Ausstellen und Vermitteln im Museum der Gegenwart [1. Aufl.] 9783839430811

In the context of critical museology, museums are questioning their social role, defining the museum as a site for knowl

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German Pages 344 Year 2016

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Ausstellen und Vermitteln im Museum der Gegenwart [1. Aufl.]
 9783839430811

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Ausstellen und Vermitteln als Erweiterung des Displays
Einleitung
Den Radius erweitern. Wie kann die gesellschaftliche und kulturelle Anerkennung von Architektur gesteigert werden?
Ausstellen & Vermitteln als integriertes Konzept. Die Ausstellung Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt im Museum für Gestaltung Zürich
Im Dialog mit den Besuchern. Die Ausstellung AFRITECTURE und ihr interaktives Vermittlungskonzept
Puzzle. Vermittlung als kuratorische Praxis
Kuratieren auf dem Weg zu einer neuen Beziehung zwischen Menschen, Orten und Dingen. MUDE Museum Action zur Stärkung des intrinsischen relationalen Wertes von Kultur
Ausstellen und Vermitteln als Erweiterung des Museums
Einleitung
Identität und Zweideutigkeit. Hohenemser Erfahrungen mit den Dingen der Zerstreuung
Partizipation in Stadtgeschichtemuseen
Migration exponieren. Formen der Repräsentation zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit
How AccessIting?. Museen als Kulturvermittlerinnen oder Horte des Wissens
Das partizipative Stadtmuseum
District Six Museum. Vermittlung im Zentrum
Ausstellen und Vermitteln als gesellschaftliche Intervention
Einleitung
Contact Zone (Un)realised. Andere BesucherInnen als Interventionen im Ausstellungsraum
Im post-repräsentativen Museum
Die Anatomie eines UND
Wem gehört das Kunstmuseum?. #BlankSlates und Geniuses Living Young
Ausstellen und Vermitteln als Dekolonisierung des Museums
Einleitung
Wiphala. Identität und Konflikt
Dekolonisierung des Mapuche-Museums in Cañete
Bildung in Museen, Community-Vermittlung und das Recht auf Stadt im historischen Zentrum von Quito
»Schön für dich, aber mir doch egal!«. Kritische Pädagogik in der Vermittlungs- und kuratorischen Praxis im Museum
Besucher_in oder Community?. Kollaborative Museologie und die Rolle der Vermittlung in ethnologischen Museen
Literatur
Autor/innen und Herausgeber/innen
Abbildungsnachweise

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Carmen Mörsch, Angeli Sachs, Thomas Sieber (Hg.) Ausstellen und Vermitteln im Museum der Gegenwart

Edition Museum | Band 15

Carmen Mörsch, Angeli Sachs, Thomas Sieber (Hg.)

Ausstellen und Vermitteln im Museum der Gegenwart

Eine Publikation im Auftrag des Master of Arts in Art Education, Curatorial Studies

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Ausstellung Gestalte unser Land. Workshop für Nationale Planung (Oktober 2008 – Mai 2009), Niederländisches Architekturinstitut (NAI) © Katrien Franken Konzept: Carmen Mörsch, Angeli Sachs, Thomas Sieber, Nora Landkammer Koordination und Redaktion: Carmen Mörsch, Angeli Sachs, Thomas Sieber, Hannah Horst, Nora Landkammer Redaktionsassistenz: Rhea Hächler, Judith Winterhager Übersetzungen: Nora Landkammer, Katharina Maly, Veronika Peterseil, Jörg Pinnow, Anne Pritchard-Smith, Karin Schneider, Joel Scott Korrektorat: Katrin Herbon, Bonn Satz: Michael Rauscher, Bielefeld Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3081-7 PDF-ISBN 978-3-8394-3081-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Vorwort Carmen Mörsch, Angeli Sachs, Thomas Sieber | 9

A usstellen und V ermitteln als E rweiterung des D ispl ays Einleitung Angeli Sachs | 15

Den Radius erweitern Wie kann die gesellschaftliche und kulturelle Anerkennung von Architektur gesteiger t werden? Linda Vlassenrood | 19

Ausstellen & Vermitteln als integriertes Konzept Die Ausstellung Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt im Museum für Gestaltung Zürich Franziska Mühlbacher, Angeli Sachs | 33

Im Dialog mit den Besuchern Die Ausstellung AFRITECTURE und ihr interaktives Vermittlungskonzept Andres Lepik | 47

PUZZLE Vermittlung als kuratorische Praxis Julia Schäfer | 57

Kuratieren auf dem Weg zu einer neuen Beziehung zwischen Menschen, Orten und Dingen MUDE Museum Action zur Stärkung des intrinsischen relationalen Wer tes von Kultur Barbara Coutinho | 69

A usstellen und V ermitteln als E rweiterung des M useums Einleitung Thomas Sieber | 83

Identität und Zweideutigkeit Hohenemser Er fahrungen mit den Dingen der Zerstreuung Hanno Loewy | 87

Partizipation in Stadtgeschichtemuseen Paul Spies | 97

Migration exponieren Formen der Repräsentation zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit Thomas Sieber | 109

How AccessIting? Museen als Kultur vermittlerinnen oder Hor te des Wissens Susan Kamel | 125

Das partizipative Stadtmuseum Jan Gerchow, Sonja Thiel | 141

District Six Museum Vermittlung im Zentrum Bonita Bennett | 153

A usstellen und V ermitteln als gesellschaftliche I ntervention Einleitung Carmen Mörsch | 169

Contact Zone (Un)realised Andere BesucherInnen als Inter ventionen im Ausstellungsraum Carmen Mörsch | 173

Im post-repräsentativen Museum Nora Sternfeld | 189

Die Anatomie eines UND Janna Graham | 203

Wem gehört das Kunstmuseum? #BlankSlates und Geniuses Living Young Syrus Marcus Ware | 223

A usstellen und V ermitteln als D ekolonisierung des M useums Einleitung Nora Landkammer | 237

Wiphala Identität und Konflikt Adriana Muñoz | 241

Dekolonisierung des Mapuche-Museums in Cañete Juana C. Paillalef | 255

Bildung in Museen, Community-Vermittlung und das Recht auf Stadt im historischen Zentrum von Quito Alejandro N. Cevallos, Valeria R. Galarza | 267

»Schön für dich, aber mir doch egal!« Kritische Pädagogik in der Vermittlungs- und kuratorischen Praxis im Museum Bernadette Lynch | 279

Besucher_in oder Community? Kollaborative Museologie und die Rolle der Vermittlung in ethnologischen Museen Nora Landkammer | 295

Literatur  | 307 Autor/innen und Herausgeber/innen  | 333 Abbildungsnachweise  | 339

Vorwort

Der vorliegende Band ist aus der Internationalen Tagung Ausstellen & Vermitteln in der Gegenwart an der Zürcher Hochschule der Künste entstanden, die der Master of Arts in Art Education ausstellen & vermitteln im November 2014 in Zürich veranstaltet hat.1 Das integrierte Verständnis von Ausstellen und Vermitteln ist das Leitmotiv der seit 2008 bestehenden Mastervertiefung, die im Dreieck von Lehre, Forschung und Museum verortet ist. Im Mittelpunkt der Lehre steht die Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Ausstellungs- und Museumskontext. Das Ziel des Studiengangs ist die Förderung einer reflektierten Praxis, welche die beiden Arbeitsbereiche Ausstellen und Vermitteln integriert. An dieser Aufgabe arbeiten wir in unserer Lehre, Forschung und kuratorischen sowie vermittlerischen Praxis. Mit diesem umfassenden Ansatz möchten wir zu einer Diskurs- und Theoriebildung beitragen, die auf der Verhandlung unterschiedlicher Erfahrungszusammenhänge und Wissenstraditionen beruht. Ausstellen und Vermitteln stehen seit Beginn der Professionalisierung von Museumsarbeit in einem hierarchischen Verhältnis zueinander: Demnach kommt erst die Ausstellung, danach bemüht sich die Vermittlung um eine reibungslose Kommunikation ihrer Inhalte an ein möglichst großes Publikum. Diese statische Anordnung war nie unumstritten und ist insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten in Bewegung geraten: Die Grenzen zwischen den beiden Arbeitsbereichen werden durchlässiger. Zu dieser Entwicklung beigetragen hat der Umstand, dass Museen auf vielfältige Weise ihre Rolle in der Wissensgesellschaft befragen. Besucher_innen sind in dieser Perspektive immer auch potenzielle ›Prosumer_innen‹ und die Vielstimmigkeit vernetzter Lerngemeinschaften steht dem Gültigkeitsanspruch fachlicher Expertisen gegenüber.2 Museen orientieren sich – weg von ihrer starken Fokussierung auf 1 | Ab dem Herbstsemester 2016/17 trägt die Vertiefung den Namen Master of Arts in Art Education Curatorial Studies. 2 | Die Texte in diesem Band weisen unterschiedliche Schreibweisen für die Markierung von Geschlecht auf, vom generischen Maskulinum über das Binnen-I bis zum Unter-

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die Objekte – hin zur Gesellschaft, zu den Nutzenden. Sie entwerfen sich als Orte des Wissensaustauschs und als Schauplätze einer beteiligungsorientierten Verknüpfung von Geschichte und Gegenwart. Die Erkenntnisse der kritischen Museologie haben darüber hinaus zu einem Verständnis von Museen als historisch gewachsene, machtvoll in ein soziales Gefüge intervenierende Akteure beigetragen, die nie neutral sind, sondern sich durch ihr Handeln immer schon gesellschaftlich positionieren. Sie sind daher in der Verantwortung, diese Positionierung bewusst und begründet vorzunehmen und praktische Konsequenzen daraus zu ziehen. Damit korrespondierend, gewinnen die spezifischen Expertisen und Handlungsstrategien der Vermittlung an Relevanz. Vermittlung in Ausstellungen und Museen versteht sich ihrerseits seit den 1990er Jahren zunehmend nicht mehr nur als Dienstleistung, sondern erkennt und entfaltet ihr Potenzial als eigenständige Praxis der Kulturproduktion an den Schnittstellen von Wissensvermittlung, kultureller Bildungsarbeit, künstlerisch-performativer Verfahren und mitunter auch Aktivismus. In dieser Perspektive entwickelt sich Vermittlung als kritische Praxis, welche Ausstellungen und Institutionen hinterfragt, erweitert und verändert. Die markanten Verschiebungen der Handlungsparadigmen und imaginierten Funktionen von Museen finden sich gegenwärtig noch vorwiegend auf Konzeptebene. In der institutionellen Realität ereignen sich die damit verbundenen Raum- und Handlungserweiterungen graduell: Sie reichen von interaktiven Ausstellungen, welche die Möglichkeit bieten, eigenes Wissen punktuell in das Display einzubringen, über das Aufgreifen thematischer Anregungen für die Ausstellungs- und Vermittlungspraxis bis hin zu kollektiven Formen des Kuratierens. Diese Entwicklungen sind schon längst nicht mehr nur an der euro-amerikanischen Achse zu verorten: Gegenwärtig entstehen gerade im globalen Süden im Rahmen von Versuchen, die traditionell eurozentrische Ausstellungsinstitution zu dekolonisieren, wegweisende Verbindungen von Ausstellen und Vermitteln. Vor diesem Hintergrund haben wir vor einigen Jahren begonnen, unter dem Titel Ausstellen & Vermitteln in der Gegenwart Panels zu veranstalten, an denen internationale Fachleute zu aktuellen Fragen der Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit referiert und diskutiert haben. Von Anfang an war geplant, diese – meist auf bestimmte Museumstypen gerichteten – Überlegungen im Rahmen einer großen Tagung zusammenzubringen. Diese sollte einen genauen Blick auf Beispiele von Übersetzungen der ›großen Entwürfe‹ in die Praxis ermöglichen und stellte eine Frage in den Mittelpunkt, die für unsere Lehre strich, der einen symbolischen Platz für Verortungen jenseits der Zweigeschlechtlichkeit eröffnet. Da wir diese Entscheidung als Teil einer jeweiligen Positionierung von Autorschaft begreifen, haben wir die verschiedenen Schreibweisen nicht vereinheitlicht.

Vor wor t

und Forschung leitend ist: Wie verändert sich Museumsarbeit, wenn Ausstellen und Vermitteln als integriertes Konzept verstanden werden? Eröffnet wurde die Tagung mit einem Panel zum sogenannten Educational Turn in Curating, in dessen Rahmen einige grundlegende Überlegungen zur Verschränkung von Ausstellen und Vermitteln im Zeichen einer transformativen Praxis entwickelt wurden. Auf dieser Basis folgte die Struktur der Tagung den unterschiedlichen Museumstypen, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass diese zum Teil verschiedene Geschichten, Öffentlichkeiten, Zielsetzungen und Praktiken des Sammelns, Ausstellens und Vermittelns aufweisen. Der Vergleich zwischen Museen der Kunst, der Architektur, des Designs, der Ethnologie, der Geschichte und der Kulturen sollte eine Reflexion darüber ermöglichen, ob und inwiefern die auf die Institution Museum im Allgemeinen formulierten Konzepte und Forderungen für verschiedene Museumstypen etwas Unterschiedliches bedeuten, welche Herausforderungen dennoch für alle gelten und entsprechend gemeinsam bearbeitet werden können. Als Referent_innen hatten wir Vertreter_innen aus Theorie und Praxis des Ausstellens und Vermittelns eingeladen, die ihre Arbeit auf die eine oder andere Weise im Zeichen dieses integrierten Denkens entwerfen und realisieren. Ziel war, die Diskussion auf der Grundlage eines geteilten Interesses an der Verknüpfung von Ausstellen und Vermitteln zu führen. Wir erhofften uns eine möglichst präzise Betrachtung von Detailfragen, die nur unter der Voraussetzung dieses grundsätzlichen Interesses entstehen können. Letzteres verbindet auch die Beiträge dieses Sammelbandes. Anders als die Tagung folgt die Struktur der in Deutsch und Englisch erscheinenden Publikation aber inhaltlichen Schwerpunkten, die sich aus unserer Auswertung der Tagung, der Lektüre der vorliegenden Beiträge und den daraus resultierenden Diskussionen ergeben haben. Diese weniger thematische als programmatische Gliederung trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die mit einer integrierten Praxis des Ausstellens und Vermittelns verbundenen Veränderungspotenziale der Institution Museum in den hier versammelten Beiträgen auf unterschiedliche Präsentationsformen, Handlungsparadigmen und Funktionen beziehen lassen. Vor diesem Hintergrund haben wir die Beiträge den Kapiteln Ausstellen und Vermitteln als Erweiterung des Displays, als Erweiterung des Museums, als gesellschaftliche Intervention und als Dekolonialisierung zugeordnet, die jeweils von einer Einleitung begleitet werden. Diese Kategorisierungen möchten wir als heuristische Setzungen verstehen, welche eine Kontextualisierung gegenwärtiger Praxen des Ausstellens und Vermittelns sowohl in der feldinternen Debatte als auch innerhalb gesellschaftlicher Entwicklungen unterstützen sollen. In diesem Sinne adressiert der Band zum einen die Fachöffentlichkeit, zum anderen soll er im Kontext einer international wachsenden Zahl von Studiengängen zum Ausstellen und Vermitteln Orientierungswissen und Stoff für weiterführende Diskussionen zur Verfügung stellen.

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Der vorliegende Band wurde von der Leitung und zwei Dozierenden des Master Art Education Curatorial Studies an der Zürcher Hochschule der Künste konzipiert. Wir haben eine Auswahl der Redner_innen der Panels und der Tagung eingeladen, aus ihren Referaten Beiträge zu den Themen dieses Bandes zu entwickeln und danken ihnen sehr herzlich für ihre Aufsätze und Essays. Großer Dank für die ausgesprochen produktive Zusammenarbeit geht an Nora Landkammer, stellvertretende Leiterin des Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste und ebenfalls Dozentin im Masterstudiengang, die auf der Tagung die Sektion zu den Ethnologischen Museen konzipiert und geleitet sowie in diesem Buch das Kapitel Ausstellen und Vermitteln als Dekolonisierung des Museums redaktionell betreut hat. Dieser Dank erweitert sich auf das ganze Institut, das unter der Leitung von Carmen Mörsch ein enger Partner an der Schnittstelle Forschung und Lehre ist und substanziell zur Diskussion und Diskursbildung in unserem Feld beiträgt. Sehr herzlich danken wir auch Hannah Horst, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Master Art Education, die uns maßgeblich und mit großem Engagement bei der Organisation und Realisation der Tagung und des Buchs unterstützt hat. Außerdem danken wir der Zürcher Hochschule der Künste für die Unterstützung unserer Arbeit und dieses Projekts, das zugleich eine Standortbestimmung in der aktuellen Diskussion ermöglichen sowie Perspektiven für die Weiterentwicklung des Diskurses an der Schnittstelle von Ausstellen und Vermitteln eröffnen soll. Die Herausgeber_innen Carmen Mörsch, Angeli Sachs, Thomas Sieber

Ausstellen und Vermitteln als Erweiterung des Displays

Einleitung Angeli Sachs »Der Museumsraum schließt wie ein Rahmen ein und stellt etwas zur Schau. Er trennt ein Innen von einem Außen, schließt dieses Innen in sich selbst ab und umgibt es mit Wert.«1 Mit diesem Satz eröffnen Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch ihr Buch Gesten des Zeigens. Und auch wenn sich ihre Untersuchung auf die »Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen« bezieht, so sind die theoretischen Ansätze, die sie für ihre Ausstellungsanalysen erarbeitet haben, auch auf andere Kontexte übertragbar. In der Ausstellung verdichtet sich die museale Repräsentation und sie ist niemals eine neutrale »Geste des Zeigens«. Denn dort begegnen sich, wie es Sabine Offe ausdrückt, die »Deutungsabsichten von Ausstellenden, Bedeutungen des Ausgestellten und Bedeutungsvermutungen der Rezipierenden«2 . Es entsteht also ein »Beziehungsgeflecht«, das die »Rezeption« der ausgestellten Inhalte bestimmt. Nicht umsonst bezeichnen Muttenthaler und Wonisch »Ausstellungen als Sprechakte«3 und beziehen sich dabei auf Mieke Bal. Diese interessiert sich in ihrer Theorie – über die übliche Museumsdefinition hinaus – für die metaphorische Verwendung der Idee des Museums, die sie als »particular form of discursive behaviour, the posture or gesture of exposing« bezeichnet. Und sie untersucht »the ambiguities involved in gestures of exposing; in gestures that point to things and seem to say: ›Look!‹ – often implying: ›That’s how it is.‹ The ›Look!‹ aspect involves the visual availability of the exposed object. The ›That how it is‹ aspect involves the authority of the person who knows: epistemic authority. The gesture of exposing connects these two aspects.«4 Aus den Erkenntnissen der kritischen Museologie erwächst die Forderung, das Museum zu einem Schauplatz politischen Handelns zu transformieren, an dem Konflikte sichtbar gemacht, artikuliert und bearbeitet werden kön1 | R. Muttenthaler/R. Wonisch: Gesten des Zeigens, S. 9. 2 | S. Offe: Ausstellungen, Einstellungen, Entstellungen, S. 62. 3 | Vgl. R. Muttenthaler/R. Wonisch: Gesten des Zeigens, S. 38–40. 4 | M. Bal: Double Exposures, S. 2.

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nen. In der Praxis geht es für die Museen darum, nach außen durchlässiger zu werden, das Publikum nicht mehr (nur) als in seinen Konsumbedürfnissen präzise messbar zu begreifen und diese Bedürfnisse effizient bedienen zu wollen, sondern auf Dialogbasis potenzielle, inhaltlich motivierte Nutzer_innen zu adressieren und sich so zu transformieren, dass Mitgestaltung möglich wird. Wenn es in diesem Kapitel um die Erweiterung des Displays geht, dann ist damit gemeint, dass die hier vorgestellten Ausstellungskonzeptionen eine Distanznahme von den Zeigegesten einräumen und die Ausstellung im Sinne eines Handlungsraums aktivieren. Dies passiert im Unterschied zu anderen Erweiterungen des Museums im Ausstellungsraum selbst, und es passiert über die Art, wie dort ausgestellt wird. »Der Raum entsteht«, wie Beat Hächler es in Ansätzen zu einer sozialen Szenografie im Museum ausführt, »erst aus der Verschränkung von inhaltlicher Konzeption, räumlicher Gestaltung und sozialer Praxis/ Handlung durch die Besucher.«5 In Bezug auf das Publikum bedeutet das, dass die Besucher_innen nicht ausschließlich auf die Rolle von Rezipient_innen reduziert werden, sondern ein in diesem Sinne integriertes Verständnis von Ausstellen und Vermitteln, Dialog, Interaktion, Partizipation sowie Reflexion ermöglicht werden kann. Ein Pionier auf diesem Gebiet war das Niederländische Architekturinstitut (Nederlands Architectuurinstituut – NAI), das sich von einem ausschließlich auf Forschung und den Architekturdiskurs fokussierten Institut zu einem ›Museum der Architektur‹ für alle transformierte. Die ehemalige Kuratorin und Leiterin Ausstellungen des NAI (und heutige Programmleiterin beim New Town Institute und für Eindhoven im Het Nieuwe Instituut) Linda Vlassenrood, die für dieses stärker auf das Publikum gerichtete und gesellschaftlich engagierte Programm verantwortlich war, beschreibt in ihrem Beitrag die Herausforderungen dieser Erweiterung des Radius zwischen fachlicher Expertise und Zugänglichkeit. Das Museum für Gestaltung Zürich ist schon seit Langem für seine innovative Ausstellungspraxis bekannt. Begleitet wurde diese vor allem durch Wissensvermittlung. Dies änderte sich 2012 mit der Ausstellung Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt, kuratiert vom Direktor des Museums Christian Brändle und der Kuratorin sowie Leiterin des Master Art Education Curatorial Studies Angeli Sachs. Franziska Mühlbacher war für den integrierten Handlungsraum für Vermittlung verantwortlich. Franziska Mühlbacher, inzwischen Kuratorin Vermittlung, und Angeli Sachs beschreiben in ihrem Beitrag, wie in diesem Projekt ein neuartiges Zusammenwirken zwischen den Praxen des Ausstellens und Vermittelns entstehen konnte und in welcher Weise das die Vermittlungspraxis des Museums für Gestaltung Zürich transformiert hat. 5 | B. Hächler: Gegenwartsräume, S. 139.

Ausstellen und Vermitteln als Er weiterung des Displays – Einleitung

Andres Lepik (Direktor des Architekturmuseums der TU München in der Pinakothek der Moderne und zuvor Architekturkurator am Museum of Modern Art in New York) hat sich in einer ganzen Reihe von Ausstellungen mit sozial engagierter Architektur auseinandergesetzt. Unterstützte die Szenografie bereits bei den ersten Ausstellungen die Ideen einer ›anderen‹ Darstellung von Architektur, so wurde in der Ausstellung AFRITECTURE. Bauen mit der Gemeinschaft 2013/14 in München der Dialog mit den Besucher_innen gesucht. Da Partizipation in vielen der ausgestellten Architekturprojekte eine wichtige Rolle spielte, »entstand« laut Andres Lepik »daraus die Idee, diese Beteiligung in die Ausstellungspräsentation zu übertragen, um damit eine unmittelbare Auseinandersetzung der Besucher mit dem Thema der Ausstellung anzuregen.«. Die Kuratorin und Kunstvermittlerin an der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig Julia Schäfer stellt in ihrem Essay Vermittlung als kuratorische Praxis das Prinzip ihrer kuratorischen Haltung vor, in der Vermittlung und Kuratieren von Beginn an zusammengedacht werden. Als Ausgangspunkt zur Entwicklung eines experimentellen Ausstellungsprojekts im Neubau der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig diente ihr die Idee des Puzzles. PUZZLE (2010/11) war ihr bis dahin umfangreichster Versuch, Kuratieren anders zu denken und zu realisieren. Dafür lud sie 48 Mitspieler_innen ein, mit ihr gemeinsam die Sammlung zur Aufführung zu bringen. Für Barbara Coutinho (Direktorin des MUDE – Museo do Design e da Moda und Gast-Assistenzprofessorin für Architektur am Instituto Superior Técnico in Lissabon) ist es von fundamentaler Bedeutung, Ausstellungen und ihre Themen, kuratorische Diskurse, Szenografie und Ästhetik zu überdenken, um eine selbstreflexive, intersubjektive Partizipation zu erreichen. In ihrer Auffassung der Ausstellung als offener Diskurs müssen Ausstellungen einen Beitrag zu einer neuen ganzheitlichen Sensibilität leisten und verschiedene Lesarten anbieten, statt eine abschließende Botschaft zu präsentieren. Dieser kuratorische Ansatz erfordert eine aktive Rolle jeder/s Besucher_in und ermutigt das Publikum, für sich selbst eine eigene Bedeutung zu schaffen, wodurch es an Autonomie gewinnt.

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Den Radius erweitern Wie kann die gesellschaftliche und kulturelle Anerkennung von Architektur gesteigert werden? Linda Vlassenrood »Ich will nicht, dass Kinder einfach ein Modell bauen, damit sie anschließend mit der Idee nach Hause gehen, Architektur sei etwas Einfaches. Die Profis hat man hier auf den Dachboden verbannt.« – Zur Wiedereröffnung des Niederländischen Architekturinstituts (NAI) im Juni 2011 waren eindeutig nicht nur lobende Worte zu hören, etliche Fachkollegen äußerten sich angesichts des neuen Programms durchaus kritisch. Die Transformation des NAI zum »Museum der Architektur«, mit dem renovierten Eingangsbereich und dem neu ausgerichteten Ausstellungsprogramm, entstand vor allem aus dem Anspruch heraus, die gesellschaftliche Bedeutung der Architektur zu stärken. Dafür war es notwendig, das Interesse des Publikums zu wecken. Nun stand nicht länger allein der Architekturprofi im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, er musste sich das neue NAI mit Kindern und einem Publikum teilen, das sich möglicherweise nur sehr selten oder sogar zum ersten Mal bewusst mit Architektur beschäftigte. Angesichts des ursprünglichen Profils des Instituts und der anstehenden, drastischen Sparmaßnahmen innerhalb der niederländischen Kulturpolitik war dies eine Verschiebung des Schwerpunkts, die mit ambivalenten Gefühlen durchgeführt wurde und folgerichtig auch zwiespältige Reaktionen hervorrief. Zwar waren die erregten Kommentare durchaus aufrichtig gemeint, sie zeigten aber auch die Binnenperspektive der Fachgemeinschaft der Architekten. Obwohl jeder Quadratzentimeter in den Niederlanden über Jahrhunderte durch Architekten, Städteplaner und Landschaftsarchitekten gestaltet wurde, ist das einem Großteil der Bevölkerung nicht bewusst; Architektur und Stadtplanung werden als abstrakt empfunden und als schwierig abgestempelt. Auch wenn unsere alltägliche Lebensumgebung in allen Größenordnungen von Architektur und Stadtplanung bestimmt wird, ist deren gesellschaftliche Bedeutung dennoch kein Thema, zu dem sich die Öffentlichkeit eine Meinung bilden kann oder will. Gerade in Zeiten der ökonomischen Rezession ist der Glaube der niederländischen Gesellschaft an den Mehrwert, den Architektur darstellt, erschreckend klein. Der

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Architekt befindet sich in großem Abstand zum Rest der Gesellschaft; er kommuniziert kaum oder nur mit Eingeweihten, und aus den Architekturikonen der vergangenen Jahrzehnte spricht kaum die Absicht, dem Wohl der Öffentlichkeit zu dienen. Selbst in den Medien ist die Architektur kein Gesprächsthema, es sei denn, man sucht das hässlichste Gebäude des Landes. Kurz: Möchte die Architektur an kulturellem, politischem und wirtschaftlichem Einfluss gewinnen, muss ihre ›Entschlüsselung‹  – im weitesten Sinne des Wortes  – auch einem nicht-professionellen Publikum auf intelligente und ansprechende Art und Weise angeboten werden. Das NAI hörte auf zu versuchen, alles für jeden machen, sondern traf auf Basis der unterschiedlichen Bedürfnisse und Erwartungen eine Auswahl. Der folgende Artikel beschäftigt sich mit den inhaltlichen Triebfedern, die die Grundlage für die Neuausrichtung des NAI gebildet haben.

E in › reiches ‹ A rchitek turklima Natürlich muss man fragen, was an einem Institut so neu sein kann, das erst 1988 gegründet und 1993 in Rotterdam in einem Neubau eröffnet wurde; an einem Institut, das seit Mitte 2011 schon wieder zur Diskussion stand, da es ab 1. Januar 2013 durch staatlichen Beschluss im Neuen Institut (Het Nieuwe Instituut) für Architektur, Design und E-Kultur aufgehen sollte. Die Fusion zwischen dem NAI (Architekur), dem Premsela (Mode und Design) und der Virtueel Platform (E-Kultur) geht vor allem auf die großen Einsparungen der niederländischen Regierung zurück, hängt aber auch mit dem Bemühen zusammen, Architektur und Design als Teil der Kreativindustrie vermarkten zu wollen. Der heutige Zustand verblasst im Vergleich mit den ambitionierten 1980er und 1990er Jahren, in denen die Basis für ein weltbekanntes Architekturklima gelegt worden war. Die niederländischen Ministerien für Bildung, Kultur und Wissenschaft sowie für Bau, Raumplanung und Umwelt veröffentlichten 1991 die erste Architekturdenkschrift Raum für Architektur (Ruimte voor archi­ tectuur), um das Architekturklima der Jahre 1991 bis 1996 zu stimulieren. Diese Denkschrift ebnete den Weg für die Infrastruktur einer ganzen Reihe von Architektureinrichtungen. Der Fonds zur Förderung von niederländischer Architektur und die postgraduale Architekturausbildung des Berlage Instituts wurden gegründet. Obwohl das NAI bereits seit 1988 existierte, repräsentierte die Eröffnung des eigens dafür errichteten Gebäudes den auf das Publikum gerichteten Teil der Architekturpolitik. Im Kielwasser des NAI entstanden auf lokaler Ebene zahlreiche Architekturzentren, die den Architekturdiskurs auf kommunaler Ebene weiter verstärkten. All diese Fördermaßnahmen bereiteten einer neuen Generation von Architekten, Städteplanern, Landschaftsarchitekten und Historikern den Boden, die sich dann in Entwürfen, Ausstellungen und Publikationen intensiv mit Selbstreflexion, Forschung und

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Theoriebildung beschäftigte. Der ökonomische Wohlstand der 1990er Jahre bot den Architekten die Freiheit, stets sowohl die Grenzen ihres eigenen Feldes als auch die Grenzen jedes Auftrags neu auszuweiten. Zudem wurden zahlreiche aufsehenerregende Projekte tatsächlich gebaut. Mitte der 1990er Jahre waren Büros wie West 8, MVRDV, OMA oder NL Architects international renommiert für ihre herausfordernden und provokanten Entwurfsideen, die sie für äußerst komplexe Prozesse und Aufträge vorschlugen. Es ist diese Periode, die, namentlich von politischer Seite aus, zur Blütezeit der niederländischen Architektur gerechnet wird. Bezeichnend ist hierbei, dass die Aufmerksamkeit sich vor allem nach der Marktposition des Architekten richtet: Die selten kritische und kaum ortsgebundene ikonische Architektur wird in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten nämlich als ein international besonders gut verkäufliches Produkt angesehen. In der Diskussion über das Fach spielt die kulturell-gesellschaftliche Verankerung der Architektur kaum noch eine Rolle – was zu einem vermindert ausgestatteten Fördersystem führte.

M useum für A rchitek tur Das NAI war durch seine Aktivitäten, aber vor allem auch durch den Umfang seiner Sammlung eine der größten Architektureinrichtungen weltweit. Die Sammlung war dabei älter als das Institut selbst und sogar älter als die drei Kulturinstitute, aus deren Zusammenschluss 1988 das NAI entstand: das Niederländische Dokumentationszentrum für Baukunst (Nederlands Documentatiecentrum voor de Bouwkunst  – NDB), die Stiftung Architekturmuseum (Stichting Architectuurmuseum – SAM) und die Stiftung Wohnen (Stichting Wonen). Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurden Architekturzeichnungen bedeutender Architekten gesammelt. Die Sammlung umfasst, allein an niederländischen Architekten, Städteplanern, Berufsverbänden und Studiengängen aus dem Zeitraum von 1850 bis 1980, rund 500 Archive und Nachlässe. Von renommierten Persönlichkeiten wie H. P. Berlage, P. J. H. Cuypers, W. M. Dudok, J. J. P. Oud, G.Th. Rietveld und T. van Doesburg sind nicht nur Wettbewerbsentwürfe in der Sammlung vorhanden, sondern die gesamten Büroarchive wurden dem NAI vermacht, einschließlich der Modelle, Skizzen, Korrespondenz und Tagebücher. Das ermöglicht tiefgreifende Forschungen zum jeweiligen Gesamtwerk oder Untersuchungen eines individuellen Projekts. Neu in die Sammlung aufgenommen wurden beispielsweise die Archive von Th. Bosch, M. van Schijndel sowie das frühe Werk von OMA und MVRDV. In der öffentlich zugänglichen Bibliothek des Neuen Instituts ist das Konsultieren und Erforschen dieser Archive noch immer möglich. Zudem umfasst die Bibliothek mehr als 35.000 Bücher zur Architektur und zu verwandten Fachgebieten, dazu ein umfangreiches Angebot an (inter-)nationalen Architekturzeitschriften.

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Der Zusammenschluss der drei Kultureinrichtungen 1988 bedeutete neben der Neuordnung der Verwaltung und der Zugänglichmachung der Sammlungen noch eine weitere Herausforderung: die Organisation von Ausstellungen, Lesungen, Debatten und unter dem Einfluss der unterschiedlichen Institutsdirektoren in zunehmendem Maße auch ein umfangreiches internationales und pädagogisches Programm. Das NAI entwickelte sich zwischen 1993 und 2013 von einem vor allem in der internationalen Fachwelt wahrgenommenen Haus zu einem renommierten Institut mit Ausstellungen zur Architektur im weitesten Sinne des Wortes.

D as K unstmuseum als E manzipator Das Architekturmuseum hat innerhalb der Museumswelt noch keine lange Geschichte. Kunstmuseen formten seit Beginn des 20. Jahrhunderts jahrzehntelang die physische Umgebung und den Rahmen, innerhalb derer Architektur ausgestellt wurde; es ist also nicht erstaunlich, dass mit genau denselben Gesetzmäßigkeiten hantiert wurde, um dem Publikum die Architekturgeschichte zu vermitteln. Dies geschah zum einen durch das systematische Präsentieren bedeutender Architekten in Einzelausstellungen, zum anderen durch die Art und Weise der Präsentation, nämlich indem ansehnliche Artefakte des Künstlers gezeigt wurden, etwa Modelle auf Sockeln sowie Skizzen, Wettbewerbsentwürfe und Fotos.1 Für die Betrachtung der gebauten Umgebung sind diese beiden Perspektiven dagegen eher kompliziert. Der Großteil dessen, was uns weltweit umgibt, kommt ohne Einwirkung von Stararchitekten zustande, und das Ausstellungsmaterial ist nur von dem abgeleitet, was sich außerhalb der Mauern des Museums befindet. Zeichnungen und Modellen fehlt es einfach an einer physischen Belebung des Raumes, des Maßstabes und der Zeit. Dessen ungeachtet ist diese Form von Ausstellungspräsentation noch immer tonangebend.

D ie S tr asse Das NAI wollte diese ›klassische‹ Präsentationsform und Motivauswahl nie verleugnen, hat jedoch seit etwa 2007 den Dialog mit dem Publikum auf direkterem Wege gesucht. Die Hoffnung war, auf diese Weise näher an die phy1 | Die Ausstellung Modern Architecture: An International Exhibition, die 1932 im Museum of Modern Art (MoMA) in New York zu sehen war, gilt im Westen als eine der ersten Architekturausstellungen; die Kuratoren Philip Johnson und Henry-Russell Hitchcock präsentierten die ausgewählten Gebäude vor allem anhand von Modellen auf Sockeln und großen, repräsentativen Fotografien.

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sische Lebensumgebung der Menschen heranrücken und das Engagement der Betrachter auf eine lustvolle Art aktivieren zu können. Wie kann sich ein Architekturmuseum, und dort insbesondere eine Architekturausstellung, im Kraftfeld gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Bewegungen derart mit einer Fragestellung oder Stellungnahme positionieren, dass es beim Publikum auf Gehör stößt? Bei einem Publikum, das für die Gestaltung unserer gebauten Umgebung mitverantwortlich und daher Teil dieser Umgebung ist. Bei einem Publikum, das ungemein vielfältig ist und aus Designern, Projektentwicklern, Beamten, Bauunternehmern, Konstrukteuren, aber auch Bewohnern und Nutzern besteht. In der Tat wurde in den letzten Jahrzehnten mit dem Medium Architekturausstellung experimentiert, sowohl was den Inhalt als auch was die räumliche Gestaltung angeht, doch das bedeutet nicht automatisch einen größeren Bezug zum Publikum oder eine breitere Zielgruppe. Besondere Versuche in diese Richtung waren die fortschrittlichen Architekturausstellungen im Van Abbemuseum im Zeitraum von 1964 bis 1973. Direktor und Architekt Jean Leering nutzte Ausstellungen als das Mittel, um den Besuchern gesellschaftliche Veränderungsprozesse bewusst zu machen. In nur wenigen Jahren verschob er den Schwerpunkt von monografischen Ausstellungen mit einer eher statischen Herangehensweise an das Original hin zu Ausstellungen, die durch den Einsatz von Installationen eine größere räumliche Erfahrung ermöglichten, dem Publikum eine aktivere Rolle abverlangten und bei denen eine thematische Entwurfsauswahl maßgeblich gewesen war. In einer Reihe von Ausstellungen stand das Werk der Architekten Adolf Loos (1965), Hans Scharoun (1968) und Antoni Gaudí (1971) noch auf klassische Weise im Mittelpunkt. Bei den Ausstellungen über Vladimir Tatlin (1969), El Lissitzky (1965/66) und Theo van Doesburg (1968/69) wurde bereits mit der Rekonstruktion von Installationen und dem Aufbau von Maßstabsmodellen experimentiert, um den Besuchern eine räumliche Erfahrung zu ermöglichen. Wichtig war auch die Ausstellung über den Cityplan Eindhoven (1969) des Architekturbüros Van den Broek en Bakema. Dabei wurde nicht nur durch ein riesiges Modell (Maßstab 1:20) das Projekt auf Augenhöhe präsentiert, die Besucher wurden außerdem gebeten, alternative Vorstellungen einzureichen, die dann später bei einer öffentlichen Veranstaltung besprochen wurden. Auf diese Weise bekam das Publikum die Möglichkeit, seiner passiven Rolle zu entkommen. Die Ausstellung Die Straße. Formen des Zusammenlebens (De Straat. Vorm van samenleven, 1972) bildete den experimentellen Abschluss und Höhepunkt, der schon durch die Thematik und Konzeption perfekt zum damaligen Zeitgefühl passte. Im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen die Postmoderne als neue Strömung der Architektur schon langsam Formen annahm, sprach man in den Niederlanden noch immer vor allem von Demokratisierungsprozessen, gesellschaftlichem Engagement, Mitbestimmung und dem Menschen als Maßstab.

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Die Ausstellung thematisierte ausdrücklich den Gebrauch und die Gestaltung der Straße in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe konzipierte die Ausstellung, stellte dabei fest, dass der gesellschaftliche Gebrauch der Straße eingeschränkt war und versuchte daher die Straße wieder zu einer politischen und kulturellen Arena zu machen. Bei der Gestaltung der Ausstellung entwickelte die Gruppe daher ein Modell, in dem die Besucher aktiv werden konnten. Um dies zu erreichen, wurden Alltagserfahrungen aufgerufen. Das Ziel war, es anders als in Kunstausstellungen zu machen, die nur von Experten gedeutet werden können. Die Ausstellung bestand schlussendlich aus hunderten Fotos, die auf Bauzäunen aufgehängt wurden, Straßenmobiliar in Form von Bänken, Absperrungen, Verkehrsschildern und Zimmerpflanzen als Repräsentation der Natur. Daneben wurden mit Musik unterlegte Dias, Filme und Videos gezeigt. Die Reaktionen sowohl der Presse als auch des Publikums waren weitgehend negativ. Die Ausstellungskonzeption wurde als undeutlich und die gebotenen Informationen als zu überbordend empfunden. Bei einer Befragung reagierte ein Besucher mit folgender Formulierung: »Innerhalb der Museumswelt empfindet man das wohl als einen großen Schritt, diese Art von Ausstellung mit einem gesellschaftlichen Bezug. Es scheint eine modische Anfälligkeit zu sein, die aber mit gesellschaftlichem Engagement kaum etwas zu tun hat.«2

K reuzbestäubung A usstellung  – V ermit tlung Vermutlich hätten wir diese Kritik ernster nehmen müssen, doch ausgehend von der Überzeugung, dass Engagement sein kann und muss, durchlief die Ausstellungsabteilung des NAI einen eigenen Lern- und Experimentierparcours, um die Kluft zwischen Museum und Publikum zu überbrücken. Zwischen 2008 und 2010 nahm man bei verschiedenen Publikumsveranstaltungen und Ausstellungen vom reinen Konsumieren Abstand und lud die Besucher in unterschiedlichen Formen zur aktiven Teilnahme und einem eigenen Beitrag ein. Statt als Konsument wurde das Publikum als Produzent verstanden, um so eine forschende Haltung zu stimulieren. Die Besucher sollten ermutigt werden, mit anderen Augen auf ihre Umgebung zu blicken, in der Hoffnung, dass sie diese dann auch mehr wertschätzen könnten. Dieser Bewusstwerdungsprozess wurde von der Vermittlungsabteilung jahrelang erfolgreich angewandt, 2 | Vortrag von Diana Franssen Die Straße. Formen des Zusammenlebens vom 19. April 2006 im Van Abbemuseum. Vgl. den Bericht Museum in ¿Motion? Conference Proceedings: Boekpresentatie, siehe http://libraryblog.vanabbe.nl/category/livingarchive/mu​ seum-in-¿motion-conference-proceedings vom 13.04.2016.

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um Architektur bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einzuführen. In der Folge wurde eine ähnliche Haltung vertreten. Innerhalb der Veranstaltungsreihen wurde darüber hinaus versucht, eine integrale Form der Programmarbeit zu erreichen, bei der die inhaltlichen Linien in unterschiedlichen Programmbereichen wie Ausstellungen, Lesungen und Vermittlungsprogramm eine Rolle spielen sollten. Somit fanden das Vermittlungsprogramm und die Lesungen beziehungsweise Diskussionen nicht länger nur als sekundäres Angebot im Rahmen der laufenden Ausstellung ihren Platz, sondern wurden zu vollwertigen, autonomen Publikumsangeboten.

R ot terdam mal schöner! Die Organisation eines pädagogischen Entwurfswettbewerbs in den Jahren 2007/08 war von entscheidender Bedeutung für meine persönlichen Bestrebungen, die Grenzen des öffentlichen Veranstaltungsprogramms auszuloten. Fünf Monate lang steckten etwa 60 Schüler aus fünf weiterführenden Schulen aus Rotterdamer ›Problemvierteln‹ ihre Köpfe über der Frage zusammen, wie sie ihr Viertel mit Mitteln der Architektur verbessern könnten. In der Öffentlichkeit war stets die Rede von Problemvierteln, aber empfanden das die Schüler genauso? Sollten die Stadtteile anders sein  – und wenn ja, wie? Mit dieser Initiative wollte das NAI Jugendliche anregen, über die Rolle von Architektur in der Gesellschaft nachzudenken. Während des Wettbewerbs kamen die Schüler untereinander, aber auch mit Quartiersmanagern und Architekten über ihr Viertel ins Gespräch. Was gefiel ihnen besonders in ihrer Umgebung, was überhaupt nicht? Welche Rolle spielte dabei die Architektur? Die Schüler wurden eingeladen, eine Vision ihrer gebauten Umgebung zu entwickeln und einen bahnbrechenden Entwurf für Veränderungen vorzulegen. Die Schüler nahmen an einem Schnellkurs zum Thema Architektur in der Nachbarschaft teil und erkundeten in Begleitung eines Quartiersmanagers und eines Architekten die nähere Umgebung ihrer Schule. Eine Woche später besuchte ein Architekt die Schüler in ihrer Schule, der zu seiner Arbeit Rede und Antwort stand und dem sie Fragen stellen konnten. Anschließend lernten sie in einem Workshop, wie sie ihre Pläne am besten präsentieren könnten und erstellten erste Modelle. Nach dieser Vorbereitung erhielten die Teilnehmer drei Monate lang Zeit, um einen Entwurf zu entwickeln. Da sich dieses Projekt ausschließlich in den jeweiligen Stadtvierteln abspielte, lernten die Schüler erst bei der offiziellen Präsentation das Gebäude des NAI kennen. Die Kreativität und der Erfindungsreichtum der Schüler waren erstaunlich, es fiel aber auch auf, wie begeistert und zu Recht stolz sie ihre Entwürfe präsentierten.

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E xperimentelle P hase Bei der Bemühung, ein aktuelleres, kritischeres und dynamischeres Programm zur Architektur im weitesten Sinne des Wortes für ein breiteres Publikum aufzustellen, wurde weiterhin auf einen Bewusstwerdungsprozess gebaut, wie er auch bei Rotterdam mal schöner! (Rotterdam Mooier Dan!) eingesetzt worden war. Die Veranstaltung Gestalte unser Land (Maak ons land, 2008/09) war dabei der gewagteste Versuch3, ein halbes Jahr lang nicht allein Profis, sondern vor allem auch ein allgemeines Publikum an der Diskussion über die Gestaltung ihrer Umgebung zu beteiligen und über die Frage nachdenken zu lassen: Wie sollen die Niederlande in Zukunft aussehen? Kann die räumliche Gestaltung der Niederlande wieder zu einer leidenschaftlich betriebenen und ambitionierten Aufgabe werden? Und sehen wir neben all den Konflikten auch noch eine Reihe von Möglichkeiten? Die Ansprüche an den öffentlichen Raum bezüglich Mobilität, Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Umwelt und den Umgang mit Wasser sind nämlich größer als die Niederlande selbst; daneben beeinflussen uns auch die Veränderungen des Klimas und der Weltwirtschaft. Nicht allein die Regierung, auch die Marktteilnehmer, Designer und die Bevölkerung wurden aufgerufen, innovative Lösungsvorschläge und tatkräftige Ideen zu liefern. Die Grundidee dieser Veranstaltung lag in der Überzeugung, dass Innovation und Veränderung nicht so sehr eine Sache nur für Spezialisten, sondern vielmehr eine Angelegenheit für alle Menschen mit guten Ideen sei. Des Weiteren wurde mit potenziellen Partnern ausgelotet, inwieweit die innovativsten Pläne auch tatsächlich umgesetzt werden könnten. Ein bedeutsamer Leitfaden bei der Konzeption dieser Veranstaltung war der persönliche Kontakt als Mittel, um einen Dialog zwischen Öffentlichkeit und Profis zu führen und Besuchern sowohl die Gründe des Problems als auch die Lösungen zu zeigen. In diesem Sinne fungierte die Ausstellung als Arbeits3 | 2008 wurden die Ausstellungen Happening, My Public Space und Archiphoenix – der niederländische Beitrag zur 11. Internationalen Architekturbiennale in Venedig – gezeigt. Happening war ein architektonisches Objekt des Architekten Wiel Arets, das abends als Bühnenbild und Podium für Konzerte, Theateraufführungen, Diskussionen, Dinner und Performances fungierte. Die acht Kioske von My Public Space waren an unterschiedlichen Stellen der Stadt Rotterdam platziert. Sie lieferten zu acht ausgewählten Städten Antworten auf die Frage: Wie öffentlich ist unser öffentlicher Raum? Den inhaltlichen Anstoß zu Archiphoenix gab der Brand, der am 13. Mai 2008 die Fakultät für Architektur der TU Delft zerstörte. Archiphoenix funktionierte als internationale Diskussionsplattform bei der Suche nach Antworten auf die brennenden Fragen innerhalb der Architektur. In der Eröffnungswoche lud das NAI die gesamte internationale Architekturgemeinschaft ein, mittels einer Reihe von Lesungen, Gesprächsrunden, Interviews, einem Workshop und Speed Dates darüber nachzudenken.

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platz, an dem Besucher, ob als Individuum oder in einer Gruppe, Laien und Profis mit Akteuren und Regisseuren ins Gespräch kamen und ihre Vision von der räumlichen Gestaltung der Niederlande vorstellen konnten. Vor allem das Debattenspiel The Making Of war ein wichtiges Glied in der Kette dieses Bewusstwerdungsprozesses. Es ermöglichte Profis, Nicht-Profis und Schülern in fünf Teams in wenigen Stunden einen Plan zu entwerfen, mit dem ein bestimmtes Ziel in der räumlichen Gestaltung umgesetzt werden konnte. Jedes Team sollte nach der Vorstellung der Pläne die Argumente, den Einsatz und die Einwände der anderen Mitspieler ausräumen. Monatliche Netzwerk-Essen mit Experten aus vielen Fachgebieten, ein monatlicher Aufruf zur Zusammenarbeit, der in der bekannten Tageszeitung De Telegraaf veröffentlicht wurde, und eine Reihe von Verbänden, die wöchentlich zu Gast waren, um dieses Spiel zu spielen oder Veranstaltungen zu organisieren, waren der Garant für eine überbordende Zahl an Ideen und Vorschlägen, um die Niederlande, was die räumliche Gestaltung angeht, zu verbessern.

