Cyberidentities at War: Der Molukkenkonflikt im Internet [1. Aufl.] 9783839402870

Konfliktakteure setzen weltweit das Internet in zunehmendem Maße strategisch ein. Lokal ausgetragene Konflikte erhalten

170 33 145MB

German Pages 402 Year 2015

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Cyberidentities at War: Der Molukkenkonflikt im Internet [1. Aufl.]
 9783839402870

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
Einleitung
1 Cybertheoretische Grundlagen der Arbeit
Das Internet - Möglichkeiten und Grenzen
Boom- und Doom-Szenarien
Internet, Cyberspace und Virtuality
Soziale Formierungen im Internet
Von virtuellen zu persönlichen Gemeinschaften
Imagined Communities
Die Aufhebung der Virtualität
Identität im Internet
Identitätskrisen und Repräsentationspolitik
Charakteristika der Identitätskonstruktion im Internet
Internet spezifische Tendenzen im Konstruktionsprozess von Identitäten
Zusammenfassung
2 Ethnologische Internetforschung und Methodik
Cyberethnologie oder Cyberanthropology
Methodenentwicklung
Der deterritorialisierte Gegenstand
Feldforschung und Teilnehmende Beobachtung im Internet
Webseiten als Forschungsquellen
Newsgroups und Mailinglisten als Forschungsquellen
Methodik der Arbeit
Religion und Konflikt im Internet
Islam Online
Internet und Konllikt
3 Der Molukkenkonflikt
Konfliktbeschreibung und Analyseansätze
Stationen, Organisationen und Maßnahmen im Molukkenkonflikt
Lokale und nationale Konlliktfaktoren
Exkurs: Zusammenhang von Religion, Identität und Konflikt
Kollektive Identität
Religion, Identität und Konflikt
4 Die Masariku -Mailingliste - ein Beispiel für eine Online-Gemeinschaft
Internet in Indonesien und den Molukken
Die MML – ihre Gründer, Beiträge und Mitglieder
Die Anfänge von Masariku-Online
Kategorisierung der Beiträge
Arbeitsweise des M asariku-Netzwerkes
Verbindungsaufbau und Ausgangslage
Das Mitgliederprofil der Masariku-Mailingliste
Vergemeinschaftungsprozess
Heimatgefühle und Sanktionen
Argumentationsstruktur
Gruppendynamik und Netzwerke
Online-Umfeld
Zusammenfassung
5 Der CCDA-Newsletter - Online zur internationalen Gemeinschaft
Der Newsletter, seine Subskribenten und seine Berichterstattung
Ausgangslage
Der Newsletter
Argumentationsstruktur
Networking
Die Kirche
Der Westen
Online-Umfeld
Zusammenfassung
6 Das FKAWJ Online - Jihad im Cyberspace
Die Organisation und der Interneteinsatz des FKAWJ
Das FKAWJ und sein Gründer
Das FKAWJ im Internet
Idealisierungsprozess
Motive, Argumente und Szenarien
Religiöse Pfeiler
Ja'far Umar Thalibs Kriegserklärung
Online-Umfeld
Zusammenfassung
7 Textuelle und visuelle Argumentation im molukkischen Cyberspace
Integrations- und Exklusionsmuster im molukkischen Cyberdiskurs
Authentizität
Dichotomisierung
Geschichte
Religiöse Symbolik
Ausgewählte Themen
„Wahrheit” und Selektion
Separatismus
Religiöse Säuberung
Zusammenfassung
8 Cyberstrategien
Cyberwar
Flame Wars
Cross-Posting
Weitere Strategien
Zusammenfassung
9 Cyberakteure online und offline
Masariku -Netzwerk
Masariku - die Geschichte eines „Schicksalsvogels“
Bedeutung und Wirkung des Interneteinsatzes
Einzelne Mitglieder, ihre Motive und ihr Offline-Engagement
Gemeinschaft und Identität
CCDA
Die Katholiken im Konflikt
Das Krisenzentrum und sein Newsletter
Offline-Aktionen und ihre Auswirkungen
FKAWJ
Das FKAWJ und der lokale Kontext
Der taktische Einsatz des Internets
Die Medien der Laskar Jihad
Zusammenfassung
10 Cyberidentities at war - Zusammenfassung, Schlussfolgerung, Perspektiven
Gemeinschaft und Identität im molukkischcn Cyberspace
Identität. Repräsentativität und Authentizität
Erweiterung von Gemeinschaften und Identitäten
Auswirkungen des Interneteinsatzes im Konflikt
Multiplikatoren. Weak Ties und Metanetzwerk
Der Konfliktfaktor Internet
Weitere Erkenntnisse und Forschungsperspektiven
Konflikt-, Identitäts- und Internetforschung
Forschungsperspektiven
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Internetseiten zum Molukkenkonflikt
Literatur

Citation preview

Cyberidentities at War

m e dien· w e 1 t e n I herausgegeben von Dorle Drackle I Band r

Birgit Bräuehier (Dr. phil.) lehrt am Institut für Ethnologie und Afrikanistik der Ludwig-Maximilians-Universität München und ist Postdoktorandin im Graduiertenkolleg Postcolonial Studies (LMU). Forschungsschwerpunkte sind u.a. Cyberanthropology, Konfliktforschung, Religionsethnologie und Fundamentalismus.

BrRGIT BRÄUCHLER

Cyberidentities at War Der Molukkenkonflikt im Internet

[transcript]

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:j jdnb.ddb.de abrufbar.

© 2005 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Birgit Bräuehier Lektorat & Satz: Birgit Bräuehier Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-287-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http:/ jwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Meiner Mutter

INHALT DANKSAGUNG

VII

EINLEITUNG CYBERTHEORETISCHE GRUNDLAGEN DER ARBEIT

Das Internet- Möglichkeiten und Grenzen Boom- und Doom-Szenarien Internet, Cyberspace und Virtuality Soziale Formierungen im Internet Von virtuellen zu persönlichen Gemeinschaften Imagined Communities Die Aufhebung der Vi1iualität Identität im Internet Identitätskrisen und Repräsentationspolitik Charakteristika der Identitätskonstruktion im Internet Internetspezifische Tendenzen im Konstruktionsprozess von Identitäten Zusammenfassung 2

3

10 10 11 14 17 18 21 26

28 29 31 34 40

ETHNOLOGISCHE INTERNETFORSCHUNG liND METHODIK

42

Cyberethnologie oder Cyberanthropology Methodenentwicklung Der deterritorialisie1ie Gegenstand Feldforschung und Teilnehmende Beobachtung im Internet Webseiten als Forschungsquellen Newsgroups und Mailinglisten als Forschungsquellen Methodik der Arbeit Religion und Konflikt im Internet Islam Online Internet und Konflikt

42 44 45 46 50 52 56 59 59 62

DER MOLUKKENKONFLIKT

66

Konfliktbeschreibung und Analyseansätze Stationen, Organisationen und Maßnahmen im Molukkenkonflikt Lokale und nationale Konfliktfaktoren Exkurs: Zusammenhang von Religion, Identität und Konflikt Kollektive Identität Religion, Identität und Konflikt

66 67 77 86 86 91

4 DIE MASARIKU-MAILINGLISTE- EIN BEISPIEL FÜR EINE ÜNLINEGEMEINSCHAFT

Internet in lndonesien und den Molukken Die MML- ihre Gründer, Beiträge und Mitglieder Die Anfange von Masariku-Online Kategorisierung der Beiträge Arbeitsweise des Masariku-Netzwerkes Verbindungsaufbau und Ausgangslage Das Mitgliederprofil der Masariku-Mailingliste

97 97 103 104 106 109 112 114

Vergemeinschaftungsprozess Heimatgeilihle und Sanktionen Argumentationsstruktur Gruppendynamik und Netzwerke Online-Umfeld Zusammenfassung

121 121 125 131 142 144

5 DER CCDA-NEWSLETTER- ÜNLINE ZUR INTERNATIONALEN

Der Newsletter, seine Subskribenten und seine Berichterstattung Ausgangslage Der Newsletter Argumentationsstruktur Networking Die Kirche Der Westen Online-Umfeld Zusammenfassung

147 147 147 150 154 160 161 162 164 165

DAS FKA WJ ÜNLINE- JIHAD IM CYBERSPACE

167

Die Organisation und der Interneteinsatz des FKA WJ Das FKA WJ und sein Gründer Das FKA WJ im Internet Idealisierungsprozess Motive, Argumente und Szenarien Religiöse Pfeiler Ja'far Umar Thalibs Kriegserklärung Online-Umfeld Zusammenfassung

167 167 170 180 181 196 208 211 216

GEMEINSCHAFT

6

7 TEXTDELLE UND VISUELLE ARGUMENTATION IM MOLUKKISCHEN CYBERSPACE

219

Integrations- und Exklusionsmuster im molukkischen Cyberdiskurs Authentizität Dichotomisierung Geschichte Religiöse Symbolik Ausgewählte Themen ,, Wahrheit" und Selektion Separatismus Religiöse Säuberung Zusammenfassung

219 219 223 227 232 241 241 243 253 260

8 CYBERSTRATEGIEN Cyberwar Flame Wars Cross-Posting Weitere Strategien Zusammenfassung

263 264 267 269 272 279

9

CYBERAKTEURE ONLINE UND OFFLINE

Masariku-Netzwerk Masariku- die Geschichte eines "Schicksalsvogels" Bedeutung und Wirkung des Interneteinsatzes Einzelne Mitglieder, ihre Motive und ihr O±l1ine-Engagement Gemeinschaft und Identität CCDA Die Katholiken im Konflikt Das Krisenzentrum und sein Newsletter Offline-Aktionen und ihre Auswirkungen FKA WJ Das FKA WJ und der lokale Kontext Der taktische Einsatz des Irrtemets Die Medien der Laskar Jihad Zusammenfassung

280 281 281 286 289 296 299 299 301 303 305 306 309 314 316

10 CYBERIDENTITIES AT WAR- ZUSAMMENFASSUNG, SCHLUSSFOLGERUNG, PERSPEKTIVEN

Gemeinschaft und Identität im molukkischen Cyberspace Identität, Repräsentativität und Authentizität Erweiterung von Gemeinschaften und ldentitäten Auswirkungen des Interneteinsatzes im Konflikt Multiplikatoren, Weak Ties und Metanetzwerk Der Konfliktfaktor Internet Weitere Erkenntnisse und Forschungsperspektiven Konflikt-, Identitäts- und Internetforschung Forschungsperspektiven ANHANG

Abkürzungsverzeichnis Internetseiten zum Molukkenkonflikt LITERATUR

318 318 3 19 323 329 331 336 338 338 342 348 348 350 356

ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung II: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20:

Landkarte Indonesien Landkarte Molukken Masariku- Yahoo Groups am 28.2.2003 Laskar Jihad- Yahoo Groups am 22.10.2002 Brietkopf des FKAWJ BannerderLJAWJ-Webseite LJA W.J-Webseite: Koranzitate und Logo Logo des LJA W.J-Anmeldeformulars Kopf der Salafy-Webseite des FKAWJ Aufklärungsarbeit bei Masariku (MML 21.4.2002) Christliche Kinderkrieger im Molukkenkonflikt (MML 2.2.2001) Christliche und muslimische Dörfer auf Saparua (FKA W.J 4.4.2001) Gratliti, die den Islam beleidigen (FKAWJ 4.12.2000) Grafiiti, die das Christentum beleidigen (MML 16.2.2000) Gottesdienst in der ausgebrannten Silo-Kirche (MML 1./2.2.2000) Eroberungskarten der Laskar .Jihad Mai 2000 und Februar 2001 Ambon Berdarah Online (11.6.2002) Konfliktformel von Rustam Kastor, den Laskar Jihad & Co. Identitätsebenen im molukkischen Cyberspace Metanetzwerk der molukkischen Cyberakteure

68 69 I 05 171 172 176 176 180 212 221 227 231 235 236 237 254 274 308 326 335

Tabelle 1: Tabelle 2:

Internet Survey- Deutschland und Indonesien Menüstruktur der LJA W.J-Homepage

12 177

DANKSAGUNG Herzlichen Dank möchte ich all denen aussprechen, die zur Verwirklichung dieser Studie - meine Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München beigetragen haben. Meinem Doktorvater, Prof. Dr. Frank Heidemann, und meinem Zweitgutachter. Prof Dr. Matthias S. Laubscher, danke ich. dass Sie mich in dieses innovative Forschungsfeld begleitet und in meiner Arbeit immer wieder bestätigt haben. Zusammen mit Prof. Dr. Kurt Beck gaben sie mir die Möglichkeit, in ihren Kolloquien am Institut für Ethnologie und Afrikanistik meine Thesen und Ergebnisse vorzustellen und zu diskutieren. Ermöglicht wurde dieses Forschungsprojekt durch ein Promotionsstipendium der LMU München und den Deutschen Akademischen Austauschdienst, der die finanziellen Voraussetzungen für meine Auslandsaufenthalte schuf. Diesen Institutionen gilt mein Dank. In den Niederlanden richtet sich mein Dank an das Moluks Historisch Museum (MHM) und das Informations- und Dokumentationszentrum für die Molukken in Utrecht - insbesondere Wim Manuhutu und Ron Habiboe - und Victor Joseph. Sie verschafften mir nicht nur Zugang zu ihren Archiven und aktuellen Informationen; in den zahlreichen Gesprächen mit ihnen konnte ich allmählich ein Gespür für die Komplexität des Molukkenkonflikts entwickeln. Zudem vermittelten sie mir wertvolle Kontakte in der molukkischen Gemeinschaft in den Niederlanden und den Molukken. Generell danke ich dem gesamten MHM-Team, das während der vielen Stunden und Tage, die ich dmi verbrachte, immer für eine sehr angenehme und ausgesprochen freundliche Atmosphäre gesorgt hat. Auch wenn sie hier nicht alle namentlich aufgeführt sind, bedanke ich mich bei allen weiteren Gesprächspartnern, die ihr Wissen um und ihre Einsichten in den Molukkenkonflikt mit mir teilten, seien es Hollandmolukker oder Wissenschaftler und Organisationen, die sich mit den Molukken beschäftigen. Den Hauptdarstellern dieses Buches, den molukkischen Cyberakteuren, gilt natürlich mein ganz besonderer Dank, auch wenn ich an dieser Stelle die meisten aufihren eigenen Wunsch hin nicht namentlich nennen kann. Ohne sie und ihre Internetauftritte wäre dieses Projekt nicht zustande gekommen. Ich danke dem Webmaster des Forum Komunikasi Ahlus Sunnah wal Jama'ah, der stets bemüht war, meine Anfragen zu beantworten. Ich danke dem Masariku-Netzwerk, seinen Gründern und seinen aktiven Mitgliedern, dass sie mich in ihre Liste aufgenommen und meine vielen Fragen bereitwillig diskutie1i und beantwmiet haben, online und offline. im Internet, in Jakarta und in Ambon. Sie haben mir Einblick in ihre Arbeit

vii

gewährt und viele zusätzliche Informationen und Materialien zur VerfUgung gestellt. Und ich bedanke mich bei Kees Böhm, der mir regelmäßig die Newsletter des Krisenzentrums der Diözese Ambon schickte. Er wurde nicht müde, auf meine Nachfragen einzugehen, und hatte auch immer eine ofiene Tür und ein offenes Ohr, als ich schließlich vor Ort in Ambon war. Ich möchte an dieser Stelle betonen. dass sich all diese Menschen, in den Niederlanden und in den Molukken, zumeist neben ihrer eigentlichen Berufstätigkeit engagierten, um die Außenwelt mit Informationen über den Molukkenkonflikt zu versorgen und eine Konfliktlösung anzustreben, was mitunter einen erheblichen Zeitaufwand bedeutete. Ihnen gilt meine volle Anerkennung! Auch wenn es mir nicht möglich ist, hier alle explizit zu nennen, danke ich auch meinen Gesprächspminern in Ambon und Umgebung, die ihre Ansichten zum und ihre Erfahrungen im Konflikt mit mir geteilt haben, und denjenigen, die mir auf die eine oder andere Weise weitergeholfen haben. Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle auch bei den Menschen, die mir den Aufenthalt in den Molukken trotz der Konfliktsituation angenehm gemacht haben. Dies waren vor allem Om Boy und Tini, die mich so liebevoll und freundlich in ihr Haus und ihre Familie aufgenommen haben, Merry, Magdalena und Kiev. In Jakmia möchte ich mich bei meinem Pminerinstitut an der Universitas Indonesia bedanken, insbesondere bei Yunita T. Winmio und Dr. A. Fedyani Saifuddin, dem Leiter des Anthropologischen Instituts. Danken möchte ich ferner meiner Freundin Faizah Nur und ihrer Familie, die mich so herzlich in Jakmia aufgenommen haben, und Ziza und Olly (danke Tiwi, dass du mich deinen Freundinnen vorgestellt hast!). Mein Dank gilt auch Dr. Dieter Bartels, der mein Projekt sozusagen aus der Ferne begleitet und mir immer mit Tipps und Anregungen zur Seite gestanden hat. Gleichfalls danken möchte ich den Professoren Franz und Keebet von BendaBeckmann, die immer wieder ein offenes Ohr für meine Anfragen hatten. Kar! Bräuchler, Jörg Kern, Klaus Hahne und Dieter Barteis danke ich ±lir ihren Einsatz in der heißen Endphase. Kar! und Rosemarie Bräuehier ermöglichten durch großzügige Zuschüsse die Drucklegung dieses Buches. Vielen Dank! Sicher nicht zuletzt geht mein herzlichster Dank an meine Eltern, Kar! und Renate Bräuchler, und meinen Freund und Lebensgefährten, Jörg Kern, für ihr unermüdliches Vertrauen in mich und meine Arbeit. Sie haben gute und schlechte Phasen dieses Projekts mit mir durchgestanden, mich durch Hochs und Tiefs begleitet, mich immer wieder ermutigt und in meinem Vorhaben bestätigt. Meiner Mutter, die die Fertigstellung dieser Arbeit leider nicht mehr miterleben durfte, ist dieses Buch gewidmet.

viii

Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten (Vereinte Nationen, Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948).

(I) Jede Kriegspropaganda wird durch Gesetz verboten. (2) Jedes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird, wird durch Gesetz verboten (Vereinte Nationen, Artikel 20 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 16.12.1966).

EINLEITUNG Die Berichterstattungen zum Golfkrieg von 1991 und Irakkrieg im Jahre 2003 stellten Höhepunkte in der Medialisierung von Konflikten dar. Die Präsentation in den Medien entscheidet, ob und wie Konflikte und Kriege, oft fern vom Zuschauer ausgetragen, einem weltweiten Publikum näher gebracht werden. Im Irakkrieg integrierte man amerikanische Journalisten bewusst in die Reihen der eigenen Truppen (embeddedjournalism), um ihrem Publikum das Gefühl zu vermitteln, Informationen direkt vom Kampfschauplatz zu erhalten bzw. selbst als Beobachter vor Ort zu sein. Und doch wich man auch hier nicht von dem üblichen Schema ab. dass nämlich die Repräsentation der Kämpfenden und Opfer nicht-westlicher Länder meist indirekt erfolgt, d.h. die Betroffenen selbst nur selten eigene Nachrichten verbreiten oder eigene Bilder erzeugen (Shaw 1998: 237). Für gewöhnlich haben diejenigen Kriege und Konflikte eine massive Präsenz in den "westlichen" Massenmedien, die in Staaten und Territorien ausgetragen werden, an denen der so genannte Westen ein ausgezeichnetes Interesse hat, ein Interesse, das sich offenbar vornehmlich an der A1i und der Quantität der jeweiligen Rohstoffvorkommen orientie1i. Von Konflikten in anderen Gegenden wie beispielsweise den Molukken würde kaum Notiz genommen, sie wären fiir viele einfach nicht existent, selbst Interessierte könnten sich nur mit Mühe Informationen beschaffen, wenn es das Internet nicht gäbe. Mit dem Internet ist nicht nur eine neue Ära der Konfliktpräsentation, sondern auch der Konfliktaustragung angebrochen. Es ermöglicht nun den Betroffenen selbst, Informationen von der lokalen Ebene direkt in einen globalen Kontext zu stellen, einer Weltöffentlichkeit ihre Konfliktperspektive nahe zu bringen und durch diverse Strategien den Kon±1ikt in den Cyberspace, den durch das Internet konstituie1ien sozialen Raum, auszudehnen. Da man es hier offensichtlich mit Informationen aus erster Hand zu tun hat, werden die Wahrnehmung des Konf1ikts in der Außenwelt und die Reaktionen darauf durch diese Darstellungen noch nachhaltiger geprägt, als wenn die Repräsentation in den herkömmlichen Massenmedien erfolgte. Studien zum Thema Konflikt und Internet beschränken sich bisher weitestgehend auf die so genannten Cyberwars, womit meist Attacken auf Computer und Webseiten durch Viren, Mailbomben oder Hacker gemeint sind. 1 "Cyberwar", "Cyberterrorism", "Cyberattacken", "Cybervandalismus" und "Web War" wurden im Zusammenhang mit der Instrumentalisierung des Internets durch Konf1iktparteien oder terroristische Vereinigungen zu beliebten Schlagworten in der internationa-

Siehe Arquilla und Ronfeldt 1993, Campen und Dearth 2000.

CYBERIDENTITIES AT WAR

len Presse. 2 Hier steht der technologische Aspekt des Internets im Vordergrund, nicht der Cyberspace als sozialer Raum. AusfUhrliehe ethnologische oder soziologische Studien zu dem wichtigen Themenkomplex "Konflikt und Internet" gibt es noch nicht. Der Cyberspace als Sozialraum, in dem Kont1ikte präsentiert und ausgetragen werden können, steht im Zentrum der vorliegenden Arbeit Cyberidentities at War, die dieses Forschungsvakuum füllen soll. Die Ethnologie kann hier insbesondere mit ihren Ansätzen in der Kont1ikt- und Identitätsforschung wertvolle Beiträge leisten. Das Internet wird von Gruppierungen unterschiedlichster Art, darunter vielen religiösen, ±lir ihre Selbstdarstellung genutzt. Interessant ist, dass sich auch radikale Muslime des Internets bedienen. die ±lir eine Rückkehr zur Gesellschaftstürm der islamischen Urgemeinde in Medina zu Zeiten des Propheten Muhammad und gegen die Moderne sind. Der Jihad wird in den Online-Bereich übertragen, wo nicht nur physische Attacken auf Rechner ausgeübt werden, sondern das Internet als Propagandamaschine, als effektives Kommunikationsmedium und zum Austausch verschlüsselter Botschaften eingesetzt wird. 3 Auch die in den Molukkenkont1ikt involvierten fundamentalistischen Muslime, die Laskar Jihad, schöpfen die Möglichkeiten des Internets als Selbstdarstellungs- und Propagandainstrument voll aus. Auf diese Weise wurden die Laskar Jihad und ihre Philosophie weltweit bekannt, obwohl radikale Muslime in Indonesien eine kleine Minderheit darstellen. Die Cyberpräsenz der Laskar Jihad wird im Rahmen dieser Arbeit analysiert und so für die Untersuchung ähnlich gearteter Online-Projekte eine Vergleichsbasis geschaffen. Entscheidend ±lir den Erfolg der genarmten Interneteinsätze sind die Kommunikationscharakteristika dieses Mediums. Die so genannten Neuen Medien, unter denen das Internet einen prominenten Platz einnimmt, zeichnen sich im Gegensatz zu herkömmlichen (Massen-)Medien durch Kriterien wie Interaktion, Multimedialität, Ü1isunabhängigkeit und Vernetzung aus. 4 Übermittelte Nachrichten und Präsentationen können kaum mehr losgelöst vom Medium betrachtet werden. McLuhans (1964, 2001) Feststellung "The Medium is the Message" ist aktueller denn je. Nie zuvor bot ein- und dasselbe Medium mehr unterschiedliche Kommunikationsmöglichkeiten, nie zuvor standen mehr Informationen zur Ver±ligung. Es ist möglich, Text, Bild und Ton, Video, Printmedien, TV und Radio zu integrieren und diese mit internetspezifischen uni-, bi-und multilateralen Kommunikationsmodi zu kombinieren. Im Internet lassen sich private Räume schatTen, zu denen nur ein bestimmter Personenkreis Zugang hat, oder solche, die ±lir die Öffentlichkeit bestimmt sind. Der Austausch von Informationen ist entweder völlig frei oder aber der "Zensur" eines Moderators unterworfen.

2

4

2

Siehe z.B. BBC World News 1999a, Fischermann 2001, Hashim 2001, Onggo 2001. Siehe Bö Ische 2001, Robbins 2002, http://members.aol.com/rsacchiOOI/gulf/webwar.html, 28.2.2003. Definition Neue Medien von Patrick Stähler (http://www.business-model-innovation.com/ definitionen/neuemedien.htm, 30. 7.2002).

EINLEITUNG

So ergibt sich ein einzigartiges und vielschichtiges Kommunikationspotential, das entscheidend zur Bildung von Identitäten beitragen und eine wichtige Rolle in Konflikten übernehmen kann. Die Bedeutung herkömmlicher Medien im Konstruktions- und Mobilisierungsprozess ethnischer Identitäten und ±lir das Schaffen eines ethnischen Bewusstseins wurde bereits verschiedentlich betont. 5 Mit dem Internet steht aber nun ein Medium zur Verfügung, durch das sich Identitätsprojekte viel ansprechender und überzeugender gestalten lassen, die zudem noch eine weitaus größere Reichweite haben, und über das aufgrund des interaktiven Potentials das "Publikum" aktiv am Aushandlungsprozess kollektiver Identitäten teilhaben kann. Obwohl es viele Hinweise zur Bedeutung des Internets ±lir soziale Bewegungen und ethnische Gruppierungen gibt, wurde diesen interessanten Konstruktions- und Aushandlungsprozessen kollektiver Identitäten bisher von Internetforschern kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Im molukkischen Cyberspace geht es um genau diese Präsentation und Konstruktion von kollektiven Identitäten. Das Internet dient hier dem Zweck, online imaginie1ie Gemeinschaften aufzubauen, vergleichbar mit den imagined communities von Benedict Anderson ( 1998) und den imagined worlds vonA~junAppadurai (1996). Spätestens mit der Ausbreitung des Internets müssen wir uns von bisherigen Gemeinschaftsvorstellungen trennen. Das Lokalitätsprinzip ist aufgehoben, Interaktion aber trotzdem möglich. Das Internet kann weit verstreut lebende Personen und Gruppen vernetzen, sozial formieren und neue Gemeinschaften schaffen bzw. existierende verändern und ausdehnen; beide bestehen in der Imagination der oft lokal getrennten Gemeinschaftsmitglieder, der über das Medium Internet Ausdruck verliehen werden kann (Mitra 1997: 58). Dieser in der Natur des Internets begründete Trend ist letztendlich die Fortsetzung einer Linie, die sich in der Ethnologie aufgrundzunehmender Globalisierung und Migration schon vorher abzeichnete. A~jun Appadurai hat 1991 gefordert, dass eine neue Art von Ethnographie "die Auswirkung der Deterritorialisierung auf die imaginativen Ressourcen gelebter lokaler Erfahrung" erfassen müsse, und hat dabei die Rolle der Imagination im sozialen Leben der Zukunft hervorgehoben (196). Im Internetzeitalter ist die Integration dieser Imagination in die lokalen Erfahrungen jedes einzelnen von noch größerer Bedeutung. Der Molukkenkon±likt. der im Januar 1999 im Osten Indonesiens ausbrach. und seine Präsentation und Austragung im Internet sollen als Fallbeispiel dienen und deutlich machen, welche Rolle das Internet in einem Konflikt spielen kann und von welcher Bedeutung dabei die Konstruktion kollektiver Identitäten und der Aufbau imaginierter Gemeinschaften ist. Ursprünglich wollte ich mich dem Molukkenkonflikt nicht über das Internet nähern, sondern eine längere Feldforschung vor 01i durchfUhren. Diesen Vorsatz musste ich aufgeben, da 1999/2000 noch keine verSiehe z.B. den Sammelband von Goonasekera und lto 1999 und den Beitrag von Ginsburg 1995:265.

3

CYBERIDENTITIES AT WAR

lässlichen Aussichten bestanden, dass der mit unglaublicher Grausamkeit ausgetragene Konflikt ein baldiges Ende tinden würde. Ein sicherer Aufenthalt erschien unmöglich. 6 Mein Interesse am Konflikt in den Molukken, die man so lange für das harmonische Verhältnis zwischen Christen und Muslimen gelobt hatte, unter denen nun der Konflikt ausgetragen wurde, war aber ungebrochen. Das Internet war das einzige Medium, über das detaillierte Informationen zum Konflikt verfügbar waren. die nicht nur von Molukkern im Ausland sowie von Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen weltweit geliefert wurden, sondern auch von Personen und Gruppierungen, die vor 01i unmittelbar in den Konflikt involvie1i waren. Nachdem ich diese Darstellungen über einige Zeit hinweg verfolgt hatte, wurde klar, dass im Internet in diesem Zusammenhang nicht nur ein Informationsaustausch stattfindet, sondern sich viel weitreichendere soziale Prozesse abspielen und sich hier ein weites Feld tlir ethnologische Forschung auftut. Im Laufe des Konflikts tauchten mehr und mehr Webseiten aut: die sich der Tragödie auf den Molukken widmeten, was dem typischen Überangebot an Informationen im Internet entspricht. 7 Es musste eine sinnvolle Auswahl getroffen werden, was konkret Gegenstand meiner Untersuchungen werden sollte. Am interessantesten erschienen die Internetpräsentationen von Personen, Institutionen bzw. Organisationen, die vor Ort in Ambon stationiert, also direkt in den Konflikt involviert und über einen langen Zeitraum hinweg kontinuierlich im Internet vertreten waren. Diese Gruppen stellen die direkte Verbindung zwischen der Offline-Ebene in den Molukken und der Online-Ebene dar. die den Konflikt bzw. die Informationen darüber vom Ort des Geschehens direkt in die Welt hinaus trägt. Sie beanspruchen, Informationen aus erster Hand zu liefern, die begeistert von ihrem nationalen und internationalen Publikum aufgenommen werden. Darüber hinaus beziehen sich viele andere. nationale und internationale Webseiten. aber auch die Presse auf die Beiträge dieser "Pioniere"; sie übersetzen sie zum Teil, leiten sie weiter und benutzen sie tlir ihre Intormationspolitik, so dass die Nachrichten aus erster Hand ganz entscheidend zu dem Bild beitragen, das vom Molukkenkontlikt außerhalb der Molukken entsteht. Internetpräsentationen mit diesem Hintergrund sind rar, datlir aber umso interessanter. Nur drei Gruppen sind zugleich direkt involviert in den Konflikt und kontinuierlich präsent im Internet. Sie sind die molukkischen Cyberakteure, 8 auch wenn sie ursprünglich nicht alle aus den Molukken stammen, und konstituieren den molukkischen Cyberspace. Auf der einen Seite ist der Prozentsatz der indonesischen Bevölkerung, der Zugang zum Internet hat, trotz stark ansteigender Zahlen 6

7

4

Ich weiß nur von einem Ethnologen, Dieter Bartels, der sich Mitte 2000 auf die Molukken gewagt hat und sich dort vor dem einen oder anderen Kugelhagel in Sicherheit bringen musste. Ich selbst war Anfang 2002, als sich die Lage deutlich beruhigt hatte, für zwei Monate auf den Molukken. Zum so genannten "Datensmog" siehe Jordan 1999: 117-127, Shenk 1997. Cyberakteure sind Personen und Gruppen, die in den durch das Internet konstituierten sozialen Räumen aktiv sind.

EINLEITUNG

nach wie vor sehr niedrig. Auf der anderen Seite scheint das Internet für die Anliegen jener Akteure, die sich noch dazu in einem sehr abgelegenen Teil Indonesiens aufhalten, von fundamentaler Bedeutung zu sein. Dieser scheinbare Gegensatz macht die Thematik noch spannender. Indem die Präsentationen der molukkischen Cyberakteure entlang religiöser Linien verlaufen, verwischen sich Unterschiede innerhalb des christlichen und des muslimischen Blocks für das Publikum, das nicht direkt in die lokale Situation eingebunden ist. So werden auf der Präsentationsebene Dutzende, wenn nicht Hunderte kleiner, lokal ausgetragener Streitigkeiten und Kämpfe, die zwar vornehmlich, aber nicht exklusiv zwischen Christen und Muslimen ausgefochten werden, zu Teilen eines einzigen großen Kampfes zwischen Islam und Christentum. Die Christen werden präsentiert durch das katholische Krisenzentrum der Diözese von Ambon (Crisis Centre of the Diocese of Ambon, CCDA) und das Masariku-Netzwerk (protestantisch), die Muslime durch das Kornmunikationsforum der Anhänger der Surrnah und der Gemeinschaft des Propheten (Forum Komunikasi Ahlus Sunnah wal Jama'ah, FKA WJ). Die Beiträge dieser drei Gruppen sind, mehr oder weniger offensichtlich, von ihrer jeweiligen Religionszugehörigkeit geprägt, auch wenn es sich dabei nicht in allen Fällen um absichtlich tendenziöse Darstellungen handelt. 9 Der Eindruck eines Religionskonflikts wird durch diese Online-Präsentationen noch verstärkt. Daraus ergibt sich die Frage, welcher Zusammenhang zwischen Internet, Religion und Identität im Molukkenkonflikt besteht und welche Bedeutung das Internet für den Konflikt hat. Im Zuge der von Masariku, vom CCDA und FKA WJ initiierten Online-Projekte entstehen imaginierte Gemeinschaften, die sich über eine jeweils gemeinsame Identität definieren, als solche aber nur im und über das Medium Internet bestehen. Die Darstellung und Beschreibung dieser Gruppen ist Ergebnis meiner langen Beobachtungen und Interpretationen der jeweiligen Listendiskurse bzw. Webseiten. Zugleich geht es aber auch um die Interpretationen der Gruppen selbst. Um die Identitätspolitik dieser Online-Akteure zu analysieren, muss nicht nur der Konstruktionsprozess der Online-Identitäten nachvollzogen werden, es sind auch die essentialistischen Begründungen zu betrachten (Calhoun 1995: 204), d.h. in unserem Fall der Zusammenhang von Religion und Identität. Außerdem müssen die Mittel, derer sich diese Gruppen online bedienen, die Ziele, die sie damit verfolgen, und der Zusammenhang zwischen den Darstellungen im Internet und der Offline-Ebene ergründet werden. Die Ergebnisse der Untersuchungen bieten Antworten auf die Frage nach der Bedeutung des Internets im Konflikt. Das Internet dient hier als Medium, Nachrichten und Interpretationen zu liefern, die sich zum einen qualitativ von denen der nationalen Medien in Indonesien unterscheiden (Hili und Sen 1997), zum anderen aber aufgrund der durch die Ak9

Insbesondere dann, wenn die Gruppen jeweils keinen Zugang zu Informationen von .,der anderen Seite" haben, ist dies beinahe unvermeidlich. Generell kann es in einem Konflikt eigentlich keine neutralen Informationen geben, so Susan Carruthers (2000: 17), auch wenn die verschiedenen Parteien beanspruchen oder zumindest versuchen, neutral und ausgeglichen zu sein und zu berichten. 5

CYBERIDENTITIES AT WAR

teure eingesetzten Strategien, die Reichweite des Internets und der daraus resultierenden Beeinflussung eines weltweiten Publikums auch auf den Konflikt selbst rückwirken können. Über das Internet ist es den molukkischen Cyberakteuren möglich, etablierte Autoritäten wie die indonesische Regierung und Presse, in der lokale Stimmen kaum berücksichtigt werden (Sen und Hill2000: 210), zu umgehen und den lokal geführten Diskurs, lokales Wissen und lokale Perspektiven zu globalisieren. Nur über das Internet konnten die Gruppen hinter den molukkischen Cyberakteuren einem breiten Publikum bekannt werden und ihre Lokalgemeinschaften sich erweitern und zu imaginierten Gemeinschaften werden, denen Menschen weltweit angehören. Dies stellt eine fundamentale Entwicklung in der Austragung lokaler Konflikte dar, die so plötzlich massiv nach außen getragen werden und eine ganz andere Konfliktöffentlichkeit herstellen als es ohne das Internet möglich gewesen wäre. Durch den interaktiven Charakter des Internets hat diese Öffentlichkeit darüber hinaus noch die Gelegenheit an den Projekten selbst mitzuwirken und so zumindest einen indirekten Einfluss auf den Konflikt auszuüben. Meine Untersuchungen und Analysen widmen sich nicht nur dem Medium Internet und seinen Möglichkeiten, sondern auch den Inhalten, d.h. dem online geführten Konfliktdiskurs und der Argumentationslinie der Cyberakteure, die grundlegender Bestandteil ihrer online verfolgten Identitätspolitik ist. Es werden die Online-Performanz der molukkischen Cyberakteure, die übermittelten Inhalte und die Einbettung der Online-Projekte in einen Offline-Kontext analysiert. Die Ergebnisse sollen Internet- und Konfliktforschern ohne ein spezifisches lokales Interesse ebenso neue Erkenntnisse bieten wie denen, die am Konfliktgeschehen in den Molukken und an den Konfliktperspektiven involvie1ier Parteien interessiert sind. Dabei geht es mir nicht um eine Ursachenanalyse - hierzu wurde im Laufe des mehr als drei Jahre andauernden Molukkenkonflikts bereits sehr viel publiziert - oder um den tatsächlichen Konfliktverlauf, sondern um die Dynamik des Konflikts und Faktoren, die unabhängig von den Ursachen tlir seine Fortsetzung sorgen. 10 Der Einsatz von Medien und die Instrumentalisierung von Religion haben hier große Bedeutung. Nicht nur dass sich die Dynamik des lokalen Konflikts auf die Darstellungen im Internet überträgt, der Konflikt entwickelt im Cyberspace auch eine ganz eigene Dynamik. Die ethnologische Internetforschung steckt ebenso wie das zugehörige methodische Instrumentarium noch in den Kinderschuhen. Die wenigen bestehenden Ansätze wurden hier aufgegriffen und im Laufe des Forschungsprozesses am Gegenstand weiterentwickelt. Es wird nun an einem ganz konkreten Beispiel gezeigt, wie im Cyberspace eine ethnologische Forschung durchgetlihrt werden kann und welche Beiträge zur Internetforschung ethnologische Ansätze und Methoden generell zu leisten vermögen. Im Vergleich zu bisherigen sozialwissenschaftliehen Untersuchungen zum Internet kennzeichnen mein methodisches Vorgehen drei Punkte, die 10 Zur (Eigen-)Dynamik der Gewalt siehe Trutz von Trotha 1997 und Peter Waldmann 1995.

6

EINLEITUNG

als Merkmale traditioneller etlmologischer Feldforschung anzusehen sind, im Bereich der Internetforschung aber bisher noch viel zu wenig bzw. gar nicht beachtet wurden. Es geht um die Berücksichtigung des Kontexts des Untersuchungsgegenstandes, Teilnehmende Beobachtung und die Forschungsdauer. 11 Ich habe ab Ende 2000 über zwei Jahre die Projekte der molukkischen Cyberakteure als Mitglied bzw. Subskribent ihrer Mailinglisten und Newsletter verfolgt und die Zeit davor anhand ihrer Online-Archive rekonstruiert. Mir ist keine Studie bekannt. die über einen ähnlich langen Zeitraum das Geschehen in einem bestimmten sozialen Raum im Internet untersucht hat. Nur die ausgedehnte Forschungsdauer setzte mich aber in die Lage, dem Listendiskurs über unterschiedliche Konfliktphasen hinweg zu folgen und die Dynamik der Listen und Seiten zu erfassen, eine Voraussetzung dafür, die online stattfindenden Vergemeinschaftungs- und Identitätsfindungsprozesse nachzeichnen zu können. Ergänzt wurden die Online-Forschungen durch eine Teilnehmende Beobachtung im molukkischen Krisengebiet. Die Forschungsbedingungen waren, obwohl sich die Lage bis zu meinem Aufenthalt bereits einigermaßen beruhigt hatte, verständlicherweise nicht ideal. Da der Konflikt aber Gegenstand der Arbeit ist, brachten mir diese erschwerten Bedingungen auch einen Zugewinn an Erkenntnissen. Ziel der Offline-Forschung und eines ergänzenden privaten EMail-Austausches war es, den Offline-Kontext der molukkischen Cyberakteure, der in der etlmologischen Feldforschung ebenso wichtig ist wie der Untersuchungsgegenstand an sich, zu erfassen. Dabei sollten nicht die online geschilde1ien Konfliktverläufe durch Beobachtungen vor Ort (in den Molukken) verifiziert bzw. falsifiziert werden, sondern es ging mir darum, Einblicke in den soziokulturellen Kontext und die Motive der Gruppen und Personen zu gewinnen, die den Molukkenkonflikt im Internet präsentieren, und darzulegen, welche Bedeutung sie dem Interneteinsatz beimessen. Obwohl einige sozialwissenschaftliche Internetforscher einen kontextuellen Ansatz ve1ireten, gehen auch sie nie konkret auf den soziokulturellen Offline-Kontext der Internetnutzer ein.

*** Die cybertheoretischen Grundlagen meiner Untersuchungen und ein entsprechendes Begriffsinstrumentarium werden in Kapitel I erarbeitet. Darauf nehme ich immer wieder direkt oder indirekt Bezug. Da die Internetforschung für die Ethnologie ein relativ neues Feld darstellt. wird hier auf Themen. die ±lir meine Arbeit von besonderem Interesse sind - soziale Formierungen und Identität im Internet -, aus±lihrlicher eingegangen. Damit soll auch die Verortung der Untersuchung im bestehenden Diskurs deutlich werden. Kapitel 2 befasst sich dann speziell mit der etlmologischen Internetforschung, dem entwickelten Forschungsinstrumentarium und der Methodik der Arbeit. Kapitel 3 bringt einen Überblick über den Molukkenkonflikt II Für eine klassische ethnologische Feldforschung wird ein Jahr angesetzt, um die unterschiedlichen Phasen eines Jahreszyklus in der zu untersuchenden Gesellschaft zu erfassen.

7

CYBERIDENTITIES AT WAR

als Hintergrund für die molukkischen Cyberprojekte und widmet sich dem Zusammenhang zwischen Religion, Identität und Konflikt, der im Molukkenkont1ikt sowohl auf der Offline- wie der Online-Ebene von herausragender Bedeutung ist. Kapitel 4 liefert einen kurzen Überblick über das Internet in Indonesien und den Molukken und stellt die Masariku-Mailingliste als Online-Gemeinschaft vor. Die Online-Projekte des CCDA und des FKA WJ werden in den Kapiteln 5 bzw. 6 beschrieben und analysiert. Beim CCDA ist vor allem die Online-Verbindung zur internationalen Gemeinschaft von Bedeutung, beim FKA WJ eine Ausweitung des Jihad in den Cyberspace. Die übrigen Kapitel beziehen sich auf alle drei molukkischen Cyberprojekte gleichermaßen: In Kapitel 7 werden die charakteristischen Merkmale der Diskurse im molukkischen Cyberspace herausgearbeitet und an wichtigen Konfliktthemen die unterschiedlichen Argumentationsstrukturen der Cyberakteure im textuellen wie im visuellen Bereich nachgewiesen. Um den Einsatz internetspezifischer Strategien wie Flame Wars und Cross-Postings geht es in Kapitel 8. Hier soll zudem der Unterschied zwischen Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung der Gemeinschaften deutlich werden und sich zeigen, dass die einzelnen Projekte nicht isoliert im Cyberspace stehen, sondern sich durchaus auch aufeinander beziehen. Nachdem es bisher mit Ausnahme von Kapitel 3 ausschließlich um Darstellungen und Phänomene im Online-Bereich ging, wird in Kapitel 9 ein direkter Bezug zur Off:1ineEbene hergestellt, die in den Online-Darstellungen immer präsent ist. Im Mittelpunkt steht das Otl1ine-Umfeld der molukkischen Cyberakteure, ihre Einbettung in den lokalen Kontext, ihre Otl1ine-Aktivitäten sowie Motive und Vorstellungen einzelner Mitglieder zum Einsatz des Internets im Molukkenkonflikt. Dadurch soll die enge Verknüpfung und die Wechselwirkung von Online- und Off:1ine-Ebene noch klarer werden. Kapitel 10 liefert eine Zusammenfassung der molukkischen Cyberprojekte und spricht das Problem ihrer Repräsentativität und Authentizität an. Anschließend wird das Internet als Konfliktfaktor beschrieben. wie er auch in anderen lokalen Konflikten eine Rolle spielen karm, in denen sich einzelne Akteure des Internets bedienen. Zuletzt werden darüber hinausgehende Erkenntnisse insbesondere für die Konflikt-, Identitäts- und Internetforschung aufgezeigt und Forschungsperspektiven dargelegt. Englische Zitate werden in Originalschreibweise (einschließlich Grammatikund Rechtschreibfehlern) übernommen, um ihre Authentizität zu wahren. Die Verständlichkeit der Beiträge ist dadurch nicht beeinträchtigt. Sämtliche indonesische Zitate wurden von mir übersetzt. Für abgebildete Screenshots wurde als Browser die Version 5.5 des Microsoft Internet Explorer verwendet. Seitenangaben bei zitierten bzw. paraphrasierten Internetdokumenten sind als Orientierungshilfe zu verstehen, da sich die Seitenaufteilung je nach verwendetem Browser, Editor oder Drucker ändern kann. Die Datumsangabe hinter einer Internetadresse bezieht sich auf das Zugriffsdatum, d.h. den Tag, an dem ich diese Seite besucht habe, und muss nicht mit dem Entstehungsdatum des zugrunde liegenden Dokuments übereinstimmen. Es ist nicht auszuschließen. dass zitierte Webseiten bzw. zitierte Pas8

EINLEITUNG

sagen oder Links bei Drucklegung dieses Buches nicht mehr existieren. Unter Umständen sind die Seiten dann noch über das Internetarchiv http://www.archive.org/ zugänglich.

9

1

CYBERTHEORETISCHE GRUNDLAGEN DER ARBEIT

Das Internet eröffnet einerseits eine Vielfalt von Möglichkeiten, andererseits sind diesen aber auch deutliche Grenzen gesetzt. Beides beeinflusst die Virtualitätsdebatte sowie die Ausprägung sozialer Formierungen und Identitäten im Internet entscheidend.

