Das Artenschutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie im deutschen Recht: Umsetzung der europäischen Vorgaben in Gesetzgebung, Auslegung und Vollzug [1 ed.] 9783428542857, 9783428142859

Thema der Arbeit ist die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben im Bereich des Artenschutzrechts. Dazu analysiert Hanna Th

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German Pages 226 [230] Year 2014

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Das Artenschutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie im deutschen Recht: Umsetzung der europäischen Vorgaben in Gesetzgebung, Auslegung und Vollzug [1 ed.]
 9783428542857, 9783428142859

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Schriften zum Umweltrecht Band 181

Das Artenschutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie im deutschen Recht Umsetzung der europäischen Vorgaben in Gesetzgebung, Auslegung und Vollzug

Von

Hanna Tholen

Duncker & Humblot · Berlin

HANNA THOLEN

Das Artenschutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie im deutschen Recht

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlin

Band 181

Das Artenschutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie im deutschen Recht Umsetzung der europäischen Vorgaben in Gesetzgebung, Auslegung und Vollzug

Von

Hanna Tholen

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 61 Alle Rechte vorbehalten © 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 978-3-428-14285-9 (Print) ISBN 978-3-428-54285-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-84285-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Herbst 2013 von der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Dissertation angenommen, mit anschließender Disputation am 18. 11. 2013. Literatur und Rechtsprechung konnten für die Veröffentlichung noch bis einschließlich Januar 2014 berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gilt allen, die mich bei der Erstellung der Arbeit in vielfältiger Weise unterstützt haben, an erster Stelle meinem Doktorvater, Prof. Dr. Johannes Dietlein, für die Begleitung der Arbeit und wertvolle Anregungen. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Prof. Dr. Klaus Hansmann für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ein großes Dankeschön geht schließlich an Katja Niehnus für sorgfältiges und engagiertes Korrekturlesen der Arbeit. Ein besonderer Dank gebührt meinen Eltern für die Begleitung und Unterstützung während dieser Phase und für den unermüdlichen Einsatz bei der Durchsicht des Manuskripts mit unzähligen hilfreichen Hinweisen und Anregungen. Düsseldorf, im März 2014

Hanna Tholen

Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 B. Rechtsquellen des Artenschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Artenschutz im Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Artenschutzbezogenes Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 a) Vogelschutzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 b) FFH-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 c) Anwendung der internationalen Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 d) Weitere artenschutzrechtlich bedeutsame Rechtsquellen im europäischen Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 III. Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Verfassungsrecht: Art. 20a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Bundesnaturschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3. Landesnaturschutzgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 4. Bundesartenschutzverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 5. Artenschutzregelungen in Fachgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 C. Formelle Aspekte der europäischen Artenschutzregelungen und ihrer Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Entwicklungen im Rahmen der Föderalismusreform 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Das kompetenzrechtliche Spannungsfeld von Naturschutzrecht und anderen artenschutzbeinhaltenden Rechtsmaterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Abgrenzung zum Jagdrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Abgrenzung zum Forstrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3. Abgrenzung zum Fischereirecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4. Überschneidungen mit sonstigen Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 III. Einfachrechtliches Verhältnis der artenschutzbezogenen Normen des BNatSchG zu anderen Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I. Entwicklung der Umsetzung der Artenschutzvorgaben der FFH-Richtlinie in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

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Inhaltsverzeichnis II. Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien in mitgliedstaatliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Umsetzungsmaßstäbe der FFH-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Auslegungsfaktoren der FFH-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Ziele der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Aufbau und Systematik der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 IV. Umsetzung der Artenschutzbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz von 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Einführung eines Schutzsystems für bestimmte Tierarten gemäß Art. 12 FFHRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 a) Fang- und Tötungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 aa) Die europäischen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 bb) Die Regelung des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (1) Frühere Umsetzungsregelungen und deren Defizite . . . . . . . . . . . . 64 (2) Umsetzungsproblematiken der jetzigen Regelung . . . . . . . . . . . . . 66 (a) Verbotene Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (b) Subjektive Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (c) Tatbestandsbegrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (aa) Die Tatbestandsweite in der Bewertung eines Verstoßes des einzelnen Bürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (bb) Reichweite des durch die Behörde im Zulassungsverfahren zu berücksichtigenden Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Störungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Europäische Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Europarechtskonformität der Regelung des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (1) Frühere Regelung des Störungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (2) Begrenzung auf bestimmte Zeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (3) Begriff der Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (4) Erheblichkeitsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (a) Anknüpfung an den Erhaltungszustand der Population . . . . . . 99 (b) Kumulationseffekte bei der Beurteilung der Erheblichkeit . . . 102 (c) Tatbestandsausschließende Wirkung vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (5) Behördliche Beurteilungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (6) Anwendbarkeit neben anderen Zugriffsverboten . . . . . . . . . . . . . . 104 c) Zerstörung oder Entnahme von Eiern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 d) Schutz der Fortpflanzungs- und Ruhestätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 aa) Europäische Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

Inhaltsverzeichnis

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bb) Umsetzung in § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (1) Frühere Formulierung des Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (2) Auslegung der Begrifflichkeit vor dem Hintergrund der europäischen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 cc) Nichterfüllung des Tatbestandes wegen Durchführung von CEF-Maßnahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 e) Verbot von Besitz, Transport, Handel und Tausch der geschützten Tierarten 116 f) System zur fortlaufenden Überwachung unbeabsichtigten Fangs und Tötens gemäß Art. 12 Abs. 4 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 aa) Regelungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 bb) Gestaltungsspielräume der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 cc) Umsetzung der Regelung in Deutschland: § 38 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 g) Durchsetzung der Verbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Verstöße eines einzelnen Bürgers gegen die Artenschutzregelungen . . 124 bb) Artenschutz im behördlichen Zulassungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 127 (1) Inhaltliche Reichweite der artenschutzrechtlichen Verbote . . . . . . 127 (2) Maßstäbe zur fachlichen Bewertung eines Verstoßes durch die Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (3) Beurteilungsspielräume der Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3. Einführung eines Schutzsystems für bestimmte Pflanzenarten gemäß Art. 13 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Europäische Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Besonders geschützte Pflanzenarten im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . 141 4. Maßnahmen zum Schutz der in Anhang V FFH-RL aufgelisteten Arten . . . . 142 a) Mitgliedstaatliche Pflichten aufgrund von Art. 14 FFH-RL . . . . . . . . . . . . 143 aa) Art der zu ergreifenden Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Inhaltliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 5. Entnahme, Fang und Tötung bestimmter Tierarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Die Vorgaben des Art. 15 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Umsetzung in der Bundesartenschutzverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 6. Ausnahmeregelungen zu den Verboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Formelle Vorgaben des Art. 16 Abs. 2 und 3 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Materielle Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 aa) Zweck der Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (1) Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen und Erhaltung der natürlichen Lebensräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (2) Verhütung ernster Schäden an Privateigentum . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (3) Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses . . . 151

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Inhaltsverzeichnis (4) Forschung und Unterricht, Bestandsauffüllung und Wiederansiedlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (5) Entnahme oder Haltung einer bestimmten Anzahl von Exemplaren 152 bb) Nichtvorhandensein einer anderweitigen zufriedenstellenden Lösung . 152 cc) Bewahrung des günstigen Erhaltungszustands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 c) Die Umsetzung der Ausnahmeregelung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . 155 aa) Gesetzliche Ausnahmen (§ 45 Abs. 1 – 5 BNatSchG) . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Zulassung von Ausnahmen durch Behörden (§ 45 Abs. 6 – 8 BNatSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (1) § 45 Abs. 7 BNatSchG als weitgehend wörtliche Übernahme des Art. 16 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (a) Legitime Ausnahmezwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (b) Keine zumutbaren Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (c) Bewahrung des Erhaltungszustands der Populationen einer Art 163 (d) Weiter gehende Anforderungen nach Art. 16 FFH-RL . . . . . . . 165 (2) § 45 Abs. 6 und Abs. 8 BNatSchG: Verwertung beschlagnahmter oder eingezogener Tiere und Verbringung aus dem Ausland . . . . . 166 (3) Behördliche Anwendung und Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . 167 cc) Ausnahmetatbestände gemäß der BArtSchV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 dd) Ausnahmen aufgrund landesrechtlicher Verordnungen . . . . . . . . . . . . 168 ee) Die Möglichkeit der Befreiung in den Kategorien des Europarechts . . 169 d) Europarechtskonformität national vorgesehener Tatbestandsausnahmen der Verbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 aa) Land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . 172 bb) Nach § 15 oder § 18 BNatSchG zulässige Eingriffe/Vorhaben . . . . . . 177 (1) Artenschutz und Eingriffsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (a) Die Eingriffsprüfung unter dem Blickwinkel des Artenschutzes 178 (b) Vereinbarkeit der Ausnahmeklausel mit den Vorgaben des Art. 16 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (2) Artenschutz und Bauleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 cc) Umweltprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 7. Umsetzung der Artenschutzbestimmungen der FFH-Richtlinie in Fachgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Jagdrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa) Fang und Tötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 bb) Störungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 cc) Schutz der Fortpflanzungs- und Ruhestätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 dd) Besitz- und Vermarktungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 ee) Maßnahmen gemäß Art. 14 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 ff) Verbotene Fang- und Tötungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Forstrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

Inhaltsverzeichnis

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c) Fischereirecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 d) Pflanzenschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 e) Tierseuchengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 E. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

A. Einführung In der Evolution der Lebewesen haben sich nicht nur ständig neue komplexere Arten gebildet, sondern die an neue Lebensbedingungen schlechter angepassten Arten mussten um ihr Überleben kämpfen; einen Rückgang sowie das Aussterben einzelner Arten hat es im Laufe der Erdgeschichte also stets gegeben. Durch die Einflüsse des modernen Lebens des Menschen hat dieses natürliche Phänomen in den letzten Jahrzehnten indes eine neue Dimension erhalten.1 Die Gründe, dieser Entwicklung entgegenzusteuern und den Erhalt der Artenvielfalt zu fördern, sind vielfältig. Die Anfänge des Artenschutzrechts waren hauptsächlich ökonomisch begründet. Artenschützende Vorschriften betrafen in erster Linie die für Menschen nützlichen Tierarten, insbesondere im Jagd- und Fischereirecht. Schadensträchtige Tierarten, beispielsweise Raubtiere, wurden – auch wenn es seltene oder sogar bedrohte Arten waren – hingegen nicht geschützt.2 Neben dem historisch gewachsenen Artenschutzrecht hat in den letzten Jahren der systematisch betriebene umweltrechtliche Schutz bedrohter Tier- und Pflanzenarten enorm an Bedeutung gewonnen. Dessen wesentliche Gründe bzw. Ziele sind etwa die Erhaltung der Funktion biologischer Systeme, zu denen jede Tier- und Pflanzenart als Teil eines auf vielen Ebenen und in mannigfachen Beziehungen differenzierten Ganzen gehört und innerhalb desselben sie funktionieren, sowie die Erhaltung der in der jeweiligen artspezifischen DNA gespeicherten biochemischen Information. Die Erhaltung der Arten in ihren ökologischen Systemen besitzt Bedeutung für die Klimaregulation, für die Forschung (etwa für die Entdeckung neuer Arten als Nahrungsmittel, Arzneimittel oder für die biotechnologische Energiegewinnung) und als Teil der Landschaft auch für Erholung und den Schutz der Heimat.3 Rückgänge in der biologischen Vielfalt können zu bedeutsamen ökonomischen sowie volkswirtschaftlichen Schäden führen;4 zu denken ist beispielsweise an mit Verlusten von Rohstoffen verbundene Änderungen in der Ernährungs- oder Pharmaindustrie. Neben solchen rationalen und primär anthropozentrischen Gründen bzw. Zielen des Artenschutzes werden auch ethische 1

So beträgt die Biodiversitätsverlustrate derzeit über 100 ausgestorbene pro einer Million Arten im Jahr im Vergleich zu unter 1 vor der Industrialisierung, vgl. SRU, Umweltgutachten 2012, Tz. 55, Tabelle 1 – 2; zum Artensterben und seinen Ursachen auch bereits z. B. Gellermann, in: Rengeling, EUDUR I, § 78 Rn. 1 ff. 2 Grewing, Artenschutz, S. 5 ff.; ausführlich Heider, Tierartenschutz, S. 3 ff.; Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 43 ff. 3 Vgl. Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 20 f.; Kaule, Arten- und Biotopschutz, S. 16. 4 Vgl. dazu den Bericht der Bundesregierung zur Lage der Natur für die 16. Legislaturperiode, BT-Drs. 16/12032, S. 16 f.

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A. Einführung

Gründe vorgebracht, bezogen auf die Wertschätzung der Natur bzw. der biologischen Vielfalt als solcher.5 Problematisch ist allerdings aufgrund der Konturlosigkeit dieser Argumentation, welche konkreten Pflichten daraus erwachsen.6 In der Praxis erscheint überdies eine klare Trennung zwischen anthropozentrischem und ethischem bzw. ökozentrischem Ansatz vielfach kaum möglich.7 Vor diesem Hintergrund gibt es auf politischer und rechtlicher Ebene zahlreiche Bemühungen um Artenschutz. Zu beachten ist allerdings, dass artenschutzrechtliche Regelungen leicht mit anderen Interessen kollidieren und grundrechtlich geschützte Freiheiten der Bürger tangieren können.8 Diesbezüglich müssen artenschutzrechtliche Maßnahmen auch im Einzelfall durch die dargestellten (oder ggf. weitere) Argumente zu rechtfertigen sein.9 Das Problem des Artenschutzes ist nicht auf ein einzelnes Land beschränkt. Aufgrund der überregionalen Bedeutung vieler Arten sind die politischen Bemühungen zum Artenschutz nicht nur auf deutscher, sondern auch auf europäischer und globaler Ebene zu verzeichnen.10 Weit weniger effektiv könnte der Erhalt der Artenvielfalt gesichert werden, wenn das Schutzniveau der gefährdeten Arten, deren Bestände sich unabhängig von Staatsgrenzen bewegen, in unterschiedlichen Gebieten nur wegen eines unterschiedlichen nationalen Regimes differierte oder gar gebietsweise überhaupt keine Schutzvorschriften bestünden (z. B. um dort die Attraktivität eines Wirtschaftsstandortes zu gewährleisten).11 Das Europarecht ist mit größerer Bindungswirkung als das Völkerrecht ausgestattet und deshalb im Hinblick auf einen möglichst effektiven Artenschutz besonders interessant. Das vierte Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft für den Umweltschutz, das u. a. die Erhaltung der genetischen Vielfalt und eine vertretbare Nutzung der Arten und Ökosysteme anstrebte, war Anstoß für die Erarbeitung und den Erlass der Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie, im Folgenden: FFH-RL) vom 21. Mai 1992.12 Einen ersten Entwurf hatte die Europäische Kommission dem Rat am 16. August 5 So etwa Gruber, NuR 2011, 468 (470 ff.); vgl. auch die Darstellungen bei Gassner, NuR 1987, 97 ff.; Hartkopf, NuR 1981, 113 (116 ff.) und Kloepfer, in: Kloepfer, Anthropozentrik, S. 7 ff. 6 Vgl. dazu Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 22 f.; Kloepfer, in: Kloepfer, Anthropozentrik, S. 25 ff. 7 Vgl. Gassner, NuR 1987, 97 (98 f.); Grewing, Artenschutz, S. 5; Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 22 f. 8 Ausführlich Kloepfer/Vierhaus, in: Kloepfer, Anthropozentrik, S. 31 ff. 9 Vgl. Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 20. 10 Vgl. dazu auch den Überblick im Folgenden unter B. 11 Bader/May, EG und Naturschutz, S. 30 ff.; Wagner, NuR 1990, 396 (397); Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 81; zur Gefahr des „Umweltdumpings“ vgl. Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 192 AEUV Rn. 20. 12 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. Nr. L 206 vom 22. 07. 1992, S. 7.

A. Einführung

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1988 nach einem Erarbeitungszeitraum von nur drei Monaten vorgelegt, ohne sich zuvor mit den mitgliedstaatlichen Fachbehörden beraten zu haben.13 Die Aufnahme der Tätigkeit für die Erarbeitung eines Entwurfs wurde schließlich durch die Erweiterung der Gemeinschaft um die südlichen Länder (Spanien und Portugal) motiviert: Befürchtet wurden neben der Gefährdung von großen Naturräumen im Süden insbesondere ökonomische Nachteile des Nordens, bedingt durch Regelungswerke niedrigeren Umweltstandards der dazustoßenden Staaten und daraus resultierende Standortunterschiede und Wettbewerbsverzerrungen.14 Nach umfangreicher Kritik am Entwurf der Kommission von verschiedenen Seiten legte diese am 8. Februar 1991 einen noch einmal geänderten Richtlinienvorschlag vor. Unter weiteren Änderungen erging schließlich die notwendige einstimmige Beschlussfassung zum Erlass der FFH-Richtlinie durch den Rat.15 Der Erhalt der Biodiversität war auch nach dem Erlass der Richtlinie immer wieder Thema auf europäischer Ebene, unter anderem durch weitere völkerrechtliche Vereinbarungen motiviert:16 Im Jahr 1998 gab die Europäische Kommission eine Mitteilung über eine Gemeinschaftsstrategie zur Erhaltung der Artenvielfalt (Biodiversitätsstrategie) heraus.17 Auf dem Frühjahrsgipfel in Göteborg 2001 formulierte der Europäische Rat in Anlehnung an das sechste Umweltaktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft (und über die völkerrechtlichen Anforderungen hinaus) das Ziel, bis 2010 dem Rückgang der biologischen Vielfalt Einhalt zu gebieten;18 dieses Ziel ist indessen nicht erreicht worden.19 Im Jahre 2006 griff die Kommission ihre Ziele auf und stellte angesichts der Erkenntnisse über den Verlust der biologischen Vielfalt einen Aktionsplan zur Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt und Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele bis zum Jahr 2010 auf.20 Aktuell spricht die Kommission ohne derart konkrete Zielvorgaben in ihrem bis zum Jahr 2020 reichenden Aktionsplan aus dem Jahr 2011 von einer Weiterarbeit der Mitgliedstaaten und der Kommission an der Einbeziehung der Schutz- und

13 ABl. Nr. C 247 vom 21. 09. 1988, S. 3; Bader/May, EG und Naturschutz, S. 72 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 33; zum Entwurf der Kommission ausführlich Wagner, NuR 1990, 396 ff. 14 Bader/May, EG und Naturschutz, S. 73; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 34. 15 Vgl. zur Kritik und zu den Änderungen im Einzelnen Bader/May, EG und Naturschutz, S. 72 ff.; Berg, Naturschutzrecht, S. 9 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 34 ff. 16 Vgl. neben den dargestellten politischen Aktivitäten auch die ergangengen Rechtsakte unter B.II.2. 17 Mitteilung der Kommission vom 04. 02. 1998, KOM(1998) 42. 18 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Göteborg) vom 15. und 16. 06. 2001, SN 200/1/01 REV 1 Rn. 31. 19 SRU, Umweltgutachten 2012, Tz. 51. 20 Mitteilung der Kommission vom 22. 05. 2006, KOM (2006) 216.

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A. Einführung

Bewirtschaftungserfordernisse von Arten in Land- und Wassernutzungspolitiken innerhalb und außerhalb von Natura-2000-Gebieten.21 Das Thema des Artenschutzes ist somit auf europäischer Ebene nach wie vor relevant. Die Mitgliedstaaten sind gehalten, an diesem Ziel mitzuarbeiten. Neben eigenständigen nationalen Biodiversitätsstrategien22 ist dazu in erster Linie erforderlich, dass die europäischen und internationalen Vorgaben des Artenschutzes in das jeweilige nationale Recht implementiert werden. Durch die Kollision mit gegenläufigen mitgliedstaatlichen Interessen, umständlichen Gesetzgebungsverfahren, unterschiedlichen Rechtssystemen und Begrifflichkeiten ist die Umsetzung europäischer Richtlinien fehleranfällig und erfolgt zudem oftmals verzögert. Eine korrekte Umsetzung ist indes vor dem Hintergrund des erheblichen Artenrückgangs zur Erreichung der europäischen und globalen Umweltschutzziele wichtig. Zudem kann ein Verstoß gegen die Umsetzungspflicht Sanktionen nach sich ziehen und damit für die Bundesrepublik (und den Steuerzahler) kostspielig werden. Das Phänomen der verzögerten sowie fehlerhaften Umsetzung trat auch bei der FFH-RL auf.23 Dabei galt der Fokus zunächst der Umsetzung der Habitatschutzvorschriften. Nach dem Urteil des EuGH vom 10. 1. 2006 mit der Rüge auch der fehlerhaften Umsetzung der Artenschutzvorschriften ins deutsche Recht24 ist die Aufmerksamkeit ebenfalls auf diese gelenkt worden. Seitdem sind viele Veränderungen an den Vorschriften erfolgt. Die aktuelle deutsche Rechtslage soll daher im Folgenden im Hinblick auf eine vollständige und fehlerfreie Umsetzung des Artenschutzregimes der FFH-RL geprüft werden – einschließlich der ergangenen Änderungen ebenso wie der seit langem bestehenden, aber auf eine korrekte Umsetzung noch nicht überprüften Artenschutzvorschriften. Die Untersuchung beginnt mit einem Überblick über das Netz artenschutzrechtlicher Regelungen auf völkerrechtlicher, europarechtlicher und nationaler Ebene. Im Anschluss daran wird die Umsetzung des Artenschutzregimes der FFHRL zunächst hinsichtlich formeller Aspekte und schließlich in Bezug auf die Inhalte jeder einzelnen Regelung kritisch beleuchtet. Dabei wird im formellen Teil insbesondere auf die Problematik der Gesetzgebungskompetenzen im Artenschutzrecht eingegangen; der materielle Teil enthält schwerpunktmäßig eine detaillierte Untersuchung der Umsetzungsregelungen im Bundesnaturschutzgesetz (anhand der zunächst erarbeiteten Kriterien an eine korrekte Umsetzung) und endet mit der Prüfung der artenschutzrechtlichen Richtlinienvorgaben in artenschutzrelevanten Fachgesetzen. Zuletzt werden die Ergebnisse der Untersuchung noch einmal zusammenfassend dargestellt. 21

Mitteilung der Kommission vom 03. 05. 2001, KOM (2011) 244, Anhang Rn. 1b. Vgl. dazu z. B. BT-Drs. 16/12032. 23 Einen Überblick bieten Möller/Raschke/Fisahn, EurUP 2006, 203 (203 f.); Schütte/ Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, Vorbem. zu §§ 44 – 47, Rn. 14. 24 EuGH, Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 53 ff. – Kommission/ Bundesrepublik Deutschland. 22

B. Rechtsquellen des Artenschutzrechts Der Schutz wildlebender Tier- und Pflanzenarten zur Erhaltung der biologischen Vielfalt ist in einer Vielzahl von Rechtsquellen auf unterschiedlichen Ebenen verankert. Obwohl der Fokus der folgenden Arbeit auf das Artenschutzreglement der FFH-Richtlinie und dessen Umsetzung in Deutschland gelegt wird, soll an dieser Stelle vorab ein kurzer Überblick über die weiteren dem Artenschutz dienenden Vorschriften gegeben werden, um den Standort der näher betrachteten Vorschriften im Gefüge des Netzes von Schutzvorschriften darzustellen und die systematischen Zusammenhänge der Regelungen innerhalb dieses Netzes – soweit im Einzelnen vorhanden – aufzuzeigen.

I. Völkerrecht Bereits auf völkerrechtlicher Ebene existiert eine Reihe von Abkommen zum Umweltschutz und auch speziell zum Artenschutz. Dabei gilt es zu beachten, dass völkerrechtliche Verträge zur innerstaatlichen Geltung noch eine nationale Geltungsanordnung erfordern. Gemäß Art. 59 Abs. 2 GG bedürfen sie eines Zustimmungsaktes, d. h. eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung, deren Rang sie dann im deutschen Recht einnehmen.1 Die ersten völkerrechtlichen Abkommen im Bereich des Artenschutzes, die auch heute noch Bedeutung besitzen, entstanden in den 1970er Jahren – frühere Rechtsakte entfalteten nur eine sehr begrenzte Wirkung. Nichtsdestoweniger waren Bemühungen zum Artenschutz auf internationaler Ebene schon weit davor zu verzeichnen.2 Sie führten schließlich zum Washingtoner Artenschutzübereinkommenvom 03. März 1973 (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora)3, das in erster Linie den Schutz bedrohter Arten vor Gefährdungen bezweckt, die vom (internationalen) Handel ausgehen.4

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Vgl. zu diesem Themenkomplex Herdegen, Völkerrecht, § 122 Rn. 6 f.; Hobe, Völkerrecht, S. 238 f.; Stein/v.Buttlar, Völkerrecht, Rn. 185 ff.; 210 ff.; die Einzelheiten und (eher theoretischen) Streitfragen in diesem Bereich sind für die vorliegende Arbeit nicht relevant und werden daher nicht näher behandelt. 2 Vgl. Beyerlin, Umweltvölkerrecht, Rn. 383 ff. 3 Überarbeitete Fassungen folgten in den Jahren 1979 (Bonn) und 1983 (Gaborone); einen Überblick über die wesentlichen Punkte gibt Beyerlin, Umweltvölkerrecht, Rn. 397 ff.; ausführlich Bendomir-Kahlo, CITES; Schmidt-Räntsch, NuR 1993, 149 ff. 4 BGBl. II 1975 S. 773.

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B. Rechtsquellen des Artenschutzrechts

Den nächsten Meilenstein des völkerrechtlichen Artenschutzes stellt das Bonner Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten (Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals, im Folgenden: CMS) dar, das am 23. Juni 1979 unterzeichnet wurde.5 Schutzgut der Konvention sind die vom Aussterben bedrohten oder gefährdeten Bestände der wandernden Tierarten. Da durch die Wanderungen der Tiere nationale Grenzen überschritten werden, sind gemeinsame internationale Regelungen sinnvoll. Auf der Grundlage der Bonner Konvention sind weitere Folgeabkommen entstanden, die detailliertere Regelungen zum Schutz einzelner Tierarten enthalten.6 Kurze Zeit nach der Entstehung des Bonner Übereinkommens fand die Unterzeichnung des nächsten völkerrechtlichen Übereinkommens statt: Es handelt sich um das Berner Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume (Convention on the Conservation of European Wildlife and Natural Habitats) vom 19. September 1979.7 Das Übereinkommen findet insbesondere im europäischen Raum Anwendung (obwohl inzwischen auch einzelne afrikanische Staaten8 dem Übereinkommen beigetreten sind – von den anderen Kontinenten sind indes immer noch keine Staaten vertreten). Zwischen ihm und der FFH-Richtlinie besteht eine besonders enge Verbindung, da das Übereinkommen einen Vorläufer der Richtlinie darstellt. Beide, FFH-Richtlinie und Berner Übereinkommen, sind außerdem an einen gemeinsamen Vorgänger, die Vogelschutzrichtlinie, angelehnt.9 Das Artenschutzregime ist in Artt. 5 – 9 des Berner Übereinkommens enthalten und ähnelt dem der (älteren) Vogelschutz-RL und dem der (neueren) FFH-RL. Die Konvention dient einem umfassenderen Schutz, als ihn die bis dahin bestehenden völkerrechtlichen Verträge gewährten. Auf Ebene der Europäischen Union wird dieser Schutzansatz durch die FFH-Richtlinie fortgeführt und verstärkt. Im selben Jahr, in dem auf EU-Ebene die FFH-Richtlinie in Kraft trat, gingen die naturschutzrechtlichen Bemühungen auch auf völkerrechtlicher Ebene weiter: Als einer von drei völkerrechtlichen Verträgen wurde das Übereinkommen zur biologischen Vielfalt (Convention on Biological Diversity, im Folgenden: CBD) vom 05. Juni 1992 in Rio de Janeiro von Deutschland am 12. Juni 1992 unterzeichnet.10 Primäres Ziel der Konvention ist die Erhaltung der biologischen Vielfalt.11 Sie eröffnet damit einen größeren Anwendungsbereich als den des Schutzes der Arten5

BGBl. II 1984 S. 569. Einen Überblick geben Gellermann/Schreiber, Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen, S. 9 ff. sowie v. Heinegg, in: Rengeling, EUDUR I, § 23 Rn. 52. 7 BGBl. II 1984 S. 618. 8 Dies sind namentlich Burkina Faso, Marokko, Senegal und Tunesien. 9 Vgl. Gellermann/Schreiber, Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen, S. 12; zur Vogelschutzrichtlinie B.II.2.a). 10 BGBl. II 1993, S. 1741; vgl. zum Übereinkommen Beyerlin, Umweltvölkerrecht, Rn. 403 ff.; Stoll/Schillhorn, NuR 1998, 625 (629 ff.). 11 Vgl. Art. 1 des Übereinkommens. 6

II. Gemeinschaftsrecht

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vielfalt bzw. des Erhalts einzelner Arten, diese wird vielmehr als Teilelement der biologischen Vielfalt erfasst. Die Konvention trägt den Staaten u. a. auf, die Bewahrung lebensfähiger Populationen von Arten in ihrer natürlichen Umgebung zu fördern, Art. 8 lit. d CBD. Die Inhalte des Übereinkommens stellen allerdings lediglich unverbindliche Grundsatzerklärungen dar und werden daher durch (oftmals regional begrenzte) weitere verbindliche Abkommen ergänzt.12 So sehr artenschutzrechtliche oder auch allgemein umweltrechtliche Abkommen auf internationaler Ebene wegen der globalen Bedeutung der Materie grundsätzlich zu begrüßen sind, sollte doch auch beachtet werden, dass ihre internationale Durchsetzung wegen der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Durchsetzungsmechanismen nicht unproblematisch ist und ihre Verwirklichung damit in nicht unerheblichem Maße der Eigenverantwortlichkeit der Vertragsstaaten obliegt.13

II. Gemeinschaftsrecht Obgleich der Umweltschutz kein Instrumentarium zum Erreichen ökonomischer Zielsetzungen darstellt, ist er in die Entwicklung des wirtschaftlich orientierten Zusammenwachsens der europäischen Staaten integriert: Auf der Ebene des Rechts der Europäischen Union sind in den letzten Jahrzehnten die Bemühungen um umweltschützende Maßnahmen enorm verstärkt worden. Die auf dieser Ebene erlassenen Rechtsakte gerade des Naturschutzrechts sind zentraler Bestandteil der in Deutschland (und auch in den europäischen Nachbarstaaten) umweltrechtlich bedeutsamen Vorschriften. Ansätze zum Schutz der Artenvielfalt oder einzelner Arten finden sich aber auch in anderen Bestimmungen der EU. Im Folgenden werden diese Ansätze des Primärrechts und des Sekundärrechts im Überblick dargestellt. 1. Artenschutz im Primärrecht Die europäischen Verträge enthalten keine spezifisch artenschutzbezogenen Regelungen. Allerdings finden sich einzelne Aufgaben- und Zielbestimmungen zum Schutz der Umwelt allgemein sowohl im Vertrag der Europäischen Union als auch im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union14 wieder. Bereits in der Präambel des EUV gehört der Schutz der Umwelt zu den Maximen, zu deren Beachtung sich die Union bei der Verwirklichung ihrer Ziele verpflichtet 12

Vgl. die Beispiele bei v. Heinegg, in: Rengeling, EUDUR I, § 23 Rn. 55. Ausführlich zu der Problematik: Beyerlin, Umweltvölkerrecht, 3. Teil, Rn. 460 ff. 14 Jeweils in der Fassung des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13. Dezember 2007, ABl. Nr. C 306 S. 1; konsolidierte Fassung des Vertrags der Europäischen Union veröffentlicht in ABl. Nr. C 115 vom 09. 05. 2008, S. 13 und S. 47. 13

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B. Rechtsquellen des Artenschutzrechts

fühlt (Erwägungsgrund 9 der Präambel EUV).15 Die Präambel entfaltet keine vertraglichen Pflichten, gibt aber Anhaltspunkte zur Auslegung des europäischen Rechts.16 Im Vertragstext wird der Umweltschutz als Ziel der Union in Art. 3 Abs. 3 EUV definiert. Die in dieser Aufgaben- und Zielbestimmung festgelegten Ziele sind nicht bloß programmatischer Natur, sondern entfalten Bindungswirkung, auch wenn sie zu keinen konkreten Maßnahmen verpflichten.17 Relevant wird die Norm insbesondere im Rahmen der Rechtsauslegung und der Ermessensausübung, bei welchen das Ziel des Umweltschutzes nunmehr auch vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 3 EUV zu beachten ist. Es besteht aber kein genereller Vorrang des Umweltschutzes vor anderen Zielbestimmungen; vielmehr ist bei Kollision verschiedener Ziele im Einzelfall praktische Konkordanz herzustellen.18 Für das auswärtige politische Handeln der EU ist das Ziel der Verbesserung der Qualität der Umwelt und der Sicherstellung einer nachhaltigen Entwicklung in Art. 21 Abs. 2 lit. f EUV verankert. Verstärkt wird das Erfordernis, umweltschutzbezogene Belange bei der Durchführung von Maßnahmen der Union zu beachten, durch die Querschnittsklausel des Art. 11 AEUV, wonach die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der Unionspolitiken und -maßnahmen insbesondere zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einbezogen werden müssen. Dass die Querschnittsklausel nicht bloß programmatischen Charakter aufweist, sondern ein verbindliches Rechtsgebot statuiert, wird wohl nicht mehr bestritten werden können.19 Jedenfalls dient sie als Richtgröße bei der Auslegung von Rechtsbegriffen und der Ausfüllung von Ermessensspielräumen.20 Der Anwendungsbereich umfasst nicht nur die eigentlichen „Politiken“ der Union im Sinne von Gesamtkonzeptionen, sondern auch alle weiteren, auch die vorbereitenden und noch nicht verbindlichen Maßnahmen der EU-Organe, egal ob abstrakt-generellen oder konkret-individuellen Gehalts.21 Auch Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Rahmen der Durchführung von 15

Zum Aufbau der Präambel vgl. Geiger, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, EUV Präambel, Rn. 2. 16 Geiger, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, EUV Präambel Rn. 1; Hilf/Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Präambel EUV Rn. 10 ff.; der EuGH hat die Präambel bisher allerdings primär zur Auslegung des ehemaligen EWGV bzw. EGV (nunmehr AEUV) herangezogen, nicht zur Auslegung des EUV; vgl. EuGH, Urt. v. 05. 02. 1963, Rs. C-26/62, Slg. 1963, 3 (24) – Van Gend & Loos; Urt. v. 26. 06. 1980, Rs. C-136/79, Slg. 1980, 2033, Rn. 20 – National Panasonic (UK) Limited/Europäische Kommission; Urt. v. 18. 10. 1989, Rs. C-374/87, Slg. 1989, 3283, Rn. 19 – Orkem/Europäische Kommission. 17 Geiger, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 3 EUV, Rn. 2. 18 Geiger, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 3 EUV, Rn. 2. 19 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 11 AEUV Rn. 13; so bereits auch schon Calliess, DVBl 1998, 559 (567) m.w.N.; vgl. zudem die Diskussion bei ders., in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 11 AEUV, Rn. 21 ff. 20 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 11 AEUV, Rn. 24. 21 Calliess, DVBl 1998, 559 (566); Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 11 AEUV Rn. 16.

II. Gemeinschaftsrecht

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Unionsrecht sind erfasst.22 Der Vorschrift ähnelt inhaltlich die Bestimmung des Art. 37 GRC,23 die seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV durch die Union anzuerkennen ist und damit verbindliche Wirkung entfaltet. Zentrales Kapitel (neben den bisher erwähnten einzelnen Aufgaben- und Zielbestimmungen) bezüglich der Umweltthematik im europäischen Primärrecht ist Titel XX (Artt. 191 ff.) des AEUV. Enthalten sind konkretere Ziele und Grundsätze der Umweltpolitik ebenso wie Kompetenz- und Verfahrensvorschriften. Art. 191 Abs. 1 AEUV nennt vier Ziele: Erhaltung und Schutz der Umwelt sowie Verbesserung ihrer Qualität, Schutz der menschlichen Gesundheit, umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen und schließlich Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder globaler Umweltprobleme und insbesondere zur Bekämpfung des Klimawandels. Zum Begriff der Umwelt im Sinne der Artt. 191 ff. AEUV gehört auch der Artenschutz. Zwar ist an keiner Stelle der Umweltbegriff definiert, doch lässt sich aus den Aktionsprogrammen der Union auf dessen Inhalt schließen.24 Namentlich das sechste Umweltaktionsprogramm25 zielt auf den Erhalt der biologischen Vielfalt und damit den Schutz der Arten ab. Damit kann festgehalten werden, dass der Bereich des Umweltschutzes durchaus Einzug in das europäische Primärrecht gefunden hat, wodurch ihm eine gewisse Bedeutung zukommt. Dem ist auch der Artenschutz zuzuordnen, dessen rechtliche Ausgestaltung im Detail aber lediglich in Regelwerken anderer Normebenen zum Ausdruck kommt. 2. Artenschutzbezogenes Sekundärrecht Speziell auf den Artenschutz bezogene und damit für diesen besonders bedeutsame Rechtsakte finden sich auf der Ebene des europäischen Sekundärrechts. a) Vogelschutzrichtlinie Die Richtlinie 79/409/EWG des Rates über die Erhaltung wildlebender Vogelarten vom 2. April 1979 (Vogelschutzrichtlinie, im Folgenden: Vogelschutz-RL) enthält ähnliche Schutzvorschriften wie die zeitlich nachfolgende FFH-Richtlinie.26 22 Beyer, JuS 1997, 294 (295); Epiney/Furrer, EuR 1992, 369 (387 f.); Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 11 AEUV Rn. 17. 23 Die Aufnahme der Vorschrift in die Grundrechtecharta wird – nicht nur wegen der inhaltlichen Doppelung – kritisch betrachtet, vgl. die Nachweise und Diskussion bei Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 37 GRCh, Rn. 1 ff. 24 Vgl. zur Auslegung des Umweltbegriffs anhand der Aktionsprogramme Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 191 AEUV, Rn. 6. 25 Beschluss Nr. 1600/2002/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juli 2002 über das sechste Umweltaktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft, ABl. Nr. L 242 vom 10. 09. 2002, S. 1. 26 ABl. Nr. L 103 vom 25. 4. 1979, S. 1.

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B. Rechtsquellen des Artenschutzrechts

Seit dem 30. November 2009 gilt die konsolidierte Neufassung, Richtlinie 2009/147/ EG.27 Das geschützte Artenspektrum ist hier allerdings deutlich enger begrenzt und umfasst „nur“ die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten heimischen wildlebenden Vogelarten. Neben einzelnen Ziel-, Begriffs-, Verfahrens- und sonstigen Regelungen beinhaltet die Vogelschutz-RL zwei Schutzprogramme: Das erste Schutzregime (Artt. 3 f. Vogelschutz-RL) befasst sich mit dem Schutz der Lebensräume, insbesondere der Einführung von Schutzgebieten, während das zweite Schutzregime (Artt. 5 – 9 Vogelschutz-RL) den Schutz der Vogelarten selbst fokussiert. Mit diesem Aufbau (und Inhalt) besitzt die Vogelschutz-RL Leitbildcharakter für die Berner Konvention.28 Da Vogelschutz-RL und FFH-RL entsprechende Ziele verfolgen, ihnen ein ähnliches Aufbaukonzept zugrunde liegt und korrelierende Bestimmungen über das Netz von Schutzgebieten bestehen, kann die Vogelschutzrichtlinie und die zu ihr ergangene Rechtsprechung des EuGH wichtige Hinweise zur Auslegung der FFHRichtlinie liefern – nicht nur hinsichtlich des Habitat-, sondern auch des Artenschutzes.29 Daher wird, obwohl diese Arbeit den Fokus auf das Artenschutzregime der FFH-RL legt, im späteren Verlauf der Arbeit teilweise auch die Auslegung der entsprechenden Vogelschutz-RL-Bestimmungen zugrunde gelegt. b) FFH-Richtlinie Die im Bereich des Artenschutzes mittlerweile eine zentrale Rolle spielende FFHRL vom 21. Mai 1992 ist inhaltlich an die Vogelschutz-RL sowie die Berner Konvention angelehnt.30 Die vom Schutz der Richtlinie umfassten gefährdeten Tier- und Pflanzenarten sind in den Anhängen aufgelistet und bilden ein breites Artenspektrum ab. Wie die Vogelschutz-RL beinhaltet die FFH-RL ein Habitatschutzregime (Artt. 3 – 11 FFH-RL) und ein Artenschutzregime (Artt. 12 – 16 FFH-RL). Während sich die rechtswissenschaftlichen Diskussionen zunächst primär um Probleme der Habitatschutzvorschriften und deren Umsetzung rankten, ist das umfassende Artenschutzprogramm der FFH-RL in den letzten Jahren verstärkt in den Blickpunkt der Literatur und Rechtsprechung gerückt. Seine Implementation in das deutsche Recht ist Gegenstand dieser Arbeit. c) Anwendung der internationalen Übereinkommen Die internationalen Bemühungen im Bereich des Artenschutzes fanden auf europäischer Ebene positive Resonanz. Um den Inhalten der völkerrechtlichen Ab27

ABl. Nr. L 20 vom 26. 01. 2010, S. 1. Dazu s. oben B.I. 29 Vgl. Europäische Kommission, Leitfaden, sub I.1.2. 30 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 33; zu historischen und politischen Hintergründen der Richtlinie vgl. A. 28

II. Gemeinschaftsrecht

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kommen Geltung im europäischen Raum zu verschaffen, wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen. Ein förmlicher Beitritt der EU zum Washingtoner Artenschutzübereinkommen ist nicht erfolgt, da eine solche Möglichkeit im Übereinkommen nicht vorgesehen war.31 Dennoch wurde als „einseitige Anwendungserklärung“32 des Übereinkommens seitens der Europäischen Gemeinschaft die Verordnung über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels33, die sogenannte EU-Artenschutzverordnung, erlassen. Über diese Brücke gelten die Inhalte des Übereinkommens in allen Mitgliedstaaten der EU, unabhängig davon, ob sie selbst dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen beigetreten sind. Wegen der unmittelbaren Wirkung einer Verordnung bedarf es zudem keines weiteren Umsetzungsaktes durch die einzelnen Mitgliedstaaten. Zum Teil ähnliche Regelungen enthalten auch die FFH-RL und Vogelschutz-RL, die unter anderem ebenfalls Besitz- und Vermarktungsverbote regeln. In diesen Bereichen kommt es zu unübersichtlichen Überschneidungen der Richtlinien und der Artenschutzverordnung.34 Anders als bei dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen verhält es sich mit den übrigen völkerrechtlichen Übereinkommen zum Artenschutz: Dem Beitritt zu ihnen stand von völkerrechtlicher Seite nichts entgegen. Durch Beschluss stimmte der Rat dem Beitritt der Berner Konvention35, der Bonner Konvention36 und dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt37 zu. Die Umsetzung in europäisches Recht erfolgte auch nicht durch jeweils separate Verordnungen oder Richtlinien. Vielmehr sind die Inhalte der Berner Konvention maßgeblich durch die FFH- und die (bereits zuvor ergangene) Vogelschutzrichtlinie umgesetzt, die wiederum die europäischen Mitgliedstaaten zur Inkorporation der Inhalte in innerstaatliches Recht verpflichten. Als Beispiel genannt seien Art. 12 FFH-RL und Art. 5 Vogelschutz-RL, die die wesentlichen Inhalte von Art. 6 der Berner Konvention enthalten, und Art. 13 FFH-RL, der Art. 5 der Konvention um-

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Emonds, NuR 1983, 138 (138). Gellermann, in: Rengeling, EUDUR II/1, § 79 Rn. 8 m.w.N.; darauf verweisend Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 39. 33 Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates vom 09. Dezember 1996, ABl. Nr. L 61 vom 03. 03. 1997, S. 1. 34 Dazu Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 86; Schmidt-Räntsch, NuR 1992, 49 (51). 35 Beschluss 82/72/EWG des Rates vom 03. Dezember 1981 über den Abschluss des Übereinkommens zur Erhaltung der europäischen freilebenden Tiere und wildwachsenden Pflanzen und ihrer natürlichen Lebensräume, ABl. Nr. L 038 vom 10. 02. 1982. 36 Beschluss 82/461/EWG des Rates vom 24. Juni 1982 über den Abschluss des Übereinkommens zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten, ABl. Nr. L 210 vom 19. 07. 1982, S. 10. 37 Beschluss 93/626/EWG des Rates vom 25. Oktober 1993 über den Abschluss des Übereinkommens über die biologische Vielfalt, ABl. Nr. L 309 vom 13. 12. 1993. 32

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B. Rechtsquellen des Artenschutzrechts

setzt. Die Regelungen der Richtlinien sind dabei oftmals detaillierter als die der Konvention.38 Auch Teile der Bonner Konvention sind durch die Vogelschutz-RL erfasst;39 im Übrigen gewinnen maßgebliche Bedeutung erst die aufgrund der Bonner Konvention geschlossenen Abkommen. Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt bedurfte nach Ansicht der Gemeinschaft keiner weiteren Umsetzung in Gemeinschaftsrecht mehr, da die kurz zuvor erlassene FFH-RL und die frühere Vogelschutz-RL bereits entsprechende Regelungen zum Schutz der Artenvielfalt enthalten.40 d) Weitere artenschutzrechtlich bedeutsame Rechtsquellen im europäischen Sekundärrecht Auch in weiteren Sekundärrechtsakten finden sich Bestimmungen zum Artenschutz. Dabei handelt es sich zumeist um den Schutz einzelner gefährdeter Arten oder den Schutz vor bestimmten Bedrohungen, z. B. vor bestimmten Fangmethoden. Genannt seien die Zoorichtlinie41, die Jungrobbenrichtlinie42, die Verordnung über Walerzeugnisse43 und die Tellereisenverordnung44. Darüber hinaus existieren weitere Richtlinien, die sich zwar nicht im Kern mit Artenschutz befassen, aber in der Praxis Bedeutung für diesen entfalten können. Gemeint sind die Umwelthaftungsrichtlinie45 und die UVP-Richtlinie46 : Als Umweltschaden i.S.d. der Umwelthaftungsrichtlinie ist nach Art. 2 Nr. 1a auch die 38

Vgl. dazu auch Europäische Kommission, Leitfaden, sub I.1.2; EuGH, Urt. v. 13. 02. 2003, Rs. C-75/01, Slg. 2003, I-1585, Rn. 55 ff. – Kommission/Großherzogtum Luxemburg. 39 Vgl. Müller, NuR 2005, 157 (158). 40 Krämer/Kromarek, ZUR-Beilage zu 3/95, I (XIV); Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 41. 41 Richtlinie 1999/22/EG des Rates vom 29. März 1999 über die Haltung von Wildtieren in Zoos, ABl. Nr. L 94 vom 09. 04. 1999, S. 24. 42 Richtlinie 83/129/EWG des Rates vom 28. März 1983 betreffend die Einfuhr von Fellen bestimmter Jungrobben und Waren daraus in die Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 91 vom 09. 04. 1983, S. 30. 43 Verordnung (EWG) Nr. 348/81 des Rates vom 20. Januar 1981 über eine gemeinsame Regelung für die Einfuhr von Walerzeugnissen, ABl. Nr. L 039 vom 12. 02. 1981, S. 1. 44 Verordnung (EWG) Nr. 254/91 des Rates vom 04. November 1991 zum Verbot von Tellereisen in der Gemeinschaft und der Einfuhr von Pelzen und Waren von bestimmten Wildtierarten aus Ländern, die Tellereisen oder den humanen Fangnormen nicht entsprechende Fangmethoden anwenden, ABl. Nr. L 308 vom 09. 11. 1991, S. 1. 45 Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ABl. Nr. L 143 vom 30. 04. 2004, S. 56. 46 Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. Nr. L 175 vom 05. 07. 1985, S. 40.

III. Nationales Recht

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Schädigung von Arten zu verstehen – daraus folgen Vermeidungs- bzw. Sanierungspflichten. Schließlich umfasst die in der UVP-Richtlinie vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfung auch die Prüfung der Auswirkungen auf Fauna und Flora. Sekundärrechtliche Rechtsakte werden zudem zur besseren Durchsetzung des materiell geforderten Umweltschutzes durch die Richtlinie Umweltstrafrecht47 ergänzt.

III. Nationales Recht Im deutschen Recht finden sich Bestimmungen zum Artenschutz in verschiedenen Gesetzen unterschiedlichster Art und Ebene. 1. Verfassungsrecht: Art. 20a GG Auf der Ebene der Verfassungsvorschriften sind Verpflichtungen zugunsten des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen einschließlich der wildlebenden Tiere und Pflanzen vornehmlich in Art. 20a GG verankert.48 Die Aufnahme des Umweltschutzes in die Verfassung stieß zunächst auf Bedenken49 und wurde erst durch das Gesetz vom 27. 10. 1994 vollzogen.50 In den meisten Landesverfassungen existierte bereits vorher eine Reihe von Staatszielbestimmungen derselben oder ähnlicher Zielrichtung, die zumindest teilweise Vorbildfunktion für die Formulierung des Art. 20a GG entwickelten.51 Zu den natürlichen Lebensgrundlagen i.S.d. Art. 20a GG zählt die gesamte natürliche Umwelt: Dazu gehören neben den Umweltmedien Luft, Wasser und Boden sowie den klimatischen Bedingungen auch Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen.52 Gemeint sind allerdings nicht die einzelnen Exemplare selbst,53 sondern deren Gattungen und ökologische Funktionen, namentlich also der Artenschutz.54 47 Richtlinie 2008/99/EG des Rates vom 19. November 2008 über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt, Abl. Nr. L 328 vom 06. 12. 2008, S. 28. 48 Vgl. Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 92 f. 49 Benda, UPR 1982, 241 (244 f.); Kloepfer, DVBl 1979, 639 (644 f.); Rupp, DVBl 1985, 990 ff.; Soell, NuR 1985, 205 (212 f.); Stern, NWVBl 1988, 1 (6 f.). 50 Zur geschichtlichen Entwicklung ausführlich Kloepfer, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BKGG, Art. 20a Rn. 1 ff.; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 20a Rn. 1 ff. 51 Art. 141 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 2 BayVerf; Art. 69 RhPfVerf; Art. 65 Abs. 1 und Art. 11a Abs. 1 Satz 2 BremVerf; Art. 7 SchlHVerf; Art. 29a Abs. 1 NRWVerf; Art. 1 Abs. 2 NdsVerf; Art. 3a BaWüVerf; Art. 1 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 1 Satz 1 SächsVerf; Art. 2 Abs. 1 SaAnVerf; Art. 2 Abs. 1 und Art. 39 BbgVerf; Art. 44 Abs. 1 Satz 2 und Art. 31 ThürVerf; Art. 31 BerlVerf; vgl. ausführlich zu Staatszielbestimmungen in den Landesverfassungen mit vielen weiteren Nachweisen Hahn, Staatszielbestimmungen, S. 118 ff. 52 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20a Rn. 3; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 30. 53 Diese werden allerdings mittlerweile von Art. 20a Alt. 2 GG („Tierschutz“) umfasst.

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B. Rechtsquellen des Artenschutzrechts

Umstritten ist, ob der Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen einen anthropozentrischen Ansatz aufweist, d. h. nur solche Lebensgrundlagen vom Schutz erfasst sind, die den Bedürfnissen des Menschen zugute kommen. Dieser Streit braucht hier allerdings nicht entschieden zu werden: Aufgrund der feinen Ausbalancierung des ökologischen Systems, welches durch unzählige Wechselwirkungen seiner einzelnen Elemente gekennzeichnet ist, werden unter den in dieser Arbeit maßgebenden durch die FFH-Richtlinie geschützten Tier- oder Pflanzenarten kaum welche gefunden werden können, die nicht durch ihren Beitrag zur biologischen Vielfalt zumindest mittelbar der Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts und damit auch den Bedürfnissen des Menschen dienen. Dabei ist es auch im Interesse des Menschen, Schäden an Umweltgütern zu vermeiden, deren Nutzen möglicherweise lediglich aufgrund noch fehlender Forschungserkenntnisse nicht bekannt ist.55 Die Vorschrift des Art. 20a GG stellt im Hinblick auf ihre Rechtsqualität eine Staatszielbestimmung dar.56 Als solche entfaltet sie verbindliche Wirkung für die Staatsorgane zur Beachtung der Ziele des Umweltschutzes und Tierschutzes. Dabei handelt es sich allerdings um rein objektives Recht – Art. 20a GG beinhaltet kein Grundrecht und vermittelt auch sonst keine subjektiven Rechte.57 Dafür sprechen der Wortlaut der Vorschrift, ihre systematische Stellung innerhalb des Grundgesetzes sowie der eindeutige Wille des Gesetzgebers.58 Gleichwohl gibt Art. 20a GG eine Wertentscheidung zugunsten des Umweltschutzes vor, die Verfassungsrang besitzt. Primär wird der Gesetzgeber verpflichtet, den Gestaltungsauftrag der Vorschrift umzusetzen.59 Darüber hinaus ist die Wertung auch bei der Auslegung des einfachen Rechts durch Exekutive und Judikative zu beachten, namentlich bei der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe und der Ermessenausübung, ebenso in der planerischen

54 Hofmann, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 873 (873); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20a Rn. 3; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20a Rn. 34. 55 Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 22 ff., insb. Rn. 26; zu anthropozentrischen und ethischen Gründen des Schutzes der Artenvielfalt s. Einführung. 56 Ganz h.M.; s. nur Epiney, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20a Rn. 32 ff. m.w.N.; Kloepfer, DVBl 1996, 73 (74); Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 20a Rn. 4 ff.; Uhle, JuS 1996, 96 (96 f.); Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen; vgl. allgemein zu Staatszielbestimmungen Hahn, Staatszielbestimmungen, S. 63 ff.; Isensee, in: HStR, Bd. IV, § 73 Rn. 39 ff.; Sommermann, Staatsziele, S. 326 ff. 57 BVerwG, NVwZ 1998, 1080 (1081); Epiney, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20a Rn. 37 ff.; Sommermann, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20a Rn. 18; Waechter, NuR 1996, 321 (321). 58 Vgl. BT-Drs. 12/6000, S. 67; darauf verweisend Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20a Rn. 32. 59 BVerfGE 118, 79 (110 f.); Becker, DVBl 1995, 713 (717 f.); Erbguth/Schlacke, Jura 2009, 431 (431); Kloepfer, DVBl 1996, 73 (75); Murswiek, NVwZ 1996, 222 (229); Epiney, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20a Rn. 57; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20a Rn. 46.

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Abwägung.60 Privatpersonen werden hingegen nicht durch die Vorschrift verpflichtet, es besteht keine unmittelbare Drittwirkung.61 Doch auch wenn diese nicht unmittelbar verpflichtet werden, entfaltet Art. 20a GG Auswirkungen auf Privatpersonen, indem für den Staat – über die Pflicht zur Unterlassung eigener Umwelteingriffe hinaus – die Schutzpflicht besteht, Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Umwelt durchzuführen, namentlich auch den Eingriffen von Privatpersonen entgegenzutreten.62 Als Staatszielbestimmung belässt Art. 20a GG dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum; die Wahl der Mittel zur Erreichung des Ziels steht ihm selbst zu.63 Mit dem Bezug des Schutzes „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“ wird aber klargestellt, dass auch die langfristige Vorsorge vom Anwendungsbereich der Vorschrift umfasst ist. Dazu zählen namentlich der Schutz vor Langzeitrisiken und die Beachtung des Prinzips einer nachhaltigen Entwicklung, insbesondere auch der Ressourcenschonung.64 Von den umweltrechtlichen Prinzipien sind daher zumindest das Vorsorgeprinzip und das Nachhaltigkeitsprinzip in Art. 20a GG niedergelegt. Um im Einklang mit den Vorgaben des EU-Rechts zu bleiben, sind auch die entsprechenden Gehalte des europäischen Primärrechts, insbesondere des Art. 191 AEUV zu beachten. Einen absoluten Schutz gibt Art. 20a GG nicht vor, vielmehr besteht eine Gleichrangigkeit mit anderen Verfassungsnormen. Dies folgt aus dem Grundsatz der Einheit der Verfassung und wird im Text der Norm durch den Vorbehalt der „verfassungsmäßigen Ordnung“ klargestellt.65 Der Begriff ist dem gleichlautenden des Art. 20 Abs. 3 GG entsprechend auszulegen: Umfasst ist die Gesamtheit der Normen des Grundgesetzes.66 Ebenso wenig wie ein allgemeiner Vorrang des Umwelt60

Kloepfer, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 20a Rn. 53 ff.; 59 ff.; Murswiek, NVwZ 1996, 222 (229 f.); Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 20a Rn. 5. 61 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20a Rn. 45; Sommermann, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20a Rn. 17. 62 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20a Rn. 5; vgl. auch Kloepfer, in: Kahl/Waldhoff/ Walter, BK-GG, Art. 20a Rn. 29. 63 Uhle, DÖV 1993, 947 (951 f.); Braun, DÖV 2003, 488 (489); Kloepfer, in: Kahl/ Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 20a Rn. 38 f.; Veith, Staatszielbestimmung Umweltschutz, S. 107. 64 Sommermann, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20a Rn. 25 f.; weitergehend Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20a Rn. 6 ff. und Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 34 f. m.w.N., die u. a. auch noch das Verursacherprinzip dem Schutzgehalt des Art. 20aGG zuordnen; umstritten ist auch, ob ein Verschlechterungsverbot erfasst ist, vgl. dazu die ausführliche Diskussion m.w.N. bei Epiney, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20a Rn. 65 ff. 65 Der Begriff hat damit nur deklaratorische Bedeutung, vgl. nur Sannwald, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 20a Rn. 26 und Kloepfer, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 20a Rn. 41 ff.; jeweils m.w.N. 66 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20a Rn. 14; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 58.

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B. Rechtsquellen des Artenschutzrechts

schutzes besteht, gibt es auch keine generelle Priorität konkurrierender Verfassungsprinzipien oder -rechtsgüter. Im Rahmen der Erfüllung der Schutzpflicht sind von Seiten des Staates daher auch andere Verfassungsgüter zu beachten. In gleicher Weise gilt dies für die Anwendung anderer Verfassungsvorschriften, bei der die Wertentscheidung zugunsten des Umweltschutzes zu respektieren ist. Bei Kollisionen ist im Einzelfall der Ausgleich herzustellen und zu entscheiden, welches Gut konkret Vorrang beanspruchen kann und welches zurücktreten muss. Art. 20a GG kann dabei grundrechtliche Gewährleistungen oder sonstige Verfassungsprinzipien beschränken oder umgekehrt auch beschränkt werden. Im Rahmen einer Kollision mit weiteren Verfassungsgütern kann die verfassungsrechtliche Wertentscheidung zugunsten des Umweltschutzes zudem den Schutz einzelner verfassungsrechtlicher Gewährleistungen verstärken.67 Schließlich stehen die Gewährleistungen von Staatszielbestimmungen wie Art. 20a GG noch unter dem Vorbehalt des Möglichen: Auch sinnvolle Maßnahmen zur Realisierung des Staatsziels sind nur soweit geboten, wie sie wirtschaftlich vertretbar sind.68 2. Bundesnaturschutzgesetz Die Umsetzung der völkerrechtlichen, europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen in das einfache deutsche Recht ist primär im Bundesnaturschutzgesetz erfolgt.69 Das vergleichsweise junge Gesetz vom 20. Dezember 1976 (in Kraft getreten am 01. Januar 1977) zum Schutz von Natur und Landschaft wurde gerade in den letzten Jahren mehrfach nachgebessert – zumeist um die nicht vollständig gelungene Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben zu optimieren. Die letzte artenschutzrechtlich relevante Änderung erfolgte am 29. Juli 200970 und ist am 01. März 2010 in Kraft getreten. Diese Fassung ist nunmehr zugrunde zu legen. Der artenschutzrechtliche Regelungskomplex ist darin im 5. Kapitel (§§ 37 – 55 BNatSchG) enthalten; die Umsetzung der Regelungen der FFH-Richtlinie erfolgt darin im Wesentlichen im 3. Abschnitt (§§ 44 ff. BNatSchG).71 3. Landesnaturschutzgesetze Bis zur Föderalismusreform im Jahre 2006 war das Naturschutzrecht nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GG a.F. der Rahmengesetzgebung zuzuordnen. Der Bund hatte 67 Insgesamt zu den Wirkungen von Art. 20a GG auf Grundrechte und andere Verfassungsrechtsgüter: Kloepfer, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 20a Rn. 26 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20a Rn. 41 ff. 68 BVerfGE 33, 303 (333 f.); Maurer, Staatsrecht I, § 6 Rn. 12; auf beide verweisend Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 91. 69 Zur Zuordnung des Artenschutzrechts zum Naturschutzrecht vgl. noch C.II. 70 BGBl. I 2009 S. 2542. 71 Vgl. die ausführliche Darstellung unter D.IV.

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demgemäß das Bundesnaturschutzgesetz als Rahmengesetz erlassen, das der Konkretisierung durch Naturschutzgesetze der Länder bedurfte. Daher finden sich Artenschutzregelungen auch in allen entsprechenden Landesgesetzen – diese wurden seither kaum geändert. Seit der Föderalismusreform gehört das Naturschutzrecht hingegen gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG der konkurrierenden Gesetzgebung an. Gemäß Art. 72 Abs. 1 GG besitzen die Länder die Gesetzgebungskompetenz in diesen Bereichen nur, „solange und soweit“ der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz nicht Gebrauch gemacht hat. Den Ländern stehen damit (vorbehaltlich etwaiger Abweichungskompetenzen nach Art. 72 Abs. 3 GG) nur noch insoweit Gesetzgebungskompetenzen zu, als keine abschließende, erschöpfende Regelung durch den Bund getroffen wurde. Im Zuge der Neustrukturierung durch die Föderalismusreform wurde indes in Art. 72 Abs. 3 GG die Möglichkeit der Abweichung von bundesrechtlichen Vorschriften seitens der Länder auf bestimmten Rechtsgebieten einschließlich des Naturschutzes (Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG) geschaffen. Davon ausgenommen ist allerdings der abweichungsfeste Kern des Artenschutzrechts, sodass eigene divergente Länderregelungen in Bezug auf die artenschutzrechtlichen Vorschriften des Bundes – und damit auch in Bezug auf die FFH-RL umsetzenden Artenschutzregelungen – nicht zulässig sind. Das bundesrechtliche Artenschutzregime war bereits vor der Reform sehr detailliert geregelt72 und ist nun als abschließende bundesrechtliche Regelung zu verstehen, soweit keine Vorbehalte für landesrechtliche Regelungen in den Vorschriften verankert sind. Die Umsetzung der Bestimmungen der FFH-RL soll insgesamt bereits durch das Artenschutzrecht des Bundes gewährleistet werden. Vorbehalte für ein Tätigwerden auf der Ebene des Landesrechts finden sich im – das Artenschutzregime der FFH-RL umsetzenden – besonderen Artenschutzrecht beispielsweise in § 44 Abs. 4 Satz 4 BNatSchG (Unberührtheitsklausel) und § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG (Ermächtigung der Landesregierungen).73 Darüber hinaus finden sich in den Landesnaturschutzgesetzen nur noch vereinzelte allgemeine Artenschutzvorschriften, die die bundesrechtlichen Regelungen konkretisieren oder ergänzen, aber keine des besonderen Artenschutzrechts. 4. Bundesartenschutzverordnung In Konkretisierung und Ergänzung des Bundesnaturschutzgesetzes hinsichtlich des Artenschutzes wurde am 19. Dezember 1986 die Bundesartenschutzverordnung erlassen.74 72 Die materiellen Artenschutzvorschriften galten zumeist sogar unmittelbar, vgl. dazu Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 302. 73 Vgl. dazu im Einzelnen die Erläuterungen zur jeweiligen Vorschrift als Umsetzung der FFH-RL; allgemein zu den unterschiedlichen Regelungsaufträgen des Bundesnaturschutzrechts an die Landesgesetzgeber vgl. Schütte/Kattau, ZUR 2010, 353 (356). 74 BGBl. I 1986 S. 2705.

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B. Rechtsquellen des Artenschutzrechts

Ermächtigungsgrundlage der Verordnung stellt § 54 BNatSchG dar. Die Bundesartenschutzverordnung konkretisiert und ergänzt die Artenschutzregelungen des BNatSchG: In den Anhängen werden die national unter Schutz gestellten Tier- und Pflanzenarten aufgelistet, die – über die europäisch geschützten Arten hinaus – durch die Artenschutzvorschriften des BNatSchG geschützt werden. Die Verbotsregelungen des BNatSchG werden in der BArtSchV zudem (teilweise) erweitert und durch weitere Verbote ergänzt, beispielsweise hinsichtlich Fanggeräten und -methoden. Die BArtSchV regelt schließlich ausführlich die Bereiche Haltung und Zucht von Tieren und enthält einen Katalog von Ordnungswidrigkeiten. Sie setzt damit weitere Vorschriften der FFH-RL, der Vogelschutz-RL und anderer europäischer Sekundärrechtsakte (z. B. EG-Artenschutzverordnung, Tellereisenverordnung) um. 5. Artenschutzregelungen in Fachgesetzen Bestimmungen zur Protektion von Arten finden sich nicht nur im Naturschutzrecht, sondern auch in einzelnen Fachgesetzen, sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene. Oftmals werden solche Vorschriften in Zusammenhang mit der Reglementierung von Tätigkeiten erlassen, die mit der Gefährdung von Arten zusammenhängen, zu ihrer Ausübung aber des Artenbestandes bedürfen. Der Schutz der Arten gilt dann vornehmlich der weiteren Ermöglichung der Tätigkeit. Hintergrund einzelner Artenschutzregelungen können damit auch wirtschaftliche Erwägungen sein. Zu nennen sind das Bundesjagdgesetz, die Bundeswildschutzverordnung, das Bundeswaldgesetz sowie Gesetze zur ordnungsgemäßen Landwirtschaft und Fischerei. Schließlich enthalten einige weitere Fachgesetze noch vereinzelt Vorschriften zur Bewältigung von Konfliktlagen.75 Konfliktlagen können zum einen zwischen Artenschutzregelungen und Vorschriften zum Schutz entgegenstehender Interessen bestehen, zum anderen auch im Rahmen der Anwendbarkeit verschiedener artenschützender Gesetze. Auf das Verhältnis der einzelnen Regelungsbereiche bzw. Gesetze wird an späterer Stelle noch genauer eingegangen werden.76

75 Z.B. § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB; § 1 Abs. 6 Nr. 7 lit. a BauGB; § 6 Abs. 1 Nr. 1 WHG; vgl. Gellermann/Schreiber, Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen, S. 18 f. 76 Vgl. C.II. und III.

C. Formelle Aspekte der europäischen Artenschutzregelungen und ihrer Umsetzung in Deutschland Bei der Umsetzung der Vorgaben von artenschutzrechtlichen Richtlinienbestimmungen gibt in formeller Hinsicht allein der Aspekt der Gesetzgebungskompetenzen Anlass zu näherer Erörterung. Zuvor sei zur Klarstellung erwähnt, dass Artenschutz keinesfalls mit Tierschutz oder Pflanzenschutz (geregelt in Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG) zu verwechseln ist. Zweck des Tierschutzes ist die Bewahrung des einzelnen Tiers vor Schmerzen oder sonstigen Leiden und Schäden bei Haltung, Pflege, Unterbringung, Beförderung sowie bei der Schlachtung.1 Parallel dazu bezeichnet der Pflanzenschutz die Regelungsmaterie hinsichtlich aller Maßnahmen zur Bekämpfung von Krankheiten und Schädlingen der Pflanzen.2 Es geht also jeweils um die Vermeidung von Schäden oder Schmerzen einzelner Exemplare. Im Unterschied dazu zielt der Artenschutz auf die Erhaltung der gesamten Gattung oder Art zur Sicherung der biologischen Vielfalt ab.

I. Entwicklungen im Rahmen der Föderalismusreform 2006 Durch die Föderalismusreform im Jahr 2006 ist eine Umstrukturierung der Gesetzgebungskompetenzen vorgenommen worden, die sich auch auf die den Artenschutz betreffenden Kompetenzgrundlagen auswirkt. Zu nennen sind insbesondere die Kompetenzen zur Regelung des Naturschutzrechts, Jagdrechts, Forstrechts und Fischereirechts, die jeweils artenschutzrechtliche Regelungen beinhalten können.3 Vor der Reform gehörte das Naturschutzrecht zur Rahmengesetzgebung nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG a.F. Der Bund hatte aufgrund dessen das Bundesnaturschutzgesetz als Rahmengesetz erlassen. Als solches war es darauf ausgelegt, durch entsprechende Landesgesetze weiter konkretisiert zu werden. Nur punktuell durfte der Bund auch Vollregelungen nach Art. 75 Abs. 2 GG a.F. erlassen. Solche unmittelbar geltenden Regelungen stellten die meisten der materiellen Artenschutz1

BVerfGE 110, 141 (171); Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 91; Pieroth, in: Jarass/ Pieroth, Art. 74 Rn. 56. 2 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 74 Rn. 85; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 74 Rn. 56. 3 Zur genauen Abgrenzung sogleich unter C.II.

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C. Aspekte der europäischen Artenschutzregelungen in Deutschland

regelungen dar. Aber auch die verbleibenden klassischen Rahmenvorschriften waren bereits sehr detailliert.4 Allgemein galt die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen als umständlich sowie hinderlich für die Umsetzung von EU-Vorgaben (nicht zuletzt auch der FFH-Richtlinie) und die Schaffung eines Umweltgesetzbuchs.5 Diese Streitfragen haben sich mit der Aufgabe der Rahmengesetzgebung und Überführung des Naturschutzrechts in die konkurrierende Gesetzgebung mit Abweichungsmöglichkeiten seitens der Länder weitgehend erledigt. Das Naturschutzrecht ist nunmehr in Artt. 74 Abs. 1 Nr. 29, 72 Abs. 3 Nr. 2 GG geregelt und unterliegt damit der neu eingeführten Abweichungsgesetzgebung. Danach hat der Bund das Recht zur Gesetzgebung, die Länder können aber von der bundesgesetzlichen Regelung abweichende eigene Regelungen erlassen. Im Verhältnis des erlassenen Bundes- und Landesrechts geht das jeweils spätere Gesetz vor. Von der Abweichungskompetenz ausgenommen ist allerdings neben den allgemeinen Grundsätzen des Naturschutzes und dem Meeresnaturschutzrecht auch das Artenschutzrecht (abweichungsfester Kern). Für den Übergang zwischen alter und neuer Rechtslage wurde die Regelung des Art. 125b Abs. 1 GG geschaffen. Danach gilt das Recht, das nach der früheren Rahmengesetzgebung erlassen wurde, also auch das BNatSchG, fort. Die Länder können von ihrer Abweichungsbefugnis allerdings erst nach einer bestimmten Frist Gebrauch machen.6 Ebenso wie das Naturschutzrecht unterliegt das Jagdrecht gemäß Artt. 74 Abs. 1 Nr. 28, 72 Abs. 3 Nr. 1 GG der neu eingeführten Abweichungsgesetzgebung, wohingegen es zuvor gemäß Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GG a.F. der Rahmengesetzgebung zuzuordnen war. Im Unterschied zum naturschutzrechtlichen Artenschutz stellt der jagdrechtliche Artenschutz keinen abweichungsfesten Kern dar. Abweichungsfester Kern im Bereich des Jagdwesens ist allein das Recht der Jagdscheine. Forstrecht und Seefischereirecht sind gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG der konkurrierenden Gesetzgebung (ohne Abweichungsbefugnis) zuzuordnen und gehörten dazu auch schon vor der Föderalismusreform. Bezüglich der Kompetenzverteilung im Forst- und Fischereirecht hat sich daher nichts geändert. Durch die Einführung der Abweichungsgesetzgebung, zu der auch das Naturschutzrecht und das Jagdrecht gehören, haben sich ungeachtet der Lösung früherer Probleme zahlreiche neue ergeben.7 Davon sollen im Folgenden nur diejenigen er4

Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 302 f.; vgl. auch Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rn. 89; § 11 Rn. 214. 5 BT-Drs. 16/813, S. 8; Beck, Abweichungsgesetzgebung, S. 193 ff.; Grandjot, DÖV 2006, 511 (512 f.); Kotulla, NVwZ 2007, 489 (489); Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, 249 (250 f.); Stock, ZG 21 (2006), 226 (230 f.); ausführlich zu den Problemen im Zusammenhang mit der Zuordnung des Naturschutzes zum Rahmenrecht Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 303 ff. 6 Hintergrund der Regelung war die Erwägung, dem Bund die Erarbeitung eines umfassenden Umweltgesetzbuchs (UGB) zu ermöglichen, vgl. Kotulla, NVwZ 2007, 489 (492); Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, 249 (255). 7 Vgl. dazu Degenhart, DÖV 2010, 422 (423 ff.); Dietlein, in: Reinhardt, Das WHG 2010 – Weichenstellung oder Interimslösung?, S. 19 (24 ff.); Franzius, NVwZ 2008, 492 (492 ff.);

I. Entwicklungen im Rahmen der Föderalismusreform 2006

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läutert werden, die sich im Zusammenhang mit der Umsetzung der artenschutzrechtlichen Vorgaben der FFH-RL auswirken können. Besonders drastisch erscheint die Kritik, dass die Einführung einer Abweichungsgesetzgebung – namentlich auch im Hinblick auf die Anforderungen der FFH-Richtlinie – europarechtswidrig sei. Begründet wird die Kritik u. a. damit, dass die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat für die Umsetzung der europäischen Vorgaben, beispielsweise geforderte einheitliche Standards hinsichtlich der Schutzgebiete und diesbezügliche Bewertungsmaßstäbe verantwortlich sei und die Ländergesetzgebung nicht – wie noch unter der Rahmengesetzgebung – inhaltlich gelenkt werden kann.8 Dem ist entgegenzuhalten, dass den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen ist, wie sie die europarechtlichen Vorgaben umsetzen. Insbesondere können die Mitgliedstaaten Art und Weise der innerstaatlichen Kompetenzverteilung frei regeln.9 Zwar muss eine korrekte Umsetzung von Europarecht grundsätzlich gewährleistet sein – die Abweichungsgesetzgebung als solche hindert die Umsetzung aber nicht. Im Gegenteil: Dadurch, dass der Bund unmittelbar eine umfassende Regelung treffen kann, ohne auf eine weiterführende Landesgesetzgebung angewiesen zu sein, wird die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts erleichtert. Eine Torpedierung der bundesrechtlichen Umsetzung mittels abweichender Gesetzgebung durch die Länder ist nicht zulässig: Dies bedeutete nicht nur einen Verstoß der Länder gegen das Europarecht (an das sie in gleicher Weise wie der Bundesgesetzgeber gebunden sind), sondern auch einen Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue.10 Fraglich bleibt nur, ob die vom EuGH geforderte Klarheit und Bestimmtheit des Rechtszustands11 angenommen werden kann.12 Solange die Länder die europarechtlich geforderten Mindestvorgaben einhalten, besitzen sie die Möglichkeit, von den Bundesgesetzen abzuweichen, sodass die Rechtslage zu einem gewissen Grad unübersichtlich wird. Allerdings ist für den Rechtsanwender immer klar, dass die Mindestvorgaben aus den europäischen Richtlinien gelten, ob nun Kotulla, NVwZ 2007, 489 (491 f.); Mayen, DRiZ 2007, 51 (53 ff.), Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, 249 (252 ff.). 8 Ekardt/Weyland, NVwZ 2006, 737 (739 ff.); Epiney, NuR 2006, 403 (408 f.). 9 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 08. 09. 2010, Rs. C-46/08, Slg. 2010, I-8149, Rn. 70 – Carmen Media Group Ltd/Land Schleswig-Holstein; unzutreffend dagegen EGMR (Große Kammer), Urt. v. 26. 06. 2012, Nr. 9300/07 – H/Bundesrepublik Deutschland, der die Landeskompetenz über das Jagdrecht als Indiz für eine fehlende Kohärenz wertet. 10 Dietlein, in: Reinhardt, Das WHG 2010 – Weichenstellung oder Interimslösung?, S. 19 (24); Grünewald, Abweichungsgesetzgebung, S. 91 ff.; vgl. auch Kloepfer, ZG 21 (2006), 250 (266 f.); Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, 249 (254); zur Bindung an europarechtliche Vorgaben außerdem BT-Drs. 16/813, S. 11. 11 Z.B. EuGH, Urt. v. 06. 05. 1980, Rs. C-102/79, Slg. 1980, I-1473, Rn. 11 – Kommission/ Königreich Belgien; Urt. v. 30. 05. 1991, Rs. C-59/89, Slg. 1991, I-2607, Rn. 24 – Kommission/ Bundesrepublik Deutschland; Urt. v. 19. 05. 1999, Rs. C-225/97, Slg. 1999, I-3011, Rn. 37 – Kommission/Frankreich; Urt. v. 17. 05. 2001, Rs. C-159/99, Slg. 2001, I-4007, Rn. 32 – Kommission/Italien; vgl. dazu auch noch unter D.II.1. 12 Vgl. Ekardt/Weyland, NVwZ 2006, 737 (741); Ruttloff, UPR 2007, 333 (334).

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C. Aspekte der europäischen Artenschutzregelungen in Deutschland

durch Bundes- oder Landesgesetz. Zudem ist der Föderalismus gerade durch eine Vielzahl von Regelungen gekennzeichnet und damit grundsätzlich mit einem gewissen Maß an Unübersichtlichkeit behaftet. Ein Verstoß gegen Europarecht durch die Existenz eines föderalistischen Systems als solchen wird aber selbst von den kritischen Stimmen nicht angenommen.13 Auch gegen die verfassungsrechtlichen Maßstäbe hinsichtlich Klarheit und Bestimmtheit der Rechtslage kann durch das bloße Konstrukt eines föderalen Systems, wie es im Grundgesetz selbst angelegt ist, nicht verstoßen werden. Schließlich war auch vor der Reform eine Vielzahl von verschiedenen Regelungskomplexen möglich und üblich, da der Bund nur die Rahmenvorschriften erlassen durfte und somit für die Detailregelungen die Ländergesetzgebung zuständig war. Da das Artenschutzrecht im Naturschutzrecht einen abweichungsfesten Kern darstellt, gewinnt die Problematik einer engen oder weiten Auslegung der abweichungsfesten Kerne Bedeutung.14 Der Lösung vorgeschaltet ist die Frage, wie die Abweichungskompetenzen selbst auszulegen sind. Ein Ansatz geht, der Systematik der Gesetzgebungszuständigkeiten entsprechend, nach der Grundnorm des Art. 70 GG von einem Vorrang der Ländergesetzgebung aus. Die konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 74 GG bilde dazu eine eng auszulegende Ausnahme, wohingegen die Abweichungsgesetzgebung nach Art. 72 Abs. 3 GG als Ausnahme zur konkurrierenden Gesetzgebung wieder weit ausgelegt werden müsse. Daraus folge letztlich, dass die abweichungsfesten Kerne als Ausnahme zum Abweichungsrecht wieder eng ausgelegt werden müssen.15 Die Gegenansicht wählt einen anderen Ausgangspunkt: Da alle Sachmaterien, bei denen die Länder ein Abweichungsrecht besitzen, nicht der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG unterliegen, werde die Erforderlichkeit unwiderleglich vermutet. Insofern bestehe grundsätzlich eine Vorranggesetzgebung des Bundes.16 Teilweise wird auch schlicht von der konkurrierenden Gesetzgebung als Regel ausgegangen.17 Die Abweichungsrechte der Länder müssten als Ausnahme (von der Erforderlichkeit bzw. der regulären konkurrierenden Gesetzgebung) eng ausgelegt werden und die abweichungsfesten Kerne wären dann wiederum weit zu bestimmen. Die Systematik der Artt. 70 ff. GG, die im Grundgedanken von einer Länderzuständigkeit ausgehen, spricht tatsächlich für die erste Ansicht, nach der im Ergebnis die abweichungsfesten Kerne (mit Bundeszuständigkeit) eng auszulegen sind. Dass eine Erforderlichkeitsprüfung nicht Voraussetzung für das Gesetzgebungsrecht des Bundes ist, muss außerdem nicht zwingend bedeuten, dass eine unwiderlegliche Vermutung für ein solches besteht.18 Dagegen spricht der Normzweck: Die Abweichungsgesetzgebung sollte die Rechte des 13

Ekardt/Weyland, NVwZ 2006, 737 (740). Vgl. Koch/Krohn, NuR 2006, 673 (677 f.). 15 Haug, DÖV 2008, 851 (855); so auch für das Jagdrecht Glaser, NuR 2007, 439 (442 f.). 16 Köck/Wolf, NVwZ 2008, 353 (355 f.). 17 Grünewald, Abweichungsgesetzgebung, S. 40; Kesper, NdsVBl 2006, 145 (150); Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, 249, (256); dagegen: Degenhart, DÖV 2010, 422 (426). 18 Vgl. Franzius, NVwZ 2008, 492 (492 f.). 14

I. Entwicklungen im Rahmen der Föderalismusreform 2006

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Landesgesetzgebers stärken. Eine unwiderlegliche Vermutung für den Primat der Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers würde dem widersprechen.19 Richtigerweise fehlt es durch die Stärkung der Rechte des Landesgesetzgebers schlicht an der Notwendigkeit eines weiteren Schutzes durch den Nachweis der Erforderlichkeit einer Bundesregelung.20 Damit bleibt festzuhalten, dass die Systematik der Artt. 70 ff. GG sowie der Normzweck des Art. 72 Abs. 3 GG für eine weite Auslegung der Abweichungsrechte der Länder und eine enge Auslegung der abweichungsfesten Kerne, also auch den des Artenschutzrechtes sprechen. Es stellt sich die Frage, ob sich hinsichtlich des Artenschutzes eine andere Auslegung anhand der Übernahme des einfachrechtlichen Begriffs des Artenschutzes in die Bestimmungen der Gesetzgebungskompetenzen durch den Verfassungsgeber ergibt. Dazu sei zuerst angemerkt, dass, selbst wenn sich der Gesetzgeber an einfachrechtlichen Begriffen orientiert hat, diese zur Interpretation des höherrangigen Verfassungsrechts zwar als Hilfe dienen, aber nicht ohne Weiteres dessen Sinngehalt bestimmen können.21 Im Rahmen der FFH-Richtlinie wurde insoweit überlegt, nicht nur die Bestimmungen der Artt. 12 – 16 FFH-RL, sondern auch die des Habitatschutzes dem verfassungsrechtlichen Artenschutz zuzuordnen – unter Verweis darauf, dass der einfachrechtliche Artenschutzbegriff, auf den der Verfassungsgesetzgeber wohl zurückgreift, nach § 37 Abs. 1 BNatSchG (ex-Art. 39 Abs. 1 BNatSchG 2002) auch Schutz, Pflege, Entwicklung und Wiederherstellung der Biotope wildlebender Tier- und Pflanzenarten umfasst.22 Diese Interpretation widerspricht aber nicht nur der allgemein anzunehmenden engen Auslegung der abweichungsfesten Kerne, sondern auch der vom (einfachen) Gesetzgeber vorgenommenen Ausgestaltung der §§ 31 – 36 BNatSchG, in denen die die FFH- und Vogelschutz-RL umsetzenden Vorschriften zum Gebietsschutz eindeutig getrennt von den artenschutzrechtlichen Regelungen geregelt wurden.23 Hinsichtlich der hier zu behandelnden Bestimmungen der FFH-Richtlinie zum Artenschutz ergeben sich unter diesem Gesichtspunkt keine Probleme der Zuordnung zum abweichungsfesten Kern des Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG. Im Unterschied zum naturschutzrechtlichen Artenschutz steht der jagdrechtliche Artenschutz einer Abweichung durch den Landesgesetzgeber offen. Grenzen der Ausübung der Abweichungsgesetzgebungskompetenz können sich namentlich aus dem Europarecht und dessen artenschutzrechtlichen Vorgaben ergeben. Darüber 19

Franzius, NVwZ 2008, 492 (492 f.); Glaser, NuR 2007, 439 (443). Dietlein, in: Reinhardt, Das WHG 2010 – Weichenstellung oder Interimslösung?, S. 19 (24 f.). 21 Vgl. BVerfGE 28, 243 (260 f.): „Nicht das System von Normen, Instituten und Institutionen im Range unter der Verfassung bildet den Maßstab für die Auslegung verfassungsrechtlicher Bestimmungen; vielmehr liefern die letzteren umgekehrt die Grundlagen und den Rahmen, an den die übrigen Rechtsäußerungen und -erscheinungen sich anzupassen haben.“; s. auch Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, § 7 Rn. 5. 22 Fischer-Hüftle, NuR 2007, 78 (84). 23 So dann auch Fischer-Hüftle, NuR 2007, 78 (84). 20

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C. Aspekte der europäischen Artenschutzregelungen in Deutschland

hinaus sind unter Berücksichtigung der zuvor dargelegten weiten Auslegung der Abweichungsrechte die engen Grenzen des abweichenden Landesgesetzgebers wie sie – z. T. im Zusammenhang mit anderen Materien – von einigen Stimmen in der Literatur angenommen werden, abzulehnen. So wurde bereits von ungeschriebenen abweichungsfesten Kernen ausgegangen;24 ebenso wurde das Verbot einer bloßen Negativgesetzgebung seitens der Länder, dass eine bundesrechtliche Regelung nicht gelten soll, propagiert.25 Wo keine abweichungsfesten Kerne durch den Verfassungsgeber festgelegt wurden, muss aber im Umkehrschluss jegliches Abweichen möglich sein.26 Unabhängig von den Befugnissen im Rahmen der Abweichungsgesetzgebung ist eine Regelung durch den Landesgesetzgeber weiterhin überall möglich, wo der Bundesgesetzgeber ausdrücklich Spielräume zur landesrechtlichen Konkretisierung oder Ergänzung belässt. Insoweit steht den Ländern die Möglichkeit zum Erlass entsprechender Vorschriften aufgrund der allgemeinen Grundsätze der konkurrierenden Gesetzgebung offen, indem der Bund ausdrücklich keine abschließende Regelung getroffen hat.

