Das Amt des Alterspräsidenten im Deutschen Bundestag: Historische Entwicklung, Bestellung, Befugnisse und Rechtsstellung einer Institution des deutschen Parlamentarismus [1 ed.] 9783428501403, 9783428101405

25. 7. 1989: 1. Sitzung des Europäischen Parlamentes. Antrittsrede des Alterspräsidenten, der der Fraktion der Europäisc

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Das Amt des Alterspräsidenten im Deutschen Bundestag: Historische Entwicklung, Bestellung, Befugnisse und Rechtsstellung einer Institution des deutschen Parlamentarismus [1 ed.]
 9783428501403, 9783428101405

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Beiträge zum Parlamentsrecht

Band 48

Das Amt des Alterspräsidenten im Deutschen Bundestag Historische Entwicklung, Bestellung, Befugnisse und Rechtsstellung einer Institution des deutschen Parlamentarismus Von

Heinrich Wilhelm Klopp

Duncker & Humblot · Berlin

HEINRICH WILHELM KLOPP

Das Amt des Alterspräsidenten im Deutschen Bundestag

Beiträge zum Parlamentsrecht Herausgegeben von Ulrich Karpen, Heinrich Oberreuter, Wolfgang Zeh in Verbindung mit Peter Badura, Wolfgang Heyde, Joachim Linck Georg-Bemdt Oschatz, Hans-Peter Schneider UweThaysen

Band 48

Das Amt des Alterspräsidenten im Deutschen Bundestag Historische Entwicklung, Bestellung, Befugnisse und Rechtsstellung einer Institution des deutschen Parlamentarismus

Von

Heinrich Wilhelm Klopp

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Klopp, Heinrich Wilhelm: Das Amt des Alterspräsidenten im Deutschen Bundestag: historische Entwicklung, Bestellung, Befugnisse und Rechtsstellung einer Institution des deutschen Parlamentarismus I Heinrich Wilhelm Klopp. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Beiträge zum Parlamentsrecht ; Bd. 48) Zugl.: Kiel, Uni V., Diss., 1999 ISBN 3-428-10140-5

Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 3-428-10140-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

e

Meinen Eltern, meiner Frau und meinen Söhnen

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Herbst 1998 fertiggestellt und im Wintersemester 1999/2000 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Für die Betreuung der Arbeit und seinen Langmut bin ich Herrn Bundesjustizminister a. D. Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig sehr verbunden. Herrn Prof. Dr. Ulrich Karpen MdHB und Herrn Prof. Dr. Norbert Simon danke ich für die Aufnahme dieser Dissertation in die Schriftentreihe "Beiträge zum Parlamentsrecht". Der Deutsche Bundestag hat die Veröffentlichung der Arbeit in der vorliegenden Form durch einen Druckkostenzuschuss gefördert, wofür ich ebenfalls sehr dankbar bin. Schließlich wäre die Arbeit in der vorliegenden Form nicht ohne die tatkräftige Unterstützung meiner Eltern, meiner Frau und - insoweit sicherlich unbewusster - meiner beiden Söhne Wilhelm und Johann fertiggestellt worden. Ihnen allen sei auch an dieser Stelle die gebührende Anerkennung gesagt. Dresden, im März 2000

Heinrich Wilhelm Klapp

Inhaltsverzeichnis Einleitung A. Ausgangssituation ...................................................

19

B. Problemaufriß ......................................................

23

C. Gliederung .........................................................

26

Erstes Kapitel

Die Formen der Parlamentspräsidentschaft und das Verfahren zur Konstituierung des Deutschen Bundestages A. Formen der Parlaments präsidentschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Der Bundestagspräsident . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

II. III. IV.

Die Stellvertreter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. Der Alterspräsident. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Sonstige Präsidentschaftsformen . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

27 27 28 29 30

B. Überblick über das Verfahren der Konstituierung des Deutschen Bundestages. . ... . .. . .. . . .. ... ... .. . .. ..... .. .. . .. . .. . ... . .. . . .. . . ... . . . . .. 31 I. Der Bundestag zwischen Neuwahl und konstituierender Sitzung ..... 31 II. Die Vorbereitung der konstituierenden Sitzung ..................... 32 III. Die Konstituierung des Bundestages .............................. 33 IV. Wann ist die Konstituierung vollzogen? ........................... 33 Zweites Kapitel

Das Amt des Alterspräsidenten in der historischen Entwicklung und in den Bundesländern A. Das Englische Unterhaus... .. ... ... . . .. .. . .. ... . ... ... . . .. . ... . . ... ..

37

B. Die Französische Nationalversammlung von 1789 ....................... 40 C. Die Belgische Deputiertenkammer von 1831 ........................... 42 D. Die Entwicklung in Deutschland ...................................... 42 I. Die Vorläufer der deutschen Parlamente ........................... 43 II. Königreich Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 46

Inhaltsverzeichnis

10 III. IV. V. VI. VII. VIII. IX.

Die Frankfurter Nationalversammlung von 1848 ................... Der Reichstag des Norddeutschen Bundes von 1867 ................ Der Reichstag des Deutschen Kaiserreichs von 1871 ................ Der Reichstag der Weimarer Republik bis 1932 .................... Der Reichstag von 1933 bis 1939 ................................ Der Deutsche Bundestag ........................................ Die deutschen Landesparlamente ................................. 1. Die Geschäftsordnungsautonomie .............................. 2. Die Wabl des Parlamentspräsidenten ........................... 3. Das vorläufige Leitungsorgan ................................. 4. Der Alterspräsident als Vertreter des Parlamentspräsidenten .......

47 50 52 52 54 55 56 56 57 58 59

E. Zusammenfassung ...................................................

60

Drittes Kapitel Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

A. Erfordernis einer Rechtsgrundlage ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Ausübung von Staatsgewalt durch den Alterspräsidenten? ........... II. Anforderungen aus dem demokratischen Prinzip der Volkssouveränität an das Handeln des Alterspräsidenten ............................. 1. Funktionell-institutionelle Legitimation ......................... 2. Organisatorisch-personelle Legitimation ........................ 3. Sachlich-inhaltliche Legitimation ..............................

63 64

B. Begriff und Besonderheiten des Parlamentsrechts .......................

68

c.

Die Bildung des vorläufigen Leitungsorgans ............................

69

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter ... . . .. . ... . .. I. Die bislang vertretenen Auffassungen ............................. II. Bestellung durch der GOBT nachrangige Normen. . .. .. . .. . ... . . ... 1. Parlamentsbrauch ............................................ 2. Interfraktionelle Vereinbarungen ............................... III. Bestellung durch Geschäftsordnungsrecht ......................... 1. Die Geschäftsordnung des Bundestages ........................ a) Die Rechtsnatur der GOBT ................................ aa) Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts: Autonome Satzung ................................................. bb) Andere Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (I) Konventionalregel ................................. (2) Öffentlich-rechtliche Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (3) Verwaltungsverordnung ............................ (4) Verfassungssatzung ................................ cc) Stellungnahme ........................................

71 73 74 74 80 82 82 83

66 66 67 67

85 86 86 87 87 87 88

Inhaltsverzeichnis

11

b) Grenzen geschäftsordnungsrechtlicher Regelungsbefugnis ...... aa) Personelle Grenzen .................................... bb) Sachliche Grenzen .................................... cc) Zeitliche Grenzen ..................................... 2. Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht ........................... IV. Bestellung durch einfaches Gesetzesrecht? ........................ I. Befürworter einer gesetzlichen Regelungsform .................. 2. Gegner einer gesetzlichen Regelungsform ...................... 3. Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ..................... 4. Stellungnahme .............................................. V. Bestellung durch Verfassungsrecht ................................ I. Das Grundgesetz ............................................ 2. Verfassungsgewohnheitsrecht .................................. a) Zulässigkeit unter der Herrschaft des Grundgesetzes .......... b) Entstehungsvoraussetzungen ............................... aa) Longa consuetudo/objektives Element ................... bb) Formulierbarkeit als Rechtssatz/formelles Element ........ cc) Opinio iuris/subjektive's Element ........................ c) Auslegung eines verfassungsgewohnheitsrechtlichen Satzes im Sinne von § 1 Abs. 2 GOBT ("ältestes Mitglied") ............ aa) Auslegung nach dem Wortsinn .......................... bb) Systematische Auslegung .............................. cc) Teleologische Auslegung ............................... dd) Historische Auslegung ................................ . VI. Beendigung der Organwalterschaft ............................... VII. Zusammenfassung ..............................................

89 90 91 92 94 98 98 99 100 101 103 103 104 105 108 108 109 109 111 111 112 113 113 114 115

Viertes Kapitel

Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen und seine Rechtsstellung A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen .. . . . . . . . . . . .. I. Bestandsaufnahme: Die tatsächlich wahrgenommenen Kompetenzen des Alterspräsidenten ........................................... 11. Systematisierung und rechtliche Fundierung der Kompetenzen des Alterspräsidenten ............................................... I. Die Leitungskompetenz ...................................... a) Inhaltliche Bestimmung .................................... b) Rechtsgrundlage ......................................... . c) Die Leitungsmaßnahmen des Alterspräsidenten im einzelnen ... aa) Die Frage nach dem ältesten Abgeordneten ............... bb) Die Eröffnung der konstituierenden Sitzung ..............

116 118 122 122 122 123 127 127 128

12

Inhaltsverzeichnis cc) Die Entscheidung über die vorläufigen Verfahrensregelungen dd) Die Ernennung der vorläufigen Schriftführer ............. ee) Der Namensaufruf und die Feststellung der Beschlußfahigkeit .................................................. ff) Die Leitung der Wahl des Bundestagspräsidenten .......... gg) Die Erteilung des Wortes zur Geschäftsordnung . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung: Die Konstituierungskompetenz ............ 2. Repräsentationsaufgaben, insbesondere die Eröffnungsansprache des Alterspräsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Hausrecht ............................................... a) Inhaltliche Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsgrundlage .......................................... 4. Die Polizeigewalt ............................................ a) Inhaltliche Bestimmung .................................... b) Rechtsgrundlage ......................................... . 5. Die Ordnungsgewalt ......................................... a) Inhaltliche Bestimmung .................................... b) Rechtsgrundlage .......................................... Zusammenfassung ..............................................

129 131

B. Die Rechtsstellung des Alterspräsidenten ............................... I. Der Alterspräsident als Amt ..................................... 11. Der Alterspräsident als Organ des Bundestages .................... 1. Der Begriff des "Organs" ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die OrgansteIlung als vorläufiges Leitungsorgan ................

147 147 149 149 149

III.

133 133 134 135 136 139 139 140 141 142 143 144 144 145 146

Fünftes Kapitel

Der Alterspräsident als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten A. Der Begriff des Alterspräsidenten in § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT ............ 153

B. Die Legitimation des Amtswalters nach § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT ......... 155 C. Die Kompetenzen des Alterspräsidenten nach § 8 Abs. 2 S. 2 GOBT ...... 157

D. Die Rechtsstellung als Stellvertreter ................................... 158 Sechstes Kapitel

Alternativen zum Alterspräsidenten als vorläufiges Leitungsorgan und Ausblick A. Regierungsmitglieder/Inkompatibilitäten ............................... 160 I. Grundsatz: Gewaltenteilung ..................................... 161

Inhaltsverzeichnis 11. III.

13

Ausnahme: Durchbrechung durch das Prinzip des parlamentarischen Regierungssystems ............................................. 162 Gegenausnahme: Organfunktionen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 163

B. Der Bundestagsdirektor .............................................. 163 C. Der dienstälteste Abgeordnete ........................................ 164

D. Der bisherige Bundestagspräsident .................................... 167 E. Zusammenfassung und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171

Zusammenfassung

172

Literaturverzeichnis

175

Anhang Verfassungsrechtliche und geschäftsordnungsrechtliche Regelungen zur konstituierenden Sitzung und zur Stellvertretung des Parlamentspräsidenten betreffend den Deutschen Bundestag, das Europäische Parlament sowie die Landesparlamente der deutschen Bundesländer .................................. . 185 Verfassungsrechtliche Regelungen zur Wahl des Parlamentspräsidenten von 1848 bis heute ......................................................... 200 Geschäftsordnungsrechtliche Regelungen zur Stellvertretung des Parlamentspräsidenten von 1849 bis heute ............................................. 208

Sachwortregister

211

Abkürzungsverzeichnis a. A.

AbgG Abs. Amtsb!. Anm. AöR Art. Aufl. BayVerf BayVerfGH BayVerwB!. Bd. Besch!. BGB!. BK

BRD

BremGB!. BremAb!. BT-Drs. BVerfGE BVerfGG BWahlG bzw. CDU d. DDR ders. d.h. Diss. DÖV Dr. Drs. DRV DVB!. d.Verf. DVU

anderer Ansicht Abgeordnetengesetz Absatz Amtsblatt Anmerkung Archiv für öffentliches Recht Artikel, Article Auflage Bayerische Verfassung Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bayerische Verwaltungsblätter Band Beschluß Bundesgesetzblatt Bonner Kommentar Bundesrepublik Deutschland Gesetzblatt der Hansestadt Bremen Amtsblatt der Hansestadt Bremen Bundestagsdrucksache Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundeswahlgesetz beziehungsweise Christlich Demokratische Union durch Deutsche Demokratische Republik derselbe das heißt Dissertation Die Öffentliche Verwaltung Doktor Drucksache Deutsche Reichsverfassung Deutsche Verwaltungsblätter der Verfasser Deutsche Volksunion

Abkürzungsverzeichnis

15

ebenda ebd. Europäische Gemeinschaften EG Einleitung Einl. Evangelisches Staatslexikon EvStL folgende f. fortfolgende ff. Festgabe FG Fußnote Fn. Festschrift FS Gesetzblatt GBI. geändert geä. Gesetz Ges. Grundgesetz GG gegebenenfalls ggfs. Geschäftsordnung GO Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin GO-AbgHBeri Geschäftsordnung des Bayerischen Landtages GO-BayLT Geschäftsordnung der Bremer Bürgerschaft GO-BremBü Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages GOBT Geschäftsordnung des Europäischen Parlamentes GOEP Geschäftsordnung der Hamburger Bürgerschaft GO-HamBü Geschäftsordnung des Landtages von Brandenburg GO-LTBr Geschäftsordnung des Landtages von Baden-Württemberg GO-LTBW Geschäftsordnung des Hessischen Landtages GO-LTHess GO-LTMV Geschäftsordnung des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern GO-LTNds Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages GO-LTRP Geschäftsordnung des Landtages von Rheinland-Pfalz GO-LTSaarl Geschäftsordnung des Saarländischen Landtages GO-LTSA Geschäftsordnung des Landtages von Sachsen-Anhalt GO-LTSchH Geschäftsordnung des Landtages von Schleswig-Holstein GO-SächsLT Geschäftsordnung des Sächsischen Landtages GVBI. Gesetz- und Verordnungsblatt GVNW Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Nordrhein-Westfalen HDParl Handbuch des Deutschen Parlamentarismus Hrsg./hrsg. Herausgeber/herausgegeben HDStR Handbuch des Deutschen Staatsrechts HessStGH Hessischer Staatsgerichtshof HStR Handbuch des Staatsrechts i. d. F. d. Bek. v. in der Fassung der Bekanntmachung vorn in Verbindung mit i. V. m. Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart JöR Juristische Schulung JuS Juristische Ausbildung JurA

16 JZ KP MDH m.w.Nw. NdsVerf NJW n. F. No., Nro. Nr. NSDAP öBVG o. g. oktrVerf 1848 OVG OVGE OWiG ParlRPr PDS PreußVerf. Prof. Rdnr. s. S. SächsVerf SED sog. Sp. SPD StenBer. StGB StGH ThürVerf u. a. u. f. f. USA u. U. v. VerfBeri VerfBr VerfBW VerfHB VerfHess VerfHH

Abkürzungsverzeichnis Juristenzeitung Kommunistische Partei MaunzlDürig/Herzog mit weiteren Nachweisen Niedersächsische Verfassung Neue Juristische Wochenschrift neue Folge Numero Nummer Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei österreichisches Bundesverfassungsgesetz oben genannten oktroyierte Verfassung vom 5.12.1948 Oberverwaltungsgericht Entscheidungssammlung der Oberverwaltungsgerichte Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Parlamentsrecht und Parlarnentspraxis Partei des demokratischen Sozialismus Preußische Verfassung Professor Randnummer siehe Seite, Satz Verfassung des Freistaates Sachsen Sozialistische Einheitspartei Deutschlands sogenannte Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands Stenografische Berichte Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof Verfassung des Freistaates Thüringen unter anderem und fortfolgende United States of America unter Umständen vom, von Verfassung von Berlin Verfassung des Landes Brandenburg Verfassung des Landes Baden-Württemberg Verfassung der freien Hansestadt Bremen Verfassung des Landes Hessen Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg

Abkürzungsverzeichnis VerfMP VertNRW VertRP VerfSA Verf.Urk. vgl.

VNB

VOBl. Vorbem. VVDStRL WRV z. B. ZgS ZParl ZRP zul.

2 Klopp

17

Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommem Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt Verfassungs urkunde vergleiche Verfassung des Norddeutschen Bundes Verordnungsblätter Vorbemerkung Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechts lehrer Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Rechtspolitik zuletzt

,,Es gehört zur Struktur des freiheitlichen Rechtsstaates, daß er von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann, ohne seine FreiheitIichkeit in Frage zu stellen." Emst- Wolfgang Böckenjörde l

Einleitung § 1 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT)2

regelt:

"In der ersten Sitzung des Bundestages führt das an Jahren älteste oder, wenn es ablehnt, das nächstälteste Mitglied des Bundestages den Vorsitz, bis der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt."

Dieser älteste Abgeordnete wird im nachfolgenden Absatz 3 Satz 1 des

§ I GOBT als "Alterspräsident" bezeichnee; um ihn geht es in dieser

Untersuchung als einer "Institution des deutschen Parlamentarismus,,4.

§ lAbs. 2 GOBT ist zu entnehmen, daß es dem Alterspräsidenten obliegt, das Parlament aus dem "Naturzustand"S einer bloßen Ansammlung der gewählten Volksvertreter in die Form eines handlungsfähigen Verfassungsorgans zu überführen. In dieser Funktion tritt der Alterspräsident zu Beginn einer Legislaturperiode - namentlich in der konstituierenden Sitzung - unter besonderer Anteilnahme der Öffentlichkeit in Erscheinung.

A. Ausgangssituation In der Geschichte des Bundestages verlief die Einsetzung des Alterspräsidenten sowie das Verfahren der Konstituierung bislang im wesentlichen unproblematisch. So blieb es weitgehend unbeachtet, daß Willi Brandt, als er als Alterspräsident die konstituierende Sitzung des Bundestages am 29.3.1983 eröffnete, In: Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 284. In der Fassung der Bekanntmachung vom 17.3.1997 (BGB\. I, S. 747). 3 "Der Alterspräsident ernennt Mitglieder des Bundestages zu vorläufigen Schriftführern. Hierauf erfolgt der Namensaufruf der Mitglieder des Bundestages." 4 Hatschek, Parlamentsrecht, S. 196. 5 Hatschek, Parlamentsrecht, S. 195. 1

2



20

Einleitung

nicht der älteste Abgeordnete war; dieses soll vielmehr ein Abgeordneter der erstmalig im Bundestag vertretenen Partei DIE GRÜNEN gewesen sein. Es soll erheblicher Anstrengungen bedurft haben, diesen Abgeordneten der GRÜNEN davon abzubringen, das Amt des Alterspräsidenten anzutreten, um dem Bundestag eine - wie vermutet wurde - peinliche Antrittsrede zu· ersparen. Dieser Umstand erklärt auch die Abweichung des Konstituierungsverfahrens in einem Punkt: Es gab keinen Beschluß zur vorläufigen Übernahme der für den Bundestag der vorhergehenden Wahlperiode geltenden Geschäftsordnung, um sich mit dem seinerzeit praktizierten Verfahren dazu nicht in Widerspruch zu setzen6 • Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erlangte das Amt des Alterspräsidenten wiederum, als zu Beginn der 13. Wahlperiode der für die SEDNachfolgepartei PDS in den Bundestag gewählte Abgeordnete und Schriftsteller Stefan Heym als ältester Abgeordnete ausgemacht wurde und - nach Ansicht einiger - Alterspräsident zu werden "drohte". So wurde am Vorabend der konstituierenden Sitzung, am 10.11.1994, im Bundestagspräsidium noch diskutiert, ob Heym noch Alterspräsident sein könne, nachdem Unterlagen über eine angebliche Mitarbeit Heyms für die Staatssicherheit der ehemaligen DDR aufgetaucht waren7 . Insbesondere in der CDU-Fraktion soll die Frage gestellt worden sein, ob man die Ausübung des Alterspräsidentenamtes durch Stefan Heym wegen angeblicher Aktivitäten für die Staatssicherheit der ehemaligen DDR nicht verhindern könne. Möglicherweise war man zum Zeitpunkt der konstituierenden Sitzung des 13. Bundestages von der Aussicht überrascht worden, daß auch Vertreter einer - in den Augen der bislang im Bundestag vertretenen Parteien extremistischen Partei zum Alterspräsidenten berufen sein könnten. Dieses Phänomen war indes anderen Parlamenten so unbekannt nicht. Auf der Ebene der Länderparlamente ergab sich anläßlich der konstituierenden Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtages am 5.5.1992 eine ähnliche Situation: Die bislang im Landtag vertretenen Parteien suchten zu verhindern, daß eine - neu dem Landtag angehörende - Abgeordnete der Deutschen Volksunion (DVU) Alterspräsidentin wurde, indem erstmals in der deutschen Parlamentspraxis nicht das Lebensalter, sondern das Dienstalter eines Abgeordneten für die Bestellung zum Alterspräsidenten maßgeblich sein sollte 8 • Erreicht wurde dieses Ziel, indem man die Geschäftsordnung des Landtages von Schleswig-Holstein "auslegte" und anstatt der lebensältesten Abgeordneten den dienstältesten Abgeordneten als Alterspräsidenten ansah. 6 7 8

Vgl. 10. Bundestag, 1. Sitzung 29.3.1983, StenBer., S. 1 ff. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.11.1994. Vgl. 13. Landtag von Schieswig-Hoistein, 1. Sitzung 5.5.1992, StenBer., S. 3 ff.

A. Ausgangssituation

21

§ 1 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Landtages von Schleswig-Holstein lautete seinerzeit: "Den Vorsitz übernimmt die Alterspräsidentin oder der Alterspräsident. Alterspräsidentin oder Alterspräsident ist die oder der älteste anwesende Abgeordnete, die oder der dieses Amt zu übernehmen bereit ist."

Im Ergebnis hat schließlich ein Abgeordneter der CDU-Fraktion das Amt des Alterspräsidenten versehen, doch blieben anläßlich dieses Vorfalls Fragen offen, die - abgesehen von der Frage nach der politischen Zweckmäßigkeit - auch rechtliche, insbesondere verfassungsrechtliche Zweifel begründen könnten9 • In jüngster Zeit erhielt die Problematik um den Alterspräsidenten erneut eine gewisse Dynamik, als wiederum ein DVU-Abgeordneter das Amt des Alterspräsidenten in der konstituierenden Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt am 25.5.1998 bis zur Wahl des Landtagspräsidenten ausübte 10. Wiederum berief sich der Alterspräsident zur Legitimation auf einen parlamentarischen Brauch und "eine(r) in allen Staaten beachteten Rechtsüberzeugung, daß der Alterspräsident im Rahmen der Eröffnung einige Worte an seine Kollegen richtet." 11 Vorausahnend, daß sein Fungieren als Alterspräsident und Abgeordneter der DVU-Fraktion insbesondere von der SEDNachfolgepartei PDS wohl nicht ohne weiteres hingenommen werden würde, bemühte er "das Wort Rosa Luxemburgs von der Freiheit, die immer die Freiheit des Andersdenkenden iSt.,,12 Der Ausdruck fehlender Akzeptanz des Alterspräsidenten bei der PDS-Fraktion ließ dann auch nicht lange auf sich warten, als deren Fraktionsvorsitzende erklärte l3 : "Wir haben bislang weder Grund noch Anlaß gesehen, die Richtigkeit des Prinzips, wonach der älteste Abgeordnete als Alterspräsident des Parlaments fungiert, in Frage zu stellen. Das hat sich· nunmehr geändert. Die Tatsache, daß sich hier ein Abgeordneter als Alterspräsident geriert, dessen Partei menschenverachtende Parolen, sozialchauvinistischen Populismus und geschichtsrevisionistische Positionen vertritt, schlägt dem Grundanliegen des oben angeführten Prinzips ins Gesicht. ... Es liegt also auf der Hand, daß Sie den Anforderungen, die das Amt des Alterspräsidenten eines Parlaments stellt, keinesfalls gerecht werden. Die Neutralität Ihrer Rede von heute kann uns nicht täuschen. Sie ist ein taktisches Manöver. Aus diesem Grund sprechen wir Ihnen jegliche Berechtigung ab, dieses Parlament und seine Abgeordneten zu vertreten. Wir erkennen Ihre Alterspräsidentschaft nicht an." 9 An der Zulässigkeit des Differenzierungskriteriums ,,Dienstalter" ebenfalls zweifelnd Köhler, ZParl 22 (1991), S. 188. 10 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 26.5,1998, S. 5; 3. Landtag von Sachsen-Anhalt, 1. Sitzung 25.5.1998, StenBer., S. 1 ff. 11 3. Landtag von Sachsen-Anhalt, ebd. 12 Ebd. 13 Ebd., S. 5 f.

Einleitung

22

Die Tatsache, daß das Plenarprotokoll im Anschluß an diese Worte "Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD,,14 verzeichnet, deutet mehr als deutlich darauf hin, daß der Alterspräsident nicht mehr vom fraktionsübergreifenden politischen Konsens getragen ist. Umsomehr stellt sich die Frage nach seiner rechtlichen Legitimation. Eine europäische Dimension erhielt die Problematik um das Amt des Alterspräsidenten mit der konstituierenden Sitzung des Europäischen Parlamentes am 25.7.1989. Während der Antrittsrede des Alterspräsidenten Autant-Lara, einstmals einer der bedeutensten Regisseure Frankreichs l5 , aus der Fraktion der Europäischen Rechten (Liste von Le Pen), verließ die Mehrheit der Parlamentarier die Sitzung l6 • Ein Teil der Abgeordneten blieb aus Respekt dem Parlament gegenüber, distanzierte sich jedoch von den Ausführungen des Alterspräsidenten 17. Daraufhin wurde auf Initiative der Sozialistischen Fraktion die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments geändert, wonach unter dem Vorsitz des Alterspräsidenten keine Aussprache stattfinden darf, deren Gegenstand nicht mit der Wahl des Präsidenten und der Prüfung der Mandate zusammenhängt, und allein der gewählte Präsident eine Eröffnungsansprache halten kann ls . Interessanterweise wurde diese Beschneidung der "Rechte" des Alterspräsidenten als so gravierend angesehen, daß der seinerzeit 81 Jahre alte Abgeordnete des Europäischen Parlamentes Otto von Habsburg es ablehnte, als Alterspräsident der konstituierenden Sitzung des Europäischen Parlamentes am 19.7.1994 den Vorsitz zu übernehmen, weil er darin eine Diskriminierung älterer Menschen sah l9. Historisch betrachtet sollen parallel gelagerte Vorfälle um das Amt des Alterspräsidenten in der konstituierenden Sitzung des Parlamentes auch im Reichstag der Weimarer Republik vorgekommen sein, als vornehmlich radikale Flügelparteien durch die Aufstellung möglichst betagter Abgeordneter versuchten, diese als Alterspräsidenten zu installieren, um wenigstens so für kurze Zeit an der Spitze des Parlaments stehen zu können 2o• 3. Landtag von Sachsen-Anhalt, I. Sitzung 25.5.1998, StenBer., S. 6. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 5.8.1993, S. 23. 16 Protokoll der konstituierenden Sitzung des Europäischen Parlamentes vom 25.7.1989, abgedruckt im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1989, C 233 vom 11.9.1989, S. 3. 14

IS

11

Ebd.

Geschäftsordnung des Europäischen Parlamentes in der Fassung der Bekanntmachung vom 7.12.1995 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 293), zul. geä. d. Beschl. v. 17.9.1996 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften C 320, S.29). 19 Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20.7.1994, S. 2. 20 Gerlach, S. 47 f. 18

B. Problemaufriß

23

Bedenkt man, daß die konstituierende Sitzung des Bundestages gewöhnlich mit einer Ansprache des Alterspräsidenten eröffnet wird, während sowohl der Bundespräsident, als auch die Vertreter der anderen Verfassungsorgane des Bundes, das Diplomatische Corps als auch die nationale und internationale Presse anwesend sind, so bietet sich in der Tat ein beachtliches Forum für die Proklamation politischer Ideen durch den jeweiligen Redner. Daß durch Mißbrauch des Alterspräsidentenamtes dabei ein Ansehensverlust des Bundestages und der Bundesrepublik Deutschland eintreten kann, liegt auf der Hand. Ob das Risiko internationaler Diskreditierungen des Bundestages und damit der Bundesrepublik Deutschland in Kauf zu nehmen ist, oder ob man sich dagegen versichern sollte, dürfte wohl politisch zu beantworten sein. Ziel dieser Arbeit ist es, den staatsorganisationsrechtlichen Hintergrund dieses Problems zu erhellen und den rechtlichen Rahmen abzustecken, innerhalb dessen Alternativen zur gegenwärtigen Praxis zu suchen wären.

B. Problemaufriß Die oben geschilderten Konflikte, die mit dem Amt des Alterspräsidenten in unmittelbarem Zusammenhang stehen, geben Anlaß zu einer Vielzahl weiterführender Detailfragen, deren Beantwortung nicht nur "politisch", sondern auch rechtlich möglich sein sollte. Dies umsomehr, als - wie noch zu zeigen sein wird - die Fragestellungen keineswegs neu, sondern wiederholt in der deutschen Parlamentsgeschichte anzutreffen sind. So ist beispielsweise zu untersuchen, welche Auswahlkriterien für den Alterspräsidenten in Betracht kommen. Ist insoweit das Lebensalter entscheidend oder kann auch das Dienstalter Kriterium für die rechtmäßige Bestellung des Amtswalters sein? Sind andere bzw. weitere Auswahlkriterien zulässig? Erschöpft sich die Funktion des Amtes eher in repräsentativen Angelegenheiten oder vennittelt es echte Entscheidungskompetenzen? Welches sind die Rechtsgrundlagen für die Ausübung des Amtes und sind diese hinreichend? Wie ist der Alterspräsident organschaftlich einzuordnen? Welchen Status- bzw. Ausübungsschranken unterliegt der Alterspräsident? Dabei wird der Begriff des "Parlamentsrechts" zu durchleuchten sein: Welche Vorgaben enthält z. B. das Grundgesetz für das Amt des Alterspräsidenten? Welche Bedeutung haben die Begriffe Parlamentsbrauch, parlamentarische Observanz, Konventionalregeln in diesem Zusammenhang? An einer Gesamtdarstellung zum Amt des Alterspräsidenten fehlt es bislang, sieht man einmal von Köhlers Aufsatz "Die Rechtsstellung des Alterspräsidenten des Deutschen Bundestages,,21 ab. Lediglich Teilaspekte des

24

Einleitung

Parlamentsrechts, die auch den Alterspräsidenten betreffen können, wurden näher untersucht. Aber auch das autonome Parlamentsrecht insgesamt, das die parlamentsinterne Organisation und Verfahren zum Gegenstand hat, fand lange Zeit in der deutschen Staats- und Verfassungsrechtslehre wenig Beachtung22 , während die Politikwissenschaft sich des innerparlamentarischen Wirkungsfeldes intensiver annahm23 . Ursächlich für diesen Befund könnte sein, daß unter der Herrschaft des Grundgesetzes innerparlamentarlsche Angelegenheiten bei einer stabilen Drei-Fraktionen-Untergliederung des Bundestages in der Regel im Wege interfraktioneller Absprachen24 geregelt wurden, ohne daß es zu Widersprüchen untereinander und mit der GOBT kam. Ob dies auch in Zukunft so bleiben wird, darf bezweifelt werden, wenn z. B. seitens der PDS-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt bereits davon gesprochen wird, mit der "archaischen Praxis,,25 der Bestellung des Alterspräsidenten zu brechen. Hieran wird deutlich, daß sich das Parlaments- bzw. Geschäftsordnungsrecht an der Grenze zwischen Recht und Politik bewegt. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, welche Funktion dem Geschäftsordnungsrecht auch für die politische Kultur des Gesetzgebungsorgans Bundestag im besonderen und des Gemeinwesens im allgemeinen zukommt26 . Unmittelbarer als das Verfassungsrecht kennzeichnet die Parlamentspraxis - und mit ihr das Geschäftsordnungsrecht - den tatsächlichen Zustand eines politischen Systems27 . Das Geschäftsordnungsrecht wurde daher u. a. auch als "sekundäres Verfassungsrecht,,28 oder "verdrängtes Verfassungsrecht,,29 bezeichnet. In ihm spiegeln sich das Selbstverständnis, die politische Kultur und die politischen Ambitionen des Parlaments bzw. der Mehrheitsfraktionen wider3o, oder anders gewendet: die Ausgestaltung des Parlamentsrechts entscheidet zugleich auch über die Ausübung parlamentarischer Mache 1• ZParl 22 (1991), S. 177 ff. Vgl. H. Dreier, JZ 1990, S. 311, Fn. 16; Pietzcker, ParIRPr, § 10, Rdnr. 17; Haug, S. 24. 23 Vgl. H. Dreier, JZ 1990, S. 311, Fn. 18. 24 Vgl. Loewenberg, S. 367; Roll, FG Blischke, S. 93 f.; Blischke, FS Schellknecht, S. 55 f. 2S 3. Landtag von Sachsen-Anhalt, 1. Sitzung 25.5.1998, StenBer., S. 5. 26 Vgl. Haug, S. 21. 27 Vgl. Lammen, GO-Synopse, S. 13. 28 Pietzcker, ParIRPr, § 10, Rdnr. 7. 29 Altmann, DÖV 1956, S. 751. 30 Scheuner, FS Eschenburg, S. 146. 31 Vgl. Lammen, GO-Synopse, S. 13. 21

22

B. Problemaufriß

25

Als beispielhaft für die Bedeutung der Geschäftsordnung im Hinblick auf die politische Kultur seien hier die Ausführungen des Reichstagsabgeordneten Windhorst anläßlich der konstituierenden Sitzung des Reichstages am 3.3.1887 zitiert32 • Der Reichstag war von Kaiser Wilhelm I. einberufen worden, obwohl die Reichstagswahlen durch Stichwahlen in einigen Wahlkreisen noch nicht abgeschlossen waren. "So lange also nicht alle Wahlbürger des deutschen Reiches ihr Wahlgeschäft beendet haben, gibt es noch keinen Reichstag, kann von einer Berufung eines solchen nicht die Rede sein und von einer Thätigkeit desselben eigentlich noch weniger. Ich bin deshalb der Meinung, daß wir mit den Geschäften nicht weiter vorgehen können, bevor die Stichwahlen vollständig beendet sind. ... Heute kommt ja ein solches überraschendes Vorgehen vielleicht Diesem oder Jenem oder dieser oder jener Partei recht bequem; es kann aber sehr wohl recht bald in einer anderen Form sich geltend machen und dann denselben Leuten nicht mehr so bequem sein wie heute. Im parlamentarischen Leben, wenn man es überhaupt in Geltung und Uebung erhalten will, ist, glaube ich, nichts wichtiger, als daß die Formen voll, ganz und sicher inne gehalten werden. Ich bin nun der Meinung, daß es Aufgabe der Majoritätsparteien ist, diese Rechte und diesen Gesichtspunkt wahrzunehmen. Thun sie es nicht, dann ist es ihre Schuld, wenn etwa aus diesen Vorgängen Nachtheile zu Ungunsten des Parlaments selbst entstehen."

Zurück zur gegenwärtigen Situation der Parlamentspraxis im Deutschen Bundestag: Seit dem Auftritt der GRÜNEN im 10. Bundestag Anfang der 80er Jahre als vierte Fraktion haben sich die innerparlamentarischen Kräfteverhältnisse geändert. Die bis dato etablierten Parteien im Bundestag mußten sich entgegen ihrer bislang geübten Gepflogenheit mit einer Gruppe von Abgeordneten auseinandersetzen, die als Minderheit des öfteren Geschäftsordnungsfragen thematisierte und zum Gegenstand der Debatte erhob, so daß auch das innerparlamentarische Recht an Aktualität gewann33 • Im Hinblick auf die künftige Parlamentspraxis dürfte sich diese Entwicklung in dem Maße fortsetzen bzw. verstärken, wie es kleineren Parteien gelingt, in den Bundestag einzuziehen. Im Vordergrund der Untersuchung steht der Alterspräsident des Deutschen Bundestages; soweit zweckmäßig wird auf landesspezifische Besonderheiten eingegangen werden. Zurückhaltung ist bei der Einbeziehung der ausländischen Parlamentspraxis geboten. Zu unterschiedlich sind die historischen Voraussetzungen, nach denen sich die jeweiligen Gesetzgebungskörperschaften entwickeln konnten; die Verhältnisse anderer Staaten können daher nicht ohne weiteres auf die Situation deutscher Parlamente übertragen werden. Vielmehr baut die aktuelle parlamentarische Situation auf den nationalen, historisch begründeten Gegebenheiten auf und ist insoweit nur aus sich heraus verständlich. Gleichwohl ließe sich die Frage stellen, ob 32

33

VII. Reichstag, l. Sitzung 3.3.1887, StenBer., Bd. 95, S. 4 f. Pietzcker, ParIRPr, § 10, Rdnr. 18.

26

Einleitung

ausländische Lösungsansätze nicht de lege ferenda auch für den Deutschen Bundestag wenigstens diskussionswürdig erscheinen. Die vorliegende Arbeit wird ihr Augenmerk im wesentlichen auf die den Bundestag konstituierende Funktion des Alterspräsidenten richten. Darüberhinaus ist der Alterspräsident nach § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT aber auch Stellvertreter des Bundestagspräsidenten: "Sind Präsident und Stellvertreter gleichzeitig verhindert, so übernimmt der Alterspräsident die Leitung. " Hierauf ist ebenfalls einzugehen.

c.

Gliederung

Im nachfolgenden 1. Kapitel ist zur begrifflichen Klarstellung zunächst auf die verschiedenen Formen der Parlamentspräsidentschaft einzugehen. Desweiteren soll zur Aufhellung des tatsächlichen Hintergrundes das Verfahren der Konstituierung kurz dargestellt werden. Inbesondere ist dabei auf die Frage einzugehen, was unter dem Begriff der "Konstituierung" zu verstehen ist.

Gegenstand des 2. Kapitels ist ausgehend von den europäischen Vorläufern deutscher Parlamente ein Blick auf die historische Entwicklung des Alterspräsidentenamtes, ohne die das gegenwärtige Verständnis des Amtes nicht ohne weiteres erklärbar wäre. Auch werden sich - wie bereits angedeutet - bei einer so angelegten Betrachtung der verschiedenen Alterspräsidenten in den konstituierenden Sitzungen der jeweiligen deutschen Parlamente ähnliche Konfliktkonstellationen finden, wie sie eingangs beschrieben wurden. Die Untersuchung der rechtlichen Grundlagen der Bestellung im 3. Kapitel als auch der Kompetenzen des Alterspräsidenten einschließlich seiner Rechtsstellung als vorläufiges Leitungsorgan im 4. Kapitel bilden den Schwerpunkt der Arbeit.

Im 5. Kapitel ist auf die Legitimation des Alterspräsidenten und seine Kompetenzen als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten einzugehen. Soweit der politische Wille vorhanden ist, die Institution des Alterspräsidenten zu modifizieren oder zugunsten eines alternativen vorläufigen Leitungsorgans abzuschaffen, sollen die in Frage kommenden Möglichkeiten abschließend im 6. Kapitel im Rahmen eines eines Ausblickes aufgezeigt werden.

Erstes Kapitel

Die Formen der Parlamentspräsidentschaft und das Verfahren zur Konstituierung des Deutschen Bundestages Zu Beginn der Untersuchung sind einige begriffliche Klärungen vorzunehmen, die für das Verständnis der Problematik um das Amt des Alterspräsidenten erforderlich erscheinen. Diese beziehen sich auf die Formen der Parlamentspräsidentschaft (unten A.) sowie das Verfahren der Konstituierung des Bundestages, insbesondere den Begriff der "Konstituierung" (unten B.).

A. Formen der Parlamentspräsidentschaft Das Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages kennt verschiedene Formen der Parlamentspräsidentschaft: den Bundestagspräsidenten (unten 1.), seine Stellvertreter (unten II.) und den Alterspräsidenten. Letzterer tritt vorwiegend als vorläufiges Leitungsorgan in der konstituierenden Sitzung auf, ferner aber auch als Vertreter des Präsidenten, falls dieser und seine Stellvertreter gleichzeitig an der Sitzungsleitung verhindert sind (unten III). Schließlich kannte das Parlamentsrecht des ReichstageS noch den Probepräsidenten und den Aushilfspräsidenten (unten IV.)l.

I. Der Bundestagspräsident Der Präsident des Deutschen Bundestages2 vertritt den Bundestag und regelt seine Geschäfte (§ 7 Abs. I Satz I GOBT). Er wahrt die Würde und die Rechte des Bundestages, fördert seine Arbeiten, leitet die Verhandlungen gerecht und unparteiisch; er wahrt die Ordnung im Hause (§ 7 Abs. 1 Satz 2 GOBT)3. Zur Durchführung seiner Aufgaben ist ihm das Hausrecht zur Ausübung und die Polizeigewalt in allen der Verwaltung des Bundestages unterstehenden Grundstücken übertragen (Art. 40 Abs. 2 GG, § 7 Abs. 2 I 2

3

Vgl. Hatschek, Parlamentsrecht, S. 197 ff. Vgl. Bücker, ParIRPr, § 27, Rdnr. 1 ff.; Zeh, HStR 11, § 42, Rdnr. 27 ff. Zu den Aufgaben im einzelnen vgl. Zeh, HStR 11, § 42, Rdnr. 31.

28

1. Kap.: Parlamentspräsidentschaft und Deutscher Bundestag

Satz 1 GOBT). Schließlich ist er die oberste Dienstbehörde der Bundestagsbeamten (§ 7 Abs. 4 Satz 1 GOBT). Mit seinen Stellvertretern (Vizepräsidenten) bildet er das Präsidium des Bundestages (§ 5 GOBT)4. Der Bundestagspräsident ist Organ des Bundesverfassungsorgans Bundestag im Sinne der Organtheorie, d. h. seine ihm als Leitungs- und Vertretungsorgan des Bundestages zurechenbaren Handlungen berechtigen und verpflichten den Bundestag in seiner Gesamtheit5 • Der Bundestagspräsident wird auf Vorschlag der stärksten Fraktion6 vom Bundestag mit verdeckten Stimmzetteln für die Dauer der Wahlperiode gewählt (§ 2 Abs. 1 GOBT), wenn er die absolute Mehrheit der Stimmen des Bundestages erhält (§ 2 Abs. 2 Satz 1 GOBT). Der gewählte Bundestagspräsident und seine Stellvertreter können auch als "definitive" Präsidenten - im Gegensatz zum vorläufigen Präsidenten - bezeichnet werden 7 . Eine Abwahl des Präsidenten oder eine Absetzung durch Wahl eines neuen Präsidenten ist nicht möglich8 • Das Grundgesetz überläßt die Regelung der Stellung des Bundestagspräsidenten im einzelnen der GOBT9 .

11. Die Stellvertreter Die Stellvertreter des Bundestagspräsidenten sind ebenfalls zu Beginn und für die Dauer der Wahlperiode mit verdeckten Stimmzetteln und absoluter Mehrheit in getrennten Wahlgängen vom Bundestag zu wählen (§ 2 GOBT)IO. Die Anzahl der Stellvertreter kann der Bundestag mangels besonderer Regelungen im Grundgesetz frei festlegenli. Ebenso wie der Bundestagspräsident sind die Stellvertreter weder abwählbar noch anderweitig formell von ihren Ämtern absetzbar l2. Sie bilden zusammen mit dem Bundestagspräsidenten das Präsidium des Bundestages (§ 5 GOBT). Neben mehr administrativen Funktionen kommt den Stellvertretern vor allem die Aufgabe zu, den Bundestagspräsidenten in der Sitzungsleitung zu vertreten, falls dieser hieran verhindert ist. Da sie als Vertreter in der SitVgl. Winkler, HDParl, S. 107. Vgl. Rothaug, S. 93 m. w. Nw. 6 Bücker, ParIRPr, § 27, Rdnr. 2; Zeh, HStR 11, § 42, Rdnr. 29. 7 Vgl. Hatschek, Parlamentsrecht, S. 201. 8 Bücker, Parl~, § 27, Rdnr. 4; Zeh, HStR 11, § 42, Rdnr. 28. 9 Zeh, HStR H, § 42, Rdnr. 27. 10 Vgl. Bücker, ParIRPr, § 27, Rdnr. 21 f. 11 Bücker, ParIRPr, § 27, Rdnr. 23. 12 Bücker, ParIRPr, § 27, Rdnr. 22. 4

5

A. Fonnen der Parlamentspräsidentschaft

29

zungsleitung dem Bundestagspräsidenten gleichgestellt sind, werden sie auch als "amtierende Präsidenten" bezeichnet I3 •

111. Der Alterspräsident Die GOBT kennt den Alterspräsidenten in zwei Funktionen. Der Alterspräsident leitet in erster Linie die konstituierende Sitzung, bis der neu gewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt (§ 1 Abs. 2 GOBT). Hierauf wird im einzelnen einzugehen sein. Eine weitere Form der Alterspräsidentschaft ist in § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT angesprochen. Danach übernimmt der Alterspräsident die Sitzungsleitung des Bundestages, wenn der Präsident und seine Stellvertreter gleichzeitig verhindert sind. Ob der Alterspräsident insoweit die gleichen Befugnisse innehat wie die Stellvertreter des Präsidenten, wird noch zu untersuchen sein. Soweit ersichtlich kam es in der Praxis des Bundestages kaum vor, daß der Präsident und seine Stellvertreter allesamt an der Leitung der Sitzung verhindert waren. Dennoch ist dies nicht auszuschließen. So ereignete sich ein derartiger Fall in der 23. Sitzung des 3. Bundestages am 18.4.1958. Der damalige Bundestagspräsident Gerstenmaier beschrieb die Situation mit folgenden Worten J4 : "Der Präsident muß abgelöst werden. Die Vizepräsidenten stehen nicht zur Verfügung. Die Alterspräsidentin macht eine Kur und die zwölf nächstältesten Abgeordneten haben sich gerade selber beurlaubt. (Heiterkeit) Meine Damen und Herren, nachdem wir heute von den Veteranen des Parlamentarismus geredet haben, möchte ich jetzt Herrn Kollegen Pohle, der dem alten Reichstag angehört hat und seit 1949 Mitglied des Bundestages ist, aber noch niemals präsidiert hat, bitten, den Bundestagspräsidenten abzulösen und das Pensum möglichst schnell abzuwickeln. An Sie, meine Damen und Herren appelliere ich, ihn dabei nach Kräften zu unterstützen. (Beifall im ganzen Hause)"

Aus der geschilderten Verfahrensweise werden zwei wesentliche Punkte deutlich: Zum einen verweist der Bundestagspräsident auf die Abwesenheit der Alterspräsidentin, so daß er offensichtlich davon ausgeht, daß die Alterspräsidentin der konstituierenden Sitzung zur Sitzungsleitung nach den Stellvertretern des Präsidenten berufen ist. Zum anderen wird deutlich, daß es offensichtlich an einer geschäftsordnungsmäßigen Vertretungsregelung für den Fall, daß auch der Alterspräsident der konstituierenden Sitzung. nicht anwesend ist, fehlt, so daß die Beauftragung eines "altgedienten" Abgeordneten mit der Leitung der Sitzung erforderlich ist. 13 14

BVerfGE 60, 374 (378). 3. Bundestag, 23. Sitzung, 18.4.1958, StenBer., S. 1260 C.

1. Kap.: Parlamentspräsidentschaft und Deutscher Bundestag

30

Ob § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT tatsächlich in der geschilderten Weise zu verstehen ist, oder aber mit dem Begriff "Alterspräsident" der jeweils älteste und anwesende Abgeordnete gemeint sein könnte, um die Sitzungsleitung in jedem Falle zu gewährleisten, wird an anderer Stelle noch zu untersuchen sein. Prekär wird diese Frage insbesondere dann, wenn der Alterspräsident der konstituierenden Sitzung zwischenzeitlich durch Niederlegung seines Abgeordnetenmandats aus dem Bundestag ausgeschieden ist, wie im Fall des Abgeordneten Heym im Verlauf der 13. Wahlperiode, und daher nicht mehr für eine Vertretung zur Verfügung steht.

IV. Sonstige Präsidentschaftsformen Weitere Präsidentschaftsformen kennt das Parlamentsrecht unter der Herrschaft des Grundgesetzes nicht. Frühere Geschäftsordnungen des Reichstages kannten noch den sog. "Probepräsidenten"15. Dieser wurde zunächst nur für vier Wochen gewählt, bevor die Wahl des Präsidenten für die verbleibende Dauer der Legislaturperiode erfolgte. Mit der Geschäftsordnung des Reichstages vom 12.12.1922 beendete man diese Praxis und wählte den Präsidenten dann zu Beginn der Wahlperiode für deren gesamten Verlauf16 . Sinn und Zweck dieser Regelung war es, den neu versammelten Abgeordneten Gelegenheit zu geben, sich über den von ihnen zu wählenden endgültigen definitiven Parlamentspräsidenten einen Eindruck zu verschaffen 17. Desweiteren kannte die Praxis des Reichstages einen sogenannten Aushilfspräsidenten 18, der im Falle der Verhinderung des Präsidenten und/oder seiner Stellvertreter die Sitzungsleitung übernahm. Seine Einsetzung erfolgte nicht durch die Geschäftsordnung, sondern entsprechend einem "Reichstagsbrauch" durch einfachen Beschluß des Reichstages 19. Der Aushilfspräsident war im Gegensatz zu den Stellvertretern jedoch nicht Generalstellvertreter für den Gesamtumfang der Präsidentenbefugnisse, sondern lediglich Vertreter in der Leitung der parlamentarischen Verhandlung 2o•

IS 16 17 18 19

20

Vgl. Bücker, ParlRPr, § 27, Rdnr. 3; Hatschek, Parlamentsrecht, S. 197 f. Bücker, ParlRPr, § 27, Rdnr. 3. Hatschek, Parlamentsrecht, S. 197 f. Hatschek, Parlamentsrecht, S. 198 ff. Hatschek, ebd. Hatschek, Parlamentsrecht, S. 200.

B. Konstituierung des Deutschen Bundestages

31

B. Überblick über das Verfahren der Konstituierung des Deutschen Bundestages Um die Funktion des Alterspräsidenten als vorläufiges Leitungsorgan bis zur Konstituierung des Bundestages aus dem Kontext der parlamentarischen Praxis zu Beginn der Legislaturperiode heraus deutlich werden zu lassen, soll im folgenden ein kursorischer Überblick über das parlamentarische Verfahren von der Neuwahl des Bundestages (dazu unten 1.) über die Vorbereitung der konstituierenden Sitzung (unten 11.) bis zur konstituierenden Sitzung gezeichnet werden (unten III.). Schließlich ist der Frage nachzugehen, was genau unter dem Begriff der "Konstituierung" zu verstehen ist (unten IV.).

I. Der Bundestag zwischen Neuwahl und konstituierender Sitzung Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach seiner Wahl zusammen (Art. 39 Abs. 2 GG). Zu diesem ersten Zusammentritt, der konstituierenden Sitzung, werden die Abgeordneten vom bisherigen und amtierenden Bundestagspräsidenten einberufen (Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG, § I Abs. 1 GOBT). Amtierend ist nach der Änderung des Art. 39 GG im Jahre 197621 der Bundestagspräsident der vorhergehenden Wahlperiode bis zur Eröffnung der konstituierenden Sitzung durch den Alterspräsidenten22 • In diesem Zusammenhang war die Frage aufgeworfen worden, ob der neugewählte Bundestag bereits vor seiner Konstituierung als Verfassungsorgan existent sei. Nach Ansicht von Achterberg 23 sei der Bundestag bereits vor der Konstituierung mit der Wahl und der Annahme des Mandats durch alle Abgeordneten als Verfassungsorgan vorhanden, wenn auch mangels eigener Organe noch nicht handlungsfähig. Er begründet dies mit dem Wortlaut des Art. 39 Abs. 2 GG, wonach der "Bundestag" - und nicht die Abgeordneten - zur konstituierenden Sitzung zusammentreten. Folgt man dem, dann gäbe es von der Annahme des Mandats der Abgeordneten bis zur Eröffnung der konstituierenden Sitzung des neu gewählten Bundestags eine Phase, in der zwei Bundestage parallel existierten - der bisherige durch seine Organe handlungsfähig, der neu gewählte mangels Organe noch nicht handlungsfähig.

21 22

23

33. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 23.8.1976 (BGB\. I, S. 2381). Zeh, HStR 11, § 43, Rdnr. 17. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 168.

32

1. Kap.: Parlamentspräsidentschaft und Deutscher Bundestag

Die These Achterbergs ist vor dem Hintergrund der 1976 erfolgten Änderung des Art. 39 GG eher zweifelhaft. Ziel der Grundgesetzänderung war die eindeutige Trennung der jeweiligen Bundestage bzw. Wahlperioden im Sinne des Diskontinuitätsgrundsatzes bei weitgehend nahtlosem Übergang von der einen zur anderen Wahlperiode, um damit eine Reihe von Folgeproblemen zu beseitigen24• Einen Teil dieser Probleme würde man - sozusagen durch die Hintertür - wieder zum Gegenstand der Diskussion machen, wollte man die parallele Existenz zweier Bundestage zulassen. Dies scheint weder zweckmäßig noch - aus systematischer und historischer Sicht - rechtlich notwendig. Mithin kann Art. 39 Abs. 2 GG nur so verstanden werden, daß der neugewählte Bundestag erst im Zeitpunkt des Zusammentretens existent ist. Der neugewählte Bundestag ist als Verfassungsorgan folglich erst dann vorhanden, wenn er den bisherigen mit der Eröffnung der konstituierenden Sitzung im Sinne des Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG ablöst.

11. Die Vorbereitung der konstituierenden Sitzung Bereits im Vorfeld der konstituierenden Sitzung sind Maßnahmen erforderlich, die die konstituierende Sitzung vorbereiten. Diesem Zweck dient die sog. "Interfraktionelle Besprechung". Die Interfraktionelle Besprechung entspricht dem Ältestenrat, der sich unabhängig vor der ersten Sitzung des neugewählten Bundestages zeitlich vorhergehend selbst konstituiert25 . Bis zur Konstituierung des Bundestages wird die Bezeichnung "Interfraktionelle Besprechung" geführt. Sie dient der Absprache und Regelung aller die Konstituierung des Bundestages betreffenden Einzelheiten. Die "Interfraktionelle Besprechung" ist dabei - wie der Ältestenrat - kein Beschlußorgan, das mit seinen Beschlüssen das Plenum rechtlich binden könnte; vielmehr handelt es sich bei den Verabredungen der Interfraktionellen Besprechung lediglich um Vorschläge an das Plenum, die aber dann als akzeptiert gelten, wenn sich im Plenum kein Widerspruch regt26 • Faktisch haben die Vereinbarungen - von einigen Ausnahmen abgesehen - jedoch große Bindungswirkung27 . Wesentlich ist, daß alle Entscheidungen in der Interfraktionellen Besprechung nach dem Konsensprinzip getroffen werden, anderenfalls entscheidet das Plenum mit einfacher Mehrheit 28 • 24 Vgl. Deutscher Bundestag, Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform v. 9.12.1976, BT-Drs. 7/5924, S. 32 ff. 2S Zeh, HStR H, § 43, Rdnr. 20. 26 Zeh, ebd. 27 Zeh, ebd.

B. Konstituierung des Deutschen Bundestages

33

Die "Interfraktionelle Besprechung" ist somit der Ort, an dem die Tagesordnung für die konstituierende Sitzung ausgehandelt und der älteste Abgeordnete beauftragt wird, die Sitzungsleitung zu übernehmen. Teilweise 29 wird daher von einer interfraktionellen Verständigung gesprochen, auf der die Eröffnung der konstituierenden Sitzung durch den Alterspräsidenten beruhe.

III. Die Konstituierung des Bundestages Nachdem sich die Abgeordneten auf Einladung des bisherigen Bundestagspräsidenten versammelt haben, stellt der Alterspräsident zu Beginn der konstituierenden Sitzung unter Angabe seines Geburtsdatums traditionell die Frage, ob sich unter den Abgeordneten jemand befinde, der älter sei als e~o.

Anschließend eröffnet der Alterspräsident die Sitzung, begrüßt die anwesenden Gäste und stellt in der Regel fest, daß bis zur Beschlußfassung über die Geschäftsordnung nach den Regeln verfahren werden solle, die für den vorhergehenden Bundestag gegolten haben. Darauf erfolgt die Benennung der vorläufigen Schriftführer durch den Alterspräsidenten. Schließlich findet die Wahl des definitiven Bundestagspräsidenten einheitlich mit dem Namensaufruf und der Feststellung der Beschlußfähigkeit statt.

IV. Wann ist die Konstituierung vollzogen? Nach Art. 39 Abs. 2 GG tritt der Bundestag spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl zusammen. Unumstritten dürfte sein, daß mit der Versammlung der Abgeordneten und der Eröffnung der konstituierenden Sitzung der Zusammentritt des neuen Bundestages bewirkt ist und folglich die Wahlperiode des vorhergehenden Bundestages nach Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG endet. Der Begriff der "Konstituierung", den das Grundgesetz zwar nicht kennt, mit dem aber § 1 GOBT überschrieben ist, deutet auf ein Verfahren hin, so daß fraglich sein könnte, zu welchem Zeitpunkt die Konstituierung, die mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages beginnt, vollzogen ist. Hierzu werden, unterschiedliche Auffassungen vertreten. Zum Teil 3 ) wird behauptet, die Konstituierung sei vollzogen, sobald der Alterspräsident einen Beschluß hinsichtlich der vorläufigen Übernahme der bisherigen Geschäftsordnung herbeigeführt habe. Andere sind der An28

Zeh, HStR 11, § 42, Rdnr. 36; § 43, Rdnr. 20.

Troßmann, GOBT, § 1, Rdnr. 6. Eine Ausnahme bildet insoweit aus dem bereits oben genannten Grunde Alterspräsident Brandt, 10. Bundestages, 1. Sitzung 29.3.1983, StenBer., S. 1. 29

30

3 Klopp

34

1. Kap.: Parlamentspräsidentschaft und Deutscher Bundestag

siche 2, daß die Konstituierung des Bundestags erst mit der Übernahme des Amtes durch den definitiven Bundestagspräsidenten bzw. dessen Stellvertreter erfolge. Desweiteren wurde die Übernahme des Vorsitzes durch den Alterspräsidenten und die Benennung der vorläufigen Schriftführer in der konstituierenden Sitzung des 2. Deutschen Reichstages am 5.2.1874 als "provisorische Konstituierung des Vorstandes..33 bezeichnet. Im Reichstag des Deutschen Kaiserreiches und der Weimarer Republik finden sich Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, daß die Konstituierung mit der Wahl des Vorstandes einschließlich der Schriftführer erfolgte34 . Eindrucksvoll erklärte der Präsident des VI. Reichstages des Deutschen Kaiserreiches, v. Wedell-Piesdorf, nach der Wahl der Schriftführer am 22.11.188435 : ,,Die beiden Herren haben die Wahl angenommen. Meine Herren 36, hiermit ist die Konstituierung des Reichstags vollzogen. Ich werde nicht unterlassen, hiervon die vorgeschriebene Meldung Seiner Majestät dem Kaiser zu machen.,,37

Auch im 3. Landtag von Sachsen-Anhalt scheint man dieser Auffassung zu folgen, wenn der Landtagspräsident nach der Wahl der Schriftführer und kurz vor Schluß der konstituierenden Sitzung sage8 : ,,Meine Damen und Herren! Es bleibt mir als Landtagspräsident nur festzustellen, daß sich der Landtag der dritten Wahlperiode konstituiert hat."

Entscheidend für die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Konstituierung vollzogen ist, ist die Handlungsfähigkeit des Bundestages39 . Erst wenn er durch Organe handlungsfähig geworden ist, d. h., in die Lage versetzt wird, nach außen und gegenüber anderen Verfassungsorganen zu handeln, kann er auch seinen gesetzgeberischen und gewaltenkontrollierenden Verfassungsauftrag wahrnehmen. Befugt, den Bundestag nach außen zu vertreten, ist 31 Insoweit unentschieden Troßmann, GOBT, § I, Rdnr. ll.l, 11.3; wohl nicht zutreffend Böttcher, S. 31, der die Konstituierung schon für vollzogen hält, wenn lediglich die Beschlußfähigkeit des Bundestages festgestellt worden ist. 32 So Schäfer, S. 97. JJ 11. Reichstag, 1. Sitzung, 5.2.1874, StenBer., Bd. 31, S. 3. J4 11. Reichstag, 1. Sitzung, 5.2.1874, StenBer., Bd. 31, S. 5, und 11. Reichstag, 1. Sitzung, 27.5.1924, StenBer., Bd. 381, S. 4. 3S VI. Reichstag, 1. Sitzung, 22.1l.l884, StenBer., Bd. 79, S. 9. 36 Das allgemeine Wahlrecht für Frauen wurde erst 1919 in Deutschland eingeführt; vg1. die Übersicht in: Brockhaus-Enzyklopädie in 24 Bänden, 19. Auflage Mannheim 1994, Bd. 23, S. 508. 37 So oder ähnlich auch die Präsidenten aller vorhergehenden und nachfolgenden Reichstage des Deutschen Kaiserreiches. 38 3. Landtag von Sachsen-Anhalt, 1. Sitzung 25.5.1998, StenBer., S. 8. 39 Zur Bedeutung eines stets handlungsfähigen Bundestages vergleiche insbesondere die Ausführungen der Enquete-Kommission Verfassungsreform v. 9.12.1976, BT-Drs. 7/5924, S. 33 ff.

B. Konstituierung des Deutschen Bundestages

35

nach Art. 40 Abs. I GG, § 7 Abs. I Satz I GOBT der Bundestagspräsident40 . Im Ergebnis scheint es, daß der Bundestag erst dann konstituiert ist, wenn der Bundestagspräsident das Amt nach der Wahl übernommen hat und der Bundestag dadurch handlungsfähig geworden ist41 • Im Nachgang zur Verfassungs- und Parlamentsreform von 1976 könnte man daher sagen, daß die mit der Änderung des Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG bezweckte Abschaffung der parlamentslosen Zeit zwischen zwei Bundestagen bis auf die kurze Phase zwischen dem Zusammentreten des neuen Bundestages und der Wahl des Bundestagspräsidenten geglückt ist. Sollten sich in dieser Phase jedoch Probleme (etwa durch Obstruktion) ergeben, die die Wahl des Bundestagspräsidenten verzögern, bleibt der Bundestag handlungsunfähig42 • Daß diesen Befürchtungen durchaus aktuelle Relevanz zukommt, zeigen Beispiele aus der jüngsten deutschen Parlamentspraxis. So soll beispielsweise anläßlich der konstituierenden Sitzung des 13. Bundestages der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion gedroht haben, die Wahl der Bundestagspräsidentin "platzen" zu lassen, falls die SPD-Fraktion einen ihrer zwei Stellvertreterposten an die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen abgeben müsse43 . Auch die Äußerungen der PDSFraktionsvorsitzenden in der konstituierenden Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt lassen in dieser Phase der Konstituierung künftig Schwierigkeiten befürchten, wenn sie sagt, daß die PDS-Fraktion die Alterspräsidentschaft eines DVU-Abgeordneten nicht anerkenne 44 •

40 41 42

43 44

BVerfGE 1, 115 (116). So auch BK/Dach, Art. 40, Rdnr. 53. Vgl. Haug, S. 88. DER SPIEGEL 1994, Heft 45, S. 16. 3. Landtag von Sachsen-Anhalt, 1. Sitzung, 25.5.98, StenBer., S. 6.

Zweites Kapitel

Das Amt des Alterspräsidenten in der historischen Entwicklung und in den Bundesländern Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan in der konstituierenden Sitzung des Bundestages ist in seiner heutigen Ausprägung besser verständlich, wenn man seine historische Reifung nachvollzieht und den Kontext der Entwicklung des Parlaments hin zur autonomen Gesetzgebungskörperschaft berücksichtigt. So ist der heute erreichte Status moderner Volksvertretungen als selbständige, aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz heraus berechtigte und verpflichtete Staatsorgane keineswegs selbstverständlich, sondern konnte den jeweiligen Monarchen erst nach und nach abgerungen werden. Es war auch durchaus nicht selbstverständlich, daß - wie heute ein Abgeordneter als Mitglied des sich konstituierenden Parlamentes die erste Sitzung leitete; vielmehr gab es - wie zu zeigen sein wird - verschiedene Möglichkeiten der Installation eines vorläufigen Leitungsorgans. Die Entstehung des Alterspräsidentenamtes ist eng verbunden mit der Entwicklung der Parlaments- bzw. Geschäftsordnungsautonomie, durch die den Parlamenten das Recht zugestanden wurde, ihre eigenen, parlamentsinternen Angelegenheiten autonom und frei von der Einflußnahme der jeweiligen Monarchen zu regeln. Das Amt des Alterspräsidenten geht zurück auf die kontinentaleuropäische Parlamentspraxis im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert', die in Frankreich nach der Französischen Revolution 1789 ihren Ausgangspunkt nahm. Insoweit wird man sagen können, daß sich auch die Ursprünge der Geschäftsordnung des Bundestages bis auf die Geschäftsordnung der Französischen Nationalversammlung aus dem Jahre 1791 zurückverfolgen lassen 2• Diese stützte sich ihrerseits auf die Aufzeichnungen Jeremy Benthams über die englische Parlamentspraxis, nachdem Mirabeau sie übersetzt hatte 3 .