Das Internet- Möglichkeiten und Grenzen Mit der weltweit exponentiell zunehmenden Anzahl der Internet-Benutzer stieg auch die Anzahl der Studien von Soziologen, Kommunikationswissenschaftlern und, in geringerem Maße, von Ethnologen über die Gestaltungsmöglichkeiten dieses neuen Mediums und seinen Einfluss auf das Zusammenleben seiner Anwender. 1 In den letzten Jahren kam es zu einem regelrechten Veröffentlichungsboom. Typisch für solch euphorische Publikationsschübe sind viele oberflächliche Untersuchungen, die unreflektiert Konzepte aus anderen Bereichen soziokultureller Forschung übernehmen oder Schlagwörter, die mit den ersten sozialwissenschaftliehen Publikationen zum Internet aufgekommen sind. Ein Großteil der Veröffentlichungen sieht zudem die Rolle des Internets vor allem als Informationsprovider, viele der soziologischen und psychologischen Untersuchungen zielen auf den Nutzer als Individuum und die Wechselwirkung zwischen dem Medium und seiner Persönlichkeits- und Identitätsstruktur. 2 Es gibt zahlreiche Untersuchungen zum Internet über Themen wie Globalisierung, Gesellschaft, Identität oder die Formierung von

2

10

Über die Geschichte bzw. die Entwicklung des lnternets vom ARPANET, ein im Jahre 1969 im militärischen Bereich in den USA entwickeltes Computernetzwerk, das atomaren Anschlägen standhalten sollte, über die Entstehung elektronischer Mailsysteme, diverser Newsgroups wie z.B. des weitaus bekanntesten und umfassendsten ,.Usenet" im Jahre 1985, der MUDS in den 1980er- und 1990er-Jahren und schließlich der Entwicklung des World Wide Web (WWW) Anfang der 1990er-Jahre, das es einer breiten Masse möglich machen sollte, über leicht zu bedienende Oberflächen auf das Internet Zugriff zu haben, ist bereits ausreichend geschrieben worden. Exemplarisch soll hier auf folgende Autoren verwiesen werden: Adams und Warf 1997: 140/141, Hicks 1998: 53-55, Steven G. Jones 1998b, Rheingold 2000: lntroduction, Rogers und Malhotra 2000, Slevin 2000: 27-54, Zurawski 2000: 151-159. Christine Hine (2000: 14-27) liefert einen Überblick über die unterschiedlichen Ansätze in der Internetforschung seit Mitte der 1980er-Jahre. Siehe u.a. Reid 1991, Turkle 1995.

CYBERTHEORIE Gruppen und Organisationen. 3 Die Cyberethnologie oder Cyberanthropology, die sich mit Online-Phänomenen ebenso beschäftigen sollte wie mit ihrem O±l1ineKontext, steckt aber noch in ihren Anfängen. Das kulturelle Umfeld der Akteure bei virtuellen Computerspielen, Diskussionsforen und Chat, aber auch bei Untersuchungen wie z.B. der vielzitierten Zapatisten-Bewegung im Internet werden von sozialwissenschaftliehen Internetforschern bisher kaum berücksichtigt. Stefan Schwara (1999) moniert, dass sich die Mehrzahl der Publikationen zum Cyberspace mit wirtschaftlichen bzw. technischen Aspekten beschäftige, dabei aber soziale und kulturelle Komponenten vernachlässige bzw. utopische Szenarien entwerfe, die von einer stichhaltigen Zeitdiagnose weit entfernt seien. Die so genannten neuen Technologien4 würden aber zu einer fundamentalen Transformation von Struktur und Bedeutung moderner Gesellschaft und Kultur führen, die eine Neuausrichtung wissenschaftlicher Begriffe und Theorien erfordere (Schwara 1999: 260). Abgesehen von Beschreibungen physischer Netzangriffe auf Computersysteme - die so genannten Cyberwars- und verbal über das Netz ausgetragener Flame Wars gibt es auch keine tiefer gehenden Studien darüber, welche Rolle das Medium Internet in einem ursprünglich offline ausgetragenen Konflikt spielen kann.

Boom- und Doom-Szenarien Die Spekulationen und sozialpolitischen Narrative im Zusammenhang mit der explosionsmiigen Ausweitung des Zugangs zum Internet durch die Entwicklung des graphisch ausgearbeiteten, benutzerfreundlichen W orld Wide Web (WWW) Anfang der I 990er-Jahre reichten von den hoffnungsvollen Visionen einer gerechten Informationsgesellschaft 5 bis zum Alptraum der Auflösung jeglicher Wertesysteme und der totalen Ablehnung (Zurawski 2000: 136), vom "Boom"- bis zum "Doom"Szenario (Hamelink 2000: I). Kritische Stimmen fürchten eine erhöhte Kontrolle, die Stärkung bestehender Machtverhältnisse, eine wachsende Medien- und Machtkonzentration in den Händen einiger weniger Oligopole und den Ausschluss Benachteiligter aus kulturellen und politischen Transformationsprozessen. 6 Außerdem münde der ungleich verteilte Zugang zum Internet als globalem Informations- und Kommunikationsnetzwerk in einen weltweiten digital divide, der sich sowohl zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern (global divide) als auch inner-

4

6

Siehe u.a. Castells 2000, 2001b, c, Chandler 1998, Jan van Dijk 1999, Miller 1995, Slevin 2000. Computer- und Informations-, Nano- und Biotechnologie werden im weiteren Sinne unter dem Begriff "neue Technologien" geführt. Siehe hierzu vor allem John Perry Barlow (1996), der u.a. von Thomas Barth (1997) für seinen naiven Optimismus und wegen seiner totalen Blindheit gegenüber sozialer Ungerechtigkeit kritisiert wurde, von Zurawski (2000: 129-135) und Harnelink (2000: 22/23). Siehe Castells 2001b, c, Jan van Dijk 1999: 2, 101, Harnelink 2000: 19, 22, Hartmann 1998: 11, Interrogate the Internet 1996: 127, Kollock und Smith 1999: 4, Kress, LeiteGarcia und Leeuwen 1997: 270, Norris 2000b: I, Poster 2001: 615, Weilman und Gulia 1999: 168/169, Zurawski 2000: 148. 11

CYBERIDENTITIES AT WAR

halb einzelner Nationen (social divide) zeige (Norris 2000a: 1). 7 NUA-Daten belegen, dass die Anzahl der Internetnutzer von 16 Mio. im Jahre 1995 auf254 Mio. im Januar 2000 und 606 Mio. im September 2002 explodietie, so dass mittlerweile also ca. 10% der Weltbevölkerung online sind, im Vergleich zu ca. 4% im Jahr 2000. 8 Beinahe 90% der Internetnutzer sind weiß. besser bezahlt als der Durchschnitt, Anfang bis Mitte dreißig und sitzen für gewöhnlich in der "entwickelten Welt". 9 Der Internet Indikator der ITU (International Telecommunications Union, Gent) gibt Auskunft über die Situation des Irrtemets in verschiedenen Ländern. Zur Veranschaulichung werden hier die Statistiken zu Indonesien und Deutschland für die Jahre 1999 und 2001 gegenübergestellt: Land

Einwohner

Hosts

(Mio.)

(gesamt)

Hosts (per 10.000

User

User

Geschätzte

Geschätzte

(k)

(per 10.000

PC-Anzahl

Einwohner)

(k)

PC-Anzahl pro 100

Einwohner)

Einwohner

199910 2001 11

lndonesien Deutschland

lndonesien Deutschland

ca. 203,0 ca. 81,8 ca. 220,0 ca. 82,4

21.052 1.635.067 45.660 2.426.202

1,01 199,00 2,13 294,58

900,0 14.400,0 4 000,0 30 000,0

43,01 1.752,60 186,19 3.642,54

1.900 24.400 2.300 27.640

0,91 29,70 1,07 33,60

Tabelle 1: Internet Survey- Deutschland und lndonesien

NUA-Statistiken zutolge erreichte im Januar 2002 die Zahl der Internetbenutzer in Indonesien 4,4 Mio. (ca. 2% der Gesamtbevölkerung), in Deutschland im Februar 2002 30 Mio. (ca. 38%). 12 All diese Zahlen, so Pipa Norris, dürften aber nicht dazu verleiten, andere Faktoren, welche die Internetnutzung beeint1ussen, zu vernachlässigen. Sie entwirft hiertlir ein internet engagement model, das den Einsatz neuer Technologien als ein Produkt individueller Ressourcen - Zeit, Geld, Computerskills, Sprachskills, soziale Netzwerke, individuelle Motivation - und der strukturellen Möglichkeiten des jeweiligen Landes sieht (Norris 2000a: 2/3). 13 Man muss auch davon ausgehen, dass Menschen sich bewusst dem Internet verweigern.14 Dieser Aspekt wird vor allem dann wichtig, wenn die Rolle und der Eint1uss des Irrtemets in den so genannten benachteiligten Regionen, zu denen auch Indonesien gehört, untersucht werden soll. Positive Stimmen betonen in der Diskussion um das Internet dessen Egalisierungs- und Mobilisierungspotential, das allerdings nicht nur zur Demokratisierung beitragen, sondern auch für "unerwünschte" Minoritäten wie z.B. radikal-politische

7

9 10 II 12 I3

14

12

Siehe auch Jan van Dtik 1999: 142, Norris 2000b: 4, Warfund Grimes 1997: 262. Nua.com bezeichnet sich als "authoritative online source for information on Internet demographics and trends" (http://www.nua.com, 12.11.2002). Siehe Graphics & Visualization & Usability Center 1998, Jordan 1999: 49-55,2001: 3. International Telecommunications Union 2001. International Telecommunications Union 2002. http://www.nua.com, 12.11.2002. Siehe auch Jan van Dijk 1999: 148-152, Elkins 1997: 147. Siehe Harnelink 2000: 89, Warfund Grimes 1997.

CYBERTHEORIE Gruppierungen ein Sprachrohr darstellen kann. 15 Die Internettechnologie ermöglicht es James Slevin (2000: 9/10, 177) zufolge dem Einzelnen, in Geschehnisse einzugreifen und an politischen Entscheidungsfindungsprozessen mitzuwirken, die normalerweise außerhalb seiner Reichweite liegen, und sorgt zugleich dafür, dass entfernte Ereignisse, die uns vorher unberührt gelassen hätten, jetzt Eint1uss auf uns nehmen können. Jan van Dijk (1999) bemüht sich um eine ausgeglichene Darstellung vom Wandlungsprozess unserer modernen Gesellschaft in eine Netzwerkgesellschaft. Ebenso wie Slevin (2000: 169) fordert er, man müsse sich mit dem ambivalenten Charakter des lnternets abfinden: The network structure is a dual structure. A combination of scale extension and scale reduction marks all applications of the new media in the economy, politics, culture and personal experience ... A dual structure results in several oppositions explained in the previous chapters: centralization and decentralization, central control and local autonomy, unity and fragmentation, socialization and individualization (Jan van Dijk 1999: 221). Der duale Charakter impliziere dabei keine Zweiteilung der Gesellschaft, sondern eine Erweiterung und erhöhte Komplexität des Spektrums sozialer Positionen (Jan van Dijk 1999: 235). Hinzu kommt, dass das Internet ebenso lokales Phänomen wie globales Netzwerk ist, 16 was zur Ambivalenz beiträgt. Visionäre unserer von Technologien wie dem Internet und den damit einhergehenden Informationst1uten eroberten westlichen Gesellschaften sprechen vom Anbruch einerneuen Ära, einer "Network Society" oder dem "Knowledge Age", 17 andere gar vom Internet als "alter deus" und "Anti-Leviathan" (Bredekamp 2001). Von den visionären Modellen eines Manuel Castells (2001c), der eine Netzwerkgesellschaft propagiert, die ausschließlich von Netzwerken - darunter die medialen Kommunikationsnetzwerke - und den Menschen, die dazu Zugang haben, dominiert wird, möchte ich mich distanzieren. 18 Nichtsdestoweniger besteht die Notwendigkeit, Konzepte wie Gemeinschaft, Identität und Konflikt insbesondere im Zusammenhang mit dem Internet neu zu überdenken. Hier liegt ein ungemein großes ForschungspotentiaL Für die Ethnologie besteht die Herausforderung darin, den qualitativen Wandel der genannten Konzepte zu vollziehen ebenso wie die entsprechenden ethnologischen Theorien und Methoden für den nicht-lokalisierbaren, durch das Internet konstituierten sozialen Raum fruchtbar zu machen. d.h. auf ihn zu übertragen, anzupassen, sie zu erweitern und schließlich anzuwenden.

15 16

17 18

Siehe z.B. Harnelink 2000: ix, Kevin C. Thompson 2001, Zickmund 1997: 185. Zu ersterem siehe u.a. Millerund Slater 2000, zu letzterem Shields 1996: 3, 6. Zum Prinzip der Glokalisierung, das die Wechselwirkung zwischen Lokalisierung und Globalisierung beschreibt, siehe Robertson 1998. Siehe Castells 2001c, Jan van Dijk 1999, Progress and Freedom Foundation 1994. Zur Kritik an Castells Modell siehe u.a. auch Jan van Dijk 1999: 24, Miller und Slater 2000: 8. 13

CYBERIDENTITIES AT WAR

Internet, Cyberspace und Virtuality Das Internet gehö1i in den Bereich der Neuen Medien, die insbesondere durch das Interaktivitätsmerkmal und ihren partizipativen Charakter gekennzeichnet sind, 19 was bei herkömmlichen Massenmedien wie Fernsehen, Presse und Radio bewusst ausgeschaltet ist. Ausnahmen sind möglich, wirken aber Luhmann (1996: II) zufolge inszeniert und werden in den Senderäumen auch so gehandhabt. Das Internet kann dieses "operativ geschlossene System" (Luhmann 1996) der Massenmedien aufbrechen. Es ermöglicht eine uni-, bi- bis hin zu einer multidirektionalen Kommunikation. Ins Netz gestellte Informationen und Mitteilungen richten sich an einzelne Personen, ausgewählte Mitglieder oder aber an alle, die Zugang zum Internet haben. Die Kommunizierenden können räumlich getrennt sein und der Austausch findet zeitgleich (synchron) oder zeitlich versetzt (asynchron) statt. Für Mark Poster (200 I: 613) ist das Internet die einzige Technologie, die die demokratischen Strukturen des Telefons imitie1i, aber noch darüber hinausgeht: "The shift of a decentralized network of communications makes senders receivers, producers consumers, rulers ruled, upsetting the logic of understanding of the first media age" (Poster 200 I: 618). Das Internet stellt eine Plattform dar, auf der in bisher nie da gewesener Weise Texte, bewegte und statische Bilder und Ton vereint und somit mehrere Sinne zugleich angesprochen werden können. So ist ein völlig neues, mächtiges Kommunikationspotential geschaffen. "Media are the extension of man" - der berühmte Satz von McLuhan (1964) - trifft auf das Internet in besonderer Weise zu, da es uns hilft, Beschränkungen von Raum, Zeit, Information und des eigenen Körpers, zumindest teilweise, zu überwinden. 20 Der durch das Internet konstituierte Raum als medial vermittelter Erfahrungshorizont stellt eine Ausweitung bzw. eine weitere Ebene der ohnehin vielschichtigen Realität der Menschen dar, die jedoch durchaus eine qualitative Änderung und Erweiterung erfährt, insbesondere in Bezug auf Konzepte wie Identität, Lokalität und Gemeinschaft. Der Terminus "Cyberspace" wird im Laufe der Arbeit immer wieder auftauchen. So viele Schriften es zum Internet oder anderen elektronischen Netzwerken auch gibt, so oft wurde dieser Begriff wohl schon definiert. 21 Geprägt wurde er zunächst Anfang der 1980er-Jahre vom Sciencefiction-Autor William Gibson, der damit eine neue virtuelle Welt in Form einer "consensual hallucination" (1984: 5) von Menschen beschrieb, die in dem durch Computernetzwerke geschaffenen abstrakten Raum arbeiten bzw. leben. Generell wird der Begriff als Metapher für den in elektronischen Kommunikationsnetzwerken nicht vorhandenen physischen

19 20 21

14

Siehe Jan van Dijk 1999: 11, Eickelman und Anderson 1999a: vii. Siehe hierzu Jan van Dijk 1999: 190, 197, 208, Marshall 2001: 90, Sobchack 1993: 575578, Turkle 1995: 20. Definitionen von Cyberspace liefern u.a. Escobar 1994:216, Fernback 1997:37,39, Hakken 1999: 1, Harnelink 2000: ix, 9, Hartmann 1997: 6, Hicks 1998: 55, 66, Steven G. Jones 1997: 22, Jordan 1999: 26, 59, Marshall2001: 81, Progress and Freedom Foundation 1994, Rheingold 2000: xx, Schwara 1999: 261, Whittle 1997: 7, 9.

CYBERTHEORIE

Raum verwendet. So wird es möglich, die deterritorialisierten und delokalisierten Ereignisse und Bewegungen wieder zu verorten, nämlich im so genannten Cyberspace, Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich diesen als den durch das Internet konstituierten, sozialen Raum verstanden wissen, d.h. die Online-Umgebung, wo alle, die einen Internetzugang haben, sich treffen, interagieren und kommunizieren, Gruppen bilden und Identitäten aushandeln, diskutieren, sich unterhalten, Informationen austauschen und spielen- zeitgleich oder zeitversetzt, uni-, bi- oder multidirektional. Als "Orte" im engeren Sinne gelten im Internet-Cyberspace nach Stegbauer (2001: 140) Web-Seiten, Chat Channels, Newsgroups, Mailinglisten, MUDs und Avatarwelten. Für die Kommunikation steht eine breite Palette unterschiedlicher Modi zur Ver±ligung, von Webseiten, Mailinglisten, Newsgroups, Bulletin Board Systems (BBSs), Newslettern über Chatforen bis hin zu den so genannten Multi-User Domains (MUDs), phantastischen Rollenspielen, wie sie unter anderem Gegenstand der Untersuchungen von Sherry Turkle (1995) sind. Die Modi, die ±lir diese Arbeit von Bedeutung sind, werden später noch ausführlicher behandelt. Je nach Kommunikationsform kann man zwischen einem privaten (E-Mail, zulassungsbeschränkte Mailinglisten etc.) und einem öffentlichen Cyberspace (Webseiten, offene Newsgroups etc.) unterscheiden. 22 Bei einer entsprechenden Kombination verschwimmt die Trennung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen. 23 Allen Debatten um den Zusammenhang von Internet und Gesellschaft, virtuellen Gemeinschaften und ldentitäten liegt die wesentliche Diskussion um den scheinbaren Gegensatz einer durch das Internet oder vergleichbare Medien konstituierten Virtualität und der durch die in ihrer Lokalität verhafteten Menschen erfahrenen Wirklichkeit zugrunde - die Dichotomie zwischen Vi1iualität und Realität oder virtueller und wirklicher Realität. Ich spreche bewusst von einem scheinbaren Gegensatz, da ich ±lir eine Auflösung der Dichotomie plädiere. Man wäre gut beraten, sich in der sozialwissenschaftliehen Internetforschung von dem Begriff "virtuell" zu trennen, da er entsprechend vorbelastet ist, oder aber die damit verbundenen Konnotationen aufzulösen. Als "virtuell" werden zunächst nämlich nicht existente Welten bezeichnet, die im Rahmen von Computerspielen mit Hilfe technischer Mittel (Helme, Anzüge, Brillen, Handschuhe etc.), die direkt an die Sensorik des Menschen angeschlossen sind, vorgetäuscht werden (Turkle 1995: 181 ). Diese Spiele decken aber nur einen kleinen Teil von all den computervermittelten Phänomenen ab, die inzwischen von vielen unreflektiert im Bereich der "virtuellen Realität" verortet werden. Sinnvoller wäre es, auf eine im Rahmen der Debatten um nationale ldentitäten (Anderson 1998) und den weltweiten Globalisierungsprozess (Appadurai 1996) etablierte Begrift1ichkeit zurückzugreifen und statt des "Virtuellen" vom "ImaginieJien" (imaginary) zu sprechen, das fester Bestandteil der "realen" Erfahrungs-

22 Siehe Piliang 2000: I 05, Slevin 2000: 83, Zurawski 2000: 179. 23 Siehe Jan van Dtik 1999: 126, Fernback 1997: 50.

15

CYBERIDENTITIES AT WAR

welt der Menschen ist, aber trotzdem qualitative Unterschiede aufweisen kann. 24 Wird der Begriff" virtuell" im Rahmen dieser Arbeit dennoch verwendet, vor allem um sich auf bestehende Diskurse beziehen zu können, möchte ich das Begriffspaar real-virtuell aber keinesfalls als Gegensatz verstanden wissen. Wie Mike Sandbothe (1996) will ich damit auch keine normativen Assoziationen irgendeiner Art verknüpfen. Die beiden Begriffe sollen lediglich dazu dienen, verschiedene Konstruktionsebenen der Realität auf einer deskriptiven Ebene zu unterscheiden. Viel mehr Sinn macht es, wie Lori Kendall (1999: 61) zwischen Online- und Offline-Erfahrungen zu unterscheiden, als Indikator ftir die jeweils untersuchte Realitätsebene, deren Beziehungen zueinander sehr komplex und vieWiltig sind. Der Terminus "Real Life" (RL) als Ausdruck für den Offline-Bereich gehört in Anführungszeichen, da Interaktionen über das Internet ebenso real sind wie alle anderen (Weilman und Gulia 1999: 168, FN 2). Im Zusammenhang mit dem Internet ist oft enthusiastisch von der Aufhebung zeitlicher und räumlicher Bindungen die Rede, von der Transzendenz von Raum und Zeit, von grenzenloser Freiheit. Castells (2000: 381) spricht von der "timeless Iandscape of computer networks", von einerneuen Kultur, hervorgegangen aus einer Auflösung des 01ies und der Aufhebung der Zeit (Verneinung von Zeit, Vergangenheit und Zukunft) durch den "space of ±lows" (informational paradigm) und durch die "timeless time". Kritiker argumentieren aber zum einen, dass man sich von herkömmlichen Räumlichkeitsvorstellungen trennen müsse, zum anderen, dass sich die Raum-Zeit-Muster online wie offline sehr wohl bedingten. Christine Hine kritisiert grundsätzlich, dass der Auffassung von einer Auflösung des Raums ein zu kurz gefasstes Verständnis unserer Räumlichkeitsvorstellungen zugrunde liege: Spatiality, in a sociological sense, refers to more than physical proximity and distance. Spatiality . becomes a way of thinking through the mutual availability and shared coherence of situated practices, interpretations and accounts (Hine 2000: 104). Räumlichkeit im Netz sei weniger über Distanz als über Verbindungen definiert. Entgegen der Vision einer Transzendenz von Raum und Zeit zeige sich, dass das Internet multiple zeitliche und räumliche Ordnungen habe (Hine 2000: I 06, 114). Auch Rheingold (2000: 51) vertritt die Ansicht, dass ein Ort ein kognitiver und sozialer, kein geographischer Platz ist. 25 Nach Slevin (2000: 71) ist das Zeit-Raum-Muster von über das Internet verfügbaren Informationen und anderen symbolischen Inhalten immer auf irgendeine Weise Ausdruck der Aktivitäten realer Personen und realer Organisationen. Natür24

25

16

Im Zusammenhang mit der Diskussion um die so genannten virtua/ communities haben sich bereits andere Autoren auf Benedict Andersans Konzept der imagined communities bezogen (Baym 1998, Nelson 1996, Piliang 2000). Oftmals sind dies allerdings lediglich Vergleiche, wobei die Idee an sich nicht konsequent genug durchgesetzt wird. Zu Vorstellung von Raum und Örtlichkeit in einer globalisierten Welt siehe auch Appadurai 1996.

CYBERTHEORIE lieh ist unbestritten, dass sich weit voneinander entfernt lebende Menschen zeitgleich mittels des Irrtemets unterhalten können, dass man sich durch asynchrone Kommunikationsmodi wie Mailinglisten und Newsgroups an Diskussionen beteiligen kann, die weltweit ge±lihrt werden, ohne sich an irgendwelche zeitlichen oder räumlichen Vorgaben halten zu müssen, und dass jegliche Informationen rund um die Uhr verfügbar sind und beinahe unbeschränkt verlinkt, immer wieder neu arrangiert, gespeichert und ±lir zukünftige Generationen bewahrt werden können. 26 All dies mag dazu verleiten, von einer Aufhebung von Zeit und Raum im Cyberspace zu sprechen, Wie ich anhand des Molukkenkonflikts veranschaulichen werde, kann der Cyberspace aber nicht losgelöst von der lokalen Ebene, der so genannten "wirklichen" Realität, gesehen werden und damit auch keine Loslösung von Raum und Zeit stattfinden. Vielmehr bedingen sich die zeitlichen Abfolgen im Cyberspace und im lokalen Kontext und zeit- und raumgebundene sowie geschichtliche Ereignisse des Off:1ine-Bereichs finden sich im Cyberspace wieder. Der/die spezifische ÜJi/Raum/Region bleibt als Bezugspunkt bestehen - zumindest in realpolitischen Anwendungstallen des Internets, nicht zu verwechseln mit den oben besprochenen MUDs. Das muss jedoch nicht bedeuten, dass nicht bestimmte territoriale Grenzen wie z.B. die des Nationalstaates mit Hilfe des Internets unterlaufen werden können (Poster 2001: 615) und sich der Ein±1uss- und Einzugsbereich nicht entscheidend ausdehnt. Aufgrund seiner potentiell enormen Reichweite sind klare Aussagen darüber, was eine einzelne Aktion, ein Statement, ein Diskussionsbeitrag etc. im Cyberspace bewirkt, nahezu unmöglich. Der Vergänglichkeit lässt sich im Cyberspace teilweise Einhalt gebieten durch die Speicher- und Archivierungskapazitäten, die in vielen Anwendungen zur Verfügung stehen. Sie tragen unter Umständen zur Konstitution eines kulturellen Gedächtnisses bei. das von entscheidender Bedeutung ±lir Identitätsprojekte sein kann.

Soziale Formierungen im Internet Viel diskutiert in der Internetforschung ist die Frage, ob im Cyberspace stabile soziale Formierungen möglich sind. Die Debatte wurde entscheidend geprägt von Howard Rheingold, dem "Vater" der so genannten virtual communities (VCs). Sein im Jahre 1993 erschienenes Buch The Virtual Community: Homesteading an the Electronic Frontier basiert hauptsächlich auf seinen persönlichen Erfahrungen als Mitglied des computervermittelten Netzwerkes WELL (Whole Earth 'Lectronic Link). 27 26 27

Siehe hierzu auch Castells 2000: 381, Jan van Dijk 1999: 20, 1561157. WELL wurde laut Rheingold (2000: 25-55) mit dem Ziel ins Leben gerufen, "reale" zwischenmenschliche Verbindungen zu schatTen, bei denen das "Real Life" der Mitglieder (d.h. in anderen Worten die Offline-Ebene) im Zentrum der Unterhaltungen steht. Vor diesem Hintergrund ist Rheingolds Buch zu lesen. Rheingold bleibt in seinen Aussagen und Definitionen zu seinem Gemeinschaftskonzept widersprüchlich und wurde auch vielfach wegen seines übersteigerten Optimismus, seiner Einseitigkeit, seiner unzulässigen Genera17

CYBERIDENTITIES AT WAR

Von virtuellen zu persönlichen Gemeinschaften Was das Verhältnis von Gesellschaft und Internet und die Debatte um die VCs betrifft möchte ich drei Positionen unterscheiden, die sich vor allem durch eine unterschiedliche Bewe1iung der Viliualität-Realitäts-Beziehung ergeben: den Parallel-, den Simulations- und den Kontextansatz. Ersterer geht davon aus, dass beide Ebenen parallel zueinander existieren und sich dort jeweils voneinander getrennte Gemeinschaften ausbilden. David Pmier ( 1997) z.B. argumentiert, dass durch das Internet zwei parallele Welten entstehen - virtuality und reality -, die unabhängig voneinander existieren. Er wird kritisiert weil er den sozialen und kulturellen Kontext ignoriert, in dem die Online-Informationen und andere symbolische Inhalte produziert und empfangen werden. 28 Klassische Beispiele ftir diese parallelen Welten sind die von Sherry Turkle (1995) beschriebenen MUDs und Elizabeth Reids ( 1991) IRCs (Internet Relay Chats ), aus denen auch die berühmten Aussprüche stammen "Reallife (is) just one more window" bzw. "it is possible to appear tobe, quite literally, whoever you wish". Ungeachtet der Hintergründe und des individualpsychologischen Ansatzes dieser Studien wurden die Ergebnisse oft auf andere Kommunikationsmodi übertragen. Der spanische Soziologe Manuel Castells befasst sich nicht nur mit dem Internet, sondern mit elektronischen Netzwerken generell. In seiner Trilogie zur Entstehung der "Network Society" ( 1996, 1997 und 1998) stellt Castells den mit den Neuen Medien und Netzwerktechniken einhergehenden gesellschaftlichen Wandel dar. 29 Ihm zufolge trennt sich die Netzwerkgesellschaft, deren kulturelle Ausdrucksformen seiner Meinung nach losgelöst von Geschichte und Geographie sind, vom Rest, der so genannten "Vierten Welt", die keinen Zugang zu der Netzwerkwelt hat (Castells 2000: 368, 200lc: 507). So entstünden parallele Welten, "whose tim es cannot meet" (200 I c: 459). Mit der zweiten der oben genannten Positionen (Simulation) habe ich zwei theoretische Standpunkte zusammengefasst. Bei dem einen geht es darum, dass sich die virtuelle Ebene über die Realität hinwegsetzt und schließlich als deren Simulation als einzige "Realität" zurück bleibt, 30 beim anderen, dass online im Prinzip keine Gemeinschaften entstehen können, höchstens pseudo-communities. 31

28

29 30

31

18

lisierungen, seiner US-amerikanischen Einfärbung und seines populärwissenschaftlichen Stils kritisiert (siehe u.a. Stegbauer 2001: 71, Zurawski 2000: 128/129). In Reaktion darauf hat Rheingold seinem Buch 2000 ein Kapitel hinzugefügt, in dem er bestimmte Aussagen von 1993 näher spezifiziert und kritischer hinterfragt, präzisere Literaturangaben macht und für den interessierten Leser eine erweiterte Bibliographie anfügt. Siehe Kendall 1999: 67, Slevin 2000: 55; erst am Ende seiner Einleitung macht Porter (1997: xvi) das Zugeständnis, dass man der Internetkultur doch auch einen gewissen Einfluss auf die "Realität" eingestehen müsse. Ich beziehe mich hier aufdie Ausgaben von 2000, 2001b, 2001c. Siehe Baudrillard 2001, Olalquiaga 2001, Poster 2001. Der ahistorische Ansatz Jean Baudrillards ist vielfach kritisiert worden (siehe u.a. Durharn und Kellner 2001: 517, Hamelink 2000). Siehe hierzu Steven G . .Iones 1997: 16, 1998a: 21, Lockard 1997: 224-226, McLaughlin, Osborne und Ellison 1997: 146. Vertreter dieses Ansatzes berufen sich zumeist auf James

CYBERTHEORIE

Der kontextuelle Ansatz betont dass die virtuelle Ebene immer in ihrem "realen" soziahistorischen Zusammenhang betrachtet werden muss. Viele Soziologen wie Ethnologen sind Vertreter dieses Ansatzes, der das Internet und andere Netzwerke als Teil bestehender Gesellschaftsstrukturen sieht und sich von einer totalen "Computerrevolution" lossagt. 32 Die technologische Infrastruktur der Netzwerke beeinflusse immer die soziale Struktur der Gesellschaft, so wie eine bestimmte soziale Struktur umgekehrt auch das Design und den Einsatz der technologischen Infrastruktur präge (Jan van Dijk 1999: 142). Der Soziologe James Slevin beschreibt in The Internet and Society (2000), wie der lokale kulturelle, soziale und historische Kontext des Benutzers in wechselseitiger Wirkung mit dem Internet steht und so entscheidend die Online-Erfahrungen, den Einsatz und den Ein±1uss dieses Mediums prägt. 33 Man geht davon aus, dass die Mediennetzwerke soziale Umgehungen darstellen, die übliche soziale Netzwerke und Face-ta-Face-Kommunikation ergänzen, aber nicht ersetzen oder gar an den Fundamenten bestehender Gesellschaftssysteme rühren, wie Castells es propagie1i (Jan van Dijk 1999: 222/223). Slevin (2000) folgert, dass virtuelle und reale, d.h. also Online- und Off.. line-Gemeinschaften eng miteinander verbunden sind und nicht voneinander getrennt werden können. Das Internet sei wie andere Medien eine Erweiterung des Menschen. 34 Eine Technologie allein, so Nessim Watson (1997: 108), reiche nicht aus, die Unterschiede, welche die Menschen in der Offline-Welt unter sich geschaffen hätten, auszulöschen. Generell haben sich aber nur wenige Autoren wirklich systematisch zur Übertragbarkeit von O±lline-Konzepten wie Gemeinschaft, Gruppe oder Netzwerk in den Online-Bereich Gedanken gemacht wie z.B. Christian Stegbauer (200 I) in seinem Buch Grenzen virtueller Gemeinschaft: Strukturen internetbasierter Kommunikationsforen. Die vorliegende Studie ist zunächst dem kontextuellen Ansatz zuzuschreiben, möchte diese Perspektive aber weiterentwickeln und die qualitative Änderung bestehender sozialer und kultureller Formen aufzeigen. Slevin geht hier in seinem Buch leider nicht weit genug. Er stellt eine Reihe interessanter Fragen zum Internetpotential im Hinblick auf Beziehungsmuster, den Aktivismus von Organisationen, Gruppen und Individuen, neue Formen der Solidarität und Interaktivität zwischen vormals geographisch und sozial getrennten Gruppen und die Schlichtung von Netzwerk-Gewalt und -Konflikten (Slevin 2000: 5/6). Er gibt optimistische Antworten, die seinen Ansatz und seine Grundpositionen erhellen und weiterführen, liefert dem Leser letztendlich jedoch kaum Hinweise, wie diese Vorstellungen und Ideen in realiter umgesetzt werden könnten. Vertreter des kontextuellen Ansatzes sind auch Daniel Miller und Don Slater (2000). Die beiden Ethnologen beBenigers (1987) Untersuchung zur Personalisierung der Massenmedien durch die Simulation interpersonaler Kommunikation. Laut Beniger (1987: 369) ist eine pseudo-community das daraus resultierende Hybrid aus interpersonaler und Massen-Kommunikation. 32 Siehe z.B. Hakken 1999, Wilson und Peterson 2002. 33 Siehe auch Harnelink 2000, Steven G . .Iones 1999, Kendall 1999. 34 Siehe auch Jan van Dijk 1999: 190, 208, Marshall2001: 90.

19

CYBERIDENTITIES AT WAR

schreiben das Internet als ideales Ausdrucksmittel der Kultur der von ihnen untersuchten Bevölkerung von Trinidad und Tobago, das somit auch Bestandteil der einen, untrennbaren Realität ist: Our presentation should convince you that ,being Trini' is integral to understanding what the Internet is in this particular place ... [The Internet] provided a natural platform for enacting, on a global stage, core values and components of Trinidadian identity such as national pride, cosmopolitanism, rreedom, entrepreneurialism (Miller und Slater 2000: 112). Aus diesem Grund wehren sich die beiden auch gegen den Begriff der Virtualität, da dies die Konstitution eines Raums getrennt vom übrigen sozialen Leben andeute, während in ihrem Fall das Medium Internet direkt darin eingebettet sei (4/5). Online-Räume stellen meines Erachtens aber nicht nur ein Abbild der OfflineRealität dar. Beide sind eng miteinander verknüpft, doch können sich online in Erweiterung des Offline-Kontextes durchaus neue oder erweite1ie soziale Formierungen oder Identitätsprojekte ergeben. Entsprechend stellt z.B. Helen Morton (1999: 243/244) zufolge der "Kava Bowl", ein Online-Forum von Abkömmlingen der Tonga-Inseln weltweit, nicht eine völlig neue oder isolie1ie Gemeinschaft dar. Vielmehr erweitere er die existierende Tonga-Gemeinschaft und beginne sie zu transformieren. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die vielfach angekündigte große Revolution im Kommunikationsalltag und vor allem im Sozialleben der Internetbenutzer nicht eintrat. Online-Praktiken verursachten keine radikalen Änderungen, sondern wurden vielmehr eingebettet in bestehende Praktiken und Machtbeziehungen des Alltags (Wilson und Peterson 2002: 449). Wichtige Erkenntnisse in diese Richtung haben die Studien in verschiedenen nordamerikanischen und kanadischen Vororten und Gemeinschaften der Forschungsgruppen um den kanadischen Soziologen Barry Weilman geliefert. 35 Die Ergebnisse zeigen, dass das Internet eine Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten darstellt und, im Gegensatz zu der einmal prognostizierten zunehmenden sozialen Isolation von Internetsurfern (Breslow 1997: 254/255), sogar zu einer Intensivierung lokaler Beziehungen und von Beziehungen auf Distanz beiträgt und darüber hinaus zu einer Zunahme der Verbindungen, die auf so genannten weak ties basieren. Die Bereitschaft steigt, Kontakte über soziale und kulturelle Grenzen hinweg auszudehnen (Wellman und Gulia 1999). Entscheidend ist hier ein gewandeltes Verständnis von Gemeinschaften, die Weilman (1999: xiii) zufolge nicht mehr im Sinne von Nachbarschaftsgemeinschaften als "tightly bounded, densely knit groups of broadly based ties" verstanden werden dürfen, sondern im Sinne sozialer Netzwerke, "usually loosely bounded, sparsely

35

20

Detailliert Auskunft über diese Studien geben Barry Wellmans Hornepage (http://www. chass.utoronto.ca!-wellman/main.html) sowie Weilman und Haythornthwaite 2002.

CYBERTHEORIE

knit networks of specialized ties". Insbesondere im Internet hat man es häufig mit so genannten Interessengemeinschaften zu tun. 36 Der erste Enthusiasmus ist also verflogen, die schlimmsten Befürchtungen entkräftet. Rheingolds virtual communities sind weitgehend entmystifiziert. Nun muss eine dritte Phase folgen, das Potential des Internets muss differenzierter untersucht werden. Auf der dritten Internationalen Internetkonferenz der AoiR, dem internationalen Verband von Internetforschern (Association of Internet Researchers), im Oktober 2002 war auffallend, dass ein Großteil aller soziologischen, politologischen und kommunikationswissenschaftliehen Internetstudien sehr westlich, d.h. US-amerikanisch und europäisch orientiert war, sowohl was ihren Ansatz als auch was ihren Gegenstand anbelangt. Individualismus wird groß geschrieben. Auf das Individuum bezogene Gemeinschaften, so genannte personal communities (Wellman und Potter 1999), sowie Studien und Projekte zur Umsetzung westlicher Demokratievorstellungen im Zuge einer zunehmenden Vernetzung und des damit einhergehenden propagierten wachsenden Einflusses der Basis auf politische Entscheidungsprozesse, standen im Zentrum des Interesses. Kaum berücksichtigt wurden Länder des Südens, mit Ausnahme Chinas, das aufgrund der sehr umfassenden staatlichen Regulierung des Internetzugangs die Aufmerksamkeit einiger Forscher auf sich zu ziehen scheint. Viele Ergebnisse der westlich geprägten Studien können nicht übertragen werden auf Gesellschaften und Länder, die eher kollektiv ausgerichtet sind, oder wo der Zugang zum Internet aufgrund mangelnder Infi·astruktur und Finanzen sozusagen kollektiv organisiert werden muss. Es mangelt an Studien zu Internetprojekten, die von Haus aus auf ein Kollektiv ausgerichtet sind, auf eine gemeinsame Sache, die sich nicht in erster Linie an den Interessen eines Individuums orientiert. Außerdem müssen Untersuchungen zum Internet als Mobilisierungsfaktor in sozialen Bewegungen oder im Konfliktfall forciert werden. Gerade da es bei kulturellen, ethnischen oder religiösen Mobilisierungs- und Vergemeinschaftungskampagnen oft um eine Vernetzung weit verstreuter Personen und Gruppen geht, möchte ich an dieser Stelle ein Gemeinschaftskonzept vorstellen, das der imagined communities, das insbesondere auch für ein besseres Verständnis der Vorgänge in dem von mir untersuchten molukkischen Cyberspace von Bedeutung ist.

Imagined Communities Um der Vorstellung von Gemeinschaften und sozialen Gruppen im Internet näher zu kommen, muss man sich von traditionellen Gemeinschaftskonzepten lösen. Durch ein gemeinschafts- und identitätsstiftendes Imaginationsprinzip lässt sich dann auch die Dichotomie virtuell-real aufheben. Enge Verbindungen, die auf Lokalität, Nachbarschaft, gemeinsamen Verantwmilichkeiten etc. basieren und ent36 Siehe auch Jan van Dijk 1999: 160, Mizrach 1995, Nelson 1996: 296, Rheingold 2000: 9, Schwara 1999: 271.

21

CYBERIDENTITIES AT WAR

sprechende Gemeinschaften bilden, gehören zwar nicht der Vergangenheit an, die Anwesenheit im selben physischen Raum ist aber nicht mehr Voraussetzung für eine Gruppenbildung. 37 Neue, mediatisierte Orte der Anwesenheit sind entstanden und können diese Funktion übernehmen (WZB - Projektgruppe Kulturraum Internet 1996: 8). Als Beitrag zur Debatte um Nationalität und Identität hat Benedict Anderson 1983 sein Buch Imagined Communities: Rejlections on the Origin and Spread of Nationalism veröffentlicht (deutsche Ausgabe: Anderson 1998). Er macht darin deutlich, wie es trotz einer nicht existenten lokalen Gleichzeitigkeit unter den Einwohnern einer Nation zu etwas wie einem Nationalbewusstsein kommen karm. und zwar durch die Imagination, die Vorstellungskraft dieser Menschen, die vor allem durch nationale Printmedien gefüttert wird. 38 Printmedien sind weit verbreitet, erreichen weite Teile der Bevölkerung und können so Vermittler und Überbringer nationaler, gemeinsamer Vorstellungen, Ideen und Werte sein. 39 Nationen werden zu vorgestellten Gemeinschaften, den so genannten imagined communities. Die Vorstellung von Gleichzeitigkeit spielt laut Anderson bei der Imagination von Gemeinschaften, seien es nationale, religiöse oder andere, eine große Rolle. Er liefert hier das Beispiel der Zeitung als Fiktion, deren praktisch gleichzeitiger Konsum eine außergewöhnliche Massenzeremonie hervorbringt (Anderson 1998: 30, 37, 60). Dieser Anforderung kann durch die Geschwindigkeit des Informationsaustausches und die damit einhergehende Kommunikationseffizienz mit Hilfe des Mediums Internet noch viel mehr entsprochen werden. In seinem Aufsatz Long-Distance Nationalism geht Anderson (1992) einen Schritt weiter und dehnt sein Konzept der imagined communities aus auf eine Anhindung von in der Diaspora lebenden Gemeinschaften an ihr Herkunftsland. Durch die medial unterstützte Imagination, so Anderson, könne das Nationalitätskonzept seiner territorialen Verbundenheit enthoben werden. They can find ways to speak to the relatives on the telephone, communicate by fax, send money by telex, and receive photos and videos, all in the twinkling of an

37 Siehe Giddens 1991: 2, 1461147, Meyrowitz 1998, Slevin 2000: 93, Watson 1997: 120, Weilman und Gulia 1999: 169-171. 38 Auch Elwert (1989) erscheinen die Bestrebungen nach imaginierten Gemeinschaften angesichts des defizitären Charakters bisheriger Definitionen von Nationalismus, Nation, Ethnie und ähnlichen Begriffen sehr attraktiv, da eine nur im Imaginären fassbare Identität nur schwer angreifbar ist, zugleich aber mit allen Merkmalen von Größe ausgezeichnet werden kann. 39 Calhoun (1995: 258) ist der Meinung, dass die Rolle der Massenmedien besonders wichtig wird, wenn es um eine Stärkung der Vorstellung sozialer Verbindungen unter den Mitgliedern einer "large-scale category" geht wie z.B. der Nation. Calhoun (1995: 266/26 7) bringt als Beispiel die Reden von Ayatollah Khomeini, die, auf Kassetten weltweit verbreitet, eine internationale islamische Öfientlichkeit ansprechen konnten. Zur Bedeutung elektronischer Medien in der Identitäts- und Gemeinschaftsbildung siehe auch Morley und Rohins 1995.

22

CYBERTHEORIE electronic eye. The mediated imagery of ,home' is always with them (Anderson 1992: 8).