L ek tionen Das Publikum aktiv zu beteiligen, wurde in den eben genannten Beispielen oft bis fast ins Extreme durchgeführt, resultierte aber häufig eher im entgegengesetzten Effekt. Die Mehrheit der Besucher verspürte während des Besuchs im Institut nämlich kein Bedürfnis, eigene Ideen zu entwickeln, sondern wollte lieber wie gewohnt eine schön gestaltete Ausstellung mit außergewöhnlichen Modellen oder Zeichnungen sehen. Auch die Profis dachten nicht selten ebenso. Das Partizipieren schreckte ab. Das Experiment verlief für das Publikum zu schnell. Der Wunsch, alle Zielgruppen gleichzeitig zu bedienen, wirkte in der Kommunikation darüber hinaus verwirrend und stieß schlussendlich Laien wie Profis gleichermaßen ab. Auf der inhaltlichen Seite stellte sich bei Gestalte unser Land als Fehler heraus, dass man das lokale Engagement auf Stadtviertel- oder Straßenniveau nicht wie beim Entwurfswettbewerb Rotterdam mal schöner! am Ende auf eine nationale, abstrakte Ebene gehoben hatte: So fehlten die konkreten Fälle, die eingespielten Kanäle und somit auch das allgemeine Publikum. Was gelang bei diesen Projekten? Nie zuvor nahmen so viele Minister aus unterschiedlichen Ministerien an den Veranstaltungen des NAI teil und arbeiteten so viele Einrichtungen mit dem NAI zusammen, um die Notwendigkeit einer besseren Gestaltung der Niederlande ans Licht zu bringen. Der Wunsch, inhaltlich mit einem breiteren Publikum zu kommunizieren, wurde von all diesen Organisationen vollauf unterstützt. Hierbei nahmen sie vorweg, was man inzwischen Bürgerbeteiligung nennt: Eine Regierung, die in zunehmendem Maße die Verantwortlichkeiten mit Wirtschaft, Forschungseinrichtungen und Bürgern teilt. Die Netzwerk-Essen, die Debattenspiele, die Diskussionsrunden, auch die

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Happenings: All diese Veranstaltungen waren erfolgreich und brachten in ungewohnter Kombination ein gemischtes Publikum zusammen. Darunter waren auch häufig Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten, die das NAI vorher noch nie besucht hatten und die sich von dieser Maßarbeit beeindruckt zeigten.

D as neue NAI Das NAI stand nach den Jahren des Experimentierens und einem Rückgang der Besucherzahlen schließlich vor einem Dilemma: Wie konnte das Wissenschaftsinstitut seine Expertise national wie international unter Beweis stellen, dabei aber zugleich ein zugängliches Museum bleiben? Eine der wichtigsten Schlussfolgerungen war, dass man einfach nicht mehr alles für jeden tun könne, sondern bei jeder Aktivität eine ganz bestimmte Zielgruppe ins Auge fassen und die Veranstaltung dann konsequent mit dem Thema, der Atmosphäre, dem Ton, der Bildauswahl sowie dem räumlichen und grafischen Entwurf darauf ausrichten müsse. Nicht länger alles gleichzeitig für alle. Das bedeutet auch zu erkennen, dass Architektur zwar durchaus ein breiteres Publikum interessieren kann, doch die Grenzen dieser Nische recht schnell erreicht sind. Dementsprechend wurden die Zielgruppen neu unterteilt in Fachpublikum, Kulturkonsument, Lehrkräfte und Touristen. Im Mai 2010 wurde das NAI dann für die schon lange geplanten Umbaumaßnahmen im Eingangsbereich geschlossen. Bereits seit zehn Jahren stand dieser Umbau auf der Agenda und war anfangs gedacht, um dem Vermittlungsprogramm einen prominenteren Ort im Gebäude zur Verfügung stellen und mehr Gruppen begrüßen zu können. Das Jahr 2011 stand dann, den eben geschilderten Erkenntnissen geschuldet, im Zeichen einer konzentrierten Neuausrichtung, einer neuen Marketing- und Kommunikationspolitik und der Metamorphose des Gebäudes. Ziel war es, das NAI auf mehrere Arten zu vergrößern. Im wörtlichen Sinne durch einen niederschwellig zugänglichen Eingangsbereich, der mit seinem weiträumigeren und besseren Café, der Terrasse, dem Buchladen und dem neuen Vermittlungsbereich einen größeren, kostenlos zugänglichen öffentlichen Raum bietet. Und im übertragenen Sinne, indem man neue Ausstellungen wie Hands-on-Deck (DoeDek), Stadt der Niederlande (Stad van Nederland) und Schatzkammer (Schatkamer) dem großen Angebot hinzufügte, um einem breiten Publikum die Begegnung mit Architektur zu ermöglichen.

H ands - on -D eck Um ›Neulinge‹ im Bereich der Architektur (und vor allem natürlich auch Lehrkräfte und Familien) für dieses Thema zu begeistern, wurde an prominenter

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Stelle im Herzen des Gebäudes ein neuer Bereich eingerichtet. Das Handson-Deck, also der Ort zum Selbstaktivwerden, war kostenlos zugänglich und wurde als eine offene und zwanglose Landschaft entworfen, in der jeder, der mochte, selbst Hand anlegen konnte. Die Besucher konnten bauen und entwerfen sowohl physisch als auch digital, sowohl im kleineren Maßstab als auch im größeren. Bausteine lagen aus, mit denen sich schnell große Konstruktionen verwirklichen ließen, und auf vier interaktiven Tischen konnte mit Lego auf einem virtuellen Untergrund gebaut werden.

S tadt der N iederl ande In der ständigen Ausstellung Stadt der Niederlande stand der Umgang mit dem universellen Hass-Liebe-Verhältnis zur Stadt im Mittelpunkt. Die Ausstellung umfasste ausschließlich Modelle und Rauminstallationen, wodurch die Architektur durch Architektur erlebbar gemacht werden sollte; zusätzlich bestimmten Licht und Toneinspielungen die Atmosphäre. Die Modelle aus der Sammlung des NAI fungierten als Schauspieler in einem Stück, das die positiven, aber auch die negativen Seiten einer Stadt vorstellte. Informationen erhielt der Besucher durch ein Headset, über das er den Diskussionen von sechs Figuren folgen konnte, die über die gezeigten Projekte sprachen. Dabei machten die Gespräche deutlich, dass mehrere Wahrheiten über unsere bebaute Umgebung nebeneinander existieren und es mehr Kontroversen gibt als nur die Auseinandersetzung über schön und hässlich.

P opul är So sehr das Hands-on-Deck und die Stadt der Niederlande auch den Geschmack der Architektur-›Anfänger‹ trafen, so ist doch deutlich geworden, dass die Möglichkeiten, mit einer Architekturausstellung eine größere Zielgruppe anzusprechen, äußerst beschränkt sind. Es ist dann auch nicht weiter überraschend, dass eines der erfolgreichsten Experimente eine mobile ArchitekturApp zu sein scheint. Im Jahr 2010 veröffentlichte das NAI die App UAR (Urban Augmented Reality) in Rotterdam. Beim Gang durch die Stadt versorgt UAR den Nutzer anhand von Texten, Bildern, 3D-Modellen, Archivmaterial und Filmen mit Informationen darüber, was nicht zu sehen ist. Die Stadt, wie sie einmal war: durch das Aufzeigen von Gebäuden, die hier früher einmal standen. Die Stadt, wie sie hätte sein können: durch das Aufzeigen von Modellen und Entwurfszeichnungen zu Gebäuden, die nie realisiert wurden. Und die Stadt, wie sie einmal sein wird: durch das Aufzeigen von Impressionen zukünftiger Gebäude, die sich im Bau befinden. Die App verbindet mithilfe neuer Technologie

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das Material der Sammlung äußerst logisch mit der physischen Wirklichkeit. Selbstverständlich ist dies innerhalb der Museumsmauern, mögen wir auch noch so sehr mit Präsentationsformen experimentieren, kaum möglich. In der Museumswelt wird seit Jahren eine handfeste Polemik geführt, als Folge der weitgehenden Popularisierung des Angebots mit interaktiven Ausstellungen, Blockbustern oder Erlebnisausstellungen. Ist ein Kunstmuseum ein Ort der Vermarktung, oder soll ein Museumsbesuch vor allem eine Entdeckungstour sein, die auch anstrengend sein kann? Bei dieser Diskussion wird häufig übersehen, dass unterschieden werden muss zwischen einer Freizeitbeschäftigung in einem ›Vergnügungspark‹ und der niederschwelligen Stimulation eines aktiven Dialogs mit dem Publikum. Jeder Versuch, bildende Kunst oder Architektur näher an den Besucher zu bringen, wird schnell als Kniefall vor dem Kommerz oder dem Mittelmaß abgetan. Wird der Glaube an das Fach Architektur durch eine leicht zugängliche Ausstellung, durch Apps oder physische Bau- und Spielplätze unterminiert? Sicher nicht. Architektur könnte von einem naiven Journalismus profitieren, der sich durch die Gesetzmäßigkeiten und Klischees des Faches pickt, unausgearbeitete Erzählfäden ans Tageslicht bringt, um dann ausschließlich die Feinheiten des Faches zu präsentieren. Die Architektur als solche verdient eine breit geführte Diskussion, die mehr umfasst als nur das Gespräch zwischen Experten. Eine öffentliche Einrichtung hat die Aufgabe, Menschen aller Altersstufen und mit unterschiedlichen Interessen in diese Auseinandersetzung einzubeziehen, vorausgesetzt, ihre Programmarbeit ist maßgeschneidert und wird mit Intelligenz und Integrität ausgeführt.

Abbildung 1: Ausstellung Gestalte unser Land. Workshop für Nationale Planung (Oktober 2008 – Mai 2009). Monatlich mit Fokus auf ein spezifisches Thema – Mobilität, Wohnraum, Arbeit, Freizeit, Begrünung, Wasser – mit den jeweiligen Zielsetzungen.

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Abbildung 2: Das Hands-on-Deck im Herzen des Museums wurde speziell für junge Menschen und Kinder entwickelt, die sich anhand von oversize Bausteinen oder einfachem Lego mit ihren eigenen Händen an Architektur versuchen wollen.

Abbildung 3: In der Dauerausstellung. Stadt der Niederlande, Juli 2011 – Juli 2013.

Abbildung 4: Fünf Oberschulen aus Rotterdam nahmen am Designwettbewerb Rotterdam mal schöner!, ihre Nachbarschaft neu zu designen, teil (August 2007 – März 2008).

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Ausstellen & Vermitteln als integriertes Konzept Die Ausstellung Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt im Museum für Gestaltung Zürich Franziska Mühlbacher, Angeli Sachs Designmuseen stehen vor der besonderen Herausforderung, sich in ihren Ausstellungen immer wieder mit Phänomenen und Objekten des gesellschaftlichen Alltags auseinanderzusetzen. Die grundlegende Frage dabei ist: Wer spricht hier mit wem auf welche Weise über was? Wieso sollen sich die Besucherinnen und Besucher für Themen, mit denen sie oft täglich konfrontiert sind, auch noch im Museum interessieren?1 Oder tun sie es gerade deswegen? Und wie treten Museum und Publikum in einen Dialog, der nicht Wissensvermittlung in unidirektionaler Richtung bedeutet, sondern einen Austausch ermöglicht, in dem die Reaktionen, Erfahrungen, Expertisen und Experimente der Besucher zum Teil eines gemeinsamen Projektes werden?

F orum , A rchiv und L abor Das Museum für Gestaltung Zürich (1875/1933) gehört zu der Gruppe der in der Nachfolge des South Kensington, heute Victoria and Albert Museums (1852/1857)2 gegründeten europäischen Kunstgewerbemuseen wie das MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst in Wien (1863/1871) oder das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (1866/1877). Das Victoria and Albert Museum wurde nach der ersten Weltausstellung in London im Jahr 1851 ins Leben gerufen, »um die vorbildliche ›Anwendung der Kunst im Handwerk‹ zu zeigen«3. Dementsprechend bestand auch der Gründungsauf1 | Im weiteren Text schließen die in der männlichen Form verwendeten Begriffe die weibliche Perspektive mit ein. 2 | Die erste Zahl bezieht sich jeweils auf das Gründungsdatum, die zweite auf den Einzug in das jetzige Museumsgebäude. 3 | O. Hartung: Kleine deutsche Museumsgeschichte, S. 38.

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trag der nachfolgenden Museen darin, Vorbildsammlungen anzulegen, um die (nationale) Qualität in Kunsthandwerk und Industrie auf ein möglichst hohes und konkurrenzfähiges Niveau anzuheben. Konsequenterweise waren sie häufig mit Ausbildungsinstitutionen für diese Berufsrichtungen verbunden. Viele der ehemaligen Kunstgewerbemuseen besinnen sich heute wieder verstärkt auf ihren Gründungsgedanken und den Vorbildcharakter ihrer Sammlungen als lebendige Archive für aktuelle und zukünftige Gestaltungsfragen. Das Museum für Gestaltung Zürich ist aus dem 1875 gegründeten Kunstgewerbemuseum hervorgegangen. Im Jahr 1878 wurde die Kunstgewerbeschule gegründet. Der programmatische Entscheid der späten 1920er Jahre, dem Museum und der Kunstgewerbeschule (heute Zürcher Hochschule der Künste – ZHdK) ein gemeinsames Haus zu geben, hat nicht an Gültigkeit verloren. In seiner funktionalen und ästhetischen Qualität gehört der denkmalgeschützte Museumsbau von Steger  & Egender aus dem Jahr 1933 an der Ausstellungsstrasse in Zürich, in dem Museum und Hochschule bis 2014 gemeinsam untergebracht waren, zu den markantesten Beispielen des Neuen Bauens in der Schweiz. Im Jahr 2014 sind die Sammlungen des Museums zusammen mit der Hochschule in den neuen Campus der Zürcher Hochschule der Künste im Toni-Areal in Zürich West eingezogen und verfügen dort seitdem über ein gemeinsames Schaudepot – ein Anliegen, für das sich Museum und Hochschule jahrzehntelang eingesetzt hatten und das der Gründungsidee des Austauschs zwischen Museum, Forschung und Lehre entspricht. Nach der Renovierung des Gebäudes in der Ausstellungsstrasse wird das Museum beide Standorte bespielen. Das Museum für Gestaltung Zürich ist das erste Haus für Design und visuelle Kommunikation in der Schweiz mit einem weitgefächerten Themenspektrum von Design und Kunstgewerbe, Mode, Textil und Schmuck über Grafik und Plakat bis zu Fotografie, Film und Architektur. »Mit seinen Ausstellungen, Sammlungen und Publikationen ist das Museum Forum, Archiv und Labor zugleich.«4 Das Projekt, das im Zentrum dieser Ausführungen steht, ist ein Beispiel für diesen Zugang. Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt5 war und ist für das Museum für Gestaltung Zürich besonders wichtig. Es hat vieles in Bezug auf das Selbstverständnis des Museums und die Auffassung, wie dort Ausstellungen gemacht und vermittelt werden, verändert. Deswegen ist dieser Beitrag auch aus zwei Perspektiven geschrieben, der kuratorischen und der der Vermittlung. Doch zuerst zur Motivation dieses Ausstellungsprojekts. 4 | Museum für Gestaltung Zürich: Ausstellen Sammeln Forschen Publizieren Vermitteln. Ansonsten vgl. zur Geschichte der Institution und Architektur C. Lichtenstein: Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich. 5 | Die Ausstellung wurde 2012 in der Halle des zuvor erwähnten Museumsstandortes an der Ausstellungsstrasse 60 in Zürich gezeigt.

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Laut allgemein anerkannter Definition sind die Kernaufgaben des Museums Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln. Dazu gehört auch die gesellschaftliche Verantwortung, in der die Museen stehen. ICOM, der Internationale Museumsrat, formuliert es in seinen Ethischen Richtlinien so: Museen schaffen Voraussetzungen für die Wertschätzung, das Verständnis und die Förderung von Natur- und Kulturerbe. […] Die Wechselbeziehung des Museums mit der Gesellschaft und die Förderung ihres Erbes sind unmittelbarer Bestandteil des Bildungsauftrages eines Museums. 6

Im Sinne des zuvor erläuterten Gründungsgedankens zeigen Designausstellungen meist Entwurfsprozesse und Beispiele für besonders gelungenes Design. Aber die materiellen und immateriellen Zeugnisse, die in Museen zu Ausstellungsobjekten werden, müssen nicht immer nur Vorbildcharakter haben und damit einem affirmativen Verständnis im Sinne eines Kanons guter Gestaltung entsprechen. Im Leitbild des Museums für Gestaltung Zürich heißt es entsprechend: Die Phänomene der Gestaltung werden dabei als Ausdruck der jeweiligen Kultur und ihrer Wertvorstellungen interpretiert, Zusammenhänge werden sichtbar gemacht und Debatten angeregt. In der Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart, mit Theorie und Praxis sollen Bedeutung und Wirkungsmöglichkeiten der Gestaltung in der breiteren Öffentlichkeit dargestellt, diskutiert und gestärkt werden.7

E in P rojek t am E nde des D esigns In der Ausstellung Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt (2012)  – die der Direktor des Museum für Gestaltung Zürich Christian Brändle kreiert und gemeinsam mit Angeli Sachs kuratiert hat, Franziska Mühlbacher war für den Vermittlungsbereich verantwortlich und Françoise Krattinger wissenschaftliche Mitarbeiterin – liegt der Fokus auf einmal am Ende des Designs, am Ende der Gebrauchsgeschichte von Gegenständen. Denn seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat Plastik unsere gestaltete Welt wie kaum ein anderer Stoff verändert. Massenproduktion und Überkonsum führen jedoch zu Unmengen von Abfall. Dadurch haben sich die Meere schleichend in eine gigantische Plastiksuppe mit fatalen und noch nicht in aller Konsequenz absehbaren Aus6 | ICOM – Internationaler Museumsrat: Ethische Richtlinien für Museen von ICOM, S. 19. 7 | Museum für Gestaltung Zürich: Ausstellen Sammeln Forschen Publizieren Vermitteln, S. 2.

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wirkungen auf die Umwelt verwandelt. Die weltweit erste umfassende Ausstellung8 zu diesem ökologischen Problem besteht aus vier Teilen: Zentrum der Ausstellung und Symbol für die ökologische Katastrophe ist eine große Installation mit Plastikschwemmgut. Der Ausstellungsteil Plastik im Meer zeigt den Hintergrund des Problems und seine fatalen Auswirkungen auf Meere, Tiere und Menschen. Im Ausstellungsteil Plastik im Alltag werden die verbreitetsten Kunststoffe vorgestellt und Themen wie Konsum, gesundheitliche Risiken, Mikroplastik, Materialkreisläufe oder Biokunststoffe näher beleuchtet. Lösungsansätze im Sinn von Reduzieren, Umnutzen oder Wiederverwerten sollen zum Handeln anregen. Der vierte Teil ist die Vermittlung als integraler Bestandteil der Ausstellung. Ein wichtiger Grundsatz dieses Projekts in Bezug auf den Wissenstransfer, die Beschaffung von Exponaten und die Vermittlung ist die Zusammenarbeit mit internationalen Initiativen und Akteuren, die sich mit dieser Problematik beschäftigen. Das in der Ausstellung gezeigte Plastikschwemmgut wurde bei Strandsäuberungen auf Hawaii, auf Sylt an der Nordsee und auf Fehmarn an der Ostsee gesammelt. In die Sammelaktionen an Nord- und Ostsee war ein Teil des Kuratorenteams selbst involviert. Die von Anfang an geplante große, inselartige Installation bildet das Herzstück der Ausstellung und veranschaulicht ein für viele Menschen abstraktes Phänomen. Beim Betreten der Ausstellungshalle in Zürich stellte sich bei den Besuchern angesichts der enormen Menge von angehäuftem Plastikmüll grundsätzlich ein Effekt der Beeindruckung und emotionalen Betroffenheit ein. Der Spiegel am Ende der Installation bezog sie ein und machte sie zu einem Teil der Situation. Der Ausstellungsparcours war in Zürich offen angelegt, aber meist begannen die Besucher beim Ausstellungsteil Plastik im Meer, der grundlegende Informationen zu den Plastikmüllstrudeln in den Weltmeeren, was mit Plastikobjekten passiert, die ins Wasser gelangen, und welche Auswirkungen das auf die Tierwelt hat, sowie zu dem immer wichtiger werdenden Thema Mikroplastik gibt. Für die Szenografie wurden vom Ausstellungsarchitekten Alain Rappaport unterschiedlich große Boxen auf Europaletten entwickelt. Sie können für die einzelnen Themen zu insel- oder floßähnlichen Gruppen zusammengefasst werden und dienen der Wanderausstellung, die in einem Container transportiert wird, als Transportbehältnisse. Zeichnungen, Fotografien und Informationsgrafiken werden auf hölzernen Plakatständern in diese Boxen gesteckt. Die Informationen werden durch Objekte, die der zentralen Installation entnommen wurden, oder durch künstlerische Beiträge anschau8 | Wir sprechen von der Ausstellung meist in der Gegenwart, weil sie noch für einige Jahre als internationale Wanderausstellung unterwegs sein wird. Auf der Website des Projekts gibt es weitere Informationen zur Ausstellung und zu ihren verschiedenen Stationen. Siehe www.plasticgarbageproject.org/

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lich. Dies sind zum Beispiel die eindrücklichen Fotografien von an Plastikmüll verendeten Albatrossen von Chris Jordan, die Installation The Mermaid’s Tears von Richard und Judith Lang, bei der Besucher ausprobieren können, wie schwierig es ist, Sandkörner von Plastikteilen zu unterscheiden, oder der Stop-Motion-Film von Gaia Codoni, der das komplexe Thema von Plastik in der Nahrungskette nachvollziehbar macht. Mit diesen Arbeiten versuchten die Kuratoren, den Charakter der für das Museum für Gestaltung ungewöhnlich didaktisch-informativen Ausstellung aufzubrechen und die Besucher direkt anzusprechen. Zudem wird Plastik im Meer von verschiedenen Arbeiten der Vertiefung Scientific Visualization des Studiengangs Design der Zürcher Hochschule der Künste begleitet. Entstanden sind Objektstudien von Artefakten aus Plastik, die in einigen 100 Jahren von unserer Kultur erzählen werden.

W as zeigen und wie kommunizieren ? Üblicherweise wäre eine Ausstellung zum Thema Plastikmüll und seinen Folgen für die Umwelt an dieser Stelle beendet gewesen. Aber als Museum für Gestaltung ist es uns ein wichtiges Anliegen, auch die Aspekte zu zeigen, die für die Verursachung von Plastikmüll entscheidend sind. Daher heißt das nächste Kapitel der Ausstellung Plastik im Alltag. Hier sollen die Besucher, die gleichzeitig Kunststoff-Konsumenten sind, für dieses Thema in ihrem Alltagsverhalten sensibilisiert werden. Wir haben lange darüber nachgedacht, welche Themen wir zeigen und in welcher Art und Weise wir mit unseren Besuchern kommunizieren, wie wir schreiben und sprechen. Einerseits waren wir um eine ausgewogene Darstellung bemüht, andererseits haben die Ausstellung und unsere Vermittlung in Führungen und Ausstellungsgesprächen eindeutig einen aufklärerischen, aktivierenden Ansatz. Der erste Schritt war, sich darüber klar zu werden, dass wir als Kuratoren wie alle anderen ein Teil des Problems sind. Also haben wir nicht die Position des auktorialen Erzählers eingenommen, sondern unsere Rolle als »Autorisiert Sprechende«9 hinterfragt und auch auf eigenes Lernen (denn auf diesem Gebiet waren wir ja nicht von vornherein Experten), Austausch und Diskussion gesetzt. Am Anfang des kuratorischen Prozesses stand ein Selbstversuch, bei dem das Ausstellungsteam eine Zeit lang den von ihm verbrauchten Kunststoff sammelte und in eine Installation einbrachte. Das so entstandene ›Abfallaquarium‹ war ein guter Ort, um mit den Besuchern von einer persön9 | Wir beziehen uns hier auf Eva Sturms Ausführungen zum Sprachraum Kunstmuseum und speziell auf »Befugte und unbefugte Sprecher« sowie »Autorisiert Sprechende«. Diese Überlegungen lassen sich auch auf ein Museum für Gestaltung und seinen diskursiven Raum übertragen. Vgl. E. Sturm: Im Engpass der Worte, S. 37–44.

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lichen Perspektive aus ins Gespräch zu kommen und festzustellen, dass es erstaunlich ist, wie sehr Kunststoffe unseren Alltag durchdringen. Dazu haben wir eine Materialkunde Kunststoffe erarbeitet, zu der es auch ein Handout zum Mitnehmen gab. Ein weiteres wichtiges Thema ist der schnelle Konsum, den wir anhand von Plastiktüten, Lebensmittelverpackungen und Take-away-Behältern zeigen. Aufhänger ist der Kontrast zwischen der Kurzlebigkeit des Produkts und der Langlebigkeit der Verpackung von bis zu mehreren hundert Jahren. Weitere Themen sind bedenkliche Zusatzstoffe (wie Weichmacher oder Bisphenol A) sowie die problematische Rolle von Mikroplastikpartikeln (zum Beispiel in Textilien aus Fleece oder Peeling-Produkten). Darauf folgt die Darstellung einiger ganzheitlicher Ansätze: Plastik als neuer Rohstoff, Strategien des Recyclings und das Denken in Kreisläufen für Designer, Produzentinnen und Konsumierende. Und am Ende werden die Vor- und Nachteile von Biokunststoffen zur Diskussion gestellt. Im Vergleich zum Ausstellungsteil Plastik im Meer, der eher einer naturwissenschaftlich begründeten, objektivierenden Darstellung folgt, die mit emotionalisierenden und zur Interaktion einladenden Elementen angereichert ist, kreuzen sich im Ausstellungsteil Plastik im Alltag die Perspektiven, Erfahrungen und Expertisen von Kuratoren und Besuchern in Bezug auf die gemeinsame Beteiligung an der Verursachung des Plastikmüllproblems sowie die Entwicklung von Ideen für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Material weitaus stärker.

I ntegrierter H andlungsr aum für V ermit tlung Im Rahmen der Ausstellung konnte für das Museum für Gestaltung Zürich ein neuartiges Zusammenwirken zwischen den Praxen des Ausstellens und Vermittelns entstehen.10 Voraussetzung für die Option, sich mit der Vermittlung auf neues Terrain zu begeben, war zum einen die Haltung des Museums, sich mit einer umweltpolitischen Thematik an eine möglichst ›breite‹ Öffentlichkeit zu wenden.11 Im Vermittlungskonzept wird diese definiert als »unabhängig vom Alter, Geschlecht, sozialem und ökonomischem Hintergrund«. 10 | Das Museum für Gestaltung Zürich verfügte bis Ende 2012 über keine substantielle Position für den Bereich Vermittlung. Das Konzept wurde für das Museum von Franziska Mühlbacher erstellt, die ab diesem Zeitpunkt vom Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste und dem Museum engagiert wurde. 11 | Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit der Drosos Stiftung. Diese finanzierte die Wanderausstellung und das gesamte Vermittlungsprogramm in Zürich inklusive der Position der Kuratorin Vermittlung bis einen Monat nach Ende der Ausstellungdauer in Zürich. Sie ermöglichte den kostenfreien Eintritt für alle Besucher. Insofern

Ausstellen & Vermitteln als integrier tes Konzept

Für die Konzeption des Vermittlungsprogramms war es zum anderen von Vorteil, dass einem Großteil der ausgestellten Exponate kein ökonomischer, kunstoder designhistorischer Wert beigemessen wurde und sie nicht Teil einer Sammlung waren oder werden sollten. Was für das Kuratieren der Ausstellung eher eine Herausforderung war – nämlich die Frage, welche Objekte präsentiert werden können, wenn der Fokus nicht primär auf dem Gestaltungsaspekt liegt – erweiterte für die Vermittlung den Handlungsbereich: Gezeigt wurden zum Großteil Alltagsgegenstände, die am Ende unseres Kreislaufs der Dingkultur stehen und weggeworfen wurden. Diese Faktoren waren Voraussetzung für ein gleichwertiges Nebeneinander von Ausstellungsobjekten, künstlerischen Positionen12 und in Vermittlungsaktivitäten entstandenen Ergebnissen und Spuren. Das Ziel der Vermittlungsarbeit war es, einen Handlungsraum für die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung sowie für eine experimentelle Vermittlungspraxis zu generieren. Handlungsraum ist hier ein physischer und interaktiver Raum, der vielfältige Zugänge und Verhaltensweisen ermöglicht, die in einer Spannungsbeziehung zum Ausstellungsraum stehen. Als physischer Raum nahm der Vermittlungsbereich rund ein Drittel der gesamten Ausstellungsfläche ein. Szenografisch wurde er durch mehrere Wandelemente gegliedert. Die Übergänge zum Ausstellungsbereich verliefen jedoch weitgehend fließend, wodurch er in den Rundgang integriert wurde. Der Vermittlung wurde damit eine spezielle Form der Sichtbarkeit eingeräumt. Als Teil der Ausstellungsräume enthielt der Vermittlungsraum auf der einen Seite das Potenzial für die breite Wahrnehmung von Vermittlungsaktivitäten, auf der anderen Seite war der repräsentative Charakter durch die Integration in die Ausstellung auch eine Herausforderung.13 Denn in welcher Form können Interaktionen oder deren Spuren sichtbar werden, wenn sie nicht gerade durch die Anwesenheit von Akteuren in ein für die anderen Besucher lesbares Bild übersetzt werden? Im integrierten Vermittlungsbereich fanden eben nicht nur praktische, tatsächliche Vermittlungsaktivitäten statt, sondern es wurde mit deren sichtbaren Ergebnissen auch »ein [bestimmtes] Bild von Kunstvermittlung erzeugt«, wie es Susanne Kudorfer in Bezug auf den integrierten Projektraum Kunstvermittlung im Kunstmuseum Luzern beschreibt.14

spielte auch die Stiftung in der Konstruktion von Öffentlichkeit eine Rolle. Zum Entwurf des Besuchers von Seiten des Museums vgl. E. Sturm: Im Engpass der Worte, S. 36. 12 | Im Resonanzraum wurden künstlerische Positionen und Beiträge von Workshopteilnehmern gleichwertig nebeneinander präsentiert. 13 | Vgl. A. Schröpfer: Integrierte Vermittlungsräume in Ausstellungen, S. 25. 14 | Vgl. S. Kudorfer: Projektraum Kunstvermittlung, S. 53.

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Der Handlungsraum sollte Aktions- und Kommunikationsmöglichkeiten erweitern, um gesellschaftlich relevante Fragestellungen zu diskutieren. Die Aktivitäten der Vermittlung in diesen Räumlichkeiten sollten es den Besuchern ermöglichen, in die Rolle der Agierenden zu schlüpfen und damit öffentlich zu verhandeln, welche Exponate von Interesse sind und welche Fragestellungen sie für wen aufwerfen.

I nfolounge , A k tionsr aum und R esonanzr aum Der in die Ausstellung integrierte Vermittlungsbereich setzte sich aus drei Teilen zusammen. Mit Büchern und Computerstationen ausgestattet, bot die Infolounge eine inhaltliche Vertiefung. Neben den Hintergrundinformationen auf der Ausstellungswebsite konnte man sich auch über Gesetze, Initiativen und Organisationen informieren. Die Sitzmöglichkeiten luden zur Erholung ein und wurden vor allem von Gruppen als Sammlungsort verwendet. Das integrierte Kino zeigte Kurzfilme im Loop und Dokumentarfilme an speziellen Terminen. Der Aktionsraum war Gestaltungsraum mit Werkstattcharakter, seine Ausstattung wurde mit Tischen und Bänken, einer Wand mit Tafellack und Hands-on-Materialkisten für Workshops mit Gruppen konzipiert. Er war jedoch flexibel und für unterschiedliche Nutzungen (wie Vortrag, Film, Theater, Designwerkstatt oder Diskussionsraum) adaptierbar. Im Resonanzraum wurden die Spuren der Interaktion mit verschiedenen Publika präsentiert. Das Konzept lässt sich mithilfe der physikalischen Bedeutung von Resonanz gut beschreiben: Ausgehend von einer Anregung auf gleicher oder ähnlicher Wellenlänge wird eine (Re-)Aktion in Gang gesetzt, die als Widerhall oder Verstärkung wahrgenommen wird. Im Kontext der Ausstellung wurde das Thema der Verschmutzung durch Plastik und die Interaktion mit dem Publikum zum Impuls. Der Resonanzraum reagierte auf die Auseinandersetzungen von und mit verschiedensten Akteuren und machte diese Prozesse sichtbar. Flexibel bespielbare Präsentationselemente wie Magnetwände, Wandregale und spezielle Tischaufsätze erleichterten die Ordnung der vielfältigen Beiträge. Die wechselnde Kuration des Resonanzraumes war Aufgabe des internen Vermittlungsteams.15

15 | Das interne Vermittlungsteam bestand aus der Kuratorin Vermittlung, einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin und drei Praktikantinnen aus dem Master of Arts in Art Education ausstellen & vermitteln der Zürcher Hochschule der Künste. Zusätzlich wurde das Team durch vier Mitarbeitende für Kurzprojekte (Schulworkshops, Ferienprogramme und Kooperationen) und Führungen erweitert.

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W echselbeziehung zwischen R aum und V ermittlungsformat Am Beispiel einiger Vermittlungsformate lässt sich ablesen, welche Dynamik im integrierten Vermittlungsbereich entstand und in welcher Wechselbeziehung sich die Aktivitäten zur Raumnutzung entwickelten. Da das offizielle Vermittlungsprogramm erst mit Beginn der Ausstellung startete, stellte sich die Frage, was zur Eröffnung im Resonanzraum präsentiert werden sollte. Wir lösten diese Problematik einerseits mit der Thematisierung der Idee des Raumes und der noch vorherrschenden ›Leere‹, indem wir die Struktur zum späteren Bespielen, zum Beispiel leere Bilderrahmen installierten. Andererseits suchten wir nach einem Kooperationspartner, um schon von Beginn an Ausstellungsbeiträge zu integrieren. Vier Semesterkurse des Programms Universikum der Stadt Zürich beteiligten sich an der Zusammenarbeit.16 Die entstandenen Arbeiten thematisierten die alltäglichen Anknüpfungspunkte der Schüler an die Kunststoff- und Umweltproblematik und reflektierten so deren Lebensumfeld. Beispielsweise dokumentierten zwei elf Jahre alte Kinder in einer Fotoarbeit alle Plastikprodukte, die sie in ihrem Zuhause finden konnten und fragten die Besucher, auf welche dieser Dinge sie am ehesten verzichten würden. Da die Frage mit Klebepunkten beantwortet werden konnte, wurde schnell klar, dass Mobiltelefon und Zahnbürste für fast alle unverzichtbar waren. Diese Arbeit fungierte unter anderem als Gradmesser der Auseinandersetzung: Je mehr geklebte Punkte, desto mehr Beteiligung. Zudem zeigte die Arbeit auf, wie ein partizipativ entstandener Beitrag eine interaktivitätsfördernde Rolle im Resonanzraum einnehmen konnte. Der Vermittlungsbereich war stark von der Materialität des Kunststoffes geprägt. Im Resonanzraum zeigten wir zur Ausstellungseröffnung einen PETRoboter, den ein sechs Jahre altes Kind im Universikum entwickelt hatte. Das Forschungstagebuch machte seine Suche nach praktischen Problemlösungsstrategien beim Bau nachvollziehbar. Die Materialität der Gegenstände, ihre formalen und funktionalen Eigenschaften sind wesentliche Elemente von Designvermittlung. Design und seine Vermittlung arbeiten nicht nur am Objekt selbst, sondern darüber hinaus an der Gestaltung von Strukturen und Prozessen sowie über soziokulturelle Faktoren ihrer Entstehung und Rezeption. Für die Konzeption der Vermittlungsformate orientierten wir uns sowohl an diesen Aspekten einer kritischen Designvermittlung17 als auch an künstlerischen und kreativen Strategien. Die Materialkisten im Aktionsraum enthielten gebrauchte PET-Flaschendeckel, Tetra-Pak- und Kunststoffverpackungen, die via Aufruf gesammelt wurden. Das Sammelgut diente als berührbarer Gegenpart 16 | Lernangebote für Kinder mit ausgeprägten Begabungen des Schulamts der Stadt Zürich. Siehe www.stadt-zuerich.ch/universikum. 17 | Vgl. B. Settele: Design kritisch vermitteln, S. 242–245.

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zu den Exponaten der Ausstellung, mit dem Ziel der Materialsensibilisierung. Die Materialien fungierten zudem als Basis für das Format Designwerkstatt. An acht Samstagen wurde der Aktionsraum zur Gestaltungswerkstatt, um aus Wegwerfmaterial Neues zu schaffen oder daraus eigene Ideen oder Geschichten zu entwickeln. Die Ergebnisse aus den Designwerkstätten wurden im Ideenpool des Resonanzraums sichtbar. Als Installation wurden vorgefertigte Vorlagenblätter an der Wand montiert. Mit dem Aufruf, das eigene Wissen zu teilen und eine Do-it-yourself-Anleitung für die Wiederverwendung von Plastikmüll zu gestalten, entstand eine wachsende Sammlung von Ideen. Zu Beginn wurden die Ideen noch in Workshops mit Unterstützung des Vermittlungsteams generiert. Mit zunehmender Ausstellungsdauer entstanden die Anleitungen auch selbstmotiviert, wurden per E‑Mail an uns gesandt, und eine aus einer gebrauchten PET-Flasche hergestellte Vase wurde selbstinitiativ als Anschauungsobjekt im Resonanzraum installiert. Betrachter der Wandinstallation machten sich Notizen und fotografierten die ausgefüllten Blätter. Es entwickelte sich eine Eigendynamik des Ideenaustausches, die direkt an und vor der Wandinstallation sichtbar wurde. Im Aktionsraum fand auch das wöchentlich wiederkehrende Format Trashy Mittwoch statt. Ziel dieses Formats war es, einen spontanen Rahmen für die Beteiligung von Personen zu schaffen, die uns während der Ausstellungsdauer noch begegnen würden. Das Format wurde durch seinen Zeitrahmen, seine Verortung und seinen experimentellen Charakter definiert. Mit der spontanen Beteiligung der Künstlerin Andrea Kuster an einem Trashy Mittwoch konnte die Ausstellung mit dem Stadtumfeld vernetzt werden. Sie zeigte ihr Sammelgut von der Küste des Zürichsees und erweiterte ihre Präsentation durch einen Spaziergang zum Flusskraftwerk. Durch die für Teilnehmende unberechenbaren Inhalte entwickelte sich dieses Zeitfenster zu einer spannenden Kontaktund Gesprächszone mit Besuchern, die sich zufällig gerade im Ausstellungsraum befanden oder mehrmals an diesem Format teilnahmen. Die Wechselbeziehung zwischen Stadt-, Ausstellungs- und Vermittlungsraum zeigte sich am dichtesten in den Vermittlungsaktivitäten zur Street Parade, die während der Ausstellungsdauer stattfand.18 Im Bemühen um eine differenzierte Auseinandersetzung gestalteten wir eine Designwerkstatt unter dem Motto Get dressed, begleiteten die Massenveranstaltung filmisch und luden an einem Trashy Mittwoch zum Film-Screening sowie zur offenen Diskussion. Der Fokus auf die Müllproduktion der Massenveranstaltung war mit dem Profil der Veranstalter der Street Parade nicht kompatibel, sodass keine Kooperation zustande kam. Die daraus resultierenden Programmpunkte the18 | Technoparade für Liebe, Freiheit, Friede, Großzügigkeit und Toleranz. Siehe www. streetparade.com.

Ausstellen & Vermitteln als integrier tes Konzept

matisierten daher Aspekte der Street Parade, anstatt sie gemeinsam mit der Organisation und den Teilnehmern zu entwickeln. Der Konflikt zwischen der aufklärerisch-pädagogischen Botschaft der Ausstellung und dem Wunsch des Vermittlungsteams nach einem in alle Richtungen offenen Denkraum kam in diesem Projekt am stärksten zum Ausdruck. Im Resonanzraum zeigte sich dies auch als Potenzial, denn die Diskussion manifestierte sich durch viele Stimmen auf Responsekarten an der Wand, die, ähnlich einem digitalen Blog, widersprüchliche Statements enthielten oder einzelne Meinungen kommentierten. Die Produktion von Mehrdeutigkeiten trat hier an die Stelle einer Stimme der Institution Museum und öffnete einen Dialograum.19

W as bleibt ? Die Ausstellung wurde 2012 mit großem Erfolg im Museum für Gestaltung Zürich gezeigt und befindet sich seitdem auf internationaler Tournee mit Stationen in Europa, Afrika und Asien. Wir finden, es gehört zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung als Museum für Gestaltung, mit unseren Mitteln auf die Konsequenzen aufmerksam zu machen, die der gedankenlose Einsatz und die Entsorgung von Produkten aus einem der wichtigsten Werkstoffe der Moderne verursacht, Fragestellungen wie Konsum, gesundheitliche Risiken oder Materialkreisläufe näher zu beleuchten und mit der Vorstellung von Lösungsansätzen im Sinn von Reduzieren, Umnutzen oder Wiederverwerten zum Handeln anzuregen. Welche Schlüsse unsere Besucherinnen und Besucher für sich daraus ziehen, ist ihre Entscheidung. Es ist uns ein Anliegen, Position zu beziehen und mit den Menschen, die zu uns kommen, in einen Dialog zu treten. Das öffentliche Interesse an dieser Ausstellung und ihrer Vermittlung ist groß und die Rückmeldungen sind so positiv, dass wir uns auf dem Weg ermutigt fühlen, nicht nur beispielhaftes Design im ganzen Spektrum des Themenfeldes zu zeigen, sondern auch die Probleme, die es verursacht, zur Diskussion zu stellen. Die Anzahl der Besucher, die breite Beteiligung am Programm und die Dynamik des integrierten Vermittlungsbereiches hat auch die Art und Weise verändert, wie wir ausstellen und vermitteln. Gemäß der Statistik haben ca. 35 Prozent von 35.000 Ausstellungsbesuchern an unterschiedlichen Vermittlungsprogrammen teilgenommen. Bis zu dieser Ausstellung waren es im Schnitt 7 Prozent der Ausstellungsbesucher. Das Vermittlungskonzept schuf einen Handlungsraum, der die Struktur des Museums auch dahingehend 19 | Gioia Dal Molin beschreibt diese Produktion von Mehrstimmigkeit anhand des Formats Kunstsprechstunde im Projektraum Kunstvermittlung im Kunstmuseum Luzern (vgl. G. Dal Molin: Projektraum und Ausstellungsraum als Dialogräume, S. 84).

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transformierte, dass die dauerhafte Position einer Kuratorin Vermittlung geschaffen wurde. Im Verständnis von Carmen Mörsch erwies sich die Rolle der Vermittlung in dieser Ausstellung nicht nur als dekonstruktiv, indem Meinungen und Objekte anderer Akteure sichtbar wurden – sondern zeigte auch Ansätze einer transformativen Funktion.20 Die Ausstellung und die Vermittlung erweiterten die Rolle des Museums, insofern sie zu Akteuren gesellschaftlicher Mitgestaltung wurden und ihre Besucher zur Partizipation einluden. Die veränderte Rolle der Vermittlung manifestiert sich heute in einem erweiterten Aufgabenbereich, der von dialogischen Führungen und Formaten über die Gestaltung von kreativen Prozessen bis hin zu integrierten Vermittlungsbereichen reicht. Die Zusammenarbeit mit den Kuratoren der Ausstellungen wird immer wieder neu ausgelotet, von diesen zunehmend auch eingefordert und verläuft jenseits der traditionellen Hierarchie. Bei Themen oder Ausstellungen, die sich für die beschriebene Herangehensweise eignen, hat sich im Museum für Gestaltung Zürich eine Offenheit und ein Gestaltungsspielraum für experimentelle Formate des Ausstellens und Vermittelns entwickelt.

20 | Vgl. Institute for Art Education (IAE): Zürcher Hochschule der Künste, darin besonders Kapitel 5 »Wie wirkt Vermittlung?«, siehe www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuervermittlung vom 13.04.2016.

Ausstellen & Vermitteln als integrier tes Konzept

Abbildung 1: Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt, Museum für Gestaltung Zürich, 2012. Zentrale Installation mit Plastikschwemmgut.

Abbildung 2: Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt, Museum für Gestaltung Zürich, 2012. Ausstellungsteil Plastikmüll im Meer.

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Abbildung 3: Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt, Museum für Gestaltung Zürich, 2012. Designwerkstatt im Aktionsraum.

Abbildung 4: Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt, Museum für Gestaltung Zürich 2012. Schulworkshop Von Plastikinseln und Müllmusik.

Im Dialog mit den Besuchern Die Ausstellung AFRITECTURE und ihr interaktives Vermittlungskonzept Andres Lepik Ausstellungsgestaltung ist meiner Ansicht nach viel mehr als bloße Präsentation. Sie ist ein Mittel der visuellen Kommunikation oder, um es einfacher zu sagen, eine Sache für Auge und Geist – um einem, grob gesprochen, zu helfen, Dinge zu bemerken, die der Aufmerksamkeit sonst entgehen würden oder die man Beschreibungen und Bildern allein nicht entnehmen könnte.1

Architekturausstellungen sind im Museum üblicherweise darauf angewiesen, geplante oder realisierte Bauten durch Modelle, Zeichnungen, Fotos und Videos zu präsentieren. Die Vermittlung der Inhalte und Konzepte von Architektur bedient sich dabei im Allgemeinen derselben Elemente wie die Ausstellungen von Kunst: Skizzen, Pläne und Zeichnungen werden gerahmt hinter Glas, dreidimensionale Modelle und Materialien in Vitrinen und auf Sockeln gezeigt. Diese Museumsausstellungen zur Architektur finden meist im neutralisierenden White Cube statt, der keine visuellen Bezüge des Betrachters zur Außenwelt erlaubt, aber auch alle anderen Möglichkeiten der Kontextualisierung unterdrückt.2 In der Gleichstellung zur Kunstausstellung liegt für die Besucher einer Architekturausstellung jedoch die Quelle eines grundlegenden Missverständnisses. Denn damit werden Arbeitsmaterialien, die im Entwurfsund Ausführungsprozess von Architektur eingesetzt wurden, auf dieselbe Ebene von Kunstwerken gestellt, was sie aber nicht sind. Sie haben einen anderen Zweck: Sie dienen dazu, räumliche Konzepte zu definieren, die erst über

1 | B. Rudowsky, Vortrag Tokyo am 05.12.1958. 2 | Grundlegend zur Definition und Geschichte des White Cube als Standard der Kunstpräsentation im Galerie- und Museumskontext vgl. B. O’Doherty: In der weißen Zelle.

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ihre materielle Umsetzung ›Architektur‹3 werden, Kunstwerke sind dagegen immer schon für sich gültig. Bei der Präsentation von historischen (Architektur-)Materialien gibt es aus konservatorischen Gründen keine Alternative zu Rahmungen und zum Schutz von originalen Objekten durch Vitrinen. Doch besonders im Fall von Architekturausstellungen zu zeitgenössischen Themen besteht die Chance, eigene Darstellungsformen auszubilden, die dem Besucher die Differenz zur Kunstausstellung eindeutig sichtbar machen und das Medium Architekturausstellung eigenständig ausformulieren. Im Folgenden soll anhand einer konkreten Ausstellung dargestellt werden, wie dies umgesetzt werden kann. Die Ausstellung AFRITECTURE. Bauen mit der Gemeinschaft, die 2013/14 vom Architekturmuseum der Technischen Universität München in der Pinakothek der Moderne gezeigt wurde, zielte darauf, ein komplexes Thema der zeitgenössischen Architektur einem breiten Publikum nahezubringen. Das Architekturmuseum der TU München ist durch seine räumliche Zugehörigkeit zur Pinakothek der Moderne4 gefordert, auch das nicht unmittelbar an Architektur ausgerichtete Publikum anzusprechen. Dies wurde erreicht, indem spezifische Elemente des gezeigten Themas in das Konzept der Präsentation einbezogen wurden. Anlass und Ausgangspunkt der Ausstellungskonzeption war die Tatsache, dass in vielen Ländern des afrikanischen Kontinents gegenwärtig eine dynamische Entwicklung im Bereich des Bauens stattfindet, bei der jedoch die Frage nach den gesellschaftlichen Bezügen der Planungen gegenüber politischen und ökonomischen Interessen im Hintergrund steht. Während die sogenannten Megacities wie Lagos, Johannesburg oder Addis Abeba extrem schnell wachsen, fehlen in der Regel architektonische Konzepte, die eine langfristige Verankerung dieser Bauvorhaben in lokalen gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Strukturen berücksichtigen. Dies bedeutet eine wachsende Ungleichverteilung der baulichen und räumlichen Situation für große Bevölkerungsteile, speziell die Zahl der Slums wächst überproportional.5 Doch es gibt Ausnahmen: Architektonische Initiativen wehren sich aktiv gegen die totale Kommerzialisierung des Bauens und beziehen auch die konkreten Bedürfnisse der Geringverdienenden und unterversorgten Bevölkerungsschichten ein. Der 3 | Der Begriff Architektur bezieht sich im Folgenden auf Planungen und Konzepte, die eine reale Umsetzung beabsichtigen. 4 | Dort sind auch die Sammlung Moderne Kunst der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die Staatliche Graphische Sammlung München und Die Neue Sammlung als eigenständige Sammlungen untergebracht. 5 | Ausführlich dazu der letzte UN-Habitat-Bericht zu Slums (The Challenge of Slums – Global Report on Human Settlements, UN Habitat, 2003) siehe www.grida.no/graphics​ lib/detail/slum-population-in-urban-africa_d7d6#.