II. Das kompetenzrechtliche Spannungsfeld von Naturschutzrecht und anderen artenschutzbeinhaltenden Rechtsmaterien Der Schutz wildlebender Tiere und Pflanzenarten zur Erhaltung der Biodiversität stellt ein klassisches Gebiet des Naturschutzrechts dar.27 Daneben sind allerdings auch anderen Rechtsgebieten artenschutzrechtliche Regelungen seit langem immanent. Dazu zählen namentlich das Jagd-, Forst- und Fischereirecht. Überschneidungen zwischen den einzelnen Rechtsgebieten führen zu Problemen hinsichtlich der Wahl der Rechtsgrundlage. 1. Abgrenzung zum Jagdrecht Insbesondere die Abgrenzung zwischen Jagdrecht und Naturschutzrecht in Bezug auf den Artenschutz hat seit der Föderalismusreform im Jahre 2006 neue Relevanz erhalten. Während beide Gebiete zuvor gemäß Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GG a.F. 24

Battis/Kersten, DVBl 2007, 152 (157 ff.); Kment, NuR 2006, 217 (220 f.); dagegen: Kotulla, NVwZ 2007, 489 (494 f.). 25 Degenhart, NVwZ 2006, 1209 (1213); Grünewald, Abweichungsgesetzgebung, S. 39; Köck/Wolf, NVwZ 2008, 353 (356); wohl auch Mayen, DRiZ 2007, 51 (54); dagegen: Beck, Abweichungsgesetzgebung, S. 60 ff.; Dietlein, in: Reinhardt, Das WHG 2010 – Weichenstellung oder Interimslösung?, S. 19 (26); Haug, DÖV 2008, 851 (854). 26 Kotulla, NVwZ 2007, 489 (494 f.); vgl. auch Degenhart, NVwZ 2006, 1209 (1213); Haug, DÖV 2008, 851 (854). 27 Vgl. BVerfG, NVwZ 1997, 159; Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 94.

II. Spannungsfeld von Naturschutzrecht und anderen Rechtsmaterien

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der Rahmengesetzgebung und damit jeweils demselben Gesetzgeber zuzuordnen waren, gehören sie nunmehr der konkurrierenden Gesetzgebung an (Art. 74 Abs. 1 Nr. 28 und 29 GG) und erfahren dabei unterschiedliche Abweichungsbefugnisse der Länder gemäß Art. 72 Abs. 3 GG: Zwar sind sie beide Gegenstand der Abweichungsgesetzgebung, jedoch sieht das Naturschutzrecht für das Artenschutzrecht einen abweichungsfesten Kern vor, das Jagdrecht hingegen nicht. Die Länder sind somit nicht befugt, von artenschutzrechtlichen Bestimmungen des Bundes, die auf dem Gebiet des Naturschutzrechts getroffen wurden, abzuweichen, von artenschutzrechtlichen Bestimmungen, die im Zusammenhang mit dem Jagdrecht getroffen wurden, hingegen schon. Ob eine artenschutzrechtliche Vorschrift auf dem Gebiet des Naturschutzrechts oder des Jagdrechts getroffen wurde bzw. unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber auf welchem Gebiet tätig werden darf, ist damit von zentraler Bedeutung. Die Auslegung von Gesetzgebungskompetenzen richtet sich nach dem klassischen Kanon der Auslegungsmethoden, allerdings mit bestimmten Besonderheiten.28 Wortlaut und Systematik der Kompetenzvorschriften verhalten sich nicht eindeutig. Möglich erscheint im Hinblick auf den Wortlaut, den Schutz der Artenvielfalt als Bestandteil des Naturhaushaltes vorrangig dem Naturschutzrecht zuzuordnen. Dafür könnte auch die ausdrückliche Benennung des Artenschutzes im Zusammenhang mit dem Naturschutzrecht in Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG sprechen. Andererseits könnte systematisch der Schutz der jagdbaren Arten dem Jagdrecht zugeordnet werden und der Schutz der übrigen Arten dem Naturschutzrecht.29 Von besonderer Bedeutung bei der Auslegung der Kompetenzvorschriften der Verfassung ist indes der historische Zusammenhang der deutschen Gesetzgebung einschließlich Entstehungsgeschichte und Staatspraxis.30 Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang auch das Merkmal des „Traditionellen“ bzw. des „Herkömmlichen“.31 Unterschieden wird zwischen faktisch-deskriptiven (Benennung des Lebenssachverhaltes) und normativ-rezeptiven Bestimmungen (Benennung eines vorgefundenen Rechtsgebietes).32 Insbesondere bei normativ-rezeptiven Vorschriften bestimmt die vorgefundene einfachrechtliche Ausgestaltung regelmäßig den Inhalt der Kompetenznorm.33 Eine solche Vorschrift stellt der Kompetenztitel des 28 Vgl. z. B. BVerfGE 109, 190 (212 ff.); Stettner, in: Dreier, GG, Art. 70 Rn. 26 ff.; eine grundsätzlich „enge“ Auslegung der Bundeskompetenzen kann nicht verlangt werden, dazu Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 70 Rn. 20 f.; Stern, Staatsrecht II, S. 607; überdies handelt es sich in diesem Fall um eine Abgrenzung zweier Bundeskompetenzen und nicht um die Abgrenzung von Bundes- und Länderkompetenz. 29 Vgl. in diese Richtung Mitzschke/Schäfer, BJagdG, Einleitung, Rn. 23 ff. 30 BVerfGE 68, 319 (328); 109, 190 (213); Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 70 Rn. 21; Stettner, in: Dreier, GG, Art. 70 Rn. 26. 31 BVerfGE 33, 125 (152 f.); 97, 198 (219); 106, 62 (195). 32 Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70 Rn. 51 f.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 70 Rn. 6. 33 BVerfGE 109, 190 (218); Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70 Rn. 54.

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C. Aspekte der europäischen Artenschutzregelungen in Deutschland

Jagdwesens dar, der sich auf die traditionell im Jagdrecht geregelten Materien bezieht.34 Dazu zählt seit langem auch der (jagdrechtliche) Artenschutz.35 Die zeitlich nachfolgende Schaffung des Kompetenztitels Naturschutzrecht führte zu einer zweiten Grundlage für den Erlass artenschutzrechtlicher Vorschriften. Der Artenschutz sollte nicht vollständig aus dem Jagdrecht herausgelöst und in das Naturschutzrecht integriert werden – vielmehr behandelte die Gesetzgebungspraxis den jagdrechtlichen und den naturschutzrechtlichen Artenschutz fortan als zwei „getrennte Rechtskreise“.36 Dieses Prinzip erhält entsprechend der dargelegten Grundsätze bezüglich normativ-rezeptiver Bestimmungen Verfassungsrang. Der Maßstab der Abgrenzung wird dabei entscheidend durch den materiellen Gehalt der artenschutzrechtlichen Regelungen bestimmt, die das Jagdrecht traditionell bereithält. Normzweck der Zuständigkeitskataloge des Grundgesetzes ist die vollständige Verteilung der Aufgaben und Befugnisse zwischen Bund und Ländern.37 Dabei war mit der Einrichtung eines naturschutzrechtlichen Kompetenztitels entsprechend der dargestellten historischen Entwicklung nicht intendiert, dem Jagdrecht die jagdspezifischen artenschutzrechtlichen Regelungskompetenzen zu entziehen, sondern ergänzend eine Rechtsgrundlage für den Schutz der übrigen Arten und für den Schutz der Arten „um ihrer selbst willen“ sowie der Biodiversität als Teil eines funktionierenden ökologischen Systems zu schaffen. Das Hauptziel der artenschutzrechtlichen Regelungen im Jagdwesen besteht in der Erhaltung des Wildes und der Ordnung der Jagd.38 Selbst wenn die Erhaltung des Wildes – neben dem Zweck der dauerhaften Ermöglichung der Jagdausübung – auch naturschützende Funktion aufweist, erhält das Jagdrecht damit nicht die Qualität des Naturschutzrechts.39 Dieses strebt die Erhaltung gefährdeter Arten maßgeblich zur Sicherung der biologischen Vielfalt und der Funktionalität des Naturhaushaltes an.40 Das Grundgesetz hält mithin zwei artenschutzrechtliche Rechtsgrundlagen bereit; der Schutz der jagdbaren Arten stellt die Schnittmenge der beiden Rechtsgrundlagen dar. Dabei wird die Kompetenzvorschrift des Jagdwesens für die Regelung des jagdrechtlichen Artenschutzes als lex specialis angesehen.41 Ein Vorrang aufgrund von Spezialität kann aber nicht dahingehend verstanden werden, dass für die jagdbaren Arten das Naturschutzrecht keine Regelung treffen dürfte; denn damit wäre die 34

Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 121; Glaser, NuR 2007, 439 (440); Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 74 Rn. 181. 35 Vgl. ausführlich Heider, Tierartenschutz, S. 3 ff. 36 BT-Drs. 16/813, S. 11; vgl. auch Glaser, NuR 2007, 439 (442). 37 BVerfGE 109, 190 (218). 38 Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 38; Lorz, NuR 1985, 253 (253). 39 Vgl. VG Arnsberg, NuR 1988, 158 (159); Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 160 f. 40 Vgl. zu den Zielen des Artenschutzes im Naturschutzrecht § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 Nr. 5 BNatSchG; zu den unterschiedlichen Zielsetzungen Glaser, NuR 2007, 439 (442); Kloepfer, NuR 2006, 1 (5). 41 Glaser, NuR 2007, 439 (442); Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 74 Rn. 181.

II. Spannungsfeld von Naturschutzrecht und anderen Rechtsmaterien

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Möglichkeit des Erlasses von Regelungen zum Schutz dieser Arten um ihrer selbst willen, als Bestandteil der biologischen Vielfalt und zum Erhalt der damit zusammenhängenden Funktionalität des Naturhaushaltes – unabhängig von jagdlichen Bezügen – nicht möglich. Die Wahl der Rechtsgrundlage einer Artenschutzvorschrift erfolgt maßgeblich nach dem Regelungszusammenhang des jeweiligen Gesetzes.42 Konfliktlagen im Sinne von offenen Widersprüchen der geschaffenen jagd- und naturschutzrechtlichen Regelungen im Bereich des Artenschutzes sind unter dem Gesichtspunkt der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung zu vermeiden. Die FFH-RL trifft Regelungen zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat, Art. 2 Abs. 1 FFH-RL. Aspekte des Jagdwesens sind in diesem Zusammenhang irrelevant. Die Umsetzung der Bestimmungen der FFH-RL ist daher auf die naturschutzrechtliche Kompetenz zu stützen. Nichtsdestoweniger sind auch dem Jagdrecht unterliegende Tierarten von den Bestimmungen der FFH-RL erfasst.43 Während die Vogelschutz-RL in Art. 7 eine Ausnahme für die Jagd statuiert, existiert eine solche im FFH-Recht nicht. Das nationale Jagdrecht muss somit – soweit die naturschutzrechtlichen Umsetzungsvorschriften durch Vorbehaltsregelungen nicht anwendbar sind – hinsichtlich der durch die FFH-RL geschützten Arten die europarechtlich gesteckten Grenzen beachten. Sowohl Bundesgesetzgeber wie auch eventuell von dessen Regelungen abweichende Landesgesetzgeber sind verpflichtet, die Europarechtskonformität der Vorschriften sicherzustellen. 2. Abgrenzung zum Forstrecht Die Gesetzgebungskompetenz im Forstrecht ist in Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG verankert, es handelt sich somit um konkurrierende Gesetzgebung. Die Abgrenzung des Naturschutzrechts zum Forstrecht im Hinblick auf den Artenschutz ist weniger brisant als diejenige zum Jagd- oder Fischereirecht. Die forstwirtschaftliche Produktion dient traditionell der Sicherung der Ernährung und der Gewinnung von Rohstoffen.44 Regelungen zur Schonung und Erhaltung des Waldes kommen dabei nicht nur den Bäumen, sondern auch einer Vielzahl anderer Lebewesen, die dem Ökosystem des Waldes angehören, zugute. Soweit Zielkonformität zwischen den beiden Rechtsgebieten besteht, wird Waldrecht teilweise als spezielleres, vorran-

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BVerfGE 4, 60 (67, 69 f.); 68, 319 (327 f.); 121, 317 (348). Aus Anhang IV und V der FFH-RL sind dies Wisent (Bison bonasus), Murmeltier (Marmot marmota), Wildkatze (Felis silvestris), Luchs (lynx lynx), Fischotter (Lutra lutra), Steinwild (Capra ibex), Schneehase (Lepus timidus), Baummarder (Martes martes), Iltis (Mustela putorius) und Seehund (Phoca vitulina). 44 Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 67. 43

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C. Aspekte der europäischen Artenschutzregelungen in Deutschland

giges Sonderrecht für dessen örtlichen Anwendungsbereich angesehen.45 Indes sind nur Teile des Naturschutzes im örtlichen Anwendungsbereich des Waldes auch im Rahmen des Forstrechts zu regeln. Artenschutz ist keine traditionell dem Gebiet des Forstrechts immanente Materie, wie dies im Rahmen des Jagd- oder Fischereirechts der Fall ist. Vielmehr werden forstrechtliche Ziele häufiger in Konflikt mit artenschutzrechtlichen Bestimmungen kommen.46 Die Umsetzung der Bestimmungen der FFH-RL zum Schutz flächendeckend bedrohter Artenschutzbestimmungen ist insofern eindeutig auf der Kompetenzgrundlage des Naturschutzrechts vorzunehmen. § 37 Abs. 2 BNatSchG als einfachrechtliche Abgrenzungsnorm gilt auch für das Verhältnis des naturschutzrechtlichen Artenschutzes zum Forstrecht. 3. Abgrenzung zum Fischereirecht Das Verhältnis der relevanten Kompetenzgrundlagen des Naturschutzrechts und des Fischereirechts in Bezug auf Arten, die durch Fischerei betroffen sind, ist weitgehend parallel zur Abgrenzung hinsichtlich des Schutzes jagdbarer Arten zu beurteilen.47 Eine Besonderheit besteht darin, dass das Fischereirecht kompetenzrechtlich zweigeteilt ist: Die Hochsee- und Küstenfischerei unterliegt gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG der konkurrierenden Gesetzgebung. Die Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Binnenfischerei ist umstritten: Mangels ausdrücklichen bundesrechtlichen Kompetenztitels ist sie richtigerweise gemäß der allgemeinen Regelung der Artt. 30, 70 GG den Ländern zugewiesen.48 Die Föderalismusreform hat an der Verteilung der Kompetenzen nichts geändert. Die Abgrenzung der Kompetenzen für den Artenschutz ist damit insbesondere hinsichtlich der Binnenfischerei relevant. Das Recht der Hochseefischerei betrifft alle durch Fischerei genutzten Meereslebewesen außer denen, die dem Jagdrecht unterliegen, und damit auch Fische sowie andere Meerestiere, die vom Anwendungsbereich der FFH-RL umfasst sind.49 Demgegenüber betrifft das Recht der Binnenfischerei alle in stehenden und fließenden Gewässern vorkommenden Fische, Neunaugen, zehnfüßige Muscheln und Krebse, und zwar sowohl die wildlebenden wie auch die nicht wildlebenden.50 Letztere sind vom Anwendungsbereich des Artenschutzrechts der FFH-RL ausgeschlossen.

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Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 37; Klose/Orf, Forstrecht, § 1 BWaldG Rn. 39. Vgl. dazu die Beispiele bei Heider, Tierartenschutz, S. 94 ff. 47 Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 38; Lorz, NuR 1982, 4 (7). 48 Braun, AgrarR 2000, 109 (111); Heider, Tierartenschutz, S. 121 ff.; Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 39; Lorz, NuR 1982, 4 (5); ders., NuR 1994, 63 (63); Oeter, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 74 Rn. 123; a.A. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 74 Rn. 196. 49 Vgl. Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 39. 50 Heider, Tierartenschutz, S. 125 f.; Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 39. 46

II. Spannungsfeld von Naturschutzrecht und anderen Rechtsmaterien

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Wie das Jagdwesen ist die Fischerei eine traditionell bestehende Materie, deren Regelungen vom Verfassungsgeber bereits vorgefunden wurden,51 sodass die Kompetenzen (einschließlich der bewusst nicht ausdrücklich zugewiesenen Binnenfischerei) als normativ-rezeptiv zu qualifizieren sind. Die bereits bestehende einfachrechtliche Ausgestaltung, die auch artenschutzrechtliche Bestimmungen vorsieht, bestimmt mithin den Inhalt der Kompetenznorm. Daher ist auch hinsichtlich der fischereirechtlichen Kompetenzen davon auszugehen, dass diese neben dem Naturschutzrecht die Befugnis zum Erlass spezifischer Artenschutzregelungen beinhalten. Die Zielsetzungen der Artenschutzbestimmungen des Fischereirechts sind wie im Jagdrecht vorwiegend wirtschaftlicher Natur, wobei der Erhalt der Rohstoffgrundlage im Vordergrund steht – auch wenn ihnen naturschützende Funktion nicht vollständig abgesprochen werden kann; sie unterscheiden sich insofern von der naturschutzrechtlichen Zielsetzung.52 Die Abgrenzung der insofern nebeneinander bestehenden einfachrechtlichen Artenschutzbestimmungen beider Rechtsgebiete ist ebenfalls unter Berücksichtigung von § 37 Abs. 2 BNatSchG im Einzelfall zu treffen. Soweit die naturschutzrechtlichen Bestimmungen zur Umsetzung der FFH-RL nicht anwendbar sind, ist hinsichtlich der durch die FFH-RL geschützten Arten die Europarechtskonformität des bundesrechtlichen Seefischereirechts sowie des landesrechtlichen Binnenfischereirechts zu prüfen. 4. Überschneidungen mit sonstigen Kompetenzen Im Unterschied zu den bisher thematisierten Verflechtungen artenschutzrechtlicher Regelungen, die sich auf einzelne Arten bezogen, gibt es auch solche Überschneidungen, die einzelne Verbote betreffen. Zu erwähnen sind hier vor allem Besitz- und Vermarktungsverbote, wie sie Art. 12 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1 lit. b FFHRL regeln. Regelungsbefugnisse für diese Verbote ergeben sich nicht nur aus dem Kompetenztitel des Naturschutzrechts nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG, sondern auch aus dem – im Rahmen der Föderalismusreform unverändert gebliebenen – Titel des Rechts der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG.53 Der Gesetzgeber hat sich für die Regelung dieser Verbote im BNatSchG auf letztere Kompetenzgrundlage (Recht der Wirtschaft) gestützt.54 Dies hatte angesichts der Kompetenzverteilung vor der Föderalismusreform den Vorteil, dass bereits damals der Kompetenztitel der konkurrierenden Gesetzgebung angehörte und dem Bund daher die Befugnis zu einer Vollregelung einschließlich Detailregelungen zustand und nicht bloß die Möglichkeit der Rahmengesetzgebung. Im Rahmen der aktuellen Kompetenzverteilung er51

Vgl. JöR n.F. 1, 527 ff.; Heider, Tierartenschutz, S. 124. Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 40; vgl. auch Lorz, NuR 1982, 4 (9). 53 Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 94; vgl. auch Gassner, in: Gassner u. a., BNatSchG, § 11 Rn. 5. 54 BR-Drs. 411/01, S. 100. 52

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C. Aspekte der europäischen Artenschutzregelungen in Deutschland

scheint es (für Änderungen oder Neuregelungen) günstiger, den Titel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG heranzuziehen, da dieser inzwischen den Bund zu einer Vollregelung berechtigt und im Unterschied zu Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG nicht in den Anwendungsbereich der Erforderlichkeitsklausel gemäß Art. 72 Abs. 2 GG fällt. Zudem wird die Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen für den Bereich des Artenschutzrechts durch die Verwendung einer einheitlichen Rechtsgrundlage übersichtlicher.

III. Einfachrechtliches Verhältnis der artenschutzbezogenen Normen des BNatSchG zu anderen Rechtsvorschriften Konflikte der Artenschutzvorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes mit anderen Normen sind in zweierlei Hinsicht denkbar: Zum einen ist es möglich, dass ein Sachverhalt tatbestandlich von zwei Normen verschiedener Rechtsgebiete erfasst wird, die beide den Artenschutz regeln. Dieses Phänomen ist damit verbunden, dass der Artenschutz verfassungsrechtlich nicht allein dem Bundesnaturschutzrecht zuzuordnen ist, sondern auch andere Materien den Erlass artenschützender Vorschriften vorsehen. Zum zweiten besteht die Möglichkeit, dass in einem Sachverhalt ein Verstoß gegen ein artenschutzrechtliches Verbot nach dem BNatSchG tatbestandlich vorliegt, die betroffene Handlung aber nach anderen Vorschriften erlaubt ist. Für Überschneidungen des Artenschutzrechts mit anderen Normen sieht das BNatSchG in § 37 Abs. 2 eine Abgrenzungsvorschrift vor. Danach bleiben Vorschriften des Pflanzenschutzrechts, des Tierschutzrechts, des Seuchenrechts sowie des Forst-, Jagd- und Fischereirechts von den Artenschutzvorschriften unberührt. § 37 Abs. 2 BNatSchG regelt dabei sowohl den Fall, dass ein Sachverhalt tatbestandlich von zwei Regelungen erfasst wird, die dieselbe Rechtsfolge vorsehen, als auch den Fall eines Aufeinandertreffens von sich widersprechenden Regelungen (Normkollision). Beides sind Fälle einer Normenkonkurrenz.55 Für die Anwendung einer einfachrechtlichen Abgrenzungsvorschrift wie § 37 Abs. 2 BNatSchG ist dabei insbesondere in der ersteren Situation stets zu beachten, dass sie nur Anwendung entfalten kann, wenn der Gesetzgeber bei Erlass der Vorschriften im Rahmen seiner verfassungsrechtlich festgelegten Zuständigkeit gehandelt hat. Sofern eine der konkurrierenden Vorschriften bereits nicht kompetenzgemäß erlassen wurde, erübrigt sich eine einfachrechtliche Abgrenzung. Die Bedeutung der Vorschrift des § 37 Abs. 2 BNatSchG ist umstritten:56 Während sie teilweise – wie andere Unberührtheitsklauseln – als Regelung verstanden

55

Schmalz, Methodenlehre, Rn. 67; vgl. auch Larenz, Methodenlehre, S. 266 ff. Hellenbroich betont allerdings, dass es sich um einen akademischen Begründungsstreit handelt, der in den seltensten Fällen tatsächlich zu unterschiedlichen Ergebnissen führt, vgl. ausführlich zu den beiderseitig vorgebrachten Argumenten Artenschutzrecht, S. 164 ff. 56

III. Verhältnis der Normen des BNatSchG zu anderen Rechtsvorschriften

41

wird, die einen pauschalen Vorrang der aufgezählten Rechtsgebiete gebietet,57 plädiert die Gegenansicht dafür, bei einem Konflikt im Einzelfall den Anwendungsvorrang nach den allgemeinen Auslegungsregeln zu bestimmen.58 Der Gesetzgeber hatte ausdrücklich letztere Auslegungsmöglichkeit im Blick.59 Auch die Gesetzessystematik legt nahe, dass § 37 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG keinen grundsätzlichen Vorrang begründet, da ansonsten die spezielleren Regelungen mit Vorbehalt zugunsten des Jagdrechts, § 45 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 und 5 BNatSchG, überflüssig wären.60 Der zweiten Ansicht ist daher zu folgen. Von den allgemeinen Auslegungsregeln sind indes manche durch die Unberührtheitsklausel aufgehoben: Durch die Festlegung einer prinzipiellen Gleichrangigkeit des Naturschutzrechts mit den aufgezählten Gesetzen sind die Regelungen zum Vorrang von Bundesrecht vor Landesrecht (lex superior) oder zum Vorrang des zuletzt erlassenen Gesetzes (lex posterior) wirkungslos.61 Praktisch wird es daher darauf ankommen, welche Bestimmung im Einzelfall als lex specialis angesehen werden kann. Soweit dabei im Einzelfall ein Anwendungsvorrang der Vorschriften eines anderen Rechtsgebietes vor den die FFH-RL umsetzenden Regelungen des Artenschutzrechts in Betracht kommt, ist zu prüfen, ob die bloße Anwendung dieser Vorschriften noch gewährleistet, dass die Bestimmungen der FFH-RL in ihrer nationalen Umsetzung vollständig Anwendung finden. Die Ziele des Pflanzenschutzes und des Naturschutzes überlagern sich teilweise, da gemäß § 1 Nr. 3 PflSchG Zweck dieses Gesetzes u. a. ist, Gefahren abzuwenden, die durch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln für den Naturhaushalt entstehen können. Das Pflanzenschutzgesetz dient grundsätzlich auch Pflanzen, die nicht dem Artenschutzrecht des BNatSchG unterliegen, und erscheint daher hinsichtlich des Artenschutzes als das allgemeinere Gesetz. Allerdings statuiert § 13 PflSchG eine besondere Artenschutzregelung, die teilweise Bestimmungen des naturschutzrechtlichen besonderen Artenschutzes aufnimmt, sich aber allein auf die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln bezieht und daher als spezieller anzusehen ist.62 Diese spezielle Regelung, die im Einzelfall Vorrang vor dem besonderen Ar-

57 Braun, AgrarR 2000, 109 (115 f.); Drees, RdL 1987, 197 (198 f.); Hammer, NuR 1996, 186 (187); Lorz, NuR 1982, 4 (9); Meyer-Ravenstein, AgrarR 2000, 277 (279 ff.). 58 VGH Mannheim, NuR 2000, 149 (151 f.); Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 37 Rn. 10; Lütkes, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 37 Rn. 42; Stüber, NuR 2000, 245 (246 f.); vgl. zu möglichen Konfliktlagen Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 273 f. 59 BT-Drs. 10/5064, S. 18. 60 VGH Mannhein, NuR 2000, 149 (151); Brocker, NuR 2000, 307 (310); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR IV, § 37 BNatSchG Rn. 12; Stüber, NuR 2000, 245 (246 f.). 61 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR IV, § 37 BNatSchG Rn. 12; vgl. auch Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 167; zu Vorrangregelungen beim Zusammentreffen von Normen allgemein Larenz, Methodenlehre, S. 266 ff. 62 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR IV, § 37 BNatSchG Rn. 13.

42

C. Aspekte der europäischen Artenschutzregelungen in Deutschland

tenschutzrecht des BNatSchG haben kann, ist in diesem Zusammenhang auf ihre Europarechtskonformität zu prüfen.63 Tierschutzrecht und Naturschutzrecht sind aufgrund ihrer unterschiedlichen Zielsetzung regelmäßig nebeneinander anwendbar.64 Eine dem Pflanzenschutzrecht vergleichbare Regelung, die im Vergleich zum besonderen Artenschutzrecht spezieller erscheint und wegen ihres Anwendungsvorrangs auf Europarechtskonformität zu prüfen wäre, enthält das TierSchG nicht. Das Tierseuchenrecht kann mit den Bestimmungen des Artenschutzes kollidieren. Dies gilt insbesondere hinsichtlich § 24 Abs. 2, 3 TierSG zur Tötung von Tieren, dem als speziellere Vorschrift Anwendungsvorrang im Einzelfall zukommen kann und der auch auf die besonders geschützten Arten anwendbar ist.65 Das Forstrecht dient gemäß § 1 Nr. 1 BWaldG durch die Sicherung des Waldes in vielfältiger Weise dem Schutz der Umwelt, sodass diesbezüglich teilweise eine Überlagerung mit artenschutzrechtlichen Zielen zu verzeichnen ist. Soweit Zielkonformität zwischen den beiden Rechtsgebieten besteht, wird Waldrecht z. T. als spezielleres, vorrangiges Sonderrecht für dessen örtlichen Anwendungsbereich angesehen.66 Andererseits bezieht sich das besondere Artenschutzrecht nur auf bestimmte gefährdete Arten und könnte diesbezüglich seinerseits spezieller sein. Die Abgrenzung wird, wie zuvor ausgeführt, im Einzelfall zu treffen sein. Forstrechtliche Maßnahmen können aber auch zu Konflikten mit dem Artenschutzrecht führen. Deren Auflösung richtet sich nach § 44 Abs. 4 BNatSchG.67 Ist die Vorschrift wegen fehlender Voraussetzungen nicht einschlägig, folgt daraus im Umkehrschluss der Vorrang der artenschutzrechtlichen Verbote.68 Das Jagd- und das Fischereirecht unterscheiden sich von den vorgenannten darin, dass sie traditionell spezifische Artenschutzregelungen enthalten, um den Bestand der jagdbaren Arten und Fischbestände zu sichern. Nichtsdestoweniger kommt auch den jagd- und fischereirechtlichen Artenschutzvorschriften aus den zuvor genannten Gründen kein genereller Vorrang zu. Die Entscheidung ist vielmehr im Einzelfall zu treffen, ggf. mithilfe spezieller weiterer Kollisionsregeln wie §§ 39 Abs. 2, 45 Abs. 4 und 5 BNatSchG.69 Allerdings ist entsprechend den dargestellten kompetenzrechtlichen Grundsätzen darauf zu achten, dass die Rechtsgrundlage des Jagdwesens für 63

Dazu D.IV.7.d). Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR IV, § 37 BNatSchG Rn. 14; Grewing, Artenschutz, S. 12; Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 37 Rn. 13; A. Schmidt-Räntsch, in: Gassner u. a., BNatSchG, § 39 Rn. 12. 65 Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 37 Rn. 14; Marzik, in: Marzik/ Wilrich, BNatSchG, § 39 Rn. 10; zur Europarechtskonformität der Regelung D.IV.7.e). 66 Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 37; Klose/Orf, Forstrecht, § 1 BWaldG Rn. 39. 67 Dazu im Einzelnen D.IV.7.d)aa). 68 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR IV, § 37 BNatSchG Rn. 16; vgl. auch D.IV.7.b). 69 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR IV, § 37 BNatSchG Rn. 17 f. 64

III. Verhältnis der Normen des BNatSchG zu anderen Rechtsvorschriften

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den Schutz der jagdbaren Arten nicht vollständig unterlaufen wird. Da den jagd- und fischereirechtlichen Artenschutzvorschriften im Einzelfall der Vorrang vor den Bestimmungen des besonderen Artenschutzrechts gebühren kann, sind auch sie noch auf Konformität mit der FFH-RL zu prüfen.70 Zum Verhältnis von Naturschutzrecht und Jagd- oder Fischereirecht trifft § 37 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG zudem eine weitere Regelung: Soweit in jagd- oder fischereirechtlichen Vorschriften keine besonderen Artenschutzregelungen bestehen oder erlassen werden, sind vorbehaltlich der Rechte der Jagdausübungs- oder Fischereiberechtigten die Artenschutzregelungen der §§ 37 ff. BNatSchG anzuwenden. Laut Gesetzesbegründung sollte sichergestellt werden, dass bei nicht genutzten speziellen Ermächtigungsgrundlagen des Jagd- oder Fischereirechts Artenschutzvorschriften erlassen werden können. § 37 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG solle im Übrigen unberührt bleiben.71 Zu demselben Ergebnis führt indes bereits die Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG. Die Regelung hat mithin lediglich klarstellende Funktion.72

70 71 72

Dazu unter D.IV.7.a) und c). BR-Drs. 411/1/01, S. 56. Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR IV, § 37 BNatSchG Rn. 19.

D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz in Deutschland In formeller Hinsicht ist die Umsetzung des Artenschutzregimes der FFH-RL also auf den Kompetenztitel zum Naturschutzrecht, Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG zu stützen. Auch in materieller Hinsicht muss das deutsche Artenschutzrecht als Bestandteil des deutschen Naturschutzrechts, namentlich des BNatSchG, den artenschutzrechtlichen Vorgaben der Richtlinie vollständig gerecht werden. Defizite können dabei in zweierlei Hinsicht bestehen: Zum einen liegt ein Umsetzungsfehler vor, wenn der nationale Regelungsrahmen in Bezug auf die europarechtlichen Vorgaben unvollständig bleibt (Regulierungsdefizit). Zum zweiten können Umsetzungsdefizite auch dann vorliegen, wenn die per Gesetz zu verfolgenden Ziele von den Behörden nicht realisiert werden, obwohl konkrete Handlungsvorgaben in ausreichendem Maße existieren und die für den Vollzug notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden (Vollzugsdefizit).1 Diese Arbeit legt den Fokus auf die Umsetzung der europäischen Vorgaben im deutschen gesetzlichen Regelungsrahmen und damit verstärkt auf Regulierungsdefizite. Nichtsdestoweniger können auch Zusammenhänge zwischen der Problematik der Vollzugsdefizite mit dem zu untersuchenden derzeitigen Regelungssystem bestehen, sodass diese zumindest hinsichtlich einzelner Aspekte ebenfalls in die Darstellung einzubeziehen sind.

I. Entwicklung der Umsetzung der Artenschutzvorgaben der FFH-Richtlinie in Deutschland Regelungen zum Artenschutz, insbesondere Zugriffs- und Vermarktungsverbote, gab es im deutschen BNatSchG schon lange vor Inkrafttreten der FFH-Richtlinie. Zwischen 1987 und 2007 erfolgten trotz Novellen des BNatSchG in 1998 und 2002 kaum Änderungen des Artenschutzrechts. Von einer Anpassung des deutschen Rechts an die europäischen Vorgaben kann daher bis zur Artenschutznovelle 2007 nicht gesprochen werden.2 So stellte denn auch der Europäische Gerichtshof in seiner das deutsche Artenschutzrecht prägenden Entscheidung vom 10. 01. 20063 Verstöße der Bundesrepublik 1

Almeling, Die Aarhus-Konvention, S. 29 f.; Bauer, Durchsetzung des europäischen Umweltrechts, S. 43; Lorenz, UPR 1991, 253 (253). 2 Zur Entwicklung s. Louis, NuR 2009, 91 (91 f.). 3 EuGH, Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland; kritisch hinsichtlich der Entscheidung Wolf, ZUR 2006, 505 (510 ff.).

I. Umsetzung der Artenschutzvorgaben der FFH-Richtlinie

45

Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus der FFH-Richtlinie fest. Bis zur Neuregelung in 2007 waren die europarechtswidrigen Vorschriften nicht mehr anwendbar; es erfolgte ein direkter Rückgriff auf die unmittelbar wirkenden Vorschriften der FFH-Richtlinie (und der Vogelschutz-RL).4 Von einigen Literaturstimmen wurde allerdings auch die Neuregelung nicht als europarechtskonform angesehen und weiterhin ein direkter Rückgriff auf die europäischen Vorschriften bevorzugt.5 Darin lag eine nicht unerhebliche Kritik; denn die Novelle der Artenschutzvorschriften bezweckte immerhin ausschließlich die Behebung der Verstöße gegen Europarecht. Da bereits Planungen für ein einheitliches Umweltgesetzbuch – dessen Realisierung schließlich scheiterte – auch Änderungen im Naturschutzrecht vorsahen, sollte dem nicht vorgegriffen werden.6 Nichtsdestoweniger stellt die Novelle insofern eine entscheidende Weiche, als es sich um die erste artenschutzrechtliche Gesetzgebung nach Änderungen der Gesetzgebungskompetenzen im Rahmen der Föderalismusreform handelt und somit erstmals Vollregelungen getroffen werden konnten, ohne auf die Ausnahmeregelung des Art. 75 Abs. 2 GG a.F. zurückzugreifen. Am Anfang des Jahres 2009 musste jedoch das vorläufige Scheitern des Versuchs, ein umfassendes Umweltgesetzbuch zu schaffen, erklärt werden. Trotzdem konnten Teile der Gesetzesentwürfe (nach erneuten Diskussionen) noch verwendet werden. Als ein solcher Teil trat am 01. 03. 2010 das novellierte BNatSchG7 in Kraft, um eine intransparente Zerstückelung des Naturschutzrechts in ungleichartigen Landesgesetzen zu verhindern.8 Das Gesetz bezweckt daher vornehmlich, das bisherige Rahmenrecht weiter zu einer Vollregelung auszubauen (auch für bis dahin noch nicht novellierte Teile des Naturschutzrechts), die Verständlichkeit und Praktikabilität des Naturschutzrechts zu erhöhen, europarechtliche Vorgaben einheitlich umzusetzen und bislang landesrechtliche Sachgebiete des Naturschutzrechts bundeseinheitlich zu regeln.9 Viele Regelungen sind inhaltlich allerdings so geblieben, wie sie im Rahmen der Artenschutznovelle gefasst worden sind. Die Kritik daran ist daher noch genauso aktuell wie zuvor. Ob sie berechtigt ist und ob darüber hinaus die Umsetzung der europarechtlichen Artenschutzvorgaben im aktuell geltenden BNatSchG von 2010 korrekt erfolgt ist, soll im Folgenden untersucht werden. 4 Vgl. BVerwGE 125, 116 (316 ff.); 126, 166 (176 f.); LANA-Hinweise 2006, S. 2; Lütkes, ZUR 2006, 513 (517); Möckel, ZUR 2008, 57 (57 f.). 5 Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 ff.; Lau/Steeck, NuR 2008, 386 (395); a.A. de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 13. 6 Vgl. BT-Drs. 16/5100, S. 8; Möckel, ZUR 2008, 57 (58); zu den erfolgten Änderungen im Rahmen der Novelle siehe auch den Überblick bei Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 566; sowie ausführlich Dolde, NVwZ 2008, 121 ff. 7 BGBl. I 2009 S. 2542. 8 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR II, Naturschutzrecht nach der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, Einführung, Rn. 1. 9 BT-Drs. 16/12785, S. 1; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR II, Naturschutzrecht nach der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, Einführung, Rn. 2.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

II. Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien in mitgliedstaatliches Recht Um die aktuelle Umsetzung von Vorschriften der FFH-Richtlinie in Deutschland beurteilen zu können, ist es notwendig, vorab die Kriterien, die an die Umsetzung von Richtlinien im Allgemeinen bzw. an die Umsetzung der FFH-Richtlinie im Besonderen gestellt werden, zu untersuchen. 1. Allgemeine Anforderungen Europäische Richtlinien sind gemäß Art. 288 UAbs. 3 AEUV durch ihre Verbindlichkeit hinsichtlich des zu erreichenden Ziels gekennzeichnet, wohingegen die Wahl der Form und Mittel dazu den Mitgliedstaaten überlassen ist. Dadurch besitzen Richtlinien grundsätzlich keine unmittelbare innerstaatliche Geltung, sondern bedürfen nach ihrem Erlass noch der Umsetzung durch einen innerstaatlichen Rechtsakt seitens des Mitgliedstaats. Dieser ist zur vollständigen und genauen Umsetzung des Richtlinieninhalts innerhalb einer bestimmten, in der Richtlinie festgelegten Frist verpflichtet.10 Kommt der Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur Umsetzung nicht nach, so kann sich ein Einzelner dennoch ausnahmsweise auf die Richtlinienvorschrift berufen, wenn die Umsetzungsfrist abgelaufen ist und die Richtlinie in ihrem Inhalt unbedingt sowie hinreichend bestimmt ist.11 Für die FFHRichtlinie wurden diese Voraussetzungen bejaht, sodass nach der Feststellung der Europarechtswidrigkeit der deutschen Regelungen durch den EuGH die Richtlinienvorschriften direkt angewendet werden konnten.12 Im Hinblick auf den Umsetzungsakt einer Richtlinie seitens des Mitgliedstaats wird die Einhaltung des Grundsatzes der Effektivität gefordert: Danach muss die verbindliche Geltung des Richtlinieninhalts gewährleistet sein.13 Den Ausführungen des EuGH zufolge „erfordert die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht nicht notwendig eine förmliche und wörtliche Übernahme ihrer Bestimmungen in eine ausdrückliche, besondere Gesetzesvorschrift; je nach dem Inhalt der Richtlinie kann hierzu ein allgemeiner rechtlicher Kontext genügen, wenn dieser tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie mit hinreichender Klarheit

10 Vgl. EuGH, Urt. v. 18. 12. 1997, Rs. C-129/96 Slg. 1997, I-7411, Rn. 40 – Inter-Environnement Wallonie ASBL; Haag, in: Bieber/Epiney/Haag, EU, § 6 Rn. 31 ff.; Hobe, Europarecht, § 10 Rn. 28; Streinz, Europarecht, Rn. 478 ff. 11 Zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien vgl. z. B. Hobe, Europarecht, § 10 Rn. 30; Müggenborg/Duikers, NVwZ 2007, 623 ff.; Nettesheim, in: Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9Rn. 100 ff. 12 Vgl. BVerwGE 125, 116 (316 ff.); 126, 166 (176 f.); LANA-Hinweise 2006, S. 2; Lütkes, ZUR 2006, 513 (517); Möckel, ZUR 2008, 57 (57 f.). 13 EuGH, Urt. v. 08. 04. 1976, Rs. C-48/75, Slg. 1976, I-497, Rn. 69/73 – Royer; Epiney, NVwZ 2000, 36 (38 f.); Hilf, EuR 1993, 1 (12 ff.); Himmelmann, DÖV 1996, 145 (146).

II. Umsetzung von EU-Richtlinien in mitgliedstaatliches Recht

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und Genauigkeit gewährleistet …“14 Bloße Verwaltungspraktiken genügen diesen Anforderungen nicht.15 Es ist zu verlangen, dass die die Richtlinie umsetzenden Vorschriften unzweifelhaft verbindlich und so konkret, bestimmt und klar sind, dass sie dem Erfordernis der Rechtssicherheit genügen.16 Umsetzungsprobleme und -defizite können insbesondere aus konzeptionellen Unterschieden zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem deutschen Recht, wegen unterschiedlicher Bedeutung des Verfahrensrechts und des Rechtsschutzes, wegen zu detaillierter europäischer Regelungen, unzulänglicher Umsetzungsinstrumente oder unzureichender Nutzung letzterer entstehen.17 2. Umsetzungsmaßstäbe der FFH-Richtlinie Auch Artt. 12 – 16 FFH-RL geben den Mitgliedstaaten Ziele vor und belassen ihnen einen Gestaltungsspielraum im Hinblick auf die Art und Weise der Zielerreichung. Auf die Vorgaben des Artenschutzregimes der Richtlinie wird noch genau eingegangen. Vorab soll noch auf einige Aspekte des Gestaltungsspielraums und dessen Grenzen hingewiesen werden, um an späterer Stelle die deutsche Umsetzung anhand dieses Maßstabs beurteilen zu können. Die materiellen Regelungen zum Artenschutz sind unbedingt verpflichtend. Die spezifische Terminologie und in der Richtlinie enthaltene Konzepte müssen bei der Umsetzung beachtet werden und es dürfen keine weiteren inhaltlichen Bedingungen oder Abweichungen hinzugefügt werden.18 Ein Gestaltungsspielraum besteht – entsprechend den allgemeinen Grundsätzen – nicht bezüglich des „Ob“, sondern lediglich bezüglich des „Wie“ der Richtlinienumsetzung. Jedoch ist auch dieser Gestaltungsspielraum nicht frei von Einschränkungen: Grenzen ergeben sich zunächst aus den Zielen der FFH-Richtlinie19 : Die Staaten müssen ihren Spielraum am Maßstab der Ziele der Richtlinie ausfüllen, insbesondere im Einklang mit dem angestrebten Vorhaben, einen günstigen Erhaltungszustand zu erreichen (Art. 2 Abs. 2 FFH-RL). Sie müssen verhältnismäßige und 14 EuGH, Urt. v. 28. 02. 1991, Rs. C-131/88, Slg. 1991, I-825, Rn. 6 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland. 15 St. Rspr. des EuGH, z. B. Urt. v. 02. 05. 1996, Rs. C-311/95, Slg. 1996, I-2433, Rn. 7 – Kommission/Griechenland; Urt. v. 11. 11. 1999, Rs. C-315/98, Slg. 1999, I-8001, Rn. 10 – Kommission/Italien. 16 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 30. 05. 1991, Rs. C-59/89, Slg. 1991, I-2607, Rn. 24 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland; Urt. v. 08. 10. 1996, Rs. C-178/94 u. a., Slg. 1996, I-4845, Rn. 48 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland; Urt. v. 19. Mai 1999, Rs. C-225/ 97, Slg. 1999, I-3011, Rn. 37 – Kommission/Frankreich; Urt. v. 17. 05. 2001, Rs. C-159/99, Slg. 2001, I-4007, Rn. 32 – Kommission/Italien. 17 Hansmann, in: FS Sellner, S. 107 (108 f.). 18 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.1.; vgl. auch Hansmann, in: FS Sellner, S. 107 (111). 19 Dazu s. D.III.1.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

angemessene Maßnahmen ergreifen; den Anforderungen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie lokalen Besonderheiten muss Rechnung getragen werden (Art. 2 Abs. 3 FFH-RL).20 Die Kommission betont zudem die Notwendigkeit eines artspezifischen Ansatzes. Die Erfordernisse der einzelnen schutzbedürftigen Arten können stark voneinander abweichen. Es gilt daher stets, die betroffene Art und die jeweiligen Umstände zu berücksichtigen und in dieser Hinsicht flexible Maßnahmen zu ergreifen.21 Um effektiv zu wirken, reicht eine förmliche Umsetzung in der Art einer Übernahme des Wortlauts der europäischen Vorschriften nicht unbedingt aus: Auch (artspezifische) Durchsetzungsmechanismen können notwendig sein, um das angestrebte Schutzniveau tatsächlich zu gewährleisten.22 Neben reinen Verbotsmaßnahmen können zudem präventive Maßnahmen erforderlich werden, wenn Verbote zur Erreichung der Ziele nicht genügen.23 Ebenfalls erforderlich ist eine wirksame Durchsetzung der statuierten Verbotsmaßnahmen.24 Nicht erforderlich ist, dass neue Strukturen im mitgliedstaatlichen Rechtssystem etabliert oder neue Genehmigungsverfahren eingeführt werden. Ausreichend (aber auch erforderlich) ist es, dass die Mitgliedstaaten ihre bestehenden Verfahren den europäischen Vorgaben anpassen.25 Diese Art der Umsetzung ist im Hinblick auf ein einheitliches und transparentes nationales Recht zu bevorzugen.26 Theoretisch steht den Mitgliedstaaten schließlich – obwohl regelmäßig kein politisches Interesse daran besteht – die Möglichkeit offen, strengere Artenschutzmaßnahmen zu ergreifen; gemäß Art. 193 AEUV sind sie durch die FFH-Richtlinie nicht daran gehindert.

III. Auslegungsfaktoren der FFH-Richtlinie Die materiellen Erfordernisse der mitgliedstaatlichen Umsetzung einer Richtlinie im Allgemeinen sowie der FFH-Richtlinie im Besonderen hängen von den Vorgaben der Richtlinie ab, die zunächst ausgelegt werden müssen. Die Auslegung europäischer Vorschriften ist derjenigen nationaler Vorschriften zwar im Wesentlichen ähnlich, die Auslegungsmethoden werden aber anders ge-

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Europäische Kommission, Leitfaden, sub I.2.4.b) und II.2.2. Europäische Kommission, Leitfaden, sub I.2.4.b). 22 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.1. 23 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.2.3. 24 Vgl. EuGH, Urt. v. 30. 01. 2002, Rs. C-103/00, Slg. 2002, I-1147, Rn. 35 ff. – Kommission/Hellenische Republik. 25 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.2.1. 26 So auch Hansmann, in: FS Sellner, S. 107 (117 ff.). 21

III. Auslegungsfaktoren der FFH-Richtlinie

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wichtet und um spezielle europarechtliche Institute ergänzt.27 Im Hinblick auf die Wortlautauslegung besteht die Besonderheit, dass – anders als im nationalen Recht – eine Bandbreite von sprachlichen Fassungen maßgeblich ist. Die Auslegung erfolgt nach allen Fassungen, die in einer Gesamtschau zusammen zu betrachten sind; bei unauflösbaren sprachlichen Konflikten sind die anderen Interpretationsmethoden heranzuziehen.28 Die systematische Auslegung erfolgt auf verschiedenen Ebenen: Zum einen kann der Aufbau innerhalb einer Norm, zum anderen deren Stellung im Gesamtgefüge (einer Richtlinie oder sonstigen europäischen Vorschrift) ebenso wie der Zusammenhang mit primärrechtlichen Grundsätzen oder auch ungeschriebenen Prinzipien entscheidend sein.29 Bei der Auslegung von Richtlinien kommt insbesondere ihren Zielen Bedeutung zu – hinsichtlich der FFH-RL ist daher auch Art. 2 FFH-RL für die Auslegung der einzelnen Habitat- und Artenschutzvorschriften maßgeblich.30 Von besonderer Relevanz ist die teleologische Auslegung europäischer Rechtsvorschriften. In diesem Zusammenhang stellt der EuGH entscheidend auf den „Geist der Verträge“ ab; es geht um den objektiven Sinn und Zweck der Verträge, nicht um die subjektiven Ziele der Vertragsparteien.31 Im Rahmen der Auslegung von Richtlinien sind nach dem Regelungszweck auch die Rechtsgrundlage und die Zielsetzungen zu berücksichtigen32 – insoweit gibt es Überschneidungen mit der systematischen Auslegung. Dabei kommt der Effektivitätsgrundsatz („effet utile“) – der auch für die Umsetzung von Richtlinien bedeutsam ist33 – zum Tragen: Die Regelungen sind so auszulegen, dass die Norm weitestmögliche Nutzungswirkung entfalten kann.34 Im Umweltrecht folgt daraus zumeist

27 Dietrich/Au/Dreher, Umweltrecht der EG, S. 44.; Nettesheim, in: Oppermann/Classen/ Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 165 ff.; Streinz, Europarecht, § 8 Rn. 614. 28 EuGH, Urt. v. 27. 10. 1977, Rs. C-30/77, Slg. 1977, 1999, Rn. 13/14 – Bouchereau; Urt. v. 20. 11. 2003, Rs. C-152/01, Slg. 2003, I-13821, Rn. 32 f. – Kyocera; Hager, Rechtsmethoden, 6. Kap., Rn. 6; Nettesheim, in: Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 171; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 110. 29 Vgl. EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006, Rs. C-499/04, Slg. 2006, I-2397 Rn. 32 – Werhof; Urt. v. 21. 03. 1991, Rs. C-314/89, Slg. 1991, I-1647, Rn. 17 – Rauh; Dietrich/Au/Dreher, Umweltrecht der EG, S. 45; Hager, Rechtsmethoden, 6. Kap., Rn. 7; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 111, weist außerdem darauf hin, dass die Relation der RL im Europäischen Umweltrecht zu dem Gesamtkomplex nicht besonderes gehaltvoll ist, da es sich um einzelne punktuelle Regelungen und nicht um ein umfassend kodifiziertes Gebiet handelt. 30 Vgl. Europäische Kommission, Leitfaden, sub 1.2.1. 31 Vgl. EuGH, Urt. v. 05. 02. 1963, Rs. C-26/62, Slg. 1963, 3 – Van Gend & Loos; Dietrich/ Au/Dreher, Umweltrecht der EG, S. 45; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 111. 32 Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 12. 1985, Rs. C-290/84, Slg. 1985, 3909, Rn. 30 f. – Mainfrucht Obstverwertung; Bleckmann, RIW 1987, 929 (931 f.); Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 111. 33 Vgl. D.II.1. 34 Dietrich/Au/Dreher, Umweltrecht der EG, S. 47; Nettesheim, in: Oppermann/Classen/ Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 178; vgl. auch Streinz, Europarecht, § 8 Rn. 614.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

eine umweltschutzfreundliche Auslegung.35 Ein allgemeiner „Grundsatz des bestmöglichen Umweltschutzes“ im Sinne eines vor dem Gesetz liegenden Prinzips kann indes mangels einer ausdrücklichen Stütze im Unionsrecht nicht angenommen werden.36 Von geringerer Bedeutung ist die historische Auslegung der FFH-RL: Diese kann nur als ergänzendes Hilfsmittel die Ergebnisse der anderen Auslegungsmethoden bestätigen. 37 Während in der späteren Arbeit im Rahmen der Analyse jeder einzelnen Vorschrift ihr Wortlaut und die Systematik innerhalb der einzelnen Normen beleuchtet wird, sollen vorab die für alle Vorschriften geltenden Ziele der Richtlinie sowie ihr Aufbau und ihre Gesamtsystematik erörtert werden, die für die systematische und auch teleologische Auslegung von Bedeutung sind. Dazu sind im Folgenden die Ziele der FFH-Richtlinie sowie ihr innerer Aufbau bzw. ihre Systematik zu untersuchen. 1. Ziele der Richtlinie Die Richtlinie bezweckt die Vereinheitlichung der naturschutzrechtlichen Maßnahmen der Mitgliedstaaten, um durch die koordinierte Naturschutzpolitik einen wirkungsvolleren Schutz zu erreichen sowie Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedlich hohe Voraussetzungen der naturschutzrechtlichen Regelungen zu vermeiden.38 Dazu gibt die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie mit ihrer Rechtsnatur als Richtlinie konkrete verbindliche Ziele vor, wohingegen die Wahl der Art und Weise der Umsetzung gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV den Mitgliedstaaten überlassen ist.39 Die grundsätzliche Zielrichtung der Richtlinie bezieht sich auf die Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat, Art. 2 Abs. 1 FFH-RL. Da die Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der wildlebenden Tiere und Pflanzen instrumental als Adverbial („durch die Erhaltung …“) bestimmt, also als Mittel zur Erreichung der Sicherung der Artenvielfalt gesehen wird, lässt sich letztere als Hauptziel der Richtlinie be35 Vgl. Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 112; vgl. auch Epiney, Umweltrecht der EU, S. 173 f. 36 So aber entwickelt von Zuleeg, NVwZ 1987, 280 (283 ff.); zustimmend etwa Wiegand, DVBl 1993, 533 ff.; wie hier: Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 168 ff.; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 191 AEUV Rn. 122; Schröder, in: Rengeling, EUDUR I, § 9 Rn. 63 ff. 37 Dietrich/Au/Dreher, Umweltrecht der EG, S. 46; vgl. auch Nettesheim, in: Oppermann/ Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rn. 174 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 110 m.w.N. 38 Begründung des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine FFH-Richtlinie, BRDrs. 445/88, S. 1; Bader/May, EG und Naturschutz, S. 73; Kues, Lebensraumschutz, S. 4; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 33 f. 39 Dazu s. D.II.1.

III. Auslegungsfaktoren der FFH-Richtlinie

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trachten.40 Dies betont auch Erwägungsgrund 3 der Begründung der Richtlinie, in der als Hauptziel genannt wird, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern. Unter diese fällt auch die Artenvielfalt.41 Die Präambel der Richtlinie entfaltet zwar keine Rechtsverbindlichkeit, kann (und sollte) aber als Auslegungshilfe Beachtung finden.42 Die Erhaltung der Lebensräume und der wildlebenden Tiere und Pflanzen wird als dem Hauptziel (also der Sicherung der Artenvielfalt) dienendes und damit untergeordnetes Zwischenziel genannt. Trotzdem ist sie nicht zu vernachlässigen. Insbesondere knüpft Art. 2 Abs. 2 FFH-RL an die Erhaltung der Lebensräume und der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten an: In Art. 2 Abs. 2 FFH-RL werden die Ziele der aufgrund der Richtlinie getroffenen Maßnahmen bestimmt, die in der Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse liegen sollen. Das Ziel der „Erhaltung“ wird hier konkretisiert. Zudem erfolgt eine Einschränkung auf den Schutz der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse. Zwischen den Zielen der Richtlinie und den Zielen der aufgrund der Richtlinie getroffenen Maßnahmen ist also zu unterscheiden. Als primäres Ziel wird die Sicherung der Artenvielfalt genannt, zu der die Erhaltung der Lebensräume und der wildlebenden Tiere beitragen soll. Diese wiederum soll durch Maßnahmen erfolgen, die die Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands bezwecken (und damit auch der Erhaltung allgemein dienen). Die Richtlinie hält dafür eigene Definitionen der Begriffe „Erhaltung“ und „günstiger Erhaltungszustand“ in Art. 1 FFH-RL bereit. Gemäß Art. 1 lit. a FFH-RL umschreibt der Begriff der Erhaltung alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um die natürlichen Lebensräume und die Populationen wildlebender Tier- und Pflanzenarten in einem günstigen Zustand zu erhalten oder diesen wiederherzustellen. „Erhaltung“ ist damit nicht rein konservativ als Bewahrung des Ist-Zustandes zu sehen. Vielmehr legt der Gebrauch des Verbs „wiederherstellen“ nahe, dass auch aktive Maßnahmen zu Verbesserung des Ist-Zustandes erforderlich sein können.43

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In diesem Punkt soll nicht weiter zwischen biologischer Vielfalt und Artenvielfalt unterschieden werden. Es wird aber darauf hingewiesen, dass andere Sprachfassungen den Begriff der weiter gefassten „biologischen Vielfalt“ verwenden, vgl. dazu Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 113, der demnach die Erhaltung der biologischen Vielfalt als Hauptziel ansieht. 41 Vgl. die Definition in Art. 2 CBD: Danach umfasst die biologische Vielfalt „die Vielfalt innerhalb der Arten und zwischen den Arten und die Vielfalt der Ökosysteme“, dazu Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 40 m.w.N. 42 Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 02. 1991, Rs. C-57/89, Slg. 1991, I-883, Rn. 21 – Kommission/ Bundesrepublik Deutschland; Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.2.1. 43 Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 74.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Der günstige Erhaltungszustand einer Art ist in Art. 1 lit. i FFH-RL definiert.44 Danach umfasst der Erhaltungszustand einer Art die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten auswirken können. Dieser Erhaltungszustand ist dann als günstig anzusehen, wenn drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Erstens muss aufgrund der Daten über die Populationsdynamik anzunehmen sein, dass die Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraums, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird; zweitens darf das natürliche Verbreitungsgebiet der Art in absehbarer Zeit vermutlich nicht abnehmen und drittens muss ein genügend großer Lebensraum (weiterhin) vorhanden sein, um langfristig ein Überleben der Populationen der Art zu sichern. Für die Bewertung eines Erhaltungszustands als „günstig“ bedarf es damit einer fachlichen Prognose der zukünftigen Entwicklung hinsichtlich der Populationsdynamik, des natürlichen Verbreitungsgebiets, des Lebensraums und der Überlebensaussichten der Art.45 Auch diese Terminologie ist präzisierungsbedürftig: Das natürliche Verbreitungsgebiet umfasst „das gesamte Land- und Wassergebiet, in dem eine Art zu irgendeiner Zeit lebt, sich vorübergehend aufhält, es durchquert oder überfliegt“.46 Entscheidend ist, dass die Fläche des natürlichen Verbreitungsgebiets über tatsächlich besetzte Territorien oder Flächen mit permanentem Vorkommen der Art hinausgeht.47 Neben diesen Zielen i. e.S. definiert Art. 2 Abs. 3 FFH-RL Berücksichtigungsgebote für die aufgrund der Richtlinie getroffenen Maßnahmen: Bedacht werden sollen danach die Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie regionale und örtliche Besonderheiten. Art. 2 Abs. 3 FFH-RL stellt keine eigenständige Abweichungsregelung dar,48 sondern kann im Rahmen der Umsetzung der sich aus Artt. 12 ff. FFH-RL ergebenden Verpflichtungen an verschiedenen Stellen zum Einsatz kommen und als Orientierungshilfe dienen.49 Es handelt sich daher um ein Abwägungsgebot, nicht um eine Pflicht zur strikten Beachtung der Belange. Eine solche Abwägung kann nur stattfinden, wo die Richtlinienbestimmungen Raum für eine solche lassen – anderenfalls ist die Abwägung bereits durch den Gemeinschaftsgesetzgeber vorgenommen worden.50 44 Auf den günstigen Erhaltungszustand eines natürlichen Lebensraums, der auch zur Zielsetzung des Art. 2 FFH-RL gehört und in Art. 1 lit. e FFH-RL definiert ist, soll hier nicht näher eingegangen werden. 45 Vgl. Europäische Kommission, Leitfaden, sub I.2.2. 46 So Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 74, und Künkele, NuR 1988, 334 (336) unter Rückgriff auf Art. 1 Nr. 1 lit. f CMS. 47 Europäische Kommission, Leitfaden, sub I.2.2. 48 So ausdrücklich zur entsprechenden Vorschrift des Art. 2 Vogelschutz-RL EuGH, Urt. v. 08. 07. 1987, Rs. C-247/85, Slg. 1987, 3029, Rn. 8 – Kommission/Königreich Belgien; Urt. v. 28. 02. 1991, Rs. C-57/89, Slg. 1991, I-883, Rn. 22 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland. 49 Vgl. Europäische Kommission, Leitfaden, sub I.2.1. 50 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 120 ff.

III. Auslegungsfaktoren der FFH-Richtlinie

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2. Aufbau und Systematik der Richtlinie Ihrem Namen entsprechend beinhaltet die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie Regelungskomplexe zum Schutz der Lebensräume von Tieren und Pflanzen (Artt. 3 – 11 FFH-RL) ebenso wie zum Schutz der Arten selbst (Artt. 12 – 16 FFH-RL). Diese Regelungssysteme sollen gemeinsam dazu beitragen, die Ziele der Richtlinie zu erreichen, namentlich die biologische Vielfalt durch Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten zu sichern (vgl. Art. 2 Abs. 1 und 2 FFHRL).51 Vorweg werden mit Geltung für beide Regelungskomplexe Begriffsbestimmungen gegeben (Art. 1 und Art. 2 FFH-RL). Schließlich enthält die Richtlinie noch einzelne Bestimmungen zu Informationspflichten, zur Forschungsförderung, zur Wiederansiedlung bedrohter Arten sowie weitere ergänzende Verfahrens- und Schlussvorschriften (Artt. 17 – 23 FFH-RL). In sechs Anhängen unterscheidet sie abschließend Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse, Kriterien zur Auswahl der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, streng zu schützende Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse sowie verbotene Methoden und Mittel des Fangs, der Tötung und Beförderung, auf die jeweils unterschiedliche Vorschriften des Habitatoder Artenschutzregimes Anwendung finden. Umstritten im Hinblick auf den inneren Aufbau der Richtlinie ist das Verhältnis von Habitatschutz und Artenschutz. Vertreten wird sowohl, dass die Regelungen zum Habitatschutz spezieller und damit vorrangig seien,52 als auch das Gegenteil, dass die Regelungen zum Artenschutz als spezieller anzusehen seien.53 Zuzugeben ist, dass der Habitatschutz in erheblichem Maße dem Artenschutz dient.54 Trotzdem sind die beiden Schutzkomplexe in der Richtlinie als eigene Systeme unabhängig voneinander mit jeweils eigenen Voraussetzungen ausgestaltet. Keines der Schutzsysteme ist in seinen Voraussetzungen oder Rechtsfolgen von dem anderen vollständig mit umfasst. Um einen lückenlosen Schutz gewährleisten zu können, müssen die beiden Systeme nebeneinander zur Anwendung gelangen:55 Dies erklärt sich mit Blick auf das Ziel der Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes und vor dem Hintergrund, dass im Sinne des Effektivitätsgrundsatzes die Regelungen weitestmögliche Nutzungswirkung entfalten können sollen. Arten, die sowohl in Anhang II als auch in Anhang IV genannt sind, sollen von beiden Schutzsystemen profitieren 51

Europäische Kommission, Leitfaden, sub I.2. Dolde, NVwZ 2008, 121 (125); dabei wird zumeist noch weiter danach differenziert, ob die betroffene Art ausschließlich in Anhang IV oder zugleich auch in Anhang II der FFH-RL enthalten ist, so ausdrücklich Gellermann, NuR 2003, 385 (394); Philipp, NVwZ 2008, 593 (595); Trautner u. a., Geschützte Arten, S. 22 ff. 53 Kador, FFH-Richtlinie, S. 22 f. 54 Storost, DVBl 2010, 737 (737); s. dazu D.III.1. 55 Europäische Kommission, Leitfaden, sub I.2.3.b); Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 84 f.; Storost, DVBl 2010, 737 (737). 52

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

können.56 Es gilt zwar, eine Vermengung der beiden Systeme bzw. deren Anforderungen zu vermeiden.57 Das schließt aber nicht aus, dass bestimmte naturschutzfachliche Untersuchungen (z. B. eine Verträglichkeitsprüfung im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 und Art. 16 FFH-RL) nur einmal durchgeführt werden müssen und deren Ergebnisse parallel verwendet werden können.58 Es ist darauf zu achten, dass keine Wertungswidersprüche auftreten.59

IV. Umsetzung der Artenschutzbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz von 2010 Vor diesem Hintergrund sind im Folgenden die Vorschriften der FFH-Richtlinie zum Artenschutz und ihre deutschen Umsetzungsregelungen zu analysieren. Zu beachten ist dabei, dass die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung ein Umsetzungsdefizit ausschließt. Grenze der richtlinienkonformen Auslegung stellt indes die Gesetzesbindung des Richters an nationale Gesetze dar. Unions- und verfassungsrechtlich unzulässig ist eine Auslegung, die zwar den Richtlinienvorgaben entspricht, aber „contra legem“ des nationalen Rechts ist.60 Die artenschutzrechtlichen Vorgaben der Artt. 12 – 16 FFH-RL stellen einen zusammenhängenden Regelungskomplex dar: Artt. 12 und 13 FFH-RL befassen sich mit der Einführung von Schutzsystemen für die streng zu schützenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse nach Anhang IV der FFH-RL. Diese Regelungen stellen hohe Anforderungen an die Mitgliedstaaten. Art. 14 FFHRL enthält daneben weniger strenge Schutzvorschriften für weitere Tier- und Pflanzenarten (Anhang V FFH-RL) und belässt den Mitgliedstaaten einen größeren Gestaltungsspielraum. Überschneidungen der Arten mit denjenigen des Anhangs IV lit. a und lit. b, also den Arten, die den Schutzsystemen der Artt. 12 und 13 FFH-RL unterliegen, gibt es nicht.61 Art. 15 FFH-RL enthält weitere Vorgaben zum Schutz von Tierarten (beider Anhänge) und ergänzt damit Art. 12 und Art. 14 FFH-RL. Art. 16 FFH-RL stellt eine Ausnahmeregelung hinsichtlich der Anforderungen der Artt. 12 – 15 FFH-RL dar und steht dabei besonders mit den Verboten der Artt. 12 und 13 FFH-RL in engem Zusammenhang. 56

Vgl. Europäische Kommission, Leitfaden, sub I.2.3.b). Vgl. auch BVerwGE 131, 274 (291); Storost, DVBl 2010, 737 (737). 58 Europäische Kommission, Leitfaden, sub I.2.3.b); Gellermann/Schreiber, Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen, S. 82 f. 59 Europäische Kommission, Leitfaden, sub I.2.3.b); da solche Widersprüche das Hauptargument der Ansicht zum Vorrang des Habitatschutzes bei Erfassung einer Art von beiden Schutzsystemen ist, verringern sich die Unterschiede zwischen den beiden Ansichten. 60 EuGH, Urt. v. 04. 07. 2006, Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057, Rn. 110 – Adeneler; Urt. v. 15. 04. 2008, Rs. C-286/06, Slg. 2008, I-2483 Rn. 100 ff – Impact; Schroeder, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 128. 61 Eine Besonderheit bildet der Wolf (Canis lupus), der zwar in beiden Anhängen aufgeführt ist, aber jeweils hinsichtlich unterschiedlicher Populationen. 57

IV. Artenschutzbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz von 2010

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Die Umsetzung des Artenschutzregimes in das deutsche Recht befindet sich zum großen Teil in Kapitel 5 des BNatSchG (§§ 37 – 55 BNatSchG) zum Artenschutz, welches in sechs Abschnitte untergliedert ist. Der europarechtlich durch die FFH-RL und die VogelschutzRL geforderte Artenschutz ist z. T. im 2. Abschnitt, im Wesentlichen aber im 3. Abschnitt des 5. Kapitels (§§ 44 – 47 BNatSchG) umgesetzt: Der „Besondere Artenschutz“ regelt insbesondere Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote hinsichtlich der besonders geschützten Tier- und Pflanzenarten. Bedeutsam sind neben diesem Kapitel auch die Befreiungsmöglichkeit von artenschutzrechtlichen Verboten nach § 67 BNatSchG, die Beobachtungspflichten nach § 6 BNatSchG und die Vorschriften der BArtSchV. Bereits auf den ersten Blick ergeben sich Unterschiede des deutschen Regelungssystems im Hinblick auf das Artenschutzregime der FFH-RL in den Instituten bereits tatbestandlich vom Verbot ausgenommener Handlungen (§ 44 Abs. 4 – 6 BNatSchG) und der Befreiung (§ 67 BNatSchG) neben den Ausnahmemöglichkeiten (§ 45 BNatSchG). Dies ist nicht per se europarechtswidrig. Vielmehr ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn kein eigenes Gesetz zur Umsetzung einer Richtlinie geschaffen wird, sondern die Vorgaben in das bestehende Recht integriert werden, um Regelungszusammenhänge innerhalb des deutschen Rechts herzustellen und Widersprüche zu vermeiden.62 Nichtsdestoweniger bergen dem Europarecht unbekannte Rechtsinstitute die Gefahr von Umsetzungsdefiziten und sind dementsprechend kritisch auf ihre Europarechtskonformität hin zu prüfen. 1. Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich des Schutzsystems der Artt. 12 – 16 FFH-RL ist in sachlicher Hinsicht den jeweiligen Verboten i.V.m. den Anhängen der FFH-Richtlinie zu entnehmen: Das gemäß Art. 12 FFH-RL eingeführte Schutzsystem muss die in Anhang IV lit. a der Richtlinie aufgelisteten Tierarten umfassen, und zwar gemäß Art. 12 Abs. 3 FFH-RL in allen Lebensstadien. Genau betrachtet geht allerdings bereits die Definition des Exemplarbegriffs weiter; denn dieser umfasst gemäß Art. 1 lit. m FFH-RL „jedes Tier oder jede Pflanze – lebend oder tot – der in Anhang IV und Anhang V aufgeführten Arten, jedes Teil oder jedes aus dem Tier oder der Pflanze gewonnene Produkt sowie jede andere Ware, die aufgrund eines Begleitdokuments, der Verpackung, eines Zeichens, eines Etiketts oder eines anderen Sachverhalts als Teil oder Derivat von Tieren oder Pflanzen der erwähnten Arten identifiziert werden kann.“ Art. 12 Abs. 3 FFH-RL ist daher deklaratorischer Natur.63 Da auch die Zerstörung und Entnahme von Eiern verboten sind (Art. 12 Abs. 1 lit. c FFH-RL), erfährt sogar das ungeborene Leben schon einen gewissen Schutz. Die Liste der geschützten Arten ist lang und umfasst teilweise dieselben Arten wie Anhang II, d. h. dass für

62 63

Vgl. Hansmann, in: FS Sellner, S. 107 (117 ff.). Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 78.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

diese Arten ergänzend besondere Habitatschutzvorschriften bestehen.64 Für die übrigen Arten bilden die Vorschriften der Art. 12 ff. FFH-RL den einzigen Schutz. In räumlicher Hinsicht ist der Schutz des Art. 12 FFH-RL – anders als das Regime des Habitatschutzes – nicht auf die ausgewiesenen Gebiete des Netzes „Natura 2000“ beschränkt. Vielmehr erstrecken sich die Regelungen gemäß Art. 12 Abs. 1 FFH-RL auf die natürlichen Verbreitungsgebiete der Tierarten – unabhängig davon, ob sie sich in einem ausgewiesenen Schutzgebiet befinden oder auf sonstigem Terrain der Mitgliedstaaten.65 Für Art. 12 Abs. 2 FFH-RL hat als räumlicher Anwendungsbereich sinnvollerweise erst recht das gesamte Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates zu gelten. Ein Verbot der Weitergabe von Tieren kann nicht davon abhängen, ob sie auf Schutzgebiet oder natürlichem Verbreitungsgebiet einer Tierart stattfindet. Art. 13 FFH-RL bezieht sich auf die in Anhang IV lit. b FFH-RL genannten Pflanzenarten, und zwar ebenfalls gemäß Art. 13 Abs. 2 FFH-RL für alle Lebensstadien der Pflanzen. Der Anwendungsbereich des Artikels umfasst in räumlicher Hinsicht nach Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL die Verbreitungsräume der Pflanzen in der Natur. Für Art. 13 Abs. 1 lit. b FFH-RL gilt dasselbe wie für Art. 12 Abs. 2 FFHRL: Die Regelung erstreckt sich selbstverständlich auf das gesamte Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates. Der Schutzbereich des Art. 14 FFH-RL umfasst in sachlicher Hinsicht die in Anhang V der Richtlinie aufgezählten Arten. In räumlicher Hinsicht bezieht sich die Vorschrift insgesamt vom Telos her ebenso wie Artt. 12 und 13 FFH-RL auf das gesamte Gebiet der Mitgliedstaaten. Einzelne von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Art. 14 FFH-RL getroffene Maßnahmen können indes zeitlich oder örtlich begrenzt Anwendung finden. Die Entscheidung darüber fällt in den Ermessensspielraum des Mitgliedstaates. Art. 15 FFH-RL bezieht sich auf (Einzel)Fälle, in denen Fang und Tötung von Tieren erlaubt sind. Damit umfasst der Schutzbereich die Arten des Anhangs V lit. a FFH-RL sowie des Anhangs IV lit. a FFH-RL (im Falle einer Ausnahme gemäß Art. 16 FFH-RL). In räumlicher Hinsicht bestehen keine Beschränkungen, es handelt sich wieder um das ganze mitgliedstaatliche Gebiet. Die in den Anhängen IV und V aufgelisteten Tier- und Pflanzenarten sind als „Arten von gemeinschaftlichem Interesse“ gemäß Art. 1 lit. g FFH-RL tatsächlich oder potentiell bedroht, selten oder endemisch. Die Einordnung einer Art unter diese Kategorie und damit ihre Aufnahme in die Anhänge der Richtlinie erfordern eine naturschutzfachliche Beurteilung. Kritisiert wird allerdings, dass die Zusammensetzung der Anhänge nicht nur fachlich, sondern auch politisch geprägt und eine

64

Zum Verhältnis zwischen Habitatschutz und Artenschutz s. oben D.III.2. Eine Beschränkung besteht für die Iberische Kreuzotter (Vipera seoanni): Gemäß Anhang IV FFH-RL sind die spanischen Populationen aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen; vgl. Europäische Kommission, Leitfaden, sub I.2.2. 65

IV. Artenschutzbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz von 2010

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Unterschutzstellung weiterer Arten erforderlich sei.66 Im Gegenzug wird vorgebracht, dass unter den aufgelisteten Arten auch solche zu finden seien, die nicht gefährdet, sondern weit verbreitet sind.67 Solche Kritik betrifft primär den politischen Prozess der Aufnahme bestimmter Arten. Da der Richtliniengeber beim Erlass des Rechtsaktes gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum nutzen kann, wird die Aufnahme oder Nichtaufnahme bestimmter Arten in rechtlicher Hinsicht erst problematisch, wenn dadurch Verstöße beispielsweise gegen das Primärrecht drohen. Hinsichtlich der Aufnahme weit verbreiteter und nicht gefährdeter Arten in die Anhänge der FFH-RL käme ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemäß Art. 5 Abs. 4 EUV, dem die Maßnahmen der Union genügen müssen, in Betracht: An der Erforderlichkeit der Aufnahme einer Art zur Erreichung des Ziels der Erhaltung und Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes oder zumindest an der Verhältnismäßigkeit der Unterschutzstellung und der damit einhergehenden Verbote und Beschränkungen kann bei bereits festgestellter weiter Verbreitung der Art gezweifelt werden. Da allerdings Ziel der Unterschutzstellung zur Sicherung eines günstigen Erhaltungszustandes nicht nur tatsächlich bedrohte, sondern auch lediglich potentiell gefährdete, seltene oder endemische Arten sind, kann – auch unter Berücksichtigung des politischen Gestaltungsspielraums des Richtliniengebers – ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur in besonders gravierenden Fällen, in denen die Gefährdung der Art aufgrund ihrer weiten Verbreitung auch potentiell nicht denkbar ist, angenommen werden. Das Bundesnaturschutzgesetz übernimmt die europäischen Anwendungsbereiche: In räumlicher Hinsicht sind keine Grenzen festgelegt, die Ge- und Verbote des besonderen Artenschutzrechts, das die Vorgaben der FFH-RL umsetzt, gelten im gesamten Gebiet Deutschlands. Hinsichtlich des Schutzbereichs einschlägiger Verbote arbeitet das BNatSchG mit den Begriffen der besonders und der streng geschützten Arten, zu denen gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 13 lit. a und b bzw. Nr. 14 lit. b BNatSchG die Arten des Anhangs IV der FFH-RL gehören. Anders als die Verweisung in § 7 Abs. 1 Nr. 13 lit. a BNatSchG auf die EU-ArtenschutzVO nehmen die Verweisungen in § 7 Abs. 1 Nr. 13 lit. b und Nr. 14 lit. b BNatSchG nicht auf eine bestimmte Fassung der FFH-RL Bezug. Die Vorschriften sind somit als dynamische Verweisungen auf Anhang IV der FFH-RL zu verstehen. Die Verweisung auf andere Normen, auch solche eines anderen Gesetzgebers ist grundsätzlich zulässig.68 Unproblematisch gilt dies für statische Verweisungen, also solche auf eine bestimmte Fassung der in Bezug genommenen Vorschriften; im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz bergen demgegenüber dynamische Verweisungen – wie sie hier vorliegen – Probleme. Eine dynamische Verweisung ist nur verfassungskonform, wenn Inhalt und Reichweite der Verweisung durch die ver-

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Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 88. Wolf, ZUR 2006, 505 (506); vgl. auch Albigs/Haacks/Peschel, NuL 2003, 126 (126 f.). BVerfGE 26, 338 (366 f.); 47, 285 (311 ff.).

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

weisende Norm klar begrenzt werden.69 Aufgrund des Demokratieprinzips bzw. des Parlamentsvorbehalts dürfen wesentliche Entscheidungen zudem nicht anderen Stellen überlassen, sondern müssen durch den Gesetzgeber selbst getroffen werden.70 Erforderlich ist weiterhin, dass die in Bezug genommenen Vorschriften hinreichend publiziert wurden.71 Während diese Voraussetzungen in vielen Fällen (beispielsweise bei Verweisungen auf nichtstaatliche Normen) problematisch sind, werden Verweisungen auf Sekundärakte der Europäischen Union grundsätzlich für zulässig erachtet.72 Insbesondere die Publizität der Regelungen, auf die verwiesen wird, ist bei europäischen Rechtsakten durch die Veröffentlichung im Amtsblatt der EG regelmäßig gewährleistet73 – dies gilt auch für die FFH-RL einschließlich ihrer Anhänge. Zu prüfen bleibt die Verfassungsmäßigkeit der Verweisung auf den Anhang der FFH-RL hinsichtlich der übrigen Gesichtspunkte. Der Gesetzgeber hat die dynamische Verweisung im Bundesnaturschutzgesetz auf den Anwendungsbereich der Verbotsnormen im Hinblick auf die Schutzobjekte, namentlich die geschützten Arten begrenzt. Alle weiteren Entscheidungen über Inhalt und Reichweite der Verbotstatbestände hat er – zur Umsetzung der Richtlinie in Anlehnung an diese – selbst getroffen und explizit normiert.74 Insofern werden dem europäischen Gesetzgeber keine Regelungsbefugnisse überlassen, die durch den nationalen Gesetzgeber auszuüben wären. Die Liste der zu schützenden Arten wäre im nationalen Recht zur Umsetzung der Richtlinienvorgaben auch ohne eine Verweisung stets zu übernehmen. Ein Verstoß gegen das Demokratie- oder Rechtsstaatsprinzip ist diesbezüglich folglich nicht ersichtlich. Der Bereich, auf den sich die Verweisung bezieht, ist als schlichte Aufzählung der Schutzobjekte klar umgrenzt und mit der Angabe der Richtlinienanhänge eindeutig beschrieben. Lediglich diese Liste kann erweitert oder gekürzt werden; auf möglicherweise inhaltlich neue Regelungen in Form neuer Ver- oder Gebote bezieht sich die Verweisung nicht. Ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz liegt daher ebenfalls nicht vor. Die dynamische Verweisung ist mithin verfassungsrechtlich unter keinem Gesichtspunkt zu beanstanden. Durch diese Gesetzestechnik wird schließlich im Sinne einer effektiven Umsetzung sichergestellt, dass auch Änderungen der Anhänge im 69 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290; vgl. auch Schenke, NJW 1980, 743 (748 f.). 70 Vgl. BVerfGE 26, 338 (366 f.); 64, 208 (214 f.). 71 Ausführlich zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer dynamischen Verweisung Brugger, VerwArch 78 (1987), 1 (5 ff.); Clemens, AöR 111 (1986), 63 (83 ff.). 72 Klindt, DVBl 1998, 373 (377 ff.); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290; vgl. auch Clemens, AöR 111 (1986), 63 (93). 73 Klindt, DVBl 1998, 373 (377 f.); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290; vgl. auch Clemens, AöR 111 (1986), 63 (93). 74 Vgl. zu den einzelnen Verboten im Folgenden ab D.IV.2.