Auch bei Internetgemeinschaften handelt es sich oft um Konglomerate räumlich weit verstreuter Anwender. Wie beim Nationalgefühl ist im Cyberspace in diesen Fällen Gemeinschafts- oder Identitätsgefühl medial vermittelt und imaginiert. Im Gegensatz zu den Printmedien stehen über das Internet aber auch interaktive Kommunikationsmodi zur Verfügung, so dass die Vorstellungskraft des Einzelnen noch weitaus direkter und eingängiger angesprochen werden kann. Imagination als Identitätsstifter kann in Zeiten der Orientierungslosigkeit, in denen sich viele soziale Identitäten in der Krise befinden, von besonderer Bedeutung sein. Kremser (1999: 283) zufolge hängt das Überleben sowohl der ökonomischen Netze als auch der territorialen Mächte von nun an davon ab. ob die sie bevölkernden Menschen fähig sind, sich neues Wissen rasch anzueignen und eine kollektive Einbildungskraft zu entwickeln. In Krisenzeiten kann die symbolische Dimension von "viJiuellen" Gemeinschaften weitaus gewichtiger sein als die materielle. Sie sind entweder rein instrumental oder manifestieren sich selbst in realpolitischen Aktionen, so Jan Fernback ( 1997: 39-41 ). Gerade für die von Anderson angesprochenen Diasporagemeinschaften kann das Internet ein gemeinschafts- und identitätsfOrdernder Faktor sein. Es gibt diesen Menschen die Gelegenheit, Anschluss an die Herkunftsgemeinschaft und deren lokalen Kontext aufrechtzuerhalten und eventuell sogar darin mitzuwirken. 40 Zudem sind Online-Diasporagemeinschaften in der Lage, als Multiplikator zu fungieren und die Interessen ihrer nationalen oder ethnischen Brüder nach außen zu tragen. Generell, so Watson (1997: 124), hätten Online-Gemeinschaften gegenüber reinen O±lline-Gemeinschaften einen Vorteil, wenn es um die Formen und Inhalte ihrer Repräsentationen im öffentlichen Raum gehe. Stefan Schwara (1999: 263) sieht Andersons fmagined Communities und das ebenfalls im Jahre 1983 erschienene Werk von Hobsbawm und Rangers, The Invention of Traditions, als Hinweise darauf, dass Globalisierung die Wiederherstellung, in bestimmter Hinsicht sogar die Produktion von "Heimat", "Gemeinschaft" und "Lokalität" mit sich gebracht hat und nicht, wie vielfach angenommen, die Zerstörung der einst so sicheren und kollektiven "Heimaten". Schwarabezieht sich hier auch auf A1jun Appadurai, der die Rolle der Imagination für die Bedeutung von Örtlichkeit als gelebte Erfahrung innerhalb einer globalisierten, enträumlichten Welt thematisiert. In dieserneuen globalen Ordnung sei die Imagination zugleich soziale Praxis und zentrales Element für alle Formen des Handeins (Appadurai 1996: 31 ). Appadurai ±1ihrt die Gedanken von Benedict Anderson weiter und spricht von imagined worlds, d.h. "the multiple worlds that are constituted by the historically situated imaginations of persons and groups spread around the globe" 40

Beispiele für Diasporagemeinschaften im Internet liefern z.B. Miller und Slater (2000) für Trinidad, Mitra (1997) für Inder, Anderson (1996) für im Ausland lebende Personen, die aus dem Mittleren Osten stammen, Morton (1999) für Leute von den Tonga-Inseln und Poster (1998) für Juden. 23

CYBERIDENTITIES AT WAR

(33). Immer mehr Menschen, so Appadurai, leben heutzutage in imaginary worlds, die als solche in einen Wettstreit miteinander treten können (33). 41 Insbesondere für die Vernetzung und Vergemeinschaftung von Menschen in der Diaspora mit ihrer Heimat mittels der Medien ist die Kraft der Imagination entscheidend (4). Ethnische Elemente wie Sprache, Hautfarbe oder Verwandtschaft erfahren eine zunehmende Globalisierung, was Inhalt der so genannten ethnoscapes oder "landscapes of group identity" (49) ist. Imagination soll aber nicht bedeuten, dass die untersuchten sozialen Gebilde keine soziale Realität unabhängig von ihren Bildern und Repräsentationen besitzen, wie Anthony Smith (1998: 137-141) Andersons Vorstellungen kritisierte, die seiner Ansicht nach die soziologische Realität der Nation und das Zugehörigkeitsgefühl so vieler Menschen unterminiere. Imagination ist nicht gleichzusetzen mit "nicht real", "eingebildet" und "nicht existent", sondern im Sinne von "vorgestellt" zu verstehen, an reale Orte, Personen, Ereignisse anknüpfend und darauf aufbauend. Imaginierte Gemeinschaften sind nicht irreal, sondern implizieren nur, dass Vergemeinschaftung auf andere Art oder auf einer anderen Ebene, meist aber unter Bezug auf eine konkrete Lokalebene stattfindet. Ebenso wenig wie Anderson bezieht Appadurai das Internet als sozialen Raum explizit in seine Überlegungen mit ein, obwohl es eine entscheidende Rolle in den von ihm beschriebenen Prozessen spielt. Die Konzepte der beiden Autoren lassen sich entsprechend auf diesen Bereich übertragen. Die Vorstellung imaginierter Welten, in denen das Territorialitäts- und Visualitätsprinzip aufgehoben ist, muss zentrales Element sozialwissenschatllicher Internetforschung sein. Es gibt bereits einige Ansätze, die in diese Richtung weisen. David Hakken (1999: 176) unterstreicht die Bedeutung der Cyberspace-Imaginationen für die Entstehung sozialer Gruppen wie Freundschaften, ortsunabhängiger Gemeinschaften und spontaner politischer Netzwerke. Kontemporäre Ethnologen seien sich durchaus des Ausmaßes, in dem Kulturen "erfunden" sind, und der damit einhergehenden Bedeutung aktiver Imagination bewusst. Hakken (1999: 227) schränkt jedoch seine Vision eines "really new way of being" ein, da er der Meinung ist, dass "cyber-imaginings" bisher weder ausreichend bewusst noch kollektiv sind. Diese Einschränkung ergibt sich vor allem aus dem einseitigen Untersuchungsbereich Hakkens, der sich auf Computernetzwerke westlicher technologieorientierter Unternehmen beschränkt. Hier spielen hauptsächlich individuelle Identitäten eine Rolle. Je nach Kontext kann man allerdings zu ganz anderen Schlussfolgerungen kommen. Die vorliegende Arbeit macht deutlich und belegt, dass kollektive Identitäten und bewusste Iden-

4 I Die Bausteine für diese imaginierten Welten stellen Appadurai zufolge die fünf Dimensionen der "global cultural flows" dar, deren Beziehung zueinander von wachsender Zusammenhanglosigkeit geprägt sei, da Menschen, Maschinen, Finanzen, Images und Ideen im Zuge der zunehmenden Globalisierung und Vernetzung unserer Welt immer weniger einheitlichen Wegen folgten und mehr und mehr deterritorialisiert seien (37, 53): (a) ethnoscapes, (b) mediascapes, (c) technoscapes, (d) financescapes und (e) ideoscapes. Das Suffix -scape verweise dabei auf die unklaren, unregelmäßigen, nicht eindeutig lokalisierbaren Gestalten dieser landscapes (33 ).

24

CYBERTHEORIE

titätsprojekte als Repräsentationen oder als Erweiterung von Oft1ine-Projekten einen wichtigen Platz im Cyberspace einnehmen. Gemeinschaften müssten Fernback (1999) zufolge mehr als Bedeutungsgemeinschaften denn als territorial verhaftete Einheiten studiert werden, weswegen Gemeinschaften durchaus auch im Cyberspace entstehen könnten. Shawn Wilbur (1997: 8) argumentiert, dass hier gemeinsame Qualitäten, geistige Besitztümer, Identitäten oder Ideen die herausragenden gemeinschaftsbildenden Elemente seien, womit die Wurzeln von Gemeinschaft unausweichlich in ein sehr abstraktes Feld abgewande1i seien. Man dürfe sich nicht zu scheinbar eleganten und einheitlichen Gemeinschaftsdefinitionen hinreißen lassen wie z.B. Rheingold und den neuen Phänomenen dezentraler, computervermittelter multi-tasking Netzwerke alte Konzepte aufoktroyieren (Wilbur 1997: 15). Die Imagination, in die Räumlichkeit in Form von gemeinsamen Ideen, Vorstellungen, Zielen und Zugehörigkeiten hineinprojiziert wird, ist eine äquivalente Grundlage zur Herausbildung von Gemeinschaften, wie Anderson (1998) und Appadurai (1996) überzeugend darlegen. Gemeinschaften oder Gruppen, die sich im Cyberspace formieren, haben die Imagination dieser Konzepte zur Grundlage, die auf unterschiedliche Art und Weise gespeist wird. "Collective imagination" (Jordan 1999: 179) ist die Basis für Leute, die sich nicht kennen oder treffen, die sich aber einer gemeinsamen Sache verschrieben haben, indem sie eine Vision formulieren, die alle verstehen und unterstützen. Im Kopf eines jeden existiert die Vorstellung der eigenen Gemeinschaft, im Falle Andersons (1998: 14) der nationalen Gemeinschaft, im Internet der Online-Gemeinschaft. Die Kraft des Imaginierten sorgt dafür, dass sich eine Gruppe von Menschen als Gemeinschaft sieht und nicht als einen Satz von Individuen (Jordan 1999: 206). Wichtig ist, dass ausreichend wir-relevante Informationen fließen (Foster 1997: 25). Gemeinschaften sollten nicht nach ihrer Echtheit unterschieden werden, sondern nach der Art und Weise, in der sie vorgestellt werden (Anderson 1998: 15). Nancy Baym (1998: 40-47), eine Anhängerirr des kontextuellen Ansatzes, glaubt, die Art der Imagination von Gemeinschaften werde beeinflusst von einer Reihe bestehender Strukturen wie z.B. des externen Kontextes (Land, Sprache, Internet-Umgebung etc.), temporaler Strukturen (synchron oder asynchron, Häufigkeit der Treffen, Arbeitszeiten der Teilnehmer etc.), der Systeminfi·astruktur, der Gruppenabsichten, und der Teilnehmer-Charakteristika (Anzahl, Zusammenstellung, Hierarchien, Skills). Während der laufenden kommunikativen Interaktion würden die Teilnehmer sich die Ressourcen und Regeln, die diese Strukturen anbieten, aneignen und zu Nutze machen: The result is a dynamic set of systematic social meanings that enables participants to imagine themselves as a community. Most signiticant are the emergence of groupspecific forms of expression, identities, relationships, and normative conventions (Baym 1998: 38).

25

CYBERIDENTITIES AT WAR

Die Bedeutung des Zeitfaktors in einem solchen Online-Vergemeinschaftungsprozess wird von McLaughlin, Osborne und Ellison (1997: 166) für eine webbasierte "telerobotic art installation" ebenso hervorgehoben wie von Thiedeke (2000: 47) für MUDs und den IRC. Voraussetzung ist nach Thiedeke (2000: 59/60) allerdings, dass so genannte "Imagoidentitäten bekannt sind, die Teilnehmer regelmäßig durch Beiträge in Erscheinung treten und auf Beiträge und Identitäten auch wechselseitig und wiederholt Bezug genommen wird". Meines Erachtens muss nicht jeder Teilnehmer seine wirkliche Identität preisgeben, wenn die Imagoidentitäten nur beständig sind und somit ein stabiler Orientierungsrahmen, in dem Positionen und Identitäten abgesteckt sind, für alle Mitglieder geschaHen ist. Zusätzlich zum genannten Zeitfaktor kann auch ein im Interesse aller Teilnehmer liegender realpolitischer Bezug eine entscheidende Rolle in der Gruppenbildung spielen und damit unter Umständen einen Mangel an direkter Online-Interaktion ausgleichen. Sehr tre±lend bemerkt Baym (1998: 59, 62), dass Oft1ine-Beziehungen zwischen Teilnehmern und ein Konsens in laufenden Diskursen gemeinschaftsstiftende Faktoren sind. Würden sich allerdings keine entsprechenden Interaktions- und Bedeutungsmuster herausbilden und kein Gefühl gruppenspezifischer Gemeinschaft vermittelt werden, könne man auch nicht von Gemeinschaft sprechen (Baym 1998: 63).

Die Aufhebung der Virtualität Howard Rheingold (2000) selbst meint, die Durchlässigkeit der Grenze zwischen dem Realen und dem Virtuellen sei essentiell dafür. dass das Gemeinschaftskonzept auf die virtuellen sozialen Welten übe1iragen werden kann. Damit eine Gemeinschaft als solche funktioniere, müsse zumindest ein Teil der Mitglieder auch im "wirklichen" Leben eine Beziehung zueinander aufbauen. Nichtsdestoweniger hält Rheingold (2000: 22) den Gegensatz real-vi1iuell für essentiell: "Nobody mistakes virtual life for real life, even though it has an emotional reality to many of us." Auch Udo Thiedeke (2000) hält krampfhaft an dieser Vorstellung fest. In seinen Untersuchungen zu "vi1iuellen Gruppen" unterscheidet er diese von "alltäglichen" und "gewohnten" Kommunikationsbeziehungen, da erstere keine Face-taFace-Kontakte herstellen und in einer "hochartifiziellen Kommunikationsumgebung" stattfinden, die durch die Kommunikationsteilnehmer selbst konstruiert und verände1i wird (Thiedeke 2000: 24). Ute Hoffmann ( 1998) spricht von der "Künstlichkeit der Kommunikationsbedingungen". Vielleicht fragt sich mancher, welche bewusst herbeigeführte Kommunikationssituation 42 - sei es die Diskussionsrunde an der Uni, der Workshop in der Firma oder das Treffen bei Freunden oder in der Kneipe - nicht konstruiert und damit artifiziell ist. Thiedekes Argument zur Auf· rechterhaltung der Dichotomie real-virtuell ist somit falsch. Ich stimme hier mit 42

26

"Bewusst herbeigeführt" soll in diesem Zusammenhang unterstrichen werden, um der Kritik vorzukommen, man könne sowieso nicht nicht kommunizieren (Watzlawik, Beavin und Jackson 1969: 50-53).

CYBERTHEORIE

Nessim Watson (1997: 129) überein, dass die Unterscheidung zwischen "virtuellen" und "realen" Gemeinschaften nicht gerechtfertigt ist. "Virtuelle" Gemeinschaften würden allein aufgrundder Bedeutung des Wmies schon als unreale Gemeinschaften abgestempelt, womit man der Vorstellung Vorschub leiste, das, was online vor sich gehe, sei zwar wie eine Gemeinschaft, aber nicht wirklich eine Gemeinschaft. Dies würde dem Empfinden und der Wahrnehmung vieler Teilnehmer an Online-Gemeinschaften widersprechen. By accepting the distinction between real and virtual communities, we will blind ourselves to recognizing that these online collectivities may be the new form which representative democracy is talöng .. This complex process ofre-thinking ,community' may thus be the key to representation in the public sphere (Watson 1997: 130). Außerdem lasse man durch die Virtualisierung von Online-Gemeinschaften die Tatsache außer Acht, dass diese eng verknüpft sind mit lokalen Gegebenheiten und auch entsprechenden Einfluss auf diese haben können. Appadurai beschreibt dies am Beispiel der Inlands- und Auslandsinder und deren Rolle in fundamentalistischen und moderaten Strömungen im gemeinsamen Herkunftsland: Durch den Prozess der Enträumlichung und durch entsprechende Gewebe finanzieller Transaktionen und religiöser Identifikationen stehe die kulturelle Identität der Hindi im Ausland in engstem Zusammenhang mit einer fundamentalistischen Hindupolitik im Heimatland (Appadurai 1998: 14). Appadurai spricht in Analogie zu unseren imaginierten Gemeinschaften von "virtuellen Nachbarschaften": Virtual neighborhoods, no Ionger bounded by territory, passports, taxes, elections, and other conventional political diacritics, but by access to both the software and hardware that are required to connect to these !arge international computer networks.. Information and opinion flow concurrently through these circuits, and while the social morphology of these electronic neighborhoods is hard to classify and their longevity difficult to predict, clearly they are communities of some sort, trading information and building links that affect many areas of life, from philanthropy to marriage. These virtual neighborhoods seem on the face of it to represent just that absence of face-to-face links, spatial contiguity, and multiplex social interaction that the idea of a neighborhood seems centrally to imply. Yet we must not be too quick to oppose highly spatialized neighborhoods to these virtual neighborhoods of international electronic communication. The relationship between these two forms ofneighborhood is considerably more complex. In the first instance, these virtual neighborhoods are able to mobilize ideas, opinions, moneys, and sociallinkages that often directly flow back into lived neighborhoods in the form of currency flows, arms for local nationalisms, and support for various positions in highly localized public spheres. Thus, in the context of destruction of the Babri Masjid in Ayodhya by Hindu extremists on 6 December 1992, there was an intense mobilization of computer, fax, and related electronic networks, which created very rapid loops of debate and information exchange between interested persans in the United States, Canada, England, and various parts of India. These electronic loops have been exploited equally by Indians in the United States standing on both sides of the great debate over fundamentalism and communal harmony in contemporary India (Appadurai 1996: 195/196).

27

CYBERIDENTITIES AT WAR

Wie Slevin (2000: 107) ausführt, geht es nicht darum zu zeigen, dass Personen, die das Internet nutzen, sich wegen einer mysteriösen biologischen Anziehungskraft verbünden, sondern aus Gründen, die mit ihrer aktiven Teilnahme an bestimmten Projekten und ihren Absichten in einem spezifischen sozialen und historischen Kontext, in dem sie sich selbst befinden, zusammenhängen. Egal ob online oder offline: eine Gemeinschaft ist dann notwendig, wenn die darin stattfindende Kommunikation von ihren Mitgliedern als bedeutungsvoll und wichtig angesehen wird (Poster 2001: 621 ). Internet-Gemeinschaften sind dabei aber nicht nur Abbilder oder Erweiterungen von Offline-Gemeinschaften, sondern deren Strukturen und die Art der Kommunikation können sich durch die unterschiedlichen computervermittelten Kommunikationsmodi signifikant von diesen unterscheiden (Anonymität, Hierarchien etc.). 43 Diese neuen A1ien der Interaktion und der Identitätsbildung im Online-Bereich müssen untersucht werden (Poster 2001: 620). Die Argumente von Watson und Appadurai sind entscheidend für das Anliegen meiner Arbeit, in der es um die Bedeutung der Internetpräsentation eines Konf1ikts durch Gruppen geht, die in diesen involviert sind. Diese Gruppen versuchen mit ihren Cyberpräsentationen bestimmte Ziele zu erreichen und zudem ein weites Netzwerk um ihre Basisgemeinschaften - eng geknüpfte Netze von OfflineBeziehungen, die lokal in den Molukken selbst und auf Java verankert sind - aufzubauen. Sie bilden Interessengemeinschaften mit unterschiedlich stark betroffenen Mitgliedern, die Informationen austauschen, darüber hinaus aber auch emotionale Unterstützung gewähren, zu Aktionen aufrufen und Verbindungen zu ähnlichen Fällen und Kontakte herstellen. Aufgrund der örtlichen Trennung, da sich nicht alle Mitglieder kennen und da nicht zwischen allen Mitgliedern Interaktionen stattfinden, handelt es sich um von einem Gros der Mitglieder imaginierte Gemeinschaf:. ten. Ohne dieses Gemeinschaftsgefühl, ohne das gemeinsame Ziel, ohne eine gegenseitige Akzeptanz, gemeinsame We1ie und Ideen, die sich in einer kollektiven Identität ausdrücken, wären die Beiträge und das Engagement des Einzelnen sinnlos.

Identität im Internet Im Zusammenhang mit Online-Gemeinschaftsprojekten wird das Internet zum Austragungsortkollektiver Identitätsprojekte, über welche die jeweiligen Gemeinschaften sich definieren, ihre Mitglieder halten, neue anwerben und nach außen auftreten. Jan Assmann (1999: 133) bezeichnet kollektive Identitäten als soziale Imagination und bezieht sich hier unter anderem auf Andersons Vorstellung von den imagined communities, womit die Verbindung zwischen beiden Konzepten hergestellt ist.

43 Siehe hierzu Jordan 1999: 103, Morton 2001b: 68, 2001c: 5, Wellman und Gulia 1999: 186.

28

CYBERTHEORIE

Identitätskrisen und Repräsentationspolitik Identitätskrisen und multiple ldentitäten sind Schlagwö1ier der Debatte um die Postmoderne. die Hinweise auf den zunehmend deterritorialisierten Charakter kontemporärer kultureller ldentitäten geben sollen: [They] cannot be defined according to national origin or other types of inherent belonging, but rather by the intricate and extensive web of relationships that different individuals and groups establish in their daily practice and in their imaginary enactments (Olalquiaga2001: 591). Das Internet entwickelte sich zu einem signifikanten Labor, um mit den Konstruktionen und Rekonstruktionen eines dezentrierlen und multiplen Selbst experimentieren zu können, die das postmoderne Leben charakterisieren (Turkle 1995: 49, 180): .,a technology that is bringing postmodernism down to earth" (Turkle 1997: 81). Craig Calhouns Schrift Critical Social Theory and the Politics of Identity (1995) und auch Stumi Hall (1992) zeigen allerdings, dass nicht erst im Zusammenhang mit dem Internet, dem Cyberspace oder der Postmoderne die Rede sein kann von ,.multiplen" Identitäten. Calhoun (1995: xv) zutolge gab es das Phänomen, vielfältige Welten zugleich zu bewohnen, die alle in einer Person vereint werden können, schon durch die ganze Menschengeschichte hindurch immer wieder. Dennoch darf man davon ausgehen, dass im Zeitalter der Globalisierung und einer wachsenden Vernetzung Identitätskrisen zunehmen. Laut Castells (200 I c: 3) bestimmen globale Ströme von Vermögen, Macht und Bildern und zugleich ein unkontrollierter und verwirrender Wandel die Welt, in der die Suche nach Identität, kollektiv oder individuell, zugeschrieben oder konstruiert, zur fundamentalen Quelle sozialer Bedeutung wird. Bei ihrer Identitätssuche würden sich die Menschen vor allem um religiöse (teils in Form religiöser Fundamentalismen), ethnische oder nationale ldentitäten gruppieren. This is why identities are so important, and ultimately, so powerful in this everchanging power structure - because they build interests, values, and projects, araund experience, and refuse to dissolve by establishing a specific connection between nature, history, geography, and culture. ldentities anchor power in some areas of the social structure, and build from there their resistance or their otiensives in the informational struggle about the cultural codes constructing behavior and, thus new institulians (Castells 2001 b: 360). Castells (2001c: 3) trennt diesen Bereich der Renaissance von ldentitäten allerdings von der Netzwelt Er spricht von einer ,.bipolaren Opposition zwischen dem Netz und dem Selbst", einem Zustand struktureller Schizophrenie. Aber oft ist gerade das Gegenteil der Fall: die beiden Bereiche lassen sich so nicht trennen, sondern beeinflussen sich zunehmend gegenseitig, was in vielen Beispielen zu ethnischen oder religiösen Internetgemeinschaften und sozialen Bewegungen belegt ist, die ebengerade "das Netz" und die von Castells als primäre Identitätsmarker bezeichneten Elemente wie Religion, Ethnie oder Nation vereinen. Man kann keineswegs 29

CYBERIDENTITIES AT WAR

von einer Opposition sprechen, wenn sich diese Gruppierungen des Internets bedienen, um sich selbst, ihre Identitäten und Ziele zu präsentieren. Auch der Soziologe und Ethnologe Nils Zurawski (2000: 175) betont in seiner Kritik an Castells die Möglichkeiten und die Bedeutung des Internets für das dynamische Verhältnis zwischen Formen der Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Identitäten. Identitätsprojekte werden zunehmend in den Medien, insbesondere im Internet ausgetragen. Die Betrachtungen John Thompsons (1995) zum Individuum können auf Identitätsprojekte von Gruppen übertragen werden. Er argumentiert, das Selbst sei mit der Zunahme medialer Erfahrungen ein symbolisches Projekt geworden, das das Individuum aktiv konstruiere. Es bediene sich dabei zur Verfügung stehender symbolischer Materialien, die es zu einer kohärenten Erzählung seiner Selbstidentität (narrative of self-identity) zusammenstelle. Diese Erzählungen seien t1exibel und änderten sich im Laufe der Zeit durch das Zufügen neuer Symbole, aufgrundneuer Erfahrungen etc. (John B. Thompson 1995: 210). Die Kommunikationsmedien ermöglichen eine Repräsentation dieser konstruierten "Realität" (Slevin 2000: 93/94, FN 15). Medien, Identität und Kultur sind ein fester Bestandteil der seit vielen Jahren andauernden Debatte um die palifies of representation und der Frage, wie man die offensiven Bilder benachteiligter Gruppen analysieren und kritisieren könnte: Culture was now conceived as a tield of representation, as a producer of meaning that provided negative and positive depictions of gender, dass, race, sexuality, religion, and further key constituents of identity. The media were thus seen as potent creators ofrole models, gender identity, norms, values, and appropriate and inappropriate behavior, positioning audiences to behave in diverging ways. Audiences, however, were eventually able to perceive themselves as active and creative, able to construct meanings and identities out of the materials of their culture. Culture and identity were thus regarded as constructed, as artiticial, malleable, and contestable artefacts and not as natural givens. Representations in turn were interpreted not just as replications of the real, reproductions of natural objects, but as constructions of complex technical, narrative, and ideological apparatuses. The emphasis on the politics of representation called attention to media technologies, as well as narrative forms, conventions, and codes. lt was determined that formal aspects of media texts, such as rraming, editing, or special effects could help construct specific representations and that various technologies produced different products and etiects (Kellner und Durharn 2001: 25). Dass Medien eine entscheidende Rolle bei der Konstruktion und der Präsentation von Identitäten spielen können, hat Benedict Anderson (1998) anband der Bedeutung der Printmedien für die nationale Identität demonstrie1i. Sofos (1999: 168) betont die Rolle des Fernsehens für die Bewahrung nationalistischer Geographie: mehr Menschen sei so eine Teilnahme an öffentlichen Ritualen etc. ermöglicht, deren lokaler Charakter transzendie1i wurde.

30

CYBERTHEORIE

Charakteristika der Identitätskonstruktion im Internet Die Forschung im Internet bezieht sich bisher vornehmlich auf individuelle Identitätspräsentationen.44 Kollektive Identitätsprojekte, um die es in dieser Arbeit geht, fanden bisher noch viel zu wenig Beachtung. Ausnahmen stellen soziologische Forschungen zu sozialen Bewegungen dar und die häufig sehr oberflächlichen Untersuchungen zu Bewegungen von Minderheiten und Menschen in der Diaspora. 45 Ergebnisse aus individuumsorientie1ien Forschungen können aber Hinweise für die kollektive Identitätsforschung liefern.

Das Spiel mit den Identitäten "You are what you pretend tobe" (Turkle 1997: 73), "You can be whoever you want tobe" (Turkle 1995: 184) und "it is possible to appear tobe ... whoever you wish" (Reid 1991)- mit anderen Worten, das Spiel mit Identitäten steht im Mittelpunkt der zahlreichen Untersuchungen zu MUDs und IRCs, wie in denen von Sherry Turkle und Elizabeth Reid. Turkle (1997: 72) ist allerdings hinsichtlich der Reichweite und Übertragbarkeit der Ergebnisse ihrer sozialpsychologischen Studien, die nach ihrer Meinung z.B. auch für BBSs und Newsgroups gelten, zu euphorisch. Natürlich wird auch hier das Angebot von Anonymität und Pseudonymen wahrgenommen und strategisch eingesetzt. Trotzdem ist die Offline-Identität der Benutzer und ihr soziokultureller Hintergrund, der sie dazu veranlasst, sich in aktuelle Diskussionen im Netz einzuschalten, von weit größerer Wichtigkeit als bei den MUDs mit ihren beinahe grenzenlosen Freiheiten in der Identitäts- und Spielgestaltung. Auch wenn die performance of identity fester Bestandteil jeglicher Interaktion ist und dies im Internet auch noch stark gefordert wird, so ist ein explizites Spiel mit Identitäten doch eher Bestandteil peripherer Zonen des Cyberspace, insbesondere der MUDs und Chat-Gruppen, wo Grenzen zwischen dem Online- und Offline-Bereich bewusst fabrizie1i werden. 46 Selbst wenn Arbeiten wie die von Sherry Turkle einen generellen Wandel in unserem Verständnis von (individuellen) Identitätsprozessen und -inhalten und im Entstehen neuer Arten sozialer Formierung suggerieren, sind David Hakken zufolge die Gestaltung und der Inhalt von Identitäten im Cyberspace ebenso kulturell verankert, wie dies in früheren sozialen Gestaltungstypen der Fall war: "Individuality is not invented out of nothing; it means distinctive selection from among the conflicting, increasingly incoherent, identity options made available through the often ambiguous options affered by culture" (Hakken 1999: 90). Offline-Identität und Offline-Kontext konditionieren sozusagen die Online-Identität. 47

44 45 46 47

Beispiele hierzu sind Bahl 1997, Hakken 1999, Reid 1991, Turkle 1995. Siehe z.B. Diani 2000, Nip 2002 bzw. Cis1er 1998. Siehe auch Castells 2001a: 118, Dahlberg 2001, Hine 2000: 120. Siehe Jan van Dtik 1999, Steven G. Iones 1999, S1evin 2000.

31

CYBERIDENTITIES AT WAR

KollektiveIdentitäten im Netz Auch in realpolitischen Fällen und kollektiven Identitätsprojekten ist das Internet ein ideales Tool, aus einem Pool vorhandener Materialien und Symbole "neue" Identitäten zu kreieren, diese kontinuierlich umzuschreiben und einem breiten Publikum zu präsentieren. Bei kollektiven Identitätsprojekten, an denen zum einen mehrere Personen beteiligt sind, zum anderen auch ein größeres Publikum angesprochen und unter Umständen integriert werden soll, ist man allerdings bei der Auswahl der Identitätselemente bei weitem nicht so frei wie bei individuellen Präsentationen. Man ist gebunden an gemeinsame Ziele, Werte und Ideen, eine bestimmte Symbolik, bestehende Freund- und Feindbilder, eine gemeinsame Geschichte, Ereignisse in bestimmten Offline-Zusammenhängen etc. Ohne solche Anknüpfungspunkte blieben diese Projekte ohne kollektive Akzeptanz. Das Baumaterial für Identitätskonstruktionsprozesse kommt Castells (200 I b: 7) zu folge aus den verschiedensten Bereichen: "fi·om history, from geography, fi·om biology, from productive and reproductive institutions, from collective memory and from personal fantasies, from power apparatuses and religious revelations." Im Falle des Molukkenkonflikts soll in späteren Kapiteln untersucht werden, wer sich im Cyberspace welcher Mittel und Materialien bedient, um bestimmte Identitätsbilder zu entwerfen. Es wird deutlich, dass die hinter diesen Präsentationen stehenden Personen und Gruppen in einem sozialen und kulturellen Kontext verankert sind, der auch im Cyberspace latent vorhanden ist und die Aktionen der Internetakteure bestimmt. Die Prozesse im molukkischen Cyberspace können nur unter Bezugnahme auf den Offline-Kontext seiner Benutzer verstanden und sinnvoll eingeordnet werden, was natürlich nicht bedeutet, dass dort nicht auch neuartige Phänomene entstehen. Aus diesem Grund ist die Untersuchung von Identitätsprojekten realpolitischer Anwendungen meist weit komplexer als die von MUDs, deren Spieler zwar auch in Offline-Kontexten verwurzelt sind, deren Wirkung im Normalfall aber auf den Online-Bereich beschränkt bleibt. Bei den MUDs geht es darum, parallele Identitäten zu kreieren, in Mailinglisten und Foren mit aktuellen Themen, die viele ihrer Mitglieder unmittelbar betreffen, darum, Identitätsprojekte des Offline-Bereichs in den Cyberspace zu expandieren und damit qualitativ zu verändern und somit letztendlich den Cyberspace in die Offline-Projekte der Akteure zu integrieren und daraufzurück zu wirken. Die Expansion bzw. die Verlagerung bestimmter Projekthereiche in den Cyberspace gibt nach Ute Hoffmann (1998) Raum für neumiige Aktionen und Interaktionen, über die soziale Beziehungen aufgebaut, gemeinsame Welten konstruiert und alternative Identitäten erprobt werden können. Der Raum steht 24 Stunden am Tag zur Verfügung, Informationsflüsse sind von globaler Reichweite, operieren in real time und enden nie (Jordan 1999: 168). Eine der wenigen ausführlicheren ethnologischen Arbeiten über kollektive Identitäten im Internet ist Nils Zurawskis Buch Virtuelle Ethnizität (2000), in dem er das Verhältnis zwischen Internet und Ethnizität beschreibt:

32

CYBERTHEORIE [Beide] stellen ... eine Ressource dar, um sich ohne eine zentrale Instanz selbst zu organisieren. Und letztendlich, wenn Ethnizität aus Symbolen und Narrativen besteht, können diese über das Internet transportiert werden. Oder andersherum ausgedrückt, das Internet kann als ein Medium ti.mgieren, welches auf der Basis egalitärer Kommunikation eine technologische Ressource für die Selbstorganisation ethnischer Gruppen bietet (Zurawski 2000: 6). Das Internet schafft einen idealen Rahmen ±Ur die dezentrale und transnationale Selbstorganisation von Gruppen ( 151 ), was Zurawski anhand der Bedeutung kultureller und ethnischer Identitätsressourcen auf dem Netz zeigt ( 167). Der Begriff der "virtuellen Ethnizität" zielt auf unterschiedliche Ebenen des Verhältnisses zwischen Internet und Ethnizität ab, die von unterschiedlicher Komplexität sind, "was das Verhältnis zwischen einer ,Innenwelt' (Internet, künstliche ,virtuelle' Welten) und einer sie umgebenden ,realen' Außenwelt (Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur) betrifft" (168). Ein Hauptaugenmerk legt Zurawski auf die wechselseitige Beeinflussung von Ethnizität und Globalität, also lokaler Identitäten und globaler Prozesse. Entsprechend kann ,.virtuelle Ethnizität" im Cyberspace nicht eine beliebige Form annehmen, sondern steht immer in historischer Verbindung zu einer ihr vorangegangenen Form von Ethnizität, die sich lokal (im kulturellen als auch geographischen Sinne) verorten lässt ( 170). Wichtig sind hier vor allem die Repräsentation ethnischer Gruppen und Inhalte im Internet (176). Ein Sonderband von Cultural Survival Quarterly - The Internet and Indigenous Groups -, herausgegeben von Steve Cisler (1998), liefert leider nur sehr kurz gefasste Beispiele, wie sich Indigene in ihrem ständigen Kampf um die Bewahrung ihrer Kulturen und Sprachen und um die Verbesserung der Beziehungen zu ihren Nachbarn des Internets bedienen: So beschreibt Albert Gabrial (1998) darin z.B. die Stärkung oder ,.Rekonstruktion" von Identität und ethnischer Gemeinschaft mit Hilfe des Internets für die im Exil lebenden Assyrer. Jean Armour Polly (1998) zeigt, wie das Internet als Geschichtsarchiv von unschätzbarem Wert ±Ur die Oneida Indianer ist. Keola Donaghy (1998) erzählt von einem internetbasierten Sprachlernprojekt für hawaiianisehe Kinder und Erwachsene, durch das im Ausland lebende Gruppen von Hawaiianern untereinander Kontakte knüpften und eine Gemeinschaft entstanden ist. Generell, so Zurawski (2000: 180), könnten durch den Austausch über das Netz ethnische Gruppen und ihre Identität eine ungeheure Stärkung erfahren. 48 Das Internet eignet sich aber auch zum Aufbau von Widerstandsnetzwerken lokaler Gruppen gegen Unterdrückung, Zensur, Gewalt oder Ausbeutung wie z.B. in Burma, Osttimor oder Chiapas und um bestimmte Personenkreise zu kollektiven Aktionen aufzurufen. 49 Selbst Castells (200 1b: 361) räumt dem Internet hier ein

48 49

Siehe hierzu auch Bresler 2001, Elkins 1997, Kevin C. Thompson 2001: 32. Siehe z.B. Gurak 1999, Mele 1999: 292, Uncapher 1999. Das Potential hierzu liegt in der Technik der Telekommunikation generell begründet, wenngleich sich die Möglichkeiten durch das Internet natürlich um ein Vielfaches erweitert haben. Das Telefon und andere Informationstechnologien waren und sind Nguyen und Alexander ( 1996: I 09) zufolge wichtige Faktoren, um das Bestehen politischer Machtkategorien wie z.B. der Sowjetunion zu 33

CYBERIDENTITIES AT WAR

weitreichendes Mobilisierungspotential ein, sei es von Umweltaktivisten, Feministinnen, religiösen Fundamentalisten, Nationalisten oder so genannten "localists": lt appears that it is in the realm of symbolic politics, and in the development of issue-oriented mobilization by groups and individuals outside the mainstream political system that new electronic communication may have the most dramatic etiects (Castells 2001b: 352).

So war das Internet z.B. ein wichtiges Kommunikations- und Organisationsinstrument der Zapatisten in Chiapas, der chinesischen Falun Gong Sekte, bei der Verbreitung des Protestes gegen die WTO in Seattle im Dezember 1999, der Patriot Movement in den USA und den Mayan Cultural Rights Activists in Guatemala. 50 Auch im Zusammenhang mit dem Osttimar-Konflikt fand eine Mobilisierung über das Internet statt (Hili 2002: 25). Mit dem Internet lässt sich eine Gegenöffentlichkeit herstellen (Zurawski 2000: 180/181) oder, wie Craig Calhoun (1995: 242) es ausdrücken würde. ein alternativer öffentlicher Raum. Diese Prozesse können Zurawski (2000: 182) zufolge durchaus Einfluss auf das Verständnis und die Wahrnehmung von Ethnizität haben und zu einer Veränderung jeweiliger kultureller Diskurse führen. Jon Anderson (1996) spricht von einer "Kreolisierung", die online durch das Zusammentreffen räumlich (geographisch und gesellschaftlich) weit auseinander lebender Menschen einer Kultur wie z.B. von Migranten und "ZuhauseGebliebenen" zustande kommt.

Internetspezifische Tendenzen im Konstruktionsprozess von ldentitäten Mittlerweile haben wir das vielfach kritisie1ie und widerlegte 51 Reduced-socialcontext-cues-Modell weit hinter uns gelassen, das Sozialwissenschaftler in den 1980er-Jahren im Zusammenhang mit ihren laborähnlichen Experimenten zu computervermittelter Kommunikation (CMC = Computer-Mediated Communication) formuliert und mit dem sie eine egalitäre Kommunikation und Partizipation im Internet, in der Gefühle keine Rolle spielen, prognostiziert hatten. 52 Der "Unsicherheitsfaktor" in der Identitätsdebatte jedoch blieb. Kolko und Reid (1998: 223-226) argumentieren, dass das Internet nicht nur ein identitätsstiftendes Medium sei, sondern auch zu einer Vertiefung der Identitätskrise und einem Auflösungsprozess beitragen könne. Persönliche Identitäten im Internet seien unverbindlich und statisch, da sie einfach aufgelöst oder ausgetauscht werden könnten. Damit könne keine Entwicklung des Selbst stattfinden und Gemeinschaften, die zudem nicht lokali-

50 51 52

34

unterminieren, da sie u.a. ermöglichen, Regimekritiker im Land miteinander und mit Sympathisanten außerhalb des Landes zu verbinden. Siehe Castells 2001b: 72-97, 2001c: 7, Jordan 1999: 166, Nelson 1996:290. Siehe hierzu Jafle, Lee, Huang und Oshagan 1995, Paccagnella 1997, Walther 1996. Siehe z.B. Kiesler, Siegel und McGuire 1984, Sproull und Kiesler 1986, Valacich, Paranka, George und Nunamaker 1993.

CYBERTHEORIE

sierbar seien, und Gruppenzugehörigkeiteil würden unverbindlich und leer und damit une±Iektiv bleiben. Bei der Analyse der im Molukkenkon±likt involvierten Cyberakteure wird allerdings das Gegenteil offenbar. Die untersuchten Gruppen bestehen im Internet über mehrere Jahre hinweg und konstruieren in dieser Zeit, entweder durch die Zugehörigkeit und die unterschiedlichen Beiträge zu einer Mailingliste oder durch eindeutige Präsentationen auf einer Webseite, stabile Identitäten, die aber durchaus auch in die Dynamik des Konflikts eingebunden sind und sich dieser anpassen. Letztendlich bleibt das Internet aber auch in der Frage um seine identitätsstiftende Funktion ambivalent. Das Spiel mit den Identitäten, der Mangel an social context cues, Anonymität und Unverbindlichkeit bilden den Unsicherheitsfaktor, den das Netz nach wie vor in sich birgt, da hier alle als verlässlich und ve1iraut wahrgenommenen Unterscheidungen verloren gehen und gewohnte Merkmale personaler und sozialer Identität (zumindest auf den ersten Blick) verschwinden. 53 Trotz alledem wird dem Internet zunehmend Bedeutung im Konstruktionsund Präsentationsprozess von Identitäten beigemessen. Durch das bewusste Zurückhalten oder Verbreiten von Informationen können Identitäten gemanagt und die Wahrnehmung der jeweils anderen beeinflusst werden (Jaffe et al. 1995). Erickson ( 1996) sieht deshalb auch die vorwiegende Funktion von persönlichen Webseiten und dem WWW weniger in der In±ormationsverö±Ientlichung als in der Konstruktion von Identitäten. Für ihn ist das WWW ein "Social Hype1iext". Variationen in der verbalen Sprache, eine elektronische Parasprache (strategische Großbuchstaben, Arrangieren von Textzeichen in so genannten Emoticons, absichtliche Rechtschreibfehler, Wmiwahl, Schreibstil und -Struktur etc.) übernehmen die Ausrichtung involvierter affektiver und sozioemotionaler Prozesse im Online-Bereich.54 Heutige Untersuchungen kennzeichnen computervermittelte Kommunikation eher als einen spontanen und hoch emotionalen Kommunikationsmodus. 55 Hinzu kommt die Möglichkeit des Einsatzes audiovisueller Elemente, um Eindrücke entsprechend zu verstärken. Die Beschränkung auf textbasierte Kommunikation ist in diesem Zusammenhang ein weiteres großes Manko bisheriger Untersuchungen zum Internet.

Appearance versus Performance Aufgrund fehlender unmittelbarer Eindrücke, was die kommunizierenden Personen betrifft, steht mehr denn je die Performanz im Vordergrund jeglicher Identitätsprojekte - "per±ormance rather than appearance", wie Joseph Walther (1996: 20) es ausdrückt. Computervermittelte Kommunikation kann daher zur Grundlage für eine selektive Selbstdarstellung werden (Walther 1996: 19). In Face-ta-Face-Situationen sind die Menschen in ihrer Selbstpräsentation oft beeinträchtigt durch ihr Ausse53 Siehe Hoflinann 1998, Slevin 2000: 113. 54 Siehe Jaffe, Lee, Huang und Oshagan 1995, Miller 1995. 55 Siehe Baym 1995:22, Levy 1996, Miller 1995, Thiedeke 2000, Walther 1996: 17.

35

CYBERIDENTITIES AT WAR

hen, ihre beschränkte Zuhörerschaft und die mangelnde Kontrolle spontaner verbaler und nonverbaler Reaktionen (Goffman 1969). In der CMC sind viele dieser Beschränkungen aufgehoben, insbesondere Webseiten sind geeignet für eine ungestörte, ausgearbeitete, strategische Se1bstpräsentation. 56 Von Seiten des Senders besteht die Option auf eine optimierte Se1bstpräsentation, von Seiten des Ernpfarrgers auf eine idealisie1ie Wahrnehmung (Walther 1996: 17, 19). Dies kann hier erhöhte Selbstenthüllung und Authentizität ermutigen, dort bewusste Maskerade und Täuschung der anderen unterstützen (Döring 2002). Bei kollektiven Identitätsprojekten sind die Freiheiten jedoch durch den Offline-Kontext eingegrenzt. Eine Selbstinszenierung ist an Motive und Ziele, die in diesem Kontext entstanden sind, gebunden, die Möglichkeiten ihrer Darstellungsweise im Internet sind aber beinahe unbegrenzt. Ein weiterer wichtiger Einwand gegen übersteigerten Enthusiasmus in Sachen Identitätsinszenierung und Kommunikationskontrolle ist das Problem der Perzeptionskontrolle. Zwar hat man online eine erhöhte Kontrolle über sein Kommunikationsverhalten und seine Wirkung, aber das einmal "Gesagte" entzieht sich sofort dem Kontrollbereich des Autors. sei es auf einer Webseite oder in einem Diskussionsforum: "messages posted to Usenet groups take on a life of their own, simultaneously representing the poster but out of the poster's control" (Steven G. Jones 1997: 27). Man hat keine Kontrolle darüber bzw. nur einen beschränkten Ein±1uss darauf, welchen Weg die gelieferte Information geht, welche Wirkung sie letztendlich hat und welche Reaktionen sie hervorruft. Bilder. die wir von uns oder unserer Gruppe im Netz kreieren, verselbständigen sich. 57 Es besteht die Gefahr, dass sich ein unerwünschter Effekt einstellt, aber auch die Chance, durch die Eigendynamik des Netzes ohne Mehraufwand einen sich selbst multiplizierenden Wirkungsfaktor zu erhalten. 58

Anonymität versus Authentizität Betrachtet man die individuelle Ebene, so spielen Anonymität und der Einsatz von Pseudonymen in der Internetkommunikation eine wichtige Rolle. Ananda Mitra (1997) bezeichnet es als einen der wesentlichsten Aspekte der lnternetkommunikation, dass der Poster seine Identität vor dem prüfenden Blick der Öffentlichkeit versteckt halten karm. Es stellt eine bedeutende Strategie für Internetbenutzer dar, 59 die so (scheinbar) sozialer Ausgrenzung, aber auch den Sanktionen für ihr OnlineVerhalten entgehen können. 60 Die Annahme der Straffreiheit lässt sich allerdings 56 Siehe z.B. Chandler 1998, Döring 2002, Miller 2000, Millerund Mather 1998.

57 Siehe hierzu auch Chand1er 1998: 4, Miller 2000: 22, Sandbothe 1996. 58 Die Gefahr bestand natürlich bei herkömmlichen Printmedien genauso, doch haben sich die Dimensionen und die Reichweite mit dem Internet vergrößert, und die Möglichkeiten der Einflussnahme (über Zeit und Raum) und des Feedbacks auf solche Projekte sind enorm gestiegen. 59 Siehe Dery 1993: 560/561, Mitra 1997:68, FN 10, Turkle 1995. 60 Siehe Jaffe, Lee, Huang und Oshagan 1995, Thiedeke 2000: 27.