Im Dialog mit den Besuchern

kuratorische Ansatz für die Konzeption der Ausstellung in München gründete auf zwei – von mir bereits vorher an anderen Museen entwickelten und präsentierten – Ausstellungen, die sich der sozialen Relevanz von Architektur gewidmet hatten. Ihr Ziel war es, anhand konkreter und erfolgreicher Beispiele, eine öffentliche Diskussion über die Frage anzuregen, welchen aktiven gesellschaftlichen Bezug die Architektur der Gegenwart besitzt. Die erste dieser Ausstellungen war Small Scale, Big Change. New Architectures of Social Engagement, die im Jahr 2010 am Museum of Modern Art in New York gezeigt wurde.6 Zu den Kriterien, die für die Auswahl der gezeigten Projekte maßgebend waren, gehörte – neben der sozialen Verankerung eines architektonischen Projekts innerhalb einer lokalen Gemeinschaft sowie den ökologischen und kulturellen Aspekten – besonders die Frage nach der gestalterischen Qualität, das heißt der Ästhetik.7 Die Ausstellung im MoMA stellte insgesamt elf Bauten und Bauvorhaben aus aller Welt vor und enthielt mit der Grundschule in Gando, Burkina Faso (Architekt: Francis Kéré), und dem Red Location Museum (Architekt: Noero Wolff) bereits zwei modellhafte Projekte aus Afrika. In ihrer Präsentationsform hielt sich die Ausstellung an die üblichen Standards des MoMA: Es wurden Großfotos, Zeichnungen, Skizzen und Modelle präsentiert, wobei jedoch die Modelle ohne Vitrinen aufgestellt wurden, um zumindest dort eine unmittelbarere Begegnung der Besucher zu ermöglichen. Für die Präsentation anderer Entwurfsmaterialien wurde ein Tischkonzept ausgearbeitet, bei dem die Vitrinen auf Sägeböcke gestellt wurden. Ziel war es, die Form der Präsentation so schlicht wie möglich wirken zu lassen, um damit die Qualität der gezeigten Projekte sichtbar zu machen.8 Bei der Recherche zur Ausstellung Small Scale, Big Change wurden weitaus mehr Beispiele gefunden, als in der Ausstellung gezeigt werden konnten. Über die nachfolgende Publikation Moderators of Change. Architektur, die hilft wurden weitere Projekte veröffentlicht.9 Durch das wachsende öffentliche Interesse an der Thematik konnte im Jahr 2013  – auf der Grundlage vorheriger Recherchen und zusätzlicher Erkenntnisse  – eine weitere Ausstellung unter dem Titel Think Global, Build Social im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt präsentiert werden, die anschließend ins Architekturzentrum Wien 6 | Siehe www.moma.org/interactives/exhibitions/2010/smallscalebigchange/ vom 13.04.2016. 7 | Dies war unter anderem als kritische Antwort auf die Architekturbiennale in Venedig von 2002 gedacht, die unter dem Motto Less Aesthetics, More Ethics stand. Die Begriffe Ethik und Ästhetik sind meiner Überzeugung nach jedoch als komplementär und nicht als sich gegenseitig ausschließend zu denken. 8 | Das Ausstellungsdesign stammte von den im MoMA fest angestellten Gestaltern Jerry Neuner und Betty Fisher. 9 | A. Lepik: Moderators of Change.

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wanderte.10 Sie war eine Weiterentwicklung aus den Erkenntnissen der Ausstellung im MoMA und der nachfolgenden Publikation und hatte zum Ziel, die Kriterien der Auswahl noch klarer zu definieren. Besonderer Wert wurde etwa auf die Frage nach der Beteiligung der Nutzer im Planungs- und Ausführungsprozess gelegt. Auch in dieser Ausstellung wurden wieder neue Bauten einbezogen, die zum Teil erst nach Small Scale, Big Change begonnen oder abgeschlossen worden waren. Als Grundbedingung für die räumliche Gestaltung der Ausstellung war vorgegeben worden, ein möglichst kostengünstiges und an beiden Ausstellungsorten leicht zu installierendes System zu entwickeln. Der Entwurf der Designerin Sanaz Hazegh Nejad stützte sich auf die Verwendung von Europaletten als zentrales Ausstellungselement. Sie konnten als recyceltes Material an dem jeweiligen Ausstellungsort ausgeliehen werden, wurden mit bedruckten Papierbahnen behängt und dienten als Hauptträger der bildlichen und textlichen Information. Gestapelte Paletten fungierten als Sockel für Modelle. Auch dort wurde das Ziel, die Darstellungsform möglichst eng an das präsentierte Thema anzuknüpfen, um Inhalt und Form als Einheit sichtbar werden zu lassen, sehr anschaulich erreicht. Vor allem der Aspekt der niedrigen Budgets vieler der gezeigten Bauten wurde über die schlichte Ausstellungsarchitektur gespiegelt. Zusätzliche Elemente gegenüber der MoMAAusstellung bildeten die Präsentation von Materialien wie Lehmbausteine, ein kompletter Bambusträger oder die Aufstellung einer Maschine zur Herstellung von gepressten Lehmziegeln. Durch diese Objekte konnte an einigen Stellen eine unmittelbare Verknüpfung der gezeigten Projekte mit konkreten Materialien und Arbeitsinstrumenten erreicht werden, was eine höhere Anschaulichkeit bewirkte. In der Konzeption, die im gemeinsamen Gespräch zwischen dem Direktor des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt (Peter Cachola Schmal), dem Direktor des Architekturzentrums Wien (Dietmar Steiner), mir als Kurator sowie den jeweiligen Kuratorenteams vor Ort (Philipp Sturm und Peter Körner in Frankfurt sowie Sonja Pisarik in Wien) ausgearbeitet wurde, konstituierte sich die Idee der Ausstellung als dynamische Wissensplattform. Sie sah die Möglichkeit einer modularen Präsentation vor, die an die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten nicht nur in der Darstellungsform, sondern auch inhaltlich flexibel angepasst werden konnte. In Wien wurde die Ausstellung Think Global, Build Social daher um einen eigenen Raum zu den Projekten erweitert, die aus oder auch in Österreich geplant worden waren – insgesamt konnten hier noch einmal zusätzlich 72 Bauten gezeigt werden. Die Ausstellung AFRITECTURE. Bauen mit der Gemeinschaft in München wurde als thematische Fortsetzung der beiden vorherigen Ausstellungen konzipiert, jedoch mit der geografischen Eingrenzung auf den afrikanischen Kon10 | Statt eines Kataloges wurde hierzu ein Sonderheft des Magazins ARCH+ publiziert: Think global, Build Social!, 211/212.

Im Dialog mit den Besuchern

tinent südlich der Sahara.11 Die Fokussierung auf zeitgenössische Architekturprojekte in Afrika schien aus mehreren Gründen sinnvoll. An erster Stelle, weil der Kontinent schon seit einiger Zeit wegen stabiler ökonomischer Wachstumsraten vermehrt in den globalen Wirtschaftsmagazinen Aufmerksamkeit gefunden hatte,12 in dem überwiegend von Europa und den USA gesteuerten Architekturdiskurs jedoch bis dahin nahezu keine Rolle spielte.13 Zugleich war offensichtlich, dass sich mit dem Wachstum der Wirtschaft und der damit einhergehenden rapiden Urbanisierung Afrikas auch für die Architektur große Chancen bieten würden. In der Recherche nach relevanten Projekten zeigte sich, dass es in zahlreichen Ländern südlich der Sahara schwierig bis unmöglich ist, sozial engagierte Architekturprojekte zu finden.14 Die Ursache dafür liegt zum einen darin, dass es vielfach wenige oder gar keine Architekturschulen gibt, die sich dieser Thematik zuwenden. Zum anderen existiert in vielen Ländern überhaupt keine geregelte Architekturausbildung. Das Bauen wird von großen Firmen und Entwicklern gesteuert, viele davon kommen aus dem Ausland, die entsprechenden Entwürfe ebenfalls.15 Dennoch konnten insgesamt 26 gebaute Beispiele aus zehn Ländern ermittelt werden. Gemeinsamer Nenner war das starke Engagement des oder der Architekten für eine unterversorgte Region oder Nachbarschaft. Ein wesentliches Element in vielen sozial engagierten Architekturprojekten ist die Beteiligung der künftigen Nutzer an den Entwurfs-, teilweise aber auch in den konkreten Ausführungsprozessen. Weil Partizipation als roter Faden in vielen Projekten zu erkennen war, entstand die Idee, diese Beteiligung in die Ausstellungspräsentation zu übertragen, um damit eine unmittelbare Auseinandersetzung der Besucher mit dem Thema der Ausstellung anzuregen. Zusammen mit dem Architekturbüro Stiftung Freizeit aus Berlin (Ines Aubert, Ruben Jodar und Rusmir Ramic) wurde eine Gestaltung erarbeitet, die sowohl auf die lokalen Bedingungen des Ausstellungsraums in der Pinako11 | Die inhaltliche Begrenzung auf Länder südlich der Sahara war die Konsequenz aus der politisch zurzeit unübersichtlichen Situation in den Ländern des Maghreb. 12 | Siehe etwa den Titel von The Economist im Dezember 2011 »Africa rising«. Das Magazin TIME folgte ein Jahr später mit demselben Titel. 13 | Der erste Weltarchitektenkongress auf dem Afrikanischen Kontinent fand erst 2014 statt. 14 | Diese Recherche wurde maßgeblich und mit hohem Engagement durch die zahlreichen Goethe-Institute südlich der Sahara unterstützt. An erster Stelle durch das Regionalbüro in Johannesburg mit Lien Heidenreich-Seleme. 15 | Siehe die Übersicht der Architekturschulen in Afrika im begleitenden Katalog AFRI­ TECTURE – Bauen mit der Gemeinschaft, S. 16. Zur Situation der starken Präsenz der chinesischen Firmen und Entwickler in Afrika siehe J. Zhuang: »How Chinese Urbanism Is Transforming African Cities«, siehe www.archdaily.com/?p=529000 vom 13.04.2016.

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thek der Moderne als auch auf das zum größten Teil geringe Vorwissen der mehrheitlich nicht-professionellen Besucher einging. Als erste Vorbedingung des räumlichen Konzepts wurde festgelegt, die Fensterseite der Ausstellungsräume offen zu halten, um hier eine Transparenz der Ausstellung in zwei Richtungen zu ermöglichen – einerseits die Sichtbarkeit der Ausstellung von außen, andererseits die Konfrontation der Besucher mit der urbanen Realität im Umfeld des Museums. Schon in der Konzeptionsphase wurden zwei Grundzüge der Vermittlung identifiziert: Zum einen war dies die Konzentration auf eine möglichst anschauliche und leicht verständliche Erklärung des jeweiligen Architekturprojektes. Alle Besucher sollten gleichermaßen angesprochen sein, von den professionellen Architekten, denen auch vermasste Pläne zur Verfügung standen, bis hin zu Kindern, die mit comicartigen Illustrationen in die Geschichte eines Projektes eingeführt wurden. Aufgrund der Entscheidung, die Fensterfront offen zu halten, konnte diese Seite der Ausstellungsräume nicht mehr als Wandfläche genutzt werden. Weil schon im Vorfeld die Verwendung von Wabenkartonplatten überlegt worden war, die als einfaches und flexibel zu verarbeitendes Trägermaterial für Ausstellungswände vorteilhaft waren, fiel die Entscheidung, diese Kartonplatten auch auf den Fußboden zu legen und damit zusätzliche Ausstellungsfläche für Grafiken, Texte und Illustrationen zu gewinnen. Indem aber der Besucher aufgefordert war, die horizontalen Ausstellungsflächen unmittelbar zu betreten, war es in der Folge notwendig, einen Schutz gegen den Abrieb und die Beschädigung der hier angebrachten Grafiken zu finden. Die einfachste Lösung war es, den Besucher aufzufordern, am Eingang die Schuhe auszuziehen und in Strümpfen durch die Ausstellung zu gehen. Über diese Forderung wurde im Vorfeld zwischen Ausstellungsgestaltern und dem kuratorischen Team ausführlich diskutiert. Trotz aller Bedenken (dass etwa Besucher diese Forderung ablehnen könnten, weil sie es unbequem fänden und damit eventuell die Ausstellung weniger besucht würde) wurde diese Regel eingeführt. Sie traf von Anfang an auf sehr positive Reaktionen bei den Besuchern. Viele erlebten in dieser Geste des Schuhausziehens bereits eine erste physische ›Initialisierung‹, vergleichbar mit dem Betreten eines japanischen Hauses. In der Folge blieb die Ausstellung gerade durch diese im Museum sonst ungewöhnliche Erfahrung bei vielen sehr stark im Gedächtnis. Zu den weiteren Vermittlungselementen gehörten die Besucherbücher, die durch die Stiftung Freizeit vorgeschlagen und umgesetzt wurden. Sie waren als gelbe Ringbücher zu jedem einzelnen Projekt an der Wand so angebracht, dass die Besucher sie in die Hand nehmen, sich auf einen davorstehenden Hocker setzen und ihre Kommentare hineinschreiben konnten. Üblicherweise werden Besucherbücher im Museum erst am Ende des Ausstellungsrundgangs ausgelegt und erlauben jede Form des Kommentars, was in der Regel zu einer starken Beliebigkeit der Einträge führt. In AFRITECTURE wurden

Im Dialog mit den Besuchern

jedoch durch den Kurator und die Ausstellungsgestalter konkrete Fragen formuliert, die schon an der Wand durch gelbe Sticker angebracht waren, zum Beispiel: »Glaubst Du, dass nachhaltige Musterbauten die zukünftige Entwicklung in Afrika beeinflussen können?« oder »Sollte moderne Architektur überall nur auf die lokal verfügbaren Baumaterialien zurückgreifen?« Hier war also der Besucher angesprochen, eine konkrete Frage in dem Besucherbuch zu beantworten. Schon wenige Tage nach Eröffnung wurde bei der ersten Sichtung dieser Bücher deutlich, dass eine große Zahl der Besucher diese Chance der unmittelbaren Interaktion gerne aufgenommen und zum Teil sehr lange und differenzierte Einträge hinterlassen hatte. Am Ende der Laufzeit der Ausstellung wurden 48 Bücher mit ca. 3.500 Kommentaren gezählt. Noch häufiger wurden die selbstklebenden Sprechblasen (Post-it) von den Besuchern benutzt, die sie frei im Raum für Anregungen und Kommentare verwenden konnten. Davon wurden insgesamt über 4.000 eingesammelt. Als zusätzliches Medium zur Kommentierung der Ausstellung und ihrer Inhalte wurde im letzten Raum der Ausstellung der ›Meinungsautomat‹ aufgestellt, der nach dem Vorbild von Passbildautomaten den Besuchern die Möglichkeit bot, 20 Sekunden lange Video-Kommentare zu sechs verschiedenen Fragen abzugeben. Nach dem Ende der Aufzeichnung wurden ausgewählte Video-Kommentare (nach einer redaktionellen Überprüfung) über einen Beamer auf eine Projektionswand übertragen. Auch in diesem Fall waren die Reaktionen bereits nach kurzer Zeit so zahlreich, dass eine qualifizierte Auswertung in der Laufzeit der Ausstellung nicht mehr möglich war. Die Ausstellung AFRITECTURE veränderte im Verlauf der Ausstellungszeit mit den vielen sichtbaren Kommentaren und Einträgen immer mehr ihr Gesicht und konnte damit im engeren Sinn als ›interaktive‹ Ausstellung verstanden werden, weil es hier nicht um abstrakte, digitale Reaktionen, sondern um eine physische Veränderung der realen Ausstellung selbst ging. Mit über 70.000 Besuchern in 20 Wochen konnte AFRITECTURE als Architekturausstellung einen außergewöhnlichen Erfolg verbuchen, was sich auch in der breiten Berichterstattung durch die Tages- und Fachpresse spiegelte.16 Die intensive Auseinandersetzung aller Besucherinnen und Besucher mit den Themen der Ausstellung und ihrer besonderen Präsentationsform hat bewiesen, dass eine integrierte Konzeption, bei der die Inhalte einer Ausstellung sowie die Form ihrer Darstellung und Vermittlung ineinandergreifen, die Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit einer Ausstellung erheblich steigert. Zugleich war mit AFRITECTURE für viele Besucher die Erfahrung verbunden, von konkreten gesellschaftlichen Wirkungen von Architektur ganz unmittelbar berührt worden zu sein.

16 | Ein komplettes Presseclipping liegt im Archiv des Museums.

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Abbildung 1: Wandgestaltung mit Plänen, Schnitten, Fotos sowie gelbe Sticker und Post-its der Besucher für Kommentare.

Abbildung 2: Blick in den Ausstellungsraum. Die Fenster zum Stadtraum waren offen gehalten, um einen Dialog zwischen den präsentierten Bauten in Afrika und der Umgebung des Museums anzuregen.

Im Dialog mit den Besuchern

Abbildung 3: Zu jedem ausgestellten Projekt wurde ein Besucherbuch angelegt und mit einer spezifischen Frage versehen, es wurden am Ende insgesamt über 2000 Einträge archiviert.

Abbildung 4: Die Vermittlung der Ausstellungsinhalte erfolgte über unterschiedliche Ebenen: Texte, Bilder, Comics, Videos … um unterschiedliche Besucherschichten anzusprechen.

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PUZZLE Vermittlung als kuratorische Praxis Julia Schäfer

Ein Puzzle ist ein mechanisches Geduldsspiel. Man kann davon ausgehen, dass ein Puzzle aus vielen Teilen besteht und diese zusammengenommen ein Ganzes ergeben. Ich habe für das Puzzeln nie eine Leidenschaft entwickeln können. Mir fehlten der Ehrgeiz, die Geduld und auch die Ausdauer, etwas Vorgefertigtes aus Einzelteilen zusammenzusetzen. Zum Glück lässt sich jedoch der Metapher des Puzzelns mehr entnehmen als nur das Zusammenlegen eines Gesamten. Im Puzzeln haben die Teile ihren Platz, sie hängen zusammen, sie tragen sich. Fehlen Teile, kann man das Ganze trotzdem erleben und zusammensetzen. Die Idee des Puzzles diente mir 2010/2011 als Ausgangspunkt zur Entwicklung eines experimentellen Ausstellungsprojekts im Neubau der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig (in der Folge GfZK). Die GfZK liegt zentrumsnah in Leipzig, einer Stadt mit ca. 500.000 Einwohner_innen und vergleichsweise vielen Museen, Galerien und Off-Spaces, die sich mit zeitgenössischer Kunst beschäftigen. Der Schwerpunkt der GfZK liegt auf aktuellen, gesellschaftlich relevanten und sozial engagierten Projekten. Sie arbeitet thematisch und sucht neue Wege der Auseinandersetzung in Ausstellung, Vermittlung und Kommunikation.1 Die Institution wurde 1992 gegründet und bespielt seit 1998 eine umgebaute Gründerzeitvilla sowie seit 2004 einen Neubau, der architektonisch die Programmatik des Hauses widerspiegelt. Ihre Rechtsform als Stiftung und ihre Finanzierung im Public-Private-Partnership-Modell lassen einen Spielraum zu, der für Experimente genutzt werden kann. So müssen beispielsweise – anders als bei ausschließlich von der öffentlichen Hand finanzierten Häusern – Besucher_innenzahlen bei der Konzeption von Formaten nicht zwingend mitgedacht werden. Dies hat auch positive Konsequenzen für die Kunstvermittlung, 1 | J. Schäfer: Vor heimischer Kulisse, S. 106 ff., S. 190 ff., S. 221 ff., S. 237 ff., siehe Backstage www.gfzk-leipzig.de/?s=Backstage vom 13.04.2016.

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die an der GfZK ebenfalls seit 2004 eine eigene Abteilung hat. Die GfZK FÜR DICH arbeitet im Schwerpunkt an langfristigen Kooperationen mit Kindergärten, Flüchtlingsheimen, Werkstätten der Diakonie oder unterschiedlichen Schulformen wie Förder-, Mittel-, Grund- und Berufsschulen. Oft sind es marginalisierte Gebiete der Stadt und/oder der Gesellschaft, die in der Auseinandersetzung der Kunstvermittlungsprojekte aufgegriffen und angesprochen werden. Die entstehenden Projekte gehen selten an Orte, wo bereits Überangebote an kultureller Bildung vorzufinden sind.2 Bezogen auf das eingangs erwähnte Bild des Puzzelns kann man auch über die Vermittlung sagen, dass vorgefertigte, auf die Erhöhung von Publikumszahlen ausgerichtete Programme nicht existieren. Die Untersuchung und das Experiment bleiben Antriebsmomente nicht nur des Ausstellens, sondern auch der Vermittlung an der GfZK.3 Mein Auftrag war es, erstmalig eine einjährige Sammlungsausstellung im Neubau zu konzipieren. Bisher hatten solche Schauen in der Villa, dem Altbau der GfZK, stattgefunden. Diese Gewohnheit galt es, mit dem Ausstellungskonzept auf interessante Weise zu unterbrechen. Der Neubau ist ebenerdig. Große Glasfronten öffnen sich zur Stadt und zu den Passant_innen. Die Raumproportionen stehen – meiner Wahrnehmung nach – in einem angenehmen Körperverhältnis. Es gibt zwei unterschiedliche Raumhöhen, Ober- und Unterlichter wechseln sich ab. Die Räume fließen ineinander: Kein Raum lässt sich akustisch und/oder lichttechnisch von einem anderen wirklich abtrennen.4 Viele der Wände sind manuell verschiebbar, sodass sich für jede Ausstellung neue Wege ergeben: Mal gibt es eine festgelegte Laufrichtung, mal mehrere Eingänge gleichzeitig. Boden, Wände und Decken sind aus derselben Oberflächenstruktur und wirken wie aus einem Guss. Das Innere des Neubaus ist von mehreren Grautönen bestimmt: Ein helles und ein dunkleres Grau definieren die Bodenflächen als Display- und Non-DisplayZonen, Grautöne unterscheiden auch feste von verschiebbaren Wänden. Zusätzlich gibt es mehrere Sichtbetonwände. Die Oberfläche des ›Kinos‹ besteht aus schwarzem Gummi, welcher auch die Fassadenwände des Baus überzieht. Ich empfand es als Herausforderung, für den Neubau eine statische Ausstellung von längerer Dauer zu entwickeln. In seiner Anlage als flexibles Raumgefüge konnte er nicht starr bleiben, schon gar nicht, wenn wir es mit der Sammlung zu tun hatten. Sie hat eine Geschichte und ist selbst Narration. Sie zeigt die Spuren der Gründungsväter und -initiativen, zum Beispiel eine 2 | Siehe auch www.gfzk.de/foryou/?cat=4 vom 13.04.2016. 3 | Siehe andere Vermittlungsprojekte an der GfZK: Vermittlungscard, Services, Zwischenraum, Schreibstation, Flur als Display, Vor heimischer Kulisse usw. Siehe www. gfzk.de vom 13.04.2016. 4 | J. Schäfer: Curating in Models, S. 85.

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Bilderspende des Kulturkreises des BDI5 oder von privaten Sammler_innen und Künstler_innen gestiftete Arbeiten unterschiedlicher Provenienzen. Über die Zeit getätigte Ankäufe spiegeln die Schwerpunkte der verschiedenen Leitungen des Hauses wider. Aber die Sammlung ist auch ein Spiegel der Interessen von Vielen, die im Haus arbeiten, ob organisatorisch oder inhaltlich. Zusammengenommen ist die Sammlung sehr heterogen und lebendig, jedoch kaum mit Vertiefungen versehen.6 Häufig produziert die Tatsache, dass ein Haus seine Sammlung zeigt, eine gewisse Begeisterungslosigkeit. Es ist nicht einfach, für solche Ausstellungen ein Publikum zu gewinnen. Es war mir daher wichtig, auch den Raum als Teil der Ausstellung zu thematisieren: Etwas zu entwickeln, das spezifisch für den Neubau sein würde und in der Villa, dem älteren der beiden Ausstellungshäuser, so nicht stattfinden könnte. Dieser Herausforderung begegnete ich mit einer Form des dynamischen Kuratierens  – dem Konzept von PUZZLE. Mit dem Begriff ›Dynamisches Kuratieren‹ bezeichne ich das Verlassen des Systems, welches vorsieht, eine Ausstellung nicht mehr zu verändern, sobald sie eröffnet ist. Zu Beginn der Planungen arbeitete ich ohne thematische Klammer und ohne explizit formulierten Schwerpunkt. Ich zerschnitt den Grundriss des Neubaus, 800 Quadratmeter Ausstellungsfläche, in zehn polygonale Splitter. Zusammengesetzt ergaben sie wieder den kompletten Neubau. Über das Spiel mit diesen Raumzonen gelangte ich zu der Idee, jede davon einem anderen Thema zu widmen und Ko-Produzent_innen dazu einzuladen, mit mir gemeinsam ein Bild der Sammlung ›zusammenzupuzzeln‹. So entstand der Ausstellungstitel. Meinem beruflichen Leitmotiv ›Vermittlung als kuratorische Praxis‹ folgend, lud ich schließlich acht verschiedene Protagonist_innen beziehungsweise Gruppen ein, mit mir gemeinsam die Sammlung zur Aufführung zu bringen. Alle Beteiligten erhielten den Auftrag, sich mit der Sammlung zu beschäftigen und mit ihr zu arbeiten, wobei sie selbst bestimmen konnten, wie sie diesen Auftrag umsetzten. Die Eingeladenen lernten die Sammlung über Führungen durch das Depot kennen und jede_r, die/der es wollte, erhielt die komplette Datenbank auf CD, sodass alle Beteiligten über das ›Vor-Ort-Stöbern‹ die Sammlung erkunden konnten. Nachdem die Mitspieler_innen ihre Ideen entwickelt hatten, kamen für PUZZLE insgesamt 34 Puzzleteile in Form von Projekten, Ausstellungen und Installationen zusammen, die in den zehn Raumzonen teils gleichzeitig, teils nacheinander präsentiert wurden. 5 | »Der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft fördert seit 1951 Kunst und Kultur und setzt sich für eine Gesellschaft ein, in der Kultur als unverzichtbare Ressource verstanden wird.« Siehe www.kulturkreis.eu vom 13.04.2016. 6 | H. Stecker/B. Steiner: Sammeln.

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Die Zonen hatten jeweils verschiedene Schwerpunkte und Ko-Produzent_ innen: Für Interventionen lud ich Künstler_innen ein, mit neu produzierten Arbeiten auf die Sammlung zu reagieren.7 Die Klasse Intermedia der Hochschule für Grafik und Buchkunst entwickelte sechs auf die Sammlung bezogene künstlerische Projekte von Performance bis zu Installation und Videoarbeiten.8 Anders Sammeln zeigte, was der Sammlung fehlt und beleuchtete damit die Sammlungspolitik.9 Unter dem Titel Neuerwerbungen? wurden Arbeiten präsentiert, die ursprünglich in Zusammenarbeit mit der GfZK entstanden waren, jedoch (zum Zeitpunkt der Ausstellung) nicht mehr Teil der Sammlung waren.10 Für Puzzle im Puzzle wählte die Depotverwalterin Stücke aus der Sammlung aus.11 Kabinett bezog sich auf eine existierende Ausstellungsreihe, in der die Kustodin Unbekanntes (meist grafische Arbeiten) aus der Sammlung vorstellte.12 Die Kunstvermittlerinnen der GfZK erarbeiteten für die Zone GfZK FÜR DICH zusammen mit Kindern und Jugendlichen zwei Präsentationen.13 Auch das Vermittlungsteam (V-Team) beteiligte sich mit Projekten zu Fragen der Haltung gegenüber der zeitgenössischen Kunst.14 In der Konservierungsmaschine, ebenfalls ein bestehendes GfZK-Projekt, machten Restauratorinnen am Beispiel eines Werkes Arbeitsmethoden und Probleme beim Erhalt von Kunstwerken transparent.15 Schließlich lud ich Mitglieder des Förderkreises ein, Ausstellungen mit Arbeiten aus der Sammlung zu kuratieren beziehungs7 | Die Künstler_innen waren Carola Dertnig, Tadej Pogacar und Cornelia Friederike Müller. 8 | Angelika Waniek, Sabine F., Guillermo Fiallo Montero, Stefan Hurtig, Franzika Jyrch und Meta Einvald waren damals Kunststudent_innen. 9 | Angelika Richter (Kuratorin) zeigte Inszenierungen des Eigen_Sinns, Julia Schäfer (Kuratorin) zeigte Covergirl/Wespenakte. In beiden Präsentationen ging es um eine kritische Auseinandersetzung mit der DDR. Gleichzeitig handelte es sich um Künstlerinnen, deren Anteil in der GfZK-Sammlung zu dem Zeitpunkt noch sehr klein war. 10 | Zu den Künstlerinnen gehörten Antje Schiffers, Dorit Margreiter, Dora Garcia und Sofie Thorsen. 11 | Depotverwalterin war Angela Boehnke. 12 | Heidi Stecker war Kustodin. 13 | Teil 1: Lena Seik/Alexandra Friedrich (Kunstvermittler_innen)/Tristan Schulze (Interaction-Designer) mit Willem Conrad, Leo Hingst, Max Fechner (Schüler); Teil 2: Lena Seik/Alexandra Friedrich (Kunstvermittler_innen)/Tristan Schulze (InteractionDesigner), Erika Miersch (Lehrerin), Martin Reich (Techniker), Gereon Rahnfeld (Praktikant) und die Schüler_innen der 7. Klasse der Petri-Schule. 14 | Franziska Adler (Illustratorin/Kunstvermittlerin), Kristin Meyer (Comiczeichnerin/ Kunsthistorikerin), Julia Kurz (Theaterwissenschaftlerin/Kunstvermittlerin), Luise Schrö­ der (Künstlerin), Christin Müller (Kunstvermittlerin) und Andrea Günther (Künstlerin). 15 | Sybille Reschke und Angelika Hoffmeister zur Nedden (Restauratorinnen).

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weise diese zu kommentieren.16 Bei der Verteilung der Raumzonen versuchte ich, keine Hierarchien zu erzeugen und den eingeladenen Künstler_innen nicht etwa mehr Platz zuzuweisen als den Kindern und Jugendlichen. Dieses demokratische Prinzip war sehr wichtig für das Gelingen von PUZZLE. Meine Funktion sah ich in der einer Regisseurin und Gastgeberin, einer Managerin und Vermittlerin, die den Rahmen zur Verfügung stellte, die Zonen markierte und zuordnete, die beratend zur Seite stand und alle Projekte koordinierte und beobachtete. Das Loslassen von Verantwortung als Kuratorin war in diesem Projekt eine zentrale kuratorische Handlung. Vertrauen wurde zur tragenden Stütze. Ich hatte einen Rahmen zur Verfügung gestellt und ein System definiert, das weitestgehend eigendynamisch funktionierte. Ich hatte allen Beteiligten die gleichen Voraussetzungen gegeben. Jede_r konnte mich jederzeit kontaktieren, um Inhalte zu besprechen. Viele, aber nicht alle, nahmen dieses Angebot an. Daneben waren es oft organisatorische, technische Dinge, die besprochen werden wollten. Grundsätzlich galt, dass für jede der Gruppen, und hier nochmals für jede_n Akteur_in innerhalb der Gruppe, eine andere kuratorische Sprache gefunden werden musste. Meine Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, diesen Suchprozess zu begleiten und zu moderieren. Bei 48 Mitspieler_innen konnte das Projekt nicht an allen Stellen gelingen. Pannen waren Teil des Systems. In einem Fall zeigten wir den Beitrag auf einer noch leeren Wand gleich um die Ecke des Raums, in dem die Position eigentlich gedacht war. Das konzipierte Projekt stagnierte über längere Zeit und die Arbeit wurde nie fertig. Die vorherige Präsentation wurde verlängert, die nachfolgende vorgezogen. Oder es ergab sich eine längere Diskussion mit der Künstlerin Sofie Thorsen. Ihre Arbeit konnten wir aufgrund finanzieller Engpässe nicht in der notwendigen Form zeigen. Bis wir eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung gefunden hatten, war der eigentliche Eröffnungstermin bereits vorbei. Dieser Umstand konnte transparent gemacht und kommuniziert werden. Wir eröffneten diesen Teil zwei Wochen später. Diese Flexibilität war bei PUZZLE angelegt und wäre bei kaum einer anderen Ausstellung an der GfZK denkbar gewesen. Dadurch waren jedoch diejenigen Besucher_innen herausgefordert, die den Anspruch hatten, jeden Beitrag zu sehen. Manchmal war das Projekt, für das sie gekommen waren, bereits wieder abgebaut und wir hatten versäumt, dies zu kommunizieren. Die Verantwortung für die Gesamtgestaltung der Ausstellung lag – trotz demokratischen Anspruchs – weiterhin in meiner Hand als Kuratorin. Ich entschied mich dafür, manche Wände farblich zu markieren. Hierfür wendete ich 16 | Anneliese Böhm (Lehrerin), Stephan Schikora (Finanzbeamter), Verena Tintelnot (Kunsthistorikerin/Feldenkraislehrerin), Henrik Pupat (Kulturjournalist), Doris Staufenbiel (Kardiologin).

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das Farbsystem des Sammlungskatalogs17 auf die Räume an. Im Katalog strukturieren Farben die Werke der Sammlung nach Zugang und Periode in der Geschichte des Hauses. Diese Farben unterstützen, ähnlich wie im Katalog, die Orientierung in der Ausstellung. Während sich die Beiträge von PUZZLE ständig änderten, blieben die farbigen Wände gleich.18 Um das Zurechtfinden zusätzlich zu erleichtern, entwickelten die Grafiker_innen für die Ausstellung ein magnetisches Beschilderungssystem. Auf einer großen Übersichtstafel im Schaufenster des Neubaus konnte man zudem nachvollziehen, welche Puzzleteile bereits ausgestellt waren und was in Zukunft zu sehen sein würde. Innerhalb der Raumzonen gab die Beschilderung Auskunft über die jeweilige Zone, das aktuelle Projekt und die daran beteiligten Mitspieler_innen und Künstler_innen. Konzept und Vorgehen des Projekts PUZZLE spiegelt meine Haltung zur Vermittlung als kuratorische Praxis wieder. Selbst aus der Vermittlung kommend, bleibt für mich das Kuratieren ohne Vermittlung undenkbar. Fragen, die die Rezeption der Ausstellung mitdenken, stelle ich mir jedes Mal aufs Neue und jedes Mal nimmt der Versuch einer Antwort darauf neue Formen an. Bei PUZZLE entstand durch das Einbeziehen der ganz unterschiedlichen Ko-Produzent_innen eine besondere Vielstimmigkeit, die sich fast selbst erklärte: Meistens war nicht mehr nötig als ein Wandtext mit einer kurzen Einführung in das jeweilige Thema. Alle eingeladenen Akteur_innen waren in diesem Zusammenhang aufgefordert, ihre eigenen Texte zu entwickeln, um idealerweise zu vermitteln, worum es ihnen jeweils ging. Einzige Ausnahme war ein zonenübergreifendes Projekt, entstanden im Vermittlungsteam: die ›Faltblattführungen‹. Sie lotsten, jeweils einem Aspekt der gesamten Ausstellung folgend, Besucher_innen anhand eines Plans mit Informationen und Handlungsaufforderungen durch das PUZZLE. Die verschiedenen kuratorischen Handschriften wurden zur Bereicherung. Das, was sonst ausschließlich Künstler_innen gestattet blieb, durften nun alle Eingeladenen machen: Sie konnten bauen, erweitern, kommentieren, kuratieren und die Sammlung so behandeln als wäre sie ein Gegenüber auf Augenhöhe. Künstler_innen kuratierten, Vermittler_innen bauten Installationen, Kinder vermittelten, Studierende produzierten neu und kommentierten die Sammlung.19 17 | H. Stecker/B. Steiner: Sammeln. 18 | Auch für die Fotodokumentation von PUZZLE entpuppten sich die Wandfarben als hilfreiches Orientierungssystem. Dies ist ein Beispiel für einen der vielen Momente, an dem sich etwas aus dem Prozess heraus entwickelte, anstatt von Beginn an komplett durchgeplant zu sein. 19 | Die ehemalige Kunststudentin Franziska Jyrch schenkte der GfZK vier Jahre nach Ende von PUZZLE ihre damals produzierte Arbeit Wahl 326 B1/B2 (2010) und ging somit in den Bestand selbst ein.

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Viele Anregungen wurden im Prozess aufgegriffen, auf ungeplante und unerwartete Weise produktiv gemacht. Als das Vermittlungsteam beispielsweise von der Depotverwalterin eine Führung durch das Depot erhielt, betonte diese, dass es für manche Arbeiten keine ›adäquate Abbildung‹ gäbe. Mit dieser Tatsache beschäftigte sich das V-Team anhand der Arbeit O. T. von Rosemarie Trockel. Es zeigte in seinem PUZZLE-Beitrag Für diese Arbeit existiert keine adäquate Abbildung sämtliche Reproduktionen der Arbeit, die sie recherchieren konnten. Die schlechteste Reproduktion wurde auf einer neuen Postkarte veröffentlicht. Man konnte auch einer Audio-Spur folgen, die die Arbeit sehr detailreich beschrieb. Das Original blieb unsichtbar. Nun ergab es sich, dass zeitversetzt im Bereich der Interventionen der slowenische Künstler Tadej Pogacar seinen Beitrag für PUZZLE zeigte. Er kuratierte eine Auswahl an Sammlungsarbeiten, darunter auch die Arbeit von Trockel. Das wussten die Beteiligten untereinander nicht und für zwei Wochen ergab sich eine äußerst spannende Gleichzeitigkeit. In den ersten Wochen bildete sich ebenfalls ein ungeplanter Schwerpunkt im Bereich Performance. Carola Dertnig (Interventionen) hatte eine Art Partitur für eine performative Auseinandersetzung mit der Sammlung aufgebaut. Angelika Waniek (Klasse Intermedia) performte zur Eröffnung die Gründungsgeschichte der GfZK. Angelika Richter (Anders Sammeln) zeigte künstlerische Arbeiten von Künstlerinnen aus der DDR, die performative Ansätze verfolgten. Guillermo Fiallo Montero (Klasse Intermedia) führte für seine Arbeit Zwischensicht Video-Interviews mit unterschiedlichen Personen aus der GfZK durch, in denen er sie bat, eine für sie besonders bemerkenswerte Arbeit aus der Sammlung zu beschreiben. Die Arbeiten selbst waren nicht zu sehen. Im Nachbarraum war anfangs noch der Beitrag des Vermittlungsteams zu sehen. Dieser wurde durch eine neue Arbeit des gleichen Teams mit dem Titel Pile this end up abgelöst. Andrea Günther zeigte darin eine Vielzahl an Holzkisten, Kartons und verpackten künstlerischen Arbeiten aus der Sammlung. Auch sie hatte sich entschlossen, die Sammlungsobjekte selbst nicht zu zeigen. Als ich die Parallelen zwischen Montero und Günther absehen konnte, entschied ich mich, die Tür, die sie trennte, einen Spalt weit aufzuschieben. In einem Fall führte das Zusammenspiel zu einem Neuankauf für die Sammlung: In der Sektion Anders Sammeln – in der Arbeiten gezeigt wurden, die gut in die Sammlung passen würden, jedoch noch keinen Schwerpunkt bildeten (wie die kritische Auseinandersetzung mit der DDR) – war die Arbeit Covergirl (Wespenakte) von Tina Bara und Alba D’Urbano zu sehen. Die Arbeit selbst war Resultat einer Reaktion auf eine Ausstellung von Dora Garcia, die ich 2007 kuratiert hatte. Die Leipziger Professorin Alba D’Urbano war zusammen mit ihren Studierenden zu einer Führung durch die Ausstellung gekommen. Zum Abschied schenkte ich ihr den Katalog. Ihre Kollegin Tina Bara, mit der sie hin und wieder zusammen künstlerisch tätig ist, sah den Katalog einige

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Wochen später und erkannte sich auf dem Foto des Covers.20 Das war ein unglaublicher Zufall. Wir hatten nicht wissen können, wer die Personen auf den Bildern waren, war doch das Material zur Ausstellung von Garcia aus dem Nachfolgearchiv der Staatsicherheit der DDR (damals Birthler-Behörde) über einen offiziellen Forschungsantrag zu uns gekommen. Der Film Zimmer, Gespräche, den Dora Garcia im Rahmen ihres Blinky Palermo Stipendiums 2007 an der GfZK gedreht hatte, befasste sich mit der Stasi und den unterschiedlichen Rollen ihrer Protagonist_innen. Das Archiv der Stasi war hierfür Grundlage und Ausgangspunkt. Diesen Film hatte die GfZK während der Laufzeit von PUZZLE angekauft. Er lief teilweise zeitgleich mit der Präsentation der Arbeit von D’Urbano und Bara. Die beiden hatten eine sehr umfangreiche Recherche zu Tina Baras Vergangenheit als Aktivistin in der DDR betrieben, die in eine Installation mündete.21 Nach einer Führung durch die Ausstellung entschied sich der Förderkreis der GfZK sehr spontan, diese Arbeit für die Sammlung anzukaufen. Durch das System von PUZZLE ergaben sich, wie an den beschriebenen Beispielen deutlich wurde, ständig Verschiebungen von Bedeutung. Was vermeintlich fix in einem Zusammenhang stand, konnte eine Woche später an Halt verloren haben, oder aber es musste sich neu behaupten und in neue Dialoge treten. Ständig überschnitten sich die Ebenen und Bedeutungen. Für die konkrete Vermittlungspraxis in der Ausstellung bedeutete dies die Notwendigkeit, die Inhalte wöchentlich zu aktualisieren. Als Antwort auf diese Herausforderung entstanden die bereits erwähnten ›Faltblattführungen‹ zu verschiedenen Themenschwerpunkten. Sie wurden von Christin Müller, einer Kollegin aus dem Vermittlungsteam, konzipiert. Sechs Führungsbögen entstanden: Führung in Farbe, Führung mit Bewegung, Führung zum Hinhören, Werkstoffführung, KünstlerInnenführung und Führung über Veränderungen.22 Das kuratorische Gesamtkonzept der Ausstellung setzte – dem demo20 | J. Schäfer: Zimmer. Anm.: Dieser Katalog ist ein Jahr nach Ende der Ausstellung aus dem Vertrieb genommen worden. Dora Garcia hatte im Rahmen der Ausstellung das Recht, die Bilder aus dem Archiv der Stasi zu zeigen. Ihre Galeristin entschied sich jedoch, die Fotografien auf der Messe in Berlin zum Verkauf anzubieten. Hierbei ereignete es sich, dass sich Personen auf den Fotografien von damals wiedererkannten und sich bei der Behörde beschwerten. Dieser Eklat zum Thema Persönlichkeitsrechte führte dazu, dass der Katalog zur Ausstellung aus dem Vertrieb genommen werden musste. Und das, obwohl alle Bilder im Katalog und in der Ausstellung anonymisiert und von der Behörde in ihrer Verwendung für den Katalog genehmigt worden waren. 21 | Es stellte sich heraus, dass das Bildmaterial, auf dem Tina Bara sich erkannte, durch eine Hausdurchsuchung der Stasi bei einer ihrer damaligen Weggefährtinnen konfisziert wurde. 22 | J. Schäfer: PUZZLE.

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kratischen Ansatz folgend – auf Ebenerdigkeit. Selten wurde ein Kunstwerk auf einen Sockel gestellt. Künstlerischen Arbeiten wurden Dinge des Alltags zur Seite gestellt, sie wurden ergänzt und erweitert. Die Kinder des ersten Beitrags der GfZK FÜR DICH mit dem Titel Monster und Sport bauten zum Beispiel vor einer Arbeit von Plamen Dejanoff und Svetlana Heger einen Hometrainer auf, von dem aus man sitzend und bei einer recht hohen Geschwindigkeit tretend einen Song zum Klingen brachte, der die Freude am Anblick des abgebildeten BMWs noch steigern sollte. Kolleg_innen anderer Häuser, denen ich diese Arbeit vorführte, kommentierten dies oft mit: »Das wäre bei uns undenkbar!« Beim Arbeiten an der Publikation stellte sich heraus, dass das vielseitig verzahnte Projekt sehr schwer in einem Buch abzubilden war. Darstellung und Vermittlung der Prozesse im prozessualen Kuratieren sind eine Herausforderung, da das Buch ein vergleichsweise statisches Medium ist. Fragen, die wir uns stellten, waren: Gehen wir linear oder chronologisch vor? Zeigen wir die Teile des Puzzles jeweils für sich oder erforschen wir das Dazwischen und/oder legen den Schwerpunkt auf die Verbindungen, auf die Gleichzeitigkeiten und ihre Zufälle? Zusammen mit der Lektorin Tanja Milewsky und der Grafikerin Annalena von Helldorff erarbeiteten wir schließlich beides  – eine Übersicht mit Anmerkungen zu Nachbarschaften und eine Verflechtung durch Verweise zu inhaltlichen Parallelen. Letztere konnten auch und vor allem im Nachgang zur Ausstellung vernetzt werden. Wer die Ausstellung mehrfach gesehen hat, wird sich auch im Katalog orientieren können. Wer sie im Buch zum ersten Mal kennenlernt, ist zunächst herausgefordert. Es ist eben ein Puzzle entstanden. Kein Puzzle, welches nur ein bestimmtes Bild erzeugt und nur dieses als richtig zulässt. Ein Puzzle aus 34 Projektsplittern. Alle zusammengenommen erzeugen eine Spannung, ein Miteinander, eine Dynamik, die wir sonst in Gruppenausstellungen nicht erleben, in denen Räume und Sequenzen ausschließlich von Künstler_innen bespielt und gestaltet werden. Diese Lebendigkeit und Dynamik hat mein Denken über das Kuratieren weitergebracht. Die Zusammenarbeit mit sehr unterschiedlichen Protagonist_innen belebte den Alltag und stellte die Teilnehmenden vor die Herausforderung, verschiedenste Sprachen sprechen zu müssen. Kunstbegriffe purzelten durcheinander und doch trafen sich alle in der sehr eigenen Auseinandersetzung mit der Sammlung der GfZK. Der Sammlung selbst hat die frische und sehr unterschiedliche Luft gutgetan und wir haben alle profitiert vom Blick der anderen. PUZZLE war bis dahin mein umfangreichster Versuch, Kuratieren anders zu denken und zu realisieren. Aktiv beteiligt waren 48 Mitspieler_innen im Alter von 5 bis 75 Jahren, mit verschiedenen biografischen Hintergründen und unterschiedlichen Berufen. Es wurden Arbeiten von 57 Künstler_innen aus der Sammlung der GfZK gezeigt und weitere 19 Positionen, die nicht Teil der Sammlung waren. Mehrere Beiträge nahmen Bezug auf Werke in der Samm-

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lung, ohne dass diese im Original präsentiert wurden. Neun Arbeiten sind neu für PUZZLE entstanden. Darüber hinaus brachten Mitglieder des Förderkreises Kunstwerke aus Privatbesitz ein. Während der Laufzeit der Ausstellung wurden fünf Arbeiten angekauft. Es kamen Arbeiten aus der Sammlung ins Rampenlicht, die zuvor noch gar nicht oder sehr lange nicht mehr gezeigt worden waren. Die Ausstellung hat dazu beigetragen, neue Bezüge innerhalb der Sammlung, aber auch von außen zur Sammlung herzustellen. Die Puzzle-Methode hat darüber hinaus eine Gemeinschaft erzeugt, die viele Beteiligte und deren Freundeskreise an das Haus bindet. So halten vormals vage oder entfernt Interessierte nun regelmäßig Kontakt und bringen andere Interessierte mit. Dies ist ein großer Gewinn für die GfZK. Am Ende des Projekts wäre das Prinzip des Legespiels Tangram als Titel vielleicht passender gewesen, da sich eine Vielzahl an Verbindungen innerhalb der Ausstellung ergeben haben, die weit über den Anspruch an etwas genau Definiertes hinausgehen. PUZZLE wurde vielmehr zum offenen System für unzählig viele Möglichkeiten, die bis heute noch nicht alle ergründet sind und deren Auswirkungen immer noch Blüten tragen.23

23 | Hiermit ist einerseits das Denken über das Ausstellen gemeint. Andererseits besteht mit manchen Teilnehmer_innen weiterhin eine produktive Zusammenarbeit. Interessant ist, dass nach Abschluss des Projekts noch weitere Ausstellungen mit dynamischem Ansatz in der GfZK stattgefunden haben: Europa N (2011), Kunst-Kunst. Von hier aus betrachtet! (2012), Hausgemeinschaft (Family Affairs) (2013) Travestie für Fortgeschrittene 1–3 (2015/2016). Siehe hierzu auch www.gfzk.de vom 13.04.2016.

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Abbildung 1: V-Team (Raumzone), Für diese Arbeit existiert keine adäquate Abbildung (Titel).

Abbildung 2: Interventionen (Raumzone), Tadej Pogacar: THE PARASITE (Titel).

Abbildung 3: V-Team (Raumzone), Pile this end up (Titel) & Interventionen (Raumzone), Tadej Pogacar: THE PARASITE (Titel).

Abbildung 4: V-Team (Raumzone), It’s just a game (Titel).

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Abbildung 5: V-Team (Raumzone): Faltblattführung #3: Hinhören. Wie klingen Kunstwerke? Was erzählen die Stimmen? Wie tönen sie in unserem Ausstellunsraum? Klingt ein Kunstwerk anders als es aussieht?

Zur Ausstellung „Puzzle – Die Sammlungsausstellung 2010“ in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, vom 19. Juni 2010 bis 30. Januar 2011, erscheint monatlich eine neue Faltblattführung.

#1 Führung in Farbe #2 Führung mit Bewegung #3 Führung zum Hinhören

Hören Sie ein Kunstwerk an und schauen Sie dabei zu einem anderen oder einfach aus dem Fenster! Was entsteht aus der Mischung? Hat eine Ausstellung einen eigenen Klang?

© V-Team der GfZK / Christin Müller September 2010

#3 Führrrrung zum Hiiiiinhööööören

Abbildung 6: V-Team (Raumzone): Faltblattführung #4: Werkstoff. Die Werke in der Sammlung der GfZK sind stofflich. Fragen, die sich in einer Werkstoff-Führung stellen, könnten sein: Wie ist etwas gemacht? Woraus ist etwas gemacht? Und warum?

Zur Ausstellung „PUZZLE – Die Sammlungsausstellung 2010“ in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, vom 19. Juni 2010 bis 20. Februar 2011, erscheint regelmäßig eine neue Faltblattführung.