IV. Artenschutzbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz von 2010

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deutschen Recht unmittelbar übernommen werden.75 Sie trägt zur Gewährleistung der Europarechtskonformität mithin bei. Allerdings verstärkt die Verweisung auf Anhang IV der FFH-RL, welcher die Arten allein in den lateinischen Fachtermini aufführt, auch das Risiko eines mangelhaften Vollzugs der europäischen Vorgaben, da dem Rechtsanwender das Verständnis der ihn betreffenden rechtlichen Situation erschwert wird.76 Dieses Problem ist allerdings im europäischen Recht bereits angelegt und daher kein Problem, das einer fehlerhaften Umsetzung anzulasten wäre. Die denkbare Alternative, die Listen national zu übernehmen und im Hinblick auf die deutschen Begriffe zu ergänzen (wie dies für andere unter Schutz gestellte Arten in der Bundesartenschutzverordnung geschehen ist), trägt zur Übersichtlichkeit nur in begrenztem Maße bei und birgt insbesondere das Risiko einer mangelhaften Umsetzung für den Fall, dass eine Änderung der Anhänge nicht rechtzeitig erkannt und übernommen wird. Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 lit. b BNatSchG sind vom Begriff eines Tieres auch dessen Entwicklungsformen umfasst. Die exemplarbezogenen Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG sind im Hinblick auf den Schutz der Entwicklungsformen daher – ebenso wie auf europäischer Ebene Art. 12 Abs. 3 FFH-RL – deklaratorischer Natur.77 Zur Gewährleistung der Europarechtskonformität ist dies nicht erforderlich. Die Arten des Anhangs V der FFH-RL sind nicht in § 7 Abs. 1 Nr. 13 oder 14 BNatSchG aufgeführt, gehören also nicht zu den besonders oder streng geschützten Arten, auf die sich die Verbote der §§ 44 ff. BNatSchG beziehen. Sie unterliegen allerdings auch nicht dem strengen Verbotsregime der Artt. 12, 13 FFH-RL. Ob die auf die Arten des Anhangs V FFH-RL bezogenen Vorgaben eingehalten werden, wird im Rahmen der Prüfung der Umsetzung der Vorgaben im Einzelnen erläutert. 2. Einführung eines Schutzsystems für bestimmte Tierarten gemäß Art. 12 FFH-RL In Art. 12 FFH-RL wird den Mitgliedstaaten die Pflicht auferlegt, ein System zu etablieren, mit dem bestimmte Verhaltensweisen gegenüber Tieren systematisch unterbunden werden. Dazu gehören Fang oder Tötung der Tiere sowie unterschiedliche Störungen der Tiere und ihrer Lebensstätten (Abs. 1). Ergänzt werden diese Zugriffsverbote durch Besitz- und Vermarktungsverbote (Abs. 2). Auch wenn die Mitgliedstaaten nach dem Wortlaut des Art. 12 FFH-RL zur Einführung eines entsprechenden Schutzsystems unbedingt verpflichtet sind, wird ihnen ein gewisser Handlungsspielraum bezüglich der Art der „notwendigen Maß75

Vgl. allgemein Klindt, DVBl 1998, 373 (380). Vgl. Wolf, ZUR 2006, 505 (508). 77 Louis, NuR 2012, 467 (468); Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 44 Rn. 13, denen indes die Aufnahme der Entwicklungsformen in den Kreis der Schutzgüter aus Gründen der Normenklarheit sinnvoll erscheint. 76

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nahmen“ für die Einführung des strengen Schutzsystems belassen.78 Die Kommission führt aus, dass darunter „alle kohärenten und koordinierten Maßnahmen mit präventivem Charakter“ zu verstehen seien,79 was die Anforderungen zwar etwas konkretisiert, aber immer noch einen weitreichenden Interpretations- und damit Ausgestaltungsspielraum offen lässt. Die durch die Mitgliedstaaten umzusetzenden Verbote werden hingegen in der Richtlinie genauer bestimmt. Zu beachten ist, dass die notwendigen Maßnahmen je nach Art differieren können („artbezogener Ansatz“): Unterschiede im Erhaltungszustand, in den Lebensräumen und Lebensraumansprüchen der einzelnen Arten lassen keine einheitliche, schematische Betrachtung zu.80 a) Fang- und Tötungsverbot Die erheblichsten Formen der Beeinträchtigung einer Tierart, Fang und Tötung von Exemplaren der geschützten Art, stehen an erster Stelle des europäischen und deutschen artenschutzrechtlichen Verbotsregimes. Die Tatbestandsvoraussetzungen bergen auf den ersten Blick wenig Konfliktpotential im Rahmen der Auslegung. Tatsächlich bereitet eine europarechtskonforme und zugleich den Bedürfnissen von Wirtschaft und Gesellschaft gerecht werdende Umsetzung jedoch erhebliche Probleme. aa) Die europäischen Vorgaben Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL postuliert das Verbot aller absichtlichen Formen des Fangs und der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren der geschützten Tierarten. Der Verbotstatbestand knüpft bereits an das Töten bzw. Fangen eines einzelnen Exemplars an – unabhängig von den tatsächlichen Auswirkungen auf die Population bzw. den Erhaltungszustand der Art.81 Damit werden mögliche Bedrohungen für die Population und den Erhaltungszustand einer Art82 entsprechend den Zielen der Richtlinie frühestmöglich verhindert. Sachlich oftmals komplizierte Beweise möglicher Kausalzusammenhänge einer Beeinträchtigung sind daher im Rahmen des Verbotstatbestandes nicht erforderlich. Eine für die gesamte Richtlinie geltende Legaldefinition des Begriffs „Exemplare“ enthält Art. 1 lit. m FFH-RL – für das Fang- und Tötungsverbot enthält die Definition allerdings keine relevanten zusätzlichen Vorgaben. Erfasst werden nur 78

Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 217 f. Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.2.1. 80 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.2.3.; Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (348). 81 Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (348); vgl. auch Mayr/Sanktjohanser, NuR 2006, 412 (417); Wolf, ZUR 2006, 505 (506). 82 Vgl. Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.1. 79

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„aus der Natur entnommene“ Exemplare. Ausgeschlossen sind damit solche, die von vornherein von Menschen gehalten wurden bzw. gezüchtet sind. Davon abgesehen ist der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL durch die Anknüpfung bereits an den Fang oder die Tötung einzelner Exemplare weit ausgedehnt.83 Die einzig relevante Eingrenzung erfährt der strenge Verbotstatbestand durch die Beschränkung auf absichtliche Handlungen, die sich sowohl auf den Fang als auch auf die Tötung der Tiere bezieht.84 Der zu Beginn noch nicht näher konturierte Absichtsbegriff ist mittlerweile durch den EuGH definiert worden. Danach liegt Absicht vor, „wenn nachgewiesen ist, dass der Handelnde den Fang oder die Tötung eines Exemplars einer geschützten Tierart gewollt oder zumindest in Kauf genommen hat.“85 Die Kommission legt den Absichtsbegriff mindestens ebenso extensiv aus, wobei sie Aussagen aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entsprechend interpretiert. Absichtlich soll eine Person handeln, „die angesichts der für die betreffende Art geltenden einschlägigen Rechtsvorschriften und aufgrund der allgemeinen Unterrichtung der Öffentlichkeit weiß, dass ihre Handlungen höchstwahrscheinlich zu einem Verstoß gegen die Artenschutzbestimmungen führen, diesen Verstoß jedoch gewollt begeht oder die vorhersehbaren Folgen ihrer Handlung bewusst in Kauf nimmt.“86 Eine Begründung für seine weite Auslegung des Absichtsbegriffes liefert der EuGH nicht. Ob seine Interpretation den Auslegungsmaßstäben des europäischen Rechts entspricht, bleibt zu untersuchen.87 Die Wortlautauslegung des Absichtsbegriffes erfolgt aus einer Gesamtschau der verschiedenen Sprachfassungen der Mitgliedstaaten. Der deutsche Begriff der Absicht beschreibt nicht nur im allgemeinen Sprachgebrauch, sondern gerade auch in seiner technischen Bedeutung im Strafrecht ausschließlich zweckgerichtetes Handeln. Das bewusste Inkaufnehmen eines Tatbestandserfolges, wie es der EuGH unter den europäischen Absichtsbegriff fasst, wird im deutschen Recht hingegen lediglich durch den Eventualvorsatz erfasst. Absicht und Eventualvorsatz werden eindeutig unterschieden.88 Ebenso wird auch im französischen Strafrecht der entsprechende Begriff „intentionnel“ restriktiv verstanden.89 Der englische Begriff „deliberate“ ebenso wie der italienische Begriff 83

Vgl. auch Rödiger-Vorwerk, FFH-Richtlinie, S. 148. EuGH, Urt. v. 18. 05. 2006, Rs. C-221/04, Slg. 2006, I-4515, Rn. 69 – Kommission/ Königreich Spanien. 85 EuGH, Urt. v. 18. 05. 2006, Rs. C-221/04, Slg. 2006, I-4515, Rn. 71 – Kommission/ Königreich Spanien; vgl. auch die Ausführungen bei EuGH, Urt. v. 30. 01. 2002, Rs. C-103/00, Slg. 2002, I-1147, Rn. 34 ff. – Kommission/Hellenische Republik; Sobotta, NuR 2007, 642 (643); Storost, DVBl 2010, 737 (739); Stüer, BauR 2010, 1521 (1523). 86 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.1. 87 Zu den Auslegungsmaßstäben des europäischen Rechts s. D.III. 88 Zu Definition und Abgrenzung der Vorsatzarten im deutschen Strafrecht Kühl, StGB, § 15 Rn. 19 ff.; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, § 15 Rn. 64 ff. 89 Schlussanträge der GAin Kokott v. 15. 12. 2005, Rs. C-221/04, Slg. 2006, I-4515, Rn. 37 – Kommission/Königreich Spanien; Baum, NuR 2006, 145 (150). 84

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„deliberato“ können indes sowohl im Sinne eines zweckgerichteten Handelns verstanden werden als auch im Sinne eines bloßen „bewussten“ Handelns, also eines billigenden Inkaufnehmens.90 Die Wortlautauslegung erscheint insofern nicht ganz eindeutig, legt allerdings eine restriktivere Auslegung nahe.91 In systematischer Hinsicht schränkt das Merkmal der Absicht den Tatbestand der Formen des Fangs und der Tötung ein. Aus dem Tötungsbezug lässt sich für die Auslegung des Absichtsbegriffes nichts herleiten: Es ist zum einen denkbar, dass der Begriff im Sinne eines bloßen Inkaufnehmens auszulegen ist und somit aus dem Tatbestand nur gänzlich unvorsätzliche, also fahrlässige Tötungshandlungen ausgeschlossen werden sollen. Zum anderen ist ebenso denkbar, dass der Begriff restriktiver zu verstehen ist und der Tatbestand nur zweckgerichtetes Handeln erfassen will. Hinsichtlich der Tatbestandsvariante des Fangs ist indes eine fahrlässige Form kaum vorstellbar. Sollen nur fahrlässige Handlungen vom Tatbestand ausgeschlossen werden, wie es sich im Rahmen einer weiten Auslegung des Absichtsmerkmals als „Inkaufnehmen“ ergibt, ist mithin die Einschränkung der erfassten Formen des Fangs auf absichtliche Handlungen überflüssig. Es verblieben kaum Fälle, die in den Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 4 FFH-RL, der in Ergänzung zu Art. 12 Abs. 1 FFH-RL die unbeabsichtigten Formen des Fangs erfasst, fielen. Die Beschränkung auf absichtliche Formen des Fangs ergäbe mehr Sinn, wenn sie sich lediglich auf zweckgerichtetes Handeln bezöge. Im Bezug des Absichtsmerkmals nicht nur auf die Tötung, sondern auch auf den Fang kann daher ein Anhaltspunkt für eine restriktive Auslegung gesehen werden. Dagegen lässt sich anführen, dass die Formulierung der besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit halber stets auf beide Varianten (Fang und Tötung) bezogen ist und zwar bei einer weiten Auslegung des Absichtsmerkmals in erster Linie im Rahmen der Tötung Anwendung findet, daraus aber noch kein Schluss hinsichtlich einer weiten oder restriktiven Auslegung zu ziehen ist. Der Begriff der Absicht kann vielmehr auch als einheitliche Formulierung (auch in Art. 12 Abs. 1 lit. b und c, Art. 13 FFH-RL) gedeutet werden, dessen Bedeutung hinsichtlich einer Variante bei restriktiver Auslegung schlicht geringer ist. Im Rahmen der historischen Auslegung kann auf die Begrifflichkeit des Berner Abkommens zurückgegriffen werden, die wohl nach der Resolution 1/89 des ständigen Ausschusses von Bern weiter auszulegen ist.92 Indes ist die historische Auslegung im Europarecht lediglich von untergeordneter Bedeutung. Von erheblich höherer Bedeutung im Rahmen der Regelung ist indes das Telos der Regelung. Legt man den Begriff der Absicht dem restriktiveren deutschen oder 90 Fischer-Hüftle, NuR 2005, 768 (770); Wolf, ZUR 2006, 505 (509); für die größere Wahrscheinlichkeit einer restriktiven Auslegung auch des englischen Begriffs Baum, NuR 2006, 145 (150). 91 So auch Brandt, ER 2013, 192 (194 f.). 92 Vgl. dazu die Schlussanträge der GAin Kokott v. 15. 12. 2005, Rs. C-221/04, Slg. 2006, I-4515, Rn. 39 – Kommission/Königreich Spanien.

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französischen strafrechtlichen Verständnis zufolge nur als zweckgerichtetes Handeln aus, so wird der Anwendungsbereich des Verbotes enorm eingeschränkt.93 In den wenigsten Fällen stellen der Fang oder die Tötung eines geschützten Tieres das direkte Ziel einer menschlichen Handlung dar. Eine weitaus größere Bedrohung für die gefährdeten Tierarten tritt in den Fällen ein, in denen Großprojekte eine andere Zweckrichtung verfolgen (z. B. wirtschaftliche, politische, soziale oder kulturelle Interessen) und dafür eine Beeinträchtigung des Lebens gefährdeter Tierarten bewusst in Kauf nehmen. Die Ausblendung dieser Bedrohungen aus dem Anwendungsbereich der Verbote steht im Widerspruch zu den in Art. 2 Abs. 1 und 2 FFHRL genannten Zielen der Richtlinie, zur Sicherung der Artenvielfalt im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten beizutragen und einen günstigen Erhaltungszustand der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen. Die Vorschrift des Art. 12 FFH-RL bezweckt vor diesem Hintergrund die Einführung eines strengen Schutzsystems. Diesem Zweck würde ebenfalls eine weite Auslegung des Absichtsbegriffes besser gerecht als eine restriktive.94 Zwar ist gemäß Art. 2 Abs. 3 FFH-RL auch den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur Rechnung zu tragen. Nähme man die genannten Fälle aber bereits aus dem Schutzbereich des Verbots vollständig aus, so verbliebe lediglich ein derart bedeutungsloser Anwendungsbereich, dass mit dem Verbot kaum zum Erhalt der gefährdeten Tierarten und der Sicherung der biologischen Vielfalt beigetragen würde. Wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Interessen können noch an anderer Stelle (z. B. im Bereich der Ausnahmen) hinreichend Berücksichtigung finden. Es bleibt festzuhalten, dass insbesondere der Wortlaut der Vorschrift für eine enge Auslegung spricht und dass auch Systematik und Historie entsprechende Anhaltspunkte enthalten. In teleologischer Hinsicht sprechen demgegenüber gewichtige Argumente für ein restriktiveres Verständnis des Absichtsbegriffes, wie es der EuGH zugrunde legt. Im deutschen Recht war der Begriff „Absicht“ dennoch zunächst enger ausgelegt und nur auf zweckgerichtetes Handeln bezogen worden, wie es dem deutschen (strafrechtlichen) Absichtsbegriff entspricht.95 Bei einem Vergleich mit dem deutschen System der Vorsatzarten lässt sich indes die Aussage treffen, dass auch der bedingte Vorsatz des deutschen Rechts den Anforderungen des europäischen Absichtsbegriffes genügt.96 Erforderlich ist aber, dass die Person über die Folgen ihres Handelns hinreichend informiert ist. Dies wiederum setzt voraus, dass sie über das Vorhandensein einer geschützten Tierart und die diesbezüglichen Auswirkungen ihres Handelns Kenntnis besitzt. Bloß fahrlässiges Handeln erfüllt 93 Vgl. Sobotta, NuR 2007, 642 (643); in diese Richtung auch schon Fischer-Hüftle, NuR 2005, 768 (770). 94 Vgl. Schlussanträge der GAin Kokott v. 15. 12. 2005, Rs. C-221/04, Slg. 2006, I-4515, Rn. 50 – Kommission/Königreich Spanien. 95 Dazu noch s. unten D.IV.2.a)bb)(1). 96 So z. B. auch Blessing/Scharmer, Artenschutz im Bebauungsplanverfahren, Rn. 52; Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (451); Kautz, NuR 2007, 234 (236).

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auch den europäischen Absichtsbegriff nicht.97 Solche Fälle sind vielmehr von Art. 12 Abs. 4 FFH-RL erfasst.98 bb) Die Regelung des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG Die Umsetzung des Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL in das deutsche Recht findet sich in § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Danach ist es verboten, wildlebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Die Regelung konkretisiert bzw. ergänzt die europäischen Vorgaben dahingehend, dass sie den europäischen Verboten des Fangs und der Tötung auch das Verbot des Nachstellens, des Verletzens und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung von Entwicklungsformen aus der Natur hinzufügt. Das Absichtserfordernis hingegen wurde – im Unterschied zu früheren deutschen Umsetzungsregelungen – nicht mehr übernommen. (1) Frühere Umsetzungsregelungen und deren Defizite Das Erfordernis absichtlichen Handelns bei der Umsetzung der Vorgaben des Art. 12 FFH-RL ist wohl einer der meistdiskutierten Punkte des deutschen Fang- und Tötungsverbotes gewesen.99 Problematisch war dabei die unterschiedliche Auslegung des Begriffes auf europäischer und nationaler Ebene: Anknüpfungspunkt für die Auslegung des Absichtsbegriffs im deutschen Recht war die Ausnahmeregelung des § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F., wonach die Zugriffsverbote u. a. im Falle der land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung bei Einhaltung der einschlägigen Regelungen und der guten fachlichen Praxis oder bei Ausführung eines zugelassenen Eingriffs nicht gelten sollten, soweit Tiere nicht absichtlich beeinträchtigt werden. Das Erfordernis der nicht absichtlichen Beeinträchtigung wurde eingefügt, um einem früheren Urteil des EuGH zum Vogelschutz zu entsprechen, in dem der EuGH festgestellt hatte, dass die ordnungsgemäße land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung nicht mit dem Fehlen von Absicht gleichgesetzt werden kann.100 Um den europarechtlichen Anforderungen zu genügen, konnte sich die Befreiung von den Verboten daher nur auf nicht absichtliche Beeinträchtigungen beziehen, wobei wiederum eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des Begriffs geboten war.

97 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.1.; vgl. auch Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 67. 98 Dazu s. unten D.IV.2.f). 99 Vgl. dazu z. B. Fischer-Hüftle, NuR 2005, 768 ff.; Gellermann, NuR 2003, 385 (388); Müller, NuR 2005, 157 (162 f.); Vogt, ZUR 2006, 21 (21 ff.). 100 EuGH, Urt. v. 17. 09. 1987, Rs. C-412/85, Slg. 1987, 03503, Rn. 15 f. – Kommission/ Bundesrepublik Deutschland; vgl. dazu auch Fischer-Hüftle, NuR 2005, 768 (769); Vogt, ZUR 2006, 21 (22).

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Zwar wurde nicht am restriktiven deutschen strafrechtlichen Verständnis des Absichtsbegriffes festgehalten, doch legte das Bundesverwaltungsgericht lange Zeit den Begriff so aus, dass dann keine Absicht vorläge, wenn die Handlung auf einem staatlich legitimierten Eingriff beruht, also eine Genehmigung für das fragliche Handeln besteht.101 Grund für die Bemühungen von Rechtsprechung und Literatur, den Absichtsbegriff möglichst eng zu verstehen und damit möglichst viele Handlungen als nicht absichtlich einzustufen, waren die bedeutenden Folgen für Landund Forstwirtschaft, die mit einem weiten Begriffsverständnis verbunden sind.102 Diese Auslegung war dennoch nicht unumstritten.103 Insbesondere nach dem Caretta-Urteil104 des EuGH aus dem Jahre 2002, in dem dieser ein umfassenderes Verständnis des Absichtsbegriffes andeutete, forderten kritische Stimmen eine weitere Interpretation des Absichtsbegriffes auch im deutschen Recht, da die bisherige Auslegung den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen nicht genüge.105 Später hat der Gerichtshof noch einmal ausdrücklich festgestellt, dass die Legitimität eines Handelns nicht dazu führt, dass keine Absicht vorliegt.106 Problematisch an der Regelung des § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F. erschien zudem, dass die Verbotsausnahme (unter dem Vorbehalt der Nichtabsichtlichkeit) auch Beeinträchtigungen der Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten umfasste.107 Diese Beeinträchtigungen sind europarechtlich gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL aber auch dann verboten, wenn sie nicht absichtlich erfolgen. Dies rügte der EuGH ausdrücklich in seinem Urteil vom 10. 01. 2006.108 Schließlich hat auch das Bundesverwaltungsgericht seine (nicht europarechtskonforme) Auslegung des Absichtsbegriffs aufgegeben109 – mittlerweile ist die Vorschrift des § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F. in ihrer ursprünglichen Form zudem aus dem deutschen Gesetzestext gestrichen worden. Das Bedürfnis nach Sonderregelungen für Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, für Planfeststellungsverfahren sowie für Handlungen, die der naturschutzrechtlichen Eingriffsprüfung unterliegen, 101 BVerwGE 112, 321 (330); BVerwG, NVwZ 2005, 943 (947); dem folgend OVG Koblenz, NVwZ-RR 2006, 385 (387) sowie OVG Lüneburg, ZUR 2006, 38 (41). 102 Vgl. Müller, NuR 2005, 157 (163). 103 Kritisch bereits Stüber, NuR 2000, 245 (247). 104 EuGH, Urt. v. 30. 01. 2002, Rs. C-103/00, Slg. 2002, I-1147– Kommission/Hellenische Republik. 105 So VGH Kassel, ZUR 2004, 232 (233 f.); Gellermann, NuR 2003, 385 (388); Louis, NuR 2004, 557 (559); Vogt, ZUR 2006, 21 (21 f.); anders aber Müller, NuR 2005, 157 (162 f.). 106 EuGH, Urt. v. 20. 10. 2005, Rs. C-6/04, Slg. 2005, I-9017, Rn. 113 – Kommission/Königreich Spanien. 107 Z.B. Vogt, ZUR 2006, 21 (22). Gellermann regte als Lösung des Problems an, die Norm bei solchen Beeinträchtigungen unangewendet zu lassen, NuR 2005, 504 (505). 108 EuGH, Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 55 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland; kritisch dazu Wolf, ZUR 2006, 505 (510 f.). 109 Vgl. BVerwGE 125, 116 (316 f.); zur Entwicklung auch Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (348).

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wurde in § 44 Abs. 4 und 5 BNatSchG erfüllt. Ob damit die Probleme in Bezug auf die europarechtlichen Vorgaben gelöst sind, wird an späterer Stelle detailliert geprüft.110 (2) Umsetzungsproblematiken der jetzigen Regelung Untersuchungsgegenstand im Folgenden ist die derzeitige Umsetzung des Fangund Tötungsverbots der FFH-Richtlinie in § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Erforderlich für die korrekte Umsetzung von Richtlinienvorgaben sind die Vollständigkeit und die Klarheit der Umsetzungsregelung.111 Im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL muss die deutsche Vorschrift sicherstellen, dass alle absichtlichen Formen des Fangs und der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren der europarechtlich geschützten Tierarten verboten sind. (a) Verbotene Handlungen Wie eingangs angedeutet, erweitert die deutsche Regelung die europäischen Vorgaben bezüglich der verbotenen Handlungen. Von europäischer Seite zu verbieten sind alle absichtlichen Formen des Fangs und der Tötung. Die Verbotshandlungen werden im deutschen Recht ergänzt um das Nachstellen (also Handlungen, die die eigentliche Zugriffshandlung vorbereiten)112 und das Verletzen von Tieren. Durch diese Klarstellung im deutschen Recht werden Unklarheiten in Grenzfällen vermieden, in denen sich die Frage stellt, ob solche Handlungen als Form des Fangs und der Tötung angesehen werden können.113 Mit der ausdrücklichen Nennung fallen sie jedenfalls unter den Verbotstatbestand. Die Begriffe der verbotenen Handlungen bieten kaum Auslegungsschwierigkeiten114 und erfüllen damit für sich genommen das Erfordernis der Klarheit und Genauigkeit einer Umsetzungsregelung. Probleme ergeben sich allerdings bezüglich der Reichweite des dem Wortlaut nach nicht begrenzten Verbotstatbestandes. Dies gilt insbesondere für die erfolgsbezogenen Tatbestandsvarianten der Tötung, des Fangs und der Verletzung. In diesen Fällen können sich Zurechnungsprobleme stellen, auf die an späterer Stelle noch ausführlich eingegangen wird.115 Für die tätigkeitsbezogene Variante des Nachstellens hat die Diskussion wenig Relevanz. 110

Dazu s. unten D.IV.6.d). Vgl.dazu D.II.1. 112 de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 14; Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 569; Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 44 Rn. 14. 113 Denkbar wären z. B. Fälle schwerer Verletzungen der Tiere, in denen noch abzuwarten ist, ob diese zum Tod führen. 114 Zur Auslegung sei auf die einschlägigen Kommentare verwiesen, z. B. Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 44 Rn. 13 ff.; Meßerschmidt, BNatSchR, § 42 Rn. 12 ff.; Müller-Walter, in: Lorz u. a., NatSchR, § 44 BNatSchG Rn. 9 ff. 115 Dazu s. D.IV.2.a)bb)(2)(c). 111

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(b) Subjektive Tatbestandsvoraussetzungen Anders als die europarechtliche Regelung des Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL enthält die diesen hauptsächlich umsetzende Verbotsvorschrift des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG keine subjektive Tatbestandsvoraussetzung, d. h. eine Absicht bezüglich des Zugriffs ist zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich. Auch in der Vorgängerregelung des § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG a.F. tauchte dieser Begriff nicht auf. Die eingangs ausgeführte Problematik um den Absichtsbegriff bezog sich vielmehr auf die Einschränkungen in der Ausnahmeregelung des § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F. Für die Erfüllung des deutschen Verbotstatbestandes ist also lediglich maßgeblich, ob der objektive Tatbestand erfüllt ist. Auch fahrlässiges Handeln und sogar Handlungen, bei denen nicht einmal ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann, können folglich den Tatbestand erfüllen.116 Dadurch tritt ein Schutz ein, der weiter geht, als das Europarecht ihn vorsieht.117 Sanktioniert werden zwar nur vorsätzliche Verstöße gegen das Verbot, doch auch bei fahrlässigem Handeln kann die Behörde den Handelnden als Störer zu präventiven Maßnahmen der Gefahrenabwehr heranziehen.118 Zudem ergeben sich durch die Einbeziehung auch unabsichtlicher Handlungen in den Tatbestand Fragen hinsichtlich der Umsetzung der Vorgaben von Art. 12 Abs. 4 FFH-RL. Danach sind der unbeabsichtigte Fang und die unbeabsichtigte Tötung von Tieren der in Anhang IV lit. a genannten Arten zu überwachen und diejenigen Maßnahmen einzuleiten, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass die unbeabsichtigten Handlungen keine signifikanten negativen Auswirkungen auf die betreffenden Arten haben. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorschrift in § 38 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG umgesetzt, der für alle streng geschützten Arten (wovon auch die Arten des Anhangs IV der FFH-RL erfasst sind) gilt.119 Da aber auch § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG unbeabsichtigten Fang und unbeabsichtigte Tötung der besonders geschützten Arten verbietet, reicht der deutsche Schutz bedeutend weiter, als die Vorgaben von Art. 12 Abs. 1 lit. a, Abs. 4 FFH-RL es gebieten. Grundsätzlich ist es nicht problematisch, wenn im Rahmen der Richtlinienumsetzung die Regelungen eines Mitgliedstaates über die europäischen Vorgaben hinausgehen – es handelt sich bei letzteren lediglich um Mindestvorgaben.120 Neben der systematischen Problematik des Zusammenspiels der deutschen Regelungen stellt sich aber in diesem Fall nun insbesondere ein inhaltliches Problem, nämlich angesichts der Weite des Tatbestands des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG und der dem Wortlaut nach erfassten Handlungen die Frage nach einer Tatbestandseinschränkung der deutschen Regelung. Andernfalls droht das Verbot auszuufern, infolgedessen 116 BT-Drs. 16/5100, S. 11; Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 568. 117 Stehlin/Karlin, VBlBW 2013, 81 (81 f.). 118 Vgl. D.IV.2.g)aa). 119 Dazu s. D.IV.2.f). 120 Vgl. Art. 193 AEUV.

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nicht durchsetzbar zu werden und damit an Bedeutung und Wirkung insgesamt zu verlieren. Um dies zu verhindern, sind Grenzen zu ziehen, die mit den europäischen Vorgaben vereinbar sind, aber auch genügend Raum lassen und genügend Kontur aufweisen, um durchsetzbar zu sein. (c) Tatbestandsbegrenzungen Das Problem der Einschränkung des Tatbestandes durch ein Korrektiv stellt sich insbesondere bei den erfolgsbezogenen Handlungsvarianten des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Im Rahmen des Fangverbots wird eine Tatbestandsbegrenzung für lediglich kurzzeitige Freiheitsentziehungen diskutiert.121 Da dem deutschen und europäischen Wortlaut für eine Beschränkung auf länger andauernde Freiheitsentziehungen indes nichts entnommen werden kann, können allenfalls – im Hinblick auf den nationalen und unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – absolute Bagatellfälle ausgenommen werden.122 Umsiedlungen für die Ermöglichung von Bauprojekten können als solche Bagatellfälle grundsätzlich nicht eingestuft werden, sondern sind über den im artenschutzrechtlichen System vorgesehenen Weg der Ausnahme zu lösen.123 Begrenzt andauernde Freiheitsentziehungen zu einem bestimmten Zweck wie der Ermöglichung eines bestimmten benötigten Projekts dürften die Ausnahmevoraussetzungen in der Regel erfüllen;124 deren Erteilung kann zudem die fachgerechte Planung der näheren Umstände einer Umsiedlungsaktion sicherstellen. Anders als beim Fang eines Tieres, der im Regelfall zielgerichtet erfolgt, sind im Falle einer Tötung vielerlei kausale Handlungsbeiträge denkbar, die nicht auf die Tötung unmittelbar abzielen. Nicht jeder dieser im naturwissenschaftlichen Sinne kausalen Beiträge zur Tötung eines geschützten Tieres kann als Verstoß gegen das Tötungsverbot gewertet werden – es bedarf insofern eines Korrektivs. Das Problem wird beispielsweise bei einer Verursachung durch eine Kette von Handlungsbeiträgen oder durch im Allgemeinen sozialverträgliche Verhaltensweisen relevant.125 Letzteres wird namentlich im Zusammenhang mit dem Straßenbau diskutiert, da 121

So Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 44 Rn. 15; Louis, NuR 2012, 467 (468 f.); a.A. Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 44 Rn. 8; Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 8. 122 Vgl. auch BVerwGE 140, 149 (169 f.); in Betracht für eine wirkliche Bagatelle kommt das von Kratsch angeführte Beispiel des verirrten Tiers, das aus der Wohnung gebracht und draußen umgehend in die Freiheit entlassen wird, vgl. Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 44 Rn. 15. 123 Vgl. auch Gellermann, NuR 2012, 34 (35); Lau, SächsVBl 2012, 101 (106). 124 Lau, SächsVBl 2012, 101 (106). 125 So schon Gellermann, NuR 2009, 85 (86): „… kann die Funktion der Vorschrift doch nicht darin bestehen, die aus dem Zusammenleben unvermeidlich erwachsenden Schädigungen zu verhindern. Man denke nur an den Spaziergänger, der – ohne es zu bemerken – auf einen Eremiten tritt, den Radfahrer, der einem den Radweg querenden Kammmolch nicht mehr ausweichen kann oder den Autofahrer, der während der nächtlichen Fahrt auf der Landstraße eine Waldohreule anfährt.“

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durch die spätere Straßennutzung auch Kollisionen mit Tieren der geschützten Arten eine häufige Folge sind, die zum Tod der Tiere führt. In diesem Rahmen wurde die Anwendbarkeit des Tötungsverbotes umfassend diskutiert.126 Die entsprechende Problematik stellt sich auch in anderen Konstellationen, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Bau von Windrädern, die im Zuge des Ausbaus regenerativer Energien verstärkt Bedeutung erlangen. Die Problematik stellt sich auf europäischer Ebene weniger als auf deutscher: Durch das Erfordernis einer absichtlichen Handlung in Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL werden viele Verursachungsbeiträge, die zwar in irgendeiner Weise kausal für die Tötung eines Exemplars einer geschützten Art sind, aber nicht in direktem Zusammenhang zu ihr stehen, ausgeschieden. Wie bereits dargestellt, wurde der Absichtsbegriff im deutschen Recht endgültig aufgegeben. Damit sind zwar die Unklarheiten um diesen Begriff beseitigt, es stellt sich aber nun verstärkt das Problem der Eingrenzung des Verbotstatbestandes auf anderer Ebene, namentlich im Rahmen des Tötungsmerkmals. Problematisch ist, wie die Grenzen genau zu ziehen sind, d. h. welche Handlungen, die im Taterfolg (z. B. Tod eines Tieres) resultieren, vom Tatbestand erfasst sein sollen. Der Wortlaut der Vorschrift liefert hierfür keine Anhaltspunkte. Zu unterscheiden ist zwischen der Reichweite des Tatbestandes bei der Tötung eines Tieres durch einen Einzelnen und der Reichweite des Tatbestandes im Rahmen der Berücksichtigungspflichten durch Behörden in Zulassungsverfahren, da – wie im Folgenden gezeigt wird – dafür unterschiedliche Maßstäbe gelten. Für den Bau und Betrieb von Straßen bedeutet das, zu unterscheiden, ob es um einen Verstoß gegen das Tötungsverbot seitens eines kollidierenden Kraftfahrzeugführers oder um die Anwendung und Anforderungen des Artenschutzregimes im Genehmigungsverfahren zum Bau der Straße geht. Letzteres bildet den Schwerpunkt der Diskussionen zu dem Themenkomplex. (aa) Die Tatbestandsweite in der Bewertung eines Verstoßes des einzelnen Bürgers Angesichts der Schärfe des Wortlauts könnte die Verfassungskonformität des weitreichenden Verbotstatbestandes auf Bedenken stoßen: Wenn sogar Handlungen tabuisiert sind, die noch nicht einmal gegen Sorgfaltsgebote verstoßen, d. h. noch nicht einmal fahrlässig sind, stellt sich auf den ersten Blick die Frage, ob dabei nicht vom Bürger Unmögliches verlangt wird. Das Rechtsstaatsprinzip verlangt, dass Betroffene einer Norm die Rechtslage erkennen sowie ihr Verhalten danach einrichten können müssen.127 Die Problematik lässt sich aber mithilfe der allgemeinen Grundsätze des Ordnungsrechts lösen. Allgemein kann ein Verhalten danach nur als Ordnungswidrigkeit gewertet und entsprechend sanktioniert werden, wenn es eine vorwerfbare Handlung darstellt: § 10 OWiG stellt den Grundsatz auf, dass nur 126

Zu den verschiedenen vertretenen Ansichten sogleich unter D.IV.2.a)bb)(2)(c)(cc). Vgl. BVerfGE 21, 73 (79) zur Normenklarheit und Justitiabilität; ebenso Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 20 Rn. 87. 127

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

vorsätzliches Handeln als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, es sei denn, dass fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Geldbuße bedroht ist. Die Vorschrift geht mithin davon aus, dass ein Verhalten, das noch nicht einmal als fahrlässig zu bewerten ist, keine Ordnungswidrigkeit darstellt.128 Für einen Verstoß gegen das Tötungsverbot ist zudem keine Sanktion bei Fahrlässigkeit ausdrücklich vorgesehen, mithin stellt nur vorsätzliches Handeln eine Ordnungswidrigkeit bzw. Straftat dar.129 Der Bürger wird also nicht für fahrlässiges oder sogar sozialadäquates Verhalten bestraft. Im Hinblick auf die Bußgeldbewehrung bestehen daher keine verfassungsrechtlichen Bedenken an der Ausgestaltung des Verbotstatbestandes. Nichtsdestoweniger sollte eine Begrenzung desselben nicht nur in Bezug auf die Möglichkeit der Ahndung, sondern bereits auf der Ebene der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes erfolgen. Zur Ermittlung von möglichen tatbestandlichen Begrenzungen sind die klassischen Auslegungsmethoden heranzuziehen:130 Der Tatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG stellt ein Verbot dar, dessen Verwirklichung eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat bedeutet. Er ist dementsprechend wie eine Strafnorm aufgebaut.131 Es lohnt daher in systematischer Hinsicht ein Vergleich mit der Behandlung der Problematik im Strafrecht, an dem sich auch das Ordnungswidrigkeitenrecht orientiert. Erforderlich ist in beiden Rechtsgebieten zunächst einmal das Vorliegen der Kausalität des Handlungsbeitrags für den Eintritt des Erfolgs im Sinne der Äquivalenztheorie.132 Allerdings erfüllt auch nicht jede für den tatbestandlichen Erfolg kausale Handlung den objektiven Tatbestand einer Straftat. Vielmehr wird im Strafrecht mit dem Kriterium der objektiven Zurechnung die Tatbestandsmäßigkeit einer Handlung weiter eingegrenzt:133 Danach muss der Handelnde eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen haben, die sich im tatbestandlichen Erfolg verwirklicht hat.134 Im Ordnungswidrigkeitenrecht wird weitgehend an die im Strafrecht bereits in umfangreicher Diskussion herausgearbeiteten Kriterien angeknüpft.135 Zur Handhabung der Formel von der objektiven Zurechnung haben sich Fallgruppen herausgebildet, bei denen entweder schon die Schaffung 128

Vgl. z. B. Rosenkötter/Louis, Recht der OWi, Rn. 170; 196 ff. Dazu noch genauer unter D.IV.2.g)(aa). 130 Zu den Auslegungsmethoden im Einzelnen Larenz, Methodenlehre, S. 320 ff. 131 So bereits Lau/Steeck, NuR 2008, 386 (387); Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (448). 132 Vgl. dazu in der strafrechtlichen Literatur Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 71 ff.; Kühl, StGB, Vor § 13 Rn. 9 ff.; zur Erforderlichkeit des Kausalzusammenhang auch im Ordnungswidrigkeitenrecht Rengier, in: KK-OWiG, § 10 Rn. 17; Rosenkötter/Louis, Recht der OWi, Rn. 72. 133 Zumindest seitens der Literatur; die Rechtsprechung arbeitet weniger mit der Figur der objektiven Zurechnung, sondern im objektiven Tatbestand lediglich mit der Kausalität. Sie trifft aber im Wesentlichen dieselben Erwägungen im subjektiven Tatbestand, sodass sich die Ergebnisse praktisch kaum unterscheiden. 134 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 92; Frister, StrafR AT, 10. Kap. Rn. 4; Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, Rn. 179. 135 Bohnert, OWiG, § 10 Rn. 16 ff., 28 ff.; vgl. auch Rosenkötter/Louis, Recht der OWi, Rn. 221 ff.; Gürtler, in: Göhler, OWiG, § 10 Rn. 6 ff. 129

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einer rechtlich missbilligten Gefahr oder die Verwirklichung dieser im tatbestandlichen Erfolg verneint wird. Manche dieser Fallgruppen kämen auch in der vorliegenden Situation als Maßstab in Betracht: Eine rechtlich missbilligte Gefahr soll u. a. dann nicht vorliegen, wenn es sich um ein sozialadäquates Verhalten handelt.136 Ein von vornherein und generell gebilligtes Verhalten wird nicht als Verkörperung eines Delikts- und Unrechtstyps verstanden.137 Nicht erfasst vom Tatbestand soll demgemäß das „erlaubte Risiko“ sein, worunter Verhaltensweisen fallen, die trotz ihrer Gefährlichkeit aufgrund des sozialen Nutzens allgemein erlaubt sind.138 Dazu wird namentlich der Fall der Teilnahme am Straßenverkehr gezählt. Eine Verwirklichung der geschaffenen rechtlich relevanten Gefahr im tatbestandlichen Erfolg wird u. a. verneint, wenn ein atypischer Kausalverlauf vorliegt, der in dieser Art außerhalb aller Lebenserfahrung liegt, oder auch bei einem Dazwischentreten Dritter, wenn dieses eine selbstständige Gefahr begründet, die nicht mehr mit der Ausgangsgefahr verknüpft ist.139 Diese drei Fallgruppen sind diejenigen, deren Anwendbarkeit auch im Rahmen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände denkbar erscheint: Dass ein Dazwischentreten Dritter den Zurechnungszusammenhang ausschließt, begegnet keinen Bedenken, hilft allerdings auch nur in wenigen Fällen weiter. Insbesondere im Fall der Kollision eines Kraftfahrzeugs mit einem Tier der bedrohten Arten liegt in der Ursachenkette kein Handlungsbeitrag eines Dritten zwischen dem Verhalten des Kraftfahrzeugführers und dem Tod des Tieres. Ein atypischer Kausalverlauf wiederum läge vor, wenn mit der Tötung des Tieres nach aller Lebenserfahrung nicht gerechnet werden kann. Das wird für den Fall einer Kollision allerdings wohl nur zu bejahen sein, wenn die Straße durch ein Gebiet führt, in dem die entsprechende Tierart gewöhnlich nicht anzutreffen ist. Ansonsten sind Kollisionen nicht ungewöhnlich und stellen grundsätzlich keinen atypischen Kausalverlauf dar. Den größten potentiellen Anwendungsbereich im Rahmen des artenschutzrechtlichen Tötungsverbotes kann die Fallgruppe der sozialadäquaten Verhaltensweisen für sich beanspruchen, die auch Kollisionen im Straßenverkehr erfasst (s. oben).

136 Ursprünglich entwickelt von Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (514 ff.); vgl. auch Lenckner/ Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 93; Stratenwerth/Kuhlen, StrafR AT, § 8 Rn. 30 ff.; zum Kriterium im Ordnungswidrigkeitenrecht Gürtler, in: Göhler, OWiG, § 10 Rn. 18. 137 Roxin, StrafR AT, § 10 Rn. 36; vgl. auch BGHSt 23, 226 (228): „Nach der Lehre von der ,Sozialadäquanz‘ können übliche, von der Allgemeinheit gebilligte und daher in strafrechtlicher Hinsicht im sozialen Leben gänzlich unverdächtige, weil im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit liegende Handlungen nicht rechtswidrig sein […] Darin liegt ein allgemeines Prinzip, dessen Bedeutung sich nicht auf das Strafrecht beschränkt, sondern die ganze Rechtsordnung erfaßt.“ 138 Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, Rn. 184; vgl. auch Frister, StrafR AT, 10. Kap. Rn. 6 ff.; Roxin unterscheidet hingegen im Rahmen der Sozialadäquanz noch zwischen erlaubtem Risiko und geringfügigen sozial allgemein tolerierten Handlungen, Roxin, StrafR AT, § 10 Rn. 38 ff.; ebenso wohl auch Stratenwerth/Kuhlen, StrafR AT, § 8 Rn. 30; 32. 139 Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, Rn. 192 f.; 196.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Das Strafrecht bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht ist allerdings nicht das einzige Rechtsgebiet, das Zurechnungskriterien für die Verursachung eines Erfolges für eine Handlung bietet. Das öffentliche Recht kennt Zurechnungskriterien auch in anderen Zusammenhängen. Zu nennen ist insbesondere die Diskussion um den Begriff des Störers im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht – seitens der Literatur wurde daher auch eine Verankerung des Artenschutzrechts im Ordnungsrecht vorgeschlagen.140 Die Landesgesetze zum Polizei- und Ordnungsrecht sehen vor, Maßnahmen gegen eine Person zu richten, die eine Gefahr „verursacht“.141 Bei der zu betrachtenden Situation geht es um die Verwirklichung des Tötungsverbots, also um die Verantwortlichkeit einer Person wegen Verursachung der Tötung eines Tiers. Diese dem Polizeirecht ähnelnde Fragestellung legt es nahe, auch die polizeirechtlichen Verursachungstheorien auf ihre Anwendbarkeit hin zu untersuchen. Zur näheren Bestimmung des „ursächlichen“ Verhaltens wird überwiegend die Theorie der unmittelbaren Verursachung herangezogen: Danach ist ein Verhalten ursächlich, wenn es die polizeirechtliche Gefahrenschwelle überschreitet und dadurch die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts begründet oder erhöht.142 Damit ist nicht nur die zeitlich letzte Ursache gemeint – vielmehr geht es um eine Wertung des Verhaltens.143 In dieser Situation hilft diese Theorie allerdings nicht weiter, da sie sich auf das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht als Gefahrenabwehrrecht bezieht. In dessen Rahmen steht die möglichst effektive Beseitigung einer Gefahr im Vordergrund, die auch den Maßstab für die Ermittlung der Störereigenschaft wertend prägt.144 Demgegenüber stellt § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG von der Normstruktur her keine Vorschrift des Gefahrenabwehrrechts, sondern eine strafbewehrte Verbotsvorschrift dar (obwohl Artenschutzrecht materiell dem Ordnungsrecht zuzuordnen ist)145. Ist der Tatbestandserfolg durch Kollision eines Straßenteilnehmers mit einem Tier der geschützten Arten eingetreten, so ist der Schaden bereits irreversibel eingetreten und die Gefahr kann nicht mehr effektiv beseitigt werden. Nichtsdestoweniger legt die Theorie ähnliche Wertungsmaßstäbe wie die bereits im Strafrecht dargestellten zugrunde, indem legalisierte oder sonst rechtmäßige Tätigkeiten keine Verant140 Allerdings, um die Pflichten von Genehmigungsbehörden näher zu konturieren, vgl. Füßer/Lau, NuR 2009, 445 ff.; dazu auch im Folgenden D.IV.2.a)bb)(2)(c)(bb). 141 Vgl. z. B. nur Art. 7 Abs. 1 BayPAG; § 13 Abs. 1 ASOG Bln; § 16 Abs. 1 BbGOBG; § 5 Abs. 1 BremPolG; § 8 Abs. 1 HbgSOG; § 6 Abs. 1 NdsSOG; § 17 Abs. 1 OBG NW; § 4 Abs. 1 POG RP; § 10 Abs. 1 ThürOBG; § 69 Abs. 1 SOG MV. 142 Vgl. BVerwG, NVwZ 2008, 684 (684); OVG Münster, NVwZ 1997, 804 (804 f.); Dietlein, in: Dietlein/Burgi/Hellermann, ÖR in NRW, § 3 Rn. 79; Drews u. a., Gefahrenabwehr, S. 313; Schenke, POR, Rn. 242; Selmer, JuS 1992, 97 (98 f.). 143 Schenke, POR, Rn. 243; Schoch, in: Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Kap., Rn. 178; Zeitler, DÖV 1997, 371 (373). 144 Vgl. Schoch, in: Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Kap., Rn. 177; s. auch Dietlein, in: Dietlein/Burgi/Hellermann, ÖR in NRW, § 3 Rn. 77. 145 Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (448).

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wortlichkeit begründen können sollen.146 Die Maßstäbe der Normsystematik sind allerdings noch mithilfe der weiteren Auslegungsmethoden zu prüfen. Das Ergebnis der historischen Auslegung besteht in nur einem Kriterium: Der Sozialadäquanz. Der Gesetzgeber führt (seit der Artenschutznovelle 2007) in der Gesetzesbegründung aus: „Die Verwirklichung sozialadäquater Risiken, wie etwa unabwendbare Tierkollisionen im Verkehr, erfüllt nicht die Tatbestände des Absatzes 1.“147 Damit ist noch nicht ausgeschlossen, dass es nicht auch weitere eingrenzende Maßstäbe geben kann. Ausdrücklich sollen aber sozialadäquate Verhaltensweisen – wie im Strafrecht und nach der Lehre der Sozialadäquanz im Ordnungsrecht – keine Verbotstatbestände erfüllen können. Die Feststellung des Vorliegens einer sozialadäquaten Handlung kann im Einzelfall problematisch werden. Das Eingrenzungsmerkmal ist darüber hinaus, wie noch genauer erläutert wird, im Hinblick auf die europarechtlichen Vorgaben nicht unproblematisch. Der Sinn und Zweck des Gesetzes gibt zwar kein besonderes Kriterium zur Einschränkung des Tatbestandes vor, lässt eine solche im Allgemeinen aber zu: Die Verbotsnorm des § 44 BNatSchG dient nicht nur der Erfüllung europäischer und völkerrechtlicher Pflichten, sondern steht auch im Lichte der Zielvorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes. Zum Telos des Gesetzes gehört gemäß § 1 Abs. 1 BNatSchG die Sicherung (1.) der biologischen Vielfalt, (2.) der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts einschließlich der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter sowie (3.) die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft. Vor diesem Hintergrund können die §§ 37 ff. BNatSchG als Sicherung der Artenvielfalt allen diesen drei maßgeblichen (miteinander zusammenhängenden) Zielvorgaben zugeordnet werden. Dies wird unterstrichen durch die Konkretisierungen in § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 Nr. 5 BNatSchG zur Erhaltung von Populationen wildlebender Tiere und Pflanzen einschließlich ihrer Lebensstätten sowie zur Entgegenwirkung von Gefährdungen der Arten. Diese Ziele genießen keinen absoluten Rang. Dies ergibt sich nicht nur aus verfassungsrechtlichen Erwägungen, sondern auch aus der Zusammenschau von § 1 BNatSchG mit § 2 BNatSchG. Daraus wird erkennbar, dass die Ziele im Einzelfall zurücktreten können, was ihre Anwendung praktikabler und realistischer werden lässt. So spricht § 2 Abs. 1 BNatSchG vom Beitrag zur Verwirklichung der Ziele nach Möglichkeit und von nicht mehr als unvermeidbaren Beeinträchtigungen. § 2 Abs. 3 BNatSchG spricht von der Verwirklichung, soweit im Einzelfall möglich, erforderlich und […] angemessen. Es ist also auch im Hinblick auf Sinn und Zweck des Gesetzes nicht erforderlich, jegliche sozialverträglichen Verhaltensweisen zu unterbinden. Eine Einschränkung der artenschützenden Ver-

146

Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, § 9 Rn. 17; Schoch, in: Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Kap., Rn. 180; vgl. auch Gusy, POR, Rn. 338 f. 147 BT-Drs. 16/5100, S. 11; darauf verweisend BT-Drs. 16/12274, S. 70 f.; zustimmend Gellermann, NuR 2009, 85 (86).

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

botstatbestände, soweit sie erforderlich ist, entspricht also auch dem Sinne des Gesetzes. Vor dem Hintergrund der Funktion der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände als Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben der FFH-Richtlinie sowie der völkerrechtlichen Vorgaben der Berner Konvention gilt deren Anforderungen bei der Auslegung ein besonderes Augenmerk. Die europarechtlichen Vorgaben entfalten indes eine höhere Bindungswirkung als die völkerrechtlichen.148 Um die Europarechtskonformität festzustellen, ist eine genauere Betrachtung der Absichtlichkeit erforderlich, da diese das europäische Merkmal der Eingrenzung von Verhaltensweisen darstellt. Wie bereits angedeutet, stellt sich das deutsche Problem des uferlosen Tatbestandes und die damit einhergehende Frage einer Eingrenzung im europäischen Recht weniger. Namentlich die Kollision von Tieren und Fahrzeugen wurde vom EuGH als Problem der unbeabsichtigten Tötung gemäß Art. 12 Abs. 4 FFH-RL behandelt.149 Diese Auslegung ist im Hinblick auf die Definition des EuGH zur Absicht als „Inkaufnehmen“ der Tötung nicht zwingend. Die nationale Rechtsprechung und Literatur war dementsprechend bisher auch weitgehend davon ausgegangen, dass die Kollisionsfälle im europäischen Recht als absichtliche Tötung eingeordnet würden.150 Da die fraglichen sozialadäquaten Handlungsbeiträge im Fall von Kollisionen aber nunmehr nach Ansicht des EuGH ohnehin nicht von Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL erfasst sind, ergibt sich kein Problem mit den europarechtlichen Vorgaben: Die Handlungen sind von europäischer Seite aus nicht dem einzelnen Bürger zu verbieten, sondern fallen lediglich unter die Anforderungen des Art. 12 Abs. 4 FFH-RL, deren Einhaltung auch im deutschen Recht durch § 38 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG gefordert wird.151 Diese Feststellung der Europarechtskonformität beschränkt sich dergestalt auf Kollisionsfälle. Eine Übertragung auf allgemeine Einschränkungskriterien des deutschen Tötungsverbotes kann nur funktionieren, wenn gewährleistet ist, dass die vom deutschen Tatbestand ausgeklammerten Handlungen im europäischen Sinne unabsichtliche Handlungen darstellen. Bei absichtlichen Handlungen (nach europäischen Maßstäben) müssten die strengen Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL eingehalten werden. Eine Nichtanwendung des deutschen Tötungsverbotes würde in dem Fall einen Verstoß gegen europäisches Recht darstellen. Es ist somit erforderlich, dass allgemeine Einschränkungen des Verbotstatbestandes mit dem europäischen Absichtlichkeitskriterium übereinstimmen.

148 Vgl. zur Bedeutung der völkerrechtlichen Vorgaben II.1. sowie ausführlich zu den Anforderungen einer europäischen Richtlinie D.II.1. 149 EuGH, Urt. v. 20. 05. 2010, Rs. C-308/08, Slg. 2010, I-4341, Rn. 54 ff. – Kommission/ Königreich Spanien. 150 Vgl. BVerwGE 131, 274 (301); Bauer, Durchsetzung des europäischen Umweltrechts, S. 296; Steeck/Lau, NVwZ 2009, 616 (622). 151 Zu Art. 12 Abs. 4 FFH-RL und dessen Umsetzung in deutsches Recht siehe D.IV.2.f).

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Dabei ergibt sich ein Widerspruch: Nach Ansicht des deutschen Gesetzgebers soll es auf subjektive Kriterien ausdrücklich nicht ankommen.152 Diese sind aber wiederum für die Gewährleistung der Europarechtskonformität entscheidend. Andere Eingrenzungsmaßstäbe können nicht vollständig garantieren, dass nur unabsichtliche Handlungen im Sinne des europäischen Rechts ausgeschlossen werden. Dies gilt insbesondere für das maßgebliche Merkmal nach Ansicht des Gesetzgebers, die Sozialadäquanz einer Handlung. Der EuGH hat ausdrücklich festgestellt, dass staatlich legitimiertes Handeln nicht mit dem Nichtvorliegen von Absicht im Sinne von Art. 12 FFH-RL gleichzusetzen ist.153 Gerade solches Handeln wird aber von der Fallgruppe der Sozialadäquanz erfasst – unabhängig von irgendwelchen subjektiven Kriterien. Die weiteren strafrechtlichen Fallgruppen des atypischen Kausalverlaufs und des Dazwischentretens Dritter (das nur solche Handlungen Dritter erfasst, die nicht spezifisch mit der vom Ersthandelnden geschaffenen Ausgangsgefahr verknüpft sind, sondern vollverantwortlich vom Dritten eine neue, selbstständig auf den Erfolg einwirkende Gefahr begründen)154 erfassen Situationen, in denen die Folgen objektiv nicht vorhersehbar sind. In diesen Fällen nimmt der Handelnde die Folge, die er dementsprechend auch subjektiv nicht vorhersehen kann, nicht billigend in Kauf, sodass er nicht absichtlich im Sinne des Art. 12 FFH-RL handelt.155 Die Heranziehung dieser Fallgruppen aus dem Strafrecht wäre damit europarechtskonform. Sie alleine reichen allerdings zur Erfassung aller problematischen Fälle nicht aus: Die Konstellation der kollisionsbedingten Tötung würde beispielsweise anhand dieser Kriterien nicht vom objektiven Verbotstatbestand ausgeschlossen werden können. Im Ergebnis ist hinsichtlich der Europarechtskonformität der Kriterien festzustellen, dass bei Anwendung des Kriteriums der Sozialadäquanz als tatbestandseingrenzendes Merkmal anders als bei Anwendung der Kriterien des Dazwischentretens Dritter oder des atypischen Kausalverlaufs Verstöße gegen die europarechtlichen Vorgaben nicht vollständig ausgeschlossen werden können. Es ergibt sich ein Widerspruch zum europarechtlich bedeutsamen Maßstab der Absichtlichkeit des Handelns. Im Hinblick auf den ausdrücklichen Willen des deutschen Gesetzgebers erscheint eine europarechtskonforme Auslegung durch beispielsweise zusätzliches Verlangen der Nichtabsichtlichkeit des Handlungsbeitrags (nach europäischem Verständnis) kaum möglich. Eine Gesetzesänderung würde diesem Dilemma Abhilfe schaffen. Denkbar wäre zum Beispiel eine Beschränkung des Verbots auf vorsätzliches Handeln, welches der Absicht im europäischen Sinn entspricht, und

152

BT-Drs. 16/5100, S. 11; darauf verweisend BT-Drs. 16/12274, S. 70 f. So EuGH, Urt. v. 17. 09. 1987, Rs. C-412/85, Slg. 1987, 03503, Rn. 15 f. – Kommission/ Bundesrepublik Deutschland (im Zusammenhang mit der Vogelschutz-RL); vgl. auch EuGH, Urt. v. 20. 10. 2005, Rs. C-6/04, Slg. 2005, I-9017, Rn. 113 – Kommission/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland. 154 Im Einzelnen str., vgl. Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, Rn. 192 f. 155 Zum europäischen Absichtsbegriff siehe D.IV.2.a)aa). 153

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

zwar nicht nur bei der Bewertung als Ordnungswidrigkeit oder Straftat, sondern bereits bei der Verwirklichung des Verbotstatbestandes. Theoretisch denkbar erscheint bei einer Betrachtung allein des aktuellen Gesetzeswortlautes ohne Berücksichtigung seiner Entstehungsgeschichte indes die Möglichkeit einer europarechtskonformen Auslegung auch hinsichtlich einer Tatbestandsbeschränkung, indem eine solche teleologische Reduktion mithilfe subjektiver Bewertungskriterien (d. h. der Voraussetzung eines vorsätzlichen Handelns) vorgenommen wird. Einer solchen Auslegung werden vornehmlich durch die Ausführungen des Gesetzgebers in den Gesetzesmaterialien mit dem ausdrücklichen Ausschluss subjektiver (tatbestandsbeschränkender) Kriterien Schranken gesetzt. Fraglich ist aber, ob die Erläuterungen und Hinweise des Gesetzgebers in den Gesetzesmaterialien einer europarechtskonformen und praxisgerechten Auslegung entgegen stehen können. Eine objektive, d. h. vom Willen des Gesetzgebers losgelöste Auslegung wird grundsätzlich von Stimmen der Literatur156 sowie vom Bundesverfassungsgericht157 insbesondere unter Rückgriff auf die Überlegungen Radbruchs158 gestützt. Gesetzesmaterialien kommt nicht der Geltungsrang eines Gesetzes selbst zu, sondern Gesetz und Gesetzesmaterialien sind von unterschiedlicher Qualität. Es besteht daher die Möglichkeit, die Auslegung eines Gesetzes vorzunehmen, die durch den Gesetzgeber nicht bedacht oder beabsichtigt wurde. Dies kann insbesondere bei Irrtümern des historischen Gesetzgebers, bei veränderten aktuellen Wertvorstellungen oder Bedürfnissen vorzugswürdig sein. Lassen sich diese Problematiken mithilfe einer objektiven Auslegung lösen, ist das Gesetz „klüger“ als der Gesetzgeber.159 Im vorliegenden Fall gilt es indes zu bedenken, dass sich der Wille des Gesetzgebers nicht nur in den Gesetzesmaterialien, sondern auch im Gesetz selber manifestiert hat, indem subjektive Voraussetzungen aus dem Tatbestand herausgenommen wurden, was sich aus einem Vergleich mit den vorherigen Fassungen des Bundesnaturschutzgesetzes ergibt. Es ist auch nicht so, dass zur Gewährleistung der Europarechtskonformität der Vorschrift selbst die Aufnahme von subjektiven Kriterien erforderlich wäre. Vielmehr dienten diese lediglich der Gewährleistung der Europarechtskonformität einer Auslegung, die durch Tatbestandsbeschränkungen den Bedürfnissen einer praktischen Anwendung Rechnung trägt. Problematisch an einer rein am aktuellen Gesetzeswortlaut orientierten Auslegung, die durch Miteinbeziehung subjektiver Kriterien eine europarechtskonforme und praxistaugliche Anwendung ermöglicht, ist zudem die Gefahr einer fehlerhaften Anwendung der europarechtlichen Kriterien. Die gescheiterten Normierungsversuche subjektiver 156 Hirsch, JZ 2007, 853 (855); ausführlich Schwalm, in: FS Heinitz, S. 47 ff.; kritisch z. B. Höpfner, DÖV 2006, 820 ff. 157 BVerfGE 11, 126 (129 ff.); 36, 342 (362). 158 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 206 ff. 159 BVerfGE 36, 342 (362); Hirsch, JZ 2007, 853 (855).

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Kriterien in den vergangenen Fassungen der Artenschutzvorschriften bezeugen die Schwierigkeit, eine korrekte, d. h. europarechtskonforme Anwendung vorzunehmen. Gewährleistet ist eine solche Anwendung bei fehlender gesetzlicher Regelung der Tatbestandseinschränkung durch subjektive Kriterien jedenfalls nicht. Zu rechnen ist mit einer Rechtsunsicherheit, die die bereits vorhandene noch übersteigt, sodass eine Gesetzesänderung unausweichlich erscheint. Die derzeitige Ungewissheit einer Auslegungsmöglichkeit hinsichtlich einer Begrenzung des uferlosen Verbotstatbestandes, die sowohl dem Willen des Gesetzgebers als auch den europäischen Vorgaben genügt, erweckt Zweifel an der korrekten Umsetzung des Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL im Hinblick auf das Erfordernis der Bestimmtheit und Klarheit der umsetzenden Vorschriften: Da die Zuhilfenahme des europarechtlichen Maßstabs (Absichtlichkeit) im deutschen Recht laut Gesetzgeber ausdrücklich nicht gewünscht ist, Tatbestandseingrenzungen aber notwendig und auch gewollt sind, ist die Frage der Tatbestandsweite im Einklang mit den Vorgaben beider Institutionen kaum zu bestimmen. Hinsichtlich der völkerrechtlichen Vorgaben gilt Ähnliches wie hinsichtlich der europäischen Vorgaben. Auch die entsprechende völkerrechtliche Vorschrift Art. 6 des Berner Übereinkommens erfasst lediglich das absichtliche Fangen und Töten.160 Anders als auf europäischer Ebene durch den EuGH sind auf völkerrechtlicher Ebene keine Konkretisierungen des Begriffs der Absicht ersichtlich. Eine europarechtskonforme Tatbestandseinschränkung dürfte indes auch den weniger bestimmten Anforderungen des Völkerrechts genügen – ebenso gilt, dass die Abwendung von subjektiven Merkmalen und Anerkennung tatbestandsbegrenzender Merkmale außerhalb des Absichtsbegriffs Probleme birgt. (bb) Reichweite des durch die Behörde im Zulassungsverfahren zu berücksichtigenden Verbots Die Anwendung des Tötungsverbotes durch Behörden in Zulassungsverfahren unterscheidet sich von der bezüglich des einzelnen Bürgers: Den Bürger trifft eine direkte Befolgungspflicht, deren Nichteinhaltung ordnungsrechtlich oder strafrechtlich geahndet werden kann. Neben der Eröffnung der Möglichkeit, den Bürger bei Vorliegen eines Verstoßes als Handlungsstörer zu präventiven Maßnahmen heranzuziehen, hat das Verbot daher für ihn repressiven Charakter. Die Behörde hingegen ist zur Einhaltung der Artenschutzvorschriften im Rahmen eines Zulassungsverfahren zwingend verpflichtet und bei einem drohenden Verstoß (sofern keine Vermeidungsmaßnahmen möglich oder Ausnahmen zulässig sind) gehalten, die Genehmigung zu versagen, um den Verstoß zu verhindern.161 Ziel der Anwen160 Die weitere Tatbestandsvariante des Haltens dürfte kein weiteres Verbot als den Besitz von Tieren nach Art. 6 lit. e bzw. Art. 12 Abs. 2 FFH-RL und § 44 Abs. 2 BNatSchG enthalten, ist daher nicht in § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG umgesetzt und somit im vorliegenden Zusammenhang zu vernachlässigen. 161 Vgl. zu den Pflichten der Behörde ausführlich auch D.IV.2.g)bb).

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dung des Artenschutzrechts im Rahmen behördlicher Entscheidungen ist nicht, die Behörde für einen möglicherweise dennoch erfolgenden Verstoß im Nachhinein zur Verantwortung zu ziehen oder ihr Verhalten zu sanktionieren. Die Kategorien des Ordnungswidrigkeiten- bzw. Strafrechts sind daher hier nicht anwendbar. Vielmehr liegt der Fokus auf der Beurteilung der Reichweite des Verbotstatbestands in der Situation, in der präventiv im Zulassungsverfahren die Verwirklichung des Verbotstatbestandes zu verhindern ist. Erteilt die Behörde die Genehmigung, liegt darin eine legalisierende Wirkung für den Vorhabenträger sowie gegebenenfalls die Wegbereitung für ein sozialadäquates Verhalten der Nutzer des Vorhabens, welches letztlich zur Tötung von Tieren führen kann (so beispielsweise für die Kraftfahrzeugführer im Fall des Baus einer öffentlichen Straße). Es geht daher nicht lediglich darum, „die Bürger und die für die Einrichtung einer Verkehrsanlage Verantwortlichen nicht gleichsam sehenden Auges in Situationen zu befördern, in denen die Verkehrsteilnehmer sich – z. B. mangels rechtzeitiger Information oder konkret realistisch erfolgsverhindernden Handlungsoptionen – nicht normkonform verhalten können bzw. die Betreiber der Anlagen ihre ,Kunden‘ unvermeidlich massenhaft in Situationen der unvermeidlichen Verletzung der Verbote führen“162. Die Verkehrsteilnehmer könnten mangels Vorsatzes bzw. mangels Zurechnung der Verbotsverwirklichung ohnehin nicht belangt werden. Es geht vielmehr um die Verpflichtung der Genehmigungsbehörde selbst, durch ihre Zulassung nicht den Weg zu einer legalen Verwirklichung des Tatbestandserfolg des Tötungsverbots zu ebnen. Zu untersuchen bleibt, wie weit diese Verpflichtung geht, da beim Bau einer Straße die Gefahr von Kollisionen kaum vollständig ausgeschlossen werden kann. Die Prüfung der Behörde muss sich auf zwei Aspekte konzentrieren: zum einen auf die Verwirklichung des Verbotstatbestandes durch die Errichtung des Vorhabens und zum zweiten auf die Verwirklichung des Verbotstatbestandes durch den späteren Betrieb. Problematisch ist insbesondere die zweite Prüfung, der auch die vieldiskutierten Kollisionsfälle zuzuordnen sind. Zu diesen werden bereits verschiedene Ansatzpunkte vertreten. Sowohl der VGH Mannheim als auch nachfolgend der VGH München sahen den Tatbestand des artenschutzrechtlichen Tötungsverbots beim Straßenbau im Hinblick auf spätere Kollisionsfälle nicht als erfüllt an, da sich die Vorschrift ihrer Auffassung zufolge nur auf zielgerichtetes, methodisches Vorgehen beziehe.163 Als Grund wurde angeführt, dass Art. 5 lit. a Vogelschutz-RL (das Tötungsverbot der Vogelschutzrichtlinie, das weitgehend Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL entspricht) den Zusatz „ungeachtet der angewendeten Methode“ enthalte. Daraus lasse sich 162

So aber Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (451). So bereits auch schon Kratsch, NuR 2007, 100 (104); dessen Auffassung folgen VGH Mannheim, NuR 2007, 685 ff.; VGH München, NuR 2008, 582 ff.; zustimmend de Witt/ Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 15 und de Witt, in: Hoppenberg/de Witt, Hdb. des öffentlichen BauR, Kap. E Rn. 569. 163

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allgemein (also auch für die FFH-RL) folgern, dass nur ein zielgerichtetes, methodisches Vorgehen erfasst sei. Dieses sei üblicherweise beim Bau einer Straße nicht anzunehmen und könne allenfalls für die bewusste Überbauung regelmäßig benutzter Wanderwege gelten.164 Dieses Argument lässt sich auf vielfache Weise widerlegen: Bereits methodisch ist es grundsätzlich nicht möglich, von einer engen europäischen Auslegung auf dieselbe Interpretation der deutschen Begrifflichkeiten zu schließen: Die europäischen Vorgaben bilden lediglich einen Mindestschutzstandard, über den die mitgliedstaatlichen Schutzvorschriften gemäß Art. 193 AEUV auch hinausgehen können. Restriktive europäische Vorgaben lassen daher keinen Schluss auf eine restriktive Auslegung des deutschen Rechts zu. Die Folgerung funktioniert nur in die umgekehrte Richtung, wenn weitgefasste europäische Vorgaben einer engen Auslegung des mitgliedstaatlichen Rechts entgegenstehen.165 Aber auch, wenn man den methodischen Fehler außer Acht lässt und die europäischen Vorgaben zur Orientierung heranzieht, kann die Auffassung der Gerichte nicht überzeugen: Sowohl Art. 5 Abs. 1 lit. a Vogelschutz-RL als auch Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL sehen ein zusätzliches Absichtserfordernis vor. Wären aber nur zielgerichtete Handlungen vom Tötungstatbestand erfasst, wäre das zusätzliche Absichtserfordernis schlicht überflüssig. Darüber hinaus ist die restriktive Auslegung des Tötungstatbestandes durch den VGH Mannheim und den VGH München sogar noch enger gefasst als die Interpretation einer absichtlichen Handlung durch den EuGH. Das Absichtsmerkmal ist nach dessen Ansicht als „bewusstes Inkaufnehmen“ auszulegen.166 Ein zielgerichtetes Vorgehen ist gerade auch europarechtlich nicht erforderlich – weder für das Tötungsmerkmal noch für eine absichtliche Handlung. In diese Richtung weist auch die völkerrechtskonforme Auslegung der Vorschriften der FFH-Richtlinie, die auf Vorgaben der Berner Konvention zurückgeht.167 Nach Art. 6 lit. a des Berner Übereinkommens ist „jede Form des absichtlichen Fangens, des Haltens und des absichtlichen Tötens“ zu verbieten. Ein methodisches Vorgehen wird bei der Handlung nicht gefordert.168 Auch die von den europäischen Vorgaben losgelöste Analyse der deutschen Verbotsvorschrift steht im Widerspruch zur (früheren) Auffassung des VGH Mannheim und des VGH München. Das Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG knüpft an den Erfolg einer Handlung an (z. B. die Tötung) und nicht an die Art der Handlung bzw. des Vorgehens.169 Die systematische Auslegung des Artenschutzregimes des BNatSchG führt zu demselben Ergebnis: Gemäß § 44 Abs. 4 und 5 164 VGH Mannheim, NuR 2007, 685 (686) und VGH München, NuR 2008, 582 (583) unter Verweis auf Kratsch, NuR 2007, 100 (104). 165 So richtig Gellermann, NuR 2008, 592 (592). 166 Dazu s. D.IV.2.a)aa). 167 Hierzu siehe B.I. 168 Gellermann, NuR 2008, 592 (592). 169 Gellermann, NuR 2008, 592 (592 f.).

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BNatSchG sind Handlungen im Rahmen der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft sowie im Rahmen zugelassener Eingriffe unter bestimmten Voraussetzungen von den Verbotstatbeständen ausgenommen. Diese Regelungen wären überflüssig, wenn der Tatbestand ohnehin nur zielgerichtete Tötungen erfasste, da die von § 44 Abs. 4 und 5 BNatSchG erfassten Handlungen solche nicht darstellen.170 In seiner weiteren Argumentation bezog sich der VGH München auf das europäische Absichtserfordernis: Er griff auf die Ausführungen der Europäischen Kommission zum Absichtsmerkmal zurück und schloss aus diesen, dass dem planenden Träger der Straßenbaulast für die Tatbestandsverwirklichung bewusst sein müsse, seine Handlung werde höchstwahrscheinlich zur Tötung bestimmter geschützter Arten führen. Dies mag hinsichtlich der Erfüllung des europäischen Absichtsmerkmals gelten – problematisch ist aber, dass die deutsche Vorschrift des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG gerade auf das Absichtsmerkmal verzichtet hat. So war es bereits in den Vorgängervorschriften hinsichtlich des Tötungsverbots geregelt (vgl. § 42 Abs. 1 BNatSchG a.F.) und gilt nunmehr auch hinsichtlich der Tatbestandsausnahme für land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung bzw. für die Ausführung eines zugelassenen Eingriffs in § 44 Abs. 4 und 5 BNatSchG (anders noch § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F.)171. Es widerspricht klar dem Willen des deutschen Gesetzgebers, das Absichtsmerkmal praktisch als ungeschriebenes Merkmal wieder einzuführen.172 Dementsprechend haben sich auch der VGH München und der VGH Mannheim inzwischen dem Maßstab des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen und ihre frühere Auslegung aufgegeben.173 Das Erfordernis des zielgerichteten Handelns wird allerdings immer noch auch von einzelnen Literaturstimmen verlangt und von diesen noch auf andere Weise begründet: Es fehle jeder adäquate Kausalzusammenhang zwischen Planung und Errichtung der Straße und dem Zusammenstoß einzelner Tiere mit dem späteren Straßenverkehr. Auch im Hinblick auf menschliche Verkehrsopfer bestehe ein nicht ausschließbares letztes Lebensrisiko, dies müsse auch für Tiere gelten.174 Dem Artenschutz komme kein Vorrang gegenüber anderen Gemeinschaftsgütern, wie der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse durch Einrichtung neuer Verkehrswege, zu. Der Vorhabenträger müsse aber mit artenschutzrechtlichen Problemen beispielsweise durch vorgezogene Vermeidungsmaßnahmen sachgerecht umgehen.175 Diese Erwägungen sind zwar in ihren Grundannahmen richtig, jedoch wird daraus ein falscher Schluss gezogen: Zuzustimmen ist zunächst, dass die Pflicht zu vorgezogenen Vermeidungsmaßnahmen besteht, wenn die Gefahr der Verwirklichung des 170

Gellermann, NuR 2008, 592 (593). Dazu s. oben D.IV.2.a)bb)(1). 172 Vgl. BT-Drs. 16/5100, S. 11; s. auch Gellermann, NuR 2008, 592 (592). 173 VGH München, BauR 2010, 1721 (1724); BayVBl 2011, 533 (535); VGH Mannheim, NuR 2011, 369 (374 f.). 174 Vgl. Stüer, NVwZ 2007, 1147 (1149). 175 Vgl. de Witt, in: Hoppenberg/de Witt, Hdb. des öffentlichen BauR, Kap. E Rn. 569. 171

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Verbotstatbestandes vorliegt. Sind vorgezogene Vermeidungsmaßnahmen aber nicht möglich und kann der Verbotstatbestand daher nicht ausgeschlossen werden, so gilt zunächst einmal nach den naturschutzrechtlichen Regelungen, dass die Zulassung zu versagen ist – auch wenn die Literatur diesen Schluss nicht ausdrücklich ziehen will. Die Lösung eines solchen Konflikts kann indes im System des (deutschen und europäischen) Artenschutzrechts in der Erteilung einer Ausnahme liegen. Es ist zwar korrekt, dass der Artenschutz allgemein betrachtet keinen absoluten Vorrang gegenüber anderen wichtigen Gemeinschaftsgütern und -interessen besitzt. Dies kommt auch in Art. 2 Abs. 3 FFH-RL sowie in § 2 Abs. 1, 3 BNatSchG zum Ausdruck. Allerdings handelt es sich um zwingend zu beachtende Vorschriften, die auch im Zulassungsverfahren unbedingt eingehalten werden müssen, sodass diese einer Abwägung nicht offen stehen. Den Vorrang zugunsten des Artenschutzrechts hat insofern der Gesetzgeber nicht zuletzt auch zur Erfüllung seiner (vermeintlichen)176 europarechtlichen Pflichten in seiner Abwägung vorweg festgelegt. Es ist auch nicht einleuchtend, wieso dies zu einer Anwendung des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG nur bei zielgerichtetem Handeln führen soll. Schließlich kann auch in einer Abwägung – in einer von den gesetzlichen Vorgaben losgelösten Betrachtung – der Artenschutz auch bei nicht zielgerichteten Tötungshandlungen überwiegen, wenn es sich beispielsweise um eine erhebliche Gefahr der Tötung von Exemplaren einer kaum noch vorhandenen Art handelt, die geplante Straße hingegen nicht unbedingt benötigt wird. Dass ein Letztrisiko vorhanden bleiben kann, ist nicht zu bestreiten – dies führt aber nicht zwingend zum Kriterium des zielgerichteten Handelns: Auch andere Lösungen (wie beispielsweise die noch im Folgenden untersuchte Ansicht des BVerwG) erkennen ein Letztrisiko dergestalt an, dass ein Kollisionsrisiko nie ganz auszuschließen ist. Dies bedeutet aber nur, dass ein Maßstab zur Unterscheidung der akzeptablen von den nicht mehr zu genehmigenden Fällen gefunden werden muss, aber nicht, dass dieser in der Zielgerichtetheit des Handelns liegt. Wie bereits ausgeführt, widerspricht diese Auslegung dem Willen des deutschen Gesetzgebers und ist daher abzulehnen. Eine andere, namentlich von Füßer und Lau vertretene Literaturmeinung hingegen versucht, die Problematik unter Bezugnahme auf Zurechnungsmaßstäbe des allgemeinen Ordnungsrechts, insbesondere unter Rückgriff auf den Störerbegriff zu lösen. Diese Ansicht ist auf der systematischen Stellung der artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote als materielles Ordnungsrecht gegründet.177 Verantwortlich für die Verursachung einer Gefahr ist im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht nach der herrschenden Theorie der unmittelbaren Verursachung 176 „Vermeintlich“ an dieser Stelle, weil der EuGH die Gefahr der Kollisionen durch den Betrieb von Straßen als unbeabsichtige Tötung einstuft und diese daher nicht dem Tötungsverbot des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL unterliegen, vgl. EuGH, Urt. v. 20. 05. 2010, Rs. C-308/08, Slg. 2010, I-4341, Rn. 54 ff. – Kommission/Königreich Spanien. Nichtsdestoweniger ist das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG und seine grundsätzliche Beachtung in behördlichen Verfahren europarechtlich gefordert. 177 Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (448).

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derjenige, dessen Verhalten die polizeirechtliche Gefahrenschwelle überschreitet und dadurch die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts begründet oder erhöht.178 Dementsprechend wird von der hier in Rede stehenden Literaturansicht der Straßenverkehrsteilnehmer, der mit dem Tier kollidiert, als vorrangiger Störer angesehen, da er in der Kausalkette, die letztlich zur Tatbestandsverwirklichung geführt hat, unmittelbar vor dem Erfolg an letzter Stelle steht.179 Die Behörde soll nur dann Adressatin der artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote sein, wenn ihr der Tatbestandserfolg als Resultat eigenen Handelns zugerechnet werden kann, sie also in „primärer“ Verantwortlichkeit handele. Ansonsten habe sie lediglich darauf zu achten, dass ein nicht normkonformes Verhalten primär verantwortlich Handelnder nicht „sehenden Auges angelegt“ wird. Die Behörde treffe nur eine „sekundäre Verantwortlichkeit“ im Rahmen der effektiven Durchsetzung des materiellen Ordnungsrechts.180 Den Grundsätzen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entsprechend soll neben dem unmittelbaren Verursacher jeder verantwortlich sein, dessen Handlungsbeitrag bei wertender Betrachtung direkt zur konkreten Gefahr für die besonders geschützten Arten führt.181 Dazu weisen Füßer und Lau auf die Figur des Zweckveranlassers hin. Diese wird im Polizei- und Ordnungsrecht teils als Ausnahme der Theorie der unmittelbaren Verursachung diskutiert, kann nach überzeugenderer Ansicht aber auch unter diese Theorie gefasst werden, indem die „letzte Ursache“ nicht zeitlich, sondern nach Wertungsgesichtspunkten begriffen wird.182 Die Figur beschreibt einen Handelnden, dessen Verursachungsbeitrag wiederum Handlungen anderer zur Folge hat, durch welche die Gefahr erst unmittelbar entsteht.183 Als Maßstäbe zur Ermittlung der Frage im Artenschutzrecht, ob jemand Zweckveranlasser bzw. Störer ist, werden von Füßer und Lau der Effektivitätsgrundsatz, der Erhaltungszustand der jeweils betroffenen Arten sowie der Grad der Gefahr, dass es zur Tatbestandsverwirklichung kommt, genannt. Im Hinblick auf Straßenbaulastträger als Störer soll zu prüfen sein, ob die Verwirklichung des verbotenen Erfolges wirksam nur unter Inanspruchnahme des Straßenbaulastträgers verhindert werden kann. Es gehe mithin nicht, wie das Bundesverwaltungsgericht 178 Vgl. BVerwG, NVwZ 2008, 684 (684); OVG Münster, NVwZ 1997, 804 (804 f.); Drews u. a., Gefahrenabwehr, S. 313; Schenke, POR, Rn. 242; Selmer, JuS 1992, 97 (98 f.). 179 Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (448). 180 Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (449). 181 Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (450). 182 Schenke, POR, Rn. 244 mit vielen Nachweisen auch zu kritischen Stimmen. 183 VGH Mannheim, DÖV 1996, 83 (84); Dietlein, in: Dietlein/Burgi/Hellermann, ÖR in NRW, § 3 Rn. 80; Götz, POR, § 9 Rn. 18 ff.; Schoch, in: Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, Kap. 2, Rn. 187 ff.; im Einzelnen streitig, es stehen sich zwei Lager gegenüber: die Vertreter der subjektiven Theorie, vgl. VGH Mannheim, DÖV 1990, 346 (346); VGH Kassel, NVwZ 1992, 1111 (1113); Knemeyer, POR, Rn. 328; Selmer, JuS 1992, 97 (99 f.), und die Vertreter der objektiven Theorie, vgl. OVG Lüneburg, NVwZ 1988, 638 (639); Götz, POR, § 9 Rn. 21; Schoch, in: Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, Kap. 2, Rn. 190 f.; ders., Jura 2009, 360 (363).

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annimmt, um die Frage, ob eine signifikante Risikoerhöhung vorliegt,184 sondern um die Frage, wer als Störer angesehen werden kann.185 Da Zulassungsbehörden im Rahmen von präventiven Kontrollverfahren hingegen formell polizeiliche Befugnisse wahrnehmen und damit für die Einhaltung des materiellen Rechts verantwortlich sind, sollen sie selbst niemals die Störereigenschaft im Falle eines Misserfolgs bei der Durchsetzung des Rechts besitzen (allenfalls könne ein einzelner Amtswalter bei kollusivem Zusammenwirken Störer sein).186 Diese Auslegung befinde sich auch im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH.187 Nichtsdestoweniger könne es im Rahmen der behördlichen präventiven Tätigkeit zur Verhinderung absehbarer Verletzungen der Verbote geboten sein, bereits auf der Ebene der Planung von Verkehrsvorhaben auf Vorkehrungen hinzuwirken, um das Risiko der Verwirklichung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände durch die normunterworfenen Bürger, die die Verkehrsanlagen letztlich nutzen, zu verringern. Letztere als potentielle unmittelbare Störer müssten aber nicht komplett aus der Verantwortung genommen werden.188 Geschuldet sei seitens der Zulassungsbehörde nur, „die Bürger nicht gleichsam sehenden Auges in Situationen zu befördern, in denen die Verkehrsteilnehmer sich nicht normkonform verhalten können bzw. die Betreiber der Anlagen ihre ,Kunden‘ unvermeidlich massenhaft in Situationen der unvermeidlichen Verletzung der Verbote führen“.189 Als mögliche Vorkehrungsmaßnahmen kämen eine andere Trassenwahl, Überleithilfen und Geschwindigkeitsbegrenzungen, ggf. sogar bloße Hinweisschilder in Betracht.190 Die Ordnungsbehörde könne teilweise auch auf die Möglichkeit von späteren Maßnahmen seitens der Straßenverkehrsbehörde verweisen, die auch Befugnisse zum Erlass von Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Schildern habe. Sie müsse insoweit nicht zwingend die artenschutzrechtliche Problematik abschließend behandelt haben, wobei die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Zulassungsbehörde und Straßenverkehrsbehörde auch Probleme berge. Ein Eingreifen letzterer soll demnach erst bei Herausbilden von „Unfallschwerpunkten“ möglich sein – bis dahin gelte das allgemeine Lebensrisiko.191 Der Ansicht ist in mancher Hinsicht zuzustimmen. Dies gilt insbesondere für die formelle Stellung und materielle Pflichtigkeit der Genehmigungsbehörde im Zulassungsverfahren. Zudem ist eine dogmatische Herangehensweise begrüßenswert, da zu häufig eine von der Systematik der Rechtslage losgelöste Betrachtung zu beobachten ist, was bei der Beurteilung der Problematik kaum zu einer angemes184 185 186 187 188 189 190 191

Dazu noch sogleich. Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (450). Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (450). Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (451). Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (451). Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (451). Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (451 f.). Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (452 f.).