36

CYBERTHEORIE

durch zahlreiche Online-Beobachtungen widerlegen, wo "anonyme" Akteure beispielsweise durch den Ausschluss aus Foren oder Listen oder durch verbale (Flames) oder physische Online-Angriffe (z.B. Maillawinen oder Virusattacken) im Bedarfsfall durchaus bestraft werden konnten. 61 Entscheidend bei der Abgrenzung individueller Identitätsprojekte von kollektiven Identitätsprojekten ist, dass letztere ja gerade von der Explizierung ihrer Identität leben. Anonymität würde für sie das Ende bedeuten. Einzelne Mitglieder haben deshalb trotzdem die Möglichkeit, anonym zu bleiben oder Pseudonyme anzunehmen. Aufgrund der durch das Internet unter Umständen gewährten (individuellen) Anonymität und der Manipulierbarkeit materialer Quellen stellt sich bei einer Analyse vielfach die Frage nach der Authentizität und der Repräsentativität der im Internet präsenten Subjekte und ihrer Beiträge (Schwara 1999: 272). Dies trifft für individuelle wie ±lir kollektive Identitätsprojekte gleichermaßen zu, wobei die Überprütbarkeit und die Stringenz kollektiver Darstellungen viel größer sein muss, um entsprechende Akzeptanz zu erhalten. Auch wenn die Vorstellung von einer "authentischen Kultur als ein autonomes, in sich stimmiges Universum" längst nicht mehr aufrecht erhalten werden kann (Rosaldo 1989: 217), wird bei Selbstdarstellungen oder Berichten von den Autoren nach wie vor der Anspruch auf Authentizität erhoben bzw. von den Empfängern die Frage nach der Authentizität, d.h. der Richtigkeit und der Wahrheit des Materials gestellt. Slevin (2000: 72) sieht in der Deterritorialisierung einen Grund für den Authentizitätsverlust im Internet, dem Internetnutzer durch eine bestimmte Rhetorik entgegenzuwirken versuchen: "By stressing the ,situatedness' ofthose using the internet, the ,places' in virtual reality - the webpages, the IRC channels, the newsgroups, etc. - are no Ionger just ,out there'. They become articulated with reality." Der übersteigerte Ausdruck von Ge±lihlen kann ein anderes Mittel darstellen, den Mangel an Authentizität wett zu machen. Webautoren, so Christine Hine (2000: 12, 142), bedienten sich der ganzen Palette ästhetischer und diskursiver Strategien, um ihre Seiten überzeugend zu gestalten. Hierbei spiele die zeitliche Dimension des Internets eine Rolle, die Unmittelbarkeit, aber auch die Archivierung von Informationen und Beiträgen und der Bezug auf feste Plätze, wodurch man Online-Statements und Oftline-Events eng miteinander zu verknüpfen versuche (124). Die Präsentation von Fakten, die als gemeinsames Kontextwissen der angesprochenen Gemeinschaft vorausgesetzt werden. könne ebenso den Anschein von Authentizität erhöhen wie die Präsentation von Details zu einem Vorfall und seinen Hintergründen und der Anspruch auf Fachkenntnisse (126/127, 131 ). Aktualität, Visualität, die Angabe von Quellen und Links sind entscheidend. 61 Die zur Verfügung stehenden Sanktionsmittel im Online-Bereich sind natürlich wie bei imaginierten Gemeinschaften generell eingeschränkt. Elwert nennt als Beispiel die Nation und stellt fest: .,Wenn auch Ehre und Schande explizit wichtige Garanten der Bindung an die Normen dieser großen Kameradschaft sind, so können sie doch nicht in der gleichen Dichte funktionieren, welche Bekanntschaftsgruppen (Face-to-Face-Gruppen) auszeichnet" (Elwert 1989: 44 7).

37

CYBERIDENTITIES AT WAR

Da bei Webseiten häutig die direkte Interaktion wegfallt, ist das imaginierte Publikum laut Hine (2000: 136-141) bestimmend tlir die angestrebte Authentizität. So versuchen Webautoren z.B. den Eindruck zu vermitteln, dass nicht nur eine einzelne Person, sondern eine Gruppe, die oft als "Wir-Gruppe" präsentiert wird, hinter einer Webseite steht - aus diesem Grund wird als Kontaktperson häutig der anonyme und neutrale "Webmaster" angegeben. In diesem Sinne sind auch die Veröffentlichung von Leserbriefen, Umfragen, Formularen etc. zu sehen. Anonymität ist also durchaus mit Authentizität zu vereinen, nämlich die Auslöschung von (individuellen) Identitäten auf der einen, und die Performanz von (Gruppen-)Identitäten mit Authentizitätsanspruch auf der anderen Seite. Mit den vorgestellten Möglichkeiten können Webautoren in ihrem Streben nach Authentizität viel weiter gehen als es in herkömmlichen Printmedien möglich war. Autoren wie Hugh Miller und Russell Mather (1998) sind hier in ihren Aussagen noch viel zu vorsichtig und äußern sich kaum oder gar nicht zum interaktiven (E-Mail-Kontakt, Leserbriefe, Umfi·agen und Formulare) und integrativen Potential (Text, Bild, Ton) von Webseiten. Im empirischen Teil dieser Arbeit zum Molukkenkontlikt werden weitere Beispiele datlir gegeben, wie man versucht, den Authentizitätsgrad von Internetpräsentationen noch zu erhöhen. Ein Authentizitätsproblem anderer Art sieht Ananda Mitra (1997). Die Kurzlebigkeit und der schnelle Wandel des Wesens des "Internet-Biests" ermöglichten es bestenfalls, zu einem festgelegten Zeitpunkt einen Schnappschuss des Bildes, das zu dieser Zeit gerade produziert und zirkuliert wird, zu erhalten, wodurch jeglicher Anspruch auf Authentizität erlösche, den Forscher auf ihre Interpretation des Netzwerkdiskurses haben könnten (Mitra 1997: 76). Mitra spricht hier das bereits erwähnte Problem der Unverbindlichkeit des Internets und seiner Zugehörigkeiten an. Zugegebenermaßen ist die Schnelllebigkeit des Internets sowohl ein methodisches als auch ein existentielles Problem für die Internetforschung, wenn z.B. die zu untersuchende Webseite von einem Tag auf den anderen verschwindet. 62 In gewisser Weise beruht Mitras Anschauung aber auf einem längst überkommenen, statischen Kulturprinzip. In meinen Augen stellt dieser ständige Wandel sogar eine große Chance, wenn nicht die Voraussetzung datlir dar, das Entstehen sozialer Formationen und Identitäten im Cyberspace überhaupt erforschen zu können. Folgt man diesem Wandel (z.B. als Mitglied einer Mailingliste oder als Beobachter einer Webpage) über längere Zeit, lassen sich beispielsweise die Entwicklung von Identitätsprojekten oder Gemeinschaftsbildungsprozesse beobachten. Das wäre ausgeschlossen, wenn alle Interneterscheinungen statisch wären.

Status und Autorität Vor allem die oben erwähnten früheren experimentellen Untersuchungen von CMC 63 weisen den Cyberspace als einen Raum aus, in dem bestehende Hierarchien 62 Dem kann allerdings durch eine rechtzeitige Archivierung vorgebeugt werden. 63 Siehe z.B. Kiesler, Siegel und McGuire 1984, Sproull und Kiesler 1986.

38

CYBERTHEORIE des "wirklichen Lebens" keine Bedeutung haben und gleichberechtigte Kommunikation stattfindet. Diese Vorstellung vom Cyberspace als der idealen public sphere, von der Jürgen Habermas (200 I) träumt, hat sich zum Teil bis heute gehalten. 64 Mittlerweile ist aber in zahlreichen Untersuchungen belegt, dass sich, vor allem wenn man einen Kommunikations- und Interaktionsprozess auf dem Netz in seiner "natürlichen" Umgebung verfolgt, durchaus neue Hierarchien entwickeln bzw. alte gestärkt werden und durch entsprechendes Verhalten ein gewisser Status erworben werden kann. der von anderen Kommunikationsteilnehmern unterscheidet. 65 Verschiedenste Faktoren können zum Status- und Machtzugewinn eines Webautors, eines Mailinglisten- oder Forummitglieds beitragen: entsprechende paraverbale Mittel, Flaming, eine Moderatorenrolle, technische Expertise und finanzielle Mittel, Qualität und Quantität der Beiträge, die online verbrachte Zeit, Ansprüche auf Real-Life-Fachkenntnisse, die richtige Motivation, das Beantworten von Fragen in Newsgroups, die Beilegung von Streitigkeiten, der Unterhalt von FAQs etc. 66 Neben gewohnten Identitätsmustern sind in unserer vernetzten Gesellschaft auch etablierte Autoritätsmuster ins Wanken geraten. Wir haben es mit einer Pluralität an Autoritätsquellen zu tun, deren Zuständigkeiten oft nicht klar sind bzw. im Wettbewerb miteinander liegen. Der Nationalstaat ist nur noch eine Quelle der Macht bzw. der Autorität. so Castells. Er muss sich diese teilen mit den unterschiedlichsten Machtquellen, den so genannten "supranational macro-forces" und "subnational micro-processes" (Castells 200 I b: 307): These are networks of capital, production, communication, crime, international institutions, supranational military apparatuses, non-governmental organizations, transnational religions, and public opinion movements. And below the state, there are communities, tribes, localities, cults and gangs (Castells 2001 b: 304). Das Internet, über das sich Gruppen und Gemeinschaften mit entsprechenden Autoritäten formieren, kann zu einer weiteren Diffusionierung der Machtverhältnisse und des Autoritätsanspruches beitragen. Castells (200 I b: 69) spricht von der Abstraktion der Macht in einem Netz aus Computern, das zu einer Auflösung bestehender Mechanismen sozialer Kontrolle und politischer Repräsentation führe. Lincoln Dahlberg (200 I) betont jedoch, dass Macht- und Statusunterschiede im On-

64

65 66

Siehe Durharn und Kellner 2001: 36, S1evin 2000, Thiedeke 2000: 27/28. Eng verknüpft hiermit ist die Debatte um die so genannte Cyberdemocracy. Am einen Ende des Meinungsspektrums wird das Internet als akephales Netzwerk gesehen, das Demokratisierung ermöglicht (Levy 1996, Rheingold 1993: Intro und Chapter 4, Zurawski 2000), am anderen Ende als ein Raum uneingeschränkter Kontrolle und des mind managements (Dahlberg 2001, Jan van Dtik 1999: 101, 116, 125, Harnelink 2000: 19, Hartmann 1998: 12, 16, Kolko und Reid 1998: 216, Lockard 1997: 220, Nguyen und Alexander 1996: 120, Norris 2000a: 1, Piliang 2000, Poster 1997, Rheingold 2000: Chapter 10). Des Weiteren siehe Castells 2001 b: 350/351, Dahlberg 2000, Kollock und Smith 1999: 4. Siehe z.B. Jan van Dtik 1999: 212, Jaffe, Lee, Huang und Oshagan 1995, Paccagnella 1997, Walther 1996: 15/16. Siehe hierzu Donath 1999:30/31, Jordan 1999, Mitra 1997:74.

39

CYBERIDENTITIES AT WAR

line-Bereich eng verknüpft seien mit sozialen Offline-Hierarchien und -Identitäten. Die Fähigkeit, online Autorität zu erlangen und Erfolg zu haben, hänge stark von den Ressourcen (Zeit, Geld und Skills) ab, die der jeweilige offline besitze. Zudem werde der Online-Status oft direkt durch die bereitwillige Enthüllung von OfflineIdentitäteil im Cyberspace gestärkt. Sind bestimmte Grundvoraussetzungen allerdings erfüllt, dann gibt das Internet Einzelnen wie Gruppen die Chance, in erweiterten Zeit-Raum-Dimensionen frei Diskurse zu ±Uhren, ihre Integrität darzustellen und bei anderen Vertrauen in ihre Aktionen aufzubauen. Dies ermächtige nach Slevin (2000: 47) die Nutzer "to make things happenrather than have things happen to them", ermögliche neue Formen der Solidarität und der Kooperation und könne sogar zu einer Demontage traditioneller Hierarchien beitragen (47-49). Slevin ist hier, wie so oft, zu optimistisch und gibt kaum konkrete Realisierungsmöglichkeiten an. Das Potential des Internets darf mit Sicherheit nicht unterschätzt werden: Es gibt Individuen und Gruppen eine Stimme, die ohne das Internet nie die Möglichkeit gehabt hätten, sich an die Öffentlichkeit und an ein solch großes Publikum zu wenden. Damit ist dem Internet auch ein erhebliches Potential an möglicher Einflussnahme und Machtzugewinn im Online- wie im Offline-Bereich zuzugestehen. Letztendlich hängt dies aber entscheidend davon ab, inwiefern die Stimmen im Netz überhaupt gehört werden und ob eine dauerhafte Wirkung daraus erwächst, wo±lir es keine Garantie gibt.

Zusammenfassung Das Internet ist ein ambivalentes Medium, was seine Auswirkungen auf das soziale, politische, wi1ischaftliche und kulturelle Umfeld anbelangt. Auf der einen Seite ermöglicht es eine umfassende Kontrolle seiner Benutzer, trägt zur Festigung bestehender Machtverhältnisse bei und fUhrt zu einem digital divide, der die Weltbevölkerung aufteilt in Menschen, die Zugang zum Internet haben, und solche, die keinen Zugang haben. Auf der anderen Seite karm es zu einer erhöhten politischen Mobilisierung von Menschengruppen und der Stärkung von kulturellen Identitäten eingesetzt werden und unterschiedlichsten Personen und Gruppen eine Stimme auf der globalen Bühne verleihen, die bisher zu dieser keinen Zutritt hatten. Das integrative Kommunikationspotential hebt die dem Menschen auferlegten Beschränkungen von Raum, Zeit, Information und Körper zum Teil auf und dehnt so den Einfluss- und Wirkungsbereich des Internetanwenders entscheidend aus. In der sozialwissenschaftlichen, insbesondere der ethnologischen Internetforschung darf es daher nicht nur um übermittelte Inhalte gehen, sondern es muss vor allem auch der Wandel sozialer Strukturen wie Gemeinschaft und Identität untersucht werden. In der wissenschaftlichen Diskussion um Online-Gemeinschaften sind diverse Positionen bezogen worden; ich habe mich auf den kontextuellen Ansatz konzentriert, der davon ausgeht, dass die Prozesse im Cyberspace geprägt sind durch den spezifischen Offline-Kontext seiner Besucher und in Wechselwirkung mit diesem

40

CYBERTHEORIE

stehen. Damit sollte auch die Virtualitäts-Realitäts-Debatte aufgehoben werden, weil sich Online- und Off:1ine-Ebene ergänzen und Teil ein- und derselben Realität sind. Für ein besseres Verständnis von Vergemeinschaftungsprozessen im Internet muss man sich von traditionellen Gemeinschaftsvorstellungen und dem Lokalitätsprinzip lösen und sich dem Konzept der imagined communities von Benedict Anderson und der imagined worlds von A1jun Appadurai zuwenden. Das Internet bietet Raum und Mittel ±Ur Identitätskonstruktionen. in denen Performanz und Authentizität eine wichtige Rolle spielen sowie Status und Autorität, die online erworben oder aber aus dem Offline-Bereich übernommen werden können. Von besonderem Interesse ±Ur meine Untersuchungen sind kollektive Identitäten im Internet, bei denen weniger das Experimentieren und das freie Spiel im Vordergrund stehen, sondern bewusst auf identitätsbestimmende Elemente zurückgegriffen wird, die zumeist dem O±l1ine-Kontext der an einem Online-Projekt beteiligten Menschen entnommen werden und alle Mitglieder in einer imaginierten Gemeinschaft einen sollen. Im Zuge kollektiver Identitätsprojekte kann das Internet beispielsweise strategisch eingesetzt werden zur Bewahrung von Kulturen und Sprachen, um eine Diaspora an ihr Herkunftsland anzubinden und um Widerstandsnetzwerke und soziale Bewegungen zu unterstützen und auszudehnen.

41

2

ETHNOLOGISCHE INTERNETFORSCHUNG UND METHODIK

Die Ethnologie hat das Internet erst relativ spät als Forschungsgebiet entdeckt. Angesichts der oben angesprochenen, bislang sehr einseitig ausgerichteten Internetforschung ist es höchste Zeit, dass sich endlich auch mehr Ethnologen dieser Herausforderung stellen, Die Ethnologie, die sich um eine emische Sichtweise bemüht und für die der Kontext eines Untersuchungsgegenstandes ebenso wichtig ist wie dieser selbst, kann, gerade wenn es um Konzepte wie Identität, Gemeinschaft, Kultur und Kommunikation und ihre Anwendung auf den Cyberspace geht, mit ihren theoretischen und methodischen Ansätzen wertvolle Beiträge leisten. Zum Teil wurde dies im cybertheoretischen Kapitel bereits deutlich. Es soll hier aber auch um die Problematik der Übertragung ethnologischer Methoden auf den Cyberspace gehen, um die Diskussion von vorhandenen Ansätzen zur Untersuchung von Mailinglisten, Newsgroups und Webseiten als Forschungsquellen und deren Weiterentwicklung. Dieses methodische Instrumentarium kommt in der Untersuchung der Internetpräsentationen des Molukkenkont1ikts zum Einsatz, ist aber auch auf vergleichbare Forschungsprojekte übertragbar. Als mögliche Themen ethnologischer Internetforschung werden Religion und Konflikt im Internet vorgestellt, da beides im molukkischen Cyberspace eine Rolle spielt.

Cyberethnologie oder Cyberanthropology Die Möglichkeit der Integration von Text, Bild und Ton in dasselbe System und die raumübergreifende Interaktion von mehreren Punkten aus, zu einem selbstgewählten Zeitpunkt (synchron oder asynchron), in einem globalen Netzwerk, ände1i den Kommunikationscharakter entscheidend (Castells 200lc: 356). Eine Integration von Tele-, Daten- und Massenkommunikation in einem einzigen Medium findet statt (Jan van Dijk 1999: 9). Dem wird in den meisten bisherigen Internetuntersuchungen, die vorwiegend auf textbasierte CMC abzielen, noch viel zu wenig Rechnung getragen. Durch das Internet wird eine neue symbolische Umgebung geschaffen, so Castells (200 I c: 402/403), in der Beiträge aus unterschiedlichsten Quellen zu einem gemeinsamen kognitiven Muster integriert werden können. Dabei wird immer wichtiger, Internetkommunikationen nicht nur in Form übermittelter Inhalte darzustellen, sondern den mit diesen neuen Kommunikationsformen einhergehenden Wandel sozialer Strukturen wie z.B. Interaktionsformen und soziale Identitäten

42

ETHNOLOGISCHE INTERNETFORSCHUNG

zu untersuchen (Meyrowitz 1997: 60/61) und deren Wirkung zu beschreiben. Es ist darauf zu achten, nicht bei einer Beschreibung der Einzelteile des Internets stehen zu bleiben, da dieses Medium darüber hinaus etwas darstellt, das größer ist als die Summe seiner Einzelteile (Costigan 1999: xviii). Je nach verwendetem Kommunikationsmodus und je nach Präsentation der Inhalte können unterschiedliche Wirkungen erzielt werden (Jan van Dijk 1999: 194/195). Philip Schlesinger hat im Jahre 1980 (363) die Bedeutung des ethnographischen Ansatzes fiir die Untersuchungen zu Medien hervorgehoben, um grundlegende Informationen zu Arbeitsideologien und -praktiken dieser kulturellen Produzenten zu erhalten. Im Jahre 1994 rief Arturo Escobar mit seinem Artikel Welcome to Cyberia: Notes on the Anthropology of Cyberculture zu einer akademischen anthropologischen Diskussion über dieses dynamische Forschungsterrain auf, das neben dem Internet auch andereneuere Technologien umfassen sollte. Eine wirkliche Diskussion kam aber lange nicht in Gang. Ethnologen haben sich zurückgehalten und das Internet hauptsächlich als Instrument zum Publizieren und Unterrichten gesehen (Morton 2001c: 3) bzw. als Medium fiir den wissenschaftlichen Austausch (Diskussionen, Text-, Ton- und Bildmaterial, Datenbanken etc.) und die wissenschaftliche Präsenz von Instituten, Museen und Forschern (Schwimmer 1996), aber nicht als Begründer eines sozialen und kulturellen Raumes, den es als solchen zu untersuchen gilt. Zu den wenigen bisher verfiigbaren ethnologischen "Monographien" zum Internet gehören Cyborgs@Cyberspace? An Ethnographer Looks to the Future von David Hakken (1999), Virtuelle Ethnizität von Nils Zurawski (2000), The Internet- An Ethnographie Approach, eine Ethnographie des Internets in Trinidad von Daniel Miller und Don Slater (2000) und Virtual Ethnography von Christine Hine 1 (2000). Daneben wurden in den letzten Jahren eine Reihe von Artikeln publiziert, die sich sowohl mit dem Internet als sozialen Raum als auch mit der Übertragung ethnologischer Methoden auf dessen Erforschung beschäftigen, wie die von Daniel Chandler (1998), Stefan Schwara (1999), Manfred Kremser (1999), Wilson und Peterson (2002) und eine Aufsatzsammlung ComputerMediated Communication in Australian Anthropology and Sociology, herausgegeben von Helen Morton (2001a). Wie andere Disziplinen hat sich die Cyberanthropology bisher vorwiegend auf westliche, insbesondere nordamerikanische Partizipation im Cyberspace konzentriert (Mmion 200 I c: 7). Es gibt aber auch Untersuchungen zum Internet als Mittel fiir Menschen in der Diaspora und fiir ethnische Minderheiten, ihre jeweilige Sprache und Kultur zu erhalten und zu stärken und ihre kulturelle Gemeinschaft zu festigen, und Studien zur Rolle des Internets als Sprachrohr fiir soziokulturelle Bewegungen. 2 In eine komplett andere Richtung

Christine Hine kommt eigentlich aus dem Bereich der .,sociology of science and technology", wo sie u.a. aber auch eine ethnographische Ausbildung durchlief(Hine 2001). Die Bedeutung medialer Verbreitung und Aufrechterhaltung von Traditionen für Diasporagemeinschaften und Migranten betont auch John Thompson (1995: 203). 43

CYBERIDENTITIES AT WAR

weist Johannes Fabians (2002) Artikel, in dem er das Potential des Internets untersucht, die Bedingungen ethnographischen Schreibens zu verändern. Unter Cyberethnologie, Cyberanthropology oder Anthropologie des Cyberspace verstehe ich die Subdisziplin der Ethnologie, die sich mit kulturellen Ausprägungen in dem durch das Internet konstituierten sozialen Raum (Cyberspace) und seinem jeweiligen soziokulturellen Kontext befasst. Für Schwara (1999: 267) ist es die Anthropologie, die den virtuellen Raum als Kulturraum betrachtet, ±lir Mizrach (1995) die Untersuchung von Menschen in "virtuellen Gemeinschaften" und vernetzten Umgehungen. Das Wort "vi1iuell" habe ich in meiner Definition bewusst vermieden. Außerdem darf es in der Cyberanthropology nicht nur um den so genannten Cyberspace gehen, sondern eben auch um den soziokulturellen und historischen Kontext, in dem er und seine Besucher verankert sind. Wir betreten keine virtuelle Welt. die aus dem herkömmlichen Wirklichkeitsrahmen heraus±allt. 3 Das Internet ist laut Helmers, Ho±Imann und Hofmann ( 1996) keineswegs ein beliebig gestalt- und einsetzbares neutrales Transpminetz oder gar ein rechtsfreier Raum, sondern ein Netz, das ein mit ethnologischer Methodik erfassbarer und charakterisierbarer Personenkreis mit speziellen Qualifikationen, Vorstellungen und Anforderungen aufgebaut und geformt hat. Helmers et al. beobachteten in ihren Untersuchungen, wie sich eine spezielle, netzadäquate Umgangs- und Nutzungsweise und soziale Interaktionsregeln - die so genannte "Netiquette" - herausgebildet haben ( 16/17), eine A1i sozialer Vertrag, der meiner Meinung nach aber nicht unbedingt auch auf andere Internetgemeinschaften übertragbar ist. Dieses Beispiel soll aber zeigen, dass sich durch die Erweiterung unseres herkömmlichen "Territoriums" um den Cyberspace und durch dessen spezifisches Kommunikationspotential bei aller Kontextorientierung und -Verbundenheit auch etwas kulturell Eigenständiges herausbilden kann.

Methodenentwicklung Christine Hine (2000: 65) argumentiert, das "ethnographische Subjekt" werde durch die eingesetzten Technologien mit geprägt, weswegen alle Formen der Interaktion ethnographisch relevant seien, was letztendlich die Ethnographie ausmache. Die Interaktionsgestaltung mit Informanten durch die eingesetzte Technologie gehöre hier ebenso dazu wie die Interaktionen des Ethnographen mit der Technologie. Durch die neuen Technologien allerdings, so bereits Escobar (1994: 14 ), würden Vorstellungen von Feldforschung transformiert werden. Helmers et al. (1996) gingen zu Beginn der Cyberanthropology-Ära noch davon aus, dass die Übe1iragung ethnologischer Feldforschungsmethoden auf die bislang noch wenig mit dieser Methode untersuchte Netzwelt im Großen und Ganzen unproblematisch sei, da die Internet-Kultur erstens öffentlich und damit der ethnographischen Forschung zugäng-

Siehe z.B. Hartmann 1997: 3, 1998: 11, Schwara 1999: 267. 44

ETHNOLOGISCHE INTERNETFORSCHUNG

lieh, zweitens ein Mitleben in der zu untersuchenden Kulturgemeinschaft möglich sei und drittens sämtliche Kulturäußerungen, auch die im Internet, gleichermaßen als Erkenntnisquellen dienen könnten, Im Internet gebe es zahlreiche Orte und Gelegenheiten ±lir die Beobachtung von sozialen Interaktionen. Zusätzlich könnten Personen interviewt und Dokumente ausgewertet werden. Eine Übertragbarkeit, wie sie hier in aller Kürze von Helmers et al. beschrieben wurde, ist prinzipiell möglich, muss aber differenzierter und kritischer betrachtet werden. Ich will nun einige methodologische Überlegungen anfUhren, die von diesen frühen Cyberanthropologen noch nicht bzw. zu wenig differenzie1i betrachtet wurden. In diesem Zusammenhang sind auch Hinweise auf die Methodik bei der Gestaltung und der Analyse von Webbeiträgen im vorangegangen Kapitel zu verstehen, die hier nicht mehr explizit wiederholt werden.

Der deterritorialisierte Gegenstand A1jun Appadurai (1998: 38) plädie1i dafür, früher verwendete Bezeichnungen für Entitäten wie Orte. Dörfer. Gemeinden und Örtlichkeiten durch den Terminus der ethnischen Räume (ethnoscapes) zu ersetzen. Ethnoscapes werden von jenen Personen bevölke1i, die den sich gegenwärtig vollziehenden Wandel charakterisieren: Touristen, Immigranten, Flüchtlinge, Exilanten, Gastarbeiter und andere mobile Gruppen und Individuen (12). Ethnologen können nicht mehr davon ausgehen, "wenn sie den Ort als Forschungsobjekt wählen, auf das, im Vergleich zu einer größeren Perspektive, Grundlegendere, Zu±alligere und daher ,Realere' zu stoßen" (23). 4 Vielmehr sind es die komplexen, teilweise imaginierten Leben, von denen wir oben gesprochen haben, die heute laut Appadurai das Fundament der Ethnographie bilden müssen, zumindest einer solchen Ethnographie, die in einer transnationalen, enträumlichten Welt Gehör finden will. Die Einbildungskraft wird zu einer entscheidenden Macht bei der Herstellung des sozialen Lebens und die damit verbundenen Vorstellungen und Ideen werden oftmals durch die Massenmedien transportiert (23). Damit nimmt das "Ethno" in Ethnographie eine kaum mehr fassbare, nicht lokalisierbare Qualität an, der die beschreibenden Praktiken der Ethnologie entsprechend begegnen müssen (Appadurai 1996: 48). Diese Tendenzen verstärken sich noch durch das Internet. Appadurais Aussagen sind als ein Plädoyer an die Ethnologen zu sehen, sich mit dem Internet eingehend zu befassen, auch wenn sich Appadurai selbst noch nicht konkret darauf bezieht. In der Internetforschung werden Gruppen und kulturelle Erscheinungen laut Schwara (1999: 265) nur durch die Metapher des Cyberspace erfassbar. Der Cyberspace wird ihm zufolge zum neuen internationalen Raum ±lir die Ethnologie, in dem man Feldforschung durchfüh1i, um die entsprechenden Interaktionen, Vorgän4

Auch Georg Marcus (1994: 46/47) argumentierte, dass sich die traditionelle Ethnographie mit neuen räumlichen Konzepten auseinander setzen müsse, die mit der Vorstellung einer verteilten, multilokalen Identität einhergingen.

45

CYBERIDENTITIES AT WAR

ge und sozialen Formierungen zu untersuchen und unterschiedliche Identitätsformationen darzustellen. Ein Lokalitätsprinzip anderer Art bringen Miller und Slater (2000) ins Spiel. Ihnen geht es darum zu untersuchen, wie Internettechnologien in bestimmten lokalen Kontexten verstanden, angenommen und eingesetzt werden. Auch ±lir einen Großteil der von Appadurai beschriebenen Bewohner seiner ethnischen Räume bleibt der konkrete Herkunftsort von großer Bedeutung, sei es für die in der Diaspora lebenden Menschen, sei es ±lir Flüchtlinge oder Touristen. Ebenso wird im Fall der Molukken ein konkreter räumlicher Bezug in den Internetpräsentationen immer wieder sehr deutlich oder besser, dieser liefert überhaupt erst die Grundlage und die Legitimation ±lir den von mir untersuchten molukkischen Cyberspace und die damit in Verbindung stehende Entwicklung enträumlichter, transnationaler Netzwerke und Gemeinschaften.

Feldforschung und Teilnehmende Beobachtung im Internet Unbestritten scheint auch in der ethnologischen Internetforschung der hohe Stellenwert der Teilnehmenden Beobachtung zu sein, selbst wenn unterschiedliche Meinungen bezüglich ihrer Umsetzung bestehen. Ein teilnehmend beobachtender Umgang mit jenen Techniken, die von einem zu untersuchenden Personenkreis genutzt werden, so argumentiert Schwara (1999: 271), ist Voraussetzung, um Aussagen zu A1i und Bedeutung des Wechselverhältnisses von Mensch und technischer Umgebung machen zu können. Das Eintauchen in einen bestimmten Fall, Lokalitätsbezug und Teilnehmende Beobachtung (z.B. in Chatforen), durch die sich längerfi·istige Kontakte ergeben, sind lautMillerund Slater (2000: 21/22) Grundpfeiler eines ethnographischen Ansatzes in der lnternetforschung. Das Bild von Feldforschung müsste sich nach Morton (2001a: 5) radikal ändern, wenn "das Feld" sozusagen als Text auf einem Bildschirm erscheint und die zu beobachtende soziale Gruppe weltweit verstreute Menschen involvieren kann. Online hat man grundsätzlich zwei Forschungsarten: distanziert oder involviert (Morton 2001a: 6) bzw. distanziert oder diskursiv und kommunikativ (Schwara 1999: 271 ). Auf Distanz können materielle Quellen (Texte, Bilder, Nicknames, Emoticons etc.) ausgewe1iet und soziale Interaktionen beobachtet werden. Beiträge in Mailinglisten und Newsgroups sowie Webseiten und die A1i, wie sie ein bestimmtes Thema präsentieren, wer sie besitzt und unterhält, wer die beabsichtigten Zuhörer sind etc., können analysiert werden. Involviert ist Morton zufolge, wer an Chatforen und anderen synchronen Formen der CMC partizipiert oder E-Mail für Interviews benutzt. Durch die Aufnahme diskursiver und kommunikativer Beziehungen können laut Schwara (1999: 271) die "Subjektivität" und der "Eigen-Sinn sozialer Akteure" erschlossen werden. Teilnehmende Beobachtung ermöglicht es dem Forscher, ein besseres Verständnis vom Umfang der Identitätsperformanz eines Teilnehmers zu bekommen und von der Bedeutung, die diese ±lir ihn hat (Kendall 1999: 71 ).

46

ETHNOLOGISCHE INTERNETFORSCHUNG

Christine Hine (2000) versuchte, einen methodologischen Rahmen ±lir ethnologische Internetforschung zu erarbeiten. Sie untersuchte verschiedene Webseiten und Newsgroups, die sich mit Louise Woodward beschäftigten, einem TeenagerKindermädchen, das des Mordes an dem Kind, das in ihrer Obhut war, angeklagt worden war; sie entwickelte dabei zehn "Grundprinzipien virtueller Ethnographie". Durch diese Prinzipien wird weniger eine konkrete methodische Vorgehensweise propagiert, als dass grundsätzliche Aussagen gemacht werden, die Voraussetzung da±lir sind, in dem und über das Medium Internet Feldforschung betreiben zu können. Einige der zehn Punkte wurden bereits vor Hine oder zeitgleich von weiteren Autoren erörtert, andere verstehen sich als selbstverständlich in den von Appadurai besprochenen imagined worlds. Hine fasst diese Grundsätze auf zwei Seiten zusammen. Da diese auch dem Verständnis der vorliegenden Arbeit und ihres Untersuchungsfeldes imaginierter Gemeinschaften und Identitätsprojekte im Internet dienlich sind, will ich sie hier verkürzt wiedergeben: I) The sustained presence of an ethnographer in the field setting, combined with intensive engagement with the everyday life of the inhabitants of the field site, make for the special kind of lmowledge we call ethnographic ... The status of the Internet as a way of communicating, as an object within people's livesandas a site for community-like formations is achieved and sustained in the ways in which it is used, interpreted and reinterpreted. 2) ... Interactive media such as the Internet can be understood as both culture and cultural artefact... 3) ... We can usefully think of the ethnography ofmediated interaction as mobile rather than multi-sited. 4) ... The object of ethnographic enquiry can usefully be reshaped by concentrating on tlow and connectivity rather than location and boundary as the organizing principle. 5) ... The challenge of virtual ethnography is to explore the making of boundaries and the malöng of connections, especially between the ,virtual' and the ,real' ... 6) ... Virtual ethnography is interstitial, in that it tits into the other activities of both ethnographer and subjects ... 7) Virtual ethnography is necessarily partial... 8) Virtual ethnography involves intensive engagement with mediated interaction ... The ethnographer's engagement with the medium is a valuable source of insight. Virtual ethnography can usefully draw on ethnographer as informant and embrace the reflexive dimension .. 9) ... The shaping of the ethnographic object as it is made possible by the available technologies is the ethnography. This is ethnography in, of and through the virtual. I 0) ... lt is an adaptive ethnography which sets out to suit itself to the conditions in which it finds itself (Hine 2000: 63-65). Es handelt sich um sehr allgemein gehaltene Statements, die je nach Anwendungsfall konkretisie1i werden müssen. Zum Vorwurfwurde Hine gemacht, sie habe mit ihrem eigenen empirischen Beispiel bei weitem nicht allen Prinzipien voll entsprochen (Zurawski 2001 b). Hine erwidert hierau±: dass sie eben nur einen Rahmen abstecken wollte: It is true that the principles which I outline are broader than the empirical study which I actually carry out to illustrate them. The whole idea of having ,principles' for ethnography, and the grandiose declaration of ,virtual ethnography', were supposed to be a bit tongue in cheek. Ethnography always has been adaptive, and ethnographers always have explored myriad cultural connections, but sometimes we

47

CYBERIDENTITIES AT WAR

risk forgetting these facts. The principles are meant to be provocative, and to encourage imaginative thinking about ways of shaping ethnographic projects that address the Internet. By taking on a media event as the theme for an ethnography I was hoping to demonstrate that one could take seriously as ethnographic encounters the many different kinds of interaction and information that the Internet provides, and that one could actually embrace the uncertainty that comes rrom not having a specific location to study (Hine 2001). Thank you, Christine. Das soll nicht heißen, dass ich mit den Implikationen, die sie aus diesen Prinzipien für ihre spezifische Fallstudie zieht, grundsätzlich einverstanden bin. Hine betrachtet das Internet sehr treffend als Kultur (2000: 14-26), aber auch als kulturelles Artefakt (2000: 27-38), das durch seinen sozialen Kontext geformt wird (z.B. Erwartungen verschiedener Interessengruppen an das Medium, zukünftiger Einsatz, gewünschtes Publikum). Sie beschreibt das Internet somit zugleich als performative spaces und als pe1jormed spaces (116). Wie schon mehrmals betont, geht es also darum, das Internet nicht nur als Überbringer von Informationen und symbolischen Inhalten zu sehen, sondern die neuen Formen von Aktion, Interaktion und sozialen Beziehungen zu untersuchen (36). 5 Hine (39) möchte mit diesem dualen Prinzip zu einer Ausblendung der Prozesse beitragen, die verantwortlich sind für die Konstruktion der Grenze zwischen dem Vi1iuellen und dem Realen. kommt an vielen Stellen ihres Buches aber nicht über die Dichotomie zwischen real und virtuell hinaus (so auch in Punkt 5 ihrer Forschungsprinzipien). Zurawski (200 I a) kritisie1i, dass Hine die Polarität nicht aufhebt, da sie das Internet nicht wirklich als soziale Praxis, die Erweiterung existierender sozialer Beziehungen betrachte. Weiter stellt sich die Frage, ob und inwiefern Online-Feldforschung durch Otl1ine-Feldforschung ergänzt werden muss (Bell 2001: 194-198). Hine (2000: 44/45) argumentiert, dass die physische Reise ins Feld für eine Ethnographie des Internets überflüssig wird, da Interaktionen mit dem Forschungsfeld jetzt über das Internet mediatisiert werden können. Der Zugang zum Feld wird von zu Hause aus online ausgehandelt, online werden die Interaktionen der entsprechenden Individuen und Gruppen beobachtet und online wird mit Teilnehmern kommuniziert. Wie bei einer herkömmlichen Feldforschung bleibt das Verhältnis zwischen Ethnograph, Leser und Untersuchungssu~jekt aber trotzdem im ethnographischen Text eingeschrieben: "The ethnographer is still uniquely placed to give an account ofthe tield site, based on their experience of it and their interaction with it. . .. ethnographic authority resides with the ethnographer who was there" (Hine 2000: 46). Andere Internetforscher ergänzen ihre Online-Ergebnisse und -Erfahrungen durch Face-to-Face-Kontakte wie z.B. Nancy Baym (1995), um so Einblick in das soziokulturelle Umfeld der jeweiligen Personen zu bekommen. Hine (2000: 48/49) beweJiet dieses Einbeziehen des Offline-Bereichs in die Forschung als Versuch, Online-Beobachtungen zu verifizieren und so die Ergebnisse authentischer erscheinen

Siehe hierzu auch John Thompson 1995: 4. 48

ETHNOLOGISCHE INTERNETFORSCHUNG

zu lassen oder aber dem ethnographischen Holismusanspruch zu genügen. Sie argumentiert, dass sich der Ethnograph in eine asymmetrische Position begebe, indem er zusätzliche und andere Kommunikationswege benutze als seine Informanten, um diese zu verstehen, und damit seine empirische Authentizität ge±abrde. Für sie soll deshalb Online-Feldforschung exklusiv bleiben. Diesen Punkt möchte ich weiter ausführen. Untersucht der Ethnologe einen sozialen Raum, der sich allein im Internet konstituiert, wie es z.B. bei den meisten MUDs und vielleicht noch bei einigen Chatforen der Fall ist, stimme ich Hine zu. Konstituiert sich der soziale Raum im Internet aber vorwiegend aufgrund von und in Bezug auf Oftline-Ereignisse(n), ist es sinnvoll, wenn nicht gar notwendig, Online- durch Offline-Recherchen zu ergänzen. Entsprechend argumentie1i auch Morton (200 I a: 6): ein Wissen um den kulturellen Hintergrund der Cyberakteure und -präsentationen sei wichtig, um viele der Nachrichten im Cyberspace verstehen zu können. Wenn möglich, so Kendall (1999: 71 ), sollte der Forscher versuchen, Zugang zum Offline-Kontext zu bekommen. Wie möchte Hine auch beurteilen, ob sich die Mitglieder eines OnlineForums o±lline nicht auch noch zusätzlicher Kommunikationskanäle bedienen oder gar mit anderen Mitgliedern offline in Kontakt stehen? Bei der Kombination von Online- und Offline-Forschung geht es in meinen Augen weniger darum, authentisches Wissen zu erlangen, wie Hine glaubt, dessen Existenz ich ohnehin anzweifle, sondern darum, die Präsentation bestimmter Themen, Gruppen und Personen im Internet zu untersuchen, verschiedene Darstellungen aufeinander zu beziehen und einen Zusammenhang mit dem soziokulturellen Kontext der beteiligten Menschen und mit relevanten Ereignissen im Offline-Bereich herzustellen. Es geht nicht um die Überprüfung des Wahrheitsgehalts von Online-Darstellungen, sondern um die Präsentation dieser angeblichen "Wahrheiten". Es gilt zu untersuchen, und hier kann ich mich Hine wieder anschließen, was Informanten als authentisch betrachten: Assuming a priori that authenticity is a problern for inhabitants of cyberspace is the same kind of ethnographic mistake as assuming that the Azande have a problern in dealing with the contradictions inherent in their beliefs about witchcraft. It should be addressed as an issue for the ethnography as and when it arises during interaction (Hine 2000: 49).

Gerade um die Virtualitäts-Realitäts-Dichotomie abzubauen und ein besseres Verständnis des Erweiterungspotentials der Offline- durch die Online-Ebene zu erlangen, erweist es sich in vielen Fällen als durchaus sinnvoll, den Kontext der Menschen, die diese Präsentation ins Netz stellen, und die Produktionsbedingungen der über das Internet verfügbaren (Medien-)Texte - "the situationality of those texts" (John B. Thompson 1995: 84)- offline kennen zu lernen.

49

CYBERIDENTITIES AT WAR

Webseiten als Forschungsquellen Webseiten bieten die Möglichkeit, Informationen weiterzugeben, Verbindungen über Links herzustellen und Themen, Projekte, Bewegungen, Personen oder Gruppen im Internet zu präsentieren. Jede Seite, so Slevin (2000: 143), verrät eine Menge über den kulturellen Kontext, in dem sie entstanden ist. Anders als bei Mailinglisten liegt der Schwerpunkt von Webseiten nicht im Austausch und der Kommunikation von Individuen und Gemeinschaften, sondern auf der Präsentation. Danie! Chandler ( 1998) untersucht den phänomenologischen Aspekt von Webseiten und beschreibt sehr eindrucksvoll, wie mittels persönlicher Homepages Identitäten im Web konstruiert werden können. 6 Webseiten sind audio-visuelle Medien und weit dynamischer als Druckmedien, weswegen das Web laut Chandler das ideale Medium für die dynamischen Prozesse der Identitätskonstruktion und -wahrung ist. Diese Präsentationen können den potentiellen Einfluss des Autors sowohl in räumlicher wie in zeitlicher Hinsicht erweitern. Sie führen zu einer sichtbaren Transformation des Verhältnisses zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten. da das Freischalten einer Webpage einer weltweiten Veröffentlichung gleichkommt. Chandler bezieht sich in seinem Artikel zwar auf persönliche Homepages, seine Ergebnisse und Methoden lassen sich jedoch auch weitgehend auf kollektive Identitätsprojekte im Internet übertragen. Kritiker monieren, dass Präsentationen im WWW schwer zu überprüfen sind und damit auch erfunden sein könnten7 und dass das Web Personen dazu verleitet. ihre öffentlichen Identitäten mehr zu manipulieren, als dies mit traditionellen Medien möglich war. 8 Da es mir in meiner Studie um eben diese Präsentationen und nicht um ihren Wahrheitsgehalt geht, möchte ich die Diskussion hierbei belassen. Auf das Problem der Anonymität und der Manipulation von Identitäten komme ich später noch anhand konkreter Beispiele zurück. Bei der Konzeptionierung von Webseiten geht es darum, aus vorhandenen Materialien Identitäten zusammenzustellen, indem man Homepages kontextualisie1i und ihnen durch Inhalte und Form Bedeutung gibt. Bei einer Analyse reicht es also nicht, sich auf den Inhalt der WWW-"Texte" zu konzentrieren, sondern insbesondere sind die Art ihrer Präsentation und deren Bedeutung zu berücksichtigen (Mitra und Cohen 1999: 181 ). Durch den spezifischen Einsatz zur Verfügung stehender Techniken und paralinguistischer Mittel wie Sprachstil, Struktur und Vokabular implizieren Webseiten viel mehr Information als vordergründig gegeben wird (Miller 1995). Das Ergebnis die-

6

7

8

50

Siehe auch Erickson 1996. Die Benennung dieses Ansatzes als phänomenologisch geht zurück auf die Kritik Slevins (2000: 172-174 ), Chandler gehe zu wenig auf die strukturierten sozialen Beziehungen ein, in welche die Seitenkonstruktion eingebettet sei, und untersuche nur deren phänomenologischen Aufbau. Chandler (1998: 3) istjedoch mehr interessiert am Konstruktionsprozess der Identitäten von Webautoren, der seiner Meinung nach durch den Konstruktionsprozess von Webseiten reflektiert wird. Siehe z.B. Rubio 1996, Sandbothe 1996. Siehe hierzu Chandler 1998: 10/11, Jafle, Lee, Huang und Oshagan 1995, Miller 1995.