I

2

3

Bleek, HDParl, S. 27. Lammert, GO-Synopse. S. 11. Lammert. GO-Synopse. S. 10.

A. Das Englische Unterhaus

37

Die folgenden Ausführungen sollen die Entwicklung des Alterspräsidentenamtes nachzeichnen. Auszugehen ist von der Parlamentspraxis des Englischen Unterhauses (unten A.) als dem ältesten europäischen Parlament, dem der Gedanke der Volksrepräsentation zugrunde lag. Die Geschäftsordnung der Französischen Nationalversammlung (unten B.) fand in den englischen Geschäftsordnungsregelungen ihr Vorbild. Die Belgische Deputiertenkammer (unten c.) übernahm wiederum im wesentlichen die französischen Vorgaben. Von dort nahmen sie ihren Weg nach Deutschland (unten D.), insbesondere nach Preußen.

A. Das Englische Unterhaus Das Amt des Alterspräsidenten war dem englischen Parlamentsrecht ursprünglich unbekannt4 . Gleichwohl hat das englische Parlament für die Entwicklung des Parlamentarismus auf dem europäischen Kontinent wesentliche Vorarbeit geleistet, indem es die Parlamentsautonomie gegen den Monarchen durchsetzte und damit Raum für die autonome Regelung der parlamentsinternen Fragen schuf. Hierdurch wurde die Entwicklung des Alterspräsidentenamtes wesentlich begünstigt. Bemerkenswert ist dabei, daß Großbritannien - im Gegensatz zu anderen modernen Staaten - nach wie vor keine geschlossene Kodifikation seiner Verfassung kennt, die etwa Garantien wie die Parlamentsautonomie oder die Essentialia des parlamentarischen Verfahrens ausdrücklich festhalten würde 5 . Vielmehr ist das Verhältnis von Exekutive und Legislative im wesentlichen traditionell durch Verfassungsgewohnheitsrecht geprägt6 , das in der Lage ist, flexibel auf politische Einflüsse zu reagieren. Gerade in dieser Elastiztät wird der Vorzug des englischen Verfassungrechts gesehen 7 , wenngleich sich damit für eine empirische Untersuchung erhebliche Schwierigkeiten ergeben. Erste gegenüber dem Monarchen auf Autonomie des Parlaments angelegte Bestrebungen sind in England im 14. Jahrhundert auszumachen, als es 4 Erst im August 1972 wurde ein dem Alterspräsidenten vergleichbares Amt geschaffen: "the Father of the House" (Standing Orders of the House of Commons, No. I (I», der ab diesem Zeitpunkt anstelle des Clerk of the House (von der Krone auf Lebenszeit ernannter Beamter des Hauses) die Wahl des Speaker leitete; der Father of the House ist das dienstälteste Mitglied des Unterhauses; vgl. Griffithl Ryle, S. 143; diese Änderung offenbar verkennend Köhler, ZParl22 (1991), S. 177. 5 Franz, S. 495. 6 Vgl. Meyn, Verfassungskonventionalregeln, S. I ff. 7 Franz, S. 496.

38

2. Kap.: Das Amt des Alterspräsidenten - historische Entwicklung

dem Unterhaus gelang, die "Parlamentsprivilegien" gegen den König durchzusetzen8 • Neben diesen Garantien, die heute mit Begriffen wie Immunität und Indemnität der Abgeordneten im Parlamentsrecht eine Rolle spielen, hatte das Unterhaus auch - mindestens seit 1376/1377 - das Recht, einen Sprecher aus seiner Mitte frei zu wählen, der seitdem ein fester Bestandteil der parlamentarischen Geschäftsordnung des Unterhauses ist9 . Während auf dem Kontinent die souveränen Monarchen noch lange Zeit ihre Geschäftsordnungskompetenz, also die Rechtsetzungsbefugnis für die Geschäftsordnung der Parlamente, zu verteidigen suchten 10, war man sich in England einig, daß die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten selbstverständlich eine parlamentsinterne Angelegenheit sei 11 , die dem Regelungsbereich des Königs entzogen war. Auch die Geschäftsordnung des englischen Unterhauses darf jedoch nicht als abgeschlossene Kodifikation - etwa vergleichbar der GOBT - verstanden werden; vielmehr bestand sie über Jahrhunderte allein aus einer Mischung von förmlich gesetztem Geschäftsordnungsrecht ("Standing Orders" und "Sessional Orders") und in der Parlamentspraxis gewachsenem Gewohnheitsrecht 12. Dennoch wurde die Geschäftsordnung des englischen Unterhauses zum Prototyp späterer kontinentaler parlamentarischer Geschäftsordnungen l3 und hier insbesondere für die Geschäftsordnung der Französischen Nationalversammlung l4 , nachdem Jeremy Bentham mit seinem Werk "Essay on Political Tactics,,15 die erste systematische Aufarbeitung und Darstellung der britischen Parlamentspraxis lieferte und damit eine Grundlage schuf, von der aus - nach der Übersetzung durch Mirabeau - die Verfahrensregeln für die Französische Nationalversammlung übernommen, den nationalen Bedürfnissen angepaßt und weiterentwickelt werden konnten. So enthält die Schrift Benthams auch verschiedene Anmerkungen zur Konstituierung und zur Wahl eines Leitungsorgans:

Vgl. Gerlach, S. 1; Kopp, S. 11 ff. Vgl. Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte, S. 228 f.; Gerlach, S. 11. 10 Vgl. Lammert, GO-Synopse, S. 10. 11 Vgl. Rösch, S. 14. 12 Vgl. Lammert, GO-Synopse, S. 10. 13 Vgl. Lammert, ebd. 14 Vgl. Lammert, ebd. IS Vollständiger Titel: An Essay on Political Tactics or Inquiries concerning the discipline and mode of proceeding proper to be observed in political assemblies; principally applied to the practice of British Parliament and to the Constitution of the National Assembly of France. 8 9

A. Das Englische Unterhaus

39

,,Es gehört zu dem Wesen einer jeden deliberirenden Versammlung, in jedem Augenblicke Kämpfe zu erregen. Die Regulative sind dazu da, ihnen zuvorzukommen; aber wenn jene anheben, bedarf es einer Person, die zur Anwendung des Regulativs autorisiert, und befugt ist, auf der Stelle den Schwierigkeiten ein Ende zu machen, die den Lauf der Geschäfte unterbrechen würden, wenn an die Versammlung selbst appeliert werden müßte.,,16

und "Über die Wahl des Präsidenten bleiben mir nur wenige Worte zu sagen übrig. Er muß von der Versammlung erwählt werden, ausschließlich von ihr bei absoluter Majorität und durch Kugelwahl (scrutin). Auch muß er allein von ihr destituiert werden können. Dies alles beruht auf demselben Prinzip: Niemand soll diesen Platz einnehmen, als der, welcher das Vertrauen der Versammlung besitzt, und zwar es in einem höheren Grade besitzt, als alle anderen. Alles Gute, das er hervorbringen kann, steht in Verhältnis mit diesem Vertrauen."17

Benthams Ausführungen ist zu entnehmen, daß als Leitungsorgan einer parlamentarischen Versammlung seiner Ansicht nach nur eine Person in Betracht kommen kann, die kraft ihrer Autorität in der Lage ist, die Verhandlungen zu leiten und Schwierigkeiten, die dem Zweck der Versammlung zuwiderlaufen "auf der Stelle ... ein Ende zu machen." Diese Autorität soll dem Leitungsorgan durch die "absolute Majorität", also die Mehrheit der Mandate verliehen werden. In dem Akt der Wahl erschöpft sich die von Bentham vorgestellte Autorität indes nicht; vielmehr stellt er einen Zusammenhang zwischen der Autorität und dem fortwährenden Vertrauen der Versammlung in die Amtsführung her, wodurch das Leitungsorgan genötigt wird, das in es gesetzte Vertrauen permanent zu rechtfertigen. Der Grad der Zustimmung durch die Mandatsträger ist nach Bentham geradezu Bedingung für eine erfolgreiche Verhandlungsleitung, wenn er sagt, daß ,,(a)lles Gute, das er hervorbringen kann, in Verhältnis mit diesem Vertrauen (steht)." Die Ausführungen Benthams mögen eine Selbstverständlichkeit beschreiben, wenn es um den definitiven Präsidenten geht. Da hier der Alterspräsident im Vordergrund steht, ist dennoch die Frage angebracht, ob Benthams Maximen nicht auch auf das vorläufige Leitungsorgan zu beziehen sind. Wenn für Bentham das Vertrauen der Mehrheit der Mandatsträger in die Person des Verhandlungsleiters eine wesentliche Bedingung dafür ist, die Arbeitsfähigkeit der Versammlung zu gewährleisten und auftretende Schwierigkeiten sofort beheben zu können, dann ist kein Grund ersichtlich, warum dies nicht auch für das vorläufige Leitungsorgan, wie beispielsweise den Alterspräsidenten, gelten soll; dies nach der hier vertretenden Auffassung sogar umsomehr, als naturgemäß zu Beginn der konstituierenden SitBentham, S. 51 f. 17 Bentham, S. 56.

16

40

2. Kap.: Das Amt des Alterspräsidenten - historische Entwicklung

zung noch keine Verfahrensregelungen für die Verhandlung bestehen. Die bisherige Geschäftsordnung kann nur dann Gültigkeit haben, wenn sie durch einen wenigstens vorläufigen Übernahmebeschluß für wirksam erklärt wurde. Fehlt es aber anfangs an Verfahrensregelungen - weil beispielsweise die bisherigen Geschäftsordnungsregelungen nicht in Kraft gesetzt wurden -, so hängt es allein von der Autorität des vorläufigen Leitungsorgans bzw. des Vertrauens der übrigen Mandatsträger ab, ob er seine Funktion erfüllen kann. Offensichtlich ist damit, daß für Bentham ein Zusammenhang zwischen dem Vertrauen der Mehrheit der Mandatsträger und der Funktionsfähigkeit des vorläufigen Leitungsorgans besteht. Ein Alterspräsident, der nicht das Vertrauen der Mehrheit im Plenum genießt oder gar gegen diese arbeitete, wäre demnach für Bentham untragbar gewesen. Diese Erkenntnis läßt sich also bereits aus den ersten Aufzeichnungen zu den Regelungen im parlamentarischen Verfahren vornehmen.

B. Die Französische Nationalversammlung von 1789 Die Französische Nationalversammlung von 1789 war nach dem englischen das erste Parlament modemen Zuschnitts auf dem Kontinent. Im Gegensatz zu den Ständeversammlungen des Konstitutionalismus, die zwar das Land aber nicht das Volk repräsentierten l8 , lag erstmals der Assemblee Nationale der Gedanke der Volkssouveränität zugrunde l9 • Anders als in Großbritannien, wo sich der Übergang von der absoluten Monarchie zur parlamentarisch kontrollierten konstitutionellen Monarchie sukzessive vollzog, führte die Revolution von 1789 zu einer deutlichen Zäsur und einem neuen - zunächst konstitutionell-monarchistisch verfaßten - Staat, dessen Rechtsgrundlage die Französische (Revolutions-) Verfassung vom 3.9.1791 war. Eine ausdrückliche Regelung der Geschäftsordnungsautonomie findet sich hier nicht, nachdem Ludwig XVIß. die schon bestehende Parlamentsautonomie ausdrücklich und formell wieder aufgehoben und sich auch das Recht zur Ernennung des Parlamentspräsidenten vorbehalten hatte 20 • Vielmehr wurde die Geschäftsordnungsautonomie der Französichen Nationalversammlung erst mit der französischen Charte von 1830 durchgesetzt21 .

18 19 20

21

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Möller, S. 19. Ziebura, FS Fraenkel, S. 192. Lammert, GO-Synopse, S. 11; Hatschek, Parlamentsrecht, S. 114. Lammert, GO-Synopse, S. 11.

B. Die Französische Nationalversammlung von 1789

41

Bemerkenswert an der Revolutionsverfassung von 1791 ist jedoch, daß das Amt des Alterspräsidenten in den Bestimmungen über die konstituierende Sitzung verfassungsrechtlich kodifiziert ist. So heißt es im Titel III (von den öffentlichen Gewalten), Abschnitt V (Zusammentritt der Abgeordneten zur gesetzgebenden Nationalversammlung) 22: "Art. 1. Die Abgeordneten treten am ersten Montag im Monat Mai am Sitzungsort der letzten Legislaturperiode zusammen. Art. 2. Sie vereinigen sich vorläufig unter dem Vorsitz des Alterspräsidenten zur Versammlung, um die Vollmachten der anwesenden Abgeordneten zu prüfen. 23 Art. 3. Sobald 373 Mitglieder geprüft sind, konstituieren sie sich als gesetzgebende Nationalversammlung. Die wählt einen Präsidenten, einen Vizepräsidenten und Sekretäre und beginnt mit der Ausübung ihrer Aufgaben. Art. 6. Die Abgeordneten sprechen gemeinsam im Namen des französischen Volkes den Eid aus, frei zu leben oder zu sterben. Anschließend leisten sie jeder für sich den Eid, mit aller Kraft die durch die verfassungsgebende Nationalversammlung in den Jahren 1789, 1790 und 1791 beschlossene Verfassung des Königreiches aufrechtzuerhalten, während der Legislaturperiode nichts vorzuschlagen oder zu bewilligen, was sie verletzen kann und in allem der Nation, dem Gesetz und dem König treu zu sein."

Die in der Revolutionsverfassung niedergelegten Regelungen über die Geschäftsordnung knüpfen im wesentlichen an die bis dahin entwickelte Parlamentspraxis des britischen Unterhauses an, fügen ihm aber auch eigene Elemente hinzu, wie die Regelung bezüglich des Alterspräsidenten, die hier erstmals - und auf der Ebene der Verfassung - kodifiziert wurde. Hinzuweisen ist ferner auf das Verständnis der Konstituierung der Nationalversammlung. Nach Art. 3 erfolgt sie nach der Wahlprüfung einer die Beschlußfähigkeit herstellenden Anzahl von Mandaten, wobei offen bleibt, ob hierfür auch die Wahl des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Sekretäre für erforderlich gehalten wird. Auffällig ist aber dennoch die enge Verknüpfung der Konstituierung mit der Herstellung der Arbeitsfähigkeit der Nationalversammlung, wenn am Ende des Art. 3 darauf hingewiesen wird, daß unmittelbar nach der Wahl der Organe mit der "Ausübung der Aufgaben" zu beginnen ist.

Zitiert nach: Franz, S. 322 f. Im Original: "Art. 2. Ils se formeront provisoirement en assemblee sous la presidence du doyen d'age, pour verifier les pouvoirs des representants presents.", vgl. Franz, ebd. 22

23

42

2. Kap.: Das Amt des Alterspräsidenten - historische Entwicklung

c.

Die Belgische Deputiertenkammer von 1831

In Belgien entstand nach der Revolution von 1830 ein eigener Staat, in dem vorwiegend durch liberale Katholiken eine Verfassung erarbeitet wurde, die sich an die französische Verfassung von 1791 und die französische Charte vom August 1830 anlehnte und auch durch das englische Vorbild beeinflußt wurde 24 • Als Verfassungsurkunde einer konstitutionellen Monarchie hatte die belgische Verfassung einen starken Einfluß insbesondere auf die peußische Verfassung von 185025 . Eine Regelung über den Alterspräsidenten wurde nicht in die Verfassung aufgenommen. Gleichwohl fand die Parlamentsautonomie, die für die Französiche Nationalversammlung in der französischen Charte von 1830 anerkannt worden war, Eingang in die belgische Verfassung vom 7.2.1831 26 : ,,Art. 46. Jede Kammer bestimmt durch ihre Geschäftsordnung, in weIcher Weise

sie ihre Befugnisse ausübt."

Und auch die autonome Wahl der Leitungsorgane wurde anerkannt: ,,Art. 37. In jeder Sitzungsperiode wählt jede Kammer ihren Präsidenten, ihre

Vizepräsidenten und setzt ihr Büro zusammen."

Die parlamentarischen Regelungen in Belgien sollten dann auch zusammen mit den französischen Regelungen für Deutschland und insbesondere das Preußische Abgeordnetenhaus beispielgebend wirken 27 •

D. Die Entwicklung in Deutschland Das Großherzogturn Baden war 1819 der erste deutsche Staat, der den Alterspräsidenten als vorläufiges Leitungsorgan einführte und mit der Wahlprüfung durch den Landtag selbst ein Stück Parlamentsautonomie verwirklichte28 • Dennoch verlief die Entwicklung der Parlamentsautonomie in Deutschland schleppend29 und auch der Alterspräsident erlangte als vorläufiges Leitungsorgan andernorts zunächst keine oder kaum Bedeutung. Ausgangspunkt für die Entwicklung des Parlamentarismus in Deutschland sind - zumindest in der gesetzgeberischen Funktion - die Ständeversammlungen, die jedoch in ihrer Autonomie erheblich beschränkt waren (unten 1.). 24

25 26 27

28 29

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Franz, S. 51. Franz, !!bd. Franz, S. 63; Lammen, GO-Synopse, S. 11. Franz, S. 53. Kühne, ParlRPr, § 2, Rdnr. 103. Kühne, ParlRPr, § 2, Rdnr. 85 ff.

D. Die Entwicklung in Deutschland

43

Erst durch die Frankfurter Nationalversammlung vom 18.5.1848 (unten 11.), konnte die Geschäftsordnungsautonomie auf der Ebene des Deutschen Bundes und in Preußen unter der oktroyierten Verfassung Friedrich Wilhelms IV. vom 5.12.1848 (unten rn.) auf Staatsebene Fuß fassen. Der Reichstag des Norddeutschen Bundes entwickelte das preußische Parlamentsrecht fort (unten IV.), der Reichstag des Kaiserreiches übernahm es von diesem (unten V.) und auch der Reichstag der Weimarer Republik gründete seine Geschäftsordnung auf der des Vorgängers (unten VI.), wenngleich sie von den politischen Umwälzungen des Dritten Reiches nicht verschont blieb (unten VII.). Der Deutsche Bundestag von 1949 wiederum baute seine Geschäftsordnungsregelungen auf denen des Reichstages der Weimarer Republik (unten vrn.), die bis zur heute geltenden GOBT nur geringfügig modifiziert wurden. Bei der Betrachtung der Geschäftsordnungen deutscher Parlamente dürfen die Geschäftsordnungen der Länderparlamente naturgemäß nicht fehlen, die - insbesondere für die vorläufige Leitung der konstituierenden Sitzung - mit einer überraschenden Regelungsvielfalt aufwarten (unten IX.).

J. Die Vorläufer der deutschen Parlamente In Deutschland setzte die Entwicklung zu autonomen Parlamenten mit der Einführung von Representativverfassungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein3o • Ursächlich hierfür waren im wesentlichen die noch als Spätwirkungen des Dreißigjährigen Krieges verzögerte Entwicklung der sozialen Verhältnisse in Deutschland und die Zersplitterung in eine Vi~lzahl von Kleinstaaten. Ein die demokratisch-parlamentarischen Strukturen tragendes Bürgertum konnte sich daher im Vergleich zu anderen Staaten erst nach und nach entwickeln31 • Als Vorläufer der modemen deutschen Parlamente können die Ständeversammlungen der deutschen Kleinstaaten angesehen werden. Sie stehen für den Dualismus von Monarch und Ständen32 und damit für den Beginn der Beschränkung monarchischer Macht. Die Dominanz des Monarchen gegenüber der Kammer ergab sich beispielsweise aus der Tatsache, daß im Gebiet des Deutschen Bundes für keine der Länderkammern ein freies Selbstversammlungsrecht bestand. Zudem wurden Geschäftsordnungsfragen durch Verordnungen der Regierungen geregelt und für die Konstituierung in der Regel ein vorläufiges Leitungsorgan durch den Souverän eingesetze 3 . 30 31 32

Vgl. K. F. Amdt, S. 18; Edinger, S. 17. Vgl. Edinger, S. 17; Ritter, S. 19 ff.; Vierhaus, S. 189. Vgl. Möller, S. 19.

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2. Kap.: Das Amt des Alterspräsidenten - historische Entwicklung

Erst allmählich erkämpfte sich das Parlament die Autonomie gegenüber der Exekutivgewalt und verankerte sie in der Verfassung 34 . Dennoch wirkten in der Zeit des Konstitutionalismus die Kammern im Ergebnis mäßigend auf die Ausübung der Macht durch den Monarchen, so daß sie bereits damals (Teil-) Funktionen moderner Parlamente wahrnahmen. Anders als Parlamente heute repräsentierten die Ständeversammlungen jedoch nicht das Volk, da deren Mitglieder nicht durch allgemeine Volkswahlen legitimiert waren 35 • Trotz der Wesensverschiedenheit von Ständeversammlung und sich auf die Volkssouveränität gründendes Parlament finden sich in der Zeit des beginnenden 19. Jahrhunderts erste Anzeichen zur Übernahme der Institution des Alterspräsidenten nach französischem Vorbild zur Konstituierung der Ständeversammlung. Damit trat der Alterspräsident in Konkurrenz zu anderen Varianten eines vorläufigen Leitungsorgans der damaligen Zeit. Baden schaffte ab 1819 als erster deutscher Staat nach französischem Vorbild die Institution eines Alterspräsidenten als ein aus der Mitte der Versammlung heraus geborenes Hilfsorgan für die Konstituierung 36 . Die Landständische Verfassungsurkunde des Großherzogthums Baden vom 22.8.1818 37 sah in § 26 vor, daß die Ständeversammlung in zwei Kammern zu teilen war, wobei sich die erste Kammer im wesentlichen aus Angehörigen des Adels, des Klerus und anderen VOlJl Großherzog privilegierten Personen zusammensetzte38 • In der zweiten Kammer dagegen befanden sich 63 von Wahlmännern gewählte Abgeordnete. Bemerkenswert dabei ist, daß die Abgeordneten der zweiten Kammer jeweils auf acht Jahre gewählt wurden, und zwar jeweils ein Viertel der Abgeordneten in Zeitabständen von jeweils zwei Jahren. Das bedeutet, daß der Grundsatz der organisatorischen Diskontinuität der 2. Kammer in Baden unbekannt war: es gab eine kontinuierlich vorhandene 2. Kammer, in der permanent mindestens drei Viertel der Abgeordneten hinreichend legitimiert waren. Der Landtag war folglich auch stets beschlußfahig, ohne daß es einer besonderen Wahlprüfung bedurfte 39 • Der - erstmalig hier im Gebiet des Deutschen Bundes auftretende - Alterspräsident, hatte lediglich den Vorsitz bis zur Wahl oder zur Bestätigung des definitiven Präsidenten zu führen4o .

33 34 3S 36 37

38 39 40

Vgl. Gerlach, S. 14, 38. Vgl. Gerlach, S. 14, 38. Vgl. Möller, S. 19. Vgl. Kühne,.ParIRPr, § 2, Rdnr. 103. Veröffentlich im Regierungsblatt 1818, Nro. XVIII, S. 101. § 27 der Verfassungs urkunde. Vgl. Botzenhart, S. 464 § 16 der Geschäftsordnung für die 2. Kammer.

D. Die Entwicklung in Deutschland

45

In den übrigen Staaten des Deutschen Bundes hatte man zur gleichen Zeit unterschiedliche Verfahren der Konstituierung. Im Königreich Württemberg beispielsweise wurde die Legitimation der Abgeordneten durch einen zwischen den Sitzungsperioden tagenden und aus Mitgliedern beider Kammern bestehenden ständigen Ausschuß geprüft. Dieser prüfte eine beschlußfähige Anzahl von Abgeordneten, worauf der König den Landtag eröffnete. Die konstituierende Sitzung wurde dann zunächst von dem ältesten rechtsgelehrten Abgeordneten geleitet, bis ein definitiver Präsident ernannt wurde 41 • Das Königreich Bayern kannte eine sog. "Einweisungskommission", die sich aus dem Präsidenten und dem Sekretär der vorhergehenden Sitzungsperiode und anderen - vom König ernannten - Mitgliedern zusammensetzte. Diese prüfte die Legitimation der Abgeordneten und - nach Prüfung von zwei Dritteln der Abgeordneten - wählte das Plenum unter Leitung der Einweisungskommission unter sechs Kandidaten den ersten und zweiten Präsidenten, die dann ihrerseits noch vom König zu ernennen waren. Erst anschließend fand die Konstituierung der Kammer unter Leitung des definitiven Präsidenten statt. Im Königreich Hannover entschied die Regierung vor Eröffnung des Landtages über die vorläufige Legitimation der Abgeordneten. Die vorbereitenden Geschäfte und die Leitung der Sitzungen beider Kammern lagen bis zur Ernennung des Präsidenten in der Hand eines königlichen Beamten, des sog. Erblandmarschalls42 • Zusammenfassend kann man für die Situation der ersten parlamentarischen Versammlungen in den deutschen Einzelstaaten im 19. Jahrhundert festhalten, daß das Amt des Alterspräsidenten in Baden zwar vergleichsweise früh und wohl auch vor dem Hintergrund der politischen Umwälzungen im nahegelegenen Frankreich an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in Erscheinung getreten ist; es konnte sich jedoch erst umfassend durchsetzen, nachdem die Parlamente eine gewisse Unabhängigkeit und Selbständigkeit erlangt hatten. Kennzeichnend für die Konstituierung der ersten deutschen Parlamente ist vielmehr der starke Einfluß des jeweiligen Monarchen auf den Geschäftsgang, indem die Konstituierung von Beamten oder anderweitig vom Monarchen bestimmten Beauftragten betrieben wurde, und auch die Ernennung des definitiven Präsidenten teilweise seiner Bestätigung bedurfte.

Vgl. Botzenhart, S. 465. Gebräuchlich auch der Begriff "Landtagsmarschall"; vgl. auch Gerlach, S. I; Kühne, ParlRPr, § 2, Rdnr. 94. 41

42

46

2. Kap.: Das Amt des Alterspräsidenten - historische Entwicklung

Wie schwach auf der anderen Seite das parlamentarische Selbstbewußtsein in Deutschland bis ans Ende des 19. Jahrhunderts ausgeprägt war, läßt sich beispielsweise an der Tatsache festmachen, daß bei der feierlichen Eröffnung des Reichstagsgebäudes in Berlin am 5.12.1894 der Reichstagspräsident von Levetzow bei der Grundsteinlegung in der Uniform eines Landwehrmajors auftrat und sich damit für alle sichtbar in die kaiserliche Hierarchie unter Kaiser Wilhelm 11. begab 43 .

11. Königreich Preußen Das Königreich Preußen war der erste deutsche Staat, der dem Parlament nach französischem bzw. belgischem Vorbild44 das Recht gewährte, seine inneren Angelegenheiten selbst zu regeln45 • Auch die Institution des Alterspräsidenten wird in Preußen übernommen46 • So enthielt Art. 77 Abs. I der oktroyierten Verfassung vom 5.12.1848 (oktrVerf 1848) - Art. 78 Abs. 1 der Verfassungsurkunde für den preußischen Staat vom 31.1.1850 (PreußVerf 1850) - folgende Regelung: ,Jede Kammer prüft die Legitimation ihrer Mitglieder und entscheidet darüber. Sie regelt ihren Geschäftsgang und ihre Disziplin durch eine Geschäftsordnung und erwählt ihren Präsidenten, ihre Vizepräsidenten und Schriftführer."

Art. 77 Abs. 1 oktrVerf 1848 war die Grundlage für die Geschäftsordnung der Zweiten Kammer des Preußischen Landtages vom 28.3.1849, deren Konstituierung in §§ 1 und 7 geregelt ist: ,,§ 1 - Zusammentritt der Kammer (1) Nach der Eröffnung der Kammern (Art. 76 der Verf.-Urk.) tritt die Kammer

unter dem Vorsitze ihres ältesten Mitgliedes zusammen.

(2) Die vier jüngsten Mitglieder übernehmen die Schriftführung. (3) Vorsitz und Schriftführung können jedoch von den dazu Berufenen unter Zustimmung der Kammer auf die im Lebensalter ihnen am nächsten stehenden Mitglieder übertragen werden. § 7 - Wahl des Präsidenten

Nachdem über die Wahlen der Abgeordneten, deren Wahlakten vorliegen, bis auf die einer näheren Aufklärung vorbehaltenen, entschieden ist, wählt die Kammer den ordentlichen Präsidenten, sodann den ersten und hierauf den zweiten Vizepräsidenten."

43 44

45 46

Vgl. Cullen, S. 142. Franz, S. 53. Lammert, GO-Synopse, S. 11. Vgl. Kühne, ParlRPr, § 2, Rdnr. 103.

D. Die Entwicklung in Deutschland

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111. Die Frankfurter Nationalversammlung von 1848 Auch auf Reichsebene wurden Geschäftsordnungsfragen und insbesondere die Konstituierung des ersten gesamtdeutschen Parlamentes intensiv diskutiert. Im Vorfeld der "deutschen constituirenden Nationalversammlung" am 18.5.1848 in der Frankfurter Paulskirche, machte sich Robert v. Mohl in seinen "Vorschlägen zu einer Geschäfts-Ordnung des verfassungsgebenden Reichstages" Gedanken. Dabei legte er seinen Ausführungen ausdrücklich die aus eigenen Anschauungen im Ausland - namentlich im englischen Unterhaus - gewonnenen Eindrücke zugrunde47 . Hinsichtlich des vorläufigen Leitungsorgans für die konstituierende Sitzung schlägt er zusammen mit den Abgeordneten v. Schwarzenberg und Murschel - folgende Regelung vor48 : ,,2. Der Fünfziger-Ausschuß setzt, sobald 350 Mitglieder von ihm anerkannt sind, eine vorberathende Versammlung an, in welcher, unter dem Vorsitz des Präsidenten der Fünfziger, ein vorläufiger Vorsitzender des Reichstages, einige Stellvertreter desselben, so wie Schriftführer durch mündliche Abstimmung gewählt werden. 3. Dieser vorläufige Vorsitzende bestimmt die Eröffnungssitzung des Reichstages auf den nächsten thunlichen Tag, und führt in der Versammlung den Vorsitz, bis zur Beendigung der definitiven Wahl des Präsidenten." Dazu führt v. Mohl in seinen Anmerkungen49 weiter aus: ,,Es lassen sich allerdings auch noch verschiedene andere Arten denken, wie der Reichstag in die erste Bewegung gesetzt werden kann, so namentlich durch Zusammentritt am bestimmmten Tage (18. Mai) unter Vorsitz eines Alterspräsidenten, ferner durch Einberufung von den Fünfzigern und unter dem Vorsitze des Präsidenten derselben. Allein gegen Jenes spricht theils der Zweifel, ob denn wirklich an dem genannten Tage die nöthige Anzahl von Mitgliedern, somit doch wohl jeden Falle völlig die Hälfte, in Frankfurt eingetroffen sein wird; theils die unbedingte Verwerflichkeit eines Alterspräsidenten. Der Leitung einer großen und noch ungeordneten Versammlung ist, selbstredend, gerade das älteste Mitglied am wenigsten gewachsen. Hat doch selbst in kleineren Ständeversammlungen eine solche Bestimmung schon zu der größten Verwirrung, zu Zeitverlust und zu Unwürdigkeiten geführt. Der Vorsitz und die Leitung der Fünfziger aber erscheint als eine Beeinträchtigung des Reichstages und als ein juristisch Unding, da jene demselben gar nicht angehören. Hier hilft also eine geordnete Vorversammlung und eine vorläufige Vorstandswahl am besten aus der Verlegenheit." Aus den Ausführungen v. Mohls wird deutlich, daß er es einerseits für erforderlich hält, ein Leitungsorgan aus der Mitte der Abgeordneten zu wählen, andererseits das Lebensalter ihm als Kriterium zur Bestellung eines' vorläufigen Leitungsorgans nicht geeignet erscheint. Daher schlägt er eine 47 48

49

v. Mohl, S. 6. v. Mohl, S. 7. v. Mohl, S. 8 f.

48

2. Kap.: Das Amt des Alterspräsidenten - historische Entwicklung

"vorberathende Versammlung" unter Leitung eines Externen vor, die aus den bereits vorläufig legitimierten Abgeordneten einen vorläufigen Vorsitzenden, Stellvertreter und Schriftführer wählt. Neben dem Schwarzenberg-Mohl-Murschelschen-Entwurf einer Geschäftsordnung stand der Entwurf einer provisorischen Geschäftsordnung des Abgeordneten Wesendonck, der durch seine Kürze besticht: "Vorläufige Geschäftsordnung für die deutsche constituirende Nationalversammlung, vorgeschlagen durch den Abgeordneten Wesendonck aus Düsseldorf. § 1. Die Versammlungen sind öffentlich. Das älteste Mitglied sitzt denselben vor. Die vier nächstältesten Mitglieder sind stellvertretende Vorsitzende. Die acht jüngsten Mitglieder sind Schriftführer. § 2. Die Versammlung theilt sich zum Zweck der Prüfung der Legitimationen in Abtheilungen von je fünfzehn Mitgliedern. Diese Abtheilungen werden in der Art gebildet, daß der Name sämmtlicher anwesenden Abgeordneten in eine Urne gelegt und je fünfzehn Namen herausgezogen werden. Die zweite Abtheilung prüft die Legitimationen der Mitglieder der ersten Abtheilung, die dritte die der Mitglieder der zweiten Abtheilung u. f. f. § 3. Die Versammlung ernennt ferner einen Ausschuß von fünfzehn Mitglieder durch einfache Stimmenmehrheit, welche die Geschäftsordnung zu entwerfen haben. § 4. Die Abtheilungen zur Prüfung der Legitimationen beginnen mit der Vorlage ihrer Arbeiten in der Sitzung am Freitag den 19. dieses Monats. § 5. Der Ausschuß zum Entwurf der Geschäftsordnung befördert seine Arbeit bis Samstag Abend zum Druck, damit sie in der nächsten Sitzung berathen werde. § 6. Bei diesen Vorberathungen gilt die allgemeine parlamentarische Geschäftsordnung und im Zweifelsfalle entscheidet die Versammlung.

Zur Frage, wer die Verhandlung leiten soll, bemerkt Wesendonck in der Debatte: ,,Eine der wichtigsten Fragen ist diejenige, wer überhaupt hier präsidieren soll. Diese Frage ist von der höchsten Wichtigkeit; denn es muß dadurch schon der Ausdruck der gegenwärtigen Versammlung gefunden werden können. Wir sind vielleicht nicht im Stande, jetzt schon einen Präsidenten für einige Zeit oder für die ganze Zeit zu ernennen, weil wir noch nicht die nöthige Kenntnis der Persönlichkeiten haben. Aus diesem Gesichtspunkte ist vorgeschlagen worden, einen vorläufigen Alterspräsidenten und vier Stellvertreter zu ernennen, und zwar sind vier Stellvertreter angenommen worden, weil es sehr leicht möglich, daß der Alterspräsident nicht mit der nothwendigen Energie auf die Versammlung wirken kann.,,5o

Wesendoncks Entwurf wurde abgelehnt, der Schwarzenberg-Mohl-Murschelsche-Entwurf angenommen 51 • Gleichwohl saß entgegen den Vorstel50

51

Wigard, l. Bd., S. 5. Wigard, l. Bd., S. 8 f.

D. Die Entwicklung in Deutschland

49

lungen v. Mohls, der als vorläufiges Leitungsorgan den Präsidenten des Fünfziger-Ausschusses vorgesehen hatte, ein Alterspräsident der Versammlung vor. Hierauf hatte man sich anläßlich einer vorbereitenden Sitzung im Kaisersaal des Frankfurter Römers verständigt52 • Nachdem der Schwarzenberg-Mohl-Murschelsche-Entwurf als provisorische Geschäftsordnung angenommen war, entstand für die im Gange befindliche Sitzung erhebliche Unruhe darüber, ob denn der Alterspräsident überhaupt (noch) zur Sitzungsleitung legitimiert sei53 . Er wurde aber schließlich bis zur Wahl des provisorischen Präsidenten Heinrich von Gagem in der zweiten Sitzung der Nationalversammlung am 19.5.1848 beibehalten. Die erste Sitzung der "constituirenden Nationalversammlung" am 18.5.1848 enthält eine Reihe von weiteren Hinweisen auf problematische Punkte, die sich künftig um die Konstituierung deutscher Parlamente im allgemeinen und das Amt des Alterspräsidenten im besonderen ranken sollten. Unklar war schon seinerzeit, wie die Konstituierung des Parlaments zu erfolgen habe. So erklärte der Alterspräsident Dr. Lang zu Beginn der Sitzung: "Somit erfülle ich meinen ernsten Beruf, und eröffne die heutige Versammlung. Sie ist constituirt als solche."

Dies genügt einem widersprechenden Abgeordneten jedoch nicht, der die feierliche Erklärung der Versammlung beantragt. Darautbin erheben sich sämtliche Abgeordnete von ihren Sitzen, halten ihre rechte Hand empor und rufen dreimal: ,,Die Versammlung ist konstituirt! Sie lebe hoch!"

Das Protokoll verzeichnet "Stürmischen Beifall und Hoch in der Versammlung und auf den Tribünen". Des weiteren wird die Notwendigkeit, sich eine Form zu geben, in der man zu inhaltlichen Fragen kommt, also die (vorläufige) Geschäftsordnung angesprochen 54 : ,,(Abgeordneter) Blum von Leipzig: Wenn wir, meine Herren, uns in diesem Augenblicke der Stellung bewußt sind, in der wir uns daran erinnern, daß die Blicke des ganzen Vaterlandes auf uns gelenkt sind, wie tausendfache Besorgnisse und gestörte Verhältnisse ihre Lösung erwarten: dann ist es schmerzlich, über Dinge der Form noch lange Zeit verlieren zu müssen; und dennoch ist es leider nicht anders möglich, denn wir können nicht berathen ohne eine Form. . .. "

52 53

54

Wigard, 1. Bd., S. 9, 15. Wigard, 1. Bd., S. 9. Wigard, 1. Bd., S. 6.

4 Klapp

50

2. Kap.: Das Amt des Alterspräsidenten - historische Entwicklung

Hier wird ein Dilemma deutlich, in dem sich Parlamente häufiger befunden haben: einerseits drängen Sachfragen, die einer zügigen Regelung durch das Parlament bedürfen, andererseits kann dies nicht ohne ein Verfahren geschehen, über das ein Konsens mitunter nur schwierig herzustellen ist. Bezeichnend ist insoweit auch die Diskussion in der Nationalversammlung, welcher der beiden Geschäftsordnungsentwürfe angenommen werden soll, und daß man dabei sich nicht dem Vorwurf der "alten deutschen GTÜndlichkeit,,55 aussetzen möge. Gleichwohl entstand um die vorläufigen Verfahrensregelungen eine so heftige Diskussion, daß der Abgeordnete Wigard von Dresden in die tumultartige Szene hineinrief: ,,Achtung der Stimme des Präsidenten! Wo soll das hinaus, wenn Sie den Präsidenten nicht mehr hören wollen! ... Das ist ein Scandal, das ist Terrorismus! Achtung dem Präsidenten!,,56 Die Ausführungen aus der Anfangszeit des deutschen Parlamentarismus belegen deutlich, welche Gefahren für die Funktionsfähigkeit und Effektivität eines Parlamentes gerade in der konstituierenden Sitzung bestehen. Dieses Problem hat an Aktualität nicht eingebüßt.

IV. Der Reichstag des Norddeutschen Bundes von 1867 In der ersten Sitzung des Reichstages des Norddeutschen Bundes am 25.2.1867 ging man allgemein wie selbstverständlich davon aus, daß der älteste Abgeordnete die vorläufige Sitzungsleitung übernahm. Alterspräsident v. Frankenberg-Ludwigsdorf hält es denn auch für eine "ehrenvolle Pflicht,,57, als Alterspräsident zu fungieren. In der gleichen Sitzung beschloß der Reichstag die Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses provisorisch und en bloc zu übernehmen 58 . Die definitive Geschäftsordnung des Norddeutschen Bundes vom 12.6.1868, die das preußische Vorbild im wesentlichen unverändert übernahm 59 , fand ihre Rechtsgrundlage in: Art. 27 VNB/Art. 27 DRV:

55 Abgeordneter Zitz von Mainz, in: Wigard. 1. Bd., S. 7. 56 Wigard. 1. Bd., S. 8. 57 Reichstag des Norddeutschen Bundes, 1. Sitzung, 25.2.1867, StenBer., Bd. 1/2,

S. 1.

S8 Reichstag des Norddeutschen Bundes, 1. Sitzung 25.2.1867, StenBer., Bd. 1/2. S. 5; vgl. auch Lammen. GO-Synopse, S. 11. S9 Vgl. Lammen. GO-Synopse. S. 11.

D. Die Entwicklung in Deutschland

51

"Der Reichstag prüft die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet darüber. Er regelt seinen Geschäftsgang und seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung und erwählt seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und Schriftführer."

Die Geschäftsordnung selbst regelte die Konstituierung und die vorläufige Sitzungsleitung in: ,,§ I - Zusammentritt des Reichstages

Beim Eintritt in eine neue Legislaturperiode treten nach Eröffnung des Reichstages die Mitglieder desselben unter dem Vorsitz ihres ältesten Mitgliedes zusammen." (seit dem 12.5.186960 )

,,(1) Beim Eintritt in eine neue Legislaturperiode treten nach Eröffnung des

Reichstages die Mitglieder desselben unter dem Vorsitz ihres ältesten Mitgliedes zusammen.

(2) Das Amt des Alterspräsidenten kann von dem dazu Berufenen auf das im

Lebensalter ihm am nächsten stehende Mitglied übertragen werden. Für jede fernere Session derselben Legislaturperiode setzen die Präsidenten der vorangegangenen Session ihre Funktionen bis zur vollendeten Wahl des Präsidenten fort (§ 7/§ 9). Die vier jüngsten Mitglieder übernehmen beim jedesmaligen Zusammentritt des Reichstages nach Eröffnung einer neuen Session die Schriftführung." (seit dem 12.5.1869) ,,Der Vorsitzende ernennt provisorisch, für die Frist bis zur Konstituierung des Vorstandes (§ 8/§ 10), vier Mitglieder zu Schriftführern. Vorsitz und Schriftführung, welche auf dem Lebensalter beruhen, können jedoch von den dazu Berufenen auf die im Lebensalter ihnen am nächsten stehenden Mitglieder übertragen werden.,,61 § 7 (§ 9) - Wahl des Präsidenten

"Sobald die Anwesenheit einer beschlußfähigen Anzahl von Mitgliedern des Reichstages durch Namensaufruf festgestellt ist, beschließt der Reichstag, an welchen folgenden Tagen die Wahlen der Präsidenten und der Schriftführer erfolgen sollen." (seit dem 22.5.187262 ) "Sobald die Anwesenheit einer beschlußfähigen Anzahl von Mitgliedern des Reichstages durch Namensaufruf festgestellt ist, vollzieht der Reichstag die Wahlen der Präsidenten und der Schriftführer."

Änderungsbeschluß des Reichstages vom 12.5.1869; vgl. Synopse im Anhang. 61 Mit Beschluß des Reichstages vom 12.5.1869 gestrichen; vgl. Synopse im Anhang. 62 Änderungsbeschluß des Reichstages vom 22.5.1872; vgl. Synopse im Anhang. 60

4"

52

2. Kap.: Das Amt des Alterspräsidenten - historische Entwicklung

V. Der Reichstag des Deutschen Kaiserreichs von 1871 Im 1. Deutschen Reichstag des von Bismarck geschaffenen Kaiserreiches erfolgte in der konstituierenden Sitzung am 21.3.1871 die - vorläufige Übernahme ohne besonderen Antrag aus dem Plenum durch den Altersprä-· sidenten v. Frankenberg-Ludwigsdorf: "Vor allem ist uns Bedürfnis eine Geschäftsordnung. Ich schlage Ihnen vor, daß wir die Geschäftsordnung des Norddeutschen Bundes vorläufig als maßgebend ansehen. - Da kein Widerspruch erfolgt, so nehme ich diesen Vorschlag als genehmigt an. ,,63

Ab dem 6. Deutsche Reichstag 1884 wurde über die Anwendbarkeit der Geschäftsordnung des vorhergehenden nicht einmal mehr ein Beschluß gefaßt, sondern einfach widerspruchslos praktiziert64 • So wurde die Geschäftsordnung des Reichstag des Norddeutschen Bundes bis zum Ende des Kaiserreiches weitgehend beibehalten65 •

VI. Der Reichstag der Weimarer Republik bis 1932 Erst mit dem Ende der Monarchie in Deutschland begann sich die eigentliche Autonomie des Parlamentes insbesondere gegenüber der regierenden Gewalt vollends durchzusetzen und zu einem festen Bestandteil des deutschen Verfassungsrechts zu werden 66. Rechtsgrundlage für die Konstituierung und die Geschäftsordnungsautonomie des Reichstages vom 12.12.1922 waren Art. 23 Satz 3 und 26 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) vom 1.8.1919: ,,Art. 23 Abs. 3 WRV

Der Reichstag tritt zum ersten Male spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen." Art. 26 WRV (I) Der Reichstag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und seine

Schriftführer.

(2) Er gibt sich seine Geschäftsordnung."

So wie im Kaiserreich schien die Geschäftsordnung des Reichstages auch sowohl für die verfassungsgebende Nationalversammlung am 6.2.1919 wie für den 1. Reichstag der Weimarer Republik geeignet zu sein:

63 64

M 66

1. Reichstages, I. Sitzung 21.3.1871, StenBer., Bd. 19, S. 5. Vgl. Lammert, GO-Synopse, S. 11. Vgl. Lammert, GO-Synopse, S. 11. Vgl. K. F. Amdt, S. 18.

D. Die Entwicklung in Deutschland

53

Alterspräsident Pfannkuch, 1. Sitzung der Nationalversammlung, 6.2. 191967 : ,,Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, die Geschäftsordnung des Reichstags einschließlich der in der Verfassung enthaltenen Bestimmungen der Geschäftsordnung als provisorische Geschäftsordnung anzunehmen unter Fortfall der Bestimmungen über die Abteilungen. - Ein Widerspruch erfolgt nicht; mein Vorschlag ist angenommen."

und Alterspräsident Rieke, 1. Sitzung des Reichstages, 24.6.192068 : " ... Ich schlage Ihnen vor, die Geschäftsordnung der Nationalversammlung hier ebenfalls anzunehmen. - Ein Widerspruch erhebt sich nicht; dann wäre damit mein Vorschlag angenommen."

Die später beschlossene Geschäftsordnung des Reichstages vom 12.12. 1922 sah in § 13 folgende Regelung vor: ,,(1) Wenn der Reichstag nach einer Neuwahl zusammentritt, führt den Vorsitz das an Lebensjahren älteste und, wenn es ablehnt, das nächstälteste Mitglied, bis der neugewählte Präsident oder ein neugewählter Stellvertreter das Amt übernimmt.

(2) In der ersten Sitzung ernennt der Vorsitzende vorläufig vier Mitglieder zu Schriftführern. (3) Hierauf läßt er die Namen der Mitglieder aufrufen und, wenn die Beschluß-

fähigkeit festgestellt ist, den Vorstand wählen."

Wenn auch die rechtliche Stellung des Alterspräsidenten unverändert blieb, so erhielt sie doch zum Ende der Weimarer Republik größeres politisches Gewicht. Wie bereits erwähnt, begannen die radikalen Parteien zu wetteifern, einen ihrer Kandidaten als ältesten Abgeordneten in das Amt des Alterspräsidenten zu heben, um so für kurze Zeit dem Reichstag vorzustehen69 • Eindrucksvolles Beispiel war insoweit der Auftritt der KP-Abgeordneten Clara Zetkin als Alterspräsidentin, die in körperlich gebrechlichem Zustand eigens aus Moskau anreiste. Thr kommt auch der zweifelhafte Verdienst zu, dem Amt des Alterspräsidenten seine repräsentative Funktion verliehen zu haben, indem sie die bis heute andauernde Tradition begründete, daß der Alterspräsident - obgleich nicht gewählt - eine Eröffnungsrede hält7o .

67 68

69 70

StenBer., Bd. 326, S. 4. StenBer., Bd. 344, S. 1. Vgl. Gerlach, S. 47 f. VI. Reichstag, 1. Sitzung 30.8.1932, StenBer., Bd. 454, S. 1 ff.

54

2. Kap.: Das Amt des Alterspräsidenten - historische Entwicklung

VII. Der Reichstag von 1933 bis 1939 Einschneidende Änderungen im Geschäftsordnungsrecht ergaben sich nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Nicht nur wurde durch eine Geschäftsordnungsänderung die Anwesenheit einiger Abgeordneter fingiert und damit erst die Beschlußfähigkeit des Reichstages hergestellt, um das Ermächtigungsgesetz verabschieden zu können7l . Auch in Bezug auf das vorläufige Leitungsorgan des Reichstages wurde zugleich ein gravierender Einschnitt vorgenommen. So eröffnete der damalige Reichstagspräsident und spätere Reichsmarschall Hermann Göring die konstituierende Sitzung des Vill. Reichstages am 21.3.1933 mit den Worten: ,,Meine Damen und Herren! Nach einem in der Fraktionsführerbesprechung vom 15. März einstimmig gefaßten Beschlusse soll von Beginn dieser Wahlperiode an die Bestimmung des § 13 unserer Geschäftsordnung über die Eröffnung der ersten Sitzung durch den Alterspräsidenten außer Kraft treten, so daß der nach Artikel 27 der Reichsverfassung geschäftsführende Präsident die erste Sitzung zu eröffnen hätte. Dementsprechend eröffne ich die Sitzung und ernenne zu vorläufigen Schriftführern .....72

In der darauffolgenden 2. Sitzung des Reichstages am 23.3.1933, in der auch das Ermächtigungsgesetz in namentlicher Abstimmung gegen die Stimmen der SPD verabschiedet wurde, erfolgte auch die formelle Änderung der Geschäftsordnung, wonach der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan abgeschafft ist und im Grundsatz der bisherige Parlamentspräsident an seine Stelle tritt. § 13 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Reichstages lautete nunmehr: "Wenn der Reichstag nach einer Neuwahl zusammentritt, führt bis zur Übernahme des Amtes durch den neugewählten Präsidenten oder dessen neugewählte Stellvertreter den Vorsitz der Präsident des letzten Reichstages. Ist dieser nicht Mitglied des neuen Reichstages oder ist er verhindert, so wird er durch die Stellvertreter des Präsidenten im letzten Reichstag in der Reihenfolge ihres Dienstalters vertreten. Sind Präsident und Stellvertreter des letzten Reichstages gleichzeitig verhindert, so übernimmt das an Lebensjahren älteste und, wenn es ablehnt, das nächstälteste Mitglied zunächst den Vorsitz".

Die Motivation, die zu dieser Änderung geführt hat, ist möglicherweise eine Reaktion auf den bereits oben zitierten Wettlauf der Weimarer Parteien um den ältesten Abgeordneten zurückzuführen73. Es liegt nahe, daß die Nationalsozialisten seinerzeit politisch unliebsame Parteien vom parlamentarischen Verfahren ausschließen und daher Ansprachen, wie sie etwa von

71

Vgl. Bollmann, S. 14 ff.

n VIII. Reichstag, 1. Sitzung 21.3.1933, StenBer., Bd. 457, S. 5.

73 Vgl. VIII. Reichstag, 1. Sitzung 21.3.1933, StenBer., Bd. 457, S. 24; Bd. 457 Drs.5.

D. Die Entwicklung in Deutschland

55

Clara Zetldn 1932 zu Beginn der konstituierenden Sitzung gehalten wurde, für die Zukunft verhindern wollten. Festzuhalten bleibt, daß das Amt des Alterspräsidenten mit der von den Nationalsozialisten betriebenen Geschäftsordnungsänderung im Jahre 1933 vorerst abgeschafft war.

VIII. Der Deutsche Bundestag Der Deutsche Bundestag knüpfte nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches und der Zeit der Besatzung durch die Alliierten an die Tradition des Reichstages der Weimarer Republik an74 • Der Parlamentarische Rat hat insoweit die die Konstituierung und die Geschäftsordnungsautonomie betreffenden Regelungen der Weimarer Reichsverfassung nahezu unverändert75 in Art. 40 des Grundgesetzes übernommen: ,,(I) Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer.

(2) Er gibt sich eine Geschäftsordnung." Die vorläufige Geschäftsordnung des Bundestages vom 20.9.1949 regelte die Konstituierung in § l3: ,,(I) Wenn der Bundestag nach einer Neuwahl zusammentritt, führt den Vorsitz das

Lebensjahren älteste und, wenn es ablehnt, das nächstälteste Mitglied, bis der neugewählte Präsident oder ein neugewählter Stellvertreter das Amt übernimmt.

an

(2) In der ersten Sitzung ernennt der Vorsitzende vorläufig vier Mitglieder zu Schriftführern. (3) Hierauf läßt er die Namen der Mitglieder aufrufen und, wenn die Beschlußfähigkeit festgestellt ist, den Vorstand wählen." Während das Grundgesetz in den die Konstituierung betreffenden Artikeln unverändert blieb, wurde die Geschäftsordnung von 1949 bis 1951 fortentwickelt. Die endgültige Geschäftsordnung vom 6.12.1951 erhielt schließlich folgenden Wortlaut: ,,§ I - Konstituierung (I) Der Bundestag wird zu seiner ersten Sitzung von dem bisher amtierenden Präsidenten des Bundestages spätestens zum 30.76 Tag nach der Wahl 77 , jedoch nicht vor dem Ende der Wahlperiode des vorhergehenden Bundestages78 einberufen.

Vgl. BVerfGE 70,324 (360); 44, 308 (314). Der Bundestag gibt sich danach nicht "seine", sondern "eine" Geschäftsordnung. 76 Später geändert in: "dreißigsten". 77 Nach dem Wort "Wahl" wurde später eingefügt ,,Artikel 39 des Grundgesetzes". 74

75

56

2. Kap.: Das Amt des Alterspräsidenten - historische Entwicklung

(2) Beim ersten Zusammentritt des Bundestages nach einer Neuwahl 79 führt der80 an Jahren älteste, oder, wenn er81 es ablehnt, der82 nächstälteste Abgeordnete 83 den Vorsitz bis der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt. (3) Der Alterspräsident ernennt vier84 Abgeordnete zu vorläufigen Schriftführern. Hierauf folgt der Namensaufruf der Abgeördneten 85 . (4) Nach Feststellung der Beschlußfähigkeit wird die Wahl des Präsidenten, der Stellvertreter und der Schriftführer vorgenommen."

IX. Die deutschen Landesparlamente Außerordentlich vielgestaltig sind die Verhältnisse in den deutschen Landesparlamenten. Insbesondere die Landtage der (wieder-)entstandenen Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen haben sich neue Geschäftsordnungen geben müssen und damit das parlamentarische Geschäftsordnungsrecht auf einen aktuellen Stand gebracht. Die Abweichungen zwischen den Ländern sowie zum Parlamentsrecht des Bundestages sind zum Teil erheblich. Sie sollen im folgenden kurz dargestellt werden. Eine synoptische Übersicht über die den Alterspräsidenten bzw. das vorläufige Leitungsorgan betreffenden Landesvorschriften findet sich im Anhang der Arbeit. 1. Die Geschäftsordnungsautonomie

Grundlage für das Recht eines jeden Landtages, als Verfassungsorgan seine Angelegenheiten und damit auch seine Konstituierung autonom zu regeln, ist die Geschäftsordnungsautonomie. Nahezu alle Landesverfassungen garantieren daher die Geschäftsordnungsautonomie ausdTÜcklich86 • 78 Die Worte ,jedoch nicht vor dem Ende der Wahlperiode des vorhergehenden Bundestages" wurden später gestrichen. 79 Die Worte "Beim ersten Zusammentritt des Bundestages nach einer Neuwahl" wurden später ersetzt durch die Worte "In der ersten Sitzung des Bundestages". 80 "der" wurde später ersetzt durch "das". 81 "er" wurde später gestrichen. 82 "der" wurde später ersetzt durch "das". 83 •.Abgeordnete" wurde später ersetzt durch ,.Mitglied des Bundestages". 84 Das Wort wurde später gestrichen. 85 ,.Abgeordneten" wurde später ersetzt durch "Mitglieder des Bundestages". 86 Art. 32 Abs. 1 Satz 2 VerfBW; Art. 20 Abs. 3 BayVerf; Art. 41 Abs. I VerfBerl; Art. 68 VerfBr; Art. 106 VerfHB. Art. 18 Abs.l Satz 2 VerfHH; Art. 99 VerfHess; Art. 29 Abs. 1 Satz 2 VerfMV; Art. 21 Abs. 1 NdsVerf; Art. 38 Abs. 1 Satz 2 VerfNRW; Art. 85 Abs. 1 VerfRP; Art. 46 Abs. 1 SächsVerf; Art. 46 Abs. 1 VerfSA; Art. 57 Abs. 5 ThürVerf.

D. Die Entwicklung in Deutschland

57

Diesen Regelungen kommt jedoch eine mehr deklaratorische Bedeutung zu, da sich die Geschäftsordnungsautonomie der Landesparlamente bereits aus der Stellung des Parlaments als eines der obersten Verfassungsorgane ergibt87 . Eine eingeschränkte Geschäftsordnungsautonomie enthält Art. 70 Abs. 1 der Verfassung des Saarlandes: "Der Landtag regelt seine inneren Angelegenheiten durch Gesetz und Geschäftsordnung." Im Gegensatz zu Art. 40 Abs. 1 GG und den übrigen Landesverfassungen schafft die saarländische Verfassung damit die Möglichkeit, parlamentsinterne Angelegenheiten auch durch Gesetz zu regeln; dies ist durch das "Gesetz über den Landtag des Saarlandes.. 88 geschehen. Eine Einschränkung der Geschäftsordnungsautonomie bedeutet dies insoweit, als ein vorhergehender Landtag den nachfolgenden bei der Regelung rein parlamentsinterner Angelegenheiten durch Gesetz binden kann. Über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines solchen Gesetzes, das Fragen der inneren Parlamentsorganisation regelt und gleichzeitig die nachfolgenden Landtage bindet und in ihrer Geschäftsordnungsautonomie einschränkt, wird an anderer Stelle zu diskutieren sein. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß die bundesdeutsche Parlamentspraxis die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten in einfachgesetzlicher Form kennt.

2. Die Wahl des Parlamentspräsidenten Die Wahl des jeweiligen Parlamentspräsidenten ist grundsätzlich in den Landesverfassungen, das nähere Verfahren der Wahl in den jeweiligen Geschäftsordnungen geregelt. Eine Ausnahme hierzu bildet wiederum das Saarland, wo durch das Gesetz über den Landtag sowohl die Wahl des Präsidenten als auch seine Vertretung durch den Alterspräsidenten geregelt wird 89 . Bemerkenswert hieran ist zum einen, daß die Wahl des Präsidenten sowie die Festlegung der Vizepräsidenten und Schriftführer offenbar nicht dem Geschäftsordnungsrecht vorbehalten werden sollte und andererseits der Alterspräsident Erwähnung auf einfachgesetzlicher Ebene findet.

87 Vgl. BT-Drs. 1012951, S. 8; BVerfGE 44, 308 (314); LeibholziRinck/Hesselberger, Art. 40 Rdnr. 11; Roellecke, HStR 11, S. 667; zweifelnd Schlaich, Rdnr. 27.

88 Vom 20.6.1973 (Amtsbl. S. 529) zul. geä. d. Ges. Nr. 1327 v. 26.1.1994 (Amtsbl. S. 509). 89 §§ 33, 35 Gesetz über den Landtag des Saarlandes.

58

2. Kap.: Das Amt des Alterspräsidenten - historische Entwicklung

3. Das vorläufige Leitungsorgan Die landesrechtIichen Regelungen über das vorläufige Leitungsorgan sind außerordentlich vielgestaltig und - wie bereits am Beispiel des Saarlandes gezeigt - nicht nur auf der geschäftsordnungsrechtIichen Ebene anzutreffen. So enthält auf verfassungsrechtlicher Ebene Art. 30 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg 90 die Regelung: ,,Die erste Sitzung wird vom Alterspräsidenten einberufen und geleitet."

Ferner regelte die Verfassung von Berlin91 bis zum Inkrafttreten der Verfassungsrevision mit Gesetz vom 14.6.199692 in Art. 39 Abs. 5 Satz 2: ,,Das Abgeordnetenhaus tritt spätestens sechs Wochen nach der Wahl unter dem Vorsitz des ältesten Abgeordneten zusammen."

Und auch der Freistaat Sachsen regelt in Art. 44 seiner Verfassung 93 (SächsVerf): ,,Die erste Sitzung wird vom Alterspräsidenten einberufen und bis zur Wahl des Landtagspräsidenten geleitet."

Überraschend bei dem Vergleich der landesverfassungrechtIichen Regelungen ist schließlich, daß die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen94 die Institution des Alterspräsidenten als vorläufiges Leitungsorgan nicht kennt und statt dessen in Art. 38 Abs .. 2 regelt: "Bis zur Wahl des neuen Präsidiums führt das bisherige Präsidium die Geschäfte weiter."

Interessant an dieser Regelung ist nicht nur, daß mit ihr das Amt des Alterspräsidenten für den nordrhein-westfälischen Landtag entbehrlich geworden ist, sondern daß das Landesrecht auch alternative Formen zum Alterspräsidenten anbietet: der bisherige Parlamentspräsident übt das Amt solange aus, bis es vom neugewählten übernommen wird. Diese von den Geschäftsordnungen der übrigen, deutschen Parlamente abweichende Regelung über das vorläufige Leitungsorgan in der konstituierenden Sitzung findet erstaunlicherweise ihre Entsprechung in der Geschäftsordnung des Deutschen Reichstages in der Fassung vom 23.3.1933, die bei der Abfassung der ersten Geschäftsordnung des nordrhein-westfälischen Landtags im Jahre 1946 mit herangezogen wurde 95 •

90 91 92

93 94

9S

Vom 11.11.1953 (GBL S. 173) zul. geä. d. Ges. v. 15.2.1995 (GBL S. 269). V. 1.9.1950,(VOBI. I S. 433) zul. geä. d. Ges. v. 6.7.1994 (GVBI. S. 217). GVBI. S. 233. V. 27.5.1992 (GVBI. S. 243). V. 18.6.1950 zul. geä. d. Ges. v. 24.11.1992 (GVNW S. 448). Vgl. Ophoff, S. 11.

D. Die Entwicklung in Deutschland

59

In den übrigen Bundesländern (Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen) wird der Alterspräsident erstmalig in der Geschäftsordnung des jeweiligen Landtages erwähnt. Auffallig ist, daß die Geschäftsordnung der Bremischen Bürgerschaft keine ausdrückliche Regelung der konstituierenden Sitzung enthält. Lediglich § 76 der Geschäftsordnung verpflichtet die Bürgerschaft, in ihrer konstituierenden Sitzung festzustellen, ob und in welchem Umfang die Geschäftsordnung der vorausgegangenen Wablperiode übernommen wird. Darüberhinaus regelt § 9 der Geschäftsordnung zwar die Wabl des Vorstandes, ohne jedoch den Alterspräsidenten zu nennen oder den Zeitpunkt für diese Wahl festzulegen. Eine weitere Besonderheit findet sich in § 1 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Hessischen Landtages: "Die Alterspräsidentin oder der Alterspräsident ernennt die zwei jüngsten Mitglieder des Landtags zu vorläufigen Schriftführerinnen oder Schriftführern, läßt die Namen der Abgeordneten aufrufen, stellt die Beschlußflihigkeit fest und erklärt den Landtag für konstituiert."

Die Regelung daß der Alterspräsident die Beschlußfabigkeit feststellt und den Landtag für konstituiert erklärt, findet sich in keiner anderen Geschäftsordnung eines Landtages.

4. Der Alterspräsident als Vertreter des Parlamentspräsidenten Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT kommt der Alterspräsident auch als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten während der Legislaturperiode in Betracht: "Sind Präsident und Stellvertreter gleichzeitig verhindert, so übernimmt der Alterspräsident die Leitung."

Ähnliche Regelungen in den Landesparlamenten findet sich in § 35 Satz 2 GO-LTSaarl: "Sind Präsident und Vizepräsidenten gleichzeitig verhindert, übernimmt der Alterspräsident die Vertretung."

Hiervon abweichende Regelungen finden sich in § 4 GO-HamBü: "Sind gleichzeitig der Präsident und beide Vizepräsidenten verhindert, an der Sitzung der Bürgerschaft teilzunehmen, so wählt die Bürgerschaft unter dem Vorsitz des Alterspräsidenten für diese Sitzung einen oder mehrere Vertreter.",

und § 5 Abs. 2 Satz 2 GO-SächsLT:

60

2. Kap.: Das Amt des Alterspräsidenten - historische Entwicklung

"Sind der Präsident und die Vizepräsidenten gleichzeitig verhindert, so übernimmt ein anderes, vom Präsidenten beauftragtes Mitglied des Präsidiums die Leitung der Sitzung."

Besonders bemerkenswert ist die bereits oben zitierte Regelung in § 58 Abs. 2 GO-LTSA: "Sind Präsident und Stellvertreter gleichzeitig verhindert, so übernimmt das älteste Mitglied des Landtages, das hierzu bereit ist, (Alterspräsident) den Vorsitz.".

Diese Regelung ist deshalb interessant, weil die Funktion des Alterspräsidenten nicht in erster Linie - wie traditionell - mit der vorläufigen Leitung der konstituierenden Sitzung verknüpft wird. Vielmehr geht sie zunächst (daher auch die Legaldefinition bei der Regelung der Vertretung des Präsidenten und nicht bei der konstituierenden Sitzung) von dem ältesten Abgeordneten der jeweiligen Sitzung als subsidiären Vertreter des Präsidenten nach den Vizepräsidenten aus und überträgt dann dem ältesten Abgeordneten der konstituierenden Sitzung die Funktion, diese (als Alterspräsident) zu leiten. Zweifel wie etwa bei § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT, ob der Alterspräsident der konstituierenden Sitzung oder der älteste anwesende Abgeordnete zur Vertretung des Präsidenten berufen sind, ergeben sich bei § 58 Abs. 2 GO-LTSA nicht. Eine Vertretungsregelung, die zwischen der des Landtages von SachsenAnhalt und der des Bundestages angesiedelt ist enthält § 15 Abs. 2 GOAbgHBerl: "Sind Präsident und Stellvertreter gleichzeitig verhindert, so übernimmt der Alterspräsident und bei seiner Verhinderung das nächstälteste Mitglied des Abgeordnetenhauses die Aufgaben des Präsidenten."