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senen Lösung führen kann. Dennoch kann die Ansicht im Ergebnis nicht vollständig überzeugen, da der Rückgriff auf den Störerbegriff nur bedingt bei der artenschutzrechtlichen Problematik weiterhelfen kann. Dies gilt bereits für die Betrachtung des Straßenverkehrsteilnehmers als Störer: Liegt bereits ein Verstoß gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot vor, so hilft der Rückgriff auf den Störerbegriff nicht weiter, da es sich nicht mehr um die Möglichkeit einer effektiven Gefahrenbeseitigung handelt, die maßgeblich die Ermittlung der ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit prägt. Es kann dann nur noch um die Sanktionierung eines Verstoßes gehen.192 In präventiver Hinsicht wiederum, also zur Verhinderung von Verstößen gegen das Artenschutzrecht, werden hauptsächlich die Zulassungsbehörden tätig. Dabei ist der dargestellten Literaturansicht darin zuzustimmen, dass diese Behörde nicht formell polizeipflichtig (auch nicht im Falle später folgender Verstöße gegen die artenschutzrechtlichen Verbote wegen mangelnder Beachtung im Zulassungsverfahren), aber materiell an das Artenschutzrecht gebunden ist. Zwischen den beiden Arten der Pflichtigkeit ist streng zu unterscheiden:193 Auch juristische Personen des öffentlichen Rechts sind materiellrechtlich an die Vorgaben anderer Rechtsgebiete des Bundes- oder Landesrechts einschließlich des Ordnungsrechts gebunden;194 allerdings können ihre materiellen Befugnisse und Pflichten von denen Privater durch die Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Aufgabe abweichen.195 Vorwiegend werden Infrastrukturprojekte im Rahmen von Planfeststellungsverfahren geprüft, in denen das Artenschutzrecht als zwingend zu beachtender Vorschriftenkatalog Geltung erlangt.196 Selbiges gilt auch für den Bereich der Bauleitplanung und die naturschutzrechtliche Eingriffsprüfung.197 Die Frage bleibt jedoch, welchen Maßstab die Behörde bei Anwendung der Verbotsvorschriften inhaltlich anzuwenden hat; zum einen, um den Anforderungen des deutschen Rechts zu genügen, und zum anderen, um einen Verstoß gegen die europäischen Vorgaben in Form eines Vollzugsdefizits zu vermeiden. Eine Modifikation der Vorschriften ist bereits durch die Ausgestaltung als Verbotsvorschriften erforderlich, die nicht auf die präventive Anwendung im Zulassungsverfahren passt. Die Generalanwältin am EuGH Kokott hat herausgearbeitet, dass das im europäischen Recht bestehende Erfordernis des „absichtlichen“ Handelns im Rahmen des Tötungsverbotes in dieser Situation nicht anwendbar sei, und sieht von dem Vorliegen dieses Merkmals bei Behörden ab. Vielmehr gehe es bei der Prüfung eines 192

Siehe dazu bereits D.IV.2.a)bb)(2)(c)(aa). Schenke, POR, Rn. 234. 194 BVerwGE 29, 52 (56 ff.); 44, 351 (357 f.); Gebhard, DÖV 1986, 545 (546 ff.); Götz, POR, § 9 Rn. 76; Scholz, DVBl 1968, 732 (737). 195 Schenke, POR, Rn. 233 f. 196 Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 153; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 74 Rn. 53; Philipp, NVwZ 2008, 593 (593 ff.); Vogt, ZUR 2006, 21 (24); Wolf, ZUR 2006, 505 (509); vgl. auch dazu D.IV.2.g)bb). 197 Dazu s. D.IV.6.d)bb). 193

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Verstoßes gegen das Verbot des Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL durch eine Genehmigungsbehörde darum, ob die Behörde davon hätte ausgehen müssen, das zu genehmigende Vorhaben verletze den Verbotstatbestand.198 Der EuGH weist die Rüge der Kommission zurück, ohne zu dieser Auslegung im Einzelnen Stellung zu nehmen. Im deutschen Verbotstatbestand wird, anders als in der europäischen Vorgabe, kein Vorsatz verlangt, sodass sich diese Problematik nicht stellt.199 Dennoch bleibt die Frage, welchen Inhalt die Prüfung der Behörde genau haben muss. Die genannte Literaturansicht hat ausgeführt, dass es lediglich darum gehe, den Normanwender nicht in Situationen zu bringen, in denen er sich nicht normkonform verhalten kann. Es müssten (darüber hinaus) nicht alle Probleme abschließend auf der Ebene der Planfeststellung geklärt sein. Beide Aussagen können vor dem Hintergrund des deutschen Regelungssystems nicht überzeugen, stehen aber im Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben: Auf der Grundlage der behördlichen Zulassung wird die Nutzung einer Straße freigegeben und damit die Sozialadäquanz deren Nutzung begründet, beziehungsweise hinsichtlich des Betriebs anderer Vorhaben, die Kollisionsrisiken bergen, wie beispielsweise Windkraftwerken, tritt Legalisierungswirkung ein. Insofern wäre ein Großteil der zu erwartenden Kollisionen auf normkonformes Verhalten zurückzuführen – lediglich abgesehen von den Verstößen, die auf regelwidrigem Verhalten eines Verkehrsteilnehmers wie z. B. dem Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit beruhen. Es geht folglich vielmehr darum, das zu erwartende normkonforme Verhalten der Bürger daraufhin zu prüfen, ob der Erfolg des artenschutzrechtlichen Tötungsverbotes eintritt. Da ein Kollisionsrisiko nie ganz zu vermeiden ist, kann es aber auch nicht darum gehen, jede Art von Kollision (bei regelkonformem Verhalten des Nutzers) auszuschließen. Insofern muss ein anderer Maßstab gefunden werden. Da die materielle Pflicht der Behörde besteht, die Artenschutzverbote zwingend zu beachten, ist es auch nicht möglich, auf eine nachfolgende Problemlösung durch andere Behörden, namentlich die Straßenverkehrsbehörde zu verweisen. Sie ist vielmehr selbst zur vollständigen Behandlung der Problematik verpflichtet: Kann sie – im Rahmen der verfügbaren Prognosen – einen Verstoß durch Bau und Betrieb des zu genehmigenden Projektes nicht ausschließen, muss sie (nach erfolgloser Prüfung einer Ausnahmeerteilung) die Genehmigung versagen. Wird abgewartet, bis die Straßenverkehrsbehörde (noch vorausgesetzt, sie besitzt die erforderlichen Mittel) eingreift, weil sich Unfallschwerpunkte gebildet haben, dann wurde bereits irreversibel der Tötungserfolg verwirklicht, obwohl er durch eine abschließende Konfliktbewältigung im Rahmen des Zulassungsverfahrens hätte verhindert werden können. Dies entspricht nicht der Pflicht zur Beachtung des (deutschen) Artenschutzrechts durch die Planfeststellungsbehörde. Im Hinblick auf die europarechtlichen Vorgaben wäre es hingegen weniger problematisch: Der Fall der Kollision von 198

GAin Kokott, Schlussanträge v. 15. 12. 2005, Rs. C-221/04, Slg. 2006, I-4515, Rn. 66 – Kommission/Königreich Spanien. 199 Vorsatz ist allerdings bei den Zugriffsverboten Voraussetzung einer Sanktionierung, vgl. dazu D.IV.2.g)aa).

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Tieren und Fahrzeugen wurde vom EuGH als Problem der unbeabsichtigten Tötung gemäß Art. 12 Abs. 4 FFH-RL behandelt.200 Damit sind die Anforderungen an Behörden deutlich geringer, als sie es im Falle des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL wären und als sie es im deutschen Recht sind. Gefordert ist lediglich die Überwachung des unbeabsichtigten Tötens sowie im Folgenden die Einleitung derjenigen Untersuchungs- und Erhaltungsmaßnahmen, die notwendig sind, um sicherzustellen, dass das unbeabsichtigte Töten keine signifikanten negativen Auswirkungen auf die Art hat, Art. 12 Abs. 4 FFH-RL.201 Die Erforderlichkeit solcher Maßnahmen wird aber typischerweise erst im Rahmen vom Monitoring, das bedeutet erst nach Eintreten von Fällen unbeabsichtigter Tötung, festgestellt. Solange solche nicht festgestellt wurden, verlangt Art. 12 Abs. 4 FFH-RL keine vorsorgenden Maßnahmen zur Vermeidung unbeabsichtigter Tötungen. Im Hinblick auf die Anforderungen des deutschen Rechts wird es noch problematischer, wenn die Straßenverkehrsbehörde die adäquaten Maßnahmen gar nicht ergreifen kann, sondern solche nur im Rahmen der Planfeststellung hätten getroffen werden können. Zu denken ist beispielsweise an eine alternative Trassenführung. Zwar kann dem entgegengesetzt werden, dass solche Maßnahmen eben bei Planfeststellung bedacht werden müssten, andere aber auf später verschoben werden könnten. Darauf ist zu erwidern, dass dazu eine vollständige und genaue prognostische Beurteilung im Rahmen einer umfassenden Abwägung im Zulassungsverfahren erforderlich ist. In diesem Zusammenhang direkt alle Maßnahmen zu prüfen (wozu die Zulassungsbehörde auch regelmäßig die bessere Fachkompetenz besitzt)202 und gegebenenfalls anzuordnen, statt die Verwirklichung des Erfolgs abzuwarten, ist nicht nur geboten, sondern auch praktisch sinnvoll. Das bedeutet nicht, dass im Falle nicht vorhersehbarer oder von der prognostischen Beurteilung durch die Behörde abweichender Entwicklungen nicht auch im Nachhinein noch Anordnungen durch die zuständige Behörde getroffen werden können und müssen. Doch darf die Konfliktlösung nicht (teilweise) einfach aufgeschoben werden. Dabei ist auch die Kostensicherheit des Vorhabenträgers und damit insgesamt die Investitionsbereitschaft zu bedenken: Diese würde entsprechend leiden, wenn wegen einer unterlassenen umfassenden Konfliktbewältigung im Zulassungsverfahren im Nachhinein zahlreiche Umbaumaßnahmen erforderlich würden, die durch entsprechende Festsetzungen zu Beginn hätten vermieden können. Offen bleibt schließlich weiterhin, wo genau die Grenze eines möglichen zu beachtenden Verstoßes (materiell) zu ziehen ist. Zwar führt die genannte Literaturansicht durch die Verortung im Ordnungsrecht teils zu korrekten Erkenntnissen, was die Befugnisse und Pflichten der Behörde formell betrifft – das Ordnungsrecht selbst nimmt hingegen keine inhaltliche Wertung des Artenschutzrechts vor. Die 200 EuGH, Urt. v. 20. 05. 2010, Rs. C-308/08, Slg. 2010, I-4341, Kommission/Königreich Spanien; dazu auch schon Beier/Geiger, DVBl 2011, 399 (403 f.). 201 Hierzu noch ausführlicher D.IV.2.f). 202 Dies sehen auch Füßer/Lau, vgl. NuR 2009, 445 (452).

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allgemein verwendeten Zurechnungskriterien (unmittelbare Verursachung durch Übertreten der Gefahrenschwelle; Eigenschaft als Zweckveranlasser u. ä.) geben insoweit lediglich vor, dass eine Wertung vorgenommen werden muss. Eine Zurechnung nach diesen Maßstäben erscheint außerdem wegen ihres Bezugs auf Handlungsbeiträge einzelner Personen unzureichend – in der vorliegenden Situation geht es schließlich um die Genehmigung eines Projektes (das mit sehr vielen Handlungsbeiträgen verbunden ist) und die darauf bezogene artenschutzrechtliche Prüfung.203 Im Rahmen der vorgenommenen Wertung geht die Interpretation der Literaturansicht mit ihrem entwickelten Maßstab vor dem deutschen Regelungshintergrund zu weit. Die Reichweite des durch die Zulassungsbehörde zu berücksichtigenden Verbotsinhalts bleibt nach wie vor offen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu in seiner Rechtsprechungslinie einen eigenen Wertungsmaßstab entwickelt. Der Verbotstatbestand sei erst erfüllt, wenn sich für die betroffenen geschützten Tierarten das Risiko des Erfolgseintritts durch das Vorhaben in signifikanter Weise erhöht.204 Einzelne Kollisionen von Tieren seien nie ganz auszuschließen und müssten als unvermeidlich hingenommen werden, wenn das Tötungsverbot nicht zu einem unverhältnismäßigen Planungshindernis werden solle. Von einer signifikanten Risikoerhöhung soll nur ausgegangen werden können, wenn es erstens um Tiere solcher Arten geht, die aufgrund ihrer Verhaltensweisen gerade im Bereich des Vorhabens ungewöhnlich stark von den Risiken des dadurch verursachten Straßenverkehrs betroffen sind, und zweitens diese besonderen Risiken durch die konkrete Ausgestaltung des Vorhabens einschließlich der geplanten Vermeidungs-/Minderungsmaßnahmen sich nicht beherrschen lassen.205 Bei der Beurteilung der Signifikanz seien insbesondere artspezifische Verhaltensweisen, häufige Frequentierung des durchschnittenen Raums und die Wirksamkeit vorgesehener Schutzmaßnahmen zu berücksichtigen.206 Für diese Prüfung soll die Behörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative besitzen.207 Auch die Lösung des Bundesverwaltungsgerichts ist daraufhin zu untersuchen, ob sie im Einklang mit den europäischen Vorgaben steht sowie hinsichtlich des deutschen Regelungshintergrundes als Zurechnungsmaßstab herangezogen werden kann. Wie bereits festgestellt, ist das Merkmal der Absichtlichkeit bei der Anwendung durch Behörden problematisch. Ein Verzicht auf das Absichtsmerkmal bei der artenschutzrechtlichen Prüfung in Zulassungsverfahren, wie sie die Generalanwältin Kokott vorschlägt, bedeutet aber nicht, dass jeglichem Vorhaben, welches möglicherweise die Tötung eines Tiers der geschützten Art zur Folge hat, die Genehmi203

Dazu auch noch im Folgenden D.IV.2.g)aa). BVerwGE 130, 299 (366); 131, 274 (301); 140, 149 (163); vgl. auch BVerwG, NuR 2008, 495 (499). 205 BVerwGE 133, 239 (254). 206 BVerwGE 140, 149 (163). 207 BVerwGE 131, 274 (301 f.); 140, 149 (163); BVerwG, NVwZ 2009, 1296 (1304); BVerwG, NVwZ 2010, 380 (382). 204

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

gung zu versagen ist. Denn auch wenn die Handlung der Behörde nicht absichtlich sein muss, um in einem Verstoß gegen das Tötungsverbot zu resultieren, so wird doch hinsichtlich des zu genehmigenden Vorhabens noch zwischen absichtlichen und unabsichtlichen Handlungen unterschieden. Anders ist nicht zu erklären, dass der Fall der Kollision von Tieren und Fahrzeugen vom EuGH als Problem der unbeabsichtigten Tötung gemäß Art. 12 Abs. 4 FFH-RL behandelt wurde.208 Damit sind die Anforderungen an Behörden deutlich geringer, als sie es im Falle des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL wären. In letzterem Fall müssten, wenn Tötungen nicht vollständig ausgeschlossen werden könnten, wie dies bei realistischer Betrachtung bei den fraglichen Vorhaben anzunehmen ist, die Voraussetzungen für eine Ausnahmeerteilung gemäß Art. 16 FFH-RL vorliegen.209 So sieht es indes das Bundesverwaltungsgericht, das die Inkaufnahme eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos unter die europarechtliche Definition der Absicht subsumiert und sie im Ergebnis als absichtliches Handeln der Behörde eingestuft hat.210 Da das Problem aber vom EuGH als Fall der unbeabsichtigten Tötung eingeordnet wird, ist europarechtlich lediglich die Überwachung des unbeabsichtigten Tötens erforderlich sowie im Folgenden die Einleitung derjenigen Untersuchungs- und Erhaltungsmaßnahmen, die notwendig sind, um sicherzustellen, dass das unbeabsichtigte Töten keine signifikanten negativen Auswirkungen auf die Art hat, Art. 12 Abs. 4 FFH-RL.211 Dementsprechend passt das Kriterium der signifikanten Risikoerhöhung gut zu den europarechtlichen Anforderungen: Sind signifikante Auswirkungen zu befürchten, müssen nach europäischem Recht weitere Untersuchungs- und angemessene Erhaltungsmaßnahmen ergriffen werden. Dem werden die Anforderungen des deutschen Rechts gerecht: Im Fall einer signifikanten Risikoerhöhung ist sogar ein Verstoß gegen das deutsche Tötungsverbot anzunehmen, der durch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen vermieden wird oder zur Folge hat, dass im Rahmen einer Ausnahmeerteilung Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden oder die Genehmigung zu versagen ist. Diese Maßnahmen sind als Erhaltungsmaßnahmen i.S.d. Art. 12 Abs. 4 FFH-RL ausreichend. Dabei bezieht sich der Maßstab des Bundesverwaltungsgerichts zur Einleitung solcher Maßnahmen auf die Erheblichkeit der Risikoerhöhung, anders als der europäische Maßstab des Art. 12 Abs. 4 FFH-RL, der sich auf die Auswirkungen selbst bezieht. Der Maßstab des Bundesverwaltungsgerichts ist daher sogar strenger als der des Art. 12 Abs. 4 FFH-RL. Liegt keine signifikante Risikoerhöhung vor und treten dennoch einzelne Todesfälle auf, erfüllen diese nach deutscher Auslegung nicht den Tatbestand des Tötungsverbots, müssen aber nach europäischen Vorgaben als unbeabsichtigte Tötung gewertet werden. Dies führt nicht zwangsläufig zu einem Widerspruch, da noch § 38 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG zur Anwendung gelangen kann,

208 EuGH, Urt. v. 20. 05. 2010, Rs. C-308/08, Slg. 2010, I-4341, Kommission/Königreich Spanien; dazu auch schon Beier/Geiger, DVBl 2011, 399 (403 f.). 209 Vgl. Beier/Geiger, DVBl 2011, 399 (404). 210 BVerwGE 140, 149 (169). 211 Hierzu noch ausführlicher unter D.IV.2.f).

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wonach Maßnahmen zu treffen sind, um sicherzustellen, dass das unbeabsichtigte Töten keine erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die geschützten Arten hat. Die Beurteilung des Maßstabs des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der Implementierung des umzusetzenden Verbotes in das deutsche Rechtssystem gestaltet sich problematischer, da der Tatbestand des deutschen Tötungsverbots von subjektiven Voraussetzungen (des Straßenverkehrsteilnehmers) unabhängig ist. Die bereits angesprochene Problematik bleibt bestehen: Fraglich ist, welchen Prüfungsmaßstab die Behörde anlegen muss. Die Prüfung darauf zu beschränken, ob Normanwender sich bei Nutzung der zu genehmigenden Straße normkonform verhalten können, ist, wie zuvor dargelegt, nicht sinnvoll. Gefordert wird im deutschen Recht vielmehr, die Prüfung darauf auszurichten, ob durch Bau und Betrieb der Straße der Tötungstatbestand verwirklicht wird. Da es sich um die präventive Prüfung des Projekts handelt und nicht um die Heranziehung eines einzelnen Menschen zu einer Strafe oder einem Bußgeld, ist es erforderlich, den Blickwinkel vom Menschen (Vorhabenträger, Straßenverkehrsteilnehmer) weg und auf das Projekt zu richten, d. h. zu fragen, ob der Erfolg eines artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes durch den Bau oder Betrieb des Projekts verursacht wird. Auf welche Weise und durch wen letztlich der Tatbestand verwirklicht wird, sei es durch einen Nutzer (wie den Straßenverkehrsteilnehmer), einen Bauarbeiter (der bei der Errichtung mitwirkt) oder einen Sachbearbeiter (der den Betrieb eines Vorhabens in sonstiger Weise steuert), spielt keine Rolle. Daher können in der Prüfung auch Windkraftanlagen (bei denen im Hinblick auf den Tötungserfolg keine Handlung eines Nutzers zwischengeschaltet ist) ebenso wie Straßen behandelt werden. Indem die Prüfung von dem Handlungsbeitrag eines einzelnen Menschen weg verlagert wird, können Zurechnungsmaßstäbe, wie sie aus dem Strafrecht oder Ordnungsrecht bekannt sind, nicht mehr herangezogen werden. Vergleiche in systematischer Hinsicht bieten sich daher lediglich hinsichtlich der Prüfung von Vorhaben bezüglich des Verstoßes gegen andere Rechtsvorschriften und dort bestehende Maßstäbe an. Am naheliegendsten erscheint hier ein Vergleich mit anderen naturschutzrechtlichen Vorschriften, namentlich mit denen des Habitatschutzes. Gemäß § 34 Abs. 1, 2 BNatSchG (ebenso gemäß Art. 6 Abs. 3 FFH-RL) sind Beeinträchtigungen nur dann relevant für die Zulassungsprüfung eines Vorhabens, wenn sie die Erheblichkeitsschwelle überschreiten. Zwar könnte argumentiert werden, dass im Artenschutzrecht anders als im Habitatschutzrecht keine allgemeine Erheblichkeitsschwelle statuiert ist. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die artenschutzrechtlichen Verbote auf Handlungen Einzelner und deren Beurteilung ausgerichtet sind und die Prüfung von Projekten Modifikationen erfordern kann, wozu eine Orientierung an den Maßstäben des Gebietsschutzes sinnvoll erscheint. Der Gesetzgeber hält sich in der Gesetzesbegründung bei seinen Ausführungen zu der (erkannten) Problematik zurück: Die Verwirklichung sozialadäquater Risiken, wie etwa unabwendbare Tierkollisionen im Verkehr, erfülle nicht die Tatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG. Derartige Umstände seien „bei der Zulassung entsprechender Vorhaben ggf. im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung mit

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der gebotenen Sorgfalt zu berücksichtigen“212. Daraus ist lediglich zu schließen, dass eine umfassende Prüfung mit entsprechenden prognostischen Beurteilungen im Vorhinein erfolgen muss, da im Nachhinein die Straßenteilnehmer nicht mehr im Falle einer Tötung durch Kollision belangt werden können. Die Formulierung „der gebotenen Sorgfalt“ lässt allerdings die erforderliche Prüfungsreichweite offen. Teleologisch betrachtet überzeugt wiederum der Maßstab des BVerwG: Ohne eine solche Relevanzschwelle wären enorme Probleme im Bereich des Infrastrukturnetzes unvermeidbar, da Neuvorhaben oder Änderungen kaum noch genehmigt werden könnten – einzelne Kollisionen sind letztlich in den seltensten Fällen gänzlich auszuschließen. Das BNatSchG räumt bei einem Konflikt umweltrechtlichen (einschließlich artenschutzrechtlichen) Interessen gegenüber anderen, beispielsweise volkswirtschaftlichen Interessen, keinen absoluten Vorrang ein. Dies ergibt sich bereits aus verfassungsrechtlichen Erwägungen und wird einfachrechtlich aus der Zusammenschau von § 1 BNatSchG mit § 2 BNatSchG erkennbar.213 Zwar erfährt der Artenschutz im deutschen Recht durch den Wegfall subjektiver Voraussetzungen eine stärkere Gewichtung als im europäischen Recht, nach dessen Anforderungen der Maßstab des Bundesverwaltungsgerichts keine Probleme bereitet. Dem hohen, aber nicht absolut zu schützenden Gewicht des Artenschutzes stehen Auswirkungen auf die Infrastrukturplanung und damit verbundene (volks) wirtschaftliche Beeinträchtigungen sowie auch Beeinträchtigungen der Bürger im privaten Leben (durch mangelnde Fortbewegungsmöglichkeiten, wenn Straßen, Flughäfen, Wasserstraßen214 nicht mehr gebaut werden) gegenüber. Letzteren wird die Begrenzung der relevanten Risiken auf eine „signifikante Erhöhung“ gerecht, ohne dass die artenschutzrechtlichen Belange vollständig ausgeblendet werden. Immerhin werden, wie dargelegt, die artenschutzrechtlichen Belange im deutschen Recht immer noch strenger berücksichtigt, als das Europarecht dies vorgibt. Der Ansicht des BVerwG haben sich zahlreiche Stimmen der Literatur und Rechtsprechung angeschlossen,215 die die Formel des Gerichts teilweise auch fortzuentwickeln versuchen: Das OVG Lüneburg hat unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erneut klargestellt, dass der Begriff der Signifikanz „als eine ,deutliche‘ Steigerung des Tötungsrisikos und nicht […] im Sinne einer Abgrenzung zu ,zufälligen‘ Ergebnissen verstanden“ werden soll.216 Teils wird die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch dahingehend konkretisiert, dass ein signifikantes Risiko in der Gefährdung der „lokalen Popu212

BT-Drs. 16/5100, S. 11. Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen s oben B.III.1. 214 Zur Erstreckung des Maßstabs auf die beiden letzteren vgl. die Ausführungen im Folgenden. 215 OVG Lüneburg, NuR 2009, 188 (193); inzwischen auch VGH München, BauR 2010, 1721 (1724); BayVBl 2011, 533 (535); OVG Münster, Urt. v. 30. 07. 2009, 8 A 2357/08, juris, Rn. 145; Gassner, NuR 2008, 613 f.; Gellermann, NuR 2009, 85 (86); Heugel, in: Gassner/ Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 569; kritisch hingegen Brandt, ER 2013, 192 (195). 216 OVG Lüneburg, NuR 2009, 188 (193). 213

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lation“ durch die kollisionsbedingten Tötungen einzelner Exemplare zu sehen sei.217 Solche Konkretisierungen sind – sofern sie überhaupt weiter gehende Maßstäbe als die durch das Bundesverwaltungsgericht vorgegebenen beinhalten – europarechtskonform, da es insofern lediglich auf die Einhaltung der Vorgaben des Art. 12 Abs. 4 FFH-RL ankommt, die aus den bereits dargestellten Gründen nicht gefährdet ist. Problematischer erscheint hingegen die Erstreckung des Maßstabs der signifikanten Risikoerhöhung vom konkreten Fall des Straßenbaus auf andere Vorhaben. Vom Bundesverwaltungsgericht wurde der Maßstab für erstere Fälle entwickelt und bislang selten bei anderen Vorhaben angewendet,218 jüngst allerdings erst im Rahmen der Zulassungsprüfung einer Windenergieanlage.219 Literaturstimmen sowie die (ober)verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung wenden den Maßstab des Bundesverwaltungsgerichts zumeist ohne nähere Begründung auch auf andere Infrastrukturvorhaben an.220 Dazu zählen insbesondere Flughäfen, Wasserstraßen, Eisenbahnen und Windkraftwerke, aber auch sonstige unbewegliche Kraftwerke, Hochspannungsfreileitungen und Gebäudekörper von Industrieanlagen. Die bereits dargestellten systematischen und teleologischen Erwägungen für die Implementierung ins deutsche Recht gelten für Flughäfen, Eisenbahnen und Wasserstraßen ebenso wie für Straßen. Im Falle der Windenergieanlagen kommt zusätzlich zum Tragen, dass es sich dann auch um einen Konflikt umweltrechtlicher Interessen untereinander handelt: Dem Artenschutz steht der Ausbau der Möglichkeiten zur Nutzung erneuerbarer Energien gegenüber, welcher ausdrücklich seitens des Gesetzgebers gewünscht ist.221 Sonstige (unbewegliche) Vorhaben besitzen Bedeutung für die Wirtschaft, aber nicht schlechthin für die Infrastruktur und damit auch die Bürger selbst; ihre Bedeutung kann im Einzelfall variieren. Die Ausweitung des Maßstabs ist indes nur zulässig, wenn auch die europäischen Vorgaben einer Anwendung nicht entgegenstehen. Soweit ersichtlich beschränkt sich die Ausweitung des Maßstabs des Bundesverwaltungsgerichts durch Rechtsprechung und Literatur auf Kollisionsrisiken und 217 Vgl. OVG Magdeburg, Urt. v. 16. 08. 2007, 2 L 610/04, juris, Rn. 40; Wemdzio, NuR 2011, 464 (464 f.), der auch näher auf die Bestimmung der „lokalen Population“ eingeht; siehe auch ders., EurUP 2011, 171 (174 f.). 218 In einem Fall hat das BVerwG den Maßstab allerdings auch bei der Beurteilung des Ausbaus von Start- und Landebahnen eines Verkehrsflughafens angelegt, BVerwG, NVwZ 2010, 123 (131), insoweit nicht abgedruckt bei BVerwGE 134, 166 ff. 219 BVerwG, NVwZ 2013, 1411 ff. 220 OVG Weimar, NuR 2010, 368 (369 f.); OVG Koblenz, DVBl 2011, 504 (507 f.); OVG Lüneburg, NuR 2011, 431 (431 ff.); OVG Magdeburg, NuR 2013, 514 (515 ff.); Urt. v. 26. 10. 2011, 2 L 6/09, juris, Rn. 59; VGH München, Beschl. v. 26. 01. 2012, 2 CS 11.2783, juris, Rn. 15; VG Minden, ZNER 2010, 192 (195); Anger, RdE 2011, 84 (87 f.); Attendorn, NuR 2013, 153 (160); Fest, Errichtung von Windenergieanlagen, S. 306 f.; Louis, NuR 2009, 91 (93); Rieger, UPR 2012, 1 (7); Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 44 Rn. 16; Stehlin/Karlin, VBlBW 2013, 81 (82); Thyssen, EurUP 2009, 172 (174); Wemdzio, EurUP 2011, 171 (173 ff.); kritisch indes Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 9. 221 Vgl. nur die Gesetzeslage in diesem Bereich, namentlich die Regelungen des EEG.

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umfasst nicht jegliche sonstige im Rahmen des Vorhabenbaus und -betriebs mögliche Tötung. Unterschieden wird teilweise zwischen vollständig unbeweglichen Anlagen (bloße Gebäudekörper) und solchen, deren Betrieb mit Bewegung einhergeht (Infrastrukturvorhaben wie Straßen, Eisenbahnen, Wasserstraßen sowie auch Windkraftwerke).222 Die Beurteilung der Europarechtskonformität hängt von der Absichtlichkeit im Sinne der FFH-RL der mit dem zu genehmigenden Vorhaben einhergehenden Tötung ab. Dieses Kriterium entscheidet, ob das Verbot des Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL oder Art. 12 Abs. 4 FFH-RL Anwendung findet, und bestimmt somit die Strenge der europarechtlichen Vorgaben. Tötungen im Rahmen von Straßenbauvorhaben wurden vom EuGH als unabsichtlich eingestuft. Problemlos übertragbar ist diese Situation auf sonstige Infrastrukturvorhaben, die ein Kollisionsrisiko des Vorhabennutzers mit einem Exemplar der geschützten Arten bergen, namentlich Eisenbahnstrecken, Wasserstraßen und wohl auch Flughäfen. Ein Unterschied zu sonstigen Vorhaben einschließlich Windkraftanlagen besteht darin, dass bei letzteren keine Zwischenhandlung eines Nutzers mehr erfolgt, sondern die Tötung durch das Vorhandensein oder den Betrieb des Vorhabens selbst bedingt ist. Es kommt daher nicht mehr auf den Willen des Nutzers (wie des Kraftfahrzeugführers), sondern den des Vorhabenträgers an. Fraglich ist, ob dies einen Wertungsunterschied begründen kann. Die Definition des Absichtsbegriffes gibt insoweit nicht viel her („wenn nachgewiesen ist, dass der Handelnde den Fang oder die Tötung eines Exemplars einer geschützten Tierart gewollt oder zumindest in Kauf genommen hat“223). In Frage käme nur die Alternative des „Inkaufnehmens“ des Tötungserfolges. Wird auf das Inkaufnehmen eines Tötungserfolges in einem konkreten Fall abgestellt, so ist dieser sicherlich nicht vorhersehbar und kann auch nicht durch den Vorhabenträger in Kauf genommen werden. Kommt es nur darauf an, dass mit dem Tötungserfolg abstrakt zu rechnen ist, so wird zumindest bei Windkraftanlagen in einem Gebiet, in dem Fledermäuse (als die durch die FFH-RL geschützte Art, die vornehmlich durch Windkraftanlagen betroffen ist) ansässig sind, mit dem Risiko einer Tötung durch Kollision zu rechnen sein. Ein Vergleich mit dem durch den EuGH entschiedenen Fall des Straßenbaus zeigt hingegen, dass letztere Argumentation nicht zum Tragen kommen kann: Das abstrakte Kollisionsrisiko ist zumindest beim Vorhandensein von Hinweisschildern auch dem Straßennutzer bekannt ebenso wie dem Vorhabenträger des Ausbaus einer Straße – dennoch nimmt der EuGH eine unabsichtliche Tötung an. Ein Wertungsunterschied dieses Falls zu dem eines Vorhabenträgers einer Windkraftanlage ist nicht ersichtlich: Dem Vorhabenträger ist in gleicher Weise das abstrakte Risiko bekannt; der Unterschied liegt allein darin, dass die Tötung durch Kollision mit dem Rotorblatt und nicht mit einem Fahrzeug im Rahmen des Vorhabenbetriebs erfolgt. 222

Louis, NuR 2009, 91 (93); Thyssen, EurUP 2009, 172 (174). EuGH, Urt. v. 18. 05. 2006, Rs. C-221/04, Slg. 2006, I-4515, Rn. 71 – Kommission/ Königreich Spanien; vgl. auch die Ausführungen bei EuGH, Urt. v. 30. 01. 2002, Rs. C-103/00, Slg. 2002, I-1147, Rn. 34 ff. – Kommission/Hellenische Republik; Sobotta, NuR 2007, 642 (643); Storost, DVBl 2010, 737 (739); Stüer, BauR 2010, 1521 (1523). 223

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Dieser Einschätzung entspricht auch die Ansicht der Europäischen Kommission, die ebenfalls die Tötung durch Windturbinen als Fall des Art. 12 Abs. 4 FFH-RL ansieht.224 Dann besteht wiederum auch kein Unterschied mehr zu dem Fall der unbeweglichen Gebäudekörper von Anlagen, zumal das Kollisionsrisiko in diesen Fällen – wenn keine Besonderheiten, wie eine Glasfassade, vorliegen – minimal ist, da die Tiere im Regelfall rechtzeitig ausweichen können. Bleibt der EuGH in seinen Wertungen konsequent, handelt es sich daher in allen diesen Fällen um nichtabsichtliche Handlungen im Sinne der FFH-Richtlinie, für die die Anforderungen europarechtlich relativ niedrig sind, welchen, wie bereits ausgeführt, die deutsche rechtliche Handhabung gerecht wird. Dies gilt dergestalt für Kollisionsrisiken. Im Rahmen der Windkraftanlagen besteht indes das Problem, dass die Tötung der Fledermäuse nicht nur auf Kollisionen, sondern auch auf Luftdruckveränderungen, verursacht durch die Rotoren, zurückzuführen ist.225 Ob der Tod aber darauf zurückzuführen ist, dass die Fledermaus mit dem Rotorblatt kollidiert, oder ob bereits kurz davor die Luftdruckveränderung den Tod verursacht, rechtfertigt keinen Wertungsunterschied.226 Problematisch wird allerdings dann, wo die Grenze zur absichtlichen Tötung nach Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL zu ziehen ist. Im Bereich der Vorhabenplanung wird es sich wohl zumeist um abstrakte Gefahren handeln, denen zu begegnen ist, und nicht um konkret vorhersehbare Fälle. In Anbetracht früherer Entscheidungen kann die enge Auslegung des Absichtlichkeitsbegriffs, wie sie nunmehr durch den EuGH impliziert wurde, als Abkehr oder auch lediglich als Ausnahme der ansonsten weiten Auslegung der absichtlichen Verbote zu verstehen sein, betonte der EuGH doch bisher das geforderte „strenge Schutzsystem“.227 Bis zu einer eindeutigeren Positionierung seitens des EuGH ist daher fraglich, auf welche Fälle der Maßstab des Bundesverwaltungsgerichtes Anwendung finden kann. Während dies bei Wasserstraßen, Eisenbahnen und Flughäfen zweifelsfrei möglich erscheint, bleibt eine Ausdehnung auf weitere Vorhaben nicht ohne Bedenken. Praktisch notwendige Begrenzungen des deutschen Tatbestandes des Tötungsverbotes sind daher in engen Grenzen europarechtskonform. Eine Nachbesserung durch den Gesetzgeber in Richtung einer gesetzlichen, an die europarechtlichen Vorgaben angelehnten Einschränkung – namentlich durch Einführung eines subjektiven Tatbestandes – erscheint aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sinnvoll.

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Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.6. VG Halle, ZNER 2009, 64 (67); Wemdzio, NuR 2011, 464 (465). 226 Auch die Europäische Kommission spricht in ihrem Leitfaden lediglich von „durch Windturbinen getöteten Fledermäuse(n)“, ohne auf eine bestimmte Art der Tötung abzustellen, siehe Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.6. 227 Vgl. EuGH, Urt. v. 30. 01. 2002, Rs. C-103/00, Slg. 2002, I-1147, Rn. 28, 30 – Kommission/Hellenische Republik. 225

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b) Störungsverbot Ein weiteres europarechtliches und nationales Zugriffsverbot stellt das Störungsverbot dar. Dieses ist insbesondere wegen der Reichweite des Störungsbegriffs problematisch – anders als im Falle des Fang- und Tötungsverbotes sind Begrenzungen schon ausdrücklich im Wortlaut der nationalen Vorschrift vorgesehen, die es auf Vereinbarkeit mit den europarechtlichen Vorgaben zu prüfen gilt. aa) Europäische Vorgaben In Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL ist das Verbot jeder absichtlichen Störung der geschützten Arten verankert. Das Verbot soll „insbesondere“ während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten gelten. Aus der verwendeten Formulierung folgt, dass das Verbot grundsätzlich immer gilt – nicht nur zu den aufgezählten Zeiten. In jenen Zeiträumen besteht aber die Pflicht, dem Schutz der Arten vor Störungen eine besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.228 Grund ist, dass eine Störung zu diesen Zeiten eine besondere Bedrohung der Tiere bzw. Arten darstellt.229 Die Europäische Kommission hat zur Auslegung der Begriffe der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten in ihrem Leitfaden Stellung genommen, an dem sich die Mitgliedstaaten orientieren können.230 Zum auslegungsbedürftigen Begriff der Störung verweist die Kommission wiederum auf ihren Auslegungsleitfaden zu Art. 6 FFH-RL.231 Dies liegt aus systematischen Gründen nahe, da der Begriff der Störung auch im Habitatschutzregime der FFH-RL verwendet wird und in diesem Rahmen schon mehr im Fokus der Diskussion gestanden hat. Dennoch können die Maßstäbe des Habitatschutzes im Hinblick auf bestehende Unterschiede in den Prüf- und Entscheidungsprogrammen der beiden Regime nicht uneingeschränkt übernommen werden – ganz abgesehen davon, dass auch der habitatschutzrechtliche Begriff der erheblichen Störung noch mit vielen Unsicherheiten behaftet ist.232 Eine Störung soll den Ausführungen der Europäischen Kommission zufolge dann vorliegen, wenn die körperliche Unversehrtheit der Tiere zwar nicht direkt beeinträchtigt wird, aber mittelbar doch die Möglichkeit von nachteiligen Auswirkungen auf die Art besteht. Entscheidende Kriterien für deren Beurteilung sollen Intensität, Dauer und Frequenz der Störungswiederholung sein. Von besonderer Bedeutung sind zudem die Bedürfnisse bzw. die Empfindlichkeit der einzelnen Arten („artspezifischer Ansatz“).233 228

Vgl. Rödiger-Vorwerk, FFH-Richtlinie, S. 148. Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.2. 230 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.2.a). 231 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.2.a). 232 Vgl. Louis, NuR 2009, 91 (92), sowie Vallendar, EurUP 2011, 14 ff. m.w.N. aus der deutschen und europäischen Rechtsprechung. 233 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.2.a) mit Beispielen. 229

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Zwar ist dem Wortlaut nach bei Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL eine Erheblichkeit der Störung nicht gefordert – anders als bei Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, wonach nur Störungen zu vermeiden sind, die im Hinblick auf die Ziele der Richtlinie erhebliche Auswirkungen haben könnten. Trotzdem werden angesichts der ansonsten bestehenden uferlosen Weite des Tatbestands des artenschutzrechtlichen Störungsverbotes hinsichtlich der dargelegten Kriterien auch aus dem Anwendungsbereich solche Störungen ausgenommen, die keine erheblichen negativen Auswirkungen haben.234 Der EuGH hat im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ausgeführt, dass Einwirkungen nur dann als unerheblich betrachtet werden können, wenn anhand objektiver Umstände erhebliche Auswirkungen auszuschließen sind.235 Bewertungsmaßstab ist nach Maßgabe der Kommission der Einfluss der Störung auf den Erhaltungszustand einer Art auf Populations- und biogeographischer Ebene. Eine Störung liegt demnach dann vor, wenn die Überlebenschancen, der Fortpflanzungserfolg oder die Reproduktionsfähigkeit einer Art gemindert werden oder sich das Verbreitungsgebiet verkleinert.236 Damit führt die Auffassung der Kommission zu einer ungeschriebenen Beschränkung, mithin einer teleologischen Reduktion des Tatbestands des Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL auf Störungen mit erheblichen Auswirkungen. Wortlaut und Historie geben für eine derartige Auslegung des Störungstatbestandes keine Anhaltspunkte. In systematischer Hinsicht lässt sich eine Parallele zum habitatschutzrechtlichen Störungstatbestand ziehen, der die Erheblichkeitsschwelle als Tatbestandsmerkmal enthält. Eindeutige Schlüsse können daraus allerdings nicht gezogen werden: Einerseits lässt sich vertreten, dass es sich lediglich um ein redaktionelles Versehen handelt und beide Verbote gleich weit ausgelegt werden sollen, andererseits könnte gerade mit dem Hinweis auf die unterschiedliche Formulierung gefolgert werden, dass auch ein inhaltlicher Unterschied bestehen muss. In teleologischer Hinsicht spricht hingegen viel für die Annahme einer Erheblichkeitsschwelle. Die in Art. 2 Abs. 1 und 2 FFH-RL bezeichneten Ziele der Richtlinie, zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der wildlebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten beizutragen und dazu durch die aufgrund der Richtlinie getroffenen Maßnahmen einen günstigen Erhaltungszustand der Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen, sind durch Störungen nur gefährdet, wenn diese erhebliche Auswirkungen haben. Ein darüber hinausgehendes Verbot beeinträchtigt die gemäß Art. 2 Abs. 3 FFH-RL zu berücksichtigenden wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Interessen sowie im Einzelfall auch Interessen privater Vorhabensträger, ohne dass dies zur Erreichung der Ziele erforderlich ist. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund, dass der Tatbestand (insbesondere die Merkmale der 234

Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.2.a). EuGH, Urt. v. 7. 9. 2004, Rs. C-127/02, Slg. 2004, I-7405, Rn. 44 f. – Herzmuschelfischerei. 236 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.2.a). 235

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Störung und der Absichtlichkeit des Handelns)237 im Übrigen weit ausgelegt wird. Unter Berücksichtigung des (unionsrechtlichen) Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist die korrekte Auslegung diejenige, die nicht erforderliche und damit unverhältnismäßige Belastungen vermeidet, mithin die Annahme einer ungeschriebenen Erheblichkeitsschwelle. Der Auslegung der Kommission ist daher zuzustimmen. bb) Europarechtskonformität der Regelung des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL wird durch § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG umgesetzt. Dieser beinhaltet das Verbot einer erheblichen Störung wildlebender Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten. Die streng geschützten Arten umfassen gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 14 BNatSchG auch die in Anhang IV der FFH-RL aufgeführten Arten. Sie stellen insgesamt eine Teilmenge der besonders geschützten Arten (auf die sich die übrigen Zugriffsverbote beziehen) dar.238 (1) Frühere Regelung des Störungsverbots Ein früheres Umsetzungsdefizit lag darin, dass sich der Schutz auf bestimmte Orte, aber nicht auf die im europäischen Recht maßgeblichen Zeiten bezog. In der Praxis überschneiden sich der Anwendungsbereich eines Störungsverbots an bestimmten Orten und der Schutzbereich eines auf Zeiten bezogenen Verbots teilweise. Dennoch verbleiben Bereiche, in denen nur die eine oder die andere Regelung Schutz gewährt, sodass die frühere Regelung teilweise über das europäische Recht hinausging und teilweise dahinter zurückblieb. Der vollständige europarechtliche Schutz war demnach nicht gewährleistet. Dies ist im Rahmen der Artenschutznovelle 2007 geändert worden:239 Auch das deutsche Recht bezieht sich jetzt auf Zeiten, zu denen ein besonderer Schutz erforderlich ist. Der Schutz bestimmter Orte (d. h. der Lebensstätten) ist wie im europäischen Recht gesondert geregelt worden.240 Durch die Änderung wurde also bereits ein Defizit bei der Umsetzung des europäischen Störungstatbestandes behoben. Der Schutz bezieht sich nun auf alle Exemplare einer Art in der entsprechenden Zeit.241

237 Zur Auslegung des Absichtsbegriffes s. die Ausführungen im Rahmen des Tötungsverbotes unter D.IV.2.a)aa). 238 Vgl. auch de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 10. 239 BT-Drs. 16/5100, S. 11. 240 Dazu s. unten D.IV.2.d); insgesamt findet damit eine Schutzverstärkung statt, vgl. Meßerschmidt, BNatSchR, § 42 BNatSchG Rn. 24; Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 44 Rn. 11. 241 D.h. auch diejenigen Exemplare, die nicht mausern oder brüten, s. Louis, NuR 2009, 91 (95).

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(2) Begrenzung auf bestimmte Zeiten Zusätzlich zu den in Art. 12 Abs. 1 lit. b aufgezählten Zeiten ist in der deutschen Regelung auch die Mauserzeit genannt.242 Anders als der Störungstatbestand in der FFH-Richtlinie bezieht sich das deutsche Störungsverbot dem Wortlaut nach ausdrücklich nur auf diese Zeiten. Im europäischen Recht wird durch den Zusatz „insbesondere“ impliziert, dass zu diesen Zeiten ein besonderer Schutz erforderlich ist, aber auch Störungen zu anderen Zeiten verboten sein sollen, die sich erheblich auswirken können.243 Ein Umsetzungsdefizit liegt allerdings nur vor, wenn keine europarechtskonforme Auslegung möglich ist. Dann müsste § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG als generelles Störungsverbot gelesen werden, wobei ein besonderer Schutz „insbesondere“ zu den entsprechenden Zeiten gewährleistet werden muss.244 Eine solche Auslegung verstößt aber gegen den eindeutigen Wortlaut der Regelung und offenbar auch gegen den Willen des Gesetzgebers.245 Die Vorschrift kann daher nicht europarechtskonform ausgelegt werden. Das Störungsverbot der FFH-RL wird folglich nur unzureichend umgesetzt. Hier ist der Gesetzgeber aufgefordert nachzubessern.246 (3) Begriff der Störung Die Auslegung des Begriffs der Störung ist im Einklang mit dem europäischen Verständnis des Begriffs vorzunehmen. Er umfasst alle negativen Einwirkungen, die mittelbar oder unmittelbar die physische oder psychische Verfassung der geschützten Tiere beeinträchtigen.247 Bereits bebaute Gebiete und ausgeübte Nutzungen können allerdings keine relevante Störung darstellen, da die Arten sonst nicht diesen Lebensraum bewohnen würden.248 Der Störungstatbestand birgt verschiedene Auslegungsprobleme. Als Beispiel sei der Streit genannt, ob neben akustischen und optischen Reizen auch Trennwirkungen, z. B. durch Trassen hervorgerufen, erfasst sind.249 Die Erörterung jedes ein242

Zur genaueren Bestimmung der im deutschen Recht genannten Zeiten siehe z. B. Louis, NuR 2009, 91 (95). 243 Dazu s. oben D.IV.2.b)aa). 244 So de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 18; Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 15 m.w.N. 245 Der Gesetzgeber strebte eine abschließende Regelung an, vgl. Heugel, in: Gassner/ Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 570. 246 Vgl. schon Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (349). 247 Z.B. de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 19; vgl. auch Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 44 Rn. 21; Müller-Walter, in: Lorz u. a., NatSchR, § 44 BNatSchG Rn. 15; zur alten Regelung (mit demselben Begriff) Meßerschmidt, BNatSchR, § 42 Rn. 26. 248 Wolf, ZUR 2006, 505 (508). 249 Dafür: BVerwGE 131, 274 (306); LANA-Hinweise 2009, S. 5; Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 11; im Ergebnis wohl auch Sobotta, NuR 2007, 642 (644); dagegen: Gellermann, NuR 2009, 85 (87); Louis, NuR 2009, 91 (95).

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zelnen Auslegungsproblems soll nicht Gegenstand dieser Arbeit sein – dazu sei vielmehr auf die einschlägigen Kommentare verwiesen.250 Indes kann eine restriktive Auslegung des nationalen Störungstatbestandes ein Umsetzungsdefizit in Form einer mangelhaften Anwendung (in der Regel durch die zuständige Behörde) darstellen, wenn nach den europäischen Vorgaben eine weite Auslegung vorzunehmen ist. Für eine weite Auslegung des europäischen Tatbestandes spricht, dass die (europarechtliche) Definition einer Störung keine bestimmte Art der Störung vorgibt. Da beispielsweise auch durch Trennwirkungen eine Gefährdung des Erhaltungszustands erfolgen kann, legt auch der Sinn und Zweck der Vorschrift (sowohl auf europäischer wie deutscher Ebene) eine weite Auslegung nahe. Obwohl sich der EuGH hierzu noch nicht geäußert hat, gibt es damit Gründe, dass er eine weite Auslegung für erforderlich halten könnte. Gegen eine solche Auslegung könnte jedoch sprechen, dass hier habitat- und artenschutzrechtliche Regelungen vermengt werden.251 Der EuGH nimmt in seinem Caretta-Urteil eine Störung i.S.d. Art. 12 Abs. 1 lit. b FFHRL durch das Vorhandensein von Booten und den Verkehr von Mopeds an. Hinsichtlich des Vorhandenseins von Bauwerken nimmt er hingegen lediglich eine Beschädigung bzw. Vernichtung der Fortpflanzungsstätte i.S.d. Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL an.252 Obwohl den Ausführungen keine eindeutige Positionierung des EuGH zu entnehmen ist, lässt sich doch immerhin eine Tendenz in Richtung einer restriktiveren Auslegung daraus folgern. Um ein Umsetzungsdefizit in Gestalt eines Vollzugsdefizits zu vermeiden, sollte daher stets geprüft werden, ob den bisherigen Ausführungen des EuGH ein Hinweis für den konkreten Anwendungsfall entnommen werden kann. (4) Erheblichkeitsschwelle Anders als im europäischen Recht ist eine Erheblichkeitsschwelle hinsichtlich der Tatbestandsrelevanz einer Störung in der deutschen Regelung ausdrücklich vorgesehen. Dabei verstößt die ausdrückliche Festlegung einer Einschränkung im deutschen Recht für sich betrachtet noch nicht gegen Europarecht, da auch auf europäischer Ebene durch Auslegung Beschränkungen des Tatbestands erfolgen.253 Die deutsche Einschränkung ist aber nur dann europarechtskonform, wenn sie der Begrenzung des Störungstatbestands (als Auslegungsergebnis) auf europäischer Ebene entspricht.

250

Z.B. Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 44 Rn. 12 ff.; Kratsch, in: Schumacher/ Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 44 Rn. 19 ff. 251 Gellermann, NuR 2009, 85 (87). 252 EuGH, Urt. v. 30. 01. 2002, Rs. C-103/00, Slg. 2002, I-1147, Rn. 36, 38 – Kommission/ Hellenische Republik. 253 Dazu s. oben D.IV.2.b)aa); so sehen auch der deutschen Regelung kritisch gegenüberstehende Stimmen die Erheblichkeitsschwelle als europarechtskonform an und beziehen ihre Kritik nur auf die Bestimmung der Erheblichkeit mithilfe des populationsbezogenen Ansatzes, vgl. Gellermann, NuR 2007, 783 (785); Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (348 f.).

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(a) Anknüpfung an den Erhaltungszustand der Population Nach der Legaldefinition des § 44 Abs. 1 Nr. 2, 2. Hs. BNatSchG liegt eine erhebliche Beeinträchtigung vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert. Eine lokale Population254 umfasst den Gesetzgebungsmaterialien zufolge diejenigen (Teil-)Habitate und Aktivitätsbereiche der Individuen einer Art, die in einem für die Lebens(raum)ansprüche der Art ausreichenden räumlich-funktionalen Zusammenhang stehen. Eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Überlebenschancen, der Bruterfolg oder die Reproduktionsfähigkeit vermindert werden, wobei dies artspezifisch für den jeweiligen Einzelfall untersucht und beurteilt werden muss.255 Diese Definitionen werden in der Literatur teilweise noch unter Hinweis auf ihre Ungenauigkeit ergänzt. So soll eine lokale Population der aufgrund bestimmter Lebensansprüche in einem abgrenzbaren Gebiet vorkommende Bestand einer Art sein, ohne dass es auf das Bestehen einer Fortpflanzungsgemeinschaft ankäme.256 Eine Verschlechterung soll vorliegen, wenn sich infolge der Störung die Größe oder der Fortpflanzungserfolg der lokalen Population nicht nur unerheblich oder vorübergehend verringert.257 Letztlich können die Definitionen zwar Anhaltspunkte für die Bestimmung der lokalen Population einer Art geben; dennoch wird der Begriff der lokalen Population naturschutzfachlich im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung artspezifischer Verhaltensweisen zu bestimmen sein,258 wobei der Behörde im Rahmen ihrer Beurteilung ein fachlicher Einschätzungsspielraum zukommt.259 Der Bezug des Erheblichkeitskriteriums auf eine lokale Population – unabhängig von deren genauen Bestimmung im Einzelfall – wird aber von Stimmen der Literatur bereits als nicht europarechtskonform angesehen. Als Argument wird im Wesentlichen angeführt, dass die europäische Vorschrift des Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL 254

Der Begriff der Population ist in § 7 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG legal definiert als biologisch oder geographisch abgegrenzte Zahl von Individuen, vgl. dazu Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 572. 255 BR-Drs. 123/07, S. 18; BT-Drs. 16/5100, S. 11. 256 Gellermann, NuR 2007, 783 (785); zustimmend de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 20, unter Verweis auf Scherf, Wörterbuch Biologie, S. 371; vgl. auch Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 13 f. 257 Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 573; vgl. auch LANAHinweise 2009, S. 6: „… wenn sich als Folge der Störung die Größe oder der Fortpflanzungserfolg der lokalen Population signifikant und nachhaltig verringert“. 258 So wird in der fachlichen Einschätzung z. B. auch die Verbreitungsfläche bzw. der Aktionsradius der Arten eine bedeutende Rolle spielen, vgl. Blessing/Scharmer, Artenschutz im Bebauungsplanverfahren, Rn. 75; Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 572; LANA-Hinweise 2009, S. 6; LANA-Hinweise 2009, S. 6 f. 259 Vgl. BVerwGE 126, 166 (178 f.); ausführlich zum Beurteilungsspielraum in der artenschutzfachlichen Prüfung auch D.IV.2.g)bb)(3).

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keinen populationsbezogenen, sondern einen individuenbezogenen Ansatz verfolge.260 Dies ergebe sich aus Wortlaut und Systematik des Art. 12 FFH-RL. Populationsbezogene Überlegungen seien erst im Rahmen der Ausnahmenerteilung von Bedeutung.261 Gegenläufige Stimmen der Literatur ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht beziehen sich ebenfalls auf Wortlaut und Systematik der Vorschrift, leiten daraus allerdings einen populationsbezogenen Ansatz ab.262 Dieser Widerspruch der Stimmen macht eine nähere Analyse erforderlich: Der Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL verbietet „jede absichtliche Störung dieser Arten“. Zwar enthält er nicht die Einschränkung „sofern sich diese Störung auf die Zielsetzung dieser Richtlinie erheblich auswirkt“ wie sein Pendant Art. 5 lit. d Vogelschutz-RL, womit eine klare Einschränkung vorliegen würde.263 Im Unterschied zu Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL nimmt er aber ausdrücklich nicht auf einzelne Exemplare, sondern auf die Art Bezug.264 Andererseits wird richtig festgestellt, dass der Wortlaut der FFH-Richtlinie nicht einheitlich ist und Art. 15 FFHRL auch von Fang und Tötung der Tierarten spricht, obwohl doch die einzelnen Exemplare gemeint sein müssen.265 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass Art. 15 FFH-RL sich dabei auf die vorherigen Verbote bezieht und insofern lediglich in verkürzter Weise die betroffenen Verbote wiedergibt, um die Vorschrift nicht durch eine exaktere, aber umständlichere Formulierung zu unübersichtlich zu gestalten. Es ist davon auszugehen, dass Art. 12 FFH-RL das intendierte Verbot exakter formuliert als der spätere bloße Hinweis darauf in Art. 15 FFH-RL; denn Art. 12 FFH-RL statuiert die Zugriffsverbote. Unpräzise Formulierungen in den folgenden Vorschriften sprechen daher nicht gegen eine genaue Wortanalyse des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL. Die Wortlautauslegung des Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL ergibt somit einen populationsbezogenen Ansatz des Verbots. Unter systematisch-teleologischen Gesichtspunkten liefert die Auslegung zwei unterschiedliche Ergebnisse, je nachdem ob man einen Zusammenhang zu Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL oder Art. 16 FFH-RL herstellt: Bezöge sich die Störung auf ein einzelnes Individuum, wäre das Fang- und Tötungsverbot des Art. 12 Abs. 1 lit. a 260 Fehrensen, NuR 2009, 13 (14 f.); Gellermann, NuR 2007, 783 (785); Niederstadt/ Krüsemann, ZUR 2007, 347 (348); Philipp, NVwZ 2008, 593 (596); vgl. auch Dolde, NVwZ 2008, 121 (123); Kautz, NuR 2007, 234 (236). 261 Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (348). 262 BVerwGE 130, 299 (370); 131, 274 (305 f.); 133, 239 (264); de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 21; Frenz/Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, Vorb. §§ 44 – 45 Rn. 3; Lau/Steeck, NuR 2008, 386 (388); vgl. auch Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 571. 263 Fehrensen, NuR 2009, 13 (14); Philipp, NVwZ 2008, 593 (596); vgl. auch Dolde, NVwZ 2007, 7 (8). 264 BVerwGE 130, 299 (370); 131, 274 (305 f.); 133, 239 (264); de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 21; Lau/Steeck, NuR 2008, 386 (388); vgl. auch Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 571. 265 Gellermann, NuR 2009, 85 (87).

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FFH-RL als intensivste Form der Störung überflüssig.266 Umgekehrt könnte das Störungsverbot bei einem populationsbezogenen Ansatz keine Ausnahme zulassen: Da eine Handlung, die den Störungstatbestand verwirklicht, nach dieser Auslegung immer erhebliche Auswirkungen auf die Erhaltung der Population hat, wären die Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL (Verweilen in einem günstigen Erhaltungszustand ohne Beeinträchtigung) nie gegeben.267 Art. 16 FFH-RL bezieht sich indes insgesamt auf die Verbote der Artt. 12, 13, 14 und 15 FFH-RL, von denen Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL als einziges dem Wortlaut nach erst bei einer Beeinträchtigung der Population (und nicht eines einzelnen Exemplars) zur Anwendung kommt. Dass daher kein genau passender und lückenloser Zusammenhang zwischen dem Störungstatbestand und der Regelung des Art. 16 FFH-RL vorliegt, hat aber nicht zwingend eine andere Auslegung des Störungstatbestands zur Folge. Es wird lediglich bereits auf Tatbestandsebene ausgeschlossen, was sonst im Rahmen des Art. 16 FFH-RL als Ausnahme ausgeschieden wäre.268 Tatsächlich verbleibt dann kaum noch ein Anwendungsbereich des Art. 16 FFH-RL im Rahmen des Störungstatbestands. Es gilt hier aber Ähnliches wie bei Art. 15 FFH-RL: Art. 16 FFHRL bezieht sich auf mehrere Verbote und nimmt nicht exakt die Besonderheiten einzelner Regelungen auf. Diese Auslegung mag keinen vollständig in sich stimmigen Zusammenhang des artenschutzrechtlichen Regelungskomplexes zu vermitteln. Dennoch ist es systematisch schlüssiger, einen überzeugenden Zusammenhang zu Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL herzustellen und dabei die einzelne Vorwegnahme einer Voraussetzung des nachfolgenden Ausnahmetatbestandes hinzunehmen, als Ungereimtheiten im Rahmen des einzelnen Verbotstatbestandes (Art. 12 FFH-RL) anzunehmen, die – wie dargelegt – bei einer individuenbezogenen Betrachtungsweise bestünden. Schließlich soll die völkerrechtskonforme Auslegung des Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL, der auf Art. 6 lit. c der Berner Konvention zurückgeht, für einen individuenbezogenen Ansatz sprechen.269 Nach den Vorgaben der Konvention ist das mutwillige Beunruhigen wildlebender Tiere, vor allem während der Zeiten des Brütens, der Aufzucht der Jungen und des Überwinterns zu verbieten, soweit dieses Beunruhigen in Bezug auf die Ziele des Übereinkommens von Bedeutung ist. Hinsichtlich dieser Vorgaben sind in der deutschen Regelung des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG aber keine Defizite zu erkennen. Die Regelungen sind vielmehr entsprechend aufgebaut, indem zunächst Störungen bzw. das Beunruhigen von Tieren verboten werden und im Anschluss eine Erheblichkeitsschwelle formuliert wird, die sich im Völkerrecht auf „die Ziele des Übereinkommens“ und damit gemäß Art. 1 Nr. 1 der Berner Konvention auch auf den Erhalt der Arten (und nicht etwa auf einzelne Exemplare) bezieht. Für die europäische Ebene gilt nichts anderes: Auch 266 So bereits richtig Frenz/Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, Vorb. §§ 44 – 45 Rn. 3; Lau/Steeck, NuR 2008, 386 (388). 267 So das Argument von Gellermann, NuR 2009, 85 (88). 268 Kritisch dazu indes Fehrensen, NuR 2009, 13 (14 f.). 269 Gellermann, NuR 2009, 85 (87 f.).

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wenn Art. 6 lit. c des Berner Übereinkommens die Störung (bzw. Beunruhigung) einzelner Tiere erfasst, gilt das Verbot doch nur bei einer Beeinträchtigung des Artenbestandes, sodass im Gesamtergebnis populationsbeeinträchtigende Störungen verboten werden – die völkerrechtlichen Vorgaben stehen daher einem populationsbezogenen Ansatz des europäischen Störungsverbots nicht entgegen. Es bleibt damit festzuhalten, dass die Auslegung des europäischen Störungstatbestandes auch einen Populationsbezug aufweist. Auch nach Ansicht der Kommission ist für die Prüfung der Erheblichkeit der Einfluss der Störung auf den Erhaltungszustand einer Art auf Populationsebene und biogeographischer Ebene maßgeblich. Werden die Überlebenschancen, der Fortpflanzungserfolg oder die Reproduktionsfähigkeit einer Art gemindert oder verkleinert sich das Verbreitungsgebiet, handelt es sich um eine tatbestandsrelevante Störung.270 Die deutsche Anknüpfung an die lokale Population lässt noch weniger Spielraum zu und verbietet immerhin noch Störungen, die nur diese betreffen und bei einem großflächigeren Maßstab keine Auswirkungen hätten. Sie hält sich damit auf jeden Fall im europarechtskonformen Rahmen und stellt keinen Umsetzungsfehler dar. Die Bewertung der Erheblichkeit einer Störung ist indes der Behörde überlassen und geht mit einem Einschätzungsspielraum einher.271 Die Beurteilung sollte dennoch auch an den europäischen Vorgaben ausgerichtet werden und einer Prüfung hinsichtlich der Vereinbarkeit mit den europäischen Vorgaben standhalten. (b) Kumulationseffekte bei der Beurteilung der Erheblichkeit Die Ausrichtung der Erheblichkeitsprüfung an der Beeinträchtigung der lokalen Population birgt Probleme, wenn es um die Beurteilung der Auswirkungen eines Vorhabens im Zusammenhang mit anderen Vorhaben und deren Auswirkungen geht. Es handelt sich also um den Fall, dass Störungen zwar einzeln nicht erheblich sind, jedoch in ihrem kumulativen Zusammenwirken. Aus diesem Phänomen wird der Schluss gezogen, dass die Anknüpfung der einzelnen Störung an den Erhaltungszustand der lokalen Population nicht möglich sei, also eine unzureichende Umsetzung darstelle.272 Wenngleich das Problem richtig erkannt wird, ist doch die Folgerung kein logisch zwingender Schluss. Zwar kann das Problem kumulierender Effekte wohl tatsächlich eher bei der Beurteilung von Auswirkungen auf eine ganze Population als auf einzelne Exemplare auftreten (ausgeschlossen ist es allerdings auch im letzteren Fall nicht), nichtsdestoweniger ist die Problematik auch anders lösbar. Die Problematik tritt nicht nur im Zusammenhang mit dem Störungsverbot, sondern ebenso bei der Erheblichkeitsprüfung im Habitatschutzrecht sowie im Immissionsschutzrecht auf.

270

Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.2.a). Vgl. BVerwGE 126, 166 (178 f.); ausführlich zum Beurteilungsspielraum in der artenschutzfachlichen Prüfung D.IV.2.g)bb)(3). 272 Vgl. Fehrensen, NuR 2009, 13 (14); Sobotta, NuR 2007, 642 (644). 271

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Ausdrücklich ist die Berücksichtigung des Zusammenwirkens mit anderen Plänen oder Projekten im Rahmen der Vorprüfung nach § 34 Abs. 1 BNatSchG ebenso wie in dessen Vorbildregelung des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL normiert.273 Auch für die Verträglichkeitsprüfung selbst gemäß § 34 Abs. 2 BNatSchG gilt, dass gleichartige Belastungen aus anderen Quellen zu berücksichtigen sind.274 Sie werden dann der Vorbelastung eines Gebietes zugerechnet. Übersteigt diese schon die Erheblichkeitsschwelle, ist das Vorhaben unzulässig.275 Auch noch nicht verwirklichte (aber bereits genehmigte) Projekte können – um negative Kumulationswirkungen zu vermeiden – mit berücksichtigt werden. Dies wurde im Immissionsschutzrecht schon entschieden: Da genehmigte Projekte bereits „erkennbar angelegt und voraussehbar“ seien, müssten sie mit berücksichtigt werden.276 Die im Rahmen des Habitat- und Immissionsschutzrechts bestehenden Maßstäbe zur Bewältigung von Kumulationswirkungen lassen sich auch auf das artenschutzrechtliche Störungsverbot übertragen: Es besteht kein Hindernis, im Rahmen der Prüfung der Beeinträchtigung der lokalen Population durch eine Störungsquelle ebenfalls Vorbelastungen und darin enthaltene kumulativ wirkende Beeinträchtigungen mit zu berücksichtigen. Das Problem des Zusammenwirkens der Belastungen durch Störungen kann folglich gelöst werden, ohne die Populationsbezogenheit der Erheblichkeitsschwelle in Frage zu stellen. (c) Tatbestandsausschließende Wirkung vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen Diskutiert wird die Möglichkeit des Tatbestandsausschlusses durch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen, wie sie § 44 Abs. 5 Satz 3 BNatSchG für das Verbot der Beschädigung und Zerstörung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten und damit verbundene Beeinträchtigungen i.S.d. Tötungsverbotes vorsieht.277 Auch für das Störungsverbot sollen solche Maßnahmen zulässig sein: Es liege keine erhebliche Störung vor, wenn die ökologische Funktion der Fortpflanzungs- und Ruhestätten

273

Vgl. ausführlich J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 34 Rn. 70 ff. 274 BVerwG, NuR 2010, 190 (190). 275 BVerwG, NuR 2010, 190 (190 f.); NuR 2010, 558 (566); Frenz, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 34 Rn. 47; J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 34 Rn. 76; eine Ausnahme besteht bei den sogenannten Irrelevanzgrenzen, vgl. BVerwG, NuR 2010, 558 (567); Balla/Pfannenstiehl/Lüttmann/Uhl, NuR 2010, 616 (622 ff.) m.w.N. 276 BVerwGE 88, 210 (215); z. T. wird im Immissionsschutzrecht vertreten, dass hinsichtlich der in der TA Luft normierten Irrelevanzgrenzen kumulative Wirkungen nicht zu berücksichtigen sind, so Ohms, Umweltrecht, Rn. 451. Dieser Ansatz rechtfertigt sich vor dem Fokus des Immissionsschutzrechts auf die Emissionen einzelner Anlagen. Anders als im Naturschutzrecht findet eine Gesamtbetrachtung regelmäßig nicht statt, vgl. z. B. BVerwGE 101, 1 (4 ff.); 123 152 (155). 277 Dazu s. D.IV.2.d)cc).

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erhalten bleibe, da dann keine Verschlechterung des Erhaltungszustands der lokalen Population eintrete.278 Dem ist im Ergebnis zumindest teilweise zuzustimmen. Soweit eine Maßnahme mit Gewissheit verhindert, dass eine erhebliche Störung eintritt, kann auch kein Verstoß gegen den Tatbestand des Störungsverbots angenommen werden. Diese Interpretation entspricht der Auslegung des BVerwG zum Habitatschutz,279 welche in der neueren Rechtsprechung des EuGH Bestätigung findet.280 Die Gründe, die für die Zulässigkeit vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen im Rahmen des Verbots der Beschädigung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten diskutiert werden, können größtenteils entsprechend angewendet werden: Zu nennen sind insbesondere die gleichwertige Erreichung des Schutzziels, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie der Charakter der Richtlinie einschließlich der damit einhergehenden Umsetzungsspielräume.281 Der Schluss von dem Erhalt der Funktionalität der Fortpflanzungs- und Ruhestätten auf den Erhaltungszustand der lokalen Population (auch bei Störungen) ist jedoch nicht zwingend, da Störungen der Tiere auch anderweitig entstehen können. Solange aber nicht gewährleistet ist, dass unabhängig von der Integrität der Fortpflanzungs- und Ruhestätten keine erheblichen Störungen vorliegen, kann kein Tatbestandsausschluss erfolgen. Es bedarf daher auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 44 Abs. 5 Satz 3 BNatSchG einer Prüfung des Störungstatbestandes. (5) Behördliche Beurteilungsspielräume Im Rahmen des Störungsverbotes wird in größerem Maße als bei den anderen Verboten mit unbestimmten Rechtsbegriffen gearbeitet. Die Beurteilung erheblicher Auswirkungen beinhaltet außerdem prognostische Elemente. Die Einschätzungsprärogative der Behörde erfährt dadurch eine noch stärkere Bedeutung als bei den anderen artenschutzrechtlichen Verboten, deren Prüfung wegen der naturschutzfachlichen Bewertung stets mit Einschätzungsspielräumen verbunden ist.282 (6) Anwendbarkeit neben anderen Zugriffsverboten Eine Verletzung des Störungsverbots geht häufig mit der Verletzung anderer Zugriffsverbote einher, sodass sich die Frage nach den Konkurrenzen der Verbote stellt. Gerade die Tötung oder Verletzung von Tieren der geschützten Arten stellen 278 Blessing/Scharmer, Artenschutz im Bebauungsplanverfahren, Rn. 79; Louis, NuR 2009, 91 (96). 279 Vgl. dazu BVerwGE 128, 1 (26 f.); 130, 299 (334). 280 EuGH, Urt. v. 20. 05. 2010, Rs. C-308/08, Slg. 2010, I-4341, Rn. 25 ff. – Kommission/ Königreich Spanien. 281 Zu allem ausführlich unten D.IV.2.b)cc). 282 Vgl. auch BVerwGE 126, 166 (178 f.) hinsichtlich des Störungsverbotes der Vogelschutz-RL; ausführlich zum Beurteilungsspielraum in der artenschutzfachlichen Prüfung auch D.IV.2.g)bb)(3).

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auch eine massive Form der Störung dar. Sie sind als intensiverer Eingriff aber spezieller, sodass die Verletzung des Störungsverbots in diesen Fällen hinter der Verletzung von § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG zurücktritt.283 Gibt es neben Fang, Tötung oder Verletzung der Tiere noch eine anderweitige Störung, so liegt kein Vorrangverhältnis vor, sondern die Verletzungen beider Verbote bleiben nebeneinander bestehen. Eine Störung kann auch mit der Beschädigung oder Zerstörung von Lebensstätten einhergehen: Da die Verbote unterschiedlichen Schutzgütern dienen (dem Tier selbst bzw. der Lebensstätte) und jedes Verbot in der Regel auch ohne eine Verletzung des anderen möglich ist, besteht hier kein Vorrangverhältnis. Werden durch eine Handlung beide Verbote verletzt, so stehen die Verletzungen gleichwertig nebeneinander.284 Insgesamt ist festzustellen, dass sich die Umsetzung des Störungsverbotes durch die Artenschutznovelle verbessert hat. Immer noch europarechtswidrig ist das deutsche Störungsverbot allerdings insbesondere hinsichtlich der ausschließlichen Beschränkung auf die aufgezählten Zeiten. Die Begrenzung einer tatbestandsrelevanten Störung auf eine erhebliche Störung, anknüpfend an den Erhaltungszustand der lokalen Population, ist nach der hier vertretenen Auffassung indes nicht europarechtswidrig. c) Zerstörung oder Entnahme von Eiern Art. 12 Abs. 1 lit. c FFH-RL statuiert das Verbot der Zerstörung oder Entnahme von Eiern aus der Natur. Die Vorschrift ist im deutschen Recht zusammen mit dem Tötungsverbot in § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG geregelt. Sie hat wenig praktische Bedeutung und bietet kaum Auslegungsschwierigkeiten. Hinzuweisen ist lediglich darauf, dass sowohl auf europäischer wie auch auf deutscher Ebene nur die Entnahme „aus der Natur“ erfasst ist. Umsetzungsdefizite sind im deutschen Recht hinsichtlich der Vorschrift nicht festzustellen. d) Schutz der Fortpflanzungs- und Ruhestätten Ein praktisch relevantes weiteres Verbot besteht zum Schutz der Fortpflanzungsund Ruhestätten der geschützten Tierarten. Im Rahmen der Artenschutznovelle wurde die deutsche Verbotsvorschrift den europäischen Vorgaben angepasst, damit wurden Umsetzungsdefizite behoben.

283

Louis, NuR 2009, 91 (95); ders., NuR 2012, 467 (470). Louis, NuR 2009, 91 (95); vgl. auch Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 44 Rn. 22. 284

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

aa) Europäische Vorgaben Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL enthält das Verbot jeglicher Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- und Ruhestätten. Der Schutz der Arten erfolgt bei diesem Verbot nicht unmittelbar; wegen der Relevanz dieser Habitatbereiche für den Lebenszyklus der Tiere kommt das Verbot den geschützten Arten dennoch zugute.285 Das Verbot erhält im europäischen Recht nach dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers eine hervorgehobene Stellung, da der Tatbestand im Unterschied zu den anderen Zugriffsverboten keine Absicht voraussetzt und somit ein besonderer Schutz gewährt wird. Im Hinblick auf die „Bedeutung des Zieles des Schutzes der biologischen Vielfalt, dessen Verwirklichung die Richtlinie dient“, sieht der EuGH die Anwendbarkeit des Verbotstatbestandes auf absichtliche wie nichtabsichtliche Handlungen als verhältnismäßig an.286 Unklar bleibt, wieso der Schutz der Arten selber im Vergleich zum Schutz ihrer Fortpflanzungs- und Ruhestätten geringer ausfällt – dient er doch mindestens in gleicher Weise dem Erhalt der biologischen Vielfalt.287 Aber auch wenn der Sinn des höheren Schutzgehaltes der Lebensstätten im Vergleich zum Schutz der Arten zweifelhaft bleibt, sind auf europäischer Ebene alle den tatbestandlichen Erfolg verwirklichenden vorsätzlichen und fahrlässigen Handlungen erfasst.288 Die vereinzelt vertretene Gegenauffassung289, die auch beim Schutz der Lebensstätten Vorsatz bzw. Absicht verlangt, verstößt klar gegen Wortlaut und Systematik der Richtlinienvorschrift. Die vorgebrachten Argumente vermögen angesichts des eindeutigen Wortlauts nicht zu überzeugen: Insbesondere greift diese Auffassung auf völkerrechtliche Erwägungen zu den Vorgaben der Berner Konvention zurück, die bei dem entsprechenden Verbot Absicht voraussetzt (Art. 6 lit. b Berner Konvention). Die daran geübte Kritik, dass die Berner Konvention ausdrücklich strengere Verbotsregelungen der Staaten zulässt,290 ist nicht zu widerlegen: Auch das Argument, die FFH-Richtlinie wolle lediglich die völkerrechtlichen Vorgaben umsetzen,291 hilft nicht weiter, da in ihr an vielen Stellen vom völker285

Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.4.b). EuGH, Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 55 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland. 287 Vgl. schon Wolf, ZUR 2006, 505 (506); s. aber die Begründung von Frenz/Lau, in: Frenz/ Müggenborg, BNatSchG, Vorb. §§ 44 – 45 Rn. 12 für einen höheren Schutz der Fortpflanzungsund Ruhestätten; indes sehen Frenz und Lau die Weite des Verbotes kritisch hinsichtlich des (europäischen) Rechtsstaatsprinzips, Rn. 14. 288 EuGH, Urt. v. 20. 10. 2005, Rs. C-6/04, Slg. 2005, I-9017, Rn. 71 ff. – Kommission/ Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland; Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 55 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland; Urt. v. 11. 01. 2007, Rs. C183/05, Slg. 2007, I-137, Rn. 47 – Kommission/Irland; Gellermann, NuR 2003, 385 (388); ders., NuR 2005, 504 (505); Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 76; Rödiger-Vorwerk, FFHRichtlinie, S. 148. 289 Müller, NuR 2005, 157 (163). 290 Gellermann, NuR 2003, 385 (388). 291 So die Argumentation von Müller, NuR 2005, 157 (163). 286

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rechtlichen Vorbild abgewichen wird.292 Zudem könnten Erwägungen zum Hintergrund der FFH-Richtlinie nur bei uneindeutigen Auslegungsergebnissen zum Tragen kommen, da der historischen Auslegung im Vergleich zur Wortlautauslegung nur geringes Gewicht zukommt.293 Da die dargestellte Auffassung insbesondere darauf abzielte, die Europarechtskonformität der früheren Regelung des § 43 Abs. 4 BNatSchG zu bestätigen, die dergestalt im aktuellen BNatSchG 2010 abgeschafft wurde, ist fraglich, ob diese Interpretation von Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL überhaupt aufrechterhalten wird – gerade auch angesichts der neueren Rechtsprechung des EuGH, namentlich zur früheren deutschen Regelung des § 43 Abs. 4 BNatSchG. Nicht vom europäischen Tatbestand erfasst sind allerdings Entwicklungen, die zu Beschädigungen oder Vernichtungen führen, welche nicht durch menschliches Verhalten, sondern natürlich bedingt sind. Diese sind dem Habitatschutzregime der FFH-RL zuzuordnen.294 Nichtsdestoweniger betrifft der Schutz der Fortpflanzungs- und Ruhestätten die Gebiete selbst, unabhängig von einer Anwesenheit der Tiere.295 Erforderlich bei einer nicht ständigen Präsenz der Tiere ist lediglich – mit Blick auf den zugrundeliegenden Zweck der Regelung – die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass diese zurückkommen.296 Der Begriff der Fortpflanzungs- und Ruhestätten bedarf einer näheren Spezifizierung. Die Bestimmung des Schutzgutes muss dabei anhand der Ziele der FFH-RL erfolgen. Der angestrebte günstige Erhaltungszustand setzt die ökologische Funktionalität von Fortpflanzungs- und Ruhestätten voraus, da der Fortpflanzungserfolg und die ungestörte Rast der Tiere für ein Überleben der Art notwendig sind und sichergestellt werden müssen.297 Die in diesem Sinne benötigten Bereiche differieren bei den einzelnen zu schützenden Arten aufgrund deren unterschiedlicher Bedürfnisse. Die Kommission führt zur näheren Bestimmung konkretere Kriterien und Beispiele in ihrem Leitfaden an.298 Häufig überschneiden sich die geschützten Bereiche der Fortpflanzungs- und Ruhestätten auch.299 Während der unmittelbare Kern der Fortpflanzungs- und Ruhestätten noch relativ sicher zu bestimmen ist, stellt sich die Frage, wie weit dieser Schutz – in örtlicher Hinsicht – zu ziehen ist, d. h. auf welche Umgebung er sich noch erstreckt. Die Kommission spricht sich (wie stets naturschutzfreundlich) für eine weite Auslegung des Begriffs der Fortpflanzungs- und Ruhestätten aus. Den Ausführungen der 292

Gellermann, NuR 2003, 385 (388) m.w.N. Vgl. dazu oben D.III. 294 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.4.a); Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 77 f. 295 Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 77. 296 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.4.b). 297 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.4.b). 298 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.4.b). 299 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.4.b). 293

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Kommission zufolge ist dabei zwischen Arten mit kleinem und großem Aktionsradius zu unterscheiden: Während bei kleinerem Aktionsradius auch die nähere Umgebung noch mit geschützt werden soll, ist bei größerem Aktionsradius der Schutz auf einen abgegrenzten Raum zu beschränken.300 Diese Abgrenzung löst das Auslegungsproblem indes noch nicht, sondern wirft vielmehr Folgefragen auf, insbesondere diejenige, wann ein großer oder kleiner Aktionsradius vorliegen soll. Zudem erscheint es sinnvoll, den ohnehin weiten Schutz (wegen Fehlen des Absichtsmerkmals) nicht uferlos werden zu lassen oder in einen allgemeinen Habitatschutz umzufunktionieren. So zeigte sich auch der EuGH bisher weithin zurückhaltend in seiner Rechtsprechung zur Auslegung der Begriffe des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL. Ist das Gebiet der Fortpflanzungs- und Ruhestätten bestimmt, so stellt sich als nächstes die Frage, ab welchem Grad der Beeinträchtigung die Tatbestandsvoraussetzung der Beschädigung oder Vernichtung erfüllt ist. Hier ist zu bemerken, dass die Begrifflichkeiten in den unterschiedlichen Sprachfassungen variieren und damit mehrere Interpretationen ermöglichen. So legt die englische Bezeichnung „deterioration“ nahe, dass auch geringgradigere Verschlechterungen erfasst sind, wohingegen der Wortlaut der deutschen Fassung („Beschädigung“) restriktiver erscheint.301 Da der Wortlaut insofern verschiedene Deutungen zulässt, muss die Auslegung vor dem Hintergrund des Zwecks der Richtlinie erfolgen; das bedeutet, dass zur Sicherung eines günstigen Erhaltungszustands die ökologische Funktion der Fortpflanzungs- und Ruhestätten gewährleistet bleiben muss.302 Dies stimmt auch in systematischer Hinsicht mit der Auslegung des Störungsverbots, die entsprechend ähnlich verläuft, überein. Die Kommission schlägt eine weite – offenbar eher am englischen Wortlaut orientierte – Auslegung vor: Sie sieht eine Beschädigung als materielle Verschlechterung in qualitativer oder quantitativer Hinsicht einer Fortpflanzungs- oder Ruhestätte, die auch „schleichend“ erfolgen kann. In Anknüpfung an den angestrebten hohen Schutz (angesichts des fehlenden Absichtsmerkmals) hält sie auch hier eine weite Auslegung für geboten.303 Diese Folgerung ist möglich, aber nicht zwingend – vielmehr ist auch der umgekehrte Schluss denkbar, dass angesichts des bereits breiten Anwendungsbereichs die Tatbestandsmerkmale restriktiv zu bestimmen sind, um eine Ausuferung des Verbots zu vermeiden. Der EuGH hat in seinen Ausführungen bisher allerdings die Tendenz zu einer weiten Auslegung gezeigt: So soll noch nicht einmal eine tatsächliche Beschädigung vorliegen müssen, sondern für die Tatbestandsverwirklichung soll ausreichen, dass „das Vorhandensein von Bauwerken […] geeignet ist, eine Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungsstätte im Sinne des 300

Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.4.b). Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 77 Fn. 405; vgl. auch Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.4.c). 302 Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 77. 303 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.4.c), auch mit Beispielen. 301

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Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie herbeizuführen“.304 Seitens der Literatur wird in dieser Auslegung eine Überschreitung des Wortlauts gesehen.305 Richtig ist, dass die bloße Geeignetheit dem Wortlaut nach noch nicht den Verbotstatbestand des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL erfüllen kann. Zu beachten ist allerdings, dass im nationalen Recht sicher ausgeschlossen werden muss, dass durch ein Vorhaben artenschutzrechtliche Verbotstatbestände verwirklicht werden. Anderenfalls würden nicht die gemäß Art. 12 FFH-RL notwendigen Maßnahmen für ein „strenges Schutzsystem“ getroffen. In diesem Sinne ist auch die Entscheidung des EuGH zu verstehen.306 Zur Vermeidung der Erfüllung des (nach ihrer Auslegung weiten) Tatbestands bietet die Kommission das Werkzeug der vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen: Der Tatbestand des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL soll nicht erfüllt sein, wenn voraussehbare Beeinträchtigungen durch Maßnahmen zur Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätte (CEF-Maßnahmen – Continuous Ecological Functionality) vermieden werden. Wenn mithilfe solcher Maßnahmen kein Quantitäts- oder Qualitätsverlust der Stätten erfolgt, soll die Erteilung einer Ausnahme nach Art. 16 FFH-RL nicht erforderlich sein. Voraussetzung sei aber, dass die Prognosen hinsichtlich der Vermeidung negativer Auswirkungen sich auf objektive Informationen stützen und spezifische Bedingungen der betreffenden Stätte und der Art berücksichtigen.307 Durch diese Möglichkeit wirkt die Kommission den Folgen, die durch die weite Auslegung des Verbotstatbestands für Planungs- und Zulassungsentscheidungen und damit auch insgesamt für wirtschaftliche Entwicklungen entstehen können, entgegen. bb) Umsetzung in § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG Die Umsetzung des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL erfolgt im deutschen Recht durch § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG. Danach ist die Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung der Fortpflanzungs- und Ruhestätten der wildlebenden Tiere der besonders geschützten Arten verboten. (1) Frühere Formulierung des Verbots Im Zuge der Artenschutznovelle 2007 ist der Schutz der Fortpflanzungs- und Ruhestätten erstmals vom Individuenschutz tatbestandlich separiert worden. Dabei wurde zugleich der Wortlaut an den der FFH-Richtlinie angepasst. Die seitdem (bis heute) geltende Formulierung ersetzt die Begrifflichkeit der „Nist-, Brut-, Wohn304

EuGH, Urt. v. 30. 01. 2002, Rs. C-103/00, Slg. 2002, I-1147, Rn. 38 – Kommission/ Hellenische Republik. 305 So schon richtig Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 77. 306 Vgl. EuGH, Urt. v. 30. 1. 2002, Rs. C-103/00, Slg. 2002, I-1147, Rn. 40 – Kommission/ Hellenische Republik. 307 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.4.d).