ETHNOLOGISCHE INTERNETFORSCHUNG

ser Integration verschiedenster Text-, Ton- und Bildelemente, die beliebig aufmehrere Fenster aufgeteilt werden können, ist Slevin (2000: 65) zu±olge ein Collageneffekt: "The screen is thus a patchwork of various information flows, a negotiated dynamic narrative made up ofthejuxtaposition ofwhat otherwise might be heterogeneaus items ofknowledge and in±ormation." Durch Fenstertechnik und Links wird die herkömmliche Linearität einer Präsentation, wie wir sie in anderen Medien finden, aufgehoben und ersetzt durch komplexe Netzwerke von Webseiten und In±ormationsfenstern. 9 Turkle (1995: 258) behauptet, Links seien ein entscheidender identitätsstiftender Faktor: "one's identity emerges ±rom whom one knows, one's associations and connections." Die Links geben uns Hinweise auf die (persönlichen) Netzwerke und die Interessen der Webautoren (Erickson 1996): "Show me what your links are, and l'll tell you what kind of person you are" (Miller 1995). Dabei darf man aber nicht übersehen, dass Links Ausdruck unterschiedlicher Beziehungen sein können, von Übereinstimmung über Neutralität bis hin zu Ablehnung. Über E-Mail- und Chat-Buttons, Formulare, Gästebücher und Leserbriefe lässt sich der Präsentationsmodus der Webseiten durch eine interaktive Komponente ergänzen. Der Besucher kann in direkten Kontakt mit dem Webautor treten, zusätzliche Informationen einholen und Feedbacks geben, was unter Umständen in die weitere Gestaltung der Seite mit ein±1ießt. Indem Webseiten zum Spiegelbild von Identitäten werden, indem sie durch ihre wie auch immer geartete Attraktivität Besucher anziehen, indem sie etwas bewirken wollen und dafür aktiv sind, werden Webseiten für Hine (2000: 93) zu Akten der Kommunikation. Letztendlich ist für die Analyse von Webseiten also nicht nur die Untersuchung der sichtbaren Elemente und Details von Bedeutung, sondern auch des Kontextes, in dem diese entstanden sind, und der Online-Umgebung, in die sie eingefügt wurden. Nur so können die Netzprodukte nach Hine (2000: 26) als sinnvolle soziale Akte gesehen werden, die das Entstehen von Beziehungen im Netz ermöglichen. Hine hebt insbesondere die Rolle der "imagined audience" beim Kreieren und Entwickeln einer Seite hervor (92/93). Wie im Woodward-Fall gehe es oft um das Image einer Gruppe vor einer (Welt-)Ö±Ientlichkeit, deren Unterstützung, Solidarität oder gar finanzielle Hilfe sie erlangen will. Es sei also wichtig, eine möglichst attraktive und mediengerechte Darstellung zu produzieren (Zurawski 2000: 185). Es gibt (außer der Manipulation von Suchmaschinen) eine Reihe von Strategien, um die Aufmerksamkeit der Websurfer aufsich zu ziehen und sozial effektive Webseiten zu konstruieren. Ein Mangel an Ästhetik kann z.B. ein taktischer Zug sein, um seriös und akkurat zu wirken, während eine ästhetisch sehr ausgefeilte Webseite allein durch ihr Erscheinungsbild bereits als Falle (trap) fungieren kann, die vorbeikommende Surfer gleichsam anzieht und zugleich den Kreis ausbaut, innerhalb dessen dieser "Ruhm" (tarne) zirkulieren kann (Miller 2000: 16/17). Neben der ästhetischen Komponente tragen die Aktualität einer Webseite (Hine 2000: 93), 9

Siehe z.B. Dijk 1999: 1751176.

51

CYBERIDENTITIES AT WAR

die Veröffentlichung von Leserbriefen oder der Verweis anderer Webseiten auf die eigene zusätzlich zum Bekanntheitsgrad und Ansehen einer Seite bei. Dem Internet ist ein ganz spezifischer Umgang mit der Zeit eigen. Wenn diese im Cyberspace auch nicht ihre Bedeutung verliert, wie oft propagiert wird - Castells (200lc: 491) z.B. spricht von "simultaneity" und "timelessness" -,so ergibt sich hier doch die Möglichkeit, Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit auf eine einzigartige Weise zusammenzu±lihren. Neben dem aktuellen Bezug können Aussichten in die Zukunft, vor allem aber Rückblicke in die Vergangenheit gewähli werden, sei es durch Archive, in denen die Geschichte einer Webseite oder einer Mailingliste gesichert ist, sei es durch einen historischen Online-Rückblick zu einem Fall und seinen Hintergründen. So weit ist dies natürlich auch in anderen Medien machbar. Im Internet habe ich allerdings die Möglichkeit, einen Beitrag ständig zu aktualisieren und über Hyperlinks auf interessante weitere und neue Berichte zu verweisen und dabei ohne jeglichen Mehraufwand sukzessive dessen eigene Geschichte zu schreiben. Einstmals statische Dokumente und Darstellungen werden dynamisch. Der Bezug auf externe O±l1ine-Ereignisse und -Chronologien ist laut Hine (2000: 101) Voraussetzung ±Ur den Besucher, sich in dem Zeitengewirr im Cyberspace zurechtzufinden. Indem ich Bezug nehme auf externe Chronologien, kann eine enge Verknüpfung entstehen zwischen der Online- und der O±Iline-Ebene und ihrenjeweiligen Zeiten und den Abläufen darin. Dies wird am Beispiel der Molukken deutlich werden.

Newsgroups und Mailinglisten als Forschungsquellen 10 Newsgroups und Mailinglisten eignen sich wegen ihres kommunikativen, interaktiven Charakters besser dazu. solidarische Online-Gemeinschaften zu bilden. als Webseiten. 11 Während die Identität von Individuen bereits durch einige wenige Beiträge in einer Newsgroup oder Mailingliste sichtbar werden kann, offenbaren und entwickeln sich kollektive Identitäten erst allmählich. Dagegen sieht sich der Besucher von Webseiten unter Umständen bereits mit einer ausgefeilten Identitätspräsentation der dahinterstehenden Person bzw. Gruppe konfrontie1i. Als Mitglied der Newsgroups oder Listen, so Stegbauer (2001: 281), kann der Ethnologe Kommunikation und Beziehungsaufbau im Internet beobachten. Letztendlich lässt sich vieles, was zur Untersuchung von Webseiten gesagt wurde, auch auf diesen Bereich übertragen: der Umgang mit der Zeit, die Möglichkeit zur Integration von Text, Bild und Ton in einem Beitrag, die Bedeutung des verwendeten Sprachstils, die Ausrichtung nach einem bestimmten Publikum (in diesem Falle die Themen Io

II

52

Newsgroups und Mailinglisten sind E-Mail-basierte Diskussionsgruppen, die von einer zentralen Instanz organisiert werden. Über Mailinglisten werden eingehende Beiträge an alle Mitglieder verteilt, bei Newsgroups werden sie an einer allen Mitgliedern zugänglichen Adresse im WWW abgelegt. Ausgewählte Mitglieder, meist die Gründer, können als Moderatoren fungieren. Der Zugang zu diesen Gruppen ist eingeschränkt oder offen. Siehe McLaughlin, Osborne und Ellison 1997: 149, Rubio 1996.

ETHNOLOGISCHE INTERNETFORSCHUNG

und Ziele einer Online-Diskussionsgruppe) und schließlich die Bedeutung des Kontextes des Beitrags und des Beitragenden ±lir ein richtiges Verständnis dieser Abläufe. Neben der Orientierung der Beiträge an Offline-Ereignissen ist nach Hine (2000: 102) noch der Zeitaufwand zu bedenken. den die einzelnen Mitglieder ±lir ihre Online-Aktivitäten aufzubringen in der Lage sind. Laut Hine (2000: 150) müssten Online-Gruppen als soziale Gegebenheiten und Beiträge zu einer Mailingliste oder einer Newsgroup als sinnvolle soziale Aktionen begriffen werden. Um diese einordnen und überhaupt verstehen zu können. müsse man kulturelle Kompetenzen in Bezug auf diese Gruppen entwickeln. Voraussetzung hier±lir ist meines Erachtens, dem Diskurs, der in diesen Foren ge±lihrt wird, lange genug zu folgen. Die erforderliche Dauer hängt erstens davon ab, zu welchem Zeitpunkt man in die Liste einsteigt, zweitens, wie kurz- bzw. langlebig die Off:1ine-Ereignisse sind, auf die sich die Beiträge beziehen, und drittens, auf welche Weise Identität in einer Gruppe expliziert wird. Zunächst empfiehlt es sich, einen Diskurs bis zu seinen Anfängen zurückzuverfolgen, da hier der Grundstein ±lir das soziale Netzwerk und eine eventuell entstehende Gemeinschaft gelegt wird. Weiter sollte man dem Diskurs über mehrere unterschiedliche Phasen der Off1ineEreignisse folgen, um so eventuelle Auswirkungen auf den Diskursverlauf ausmachen zu können. Werden Identitäten in einer Liste sehr offen gehandhabt, bekommt man schneller einen Einblick in die Natur und die Zusammensetzung einer Liste, als wenn die Teilnehmer sich scheuen, ihre wahre Identität preiszugeben. Hier kann ich Lori Kendall (1999: 70/71) nur beip±1ichten, die argumentiert, dass der Eindruck der Anonymität eines Forums sich legen kann, wenn man einem Listendiskurs lange genug folgt. Voraussetzung ist, dass die Mailinglisten über einen längeren Zeitraum hinweg bestehen und ihre Mitgliederschaft relativ stabil ist. Allmählich werden dann Identitäten und Motive der verschiedenen Avatars offensichtlich. auch wenn sie nicht unbedingt ihre wirklichen Namen nennen. Andere Autoren weisen noch darauf hin. dass Hinweise auf Identitäten zum Teil auch im Accountnamen, in der Reputation von Domainnamen, dem Inhalt und dem Stil von Beiträgen, Links zu der eigenen Webpage oder früheren Beiträgen des Autors, Unterschriften etc. zu finden seien. Ebenso könnten aber bewusste Täuschungsmanöver mit Identitäten betrieben- z.B. durch konstruierte E-Mail-Adressen- oder jegliche Hinweise bewusst verborgen werden. 12 Welcher Strategien sich die einzelnen Mitglieder auch immer bedienen, sie prägen damit das Bild, das von ihrer Gruppe und der Präsentation ihres Projektes entsteht. Beiträge werden in Newsgroups normalerweise ftir einen bestimmten Zeitraum und in Mailinglisten sogar ±lir die komplette Zeit, in der die Liste besteht, archiviert. Dies ändert den gewohnten Off:1ine-Kommunikationscharakter, da Beiträge nicht mehr zurückgenommen werden können und stets von allen Mitgliedern einsehbar sind. Der Archive bedient man sich sehr gerne, insbesondere von Seiten der Soziologen unter den Internetforschern, da hier eine fertige Datenbank kom12 Siehe z.B. Donath 1999, Jordan 1999: 68/69.

53

CYBERIDENTITIES AT WAR

munikativer Aktivität zur Analyse bereit steht, die den Forscher scheinbar der mühsamen Pflicht der Datenerhebung im Feld enthebt und zudem auch noch die Untersuchung längst abgeschlossener Diskussionen ermöglicht. Oft wird nicht berücksichtigt, dass bei der Verwertung dieser Datengerüste zwei für die Auswertung dieser Aufzeichnungen entscheidende Faktoren wegfallen, nämlich der Online- und Offline-Kontext der einzelnen Beiträge und die Dynamik der Listen. Beide sind aber entscheidend, zumindest um ein ethnologisches Verständnis für die OnlineProzesse entwickeln zu können. Entsprechend schreibt Hine (2000: 23), dass obige Vorgehensweise fehlschlägt, wenn die Erfahrung eines Teilnehmers, von E-Mails überschwemmt zu werden. auf Nachrichten zu warten. sie in der falschen Reihenfolge zu bekommen etc., nachvollzogen werden soll - "the experience what it is like tobe a user". 13 In internetbasierter Kommunikation, insbesondere Mailinglisten, kristallisieren sich nach Stegbauer (2001: 278-283) typische Strukturmuster heraus, auf die hin Internetforen untersucht werden können. Die Grobstruktur in Mailinglisten ist demnach durch eine Zentrum-Peripherie-Hierarchie geprägt, die sich vor allem durch Differenzen hinsichtlich der Beitragsfrequenz und unterschiedlicher Kompetenzzuschreibungen auszeichnet. 14 Zentrale Akteure dominieren mit ihren zahlreichen Kontakten das Sozialgefüge der Mailinglisten. Die Peripherie lässt laut Stegbauer eine horizontale Differenzierung zu in "Diskutanten", die vor allem zu bestimmten Themen Stellung nehmen, "Poster", die z.B. Veranstaltungs- und Literaturhinweise geben, und "Lurker". Letztere treten im Sozialraum selbst nicht in Erscheinung und bauen in der Regel keinerlei Beziehungen zu den anderen Mitgliedern des Sozialraumes au±: obgleich sie die Mehrheit im gesamten Kommunikationsraum stellen. Stegbauer spricht die Moderatoren nicht explizit an. Sie sind in moderierten Mailinglisten für die Aufnahme neuer Mitglieder verantwortlich und zudem zentrale Anlaufstelle für alle eingehenden Beiträge. Der Moderator entscheidet, welche an die Mitglieder weitergeleitet bzw. zensiert werden, weswegen ihm Thompson (200 I: 36) die Rolle der Polizei zuweist und Kollock und Smith (1999: 5) ihn als gütigen Diktator bezeichnen. Stegbauer (200 1: 280/281) spricht von zwei weiteren Strukturierungsfaktoren internetbasierter Kommunikation: dem Zeitpunkt, zu welchem die verschiedenen Mitglieder in den Diskurs eingestiegen sind, da er bestimmt, ob und in welchem Ausmaß sie am Kontextwissen der Gruppe teilhaben, und der Herkunft der Teilnehmer. da sich die zentralen Interessen der Akteure in

I3 Siehe hierzu auch Korenman und Wyatt 1996: 227. 14 Herbert Rauch (1983: 262) teilt Großgruppen auf in die so genannten Hauptsprecher, die

einen relativ kleinen Prozentsatz der Gruppe ausmachen, die aber die Milieubildung in der Gruppe entscheidend bestimmen. Rauch bezeichnet diesen inneren Kreis des Geschehens als .,Arena". Alle ,.Passiven" einer Großgruppe, die jeweils die Mehrheit stellen, könne man als die "Galerie" bezeichnen, die lediglich "passive Resonanz" beisteuere. Zusätzlich gebe es noch eine interaktive Mittelschicht, die hauptsächlich ,.aktive Resonanz" ins Geschehen bringe. 54

ETHNOLOGISCHE INTERNETFORSCHUNG

geringerem Maße im Netz selbst als in den zentralen Lebensbereichen außerhalb der kommunikativen Welten des Irrtemets formten. Auf die sehr umstrittene Rolle der so genannten Lurker, die oft als Trittbrettfahrer bezeichnet werden, möchte ich hier noch einmal separat eingehen, da sie in den von mir untersuchten wie in den meisten Mailinglisten und Newsgroups die Mehrheit stellen. 15 Eine Betrachtung von Kommunikationsräumen, ohne die Mehrheit der Teilnehmenden zu berücksichtigen, würde laut Stegbauer (2000) unweigerlich ein verzerrtes Bild ergeben. Hine (2000: 25) genügt es aber, sich für die Zwecke ethnographischer Studien über Newsgroups auf aktive Teilnehmer zu konzentrieren und die unsichtbaren Lurker außer Acht zu lassen. da sie sich für den Ethnographen in gleicher Weise wie für die Newsgroups als unwichtig erweisen würden. Katie Argyle ( 1996) hingegen ist davon überzeugt, dass es ausreiche, selbst um seine Teilnahme zu wissen. Ihrer Meinung nach könne man auch als stiller Teilnehmer genauso involviert und damit Teil der Gruppe sein, was sie aus ihrer Beobachtung und Pmiizipation an der Newsgroup "Cybermind" und den sich daraus ergebenden Kontakten folgerte. Auch Stegbauer (200 1: 279) widerspricht der Ansicht, dass die Position der nicht aktiv in Erscheinung tretenden Teilnehmer unwichtig sei oder diese gar schmarotzten. Ihnen komme vor allem bei der ÜbeJiragung von Inhalten aus den einzelnen Foren in andere Foren, aber auch aus dem Internet in den Offline-Bereich eine nicht unwichtige Rolle zu. Lurker können als Multiplikatoren der Mailinglisten wirken. Darüber hinaus sagt eine große Anzahl an Lurkern natürlich auch etwas aus über die Attraktivität und den Bekanntheitsgrad einer Liste bzw. Newsgroup und über das Interesse an diesen, und damit auch an einem Thema oder einer Debatte. Dieser Prestigezuwachs kann für die Initiatoren und andere Beteiligte durchaus von großer Bedeutung sein. Letztendlich schlussfolgert aber auch Stegbauer (2000: 127/128), dass die eigentliche Gemeinschaft nur diejenigen bilden, die von den anderen als Akteure mit Identität wahrnehmbar sind; sie stellen allerdings unter den Aktiven nur eine kleine Minderheit. Mit "Lurking" wird häufig das unangekündigte Beobachten von OnlineInteraktionen zwischen Teilnehmern von Diskussionsgruppen bezeichnet (Kevin C. Thompson 2001: 35, FN 10). Dies bringt für das Erforschen des sozialen Feldes von Newsgroups und Mailinglisten eine Reihe von Vorteilen mit sich. Hofmann (1998) scheint Lm·king als Methode, verglichen mit qualitativen Interviews und Dokumentenanalysen, vielversprechender zu sein, um die emische Perspektive des Irrtemets und die Gesetze und Regeln herauszufinden, die dieses als sozialen gemeinschaftlichen Raum konstituieren. Man kann in den Mailinglisten direkt dem Aushandlungsprozess dieser Regeln beiwohnen und Interaktionsmuster beobachten, ohne diese zu beeinflussen (Kollock und Smith 1996: 114). Themen (Alltagssituationen, Rituale und Traditionen etc.), die im Interview nicht oder nur beiläufig zur Sprache kommen, lassen sich aus nächster Nähe in actu verfolgen. Und je 15 In manchen Mailinglisten und in unidirektionalen Newslettern haben wir es mit einem Extremfall zu tun, wo nur einer "spricht" und alle anderen zuhören.

55

CYBERIDENTITIES AT WAR

nachdem wer spricht, ändert sich unser Blickwinkel auf das Geschehen. Hofmann (1998: 15) bezeichnet die Mailingliste deshalb als einen kollektiven und vielstimmigen Informanten. Kollock und Smith ( 1996: 114/115) warnen jedoch vor übersteigertem Enthusiasmus, da auch die Beobachtung von Internetforen wie alle anderen Beobachtungsformen Grenzen aufweisen. Private Hinweise oder Doppeldeutigkeiten seien zunächst auch hier nicht erkennbar. Zudem stehen Teilnehmern außerhalb der Newsgroups auch noch andere Kommunikationskanäle wie private EMail oder gar das Telefon, der Brief oder ein persönliches Trefien zur Ver±ligung. Auch Hofmann (1998: 15/16) folge1i letztendlich nicht, Mailinglisten seien anderen Forschungsquellen per se überlegen oder könnten diese gar ersetzen, sondern vielmehr seien sie komplementär zu ihnen. Sie ±lihrte parallel zu ihren Online-Untersuchungen Offline-Interviews mit den von ihr zuvor beobachteten Internetautoren durch und kam dabei zu dem Schluss, dass die Erträge der beiden Untersuchungsformen sich nicht in ihrem Maß an Realitätsnähe oder Authentizität unterscheiden. sondern in der A1i und Weise, wie sie die Wirklichkeit repräsentieren.

Methodik der Arbeit The ethnography which is presented in the next ... chapters is neither a truth nor a fiction, but an account of an ethnographically constructed tield of social interactions (Hine 2000: 57).

Der erste Schritt bei der Durch±lihrung einer ethnologischen Feldforschung ist die Auswahl und das Abstecken eines Feldes. Durch die Auswahl der Cyberakteure und die Definition des molukkischen Cyberspace- die Auswahlkriterien wurden in der Einleitung genannt- konstruierte ich das ethnographische Feld, in dem meine Online-F eldtorschung erfolgen sollte. Voraussetzung ±lir eine Teilnehmende Beobachtung unter den molukkischen Cyberakteuren war die Mitgliedschaft in ihren Mailinglisten (FKA WJ und Masariku), die Subskription ihrer Newsletter (CCDA) und der regelmäßige Besuch ihrer Webseiten (FKA WJ), wodurch ich Zutritt zu den online konstituie1ien Sozialräumen erhielt. Die erste Kontaktaufnahme zu den Cyberakteuren gestaltete sich unterschiedlich. Beim FKAWJ erfolgte eine unpersönliche Anmeldung über die Yahoo-Online-Platttorm ihrer Mailingliste. Obgleich Masariku dieselbe Plattform für seine Mailingliste verwendet, legt man hier Wert auf die Angabe von Referenzen, bevor man als Mitglied aufgenommen wird. Meine Kontakte zu Molukkern in den Niederlanden, die wiederum mit den Listengründern in persönlichem Kontakt standen und diesen meine Motive bestätigen konnten, waren hier sehr hilfreich. Die Kontaktaufnahme zum CCDA erfolgte per E-Mail, woraufhin ich als Subskribent des Newsleiters eingetragen wurde. Auch hier waren Kontakte im Umfeld des CCDA, die ich bereits bei einem Molukkenaufenthalt im Jahre 1996 geknüpft hatte, von Vorteil. Ende 2000 war ich bei allen drei Gruppen

56

ETHNOLOGISCHE INTERNETFORSCHUNG

aufgenommen und erhielt von da ab ausfUhrliehe und aktuelle Informationen zum Molukkenkon±likt, den Großteil davon auflndonesisch. 16 Dem Listendiskurs zu folgen, stellte sich insbesondere bei Masariku als sehr zeitintensiv, aber essentiell heraus, um den stattfindenden Vergemeinschaftungsund Identitätsfindungsprozess nachvollziehen zu können. Während beim CCDA und FKA WJ fast ausschließlich selbst verfasste Berichte versandt wurden, die alle in meine Analysen eingingen, wurden über die Masariku-Mailingliste auch viele externe Beiträge wie z.B. Zeitungsartikel weitergeleitet, weswegen die Anzahl der Mails pro Monat oft auf mehrere Hundert anstieg. Hier konzentrie1ie ich mich auf die Beiträge, die von den Listenmitgliedern und -gründern selbst verfasst wurden. Weitergeleitete Zeitungsartikel wurden nur insofern berücksichtigt, als sie dem Verständnis des Listendiskurses bzw. der oben genannten Prozesse dienen. Nur bei Masariku war aufgrund des Listen-Setups eine aktive Teilnahme am Listendiskurs möglich. Ich beschränkte meine Aktivität auf eine Mai!, in der ich mich namentlich und persönlich als Doktorand der ethnologischen Fakultät an der Universität München vorstellte und meine Motive offen darlegte, und auf einige wenige Zwischenfragen, die sich auf bestimmte Beiträge von Listenmitgliedern bezogen. Durch die vorwiegend passive Teilnahme (Lurker) und meine Zurückhaltung wollte ich vermeiden, den Listendiskurs unnötig zu beeinf1ussen. 17 Eine Teilnahme erfolgte vor allem in dem Sinne, dass ich als Mitglied akzeptiert, aufgenommen und in die Dynamik der Listen eingebunden war, zu einzelnen Listenmitgliedern eine Beziehung aufbaute, indem ich in persönlichen E-MailKontakt mit ihnen trat, 18 und so in das Online-Sozialge±lige integriert war. Durch die Kombination distanzierter und involvierter Forschungsmethoden konnte ich die Masariku-Listenmitglieder zum einen als konstituierende Bestandteile ihres Online-Umfeldes kennen lernen, zum anderen als Individuen, die aufgrund individueller Motive an den Online-Projekten teilnehmen. Aus ähnlichen Gründen habe ich neben einer Webseiten- und Newsletteranalyse persönlichen E-Mail-Kontakt zum Web- und Listenmaster des FKAWJ und zum CCDA aufgenommen. Der E-MailAustausch erfolgte je nach "Gesprächspartner" auf Indonesisch oder auf Englisch. Bei Masariku hatte ich zu allen ±linfzehn aktiven Mitgliedern im Zentrum der Liste persönlichen E-Mail-Kontakt, insgesamt zu 28 Listenmitgliedern, was bei einer Mitgliederzahl von 200 einem relativ hohen Prozentsatz (14%) entspricht. Insgesamt blieben nur drei meiner persönlichen Anfragen unbeantwortet, während Fra16

17

18

Den Diskurs, der bis Dezember 2000 in den jeweiligen Online-Räumen stattgefunden hat, konnte ich im Fall von Masariku und des FKAWJ über deren Online-Archive (Yahoo) rekonstruieren, das CCDA schickte mir alle bis dahin erschienenen Reports perE-Mail zu. Die Online-Ankündigung meiner Forschung löste keine Diskussionen aus und der Diskurs wurde danach weitergeführt wie vorher (meine offizielle Vorstellung erfolgte erst einige Wochen nach meiner Aufnahme in die Liste, weswegen ich diesen Vergleich anstellen konnte). Auch bei einer ethnologischen Forschung im klassischen Sinne, d.h. einer Teilnehmenden Beobachtung im Offline-Bereich, baut man nicht zu allen ,.Feldbewohnern" eine Beziehung aut: sondern hat seine Informanten und Freundschaften. 57

CYBERIDENTITIES AT WAR

gen, die ich der Masariku-Listenöffentlichkeit stellte, durchaus unbeantwortet bleiben konnten. Auch meinen persönlichen Gesprächspartnern stellte ich mich und meine Absichten noch einmal vor. Entscheidender Faktor ±Ur den Erfolg meiner Untersuchung war die Forschungsdauer.19 Nur durch eine langfristige Teilnehmende Beobachtung der Online-Vorgänge war es möglich, kulturelle Kompetenzen in Bezug auf die untersuchten Gruppen zu erwerben, die Voraussetzung ±Ur eine sinnvolle Interpretation des Listendiskurses waren, die Dynamik und die unterschiedlichen Phasen des Listendiskurses zu erfassen und sich auf eine Ebene mit den anderen Mitgliedern zu begeben. Nur so konnte man von wirklicher Teilnahme sprechen, eine emische Perspektive entwickeln und erleben, was es bedeutet, ein Mitglied zu sein und in heißen Zeiten des Konflikts z.B. mit einer unglaublichen Menge von Mails und zahllosen Dokumenten der Grausamkeit des Konflikts konfrontiert zu werden. Eine längerfristige Teilnahme war Voraussetzung, um die Intensität dieser Erfahrung nachvollziehen zu können, die ausbleibt, wenn man alle Daten nur aus dem Listenarchiv holen würde. Die scheinbar "geordneten Verhältnisse", wie sie in den folgenden Kapiteln zu den Cyberakteuren präsentiert werden- das Beitrags-, Gruppen- und Mitgliederprofil, ihre Arbeitsweise, die Vergemeinschaftungs-, ldealisierungs- und Identitätsfindungsprozesse -, wurden als Themen in den untersuchten Räumen (Listen wie W ebseiten) nicht expliziert und sind Ergebnis dieser langfristigen Teilnahme und Beobachtung, die von kontinuierlicher Analyse- und Interpretationsarbeit begleitet wurden. Ethnologische Forschungstraditionen werden im Internet also fortgesetzt, müssen zugleich aber, was die Kontaktaufnahme und die konkrete Durchführung anbelangt, angepasst werden. Eine (Online-)Diskursanalyse sollte zugleich aber auch den soziokulturellen Kontext des Diskurses mit erfassen, der nicht nur von seinem jeweiligen Kontext beeinflusst wird, so Teun van Dijk (I 997: I 9), sondern auch auf diesen rückwirken karm. Um diese Wechselwirkung zwischen dem im molukkischen Cyberspace geführten Diskurs und seinem Kontext im Online- wie im Offline-Bereich zu erfassen, habe ich sowohl das Online-Umfeld der Cyberakteure untersucht als auch meine Online- durch Offline-Forschung ergänzt. 20 Literaturrecherchen in Deutschland und den Niederlanden sowie die Kontaktaufnahme zu Molukkern und molukkischen Organisationen in den Niederlanden Iiefelien Informationen zum Konflikthintergrund und zu ethnographischen Details, die im Molukkenkon±likt eine Rolle

In dieser Arbeit berücksichtigt wurden Beiträge zwischen dem Setup der einzelnen molukkischen Cyberprojekte (August 1999 bzw. Juni 2000) und Anfang 2003. Bis dahin konnte ich bereits aufmehr als zwei Jahre Online-Feldforschung im molukkischen Cyberspace zurückblicken. 20 Von Mitte Mai bis Mitte Juli 2001 hielt ich mich in den Niederlanden, und hier vor allem am Königlichen Institut für Sprach-, Länder- und Völkerkunde (KITLV) in Leiden sowie am Molukkischen Historischen Museum (MHM) und am Molukkischen Informations- und Dokumentationszentrum (Infodoc Maluku) in Utrecht auf, im Februar und März 2002 in Indonesien. 19

58

ETHNOLOGISCHE INTERNETFORSCHUNG

spielen wie z.B. das Bündnissystem pela und Fehdetraditionen zwischen Dörfern. Ein Forschungsaufenthalt in Indonesien (Jakarta und Ambon) gewährte mir Einblick in das Arbeitsumfeld und den soziokulturellen Kontext der Cyberakteure. Ziel war es, die Produktionsbedingungen der Internetbeiträge und die Einbettung der Cyberakteure in den lokalen Kontext kennen zu lernen, nicht deren Online-Darstellungen zu überprüfen. Dies erfolgte in Teilnehmender Beobachtung und durch zahlreiche Interviews mit den Internetakteuren sowie Personen und Organisationen, die sich entweder in deren Umfeld befinden oder Gegenstand der Internetpräsentationen sind. Allein unter FKA WJ-Mitgliedern war Teilnehmende Beobachtung im Offline-Kontext nicht möglich, da diese in den Molukken sehr zurückgezogen leben, sich kaum mit der Lokalbevölkerung vermischen und ihnen ein offener Umgang mit (fi·emden) Frauen verboten ist. Mit dem Webmaster in Jakmia und den Verantwortlichen für die Öffentlichkeitsabteilungen in Jakarta und Ambon konnte ich allerdings Interviews führen. Darüber hinaus war ein Kontakt zu lokalen Laskar-Jihad-Sympathisanten in Ambon-Stadt möglich.

Religion und Konflikt im Internet Miller und Slater (2000: 25) beobachteten, dass religiöse Gemeinschaften das Internet benutzen, um das Problem der räumlichen Dispersion zu lösen und verstreute Glaubensbrüder - sei es in der weiteren Diaspora oder in ihrer Gemeinde - zusammenführen zu können. So gebe das Internet z.B. den Bewohnern von Trinidad trotzräumlicher Trennung die Möglichkeit, Teil eines globalen Hinduismus zu sein (178). Da einer der Hauptakteure im Cyberspace des Molukkenkon±likts eine radikalislamische Gruppierung ist, soll hier etwas näher auf das Thema "Internet und Islam" eingegangen werden, dem bisher, so Gary Bunt (2000: 143), leider noch viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Angesichts der anti-westlichen Einstellung vieler radikalislamischer Gruppen ist es umso erstaunlicher, wenn sich diese des Internets als Medium bedienen, das eindeutig durch die englische Sprache und die westlichen Industrienationen dominiert wird. Ein zweiter Block ist dem Thema "Internet und Konflikt" gewidmet.

Islam Online Niklas Luhmann (1996: 153) kommt zu dem Schluss, dass die Realität der Massenmedien die Wissensvorgaben ersetzt, die in anderen Gesellschaftsformationen durch ausgezeichnete Beobachtungsplätze bereitgestellt wurden: durch die Weisen, die Priester, den Adel, die Stadt, durch Religion oder durch politisch-ethisch ausgezeichnete Lebensformen. Luhmann geht allerdings nicht der Frage nach, was passiert, wenn sich eben diese "ausgezeichneten Beobachtungsplätze" wie z.B. religiöse Gruppierungen und Autoritäten der Massenmedien oder, in unserem Fall, des Internets bedienen. Das Internet bietet ihnen die Möglichkeit zur Selbstdarstellung 59

CYBERIDENTITIES AT WAR

vor einem internationalen Publikum und zur Vernetzung weit verstreuter Gesinnungs- und Glaubensgenossen. Cyber Islamic Environments, wie Gary Bunt (2000) islamische Internetpräsentationen nennt, stellen online primäre Quellen des Islam zur Verfügung- sei es den Koran oder die Hadith und die Sunnah -,bieten Muslimen aber auch Optionen darauf: Online-Rezitationen aus dem Koran in der Arbeit, zu Hause oder in ihrer universitären Umgebung zu hören. Im Internet werden sowohl Originale als auch englische Übersetzungen von Materialien angeboten, die sonst oft kaum verfügbar sind. Texte und Reden, Bildungs- und Propagandamaterial können im Multimediaformat digital effektiv verbreitet werden (66). Muslime wie Nicht-Muslime benutzen Bunt zufolge das Internet in schnell zunehmendem Maße als Informationsquelle, weshalb auch ihr Bild vom Islam und den Muslimen mit dadurch geprägt werde, was sie online finden (3). Bunt (2000) stellt die Frage, ob über das Internet eine "digital umma", d.h. eine digitale muslimische Weltgemeinschaft entstehe bzw. gefördert werde, und wenn ja, ob diese ein "reales" oder ein "imaginie1ies" Phänomen sei. Weiter will er wissen, inwieweit im Cyberspace eine idealisierte Vorstellung muslimischer Identität im Vergleich zur Realität geschaffen werde und welche Auswirkungen dies auf Einzelne und Gruppen haben könne, insbesondere solche, die sich in feindseligen (hostile) Situationen befinden (11/12). Derartige Überlegungen werden auch im Molukkenkonf1ikt hinsichtlich der muslimischen Präsenz im Cyberspace interessant. Viele muslimische Webseiten, so Bunt (43), könnte man als Emulation des Konzeptes einer globalen (elektronischen) Umma sehen, indem sie den Zugang zu bestimmten Ideen und eine Kommunikation ohne Grenzen ermöglichen. Andererseits sei die Vielstimmigkeit aber auch ein entscheidendes Charakteristikum des Internets. Unterschiedliche Richtungen des Islam (Sunniten, Schiiten oder Sufisten) mit unterschiedlichsten Interessen (regierungstreu, oppositionell, paramilitärisch oder studentisch) präsentierten sich im Internet, was eher den Eindruck starker Zersplitterung erwecke als den einer globalen muslimischen Gemeinschaft (105, 130/131). Allenmuslimischen Akteuren gemein sei allerdings, dass sie das Web als integralen Bestandteil ihrer Informationsstrategien sehen. Cyber Islamic Environments sind laut Bunt ein primäres Medium religiöser, politischer und ideologischer Führung. Webseiten, Chatforen und E-Mails hätten einen entscheidenden Anteil an der Erschaffung kohäsiver elektronischer Identitäten im Cyberspace für islamische politische Agenden und Belange. Viele dieser Seiten seien miteinander verlinkt, doch das Konzept eines freien Dialogs, einer geteilten Agenda oder gar einer einheitlichen cyberislamischen Identität oder Gemeinschaft sei doch nicht realisiert (102/103, 133). Wie bei der Selbstdarstellung anderer Gruppen und Individuen ergibt sich auch hier die Frage nach der Auslegungsautorität und damit nach der beanspruchten Authentizität. Entscheidungen zu bestimmten Glaubens- und Rechtsfragen- die so genannten Fatwas, Gutachten islamischer Rechtsgelehrter- im Internet könnten zum einen zu einer diesbezüglichen Vereinheitlichung der weltweiten islamischen Gemeinschaft beitragen, andererseits aber auch die Autorität traditioneller Religi60

ETHNOLOGISCHE INTERNETFORSCHUNG

onsführer untergraben. 21 Eickelman und Anderson (1999b: 2) argumentieren, dass das Internet der muslimischen Gemeinschaft ein neues Ge±lihl einer diskursiven. performativen und pmiizipativen Öffentlichkeit gibt, das Entstehen einer "Muslim public sphere", das geprägt ist von einem immer offeneren, globalen Wettbewerb um den autoritativen Gebrauch der symbolischen Sprache des Islam. 22 Natürlich tragen auch andere Medien hierzu das ihre bei: Wie über Audiokassetten z.B. die Reden des Ayatollah Khomeini und anderer im Iran der 1970er-Jahre verbreitet wurden, so zirkulierten Ende der 1990er-Jahre Videokassetten von Personen, die in einigen Ländern der Arabischen Halbinsel gegen das Regime predigen und demonstrieren; entsprechendes leisten Kassetten, Flugblätter und Faxgeräte in Marokko, Afghanistan und Saudi-Arabien. 23 Mit dem Internet ist die Reichweite und die Einflussnahme in eine andere Dimension vorgerückt, durch die zwar vielleicht lokal weniger, weltweit aber umso mehr Menschen erreicht werden können. Laut Esad Co~an, dem Leiter des Iskenderpa~a Nak~ibendi Ordens in der Türkei, sind die Medien die neuen Räume ftir den Jihad, das Bemühen um den islamischen Glauben (Yavuz 1999: 183). Dass der Koran im Cyberspace eine Fortsetzung der Verpflichtung zur da 'wa, der Verbreitung des Islmn, darstellt, betont auch Bunt (2000: 17). Mit Hilfe des Internets sei es zudem möglich, andere kontemporäre da 'wa-Medien zu integrieren wie Online-Bücher, -Zeitungen und -Pmnphlete sowie audiovisuelles Radio- und IV-Material und Kassettenaufnahmen islmnischer Botschaften. Islmnistische Gruppierungen wehren sich auf der einen Seite gegen den Einfluss und die Erscheinungen der Moderne, auf der anderen Seite bedienen sie sich aber oft gerade deren technologischer Errungenschaften, um ihre Ziele zu verfolgen. Sie nutzen die Freiheiten des Irrtemets und kreieren Webseiten oder Mailinglisten, um ihre Version des Islmn zu verbreiten, ihre Anhängerschaft zu vergrößern und Verbindung zu Gleichgesinnten herzustellen. Zum Beispiel unterhielt das Al-Qaeda-Netzwerk eine eigene Webseite 24 bis sie von mnerikanischen Hackern "erobert" wurde, Palästinensische Gruppen präsentieren sich unter anderem unter http://www.palestine-info.co.uk/hamas/ und Seiten wie http://qital.tripod.com/ liefern Informationen zum Jihad weltweit. Auch von diesen radikalen Gruppierungen wird der Jihad also nicht mehr nur offline ausgetragen. Die Yahoo-Mailinggruppe "uk_muslims: E-group for alt Muslims" 25 z.B. versandte in Nachricht 309 unter dem Betreff "Join the Cyber Jihad agairrst Israel" folgende Einladung (9.11.2000): Al Salmn Alikom Invitation to all muslims online join the cyber jihad agairrst the Israely sites. Their loss is our gain. so spread the word 21 Siehe z.B. Anderson 1997, Bunt2000: 107. 22 Siehe hierzu auch Mandaville 2001: 152-177.

Siehe Anderson 1999, Ca1houn 1995: 266/267, Eicke1man 1999, Eicke1man und Anderson 1999b: 3. 24 http://www.a1naeda.com. 25 http://groups.yahoo.com/group/uk_muslims. 23

61

CYBERIDENTITIES AT WAR

check this site: http://www.kuds.8m.com/ ifyou know any similar activities please in form us so we can join. Systematische Untersuchungen zur fundamentalislamischen Cyberpräsenz und deren Auswirkung auf eine weltweite Vernetzung entsprechender Organisationen und den Ablauf lokal und regional ausgetragener Kampfhandlungen fehlen jedoch noch. 26

Internet und Konflikt Die Art der Berichterstattung in lokalen, nationalen und internationalen Medien hat auf einen Konflikt und die Weise, wie Außenstehende ihn wahrnehmen und darauf reagieren, entscheidende Auswirkungen. Dies ist durch zahlreiche Analysen und Beispiele belegt. 27 Medien sind in der Lage, aus lokalen Unruhen ein Medienereignis globaler Reichweite zu machen, an dem Menschen weltweit teilhaben können. Die Medien sind agents of war und integraler Bestandteil der Welt, die sie beschreiben. Sie geben auch einen guten Einblick, wie im Kont1ikt Ethnizität als vorgeblich primordiale Ursache instrumentalisiert wird, um von den eigentlichen sozioökonomischen und politischen Problemen abzulenken. 28 Die Vorstellung von festen und quasi-natürlichen Gruppenzugehörigkeiten wird geschatlen wie z.B. den "Serben", den "Kroaten" und den "Muslimen" im Jugoslawienkrieg (Allen 1999: 39). Beteiligte und Beobachter brauchen diese einfachen Schemata, um mit dem Kont1ikt umgehen zu können, um zu wissen "Who' s it between" (Keen 1999). Wichtig werden in der Medienrepräsentation Darstellungen der jeweils anderen als meist extrem grausam und unmenschlich, im Gegensatz zu der eigenen hilt1osen Wir-Gruppe. Insbesondere bei medial vermittelter Kommunikation sind die zentralen Akteure bzw. Konstrukteure und ihr Publikum, d.h. potentielle Mitglieder der Wir-Gruppe, aber nicht am selben Ort anwesend, was sich laut Bernhard Giesen auf den Kommunikations- und Konstruktionsprozess auswirkt: Kommunikation zwischen nicht anwesenden Akteuren benötigt deshalb einen funktionalen Ersatz für die Gegenwart des Publikums. Eine Art, das zu erfüllen, ist die Simulation von persönlichen Begegnungen und die Vorstellung einer starken gemeinsamen Bindung von Sprecher und Publikum. Der Sprecher kann zum Beispiel an moralische oder religiöse Überzeugungen appellieren, er kann auf eine Bedrohung oder einen Feind von außen verweisen, oder er kann die Gefahr des Verfalls von Tradition und Gemeinschaft geltend machen. Die kollektive Identität von Sprecher und Publikum wird also auf diese Weise konstruiert, inszeniert und vorgestellt durch Bezugnahme auf kulturelle Codes, deren Gültigkeit als unbezweifelbar und selbstverständlich angenommen wird (Giesen 1999: 80). 26

Einen ersten Eindruck vermittelt das Essay der Anti-Defamation League zum Thema Jihad Online (2002).

27

28

62

Siehe u.a. Allen und Seaton 1999b, Butler 1995, Hudson und Stanier 1998, Karetzky und Franke! 1989, Knightley 1975. Siehe z.B. Allen und Seaton 1999a, Seaton 1999, Sofos 1999.

ETHNOLOGISCHE INTERNETFORSCHUNG

Diese Sirnutationen und gemeinsamen Vorstellungen werden bei einer Übertragung des Identitätskonstruktionsprozesses auf das Medium Internet sehr wichtig. Auf die Rolle des Irrtemets in der Konfliktaustragung wird selbst in jüngeren Untersuchungen zum Thema "Medien und Konflikt" wie der von Allen und Seaton (1999b) sowie Hudson und Stanier (1998) nicht eingegangen. Das Internet wird aber durch Konfliktparteien weltweit in zunehmendem Maße benutzt, um ihre Sichtweisen zu verbreiten. Wie die Rolle der Medien im Konflikt generell, 29 so ist auch die des Irrtemets sehr ambivalent. Einerseits gibt es einer Weltöffentlichkeit Einblick in einen Konflikt, von dem sie sonst unter Umständen nie erfahren hätte, oft sogar mit Information aus erster Hand, d.h. nicht via Journalisten, wie dies in den Massenmedien der Fall ist. Andererseits bietet das Internet den Parteien aber Gelegenheit, eine für ihre Zwecke geeignete Präsentation des Konflikts zu konstruieren und so ihr Publikum und die internationale Gemeinschaft zu beein±1ussen und zu manipulieren und den Konf1ikt auszudehnen. Zu dieser Thematik liegen noch kaum Arbeiten vor. Bisherige Untersuchungen zum Zusammenhang von Internet und Konflikt beschränken sich im wesentlichen auf Cyberwars, meist physische Angriffe auf einzelne strategische Computer über das Netz, und Flame Wars, online ausgetragene Wmigefechte. Computervermittelte Kommunikation läuft bei weitem nicht so neutral und kühl ab, wie man noch in den 1980er-Jahren angenommen hat. Verantwortlich hierfür sind unter anderem die Flame Wars- eindeutige, sehr emotionale, schriftlich ausgetragene Meinungsverschiedenheiten im Cyberspace, bei denen sich die Gegner kompromisslos persönlich beleidigen. Die Akteure bedienen sich dabei meist einer sehr viel drastischeren Wortwahl, als sie dies face-to-face offline tun würden, 30 unter Umständen, weil sie sich hinter ihren Pseudonymen verstecken können und angesichts der physischen Abwesenheit ihres Gegners keine Sanktionen fürchten. 31 Die Intensität von Gefühlen kann durch Mittel wie z.B. die ausschließliche Verwendung von Großbuchstaben, was dem Schreien oft1ine gleichkommt, noch verstärkt werden. Durch die Technik des Cross-Posting kann man auch bewusst Online-Konflikte auslösen. Hierbei wird ein Beitrag aus einer Mailingliste oder Newsgroup genommen und in einen anderen Kontext (z.B. eine andere Mailingliste) platziert, um dort hitzige Kommentare zu provozieren und Diskussionen anzustacheln (Mitra 1997: 66/67). Franeo et al. ( 1995) zufolge wirken sich Flames unter Umständen aber auch durchaus positiv auf das Gemeinschaftsgetlihl einer Gruppe aus. Flames können helfen, die gemeinsamen Werte einer elektronischen Gemeinschaft in Abgrenzung zu einer anderen zu definieren. Franeo et al. (1995: 15) sprechen sogar von einem Übergangsritus, der entscheidet, wer sich enger an die Gemeinschaft bindet oder 29 Siehe Halliday 1999, Seaton 1999. 30 Siehe z.B. Barry 1991: 243, Faruk 2001: 10, Franco, Piirto, Hu und Lewenstein 1995: 14, Harnelink 2000: 42, Kiesler, Siegel und McGuire 1984: 1129/1130, Tepper 1997: 41, Turkle 1995: 13, FN 4. 31 Siehe hierzu Dery 1993, Jordan 1999: 86.