Eine Reihe von Geschäftsordnungen sehen schließlich den Alterspräsidenten als Vertreter des jeweiligen Präsidenten überhaupt nicht vor96 •

E. Zusammenfassung Als Ergebnis der historischen Betrachtung und des vergleichenden Blicks auf die Regelungen in den Bundesländern kann festgehalten werden, daß das Amt des Alterspräsidenten ursprünglich in der französischen Revolutionsverfassung des Jahres 1791 vorgesehen war, aber bereits mit der Suspendierung der Verfassung am 10.8.179297 nicht mehr verfassungsrechtlich kodifiziert ist. In der englischen Parlamentspraxis war das Amt des Alterspräsidenten ursprünglich nicht vorgesehen; erst seit dem Jahr 1972 wurde der "Father of the House" als dienstältester Abgeordnete mit der Leitung 96 97

GO-LTBW, GO-BremBü, GO-LTHess, GO-LTNds, GO-LTRP, GO-LTSchH. Vgl. Franz, I. Auflage 1950, S. 284.

E. Zusammenfassung

61

der konstituierenden Sitzung des Unterhauses bis zur Wahl des Speaker betraut. In Deutschland war das Amt des Alterspräsidenten in Baden bereits existent, bevor den Länderparlamenten und einem Parlament auf Reichsebene die Parlaments- und Geschäftsordnungsautonomie zugestanden wurde. Seit seiner erstmaligen Kodifizierung auf der Reichs- bzw. Bundesebene in der Geschäftsordnung des Reichstags des Norddeutschen Bundes ist es ein fester Bestandteil in den Geschäftsordnungen aller nationalen Parlamente. Lediglich während des Dritten Reiches wurde es abgeschafft, da der bisherige Parlamentspräsident bis zur Neuwahl des Reichstagspräsidenten amtierte. Auf der Ebene der Bundesländer wurde diese Tradition des Dritten Reiches allein im Landtag von Nordrhein-Westfalen fortgeführt, während man in Baden-Württemberg, in Sachsen und zunächst auch in Berlin das Amt des Alterspräsidenten in den jeweiligen Landesverfassungen fixierte. Im Saarland besteht nach der Verfassung schließlich die Möglichkeit, parlamentsinterne Angelegenheiten nicht nur in Form der Geschäftsordnung, sondern auch durch Gesetz zu regeln98 • Die Vielgestaltigkeit der Vertretungsregelungen für den Parlamentspräsidenten auf der Landesebene ist dadurch gekennzeichnet, daß die Vertretung des Präsidenten bzw. seiner Stellvertreter entweder durch den Alterspräsidenten 99 , den ältesten anwesenden Abgeordneten 1OO, durch einen vom Präsidenten beauftragten Abgeordneten lOl oder aber durch eine vom Alterspräsidenten zu leitende Wahl eines Vertreters erfolgt 102 . Teilweise ist der Alterspräsident nicht in die Vertretungsregelung mit einbezogen lO3 •

98 Vgl. auch die diesbezüglich ähnlichen Regelungen in Art. 51 Abs. 2, Art. 70 der Verfassung des Großherzogtums Luxemburg, abgedruckt in: Die Verfassungen der EG-Mitgliedstaaten, dtv-Textausgabe, 3. Auflage, München 1993, S. 245, 247. 99 Berlin, Saarland. 100 Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen-Anhalt. 101 Sachsen. 102 Hamburg. 103 Bayern, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Thüringen.

Drittes Kapitel

Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan Nach den Ausführungen zur historischen Entwicklung des Alterspräsidentenamtes und zur Rechtslage in den Bundesländern ist auf die aktuelle Situation zurückzukommen. Es wurde gezeigt, daß das Amt des Alterspräsidenten über eine lange Zeit tradiert und es im allgemeinen auch für scheinbar selbstverständlich gehalten wurde, daß der älteste Abgeordnete als Alterspräsident die konstituierende Sitzung zunächst leitet. Die eingangs geschilderten Fälle jedoch, in denen das Amt des Alterspräsidenten Gegenstand parlamentarischer Auseinandersetzungen war, sowie die in der Entwicklung des Amtes vereinzelt aufgetretenen Probleme geben Anlaß zu der Frage, welche rechtlichen - im Gegensatz zu den tatsächlich überkommenen bzw. politischen - Vorgaben für den Alterspräsidenten als vorläufiges Leitungsorgan in der konstituierenden Sitzung des Bundestages bestehen. Unsicherheiten treten nicht zuletzt auch deswegen auf, weil § 1 Abs. 2 GOBT als einzige Bestimmung, die den Alterspräsidenten ausdrücklich nennt, zu Beginn der konstituierenden Sitzung nach allgemeiner Ansicht l nicht wirksam ist; vielmehr müsse die GOBT der Diskontinuität des Bundestages folgend erst vom Alterspräsidenten selbst durch Herbeiführung eines (vorläufigen) Übernahmebeschlusses in Kraft gesetzt werden2 • Was geschieht also, wenn ein derartiger Übernahmebeschluß nicht gefaßt wird?3 Gibt es andere subsidiär eingreifende Normen? Agiert der Alterspräsident dann in einem rechtsfreien, ihn nicht bindenden Raum bzw. ohne Rechtsgrundlage? Bedarf er für sein Handeln überhaupt einer Rechtsgrundlage? Worin findet sich gegebenfalls diese Rechtsgrundlage? Gegenstand dieses Kapitels ist die Frage, wie der Alterspräsident selbst und sein Handeln rechtlich fundiert werden kann. Es soll dabei nicht verkannt werden, daß sich die aufgeworfenen Fragen auch "politisch" lösen lassen können. Es erscheint jedoch vor dem Hintergrund des umfassenden Legitimationsbedarfs staatlicher Gewaltausübung erforderlich, auch auf dem VgI. Haug, S. 76 ff.; Perels, Reichstagsrecht, S. 4; Finger, S. 237. VgI. Alterspräsident Heym, 13. Bundestag, 1. Sitzung 10.11.1994, StenBer., S. 1 (B); Haug, S. 77 f. 3 VgI. Alterspräsident Brandt, 10. Bundestag, 1. Sitzung 29.3.1983, StenBer., S. 1 ff.; ders., 12. Bundestag, 1. Sitzung 20.12.1990, StenBer., S. 1 ff. 1

2

A. Erfordernis einer Rechtsgrundlage

63

Boden des geltenden Staatsorganisationsrechts eine rechtliche Beantwortung der aufgeworfenen Fragen anzubieten, die zudem den rechtssicherheit- und rechtsfriedenstiftenden Konsens zwischen den beteiligten Rechtsgenossen bzw. zwischen Minderheit(en) und Mehrheit im Parlament herzustellen vermag. Insbesondere im Fall von Störungen der konstituierenden Sitzung (etwa durch radikale Abgeordnete) sollten rechtliche Möglichkeiten gegeben sein, um eine erfolgreiche Konstituierung zu gewährleisten und die Funktionsfähigkeit des Bundestages als zentrales Verfassungsorgan herzustellen4 . Im folgenden ist daher auf das Erfordernis einer umfassenden Legitimation des Alterspräsidenten und seiner Amtsführung einzugehen (unten A.). In diesem Zusammenhang ist die Frage zu stellen, ob der Begriff des Parlamentsrechts eine weiterführende Erkenntnisqualität besitzt. (unten B.). Im weiteren Verlauf der Untersuchung ist für die Legitimation des Alterspräsidenten zwischen der Legitimation des vorläufigen Leitungsorgans (unten C.)und der des Organwalters (unten D.) zu unterscheiden.

A. Erfordernis einer Rechtsgrundlage Das Handeln des Alterspräsidenten erfordert eine Rechtsgrundlage, wenn sein Handeln als Ausübung staatlicher Gewalt zu qualifizieren ist. Dies fordert das in Art. 20 Abs. 2 GG niedergelegte demokratische Prinzip der Volkssouveränität, wonach die Staatsgewalt nur vom Volk ausgehen darf5 • Unter der Herrschaft des Grundgesetzes kann die Staatsgewalt auch nur durch das Volk und zwar in Form von Wahlen, Abstimmungen und durch besondere Organe ausgeübt werden, Art. 20 Absatz 2 Satz 2 GG6 • Die grundgesetzliche Regelung der Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk in Wahlen und Abstimmungen impliziert die Existenz von Volksvertretungen und deren Hervorgehen aus periodisch wiederkehrenden Wahlen7 . Die Befugnisse des Alterspräsidenten bedürfen demnach dann einer Rechtsgrundlage, wenn ihre Ausübung als Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG zu qualifizieren ist. Es soll daher zunächst untersucht werden, ob der Alterspräsident Staatsgewalt im oben genannten Sinne 4 Vgl. Haug, S. 88; siehe z. B. die Äußerungen der KP-Abgeordneten Thä/mann, 11. Reichstag, 1. Sitzung 27.5.1924, StenBer., S. 6 (C) und Koenen, ebd., 2.13. Sit-' zung 28.5.1924, StenBer., S. 8 (C). 5 Jarass/Pieroth, Art. 20, Rdnr. 4. 6 Jarass/Pieroth, Art. 20, Rdnr. 5. 7 Vgl. BVerfGE 77,1 (40); 44, 125 (139); 41, 399 (414); 18, 151 (154); 13, 54 (91); I, 14 (33); Jarass/Pieroth, Art. 20, Rdnr. 5; v. Münch/Schnapp, Art. 20, Rdnr. 13.

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

ausübt (unten 1.). Im Anschluß daran soll gezeigt werden, welche weitergehenden Anforderungen das demokratische Prinzip der Volkssouveränität an die erforderlichen Rechtsgrundlagen stellt (unten 11.).

I. Ausübung von Staatsgewalt durch den Alterspräsidenten? Fraglich könnte sein ob, und inwieweit der Alterspräsident staatliche Gewalt ausübt, wenn er zu Beginn einer Legislaturperiode lediglich parlamentsintern und vorübergehend die Verhandlungen des Bundestages leitet. Das Prinzip der Volkssouveränität ist in Art. 20 Absatz 2 Satz 1 GG im Sinne einer Vollregelung8 ("alle" Staatsgewalt)9 geregelt. Das demokratische Prinzip erstreckt sich demnach nicht nur auf bestimmte, sondern auf alle Arten der Ausübung von Staatsgewalt JO • Es erhebt einen totalen, ohne jede Ausnahme gedachten Geltungsanspruch", so daß jeder Organ- bzw. Amtswalter und jede seiner Maßnahmen einer lückenlosen demokratischen Legitimation bedarf12 • Folglich kann staatliche Machtausübung nicht auf das Verhältnis StaatBürger beschränkt werden, sondern betrifft die Ausübung jeder Form staatlicher Macht 13, also gleichfalls auch im staatlichen Intra-Organ-Bereich. Es kommt daher nicht darauf an, ob es sich um Maßnahmen mit Außen wirkung handelt; vielmehr bedarf alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter einer hinreichenden demokratischen Legitimationsgrundlage 14 • Die Befugnisse des Alterspräsidenten zielen darauf ab, den Bundestag zu konstituieren, d. h. die Wahl des Bundestagspräsidenten herbeizuführen. Die Wahl des Bundestagspräsidenten führt der Alterspräsident dadurch herbei, daß er dessen Wahl leitet, das Wahlergebnis verkündet und dem gewählten Präsidenten das Amt übergibt. Wie bei jeder Leitung eines Verfahrens ist das Leitungsorgan darauf angewiesen, Leitungsmaßnahmen gegenüber den Verfahrens beteiligten durchsetzen zu können; anderenfalls verkäme sein Amt zu einer bloßen Formalie, die mangels hinreichender Kompetenzen gegenüber den Verfahrensbeteiligten keine effektive Funktion besäße.

MDH/Scholz, Art. 20, 11, Rdnr. 2 und Fn. I. Vgl. Schmidt-Aßmann, AöR (116) 1991, S. 339 f. 10 BVerfGE 77, 1 (40); 47, 253 (273). 11 MDH/Scholz, Art. 20, I, Rdnr. 24. 12 BVerfGE 77, 1 (40); 52, 95 (130); 47, 253 (275 f.); Badura, HStR I, § 23, Rdnr. 27; Jarass/Pieroth, Art. 20, Rdnr. 8; v. Münch/Schnapp, Art. 20, Rdnr. 30. 13 Böckenförde, HStR I, § 22, Rdnr. 12. 14 BVerfGE 93, 37 (68); 83, 60 (73); Böckenförde, ebd. 8

9

A. Erfordernis einer Rechtsgrundlage

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Auch der Alterspräsident ist somit insbesondere an der Ausübung der Staatsgewalt beteiligt, wenn er seine Leitungskompetenz und die übrigen ihm zustehenden Befugnisse gegenüber dem einzelnen Abgeordneten oder der Gesamtheit der Abgeordneten wahrnimmt. So muß der Alterspräsident, um seine Funktion erfüllen zu können, notfalls dazu imstande sein, einen Abgeordneten von der Sitzung auszuschließen, wenn dieser die Konstituierung erheblich stört und dadurch die Funktionsfahigkeit des Bundestages beeinträchtigt. Im letzteren Fall würde dies zu einem Entzug der Mitwirkungsrechte des Abgeordneten und damit zum Eingriff in dessen verfassungsrechtlich garantierten Status aus Art. 38 Abs. 1 GG führen. Hier wird besonders deutlich, daß nach dem Legitimationsgebot des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG eine Rechtsgrundlage erforderlich ist, die eine lückenlose Rückbeziehung auf das Staatsvolk als den Träger der Staatsgewalt gewährleistet l5 . Darüber hinaus sind Situationen denkbar, in denen z. B. hausrechtliche oder polizeiliche Maßnahmen gegenüber Nichtmitgliedern des Parlaments getroffen werden müssen, etwa weil diese von außen die konstituierende Sitzung stören. Hier übt der Alterspräsident also u. U. sogar im Verhältnis Staat-Bürger Staatsgewalt aus, so daß auch hier eine Rechtsgrundlage erforderlich ist. Ferner kann der amtierende Präsident bereits mit der faktischen Einnahme des Präsidentenstuhles sowie dessen Verlassen die Sitzung eröffnen 16 bzw. unterbrechen oder schließen 17 • Auch insoweit besitzen diese tatsächlichen Handlungen des Präsidenten bereits regelnden Charakter. Es ist daher davon auszugehen, daß das Handeln desjenigen, der den Präsidentenstuhl besetzt, umfassend einer Rechtsgrundlage bedarf. In diesem Zusammenhang ist auch § 27 Abs. 1 Satz 2 GOBT zu nennen, wonach der Präsident für die Zeit den Vorsitz abzugeben hat, in der er sich selbst als Redner an der Aussprache beteiligen will. Der Grund hierfür ist, daß er sein Amt nur unter Wahrung der Unparteilichkeit ausüben darf, oder anders gewendet: sein Amt legitimert den Bundestagspräsidenten nicht dazu, in der parlamentarischen Debatte bzw. vom Präsidentenstuhl aus Partei zu ergreifen l8 . Auch das Rechtsstaatsprinzip fordert zur Verhinderung von willkürlichen Maßnahmen des Alterspräsidenten eine Rechtsgrundlage für dessen Befugnisse. 19

15 16 17

18 19

Böckenförde, HStR I, § 22, Rdnr. 11. Ritzel/Bücker, § 22, Anm. I. Ritzel/Bücker, § 40, Anm. 2. Ritzel/Bücker, § 27, Anm. 2. Ger/ach, S. 16.

5 Klapp

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

Es kann daher festgehalten werden, daß der Alterspräsident staatliche Gewalt ausübt und eine hinreichende Rechtsgrundlage für sein Handeln erforderlich ist.

11. Anforderungen aus dem demokratischen Prinzip der Volkssouveränität an das Handeln des Alterspräsidenten Nachdem soeben das Erfordernis einer hinreichenden Rechtsgrundlage dargelegt wurde, ist auf die weitergehenden Anforderungen aus Art. 20 Abs. 2 GG einzugehen. Zweck des Art. 20 Absatz 2 GG ist es, den Einfluß des Volkes als Souverän auf die Ausübung der Staatsgewalt zu gewährleisten 2o . Verlangt wird daher nicht eine bestimmte Legitimationsform, sondern ein bestimmter Gehalt an Legitimation21 . In der Literatur wird im Hinblick auf einen bestimmten Legitimationsgehalt von Legitimation "unterschiedlicher Dignität,,22 gesprochen. Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt eine solche Differenzierung des Legitimationsgehaltes grundsätzlich an, wenn es sagt: "Aus verfassungsrechtlicher Sicht entscheidend ist nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handeins, sondern deren Effektivität; notwendig ist ein bestimmtes Legitimationsniveau. " 23 Der Legitimationsgehalt bzw. das Legitimationsniveau kann durch verschiedene Legitimationsformen vermittelt werden. Dies sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht die Formen der funktionellen-institutionellen (unten 1.), der organisatorischen-personellen (unten 2.) und der sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation (unten 3.)24.

1. Funktionell-institutionelle Legitimation Ein die Staatsgewalt ausübendes Organ ist dann funktionell-institutionell demokratisch legitimiert, wenn der Verfassungsgeber selbst das Organ kreiert und damit konstituiert hat 25 . Dies betrifft die funktionelle Teilung der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt wie die Bildung der Organe, durch welche die Staatsgewalten institutionell ausgeübt 20 21

22 23

24 2S

BVerfGE 83, BVerfGE 83, Böckenförde, BVerfGE 83, BVerfGE 83, BVerfGE 68,

60 (72); Böckenförde, HStR I, § 22 Rdnr. 14. 60 (72); Böckenförde, ebd. HStR I, § 22, Rdnr. 16. 60 (72). 60 (70 f.); vgl. Böckenförde, HStR I, § 22, Rdnr. 15 ff. 1 (89); 49, 89 (125); vgl. Böckenförde, HStR I, § 22, Rdnr. 15.

A. Erfordernis einer Rechtsgrundlage

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werden26 . Die funktionell-institutionelle Legitimation vermittelt dem jeweiligen Organ eine eigenständige demokratische Legitimation gegenüber anderen Organen. Die konkret individuelle Legitimation des jeweiligen Organwalters und seines Handeins wird dadurch jedoch nicht ersetzt, weshalb zusätzlich die organisatorisch-personelle und die sachlich-inhaltliche Legitimation erforderlich ist. 2. Organisatorisch-personelle Legitimation Die konkrete individuelle Legitimation des Organwalters wird durch die organisatorisch-personelle Legitimation bewirkt, indem der jeweilige Organwalter seinerseits sich auf eine lückenlose Legitimationskette berufen muß. Dabei ist es nicht erforderlich, daß diese Kette unmittelbar auf den Souverän zurückführt; vielmehr genügt auch eine mittelbare Legitimation durch hinreichend legitimierte Organe, wenngleich auch die "demokratische Dignität,,27 nach der hier vertretenen Auffassung mit zunehmender Länge der Legitimationskette abnimmt. Insoweit muß für die Legitimation staatlichen Handeins zwischen dem Organ selbst und der natürlichen Person als Organwalter unterschieden werden. Die Trennung von Organ und Organwalter folgt dem in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG niedergelegten Prinzip der mittelbaren Demokratie bzw. dem Amtsprinzip, wonach die Staatsgewalt "durch besondere Organe" der Legislative, der Exekutive und der Judikative ausgeübt wird. 3. Sachlich-inhaltliche Legitimation Über die funktionell-institutionelle und die organisatorisch-personelle Legitimation hinaus müssen die Maßnahmen des Alterspräsidenten auch sachlich-inhaltlich legitimiert sein. Die sachlich-inhaltliche Legitimation fordert, daß auch die Art und Weise - d. h. die Frage nach dem "Wie" der Ausübung der Staatsgewalt vom Volk her - ihrem Inhalt nach gerechtfertigt sein muß 28 . Diese Frage betrifft daher weniger die Bildung eines Organs bzw. die Bestellung des Organwalters als vielmehr die Befugnisse und Schranken, die dem jeweiligen Organwalter bei der Ausübung staatlichen Handeins gesetzt sind. Die soeben dargestellten Ausprägungen demokratischer Legitimation müssen zusammenwirken, um das erforderliche Legitimationsniveau zu 26 27 28

Bäckenfärde, HStR I, § 22, Rdnr. 15. Bäckenfärde, HStR I, § 22, Rdnr. 16. Vgl. Bäckenfärde, HStR I, § 22, Rdnr. 21.

68

3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

erreichen, mit dem die Ausübung der Staatsgewalt auf das Staatsvolk zurückgeführt werden kann 29 • Insbesondere die Konstituierung sachlich unabhängiger Organe erfordert nicht nur deren umfassende organisatorischpersonelle Legitimation, sondern auch die (verfassungs-)gesetzliche Regelung und Beschränkung ihrer Befugnisse3o •

B. Begriff und Besonderheiten des Parlamentsrechts Offensichtlich ist für die Frage nach der Legitimation des Alterspräsidenten, daß es sich um einen Bereich handelt, der die Organisation des Bundestages bzw. das parlamentarische Verfahren, demnach also das Parlamentsrecht, betrifft3l . Unklar ist jedoch häufig, wie der Begriff des Parlamentsrechts definiert werden kann. Es ist daher die Erkenntnisqualität des Begriffs "Parlamentsrecht" zu hinterfragen. Als Parlamentsrecht werden allgemein die das Parlament, seine Organisation und Tätigkeit betreffenden Rechtssätze bezeichnet32 , wobei der Begriff des Parlamentsrechts trotz seiner weiten Verbreitung nicht unproblematisch und seine Erkenntnisqualität historisch umstritten ist. Hatschek33 qualifizierte als deutsches Parlamentsrecht die Normen, die die Organisation und Zusammensetzung des deutschen Reichstages bestimmen, die Funktionen und das Verfahren des Reichstages regeln und die schließlich auf die Frage Antwort geben, wie jene Funktionen mittels des bestehenden parlamentarischen Verfahrens und der bestehenden Parlamentsorganisation verwirklicht werden. Daraus folgerte er die Ansicht, daß es sich hierbei um eine Kategorie von Rechtsnormen handele, die sich ähnlich dem Verwaltungsrecht vom Verfassungsrecht abspalten ließe 34 • Diese Einschätzung gilt heute als überwunden 35 . Der Begriff des Parlamentsrechts hilft insoweit, als er Auskunft über die Adressaten der im Parlamentsrecht enthaltenen Normen gibt, nämlich die am parlamentarischen Verfahren Beteiligten; wenig hilfreich ist er hingegen für die Rechtsquellenlehre, da Parlamentsrecht sowohl auf der Ebene der Verfassung, auf einfachgesetzlicher Ebene, als auch im Bereich des autonomen Geschäftsordnungsrecht auszumachen ist. Darüberhinaus werden im Vgl. Böckenförde, HStR I, § 22, Rdnr. 23. Vgl. Böckenförde, ebd. 31 Vgl. Pietzcker, ParlRPr, § 10, Rdnr. l. 32 Pietzcker, ParlRPr, § 10, Rdnr. I; vgl. auch Hatschek, Parlamentsrecht, S. I; Achterberg, Parlamentsrecht, S. l. 33 Parlamentsrecht, S. l. 34 Parlamentsrecht, S. 2 f., 8,48 f. 3S Pietzcker, ParlRPr, § 10, Rdnr. I; anders jedoch noch Gerlach, S. 13 f. 29

30

C. Die Bildung des vorläufigen Leitungsorgans

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parlaments"rechtlichen" Zusammenhang auch häufig die Nonnen mitbehandelt, deren "Rechts"qualität zumindest zweifelhaft ist, wie z. B. Parlamentsbrauch, parlamentarische Übung, Konventionalregeln, interfraktionellen Vereinbarungen etc. Schwierigkeiten können sich insoweit ergeben, als zum Teil Nonngeber, Nonnanwender und Betroffene zusammenfallen, so daß die Verbindlichkeit (als Merkmal eines Rechtssatzes) geschwächt erscheinen mag 36 . Teilweise wird daher die eigenständige dogmatische Bedeutung des Begriffs "Parlamentsrecht" grundsätzlich angezweifelt37 • Festzustellen ist jedoch, daß das Parlamentsrecht als Regelungsinstrument zwischen rivalisierenden politischen Machtträgern starken politischen Einflüssen ausgesetzt ist und sich insofern von anderen Erscheinungsfonnen des Rechts abhebes. Mit der Erkenntnis, daß die Frage nach dem rechtlichen Rahmen für die Konstituierung des Bundestages sowie die Bestellung und Tätigkeit der Alterspräsidenten dem Parlamentsrecht zuzuordnen ist, ist somit noch nicht viel gewonnen. Vielmehr ist es erforderlich, die Zuordnung der für die Konstituierung des Bundestages relevanten Nonnen zu den jeweiligen Rechtsquellen zu prüfen, um festzustellen auf welcher Stufe der Nonnenhierarchie sie sich befinden, mit welcher Verbindlichkeit sie ausgestattet sind und wie ihr Verhältnis zueinander ist. Erst dann wird man entscheiden können, unter welchen Voraussetzungen sich die entprechenden Vorschriften ändern lassen und ob und inwieweit sie justitiabel sind. Hinsichtlich des Rangverhältnisses der verschiedenen Rechtsquellen des Parlamentsrechts ist festzustellen, daß die Geschäftsordnung gegenüber dem Verfassungsrecht und dem einfachen Gesetzesrecht nachrangig ise9 , so daß auch parlamentarisches Gewohnheitsrecht, dessen rechtliche Ebene zu bestimmen wäre, sowie parlamentarischer Brauch und sonstige Erscheinungsfonnen parlamentarischer Vereinbarungen nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen dürfen.

c.

Die Bildung des vorläufigen Leitungsorgans

Für die Frage nach der hinreichenden Legitimation des Alterspräsidenten als vorläufiges Leitungsorgan ist auf den umfassenden Legitimationsbedarf für die Ausübung staatlicher Gewalt zurückzukommen. Wie bereits gesagt, ist dafür ein bestimmter Legitimationsgehalt erforderlich, der durch die funktionell-institutionelle, die organisatorisch-personelle und sachlichinhaltliche Legitimation vermittelt wird. 36 37 38 39

Pietzcker, PariRPr, § 10, Rdnr. 2. Pietzcker, PariRPr, § 10, Rdnr. l. Schulze-Fielitz, PariRPr, § 11, Rdnr. 18. BVerfGE 29, 221 (234); Schulze-Fielitz, PariRPr, § 11, Rdnr. 17.

70

3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

Zunächst ist daher zu untersuchen, ob das vorläufige Leitungsorgan für sich genommen hinreichend legitimiert ist. Das ist dann der Fall, wenn der Grundgesetzgeber es selbst kreiert und damit konstituiert hat40 , also durch organisatorische Rechtssätze im Grundgesetz gebildet hat41 . Nun ist aber ein vorläufiges Leitungsorgan im Grundgesetz, namentlich in Art. 39, 40 GG, nicht ausdrücklich geregelt. Neben der Aufzählung der obligatorischen Unterorgane des Bundestages enthält Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG jedoch das Gebot, die jeweiligen Organwalter vom Bundestag durch Wahlen zu ermitteln: "Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer." Obwohl das Grundgesetz damit keinen ausdrücklichen Hinweis bezüglich eines vorläufigen Leitungsorgans in der konstituierenden Sitzung enthält, ist in diesem Zusammenhang zu fragen, ob mit der Anordnung der Wahl des Bundespräsidenten bereits Regelungen für die Konstituierung und den Alterspräsidenten vorgegeben sind. Dafür spricht, daß die Formulierung des Art. 40 Abs. I Satz I GG an eine Tradition in Deutschland anknüpft, die bis auf Art. 77 Abs. 1 der oktroyierten Verfassung vom 5.12.1848 für das Königreich Preußen zurückgeht und - mit Ausnahme der Zeit vom 23.3.1933 bis zum erstmaligen Zusammentritt des 1. Bundestages - stets ein vorläufiges Leitungsorgan die Wahl des jeweiligen Parlamentspräsidenten leitete. Die Vorstellung, daß die Wahl des Bundestagspräsidenten nur unter Vorsitz eines vorläufigen Leitungsorgans zu erfolgen hat, lag offenbar auch dem Parlamentarischen Rat als verfassungsgebendem Gesetzgeber zugrunde, da die Regelung nahezu identisch an die historischen Vorbilder anknüpft, und Art. 40 Abs. 1 Satz I GG zu den Regelungen des Grundgesetzentwurfs gehörte, die im Parlamentarischen Rat unstreitig waren42 • In diesem Zusammenhang ist auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts43 zu sehen, wonach Art. 40 Abs. I Satz 2 GG an die historische Entwicklung des Parlamentsrechts - vor allem nach dem Übergang zur parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik - inhaltlich anknüpft. Es ist nicht ersichtlich, warum diese Aussage, die sich eigentlich auf das in Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG zum Ausdruck gekommene Verständnis der Geschäftsordnungsautonomie bezieht, nicht auch für Satz 1 gelten soll. Vgl. Böckenförde, HStR I, § 22, Rdnr. 15. WolfflBachofII, § 74 III a), S. 57. 42 BK/Dach, Art. 40, Anm. 1; v. DoemminglFüssleinlMatz, ]öR n. F. 1 (1951), S. 358 ff. 43 BVerfGE 44,308 (314). 40

41

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

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Gerade weil die Übernahme dieser Regelung aus der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz durch den Parlamentarischen Rat unproblematisch war, ist für ihre Auslegung der Rückgriff auf die Praxis des Reichstages der Weimarer Republik vor 1933 in diesem Punkt unbedenklich. Geht man davon aus, daß eine Wahl als parlamentarisches Verfahren zur Ermittlung eines Organwalters wie des Bundestagspräsidenten einer Leitung bedarf, damit das Ergebnis Produkt eines ordnungsgemäßen Verfahrens und nicht chaotisches Zufallsprodukt ist, dann ist mit der Anordnung einer Wahl in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG auch aus teleologischer Sicht die Installation eines vorläufigen Leitungsorgans vorgegeben. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß die Bildung eines vorläufigen Leitungsorgans bereits im Grundgesetz angelegt und daher seine Existenz verfassungsrechtlich legitimiert ist. Eine andere Frage ist jedoch, ob damit auch der älteste Abgeordnete des jeweiligen Bundestages als vorläufiges Leitungsorgan bereits in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG festgeschrieben ist, ob also der Verfassungsgeber an die Tradition, das älteste Mitglied des Parlaments zur vorläufigen Leitung der konstituierenden Sitzung zu berufen, anknüpfen wollte, oder aber die Besetzung des Amtes dem jeweils neugewählten Bundestag überlassen wollte. Damit ist die Frage des Amts- oder Organwalters bzw. die organisatorischpersonelle Legitimation des Alterspräsidenten angesprochen. Sofern Zweifel an der Legitimation des ursprünglichen Verfassungsgesetzgebers, dem Parlamentarischen Rat, bestehen, ergibt sich dessen Legitimation jedenfalls heute aus der Akzeptanz des Grundgesetzes seit seinem Inkrafttreten und dem breiten Konsens im Staatsvolk44 , der sich als Integrationsprozeß45 laufend und mit vergleichsweiser hoher Wahlbeteiligung und in der Akzeptanz der Verfassungsorgane manifestiert.

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter Dem demokratischen Prinzip der mittelbaren Demokratie bzw. dem Amtsprinzip aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgend ist neben der funktionellen-institutionellen Legitimation des Organs selbst die organisatorisch-personelle Legitimation des jeweiligen Organwalters erforderlich46 • 44 Vgl. Stern, Staatsrecht I, § 5 I 2 d, S. 148 f.; Heckei, HStR VIII, § 197, S. 489 ff. 45 Smend, EvStL, Sp. 1024 ff. 46 BVerfGE 83, 60 (72); Bäckenfärde, HStR 11, § 22, Rdnr. 16.

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

Es ist begrifflich mißlich, daß die Bezeichnung "Alterspräsident" die Trennung zwischen Amt und Amtswalter bzw. Organ und Organwalter überdeckt. Sie scheint zu implizieren, daß der älteste Abgeordnete auch notwendig vorläufiges Leitungsorgan ist; gleichwohl finden sich begriffliche Unschärfen dieser Art auch an anderer Stelle wie z. B. beim Ältestenrat, der sich auch nicht notwendigerweiseaus den ältesten Abgeordneten des Bundestages zusammensetzt, sondern aus dem Präsidenten, seinen Stellvertretern und dreiundzwanzig weiteren von den Fraktionen zu benennenden Mitgliedern des Bundestages (§ 6 Abs. 1 GOBT). Über die Bedeutung des Alters für die jeweilige Bezeichnung können nur Mutmaßungen angestellt werden. Naheliegend dürfte sein, daß man mit einer altersbezogenen Bezeichnung der jeweiligen Institution die Würde verleihen wollte, die wenn auch zunehmend weniger, so doch früher - dem Alter kulturunabhängig als Indiz für Weisheit entgegengebracht wurde47 • Bezeichnend auch insoweit die Ausführungen der PDS-Fraktionsvorsitzenden im Landtag von Sachsen-Anhalt anläßlich der konstituierenden Sitzung am 25.5.1998 48 : ,,Alterspräsidenten haben im Parlamentarismus in Fortsetzung einer archaischen Praxis ihren Platz gefunden. Älteste gelten kraft ihrer langen Lebenserfahrung als weltweise und humanistisch, als abgeklärt und gelassen, als tolerant und umsichtig im Umgang mit Menschen. Vielleicht fühlt sich der eine oder die andere von uns dabei an Nathan erinnert. Unsere Erwartung jedenfalls wird von diesen Prämissen bestimmt." Im Hinblick auf den Alterspräsidenten kann ein Abgeordneter über seine Wahl zum Bundestagsabgeordneten hinaus aber nur dann als Organwalter organisatorisch-personell legitimiert gelten, wenn er sich auf einen konkreten Legitimationsakt berufen kann, der ihn als natürliche Person zur Ausübung des Amtes als vorläufiges Leitungsorgan bestellt49 . Zwar ist der Alterspräsident in § 1 GOBT ausdrücklich angesprochen, doch wird bezweifelt, daß die GOBT nach dem Diskontinuitätsgrundsatz in dem Moment Geltungskraft besitzt, in dem der Alterspräsident sein Amt ausdrücklich oder durch Einnahme des Präsidentenstuhles antritt50 . Vielmehr müßte der Bundestag wenigstens die vorläufige Übernahme der GOBT beschlossen haben, was aber logisch erst nach Amtsantritt des Alterspräsidenten erfolgen kann. In dieses Regelungsvakuum hinein fällt die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum vorläufigen Leitungsorgan51 • Sie bedarf daher einer genaueren Untersuchung. 47 Zum Streit um die Tauglichkeit des ältesten Abgeordneten als vorläufiges Leitungsorgan vgl. v. Mohl, S. 8 f. und Köhler, ZParl 22 (1991), S. 177. 48 3. Landtag von Sachsen-Anhalt, 1. Sitzung, 25.5.98, StenBer., S. 5. 49 Böckenförde, HStR I, § 22, Rdnr. 10.

so Finger, S. 237. Haug, S. 85.

SI

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

73

Nachfolgend sind zunächst die bislang vertretenen Auffassungen zur Schließung dieser Regelungslücke aufzuzeigen (unten 1.), bevor die unterschiedlichen Regelungsebenen der Normenhierarchie zu untersuchen sind. Dabei ist auf Normen unterhalb der Ebene des Geschäftsordnungsrechts (unten 11.), auf das Geschäftsordnungsrecht selbst (unten III.), das einfache Gesetzesrecht (unten IV.) und das Verfassungsrecht (unten V.) gesondert einzugehen.

I. Die bislang vertretenen Auffassungen Zur Frage, auf welcher Rechtsgrundlage der älteste Abgeordnete als vorläufiges Leitungsorgan der konstituierenden Sitzung bestellt wird, werden in der Literatur unterschiedliche Ansichten vertreten. Dabei wird offenbar nicht zwischen der Legitimation des Organs selbst und der des Organwalters unterschieden. Von den Verfassungs gerichten wurde diese Frage soweit ersichtlich - noch nicht thematisiert. Teilweise ist man der Ansicht, daß die Rechtsgrundlage für die Übertragung der vorläufigen Leitung der konstituierenden Sitzung auf das älteste Mitglied des Parlamentes gleichwohl im Geschäftsordnungsrecht gegeben sei, weil es sich bei der in § 1 Abs. 2 GOBT wiedergegebenen Regelung lediglich um eine deklaratorische Konkretisierung einer Regelung handele, die ihren Ursprung im Verfassungsgewohnheitsrecht habe 52 . Andere versuchen das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung durch parlamentarisches Gewohnheitsrecht53 , Parlamentsbrauch54 oder die Berufung auf eine hergebrachte Übung 55 zu schließen. Teilweise56 wird die Ansicht vertreten, daß "die Notwendigkeit" es einem neugewählten Parlament gebiete, sich bei seinem ersten Zusammentritt zunächst eine Organisation zu schaffen. Hierfür sei der Alterspräsidenten als vorläufiges Leitungsorgan unabdingbar. Auch Hatschek57 vertrat eine ähnliche Auffassung: ..Ehe das Haus sich konstituiert, d. h. sein Pouvoir constituant ausübt, befindet es sich, so will es die konstitutionelle Doktrin, in dem sog. Naturzustand, in welchem der Zufall an Stelle von Rechtsnormen zu entscheiden hat, wer Präsident ist und wer die Schriftführer seien. Infolgedessen muß in diesem Naturzustand das Alter für Präsidentschaft und Schriftführer maßgebend sein. deshalb wird ein Alterspräsident, so will es die konstitutionelle Doktrin, bestellt und JugendschriftRothaug, S. 95. Kleinschnittger, S. 20 54 v. Münch/Versteyl, Art. 39, Rdnr. :34; Ritzel/Bücker, § 1 Anm. 11 a), S. 3; Schäfer, S. 96. 55 Finger, S. 237. 56 Köhler, ZParl 1991, S. 177. 57 Parlamentsrecht, S. 195 f. 52

53

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

führer, d. h. die jüngsten Mitglieder des Hauses werden mit den notwendigen SchriftführersteIlen betraut, während das älteste der Alterspräsident ist. Die Jugendschriftführer sind ... in dem deutschen Reichstagsrecht abgeschafft. Der Alterspräsident ist aber eine Institution des deutschen Parlamentsrechts. "

Die Alterspräsidenten der Deutschen Bundestage selbst beriefen sich bei ihrem Amtsantritt entweder auf einen Brauch58 , einen alten Brauch59, einen parlamentarischen Brauch60 , eine Übung61 oder aber nahmen gar keinen Bezug auf eine tatsächliche oder rechtliche Legitimationsgrundlage62 • Ob und gegebenenfalls welche dieser Sichtweisen zutreffend sind, soll nun untersucht werden.

11. Bestellung durch der GOBT nachrangige Normen Zunächst wäre zu fragen, wie die Ansichten zu bewerten sind, wonach die Bestellung des Alterspräsidenten durch Parlamentsbrauch einschließlich Konventionalregeln und parlamentarische Observanz (unten 1.) bzw. interfraktionelle Vereinbarung (unten 2.) bewirkt werden kann. 1. Parlamentsbrauch

In der Literatur wird teilweise die Ansicht vertreten, daß die Grundlage für das Tätigwerden des Alterspräsidenten in einem Parlamentsbrauch63 oder einer parlamentarischen Übung64 liege.

S8 Alterspräsident Pferdmenges, 4. Bundestag, 1. Sitzung 17.10.1961, StenBer., S. 1 (A). 59 Alterspräsident Löbe, 1. Bundestag, 1. Sitzung 7.9.1949, StenBer., S. 1 (A); Alterspräsidentin Lüders, 2. Bunde&tag, 1. Sitzung 6.10.1953, StenBer., S. 1 (A); Alterspräsidentin Lüders, 3. Bundestag, 1. Sitzung 15.10.1957, StenBer., S. 1 (A); Alterspräsident Borm, 6. Bundestag, 1. Sitzung 20.10.1969, S. 1 (A); Alterspräsident Erhard, 7. Bundestag, 1. Sitzung 13.12.1972, StenBer., S. 1 (A); Alterspräsident Erhard, 8. Bundestag, 1. Sitzung 14.12.1976, StenBer., S. 1 (A). 60 Alterspräsident Wehner, 9. Bundestag, 1. Sitzung 4.11.1980, StenBer., S. 1 (A); Alterspräsident Brandt, 11. Bundestag, 1. Sitzung 18.2.1987, StenBer., S. 1 (A). 61 Alterspräsident Adenauer, 5. Bundestag, 1. Sitzung 19.10.1965, StenBer., S. I (A); Alterspräsident Borm, 6. Bundestag, 1. Sitzung 20.10.1969, StenBer., S. 1 (A); Alterspräsident Erhard, 7. Bundestag, 1. Sitzung 13.12.1972, StenBer., S. 1 (A); Alterspräsident Erhard, 8. Bundestag, 1. Sitzung 14.12.1976, StenBer., S. 1 (A). 62 Alterspräsident Brandt, 10. Bundestag, 1. Sitzung 29.3.1983, StenBer., S. 1; ders., 12. Bundestag, 1. Sitzung 20.12.1990, StenBer., S. 1. 63 Schäfer, S. 96; v. MünchIVersteyl, Art. 39, Rdnr. 34; unentschieden Köhler, S. 180 f.; 64 Ritzel/Bücker, § 1, Anm. 11 a, S. 3.

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

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Daran ist zutreffend, daß es neben dem Geschäftsordnungsrecht Normen bzw. Regelungen gibt, die eine "politische" Verbindlichkeit beanspruchen65 und die Organisation und Funktion des Bundestages in hohem Maße beeinflussen 66 • Man kann sie zu den parlamentarischen Regeln im weiteren Sinne zählen. Sie dienen der Vorformung des politischen Willens und stabilisieren und ergänzen dadurch informal die Verfassung als Verfahrensordnung67 . Die Bandbreite derartiger Erscheinungsformen des Parlamentsbrauchs reicht von bloßen Höflichkeitsformen über KonventionaIregeln bis zu Parlamentsbrauch als Vorstufe zum Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht. Dabei ist die Klassifizierung in Begriffe wie z. B. parlamentarische Bräuche, parlamentarische Übungen, politische Usancen, Akte der Courtoisie und Verfassungskonventionalregeln durchaus nicht einheitlich und die Übergänge sind mehr oder weniger fließend 68 . Hier soll auf die Begriffe der Konventionalregeln, der parlamentarischen Observanzen und ihr Verhältnis zum Parlamentsbrauch kurz eingegangen werden. Als Konventionalregeln werden die Normen bezeichnet, die ,,kraft empirischer Faktizität gelten,,69. Dadurch wird bereits deutlich, daß sich ihre Wirkungskraft mehr aus dem gemeinsamen tatsächlichen Grundkonsens der am Verfahren Beteiligten, denn aus Rechtsgründen ergibt7o . Dabei beschränken sich KonventionaIregeln jedoch nicht auf den parlamentarischen Bereich, sondern sind vielmehr überall dort anzutreffen, wo menschliches Gemeinleben71 stattfindet und menschliches Verhalten koordiniert werden soll. Als Beispiel für KonventionaIregeln kann die Sprachbildung angeführt werden: "Der Sprachusus gilt, weil das faktisch Geübte, das durch Empirie Erprobte stets darauf rechnen kann, unter ähnlichen Umständen wiederholt zu werden. ,,72 Zur Abgrenzung gegenüber dem Parlamentsbrauch kann demzufolge festgehalten werden, daß der Begriff der Konventionalregel weiter zu fassen ist, als der des Parlamentsbrauchs. Nicht zu verwechseln sind Konventionalregeln mit den constitutional conventions des britischen Verfassungslebens73. Als constitutional conventions werden die verfassungsmäßigen Regeln bezeichnet, nach denen sich 65 66 67

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Schulze-Fielitz, ParIRPr, § 11, Rdnr. 14. Blischke, FS Schellknecht, S. 55 Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 162. Schulze-Fielitz, PariRPr, § 11, Rdnr. 14. Hatschek, Parlamentsrecht, S. 14. Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 162. Hatschek, Parlamentsrecht, S. 14. Hatschek, Parlamentsrecht, S. 19. Meyn, Verfassungskonventionalregeln, S. 2.

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

die britischen Verfassungsorgane richten und die auch gerichtlich als existent anerkannt sind, ohne jedoch gerichtlich durchgesetzt werden zu können74 • Danach beziehen sich die Konventionalregeln auf das Verhältnis der Verfassungsorgane zueinander und stellen materielles Recht dar75 • Die ..constitutional conventions" sollen als besondere Kategorie des britischen Verfassungsrechts hier außer Betracht bleiben, dürften dem Verfassungsgewohnheitsrecht nach deutschem Verständnis aber wohl nahestehen. In der Literatur ist ferner auch der Begriff der parlamentarischen Observanz anzutreffen 76. Danach werden parlamentarische Observanzen als die Regeln qualifiziert, die zwar noch nicht gewohnheitsrechtlieh wirken, gleichwohl aber eine übergreifende Verbindlichkeit zu ihrer kontinuierlichen Einhaltung erzeugen77 . Dem steht das überkommene Verständnis des Begriffs ..Observanz" entgegen, wonach unter Observanz gemeinhin das Gewohnheitsrecht verstanden wird, das sich innerhalb einer juristischen Person des öffentlichen Rechts aufgrund autonomer Satzungskompetenz entwickelt78 • Vor dem Hintergrund der für die Rechtsnatur der GOBT vertretenen Satzungstheorie wird daher in der Literatur vielfach von parlamentarischen Observanzen gesprochen79: wie dem Gesetzesrecht das Gewohnheitsrecht, so trete der Satzung parallel diesem die Observanz ebenbürtig als Ausfluß der Autonomie und mit objektiver Gesetzeskraft zur. Seite8o • Desweiteren wird die Ansicht81 vertreten, daß es sich bei den Observanzen um ..eine Unterart des allgemeinen Gewohnheitsrechts" handele, das örtlich begrenzt sei. Andemorts 82 wird davon gesprochen, daß Observanz parlamentarisches Gewohnheitsrecht erzeugen könne. So wurde beispielsweise die Einberufung des Reichstages nach Berlin mangels anderweitiger Regelung als ..observanzmäßig" bezeichnet83 • Fraglich ist jedoch, ob der Begriff der Observanz nicht örtlich auf den Bereich der Gemeinden und sa~hlich auf die spezifisch örtlichen AngeleDoecker, S. 85. Vgl. hierzu Dicey, S. I ff.; Schulte-Noelle, S. I ff. 76 Zeh, HStR 11, § 42, Rdnr. 23; § 43, Rdnr. 12; Bücker, ZParl 17 (1986), S. 332. 77 Schulze-Fielitz, ParlRPr, § ll, Rdnr. 11. 78 Vgl. Blischke, FS Schellknecht, S. 68; Breiholdt, AöR 49 (1926), S. 296 (Fn. 24); Kleinschnittger, S. 13 f.; Kraul, S. 65; Pütz/Pütz, S. 55; Tomusehat, S. 56. 79 Vgl. Breiholdt, AöR 49 (1926), S. 291, 296; v. Brentano di Tremezzo, S. 14; Kleinschnittger, S. 14; Mattem, S. 78; Perels, HDStR I, S. 449, 450; Zeh, HStR 11, § 43, Rdnr. 12. . 80 Perels, Reichstagsrecht, S. 3. 81 Gröpper, DVBI. 1969, S. 946; Kraul, S. 65. 82 Blischke, FS Schellknecht, S. 68. 83 A. Amdt, Staatsrecht, S. 131. 74 75

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

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genheiten des Wasser-, Wege- und Nachbarrechts 84 beschränkt bleiben sollte. Allein die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht85 der GOBT die Rechtsnatur einer "autonomen Satzung" zubilligte, sollte noch nicht der Schluß gezogen werden, man könne bedenkenlos die Kategorien, die herkömmlich im Umfeld des Satzungsrechts kommunaler Gebietskörperschaften behandelt wurden, auf den Bereich des Parlaments und des Geschäftsordnungsrechts übertragen. Ohnehin ist dies aber nur dann zweckmäßig, wenn mit der Übertragung des Begriffs Observanz auf das Parlamentsrecht Vorteile verbunden sind, die die wissenschaftliche Durchdringung des Geschäftsordnungsrechts fördern könnten. Gerade dies ist aber wegen der spezifischen Ausgestaltung des Parlamentsrechts als dem Recht des obersten Verfassungsorgans gegenüber dem verallgemeinerungsfähigen Recht örtlich begrenzter Gemeinden nicht zu erwarten. Vielmehr führt die Ausweitung des Begriffs Observanz auf Kategorien des Parlamentsrechts zu Verwischungen, die die Durchdringung des Geschäftsordnungsrechts eher behindern. Der spezifische Begriff des Geschäftsordnungsgewohnheitsrechts ist daher für den Bereich parlamentarischer Geschäftsordnungen gegenüber dem der Observanz vorzuziehen86 . Demnach verbleibt zu prüfen, inwieweit ein Parlamentsbrauch als Ausgangspunkt für die Bestellung des Organwalters in Betracht kommt, nachdem sich die überwiegende Anzahl der Alterspräsidenten bisheriger Bundestage darauf berufen hatte. Als Beispiele für den Parlamentsbrauch werden angeführt: die Bestimmung der Redner in den Debatten durch die Fraktionen87 , die interfraktionelle Festlegung der Dauer der Redezeiten für jeden Redner88 , die Zulässigkeit von (nicht permanenten) Zwischenrufen (trotz § 27 Abs. 1 S. 1 GOBT)89, die Feststellungsbefugnis des Parlamentspräsidenten im Rahmen seines Hausrechts gegenüber Sitzungsteilnehmern, die nicht Abgeordnete sind, daß eine entsprechende Äußerung eines Abgeordneten mit einern Ordnungsruf geahndet würde9o, das "Recht" des Fraktionsvorsitzenden oder Ossenbühl, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6, Rdnr. 74. BVerfGE I, 144 (148); vgl. auch BVerfGE 29, 221 (234); 44, 308 (315). 86 Ähnlich Schulze-Fielitz, ParIRPr, § 11, Rdnr. 12; Rothaug, S. 84 f., der den Begriff der Observanz mit Blick auf dessen konstitutionellen Ursprünge als Kategorie des Parlamentsrechts ablehnt und den Begriff des parlamentarischen Satzungsgewohnheitsrechts für zweckmäßiger hält. 87 Steiger, S. 48 f. 88 Steiger, S. 49 89 So Zeh, HStR 11, § 43, Rdnr. 35; a. A. Rothaug, S. 86: (Innen-)Gewohnheitsrecht; ebenso Troßmann, JöR n. F. 28 (1979), S. 174. 90 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 660 (Fn. 276) m. w. Nw. Diese Übung wird ungeachtet des Wortlauts von § 36 GOBT namentlich gegenüber Mitgliedern der Bundesregierung oder des Bundesrats praktiziert und läßt deutlich ihre Herkunft aus 84 85

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

ihrer Stellvertreter, für ihre Fraktionen Anträge an das Parlament zu unterzeichnen, wodurch das sonst geltende Erfordernis des Quorums erfüllt ist91 , das alleinige Vorschlagsrecht der stärksten Fraktion für das Amt des Bundestagspräsidenten92 , die anteilige Repräsentation der politischen Parteien in Ausschüssen und Wahlorganen 93 , die Verbindlichkeit interfraktioneller Vereinbarungen94 und die Geltung der im Ältestenrat beschlossenen Tagesordnung erst dann als festgesetzt, wenn bis zum Aufruf des Tagesordnungspunktes 1 keine Änderungen beantragt sind95 • Eine vollständige Aufzählung der Parlamentsbräuche ist weder möglich noch zweckmäßig, da sie als Produkte eines dynamischen parlamentarischen Prozesses ständigen Änderungen unterworfen sind96 . Der Parlamentsbrauch prägt die Arbeit des Bundestages wesentlich, in ihm zeigt sich u. a. die politische Kultur eines Parlamentes, d. h. die Art und Weise sowie das Verfahren, mit denen man dem politischen Gegner in der parlamentarischen Auseinandersetzung begegnet97 • Der Begriff und die (Rechts)Natur des Parlamentsbrauchs sind umstritten. Die Frage nach der rechtlichen Verbindlichkeit ist für die Änderung dieser Regelungen von entscheidender Bedeutung: als nichtrechtliche Regelungen unterliegen Änderungen keiner rechtlichen Sanktionierung (möglicherweise aber einer praktischen oder politischen); ein Parlamentsbrauch kann daher durch eine andere Parlamentspraxis oder einfache Mehrheitsbeschlüsse aufgegeben oder abgeändert werden98 . Handelte es sich hingegen um Rechtsnormen auf der Ebene der Geschäftsordnung, so teilen sie hinsichtlich der Erfordernisse für Entstehung, Abänderung und Aufhebung das Schicksal der Geschäftsordnungsbestimmungen. Während man teilweise das gesamte ungeschriebene Parlamentsrecht unter den Begriff des Parlamentsbrauches zu subsumieren versucht99 bzw. Zeiten des Konstitutionalismus erkennen, vgl. dazu Zeh, HStR 11, § 43 Rdnr. 37;

a. A. Rothaug, S. 63, 65

Mattem, S. 78 f.; Troßrrumn, JöR n. F. 28 (1979), S. 119 Meyn, JZ 1977, S. 167. 93 Meyn, ebd. 94 Meyn, ebd. 9S Mattem, S. 78 f. 96 Schulze-Fielitz, ParlRPr, § 11, Rdnr. 15. 97 Vgl. Häberle, VVDStRL 33, 134, 135; ein anschauliches Beispiel für die Auswirkungen des Bruchs eines vermeintlichen Parlamentsbrauches findet sich im 13. Bundestages, 1. Sitzung 10.11.1994, StenBer., S. 8 ff.. 98 Troßmann, GOBT, § 127, Rdnr. 5; ein Beispiel für eine geänderte Übung aus dem 10. Bundestag beschreibt Roll, ZParl 17 (1986), S. 319: entgegen früherer Übung ist bei einer größeren Zahl namentlicher Abstimmungen auch deren Zusammenfassung in nur einem namentlich gekennzeichneten Stimmzettel möglich. 99 Vgl. Blischke, FS Schellknecht, S. 55. 91

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D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

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den Parlaments brauch als das auf der Ebene der Geschäftsordnung stehende Gewohnheitsrecht qualifizierte, das sich bei der Abwicklung der inneren Angelegenheiten bilde, und mit der Observanz eines mit Autonomie ausgestatteten Verbandes verglichen werden könne 100, ist man andernorts der Ansicht, daß der Parlamentsbrauch die nichtrechtliche und nichtjustitiable Regelung parlamentsinterner Angelegenheiten zum Gegenstand habe lO1 • Auch sei er nicht in der Lage, materielles und formelles Recht zu derogieren 102. Jedoch enge der Parlamentsbrauch als nichtrechtliche Regelung den politischen Entscheidungsspielraum weiter ein 103. Dies folge aus der Erkenntnis, daß bestimmte Regelungen den politischen Prozeß und die parlamentarische Kultur fördern könnten und eine Verletzung dieser Regelungen allenfalls kurzfristig Vorteile brächte, langfristig jedoch zu unnötigen Obstruktionen durch den politischen Gegner führen könnte 104. Zutreffend wird daher der Parlamentsbrauch als eine ,,regelmäßig wiederkehrende, stets wesentlich gleiche, akzeptierte Praxis eingeordnet, die nicht als (Gewohnheits)Recht, aber als grundSätzlich zu bewahrende Tradition angesehen wird" 105. Gemeinsam ist dem Parlamentsbrauch und dem Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht, daß sie sich auf eine länger andauernde, kontinuierliche und allgemeine Übung berufen können. Vom Parlamentsbrauch unterscheidet sich jedoch das Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht durch die Überzeugung der Beteiligten hinsichtlich seiner rechtlichen Verbindlichkeit (opinio juris) 106: Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht ist Recht, Parlamentsbrauch hingegen wird "nur" als praktisch verbindlich empfunden 107 . Ganz ohne rechtliche Relevanz ist der Parlaments brauch jedoch insoweit nicht, als in ihm eine "Hilfsquelle" zu sehen ist, die für die Auslegung anderer Rechtsquellen herangezogen werden kann, oder aber auch als Ansatz für das Entstehen von Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht dient lO8 • Als nichtrechtliche Regelung kann der Parlamentsbrauch aber weder formelles noch materielles Verfassungsrecht, einfache Gesetze und Geschäftsordnungsrecht derogieren 109. Mattem, S. 78. Haug, S. 40; Meyn, JZ 1977, S. 167 ff. 102 Meyn, JZ 1977, S. 168. 103 Meyn, ebd. 104 Meyn, ebd. lOS Schulze-Fielitz, ParlRPr, § 11, Rdnr. 15; ähnlich Breiholdt, AöR 49 (1926), S. 296; Gerlach, S. 17; Rothaug, S. 87. 106 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 67; Schulze-Fielitz, ParlRPr, § 11, Rdnr. 7 f.; Steiger, S. 48. 107 Steiger, S. 48. 108 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 67; Meyn, JZ 1977, 167, 168; Steiger, S. 48. 100 101

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

Als spezifische parlamentarische Ausprägung ist der Parlamentsbrauch eine Unterform der Konventionalregeln. Mit dem Parlamentsbrauch gleichzusetzen ist ferner die parlamentarische Übung. Für das Amt des Alterspräsidenten folgt daraus, das die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter durchaus als ein parlamentarischer Brauch angesehen werden kann, zumal er sich bis zu den Anfangen des Parlamentarismus in Deutschland zurückverfolgen läßt. Gleichwohl wird damit ein tatsächlicher Befund geliefert, der rechtlich eher von untergeordneter Bedeutung ist. Als Rechtsgrundlage für die Bestellung des Organwalters kommt der Parlamentsbrauch daher nicht in Betracht. 2. Interfraktionelle Vereinbarungen Im Zusammenhang mit der Vorbereitung der konstituierenden Sitzung wurde bereits auf die "Interfraktionelle Besprechung" hingewiesen. Insoweit wird die Ansicht vertreten, daß die Eröffnung des Bundestages - und damit die· Bestellung des Organwalters - nicht auf § 1 Abs. 2 GOBT zurückgehe, da der neugewählte Bundestag zunächst ohne Geschäftsordnung sei, sondern auf einer interfraktionellen Vereinbarung bzw. Verständigung beruhe I 10. Interfraktionelle Vereinbarungen III stellen eine wichtige Form der im Bundestag anzutreffenden Kooperationsregeln zwischen zwei oder mehreren Fraktionen dar ll2 • Sie werden häufig ad hoc für eine bestimmte Situation oder ein bestimmtes Verfahren getroffen und können sich auf alle Fragen der parlamentarischen Praxis erstrecken 113. Sie können in generellabstrakte und individuell-konkrete Formen unterteilt werden l14 • Ihre Funktion liegt in der Ergänzung der Regeln der Geschäftsordnung, wo diese Lücken aufweist oder effektiver zu gestalten ist 1l5 • So beziehen sich interfraktionelle Vereinbarungen im wesentlichen auf die Übernahme, Ergänzung und Anwendung der Geschäftsordnung sowie die Besetzung parlamentarischer Organe oder Gremien 116. Weitere Beispiele l17 für interfraktionelle Vereinbarungen sind der Ablauf des parlamentarischen Verfahrens, die Ein109 110 111

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So auch Meyn, JZ 1977, S. 168. Troßmann, JöR n. F. 28 (1979), S. 105; ders., GOBT, § I, Rdnr. 6. Vgl. ausführlich Dammholz, S. I ff.; Rothaug, S. 88 ff. Schulze-Fielitz, ParIRPr, § 11, Rdnr. 46. Schulze-Fielitz, ParIRPr, § 11, Rdnr. 47. Vgl. Rothaug, S. 88 ff. Kabel, FG Blischke, S. 31. Vgl. Schulze-Fielitz, ParIRPr, § 11, Rdnr. 48 m. w. Nw. Vgl. Schulze-Fielitz, ParIRPr, § 11, Rdnr. 49 ff.

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

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nahme gemeinsamer Sachpositionen, die Festlegung der Zahl der Stellvertreter des Bundestagspräsidenten, die Größe und Besetzung der Ausschüsse, die Art der Besetzung parlamentarischer und außerparlamentarischer Organe und Gremien, die Aufstellung des Arbeitsplanes des Bundestages, die Aufstellung der Tagesordnung, die Reihenfolge der Redner, die Dauer der Redezeiten sowie gemeinsame Entschließungsanträge und Gesetzentwürfe. Auch wenn interfraktionelle Vereinbarungen unmittelbar zwischen den Fraktionen getroffen werden, erfolgt ihre Absprache doch überwiegend im Ältestenrat unter Beachtung des Konsensprinzipsl18. Dadurch wird vermieden, daß Meinungsverschiedenheiten im Plenum die interfraktionelle Vereinbarung zu Fall bringen. Ausdrücklich werden interfraktionelle Vereinbarungen als Rechtsbegriff in der GOBT nicht genannt, gleichwohl aber an verschiedenen Stellen vorausgesetzt (z. B. §§ 6 Abs. 2,20 Abs. 1,35 Abs. 1 GOBT)119. Teilweise l20 wurden in den interfraktionellen Vereinbarungen, namentlich in den Koalitionsvereinbarungen, verfassungsrechtliche Verträge gesehen 12l, Abreden vergleichbar denen unter Marktteilnehmern im Wettbewerbsrecht l22 und verfassungspolitische Vereinbarungen 123. Wie immer man die interfraktionellen Vereinbarungen begrifflich faßt, so muß doch festgestellt werden, daß eine Rechtsverbindlichkeit von den an ihr beteiligten Fraktionen nicht gewollt ist l24 . Vielmehr stehen sie unter dem Vorbehalt der stillschweigenden Billigung durch das Plenum und stellen somit Vorschläge dar, die als akzeptiert gelten, wenn sich kein Widerspruch aus den Reihen der Abgeordneten erhebt 125. Sie sind daher keine Rechtsnormen, sondern allenfalls rechtlich unverbindliche, nicht justitiable Kooperationsregeln l26 . Dennoch ist mit ihnen eine tatsächliche oder politische Verbindlichkeit bezweckt und in der Regel werden sie auch wie vereinbart eingehalten 127 • Schulze-Fielitz, ParIRPr, § 11, Rdnr. 52. Kabel, FG Biischke, S. 31; Schulze-Fielitz, ParIRPr, § 11, Rdnr. 46. 120 V gl. Dammholz, S. 50. 121 Vgl. Sasse, JZ 1961, S. 726; Friauf, AöR 88 (1963), S. 308. 122 Schüle, S. 75, 80. 123 Maiwald, S. 112. 124 Haug, S. 41; Rothaug, S. 89. 125 Kabel, FG Blischke, S. 32; Zeh, HStR 11, § 42, Rdnr. 36; Troßmann, GOBT, § I, Rdnr. 6; Haug, S. 41. 126 Meyn, JZ 1977, S. 167; Schulze-Fielitz, ParIRPr, § 11, Rdnr. 46; Haug, S. 41. 127 Meyn, JZ 1977, S. 167; Schulze-Fielitz, § 11, Rdnr. 46, Zeh, HStR 11, § 42, Rdnr. 36; Franke, Seniorenkonvent, S. 118 ff., 128 ff.; Maibaum, Ältestenrat, S. 56 ff.; differenzierend Achterberg, Parlamentsrecht, S. 131; Dammholz, S. 69 ff. 118

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

Teilweise 128 wird behauptet, daß interfraktionelle Vereinbarungen eine Unterfonn des Parlamentsbrauchs darstellen. Zutreffend ist daran, daß interfraktionelle Vereinbarungen häufig Regelungen, die ihren Geltungsgrund in einem Parlamentsbrauch haben, aufgreifen und gewissennaßen über den Ältestenrat an das Plenum zu einem Parlamentsbeschluß verdichten, der seinerseits dann rechtlich bindend sein kann. Gleichwohl müssen interfraktionelle Vereinbarungen nicht auf einem parlamentarischen Brauch beruhen, sondern können auch eine neuartige Regelung oder eine Einzelfallentscheidung zum Gegenstand haben. Richtigerweise wird man daher interfraktionelle Vereinbarungen als eine vorrechtliche Konkretisierung auffassen müssen, die u. a. parlamentarische Bräuche auf dem Weg zu einer rechtlich verbindlichen Regelung befördert. Mit anderen Worten: Durch eine interfraktionelle Vereinbarung kann einem Parlamentsbrauch eine höhere (faktische) Verbindlichkeit verliehen werden, ohne aber bereits zu einer Rechtsnonn zu erstarken. Dies berücksichtigend wird man also durchaus sagen können, daß die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter auf einer interfraktionellen Vereinbarung beruhe, die aber - wie gesagt - unter dem Vorbehalt der (stillschweigenden) Billigung durch das Plenum steht. Die interfraktionelle Vereinbarung vennag also durchaus die Verbindlichkeit eines Parlamentsbrauchs zu steigern, ohne ihm die "Weihen des Rechtlichen,,129 zu verleihen; als Rechtsgrundlage für die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter kann sie somit nicht dienen.

III. Bestellung durch Geschäftsordnungsrecht Möglicherweise könnte aber das Geschäftsordnungsrecht als Rechtsgrundlage für die Bestellung des Organwalters in Frage kommen. Das Geschäftsordnungsrecht des Bundestages gilt als das "Kernstück,,130 des Parlamentsrechts. Es setzt sich aus der kodifizierten GOBT (unten 1.) und dem ungeschriebenen Geschäftsordnungsrecht (unten 2.) zusammen.