#1 Führung in Farbe #2 Führung mit Bewegung

Bei der Entscheidung für ein Material mag es rationale Gründe geben. Hierzu zählen Statik und Handhabung genauso wie Kostenfaktoren. Das ist natürlich nicht zwangsläufig. Materialentscheidungen fallen viel häufifiger aufgrund sensueller Eigenschaften: Haptik, Optik, Geruch und der auditive Charakter eines Materials. Diese Eigenschaften vermitteln bestimmte Merkmale, welche wiederum inhaltliche Intentionen transportieren.

#3 Führung zum Hinhören

Die Werkstoff-Führung geht der Materialität einiger Arbeiten in PUZZLE nach und über eine Materialangabe hinaus.

© V-Team der GfZK Julia Kurz und Christin Müller

#4 Werkstoff-Führung

November 2010

#4 WerkstoffFührung

Kuratieren auf dem Weg zu einer neuen Beziehung zwischen Menschen, Orten und Dingen MUDE Museum Action zur Stärkung des intrinsischen relationalen Wertes von Kultur Barbara Coutinho

Während der letzten zwanzig Jahre haben sich auf der geopolitischen und globalen sozioökonomischen Landkarte starke Verschiebungen abgezeichnet, die den Entwicklungen in Kultur, Bildung und Technologie entsprechen. Diese Transformation geht einher mit »a set of artistic practices which take as their theoretical and practical point of departure the whole of human relations and their social context, rather than an independent and private space«.1 Bourriaud verbindet diese zeitgenössischen Kunstpraktiken  – die in seinen Augen von einer relationalen Ästhetik gekennzeichnet sind – mit kollaborativen Prozessen, die durch das Internet ermöglicht werden. In einer virtuellen Welt, in der wir auf Distanz miteinander kommunizieren, entstehen diese Prozesse durch das Bedürfnis nach physischen, lebendigen und intersubjektiven Beziehungen.2 Diese Künstler_innen und ihre Kunst schaffen offene Umgebungen, in denen Menschen zusammenkommen, gemeinsam handeln und sich auf verschiedene Arten begegnen. Obwohl diese Ästhetik, die sich in Freizeit, Arbeit und Unterhaltung bereitwillig kommerziellen Zielen unterordnet, im Trend liegt 3 und Bishop Zweifel am tatsächlich politischen Charakter dieser Perspektive und an der Qualität der durch sie geförderten Beziehungen hegt,4 anerkennt sie die lebhafte Debatte rund um diese neuen Praktiken, die mit der relationalen Ästhetik aufgekommen sind. Der Fokus auf Partizipation und 1 | N. Bourriaud: Relational Aesthetics, S. 113. 2 | Ebd.: S. 15–17. 3 | C. Bishop: Antagonism and Relational Aesthetics, S. 52. 4 | Ebd.: S. 65.

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Zusammenarbeit im Bestreben öffentliches Bewusstsein zu schaffen und dadurch soziale Veränderung herbeizuführen, ist vielen Disziplinen gemeinsam. In Design und Architektur künden viele Projekte eine neue Perspektive auf die materielle Kultur an. Anstatt die Zahl der Konsument_innen zu vergrößern, geht es diesen Projekten vor dem Hintergrund anhaltender humanitärer Katastrophen, Umweltzerstörung und wachsender sozialer Ungleichheit darum, informiertere, bewusstere und kritischere Nutzer_innen hervorzubringen. Indem sie die Vorteile der Globalisierung nutzen, gelingt es diesen Projekten, alte Praktiken wiederzubeleben und den Austausch zwischen den Generationen zu fördern. Wenn die traditionelle Beziehung zwischen Künstler_in, Kunst und Publikum erweitert wird und jede/r zur Produzent_in werden kann, weil in einer DIY-Kultur benutzer_innenfreundliche Technologien verfügbar sind, trifft es auch zu, dass »the spectacle became the increasing reality for not only culture makers, but all people«5. Daraus folgt, dass, »far from being oppositional to spectacle, participation has now entirely merged with it«.6 Deshalb ist es entscheidend, die wirkliche Rolle des Publikums als Teilnehmende oder aktive Betrachter_innen zu diskutieren,7 sich der Instrumentalisierung dieser partizipatorischen Prozesse bewusst zu werden und jedes Kunstwerk auf seine tatsächlichen Absichten hin zu befragen.8 Und die Museen? Sie sind zu einer der zentralen Institutionen des neoliberalen Kulturtourismus geworden, obwohl das Bewusstsein über ihre politische und soziale Bedeutung hinsichtlich Bildung und sozialer Teilhabe gewachsen ist. Bourriaud, Bishop und zahlreiche andere Autor_innen stimmen alle darin überein, dass Institutionen ihr Rahmenwerk verändern müssen, vor allem als Orte der Kunstvermittlung und ‑konsumption. Es ist von höchster Wichtigkeit, dass jedes Museum seinen eigenen Bereich findet – selbst wenn das gewisse Spannungen und Risiken birgt – und seine Anschaffungspolitiken, temporären Ausstellungsprogramme, Vermittlungsabsichten und sein Zielpublikum dementsprechend neu definiert. In einem neuerfundenen Museum kann Bourriauds Begegnung eine bedeutungsvolle Begegnung mit uns selbst werden. Museen können zu Orten werden, die tiefere und innigere Beziehungen ermöglichen und zu einer Neubewertung unserer eigenen Haltungen, Werte, Emotionen und Fähigkeiten ermutigen. Sie können unser Bewusstsein für das gesamte Spektrum sozialer Teilhabe schärfen und uns dafür die Möglichkeiten an die Hand geben. Insofern liegt es in ihrer Macht, den intrinsischen relationalen Wert von Kultur zu stärken und uns dadurch zu berühren. Ausstel5 | N. Thompson: Living as Form, S. 30. 6 | Ebd., S. 40. 7 | C. Bishop: Artificial Hells; Dies.: Participation and Spectacle. 8 | N. Thompson: Living as Form, S. 31 f.

Kuratieren auf dem Weg

lungshäusern kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Während sich jedoch in den letzten Jahren massive Veränderungen in der Museumsarchitektur vollzogen haben, trifft dasselbe nicht in den Ausstellungshäusern zu. Neben mehr oder weniger dramatischen Ausstellungsdisplays bestehen interaktive Formate weiter, was oft ein falsches oder oberflächliches Verständnis von Partizipation schafft. Um eine selbst-reflexive intersubjektive Partizipation (auf intellektueller, psychologischer, geistiger und emotionaler Ebene) voranzutreiben, müssen Ausstellungen sowie ihre Themen, kuratorischen Diskurse, Szenografie und Ästhetik überdacht werden. Dabei gilt es die Annahme zurückzuweisen, dass Betrachten bloß passiver Konsum von Informationen sei. Tatsächlich ist die Vorstellung, dass »the interactivity of relational art is, therefore, superior to optical contemplation of an object, which is assumed to be passive and disengaged« nicht notwendig zutreffend, wie Bishop bemerkt.9 Partizipation kann oberflächlich und bloß physisch bleiben oder ein wirksameres und subtileres Mittel der Entfremdung sein. Durch Aufmerksamkeit und tiefgehende Reflexion, die in Betrachtung eingeschlossen sind, können wir mit der Zeit die notwendigen Fähigkeiten für das daraus folgende bewusste Handeln erweitern: denken, vorstellen, schaffen oder kritisieren. Tatsächlich ist die oppositionelle Gegenüberstellung von aktiver Partizipation einerseits und passiver Kontemplation andererseits verkürzt und gefährlich. Dementsprechend müssen Ausstellungen kognitive, emotionale und sensorische Aspekte miteinander verbinden, um zu einer ganzheitlichen Sensibilität beizutragen. Museen des 21. Jahrhunderts müssen »something close to that mix of part community centre, laboratory, part academy, alongside the established showroom function that encourages disagreement, incoherence, uncertainty and unpredictable results« sein.10 Die Vorläufer dieses Ansatzes liegen in der europäischen Avantgarde und der dematerialisierten Kunst Ende der 1960er und 1970er Jahre, die Institutionen und Diskurse in Frage gestellt haben.11 Während die White-Cube-Ideologie12 zum vorherrschenden Paradigma wurde, bekamen Kurator_innen, Künstler_innen und Architekt_innen alternative Impulse. Trotz ihres utopistischen Charakters hat die Idee einer Einheit zwischen 9 | C. Bishop: Antagonism and Relational Aesthetics, S. 62. 10 | Charles Esche, zit. in: T. Smith: Thinking Contemporary Curating, S. 213. 11 | Vgl. Die Wiederaufnahme von Harald Szeemanns großer Ausstellung in der Kunsthalle Bern (1969) Live in your Head: When attitudes become form (Lebe in deinem Kopf: Wenn Haltung Form annimmt) an der Fondazione Prada in Venedig im Jahr 2013, kuratiert von Germano Celant mit Rem Koolhas und Thomas Demand. Szeemann leistete damit einen entscheidenden Beitrag, den Prozess und weniger den Ausstellungsgegenstand, den demokratischen Gehalt von Kunst und die aktive Rolle des/der Betrachter_ in bei der Interpretation eines Kunstwerkes in den Fokus zu rücken. 12 | B. O’Doherty: In der weißen Zelle.

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Kunst und ihrer Umgebung als Gesamtkunstwerk viele beeinflusst. Die radikalen Ideen, die Friedrich Kiesler während der 1930er und 1940er Jahre entwickelte, sind nach wie vor richtungsweisend für eine Neudefinition der Beziehungen zwischen Ausstellungsobjekt, Raumgestaltung und Betrachtung. Die Ausstellung als Galaxie, Lebensraum oder Imaginationsraum zu sehen, hatte zur Folge, dass Formen/Zeit/Raum/Besucher_innen gleiche Wichtigkeit beigemessen wurde und sie in ein kontinuierliches und dynamisches Verhältnis der Spannung oder Übereinstimmung gesetzt wurden.13 Das Ziel war es, die Art und Weise in Frage zu stellen, wie Kunst in Museen oder Ausstellungshäusern präsentiert wird, nämlich losgelöst von ihrer wirklich magischen, spirituellen und emotionalen Bedeutung für den Menschen. Demgegenüber kreierte Kiesler einen Raum, der es ermöglichen sollte, sich lebendig und dynamisch zu fühlen, in dem sich Leben und Kunst miteinander verbinden.14 Noch fast fünfzig Jahre später meint Urbach, dass »the atmosphere of an exhibition is, simply, its vibe. It is something to be felt and inhabited, not only seen, and it can be remembered«15. Ein Raum, der »envelop[s] their viewers, who are now as much participants as observers or viewers«16. Lam betont die Herausforderungen, die dieser Ansatz für das gesamte Ausstellungsteam von der Konzeption und Gestaltung bis zur Kommunikation und Vermittlung mit sich bringt.17 Die Arbeit muss in einer zirkulären und engen Zusammenarbeit und nicht in einer linearen Abfolge entwickelt werden. Diese Perspektive wirft Fragen rund um die Autor_innenschaft einer Ausstellung auf, insbesondere nach der Möglichkeit, den kuratorischen Modus operandi und die verschiedenen museologischen Disziplinen umzugestalten.18 Sie lädt dazu ein, in der Ausstellung mehr als nur das Sammeln und Präsentieren von Arbeiten oder die Summe ihrer Einzelteile zu sehen. Die Ausstellung ist ein Medium mit einer spezifischen Sprache, d. h. ein eigenständiges Werk. Vor diesem Hintergrund gestaltet MUDE – Museu do Design e da Moda Coleção Francisco Capelo seit 2009 in Lissabon, wobei der vorhandene Raum den kuratorischen Inhalt mitprägt. Indem die moderne Ruine als Vermächtnis erhalten wurde, suchte man nach einer Alternative zur White-Cube-Ideologie und ihren allzu autoritären, exklusiven, engen und abstrakten Lösungen, bei denen jedes Kunstwerk für sich alleine, sakralisiert ausgestellt wird. Wir sahen die materiellen und finanziellen Beschränkungen nicht als Schranken, sondern vielmehr als Potential für unsere Kreativität, wodurch unsere Annähe13 | F. Kiesler: Note on Designing the Gallery. S. 174–177. 14 | S. Davidson/P. Rylands: The Story of Art of this Century. 15 | H. Urbach: Exhibition as Atmosphere, S. 14. 16 | Ebd.: S. 16. 17 | M. Lam: Scenography as New Ideology, S. 35 f. 18 | Ebd.: S. 24.

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rung im Gegensatz zu einem spektakulären architektonischen Gestus stand. Nach dem Motto »Bewahrung durch Nutzung« versuchten wir eine Brücke zwischen Vergangenheit/Gegenwart/Zukunft zu bauen und die darin angelegten Spannungen anzunehmen. Die Geschichte des Gebäudes, der Banco Nacional Ultramarino (Nationale Überseebank) und die mit beiden verknüpfte Kolonialgeschichte wurden zusammengetragen. Das hinterlassene Mobiliar wurde wiederverwendet, die ursprünglich vorhandenen Werke der bildenden Kunst umgesiedelt, und die vorhandenen Räumlichkeiten  – wie das Auditorium und der Tresorraum  – stehen in täglicher Verwendung. Auch das Gebäude selbst war Gegenstand von Ausstellungen, Veröffentlichungen, Kunstwerken oder Forschungsprojekten. In der Ausstellung National and Overseas (2012) wurden die Verwaltungsbüros der Bank an Ort und Stelle mit den ursprünglichen Empire-Stil Möbeln gänzlich wiederhergestellt. Zum ersten Mal hatte die breite Öffentlichkeit Gelegenheit dazu, einen der verschlossenen Räume der ehemaligen Bank zu betreten und gleichzeitig ein Video mit Interviews ehemaliger Angestellter, die wir im November 2012 führten, zu sehen. Diese Interviews konfrontierten Besucher_innen mit persönlichen Erinnerungen über die hierarchische Verwendung und soziale Aufteilung von Räumen, über Zugänglichkeit und Ausstattung des ehemaligen Hauptgebäudes der Bank – einst Symbol von Autorität und Macht in der Beziehung zwischen Metropole und ehemaligen Kolonien.

Tempor äre A usstellungen : Themen und H er ausforderungen Um den intrinsischen relationalen Wert von Kultur zu stärken, haben wir ein präzises Programm temporärer Ausstellungen entwickelt. Zur Veranschaulichung dieser Strategien werde ich anhand dreier Ausstellungen (in chronologischer Reihenfolge) die Intervention des Museums in eine Debatte vorstellen, die uns alle betrifft: Ein geschärftes Bewusstsein für die Wichtigkeit innovativer und sozial verantwortlicher Arbeiten in den Bereichen Handwerk und Design; seine Bedeutung für die Entwicklung lokaler Ökonomien; und die Notwendigkeit, neue Angebote und Haltungen zu entwickeln, die in Zukunft zu einer nachhaltigen, wirklich gleichberechtigten und globalen Gesellschaft beitragen werden. Diese Kriterien leiten Themen und Ausstellungen. 2010 wurden die alten Tresorräume für die breite Öffentlichkeit geöffnet. Eigens für diesen Ort durch die renommierte, ursprünglich englische Firma Chubbsafes entworfen, bargen die 3.532 vermieteten Schließfächer bis 2009 Geld und persönliche Wertgegenstände. Wir entschieden uns, die Schließfächer mit einer Ausstellung wiederzueröffnen, die einem echten Schatz gewidmet ist, von dem das Überleben der Arten und die globale Nachhaltigkeit

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Abbildung 1: Ausstellung Seeds: Capital Asset, MUDE – Safes Vault, 2010: Seeds Detail.

abhängt. Bei den Exponaten, für die sie geöffnet wurden, handelte es sich um 500 traditionelle Saatgutsorten aus Portugal und Spanien. Schlicht ausgestellte Getreidesorten, Hülsenfrüchte, Gemüsepflanzen und Kräuter spiegelten Vielfalt und Reichtum der mediterranen Ernährung wider. Die Ausstellung Seeds. Capital Asset (Saatgut. Anlagevermögen) brachte Besucher_innen einen Kulturschatz (Saatgut) nahe, der angesichts der Aktualität von Saatgutbanken, Gentechnik, Biodiversität der Pflanzen, genetisch modifiziertem Essen und Verarmung der Ernährung bedroht ist. Der unerwartete Ausstellungsort von Seeds. Capital Asset – ein Museum für Gestaltung – barg ein Überraschungsmoment. Der Tresorraum kam uns als potentieller Ausstellungsraum sehr gelegen, gerade zu einem Zeitpunkt, da Lebensmittelproduktion und ‑verteilung zur Diskussion standen. Die Ausstellung zielte unter anderem darauf ab, die Bedeutung von Saatgut in der Entwicklung der Menschheit in Erinnerung zu rufen. Früher einmal galten Samen als Ursprung der Landwirtschaft, der ersten Siedlungen, des Geldwesens, der Arithmetik und der Schrift. Darüber hinaus wollte man mediale Aufmerksamkeit erlangen und das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit für die Bewahrung dieses Anlagevermögens schärfen. Unter dem Motto Erhaltung von Saatgut und seine Bedeutung für die Nahrungsmittelvielfalt sprachen dazu Diskutant_innen aus verschiedenen Bereichen. Die wichtigsten Schlussfolgerungen wurden in einem Katalog zusammengefasst, gemeinsam mit mehreren gesunden Rezepten, kreiert von jungen portugiesischen Küchenchefs.19

19 | B. Coutinho: Seeds: Capital Asset.

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2013 zeigte die Ausstellung Dentro de ti ó cidade (In Dir, o Stadt)20 anhand von 30 BIP-ZIP-Projekten (Nachbarschaften oder Zonen mit vorrangigem Handlungsbedarf) den Partizipationsprozess in unterschiedlichen Nachbarschaften Lissabons.21 Diese Projekte verstärken soziale Teilhabe und Bottom-up Organisationsformen, indem sie zu einem positiven Image der einzelnen Nachbarschaften beitragen. In diesem Sinne war die Ausstellung als offener, nachhaltiger Prozess und nicht als Selbstzweck konzipiert. Das Erdgeschoss wurde in 30 Ausstellungsplätze, einen für jedes der 30 präsentierten Projekte, unterteilt. Jede/r Aussteller_in war für Inhalt, Diskurs und Präsentation verantwortlich. Obwohl das Ergebnis fragmentarisch blieb, entwickelte sich die Ausstellung sehr lebendig und vielfältig. Neben einer Vielzahl anderer Tätigkeiten konnten Besucher_innen eine Gemeinschaftsküche nutzen, in der Wissen und Rezepte aus verschiedenen Kulturen ausgetauscht wurden. Während sich die Besucher_innen mit den ständig anwesenden Aussteller_innen über neue Formen zivilgesellschaftlichen Handelns austauschten, entstand eine gemeinschaftliche Atmosphäre. Die Ausstellung brachte Strategien zur kreativen Problemlösung im Alltag, für gemeinsames Handeln und lokalen Zusammenhalt in das Museum, wodurch jeder Ausstellungsplatz eine tiefere anthropologische Dimension verliehen bekam. 2013 präsentierte MUDE The Institutional Effect (Der Institutionelle Effekt) als Teil der Architekturtriennale. Mehr als eine Ausstellung bot sie Raum für Produktion und Fortbildung, Kommunikation, Erfahrungsaustausch innerhalb der Workshops, Lesebereiche und Filmvorführungen. The Institutional Effect wurde von den verschiedenen eingeladenen internationalen Institutionen organisiert und ging in der Auseinandersetzung mit den Herausforderungen für die Architektur neue Wege. Auf Einladung von Kurator Dani Admiss nahmen diverse Organisationen, von Zeitschriften bis Museen,22 anschließende Residencies auf. Während dreier Monate bot der zweite Stock des Museums der zeitgenössischen Debatte zu Architektur, Städteplanung und Aktivismus einen Raum. Die Ausstellungsfläche stellte alles zur Verfügung, was jede Institution zum Durchführen ihrer Veranstaltung benötigte, und fasste das Programm als dynamische Residency auf. Jede/r Be20 | Der Ausstellungstitel ist eine Zeile aus José Alfonsos Revolutionslied Grândola, Vila Morena (1972), das am Morgen des 25. April 1974 als zweites Signal zum Start der Nelkenrevolution ausgestrahlt wurde. 21 | Siehe: https://www.facebook.com/Energia.bipzip; http://bipzip.cm-lisboa.pt/ https://lisboas.wordpress.com/2014/08/12/bipzip-program-2014-15-projects/ vom 15.08.2016. 22 | Center for Urban Pedagogy (US), Design as Politics (NL), Fabrica (IT), Institut für Raumexperimente (DE), Jornal Arquitectos (PT), LIGA, Espacio para Arquitectura (MX), SALT (TR), Spatial Agency (UK), Storefront for Art and Architecture (US), Strelka Institute (RU), Urban-Think Tank (CH) und Z33 (BE).

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sucher_in konnte sich in laufend geführte Diskussionen einfach einbringen. Das Ziel bestand mehr darin, durch ein vielfältiges, partizipatorisches Programm Fragen aufzuwerfen, als Antworten über die Gesellschaft der Gegenwart und Zukunft zu geben. Der Prozess der Ausstellung selbst, die Wörter, Gedanken und Ideen jedes einzelnen, der/die durch diese ›Ausstellung‹ ging, wurde überall gezeigt. Abbildung 2: Ausstellung The Institutional Effect, MUDE – zweiter Stock, 2013: Raum und Einrichtung wurden von der ersten Gastinstitution, der in Italien ansässigen Fabrica, für Vorträge, Treffen, Workshops und andere Veranstaltungen designt.

D ie A usstellung als O ffener D iskurs Um die Strategie des offenen Diskurses hinter allen MUDE Ausstellungen im Detail zu erklären, diskutiere ich hier zwei Beispiele. Head to Head: Political Portraits (Kopf an Kopf: Politische Portraits) war eine Ausstellung vom Museum für Gestaltung Zürich, die eine Auswahl von 250 politischen Plakaten zusammenstellte und anhand derer die Wichtigkeit von Bild und Gestaltung in der Konstruktion politischer Diskurse aufzeigte. Im MUDE (2009) waren sie thematisch geordnet, wodurch die verschiedenen Strategien und Kommunikationsmuster von Politiker_innen herausgearbeitet wurden. Zu jedem Thema wurden unterschiedliche politische Systeme und Persönlichkeiten aus verschiedenen historischen Kontexten unmittelbar nebeneinander gestellt, was Aufschluss über Ähnlichkeiten, Kontinuitäten und Brüche in jedem Feld zuließ. Bei einem der Beispiele aus der Werbung handelte es sich um ein Inserat von Louis Vuitton, das Michail S. Gorbatschow in einem Auto mit einer Louis Vuitton-Tasche zeigt,

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während er durch das Autofenster einen prüfenden Blick auf die Berliner Mauer wirft. Durch die Art und Weise, wie diese Werbung in MUDE ausgestellt wurde, gewann sie noch eine zusätzliche Dimension: Sie hing direkt an einer kaputten Wand, um die Aufmerksamkeit und Reflexion des/der Besuchers_in zu lenken. Die Ausstellung Preview (Vorschau) (2009) stellte eine Reihe von ikonischen Beispielen aus, die Leben und Gesellschaft im 20. Jahrhundert verändert haben. Anstatt in einer linearen historischen Darstellung wurden die Design- und Modeobjekte unter folgenden Themen aufbereitet: Das Moderne, zwischen Konzept und Bild; Technologie und Konsumismus; Design, Kommunikation und Bild; Tradition und Moderne. Die Ausstellung hieß Besucher_innen mit dem Moment der Explosion in Michelangelo Antonionis Film Zabriskie Point (1970) willkommen, der eine lineare Erzählung zugunsten einer neuen, experimentellen Kinematografie aufgibt. Einstellung für Einstellung kam die Explosion näher und näher, während auf die Betrachter_innen zusteuernde Alltagsobjekte in den Raum projiziert wurden. Diese Explosion, verstärkt durch den Soundtrack von Pink Floyd, gab den Ton für die gesamte Ausstellung an. Davor war Russel Wrights American Modern Dinnerware Service (Modernes Amerikanisches Geschirr) (1939) positioniert, ein Produkt, das in US‑amerikanischen Mittelklassehaushalten eine Revolution auslöste und die Konsumgesellschaft ankurbelte. Man wollte eine disjunktive Spannung schaffen und Besucher_innen dazu ermuntern, die Motivation hinter dieser Gegenüberstellung zu hinterfragen. Abbildung 3: Ausstellungsvorschau, MUDE – Erdgeschoss, 2009: die Explosion am Ende von Antonionis Zabriskie Point (1970) als Hintergrund für Russel Wrights American Modern Dinner Service (1939). Eine kurzfristige Spannung zwischen bürgerlicher Konsumgesellschaft und Gegenkultur.

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Im MUDE werden Ausstellungen in einem nüchternen, heruntergekommenen Raum ohne visuelle Barrieren inszeniert. Die Exponate werden in einem Zusammenhang miteinander sowie zum Raum, der jedes Kunstwerk umgibt, und mehreren offenen Rundgängen präsentiert, wodurch vielschichtige visuelle Dialoge angeboten werden. Besucher_innen können die Gegenstände nahezu berühren, um sie herumgehen, sie von jedem Winkel aus betrachten. Mithilfe kleiner Bildunterschriften und erläuternder Texte können Besucher_innen ihren eigenen Weg wählen: Sie können dem vom Museum durch Texte, Pläne oder grafische Elemente vorgeschlagenen Weg folgen, oder sich für andere Routen entscheiden, wenn sie sich von bestimmten Objekten, Bildern oder Musik angezogen fühlen. Statt einer Einbahnstraße bieten Ausstellungen verschiedene Pfade des Vorwärts- und Rückwärtsgehens. In Anschluss an Umberto Ecos (1962) Konzept des offenen Kunstwerks, fordern Ausstellungen die Besucher_innen dazu heraus, sowohl Bedeutung als auch Wert herzustellen. Dieser Ansatz des Kuratierens basiert auf Ecos Theorie, weil wir eine Ausstellung als eigenständiges Kunstwerk und nicht nur als Mittel zur Präsentation anderer Kunstwerke verstehen. Zudem lässt Eco selbst den Verweis auf das Konzept des offenen Kunstwerks im Feld des Kuratierens offen, da seine Theorie nicht auf die inhärente Qualität von Kunst fokussiert – die, insbesondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ihrem Wesen nach für die Interpretation jedes/r Besucher_in offen ist –, sondern auf die Verbindung und Kommunikation, welche zwischen dem Kunstwerk und jedem/jeder einzelnen seiner Empfänger_innen hergestellt wird.23 Bishop hatte Eco bereits als einen der Pioniere der relationalen Ästhetik genannt und unterstreicht, dass seine Theorie die Rezeption des Kunstwerks und nicht das Werk an sich betrifft.24 Deswegen arbeitet sich die Ausstellung an Begrifflichkeiten wie »Diskontinuität«, »Unvorhersehbarkeit« und »dialektische Opposition« zwischen den Exponaten ab. Ein weiteres Beispiel dieser Spannung, auf die sich Bishop abwechselnd als »Unbequemlichkeit«, »Unbehaglichkeit«, »Reibung« oder »Antagonismus« bezieht,25 wird durch die Gegenüberstellung von Hans Wegners Classic Model JH 501 (1994) und dem TV-Duell zwischen Kennedy und Nixon im Präsidentschaftswahlkampf 1960 hergestellt, dessen Video im Hintergrund läuft (Ausstellung Preview, 2009). Stuhl und TV-Ausstrahlung nebeneinander zu stellen, regt eine Reflexion über die Beziehung zwischen Demokratie und Macht der Medien an. Darin ist auch der Ansatz des Museums verkörpert, verschiedene Lesarten anzubieten und nicht eine einzelne, geschlossene Botschaft zu vermitteln. Jede Ausstellung kann demnach für unendlich viele Perspektiven offen sein. Der/die Besucher_in muss beim Kuratieren miteinbezogen werden: 23 | U. Eco: Das offene Kunstwerk, S. 14 f. 24 | C. Bishop: Antagonism and Relational Aesthetics, S. 62. 25 | Ebd.: S. 77–79.

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Momente des Innehaltens und Nachdenkens einzubauen und eine individuelle und autonome Interpretation zuzulassen, ist dabei ganz entscheidend. Das findet innerhalb einer bestimmten Ordnung statt, aber die Ausstellung gründet auf der bewussten und aktiven Teilnahme des/der Besucher_in. Die Strategie eines offenen Diskurses entspringt auch dem Bewusstsein, dass unsere visuelle Erfahrung – bereichert durch ein Jahrhundert fotografischer Bilder, danach durch die Kinematografie (die Einführung der Sequenz als neue dynamische Einheit) – komplexer geworden ist, und uns eine ›Welt‹ als Ansammlung disparater Elemente (z. B. Installation) erkennen lässt, die durch keine vereinheitlichende Materie, keine Bronze miteinander verbunden sind. Andere Technologien könnten dem menschlichen Geist die Möglichkeit geben, andere, bislang unbekannte ›Welt-Formen‹ anzuerkennen. 26

Es ist deshalb unerlässlich, dass Museen die Komplexität zeitgenössischer Wirklichkeitswahrnehmung widerspiegeln. In einem zunehmend virtuellen Zeitalter bieten sie nach wie vor die Gelegenheit, direkt in Beziehung mit Kunst zu treten. In Übereinstimmung mit Bourriaud, demzufolge »the aura of artworks has shifted towards their public«,27 kann eine im Sinne des offenen Diskurses gestaltete Ausstellung vor allem zu einer tiefergehenden, breiteren und inneren Partizipation beitragen. Infolgedessen kann die Begegnung mit Kunst und Design die Idee eines ›Hier‹ und ›Jetzt‹ wiedergewinnen und deren Bedeutung für die Entwicklung einer neuen Sensibilität und eines neuen Bewusstseins zur Durchführung globaler Veränderung stärken.

26 | N. Bourriaud: Relational Aesthetics, S. 20: »[…] our visual experience has become more complex, enriched by a century of photographic images, then cinematography (introduction of the sequence shot as a new dynamic unity), enabling us to recognise as a ›world‹ a collection of disparate element (installation, for instance) that no unifying matter, no bronze, links. Other technologies may allow the human spirit to recognise other types of ›world-forms‹ still unknown.« 27 | N. Bourriaud: Relational Aesthetics, S. 58.

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Ausstellen und Vermitteln als Erweiterung des Museums

Einleitung Thomas Sieber Spricht man über die Erweiterung von Museen, so geht es in der Regel um Neubauten. Im vorliegenden Zusammenhang spielen diese nur eine Rolle, insofern sie Ausgangspunkt, Ausdruck oder Folge einer Erneuerung der konzeptionellen Fassung eines Museums sein können. Das Postulat von der Erweiterung des Museums durch neue Formen des Ausstellens und Vermittelns lässt sich auf unterschiedliche Weise auf eine Institution beziehen, die bis weit in das 20. Jahrhundert als Ort der Dinge, des Zeigens und der Instruktion verstanden wurde. In den vergangenen vier Jahrzehnten wurden die fast schon »selbstverständlichen Prämissen des Museums« vermehrt infrage gestellt: Im Fokus standen und stehen »seine scheinbare Neutralität und Objektivität, seine […] folgenreichen Unterscheidungen, die Macht seiner Präsentationsformen und seine zumeist bürgerlichen, westlichen, patriarchalen und nationalen Gesten des Zeigens«1. Die Beiträge dieser Sektion schreiben sich in diese Auseinandersetzung ein. Sie handeln von kulturhistorischen Museen, die sich auf Nation, Region, Stadt oder Stadtteil beziehen, und dokumentieren unterschiedliche Zugänge zu Fragen der Repräsentation und Partizipation. Zentraler Gegenstand ist die Konstruktion von Identität(-en). Das Verständnis des Museums als Ort der Identitätspolitik oszilliert im aktuellen Diskurs zwischen Fabrik oder Agentur auf der einen, zwischen Forum, Arena, Labor oder Kontaktzone auf der anderen Seite.2 Das erste Bild betont die Bedeutung des Museums als Mittel hegemonialer Herrschaft und vermittelt eine eher mechanistische, unidirektionale und dirigistische Vorstellung der damit verbundenen Deutungsprozesse. Anders das zweite, das die Vorstellung eines Museums als Ort des keineswegs konfliktfreien Aushandelns gesellschaftlicher Werte und sozialer Zugehörigkeiten evoziert. Mit dieser Perspektive, die in den vorliegenden Beiträgen dominiert, geraten vermehrt jene Fragen ins Blickfeld, die mit dem Konzept der Partizipation angesprochen werden: Welche Akteur_innen werden wie in 1 | N. Sternfeld: Involvierungen. 2 | Vgl. dazu J. Baur: Was ist ein Museum?, S. 39 ff.

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Entscheidungsprozesse über Gegenstand und Form von Repräsentationen und Identitätspolitiken einbezogen? Die thematisierten Möglichkeiten der Teilhabe reichen von Formen der Interaktion in Ausstellungen bis hin zu Formen des kollaborativen Kuratierens und erfüllen unterschiedliche Funktionen für das Selbstverständnis der jeweiligen Institution.3 Von Formen der Interaktion in und mit Ausstellungen und den produktiven Folgen einer Strategie der Zweideutigkeit handelt der Beitrag von Hanno Loewy. Am Beispiel des von ihm geleiteten Jüdischen Museum Hohenems geht er der Frage nach, wie sich ein Museum, dessen Name zwischen der Zuschreibung einer Identität und der Bezeichnung eines Gegenstandsfelds schwankt, als offener Raum entwerfen kann, in dem unterschiedliche Identitätsentwürfe, Selbstbilder und Interpretationen aufeinandertreffen und kulturelle Hegemonie infrage gestellt werden darf. Um die Auseinandersetzung mit identitären Erzählungen geht es auch im Beitrag von Paul Spies. Er geht der Frage nach, wie ein traditionsreiches Stadtmuseum, wie das Amsterdam Museum mit Ausstellungs- und Vermittlungsprojekten nicht oder kaum erreichte Communities der Stadtgesellschaft adressieren und in das ›große Bild‹ der Stadtgeschichte integrieren kann. Der ehemalige Direktor der Institution plädiert für einen Erneuerungsprozess, der die Formen musealer Repräsentation und Partizipation erweitert, ohne dass die Konventionen der Institution und die Erwartungen ihres Publikums grundlegend infrage gestellt würden. Es kann nicht überraschen, dass die Frage, wie Migration in Ausstellungen thematisiert wird, in einigen der hier versammelten Texte eine Rolle spielt. Im Zentrum steht sie im Beitrag von Thomas Sieber, der an der Zürcher Hochschule der Künste im Bereich Geschichte und Theorie von Museum und Ausstellung lehrt und der bei der Repräsentation des Migrationsphänomens in Ausstellungen im deutschsprachigen Raum zwei Tendenzen identifiziert. Auf dieser Grundlage werden Schwach- und Leerstellen in der Dauerausstellung des Landesmuseums Zürich – einem seltenen Beispiel für eine Institutionalisierung von Migrationsgeschichte – benannt und künstlerische sowie partizipatorische Strategien zur Erweiterung einer normalisierenden Repräsentation von Migration diskutiert. Einem repräsentationskritischen Ansatz ist auch der Beitrag von Susan Kamel verpflichtet, die an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin mit einem Schwerpunkt in kritischen Museologien und postkolonialen Theorien lehrt. An zwei Berliner Beispielen aus dem Forschungs- und Ausstellungsprojekt Experimentierfeld Museologie (Museum für Islamische Kunst und Friedrichshain-Kreuzberg Museum) zeigt die Autorin, wie die Praxen des 3 | Vgl. dazu Institute for Art Education: Zeit für Vermittlung, S. 85–91 und S. 112–118. Siehe www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/ vom 13.04.2016.

Ausstellen und Vermitteln als Er weiterung des Museums – Einleitung

Kuratierens und Vermittelns im Prozess der Ausstellungsentwicklung zusammengedacht werden können. Damit verbunden ist das Ziel, sowohl den Zugang zu den beteiligten Museen zu erweitern als auch deren Inhalte im Sinne eines postrepräsentativen Kuratierens und einer kritischen Kulturvermittlung zu verändern. Von einem zweiten Stadtmuseum, dem Historischen Museum Frankfurt, handelt der Text von Jan Gerchow und Sonja Thiel. Der Direktor der Institution und die Kuratorin von Ausstellungen des Formats Stadtlabor unterwegs werfen einen Blick auf die Erneuerung einer Institution, die sich bereits in den 1970er Jahren als ›Museum für eine demokratische Gesellschaft‹ neu erfunden hat. Mit dem aktuellen Konzept, das auf das Thema Stadt fokussiert, soll das Haus für die Bewohner_innen der Metropolregion zu einem relevanten Ort der Debatten über deren Geschichte, Gegenwart und Zukunft werden. Da die Partizipation erweitert und die Expertise der Bevölkerung einbezogen werden soll, fokussiert der Beitrag die seit 2011 realisierten Stadtlabor-Ausstellungen: Mit ihnen wurden neue Formen des kollaborativen Kuratierens und der Repräsentation von Geschichten und Gruppen erkundet. Spielt das immaterielle Kulturerbe bereits in den Stadtlabor-Ausstellungen eine wichtige Rolle, so ist dieses konstitutiv für das District Six Museum in Cape Town, das 1994 als erstes ›Post-Apartheid Museum‹ eröffnet wurde. Seine Direktorin Bonita Bennett zeigt in ihrem Beitrag, wie sich eine Institution als Erinnerungsort für einen Stadtteil entwirft, der 1966 zur ›Whites-Only Area‹ deklariert, dessen Bevölkerung umgesiedelt und der in der Folge zerstört wurde. Am Beispiel zweier Projekte stellt sie uns ein Museum vor, in dem Ausstellungs- und Bildungsarbeit nicht hierarchisch angeordnet sind, sondern als aufeinander bezogene Praxen eines Engagements für gesellschaftlichen Wandel verstanden werden, dessen Wurzeln im Anti-Apartheid-Kampf der 1980er Jahre liegen und das bis heute von den Anliegen politisch, sozial und kulturell diskriminierter Gruppen ausgeht.

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Identität und Zweideutigkeit Hohenemser Erfahrungen mit den Dingen der Zerstreuung Hanno Loewy

Peter Sloterdijk hat Museen einmal die »Schule des Befremdens« genannt.1 Wenn für Museen gilt, dass einem das Eigene fremd und das Fremde vertraut werden kann, dann gilt das im Extrem für Jüdische Museen. Schon an deren Namensgebung entzünden sich nicht endende Diskussionen, jedenfalls in Europa, wo die meisten Jüdischen Museen nach 1945 nicht in der Trägerschaft einer jüdischen Organisation entstanden sind. So wird zuweilen auf Umschreibungen zurückgegriffen, die der identitären Vereinfachung vorbeugen sollen. In Warschau steht heute das Polin Museum der Geschichte der polnischen Juden, in Amsterdam das Jüdische Historische Museum, in Augsburg das Jüdische Kulturmuseum und in Laupheim das Museum zur Geschichte von Christen und Juden. Spätestens die Umgangssprache macht daraus dann doch ›Jüdische Museen‹. Und die Zweideutigkeit eines solchen Begriffs, der zwischen einer Zuschreibung des Gegenstandsfeldes und einer Zuschreibung von Identität schillert, wird für diese Museen selbst konstitutiv. Doch sie teilen diese Zweideutigkeit auch mit anderen Museen. Kulturmuseen sind ein Produkt der Säkularisierungsgeschichte und der Demokratisierung. Mit ihnen öffneten sich die Wunderkammern der Herrschaft dem Volk und die sakrale Kunst öffnete sich der profanen Anschauung. Doch der Furor der Aufklärung schuf auch neue Götter. Und so wurden aus den Museen des Volkes Museen der Völker, aus den Museen der Nation Kultstätten des Nationalen. Ihre Geschichte beginnt mit der Gründung des Louvre im Geiste der französischen Revolution. Eröffnet am 10. August 1793, zu den Feierlichkeiten am Jahrestag des Sturms auf die Tuilerien, dem Fest der Einheit und Unteilbarkeit der Republik, galt das neugegründete Museum den »Reichtümern der Nation« und dem »Recht aller Menschen auf diesen Genuss«, wie Jacques Louis David es in der Nationalversammlung zum Ausdruck brachte.2 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hingegen wurden gemein1 | P. Sloterdijk: Museum. 2 | G. Fliedl: Die Erfindung des Museums; Die Pyramide des Louvre, S. 306 f.

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same kulturelle Wurzeln beschworen und damit eine vorrangige Einheit jenseits der politischen Ansprüche der sozialen Bewegungen. Aus den Museen der Demokratie wurden Tempel eines säkularen Kultes. Damit waren Museen freilich auch zum Kampfplatz und Instrument jener geworden, die (neue) Nationen und Regionen mit eigenen politischen Geltungs- und Machtansprüchen ins Spiel bringen wollten. Als 1857 liberale Vertreter des Bürgertums in Vorarlberg mit der Gründung eines Landesmuseumsvereins die Errichtung eines Landesmuseums forderten, stand die beschworene Einheit (und damit letztlich die Erfindung des Landes ›Vorarlberg‹) im Zeichen einer politischen Loslösung von Tirol, für die nun eine ›eigene‹ Kultur und Geschichte in Anspruch genommen wurde. Mit der Ausdifferenzierung der Museen als Orte der Konstitution, ja, der Erfindung von ›Identität‹, rückte freilich auch die Alltagskultur, der Wert des Geringen und Durchschnittlichen, des vermeintlich ›Typischen‹ in den Fokus. So wie sich der herrschaftlich-koloniale Zugriff auf fremde Kulturen schrittweise auch der ›eigenen Folklore‹ annäherte und im Medium der Volkskunde damit begann, eine quasi naturgegebene Einheit von Kulturen zu beschwören, so nobilitierten nun neu entstehende Regional- und Heimatmuseen Alltagsgegenstände und verfremdeten sie zugleich. Walter Benjamin hat in seinem Versuch, die Aura eines Gegenstandes als das Aufblitzen von Bedeutung begrifflich zu fassen, schon auf die Ambivalenz hingewiesen, die derart entsteht: »die einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag«3. Das Objekt, das wir nobilitieren, indem wir es ins Museum holen, wird uns in diesem Moment zugleich fremd. Es tritt, obwohl physisch nah, von uns zurück, wenn es aus seinem Alltagskontext entführt und in einen Raum des Bedeutens gestellt wird. Je mehr Identitätsbegehren wir nun mit diesen Dingen zu verbinden suchen, umso fremder werden sie uns.

R äume der Z weideutigkeit : D as M useum als B eziehungsort Ein Museum ist ein Ort, an dem wir Dinge im Raum betrachten können, und das heißt auch von zwei (oder noch mehr) Seiten aus. Es ist die Bewegung der Besucher im Raum, die einen mal narrativen, mal diskursiven Zusammenhang entstehen lassen, in dem bewusste und unbewusste Entscheidungen jederzeit neue Assoziationen herstellen und auflösen können. Das Museum ist zugleich ein Ort, an dem man – anders als in der Rezeption anderer kultureller Medien – über diese Differenz unmittelbar in einen Dialog treten kann, einen Dialog und eine Folge von Entscheidungen, die unmittelbar in die Rezeption des Mediums selbst eingreift. Dabei kommt es dar3 | W. Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 142.

Identität und Zweideutigkeit

auf an, den Raum, den das Museum bietet, als Ensemble von Möglichkeiten zu betrachten, das dem Besucher reale Freiheiten einräumt, eigene Erfahrungen zur Geltung zu bringen, mit der Anschauung von Objekten in Beziehung zu setzen und mit anderen Besuchern zu kommunizieren. Die Mehrdeutigkeit der präsentierten Gegenstände, ihre räumliche Präsentation und ihre Kommentierung entfalten sich dabei entlang unterschiedlicher Spannungen. Die Spannung zwischen Sakralem und Profanem wird im Museum unauflösbar fortgeschrieben. Was im Zuge der Säkularisierung aus Kirchen und Klöstern ins Museum geschafft wurde, wird nun Teil einer Kulturgeschichte. Und was aus der profanen Alltagskultur den Weg ins Museum fand, wurde mythisiert und mit einer Aura nationaler Kultur aufgeladen, die an religiöse Andacht zu erinnern vermag. Die Spannung zwischen Vergangenheit und Gegenwart wird im Museum auf ebenso zweideutige Weise thematisiert. So verleiht ihre Musealisierung den Objekten eine Präsenz, die physische Kontinuität feiert, sie aus der Zeit heraushebt, uns mit der unmittelbaren Gegenwart von Vergangenheit konfrontiert und sie zugleich in etwas verwandelt, was sie niemals waren. Ihre räumliche Anordnung im Museum schafft ein weiteres Spannungsfeld, nämlich das zwischen der narrativen Absicht der Kuratoren und dem Eigensinn der Besucher, die ihren eigenen Weg durch die Ausstellung finden und damit – allein oder in Verhandlung mit anderen – ihr eigenes Beziehungsnetz knüpfen und einen diskursiven Raum herstellen, der immer wieder neu entsteht und identisch wiederholt werden kann. Und schließlich steht jedes Objekt im Spannungsfeld von Biografie und Geschichte, gehört zum je eigenen Bedeutungsgewebe, das ein menschliches Leben ausmacht und aus dessen Kontext es nun herausgefallen ist. Und es gehört als gesellschaftliches Objekt zugleich zu einer Geschichte, die schon da war, bevor das Objekt in einen individuellen Besitz gelangt ist, aus dem es nun wieder – freiwillig oder gewaltsam – gerissen ist. Geschichtliche Brüche sind es, die die Museen mit Objekten füllen.

J üdische M useen Auch die Jüdischen Museen sind aus dem Bruch mit der (religiösen) Tradition und ihrer Neuerfindung als ›kulturelles Erbe‹ hervorgegangen. Schon die ersten Gründungen um 1900 ›verdankten‹ sich der Auflösung religiöser und traditioneller Alltagspraxis, der Auflösung ökonomisch wie politisch unter Druck geratener Lebenswelten und der Migration – aus den Landgemeinden in die Städte und schließlich der Massenemigration von Osten nach Westen. All diese von Individuen mal als Katastrophe, mal als Auf bruch wahrgenommenen Zäsuren verwandelten einen religiös geprägten Begriff von jüdischer Tradition in eine Frage von Identität und Kultur. Deren wichtigstes Medium,

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nämlich die Familie, bekam angesichts des Zusammenbruchs der traditionellen Strukturen der Großfamilie im Zuge von Migration, Urbanisierung und ökonomischer Mobilität zugleich Konkurrenz durch die Produkte der Massenkultur – und schließlich auch durch das Museum. Die ersten Jüdischen Museen entstanden zumeist in der Trägerschaft jüdischer Gemeinden oder ihnen nahestehender Kulturvereine, 1895 in Wien, 1904 in New York, 1906 in Prag, 1909 in Budapest, 1912 in Worms, 1917 in Berlin, 1922 in Frankfurt a. M., 1927 in Breslau und 1932 in London.4 Gemeinsam war ihnen der Versuch, eine partikulare Tradition als universelle Kultur zu bewahren und zugleich in das kulturelle Erbe der verschiedenen Nationen einzuschreiben. Damit wurden aus den heimatlos gewordenen Objekten einer zerbrechenden traditionellen Lebenswelt Träger einer neu konstruierten kulturellen Überlieferung und einer besonderen historischen Identität. Und zugleich eine Bürgschaft im Prozess der Assimilation und Akkulturation, die ihre Besonderheit aufheben sollte. Das Versprechen der Aufklärung, für das sie noch immer einstanden, wurde nicht eingelöst. Was nach der Shoah blieb, war eine radikalere Heimatlosigkeit als sie die Museumsobjekte schon in den Gründungen vor 1933 kennzeichnete. Nun war die Idee des ›Jüdischen Museums‹ selbst heimatlos geworden und stand damit für die Diaspora schlechthin ein, in ihrer zerstörten Realität sowie in ihrem noch lange nicht erledigten utopischen Potenzial. Jüdische Museen liegen damit konstitutiv auf der Grenze, auch wenn es nicht wie in Hohenems eine Landesgrenze ist. Sie beschäftigen sich mit der Geschichte und Gegenwart einer Minderheit, einschließlich ihrer religiösen Dimensionen, die zugleich eine Quelle der Mehrheitskulturen Europas darstellt, des Christentums wie des Islams. Sie spiegeln das ›eigene‹ im ›andern‹, ohne sich darauf festlegen zu lassen, um wessen ›eigenes‹ und ›anderes‹ es geht. Sie stellen Zugehörigkeit, Identität und Abgrenzung gründlicher infrage, als es ihren Trägern, aber zuweilen auch ihrem Publikum recht ist. Das Jüdische Museum Hohenems war von Anfang an ein Experiment, das Themen, Zeiten und Orte auf provozierende, verstörende, manchmal ironische Weise miteinander verband. Es wurde unter der Formel eines ›Jüdischen Museums‹ von ›Nicht-Juden‹ für ›Nicht-Juden‹ gegründet. Aber seine eigene Gründungsgeschichte und die komplexe, individuelle Herkunft mancher seiner Akteure war deutlich widersprüchlicher, als es diese Formel glauben machen wollte. Es stellte die mitgebrachten Vorstellungen seiner Besucher offen infrage. Und es pflegte seit jeher lokale, regionale und globale Netzwerke, die sich auf überraschende Weise durchdrangen, so wie es die politische, soziale und kultu4 | Zur Gründungsgeschichte Jüdischer Museen siehe J. Hoppe: Jüdische Geschichte und Kultur in Museen, S. 261 ff.; F. Heimann-Jelinek/W. Krohn: Das Erste Jüdische Museum; F. Heimann-Jelinek: Was übrig blieb; F. Heimann-Jelinek: Eine Sammlung in Wien; D. Rupnow: Täter – Gedächtnis – Opfer.

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relle Realität der Gegenwart tut. Die Diaspora der Hohenemser Juden und ihrer Nachkommen, die Vielfalt ihrer Perspektiven und Zugehörigkeiten schlägt sich auch in den Projekten des Museums nieder – von der weltumspannenden Genealogie im Internet bis zur Infragestellung des ›Museumsobjektes‹ an sich.