63

CYBERIDENTITIES AT WAR

diese verlässt. Auf dem Netz ausgetragene Konflikte können laut Slevin (2000: 1411142) letztendlich dazu beitragen, dass einzelne Personen, Gruppen oder Organisationen Anerkennung gewinnen und Unterstützung für ihre Aktionen finden. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Thema Internet und Konflikt findet bei Slevin leider nicht statt. Er weist lediglich noch etwas idealistisch darauf hin, dass das Internet z.B. das Konfliktpotential interkultureller Kommunikationssituationen verringern könne, da es den Dialog fOrdere, und durch die hohe Kommunikationsfrequenz, die Informationsvielfalt und seine globale Reichweite generell zu einem besseren gegenseitigen Verständnis beitragen könne (179). Gerade Konflikt und Gewalt sind aber elementare Bestandteile unserer Gesellschaften, weswegen auch die Wechselwirkung von Internet und Konflikt gerrau untersucht werden muss. Am Anfang der Internetentwicklung und vor allem nach der Einführung des WWW konnte leicht der Eindruck entstehen, dass hier ein absolut freier, beinahe anarchistischer Raum geschaffen wurde, in dem staatliche Zensoren keine Macht haben. Dissidentenbewegungen weltweit (z.B. in Kambodscha, Indonesien, Mexiko, Sri Lanka und Tibet) benutzen das Netz, um für ihre politische Freiheit zu kämpfen, entsprechende Materialien zu verteilen und Newsgroups zu bilden (Hamelink 2000: 140). Weiter oben wurden bereits Beispiele für soziapolitische Bewegungen und politisch, kulturell oder religiös motivierte, teils extremistische Gruppen geliefert, die sich des lnternets bedienen, um ihre Sache auf die internationale Bühne zu bringen und eine größere Anhängerschaft zu gewinnen. Angetangen bei den so genannten Cookies auf einzelnen Internet-PCs bis hin zu komplexen softwaretechnischen Überwachungs- und Filtermechanismen steht im Cyberspace allerdings auch eine Reihe von Mitteln zur Verfügung, die Bewegungen seiner Besucher zu kontrollieren und bei Bedarf entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. 32 In China z.B. wird der Zugang zum Internet und die Auswahl an im Web zugänglicher Information mittels dieser Techniken durch die Regierung streng reglementiert. Cees Harnelink (2000: 132/133) zutolge wird auch der Schutz persönlicher Daten angesichts der Möglichkeiten im Netz immer problematischer. Die Freiheit wird aber zudem durch die Benutzer selbst eingeschränkt, z.B. durch gegenseitigen Ausschluss aus Newsgroups oder die Zensur von Beiträgen in Mailinglisten. Auf diese Weise können unerwünschte oder abweichende Meinungen aus bestimmten Kreisen verdrängt werden (Hamelink 2000: 45). Letztendlich beschränkt sich die Debatte zum Thema Cyberwar meist auf physische Attacken auf einzelne Computer über das Netz. Den Hackern geht es darum, in fremde Computersysteme einzudringen, um an bestimmte Informationen zu kommen, oder durch Überlastung oder übertragene Viren politisch strategische Rechner der Regierung oder des Feindes lahm zu legen. Harnelink (2000: 114/115) liefert einige Beispiele, in denen unter anderem Computer des Pentagons und der NASA, angesehene Suchmaschinen und das US-Verteidigungsministerium atta32 Siehe z.B. Harnelink 2000: 125/126, Slevin 2000: 214/215.

64

ETHNOLOGISCHE INTERNETFORSCHUNG

ckiert wurden. Im Zusammenhang mit dem Israel-Palästina-Kont1ikt ist auch regelmäßig die Rede von Netzattacken auf zentrale Computerknotenpunkte. Der so genannte Cyberwar stellt laut Harnelink eine attraktive und "saubere" Alternative zu konventionellen bewatineten Kont1ikten dar.

65

3

DER MOLUKKENKONFLIKT

Die Betrachtung wichtiger Stationen sowie lokaler und nationaler Faktoren im Molukkenkont1ikt gewährt Einblicke in seine komplexen Mechanismen. Da die Identifizierung mit Religion bei seiner Austragung auf der lokalen Ebene und im Cyberspace eine herausragende Rolle spielt, erscheint ein Exkurs über den Zusammenhang von Religion, Identität und Kont1ikt sinnvoll.

Konfliktbeschreibung und Analyseansätze Ambon is a city divided. Muslims occupy one end of town, Christians the other. Along the middle is a no-man's-land that acts as a line of partition. Armed soldiers keep a tense watch next to the barbed wire and the checkpoints. Around them are the reminders of the religious hatred that has torn Ambon asunder. Most buildings have been razed to the ground; those still standing are little more than burnt-out shells. A graffito on the wall of a ruined department store scrawls out a defiant message: ,Muslim power vanquishes the Nazarenes.' Another reads: ,Christians conquer Muslim pigs.' F or generations, Arnbonese of both faiths practiced pela gandong - peaceful coexistence - under which mosques and churches were built together. 1 But it is clear that the tradition now lies buried underneath the rubble (McCawley 2000). So weit die Zustandsbeschreibung eines Reporters von Ambon-Stadt Anfang 2000. Ambon-Stadt und alle Lebensbereiche ihrer Bewohner wurden autgrund des Konflikts entlang religiöser Linien getrennt: Christen und Muslime leben in getrennten Gebieten und besuchen gesonderte Märkte; der öffentliche Transport erfolgt nach Religionszugehörigkeit und die Kinder gehen in getrennte Schulen; 2 selbst Behörden wie die Post mussten sich duplizieren, um eine Zweigstelle in muslimischem wie in christlichem Gebiet zu haben, und Flüchtlinge sind in separaten Lagern untergebracht.3 Diese Trennung der molukkischen Gesellschaft setzte sich fort über benachbmie Dörfer und Inseln und dehnte sich bis in die Nord- und die Südost-

2

66

Beiträge wie dieser trugen zu einer einseitigen Glorifizierung der pe/a-Bündnisse während des Konf1ikts bei. Für detaillierte Untersuchungen zu pela siehe FN 32 (dieses Kapitel). Lediglich an der staatlichen Pattimura-Universität (Unpatti) versucht man noch einen interreligiösen Betrieb aufrechtzuerhalten. Die Unpatti, die ursprünglich außerhalb von AmbonStadt in Poka gelegen hat, wurde im Laufe der Unruhen zerstört und als Übergangslösung in ein Schulgebäude im christlich-muslimischen Grenzgebiet im Zentrum von AmbonStadt verlegt. Die einzige Ausnahme stellt das Camp bei der Marinebasis in Halong, Ambon, dar.

MOLUKKENKONFLIKT

molukken aus. Gemischtreligiöse Dörfer gibt es, bis aufwenige Ausnahmen, 4 nicht mehr. Christliche bzw. muslimische Minderheiten in den Dörfern wurden vertrieben oder flohen. Muslime können ihre christlichen Familienangehörigen und Freunde nicht mehr treffen und umgekehrt. Die Kommunikation zwischen beiden Gebieten wurde unmöglich und ein Überschreiten der Grenzen lebensge±abrlich. Durch diese physische wie psychische Trennung werden religiöse ldentitäten essentialisiert. Beide Seiten haben Angst vor einer Vereinnahmung und Unterdrückung durch die Religion "der anderen".

Stationen, Organisationen und Maßnahmen im Molukkenkonflikt 5 Als offizieller Beginn des Molukkenkonflikts gilt meist der 19. Januar 1999, an dem die Muslime das Ende des Fastenmonats, ldul Fitri, feierten. Auslöser war ein Streit zwischen einem christlichen B usfahrer, Y opie Louhery, und einem Muslim, Nur Salim (Bugis), am Busterminal im Grenzgebiet zwischen Baturnerah und Mardika, zwei Stadtvierteln Ambons. 6 Da kurz darauf bereits auf ganz Pu lau Ambon 7 Gerüchte kursierten, verschiedene Kirchen und Moscheen seien angezündet worden, entwickelte sich aus diesem persönlichen Streit sehr schnell ein Konflikt, der zwischen den Glaubensgemeinschaften der Christen und der Muslime auf den Molukken ausgetragen wurde. Obwohl sich der Unmut und die Gewalt der Christen in den ersten Tagen hauptsächlich gegen das Eigentum zugewande1ier Muslime richteten, vorwiegend Butonesen, Bugis und Makassaris (BBM), schlugen sich die ambonesischen Muslime aufgrund der scheinbaren religiösen Dimension des Kon±1ikts auf die Seite ihrer Glaubensbrüder und nicht ihrer ethnischen Brüder. Die schnelle Ausbreitung des für Ambon-Stadt nicht ungewöhnlichen Zwischenfalls vom 19.1.1999 ist ±lir Christen wie Muslime Beweis dafür. dass er Teil eines größeren Szenarios ist, das lange vorher geplant war und auf das verschiedene Ereignisse im Vorfeld bereits hingewiesen hatten. Den molukkischen Muslimen zu±olge gingen dem 19. Januar so genannte test cases voraus, kleinere Zwischenfalle zwischen Christen und Muslimen auf Ambon und zuletzt am 14.1.1999 in Dobo

4

6

Eine bemerkenswerte Ausnahme ist das DorfWayame, gegenüber Ambon-Stadt, direkt an der Ambon-Bucht gelegen, in dem sich muslimische wie christliche Bewohner hartnäckig weigerten, einander anzugreifen. Es wird hier nur eine sehr verkürzte Darstellung des Konfliktverlaufs geboten, die aber durch zahlreiche Literaturhinweise und durch die Interpretationen der molukkischen Cyberakteure in den folgenden Kapiteln ergänzt wird. Da die Konflikthintergründe und -umsetzung in den verschiedenen Regionen der Molukken (Nord-, Zentral- und Südostmolukken) sehr unterschiedlich sind, konzentriere ich mich in meinen Ausführungen auf die Zentralmolukken und Ambon-Stadt. Schon sehr bald nach Ausbruch des Konflikts wurde das mehrheitlich muslimische Baturnerah rein muslimisch, Mardika rein christlich. Entsprechendes vollzog sich in allen anderen Stadtvierteln. Ambon ist zugleich der Name der Hauptstadt der Molukken (Kota Ambon) und der Insel (Pulau Ambon), auf der die gleichnamige Stadt liegt.

67

CYBERIDENTITIES AT WAR

(Aru, Südostmolukken), in denen die Christen angeblich ihre Überfallstrategien geübt und geplant hätten, was von christlicher Seite bestritten wird. Es müssen auf beiden Seiten schon Wochen vor dem 19. Januar entsprechende Gerüchte in Umlauf gewesen sein, so dass aufgrund der Spannung, die in der Luft lag, manche muslimische Familien an Weihnachten 1998 ihre christlichen Freunde nicht besuchten, wie sonst üblich, und auch der Morgen des ldul Fitri 1999 ungewöhnlich ruhig verlief 8 Über die Drahtzieher dieser Entwicklung gehen die Meinungen der Christen und der Muslime weit auseinander.

s

Phlllppine

568

North

Pacific Ocean

Indian Ocean 0

200 400km 200

400mi

Abbildung 1: Landkarte Indonesien 9

Die Ausbreitung des Konflikts und die Ankunft der Laskar Jihad Da viele Einwohner von Ambon-Stadt von den umliegenden Inseln stammen, breitete sich der Konflikt sehr schnell auf die benachbarten Lease-Inseln (Haruku, Saparua und Nusalaut), Seram und Buru aus (siehe Abbildung 2). Im März 1999 erreichte die Gewaltwelle Kei (Südostmolukken). Auch die Banda-lnsein zwischen Ambon und Kei blieben nicht verschont und im August 1999 wurden die Nordmolukken vom Kont1ikt erfasst. Oft war es nur ein Gerücht. das einen neuen Kont1iktherd entstehen ließ. 10 Um nur ein Beispiel zu nennen: In Tidore, Nordmolukken, führte die Verbreitung eines getalschten Briefes, in dem ein Pastor zur Christianisierung der Molukken aufriet: zu massiven Ausschreitungen von Muslimen gegen Ich danke Zairin Salampessy von TAPAK Ambon (Team Advokasi Penyelesaian Kasus Ambon, Fürsprecherteam zur Beendigung des Konflikts in Ambon) und Dieter Barteis für diese Hinweise. 9 http://www.laska~jihad.or.id, 5.8.2001 (Gallery-Sektion). Der Molukkenmarkierungsrahmen wurde von mir hinzugefügt. 10 Zur Rolle von Gerüchten im Molukkenkonflikt siehe auch Spyer 2002.

68

MOLUKKENKONFLIKT

die dort ansässigen Christen (Nanere 2000: 63-80). Ende Dezember 1999 erreichte der Kont1ikt einen Höhepunkt, indem die Silo-Kirche, eines der großen protestantischen Gotteshäuser in Ambon-Stadt, niedergebrannt wurde und in mehreren muslimischen Dörfern Nord-Halmaheras innerhalb weniger Tage Hunderte von Menschen. darunter Frauen und Kinder. massakriert wurden. 125"

~ 'C'., •• Kep



St~ng l he

,,.,.

... /

135'

I

Maluku

T11laud

1:

71000 000

Samudra Pasifik Grate Oceaan Pacific Ocean

P. Mololai

.•

P. Buru

·-

~.

Kep.

.. Tukangbesl

\

Laut Flores

5265

" P. Nlla

Kep. Barat Daya



Kep. Aru

P. Oitfmn

P. Wetar

~

P.Babar

P. Alor

•.• .,.

Topa I"

· P.Semlala

h··

I

Kep. Tenggara

Kep. Tanlmbar

I

LautTimo~

Source/Sumber/Bron: Atlas Maluku (Landelijk Steunpunt Educatie Molukkers Utrecht, 1998) 125 '

IJO"

Laut Aratura C LSEM , trechl 1998 135'

Abbildung 2: Landkarte Molukken

69

CYBERIDENTITIES AT WAR

Jeder Gewaltakt des Gegners wurde mit einem Racheakt vergolten und so entwickelte der Molukkenkon±likt, losgelöst von seinen Ursachen, eine eigene Dynamik aus Schlag und Gegenschlag, die die Kluft zwischen den beiden religiösen Gruppen immer tiefer werden ließ. Es entstand eine Spirale der Gewalt, die sich über mehr als drei Jahre fortsetzte, auf beiden Seiten Tausende von Todesopfern forderte und nur sehr schwer zu durchbrechen war. In Reaktion auf das Massaker in den Nordmolukken organisierte Al-Chaidar, Anhänger einer Bewegung, die sich für einen Islamstaat Indonesien (Negara Islam Indonesia, Nil) einsetzt, am 7.1.2000 eine große Versammlung am Nationaldenkmal in Jakarta, an der laut George J. Adi~jondro (200lb) 40.000-100.000 Menschen teilnahmen, darunter Amien Rais, Vorstand der Beratenden Volksversammlung (MPR) und ehemaliger Leiter der Muhammadiyah, zweitgrößte muslimische Organisation Indonesiens, Hamzah Haz, der derzeitige Vizepräsident Indonesiens (Stand 2003), und 22 militante muslimische Organisationen. Hier wurde erstmals zum Jihad in den Molukken aufgerufen. Anfang April 2000 organisie1ie das FKA WJ ein zweites großes religiöses Treffen (tabligh akbar) im Senayan-Stadion in Jakarta, wo sich Tausende mit Säbeln bewaffnete, weiß gewandete Jihad-Kämpfer versammelten, um ihre Bereitschaft zum Aufbruch in die Molukken zu demonstrieren. Nachdem der indonesische Präsident Abdurrahman Wahid ihrer Au±lorderung, der Gewalt auf den Molukken sofort ein Ende zu bereiten, nicht nachkam, schickte das FKA WJ seine Krieger, die Laskar Jihad oder Jihad-Truppen, in ein militärisches Trainingscamp in Bogor, Java, und Anfang Mai 2000 auf die Molukken. 11 Trotz des Protests Wahids und vieler muslimischer Führer hatten die zuständigen Sicherheitskräfte im Hafen von Surabaya nichts unternommen, die Laskar Jihad an der Ausreise zu hindern. 12 Ziel der Laskar Jihad war es, ihren muslimischen Glaubensbrüdern im Kampf gegen die Christen zu helfen und vor einer angeblich drohenden Auslöschung zu bewahren. Dadurch wurde das relative Kräftegleichgewicht zwischen lokalen Muslimen und Christen zu ungunsten der Christen zerstört. Während in den ersten Monaten auf beiden Seiten vorwiegend mit einfachen Waffen gekämpft wurde (Macheten, Speere, Pfeil und Bogen sowie selbstgebastelte Wa±len und Bomben), kamen jetzt zunehmend moderne Wa±len ins Spiel. 13 Obgleich auch andere radikalislamische Gruppierungen Indonesiens wie die Islamische Verteidigungsfront (Front

II 12

13

70

Siehe International Crisis Group 2000a, Detikcom I 0. und 16.4.2000. Die Laskar Jihad selbst waren angeblich unbewaffnet, ihre Wafien folgten aber kurz darauf mit einer separaten Schiffsladung (AdiDondro 200 I a: 118, Hefuer 2001: I). Das Problem der Regierung im Umgang mit den Jihad-Kämpfern in den Molukken ist Kirsten Schulze (2002: 65) zu folge, dass jeglicher Versuch, diese aus Ambon zu entfernen bzw. sie zu entwaffnen, von den indonesischen Muslimen als anti-muslimisch gewertet würde und die Förderung christlich-muslimischer Friedensinitiativen als pro-christlich. Folglich würden die Aktionen der Laskar Jihad nicht nur gebilligt, sondern Maßnahmen gegen sie behindert und sie damit in Schutz genommen werden. Siehe hierzu auch Barteis 2000.

MOLUKKENKONFLIKT Pembela Islam, FPI) 14 und der Indonesische Mujahidinrat (Majelis Mujahidin Indonesia, MMI) Kämpfer auf die Molukken geschickt hatten, sind die Laskar Jihad des FKA WJ diejenigen, die durch ihre Performanz auf lokaler wie nationaler Ebene, ihre Präsenz in nationalen wie internationalen Medien und durch ihre eigenen Medien am bekarmtesten sind und den größten Eint1uss auf den Diskurs um den Molukkenkonflikt haben. Laut International Crisis Group (2000a: 9) übernahmen die Laskar Jihad die Kontrolle über bestehende Milizen in den Molukken. Eine Trennung zwischen Jihad-Kämpfern von außerhalb und lokalen Jihad-Kämpfern konnte im Kampfgeschehen oft nicht mehr vorgenommen werden, da sich viele lokale Muslime im Kampf wie die Laskar Jihad in weite weiße Gewänder hüllten. Die Ankunft der Laskar Jihad heizte den Kon±1ikt. der sich in den Monaten davor etwas beruhigt hatte, wieder an und es kam zu Ausschreitungen in bisher noch nicht dagewesenem Ausmaß: Am 22./23.6.2000 wurde die Christliche Universität der Molukken (Universitas Kristen Indonesia Maluku, UKIM) zerstört, am 3./4.7. die staatliche Pattimura-Universität niedergebrannt und am 6.7. das christliche DorfWaai, das mehr als 6.000 Einwohner hatte, dem Erdboden gleichgemacht ebenso wie am 22./23.9. das christliche Sirisori und das muslimische Iha auf Saparua. Die Verhängung des zivilen Ausnahmezustandes (Penguasa Darurat Sipil, POS) durch die Regierung am 27. Juni 2000 schien keine Wirkung zu zeigen. 15 Von muslimischen Gruppierungen innerhalb und außerhalb der Molukken wurde seit Ausbruch des Molukkenkont1ikts immer wieder behauptet, die Christen hätten die Unruhen bewusst initiiert, um an die molukkische Unabhängigkeitsbewegung von 1950 anzuknüpfen, die Republik der Südmolukken (Republik Maluku Selatan, RMS), und sich vom indonesischen Staat abzuspalten. Gleich einer Selffulfilling Prophecy gab ein christlicher Arzt in Ambon-Stadt, Alex H. Manuputty, am 18. Dezember 2000 die Gründung der Molukkischen Souveränitätsfront (Front Kedaulatan Maluku, FKM) bekannt, die der RMS, die damals gewaltsam unterdrückt worden war, zu ihrem Recht verhelfen sollte. Da die indonesische Regierung nicht in der Lage sei, den Kon±1ikt zu beenden und für die Wahrung der Menschenrechte einzutreten, so Alex Manuputty, sei die Unabhängigkeit der einzige Ausweg. Die FKM wurde zu einem Politikum und für Muslime und Regierung zum entscheidenden Kont1iktfaktor. Als angebliche Schlüsselfigur im Kont1ikt wurde Manuputty zweimal festgenommen und Anfang 2003 zu drei Jahren Haft verurteilt. Auch der Anführer des FKA WJ, Ja'far Umar Thalib, wurde während des Einsatzes der Laskar Jihad auf den Molukken zweimal in Untersuchungshaft genommen, wahr-

14 15

Siehe z.B. den Artikel von Ron Moreau 2000. Der POS ist eine Ebene unter dem Kriegsrecht und unterstellt die Polizei direkt dem POSVerantwortlichen. Der PDS ermöglicht, Hausdurchsuchungen durchzuführen, eine Ausgangssperre zu verhängen, die Pressefreiheit einzuschränken, Telekommunikation zu überwachen, Demonstrationen und Massenveranstaltungen zu unterbinden und Personenkontrollen durchzuführen. Zum Verantwortlichen für den POS wurde der damalige Gouverneur der Molukken, Saleh Latuconsina, bestimmt (International Crisis Group 2002: 8). 71

CYBERIDENTITIES AT WAR

scheinlieh auf internationalen Druck hin. Im Januar 2003 wurde er allerdings endgültig von allen Beschuldigungen freigesprochen, angeblich mangels Beweisen.

Organisationen im Molukkenkonflikt Im Gegensatz zu den Christen, die über die Kirche organisiert sind, hatten die Muslime in den Molukken kein zentrales Repräsentationsorgan. Der Indonesische Ulemarat (Majelis Ulama lndonesia, MUI)- die offiziell höchste muslimische Autorität Indonesiens, die über das ganze Land verteilt ihre Zweigstellen hat - konnte diese wichtige Rolle während des Konflikts in den Zentralmolukken nicht übernehmen, da ihm in Ambon-Stadt sowohl die Unterstützung der Bevölkerung wie auch ein starker Vorstand fehlte. Dieser war kurz nach Ausbruch der Unruhen in den Norden ausgewandert und der vorübergehende Vorstand, Abdul Wahab Polpoke, war insbesondere bei muslimischen Hardlinern sehr umstritten. In dem Versuch die Muslime im Kont1ikt zu einen, wurden auf lokaler Ebene zahlreiche Organisationen gegründet. Eine kleine Auswahl davon wird hier vorgestellt. 16 Jusuf Ely z.B., eine einflussreiche muslimische Persönlichkeit in Ambon-Stadt, beansprucht für sich, Vertreter aller Muslime Leihitus, der nördlichen Halbinsel Ambons, zu sein. Er richtete im Februar 1999 die Bloody Idul Fitri Task Force ein, die vor allem Verteidigungsfunktion hatte; er ist zugleich Vorstand der Y ayasan Jaziratul Muluk, 17 die sich hauptsächlich um Flüchtlinge kümmert. Neben Ely gibt es eine Reihe von Geschäftsleuten wie Abdullah Tuasikal und Amir Latuconsina. die Wiederaufbauprojekte planen und daraus auch wirtschaftlichen Gewinn schlagen. Die Aufgabe zahlreicher Jihad-Posten (posko-posko jihad) ist es, das Kommando über und den Schutz für verschiedene Stadtteile und Dörfer zu übernehmen. Unter den neugebildeten muslimischen Organisationen sind eine Reihe extremistischer islamischer Gruppierungen wie das Freundschaftsforum der Islamischen Gemeinschaft in den Molukken (Forum Silaturahmi Ummat Islam Maluku, FSUIM) von Rustam Kastor und Husni Putuhena 18 , das Forum der Verteidiger der Gerechtigkeit in den Molukken (Forum Pembela Keadilan Maluku, FPKM) von Kastor und die Sondereinheit zur Durchsetzung Göttlicher Ge- und Verbote unter Molukkischen Muslimen (Satgas Amar Ma'ruf Nahi Mungkar Muslim Maluku, AMNM3) von Muhammad Attamimi, Dozent an der Staatlichen Islamischen Hochschule in Ambon (Sekolah Tinggi Agama Islam Negeri, STAIN). Die AMNM3 wurde insbesondere durch ihre Aktionen gegen Prostitution, Glücksspiel und den Konsum von Alkohol bekannt. Im Mai 2000 kamen dann die Laskar Jihad und beanspruchten, die lokalen Muslime zu vertreten. Auf einer ganz anderen Schiene 16

17 18

72

Diese Informationen gehen hauptsächlich auf meine Interviews mit muslimischen Vertretern in Ambon-Stadt im Februar und März 2002 zurück. "Stiftung der Halbinsel der Könige". Elys eigene Übersetzung lautet "Foundation of tbe country ofmany kingdoms". Putuhena ist zugleich der Molukkenkoordinator des Anwaltsteams der Muslime (Tim Pengacara Muslim, TPM) und Vorstand der Islamischen Verteidigungsfront in den Molukken (Front Pembela Islam Maluku, FPIM).

MOLUKKENKONFLIKT ±ahrt die Inovasi Group (NGO), die im April 2000 von mehreren muslimischen Organisationen ins Leben gerufen wurde, um zusammen mit der christlichen NGO Hualopu das Komitee für die christlich-muslimische Versöhnungsbewegung BakuBae zu bilden, bei der übrigens auch Jusuf Ely Mitglied ist. Da es letztendlich aber keiner dieser Organisationen gelang, zentrale Informationsstelle und Sprachrohr für die Interessen aller Muslime in den Molukken zu sein, wurde in einer großen Versammlung molukkischer Muslime (Musyawarah Besar Muslim Maluku) in der Al-Fatah-Moschee in Ambon-Stadt im Juni 2001 beschlossen. alle muslimischen Gruppierungen und die muslimische Gemeinschaft der Molukken als solche in einem Verband zur Koordination der Muslime in den Molukken (Badan Immarah Muslim Maluku, BIMM) zu vereinen. Die Gründung der BIMM wurde vom Gouverneur der Molukken abgesegnet und Ali Fauzi, ein ehemaliger Hardliner, wurde zum Vorstand bestimmt. Auf Seiten der Christen richtete man ein Krisenzentrum der katholischen Kirche und ein katholisch-protestantisches Anwaltsteam der Kirche (Tim Pengacara Gert:ia, TPG) ein, das später vom Krisenzentrum der protestantischen Kirche abgelöst wurde. Die drei kümmerten sich vorwiegend um die Folgen des Konflikts (Flüchtlinge, Evakuierung, Fürsprechung etc.) und wurden zum Sprachrohr der Diözese Ambon und der Protestantischen Kirche der Molukken (Gereja Protestan Maluku, GPM). Auf der Grassroot-Ebene übernahmen Berthy Loupatty und Agus Wattimena, beide wohnhaft im "christlichen" Stadtteil Kudamati, die Führung, wenn es um die Mobilisierung von Kämpfern, um Überfalle und Rachefeldzüge ging. Berthy war seit 1984 Anführer der Coker (Cowok Keren, Hübsche Jungs), laut Berthy eine "Sauf-, Feier- und Spielbande" mit acht festen Mitgliedern und Sympathisanten überall auf Ambon und umliegenden Inseln. Bis zu den Unruhen habe es auch muslimische Coker-Anhänger gegeben. 19 Seit Ausbruch des Kont1ikts musste sich Be1ihy sein Revier mit Agus Wattimena teilen, einem Angestellten der protestantischen Kirche, der im Zuge der Unruhen zum Grassroot-Führer aufstieg und im Konflikt als solcher fast bekannter wurde als Berthy, was nicht selten zu Streitigkeiten im christlichen Lager führte. Agus' Gruppe wurde in christlichen Kreisen als "Schwarzes Pferd" (Kuda Hitam) bezeichnet, von den Muslimen als "Christliche Soldaten" (Laskar Kristus). Auch auf christlicher Seite gibt es in Ambon-Stadt und außerhalb zahlreiche Kommandoposten, über die Verteidigungs- und Angriffsstrategien koordiniert werden. Während Agus von den Niederlanden aus Unterstützung zugekommen sein soll, vermutet man, dass Berthy mit Elementen

19

PG Berthy Loupatty 7.3.2002. Laut Barteis (2000) trugen die Banden arbeitsloser Jugendlicher verschiedener Stadtviertel in Ambon, die sich schon vor Konfliktausbruch gegenseitig bekämpft hatten, dazu bei, dass der Konflikt in den Molukken so gut Fuß fassen konnte: "These gangs then metamorphosed themselves into ffeedom fighters defending their neighborhoods against outside attacks and invading those of their enemies to burn them down." Die Entstehung jugendlicher Banden in Ambon ist eng verknüpft mit dem Urbanisierungsprozess und der einhergehenden zunehmenden Arbeitslosigkeit und Jugendkriminalität (Klinken 2001, Steijlen 2001). 73

CYBERIDENTITIES AT WAR

der Sondereingreiftruppe des indonesischen Militärs (Komando Pasukan Khusus, Kopassus) zusammenarbeitete. Agus wurde im März 2001 erschossen bzw. erschoss sich selbst, und Be1ihy stellte sich im Dezember 2002 der Polizei, nachdem ein landesweiter Suchbefehl nach ihm ergangen war, da man ihn und die Coker verdächtigte, in verschiedene Überfalle und Bombenanschläge auf Ambon und den Nachbarinseln verwickelt gewesen zu sein. Auf beiden Seiten wurden im Verlauf der Unruhen sehr viele NGOs gegründet. Während es vor 1999 in den Molukken nicht mehr als zwei Dutzend davon gab, schnellte die Zahl bis Anfang 2002 auf weit über 300 hoch, wobei viele der NGOs auch vom Kont1ikt zu profitieren suchten. Hinzu kamen internationale NGOs wie Mercy Corps und Action Contre Ia Faim und UN-Hilfsorganisationen.

Regierungsmaßnahmen und Friedensinitiativen Die Regierung in Jakacta wird von Christen wie Muslimen wegen ihrer Untabigkeit kritisiert, wirkungsvolle Maßnahmen zur Beendigung des Molukkenkont1ikts zu ergreifen. Verschiedene Regierungsmitglieder, Präsident/in und Vizepräsident/in 20 statteten den Molukken einige unverbindliche Besuche ab, betonten aber, dass die Molukker selbst sehen müssten. wie sie aus der Misere wieder herauskämen. Die Ergebnisse der von der Regierung in den Molukken eingesetzten Untersuchungsteams wurden nie publiziert und hatten keinen sichtbaren Erfolg. Des Weiteren war die Molukkenprovinz im September 1999 in eine mehrheitlich muslimische Provinz Nordmolukken und die Provinz Molukken (Zentral- und Südostmolukken) aufgeteilt worden, wodurch man hoffte, den Kont1ikt schneller unter Kontrolle zu bringen. 21 Vor allem setzte man in Jakacta aber auf Aufrüstung. Bis Juli 2000 waren insgesamt ca. 14.000 Soldaten auf den Molukken stationie1i (im Vergleich zu 5.300 ein Jahr davor), die aber die Lage nicht unter Kontrolle bringen wollten oder konnten. 22 Teile des indonesischen Militärs (Tentara Nasional Indonesia, TNI) hatten in den Kampfhandlungen offensichtlich Pmiei ergriffen, weswegen man am 26. Juni 2000 den Pattimura-Streitkräften in Ambon einen balinesischen Hindu. I Made Yasa, als Kommandanten voranstellte, in der Hoffnung, dass sich dieser für mehr Neutralität unter den Sicherheitskräften einsetze. 23 In Kombination mit dem zivilen

20

21 22

23

74

Seit Ausbruch des Molukkenkonf1ikts im Januar 1999 wechselte die Präsidentschaft in Indonesien dreimal: J.B. Habibie bis Oktober 1999, Abdurrahman Wahid bis Juli 2001 und danach Megawati Sukarnoputri. Die Grenze zwischen der Provinz Nordmolukken und Molukken verläuft oberhalb der Inseln Buru und Seram (siehe Abbildung 2). International Crisis Group 2000b: 4. Angesichts des über das weit verstreute Inselgebiet der Molukken ausgebreiteten Konflikts beklagte sich das Militär ständig, nicht ausreichend Soldaten und Equipment zur Verfügung zu haben, um den Konflikt unter Kontrolle bringen zu können (International Crisis Group 2002: 4). Aufgrund des hohen Anteils an Muslimen im TNI soll das Militär oft Partei für die Muslime ergriffen haben, während den lokalen Polizeieinheiten, wo die Christen die Mehrheit stellten, vorgeworfen wird, die Christen zu unterstützen.

MOLUKKENKONFLIKT

Ausnahmezustand scheint dadurch die Intensität des Konflikts, auf längere Sicht gesehen, abgenommen zu haben. Von den verschiedenen Friedenskonferenzen, die die Regierung organisie1i hatte, trug erst die in Malino, Südsulawesi, im Februar 2002 Früchte. Malino war eine lange Reihe von Friedensbemühungen auf lokaler wie nationaler Ebene vorangegangen. Vor allem in den ersten Monaten nach Ausbruch der Kampfhandlungen waren in den Molukken oft Adat- und Religions±lihrer zusammengekommen, um sich über Möglichkeiten auszutauschen, die Gewalt zu stoppen und auf ihre jeweiligen Glaubensgemeinschaften positiv einzuwirken. 24 In dieser Zeit wurden auch noch viele Stimmen laut die Menschen sollten sich doch ihres traditionellen muslimisch-christlichen Bündnissystems (pela) erinnern und dieses ±lir den Frieden einsetzen. Es gab interreligiöse Initiativen wie die Bewegung Besorgter Molukkischer Frauen (Gerakan Perempuan Peduli Maluku, GPPM) und die BakuBaeBewegung, die interreligiöse Treffen und Veranstaltungen auf nationaler wie lokaler Ebene organisierte. Auch von internationaler Seite her bemühte man sich um Frieden, indem z.B. internationale NGOs interreligiöse Hilfsprojekte in die Wege leiteten und UNICEF ein gemeinsames Computerprojekt ±lir christliche und muslimische Schüler organisierte. Eine der größten Friedensveranstaltungen vor Malino fand in Langgur, auf Klein-Kei, Südostmolukken, unter dem Motto National Dialogue an Revitalizing Local Culture for Rehabilitation and Development in the Moluccas towards a New lndonesia statt. Vom 15.-18. März 200 I trafen sich dort mehr als 1.500 Religions-, Adat-, Regierungs- und NGO-Vertreter, Intellektuelle, Studenten sowie Personen aus der Wirtschaft und dem juristischen Bereich aus dem gesamten Molukkengebiet. Der Ort der Veranstaltung war bewusst gewählt, da in den Südostmolukken die Unruhen relativ schnell beendet werden konnten. was vor allem an den noch sehr ein±1ussreichen Adat-Führern in dieser Region lag. 25 Es war sicher ein Verdienst dieser zahlreichen Friedensbemühungen, dass zwischen 2001 und 2002 die Anzahl groß angelegter Überfalle allmählich abnahm. Stattdessen stieg aber die Anzahl an Bombenanschlägen und Überfallen durch kleine, oft schwarz vermummte "Ninja"-Gruppen. Es war offensichtlich, dass sich die kriegsmüde molukkische Bevölkerung nicht mehr so leicht anstacheln und provozieren ließ wie noch in den Jahren 1999 und 2000. Die erfolgreichsten Friedensverhandlungen fanden Mitte Februar 2002 in Malino statt. Da hier kurz zuvor Verhandlungen zu den Konflikten in Zentralsulawesi ge±lihrt worden waren, wurde das Ereignis bekannt als "Malinoll". Es waren jeweils 35 Vertreter der muslimischen wie der christlichen Seite geladen. Resultat war ein Elf-Punkte-Plan zur Beendigung des Konflikts und der Gewalt, der unter anderem die Untersuchung der Rolle der FKM und der Laskar Jihad im Kont1ikt durch ein unabhängiges nationales Untersuchungsteam vorsah, die Bekämpfung separatistischer Tendenzen, das Vorgehen gegen illegalen Waffenbesitz, die Durch24 Adat ist eine Bezeichnung für Tradition und Gewohnheitsrecht in Indonesien. 25 Siehe hierzu z.B. Laksono 2002.

75

CYBERIDENTITIES AT WAR

setzung von Recht und Ordnung und die verstärkte Anerkennung lokaler Traditionen durch Religionsvertreter. Die Ergebnisse von Malinoii versuchte man in Form zahlreicher Sozialisierungsveranstaltungen in Ambon-Stadt und den Dörfern der Zentralmolukken der Bevölkerung näher zu bringen und umzusetzen. Radikalmuslimische Kreise und Personen. darunter das FKA WJ und das FSUIM. Putuhena. Attamimi und Kastor, erkannten die elfPunkte von Malinoli nicht an, da sie die 35 muslimischen Repräsentanten nicht als solche und damit auch nicht deren Verhandlungsergebnis als repräsentativ ±lir den Willen der molukkischen Bevölkerung ansahen. Daneben schienen aber auch noch andere Gruppierungen ein Interesse an der Fortsetzung des Kont1ikts zu haben, seien es Elemente des Militärs oder der Polizei, Einzelpersonen oder lokale Banden, die aus dem Kont1ikt Gewinn geschlagen hatten (International Crisis Group 2002: 19-21 ). Die euphorische Stimmung in Ambon-Stadt nach Malinoii wurde schnell wieder gedämpft, als es auch danach noch zu Bombenanschlägen, einem Brandanschlag auf das Gouverneursbüro und dem Überfall auf das christliche Dorf Soya di Atas kam, bei dem wieder mehrere Menschen, darunter Frauen und Kinder, getötet wurden und eine der ältesten Kirchen der Molukken zerstört wurde. Obwohl der zivile Ausnahmezustand in den Zentralmolukken auch mehr als ein Jahr nach Malinoii noch nicht aufgehoben wurde - in den Nordmolukken war die Aufhebung Mitte 2003 beschlossen worden - und bei weitem noch nicht alle elf Punkte implementiert worden waren, stellte Malinoll für die Regierung sozusagen das offizielle Ende des Kont1ikts dar. Seit Malinoii nahmen die gegenseitigen Annäherungsversuche kontinuierlich zu, auch wenn erst seit Ende 2002 die gewaltsamen Übergriffe tatsächlich ein Ende gefunden zu haben schienen. Im Oktober 2002 zogen die Laskar Jihad aus den Molukken ab und das FKA WJ löste sich auf Die religiösen Grenzen im Alltag blieben zunächst bestehen und begannen sich erst Anfang/Mitte 2003 allmählich zu lockern. Die Rückführung der immens vielen Flüchtlinge und die Rückkehr zu einem christlich-muslimischen Alltag stellt nun eine der größten Herausforderungen dar. Bis heute liegen noch keine genauen Zahlen vor, wie viele Tote, Verletzte, Flüchtlinge, zerstörte Kirchen und Moscheen es während des Molukkenkont1ikts gegeben hat, was unter anderem daran liegt, dass viele Papiere und Daten während der Unruhen zerstört wurden, Kommunikation zwischen den Konfliktpmieien kaum möglich war, Tote und Flüchtlinge nicht zentral gemeldet wurden und insbesondere viele muslimische Migranten aus den Molukken get1ohen waren. Die Zahlen weichen je nach Quelle stark voneinander ab. Die offiziellen Angaben liegen, so vermuten Beobachter, aufgrund der Erhebungsschwierigkeiten meist unter den tatsächlichen Werten. Nach Angaben der Regierung in Ambon-Stadt (Data Pemerintah Provinsi Maluku) waren bis Dezember 2001 in der Provinz Molukken mehr als 330.000 Menschen offiziell als Flüchtlinge erfasst und ca. 30.000 Wohnhäuser und 253 Gebetshäuser-in etwa die Hälfte Moscheen und Kirchen- zerstört worden. Die Anzahl der Toten im gesamten Molukkengebiet reicht in den verschiedenen Berichten und Mediendarstellungen von 6.000-15.000, die Anzahl der 76

MOLUKKENKONFLIKT

Flüchtlinge wird auf fast 700.000 geschätzt- demnach wäre fast ein Drittel der gesamten Molukkenbevölkerung auf der Flucht (International Crisis Group 2002: i). Das Krisenzentrum der Diözese Ambon schätzt die Anzahl zerstörter katholischer Kirchen bis März 2002 auf 77 und protestantischer auf 180; insgesamt seien 10.000-13.500 Menschen ums Leben gekommen. 26 Nach I.J.W. Hendriks, dem Vorstand der Protestantischen Kirche in den Molukken (GPM), wurden in der Provinz Molukken bis Ende 2001 184 protestantische Kirchen zerstört und in etwa 1.500 Mitglieder der GPM getötet. 27 Der frühere Vorstand Sammy Titaley hatte im März 200 I bereits von 2.000 toten GPM-Mitgliedern, von 192 zerstö1ien Kirchen und von 190.000 Kirchemitgliedern gesprochen, die auf der Flucht seien. 28 Laut Manado Post vom 21.8.2000 sind allein in den Nordmolukken bis August 2000 3.931 Menschen ums Leben gekommen. Nach Jumu Tuani, der die MUI-Statistik seit dem Weggang des Vorstandes weiter±lihrte, wurden bis Ende 2001 in der Provinz Molukken 304 Moscheen niedergebrannt und ca. 5.000 Muslime getötet. 623.000 Muslime seien bis dahin aus den Molukken geflohen und ca. 28.000 muslimische Flüchtlinge würden sich in Ambon-Stadt aufhalten (pG 18. und 22.3. 2002). Der MUI Nordmolukken gab am 16.2.2000 bekannt, dass in seiner Provinz 3.567 Menschen umgekommen, 93 Moscheen und 11.089 Wohnhäuser niedergebrannt worden sind und sich allein in den Städten Ternate und Tidore 91.505 Flüchtlinge au±halten. 29 O±Iensichtlich herrscht ein Zahlenchaos, das sich durch diverse Presseberichte noch beliebig erweitern ließe. Es wird wohl noch eine Weile dauern. bis daraus eine einheitliche und verbindliche Statistik erwächst.

Lokale und nationale Konfliktfaktoren Während des mehr als drei Jahre andauernden Konflikts wurden nicht nur von indonesischer Seite, sondern auch von internationalen NGOs, christlichen Organisationen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen zahlreiche Konfliktanalysen publiziert. Sie untersuchen die kulturellen und ideologischen Hintergründe des Konflikts, die Rolle politischer und militärischer Eliten, die Ereignisse, die dem 19.1.1999 vorausgingen, und den gesamtindonesischen Kontext. 30 Während 26

27 28

29 30

Böhm 2001, 2002b und pG mit dem Vorstand des katholischen Krisenzentrums am 15.3. 2002. PG 21.3.2002. Hier sind nur die Toten erfasst, deren Angehörige bei der Kirche Sterbehilfe und -geld beantragten. Bericht des katholischen Krisenzentrums vom 6.3.2001. Laut Statistik des Indonesian Christi an Communication Forum (2001) wurden in den Molukken vom 19.1.1999 bis 31.1. 2001 180 Kirchen ganz oder teilweise zerstört oder niedergebrannt, dagegen angeblich nur 28 Moscheen. http://www.laska~jihad.or.id/bantu/mandat.htm, 14.11.2001. Einige Beispiele werden hier genannt, andere im Laufe dieses Abschnittes: Aditjondro 2000a, b, d, e, 2001a, b, Al-Jakartaty 2000, Alqadrie 1999, Barteis 2000, Kees van Dijk 2001: 379-396, Fellowship of lndonesian Christians in America 1999, Habiboe 2000, Hefner 2000b, 2001, Human Rights Watch 1999, Institut Studi Arus Informasi 2000a, Interna-

77

CYBERIDENTITIES AT WAR

Autoren wie Adi~jondro und Schulte Nordholt vorwiegend nach den externen Ursachen des Kon±1ikts suchen und eine Instrumentalisierungs- und Provokationsthese vertreten, analysie1i Barteis beispielsweise die Faktoren, die auf der lokalen Ebene den Kon±1iktausbruch begünstigt haben. Erklären lässt sich die Heftigkeit und die Nachhaltigkeit des Molukkenkont1ikts nur, wenn man beide Perspektiven kombiniert und lokale wie nationale Faktoren analysiert, die zusammen aus den Molukken ein Pulverfass machten, das am 19. Januar 1999 explodierte.

Konfliktfaktoren auf der lokalen Ebene Die Molukken stellen wie Nordsulawesi, Irian Jaya und die Östlichen Kleinen Sundainseln (Nusa Tenggara Timur) in Indonesien eine Ausnahme dar, weil der Bevölkerungsanteil der Christen hier, verglichen mit dem Rest des Landes, sehr hoch ist, wenn sie nicht gar die Mehrheit stellen. 31 Gerade die Molukken wurden in Indonesien aufgrund des harmonischen Verhältnisses zwischen Christen und Muslimen als ein Paradebeispiel für friedliches Zusammenleben immer wieder gelobt. Ausschlaggebend hierfür waren die traditionellen pela-Bündnisse, die zwischen Dörfern der Zentralmolukken unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit bestanden, also auch zwischen christlichen und muslimischen, um sich gegenseitig Hilfestellung in Krisenzeiten, beim Bau einer Moschee oder einer Kirche zu leisten und gemeinsam Feste zu feiern. 32 Übersehen wurde bei den Lobeshymnen, dass es auch in den Molukken schon immer, zum Teil gewaltsame, Auseinandersetzungen zwischen Dörfern gegeben hat, was jedoch mit Religion zumeist nichts zu tun hatte. tional Christi an Concern 2001, International Crisis Group 2000a, 2002, Joseph, Manuhutu und Smeets 2000, Jubilee Campaign UK 1999, Klinken 1999, 2001, Lokollo 1999, Mangkey 2000, Mann 2000, Manuhutu, Meuleman, Schulte Nordholt und Willemse 2000, Pelly 1999, Rachmat 2001, Sala Waku Foundation 1999, Salampessy und Husain 2001, Schulte Nordholt 2000a, Sihbudi, lrewati, Bhakti, Nurhasim, Haris und Ratnawati 2001, Sinansari Ecip 1999, TAPOL 1999, Titaley 2001, Tomagola 2000, 200la, b, d, e. In indonesischen Publikationen wie Awwas 2000, Husaini 2000: 178-186, Jaiz 1999, Tim Penyusun AIMukmin 1999, Tuasikal2000 wird eine sehr einseitige (muslimische) Konfliktperspektive vermittelt. Auch Personen, die direkt in den Konflikt involviert sind, haben Bücher zum Konf1ikt veröfientlicht. An erster Stelle sind hier zwei ambonesische Muslime zu nennen, die eher am radikalen Ende der Islamskala einzuordnen sind: Rustam Kastor 2000a, 2000b, 2000c, 2000d und Husni Putuhena 1999, 2001; siehe auch Putuhena und Tawainella 2001. Für eine Analyse der Konfliktfaktoren und -abläufe in den Nordmolukken siehe Aditjondro 2001a: 107-109, Ahmad und Oesman 2000: muslimische Perspektive, Alhadar 2000, Bubandt 2001, Nanere 2000, Taylor 2001, Tomagola 200lc. Zum Konflikt auf den Bandalnsein siehe z.B. Tinnemans 2001, Winn 2000. 31 Von den rund zwei Millionen Einwohnern der Provinzen Nordmolukken und Molukken sind ca. 59% Muslime, 35,3% Protestanten, 5,2% Katholiken und der Rest Hindus, Buddhisten und andere. In den Nordmolukken machen die Muslime in etwa 70% der Bevölkerung aus, in den Molukken ca. 50% (Badan Pusat Statistik Propinsi Maluku 2000: I 0, und Bureau of Statistics 1997, http://www.websitesrcg.com/ambon/Malukupop.htm, 22.7. 2002). In Gesamt-lndonesien ist der Anteil der Muslime in etwa 87%. 32 Die Entstehungshintergründe und die Ausgestaltung einzelner pela-Bündnisse sind sehr unterschiedlich. Für eine ausführliche Abhandlung hierzu siehe Barteis 1977. Des Weiteren siehe Huwae 1995, 2001, Lokollo 1997, Pattiselanno 1999, Strijbosch 1985.