1. Die Geschäftsordnung des Bundestages Im Mittelpunkt einer Betrachtung des Parlamentsrechts wie der rechtlichen Regelungen um den Alterspräsidenten steht neben der Geschäftsordnungsennächtigung des Art. 40 Abs. I Satz 2 GG die Geschäftsordnung des 128 Roll, FG Blischke, S. 95; Rothaug, S. 91; Schulze-Fielitz, ParlRPr, § 11, Rdnr. 46; vgl. auch Loewenberg, Parlamentarismus, S. 253 ff. 129 Sehmidt-Jonzig, ZgS 1974, S. 135. 130 Pietzeker, ParlRPr, § 10, Rdnr. 17.

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Deutschen Bundestages, namentlich § 1 GOBT, der als einzige Rechtsnorm den Alterspäsidenten des Bundestages ausdrücklich anspricht. Wie bereits dargelegt, geht die GOBT in ihrer jetzigen Fassung auf eine vergleichsweise konstante Tradition zurück, die in Deutschland mit der Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 28.2.1849 und den Regelungen der Frankfurter Nationalversammlung ihren Anfang nahm 131. Lediglich die Zeit des Dritten Reiches, in der der Reichstag in seiner parlamentarisch-demokratischen Funktion weitgehend ausgeschaltet wurde, führte zu einer Unterbrechung nicht nur in Bezug auf die Bestellung des Organwalters, sondern das Amt des Alterspräsidenten überhaupt, da mit der Änderung der Geschäftsordnung des Reichstages vom 23.3.1933 der bisherige Präsident die Leitung der konstituierenden Sitzung bis zur Wahl des definitiven Reichstagspräsidenten übernahm. Zunächst soll daher kurz auf den Streit um die Rechtsnatur der GOBT eingegegangen werden (unten a». Nach allgemeiner Ansicht erstreckt sich der Grundsatz der Diskontinuität auch auf die Geltungsdauer der Geschäftsordnung 132, so daß § 1 Abs. 2 GOBT zu Beginn der konstituierenden Sitzung - also für den Zeitpunkt, für den er eigentlich gedacht ist - keine Geltungskraft hätte und ihm damit scheinbar keine rechtliche Funktion zukäme. Es ist daher ferner zu untersuchen, welche Bindungswirkung die GOBT in personeller, sachlicher und zeitlicher Hinsicht entfalten kann (unten b».

a) Die Rechtsnatur der GOBT133 Mit der Beschlußfassung über die Geltung der GOBT übt der Bundestag seine Geschäftsordnungsautonomie nach Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG aus. Begrifflich von der Geschäftsordnungsautonomie zu unterscheiden ist die Parlamentsautonomie 134 . Während die Geschäftsordnungsautonomie speziell die autonome Regelung der parlamentseigenen oder parlamentsinternen Angelegenheiten verbürgt, greift die Parlamentsautonomie weiter und will generell die autonome Stellung des Bundestages als oberstes Verfassungsorgan auch im Außenverhältnis gegenüber Dritten (insbesondere anderen Verfassungsorganen) absichern 135. Lammert, GO-Synopse, S. 11. BVerfGE 1, 144 (148); Laband, Staatsrecht I, S. 320; Perels, Reichstagsrecht, S. 4; Finger, Staatsrecht, S. 237; Pietzcker, ParlRPr, § 10, Rdnr. 28; Rothaug, S. 69; Achterberg, Parlamentsrecht, S. 329 f.; MDH/Maunz, Art. 40, Rdnr. 19. 133 V gl. auch BK/Dach, Art. 40, Rdnr. 21. 134 Bol/mann, S. 34 f. 135 Bol/mann, ebd. 131

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

Die Rechtsgrundlage für die Parlamentsautonomie wird daher aus der dem Bundestag als oberstem Verfassungsorgan eigenen autonomen Rechtsstellung 136 hergeleitet und durch weitere Vorschriften des Grundgesetzes näher ausgestaltet und ergänzt. Beispiele für grundgesetzliche Verbürgungen der Parlamentsautonomie neben Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG sind daher solche, die das Verhältnis von Bundestag und Bundesregierung (Art. 43, 46, 47, 63, 67, 68 00), von Bundestag und Bundesrat (Art. 76, 77 GG) und die Wahl von Bundesrichtern (Art. 94, 95 00) regeln. So gesehen läßt sich die Parlamentsautonomie in Teilbereiche aufspalten: soweit die Stellung des Parlaments zu anderen obersten Verfassungsorganen betroffen ist (Außenverhältnis) und hinsichtlich der autonomen Regelungsbefugnis bei internen Parlamentsangelegenheiten (Innenverhältnis), der Geschäftsordnungsautonomie 137. Die Frage nach der Rechtsnatur der GOBT zählt zu den besonders umstrittenen Problemen des Parlamentsrechts 138. Für die Parlamentspraxis relevant ist dieser Streit insoweit, als von der Rechtsnatur der GOBT die Möglichkeiten abhängig sind, Änderungen herbeizuführen 139• Festzustellen ist, daß die GOBT nicht nur autonome Regelungen enthält, sondern auch solche, deren Geltungsgrund in der Verfassung oder in einfachen Gesetzen zu finden sind l40 • Insoweit kommt der GOBT oftmals nur eine deklaratorische Bedeutung zu. Diese Regelungen stehen nicht zur Disposition des Parlaments im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie. Es besteht daher ein Bedürfnis, die Zuordnung der einzelnen Geschäftsordnungsregelungen zu den jeweiligen Ebenen in der Normenhierarchie zu klären. Anderenfalls besteht die Gefahr, daß aufgrund der Form dieser Vorschriften als Geschäftsordnungsnormen, das Parlament sie als seiner autonomen Regelungsgewalt unterworfen ansieht, obwohl hierzu eine Gesetzesoder gar Verfassungsänderung erforderlich wäre 141 • Beispielhaft für eine Verfassungsnorm ist § lAbs. 1 GOBT, wonach der Bundestag zu seiner ersten Sitzung von dem bisher amtierenden Präsidenten einberufen wird. Da die GOBT zu diesem Zeitpunkt nach dem Grundsatz der Diskontinuität (noch) keine Geltungskraft besitzt, wird mangels 136 Bollmann, S. 33; v. MünchiVersteyl, Art. 40, Rdnr. 1.; a. A. Schlaich, Rdnr. 27 für die Geschäftsordnungsautonomie des Bundesverfassungsgerichts als oberstes Bundesorgan. 137 A. A. offenbar Pietzcker, ParIRPr, § 10, Rdnr. 2 ff., der die Begriffe "Parlamentsautonomie" und "Geschäftsordnungsautonomie" synonym verwendet. 138 Vgl. Haug, S. 166 ff.; Rothaug, S. 69; Kretschmer, ParIRPr, § 9, Rdnr. 43; Altmann, DÖV 1965, S. 751 ff. 139 Haug, S. 169 f. 140 K. F. Amdt, S. 81 ff. 141 K. F. Amdt, S. 83 f.

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

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ausdrücklicher Regelung im Grundgesetz von einem verfassungsgewohnheitsrechtlichen Rechtssatz ausgegangen, der dem bisherigen Bundestagspräsidenten die Befugnis verleiht, den Tag des Zusammentritts des Bundestages festzusetzen und die neugewählten Abgeordneten hierzu einzuberufen!42. Des weiteren wiederholt § 7 Abs. 2 GOBT die Regelung in Art. 40 Abs. 2 GG, wonach dem Präsidenten die Ausübung des Hausrechts und der Polizeigewalt auf den Grundstücken des Bundestages zusteht. Diese Vorschriften könnten allein durch die Setzung autonomen Geschäftsordnungsrechts nicht wirksam geändert werden!43. Weitergehende Bedeutung könnte die Rechtsnatur einer Regelung grundsätzlich auch für deren lustitiabilität haben. Die Frage der lustitiabilität von Geschäftsordnungsregelungen ist jedoch in der Weise ausdrücklich geregelt, als das Bundesverfassungericht diese nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüfen kann. Insoweit kommt der lustitiabilitätsfunktion der Rechtsnaturbestimmung nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Von Bedeutung ist die Rechtsnatur der GOBT hingegen wiederum für die Frage, ob sie mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Als dem Grundgesetz und den einfachen Gesetzen gegenüber nachrangig, darf sie zu diesen nicht im Widerspruch stehen!44. Vor diesem Hintergrund sollen im folgenden die verschiedenen Standpunkte in Bezug auf die Rechtsnatur der GOBT untersucht werden. aa) Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts: Autonome Satzung Das Bundesverfassungsgericht hat zur Rechtsnatur der GOBT entschieden!45: "Die Geschäftsordnung des Bundestages ist eine autonome Satzung. Ihre Bestimmungen binden nur die Mitglieder des Bundestages. Sie gelten nur für die Dauer der Wahlperiode des Bundestages, der die Geschäftsordnung beschlossen hat, obwohl es möglich und sogar in der Regel Praxis ist, daß der nächste Bundestag die in Kraft befindliche Geschäftsordnung des früheren Parlaments übernimmt. Ungeachtet ihrer großen Bedeutung für das materielle Verfassungsrecht und das Verfassungsleben folgt aus dieser Rechtsnatur der Geschäftsordnung, daß sie der geschriebenen Verfassung und den Gesetzen im Range nachsteht."

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MDH/Klein, Art. 39, Rdnr. 42. K. F. Amdt, S. 83. BVerfGE 80, 188 (220); I, 144 (148). BVerfGE I, 144 (148); vgl. auch BVerfGE 29,221 (234); 44, 308 (315).

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Dieser Qualifizierung der GOBT haben sich andere Landesverfassungsgerichte l46 und große Teile der Literatur l47 angeschlossen. Diesem Verständnis der GOBT folgt auch die Parlamentspraxis: einem Abgeordneten kann nach § 36 Satz 2 GOBT ein Ordnungsruf erteilt werden, wenn dieser die Ordnung verletzt. Gegenüber Vertretern anderer Verfassungsorgane hingegen ist dies nicht ohne weiteres aufgrund der GOBT möglich. Notfalls behilft man sich damit, diesen gegenüber mit der - als Parlamentsbrauch bezeichneten - hypothetischen Feststellungs"befugnis" des Präsidenten, daß die entsprechende Äußerung eines Abgeordneten mit einem Ordnungsruf geahndet worden wäre 148. bb) Andere Auffassungen Der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts stehen in der Literatur verschiedene andere Auffassungen über die Rechtsnatur von parlamentarischen Geschäftsordnungen gegenüber.

(1) Konventionalregel So war Hatschek l49 beispielsweise der Ansicht, es handele sich bei der Geschäftsordnung eines Parlaments um eine Ansammlung von Konventionalregeln. Dem liegt die Annahme zugrunde, es handele sich bei den Regelungen der Geschäftsordnung nicht um Rechtsnormen mit dem Anspruch auf rechtliche Verbindlichkeit, da sich Verstöße gegen Verfahrensvorschriften nicht auswirkten, wenn sie durch Beschlüsse des Parlaments geheilt werden könnten l5o . Diese Auffassung ist zumindest heute nicht mehr haltbar. Bei den Regelungen der GOBT handelt es sich erkennbar um Sollensnormen bzw. Verhaltensanweisungen, die durch einen Tatbestand und eine daran anknüpfende Rechtsfolge gekennzeichnet sind. Die Einhaltung dieser Normen kann darüber hinaus durch das Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG sanktioniert werden, wenn und soweit sie mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind l51 . Die These also, es 146 HessStGH, DVBI. 1967, S. 83; BayVerfGH, OÖV 1956, S. 535; StGH Bremen, DÖV 1971, S. 164. 147 MDH/Maunz, Art. 40, Rdnr. 21; HamanniLenz, Art. 40, Anm. B 3; SchmidtBleibtreu/Klein, Art. 40, Rdnr. 5; Ritzel/Bücker, Einl. vor § I, S. 4; Hesse, Rdnr. 577; Schäfer, S. 63 f.; Gross, DVBl. 1955, S. 80; Maunz, FS Weber, S. 302; Breiholdt, AöR 49 (1926), S. 295; Kleinschnittger, S. 5. 148 Vgl. Schulze-Fielitz, ParlRPr, § 11, Rdnr. 15. 149 Parlamentsrecht, S. 42. ISO Vgl. Kretschmer, ParlRPr, § 9, Rdnr. 45.

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handele sich um bloße informale Parlamentsregeln mit lediglich tatsächlichen Sanktionsmöglichkeiten, ist mit den Vorstellungen des Grundgesetzes nicht vereinbar. (2) Öffentlich-rechtliche Vereinbarung

Bereits 1930 qualifizierte Brentano l52 die parlamentarische Geschäftsordnung als öffentlich-rechtliche Vereinbarung zwischen freigewählten Abgeordneten. Dagegen spricht, daß es für die Beschlußfassung über die Geschäftsordnung in der Parlamentspraxis gerade nicht auf einen von allen Abgeordneten getragenen Konsens ankommt, sondern vielmehr das Mehrheitsprinzip, wenn auch teilweise in qualifizierter Form (vgl. § 126 GOBT) , maßgeblich ist l53 • (3) Verwaltungsverordnung

Die Einstufung als Verwaltungsverordnung bzw. Verwaltungsvorschrift l54 entsprach dem Bedürfnis, die parlamentarische Geschäftsordnung der Systematik untergesetzlicher Regelungsformen im öffentlichen Recht einzupassenISS. Rechts- bzw. Verwaltungsverordnungen sind jedoch typische Formen exekutiven Handeins, das jeweils einer besonderen einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf. Gerade dies trifft aber für den Fall der parlamentarischen Geschäftsordnung nicht zu, da die GOBT schlechterdings nicht dem Bereich der Exekutive zugeordnet werden kann, so daß diese Einordnung nicht befriedigen kann l56 • Die Theorie von der parlamentarischen Geschäftsordnung als Verwaltungsverordnung l57 wird daher heute auch nicht mehr vertreten l58 • (4) VeTj'assungssatzung

Schließlich wird die Auffassung vertreten, daß es sich bei der Geschäftsordnung des Bundestages - wie bei anderen Satzungen oberster Verfassungsorgane - um eine Verfassungssatzung handele 159. Mit der Qualifizie151 152 153 154 155

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Vgl. BVerfGE 80, 188 (189, 229); I, 144 (149); Haug, S. 54 ff. S. 11. So auch Kretschmer, ParIRPr, § 9, Rdnr. 50; Haug, S. 180. Vgl. Haug, S. 174. Jellinek, System, S. 169; ders., Ausgewählte Schriften, S. 253. Ähnlich auch Haug, S. 174 f. Kulisch, FG Laband, S. 331 ff., 358 f.; Roßmann, S. 15; Buchholtz, S. 12. Vgl. Rothaug, S. 68.

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rung als (öffentlich-rechtliche) Satzung werde verdeutlicht, daß die GOBT sowohl dem formellen Gesetz im Rang nachstehe, als auch einer funktionalen Begrenzung des Adressatenkreises wie der zeitlichen Geltung unterliege 160. Im Gegensatz zur autonomen Satzung sei die GOBT auch als Verfassungssatzung zu qualifizieren, da sie materiell-verfassungsrechtliche Regelungen treffe 161 . cc) Stellungnahme Eine Entscheidung über die Rechtsnatur der Geschäftsordnung ist für die Parlamentspraxis nur dann erforderlich, wenn daran rechtliche Konsequenzen geknüpft sind. Für die Justitiabilität von Geschäftsordnungsregelungen kann eine Entscheidung dahinstehen, da, gleich welcher Theorie man folgen wollte, jedenfalls die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit durch das Bundesverfassungsgericht gewährleistet ist. Zu beachten ist jedoch, daß ein Verstoß gegen bloße Geschäftsordnungsvorschriftenkeine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der vom Bundestag gefaßten Beschlüsse und beschlossenen Gesetze hat 162 . Allenfalls bei gleichzeitigem Verstoß gegen Verfassungsrecht ist eine Unwirksamkeit denkbar 163 • In der Normenhierarchie steht die GOBT jedenfalls unter dem Grundgesetz, da sie sich aus Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG herleitet l64 , und unter den einfachen Gesetzen, wie das Bundesverfassungsgericht 165 festgestellt hat. Gegen eine Qualifizierung der GOBT als bloße autonome Satzung im öffentlichen Recht spricht ihre begriffliche Nähe zu den Satzungen der kommunalen Gebietskörperschaften oder sonstigen mit Satzungsautonomie ausgestatteten Verbänden. Hier sind regelmäßig weitere Institutionen (Aufsichtsbehörden oder Gerichte) für das Zustandekommen der Satzung erforderlich. Richtigerweise wird man daher von den Geschäftsordnungen der obersten Verfassungsorgane als "autonome Satzungen sui generis" auszugehen haben. 159 Haug, S. 196; vgl. auch Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 119 ff.; Meyn, DVBI. 1977, S. 593 f.; Magiera, S. 123; Steiger, S. 43 f.; Ossenbühl, HStR III, § 66, Rdnr. 41. 160 Vgl. Haug, S. 200. 161 Haug, S. 200. 162 Vgl. MDH/Maunz, Art. 40, Rdnr. 23, m. w. Nw. 163 Vgl. MDH/Maunz, Art. 40, Rdnr. 23. 164 MDH/Maunz, Art. 40, Rdnr. 22 m. w. Nw. 165 Vgl. BVerfGE I, 144 (148 f.); MDH/Maunz, Art. 40, Rdnr. 22 m. w. Nw.

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b) Grenzen geschäftsordnungsrechtlicher Regelungsbefugnis Für die Frage, ob die GOBT als Rechtsgrundlage für die Kompetenzen des Alterspräsidenten in Betracht kommt, muß die personelle, zeitliche und sachliche Bindungswirkung der GOBT näher untersucht werden. Sie kann regelmäßig nur soweit greifen, wie dies die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages nach Art. 40 Abs. I Satz 2 GG zuläßt. Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG besagt seinem Wortlaut nach lediglich: "Der Bundestag gibt sich eine Geschäftsordnung." Nach allgemeiner Ansicht wird durch diese Vorschrift die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages verbürgt. Die Geschäftsordnungsautonomie gewährleistet die Befugnis des Bundestages, seine eigenen Angelegenheiten autonom zu regeln l66 . Es fragt sich somit, welches die "eigenen Angelegenheiten" des Bundestages sind. Traditionell anerkannt sind insoweit die Regelungsbereiche "Geschäftsgang" und "Disziplin"167. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu entschieden 168, "daß diejenigen Regelungsgegenstände, die herkömmlich - insbesondere mit Rücksicht auf die Rechtslage zur Zeit der Weimarer Reichsverfassung - als autonome Geschäftsordnungsangelegenheiten des Parlaments gelten, prinzipiell auch vom Grundgesetz diesem Bereich zugewiesen werden." Diese Aussage hilft in Bezug auf den Alterspräsidenten jedoch nur begrenzt weiter: Welche Regelungsgegenstände über den "Geschäftsgang" und die "Disziplin" sind herkömmlicherweise dem Bereich der inneren Angelegenheiten zugewiesen? Wie ist die Einschränkung "prinzipielle" Zuweisung zu verstehen? Die Frage, welcher Amtswalter als vorläufiges Leitungsorgan fungieren sollte, war zur Zeit der Weimarer Reichsverfassung und zuvor - soweit ersichtlich - rechtlich nicht problematisiert worden. Der Rechtsprechung läßt sich - im Umkehrschluß - jedoch entnehmen, daß die Frage der Ämterbesetzung dann eine parlamentsinteme Angelegenheit ist, wenn sie nicht dem Verfassungsrecht oder dem einfachen Gesetzesrecht zugewiesen ist. Möglicherweise läßt die Fragestellung aber eine abstrakte Annäherung zu. Eine negative Abgrenzung des Begriffs Geschäftsordnungsautonomie versucht Pietzcker 169 : eine Norm fällt dann nicht in den Bereich der Geschäftsordnungsautonomie, wenn Rechte und Kompetenzen Dritter betroffen sind. Zwar relativiert Pietzcker dieses Abgrenzungskriterium wieder, indem er 166 BVerfGE 44,308 (314); Pietzcker, ParIRPr, § 10, Rdnr. 3; Bollmann, S. 28 f.; Weides, Sp. 922. 167 BVerfGE 44, 308 (314); Stern, Staatsrecht 11, § 26 III 6 b, S. 83; Pietzcker, § 10, Rdnr. 4. 168 BVerfGE 44,308 (314). 169 PariRPr, § 10, Rdnr. 4.

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auch einzelne Abgeordnete und die Fraktionen als Träger eigener Rechte und Kompetenzen - und damit Dritte - gegenüber dem Parlament qualifiziert 170. Das Abgrenzungskriterium der Drittbetroffenheit gewinnt jedoch wieder an Schärfe, wenn man Rechte und Kompetenzen der so bezeichneten Dritten genauer betrachtet: Abgeordnete und Fraktionen leiten ihre Rechte aus mehreren Rechtsquellen wie Verfassung, einfachen Gesetzen und der Geschäftsordnung her. Pietzckers Abgrenzungsversuch ließe sich weiterentwickeln, indem als Dritter gegenüber dem Parlament nur derjenige anzusehen ist, der mit Rechten aus einer der Geschäftsordnung übergeordneten Normebene ausgestattet ist. Demnach müßte die Abgrenzung wie folgt lauten: ein Regelungsbereich fällt dann in den Bereich der internen Parlamentsangelegenheiten und damit in den der Geschäftsordnungsautonomie, wenn dadurch nicht die höherrangigen Rechte Dritter verletzt werden. Die GOBT allein dürfte daher zum Beispiel nicht die Statusrechte des Abgeordneten einschränken, wenn dafür keine verfassungrechtliche Rechtfertigung zur Verfügung steht. Eine Verletzung von Statusrechten eines Abgeordneten liegt hingegen nicht vor, wenn lediglich deren Ausübung geregelt wird, ohne daß ihm die Mitwirkungsmöglichkeit grundsätzlich entzogen wird 171. Demnach kann die Frage, auf welche Art und Weise der einzelne Abgeordnete seine Mitwirkungsrechte wahrnehmen und wie ein Ausgleich zwischen den Mitwirkungsrechten aller Abgeordneten hergestellt werden kann, dem parlamentsinternen Bereich zugeordnet und durch die Geschäftsordnung geregelt werden. aa) Personelle Grenzen Die Frage nach den personellen Grenzen der GOBT zielt auf die Problematik, welche Rechtssubjekte durch die GOBT gebunden werden können. Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages nach Art. 40 Abs. I Satz 2 GG gewährt dem Bundestag nur das Recht, seine internen Angelegenheiten zu regeln. Demzufolge hat das Bundesverfassungericht auch entschieden: Die "Bestimmungen (der GOBT, d. Verf.) binden nur die Mitglieder des Bundestages.,,172 Die Geltungskraft der aus der Geschäftsordnungsautonomie hervorgehenden Regelungen kann sich also nur auf die Mitglieder und Organe des Bundestages erstrecken, nicht aber auf Personen oder Rechtssubjekte außerhalb des Bundestages 173 . Zur Regelung dieser externen Rechtsverhältnisse bedürfte es daher einer verfassungsrechtlichen Grundlage. 170 171

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Pietzcker, ebd. Vgl. BVerfGE 80, 188 (219); 44, 308 (316). BVerfGE I, 144 (148). BK/Dach, Art. 40, Rdnr. 33.

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bb) Sachliche Grenzen Abgesehen von den persönlichen Grenzen der Geschäftsordnungsautonomie bestehen aber auch sachliche Schranken, die eine Ausübung der Geschäftsordnungsautonomie durch den Bundestag in Einzelfällen ausschließen. Insoweit ist die Geschäftsordnungsautonomie lediglich vorbehaltlich anderweitiger grundgesetzlicher Festlegungen gewährleistet. Diese können z. B. ausdrücklich im Grundgesetz genannt sein, oder sich mittelbar aus dem Abgeordnetenstatus und/oder den demokratischen und rechtstaatlichen Strukturprinzipien des Grundgesetzes ergeben. So regelt beispielsweise Art. 39 Abs. 2 GG, daß der Bundestag spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl erstmalig zusammenzutreten hat. Desweiteren schreibt Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG dem Bundestag in seinen eigenen Angelegenheiten vor, daß nicht nur Präsident, Stellvertreter und Schriftführer als Unterorgane des Bundestages zu installieren sind, sondern auch, daß die Bestellung der jeweiligen Organwalter durch Wahl zu erfolgen hat. Damit ist eine Bestellung der Amtswalter z. B. durch Akklamation, wie es etwa bei der Bestellung Hermann Görings zum Reichstagspräsidenten mehrfach vorkam, ausgeschlossen 174 • Weitere grundgesetzliehe Vorgaben für die Regelung parlamentsinterner Angelegenheiten finden sich in Art. 41, 42 Abs. 2, 43 Abs. 2 Satz 2, 44 Abs. 2 Satz 1, 45a Abs. 2 Satz 2, 53a Abs. 1, 54 Abs. 4 Satz 2, 56 Satz 1, 61 Abs. 1 Satz 2 und 3, 63, 67 Abs. 1 und 2, 68 Abs. 1 und 2, 76, 77, 79 Abs. 2, 81, 93 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 94 Abs. 1, 95 Abs. 2, 110 Abs. 3, 121 GG 175 • Von diesen sind für die Sitzungen des Bundestages insbesondere Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG (Grundsatz der öffentlichen Verhandlung) 176, Art. 42 Abs. 2 GG (Festlegung der maßgeblichen Stimmenmehrheit für Beschlüsse) und Art. 121 GG (Definition der Mitgliedermehrheit) neben Art. 39 und 40 GG von Bedeutung. Die Geschäftsordnungsautonomie aus Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG reicht folglich nur so weit, wie verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Regelungen es zulassen. Eine Geschäftsordnungsregelung, die etwa eine nichtöffentliche Verhandlung des Bundestages während der konstituierenden Sitzung durch Beschluß mit einfacher Mehrheit zuließe, wäre nicht von der Geschäftsordnungsautonomie gedeckt und daher und wegen Verstoßes gegen Art. 42 Abs. 2 GG verfassungswidrig.

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Vgl. z. B. 8. Reichstag, 1. Sitzung 21.3.1933, StenBer., S. 15(D)-16(A). Nach Zeh, HStR 11, § 43, Rdnr. 3. K. F. Arndt, S. 69.

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cc) Zeitliche Grenzen In zeitlicher Hinsicht ist zu fragen, inwieweit die Geschäftsordnungsautonomie dem Bundestag das Recht gibt, Regelungen für die Zukunft zu erlassen. So regelt beispielsweise § lAbs. 1 GOBT, daß der neugewählte Bundestag zu seiner ersten Sitzung vom bisherigen Präsidenten einberufen wird. Kann die Einberufung durch den bisherigen Präsidenten die neugewählten Abgeordneten, die doch einem anderen Bundestag angehören, binden? Da der Bundestag einer jeden Legislaturperiode die Geschäftsordnungsautonomie des Art. 40 Abs. I Satz 2 GG nur für sich in Anspruch nehmen kann, kann das Recht, die eigenen Angelegenheiten in der Geschäftsordnung zu regeln, nicht über die Existenz des geschäftsordnungssetzenden Bundestages hinausgehen. Somit beginnt die Geltungsdauer einer Geschäftsordnung mit ihrem Beschluß und endet mangels anderweitiger Beendigung spätestens mit dem Ende der Wahlperiode nach Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG 177 • Dem steht nicht entgegen, daß in der Regel nur von der "Geschäftsordnung des Bundestages" gesprochen wird, die zudem seit ihrem ersten Inkrafttreten im wesentlichen kaum verändert wurde. Auszugehen ist jedoch von der formellen Betrachtung, wonach je~em Bundestag die Entscheidung darüber freisteht, ob er die Geschäftsordnung des vorherigen Bundestages übernehmen will oder nicht. Der Präsident des bisherigen Bundestages könnte folglich durch die geltende GOBT zwar verpflichtet werden, den neugewählten Bundestag zu seiner ersten Sitzung einzuladen, die neugewählten Abgeordneten allein durch die GOBT jedoch nicht, dieser Einberufung Folge zu leisten. Mangels anderweitiger Regelung, die in der Lage wäre, die Diskontinuität zu überwinden, wird man daher von einer verfassungsgewohnheitsrechtlichen Befugnis des bisherigen Bundestagspräsidenten zur Einberufung der neugewählten Abgeordneten auszugehen haben, aufgrund derer die Abgeordneten auch verpflichtet sind 178 • Nachdem davon auszugehen ist, daß die GOBT zu Beginn der konstituierenden Sitzung (noch) keine Geltungskraft besitzt, ist aber ebenso festzustellen, daß sie auch ohne ausdrücklichen Übernahmebeschluß konkludent übernommen werden kann 179 • Dabei wird man davon ausgehen müssen, daß die GOBT nicht insgesamt konkludent übernommen wird, sondern nur

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BVerfGE 1, 144 (148). Vgl. MDH/Klein, Art. 39, Rdnr. 42. Pietzcker, ParIRPr, § 10, Rdnr. 28.

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in der Weise, daß einzelne Vorschriften der GOBT sukzessive zur Anwendung kommen und das Plenum dieses widerspruchslos geschehen läßt. So wird in der Literatur die Ansicht vertreten, daß in der freiwilligen Unterordnung des Parlamentes unter die Sitzungsleitung des Alterspräsidenten eine konkludente Übernahme von § lAbs. 2 GOBT zu sehen sei 180. Zu welchem Zeitpunkt aber hat sich das Parlament der Sitzungsleitung des Alterspräsidenten untergeordnet? Die Praxis zeigt, daß die erste Amtshandlung des Alterspräsidenten darin besteht, das Plenum danach zu befragen, ob ein Mitglied des Bundestages älter sei als er selbst; erst danach eröffnet der Alterspäsident in der Regel die konstituierende Sitzung. In der widerspruchslos hingenommenen Frage des Alterspräsidenten kann daher eine konkludente Übernahme von § 1 GOBT gesehen werden. Damit wäre eine Rechtsgrundlage für die Bestellung des ältesten Abgeordneten jedenfalls ab Stellung der Altersfrage nach § 1 Abs. 2 GOBT gegeben. Unsicher ist jedoch, ob es sich bei § 1 Abs. 2 GOBT um eine konstitutive oder aber lediglich deklaratorische Regelung handelt. Unklar ist darüber hinaus die Rechtslage auch für den Zeitraum vor Stellung der Altersfrage oder bei konkludenter Eröffnung der Sitzung durch Einnahme des Präsidentenstuhles 181 oder für den Fall, daß die Altersfrage nicht gestellt wird. Hier wird man davon ausgehen müssen, daß dann die Bestellung des Amtswalters mangels tauglicher Rechtsgrundlage nicht geregelt ist. Eine schwierige Situation könnte insbesondere dann eintreten, wenn etwa Widerspruch gegen die Sitzungsleitung durch den ältesten Abgeordneten erhoben wird. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn dieser das Vertrauen einzelner Abgeordneter oder aber gar einer Mehrheit nicht besitzt und seine Organwalterschaft daher bestritten wird. Dieser Fall dürfte nach den deutlichen Äußerungen der POS-Fraktion anläßlich der konstituierenden Sitzung des 3. Landtages von Sachsen-Anhalt am 25.5.1998 nicht mehr als unwahrscheinlich gelten. Die GOBT hilft mangels Geltungskraft an dieser Stelle nicht weiter. Auch der Hinweis auf eine entsprechende interfraktionelle Vereinbarung, die den ältesten Abgeordneten mit der Sitzungsleitung betraut hat, geht ins Leere, da sie nur unter dem Vorbehalt der Billigung durch das Plenum eine rechtliche Bindung erzeugen kann, die aber dann gerade nicht gegeben ist. Das Parlament hat sich in einem solchen Fall in den Zustand der Hand-. lungsunfähigkeit bzw. seinen "Naturzustand'''82 hinein manövriert, aus dem 180

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Köhler, ZParl 22 (1991), S. 180. Vgl. Ritzel/Bücker, § 22, Anm. I. Hatschek, Parlamentsrecht, S. 195.

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es mit eigener Kraft nur dann herauskommt, wenn unter allen Abgeordneten Konsens hinsichtlich des weiteren Verfahrens besteht. Gerade dies dürfte aber bei zunehmender Zersplitterung des Plenums in mehrere Fraktionen bzw. Gruppen immer schwieriger sein, wenn nicht gar unmöglich. Der Zustand eines funktionsunfähigen Parlamentes dürfte in dem parlamentarischen Regierungssystem, wie es durch das Grundgesetz vorgegeben ist, als unerträgliche Verfassungs störung anzusehen sein. Es ist daher festzustellen, daß die Bestellung des Organwalters nicht in der GOBT (allein) wirksam geregelt werden kann. Vielmehr bedarf es für die Absicherung und Effizienz des parlamentarischen Regierungssystems einer Rechtsgrundlage, die in der Lage ist, die Diskontinuität der Geschäftsordnung zu überwinden.

2. Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht Bezweifelt werden darf die Ansicht l83 , wonach die Bestellung des Alterspräsidenten auf parlamentarischem Gewohnheitsrecht beruhe. Der Begriff des "parlamentarischen Gewohnheitsrechts" leidet an der gleichen Unschärfe wie der des Parlamentsrechts. Auch parlamentarisches Gewohnheitsrecht kann auf verschiedenen Ebenen des Rechts angesiedelt sein l84 , etwa als Verfassungsgewohnheitsrecht, einfaches Recht oder auf der Ebene der Geschäftsordnung. Teilweise wird auch von parlamentarischem Gewohnheitsrecht als dem Gewohnheitsrecht gesprochen, das sich auf der Ebene der GOBT und der Geltungsebene "darunter" befinde l8s , wobei unklar bleibt, welches "Recht" sich unterhalb der Ebene der Geschäftsordnung befinden soll. Um begriffliche Überschneidungen zu vermeiden und eine präzisere Zuordnung zu fördern, soll daher von Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht gesprochen werden. Es fragt sich somit, welche Vorgaben das Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht für die Konstituierung des Bundestages und das Amt des Alterspräsidenten enthält. In der Literatur werden folgende (umstrittene) Beispiele dem Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht zugeordnet: politisch linksgerichtete Parteien nehmen nicht auf der rechten Seite im Plenum Platz l86, das Präsentationsrecht der Fraktion für den Vorsitz der ihr zufallenden ständigen Ausschüsse des Bundestages l87 , das Recht zur Wortentziehung auch ohne vorherige 183 184

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Kleinschnittger, S. 20; vgl. auch Pietzcker, ParlRPr, § 10, Rdnr. 29. Pietzcker, ParIRPr, § 10, Rdnr. 29; Maunz/Zippelius, § 30 III 2 b, S. 257. Schulze-Fielitz, ParIRPr, § 11, Rdnr. 6; Rothaug, S. 84 ff. Maunz/Dürig (1960), Art. 40, Rdnr. 15.

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Mahnung bei Überschreitung des zulässigen Inhalts einer persönlichen Bemerkung 188, das Recht, einen Abgeordneten zu rügen l89 ; das Recht, einem Abgeordneten auch noch nachträglich einen Ordnungsruf zu erteilen l90 ; das alleinige Nominierungsrecht der stärksten Fraktion für den Bundestagspräsidenten l91 ; das Recht des einzelnen Abgeordneten, Anfragen nicht nur an die Bundesregierung (§ 105 GOBT), sondern auch an den einzelnen Minister zu richten 192; daß bei Abstimmungen über den weitergehenden Antrag zuerst abzustimmen ist l93 ; daß der Antrag auf Überweisung eines Gegenstandes an einen Ausschuß jedem anderen vorgeht l94 ; daß die Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses geheim zu erfolgen hat l95 ; die Wiederholung der Abstimmungshandlung bei nicht eindeutigen Mehrheitsverhältnissen, bevor ein Hammelsprung stattzufinden hat l96 ; die gemeinsame Wahl der Vizepräsidenten durch Handzeichen 197. In der Regel entwickelt sich das Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht aus parlamentarischen Bräuchen bzw. interfraktionellen Vereinbarungen l98 , die ihrerseits auf politische Entscheidungen zurückzuführen sind l99 • Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht stellt also gleichsam eine Zwischenstufe vom Parlamentsbrauch zum kodifizierten Geschäftsordnungsrecht dar2OO • Wie auch auf anderen Ebenen des Rechts, bildet sich Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht durch eine länger andauernde, stetige und allgemeine Übung, die von den Beteiligten als rechtsverbindlich im Range der Geschäftsordnung anerkannt wird 2ol • Voraussetzung für GeschäftsordnungsMaibaum, Ältestenrat, S. 80, 84. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 656. 189 v. Brentano di Tremezzo, S. 14; Rothaug, S. 85; offenlassend BVerfGE 60, 374 (381). 190 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 655. 191 Rothaug, S. 87 f.; Rummel, S. 38; Schäfer, S. 67; Steiger, S. 47; a. A.: BK/ Dach, Art. 40, Rdnr. 50; Kraul, S. 84; v. MünchlVersteyl, Art. 40, Rdnr. 3; Schäfer, S. 68,94; Thaysen, Parlamentsreform, S. 33; Pietzner, EvStL, Sp. 265, 283; Troßmann, GOBT, § 2, Rdnr. 2.3; Troßmann, Reichstag, S. 125, 127 meint sogar, daß es sich um eine "gewisse" Übung handele, die noch nicht einmal den Rang des Parlamentsbrauchs erreiche; ähnlich Partsch, AöR 86 (1961), S. 19; Mühlbauer, S. 9. 192 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 260. 193 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 638. 194 Troßmann, GOBT, § 127, Rdnr. 5. 195 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 643. 196 Vgl. Rothaug, S. 85; Steiger, S. 35. 197 Vgl. Rothaug, S. 86. 198 Vgl. Perels, Reichstagsrecht, S. 7; Achterberg, Parlamentsrecht, S. 67; Maibaum, S. 79 f. 199 Vgl. Schulze-Fielitz, ParIRPr, § 11, Rdnr. 6. 200 Vgl. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 45, 67. 187 188

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

gewohnheitsrecht ist also zunächst, daß eine Regelung über einen längeren Zeitraum praktiziert wurde, wobei sich die genaue Dauer, die u. a. auch von der Häufigkeit der Übung abhängt, nicht festlegen läßt202 . Im Hinblick auf den Bundestag bedeutet dies, daß unter den Abgeordneten die Überzeugung herrschen muß, es handele sich bei bestimmten Regelungen in der Parlamentspraxis um Rechtsnormen, die auf einer länger andauernden, konstanten und allgemeinen Tradition fußen. Nicht unproblematisch sind die Voraussetzungen, die zur Entstehung von Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht führen sollen, angesichts des Diskontinuitätsprinzips, so daß sich die Frage stellt, ob eine länger andauernde und konstante Übung zu Beginn der konstituierenden Sitzung bei einander sich ablösenden und autonomen Bundestagen überhaupt möglich ist203 . Teilweise204 wird daher die Ansicht vertreten, daß lange Dauer und konstante Übung im Parlament "nicht unbedingt" Voraussetzung für die Entstehung von Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht sein dürften, da selbst die geschriebene GOBT kurzfristig anders interpretiert, geändert, oder außer Kraft gesetzt werden könne. Dies dürfte nicht haltbar sein, denn die Tatsache, daß die GOBT kurzfristig und in der Regel wohl an Einzelfällen orientiert entgegen ihrem ursprünglichen Regelungsgehalt verändert werden kann - und dies jeweils nach § 126 GOBT nur mit einer Zweidrittelmehrheit 205 -, führt nicht zu einer Verringerung der Anforderungen an das Vorliegen der einzelnen Voraussetzung für die Annahme von Gewohnheitsrecht. Gerade eine länger andauernde, stetige und allgemeine Übung ist Voraussetzung, damit die Beteiligten feststellen können, um welche konkrete Regelung es geht, der sie sich unterwerfen wollen. Das Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht hat insofern eine für Rechtsklarheit sorgende Funktion wie sie auch der geschriebenen GOBT zukommt. Kann demnach auf die Voraussetzung einer länger andauernden Übung für die Annahme von Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht nicht verzichtet werden, so fragt sich, wie diese festgestellt werden kann. So ist eine Mindestdauer von mehr als einer Legislaturperiode erforderlich 206 , bevor man von einer "länger andauernden Übung" sprechen kann. Das ungeschriebene Geschäftsordnungsrecht - wie auch parlamentarische 201 Vgl. BVerfGE 9, 109 (117); 57, 121 (134 f.); Breiholdt, AöR 49 (1926), S. 296; v. Brentano di Tremezzo, S. 14; Kleinschnittger, S. 14; Kraul, S. 61, 64; Troßmann, GOBT, § 127, Rdnr. 5. 202 Vgl. Breiholdt, AöR 49 (1926), S. 296; Kraul, S. 64; Rothaug, S. 85. 203 Vgl. Pietzcker, ParlRPr, § 10, Rdnr. 29. 204 Blischke, FS Schellknecht, S. 60; a. A. Perels, Reichstagsrecht, S. 7. 20S Vgl. Schulze-Fielitz, ParlRPr, § 11, Rdnr. 2. 206 So auch Kleinschnittger, S. 14; Kraul, S. 64; Rothaug, S. 85.

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

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Bräuche und Übungen - teilt dabei das Schicksal der geschriebenen GOBT, die zwar nur für die laufende Wahlperiode übernommen werden kann, aber auf dem zuvor erreichten Stand207 , d.h. z. B. mit den zur GOBT ergangenen Beschlüssen und Auslegungen durch den Geschäftsordnungsausschuß bzw. den Präsidenten. Man fängt nicht immer wieder neu an, die GOBT zu interpretieren, geschweige denn zu schreiben, sondern entwickelt sie gewissermaßen von dem durch den bisherigen Bundestag erreichten Stand aus fort. Aus diesem Grunde wird die Ansicht vertreten, daß das Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht stillschweigend übernommen werde208 • Diese Ansicht ist im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach "bei der Auslegung der Geschäftsordnung die parlamentarische Tradition und Praxis mit heranzuziehen ist, wie sie durch die historische und politische Entwicklung geformt worden ist. ..209 Danach ist der Rückgriff auf eine längere Übung der Parlamentspraxis zulässig, ohne sich mit dem Prinzip der Diskontinuität in Widerspruch zu setzen. Eine stetige und allgemeine Übung als weitere Voraussetzung des Geschäftsordnungsgewohnheitsrechts ist dann gegeben, wenn die Regelung bei gleichem, typischem Sachverhalt wiederholt und generell angewendet 210 und nicht nur von Zeit zu Zeit oder im Einzelfall praktiziert wurde. Dabei brauchen sich Abweichungen von der Übung im Einzelfall nicht auf die Entstehung des Gewohnheitsrechts auszuwirken. Denn auch die GOBT läßt sich nach Maßgabe des § 127 GOBT flexibel handhaben 2ll . Erst recht gilt dies für Abweichungen bei untypischen Sachverhalten212 . Trotzdem ist an dem grundSätzlichen Erfordernis einer stetigen und allgemeinen Übung festzuhalten. Eine stetige und allgemeine Übung läßt sich im Lichte des Diskontinuitätsprinzips aber für den neugewählten Bundestag nur dann feststellen, wenn dieser einen regelungsbedürftigen Sachverhalt wenigstens einmal entsprechend der Praxis der vorhergehenden Bundestage geregelt hat. Es dürfte kaum zu begründen sein, daß der nachfolgende Bundestag zwar hinsichtlich der Gestaltung der Geschäftsordnung im Rahmen des Grundgesetzes völlig frei ist 213 , gleichwohl aber über das Geschäftsordnungsgewohn207 Schulze-Fielitz, ParlRPr, § 11, Rdnr. 8; Troßmann, GOBT, § I, Rdnr. 7.7; ähnlich lekewitz, S. 263; Kleinschnittger, S. 14; Rothaug, S. 85; a. A. jedoch K. F. Amdt, S. 131. 208 Vgl. Rösch, S. 77; Apetz, S. 13; K. F. Amdt, S. 134 f. 209 BVerfGE I, 144 (148 f.). 210 Vgl. Rothaug, S. 85. 211 Vgl. Kraul, S. 67; Rothaug, S. 85; Troßmann, GOBT, § 127, Rdnr. 5; a. A. Straßberger, S. 8. 212 Vgl. Kraul, S. 65; Rothaug, S. 85. 213 Perels, Reichstagsrecht, S. 4. 7 Klopp

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

heitsrecht an die Praxis seines Vorgängers gebunden sein soll. So gesehen müßte eine erkennbares Zeichen vom neugewählten Bundestag ausgehen, daß er an die Regelungspraxis seines Vorgängers anknüpfen will. Für die Bestellung des Organwalters zum Alterspräsidenten wird sich. daher eine Übung nicht feststellen lassen können, da dies sozusagen der erste konkludente bzw. stillschweigende "Beschluß" des Bundestages zu Beginn seiner Legislaturperiode wäre. Es muß daher festgestellt werden, daß auch das Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht keine hinreichende Rechtsgrundlage für die Bestellung des Organwalters darstellen kann.

IV. Bestellung durch einfaches Gesetzesrecht? Möglicherweise könnte aber eine einfachgesetzliche Regelung für die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter in Betracht kommen. Mangels einer kodifizierten Regelung, wäre eine entsprechende Regelung jedoch nur dem ungeschriebenen einfachen Gesetzesrecht, also dem Gewohnheitsrecht zu entnehmen. Da es sich bei der Bestellung des Amtswalters um eine parlamentsinterne Angelegenheit handelt, ist zu prüfen, ob sie auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechtes regelbar wäre; denn nur wenn dies der Fall ist, kann die Bestellung des Organwalters auch gewohnheitsrechtlich auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechts angenommen werden. Strittig ist, ob die Form des einfachen formellen Gesetzes zur Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten zulässig ist, ohne daß der Bundestag nach dem Grundgesetz ausdrücklich dazu ermächtigt ist 214 •

1. Befürworter einer gesetzlichen Regelungsform Die Befürworter der Gesetzesform für die Regelung interner Parlamentsangelegenheiten verweisen darauf, daß Art. 40 Abs. I Satz 2 GG eine Kompetenz des Bundestages zur Geschäftsordnungsgebung enthalte, die anders als bei Art. 76 ff. GG - keine weiteren Voraussetzungen vorschreibe 214 Vgl. Bollmann, S. 139 ff.; Pietzcker, ParlRPr, § 10, Rdnr. 13 ff.; dagegen: Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 125; ders., Sondervotum BVerfGE 70, 380 (386); H. Dreier, JZ 1990, S. 310 (315); Kellner, ZParl 17 (1986), S. 423 (433); Mahrenholz, Sondervotum BVerfGE 70, 366 (376); Steiger, S. 45; Troßmann, JöR n. F. 28 (1979), S. 3 (45); Ziekow, JuS 1991, S. 28 (29); Jarass/Pieroth, Art. 40, Rdnr. 6; dafür: Apetz, S. 103; Bücker, ZParl 17 (1986), S. 324 (332 f.); Kretschmer, ZParl 17 (1986), S. 334 (337 ff.); Pietzner, Petitionsausschuß, S. 98; ders., EvStL, S. 1101; Roeper, ZParl 15 (1984), S. 529 (533); Schmidt, DÖV 1986, S. 236 (239); Schröder, JurA 1987, S. 472 f.; Zeh, HStR 11, § 43, Rdnr. 8 ff.

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

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und daher auch die Wahl der Regelungsform einschließe215 • Die freie Wahl zwischen Gesetz und Geschäftsordnung ergebe sich auch aus der Organisationsgewalt des Bundestages, die nur durch die Organisationsfreiheit der anderen Verfassungsorgane begrenzt werde 216 • Der Hinweis, daß auch die Regelung von sehr speziellen Einzelheiten der parlamentarischen Organisation und des parlamentarischen Verfahrens in einfachen Gesetzen der bisherigen Praxis entspreche 217 , mag zwar als tatsächlicher Befund zutreffen, kann jedoch nicht ohne weiteres die Garantie der Geschäftsordnungsautonomie aus Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG einschränken. Selbst wenn die Gewohnheit zu einem Gewohnheitsrecht erstarken sollte, bleibt doch zweifelhaft, ob insoweit Raum für eine verfassungsrechtliche Ermächtigung zur Regelung der Geschäftsordnungsangelegenheiten in einfachgesetzlicher Form gegeben ist218 • Zum Teil wird die Ansicht vertreten, Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG enthalte eine Verfahrenserleichterung insoweit, als die Geschäftsordnung ohne die Mitwirkung anderer Verfassungsorgane beschlossen und in Kraft gesetzt werden kann219 • Desweiteren sei häufig eine Vermischung nicht von einander zu scheidender interner und externer Parlamentsangelegenheiten gegeben, die eine Regelung in Gesetzesform erfordere 22o • Schließlich sei die historisch begründete Absicherungsfunktion der Geschäftsordnungsautonomie gegenüber anderen Verfassungsorganen heute aufgrund der zentralen und herausgehobenen Stellung des Parlamentes obsolet, so daß es keine den Bundestag allein betreffenden Angelegenheiten mehr gebe 221 • 2. Gegner einer gesetzlichen Regelungsform Für die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen ein formelles einfaches Gesetz zur Regelung rein interner Parlamentsangelegenheiten werden im wesentlichen zwei Gründe angeführt. 215 216

(339).

Vgl. Bollmann, S. 141; Pietzcker, Fn. 17. Bücker, ZParl 17 (1986), S. 324 (332 f.); Kretschmer, ZParl 17 (1986), S. 334

217 Bücker, ZParl 17 (1986), S. 324 (326 ff.); Kretschmer, ZParl. 17 (1986), S. 334 (337); Röper, ZParl 15 (1984), S. 529 ff.; Schmidt, DÖV 1986, S. 236 (239); Zeh, HStR 11, § 43, Rdnr. 9 ff. 218 Dagegen Bollmann, S. 146; vgl. Steiger, S. 45. 219 Kretschmer, ZParl 17 (1986), S. 334 (338); Schmidt, DÖV 1986, S. 236 (239); Schramm, S. 78. 220 Bücker, ZParl 17 (1986), S. 324 (329, 333); Zeh, HStR 11, § 43, Rdnr. 11; a. A. Pietzcker, ParlRPr, § 10, Rdnr. 15. 221 Bücker, ZParl 17 (1986), S. 324 (331 ff.); Kretschmer, ZParl 17 (1986), S. 334 (337).

7"

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

Zum einen verstoße es gegen die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages, da Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG allein den Bundestag mit der Regelung seiner internen Angelegenheiten betraut, nicht jedoch den im Gesetzgebungsverfahren notwendig zu beteiligenden obersten Bundesorganen (Bundesregierung, Bundesrat, Bundespräsident) Mitwirkungsrechte einräume222 . Eine Wahlfreiheit zwischen Gesetz und Geschäftsordnung bei der parlamentarischen Selbstorganisation würde die Kompetenzordnung des Grundgesetzes als Ausdruck des durch Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verbürgten Gewaltenteilungsgrundsatzes unterlaufen. Als weiteres Argument gegen die Regelung von der Geschäftsordnungsautonomie unterfallenden Angelegenheiten in einfachgesetzlicher Form wird ins Feld geführt, daß ein nachfolgender Bundestag durch das vom vorhergehenden Bundestag beschlossene Gesetz - unter Überwindung des Grundsatzes der Diskontinuität - gebunden würde, er mithin in der Regelung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten eben nicht mehr autonom sei223 . 3. Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß die Wahl der Gesetzesform bei der Regelung parlamentsinterner Angelegenheiten zwar grundsätzlich nicht zulässig, aber ausnahmsweise dann verfassungskonform sei, "wenn das Gesetz - auch seine Aufhebung - nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, der Kern der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestags nicht berührt wird und überdies gewichtige sachliche Gründe dafür sprechen, die Form des Gesetzes zu wählen,,224. Wann der Kern der Geschäftsordnungsautonomie betroffen ist, hat es dabei weitgehend offengelassen, eine Betroffenheit aber abgelehnt, wenn es sich um die parlamentarische Kontrolle von Haushaltstiteln handelt, die "im Verhältnis zum Gesamtvolumen des Etats summenmäßig nicht stark ins Gewicht fallen,.225. Das Verständnis der "gewichtigen sachlichen Gründen", die nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts für die Gesetzesform sprechen sollen, sind aus den Entscheidungsgründen nicht näher zu erkennen226 .

Jarass/Pieroth, Art. 40, Rdnr. 6; Pietzcker, ParlRPr, § 10, Rdnr. 14. Vgl. Pietzcker, ParlRPr, § 10, Rdnr. 14; PereIs, Reichstagsrecht, S. 4; MDH/ Maunz, Art. 40, Rdnr. 19; K. F. Amdt, S. 128 f. 224 BVerfGE 70,324 (361). 22S BVerfGE 70, 324 (362). 226 Vgl. BVerfGE 70, 324 (362); kritisch auch Pietzcker, ParlRPr, § 10, Rdnr. 16. 222 223

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Da die Entscheidung des erkennenden zweiten Senats als Mehrheitsentscheidung erging, äußerten sich die überstimmten Verfassungsrichter Mahrenholz und Böckenförde in Sondervoten227 • Mahrenholz ist der Ansicht, daß die Wahl der Gesetzesfonn preisgebe, "daß der Bundestag Herr im Hause seiner Angelegenheiten bleibt,m8. Ferner sieht er die methodischen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von Kembereich zu Randbereich der Geschäftsordnungsautonomie229 • Böckenförde230 interpretiert Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG als Regelung der ausschließlichen Zuständigkeit und verfassungsunmittelbaren Sachkompetenz zugunsten des Bundestages als Volksvertretungskörperschaft, nicht hingegen zugunsten des Gesetzgebers, der er allein nicht sei. Dabei könne auch nicht nach Kern- und Randfragen unterschieden werden. In diese verfassungsbegründete Kompetenz dürfe der einfache Gesetzgeber, der unter der Verfassung und den von ihr vorgenommenen Kompetenzzuweisungen steht, nicht eingreifen, ohne dazu besonders ennächtigt zu sein. 231 4. Stellungnahme

Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts erscheint wegen der bereits angeführten Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Rand- und Kembereich des Geschäftsordnungsrechts problematisch. Auch die Beantwortung der Frage, wann ein gewichtiger Grund für die Wahl der Gesetzesfonn vorliegt, dürfte mit erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden sein. Schließlich verbleibt trotz der Beschränkung der Zulässigkeit der Gesetzesfonn auf Einspruchsgesetze ein Mitwirkungsrest der übrigen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Bundesorgane, die nach der hier vertretenen Auffassung nicht zu rechtfertigen ist. Durch die unmittelbare Wahl seiner Abgeordneten erhält der Bundestag eine Legitimation höchster Dignität232 • Wenn er nun seine eigenen Angelegenheiten regeln will, so bedarf er für den Fall der einfachgesetzlichen Regelung der Mitwirkung der anderen Gesetzgebungsorgane, die aber ihre Legitimation entweder auf den Bundestag selbst (Bundesregierung), auf die Länderparlamente (Bundesrat) oder aber die Bundesversammlung (Bundespräsident) zurückführen. In jedem Fall ist deren Legitimation aufgrund der längeren Legitimationskette von geringerer Dignität als die des Bundesta227 228 229 230 231 232

BVerfGE 70, 324 (366 ff.; 380 ff.). BVerfGE 70, 324 (377). BVerfGE 70, 324 (378). BVerfGE 70, 324 (387). Böckenförde, ebd. Vgl. Böckenförde, HStR I, § 22, Rdnr. 16.

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

ges. Der Bundestag als unmittelbar legitimiertes Bundesorgan darf daher nicht in der parlamentsinternen Bildung seines Willens durch Mitwirkungsrechte anderer Gesetzgebungsorgane behindert werden. Besonders prekär wird die Lage dann, wenn ein nachfolgender Bundestag Geschäftsordnungsregelungen des vorhergehenden ändern will. Eine Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten in Gesetzesform bewirkt dann, daß Änderungen ebenfalls nur durch ein u. U. langwieriges Gesetzgebungsverfahren herbeizuführen sind, während anderenfalls Änderungen mit einfacher Mehrheit schnell und flexibel möglich wären 233 . Selbst wenn die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten lediglich in einem Einspruchsgesetz erfolgte, könnte der Bundesrat u. U. durch eine Zweidrittelmehrheit das Zustandekommen eines solchen Änderungsgesetzes nach Art. 77 Abs. 4 GG blockieren234 • Hinsichtlich der Diskontinuität geschäftsordnungsmäßiger Regelungen betrifft die Frage, wie flexibel das interne Parlamentsrecht gestaltet werden soll, nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch die politische Zweckmäßigkeit. Insoweit dürfte eine höhere Flexibilität dem dynamischen Prozeß der Willensbildung innerhalb des unmittelbaren Repräsentativorgans einer Demokratie auch förderlicher sein als das Festzurren von Verfahrensfragen in einfachgesetzlicher Form. Anders wäre die Situation u. U. zu beurteilen, wenn der Bundestag ein Gesetz zur Regelung seiner internen Angelegenheiten beschließen könnte, bei dem die Mitwirkung der anderen Verfassungsorgane nicht vorgeschrieben oder gar ausgeschlossen ist, wie dies beispielsweise in Österreich der Fall ist. Art. 30 Abs. 2 Satz 1 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes 235 (öBVG) schreibt für die Regelung der internen Parlaments angelegenheiten die Form des einfachen Gesetzes vor, regelt aber zugleich in Art. 42 Abs. 5 öBVG, daß die Mitwirkung des Bundesrates an diesem Gesetz ausgeschlossen ist236 • Eine verfassungsrechtliche Ermächtigung, wonach der Landtag seine inneren Angelegenheiten durch Gesetz und Geschäftsordnung regeln kann, enthält auch Art. 70 Abs. 1 der Verfassung des Saarlandes. Eine solche Möglichkeit besteht für den Bundestag nach der gegenwärtigen Verfassungslage jedoch nicht. Demnach besteht für den jeweiligen Bundestag allein die Möglichkeit, seine Geschäftsordnungsangelegenheiten entweder auf der Ebene des untergesetzlichen Geschäftsordnungsrechts oder aber auf Verfassungsebene im dafür vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren zu regeln237 . Eine verfassungs233

234 235 236

Pietzcker, ParIRPr, § 10, Rdnr. 14. Pietzcker, ParIRPr, § 10, Rdnr. 14 v. 15.12.1987 Vgl. Pietzcker, PariRPr, § 10, Rdnr. 17.

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

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rechtliche Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten dürfte jedoch nur dann sinnvoll sein, wenn sich eine Organisations- oder Verfahrensfrage als unabdingbar für das Funktionieren des parlamentarischen Systems erweist238 • Insoweit wäre auch eine grundgesetzliche Ermächtigung zur gesetzlichen Regelung nur ausnahmsweise zweckmäßig 239 • Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten, daß die Bestellung des Alterspräsidenten als parlamentsinteme Angelegenheit nicht durch einfaches formelles Gesetz geregelt werden und demzufolge auch nicht als einfaches Gewohnheitsrecht existieren kann. Das einfache Gesetzesrecht bietet demnach keine Rechtsgrundlage für die Bestellung des Organwalters.

V. Bestellung durch Verfassungsrecht Schließlich wäre zu fragen, ob neben der Bildung des vorläufigen Leitungsorgans selbst auch die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter auf einer verfassungsrechtlichen Grundlage beruhen könnte. Diese müßte dann entweder dem Grundgesetz (unten 1.) oder dem Verfassungsgewohnheitsrecht (unten 2.) zu entnehmen sein.

1. Das Grundgesetz Die einzigen Vorschriften des Grundgesetzes, die sich ausrücklich auf die konstituierende Sitzung des Bundestages beziehen, sind Art. 39 Abs. 1 und 2, 40 Abs. 1 GG. Anders als in einigen Landesverfassungen 240 enthält das Grundgesetz aber keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Bestellung des Organwalters. Zwar wird durch die Anordnung der Wahl des Bundestagspräsidenten, wie oben bereits gezeigt, auch inzident die Existenz eines vorläufigen Leitungsorgans geregelt. Dies muß nach dem Wortlaut von Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG jedoch nicht notwendigerweise der an Lebensjahren älteste Abgeordnete sein. Der Blick auf historische Vorbilder oder auf diesbezügliche Regelungen auf der Ebene der Länderparlamente zeigt, daß auch andere Varianten denkbar sind. Möglicherweise könnte aber vor dem Hintergrund der bisherigen bundesdeutschen Parlamentspraxis Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG so ausgelegt werden, daß die dort angesprochene Wahl des Bundestagspräsidenten stets vom ältesten Abgeordneten geleitet werden soll.

237 238 239

240

So auch Bollmann, S. 149, 16l. Bollmann, S. 143. Bücker, ZParl 17 (1986), S. 324 (330); Zeh, HStR 11, § 43, Rdnr. 1l. Vgl. Art. 30 Abs. 3 Satz 2 VerfBW; Art. 44 Abs. 3 Satz 2 SächsVerf.

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

Der verfassungsgebende Gesetzgeber hat sich jedoch bei der Regelung der parlamentsinternen Angelegenheiten äußerste Zurückhaltung auferlegt und nur das aus seiner Sicht unabdingbar Notwendige im Grundgesetz geregelt241 . So findet sich z. B. im Grundgesetz auch keine Regelung über die Beschlußfähigkeit des Bundestages, wie dies etwa für die Länderparlamente in Landesverfassungen vorkommt242 , obwohl die Regelung dieser Frage von herausragender Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Bundestages als Verfassungsorgan ist. Tatsächlich hat der Bundestag die Beschlußfähigkeit allgemein in § 45 Abs. 1 GOBT geregelt, und das Bundesverfassungsgericht hat diese Praxis ausdrücklich als eine Frage des autonomen Satzungsrechts des Bundestages anerkannt243 • Mit der Zuweisung der Kompetenz an den Bundestag zur Regelung seiner parlamentsinternen Angelegenheiten durch Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG ist auch zugleich dessen ausschließliche Wahrnehmung dieser Kompetenz vorgegeben, so daß allein er legitimiert ist, diesen Bereich zu regeln 244 • Ferner läßt sich auch aus den dem Grundgesetz zugrundeliegenden Verfassungsstrukturprinzipien kein Rechtssatz herleiten, demzufolge der älteste Abgeordnete die konstituierende Sitzung zu leiten hat. Auch die Alterspräsidenten der bisherigen Bundestage haben sich bislang nicht auf eine verfassungsrechtliche Grundlage zu Beginn ihrer Tätigkeit berufen, sondern stets auf einen Brauch oder eine Übung (ggfs. unter Heranziehung der GOBT245 ).

2. Verfassungsgewohnheitsrecht Es könnte jedoch sein, daß die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter dem Verfassungsgewohnheitsrecht entnommen werden kann. So wird teilweise die Ansicht vertreten, daß die Regelung des § 1 Abs. 2 GOBT, wonach das an Jahren älteste bzw. das nächstälteste Mitglied des Bundestages zum Alterspräsidenten berufen ist, nur einen bereits im Verfassungsgewohnheitsrecht wurzelnden Satz konkretisiere, da allein das Verfassungsrecht in der Lage sei, die Diskontinuität zu überbrücken246 • 241 BK/Dach, Art. 40, Rdnr. 3; v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR n. F. 1 (1951), S.359. 242 Vgl. Art. 43 Abs. 1 der Verfassung von Berlin v. 23.11.1995 (GVBl. S. 779), geä. d. Ges. v. 14.6.1996 (GVBl. S. 233). 243 BVerfGE 44, 308 (314 ff.); vgl. Ritzel/Bücker, § 45, Anm. II 1 i). 244 Zimmer, S. 234. 245 Alterspräsident Brandt, 11. Bundestag, 1. Sitzung 18.2.1987, StenBer., S. 1 (A). 246 Vgl. Rothaug, S. 95.