C ommunit y und D iversität Das Hohenemser Museum hat eine spezifische Community, die diesen Zugang befördert. Es ist intellektuelles Zentrum einer grenzüberschreitend gedachten Region und Zentrum einer globalen Hohenemser Diaspora. Es ist damit zugleich ein regionales ›kritisches Heimatmuseum‹ und ein weltweit operierendes Diasporamuseum, ein Ort der Konzentration und der Zerstreuung. Und es ist damit von Beginn an ein Ort, der mit den Fragen der Gegenwart von Migration und Akkulturation und den damit verbundenen Konflikten konfrontiert ist. Schon bei seiner Eröffnung wurde betont, dass dieses auch ein Ort der Auseinandersetzung mit Fragen der gegenwärtigen Migration sein würde, ein politischer Ort, der über Fragen österreichischer oder deutscher ›Vergangenheitsbewältigung‹, aber auch über Fragen der jüdischen Geschichte hinausweisen kann. Von Beginn an thematisierte das Museum, häufig in Kooperation mit Partnern in der Gesellschaft, grundsätzliche und gegenwartsbezogene Fragen des Verhältnisses von ›Heimat‹, ›Fremdheit‹ und wirtschaftlich-sozialer Realität (so das Vermittlungsprojekt Das Nützliche und das Fremde), der interkulturellen Kommunikation (die Gemeindeblattbeilage Emser Halbmond) sowie schließlich auch der jüngsten Einwanderungsgeschichte selbst, wie sie nicht zuletzt im Jüdischen Viertel von Hohenems ablesbar ist (die Ausstellung Lange Zeit in Österreich. 40 Jahre Arbeitsmigration). Dabei schreckt das Museum auch nicht davor zurück, politisierte und Ressentiment geladene Auseinandersetzungen mit ironischen Interventionen zu unterlaufen (zum Beispiel die Veranstaltung Wie baut man ein ›ortsübliches‹ Minarett?). Angesichts einer Bevölkerung im Vorarlberger Rheintal, zu der in den Städten etwa 20 Prozent muslimische und alevitische, meist türkischstämmige Einwanderer gehören, wäre es im Grunde eine Selbstverständlichkeit, dass sich kulturelle Institutionen im öffentlichen Auftrag auch um Migranten als Zielgruppe bemühen. Doch lange Zeit war das Jüdische Museum einer der wenigen etablierten Kulturveranstalter, der auch diesen Teil seines möglichen Publikums ernst nahm. So war denn auch die Schau Die Türken in Wien (Felicitas Heimann-Jelinek et al., 2011) wohl die erste Ausstellung in Vorarlberg, die komplett in Deutsch und Türkisch präsentiert wurde. Diese in Wien noch mit deutschen und englischen Objekttexten (und nur wenigen türkischen Textelementen) gezeigte Ausstellung über die sefardischen Juden in Wien und im Habsburger Reich unterlief alle gängigen Geschichtsmythen – die aschkenasisch-jüdischen Geschichtsmythen, die die Sefarden verdrängt hatten, ebenso

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wie die türkischen, die die Multikulturalität des Osmanischen Reiches vergessen machten. Aber auch die österreichischen Geschichtsmythen, in denen nur die Konflikte, aber nicht die späteren engen Beziehungen und Bündnisse zwischen Habsburg und dem Osmanischen Reich ihren Platz gefunden hatten, wurden unterlaufen. Diese Ausstellung komplett zweisprachig zu präsentieren, brach mit noch mehr, nämlich mit der gängigen kulturellen Hegemonie im Alltag. Auch wenn die türkischstämmigen Besucher der Ausstellung sich in den deutschen Texten ebenso zurechtfanden, die Präsenz der türkischen Texte bedeutete für sie nicht nur eine symbolische Anerkennung. Auf einem ungewohnten Feld der repräsentativen Kultur waren sie nun mit einem Vorsprung unterwegs. Wo sonst immer nur Defizite verzeichnet werden, wurden sie zur Artikulation ihres eigenen Erfahrungsschatzes herausgefordert, der nicht zuletzt darin bestand, selbst Teil einer der vielfältigen Minderheiten zu sein, die im türkischen Homogenisierungsdiskurs keine Artikulationsmöglichkeit finden.

Z weideutigkeit als produk tive S tr ategie In einem Jüdischen Museum begegnen sich die Besucher selbst im Spiegel des ›Anderen‹. Und das gilt für die nicht-jüdischen Besucher ebenso wie für die jüdischen Besucher. Daraus resultiert eine Chance: Die Besucher werden auf produktive Weise irritiert und vor Entscheidungen gestellt, indem das Museum und die Menschen, die dort arbeiten, nicht belehrend, sondern als Dialogpartner auftreten. Dazu muss man vor allem eines tun – die Angst vor Zweideutigkeit über Bord werfen. Und dazu muss sich freilich das Museum als ›Open Space‹ verstehen, als Ort, an dem verschiedene Identitätsentwürfe, Selbstbilder und Interpretationen aufeinandertreffen dürfen, an dem kulturelle Hegemonie infrage gestellt werden darf. Um das zu erreichen, muss die Neugier kultiviert werden – die der Besucher, aber auch die eigene. Wir haben in Hohenems die unterschiedlichsten Experimente unternommen, um unsere Gäste in eine Art intellektuelles Schwindelgefühl zu versetzen, wodurch es möglich ist, neue Fragen zu stellen, das heißt auch, Unsicherheit zu akzeptieren. Was heißt das für unsere Arbeit? Es bedeutet, dass wir Themen suchen, bei denen es nicht darum geht, festgefügte Identitäten und Informationen zu vermitteln, sondern Fragen zu stellen, über die man zivilisiert streiten kann. So erklären wir nicht, warum ›die Juden‹ dieses und jenes tun, sondern sehen uns an, warum Menschen verschiedene Antworten auf existenzielle Fragen geben, schauen uns gemeinsam an, wie Kulturen, Lebensspuren und Identitäten entstehen und sich verändern. Zweideutigkeit als produktives Prinzip bedeutet zugleich, bewusst mit Ironie zu arbeiten. Das kann auch provozierend sein. Ironie heißt eben auch, dass

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man nicht gleich weiß, wie es gemeint ist. Und genau das fordert Menschen intensiver heraus als alles andere. Ausstellungstitel können präzise sein und beschreibend, aber auch irritierend mehrdeutig. Das kann bis an die Grenze einer provozierenden Irreführung gehen. Unsere Ausstellung Die ersten Europäer. Habsburger und andere Juden (Felicitas Heimann-Jelinek und Michaela Feurstein-Prasser, 2014) versuchte natürlich nicht, den Beweis einer jüdischen Abstammung der Habsburger zu erbringen, sondern die proto-europäische Lebenswelt der Habsburger Juden und anderer Juden in Europa durch sieben Jahrhunderte hindurch zu erkunden – ihre Rolle im Kulturtransfer, ihre Mobilität und Mehrsprachigkeit, ihre transnationalen Netzwerke und Reflexionen, ihr Leiden an der europäischen Katastrophe von 1914. Obwohl sich das Haus Habsburg beeilte uns mitzuteilen, dass es von König David abstammen würde, haben sich viele Besucher erregt und sind dementsprechend hellwach in die Ausstellung gegangen. Jeder Museumskurator kennt die Besucher, die in Ausstellungen vor allem nachschauen, ob das, was sie sehen wollen, auch dort zu finden ist. Und wenn das nicht der Fall ist, belehren sie die Mitarbeiter des Museums gehörig. Wir aber versuchen, Ausstellungen für Menschen zu machen, die neugierig auf das sind, was sie sich noch gar nicht haben vorstellen können. Das setzt freilich eine Haltung voraus: Wir wollen Ausstellungen nicht deshalb machen, weil wir es bereits besser wissen, sondern weil wir dadurch selbst etwas Neues erfahren können. Wir laden unsere Gäste ein, uns dabei zu helfen. Wir setzen nicht nur auf die Neugier der Besucher, sondern konfrontieren sie mit unserer eigenen Neugier. Jede unserer Ausstellungen fordert Partizipation von den Besuchern. Das kann bedeuten, eine größere Zahl von Menschen in die Entstehung einer Ausstellung mit einzubinden, ihre Erfahrungen und Geschichten, ihre Beziehungen zu Objekten während der Entwicklung einer Ausstellung miteinzubeziehen – so in den Projekten So einfach war das (Hanno Loewy, 2004), Ein gewisses jüdisches etwas (Katarina Holländer, 2010) oder der Ausstellung Jukebox. Jewk­ box. Ein jüdisches Jahrhundert auf Schellack und Vinyl (Hanno Loewy, 2014). In all diesen Ausstellungen waren vorab Menschen um Objekte, Bilder, Geschichten gebeten worden, deren Diskurs schließlich die Ausstellung mitgestaltete. Und es fordert Gestaltungsideen, die die Besucher nicht nur zu den Objekten in Beziehung setzen  – genauer, ihnen einen Entscheidungsspielraum möglicher Beziehungen anbieten –, sondern sie auch zueinander in Beziehung treten lassen, zu der unendlichen Vielfalt menschlicher Möglichkeiten, für die das Museum einen zivilen Rahmen schafft. Entfaltete die Ausstellung über Konversionen und Konvertiten Treten Sie ein! Treten Sie aus! Warum Menschen ihre Religion wechseln (Hannes Sulzenbacher mit Regina Laudage, 2012) ein biografisches Suchspiel zwischen verschiedenen Formen des Übergangs, das die Besucher mit ihren eigenen Glaubenszweifeln, Widersprüchen und Sehnsüchten konfrontierte, so forderte in der Jewkbox die gigantische Theke eines utopischen

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›jüdischen Plattenladens‹ geradezu dazu auf, sich gegenseitig beim Eintauchen in individuelle Geschichten über existenzielle Erfahrungen mit Schallplatten zu beobachten und irgendwann das Heft selbst in die Hand zu nehmen und die Gelegenheit des zufälligen Gegenübers zu ergreifen, um eine Geschichte loszuwerden, die man schon ein halbes Leben lang mit sich herumgetragen hatte. Dabei verwandelten die Besucher schließlich selbst ganz Privates in Populäres, nahmen an dem ›Sich-selbst-neu-erfinden‹ teil und fügten angesichts von Traditionsverlust und Migration, des Wunsches nach Anerkennung und Zugehörigkeit der in weiten Teilen ›jüdischen Geschichte‹ der populären Kultur und der Musikindustrie des 20. Jahrhunderts ein neues Kapitel hinzu. In einem Projekt haben wir diese Haltungen – Ironie, Spiegelung, Ambivalenz, Partizipation – auf die Spitze getrieben. In der Ausstellung Was Sie schon immer über Juden wissen wollten… aber bisher nicht zu fragen wagten (Hannes Sulzenbacher, 2012) haben wir den Status des Ausstellungsobjekts selbst radikal infrage gestellt. Und jene Fragen, die Besucher in Jüdischen Museen gerne stellen würden, sich aber manchmal nicht zu fragen ›trauen‹, offen artikuliert und an die Besucher zurückgespiegelt. Denn oftmals erweisen sich die Fantasien und Vorstellungwelten hinter solchen Fragen als spannenderes Thema als ihr Gegenstand selbst. So konfrontierten wir die Besucher mit widersprüchlichen Antworten und mit Objekten, denen auf den ersten (und auch noch den zweiten) Blick oftmals nicht anzusehen war, ob es sich um ein Dokument oder ein Kunstwerk, um ›Fake‹ oder ›Realität‹ handelte. Emblematisch dafür stand natürlich ein Objekt, das bislang immer demonstrativ als ›Kunstwerk‹ ausgestellt wurde, das Lego-Auschwitz von Zbigniew Libera: Sieben an Lego-Packungen erinnernde Schachteln, aus deren Inhalt sich Auschwitz im Kinderzimmer nachbauen lässt, Leichenberge und SS-Männer inklusive, genauso wie es die üblichen Fotos auf der Packung vorwegnehmen. Libera brauchte dazu nur handelsübliche Lego-Bausteine und die Fantasie der Ausstellungsbesucher, um einen Skandal zu provozieren, der keiner war: Darf Kunst das? Doch mit der Frage verbunden ›Kann man einen Schlussstrich unter die Shoah ziehen?‹, begannen manche Besucher das Objekt ›misszuverstehen‹ und sich tatsächlich zu fragen, warum Lego jetzt auch noch das letzte Tabu überschreitet. Sie kamen damit dort an, wo Libera sie haben wollte, in einen Zustand, in dem Realität und Fantasie nicht mehr einfach zu trennen sind und sich wirklich radikale Fragen stellen. Auch Yael Bartanas Projekt über ein fiktives, oder genauer, nur innerhalb ihres Kunstwerks real existierendes Jewish Renaissance Movement in Poland (auf der Biennale 2013 in Venedig im sicheren Kokon der Kunstwelt präsentiert) wurde im Mini-Kino der Hohenemser Ausstellung zum Objekt der Frage ›Gehören alle Juden nach Israel?‹ und zum Streitfall unter Besuchern, ob es diese ketzerische Bewegung (und ihre Aufforderung nach Polen ›zurückzukehren‹) wirklich gibt und vor allem: ›Was wäre, wenn …‹

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Harley Swedler unterlief mit seinem Karaoke-Video zur Frage, wo Juden heimisch sein können, alle Grenzen. Zu den Klängen von »Edelweiß« imitierte er täuschend echt den singenden Christopher Plummer (der 1965 in der Kinofassung von Sound of Music Baron von Trapp spielte), allerdings unbekleidet auf einer Wiese sitzend, hinter seinem eigenen Haus auf Long Island. Zu einer vielen Besuchern unbehaglichen Form der Partizipation lud ein Mikrofon und die Frage ein: ›Darf man Jude sagen?‹ Wer sich traute, hörte sich fünf Sekunden später selbst und durfte dann die Frage beantworten: ›Klang es so, wie Sie es gemeint haben?‹ Zoya Cherkasskys Installation zweier identischer, etwas aufgedunsener Cola-Flaschen aus Aluminiumguss, die eine mit hebräischer, die andere mit arabischer Aufschrift, kommentierte als Objekt die Frage ›Sollen Israelis und Palästinenser in einem oder zwei Staaten leben?‹ und legte damit die ketzerische Antwort nahe, dass es darauf vermutlich gar nicht ankommt. Der Koscher-Stempel der Gemeinde Hüttenbach schließlich, eine Leihgabe aus dem Jüdischen Museum Franken, wurde zur Frage ›Was ist koscher?‹ so präsentiert, dass man ihn nicht richtig sah und einem nichts anderes übrigblieb als zu glauben, dass dies ein echter Koscher-Stempel sei. (So wie man dem Koscher-Stempel ja auch sonst glauben muss, dass er ›echt‹ ist, obwohl er das, wie man weiß, nicht immer ist …) Die Diskussionen, die diese Ausstellung auslöste, zwischen den Besuchern genauso wie zwischen den Kollegen, waren in jedem Fall sehr real. Und am Ende der Ausstellung konnte jeder und jede uns eine in der Ausstellung nicht gestellte und unbeantwortete Frage in einem Briefkasten hinterlassen. Die haben wir dann in einem Internet-Blog ganz ernsthaft beantwortet. Jede! Wer sich das anschauen möchte ist auch heute noch herzlich eingeladen.5

Abbildung 1: Hanno Loewy, Harley Swedler und »Edelweiss« 5 | Siehe www.wassieschonimmerueberjudenwissenwollten.at/ vom 13.04.2016.

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Abbildung 2: In der Ausstellung Was Sie schon immer über Juden wissen wollten …

Abbildung 3: Zbigniew Liberas »Lego-Auschwitz« in der Ausstellung Was Sie schon immer über Juden wissen wollten …

Abbildung 4

Partizipation in Stadtgeschichtemuseen Paul Spies Das Konzept der Vermittlung unterliegt einem ständigen Wandel. Ein modernes Museum motiviert seine Besucher_innen zur aktiven Partizipation. Das Amsterdam Museum (bis 2011 Amsterdams Historisch Museum) experimentiert seit über vierzig Jahren im Bereich der Vermittlung und sucht weiterhin nach der wirksamsten Art und Weise, wie verschiedene Zielgruppen erreicht werden können. Ich möchte mich im Folgenden auf zwei Projekte konzentrieren, die für diese Bemühungen beispielhaft sind: Buurtwinkels (Nachbarschaftsläden, 2011) und Turkse Pioniers (Türkische Pioniere, 2012). Im Zuge beider Projekte versuchte man Stadtbewohner_innen zu erreichen, die nicht zu den üblichen oder klassischen Museumsbesucher_innen gehören. Beide Projekte wurden in lokalen Nachbarschaften umgesetzt. In beiden Fällen versuchten wir, das Wort an die Besucher_innen weiterzugeben und sie zu den Geschichtenerzähler_innen zu machen. Unserer Ansicht nach fielen (und fallen) beide Projekte hauptsächlich in den Zuständigkeitsbereich eines Stadtmuseums. In beiden Fällen schafften wir es, unsere Ziele zu erreichen; nach genauerer Evaluierung mussten wir uns jedoch auch eingestehen, dass es noch Verbesserungspotential gibt.

D as A msterdam M useum und seine Z weigstellen Das Amsterdam Museum wurde 1975 an seinem aktuellen Standort, dem ehemaligen städtischen Waisenhaus1, eröffnet. Das Museum ist in einem kunstvollen Gebäudekomplex aus dem 17. Jahrhundert untergebracht. Das Waisenhaus wurde am Originalstandort eines verborgenen Klosters erbaut und liegt versteckt hinter den Häusern der Kalverstraat, die viele Jahrhunderte über die beliebteste Einkaufsstraße der Stadt war. Die drei Eingänge des Museums sind schwer zu finden, außer für Tourist_innen, die den unauffälligen Wegwei1 | Zu den Ursprüngen und der Geschichte des Amsterdam (Geschichts-)Museums vgl. R. Kistemaker (Hg.): Barometer van het stadsgevoel.

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sern in den Straßen oder den Richtungsangaben in ihren Reiseführern folgen. Mehr als die Hälfte der Museumsbesucher_innen machen daher ausländische Tourist_innen aus, die die wunderschön restaurierten Innenhöfe bewundern. Das Gebäudeinnere stellt sich als Labyrinth aus Räumen dar, die durch zahllose Stufen und Treppen miteinander verbunden sind. Es ist daher recht schwierig, den Besucher_innen eine klare und nachvollziehbare Besichtigungsroute anzubieten. Für Besucher_innen mit Behinderung gestaltet sich der Besuch sehr kompliziert; einige Teile des Gebäudes sind für sie nicht zugänglich. Im Jahr 1975 war dies offensichtlich kein Thema, heute bezweifeln wir jedoch, dass eine solche Institution demokratisch sein kann. Daher gab die Kunstabteilung der Stadt Amsterdam kürzlich dem Kulturstadtrat den Auftrag, ein Gebäude zu finden, das sichtbarer und leichter zu finden und damit besser dazu geeignet ist, die reichhaltige Amsterdamer Sammlung zu beherbergen und Besucher_innen barrierefreien Zugang zu ermöglichen. Dies wird dem Kuratorium des Amsterdam Museums die Möglichkeit geben, das Konzept des Stadtgeschichtemuseums völlig neu auszuarbeiten. Die Stiftung Amsterdam Museum, die privatisierte Institution, die das Museum seit 2009 leitet, hat einen doppelten Auftrag: 1. Sie soll sich um die Amsterdamer Sammlung (die historischen Objekte und Kunstgegenstände, die [größtenteils] noch aus der Zeit vor 1900 stammen) und drei Gebäude kümmern: Das Hauptgebäude, das Kanalhausmuseum Willet-Holthuysen und das neue Lager im Norden Amsterdams. 2. Sie soll die Amsterdamer Sammlung und ihre klassische Kunstsammlung der Öffentlichkeit präsentieren und die Stadtgeschichte erzählen. Der zweite Auftrag gestaltet sich besonders komplex aufgrund der vielfältigen dualistischen Ansprüche eines Stadtmuseums in einer beliebten Tourist_innenstadt mit einer großen Museumsdichte und einer prestigereichen Kunstsammlung, wie dies auch der Fall des Amsterdam Museums ist. Das wirft Fragen auf, wie etwa: • Sollten wir uns auf den populären künstlerischen und kunsthistorischen Aspekt konzentrieren, was uns viele Besucher_innen bringen wird, oder sollen wir das Augenmerk auf das Geschichtenerzählen legen, um so Zielgruppen zu erreichen, die nicht das klassische Museumspublikum darstellen? • Sollten wir uns auf Tourist_innen spezialisieren, die das Museum besonders für seine Ausführungen zum niederländischen Goldenen Zeitalter (17. Jahrhundert) und zur liberalen Gesellschaft (seit den 1970er Jahren) schätzen, oder sollten wir uns auf die heutigen und ehemaligen Stadtbewohner_

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innen konzentrieren, die hauptsächlich an ›Nostalgie‹ und/oder aktuellen sozialen Themen interessiert sind? • Sollten wir das Museum eher als Freizeitattraktion bewerben oder uns als wissenschaftliches Institut für Forschung und öffentlichen Diskurs präsentieren? Tatsächlich wird von uns natürlich erwartet, allen obengenannten Ansprüchen gerecht zu werden; mit dieser Situation sehen sich auch die meisten anderen Stadtmuseen konfrontiert.2 Möchte man jedoch all diese Gruppen gleichermaßen erreichen, kommuniziert das Haus nach außen ein unklares Image, was marketingtechnisch keine gute Idee ist: Wer versucht ›alle‹ zu erreichen, erreicht am Ende fast niemanden. Aus diesem Grund hat das Amsterdam Museum bereits einige Standorte mit unterschiedlichen Angeboten für verschiedene Zielgruppen entwickelt. Wir überlegen, die Sammlung zu teilen und in weitere permanente bzw. temporäre Standorte zu verlegen. Ein gutes Beispiel dafür ist die neue Dauerausstellung Galerie des Goldenen Zeitalters, die wir in einem der beiden Flügel der Hermitage Amsterdam untergebracht haben, einer (unabhängigen) niederländischen Zweigstelle der Eremitage in St. Petersburg. Dort stellen wir eindrucksvolle Gruppenportraits aus dem 17. Jahrhundert aus, die hauptsächlich Kunstliebhaber_innen aus Holland und dem Ausland anziehen. Natürlich kombinieren wir diese großartigen Kunstwerke mit Erzählungen über die bekannte ehemalige niederländische Republik; die größte Attraktion bleibt für die Besucher_innen allerdings die Kunst, die stets den Angelpunkt der Wechselausstellungen unserer Partner_innen in der Hermitage Amsterdam darstellt. Wir nutzen den Ruf unserer Partner_innen also, um für die großartigen Kunstwerke unserer Sammlung mehr Aufmerksamkeit zu gewinnen und dadurch in weiterer Folge erfolgreicher zu werden: Wir erleben nun ein wöchentliches Plus von 4000 bis 5000 Besucher_innen. Erst nachdem die Besucher_innen die Ausstellung betreten haben, erfahren sie, dass der tatsächliche Kurator und Betreiber das Amsterdam Museum ist. So kommen wir unserer Pflicht nach, unsere Meisterwerke auszustellen, und können uns andernorts auf andere Zielgruppen konzentrieren. Ich möchte nun in der Folge das Augenmerk auf diese Zielgruppen und die Angebote legen, die wir für sie entwickelt haben: Die Bewohner_innen der Nachbarschaften (Buurtwinkels) und die türkisch-niederländische Community (Turkse Pioniers in Amsterdam).

2 | P. Spies: Verbinding aangaan, S. 13–18; R. Kistemaker: Barometer van het stadsgevoel, S. 45–48.

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D as dualistische M useum : B ildung und Partizipation Bevor ich jedoch beschreibe, wie wir diese Communities zu erreichen versuchen, möchte ich noch kurz die generelle Entwicklung der Vermittlung umreißen. Museen, besonders Stadtmuseen, werden sich immer klarer darüber bewusst, dass ihre Besucher_innen nicht als bloße Informationsempfänger_innen wahrgenommen werden sollten. Ein modernes Museum ermutigt sein Publikum dazu, eine aktive Rolle zu übernehmen.3 Daher verwenden zeitgenössische Vermittler_innen viel Zeit darauf, neue Mittel zur Kommunikation mit ihrem Publikum zu finden. Ich möchte hier jedoch betonen, dass diese Vermittler_innen auch mit ›konservativeren‹ Methoden arbeiten müssen, besonders in Geschichtsmuseen. Viele Besucher_innen, sowohl jüngere als auch ältere, erwarten von Geschichtsmuseen, dass sie ihnen geschichtliche Ereignisse nacherzählen und ihnen erklären, welche Auswirkungen diese Ereignisse auf die Stadt hatten. Sie wollen zuerst sehen, hören und verstehen, bevor sie sich dazu ermutigt fühlen, sich mit ihrem eigenen Wissen, ihren Ideen oder Gefühlen einzubringen. Es stört sie sogar, wenn das Museum vorerst keine Informationen bietet, da sie das Museum zuallererst als aktive Freizeit- und Bildungseinrichtung wahrnehmen und nicht als eine zur Selbsthilfe ermutigende Institution oder als Workshop-Organisatorin. Sie denken: »Wir haben doch Eintritt bezahlt, oder etwa nicht?« Die Kernzuständigkeit der (Geschichts-)Museumsvermittler_innen liegt also darin, zu forschen, zu schreiben und zu erzählen. Der dualistische Charakter bedeutet aber, dass das Museum nach der Erfüllung dieser Pflicht umschalten und Fragen stellen und zuhören muss. Letzten Endes müssen sie die Besucher_innen dabei unterstützen, indem sie den partizipatorischen Inhalt in einen größeren Zusammenhang setzen. Viele neue Werkzeuge wurden entwickelt, um diese beiden Seiten der Vermittlung von Anfang an zu kombinieren. Die Einbindung neuer Medien ist in diesem Zusammenhang unverzichtbar. In die Dauerausstellung zur Stadtgeschichte, Amsterdam DNA, integrierten wir beispielweise ein Computerspiel, in dem jede/r Besucher_in die eigene dominierende Amsterdam-DNA-Komponente entdecken kann (»Sind sie eher Unternehmer_in, kreativer Geist, Freidenker_in oder Weltverbesserer_in?«). Nachdem das Ergebnis dieser spielerischen Selbstanalyse offenbart wird, können die Besucher_innen eine App herunterladen, das sie an jene historischen Schauplätze der Innenstadt führt, die zu ihrer dominierenden Amsterdam-DNA-Komponente passen. Wir nennen das bereits interaktiv, gehen aber dabei noch nicht so partizipatorisch vor, wie es Nina Simon in ihrem Text The participatory museum 3 | N. Simon: The Participatory Museum; A. Odding: Het disruptieve museum.

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(2010) beschreibt. Für tiefergehende Partizipation müssen die Museen die Besucher_innen einbinden und sie zu ihren Erfahrungen, Erlebnissen und Ideen befragen. Unsere Website und soziale Medien sind in diesem Zusammenhang von grundlegender Bedeutung. Die erste bekannte interaktive Website, die das Amsterdam Museum entwickelte, die nach wie vor als Inspiration für viele ähnliche Seiten dient, war Het Geheugen van Oost (Das Gedächtnis von Amsterdam-Ost, seit 2002). Für dieses Projekt verfassten Museumsfachleute, ehrenamtliche Mitarbeiter_innen und Besucher_innen zahlreiche Geschichten zu einem bestimmten Stadtviertel. Diese erste tatsächlich interaktive Museumswebsite gibt es noch immer und wird heute von einer unabhängigen ehrenamtlichen Gruppe betreut.4 In der ersten Entwicklungsphase der meisten unserer Projekte forschen wir nach Inhalten, indem wir eine Website zum Thema online stellen und unser Publikum dazu einladen, Geschichten beizusteuern. So umfasste etwa die Ausstellung Football Hallelujah! (2014) Objekte und Geschichten, die wir zum Teil über die Projektwebsite gesammelt hatten. Noch weiter ging die Ausstellung Johan en ik (Johan und ich, 2013), die sich um die Zusammentreffen zwischen Fans und dem berühmten niederländischen Fußballspieler Johan Cruyff drehte. Website und Ausstellung bestanden ausschließlich aus den Fotos und Geschichten der Menschen, die Cruyff getroffen hatten, von denen uns die meisten über die Website und die Social Site Het Hart (Das Herz) erreichten. Kürzlich entwickelten wir mit fünf niederländischen Partnermuseen das Projekt Mix Match Museum, im Zuge dessen unser Publikum eine eigene Ausstellung aus den Sammlungen der teilnehmenden Museen zusammenstellen konnte: Interessierte konnten zuerst online ihre Ideen präsentieren und später  – sollte diese Idee von einer Jury ausgewählt worden sein  – wurde diese schließlich im tatsächlichen Museum realisiert.5 Vier aus nahezu hundert Vorschlägen für das Amsterdam Museum wurden ausgewählt. Die ›Gewinner_innen‹ waren auch an der Umsetzung ihrer Ausstellungen beteiligt (April bis Juli 2015).

N achbarschaf tsl äden Stadtmuseen sind per definitionem etwas Partizipatives: Jede/r Bewohner_in könnte theoretisch mit ihrer bzw. seiner persönlichen Geschichte als Teil der gesamten Stadtgeschichte einen Beitrag leisten. Das Stadtmuseum kann von den Beiträgen profitieren, die die Bewohner_innen liefern und so die Stadt4 | Siehe: www.geheugenvanoost.nl/ vom 19.8.2016. 5 | Siehe: www.mixmatchmuseum.nl/home vom 18.8.2016.

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geschichte niederschreiben. Auch die Stadt selbst kann von solchen Projekten profitieren, wenn diese ein aktuelles, relevantes Thema behandeln. Ein Beispiel dafür stellte das ehrgeizige und umfassende Projekt Buurtwinkels (Nachbarschaftsläden, 2011) dar. Im Jahr 2008 begann man mit den Forschungen für dieses Dauerprojekt. Es wurde damals als Amsterdamer Beitrag zu einem größeren europäischen Projekt, Entrepreneurial Cultures in European Cities (Unternehmenskulturen in Europäischen Städten),6 lanciert. Gemeinsam mit Forschungsinstituten und Partner-Stadtmuseen aus ganz Europa stellten wir die Entwicklung fest, dass seit den 1990er Jahren die meisten kleinen Nachbarschaftsläden von Migrant_innen übernommen worden waren. Diese Tatsache verleiht dem ›traditionellen‹ Charakter und der Atmosphäre dieser Nachbarschaften ein multikulturelles Erscheinungsbild. Dank dieser geschäftstüchtigen, fleißigen und genügsamen neuen Einwohner_innen bleiben viele kleine Läden in den Nachbarschaften trotz der weiter zunehmenden Dominanz der großen Supermärkte erhalten. Das Überleben kleiner Geschäfte scheint für die Bewohner_innen der Nachbarschaft sehr wichtig zu sein: Diese beleben die Straßen und machen sie sicher, ermöglichen soziale Interaktion innerhalb und zwischen den unterschiedlichen Communities, sowie persönliche Dienstleistungen für Kund_innen, die diese benötigen. Auf der anderen Seite wird die Geschäftsübernahme durch Migrant_innen von Einheimischen als entfremdend empfunden: Diese neigen dazu, nostalgisch in ihren Jugenderinnerungen zu schwelgen, als »alles besser war« (ob dies nun stimmt oder nicht). Aus der Perspektive des Amsterdam Museum eignete sich dieses Thema perfekt für die Einbindung der Nachbarschaften in die Arbeit des Museums. Wir entwickelten ein komplexes Programm, das eine große Ausstellung im Museum (Buurtwinkels, März bis August 2011), gleichzeitig zwei temporäre Museumszweigstellen in den Nachbarschaften, eine aufwändige Website (die 2009 als Teil des partizipatorischen Forschungsprogramms gestartet wurde) und viele weitere Angebote, die das Museum bzw. andere Partner_innen beitrugen, umfasste. Möglicherweise zum ersten Mal in der Geschichte des Museums lag für die Museumsfachleute der Schwerpunkt nicht auf der Ausstellung im Hauptgebäude, sondern auf der tatsächlichen Verbindung aller Teilprojekte zu einem Gesamtprojekt. Die Website und die Museumszweigstellen standen der zentralen Ausstellung um nichts nach. Außerdem wurde hier erstmals die Arbeitsroutine der Museumsangestellten durchbrochen: Etwa die Hälfte der Angestellten diente als ›Geschichtenerzähler_innen‹ und Veranstaltungsorganisator_innen in den Nachbarschaften und Museumszweigstellen. In dieser Hinsicht stellte Buurtwinkels für das Museum ein äußerst innovatives Projekt

6 | R. Klags et al.: Involving new audiences.

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dar, dessen Ergebnisse und Evaluierung veröffentlicht wurden.7 Die wichtigsten Schlussfolgerungen lauteten wie folgt: Buurtwinkels war wohl innovativ, aber ziemlich teuer und die Ergebnisse in Zahlen eher bescheiden. Das Museum wendete für das Projekt geschätzte 350.000 € auf, ohne die Arbeitsstunden der Mitarbeiter_innen einzuberechnen.8 Etwa die Hälfte des Budgets stammte aus Spezialfonds; dem Fonds voor Cultuurparticipatie (Fonds für Kulturpartizipation) und der partizipatorischen Abteilung des Mondriaan Fonds, dem staatlichen Kunstfonds. Ein Mitglied des Museumsvorstands stellte fest: »Eine Besucherin oder ein Besucher der lokalen Zweigstellen ist mindestens zehn Besucher_innen des zentralen Museums wert.« Dies illustriert, dass die Partizipation jener Menschen, die nicht als gewöhnliche Museumsbesucher_innen gelten, eines der wichtigsten Ziele dieses Projekts ausmachte. Hier stellte sich die Frage, ob diese temporären Bemühungen auch zu einem dauerhaften Ergebnis geführt hatten. Brachten sich die ›Newcomers‹ auch nach dem Einstieg, den wir ihnen mit Buurtwinkels anboten, weiterhin in kulturelle Aktivitäten ein und engagierten sie sich in geschichtsbezogenen Einrichtungen? Das ist schwer zu sagen, jedoch gibt es die Website nach wie vor und neue Geschichten lassen sie weiter wachsen und die Ausstellung in einer der beiden Museumszweigstellen wurde vom lokalen Ladenbesitzer (dem Eigentümer des türkischen Teehauses, der schließlich sogar damit begann, selbst historische Gegenstände aus lokalen Läden zu sammeln und auszustellen!) weitergeführt. Zudem wird in manchen Straßen in den Schaufenstern bestimmter Geschäfte noch immer die Geschichte der jeweiligen Läden präsentiert. Möglicherweise von größter Bedeutung ist außerdem die Tatsache, dass viele der Kontakte, die das Museum in den Nachbarschaften knüpfen konnte, noch immer bestehen. Das Museum entwickelte also ein nützliches Netzwerk in den Nachbarschaften, das nur darauf wartet, für das nächste CommunityProjekt aktiviert zu werden. Darüber hinaus sind wir der Meinung, dass wir einen Beitrag zur politischen Diskussion über den Wert der kleinen Läden in den Nachbarschaften 7 | A. van Eekeren (Hg.): In de aanbieding. 8 | A. van Eekeren (Hg.): In de aanbieding. Im Rahmen dieses Budgets nahmen etwa 400 Läden am Projekt teil, 15.000 bis 20.000 Personen besuchten die zentrale Ausstellung, etwa 2.500 Personen besuchten die beiden Museumszweigstellen in den Nachbarschaften und gaben persönliche Interviews, mit denen sie einen Beitrag zur Ausstellung leisteten (etwa 50 Prozent von ihnen waren noch nie zuvor im Amsterdam Museum gewesen), etwa 80.000 Personen besuchten die Website, 500 persönliche Geschichten zu 300 unterschiedlichen Geschäften wurden gesammelt und auf der Website veröffentlicht, 130 Portraits heutiger Ladenbesitzer_innen wurden erarbeitet, 50 Veranstaltungen organisiert, 180 Gegenstände gesammelt und 60 Institute arbeiteten zusammen.

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generell und speziell in den Vierteln, in denen wir aktiv waren, leisteten. Die Ladenbesitzer_innen in Amsterdam-Ost (Javastraat), wo wir den vorderen Teil des erwähnten türkischen Teehauses mieteten, gingen gestärkt aus dem Projekt hervor. Seit damals ist sich auch der große Supermarkt seiner Verantwortung gegenüber seinen kleinen Pendants in der Straße stärker bewusst. Die Wohnbaugenossenschaft, die hauptsächlich die Sanierung der Nachbarschaft in Amsterdam-Nord übernimmt, wo wir im Rahmen unserer zweiten Zweigstelle aktiv waren, ist sich nun der Bedeutung kleiner Nachbarschaftsläden noch stärker bewusst und hat seit dem Projekt kleine Geschäfte auf systematische Art und Weise gefördert. Wir sollten uns jedoch auch vielen kritischen Beobachtungen stellen: • Die Ausgaben pro Teilnehmer_in sind ziemlich hoch (hauptsächlich wurden sie von Fonds und Projektbeteiligten wie Wohnbaugenossenschaften und Lokalbehörden durch einmalige Subventionen getragen). • Die (eher teure) zentrale Ausstellung hätte wegfallen können, wenn wir uns auf unser Hauptziel – die Einbindung neuer Einwohner_innen in die Nachbarschaften – beschränkt hätten. • Das Betreiben eigenständiger, temporärer Museumszweigstellen ist ein sehr kompliziertes und teures Unterfangen. Es hätte sich daher gelohnt, wenn wir uns in bereits bestehenden, gut besuchten Standorten niedergelassen hätten, wie etwa lokale Ausstellungshäuser, Theater und Büchereien. • Viele partizipatorische Beiträge wurden von gebildeten, ›traditionellen‹ Museumsbesucher_innen geleistet. Viele von ihnen lieferten uns nostalgische Geschichten über ›historische Begebenheiten‹. Beim Sammeln der meisten Geschichten von Migrant_innen mussten die Museumsmitarbeiter_innen (äußerst!) aktiv vorgehen; die Adressierten brachten sich also nicht in einem Ausmaß ein, wie wir uns das erhofft hatten. • Der politische Einfluss eines Museums in einer Gegend, in der mächtige Akteure große Investitionen in das Stadtbild tätigen, sollte nicht überschätzt werden. Man hörte uns mit einem höflichen Lächeln zu und ging dann weiterhin den eigenen Angelegenheiten nach. Unsere Warnungen vor der Zerrüttung von Communities durch die Gentrifizierung kommen gegen die ständig steigenden Immobilienpreise nicht an. • Es gibt gute Gründe, warum Museumsmitarbeiter_innen keine Streetworker sind: Obwohl sie den Außendienst im Rahmen dieses einen Projekts genossen hatten, waren sie schließlich froh, für das nächste Projekt in ihre Büros zurückzukehren, das in den meisten Fällen ›traditionellere‹ Museumsarbeit umfasste.

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T ürkische P ioniere Vor diesem Hintergrund arbeitete das Amsterdam Museum in der Folge mit lokalen Institutionen zusammen, um die Endergebnisse des nächsten Nachbarschaftsprojekts zu präsentieren. Das Projekt Turkse Pioniers in Amsterdam (Türkische Pioniere in Amsterdam, 2012) war Teil eines größeren Projekts, das die 400-jährige Geschichte der türkisch-niederländischen Beziehungen feierte. Unser Ziel war es, sowohl historische als auch aktuelle Bezugspunkte zwischen den in Amsterdam geborenen Einwohner_innen und den türkischen Migrant_innen zu schaffen. Wir wollten dabei so viele Migrant_innen wie möglich erreichen. Dieses Mal (wir hatten aus dem Nachbarschaftsläden-Projekt gelernt) beschlossen wir, dass die zentrale Ausstellung im Hauptgebäude auf das traditionelle Museumspublikum abzielen sollte. Daher befasste sich der Großteil der Ausstellung mit dem niederländischen Goldenen Zeitalter, in dem die Kontakte mit dem Osmanischen Reich ihren Ausgang nahmen und das sich nach wie vor ungetrübter Beliebtheit erfreut. Um diese – aus niederländischer Sicht – abenteuerreiche Periode zu illustrieren, konnten wir auf eine spektakuläre Sammlung alter Kunstobjekte zurückgreifen, die die historischen Gegebenheiten im Istanbul des 17. und 18. Jahrhunderts beleuchten und vom Rijksmuseum ausgeliehen werden konnten. Gemeinsam mit einer Reihe von schönen, aktuellen fotografischen Portraits von Menschen in der Türkei mit niederländischen Wurzeln, erreichten wir als größte Zielgruppe jene niederländischen Besucher_innen, die zum klassischen Publikum des Amsterdam Museums gehören. Gleichzeitig erhofften wir uns eine substanzielle Anzahl von Amsterdamer Besucher_innen mit türkischen Wurzeln. Wir sind nicht sicher, ob wir damit erfolgreich waren. Um die türkische Community Amsterdams besser zu erreichen, wählten wir für die Ausstellung über die Pioniere aus der Türkei einen Standort, den diese gut kennt: das Areal der ehemaligen Schiffswerft Nederlandsche Scheepsbouw Maatschappij (NDSM) in Amsterdam-Nord. Viele der frühen ›Gastarbeiter_innen‹ aus den 1970er Jahren fanden ihren ersten Arbeitsplatz in dieser Werft, die bereits vor einigen Jahrzehnten ihre Tätigkeit eingestellt hat. Seit damals entwickelte sich dieses ehemalige Industriegebiet zu einer hippen Gegend für den Kreativsektor: Künstler_innen, Designer_innen, Multimedia- und Internetproduktionsfirmen, TV- und Filmproduktionsunternehmen etc. ließen sich nieder. Eine dieser neuen Nutzerinnen ist Nieuw Dakota,9 ein zeitgenössisches Ausstellungshaus. Wir waren etwas überrascht, dass dieses gehobene und anspruchsvolle Ausstellungshaus offenbar daran interessiert war, unsere Ausstellung zu den ersten türkischen ›Gastarbeiter_innen‹ zu beherbergen. Diese bestand aus 9 | Siehe: www.nieuwdakota.nl vom 18.8.2016.

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kunstvollen Portraits von sechs türkisch-niederländischen Männern, die als Arbeiter in der Werft beschäftigt gewesen waren, und umfasste Schrift- und Filmmaterial, sowie Gegenstände und alte Fotografien. Sie wurden als stolze Helden dargestellt, die ihr Heimatland auf der Suche nach einer besseren Zukunft für sich und ihre Familien verlassen hatten. Den Ansprüchen der Institution entsprechend wurde die Ausstellung sehr geschmackvoll gestaltet. Alles klappte hervorragend: Von der Eröffnung an nutzten die älteren ehemaligen ›Gastarbeiter_innen‹ und ihre Familien und Freund_innen die Gelegenheit, den Ausstellungsbesuch mit einem Besuch der alten Werft zu verbinden, einem Ort, der für viele trotz der harten Arbeit, die sie hier zu leisten hatten, einen nostalgischen Wert hatte. Die Kunstinstitution konnte schließlich freudig verkünden, dass innerhalb von 40 Tagen nach der Ausstellungseröffnung hunderte Amsterdamer_innen mit türkischen Wurzeln die Ausstellung besucht hatten. Im Gästebuch und auf der Ausstellungswebsite hinterließen viele Besucher_innen  – und andere interessierte Menschen  – Geschichten mit ihren persönlichen Erfahrungen. Kinder und Enkel sahen ihre Eltern und Großeltern in einem neuen Licht: Sie verstanden nun ihre eigene Geschichte besser und wegen des respektvollen, sogar anspruchsvollen Charakters der Ausstellung konnten sie auf diese Geschichte stolz sein. Vielen niederländischen Besucher_innen wurde bewusster, welch mutige und tapfere Persönlichkeiten diese ersten ›Gastarbeiter_innen‹ doch gewesen waren. Auf den Punkt gebracht: Ihr Ansehen änderte sich, und aus ›fremden Verlierer_innen‹ wurden ›exotische Pionier_innen‹. Möglicherweise war Turkse Pioniers in Amsterdam nicht zu einem derartig hohen Maße partizipatorisch, wie von Simon in ihrer bahnbrechenden Publikation zur Partizipation beschrieben,10 da das Projekt letztlich mit traditionellen Methoden des Kuratierens und Vermittelns realisiert wurde. Es demonstrierte jedoch den potentiellen Einfluss partizipatorischer Prozesse auf die Gesamtagenda des Amsterdam Museums: Das Projekt zeigte, dass in der Stadtgeschichte nahezu jeder persönlichen Geschichte historische Relevanz zukommt. Es geht aber um mehr: Durch das Sammeln und Präsentieren dieser Geschichten versucht das Stadtmuseum die Geschichte von MinderheitenCommunities einzubeziehen, die im Gesamtbild der Stadtgeschichte traditionellerweise nicht repräsentiert wurden.

10 | N. Simon: The Participatory Museum.

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Abbildung 1: Portraitgalerie des Goldenen Zeitalters, Eremitage Amsterdam, 2014. Diese Galerie ist ein Ableger des Amsterdam Museums, in dem die großen Gruppen­ portraits des 17. Jahrhunderts ausgestellt sind und das die Geschichte der bürgerlichen Tugenden im Goldenen Zeitalter Hollands erzählt.

Abbildung 2: Amsterdam DNS, Amsterdam Museum, 2011.

Abbildung 3: Türkische Pioniere, Nieuw-Dakota, 2012. Diese Ausstellung des Amsterdam Museums wurde an verschiedenen Standorten außerhalb des Museums auf­ gebaut, so z. B. im ehemaligen Hafen im Norden Amster­ dams, wo die abgebildeten Personen ihre erste Anstellung in Holland fanden.

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Abbildung 4: Der Tresen eines der Ableger des Amsterdam Museums während des Projekts Buurtwinkels, 2011. Personal und Freiwillige des Amsterdam Museums sammelten persönliche Geschichten der Ansässigen über die Geschichte ihres Lieblingsladens in der Nachbarschaft.

Migration exponieren Formen der Repräsentation zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit Thomas Sieber Die Musealisierung der Migration hat Konjunktur. Verschiedentlich ist von einem regelrechten Boom von Migrationsausstellungen die Rede.1 Bestätigt wird dieser Befund durch Forschungsprojekte und Stellungnahmen von Akteuren der Kultur- und Museumspolitik.2 Dies bedeutet nun aber nicht, dass die museale Repräsentation von Migration – verstanden als grenzüberschreitende Wanderungsbewegung – dem Stellenwert jener Entwicklungen entspricht, die zur Bezeichnung der Gegenwart als Zeitalter der Migration geführt haben. Auch für Europa gilt, dass Migrationsphänomene konstitutiv für die politische, soziale und kulturelle Wirklichkeit sind. Um eine Gesellschaft zu beschreiben, die von vielfältigen Migrationsrealitäten durchdrungen ist, hat sich in den vergangenen Jahren der Begriff »Migrationsgesellschaft« etabliert. Auch weil in diesem Kontext »natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsverhältnisse« thematisiert werden, erscheint die Frage, wie Geschichte und Gegenwart von Migration in Nationalmuseen repräsentiert wird, besonders relevant.3 Ein Blick auf die Geschichte des modernen Museums seit dem 18. Jahrhundert macht deutlich, wie eng diese Institution mit der Konstruktion und Durchsetzung der Konzepte Nation und nationale Identität verbunden ist.4 Es ist unstrittig, dass die noch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein postulierte Kongruenz von Kultur, Bevölkerung und Territorium brüchiger geworden ist 1 | Vgl. J. Baur: Die Musealisierung der Migration, S. 11; R. Wonisch: Museum und Migration, S. 14. 2 | Stellvertretend genannt seien C. Whitehead et al.: Migration and Identity in Europe; Deutscher Museumsbund: Museen, Migration und kulturelle Vielfalt. 3 | P. Mecheril: Subjekt-Bildung in der Migrationsgesellschaft, S. 13. Vgl. dazu N. Sternfeld: Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung, S. 14 f. und S. 40 ff. 4 | Vgl. dazu T. Bennett: The Birth of the Museum; S. J. Macdonald: Nationale, postnationale und transkulturelle Identitäten und das Museum.

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und »die Konstruktion der Nation als Kultur-, Geschichts- und Erinnerungsgemeinschaft […] an Überzeugungskraft verloren« hat.5 Wie Nationalmuseen auf diese hier angedeuteten Herausforderungen reagieren, ist Gegenstand zahlreicher Studien.6 Die diagnostizierte »Krise der Inszenierung des Nationalen im Museum« hat insbesondere in kulturhistorisch ausgerichteten Nationalmuseen zur Suche nach neuen Formen der Repräsentation von Nation und alternativen Formen gemeinschaftsstiftender Erzählungen geführt.7 Vor diesem Hintergrund gehe ich der Frage nach, wie Migration in jüngster Zeit in Museen und Ausstellungen im deutschsprachigen Raum im Allgemeinen und der Schweiz im Besonderen thematisiert worden ist. In einem ersten Schritt werde ich einige Tendenzen von Migrationsausstellungen seit Ende der 1990er Jahre identifizieren. Auf dieser Grundlage untersuche ich am Beispiel der 2009 im Landesmuseum Zürich eröffneten Dauerausstellung Geschichte Schweiz die Fragen, wie Migrationsgeschichte erzählt wird, wer sichtbar wird und welche Effekte diese Repräsentation haben kann. Abschließend will ich drei Ausstellungsprojekte aus der Schweiz besprechen, die Fragen im Themenfeld Migration behandelt haben. An ihrem Beispiel sollen Ansätze thematisiert werden, welche die Repräsentation von Migration erneuern, den Diskurs erweitern und Handlungsräume eröffnen können.