78

MOLUKKENKONFLIKT

Unter Dörfern wie Haria und Porto, Itawaka und Noloth, Ouw und Ullath (alle christlich und auf Saparua) oder zwischen Waai (christlich), Tial und Liang (muslimisch) auf Ambon und Stadtteilen wie Mardika und Baturnerah gab es regelrechte Fehdetraditionen. 33 Es ging vor allem um wirtschaftliche Vorteile, Land- und Grenzstreitigkeiten, wobei diese jedoch nie das Ausmaß annahmen, mit dem die Molukker seit Januar 1999 konfi·ontiert waren, sondern durch die Einwirkung traditioneller Vermittler immer sehr schnell beigelegt werden konnten? 4 Es kam aber auch nie zu einer wirklichen Vermischung der muslimischen und der christlichen Gemeinschaft. Man feie1ie zwar z.B. gemeinsam Weihnachten und ldul Fitri, heiratete aber im Normalfall nicht über religiöse Grenzen hinweg. Die meisten Dörfer waren bereits seit Jahrhunderten mehrheitlich oder einheitlich christlich oder muslimisch35 und auch in Ambon-Stadt hatten viele Vie1iel seit jeher den Ruf "christlich" oder "muslimisch" zu sein, auch wenn die Bevölkerung letztendlich gemischt war. Es handelte sich mehr um ein tolerierendes Nebeneinander als um ein harmonisches, auf gegenseitigem Verständnis beruhendes Verhältnis. 36 Ein "traditioneller" Kont1ikt anderer Art ist der zwischen einheimischen Christen bzw. Muslimen und zugewanderten Muslimen (vorwiegend BBM). Die gemeinsame Religion, der Islam, war lange kein ausreichend starker Faktor, die lokalen Muslime und die BBM zu integrieren bzw. zu vereinen (Franz von BendaBeckmarm 1990: 30/31 ). Mitunter sprach die Lokalbevölkerung von der "BBMGefahr" (bahaya BBM). Gerade in den letzten Jahren galten die Butanesen und Bugis zunehmend als häutig betrunken und gewaltbereit (Mearns 1996: 102). Was die Beziehung zwischen den Christen und den BBM anbelangt, übertrug sich die ethnische Differenzierung auch auf den Wi1ischaftssektor. Während die BBM z.B. das Fahrradrikscha-Business (becak) und die Märkte beherrschten, zogen die Christen Büroarbeiten vor. 37 Im Zuge der 1997 ausgebrochenen Wirtschaftskrise mussten sich die Christen umorientieren und es entstand ökonomischer Neid auf die BBM. Im aktuellen Kont1ikt, so David Mearns (1999: 32), kam der Hass der Chris33 Auch während der Unruhen seit Januar 1999 wurden die Kämpfe nicht ausschließlich zwischen Christen und Muslimen ausgetragen, sondern es gab immer wieder auch Auseinandersetzungen innerhalb der beiden Lager oder zwischen zwei christlichen bzw. muslimischen Dörfern (siehe z.B. Barteis 2000). 34 Siehe Barteis 2000, Franz von Benda-Beckmann 1999, Cooley 1961: I 08-110, 234-238, Strijbosch 1992. 35 Das liegt daran, dass meist komplette Dörfer zu einer Religion übergetreten sind. Um Konflikte zu vermeiden, wurden gemischtreligiöse Dörfer wie Tial (Pulau Ambon) und Sirisori (Saparua) bereits in der Kolonialzeit in ein christliches und ein muslimisches Dorf geteilt, die dann Tial Serani und Tial Islam bzw. Sirisori Kristen und Sirisori Islam hießen (Kraemer 1927: 82). 36 Ich danke Ron Habiboe, Wim Manuhutu, Fridus Steijlen und Dieter Barteis für ihre hilfreichen Hinweise zu diesem Thema. 37 Siehe Mearns 1996, 1999. Frank Cooley (1961: 79) bemerkte, dass bei den Christen physische Arbeit, die über den eigenen Garten hinausging, und kommerzielle Aktivitäten verachtet waren, weswegen diese von den "neueren" Immigrantengruppen dominiert wurden, insbesondere den Butanesen und den Makassaris.

79

CYBERIDENTITIES AT WAR

ten gegen die schlecht ausgebildeten und bezahlten Butanesen zum Vorschein. Erst nachdem viele Christen im Zuge der Unruhen arbeitslos geworden waren und sich keine muslimischen becak-Fahrer mehr auf christliches Gebiet wagten, stiegen auch Christen mehr und mehr in dieses Geschäft ein (Nirahua 2003). 38 Religion konnte im aktuellen Kon±1ikt nur deshalb zum identitätsbestimmenden Element werden, da ihr in den Molukken in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten eine immer größere Bedeutung zukam, während die des Adat inklusive der pe/a-Bündnisse zurückging. Gründe hierfür waren unter anderem die Zerstörung traditioneller Dorfverwaltungssysteme durch die Implementierung des vereinheitlichenden Dorfgesetzes (undangan-undangan 19 79/5) der indonesischen Regierung in den 1980er-Jahren, die steigende Urbanisierung und die Zuwanderung von Muslimen von außerhalb der Molukken im Rahmen staatlicher Transmigrationsprogramme und spontaner Migration. 39 Ambon-Stadt war seit jeher ein ethnisches Puzzle, in dem Ethnizität keine wirksamen Organisationsstrukturen zur Verfügung stellen konnte. 40 Im Zuge der Islamisierungspolitik Suhartos seit Beginn der 1990erJahre stiegen die Muslime allmählich in entsprechende Verwaltungsposten au±: die vorher von den Christen dominiert waren. 41 Im Zuge dieser schleichenden Islamisierung der molukkischen Gesellschaft wurde die Distanz zwischen lokalen Christen und Muslimen allmählich größer, der Unmut der Christen wuchs und es entstand eine Nähe zwischen lokalen Muslimen und den Glaubensbrüdern. den BBM. 42 38 Laut Dieter Barteis gelangten in der chaotischen Konfliktsituation allerdings nicht alle diese, oft herrenlosen becaks auf legale Weise in christliche Hände. Becaks tauchten jetzt sogar in (christlichen) Dörfern wie Ullath aufSaparua auf(pE 12.9.2003). 39 Siehe z.B. Ajawaila 2000, Barteis 2000, Lee 1997, Manuhutu 2000a, Pattiselanno 1999, Taylor 2001. Zum Einf1uss der muslimischen Zuwanderung auf das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen in Ambon siehe auch Mearns 1999. Im Rahmen staatlich geförderter Transmigrationsprogramme sind zwischen 1969 und 1999 97.422 Menschen in die Molukken eingewandert, davon mehr als die Hälfte in die Zentralmolukken. Bei einer Gesamtbevölkerung von zwei Millionen sind das immerhin beinahe fünf Prozent. Die Mehrheit kam aus Butan und Java, ist also muslimisch. Über spontane Transmigration liegen keine Zahlen vor. Schätzungen reichen von 50.000-200.000 (Regional Oflice ofthe Ministry of Transmigration and Forest Settiers Province of Moluccas, http://www.websitesrcg. com/ambon!Transmig.htm, 22.7.2002). Während 1930 noch ca. 60% der Gesamtbevölkerung der Molukken Christen waren, waren es vor Ausbruch der Unruhen nur noch 40%. Da im Laufe der Unruhen viele nicht-molukkische Muslime geflohen sind, dürfte der Anteil der Christen jetzt wieder gestiegen sein (Manuhutu 2000a: 9/1 0). 40 Hierzu trägt laut Dieter Barteis und Fridus Steijlen (pG in 2001) bei, dass Ambonesen und Zentralmolukker selbst sehr zersplittert sind und sich mehr über ihre Familie, ihren Clan und ihre Dörfer identifizieren, als über eine gemeinsame ambonesische oder gar molukkische Identität. Gerade in Ambon-Stadt leben nicht nur viele Nicht-Molukker, sondern auch sehr viele Zuwanderer anderer molukkischer Inseln. 41 Dieser Konkurrenzkampfkündigte sich schon in den Jahren vorher an, als die Muslime in lndonesien zunehmend bessere Ausbildungsmöglichkeiten, zu denen unter den Niederländern die Christen oftmals eher Zugang hatten, erhielten und nun auch gehobenere Positionen anstrebten. 42 Siehe z.B. Adi~jondro 2000e, 2001a.

80

MOLUKKENKONFLIKT

Konfliktfaktoren auf der nationalen Ebene Der Molukkenkonflikt kann nicht losgelöst von den Entwicklungen in lndonesien gesehen werden, wo nach dem Rücktritt Suhartos an allen Ecken und Enden lange unterdrückte ethnische und religiöse Spannungen - die so genannten SARAKonflikte (Suku, Agama, Ras dan Antargolongan = Ethnie, Religion, Rasse und Klasse) - aufbrachen und oft in gewaltsam ausgetragene Kont1ikte mündeten. Im Molukkenfall sind neben den Transmigrationsprogrammen der indonesischen Regierung die Islamisierungspolitik Suhartos, die seit 1995/96 indonesienweit zunehmenden anti-christlichen Ausschreitungen und der Rücktritt Suhartos mit seinen Konsequenzen 43 entscheidende Konfliktfaktoren auf der nationalen Ebene. Da Suhmio seine Macht Ende der 1980er-Jahre durch das Militär nicht mehr ausreichend gesichert sah, versuchte er eine weitere Stütze im Islam zu finden, dessen politische Bewegungen und dessen Einfluss er bislang immer unterdrückt hatte. Er ergriff Maßnahmen, die denjenigen Gruppierungen in Indonesien wieder Hoffnung gaben, die seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahre 1945 für die Einführung eines Islamstaates in Indonesien plädie1ien, dem größten muslimischen Land der Welt, dessen Verfassung bis dato auf den so genannten fünf Säulen (Pancasila) beruht: Glaube an den einen Gott, Humanität, Einheit Indonesiens, durch Konsens geleitete Demokratie und soziale Gerechtigkeit. 44 Die Gründung der Vereinigung Muslimischer Intellektueller Indonesiens (Ikatan Cendekiawan Muslim Indonesia, ICMI) durch B.J. Habibie, den damaligen Forschungs- und Technologieminister, im Jahr 1991 stellte gleichsam das Startsignal für den von Suhmio instrumentalisieJien politischen Aufschwung des Islam in Indonesien dar. 45 Es folgten die Eröffnung einer islamischen Bank, die Erweiterung der Befugnisse muslimischer Gerichte, die Aufhebung des Verschleierungsverbots an Schulen, die Gründung einer islamischen Tageszeitung (Republika), die Auflösung der Staatslotterie etc. (Hefner 1997, 2000a: 18/19). Abdurrahman Wahid, der 1999 erster demokratisch gewählter Präsident Indonesiens werden sollte, äußerte sich sehr kritisch gegenüber dieser neuen Entwicklung, da damit Religion politisiert und instrumentalisiert werde und islamische Fundamentalismen Aufschwung erhielten (Ramage 1995: 70-72). Für Amien Rais hingegen, ein prominentes ICMI-Mitglied, stellte die Islamisierungspolitik den einzigen Weg gegen eine drohende Christianisierung (kristenisasi) der indonesischen Gesellschaft dar, die sich an der zunehmenden Anzahl von Christen auf Ministerund hohen Militärposten während der Neuen Ordnung zeige (Ramage 1995: 99). 43 Siehe u.a. Aspinall, Klinken und Feith 1999, Kees van Dijk 2001, Farrester 1999, Hefner 1999, Manning und Diermen 2000, Schwarz 1999, Schwarz und Paris 1999. 44 Siehe u.a. Hefner 2000a, Mangkey 2000, Meuleman 2001, Rarnage 1995. 45 Der "kulturelle" Aufschwung des Islam war auch schon in den Jahren davor in der Orde Baru, der so genannten Neuen Ordnung unter Suharto, gefördert worden: Tausende von Moscheen, Gebetshäusern und Koranschulen wurden gebaut, jedes Jahr die Pilgerfahrt zehntansender lndonesier nach Mekka gefördert und viel in die religiöse Ausbildung auf allen Ebenen investiert (Hefner 2000a: 17, 120, Rarnage 1995: 83).

81

CYBERIDENTITIES AT WAR

Unabhängig davon ist Religion in Indonesien seit jeher ein Politikum, sei es während der Kolonialzeit, als der Übertritt zum Christentum den Muslimen zufolge zugleich auch die Loyalität zu den Kolonialherren signalisierte, sei es im unabhängigen Indonesien, wo Atheismus unter Suharto aus Angst vor dem Kommunismus verboten wurde und man sich seither zu einer von ±linf offiziellen Religionen bekennen musste (Islam, Protestantismus, Katholizismus, Hinduismus, Buddhismus) und Religionsunterricht zur Pt1icht wurde. 46 In seinem Bemühen, die Opposition entlang religiöser und ethnischer Linien zu spalten, wurden Suhartos Strategien ab 1996 zusehends anti-christlich und anti-chinesisch (Hefner 2000a: 19). Dies entsprach ganz den Vorstellungen muslimischer Hardliner wie z.B. KISDI 47 , die von einer zionistisch-jüdischen Weltverschwörung ausgingen, die ±lir die Wirtschaftskrise in Indonesien verantwortlich sei und den Sturz Suhartos plane (Hefner 2000a: 202/203). Nach dem tatsächlichen Rücktritt Suhartos schienen die letzten Schranken zu fallen und es entstanden eine Vielzahl islamischer Zeitungen und Parteien sowie eine Reihe islamistischer Gruppen, darunter die oben angesprochene FPI, der MMI 48 und das FKAWJ. Was diese Gruppierungen eine, so Noorhaidi Hasan, sei ihr Anspruch, ±lir die Sache Allahs zu kämpfen, und ihre anti-westliche und antikommunistische Einstellung. 49 Vor diesen Hintergründen ist der sprunghafte Anstieg anti-christlicher Ausschreitungen in Indonesien seit Mitte der 1990er-Jahre zu verstehen. Nach einer Statistik des Indonesian Christian Communication Forum (2001) 50 wurden unter der Präsidentschaft Sukarnos (21 Jahre) nur zwei Kirchen zerstört, niedergebrannt oder geschlossen, unter Suharto 456 (32 Jahre), davon 275 allein in den Jahren von 1995 bis 1998, unter Habibie von Mai bis Oktober 1998 156, unter Abdurrahman Wahid von November 1998 bis Juli 2001 232 und unter Megawati von August 2001 bis Januar 2003 60. Aufgrund dieser Entwicklungen geht John Titaley (2001) davon aus, dass der Molukkenkonflikt Teil eines groß angelegten Islamisierungsplanes ist, der jegliche Spuren des Christentums in den Molukken und in ganz Indonesien auslöschen möchte.

46 Siehe z.B. Feillard 2000a, Laksono 2002.

47 Das Indonesische Komitee für Solidarität mit der Islamischen Welt (Komite Indonesia untuk Solidaritas dengan Dunia Islam, KISDI) war 1987 unter der Führung Ahmad Sumargonos und anderer als assoziiertes Mitglied des Islamischen Missionsverbandes lndonesiens (Dewan Dakwah Islamiyah Indonesia, DDII) gegründet worden, um der Sympathie Indonesiens mit der Notlage der Palästinenser Ausdruck zu verleihen (Hefuer 2000a: I 07109). 48 Beiträge des Gründungskongresses des MMI wurden von lrfan Suryahardi Awwas (2001) herausgegeben. 49 http://www.iias.nl!iias/research/dissemination/phd/noorhaidi.html, 9.3.2002. 50 Das ICCF oder FKKI (Forum Komunikasi Kristen Indonesia) wurde anlässlich der zunehmenden anti-christlichen Gewaltakte in lndonesien am 26.1.1997 in Prigen, Ostjava, gegründet (Tahalele 1998).

82

MOLUKKENKONFLIKT

Neben radikalislamischen Muslimen. die in Indonesien nach wie vor eine kleine Minderheit darstellen, 5 1 haben vielen Analysten zufolge auch das Militär und die Anhänger des ehemaligen Suharto-Regimes ein Interesse am Molukkenkon±likt, wo±lir die Religion instrumentalisiert werde. 52 Nach dem Ende des SuhartoRegimes wurden von der neuen Regierung Reformen in die Wege geleitet, welche die doppelte Funktion (dwifungsi) des indonesischen Militärs als Verteidigungseinheit und als politischer Faktor allmählich aufheben sollten. 53 Damit hätte das Militär, oder zumindest der Teil davon, der sich mit diesen Entwicklungen nicht abfinden wollte, laut Aditjondro (200 I b) gleich mehrere Gründe, aktiv an der Initiierung bzw. an der Verlängerung des Molukkenkon±likts mitzuwirken: erstens, die Verzögerung der Reformen und die Beibehaltung ihrer Doppelrolle, zweitens, die Wahrung der Integrität des Staatsgebietes, drittens, die Verteidigung der territorialen Struktur des TNI, viertens, die Verteidigung der wirtschaftlichen Interessen des Militärs und ±linftens, die Ablenkung von der Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen durch das Militär. Die Organisation TNI Watch stellte beispielsweise fest, dass zeitgleich zum Verhör Wirantos, des damaligen Oberbefehlshabers des TNI, dem Menschenrechtsverletzungen in Osttimor zum Vorwurf gemacht wurden, auf Ambon erneute Unruhen ausbrachen (SiaR News Service 22.5.2000). Daneben vermutet man, dass auch Suharto-Kreise in den Molukkenkon±likt involviert sind, um ihre wirtscha±llichen Interessen dort zu wahren, um der aktuellen Regierung zu schaden und um von Untersuchungen hinsichtlich des Vermögens verschiedener Mitglieder der Suharto-Familie abzulenken. Als Vorboten bzw. als Teil der Inszenierung des Molukkenkon±1ikts werden der Vorfall in Jakartas Ketapang-Distrikt und seine Folgen gesehen. Am 22. November 1998 entwickelte sich dort ein Streit zwischen ambonesischen Christen. die als Türsteher vor einem Spielkasino arbeiteten, und lokalen Muslimen. Nachdem das Gerücht umging, die Ambonesen hätten eine lokale Moschee zerstö1i, kamen LKW-weisemuslimische Jugendliche an, die aus Rache einige Kirchen zerstörten und mehrere Ambonesen töteten. Das Militär nahm diesen Vorfall als Anlass. alle Molukker ohne Papiere in Jakmia einzusammeln und nach Ambon zurückzuschi-

51 Oder in den Worten Hefners (2001: 1): .,Let me begin by emphasizing that hardline, antipluralist Muslims are a tiny minority in lndonesia relative to their moderate and democratic Muslim counterparts. This fact has been proved in social research, but was also decisively demonstrated during the free and fair elections of June 1999, when hardline Muslim parties won less than 5% of the vote, versus more than 50% for parties of democratic reform. The jihad fighters are no more representative ofthe majority oflndonesian Muslims than Maluku Christi an fighters are of lndonesia's minority (9%) Christian community." 52 Siehe z.B. Adi~jondro 2000a, b, d, 2001a, b, Chew 2000, Margot Cohen 2000, Hefner 2000b, 2001, Hauben 2000a, b, Institut Studi Arus lnformasi 2000a, International Crisis Group 2000a, b, Lev 2001, Mangkey 2000, McCawley 2000, Salampessy und Husain 2001, Schulte Nordholt 2000b, Sihbudi, lrewati, Bhakti, Nurhasim, Haris und Ratnawati 200 1, W atch Indonesia 1999. 53 Siehe z.B. Anderson, Shiraishi und Siegel 1999: 142/143, Liddie 1999, Liem Soei Liong 2000, Mangkey 2000, Tesoro 1999.

83

CYBERIDENTITIES AT WAR

cken, darunter viele der Ketapang-Leute, die Rache geschworen hatten. Laut Aditjondro (200la: 111) könnte dies ein Schachzug von Suharto-Anhängern gewesen sein, um Unruhen in Ambon zu stiften. 54 Am 30. November demonstrierten Christen in Kupang, Westtimor, gegen die Zerstörung der Kirchen im Ketapang-Fall. Plötzlich wurde auch hier eine LKW-Ladung Jugendlicher angefahren, die innerhalb kürzester Zeit ein Bugis-Viertel und eine Moschee in Brand steckten. Laut Human Rights Watch (1999: 6) sollen beide Vorfalle vom Militär als Nutznießer ziviler Unruhen provoziert worden sein und in Ambon eine sehr angespannte Stimmung erzeugt haben; diese habe die Regierung veranlasst, angesichts des nahenden Weihnachts- und Idul-Fitri-Festes Warnungen an alle religiösen Führer auszusprechen, auf Provokationen und Gerüchte nicht zu reagieren.

Medien im Molukkenkontlikt Die religiöse Dichotomisierung der molukkischen Gesellschaft setzt sich auch in den Medien fort. Zum einen wurde die Vorstellung eines Religionskont1ikts dankbar in die Berichterstattung übernommen. Die Medien werden sogar einen wesentlichen Teil dazu beigetragen haben, dieses Bild zu festigen. Zum anderen fand auch eine Zweiteilung in dem Sinne statt, dass bestimmte Medien dem christlichen, andere dem muslimischen Lager zugeordnet wurden. Mögliche Rückwirkungen auf den Kont1ikt sind in bisherigen Kont1iktanalysen noch viel zu wenig berücksichtigt. Das indonesische Institut für Studien zum freien Informationst1uss (Institut Studi Arus lnformasi, ISA!) hat eine Ausgabe seines PANTAU-Magazins (2000b) der Molukkentragödie (Petaka Maluku) und der Analyse der Berichterstattung darüber in großen nationalen Tageszeitungen- Kompas, Suara Pembaruan und Republika- gewidmet. Während Republika offensichtlich den Standpunkt der Muslime vertrete und in ihren Artikeln zum Molukkenkont1ikt häutig die Rede sei von einem Religionskont1ikt, würden Kompas und Suara Pembaruan, die in der indonesischen Medienlandschaft Sprachrohr für die Christen sein könnten, keinen expliziten christlichen Standpunkt vertreten und sich davor hüten, Religion zu sehr zu thematisieren. Muhammad Qodari (2000) sieht dies als Nachwirkung der Orde Baru, der Neuen Ordnung unter Suhmio. Auf der lokalen Ebene werden Tageszeitungen, Radio- und Fernsehsender noch viel eindeutiger den verschiedenen Lagern zugeordnet. Von der Tageszeitung Suara Maluku, die wie Siwalima von den Muslimen als Sprachrohr der Christen angesehen wird, spaltete sich aufgrund des Kont1ikts 1999 sogar eine eigene muslimische Tageszeitung, Ambon Ekspres, ab. Die Büros sind jeweils in christlichem oder muslimischem Gebiet, die angestellten Journalisten entweder christlich oder muslimisch. Da den Journalisten der Zugang zu vielen Informationen der jeweils anderen Seite verwehrt bleibt, ist die Berichterstattung gezwungenermaßen einseitig oder unvollständig, auch wenn sich die Reporter um Neutralität bemühen. Entsprechend gibt es in den muslimischen Stadtteilen Ambons an den Zeitungsständen 54 Siehe auch Jubilee Campaign UK 1999.

84

MOLUKKENKONFLIKT

z.B. Ambon Ekspres, die Wochenzeitung Suisma (Suara Umat Islam Maluku, Stimme der Islamischen Gemeinschaft der Molukken), das Jurnal Islam, Bücher von Rustam Kastor und Husni Putuhena, und, so klischeehaft es klingen und so wenig es über tatsächliche oder auch nur ideologische Verbindungen aussagen mag, Osama-bin-Laden-Poster, an christlichen Ständen hingegen Suara Maluku, Siwalima, Kompas und Jesusposter und -kalender. Auch dem nationalen Fernsehsender TV Republik Indonesia (TVRI) und dem Radiosender Radio Republik Indonesia (RRI) in Ambon wird von den Muslimen oft vorgeworfen, pro-christlich zu sein. Tatsächlich aber sind beide stark von der Regierung beeinflusst und TVRI hat eine muslimische und eine christliche Crew, wenngleich das Hauptbüro in christlichem Gebiet liegt. Die Studios des RRI liegen auf christlichem Gebiet. Kontakt zur "anderen Seite" besteht nur per Telefon, was eine objektive und ausgeglichene Berichterstattung beinahe unmöglich macht. 55 Von christlicher Seite werden vor allem die Medien des FKA WJ in Ambon heftig kritisiert, darunter der provokative Radiosender SPMM (Suara Pe1juangan Muslimin Maluku, Stimme des Kampfes der Molukkischen Muslime). Erst seit Anfang 2001 sprach der Verantwortliche für den zivilen Ausnahmezustand, Saleh Latuconsina, wiederholt Warnungen an die molukkische Bevölkerung aus, sich von der Berichterstattung bestimmter lokaler wie nationaler Zeitungen, Fernseh- und Radiosender nicht provozieren zu lassen, forderte die Medien zu einer neutralen Berichterstattung auf und ergriff konkrete Maßnahmen. 56 Eine davon war der Beschluss, SPMM zu schließen, was jedoch nie umgesetzt wurde, eine andere das Verbot vom 28.8.2001 an alle Journalisten. über FKM-Aktivitäten zu berichten. Das TNI bewog dies, zwei Journalisten von Siwalima und Suara Maluku zu verprügeln, da sie am selben Versöhnungstreffen wie Alex Manuputty in Waisarissa (Seram) teilnehmen wollten. Für Organisationen wie die indonesische Vereinigung Unabhängiger Journalisten (Aliansi Jurnalis Independen, AJI) und Reporter ohne Grenzen (Reporter Sans Frontieres, RSF) 57 war die Bedrohung der Pressefreiheit durch die Verhängung des zivilen Ausnahmezustandes Anlass zu großer Sorge und großem Protest. Keine Beachtung fand jedoch bis zuletzt, dass sich der Konflikt auch im Medium Internet fortsetzte. Selbst wenn der Auslöser des Molukkenkonflikts ein anderer gewesen sein mag oder dieser von politischen oder militärischen Drahtziehern provoziert oder insze-

55 Ich danke Victor Joseph, molukkischer Journalist in den Niederlanden, für diese Informationen. Zur Medienlandschaft in den Molukken zu Zeiten des Konflikts siehe auch Eriyanto 2003, Joseph 2000, die Spezialausgabe des ALERT-Magazins (Southeast Asian Press Alliance 2002) und die Beiträge in Gatra 17.3.2001, Peaceju/ coexistence among journalists of Maluku, und The Straights Times 12.11.2000, Mirroring sectarianism in the streets. 56 Siehe z.B. The Jakarta Post 28.2.2001 und satunet.com 27.3.2001. 57 Press Freedom Alert, Journa/ists receive death threats in the Mo/uccas (http://www.rsf.fr, 30.6.2000).

85

CYBERIDENTITIES AT WAR

niert worden ist, sorgten jene lokalen wie nationalen Faktoren doch dafür, dass Religion zum identitätsbestimmenden Faktor im Kont1ikt werde konnte und nicht z.B. ethnische Zugehörigkeit. Hinzu kommt, dass sich Religion hervorragend als Identitätsstifter in Krisen- und Kont1iktzeiten eignet. Religion kann Beteiligten wie Beobachtern dienen, einen Kont1ikt begreitbar und erklärbar zu machen. Dies führte im Molukkenfall zu einer Simplifizierung der sehr komplexen Konfliktstrukturen und -mechanismen, wozu auch die Berichterstattung in den Medien entscheidend beitrug. Laut Peter Kreuzer (2000: 20) fand eine Reorientierung auf primordiale (religiöse) Identitäten und eine Dichotomisierung der Konfliktstrukturen statt. Jeder Einzelne sei in seine kollektive Identität hineingezwungen worden; neutrale und vermittelnde Positionen seien nicht möglich gewesen, da ihnen der Geruch des Verrats an der eigenen Gruppe angehaftet hätte. Tatsächlich mussten insbesondere auf der muslimischen Seite Personen, die sich um eine Vermittlung zwischen Christen und Muslimen bemühten, ständig Anschläge aus den eigenen Reihen fürchten.

Exkurs: Zusammenhang von Religion, Identität und Konflikt Eine eingehendere Betrachtung des Identitätskonzepts, das den cybertheoretischen Überlegungen zur kollektiven Identität zugrunde liegt, liefert ein weiteres Instrumentarium zur Analyse der molukkischen Cyberprojekte. Das Konzept der kollektiven Identität möchte ich wie Alberto Melucci (1995: 51) nicht als Faktum oder Essenz, sondern als analytisches Werkzeug verstanden wissen, durch das wir die "Realität" betrachten. Als solches karm es helfen, Phänomene zu analysieren, die mit anderen Modellen nicht zu erklären sind. Entsprechend sind kollektive Identitäten als solche kein Thema im molukkischen Cyberspace, stellen aber ein effektives Tool dar, um die Vorgänge und Phänomene dort besser analysieren und verstehen zu können. Interessanterweise finden sich etablierte Offline-Identitätsstrategien auch bei den Identitätskonstruktionen im Online-Bereich wieder.

Kollektive Identität Grundsätzlich kann man in der Identitätsforschung zwei Positionen unterscheiden, je nachdem, wo die Fundamente angesiedelt werden, auf denen Identitäten beruhen. Die Primordialisten gehen davon aus, dass Phänomene wie Ethnizität und Religion sozusagen in der Natur des Menschen begründet sind, wogegen die Konstruktivisten Einspruch erheben, die Identität als einen Aushandlungs- und Konstruktionsprozess begreifen. Spätestens seit Fredrik Barth ( 1969) konzentrie1i sich die Ethnizitäts- und Identitätsforschung weniger auf die Inhalte fixer Identitätsmuster als auf den dynamischen Prozess der Aushandlung von Grenzen zwischen zwei sozialen Gruppen, die dadurch erst eine Identität zugeschrieben bekommen bzw. sich selbst zuschreiben. Entsprechend definiert Zdzislaw Mach (1993: 269) Identi-

86

MOLUKKENKONFLIKT

tät als dynamischen Prozess reziproker Identifikation zwischen Partnern in einer sozialen Situation; Identität werde dabei symbolisch durch die Konstruktion von Grenzen und Bildern kreie1i, die Gruppen und ihre Beziehungen untereinander bestimmten. Von anderen Autoren wird kollektive Identität als ein kontinuierlicher Aushandlungsprozess gesehen (Melucci 1995: 44), als "soziale Konstruktion" (Giesen 1999: 69) bzw. "soziale Imagination" (Assmann 1999: 133). Durch den interaktiven Konstruktionsprozess werde Melucci (1995: 44) zufolge ein Rahmen geschaffen, in dem kollektive Aktionen statttinden könnten. Entsprechend müssten kollektive Identitäten bestimmte Ziele, Mittel und Aktionsfelder festlegen, an denen sich das aktive Beziehungsnetzwerk der einzelnen Akteure ausrichte. Für ein erfolgreiches Identitätsprojekt sei aber auch ein gewisser Grad an emotionalem Einsatz erforderlich, wodurch der Einzelne ein Zugehörigkeitsgefühl entwickeln könne. Darüber hinaus müsse das Subjekt über verschiedene zeitliche Phasen bestehen, sich seiner Umgebung anpassen, sich von anderen abgrenzen und seine Identität anerkannt werden (Melucci 1995: 44/45). Wichtig ist laut .I an Assmann (1999: 134) der Bewusstwerdungsprozess bei den Mitgliedern, der überhaupt erst ein Wir-Bewusstsein. ein Solidaritäts- und Zusammengehörigkeitsgefühl sowie handlungsleitende Impulse schaffe.

Konstruktion und Identitätspolitik Schon Max Weber (1976: 237/241) spricht im Zusammenhang mit ethnischen Gruppen von einer "geglaubten Gemeinsamkeit", die den Vergemeinschaftungsprozess erleichtert. Die Art der Entstehung dieses (ethnischen) Gemeinschaftsglaubens ist Weber zufolge künstlich, das Ergebnis eines Konstruktionsprozesses, da es keine objektiven Kriterien für eine ethnische Gemeinschaft gebe. Als Beispiele für ethnische Differenzen nennt Weber (1976: 238) Sprach-, Religions- und politische Schicksalsgemeinschaften, ästhetische Unterschiede und Unterschiede in der Lebensführung des Alltags. Ethnizitäts-, Identitäts- und Religionsforschung können sehr eng miteinander verknüpft sein. Je nach Kontext und Interessenlage wird Religion zu einem ethnizitätsbestimmenden Element wie es z.B. der Buddhismus für die Singhalesen, der Hinduismus für die Tamilen und der Islam für die Malaien ist. Religion ist im Konfliktfall wie z.B. im Balkankrieg oft wesentlicher Bestandteil des Ethnizitätsgetlihls (Appleby 2000: 63-71 ). Dem Modell Barths folgend konstatiert Hitchcock ( 1996: I 0/11 ), dass Identität ständig durch bewusstes Handeln (wieder)erschatien, d.h. konstruiert werden muss. Für den Konstruktionsprozess kann Ethnizität aufgrund ihres dynamischen Charakters als strategische Ressource genutzt werden. Ethnizität und ethnische Solidarität werden in Bezug auf die Elemente einer Kultur (unter anderem eine gemeinsame Geschichte, Ursprungsmythen, Sprache, Abstammung, Territorialität, gelebte Praktiken) geschatlen und darüber wird gleichzeitig ihre Primordialität konstruiert (Zurawski 2000: 41 ). 58 Ab58 Entsprechend argumentiert Stanley Tambiah (1989: 336), dass Ethnizität die Semantik

primordialer und historischer Ansprüche mit der Pragmatik berechnender Wahl und Op-

87

CYBERIDENTITIES AT WAR

hängig von der Situation ändern sich die identitätsbestimmenden Elemente, die Inund Exklusionsmuster. 59 was besonders im Kont1iktfall entscheidend werden kann. Friedrich Heckmann ( 1997: 46) wirft den Konstruktivisten vor, für sie sei Ethnizität ein rein künstliches Fabrikat, das nur imaginiert, aber nicht real sei. Dieser Kritik liegt ein ähnlicher Trugschluss zugrunde wie dem Vorwurf an das Imaginationsprinzip, der diesem jeglichen Anspruch auf "Realität" raubt. Im Gegenteil wurde aber vielfach gezeigt, dass Konstruktion nicht mit Erfindung gleichzusetzen ist, sondern sich ,,Identitätskonstrukteure" eines stark vom kulturellen und historischen Kontext bestimmten Repertoires an Materialien und Symbolen bedienen müssen, um wirksame Identitätsprojekte entwerfen zu können. 60 Die verwendeten Materialien sind allerdings gefiltert und konstruiert durch die Erinnerung, die Phantasie, Erzählungen und Mythen der jeweiligen Akteure (Hall 1994: 395). Bei kulturellen (oder kollektiven) Identitäten, so Stuart Hall weiter, handle es sich nicht um Essenzen, sondern eine Positionierung, die sich an den jeweiligen Umständen orientiere. Es ist also immer automatisch Identitätspolitik mit im Spiel, eine Politik der Positionierung. Kollektive Identitäten werden bestimmt durch die Motivation, die Ziele und den Kontext der am Konstruktionsprozess beteiligten Personen. 61 Je nachdem, gegen wen man sich abgrenzen möchte, werden jeweils unterschiedliche Elemente tlir den Konstruktionsprozess herangezogen und aktiviert (Mach 1993: 7). Darüber hinaus bewohnt jedes Individuum üblicherweise mehrere "Welten" zugleich, d.h. jeder ist Mitglied mehrerer Wir-Gruppen, deren Bedeutung sich für den Einzelnen je nach persönlicher und allgemeiner Situation ändert (Calhoun 1995: xv). Calhoun ( 1995) wägt in der Identitätspolitik zwischen Essentialismus (Primordialismus) und Konstruktivismus ab, wobei seine Begritiswahlpolitics ofidentity schon impliziert, dass Identitäten, auch wenn sie auf primordiale Elemente rekurrieren, immer konstruiert sind. Es wäre ihm zufolge jedoch zu kurz gegriffen, schlicht den Konstruktionsprozess aufzuzeigen, da so noch keine Erklärung dafür gefunden sei, warum man sich nach wie vor auf essentialist identities beruft und diese oft tiefliegende Gefühle hervorrufen (198/199). Man müsse sich also sowohl die essentialistischen Begründungen als auch den Konstruktionsprozess ansehen, um Identitätspolitik analysieren zu können (204). Da Religion eine der essentialistischen Begründungen im Molukkenkonflikt ist und auch im Konstruktionsprozess im Cyberspace eine herausragende Rolle spielt, wird später in diesem Kapitel näher auf den Zusammenhang von Religion, Identität und Kont1ikt eingegangen. Identi-

59 60

61

88

portunismus im dynamischen Kontext politischen und wirtschaftlichen Wettbewerbs zwischen Interessengruppen vereine. Siehe Eriksen 1991: 129, Hitchcock 1996: II, Meyrowitz 1997: 62, Rutledge 1985:49/50. Entsprechend kritisieren Schlee und Werner (1996: 14), dass die Metapher von der "Erfindung", wie sie in vielen Buchtiteln derzeit auftauche, wie z.B. in The Invention of Traditions, unglücklich gewählt sei, da es sich auch hier um Konstruktionen, nicht um bloße Erfindungen aus dem Nichts handle. Siehe hierzu Baumann 1999: 21, Castells 2001b: 7, Mach 1993: 5.

MOLUKKENKONFLIKT

tätspolitik kann laut Calhoun (220/221) auf unterschiedlichen Ebenen statttinden und sich verschiedener Kategorien bedienen. Viele identitätspolitische Strategien erheben Anspruch auf Kategorien größeren Maßstabes wie z.B. den Islam, die in unterschiedlichem Maße von lokalen Netzwerken ergänzt werden können, was entscheidend für eine eventuelle Mobilisierung ist. Die Abstraktheit dieser Kategorien stellt als herausragendes Element unter den vielen anderen ldentitäten involvierter Personen eine Art Trumpfkarte dar. Die Gefahr liegt darin, dass diese mächtigen kategorischen Identitäten ein Element der Unterdrückung und/oder des Essentialismus werden. Das Internet bietet einen nahezu idealen Rahmen, an größere kategoriale Identitäten anzuknüpfen, da es erlaubt, die Beschränkungen von Raum und Zeit zumindest teilweise aufzuheben. Ein gutes Beispiel ist die Inkorporation lokaler Identitäten in die übergreifenden Identitätskategorien des Islam und des Christentums, die im Falle der Molukken lange Zeit die Konfliktlinien bestimmten, auch wenn es sich im Grunde um keinen Religionskonflikt handelte. Auf diese Weise konnten viele Menschen, die sich aufgrund der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in einer Identitätskrise befanden, mobilisiert werden. Ein interner Dialog wurde, zumindest was die Präsentation der ldentitäten nach außen anbelangt, ausgelöscht.62 Sprecher und Repräsentanten erhalten im öffentlichen Raum in Bezug auf diese Kategorien größeren Maßstabs oft mehr Aufmerksamkeit, Anerkennung oder Einfluss (Calhoun 1995: 240). Dabei müssen über ethnische und religiöse Elemente essentialisierte Identitäten nach Zurawski (2000: 75) nicht zwingend den alltäglichen Identitäten und Kulturen der Menschen und Gruppen entsprechen, die deren Quelle darstellen, wie dies z.B. in dem hindunationalistischen Diskurs der Hindutva deutlich werde. Entscheidend sei die Mitwirkung eines Identitätsmanagements, ob von Seiten des Staats, politischer Eliten oder sozialer Bewegungen, die sich auf eine gemeinsame ethnische Identität berufen. Zusätzlich zur Essentialisierung der eigenen Identität werde ein monolithisches "anderes Gegenüber" geschaffen, welches in einem strikten Gegensatz zum "Eigenen" stehe: Im Falle der Hindutva sind es die Muslime, im nationalen Narrativ der Singhalesen auf Sri Lanka die Tamilen.

Wir-Gruppen und "die anderen" Im Konstruktionsprozess kollektiver ldentitäten spielen sowohl die Existenz und die Teilhabe an einem gemeinsamen Wissen und einem gemeinsamen Gedächtnis (Assmann 1999: 139) eine Rolle als auch der bewusste Abgrenzungsprozess gegen die von der Wir-Gruppe Ausgeschlossenen, um so eventuelle Schwächen im Selbstbild auszugleichen bzw. davon abzulenken und die eigene Identität zu stärken. Gemeinschaften, so Anthony Cohen (1985: 74, 107, 116), erhielten ihr Selbstgefühl durch die Abgrenzung zu anderen, so dass nach außen ein sehr einfaches Bild einer Gemeinschaft entstehe (symbolically simple, the public face), die nach 62 Siehe hierzu auch Calhoun 1995: 221.

89

CYBERIDENTITIES AT WAR

innen aber durchaus sehr komplex und vielschichtig sein könne (symbolically complex, the private face). Bereits bei Weber (1976) ist in der Ethnizitätsdiskussion die Rede von einem subjektiven Gemeinschaftsgefühl und integrativem, gemeinsamem Handeln versus Absonderung und Verachtung Andersgearteter (234) sowie "ethnischer Ehre" versus der Minderwertigkeit fremder Sitten (239). Assmann ( 1999: 153) unterscheidet zwischen integrativer und distinktiver Steigerung kultureller Formationen, je nachdem, ob Integration oder Abgrenzung mehr betont werden, Schlee (2002: 19) zwischen inklusiven und exklusiven Identitätsstrategien bei der Analyse von Wir-Gruppen. Abgrenzung erfolgt oft in der Form eines kontrastiven Modells, wie Mach (1993: 7) es nennt, indem einige wenige positive und attraktive Merkmale der eigenen Kultur als Elemente des Selbstbildes gewählt werden, während das Image "der anderen" auf der Grundlage wenigerunattraktiver Charakteristika ihrer Kultur aufgebaut wird. Antagonismus gehört, so Assmann (1999: 134), zu den typischen Ermöglichungsbedingungen der Reflexivwerdung und Steigerung von Grundstrukturen und damit zur Genese kollektiver Identitäten: Wir gegen "die anderen" (Butler 1995: 99/100). Heterogenität und Differenzen innerhalb der entstandenen Gruppe werden ignoriert, 63 um dem außenstehenden Rivalen oder einem bestimmten Risiko geschlossen gegenüberzutreten: "Die Stärke der kollektiven Identität ist hier abhängig von der wahrgenommenen Herausforderung von außen und nicht von der durch Kooperation etablierten gegenseitigen Reziprozität" (Giesen 1999: I 08). In einem Krieg darf es Neutralität nicht geben. 64 Es ist notwendig, eine Gruppe von Leuten als kollektive Feinde zu kategorisieren und zu stereotypisieren, sie als unmenschlich und unmoralisch darzustellen, zu depersonalisieren und zu vereinheitlichen, da man eine entmenschlichte Masse leichter angreift als eine Person, die man eventuell noch kennt und gegen die man vielleicht gar keine Antipathie hegt. 65 Die Anwendung von Gewalt wird somit legitimiert und Tötung gerechtfertigt (Orywal 1996: 35). Ebenso bedeutsam wie Selbstzuschreibung und Abgrenzung für die Festigung einer kollektiven Identität ist deren Bestätigung und Anerkennung durch Außenstehende bzw. eine bestimmte Fremdzuschreibung. 66 Fremdzuschreibungen, d.h. das Bild, das einer Gruppe von außen zugewiesen wird, muss nicht gleich deren Selbstbild sein. Im Extremfall, so Calhoun, sehen sich die Betroffenen überhaupt nicht als Wir-Gruppe oder aber sie haben sich nur als "Gemeinschaft" in Abgrenzung zu einer anderen Gruppe zusammengefunden, ohne entsprechend enge Beziehungen, gleiche Werte, Vorstellungen und Ziele. Eine dermiige "Pseudo-Gruppenbildung" karm aber unter Umständen ebenso wirksam sein wie eine "wirkliche" Gemein63 Siehe hierzu auch Mach 1993: 10111, 16,43 und Assmann 1999: 157. 64 Siehe Juergensmeyer 2000: 173-175, Kakar 1997: 54, Tambiah 1996: 269, 278, 280. 65 Giesen 1999: 93. Beispielhaft sind hier die Darstellungen von Muslimen durch Hindus in Indien und umgekehrt (Jürgenmeyer 1998, Kakar 1997, Singh 1990, Tambiah 1996, Veer 1994, Weiss, Weichert, Hust und Fischer-Tim: 1996). 66 Siehe Elwert 1989:447/448, Giesen 1999: 123, lenkins 1994, Melucci 1995:47.

90

MOLUKKENKONFLIKT

schaft und sich möglicherweise auch zu einer solchen entwickeln (Calhoun 1995: Kapitel?). Im Aufbau- und Reproduktionsprozess von Identitäten ist die Zirkulation von Symbolen wie kulturellen Werten und Elementen, religiösen Gemeinsamkeiten, geographischen Bezügen, normativen und formativen Texten, einer gemeinsamen Sprache und der Geschichte bzw. der A1i, wie sie durch die jeweiligen Parteien interpretiert wird, entscheidend (Assmann 1999: 139-142). 67 In einem notwendigerweise selektiven Prozess findet hier ein Bezug auf geschichtliche Ereignisse statt, wodurch jede Gruppe sozusagen eine je eigene Geschichte rekonstruiert, die zum Bezugspunkt politischen Handeins wird. So versucht man aktuellen Ereignissen Sinn zu geben und sie in die Geschichte einzuordnen (Elwert 1989: 441 ). Eine fehlende gemeinsame Vergangenheit, die gegenseitiges Vertrauen und kollektive Identität sichert. lässt sich durch eine Geschichte ersetzen. die in einem kontinuierlichen Austausch der Akteure geschaffen wird (Giesen 1999: 105). Die Geschichte einer Gruppe ermöglicht auch denjenigen eine Teilhabe an der kollektiven Identität der Gemeinschaft, die an den einzelnen Ereignissen nicht direkt beteiligt waren (Giesen 1999: 120). Wie wir später sehen werden, können die Listenarchive, die von den molukkischen Cyberakteuren im Internet angelegt werden, diesem Zweck dienen.