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

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Daß es sich in der Tat um Recht im Verfassungsrang handeln könnte, zeigt ein Blick auf einige Landesverfassungen, die ausdrücklich Regelungen über den Alterspräsident und seine Funktion enthalten. So regelt Art. 30 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung von Baden-Württemberg: "Die erste Sitzung wird vom Alterspräsidenten geleitet.", Art. 44 Abs. 3 Satz 2 der Sächsischen Verfassung: "Die erste Sitzung wird vom Alterspräsidenten einberufen und bis zur Wahl des Landtagspräsidenten geleitet" und die bis zum 28.11.1995 gültige Verfassung von Berlin in Art. 39 Abs. 5 Satz 2: "Das Abgeordnetenhaus tritt spätestens sechs Wochen nach der Wahl unter dem Vorsitz des ältesten Abgeordneten zusammen." und Art. 44 Abs. 3 Satz 2: "Die erste Sitzung wird vom Alterspräsidenten einberufen und bis zur Wahl des Landtagspräsidenten geleitet." Auch die französische Revolutionsverfassung von 1791 hatte den ältesten Abgeordneten als Organwalter für das vorläufige Leitungsorgan verfassungsrechtlich fixiert. Finger47 führte bereits 1923 aus: "Sachgemäß wäre es, wenn die Verfassung neben der Bestimmung über den Zusammentritt des Reichstages (... ) und der Feststellung, daß er sich seinen Präsidenten wählt (... ), die Vorschrift enthalten würde, daß diese Wahl des Präsidenten unter der Leitung des ältesten Mitgliedes erfolgt." Andererseits sind in einigen Bundesländern weder verfassungsrechtliche noch geschäftsordnungsrechtliche Regelungen zum Alterspräsidenten anzutreffen 248 . Dieser Befund zeigt, daß auch dort, wo keine Regelungen ausdrücklich fixiert sind, Regelungen existieren müssen, die die Frage der Bestellung des Organwalters in irgendeiner Weise regeln. Zunächst ist zu fragen, ob die Annahme von Verfassungsgewohnheitsrecht überhaupt mit dem Regelungsanspruch des Grundgesetzes vereinbar ist (unten a», bevor auf die Entstehungsvoraussetzungen und deren konkretes Vorliegen näher einzugehen ist (unten b». Schließlich wäre ein etwaiger verfassungsgewohnheitsrechtlicher Satz auslegungsbedürftig (dazu unten c». a) Zulässigkeit unter der Herrschaft des Grundgesetzes

Die These von einer verfassungsgewohnheitsrechtlichen Bestellung des OrganwaIters ist nicht unproblematisch, zumal die Zulässigkeit von Verfassungsgewohnheitsrecht unter der Herrschaft des Grundgesetzes grundsätzS. 237. Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen v. 21.1O.l947 (BremGBI. S. 251), zul. geä. d. Ges. v. 10.10.1996 (BremGBI. S. 303) und Geschäftsordnung der Bremischen Bürgerschaft i. d. F. d. Bek. v. 6.11.1991, zul. geä. d. Beschl. v. 10. 12.l992 (BremAbl.). 247 248

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

lich bestritten wird 249 . Andere halten die praktische Bedeutung des verfassungsrechtlichen Gewohnheitsrechts für eher gering, da das Grundgesetz kaum Lücken enthalte, die das Bundesverfassungsgericht durch die ihm eigene weite Auslegung der vorhandenen Normen nicht schließen könnte 25o . So wird behauptet, daß die Annahme von Verfassungsgewohnheitsrecht dem umfassenden Regelungsanspruch des Grundgesetzes entgegenstehe, wenn es nicht auf die geschriebene Verfassung zurückzuführen ist, sondern zu dieser in Konkurrenz tritt und sie - entgegen Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG - "beiseite zu schieben" droht251 . Gleichwohl wird auch von denjenigen, die die Existenz von Verfassungs gewohnheitsrecht am stärksten bezweifeln, eingeräumt, daß vorkonstitutionelles Verfassungsgewohnheitsrecht als Ausnahmeerscheinung durchaus in Betracht kommen kann; denkbar wäre es z. B., wenn durch das Grundgesetz "ein Raum freigelassen ist, in dem die Tradition sich zu entfalten vermag"252. Dieser Raum ist bei Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG gegeben. Auch das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß es Verfassungsgewohnheitsrecht geben kann253 . Zudem muß man davon ausgehen, daß das Grundgesetz kein lückenloses System von Verfassungsnormen darstellt, sondern auch der Ergänzung durch ungeschriebenes Verfassungsrecht bedarf254 . In der Literatur werden folgende Beispiele für Verfassungsgewohnheitsrecht angeführt255 : der Grundsatz der materiellen Diskontinuität256 , das Recht zur Einberufung des neugewählten Bundestages durch den Parlamentspräsidenten des vorhergehenden Bundestages257 , der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes258 , die redaktionelle Berichtigung von Gesetzesbe249 Dagegen Tomuschat, 1 ff.; Bryde, S. 431 ff; Badura, HStR VII, § 160, Rdnr. 10; Isensee, HStR VII, § 162, Rdnr. 64. 250 Schulze-Fielitz, § 11, Rdnr. 5; 'Tomuschat, S. 51 ff. 251 Tomuschat, S. 51; vgl. auch Haug, S. 62 f.; Kühnreich, S. 145 f. 252 Tomuschat, S. 88; ähnlich auch Stern, Staatsrecht I, S. 10. 253 Z.B. BVerfGE 11,77 (87); 2,213 (224); I, 144 (151). 254 Hesse, § I, Rdnr. 34; Haug, S. 63; vgl. auch Schmidt-Jonzig, ZgS 1974, S.135. 255 Vgl. auch die Darstellung bei Tomuschat, S. 29 ff. 256 Vgl. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 208 ff.; H. Hofmann, HStR I, § 7, Rdnr. 79; Schulze-Fielitz, § 11, Rdnr. 5; Schünnann, S. 154 f. m. w. Nw. 257 MDH/Klein, Art. 39, Rdnr. 42; Schulze-Fielitz, ParlRPr, § 11, Rdnr. 5; Achterberg, Parlamentsrecht, S. 597: "Gewohnheitsrecht". 258 Herzog anläßlich einer Vorlesung an der Verwaltungshochschule Speyer am 10.1.1994 gegen Art. 20 Abs. 3 GG: nach Ansicht von Herzog gilt der Vorbehalt des Gesetzes nicht nur für Grundrechtseingriffe, sondern auch für die Grundrechtsausübung; im Grundsatz handele es sich um eine Zuständigkeitsfrage (Darf die Bun-

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

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schlüssen259 , die UnveITÜckbarkeit von Gesetzesbeschlüssen260, die Geltung der Leitungskompetenz des Bundestagspräsidenten auch gegenüber Vertretern von Bundesrat und Bundesregierung261 , der Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens 262 , der Aufopferungsanspruch 263 , Koalitionsvereinbarungen264 , die Erstreckung einer notwendigen Bundesratszustimmung von einer bestimmten Vorschrift auf das ganze Gesetz265 , die Bestimmung der Staatssymbole durch den Bundespräsidenten266, das Vorschlagsrecht für den Bundestagspräsidenten durch die stärkste Fraktion267 , die Geheirnheit der Bundeskanzlerwahl 268 und die Ministerkompatibilitäe69 . Richtig dürfte es sein, nicht jeder tradierten parlamentarischen Praxis "die höheren Weihen des Rechtlichen umzuhängen,mo. Einigkeit dürfte bei allen Zweifeln an der Existenz von Verfassungsgewohnheitsrecht und seinen Voraussetzungen aber dahingehend bestehen, daß es jedenfalls nicht contra legern constitutionalem gelten kann271 • Ist demnach davon auszugehen, daß unter der Herrschaft des Grundgesetzes Raum für Gewohnheitsrecht auf der Ebene der Verfassung ist272 , so fragt sich, ob die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter desregierung oder muß der Bundestag eine Entscheidung treffen?); vgl. auch MDH/ Herzog, Art. 20, VI, Rdnr. 79; ; a. A BVerfGE 49, 89 (126 f.); vgl. auch Stern, Staatsrecht I, S. 805. 259 Vgl. Staats, ZRP 1974, S. 185; a. A: Achterberg, Parlamentsrecht, S. 358, Anm. 76; vgl. auch Schulze-Fielitz, § ll, Rdnr. 5. 260 Vgl. Blischke, FS Schellknecht, S. 55, 70.; Achterberg, Parlamentsrecht, S. 648 f.; Schulze-Fielitz, ParIRPr, § 11, Rdnr. 5; a. A Troßmann, GOBT, Anhang A zu § 54, Rdnr. A 3 261 Bücker, PariRPr, § 34, Rdnr. 6; Rothaug, S. 63, 65. m. w. Nw.; vgl. auch Schulze-Fielitz, PariRPr, § 11, Rdnr. 5. 262 larass/Pieroth, Art. 20, Rdnr. 12; MDH/Herzog, Art. 20, IV, 61 ff.; v. Münch/Schnapp, Art. 20, Rdnr. 9; Stern, Staatsrecht I, S. 699 ff.; v. Mangoldt, VVDStRL 10, S. 58 f. 263 Maurer, § 4, Rdnr. 43. 264 Hofmann, HStR I, § 7, Rdnr. 79: ,Jntrakonstitutionelles Verfassungsgewohnheitsrecht" . 265 Hofmann, HStR I, § 7, Rdnr. 79; v. Münch/Bryde, Art. 77, Rdnr. 21. 266 Hofmann, HStR I, § 7, Rdnr. 79; vgl. auch MDH/Maunz, Art. 22, Rdnr. 22, 26 ff.; v. Münch/Hoog, Art. 22, Rdnr. 12 ff. 267 Vgl. Schulze-Fielitz, PariRPr, § ll, Rdnr. 72; Mengel, JöR n. F. 30 (1981), S. 21 (61). 268 Stern, Staatsrecht I, S. 983; Troßmann, GOBT, § 4 Rdnr. 11. 269 Schmidt-lortzig, ZgS 1974, S. 139 f. 270 Schmidt-lortzig, ZgS 1974, S. 135; vgl. auch lsensee, HStR VII, § 162, Rdnr.64. 271 Stern, Staatsrecht I, S. 24. 272 So auch Schulze-Fielitz, ParlRPr, § ll, Rdnr. 5.

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

dem Verfassungsgewohnheitsrecht zuzuordnen ist. Insoweit ist auf die Voraussetzungen, unter denen Verfassungsgewohnheitsrecht entsteht, näher einzugehen. b) Entstehungsvoraussetzungen Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Gewohnheitsrecht das "Recht, das nicht durch förmliche Setzung, sondern durch längere tatsächliche Übung entstanden ist, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine sein muß und von den beteiligten Rechtsgenossen als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird,,273. . Voraussetzung für die Annahme von Gewohnheitsrecht im allgemeinen 274 wie für Verfassungs gewohnheitsrecht im besonderen ist also, daß es sich um eine Regelung handelt, die über längere Zeit kontinuierlich und allgemein angewandt wurde (longa consuetud%bjektives Element) und sich als Rechtssatz formulieren können lassen muß (formales Element). Ferner müssen die Beteiligten davon ausgegangen sein, daß es sich bei dieser Übung nicht um eine unverbindliche Norm, sondern um eine Rechtsnorm mit allgemeinem Geltungsanspruch handelt (opinio iuris/subjektives Element), die mit Verfassungsrang ausgestattet ist. aa) Longa consuetud%bjektives Element Eine längere und allgemeine Übung ist hinsichtlich der Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Alterspräsidenten und vorläufigen Leitungsorgan unschwer festzustellen, wenn man auf die Entwicklung des Amtes seit der erstmaligen Erwähnung in der französischen Revolutionsverfassung von 1791 über die Praxis der Paulskirche bis heute blickt. Die Einbeziehung der vorkonstitutionellen Parlamentspraxis in diese Entwicklung ist durch das Bundesverfassungsgericht ausdrÜcklich gebilligt worden 275 . Die Unterbrechung, die das Amt in der Zeit von 1933 bis 1949 gefunden hat, dürfte insoweit unbeachtlich sein. Auch die Tatsache, daß der lebens älteste Abgeordnete mitunter auf die Amtsausübung verzichtete, führte zu keiner Unterbrechung dieser Tradition.

BVerfGE 22, 114 (121); vgl. auch BVerfGE 9, 109 (117); 15, 226 (232 ff.). Vgl. Maurer, § 4, Rdnr. 19 ff.; Ossenbühl, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6, Rdnr. 71 ff. 275 BVerfGE I, 144 (148 f.). 273

274

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

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bb) Formulierbarkeit als Rechtssatz/formales Element Auch das formale Element, die Formulierbarkeit dieser Regelung als Rechtssatz, ist unproblematisch, zumal sich die Formulierung gerade in § 1 Abs. 2 GOBT befindet: "In der ersten Sitzung des Bundestages führt das an Jahren älteste ... Mitglied des Bundestages den Vorsitz, bis der neugewählte Präsident ... das Amt übernimmt.". cc) Opinio iuris/subjektives Element Schließlich ist für die Anerkennung von Gewohnheitsrecht die Überzeugung der Beteiligten erforderlich, daß es sich bei der von ihnen praktizierten Regelung um eine Rechtsnorm handelt, deren Verbindlichkeit sie akzeptieren und der sie sich unterwerfen276 . Demnach müßte die Überzeugung vorhanden sein, daß es sich bei der Regelung, der älteste Abgeordnete sei zum vorläufigen Leitungsorgan berufen, um eine verfassungsrechtliche Vorschrift handele. Im Gegenschluß ist die opinio iuris abzulehnen, wenn die Beteiligten der Ansicht sind, daß es sich bei der Frage, wer das Amt des Alterspräsidenten bekleiden soll, lediglich um eine nichtrechtliche Norm handele. Die Gruppe derer, die vom Rechtscharakter der Regelung überzeugt sein müssen, wird beim Gewohnheitsrecht durch die Normadressaten bestimmt, in erster Linie also die Abgeordneten, die Fraktionen, die Organe des Parlaments 277 . Indizien für die Rechtsüberzeugung können u. a. die Begründung für die Aufnahme der Übung und der notwendige funktionelle Zusammenhang mit anderen schon geübten und rechtlich anerkannten Verhaltensweisen sein278 . Die Überzeugung, daß der älteste Abgeordnete zum Organwalter für die vorläufige Leitung der konstituierenden Sitzung berufen sei, ist in der Tat nicht nur seit jeher bei den Abgeordneten der jeweils neugewählten Bundestage vorhanden, sondern auch in den Länderparlamenten. So wird in der konstituierenden Sitzung des 3. Landtages von Sachsen-Anhalt anschaulich von einer "in allen Staaten beachteten Rechtsüberzeugung,,279 und einer "archaischen Praxis,,28o gesprochen. Auch in den konstituierenden SitzunSchulze-Fielitz. ParIRPr. § 11. Rdnr. 8. Kraul. S. 63; Rothaug. S. 85. 278 Rothaug. S. 85; Steiger. S. 47. 279 Alterspräsident Wiechmann (DVU). 3. Landtag von Sachsen-Anhalt. 1. Sitzung. 25.5.98. StenBer.. S. 1. 280 Sitte (PDS). 3. Landtag von Sachsen-Anhalt. 1. Sitzung. 25.5.98. StenBer.• 276

277

S.5.

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

gen der Parlamentsausschüsse übernimmt zunächst der älteste anwesende Abgeordnete die Sitzungsleitung, bis der Ausschußvorsitzende gewählt ist. Schließlich kann eine ähnliche Praxis auch in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens festgestellt werden, ohne daß hier weiter darauf eingegangen werden soll. Ein funktioneller Zusammenhang folgt auch aus der Aufgabe des Alterspräsidenten, die Funktionsfähigkeit des Verfassungsorgans Bundestag herzustellen. Sie entspricht einem Bedürfnis, das aus dem Strukturprinzip des parlamentarischen Regierungssystems folgt. Danach ist es erforderlich, daß der Regierung, die als Verfassungsorgan nicht der gleichen Diskontinuität wie der Bundestag unterliegt, grundsätzlich ein wirksames Kontrollorgan Bundestag jederzeit gegenübersteht281 . Diese Überlegungen spielten im Verlauf der Parlamentsreformdiskussion vor 1976 eine erhebliche Rolle282 . Seinerzeit empfand man das zwischen Auflösung des Bundestages und erneuter Konstituierung bestehende Interregnum als rechtlich und praktisch unbefriedigend und unnötig. Schließlich verlängerte man die Legislaturperiode bis zur Eröffnung der konstituierenden Sitzung, so daß eine fast durchgehende Funktionsfahigkeit des Bundestages gegeben war. Lediglich die zeitlich kurze Phase zwischen Eröffnung der konstituierenden Sitzung und der eigentlichen Konstituierung des Bundestages, die mit Übernahme des Amtes durch den neugewählten Bundestagspräsidenten ihren Abschluß findet, verbleibt nunmehr als Zeitraum, indem der Bundestag mangels der hierfür erforderlichen Organe noch nicht handlungs- und funktionsfähig ist. In dieser verbleibenden ungewissen Phase obliegt es dem Alterspräsidenten, die Konstituierung so schnell wie möglich herbeizuführen und damit die Funktionsfähigkeit des Verfassungsorgans Bundestag herzustellen. Die Akzeptanz einer Norm als Rechtsnorm bedeutet zwangsläufig, daß man sie als für sich verbindlich ansieht bzw. sich ihr unterwirft. Dies kann - soweit ersichtlich - für sämtliche konstituierenden Sitzungen des Deutschen Bundestages und seiner parlamentarischen Vorgänger behauptet werden. Deutlicher wird die Rechtsunterwerfung insbesondere in den Fällen, in denen der Alterspräsident von parlamentarischen Minderheiten gestellt und nicht von der überwiegenden Mehrheit des Plenums getragen wurde (Stefan Heym, Clara Zetkin, Autant-Lara). Hierin kann eine Bewährung als Rechtsnorm gesehen werden. Selbst in der eingangs geschilderten Situation anläßlich der konstituierenden Sitzung des 13. Landtages von Schleswig-Holstein 281 Vgl. Deutscher Bundestag, Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform v. 9.12.1976, 7. Bundestag, BT-Drs. 7/5924, S. 33, 34, 36. 282 Ebd, S. 33 ff.

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

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hat sich die DVU-Fraktion den Anordnungen des - ihrer Ansicht nach unrechtmäßigen - Alterspräsidenten unterworfen, als dieser den Protest gegen seine Amtsführung mit der Androhung eines Ordnungsrufes unterband283 . Andererseits bemühte man sich dort seitens der Mehrheitsfraktionen zu Rechtskonstruktionen ("Auslegung", Änderung der Geschäftsordnung), um sich nicht dem Vorwurf des Rechtsbruchs auszusetzen. Die Vorstellung aber, daß man nicht rechtmäßig handeln könnte, setzt voraus, daß man die zu befolgende Norm als Rechtsnorm akzeptiert hat. Eine verfassungsgerichtliche Prüfung dieses Vorfalles, die einen fruchtbaren klärenden Beitrag zum Parlamentsrecht hätte liefern können, wurde - leider - nicht eingeleitet. Können somit sämtliche Voraussetzungen für die Entstehung von Verfassungsgewohnheitsrecht als erfüllt angesehen werden, so handelt es sich bei der Bestellung des ältesten Abgeordneten zum vorläufigen Leitungsorgan in der Tat um einen Satz des Verfassungsgewohnheitsrechts, der die Rechtsgrundlage für die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Alterspräsidenten bildet. § 1 Abs. 2 GOBT kommt insoweit keine eigenständige regelnde Funktion zu, wohl aber eine klarstellende deklaratorische. c) Auslegung eines verfassungsgewohnheitsrechtlichen Satzes im Sinne von § 1 Abs. 2 GOBT ("ältestes Mitglied")

Fraglich ist, wie ein Satz des Verfassungsgewohnheitsrechts mit dem Inhalt von § 1 Abs. 2 GOBT auszulegen ist, nachdem anläßlich der konstituierenden Sitzung des 13. Landtages von Schleswig-Holstein am 5.5.1992 problematisiert worden war, ob mit dem Tatbestandsmerkmal "ältestes Mitglied" das lebensälteste oder das dienstälteste gemeint ist. Hierfür sind die herkömmlichen Auslegungsregeln maßgeblich (unten aa bis dd)284. aa) Auslegung nach dem Wortsinn Die Auslegung nach dem Wortsinn geht von der Bedeutung eines Ausdruck oder Begriffs im allgemeinen Sprachgebrauch oder im speziellen Sprachgebrauch des jeweiligen Gesetzgebers aus 285 . Bei isolierter Betrachtung des § 1 Abs. 2 GOBT könnte die Auslegung nach dem Wortsinn sowohl Lebensalter als auch Dienstalter bedeuten. Blickt man jedoch auf parallele Regelungen in den Bundesländern, so fällt auf, daß als Bestimmungskriterien zwar "Alter" und "Lebensalter" vor283 284 285

13. Landtag von Schleswig-Holstein, 1. Sitzung 5.5.1992, StenBer., S. 3. Vgl. allgemein zur Auslegungsmethodik Larenz/Canaris, S. 133 ff. Vgl. Larenz/Canaris, S. 141 ff.

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

kommen, kaum jedoch - abgesehen von der am 5.5.1992 beschlossenen Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages - das Kriterium Dienstalter. Dies legt den Schluß nahe, daß im Sprachgebrauch des seinerzeitigen Geschäftsordnungsgebers mit "Alter" das Lebensalter gemeint war. Zweifel ergeben sich aber daraus, daß das Tatbestandsmerkmal "Lebensalter" in der vorläufigen Geschäftsordnung des Bundestages vom 20.9.1949 dem Tatbestandsmerkmal "Alter" in der endgültigen Geschäftsordnung des Bundestages vom 6.12.1951 gewichen ist. Wenn seit dieser Zeit die präzisere Formulierung Lebensalter nicht mehr verwendet wird, so könnte hierin immerhin eine - bewußt oder unbewußt durch den Geschäftsordnungsgeber veranlaßte - Erweiterung der Auslegungsmöglichkeiten gesehen werden. Die grammatikalische Auslegung führt somit zu dem Ergebnis, daß mit dem Tatbestandsmerkmal "ältestes Mitglied" sowohl der oder die lebensälteste als. auch der oder die dienstälteste Abgeordnete des Bundestages gemeint sein könnte. bb) Systematische Auslegung Ferner läßt sich die Bedeutung eines Gesetzesbegriffes aus dem Zusammenhang der Rechtsvorschriften ermitteln, in die er hineingestellt ist286 • Ein weiteres Indiz für die Bestellung des Organwalters nach dem Lebensalter zeigt insoweit die jetzt geltende Vorschrift des § 1 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Landtages von Schleswig-Holstein. Mit der Festlegung auf das Dienstalter entstand weiterer Regelungsbedarf. Schließlich war die Wahrscheinlichkeit, daß mehrere Abgeordnete das gleiche Dienstalter aufweisen könnten, wesentlich größer als die Wahrscheinlichkeit, daß zwei Abgeordnete mit dem gleichen Geburtsdatum dem Landtag angehören. Daher war eine Kollisionsvorschrift erforderlich, die für diesen Fall eine klare Regelung schuf: bei gleichem Dienstalter, soll nunmehr das Lebensalter den Ausschlag geben (§ 1 Abs. 2 Satz 3 GO-LTSchH). Aus der Tatsache, daß derartige Kollisionsvorschriften in anderen Ländern und auf Bundesebene nicht existieren, kann der fehlende Bedarf geschlossen werden, der notwendigerweise an die Lebensalter-Regelung geknüpft wird. Bislang ist auch tatsächlich kein Fall bekannt, wo derartige Kollisionen auftraten. Demzufolge ist nach der systematischen Auslegung davon auszugehen, daß das Lebensalter für die Bestellung des Organwalters maßgeblich ist.

286

Vgl. LarenvCanaris, S. 145 ff.

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cc) Teleologische Auslegung Fraglich ist, ob mit Hilfe der teleologischen Methode 287 eine Aussage zugunsten des lebensältesten Abgeordneten gewonnen werden kann. Über die Zweckmäßigkeit, gerade den lebensältesten Abgeordneten mit vorläufigen Leitungsfunktionen zu betrauen, hatte sich schon v. Mohl ablehnend geäußert 288 , der "die unbedingte Verwerflichkeit eines Alterspräsidenten" beklagte: "Der Leitung einer großen und noch ungeordneten Versammlung ist, selbstredend, gerade das älteste Mitglied am wenigsten gewachsen. Hat doch selbst in kleineren Ständeversammlungen eine solche Bestimmung schon zu der größten Verwirrung, zu Zeitverlust und zu Unwürdigkeiten geführt.,,289 Und in der Tat ergibt sich auch aus den Sitzungsprotokollen deutscher Parlamente, daß die Erwartung, mit dem Alter sei Autorität, Würde und eine sachgemäße Amtsführung gewährleistet290, sich nicht immer erfüllt. Gleichwohl sind unzureichende Sitzungsleitungen die große Ausnahme. Vielmehr kann daher gerade nicht gesagt werden, daß die Sitzungsleitung durch den Lebensältesten von vornherein unzweckmäßig sei. Gerade die Leitung durch Alterspräsidenten wie z. B. Paul Löbe als Alterspräsident des 1. Bundestages und ehemaliger Präsident des Reichstages und Willi Brandt anläßlich der Konstituierung des ersten Bundestages nach der Wiedervereinigung zeigt, welche integrierende Wirkung von dem Alterspräsidenten auf das gesamte Parlament ausgehen kann. Letztlich kann das Argument der Zweckmäßigkeit weder für die eine noch für die andere Auslegungsvariante fruchtbar gemacht werden. dd) Historische Auslegung Schließlich ist die historische Auslegungsmethode heranzuziehen, die auf die Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers abstellt291 . Dem entspricht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach bei der Auslegung der Geschäftsordnung die parlamentarische Tradition und Praxis mit heranzuziehen ist, wie sie durch die historische und politische Entwicklung geformt worden ist?92 Insoweit betont das Bundesverfassungsgericht besonders die historische Interpretation der Geschäftsordnungsbestimmungen. Daher verbietet sich auch eine isolierte, die Geschäftsordnung in 287

288 289 290 291 292

8 Klopp

Vgl. Larenv'Canaris, S. 153 ff. v. Mohl, S. 8. v. Mohl, ebd. Bleek. HDParl, S. 27. Vgl. Larenv'Canaris. S. 149 ff. BVerfGE I, 144 (148 f.).

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3. Kap.: Der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan

keiner Kontinuität sehende Betrachtungsweise; vielmehr ist sie Endprodukt einer Entwicklung des Geschäftsordnungsrechts, die auf den Leistungen vorhergehender Parlamente aufbaut. Die Tradition des § 1 Abs. 2 GOBT läßt sich bis 1849 zurückverfolgen. Dabei wird bis 1922 die Formulierung "ältestes Mitglied", von 1922 bis 1951 die Formulierung "an Lebensjahren ältestes Mitglied" und seit 1951 die Variante "an Jahren ältestes Mitglied" verwendet. In der Sache hat aber zu keiner Zeit Zweifel darüber bestanden, daß immer das an Lebensjahren älteste Mitglied des Parlamentes zur Sitzungsleitung in der konstituierenden Sitzung berufen war. Dies belegt die lange Reihe der ausnahmslos lebensältesten Alterspräsidenten. Auf das Dienstalter hat man sich an dieser Stelle noch nicht berufen. Die historische Methode führt daher zu dem Ergebnis, daß das Lebensalter für den Alterspräsidenten maßgeblich ist. Im Ergebnis muß die Auslegung des Begriffs "Alter" in der GOBT und in den Landtagsgeschäftsordnungen dazu führen, daß jeweils das Lebensalter gemeint ist. Einige Landtagsgeschäftsordnungen 293 haben dies auch ausdrücklich so geregelt.

VI. Beendigung der Organwalterschaft Die Tätigkeit des Alterspräsidenten ist in der Regel zeitlich befristet, bis nach § 1 Abs. 2 GOBT der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt. Erforderlich ist somit die tatsächliche Übergabe an einen Nachfolger, um eine kontinuierliche Sitzungsleitung zu gewährleisten294 • Mit der Übergabe des Amtes ist die Konstituierung vollzogen. Der Verlust der Organwalterschaft kann - zumindest theoretisch - aber auch dann eintreten, wenn der älteste Abgeordnete seinen Status als Mitglied des Deutschen Bundestages nach § 1 Abgeordnetengesetz (AbgG) in Verbindung mit §§ 46, 47, 15 des Bundeswahlgesetzes (BWahIG) verliert. Voraussetzung hierfür wäre jedoch neben den in §§ 46, 15 BWahlG aufgeführten Verlustgründen ein konstitutiv wirkender Beschluß des Bundestages selbst über den Verlust der Mitgliedschaft nach § 47 BWahIG. Dies dürfte im Fall des Alterspräsidenten praktisch kaum leistbar sein, wenn dieser selbst den Beschluß während seiner kurzfristigen Tätigkeit herbeiführen müßte 295 • 293 Vgl. § 1 Abs. 2 GO-BayLT, § lAbs. 2 GO-HamBü, § 5 Abs. I GO-LTHess; § 11 Abs. 1 GO-LTSaarl. 294 Köhler, ZParl 22 (1991), S. 185; Kleinschnittger, S. 23 f. 29~ A. A. offenbar Köhler, ZParl 22 (1991), S. 184.

D. Die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Organwalter

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Wie der Bundestagspräsident kann auch der Alterspräsident seine Organwalterschaft durch Rücktritt beenden, indem er die weitere Amtsführung ablehnt296 . Fraglich könnte sein, ob der amtierende Alterspräsident von seinem Amt abberufen werden kann, wenn er die mit seinem Amt verbundenen Pflichten (z. B. die Verpflichtung zur parteipolitischen Neutralität) verletzt. Eine Bestimmung über die Abberufung des Alterspräsidenten ist in der GOBT und dem Grundgesetz nicht vorgesehen 297 . Da nach der hier vertretenen Auffassung die Bestellung des Organwalters auf Verfassungsgewohnheitsrecht beruht, wäre insoweit auch eine verfassungsrechtliche Regelung für die Abberufung des Alterspräsidenten erforderlich. Diese ist aber - ebenso wie im Falle des Bundestagspräsidenten - nicht gegeben, so daß eine vorzeitige Abberufung des Organwalters durch das Plenum nicht in Betracht kommt. Anders gewendet: der Alterspräsident kann wie der Bundestagspräsident auch bei pflichtwidrigem Verhalten grundsätzlich nicht von seinem Amt abberufen werden.

VII. Zusammenfassung Im Ergebnis läßt sich sagen, daß bei der Frage, auf welcher Legitimationsgrundlage der Alterspräsident tätig wird, zwischen der Bildung des vorläufigen Leitungsorgans selbst und der Bestellung des Organwalters unterschieden werden muß. Das vorläufige Leitungsorgan selbst ist nach Art. 40 Abs. I Satz I GG funktionell-institutionell legitimiert, die organisatorisch.personelle Legitimation des ältesten Abgeordneten zum Organwalter beruht auf einem Satz des Verfassungsgewohnheitsrechts, der in § lAbs. 2 GOBT seinen deklaratorischen Niederschlag gefunden hat. Dabei ist "ältestes Mitglied" der oder die an Lebensjahren älteste Abgeordnete. Die Organwalterschaft des ältesten Abgeordneten endet mit der Übergabe des Amtes an den gewählten Bundestagspräsidenten oder durch Rücktritt; eine Abberufung durch das Plenum ist grundsätzlich nicht möglich.

296 297 8'

Köhler, ZParl 22 (1991), S. 185. Köhler, ZParl 22 (1991), S. 185.

Viertes Kapitel

Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen und seine Rechtsstellung A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen Nach § lAbs. 2 GOBT führt der Alterspräsident den Vorsitz in der ersten Sitzung des neugewählten Bundestages bis zur Übernahme durch den Bundestagspräsidenten. Währenddessen hat er die Wahl des Bundestagspräsidenten vorzubereiten und durchzuführen, um dadurch die Handlungsfähigkeit des Bundestages herbeizuführen 1• Diese Kompetenzen kann er jedoch nur dann wahrnehmen, wenn er Maßnahmen ergreifen kann, die es ihm ermöglichen, seine Aufgabe zu erfüllen. § lAbs. 3 Satz I GOBT regelt daher, daß der Alterspräsident vorläufige Schriftführer ernennt. Ohne konkret auf den Alterspräsidenten Bezug zu nehmen, ordnet § lAbs. 4 GOBT dann die FesteIlung der Beschlußfähigkeit sowie die Wahl des Bundestagspräsidenten, der Stellvertreter und der Schriftführer an. Weitere Vorschriften, die Kompetenzen des Alterspräsidenten ausdrücklich regeln, sind nicht vorhanden. Fraglich ist, ob dem Alterspräsidenten mit der Kompetenzzuweisung aus

§ lAbs. 2 GOBT, als vorläufiges Leitungsorgan den Bundestag zu konsti-

tuieren, sämtliche Kompetenzen des Präsidenten nach der GOBT und dem Grundgesetz zufallen. Für den Reichstag wurde die Ansicht vertreten, daß dem Alterspräsidenten die vollen Kompetenzen des Parlamentspräsidenten zustehen 2 • Eine so verstandene Zuweisung würde folglich die Ausübung des Hausrechts und die Polizeigewalt im Bundestagsgebäude sowie alle Maßnahmen der Sitzungsleitung einschließlich der Ordnungsmittel nach §§ 7 Abs. I Satz 2 i. V. m. 22 ff. GOBT umfassen 3 • I Vgl. Rothaug, S. 95; Troßmann, GOBT, § I, Rdnr. 7; Uhlitz, AöR 87 (1962), S. 300; Gerlach, S. 48. 2 Vgl. v. Brentano di Tremezzo, S. 23; Hatschek, Parlamentsrecht, S. 196 f.; Köhler, ZParl 22 (1991), S. 183. 3 Köhler, ZParl 22 (1991), S. 184.

A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen

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Ein Teil der Literatur4 vertritt die Ansicht, daß der Alterspräsident von allen für die Wahl des Bundestagspräsidenten erforderlichen Leitungsmaßnahmen Gebrauch machen kann, bis der neugewählte Bundestagspräsident das Amt übernimmt. Obwohl die Ausübung der Leitungskompetenz durch die Alterspräsidenten bislang nicht zu gravierenden Problemen geführt hatS , erscheint die Ausstattung des Alterspräsidenten mit sämtlichen Kompetenzen, wie sie dem Bundestagspräsidenten zustehen, rechtlich zweifelhaft. So ist fraglich, ob er tatsächlich befugt ist, Maßnahmen zu ergreifen, die über das für die Konstituierung Erforderliche hinausgehen, wie z. B. die Kompetenzen nach § 7 Abs. 3 bis 5 GOBT als oberste Dienstbehörde der Bundestagsbeamten und als Verwaltungsorgan6 • Tatsächlich haben die Alterspräsidenten der vergangenen Bundestage in der konstituierenden Sitzung häufig Maßnahmen ergriffen, die unabhängig von der eigentlichen Konstituierung, d. h. der Wahl des Bundestagspräsidenten zu sehen waren7 . Beispiele hierfür sind etwa die Bekanntgabe der beurlaubten Abgeordneten8 , die Herbeiführung des Einverständnisses des Hauses zur Erteilung längeren Urlaubs an einzelne Abgeordnete 9 , die Herbeiführung der Zustimmung des Hauses bei Fraktionszusammenschlüssen 10 bzw. die Bekanntgabe von Fraktionszusammenschlüssen 11. Auch die in den vergangenen Bundestagen stets wahrgenommene Möglichkeit, eine Ansprache zu halten, ist für die Wahl des Bundespräsidenten nicht erforderlich. Wenn der Alterspräsident aber nun seine Kompetenz zur Sitzungsleitung bis zur Übernahme des Amtes durch den definitiv gewählten Präsidenten mit Ausnahme der Ernennung der vorläufigen Schriftführer - nur aus der Kompetenzzuweisung des § 1 Abs. 2 GOBT herleiten könnte, so fragt sich, ob die von ihm tatsächlich wahrgenommenen Kompetenzen von der GOBT bzw. anderen Vorschriften gedeckt sind. 4 Gerlach, S. 49; Kleinschnittger, S. 20; Köhler, ZParl 22 (1991), S. 184; Rothaug, S. 95 m. w. Nw. 5 Köhler, ZParl 22 (1991), S. 183. 6 So auch Köhler, ZParl 22 (1991), S. S. 184. 7 Vgl. Köhler, ZParl 22 (1991), S. S. 183. 8 Alterspräsidentin Lüders, 3. Bundestag, 1. Sitzung 15.10.1957, StenBer., S. 5 (B); Alterspräsident Pferdmenges, 4. Bundestag, 1. Sitzung 17.10.1961, StenBer., S. 2 (C); Alterspräsident Adenauer, 5. Bundestag, 1. Sitzung 19.10.1965, StenBer., S. 1 (D); Alterspräsident Borm, 6. Bundestag, 1. Sitzung 20.10.1969, StenBer., S. 3 (D); Alterspräsident Erhard, 7. Bundestag, 1. Sitzung 13.12.1972, StenBer., S. 2 (B). 9 Alterspräsidentin Lüders, 2. Bundestag, 1. Sitzung 6.10.1953, StenBer., S. 5 (C). 10 Alterspräsident Pferdmenges, 4. Bundestag, 1. Sitzung 17.10.1961, StenBer., S. 1 (B), Alterspräsident Adenauer, 5. Bundestag, 1. Sitzung 19.10.1965, StenBer., S. 1 (B/C). 11 Alterspräsident Brandt, 11. Bundestag, 1. Sitzung 18.2.1987, StenBer., S. 5 (D).

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4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

In einer Bestandsaufnahme sind daher zunächst die tatsächlich ausgeübten Kompetenzen darzulegen, wie sie sich den Protokollen der konstituierenden Sitzung der bisherigen Bundestage entnehmen lassen (unten 1.). Im Anschluß daran ist zu untersuchen, ob sie jeweils über eine hinreichende Rechtsgrundlage verfügen (unten 11.).

I. Bestandsaufnahme: Die tatsächlich wahrgenommenen Kompetenzen des Alterspräsidenten - Die Alters/rage: Zu Beginn der konstituierenden Sitzung fragt der Alterspräsident die versammelten Abgeordneten, ob sich unter den Anwesenden jemand befinde, der älter als er selbst sei 12 • Diese Frage ist bislang noch nicht positiv beantwortet worden. Zum Teil hat der tatsächlich älteste Abgeordnete aber auch bereits im Vorfeld der konstituierenden Sitzung auf das Amt verzichtet 13 . - Eröffnung der konstituierenden Sitzung: Unmittelbar im Anschluß an die Frage des Alterspräsidenten nach einem älteren Abgeordneten eröffnete der Alterspräsident in der Regel ausdrücklich 14 die konstituierende Sitzung 15 • - Begrüßung: Daraufhin begrüßt der Alterspräsident zunächst die neugewählten Abgeordneten und wendet sich in der Regel mit weiteren Begrüßungen an den Bundespräsidenten, dessen Gäste, das Diplomatische Corps sowie die Vertreter des Bundesrates und der Länderparlamente. - Entscheidung über die vorläufigen Verfahrensregelungen: Wesentlich ist sodann die Entscheidung der Frage, wie zunächst das Verfahren der konstituierenden Sitzung geregelt werden soll. Hierzu wurden bislang zwei verschiedene Wege eingeschlagen: in der Regel wird die GOBT des vorherge12 Einzige Ausnahme: Alterspräsident Brandt, 10. Bundestag, 1. Sitzung 29.3.1983, StenBer., S. 1 (A). 13 Vgl. Abgeordneter Adenauer zugunsten der Alterspräsidentin Lüders, 2. Bundestag, 1. Sitzung 6.10.1953, StenBer., S. 1 (B); Abgeordneter Adenauer zugunsten der Alterspräsidentin Lüders, 3. Bundestag, 1. Sitzung 15.10.1957, StenBer., S. 1 (A); Abgeordneter Adenauer zugunsten des Alterspräsidenten Pferdmenges, 4. Bundestag, 1. Sitzung 17.10.1961, StenBer., S. 1 (A), (Adenauer war seinerzeit auch Bundeskanzler); Alterspräsident Brandt 10. Bundestag, 1. Sitzung 29.3.1983, StenBer., S. 1 (A), leitete die Sitzung, wobei unklar blieb, warum der älteste Abgeordnete auf die Alterspräsidentschaft verzichtete (vgl. aber den Hinweis von Zeh, s. oben Einleitung, A.). 14 Lediglich Adenauer hat als Alterspräsident die konstituierende Sitzung nicht ausdrücklich eröffnet; vgl. 5. Bundestag, 1. Sitzung 19.10.1965, StenBer., S. 1. 15 Anders die Alterspräsidentin des 3. Bundestages, Frau Lüders, am 15.10.1953, die zunächst die Sitzung eröffnete und sich dann erst ihrer Legitimation vergewisserte; vgl. 3. Bundestag, 1. Sitzung 15.10.1957, StenBer., S. 1 (A).

A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen

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henden Bundestages für vorläufig anwendbar erklärt; es kann aber auch sofort ein Beschluß über die endgültig maßgeblichen Geschäftsordnungsregelungen herbeigeführt werden. Teilweise ist eine Entscheidung über die - zumindest vorläufigen - Verfahrensfragen auch hinausgeschoben worden, wodurch unmittelbar Geschäftsordnungsstreitigkeiten provoziert wurden l6 . - Ernennung der vorläufigen Schriftführer: Unter Berufung auf die Geschäftsordnung und nach vorheriger Absprache unter den Fraktionen beruft der Alterspräsident in der Regel vor der von ihm gehaltenen Ansprache die vorläufigen Schriftführer, die ihn bei der Ausübung seines Amtes unterstützen. - Ansprache: In den konstituierenden Sitzungen der bisherigen Bundestage wurden ausnahmslos Ansprachen von unterschiedlicher Dauer und mit unterschiedlichem Inhalt durch den jeweiligen Alterspräsidenten gehalten. Während sich z.B Adenauer in drei Sätzen darauf beschränkte, die Abgeordneten zur konstruktiven Zusammenarbeit anzuhalten 17, streiften andere Alterspräsidenten den ganzen Horizont politischer Themen l8 . Die Tradition, daß der Alterspräsident zu Beginn der konstituierenden Sitzung eine Ansprache hält, ist in der gesamtdeutschen Parlamentspraxis vergleichsweise jung. Erst mit der Ansprache der Alterspräsidentin Zetkin in der konstituierenden Sitzung des 6. Reichstages der Weimarer Republik am 30.8.1932 19 wurde diese Tradition begonnen. In den konstituierenden Sitzungen vorhergehender Reichstage, wie auch in denen vorhergehender gesamtdeutscher Parlamente kann eine vergleichbare Praxis nicht festgestellt werden. Vielmehr waren Ansprachen dieser Art dem definitiv gewählten Parlamentspräsidenten vorbehalten. - Namensaufruf" Auf die Ansprache des Alterspräsidenten folgt zumeist der Namensaufruf, mit dem die Anwesenheit der einzelnen Abgeordneten festgestellt wird. Er ist in allen Legislaturperioden des Bundestages aus praktischen Erwägungen mit der Wahl des Präsidenten verbunden worden 2o , wie es bereits im Reichstag seit 1897 praktiziert wurde21 • Vorgenommen wird er jedoch nicht durch den Alterspräsident selbst, sondern 16 Vgl. Alterspräsident Brandt, 10. Bundestag, 1. Sitzung 29.3.1983, StenBer., S. 1 ff., und ders., 11. Bundestag, 1. Sitzung 18.2.1987, StenBer., S. 1 ff. 17 Alterspräsident Adenauer, 5. Bundestag, 1. Sitzung, 19.10.1965, StenBer., S. I B. 18 Z. B. Alterspräsident Wehner, 9. Bundestag, 1. Sitzung, 4.11.1980, StenBer., S. 1 ff.; Alterspräsident Brandt, 10. Bundestag, 1. Sitzung, StenBer., S. 1 ff.; ders., 11. Bundestag, 1. Sitzung, StenBer., S. 2 ff.; ders., 12. Bundestag, 1. Sitzung, 20.12.1990, StenBer., S. 1 ff. 19 StenBer., S. 1 ff. 20 Troßmann, GOBT, § I, Rdnr. 4; Ritzel/Bücker, § 1, Anm. IV a). 21 Kleinschnittger, S. 20.

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4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

nach dessen Aufforderung durch einen der zuvor berufenen Schriftführer (§ 9 S. 2 GOBT)22. - Bekanntgabe der beurlaubten Abgeordneten: Mehrfach wurden die Namen der beurlaubten Abgeordneten bekanntgegeben23 . - Bekanntgabe von Fraktionszusammenschlüssen: Auch die Billigung von Fraktionszusammenschlüssen durch das Plenum wurde vom Alterspräsidenten betrieben24, indem er die Zustimmung einholte oder das Plenum von der Fraktionsbildung unterrichtete. - Feststellung der Beschlußfähigkeit: Die Beschlußfähigkeit wurde in der Parlamentspraxis des Deutschen Bundestages auf unterschiedliche Art und Weise festgestellt: in der Regel wird sie mit dem Namensaufruf und der Wahl des Präsidenten ausdrücklich verbunden, teilweise aber auch bloß anläßlich der Stimmauszählung im Verlauf der Präsidentenwahl festgestellt bzw. bestätigt. Eine besondere Variante findet sich in der konstituierenden Sitzung des 2. Bundestages, in der die Alterspräsidentin dem Plenum bekanntgab, daß sich der Sitzungsvorstand über die Beschlußfahigkeit des Hauses einig sei2s . Diese Vorgehensweise ist deswegen erstaunlich, weil üblicherweise die Feststellung der Beschlußfähigkeit erst nach dem Namensaufruf erfolgen kann, der seinerseits mit der Präsidentenwahl verbunden ist und hier erst bevorstand. - Leitung der Wahl des Bundestagspräsidenten: Die Wahl des Bundestagspräsidenten26 wird vom Alterspräsidenten geleitet, indem er zunächst nach Vorschlägen für das Amt des Bundestagspräsidenten fragt. Auf den Vorschlag der stärksten Fraktion27 hin, eröffnet dann der Alterspräsident die Wahl, ein Schriftführer ruft die Namen der Abgeordneten auf und der Alterspräsident schließt die Wahlhandlung, nachdem er selbst als Letzter seine Stimme abgegeben hat. Kommt es zur Stimmengleichheit bei zwei Kandidaten, so entscheidet nach § 2 Abs. 2 Satz 4 GOBT das Los durch den Alterspräsidenten. Dies ist in der Geschichte des Deutschen Bundestages bislang jedoch noch nicht vorgekommen. - Erteilung des Wortes zur Geschäftsordnung: In verschiedenen konstituierenden Sitzungen hat der Alterspräsident auch das Wort zur Geschäftsordnung erteilt. So z. B. in der konstituierenden Sitzung des 1. Bundestages Köhler, ZParl 22 (1991), S. 182. Siehe Fußnote 486, 487. 24 Siehe Fußnote 488, 489. 25 Alterspräsidentin Lüders, 2. Bundestag, 1. Sitzung 6.10.1953, StenBer., S. 3 D. 26 Vgl. allgemein Ritzel/Bücker, § 2; Troßmann, GOBT, § 2; Partsch, AöR 86 (1961), S. 1 ff.; Loewenberg, S. 175 ff. 27 Zum Vorschlagsrecht der stärksten Fraktion für das Amt des Bundestagspräsidenten vgl. insbesondere Bücker, ParlRPr, § 27, Rdnr. 2; Loewenberg, S. 175 ff. 22

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bezüglich eines Wahlvorschlages für den Präsidenten28 , zu Beginn des 10. Bundestages bezüglich einer Aussprache über die Rede des Alterspräsidenten (einschließlich Worterteilung und Festlegung der Redezeiten)29 und im 11. Bundestag bezüglich der Zulassung einer Debatte über palästinensische Flüchtlingslager im Libanon 3o•

- Leitung der konstituierenden Sitzung im übrigenlWahrung der Ordnung und Würde des Hauses: Neben den speziellen Kompetenzen, die für die Konstituierung wesentlich sind, nimmt der Alterspräsident auch solche wahr, die eher die allgemeine Sitzungsleitung betreffen. So unterbricht er beispielsweise die Sitzung für die Stimmauszählung anläßlich der Wahl des Präsidenten. Darüberhinaus wahrt er die Ordnung und Würde des Hauses durch seine Autorität und den Stil seiner Sitzungsleitung, ohne daß dieses jeweils an einzelnen Maßnahmen festzumachen wäre. - Übergabe des Amtes an den Bundestagspräsidenten: Unmittelbar im Anschluß an die Stimmauszählung gibt der Alterspräsident den Wahlausgang bekannt und fragt den gewählten Präsidenten, ob er die Wahl annehme; sodann übergibt er das Amt, indem er den Präsidenten auffordert, seinen Platz einzunehmen. - Glückwünsche an den Bundestagspräsidenten: In der Regel übermittelt der Alterspräsident anläßlich der Wahl und der Übergabe des Amtes die Glückwünsche des ganzen Hauses an den neuen Bundestagspräsidenten31 • Die Darstellung zeigt, daß der Alterspräsident eine Vielzahl von Kompetenzen wahrnimmt, die der Wahl des Bundestagspräsidenten dienen, teilweise aber auch nicht unmittelbar damit in Zusammenhang stehen. Bei der Erörterung der Kompetenzen, die der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan in der konstituierenden Sitzung des Bundestages wahrnimmt, soll nicht verkannt werden, daß ihm als Vertreter des Präsidenten nach § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT möglicherweise weitergehende oder andere zustehen. Auf diese soll im folgenden Kapitel eingegangen werden.

Alterspräsident Löbe, 1. Bundestag, 1. Sitzung 7.9.1949, StenBer., S. 3. Alterspräsident Brandt, 10. Bundestag, 1. Sitzung 29.3.1983, StenBer., S. 3 ff. 30 Alterspräsident Brandt, 11. Bundestag, 1. Sitzung 18.2.1987, StenBer., S. 1 ff. 31 Lediglich in der konstituierenden Sitzung des 1. und 5. Bundestages beglückwünschte der Alterspräsident den neugewählten Bundestagspräsidenten nicht; vgl. Alterspräsident Löbe, 1. Bundestag, 1. Sitzung 7.9.1949, StenBer., S. 1 ff.; Alterspräsident Adenauer, 5. Bundestag, 1. Sitzung 19.10.1965, StenBer., S. 1 ff. 28

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4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

11. Systematisierung und rechtliche Fundierung der Kompetenzen des Alterspräsidenten In Anlehnung an die Kompetenzen des Bundestagspräsidenten, die ihre Rechtsgrundlage teils in Art. 40 Abs. 2 GG, teils in der GOBT haben, ist zu untersuchen, inwieweit sich der Alterspräsident auf die gleichen oder ähnliche Kompetenzen berufen kann. Im Hinblick auf den Bundestagspräsidenten werden zur Systematisierung der von ihm wahrgenommenen Kompetenzen die Begriffe Hausrecht, Polizeigewalt, Ordnungsgewalt, Leitungskompetenz, Disziplinargewalt, Sitzungspolizei(gewalt) und Präsidialgewalt gebrauche 2 • Dabei ist häufig unklar, welche Einzelkompetenzen die genannten Begriffe jeweils erfassen und wie sie voneinander abgegrenzt werden können. So wird beispielsweise die Ordnungsgewalt als Oberbegriff von Leitungskompetenz, Hausrecht und Polizeigewalt verstanden 33 • Teilweise werden der Ordnungsgewalt die Teilbereiche Disziplinargewalt, Hausrecht und Polizeigewalt untergeordnee 4 • Andere setzen Ordnungs- und Disziplinargewalt gleich35 , wiederum andere verwenden die Begriffe Hausrecht und Polizeigewalt synonym36 • Auch werden die Ordnungsmiuel nach §§ 40 ff. GOBT unter der "Leitungsgewalt" zusammengefaße7 , oder Ordnungs- und Leitungskompetenz der Sitzungspolizei untergeordnee s. Es erscheint daher zweckmäßig, die genannten Begriffe inhaltlich zu bestimmen und mit Blick auf die oben· genannten Einzelbefugnisse zu systematisieren in die Leitungskompetenz (unten 1.), die Repräsentationskompetenzen (unten 2.), das Hausrecht (unten 3.), die Polizeigewalt (unten 4.) und die Ordnungsgewalt (unten 5.). 1. Die Leitungskompetenz

a) Inhaltliche Bestimmung

Die inhaltliche Bestimmung der Leitungskompetenz des Alterspräsidenten hat von dem für den Bundestagspräsidenten entwickelten Begriff der Leitungskompetenz auszugehen. Überwiegend wird eine nähere Bestimmung durch eine bloße Aufzählung der einzelnen Leitungsmaßnahmen des Vgl. Rothaug, S. 58. Vgl. Rothaug, ebd. 34 Ritzel/Bücker, § 7 Anm. I 2 e)-Il d). 35 v. Mangoldt/Klein, Art. 40, Rdnr. 65; Böttcher, S. 90, Fn. 3; Hatschek, Parlamentsrecht, S. 210. 36 Spengler, S. 56. 37 Schäfer, S. 212; Hamann/l.enz, Art. 40 Anm. B4, S. 460. 38 MDH/Maunz, Art. 40, Rdnr. 12 f. 32 33

A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen

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Bundestagspräsidenten umschrieben 39 . Zentrale Vorschriften sind insoweit die §§ 7 Abs. 1 Satz 2, 21, § 22 Satz 1, 23, 25 Abs. 1, 27 28 Abs. 1, 45 Abs. 2, 127 Abs. 1 GOBT. Danach eröffnet, leitet und schließt der Bundestagspräsident die Sitzungen (§ 22 Satz 1 GOBT), fördert die Arbeiten des Bundestages und leitet die Verhandlungen gerecht und unparteiisch (§ 7 Abs. 1 Satz 2 GOBT). Desweiteren beeinhaltet die Leitungskompetenz beispielsweise das Recht, Sitzungen einzuberufen und die Tagesordnung festzusetzen (§ 21 GOBT), die Aussprache zu eröffnen und zu schließen (§§ 23 und 25 Abs. 1 GOBT), das Wort zu erteilen (§ 27 GOBT), die Reihenfolge der Redner zu bestimmen (§ 28 Abs. 1 GOBT), Abstimmungen auszusetzen (§ 45 Abs. 2 GOBT) und Entscheidungen über die Auslegung der GOBT im Einzelfall zu treffen (§ 127 Abs. 1 GOBT)4o. Die Leitungskompetenz des Bundestagspräsidenten ist nicht darauf beschränkt, Maßnahmen zur Gewährung des geschäftsordnungsmäßigen und sachgerechten Verhandlungsablaufs unter verfahrenstechnischen Gesichtspunkten zu ergreifen41 . Vielmehr zielt sie auf einen konstruktiven und effizienten Verlauf der Beratung und damit auf die Qualität der parlamentarischen Arbeit. Insbesondere kann der Bundestagspräsident einschreiten, wenn sich die Verhandlung zwar noch auf einer ruhigen und sachlichen Ebene bewegt, aber eine in seinen Augen zielstrebigere und zweckmäßigere Sachbehandlung möglicht ist42 . Inwieweit der Alterspräsident die gleiche Leitungskompetenz wie der Bundestagspräsident beanspruchen kann, hängt von der Rechtsgrundlage ab, auf die sich der Alterspräsident zur Leitung der konstituierenden Sitzung berufen kann. b) Rechtsgrundlage

Welches ist aber nun die Rechtsgrundlage, auf die sich der Alterspräsident bei der Leitung der konstituierenden Sitzung tatsächlich berufen kann? Zum Tei1 43 ist man der Ansicht, daß die Kompetenzen des Alterspräsidenten allein auf verfassungsrechtlicher Ebene rechtswirksam begründet werden können, um die Diskontinunität der Geschäftsordnung und etwaiges Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht zu überbrücken. Andere44 meinen, daß 39 Rothaug, S. 64; Ritzel/Bücker, § 7, Anm. I 2 d) Hatschek, Parlamentsrecht, S. 210 f. 40 Vgl. Ritzel/Bücker, § 7, Anm. I 2 d. 41 Vgl. Rothaug, S. 64; Kleinschnittger, S. 80. 42 Vgl. Rothaug, S. 64. 43 Rothaug, S. 95. 44 Kleinschnittger, S. 20 m. w. Nw.

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4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

mit der Anerkennung der Amtsführung des Alterspräsidenten die GOBT des vorhergehenden Bundestages stillschweigend übernommen werde und der Alterspräsident dann mit den Kompetenzen des Bundestagspräsidenten ausgestattet sei, bis dieser das Amt übernehme. Schließlich hält man die Leitung der konstituierenden Sitzung durch den Alterspräsidenten bis zur Wahl des Bundestagspräsidenten für einen parlamentarischen Brauch45 • Die Leitungskompetenz des Alterspräsidenten ist ausdrücklich in § 1 Abs. 2 GOBT angesprochen, wonach in der ersten Sitzung des Bundestages das an Jahren älteste oder, wenn es ablehnt, das nächstälteste Mitglied des Bundestages den Vorsitz führt, bis der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt. Aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 GOBT ergibt sich unmittelbar, daß der Alterspräsident den Vorsitz des Bundestages bis zur Übernahme des Amtes durch den Präsidenten oder einer seiner Stellvertreter führt. Eng verbunden mit dem Vorsitz ist die Leitungskompetenz des Alterspräsidenten. Diese wird zwar nicht ausdrücklich genannt, ergibt sich aber aus seiner Aufgabe, die Verhandlung zu leiten und die Wahl des Bundestagspräsidenten herbeizuführen46 • Hätte der Alterspräsident die Leitungskompetenz nicht, so hätte er keine Macht, seine Aufgabe zu erfüllen. Dies würde bedeuten, daß die in § 1 Abs. 2 GOBT zum Ausdruck gebrachte Regelung wirkungslos wäre, was weder vom Geschäftsordnungsgeber noch vom Verfassungsgeber gewollt sein kann. Die Berufung des Alterspräsidenten zur Begründung seiner Leitungskompetenz auf § 1 Abs. 2 GOBT setzt voraus, daß diese Vorschrift im Zeitpunkt der Eröffnung der konstituierenden Sitzung überhaupt anwendbar ist. Die GOBT des vorhergehenden Bundestages kann jedoch den nachfolgenden Bundestag nicht binden, solange noch kein (vorläufiger) Übernahmebeschluß durch den neugewählten Bundestag gefaßt wurde. Da ein Übernahmebeschluß bezüglich der vorhergehenden GOBT der Eröffnung der Sitzung jedoch logisch erst nachfolgen kann, liegt zu Beginn der konstituierenden Sitzung noch keine Rechtsgrundlage in Form der GOBT vor. Ausnahmsweise kann die Leitungskompetenz aber dann gegeben sein, wenn man in der widerspruchslosen Hinnahme der Eröffnung der konstituierenden Sitzung durch die Gesamtheit der Abgeordneten eine Unterwerfung unter die Verhandlungsleitung des Alterspräsidenten sähe. Für diesen Fall wird man eine konkludente Übernahme von § lAbs. 2 GOBT und damit eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Leitungskompetenz des Alterspräsident~n sehen können47• 4S 46 47

v. Münch/Versteyl, Art. 39, Rdnr. 33. Vgl. Ritzel/Bücker, § 7, Anm. I 2 d für den Bundestagspräsidenten. Rothaug, S. 69, 95.

A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen

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Es kann daher festgestellt werden, daß der Alterspräsident nach einer wenigstens konkludenten (vorläufigen) Übernahme der GOBT sich auf § 1 Abs. 2 GOBT zur Leitung der konstituierenden Sitzung berufen kann, bis der neugewählte Bundestagspräsident die Sitzungsleitung übernimmt, soweit dies für die Wahl des definitiven Bundestagspräsidenten erforderlich ist. Es ist jedoch der Fall denkbar, daß ein Abgeordneter aus der Mitte des Bundestages heraus der Eröffnung der Sitzung durch den Alterspräsidenten widerspricht. Dann kann nicht mehr von einem konkludenten Beschluß zur Übernahme von § 1 Abs. 2 GOBT ausgegangen werden, so daß ein förmlicher Mehrheitsbeschluß über die Kompetenz des vorläufigen Leitungsorgans zur Eröffnung der Sitzung erfolgen müßte. Ein derartiger Beschluß wäre rechtlich jedoch dann entbehrlich, wenn sich der Alterspräsident beispielsweise auf eine verfassungsrechtliche Kompetenzzuweisung zur Leitung der konstituierenden Sitzung berufen könnte. Wäre dies der Fall, dann handelt es sich bei § 1 Abs. 2 GOBT um eine deklaratorische Regelung einer verfassungsrechtlichen Norm. Eine grundgesetzliche Regelung, die dem Alterspräsidenten die Kompetenz zur Leitung der konstituierenden Sitzung ausdrücklich zuweist, liegt nicht vor48 . Auch die Leitungskompetenz des Bundestagspräsidenten ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich geregelt49 • Gleichwohl findet die Leitungskompetenz des Bundestagspräsidenten ihre Rechtsgrundlage in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG, da der Bundestagspräsident dort institutionalisiert und im Hinblick auf die Regelung der Geschäftsordnungsautonomie in Satz 2 ein Sachzusammenhang hergestellt wird, der die Steuerung des geschäftsordnungsmäßigen Verfahrens durch den Bundestagspräsidenten als selbstverständlich unterstellt5o • Auch hier ist wieder die Intention des Grundgesetzgebers erkennbar, Verfahrensregelungen in Bezug auf den Bundestag nur insoweit ins Grundgesetz aufzunehmen, als sie unbedingt erforderlich sind 51. Möglicherweise könnte eine grundgesetzliche Begründung auch der Leitungskompetenz des Alterspräsidenten in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG gesehen werden. Art. 40 Abs. 1 Satz I GG ordnet an, daß der Bundestag seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer wählt. Wenn auch nicht ausdrücklich genannt, so setzt Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG doch voraus, 48 Anders z. B. Art. 44 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung des Freistaates Sachsen:,,Die erste Sitzung wird vom Alterspräsidenten einberufen und bis zur Wahl des Landtagspräsidenten geleitet." 49 Vgl. Rothaug, S. 64. 50 Rothaug, S. 64; RitzellBücker, § 7 Anm. I 2 d). 51 Rothaug, S. 63 m. w. Nw.; Wahl, S. 106; v. MangoldtlKlein, Art. 40. Anm. I; v. DoemminglFüssleinlMatz. JöR n. F. I (1951), S. 359.

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4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

daß es für die Präsidentenwahl einer vorläufigen Leitung bedarf. Anders wäre eine Wahl nicht durchführbar, Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG würde sonst leerlaufen, was vom Grundgesetzgeber nicht gewollt sein konnte. Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG blickt auf eine lange Tradition zurück. So formulierte bereits Art. 77 Abs. 1 Satz 2 der oktroyierten Verfassung vom 5.12.1848/Art. 78 Abs. 1 Satz 2 der Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31.1.1850: ,,sie (die Kammer, d.Verf.) regelt ihren Geschäftsgang und ihre Disziplin durch eine Geschäftsordnung und erwählt ihren Präsidenten, ihre Vizepräsidenten und Schriftführer." § 1 Abs. 1 der Geschäftsordnung der zweiten Kammer des Preußischen Landtages vom 28.3.1849 sah daraufhin vor: "Nach der Eröffnung der Kammer (... ) tritt die Kammer unter dem Vorsitze ihres ältesten Mitgliedes zusammen." Legt man diese Tradition zugrunde, als im Parlamentarischen Rat über die Formulierung des Grundgesetzes beraten wurde, und stellt man ferner fest, daß Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG zu den wenigen Vorschriften des GG gehörte, über die im Parlamentarischen Rat kaum gestritten wurde52 , so fragt sich, ob mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes und damit des Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG nicht die mit den vorhergehenden verfassungsmäßigen Regelungen der Präsidentenwahl verbundenen Vorstellungen im Grundgesetz rezipiert worden sind. Zur Frage der Auslegung der GOBT hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß insoweit auf die parlamentarische Tradition zurückzugreifen ist53 • Überträgt man diese Auslegungspraxis auf Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG, so ist ihm jedenfalls zu entnehmen, daß der Grundgesetzgeber von der Vorstellung eines vorläufigen Leitungsorgans mit den bislang wahrgenommenen und für die Wahl des Bundestagspräsidenten erforderlichen Kompetenzen ausgegegangen ist. Daher kann davon ausgegangen werden, daß der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan grundsätzlich nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG die Kompetenz zur Leitung der konstituierenden Sitzung zugewiesen ist. Fraglich könnte jedoch sein, ob der Alterspräsident für die konstituierende Sitzung die Leitungskompetenz im gleichen Umfang in Anspruch nehmen kann, wie sie die Geschäftsordnung für den Bundestagspräsidenten und seine Stellvertreter vorsieht. Dies erscheint insoweit zweifelhaft, als der Alterspräsident im Gegensatz zum gewählten Bundestagspräsidenten nur einen zeitlich befristeten Auftrag zu erfüllen hat. Während der Bundestagspräsident allgemein auf eine sachgerechte Verhandlungsleitung hinzuwirken hat, damit der Bundestag seinen legislativen und gewaltenkontrollierenden Verfassungsauftrag wahrnehmen kann, ist es Aufgabe des Alterspräsidenten als vorläufiges Leitungsorgan, 52

53

Vgl. BK/Dach, Art. 40, Rdnr. 1. Vgl. BVerfGE 44, 308 (314).

A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen

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die Wahl des Bundestagspräsidenten zu gewährleisten. Dieser konkrete Auftrag an den Alterspräsidenten führt im Hinblick auf das in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte demokratische Prinzip der Volkssouveränität zu einer zweckgebundenen Beschränkung seiner Leitungskompetenz führen. Für den Alterspräsidenten bedeutet dies, daß er entsprechend seinem Auftrag nur insoweit auf die Leitungskompetenz zurückgreifen kann, als dies für die Herbeiführung der Präsidentenwahl erforderlich ist. Als Zwischenergebnis kann daher festgehalten werden, daß der Alterspräsident sich grundsätzlich auf eine verfassungsrechtliche Kompetenzzuweisung nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG zur Leitung der konstituierenden Sitzung berufen kann. Diese ist aber auf die zur Wahl des Bundestagspräsidenten unabdingbar erforderlichen Leitungsmaßnahmen beschränkt. Im folgenden ist daher auf die einzelnen Leitungsmaßnahmen, wie sie von den Alterspräsidenten der bisherigen Bundestage wahrgenommen wurden, näher zu untersuchen. c) Die Leitungsmaßnahmen des Alterspräsidenten im einzelnen

Dem Begriff der Leitungskompetenz lassen sich von den oben genannten tatsächlich wahrgenommenen Kompetenzen des Alterspräsidenten die Frage nach dem ältesten Abgeordneten, die Eröffnung der konstituierenden Sitzung, die Entscheidung über die vorläufigen Verfahrensregelungen, die Ernennung der vorläufigen Schriftführer, der Namensaufruf, die Feststellung der Beschlußfähigkeit, die Leitung der Wahl des Bundestagspräsidenten und die Erteilung des Wortes zur Geschäftsordnung zuordnen. aa) Die Frage nach dem ältesten Abgeordneten Mit der Frage nach dem ältesten Abgeordneten verschafft sich der älteste Abgeordnete die Sicherheit, daß er tatsächlich der rechtmäßige Organwalter ist. Eine eigentliche Kompetenz des Alterspräsidenten übt er damit nicht aus; vielmehr zielt die Frage darauf ab, ihm als Organwalter den Status zu bestätigen, der ihm die mit dem vorläufigen Leitungsorgan verbundenen und erforderlichen Kompetenzen verleiht. Dieses Verständnis spiegelt sich auch in der Parlamentspraxis wieder: es ist die erste Amtshandlung des Alterspräsidenten, um im Anschluß daran die konstituierende Sitzung zueröffnen. Für den Fall, daß der Fragende nicht der älteste anwesende Abgeordnete ist, wird ihm mit der widerspruchslosen Hinnahme der Altersfrage durch das Plenum der Status des Alterspräsidenten stillschweigend und konstitutiv übertragen 54 •

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4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

Für die Stellung der Altersfrage bedarf es keiner besonderen Kompetenzzuweisung; sie ist vielmehr Teil des Rechts eines jeden Abgeordneten aus Art. 38 Abs. I Satz 2 GG auf Mitwirkung an der Beratung und Beschlußfassung des Bundestages, insbesondere in der parlamentarischen Versammlung das Wort zu ergreifen55 • bb) Die Eröffnung der konstituierenden Sitzung Nachdem der Alterspräsident sich seiner Kompetenz zur Leitung der konstituierenden Sitzung durch die Frage nach dem Vorhandensein eines älteren Abgeordneten vergewissert hat, eröffnet er die konstituierende Sitzung des Bundestages. Dies ist bislang ausnahmslos durch ausdrückliche Erklärung erfolgt56• Abgesehen davon käme auch eine konkludente Eröffnung der Sitzung, etwa durch Einnahme des Präsidentenstuhles, durch Betätigung der Glocke oder durch Ingangsetzen der Sitzung nach der Tagesordnung in BetrachtS7 • Die Eröffnung der konstituierenden Sitzung durch den Alterspräsidenten hat nicht nur parlamentsinterne Wirkung, sondern darüberhinaus auch eine verfassungsrechtliche: Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG schreibt vor, daß die Wahlperiode mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages endet. Unter Zusammentritt ist dabei die Versammlung der Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung zu verstehen58 • Desweiteren erwerben auch die Mitglieder des neugewählten Bundestages ihre Mandate erst mit dem Ende der vorhergehenden Wahlperiode (§ 45 BWahIG). Fraglich ist daher, ob der Alterspräsident die Kompetenz besitzt, die konstituierende Sitzung zu eröffnen. Teilweise59 wird die Ansicht vertreten, daß die erforderliche Rechtsgrundlage in § 1 Abs. 2 GOBT zu sehen sei. Dies ist insoweit zweifelhaft, als die GOBT im Zeitpunkt der Eröffnung der konstituierenden Sitzung noch keine Geltungskraft besitzt. In Betracht kommt daher allenfalls eine konkludente Übernahme von § 1 Abs. 2 GOBT durch widerspruchslose Hinnahme der Erklärung des Alterspräsidenten, daß die Sitzung eröffnet sei. 54 So geschehen anläßlich der konstituierenden Sitzung des 2. bis 4. Bundestages, als Adenauer zwar ältester Abgeordneter war, aber als amtierender Bundeskanzler aus Gründen der Inkompatibilität das Amt dem nächstältesten Abgeordneten überließ. 55 Vgl. Badura, ParlRPr, § 15, Rdnr. 36; Achterberg, Parlamentsrecht, S. 259 ff.; Klein, HStR 11, § 41, Rdnr. 30 ff.; Rothaug, S. 109 ff. m. w. Nw. 56 Köhler, ZParl 22 (1991), S. 181. 57 Köhler, ZParl 22 (1991), S. 181; Ritzel/Bücker, § 22, Anm. I. 58 MDH/Klein, Art. 39 GG, Rdnr. 40. 59 Köhler, ZParl 22 (1991), S. 181.