M igr ation ausgestellt : Tendenzen im deutschspr achigen R aum Obwohl die Schweiz spätestens seit den 1960er Jahren ein Einwanderungsland ist und Fragen der Ausländer- und Asylpolitik ein wichtiger Gegenstand der Politik sind, ist Migration bis in die 2000er Jahre kein relevanter Gegenstand von Ausstellungen. Museen bringen diesem Themenbereich – ähnlich wie in Deutschland oder Österreich – erst seit Ende der 1990er Jahre Aufmerksamkeit entgegen.8 Gründe dafür gibt es viele. Mit Blick auf die Schweiz möchte ich an dieser Stelle zwei grundsätzliche Aspekte hervorheben. Erstens sind Museen »Identitätsmaschinen«, die »Heimat, Tradition und Zugehörigkeit in erster Linie räumlich [verankern] und in nationale, kantonale, regionale, Tal-, 5 | J. Baur: Die Musealisierung der Migration, S. 60. 6 | Vgl. dazu R. Beier-de Haan: Erinnerte Geschichte – Inszenierte Geschichte, C. Sutherland: Leaving and Longing; C. Whitehead et al.: Museums, Migration and Identity in Europe. 7 | J. Baur: Die Musealisierung der Migration, S. 65. 8 | Vgl. für Deutschland D. Osses: Perspektiven der Migrationsgeschichte in deutschen Ausstellungen und Museen; für Österreich C. Hintermann: Migrationsgeschichte ausgestellt.

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Orts- und Quartiereinheiten [gliedern].«9 In dieser Logik erscheint Migration dann als »bedauerliche Entgleisung« oder gar als »Unterbruch des Normalzustandes«.10 Zweitens ist diese Normalität in der Schweiz in besonderer Weise an eine konsensstiftende Erzählung der Nation als sogenannte »Willensnation« gebunden. Mangels ethnisch-kultureller und politisch-ethischer Einheit wurde seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Narrativ geschaffen, das »Volk« und »Nation«, »Ethnos« und »Demos« in eine Kontinuität und Legitimität schaffende Geschichtserzählung des nationalen Werdens integrierte.11 Migrationsphänomene betreffen aber Geschichten, Gruppen und Konflikte, die Momente der Störung und der Differenz in dieser Erzählung sein können. Da überrascht es nicht, dass sich insbesondere kulturhistorische Museen, die einer Entität wie Nation, Kanton oder Stadt gewidmet sind, als identitätsstiftende »Konsensmanufakturen« lange Zeit schwertun, die Realität einer migrantisch geprägten Gesellschaft anzuerkennen.12 Bei der Repräsentation des Migrationsphänomens in Ausstellungen im deutschsprachigen Raum seit Mitte der 1990er Jahre lassen sich zwei Tendenzen identifizieren. Die erste Entwicklung möchte ich mit den Begriffen Makroperspektive, Normalfall und Integration bezeichnen. Charakteristisch für Ausstellungen wie WIR. Zur Geschichte und Gegenwart der Zuwanderung nach Wien (Historisches Museum der Stadt Wien, 1996), Fremde in Deutschland – Deutsche in der Fremde (Museumsdorf Cloppenburg, 1999) oder In der Fremde. Migration und Mobilität seit der Frühen Neuzeit (Historisches Museum Basel, 2010) sind die zeitübergreifende Perspektive, der Bezug auf große wissenschaftliche Kategorien, der Fokus auf den »›Normalfall Migration‹ in Geschichte und Gegenwart« sowie die Orientierung am Paradigma der Integration.13 Die Ausstellung in Basel entwarf eine Typologie von 18 »Migrationsgründen« – die von »Künstlerreisen« bis hin zu »Politische Verfolgung und Exil« reichten – und wollte mit »repräsentativen Lebensläufen« sowie entsprechenden Exponaten zeigen, dass »Migrationsgeschichte selbstverständlicher Bestandteil der Basler Geschichte« ist.14 Mit der Tendenz, das Migrationsphänomen der Zeit zu ent9 | W. Leimgruber: Immaterielles Kulturerbe – Migration – Museum, S. 72 f. 10 | Ebd., S. 73. 11 | Vgl. dazu R. Argast: Staatsbürgerschaft und Nation; J. Tanner: Nationale Identität und kollektives Gedächtnis. 12 | Zum Begriff Konsensmanufaktur vgl. O. Marchart: Warum Cultural Studies vieles sind, aber nicht alles, S. 8. 13 | D. Osses: Perspektiven der Migrationsgeschichte in deutschen Ausstellungen und Museen, S. 73. Vgl. die Begleitpublikationen: Historisches Museum der Stadt Wien: WIR; U. Meiners/C. Reinders-Düselder: Fremde in Deutschland – Deutsche in der Fremde; Historisches Museum Basel: In der Fremde. 14 | Historisches Museum Basel: In der Fremde, S. 13 f.

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heben, es gleichsam als anthropologische Konstante zu begreifen, ist aber die Gefahr verbunden, dass die Darstellung die Unterschiedlichkeit der Kontexte, die Pluralität der Akteur_innen und die Vielfalt der Konflikte zu wenig berücksichtigt und damit letztlich »einer Banalisierung Vorschub« leistet.15 Die zweite Tendenz bei der Repräsentation von Migration lässt sich mit den Begriffen Mikroperspektive, Multiperspektivität und Partizipation bezeichnen. Neben den wegweisenden Ausstellungen Fremde Heimat  – Yaban, Silan olur. Eine Geschichte der Einwanderung aus der Türkei (Ruhrlandmuseum Essen, 1998) und Gastarbajteri  – 40 Jahre Arbeitsmigration (Wien Museum, 2004), die beide in Kooperation mit einer zivilgesellschaftlichen Organisation entstanden sind, ist hier die Ausstellung Da und fort, Leben in zwei Welten. Immigration und Binnenwanderung in der Schweiz (Museum für Gestaltung Zürich, 1999) zu nennen.16 Auch sie war das Resultat eines partizipatorischen Forschungs- und Ausstellungsprojekts von Migrantinnen, soziokulturellen Animatoren und Wissenschaftlerinnen mit lebensgeschichtlichen Interviews, objektorientierten Gesprächen und dem Auf bau einer Sammlung von Artefakten. Die hier sichtbar werdende Tendenz zeichnet sich aus durch den Fokus auf eine eingegrenzte Fragestellung, den Einsatz von Methoden der Feldforschung und die enge Zusammenarbeit von Museen und Organisationen von und für Migranten_innen. Kritisch zu überprüfen bleibt, inwiefern traditionelle Narrative reproduziert werden, die Kulturalisierung politischsozialer Phänomene vorangetrieben wird und die Kooperation tatsächlich ›auf Augenhöhe‹ stattfindet.17 Ein eher mikrohistorisches, multiperspektivisches und partizipatorisches Profil haben auch zahlreiche Ausstellungen mit regionalem oder lokalem Fokus. Für die Schweiz lassen sich etwa Ausstellungen zu national definierten Migrationsgruppen nennen, in erster Linie zu solchen, die  – wie die Migrant_innen aus Italien – früh und in großer Zahl eingewandert sind. Dieser Geschichte gewidmet haben sich Ausstellungen wie Einen Platz finden: Migrationsgeschichten zwischen Roccavivara und Pratteln (Museum im Bürgerhaus Pratteln, 2010) oder Destinazione Gränichen (Museum Chornhuus Gränichen, 2015).18 Solchen Projekten, die in der Regel auf Alltags- und Kulturgeschichte fokussieren, geht es um das »Sichtbarmachen der Zuwanderer« und die Förde-

15 | R. Wonisch: Museum und Migration, S. 12 f. 16 | Vgl. die Begleitpublikationen von A. Eryilmaz/M. Jamin: Fremde Heimat; H. Gürses/C. Kogoj/S. Mattl: Gastarbajteri; H. Nigg: Da und fort. 17 | Vgl. in Bezug auf das Vermittlungsangebot zur Ausstellung Gastarbajteri R. Höllwart/N. Sternfeld: Es kommt darauf an. 18 | Siehe www.destinazione-graenichen.ch/www.destinazione-graenichen.ch/Start. html vom 13.04.2016; vgl. R. Brassel-Moser et al.: Einen Platz finden.

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rung »der gesellschaftlichen Anerkennung«.19 Ähnliche Ziele haben Ausstellungen wie Ig schaffe z Langetu/Ich arbeite in Langenthal (Museum Langenthal, 2012) oder Ankommen in CH-6010 Kriens (Museum im Bellpark Kriens, 2012) verfolgt. Hier stechen die politischen und pädagogischen Absichten hervor: Die Projekte wollen zur »Rassismusprävention« beitragen und zeigen, »wieso Integration anspruchsvoll, aber auch bereichernd« ist.20 Andere Ausstellungen rücken Themen ins Zentrum, die als besonders relevant für eine Migrationsgesellschaft angesehen werden. So die Ausstellung Feste im Licht. Religiöse Vielfalt in einer Stadt (Museum der Kulturen Basel, 2004), die eine differenziertere Wahrnehmung von »mehrheitlich ›fremden‹ religiösen Traditionen« fördern wollte.21 Der Gegenwartsbezug wird hier durch eine umfassende Partizipation von Angehörigen der repräsentierten Religionsgemeinschaften ergänzt. Anzunehmen ist, dass derartige Projekte dazu beigetragen haben, dass der Gegenwartsbezug von Migrationsausstellungen, der Stellenwert der Vermittlung und die Teilhabe der Repräsentierten größer geworden sind. Die erwähnten Ausstellungen sind Sonderausstellungen und können deshalb nicht als Beleg gegen die These angeführt werden, dass es im deutschsprachigen Raum kaum gelungen sei, Migration im Museum zu verankern. Eine Institutionalisierung von Migrationsgeschichte müsse sich in Dauerausstellungen und in eigens dafür eingerichteten Spezialmuseen manifestieren.22 In Deutschland und der Schweiz gab es entsprechende Initiativen, die aber erfolglos geblieben sind.23 In der Schweiz wurde 1998 der Verein Migrationsmuseum mit dem Ziel gegründet, ein neues Museum zu schaffen, das »die Schweiz als Ein- und Auswanderungsland« darstellen und zu einem »identitätsstiftenden Ort« werden sollte.24 Das ambitionierte Projekt fand keine breite Unterstützung und der Verein wurde 2009 aufgelöst. Seither hält das von Mitgliedern des Verbandes Autorinnen und Autoren der Schweiz (AdS) lancierte Projekt Musée Imaginaire des Migrations (MIM, 2012) – von dem noch die Rede 19 | D. Osses: Perspektiven der Migrationsgeschichte in deutschen Ausstellungen und Museen, S. 87. 20 | Siehe www.bellpark.ch/portfolio-items/ankommen-in-ch-6010-kriens/?portfolio​ ID=2575; www.museumlangenthal.ch/museum/live/Ausstellungen/Sonderausstellun​ gen/Vergangene/April2012.html; www.interunido.ch/cms/upload/files/Ausstel​l ung_​ 2012_Didaktische_Materialien_ juni12_1.pdf vom 13.04.2016. 21 | Siehe www.mkb.ch/sonderausstellungen/festeimlicht/details_d.pdf vom 13.04.​ 2016; vgl. G. Fierz/M. Schneider: Feste im Licht. 22 | Vgl. dazu J. Baur: Die Musealisierung der Migration, S. 11–16; R. Wonisch: Museum und Migration, S. 9–22. 23 | Vgl. zu Deutschland A. Eryilmaz: Migrationsgeschichte und die nationalstaatliche Perspektive in Archiven und Museen. 24 | Samir/M. Hodel: Vorwort, S. 11 f.

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sein wird – die Idee eines Migrationsmuseums am Leben.25 Ob es zielführend ist, Migrationsbewegungen in eigens dafür eingerichteten Museen darzustellen, wird kontrovers diskutiert. Letztlich muss sich jede Ausstellung an der Frage messen lassen, inwieweit sie »neue Diskursräume eröffnen« und »gegenläufige Inhalte im […] herrschenden Gedächtnisdiskurs verankern« kann.26 Zudem sollte die Frage gestellt werden, ob und in welcher Form die Repräsentierten an der Konzeption der Ausstellung teilhaben. Diese Aspekte sollen nun am Beispiel der Dauerausstellung im Landesmuseum Zürich, die ein dem Thema Migration gewidmetes Kapitel enthält, diskutiert werden.

M igr ationsgeschichte in der D auer ausstellung des L andesmuseum Z ürich Das Landesmuseum Zürich ist das zentrale Haus des Schweizerischen Nationalmuseums.27 Es wurde 1898 als »Verkörperung des nationalen Gedankens« eröffnet und sollte das »große Bilderbuch der Schweizergeschichte« zeigen.28 Die damalige Ausstellung war chronologisch angelegt und führte die Besucher_innen von einem »Sammlungssaal mit vorgeschichtlichen Altertümern« durch rund 40 Ausstellungsräume zur sogenannten Waffenhalle, in der das Bild der wehrhaften Eidgenossenschaft in Szene gesetzt wurde: In dieser »Ruhmeshalle der Nation« gipfelte die teleologische Erzählung vom nationalen Selbst. Das 18. und 19. Jahrhundert und damit die von Konflikten geprägte Entstehungsgeschichte der modernen Schweiz fehlten. Erst mit den Sonderausstellungen Sonderfall? Die Schweiz zwischen Réduit und Europa (1992) und Die Erfindung der Schweiz. Bildentwürfe einer Nation (1998) begann das Museum damit, die Geschichte der modernen Schweiz zu einem relevanten Gegenstand seiner Arbeit zu machen. Mit der 2009 eröffneten Dauerausstellung Geschichte Schweiz hat sich das Museum von der Vorstellung verabschiedet, »die ›eine‹ Schweizer Geschichte« erzählen zu können, ohne aber den Anspruch aufzugeben, »die Besonderheiten der Schweizer Geschichte im Kontext ihrer Vernetzung mit europäischen Entwicklungen« darzustellen.29 Strukturiert wird die Ausstellung durch vier Kapitel: Niemand war schon immer da thematisiert die Siedlungs- und Migrationsgeschichte, Glaube, Fleiß und Ordnung die Religions- und Geistesgeschichte, Durch Konflikt zur Konkordanz 25 | Siehe www.mimsuisse.ch vom 13.04.2016. 26 | R. Wonisch: Museum und Migration, S. 18. 27 | Siehe www.nationalmuseum.ch/d/ vom 13.04.2016. 28 | T. Sieber: Das Schweizerische Landesmuseum zwischen Nation, Geschichte und Kultur, S. 17 f. 29 | P. Sarasin: Die Geschichte der Schweiz neu erzählen.

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die Politikgeschichte und Die Schweiz wird im Ausland reich die Wirtschaftsgeschichte.30 Der Titel des ersten Kapitels darf als Statement der Verantwortlichen verstanden werden, dass »eine zeitgemäße Darstellung der Schweizer Geschichte nicht mit Behauptungen zur ›nationalen Identität‹ aufwarten« könne.31 Hier wird eine Wanderungsgeschichte entworfen, die den Bogen von den vorchristlichen Völkerwanderungen bis zur Einwanderungsgeschichte im 20. Jahrhundert spannt, wobei sich vier Schwerpunkte identifizieren lassen: Ein erster stellt die Siedlungsgeschichte von der Urgeschichte bis ins Frühe Mittelalter dar und evoziert eine Verbindung zwischen der Besiedlung durch Kelten, Römer und Germanen sowie der »vielsprachigen Schweiz« von heute. Einen zweiten Schwerpunkt bildet eine Galerie mit Porträts von zugewanderten Personen oder ihren Nachkommen seit dem 16. Jahrhundert. Ausgewählt wurden »Zugewanderte«, die mit »großen Leistungen zum wirtschaftlichen Aufschwung und zur Bereicherung des kulturellen Lebens« beigetragen haben.32 Dies führt zu einer Galerie, die mehrheitlich Angehörige einer weißen, männlichen Elite zeigt. Im dritten Schwerpunkt werden Wanderungsbewegungen vom 13. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts behandelt  – die wirtschaftlich motivierte Emigration im 19. Jahrhundert ebenso wie die Immigration politisch und religiös verfolgter Menschen zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert. Betont wird, dass neben bekannten politischen Flüchtlingen aus Kultur und Wissenschaft auch »qualifizierte Ingenieure« eingewandert seien: »Die Schweiz kann sie brauchen.« Der wirtschaftliche Nutzen ist auch ein wichtiges Motiv in der Darstellung der Migrationsgeschichte des 20. Jahrhunderts, dem vierten Schwerpunkt. Unter dem Titel Überfremdung fokussiert sie die Immigration seit den 1950er Jahren, insbesondere die »über eine Million Italiener«, die bis 1961 eingewandert seien, und die Entwicklung nach 1980 als »Hunderttausende« aus Portugal, der Türkei und Ex-Jugoslawien gekommen seien – »gefolgt von ihren Familien«. Hier sind neben Fotografien von »Fremdarbeitern« mit bekannten Motiven (wie Koffern oder Baustellen) Plakate zu 30 | Vgl. dazu P. Meyer, Four narrative perspectives on Swiss history; E. Hebeisen/P. Meyer: Geschichte Schweiz. Sofern nicht anders belegt, stammen die Zitate aus den Thementexten der Ausstellung. 31 | P. Sarasin: Die Geschichte der Schweiz neu erzählen. Der Ausstellungsteil Niemand war schon immer da war zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrages geschlossen, weil er wegen baulicher Veränderungen verlegt und angepasst werden musste. Auf einer deutlich reduzierten Fläche wird die Ausstellung nur noch drei Teile umfassen: einen zur Migrationsgeschichte, einen zur Politikgeschichte sowie einen zur Wirtschafts- und Ideengeschichte. Meine Ausführungen beziehen sich auf die seit der Eröffnung gezeigte Präsentation. Siehe www.nationalmuseum.ch/d/zuerich/ausstellungen.php?aus_ id=76&show_detail=true vom 13.04.2016. 32 | Landesmuseum Zürich Bildung & Vermittlung: Geschichte Schweiz, S. 10.

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Volksabstimmungen zu sehen, in denen es um die Verschärfung der Gesetzgebung gegenüber Ausländer_innen, Asylsuchenden und religiösen Minderheiten ging. Gemeinsam ist den Bildern, dass sie Menschen zeigen, die durch Körper, Kleidung und weitere Accessoires als ›Fremde‹ markiert sind.

M igr ation war schon immer da :

sichtbar machen und unsichtbar bleiben . Dass diese Ausstellung den Anspruch hat, Migration als Normalität darzustellen und den Beitrag der Immigrant_innen für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Aufnahmegesellschaft hervorzuheben, dürfte klargeworden sein. Trotz dieser grundsätzlichen Anerkennung der Migration als wichtiges gesellschaftliches Phänomen will ich im Folgenden einige Schwachund Leerstellen dieser Repräsentation aufzeigen. Stuart Hall konzeptualisiert Repräsentation nicht als Abbildung von etwas, das außerhalb seines Darstellungsprozesses bereits existiert, sondern als etwas, das durch ein komplexes System von Bedeutungs- und Realitätskonstruktion erst hergestellt wird.33 Museen und Ausstellungen sind wichtige Orte einer als »active labour of making things mean« verstandenen Repräsentationspraxis, weshalb sich die Frage stellt, was im Prozess der Darstellung geschaffen wird und wie dies geschieht. Vor diesem Hintergrund konzentriert sich meine Repräsentationskritik auf drei Aspekte: Welche Geschichten werden erzählt? Welche sozialen Gruppen werden sichtbar? Und welche Machtverhältnisse manifestieren sich?34 Meine erste Beobachtung betrifft das Narrativ, das den Ausstellungsteil rahmt und Migration als Normalfall und gesellschaftliche Bereicherung konzeptualisiert. Die Texte in Ausstellung, Katalog und Schulunterlagen lassen deutlich erkennen: Hier wird die Geschichte eines Territoriums erzählt, »das geprägt ist von den Spuren unzähliger Menschen, die […] eins verbindet: Sie sind unterwegs, wie schon der Mensch vor 5.000 Jahren auf dem Schnidejoch.«35 Diese anthropologisierende Sicht postuliert Kontinuitäten über Tausende von Jahren und lässt wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle Differenzen und Umbrüche in den Hintergrund treten. Ein weiteres Motiv ist hierfür konstitutiv: Mobile Menschen bereichern die Ankunftsgesellschaften. Besonders überzeugend sind Beispiele von zunächst als »kulturell fremd und nicht ›assimilierbar‹« markierten Menschen wie den als billige Arbeitskräfte ins Land geholten Italiener_innen, die »vertraute Nachbarn« werden und »mit ihrer Italianità den schweizerischen 33 | S. Hall: The rediscovery of ideology, S. 64. Vgl. dazu N. Sternfeld: Aufstand der unterworfenen Wissensarten; R. Muttenthaler/R. Wonisch: Gesten des Zeigens, S. 13–45. 34 | Vgl. dazu T. Sieber: Machtfragen. 35 | W. Leimgruber: Nomadisieren, S. 46.

Migration exponieren

Lebensstil bereichern.«36 Wie bereits erwähnt, läuft das hier diskutierte Narrativ Gefahr, Migration zu banalisieren. Zudem lädt es dazu ein, Verbindungen zwischen einer weit zurückliegenden Vergangenheit und der Gegenwart herzustellen. Besonders deutlich wird dies in den Unterlagen für Schulen: Dort wird nicht nur eine Beziehung zwischen der Besiedlung durch Kelten, Römer und Germanen sowie der »kulturellen Vielfalt der Schweiz« hergestellt, sondern es wird ein Kontinuum evoziert, wenn deren materielle Spuren als »Teil unserer Vergangenheit und Kultur« und »Zeugen […] unserer Vorfahren« bezeichnet werden.37 Zwar unterscheidet sich diese Erzählung von jener, die um 1900 eine direkte Verbindung zu den Pfahlbauern herstellte und »das Bild einer kulturell eigenständigen Abstammungsgemeinschaft« kreierte.38 Und doch produziert das zeitübergreifende Narrativ letztlich die Vorstellung einer durch ein gemeinsames kulturelles Erbe verbundenen Gemeinschaft. Meine zweite Beobachtung betrifft die Frage, wer in der Ausstellung sichtbar wird beziehungsweise unsichtbar bleibt. In einem Bereich kommt es zu einer signifikanten Situation: Auf der einen Seite ist die Porträtgalerie erfolgreicher Einwanderer, auf der gegenüberliegenden Fotografien zur Arbeits- und Lebenswelt von Migrant_innen sowie Plakate zu Abstimmungen über die Ausländer- und Asylpolitik seit den 1960er Jahren zu sehen. Wer wird sichtbar? Einerseits sind es erfolgreiche Immigranten, andererseits namenlose, als Fremde markierte ›Andere‹. Diese Inszenierung (re-)produziert die Narration der erfolgreichen Integration einzelner Subjekte aus der Fremde und der von der anonymen Masse ausgehenden Bedrohung des ›Eigenen‹ durch ›Überfremdung‹. Zudem wird ein für den Integrationsdiskurs konstitutives Narrativ affirmiert, das die wirtschaftliche Leistungs- und kulturelle Anpassungsfähigkeit der Migrant_innen hervorhebt. Unsichtbar bleiben viele und vieles, insbesondere aber Migrationsgruppen und -geschichten, die eine solche Erzählung voller Zuschreibungen und Auslassungen stören würden. Das Unsichtbarmachen als wichtiger Modus von Repräsentation führt mich zur dritten Beobachtung. Auch wenn die Plakate politische Kontroversen zeigen, es einige weitere Exponate gibt, die auf Konflikte hinweisen, und es auch in Texten Hinweise auf Spannungen gibt, werden die mit Migrationsbewegungen »verbundenen Konflikte, Unterdrückungen und gesellschaftlichen Verwerfungen« marginalisiert.39 Sowohl die Tendenzen zur Anthropologisierung und Stereotypisierung als auch die Orientierung am Paradigma der Integration tragen dazu bei, dass Konflikte zwischen Migrationsgruppen, 36 | Ebd., S. 46. 37 | Landesmuseum Zürich Bildung & Vermittlung: Geschichte Schweiz, S. 8 f. 38 | W. Leimgruber: Nomadisieren, S. 48; vgl. T. Sieber: Das Schweizerische Landesmuseum zwischen Nation, Geschichte und Kultur, S. 16 f. 39 | W. Leimgruber: Immaterielles Kulturerbe – Migration – Museum, S. 75.

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innerhalb derselben und in der Ankunftsgesellschaft kaum in den Blick geraten. In der Darstellung dominieren zudem staatliche und parteipolitische Akteure, während Stimmen von Organisationen und Bewegungen, die sich seit den 1960er Jahren für die gesellschaftliche Anerkennung von Migrant_innen engagieren, weitgehend fehlen. Die kaum vorhandene Mehrstimmigkeit und Multiperspektivität der Ausstellungserzählung führt mich zur vierten Beobachtung, die einen zentralen Aspekt einer machtkritischen Analyse betrifft: Wer entscheidet über das zu Repräsentierende? Im vorliegenden Fall fällt die Antwort nicht schwer  – die Institution mit ihren autorisierten Sprecher_innen. Die Tendenz zu einer verstärkten Kooperation mit Akteuren aus dem Migrationsbereich hat hier keinen Niederschlag gefunden. Dass die Deutungsmacht der Institution unangetastet geblieben ist, überrascht nicht: Denn auch ein Museum, das marginalisierte Positionen repräsentiert, muss noch »keinen Raum für eine Veränderung der Definitionsmachtverhältnisse« vorsehen.40 Die Untersuchung des Ausstellungskapitels Niemand war schon immer da hat Defizite einer Darstellung benannt, die von der Entwicklung in Richtung einer mikrohistorischen, multiperspektivischen und partizipatorischen Repräsentation von Migration weitgehend unberührt geblieben ist. Dietmar Osses differenziert zwischen »historisch und […] enzyklopädisch konzipierten Ausstellungen«, welche die Migrationsgeschichte in die nationale »Meistererzählung« einschreiben wollen, und Ausstellungen, die auf eine »Auflösung der nationalen Erzählung und die Etablierung eines neuen transnationalen Blickes« setzen.41 So weit geht die untersuchte Ausstellung nicht: Sie stellt eine fällige, wenn nicht überfällige Erweiterung der hegemonialen nationalen Erzählung dar, ohne dass deren Deutungsrahmen aber überschritten würde. Es überrascht deshalb nicht, dass die 2009 eröffnete Dauerausstellung kaum wissenschaftliche, mediale oder politische Debatten ausgelöst hat. In der Tat ist es der hier diskutierten Ausstellung kaum gelungen, neue gesellschaftliche Diskursräume zu eröffnen und neue Inhalte im herrschenden Gedächtnisdiskurs zu verankern. Den Anforderungen einer Migrationsgesellschaft wird sie in verschiedener Hinsicht nicht gerecht: Von einer solchen auszugehen, bedeutet eben nicht nur, Migration als konstitutiven Bestandteil der Gesellschaft zu verstehen, sondern auch »die Metanarrative, Perspektiven, Institutionen und Orte des nationalen Selbstverständnisses auf den Kopf zu stellen und neu zu formulieren und damit auch das Museum sozusagen zu postmigrantisieren«42 .

40 | N. Sternfeld: Aufstand der unterworfenen Wissensarten, S. 39. 41 | D. Osses: Perspektiven der Migrationsgeschichte in deutschen Ausstellungen und Museen, S. 81. 42 | N. Bayer: Post the museum!, S. 64.

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M igr ation verhandeln : neue D arstellungsformen , E rz ählungen und A kteur _ innen Ausgehend von drei Ausstellungsprojekten aus jüngster Zeit will ich einige Ansätze thematisieren, die bei der Repräsentation von Migration neue Darstellungsformen erproben, neue Erzählungen produzieren und neue Akteur_innen einbeziehen. Mein erstes Beispiel ist das bereits erwähnte Musée Imaginaire des Migrations (MIM), das seit 2012 mit seiner Website »einen mentalen Kollektivraum« etablieren will.43 Gesammelt werden »reale Lebens- und Migrationsgeschichten«, die von Schriftsteller_innen auf Anfrage verfasst werden und ein »einzigartiges imaginäres Museum« mit 100 Geschichten bilden sollen. Doch ohne ›realen‹ Raum kommt auch das MIM nicht aus: Mit einer »Koffervitrine«, in der jeweils ein Objekt gezeigt wird, »das im Kern eine Migrationsgeschichte erzählt«, präsentiert es sich in bestehenden Museen. An dieser Stelle geht es nicht um die Beurteilung der Relevanz und Qualität des Projekts – dies gilt auch für die folgenden Beispiele –, sondern um die Identifikation eines vielversprechenden Ansatzes. Interessant ist der konsequent umgesetzte lebensgeschichtliche Zugang, der eine multiperspektivische Darstellung von Migrationsgeschichte begünstigt. Zudem ist dieser Zugang eine produktive Antwort auf die für das Museum konstitutive Verdinglichung von Kulturen: Objektzentrierte Darstellungsformen können die »Heterogenität migrantischer Phänomene« kaum angemessen repräsentieren, weil sich »Kulturen in Bewegung« nicht durch die Anhäufung materieller Zeugnisse auszeichnen.44 Meine weiteren Beispiele betreffen Ausstellungen in der Shedhalle Zürich. Sie hat sich international einen Namen gemacht als Ort »für die Erprobung und Produktion neuer Formen künstlerischer und kultureller Praxis«, die »auf gesellschaftspolitische Fragen Bezug nehmen«45. Ein Schwerpunkt des vierteiligen Projekts Die Schweiz ist keine Insel (2013/2014) war »die gesellschaftliche Ausgrenzung und Verfolgung, aber auch politische und kulturelle

43 | Die Trägerschaft bilden der Verband Autorinnen und Autoren der Schweiz (AdS), der Verband der Schweizer Museen (VMS) und der Verein p&s netzwerk kultur. Vgl. dazu und zu den Zitaten www.mimsuisse.ch vom 13.04.2016. Da die Resonanz auf das Projekt hinter den Erwartungen geblieben sei und sich die Zusammenarbeit mit den Museen schwierig gestaltet habe, wird das Konzept derzeit überdacht (Gespräch mit Beat Mazenauer von p&s netzwerk kultur, 22.07.2015). 44 | R. Wonisch: Museum und Migration, S. 26. 45 | Wenn nicht anders vermerkt, stammen die Informationen und Zitate aus den auf der Website zugänglichen Texten. Siehe www.shedhalle.ch/2015/de/71/DIE_SHED​ HALLE vom 13.04.2016.

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Selbstorganisation von Roma, Sinti und Jenischen«46. Die in der Auftaktausstellung In lästiger Gesellschaft gezeigten Videoarbeiten von Künstlerinnen wie Mo Diener, Tamara Moyzes oder Marika Schmiedt thematisieren Strategien des Umgangs mit »zugeschriebenen Identitäten« und damit verbundenen gesellschaftlichen Ausgrenzungen. Die dritte Ausstellung Jenseits der Nation bestand aus der Installation Romanistan, die den Namen »eines imaginären Staates für alle Roma« trägt und »im Zuge von Kooperationen […] mit selbstorganisierten Gruppen« entstanden ist. Interessant ist hier die Frage nach dem Potenzial künstlerischer Positionen für die Repräsentation von Migrationsthemen. Damit wird zunächst einmal die Gefahr reduziert, letztere durch eine objektbasierte Narration mit vermeintlich authentischen Zeugnissen »auf eine eingeschränkte Sichtweise festzuschreiben« 47. Insbesondere in der engen Zusammenarbeit von Wissenschaft und Kunst – wie sie exemplarisch in Projekten wie Projekt Migration (Köln, 2005), Crossing Munich (München, 2009) oder Movements of Migration (Göttingen, 2013) erprobt worden ist – können künstlerische Arbeiten als »Reflexionskatalysatoren« wirken und andere Erzählungen über Migration generieren.48 Im vorliegenden Fall wird der Reflexionsraum gebildet durch die im Ausstellungsraum präsente Sammlung von Publikationen, das Veranstaltungsprogramm, das Pilotprojekt kritische Kunstvermittlung und das in der Abschlussausstellung Über die Grenzen präsentierte Soundarchiv, bestehend aus Interviews mit Akteuren und Expertinnen.49 Dieser Ansatz, der auf dem Zusammenwirken künstlerisch-visueller und wissenschaftlich-diskursiver Verfahren beruht, findet in der Bezeichnung der Ausstellungen als »Rechercheausstellungen« seinen programmatischen Ausdruck. Hier geht es nicht nur um die Repräsentation von Themen im Medium Ausstellung, sondern um die Auseinandersetzung mit Formen, Funktionen und Wirkungen von Repräsentationen »in einem Format, das fragend voranschreitet«.50 Mein drittes Beispiel ist die 2015 in der Shedhalle gezeigte Ausstellung …  the others have arrived safely. Gedächtnisverlust und Geschichtspolitik: künstlerische Strategien, in der die Arbeit Das Gedächtnis der Geflüchteten (Mirkan

46 | Siehe www.shedhalle.ch/2015/de/114/DIE_SCHWEIZ_IST_KEINE_INSEL vom 13.04.2016. 47 | N. Bayer: Post the museum!, S. 79. 48 | R. Wonisch: Museum und Migration, S. 24. Zu den Projekten siehe www.domid. org/de/ausstellung/projekt-migration; www.movements-of-migration.org/cms/; http://​ crossingmunich.org/ vom 13.04.2016. 49 | Zur Kunstvermittlung vgl. C. Franz: Die Shedhalle ist keine Insel, S. 34 ff. 50 | Katharina Morawek, kuratorische Leiterin der Shedhalle und Co-Kuratorin von Die Schweiz ist keine Insel (Gespräch vom 10.09.2015).

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Deniz, Catalina Gutiérrez, Onur Karakoyun, Felipe Polanía) zu sehen war.51 Über einen längeren Zeitraum haben sich deren Autor_innen mit eigenen Fluchterfahrungen auseinandergesetzt.52 Umstritten war dabei die Frage, ob es angesichts der Heterogenität von Fluchtgeschichten und Flüchtlingsgruppen überhaupt so etwas wie ein »kollektives Gedächtnis der Flüchtlinge in der Schweiz« geben könne und welche Geschichte(n) ein entsprechendes Archiv erzählen würde.53 Die Arbeit, welche Spuren der »Archivrecherchen über Asylpolitik und Flüchtlingspolitik« zeigt, lässt erkennen, dass Recherche und Darstellung von biografischen, assoziativen, ästhetischen, politischen und pragmatischen Faktoren geprägt worden sind. Hier interessiert mich die Frage nach möglichen Folgen von Kooperationen zwischen Institutionen und Akteur_innen, die in Ausstellungen repräsentiert werden sollen. Bereits am Beispiel Die Schweiz ist keine Insel wurde deutlich, dass aus einer kontinuierlichen, möglichst gleichberechtigten Zusammenarbeit »mit selbstorganisierten Gruppen« wichtige Beiträge zu Ausstellungen entstehen können.54 Allerdings sind solche Kooperationen aufwendig und oft von Konflikten begleitet, in denen es um ungleiche Machtverhältnisse und unterschiedliche Interessenlagen geht und die in der jeweiligen Ausstellung meist nicht thematisiert werden.55 Dabei werden zuweilen Fragen (mit-)verhandelt, die den Reflexionsraum der Ausstellung erweitern könnten. Im Fall des Gedächtnis-Projekts könnte es um die Frage gehen, was unter ›Gedächtnis‹ überhaupt zu verstehen ist. Während das kollektive Gedächtnis nämlich »eine mythische Struktur hat und synchron organisiert ist«, versucht Geschichte als Wissenschaft »zum Geschehenen ana51 | Siehe www.shedhalle.ch/2015/de/122/%E2%80%A6THE_OTHERS_HAVE_ARRI​ VED_SAFELY vom 13.04.2016. 52 | Die Gruppe mit schwankender Mitgliederzahl ist im Anschluss an ein Kooperationsprojekt zwischen der Shedhalle und dem Raum für die Autonomie und das Ferlernen RAF_ASZ im Kochareal entstanden (Gespräch mit Felipe Polanía vom 05.09.2015), siehe www.shedhalle.ch/2015/de/419/DAS_GED%C3%84CHTNIS_DER_VERGESSENEN vom 13.04.2016. 53 | Felipe Polanía (Gespräch vom 05.09.2015). 54 | Typisch für solche Kooperationen ist, dass sie Folgen haben, die in der Ausstellung nicht sichtbar werden. Laut Katharina Morawek sind auch Gruppen und Personen für eine Zusammenarbeit angefragt worden, die noch nie eine vergleichbare Anfrage erhalten hatten und die Initiative als Anerkennung ihrer Arbeit verstanden hätten. Aus dieser Zusammenarbeit ist zudem das Künstlerkollektiv Roma Jam Session Art Kollektiv (http://romajamsession.org/de/) entstanden (Gespräch mit Katharina Morawek vom 10.09.2015). 55 | Vgl. zu Konflikten zwischen Vermittlung und Kuratorium C. Franz: Die Shedhalle ist keine Insel, S. 53 f. Von Konflikten berichten auch Katharina Morawek (Gespräch vom 10.09.2015) und Felipe Polanía (Gespräch vom 05.09.2015).

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lytisch auf Distanz zu gehen« und steht Formen der Vergegenwärtigung des Vergangenen kritisch gegenüber.56 Diese grundlegende Frage führt mich zurück zur Dauerausstellung im Landesmuseum Zürich. Die thematisierten Ansätze, die ich mit den Stichworten lebensgeschichtlich, künstlerisch und partizipatorisch charakterisieren möchte, zeigen Strategien zur Erneuerung dieser Repräsentation von Migration, damit die Ausstellung einen substanziellen Beitrag zur Verankerung gegenläufiger Inhalte im hegemonialen Gedächtnisdiskurs und zur Ausweitung gesellschaftlicher Diskurs- und Handlungsräume leisten kann. Denn das Museum ist nicht nur ein Ort, für den das Spannungsverhältnis zwischen Geschichte und Gedächtnis konstitutiv ist, sondern es sollte auch ein Ort sein, an dem Konflikte um die Deutung gesellschaftlicher Phänomene der Vergangenheit wie der Gegenwart sichtbar werden. Eine wichtige Herausforderung stellt dabei die für die Schweiz konstitutive Konsenskultur dar, ohne die »das gesellschaftliche Zusammenleben […] undenkbar« sei.57 Das Landesmuseum ist nicht nur Teil dieser Kultur, als Nationalmuseum ist es ein zentraler Akteur bei der Repräsentation einer konsensualen Erzählung der Schweiz. Gerade im Kontext Schweiz ist es zuweilen wichtig, daran zu erinnern, dass der Konsens zwar notwendig erscheint, in einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft aber von Dissens begleitet sein muss. In ihrer Demokratietheorie entwirft die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe das Konzept eines »konfliktualen Konsenses«: Dieser sei dadurch gekennzeichnet, dass er »den Opponenten als ›legitimen Feinden‹ einen gemeinsamen symbolischen Raum erschließt«, in dem Antagonismen in gleichsam domestizierter Form verhandelt werden können.58 An einem solchen Verständnis könnte sich auch ein Nationalmuseum wie das Landesmuseum Zürich orientieren, damit Gegensätze, Kontroversen und Konflikte vermehrt anerkannt, sichtbar und verhandelbar werden.

56 | J. Tanner: Die Krise der Gedächtnisorte und die Havarie der Erinnerungspolitik, S. 27. Vgl. zur Diskussion der Beziehung zwischen Gedächtnis, Geschichtswissenschaft und Erinnerung etwa E. François/H. Schulze: Einleitung; in Bezug auf Museen K. Pieper: Resonanzräume; in Bezug auf die Gedenkstättenarbeit N. Sternfeld: Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung, S. 70 ff. 57 | Siehe www.lebendige-traditionen.ch/traditionen/00248/index.html?lang=de vom 13.04.2016. 58 | C. Mouffe: Über das Politische, S. 69 f.; vgl. B. Jaschke/N. Sternfeld: Zwischen/ Räume der Partizipation, S. 176 ff.

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Abbildung 1: Die Galerie mit Porträts erfolgreicher Schweizer_innen im Ausstellungsteil Niemand war schon immer da in der 2009 eröffneten Dauerausstellung Geschichte Schweiz im Landesmuseum Zürich.

Abbildung 2: Blick in den Ausstellungsteil Niemand war schon immer da.

Abbildung 3: Blick in die Auftakt­ausstellung In lästiger Gesellschaft des vierteiligen Projekts Die Schweiz ist keine Insel in der Shedhalle Zürich (2013/2014).

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Abbildung 4: Ausschnitt aus dem Display Das Gedächtnis der Geflüchteten in der Ausstellung … the others have arrived safely. Gedächtnisverlust und Geschichtspolitik: künstlerische Strategien in der Shedhalle Zürich (2015).

How AccessIting? Museen als Kulturvermittlerinnen oder Horte des Wissens1 Susan Kamel Understanding ways in which people experience the world differently from one another ideally improves social relations; the museum thus becomes a progressive institution, in the sense of becoming a site for combating prejudice and nurturing appreciation of cultural diversity. 2

Das in diesem Artikel vorgesellte Forschungs- und Ausstellungsprojekt Experimentierfeld Museologie. Über das Kuratieren islamischer Kunst- und Kulturgeschichte, das die Sozialwissenschaftlerin Christine Gerbich und ich zusammen von 2009 bis 2014 durchführen konnten,3 wurde inspiriert von dem, was Richard Sandell und Jocelyn Dodd eine »activist museum practice«4 nennen. Die Repräsentation von Vielfalt in jeglicher Hinsicht und das Streben nach sozialer Gerechtigkeit waren für uns Motor und Ziel unserer Forschung und Ausstellungsexperimente. Anhand von zwei praktischen Beispielen möchte ich im Folgenden zeigen, wie das Forschungsprojekt versuchte, Kuratieren und Vermitteln im Prozess der Ausstellungsentwicklung von Anfang an zusammenzudenken und dadurch museumswissenschaftliche Ansätze in der Praxis zu etablieren, die von einer kritischen und transformativen Pädagogik, wie Lindauer sie in ihrem

1 | Mein Dank gilt wie immer meiner Kollegin Christine Gerbich, mit der ich das Forschungsprojekt zum Vermitteln und Ausstellen islamischer Kunst durchgeführt habe, und Susanne Wernsing, die diesen Artikel mehr als nur redigiert hat. 2 | M. A. Lindauer: Critical Museum Pedagogy and Exhibition Development, S. 305. 3 | Zum Projektteam gehörte anfangs die Kulturwissenschaftlerin Susanne Lanwerd. 4 | R. Sandell/J. Dodd: Activist practice, S. 3.

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Aufsatz Critical Museum Pedagogy and Exhibition Development 5 beschreibt, beeinflusst sind. Unser Projekt stellte folgende Fragen: Wie kann man den Zugang (access) zum Museum herstellen und seine Inhalte im Sinne postrepräsentativen Kuratierens6 und kritischer Kunstvermittlung 7 anregender (exciting) machen? Wer wird im Museum vor, in und hinter den Vitrinen repräsentiert, wer wird hingegen ausgeschlossen?

D avid und G oliath : E ine (ganz) kurze G eschichte z weier I nstitutionen In den drei Jahren des Projektes arbeiteten wir mit zahlreichen Museen zusammen. Unsere Hauptkooperationspartner waren das Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin im Pergamonmuseum und das Bezirksmuseum FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum. Die Auswahl von zwei sehr unterschiedlichen Museen, der großen nationalen staatlichen Einrichtung und dem kleinen Stadtteilmuseum, gehörte zum Konzept. Die unterschiedliche ›Größenordnung‹ der beiden Museen beeinflusst unter anderem die Position der Vermittlungsabteilung innerhalb der hauseigenen Hierarchien. Im großen nationalen Museum sind starke Hierarchien verankert, die bisher verhinderten, dass Vermittler_innen in die konzeptionelle Entwicklung von Ausstellungen eingebunden wurden, während im kleineren Stadtteilmuseum überhaupt keine Ressourcen für fest angestellte Vermittler_innen vorhanden sind. Dennoch versteht sich das Stadtteilmuseum stärker als soziale Einrichtung. Das Museum für Islamische Kunst in Berlin gehört zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ist mit seiner Gründung 1904 durch Wilhelm von Bode nach dem Kairener Museum die zweitälteste Institution ihrer Art.8 Gemessen an den Besucherzahlen ist es sogar die größte: Im Jahr 2013 besuchten fast 800.000 Besucher_innen die Ausstellung auf der Berliner Museumsinsel.9 5 | In Anlehnung an Stanley Aronowitz und Henry Giroux unterscheidet Lindauer vier Arten der Bildung: »hegemonic, accommodating, critical and transformative«, M. A. Lindauer, Critical Museum Pedagogy and Exhibition Development, S. 308. 6 | N. Sternfeld: Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung, S. 180 f. 7 | C. Mörsch: Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen. 8 | Zur Geschichte des Museums in Kairo siehe I. R. Abdulfattah: Das Museum of Islamic Art in Kairo; zur Geschichte des Museums in Berlin siehe S. Weber: Zwischen Spätantike und Moderne. Eine kritische Lektüre des Museums für Islamische Kunst Berlin bietet zudem W. Shaw: The Islam in Islamic art history; S. L. Marchand: German orientalism in the age of empire; S. Kamel: Coming back from Egypt. 9 | S. Weber: Zwischen Spätantike und Moderne, S. 356.

How AccessIting?

Das Museum zeigt »Kunst, Kultur und Archäologie muslimisch geprägter Gesellschaften von der Spätantike bis in die Moderne«10. Nur in einer Fußnote derselben Publikation bemerkt der Direktor Stefan Weber allerdings, dass muslimische Gebiete Ostasiens und Zentralafrikas bis heute außerhalb der »disziplinären Beschäftigung« liegen und »weite Teile Nordafrikas wenig im deutschen Forschungsinteresse« standen.11 Die Geschichte des Museums, die die westliche Dominanz über zahlreiche Länder der sogenannten islamischen Welt spiegelt und damit zu einem Mapping der Welt in »the West and the Rest«12 beiträgt, habe ich an anderer Stelle beschrieben.13 Das Museum entstand in einer Zeit, in der das deutsche Kaiserreich mit dem Osmanischen Reich Politik machte: Der osmanische Sultan Abdulhamid II schenkte dem deutschen Kaiser Wilhelm II 1903 als Dank für den Bau der Bagdadbahn das jordanische Wüstenschloss Mschatta. Die Gründung einer ›islamischen Sammlung‹ war hiermit besiegelt. Im Jahr 2015 verfügte das Museum für Islamische Kunst über vier Kurator_innenstellen, die zum Teil die ältere Bezeichnung Kustoden14 führen, und eine Stelle für den Bereich Bildung und Vermittlung, die bis April 2015 keinen festen Arbeitsplatz im Museum selbst hatte, sondern bei den zentralen Besucherdiensten der Staatlichen Museen zu Berlin angesiedelt war. Die Abteilung Bildung und Vermittlung der Staatlichen Museen zu Berlin, die ehemalige Abteilung Museumspädagogik und Öffentlichkeitsarbeit, existiert seit 1992 als Zusammenschluss der pädagogischen Dienste aus Ost und West.15 Mittlerweile werden die Museumspädagog_innen als ›Kurator_innen für Bildung und Vermittlung‹ bezeichnet und haben den Status von ›Wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen‹. Sie werden daher in dieselbe Gehaltsklasse wie Kustod_innen eingestuft. Meine Recherche zu den Ausstellungsteams hat allerdings ergeben, dass Vermittler_innen bisher nur bei der ›Nachbetreuung‹ der Ausstellungen mitgewirkt haben und nie an der Konzeption. Lediglich an der Entwicklung von Schulprogrammen waren sie beteiligt, bei der hart umkämpften Redaktion der Ausstellungstexte, Führungsblätter oder Flyer bestenfalls behilflich. In der Konsequenz oblag die Entscheidungsmacht stets

10 | Ebd., S. 358. 11 | Ebd., Fn. 6. 12 | S. Hall: The West and the Rest. 13 | S. Kamel: Coming back from Egypt. 14 | Zur Unterscheidung siehe A. te Heesen: Theorien des Museums zur Einführung, S. 24–29. 15 | K. Schmidl: Mit Spaß und Freude das Museum entdecken, S. 138.

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den Kustod_innen, das heißt konkret Wissenschaftler_innen für islamische Kunstgeschichte.16 Bei der Neubesetzung des Direktorenpostens wurde mit Stefan Weber 2009 ein Kunsthistoriker (Baugeschichtsforscher) mit der Leitung des Museums betraut, der die großen gesellschaftspolitischen Aufgaben eines Museums für Islamische Kunst anerkennt. Er plant erstmalig, Ergebnisse von Besucherforschung und Ausstellungsevaluation in die Konzeption der neuen Dauerausstellung 2019 einfließen zu lassen. Organigramm beziehungsweise Aufteilung kuratorischer Deutungsmacht zwischen Kurator_innen und Vermittler_innen spiegeln einen etwaigen Paradigmenwechsel allerdings bisher nicht wider. Die größte Aufgabe des Museums wird nach wie vor in der Vermittlung von Wissen gesehen. Neue besucherzentrierte Stellenprofile wurden bisher noch nicht geschaffen beziehungsweise bestehende Stellen nicht mit explizit pädagogisch geschultem Personal besetzt. Für die Konzeption der neuen Dauerausstellung wurden dafür nur kurzfristige und projektbezogene Drittmittel verwendet.17 In den Worten des Direktors ist »die Zielsetzung der Neuplanung, den wissenschaftlichen Stand der Forschung zu Themen islamischer Kunst und Archäologie in seiner Komplexität und Vielschichtigkeit abzubilden und einem breiten Publikum zu vermitteln«18. Das FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum (ehemals Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg für Stadtentwicklung und Sozialgeschichte) wurde 1991 aus einem Zusammenschluss des Heimatmuseums Friedrichshain mit dem Kreuzberg Museum gegründet.19 Das ehemals westdeutsche Kreuzberg Museum für Stadtentwicklung und Sozialgeschichte ist die ältere der beiden Institutionen und entstand 1978 als Museum für Alltagsgeschichte, angesiedelt am Kunstamt Kreuzberg. Das ostdeutsche Heimatmuseum gründete sich hingegen Ende der 1980er Jahre. Laut Museumsleiter Martin Düspohl verfügte das Kreuzberg Museum bei seiner Gründung über keine eigene Sammlung20 und war daher von Anfang an ›gezwungen‹, partizipativ zu sammeln, das heißt, die lokale Bevölkerung einzubeziehen, deren Geschichte/n erzählt werden sollte/n. Heute umfasst die Sammlung nicht nur Fotos, Dokumente und Akten, sondern auch Alltagsgegenstände von Friedrichshain-Kreuzber16 | Dies entnehme ich meiner Quellenrecherche (V. Enderlein: Islamische Kunst in Berlin) sowie einem Austausch mit Jens Kröger, dem ehemaligen Oberkustos am Museum für Islamische Kunst, der von 1985 bis 2007 am Museum angestellt war. 17 | Siehe zum Beispiel das Ktesiphon-Projekt des Museums https://www.topoi.org/ project/c-3–1/ vom 19.08.2015. 18 | S. Weber: Zwischen Spätantike und Moderne, S. 369. 19 | Zur Geschichte des Museums vgl. M. Düspohl: Geschichte aushandeln! Partizipative Museumsarbeit im Friedrichshain-Kreuzberg Museum Berlin. 20 | Ebd.

