beruf etwa, der zunächst nur eingeschlagen ist, um das Leben zu erhalten, kann doch dadurch innerliche Be-

friedigung erzeugen, daß man seine Pflichten mit allen Kräften erfüllt, soviel man kann, das tut, was er er­ fordert. Dann fühlt man, daß man an dieser Stelle alle- geleistet hat, was einem möglich ist, und damit stellt fich die Befriedigung ein. Eucken hat ja mit den größten Widerständen zu kämpfen gehabt: vor zwei Jahr­ zehnten ging die Zeit noch achtlos an seinen Werken vor­ über. Doch er hat sich nicht abschrecken lassen! Er fühlte ja in fich, daß er auf dem rechten, eben seinem Wege ist — da ließ er fich durch die Ablehnung der Zeit nicht beirren. So folgte er denn der Notwendig­ keit seiner Gedanken und dadurch ist ihm äußerer Erfolg und inneres Glück zuteil geworden. Jetzt schauen Tausende bewundemd zu ihm auf, eine Schar von Schülem trägt seine Lehren weiter, und namentlich die Jugend erkennt in ihm ihren Meister, der wahren Idealismus in die Seelen seiner Lvrer gießt. So hat Eucken fich durchgesetzt, allen Modeströmungen zum Trotz, indem er ruhig seinen Weg weiter verfolgte. Jetzt ist ihm auch die Beistimmung der Mitwelt zuteil geworden und innige Befriedigung über den Sieg der von ihm verkündeten Wahrheit strahlt von ihm aus und leuchtet von seinem Gesicht, wenn er die Gedanken so lebendig vor uns gestaltet. Durch Lingabe an seine „Arbeit" ist er groß geworden, und zu solcher Arbeit will er uns alle begeistern, vornehmlich die Jugend. And ihm gelingt es! Möchte es recht vielen vergönnt sein, den Lauch seines Geistes zu spürm — es wird ihnm xTijna «g ttü, Besitz fürs Leben sein!

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Verlag von Veit & Comp. in Leipzig

GEISTIGE STRÖMUNGEN DER GEGENWART. Von Rudolf Eucken. Der Grundbegriffe der Gegenwart vierte, umgearbeitete Auflage. gr. 8. 1909. geh. 8 geb. in Ganzleinen 9 vÄ.

GESCHICHTE DER PHILOSOPHISCHEN TERMINOLOGIE. Im Umriß dargestellt von

Rudolf Eucken, 1879. geh. 4 Jt».

gr. 8.

Äber Bilder und Gleichnisse in der Philosophie. Eine Festschrift von Rudolf Eucken. __________________gr. 8. 1880. geh. 1

20 ff._________________

ZUR ERINNERUNG AN K. CH. F. KRAUSE. Festrede, gehalten zu Eisenberg am 100. Geburtstage des Philosophen von

Rudolf Eucken. gr. 8.

1881.

geh. 1

20 ff._________________

PROLEGOMENA ZU FORSCHUNGEN ÜBER DIE EINHEIT DES GEISTESLEBENS IN BEWUSSTSEIN UND TAT DER MENSCHHEIT.

Von Rudolf Eucken. ____________________ gr. 8. 1885. geh. 3 M.__________________

DIE EINHEIT DES GEISTESLEBENS IN BEWUSSTSEIN UND TAT DER MENSCHHEIT. Untersuchungen von

Rudolf Eucken, gr. 8.

1888. geh. 10

Verlag von Veit & Comp. in Leipzig

II

DIE LEBENSANSCHAUUNGEN DER GROSSEN DENKER. Eine Entwicklungsgeschichte des Lebensproblems der Menschheit von Plato bis zur Gegenwart. Von

Rudolf Eucken. Siebente, verbesserte Auflage,

gr. 8.

1907.

geh. 10 «A geb. in Ganzleinen 11 Jt.

DER KAMPF UM EINEN GEISTIGEN LEBENSINHALT. Neue Grundlegung einer Weltanschauung. Von

Rudolf Eucken. gr. 8.

1907.

Zweite, neugestaltete Auflage, geh. 6 M 40 geb. in Ganzleinen 7

50 Sjf.

DER WAHRHEITSGEHALT DER RELIGION. Von

Rudolf Eucken. gr. 8.

Zweite, umgearbeitete Auflage. 1905. geh. 9 geb. in Ganzleinen 10

GRUNDLINIEN EINER NEUEN LEBENSANSCHAUUNG. Von

Rudolf Eucken. gr. 8.

1907.

geh. 4 Ji, geb. in Ganzleinen 5 Ji.