A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen

129

Möglicherweise bedarf es dieser Konstruktion aber dann nicht, wenn der Alterspräsident sich auf eine grundgesetzliche Rechtsgrundlage berufen kann, so daß insoweit § lAbs. 2 GOBT lediglich eine deklaratorische Funktion zukäme. Nachdem bereits festgestellt wurde, daß der Alterspräsident grundsätzlich die Kompetenz besitzt, nach Art. 40 Abs. I Satz I GG die konstituierende Sitzung bis zur Übernahme des Amtes durch den definitiv gewählten Präsidenten zu leiten, stellt sich hier die Frage, ob die Eröffnung der konstituierenden Sitzung für die Wahl des Bundestagspräsidenten unabdingbar erforderlich ist. Nicht nur der Blick auf § 22 Satz I GOBT, wonach der Präsident die Sitzungen eröffnet, leitet und schließt, sondern auch die Tatsache, daß die Wahl des Bundestagspräsidenten ohne eine formelle Eröffnung der Sitzung nicht stattfinden kann, zeigen, daß die Eröffnung der konstituierenden Sitzung für die Wahl des Bundestagspräsidenten unabdingbar ist. Mit der Kompetenz zur vorläufigen Leitung der konstituierenden Sitzung aus Art. 40 Abs. I Satz I GG ist dem Alterspräsident daher auch die Kompetenz zur Eröffnung der konstituierenden Sitzung übertragen60 . cc) Die Entscheidung über die vorläufigen Verfahrensregelungen Wesentlich für die Funktionsfähigkeit des Bundestages ist die Installation der Regeln, nach denen der Bundestag die ihm verfassungsmäßig zufallenden Aufgaben - wenigstens vorläufig - erledigen kann61 • Da die GOBT nach dem Grundsatz der Diskontinuität zunächst keine "Geltungskraft für den neugewählten Bundestag besitzt, bedarf es eines Beschlusses, mit dem sie vorläufig oder defintiv vom bisherigen Bundestag übernommen wird. Vorläufig bedeutet in diesem Zusammenhang, daß ihre Geltung bis zu einem Übernahmebeschluß, einer Änderung bzw. bis zu einer grundsätzlichen Revision auflösend bedingt ist. Soll sie definitiv übernommen werden, so kann dies auf zwei verschiedene Weisen geschehen: einerseits durch einen generellen Übernahmebeschluß, andererseits durch tatsächliche Anwendung der einzelnen Geschäftsordnungsbestimmungen, die zu einer konkludenten sukzessiven Übernahme der GOBT führt. Beide Verfahren" sind rechtlich nicht zu beanstanden62 , wenn auch das Herbeiführen eines generellen Übernahmebeschlusses über die vorläufige Fortgeltung der GOBT zweckmäßiger erscheint. Dies zum einen, um sich u. U. schwierige 60 61

Ritzel/Bücker, § 7, Anm. 12 d; vgl. auch § 22 GOßT. Troßmann, GOßT, § I, Rdnr. 7,6, hält die Frage, nach welchen Geschäftsord-

nungsvorschriften mindestens für die erste Sitzung verfahren werden soll, für die zunächst wichtigste. 62 Vgl. Köhler, ZParl 22 (1991), S. 181. 9 Klapp

130

4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

Geschäftsordnungsdebatten im Plenum zu ersparen, andererseits aber auch, um über eine dem Gebot der Rechtsklarheit und Sicherheit entsprechende Rechtsgrundlage zu verfügen, die bereits parlamentarische Tradition besitzt und somit die beste Gewähr für eine optimale Ausgestaltung des parlamentarischen Verfahrens bietet. Dennoch ist der Bundestag nicht gezwungen, sich sofort eine Geschäftsordnung zu geben. Ferner könnte fraglich sein, ob der Alterspräsident überhaupt einen Beschluß des Bundestages herbeiführen kann, ohne daß die Beschlußfähigkeit positiv festgestellt wurde 63 . Die widerlegbare Vermutung des § 45 Abs. I GOBT, wonach der Bundestag beschlußfähig ist, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend sind, kann wegen (noch) fehlender Geltungskraft der GOBT ebenfalls nicht wirksam werden. Wie aber soll die Beschlußfähigkeit festgestellt werden, wenn das Verfahren dazu selbst einen Beschluß erfordert? Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß die Regelung der Beschlußfähigkeit als parlamentsinterne Angelegenheit dem Bundestag selbst zur Regelung vorbehalten sei64 . Insoweit wird man sagen können, daß der Bundestag auch ohne Anwendung von § 45 Abs. 1 GOBT als beschlußfähig gelten kann, falls die Beschlußunfähigkeit nicht gerügt wird. Der Alterspräsident führt die Entscheidung über die anzuwendenden Verfahrensregelungen in aller Regel dadurch herbei, daß er die bisherige GOBT für vorläufig anwendbar erklärt bzw. auf eine entsprechende interfraktionelle Vereinbarung hinweist und dieses vom Plenum widerspruchslos hingenommen wird 65 . Soweit davon gesprochen wird, daß der (vorläufige) Beschluß einer Geschäftsordnung einer parlamentarischen Übung entspreche66, ist darin eher ein Hinweis auf ein tatsächliches Geschehen zu sehen, nicht jedoch eine Kompetenzzuweisung. Da diese Maßnahme des Alterspräsidenten der Beschlußfassung über die GOBT vorgelagert ist, kann er sich auch nicht auf die GOBT als Rechtsgrundlage berufen. Denkbar ist jedoch wiederum, daß mit der widerspruchslosen Hinnahme des Vorschlags, die GOBT des bisherigen Bundestags für vorläufig anwendbar zu erklären, auch die Kompetenz des Alterspräsidenten, diese Entscheidung herbeizuführen, nachträglich gebilligt wird. Gleichwohl muß festgestellt werden, daß der Alterspräsident jedenfalls nicht nach der GOBT zuständig ist, eine Entscheidung über die vorläufigen Verfahrensregelungen für die konstituierende Sitzung herbeizuführen. 63 64

6S 66

Schwerin, S. 120. BVerfGE 44, 308 (314 f.). Köhler, ZParl 22 (1991), S. 18l. Vgl. Ritzel/Bücker, § I, Anm. 11 c).

A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen

BI

Nachdem bereits festgestellt wurde, daß die Leitungskompetenz des Alterspräsidenten bereits aus Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG folgt, könnte auch die Kompetenz zur Herbeiführung eines Beschlusses über die Verfahrensregeln darauf zurückzuführen sein. Wenn dort das Verfahren zur Wahl des Bundestagspräsidenten angeordnet ist, so wird damit auch das Erfordernis von Verfahrensregelungen anerkannt, da ohne Verfahrensregeln - und ohne Leitungsorgan - ein Wahlverfahren nicht denkbar ist. Soweit keine ausdrücklichen grundgesetzlichen Regelungen zur Wahl des Bundestagspräsidenten vorhanden sind, gilt auch hier, daß deren Regelung nach dem Grundsatz der Geschäftsordnungsautonomie aus Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG dem Bundestag selbst vorbehalten bleiben sollte. Wer anders als der Alterspräsident sollte aber in der Lage sein, den Beschluß über die erforderlichen Verfahrensregelungen herbeizuführen? Die Rechtsgrundlage für die Herbeiführung eines Beschlusses über die Geltung der vorläufigen Verfahrens vorschriften ergibt sich somit aus Art. 40 Abs. 1 GG. dd) Die Ernennung der vorläufigen Schriftführer Zur Unterstützung der mehr technischen Abwicklung der konstituierenden Sitzung ernennt der Alterspräsident in der Regel nach einer interfraktionellen Vereinbarung67 die vorläufigen Schriftführer, die ihn insbesondere beim Narnensaufruf und der Stimmauszählung unterstützen. Der Alterspräsident ist hinsichtlich der Berufung der vorläufigen Schriftführer frei und auch an vorhergehende interfraktionelle Absprachen rechtlich nicht gebunden68 • Die vorläufigen Schriftführer unterstehen nach Maßgabe von § 9 GOBT der Weisungsbefugnis des Alterspräsidenten und haben die dort beschriebenen Funktionen wahrzunehmen. Ihr Amt endet mit dem Amtsantritt der nach § 3 GOBT gewählten endgültigen Schriftführer69 . Ursprünglich und entsprechend französischem Vorbild wurden die jüngsten Abgeordneten zu Schriftführern berufen, quasi als Gegenstück zum Alterspräsidenten7o . Diese Praxis wurde aber bereits 1869 wieder aufgege67 Vgl. Alterspräsident Löbe, 1. Bundestag, 1. Sitzung, 7.9.1949, StenBer., S. 4; Ritzel/Bücker, § I, Anm. 11 c; Köhler, ZParl 22 (1991), S. 181 f. 68 Köhler, ZParl 22 (1991), S. 181 f. 69 Köhler, ZParl 22 (1991), S. 182. 70 Durch den Beschluß des Reichtages des Norddeutschen Bundes vom 12.5.1869 wurde die den vorläufigen Schriftführern ursprünglich zugestandene Freiheit, ihr Amt an den nächstältesten Abgeordneten abzugeben (§ lAbs. 4 GO des Reichstages des Norddeutschen Bundes) beseitigt und ist seitdem in den Geschäftsordnungen der deutschen Zentralparlarnente nicht mehr vorhanden. 9·

132

4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

ben71 • Lediglich der Bayerische Landtag hat diese Regelung weiter beibehalten72 • Mit der Ernennung durch den Alterspräsidenten werden einerseits den einzelnen Abgeordneten besondere Pflichten auferlegt, andererseits dem. Plenum Abgeordneten als Funktionsträger gegenübergestellt, die von ihm nicht gewählt sind. Soweit das Verhältnis Schriftführer zu Plenum betroffen ist, ergibt sich kein besonderer Regelungsbedarf, da die Schriftführer gegenüber dem Plenum keine originären Kompetenzen besitzen. Die erforderliche Rechtsgrundlage ist in § lAbs. 3 Satz I GOBT gegeben, wonach der Alterspräsident Mitglieder des Bundestages zu vorläufigen Schriftführern zu ernennen hat. Voraussetzung ist jedoch auch hier, daß die GOBT wenigstens vorläufig in Kraft gesetzt wurde. Im Hinblick darauf, daß der Alterspräsident diese Kompetenz nur besitzt, soweit es für die Konstituierung des Bundestages erforderlich ist, beschränkt sich die Zahl der zu benennenden Schriftführer auch nur auf die zur Leitung der konstituierenden Sitzung erforderlichen. Ob darüberhinaus - etwa bei fehlender vorläufiger Übernahme der GOBT - eine Kompetenz zur Ernennung von vorläufigen Schriftführern in anderen Rechtsquellen erblickt werden kann, erscheint fraglich. Teilweise wird behauptet, daß die Ernennung der vorläufigen Schriftführer zu den wesentlichen Aufgaben des vorläufigen Leitungsorgans gehört73 , da das vorläufige Leitungsorgan seinen verfassungsmäßigen Auftrag nur dann sachgerecht erfüllen kann, wenn ihm helfende Schriftführer zur Seite gestellt werden. Andererseits ist es durchaus denkbar, wenn auch nicht besonders zweckmäßig, daß der Alterspräsident die Handlungen, die bis zur Präsidentenwahl erforderlich sind, alleine vornimmt (etwa den NamensaufruO. In der Praxis haben sich in diesem Punkt keine Komplikationen ergeben, so daß im Zweifel der Bundestag der Befugnisverlagerung vom Alterspräsidenten auf die vorläufigen Schriftführer jeweils konkludent zugestimmt hat. Im Ergebnis wird man daher davon auszugehen haben, daß der Alterspräsident sich bei der Berufung der vorläufigen Schriftführer auf eine konkludente Übernahme des § lAbs. 3 GOBT berufen kann.

71 Durch den o.g. Beschluß des Reichstages des Norddeutschen Bundes vom 12.5.1869 wurde die in § 1 Abs. 3 seiner GO vorgesehene Bestimmung, die vier jüngsten Neumitglieder hätten das Amt eines vorläufigen Schriftführers zu übernehmen, durch das freie Bestimmungsrecht des Alterspräsidenten ersetzt; Köhler, ZParl 22 (1991), S. 181 f.; vgl. Synopse im Anhang. 72 § 1 Abs. 2 GO-BayLT (s. Synopse im Anhang). 73 Bleek, HDParl, S. 27.

A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen

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ee) Der Namensaufruf und die Feststellung der Beschlußfähigkeit Der Namensaufruf der Abgeordneten dient traditionell der Feststellung, welche und wieviele Abgeordnete anwesend sind. Der Namensaufruf an sich ist schlicht tatsächliches Handeln, ohne daß unmittelbar rechtliche Konsequenzen mit ihm verbunden wären. Er ist jedoch Voraussetzung für die Feststellung der Beschlußfähigkeit des Parlamentes. Insoweit trifft die Abgeordneten eine Obliegenheit, an dem Namensaufruf mitzuwirken, indem sie ihre Anwesenheit kundgeben. Rechtsgrundlage für die Vornahme des Namensaufrufes ist § 1 Abs. 3 Satz 2 GOBT, soweit die GOBT (vorläufig) u. U. auch konkludent übernommen wurde. Darüber hinaus wird man die Vornahme des Namensaufrufes als Voraussetzung für die Feststellung der Beschlußfahigkeit aber auch als wesentliche Aufgabe des vorläufigen Leitungsorgans74 ansehen müssen, so daß sie der grundgesetzlich begründeten Leitungskompetenz des Alterspräsidenten zuzurechnen ist. Der Alterspräsident ist somit nach § 1 Abs. 3 Satz 2 GOBT bzw. nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG für die Durchführung des Namensaufrufes zuständig. ff) Die Leitung der Wahl des Bundestagspräsidenten Daß die Wahl des Präsidenten, der Stellvertreter und der Schriftführer unmittelbar im Anschluß an die Feststellung der Beschlußfahigkeit vorzunehmen ist, regelt § 1 Abs. 4 GOBT. Die eigentliche Aufgabe des Alterspräsidenten ist die Leitung der Wahl des definitiven Präsidenten75. Auf diese Wahl sind sämtliche Kompetenzen des Alterspräsidenten ausgerichtet. Obwohl die Wahl der Stellvertreter und Schriftführer in § 1 Abs. 4 ausdrücklich angesprochen ist und § 1 mit der Überschrift "Konstituierung" versehen ist, zeigt die ständige Praxis im Deutschen Bundestag, daß deren Wahl vom definitiven Bundestagspräsidenten vorgenommen wird, nachdem dieser das Amt vom Alterspräsidenten übernommen hat. Insoweit zählt die Wahl der Stellvertreter und Schriftführer nicht mehr zur Konstituierung des Bundestages im eigentlichen Sinne. Die Anordnung der Präsidentenwahl im unmittelbaren Anschluß an die Feststellung der Beschlußfahigkeit deutet dabei darauf hin, daß die Wahl zum frühestmöglichen Zeitpunkt vorzunehmen ist. Insoweit kann festgehal74

7S

Bleek, ebd. Bleek, HDParl, S. 27.

134 .

4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

ten werden, daß der Handlungsspielraum des Alterspräsidenten für die Gestaltung des Verfahrens bis zur Präsidentenwahl eingeschränkt ist. gg) Die Erteilung des Wortes zur Geschäftsordnung Verschiedentlich hat der Alterspräsident Abgeordneten das Wort zur Geschäftsordnung erteilt. Ob der Alterspräsident im Rahmen seiner allgemeinen Sitzungsleitungskompetenz auch die Möglichkeit hat, Anträge zur Geschäftsordnung zuzulassen, wurde bereits im 2. Reichstag der Weimarer Republik durch den Zentrums-Abgeordneten Fehrenbach bezweifelt, als Abgeordnete der Kommunistischen Partei versuchten, die Konstituierung des Reichstages zu sabotieren, den sie als Instrument des von ihnen bekämpften deutsch-nationalen Bürgertums76 verstanden: " ... Also zunächst wird die Beschlußfähigkeit festgestellt - das ist geschehen -, und dann ist der Vorstand zu wählen. Zwischenhinein darf nichts geschehen. Das steht bombenfest, dagegen können Sie (die Abgeordneten der KP, d. Verf.) nicht aufkommen. Ich bitte den verehrten Herrn Alterspräsidenten, zur Wahrung der Geschäftsordnung keine weiteren Diskussionen und Anträge mehr zuzulassen, sondern sich an diese bestimmte Weisung der Geschäftsordnung zu halten und nunmehr anzuordnen, wann der Vorstand gewählt wird.,,77

Für die Praxis des Bundestages ist bei wenigstens vorläufig in Kraft getretener GOBT auf § 1 Abs. 4 GOBT zurückzukommen, der die Wahl des Präsidenten nach der Feststellung der Beschlußfähigkeit vorschreibt. Hieran hat sich auch der Alterspräsident zu halten, indem er das ihm Mögliche unternimmt, die Wahl des definitiven Präsidenten sobald wie möglich herbeizuführen. Das Wort zur Geschäftsordnung kann er nur erteilen, soweit es einer zügigen Konstituierung nicht zuwiderläuft. Ist die GOBT bereits (vorläufig) in Kraft gesetzt, ergibt sich die Rechtsgrundlage aus § 29 GOBT. Da es sich bei der Worterteilung zur Geschäftsordnung naturgemäß um Fragen des parlamentsinternen Verfahrens geht, genügt auch eine Regelung in der GOBT. Fraglich könnte aber sein, ob in der Phase der Konstituierung des Bundestages das Recht zur Erteilung des Wortes zur Geschäftsordnung wegen der Besonderheiten der Konstituierung und dem Interesse an einer zügigen Konstituierung eingeschränkt sein könnte. Es ist jedoch regelmäßig vor Erteilung des Wortes zur Geschäfts76 Vgl. den Hinweis des KP-Abgeordneten Thä/mann, daß die kommunistische Fraktion die Geschäftsordnung eines bürgerlichen Parlaments als nicht bindend betrachtet; H. Reichstag, 1. Sitzung 27.5.1924, StenBer., S. 6; ebenso KP-Abgeordneter Koenen an das Plenum, ebd., S. 8: "Wir sind sehr damit einverstanden, daß Sie sich kein Präsidium wählen. Wir brauchen dieses Reichstagspräsidium nicht." 77 H. Reichstag, 1. Sitzung 27.5.1924, StenBer., S. 5; anderer Ansicht Abgeordneter v. Graefe, ebd.

A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen

135

ordnung nicht erkennbar, inwieweit ein Antrag bzw. eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung dem Ziel einer zügigen Konstituierung dient bzw. dies nicht tut. Insoweit ist davon auszugehen, daß der Alterspräsident entsprechend § 29 GOBT grundsätzlich das Wort zur Geschäftsordnung zu erteilen hat. Erst in den Fällen, in denen die Wortmeldungen zur Geschäftsordnung das Konstituierungsverfahren offensichtlich verzögern bzw. beeinträchtigen sollen, erscheint es gerechtfertigt, diese Anträge bzw. Wortmeldungen als rechtsmißbräuchlich zurückzuweisen und die Worterteilung zu verweigern. Der Alterspräsident darf folglich das Wort zur Geschäftsordnung nur erteilen, soweit es sich auf den Konstituierungsvorgang bezieht; das Wort zur Sache kann der Alterspräsident nicht erteilen, da der Bundestag ohne konstituiert zu sein, nicht in der Lage ist, andere Aufgaben zu erledigen78 • d) Zusammenfassung: Die Konstituierungskompetenz

Der Begriff der "Konstituierungskompetenz" ist bislang in der Literatur soweit ersichtlich - nicht verwendet worden. Hierunter sollen die Eiqzelkompetenzen des Alterspräsidenten zusammengefaßt werden, die für den Konstituierungsprozeß unverzichtbar sind. Dies sind z. B. die Eröffnung der konstituierenden Sitzung, die Entscheidung über die vorläufigen Verfahrensregeln, der Namensaufruf, die Feststellung der Beschlußfahigkeit, die Wahl des Bundestagspräsidenten und die Übergabe des Amtes an diesen. So wie die Leitungskompetenz des Bundestagspräsidenten ihn zu Maßnahmen befugt, die zur Gewährleistung des geschäftsordnungsmäßigen und sachgerechten Verhandlungsablaufs unter verfahrenstechnischen Gesichtspunkten79 erforderlich· sind, trifft dies auch auf die Konstituierungskompetenz des Alterspräsidenten zu. Sie ist gewissennaßen ein Ausschnitt aus der Leitungskompetenz des Bundestagspräsidenten, die aber von diesem nicht wahrgenommen werden kann, weil es ihn noch nicht gibt. Ihre Rechtsgrundlage findet die Konstituierungskompetenz in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG, der die Wahl des Bundestagspräsidenten anordnet. Daraus folgt auch, daß die Kompetenzen des Alterspräsidenten nur soweit reichen kann, wie es zur Wahl des Bundestagspräsidenten erforderlich ist.

78 79

Troßmann, GOBT, § I, Rdnr. 11.1. Vgl. Rothaug, S. 64; Kleinschnittger, S. 80; Schmid, AöR 32 (1914), S. 544.

136

4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

2. Repräsentationsaufgaben, insbesondere die ErötTnungsansprache des Alterspräsidenten Abgesehen von den soeben dargestellten Kompetenzen nimmt der Alterspräsident jedoch auch Handlungen vor, die eher dem repräsentativen Bereich zuzuordnen sind. Hervorzuheben ist hier insbesondere die traditionell gehaltene Eröffnungsansprache8o • Ob der Alterspräsident gleich dem gewählten Bundestagspräsidenten ein Recht hat, den Bundestag zu repräsentieren bzw. repräsentative Aufgaben wahrzunehmen, soll im folgenden untersucht werden. Als erste dem repräsentativen Bereich zuzuordnende Handlung des Alterspräsidenten läßt sich die Begrüßung der neugewählten Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung ausmachen, nachdem die Altersfrage gestellt wurde. Ferner richtet der Alterspräsident vom Präsidentenstuhl aus Glückwünsche an den neugewählten Präsidenten. Auch wenn diese Handlungen von vergleichsweise untergeordneter Bedeutung sind, so kommt in ihnen doch das Selbstverständnis des Alterspräsidenten als Repräsentant der Gesamtheit der Abgeordneten bzw. des Bundestages zum Ausdruck. Gleichwohl wird man jedoch davon ausgehen müssen, daß es sich hierbei grundsätzlich mehr um Handlungen ohne Entscheidungscharakter handelt, die eine Höflichkeit zum Gegenstand haben und an die keine Rechtsfolgen geknüpft sind, so daß insoweit nicht von einer illegitimen Ausübung staatlicher Gewalt durch den Alterspräsidenten gesprochen werden kann 81 • Eine Rechtsgrundlage erscheint insoweit entbehrlich. Für die Öffentlichkeit nachhaltig wahrnehmbar ist der Alterspräsident jedoch nicht wegen seiner bloßen Sitzungsleitung, sondern vielmehr durch die traditionelle Eröffnungsansprache, die sich unmittelbar nach Eröffnung der konstituierenden Sitzung an die versammelten Abgeordneten, die Repräsentanten der anderen Verfassungsorgane und das Diplomatische Corps auf der Tribüne sowie die Bevölkerung "draußen im Lande" richtet. Und so haben die Kontroversen um einzelne Alterspräsidenten, zumal wenn sie extremen politischen Gruppierungen angehören, regelmäßig den zu erwartenden Inhalt der jeweiligen Ansprache zum Gegenstand82 • Unbestreitbar nimmt der Alterspräsident mit seiner Ansprache eine repräsentative Funktion als Vorsitzender der Versammlung wahr, die ihm als einfacher Abgeordneter nicht zukäme.

80

ten".

Bleek, HDParl, S. 28, hält es für die "wichtigste Funktion des Alterspräsiden-

Vgl. BVerfGE 93, 37 (68). Vgl. insbesondere die Situation um den Alterspräsidenten des 13. Deutschen Bundestages, Heym, im Vorfeld der konstituierenden Sitzung. 81

82

A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen

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Ob der Alterspräsident tatsächlich befugt ist, eine derartige Ansprache vorn Präsidentenstuhl aus zu halten83 , darf bezweifelt werden. Nur wenn ihm die Wahrnehmung dieser repräsentativen Funktion zugewiesen wäre, könnte er sich auf ein entsprechendes Rede,,recht" berufen. Eine geschriebene Rechtsgrundlage, die dem Alterspräsidenten ein Recht zur Ansprache gewährt, besteht nicht. Fraglich könnte jedoch sein, ob sich eine entsprechende Kompetenz aus seiner Leitungsbefugnis nach § 1 Abs. 2 GOBT herleiten läßt. So wird beispielsweise die Ansicht84 vertreten, daß eine Befugnis des Alterspräsidenten, mit einer Rede zur Eröffnung der konstituierenden Sitzung das neugewählte Parlament als ganzes der Öffentlichkeit zu präsentieren, durch §§ 1 Abs. 2 i. V. m. 7 Abs. 1 Satz 1 GOBT gedeckt sei. Dann müßte die Ansprache darauf gerichtet sein, die Verhandlung zu leiten, und im übrigen erforderlich, um die Konstituierung herbeizuführen. Beides wird man indes schwerlich feststellen können; vielmehr zeigt die parlamentarische Praxis in den Vorläufern des Deutschen Bundestages, die eine Ansprache des Alterspräsidenten regelmäßig nicht kannten, daß diese für die Konstituierung eines Parlamentes gerade nicht erforderlich ist. Auch aus § 7 Abs. 1 Satz 1 GOBT, der den Bundestagspäsidenten ein Vertretungsrecht für den Bundestag einräumt, kann eine geeignete Rechtsgrundlage nicht erwachsen. Zum einen ist es bereits dem definitiven Bundestagspräsidenten nach § 27 Abs. 1 Satz 2 GOBT verwehrt, als Redner vorn Präsidentenstuhle aufzutreten, wenn dadurch seine Unparteilichkeit gefahrdet würde 85 • Zum anderen ergibt sich für den Alterspräsidenten aber vor allem ein Legitimationsdefizit aus der Tatsache, daß er zwar als Abgeordneter, nicht jedoch als Leitungsorgan gewählt ist, s,ondern aufgrund des Zufallskriteriums Lebensalter dem Bundestag vorsteht. Es ist daher mit der Würde des Präsidentenamtes nicht vereinbar, wenn repräsentative Aufgaben durch ein Leitungsorgan wahrgenommen werden, das nicht von einer durch Wahl festgestellten Mehrheit der Abgeordneten getragen wird. Fraglich könnte sein, ob sich ein Gewohnheitsrecht ausmachen läßt, das dem Alterspräsident das Recht gewährt, eine Ansprache zu halten. Soweit es sich um Gewohnheitsrecht auf der Ebene der GOBT handelt, erscheint dies zweifelhaft, da dieses auch an der Diskontinuität der GOBT teil hätte und nicht ersichtlich ist, ob es als verbindlicher Rechtssatz von den neu gewählten Abgeordneten gewollt sein kann. Auch auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechtes sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die eine 83

So Köhler, ZParl 22 (1991), S. S. 184 unter Hinweis auf § 1 Abs. 2 i. V. m.

§ 7 Abs. 1 GOBT. 84 85

Köhler, ZParl 22 (1991), S. 184. Vgl. Gerlach, S. 3; Ritzel/Bücker, § 27, Anm. 2.

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4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

gewohnheitsrechtliche Begründung des Rederechts vertretbar erscheinen lassen. Schließlich kommt ein verfassungsrechtliches Rederecht nicht in Betracht, da der Grundgesetzgeber hierzu keine Regelung getroffen hat. Auch aus Art. 40 Abs. 1 Satz 1 läßt sich ein entsprechender Rechtssatz nicht herleiten, da eine Eröffnungsrede für die Wahl des Bundestagspräsidenten nicht erforderlich ist. Schließlich kann eine verfassungsgewohnheitsrechtliche Regelung nicht unterstellt werden, wenn der Grundgesetzgeber die Regelung der parlamentsinternen Angelegenheiten mit der knappen Formulierung der den Bundestag betreffenden Regelungen im Grundgesetz dem Bundestag selbst vorbehalten wollte. Wenn dennoch die Alterspräsidenten der bisherigen Bundestage Ansprachen gehalten haben, so dürften diese rechtlich gesehen eher geduldet worden seien, als daß ein Recht darauf bestanden hätte, sie zu halten. Insoweit dürfte die Eröffnungsrede des Alterspräsidenten eher auf eine parlamentarische Übung oder einen entsprechenden Brauch zurückzuführen sein. Eine parlamentarische Übung hingegen hat keinen Anspruch auf rechtliche Verbindlichkeit, sondern kann durch eine andere Übung oder Praxis ersetzt werden. Festzuhalten bleibt daher, daß keine Rechtsgrundlage ersichtlich ist, die dem Alterspräsidenten die Kompetenz zuweist, eine Ansprache zu halten, da sie für die Herbeiführung der Wahl des Bundestagspräsidenten entbehrlich ist. Tatsächlich beschränkten sich auch die Alterspräsidenten früherer deutscher Parlamente darauf, die Konstituierung möglichst schnell durch die Wahl des definitiven Bundestagspräsidenten herbeizuführen. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf die Praxis des Europäischen Parlamentes, nachdem der seinerzeitige Alterspräsident Autant-Lara eine polarisierende Rede gehalten hatte. Dort schuf man in der Geschäftsordnung Vorkehrungen, um den Mißbrauch des Alterspräsidentenamtes für die Zukunft zu verhindern: Art. 12 Zijf. 2 GOEP

"Unter dem Vorsitz des Alterspräsidenten darf keine Aussprache stattfinden, deren Gegenstand nicht mit der Wabl des Präsidenten und der Prüfung der Mandate zusammenhängt. "

und Art. 14 Zijf. 2 GOEP

"Sobald der Präsident gewählt ist, überläßt ihm der Alterspräsident den Vorsitz. Allein der gewählte Präsident kann eine Eröffnungsansprache halten."

Bezeichnenderweise hielt es das Europäische Parlament für angemessen, dem Alterspräsidenten das Recht zu einer Ansprache abzuschneiden, ohne

A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen

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damit jedoch seine grundsätzliche Kompetenz zur Leitung der konstituierenden Sitzung anzuzweifeln. Obgleich nach der hier vertretenen Auffassung eine bloße Änderung der Parlamentspraxis ausgereicht hätte, ist das Europäische Parlament den Weg der Geschäftsordnungsänderung gegangen, so daß der Alterspräsident nunmehr ausdrücklich auf seine eigentliche Funktion, zu der jedenfalls nicht die Repräsentation des neugewählten Parlaments zählt, beschränkt bleibt.

3. Das Hausrecht Neben der Leitungskompetenz bzw. der Konstituierungskompetenz könnten dem Alterspräsidenten weitere Kompetenzen zustehen, die auch der definitiv gewählte Bundestagspräsident in Anspruch nehmen kann. Neben der Ordnungs- und Disziplinargewalt ist folglich zu prüfen, inwieweit der Alterspräsident das Hausrecht des Bundestages ausüben darf. a) Inhaltliche Bestimmung

Das Hausrecht des Bundestages, das im Verlauf der Wahlperiode der Bundestagspräsident für diesen ausübt, folgt aus der Stellung des Bundes als Eigentümer an seinen Gebäuden und Grundstücken und faßt die Befugnisse zusammen, die im Privatrecht dem Eigentümer oder dem berechtigten unmittelbaren Besitzer insoweit zustehen86 . Dabei ist das Hausrecht des Bundestages nicht mit dem des privaten Hauseigentümers gleichzusetzen, da es Einschränkungen unterworfen ist, die aus der Stellung des Bundestages als Verfassungsorgan im Verhältnis zu anderen Verfassungsorganen und auch zur Öffentlichkeit folgen 87 • Auch dort, wo der Bundestag nicht als Vertreter des "Bundesfiskus..88 auftritt, aber gleichwohl tagend oder verwaltend, als Plenum oder lediglich in Teilen tätig ist, übt er das Hausrecht aus 89 • Generelle Regelungen hausrechtlicher Angelegenheiten werden in der Hausordnung vorgenommen90• Im Rahmen des Hausrechts kann der Bundestagspräsident sich des bundestagseigenen Hausordnungsdienstes zu dessen Durchsetzung gegenüber Mitgliedern des Bundestages und allen anderen anwesenden Personen 86 Vgl. Rothaug, S. 60; Kleinschnittger, S. 122 f.; Troßmann, § 7 GOBT, Rdnr. 36; MDH/Maunz, Art. 40, Rdnr. 24; Ritzel/Bücker, § 7 Anm. 11 b; v. Münch/ Versteyl, Art. 40, Rdnr. 23. 87 Vgl. Rothaug, S. 61; Stern, Staatsrecht 11, § 26 III 7. 88 Vgl. MDH/Maunz, Art. 40, Rdnr. 27; Rothaug, S. 60; Giese/Schunck, Art. 40, Anm. II 4. 89 Rothaug, S. 58. 90 Vgl. § 7 Abs. 2 Satz 2 GOBT; Jarass/Pieroth, Art. 40, Rdnr. 9.

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4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

(Mitglieder der Bundesregierung, des Bundesrats, Zuhörer, Besucher) bedienen91 . Ein Heranziehen der örtlichen Polizei allein zur Durchsetzung und aufgrund des Hausrechts ist nicht möglich, dürfte aber im Ergebnis kaum problematisch sein, da mit der Verletzung des Hausrechts immer auch und zugleich ein polizeiwidriger Zustand gegeben ist, der polizeiliche Maßnahmen des Präsidenten rechtfertigt92 • b) Rechtsgrundlage

Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 GOBT steht die Ausübung des Hausrechts dem Bundestagspräsidenten zu, wodurch die grundgesetzliche Kompetenzzuweisung aus Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG wiederholt wird. Fraglich könnte sein, ob der Alterspräsident sich auf die gleiche Kompetenzzuweisung berufen kann. Dabei ist davon auszugehen, daß Inhaber des Hausrechts der Bundestag selbst ist und es dem Bundestagspräsidenten lediglich zur Ausübung übertragen ist93 • Demnach steht auch dem Alterspräsidenten selbst nicht das Hausrecht zu, sondern allenfalls dessen Ausübung. Das Recht zur Ausübung des Hausrechts müßte seinerseits aber dem Alterspräsidenten übertragen sein. Für den Bundestagspräsidenten ist die Übertragung des Hausrechts zur Ausübung in Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich geregelt, so daß die Übertragung auf ihn nicht in den Bereich der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages nach Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG fällt und der Bundestag diese Übertragung an ihn folglich auch nicht widerrufen kann94 • Fraglich ist, ob auch die Ausübung des Hausrechts durch den Alterspräsidenten verfassungsrechtlich geregelt ist. Ausdrücklich scheint dies nicht der Fall zu sein, da der Alterspräsident im Grundgesetz nicht ausdrücklich genannt wird. Eine andere Bewertung könnte sich jedoch ergeben, wenn der Alterspräsident als "Präsident" im Sinne von Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG angesehen werden könnte. Mit Blick auf die Leitungskompetenz hat das Bundesverfassungsgericht95 entschieden, daß ,,(e)in Stellvertreter des Präsidenten (... ) bei der Leitung von Bundestagssitzungen als ,amtierender Präsident' im Sinne der Geschäftsordnung an Stelle des Präsidenten (handelt)." 91 Vgl. Köhler, DVBI. 1992, S. 1582; MDH/Maunz, Art. 40, Rdnr. 25; Jarass/ Pieroth, GG, Art. 40, Rdnr. 9; Troßmann, GOBT, § 7 Rdnr. 36; Ritzel/Bücker, § 7 Anm. H c); Stern, Staatsrecht H, § 26 III 7. 92 Vgl. Ritzel/Bücker, § 7 Anm. H c); MDH/Maunz, Art. 40, Rdnr. 25, Fn. 6. 93 MDH/Maunz, Art. 40, Rdnr. 5, 24; vgl auch BVerfGE 60, 374 (379) für die Ordnungsgewalt des Bundestagspräsidenten. 94 Troßmann, GOBT, § 7, Rdnr. 40. 9S BVerfGE 60, 374 (378).

A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen

141

Danach läßt das Bundesverfassungsgericht eine Auslegung des Präsidentenbegriffes grundsätzlich zu, der auch die Stellvertreter des Bundestagspräsidenten erfaßt. Gleichzeitig beschränkt es den Auslegungsspielraum in funktionaler Hinsicht auf die Leitung von Bundestagssitzungen (also nicht darüber hinaus, etwa auf die Vertretung des Bundestages nach außen oder auf das Hausrecht und die Polizei- und Ordnungsgewalt) und auf den Geltungsbereich der Geschäftsordnung (und damit nicht auf das Grundgesetz). Ob gleichwohl der Alterspräsident vom Begriff des Präsidenten in Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG erfaßt wird, erscheint zweifelhaft, da Art. 40 Abs. 2 Satz 1 ersichtlich vom definitiv gewählten Präsidenten ausgeht, der durch unmittelbare Wahl der Bundestagsabgeordneten bestellt wird und damit das Vertrauen der Mehrheit der Abgeordneten besitzt. Da der Alterspräsident seinerseits nicht gewählt wird, sondern nach der hier vertretenen Auffassung verfassungsgewohnheitsrechtlich aufgrund seines Lebensalters als Organwalter zum vorläufigen Leitungsorgan berufen ist, kommt ihm insoweit eine geringere Dignität in der demokratischen Legitimation als dem gewählten Bundestagspräsidenten zu. Auch mit Blick auf die weitreichenden durch Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG vermittelten Kompetenzen, die neben dem Hausrecht auch die Polizeigewalt umfaßt, erscheint eine Ausweitung des Präsidentenbegriffes in Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG auf den Alterspräsidenten nicht vertretbar. Wenn folglich die Ausübung des Hausrechts durch den Alterspräsidenten nicht verfassungsrechtlich geregelt ist und in der Amtszeit des Alterspräsidenten noch kein definitiv gewählter Bundestagspräsident existiert, dem die Ausübung des Hausrechts grundgesetzlieh zugewiesen werden könnte, dann könnte die Ausübung des Hausrechts für die konstituierende Sitzung des Bundestages bis zur Wahl seines Präsidenten doch dem Regelungsbereich der Geschäftsordnungsautonomie unterfallen. Es bedürfte dann eines Beschlusses des Bundestages, um den Alterspräsidenten zu legitimieren, das Hausrecht für den Bundestag auszuüben. Da ein derartiger Beschluß in den bisherigen Bundestagen nicht ausdrücklich gefaßt wurde, kommt wiederum eine konkludente Übertragung der Ausübungsbefugnis in Betracht, wonach Maßnahmen des Alterspräsident aufgrund des Hausrechts als übertragen gelten können, solange dies vom Plenum stillschweigend gebilligt wird.

4. Die Polizeigewalt

Fraglich könnte ferner sein, ob dem Alterspräsidenten die Polizeigewalt des Bundestagspräsidenten in der konstituierenden Sitzung des Bundestages bei der Erfüllung seiner Aufgaben zur Seite steht.

142

4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

a) Inhaltliche Bestimmung

Gegenstand der Polizeigewalt ist die hoheitliche Pflicht für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, also für die Abwehr von Gefahren im Bundestagsgebäude, Sorge zu tragen 96 • Der Bundestagspräsident ist insoweit besondere Polizeibehörde97 • In räumlicher Hinsicht erstreckt sich die Polizeigewalt des Bundestagspräsidenten auf alle der Bundestagsverwaltung unterstehenden Grundstücke, auf denen die parlamentarische Arbeit stattfindet, einschließlich der Tagungsräume bei auswärtigen Sitzungen98 • Dem Bundestagspräsidenten steht die Polizeigewalt in den Liegenschaften des Bundestages auch ausschließlich und in jeder Beziehung mit der Folge zu, daß die Zuständigkeit aller anderen Bundes- und Landespolizeibehörden insoweit ausgeschlossen ist99 • Dadurch soll die Unabhängigkeit des Bundestages gesichert werden 1OO • Die personale Reichweite der Polizeigewalt erstreckt sich folglich nicht nur auf die Mitglieder des Bundestages, sondern auf alle Personen, die in den räumlichen Geltungsbereich der Polizeigewalt des Bundestagspräsidenten gelangen, also auch auf Regierungs- und Bundesratsmitglieder sowie Zuhörer und sonstige Besucher101 • Für die Durchsetzung seiner polizeilichen Maßnahmen steht dem Bundestagspräsidenten der Hausordnungsdienst zur Verfügung 102• Die allgemeinen Polizeibehörden können nur im Wege der Amtshilfe (Art. 35 Abs. I GG) und nach Weisung des Bundestagspräsidenten tätig werden 103• Hausrecht und Polizeigewalt müssen, obwohl sie gleichermaßen auf die Abwehr von Störungen gerichtet sind und eine Trennung in der Praxis nicht immer möglich ist, gedanklich strikt unterschieden werden 104. Die Polizeigewalt ist beispielsweise dann angesprochen, wenn die Verletzung des Hausrechts etwa in Form der Hausordnung zugleich eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung also einen polizeiwidrigen Zustand 96 Vgl. Rothaug, S. 58 m. w. Nw.; MDHIMaunz, Art. 40, Rdnr. 24; SchmidtBleibtreulKlein, Art. 40, Rdnr. 10; Troßmann, Parlamentsrecht, S. 204. 97 MDHIMaunz, Art. 40, Rdnr. 27. 98 Rothaug, S. 58; RitzellBücker, § 7, Anm. 11 c; HamannlLenz, Art. 40, Anm. 8 4, S. 460; MDHIMaunz, Art. 40, Rdnr. 27; v. Münch/Versteyl, Art. 40, Rdnr. 25; Gerlach, S. 115. 99 DrewslWacke, S. 70 f. 100 DrewslWacke, S. 70. 101 MDHIMaunz, Art. 40, Rdnr. 28; HamannlLenz, Art. 40, Anm. 8 4, S. 460; Rothaug, S. 58 f.; a. A. Engels, S. 53, der die Abgeordneten von der Polizeigewalt ausnimmt. 102 Vgl. Rothaug, S. 58. 103 MDHIMaunz, Art. 40, Rdnr. 26; Rothaug, S. 58 f.; JarasslPieroth, GG, Art. 40, Rdnr. 9. 104 MDHIMaunz, Art. 40, Rdnr. 24; DrewslWacke, S. 70.

A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen

143

darstellt. Dies wird aber regelmäßig der Fall sein, nachdem sämtliche hausrechtlichen Anordnungen des Bundestagspräsidenten über §§ 106 b, 123 StGB, 112 OWiG strafrechtlich abgesichert sind lO5 . b) Rechtsgrundlage

Für den Bundestagspräsidenten ist die Polizeigewalt in § 7 Abs. 2 Satz I GOBT und Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG geregelt, wonach dieser die Polizeigewalt im Gebäude des Bundestages ausübt. § 7 Abs. 2 Satz 1 GOBT wiederholt damit die Regelung des Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG, ohne den Anwendungsbereich der Polizeigewalt zu erweitern, so daß ihm lediglich eine deklaratorische Funktion zukommt. Eine Übertragung der mit der Polizeigewalt einhergehenden Aufgaben und Befugnisse als besondere Polzeibehörde auf den Bundestagspräsidenten durch die GOBT ist auch insoweit nicht denkbar, als hierfür regelmäßig mindestens eine Rechtsgrundlage in Form eines formellen Gesetzes erforderlich ist, die GOBT aber "nur" die Rechtsnatur einer Satzung - wenn auch "sui generis" - besitzt. Demnach ist dem Bundestagspräsidenten die Polizeigewalt nach Art. 40 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich übertragen 106. Daraus folgt auch, daß der Bundestagspräsident selbst - und nicht der Bundestag - Inhaber der Polizeigewalt ist, und ihm nicht lediglich die Ausübung der Polizeigewalt übertragen ist. Fraglich ist, ob auch der Alterspräsident Inhaber der Polizeigewalt sein kann. Wie bereits gesagt, kommt eine extensive Auslegung des Präsidentenbegriffes in Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG nicht in Betracht, da der gewählte Präsident eine andere Dignität hinsichtlich seiner demokratischen Legitimation aufweist. Es dürfte kaum vorstellbar sein, daß der Verfassungsgeber einem Organ die Polizeigewalt im Bereich des Bundestages übertragen wollte, dessen Organwalter nicht unmittelbar durch die Bundestagsabgeordneten legitimiert ist. Eine geschäftsordnungsrechtliche - auch konkludente - Übertragung ist ebenfalls ausgeschlossen, da der Bundestag selbst nicht Inhaber der Polizeigewalt ist. Wenn nun der Alterspräsident nicht Inhaber der Polzeigewalt ist, so fragt sich, ob damit die Liegenschaften des Bundestages bis zur Wahl des definitiven Präsidenten als Raum angesehen werden kann, in dem keine Polizeigewalt herrscht, nachdem bereits festgestellt wurde, daß der Bundestagspräsident als besondere Polizeibehörde die Zuständigkeit der allgemeinen Polizeibehörden ausschließt. Dem ist entgegenzuhalten, daß die allgemeinen" Polizei behörden auch bei Vorhandensein eines gewählten Präsidenten durchlOS VgJ. MDH/Maunz, Art. 40, Rdnr. 26; Rothaug, S. 61; Giese/Schunck, Art. 40, Anm. 11 4, S. 124. 106 Drews/Wacke, S. 71; Stern, Staatsrecht 11, § 26 III 7, S. 85.

144

4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

aus von sich aus im Gebäude des Bundestages Maßnahmen zur Gefahrenabwehr treffen können, wenn Gefahr im Verzuge ist oder eine dringende Gefahr für Leib und Leben besteht 107 • Dies muß erst recht gelten, wenn der Bundestagspräsident noch nicht gewählt ist, da ansonsten keinerlei staatliche Organe vorhanden wären, die die öffentliche Sicherheit gewährleisten könnten. Dies erscheint angesichts der kurzen Zeitspanne von der Eröffnung der konstituierenden Sitzung bis zur Wahl des Bundestagspräsidenten einerseits und der Gesetzesbindung der Polizeibehörden andererseits auch hinnehmbar zu sein.

5. Die Ordnungsgewalt a) Inhaltliche Bestimmung

Überwiegend wird die Ordnungsgewalt durch die Aufzählung der Ordnungsmaßnahmen, wie sie in §§ 36 ff. GOBT niedergelegt sind, charakterisiert lO8 • Abstrakt läßt sich sagen, daß die Ordnungsgewalt die parlamentarische Ordnung sicherstellen soll, wobei unter "parlamentarischer Ordnung" die Freiheit von Störungen im Interesse der parlamentarischen Würde, also die ungestörte Abwicklung der Plenarsitzung zu verstehen ist 109 . Im Gegensatz zur Leitungskompetenz, die auf einen verfahrenstechnisch richtigen, sachgemäßen, konstruktiven und effektiven Ablauf des parlamentarischen Verfahrens zielt, bezeichnet die Ordnungsgewalt die Kompetenz des Bundestagspräsidenten, Störungen entgegen zu wirken, die geeignet sind, die parlamentarische Würde im Plenarsaal zu beeinträchtigen. Ordnungsrnittel kommen daher solange nicht in Betracht, solange sich die parlamentarische Verhandlung auf einer sachlichen Ebene bewegt, sondern setzen eine Störung der Plenarsitzung voraus l1O • Ordnungswidrige Störungen werden vom Präsidenten nach seinem pflichtgemäßen Ermessen festgestellt 111 und mit den Ordnungsrnittein der §§ 36 ff. GOBT beseitigt. Dies können etwa persönliche Angiffe von beleidigender oder ehrverletzender Natur l12 , die Verwendung unparlamentarischer Ausdrücke l13 , Zwischenrufe von besonderer Lautstärke l14 , kritische 107 Vgl. DrewslWacke, s. 72; v. Mangoldt/Klein, Art. 40, Rdnr. 64; a. A. MDH/ Maunz, Art. 40, Rdnr. 26. 108 Vgl. Hatschek, Parlamentsrecht, S. 210; Zeh, HStR II, § 42, Rdnr. 31. 109 Rothaug, S. 62; Troßmann, Parlamentsrecht, S. 200; Bücker, ParIRPr, § 34, Rdnr. I; vgl. auch Art. 33 Abs. 4 Weimarer Reichsverfassung. 110 Rothaug, S. 66 m. w. Nw. 111 Rothaug, S. 62 m. w. Nw.; Troßnumn, Parlamentsrecht, S. 200, v. Brentano di Tremezzo, S. 43 f. 112 Rothaug, S. 62; Kleinschnittger, S. 85.

A. Die vom Alterspräsidenten wahrgenommenen Kompetenzen

145

Äußerungen gegenüber der Verhandlungsleitung des Präsidenten 115, aber auch Tätlichkeiten 116 sein. Räumlich und zeitlich ist die Ordnungsgewalt auf die Plenarsitzung beschränkt 117.

b) Rechtsgrundlage

Rechtsgrundlage der so verstandenen Ordnungsgewalt des Bundestagspräsidenten sind die bereits genannten §§ 36 ff. GOBT, die ihrerseits auf die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages aus Art. 40 Abs. I Satz 2 GG zurückzuführen sind, da die Geschäftsordnungskompetenz des Bundestages notwendigerweise die Kompetenz zum Erlaß der zur Beseitigung von Störungen des parlamentarischen Verfahrens erforderlichen Vorschriften einschließt 118 . Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden 1l9 : ,,(D)ie Ordnungs- oder Disziplinargewalt (ist) Bestandteil der dem Parlament durch Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten Geschäftsordnungsautonomie (vgl. BVerfGE 44, 308 (314 f.) und BVerfGE 10,4 (13». Träger dieser Ordnungsgewalt ist mithin nicht der Präsident, sondern das Plenum des Deutschen Bundestages. Der Präsident des Bundestages übt jedoch kraft Übertragung durch das Parlament die Ordnungsgewalt des Parlaments (... ) in eigener Verantwortung und unabhängig aus." Soweit damit die Rechtsgrundlage der Ordnungsgewalt für den Bundestagspräsidenten geklärt zu sein scheint, stellt sich gleichwohl die Frage, ob der Alterspräsident in der konstituierenden Sitzung in gleicher Weise über die Ordnungsmiuel verfügen darf. Da der Bundestagspräsident sich insoweit nicht auf eine grundgesetzliche Rechtsgrundlage berufen kann, sondern vielmehr nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes darauf angewiesen ist, daß ihm die Kompetenz zur Ausübung der Ordnungsgewalt vom Bundestag - etwa in Form der GOBT - übertragen wird, kommt auch für den Alterspräsidenten eine verfassungsrechtliche Kompetenzzuweisung nicht in Betracht. Vgl. Rothaug, S. 62. Vgl. Rothaug, S. 62; Troßmann, Parlamentsrecht, S. 313. m Rothaug, S. 62; Troßmann, § 7 GOBT, Rdnr. 31; vgl. z. B. Präsident Köhler, 1. Bundestag, 18. Sitzung 24./25.11.1949, StenBer., S. 525 (C); Präsident Ehlers, 1. Bundestag, 121. Sitzung 28.2.1951, StenBer., S. 4635 (A). 116 Vgl. Rothaug, S. 62; Perels, HDStR I, S. 464. 1I7 Vgl. Rothaug, S. 62; Schäfer, S. 212. 118 Rothaug, S. 61; BayVerfGH, DÖV 1956, S. 535; v. Brentano di Tremezzo, S.41. 119 BVerfGE 60, 374 (379). 113

114

10 Klopp

146

4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

Es bleibt daher die Frage, inwieweit der Alterspräsident sich auf eine Übertragung der Kompetenz zur Ausübung der Ordnungsgewalt durch den Bundestag berufen kann. Soweit ein wenigstens vorläufiger Übernahmebeschluß durch den Bundestag hinsichtlich der GOBT des bisherigen Bundestages gefaßt wurde, wird man davon ausgehen müssen, daß damit auch die· Befugnis zur Anwendung der Ordnungsmittel nach §§ 36 ff. GOBT grundsätzlich dem Alterspräsidenten übertragen wurde. Sollte ein derartiger Beschluß nicht oder noch nicht vorliegen, wird man von einer ausdrücklichen Übertragung jedoch nicht ausgehen können. Dann kommt allenfalls eine konkludente Übertragung einzelner Ordnungsmittel in Betracht, indem der Alterspräsident ein Ordnungsmittel anwendet und dieses widerspruchslos vom Plenum geduldet wird. Sollte sich hingegen Widerspruch erheben, so kann von einer Ermächtigung des Alterspräsidenten zur Anwendung von Ordnungsmittel nicht gesprochen werden. In diesem Zusammenhang sei noch einmal auf die konstituierende Sitzung des Landtages von Schleswig-Holstein am 5.5.1992 hingewiesen. Dort hatte der CDU-Abgeordnete Claussen, der als dienstältester Abgeordnete den Präsidentenstuhl eingenommen hatte, dem widersprechenden Abgeordneten Stawitz der DVU einen Ordnungsruf angedroht, falls dieser sich nicht auf seinen Abgeordnetenplatz begibt 120. Dieser Ordnungsruf wäre mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig gewesen, da es an einer vorläufigen Geschäftsordnung fehlte und nicht davon ausgegangen werden kann, daß die Androhung des Ordnungsrufes widerspruchslos erfolgte. Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, daß der Alterspräsident sich nur insoweit auf die Ordnungsgewalt berufen kann, als ihm diese ausdrücklich oder konkludent vom Plenum übertragen wurde und soweit die Anwendung der Ordnungsmittel dazu beiträgt, den Auftrag des Alterspräsidenten, die Wahl des Bundestagspräsidenten herbeizuführen, sichert oder fördert.

IH. Zusammenfassung Im Ergebnis ist festzuhalten, daß die Kompetenz des Alterspräsidenten zur Leitung der konstituierenden Sitzung bis zur Übernahme des Amtes durch den definitiv gewählten Bundestagspräsidenten verfassungsrechtlich gegeben ist. Leitungsbefugnisse stehen ihm insoweit zu, als sie für die Wahl des Bundestagspräsidenten erforderlich sind. Zur Durchsetzung seiner Leitungsmaßnahmen steht ihm die Ordnungsgewalt zu, soweit sie ihm ausdrücklich oder konkludent übertragen wurde.

120

13. Landtag von Schleswig-Holstein, l. Sitzung 5.5.1992, StenBer., S. 3.

B. Die RechtsstelJung des Alterspräsidenten

147

Die Ausübung des Hausrechts und die Polizeigewalt stehen dem Alterspräsidenten nicht zu, da er - einerseits - mangels unmittelbarer Legitimation durch die Abgeordneten des neugewählten Bundestages nicht mit dem Begriff des Präsidenten in Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG identifiziert werden kann und - andererseits - die Übertragung dieser Befugnisse nur durch das Grundgesetz erfolgen kann und damit der Dispositionsbefugnis des Bundestages entzogen ist. Für den Fall, daß die GOBT (vorläufig) in Kraft gesetzt wurde, folgt seine Leitungskompetenz aus § 1 Abs. 2 GOBT und den weiteren Vorschriften der GOBT. Falls es an einem wenigstens vorläufigen generellen Übernahmebeschluß bzw. an einer konkludenten sukzessiven Übernahme einzelner Vorschriften fehlen sollte, ist der Alterspräsident nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG ermächtigt, die erforderlichen Handlungen für die Wahl des Bundestagspräsidenten vorzunehmen. Ein Rederecht im Sinne eines durchsetzbaren Anspruchs auf Abhaltung der Eröffnungsrede steht dem Alterspräsidenten weder nach der GOBT, noch nach anderen Vorschriften zu. Insoweit kann lediglich von einer Duldung durch das Plenum ausgegangen werden.

B. Die Rechtsstellung des Alterspräsidenten Nachdem im vorherigen Kapitel die Befugnisse des Alterspräsidenten untersucht worden sind, kann festgestellt werden, daß der Alterspräsident eine Vielzahl von Befugnissen wahrnehmen kann, um die Wahl des Bundestagspräsidenten und dadurch die Konstituierung des Bundestages herbeizuführen. Die Funktion bzw. die Aufgabe des Alterspräsidenten und die damit verbundenen Befugnisse können auch als "Amt" bezeichnet werden. Hierauf ist sogleich einzugehen (unten I.), bevor zur organschaftlichen Einordnung des Alterspräsidenten Stellung genommen wird (unten 11.).

I. Der Alterspräsident als Amt Der Begriff des Amtes dient der Abgrenzung des pflichtgebundenen, fremdnützigen Aufgabenbereichs (Amt) eines Menschen von seinen eigenen Angelegenheiten {Person)121. Das Amtsprinzip ist in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ausdrücklich verankert und folgt dem Prinzip der mittelbaren Demokratie, wonach die Volksherrschaft nicht unmittelbar durch das Volk in seiner Gesamtheit oder jedem einzelnen selbst, sondern durch gewählte Staatsorgane ausgeübt wird I 22. 121 10*

WolfflBachofIl, § 73 I c I, S. 29; Rothaug, S. 94; Steiger, S. 69.

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4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

Diese Organfunktionen werden an bestimmte im vorhinein definierte Ämter geknüpft, die dann ihrerseits wieder mit vom Volk legitimierten natürlichen Personen (Amtswaltern) besetzt werden 123 . Im Hinblick auf das Amt des Alterspräsidenten findet das Prinzip der. mittelbaren Demokratie insoweit Anwendung, als das Volk die vorläufige Leitung der konstituierenden Sitzung und die Wahl des Parlamentspräsidenten naturgemäß nicht selbst vornehmen kann, sondern sich über die unmittelbare Wahl der Bundestagsabgeordneten quasi des vorläufigen Leitungsorgans "Alterspräsident" bedient. Das Amtsprinzip wird insofern realisiert, als die Funktion des vorläufigen Leitungsorgans und die dazu erforderlichen Befugnisse nicht an eine bestimmte Person geknüpft werden, sondern an ein bestimmtes Amt. Das Amtsprinzip124 ist insoweit von herausragender Bedeutung, insbesondere auch für die Leitung der Sitzungen des Bundestages, als in ihm der institutionelle Ausdruck der Gemeinwohlidee gesehen wird 125. Es schirmt die Funktion, die es zum Gegenstand hat, gegen die Willkür des Amtswalters ab, der im Interesse des Gemeinwohls rechtlich und ethisch unter Zurückstellung seiner Subjektivität in die Pflicht genommen wird, damit das Gesetz herrschen kann 126. Dementsprechend regelt § 27 Abs. I Satz 2 GOBT, daß der Bundestagspräsident, wenn er sich selbst an der Plenardebatte beteiligen will, während dieser Zeit den Vorsitz abzugeben hat. Mit anderen Worten: vom Präsidentenstuhl darf er sich nur unter Wahrung der Unparteilichkeit zur Sache äußern, da nur die parteipolitische Neutralisierung seines Amtes dessen hervorgehobene Stellung als Präsident rechtfertigt 127. Insoweit wird man auch aus dem Amtsprinzip heraus vom Alterspräsidenten eine gewisse "Askese,,128 im Hinblick auf seine Antrittsrede fordern müssen. Nachdem bereits oben festgestellt wurde, daß er keinen Anspruch hat, eine Antrittsrede zu halten, sondern diese allenfalls geduldet ist, hat er gleichwohl die Pflicht, sich mit polarisierenden Äußerungen zurückzuhalten. Die Funktion seines Amtes ist es, die Wahl des Bundestagspräsidenten und ggfs. der Stellvertreter durchzuführen, sein Amt an einen der Gewählten zu übergeben und dadurch die Konstituierung des Bundestages herbei122 Vgl. Badura, HStR I, § 23, Rdnr. 34 f.; Stern, Staatsrecht I, § 18 11 5 b), S.608. 123 Vgl. MDH/Herzog, Art. 20, 11, Rdnr. 17 ff. 124 Vgl. allgemein zum Amtsprinzip WolfflBachofII, § 73, S. 27 ff. 12S Isensee, HStR I, § 13, Rdnr. 107. 126 Isensee, ebd. 127 RitzellBücker, § 27, Anm. I 2, § 7, Anm. 12 a. 128 Vgl. Isensee, HStR I, § 13, Rdnr. 107.

B. Die RechtssteIJung des Alterspräsidenten

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zuführen. Aus diesem Status folgt, daß die Befugnisse, die für die Konstituierung des Bundestages erforderlich sind, zeitlich befristet bis zur Wahl des Bundestagspräsidenten als nach dem Grundgesetz vom Bundestag auf ihn zur Ausübung übertragen gelten können 129. Dabei konnte festgestellt werden, daß der Alterspräsident über interne Befugnisse gegenüber den Mitgliedern des Bundestages, als auch über externe Befugnisse gegenüber Dritten (Mitgliedern der Bundesregierung, des Bundesrates und Sonstigen) verfügen kann.