How AccessIting?

ger_innen und ein im Entstehen begriffenes Audioarchiv mit Stimmen aus dem Bezirk. Das Museum ist explizit dem Leitbild des Amtes für Weiterbildung und Kultur in Friedrichshain-Kreuzberg verpflichtet, das 2011 unter dem Motto Qualifizieren! – Kooperieren! – Initiieren! formuliert wurde. Im Leitbild heißt es dazu: Kommunale Weiterbildungs- und Kulturarbeit schafft Möglichkeiten für aktive Teilhabe [Herv. S. K.] am gesellschaftlichen Leben, gewährleistet niedrigschwelligen Zugang zu Bildung und Kultur und fördert lebensbegleitendes Lernen. Sie eröffnet Partizipationschancen, nutzt und stärkt die Ressourcen der Adressaten – sowohl durch Aneignung der Bildungsangebote als auch durch kulturelle Eigenproduktivität. […] Als Amt für Weiterbildung und Kultur sehen wir uns als Plattform für die gemeinsame Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen. 21

Im Gegensatz zum Museum für Islamische Kunst, bei dem der Eintritt 12 Euro kostet, ist der Besuch des FHXB-Museums gratis. Der Leiter Martin Düspohl ist ausgebildeter Erwachsenenpädagoge, seine beiden Mitarbeiterinnen Ulrike Treziak und Ellen Röhner sind Historikerin beziehungsweise Grafikerin, sodass das viel zitierte ›magische Dreieck‹ der Ausstellungsarbeit – Kurator_innen, Museumspädagog_innen und Gestalter_innen – das museumsinterne Team prägt.22

A ufbau des F orschungs - und A usstellungsprojek ts Unser Forschungs- und Ausstellungsprojekt erfolgte in zwei Schritten. Im Rahmen einer Bestandsaufnahme besuchten wir zunächst über 30 Museen in 14 Ländern,23 interviewten dort Vertreter_innen der ›Curatorial und Education Departments‹24 und analysierten die Ausstellungen: Welche Inhalte werden gezeigt? Welche Strategien werden gewählt, um unterschiedliche Perspektiven auf Objekte und Themen zu eröffnen? Wie gestaltet sich der Prozess der Ausstellungsentwicklung? Schließlich fragten wir danach, welche Rolle die Be21 | Siehe www.fhxb-museum.de/fileadmin/user_upload/dokumente/LeitbildWBiKu. pdf vom 05.06.2015. 22 | H. Kirchhoff/M. Schmidt: Das magische Dreieck. 23 | Hierzu gehörten Ägypten, Dänemark, England, Frankreich, Kanada, Katar, Israel, Italien, Niederlande, Schottland, Schweden, Türkei, USA und die Vereinigten Arabischen Emirate. 24 | Das Verwenden englischer Termini ist dem Umstand geschuldet, dass die stark ausdifferenzierte Begrifflichkeit im angelsächsischen Raum bereits symptomatisch für die Professionalisierung dessen ist, was im deutschsprachigen Raum oft noch als ›Museumspädagogik‹ abqualifiziert wird.

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sucher_innen und Nicht-Besucher_innen bei der Planung von Ausstellungen gespielt hatten.25 Mit Blick auf den vorliegenden Band und das Thema Neupositionierung von Vermittlungsarbeit möchte ich hier nur folgende Beobachtung unserer internationalen Forschungsreisen hervorheben: In den angelsächsischen Ländern wie Großbritannien, USA und Kanada hat sich das Feld der Vermittlung, das in Deutschland häufig noch geringschätzig als Museumspädagogik bezeichnet wird,26 in vielfältiger Weise ausdifferenziert und professionalisiert. Es gliedert sich unter anderem in ›Interpretation‹ und ›Access‹, ›Diversity and Social Inclusion‹ sowie ›Community Outreach‹. Für ein breiteres Publikum zugängliche Ausstellungen fanden wir auf unseren Reisen vor allem in Museen, deren Strukturen dem ›Educational Department‹ eine wichtigere Stellung in der Ausstellungsentwicklung einräumten als zum Beispiel dem ›Subject Curator‹ und ›Designer‹. Auffällig war zudem die Seltenheit kritischer und selbstreflexiver Ausstellungen. Wenn überhaupt, so fanden wir sie in partizipativen Kunstprojekten, die von einzelnen Künstler_innen ohne Beteiligung von Vermittler_innen initiiert waren.27 Ein Highlight in Bezug auf die Darstellung kritischer Inhalte und die Zugänglichkeit seiner Ausstellungen war das Kelvingrove Museum and Art Gallery in Glasgow, das für seine inklusive Museumsarbeit bekannt ist.28 Diese reagiert mit unterschiedlichen Vermittlungsformaten auf die Diversität der Gesellschaft – von White-Cube-Inszenierungen über die mediengestützte Aufbereitung multipler Perspektiven bis hin zu einer Ausstellungsfläche, die von unterschiedlichen Akteur_innen bespielt wird und bei der das Museum nur gestalterisch berät.29 Unter den von uns besuchten Museen war Kelvingrove damit das einzige, das aus unserer Sicht Besucherorientierung konsequent umsetzt. Dass die Kuratoren für ›Access and Education‹ zahlenmäßig und mit gleicher Entlohnung dem ›Subject Curator‹, unserem Kustos beziehungsweise unserer Kuratorin, gleichgestellt sind, ist ein wichtiges Detail dieser Programmatik. Wir halten diese strukturellen Änderungen an Museen für wichtige 25 | Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sind an anderer Stelle ausführlich veröffentlicht worden. Siehe C. Gerbich: Partizipieren und evaluieren; S. Kamel/C. Gerbich: Experimentierfeld Museum. 26 | Und meist ist nur die Arbeit mit Schulen gemeint. 27 | Vgl. hier das Projekt Multi-Story, das 2010 in der Gallery of Modern Art in Glasgow gezeigt wurde (siehe www.multi-story.org/home.php vom 07.09.2015) oder NahnouTogether aus der Tate Britian in London von 2006 (siehe www.tate.org.uk/whats-on/ tate-britain/exhibition/nahnou-together vom 07.09.2015). 28 | J.-P. Sumner: Kelvingrove Art Gallery and Museum. 29 | Nina Simon nennt diesen Zugang »hostet« (vgl. N. Simon: The Participatory Museum, S. 190 f.); J.-P. Sumner: Kelvingrove Art Gallery and Museum, S. 147 f.

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erste Schritte, die aus vielen Debatten verdrängt werden, gerade weil sie – so unsere Beobachtung – die Abgabe alter Privilegien beziehungsweise Einforderung neuer Hoheiten thematisieren.30 Im Rahmen unserer eigenen Forschung haben wir hierfür den Begriff ›Inreach‹ etablieren können, der die Arbeit im und mit dem Museumsteam beschreibt.31 Wir verwenden den Begriff bewusst als Gegenstück zu ›Outreach‹, da letzterer die Defizite außerhalb der Institution Museum ausmacht. Um neue Besucher_innengruppen zu erschließen, indem sich das Museum diesen lediglich ›öffnet‹, bedarf es nach diesem Konzept keiner strukturellen Änderungen, die bestehende Machtverhältnisse wirklich infrage stellen beziehungsweise verändern. Unsere These, welche durch unsere Recherchen im Kontext des Projektes bestätigt werden konnte, geht jedoch weiter: Änderungen musealer Strukturen sind noch kein Garant für kritische Inhalte sowie eine kritische und transformative Vermittlung. Wie diese zustande kommen könnten, war die Leitfrage für die Experimente, die wir im zweiten Schritt unseres Projekts unternahmen.

N eu Z ugänge  – vor , in und hinter den V itrinen ? Im Anschluss an die Bestandsaufnahmen musealer Ausstellungsentwicklung führten wir fünf Experimente durch. Die Ausstellung NeuZugänge und die Entwicklung einer Medienstation im Rahmen der Ausstellung Samarra sollen hier exemplarisch vorgestellt werden. Thema des Ausstellungsprojekts NeuZugänge32 war das Sammeln in der Migrationsgesellschaft. Unser Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass sich gesellschaftliche Vielfalt weder in den Sammlungen der Berliner Museen und ihrem Display noch in den Besuchergruppen oder dem Museumspersonal widerspiegelte. Inspiriert wurden wir durch das britische Konzept des ›Revisiting Collections‹,33 das vom Museums, Library and Archive Council entwickelt wurde und Museen ermöglicht, ihre Sammlungen mithilfe von externen Partner_innen neu zu sichten. Dazu gehören auch von der Mehrheitsgesellschaft als abweichend markierte Gruppen, die im musealen Kanon bisher wenig oder 30 | Carmen Mörsch bezieht sich hier auf Spivaks Konzept des »Verlernens von Privilegien« (C. Mörsch: Über Zugang Hinaus, S. 108). Vgl. auch G. Spivak/D. Landry: The Spivak reader. 31 | Zum Begriff des Inreach siehe http://zonereflection.blogspot.de/2010/03/is-ittime-to-talk-about-inreach.html vom 06.06.2015. 32 | Siehe L. Bluche et al.: NeuZugänge. Das Projekt wurde in Kooperation mit Frauke Miera, Christine Gerbich und Susanne Lanwerd entwickelt. 33 | Siehe www.collectionstrust.org.uk/item/13524-revisiting-collections vom 12.06.​ 2015.

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nicht sichtbar wurden, zum Beispiel Homosexuelle,34 Menschen mit Behinderung oder ›Menschen mit Migrationshintergrund‹. Mit vier unterschiedlichen Institutionen, den beiden Partnermuseen, dem historischen Stadtmuseum Berlin und dem Werkbundarchiv  – Museum der Dinge untersuchten wir, ob Migrationsgeschichten auch Teil der Sammlungsgeschichte sind und befragten die Museumsmacher_innen, inwieweit Besucher_innen und Personal die Diversität in der Gesellschaft widerspiegeln. Im ersten Schritt wählten die Museumskolleg_innen zwei Objekte aus ihren Sammlungen aus, welche Geschichten über Migration beziehungsweise kulturelle Vielfalt erzählen. Schon dieser erste Schritt erwies sich als Herausforderung, da zunächst der Begriff einer ›Migrationsgeschichte‹ problematisiert werden musste.35 Werden darunter Objekte von Menschen verstanden, die einen Migrationshintergrund haben? Sollen die Objekte selbst Ausdruck von den sogenannten »connected« oder »entangled histories«36 sein, die vom stetigen Austausch durch Migration berichten? Oder verstehen wir darunter schlicht Objekte, die von ihrem Ursprungsland, zum Beispiel dem Osmanischen Reich, Syrien oder Frankreich, nach Deutschland beziehungsweise in deutsche Sammlungen gekommen sind? Wir überließen die Beantwortung dieser Fragen den Kurator_innen und zeichneten den Diskussionsprozess innerhalb der Ausstellung durch Zitate nach. Im zweiten Schritt stellten wir die Objekte in Fokusgruppen zur Diskussion. Die Fokusgruppen sollten möglichst heterogen in Bezug auf die Kategorien Alter, Geschlecht, soziale Herkunft, sexuelle Orientierung, Behinderung, Religion und Bildungsgrad zusammengesetzt sein.37 In der Ausstellung wurden die unterschiedlichen Perspektiven sowohl durch kommentierende Labels der Fokusgruppenteilnehmer_innen als auch durch museale Objektbeschriftungen repräsentiert. Im dritten Schritt baten wir Berliner_innen, die einen familiären Bezug zu den Herkunftsländern der Museumsobjekte haben, die Sammlungen der vier Museen mit Objekten zu ergänzen, die ihnen besonders 34 | Am 24.06.2015 wurde im Deutschen Historischen Museum erstmalig eine Ausstellung mit dem Titel Homosexualität_en eröffnet, die vielleicht darauf hindeutet, dass eine kritische Re-Lektüre von Geschichte auch diese wichtige Institution deutscher Geschichtsschreibung und -repräsentation erreicht. 35 | Zur Diskussion, was Migration im hiesigen Diskurs meint, vgl. P. Mecheril: Einführung in die Migrationspädagogik. Über den Begriff des »Migrationsanderen« verweist er auf den konstruierten und von Machtverhältnissen durchzogenen Charakter des Konzepts »Menschen mit Migrationshintergrund«. 36 | Siehe A. Appadurai: The Social Life of Things; B. Junod et al.: Islamic art and the museum. 37 | H. Lutz: Framing intersectionality.

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Abbildung 1: Blick in die Ausstellung NeuZugänge. Die vier Museen präsentierten sich in vier Galerien.

wichtig waren. In Videointerviews wurden deren Auswahlkriterien dokumentiert und in der Ausstellung acht private Leihgaben zusammen mit acht von den Museen ausgewählten Objekten gezeigt.38 Mittlerweile ist NeuZugänge vom Deutschen Museumsbund als Modellprojekt ausgezeichnet und wurde bis zum Frühjahr 2015 an vier deutschen Museen umgesetzt.39 Dass die Diskussion auf Migrationsgeschichten verkürzt wird, während sie m. E. allgemeiner über Vielfalt und soziale Inklusion geführt werden muss, ist den derzeitigen Ausschreibungen zu Projektantragsstellungen geschuldet, die das Thema ›Migration‹ für sich entdeckt haben.40 Unser Projekt konnte diesen Fokus immerhin nutzen, um in die Institutionen hineinzuwirken und dort Diskussionen über kulturelle Diversität und soziale Inklusion anzuregen. Was die Diversität von Publikum und Museumspersonal betrifft, so trat auch in unserem Projekt erneut zutage, dass Museen stark von den Bildungseliten geprägt werden, die in Deutschland für weitere gesellschaftliche Gruppen besonders schwer zugänglich sind.41 Dass die Sensibilisierung 38 | Eine Dokumentation der Ausstellung mit Auflistung der Objekte findet sich in L. Bluche et al.: NeuZugänge. 39 | Siehe www.vielfalt-im-museum.de/sammlungen/ vom 04.07.2015. 40 | Siehe hierzu zum Beispiel www.ifa.de/fileadmin/pdf/edition/kunstvermittlung_ migrationsgesellschaft.pdf oder die Verlautbarungen des Bündnisses kritischer Kulturpraktiker_innen Mind the trap, https://mindthetrapberlin.wordpress.com/ oder http:// vernetzt-euch.org/ vom 04.09.2015. 41 | P. Bourdieu/A. Darbel: Die Liebe zur Kunst. Obwohl der Originaltext aus den 1960er Jahren stammt und die Untersuchungen, die Bourdieu und Darbel anführen somit mehr

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der Mitarbeiter_innen für die Themen Migration und kulturelle Vielfalt, die wir mit NeuZugänge angestrebt haben, nachhaltig ist, bleibt unsere Hoffnung. Wir befürchten aber gleichzeitig, dass die Aufmerksamkeit der Institutionen gegenüber ›Migrationsthemen‹ abnimmt, sobald diese nicht mehr mit finanziellen Förderangeboten verbunden sind. Leitet man die Anerkennung kultureller Vielfalt in Deutschland von den langwierigen Erfahrungen im Prozess der Gleichstellung von Frauen und der Geschlechtergerechtigkeit ab, so würde man feststellen müssen, dass Museen seltener Vorreiter als Spiegelbild des Status Quo sind.

S amarra  – »E rfreut, wer es sehen k ann « Als zweites Experiment soll die Entwicklung einer Medienstation beschrieben werden. Die Ausstellung Samarra – Zentrum der Welt. 101 Jahre archäologische Forschung am Tigris hatte die erste große Metropole der Abbasiden zum Thema, der zweiten islamischen Dynastie, die vom 8. zum 13. Jahrhundert herrschte und oft dem ›Goldenen Zeitalter‹ islamischer Kultur gleichgesetzt wird. Samarra (arab. von »sura man ra’a« = erfreut, wer sie sieht) ist eine Stadt im heutigen Irak und etwa 90 Kilometer nördlich von Bagdad am Tigris gelegen. Im 9. Jahrhundert war Samarra 45 Jahre lang die Residenzstadt der Kalife. Für die islamische Archäologie und Kunstgeschichte ist sie besonders bedeutsam, da hier die ersten systematischen Ausgrabungen der islamischen Kunstwissenschaft in den Jahren 1911 bis 1913 stattfanden. Zu den Objekten der Ausstellung zählten Malereien, Keramiken, Glas, Metallarbeiten, Wandverkleidungen aus Stuck und auch Grabungsfotos. Bisher wurden die Objekte im Museum fast ohne Kontexte präsentiert; beispielhaft dafür ist die Objektbeschriftung eines der bedeutendsten Exponate, einem Stuckrelief der Palastfassade: Irak (Samarra), 9. Jh. Stuck, Schrägschnitttechnik. 1,30 × 2,25m Inv.-Nr. I 3467.

Unsere Ausstellungstätigkeit im Rahmen einer nationalen Institution wie der des Museums für Islamische Kunst im Pergamonmuseum zielte darauf ab, nicht nur unterschiedliche Zugänge, sondern auch neue Inhalte im Sinne postkolonialer Kritik beziehungsweise einer kritischen Archäologie zu schaffen.42 Vor allem unser postkolonialer, orientalismuskritischer Zugang, der die Wechselwirkungen von islamischer Kunstwissenschaft und Kunst thematisiert, wurde von den meisten Kolleg_innen des Museum kritisch beobachtet, als 50 Jahre alt sind, ist der Befund meines Erachtens aktueller denn je. Vgl. auch R. Sandell/E. Nightingale: Museen, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit, S. 97. 42 | Siehe www.kritischearchaeologie.de/ vom 04.07.2015.

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Bedeutungen von Objekten jenseits des kunsthistorischen Interesses der Kurator_innen galten als irrelevant.43 Erfahrungen von Besucher_innen in Museen, die die museumstheoretische Literatur als »Generic Learning Outcomes«44 diskutiert, wurden nicht reflektiert. Zusammen mit unterschiedlichen Berliner_innen wollten wir eine Medienstation partizipativ entwickeln, die viele Perspektiven auf Geschichte eröffnet. In der Systematik von Nina Simon, die partizipative Arbeit in vier Formen einteilt (contributive, collaborative, co-creation und hosted) wäre das SamarraProjekt als ›contributive‹ zu qualifizieren, da alle Deutungshoheit beim Museum beziehungsweise uns als Museumspartnern verblieb, die Teilnehmer_innen der Fokusgruppen hingegen ausschließlich beratende Funktion hatten.45 Anfangs wurde uns von Geldgeber_innen beziehungsweise externen Gutachter_innen des Projekts empfohlen, ›mit Muslimen‹ zusammenzuarbeiten, das heißt, sie ›als Community‹ zu integrieren.46 Daraus ergaben sich für uns verschiedene Fragen: Wer spricht für den Islam? Wen sprechen wir an und aus welcher Community? Wen würden wir dadurch weiterhin ausschließen? Dass 43 | Die am Projekt NeuZugänge beteiligte Kustodin Gisela Helmecke resümiert nach dem Projekt: »Wirklich neue Erkenntnisse konnten in Bezug auf beide Objekte dadurch [durch die Fokusgruppen, Anm. S. K.] nicht gewonnen werden« (G. Helmecke: Weitgereiste Objekte im Museum für Islamische Kunst, S. 67). 44 | GLO sind Museumserfahrungen, die Wissenserwerb (Knowledge and Understanding) als nur ein Outcome beschreiben, neben »Skills, Attitudes and Values, Enjoyment, Creativity and Inspiration, Activity Behaviour and Progression« (siehe www.inspiring​ learningforall.gov.uk/toolstemplates/genericlearning/ vom 04.07.2015). 45 | N. Simon: The Participatory Museum. 46 | Der Begriff der ›Community‹ ist insbesondere in der museumstheoretischen Literatur, wo er oft als ›Source Community‹ definiert wird, nicht unumstritten. Über ›Source Communities‹ schreiben L. Peers und A. K. Brown: »The term ›source communities‹ (sometimes referred to as ›originated communities‹) refers both to these groups in the past when the artefacts were collected, as well as to their descendants today« (Museums and source communities, S. 520). Der Begriff bezog sich ehemals, so die Autoren, auf die indigenen Völker Amerikas und des Pazifiks. Neuerdings sind jedoch mit ›Source Communities‹ oder ›Community of Origins‹ auch die Menschen gemeint, die in der Umgebung des betreffenden Museums leben und deren Vorfahren aus den ›Herkunftsländern‹ der Sammlungen stammen. Habe ich selbst 2012 noch konstatiert, dass der Begriff unbrauchbar sei, da er immer eine Essentialisierung von Kulturen beinhaltet (vgl. S. Kamel: Gedanken zur Langstrumpfizierung, S. 69–98), so haben wir in unserem Projekt Königreich Anatolien, welches wir am Kreuzbergmuseum 2012 durchgeführt haben, durchaus eine Berechtigung festgestellt, mit Menschen, die sich zum Beispiel in Bezug auf ihre Herkunft ähneln, im Prozess der Ausstellungsentwicklung zusammenzuarbeiten (vgl. auch S. Kamel: Reisen und Experimentieren, S. 383–435).

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wir der Empfehlung nicht ohne Weiteres folgen konnten, ohne durch eine solche Adressierung von ›Muslimen‹ als Zielgruppe Stereotype und Essentialisierungen zu wiederholen, statt sie kritisch zu unterlaufen, wurde uns schnell klar.47 Als alternative Methode gründete meine Kollegin Christine Gerbich den Museumsdiwan als die Ausstellungsentwicklung begleitendes Panel.48 Eine hinsichtlich regionaler und sozialer Merkmale heterogene Gruppe von Besucher_innen, museumsaffinen Nicht-Besucher_innen und Fachwissenschaftler_innen aus Berlin wirkte an diesem Diwan mit. Selbstverständlich waren dabei auch Menschen, die sich, ob gläubig oder nicht, als Muslime bezeichneten. Die Mitglieder des Museumsdiwans halfen uns in Fokusgruppen beim Neulesen von Museumsobjekten und testeten schließlich die Medienstation. Als Ergebnis produzierten wir für die Ausstellung Samarra sieben Filme, die sich der Hauptstadt Samarra in unterschiedlicher Weise nähern – aus kultur- oder kunsthistorischer, aus disziplingeschichtlicher, aus einer aktuellen irakischen Perspektive und aus der Perspektive einer deutsch-irakischen Familie aus Berlin, aus der Perspektive eines irakischen Exilautors und einer Buchillustratorin, die sich mit dem historischen Samarra beschäftigt hat. In der Ausstellung dauern die Filme je ca. drei Minuten. Sie sind über die Website des Museums zugänglich.49 Abbildung 2: Die Medienstation im Rahmen der Ausstellung Samarra.

47 | Riem Spielhaus untersucht in ihrem Buch Wer ist hier Muslim? (2011) die Diversität von Definitionen und sich wandelnden Selbst- und Fremdbestimmungen von Muslimen in Deutschland. 48 | C. Gerbich: Partizipieren und evaluieren. 49 | Siehe www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/museum-fuer-islamischekunst/forschung/samarra-und-die-kunst-der-abbasiden.html vom 19.08.2015.

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Als Fazit müssen wir für das Projekt am Museum für Islamische Kunst resümieren, dass wir zwar neue Inhalte (die aktuelle irakische Perspektive auf Samarra, die Berliner Perspektive einer irakisch-deutschen Familie) in die Ausstellung bringen konnten. Kritische Inhalte wie die Geschichte des Museums und den Imperialismus oder Kommentare zur Konstruktion islamischer Kunst als Instrument einer nationalen Geschichtserzählung im Pergamonmuseum haben es jedoch nicht in die Medienstation und somit in die Ausstellung geschafft. Gerne hätten wir zudem auch noch erfahren, wie zum Beispiel Frauen, Kinder oder auch Behinderte im 9. Jahrhundert in Samarra lebten; Themen, die in der Wissenschaft durchaus beforscht werden50 – sie sind jedoch nicht Teil der seitens der Kurator_innen anerkannten, kanonisierten Geschichte der Meisterwerke im Museum und werden (bewusst oder unbewusst) verschwiegen beziehungsweise dort bislang als nicht relevant für die islamische Kunstwissenschaft erachtet.

R esümee Was erlaubt dem FHXB-Museum im Gegensatz zum großen Nationalmuseum auf der Museumsinsel, Schauplatz institutionskritischer Ausstellungen wie NeuZugänge zu werden und was hat unsere Arbeit im Museum für Islamische Kunst im Rahmen von Samarra erschwert? Wichtig für das Verständnis der beiden skizzierten Projekte ist die Tatsache, dass NeuZugänge in der Art wie es durchgeführt und präsentiert wurde, nur im FHXB-Museum hat stattfinden können, wo an die Tradition des Kreuzberger Museums angeknüpft werden konnte, Experten- und kanonisiertes Wissen und damit verbundene Konzepte von Meisterwerken infrage zu stellen. Das Museum für Islamische Kunst ist immer noch mehr den »Gesten des Zeigens«51 verpflichtet als einem postrepräsentativem Kuratieren, dessen Ziel nicht »Darstellung, sondern Handlungsmacht ist«52. Erfreuen konnten sich an der Samarra-Ausstellung sicherlich jene Kunstkenner_innen, die zuvor schon mit Wissen ausgestattet waren und die Geschichten sehen konnten. Ebenen eines kritischen und selbstreflexiven Zugangs wurden hingegen eingeebnet beziehungsweise neutralisiert. 50 | Vgl. zum Beispiel die Forschung zu Frauen zur Zeit der Abbasiden in M. Tillier: Women before the qādī; zur türkischen Minderheit in Samarra siehe M. Gordon: The breaking of a thousand swords; zur Rolle von Menschen mit Behinderung vgl. K. Richardson: Difference and disability in the medieval Islamic world, https://hal.archives-ouvertes. fr/halshs-00582725/document vom 03.04.2016. 51 | R. Muttenthaler/R. Wonisch: Gesten des Zeigens. 52 | N. Sternfeld: Postrepräsentatives Kuratieren, S. 181.

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Meines Erachtens hat insbesondere das FHXB-Museum aufgrund seiner gesellschaftspolitischen Relevanz und seines Mitarbeiterstabs die Chance, ein im positiven Sinne »minorisiertes« Museum zu werden, so wie es Nicola Lauré al-Samarai beschreibt. Es vermag der hegemonialen Narrative zu entkommen: »Solche Orte sind für mich die eigentlichen Kontaktzonen, um mit Geschichten in Beziehung zu treten, […] und nicht zuletzt, um Sphären des Überlebens und Widerstandes kennen lernen zu dürfen«.53 Das Museum für Islamische Kunst hingegen steht als staatliche Einrichtung und als wissenschaftliches Flaggschiff der islamischen Kunstwissenschaft so sehr im Zentrum – auch politischer Aufmerksamkeit –, dass es nur in einem sehr engen Rahmen eigenständig agieren kann. Darüber hinaus ist die islamische Kunstwissenschaft noch wenig vom ›Reflexive Turn‹ durchdrungen. Wie Wendy Shaw zeigt, ist die Ausbildung der Kurator_innen als ›Subject Curator‹ einem traditionellen Wissenschaftsverständnis und Museumsbegriff verpflichtet.54 Last, but not least ist die Institution der Staatlichen Museen Preußischen Kulturbesitzes nach wie vor stark der Konstruktion nationaler Identität verpflichtet, sodass strukturelle Veränderungen und institutioneller Wandel möglicherweise schwer zu vollziehen sein werden.

Abbildung 3: Das Pergamonmuseum.

53 | B. Kazeem et al.: Das Unbehagen im Museum, S. 173. 54 | W. Shaw: The Islam in Islamic art history.

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Abbildung 4: Das FHXB-Museum in Berlin-Kreuzberg ist durch seine partizpative Arbeit bekannt.

Abbildung 5: Der Eingangsraum des Museums für Islamische Kunst Berlin.

Abbildung 6: In Videointerviews erklärten Berliner_in­ nen ihre Objekte.

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Das partizipative Stadtmuseum Jan Gerchow, Sonja Thiel Das historische museum frankfurt (hmf) hat sich im Laufe seiner fast 150-jährigen Geschichte immer wieder verwandelt: Vom Universalmuseum für die Stadt (1861) zur Erinnerungsstätte an die Freie und Reichsstadt (1878), zum Museum für die Alte Stadt und gegen das Neue Frankfurt (1924) fast zum »NS-Heimatmuseum« (1938), zum Kunstgewerbemuseum der Region (1954) und zuletzt 1972 zum (Geschichts-)Museum »für die demokratische Gesellschaft«.1 Aktuell steht erneut eine Verwandlung an, erneut ermöglicht durch ein großes Bauprojekt. Nicht nur die historischen Bauten des Museums am Mainufer, der Saalhof (erbaut vom 12. bis zum 19. Jahrhundert), wurden 2008 bis 2012 umfänglich renoviert und denkmalpflegerisch bearbeitet, sondern gleichzeitig auch der zeichenhafte Sichtbetonbau von 1972 abgerissen. Die neuen Gebäude sind bereits im Rohbau errichtet, sie sollen 2017 eröffnet werden. Das hmf orientiert sich mit seiner aktuellen Neukonzeption sowohl zurück als auch nach vorn: Es will wieder, wie schon in der Gründungsphase nach 1861, zu einem Universalmuseum der Stadt (Frankfurt a. M.) werden, mit Blick auf Geschichte und Gegenwart sowie die Perspektiven der Stadt.2 Und es will die Stadtgesellschaft in neuer Weise in die Museumsarbeit integrieren sowie umgekehrt das Museum für die Multiperspektivität der Stadt und ihrer Bewohner öffnen.3 Damit einher geht eine Verschiebung des Blick- und Themenfeldes des Museums: Im Jahr 1972 stand explizit die damals neue kritische Sozialgeschichte im Fokus des Konzepts. Das hmf war das erste Geschichtsmuseum (im Unterschied zu Kulturgeschichte, Kunstgeschichte, Stilgeschichte etc.) der Bundesrepublik, zeitgleich mit der Dauerausstellung Fragen an die deutsche Geschichte im Reichstag (1971). Das ›Museum für die demokratische Gesellschaft‹ als Antwort auf die 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze mit der Einschrän1 | Vgl. Historisches Museum Frankfurt: Die Zukunft beginnt in der Vergangenheit. 2 | Vgl. J. Steen: Das Historische Museum Frankfurt a. M. 3 | Vgl. Gerchow et al.: Nicht von gestern.

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kung von Grundrechten, ›Kultur für alle‹ als Antwort auf den Bildungsnotstand und ›Lernort contra Musentempel‹ als Antwort auf die Herrschaft des Bildungsbürgertums: Das waren die Leitkonzepte von 1972.4 Das hmf von 1972 war eines der ersten Museen in Deutschland, das den Bildungs- und Vermittlungsauftrag des Museums zum Maßstab seines Handelns erhob und seine Ausstellungen darauf ausrichtete.5 Davon ist 2015 vieles noch nicht eingelöst beziehungsweise immer noch aktuell. Doch wird der Fokus der Museumsprogrammatik diesmal nicht auf Bildung und Vermittlung und das Themengebiet Geschichte gelegt. Das neue Konzept fokussiert stattdessen auf Partizipation und das Thema Stadt. Ausgangspunkt für diese Neuausrichtung ist eine Analyse der Stadtgesellschaft Frankfurts am Main zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Die Einwohnerschaft der Stadt wies im Jahr 2014 einen Anteil von über 48 Prozent von Menschen mit ›Migrationshintergrund‹ auf.6 Die Tendenz steigt rasant, 2010 waren es noch 42 Prozent. Davon hatten 2014 über 50 Prozent keinen deutschen Pass. Diese Einwohner eint kein Nationalgefühl, keine Religionszugehörigkeit, keine gemeinsame Sprache, kein Bewusstsein für geteilte Geschichte oder kulturelles Erbe. Vielmehr ist die Stadt, in der alle leben und die alle miteinander teilen und täglich ›benutzen‹, der einzige gemeinsame Nenner der Frankfurterinnen und Frankfurter. Deshalb konzentriert sich das Museum in seiner Arbeit fortan stärker auf die Stadt (am Beispiel Frankfurt a. M.) und zwar nicht nur in Bezug auf ihre Geschichte, sondern auch mit Blick auf die Gegenwart und die Zukunft der Stadt. Das Museum will ein ›relevanter Ort‹ für alle Stadtbewohner beziehungsweise alle Bewohner der Metropolregion Frankfurt werden: Ein Ort, der Debatten über die urbanen Themen Frankfurts möglich macht. Die Programmatik des Museums wird also in Zukunft ihre Themen stärker auf Frankfurt und auf das Gebilde ›Stadt‹ beziehen. Dank der ›Welthaltigkeit‹ der Stadt Frankfurt  – sie wurde von der amerikanischen Soziologin Saskia Sassen (1996) als einzige »Global City« Deutschlands bezeichnet – schränkt sich das Museum dabei keineswegs ein. Bezüge zu nationalen, europäischen und globalen Themen in den Bereichen Stadtgeschichte, Stadtkultur, Urbanistik sind damit möglich. Mit dieser Verschiebung vom ›Special Interest‹ Geschichte zum ›General Interest‹ Stadt 4 | E. Spickernagel/B. Walbe: Das Museum. 5 | Vgl. J. Gerchow: Stadt- und regionalhistorische Museen; Historisches Museum Frankfurt. 6 | Gemäß dem Mikrozensus von 2005 definiert das Bundesamt für Migration als Personen mit Migrationshintergrund »alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem nach 1949 zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil«.

Das par tizipative Stadtmuseum

will das Museum in Zukunft ›alle‹ Einwohner der Metropolregion Frankfurt im 21. Jahrhundert ansprechen und erreichen. Frankfurt a. M. ist in Deutschland die kulturell diverseste Stadt. Das ist aus Sicht des Museums heute und in naher Zukunft die größte Herausforderung für die etablierten Institutionen der Hochkultur. Und die Fokussierung auf die von allen geteilte und gemeinsam erlebte Stadt ist eine Antwort darauf. Eine weitere Antwort ist die Öffnung des Museums für neue Arbeitsweisen und Perspektiven. Mit dem Internet, vor allem dem Web 2.0, hat sich seit der Jahrtausendwende eine neue Wissenskultur etabliert. Wissen wird nicht mehr exklusiv von akademisch oder hoheitlich legitimierten Institutionen (wie Universitäten, Archiven, Museen) beziehungsweise von Journalisten und ihren Unternehmen (Zeitungen, Rundfunk, Nachrichtenagenturen) angeboten und bereitgestellt. Vielmehr sind es zunehmend Laien, die im Internet erfolgreich Wissen generieren und publizieren. Das geschieht vielfach in Form von partizipativen Projekten (Wikis, Blogs etc.). Das hmf sieht dafür gerade auf der Mikroebene der Stadt – im Unterschied zur Makroebene der Nation, Europas oder der Welt – und in Bezug auf die Themen der Stadt (Topografie und Architektur, Biografien, Ereignisse/Geschichte, Erlebnisse/Geschichten) großes Potenzial. Es gibt in den Städten zahlreiche ›Expertinnen und Experten‹, die ihr Wissen gerne teilen und deren Wissen auch für den Kern des Museums, seine Sammlungen, relevant und wertvoll ist. Zugleich wird das Museum durch die Integration dieser Expertise zu einem Ort, der auch im 21. Jahrhundert für sein Bezugsfeld (vor allem für die Bewohner der Region) attraktiv bleibt. Das hmf will mit seiner Neukonzeption ein Museum werden, das die Expertise seiner Besucher ernst nimmt, indem es Teile der Museumsinhalte von seinen ›Benutzern‹ gestalten und beisteuern lässt. Die Formen dieser Teilhabe (Partizipation) am Museum reichen – mit Nina Simon7 (2010) – von Beiträgen (contribution) über Zusammenarbeit (collaboration) bis zu gemeinsamer Autorschaft (co-creation). Übersetzt in die Formate des Museums kann es zum Beispiel um die Überlassung von Sammlungsobjekten, die Mitarbeit an der Dokumentation von Sammlungen und Ausstellungen, um gemeinsame Veranstaltungen oder um gemeinsam kuratierte Ausstellungen gehen. Mit den Partizipierenden soll nicht aus einer akademischen beziehungsweise hoheitlichen Position heraus zusammengearbeitet werden, sondern ›auf Augenhöhe‹, das heißt, die einzelnen Arbeitsschritte werden gemeinsam verhandelt, um die Expertise der Partizipierenden in die Museumsarbeit zu integrieren. Das Museum hat in seinem neuen Konzept verschiedene Schnittstellen dafür vorgesehen. Eine zentrale Schnittstelle wird das neue Museumsportal im Internet sein. Dort wird nicht nur zum direkten Kommentieren aller Angebote 7 | N. Simon: The Participatory Museum.

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aufgefordert, sondern es werden auch Schnittstellen für Beiträge ›von außen‹ geöffnet – im Sammlungsbereich, aber auch in laufenden Forschungsprojekten des Museums. Als besondere Herausforderung betrachtet das Museum das Kuratieren von Ausstellungen gemeinsam mit Frankfurter Stadtexpert/innen. Für diesen Modus der Co-Creation sieht das neue Museumskonzept eine attraktive Fläche im obersten Stockwerk des neuen Ausstellungshauses vor. Zwischen den dort fest installierten Elementen Frankfurt-Modell und Bibliothek der Generationen, die ebenfalls ein partizipatorisches Konzept haben, steht mit ca. 500 Quadratmetern eine flexibel nutzbare Wechselausstellungsfläche bereit, mit Blick über die Stadt aus 80 Fenstern. Hier werden ab 2017 zweimal pro Jahr Projekte präsentiert werden, die in unterschiedlichen Formen partizipativer Museumsarbeit entstehen sollen. Ohne ›Übung‹ traut sich das Museum jedoch dieses neue Format nicht zu. Deshalb wird seit 2011 das Stadtlabor an verschiedenen Orten in der Stadt, mit immer wechselnden Partnern in der ganzen Stadtgesellschaft geprobt: Stadtlabor unterwegs.

A usstellungs - und V ermit tlungsmodell des S tadtlabor unterwegs Mit den insgesamt fünf Stadtlabor-Ausstellungen seit 2011 konnten die konzeptionellen Ideen, die 2010/11 entwickelt und formuliert wurden, im Laborformat umgesetzt, überprüft, weiterentwickelt und damit die Vision des partizipativen Museums ein Stück weit in die Realität umgesetzt werden.8 Mit einem umfassenden Outreach-Ansatz ist es bisher an vorwiegend unmusealen Orten in der Stadt präsent. Die Ausstellungen sind Ergebnis eines jeweils etwa einjährigen Prozesses des kollaborativen Kuratierens9 von Frankfurter Bürger/innen gemeinsam mit dem hmf. Dabei wurden bisher sowohl ganze Stadtteile (wie das Ostend, Ginnheim oder Gallus) als auch spezifische Orte (wie das Freibad Stadionbad oder die Wallanlagen eines öffentlichen Parks) als Untersuchungs- und Ausstellungsorte gewählt.10 Die Vorschläge 8 | Vgl. Gerchow et al.: Nicht von gestern. 9 | Mit dem Begriff des kollaborativen Kuratierens ist die gemeinsame Arbeit an Ausstellungen gemeint, bei der die unterschiedlichen partizipativen Formen von Nina Simon (2010) zum Einsatz kommen. 10 | Zu jeder Ausstellung wurde neben einem Projektblog auch eine ausführliche Ausstellungsdokumentation als Printversion erstellt, in der Ausstellungskonzept, Einzelbeiträge und der Prozess beschrieben werden. Vgl. Historisches Museum Frankfurt (Hg.): 2011; 2012; 2013; 2014. Die Blogs sind online zugänglich, siehe http://blog.histori​ sches-museum-frankfurt.de/ vom 13.04.2016.

Das par tizipative Stadtmuseum

für die Orte kamen häufig aus der Stadtbevölkerung selbst, weil ein sozialpolitisches oder historisch-didaktisches Interesse mit den Ausstellungen im Stadtteil oder vor Ort verbunden wurde oder eine Vorgängerausstellung als Vorbild diente. Den Präsentationen ging ein ergebnisoffener Prozess voraus, zu dem öffentlich eingeladen wurde. Konzept, Programm, Prozess und Gestaltung wurden dabei gemeinsam verhandelt.11 Das Museum versteht sich als Begleiter, indem es seine Ausstellungsexpertise und sein institutionelles Wissen einbringt.12 Die durchschnittlich 100 Teilnehmer/innen und Ko-Kurator/innen der jeweiligen Projekte sind Bürger/innen aus der Stadt, die ihren Stadtteil mitgestalten, Aufmerksamkeit auf bisher unbeachtete Aspekte der Stadtgeschichte und ihrer Gegenwart richten oder eine erweiterte Öffentlichkeit für ihre Positionen finden wollen. Für das Museum ist die Entscheidung zu partizipativer Arbeit vielschichtig: In erster Linie steht die Idee dahinter, dass Frankfurter/innen ihr Stadtmuseum selbst mitgestalten und mitbestimmen können. Über die Methodik der partizipativen Museumsarbeit nähert sich das Museum Gegenwartsphänomenen der Stadt: Durch das Sammeln und Ausstellen der (häufig immateriellen) Stadtkultur will das hmf eine größere Diversität an Positionen abbilden, das Museum in der Stadt bekannter machen und eine Community bilden, die nachhaltig in die Museumsarbeit integriert wird. Im Kontext der Neukonzeption orientiert sich das hmf damit an museologischen Diskursen zum Museum als ›Contact Zone‹,13 dem Auf bau von reziproken Beziehungen zwischen Museum und Stadtgesellschaft als ›New Museology‹14 und in erster Linie der Entwicklung einer offenen Community15 sowie der Diskussion um die Möglichkeiten und Wirkungen von Partizipation an kulturhistorischen Museen.16 Anhand der Analyse der vierten Stadtlabor-Ausstellung park in progress. Stadtlabor unterwegs in den Wallanlagen aus dem Jahr 2014 sowie einzelner Beispiele aus vorherigen Projekten lassen sich die spezifischen Formen von Sammlungen zeigen – im Rahmen der Ausstellungen als immaterielles Netzwerkwissen, im Rahmen des Stadtlabors auf Ebenen des ›Community Building‹ sowie als Element von ›Social Inclusion‹.17

11 | Vgl. O. Bäß/A. Canzler: Der Prozess der partizipativen Gestaltung. 12 | Vgl. W. Hijnen: The new professional Underdog or Expert?, S. 16 f. 13 | Vgl. J. Clifford: Routes. 14 | Vgl. S. Macdonald: Museen erforschen. 15 | Vgl. L. Meijer van Mensch: Von Zielgruppen zu Communities. 16 | Vgl. J. Gerchow et al.: Nicht von gestern. 17 | Vgl. R. Sandell: Museums as Agents of Social Inclusion.

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F allbeispiel : D ie A usstellung park in progress Mit der Ausstellung park in progress hat das Stadtlabor eine Ausstellung im öffentlichen Raum durchgeführt: Die Frankfurter Wallanlagen sind eine 5,2 Kilometer lange Grünfläche, hervorgegangen aus der ehemaligen Stadtbefestigung. Die charakteristische Zackenform zieht sich in sieben Anlagenabschnitten um die Frankfurter Innenstadt, durchbrochen von mehreren Straßen. Umstritten sind die vor allem in den 1970er Jahren erfolgten Ausnahmen von der sogenannten Wallservitut, einer Regelung, die die Bebauung der Grünfläche regelt und beschränkt. Aufgrund ihrer Innenstadt begrenzenden Lage sind die Anlagen heute Transit- und Aufenthaltsort. Die Frankfurter Kulturgeschichte spiegelt sich in der Grünfläche anhand zahlreicher Denkmäler und vieler anderer Aspekte wider. Angeregt wurde die vierte Stadtlabor-Ausstellung maßgeblich von einer Bürgerin, die den Wunsch hatte, eine öffentliche Debatte über den aktuellen Umgang und die Pflege der Grünfläche zu führen. Von den rund 100 Teilnehmer/innen wurden darüber hinaus unterschiedliche Narrative entwickelt: Weitgehend unbekannte Geschichten über historisch relevante Gebäude (wie die Frankfurter Wasserhäuschen und ihre Betreiber, das Jüdische Museum im Rothschild-Palais oder die orientalisierende Architektur des Maurischen Hauses) stärkten das Bewusstsein von der historischen Entwicklung und Bedeutung der Grünfläche. So wurde Unsichtbares wieder sichtbar gemacht und an vergessene Bedeutungsebenen der Stadt erinnert, etwa in einem Beitrag über verschwundene oder gewanderte Denkmäler, deren Verbleib auf die wechselhafte Frankfurter Stadtgeschichte verweist. Andere Beiträge stellten die Grünfläche als öffentlichen Raum zur Diskussion und thematisierten Fragen zu alten und neuen ›Grenzen‹ in der Stadt, die sich rund um die ehemalige Stadtbefestigung manifestierten. Szenografisch wurden die 60 Einzelbeiträge mit einer gelben Stangenspur als Parcours realisiert, die auffällige Farbe sollte an Vermessungsstangen erinnern. Entstandene Blickachsen leiteten die Besucher/innen zur jeweils nächsten Station. Das spezifische Wissen, das mittels partizipativer Methodik in den Stadtlabor-Ausstellungen gezeigt wird, nennen wir ›Expertenwissen‹ und begründen damit das Konzept der geteilten Expertise zwischen Museum und Stadtbevölkerung. Dieses Wissen setzt sich zusammen aus strukturellem Wissen über Funktionsweisen in der Stadt, historischem Wissen über Personen oder Stadtteile, mündlichen Überlieferungen, Meinungen und Einstellungen, Kritik oder Visionen zu Entwicklungen in Frankfurt oder Erfahrungswissen über die »Eigenlogik der Stadt«.18 Es kann sich auf die Beschreibung der Alltagspraktiken der Städter/innen beziehen und das sinn- und identitätsstiftende Netz an 18 | M. Löw: Eigenlogische Strukturen.

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Bedeutungen, das diesen zugeschrieben wird. Dieses in den Stadtlabor-Ausstellungen versammelte Wissen ist eine Form der immateriellen Kultur. Es stellt einen flüchtigen und somit komplexen Untersuchungsgegenstand dar. Die Bandbreite der im Stadtlabor vertretenen Bürger/innen reicht bisher von professionellen Architekten oder Stadtteilhistorikern über Schulklassen, Vereine, Künstler, Polit-Aktivisten bis hin zu gesellschaftlichen Minderheitengruppen. Unter dem Begriff des ›Expertenwissens‹ werden dementsprechend die unterschiedlichen Qualitäten der heterogenen Teilhabeergebnisse subsumiert. In allen Stadtlabor-Ausstellungen wird über die Darstellung der unterschiedlichen Erkenntnisse und Meinungen eine spezifische Vermessung der Orte vorgenommen. Diese Auslotung erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Konsistenz, vielmehr spiegelt sich darin die Disparität der Teilhabenden wieder.

V ermit tlung des ›E xpertenwissens ‹ und C ommunit y B uilding Für die Vermittlung dieses Wissens entstand, neben der Ausstellung, für jede der Stadtlabor-Ausstellungen ein Rahmenprogramm. Gebündelt wurden die Vermittlungsangebote für die Wallanlagen-Ausstellung in Form einer Wanderkarte sowie einer Smartphone-App, die zusätzlich Audio-Stimmen und ein Spiel durch die gesamte Parkanlage anbot.19 Darüber hinaus lag die Vermittlungsarbeit nur noch bedingt beim Museum, sondern erfolgte in hohem Maß von den Teilnehmenden selbst, die so ihre eigenen Recherchen und Positionen mit dem Publikum diskutieren konnten. Dieser Prozess des Aneignens und Vermittelns ist für die Akzeptanz einer solchen multiperspektivischen Ausstellung besonders wichtig. Die Identifikation der Teilnehmenden mit dem Museum ist dabei idealerweise hoch und eine wichtige Bedingung für nachhaltiges Community Building. Der hier einsetzende Multiplikatoren-Effekt von partizipativen Projekten bewirkt, dass die Teilnehmenden durch ihre Bekanntenkreise neue Publikumsgruppen generieren, die auf diese Weise häufig zum ersten Mal mit der Idee und der Arbeit des Stadtmuseums in Kontakt kommen. Die intensiv betriebene Beziehungspflege zwischen Museum und Gesellschaft ist Teil der Idee sozialer Inklusion. Diese findet ihre Anwendung in drei Aspekten: Zugang, Mitwirkung und Repräsentanz.20 Richard Sandell zeigt, dass soziale Inklusion für die Arbeit von Museen auf verschiedenen 19 | Die Smartphone-App zur Ausstellung in den Wallanlagen ist auch über das Ende der Ausstellung hinaus erhältlich (ab Android 4.1. und iOS 5.1) unter http://one.deliusbooks.de/alias/wallanlagen-app vom 13.04.2016. 20 | Vgl. L. Meijer van Mensch: Stadtmuseen und ›Social Inclusion‹, S. 83.