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oder Zufluchtstätten“ (§ 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG 2002), soll diese aber inhaltlich gleichermaßen erfassen und somit auch die entsprechenden Vorgaben der Vogelschutz-RL umsetzen.308 (2) Auslegung der Begrifflichkeit vor dem Hintergrund der europäischen Vorgaben Da der Wortlaut des deutschen Verbots der Beschädigung und Vernichtung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten (auch zusammenfassend als Lebensstätten bezeichnet)309 nunmehr mit dem entsprechenden Wortlaut der FFH-RL fast identisch ist, sind der Vorschrift des § 44 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG keine Umsetzungsdefizite zu entnehmen. Lediglich sind die Tathandlungen im deutschen Recht noch um das Verbot der Entnahme erweitert: Ohnehin dürften auch solche Tathandlungen durch den europäischen Verbotstatbestand ebenfalls erfasst sein, und selbst wenn nicht, ist es legitim, in der Umsetzung über die europäischen Vorgaben hinauszugehen und einen Verbotstatbestand weiter zu ziehen. Verstöße gegen die Vorgaben der FFHRichtlinie können sich aber noch aus einer fehlerhaften Auslegung ergeben. Während die Definitionen für Fortpflanzungs- und Ruhestätten im Kernbereich kaum Auslegungsschwierigkeiten bereiten,310 kann die Anwendung im konkreten Fall, die auf naturschutzfachliches Wissen angewiesen ist, mehr Probleme bereiten. Welcher Bereich im Einzelnen als Fortpflanzungs- oder Ruhestätte zu qualifizieren ist, hängt von der betroffenen Art und ihren spezifischen Gewohnheiten und Bedürfnissen ab.311 Problematisch ist die Bestimmung der geschützten Gebiete insbesondere außerhalb des eigentlichen Kernbereichs der Lebensstätten. Wie weit solche Gebiete noch mit erfasst werden, insbesondere hinsichtlich angrenzender Jagd- und Nahrungsstätten, wird unterschiedlich beurteilt. Grundsätzlich wird der Bereich der Fortpflanzungs- und Ruhestätten als räumlich eng begrenzt verstanden – Gebiete außerhalb davon (auch Nahrungsstätten und Jagdreviere) werden damit nicht zu den Fortpflanzungs- und Ruhestätten gezählt.312 Für diese Auslegung sprechen neben dem Wortlaut auch Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschrift: Vor der Novelle im Jahr 2007 hatte sich eine re308

BT-Drs. 16/5100, S. 11; vgl. dazu auch Meßerschmidt, BNatSchG, § 42 Rn. 32 f. Z.B. de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 23 ff.; Marzik, in: Marzik/ Wilrich, BNatSchG, § 42 Rn. 6; Meßerschmidt, BNatSchG, § 42 Rn. 32a; der Begriff der Lebensstätten bezieht sich dabei allein auf die Fortpflanzungs- und Ruhestätten und nicht wie in der Ökologie auf das gesamte Habitat, vgl. Blessing/Scharmer, Artenschutz im Bebauungsplanverfahren, Rn. 84 ff. 310 Vgl. z. B. die Definitionen bei Louis, NuR 2009, 91 (93 f.); Meßerschmidt, BNatSchG, § 42 Rn. 32a ff.; A. Schmidt-Räntsch, in: Gassner u. a., BNatSchG, § 42 Rn. 6. 311 Vgl. BVerwGE 133, 239 (257); BVerwG, NVwZ 2009, 1296 (1305); s. auch LANAHinweise 2009, S. 7 f. 312 BVerwGE 112, 321 (325); 131, 274 (305); BVerwG, NVwZ 2007, 708 (709); vgl. weiterhin z. B. de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 23 f.; Marzik, in: Marzik/Wilrich, BNatSchG, § 42 Rn. 6; Meßerschmidt, BNatSchG, § 42 Rn. 32a. 309

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striktive Auslegung bereits etabliert. Zur Neuregelung hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung keinen Hinweis auf eine erweiterte Auslegung gegeben, sondern lediglich eine Anpassung an den europäischen Wortlaut bei inhaltlich weitgehender Übereinstimmung zur früheren Regelung vornehmen wollen.313 In systematischer Hinsicht zeigt ein Vergleich mit § 44 Abs. 5 Satz 2 BNatSchG, der ausdrücklich auf die ökologische Funktion der betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang verweist, dass zwischen der Lebensstätte und ihrem räumlichen Umfeld differenziert wird.314 Gleichsam als Ausnahme von dem Grundsatz des engen Verständnisses werden angrenzende Nahrungshabitate von einigen Stimmen als mit erfasst angesehen, wenn ihr Wegfall den Bruterfolg beeinträchtigen würde,315 das bedeutet, wenn sie „durch ihren unmittelbaren funktionalen Zusammenhang zur betroffenen Lebensstätte gehören“316. Die Auslegungsfrage ist vor dem Hintergrund der europäischen Regelung zu sehen: Wie bereits dargelegt, spricht sich die Kommission für eine weite Auslegung aus, insbesondere mit Blick auf die Ziele der FFH-Richtlinie und die herausgehobene Stellung des Verbots der Beschädigung oder Zerstörung der Fortpflanzungs- und Ruhestätten.317 Die Begründung der Kommission für eine weite Auslegung kann indes durchaus kritisch gesehen werden und ist darüber hinaus nicht verbindlich.318 Der EuGH wiederum hat sich bisher zurückgehalten. Unabhängig davon ist selbst bei Annahme einer weiten Auslegung (wie sie von der Europäischen Kommission empfohlen wird) nicht die Überdehnung des Wortlauts (von Fortpflanzungsstätten auf Nahrungsstätten) zu rechtfertigen. Die im Rahmen der Auslegung zu beachtenden Ziele der FFH-Richtlinie legen zwar einen Schwerpunkt auf die Betrachtung der ökologischen Funktionalität der Fortpflanzungsstätten; doch geht es dabei tatsächlich um die spezifische Funktionalität der Stätten, d. h. die Fortpflanzung (einschließlich Aufzucht der Jungen) und die Rast. Nahrungsstätten sind für das Überleben der Tiere einer Art (und damit auch für das Überleben der Jungen) ebenfalls zwingend erforderlich – tatsächlich können solche Bedingungen aber nicht mehr der spezifischen Funktionalität der Fortpflanzungsstätte zugeordnet werden. Würden auch Nahrungsstätten mit erfasst, so würde das Verbot des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL nahezu einen allgemeinen Habitatschutz postulieren. Die Beschränkung auf unentbehrliche Nahrungsstätten im direkten Umkreis hingegen würde wiederum weitere Abgrenzungsfragen erforderlich machen, die kaum objektiv zu treffen sind. 313 Vgl. oben D.IV.2.d)aa); so auch bereits Gellermann, NuR 2007, 783 (786); Meßerschmidt, BNatSchG, § 42 Rn. 32 f. 314 So schon Gellermann, NuR 2007, 783 (786). 315 Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 100 f. und S. 189; Kratsch, in: Schumacher/FischerHüftle, BNatSchG, § 44 Rn. 36; Louis, NuR 2008, 65 (65); NuR 2009, 91 (94); Niederstadt/ Krüsemann, ZUR 2007, 347 (349). 316 De Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 24. 317 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.4.c); vgl. D.IV.2.d)aa). 318 Vgl. de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 23.

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Anzumerken ist letztlich, dass dies allgemeine Ausführungen sind, die noch unter dem Vorbehalt der Korrektur bzw. Konkretisierung im Einzelfall wegen Einflüssen eventuell bestehender artspezifischer besonderer Bedürfnisse stehen. So wird seitens der Kommission ebenso wie seitens der Literatur zwischen Arten mit kleinem oder großem Aktionsradius unterschieden.319 Diese Unterscheidung wird den Anforderungen und Interessen im Einzelfall besser gerecht und beachtet dabei das Telos des Verbots (auf europäischer Ebene und in seiner deutschen Umsetzung). Auch die Begrifflichkeit der Tathandlungen bedarf einer Überprüfung der europarechtlichen Anforderungen an die Auslegung. Dies gilt insbesondere für die in ihrem Anwendungsbereich unklare Tathandlung der Beschädigung der Stätten, die gleichzeitig die größte praktische Relevanz besitzt. Herausgearbeitet werden können zwei Problempunkte: Der erste betrifft die Frage der Notwendigkeit einer substantiellen Veränderung, der zweite die Erfassung von Teilbeschädigungen. Nach weit verbreiteter Auffassung gilt bezüglich des ersten Punktes, dass nicht nur Substanzverletzungen als Beschädigung gelten, sondern jede Verschlechterung der Lebensstätten, d. h. jede Beeinträchtigung der ökologischen Funktionalität der Fortpflanzungs- oder Ruhestätte.320 Auf europäischer Ebene ist dies noch nicht verbindlich entschieden worden. Eine weite Auslegung der europäischen Vorgaben, die nicht nur Substanzverletzungen erfasst, liegt indes nahe: Das Verbot des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL dient durch das „Nahziel“ der Erhaltung der Funktionalität der Fortpflanzungs- und Ruhestätten dem umfassenderen Ziel der Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustandes der Arten. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, das Verbot auch auf die entsprechende Funktionalität der Fortpflanzungs- und Ruhestätten zu beziehen und nicht auf die substantielle Veränderung abzustellen. Diese Auslegung stützt der Wortlaut der Vorschrift: Wie bereits dargelegt, ist gerade der Begriff der „Beschädigung“ in anderen Sprachfassungen, namentlich der englischen („deterioration“), weniger restriktiv formuliert321 und spricht damit in einer Gesamtbetrachtung für eine weite Auslegung. Die engere Auslegung des deutschen Verbots ist daher vor dem europäischen Hintergrund kritisch zu betrachten.322

319 Dazu s. oben D.IV.2.d)aa); in der deutschen Literatur z. B. Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 574. 320 Vgl. z. B. de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 27; Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 575; a.A. aber Louis, NuR 2012, 467 (471). 321 Dazu oben D.IV.2.d)aa). 322 Die engere Auffassung von Louis, NuR 2009, 91 (94) wird durch den Verweis auf das im deutschen Recht noch bestehende Verbot der Entnahme wieder relativiert; nach hier vertretener Auffassung ist die Entnahme allerdings – im Unterschied zu Louis’ Ansicht – lediglich deklaratorischer Natur. Da nach Louis’ Auffassung z. B. auch chemische Einwirkungen vom Verbot erfasst sein sollen, nach seinen Ausführungen mithin als Substanzverletzung gelten, ist diese wohl auch nicht so eng gemeint, wie es zunächst den Anschein hat. Die Ergebnisse werden sich letztlich kaum unterscheiden.

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Der zweite Problemkreis der Erfassung der Beschädigung auch von Teilen einer Lebensstätte ist argumentativ ähnlich zu lösen wie der erste Teil: Der Blickwinkel ist insoweit auf die Beeinträchtigung der Funktion einer Lebensstätte zu richten. Ist diese (beispielsweise durch Beschädigung eines großen Teils der Stätte) nachhaltig beeinträchtigt, so kann vor dem europäischen Hintergrund nicht vertreten werden, dies stelle keine Beschädigung dar, weil nicht die gesamte Lebensstätte betroffen sei.323 Zu berücksichtigen sind im Rahmen einer europarechtskonformen Auslegung, wie bereits im Einzelnen dargelegt, die Ziele der Richtlinie, die zu berücksichtigenden anderen Sprachfassungen des europäischen Verbots sowie die hohe Stellung, die der europäische Gesetzgeber dem Verbot zukommen lässt. Die Unterscheidung zwischen Beschädigung und Zerstörung im (deutschen und europäischen) Wortlaut spricht weiterhin dafür, Beschädigungen von (wesentlichen) Teilen, die mit einer funktionellen Minderung einhergehen, bereits als erfasst anzusehen. Würde jedes Mal die Beschädigung der gesamten Stätte verlangt, so verbliebe für das Verbot der Zerstörung kaum noch ein eigener Anwendungsbereich. Zu überlegen ist allerdings, auch beim Begriff der Beschädigung eine Erheblichkeitsschwelle, wie sie beim Störungsverbot im deutschen Recht ausdrücklich statuiert ist und im europäischen Recht ungeschrieben anerkannt werden kann, anzunehmen. Diese könnte so aussehen, dass unbedeutende Veränderungen, die nicht mit einer Minderung der ökologischen Funktion der gesamten Lebensstätte einhergehen, noch keine Beschädigung darstellen. Eine solche Erheblichkeitsschwelle steht im Einklang mit dem europäischen Recht: Solange keine Verschlechterung der Funktion zu verzeichnen ist, stehen die Ziele der FFH-Richtlinie einer Handlung nicht entgegen. Schließlich spricht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der gemäß Art. 5 Abs. 4 EUV auch im Unionsrecht gilt, dafür, Handlungen, die nur geringe Veränderungen zur Folge haben und daher dem Ziel nicht abträglich sind, nicht in gleicher Weise zu verbieten bzw. von der Erteilung einer Ausnahme abhängig zu machen wie schwerwiegende Beeinträchtigungen.324 Die Anerkennung einer Erheblichkeitsschwelle könnte so die Folgen der Annahme eines weiten Tatbestands ausgleichen. Seitens der Europäischen Kommission oder des EuGH ist allerdings ausdrücklich bislang keine derartige Überlegung oder Stellungnahme erfolgt. Einen Hinweis kann man lediglich den Ausführungen der Kommission zu den vorgezogenen Ausgleichmaßnahmen entnehmen, die in dem Kontext eine einschränkende Auslegung auf derselben Basis, dass die Ziele der Richtlinie nicht beeinträchtigt werden, vornimmt.325 Die Auslegung des deutschen Rechts bleibt diesbezüglich unklar: Mit Blick auf die bereits im Strafrecht bestehende Definition des Begriffs der Beschädigung („nicht nur unerhebliche Substanzverletzung oder nicht nur unerhebliche Brauch-

323 324 325

So im Ergebnis auch Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (349). In diesem Sinne auch bereits Kratsch, NuR 2007, 27 (29) und NuR 2007, 100 (103). Vgl. D.IV.2.d)aa) und cc).

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barkeitsminderung“326) kann die Wortlautauslegung tatsächlich für eine Erheblichkeitsschwelle – anknüpfend an den Begriff der Beschädigung – sprechen. Die Systematik der deutschen Artenschutzregelungen scheint demgegenüber eher gegen eine solche Erheblichkeitsschwelle zu sprechen: So ist eine solche beim Störungsverbot ausdrücklich geregelt, beim Verbot der Beschädigung und Zerstörung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten hingegen nicht. Sinn und Zweck der deutschen Verbotsvorschrift ist neben dem Erhalt eines günstigen Erhaltungszustandes der Arten auch formell die Umsetzung der europäischen Vorgaben. Wie bereits ausgeführt, schadet eine Erheblichkeitsschwelle diesbezüglich nicht. Zuletzt muss die Auslegung verfassungskonform vorgenommen werden: Dazu ist festzustellen, dass das Verbot der Beschädigung von Lebensstätten bußgeldbewehrt ist. Die Veränderung eines geringen Teils einer Lebensstätte ohne funktionelle Beeinträchtigung, die nicht einmal europarechtlich gefordert ist, bereits als Beschädigung und damit als Ordnungswidrigkeit zu begreifen, verstieße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. So ist schließlich festzustellen, dass – trotz offenbar widersprechender (deutscher) Gesetzessystematik – eine Erheblichkeitsschwelle angenommen werden kann. Solange Europäische Kommission und EuGH allerdings keine Signale senden, bleibt die Möglichkeit der Anerkennung einer solchen Schwelle in der Praxis fraglich. Zur Tathandlung der Entnahme aus der Natur ist anzumerken, dass ihre Erwähnung in der deutschen Vorschrift im Vergleich zu den europäischen Vorgaben lediglich klarstellende Funktion besitzt: Die Tatbestandsvoraussetzung ist nicht verwirklicht, wenn die Lebensstätte lediglich an einen anderen Ort verbracht wird, ohne dass eine funktionelle Beeinträchtigung besteht.327 Andere Entnahmen (d. h. solche, bei denen die Funktion der Lebensstätte gestört wird) könnten ohnehin unter die Begriffe der Beschädigung oder Vernichtung subsumiert werden.328 Auch wenn die Tathandlung der Entnahme damit eher deklaratorische Funktion aufweist, ist ihre Erwähnung in der deutschen Vorschrift begrüßenswert, da Auslegungsproblemen und damit verbundenen Verstößen gegen europäisches Recht vorgebeugt und so dem Erfordernis der Bestimmtheit und Klarheit der Umsetzung gedient wird. cc) Nichterfüllung des Tatbestandes wegen Durchführung von CEF-Maßnahmen? Für die Auslegung und Anwendung der FFH-Richtlinie erwägt die Europäische Kommission die Möglichkeit vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen (CEF-Maß326 Vgl. BGHSt 44, 34 (38); BGH, NStZ 1982, 508 f.; OLG Frankfurt, NJW 1987, 389 (390); 1990, 2007 (2007); OLG Celle, NJW 1988, 1101 (1101); Kühl, StGB, § 303 Rn. 3 ff.; Stree/Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 303 Rn. 8. 327 Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 44 Rn. 40; Louis, NuR 2009, 91 (94); Müller-Walter, in: Lorz u. a. NatSchR, § 44 BNatSchG Rn. 24. 328 Diesbezüglich ist Louis allerdings a.A., vgl. NuR 2009, 91 (94).

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nahmen), die bereits die Erfüllung des Verbotstatbestands verhindern können sollen und somit nicht erst bei der Ausnahmenerteilung zu berücksichtigen sind.329 In der deutschen Literatur wird diese Gestaltungsoption teils befürwortet, teils kritisiert. Ausdrücklich normiert ist die Möglichkeit der vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen in § 44 Abs. 5 Satz 3 BNatSchG. Die Frage der Europarechtskonformität eines Tatbestandsausschlusses aufgrund vorgezogener Maßnahmen stellt sich angesichts der Ausführungen der Europäischen Kommission bereits unabhängig vom Kontext des § 44 Abs. 5 BNatSchG. Die Kritik an der Möglichkeit vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen wird damit begründet, dass das Verbot des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL den konkreten Ort schütze und nicht nur dessen ökologische Funktion. Die Auslegung der Kommission stimme daher kaum mit dem Wortlaut der Richtlinie überein.330 Eine Gesamtbetrachtung des Verbots im Kontext des Artenschutzregimes und der Zielsetzung der FFH-Richtlinie lässt hingegen deutlich werden, dass der Schutz der Fortpflanzungsund Ruhestätten als Ort die Erhaltung der ökologischen Funktion sicherstellen und damit zu einem günstigen Erhaltungszustand der Arten beitragen soll. Die Erhaltung der ökologischen Funktion ohne Verlust der Qualität oder Quantität einer Lebensstätte ist aber bei vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen gerade sicherzustellen. Das Verbot erfüllt darüber hinaus keinen Selbstzweck, sondern dient den Zielen der FFHRichtlinie. Es ist schließlich irrelevant, in welcher Weise das Schutzziel erreicht wird, solange sichergestellt ist, dass es erreicht wird.331 Diese Auslegung entspricht den allgemeinen Grundsätzen des Erlasses und der Umsetzung von Richtlinien: Danach geben Richtlinien Ziele vor und überlassen die Art der Umsetzung den Mitgliedstaaten.332 Gerade weil die FFH-Richtlinie in ihren Artenschutzvorschriften bereits detaillierte Vorschriften vorsieht, ist darauf zu achten, ihren Charakter als Richtlinie noch zu wahren. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass sich die Richtlinie zu sehr dem Charakter einer Verordnung annähert, die im Vergleich zur Richtlinie wegen des geringeren mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraums eine schärfere unionsrechtliche Maßnahme darstellt, womit Probleme hinsichtlich des Grundsatzes der Subsidiarität entstünden. Eine kritischere Auslegung des Verbots, die vorgezogene Maßnahmen als nicht zulässig erachtet, verstößt zudem gegen den (unionsrechtlichen) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Es würden Anforderungen gestellt, die über die Erreichung des angestrebten Zwecks hinausgingen und damit nicht erforderlich wären. Es liegt folglich kein Verstoß gegen europäische Vorgaben vor, solange gewährleistet ist, dass die ergriffenen Maßnahmen die Verwirklichung des Tatbestands verhindern. Daher sind an die Ausgleichsmaßnahmen besondere Anforderungen zu stellen, um eine gleichbleibende Quantität und Qualität der ökologischen Funktion 329 330 331 332

Dazu oben D.IV.2.d)aa). Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (350). BVerwGE 133, 239 (258). BVerwGE 133, 239 (258).

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der Lebensstätte zu wahren: Die Maßnahmen müssen sich auf die einzelne Art beziehen, deren besonderen Gewohnheiten und Bedürfnisse beachten und mit dem betroffenen Bestand in räumlich-funktionalem Zusammenhang stehen. Außerdem müssen sie bereits zum Zeitpunkt des Eingriffs (und nicht erst später) ihre Wirkung entfalten.333 Erfüllen die Maßnahmen die genannten Voraussetzungen nicht, kann der Tatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG nicht ausgeschlossen werden. Die Maßnahmen können allerdings in einer späteren Ausnahmenprüfung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG (bzw. Art. 16 FFH-RL) noch zugunsten des Vorhabens sprechen. Das System von Verboten und Ausnahmen in Artt. 12 – 16 FFH-RL wird im Übrigen nicht durch die Gestattung vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen unterlaufen. Zwar können auch im Rahmen des Art. 16 FFH-RL Ausgleichsmaßnahmen vorgenommen werden, um sicherzustellen, dass sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert. Diese Maßnahmen unterscheiden sich von den vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen dadurch, dass im Rahmen des Art. 16 FFH-RL ein weiträumigerer Bezug besteht. Vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen, die den Tatbestand ausschließen, beziehen sich hingegen nur auf den lokal betroffenen Bestand.334 Es könnte allerdings in Erwägung gezogen werden, die Voraussetzungen an vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen gesetzlich festzulegen, um dem Vorwurf einer mangelhaften Richtlinienumsetzung zu entgehen – schließlich muss die Einhaltung von Richtlinienvorgaben nach allgemeinen Grundsätzen nicht nur faktisch gewährleistet sein, wie im Rahmen einer bloßen Verwaltungspraxis, sondern es muss eine Umsetzung erfolgen, die unzweifelhaft verbindlich sowie konkret, bestimmt und klar ist.335 Dagegen ist zu überlegen, dass auch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zulässig ist, deren Konkretisierung den Behörden und Gerichten obliegt. Die gesetzliche Eröffnung der Möglichkeit vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen genügt im Gesamtkontext des insofern uneingeschränkten Verbots des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG und der darauf bezogenen Vorschrift des § 44 Abs. 5 BNatSchG den Anforderungen an die Umsetzung der Vorgaben aus Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL. e) Verbot von Besitz, Transport, Handel und Tausch der geschützten Tierarten Nach den Fang-, Tötungs-, Störungs- und Entnahmeverboten des Abs. 1, die die Tiere in der Natur betreffen, enthält Art. 12 Abs. 2 FFH-RL als nächste Stufe Besitz-, Transport- und Verkaufs- bzw. Tauschverbote von bereits entnommenen Exemplaren. 333 Zu diesen Voraussetzungen bereits Kratsch, NuR 2007, 100 (104); LANA-Hinweise 2006, S. 4 f.; zustimmend de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 27. 334 Vgl. Kratsch, NuR 2007, 100 (104). 335 Vgl. die Ausführungen unter D.II.1.

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Erfasst sind durch die Tatbestandsvarianten alle Arten der Weitergabe oder Verwertung von aus der Natur entnommenen Exemplaren der Tierarten, die damit insgesamt „legal nicht mehr möglich“ sind.336 Lediglich konnten sich Händler noch gemäß Art. 12 Abs. 2, 2. Hs. FFH-RL darauf berufen, die Arten vor Inkrafttreten der FFH-Richtlinie rechtmäßig entnommen zu haben. Da dieses Ereignis mittlerweile 20 Jahre zurückliegt, dürfte diese Möglichkeit immer weniger in Betracht kommen. Nicht vom Verbot umfasst ist die Weitergabe von Tieren, die nicht aus der Natur entnommen wurden, d. h. seit ihrer Geburt in Gefangenschaft gehalten bzw. gezüchtet wurden. Um diese Unterscheidung treffen zu können, ist es erforderlich, nationale Regelungen zu Herkunftsnachweisen der Tiere zu erlassen.337 Die deutsche Umsetzung der Verbote des Art. 12 Abs. 2 FFH-RL erfolgt durch § 44 Abs. 2 und Abs. 3 BNatSchG: Die Besitzverbote regelt § 44 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG. Danach ist es verboten, Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten in Besitz oder Gewahrsam zu nehmen oder zu haben oder sie zu be- oder verarbeiten. Zur Vermeidung von Schutzlücken sind nach überwiegender Ansicht alle Besitzformen der §§ 854 ff. BGB erfasst.338 Vereinzelt wird der mittelbare Besitz in der Literatur hingegen nicht als „Besitz“ i.S.d. § 44 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG angesehen.339 Ob diese restriktivere Auslegung des Begriffes gegen Europarecht verstößt, ist angesichts der spärlichen EuGH-Rechtsprechung zu den Besitz- und Vermarktungsverboten kaum zu entscheiden. Im Sinne eines weitreichenden Artenschutzes (im Hinblick auf Sinn und Zweck der Richtlinie) könnte eine weite Auslegung geboten sein. Allerdings ist eine Schutzlücke kaum denkbar, denn abgesehen vom „Besitz“ könnte auch Gewahrsam vorliegen oder durch das dem mittelbaren Besitz i.S.d. des deutschen Zivilrechts zugrunde liegende Besitzmittlungsverhältnis gegen Vermarktungsverbote (§ 44 Abs. 2 Nr. 2 BNatSchG) verstoßen werden. Unabhängig von der genauen Zuordnung läge jedenfalls ein Verstoß nach deutschem Recht vor. Dann ist aber kein Umsetzungsfehler vorhanden, denn auch wenn eine weite Auslegung des europäischen Verbots zugrunde gelegt wird, würde die Verwirklichung des Tatbestands des Art. 12 Abs. 2 FFH-RL jedenfalls sanktioniert. Das europäische Recht unterscheidet ohnehin weniger detailliert zwischen Besitz- und Vermarktungsverboten als das deutsche Recht; sie sind vielmehr beide zusammen in einem Absatz (Art. 12 Abs. 2 FFH-RL) geregelt.

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Rödiger-Vorwerk, FFH-Richtlinie, S. 148. Rödiger-Vorwerk, FFH-Richtlinie, S. 149. 338 So ausdrücklich der Wille des Gesetzgebers, BT-Drs. 13/6441, S. 65; ausführlich auch Grewing, Artenschutz, S. 71 f.; vgl. weiterhin Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 590; Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 44 Rn. 47; Meßerschmidt, BNatSchR, § 42 BNatSchG Rn. 49; A. Schmidt-Räntsch, in: Gassner u. a., BNatSchG, § 42 Rn. 17. 339 Marzik, in: Marzik/Wilrich, BNatSchG, § 42 Rn. 11. 337

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§ 44 Abs. 2 Nr. 2 BNatSchG enthält die Vermarktungsverbote, welche im Unterschied zu den Besitzverboten nur für die in § 7 Abs. 2 Nr. 13 lit. b und c BNatSchG erfassten besonders geschützten Arten gelten. Die Vermarktungsverbote untersagen, die geschützten Arten zu verkaufen oder kaufen, zum Verkauf oder Kauf anzubieten, zum Verkauf vorrätig zu halten oder zu befördern, zu tauschen oder entgeltlich zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen, zu kommerziellen Zwecken zu erwerben, zur Schau zu stellen oder auf andere Weise zu verwenden. Die Tatbestandsvarianten sind teils legal definiert (z. B. „anbieten“ in § 7 Abs. 2 Nr. 10 BNatSchG) und ansonsten in den gängigen Kommentaren näher bestimmt.340 Praktische Probleme mit der Auslegung sind nicht erkennbar – es gibt daher auch keine Umsetzungsdefizite, die auf mangelnder Bestimmtheit oder Klarheit der Vorschriften beruhen könnten. Die Besitz- und Vermarktungsverbote gelten außerdem für die geschützten Tierarten in allen Lebensstadien und Entwicklungsformen.341 Dies ist auch europarechtlich gefordert (Art. 12 Abs. 3 FFH-RL) – insofern liegt eine korrekte Umsetzung vor. § 44 Abs. 3 BNatSchG dehnt überdies den Anwendungsbereich der Besitz- und Vermarktungsverbote noch auf weitere Arten aus. In Bezug auf die umfassenden Tatbestandsvarianten sind Umsetzungsdefizite des Art. 12 Abs. 2 FFH-RL in deutsches Recht nicht ersichtlich. Die erforderlichen Regelungen zu Nachweisen über die Herkunft von Tieren der geschützten Arten trifft § 46 BNatSchG. Auf den ersten Blick ergibt sich ein Problem beim Anwendungsbereich der deutschen Vermarktungsverbote: Es wird – anders als im Rahmen der Besitzverbote, die sich auf die besonders geschützten Arten insgesamt beziehen – lediglich auf § 7 Abs. 2 Nr. 13 lit. b und c BNatSchG Bezug genommen. § 7 Abs. 2 Nr. 13 lit. b BNatSchG erfasst jedoch dem Wortlaut nach nur solche Arten, die nicht schon unter Nr. 13 lit. a fallen, d. h. es sind solche Arten des Anhangs IV der FFH-RL erfasst, die nicht bereits durch die EU-ArtenschutzVO geschützt werden. Daraus könnte sich bei wörtlicher Betrachtung ein Umsetzungsfehler ergeben; denn der Anwendungsbereich der Vermarktungsverbote müsste sich in dem Umfang, wie die FFH-RL ihn vorsieht, auf alle Arten des Anhangs IV FFH-RL beziehen. Eine Teilmenge davon – d. h. diejenigen, die auch im Anwendungsbereich der EU-ArtenschutzVO liegen – werden von § 7 Abs. 2 Nr. 13 lit. a BNatSchG erfasst und damit nicht mehr von Nr. 13 lit. b („nicht unter Buchstabe a fallende …“). Zur Lösung des Umsetzungsproblems sind zwei Wege denkbar: Bei europarechtskonformer Auslegung der Vorschriften des § 44 Abs. 2 Nr. 2 BNatSchG könnte man das Zusammenspiel der Regelung mit § 7 Abs. 2 Nr. 3 BNatSchG so interpretieren, dass lediglich die Arten der EU-ArtenschutzVO ausgeklammert werden sollen, die nicht auch in Anhang IV der FFH-RL zu finden sind. Diese Auslegung wäre europarechtskonform, wider340

Vgl. z. B. A. Schmidt-Räntsch, in: Gassner u. a., BNatSchG, § 42 Rn. 22 f.; Marzik, in: Marzik/Wilrich, BNatSchG, § 42 Rn. 12 f.; Meßerschmidt, BNatSchR, § 42 BNatSchG Rn. 56 ff.; ausführlich außerdem Grewing, Artenschutz, S. 74 ff. 341 Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 590.

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spricht aber dem Wortlaut der deutschen Regelungen und ist daher abzulehnen.342 Die zweite Lösung ergibt sich vor dem Hintergrund der EU-ArtenschutzVO und wurde vom Gesetzgeber zugrundegelegt:343 Art. 8 der VO statuiert bereits ein (unmittelbar geltendes) Vermarktungsverbot, das für die entsprechend „fehlenden“ Arten gilt.344 Die ungewöhnliche Situation der „Umsetzung“ einer Richtlinienvorschrift in nationales Recht durch die unmittelbar geltende Vorschrift einer EUVerordnung bedarf einiger Erläuterungen: Eine solche Lösung wäre nicht möglich, wenn der Erlass einer ausdrücklichen nationalen Rechtsvorschrift zur Umsetzung notwendig wäre. Zu bedenken ist aber, dass europäische Richtlinien nach Art. 288 UAbs. 3 AEUV lediglich hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind, die Wahl der Form und Mittel dazu indes den Mitgliedstaaten überlassen ist. Geboten ist lediglich, dass die verbindliche Geltung des Richtlinieninhalts im Sinne des Grundsatzes der Effektivität gewährleistet ist; eine förmliche und wörtliche Übernahme der Richtlinienbestimmungen in eine ausdrückliche, besondere Gesetzesvorschrift ist nach der Rechtsprechung des EuGH nicht erforderlich, es kann sogar ein „allgemeiner rechtlicher Kontext“ genügen.345 Es spricht daher grundsätzlich betrachtet nichts dagegen, dass hinsichtlich mancher Arten keine ausdrückliche deutsche Umsetzung des Vermarktungsverbotes der FFH-RL existiert – es muss aber gewährleistet sein, dass das Verbot in Deutschland in vollem Umfang zur Anwendung gelangt. Inhaltlich leistet das Vermarktungsverbot der EU-ArtenschutzVO keinen geringeren Schutz als die FFH-RL für die durch beide Rechtsakte geschützten Arten: Verbotene Tathandlungen sind umfangreicher und konkreter aufgelistet und Ausnahmen stehen stets unter dem Vorbehalt des Einklangs mit sonstigen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zur Erhaltung wildlebender Tier- und Pflanzenarten, sodass insofern auch nicht die Voraussetzungen der Artt. 12, 16 FFH-RL unterlaufen werden können. Unterschiede bestehen bei den Vermarktungsverboten inhaltlich also nicht; auch stellt sich die Situation hinsichtlich der Durchsetzungsmechanismen nicht anders dar: Bei den Besitzverboten und den Vermarktungsverboten des BNatSchG ist die Effektivität des Verbots durch Sanktionierung mit der Wertung eines Verstoßes als Ordnungswidrigkeit gemäß § 69 Abs. 3 Nr. 20, 21 BNatSchG gesichert. Sind Arten betroffen, die nicht von den Vermarktungsverboten des BNatSchG erfasst sind, weil sie bereits entsprechend durch die EU-ArtenschutzVO geschützt sind, gilt Entsprechendes nach § 69 Abs. 4 Nr. 3 BNatSchG.

342 Ohne weitere Problematisierung wird diese Auslegung allerdings offenbar bei A. Schmidt-Räntsch, in: Gassner u. a., BNatSchG, § 42 Rn. 21 angenommen. 343 BT-Drs. 13/6441, S. 66. 344 Vgl. schon Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 44 Rn. 29; Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 44 Rn. 49; Meßerschmidt, BNatSchR, § 42 BNatSchG Rn. 47. 345 EuGH, Urt. v. 28. 02. 1991, Rs. C-131/88, Slg. 1991, I-825, Rn. 6 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Problematisch würde es schließlich, wenn die EU-ArtenschutzVO aufgehoben würde, die FFH-RL aber noch weiter bestehen bliebe – in diesem Fall müsste der deutsche Gesetzgeber unverzüglich handeln. Grundsätzlich liegt in der derzeitigen Regelung jedoch kein Umsetzungsdefizit. Die Geltung der Besitz- und Vermarktungsverbote im deutschen Recht stellt sich zwar unübersichtlich dar, ist aber vollständig. f) System zur fortlaufenden Überwachung unbeabsichtigten Fangs und Tötens gemäß Art. 12 Abs. 4 FFH-RL Das europäische Recht trennt – im Unterschied zum deutschen Recht – beim Fang- und Tötungsverbot strikt zwischen absichtlichen und nicht absichtlichen Handlungen. Hinsichtlich des unbeabsichtigten Fangs und Tötens sind die Anforderungen deutlich geringer und bestehen namentlich in der Einrichtung eines geeigneten Monitorings. aa) Regelungsvorgaben Zur Ergänzung der Verbote des Art. 12 Abs. 1 und 2 FFH-RL und für einen damit erstrebten effektiveren Schutz der bedrohten Tierarten sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 12 Abs. 4 FFH-RL verpflichtet, ein System zur fortlaufenden Überwachung des unbeabsichtigten Fangs oder Tötens der Tiere einzurichten. Nach Art. 12 Abs. 4 Satz 2 FFH-RL sind weitere Untersuchungs- und Erhaltungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn die gesammelten Informationen ergeben, dass signifikante negative Auswirkungen auf die betreffenden Arten zu erwarten sind. Rein vorsorgende Erhaltungsmaßnahmen sind nicht erforderlich, wenn kein Anlass besteht, negative Entwicklungen zu befürchten,346 oder die zu erwartenden Auswirkungen unbedeutend sind. Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass es sich um Auswirkungen auf die Art, nicht auf einzelne Tierexemplare oder Lebensstätten handelt.347 Dies folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift sowie aus dem Sinnzusammenhang: Fang und Tötung (auch unbeabsichtigt) sind stets mit gravierenden Auswirkungen auf das einzelne betroffene Exemplar verbunden. Nach einer solchen Auslegung wären also gemäß Art. 12 Abs. 4 Satz 2 FFH-RL bei jedem unbeabsichtigten Fang und jeder unbeabsichtigten Tötung auch immer weitere Untersuchungs- und Erhaltungsmaßnahmen zu ergreifen – der zweite Halbsatz mit dem Erfordernis der zu erwartenden signifikanten negativen Auswirkungen wäre damit überflüssig. Unbeabsichtigte Auswirkungen auf die Fortpflanzungs- und Ruhestätten wiederum sind ohnehin von Art. 12 Abs. 1 lit. d erfasst. In seinen Konturen unklarer erscheint demgegenüber der Begriff der Signifikanz. Vor dem Hintergrund des in Art. 2 Abs. 2 FFH-RL postulierten Zwecks der Richt346 347

Vgl. Rödiger-Vorwerk, FFH-Richtlinie, S. 149. A.A. offenbar Rödiger-Vorwerk, FFH-Richtlinie, S. 149.

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linie, auf einen günstigen Erhaltungszustand der Arten hinzuwirken, kann der Begriff der signifikanten negativen Auswirkung dahingehend ausgelegt werden, dass er jede Beeinträchtigung der Art umfasst, die das Erreichen dieses Ziels gefährdet. Konkretere Anhaltspunkte lassen sich aus der Definition des (günstigen) Erhaltungszustands einer Art in Art. 1 lit. i FFH-RL folgern: Diese gibt drei Voraussetzungen eines günstigen Erhaltungszustands vor – mangelt es an einer dieser Voraussetzungen durch die Auswirkungen des unbeabsichtigten Fangs oder Tötens, kann von einer signifikanten negativen Auswirkung auf die Art gesprochen werden. Eine solche kann demnach erstens vorliegen, wenn die Ergebnisse der Überwachung annehmen lassen, dass die Art aktuell oder langfristig kein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraumes, dem sie angehört, mehr bilden kann. Zweitens liegt eine negative Auswirkung vor, wenn das natürliche Verbreitungsgebiet der Art abnimmt oder vermutlich abnehmen wird, und drittens, wenn kein genügend großer Lebensraum mehr vorhanden ist oder weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Populationen der Art zu sichern. Diese Auslegung wird auch durch einen Vergleich mit der Interpretation des im deutschen Rechts im Rahmen des Störungsverbots bestehenden Begriffs der erheblichen Beeinträchtigung gestützt. Zwar kann nicht vom deutschen Recht zwingend auf die Auslegung des europäischen Rechts geschlossen werden – gerade auch angesichts des Umstands, dass die Erheblichkeitsschwelle einer tatbestandlich relevanten Störung auf europäischer Ebene zwar anerkannt, aber nicht ausdrücklich im Richtlinientext erwähnt wird, sodass hierzu auch wenig Auslegungshilfe geboten wird. Dennoch lassen sich der deutschen Auslegung Anhaltspunkte entnehmen. Der Begriff der erheblichen Beeinträchtigung ist im Rahmen des Störungsverbots legal definiert: Eine erhebliche Beeinträchtigung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert. Eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes soll insbesondere dann anzunehmen sein, wenn die Überlebenschancen, der Bruterfolg oder die Reproduktionsfähigkeit vermindert werden, wobei dies artspezifisch für den jeweiligen Einzelfall untersucht und beurteilt werden muss.348 Diese Kriterien können ergänzend für die Beurteilung einer negativen Auswirkung auf die Art auch im Rahmen des Art. 12 Abs. 4 FFH-RL und seiner Anforderungen für das deutsche Recht und die deutsche Verwaltungspraxis herangezogen werden. bb) Gestaltungsspielräume der Mitgliedstaaten Bei der Auswahl der weiteren Untersuchungs- und Erhaltungsmaßnahmen besteht ein weiter Ermessenspielraum der Mitgliedstaaten. Art. 12 Abs. 4 FFH-RL gibt lediglich vor, dass die erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung signifikanter negativer Auswirkungen getroffen werden. Die Maßnahmen müssen mithin geeignet erscheinen, die Beeinträchtigung der betroffenen Art abzuwenden oder auf ein un348

Zur Erheblichkeitsschwelle im Rahmen des Störungsverbots s. oben D.IV.2.b)bb)(4).

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

bedeutendes Maß zu reduzieren. Neben besonderen Untersuchungspflichten können als Erhaltungsmaßnahmen beispielsweise zeitweise und/oder gebietsweise bestimmte Nutzungseinschränkungen in Betracht kommen.349 Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen der Richtlinienumsetzung350 erfolgt die Ermessensausübung der Mitgliedstaaten unter Beachtung des verbindlichen Ziels der Richtlinie, namentlich der Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der natürlichen Lebensräume und der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse. Dieses Leitbild liegt auch Art. 12 Abs. 4 FFH-RL zugrunde.351 Mit zu bedenken sind darüber hinaus aber auch allgemeine Rechtsgrundsätze, wie z. B. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie das für alle aufgrund der Richtlinie getroffenen Maßnahmen geltende Gebot des Art. 2 Abs. 3 FFH-RL, das die Berücksichtigung von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Aspekten fordert. cc) Umsetzung der Regelung in Deutschland: § 38 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG Die Umsetzung der europäischen Regelung ins deutsche Recht erfolgt in mehreren Vorschriften: Zunächst wird im deutschen Fang- und Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG nicht zwischen beabsichtigten und unbeabsichtigten Handlungen unterschieden. Unbeabsichtigte Handlungen sind daher auch vom deutschen Verbot umfasst. Ein Verstoß gegen dieses wird gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG sanktioniert. Allerdings gilt die Sanktionsvorschrift nur für vorsätzliche Handlungen – im europäischen Sinne unbeabsichtigte Handlungen, d. h. nach den Kategorien des deutschen Rechts fahrlässige Verhaltensweisen oder solche, die noch nicht einmal einem Fahrlässigkeitsvorwurf ausgesetzt sind, können daher nicht sanktioniert werden. Neben dem allgemeinen Tötungsverbot setzen aber auch § 6 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG und § 38 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG die Vorschrift des Art. 12 Abs. 4 FFHRL um – sie sind an den Wortlaut der Vorschrift angelehnt. § 6 Abs. 3 Satz 2 BNatSchG verpflichtet unter anderem zur Beobachtung des Erhaltungszustandes der Arten von gemeinschaftlichem Interesse einschließlich des unbeabsichtigten Fangs oder Tötens der Tierarten gemäß Anhang IV lit. a FFH-RL und dient damit der Umsetzung von Art. 12 Abs. 4 Satz 1 FFH-RL. § 38 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG sieht vor, dass die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden des Bundes und der Länder die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass der unbeabsichtigte Fang oder das unbeabsichtigte Töten keine erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die streng 349 350 351

Vgl. Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 78. Dazu s. oben D.II. Vgl. Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 218.

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geschützten Arten haben. Der Anwendungsbereich ist daher eingeschränkter als der des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, umfasst aber die für die Umsetzung der FFH-RL wesentlichen Arten des Anhangs IV lit. a der Richtlinie. Der Gesetzeswortlaut weist keine Defizite im Vergleich zur europäischen Regelung auf. Allerdings wird eine wesentliche Verantwortung den zuständigen Behörden übertragen. Nur wenn diese ihre Aufgaben im gebotenen Umfang sorgfältig wahrnehmen, liegt kein Verstoß gegen die Art. 12 Abs. 4 FFH-RL vor. Da unbeabsichtigtes Töten und Fangen bereits verboten sind, verbleibt für die Vorschriften der § 6 Abs. 3 Satz 2 und § 38 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG lediglich ein geringer Anwendungsbereich, namentlich die Fälle, in denen der Handelnde noch nicht einmal fahrlässig ist. Der Anwendungsbereich wird noch um die Fälle erweitert, die im Rahmen einer Tatbestandseinschränkung nicht vom Verbotstatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG erfasst werden. Dazu gehören beispielsweise sozialadäquate Handlungen, wie sie im Rahmen von Tötungen durch Kollisionen mit Kraftfahrzeugen diskutiert werden.352 Diese Auslegung der deutschen Regelungen steht im Einklang mit den europäischen Vorgaben: Der EuGH wendet auf solche Konstellationen Art. 12 Abs. 4 FFH-RL und nicht Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL an, verlangt also auch nicht das konsequente Verbot der Handlungen, sondern lediglich die Überwachung sowie die Einleitung geeigneter Gegenmaßnahmen. Wenn die Vorschriften der § 6 Abs. 3 Satz 2 und § 38 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG also auf den ersten Blick überflüssig erscheinen, erfüllen sie doch eine wichtige Auffangfunktion, um Umsetzungslücken zu vermeiden und so die Europarechtskonformität des deutschen Systems zu gewährleisten. Für den Fall, dass erst im Nachhinein erkannt wird, dass ein bereits genehmigtes Projekt zu unbeabsichtigtem Fang oder Tötungen signifikanten Ausmaßes führt, oder für den Fall, dass sich durch Veränderungen in der Natur artenschutzrechtliche Betroffenheiten verändern, ist die Möglichkeit nachträglicher Anordnungen erforderlich. Solche bestehen in Deutschland in zahlreichen Fachgesetzen, wie beispielsweise § 17 BImSchG.353 In Planfeststellungsbeschlüssen kann zudem bereits vorsorglich ein begleitendes Monitoring oder eine qualifizierte begleitende ökologische Bauüberwachung angeordnet werden.354 Schutzlücken sind im deutschen Regelungssystem daher nicht ersichtlich. g) Durchsetzung der Verbote Zur korrekten Umsetzung der europäischen Vorschriften ist auch die vollständige und effektive Durchsetzung der Verbote erforderlich. Dazu müssen einerseits gesetzliche Mechanismen geschaffen werden, um die Befolgung der materiellen

352 353 354

Dazu s. oben D.IV.2.a)bb)(2)(c). Vgl. Wemdzio, NuR 2011, 464 (466 ff.). BVerwGE 134, 308 (326 f.).

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Verbote zu gewährleisten, sowie andererseits auch die behördliche Durchsetzung in Zulassungsverfahren, d. h. präventiv in effektiver Weise erfolgen. aa) Verstöße eines einzelnen Bürgers gegen die Artenschutzregelungen Bereits bei der bloßen Gefahr der Verwirklichung eines Tatbestandes kann die Behörde präventiv eingreifen und den Handelnden – auch wenn ihm Vorsatz oder Fahrlässigkeit nicht nachweisbar sind – auf der Grundlage von § 3 Abs. 2 BNatSchG zu präventiven Maßnahmen oder, wenn bereits Änderungen am bisherigen Zustand eingetreten sind, zur Wiederherstellung als Handlungsstörer heranziehen.355 Zur effektiven Durchsetzung enthalten die §§ 69 ff. BNatSchG darüber hinaus ein detailliertes System zur Sanktionierung von Verstößen gegen die naturschutzrechtlichen Vorschriften einschließlich der artenschutzrechtlichen Verbote: Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 1 – 3 BNatSchG stellt der Verstoß gegen ein Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 – 3 BNatSchG eine Ordnungswidrigkeit bzw. in qualifizierten Fällen gemäß § 71 BNatSchG eine Straftat dar. Dasselbe gilt gemäß § 69 Abs. 3 Nr. 21 BNatSchG bzw. gemäß § 71 Abs. 2 BNatSchG für einen Verstoß gegen die Vermarktungsverbote nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG. Sind Arten betroffen, die nicht von den Vermarktungsverboten des BNatSchG erfasst sind, weil sie bereits durch die EUArtenschutzVO geschützt sind, gilt Entsprechendes nach § 69 Abs. 4 Nr. 3 bzw. §§ 70 Abs. 2, 71a Abs. 2 BNatSchG. Ein Verstoß gegen die Besitzverbote des § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG stellt gemäß § 69 Abs. 3 Nr. 20 BNatSchG ebenfalls eine Ordnungswidrigkeit dar und unterliegt der Strafvorschrift des § 71a BNatSchG. Ein Verstoß gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote, der sich auf ein Tierexemplar der in Anhang IV der FFH-RL genannten Arten bezieht, gilt stets als Straftat (§§ 71 Abs. 1, Abs. 2, 71a Abs. 1, Abs. 2 BNatSchG). Gemäß den allgemeinen Grundsätzen des Ordnungsrechts kann nur ein vorsätzliches Verhalten als Ordnungswidrigkeit gewertet werden, es sei denn, dass fahrlässiges Verhalten ausdrücklich unter Strafe gestellt ist (§ 10 OWiG). Von der Bußgeldvorschrift des § 69 Abs. 3 – 5 BNatSchG sind im Unterschied zu § 69 Abs. 2 BNatSchG ausdrücklich auch fahrlässige Verhaltensweisen erfasst.356 Rein fahrlässige Verstöße gegen die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote werden folglich nicht sanktioniert, was die Weite des subjektiven Tatbestands dieser Vorschriften relativiert. Demgegenüber werden fahrlässige Verstöße gegen Besitz- und Vermarktungsverbote als Ordnungswidrigkeit gewertet. Erkennt der Täter im Falle eines Verstoßes gegen Zugriffs- oder Vermarktungsverbote i.S.d. § 71 Abs. 1 oder Abs. 2 BNatSchG fahrlässig nicht, dass es sich um ein Tier der geschützten Arten handelt, so fällt die Strafe gemäß § 71 Abs. 4 BNatSchG geringer aus. Die Formulierung stellt

355

Louis, NuR 2012, 467 (468). Kraft, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 69 Rn. 7; J. Schumacher, in: Schumacher/FischerHüftle, BNatSchG, § 69 Rn. 1. 356

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klar, dass es sich bei Abs. 4 um eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination handelt.357 Für einen Verstoß gegen die Besitzverbote gemäß § 71a Abs. 1 BNatSchG sowie die Vermarktungsverbote i.S.v. § 71a Abs. 2 BNatSchG ist eine entsprechend mildere Strafe hingegen erst bei leichtfertiger Verkennung der Lage vorgesehen. Der Begriff der Leichtfertigkeit beschreibt in der strafrechtlichen Dogmatik eine erhöhte Stufe der Fahrlässigkeit, mithin eine grobe Achtlosigkeit; sie liegt vor, wenn sich die Möglichkeit des tatbestandlichen Geschehens dem Handelnden geradezu aufdrängt.358 Die Differenzierung innerhalb der Grade der Fahrlässigkeit zwischen § 71 Abs. 4 BNatSchG und § 71a Abs. 3 BNatSchG soll eine systemkonforme Fortsetzung der Differenzierung bei vorsätzlichen Verstößen darstellen. Leicht fahrlässiges Verhalten soll im Rahmen des § 71a Abs. 3 BNatSchG nicht betraft werden.359 Ein Verhalten, das noch nicht einmal als fahrlässig zu bewerten ist, stellt in keinem Fall eine Ordnungswidrigkeit dar – selbst dann, wenn objektiv ein Verstoß gegen ein artenschutzrechtliches Verbot vorliegt. Die Strafbarkeit eines Verstoßes gegen Besitzverbote gemäß § 71a BNatSchG ist im Vergleich zur Strafbarkeit der Zugriffs- und Vermarktungsverbote gemäß § 71 BNatSchG im Detail unterschiedlich geregelt: Die Strafe für einen Verstoß gegen letztere fällt (bei Betroffenheit einer Tierart i.S.d. Anhangs IV FFH-RL) höher aus als für einen Verstoß gegen das Besitzverbot (bei Betroffenheit einer Tierart i.S.d. Anhangs IV FFH-RL). Wird die Tat zusätzlich gewerbs- oder gewohnheitsmäßig begangen, ist im Falle des Verstoßes gegen Zugriffs- und Vermarktungsverbote i.S.d. § 71 Abs. 1 und Abs. 2 BNatSchG die Qualifikation des § 71 Abs. 3 BNatSchG erfüllt. Im Falle der Besitzverbote besteht keine Qualifikation mehr, wenn eine Tierart des Anhangs IV BNatSchG betroffen ist; die gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Begehung stellt lediglich einen weiteren Tatbestand derselben Strafvorschrift dar, der zusätzlich erfüllt wäre. Schließlich ist in § 71a Abs. 4 BNatSchG noch eine Strafbefreiungsklausel enthalten, die Handlungen ausnimmt, welche eine unerhebliche Menge der Exemplare betreffen und unerhebliche Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der Art haben. Bis zu einer Gesetzesänderung, die im Juni 2012 in Kraft trat und eine Änderung des § 71 BNatSchG sowie die Einfügung des § 71a BNatSchG bewirkte,360 bestand indes noch gar keine Strafvorschrift für einen Verstoß gegen die Besitzverbote, da sich die Qualifikation des § 71 BNatSchG nur auf die Zugriffs- und Vermarktungsverbote bezog. Die Änderung war notwendig, um eine Rechtslücke zu schließen, die hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinie 2008/99/EG über den strafrechtlichen Schutz der 357 Dazu sowie zu den Tatbestandsmerkmalen der Gewerbs- und Gewohnheitsmäßigkeit s. z. B. Kraft, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 71 Rn. 8 ff.; J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 71 Rn. 12 ff. 358 BGHSt 33, 66 (67 f.); 43, 158 (168); Frister, StrafR AT, 12. Kap., Rn. 20. 359 BT-Drs. 17/5391, S. 22. 360 Art. 2 45. StrafrechtsÄndG zur Umsetzung der RL des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt v. 06. 12. 2011 (BGBl. I S. 2557); vgl. dazu BT-Drs. 17/5391, S. 7, 14.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Umwelt (im Folgenden: Umweltstrafrichtlinie)361 noch bestand. Diese war in Ergänzung und zur besseren Durchsetzung der Vorgaben sekundärrechtlicher umweltbezogener Rechtsakte einschließlich der FFH-Richtlinie erlassen worden. Nach Art. 3 lit. f der Richtlinie sind die Tötung, die Zerstörung, der Besitz und die Entnahme von Exemplaren geschützter wildlebender Tier- oder Pflanzenarten (bei Überschreiten einer gewissen Erheblichkeitsschwelle) unter Strafe zu stellen, wenn der Verstoß rechtswidrig sowie vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgt. Geschützte wildlebende Tier- oder Pflanzenarten sind für diese Vorschrift gemäß Art. 2 lit. b, i Umweltstrafrichtlinie die Arten, die in Anhang IV der FFH-RL aufgeführt sind. Art. 3 lit. g Umweltstrafrichtlinie regelt Entsprechendes für einen Verstoß gegen die Vermarktungsverbote, bezieht sich dabei aber lediglich auf die Arten der EU-ArtenschutzVO (vgl. Art. 2 lit. b, ii Umweltstrafrichtlinie). Während – wie dargelegt – Verstöße gegen die Zugriffs- und Vermarktungsverbote unter bestimmten (den europarechtlichen entsprechenden) Voraussetzungen durch § 71 BNatSchG als Straftaten bewertet wurden, bestand hinsichtlich der Besitzverbote noch eine Lücke. Ein Verstoß gegen diese konnte nach deutschem Recht eine Ordnungswidrigkeit, aber keine Straftat darstellen. Diese Lücke wurde durch die Änderung des BNatSchG geschlossen. Die Bußgeld- und Strafvorschriften erfassen alle Verbote des Art. 12 FFH-RL, sodass in dieser Hinsicht von einer wirksamen Durchsetzung derselben auszugehen ist. Bei der Ausgestaltung besitzt der Gesetzgeber seitens der FFH-RL einen Gestaltungsspielraum, sodass die einzelnen Regelungen einschließlich der geringeren Gewichtung der Besitzverbote in Bezug auf die Umsetzung der FFH-RL nicht zu beanstanden sind. Auch die Strafbefreiungsklausel des § 71a BNatSchG dürfte mit den Vorgaben der FFH-RL vereinbar sein, da die einschlägigen Handlungen immer noch den Verboten unterliegen und eine Ordnungswidrigkeit darstellen und außerdem das Ziel der Richtlinie, der günstige Erhaltungszustand der Arten, nicht gefährdet wird. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine systematische Betrachtung; denn Art. 3 lit. f und g Umweltstrafrichtlinie sehen diese Beschränkung ebenfalls vor. Abschließend sei erwähnt, dass einzelne Übertretungen der artenschutzrechtlichen Verbote auch nach dem StGB geahndet werden können. Dabei handelt es sich aber nicht um ein vollständiges Sanktionssystem zur Durchsetzung des Artenschutzregimes, sondern um die Sanktionierung einzelner Handlungen, die zugleich einen Verstoß gegen Artenschutzverbote darstellen können. Zu nennen sind beispielsweise Jagdwilderei und Fischwilderei (§§ 292, 293 StGB) sowie die Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete (§ 329 Abs. 3 Nr. 6 StGB).

361 Richtlinie 2008/99/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt, ABl. Nr. L 328 vom 16. 12. 2008, S. 28.

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bb) Artenschutz im behördlichen Zulassungsverfahren Die Sanktionierungsvorschriften gelten für eine Übertretung der artenschutzrechtlichen Verbote durch den einzelnen Bürger. Aber auch Behörden dürfen die Artenschutzvorschriften nicht unbeachtet lassen. Insbesondere sind sie verpflichtet, diese im praktisch bedeutsamen Fall von Zulassungsentscheidungen als zwingende Vorschriften des materiellen Ordnungsrechts zu beachten.362 Werden die artenschutzrechtlichen Verbote von den Behörden nicht in ausreichendem Maße beachtet und dadurch Verstöße gegen die Verbote der FFH-RL begangen bzw. nicht verhindert, handelt es sich um ein Vollzugsdefizit.363 Als Planungsleitsätze364 bilden die Verbote des besonderen Artenschutzrechts mithin eine materiell-rechtliche Grenze der behördlichen Planungsfreiheit und sind einer Abwägung beispielsweise im Rahmen der Planfeststellung nicht zugänglich – im Gegensatz zu den Vorschriften des allgemeinen Artenschutzrechts, von denen im Rahmen der Planfeststellung abgewichen werden kann.365 Wenn die Gefährdung einer bedrohten Art festgestellt wird, können Vermeidungsmaßnahmen in vielfältiger Art die Vereinbarkeit eines geplanten Projekts mit dem Artenschutzrecht herstellen und durch Nebenbestimmungen der erteilten Genehmigung entsprechend durchgesetzt werden. Ist bei Gefährdung einer bedrohten Art keine Möglichkeit vorhanden, dem Artenschutz durch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen Geltung zu verschaffen, und auch die Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung nicht möglich, ist das Projekt abzulehnen. In diesem Rahmen treten besondere Fragestellungen auf. (1) Inhaltliche Reichweite der artenschutzrechtlichen Verbote Die Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbote im präventiven Zulassungsverfahren birgt, wie bereits am Beispiel der Kollisionsrisiken gezeigt wurde, erhebliche Probleme und erfordert Modifikationen. Eine Betrachtung allein der europäischen Verbote und deren Beurteilung in gerichtlichen Kontrollverfahren von behördlichen Entscheidungen zeigt, dass eine Anpassung der artenschutzrechtlichen Prüfung inhaltlich auf das Zulassungsverfahren auch hinsichtlich des subjektiven Absichtsmerkmals, wie es in den meisten Zugriffsverboten gefordert wird, gut möglich ist. Die Generalanwältin am EuGH Kokott hat hierzu ausgeführt, dass das Erfordernis des „absichtlichen“ Handelns im Rahmen des Tötungsverbotes auf Behörden nicht anwendbar sei; es gehe bei der 362

Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 153; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 74 Rn. 53; Müller-Walter, in: Lorz u. a., NatSchR, § 44 BNatSchG Rn. 3; Philipp, NVwZ 2008, 593 (593 ff.); Vogt, ZUR 2006, 21 (24); Wolf, ZUR 2006, 505 (509). 363 Zur Definition des Vollzugsdefizites vgl. Almeling, Die Aarhus-Konvention, S. 29 f.; Bauer, Durchsetzung des europäischen Umweltrechts, S. 43; Lorenz, UPR 1991, 253 (253). 364 Wegen Kritik an diesem durch das BVerwG geprägten Begriff auch als Zulassungsschranke bezeichnet, vgl. dazu z. B. Dürr, in: Knack/Henneke, VwVfG § 74 Rn. 95 m.w.N. 365 de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 13; Vogt, ZUR 2006, 21 (24); Wolf, ZUR 2006, 505 (509).

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Prüfung eines Verstoßes gegen das Verbot des Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL durch eine Genehmigungsbehörde darum, ob die Behörde davon hätte ausgehen müssen, das zu genehmigende Vorhaben verletze den Verbotstatbestand.366 Der EuGH hat in seiner darauffolgenden Entscheidung nicht unmittelbar zu diesen Ausführungen Stellung genommen, da es deren nicht mehr bedurfte.367 Der Verzicht auf das subjektive Merkmal der Absichtlichkeit wurde von Literaturstimmen kritisiert;368 indes widerspricht die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung des EuGH nach hier vertretener Auffassung den Ausführungen der Generalanwältin Kokott nicht. Vielmehr ergibt sich insgesamt ein umfassendes Bild hinsichtlich des behördlichen Prüfprogramms: Zu unterscheiden ist zwischen den Handlungsvoraussetzungen bzw. -merkmalen der Behörde und denen des letztlich Tatausführenden. Die Behörde als Institution muss das Merkmal der Absichtlichkeit demnach nicht erfüllen. Daraus folgt nicht, dass nicht mehr zwischen absichtlichen und nicht absichtlichen Tötungen durch das zu genehmigende Vorhaben oder Verhalten unterschieden wird.369 Da nach wie vor lediglich absichtliche Handlungen der Zugriffsverbote zu verbieten sind (mit Ausnahme des Lebensstättenschutzes), erfordert die Richtlinie auch keine weiteren Voraussetzungen für den Fall, dass ein präventives Kontrollverfahren einer Handlung vorgeschaltet ist. Die behördliche Prüfung, ob ein zu genehmigendes Vorhaben den Verbotstatbestand verletzt, bedeutet also, zu prüfen, ob das Vorhaben alle (einschließlich der subjektiven) Voraussetzungen eines Tatbestandes erfüllt. Dem entspricht auch die EuGH-Entscheidung, die hinsichtlich des Ausbaus eines Feldweges, der kollisionsbedingte Tötungen zur Folge haben kann, von einer unbeabsichtigten Tötung im Sinne des Art. 12 Abs. 4 FFH-RL ausgeht.370 Dabei besteht im Fall der kollisionsbedingten Tötungen die Besonderheit, dass nicht durch das zu genehmigende Vorhaben unmittelbar die Tötung verursacht wird, sondern noch die Handlung des Kraftfahrzeugführers, gleichsam als Nutzer des zu genehmigenden Vorhabens, erfolgt. Der EuGH stellt hinsichtlich des Vorliegens subjektiver Merkmale offenbar auf letztere ab, also auf den unmittelbar die Tötung herbeiführenden Handelnden und nicht auf den Vorhabenträger des zu genehmigenden Vorhabens (im Falle eines Auseinanderfallens).371 Somit sind an die Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbote durch die Zulassungsbehörde folgende Anforderungen zu stellen: Die Prüfung richtet sich darauf, ob das zu genehmigende Vorhaben den Verbotstatbestand verletzt; subjektive Merkmale 366 GAin Kokott, Schlussanträge v. 15. 12. 2005, Rs. C-221/04, Slg. 2006, I-4515, Rn. 66 – Kommission/Königreich Spanien. 367 EuGH, Urt. v. 18. 05. 2006, Rs. C-221/04, Slg. 2006, I-4515, Rn. 68 ff. – Kommission/ Königreich Spanien. 368 Beier/Geiger, DVBl 2011, 399 (402 f.). 369 Davon gehen aber offenbar Beier/Geiger, DVBl 2011, 399 (402 f.) aus. 370 EuGH, Urt. v. 20. 05. 2010, Rs. C-308/08, Slg. 2010, I-4341, Rn. 56 ff. – Kommission/ Königreich Spanien. 371 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Beier in einer Analyse weiterer EuGH-Entscheidungen, vgl. DVBl 2012, 149 (151 ff.).

IV. Artenschutzbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz von 2010

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der Behörde spielen keine Rolle. Ist ein absichtliches Töten oder Fangen von Tieren, eine absichtliche Entnahme von Eiern, eine absichtliche Störung oder eine (auch nicht absichtliche) Beschädigung oder Zerstörung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten festzustellen, ist die Genehmigung des Vorhabens zu untersagen (soweit keine Ausnahmeerteilung nach Art. 16 FFH-RL möglich ist). Im Falle voraussehbarer nicht absichtlicher Tötungen ist die Einhaltung der Anforderungen des Art. 12 Abs. 4 FFH-RL sicherzustellen. Handlungen, die diese Kriterien nicht erfüllen, wie beispielsweise nicht absichtliche Störungen, hindern die Zulassung eines Projektes nicht. Ihnen wurde im Rahmen der FFH-RL ein geringeres Gewicht verliehen. Genügt die Behörde diesen Voraussetzungen nicht, so liegt ein Verstoß gegen die artenschutzrechtlichen Verbote der FFH-RL seitens des Mitgliedstaates vor. Das Europarecht eröffnet folglich die Möglichkeit, Zulassungsverfahren unter Beachtung des Artenschutzrechts durchzuführen, ohne dass dieses ein unüberwindbares Hindernis darstellt. Auf diese Weise wird ein Ausgleich zwischen den Zielen der FFH-RL und (volks)wirtschaftlichen Bedürfnissen, die gemäß Art. 2 Abs. 3 FFH-RL Beachtung finden sollen, durch die Möglichkeit der Planung von Infrastruktur- und sonstigen Großvorhaben geschaffen. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 4 EUV) wird Rechnung getragen. Im deutschen Recht ist die Anwendung artenschutzrechtlicher Vorschriften im behördlichen Zulassungsverfahren problematischer. Grund ist der Verzicht auf das subjektive Absichtsmerkmal im Tatbestand der Verbote des § 44 BNatSchG. Für die Sanktionierung eines Verstoßes macht das keinen Unterschied, da dort das Vorsatzmerkmal im Rahmen der Bußgeld- und Strafvorschriften zu den Zugriffsverboten weiterhin gefordert wird. Diese sind in der präventiven Kontrolle eines möglichen Verstoßes durch ein genehmigungsbedürftiges Vorhaben aber irrelevant. Da die Artenschutzvorschriften abwägungsfest sind, wäre demnach die Genehmigung für das Vorhaben zu versagen, solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch nicht nur ein minimaler, nicht vorsätzlicher Verstoß (solange nicht vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen den Tatbestand ausschließen können) gegen irgendeines der Verbote vorliegt. Alternativ könnte noch die Erteilung einer Ausnahme beantragt werden – dieses Instrument würde dann großflächig zur Anwendung kommen, was seinem Sinn und Zweck widerspricht. Somit wird das Artenschutzrecht in Deutschland zu einem Planungshindernis, das europarechtlich nicht gefordert ist. Die Interessengewichtung in den deutschen Regelungen fällt deutlich stärker zugunsten des Naturschutzes aus, als zu wirtschaftlichen Anforderungen. Eine solche politische Entscheidung des Gesetzgebers ist zwar grundsätzlich möglich – zweifelhaft erscheint aber, dass diese weitreichenden Folgen durch den Verzicht auf das subjektive Merkmal wirklich bezweckt wurden: Tatsächlich bestand für Vorhaben gemäß § 43 Abs. 4 BNatSchG eine pauschale Legalausnahme von den artenschutzrechtlichen Verboten, wenn die Planungen im Rahmen eines zugelassenen Eingriffs erfolgten, was regelmäßig der Fall war, und keine absichtliche Beeinträchtigung statt fand. Die in Vollzug eines Planfeststellungsbeschlusses unvermeidbaren Beschädigungen und Beeinträchtigungen besonders geschützter Tier-

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

und Pflanzenarten sollten dabei grundsätzlich nicht absichtlich sein.372 Der deutsche Gesetzgeber hatte in der Gewichtung von Interessen den Bedürfnissen der Wirtschaft, insbesondere der Infrastruktur, also einen hohen Rang gegenüber dem Artenschutz zugestanden. Die Legalausnahme war in ihrer Form europarechtswidrig373 und wurde daher im Rahmen der Artenschutznovelle abgeschafft. Die Gesetzesbegründung legt nahe, dass die Änderungen im Artenschutzrecht, einschließlich der Abschaffung des § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F. lediglich erfolgten, um den europarechtlichen Anforderungen zu genügen. Das Urteil des EuGH zur Europarechtswidrigkeit der deutschen Regelungen sollte 1:1 umgesetzt werden.374 Der Wille zu einer grundsätzlich stärkeren Gewichtung des Naturschutzes über die europarechtlichen Anforderungen hinaus, findet in den Gesetzesmaterialien keinen Ausdruck. Dies wäre bei einer solch erheblichen Änderung der politischen Richtung, läge eine solche tatsächlich vor, aber zu erwarten gewesen. Schließlich lässt sich auch aus den Regelungen zur Verwirklichung der Ziele des BNatSchG ableiten, dass diese keinen absoluten Vorrang genießen – diese Regelungen wurden ihrem Inhalt nach kaum geändert:375 § 2 Abs. 1 BNatSchG legt fest, dass Natur und Landschaft „nicht mehr als nach den Umständen unvermeidbar beeinträchtigt“ werden sollen. Ebenso spricht § 2 Abs. 3 BNatSchG von der Verwirklichung, soweit „es im Einzelfall möglich, erforderlich und […] angemessen ist“. Schließlich ist angesichts der weitreichenden Anforderungen des Artenschutzrechts in Zulassungsverfahren und des großen Gewichts, das ihm beigemessen wird, darauf zu achten, dass im konkreten Einzelfall der Planung eines Vorhabens auch Verfassungsrecht, insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, nicht verletzt wird. Die erhebliche Beeinträchtigung der Vorhabenplanung und -verwirklichung durch die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung in Deutschland hat zu vielfältigen Versuchen durch Literatur und Rechtsprechung geführt, artenschutzrechtliche und wirtschaftliche Bedürfnisse in Einklang zu bringen.376 Eine Nachbesserung durch den deutschen Gesetzgeber könnte diese Unstimmigkeiten sehr viel einfacher durch Einführung eines subjektiven Merkmals ausräumen, ohne gegen europarechtliche Vorgaben zu verstoßen.377

372

BVerwGE 112, 321 (330); BVerwG, NVwZ 2005, 943 (947). EuGH, Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 53 ff. – Kommission/ Bundesrepublik Deutschland. 374 BR-Drs. 123/07, S. 9; BT-Drs. 16/5100, S. 8. 375 Vgl. § 4 BNatSchG a.F. 376 Vgl. nur die zahlreichen Stimmen zur Problematik der Kollisionsrisiken, dazu D.IV.2.a) bb)(2)(c). 377 Vgl. den Vorschlag von Beier/Geiger, DVBl 2011, 399 (403). 373

IV. Artenschutzbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz von 2010

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(2) Maßstäbe zur fachlichen Bewertung eines Verstoßes durch die Behörde Die Überprüfung eines Verstoßes gegen Artenschutzvorschriften durch Bau oder Betrieb eines Vorhabens im Genehmigungsverfahren setzt eine fachliche Ermittlung der Folgen für die möglicherweise betroffenen Artenbestände voraus – unabhängig davon, ob es sich um Auswirkungen auf einzelne Exemplare einer Art (Verletzung, Tötung), die Population (Störung) oder deren Lebensraum handelt. Dazu müssen die vorhandenen Populationsbestände der geschützten Arten zunächst ermittelt werden (Bestandsaufnahme), um dann die Folgen des Vorhabens auf diese sachgemäß beurteilen zu können (Bewertung der Bestandsaufnahme). Stets stellt sich die Frage nach den Anforderungen an Art, Umfang, Methodik und Tiefe der Prüfung. Die Antwort kann nicht pauschal gegeben werden. Die Erfordernisse, die an die Untersuchung des artenschutzfachlichen Sachverhalts und die möglicherweise zu ergreifenden Maßnahmen gestellt werden, sind abhängig vom konkreten Einzelfall. Wesentliche Faktoren sind, welche Arten betroffen sind und wie schwerwiegend die Folgen für diese ausfallen.378 Der anzuwendende Maßstab lässt sich lediglich ansatzweise konturieren. Während die Generalanwältin am EuGH Kokott dafür plädierte, bei Durchsetzung der artenschutzrechtlichen Verbote sollten beste verfügbare wissenschaftliche Erkenntnisse zu verwenden sein,379 sieht das Bundesverwaltungsgericht380 die Anforderungen im Artenschutzrecht weniger streng. Im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung hingegen hatte es diese Formel (die in diesem Zusammenhang auch durch den EuGH verwendet wurde) ebenfalls übernommen.381 Angesichts dessen ist fraglich, ob aus der großzügigeren Rechtsprechung des BVerwG ein Vollzugsdefizit resultiert, indem artenschutzrechtliche Risiken nur unzureichend ermittelt werden und dadurch Verstöße gegen die Verbotsvorschriften durch das zugelassene Vorhaben entstehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinen Ausführungen hinsichtlich eines rechtlichen Maßstabs zur Überprüfung der Anforderungen an die artenschutzrechtliche Bestandsermittlung konkrete Kriterien herausgearbeitet:382 Es sind geringere Anforderungen an die artenschutzrechtliche Prüfung zu stellen, als sie aus dem habitatschutzrechtlichen Prüfungsverfahren bekannt sind: Während bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung des Habitatschutzes ein streng formalisiertes 378 BVerwGE 131, 274 (293); de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 53; Louis, NuR 2012, 467 (474). 379 GAin Kokott, Schlussanträge v. 15. 12. 2005, Rs. C-221/04, Slg. 2006, I-4515, Rn. 66 – Kommission/Königreich Spanien. 380 BVerwGE 131, 274 (289 ff.). 381 BVerwGE 128, 1 (30). 382 BVerwG, NVwZ 2010, 123 (131 f.), insoweit nicht abgedruckt bei BVerwGE 134, 166 ff.; BVerwGE 131, 274 (289 ff.); 133, 239 (252 f.); vgl. auch bereits BVerwGE 130, 299 (372 f.); BVerwG, NuR 2007, 754 (755).

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Prüfungsverfahren verlangt wird, verfolgen die Artenschutzvorschriften einen offeneren Ansatz.383 Dies gilt auch angesichts der Unterschiede im Schutzobjekt: Das FFH-Gebiet soll wegen der Lebensräume und Arten, die als Erhaltungsziel definiert sind, geschützt werden und ist allein auf deren Bestand hin zu untersuchen. Die artenschutzrechtliche Prüfung hingegen erfordert erst einmal die Ermittlung, wie weit die Grenzen des Untersuchungsraums zu ziehen sind und welche Arten in dem zu prüfenden Plangebiet überhaupt vorkommen. Diese Ermittlung ist breiter und kann sich als außerordentlich umfangreich darstellen. Sie wird damit aber auch fehleranfällig, kann doch über zu viele Faktoren Ungewissheit bestehen. Auf der anderen Seite dürfen die Anforderungen an Ermittlungsumfang und -tiefe in der artenschutzrechtlichen Prüfung auch nicht zu niedrig angelegt werden. Eine sachgerechte Prüfung der Artenschutzvorschriften setzt eine gewisse Datengrundlage voraus: Sowohl die Behörde wie auch ein deren Entscheidung überprüfendes Gericht müssen die Tatbestandsvoraussetzungen der Artenschutzvorschriften prüfen können.384 Dazu gehört ein konkretes Wissen um die Häufigkeit und Verteilung der geschützten Arten und ihrer Fortpflanzungs- und Ruhestätten. Die Behörden sind jedoch nicht verpflichtet, ein „lückenloses Arteninventar“ zu erstellen. Auch Untersuchungen, von denen weiterführende Erkenntnisse nicht zu erwarten sind, also Untersuchungen gleichsam „ins Blaue hinein“, müssen nicht durchgeführt werden.385 Wie weit im konkreten Fall der Ermittlungsumfang zu ziehen ist, hängt von den naturräumlichen Gegebenheiten sowie den zu erwartenden Beeinträchtigungen bzw. Gefährdungen der Arten ab und unterliegt einer Einschätzungsprärogative der Behörde.386 Die Anforderungen an den Untersuchungsaufwand zwecks Artenschutz erfahren außerdem eine Schranke im (unionsrechtlichen) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ein Verstoß gegen diesen liegt vor, wenn im Rahmen der artenschutzrechtlichen Bestandsaufnahme ein Umfang und Aufwand gefordert wird, der keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn für die Zulassungsentscheidung mehr verspricht, und die Anforderungen außerhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu dem damit erreichbaren Gewinn für Natur und Umwelt stehen würden. Es reicht daher den Ausführungen des BVerwG zufolge eine am Maßstab praktischer Vernunft ausgerichtete Prüfung.387 383

Zustimmend Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 586; Louis, NuR 2009, 91 (92). 384 de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 53 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 385 Vgl. auch Louis zur Erforderlichkeit einer Bestandsaufnahme: Diese soll nur notwendig sein, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Existenz besonders geschützter Arten oder deren Lebensstätten besteht, NuR 2009, 91 (99). 386 Vgl. auch Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 586; de Witt/ Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 54; Louis, NuR 2009, 91 (99). 387 BVerwGE 131, 274 (289 ff.); Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 586. Dabei ist zusätzlich zur Bestandserfassung vor Ort auch auf die Auswertung bereits vorhandener Erkenntnisse (beispielsweise aus vorhandenen Katastern, Registern und Daten-

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Zulässig ist es, Schlussfolgerungen auf das Vorhandensein bestimmter Arten aus allgemeinen Erkenntnissen über artspezifische Bedürfnisse (hinsichtlich Verhaltensweisen und Habitatansprüchen) und dafür benötigte Vegetationsstrukturen zu ziehen, soweit solche Rückschlüsse sicher möglich sind. Sie müssen durch die Behörde plausibel und naturschutzfachlich begründet dargelegt werden. Ebenso kann sich die Behörde Prognosewahrscheinlichkeiten und Schätzungen zunutze machen. Bestehen schließlich immer noch Kenntnislücken und darauf begründete Unsicherheiten, so können Worst-case-Betrachtungen durch die Behörde angestellt werden, die von der Existenz gefährdeter Arten ausgehen, wenn sie „konkret und geeignet sind, den Sachverhalt angemessen zu erfassen“388. Ist durch Worst-case-Betrachtungen sichergestellt, dass artenschutzrechtliche Verbote nicht verwirklicht werden, sind weitere Untersuchungen nicht erforderlich.389 Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn eine Beeinträchtigung der Fortpflanzungs- und Ruhestätten zu prüfen ist und dann festgestellt werden kann, dass die ökologische Funktion der Lebensstätten auch im schlimmsten anzunehmenden Szenario erhalten bleibt. Literaturstimmen erwägen zudem, unterschiedliche Anforderungen an die Ermittlung nach artspezifischen Charakteristika zu stellen, insbesondere danach, ob eine Art selten oder verbreitet vorkommt: Seltenere Arten setzten demnach eine möglichst genaue und vollständige Ermittlung voraus, wohingegen sich die Untersuchung bei verbreiteteren Arten auf wichtige oder typische Vorkommen beschränken könne.390 banken öffentlicher Stellen, aus Abfragen bei Fachbehörden und Stellen des ehrenamtlichen Naturschutzes, Auswertung von gutachtlichen Stellungnahmen aus Anlass anderer Planvorhaben oder aus Forschungsprojekten) zurückzugreifen. Daraus lassen sich effizient Kenntnisse gewinnen, ohne dass der Vorhaben- oder Planungsträger zu einem unverhältnismäßigen weiteren Untersuchungsaufwand verpflichtet wird. Bei einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung oder FFH-Verträglichkeitsprüfung können die dafür erhobenen Daten auch als Grundlage für die artenschutzrechtliche Prüfung herangezogen werden. Dies kann aber nur für Artenbestände gelten, die in den jeweiligen Prüfungen gleichermaßen zu berücksichtigen sind – erfordert das Artenschutzrecht weitere Untersuchungen, müssen diese noch zusätzlich erfolgen. Die juristische Bewertung muss stets getrennt vorgenommen werden. Vgl. zu allem de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 56; Louis, NuR 2009, 91 (99). 388 BVerwGE 131, 274 (295). 389 Vgl. noch großzügiger OVG Koblenz, NuR 2009, 636 (644): „Steht aufgrund einer worst-case-Betrachtung fest, dass bei allen betroffenen Arten Verbotstatbestände zwar gegeben sein können, die ökologische Funktion der von dem Vorhaben betroffenen Lebensstätten im räumlichen Zusammenhang aufgrund vorhandener Ermittlung des betroffenen Lebensraums aber weiterhin erfüllt werden kann (§ 42 Abs. 5 Satz 2 BNatSchG) bzw. ein günstiger Erhaltungszustand der betroffenen Arten gewahrt werden kann (§ 43 Abs. 8 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG/ § 62 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG a.F.), so verspricht der zusätzliche Ermittlungsaufwand für eine quantifizierende Erfassung eventuell betroffener Bestände dieser Arten keinen zusätzlichen relevanten Erkenntnisgewinn.“ 390 de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 55; Sobotta, NuR 2007, 642 (646).

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Art und Umfang der Ermittlung können schließlich auch nach Art des möglicherweise beeinträchtigen Verbotstatbestandes variieren: Gibt es Hinweise auf das Vorliegen einer Störung gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG (bzw. Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL), so sollte die Untersuchung auch die lokale Population umfassen, um schließlich Aussagen über die Auswirkungen der Störung auf diese und damit die Erheblichkeit der Störung treffen zu können. Auf der Grundlage der durch die Bestandsermittlung gewonnenen Daten ist die Behörde verpflichtet, zu bewerten, ob durch das geplante Vorhaben artenschutzrechtliche Verbotstatbestände verwirklicht würden. Dabei ist der Behörde ein weiter Einschätzungsspielraum zuzugestehen.391 Änderungen im Bestand der geschützten Arten durch Entwicklungen in der Natur können mithilfe der Anordnung eines begleitenden naturschutzfachlichen Monitorings durch die Behörde und einen diesbezüglichen Auflagenvorbehalt in der Genehmigung berücksichtigt werden.392 Es stellt sich die Frage nach der Europarechtskonformität der vom Bundesverwaltungsgericht herausgearbeiteten und seitens der Literatur ergänzten Maßstäbe, die der Behörde mehr Freiraum lassen als der Maßstab der „besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse“, für dessen Anwendung die Generalanwältin am EuGH Kokott plädierte.393 Es ist allerdings zunächst noch nicht einmal klar, ob sie sich damit überhaupt für eine lückenlose Bestandsaufnahme ungeachtet des damit verbundenen Aufwands aussprechen wollte – die Entscheidungen des EuGH, auf die sie sich stützt,394 behandeln sämtlich die Frage der Verwertbarkeit bereits vorliegender wissenschaftlicher Veröffentlichungen oder anderer Dokumente. Der EuGH hat diesen Maßstab in seiner diesbezüglichen Entscheidung jedenfalls nicht aufgegriffen, sich aber auch nicht ausdrücklich dagegen ausgesprochen.395 Da also weder die Richtlinie noch der EuGH einen konkreten Maßstab vorgeben, ist im Rahmen der Auslegung zu ermitteln, welche Anforderungen auf europäischer Ebene an die Anwendung der Artenschutzverbote in behördlichen Entscheidungen gestellt werden. Einerseits ist das Ziel der Sicherung der Artenvielfalt sowie der Sicherung und Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands gemäß Art. 2 Abs. 1 und 2 FFH-RL durch einen möglichst effektiven Artenschutz und somit eine umweltfreundliche Auslegung zu beachten. Andererseits lässt auch die FFH-Richtlinie 391

BVerwGE 131, 274 (296 f.); Stüer, BauR 2010, 1521 (1526) m.w.N. in Fn. 23; vgl. dazu insbesondere auch im Folgenden D.IV.2.g)bb)(3). 392 BVerwGE 134, 308 (326 f.); ausführlich zur Problematik von Änderungen im Artenbestand nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses Lieber, NuR 2012, 665 ff. 393 GAin Kokott, Schlussanträge v. 15. 12. 2005, Rs. C-221/04, Slg. 2006, I-4515, Rn. 66 – Kommission/Königreich Spanien. 394 EuGH, Urt. v. 17. 01. 1991, Rs. C-157/89, Slg. 1991, I-57, Rn. 15 – Kommission/Italienische Republik; Urt. v. 19. 05. 1998, Rs. C-3/96, Slg. 1998, I-3031, Rn. 69 f. – Kommission/ Königreich der Niederlande; Urt. v. 19. 12. 2004, Rs. C-79/03, Slg. 2004, I-11619, Rn. 41 – Kommission/Königreich Spanien. 395 EuGH, Urt. v. 18. 05. 2006, Rs. C-221/04, Slg. 2006, I-4515 – Kommission/Königreich Spanien.