11. Der Alterspräsident als Organ des Bundestages Nach einer kurzen Klarstellung des Organbegriffs (unten 1.) ist unter Berücksichtigung der dem Alterspräsidenten zustehenden Befugnisse auf seine organschaftliche Rechtsstellung näher einzugehen (unten 2.). 1. Der Begriff des "Organs" Als Organ im engeren rechtlichen Sinne wird ein durch organisierende Rechtssätze gebildetes, selbständiges institutionelles Subjekt von transitorischen Zuständigkeiten zur funktionsteiligen Wahrnehmung von Aufgaben einer (teil-)rechtsfähigen Organisation verstanden 130. So beschrieben wird das Handeln von natürlichen Personen (Organwaltern) dem Organ und durch dieses dem Organträger (z. B. Bundestag) nicht nur in der Weise zugeordnet, daß die Rechtsfolgen des Organwalterhandelns das Organ und in der Folge die Organisation treffen, sondern daß das Organwalterhandeln letztlich der Organisation zugerechnet und zugeordnet wird und damit als ihr eigenes Handeln anzusehen ist l3l . 2. Die Organstellung als vorläufiges Leitungsorgan Die Befugnisse des Alterspräsidenten sind - ähnlich denen des Bundestagspräsidenten - in der Regel vom Bundestag abgeleitet. Der Bundestag selbst ist zwar keine juristische Person, aber gleichwohl ein mit eigenen Befugnissen ausgestattetes und damit teilrechtsfahiges Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland 132. Als Träger eigener Rechte und Pflichten kann er eigene Organe haben 133 • Vgl. Rothaug, S. 95; Gerlach, S. 49; Kleinschnittger, S. 20. WolfflBachofll, § 74 I f, S. 48. \31 WolfflBachof 11, § 74 I f 1, S. 49; Rothaug, S. 94; R. Dreier, EvStL, Sp. 1701 f.; Wahl, S. 71. 132 MDHIMaunz, Art. 38, I, Rdnr. 1 ff.; WolfflBachof 11, § 75 I d 2, S. 64 f. 129 130

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4. Kap.: Kompetenzen und Rechtsstellung des Alterspräsidenten

Für die Qualifizierung des Alterspräsidenten als Organ ist von der Rechtsstellung des Bundestagspräsidenten auszugehen 134. Nach allgemeiner Ansicht ist der Bundestagspräsident nicht selbst Inhaber der Leitungskompetenz, sondern übt diese nur für den Bundestag aus, dem sie originär zusteht 135 • Insoweit wird der Bundestagspäsident als Organ 136 bzw. Unterorgan 137 des Bundestages oder mittelbares Staatsorgan 138 tätig. Ähnlich wie der Bundestagspräsident als gewähltes Leitungsorgan wird der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan für das Verfassungsorgan Bundestag tätig. Auch ihm stehen seine Befugnisse nicht als eigene Rechte, sondern nur als nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG und der GOBT übertragene Rechte des Bundestages zu, für den er sie ausübt 139 • Da das Handeln des Alterspräsidenten ohne Vermittlung eines anderen Organs dem Bundestag zugerechnet wird, und er selbst als Abgeordneter Teil des Bundestages ist, kann er auch als unmittelbares Eigenorgan des Bundestages bezeichnet werden. Insoweit nimmt er Zuständigkeiten des Bundestages als teilrechtsfahiges Organ der juristischen Person Bundesrepublik Deutschland wahr und kann auch als mittelbares Staatsorgan angesehen werden l40 • Nach der Rechtsquelle für die Bildung des vorläufigen Leitungsorgans kann der Alterspräsident als unmittelbares Veifassungsorgan bezeichnet werden, da die Existenz des vorläufigen Leitungsorgans im Grundgesetz vorausgesetzt ist und die Bestellung des Organwalters nach der hier vertretenen Auffassung verfassungsgewohnheitsrechtlich erfolgt l41 . Nach der Vertretungsberechtigung kann der Alterspräsident auch als Vertretungs- bzw. Unterorgan des Bundestages bezeichnet werden, da er befugt ist, unter eigener Organbezeichnung Dritten gegenüber konkrete Rechtshandlungen namens des Bundestages vorzunehmen 142. Dieses können beispielsweise hausrechtliche Maßnahmen gegenüber Regierungsmitgliedern, Zuhörern oder sonstigen Dritten im Gebäude des Bundestages sein. Den Alterspräsidenten als bloßes Hilfsorgan des Bundestages 143 zu bezeichnen, Vgl. Rothaug, S. 93; WolfflBachofII, § 74 I f 8, S. 51. Vgl. Rothaug, S. 93 ff. 135 Vgl. Rothaug, S. 93; Groß, DVBI. 1954, S. 422; Böttcher, S. 75, 93. 136 Vgl. BVerfGE 1, 252; Rothaug, S. 93; MDHIMaunz, Art. 40, Rdnr. 4; Roßmann, S. 22, 25; HamanniLenz, Art. 40, Anm. B I, S. 459; Schäfer, S. 69; Kleinschnittger, S. 15. 137 Vgl. Rothaug, S. 93; MDHIMaunz, Art. 40, Rdnr. 4. 138 Vgl. Rothaug, S. 93; Kleinschnittger, S. 16; MDHIMaunz, Art. 40, Rdnr. 4. 139 MDHIMaunz, Art. 40, Rdnr. 5. 140 Vgl. WolfflBachofII, § 75, I a 2, S. 63. 141 Vgl. WolfflBachofII, § 75, I b I, S. 63. 142 WolfflBachofII, § 75 I e I, S. 67. 133

134

B. Die Rechtsstellung des Alterspräsidenten

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wäre wohl nicht sachgerecht, da er nicht nur unverbindliche beratende Tätigkeiten gegenüber anderen Organen des Bundestages wahrnimmt l44 . Da der Alterspräsident als vorläufiges Leitungsorgan hinsichtlich der Wahrnehmung seiner Zuständigkeiten weisungsfrei ist, sondern allenfalls nur hinsichtlich abstrakt definierter Kompetenzen gebunden ist, kann er als unabhängiges Organ l45 und wegen der zeitlichen Begrenzung seiner Tätigkeit bis zur Übernahme des Amtes durch den gewählten Bundestagspräsidenten auch als Gelegenheitsorgan bezeichnet werden l46 . Ferner ist der Alterspräsident ein höchstpersönliches Organ, da er sein Amt nur in eigener Person wahrnehmen kann. Nur teilweise ist die Delegation von Zuständigkeiten auf andere möglich (z. B. Namensaufruf durch Schriftführer)l47. Nach der Art und Weise der organschaftlichen Willensbildung ist der Alterspräsident ein monistisches Organ, da nur er allein Organwalter und daher sein Wille der Organwille ist 148 •

143

144 145 146 147 148

MDHIHerzog, Art. 40, Rdnr. 5. V gl. WolfflBachof II, § 75 I e 2, S. 68. WolfflBachofII, § 75 I f 1, S. 69. WolfflBachofII, § 75 I h 2, S. 71. WolfflBachof II, § 75 I j, S. 71. WolfflBachofII, § 75, II a, S. 71.

Fünftes Kapitel

Der Alterspräsident als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten Wenn auch der Alterspräsident der konstituierenden Sitzung im Vordergrund dieser Untersuchung steht, so muß auch seine Rolle als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten nach § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT gesehen werden 1. § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT regelt: "Sind Präsident und Stellvertreter gleichzeitig verhindert, so übernimmt der Alterspräsident die Leitung."

Die Kompetenzen des Alterspräsidenten als vorläufiges Leitungsorgan unterscheiden sich von denen als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten in funktioneller Hinsicht: Aufgabe des vorläufigen Leitungsorgans ist es, die Wahl des Bundestagspräsidenten zu leiten; als Sitzungsvertreter des Bundestagspräsidenten nimmt er dessen verhandlungsleitende Funktion bzw. den sogenannten Sitzungsdienst für die Dauer der Verhinderung des Bundestagspräsidenten und aller Stellvertreter w~. Obwohl ein derartiger Fall in der Vergangenheit - soweit ersichtlich erst zweimal vorkam3 bzw. auch in Zukunft selten vorkommen dürfte4 , läßt die Regelung erkennen, daß der Zustand eines vorsitzlosen Bundestages vermieden werden soll. Die Bundesländer haben teils ähnliche, teils abweichende Regelungen, um die Leitung der Plenarsitzungen zu gewährleistens. Dabei ist fraglich, ob der Begriff des "Alterspräsidenten" in § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT und in § 1 Abs. 2 GOBT identisch ist. Während in der Bundestagspraxis zumindest teilweise die Ansicht vertreten wird, daß dies der Fall ist6 , ist man andernorts der Auffassung, daß Alterspräsident im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT der jeweils älteste anwesende Abgeordnete sei7 • Vgl. Köhler, ZParl 22 (1991), S. 177, 186. Troßmann, GOBT, § 8, Rdnr. 3. 3 Vgl. Köhler, ZParl 22 (1991), S. 186, Fn. 48. 4 Vgl. aber die Situation im 3. Bundestag, 23. Sitzung, 18.4.1958, StenBer., S. 1260 C, s. oben Erstes Kapitel, A. III. S Vgl. hierzu oben, Zweites Kapitel, D. IX. 4. 6 Vgl. Präsident Gerstenmaier, s. oben Erstes Kapitel, A. III. I

2

A. Der Begriff des Alterspräsidenten in § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT

153

Zunächst ist daher eine Begriffsklärung vorzunehmen (unten A.), bevor auf die Legitimation des Amtswalters als Sitzungsvertreter einzugehen ist (unten B.). Im Anschluß daran ist kurz auf die Befugnisse des Alterspräsidenten als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten (unten C.) und die sich daraus ergebende Rechtsstellung einzugehen (unten D.).

A. Der Begriff des Alterspräsidenten in § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT Wenn die GOBT vom neugewählten Bundestag wenigstens vorläufig übernommen ist, so gilt auch § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT. Fraglich ist dann aber, wer als Alterspräsident anzusehen ist. Ist es notwendigerweise der Alterspräsident der konstituierenden Sitzung?8 Erstreckt sich dessen Einverständnis zur Sitzungsleitung in der konstituierenden Sitzungsleitung auch auf die Sitzungsleitung in weiteren Sitzungen des Bundestages? Was geschieht, wenn auch der Alterspräsident der konstituierenden Sitzung in der jeweiligen Plenarsitzung nicht anwesend ist? Auszugehen ist von dem tatsächlichen Befund, daß der Alterspräsident der konstituierenden Sitzung während der Legislaturperiode als Alterspräsident adressiert wird9 • Gleichsam befinden sich in den Räumen der Bundestagsverwaltung Büsten der Alterspräsidenten aus vorangegangenen Wahlperioden des Bundestages, die auf eine Beibehaltung der Amtsbezeichnung während der Legislaturperiode und darüber hinaus schließen lassen. Dabei ist die Auslegung des Begriffes "Alterspräsident" in der Weise, daß dies der älteste Abgeordnete des Bundestages zu sein hat, keineswegs zwingend: auch im Ältestenrat des Bundestages sitzen nicht die ältesten Abgeordneten des Bundestages, sondern nach § 6 Abs. I Satz 1 GOBT der Präsident, seine Stellvertreter und dreiundzwanzig weitere von den Fraktionen zu benennende Mitgliedern. Schließlich kann aus § 1 Abs. 2 GOBT nicht gefolgert werden, daß die für die konstituierende Sitzung erforderliche Bestimmung des Alterspräsidenten diesem das Amt für weitere Sitzungen verleihen will. Das Problem, wie der Begriff des Alterspräsidenten an dieser Stelle zu verstehen ist, folgt aus der unglücklichen Verquickung zweier Sachverhalte. Einerseits wird der Begriff des Alterspräsidenten synonym mit dem vorläufigen Leitungsorgan in der konstituierenden Sitzung verwendet, andererseits haftet die Bezeichnung aber auch der Person des ältesten Abgeordneten an. 7

8

9

Köhler, ZParl 22 (1991), S. 186. So scheinbar Ritzel/Bücker, § 8, Anm. 2. a). So z. B. Stefan Heym in der Talk-Show "Boulevard Bio" im Oktober 1997.

154 5. Kap.: Der Alterspräsident als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten

Der Wortlaut des § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT knüpft mit dem Tatbestandsmerkmal "Alterspräsident" an die Regelung des § 1 Abs. 2 und 3 GOBT an. Dort ist zwar der Alterspräsident - anders als in den meisten Geschäftsordnungen der Länderparlamente lO - nicht legal definiert; aus dem engen Sachzusammenhang ergibt sich jedoch, daß der älteste (anwesende) Abgeordnete als Alterspräsident anzusehen ist. Da § 1 Abs. 2 und 3 GOBT den ältesten anwesenden Abgeordneten als Alterspräsidenten ansprechen, ist auch bei § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT davon auszugehen, daß der älteste anwesende Abgeordnete die Sitzungsvertretung für die verhinderten definitiv gewählten Präsidenten übernehmen soll. Auch die systematische Betrachtung des § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT gebietet nicht, den Alterspräsidenten der konstituierenden Sitzung als Sitzungsvertreter anzusehen, wenn bereits § 1 Abs. 2 und 3 GOBT an den ältesten anwesenden Abgeordneten anknüpft, der bereit ist, das Amt des Alterspräsidenten zu übernehmen. Ferner wird man auch aus teleologischer Sicht geradezu fordern müssen, daß nicht der Alterspräsident der konstituierenden Sitzung, sondern der älteste in der konkreten Situation anwesende Abgeordnete zur Sitzungsvertretung berufen ist. § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT hat erkennbar zum Ziel, die Sitzungen des Bundestages nicht deswegen schließen und vertagen zu müssen, nur weil der Bundestagspräsident und seiI~e Stellvertreter allesamt verhindert sind. Vielmehr soll der Rückgriff auf den ältesten anwesenden Abgeordneten gerade die Sitzungskontinuität gewährleisten, wie das eingangs angeführte Beispiel!! eindrucksvoll belegt. Wollte man den Alterspräsidenten der konstituierenden Sitzung als Sitzungsvertreter ansehen, wäre eine Fortführung der Sitzung dann nicht möglich, wenn dieser gerade nicht anwesend ist oder aber zwischenzeitlich sein Abgeordnetenmandat niedergelegt hat 12 • In diesen Fällen würde die Vertretungsregelung des § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT leerlaufen, was vom Geschäftsordnungsgeber nicht gewollt sein kann. Historisch betrachtet ergibt sich - soweit man bei der geringen Anzahl der bekannten Fälle, in denen § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT wirksam wurde, überhaupt von einer kontinuierlichen Praxis sprechen kann - ein widersprüchliches Bild, als mit Blick auf das oben genannte. Beispiel!3 zweierlei festgestellt werden kann: einerseits ging der seinerzeitige Bundestagspräsi10 § 2 Abs. 2 GO-LTBW, § 1 Abs. 2 Satz 1 GO-BayLT; § 10 Abs. 2 GO-AbgHBerl; § 2 Abs. 1 Satz 2 GO-LTBr; § 1 Abs. 2 GO-HamBü; § 1 Abs. 1 GO-LTHess; § 1 Abs. 2 Satz.2 GO-LTMV; § 68 Abs. 1 GO-LTNds; § 2 Abs. 1 Satz 1 GOSächsLT; § 58 Abs. 2 Satz 1 GO-LTSA; § 1 Abs. 2 Satz 2 GO-LTSchH. 11 Siehe Erstes Kapitel, A. III. 12 Wie im Fall des Abgeordneten Heym im Verlauf der 13. Wahlperiode. 13 Siehe Erstes Kapitel, A. III.

B. Die Legitimation des Amtswalters nach § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT

155

dent Gerstenmaier offenbar davon aus, daß der Alterspräsident der konstituierenden Sitzung zur Sitzungsvertretung berufen sei; andererseits wurde tatsächlich einer der älteren anwesenden Abgeordneten mit der Sitzungsleitung beauftragt, ohne daß erkennbar war, ob dieser der älteste anwesende Abgeordnete war. Rechtliche Zweifel an dieser Praxis sind offenbar nicht erhoben worden. Die geschilderte Situation zeigt aber deutlich, daß ein Bedürfnis an einer Vertretungsregelung besteht, die eine zweifelsfreie Regelung der Stellvertretung bei der Verhinderung des Präsidenten und seiner Stellvertreter vornimmt. Richtigerweise wird man § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT daher so auszulegen haben, daß immer, wenn der Präsident und seine Stellvertreter verhindert sind, nicht der Alterspräsident der konstituierenden Sitzung, sondern der älteste anwesende Abgeordnete, der bereit ist, die Sitzungsleitung zu übernehmen, befugt ist, die Verhandlungen zu leiten. Dieses Verständnis des § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT wird auch den Bedürfnissen der Parlamentspraxis gerecht, die eine unverzügliche Übernahme der Sitzungsleitung durch einen anwesenden Abgeordneten ermöglicht. Eine solche Interpretation entspricht auch den Regelungen in einigen Bundesländern, die eine derartige Vertretungsregelung ausdrücklich vorsehen 14. Eine Änderung des § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT dergestalt, daß anstelle des "Alterspräsidenten" der "älteste Abgeordnete" eingefügt wird, könnte hier klarstellend und hilfreich wirken. Zweckmäßigerweise sollte man dann an dieser Stelle auch nicht mehr vom Alterspräsidenten sprechen, sondern vom Aushilfspräsidenten, wie er bereits im Reichstag des Kaiserreiches existierte 15.

ß. Die Legitimation des Amtswalters nach § 8 Abs. 2 Satz 2 GOßT Ebenso wie der Alterspräsident der konstituierenden Sitzung bedarf der "Aushilfspräsident" auch der umfassenden Legitimation, um rechtmäßig handeln zu können. Als Leitungsorgan könnte der Alterspräsident im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT insoweit funktionell-institutionell legitimiert sein, als Art. 40 Abs. I Satz I GG Stellvertreter des Bundestagspräsidenten ausdrücklich vorsieht. Fraglich könnte jedoch sein, ob der älteste anwesende Abgeordnete als Organwalter hinreichend organisatorisch-personell legitimiert ist. Art. 40 14 IS

VgJ. § 58 Abs. 2 GO-LTSA. SO auch Köhler, ZParl 22 (1991), S. 186.

156 5. Kap.: Der Alterspräsident als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten

Abs. 1 Satz 1 GG regelt, daß neben dem Bundestagspräsidenten selbst auch die Stellvertreter durch Wahl zu bestimmen sind. Der Aushilfspräsident wird jedoch nicht durch Wahl in sein Amt berufen, sondern erhält dieses automatisch kraft Geschäftsordnung, wenn der Bundestagspräsident und seine Stellvertreter verhindert sind. Der Bundestag hat zu Beginn der Wahlperiode zwar über die Geltung der Geschäftsordnung abgestimmt, dies kann jedoch nicht ohne weiteres als hinreichende Legitimation angesehen werden, wenn Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG seinem Wortlaut nach die Wahl der Stellvertreter ausdrücklich anordnet. Eine andere Bewertung könnte sich jedoch dann ergeben, wenn Art. 40 Abs. 1 Satz I GG keine abschließende Regelung in Bezug auf die organisatorisch-personelle Legitimation des Organwalters treffen wollte, sondern auch die Bestellung des Organwalters als parlamentsinterne Angelegenheit über die Geschäftsordnungsautonomie des Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG auch in der Geschäftsordnung zuläßt. Dafür spricht, daß das Grundgesetz auch für die Modalitäten der Wahl des Bundestagspräsidenten keine weiteren ausdrücklichen Vorgaben enthält l6• Diese finden sich in § 2 GOBT, wonach eine geheime und schriftliche Wahl vorgesehen ist. Abweichend vom Wortlaut wurden die Vizepräsidenten in der überwiegenden Zahl der Fälle durch Handzeichen gewählt, ohne daß diese Praxis beanstandet worden wäre 17. Nach der Rechtsprechung des Bundesv.erfassungsgerichts erfordert die verfassungsrechtlich notwendige demokratische Legitimation eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Organ- bzw. Amtswaltern l8 • Dabei genügt es in aller Regel, wenn diese sich mittelbar auf das Volk als Träger der Staatsgewalt zurückführen läßt l9 • Abweichend vom strengen Wortlaut des Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG, der die Bestellung als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten durch Wahl regelt, kann eine Kontinuität in der Sitzungsleitung und damit die Funktionsfähigkeit des Bundestages als Verfassungsorgan nur dann geWährleistet werden, wenn man - quasi als ultima ratio - eine abstrakte Regelung der Stellvertretung trifft; anderenfalls könnte eine jederzeitige Sitzungsleitung nur dann gewährleistet werden, wenn sämtliche Abgeordnete (bis auf den letzten) vorab als potentiell in Betracht kommende Stellvertreter gewählt würden, was aber angesichts der seltenen Vertretungsfalle unpraktikabel wäre und damit auf einen bloßen Formalismus hinauslaufen würde. Da mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Bundestag ein 16

17 18 19

BK/Dach, Art. 40, Rdnr. 52. BK/Dach, ebd. BVerfGE 47,253 (275 f.); vgl. auch BVerfGE 52, 95 (130); 77, 1 (40). BVerfGE, ebd.

c. Die Kompetenzen des Alterspräsidenten nach § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT 157 weiter Spielraum bei der Regelung seiner parlamentsinternen Angelegenheiten zukommt, erscheint eine in der GaBT vorgenommene Vertretungsregelung als ultima ratio mit dem Grundgesetz vereinbar und damit zulässig. Die konkrete Legitimation des Amtswalters als Aushilfspräsident erfolgt auch nicht wie beim Alterspräsidenten zu Beginn der konstituierenden Sitzung losgelöst von der Geschäftsordnungsautonomie, sondern gerade durch die GaBT, über deren Wirksamkeit der Bundestag einen Beschluß gefaßt hat. Durch diesen u. U. auch nur vorläufigen Beschluß hat der Bundestag seinen Willen bekundet, eine Vertretung für seinen Präsidenten durch den ältesten anwesenden Abgeordneten nach § 8 Abs. 2 Satz 2 GaBT zu regeln. Im Ergebnis wird man daher feststellen können, daß § 8 Abs. 2 Satz 2 GaBT eine hinreichende demokratische Legitimation des ältesten Abgeordneten für die Stellvertretung des Bundestagspräsidenten gewährleistet.

c. Die Kompetenzen des Alterspräsidenten nach § 8 Abs. 2 Satz 2 GOßT

Der stellvertretende Präsident nach § 8 Abs. 2 Satz 2 GaBT hat die gleichen Befugnisse hinsichtlich der Sitzungsleitung und Ordnungs gewalt wie der Präsident bzw. seine Stellvertreter2o• Dies wird z. B. auch durch die Formulierung des § 8 Abs. 3 GaBT bestätigt, in dem vom "amtierenden Präsidenten" die Rede ist. Der "amtierende Präsident" ist derjenige, der die Funktionen des Präsidenten in der Sitzungsleitung wahrnimmt, sei es als gewählter Bundestagspräsident oder aber als Stellvertrete~l. Insgesamt hat daher der Aushilfspräsident weitergehende Befugnisse als der Alterspräsident der konstituierenden Sitzung. Unter seiner Leitung können anders als beim Alterspräsidenten der konstituierenden Sitzung auch sachliche Beschlüsse gefaßt werden. Ihm fällt die Leitungskompetenz des Bundestagspräsidenten einschließlich der für die Sitzung erforderlichen Ordnungsgewalt in dem Umfang zu, wie es für die Sitzungsleitung bis zum Wegfall der Verhinderung beim Bundestagspräsidenten und seiner gewählten Stellvertreter erforderlich ist22• Nicht davon betroffen sind jedoch die Befugnisse, die dem Bundestagspräsidenten als oberste Dienstbehörde und Verwaltungorgan nach § 7 Abs. bis 5 GaBT zukommen23 • Anders als beim Vgl. Rothaug, S. 95; Troßmann, GOBT, § 8, Rdnr. 4. BVerfGE 60, 374 (378). 22 Rothaug, S. 95; weitergehend Köhler, ZParl 22 (1991), S. 186, der dem Alterspräsidenten insoweit alle Kompetenzen zugestehen will, die der reibungslosen Durchführung der Sitzung "dienlich" (statt erforderlich) sind. 20

21

158 5. Kap.: Der Alterspräsident als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten

Alterspräsidenten der konstituierenden Sitzung kann der Aushilfspräsident auch den Bundestag repräsentierende Aufgaben wahmehmen24 • Dies ist dadurch gerechtfertigt, daß er als Stellvertreter des Präsidenten über seine geschäftsordnungsrechtliche Bestellung eine unmittelbare Legitimation erfährt, die im Verhältnis zu der des Alterspräsidenten der konstituierenden Sitzung von höherer demokratischer Dignität ist. Die Ausübung des Hausrechts steht dem Alterspräsidenten nur insoweit zu, als ihm vom Bundestagspräsidenten die Befugnis zur Ausübung übertragen ist. Das gleiche gilt für die Polizeigewalt, die dem Bundestagspräsidenten ebenfalls nach Art. 40 Abs. 2 Satz 1 ausschließlich übertragen ist.

D. Die Rechtsstellung als Stellvertreter Die Organstellung des Alterspräsidenten als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten geht über die Befugnisse als vorläufiges Leitungsorgan hinaus. Eine andere Bewertung seiner Organeigenschaft ergibt sich dadurch jedoch nicht. Vielmehr kommt ihm die gleiche Rechtsstellung als Organ zu, wie sie für den Alterspräsidenten als vorläufiges Leitungsorgan dargestellt wurde. Insbesondere ist auch er als Stellvertreter des Präsidenten ein Gelegenheitsorgan mit einer zeitlichen Befristung bis zur Übernahme der Amtsgeschäfte durch einen der gewählten Präsidenten. Dies ändert sich auch in dem unwahrscheinlichen Fall nicht, daß die nach § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT erforderliche vorübergehende Verhinderung in eine dauerhafte umschlagen sollte25 • Vielmehr wird man dann den Alterspräsidenten als verpflichtet ansehen müssen, für die umgehende Neuwahl des Präsidenten nach § 2 GOBT Sorge zu tragen.

23 24 25

Köhler, ZParl 22 (1991), S. 184, 186. So auch Köhler, ZParl 22 (1991), S. 186. Vgl. Köhler, ZPari 22 (1991), S. 187.

Sechstes Kapitel

Alternativen zum Alterspräsidenten als vorläufiges Leitungsorgan und Ausblick Die eingangs geschilderten Fälle, in denen Probleme mit der Bestellung des ältesten Abgeordneten zum vorläufigen Leitungsorgan bzw. in der Person des Alterspräsidenten auftraten, legen die Frage nach zulässigen Alternativen nahe, sofern ein Abgehen von der bisherigen Praxis als politisch opportun erscheint. Auch wurde bereits die Sicht Robert v. Mohls im Vorfeld der Verfassungsgebenden Nationalversammlung von 1848 dargelegt, der die Beauftragung des ältesten Abgeordneten mit der vorläufigen Leitung der konstituierenden Sitzung als "unbedingte Verwerflichkeit"l abgelehnt hatte. Insoweit könnte die Frage aufgeworfen werden, ob es tatsächlich immer zweckmäßig ist, den ältesten Abgeordneten mit der vorläufigen Leitung der konstituierenden Sitzung zu betrauen. Bei der Frage nach alternativen Organwaltern ist ein Blick auf die Konstituierung von Parlamenten in anderen Staaten statthaft. Naturgemäß kommt ein vorläufiges Leitungsorgan nur dort in Betracht, wo der Parlamentspräsident vom Parlament selbst gewählt wird. Dies ist zwar in der weit überwiegenden Zahl der Parlamente der Welt auch der Fa112 . Der Vollständigkeit halber sei aber darauf hingewiesen, daß beispielsweise der Sprecher des Kanadischen Senats auf Vorschlag des Premierministers vom Generalgouverneur, der Präsident des Jordanischen Senats und die Parlamentspräsidenten von Malawi und Thailand vom jeweiligen Staatsoberhaupt ernannt werden 3 • Die Ernennung des Speaker des britischen Unterhauses nach seiner Wahl bedarf - obgleich heutzutage mehr eine reine Formalität - der Bestätigung durch die Queen; das Leitungsorgan des Oberhauses, der Lord Chancellor, ist ein Mitglied der Regierung und wird von der Queen auf Vorschlag des Premierministers ernannt4 . In den USA ist der Vizepräsident de jure Leitungsorgan des Senats und in Indien ist der Vize-. präsident de jure Vorsitzender des Bundesrates5 • 1 2

3 4

v. Mohl, S. 8 f. Vgl. Interparliamentary Union, S. 314. Vgl. Interparlamentary Union, ebd. Vgl. Interparlamentary Union, ebd.

160

6. Kap.: Alternativen und Ausblick

Der Blick auf andere Parlamente einschließlich die der Bundesländer, namentlich auf die Regelung zum vorläufigen Leitungsorgan in der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, zeigt, daß Alternativen zu der Regelung im Deutschen Bundestag durchaus in Betracht kommen können. Da nach der hier vertretenen Auffassung die Bestellung des ältesten Abgeordneten zum Alterspräsidenten verfassungsgewohnheitsrechtlich erfolgt, kann eine alternative Regelung nur im Wege einer förmlichen Grundgesetzergänzung herbeigeführt werden. Insoweit wird man sagen können, daß allein die Änderung der Geschäftsordnung, wie dies zugunsten des dienstältesten Abgeordneten in der Geschäftsordnung des Landtages von Schleswig-Holstein geschehen ist, nicht nur unzureichend ist, sondern als verfassungswidrig anzusehen ist, da die Geschäftsordnung einen Satz des Verfassungsgewohnheitsrechts nicht derogieren kann. Wollte man eine alternative Regelung der Organwalterschaft ins Grundgesetz aufnehmen, so stellt sich nicht die Frage, ob eine derartige Regelung verfassungsmäßig ist, da es an einem übergeordneten Prüfungsmaßstab fehlt. Gleichwohl wird man aber fragen müssen, ob sich eine bestimmte Alternativregelung mehr oder weniger in die Prinzipien und die Systematik des Grundgesetzes einfügen läßt. Im Ergebnis dürfte dann derjenigen Alternative zum Alterspräsidenten der Vorzug zu geben sein, die eine Durchbrechung bestehender Prinzipien vermeidet oder auf ein Minimum reduziert. Dies vorab bemerkt ließe sich fragen, ob die Organwalterschaft für das vorläufige Leitungsorgan von einem Mitglied des Bundestages wahrgenommen werden kann, das gleichzeitig Regierungsmitglied ist (unten A.) oder ob gar auf Personen zurückgegriffen werden kann, die nicht Mitglieder des Bundestages sind (wie z. B. den Bundestagsdirektor, unten B.). Fraglich ist ferner, ob alternativ zum Lebensalter auch andere Bestimmungskriterien (z. B. das Dienstalter) für die Bestellung des Organwalters herangezogen werden können (unten c.). Schließlich wäre zu fragen, ob es nicht zweckmäßiger wäre, den bisherigen Bundestagspräsidenten als vorläufiges Leitungsorgan mit der Durchführung der Wahl des neuen Bundestagspräsidenten zu betrauen (unten D.).

A. RegierungsmitgliederIInkompatibilitäten Fraglich könnte sein, ob Regierungsmitglieder, die gleichzeitig Mitglieder des neugewählten Bundestages sind, als Organwalter für das vorläufige Leitungsorgan in Betracht kommen können, da die Bundesregierung nicht in gleicher Weise der Diskontinuität unterliegt wie der Bundestag6 . Aller5

Vgl. Interparlamentary Union, S. 314.

A. Regierungsmitglieder/Inkompatibilitäten

161

dings könnte insoweit ein Widerspruch mit dem Rechtsstaatsprinzip, namentlich dem Grundsatz der Gewaltenteilung, vorliegen. Die Frage der Vereinbarkeit von vorläufigem Leitungsorgan und z. B. Regierungsamt ist in der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestages schon verschiedentlich aufgetreten7 .

I. Grundsatz: Gewaltenteilung Das Prinzip der Dreiteilung der Staatsgewalt in Legislative, Exekutive und Judikative8 gehört als zentrales Organisationsprinzip des Grundgesetzes 9 zum Kernbereich des Rechtsstaatsprinzips. Dies folgt unmittelbar aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG IO • Danach kommt diesem Prinzip die Funktion zu, staatlichen Machtmißbrauch zu verhindern l1 bzw. die Staatsgewalt zu mäßigen und die Freiheit des Individuums zu schützen 12• Ferner dient das Prinzip der Gewaltenteilung der rationalen und sachgerechten Organisation des Staates 13, der Mäßigung der Staatsgewalt durch gegenseitige Kontrolle und Begrenzung 14 • In diesem Kontext wirkt sich das Prinzip der Gewaltenteilung auch auf die Konstituierung der jeweiligen Gewalt und die Bestimmung ihrer Kompetenzen sowie die Ausbalancierung der Verhältnisse zwischen den Staatsgewalten aus 15 • Im Grundgesetz vollzieht sich das Gewaltenteilungsprinzip auf drei Ebenen: der funktionalen, organisatorischen und personellen Gewaltenteilung 16 . Die Frage nach der Vereinbarkeit von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat ist auf der personellen Ebene angesiedelt. Danach ist grundsätzlich zu fordern, daß die Personen, die an der Ausübung der einen oder anderen Staatsgewalt beteiligt sind, nicht identisch sein dürfen, da anderenAblehnend Köhler, ZParl 22 (1991), S. 179. Vgl. 2. Bundestag, 1. Sitzung, 6.10.1953, StenBer., S. I ff.; 3. Bundestag, 1. Sitzung 15.10.1957, StenBer., S. I ff.; 4. Bundestag, 1. Sitzung 17.10.1961, StenBer., S. I ff.; Vgl. Köhler, ZParl 22 (1991), S. 179. 8 vgl. Jarass/Pieroth, Art. 20, Rdnr. 15 ff.; MDH/Herzog, Art. 20, V; Bollmann, S.39. 9 BVerfGE 3, 225 (247); 67, 100 (130); Stern, Staatsrecht 11, S. 546. 10 MDH/Herzog, Art. 20, V, Rdnr. I; Schmidt-Aßmann, HStR I, S. 1013; Hesse, Rdnr. 477; Jarass/Pieroth, Art. 20, Rdnr. 15. 11 MDH/Herzog, Art. 20, VII, Rdnr. 22. 12 BVerfGE 9, 268 (279 f.). 13 BVerfGE 68, I (86); Jarass/Pieroth, Art. 20, Rdnr. 15; Hesse, Rdnr. 482; Stern, Staatsrecht 11, S. 530. 14 BVerfGE 9, 268 (279 f.); Jarass/Pieroth, Art. 20, Rdnr. 16. 15 Bollmann, S. 79; Hesse, Rdnr. 482, 484 ff. 16 Vgl. MDH/Herzog, Art. 20, V, Rdnr. 13 ff.; Schmidt-Aßmann, HStR I, § 24, Rdnr. 51 ff. 6

7

11 Klopp

162

6. Kap.: Alternativen und Ausblick

falls die auf der organisatorischen Ebene vorgenommene Gewaltenteilung faktisch wieder aufgehoben würde 17 •

Im Grundgesetz und einfachen Gesetzesrecht sind eine Reihe von Kompatibilitäten geregelt, die die so verstandene Gewaltenteilung auf personel-. ler Ebene absichern sollen. So regelt beispielsweise Art. 53 a Abs. 1 Satz 2 GG, daß die dem Gemeinsamen Ausschuß angehörenden Mitglieder des Bundestages nicht der Bundesregierung angehören dürfen. Auch der Bundespräsident darf weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören (Art. 55 Abs. 1 GG). Ähnliches gilt für die Richter am Bundesverfassungsgericht (Art. 94 Abs. 1 Satz 3 GG, § 3 Abs. 3 BVerfGG).

11. Ausnahme: Durchbrechung durch das Prinzip des parlamentarischen Regierungssystems Fraglich könnte sein, ob es mit dem Gewaltenteilungsprinzip vereinbar ist, wenn Regierungsmitglieder gleichzeitig Bundestagsabgeordnete sind 18 . Zwar wird einerseits behauptet, es handele sich bei der sog. Ministerkompatibilität um eine der "handgreiflichsten Abweichungen vom Prinzip der Gewaltenteilung ( ... ), die unser gesamtes Verfassungssystem aufzuweisen hat,,19; andererseits handelt es sich um eine ständige Praxis seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland2o • Auch scheint Einigkeit darüber zu bestehen, daß die Ministerkompatibilität keinen Verfassungsverstoß darstellt, soweit die Vereinbarkeit von Bundestagsmandat und Regierungsmitgliedschaft angesprochen ist21 • Begründet wird dies damit, daß das Prinzip des Parlamentarischen Regierungssystems, wonach die Regierung vom Vertrauen des Parlaments abhängig ise2 , den Grundsatz der Gewaltenteilung insoweit einschränkt23 • Genauer gesagt folgt die Vereinbarkeit von Regierungsamt und Parlamentsmandat einem dem Prinzip des parlamentarischen Regierungssystem entspringenden Satz des Verfassungsgewohnheitsrechts, der seinen Ursprung im Weimarer Parlamentarismus hat24 .

MDH/Herzog, Art. 20, V, Rdnr. 16; Maunz/Zippelius, § 13 III, S. 91. Grundlegend hierzu Schmidt-Jortzig, ZgS 1974; S. 123 ff.; Sturm, S. 91 ff. 19 MDH/Herzog, Art. 20, V, Rdnr. 46. 20 Schmidt-Jortzig, ZgS 1974, S. 124 f. 21 MDH/Herzog, Art. 20, V, Rdnr. 46; Sturm, S. 92 ffi. w. Nw., S. 95 f.; Schmidt-Jortzig, ZgS 1974, S. 139 f.; Stern, Staatsrecht 11, S. 538; Hesse, § 13, Rdnr.489. 22 Schmidt-Jortzig, ZgS 1974, S. 131. 23 MDH/Herzog, Art. 20, V, Rdnr. 46; Stern, Staatsrecht 11, S. 538. 24 Schmidt-Jortzig, ZgS 1974, S. 139 f. 17

18

B. Der Bundestagsdirektor

163

IH. Gegenausnahme: Organfunktionen Die Ministerkompatibilität stößt jedoch dort an ihre Grenzen, wo der Kernbereich des Gewaltenteilungsprinzips betroffen ist. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn wesentliche Merkmale des betroffenen Funktionsbereichs angetastet werden 25 . Ein derartiger nicht zu rechtfertigender Eingriff in den Kernbereich des Gewaltenteilungsprinzips wäre demnach gegeben, wenn offizielle, leitende und den Bundestag repräsentierende Positionen innerhalb des Parlamentes (z. B. Bundestagspräsidium, Ausschußvorsitz) von Ministern wahrgenommen würden 26 . Im Ergebnis ist daher festzustellen, daß die Bestellung eines Mitgliedes der Bundesregierung zum Organwalter des vorläufigen Leitungsorgans der konstituierenden Sitzung einen Eingriff in den Kernbereich des Gewaltenteilungsprinzips darstellte und damit nicht in Betracht kommt27 •

B. Der Bundestagsdirektor Mit Blick auf das in England bis 1972 praktizierte Verfahren, wonach der Clerk of the House beim Zusammentritt des neugewählten Unterhauses die Wahl des Speaker leitete, und dei bereits genannten historische Vorbilder ließe sich fragen, ob das vorläufige Leitungsorgan notwendigerweise Mitglied des Bundestages sein sollte. Im Bundestag wie in seinen parlamentarischen Vorgängern wurde stets das älteste Mitglied des Parlaments mit der vorläufigen Leitung der konstituierenden Sitzung betraut. Und auch die französische Revolutionsverfassung von 1791 enthielt die Regelung, daß der älteste Abgeordnete zur Leitung der konstituierenden Sitzung berufen war. Es fragt sich daher, ob bzw. inwieweit eine alternative Regelung zu bestehenden Regelungen des Grundgesetzes im Widerspruch steht, die auf Amtswalter außerhalb des Kreises der Bundestagsmitglieder zurückgreift. Für den Bundestag wäre analog beispielsweise der Bundestagsdirekor als vorläufiges Leitungsorgan denkbar, der durch seinen Status als Bundesbeamter zur Neutralität verpflichtet ist und darüber hinaus aufgrund seiner Erfahrung als "erster Maschinist des Bundestages..28 eine hinreichende Gewähr für eine kompetente Sitzungsleitung bieten könnte. 25 BVerfGE 9, 268 (280); Schmidt-Aßmann, HStR I, § 24, Rdnr. 56; Stern, Staatsrecht 11, S. 541 f.; Zimmer, S. 233 f. 26 Schmidt-Jortzig, ZgS 1974, S. 141; Sturm, S. 95 f. 27 So auch Schmidt-Jortzig, ZgS 1974, S. 141, für den Alterspräsidenten unter Hinweis auf die Praxis im Bundestag, als Adenauer auf das Alterspräsidentenamt in der 1. Sitzung des 2. Bundestages am 6.10.1953 "verzichtete". 11'

6. Kap.: Alternativen und Ausblick

164

Da sich auch die Bestellung des Amts- bzw. Organwalters lückenlos auf die Volkssouveränität rückbeziehen muß, ist insoweit die Frage nach der organisatorisch-personellen Legitimation angesprochen. Erforderlich ist demnach eine konkrete, auf den einzelnen Amtswalter bezogene Legitimationskette, die sich auf das Volk als Träger der Staatsgewalt zurückführen· läßt. Hinsichtlich der grundsätzlichen demokratischen Legitimation des Bundestagsdirektors zur Ausübung von Staatsgewalt dürften keine Zweifel bestehen, da er Beamter des Bundestages ist und vom Bundestagspräsidenten ernannt wurde. Fraglich ist jedoch, ob er legitimiert sein sollte, die konstituierenden Sitzung zu leiten. Dies würde bedeuten, daß er gegenüber den unmittelbar gewählten Bundestagsabgeordneten die Leitungskompetenz besäße und auch Ordnungsmittel einsetzen könnte. Insoweit käme es geradezu zu einer Umkehrung des ansonsten bestehenden Verhältnisses zwischen dem Bundestagsdirektor als höchstem Beamten des Kanzleiorgans Bundestagsverwaltung 29 einerseits und dem ihm gegenüber weisungs berechtigten Plenum der versammelten Abgeordneten andererseits. Des weiteren erscheint es mißlich, daß den unmittelbar gewählten Abgeordneten, deren demokratische Legitimation von höchster Dignität ist, ein Leitungsorgan gegenübersteht, dessen Legitimationskette länger ist. Von daher sollte auf eine Alternative, die den Bundestagsdirektor als vorläufiges Leitungsorgan vorsieht, verzichtet werden.

c.

Der dienstälteste Abgeordnete

Des weiteren ließe sich fragen, ob nicht der dienstälteste Abgeordnete als Organwalter für das Amt des Alterspräsidenten in der konstituierenden Sitzung in Betracht kommen könnte. Abgesehen von der Feststellung, daß nach der hier vertretenen Auffassung eine derartige Regelung im Grundgesetz zur Aufhebung der bestehenden verfassungsgewohnheitsrechtlichen Regelung getroffen werden müßte, findet sich beispielsweise in § 1 Abs. 2 Satz 2 der Geschäftsordnung des Landtages von Schleswig-Holstein die Vorgabe, daß Alterspräsident derjenige Abgeordnete ist, der ..dem Landtag die längste Zeit angehört hat". Zudem findet sich seit 1972 eine ähnliche Regelung im britischen Unterhauses, wo man mit einer Änderung der Standing Orders (No. 1 (1» vom 28 So die Eigencharakterisierung des Bundestagsdirektors Kabel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung v. 16.9.1995, S. 15. 29 Vgl. WolfflBachofII, § 75, I d 5, S. 66.

c. Der dienstälteste Abgeordnete

165

August 197230 dazu überging, die Wahl des Speaker durch den "Father of the House" als dem am längsten gedient habenden Mitglied des Parlamentes zu leiten31 • Erst seit diesem Zeitpunkt sah es das Unterhaus als seine Aufgabe an, die Wahl des Speaker aus den eigenen Reihen durch ein Mitglied des Unterhauses leiten zu lassen 32 • Fraglich könnte sein, ob eine derartige Regelung für den Bundestag mit anderen Bestimmungen des Grundgesetzes vereinbar wäre, weil eine bestimmte Gruppe von Abgeordneten, die dem Bundestag schon vorher angehörten, gegenüber denjenigen, die erst neu gewählt wurden, privilegiert würde 33 • Möglicherweise könnte die Anknüpfung der Organwalterschaft an das Dienstalter eine Durchbrechung des Prinzips der formalen Gleichbehandlung aller Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 GG darstellen. Nach Art. 38 Abs. 1 werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Dabei sind sie Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Aus Art. 38 Abs. 1 folgt, daß jeder einzelne Abgeordnete einen Anspruch auf Mitwirkung an allen Funktionen hat, die dem Verfassungsorgan Bundestag durch das Grundgesetz zugewiesen sind34 • Art. 38 Abs. 1 differenziert nicht zwischen einzelnen Abgeordneten bzw. Abgeordnetengruppen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts35 kennt das Grundgesetz im Parlamentsrecht keine für den Status des Abgeordneten erheblichen besonderen, in seiner Person liegenden Umstände, die eine Differenzierung innerhalb seines Status rechtfertigen können. Insoweit enthält Art. 38 Abs. 1 GG einen abgeordnetenspezifischen Gleichheitssatz, der Modifizierungen nur in dem Maße zuläßt, wie es für die parlamentarische Arbeitsteilung36 bzw. zur Erhaltung der Funktionsfahigkeit des Parlaments 37 oder zum Schutz vorrangiger Verfassungsgüter 8 erforderlich ist. Eine Differenzierung der neugewählten Abgeordneten nach dem Dienstalter hätte zur Folge, daß neu oder dem Bundestag seit kurzer Zeit angehö30 Vgl. auch zu den Ursachen, die zu dieser Änderung geführt haben: Griffithl Ryle, S. 143. 31 GriffithlRyle, S. 143. 32 GriffithlRyle, S. 143. 33 Zweifelnd insoweit auch Köhler, ZParl22 (1991), S. 188. 34 BVerfGE 70, 380 (381); Grimm, ParIRPr, § 6, Rdnr. 25. 3S BVerfGE 40,296 (317 f.). 36 Vgl. Grimm, ParIRPr, § 6, Rdnr. 25; BVerfGE 10,4 (11 ff.); 60, 374 (379). 37 David, S. 134, Rdnr. 15; BayVerfGH, BayVwBI, S. 435. 38 Badura, ParlRPr, § 15, Rdnr. 16.

166

6. Kap.: Alternativen und Ausblick

rende Abgeordnete von vornherein von der Organwalterschaft ausgeschlossen wären. Insoweit läge eine Ungleichbehandlung vor, die dienstältere Abgeordnete gegenüber den dienstjüngeren, und hier insbesondere den erstmalig neugewählten, privilegiert. Zwar ließe sich einwenden, daß bei der Differenzierung nach dem Lebensalter im Alter jüngere Abgeordnete ebenfalls von vornherein von der vorläufigen Leitung der konstituierenden Sitzung ausgeschlossen sind, doch handelt es sich bei dem Zufallskriterium Lebensalter um ein persönliches Merkmal, das ohne Ansehen der Person und deren bisheriger Mitgliedschaft im Bundestag allen Abgeordneten die gleiche Chance bietet, an den parlamentsinternen Angelegenheiten des Bundestages mitzuwirken. Die Frage ist daher, ob einem durch unmittelbare Wahl des Souveräns legitimierten Mandatsträger nur deswegen gegenüber einem anderen benachteiligt werden sollte, weil dieser andere bereits eine oder mehrere Legislaturperioden dem Parlament angehört und damit - sozusagen Anwartschaften auf das Amt des Alterspräsidenten erworben hat. Diese Ungleichbehandlung der Abgeordneten bei der Zugrundelegung des Dienstalters könnte aber gerechtfertigt sein, wenn es für die parlamentarische Arbeitsteilung bzw. zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Parlaments oder zum Schutz vorrangiger Verfassungs güter erforderlich ist. Erforderlich ist eine Regelung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dann, wenn sie geeignet und zugleich das mildeste Mittel ist, um die parlamentarische Arbeitsteilung, die Erhaltung der Funktionsfahigkeit oder den Schutz vorrangiger Verfassungs güter zu gewährleisten. Stellt man auf das Motiv der Erhaltung bzw. Herstellung der Funktionsfähigkeit des Parlaments ab, so spricht in der Tat einiges dafür, die Dienstältestenregelung als Differenzierungskriterium als geeignet anzusehen. Dies wird nicht nur durch die ursprünglichen Bedenken v. Mohls gestützt, sondern auch durch historische Erfahrungen mit "schwachen" Alterspräsidenten bestätige9 • Gleichwohl wird man eine Dienstalters-Regelung zur Bestellung des Alterspräsidenten trotz ihrer Eignung nicht für erforderlich im Sinne eines mildesten Mittels halten dürfen, um die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten. Die parlamentarische Praxis der bisher auf deutschem Boden tätigen Parlamente zeigt, daß Ausfallerscheiungen bei den Alterspräsidenten vergleichsweise selten vorkamen; vielmehr kann gesagt werden, daß die bisherigen Alterspräsidenten ihre Funktion in vollem Umfang erfüllten. Die Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu 39 Vgl. z. B. die Verhandlungsleitung durch Alterspräsident Bock, 11. Reichstag, l. Sitzung 27.5.1924, StenBer., S. 1 ff.

D. Der bisherige Bundestagspräsident

167

sichern, indem man den dienstältesten Abgeordneten zum Alterspräsidenten beruft, ist daher nicht gegeben. Eine grundgesetzliche Regelung, wonach der dienstälteste Abgeordnete zum vorläufigen Leitungsorgan der konstituierenden Sitzung berufen ist, wäre mit dem Grundsatz der formalen Gleichbehandlung aller Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 GG nicht vereinbar und würde daher eine Durchbrechung dieses Grundsatzes bedeuten. Von einer alternativen Bestellung des dienstältesten Abgeordneten zum Alterspräsidenten sollte daher abgesehen werden.

D. Der bisherige Bundestagspräsident Fraglich wäre, ob nicht der Präsident des vorangegangenen Bundestages als vorläufiges Leitungsorgan in der konstituierenden Sitzung fungieren könnte. Eine derartige Regelung wird - wie bereits gesagt - im Landtag von Nordrhein-Westfalen praktiziert. Dort bestimmt Art. 38 Abs. 2 VerfNRW: "Bis zur Wahl des neuen Präsidiums führt das bisherige Präsidium die Geschäfte weiter."

Eine Regelung über die vorläufige Leitung der konstituierenden Sitzung in der Geschäftsordnung wurde daher entbehrlich und ist auch tatsächlich nicht gegeben. Des weiteren wurde eine derartige Regelung nach der Machtergreifung durch die NSDAP mit Änderung vom 21. März 1933 - wie bereits oben dargestellt - in die Geschäftsordnung des Reichstages der Weimarer Republik eingeführt. § 13 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Reichstages lautete daraufhin: "Wenn der Reichstag nach einer Neuwahl zusammentritt, führt bis zur Übernahme des Amtes durch den neugewählten Präsidenten oder dessen neugewählte Stellvertreter den Vorsitz der Präsident des letzten Reichstages. Ist dieser nicht Mitglied des neuen Reichstages oder ist er verhindert, so wird er durch die Stellvertreter des Präsidenten im letzten Reichstag in der Reihenfolge ihres Dienstalters vertreten. Sind Präsident und Stellvertreter des letzten Reichstages gleichzeitig verhindert; so übernimmt das an Lebensjahren älteste und, wenn es ablehnt, das nächstälteste Mitglied zunächst den Vorsitz."

Es soll an dieser Stelle versucht werden, diese Regelung frei vom ideologischen Ballast zu betrachten, da hier eine Instrumentalisierung des - politischen - Geschäftsordnungsrechts auf eine ideologische Motivation zurückzuführen ist, nämlich die Ausgrenzung der linksgerichteten Parteien seinerzeit von Leitungsfunktionen im Parlament.

168

6. Kap.: Alternativen und Ausblick

Zweckmäßig wäre diese Variante für die vorläufige Leitung der konstituierenden Sitzung des Bundestags, weil der bisherige Bundestagspräsident ohnehin nach § 1 Abs. 1 GOBT iVm. Art. 39 GG zur Einberufung der konstituierenden Sitzung verfassungsmäßig verpflichtet ist4o . Warum soll er sie dann nicht auch leiten können? Ferner ist er in der interfraktionellen Besprechung vertreten, die die konstituierende Sitzung vorbereitet. Teilweise41 wird eingewandt, daß ein Verstoß gegen den Diskontinuitätsgrundsatz gegeben sei, ohne daß dies jedoch näher begründet wird. Der Begriff der Diskontinuität wird weder im Grundgesetz, noch in früheren Verfassungen und Landesverfassungen verwendet42 • Einen kodifizierten Anknüpfungspunkt stellt jedoch § 125 Satz 1 GOBT dar, wonach alle Vorlagen des Bundestages am Ende der Wahlperiode als erledigt gelten43 . Diese als sachliche Diskontinuität bezeichnete Regelung 44 wird aus der so genannten personellen Diskontinuität hergeleitet, die besagt, daß mit dem Ablauf der Wahlperiode zwar nicht der Bundestag als verfassungsrechtliche Institution bzw. Organ sein Ende findet, wohl aber seine konkrete personelle Zusammensetzung45 , was auch in der Bezeichnung Erster, Zweiter, Dritter Bundestag usw. zum Ausdruck kommt. Dies hat zur Folge, daß zwar die obligatorischen Unterorgane des Bundestages, die bereits durch das Grundgesetz institutionalisiert sind, wie etwa der Präsident, dessen Stellvertreter und die Schriftführer (Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG), die Ausschüsse für Auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung (Art. 45a Abs. 1 GG), der Wehrbeauftragte (Art. 45 b Satz 1 00) und der Petitionsausschuß (Art. 45 c Abs. 1 GG), als Organe weiter bestehen bleiben, die jeweilige Organwalterschaft aber grundsätzlich entfällt bzw. neu bestimmt werden muß, soweit nicht durch die Verfassung selbst oder durch Gesetz - wie z. B. im Falle der fünfjährigen Amtszeit des Wehrbeauftragten des Bundestages (§ 14 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages) - eine andere Regelung auch die Fortdauer der Organwalterschaft regelt. Der Geltungsgrund des Diskontinuitätsgrundsatzes wird in dem Prinzip der sich periodisch erneuernden Repräsentation gesehen, wie es in Art. 20 Abs. 2, 38 Abs. 1 und 39 Abs. 1 GG zum Ausdruck gekommen ist, wonach die dem Bundestag durch unmittelbare Wahlen vom Volk übertragene 40 Ritzel/Bücker, § I, Anm. I b.; für eine verfassungsgewohnheitsrechtliche Verpflichtung des bisherigen Bundestagspräsidenten zur Einberufung der konstituierenden Sitzung MDH/Klein, Art. 39, Rdnr. 42. 41 Köhler, ZParl 22 (1991), S. 188. 42 Vgl. Jekewitz, S. 17. 43 Vgl. Ritzel/Bücker, Vorbem. zu § 125. 44 Vgl. MDH/Maunz, Art. 39, Rdnr. 18.; Jekewitz, S. 22. 45 MDH/Klein, Art. 39, Rdnr. 60.

D. Der bisherige Bundestagspräsident

169

Handlungsgewalt nur zeitlich begrenzt und jeweils für die Dauer der Legislaturperiode ausgeübt werden kann46 . Der neugewählte Bundestag soll nicht schon zu Beginn der Wahlperiode mit Vorlagen des alten Bundestages belastet werden, die vielleicht gerade auf dessen parteipolitische Struktur zurückzuführen sind47 und damit eine eindeutige Zuordnung von z. B. Gesetzesbeschlüssen zu den jeweiligen Bundestagen erreicht wird. Obwohl im Grundgesetz nicht ausdrücklich geregelt, wird der Grundsatz der Diskontinuität überwiegend als verfassungsrechtliches Institut48 angesehen, wobei umstritten ist, ob es sich um einen Satz des Verfassungsgewohnheitsrechts49 oder aber einen Rechtssatz handelt, der aus der Entscheidung des Grundgesetzes für die Parlamentarische Demokratie herzuleiten ist, wie sie auch in Art. 20 Abs. 2 Satz 2, 38 Abs. 1 Satz 1, 39 Abs. 1 Satz 1 GG zum Ausdruck gekommen ist5o• Auswirkungen auf das Amt des Alterspräsidenten hat der Diskontinuitätsgrundsatz insoweit, als zwar das in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG inzident angesprochene vorläufige Leitungsorgan als Organ sich auch im neugewählten Bundestag auf eine verfassungsrechtliche Grundlage berufen kann, die Frage des konkreten Amtswalters jedoch der Diskontinuität unterfällt und somit vom neugewählten Bundestag beantwortet werden muß. Insoweit erscheint der Einwand, die Bestellung des bisherigen Bundestagspräsidenten zum vorläufigen Leitungsorgan der konstituierenden Sitzung widerspreche dem Diskontinuitätsgrundsatz im Hinblick auf die gegenwärtige Rechtslage nicht unberechtigt. Gleichwohl wird man fragen müssen, ob das Ziel, den bisherigen Bundestagspräsidenten oder - im Falle einer Wiederwahl - einen seiner Vertreter die konstituierende Sitzung vorläufig leiten zu lassen, nicht im Wege einer Änderun~ des Grundgesetzes möglich wäre. Die bislang praktizierte Regelung im Landtag von Nordrhein-Westfalen deutet darauf hin, daß verfassungsrechtliche Bedenken offenbar nicht bestehen. Auch auf Bundesebene waren vor der Änderung des Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG im Jahre 1976 das Präsidium, der ständige Ausschuß sowie die Ausschüsse für auswärtige Angelegenheiten und für Verteidigung vom Schicksal der Diskontinuität bewahrt worden, indem ihre Existenz grundgesetzlich geregelt war. lekewitz, S. 330 f. m. w. Nw.; MDH/Maunz, Art. 39, Rdnr. 18. MDH/Maunz, Art. 39, Rdnr. 18. 48 A. A. v. MünchIVersteyl, Art. 39, Rdnr. 25 (einfaches Gesetzesrecht); Müller, DÖV 1965, S. 508 (Geschäftsordnungsrecht). 49 MDH/Klein, Art. 39, Rdnr. 61 m. w. Nw.; HatscheklKurtzig, Staatsrecht, S. 410 ff. 50 lekewitz, S. 330 (Fn. 86 m. w. Nw.), S. 335 m. w. Nw. 46

47

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6. Kap.: Alternativen und Ausblick

Eine Änderung des Grundgesetzes dergestalt, daß Art. 39 Abs. 2 GG entsprechend der Regelung von Art. 38 Abs. 2 VerfNRW um den Satz "Bis zur Wahl des neuen Präsidiums führt das bisherige Präsidium die Geschäfte weiter." ergänzt wird bzw. Art. 40 GG um einen entsprechenden Absatz 2 ergänzt wird, hätte darüberhinaus auch einen weiteren Vorteil: Mit der Änderung des Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG sollte bezweckt werden, daß der Bundestag ständig vorhanden ist und seinen Kontrollaufgaben gegenüber der Regierung sowie seinen gesetzgeberischen Funktionen zu jeder Zeit nachkommen kann, da eine parlamentslose Zeit mit den Grundsätzen eines demokratisch-parlamentarischen Regierungssystems, das auf das Gegenüber und Miteinander von Regierung und Parlament angelegt ist, unvereinbar sei51 • Diesem Anspruch wurde in formeller Hinsicht mit der Änderung des Grundgesetzes auch entsprochen, da nach Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG die Wahlperiode des alten Bundestages mit dem Zusammentritt des neuen endet. So gesehen gibt es keine parlamentslose Zeit. Bei genauerem Hinsehen wird man aber feststellen müssen, daß es allein auf die formelle Existenz des nachfolgenden Bundestages nicht ankommen kann; vielmehr muß der Bundestag auch handlungsfähig gegenüber der Bundesregierung und als Gesetzgeber sein, um seinen verfassungsmäßigen Auftrag wahrnehmen zu können. Da der Bundestag als Körperschaft aber nur durch seine Organe handeln kann, die im Zeitpunkt des Zusammentritts noch nicht gewählt sind, ist auch nach der ·Reform des Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG noch eine zeitliche Lücke zwischen Zusammentritt und Wahl des Bundestagspräsidenten verblieben, in der er seinen Verfassungsauftrag nicht wahrnehmen kann. Man mag dies aufgrund der bisherigen Erfahrungen für unproblematisch und daher für hinnehmbar halten. Das sympathische an der Regelung in Art. 38 Abs. 2 VerfNRW ist aber, daß sie diesen "letzten Rest" eines fehlenden handlungsfähigen Bundestages beseitigt und das Konstituierungsverfahren damit keinen wie auch immer gearteten Störungen durch den Alterspräsidenten ausgesetzt ist. Zudem stünde mit dem bisherigen Parlamentspräsidenten ein Organwalter zur Verfügung, der mit seiner Erfahrung und der in der Regel vorhandenen Autorität die optimale Gewähr für eine effektive und zügige Konstituierung des neugewählten Bundestages bietet. Im Ergebnis bleibt somit festzuhalten, daß im Zuge einer vorzunehmenden Ergänzung des Grundgesetzes der bisherige Bundestagspräsident bzw. einer seiner Stellvertreter für die vorläufige Leitung der konstituierenden Sitzung in Betracht kommt.

SI Deutscher Bundestag, Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform vom 9.12.1976, BT-Drs. 7/5924, S. 33 ff.

E. Zusammenfassung und Ausblick

171

E. Zusammenfassung und Ausblick Zusammenfassend ist festzustellen, daß alternative Regelungen zur gegenwärtigen Bestellung des Alterspräsidenten möglich sind. Diese wäre nach der hier vertretenen Auffassung nur durch eine Änderung bzw. Ergänzung des Grundgesetzes möglich. Auf Organwalter außerhalb des Kreises der neugewählten Bundestagsmitglieder sollte hierfür nicht zurückgegriffen werden, um die Parlamentsautonomie nicht anzutasten. Die Einbeziehung von Regierungsmitgliedern in den Kreis der alternativen Organwalter verbietet sich nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung, wie auch der Bundestagsdirektor als gegenüber dem Plenum weisungsgebundener Beamter keine Leitungsfunktion gegenüber den unmittelbar gewählten Abgeordneten haben sollte. Die Bestellung des dienstältesten Abgeordneten zum Alterspräsidenten, könnte aus Zweckmäßigkeitserwägungen in Betracht zu ziehen sein, ließe sich aber gleichwohl mit dem Grundsatz der formalen Gleichbehandlung aller Abgeordneter kaum vereinbaren, da neugewählte Abgeordnete von vornherein als Organwalter ausgeschlossen wären. Zweckmäßig dürfte es hingegen sein, den bisherigen Bundestagspräsidenten oder einen seiner Stellvertreter bis zur Wahl des neuen Bundestagspräsidenten die konstituierende Sitzung leiten zu lassen. Ob man den Alterspräsidenten als eine "Institution des deutschen Parlamentarismus" zugunsten einer der soeben dargestellten Alternativen abschaffen sollte, dürfte - wie bereits eingangs gesagt - wohl politisch zu entscheiden sein. Vorzugswürdig dürfte es sein, den Alterspräsidenten auf seine eigentliche Funktion, die Wahl des Bundestagspräsidenten herbeizuführen, zu beschränken; ein repräsentatives Mandat - und damit das Recht eine Ansprache zu halten - steht ihm nicht zu. Wenngleich in der jüngeren Vergangenheit verschiedentlich Probleme in Zusammenhang mit dem Amt auftraten, so kann doch gesagt werden, daß sich hier allenfalls symptomatisch politische Entwicklungen widerspiegeln, die durch den Alterspräsidenten weder wesentlich verstärkt noch gedämpft werden können. Insoweit können auch die Geschehnisse um den Alterspräsidenten als ein Ausdruck der politischen Kultur eines Gemeinwesens verstanden werden. Eine Abschaffung des Alterspräsidentenamtes wäre allenfalls die Eliminierung eines Symptoms, dessen Ursachen mehr gesellschaftlich-politischer als rechtlicher Natur sind. Insoweit kann nur mit Nachdruck das eingangs zitierte Wort Böckenfördes unterstrichen werden, daß der freiheitliche Rechtsstaat "von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann, ohne seine Freiheitlichkeit in Frage zu stellen."

Zusammenfassung 1.

Die Konstituierung des Bundestages ist erst vollzogen, wenn er als Verfassungsorgan handlungsfähig ist. Dazu bedarf es eines hinreichend legitimierten Organs in Fonn des gewählten Bundestagspräsidenten.

2.

Der Alterspräsident wurde als vorläufiges Leitungsorgan eines das Volk repräsentierenden Parlamentes erstmals in der Französischen (Revolutions-)Verfassung vom 3.9.1791 (Titel m, Abschn. V, Art. 2) verfassungsrechtlich erwähnt.

3.

In Deutschland findet man den Alterspräsidenten erstmals in § 16 der Geschäftsordnung für die Zweite Kammer des Badischen Landtages, der nach der Landständischen Verfassungsurkunde des Großherzogthums Baden vom 22.8.1818 gebildet wurde. Der Badische Landtag war jedoch eine Ständeversammlung und kein das Volk repräsentierendes Parlament. Als vorläufiges Leitungsorgan eines autonomen, das Volk repräsentierenden Parlamentes wir~ der Alterspräsident erstmals in § 1 der Geschäftsordnung der Zweiten Kammer des Preußischen Landtages vom 28.3.1849 erwähnt, bevor es von dort in die Geschäftsordnung des Reichstags des Norddeutschen Bundes erstmals länderübergreifend in Erscheinung tritt.

4.

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde das Amt des Alterspräsidenten mit Änderung der Geschäftsordnung des Reichstages vom 23.3.1933 vorerst abgeschafft und durch eine Regelung ersetzt, wonach der bisherige Parlamentspräsident bis zur Wahl des neuen die konstituierende Sitzung leitete. Die Änderung steht in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Auftritt Clara Zetkins als Alterspräsidentin, die erstmals die Gelegenheit nutzte, als Alterspräsidentin eine Ansprache zu halten.

5.

Der Alterspräsident ist in einigen Bundesländern verfassungsrechtlich geregelt, und zwar in Art. 30 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung des LandesBaden-Württemberg und in Art. 44 Abs. 3 Satz 2 der Sächsischen Verfassung. Bis zum Inkrafttreten der Verfassungsrevision in Berlin im Jahre 1996 .war der Alterspräsident auch dort in Art. 39 Abs. 5 Satz 2 der Verfassung von Berlin ausdrücklich genannt.

6.

Der Landtag von Nordrhein-Wesfalen kennt keinen Alterspräsidenten, da Art. 38 Abs. 2 der Verfassung die Weiterführung der Geschäfte

Zusammenfassung

173

durch den bisherigen Präsidenten bis zur Wahl des neuen Landtagspräsidenten anordnet. 7.

Der Alterspräsident bedarf der umfassenden demokratischen Legitimation, da er als vorläufiges Leitungsorgan des Bundestages Staatsgewalt ausübt. Das erforderliche Legitimationsniveau wird durch die Formen der funktionell-institutionellen (Organ), der organisatorisch-personellen (Organwalter) und sachlich-inhaltlichen Legitimation vermittelt, die voneinander zu unterscheiden sind.

8.

Die funktionell-institutionelle Legitimation des Alterspräsidenten als vorläufiges Leitungsorgan folgt unmittelbar aus Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG, wo die Wahl des Bundestagspräsidenten angeordnet wird. Eine Wahl aber stellt ein Verfahren dar, das ohne ein Leitungsorgan nicht denkbar ist.

9.

Die organisatorisch-personelle Legitimation des ältesten Abgeordneten zum Organwalter folgt aus einem verfassungsgewohnheitsrechtlichen Satz, der allein in der Lage ist, die Diskontinuität der Geschäftsordnung des vorhergehenden Bundestages zu überwinden. Die Annahme eines verfassungsgewohnheitsrechtlichen Satzes unter der Herrschaft des Grundgesetzes begegnet keinen Bedenken, da es sich um vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht handelt.