Religion, Identität und Konflikt Die Kluft zwischen einer Wir-Gruppe und "den anderen" wird größer, wenn bedeutende Themen und Interessen im Spiel sind. Antagonismus und Konflikte sind die Folge, durch die die Welt in zwei gegensätzliche Hälften polarisiert wird, denen jeweils konträre Werte zugeschrieben werden: gut, zivilisiert, fortschrittlich, sauber, mit guten Manieren und moralisch versus schlecht, primitiv, reaktionär, dreckig, vulgär und unmoralisch. In einem Konflikt definieren sich die oppositionellen Gruppen nur noch bezüglich des Identitätsaspekts, der die größte Differenz und die Grundlage für den Konflikt konstituiert. Wie in den Molukken kann Religion in Kriegen und Konflikten als identitätsstiftendes Element eine herausragende Rolle übernehmen. Religion stellt eine Kategorie großen Maßstabs dar, durch deren Abstraktheit auf der einen und Eingebundenheit in einen lokalen Kontext auf der anderen Seite Personen unterschiedlichster Couleur vereint und mobilisiert werden können.68 Religion und die damit verbundenen Werte und P±1ichten sind ±lir den Gläu67 Symbolik ist elementarer Bestandteil von ldentitätspolitik. Symbole sind Ausdruck von Werten, Ideologien und Stereotypen, welche die Erfahrung der Mitglieder einer sozialen Gruppe organisieren und die Beziehungen zwischen verschiedenen Gruppen ausdrücken. Sie spielen eine fundamentale Rolle im Identifizierungs- und Abgrenzungsprozess einer Gruppe (Mach 1993: x) und eignen sich, um Menschen zu mobilisieren, Emotionen zu wecken und Ideen und Werten Ausdruck zu verleihen (Mach 1993: 35-37). 68 Siehe auch Rutledge 1985: 53-67. Zum Thema Religion und Identität haben Werner Gephart und Hans Waldenfels (1999) einen Sammelband herausgegeben.

91

CYBERIDENTITIES AT WAR

bigen etwas Gottgegebenes und damit letztendlich außerhalb des Einflussbereiches der Menschen, weswegen er bereit ist, diesem Bild bedingungslos zu folgen. Über die Religion, so Abe Wade Ata ( 1988), werden ldentitäten durch die "Projektion einer Ordnung jenseits zeitlicher Eventualitäten" sakralisiert. Religion kann für weltliche Forderungen eine übernatürliche Rechtfertigung bieten und sie mit einer unvergänglichen (und nicht verhandelbaren) Aura versehen (Appleby 2000: 61 ).

Polarisierung und Mobilisierung durch Religion Folgt man Cli±lord Geertz (1993: 123), stellt Religion für den Gläubigen im Alltag eine wichtige Orientierungsgröße dar, da ihm durch sie eine Vorstellung von der Welt sowie seiner Rolle und den Beziehungen darin vermittelt werde, anhand derer er seinen intellektuellen, emotionalen und moralischen Erfahrungen Bedeutung zuweisen könne. Ausschlaggebend sei, dass religiöse Konzepte nicht nur soziale und psychologische Prozesse interpretieren, sondern den Menschen auch konkrete Verhaltens- und Handlungsanweisungen geben, d.h. also diese Prozesse selbst entscheidend bestimmen. Religion könne ihren Anhängern zeigen, was Wahrheit ist, was "really real" ist, wie die Realität aussehen sollte, was vernünftig, menschlich und moralisch ist (Geertz 1993: 124). Insbesondere in Krisenzeiten können diese Orientierungsrahmen enormen Einfluss in der Konfliktstrukturierung und Identitätspolitik erlangen. 69 Religion kann nicht nur zu der Orientierungsgröße im Kont1ikt werden, sondern auch als Kont1iktlegitimation dienen. Selbst wenn Religion nicht die eigentliche Konfliktursache ist, dirigiert sie unter bestimmten Umständen das Kont1iktverhalten entscheidend in Richtung Eskalation oder Deeskalation (Hasenclever und Rittberger 1999: 1). Religion ist ideal dazu geeignet, undeutliche Konfliktformen in absolute zu übersetzen, um klare Verhältnisse und eindeutige Kont1iktlinien zu schatTen. So stellt Gerd Baumann (1999: 23/24) fest, dass in komplexen Situationen sozialer Kont1ikte ethnische, nationale oder Migrationsgrenzen oft in religiöse transformie1i werden wie im ehemaligen Jugoslawien und in Nordirland. Sobald ein Ereignis zum Religionskont1ikt deklariert ist, werden Akte der Grausamkeit und des Tötens zu Akten der Verehrung, für die die jeweilige Religion die Motivation, die Organisation und die moralische Rechtfe1iigung liefert.70 Die großen Sakralkulturen wie z.B. das Christentum und der Islam verkörpern Benedict Anderson (1998: 19) zufolge riesige Gemeinschaften, die vor allem durch das Medium einer heiligen Sprache und überlieferten Schrift vorstellbar wurden. Daraus leiteten die Gläubigen entsprechende Werte und Symbole ab, die zu den gemeinschaftsbestimmenden Elementen wurden. Muslime verschiedenster Nationen sind so z.B. zur Verständigung nicht auf eine gemeinsame gesprochene Sprache angewiesen, sondern können auf die gemeinsame Symbolik oder die Spra-

69 Siehe z.B. Schiller 1997: 182/183. 70 Siehe hierzu auch Juergensmeyer 2000, Sofsky 1996.

92

MOLUKKENKONFLIKT

ehe der Heiligen Schriften, das klassische Arabisch, zurückgreifen. Weber bekräftigt diesen übergreifenden, gemeinschaftsstiftenden Charakter von Religion: Es ist klar, dass die Sprachgemeinschaft und nächst ihr die, durch ähnliche religiöse Vorstellungen bedingte, Gleichartigkeit der rituellen Lebensreglementierung außerordentlich starke, überall wirkende Elemente von ,ethnischen' Verwandtschaftsgefühlen bilden, namentlich weil die sinnhafte ,Verständlichkeit' des Tuns des Anderen die elementarste Voraussetzung der Vergemeinschaftung ist (Weber 1976: 238). Die Symbole und Zeremonien, die Religionen zur Verfügung stellen, können strategisch zur Identitätskonstruktion und -stärkung eingesetzt werden, zur Gruppenintegration und zum Aktionsaufruf 71 Religion lässt sich in der Identitätspolitik strategisch unterschiedliehst einsetzen (Rutledge 1985: 56-67): Sie kann dazu dienen, sich gegen Einflüsse von außen, z.B. Westernisierung oder Kolonialisierung (Kartodirdjo 1972), zu wehren, um sich materielle Unterstützung zu sichern oder als gemeinsame identitätsstiftende Grundlage bei ethnischen oder anderen sozialen Unterschieden. Jeder Muslim z.B. kann sich trotz regionaler und lokaler Unterschiede auf eine (imaginierte) weltweite muslimische Gemeinschaft, die Umma, 72 berufen, die Christen auf die christliche Weltgemeinschaft.

Religiöse Symbolik Religiöse Symbole spielen in der Identitätspolitik von Kont1iktparteien, die sich vornehmlich über ihre Religionszugehörigkeit definieren, eine große Rolle: ein Kreuz oder ein Halbmond, sakrale Plätze oder religiöse Konzepte wie z.B. die Idee des Heiligen Krieges oder einer weltweiten Glaubensgemeinschaft. Religiöse Symbole sind nach Geertz ( 1993: 127) Ausdruck der Weltordnung, von Werten und Verhaltensanweisungen und daher besonders geeignet, Emotionen hervorzurufen. Sakrale Plätze sind von zentraler Bedeutung für jede Religionsgemeinschaft. Sie stellen territoriale Markierungen dar, die daran erinnern, dass die religiöse Gemeinschaft, trotz ihrer geographischen Zerstreutheit und ihrer spirituellen Jenseitsorientiertheit, nicht gleichgültig gegenüber territorialen Ansprüchen ist (Appleby 2000: 61 ). Da sakrale Plätze der deutlichste Ausdruck auf der Erdoberfläche für eine Verbindung zwischen Kosmologie und privater Erfahrung sind, ist der Fokus in den Religionen stark auf diese heiligen Zentren und die Kontrolle darüber ausgerichtet.73 Ein berühmtes Beispiel für einen andauernden Kampf zwischen den Anhängern zweier Religionen um das selbe Stück heiligen Landes ist die BabriMoschee in Ayodhya, Indien, die im Dezember 1992 von radikalen Hindus zerstört

71 Siehe Rutledge 1985, Schiller 1997. 72

73

Zur Geschichte der Umma als Identitätsstifter gibt Appleby (2000: 61) Auskunft: "In the final quarter of the twentieth century, Islamists have portrayed membership in the umma as the common source of identity binding together believing Arabs, non-Arab Africans, South Asians, Indonesians, and many other peoples from various nations. In practice, however, the universalism oflslam has collided repeatedly with its diverse cultural particularities." Siehe Das 1990: 11, Veer 1994: 11. 93

CYBERIDENTITIES AT WAR

wurde, die überzeugt sind, dass dieser Ort ursprünglich ihrem Gott Rama geweiht war. Die Belagerung und Zerstörung heiliger Orte und Stätten wie Kirchen, Moscheen, Synagogen und Schreine sind ein sicheres Mittel, den (religiösen) Gegner an einer zentralen und empfindlichen Stelle zu tretien. Der eigenen Gruppe dienen diese Orte im Kont1iktfall oft als Zut1uchtsorte und letzte Festung. Sie geben ihr ein Sicherheits- und Zugehörigkeitsgefühl (Ata 1988: 3). Eine ähnliche Bedeutung wie sakrale Orte haben bestimmte Zeitpunkte in den Religionen wie z.B. Feiertage, die Stunde des Gebets oder des Gottesdienstes und der Fastenmonat der Muslime (Juergensmeyer 2000: 133-139). Ein Angriff zu diesen Zeiten erlangt automatisch eine größere Dimension, da er nicht nur eine physische Offensive gegen einzelne Personen, sondern einen Angriti auf zentrale und sakrale Werte der gesamten Religionsgemeinschaft darstellt. Religion bietet Provokationsrituale zur Erweckung von Unmut und Anstiftung zur Gewalt, was oft in viel stärkerem Maße sozial, ökonomisch oder politisch motiviert ist als durch den "religiösen" Auslöser. Die Verletzung religiöser Schlüsselsymbole wie z.B. das Schlachten einer Kuh vor Hindus oder das Spielen lauter Musik vor einer Moschee zu Gebetszeiten karm zum legitimen Auslöser für kommunale Aufruhr und Gewalt werden. 74 Konzepte wie die einer weltweiten Religionsgemeinschaft oder die Idee des Heiligen Krieges - der Jihad im Islam oder die Kreuzzüge im Christentum - tragen zu einer weiteren Vertiefung oder Ausweitung eines zum Religionskrieg erklärten Kont1ikts bei. Der Jihad ist auch zum zentralen Symbol für die in den Molukkenkont1ikt involvierten radikalislamischen Gruppierungen geworden. Der allgemeinere Sinn des Jihad, nämlich die Anstrengung für die Religion, rückt angesichts der engen Auslegung des Jihad-Konzeptes dieser radikalen Minderheiten, die in der Auseinandersetzung mit Nicht-Muslimen den Schwerpunkt auf eine kriegerische Auseinandersetzung legen, sich durch eingängige Parolen und einschlägige Berichterstattung Gehör verschaffen und die moderate Masse dabei übertönen, in den Hintergrund. 75 Die Laskar Jihad stehen damit im Erbe eines Trends, der sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts in bestimmten islamischen Gruppierungen weltweit abzeichnete und vor allem durch den Ägypter Sayyid Qutb ( 1906-65) initiiert wurde. In seinem Traktat Milestones (1960) entwickelte er eine Interpretation des Jihad, die zur Kerndoktrin extremistischer Gruppen werden sollte. Man müsse, so Qutb, wieder zurückkehren zu den wahren Werten des Islam, wie sie die ursprüngliche islamische Gemeinschaft zu Muhammads Zeiten repräsentiert habe. Beeint1usst durch Maulana Sayyid Abu! Ala Maududi ( 1903-79) war Qutb Ve1ireter einer Vision des Islam als allumfassendes Konzept. Die minimalistische Interpretation des Jihad (in anderen Worten: die oben erwähnte "allgemeine" Auslegung) und das

74 Siehe z.B. Jaffrelot 1996: 99/100, Kakar 1997: 57, Singh 1990: 162, Tambiah 1996: 231236. 75 Siehe z.B. HAMKA 1976: 145. Zum Jihad-Konzept siehe auch Leemhuis 1991, Peters 1991.

94

MOLUKKENKONFLIKT

Kampfverbot des Propheten sieht Qutb nur als ein temporäres Stadium einer langen Reise während der Mekka-Periode. Seiner Meinung nach geht es im Jihad nicht um die Verteidigung einer nationalen Heimat, sondern vielmehr handelt es sich um einen Befehl, die Grenzen des Islam bis ans Ende der Welt auszudehnen (Appleby 2000: 91-95). Die Erklärung eines Heiligen Krieges ist laut Gosman und Bakker (1991: 14) ein propagandistisches Mittel, um die Muslime besser ±Ur den Kampf zu motivieren.76 Juergensmeyer (2000: 145) bezeichnet die Kämpfe, die im Namen einer Religion ausgetragen werden, als kosmische Kriege. Ihre Bedeutung reiche über das eigene begrenzte Leben der einzelnen Kämpfenden weit hinaus, indem sie an große Schlachten einer legendären Vergangenheit und den metaphysischen Kont1ikt zwischen Gut und Böse anknüpfen. Der Muslim z.B., der sein Leben im Jihad opfert, wird zum Märtyrer und erlangt persönliche Erlösung (Juergensmeyer 2000: 146/14 7). Er handelt im Namen Gottes, der ihn leitet. Wie der Kampf auch ausgeht, man kann nicht verlieren, man ist entweder Sieger oder Märtyrer (Gosman und Bakker 1991: 15). Diese Fähigkeit der Religion, den Gläubigen sozusagen psychisch aus der weltlichen Umgebung zu reißen, steht hinter der Logik religiöser Gewalt (Appleby 2000: 91). Die Absolutheit eines kosmischen Krieges macht Kompromisse unwahrscheinlich und die, die sich auf Verhandlungen einlassen, werden als Feinde angesehen- bei den radikalen Palästinensern wie bei den radikalen Israelis (Juergensmeyer 2000: 154). Entsprechend werden im Molukkenkonflikt moderate Muslime, die auf Verhandlungen mit den Christen eingehen, von den Laskar Jihad bedrängt. Religiöse "Fundamentalisten" sind laut Appleby (2000: 74) besonders geschickt, die Energien und das erhöhte religiöse Selbstbewusstsein, das mit einem religiösen Revival einhergeht, zu kanalisieren. Sie haben keine Skrupel, religiöse Leidenschaften zu politisieren, da sie es als ihre heilige Pt1icht ansehen, religiöse Krieger vorzubereiten, um gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu kämpfen. Jeder Gläubige müsste so notwendigerweise zum Aktivisten werden. In der Geschichte Indonesiens hat das religiöse Konzept des Jihad immer wieder eine Rolle gespielt, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung einem moderaten Islam anhängt. Jihad in seiner Interpretation als Heiliger Krieg gegen die Ungläubigen und gegen Unterdrückung wurde zum Symbol des Aufstandes und der Mobilisierung gegen die niederländische Kolonialmacht. 77 Im Jahre 1965, nach einem kommunistischen Putschversuch. richtete sich der Jihad der indonesischen Muslime gegen die PKI, die Kommunistische Partei Indonesiens, und alle ihre Mitglieder (Hefner 2000a: 16, I 08). Im Jahre 1977 schloss sich eine kleine Gruppe radikaler Muslime zum Komando Jihad zusammen, das zum einen gegen die Kommunisten, zum anderen ±Ur eine Erklärung Indonesiens zum Islamstaat kämpfte, von der Re-

76 Gosmans und Bakkers (1991: 14/15) Untersuchungen ergaben, dass sogar nicht-religiöse

Gruppierungen den Begriff als Metapher benutzen, um ihren hohen Zielen Ausdruck zu verleihen. 77 Siehe Kartodirdjo 1972, Legge 1964: 52-54. 95

CYBERIDENTITIES AT WAR

gierung allerdings brutal unterdrückt wurde (Bruinessen 1996: 26). Im Zusammenhang mit einer in Indonesien weit verbreitetenjüdischen Weltverschwörungstheorie (Bruinessen 1994) und der damit einhergehenden anti-westlichen Haltung der Muslime wurde der Jihad zum Symbol des Widerstands gegen den Westen. Im Zuge der seit 1999 andauernden Kon±1ikte in den Molukken und in Zentralsulawesi wurde von muslimischer Seite zum Jihad aufgerufen und muslimische Krieger für den Kampf gegen die Christen und alle Feinde des Islam mobilisiert und rekrutiert.

96

4

DIE MASARIKU-MAILINGLISTE- EIN BEISPIEL FÜR EINE ÜNLINE-GEMEINSCHAFT

"Can you image what would happen to Ambon if the cyberworld were never invented and the in±ormation technology were not existent?" fragte mich eines der Mitglieder der Masariku-Mailingliste. Und in der Tat ist der Einsatz des lnternets im Molukkenkon±1ikt beispielhaft da±lir, welch wichtige Rolle dieses Medium in einem Land spielt, in dem Pressefreiheit ±lir die Regierung über Jahrzehnte hinweg ein Fremdwort war. Die Neue Ordnung sah die Medien als Mittel, in dem weit verstreuten Inselgebiet eine nationale Kultur zu scha±Ien, die eine Implementierung der Entwicklungspolitik und der autoritären Herrschaft Suhartos ermöglichte (Sen und Hili 2000: 11/12): Um den Eindruck der Einheit und der Harmonie zu wahren, hat man jegliche Berichte über ethno-religiöse Spannungen (SARA-Kon±1ikte) strengstens verboten. Erst in der letzten Dekade der Neuen Ordnung verlor die indonesische Regierung aufgrund der rasanten technologischen Entwicklungen im Medienbereich langsam die Kontrolle über diesen. Die Ende der Suharto-Ära aufkommende Internettechnologie wurde durch die staatlichen Kontrollmechanismen nicht erfasst und spielte eine entscheidende Rolle im Übergang von der Orde Baru zur Era Reformasi (Reform-Ära).

Internet in Indonesien und den Molukken Eine der ersten Verbindungen zum globalen Internet stellte 1994 das Indonesische Wissenschafts- und Technologienetzwerk (IPTEKnet) her, das seit Mitte der 1980er-Jahre in Zusammenarbeit angesehener indonesischer Universitäten mit staatlicher Förderung aufgebaut worden war. 1 Im Mai 1995 wurde der erste Internet Service Provider (ISP) in Indonesien (Radnet) eingerichtet. 1996 beschloss die indonesische Post, ihren Service zu erweitern, und installie1ie in jeder Provinzhauptstadt ISPs, die über das Wasantara-Net verbunden sind. Noch im selben Jahr wurde die Indonesische ISP-Vereinigung gegründet (APJII). 2 Vor allem in den Städten entstanden zahlreiche Internetläden und -cafes, die für Aktivisten und Studenten Umschlagplätze von Nachrichten und Neuigkeiten wurden, die weit über das Angebot der etablierten Medien in Indonesien hinausgingen. Ausdrucke dieser Nach-

2

Zur Geschichte und Entwicklung des Internets in Indonesien siehe Basuki 1998, Hili und Sen 1997, Minges 2002, Sen und Hili 2000: 194-217. Asosiasi Penye1enggara Jasa Internet Indonesia (http://www.apjii.org). 97

CYBERIDENTITIES AT WAR

richten werden vervieWiltigt und verteilt, so dass auch die informiert werden, die selbst keinen Internetzugang haben. 3 Da es in Indonesien üblich ist, Internetaccounts und Passwörter zu teilen, ist die tatsächliche Anzahl an Internetnutzern nur sehr schwer auszumachen. 4 Nach einer APJII-Studie haben 43% aller Nutzer in Indonesien über Warnets (Internetkiosks) Zugang zum Internet, 41% im Büro, 12% zu Hause und 4% in der Schule. Während E-Mail die häufigste Anwendung ist, sind Nachrichtenseiten wie Detikcom und Online-Tageszeitungen unter den meistbesuchten Webseiten. Wie die durchschnittlichen euro-amerikanischen Internetnutzer sind auch die indonesischen zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt, zu 70-80% männlich. die Mehrheit hat einen Universitätsabschluss und kommt aus der mittleren oder oberen Einkommensklasse. 5 Auch wenn bislang statistisch gesehen nicht mehr als 2% der indonesischen Bevölkerung Zugang zum Internet haben, spielt es Beobachtern zufolge eine entscheidende Rolle im Kampf um Demokratisierung und Stabilität in Indonesien. 6 Im Internet wurde beispielsweise nur wenige Stunden nach dem Überfall auf das Hauptquartier der Demokratischen Partei Indonesiens (PDI) am 27. Juli 1996 eine detaillierte Chronologie der Vorfalle verteilt. 7 Die Bedeutung des Cyberspace als das "wahre Schlachtfeld zwischen den pro-demokratischen Aktivisten und den Anhängern des Suharto-Regimes" wurde laut Basuki (1998: 100) aber schon ein Jahr vorher offenbar, als das Legal Aid Institute (LBH) einen dringenden Appell wegen der Menschenrechtssituation in Indonesien in die von McDougall 1990 eingerichtete Mailingliste Apakabar bzw. INDONESIA-L stellte: Es ging um eine Aktivistin, die einen Arbeiterstreik in Ostjava angeführt hatte und, so vermutet man, vom Militär getötet wurde. Innerhalb weniger Stunden nach der Online-Veröffentlichung des Appells wurden Basuki zufolge der indonesische Präsident, das Außen- und das Verteidigungsministerium mit Hunderten von Protestfaxen überhäuft und ein NGO-initiie1ier Online-Informationskrieg gegen eines der "rücksichtslosesten Militärregime der Welt" ausgelöst. Anderes explosives Material, das noch zu Suhartos Zeiten im Internet und daraufhin auch o±l1ine verteilt wurde, waren beispielsweise Listen über das Vermögen seiner Familie und Freunde. 1996 ging auch das indonesische Tempo-Magazin, das 1994 von der Regierung verboten worden war, als Tempo Interaktif online. 3 4

6

7

98

Diese Prozesse wurden analysiert von Basuki 1998 und Lim 2002, 2003. Hili und Sen 1997: 74; siehe auch http://www.apjii.or.id/ind/statistik.html, 28.3.2002. Diese Daten beruhen auf Hili und Sen 1997: 74, KOMITEL 2002, Minges 2002 und einem pG mit Pandji S. Choesin, dem Direktor von APJII in Jakarta am 28.3.2002. Trotz des prozentual niedrigen Internetzugangs ist in lndonesien z.B. auch die Anzahl an Cybercrimes wie dem Kreditkartenbetrug bei Internettransaktionen hinter der Ukraine weltweit am höchsten (Soekanto 2002). Die PDI war gespalten in Anhänger Megawatis und Su~jadis. Unterstützt von der Regierung und der Armee überfielen Surjadi-Anhänger an besagtem Tag das Hauptquartier der PDI, das von Megawati-Anhängern besetzt war, was Unruhen in ganz Jakarta auslöste und zu einer Abspaltung der Anhänger Megawatis in der PDI-P (Demokratische Partei lndonesiens- des Kampfes) führte (Kees van Dijk 2001: 11).

MASARIKU-MAILINGLISTE

Nach Basuki (1998: 101) trugen diese Online-Informationen entscheidend dazu bei, die öffentliche Meinung zu stärken, es sei für die Suharto-Regierung an der Zeit abzutreten: "The Web began tobe transformed into a weapon of dissent in Indonesia" (Basuki 1998: 99). Das Internet als alternative Informationsquelle machte den Menschen die Lügen der anderen Medien und der Regierung bewusst. 8 Es gibt Anzeichen dafür, dass die Regierung immer wieder versucht hat, E-Mails und ISPs zu sabotieren, jedoch ohne durchgreifenden Erfolg. Auch in den Monaten vor dem Rücktritt Suhartos im Mai 1998 wurde das Internet eingesetzt, um die staatlich zensie1ien Medien wie Presse und Fernsehen zu umgehen. Das Internet spielte laut David Marcus (1999) als eskalierender und beschleunigender Faktoreine entscheidende Rolle in der Revolte. Im Kampf um die Unabhängigkeit Osttimars wurde das Internet benutzt, um internationale Aufmerksamkeit und Unterstützung zu erhalten (Hili 2002). Hier war die indonesische Regierung allerdings erfolgreicher, indem sie einen Provider in Irland attackierte und die darauf beheimatete Osttimor-Online-Domäne (.tp), die unter anderem von den Nobelpreisträgern Rarnos Horta und BischofBelo initiiert worden war. zerstörte. 9 Nach dem Rücktritt Suhartos wurde die Pressefreiheit in Indonesien eingefühli und die institutionelle Manifestation ihrer Unterdrückung, das 1945 gegründete Informationsministerium, im Oktober 1999 geschlossen (Sen und Hill 2000: 8). Dennoch scheuten sich viele Journalisten auch danach noch, regierungskritisch zu schreiben und den Minderheiten im Land eine Stimme zu verleihen. Genau aus diesem Grund spielt das Internet auch im Molukkenkon±likt eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung von Informationen, die in die nationalen Medien niemals aufgenommen worden wären. Der Einsatz des Internets für Propagandazwecke der Konf1iktparteien und zur Provokation wurde verschiedentlich Gegenstand nationaler wie internationaler Presseberichte. 10 Das Potential des Irrtemets als Medium für den Widerstand oder in einem Konflikt ist erkannt worden, detaillierte Analysen, die vor allem auch den Online- und den Off:1ine-Kontext der Darstellungen im Internet berücksichtigen, fehlen aber noch gänzlich. Wie in jeder anderen Provinzhauptstadt wurde in Ambon-Stadt Mitte 1996 von der indonesischen Post ein Internetserver installiert (Wasantara-Net) - neben dem ISP in Ternate (Nordmolukken) der einzige im ganzen Molukkengebiet. In einem Nebenraum des Postamts stehen Internetnutzern vier Computer zur Verfügung.11 Daneben gibt es nur noch ein weiteres Warnet in Ambon-Stadt, das ebenSiehe Coronel 1998, Luwarso 1998: 93. 9 SieheBBCWorldNews 1999b,Bunt2000: 136. 10 Siehe z.B. den Beitrag Terror on our doorstep von Vaudine England in der South China Morning Post vom 17.9.2001, den Artikel Internet Partially Responsihle For Riots in Regions in Koridor vom 3.11.2000 und , Perang Saudara Ambon' - Menyebar ke Dunia Cyber (,Geschwisterkrieg in Ambon' - Ausbreitung in den Cyberspace, IndoNews@ INDO-NEWS.COM, 4.2.2000). 11 Der Preis liegt mit Rp 9.000 (ca. € 1) I Stunde über dem durchschnittlichen Preis in Indonesien von ca. Rp 6.000 (Minges 2002: 14) und die Internetverbindungen sind extrem langsam. Hinzu kommt, dass während der Unruhen das Netzwerk in Ambon zum Teil

8

99

CYBERIDENTITIES AT WAR

falls von Wasalltara bedient wird und mit vier PCs ausgestattet ist. Beide Lokalitäten liegen in christlichem Gebiet. In muslimischem Territorium, außerhalb der Stadt und auf den anderen Inseln gibt es keine Möglichkeit, öffentlich ins Internet zu kommen. Diemuslimische Zweigstelle der Post, die wegen des Konf1ikts notgedrungen eröffnet worden war, hat keinerlei Computerausstattung. Die Daten zu individuellen Internetzugängen in christlichem wie muslimischem Gebiet über den zentralen Wasalltara-Server sind getrennt im jeweiligen Postamt aufbewahrt. Dem Internetbeauftragten im Hauptpostamt in Ambon-Stadt zufolge gingen die Benutzerzahlen aufgrund des Konflikts stark zurück. Viele Subskribenten waren geflohen und ihre Einträge wurden gelöscht. Während es im Jahr 1996 ca. 500 Benutzer gewesen sein sollen, waren es 2000 nur noch 300, ein Jahr später 290 und im März 2002 nur noch I 08 in christlichem und 23 in muslimischem Gebiet. Unter den 108 Subskribenten auf christlicher Seite waren neun lokale NGOs. sechs ausländische NGOs und UN-Organisationen, fünf Institute der PattimuraUniversität, 12 elf kirchliche Einrichtungen, vier lokale Medien (Suara Maluku, Siwalima, RRI und DMS-Radio), vierzehn Regierungsstellen und siebzehn Banken und Unternehmen. Unter den auf muslimischer Seite registrierten 23 Nutzern waren die Zeitschrift Suisma, die staatliche Elektrizitätsgesellschaft, drei Unternehmen und ansonsten Privatpersonen, die zum Teil im journalistischen Bereich tätig sind, hinter denen sich aber auch NGOs oder Firmen verbergen können. 13 Seit Oktober 2001 gibt es noch eine weitere Möglichkeit für Christen wie Muslime, Zugang zum Internet zu bekommen. Im Rahmen eines von der UNICEF initiierten Versöhnungsprojektes werden in der staatlichen Bibliothek, die in christlich-muslimischem Grenzgebiet in Ambon-Stadt liegt, täglich muslimische und christliche Schüler an zwanzig PCs kostenlos unterrichtet. Die Geräte können außerhalb der Unterrichtszeiten auch von der Öffentlichkeit als Internetzugang genutzt werden. 14 Die Situation des Internets in den Molukken steht in krassem Gegensatz zu der massiven Präsenz des Molukkenkonf1ikts im Internet. Im Laufe des Kont1ikts sind zahlreiche Webseiten, zum Teil auch Online-Newsletter und Mailinglisten entstanden, die sich der Tragödie auf den Molukken widmen, wobei es sehr große Unterschiede gibt hinsichtlich der Art und der Menge der angebotenen Informationen, des Aufbaus der Seiten und ihrer Motive und der Selbstdarstellung der Autoren. Die Seiten bemühen sich zum Teil um eine neutrale Konf1iktdarstellung, zum Teil komplett zusammenbrach und oft für mehrere Stunden, in 1999 und in 200 I sogar einmal für mehrere Wochen nicht zur Verfügung stand. Der Internetbeauftragte im Hauptpostamt von Ambon-Stadt schätzte die Besucheranzahl desWarnetsauf ca. zwanzig pro Tag. 12 Studenten haben bzw. hatten an der Universität keinen Internetzugang, lediglich bestimmte Institute. 13 Ich danke Anthon Sapulette im "christlichen" und Ibu Gaya Eli im "muslimischen" Postamt, mir in diese Daten Einblick gewährt und bei der Analyse der Einträge geholfen zu haben. 14 Die Computer und der lnternetprovider des UN-Projekts sind sehr viel leistungsstärker als die der Post, der Preis pro Stunde beträgt allerdings Rp 15.000.

100

MASARIKU-MAILINGLISTE

vertreten sie eine eindeutig christliche oder muslimische Perspektive. Viele Webseiten werden von Auslandsmolukkern oder molukkischen Organisationen unterhalten. Manche Seiten sind ausschließlich dem Konflikt gewidmet, andere Seiten wie z.B. die von internationalen christlichen oder indonesisch-muslimischen Organisationen widmen ihm einen Teilbereich. 15 Auch von der lokalen Konfliktebene sind Christen wie Muslime im Internet ve1ireten. Auf muslimischer Seite beansprucht das FKA WJ, alle Muslime zu repräsentieren. Moderate Muslime in den Molukken haben keine Stimme im Cyberspace. Zum einen scheinen die nötigen Ressourcen (Computer und Internetzugang) auf muslimischer Seite noch weniger vorhanden zu sein als auf der christlichen. Andere behaupten, dass die Muslime entweder nicht die nötigen Computerskills oder schlicht kein Interesse hätten, online eine eigene Konfliktdarstellung zu liefern. Möglicherweise wagen sie es auch nicht, dem Repräsentationsanspruch der Laskar Jihad entgegen ihre eigene Perspektive zu verbreiten. Masariku, das CCDA und das FKA WJ in Ambon sind in der privilegierten Position, Zugang zum Internet zu haben und es ihren Interessen entsprechend einsetzen und nutzen zu können. Damit sind sie in der Lage, eine Gegenmacht zu den Darstellungen der anderen Gruppen, aber auch der Berichterstattung in anderen Medien aufzubauen und, wie Zurawski (2000: 187) folgern würde, entscheidenden Einfluss auf die Erstellung und Kontrolle der Informationen (über den Molukkenkonflikt) und der damit generie1ien Bilder und Darstellungen auszuüben. Um ihre eigenen Standpunkte klar zu machen und die "Wahrheit" festzuhalten, werden Berichte zu einzelnen Ereignissen, Konfliktchronologien und -analysen geliefert, Briefe an einflussreiche Personen und Organisationen geschrieben und zusammen mit Fotografien von Opfern, von erbeuteten Waffen, von religiösen Symbolen und Ritualen sowie Listen über Verluste und Spenden online publik gemacht. Das Internet ist für die internationale Gemeinschaft und für viele Molukker, die außerhalb der Molukken leben, eine Hauptinformationsquelle, so dass die Darstellungen im Cyberspace deren Wahrnehmung des Konflikts und entsprechende Reaktionen darauf entscheidend prägen. Was ihre Cyberpräsenz angeht, so ist die Bedeutung der molukkischen Cyberakteure unbestritten. Dies wird durch eine Analyse des OnlineUmfeldes der einzelnen Projekte in den folgenden Kapiteln deutlich. Offensichtlich ist aber auch, dass der molukkische Cyberspace allein aufgrund der infrastrukturellen Gegebenheiten in den Molukken nicht der von Habermas beschriebenen idealen Öffentlichkeit entspricht, auf deren Verwirklichung viele Menschen bei der Ausbreitung des Internets hofften. Selbst wenn jeder theoretisch Zugang zum Netz haben könnte, dürfen wir laut Yasraf Piliang (2000: 101, 116) vor der Tatsache nicht die Augen verschließen, dass der Diskurs im Internet von bestimmten Eliten, führenden Persönlichkeiten und herausragenden Sprechern dominiert wird. Auch wenn dies Betroffene von der Grassroot-Ebene sind. so warnt 15 Eine Internetadressenliste im Anhang gibt einen Überblick über die Molukkenkonfliktlandschaft im Internet, ohne jedoch Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

101

CYBERIDENTITIES AT WAR

Jonathan Benthal! (1995: 207), verfolgen sie möglicherweise eigene Interessen und er±lillen nicht notwendigerweise ihren Repräsentationsanspruch. Mich interessiert hier allerdings weniger, wen die drei untersuchten Gruppen tatsächlich repräsentieren, als vielmehr welche Bilder sie, beeinf1usst durch ihre spezifische Wahrnehmung des lokalen Kontextes, ±lir ein weit verstreutes, großes Publikum vom Molukkenkonflikt und den Menschen, die sie zu repräsentieren beanspruchen, kreieren und was sie damit zu bewirken suchen. 16 Wir haben es mit drei sehr unterschiedlichen Online-Projekten zu tun, was ihre Aufmachung und Performanz, ihre Offenheit (privat oder öffentlich) und Mitgliederschaft, ihre Strukturen, Strategien, Ziele, ihre Wirkung und Reichweite anbelangt. Der Austausch bzw. die Bereitstellung von Information ist bei allen von großer Bedeutung, wobei sich die Zielgruppen jedoch unterscheiden. Hier spielen religiöse, nationale und internationale Gemeinschaften ebenso eine Rolle wie Diaspora-Gemeinschaften. Unabhängig von der Anzahl der Akteure, die hinter den Projekten stehen, geht es in keinem der drei Fälle darum, den individuellen Identitäten dieser Personen Ausdruck zu verleihen. sondern um die Konstruktion und Darstellung kollektiver Identitäten, durch die jeweils eine Seite des Kont1ikts vertreten und ein ganz bestimmtes Publikum angesprochen werden soll. Während es für die Projekte an sich bedeutungslos ist, wenn einzelne Mitglieder anonym bleiben bzw. Pseudonyme annehmen, lebt das Projekt selbst von der Explizierung dieser kollektiven Identität, die sowohl für die Mitglieder als auch für das Publikum essentiell ist, um als imaginierte Gemeinschaft bestehen zu können. Nichtsdestoweniger sind es individuelle Akteure mit ihrem jeweiligen Hintergrund, welche die Konstruktion dieses Kollektivs und seine Wahrnehmung durch das Publikum entscheidend prägen. Bei der Vorstellung der molukkischen Cyberprojekte wird untersucht, wer sich welcher Instrumente, Mittel und Materialien bedient, um authentisch zu wirken, Gemeinschaften aufzubauen und Identitäten zu konstruieren. Wie im cybertheoretischen Kapitel gezeigt wurde, ergeben sich online, abhängig von einer Reihe bestehender Strukturen, unterschiedliche gruppenspezifische Formen des Ausdrucks, der Identität, der Beziehung untereinander und normativer Übereinkünfte. Entsprechend kann der Charakter der imaginierten Gemeinschaften sehr unterschiedlich sein, in unserem Fall von einer tatsächlichen bis hin zu der Präsentation einer idealisierten Gemeinschaft. Verantwortlich ±lir die unterschiedlichen "Vergemeinschaftungsprozesse" ist auch die Wahl des Kommunikationsmodus der molukkischen Cyberakteure, also die Art und Weise, wie man über das Internet kommunizieren bzw. wie man seinen Standpunkt präsentieren und seine Informationen I6

Aufgrund der eingehenderen Beschreibung der Gruppen wird sich der Leser ein besseres Bild machen können, was die Repräsentationstrage anbelangt. Welchen Repräsentationsanspruch auch immer die molukkischen Cyberakteure haben, es ist an dieser Stelle festzuhalten, dass die Einstellungen, Haltungen und Meinungen, die in den folgenden Kapiteln diskutiert werden, nicht notwendigerweise die Meinung aller Christen und Muslime in den Molukken widerspiegeln.

102

MASARIKU-MAILINGLISTE

darbieten will, uni-, bi-, oder multidirektional bzw. per Webseite, Newsletter oder Mailingliste. Die Konstruktion von Identitäten hat auch im molukkischen Cyberspace nichts mit Erfindung zu tun. Die molukkischen Cyberakteure bedienen sich so genarmter "kultureller Codes" (Giesen 1999: 69), das sind Materialien und Elemente, die sich durch die Einbettung der Akteure in einen bestimmten soziokulturellen und historischen Hintergrund ergeben. Nur so können Authentizität und ein kohärentes Bild einer kollektiven Identität geschatlen werden, was Voraussetzung tlir ein effektives Identitätsprojekt ist. Darüber hinaus, so Giesen (1999: 69), sind kollektive Identitäten als soziale Konstruktionen immer auch entscheidend durch die lokalen Umstände, d.h. die situativen Bedingungen geprägt, die jenseits der VerfUgung der beteiligten Akteure liegen, aber dennoch die gemeinsame Herstellung von Grenzen nachdrücklich beeinflussen. in unserem Fall die Konfliktsituation auf den Molukken. Durch die aktuelle Konfliktsituation ist eine Bedrohung von außen, von der Seite der Gegner her, gegeben, wodurch automatisch ein Abgrenzungsmechanismus in Kratt tritt. Es kommt zu einer Darstellung der Wir-Gruppe in Abgrenzung zu "den anderen", die sich beide vorwiegend über ihre Religionszugehörigkeit bestimmen. Bisherige Untersuchungen zu sozialen Online-Formierungen und Publikationen sozialwissenschaftlicher Internetforschung lassen einen Nachvollzug der Identitätskonstruktions- und Vergemeinschaftungsprozesse meist nicht zu, da die Forscher den Online-Projekten nicht ausreichend lange gefolgt sind und oft keine Teilnehmende Beobachtung des Online-Geschehens stattgefunden hat. Gerade eine langfristige Teilnehmende Beobachtung im molukkischen Cyberspace sowie die Analyse und die Interpretation des resultierenden ethnographischen Materials ermöglichten es mir aber, die sozialen Strukturen dieses Raumes ermitteln, die Identitätspolitik von Masariku, des CCDA und des FKA WJ ergründen und die genannten Prozesse darstellen zu können. Nur die ausfUhrliehe Darlegung dieser interpretierten Online-Prozesse macht es dem Leser möglich, eine Vorstellung von diesen Gemeinschaften zu entwickeln, wie sie auch der Imagination ihrer Mitglieder bzw. Initiatoren entsprechen könnte. 17

Die MML- ihre Gründer, Beiträge und Mitglieder Die Masariku-Mailingliste (MML) möchte die molukkischen Christen, insbesondere die Protestanten. im Rahmen des Molukkenkonflikts online vertreten. In dem von der MML konstituierten sozialen Raum entwickelt sich ein Diskurs, der vom Mitgliederprofil und den unterschiedlichen Beitragskategorien geprägt ist und in 17 Da die untersuchten Online-Gemeinschaften letztlich .,nur" in der Imagination der Mit-

glieder bzw. Initiatoren der jeweiligen Online-Projekte bestehen, beruht die Darstellung dieser Online-Prozesse als .,Gemeinschaften" (welcher Art auch immer) mit einer spezifischen kollektiven Identität nichtsdestoweniger auf meinen Interpretationen.

103

CYBERIDENTITIES AT WAR

einen spezifischen Vergemeinschaftungs- und Identitätsfindungsprozess mündet. Hierbei spielen In- und Exklusionsmechanismen eine wichtige Rolle, die Argumentationsstruktur der Listenmitglieder, die verwendete identitätsstiftende Symbolik und die Gruppendynamik, die sich bestimmt durch die Interaktionen und die Solidaritäts- und Aktionsnetzwerke der Mitglieder.

Die Anfänge von Masariku-Online Masariku war die erste molukkische Gruppe, die regelmäßig online Informationen von vor Ort zum Konflikt liefe1ie. Masariku benutzt die kostenfreie Yahoo-Plattform, auf der so genarmte elektronische Gruppen (eGroups) über Mailinglisten eingerichtet und aufgebaut werden können (http://groups.yahoo.com). Dmi ist es möglich, Text- und Bildarchive anzulegen, ein Chatforum und eine Linksektion einzurichten, Pollings (Umfragen) durchzuführen und einen Gruppenkalender zu führen. Über die Group Settings bestimmt der Listengründer, ob die Mitgliedschaft in der Liste offen ist, ob sie moderiert wird, wer Nachrichten posten darfund ob es hierfür der Genehmigung des Moderators bedarf ob die Archive öffentlich oder nur für Gruppenmitglieder zugänglich sind und ob E-Mail-Attachements erlaubt sind. Masariku-Online wurde am 17. August 1999 gegründet, also acht Monate nach dem Ausbruch der Unruhen. Die Adresse ihrer Hornepage lautet http://groups.yahoo. com/group/masariku. Die Mitgliederzahl pendelte sich im Laufe der Monate auf ca. 200 ein, mit einem Höhepunkt von 299 im Dezember 2000 (18.12.2000) 18 und einer leicht abnehmenden Zahl ab Mitte 2002, nachdem für einige der Konflikt als offiziell beendet galt. 19 Als Kommunikationssprache wurde Indonesisch festgelegt. Die Mehrheit der Beiträge ist tatsächlich auf Indonesisch, zum Teil mit ambonesischem Einschlag. Nur ein kleiner Prozentsatz der indonesischen Beiträge wurde ins Englische übersetzt. Beiträge von internationalen Organisationen oder der internationalen Presse sind meist auf Englisch und nur ein paar wenige werden ins Indonesische übersetzt. Die Group Settings sind: "Restricted membership, Unmoderated, All members may post, Archives for members only, Email attachments are permitted", womit die Voraussetzungen für einen fi·eien und offenen Diskurs in-

18 Klammern mit Datumsangaben beziehen sich in diesem Kapitel auf Beiträge, die an diesem Tag in die Masariku-Mailingliste gestellt worden sind. Das Datum muss also nicht immer identisch sein mit dem Entstehungsdatum des weitergeleiteten Dokuments. Der Autor wird nur angegeben, wenn es für das Argument an sich von Bedeutung ist oder um unterschiedliche Positionen hervorzuheben. Alle verwendeten Namen von Einzelpersonen sind abgeändert, um involvierte Personen zu schützen. Auf die Bedeutung eventuell gewählter Pseudonyme kann daher nicht eingegangen werden. Die Namen von Organisationen wurden beibehalten. Die Übereinstimmung der abgeänderten Namen mit Namen real existierender Personen ist nicht beabsichtigt und soll keine entsprechenden lmplikationen nach sich ziehen. I9 Nachdem die Mitgliederzahl in dieser Phase bis auf ca. 175 sank, pendelte sie sich bis Anfang 2003 interessanterweise wieder auf etwas über 200 ein.

104

MASARIKU-MAILINGLISTE nerhalb einer vom Moderator akzeptierten Mitgliederschaft gegeben sind. Die Selbstbeschreibung der Gruppe lautet folgendermaßen: Die Masariku-Mailingliste ist ein Informationsverteiler zum Molukkenkonflikt und den Schwierigkeiten, die die Kirchen in Indonesien erfahren. Die Mailingliste wird unterhalten vom Masariku Network, einem Informations- und Aktionsnetzwerk für die Molukken. Wir hoffen, dass das Masariku-Archiv, das sich auf der E-GroupsSeite befindet, eine Quelle für alle möglichen Kampagnen und Studien zum Molukkenkontlikt wird. 20 •.

~j !;!&eiL!e