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gemäß Art. 2 Abs. 3 FFH-RL die Berücksichtigung wirtschaftlicher Anforderungen zu. Zudem gilt es – worauf auch das BVerwG hinweist – bei der Auslegung von Richtlinienbestimmungen primärrechtliche Grundsätze wie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wonach die sich gegenüberstehenden Ziele in ein angemessenes Verhältnis zu bringen sind. Das BVerwG berücksichtigt in seinen Ausführungen ausdrücklich beide Aspekte. Es stellt sicher, dass die Artenschutzvorschriften geprüft werden können, ohne dass unzumutbare Anforderungen an die Behörde oder den Vorhabenträger gestellt werden. Der Aussage der Generalanwältin kann entgegengehalten werden, dass sie unverhältnismäßige Bedingungen stellt. Zu beachten ist außerdem, dass die europäische Richtlinie in dieser Hinsicht sehr unspezifische Vorgaben macht, da es sich um die Art und Weise der Umsetzung handelt und den Mitgliedstaaten somit ein weiter Gestaltungsspielraum belassen wird. Dieser wird – da auch die nationalen Vorschriften wenig konkrete Hinweise geben – durch das Bundesverwaltungsgericht genutzt. So ist beispielsweise hinsichtlich der Worst-Case-Betrachtungen festzustellen, dass denklogisch kein Europarechtsverstoß droht, wenn selbst im Falle der artenschutzfeindlichsten Entwicklung ein solcher ausgeschlossen werden kann. Auch die Differenzierung nach den Charakteristika der Arten seitens der Literatur ist im Sinne der europäischen Vorgaben: Der Schutz besonders seltener Arten setzt eine sehr genaue Ermittlung voraus. Würden diese hohen Anforderungen an Ermittlungsumfang und -tiefe bzgl. aller Arten gestellt, obwohl der Bestand weiter verbreiteter Arten auch durch die Erfassung einzelner wichtiger Vorkommen, vorhandene Datenbanken und fachliche Rückschlüsse hinreichend sicher ermittelt werden kann, so führte dies zur Unverhältnismäßigkeit der Anforderungen zulasten eines Vorhabenträgers hinsichtlich der von ihm zu tätigenden Investitionen. Für alle Arten niedrigere Anforderungen an die Ermittlung zu stellen, würde dem Schutz besonders seltener, gefährdeter Arten nicht gerecht werden. Die Differenzierung zwischen den Arten stellt somit eine Alternativlösung dar, die die Schutzbedürfnisse der Arten erfüllt, ohne übersteigerte Anforderungen an den Vorhabensträger hinsichtlich Zeit- und Kostenaufwand der Ermittlungen zu stellen. Schließlich ist diese Differenzierung auch im Sinne der Auslegung durch die Europäische Kommission, die stets die Erforderlichkeit einer artspezifischen Betrachtungsweise betont.396 Ein Umsetzungsfehler könnte eventuell noch daraus resultieren, dass der Rechtsanwender in Deutschland sich an keinen gesetzlich festgelegten Maßstäben orientieren kann, wie dies beispielsweise im Immissionsschutzrecht der Fall ist, und die Einhaltung der artenschutzrechtlichen Anforderungen damit nicht genügend sichergestellt ist. Dagegen kann aber eingewandt werden, dass die Behörde ihrer Pflicht zur Beachtung und somit zur Prüfung der Artenschutzvorschriften nachkommen und die notwendigen Voraussetzungen dafür (gegebenenfalls unter Mitwirkung des Vorhabenträgers) auch im Rahmen der Bestandsaufnahme schaffen muss. Diese Anforderungen stellt das geltende deutsche Recht in seiner Auslegung 396

Vgl. Europäische Kommission, Leitfaden, sub I.2.4.b).

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

durch das BVerwG. Ein Umsetzungsdefizit der FFH-Richtlinie liegt daher in dieser Hinsicht nicht vor. Seitens der Literatur wird beklagt, dass die Richtlinie keine Institute hinsichtlich der kognitiven Voraussetzungen zur Prüfung der Artenschutzvorschriften vorsehe.397 Der Artenschutz lebe damit „entweder vom Zufall oder von der kognitiven Fremdsubventionierung durch Institute wie FFH-VP, UVP oder naturschutzrechtliche Eingriffsregelung“398. Zu erinnern ist aber an den Richtliniencharakter, wonach lediglich das Ziel und nicht die Art und Weise der Umsetzung vorgegeben werden soll. Dementsprechend ist es nicht zu beanstanden, dass nicht alle Details der Umsetzung in der Richtlinie selbst konkret geregelt sind, sondern den Mitgliedstaaten noch ein Umsetzungsspielraum verbleibt. (3) Beurteilungsspielräume der Behörde Im Rahmen der Bestandsaufnahme und deren Bewertung zur Ermittlung eines Verstoßes gegen Artenschutzvorschriften werden der Behörde durch die Rechtsprechung nicht unerhebliche Beurteilungsspielräume eingeräumt.399 Die Einschätzungsprärogative wird primär mit der besonderen naturschutzfachlichen Fragestellung begründet. Darüber hinaus enthält die Entscheidung der Behörde prognostische Elemente, die möglicherweise ebenfalls zur Rechtfertigung der Annahme eines Beurteilungsspielraums beitragen können. Eine fachliche Einschätzungsprärogative der Behörde wurde dementsprechend im Rahmen des Tötungsverbots für die Frage einer signifikanten Risikoerhöhung durch Gefahr von Kollisionen im Straßenverkehr400 sowie im Rahmen des Störungsverbots – allerdings der Vogelschutzrichtlinie – zur Frage der erheblichen Auswirkung einer Störung anerkannt.401 Das BVerwG hat hinsichtlich des Kontrollmaßstabs der artenschutzrechtlichen Bewertung ausgeführt, dass die Annahmen der Behörde durch das Gericht hinzunehmen sind, „sofern sie im konkreten Einzelfall naturschutzfachlich vertretbar sind und nicht auf einem Bewertungsverfahren beruhen, das sich als unzulängliches oder gar ungeeignetes Mittel erweist, um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden“402. Eine naturschutzfachliche Meinung oder Einschätzung sei einer anderen nicht überlegen, weil sie umfangreichere Ermittlungen voraussetzt oder strengere 397

Wolf, ZUR 2006, 505 (507). Wolf, ZUR 2006, 505 (507). 399 BVerwGE 130, 299 (372); 131, 274 (296 ff.); 133, 239 (253); BVerwG, NVwZ 2013, 1411 (1413); kritisch Gellermann, NuR 2009, 85 (90 f.); auf die umstrittenen Fragen zur Anerkennung bzw. Unterscheidung von Beurteilungsspielräumen und Einschätzungsprärogativen soll hier nicht weiter eingegangen werden, siehe dazu z. B. Maurer, Allg. VerwR, § 7 Rn. 31 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 191 ff. 400 BVerwG, NVwZ 2009, 1296 (1304); NVwZ 2010, 380 (382); ebenso jüngst auch für die Frage der Bewertung der Kollisionsgefahren durch Windenergieanlagen, BVerwG, NVwZ 2013, 1411 (1413); OVG Magdeburg, NuR 2013, 514 (516). 401 BVerwGE 126, 166 (178 f.). 402 BVerwGE 131, 274 (296); vgl. auch Storost, DVBl 2010, 737 (740 f.). 398

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Anforderungen stellt. Sie soll erst dann vorzugswürdig sein, wenn sie sich als allgemein anerkannter Stand der Wissenschaft durchgesetzt hat und die gegenteilige Meinung nicht mehr als vertretbar angesehen wird. Solange Behörde (und Vorhabenträger) einer fachwissenschaftlich vertretbaren Ansicht folgen, sei nichts dagegen einzuwenden.403 Das Bundesverwaltungsgericht geht mithin davon aus, dass die ökologische Wissenschaft keine eindeutige Bewertung zulässt, sondern unterschiedliche Ansätze und Methoden zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Die Wertung wird dann durch die Behörde vorgenommen und das Gericht ist auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt. Die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts stößt in der Literatur auf Kritik.404 Sachwissenschaftliche Fragestellungen bestünden in vielen Bereichen, die auch ohne Beurteilungsspielraum auskämen. Die Behörde befinde sich insoweit nicht in der Lage, eine Situation besser zu beurteilen als das Gericht, das im Zweifel einen Sachverständigen bestellen könnte und müsste.405 Beurteilungsspielräume können nur dort angenommen werden, wo eine normative Ermächtigung dafür existiert.406 Da solche in den wenigsten Fällen ausdrücklich vorliegen, muss sich der Beurteilungsspielraum im Wege der Auslegung ermitteln lassen.407 Die für einen Beurteilungsspielraum streitende verfassungsrechtlich vorausgesetzte Funktionsfähigkeit der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 2 und 3 GG steht den Anforderungen des Art. 20a GG und des Art. 19 Abs. 4 GG gegenüber. Erforderlich ist jedenfalls, dass das Verwaltungsverfahren bereits in einer Weise ausgestaltet ist, die der Entscheidungsfindung die Rationalität und Qualität eines gleichsam vorverlagerten Rechtsschutzes verleiht.408 Dazu ist auf die zuvor erörterten Anforderungen an die behördliche Untersuchung zu verweisen.409 Diese ist bereits in Umfang und Methodik durch das Bundesverwaltungsgericht weitgehend detailliert vorgegeben. Den Kritikern an der Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts ist zuzugeben, dass das Erfordernis einer fachlichen Bewertung allein noch keinen Beurteilungsspielraum rechtfertigen kann. Insbesondere angesichts der Häufigkeit von fachlichen Bewertungen in behördlichen und nachfolgenden gerichtlichen Verfahren sowie angesichts des Umstands, dass sich dieser Herausforderung regelmäßig durch Ein403

BVerwGE 131, 274 (297). Brandt, ER 2013, 192 (195 f.); Gassner, DVBl 2012, 1479 ff.; ders., NuR 2013, 324 (325); Gellermann, NuR 2009, 85 (90 f.). 405 Gassner, DVBl 2012, 1479 (1481); ders., NuR 2013, 324 (325); ähnlich auch Brandt, NuR 2013, 482 (483 f.); ders., ER 2013, 192 (195 f.). 406 Vgl. nur Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 ff.; SchulzeFielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 125; jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 407 BVerfGE 129, 1 (22); BVerfG, DVBl 2012, 230 (231); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 187. 408 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 130. 409 Vgl. D.IV.2.g)bb)(2). 404

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

beziehung eines Sachverständigen Herr werden lässt, ist die Annahme eines Beurteilungsspielraums, allein darauf begründet, nicht berechtigt. Indes sind die fachlichen Fragen in den Bereichen der artenschutzrechtlichen Verbote, in denen ein Beurteilungsspielraum angenommen wird, mit Prognosen bzw. Risikobewertungen verknüpft. Zwar beinhaltet auch nicht jede Prognoseentscheidung zugleich einen Beurteilungsspielraum – ein solcher liegt aber dann vor, „wenn es sich um Prognosen und Risikobewertungen bei besonders komplexen Sachverhalten und weit in die Zukunft reichenden Entwicklungen handelt, die ein entsprechend hohes Maß an Unsicherheit aufweisen, vor allem, wenn die Behörde ihre Einschätzung auf der Grundlage der Heranziehung wissenschaftlichen und technischen oder wirtschaftlichen Sachverstandes zu bilden hat“.410 Da diese Voraussetzungen für die artenschutzrechtlichen Fragestellungen vorliegen, ist die Annahme eines Beurteilungsspielraums durch das Bundesverwaltungsgericht gerechtfertigt. Der Exekutive eingeräumte Beurteilungsspielräume sind mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich vereinbar.411 Erforderlich ist aber, dass dem Gericht noch die Kontrolle bezüglich der Rahmenbedingungen zusteht, unter denen die Behörde ihre Bewertung trifft. Dazu zählen beispielsweise die Einhaltung des Verfahrensrechts, die Wahrung allgemeiner Bewertungsgrundsätze sowie der Einfluss sachwidriger Erwägungen.412 Welche Kriterien im Einzelnen durch das Gericht noch überprüfbar sind, ist anhand der allgemein entwickelten Maßstäbe zur Kontrolle von Behördenentscheidungen mit Beurteilungsspielräumen zu beurteilen, die für Prognoseentscheidungen konkretisiert wurden: Für Prognoseentscheidungen gilt hinsichtlich der gerichtlichen Kontrolldichte, dass die zutreffende und vollständige Ermittlung des Sachverhalts durch die Behörde, die Wahl einer geeigneten fachspezifischen Methode und eine nachvollziehbare Begründung des Ergebnisses überprüfbar sind.413 Der gerichtlichen Kontrolle unterliegen außerdem (wie stets bei Behördenentscheidungen mit Beurteilungsspielraum) gesetzliche Vorgaben, Verfahrensfehler oder sachfremde Erwägungen.414 Nicht überprüfbar ist hingegen, ob die prognostizierte Entwicklung mit Sicherheit bzw. mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit eintreten wird oder kann. Ebenso wenig kann das Gericht überprüfen, ob die Prognose durch die spätere Entwicklung mehr oder weniger bestätigt oder widerlegt ist.415 Auch die Entwicklung einer eigenen Prognose ist dem 410

Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 40 Rn. 121; vgl. auch Maurer, Allg. VerwR, § 7 Rn. 41; Schenke (Drittbearbeitung), in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 573 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 198 ff. 411 BVerwGE 59, 213 (216); 72, 195 (206); 75, 275 (279); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 69; kritisch zur Einschätzungsprärogative hinsichtlich Bestandsaufnahme und deren Bewertung im Artenschutzrecht aber Gellermann, NuR 2009, 85 (90 f.) unter Hinweis auf den Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO als Ausprägung der Rechtsschutzgarantie. 412 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 129. 413 BVerfGE 88, 40 (60); BVerwGE 75, 214 (234); 107, 142 (146); 123, 261 (275). 414 Tettinger, DVBl 1982, 421 (427). 415 BVerwGE 56, 110 (121 f.); 107, 142 (146).

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Gericht verwehrt. Liegt kein Prognosefehler vor, ist das Prognoseergebnis vielmehr vom Gericht als „voraussichtlich eintretende Tatsache“ hinzunehmen.416 Die mittels des behördlichen Spielraums vorgesehene Kompetenzverteilung ist zu respektieren.417 Zu prüfen bleibt indes, ob die Einräumung von Beurteilungsspielräumen auch europarechtskonform bezüglich der Vorgaben der FFH-Richtlinie ist. Zwar wird von Seiten der Literatur vereinzelt darauf hingewiesen, dass der EuGH die nur eingeschränkter richterlicher Kontrolle unterliegenden Beurteilungsspielräume nicht kenne.418 Dem ist aber zu widersprechen: Zwar benennt der EuGH Einschätzungsprärogativen der Exekutive nicht als solche, erkennt aber – in anderen Zusammenhängen – nur beschränkt überprüfbare behördliche Spielräume als „Ermessen“ auch auf Tatbestandsseite an. So kann den Ausführungen des EuGH zufolge das Ermessen der Behörde in bestimmtem Umfang auch die Feststellung des zugrundeliegenden Sachverhalts umfassen, wenn sie im Rahmen ihrer Aufgabe komplexe Wertungen vornehmen muss. Die Behörde bleibe dabei verpflichtet, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen. Die gerichtliche Kontrolle sei demgegenüber auf Ermessensfehler oder einen offensichtlichen Ermessensmissbrauch begrenzt. Das Gericht dürfe seine wissenschaftliche Beurteilung nicht an die Stelle der behördlichen Einschätzung setzen.419 Die Einräumung behördlicher Beurteilungsspielräume im deutschen Artenschutzrecht kann daher nicht per se als europarechtswidrig eingestuft werden.420 Die vom EuGH benannten Kriterien hinsichtlich des behördlichen „Ermessens“ zur Sachverhaltsbeurteilung bei wissenschaftlich komplexen Fragestellungen entsprechen vielmehr genau denjenigen zur nachvollziehenden gerichtlichen Vertretbarkeitskontrolle von behördlichen Entscheidungen mit Beurteilungsspielraum im Artenschutzrecht. Spezifische Vorgaben hinsichtlich des behördlichen (und gerichtlichen) Prüfungsverfahrens sind im Artenschutzregime der FFH-Richtlinie noch weniger vorhanden als im Habitatschutzregime.421 Die Richtlinie gibt lediglich als Ziel vor, dass ein „strenges Schutzsystem“ zu errichten ist.422 Wie dieses strenge Schutzsystem erreicht wird, insbesondere welche Anforderungen an das Prüfungsverfahren zu 416 Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 37a m.w.N.; vgl. auch BVerwGE 87, 332 (355); 107, 142 (146). 417 BVerfGE 88, 40 (60). 418 Storost, DVBl 2010, 737 (740). 419 Vgl. EuGH, Urt. v. 09. 06. 2005, Rs. C-211/03 u. a., Slg. 2005, I-5141, Rn. 74 ff. – HLH Warenvertrieb und Orthica; Urt. v. 15. 10. 2009, Rs. C-425/08, Slg. 2009, I-10035, Rn. 47, 62 ff. – Enviro Tech (Europe); Urt. v. 09. 03. 2010, Rs. C-379/08 u. C-380/08, Slg. 2007, I-2007, Rn. 60 f. – ERG u. a. 420 So auch Vallendar, EurUP 2011, 14 (16) für die Europarechtskonformität naturschutzfachlicher Einschätzungsprärogativen in der FFH-Verträglichkeitsprüfung. 421 Vgl. Steeck/Lau, NVwZ 2009, 616 (622). 422 Darauf verweist Gassner, DVBl 2012, 1479 (1482 f.), indes mit primärem Bezug auf die Anforderungen bezüglich der FFH-Verträglichkeitsprüfung im Habitatschutz.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

stellen sind, unterliegt damit allerdings dem mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraum bezüglich der Art und Weise der Umsetzung. Das deutsche Regelungssystem, das den Behörden einen Beurteilungsspielraum belässt, gibt diesen dennoch gewisse Maßstäbe vor: Sie sind, wie bereits dargelegt, an die Artenschutzvorschriften zwingend gebunden und zur Ermittlung des Artenbestandes grundsätzlich zur Bestandserfassung vor Ort sowie zur Verwertung bereits vorhandenen Wissens verpflichtet. Zudem bestimmt der Untersuchungsgrundsatz gemäß § 24 VwVfG, dass die Behörden vollständig, sorgfältig und unparteiisch zu ermitteln haben,423 wie es der Rechtsprechung des EuGH zur Ausübung des „Ermessens“ entspricht. Schließlich fehlt die gerichtliche Kontrolle nicht vollständig, sondern ist auf bestimmte Fehlerformen – wie dies auch der EuGH bei solchen Spielräumen anerkennt – beschränkt. Soweit das nationale Recht den Behörden die Rahmenbedingungen der Prüfung vorgibt, die ein „strenges Schutzsystem“ gewährleisten und diese Rahmenbedingungen durch die Gerichte überprüfbar bleiben, dürfte das Europarecht der Einräumung von Beurteilungsspielräumen nicht entgegenstehen.424 Es handelt sich um ein legitimes Mittel zur mitgliedstaatlichen Ausgestaltung der Zielvorgaben der Richtlinie, bei denen über Art und Weise ihrer Umsetzung der Mitgliedstaat frei entscheiden kann. 3. Einführung eines Schutzsystems für bestimmte Pflanzenarten gemäß Art. 13 FFH-RL Neben dem Schutzregime für bedrohte Tierarten, sieht die FFH-RL in Art. 13 ein Schutzregime für bedrohte Pflanzenarten vor, das von den Mitgliedstaaten entsprechend umzusetzen ist. a) Europäische Vorgaben Die Anforderungen, die Art. 13 FFH-RL an ein nationales Regelwerk zum Schutz bestimmter gefährdeter Pflanzenarten stellt, sind denen aus Art. 12 FFH-RL für den Schutz der Tierarten im Wesentlichen vergleichbar. Zu verbieten sind absichtliches Pflücken, Sammeln, Abschneiden, Ausgraben oder Vernichten von Exemplaren der geschützten Pflanzenarten in deren Verbreitungsräumen in der Natur (Abs. 1 lit. a) sowie Besitz, Transport, Handel oder Austausch und Angebot zum Verkauf oder zum Austausch von aus der Natur entnommenen Exemplaren solcher Pflanzen (Abs. 1 lit. b). Es gilt also ein Zugriffsverbot entsprechend dem Tötungs- und Verletzungsverbot für Tiere sowie entsprechende Besitz- und Vermarktungsverbote. Nicht geregelt sind ein entsprechender Lebensraumschutz oder ein Schutzregime zur Überwachung unbeabsichtigter Handlungen, die objektiv den Tatbestand des Zugriffsverbots er-

423 Vgl. Heßhaus, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 24 Rn. 37; Ritgen, in: Knack/ Henneke, VwVfG, § 24 Rn. 9 f. 424 So auch Steeck/Lau, NVwZ 2009, 616 (622).

IV. Artenschutzbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz von 2010

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füllen.425 Ebenfalls nicht als eigene Verbotsvorschrift ausgestaltet ist die Zerstörung oder Entnahme von Pflanzen in frühen Entwicklungsstadien, wie es der Zerstörung oder Entnahme von Eiern (Art. 12 Abs. 1 lit. c FFH-RL) entsprechen würde. Allerdings stellt Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. a FFH-RL klar, dass solche Handlungen verboten sind. Weiterhin gibt es kein dem Störungsverbot beim Tierartenschutz entsprechendes Verbot, da ein solches zum Schutz der Pflanzenarten wenig Sinn machen würde. Zur Auslegung des Absichtsbegriffes ist auf die entsprechenden Ausführungen zu Art. 12 FFH-RL hinzuweisen.426 b) Besonders geschützte Pflanzenarten im deutschen Recht § 44 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG verbietet, wildlebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören. Die Regelung wurde im Zuge der Artenschutznovelle 2007 verändert: § 42 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG 2002 übernahm größtenteils wörtlich die Tathandlungen des Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL und erklärte diese für verboten. § 42 Abs. 1 Nr. 4 FFH-RL enthielt eine Kombination eines Störungsverbots und Lebensstättenschutzes, wie es das auch für Tiere gab. Verboten war, Standorte wildlebender Pflanzen durch Aufsuchen, Fotografieren oder Filmen der Pflanzen oder ähnliche Handlungen zu beeinträchtigen oder zu zerstören. Die Verbote bezogen sich auf einen unterschiedlichen Schutzbereich (§ 42 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG 2002 auf besonders und § 42 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG 2002 auf streng geschützte Arten), wobei die von Art. 13 FFH-RL geschützten Arten beiden Verboten unterlagen. Die Neufassung des Schutzes von Pflanzenarten im BNatSchG regelt nun alle Verbote in einer Vorschrift.427 Eine Annäherung an die europäischen Vorgaben erfolgt dadurch allerdings nicht. Die in Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL aufgelisteten Handlungen sind aber als Formen der allgemeiner formulierten Verbotshandlungen des § 44 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG (Beschädigung, Zerstörung und Entnahme von Pflanzen) von der Vorschrift erfasst, sodass diesbezüglich kein Umsetzungsfehler zu erkennen ist. Der Standortschutz geht über die europäische Regelung hinaus, was nicht geboten, aber legitim ist. Da er europarechtlich gar nicht gefordert ist, liegt auch kein Umsetzungsfehler vor, wenn der Verbotstatbestand durch die Neufassung (in Bezug auf den Standortschutz) enger geworden ist, indem der allgemeine Begriff der „ähnlichen Handlungen“ weggefallen und der Taterfolg der „Beeinträchtigung“ durch die „Beschädigung“ ersetzt worden ist. Die präzisere neue Formulierung der

425 426 427

Vgl. bereits Rödiger-Vorwerk, FFH-Richtlinie, S. 151. Dazu s. oben D.IV.2.a)aa). Vgl. BT-Drs. 16/5100, S. 11.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Verbotsregelung ist aus praktischen sowie aus rechtsstaatlichen Gründen zu begrüßen. Subjektive Voraussetzungen wie Absicht oder Vorsatz sind im Unterschied zum europäischen Vorbild der Vorschrift nicht gefordert. Die im Rahmen des Tierartenschutzes behandelten Probleme zur Begrenzung der Reichweite des Tatbestandes durch den Wegfall jeglicher subjektiver Voraussetzungen stellen sich beim Schutz der Pflanzenarten aus praktischen Gründen weniger. Sozialadäquate Verhaltensweisen, die eine unabsichtliche Beschädigung oder Zerstörung von Pflanzen oder deren Standorten verursachen, sind kaum denkbar; die Kollisionsproblematik existiert nicht. Theoretisch ist der Tatbestand dennoch sehr weit gefasst – insofern kann auf die bereits ausführlich dargelegten Erwägungen zum Tierartenschutz verwiesen werden. Ebenso wie dort wird das Problem dadurch entschärft, dass nur vorsätzliche Handlungen sanktioniert werden. Die Besitz- und Vermarktungsverbote für geschützte Pflanzen sind im deutschen Recht gemeinsam mit denen zum Schutz der Tierarten in § 44 Abs. 2, 3 BNatSchG geregelt. Umsetzungsdefizite sind – wie bereits ausführlich dargelegt – zu verneinen.428 Die erforderlichen Nachweispflichten über die Herkunft von Pflanzen der geschützten Arten sind (ebenso wie für die Herkunft von Tieren) in § 46 BNatSchG geregelt. Verstöße gegen die Verbotsvorschriften werden sanktioniert, sodass auch hinsichtlich der Möglichkeiten der effektiven Durchsetzung keine Umsetzungsprobleme bestehen. Namentlich stellen gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 4 BNatSchG ein vorsätzlicher Verstoß gegen das Zugriffsverbot und gemäß § 69 Abs. 3 Nr. 20 und 21 bzw. Abs. 4 Nr. 3 BNatSchG ein vorsätzlicher oder fahrlässiger Verstoß gegen Besitz- und Vermarktungsverbote eine Ordnungswidrigkeit dar. Die Strafvorschriften der §§ 71, 71a BNatSchG gelten für Verstöße gegen Verbote zum Schutz von Tierund Pflanzenarten gleichermaßen. Umsetzungsprobleme sind nicht ersichtlich.429 Hinsichtlich der behördlichen Durchsetzung im Zulassungsverfahren stellen sich dieselben Probleme wie die bereits im Rahmen des Tierartenschutzes erörterten, insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an Ermittlungstiefe der Bestandsaufnahme und -bewertung sowie hinsichtlich behördlicher Beurteilungsspielräume, weshalb auf die dortigen Ausführungen verwiesen wird.430 4. Maßnahmen zum Schutz der in Anhang V FFH-RL aufgelisteten Arten Zusätzlich zu den Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverboten der Artt. 12 und 13 FFH-RL enthält Art. 14 FFH-RL ein weiteres, aber weniger strenges Schutzre428 429 430

Dazu s. oben D.IV.2.e). Vgl. ausführlich D.IV.2.g)aa). Dazu s. oben D.IV.2.g)bb).

IV. Artenschutzbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz von 2010

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gime für die Entnahme und Nutzung weiterer in Anhang V der Richtlinie aufgelisteter Tier- und Pflanzenarten. a) Mitgliedstaatliche Pflichten aufgrund von Art. 14 FFH-RL Gemäß Art. 14 Abs. 1 FFH-RL besteht die Pflicht der Mitgliedstaaten, sofern sie es aufgrund der Überwachung gemäß Art. 11 FFH-RL für erforderlich halten, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, damit die Entnahme aus der Natur von Exemplaren der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten des Anhangs V sowie deren Nutzung mit der Aufrechterhaltung eines günstigen Erhaltungszustands vereinbar sind. Art. 11 FFH-RL gehört seiner systematischen Stellung nach zwar zum Komplex des Lebensraumschutzes, schreibt aber die Überwachung nicht nur von Lebensräumen, sondern auch von Arten vor. Vorgegeben wird durch Art. 14 FFH-RL nicht ein im nationalen Regelungssystem zu etablierendes direktes gemeinschaftsrechtliches Verbot,431 sondern die Pflicht, adäquate Maßnahmen zu ergreifen, wobei die Vorschrift sowohl hinsichtlich des Ob als auch des Wie eines Tätigwerdens den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume belässt.432 aa) Art der zu ergreifenden Maßnahmen Obwohl Anhang V der Richtlinie von „Verwaltungsmaßnahmen“ spricht, sind die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Umsetzung von Art. 14 FFH-RL verpflichtet, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der die Befolgung der europäischen Vorgaben (innerhalb des eingeräumten Spielraums) sicherstellt.433 Dies ergibt sich bereits aus den allgemeinen Anforderungen an die Umsetzung von Richtlinien,434 und auch Art. 14 FFH-RL selbst enthält keine Formulierung, die auf das Erfordernis lediglich behördlicher Tätigkeit schließen lassen könnte. Sofern durch allgemeine und dauerhaft geltende Regelungen die Gewährleistung des vorgegebenen Schutzniveaus sichergestellt ist, können jedoch auch die Behörden mit der Verantwortung für konkrete Maßnahmen im Einzelnen betraut werden.435

431

Vgl. Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 222. Fisahn, ZUR 1996, 3 (8); Gellermann, in: Rengeling, EUDUR, II/1, § 78 Rn. 76; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 222; der ursprüngliche Entwurf der FFH-Richtlinie sah noch eine strengere Regelung des Art. 14 FFH-RL vor, vgl. dazu Wagner, NuR 1990, 396 (400). 433 Rödiger-Vorwerk, FFH-Richtlinie, S. 152. 434 Vgl. dazu D.II.1. 435 Vgl. Rödiger-Vorwerk, FFH-Richtlinie, S. 153 f. 432

144

D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

bb) Inhaltliche Anforderungen Die Mitgliedstaaten besitzen bei der Umsetzung des Art. 14 FFH-RL sowohl hinsichtlich des Ob als auch des Wie eines Tätigwerdens weite Ermessensspielräume.436 Gemäß Art. 14 Abs. 2 FFH-RL müssen die Mitgliedstaaten jedoch – sofern sie zu dem Ergebnis gekommen sind, dass Maßnahmen erforderlich sind – in den Maßnahmen zwingend die Fortsetzung der Überwachung regeln. Darüber hinaus sind mitgliedstaatliche Beschränkungen aus dem Ziel des Art. 14 FFH-RL (in einer Zusammenschau mit den allgemeinen Zielen der Richtlinie) denkbar, woran die Ermessensausübung auszurichten ist: Entnahme und Nutzung der Arten sollen so geregelt werden, dass sie mit einem günstigen Erhaltungszustand vereinbar sind. Dadurch bedingte Ermessensbeschränkungen sind sowohl hinsichtlich des Ob als auch des Wie denkbar. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, tätig zu werden, wenn die Überwachung gemäß Art. 11 FFH-RL deutlich werden lässt, dass Entnahme und Nutzung geschützter Pflanzen dergestalt mit einem günstigen Erhaltungszustand nicht mehr vereinbar sind.437 Ist nur eine Art von Maßnahme zielführend, ist auch das Ermessen des Mitgliedstaats auf diese beschränkt. Einen Beispielkatalog von Maßnahmen, die durch den Mitgliedstaat bei festgestelltem Handlungsbedarf ergriffen werden können, enthält Art. 14 Abs. 2 FFH-RL. Die Mitgliedstaaten sind aber nicht zwingend an diese Vorgaben gebunden, sondern können einzelne der Regelungen weglassen oder weitere treffen. Ersteres wird durch die Wortwahl „können“ im Vergleich zu „müssen“ im vorhergehenden Satz deutlich, letzteres durch die Partikel „insbesondere“.438 b) Umsetzung in Deutschland Die Überwachung des Erhaltungszustands der Arten des Anhangs V der FFH-RL regelt § 6 Abs. 1, 3 Nr. 2 BNatSchG. Unabhängig von den daraus gewonnenen Erkenntnissen ist die Entnahme der in Anhang V FFH-RL aufgelisteten Arten nach § 39 Abs. 2 BNatSchG vorbehaltlich jagd- und fischereirechtlicher Bestimmungen verboten. Allerdings können die Länder gemäß Satz 2 Ausnahmen von Satz 1 unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 7 BNatSchG oder des Art. 14 FFH-RL erlassen. Die Regelung ist nach Auffassung des Gesetzgebers erforderlich, „um sicherzustellen, dass die Entnahme von Exemplaren von Arten des Anhangs V der FFHRichtlinie entsprechend den Vorgaben von Artikel 14 der Richtlinie nur erfolgt, wenn

436 Fisahn, ZUR 1996, 3 (8); Gellermann, in: Rengeling, EUDUR, II/1, § 78 Rn. 76; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 222. 437 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 223; vgl. auch EuGH, Urt. v. 13. 02. 2003, Rs. C-75/01, Slg. 2003, I-1585, Rn. 78 ff. – Kommission/Großherzogtum Luxemburg. 438 Vgl. Rödiger-Vorwerk, FFH-Richtlinie, S. 153; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 223.

IV. Artenschutzbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz von 2010

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die Arten sich in einer günstigen Erhaltungssituation befinden“439. Tatsächlich geht § 39 Abs. 2 BNatSchG damit über die europäischen Vorgaben hinaus, denn es ist dort gerade nicht gefordert, ein Verbot zu erlassen. Zwar ist es richtig, dass die Verbote des § 39 Abs. 1 BNatSchG wegen der weiten Ausnahmemöglichkeiten die Einhaltung der Vorgaben des Art. 14 FFH-RL nicht sicherstellen können, was jedoch durch ein Verbot mit (Länder-)Genehmigungsvorbehalt möglich ist;440 indes hätte der Vorbehalt einer behördlichen Genehmigung genügt. Eine (bundesrechtliche) Regelung der fortlaufenden Überwachung ist, da bereits ein Verbot der Entnahme besteht, nicht mehr erforderlich. Im Rahmen einer landesrechtlichen Ausnahmeerteilung gemäß § 39 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG kann die fortlaufende Überwachung wiederum festgelegt werden. Ohnehin ist eine fortlaufende Überwachung bereits durch Art. 11 FFH-RL und im deutschen Recht gemäß § 6 BNatSchG gefordert. Hingegen fehlt (bundesrechtlich) eine Regelung bezüglich der Tatbestandsvariante der Nutzung der durch Anhang V geschützten Arten, wie sie Art. 14 FFH-RL enthält. Tatsächlich wird einer Nutzung aber zumeist die Entnahme vorausgehen. In den Fällen, in denen dies nicht der Fall ist, ist die Nutzung möglicherweise bereits durch § 39 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 BNatSchG untersagt. Sind auch diese nicht einschlägig, namentlich weil es einen vernünftigen Grund für die Nutzung der Arten gibt oder eine sonstige Ausnahme greift, kann auf § 38 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG rekurriert werden: Die zuständigen Behörden sind danach verpflichtet, wirksame und aufeinander abgestimmte vorbeugende Schutzmaßnahmen zu ergreifen oder Artenhilfsprogramme aufzustellen. Die Vorschrift wurde zwar zur Unterstützung eines strengen Schutzsystems nach Art. 12 Abs. 1 FFH-RL erlassen441 – indes kann die Möglichkeit bzw. Verpflichtung der zuständigen Behörden zur Schaffung von Artenhilfsprogrammen auch den Arten des Anhangs V zugute kommen. Die Vorschrift enthält wenig konkrete Verpflichtungen und überträgt einen großen Teil der Verantwortung den Behörden. Dies ist nicht europarechtswidrig; da die europäischen Vorgaben ebenfalls kaum konkrete Verpflichtungen enthalten und sehr weite Gestaltungsspielräume belassen, lässt sich insoweit eine unzureichende Umsetzung nicht feststellen. Insgesamt genügt das deutsche Regelungssystem angesichts der wenig konkreten Vorgaben und der weiten Ermessensspielräume des Art. 14 FFH-RL dessen Vorgaben. Klarer wäre allerdings, in die Vorschrift des § 39 Abs. 2 BNatSchG auch die Tatbestandsvariante der Nutzung aufzunehmen. Vorsätzliche sowie fahrlässige Verstöße gegen das Entnahmeverbot werden schließlich gemäß § 69 Abs. 3 Nr. 10 BNatSchG sanktioniert, sodass sie auch hinreichend durchsetzbar sind.

439 440 441

BT-Drs. 16/12274, S. 67. BT-Drs. 16/12274, S. 67. BT-Drs. 16/12274, S. 66.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

5. Entnahme, Fang und Tötung bestimmter Tierarten Art. 15 FFH-RL enthält Vorgaben für die Art und Weise des zulässigen Fangs und der zulässigen Tötung der in Anhang IV lit. a und Anhang V lit. a FFH-RL genannten Tierarten, also derjenigen, die durch Art. 12 und 14 FFH-RL geschützt werden. a) Die Vorgaben des Art. 15 FFH-RL Da Art. 12 FFH-RL bereits ein absolutes Verbot des absichtlichen Fangs und der Tötung enthält, besitzt Art. 15 FFH-RL hinsichtlich der in Anhang IV lit. a genannten Tierarten – wie es auch aus dem Wortlaut des Art. 15 FFH-RL deutlich wird – nur noch für die Ausnahmefälle nach Art. 16 FFH-RL Bedeutung. Die Aussage des Art. 15 FFH-RL betrifft die Pflicht der Mitgliedstaaten, nichtselektive Mittel für Fang und Tötung der Tiere zu verbieten, durch die das örtliche Verschwinden von Populationen dieser Tierarten hervorgerufen oder diese schwer gestört werden könnten. In Anhang VI sind beispielhaft zu verbietende Fang- und Transportmittel aufgezählt – dass die Liste nicht abschließend ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 15 FFH-RL („insbesondere“).442 Ebenfalls ergibt sich aus dem Wortlaut, dass das Verbot nicht erst greift, wenn der Bestand einer Art absolut oder europaweit gefährdet ist, sondern bereits wenn das „örtliche Verschwinden von Populationen“ möglich erscheint. b) Umsetzung in der Bundesartenschutzverordnung Die in Anhang VI der FFH-RL aufgezählten zu verbietenden Methoden erfasst im deutschen Recht § 4 Abs. 1 BArtSchV. Die Vorschrift gilt für alle besonders geschützten Arten und nicht besonders geschützten Wirbeltierarten, die nicht dem Jagd- oder Fischereirecht unterliegen. Die europäischen Vorgaben gelten indes auch für die gesamten Arten des Anhangs V FFH-RL, die nicht zu den nach deutschem Recht besonders geschützten Arten gehören. Da sich § 4 Abs. 1 BArtSchV hinsichtlich der nicht besonders geschützten Arten nur auf Wirbeltierarten bezieht, in Anhang V FFH-RL hingegen auch wirbellose Arten aufgeführt sind, ist hier ein bislang unbeachtet gebliebenes Umsetzungsdefizit im Anwendungsbereich zu verzeichnen. Indem die Einschränkung des Schutzes auf Wirbeltierarten abgeschafft würde, ließe sich dieses Defizit indes leicht beheben. Die aufgrund der europäischen Vorgaben ausdrücklich zu verbietenden Methoden werden vollständig erfasst. Allerdings enthält § 4 Abs. 1 BArtSchV eine abschließende Aufzählung und verbietet nicht alle nicht-selektiven Mittel für Fang und Tötung der Tiere, durch die das örtliche Verschwinden von Populationen dieser Tierarten hervorgerufen werden könnte oder sie schwer gestört werden könnten. Insoweit ist – trotz stetiger Bemühungen des Verordnungsgebers, den Vorgaben von 442

Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 224.

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Art. 15 FFH-RL Rechnung zu tragen443 – eine unvollständige Umsetzung der Vorgaben des Art. 15 FFH-RL zu verzeichnen. In der BArtSchV vorgesehene tatbestandseinschränkende Vorschriften und Ausnahmemöglichkeiten sind hingegen europarechtskonform: Eine der Einschränkung des § 4 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG entsprechende Begrenzung (Verbot des Fangens mit Netzen oder Fallen nur, wenn mit ihnen Tiere in größeren Mengen oder wahllos gefangen oder getötet werden können) sieht auch Anhang VI lit. a FFH-RL vor. Die Ausnahmevorschrift des § 4 Abs. 3 BArtSchV (ggf. i.V.m. § 17 BArtSchV) verstößt ebenfalls nicht gegen das europarechtliche Regime, da sie einen Vorbehalt der Vereinbarkeit mit Art. 16 Abs. 1 FFH-RL enthält. Der Umsetzung – soweit sie erfolgt ist – kann keine mangelnde Durchsetzbarkeit vorgeworfen werden: § 16 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG wertet einen Verstoß gegen die Verbote des § 4 Abs. 1 BNatSchG als Ordnungswidrigkeit. 6. Ausnahmeregelungen zu den Verboten Das Regime der in Artt. 12 – 15 FFH-RL postulierten Verbote wird ergänzt durch die Möglichkeit der Abweichung durch die Mitgliedstaaten gemäß Art. 16 FFH-RL. Die Ausnahmevorschrift bildet gemeinsam mit den artenschutzrechtlichen Verboten ein in sich geschlossenes Regelungssystem. Eine Ausnahme von den Verboten, die den Anforderungen des Art. 16 FFH-RL nicht genügt, verletzt daher sowohl das jeweilige Verbot wie auch Art. 16 FFH-RL.444 Die Bestimmung ist – wie üblich bei Ausnahmevorschriften – restriktiv auszulegen, um die wesentlichen, grundsätzlichen Regelungen nicht zu unterlaufen, also die mit der Richtlinie verfolgten Ziele nicht zu gefährden.445 Die Kommission geht in ihren Ausführungen sogar so weit, dass eine Ausnahme nur der letzte Ausweg sein dürfe; die Ausnahmeregelungen müssten sich im Interesse des Artenschutzes anderen in der Richtlinie festgelegten Erfordernissen unterordnen.446 Die Ausnahme müsse sich schließlich auf bestimmte Erfordernisse oder Situationen beziehen und die eine Ausnahmegenehmigung erteilende Behörde den „größten territorialen Überblick“ besitzen.447 Dem Wortlaut nach beinhaltet Art. 16 FFH-RL die Möglichkeit der Abweichung von Artt. 12, 13, 14 und 15 lit. a und b FFH-RL. Nichtsdestoweniger ist die Be443

Vgl. nur die zwischenzeitlich ergangenen Anpassungen, BR-Drs. 733/98, S. 107. EuGH, Urt. v. 20. 10. 2005, Rs. C-6/04, Slg. 2005, I-9017, Rn. 112 – Kommission/ Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland; Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 66 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland; Stüer, BauR 2010, 1521, 1523. 445 EuGH, Urt. v. 20. 10. 2005, Rs. C-6/04, Slg. 2005, I-9017, Rn. 111 – Kommission/ Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland; Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.1.2 m.w.N.; Storost, DVBl 2010, 737 (738); Stüer, BauR 2010, 1521 (1523). 446 Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.2. 447 Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.1.2. 444

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

deutung der Ausnahmemöglichkeit hinsichtlich Art. 14 FFH-RL geringer als hinsichtlich der anderen Verbotsvorschriften, da den Mitgliedstaaten in der Vorschrift ohnehin ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt ist und kaum konkrete Vorgaben gemacht werden.448 Die Vorschrift des Art. 16 FFH-RL erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich, soweit sie sich auf Art. 15 lit. a und b FFH-RL bezieht: Laut Art. 15 FFH-RL gilt das Verbot des Gebrauchs aller nichtselektiven Geräte, durch die das örtliche Verschwinden von Populationen dieser Tierarten hervorgerufen werden könnte oder diese schwer gestört werden könnten, auch für die Fälle, in denen Ausnahmen gemäß Art. 16 FFH-RL erteilt werden. Aus dem Zusammenspiel der Regelungen folgt bei genauem Hinsehen, dass der Wortlaut des Art. 15 FFH-RL auf Fälle, in denen Ausnahmen für die Entnahme, den Fang oder die Tötung der in Anhang IV lit. a genannten Arten, also Ausnahmen von den Verboten der Artt. 12 und 13 FFH-RL gestattet werden, Bezug nimmt und nicht auf Ausnahmen von Art. 15 FFH-RL selbst. Handelt es sich also um eine Situation, in denen zunächst ein Verbot der Artt. 12 und 13 FFH-RL Anwendung findet, wovon eine Ausnahme gemäß Art. 16 FFH-RL gemacht werden kann, dann gilt grundsätzlich noch Art. 15 FFH-RL.449 In einem weiteren Schritt kann geprüft werden, ob auch von Art. 15 lit. a oder b FFH-RL eine Ausnahme gemäß Art. 16 FFH-RL erteilt werden kann.450 Diese Interpretation wird durch den Wortlaut des Art. 16 FFH-RL gestützt, der sich auf die Regelbeispiele nach Art. 15 lit. a und lit. b FFH-RL und nicht Art. 15 FFH-RL insgesamt bezieht. Ist von vornherein lediglich das Verbot des Art. 15 FFH-RL einschlägig, weil es sich um eine Art des Anhangs V handelt, so ist nur eine Ausnahmeprüfung gemäß Art. 16 FFHRL erforderlich. a) Formelle Vorgaben des Art. 16 Abs. 2 und 3 FFH-RL Die formellen Voraussetzungen einer Ausnahmeregelung im Rahmen des Art. 16 FFH-RL werden in Abs. 2 und 3 beschrieben. Danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, alle zwei Jahre der Kommission einen Bericht über die nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL genehmigten Ausnahmen vorzulegen, zu dem diese innerhalb von 12 Monaten Stellung nehmen muss. Der Bericht der Mitgliedstaaten muss mit dem Modell übereinstimmen, das der Ausschuss zuvor festgelegt hat. Inhaltlich im Bericht zwingend zu behandelnde Punkte werden in Art. 16 Abs. 3 FFH-RL festgelegt.451 Über ihre Ergebnisse hat die Kommission im Anschluss den Ausschuss zu unterrichten. 448 Gellermann, in: Rengeling, EUDUR II/1, § 78 Rn. 76; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 223. 449 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 224. 450 Vgl. Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 82. 451 Darüber hinaus ist auch die (freiwillige) Angabe weiterer Informationen möglich und wird von den Kommissionsdienststellen als vorteilhaft erachtet; vgl. für Beispiele: Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.4.

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Durch die verfahrensrechtlichen Vorschriften wird der Kommission die Möglichkeit (und auch Pflicht) einer Vollzugskontrolle eingeräumt.452 Festgestellte Verstöße gegen die Anforderungen der Richtlinie kann sie im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens rügen. b) Materielle Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL Art. 16 Abs. 1 FFH-RL enthält die materiellen Voraussetzungen einer Ausnahmeregelung, die kumulativ453 vorliegen müssen. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, ein Regelungssystem zu schaffen, das die Einhaltung dieser Voraussetzungen bei Zulassung einer Ausnahme gewährleistet. Die Regelung weiterer Ausnahmetatbestände ist ebenso wenig zulässig wie die Übertragung der Ausnahmeprüfung an genehmigende Behörden, wenn deren Entscheidung nicht von der Einhaltung der Voraussetzungen durch zugrundeliegende Vorschriften abhängig gemacht wird.454 Für die Erteilung einer Ausnahme muss gemäß den Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL einer der aufgezählten Zwecke für die Ausnahme vorliegen, eine anderweitige zufriedenstellende Lösung fehlen und schließlich gewährleistet sein, dass die Populationen trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen.455 Sind mehrere Arten betroffen, so müssen diese Voraussetzungen im Hinblick auf jede Art erfüllt sein.456 aa) Zweck der Ausnahme Die in Frage kommenden Zwecke für eine Ausnahme sind abschließend aufgezählt.457 Ausnahmen, die auf anderen Gründen basieren, laufen dem Geist und dem Zweck der Richtlinie zuwider und sind unzulässig.458 452

Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 221. Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 61 – Kommission/ Bundesrepublik Deutschland; Gellermann, EUDUR II/1, § 78 Rn. 76; Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 80; Rödiger-Vorwerk, FFH-Richtlinie, S. 155; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 219. 454 EuGH, Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 61 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland; Urt. v. 11. 01. 2007, Rs. C-183/05, Slg. 2007, I-137, Rn. 48 f. – Kommission/Irland; Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.1.1. 455 Die hier verwendete Reihenfolge orientiert sich an den Vorgaben der Kommission zur logischen Prüfungsfolge, vgl. Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2. 456 Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.3.b). 457 EuGH, Urt. v. 10. 5. 2007, Rs. C-508/04, Slg. 2007, I-3787, Rn. 118 – Kommission/ Republik Österreich; Fisahn, ZUR 1996, 3 (10); Gellermann, in: Rengeling, EUDUR II/1, § 78 Rn. 76; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 220. 458 EuGH, Urt. v. 20. 10. 2005, Rs. C-6/04, Slg. 2005, I-9017, Rn. 113 – Kommission/ Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland; Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.1. 453

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Die Tatbestände sehen keine Ausnahmen für gewerbliche land- oder forstwirtschaftliche Nutzung vor, wie sie von einigen Mitgliedstaaten – in nicht europarechtskonformer Weise – geregelt wurden.459 Solche Regelungen müssen sich daher einem der genannten Zwecke zuordnen lassen und die weiteren Voraussetzungen erfüllen. (1) Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen und Erhaltung der natürlichen Lebensräume Gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. a FFH-RL ist eine Ausnahme vom Verbotsregime der Artt. 12 – 15 FFH-RL zulässig zum Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen und zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume. Es handelt sich um ein ökozentrisches Ziel, das ausweislich Art. 2 Abs. 1 FFH-RL auch allgemein als Ziel der FFHRichtlinie fungiert.460 Welchen Arten die Ausnahmeregelung zugute kommen kann, wird indes nicht näher konkretisiert. Um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, ist der Europäischen Kommission darin zuzustimmen, dass die Vorschrift sich vornehmlich auf empfindliche, seltene oder gefährdete Arten bezieht und weniger auf verbreitete Arten. Anderenfalls würde eine Ausnahme vom Schutz gefährdeter Arten zugunsten der noch verbreiteten Arten zugelassen. Dennoch kann nicht per se ausgeschlossen werden, dass auch dieser Fall eintreten und eine Ausnahme zugunsten verbreiteter Arten erfolgen kann – es fehlt zu einer restriktiveren Auslegung jeglicher Hinweis im Wortlaut des Art. 16 FFH-RL.461 (2) Verhütung ernster Schäden an Privateigentum Art. 16 Abs. 1 lit. b FFH-RL sieht eine Ausnahme zur Verhütung ernster Schäden an Privateigentum vor. Es handelt sich um einen anthropozentrischen Zweck.462 Auch solche, insbesondere wirtschaftliche Interessen werden nach der Zielsetzung der FFH-Richtlinie gemäß Art. 2 Abs. 3 FFH-RL berücksichtigt. Als spezielle Formen des Eigentums werden Kulturen, Tierhaltung, Wälder, Fischgründe, Gewässer aufgezählt – die Liste ist aber nicht abschließend. Über sie hinaus werden auch „sonstige Formen“ von Eigentum erfasst. Die Berücksichtigung von Eigentumsinteressen stellt einen Unterschied zur Vogelschutz-Richtlinie dar.

459 EuGH, Urt. v. 10. 05. 2007, Rs. C-508/04, Slg. 2007, I-3787, Rn. 120 – Kommission/ Republik Österreich; vgl. auch EuGH, Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 57 ff. – Kommission/Bundesrepublik Deutschland; vgl. aktuell auch ein Vertragsverletzungsverfahren aus ähnlichen Gründen gegen Polen, EuGH, Urt. v. 15. 03. 2012, Rs. C-46/11, n.v. 460 Vgl. schon Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 220. 461 Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.1. 462 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 220.

IV. Artenschutzbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz von 2010

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Aus dem Charakter als Ausnahmebestimmung wird deutlich, dass das Ergebnis einer Abwägung von Eigentumsschutz und Naturschutz im Allgemeinen zugunsten des Naturschutzes gesehen wird. Ausnahmen sind lediglich zur „Verhütung ernster Schäden“ möglich.463 Es müssen daher Schäden von einem gewissen Umfang drohen – bloße Belästigungen oder normale wirtschaftliche Risiken können eine Ausnahme nicht begründen.464 Nicht erforderlich ist es, dass ein solcher Schaden bereits eingetreten ist. (3) Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses Eine allgemeiner als die anderen Tatbestände gefasste und damit besonders bedeutsame Ausnahme sieht Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL vor: Danach kann aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses von den artenschutzrechtlichen Verboten abgewichen werden. Als Beispiele werden die Volksgesundheit und die öffentliche Sicherheit genannt. Die Aufzählung ist nicht abschließend, verdeutlicht aber das Gewicht und die Bedeutung, welche den Ausnahmegründen zukommen muss. Nach Ansicht der Kommission sollen in der Regel nur langfristige Interessen für eine Ausnahme ausreichen.465 Der Begriff der „zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ ist im Wesentlichen so wie im Rahmen des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL auszulegen.466 Der Europäische Gerichtshof hat sich zur Auslegung der „zwingenden Gründe des überwiegenden Interesses“ soweit ersichtlich allerdings auch in jenem Rahmen bislang noch nicht geäußert. Der Ausnahmezweck der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses ist insgesamt trotz der Einbeziehung auch wirtschaftlicher Interessen äußerst restriktiv formuliert. Rechtspolitischen Bedenken an dieser Einbeziehung467 kann angesichts der umfassenden Prüfungsschritte, die die Wertung des Artenschutzes in besonderem Maße berücksichtigt, nicht gefolgt werden, insbesondere da die Einbeziehung solcher Interessen Ausdruck der generellen Berücksichtigungspflicht des Art. 2 Abs. 3 FFH-RL ist. (4) Forschung und Unterricht, Bestandsauffüllung und Wiederansiedlung Eine Ausnahme kann gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. d FFH-RL weiterhin zu Zwecken von Forschung und Unterricht, Bestandsauffüllung und Wiederansiedlung erteilt werden. Die Vorschrift bietet wenig Probleme. Erfasst ist beispielsweise die Kennzeichnung von Individuen einer Art auf unterschiedliche Weise zum Erwerb weiterer und genauerer wissenschaftlicher Kenntnisse. 463 464 465 466 467

Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 220. Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.1. Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.1. Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (350). So Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 220 f.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

(5) Entnahme oder Haltung einer bestimmten Anzahl von Exemplaren Schließlich enthält noch Art. 16 Abs. 1 lit. e FFH-RL einen letzten möglichen Ausnahmezweck: Es handelt sich um die Entnahme oder Haltung einer begrenzten und von den einzelstaatlichen Behörden spezifizierten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tier- und Pflanzenarten unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß. Die Ausnahmevorschrift kommt aufgrund der strengen Bedingungen eher selten zur Anwendung. Ob es sich um eine begrenzte Anzahl handelt, wird durch die Relation im Verhältnis zur Populationsgröße bestimmt.468 Eine Ausnahme ist dementsprechend nicht möglich, wenn die Gefahr von erheblichen negativen Auswirkungen auf die Population droht.469 Aufgrund der Selektivität darf sich die Ausnahme nur auf eine Art oder eine Gruppe verwandter Arten beziehen. Es muss stets Klarheit hinsichtlich der eingeschränkten Anwendung der Ausnahmen sowie der begünstigten Personen, der genehmigten Orte, Zeiten und Mengen herrschen. Über die Einhaltung der Bestimmungen sind Nachweise zu erbringen.470 bb) Nichtvorhandensein einer anderweitigen zufriedenstellenden Lösung Als weitere Voraussetzung neben dem Zweck der Ausnahme gilt, dass keine andere zufriedenstellende Lösung vorhanden ist. Die Abweichung muss also zur Erreichung des verfolgten Ziels „erforderlich“ sein.471 Die Alternativenprüfung im Rahmen des Art. 16 FFH-RL ist ebenso strukturiert wie diejenige im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung gemäß Art. 6 Abs. 4 FFH-RL.472 Ebenso wie letztere stellt sie höhere Anforderungen und besitzt eine andere Funktion als die Alternativenprüfung nach traditionellem deutschem Planungsrecht. Letzteres verlangt lediglich eine Prüfung der Alternativen, die sich aufdrängen;473 die Alternativenprüfung in der Ausnahmeregelung des Artenschutzrechts ist deutlich strenger. Die Europäische Kommission schlägt eine Prüfungsfolge bestehend aus drei Schritten vor: Als Erstes soll klargestellt werden, welches Problem bzw. welche Situation zu regeln ist. Als Zweites ist nach alternativen Lösungen zur Regelung dieses Problems zu suchen. Im dritten Schritt ist zu 468 EuGH, Urt. v. 27. 04. 1988, Rs. C-252/85, Slg. 1988, 2243, Rn. 28 – Kommission/ Französische Republik zu Art. 9 der Vogelschutz-RL; Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.1. 469 Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 10. 2003, Rs. C-182/02, Slg. 2003, I-12105, Rn. 17; Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.1. 470 Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.1. 471 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 219. 472 Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 80 m.w.N. 473 Vgl. BVerwGE 116, 254 (262 f.); Gellermann, Natura 2000, S. 90; Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 81; Hösch, NuR 2004, 210 (214 f.).

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prüfen, ob die gefundenen Lösungen auch geeignet sind, das Problem zu lösen, wofür die Abweichung beantragt wird. Aus den geeigneten Lösungen haben die Behörden schließlich diejenige auszuwählen, die dem Artenschutz am besten gerecht wird.474 Der Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bzw. ihrer Behörden bei der Verwerfung anderweitiger Alternativen als nicht „zufriedenstellend“ ist indes begrenzt. Nicht ausreichend soll sein, dass die alternative Lösung mit größeren Umständen für den Begünstigten verbunden ist.475 Die gewählte Lösung (Abweichung) muss sich hinsichtlich der Auswirkungen auf die Arten auf das Maß beschränken, das notwendig ist, um dem betreffenden Problem abzuhelfen.476 Ebenso wie im Rahmen des Art. 6 Abs. 4 FFH- RL ist jedoch auch der unionsrechtlich gemäß Art. 5 Abs. 4 EUV geltende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Aus diesem folgt, dass keine Alternative verlangt werden kann, die nicht erforderlich oder zumutbar ist, das heißt „außerhalb jeder vernünftigen Relation“ zu dem Schutzinteresse steht.477 Anderweitige zufriedenstellende Lösungen können die Wahl eines anderen Standorts, eine Verringerung des Vorhabenumfangs oder alternative Methoden im Rahmen einer Vorhabensverwirklichung sein.478 cc) Bewahrung des günstigen Erhaltungszustands Schließlich ist als letzte Voraussetzung in Art. 16 Abs. 1 FFH-RL die Bewahrung des günstigen Erhaltungszustands der Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet postuliert. Es ist folglich zunächst der Erhaltungszustand der betroffenen Populationen festzustellen, um anschließend die Auswirkungen der Ausnahme auf diese beurteilen zu können. Problematisch kann bereits die Bestimmung der Grenzen einer „Population“ werden. Nach dem Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL bilden dabei einzelne Populationen den Maßstab, nicht hingegen die Art insgesamt.479 Nach Ansicht der Europäischen Kommission sind jedoch verschiedene Bewertungsebenen zu berücksichtigen (neben der einzelnen Population auch die biogeographische Region 474 475

(392). 476

Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.2. Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.2.; vgl. auch Gellermann, NuR 2003, 385

Vgl. EuGH, Urt. v. 12. 12. 1996, Rs. C-10/96, Slg. 2006, I-6793, Rn. 26 f. – LRBPO und Aves; Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.2. 477 Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 81; vgl. auch BVerwGE 110, 302 (310 f.); Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, 1 (7 f.); Gellermann, Natura 2000, S. 90 f.; Hösch, NuR 2004, 210 (216); J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 34 Rn. 90. 478 Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.2. 479 Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 80; Louis/Weihrich, ZUR 2003, 385 (386); a.A. Frenz/Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, Vorb. §§ 44 – 45 Rn. 24, die in Anknüpfung an Art. 1 lit. i FFH-RL den Bezug zum „Erhaltungszustand der Art“ (im natürlichen Verbreitungsgebiet innerhalb des jeweiligen Mitgliedstaates) herstellen.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

und das natürliche Verbreitungsgebiet). Die Begriffe, insbesondere der der Population, sind jedenfalls artspezifisch zu beurteilen.480 Eine Population ist demgemäß zu definieren als „Gruppe von Individuen derselben Art, die zur selben Zeit am selben Ort leben und sich miteinander fortpflanzen (können)“481. Der Begriff des günstigen Erhaltungszustands ist bereits in Art. 1 lit. i FFH-RL legal definiert.482 Unter schädlichen Auswirkungen werden erhebliche negative Auswirkungen verstanden. Eine Ausnahme kann demnach nur zugelassen werden, wenn sie im Ergebnis für den Erhaltungszustand der betroffenen Population der Art neutral oder positiv ausfällt. Eine andere Wertung ist allerdings bei drohenden Gesundheitskatastrophen für Menschen denkbar.483 Fraglich ist, ob eine Abweichung von den Verboten überhaupt möglich ist, wenn von vornherein kein günstiger Erhaltungszustand vorliegt. Von europäischer Seite wird eine solche Ausnahme unter engen Voraussetzungen für möglich erachtet: Die Generalanwältin am EuGH Kokott führte dazu aus, dass Ausnahmen trotz ungünstigen Erhaltungszustandes im Falle der Gefährdung höchster Güter wie des menschlichen Lebens oder menschlicher Gesundheit möglich sein müssen.484 Der EuGH verweist in seiner Entscheidung schließlich auf die Kommission, die Ausnahmen in der fraglichen Konstellation zwar auch nur unter engen Voraussetzungen gewähren will, dabei aber noch großzügiger als die Generalanwältin erscheint. Ausnahmen sollen dann zulässig sein, wenn sie keine schädlichen Auswirkungen auf die Erreichung eines günstigen Erhaltungszustands haben.485 Dem ähnelt die Stellungnahme des EuGH: „Bei dieser Sachlage sind solche Ausnahmen unter außergewöhnlichen Umständen weiterhin zulässig, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass sie den ungünstigen Erhaltungszustand dieser Populationen nicht verschlechtern oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands nicht behindern können.“486 Diese Auslegung überzeugt: Vor dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein Ausschluss von Ausnahmen mangels Erforderlichkeit nicht zu rechtfertigen, wenn sie auf den Erhaltungszustand – sei er auch (noch) nicht günstig – keinerlei negative Auswirkungen besitzen.

480

Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.3.a). Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.3. 482 Vgl. auch ausführlich Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 115 f. 483 Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.3.b). 484 GAin Kokott, Schlussanträge v. 30. 11. 2006, Rs. C-342/05, Slg. 2007, I-4713, Rn. 52 – Kommission/Republik Finnland. 485 Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.3.b). 486 EuGH, Urt. v. 14. 06. 2007 Rs. C-342/05, Slg. 2007, I-4713, Rn. 28 f. – Kommission/ Republik Finnland; insofern lässt das Gericht Ausnahmen von seinem bis dahin statuierten Grundsatz zu, vgl. noch EuGH, Urt. v. 10. 5. 2007, Rs. C-508/04, Slg. 2007, I-3787, Rn. 115. 481

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Die Ausnahme darf zudem nur zugelassen werden, wenn sie mitgliedstaatliche Maßnahmen zum Schutz der Arten und zur Erreichung oder zur Erhaltung eines günstigen Erhaltungszustandes nicht konterkariert.487 Die Europäische Kommission weist weiter darauf hin, dass bei Verletzungen des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL Ausgleichsmaßnahmen erforderlich sein können. Im Unterschied zu vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen (CEF-Maßnahmen), die bereits tatbestandsausschließend wirken, sollen diese zur Bewahrung des günstigen Erhaltungszustands als Voraussetzung für eine Ausnahmenerteilung beitragen. Konkret handelt es sich darum, neue Fortpflanzungs- oder Ruhestätten an anderer Stelle zu schaffen. Dem Wortlaut des Art. 16 FFH-RL nach sind solche Ausgleichsmaßnahmen nicht obligatorisch. Die Kompensation negativer Auswirkungen kann indes eine Ausnahme eher begründen. Erforderlich soll die Gewährleistung sein, dass die Art einen günstigen Erhaltungszustand erreichen wird und die Maßnahme wirksam wird, bevor die negative Wirkung eintritt. Ein Verweis auf Ausweichhabitate soll nicht ausreichen; vielmehr sei nachzuweisen, dass keine Verschlechterung eintritt.488 Ebenfalls werden von Art. 16 FFH-RL nicht ausdrücklich Überwachungsmaßnahmen verlangt. Dennoch sollte nach Ansicht der Kommission ein entsprechendes Monitoring noch nach Bewilligung der Ausnahme erfolgen.489 Tatsächlich kann ein solches Monitoring in vielen Fällen bereits aufgrund von Artt. 11, 14 FFH-RL erforderlich sein. c) Die Umsetzung der Ausnahmeregelung im deutschen Recht Ausnahmeregelungen sind im deutschen Artenschutzrecht in § 45 BNatSchG geregelt, wobei in § 45 Abs. 1 – 5 BNatSchG Tatbestände enthalten sind, die per Gesetz zu einer Ausnahme führen, und in Abs. 6 – 8 die Zulassung von Ausnahmen in bestimmten Fällen durch Behörden geregelt ist. Weitere Ausnahmen sind in § 2 BArtSchV vorgesehen. Darüber hinaus kennt das deutsche Naturschutzrecht die Möglichkeit der Befreiung (§ 67 BNatSchG), die unabhängig von den im deutschen Recht bestehenden dogmatischen Unterschieden zur Ausnahme ebenfalls dazu führen kann, dass die artenschutzrechtlichen Verbote keine Wirkung entfalten. Das Institut der Befreiung ist daher auch an den Vorgaben des Art. 16 FFH-RL zu messen. In europarechtskonformer Auslegung der Ausnahmevorschriften ist auf eine restriktive Auslegung zu achten, da diese auch auf europäischer Ebene praktiziert wird und eine weiter gehende nationale Auslegung einen Verstoß gegen diese Vorgaben bedeuten würde.490 487

Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.3.b). Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.3.b); Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (352); vgl. auch Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 81 f. 489 Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.4. 490 Meßerschmidt, BNatSchR, § 43 BNatSchG Rn. 3. 488

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

aa) Gesetzliche Ausnahmen (§ 45 Abs. 1 – 5 BNatSchG) § 45 Abs. 1 – 5 BNatSchG regelt überwiegend Ausnahmen von den naturschutzrechtlichen Besitz- und Vermarktungsverboten. Die Vorschriften entsprechen inhaltlich unverändert § 43 Abs. 1 – 3, 5, 6 BNatSchG 2002. Die ehemals in § 43 Abs. 4 BNatSchG 2002 bestehende Ausnahme für Handlungen im Rahmen der land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung und im Rahmen von zugelassenen Eingriffen ist aufgrund ihrer festgestellten Europarechtswidrigkeit bereits seit der Artenschutznovelle 2007 aufgegeben worden. In veränderter Form bestehen Ausnahmen jetzt in § 44 Abs. 4 und 5 BNatSchG, worauf an späterer Stelle noch eingegangen wird.491 Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG sind von den Besitzverboten Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten ausgenommen, wenn sie rechtmäßig in der Gemeinschaft gezüchtet und nicht herrenlos geworden sind, durch künstliche Vermehrung gewonnen oder aus der Natur entnommen worden sind (lit. a) oder aus Drittstaaten in die Gemeinschaft gelangt sind (lit. b). Nr. 2 regelt die Ausnahme für Tiere und Pflanzen der Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Abs. 4 BNatSchG aufgeführt und vor ihrer Aufnahme in die Rechtsverordnung rechtmäßig in der Gemeinschaft erworben worden sind, von den Besitzverboten. Relevant im Sinne des Artenschutzregimes der FFH-Richtlinie, namentlich des Besitzverbotes gemäß Art. 12 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 1 lit. b FFH-RL, ist lediglich die Alternative der rechtmäßigen Entnahme aus der Natur gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a, 3. Alt. BNatSchG. Der Begriff der Rechtmäßigkeit ist in § 7 Abs. 2 Nr. 19 BNatSchG legal definiert und bedeutet demgemäß „in Übereinstimmung mit den jeweils geltenden Rechtsvorschriften zum Schutz der betreffenden Art im jeweiligen Staat sowie mit Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des Artenschutzes und dem Übereinkommen vom 3. März 1973 über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (BGBl. 1975 II S. 773, 777) – Washingtoner Artenschutzübereinkommen – im Rahmen ihrer jeweiligen räumlichen und zeitlichen Geltung oder Anwendbarkeit“. Da die Entnahme aus der Natur unter die Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 BNatSchG bzw. Art. 12 Abs. 1 lit. a, Art. 13 Abs. 1 FFH-RL (teilweise unter die Tatbestandsvariante des Fangs) fällt, liegt eine rechtmäßige Entnahme der durch diese Vorschriften geschützten Arten regelmäßig nur vor, wenn sie bereits selbst auf Grund einer Ausnahme im Einklang mit den Vorgaben des Art. 16 FFH-RL erfolgt ist.492 Hinsichtlich der Entnahme ist die Europarechtskonformität der Vorschrift damit gewährleistet. Sie sieht aber weiterhin vor, dass ohne jegliche weitere Prüfung dann auch der Besitz gestattet ist, was den Tatbestand von Art. 12 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 2 FFH-RL erfüllt. Hinweise oder Einschränkungen in Bezug auf die Vorgaben 491

Vgl. D.IV.6.d)aa) und bb). Vgl. Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 45 Rn. 9; Kratsch, in: Schumacher/ Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 45 Rn. 8; Meßerschmidt, BNatSchR, § 43 BNatSchG Rn. 13. 492

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der FFH-Richtlinie sind diesbezüglich in § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG nicht vorgesehen. Dies ist nicht unproblematisch: Die Ausnahmevoraussetzungen des Art. 16 FFH-RL müssen grundsätzlich für jede Tatbestandserfüllung geprüft werden. Eine Lösung des Konflikts kann in europarechtskonformer Auslegung auf der Ebene der Konkurrenzen gefunden werden: Eine Entnahme geht mit dem späteren Besitz (des Entnehmenden oder eines Dritten) regelmäßig einher, sodass die Prüfung der Ausnahmevoraussetzungen bei der Entnahme die Ausnahmeprüfung des späteren Besitzes mit einschließt und lediglich die Ausnahme der Entnahme als speziellerer Tatbestand geprüft werden muss. Nichtsdestoweniger wäre eine Klarstellung im Gesetzeswortlaut vorzugswürdig, dass auch der Besitz nicht den Vorgaben des Art. 16 FFH-RL zuwiderlaufen darf. § 45 Abs. 2 BNatSchG erweitert die Ausnahme des Abs. 1 hinsichtlich der Besitzverbote auf die Vermarktungsverbote. Die durch die FFH-Richtlinie geschützten Arten sind aufgrund des Ausschlusses des § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BNatSchG allerdings nicht erfasst. Die Vorschrift besitzt daher in Bezug auf die Umsetzung der Richtlinie keine Wirkung. § 45 Abs. 3 BNatSchG wiederum erweitert die in Abs. 2 geregelte Ausnahme von den Vermarktungsverboten: Ausgenommen sind demnach auch Tiere und Pflanzen der streng geschützten Arten, die vor ihrer Unterschutzstellung als vom Aussterben bedrohte oder streng geschützte Arten rechtmäßig erworben worden sind (Nr. 1), Tiere europäischer Vogelarten, die vor dem 6. April 1981 rechtmäßig erworben worden oder in Anhang III Teil 1 der Richtlinie 79/409/EWG aufgeführt sind (Nr. 2), sowie Tiere und Pflanzen der Arten, die den Richtlinien 92/43/EWG und 79/409/ EWG unterliegen und die in einem Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit den Richtlinien zu den in § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG genannten Handlungen freigegeben worden sind (Nr. 3). Von Relevanz in Bezug auf die FFH-Richtlinie sind Nr. 1 und Nr. 3 der Vorschrift. Zu Nr. 1 ist festzustellen, dass vor Beginn der Anwendbarkeit der FFH-Richtlinie rechtmäßig entnommene Exemplare auch von deren Besitz- und Vermarktungsverboten gemäß Art. 12 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 1 lit. b FFH-RL ausgenommen sind. Dies dürfte nicht nur für die Geltung der Richtlinie allgemein, sondern auch hinsichtlich der nachträglichen Aufnahme von Arten in die Anhänge gelten. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der richtliniengemäßen Unterschutzstellung in Deutschland an. Soweit diese verspätet erfolgt, wie zunächst geschehen,493 ist in europarechtskonformer Auslegung der Zeitpunkt einer (fiktiven) korrekten Umsetzung maßgeblich.494 Der Tatbestand der Nr. 3 sieht als Voraussetzung die Übereinstimmung mit der Richtlinie vor, erfasst also inhaltlich keine Fälle, die einen Verstoß gegen die eu493 Vgl. schon Grewing, Artenschutz, S. 86 f.; Meßerschmidt, BNatSchR, § 43 BNatSchG Rn. 26. 494 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 45 Rn. 17.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

ropäischen Vorgaben bedeuten würden. Da es um die Freigabe eines anderen Mitgliedstaates und nicht eines beliebigen Drittstaates geht, darf auch davon ausgegangen werden, dass die Vorgaben eingehalten worden sind. Konkretere Regelungsvorgaben sind zur Umsetzung auch im Hinblick auf deren Bestimmtheitsanforderungen nicht erforderlich; für den Adressaten der Vorschrift sind die Vorgaben eindeutig und präzise erkennbar. Gemäß § 45 Abs. 4 BNatSchG ist es abweichend von den Besitz- und Vermarktungsverboten vorbehaltlich jagd- und fischereirechtlicher Vorschriften zulässig, tot aufgefundene Tiere und Pflanzen aus der Natur zu entnehmen und an die von der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde bestimmte Stelle abzugeben oder, soweit sie nicht zu den streng geschützten Arten gehören, für Zwecke der Forschung oder Lehre oder zur Präparation für diese Zwecke zu verwenden. Gemäß Art. 1 lit. m FFH-RL umfasst der Begriff des Exemplars eines Tiers oder einer Pflanze auch solche, die bereits tot sind. Da die Arten des Anhangs IV FFH-RL zu den streng geschützten Arten gehören, ist indes nur die erste Variante relevant. Die Beseitigung toter Tiere und Pflanzen kann dem Auftreten oder der Verbreitung von Seuchen entgegen wirken sowie – je nach Fundort des toten Tiers oder der toten Pflanze – auch der öffentlichen Sicherheit dienen, indem beispielsweise Wege frei gehalten werden. Die zuständige Stelle kann eine ordnungsgemäße Entsorgung in die Wege leiten. Die Vorschrift dient damit den legitimen Zwecken des Art. 16 Abs. 1 lit. a und c FFH-RL. Eine anderweitige zufriedenstellende Lösung ist nicht ersichtlich. Eine eigenständige Entsorgung des Finders würde möglicherweise nicht sachgerecht erfolgen und könnte dazu verleiten, die Tiere z. B. als „Trophäe“ zu behalten oder sogar noch lebende Exemplare zu töten, um sie dann als „tot aufgefunden“ auszugeben. Die gefundene Lösung ist daher die mit den geringsten Risiken verbundene. Da die Vorschrift sich lediglich auf bereits tot aufgefundene Tiere bezieht, ist eine Beeinträchtigung des Erhaltungszustandes durch diese Ausnahme ebenfalls nicht möglich. § 45 Abs. 5 BNatSchG regelt – anders als Abs. 1 – 4 – eine Ausnahme nicht nur von den Besitz-, sondern auch von den Zugriffsverboten. Abweichend von den Verboten des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG sowie den Besitzverboten ist es gemäß § 45 Abs. 5 BNatSchG vorbehaltlich jagdrechtlicher Vorschriften ferner zulässig, verletzte, hilflose oder kranke Tiere aufzunehmen, um sie gesund zu pflegen. Es besteht die Pflicht zur unverzüglichen Freilassung der Tiere bzw. zur Abgabe an die zuständige Stelle. Bei Tieren der streng geschützten Arten, mithin der in Anhang IV der FFH-RL aufgelisteten Arten, besteht außerdem eine Meldepflicht, die eine Befugnis der Behörde einschließt, die Herausgabe des Tieres zu verlangen. Es handelt sich bei den geregelten Fällen um solche, die tatbestandlich von Art. 12 Abs. 1 (Fang) und Abs. 2 (Besitz) FFH-RL erfasst werden. Es sind daher die Vorgaben des Art. 16 FFH-RL einzuhalten. Die Situation kann dem zulässigen Zweck des Art. 16 Abs. 1 lit. a FFH-RL zugeordnet werden: dem Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen. Fraglich ist indes, ob auch die Voraussetzung des Fehlens einer anderweitigen zufriedenstellenden Lösung erfüllt ist. Als Alternative kommt eine

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bloße Meldepflicht ohne die Befugnis zu Entnahme und Besitz in Betracht, sodass die zuständigen Stellen sachkundig über das weitere Vorgehen entscheiden können. Diese Alternative kann hingegen nicht die erforderliche Hilfe versprechen, wenn es um besonders eilbedürftige Fälle größerer Verletzungen geht, die ein sofortiges Eingreifen zur Rettung der Tiere erfordern. Die Alternative verspricht auch kaum ein sinnvolleres Vorgehen aufgrund besserer Sachkunde der entscheidenden Stellen, da diese auch bei der geregelten Ausnahme im Falle von Exemplaren der durch die FFHRichtlinie geschützten Arten zu benachrichtigen sind und über das weitere Vorgehen einschließlich der Herausgabe des Tieres entscheiden können. Es ist somit zur Rettung der Tiere keine Alternative denkbar, die die artenschutzrechtlichen Verbote weniger berührt. Das Erfordernis der Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustandes steht bei sachgerechter Pflege kranker Tiere der Ausnahmeregelung erst recht nicht entgegen. Vielmehr kommt die Ausnahme der Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der Art zugute. Schließlich ist hinsichtlich der Ausnahmen von den Besitzverboten die Nachweispflicht des § 46 BNatSchG zu beachten. Die Vorschrift trägt zur vollständigen Umsetzung der europäischen Vorgaben bei, indem Verstöße durch die Behörden leichter aufzudecken und die Regelungsvorgaben damit effektiver durchsetzbar sind. bb) Zulassung von Ausnahmen durch Behörden (§ 45 Abs. 6 – 8 BNatSchG) Behörden ist die Zulassung von Ausnahmen unter bestimmten Voraussetzungen durch § 45 Abs. 6 – 8 BNatSchG gestattet. Von besonderer Relevanz ist § 45 Abs. 7 BNatSchG, der im Wesentlichen das deutsche Pendant zur europäischen Vorschrift des Art. 16 FFH-RL darstellt. (1) § 45 Abs. 7 BNatSchG als weitgehend wörtliche Übernahme des Art. 16 FFH-RL Nach § 45 Abs. 7 BNatSchG dürfen die zuständigen Behörden Ausnahmen von den Verboten des § 44 Abs. 1 BNatSchG in Anlehnung an Art. 16 FFH-RL zulassen, wenn einer der fünf aufgezählten Zwecke mit der zu genehmigenden Maßnahme verfolgt wird, zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und der Erhaltungszustand einer Art sich nicht verschlechtert; weiter gehende Anforderungen des Art. 16 FFHRL sind zu beachten. (a) Legitime Ausnahmezwecke Die legitimen Zwecke sind abschließend aufgelistet. Um die Vereinbarkeit mit der FFH-Richtlinie zu gewährleisten, dürfen sie nicht über die dort zulässigen Ausnahmezwecke hinausgehen. Gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG ist der erste zulässige Zweck einer Ausnahme die Abwendung erheblicher land-, forst-, fischerei-, wasser- oder sonstiger wirtschaftlicher Schäden. Im Zuge der Arten-

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schutznovelle wurde die Beschränkung auf gemeinwirtschaftliche Schäden aufgegeben; es wurden auch erhebliche privatwirtschaftliche Interessen erfasst. Der Zweck stimmt mit Art. 16 Abs. 1 lit. b FFH-RL überein.495 Unterschiede finden sich lediglich in der sprachlichen Formulierung. Da das europäische Recht ebenfalls nicht nur Gemeineigentum, sondern auch Privateigentum einbezieht, ist die Ausweitung der deutschen Regelung europarechtskonform. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG lässt Ausnahmen zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt zu. Der Tatbestand ist von Art. 16 Abs. 1 lit. a FFH-RL erfasst und daher ebenfalls europarechtskonform. Tatsächlich könnte der deutsche Gesetzgeber den Ausnahmetatbestand auch noch auf die Erhaltung der natürlichen Lebensräume ausweiten. Weiterhin sind Ausnahmen gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BNatSchG zulässig für Zwecke der Forschung, Lehre, Bildung oder Wiederansiedlung oder diesen Zwecken dienende Maßnahmen der Aufzucht oder künstlichen Vermehrung. Die Regelung entspricht Art. 16 Abs. 1 lit. d FFH-RL und ist daher nicht europarechtswidrig. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 BNatSchG setzen den Tatbestand des Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL um:496 Gemäß Nr. 4 sind Ausnahmen im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt zulässig; Nr. 5 enthält einen Auffangtatbestand für Ausnahmen aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art. Die Gesundheit des Menschen, die öffentliche Sicherheit und die günstigen Auswirkungen auf die Umwelt gemäß Nr. 4 sind auch europarechtlich nach Art. 16 Abs. 1 lit. c zulässige Ausnahmezwecke. Um Vollzugsdefizite zu vermeiden, sind sie wie im europäischen Recht restriktiv auszulegen. Die im deutschen Recht zusätzlich aufgezählten Zwecke der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung als Beispiele der öffentlichen Sicherheit dürften diesem Begriff indes auch europarechtlich zuzuordnen sein, sodass hierin kein Umsetzungsfehler zu erblicken ist. Besonders relevant ist in der Praxis der Ausnahmetatbestand der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art gemäß Nr. 5. Die Formulierung ist gleichermaßen in Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL zu finden und sollte entsprechend ausgelegt werden.497 Beide Ausnahmevorschriften (Nr. 4 und Nr. 5) werden zudem in Anlehnung an § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG, den entsprechenden Ausnahmen im Habitatschutzrecht gemäß Art. 6 Abs. 4 FFH-RL, in495

Vgl. Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 45 Rn. 21. Vgl. Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 45 Rn. 27 ff.; 30 ff. 497 Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Formulierung der Vogelschutz-RL enger gefasst ist, sodass sich Probleme der Europarechtskonformität hinsichtlich des Ausnahmezwecks in Bezug auf diese Richtlinie ergeben können, vgl. Bauer, Durchsetzung des europäischen Umweltrechts, S. 301 f. 496

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terpretiert.498 Da die Vorschriftenkomplexe (zum Artenschutz und zum Habitatschutz) derselben Richtlinie entstammen, liegt darin keine Systemwidrigkeit – auch im europäischen Recht werden dieselben Begriffe verwendet, was auch auf jener Ebene zu einem Rückgriff auf die Auslegung der habitatschutzrechtlichen Vorschriften bei der Auslegung des Artenschutzrechts führt. Nichtsdestoweniger bleiben Anhaltspunkte zur Auslegung der Phrase der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses und der in ihr enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe rar. Der Wortlaut impliziert drei Prüfungsschritte:499 Es muss sich erstens überhaupt um öffentliche Interessen handeln. Rein private Interessen sind von der Vorschrift nicht erfasst – zu beachten ist aber, dass private Vorhaben auch öffentlichen Zwecken dienen können und damit eine Ausnahme gerechtfertigt sein kann.500 Im Übrigen ist der Begriff des öffentlichen Interesses erst einmal weit gefasst.501 Zweitens müssen die festgestellten öffentlichen Interessen gegenüber dem Interesse am Schutz des Artenbestandes überwiegen. Die Frage erfordert eine Abwägung im konkreten Einzelfall.502 Das Gewicht des Artenschutzinteresses hängt dabei maßgeblich vom Ausmaß der Beeinträchtigung ab.503 Die Gewichtung des öffentlichen Interesses wiederum muss vergleichbar mit den genannten anderen Gründen des öffentlichen Interesses (Gesundheit des Menschen, öffentliche Sicherheit) sein, um der Konzeption des Artenschutzes und dem Stellenwert des Ausnahmezweckes sowohl nach deutschen wie auch nach europäischen Maßstäben Rechnung zu tragen.504 Der Behörde kommt im Rahmen dieser Abwägung ein nur eingeschränkt gerichtlich kontrollierbarer Beurteilungsspielraum zu.505 Der dritte Prüfungsschritt bezieht sich darauf, dass die Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses zwingend sein müssen. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts bedeutet das allerdings nicht, dass unausweichliche Sachzwänge vorliegen müssen. Vielmehr hat das Gericht entschieden, dass ausreichend, aber auch erforderlich ein durch Vernunft und Verantwortungsbewusstsein geleitetes staatliches Handeln ist.506 Der Europäische Gerichtshof hat sich zur Auslegung der „zwingenden Gründe des überwiegenden In-

498

BVerwGE 130, 299 (370). Hösch, UPR 2010, 7 (7). 500 Gellermann, Natura 2000, S. 91 f.; Hösch, UPR 2010, 7 (9), LANA-Hinweise 2009, S. 15 f. 501 Vgl. ausführlich zu möglichen Gründen des öffentlichen Interesses Hösch, UPR 2010, 7 (8 f.). 502 BVerwGE 130, 299 (347); Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, 63 (76); FischerHüftle, ZUR 1999, 66 (70); Gellermann, Natura 2000, S. 92; Schink, GewArch 1998, 41 (51); vgl. auch Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 220. 503 Vgl. BVerwGE 130, 299 (347); 134, 166 (179). 504 Vgl. BVerwGE 134, 166 (171 ff.). 505 Hösch, UPR 2010, 7 (11); zu bestehenden Beurteilungsspielräumen in den artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen, deren Überprüfbarkeit und der Europarechtskonformität vgl. D.IV.2.g)bb)(3). 506 BVerwGE 110, 302 (314 f.); 130, 299 (347); Hösch, UPR 2010, 7 (11). 499

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teresses“ soweit ersichtlich bislang noch nicht geäußert. Ob die deutsche Auslegung zukünftig Bestand haben kann, bleibt abzuwarten. (b) Keine zumutbaren Alternativen Um die Konformität mit Art. 16 Abs. 1 FFH-RL zu gewährleisten, enthält § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG auch die beiden anderen Voraussetzungen der europäischen Ausnahmevorschrift, das Nichtvorhandensein zumutbarer Alternativen und die Bewahrung des Erhaltungszustands einer Art. Das Nichtvorhandensein zumutbarer Alternativen bedeutet, dass das Ziel eines mit der gewünschten Ausnahme realisierbaren Vorhabens nicht an einem anderen Ort oder mit weniger einschneidenden Mitteln erreichbar sein darf. Die Alternativenprüfung lässt sich in drei Prüfungsschritten vollziehen: Die Suche nach Alternativen, die das Planungsziel ebenfalls erreichen, die Prüfung einer geringeren Beeinträchtigung der geschützten Arten und schließlich die Zumutbarkeit der noch verbleibenden Alternativen.507 Der Gesetzeswortlaut weicht von der europäischen Vorgabe hinsichtlich des Kriteriums der Zumutbarkeit ab: Art. 16 Abs. 1 FFH-RL spricht von anderweitigen „zufriedenstellenden“ Lösungen, woraus sich nicht eindeutig ableiten lässt, ob sich der Begriff nur auf das Ergebnis, mithin die (möglicherweise auch nicht ganz so erfolgreiche) Verwirklichung des verfolgten Ausnahmezwecks bezieht oder auch die Zumutbarkeit mit einschließt. Die Aufnahme des Zumutbarkeit-Kriteriums lässt sich aber auf jeden Fall durch den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der die Auslegung der europäischen Vorgaben mit bestimmt und bei deren Umsetzung zu beachten ist, rechtfertigen.508 Der Gesetzeswortlaut ist folglich europarechtskonform. Umsetzungsfehler könnten sich allenfalls noch im Rahmen eines zu großzügigen Vollzugs durch die Behörden ergeben. Wie bei der Auslegung der Ausnahmezwecke der Nr. 4 und 5 können für die artenschutzrechtliche Alternativenprüfung die vergleichbaren Grundsätze der habitatschutzrechtlichen Alternativenprüfung herangezogen werden.509 Dazu ist vom EuGH entschieden worden, dass das Fehlen einer Alternative nachgewiesen werden muss.510 Zumutbar ist eine Alternative auch dann noch, wenn gegebenenfalls Abstriche bei der Zielverwirklichung gemacht werden müssen.511 Diese restriktive Auslegung ist auf das Artenschutzrecht zu übertragen. Eine zumutbare Alternative 507

Vgl. Hösch, UPR 2010, 7 (13). Vgl. Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 45 Rn. 38. Bauer rechtfertigt die Aufnahme des Kriteriums der Zumutbarkeit sogar nur mithilfe des mitgliedstaatlichen Umsetzungsspielraums, vgl. Bauer, Durchsetzung des europäischen Umweltrechts, S. 299 Fn. 1303. 509 BVerwGE 130, 299 (371); BVerwG, NVwZ 2009, 910 (917); VGH Kassel, Urt. v. 11. 8. 2009, 11 C 318.08.T, juris, Rn. 692. 510 EuGH, Urt. v. 26. 10. 2006, Rs. C-239/04, Slg. 2006, I-10183, Rn. 36 – Kommission/ Portugiesische Republik. 511 Vgl. EuGH, Urt. v. 26. 10. 2006, Rs. C-239/04, Slg. 2006, I-10183, Rn. 38 f. – Kommission/Portugiesische Republik. 508

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wird vom Bundesverwaltungsgericht indes nicht in der „Nullvariante“ gesehen, also in dem Verzicht auf das Vorhaben. Da die Alternativenprüfung erst begonnen wird, wenn zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses für ein Vorhaben sprechen, stellt die Nullalternative keine Option mehr dar.512 Sie würde bereits daran scheitern, dass der mit der Ausnahme verfolgte Zweck nicht erreicht wird – es handelt sich dabei nicht mehr nur um Abstriche, die beim Ausnahmeziel gemacht werden. Da auf europäischer Ebene die Alternativenprüfung ebenfalls an dem zu erreichenden Ziel bzw. der zu regelnden problematischen Situation ausgerichtet wird,513 widerspricht diese Auslegung dem Europarecht nicht. Der Behörde wird bei der Alternativenprüfung kein echter, gerichtlich nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum zuerkannt.514 Dadurch werden Umsetzungsfehler im Rahmen von Vollzugsdefiziten vermieden. (c) Bewahrung des Erhaltungszustands der Populationen einer Art Hinsichtlich des Erfordernisses der Bewahrung des Erhaltungszustands einer Art kann nicht auf die Grundsätze des Gebietsschutzes verwiesen werden; die dort geregelten Ausnahmen kennen diese Voraussetzung nicht. Der Wortlaut der Voraussetzung im deutschen und europäischen Recht weist Unterschiede auf. Während Art. 16 FFH-RL fordert, dass die Populationen der betroffenen Art ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, verlangt § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG lediglich, dass sich der Erhaltungszustand nicht verschlechtert. Dem Wortlaut nach sind daher solche Situationen von der europäischen Ausnahmeregelung nicht erfasst, bei denen von vornherein kein günstiger Erhaltungszustand der betroffenen Art zu verzeichnen ist, während im deutschen Recht eine Ausnahme auch in solchen Situationen in Betracht käme, solange sich der ungünstige Erhaltungszustand nicht noch weiter verschlechtert. Entsprechende Formulierungen enthielten auch die Vorgängervorschriften des § 45 Abs. 7 BNatSchG (§ 43 Abs. 8 BNatSchG a.F.). Wie bereits dargelegt, wird allerdings auch auf europäischer Ebene die Möglichkeit einer Ausnahme trotz ungünstigen Erhaltungszustandes unter engen Voraussetzungen zugelassen.515 Während die Generalanwältin am EuGH Kokott dazu auf Fälle der Gefährdung höchster Güter wie des menschlichen Lebens oder menschlicher Gesundheit verwies,516 setzte der EuGH lediglich voraus, dass hin512 BVerwGE 128, 1 (66); Cosack, UPR 2002, 250 (253 f.); Hösch, NuR 2004, 210 (215); Jarass, NuR 2007, 371 (378); Meßerschmidt, BNatSchR, § 34 BNatSchG Rn. 178. 513 Vgl. Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.2. 514 BVerwGE 116, 254 (262); BVerwG, Buchholz 451.91 Europ. UmweltR, Nr. 33 Rn. 40; Kautz, NuR 2007, 234 (240); Pauli, BauR 2008, 759 (768); Stüer/Bähr, DVBl 2006, 1155 (1162). 515 Vgl. oben D.IV.6.c)bb)(1)(c). 516 GAin Kokott, Schlussanträge v. 30. 11. 2006, Rs. C-342/05, Slg. 2007, I-4713, Rn. 52 – Kommission/Republik Finnland.