10. Auf eine tragende Kompetenzzuweisung kann sich der Alterspräsident nur berufen, als er Maßnahmen ergreift, die für die Wahl des Bundestagspräsidenten erforderlich sind. Insoweit kann er sich nicht auf ein Recht berufen, eine Ansprache zu halten. Hier liegt allenfalls eine Duldung durch das Plenum vor. 11. "Ältester" Abgeordneter ist immer der lebensälteste. Eine Regelung, wonach der dienstälteste Abgeordnete Alterspräsident sein soll, bedarf einer ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Regelung. 12. Der Alterspräsident kann das Hausrecht für den Bundestag ausüben, solange der Bundestagspräsident noch nicht gewählt ist und ihm diese Befugnis übertragen ist. Insoweit kommt auch eine konkludente Übertragung in Betracht, wenn der Alterspräsident Maßnahmen aufgrund des Hausrechts ergreift und dies vom Plenum stillschweigend gebilligt wird. 13. Die Polizeigewalt steht dem Alterspräsidenten im Gebäude des Bundestages nicht zu, da es an einer Ennächtigungsgrundlage fehlt. Art. 40 Abs. 2 Satz 2 ermächtigt allein den Bundestagspräsidenten, die Polizeigewalt auszuüben und als besondere Polizeibehörde zu agieren. Mit diesem kann der Alterspräsident nicht gleichgesetzt werden.

174

Zusammenfassung

14. Die Ordnungsgewalt steht dem Alterspräsidenten insoweit zu, als sie ihm vom Plenum ausdrücklich (z. B. durch einen Beschluß über die vorläufige Weitergeltung der GOBT des bisherigen Bundestages) oder konkludent übertragen ist und ihre Anwendung für die Herbeiführung der Wahl des Bundestagspräsidenten erforderlich ist. 15. Als in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG vorausgesetztes vorläufiges Leitungsorgan ist der Alterspräsident unmittelbares Verfassungsorgan und Unterorgan des Bundestages. 16. Der Alterspräsident der konstituierenden Sitzung ist nicht notwenigerweise Sitzungsvertreter des Bundestagspräsidenten nach § 8 Abs. 2 Satz 2 GOBT. Vielmehr ist zur Sitzungsvertretung der älteste anwesende Abgeordnete berufen, um eine effektive Sitzungsvertretung zu gewährleisten, wenn der Bundestagspräsident und seine Stellvertreter an der Sitzungsleitung verhindert sind. Zweckmäßiger wäre es an dieser Stelle vom "Aushilfspräsidenten" zu sprechen. 17. Alternative Regelungen zur Leitung der konstituierenden Sitzung anstelle des Alterspräsidenten können nur durch eine Änderung des Grundgesetzes bewirkt werden. Während eine Anknüpfung an das Dienstalter als Bestimmungskriterium für den Organwalter nach dem Prinzip der formalen Gleichbehandlung aller Abgeordneter aus Art. 38 Abs. 1 GG nicht bedenkenfrei ist, könnte eine Regelung wonach der bisherige Bundestagspräsident oder einer seiner Stellvertreter die konstituierende Sitzung leitet weniger kritisch zu beurteilen und durchaus zweckmäßig sein.

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2

1

V. V. vertrag 3 V. vertrag 4 V. vertrag

Art. 142 EGV/1l2 EAGV/25 EGKSV Das Europäische Parlament gibt sich seine Geschäftsordnung; hierzu sind die Stimmen der Mehrheit ihrer Mitglieder enorderlich ....

Art. 140 EGV/110 EAGV/23 EGKSV Das Europäische Parlament wählt aus seiner Mitte seinen Präsidenten und sein Präsidium. ...

23.5.1949 (BGBI. S. 1), zuI. geä. d. Ges. 3.11.1995 (BGBI. I S. 1492). 25.3.1957 (BGBI. 11 S. 766, idFd. Vertrages über die Europäische Union v. 7.2.1992 (BGBI. 11 S. 1253), geä. durch Beitrittsv. 24.6.1994 (BGBI. 11 S. 2022) i. d. F. des Beschlusses vom 11.1.1995 (ABI. EG Nr. L 111). 25.3.1957 (BGBI. 11 S. 1014)idFd. Vertrages über die Europäische Union v. 7.2.1992 (BGBI. 11 S. 1253), geä. durch Beitrittsv. 24.6.1994 (BGBI. 11 S. 2022) i. d. F. des Beschlusses vom 11.1.1995 (ABI. EG Nr. L 1/1). 18.4.1951 (BGBI. 11 S. 447) idFd. Vertrages über die Europäische Union v. 7.2.1992 (BGBI. 11 S. 1253), geä. durch Beitrittsv. 24.6.1994 (BGBI. 11 S. 2022) i. d. F. des Beschlusses vom 11.1.1995 (ABI. EG Nr. L 1/1).

Art. 40 (I) Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer. Er gibt sich eine Geschäftsordnung.

Art. 39 (2) Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl zusammen.

zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) Nertra§ zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV) /Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKSV)4

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 1 Vertra~

Europäisches Parlament

Deutscher Bundestag

Verfassungsrechtliche und geschäftsordnungsrechtliche Regelungen zur konstituierenden Sitzung und zur Stellvertretung des Parlamentspräsidenten betreffend den Deutschen Bundestag, das Europäische Parlament sowie die Landesparlamente der deutschen Bundesländer

Anhang

6

5

I. d. F. d. Bek. v. 17.3.1997 (BGBI. I. S. 747). I. d. F. d. Bek. v. 7.12.1995 (ABI. EG L 293, zul. geä. d. Beschl. v. 17.9.1996 (ABI. EG C 320/29).

§ 8 Sitzungsvorstand (2) Der Präsident bestimmt im Einvernehmen mit seinen Stellvertretern die Reihenfolge der Vertretung. Sind Präsident und Stellvertreter gleichzeitig verhindert, so übernimmt der Alterspräsident die Leitung.

Art. 12 Alterspräsident 1. In der in Artikel 10 Abs. 3 vorgesehenen Sitzung wie auch in jeder anderen Sitzung, die der Wahl des Präsidenten und des Präsidiums gewidmet ist, führt das älteste anwesende Mitglied als Alterspräsident den Vorsitz bis zur Verkündung der Wahl des Präsidenten. 2. Unter dem Vorsitz des Alterspräsidenten darf keine Aussprache stattfinden, deren Gegenstand nicht mit der Wahl des Präsidenten und der Prüfung der Mandate zusammenhängt.

§ 1 Konstituierung (1) Der neugewählte Bundestag wird zu seiner ersten Sitzung vom bisherigen Präsidenten spätestens zum dreißigsten Tag nach der Wahl (Artikel 39 des Grundgesetzes) einberufen. (2) In der !!rsten Sitzung führt das an Jahren älteste oder, wenn es ablehnt, das nächstälteste Mitglied des Bundestages den Vorsitz, bis der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt. (3) Der Alterspräsident ernennt Mitglieder des Bundestages zu vorläufigen Schriftführern. Hierauf erfolgt der Namensaufruf der Mitglieder des Bundestages. (4) Nach Feststellung der Beschlußfähigkeit wird die Wahl des Präsidenten, der Stellvertreter und der Schriftführer vorgenommen.

Art. 14 Wahl des Präsidenten - Eröffnungsansprache 1. Zunächst wird der Präsident gewählt. Die Kandidaturen sind vor jedem Wahlgang dem Alterspräsidenten zu unterbreiten, der sie dem Parlament zur Kenntnis bringt. Hat nach drei Wahlgängen kein Kandidat eine absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten, so können beim vierten Wahlgang nur die beiden Mitglieder Kandidaten sein, die im dirtten Wahlgang die höchste Stimmenzahl erhalten haben; bei Stimmengleicheit gilt der Kandidat mit dem höheren Lebensalter als gewählt. 2. Sobald der Präsident gewählt ist, überläßt ihm der Alterspräsident den Vorsitz. Allein der gewählte Präsident kann eine Eröffnungsansprache halten.

Geschäftsordnung des Europäischen Parlamentes6

Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages5

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8

Art. 68 Der Landtag gibt sich eine Geschäftsordnung.

Art. 69 (1) Der Landtag wählt in seiner ersten Sitzung aus seiner Mitte Art. 54 (5) Die Wahlperiode endet mit ein Präsidium, bestehend aus dem Zusammentritt des neuge- dem Präsidenten, Vizepräsidenwählten Abgeordnetenhauses. ten und weiteren Mitgliedern. Das Abgeordnetenhaus tritt spä- Jede Fraktion ist berechtigt im testens sechs Wochen nach der Präsidium vertreten zu sein. Wahl unter dem Vorsitz des ältesten Abgeordneten zusammen.

V. 11.11.1953 (GBL S. 173), zul. geä. d. Ges. v. 15.2.1995 (GBL S. 269). V. 2.12.1946 (GVBI. S. 333) zul. geä. d. Ges. v. 27.10.1995 (GVBI. S. 730). 9 V. 23.11.1995 (GVBI. S. 779) zul. geä. d. Ges. v. 14.6.1996 (GVBI. S. 233). 10 V. 20.8.1992 (GVBI. S. 298), zul. geä. d. Ges. v. 10.03.1997 (GVBI. S. 4).

Art. 32 (l) Der Landtag wählt seinen Präsidenten und dessen Stellvertreter, die zusammen mit weiteren Mitgliedern das Präsidium bilden, sowie die Schriftführer. Der Lantag gibt sich eine Geschäftsordnung, die nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Abgeordneten geändert werden kann.

Art. 20 (1) Der Landtag wählt aus seiner Mitte ein Präsidium, bestehend aus einem Präsidenten, dessen Stellvertretern und den Schriftführern. (3) Der Landtag gibt sich eine Geschäftsordnung

Art. 62 (4) Der Landtag tritt spätestens am dreißigsten Tag nach seiner Wahl zusammen. Damit endet die Wahlperiode des vorhergehenden Landtages.

Art. 41 (1) Das Abgeordnetenhaus gibt sich selbst eine Geschäftsordnung. (2) Das Abgeordnetenhaus wählt für die Dauer der Wahlperiode aus seiner Mitte den Präsidenten des Abgeordnetenhauses und die übrigen Mitglieder des Präsidiums. Jede Fraktion hat mindestens einen Vertreter im Präsidium.

Art. 16 (1) Der Landtag wird auf vier Jahre gewählt. Er tritt zum erstenmal spätestens am 15. Tage nach der Wahl zusammen.

Art. 30 (3) Der Landtag tritt spätestens am sechzehnten Tage nach Beginn der Wahlperiode zusammen. Die erste Sitzung wird vom Alterspräsidenten einberufen und geleitet.

VerfassullJt des Landes Brandenburg l

Verfassung von Berlin9

Verfassung des Freistaates Bayern8

Verfassung des Landes BadenWürttemberg7

Brandenburg

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Bayern

Baden-Württemberg

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11

§ 10 Einberufung und Zusammentreten (1) Nach der Neuwahl tritt das Abgeordnetenhaus, das vom bisherigen Präsidenten einberufen wird, unter dem Vorsitz des AIterspräsidenten zusammen. (2) Alterspräsident ist der älteste anwesende Abgeordnete; lehnt er ab, tritt das jeweils nächstälteste Mitglied des Hauses an seine Stelle. (3) Der Alterspräsident eröffnet die erste Sitzung, beruft die vier jüngsten Mitglieder zu Beisitzern und bildet mit ihnen bis zur Wahl des Präsidenten das vorläufig amtierende Präsidium. Er stellt die Beschlußfähigkeit des Hauses durch Namensaufruf fest und führt die Wahl des Präsidenten durch.

Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin l3

Berlin

enden Sitzung des Landtages übernimmt der Alterspräsident. Alterspräsident ist der älteste anwesende Abgeordnete, der bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen. Er ernennt zwei Abgeordnete zu vorläufigen Schriftführern. (2) Die konstituierende Sitzung beginnt mit dem Namensaufruf der Abgeordneten.

§ 2 Konstituierende Sitzung (1) Die Leitung der konstituier-

§ 1 Einberufung nach der Neuwahl Der Präsident des bisherigen Landtages beruft die Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung des Landtages ein.

Geschäftsordnung des Landtages Brandenburgl4

Brandenburg

I. d. F. v. 1.6.1989 (GBL S. 250) geä. d. Bek. v. 9.12.1992 (GBL 1993 S. 43). V. 1.10.1974 (GVBI. S. 587) i. d. F. d. Bek. v. 1.8.1985 (GVBI. S. 705) zul. geä. d. Beschl. v. 18.4.1996 (GVBI. S. 209). V. 4.7.1974 (GVBI. S. 1684) i. d. F. d. Bek. v. 24.1.1984 (GVBI. S. 402), zul. geä. d. Beschl. v. 9.6.1994 (GVBI. S. 208). V. 11.10.1994 (GVBI. S. 414), geä. d. Beschl. v. 28.8.98 (GVBI. S. 273).

§ 1 Einberufung der 1. Sitzung (konstituierende Sitzung) als gewählt festgestellten und (1) Die Abgeordneten werden durch eine Wahlurkunde ausge- vom bisherigen Präsidenten zu wiesenen Abgeordneten treten der ersten Sitzung durch eine jeauf Einladung des Alterspräsidem Abgeordneten zuzustellende denten spätestens am 16. Tage Ladung einberufen. Ihr Zweck ist die Wahl des Präsidiums. nach Beginn der Wahlperiode Diese Sitzung findet spätestens zur ersten Sitzung zusammen. (2) Das älteste Mitglied (Alters- am 15. Tag nach der Wahl, jepräsident) wird von dem Präsidoch nicht vor Ablauf der Wahldenten des vorhergehenden periode statt. Landtags festgestellt. (2) Den Vorsitz führt der an Le(3) Mit dem Begin der Sitzung bensjahren älteste Abgeordnete;. gilt die Amtszeit des Präsidenten falls er ablehnt oder verhindert ist, der nächstälteste, der bereit des vorhergehenden Landtags als beendet. ist, den Vorsitz zu übernehmen (Alterspräsident). Der Altersprä§ 3 Leitung der ersten Sitzung sident ernennt die zwei jüngsten Abgeordneten zu vorläufigen (1) Die erste Sitzung wird vom Schriftführer. Hierauf läßt er die Alterspräsidenten eröffnet und Namen der Abgeordneten aufrugeleitet. Er führt die Geschäfte

Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag l2

Geschäftsordnung des Landtages von Baden-Württemberg ll

§ 2 Erste Sitzung (1) Die vom Landeswahlleiter

Bayern

Baden-Württemberg

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§ 11 Vertretung des Präsidenten (2) Bei vorübergehender Vertretung des Präsidenten während einer Sitzung beschränkt sich die Aufgabe des Stellvertreters auf die Leitung der Verhandlungen. Diese Aufgabe geht, falls der Präsident und seine Stellvertreter verhindert sind, auf den anwesenden ältesten Abgeordneten über.

bis zur Übernahme des Amts durch den neugewählten Präsidenten. (2) Die Geschäfte werden, solange der Landtag nicht anderes beschließt, nach den Bestimmungen der GO des vorangegangenen Landtags geführt. (3) Der Alterspräsident beruft zwei Abgeordnete zu vorläufigen Schriftführern. (4) Der Landtag ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder anwesend ist. Die Beschlußfähigkeit wird durch Namensaufruf festgestellt.

fen, stellt die Beschlußfähigkeit des Hauses fest und läßt den Präsidenten wählen. (3) Anträge auf Vertagung der Sitzung sind unzulässig. Unterbrechungen dürfen insgesamt 24 Stunden nicht überschreiten. § 15 Aufgaben der Stellvertreter des Präsidenten (2) Sind Präsident und Stellvertreter gleichzeitig verhindert, so übernimmt der Alterspräsident und bei seiner Verhinderung das nächstälteste Mitglied des Abgeordnetenhauses die Aufgaben des Präsidenten.

§ 13 Vertretung des Präsidenten (1) Der Präsident wird im Falle seiner Verhinderung durch den Vizepräsidenten vertreten. Sind der Präsident und der Vizepräsident verhindert, geht das Vertretungsrecht auf die anderen Mitglieder des Präsidiums in der Reihenfolge der Stärke der Fraktionen über.

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V. V. V. V.

21.10.1947 (BremGBl. S. 251), zul. geä. d. Ges. v. 01.10.1996 (BremGBl. S. 303). 6.6.1952 (GVBl. S. 117), zul. geä. d. Ges. v. 20.06.1996 (GVBl. S. 129, S. 133). 01.12.1946 (GVBl. S. 229), zul. geä. d. Ges. v.20.03.1991 (GVBl. S. 102). 23.5.1993 (GVOBl. S. 372).

Art. 106 Die näheren Vorschriften über den Geschäftsgang der Bürgerschaft bleiben der Geschäftsordnung vorbehalten, die von der Bürgerschaft nach Maßgabe der Verfassung und der Gesetze festgestellt wird.

Art. 86 Die Bürgerschaft wählt für ihre Wahlperiode ihren Präsidenten, die Vizepräsidenten und die Schriftführer. Sie bilden den Vorstand.

Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg 16 Art. 12 (3) Die erste Sitzung findet spätestens drei Wochen nach der Wahl statt; sie ist von dem Präsidenten der bisherigen Bürgerschaft einzuberufen. (4) Die alte Bürgerschaft führt die Geschäfte bis zur ersten Sitzung der neuen Bürgerschaft weiter.

Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen 15 Art. 81 Die Bürgerschaft tritt innerhalb eines Monats nach Ablauf der Wahlperiode der vorhergehenden Bürgerschaft zusammen. Sie wird erstmalig von dem Vorstand der vorhergehenden Bürgerschaft einberufen.

Hessen

Verfassung des Landes Hessen 17 Art. 83 (2) Der Landtag tritt kraft eigenen Rechts am 18. Tage nach der Wahl zusammen. Falls an diesem Tage die Wahlperiode des alten Landtags noch nicht abgelaufen ist, versammelt sich der neue .Landtag am ~age nach Ablauf dieser Wahlpenode. Art. 84 Der Landtag wählt den PräsidenArt. 18 (1) Die Bürgerschaft wählt ihren ten, seine Stellvertreter und die Präsidenten, die Vizepräsidenten übrigen Mitglieder des Vorstandes. und den übrigen Vorstand. Sie gibt sich eine Geschäftsordnung. Art. 99 Der Landtag gibt sich seine Geschäftsordnung im Rahmen der Verfassung.

Hamburg

Bremen Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern 18 Art. 28 Nach jeder Neuwahl tritt der Landtag spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl zusammen. Er wird vom Präsidenten des alten Landtages einberufen. Art. 29 (1) Der Landtag wählt den Präsidenten, die Vizepräsidenten, die Schriftführer und deren Stellvertreter. Der Landtag gibt sich eine Geschäftsordnung.

Mecklenburg-Vorpommern

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§ 1 Konstituierung

§ 9 Wahl des Vorstandes (1) Der Vorstand wird von der Bürgerschaft in der durch Artikel 86 der Landesverfassung bestimmten Reihenfolge in der ersten Sitzung für die Dauer der Wahlperiode gewählt....

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Geschäftsordnung der Harnburgischen Bürgerschafeo

Geschäftsordnung der Bremischen Bürgerschaft 19

neugewählten Landtags führt das an Lebensjahren älteste Mitglied oder, falls dieses ablehnt, das nächstälteste Mitglied (Alterspräsidentin, Alterspräsident) den Vorsitz, bis die neugewählte Präsidentin oder der neugewählte Präsident das Amt übernimmt. (2) Die Alterspräsidentin oder der Alterspräsident ernennt die zwei jüngsten Mitglieder des Landtags zu vorläufigen Schriftführerinnen oder Schriftführern, läßt die Namen der Abgeordneten aufrufen, stellt die Beschlußfähigkeit fest und erklärt den Landtag für konstituiert.

§ 1 Konstituierung (1) In der ersten Sitzung des

Geschäftsordnung des Hessischen Landtags21

Hessen

I. d. F. d. Bek. v. 6.11.1991, zuI. geä. d. Beschl v. 10.12.1992 (Brem.ABI. S. 121). V. 18.12.1996. V. 16.12.1993 (GVBI. I S. 628), zuI. geä. d. BeschI. v. 30.5.1995 (GVBI. S. 412). V. 27.2.199.1 (GVOBI. S. 50).

(1) Die erste Sitzung der Bürgerschaft muß in den ersten drei Wochen nach der wahl stattfinden; sie ist von der Präsidentin oder dem Präsidenten der bisherigen Bürgerschaft einzuberufen. (2) In der ersten Sitzung führt das an Lebensjahren älteste und zur Übernahme dieses Amtes bereite Mitglied (Alterspräsidentin oder Alterspräsident) den Vorsitz, bis die neugewählte Präsidentin oder der neugewählte Präsident das Amt übernimmt. (3) Die Alterspräsidentin oder der Alterspräsident ernennt die zwei jüngsten und zur Annahme des Amtes bereiten Mitglieder der Bürgerschaft zu vorläufigen Schriftführerinnen oder Schrift-

Hamburg

Bremen Geschäftsordnung des Landtages Mecklenburg-Vorpommern22 § 1 Erstes Zusammentreten, Wahl des Präsidenten (1) Der Landtag wird zu seiner ersten Sitzung vom Präsidenten des letzten Landtages, spätestens zum 30. Tage nach der Wahl einberufen. (2) Den Vorsitz des Landtages übernimmt der Alterspräsident. Der Alterspräsident ist der älteste anwesende Abgeordnete, der bereit ist, dieses Amt zu übernehmen. (3) Der Alterspräsident eröffnet die Sitzung, stellt die ordnungsgemäße Einberufung und die Beschlußfähigkeit fest. Er ernennt zwei Abgeordnete zu vorläufigen Schriftführern und bildet mit ihnen ein vorläufiges Präsidium.

Mecklenburg-Vorpommern

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§ 45 Stellvertreterinnen und

Stellvertreter der Präsidentin oder des Präsidenten Die Präsidentin oder der Präsident wird durch die Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten vertreten. Sind die Vizepräsiden§ 4 Regelung bei Verhindetinnen und Vizepräsidenten rung des Präsidenten (1) Die Präsidentin oder der Prä- sämtlich verhindert, tritt an ihre Stelle die oder der dem Lebenssident wird in der Leitung der Sitzung (Sitzungspräsidentin alter nach älteste Abgeordnete, die oder der zur Übernahme der oder Sitzungspräsident) durch die Vizepräsidentinnen oder Vi- Vertretung bereit ist. zepräsidenten vertreten. Wenn alle gleichzeitig verhindert sind, an einer Sitzung teilzunehmen, wählt die Bürgerschaft unter Vorsitz der Alterspräsidentin oder des Alterspräsidenten für diese Sitzung Vertreterinnen und Vertreter.

führern, läßt die Namen der Mitglieder der Bürgerschaft (Mitglieder) aufrufen, stellt die Beschlußfahigkeit fest und erklärt die Bürgerschaft für konstituiert.

(4) Der Alterspräsident läßt den Präsidenten in geheimer Wahl für die Dauer der Wahlperiode wählen und vereidigt ihn. (5) Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen erhält. Ergibt sich eine solche Mehrheit nicht, so kommen die beiden Abgeordneten mit den höchsten Stimmanteilen in die engere wahl. Bei Stimmengleichheit entscheidet das vom Alterspräsidenten zu ziehende Los.

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Art. 67 (2) Der Landtag tritt spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl zusammen.

Art. 83 (4) Er (der Landtag, d.Verf.) tritt erstmals am 17. Tage nach der Wahl zusammen. Fällt dieser Tag noch in die Wahlperiode des alten Landtags, so versammelt sich der neue Landtag am Tag nach Ablauf der früheren Wahlperiode.

19.5.1993 (GVBI. S. 107) geä. d. Ges. v. 6.6.1994 (GVBI. S. 229). 18.06.1950 (GV.NW. S. 127), zul. geä. d. Ges. v. 24.11.1992 (GV NW S. 448). 18.5.1947 (VOBI. S. 209) zul. geä. d. Ges. v. 12.10.1995 (GVBI.S. 405). 15.12.1947 (Amtsbl. S. 1077), zul. geä. d. Ges. v. 27.3.1996 (Amtsbl. S. 422).

Art. 21 (1) Der Landtag gibt sich eine Geschäftsordnung. (3) Zu seiner ersten Sitzung wird der Landtag von der Präsidentin oder dem Präsidenten des bisherigen Landtags einberufen.

Verfassung des Saarlandes26

Saarland

Verfassung f"ür Rheinland-

Pfalz 25

Rheinland-Pfalz

Art. 70 (1) Der Landtag regelt seine inneren Angelegenheiten durch Art. 38 Gesetz und Geschäftsordnung. (1) Der Landtag wählt den Prä(2) Er wählt den Präsidenten, sidenten, dessen Stellvertreter und die übrigen Mitglieder des Art. 85 die Vizepräsidenten und die Präsidiums. Er gibt sich eine (1) Der Landtag gibt sich eine übrigen Mitglieder des PräsidiGeschäftsordnung. Geschäftsordnung. ums unter Berücksichtigung der (2) Bis zur Wahl des neuen Prä- (2) Er wählt seinen Präsidenten, verschiedenen Fraktionen. sidiums fUhrt das bisherige Prä- dessen Stellvertreter und seine Schriftführer. Präsident und sidium die Geschäfte weiter. (3) Der Landtag wird jeweils Stellvertreter führen ihre Gedurch den Präsidenten einberu- schäfte bis zum Zusammentritt eines neuen Landtags fort; ... . fen.

Art. 37 Der Landtag tritt spätestens am zwanzigsten Tag nach der Wahl, jedoch nicht vor dem Ende der Wahlperiode des letzten Landtags, zusammen.

Art. 9 (3) Der Landtag tritt spätestens am 30. Tage nach seiner Wahl zusammen.

Art. 18 (1) Der Landtag wählt seine Präsidentin oder seinen Präsidenten, deren oder dessen Stellvertreterin oder Stellvertreterinnen oder Stellvertreter und die Schriftführerinnen oder Schriftführer (Präsidium).

Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen24

Nordrhein-Westfalen

Niedersächsiche Verfassuni 3

Niedersachsen

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§ 1 Einberufung nach der Neuwahl Der Präsident des Landtages beruft die Abgeordneten nach der Wahl zur ersten Sitzung des Landtags ein.

§ 63 Einberufung, Tagesordnung (l) Der Landtag wird von der Präsidentin oder vom Präsidenten einberufen, zu seiner ersten Sitzung nach Beginn der Wahlperiode (Artikel 21 Abs. 3 der Verfassung) von der Präsidentin oder vom Präsidenten des Landtages der vorangegangenen Wahlperiode.

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V. V. V. V.

Geschäftsordnung des Landtags Rheinland-Pfalz29

7.12.1994 (GVBl. 1995, S. 9). 31.5.1990. 14.10.1996 (GVBL. S. 387). 20.6.1973 (Amtsbl. S. 517) zul. geä. d. Ges. v. 14.3.1990 (Amtsbl. S. 422).

§ 68 Erste Sitzung des Landtages (1) In der ersten Sitzung des Landtages nach Beginn der Wahlperiode führt bis zur Wahl der Präsidentin oder des Präsidenten das älteste anwesende Mitglied, das hierzu bereit ist,

Geschäftsordnung des Landtages von NordrheinWestfalen28

Geschäftsordnung für den Niedersächsischen Landtag der 13. Wahlperiode 27

Rheinland-Pfalz

§ 1 Erste Sitzung des Landtages (l) Der Landtag tritt erstmals am 17. Tage nach der Wahl zusammen. Fällt dieser Tag noch in die Wahlperiode des alten Landtags, so versammelt sich § 2 Erste Sitzung der neue Landtag am Tage nach ( I) Die erste Sitzung beginnt Ablauf der früheren Wahlperimit dem Namensaufruf der Ab- ode (Artikel 83 der Verfassung). geordneten und ihrer Verpflich- Zu der ersten Sitzung wird der tung. Die vor dem Landtag ab- Landtag von dem Präsidenten zugebende Verpflichtungserklä- des alten Landtags einberufen. rung lautet: (2) Die erste Sitzung des Landtags leitet der älteste Abgeord"Die Mitglieder des Landtags von Nordrhein-Westfalen bezeu- nete oder, wenn er ablehnt, der gen vor dem Lande, daß sie ihre nächstälteste Abgeordnete, bis der neugewählte Präsident oder ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, sei- einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt. nen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die übernom-

Nordrhein-Westfalen

Niedersachsen

§ 35 Stellvertreter des Präsidenten Der Präsident wird durch die Vizepräsidenten vertreten. Sind Präsident und Vizepräsidenten gleichzeitg verhindert, übernimmt der Alterspräsident die Vertretung.

§ 33 Wahl Der Landtag wählt für die Dauer der Wahlperiode seinen Präsidenten, den Ersten, Zweiten Vizepräsidenten und den Ersten, Zweiten und Dritten Schriftführer unter Berücksichtigung der verschiedenen Fraktionen. Scheidet einer der Gewählten vorzeitig aus, wird ein Nachfolger gewählt.

Gesetz über den Landtag des Saarlandes30

Saarland

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(3) Der Alterspräsident ernennt zwei Abgeordnete zu vorläufigen Schriftführer und läßt die Namen der Abgeordneten aufrufen. (4) Nach Feststellung der Beschlußfähigkeit und Annahme der Geschäftsordnung wählt der Landtag den Präsidenten, dessen Stellvertreter und 14 Schriftführer.

den ersten, bei dessen Verhinderung durch den zweiten und bei dessen Verhinderung durc den dritten Vizepräsidenten vertreten. Sind gleichzeitig der Präsident und die Vizepräsidenten verhindert, so geht das Vertretungsrecht auf die anderen Mitglieder des Präsidiums in der Reihenfolge ihres Amtsalters über, soweit nicht die Landesverfassung bestimmte Aufgaben dem Präsidenten oder seinen Stellvertretern zuweist.

§ 11 Vertretung des Präsidenten (1) Der Präsident wird durch

mene Pflicht nach bestem Wissen und Können erfüllen und in der Gerechtigkeit gegen jedermann dem Frieden dienen werden." Die Verpflichtung wird durch erheben von den Plätzen bekräftigt. (2) Später eintretende Abgeordnete werden in der ihrer Einberufung folgenden Landtagssitzung durch Handschlag verpflichtet.

V. 20.6.1973 (Amtsbl. S. 529) zul. geä. am 17.4.1991.

als Alterspräsidentin oder AIterspräsiden den Vorsitz. (2) Die Alterspräsidentin oder der Alterspräsident eröffnet die erste Sitzung und benennt zwei Mitglieder des Landtages, mit denen sie oder er den vorläufigen Sitzungsvorstand bildet. Die Alterspräsidentin oder der Alterspräsident stellt die Beschlußfahigkeit des Landtages durch Namensaufruf fest und läßt sodann die Präsidentin oder den Präsidenten wählen. § 11 Wahl (1) Beim ersten Zusammentreten des Landtages nach einer Neuwahl führt der an Jahren älteste oder, wenn er es ablehnt, der nächstälteste Abgeordnete den vorsitz, bis der neugewählte Präsident oder einer der Vizepräsidenten das Amt übernimmt. (2) Der Alterspräsident eröffnet die Sitzung, läßt die Beschlußfähigkeit des Hauses durch Namensaufruf feststellen und führt die Wahl des Präsidenten durch. Zur Durchführung der Wahl ernennt der Alterspräsident zwei Abgeordnete zu vorläufigen Schriftführern.

Geschäftsordnung des saarländischen Landtages31

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V. V. V. V.

27.5.1992 (GVBI. S. 243) 16.7.1992 (GVBL. S. 600). 13.12.1949 (GVOBI. 1950, S. 3), zul. geä. d. Ges. v. 13.06.1990 (GVOBI. S. 391). 25.10.1993 (GVBI. S. 625).

Art. 47 (1) Der Landtag wählt seinen Präsidenten und dessen SteIlvertreter, die zusammen mit weiteren Mitgliedern das Präsidium bilden, und die Schriftführer.

Geschäftsordnung.

(1) Der Landtag gibt sich eine

Art. 13 (4) Der Landtag tritt spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl zusammen. Er wird von der Präsidentin oder von dem Präsidenten des alten Landtages einberufen.

Verfassung des Landes Schleswig-Holstein34

Schieswig-Hoistein

Art. 14 (1) Der Landtag wählt die Präsidentin oder den Präsidenten, die Vizepräsidentinnen oder VizeArt. 49 präsidenten, die Schriftführerin(1) Der Landtag wählt seinen nen oder Schriftführer und deren Präsidenten und zwei Vizepräsi- Stellvertreterinnen oder Stell verdenten. treter. Der Landtag gibt sich eine Geschäftsordnung.

Art. 45 (1) Der Landtag wird von seinem Präsidenten einberufen. Zur ersten Sitzung des neugewählten Landtages, die spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl stattfinden muß, beruft der bisherige Präsident den Landtag ein.

Art. 44 (3) Der Landtag tritt spätestens am dreißigsten Tag nach der Neuwahl zusammen. Die erste Sitzung wird vom Alterspräsidenten einberufen und bis zur Wahl des Landtagspräsidenten geleitet.

Art. 46 (1) Der Landtag gibt sich eine Geschäftsordnung.

Verfassung des Landes Sachsen-AnhaIe3

Verfassung des Freistaates Sachsen32

Art. 46

Sachsen-Anhalt

Sachsen Freistaats

Art. 57 (1) Der Landtag wählt aus seiner Mitte den Präsidenten, die Vizepräsidenten und die Schriftführer. (5) Der Landtag gibt sich eine Geschäftsordnung.

Art. 50 (3) Die Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Landtags. Dies muß spätestens am 30. Tag nach der Wahl erfolgen.

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Verfassun~ des

Thüringen

Thüringen

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nung (1) Der Landtag wird von seinem Präsidenten einberufen. Zur ersten Sitzung des neugewählten Landtages, die spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl stattfinden muß, beruft der bisherige Präsident den Landtag ein.

(1) Der Landtag tritt spätestens am 30. Tage nach der Wahl zusammen. Zu der ersten Sitzung wird der Landtag vom bisherigen Präsidenten einberufen. (2) Die erste Sitzung des Landtages leitet der älteste Abgeordnete oder, wenn er ablehnt, der nächstälteste Abgeordnete, bis der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt. (3) Der Alterspräsident ernennt zwei Abgeordnete zu vorläufigen Schriftführern und läßt die Namen der Abgeordneten aufrufen. (4) Nach Feststellung der Beschlußfähigkeit wählt der Landtag den Präsidenten, die Vize-

V. 10.7.1992. I. d. F. v. 21.7.1994 (MBl. S. 2753). V. 8.2.1991 (GVOBl. S. 85) i. d. F. v. 5.5.1992 (GVOBl. S. 321), zul. geä. am 23.4.1996 (GVOBl. S. 434). V. 7. Juli 1994 (Drs. 2/80).

(2) Mit dem Beginn der ersten Sitzung ist die Amtszeit des Präsidenten des vorangegangenen Landtages beendet.

§ 1 Erste Sitzung des Landtags

§ 55 Einberufung, Tagesord-

§ 1 Einberufung

§ 1 Erstes Zusammentreten, Wahl der Präsidentin oder des Präsidenten (1) Der Landtag wird zu seiner ersten Sitzung von der Präsidentin oder dem Präsidenten des letzten Landtages spätestens § 2 Erste Sitzung zum dreißigsten Tag nach der (1) Die erste Sitzung wird von Wahl einberufen. dem ältesten Mitglied des Land(2) Den Vorsitz übernimmt die tages - dem Alterspräsidenten Alterspräsidentin oder der AIeröffnet und geleitet, falls er abterspräsident. Alterspräsident ist § 58 Leitung der Sitzung lehnt, vom nächstältesten dazu bereiten Mitglied des Landtages. (2) Sind Präsident und Stellver- die- oder derjenige anwesende treter gleichzeitig verhindert, so Abgeordnete, der oder die dem Er führt die Geschäfte bis zur übernimmt das älteste anwesen- Landtag die längste Zeit angeÜbernahme des Amtes durch de Mitglied des Landtages, das hört hat und der oder die bereit den neugewählten Präsidenten. hierzu bereit ist, (Alterspräsiist, dieses Amt zu übernehmen. Der Alterspräsident wird von dent) den Vorsitz .... Weisen mehrere Abgeordnete dem Präsidenten des vorangeeine gleichlange Zugehörigkeit gangenen Landtages festgestellt. zum Parlament auf, fällt die Prä(2) Die Geschäfte werden, sosidentschaft auf den oder die lange der Landtag nichts anderes beschließt, nach den Bestim-

Geschäftsordnung des Landta- Geschäftsordnung des Landta- Geschäftsordnung des Thüges von Schleswig-Holstein38 ringischen Landtags39 ges von Sachsen-Anhale7

Thüringen

Geschäftsordnung des Landtages des Freistaates Sachsen36

Schieswig-Hoistein

Sachsen-Anhalt

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mungen der Geschäftsordnung des vorangegangenen Landtages geführt. (3) Der Alterspräsident benennt fünf Mitglieder des Landtages zu vorläufigen Schriftführern. Hierauf erfolgt der Namensaufruf der Mitglieder des Landtages und ihre Verpflichtung. Die vor dem Landtag abzugebende Verpflichtungserklärung lautet: ,,Die Mitglieder des Sächsischen Landtages bezeugen vor dem Land, daß sie ihre ganz Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm abwenden, die Verfassung und die Gesetze achten, die übernommene Pflicht und Verantwortung nach bestem Wissen und Können erfullen und in der Gerechtigkeit gegen jedermann dem Frieden dienen werden." , Die Verpflichtung wird durch Erheben von den Plätzen bekräftigt. (4) Später eintretende Mitglieder des Landtages werden in der ihrer Berufung folgenden Sitzung des Landtages, an der sie teil-

tages (1) In der ersten Sitzung des Landtages nach Beginn der Wahlperiode führt bis zur Wahl des Präsidenten der Alterspräsident den Vorsitz. (2) Der Alterspräsident eröffnet die erste Sitzung. Er benennt zwei Mitglieder des Landtages, mit denen er den vorläufigen Sitzungs vorstand bildet. Er stellt die Beschlußfähigkeit des Landtages durch Namensaufruf fest und läßt sodann den Präsidenten wählen.

§ 59 Erste Sitzung des Land-

Abgeordnete mit dem höchsten präsidenten und 14 SchriftfühLebensalter. rer. (3) Die Alterspräsidentin oder der Alterspräsident eröffnet die erste Sitzung, stellt die ordnungsgemäße Einberufung und die Beschlußfähigkeit fest, ernennt zwei Abgeordnete zu vorläufigen Schriftführerinnen oder Schriftführern und bildet mit Ihnen ein vorläufiges Präsidium. (4) Die Alterspräsidentin oder der Alterspräsident läßt die Präsidentin oder den Präsidenten in geheimer Wahl für die Dauer der Wahlperiode wählen und nimmt die Vereidigung vor. (5) Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen erhält. Ergibt sich eine solche Mehrheit nicht, so kommen die beiden Abgeordneten mit den höchsten Stimmenzahlen in die engere Wahl. Bei Stimmengleichheit entscheidet das von der Alterspräsidentin oder dem Alterspräsidenten zu ziehende Los.

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§ 5 Sitzungsvorstand (2) Der Präsident bestimmt im Einvernehmen mit seinen Stellvertretern die Reihenfolge der Vertretung. Sind der Präsident und die Vizepräsidenten gleichzeitig verhindert, so übernimmt ein anderes, vom Präsidenten beauftragtes Mitglied des Präsidiums die Leitung der Sitzung.

nehmen, durch Handschlag verpflichtet. (5) Der Landtag wählt aus seiner Mitte den Präsidenten, den Ersten und Zweiten Vizepräsidenten, die weiteren Mitglieder des Präsidiums und die Schriftführer.

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(1) Jede Kammer prüft die Legitimation ihrer Mitglieder und entscheidet darüber. Sie regelt ihren Geschäftsgang und ihre Disziplin durch eine Geschäftsordnung und erwählt ihren Präsidenten, ihre Vizepräsidenten und Schriftführer.

(1) Jede Kammer prüft die Legi-

Art. 40 Grundgesetz v. 23.5.1949 (1) Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und seine Schriftführer. Er gibt sich eine Geschäftsordnung.

timation ihrer Mitglieder und entscheidet darüber. Sie regelt ihren geschäftsgang und ihre Disziplin durch eine Geschäftsordnung und erwählt ihren Präsidenten, ihre Vizepräsidenten und Schriftführer.

Art. 78 der Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat v. 31.1.1850

Art. 77 der oktroyierten Verfassung v. 5.12.1848

Der Reichstag prüft die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet darüber. Er regelt seinen Geschäftsgang und seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung und erwählt seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und Schriftführer.

(1) Der Reichstag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und seine Schriftführer. Er gibt sich seine Geschäftsordnung.

Art. 26 Weimarer ReichsverArt. 27 der Verfassung des Norddeutschen Bundes 1867/ fassung v. 11.8.1919 Art. 27 der Deutschen Reichsverfassung v. 16.4.1871

Verfassungsrechtliche Regelungen zur Wahl des Parlamentspräsidenten von 1848 bis heute

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§ 1 - Zusammentritt des Reichstages (I) Beim Eintritt in die neue Legislaturperiode tritt nach Eröffnung beider Häuser des Landtags (Art. 76 der Verfassungsurkunde) das Haus der Abgeordneten unter dem Vorsitz seines ältesten Mitgliedes zusammen (§ 9). (2) Für jede fernere Session derselben Legislaturperiode setzen die Präsidenten der vorangegangenen Session ihre Funktionen bis zur Wahl des vollendeten Präsidenten fort. (3) Die vier jüngsten Mitglieder übernehmen beim jedesmaligen Zusammentritt des Hauses nach Eröffnung einer neuen Session die Schriftführung.

§ 1 - Zusammentritt der Kammer Nach der Eröffnung der Kammern (Art. 76 der verf.Urk.) tritt die Kammer unter dem Vorsitz ihres ältesten Mitgliedes zusammen. Die vier jüngsten Mitglieder übernehmen die Schriftführung. Vorsitz und Schriftführung können jedoch von den dazu Berufenen unter Zustimmung der Kammer auf die im Lebensalter ihnen am nächsten stehenden Mitglieder übertragen werden.

§ 1 - Zusammentritt des Reichstages (I) Beim Eintritt in die neue Legislaturperiode tritt nach Eröffnung beider Häuser des Landtags (Art. 76 der Verfassungsurkunde) das Haus der Abgeordneten unter dem Vorsitz seines ältesten Mitgliedes zusammen. (2) Für jede fernere Session derselben Legislaturperiode setzen die Präsidenten der vorangegangenen Session ihre Funktionen bis zur Wahl des vollendeten Präsidenten fort (§ 7 (§ 9). (3) Die vier jüngsten Mitglieder übernehmen beim jedesmaligen Zusammentritt des Hauses nach Eröffnung einer neuen Session die Schriftführung.

§ 1 - Zusammentritt des Reichstags (I) IBeim Eintritt in eine neue Legislaturperiode treten nach Eröffnung des Reichstags die Mitglieder desselben unter dem Vorsitze ihres ältesten Mitgliedes zusammen. 2Das Amt des Alterspräsidenten kann von dem dazu Berufenen auf das im Lebensalter ihm am nächsten stehende Mitglied übertragen werden. (2) Für jede fernere Session derseI ben Legislaturperiode setzen die Präsidenten der vorangegangenen Session ihre Funktionen bis zur Wahl des vollendeten Präsidenten fort (§ 7).

Geschäftsordnung des Reichs- Geschäftsordnung des Reichstages des Norddeutschen Bun- tages des Norddeutschen Bundes v. 12.6.1868 des v. 12.6.1868 i. d. F. v. 12.5.186940

40 Änderung von § 1 durch Beschluß des Reichstags des Norddeutschen Bundes v. ,12.5.1869 (vgl. Bd. 8,40. Sitzung, S. 939; Anl. Bd. 9 Drs. 123): Absätze 1 und 3 wurden neu gefaßt, Absatz 4 gestrichen.

Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses (vorm. Zweiten Kammer des Preußischen Landtages v. 28.3.1849 i. d. F. v. 6.6.1862

Geschäftsordnung der Zweiten Kammer (des Preußischen Landtages) v. 28.3.1849

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Nachdem über die Wahlen der Abgeordneten. deren Wahlakten vorliegen. bis auf die einer näheren Aufklärung vorbehaltenen. entschieden ist. wählt die Kammer den ordentlichen Präsidenten. sodann den ersten und hieruaf den zweiten Vizepräsidenten.

§ 7 - Wahl des Präsidiums

§ 7 - Wahl des Präsidenten (1) Wenn die Wahlen einer beschlußfähigen Anzahl von Mitgliedern des Hauses als gültig anerkannt sind. wählt das Haus den Präsidenten. sodann den ersten und hierauf den zweiten Vizepräsidenten.

(4) Vorsitz und Schriftführung. welche auf dem Lebensalter beruhen. können jedoch von den dazu Berufenen auf die im Lebensalter ihnen am nächsten stehenden Mitglieder übertragen werden. § 7 (§ 9) - Wahl des Präsidenten (1) Sobald die Anwesenheit einer beschlußfähigen Anzahl von Mitgliedern des Reichstages durch Namensaufruf festgestellt ist. beschließt der Reichstag. an welchem folgenden Tage die Wahlen der Präsidenten und der Schriftführer erfolgen sollen.

(4) Vorsitz und Schriftführung. welche auf dem Lebensalter beruhen. können jedoch von den dazu Berufenen auf die im Lebensalter ihnen am nächsten stehenden Mitglieder übertragen werden. § 7 - Wahl des Präsidenten (1) Sobald die Anwesenheit einer beschlußfähigen Anzahl von Mitgliedern des Reichstages durch Namensaufruf festgestellt ist. beschließt der Reichstag. an welchem folgenden Tage die Wahlen der Präsidenten und der Schriftführer erfolgen sollen.

(3) Der Vorsitzende ernennt provisorisch. für die Frist bis zur Konstituierung des Vorstandes (§ 8). vier Mitglieder zu Schriftführern.

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§ 1 - Zusammentritt des Reichstags (1) IBeim Eintritt in eine neue Legislaturperiode treten nach Eröffnung des Reichstags die Mitglieder desselben unter dem Vorsitze ihres ältesten Mitgliedes zusammen. 2Das Amt des Alterspräsidenten kann von dem dazu Berufenen auf das im Lebensalter ihm am nächsten stehende Mitglied übertragen werden. (2) Für jede fernere Session derselben Legislaturperiode setzen die Präsidenten der vorangegangenen Session ihre Funktionen bis zur vollendeten Wahl des Präsidenten fort (§ 9). (3) Der Vorsitzende ernennt provisorisch, für die Frist bis zur Konstituierung des Vorstandes (§ 10), vier Mitglieder zu Schriftführern.

§ 1 - Zusammentritt des Reichstags (1) IBeim Eintritt in eine neue Legislaturperiode treten nach Eröffnung des Reichstags die Mitglieder desselben unter dem Vorsitze ihres ältesten Mitgliedes zusammen. 2Das Amt des Alterspräsidenten kann von dem dazu Berufenen auf das im Lebensalter ihm am nächsten stehende Mitglied übertragen werden. (2) Für jede fernere Session derselben Legislaturperiode setzen die Präsidenten der vorangegangenen Session ihre Funktionen bis zur vollendeten Wahl des Präsidenten fort (§ 9). (3) Der Vorsitzende ernennt provisorisch, für die Frist bis zur Konstituierung des Vorstandes (§ 10), vier Mitglieder zu Schriftführern.

ner Wahl zusammentritt, führt den Vorsitz das an Lebensjahren älteste und, wenn es ablehnt, das nächstälteste Mitglied, bis der neugewählte Präsident oder ein neugewählter Stellvertreter das Amt übernimmt. (2) In der ersten Sitzung ernennt der Vorsitzende vorläufig vier Mitglieder zu Schriftführern. (3) Hierauf läßt der die Namen der Mitglieder aufrufen und, wenn die Beschlußfähigkeit festgestellt ist, den Vorstand wählen.

§ 13 (1) Wenn der Reichstag nach ei-

41 Änderung von § 7 Abs. 1 (§ 9 Abs. 1) durch Beschluß des Reichstags v. 22.5.1872 (vg!. Bd. 24, 25. Sitzung, S. 456; An!. Bd. 26, Drs.70).

Reichstags (1) 1Beim Eintritt in eine neue Legislaturperiode treten nach Eröffnung des Reichstags die Mitglieder desselbenunter dem Vorsitze ihres ältesten Mitgliedes zusammen. 2Das Amt des Alterspräsidenten kann von dem dazu Berufenen auf das im Lebensalter ihm am nächsten stehende Mitglied übertragen werden. (2) Für jede fernere Session derselben Legislaturperiode setzen die Präsidenten der vorangegangenen Session ihre Funktionen bis zur Wahl des vollendeten Präsidenten fort. (3) Der Vorsitzende ernennt provisorisch, für die Frist bis zur Konstituierung des Vorstandes (§ 10), vier Mitglieder zu Schriftführern.

§ 1 - Zusammentritt des

Geschäftsordnung der Weima- Geschäftsordnung des ReichsGeschäftsordnung des Reichsta- Reichstagsgeschäftsordnung tages der Weimarer Republik ges des Deutschen Kaiserreiches von 1868 i. d. F. v. 31.12.1918 rer Nationalversammlung (= Reichstagsgeschäftsordnung v. 12.12.1922 v. 12.6.1868 i. d. F. v. von 1868) v. 6.2.1919 22.5.187241

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ner beschlußfahigen Anzahl von Mitgliedern des Reichstages durch Namensaufruf festgestellt ist, vollzieht der Reichstag die Wahlen der Präsidenten und Schriftführer.

§ 9 - Wahl des Präsidenten (I) Sobald die Anwesenheit ei-

§ 9 - Wahl des Präsidenten

ner beschlußfahigen Anzahl von Mitgliedern des Reichstages durch Namensaufruf festgestellt ist, vollzieht der Reichstag die Wahlen der Präsidenten und Schriftführer.

(I) Sobald die Anwesenheit ei-

ner beschlußfahigen Anzahl von Mitgliedern des Reichstages durch Namensaufruf festgestellt ist, vollzieht der Reichstag die Wahlen der Präsidenten und Schriftführer.

§ 9 - Wahl des Präsidenten (I) Sobald die Anwesenheit ei-

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ner ersten Sitzung von dem bisher amtierenden Präsidenten des Bundestages spätestens zum 30. Tage nach der Wahl, jedoch nicht vor dem Ende der Wahlperiode des vorhergehenden Bundestages einberufen. (2) Beim ersten Zusammentreten des Bundestages nach einer Neuwahl führt der an Jahren älteste, oder, wenn er es ablehnt, der nächstälteste Abgeordnete den Vorsitz, bis der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt. (3) lDer Alterspräsident ernennt vier Abgeordnete zu vorläufigen Schriftführern. 2Hierauf erfolgt der Namensaufruf der Abgeordneten.

ner ersten Sitzung von dem bisher amtierenden Präsidenten des Bundestages spätestens zum 30. Tage nach der Wahl, jedoch nicht vor dem Ende der Wahlperiode des vorhergehenden Bundestages einberufen. (2) Beim ersten Zusammentreten des Bundestages nach einer Neuwahl führt der an Jahren älteste, oder, wenn er es ablehnt, das nächstälteste Mitglied des Bundestages den Vorsitz, bis der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt. (3) lDer Alterspräsident ernennt vier Mitglieder des Bundestages zu vorläufigen Schriftführern. 2Hierauf erfolgt der Namensaufruf der Mitglieder des Bundestages.

42 Neufassung des § 13 Abs. 1 durch Beschluß des Reichstages (vgl. Bd. 457, 2. Sitzung, S. 24; Bd. 457, Drs. 5).

den Vorsitz das an Lebensjahren älteste und, wenn es ablehnt, das nächstälteste Mitglied, bis der neugewählte Präsident oder ein neugewählter Stellvertreter das Amt übernimmt. (2) In der ersten Sitzung ernennt der Vorsitzende vorläufig vier Mitglieder zu Schriftführern. (3) Hierauf läßt er die Namen der Mitglieder aufrufen und, wenn die Beschlußfähigkeit festgestellt ist, den Vorstand wählen.

(1) Der Bundestag wird zu sei-

§ 1 - Einberufung und Zusam- § 1 - Konstituierung

(1) Wenn der Bundestag nach ei- mentreten ner Wahl zusammentritt, führt (1) Der Bundestag wird zu sei-

§ 13

§ 13

(1) lWenn der Reichstag nach einer Neuwahl zusammentritt, führt bis zur Übernahme des Amtes durch den neugewählten Präsidenten oder dessen neugewählte Stellvertreter den Vorsitz der Präsident des letzten Reichstages. 21st dieser nicht Mitglied des neuen Reichstags oder ist er verhindert, so wird er durch die Stellvertreter des Präsidenten im letzten Reichstag in der Reihenfolge ihres Dienstalters vertreten. 3Sind Präsident und Stellvertreter des letzten Reichstages gleichzeitig verhindert; so übernimmt das an Lebensjahren älteste und, wenn es ablehnt, das nächstälteste Mitglied zunächst den Vorsitz. (2) In der ersten Sitzung ernennt der Vorsitzende vorläufig vier Mitglieder zu Schriftführern.

Geschäftsordnung des DeutGeschäftsordnung des Deutschen Bundestages v. 6.12.1951 sehen Bundestages i. d. F. d. Bek. v. 22.5.1970

Geschäftsordnung des ReichsVorl. Geschäftsordnung des tages der Weimarer Republik v. Deutschen Bundestages v. 12.12.1922 i. d. F. v. 23.3.193342 20.9.1949

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(3) Hierauf läßt der die Namen der Mitglieder aufrufen und, wenn die Beschlußfähigkeit festgestellt ist, den Vorstand wählen. (4) Nach Feststellung der Be(4) Nach Feststellung der Beschlußfähigkeit wird die Wahl schlußfähigkeit wird die Wahl des Präsidenten, der Stellvertre- des Präsidenten, der Stellvertreter und der Schriftführer vorge- ter und der Schriftführer vorgenommen. nommen.

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Zuletzt geändert durch Bekanntmachung v. 12.2.1998 (BGBl. I S. 428).

wird zu seiner ersten Sitzung vom bisherigen Präsidenten spätestens zum dreißigsten Tage nach der Wahl (Artikel 39 des Grundgesetzes) einberufen. (2) In der ersten Sitzung des Bundestages führt das an Jahren älteste Mitglied des Bundestages des Vorsitz, bis der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt. (3) 'Der Alterspräsident ernennt Mitglieder des Bundestages zu vorläufigen Schriftführern. 2Hierauf erfolgt der Namensaufruf der Mitglieder des Bundestages. (4) Nach Feststellung der Beschlußfahigkeit wird die Wahl des Präsidenten, der Stellvertreter und der Schriftführer vorgenommen

§ 1 - Konstituierung (1) Der neugewählte Bundestag

Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages i. d. F. d. Bek. v. 2.7.198043

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§13

II Vizepräsidenten vertreten den Präsidenten in Behinderungsfällen nach der Reihenfolge ihrer Erwählung.

§ 11 (§ 13) II Die Vizepräsidenten vertreten den Präsidenten in Behinderungsflillen nach der Reihenfolge ihrer Erwählung.

§ 11 (§ 13) II Der Präsident bestimmt im Einvernehmen mit den Vizepräsidenten die Reihenfolge der Vertretung im Falle seiner Verhinderung und ordnet den Wechsel im Vorsitz.

Geschäftsordnung des Reichs- Geschäftsordnung des Reichstages des Norddeutschen Bun- tages des Norddeutschen Bundes v. 12.6.1868 i. d. F. v. des v. 12.6.1868 7.6.191844

44 Durch Beschluß des Reichstages vom 7.6.1918 wurde § 11 Abs. 2 (13 Abs. 2) geändert (vgl. Bd. 312, 169. Sitzung, S. 5295 B; AnI. Bd. 324, Drs. 1624).

II Die Vizepräsidenten vertreten den Präsidenten in Behinderungsflillen nach der Reihenfolge ihrer Erwählung.

§13

Geschäftsordnung der Zweiten Geschäftsordnung des PreuKammer (des Preußischen ßischen Abgeordnetenhauses Landtages) v. 28.3.1849 (vorm. Zweiten Kammer des Preußischen Landtages v. 28.3.1849 i. d. F. v. 6.6.1862

Geschäftsordnungsrechtliche Regelungen zur Stellvertretung des Parlamentspräsidenten von 1849 bis heute

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§ 15 (Sitzungsvorstand) In den Sitzungen des Reichstags bilden der diensttuende Präsident und die diensttuenden Schriftführer den Sitzungsvorstand.

§ 15 (Sitzungsvorstand) In den Sitzungen des Reichstags bilden der diensttuende Präsident und die diensttuenden Schriftführer den Sitzungsvorstand.

45 Durch Beschluß des Reichstages vom 23.3.1933 wurde § 20 Abs. 3 geändert (vgl. Bd. 457, 2. Sitzung, S. 24; Anl.: Bd. 457, Drs. 5; Reichsgesetzbl. II 1933 S. 150).

§13 II Der Präsident bestimmt im Einvernehmen mit den Vizepräsidenten die Reihenfolge der Vertretung im Falle seiner Verhinderung und ordnet den Wechsel im Vorsitz.

Geschäftsordnung der National- Geschäftsordnung des Reichs- Geschäftsordnung des Reichsversammlung v. 6.2.1919 tages v. 12.12.1922 tages v. 12.12.1922 i. d. F. v. (= Reichstagsgeschäftsordnung 23.3.193345 von 1868 i. d. F. v. 31.12.1918)

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destages bilden der diensttuende Präsident und die diensttuenden Schriftführer den Sitzungsvorstand. (2) Der Präsident bestimmt im Einvernehmen mit deinen Stellvertretern die reihenfolge der Vertretung. Sind Präsident und Stellvertreter gleichzeitig verhindert, so übernimmt der Alterspräsident die Leitung.

§ 8 (Sitzungsvorstand) (1) In den Sitzungen des Bun-

§ 15 (Sitzungsvorstand)

In den Sitzungen des Bundestages bilden. der diensttuende Präsident und die diensttuenden Schriftführer den Sitzungsvorstand. § 20 (Stellvertreter des Präsidenten) (1) Der Präsident bestimmt im Einvernehmen mit deinen Stellvertretern die reihenfolge der Vertretung. (2) Sind Präsident und Stellvertreter gleichzeitig verhindert, so übernimmt der Alterspräsident die Leitung.

Endgültige Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages v. 6.12.1951

Vorläufige Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages v. 20.9.1949

(2) Der Präsident bestimmt im Einvernehmen mit deinen Stellvertretern die reihenfolge der Vertretung. Sind Präsident und Stellvertreter gleichzeitig verhindert, so übernimmt der Alterspräsident die Leitung.

destages bilden der diensttuende Präsident und die diensttuenden Schriftführer den Sitzungs vorstand.

§ 8 Sitzungsvorstand (1) In den Sitzungen des Bun-

§ 8 Sitzungsvorstand

(1) In den Sitzungen des Bundestages bilden der diensttuende Präsident und die diensttuenden Schriftführer den Sitzungsvorstand. (2) Der Präsident bestimmt im Einvernehmen mit deinen Stellvertretern die reihenfolge der Vertretung. Sind Präsident und Stellvertreter gleichzeitig verhindert, so übernimmt der Alterspräsident die Leitung.

Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages i. d. F. d. Bek. v. 2.7.1980

Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages i. d. F. v. 22.5.1970

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Sachwortregister Abgeordnetengesetz 114 Abgeordnetenhaus von Berlin 58, 60, 105, 187ff. Abwahl 28, 115 Ältestenrat 32, 72, 81 f., 153 Amtierender Präsident 29, 31, 140, 157 Amtshilfe 142 Amtsprinzip 67,71, 147ft. Amtswalter 72, 148 Altersfrage 33, 118, 127/ Aushilfspräsident 153 ff. Baden 44 Bayern 45 Belgien 37,40 Belgische Deputiertenkammer 37 Bremische Bürgerschaft 190ff. Bundespräsident 23 Bundestagsdirektor 163 f. Bundestagspräsident 26, 28, 35, 115 ff., 122ff., 133, 139ff., 149, 157 Bundestagsverwaltung 164 Bundeswahlgesetz 114 CDU 20f., 146 Clerk of the House 163 Constitutional Conventions 75f. Demokratieprinzip 63 f., 71, 147 Deutscher Bund 45 DIE GRÜNEN 20, 25 Dienstalter 20f., 23, ll1ff., 164ff. Diplomatisches Corps 23, 136 Diskontinuitätsprinzip 32, 44, 62, 72, 83f., 92ft., 102, 104, 106, 129, 137, 160, 168ft. 14'

Diskriminierung 22 Disziplin 89 Disziplinargewalt 122 DVU 20f., 35, 111, 146 Einberufung des neugewählten Bundestages 92, 106 Einweisungskommission 45 England 36 ff., 163 Englisches Unterhaus 37f., 40, 47, 60f., 164 Erblandmarschall 45 Ermächtigungsgesetz 54 Ernennung der vorläufigen Schriftführer 119, 131f. Eröffnung der konstituierenden Sitzung 118, 124, 128 Eröffnungsansprache 20, 22, 53, 117, 119, 136ft., 147f. Erteilung des Wortes zur Geschäftsordnung 12Of., 134/ Europäisches Parlament 22, 138f., 185f. Father of the House 60, 164f. Feststellung der Beschlussfähigkeit 120, 133f. Frankfurter Nationalversammlung 47, 83, 159 Frankreich 36, 105, 108, 131, 163 Französische Nationalversammlung 36, 39,40ff. Funktionsfähigkeit 39,63,65,94, 103, 110, 129 156, 165 f. Geschäftsgang 89 Geschäftsordnungsautonomie 36, 40, 56f., 70, 83/, l00f., 125, 131, 157 Geschäftsordnungsdebaue 130

212

Sachwortregister

Geschäftsordnungsgewohnheitsrecht 75, 77ff., 94jf.. 123 Geschäftsordnungskompetenz 38 Geschäftsordnungsrecht 73, 82jf., 102 Gewaltenteilungsprinzip 36, 100, 161 f. Gewohnheitsrecht 38, 73, 76, 98, 109, 137 Gleichheitssatz 165 ff. Großbritannien 37,40, 159, 164f. Hamburger Bürgerschaft 190 ff. Hammelsprung 95 Handlungsunfahigkeit des Parlaments 93 Hannover 45 Hausordnung 139 Hausordnungsdienst 139, 142 Hausrecht 26, 65, 85, 116, 122, 139jf., 147, 158 Indien 159 Inkompatibilitäten 128, 160ff. Interfraktionelle Besprechung 32 f., 80, 168 Interfraktionelle Vereinbarung 69, 80jf., 131 Jordanien 159 Kanada 159 Koalitionsvereinbarungen 107 Kommunistische Partei 53, 134 Konsensprinzip 81 Konstituierung 19 Konstituierungskompetenz 135 Konstitutionalismus 40, 44 Konventionalregel 23, 69, 75/, 86f. Landtage - Baden-Württel11berg 58, 105, 187ff. - Bayern 59, 132, 187ff. - Brandenburg 59, 187ff. - Hessen 190ff.

- Mecklenburg-Vorpommern 59, 190ff. - Niedersachsen 59, 193 ff. - Nordrhein-Westfalen 58, 160, 167, 193ff. - Rheinland-Pfalz 59, 193 ff. - Saarland 102,193ff. - Sachsen 58, 105, 196ff. - Sachsen-Anhalt 21,24, 34, 59f., 93, 109, 155, 196ff. - Schleswig-Holstein 20, 21, 59, 110f., 112, 146, 160, 164, 196ff. - Thüringen 59, 196ff. Landtagsgesetz 57, 102 Landtagsmarschall 45 Lebensalter 20,23,47,55, 103, 111ff., 141, 161 Legitimation 22, 26, 39, 62, 64 ff., 101, 155ff., 164 Legitimationsdefizit 137, 143 Leitungskompetenz 122ff., 135, 137 Malawi 159 Mitwirkungsrechte des einzelnen Abgeordneten 90, 128, 165 Ministerkompatibilität 107, 161 ff. Nationalsozialismus 54 Namensaufruf 119, 131, 133 Österreich 102 Ordnungsgewalt 122, 144jf., 157 Ordnungsmittel 116, 122, 144 Ordnungsruf 111 Organtheorie 28; 149ff. Organwalter 67, 70ff., 103, 109, 114f., 149ff. Parlamentarische Observanz 23, 76/ Parlamentarische Ordnung 144 Parlamentarische Übung 69, 73, 130, 138 Parlamentarischer Rat 55, 70f., 126

Sachwortregister Parlamentarisches Regierungssystem 162, 170 Parlamentsautonomie 24, 36, 40, 42,

83ft.

Parlamentsbrauch 23, 69, 74ft., 124, 138 Parlamentsgeschichte 23 Parlamentsrecht 23, 68 Paulskirche 108 PDS 20ff., 35, 93 Politikwissenschaft 24 Polizeigewalt 27, 65, 85, 116, 122, 141ft., 147, 157 Präsidium des Bundestages 28 Preußen 37,46, 126, 200ff., 208 Preußisches Abgeordnetenhaus 83 Probepräsident 27, 30 Rechtsstaatsprinzip 65, 161 Rederecht 22, 147 Reichstag - Norddeutscher Bund 43, 50, 131 f., 200ff.,208 - Kaiserreich 24 f., 30, 33, 43, 46, 52, 119, 203f., 209 - Weimarer Republik 22, 33, 43, 52ff., 71,119,134,167,200, 203ff., 208 - 1933-1939 54 f., 58, 208 Repräsentationskompetenzen 122, 136 SED 20,21 SPD 22, 35, 54

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Sitzungsleitung 29f., 33, 93, 116f., 157 Sitzungspolizei 122 Speaker 61, 159 Staatsgewalt 63 ff. Ständversammlung 40, 42 ff. Stellvertreter des Bundestagspräsidenten 26 28ff., 59, 152ff. Thailand 159 USA 159 Verfassungsgewohnheitsrecht 54, 73, 76,92, 103ft., 115, 138, 141, 160, 162, 169 Verfassungskonventionalregel 75, 85 Verfassungssatzung 87 Verfassungsstörung 94 Verfassungsstrukturprinzipien 91, 104, 110 Verwaltungsorgan Verwaltungsverordnung 87 Vizepräsident 28 Volkssouveränität 40, 44, 64, 127 Vorbehalt des Gesetzes 106 Weimarer Reichsverfassung 71, 200 Württemberg 45 Zusammentritt des Bundestages 31, 33, 128 Zusammentritt des Reichstages 54