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reichend nachgewiesen ist, dass die unter außergewöhnlichen Umständen zulässige Ausnahme den ungünstigen Erhaltungszustand dieser Populationen nicht verschlechtern oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands nicht behindern kann, und ging auf den Ausnahmezweck nicht explizit ein.517 Dementsprechend hat auch das Bundesverwaltungsgericht Ausnahmen in der fraglichen Konstellation nicht nur bei unmittelbarer Gefährdung höchster Güter wie der menschlichen Gesundheit für möglich erachtet.518 Die Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts orientiert sich explizit an den Maßstäben des EuGH und steht einer Europarechtskonformität daher nicht entgegen.519 Fraglich ist aber, ob auch die gesetzliche Regelung den europäischen Maßstäben genügen kann. Zwar ist Voraussetzung der Regelung, dass der ungünstige Erhaltungszustand der betroffenen Populationen sich nicht weiter verschlechtert; es wird aber weder auf die Einschränkung der außergewöhnlichen Umstände hingewiesen noch gewährleistet, dass die zugelassene Ausnahme darüber hinaus auch die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands nicht behindern kann. Bezüglich der „außergewöhnlichen Umstände“ ist festzustellen, dass lediglich die deutsche Übersetzung der Entscheidung dahingehend ausgelegt werden kann, dass hierin eine zusätzliche Voraussetzung liegt. In der Originalentscheidung des EuGH sowie in anderen Übersetzungen kommt lediglich zum Ausdruck, dass „ausnahmsweise“ eine Ausnahme gewährt werden darf, wenn nachgewiesen ist, dass sie weder den ungünstigen Erhaltungszustand weiter verschlechtert noch die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands behindert.520 Es liegt daher keine Europarechtswidrigkeit darin, dass die deutsche Regelung im Falle eines ungünstigen Erhaltungszustands nicht auf „außergewöhnliche Umstände“ beschränkt ist. Klarer zum Ausdruck müsste allerdings kommen, dass eine Ausnahmeerteilung in dieser Konstellation innerhalb des Ausnahmeregimes nicht grundsätzlich („ausnahmsweise“) erteilt werden kann. Auch was die Nichtbehinderung einer Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustands angeht, sind Lücken gegenüber der europäischen Rechtslage in ihrer Auslegung durch den EuGH zu verzeichnen. Die Europarechtskonformität wird aber durch den Verweis auf weiter gehende Anforderungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL wieder hergestellt. In europarechtskonformer Auslegung sind die durch den EuGH vorgegebenen Maßstäbe zu beachten.521 517 EuGH, Urt. v. 14. 06. 2007 Rs. C-342/05, Slg. 2007, I-4713, Rn. 28 f. – Kommission/ Republik Finnland; insofern lässt das Gericht Ausnahmen von seinem bis dahin statuierten Grundsatz zu, vgl. noch EuGH, Urt. v. 10. 5. 2007, Rs. C-508/04, Slg. 2007, I-3787, Rn. 115. 518 BVerwG, NVwZ 2009, 910 (916); so auch Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 599; frühere großzügigere Stimmen dürften angesichts der deutschen und europäischen Rechtsprechung nicht mehr auf Gehör rechnen, vgl. noch Müller, NuR 2005, 157 (161). 519 Kritisch zur Argumentation des BVerwG Steeck, NuR 2010, 4 (6 ff.). 520 Vgl. die Nachweise bei Lütkes, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 45 Rn. 60 f. 521 Vgl. de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 42; s. auch Lau, in: Frenz/ Müggenborg, BNatSchG, § 45 Rn. 26.

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Zur Sicherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der betroffenen Populationen können Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden. Diese sind zu unterscheiden von den vorgezogenen Ausgleichs- und Vermeidungsmaßnahmen, die bereits den Verbotstatbestand ausschließen. Wie bereits dargelegt, sieht die Europäische Kommission insbesondere bei Verletzungen des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL die Möglichkeit, dass Ausgleichsmaßnahmen erforderlich sein können.522 Zwar sind solche Ausgleichsmaßnahmen dem Wortlaut des Art. 16 FFH-RL zufolge nicht obligatorisch, können aber durch die geschaffene Kompensation etwaiger negativer Auswirkungen eine Ausnahme eher begründen. Entsprechend den Ausführungen der Kommission wird auch seitens deutscher Literaturstimmen für die Möglichkeit einer Ausnahme aufgrund von Ausgleichsmaßnahmen verlangt, dass die Maßnahme hohe Erfolgsaussichten aufweist und wirksam wird, bevor die negative Wirkung eintritt. Ein Verweis auf Ausweichhabitate soll nicht ausreichen; vielmehr ist nachzuweisen, dass keine Verschlechterung eintritt.523 Im Rahmen der Standortauswahl von artenschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen wird der Behörde ein Beurteilungsspielraum zuerkannt.524 Solange durch die genannten Kriterien die vollständige Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL sichergestellt ist, widerspricht die Möglichkeit, wegen vorgesehener Ausgleichsmaßnahmen eine Ausnahmegenehmigung erteilt zu bekommen, den europäischen Vorgaben nicht. (d) Weiter gehende Anforderungen nach Art. 16 FFH-RL Um eine Europarechtswidrigkeit endgültig zu vermeiden, wird in § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG auf eventuell weiter gehende Forderungen des Europarechts verwiesen. Die Erforderlichkeit dieser Regelung wird teilweise bezweifelt.525 Mit Blick auf die nach dem Maßstab des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL unzureichende Formulierung hinsichtlich der Erhaltung eines günstigen Erhaltungszustands ist die Klausel indes im Rahmen der derzeitigen Fassung notwendig.526 Bloße Verweise auf die europäischen Vorgaben können allerdings wegen mangelnder Normenklarheit und Bestimmtheit auch Umsetzungsdefizite enthalten. In der deutschen Regelung fungiert der Verweis lediglich als Korrektiv im behördlichen Verfahren zur Erteilung einer Ausnahme. In diesem Rahmen und angesichts des ansonsten geschaffenen detaillierten Regelungswerks bleibt die Vorschrift einschließlich des Verweises in

522

Dazu s. D.IV.2.d)cc). Europäische Kommission, Leitfaden, sub III.2.3.b); Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (352); vgl. auch Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 81 f. 524 BVerwGE 130, 299 (371); BVerwG, Buchholz 451.91 Europ. UmweltR, Nr. 33 Rn. 45; BVerwG, ZUR 2011, 146 (147 f.); vgl. zur Überprüfung behördlicher Beurteilungsspielräume im Artenschutzrecht D.IV.2.g)bb)(3). 525 Gassner, NuR 2009, 325 (326); Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 599; Pauli, BauR 2008, 758 (769); Lütkes, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 45 Rn. 62. 526 Vgl. auch Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 45 Rn. 26. 523

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den Grenzen des mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraums.527 Noch klarer wäre es, wenn die Formulierung sich an die europäische Vorgabe des „günstigen Erhaltungszustands“ anlehnte. Die Vorschrift des § 45 Abs. 7 BNatSchG ist hinsichtlich der Vorgaben der FFH-Richtlinie aber insgesamt europarechtskonform.528 Um Vollzugsdefizite zu vermeiden, ist im Rahmen der Auslegung eine Orientierung an den Maßstäben des Art. 16 FFH-RL erforderlich. (2) § 45 Abs. 6 und Abs. 8 BNatSchG: Verwertung beschlagnahmter oder eingezogener Tiere und Verbringung aus dem Ausland § 45 Abs. 6 BNatSchG gestattet den nach Landesrecht zuständigen Behörden, Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten zuzulassen, soweit dies zur Verwertung beschlagnahmter oder eingezogener Tiere und Pflanzen erforderlich ist und Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft dem nicht entgegenstehen. Durch den Verweis auf nicht entgegenstehende Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft wird die Konformität mit der FFH-Richtlinie einschließlich der Vorgaben des Art. 16 FFH-RL sichergestellt. Eine explizitere Nennung mag mehr Klarstellung bringen, ist aber gemessen an den Anforderungen zur Umsetzung von Richtlinien nicht erforderlich: Die Behörden sind an die Einhaltung der europäischen Voraussetzungen gesetzlich gebunden, wobei von ihnen eine entsprechende Kenntnis der europäischen Rechtsvorgaben in ihrem Zuständigkeitsbereich erwartet werden kann. § 45 Abs. 8 BNatSchG enthält schließlich einen letzten Ausnahmetatbestand: Danach kann das Bundesamt für Naturschutz im Fall des Verbringens aus dem Ausland von den Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverboten des § 44 BNatSchG im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen, um unter kontrollierten Bedingungen und in beschränktem Ausmaß eine vernünftige Nutzung von Tieren und Pflanzen bestimmter Arten im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 13 lit. b BNatSchG sowie für gezüchtete und künstlich vermehrte Tiere oder Pflanzen dieser Arten zu ermöglichen. Voraussetzung ist die Beachtung der Erfordernisse von § 45 Abs. 7 Satz 2 und 3 BNatSchG, d. h. der Bewahrung des günstigen Erhaltungszustands, des Fehlens zumutbarer Alternativen, weiter gehender Anforderungen nach Art. 16 FFH-RL und der Berichtspflichten nach § 16 Abs. 3 FFH-RL (sowie § 9 Abs. 2 Vogelschutz-RL). Die Vorschrift setzt die Ausnahmemöglichkeit des Art. 16 Abs. 1 lit. e FFH-RL um. Durch den Verweis auf die Erfordernisse des § 45 Abs. 7 Satz 2 und 3 BNatSchG

527 BVerwG, NVwZ 2009, 910 (915); Bauer, Durchsetzung des europäischen Umweltrechts, S. 299 f.; zu derselben Thematik im Rahmen der Befreiungsregelung a.F. BVerwGE 125, 116 (316 ff.); 126, 166 (177). 528 Meßerschmidt, BNatSchR, § 43 BNatSchG Rn. 74; vgl. auch Gellermann, NuR 2007, 783 (789); anders kann dies allerdings hinsichtlich der Vorgaben der Vogelschutz-RL zu beurteilen sein, vgl. Bauer, Durchsetzung des europäischen Umweltrechts, S. 301 f.; zur Verordnungsermächtigung der Landesregierungen s. im Folgenden D.IV.6.c)dd).

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wird sichergestellt, dass die Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL eingehalten werden. (3) Behördliche Anwendung und Ermessensausübung Die Umsetzung des Art. 16 FFH-RL fordert auch im Rahmen der behördlichen Anwendung der Ausnahmevorschriften einschließlich der Ermessensausübung, gewisse Grundsätze einzuhalten. Neben den Zielen der FFH-Richtlinie sowie allgemeinen Grundsätzen wie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist auch Art. 16 Abs. 3 FFH-RL zu beachten. Die inhaltlichen Vorgaben der Berichtspflichten sind Ausdruck der Bedeutung, die den anzugebenden Punkten im Rahmen des Ausnahmesystems der Richtlinie zukommt, und sollten daher auch im behördlichen Entscheidungsprozess berücksichtigt werden.529 Schließlich sind im Hinblick auf die europarechtliche Bedeutung auch formelle Vorgaben bei der Erteilung einer Ausnahme zu beachten, wie z. B. eine hinreichende Begründung,530 die die Einhaltung der europäischen Vorgaben wie der Neutralität eines Eingriffs für die betroffenen Populationen in einer Zulassungsentscheidung darlegt.531 Zu den relevanten formellen Vorgaben gehören auch die gemäß § 45 Abs. 7 Satz 3 BNatSchG i.V.m. Art. 16 Abs. 3 FFH-RL zu beachtenden Berichtspflichten. cc) Ausnahmetatbestände gemäß der BArtSchV Weitere Ausnahmetatbestände zu den Verboten des § 44 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG sind in § 2 Abs. 1 BArtSchV für bestimmte Pilzarten verankert. Diese sind nicht in den Anhängen der FFH-RL aufgelistet, sie betreffende Maßnahmen stellen daher kein Hindernis in Bezug auf deren Umsetzung dar. Eine weitere Ausnahmemöglichkeit, namentlich durch Zulassung der zuständigen Behörden, sieht § 2 Abs. 2 BArtSchV von § 44 Abs. 1 Nr. 1 und 3 sowie Abs. 2 BNatSchG vor. Indes gilt dies, soweit die FFH-RL betroffen ist, lediglich, soweit Art. 14 und Art. 16 FFH-RL nicht entgegenstehen. Insofern liegt kein Umsetzungsdefizit vor. Schließlich enthält § 2 Abs. 3 BArtSchV Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten des § 44 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG auch für domestizierte Formen von Arten im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 13 lit. b BNatSchG (Nr. 1), gezüchtete beziehungsweise künstlich vermehrte Exemplare der in Anlage 2 aufgeführten Arten (Nr. 2) sowie Edelkrebse (Astacus astacus), die rechtmäßig und zum Zweck der Hege dem Gewässer entnommen werden (Nr. 3). Während Ausnahmeobjekt der Nr. 1 und Nr. 2 Exemplare sind, die nicht aus der Natur entnommen wurden, daher nicht durch 529

Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 82. Storost, DVBl 2010, 737 (743). 531 Anderenfalls droht ein Verstoß gegen Art. 16 FFH-RL, vgl. EuGH, Urt. v. 14. 06. 2007 Rs. C-342/05, Slg. 2007, I-4713, Rn. 31 – Kommission/Republik Finnland. 530

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das Artenschutzregime der FFH-Richtlinie erfasst sind und keine Relevanz hinsichtlich der Umsetzung der FFH-Richtlinie besitzen, sind Edelkrebse in Anhang V lit. a FFH-RL aufgeführt. Damit sind sie allerdings nicht Schutzgegenstand der Besitz- und Vermarktungsverbote gemäß Art. 12 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1 lit. b FFHRL, sondern unterliegen lediglich den Schutzvorschriften nach Artt. 14, 15 FFH-RL. Durch die Ausnahme des § 2 Abs. 3 Nr. 3 BArtSchV wird nicht gegen Art. 14 FFHRL verstoßen, da in Bezug auf einzelne Arten keine konkreten Maßnahmen gefordert oder Verbote statuiert werden, sondern den Mitgliedstaaten ein äußerst weit gehender Gestaltungsspielraum zur Regelung von Maßnahmen auch hinsichtlich der Frage, ob solche überhaupt durchgeführt werden, belassen wird. Auch gegen Art. 15 FFH-RL wird nicht verstoßen, da dieser keine Besitz- und Vermarktungsverbote, sondern lediglich Verbote gewisser Fang- und Transportmethoden vorsieht, wozu § 2 Abs. 3 BArtSchV keine Abweichung vorsieht. Durch die zusätzlichen Ausnahmeregelungen der BArtSchV sind daher Defizite der Umsetzung europäischen Rechts nicht gegeben. dd) Ausnahmen aufgrund landesrechtlicher Verordnungen Gemäß § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG können Landesregierungen Ausnahmen auch allgemein durch Rechtsverordnung zulassen; gemäß Satz 5 können sie diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Landesbehörden übertragen. Die Ermächtigung sieht keine ausdrückliche Bindung an die Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL bzw. die entsprechenden Regelungen in § 45 Abs. 7 BNatSchG vor und ist daher europarechtlich nicht unproblematisch.532 Indes ist die Verteilung der Zuständigkeiten eine nationale Angelegenheit; die Landesregierungen als Gesetz- bzw. Verordnungsgeber sind unabhängig von den Vorgaben der Ermächtigung zur Einhaltung und Umsetzung europarechtlicher Vorgaben innerhalb ihrer Kompetenzwahrnehmung verpflichtet. Von der Ermächtigung haben einige Länder insbesondere hinsichtlich der Zulassung von Ausnahmen bezüglich bestimmter Vogelarten Gebrauch gemacht. Die Rechtslage ist aufgrund der verschiedenen landesrechtlichen Verordnungen und deren Geltungszeitraum unübersichtlich. Derzeit in Kraft und von Relevanz hinsichtlich der FFH-RL erscheint lediglich die bayerische Ausnahmeverordnung (BayAAV)533 : § 2 BayAAV sieht eine Ausnahmeregelung für das Nachstellen, Fangen und Töten von Bibern (Castor fiber) vor, die in Anhang IV lit. a FFH-RL aufgeführt sind. Im Hinblick auf die Europarechtskonformität der Regelung ist festzustellen, dass die in § 2 Abs. 1 BayAAV geregelten Ausnahmezwecke solchen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL (Abwendung erheblicher wirtschaftlicher Schäden; Gründe der öffentlichen Sicherheit) entsprechen. Für bestimmte Bereiche ist weiterhin entsprechend Art. 16 Abs. 1 FFH-RL vorausgesetzt, dass es keine ander532

Für eine Europarechtswidrigkeit daher Gellermann, NuR 2007, 783 (789); kritisch auch Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 45 Rn. 53. 533 Zweite Verordnung über die Zulassung von Ausnahmen von den Schutzvorschriften für besonders geschützte Tiere vom 27. Juli 2004, GVBl S. 350.

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weitige zufriedenstellende Lösung gibt und die Populationen des Bibers in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen (§ 2 Abs. 3 Satz 2 BayAAV). Für den Hauptanwendungsbereich der Ausnahme (Abs. 2) sind diese Voraussetzungen indes nicht geregelt, sodass darin ein Umsetzungsdefizit liegt. ee) Die Möglichkeit der Befreiung in den Kategorien des Europarechts Das Institut der Befreiung ist europarechtlich nicht vorgesehen, im deutschen Recht aber zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes notwendig, indem Verstöße durch überschießende legislatorische Tendenzen auf administratorischer Ebene ausgeräumt werden.534 Die Befreiungsmöglichkeit steht nur für ungewöhnliche Situationen zur Verfügung, die im System von Verbot und Ausnahmeregelung nicht bedacht wurden. Nicht erfasst von der Befreiungsmöglichkeit sind demgegenüber solche Fälle, die dem Normzweck entsprechen, da das System von Verboten und Ausnahmemöglichkeiten nicht konterkariert werden darf.535 Je detaillierter bereits Voraussetzungen für Ausnahmeregelungen geregelt sind, desto weniger ist eine Befreiung wegen anderer berührter Interessen möglich.536 So ist beispielsweise neben § 45 Abs. 7 BNatSchG keine Befreiung aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls zulässig.537 Unter dem Blickwinkel der Europarechtskonformität ist das Rechtsinstitut der Befreiung hingegen gleichermaßen wie die deutschen Ausnahmevorschriften an den europäischen Vorgaben hinsichtlich Ausnahmemöglichkeiten für artenschutzrechtliche Verbote nach Art. 16 FFH-RL zu messen. Die Befreiungsregelung hat im Laufe der Jahre mehrere Änderungen erfahren.538 Hinsichtlich der Umsetzung der Vorgaben der FFH-Richtlinie ist insbesondere festzustellen, dass in der Regelung des § 67 BNatSchG anders als noch in § 62 Abs. 1 BNatSchG 2002 nicht mehr auf die europäischen Vorgaben verwiesen wird. Gemäß § 67 Abs. 1 BNatSchG kann auf Antrag im Fall eines überwiegenden öffentlichen Interesses oder im Fall einer unzumutbaren Belastung Befreiung gewährt werden. Die Regelung gilt ausweislich Satz 2 im Rahmen des Artenschutzes nur für bestimmte Verbote und Gebote des allgemeinen Artenschutzes (§§ 39, 40, 42, 43 BNatSchG). § 67 Abs. 1 BNatSchG ist damit nicht von Relevanz in Bezug auf die Umsetzung der FFH-Richtlinie. Eine Befreiung von den Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverboten nach § 44 BNatSchG ist allerdings gemäß § 67 Abs. 2 BNatSchG auf Antrag möglich. Vor534

Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 650. Fischer-Hüftle, in: Schumacher/Fischer/Hüftle, BNatSchG, § 67 Rn. 5; Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 650; Stollmann, DVBl 1999, 746 (748 f.). 536 Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 67 Rn. 3. 537 OVG Magdeburg, NuR 1996, 161 (161); Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 651. 538 Vgl. dazu Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 649. 535

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aussetzung ist, dass die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde. Mit § 44 BNatSchG ist die zentrale Umsetzungsvorschrift der artenschutzrechtlichen Verbote der FFH-Richtlinie tangiert, sodass die Vorschrift des § 67 Abs. 2 BNatSchG den Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL genügen muss. Zwar scheidet hinsichtlich der Abgrenzung von Befreiung und Ausnahme ein Teil der Tatbestandsverwirklichungen aus der Befreiungsmöglichkeit aus, um ein Unterlaufen der Voraussetzungen der deutschen Ausnahmetatbestände zu verhindern. Es bleibt daher lediglich ein kleinerer Kreis von Fällen, die unter die Befreiungsmöglichkeit fallen und auch Relevanz hinsichtlich der europäischen Verbotstatbestände entfalten.539 Die einzige inhaltliche Voraussetzung der deutschen Befreiungsmöglichkeit, das Vorliegen einer unzumutbaren Belastung, kann in diesen Fällen für sich genommen die Einhaltung der durch das europäische Recht vorgegebenen Ausnahmevoraussetzungen nicht gewährleisten. Auch ein Verweis auf Art. 16 FFH-RL, wie er in der früheren Fassung geregelt war, ist seit der Neuregelung nicht mehr vorhanden. Da die Befreiung im Rahmen einer Ermessensentscheidung der Behörde erteilt wird, könnte davon ausgegangen werden, dass es zur Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben genügt, wenn die Behörde diese in ihrer Entscheidung beachtet. Allerdings hat der EuGH zu solchen Situationen entschieden, dass es erforderlich ist, dass die Entscheidung der Behörde gesetzlich von der Beachtung der Vorgaben abhängig gemacht wird.540 Dies ist in § 67 Abs. 2 BNatSchG aber nicht geschehen. Die Gesetzesbegründung verweist auf den auch im europäischen Recht geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG die Vermeidung einer unverhältnismäßigen Belastung des Eigentümers und daher eine Befreiungsregelung im privaten Interesse verlange.541 Dem ist entgegenzuhalten, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im europäischen Recht durch eben die Postulierung der Ausnahmen im Rahmen des Art. 16 FFH-RL Ausdruck findet.542 Weitere Ausnahmen oder Befreiungsregelungen unabhängig von den Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL kennt das Europarecht auch mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht – vielmehr weist der EuGH ausdrücklich darauf hin, dass solche Ausnahmen nicht zulässig sind.543 Eine Befreiungsregelung, die davon abweicht, ist daher nicht europarechtskonform.544 539

Vgl. de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 52. EuGH, Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 61 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland. 541 BT-Drs. 16/12274, S. 76 f.; so auch Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 653; Stüer, DVBl 2009, 1 (9). 542 Möckel, ZUR 2008, 57 (63 f.). 543 EuGH, Urt. v. 11. 01. 2007, Rs. C-183/05, Slg. 2007, I-137, Rn. 48 f. – Kommission/ Irland; vgl. auch Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 61 – Kommission/ Bundesrepublik Deutschland. 540

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Die Erteilung einer Ausnahme kann bei schwerwiegenden Gründen aufgrund von § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 oder 5 bzw. Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL in Betracht kommen – insofern ist allerdings die Betroffenheit öffentlicher Interessen Voraussetzung.545 Zum Schutz des Privateigentums sind Ausnahmen von den Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverboten gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. b FFH-RL möglich. Auch das Bundesverfassungsgericht sieht Härtefallregelungen nur ausnahmsweise als geboten an, besteht doch die Pflicht, dass Normen, die Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmen, grundsätzlich auch ohne Ausgleichsregelungen die Substanz des Eigentums wahren und dem Gleichheitsgebot entsprechen.546 Dementsprechend sind im deutschen Recht Ausnahmen wegen wirtschaftlicher Schäden am Privateigentum nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG zulässig. Nicht mehr erforderlich ist das Risiko gemeinwirtschaftlicher Schäden, mithin die Betroffenheit eines gesamten Wirtschaftszweiges. Die Ausweitung der Vorschrift auf Privatinteressen erfolgte im Rahmen der Artenschutznovelle;547 seither ist zu deren Schutz eine weitere Befreiungsregelung gerade nicht mehr erforderlich. Sofern die Erforderlichkeit dennoch für unvorhergesehene, nicht von der Ausnahmeregelung des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG erfasste Fälle bejaht wird,548 ist darauf hinzuweisen, dass zur Europarechtskonformität einer solchen Befreiungsregelung die Einhaltung der europarechtlichen Voraussetzungen notwendig ist, die mit einem schlichten Verweis auf die Vorgaben des Art. 16 FFH-RL – wie er auch in früheren Fassungen der Befreiungsregelung verankert war – durchgesetzt werden könnte. Europarechtlich wird neben dem legitimen Zweck der Ausnahme noch verlangt, dass keine weiteren zumutbaren Alternativen vorhanden sind und dass es keine nachteiligen Auswirkungen auf den (günstigen) Erhaltungszustand gibt. Die Einhaltung dieser Voraussetzungen steht auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht entgegen – namentlich zumutbare Alternativen würden auch im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes der Erforderlichkeit entgegenstehen. Der in früheren Fassungen der Befreiungsregelung vorhandene Verweis auf die europarechtlichen Vorgaben wurde, soweit ersichtlich, auch nicht als verfassungsrechtlich problematisch oder gar unzureichend beurteilt. Eine europarechtskonforme Auslegung, die den Anwendungsbereich der Befreiungsregelung auf allein national geschützte Arten beschränkt, erscheint zwar grundsätzlich möglich.549 Der Wortlaut enthält für eine 544 So auch Gellermann, NuR 2007, 783 (789); Möckel, ZUR 2008, 57 (63 f.); a.A.: Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 67 Rn. 6. 545 Vgl. beispielsweise BVerwGE 125, 116 (318 f.). 546 BVerfGE 100, 226 (244). 547 Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 45 Rn. 32; Lütkes, in: Lütkes/ Ewer, BNatSchG, § 45 Rn. 28 ff. 548 Dies könnte für privat Betroffene, die nicht in der Land-, Forst- oder Fischereiwirtschaft tätig sind, gelten, vgl. Lütkes, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 45 Rn. 31; indes steht der Wortlaut des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG „sonstige erheblich wirtschaftliche Schäden“ einer offeneren Lesart nicht entgegen. 549 Vgl. Czybulka, EurUP 2008, 20 (27); Dolde, NVwZ 2008, 121 (126); wohl auch Mitschang/Wagner, DVBl 2010, 1457 (1461).

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

solche Auslegung allerdings keine Anhaltspunkte – hinsichtlich der Abkehr von der Vorgängerfassung, die für europäische Arten die weiter gehenden Anforderungen enthielt, scheint der gesetzgeberische Wille einer solchen Auslegung eher entgegenzustehen. Jedenfalls ist diese Art der Auslegung nicht eindeutig genug, um den Anforderungen an die Umsetzung von Richtlinien (hinreichende Klarheit und Genauigkeit) zu genügen.550 Die Regelung des § 67 Abs. 2 BNatSchG ist somit europarechtswidrig. d) Europarechtskonformität national vorgesehener Tatbestandsausnahmen der Verbote Bereits tatbestandsausschließende Wirkung hinsichtlich der artenschutzrechtlichen Verbote entfalten die Legalausnahmen nach § 44 Abs. 4, 5 und 6 BNatSchG.551 Die Vorschriften sind in der Praxis von zentraler Bedeutung.552 Soweit sie Handlungen erfassen, die europarechtlich nicht von den Verboten tatbestandlich ausgenommen sind, sind sie ebenfalls an Art. 16 FFH-RL zu messen. Dabei sind insbesondere die Ausnahmenbeschränkungen, die für die gemeinschaftsrechtlich geschützten im Unterschied zu den rein national geschützten Arten teilweise bestehen und damit einen höheren Schutz für erstere gewährleisten, zu beachten. Die Vorgängerregelung, § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F., war vom EuGH für europarechtswidrig befunden worden.553 Die Gründe dafür sind bei einer Untersuchung der neueren Fassung ebenfalls zu berücksichtigen. aa) Land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Nutzung Die erste Tatbestandseinschränkung bzw. Privilegierung554 enthält § 44 Abs. 4 BNatSchG. Dieser sieht vor, dass kein Verstoß gegen Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote besteht, wenn es sich um eine land-, forst- oder fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und/oder Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse handelt, bei der die Anforderungen aus § 5 Abs. 2 – 4 BNatSchG sowie die sich aus § 17 Abs. 2 BBodSchG und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis erfüllt sind. Ausweislich des Wortlauts gilt die Privilegierung nur für die Bodennutzung – und damit nicht für die Errichtung von Gebäuden und Wegen oder die Erweiterung der Nutzflächen.555 550

So auch Gellermann, NuR 2007, 783 (789). Die Bezeichnung ist nicht einheitlich. So sprechen beispielsweise Blessing/Scharmer von einer „Freistellung“, vgl. Blessing/Scharmer, Artenschutz im Bebauungsplanverfahren, Rn. 22 in Anknüpfung an Dolde, NVwZ 2008, 121 (122). 552 Vgl. bereits Müller, NuR 2005, 157 (159); Wolf, ZUR 2006, 505 (508). 553 EuGH, Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland. 554 Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 577. 555 Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 577; vgl. auch ausführlich Müller-Walter, in: Lorz u. a., NatSchR, § 44 BNatSchG Rn. 36 ff. 551

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Hinsichtlich gemeinschaftsrechtlich geschützter Arten, d. h. derjenigen des Anhangs IV FFH-RL, europäischer Vogelarten oder solcher Arten, die in einer Rechtsverordnung gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG aufgeführt sind, gilt außerdem die zusätzliche Voraussetzung, dass der Erhaltungszustand der lokalen Population der betroffenen Art sich nicht verschlechtern darf. Dies muss durch Schutzmaßnahmen sichergestellt sein; ansonsten ordnet die Behörde die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. Die Europarechtskonformität der Vorschrift läge bereits vor, wenn sichergestellt wäre, dass die europäischen Verbotstatbestände nicht verwirklicht werden – anderenfalls wären die Ausnahmevoraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL zu untersuchen. Bei laufenden Tätigkeiten wie der Land- und Forstwirtschaft sieht die Europäische Kommission bereits auf Tatbestandsseite der Artenschutzverbote der FFHRichtlinie Besonderheiten im Vergleich zu Tätigkeiten, die mit einem Genehmigungsverfahren verknüpft sind, wie Bauprojekte oder Infrastrukturvorhaben. Für die laufenden Tätigkeiten „wäre (es) unverhältnismäßig […] ein entsprechendes umfassendes Kontrollpaket vorzuschreiben“556. Für die Mitgliedstaaten bestehen weite Spielräume bei der Umsetzung, allerdings müssen sie sicherstellen, dass die strengen Schutzauflagen der Art. 12 ff. FFH-RL hinreichend erfüllt sind. Entsprechend den Vorgaben der Kommission sind Land- und Forstwirtschaft getrennt zu betrachten. Im Rahmen der Landwirtschaft auftretende zufällige Störungen oder sogar Tötungen sind nach Ansicht der Kommission zu akzeptieren. Die Grenze der tolerierbaren Beeinträchtigungen soll allerdings erreicht sein, wenn die Landnutzung „für eine Art eindeutig schädlich ist und zu einem Rückgang der Population in dem betreffenden Gebiet führt“557. Obwohl die Kommission dies nicht ausdrücklich benennt, entspricht ihr Maßstab dem für nichtabsichtliche Fang- und Tötungshandlungen gemäß Art. 12 Abs. 4 FFH-RL, um die es sich im Rahmen der Landwirtschaft zumeist auch handeln dürfte.558 Nichtsdestoweniger können landwirtschaftliche Tätigkeiten auch mit Beschädigungen oder Zerstörungen von Fortpflanzungs- und Ruhestätten der geschützten Tierarten einhergehen, die auch im Falle der Nichtabsichtlichkeit vom Verbot des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL erfasst sind. Die Kommission unterscheidet im Rahmen der Besonderheiten bei laufenden Tätigkeiten insgesamt nicht zwischen absichtlichen und unabsichtlichen Beeinträchtigungen. In Deutschland ist die Voraussetzung, dass kein Rückgang der Population zu verzeichnen sein darf, in § 44 Abs. 4 Satz 2 und 3 BNatSchG geregelt. 556 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.2.4; BT-Drs. 16/5100, S. 11 f.; zustimmend Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 578; Kratsch, in: Schumacher/ Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 44 Rn. 59. 557 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.2.4. 558 Die bloß abstrakt bekannte Gefahr, dass möglicherweise irgendein Exemplar einer geschützten Art beeinträchtigt wird, dürfte angesichts der besonderen Situation in der Landwirtschaft nicht genügen. So wurde es offenbar zumindest vom EuGH im Rahmen der Kollisionsrisiken gesehen, wobei es sich zwar um eine andere Situation, aber eine vergleichbare Problematik handelt. Vgl. dazu D.IV.2.a)bb)(2)(c).

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Dazu sind Möglichkeiten zur Ergreifung kooperativer und informationeller Instrumente vorgesehen. Ist deren Erfolg nicht gewährleistet, ist die Behörde allerdings verpflichtet, gegenüber den verursachenden Landwirten die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben zu machen, also mit ordnungsrechtlichen Mitteln einzugreifen. Der Wortlaut der Vorschrift legt einen Vorrang der kooperativen Instrumente nahe.559 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, allerdings nur dann, wenn keine Probleme hinsichtlich der europäischen Vorgaben durch zeitliche Verzögerungen oder inhaltliche Abstriche zu erwarten sind.560 Die Vorschrift entspricht der Auffassung der Kommission: Diese verlangt, dass neben Konzepten und Instrumenten wie Verhaltenskodizes oder Leitfäden Rechtsverfahren existieren müssen, um die Wirksamkeit des strengen Schutzsystems für die bedrohten Arten zu gewährleisten. Die Forderung ist auf kooperative Elemente wie im deutschen Recht vorgesehen zu übertragen und wird durch § 44 Abs. 4 Satz 3 BNatSchG erfüllt. Die zuständige Behörde ist danach nicht nur zum Eingreifen allgemein, sondern speziell zur Sicherstellung des Erhaltungszustands der lokalen Population verpflichtet, sodass hierin kein Defizit gesehen werden kann.561 Soweit in der deutschen Literatur bemängelt wird, dass § 44 Abs. 4 BNatSchG kooperative Maßnahmen (Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen, gezielte Aufklärung) gerade im Bereich eines wahrscheinlichen Schädigers (Landwirtschaft) alternativ statt kumulativ zu den Verboten einsetze und damit der Auffassung der Kommission widerspreche,562 ist dem zu entgegnen, dass gerade die Kommission im Bereich der laufenden Tätigkeiten (wie dargestellt) einen anderen Maßstab anlegt als in ihren sonstigen Ausführungen zur Anwendung von Art. 12 FFH-RL. In der deutschen Regelung sind solche kooperativen Maßnahmen nur solange möglich, wie die europäischen Vorgaben (kein Rückgang der Population) eingehalten werden; sonst ist die Behörde verpflichtet, zusätzlich tätig zu werden. Die Verpflichtung zur Erstellung von „Bewirtschaftungsvorgaben“ erfüllt – entsprechend dem Kontext von § 44 Abs. 4 Satz 2 und 3 BNatSchG – genau die europäischen Vorgaben und kann daher nicht als unzureichend angesehen werden.563 Schließlich vervollständigt der Verweis auf die Anforderungen der guten fachlichen Praxis gemäß § 5 Abs. 2 BNatSchG sowie § 17 Abs. 2 BBodSchG, die auch Belange des Natur- und Landschaftsschutzes umfassen, den deutschen Regelungsrahmen.564 Gerade diese Vorschriften bezwecken die Beachtung naturschutzrecht559 Vgl. auch BT-Drs. 16/5100, S. 12; kritisch aber Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 579; Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 33. 560 Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 579. 561 Kritisch aber Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 32. 562 Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (349). 563 So aber Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (349); kritisch auch Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 44 Rn. 49. 564 Zu den Anforderungen der guten fachlichen Praxis vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 11 Rn. 48 ff.

IV. Artenschutzbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz von 2010

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licher Belange im insoweit defizitären Recht der Landwirtschaft.565 Trotz ihrer Unbestimmtheit handelt es sich nicht um bloße Programmsätze, sondern um verbindliche Pflichten.566 Nichtsdestoweniger können die Verweise auf die Regelungen zur guten fachlichen Praxis die konkreteren Vorgaben des § 44 Abs. 4 BNatSchG zur Umsetzung der europarechtlichen Anforderungen zwar ergänzen, aufgrund ihrer Unbestimmtheit und fehlenden Reichweite aber nicht selbstständig eine adäquate Umsetzung darstellen.567 Die Forstwirtschaft wird von der Kommission als komplexeres Institut angesehen, da die zu fällenden Bäume selbst Habitate sein können. Indes gibt die Kommission keine weiteren Kriterien oder Maßstäbe zur Bewältigung des Problems und zur Einschätzung der Europarechtskonformität entsprechender Regelungen vor; sie verweist lediglich auf Beispiele.568 Diesen Beispielen dürften die deutschen Regelungen zur Forstwirtschaft in ihrer Tragweite entsprechen: Auch im deutschen Recht bestehen gemäß den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften umfangreiche Bewirtschaftungsvorgaben, die auch koordinierte Forstwirtschaftspläne sowie bestimmte Genehmigungsvorbehalte mit einschließen.569 Auf bundesrechtlicher Ebene sieht beispielsweise § 9 BWaldG vor, dass einer Rodung ein Genehmigungsverfahren vorgeschaltet wird. Die Einhaltung der forstrechtlichen Vorgaben wird durch den Verweis auf deren Anforderungen in § 44 Abs. 4 BNatSchG sichergestellt und durch die Voraussetzungen der guten fachlichen Praxis gemäß § 5 Abs. 3 BNatSchG ergänzt. Die Fischereiwirtschaft wird von der Kommission zwar nicht genauer behandelt, aber als laufende Tätigkeit auch erfasst.570 Der insbesondere im Rahmen der Landwirtschaft näher umrissene Maßstab gilt daher entsprechend. Es ist damit insgesamt festzustellen, dass es im Bereich der laufenden Tätigkeiten im deutschen Recht entsprechend der Ansicht der Europäischen Kommission nicht mehr auf Beeinträchtigungen einzelner Exemplare, sondern solche der lokalen Population ankommt.571 Den kritischen und die Europarechtskonformität aus diesen Gründen anzweifelnden Stimmen572 kann entgegengehalten werden, dass gerade die Kommission diesen Maßstab angesetzt hat – unter Verweis auf ihre Gründe (namentlich das Gebot der Verhältnismäßigkeit). 565

Fischer-Hüftle, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 5 Rn. 11 ff. Fischer-Hüftle, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 5 Rn. 16. 567 Auf sich aus der Unbestimmtheit ergebende Probleme ist daher nicht näher einzugehen; vgl. dazu z. B. Rehbinder, NuR 2011, 241 (242 f.). 568 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.2.4. 569 Vgl. ausführlich zu den Instrumenten zu Zwecken des Naturschutzes im Forstrecht Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 154 ff. 570 Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.2.4, Fn. 58. 571 Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 578. 572 Gellermann, NuR 2007, 783 (787); Lau/Steeck, NuR 2008, 386 (393); Möckel, ZUR 2008, 57 (62 f.). 566

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Hinweise zur dogmatischen Einordnung der Auslegungsmaßstäbe der Kommission im System der Verbote und der Ausnahmemöglichkeiten finden sich im Leitfaden nicht. Passend erscheint, bei laufenden Tätigkeiten eine teleologische Reduktion der Verbotstatbestände der Artt. 12 ff. FFH-RL entsprechend den dargestellten Voraussetzungen (insbesondere Bewahrung des Erhaltungszustandes) vorzunehmen. Die Handlungen sind dann vom Tatbestand von vornherein nicht erfasst und müssen daher auch nicht am Maßstab des Art. 16 FFH-RL gemessen werden. Zwar ist mit der Annahme einer teleologischen Reduktion zurückhaltend umzugehen; da diese dogmatische Einordnung aber der Interpretation der Kommission entspricht und sich auf einen abgegrenzten Bereich bezieht, ist eine Ausuferung oder ein sonstiges Unterlaufen der Richtlinien-Vorgaben nicht zu befürchten. Diese Betrachtungsweise kann auch in der Entscheidung des EuGH zu § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F. eine Stütze finden. Der Kritikpunkt bezüglich des Ausschlusses nicht-absichtlicher Beeinträchtigungen von Fortpflanzungs- und Ruhestätten (nach damaligem nationalen Wortlaut Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten) ist durch den deutschen Gesetzgeber umgesetzt worden.573 Darüber hinaus hatte die Kommission die unzureichende Umsetzung der Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL bei zwei Ausnahmen von den Varianten des § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F. gerügt, namentlich zugunsten von Handlungen bei der Ausführung eines nach § 19 BNatSchG 2002 zugelassenen Eingriffs oder einer nach § 30 BNatSchG 2002 zugelassenen Maßnahme. Der EuGH ist der Rüge gefolgt.574 Die vom Tatbestand ebenfalls ausgenommenen Handlungen bei einer der guten fachlichen Praxis und den in § 5 Abs. 4 bis 6 genannten Anforderungen entsprechenden land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung oder der Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse wurden weder von der Kommission noch vom EuGH weiter erwähnt. Die Ausnahme dieser Handlungen genügt somit den europarechtlichen Anforderungen – da diesbezüglich die Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL aber in gleicher Weise nicht vollständig umgesetzt waren, muss es sich bereits um eine teleologische Reduktion des Tatbestandes handeln. Die Anerkennung landesrechtlicher Befugnisse zur Regelung inhaltlich entsprechender Vorgaben gemäß Satz 4 (Unberührtheitsklausel) ist zulässig, da diese in gleicher Weise auch an Europarecht gebunden sind. Die innerstaatliche Kompetenzverteilung mag dadurch etwas unübersichtlicher werden – dies wäre aber erst europarechtswidrig, wenn insgesamt keine hinreichend bestimmte und klare Umsetzung mehr erfolgte. Davon ist bei der bloßen Befugnisübertragung bzw. Erhaltung bestehender Befugnisse noch nicht auszugehen.575

573

EuGH, Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 53 ff. – Kommission/ Bundesrepublik Deutschland. 574 EuGH, Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 57 ff. – Kommission/ Bundesrepublik Deutschland. 575 Vgl. dazu auch D.IV.6.c)dd).

IV. Artenschutzbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz von 2010

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bb) Nach § 15 oder § 18 BNatSchG zulässige Eingriffe/Vorhaben Der Anwendungsbereich des § 44 Abs. 5 BNatSchG umfasst Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 15 BNatSchG zulässig sind, und Vorhaben im Sinne des § 18 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG, d. h. solche, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs zulässig sind. Für diese beiden Anwendungsbereiche gibt § 44 Abs. 5 BNatSchG Modifikationen hinsichtlich der Geltung der Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG vor: Die Verbote gelten gemäß § 44 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG nur nach den Maßgaben des § 44 Abs. 5 Satz 2 – 5 BNatSchG. Im Fokus der Vorschrift stehen Infrastruktur- und Bauvorhaben, die (als Eingriff i.S.d. § 14 BNatSchG) erhebliche Beeinträchtigungen für Natur und Landschaft zur Folge haben können. Die modifizierte Geltung der Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote ist hier dadurch begründet, dass im behördlichen Zulassungsverfahren gezielt angewendete Maßnahmen zur Vermeidung oder zum Ausgleich von Beeinträchtigungen geprüft werden können.576 Während bei rein national geschützten Arten nach § 44 Abs. 5 Satz 5 BNatSchG die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote vollständig ausgeschlossen werden, gilt für Beeinträchtigungen der in Anhang IV FFH-RL gelisteten Tier- und Pflanzenarten, dass Verstöße gegen § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG und im Hinblick auf damit verbundene unvermeidbare Beeinträchtigungen auch Verstöße gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG nicht vorliegen, soweit die ökologische Funktion der betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird. Soweit erforderlich, können auch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen festgesetzt werden. Auf europäischer Ebene sind Handlungen im Zusammenhang mit den in Rede stehenden Eingriffen oder sonstigen Vorhaben allerdings von den Verbotstatbeständen erfasst. Im Unterschied zu laufenden Tätigkeiten erkennt die Kommission keinen besonderen Maßstab für sie an.577 Dass es sich um ansonsten rechtmäßige, insbesondere fachrechtlich zulässige Vorhaben handelt, ist diesbezüglich irrelevant – darin liegt kein Grund für die Nichtabsichtlichkeit einer Beeinträchtigung oder die sonstige Legitimierung einer solchen. Ausnahmetatbestände für die fraglichen Handlungen sind weiterhin an Art. 16 FFH-RL zu messen.578 Ein Verstoß gegen Europarecht liegt dementsprechend nur dann nicht vor, wenn bereits im Rahmen der Eingriffsprüfung bzw. bei der Prüfung der Voraussetzungen des Baugesetzbuchs gewährleistet ist, dass Tatbestandsverwirklichungen der Art. 12 ff. FFH-RL gar nicht oder lediglich unter den Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL erfolgen. Die Art und

576

Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 581. Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.2.4. 578 EuGH, Urt. v. 20. 10. 2005, Rs. C-6/04, Slg. 2005, I-9017, Rn. 113 – Kommission/ Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland; Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 61 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland. 577

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Weise der Implementierung der europäischen Vorgaben in nationales Recht obliegt schließlich den Mitgliedstaaten. (1) Artenschutz und Eingriffsregelung Klärungsbedürftige Besonderheiten ergeben sich zunächst bei der Betrachtung des Verhältnisses der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung und der Artenschutzvorschriften. § 13 BNatSchG legt fest, dass erhebliche Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft vom Verursacher vorrangig zu vermeiden und nicht vermeidbare Beeinträchtigungen durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen bzw., soweit auch dies nicht möglich ist, durch Ersatz in Geld zu kompensieren sind. Konkretisiert werden diese Gebote in § 15 BNatSchG. Können sie nicht erfüllt werden und überwiegen die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege andere Belange bei Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft, so ist der Eingriff unzulässig, § 15 Abs. 5 BNatSchG. Wann ein Eingriff vorliegt, definiert § 14 BNatSchG: Eingriffe in Natur und Landschaft sind demgemäß Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können. Die Definition setzt sich damit aus zwei Teilen zusammen: zum einen aus der Eingriffshandlung (Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen bzw. Veränderungen des Grundwasserspiegels) und zum anderen aus der Eingriffswirkung (Möglichkeit der erheblichen Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes).579 In dieser Hinsicht sind keine Änderungen bei der Gesetzesnovelle 2010 erfolgt – darüber hinaus sind zwar teils erhebliche Änderungen im Rahmen der Eingriffsregelung vorgenommen worden; diese sind hier indes nicht von Interesse.580 (a) Die Eingriffsprüfung unter dem Blickwinkel des Artenschutzes Die Eingriffsregelung wird grundsätzlich materiell neben anderen fachrechtlichen Normen als Teil der umfassenden Zulassungsentscheidung geprüft.581 Es überrascht nicht, dass sie infolge ihres weiten Anwendungsgebiets viele andere Bereiche tangiert. Überschneidungen sind beispielsweise mit den Rechtsgebieten des Baurechts, Wasserrechts, Forstrechts etc. denkbar. Während das Verhältnis von Eingriffsregelung und Baurecht eine spezielle Regelung in § 18 BNatSchG erfährt, 579 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR IV, § 14 BNatSchG, Rn. 3 ff.; z. T. werden die Teile der Definition auch als „Anknüpfungstatbestand“ und „Folgetatbestand“ bezeichnet, so Wilrich, in: Marzik/Wilrich, BNatSchG, § 18 Rn. 4 ff., oder als „Verletzungstatbestand“ und „Sachfolgentatbestand“, so Gassner, in: Gassner u. a., BNatSchG, § 18 Rn. 3 ff. 580 Vgl. dazu Michler/Möller, NuR 2011, 81 ff. 581 Gassner, NuR 2004, 560 (560).

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finden sich im Übrigen wenig detaillierte Bestimmungen zu der Thematik, wie sich die Eingriffsregelung zu den anderen Abschnitten des BNatSchG oder zu sonstigem Fachrecht verhält. Festzuhalten ist aber, dass die Eingriffsregelung regelmäßig nicht in Konkurrenz zu anderen Fachgebieten tritt; vielmehr sollen beide der gegenseitigen Ergänzung dienen.582 Die Bindungswirkung der Eingriffsregelung gilt für alle Eingriffe in Natur und Landschaft gleichermaßen; unerheblich ist, welches jeweilige Fachrecht ergänzend einschlägig ist – die Eingriffsregelung wird dadurch nicht inhaltlich modifiziert.583 Betrachtet man unter diesem Blickwinkel – vorbehaltlich etwaiger Modifikationen durch § 44 Abs. 5 BNatSchG – das Verhältnis von Artenschutzrecht und Eingriffsregelung, so ist zunächst einmal festzustellen, an welcher Stelle im Rahmen der wechselseitigen Ergänzung artenschutzrelevante Aspekte in der Eingriffsprüfung zum Tragen kommen können. Bereits in der Eingriffsdefinition spielt der Erhalt der Biodiversität, welcher auch Schutzzweck des europäischen Regelungsprogramms des Artenschutzes ist, eine Rolle: Obwohl das System der Eingriffsregelung sich maßgeblich auf die Inanspruchnahme und Kompensation von Flächen bezieht,584 kann sich auch eine Beeinträchtigung der Tier- und Pflanzenwelt als Möglichkeit der erheblichen Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder Landschaftsbildes, also der Eingriffswirkung darstellen.585 Eine solche Beeinträchtigung der Tier- und Pflanzenwelt kann sich auch auf besonders geschützte Arten beziehen und einen oder mehrere der Verbotstatbestände des § 44 BNatSchG erfüllen. Indes sind die Begriffe Eingriff und artenschutzrechtliche Beeinträchtigung nicht gleichzusetzen. Entsprechend der oben dargestellten Legaldefinition ist als Eingriff das in Rede stehende Planvorhaben anzusehen, das mit Beeinträchtigungen der Natur einhergeht, die sich auch auf den Artenbestand beziehen können.586 Für die mehrstufige Prüfung der Verursacherpflichten gilt diesbezüglich: Ist die Beeinträchtigung zu vermeiden, so ergibt sich kein Problem hinsichtlich der artenschutzrechtlichen Regelungen der §§ 44 ff. BNatSchG, da kein Verbotstatbestand 582 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR IV, § 14 BNatSchG, Rn. 13: „Nicht der Normenkonflikt, sondern die gegenseitige Ergänzung prägen das Verhältnis von Fachrecht und Eingriffsregelung.“ Vgl. auch ausführlich Mühlbauer, in: Lorz u. a., NatSchR, § 14 BNatSchG Rn. 4. 583 Breuer, NuR 1980, 89 (95); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR IV, § 15 BNatSchG, Rn. 34; vgl. auch Koch, in: Kerkmann, Naturschutzrecht, § 4 Rn. 49, 81; ausgenommen sind ausdrückliche Spezialbestimmungen. 584 Bereits aus diesem Grund sieht Wolf keine hinreichende artenschutzrechtliche Rechtfertigung im Verweis auf die Eingriffsregelung, ZUR 2006, 505 (511). 585 Nur zur Klarstellung sei erwähnt, dass dies nicht die einzig denkbare Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts ist, über dessen begriffliche Reichweite keine Einigkeit herrscht, vgl. Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR IV, § 14 BNatSchG, Rn. 13. 586 BVerwGE 140, 149 (167 f.).

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erfüllt wird. Ist die Beeinträchtigung nicht zu vermeiden, stellt sich im Rahmen der Eingriffsregelung die Frage nach Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen. Ein oder mehrere Verbotstatbestände des § 44 BNatSchG wären – da die Beeinträchtigung weiterhin stattfindet und nach den Eingriffsvorschriften auch stattfinden darf – prinzipiell erfüllt. Zu beachten ist dabei § 15 Abs. 2 Satz 4 BNatSchG, wonach auch Maßnahmen i.S.d. § 44 Abs. 5 Satz 3 BNatSchG, also vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen im Hinblick auf den Erhalt der ökologischen Funktion der betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten, als Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG für die durch den Eingriff erfolgten Beeinträchtigungen gelten. Sind auch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen nicht denkbar, so erfolgt auf der nächsten Stufe zur Prüfung der Zulässigkeit des Eingriffs eine umfassende Abwägung der Belange, die für den Eingriff sprechen, gegen die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Im Rahmen dieser Abwägung ist das Gewicht der artenschutzrechtlichen Belange nicht nur besonders hoch, wenn es sich um europarechtlich geschützte Arten handelt; die Belange sind sogar abwägungsfest.587 Die Abwägung darf daher im Ergebnis nicht zugunsten der „naturschutzfeindlichen“ Belange ausfallen, wenn das Schutzprogramm der strikten Vorschriften der §§ 44 ff. BNatSchG betroffen ist. (b) Vereinbarkeit der Ausnahmeklausel mit den Vorgaben des Art. 16 FFH-RL Es ist im Falle eines Eingriffs in Natur und Landschaft in Form der Beeinträchtigung einer besonders geschützten Art also insbesondere die Situation relevant, dass Ausgleichs- und Kompensationsmaßnahmen für den Eingriff getroffen wurden, die seine Zulässigkeit nach § 15 BNatSchG begründen, der artenschutzrechtlichen Ausnahmeprüfung aber nicht standhalten können. In dem Fall sind die Verbotstatbestände des § 44 BNatSchG bzw. Art. 12 ff. FFH-RL verwirklicht. Im Rahmen des artenschutzrechtlichen Prüfprogramms ist dann § 44 Abs. 5 BNatSchG zu beachten: Danach liegt in den Fällen eines nach § 15 BNatSchG zulässigen Eingriffs, also auch in der genannten Situation, ein Ausschluss des Tatbestands des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG und hinsichtlich damit verbundener Beeinträchtigungen auch des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG vor, wenn die ökologische Funktion der Lebensstätte erhalten bleibt. Auf europäischer Ebene könnte ein solcher Tatbestandsausschluss allenfalls denkbar sein, wenn vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen, die auch von der Kommission als tatbestandsausschließend anerkannt werden (CEF-Maßnahmen), sicherstellen, dass die Quantität und Qualität der ökologischen Funktion der Lebensstätte gewahrt bleiben. Es ist darauf hinzuweisen, dass solche vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen engen Voraussetzungen unterliegen und von Ausgleichs-

587 Gassner, NuR 2004, 560 (562); Mühlbauer, in: Lorz u. a., NatSchR, § 15 BNatSchG Rn. 34.

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maßnahmen im Sinne der Eingriffsregelung zu unterscheiden sind.588 Die Kommission erkennt die Möglichkeit einer solchen Verhinderung der Tatbestandsverwirklichung ausdrücklich lediglich im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL an.589 Ob auch im Rahmen anderer Verbotstatbestände wie dem Störungsverbot eine solche Möglichkeit anzunehmen ist, kann offen bleiben – im Rahmen des Tötungsverbots kommen solche Maßnahmen jedenfalls sachlich nicht in Betracht.590 Der Tatbestand ist nur dann nicht verwirklicht, wenn der Fang oder die Tötung unterbleiben. Maßnahmen der Umsiedlung von Tieren können einen vollständigen Ausschluss der Tötung auch nur eines einzelnen Exemplars jedoch praktisch nicht gewährleisten. Aufgrund des Individuenbezugs des Verbotes ist es nicht ausreichend, auf den Erhaltungszustand der Art (abgesehen von der Ausnahme im Rahmen laufender Tätigkeiten) oder diesbezüglich auf den Erhalt der Funktionalität der zugleich betroffenen Lebensstätte abzustellen.591 Gleichsam ist im Rahmen der durch § 44 Abs. 5 Satz 4 BNatSchG eingeschlossenen Betroffenheit des Art. 13 FFH-RL Zurückhaltung angezeigt.592 Hinsichtlich des Ausschlusses des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG ist die deutsche Privilegierung aber europarechtskonform.593 Der Erhalt der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang ist hinsichtlich Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL die Voraussetzung dafür, dass der Tatbestand nicht verwirklicht wird. Insofern orientiert sich das deutsche Recht an den europäischen Vorgaben. Die Möglichkeit, diese Voraussetzung durch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen sicherzustellen, erkennt auch die Europäische Kommission an. Das Urteil des EuGH zu § 43 Abs. 4 BNatSchG 2002 steht dem ebenfalls nicht entgegen. Zwar weist der Gerichtshof darauf hin, dass die kritisierten Tatbestandsausnahmen den Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL nicht genügen, woran sich in der neuen Fassung nicht viel geändert hat.594 Jedoch sah die gerügte Regelung noch nicht das Kriterium des Erhalts der ökologischen Funktionalität vor und gewährleistete somit nicht, dass der europäische Tatbestand des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL gar nicht erst erfüllt wird, sodass der Gerichtshof zu 588 Vgl. Lau/Steeck, NuR 2008, 386 (394), die zu Recht auf das Verwechslungspotential hinweisen; zu den Anforderungen an vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen, wie sie artenschutzrechtlich zulässig sind, s. oben D.IV.2.d)cc). 589 Vgl. Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.3.4.d). 590 A.A. aber offenbar de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 17. 591 In diese Richtung tendiert aber der Gesetzgeber, vgl. BT-Drs. 16/5100, S. 12; ebenso Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 584; wohl auch Stehlin/Karlin, VBlBW 2013, 81 (82 f.); wie hier jedoch BVerwGE 140, 149 (168 f.); Gellermann, NuR 2007, 783 (788); ders., NuR 2012, 34 (35); Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (350); Sobotta, NuR 2007, 642 (645); noch offen lassend BVerwGE 131, 274 (304); 133, 239 (256 f.); 134, 308 (323 f.); BVerwG, NVwZ 2009, 1296 (1304 f.). 592 So auch Gellermann, NuR 2007, 783 (788). 593 BVerwGE 131, 274 (304); 133, 239 (256 f.); 134, 308 (323 f.); BVerwG, NVwZ 2009, 1296 (1304 f.); a.A. Gellermann, NuR 2007, 783 (788). 594 EuGH, Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 61 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland.

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dieser Möglichkeit noch nicht Stellung bezogen hat. Im Hinblick auf die Anforderungen an solche Maßnahmen ist eine europarechtskonforme Auslegung in Anlehnung an die Kriterien der Kommission vorzunehmen, um auch in der Umsetzung der Vorschrift die Europarechtskonformität zu gewährleisten.595 Da also nach europäischem Recht zwar ein Ausschluss des Verbotstatbestandes des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL (umgesetzt durch § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG), aber nicht ein solcher des Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL (umgesetzt durch § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) oder Art. 13 FFH-RL (umgesetzt durch § 44 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG) vorliegt, sind bezüglich letzterer noch die Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL zu prüfen. Für die Europarechtskonformität muss dementsprechend gewährleistet sein, dass einer der aufgezählten legitimen Zwecke verfolgt wird, keine zumutbare Alternative gegeben ist und ein günstiger Erhaltungszustand der lokalen Populationen bestehen bleibt. § 44 Abs. 5 BNatSchG sieht keine Einschränkungen hinsichtlich des Zwecks der Ausnahme vor. Auch die Eingriffsregelung ist den Zwecken des Eingriffs gegenüber offen. Zwar können einzelne Eingriffe durchaus einen nach Art. 16 FFH-RL legitimen Zweck verfolgen – durch die gesetzliche Regelung ist dies aber nicht für alle Eingriffe gewährleistet. Insofern fehlt es bereits an der ersten Voraussetzung des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL. Dass für die Zulässigkeit eines Eingriffs keine zumutbare Alternative vorhanden sein darf, könnte aus § 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 BNatSchG gefolgert werden: Danach sind vermeidbare Beeinträchtigungen, also solche mit zumutbaren Alternativen, welche den mit dem Eingriff verfolgten Zweck am gleichen Ort ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft erreichen, zu unterlassen. Bei näherer Betrachtung wird aber deutlich, dass diese Alternativenprüfung nicht die gleichen Maßstäbe setzt wie Art. 16 Abs. 1 FFH-RL. Letztere ist nicht auf einen Ort beschränkt und bezieht sich zudem konkret auf die Beeinträchtigungen der geschützten Arten. Diese können im Einzelfall den betrachteten Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft im Zusammenhang mit der Eingriffsprüfung entsprechen, aber auch nur einen Teilaspekt darstellen und damit in ihrer Gesamtgewichtung von geringerer Bedeutung sein. Im Rahmen des § 45 Abs. 5 BNatSchG ist es daher nicht ausreichend, dass bereits eine Alternativenprüfung des Eingriffs vorgeschrieben ist. Die dritte Voraussetzung des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL, die Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustands der lokalen Populationen einer Art, ist ansatzweise in § 45 Abs. 5 Satz 2 BNatSchG enthalten. Dieser sieht das Erfordernis vor, dass die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiter erfüllt wird. Allerdings entbindet die Vorschrift auch von Verstößen gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG und gemäß Satz 4 auch von Verstößen gegen § 44 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG. Ver595 Strenger noch Möckel, ZUR 2008, 57 (63), der aufgrund der nicht normierten Voraussetzungen eines artbezogenen, sachlichen und funktionalen Zusammenhangs der Ausgleichsmaßnahmen Umsetzungsdefizite in Form der Ungenauigkeit und Unbestimmtheit sieht.

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schlechtert sich durch die entsprechende Handlung der Erhaltungszustand der lokalen Populationen der Art, obwohl die Funktionalität der Fortpflanzungs- und Ruhestätten weiter gewährleistet ist, so wäre die deutsche Voraussetzung der Tatbestandsausnahme erfüllt, die europäische hingegen nicht. Dies ist insbesondere im Falle der Beeinträchtigung von Pflanzenarten, aber auch besonders seltener Tierarten denkbar, deren Erhaltungszustand nicht nur aufgrund des Mangels an Fortpflanzungs- und Ruhestätten bedenklich ist.596 Die deutsche und europäische Voraussetzung sind mithin nicht deckungsgleich; das Erfordernis der Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustandes ist ebenfalls nicht vollständig umgesetzt. Daran kann auch der Verweis auf vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen nichts ändern: Diese Ausgleichsmaßnahmen, die nicht weit genug reichen, um den Tatbestand auszuschließen, können zwar im Rahmen des Art. 16 FFH-RL zu berücksichtigen sein und die Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustandes sicherstellen. Die Klausel bezieht sich aber auf den vorigen Satz, mithin auf den Erhalt der Funktionalität der Fortpflanzungs- und Ruhestätten und nicht auf die Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustandes. Im Einzelfall können die Maßnahmen dafür genügen; dies müsste zu einer korrekten Umsetzung aber auch gesetzlich vorausgesetzt werden. Die Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL ist mitnichten in § 44 Abs. 5 BNatSchG gewährleistet. Von Seiten der Literatur wurden bereits Versuche zur europarechtskonformen Auslegung der Vorschrift unternommen.597 So wurde hinsichtlich des noch offensichtlicher europarechtswidrigen § 43 Abs. 4 BNatSchG 2002 vertreten, dass die Privilegierung sich nicht auf die Zulassung eines Eingriffs, also des Vorhabens selbst, sondern nur auf den Realakt der Ausführung beziehe.598 Da die Eingriffsprüfung dem europäischen Artenschutz nicht vollständig gerecht wird, könnte diese auch nicht von der Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände entbinden; diese wären bei der Zulassung weiterhin zu prüfen. Die Ansicht stützte sich dabei auf den Wortlaut der Vorschrift, der sich auf einen „nach § 19 zugelassenen Eingriff“ bezog. In der aktuellen Fassung hat die Vorschrift „nach § 15 zulässige Eingriffe“ zum Gegenstand, was der genannten Auslegung weniger dient, aber auch nicht entgegensteht. Eine solche Auslegung steht mit den europäischen Vorgaben zwar in Einklang, da die Tatbestände weiterhin in der Zulassungsentscheidung geprüft werden, erklärt die Vorschrift aber weitgehend für gegenstandslos.599 Schließlich wurde die Vorschrift vom EuGH trotz der theoretisch denkbaren Auslegungsmög596

A.A. aber offenbar der Gesetzgeber: „Denn bei Fortdauer der ökologischen Funktion der betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im vorstehend beschriebenen Sinne kann (und darf) es nicht zu einer signifikanten Beeinträchtigung des lokalen Bestands einer besonders geschützten Art kommen.“, BT-Drs. 16/5100, S. 12. 597 de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 31; Gassner, NuR 2004, 560 (562 f.); Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 41; Vogt, ZUR 2006, 21 (22 ff.). 598 Gassner, NuR 2004, 560 (562 f.); Vogt, ZUR 2006, 21 (22 ff.); zustimmend Louis, NuR 2004, 557 (559). 599 Wolf, ZUR 2006, 505 (511).

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lichkeit für europarechtswidrig erklärt; die Bundesrepublik hatte sich allerdings auch nicht auf diese berufen. Der Wortlaut stützt gerade auch in der heutigen Fassung diese Interpretation nicht eindeutig genug, um von einer klaren und bestimmten Umsetzung der Richtlinienvorgaben auszugehen. Stünde eine solche Auslegung im Willen des Gesetzgebers, so hätte er außerdem die Neuregelung in dieser Hinsicht deutlicher gestaltet. Dies ist aber nicht geschehen. Eine andere Möglichkeit der europarechtskonformen Auslegung wurde darin gesehen, die Vorschrift nicht auf jede Tötung in diesem Zusammenhang, sondern lediglich auf die Beschädigung von Entwicklungsformen gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. BNatSchG anzuwenden.600 Ob diese Einschränkung indes den europarechtlichen Vorgaben entspricht, ist bereits zweifelhaft. Im Übrigen ist die Nichtanwendung der Vorschrift in den europarechtswidrigen Fällen eine Option, den europarechtlichen Vorgaben nicht zu widersprechen.601 Die Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme macht allerdings deutlich, dass keine hinreichende Umsetzung der Richtlinienvorgaben erfolgt ist. Schließlich wird vertreten, in unionsrechtskonformer Auslegung seien von der Privilegierung der bewusst vorgenommene Fang sowie „sehenden Auges hingenommene Verletzungen und Tötungen“ ausgeschlossen. Soweit die beeinträchtigten Exemplare indes trotz sorgfältiger Untersuchung übersehen wurden oder die Tatbestandsverwirklichung trotz funktionserhaltender Maßnahmen geschehe, sei von einer nicht absichtlichen Handlung auszugehen, die keinen Verstoß gegen die europarechtlichen Verbote darstellt.602 Dagegen ist einzuwenden, dass auch sorgfältigste Untersuchungen nicht gewährleisten können, dass jedes einzelne Exemplar gefunden wird und die Verletzung oder Tötung der nicht gefundenen Exemplare in Kauf genommen wird. Darüber hinaus lassen sich dem Wortlaut der Vorschrift für eine unionsrechtskonforme Auslegung im Sinne einer Einschränkung hinsichtlich bewusst vorgenommener oder hingenommener Fang-, Verletzungs- und Tötungshandlungen keine Hinweise entnehmen. Die Norm ist bezüglich ihrer Voraussetzungen detailliert formuliert und differenziert zwischen rein national und europäisch geschützten Arten. Weitere Einschränkungen zur Rettung der Unionsrechtskonformität sind daher hinsichtlich der Wortlautgrenze kritisch zu betrachten. Im Ergebnis ist damit festzustellen, dass die Privilegierung bei einem zulässigen Eingriff in § 44 Abs. 5 BNatSchG europarechtswidrig in Bezug auf Beeinträchtigungen nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 BNatSchG ist, wohingegen eine solche hinsichtlich des Ausschlusses des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG zulässig ist.603 600

de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote, Rn. 31. So scheint es auch das BVerwG zu sehen, vgl. BVerwGE 140, 149 (168 f.). 602 Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 41. 603 So auch Lau/Steeck, NuR 2008, 386 (394); Zweifel besitzt offenbar auch das BVerwG, vgl. BVerwGE 140, 149 (168 f.); für eine Europarechtskonformität der Vorschrift insgesamt VGH Kassel, Urt. v. 21. 08. 2009, 11 C 318.08.T, juris, Rn. 673; LANA-Hinweise 2009, S. 11: Der Gesetzgeber nutze die „Spielräume der europarechtlichen Vorgaben“ aus. 601

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(2) Artenschutz und Bauleitplanung Ebenfalls privilegiert nach § 44 Abs. 5 BNatSchG sind Vorhaben im Sinne des § 18 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs zulässig sind. Dabei handelt es sich um Vorhaben in Gebieten mit Bebauungsplänen nach § 30 BauGB, während der Planaufstellung nach § 33 BauGB und im Innenbereich nach § 34 BauGB, auf die im Übrigen die Vorschriften der Eingriffsprüfung nicht anzuwenden sind. Vorhaben im Außenbereich unterliegen hingegen der Eingriffsregelung und sind dementsprechend bei Einhaltung der Vorgaben als zulässige Eingriffe nach § 15 BNatSchG privilegiert.604 Bei der Privilegierung eines Vorhabens nach § 18 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG gilt Entsprechendes wie bei der Privilegierung eines zulässigen Eingriffs: Für die Feststellung der Europarechtskonformität ist zu untersuchen, ob bereits die Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften eine Verwirklichung der europäischen artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände ausschließt oder alternativ die Anforderungen an eine Ausnahme gemäß Art. 16 FFH-RL beachtet werden. Ist dies nicht der Fall, gelten die im Rahmen der Eingriffsprivilegierung dargestellten Erwägungen zur Europarechtskonformität des § 44 Abs. 5 BNatSchG auch hier. Die §§ 30 ff. BauGB treffen indes keine Vorkehrungen zur Einhaltung artenschutzrechtlicher Verbote; es geht folglich darum, ob bereits bei der (erfolgten oder im Rahmen des § 33 BauGB zu erwartenden) Bauleitplanung das Artenschutzrecht entsprechend Beachtung findet. Im Rahmen der Bauleitplanung können artenschutzrechtliche Belange an verschiedener Stelle Beachtung finden.605 Die entsprechenden Vorschriften gelten für Bebauungs- und Flächennutzungsplanung gleichermaßen. Nach ständiger Rechtsprechung erfüllen grundsätzlich nicht die Pläne selbst unmittelbar die Verbotstatbestände, sondern erst das konkrete Bauvorhaben, so dass das Artenschutzrecht maßgeblich auf der Ebene der einzelnen Baugenehmigung Anwendung findet.606 Dennoch sind die Verbotstatbestände auch in der Bauleitplanung schon zu beachten: Gemäß § 1 Abs. 3 BauGB haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Stehen dem Inkrafttreten des Plans dauerhafte, nicht zu beseitigende artenschutzrechtliche Hindernisse entgegen, so ist er faktisch vollzugsunfähig und damit nicht erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB.607 Das Artenschutzrecht gewinnt damit auch bereits in der Bauleitplanung an Bedeutung. Ist festzustellen, dass die Verwirklichung des Plans zu Vollzugshindernissen durch artenschutzrechtliche Verstöße 604

Zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift Egner, NuR 2011, 758 (758 f.). Einen Überblick über die mögliche Betroffenheit der Verbote im Rahmen der Bauleitplanung geben Gellermann/Schreiber, Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen, S. 110 f. 606 BVerwG, NuR 1998, 135 (136); VGH München, Urt. v. 30. 11. 2008, 9 N 05.112, juris, Rn. 39; OVG Koblenz, NuR 2008, 410 (411 f.); Egner, NuR 2011, 758 (759); Klinge, NuR 2010, 538 (540); Schuster, VBlBW 2009, 174 (175). 607 BVerwG, NuR 1998, 135 (136 f.); OVG Koblenz, NuR 2008, 410 (411 f.); VGH Kassel, NuR 2009, 646 (646 ff.); Armbrecht, BayVBl 2011, 396 (396); Blessing/Scharmer, Artenschutz im Bebauungsplanverfahren, Rn. 26 f.; Mitschang/Wagner, DVBl 2010, 1457 (1458). 605

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führen kann, so bleibt zu prüfen, ob solche durch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen ausgeschlossen werden können. Wie bereits festgestellt, sind CEF-Maßnahmen zur Sicherstellung, dass die Funktionalität betroffener Lebensstätten erhalten bleibt, auch europarechtlich zulässig. Dabei geht es im Rahmen der Bauleitplanung insbesondere um die Bereitstellung von Ausgleichsflächen, die den entsprechenden Anforderungen genügen.608 Dies geschieht am effektivsten bereits auf der Planungsebene und nicht erst im Baugenehmigungsverfahren, weil zu diesem Zeitpunkt Ausgleichsflächen möglicherweise gar nicht mehr zur Verfügung stehen.609 Nichtsdestoweniger ist es europarechtlich nicht erforderlich, auf der Ebene der Bauleitplanung dieselben Anforderungen wie auf der Ebene eines konkreten Vorhabens an vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen zu stellen: Die Privilegierung des § 44 Abs. 5 BNatSchG greift lediglich unter der Voraussetzung, dass die ökologische Funktion der von dem Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird – ggf. mithilfe der Festsetzung vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen. Das bedeutet, dass auf der Ebene der Genehmigung eines konkreten Bauvorhabens eine entsprechende Prüfung noch einmal stattfindet. Für eine Konformität mit dem Regime der FFH-Richtlinie genügt es, wenn auf dieser späteren Ebene (auf der ohnehin eine genauere Prüfung erfolgen kann) eine Festsetzung erforderlicher CEF-Maßnahmen unter Einhaltung der europarechtlichen Voraussetzungen erfolgt und auf der Planungsebene lediglich die Weichen für die spätere Festsetzung konkreter Maßnahmen gestellt werden.610 Die Festsetzung von Ausgleichsmaßnahmen, die nicht lediglich in der Bereitstellung von Flächen bestehen, seitens einer planenden Gemeinde kann zudem hinsichtlich einer adäquaten Rechtsgrundlage problematisch werden, da das Bauplanungsrecht (im Hinblick auf die Regelungsmaterie) solche nur beschränkt bereithält.611 Sind CEF-Maßnahmen bereits auf der Ebene der Bauleitplanung auszuschließen, so ist zu prüfen, ob noch die Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung in Betracht kommt, um die Vollzugsfähigkeit des Plans zu retten. Dabei ist zu beachten, dass die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die Erstellung des Plans selbst nicht erforderlich ist, da nicht dieser gegen die Verbotsvorschriften verstößt. Es handelt sich vielmehr um die Prüfung des Plangebers, ob objektiv die Voraussetzungen einer Ausnahme gegeben sind, welche dann bei der Umsetzung des Plans durch ein konkretes Bauvorhaben von der zuständigen Naturschutzbehörde zu erteilen ist.612 608

Zu den Anforderungen an vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen vgl. oben D.IV.2.d)cc). Louis, NuR 2009, 91 (100). 610 Dies übersieht der VGH München, der die Festsetzung bereits auf der Ebene des Bauplanungsrechts mithilfe dessen strengster Regelungsform als europarechtlich geboten ansieht, NuR 2010, 505 (507 f.); vgl. auch Armbrecht, BayVBl 2011, 396 (398); Egner, NuR 2011, 758 (761). 611 Vgl. dazu Klinge, NuR 2010, 538 (541 f.). 612 BVerwG, NuR 1998, 135 (136); Armbrecht, BayVBl 2011, 396 (397); Blessing/Scharmer, Artenschutz im Bebauungsplanverfahren, Rn. 28 ff.; Egner, NuR 2011, 758 (760). 609

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Um sicherzustellen, dass tatsächlich eine Ausnahmegenehmigung erteilt wird, sollte die planende Gemeinde sich mit der für die zukünftige Ausnahmeerteilung zuständigen Naturschutzbehörde abstimmen.613 Insgesamt ist festzustellen, dass es sich auf der Ebene der Bauleitplanung um eine gröbere Prüfung der Artenschutzvorschriften als bei Zulassungsentscheidungen eines konkreten Vorhabens handelt. Ein Verstoß führt nur dann zur Nichtigkeit des Plans wegen fehlender Erforderlichkeit, wenn die artenschutzrechtlichen Verbote für die Planverwirklichung dauerhaft unüberwindbare Hindernisse bedeuten.614 Dies ist der Fall, wenn ihnen nicht erst auf Genehmigungsebene begegnet werden kann, sondern sie „der Realisierung des Planes derart entgegenstehen, dass sie Grundzüge der Planung in Frage stellen“615. So sind beispielsweise lediglich vereinzelt gefährdete Lebensstätten nicht relevant, da diese der dauerhaften Verwirklichung des Bauleitplans nicht entgegenstehen, sondern bei der Errichtung des einzelnen Bauvorhabens kontrolliert werden können und müssen.616 Über die Erforderlichkeitsprüfung hinaus können artenschutzrechtliche Belange in der Abwägungsentscheidung im Rahmen der Planaufstellung gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 7 lit. a (i.V.m. § 1a Abs. 3) BauGB Berücksichtigung finden: Zu den Bestandteilen des Naturhaushalts gehören auch Tiere und Pflanzen. Eine vollständige Anwendung der artenschutzrechtlichen Verbote gewährleistet der gesetzliche Rahmen aber auch hier nicht.617 Nach alledem ergibt sich, dass die Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbote auf der Ebene der Bauleitplanung nicht vollständig und detailliert genug erfolgt, um den europäischen Vorgaben zu genügen. Der gesetzliche Rahmen bietet nicht die Gewähr, dass die Kollision einzelner auf dem Plan beruhender Bauvorhaben mit Art. 12 Abs. 1 lit. a, lit. d sowie Art. 13 FFH-RL ausgeschlossen ist. Dies gilt nach den dargestellten Grundsätzen bereits für die Aufstellung von Bebauungsplänen, aber erst recht für die noch weniger konkrete Flächennutzungsplanung. Auf dieser Ebene sind lediglich bereits Planungen über Ausgleichsflächen für eventuell betroffene Lebensstätten einzubeziehen.618

613 Armbrecht, BayVBl 2011, 396 (397); Kratsch, NuR 2007, 100 (106); Mitschang/ Wagner, DVBl 2010, 1457 (1461); Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 1a Rn. 144; so auch schon zur Zustimmung einer Befreiungserteilung seitens der Naturschutzbehörde Gellermann/ Schreiber, Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen, S. 116; Vogt, ZUR 2006, 21 (27). 614 Mitschang/Wagner, DVBl 2010, 1457 (1459); Pauli, BauR 2008, 759 (760); Reidt, NVwZ 2010, 8 (10). 615 Louis, NuR 2009, 91 (100). 616 Louis, NuR 2009, 91 (100). 617 Vgl. OVG Münster, NuR 2009, 421 (427 f.); Gellermann, NuR 2007, 132 (133); Stüer, BauR 2010, 1521 (1530); s. auch Schuster, VBlBW 2009, 174 (177). 618 Louis, NuR 2009, 91 (100); Mitschang/Wagner, DVBl 2010, 1457 (1463); vgl. auch Blessing/Scharmer, Artenschutz im Bebauungsplanverfahren, Rn. 32.

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Anders als die Wertung des § 44 Abs. 5 BNatSchG voraussetzt, soll auf der Ebene der Bauleitplanung noch keine endgültige Entscheidung über die artenschutzrechtliche Zulässigkeit jedes einzelnen Vorhabens getroffen werden. Es soll lediglich sichergestellt sein, dass es möglich ist, ohne artenschutzrechtliche Probleme Bauprojekte zu verwirklichen. Die Prüfung im Einzelfall soll nicht entfallen. Selbst wenn bei der Aufstellung des Bebauungsplans Artenschutzvorschriften beachtet wurden, können die Verbote noch hinsichtlich einzelner Beeinträchtigungen relevant werden – dies gilt insbesondere bei Weiterentwicklungen des Naturraumes bzw. des Artenbestandes seit Verabschiedung des Plans.619 Schließlich kann auch aufgrund der Kompetenzverteilung nicht abschließend auf der Ebene der Bauleitplanung befunden werden: Ist die Erteilung einer Ausnahme erforderlich, ist diese zwingend durch die zuständige Naturschutzbehörde bezüglich eines konkreten Bauprojektes im Genehmigungsverfahren vorzunehmen. Das Vorliegen einer objektiven Ausnahmelage im Zeitpunkt des Bauleitplanverfahrens, wie die planende Gemeinde es prüft, reicht artenschutzrechtlich noch nicht aus. Diese Ergebnisse gelten sowohl für Bebauungsplanverfahren, die den Vorhaben nach § 30 BauGB vorausgehen und bei Vorhaben nach § 33 BauGB zu erwarten sind, als auch erst recht für Vorhaben im Innenbereich nach § 34 BauGB, denen lediglich eine Flächennutzungsplanung vorausging.620 Der bloße Verweis in § 44 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG auf die Einhaltung der Vorgaben des BauGB rechtfertigt damit noch nicht die Privilegierung der Vorhaben gemäß § 44 Abs. 5 Sätze 2 – 4 BNatSchG im Hinblick auf die Verbote des § 44 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 BNatSchG.621 Eine Europarechtskonformität könnte daher nur durch die Voraussetzungen des § 44 Abs. 5 BNatSchG selbst noch hergestellt werden. Es gilt gleichermaßen wie für privilegierte Eingriffsvorhaben, dass den europäischen Vorgaben zur Beschädigung oder Zerstörung der Lebensstätten durch das Erfordernis des Erhalts der ökologischen Funktion unter Verweis auf eventuell notwendige vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen genügt wird.622 Hinsichtlich des Ausschlusses auch damit einhergehender Beeinträchtigungen nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG oder Beeinträchtigungen nach § 44 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG sind hingegen Defizite zu verzeichnen.623 cc) Umweltprüfungen Gemäß § 44 Abs. 6 BNatSchG besteht eine Tatbestandseinschränkung des § 44 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG (Zugriffs- und Besitzverbote) hinsichtlich 619

VGH Kassel, NuR 2008, 410 (412); Louis, NuR 2009, 91 (100). Vgl. Gellermann, NuR 2007, 783 (788). 621 Hinsichtlich der Privilegierung von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich gemäß § 34 BauGB ebenfalls kritisch Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 36. 622 Daher ist Armbrecht darin zuzustimmen, dass CEF-Maßnahmen nicht bereits auf der Ebene der Bauleitplanung rechtsverbindlich festgelegt werden müssen, vgl. BayVBl 2011, 396 (398). 623 Vgl. dazu ausführlich oben D.IV.6.d)bb)(1). 620

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Handlungen zur Vorbereitung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen. Voraussetzung der Tatbestandseinschränkung ist, dass die Handlungen von fachkundigen Personen unter größtmöglicher Schonung der untersuchten Exemplare und der übrigen Tier- und Pflanzenwelt vorgenommen werden, und dies lediglich im notwendigen Umfang. Die „gesetzlich vorgesehenen Prüfungen“ umfassen alle geforderten Umweltprüfungen, neben der Umweltverträglichkeitsprüfung daher beispielsweise auch die FFH-Verträglichkeitsprüfung.624 Die in § 44 Abs. 6 BNatSchG aufgestellten Voraussetzungen sind zur Schonung der Tier- und Pflanzenwelt sinnvoll, geben aber nicht den vollständigen Katalog der Anforderungen des Art. 16 FFH-RL wieder. Gefordert sind lediglich die Fachkunde der handelnden Personen (zur Eliminierung aller vermeidbaren Beeinträchtigungen)625 und im Falle der FFH-relevanten Arten eine Mitteilungspflicht an die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständige Behörde.626 Die Einhaltung der Vorgaben des Artenschutzregimes der FFH-Richtlinie bleibt daher zu prüfen: Sind die in Rede stehenden Handlungen als unabsichtlich einzustufen, so sind lediglich die Pflichten gemäß Art. 12 Abs. 4 FFH-RL zu beachten, namentlich ein System zur fortlaufenden Überwachung einzurichten und die entsprechend der gewonnenen Erkenntnis notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Dies wäre bereits mit der Mitteilungspflicht nach § 44 Abs. 6 Satz 2 BNatSchG gewährleistet. Entsprechend der Definition des Absichtsbegriffes627 ist indes davon auszugehen, dass es sich – obwohl die Handlungen staatlich legitimiert, sogar gefordert sind – um im europäischen Sinne absichtliche Handlungen handelt. Damit sind die europäischen artenschutzrechtlichen Verbote anwendbar, und für eine Ausnahme müssen die Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL vorliegen. Als legitimer Zweck wird bei Handlungen zur Vorbereitung umweltbezogener Prüfungen, die den Artenschutz tangieren, regelmäßig Art. 16 Abs. 1 lit. a FFH-RL (Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen oder Erhaltung der natürlichen Lebensräume) einschlägig sein. Jedenfalls wird der allgemeiner gefasste legitime Zweck des Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL (zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich positiver Folgen für die Umwelt) zur Anwendung kommen können. Dass diesem allgemeineren Tatbestand die erforderlichen Handlungen für Umweltprüfungen zugeordnet werden können, ergibt sich bereits aus der systematischen Auslegung. Neben der Vereinbarkeit einer Richtli624 BT-Drs. 16/12274, S. 71; Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 587; Kratsch, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 44 Rn. 80. 625 BT-Drs. 16 /12274, S. 71; Kratsch, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 44 Rn. 80. 626 Um es den Behörden zu ermöglichen, Entwicklungen zu beobachten und dementsprechend zu handeln; gleichsam als Surrogat dafür, dass keine Zulassung einer Ausnahme im Einzelfall erforderlich ist, vgl. Heugel, in: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, Rn. 587. 627 Vgl. D.IV.2.a)aa).

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

nienvorschrift mit anderen Vorschriften der Richtlinie gehört dazu auch die Widerspruchsfreiheit bezüglich anderer europäischer Richtlinien. Die erfassten Umweltprüfungen wie die Umweltverträglichkeitsprüfung gehen indes ebenfalls auf europäische Richtlinienvorgaben zurück – insofern gebietet der Grundsatz der Systemkonformität die Möglichkeit der Ausnahme zugunsten der umweltrechtlichen Prüfungspflichten. Die zweite Voraussetzung des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL für das Nichtvorliegen einer zumutbaren Alternative wird in § 44 Abs. 6 BNatSchG nicht in gleicher Formulierung benannt, ist aber dennoch gewährleistet. Aus den Vorgaben anderer Richtlinienvorschriften folgt die Pflicht zur Durchführung der Prüfungen überhaupt und teilweise auch, in welcher Art und Weise diese zu erfolgen haben. Ansonsten sind die Prüfungen „unter größtmöglicher Schonung“ und nur „im notwendigen Umfang“ vorzunehmen. Daraus folgt, dass eine Alternative, die mit geringeren Beeinträchtigungen einhergeht, nicht vorhanden sein darf. Das Erfordernis der Fachkunde soll ebendies gewährleisten.628 Weitergehende Anforderungen stellt das Europarecht in Bezug auf diese Voraussetzung nicht. Schließlich nimmt § 44 Abs. 6 BNatSchG auch nicht ausdrücklich auf das Erfordernis der Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustands gemäß Art. 16 Abs. 1 FFH-RL Bezug. Zwar werden durch die Pflicht der Mitteilung an die zuständige Behörde die Voraussetzungen geschaffen, bei einer drohenden Verschlechterung zu reagieren – ausdrücklich gesetzlich verankert ist das Erfordernis aber nicht. Zur Gewährleistung der Europarechtskonformität sollte die Vorschrift dahingehend ergänzt werden. 7. Umsetzung der Artenschutzbestimmungen der FFH-Richtlinie in Fachgesetzen Artenschutzrechtliche Normen finden sich auch in anderen Fachgesetzen und können im Einzelfall nach Maßgabe des § 37 Abs. 2 BNatSchG vorrangig vor den Normen des Bundesnaturschutzgesetzes anwendbar sein.629 Für die Fälle, in denen die die FFH-RL umsetzenden Normen des besonderen naturschutzrechtlichen Artenschutzes nicht angewendet werden, sind die dann anwendbaren Vorschriften der Fachgesetze auf ihre Vereinbarkeit mit den europarechtlichen Vorgaben zu prüfen. Im Folgenden werden daher Vorschriften auf ihre Europarechtskonformität untersucht, die ihrem Regelungsgehalt nach typischerweise aufgrund ihrer Spezialität dem BNatSchG gegenüber vorrangig sind. Da allerdings nicht jeder konkrete einzelne Kollisionsfall vorhersehbar ist, erhebt die Prüfung keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vorrangig anwendbare Bestimmungen im Falle einer Normkonkurrenz finden sich insbesondere im Jagd- und Fischereirecht, aber auch im Pflanzenschutzrecht. Kollisionen sind beispielsweise mit dem Seuchenrecht zu erwarten. 628 BT-Drs. 16/12274, S. 71; vgl. auch Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 45. 629 Dazu oben C.III.

IV. Artenschutzbestimmungen im Bundesnaturschutzgesetz von 2010

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a) Jagdrecht Anders als die Vogelschutz-RL sieht die FFH-RL keine Ausnahme für die Jagdausübung vor.630 Das Artenschutzregime der FFH-RL ist somit uneingeschränkt anwendbar. Soweit Artenschutzregelungen des BNatSchG durch den jagdrechtlichen Artenschutz im Einzelfall verdrängt werden, ist daher zu prüfen, ob das Jagdrecht seinerseits die Vorgaben der FFH-RL einhält. Die folgende Prüfung ist auf die Erörterung dieser Frage beschränkt. Nichtsdestoweniger enthält das Jagdrecht über die näher untersuchten Bestimmungen hinaus insbesondere im Rahmen der Hegepflicht artenschutzrechtliche Regelungen, die teilweise sogar weiter als die naturschutzrechtlichen Artenschutzbestimmungen gehen, allerdings zur Gewährleistung der Umsetzung der FFH-RL wenig beitragen, weil sie andere Bereiche regeln oder zu wenig konkret sind.631 aa) Fang und Tötung Zu beachten ist zunächst das Fang- und Tötungsverbot gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL. Die Jagdausübung, die gemäß § 1 Abs. 4 BJagdG das Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Tieren beinhaltet, widerspricht tatbestandlich diesem Verbot. Ein Verstoß gegen das Verbot läge mithin vor, sofern die Jagd auf durch Art. 12 FFH-RL geschützten Tierarten zugelassen wäre und kein einschlägiger Ausnahmetatbestand vorläge. Es ist daher hinsichtlich der im Anwendungsbereich befindlichen jagdbaren Arten durch geeignete Regelungen sicherzustellen, dass die Jagd auf Exemplare solcher Arten unterbleibt oder die Ausnahmevoraussetzungen gemäß Art. 16 Abs. 1 FFH-RL vorliegen. Unterbunden werden kann die Jagd im Regelungssystem des Jagdrechts durch eine ganzjährige Schonzeit für die entsprechenden Arten oder durch ein Abschussverbot gemäß § 21 Abs. 3 BNatSchG. Letzteres kann die europarechtlichen Vorgaben aus zwei Gründen nicht vollständig gewährleisten: Zum einen bezieht es sich lediglich auf bestimmte Bezirke oder Reviere im Unterschied zum europäischen Artenschutz, der flächendeckend gilt. Zum anderen gewährleistet die bloße Ermächtigung zu einer Regelung noch nicht, dass eine solche auch einschließlich des vollständigen europäischen Gewährleistungsgehaltes erlassen wird. Die Umsetzung des Fang- und Tötungsverbotes kann indes durch eine ganzjährige Schonzeit erreicht werden.632 Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 BJagdG bestimmt das Bundesministerium durch Rechtsverordnung die Zeiten, in denen die Jagd auf Wild ausgeübt werden darf (Jagdzeiten). Außerhalb dieser Zeiten ist das Wild gemäß § 22 630

Vgl. Stüber, NuR 2000, 245 (246). Genannt sei neben den konkreten Grundsätzen der Hege beispielsweise der Jagdschutz, der ebenfalls die Erhaltung des Wildbestandes bezweckt; eine Übersicht artenschützender Regelungen im BJagdG gibt Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 147 ff.; zum Artenschutz im BJagdG vor Inkrafttreten der RL, der aber in großen Teilen unverändert blieb, Heider, Tierartenschutz, S. 101 ff. 632 Vgl. Stüber, NuR 2000, 245 (247). 631

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Abs. 1 Satz 2 BJagdG mit der Jagd zu verschonen (Schonzeiten). Dies gilt gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BJagdG auch, wenn für das Wild eine Jagdzeit nicht festgesetzt ist: In dem Fall besteht während des gesamten Jahres Schonzeit. Die Länder können gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 BJagdG die festgesetzten Jagdzeiten abkürzen, aufheben, verlängern oder neue festsetzen. Da auch die Länder an die Vorgaben der FFH-RL gebunden sind, ist diese Ermächtigung gemeinschaftsrechtlich unbedenklich.633 Für die dem deutschen Jagdrecht unterliegenden Arten des Anhangs IV der FFH-Richtlinie sind weder in der bundesrechtlichen Jagdzeitenverordnung634 noch auf Länderebene Jagdzeiten festgesetzt.635 Sie genießen somit ganzjährig Schonzeit, der Fang und die Tötung der betroffenen Exemplare sind jagdrechtlich untersagt. Das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL ist soweit nicht erforderlich. Das BJagdG bietet schließlich auch die Möglichkeit, die Regelungen zu Schonzeiten effektiv durchzusetzen: Gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 2 BJagdG ist strafbar, wer entgegen § 22 Abs. 2 Satz 1 BJagdG Wild nicht mit der Jagd verschont. Da eine ganzjährige Schonzeit das einzige Regelungsmittel ist, dem Fang- und Tötungsverbot gemäß Art. 12 FFH-RL gerecht zu werden, sind landesrechtliche Ausnahmeregelungen europarechtlich problematisch, wenn sie nicht die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL vollständig enthalten. § 22 Abs. 2, 3 BJagdG enthält Öffnungsklauseln636 zugunsten der Landesgesetzgeber, die die europarechtlichen Erfordernisse nicht vollständig voraussetzen; dies gilt insbesondere für die Voraussetzungen des Nichtvorliegens einer anderweitigen zufriedenstellenden Lösung und der Nichtbeeinträchtigung eines günstigen Erhaltungszustandes. Da allerdings auch die Landesgesetzgeber bereits ohne besondere bundesrechtliche Verpflichtung an die europäischen Vorgaben gebunden sind, liegt keine Europarechtswidrigkeit vor, solange etwaige landesrechtliche Ausnahmebestimmungen dem gerecht werden. Dies ist allerdings nicht der Fall bei mehreren landesrechtlichen 633

Im Ergebnis so auch Stüber, NuR 2000, 245 (248), der die Ausnahme von Art. 16 Abs. 1 FFH-RL gedeckt ansieht. 634 Verordnung über die Jagdzeiten vom 2. April 1977 (BGBl. I S. 531), zuletzt geändert durch Art. 1 V v. 25. April 2002 (BGBl. I S. 1487). 635 Die betroffenen Arten sind Wisent (Bison bonasus); Murmeltier (Marmot marmota); Wildkatze (Felis silvestris); Luchs (lynx lynx) und Fischotter (Lutra lutra); auf Landesebene sind derzeit keine weiteren FFH-relevanten Arten dem Jagdrecht zugeordnet, dies könnte sich für Sachsen mit der Zuordnung des Wolfes (canis lupus) zum Jagdrecht allerdings ändern, vgl. dazu Wolf, ZUR 2012, 331 ff. In diesem Fall müsste sich das Landesrecht in gleicher Weise an den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts messen lassen. 636 Diese Klauseln stammen aus der Zeit vor der Föderalismusreform, als noch kein Abweichungsrecht seitens der Länder bestand. Inzwischen sind solche Öffnungsklauseln nicht mehr notwendig, um eine Ländergesetzgebung zu ermöglichen – sie bewirken allerdings, dass eine entsprechende Ländergesetzgebung kein „Abweichen“ darstellt, sondern bereits auf die im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung allgemein bestehende Befugnis zur Gesetzgebung der Länder, soweit der Bund eine Materie nicht vollständig geregelt hat, gestützt werden kann.

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Ermächtigungen zur Zulassung einer Ausnahme durch die zuständigen Behörden über die Bejagung von Wild, das grundsätzlich bundesrechtlich sowie landesrechtlich ganzjährig Schonzeit genießt. Die Voraussetzungen orientieren sich zumeist vollständig an der bundesrechtlichen Vorgabe und übergehen die darin noch fehlenden europarechtlichen Erfordernisse des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL. Besondere Bestimmungen hinsichtlich auch durch die FFH-RL geschützter Arten betreffen lediglich die behördliche Zuständigkeit.637 Das neue sächsische Landesjagdgesetz hingegen sieht in § 22 Abs. 2 SächsLJagdG eine Zulassung für die Erlegung von Wild nach Anhang IV lit. a FFH-RL nur aus den in Art. 16 Abs. 1 lit. b und c FFH-RL genannten Gründen vor. Diese Einschränkung ist zu begrüßen, wird den Anforderungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL allerdings auch noch nicht vollständig gerecht, da die Voraussetzungen des Nichtvorliegens einer anderweitigen Alternative sowie der Nichtbeeinträchtigung eines günstigen Erhaltungszustandes nicht umgesetzt werden. Um Umsetzungsdefizite zu vermeiden, wären diese Anforderungen bei der Anwendung der Norm in unionsrechtskonformer Auslegung mit zu prüfen. Nichtsdestoweniger sollte auch die Lücke im Gesetzestext geschlossen werden. Durch die bundesrechtliche Öffnungsklausel hat der Bundesgesetzgeber im Übrigen die Regelung der Ausnahmen dem Landesgesetzgeber überlassen, also selbst keine abschließende Regelung getroffen. Die landesrechtlichen Ausnahmeregelungen weichen daher von den bundesrechtlichen nicht im Sinne des Art. 72 Abs. 3 GG ab, sondern unterliegen bereits aufgrund der Grundsätze der klassischen konkurrierenden Gesetzgebung der Kompetenz des Landesgesetzgebers. Ein Verstoß gegen das Fang- und Tötungsverbot gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL liegt somit insgesamt im BJagdG nicht vor; die landesrechtlichen Bestimmungen sollten indes im Hinblick auf eine vollständige Umsetzung ergänzt werden. bb) Störungsverbot Die Jagd kann mit Störungen i.S.v. Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL einhergehen. § 19a BJagdG regelt deshalb das Verbot, Wild, insbesondere soweit es in seinem Bestand gefährdet oder bedroht ist, unbefugt an seinen Zuflucht-, Nist-, Brut- oder Wohnstätten durch Aufsuchen, Fotografieren, Filmen oder ähnliche Handlungen zu stören. Die Vorschrift entspricht damit § 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG a.F. mit dem Unterschied, dass sie sich nicht auf die besonders gefährdeten Tierarten, sondern auf Wild bezieht und zusätzlich das Tatbestandsmerkmal des unbefugten Handelns enthält. Im Vergleich zum naturschutzrechtlichen Störungsverbot a.F. erscheint die Vorschrift damit spezieller und mithin vorrangig anwendbar. Nunmehr ist allerdings das naturschutzrechtliche Störungsverbot geändert worden und bezieht sich, angepasst an den Wortlaut der FFH-RL, nicht mehr auf bestimmte geschützte Orte, sondern auf Zeiten.638 Entscheidend ist hinsichtlich dieser Änderung im Rahmen der 637 638

Vgl. nur § 8 Abs. 4 LJagdG DVO BW; § 4 Abs. 2 JagdVO Bln; § 4 JagdRglV HA. Vgl. oben D.IV.2.b)bb)(1).

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Bestimmung des Anwendungsvorrangs durch Anwendung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze nicht mehr allein der Grundsatz der Spezialität, sondern auch der Grundsatz der europarechtskonformen Auslegung. Die naturschutzrechtliche Vorschrift ist der europäischen Vorschrift nähergekommen, allerdings immer noch mit Defiziten behaftet.639 Solange beide Vorschriften die europarechtlichen Vorschriften nur unzureichend umsetzen, ist die Entscheidung eines Anwendungsvorrangs im konkreten Einzelfall zu treffen: unter dem Gesichtspunkt der Spezialität und der Frage, welche Vorschrift im konkreten Fall dem Europarecht am besten gerecht wird. Dabei ist zu beachten, dass das Jagdrecht ein Zusammenspiel der bundesrechtlichen Bestimmung mit den durch § 19a Satz 2 BJagdG zugelassenen landesrechtlichen Ausnahmeregelungen darstellt. Die landesrechtlichen Ausnahmen sind zumeist ähnlich ausgestaltet und dienen regelmäßig legitimen Zwecken, missachten aber – ähnlich wie die zuvor dargestellten Ausnahmen zu Schonzeiten – die weiteren Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL. Etwaige besondere Bestimmungen hinsichtlich international geschützter Arten betreffen lediglich das Einvernehmen der Naturschutzbehörde, regeln aber keine weiteren materiellen Voraussetzungen.640 Es handelt sich aufgrund der Öffnungsklausel zugunsten des Landesgesetzgebers zudem wieder um die allgemeine konkurrierende Gesetzgebung und nicht um abweichende Landesgesetze i.S.v. Art. 72 Abs. 3 GG.641 Um zu gewährleisten, dass eine europarechtskonforme Anwendung überhaupt möglich ist, ist dem Gesetzgeber zu raten, auch das jagdrechtliche Störungsverbot – diesmal nicht defizitär – anzupassen. Ist dies erfolgt, so genießt hinsichtlich der Störung von Wild das jagdrechtliche Störungsverbot aufgrund seiner Spezialität Vorrang vor dem naturschutzrechtlichen Störungsverbot. Das naturschutzrechtliche Störungsverbot bezieht sich indes auch auf den Schutz bedrohter Tierarten, die nicht als Wild einzuordnen sind. Bezüglich dieser muss das naturschutzrechtliche Störungsverbot ebenfalls anwendbar sein, um eine Schutzlücke hinsichtlich der Umsetzung des europäischen Verbots zu vermeiden. Schließlich bleibt zu erwähnen, dass die Regelungen über Schonzeiten die Minimierung von Störungen fördern.642

639

Dazu oben D.IV.2.b)bb). Vgl. § 26 LJagdG BW; Art. 22 Abs. 2 BayJG; § 19 LJagdG M-V; § 21 Abs. 2 ThJG; siehe auch § 23 Abs. 5 HJagdG. 641 Daran ändert sich auch nichts, wenn Landesgesetze (wie beispielsweise das ThJG) vollständig neu erlassen werden. Es handelt sich dann nicht insgesamt um abweichende Gesetze; vielmehr ist jede Regelung darauf zu untersuchen, ob sie eine bundesrechtlich nicht abschließende Materie neu regelt, ob sie die bundesrechtliche Regelung wiederholt (die Zulässigkeit einer bloßen Wiederholung wird allerdings nach offenbar überwiegender Meinung bezweifelt, vgl. Beck, Abweichungsgesetzgebung, S. 59) oder ob sie tatsächlich von einer bundesrechtlichen Regelung abweicht. 642 Czybulka, NuR 2006, 7 (11). 640

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cc) Schutz der Fortpflanzungs- und Ruhestätten Ein zusätzlicher Schutz der Fortpflanzungs- und Ruhestätten neben dem ortsbezogenen Störungsverbot ist im BJagdG lediglich hinsichtlich Nestern von Vögeln verankert (§ 22 Abs. 4 BJagdG). Die Trennung der Regelungen des Störungsverbotes und des Verbots der Beschädigung, die im BNatSchG mit der Artenschutznovelle 2007 vorgenommen wurde, ist im BJagdG noch nicht erfolgt. Eine solche Aufsplittung und damit eine Anpassung an den europäischen Wortlaut, wäre zur Vermeidung von Umsetzungsdefiziten wünschenswert. Indes umfasst das derzeit noch ortsbezogene jagdrechtliche Störungsverbot bereits einen weiten Teil der drohenden Verletzungen von Fortpflanzungs- und Ruhestätten der betroffenen Arten gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL. Die verbleibenden Lücken sind – soweit möglich – durch eine unionsrechtskonforme Auslegung zu schließen. Wie bereits in der Betrachtung des jagdrechtlichen Störungsverbotes dargelegt, kommt angesichts der noch bestehenden Lücken auch bei einer Abgrenzung des naturschutzrechtlichen Verbotes der Verletzung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten und des jagdrechtlichen ortsbezogenen Störungsverbotes im konkreten Fall nicht allein der Grundsatz der Spezialität, sondern auch der Grundsatz der europarechtskonformen Auslegung zum Tragen. dd) Besitz- und Vermarktungsverbote Besitz- und Vermarktungsverbote sind im Jagdrecht in § 2 BWildSchV643 geregelt. Mit Erlass dieser Verordnung hat das Bundesministerium von seiner Ermächtigung nach § 36 Abs. 1 Nr. 2, 2a und 2b BJagdG Gebrauch gemacht. § 2 BWildSchV gilt für Tiere der in Anlage 1 genannten Arten. Von Anhang IV der FFH-RL ist nur das Murmeltier (Marmota marmota) aufgelistet. Die übrigen jagdrechtrelevanten Arten des Anhangs IV FFH-RL sind von den Verboten der BWildSchV nicht erfasst. Hinsichtlich des Murmeltiers ist aufgrund des speziellen Anwendungsbereichs § 2 BWildSchV im Vergleich zu § 44 Abs. 2 BNatSchG im Regelfall vorrangig. § 2 BWildSchV muss für solche Fälle Art. 12 Abs. 2 FFH-RL vollständig umsetzen. Dieser verbietet Besitz, Transport, Handel oder Austausch und Angebot zum Verkauf oder Austausch von aus der Natur entnommenen Exemplaren. Wenn auch die Tatbestandsvarianten des § 2 Abs. 1 Satz 1 BWildSchV im Wortlaut von denen der FFH-RL differieren, so sind doch alle verbotenen Tathandlungen in Nr. 1 – 3 erfasst. Die Vorschrift des § 2 BWildSchV ist indes nur dann europarechtskonform, wenn die geregelten Tatbestandsvorbehalte und Ausnahmen vom Tatbestand des Art. 12 Abs. 2 FFH-RL nicht erfasst werden oder den Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL genügen. Vom Verbotstatbestand ausgenommen ist zunächst gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BWildSchV das Aneignungsrecht des Jagdausübungsberechtigten. Dabei 643 Bundeswildschutzverordnung vom 25. Oktober 1985 (BGBl. I S. 2040), zuletzt geändert durch Art. 3 V v. 16. Februar 2005 (BGBl. I S. 258).

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

handelt es sich nicht nur um die Aneignung von erlegtem Wild; gemäß § 1 Abs. 5 BJagdG umfasst das Recht zur Aneignung von Wild auch die ausschließliche Befugnis, sich krankes oder verendetes Wild, Fallwild und Abwurfstangen sowie die Eier von Federwild anzueignen.644 Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 BWildSchV beschränkt sich die Ausnahme des Aneignungsrechts nach rechtmäßigem Eigentumserwerb des Jagdausübungsberechtigten allein auf den Besitz, nicht auf die Vermarktung oder den dazu erforderlichen Transport. Die Möglichkeit der Inbesitznahme eines kranken oder verletzten Tieres ist – soweit dieses nicht so krank ist, dass es zur Vermeidung unnötigen Leidens zu erlegen ist – für den Jagdausübungsberechtigten erforderlich, wenn er das Tier gemäß § 22a Abs. 1, 2. Hs. BJagdG fängt und versorgt. Die Regelung dient u. a. dem Schutz der wildlebenden Tiere, indem die Pflege kranker Tiere ermöglicht wird, sodass gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. a FFH-RL ein zulässiger Ausnahmezweck vorliegt. Die Inbesitznahme eines toten Tiers rechtfertigt sich ebenso wie die ähnliche naturschutzrechtliche Ausnahme (§ 45 Abs. 4 BNatSchG) dadurch, dass der Jagdausübungsberechtigte damit (soweit er von seinem Aneignungsrecht Gebrauch macht – eine Pflicht besteht nicht)645 dem Auftreten und der Verbreitung von Tierseuchen entgegenwirkt. Das Aneignungsrecht hinsichtlich toter Tiere dient folglich dem Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen i.S.v. Art. 16 Abs. 1 lit. a FFH-RL. Aufgrund seiner eigenen Fachkenntnis ist der Jagdausübungsberechtigte nicht verpflichtet, das Tier an einer bestimmten Stelle zur Entsorgung abzugeben. Eine anderweitige zufriedenstellende Alternative ist nicht ersichtlich. Der Bewahrung des günstigen Erhaltungszustandes steht die Regelung nicht entgegen – hinsichtlich der Inbesitznahme toter Tiere wird der Erhaltungszustand nicht berührt und hinsichtlich der Inbesitznahme kranker Tiere wird ihm durch die fachgerechte Pflege der Tiere gedient. Das Aneignungsrecht des Jagdausübungsberechtigten ist folglich europarechtskonform.646 Eine Möglichkeit für die zuständige Behörde, im Einzelfall Ausnahmen der Besitz- und Vermarktungsverbote nach § 2 Abs. 1 BWildSchV zuzulassen, enthält § 2 Abs. 5 BWildSchV. Auch diese Vorschrift muss die Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL gewährleisten, um europarechtskonform zu sein. 644 Das Aneignungsrecht gilt als zentraler Grundsatz im gesamten Jagdrecht und nicht nur im Rahmen der Ausnahme des § 2 BWildSchV, vgl. auch die Vorbehaltsregelungen zugunsten des Jagdrechts in § 45 Abs. 4, 5 Satz 1 BNatSchG. Die Prüfung der Europarechtskonformität des Aneignungsrechts ist daher von allgemeiner Bedeutung hinsichtlich aller jagdbaren Arten des Anhangs IV FFH-RL, nicht nur für die von der BWildSchV erfassten Arten. 645 Vgl. Müller-Schallenberg: „In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass sich aus dem Aneignungsrecht nicht auch grundsätzlich eine Aneignungspflicht ergibt. Im Interesse des Ansehens der Jägerschaft sollten jedoch Jagdausübungsberechtigte in ihrem Revier Fallwild insbesondere an von Menschen besuchten Orten ordnungsgemäß entsorgen, auch wenn sie dazu nicht verpflichtet sind. Verendetes, seuchenverdächtiges Wild ist dagegen unschädlich zu beseitigen.“, JagdR NRW, Rn. 9. 646 A.A. Wolf, ZUR 2012, 331 (335).

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Eine Ausnahme kann gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 BWildSchVerteilt werden, soweit dies für die Verwertung beschlagnahmter oder eingezogener Tiere erforderlich ist. Eine ähnliche Regelung enthält § 45 Abs. 6 BNatSchG. Diesem gegenüber ist § 2 Abs. 5 BWildSchV spezieller, wenn es sich um aufgrund von § 2 BWildSchV beschlagnahmte oder eingezogene Tiere handelt. Der mit der Regelung verfolgte Zweck ist indes derselbe: Ziel ist die Ermöglichung der Verwertung, insbesondere des Verkaufs (bzw. des Eigentumserwerbs seitens des Käufers) von aufgrund der Besitz- oder Vermarktungsverbote beschlagnahmten Tieren.647 Dieser Zweck ist dergestalt nicht unter den zulässigen Ausnahmezwecken des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL ausdrücklich aufgeführt. Es liegt allerdings im öffentlichen Interesse, ein artgerechtes Weiterleben der Tiere zu ermöglichen, das die deutschen zuständigen Behörden in vielerlei Hinsicht nicht selbst gewährleisten können. Auf diese Weise kann das Regelungssystem seinen maximalen Schutz erst entfalten. Die Vorschrift kann damit unter Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL gefasst werden. Eine andere zumutbare Alternative ist nicht ersichtlich; ebenso wenig wird die Erhaltung des günstigen Erhaltungszustands gefährdet. Die Ausnahme genügt daher den Anforderungen des Art. 16 Abs. 1 FFHRL. Gemäß § 2 Abs. 5 Satz 2 BWildSchV kann die zuständige Behörde weiterhin Ausnahmen von den Besitz- und Vermarktungsverboten zulassen, soweit dies für Zwecke der Forschung oder Lehre (Nr. 1), zur Ansiedlung von Tieren in der freien Natur oder der damit zusammenhängenden Aufzucht (Nr. 2) oder aus einem sonstigen vernünftigen Grund für eine Nutzung von Tieren in geringen Mengen (Nr. 3) erforderlich ist und Belange des Arten- und Biotopschutzes sowie Rechtsakte des Rates oder der Kommission der Europäischen Gemeinschaften oder Verpflichtungen aus internationalen Artenschutzübereinkommen nicht entgegenstehen. Die Ausnahmezwecke der Nr. 1 und Nr. 2 entsprechen Art. 16 Abs. 1 lit. d FFH-RL und sind damit zulässig. Der Ausnahmezweck der Nr. 3 ist zu unspezifisch, um den Anforderungen des Art. 16 Abs. 1 lit. c oder des Art. 16 Abs. 1 lit. e FFH-RL zu genügen. Zwar kann eine Ausnahme im Einzelfall entweder nach Maßgabe des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL zulässig sein. Dies ist im Einzelfall durch die Behörde sicherzustellen; sie ist dazu aufgrund des Erfordernisses, dass Rechtsakte des Rates der Europäischen Gemeinschaften nicht entgegenstehen dürfen, verpflichtet. Ebenso ist sie verpflichtet, die Einhaltung der anderen Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL, namentlich des Fehlens einer anderweitigen zufriedenstellenden Alternative und der Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustandes zu gewährleisten. Indes ist für eine korrekte Umsetzung erforderlich, dass die Behörde auch gesetzlich an diese Vorgaben gebunden wird. In diesem Fall liegt daher ein Regulierungsdefizit vor, das durch den Gesetzgeber zu beheben ist. Im Übrigen sind die Ausnahmen des § 2 Abs. 5 BWildSchV europarechtskonform.

647 Zum Zweck des § 45 Abs. 6 BNatSchG Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 45 Rn. 23.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Für die von § 2 BWildSchV nicht erfassten jagdrelevanten Arten, die in Anhang IV der FFH-RL genannt sind und damit den Besitz- und Vermarktungsverboten des Art. 12 Abs. 2 FFH-RL unterliegen, muss zur Gewährleistung der Europarechtskonformität des deutschen Rechts weiterhin § 44 Abs. 2 BNatSchG gelten. Andere Auslegungsmöglichkeiten, beispielsweise in dem Sinne, dass das Jagdrecht als speziellere Regelung vorgeht und durch die Nichtaufzählung bestimmter Arten geregelt hat, dass für diese keine Besitz- und Vermarktungsverbote gelten sollen, sind nicht europarechtskonform. Übersichtlicher wäre es, die fehlenden Arten in den Anwendungsbereich von § 2 BWildSchVaufzunehmen; dies ist europarechtlich aber nicht zwingend. Schließlich wird die Durchsetzbarkeit der Verbote durch die Besitznachweisregelung des § 5 BWildSchV und die Qualifizierung eines Verstoßes gegen die Verbote und Pflichten der BWildSchV als Ordnungswidrigkeit gemäß § 6 Nr. 1 – 5 BWildSchV i.V.m. § 39 Abs. 2 Nr. 5 BJagdG gefördert. Ein europarechtswidriger Mangel hinsichtlich der effektiven Durchsetzung ist daher nicht zu fürchten. ee) Maßnahmen gemäß Art. 14 FFH-RL Dem Jagdrecht unterliegen manche der in Anhang V der FFH-RL aufgelisteten Tierarten.648 Hinsichtlich dieser sind unterschiedliche Schutzmaßnahmen erkennbar: Teilweise sind keine Jagdzeiten geregelt, sodass eine ganzjährige Schonzeit gilt.649 Für die übrigen650 sind mehrere Monate Schonzeit geregelt, die landesrechtlich variieren. Schließlich sind manche Arten von den Besitz- und Vermarktungsverboten erfasst.651 Da Art. 14 FFH-RL den Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum einräumt, sind sie zu bestimmten Maßnahmen nicht verpflichtet. Der Ermessensspielraum bezieht sich auch darauf, welche Schutzmaßnahme welcher Art zugute kommen soll. Erkennbar ist, dass sich der Gesetz- und Verordnungsgeber mit dem Schutz der Arten des Anhangs V im Jagdrecht auseinandergesetzt hat. Eine Überschreitung des eingeräumten Ermessensspielraums ist nicht erkennbar. Stüber sieht indes in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht in der Regel des § 22 Abs. 4 BJagdG, wonach in den Setz- und Brutzeiten bis zum Selbständigwerden der Jungtiere die für die Aufzucht notwendigen Elterntiere, auch die von Wild ohne Schonzeit, nicht bejagt werden dürfen. Der Gemeinschaftsgeber habe sich eindeutig auf „ein Jagdverbot allgemein für die jagdbaren Arten während der 648 Dabei handelt es sich um Steinwild (Capra ibex), Schneehase (Lepus timidus); Baummarder (Martes martes); Iltis (Mustela putorius) und Seehund (Phoca vitulina); die landesrechtlichen Regelungen sehen derzeit keine weiteren jagdbaren Tierarten vor, die in Anhang V FFH-RL aufgeführt sind. 649 So für Schneehase (Lepus timidus), Steinwild (Capra ibex) und Seehund (Phoca vitulina). 650 Baummarder (Martes martes) und Iltis (Mustela putorius). 651 Steinwild (Capra ibex), Schneehase (Lepus timidus) und Seehund (Phoca vitulina).

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Nistzeit und der einzelnen Phasen der Brut- und Aufzuchtzeit, d. h. nicht nur für Elterntiere, sondern auch die Jungen selbst und auch für die Elterntiere, die möglicherweise für die Aufzucht nicht erforderlich sind“, festgelegt.652 Art. 14 FFH-RL enthält eine solch klare Vorgabe indes nicht. Art. 14 Abs. 2 FFH-RL gibt (neben der Überwachung) lediglich Beispiele für Maßnahmen vor, die überdies noch sehr viel weniger konkret als die von Stüber genannte Vorgabe sind. Das „Ob“ der Maßnahmen ebenso wie das „Wie“ einer Maßnahme unterliegen dem Entscheidungsspielraum des Mitgliedstaats. Der genannte Gemeinschaftsrechtsverstoß liegt daher nach hier vertretener Ansicht nicht vor. Im Übrigen bezieht sich § 22 Abs. 4 BJagdG vorbehaltlich etwaiger Ausnahmen auf jegliches Wild, nicht spezifisch auf die Arten des Anhangs V FFH-RL. Es ist daher ohnehin fraglich, ob die Regelung, die bereits vor Erlass der FFH-RL als artenschutzrechtliche Regelung bestand, als Maßnahme i.S.d. Art. 14 FFH-RL gesehen werden kann.653 ff) Verbotene Fang- und Tötungsmethoden Verbotene Fang- und Tötungsmethoden im Rahmen der Jagd regelt § 19 BJagdG, der daher eine Spezialvorschrift gegenüber § 4 Abs. 1 BArtSchV darstellt. Indes erscheint die Liste des § 19 BJagdG hinsichtlich der Vorgaben gemäß Art. 15 i.V.m. Anhang VI FFH-RL zunächst unvollständig.654 Nicht aufgelistet sind beispielsweise Sprengstoffe insgesamt als verbotene Tötungsmittel oder die Methode des Begasens oder Ausräucherns. Teilweise sind diese Verbote zwar in landesrechtlichen Bestimmungen verankert, allerdings nicht vollständig und flächendeckend.655 Das Verbot von als Lockmittel verwendeten geblendeten oder verstümmelten lebenden Tieren ist in § 19 Abs. 1 Nr. 5 lit. b BJagdG auf Vögel beschränkt, nach den Vorgaben der FFH-RL aber hinsichtlich aller in Anhang IV und V aufgelisteten Tiere zu gewährleisten. Schließlich gilt für die Vorschrift des § 19 BJagdG ebenso wie bei der Vorschrift des § 4 Abs. 1 BArtSchV, dass nicht entsprechend Art. 15 FFH-RL der Gebrauch aller nichtselektiven Geräte, durch die das örtliche Verschwinden von Populationen dieser Tierarten hervorgerufen werden könnte oder sie schwer gestört werden könnten, verboten wird, sondern eine Aufzählung bestimmter Methoden erfolgt. Zu beachten ist aber, dass die Vorschrift des § 19 BJagdG durch § 1 Abs. 3 BJagdG ergänzt wird. Danach ist nur die weidgerechte Jagdausübung zulässig. Da die dargestellten, in der Liste des § 19 BJagdG fehlenden Methoden den Grundsätzen

652

Stüber, NuR 2000, 245 (247). Zu der Regelung, als die FFH-RL noch nicht erlassen war, Heider, Tierartenschutz, S. 105 f. 654 Vgl. Czybulka, NuR 2006, 7 (10), der das Jagdrecht daher als dem Artenschutz zuwiderlaufend ansieht. 655 So sind Sprengstoffe und Gase z. T. verboten, vgl. Art. 29 Abs. 2 Nr. 7 BayJG; Art. 20 Abs. 1 Nr. 1 LJagdG HB; § 24 Abs. 1 NJagdG; § 32 Abs. 1 Nr. 6 SJG; § 18 Abs. 1 Nr. 3 SächsLJagdG; § 23 Abs. 2 Nr. 1 LJagdG SA; § 29 Abs. 2 Nr. 4 ThJG. 653

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

der Weidgerechtigkeit widersprechen656 und somit nach deutschem Jagdrecht nicht zulässig sind, ist diesbezüglich kein Umsetzungsdefizit zu verzeichnen. Eine tatbestandliche Einschränkung, die Art. 15 lit. b i.V.m. Anhang VI lit. b FFH-RL nicht kennt, enthält § 19 Abs. 1 Nr. 11 BJagdG für das Erlegen von Wild aus Kraftfahrzeugen durch Körperbehinderte. Die Einschränkung ist daher nur europarechtskonform, wenn sie den Vorgaben des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL genügt. Zweck der Ausnahmeregelung ist der Abbau bestehender Ungleichbehandlung von Körperbehinderten im Vergleich zu Nichtbehinderten, indem Körperbehinderten die Ausübung der Jagd ermöglicht wird, die ihnen sonst durch das Verbot des Erlegens aus einem Kraftfahrzeug heraus praktisch verwehrt bliebe. Die Gleichberechtigung körperlich behinderter Menschen ist ein zentrales öffentliches Anliegen des Grundgesetzes und des Europarechts.657 Sie ist deshalb als zwingender Grund des öffentlichen Interesses gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL zulässig. Anderweitige zufriedenstellende Alternativen sind nicht ersichtlich. Problematisch könnte indes eine Beeinträchtigung des Erhaltungszustands der Arten durch die Zulassung eines Transportmittels sein. Die Bejagung aus Kraftfahrzeugen heraus begründet die Gefahr einer grundsätzlichen Erzeugung von Panikattacken der Tiere gegenüber Kraftfahrzeugen, die es im Hinblick auf dadurch entstehende Unfallgefahren zu vermeiden gilt. Die dergestalt verursachten Wildunfälle könnten sich auch auf den Erhaltungszustand der Arten auswirken.658 Indes ist die Zahl der Körperbehinderten unter den Jägern und damit auch die Zahl der Ausnahmen der Verwendung eines Kraftfahrzeugs überschaubar. Zudem ist zuvor eine Erlaubnis der zuständigen Behörde einzuholen, sodass für diese eine Möglichkeit besteht, die Ausnahme zu verwehren, soweit das Erfordernis eines günstigen Erhaltungszustands aufgrund konkreter Umstände im Einzelfall oder aufgrund einer vermehrten Anfrage von Körperbehinderten bei den Behörden gefährdet ist. Die Beschränkung des Tatbestands kann daher im Einklang mit den Vorgaben der FFH-RL ausgelegt werden. Nichtsdestoweniger ist der Gesetzgeber aufgerufen, zur vollständigen Umsetzung der Richtlinie die Erlaubnis der Behörde auch ausdrücklich an die Vorgaben des Art. 16 FFH-RL zu binden. Wie auch im Rahmen des Störungsverbotes und der Schonzeiten ist hinsichtlich der verbotenen Methoden eine Öffnungsklausel zugunsten der Länder vorgesehen. § 19 Abs. 2 BJagdG lässt zu, dass die Länder die Verbotsvorschriften aus besonderen Gründen einschränken können. Diese Klausel beinhaltet nicht die europarechtlichen Ausnahmevoraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL. Wie bereits erwähnt, ist dies aufgrund der Bindung des Landesgesetzgebers an die europarechtlichen Vorgaben 656 Zu nicht weidgerechten Jagdmethoden Metzger, in: Lorz/Metzger/Stöckel, JagdR – FischereiR, § 1 BJagdG Rn. 19; vgl. auch Müller-Schallenberg, JagdR NRW, Rn. 16 f. 657 Vgl. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und Art. 10 AEUV sowie zahlreiche Rechtsakte zur Gleichstellung behinderter Menschen im Berufs- und Sozialleben. 658 Die Beeinträchtigung des Artenbestands ist nur ein Aspekt der Unfallgefahren. An der Ausnahme kann daher auch aus anderen Gründen gezweifelt werden; die grundsätzliche Sinnhaftigkeit der Ausnahme soll hier indes nicht weiter diskutiert werden.

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auch nicht explizit erforderlich. Nichtsdestoweniger enthalten auch ergangene landesrechtliche Bestimmungen diese Vorgaben nicht, sondern ermächtigen die Behörden zur Zulassung von Ausnahmen, insbesondere ohne das Fehlen einer anderweitigen zufriedenstellenden Alternative oder den Erhalt des günstigen Erhaltungszustandes wie Art. 16 Abs. 1 FFH-RL vorauszusetzen. Die allgemeine Pflicht der Behörden zur Beachtung des Europarechts sowie eine faktische Einhaltung von dessen Vorgaben genügen den Anforderungen an eine korrekte Richtlinienumsetzung nicht.659 Legitime Zwecke i.S.d. Art. 16 Abs. 1 FFH-RL sind hingegen teilweise landesrechtlich vorausgesetzt. Beschränkungen bestehen ansonsten lediglich für Arten, die nach der Vogelschutz-RL geschützt sind.660 Es ist damit insgesamt zwar nicht bei den Verbotsvorgaben des § 19 BJagdG, aber bei den landesrechtlichen Ausnahmebestimmungen ein gesetzliches Regelungsdefizit hinsichtlich der Umsetzung der Vorgaben des Art. 15 i.V.m. Anhang VI FFH-RL festzustellen. Insofern könnte im konkreten Fall trotz Spezialität des jagdrechtlichen Verbotes gegenüber der BArtSchV im Rahmen einer europarechtskonformen Auslegung letzterer der Vorzug gegeben werden. Eine Aufnahme der fehlenden Vorgaben der FFH-RL in das BJagdG seitens des Gesetzgebers würde Klarheit über einen europarechtskonformen Vorrang des § 19 BJagdG als lex specialis schaffen. b) Forstrecht Obwohl das Forstrecht durch die Pflege des Waldes als Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten artenschützende Funktionen aufweist, enthält es kein spezielles eigenes Regime des Artenschutzes. Soweit dennoch Zielkonformität zwischen den beiden Rechtsgebieten besteht, kann Waldrecht als spezielleres, vorrangiges Sonderrecht für dessen örtlichen Anwendungsbereich angesehen werden.661 Demgegenüber enthält das besondere Artenschutzrecht sehr detaillierte Regelungen für bestimmte gefährdete Arten und könnte diesbezüglich seinerseits spezieller sein. Eine entsprechend gelagerte Vorschrift zum Schutz der besonders gefährdeten Arten, die regelmäßig in Normkonkurrenz mit dem besonderen Artenschutzrecht tritt, dieses verdrängt und daher auf Europarechtskonformität zu prüfen wäre, enthält das Forstrecht nicht.662

659

Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 01. 2006, Rs. C-98/03, Slg. 2006, I-53, Rn. 61 – Kommission/ Bundesrepublik Deutschland; Urt. v. 11. 01. 2007, Rs. C-183/05, Slg. 2007, I-137, Rn. 48 f. – Kommission/Irland; zu den Anforderungen an die Richtlinienumsetzung im Allgemeinen und bzgl. der FFH-RL s. auch D.II. 660 Vgl. die landesrechtlichen Ausnahmeregelungen gemäß § 22 Abs. 3 ff. LJagdG Bln; § 16 Abs. 3 JagdG Hbg; § 23 Abs. 3 LJagdG RP; § 23 Abs. 4 LJagdG SA; § 29 Abs. 4 ThJG. 661 Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 37; Klose/Orf, Forstrecht, § 1 BWaldG Rn. 39. 662 Zu den Belangen des Artenschutzes im Forstrecht vgl. Hellenbroich, Artenschutzrecht, S. 154 ff.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

Normkollisionen mit dem besonderen Artenschutzrecht sind im Einzelfall möglich. Dabei ist die Vorschrift des § 44 Abs. 4 BNatSchG zu beachten.663 Sind die dort genannten Voraussetzungen nicht erfüllt, so gilt im Umkehrschluss, dass das besondere Artenschutzrecht vorgeht.664 c) Fischereirecht Das Fischereirecht enthält aufgrund seiner historischen Entwicklung vergleichbare Artenschutzregelungen wie das Jagdrecht. Die Fischereiwirtschaft besitzt europarechtlich betrachtet allerdings einen anderen, der Landwirtschaft vergleichbaren Stellenwert. Als laufende Tätigkeiten gelten für sie Besonderheiten. Der Europäischen Kommission zufolge kommt es bei diesen nicht auf Beeinträchtigungen einzelner Exemplare, sondern solche der lokalen Population an. Zufällige Störungen oder sogar Tötungen sind zu akzeptieren, solange die Nutzung nicht „für eine Art eindeutig schädlich ist und zu einem Rückgang der Population in dem betreffenden Gebiet führt“.665 Eine so strikte Prüfung der Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote, wie sie für das Jagdrecht erfolgt ist, ist aufgrund des unterschiedlichen Maßstabs für das Fischereirecht nicht erforderlich. Der Mitgliedstaat genießt einen großen Spielraum bei der Regelung der laufenden Tätigkeiten im Hinblick auf das Artenschutzrecht. Artenschutzrechtliche Regelungen im Fischereirecht bestehen auf Landesebene (zur Binnenfischerei) beispielsweise in Gestalt von Bestimmungen über Schonzeiten, Hegepflichten, Verwertungsverbote und Schonbezirke.666 Für die Hochsee- und Küstenfischerei gelten mengenmäßige Beschränkungen gemäß § 2 SeefiV667. Das Verhältnis von naturschutzrechtlichem besonderem Artenschutz und Fischerei wird im Rahmen des besonderen Artenschutzes insbesondere durch die Tatbestandsausnahme des § 44 Abs. 4 BNatSchG geprägt. Dessen Voraussetzungen müssen auch fischereirechtliche Artenschutzregelungen genügen, die im Übrigen auf der Grundlage des § 37 Abs. 2 BNatSchG aufgrund ihrer Spezialität im konkreten Fall vorrangig vor dem naturschutzrechtlichen Artenschutz anwendbar sind. In § 44 Abs. 4 Satz 2 BNatSchG ist die Voraussetzung der Tatbestandsausnahme statuiert, dass der Erhaltungszustand der lokalen Population der betroffenen Art sich nicht verschlechtern darf. Damit ist für die dort erfassten Beeinträchtigungen die von der Europäischen Kommission aufgestellte Grenze (Rückgang der Population) gesetzlich geregelt. Ist diese Voraussetzung im konkreten Fall nicht erfüllt, bleibt im Umkehrschluss das besondere Artenschutzrecht des Bundesnaturschutzgesetzes 663 664 665

aa). 666

Dazu ausführlich oben D.IV.6.d)aa). Gellermann, in: Landmann/Rohmer, UmweltR IV, § 37 BNatSchG Rn. 16. Europäische Kommission, Leitfaden, sub II.2.4.; vgl. dazu ausführlich oben D.IV.6.d)

Vgl. zum Artenschutz im Fischereirecht Heider, Tierartenschutz, S. 125 ff. Seefischereiverordnung vom 18. Juli 1989 (BGBl. I S. 1485), zuletzt geändert durch Art. 28 V v. 13. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2720). 667

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anwendbar. Die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote sind damit auch hinsichtlich des Fischereirechts richtlinienkonform umgesetzt. Dies muss erst recht für die noch weniger konkreten Vorgaben des Art. 14 FFH-RL gelten. Schließlich postuliert Art. 15 FFH-RL ein Verbot bestimmter Fanggeräte und -methoden, das insbesondere den Einsatz von Gift und Sprengstoffen beim Fischfang verbietet. Entsprechende Verbote bestehen für die Binnenfischerei in den Landesfischereigesetzen.668 Für die Seefischerei sieht bereits Art. 31 Abs. 1 VO (EG) zur Erhaltung der Fischereiressourcen669 ein solches Verbot vor. Ein Verstoß dagegen wird im deutschen Recht gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 26 Seefischerei-Bußgeldverordnung670 als Ordnungswidrigkeit geahndet. Ein Mangel in der Umsetzung der Vorgaben des Art. 15 FFH-RL liegt daher nicht vor. Hinsichtlich der Vorgaben der FFH-RL ist das deutsche Fischereirecht (im Zusammenspiel mit dem Naturschutzrecht) mithin europarechtskonform. Zu beachten ist aber, dass weitere europäische Rechtsakte für das Fischereirecht weitergehende und konkretere Vorgaben vorsehen. d) Pflanzenschutzgesetz Das Pflanzenschutzgesetz sieht in § 13 PflSchG eine Bestimmung zum Artenschutz vor. § 13 Abs. 2 PflSchG ist vom Regelungsgehalt her § 44 Abs. 1 BNatSchG nachgebildet. Die Vorschrift enthält dieselben Zugriffsverbote, ist allerdings rein auf die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln bezogen und daher spezieller. Aufgrund des regelmäßigen Vorrangs im Einzelfall vor § 44 Abs. 1 BNatSchG muss die Vorschrift gleichermaßen die Verbote des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL umsetzen. Für § 13 Abs. 2 Satz 1 und 2 PflSchG gilt dabei wegen des identischen Regelungsgehaltes dasselbe wie für § 44 Abs. 1 BNatSchG.671 § 13 Abs. 2 Satz 3 PflSchG nimmt allerdings Pflanzenschutzmaßnahmen, die nach den in § 3 PflSchG bezeichneten Grundsätzen durchgeführt wurden, von den Verboten aus. Die dort beschriebenen Grundsätze der guten fachlichen Praxis sind indes viel zu unbestimmt, um die Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL sicherzustellen. Die Verbotsausnahme muss daher den Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL genügen. § 13 Abs. 2 Satz 4 PflSchG bestimmt, dass die Ausnahme für die von Art. 12 Abs. 1 FFHRL erfassten Arten, mithin jene, die in Anhang IV der Richtlinie aufgelistet sind, nur gilt, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art in ihrem 668

Siehe z. B. § 39 Abs. 1 LFischG NRW. Verordnung (EG) Nr. 850/98 des Rates vom 30. März 1998 zur Erhaltung der Fischereiressourcen durch technische Maßnahmen zum Schutz von jungen Meerestieren, ABl. Nr. L 125 vom 27. 4. 1998, S. 1. 670 Verordnung zur Durchsetzung des Fischereirechts der Europäischen Union (Seefischerei-Bußgeldverordnung) vom 16. Juni 1988 (BGBl. I S. 1355), zuletzt geändert durch Art. 1 V v. 6. Juni 2012 (BGBl. I S. 1286). 671 Vgl. ausführlich D.IV.2. und 3. 669

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

natürlichen Verbreitungsgebiet durch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln nicht verschlechtert. Diese Voraussetzung stellt allerdings nur eine von dreien dar. Nicht erwähnt sind die Voraussetzung, dass die Ausnahme nur einem der aufgezählten Zwecke dienen darf, und die Voraussetzung, dass keine anderweitige zufriedenstellende Lösung erkennbar ist. Gegenstand der Ausnahme sind gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 und 3 PflSchG Maßnahmen zum Pflanzenschutz. Nach der Definition des § 2 Nr. 1 PflSchG ist darunter der Schutz von Pflanzen vor Schadorganismen und nichtparasitären Beeinträchtigungen (lit. a) und der Schutz der Pflanzenerzeugnisse vor Schadorganismen (lit. b) zu verstehen. Soweit der Schutz von wildlebenden Pflanzen bezweckt wird, ist der Ausnahmezweck des Art. 16 Abs. 1 lit. a FFH-RL einschlägig. Das Pflanzenschutzgesetz beschränkt seinen Schutzzweck allerdings nicht auf wildlebende Pflanzen; in erster Linie sind auch Kulturpflanzen geschützt. Soweit Maßnahmen zu deren Schutz ergriffen werden, greift Art. 16 Abs. 1 lit. b FFH-RL als Ausnahmezweck (Verhütung ernster Schäden an Kulturen). Schließlich geht der Schutz von Pflanzen mit positiven Folgen für die Umwelt einher, sodass die Ausnahme auch auf Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL gestützt werden könnte. Hinsichtlich des Nichtvorliegens anderweitiger zufriedenstellender Alternativen ist eine entsprechende Voraussetzung im PflSchG selbst nicht vorgesehen. Zu den Grundsätzen der guten fachlichen Praxis, auf die Bezug genommen wird, gehören aber gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PflSchG auch die allgemeinen Grundsätze des integrierten Pflanzenschutzes des Anhangs III der Richtlinie für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden672. Diese sehen in Nr. 4 vor, dass nachhaltigen biologischen, physikalischen und anderen nichtchemischen Methoden der Vorzug vor chemischen Methoden zu geben ist, wenn sich mit ihnen ein zufriedenstellendes Ergebnis bei der Bekämpfung von Schädlingen erzielen lässt. Nr. 5 bestimmt, dass die eingesetzten Pestizide so weit zielartenspezifisch wie möglich sein und die geringsten Nebenwirkungen auf die menschliche Gesundheit, Nichtzielorganismen und die Umwelt haben müssen. Bei Einhaltung dieser Grundsätze dürfte hinsichtlich des Einsatzes von Pflanzenschutzmaßnahmen kaum noch denkbar sein, dass noch anderweitige zufriedenstellende Alternativen vorliegen. Eine Klausel in § 13 Abs. 2 Satz 4 PflSchG, die das Nichtvorliegen anderweitiger zufriedenstellender Alternativen allgemein als Ausnahmevoraussetzung statuiert, würde aber für mehr Klarheit sorgen. § 13 Abs. 4 PflSchG sieht die Möglichkeit weiterer Ausnahmeerteilungen im Einzelfall durch die Behörde vor. Die Voraussetzungen entsprechen denen des § 45 Abs. 7 Satz 1 – 3 BNatSchG; durch seinen Bezug auf § 13 Abs. 2 PflSchG ist § 13 Abs. 4 PflSchG in solchen Situationen vorrangig vor § 45 Abs. 7 BNatSchG an-

672 Richtlinie 2009/128/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden, Abl. Nr. L 309 vom 24. 11. 2009, S. 71.

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wendbar. Hinsichtlich der Umsetzung der Vorgaben der FFH-RL ist indes auf die ausführliche Darstellung im Rahmen des § 45 Abs. 7 BNatSchG zu verweisen.673 Die Durchsetzung der Verbote des § 13 Abs. 2 PflSchG ist durch die Bußgeldvorschrift des § 68 Abs. 1 Nr. 9 – 12 PflSchG gewährleistet, sodass diesbezüglich keine Bedenken hinsichtlich einer effektiven Umsetzung der Verbote der FFH-RL bestehen. e) Tierseuchengesetz Die Unberührtheit des Seuchenrechts von den naturschutzrechtlichen Artenschutzvorschriften ist ebenfalls in § 37 Abs. 2 BNatSchG geregelt. Es ist daher möglich, dass im Einzelfall die Regelungen des Seuchenrechts Vorrang besitzen. § 24 TierSG regelt die Zulässigkeit der Tötung von Tieren zum Schutz vor der Ausbreitung von Seuchen und erscheint damit spezieller als das naturschutzrechtliche Tötungsverbot.674 Erfasst sind alle Tiere, mithin auch solche des Anwendungsbereichs der FFH-RL. Da die Tötung gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL zu verbieten ist, muss die Vorschrift zur Gewährleistung der Europarechtskonformität die Voraussetzungen einer Ausnahmebestimmung gemäß Art. 16 FFH-RL erfüllen. Dazu muss sie einem der in Art. 16 Abs. 1 FFH-RL aufgezählten Zweck dienen, es darf keine anderweitige zufriedenstellende Lösung geben und die Populationen der betroffenen Art müssen in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen. Die in § 24 Abs. 1 – 3 TierSG aufgezählten Zwecke, zu denen eine Tötung zulässig ist, zeigen, dass die Regelung der Verhinderung des Auftretens oder Ausbreitens der Tierseuche und damit vorwiegend dem Schutz anderer Exemplare der betroffenen Art vor der Seuche dient, ggf. auch anderen Tierarten oder sogar Menschen, wenn eine entsprechende Übertragbarkeit möglich ist. Einschlägig ist daher in erster Linie der Zweck des Art. 16 Abs. 1 lit. a FFH-RL (Schutz der wildlebenden Tiere), ggf. aber auch Art. 16 Abs. 1 lit. b FFH-RL (Verhütung ernster Schäden in der Tierhaltung) oder Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL (Volksgesundheit sowie positive Folgen für die Umwelt). § 24 TierSG stellt auch sicher, dass eine Tötung nur zulässig ist, wenn keine anderweitigen zufriedenstellenden Alternativen gegeben sind: Die Tötung in den Fällen des § 24 Abs. 2 und 3 TierSG darf nur erfolgen, wenn sie „erforderlich“ ist. Der Begriff bedeutet im öffentlichen Recht bereits allgemein, dass kein milderes gleich geeignetes Mittel gegeben sein darf. § 24 Abs. 4 Satz 1 TierSG konkretisiert die Anforderungen. Danach ist die Tötung nur zulässig, wenn andere geeignete Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung der Tierseuche nicht zur Verfügung stehen. Für Tötungen gemäß § 24 Abs. 1 TierSG, also von bereits erkrankten oder verdächtigen Tieren ist keine ebenso wirksame Maßnahme denkbar wie die Tötung. Ein 673 674

Siehe oben D.IV.6.c)bb)(1). Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 37 Rn. 14.

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D. Umsetzung der materiellen Richtlinienvorgaben zum Artenschutz

weiteres Abwarten (hinsichtlich der lediglich verdächtigen Tiere) geht mit dem Risiko der Ansteckung weiterer Tiere und damit der Ausbreitung der Seuche einher und ist somit nicht gleich wirksam. Die von Art. 16 Abs. 1 FFH-RL geforderte Voraussetzung der Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustands wird hinsichtlich der Tötungen gemäß § 24 Abs. 2 und 3 TierSG durch § 24 Abs. 4 Satz 2 TierSG sichergestellt. Danach darf die betroffene Tierart durch die Tötungsmaßnahme nicht der Gefahr der Ausrottung ausgesetzt sein. Hinsichtlich § 24 Abs. 1 TierSG ist dies streng genommen nicht geregelt. Indes betrifft Abs. 1 bereits verseuchte oder verdächtige Tiere, mithin solche, die vor dem Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu retten sind. Die Tötung hat damit keine Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der Art. Wird der Wortlaut sehr streng ausgelegt, ist die „Bedingung, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen“, nicht erfüllt; denn eine Beeinträchtigung des günstigen Erhaltungszustandes kann durchaus eintreten. Zu bedenken ist allerdings, dass der Passus „trotz der Ausnahmeregelung“ zu dieser Interpretation nicht recht passt. Die Ausnahmeregelung bedingt nicht allein die Beeinträchtigung des Erhaltungszustandes, sondern setzt lediglich einen gleichsam die natürliche Entwicklung überholenden Kausalverlauf in Gang. Die Situation ist ähnlich derjenigen gelagert, dass sich der Erhaltungszustand der betroffenen Art bereits in einem ungünstigen Erhaltungszustand befindet. Dazu hat der EuGH entschieden, dass unter außergewöhnlichen Umständen eine Ausnahme gewährt werden darf, wenn nachgewiesen ist, dass sie weder den ungünstigen Erhaltungszustand weiter verschlechtert noch die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands behindert.675 Die Vorwegnahme des Todeseintritts im Falle verseuchter Tiere verschlechtert den Erhaltungszustand langfristig nicht und behindert nicht die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands; sie ist vielmehr der Erhaltung der betroffenen Tierart förderlich, indem weitere Tiere vor einer Ansteckung bewahrt werden. Das Telos der Regelung führt daher zu der Auslegung, dass die Voraussetzung der Erhaltung eines günstigen Erhaltungszustands auch der Ausnahme des § 24 Abs. 1 TierSG nicht entgegensteht. Somit entspricht § 24 TierSG insgesamt den Anforderungen des Art. 16 FFH-RL.

675 EuGH, Urt. v. 14. 06. 2007, Rs. C-342/05, Slg. 2007, I-4713, Rn. 29; vgl. dazu oben D.IV.6.b)cc).

E. Zusammenfassung in Thesen 1. Eine vollständige Analyse der Umsetzung der artenschutzrechtlichen Vorgaben der FFH-RL in das deutsche Recht umfasst neben der Betrachtung formeller Aspekte im Schwerpunkt die Untersuchung des deutschen Naturschutzrechts selbst sowie von dessen Zusammenspiel mit artenschutzrelevanten Fachgesetzen. 2. Die formellen Aspekte der Umsetzung besitzen Konfliktpotential, führen aber nicht zwangsläufig zu Umsetzungsdefiziten: Das System der Gesetzgebungskompetenzen seit der Föderalismusreform kommt einer vollständigen und zügigen Umsetzung durch die Einführung der Abweichungsgesetzgebung zugute. Noch ungeklärte Rechtsfragen um dieses neue Institut können bis zu einem gewissen Maße zu Rechtsunsicherheit führen. 3. Die Gefahr der Rechtsunsicherheit gilt weniger für das Naturschutzrecht, da der Artenschutz hier zum abwägungsfesten Kern gehört, als vielmehr für sonstige artenschutzrelevante Fachgesetze. Die Rechtsunsicherheit wird erhöht durch die Abgrenzungsschwierigkeiten hinsichtlich einzelner artenschutzbeinhaltender oder in sonstiger Weise relevanter Materien bzw. deren Kompetenzen. Soweit Vorschriften solcher Fachgebiete gegenüber Normen des Naturschutzrechts zurücktreten, müssen die vorrangigen fachgesetzlichen Regelungen auch den Vorgaben der FFH-RL genügen. 4. Im Unterschied dazu sind in materieller Hinsicht durchaus Defizite in der Umsetzung der artenschutzrechtlichen Vorgaben der FFH-RL in nationales Recht zu verzeichnen. Insbesondere bei der Umsetzung der Zugriffsverbote gemäß Art. 12 Abs. 1 FFH-RL zeigen sich in vielerlei Hinsicht Probleme. Im Rahmen des Tötungsverbotes sind zwar frühere, bereits durch den EuGH gerügte Defizite (namentlich in Bezug auf die Ausnahmevorschrift des § 43 Abs. 4 BNatSchG a.F.) behoben, die Anwendung des Tötungsverbotes ist indes namentlich beim Problemkreis der kollisionsbedingten Tötungen im Rahmen von Straßenbau und -betrieb immer noch umstritten. Die Problematik ist durch den weiten deutschen Tatbestand, der im Unterschied zum europarechtlichen Verbotstatbestand keine subjektiven Voraussetzungen enthält, begründet. Die Reichweite des Wortlauts erfordert für eine verhältnismäßige Anwendung die Anerkennung einer Tatbestandsbegrenzung. a) Zur Begrenzung der Reichweite des Tötungsverbotes im Hinblick auf den Kraftfahrzeugführer ist festzustellen, dass diesbezügliche Kriterien, die sich aus der Auslegung des nationalen Rechts ergeben, nicht vollständig ausschließen können, dass der europäische Tatbestand nicht verwirklicht wird. Das europäische Kriterium

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E. Zusammenfassung in Thesen

der Absichtlichkeit ist im deutschen Recht derzeit nicht anwendbar. Eine Angleichung der deutschen Rechtslage würde mehr Klarheit schaffen. b) Zur Bestimmung der Reichweite des Tatbestandes im Rahmen der Planung durch die Behörde existieren unterschiedliche Ansätze. Der überwiegend vertretene Prüfungsmaßstab eines „signifikant erhöhten Kollisionsrisikos“ des Bundesverwaltungsgerichts ist europarechtskonform. Fraglich bleibt, auf welche Vorhaben neben dem Straßenbau und -betrieb der Maßstab anwendbar ist. 5. Hinsichtlich des Störungsverbotes ist ebenso wie hinsichtlich des Schutzes der Fortpflanzungs- und Ruhestätten eine Verbesserung der Umsetzung seit der Artenschutznovelle zu verzeichnen: Der Schutz bestimmter Orte wurde unabhängig vom Schutz vor Störungen zu bestimmten Zeiten geregelt. 6. Immer noch europarechtswidrig ist das deutsche Störungsverbot indes hinsichtlich der ausschließlichen Beschränkung auf die aufgezählten Zeiten. Auch manche Versuche einer engen Auslegung des Verbots durch deutsche Stimmen können zu Vollzugsdefiziten führen. Die Begrenzung einer tatbestandsrelevanten Störung auf eine erhebliche Störung, anknüpfend an den Erhaltungszustand der lokalen Population, ist jedoch nicht europarechtswidrig. 7. Hinsichtlich des Verbots der Beschädigung und Zerstörung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten sind Umsetzungsdefizite in der deutschen Regelung nicht erkennbar. Um die Vorschrift ranken sich aber Auslegungsfragen, die ggf. auch mit einem Vollzugsdefizit einhergehen können; namentlich das Institut der vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen ist indes europarechtskonform. 8. Auch im Bereich der Besitz- und Vermarktungsverbote gemäß Art. 12 Abs. 2 FFH-RL ist kein Umsetzungsdefizit erkennbar. 9. Europarechtskonform ist auch die Umsetzung von Art. 12 Abs. 4 FFH-RL: Diese ist zwar etwas umständlich, aber nicht europarechtswidrig erfolgt. 10. Die Implementation des Art. 13 FFH-RL birgt – im Vergleich zur Umsetzung des Art. 12 FFH-RL – keine weiteren Probleme und Art. 14 FFH-RL ist ebenfalls europarechtskonform umgesetzt worden. 11. Problematisch erscheint die Anwendung der umgesetzten Artenschutzvorschriften im behördlichen Zulassungsverfahren, insbesondere hinsichtlich des anwendbaren Prüfungsmaßstabs. Während das Europarecht durch das Erfordernis der Absicht eine Tatbestandsbeschränkung kennt, die die Anwendung in der Praxis verhältnismäßig erscheinen lässt, ist die Rechtslage in Deutschland praxisfeindlicher. Der durch das Bundesverwaltungsgericht für den besonderen Fall der Kollisionsrisiken im Straßenverkehr herausgearbeitete Maßstab erscheint indes europarechtskonform, ebenso auch das Zugeständnis von Beurteilungsspielräumen an die Behörden. 12. Umsetzungsdefizite sind allerdings in Bezug auf Art. 15 FFH-RL erkennbar: Die umsetzende Vorschrift des § 4 Abs. 1 BArtSchV enthält eine abschließende

E. Zusammenfassung in Thesen

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Aufzählung und verbietet nicht alle nichtselektiven Mittel für Fang und Tötung der Tiere, durch die das örtliche Verschwinden von Populationen dieser Tierarten hervorgerufen werden könnte oder sie schwer gestört werden könnten. 13. Ausnahmevorschriften zu den artenschutzrechtlichen Verboten, die an den Vorgaben des Art. 16 FFH-RL zu messen sind, kommen mehrfach vor. a) Europarechtskonform erscheinen die gesetzlichen Ausnahmen gemäß § 45 Abs. 1 – 5 BNatSchG. Ohne Umsetzungsdefizite sind außerdem die Regelungen gemäß § 45 Abs. 6 und 8 BNatSchG ebenso wie die Ausnahmevorschriften der BArtSchV. b) Europarechtswidrig ist hingegen das Institut der Befreiung gemäß § 67 Abs. 2 BNatSchG ausgestaltet, indem von der Anwendbarkeit der Vorschrift des § 44 BNatSchG abgesehen werden kann, ohne dass die Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 16 FFH-RL verlangt wird. c) Die zentrale Umsetzungsvorschrift des Art. 16 FFH-RL stellt indes § 45 Abs. 7 BNatSchG dar: Diese statuiert die Möglichkeit der Behörde, unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen der artenschutzrechtlichen Verbote zuzulassen, und beachtet dabei in hinreichendem Maße die europäischen Vorgaben. Namentlich hinsichtlich des Kriteriums, dass sich der Erhaltungszustand einer Art durch die Ausnahme nicht verschlechtern darf, erscheint eine europarechtskonforme Auslegung noch möglich. d) Nicht unproblematisch sind die Tatbestandsausnahmen gemäß § 44 Abs. 4 – 6 BNatSchG. Dabei enthält § 44 Abs. 4 BNatSchG eine europarechtskonforme Einschränkung für land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Tätigkeiten. § 44 Abs. 5 BNatSchG enthält demgegenüber die europarechtswidrige Gestaltung einer Freistellung für Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 15 BNatSchG zulässig sind, und Vorhaben im Sinne des § 18 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG. Umsetzungsdefizite ergeben sich dabei in Bezug auf Beeinträchtigungen nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 BNatSchG, worin ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 lit. a und Art. 13 FFH-RL zu sehen ist. Der Ausschluss des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG ist hingegen aufgrund der Voraussetzung des Erhalts der ökologischen Funktion unter Verweis auf eventuell notwendige vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen zulässig. Die Tatbestandseinschränkung des § 44 Abs. 6 BNatSchG hinsichtlich Handlungen zur Vorbereitung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen ist bezüglich der Umsetzung der Richtlinienvorgaben ebenfalls defizitär. 14. Die Umsetzung der artenschutzrechtlichen Vorgaben der FFH-Richtlinie ist nicht nur hinsichtlich ihrer Implementation in das Bundesnaturschutzgesetz interessant, sondern entfaltet auch für andere artenschutzrelevante Fachgesetze Bedeutung. a) In Bezug auf das Forstrecht, Fischereirecht und Tierseuchenrecht sind keine Umsetzungsdefizite ersichtlich; hinsichtlich des Pflanzenschutzgesetzes stellen sich zumindest im Vergleich mit § 44 BNatSchG keine neuen Probleme.

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E. Zusammenfassung in Thesen

b) Unklarheiten ergeben sich aber in Bezug auf das jagdrechtliche Regelungssystem. aa) Das BJagdG beinhaltet zwar keinen Verstoß gegen das Fang- und Tötungsverbot gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL (vielmehr wird ein adäquater Schutz durch ganzjährige Schonzeiten gewährleistet), defizitär sind aber z. T. die landesrechtlichen Bestimmungen. bb) Das jagdrechtliche Störungsverbot besteht noch in derselben (europarechtswidrigen) Fassung wie das frühere naturschutzrechtliche Störungsverbot. cc) Die jagdrechtlichen Besitz- und Vermarktungsverbote gemäß § 2 BWildSchV sind einschließlich der geregelten Ausnahmen zwar nicht vollständig, aber doch weitgehend europarechtskonform. Das gilt auch hinsichtlich des Aneignungsrechts des Jagdausübungsberechtigten. dd) Die Umsetzung des Art. 15 FFH-RL ist dadurch gewährleistet, dass im Jagdrecht der Grundsatz einer weidgerechten Jagdausübung gilt, sodass bestimmte in § 19 BJagdG nicht aufgezählte (aber durch die FFH-RL verbotene) Methoden in Deutschland trotzdem nicht zulässig sind. Landesrechtliche Ausnahmen von dem Verbot genügen indes nicht den Vorgaben des Art. 16 FFH-RL, sondern sind als defizitär anzusehen. 15. Die Umsetzung des Artenschutzregimes der FFH-Richtlinie ist somit zwar im Vergleich zu früheren Implementationsversuchen besser gelungen, weist aber auch nach 20-jährigem Bestehen der Richtlinie immer noch Defizite auf und bereitet Anwendungsprobleme. Während die Folgen eines defizitären Artenschutzrechts für die Umwelt problematisch sind, erscheinen demgegenüber die Auswirkungen überschießender und anwenderunfreundlicher Artenschutzregelungen – insbesondere im Hinblick auf behördliche Zulassungsentscheidungen – für die Wirtschaft problematisch. Solange auf europäischer Ebene keine Änderungen der FFHRichtlinie erfolgen, die die Anwendung artenschutzrechtlicher Bestimmungen vereinfachen,1 ist der deutsche Gesetzgeber gehalten, nicht nur hinsichtlich einer besseren Balance zwischen Belangen der Umwelt und der Wirtschaft, sondern insbesondere auch aufgrund der europarechtlichen Verpflichtungen und der Gefahr weiterer drohender Verurteilungen durch den EuGH im Bereich des Artenschutzrechts nachzubessern.

1 So erwägen beispielsweise Frenz/Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, Vorb. §§ 44 – 45 Rn. 19 f. eine Harmonisierung mit Art. 6 Abs. 3 FFH-RL einschließlich einer artenschutzrechtlichen Verträglichkeitsprüfung, die eine Beschränkung auf erhebliche Beeinträchtigungen beinhaltet.

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Sachverzeichnis Absichtserfordernis 60, 64, 67, 69, 74, 79, 87, 92, 106, 127 Ausgleichsmaßnahmen, vorgezogene 88, 103, 114, 165, 177, 180, 186, 188 Ausnahmeregelung 147, 149, 155 f., 159, 167, 180, 186, 192, 194, 196, 200, 203, 205 – Alternativenprüfung 152, 162, 182 – Ausnahmezwecke 149, 159 – Bewahrung des Erhaltungszustands 153, 163 – Legalausnahme 129, 172, 202 – Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses 151 Bauleitplanung 84, 185 Befreiung 55, 64, 127, 155, 169, 186 Berner Übereinkommen 16, 20, 62, 74, 77, 79, 101, 106 Besitzverbot 39, 59, 116 f., 124 f., 140, 142, 156, 158 f., 166 f., 195 Beurteilungsspielraum 87, 104, 132, 136, 161, 163, 165 Bundesartenschutzverordnung 27, 59, 146, 155, 167 Bundesjagdgesetz siehe Jagd CEF-Maßnahmen

109, 115, 155, 180, 186

Eingriff siehe Eingriffsregelung Eingriffsprüfung siehe Eingriffsregelung Eingriffsregelung 65, 80, 89, 136, 156, 176 – 178, 180, 185 Einschätzungsprärogative siehe Beurteilungsspielraum Fischerei siehe Fischereiwirtschaft Fischereirecht siehe Fischereiwirtschaft Fischereiwirtschaft 11, 28 – 30, 34, 38, 40, 42, 64 f., 80, 156, 159, 172, 175 f., 202 Föderalismusreform 26, 29, 39, 45

Forstrecht siehe Forstwirtschaft Forstwirtschaft 29 f., 34, 37, 40, 42, 64 f., 80, 150, 156, 159, 172 f., 175 f., 178, 201 Fortpflanzungsstätten siehe Lebensstätten Genehmigungsverfahren siehe Zulassungsverfahren, behördliches Jagd 11, 28 – 30, 34, 40, 42, 191 Jagdrecht siehe Jagd Landwirtschaft 28, 64 f., 80, 150, 156, 159, 172 f., 176, 202 Lebensstätten 59, 73, 98, 103, 105 f., 109 f., 120, 129, 132 f., 141, 155, 173, 176 f., 181 f., 186, 195 Ruhestätten siehe Lebensstätten Störung 59, 94, 96 f., 104, 121, 129, 134, 136, 141, 173, 193, 202 – Erheblichkeitsschwelle 98, 121 – Populationsbezogener Ansatz 100 Tötung 42, 59 f., 64, 120, 122, 126 f., 129, 146, 173, 181, 191, 205 – Kollisionsrisiko 69, 71, 73 f., 85, 89, 91 f., 123, 127, 136 – unbeabsichtigte 67, 74, 86, 88, 120, 122, 128 – Verbotene Methoden 53, 146, 199, 203 Umweltprüfungen

188

Vermarktungsverbot 39, 59, 116, 118, 124, 140, 142, 156 – 158, 166 f., 195 Zulassungsverfahren 124 Zulassungsverfahren, behördliches 127, 131, 173, 177, 188

69, 77,