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Ebenen funktionieren kann – entweder auf einer individuellen Ebene, wobei Selbstbewusstsein und Kreativität gefördert werden, oder auf einer Community-Ebene, indem das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, seine Stadt zu definieren, zu vermessen und letztlich auch zu gestalten, bestärkt wird. Zuletzt identifiziert er die Ebene der Repräsentation, wobei Multiperspektivität als positive, wünschenswerte Eigenschaft von Städten gezeigt und somit das Verständnis für unterschiedliche Sichtweisen und Lebensformen bestärkt wird.21 In den Stadtlabor-Ausstellungen kam der Aspekt der Repräsentation von exkludierten gesellschaftlichen Gruppen bisher in zahlreichen Teilprojekten zum Tragen, etwa in der Zusammenarbeit mit Jugendzentren für strukturell benachteiligte Jugendliche, mit Einrichtungen für Drogenabhängige oder Wohnsitzlose oder auch mit einer Parkinson-Selbsthilfeeinrichtung, kurz: mit Gruppen, die unterschiedlichen Formen der gesellschaftlichen Ausgrenzung ausgesetzt sind. In einigen Fällen erfolgte das Community Building, also der Auf bau einer Beziehung zwischen Museum und Teilhabenden, besonders nachhaltig. Anschaulich wird das bei Personen wie dem Postkartensammler, der bisher für jede der fünf Ausstellungen seine Frankfurt-Sammlung geöffnet hat, oder den Frauen vom Bundesverband der Migrantinnen, die in Ginnheim (2013) ihre Perspektive auf migrantisches Leben im Stadtteil einbrachten, bei Nachfolgeprojekten weiterhin involviert waren und darüber hinaus im langfristigen Format der Bibliothek der Generationen vertreten sind. Im Rahmen des einjährigen Prozesses handelt es sich um einen intensiven Annäherungsprozess zwischen Bürgerinnen und Museum, aber auch zwischen den Teilnehmenden selbst. Community Building bezieht sich jedoch nicht nur auf die Beziehungen zwischen Museum und Stadtgesellschaft, sondern auch auf den Austausch der Teilnehmer/innen untereinander. Das Stadtlabor wird konkret zum Begegnungsort, wenn sich etwa eine Künstlerin und die Leiterin einer Drogenhilfe erstmals treffen und sich zu einem gemeinsamen Projekt entschließen. So geschehen im Projekt SkulpturMüllSkulptur, bei dem die tägliche Arbeit der am Park angrenzenden Drogenhilfe sichtbar gemacht wurde, indem gesammelter Müll in Bezugnahme auf Joseph Beuys in einer wachsenden Skulptur angeordnet wurde. Auch die Auseinandersetzung der Teilnehmenden mit gegensätzlichen Positionen und Beiträgen während der Entwicklungsworkshops trägt zum Museum als Kontaktzone bei. Wie durch das Stadtlabor eine Form des Empowerment entstehen kann, die zu einem Aneignungsprozess des öffentlichen Raums und der Stadt führt, zeigt auch eindrücklich ein Beispiel aus der Vorgängerausstellung in Ginnheim (2013). Dort wurde auf dem Kirchplatz – dem Zentrum des ehemaligen, 21 | Vgl. R. Sandell: Social inclusion, the museum and the dynamics of sectoral change, S. 45.

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nun eingemeindeten Dorfes – mittels eines kleinen Urban-Gardening-Projekts auf die unzureichende und unsoziale Nutzung des kleinen Platzes aufmerksam gemacht. Der selbstorganisierte und temporäre Gemeinschaftsgarten schaffte so performativ einen Zukunftsentwurf und einen Diskursraum für die Zukunft des Stadtteils. Einer der Initiatoren des Projekts, Jan Jacob Hofmann, fasste die für ihn wichtigste Erkenntnis so zusammen: »Ich habe begriffen, dass die Stadt mein Raum ist. Und der muss nicht so bleiben wie er ist.«22

D as M useum als O rt für V ergemeinschaf tung , I nklusion und P olitisierung Zusammenfassend lassen sich die unterschiedlichen Funktionen der Partizipation genauer eingrenzen, die im Rahmen der Ausstellungen Stadtlabor unterwegs von 2011 bis 2015 deutlich wurden. Die vergemeinschaftende Funktion wird mit dem Begriff Community Building erfasst, wobei damit langfristig auch ein Einfluss auf die Besucherentwicklung, das ›Audience Development‹, des Museums verbunden ist. Die inklusive Funktion zielt auf ein stetiges Hinterfragen, für wen das Museum ein Ort der Repräsentation ist, also in welcher Weise das Museum Stadtgesellschaft widerspiegelt. Das Stadtmuseum kommt dabei seiner Aufgabe nach, verschiedene Narrative über die Stadt anzubieten und zur Diskussion zu stellen. Durch die kontinuierliche Sammlung multiperspektivischer Erzählungen ergibt sich ein kaleidoskophaftes, ständig veränderliches Bild der Stadt. Die Ausstellungen spiegeln damit eine wichtige Realität von Frankfurt a. M. wider. Zuletzt hat das Stadtlabor auch eine politisierende Funktion: Auf kultureller Ebene wird politisches Bewusstsein aktiv verhandelt, indem die Rolle und das Wissen um den eigenen Einfluss von Stadtbewohner/innen diskutiert wird. Die fünf bisher durchgeführten Stadtlabore ermutigen, dieses Format sowohl räumlich in das Museum zu holen als auch nach 2017 immer wieder in die Stadt ›rauszugehen‹. Gleichzeitig ergeben sich viele Fragen, die das Museum auch in Zukunft beschäftigen werden: Das betrifft sowohl pragmatische Fragen der Machbarkeit angesichts des hohen Personalaufwands partizipativer Arbeit als auch museologische und theoretische Fragen. Die neue Rolle der Museumskuratoren muss überdacht werden, wenn sich das Museum vom Anspruch wissenschaftlichen Arbeitens sowie der kuratorisch-auktorialen Verantwortung entfernt und zentrale Entscheidungen über Ausstellungen kollaborativ getroffen wer22 | Mündliches Statement in der »Stadtlabor-Debatte« zum Stadtlabor Wallanlagen am 29.10.2014 mit Hanno Rauterberg.

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den. Darüber hinaus wird es wichtig werden, über neue Formen, weitere Anwendungsbereiche, genaue Wirkweisen und die gesellschaftliche Bedeutung von Teilhabe nachzudenken. Wie entwickelt sich die bisherige Sammlung des immateriellen Expertenwissens unter den Bedingungen eines digitalen Ansatzes weiter? Inwiefern können etwa auch die Sammlungen materieller Objekte unter dem Aspekt der Teilhabe bearbeitet werden? Lassen sich für das Museum klare Grenzen von Beteiligung explizieren und begründen? Wie nachhaltig kann und soll der Auf bau der Stadtlabor-Community zukünftig sein und wie lässt sich das Community Building strategisch weiterentwickeln? Nicht zuletzt wird es auch um ein allgemeineres Verständnis gehen müssen: Welche Rolle haben Museen als identitätsstiftende Erinnerungsorte im Kontext eines partizipatorischen Wandels in einer Gesellschaft mit einem transnationalen Kulturverständnis?

Abbildung 1: Eröffnung des neuen Historischen Museums, Frankfurt am Main, 1972.

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Abbildung 2: Die Wanderkarte durch die Wallanlagen vermittelte die unterschiedlichen Ausstellungsbeiträge.

Abbildung 3: Beitrag Groncy-Scheitterer ©, Menschen in den Wallanlagen. Ein erfahrungsorientierter Erzählansatz.

Abbildung 4: Am Bauzaun Grenzverhandlungen konnten Beiträge oder Meinungen hinterlassen werden.

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District Six Museum Vermittlung im Zentrum Bonita Bennett

Ein Museum, das auf Abwesenheit gründet, wirft viele Fragen auf, die es sich zu untersuchen lohnt. Es regt zum Nachdenken darüber an, was Menschen, die kaum über materiellen Besitz, sozio-politischen Einfluss oder Bildung verfügen, und deren Geschichte ausgelöscht wurde, der Welt durch ein Museum anzubieten haben. Ein Museum, das der Geschichte ihrer zerstörten Community gewidmet ist: Das Kapstadter District Six Museum. Obwohl das Museum offiziell erst 1994 als erstes Post-Apartheid-Museum eröffnet wurde, liegen seine Ursprünge in den Anti-Apartheidkämpfen der 1980er Jahre. Eine Konferenz im Jahr 1989 mit dem Namen ›Hände weg vom District Six‹ wird als Moment genannt, an dem erstmals öffentlich zu einer Museumsgründung aufgerufen wurde. Man sah darin ein Potential, dem Gedächtnis der zerstörten Community einen Ort zu geben und es zu bewahren, mit ihr gemeinsam zu erforschen, wie ein solches Gedächtnis mobilisiert werden kann, um ihren Anspruch auf Land zu unterstützen und den Kampf um das Recht auf Erinnerung zu stärken. Dabei sollte Erinnerung nicht nur als Instrument in der oben beschriebenen Form, sondern auch als konstitutiver Bestandteil ihrer verletzten Menschlichkeit verstanden werden. Die Rekonstruktion von Leben in materieller und immaterieller Hinsicht stand im Zentrum der Museumsgründung. District Six war eine kulturell heterogene und lebendige Nachbarschaft in einem Kapstadter Innenbezirk, dessen Gründung in die 1880er Jahre zurückgeht. Der Bezirk wurde für seine Lebendigkeit und seinen kulturellen Reichtum berühmt und hieß Neuankömmlinge an den Küsten Südafrikas willkommen. Dadurch wurde er zum Zuhause für frühe Migrant_innen, von denen manche auf der Flucht vor den jüdischen Pogromen in Europa oder einfach auf der Suche nach besseren wirtschaftlichen Möglichkeiten waren; die versklavten Bewohner_innen des Kaps (aus Indonesien, Java, Indien, Angola, Malaysia, Mozambique), die 1834 per Gesetz befreit wurden sowie lokale Bevölkerung. Gerade die Unterschiedlichkeit seiner Community machte ihn seit

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Mitte des 20. Jahrhunderts zum Angriffsziel der Apartheidsregierung. Apartheid funktionierte über einen bedingungslosen Glauben an das System von ›teile und herrsche‹; sie brauchte den Glauben, dass das Zusammenleben von Unterschieden weder wünschenswert noch möglich war. District Six war der lebendige Beweis dafür, dass diese Behauptung falsch war. 1966 wurde er zur ›Whites-Only‹-Zone erklärt, seine Bewohner_innen in unterschiedliche ›Rassenkategorien‹ eingeteilt und diese entsprechend dann in unterschiedliche Gegenden vertrieben. Ihre Häuser, Straßen und die Zeichen ihrer Gemeinschaft wurden dem Erdboden gleich gemacht. Trotz der Zerstörung blieb das Land unbewohnt und der Apartheidstraum einer ›Whites-Only‹-Stadt, die aus seinen Trümmern aufgebaut werden sollte, ging nicht in Erfüllung. Der Bezirk ist zum Ort eines langandauernden Landrestitutionsprozesses geworden und ein paar Familien sind zurückgekehrt.

W arum ein M useum ? Die Entscheidung, ein Museum zum Medium der Wiederherstellung und Restitution zu machen, war eine interessante Wahl, die Gegenstand zahlreicher Debatten und Diskussionen war. Sie wurde zu einem Zeitpunkt getroffen, als Museen eng mit der Vergangenheit von Kolonialismus und Apartheid in Südafrika verbunden waren und eine Darstellung vertraten, die die Geschichte der Apartheid nicht bloß erzählte, sondern ihre Existenz auf offene oder versteckte Art und Weise rechtfertigte. Es war zu einer Zeit, als die indigene Bevölkerung in Dioramen im Naturhistorischen Museum in Kapstadt dargestellt wurde, das Leben von Weißen dagegen im Kulturgeschichtsmuseum. Museen waren weder freundliche noch einladende Orte. Die Idee eines Museums lag völlig außerhalb des üblichen Diskurses Schwarzer Südafrikaner_innen und diejenigen, die nicht am Entscheidungsprozess teilgenommen hatten, brauchten einige Zeit, um das Konzept anzunehmen. »I often wonder in what spirit and with what intention the term ›museum‹ was first used in the context of District Six«, meint Peggy Delport, Künstlerin, Vermittlerin und prominentes Gründungsmitglied des District Six Museums.1 Ihrer Ansicht nach berief man sich mit dem Begriff ›Museum‹ auf etwas, das Solidität, Kontinuität und Dauerhaftigkeit ausdrücken sollte und sich sogar der Kraft der Planierraupe und der Macht eines Regimes widersetzen konnte, das den Ort und die Gemeinschaft unbedingt auslöschen wollte. Das generelle Ziel bestand darin, einen Ort des Erinnerns zu schaffen, kein Denkmal; man wollte den Fokus auf Wieder-

1 | P. Delport: Museum or place of working, S. 11.

District Six Museum herstellung und Rekonstruktion der sozialen und historischen Existenz des District Six lenken. 2

Von Anfang an stand fest, dass Lernen und Nachdenken über Bedeutung und Wirkung im Zentrum der kuratorischen Tätigkeit dieses Museums standen. In der Konzeption ging es nur selten um die Errichtung eines Museums, das andere über etwas unterrichtet, was sie nicht wissen. Vielmehr ging es um das Begreifen der eigenen lebensverändernden Erfahrungen durch die Vertreibung, indem Menschen ihre bislang zum Schweigen gebrachten Geschichten erzählen. Gleichzeitig wollte man andere dazu einladen, in die Geschichte der Community einzutauchen und durch dieses Eintauchen auf die eine oder andere Art berührt oder verändert zu werden. Darauf zielte die Lernerfahrung ab. der Wunsch zu ›sammeln‹ wurde ganz bewusst nicht im Sinne traditioneller Museen verstanden. Stattdessen bestand der Zweck des ›Sammelns‹ darin, etwas miteinander zu teilen, zu mobilisieren, für Gerechtigkeit und die Anerkennung eines Traumas zu kämpfen. Somit ging es beim (mündlichen und schriftlichen) Geschichtenerzählen darum, wieder mit Nachbar_innen in Kontakt zu treten und die Erinnerung an den District Six als Teil des Bewusstseins der Stadt aufrechtzuerhalten. 3

W ie alles begann Menschen, die vor seiner Zerstörung im District Six gewohnt hatten, waren Teil des Gründungsteams und darüber, was heute ›Audience Development‹ genannt würde, machte man sich kaum Gedanken. Denn viele, die sich verbunden fühlten, rissen sich um eine Beteiligung. Die Grenzen zwischen Teilnehmenden, Besucher_innen, Vermittler_innen, Kurator_innen und Geschichtenerzähler_innen verwischten oft, und viele bewegten sich zwischen diesen unterschiedlichen Rollen. Aktuelle Mitarbeiter_innen und Freiwillige 2 | Ebd: »something that suggested a solidity, continuity and permanence that could withstand even the force of the bulldozer and the power of a regime committed to the erasure of place and community. The common impulse in the call was for a place of memory, not a monument but a focus for the recovery and reconstruction of the social and historical existence of District Six.« 3 | C. Julius: Participative strategies, S. 1: »the desire to ›collect‹ in the sense which links it to the notion of the traditional museum – was purposefully absent. Instead, the purpose of ›collecting‹ was to share, to mobilise, to advocate for justice and to bring about recognition of a trauma. In this context, the driving force behind sharing stories (oral and written) was the act of reconnecting with neighbours and keeping the memory of District Six as part of the city’s conscience.«

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haben auf dieser Herangehensweise aufgebaut, die einen Museumsbesuch so verstand, dass sich alle Beteiligten auf einen Lernprozess einlassen. Gründungsnarrative sind wichtig und geben einem Projekt Leben: Der Zweck gestaltet Methode und Form. Ich argumentiere, dass das District Six Museum aufgrund seiner klaren Zielsetzung von einigen der schlimmsten Spannungen zwischen Kuratieren, Ausstellen und Vermitteln als getrennte Disziplinen verschont blieb  – eine Ausrichtung, die wir bis heute beizubehalten versuchen. Weil es ihm nicht um die Gründung eines konventionellen Museums ging, legte sich das Organisationskomitee in gewisser Hinsicht seine eigenen Regeln zurecht. Statt etablierte Konventionen der Museumspraxis einfach zu übernehmen, war der leitende Motor im damaligen historischen Kontext Südafrikas eine Verpflichtung gegenüber einer gesellschaftlichen Transformation und der Erlangung von Menschenrechten für alle. Alles in Angriff genommene musste die Voraussetzung erfüllen, einen Beitrag zur Wiederherstellung und zum Schutz der Menschlichkeit zu leisten, bevor das Projekt implementiert wurde. Zur Koalition der Museumsgründer_innen zählten Künstler_innen, Aktivist_innen, Akademiker_innen, Geistliche, Wissenschafter_innen und Schriftsteller_innen, die in einem dynamischen Team zusammenarbeiteten und ein großartiges Modell entwickelten, indem sie bewusst gegen den Strich dachten. Als Ergebnis dieses Prozesses wurde mit der Schaffung von Museumsräumlichkeiten begonnen. Es gab zwar keine Sammlung, mit der das Museum seine Interpretationstätigkeit betreiben konnte, doch es waren immer Menschen da: ihre Gegenwart, ihre Geschichten und schließlich ihre Gegenstände. Die Gegenstände waren größtenteils Dinge des Alltags, mitunter abgeschlagen, verrostet oder gar zerbrochen, Artefakte, die einen Teil ihres Lebensarchivs darstellten. Die Abwesenheit der materiellen Spuren des Lebens von Menschen auf der zerstörten und neu konturierten Landschaft wurde in hohem Ausmaß zur rahmenden Metapher – die Mahmoud Darwish als »Anwesenheit der Abwesenheit«4 bezeichnet – für eine in das Projekt eingeschriebene Methodik. Die Versatzstücke – die Überbleibsel aus dem Leben von Menschen – bilden das Herzstück unserer Sammlung und wir mussten uns folgende Frage stellen: Angesichts der Umstände, unter denen viele Menschen ihre Häuser verlassen haben; angesichts dessen, dass die materiellen Spuren ihres Lebens, ihrer Straßen, ihrer Häuser und andere Referenzpunkte zerstört wurden; dass viele unter dem Eindruck von Planierraupen Familienalben und andere Erinnerungsstücke zu Gunsten anderer Besitztümer, die für den Wiederauf bau ihrer Existenz andernorts notwendig waren, zurücklassen mussten; mindert die Abwesenheit von Dingen die Geschichte, die sie der Welt im Kontext eines Museums zu erzählen haben? Paul Williams verweist auf eine grundlegende Schwierigkeit, 4 | M. Darwish: In the Presence of Absence, S. 71.

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mit der sich Erinnerungsmuseen konfrontiert sehen: »orchestrated violence aims to destroy and does so efficiently. The injured, dispossessed and expelled are left object-poor.«5 Die Gründung des District Six Museum antwortet in gewisser Hinsicht auf diese Herausforderung und zeigt dabei, dass sich Lernen und Abwesenheit nicht ausschließen müssen.

Tr ansformative V ermit tlung Die Geburtsstunde des District Six Museum fällt buchstäblich mit Südafrikas Übergang zur Demokratie zusammen. Das Jahr der ersten demokratischen Wahlen des Landes und der Ernennung des verstorbenen Nelson Rolihlahla Mandela zum Präsidenten – 1994 – ist auch das Geburtsjahr des Museums. Diese Periode lässt sich über ihre Euphorie gegenüber Veränderungen charakterisieren und Bildung stand weit oben auf der Agenda, um den neuen Weg zu einem rechtsstaatlichen Südafrika in Gang zu setzen. Die neue Erfahrung von Bildung als umkämpfter Bereich stand hoch im Kurs, und die ermächtigenden didaktischen Methodiken, die während dieser Zeit entstanden, haben viele Bereiche der Arbeit und kulturellen Beteiligung einschließlich des Museums beeinflusst. »Each one teach one« forderten die Studierendenbewegungen der 1980er Jahre lautstark. Genau dieses Bestreben systematisierte Paulo Freire im Konzept der ko‑intentionalen Pädagogik, in dem er sich für die Austauschbarkeit der Rollenverteilung zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen ausspricht.6 Er gilt als einer der maßgeblichsten Verfechter der Idee, dass jede_r etwas lehren und jede_r etwas lernen kann. Niemand kommt als leeres Gefäß in eine Lernsituation, das von Expert_innen mit Wissen gefüllt werden soll. Er entlarvt das »Bankiers«-Modell der Pädagogik: Ein konservatives Modell, das für die Übermittlung von »Wissenseinlagen« von Lehrer_innen zu Schüler_ innen plädiert, ganz ähnlich wie man Vermögen in einem leeren Banktresor oder auf einem Konto deponieren würde.7 Ein solcher Ansatz legt diejenigen, die nicht als autorisierte Lehrer_innen gelten, als passive Behälter fest und spricht ihnen ab, aktiv an der Wissensherstellung beteiligt zu sein. Unter der Apartheid wurden ›Subjekte‹ in einen Bereich verbannt, in dem man auf sie einwirkte, und sie wurden zu Empfänger_innen restriktiver Gesetze, Regulierungen und Verbote. Widerstand wurde darin begründet, die Stimme zu erheben und Passivität entgegenzutreten. Diese Orientierung trieb alle Formen der demokratischen Massenbewegung an, die städtischen Gruppen, die Jugend- und religiösen Organisationen, Arbeits- und Bildungsinitia5 | P. Williams: Memorial Museums, S. 25. 6 | P. Freire: Pädagogik der Unterdrückten, S. 71. 7 | Ebd.: S. 74.

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tiven. Wieder handlungsfähig zu werden, stand auf der Agenda der Widerstandsbewegung weit oben. Freire verweist auf das Brechen einer »Kultur des Schweigens« 8 – eine akkurate Beschreibung dieser spezifischen Barriere, die eine selbstartikulierte Menschheit in ihrer Gesamtheit verhindert.

R efle xionen über K ur atieren und V ermit tlung Auf einer Konferenz in Bologna, Italien (2005) reflektiert die Leiterin der Vermittlung am Museum, Mandy Sanger, über das pädagogische Konzept des Museums. Sie identifiziert einige Schlüsselelemente des Vermittlungsprogrammes, das auf Freires Bildungstheorie auf baut, angepasst an die Bedürfnisse unseres Kontexts. Sie betont, dass unser Ausbildungsprogramm darauf abzielt: einen dialogischen oder kollektiven Lernansatz zu entwickeln, um zu verhindern, dass das Wissen und die Erfahrungen von Lernenden zum Schweigen gebracht werden; Prozesse anzuregen, die zum Learning by Doing und Erfahrungslernen ermuntern; mithilfe der Jugendentwicklungsprogramme und Museumsprojekte kritische Forschungswerkzeuge zu entwickeln; unsere Arbeit im Museum durch eine Politik des kritischen Nachdenkens zu untermauern – ein ›Nie-Wieder‹-Ethos im Kontext postpolitischer Traumaerfahrungen zu stärken; die Kultur des Schweigens von unterdrückten Menschen zu brechen, wie sie durch Institutionen vermittelt wird, die den dominanten kulturellen Diskurs stützen. 9

Crain Soudien, Gründungsmitglied des Stiftungsrates, der diese Perspektiven auf das Gestalten von Besucher_innenerfahrungen teilt, unterscheidet zwischen zwei pädagogischen Strömungen im Museum: zwei verschiedene – es gibt sicherlich mehr – pädagogische Ansätze können im Museum beschrieben werden. Den ersten Ansatz würde ich ›Versetz-dich-in-meine-Lage‹ nennen, den zweiten ›welche Auswirkungen hat das‹.10 8 | E. Lange: Einführung, S. 9. 9 | M. Sanger/S. Abrahams: Places of Memory: »developing a dialogic or collaborative approach to learning – to counteract the silencing of learners’ knowledge and experience; designing processes that encourage learning by doing and experiential learning; developing the tools of critical enquiry through the youth development programmes and projects of the Museum; underpinning the work we do in the Museum with a politics of critical reflection – strengthening the ›never again‹ ethos confronted by post-political trauma experiences; breaking the culture of silence of oppressed people as transmitted through the institutions that support the dominant cultural discourse.« 10 | C. Soudien: Memory and critical education, S. 115: »two distinct – there are certainly more – pedagogical approaches can be described in the Museum. The first is what

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Der erste Ansatz bezieht sich auf die emphatische Einladung, die Position unbeteiligter Besucher_innen zu verlassen und zu lernen und zu verstehen, indem man versucht, die Vergangenheit aus der Perspektive von Zeug_innen zu betrachten. Wenn man unsere Auffassung teilt, dass das Ziel von Bildungsarbeit darin liegt, Veränderung herbeizuführen, dann lädt der zweite von Soudien beschriebene Ansatz Besucher_innen zu einer Reflexion darüber ein, welche Veränderungen sich hinsichtlich Haltung und Handeln aus diesem neuen Verständnis ergeben können. Die oben dargestellten Rahmen und Ansätze wirken darin zusammen, eine Reihe von tiefgehenden Begegnungen in die Wege zu leiten, die ein Bewusstsein für mehrere Aspekte schaffen. Die Reaktionen von Besucher_innen wie Teilnehmenden geben dem Museum Aufschluss darüber, welche Strategie aufgeht, welche nicht, und  – am wichtigsten – welche Verbindungen durch diese Begegnungen hergestellt werden. Vermittelnde gehen unvermeidlich mit dem starken Gefühl weg, dass auch sie durch die Begegnungen, die sie angeleitet haben, bereichert worden sind. Diese Bereicherung wurde von Teilnehmenden u. a. als das Lernen von neuen, bislang unbekannten Inhalten aus verschiedenen Kontexten beschrieben; als etwas, an dem Besucher_innen Anteil hatten; als ein Zugewinn von Erfahrung, wie sich Gruppendynamik auf Interventionen auswirkt und dadurch von Anpassungsfähigkeit und Kreativität als Vermittler_in; und schlussendlich als das durch Beobachtung ermöglichte Entdecken, wie Menschen lernen, was von größter Bedeutung ist.

Z wei progr ammatische B eispiele Eine Reihe von Programmen und Projekten setzen die Methodologien des Museums in die Praxis um. Zwei von ihnen habe ich exemplarisch ausgewählt: Während das Heritage Ambassador-Programm (Kulturerbe-Botschafter_innenProgramm) auf Jugendliche fokussiert, richtet sich das Huis-Kombuis-Programm an ältere Menschen aus dem Bezirk und von anderen Orten, an denen Menschen vertrieben wurden.11

Das Heritage Ambassador-Programm: Arbeit mit Jugendlichen Seit das Programm vor etwas mehr als zehn Jahren gestartet wurde, gab es mehrere Jahrgänge an Kulturerbe-Botschafter_innen. Gewöhnlich nehmen junge Leute zwischen 15 und 19 Jahren aus umliegenden High Schools teil, I call the ›stand-in-my-shoes‹ approach and the second is the ›what are the implications of this‹ approach.« 11 | Wörtlich aus dem Afrikaans übersetzt bedeutet Huis Kombuis ›Hausküche‹.

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ein paar der Jugendlichen sind mitunter arbeitslos oder haben kürzlich die Schule abgebrochen. Wie viele andere Programme des Museums auch handelte es sich hier um ein Workshopformat in Verbindung mit Feldforschung. Das Programm fokussiert auf den Erwerb von Grundkompetenzen, wobei jeder Jahrgang jedoch durch kontextuelle Faktoren, thematische Interessen, Stärken der Teilnehmenden und die jeweilige Schwerpunktsetzung des Museums variieren kann. Kritisches Denken und Forschungsmethodologien sind Schlüsselbestandteile jedes Semesterprogramms. Über den Jahrgang 2010 sagt Programmleiterin Mandy Sanger in Hinblick auf die Ausstellungskomponente, die immer ein Teil der Outputs ist: Das Projekt hat eine konstruktive Leitung, Bürger_innenrechte und Verantwortung gegenüber der Zukunft als wichtige Aspekte hervorgehoben. Die Teilnehmenden wurden in alle Bereiche der Ausstellungsarbeit eingeführt und trugen während aller Entwicklungsphasen Verantwortung für die Ausstellung. In kollaborativen Lernaktivitäten forschten sie zu den Inhalten der Ausstellungsinhalte. Sie waren auch für Gestaltung und Aufbau verantwortlich. Eine von den Teilnehmenden geführte Mediakampagne war Teil des Programms. Schließlich entwarfen und implementierten die Teilnehmenden ein Ausbildungsprogramm für Grundschüler_innen aus ihren Communities.12

Teilnehmende wurden gebeten, über ihre eigenen Lernerfahrungen zu reflektieren und die gesammelten Daten zeigten, dass sie ein Verständnisniveau erreichten, das über das Einprägen sachlicher und inhaltlicher Informationen hinausging. Sie waren sich ausgesprochen bewusst darüber, dass ihre eigenen Einstellungen und Haltungen wichtige Bestandteile ihrer Lernerfahrung waren. So sprachen sie auch darüber, wie sehr sie von Brainstorming, Planung und insbesondere dem Zuhören anderer Teilnehmender inspiriert worden seien, über ihre Lernstrategien und die Notwendigkeit von Konzentration und persönlicher Dokumentation. Sie anerkannten den Wert, Fehler machen und korrigieren zu können sowie unterschiedliche Meinungen einzubeziehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, darüber hinaus erwähnten sie auch Spaß und Freude.13 12 | District Six Museum: The Heritage Ambassador, S. 21: »The project stressed the need for constructive leadership, citizen rights and responsibilities for the future. Participants were introduced to all areas of exhibition work and were responsible for the exhibitions at all stages of development. Using collaborative learning activities they researched the content of the exhibitions. They were also responsible for the design and construction. A media campaign run by the participants formed part of the programme. Finally, the participants designed and implemented an education programme for primary school learners from their communities.« 13 | District Six Museum: The Heritage Ambassador, S. 31.

District Six Museum

Huis Kombuis: Arbeit mit älteren Menschen Huis Kombuis ist ein Projekt der Ausstellungsabteilung des Museums. Die Teilnehmenden bestehen aus älteren ehemaligen Bewohner_innen des District Six, die ein großes Interesse daran haben, an diesen Workshops teilzunehmen. Es geht dabei um Geschichten rund um Rituale im Haus und im Haushalt sowie um die Essensgewohnheiten im alten Bezirk. Dabei steht der häusliche Herd als zentraler Ort der Zusammenkunft im Mittelpunkt und die nostalgische Erinnerung an die familiäre Komfortzone ist mit den Folgen der Vertreibung gespickt. Tina Smith zufolge, die den Ausstellungsbetrieb des Museums und dieses Projekt leitet, werden die im Projekt integrierten Design- und Handwerksprozesse von Teilnehmenden als heilend und kathartisch erfahren. Durch die Verwendung eines durchlässigen methodologischen Rahmen und den Einsatz von Geschichtenerzählen als wichtigstes Werkzeug der Produktentwicklung versuchte das Huis Kombuis-Projekt, Erzählungen über das Leben der Teilnehmenden zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort unter unterschiedlichen reflexiven Blickpunkten zu präsentieren. Letztlich geht es aber darum, eine Geschichte des Verlustes, der Erinnerung und der symbolischen Wiederherstellung zu erzählen.14

Erzählungen, die in den Workshops entstehen, tragen zu einer wachsenden Sammlung lebender Erinnerung bei. Nach der Methode des Reminiscence Craft Design (Erinnerungs-Handwerks-Design) werden handgemachte Produkte gefertigt, indem Techniken erworben, geteilt und ausgeführt werden.15

P rojek trefle xionen Die Stärke dieser und anderer Projekte des District Six Museums liegt darin, dass jedes von einer der beteiligten Abteilungen – Vermittlung und Ausstellung – hätte geführt werden können. Die jeweilige Ausführung wäre eher 14 | T. Smith: Huis Kombuis and the senses of memory, S. 156: »Through the use of a fluid methodological framework, and by prioritising the participants’ storytelling as the key tool for the product development, the Huis Kombuis project was an attempt to present narrativised versions of the participants’ lives in a specific context, particularly time, using a number of reflexive lenses, but ultimately telling a story of loss, memory and symbolic reconstruction.« 15 | Reminiscence craft design bezieht sich auf eine Methode, handgemachte Produkte zu fertigen, die auf sensorischen Stimuli der in Erinnerung gerufenen Vergangenheit basiert, durch die der Gestaltungsprozess geleitet und angeregt werden soll. Die Stimuli umfassen den Seh-, Tast- und Hörsinn.

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in der Schwerpunktsetzung und weniger in Inhalt und Form unterschiedlich ausgefallen. Die Vermittlungskomponente ist im Projekt der Ausstellungsabteilung sehr hoch und dasselbe gilt umgekehrt für die Initiativen der Vermittlungsabteilung. Die Personalstruktur des Museums, wie sie sich in seinem Organigramm widerspiegelt, erweckt den Eindruck, dass Abteilungen voneinander unabhängige Einheiten sind. Tatsächlich wird allerdings in einer organischeren und integrierteren Art und Weise gearbeitet und die Aufteilung in Abteilungen steckt lediglich ab, wo die Hauptverantwortlichkeit liegt. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass nicht alle Mitarbeiter_innen im selben Maß Verantwortung für alle Bereiche tragen. Alan Brown und Steven Tepper beschreiben die sich verändernde Rolle des Kurators bzw. der Kuratorin des 21. Jahrhunderts als Person, die nicht nur dazu aufgerufen ist, Kunstprogramme auszuwählen und zu organisieren, sondern Bedürfnisse innerhalb ihrer Communities zu erkennen, neue und ungewöhnliche Umgebungen für ihre Arbeit ausfindig zu machen, Partnerschaften mit einer breiten Reihe von disparaten Interessengruppen zu schmieden, und mitunter einen Teil der künstlerischen Kontrolle abzutreten, um einen größeren Effekt zu erzielen.16

Das District Six Museum hatte in vieler Hinsicht das Glück, innerhalb eines Kontexts zu entstehen, in dem Zusammenarbeit groß geschrieben wurde; dadurch zeichneten sich Nichtregierungsorganisationen der 1970er und der 1980er Jahre aus. Es musste dafür nicht von vorn anfangen, wie es der Fall gewesen wäre, wenn es sich zu Beginn an die Konventionen des traditionellen Museums und dessen singuläres Modell des Kuratierens gehalten hätte. Dieses Museum ist aus einer Diagnose der Bedürfnisse innerhalb der Community heraus gewachsen. Und selbst wenn eine solche Diagnose nie abgeschlossen oder von Dauer sein kann, haben solide Startblöcke doch ein tragfähiges Fundament geschaffen. Im Huis Kombuis-Projekt findet das Lernen zwischen den Teilnehmenden statt, indem sie in einem ermöglichenden Rahmen miteinander interagieren und dabei wechselseitig die Erinnerungen anregen und so Lücken in ihren Geschichten füllen können. Ihre (häufig erstmalige) Interaktion mit dem Archiv ist eine wunderbar bestätigende Erfahrung, da sie als Forscher_innen nach dem Prinzip der Triangulation arbeiten. Gleichzeitig bieten ihre Projektoutputs und Produkte – seien es aufgenommene und transkribierte Oral Histories, Rezepte auf Postkarten, Kochvorführungen, Essensveranstaltungen oder in kreativen 16 | A. Brown/S. Tepper: Placing the Arts at the Heart: »called upon not only to select and organize arts programs, but to diagnose need in their communities, seek out new and unusual settings for their work, forge partnerships with a wide array of disparate stakeholders, and, in some cases, cede a certain amount of artistic control in order to gain broader impact.«

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Workshops hergestellte Textilien – Information und Kanäle für jene außerhalb des Prozesses, um das Gemeinschaftsethos des District Six besser zu verstehen. Jede Geschichte stellt weitere kleine Verständnisschlüssel zur Verfügung. Im Heritage Ambassador-Programm haben junge Leute die Gelegenheit, sich mit der Geschichte und den Vermächtnissen der Vertreibung zu beschäftigen, die über das »Bankiers-Modell«, das Ansammeln von Fakten und Zahlen über die Apartheid, hinausgehen.17 Sie werden herausgefordert, ihr Denken jenseits von Daten und Statistiken zu erweitern, diese als Werkzeuge zum Verstehen zu gebrauchen und nicht als Lernzwecke für sich. Das Nachdenken über Visualität und das Schaffen von etwas Innovativem, um der Öffentlichkeit ihr Lernen zu zeigen, stellt einen wichtigen Teil ihrer Lernprozesse dar. Häufige Reflexionsmöglichkeiten, die in das Programm eingebaut sind, bieten Anstoß zur Hinterfragung ihres eigenen Lernprozesses.

H er ausforderungen Die komfortable Verwobenheit der Bereiche Vermittlung und Ausstellungen des Museums könnte den Eindruck erweckt haben, dass dieser Prozess eine leichte Aufgabe war – ein Eindruck, der möglicherweise durch meine Formulierung verstärkt wurde, das Museum habe mit seinen guten Ausgangsgrundlagen ›Glück‹ gehabt. Dies wäre jedoch kein akkurates Bild! Der Kontext hat sich wesentlich verändert. Prozessarbeit ist notwendigerweise langsam und personalintensiv – zwei Charakteristika, die momentan nicht unbedingt populär sind. Der Druck, Anforderungen umgehend zu erfüllen und zuvor von Menschen ausgeführte Aufgaben zu automatisieren, ist spürbar. Wenngleich dies eine allgemeine Tendenz ist, die außerhalb der Museumswelt herrscht und zum Merkmal unserer konsumgesteuerten Gesellschaft geworden ist, war der Museumsbetrieb dagegen nicht immun. Unsere Erfahrung zeigt, dass langsame Lernprozesse großartige Möglichkeiten bieten, damit Teilnehmende sich das Museum als ihren Ort aneignen und ihr Lernen vertiefen können. Doch sind diese extrem schwierig zu finanzieren. Die Wirkung zeigt sich schrittweise und ist nur über einen längeren Zeitraum als den eines einzigen Geschäftsjahres messbar, der vonseiten der Projektfinanzierung häufig verlangt wird. Viele Projektdetails werden auf vierteljährlichen Kuratoriumssitzungen ausgehandelt; von Mitarbeiter_innen, Kurator_innen und mitunter anderen Personen, die eine spezifische Expertise in den zur Diskussion stehenden Bereichen haben. Ich glaube, dass sich diese organisatorische Praxis soweit etabliert hat, dass sie die Vorgehensweise der Institution über einen langen Zeitraum prägen wird. Das Museum hat zwar Wege entwickelt, seinen Anfän17 | P. Freire: Pädagogik der Unterdrückten, S. 85.

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gen als Organisation treu zu bleiben und sie zugleich kritisch zu befragen. Es müssen aber weiterführende Gedanken darüber angestellt werden, wie diese Kontinuität aufrechterhalten werden kann, wenn die aktuellen Mitarbeiter_innen, die der Überzeugung eines kollektiven Kreativitätszuwachs verpflichtetet sind, einmal nicht mehr am Ruder sind. Womit ich bei der letzten Herausforderung angelangt bin. Die oben beschriebene interdisziplinäre Arbeitsweise ist fast ausschließlich aufgrund der spezifischen Kompetenzen möglich, die beim gegenwärtigen Personal, insbesondere bei den Kurator_innen, vorhanden sind. Das aktuelle Team fühlt sich mit einer interdisziplinären Arbeitsweise wohl und die Kompetenzen seiner Mitglieder gehen in vielen Bereichen über die offiziellen Jobbeschreibungen hinaus. Schließlich ist auch viel Zeit in den Teamauf bau geflossen, und selbst wenn es nicht unmöglich ist, Nachfolger_innen mit derselben Expertise zu finden, wird es nicht leicht werden.

Abbildung 1: Interaktiver Tisch als Teil der von Teilnehmern des Heritage Ambassador Programme kuratierten Ausstellung Displacement (Vertreibung), 2013.

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Abbildung 2: Eingang zum District Six Museum mit der Dauerausstellung Digging Deeper (Tiefer graben), die 2000 eröffnet wurde.

Abbildung 3: Kuratorin Tina Smith bietet Orientierung während eines Rundgangs mit früheren Bewohnern des District Six, 2013.

Abbildung 4: Ansicht der Portraitgalerie der Dauerausstellung Digging Deeper (Tiefer graben).

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Ausstellen und Vermitteln als gesellschaftliche Intervention

Einleitung Carmen Mörsch Der Disput um die gesellschaftliche Rolle von Museen und Ausstellungsinstitutionen artikuliert sich nicht erst in den 1970er Jahren in der Opposition »Lernort versus Musentempel«.1 Er ist so alt wie diese Institutionen selbst: Soll(-te) es in ihnen vornehmlich um die Bedienung von Repräsentationsinteressen der bürgerlichen Eliten und der »imaginierten Gemeinschaft«2 einer Nation gehen, um die Sammlung, Erforschung und die Konservierung dessen, was diese als ihr kulturelles Erbe und damit als identitäre Basis betrachten? Oder sollte es um das Etablieren und Bespielen von Märkten für Kunst und Handelswaren, um die (Aus-)Bildung von Arbeiter_innen für den kolonialen Wettbewerb, um die Geschmacksbildung und Disziplinierung der Bevölkerung gehen? Geht es in ihnen darum, auf breiter Basis Demokratie zu lehren und zu lernen, oder gar darum, »to educate our workmen into general discontent«,3 wie es der Künstler und Sozialist William Morris in den 1880er Jahren in einem Schreiben an den Gründer des Ancoats Museum in Manchester forderte? Zumindest in Großbritannien wurden von Beginn an wesentliche Impulse für radikale Museumskritiken und die damit verbundenen Museumsutopien aus der Perspektive der Bildung und Vermittlung generiert. Damit verbunden war und ist der Streit darüber, wer die legitimen Besucher_innen, Nutzer_innen und Mitgestalter_ innen dieser Institutionen sind. Eine aktuelle Erfahrung vom Exklusionshandeln einer Kunstinstitution nimmt der Beitrag von Carmen Mörsch in diesem Kapitel zum Anlass, um die Geschichte dieses Streits anhand ausgewählter Schlaglichter nachzuzeichnen. Diese beginnt bereits im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, als in London die ersten Kunstinstitutionen entstehen. Bereits zu dieser Zeit werden bestimmte Besucher_innen aufgrund ihres sozialen Standes und ihres Habitus als illegitim markiert. Mörsch liest ihr Auftreten und ihr Verharren bis heute als Inter-

1 | E. Spickernagel/B. Walbe: Das Museum. 2 | B. Anderson: Die Erfindung der Nation. 3 | N. Kelvin: The Collected Letters of William Morris, S. 17.

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vention im Sinne einer temporären und in Teilen langfristig wirkmächtigen Unterbrechung der hegemonialen Logiken von Ausstellungsinstitutionen. Die weiteren Beiträge zeigen demgegenüber auf unterschiedlichen Ebenen, welche Produktivität die Spannungsverhältnisse, die dieser Geschichte zugrunde liegen, in der Gegenwart entfalten können. Die professionelle Position aller Autor_innen, das Wissen und die Erfahrungen, aus denen sie schöpfen, oszilliert dabei selbst zwischen Ausstellen und Vermitteln. Nora Sternfeld, Mitbegründerin von trafo.K, dem Wiener Büro für Kunstvermittlung und kritische Wissensproduktion, Kuratorin sowie Leiterin des Masters CuMMA (Curating, Managing and Mediating Art) an der Aalto Universität Helsinki, leistet ausgehend von dem durch sie (mit-)geprägten Begriff des »postrepräsentativen Kuratierens«4 die konzeptuelle Grundlegung für eine zeitgenössische Praxis, die Kuratieren und Vermitteln als Handlungsräume entwirft, in denen um Deutungen gerungen wird und in denen Machtverhältnisse nicht reproduziert, sondern infrage gestellt und umgearbeitet werden. Auf diese konzeptuellen Rahmungen lassen sich die darauf folgenden Praxisanalysen beziehen. Janna Graham, ehemals Leiterin des von der Serpentine London initiierten Centre for Possible Studies und inzwischen Academic Curator am Nottingham Contemporary, unterzieht eben dieses Projekt einer Reflexion. Ihre Analyse macht die widerstreitenden Interessen, die Potenziale und Grenzen in einem Setting sichtbar, in dem ein ›Global Player‹ des Kunstmarktes in Allianz mit Aktivist_innen gegen Gentrifizierung im gleichen Stadtviertel einen Produktionsort betreibt. Hier geht die Kunstinstitution gleichsam auf die Straße, interveniert als politische Akteurin in den Stadtraum und wird dabei selbst fast unsichtbar. Jedoch eignet sie sich das, was dort geschieht, in einem zweiten Schritt wieder an, indem sie es ihrem Ausstellungsbetrieb einverleibt, wobei nun die Akteure der Straße ihrerseits aus der Arbeit an der Repräsentation verschwinden. Der Text von Marcus Syrus Ware, der als Künstler, Kurator und Vermittler tätig ist, reflektiert ein Beispiel, bei dem die gesellschaftliche Intervention in der Gegenrichtung verläuft – die Arbeit des Youth Councils der Art Gallery of Ontario in Toronto. Hier ist es eine Gruppe von Jugendlichen, die mit ihren Repräsentationsinteressen, ihrer eigenen politischen und künstlerischen Agenda in die kuratorische Praxis einer Nationalgalerie eingreift. Dadurch wird das etablierte Verhältnis von Kuratieren und Vermitteln destabilisiert. Bestehende Hierarchien kommen zum Vorschein, können benannt und – in der Langsamkeit, die großen Institutionen eigen ist – mitunter verschoben werden. Beide Beispiele zeigen eine kuratorische und vermittlerische Praxis, die sich im Spannungsfeld von Veränderung und Stabilisierung der jeweiligen 4 | N. Sternfeld/L. Ziaja: What Comes After the Show?, S. 62–64.

Ausstellen und Vermitteln als gesellschaf tliche Inter vention – Einleitung

Ausstellungsinstitution bewegt. Deutlich werden zudem die Kontinuitäten der historischen Debatten, aber auch ihre Unterschiede. Während in der Konstitutionsphase des künstlerischen Feldes und des Ausstellungswesens kategorisch-definitorische Kontroversen zur Aushandlung von allgemeingültigen Regeln geführt wurden, geht es in den Beispielen aus der Gegenwart um die bewusste Herstellung von gegenhegemonialen Streiträumen, in denen eine Arbeit im Widerspruch und in der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung möglich wird. Es geht um die Frage, ob und wie das symbolische Kapital von Ausstellungsinstitutionen in einem gesellschaftlichen Ringen für mehr Gerechtigkeit eingesetzt werden könnte. Weiterhin geht es dabei um nichts Geringeres als den Kampf um die Hegemonie im Kunst- und Museumsfeld.5 Es geht auch und immer wieder darum, wer was wie über wen und  – dies besonders signifikant in den in dieser Sektion aufgeführten Beispielen – mit wem auf welche Weise sagen und zeigen darf. Postrepräsentativ bedeutet daher – wie stets, wenn das Präfix ›post‹ in Anschlag gebracht wird – nicht eine Praxis nach dem Ende der Repräsentation. Auch wenn Ausstellungsräume als gegenhegemoniale Aktionsräume entworfen werden, wird darin weiterhin gezeigt – zum Beispiel, wie und wo es langgehen könnte auf dem Weg zu einer emanzipatorischen Praxis.

5 | O. Marchart: Hegemonie im Kunstfeld.

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Contact Zone (Un)realised Andere BesucherInnen als Interventionen im Ausstellungsraum Carmen Mörsch

2015 1 In einem Projekt des Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste (IAE)2 verschafften sich im Jahr 2015 knapp 30 Jugendliche Kenntnisse über das Kunstfeld; unter anderem, indem sie zusammen mit zwei Mitarbeiterinnen des Instituts verschiedene Ausstellungen und Theater in der Schweiz besuchten, mit KünstlerInnen arbeiteten und ihre Erfahrungen und Beobachtungen austauschten. Die meisten der Jugendlichen, die an diesem Angebot teilgenommen haben, sind mit wenig von dem ausgestattet, was innerhalb der Schweizer Gesellschaft als symbolisches Kapital anerkannt wird.3 Wie in anderen westeuropäischen Ländern auch behindern sowohl Alltagsrassismus als auch struktureller Rassismus ihren Zugang zu den entsprechenden, in diesem Land prinzipiell reichlich vorhandenen Ressourcen. Alltagsrassismus konfrontiert sie beispielsweise mit der Tatsache, dass sie aufgrund ihrer Nachnamen 1 | Siehe https://www.journal21.ch/because-its-2015 (Abrufdatum aller aufgeführten Websites ist der 13.04.2016). 2 | Die am IAE entwickelte Forschung findet an der Schnittstelle von aktuellen Kulturtheorien, künstlerischen Verfahren und fachdidaktischer Theoriebildung statt. Sie befragt das Verhältnis von Kunst und Bildung, die Relevanz künstlerischer Produktion und künstlerischer Verfahren sowie von Denkweisen und Methoden im Kontext gesellschaftlichen Wandels. Dabei handelt es sich sowohl um Grundlagenforschung als auch um angewandte Forschung. Leitend dabei ist der Gedanke einer kulturellen Bildung als kritischer Praxis für soziale Gerechtigkeit (siehe iae.zhdk.ch). 3 | Zum symbolischen Kapital, das nach Bourdieu als Ausstattung für gesellschaftlichen und ökonomischen Erfolg genauso wichtig ist wie finanzielle Ressourcen, gehören unter anderem die formale Bildung, gewisse Arten zu sprechen, sich zu verhalten und zu kleiden, ästhetische Vorlieben (»Geschmack«, »Kultiviertheit«), Interessen, soziale Kontakte und Lebensstile (vgl. P. Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen, S. 40 ff.).

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weniger Chancen als andere haben, eine Wohnung zu finden, und zuweilen eine höhere Miete zahlen müssen.4 Struktureller Rassismus begegnet ihnen unter anderem im Bildungssystem.5 Sie entwickeln ihre eigenen Taktiken, um sich in dieser Situation zu behaupten; das Besuchen von Kunstinstitutionen gehört meistens nicht dazu.6 Eine Absicht des Projektes war, zusammen mit den Jugendlichen die Regeln des Kunstfeldes zu erschließen und es ihnen auf diese Weise als Option zum Auf bau symbolischen Kapitals potenziell verfügbar zu machen.7 Eine Woche nach dem Besuch einer Ausstellungsinstitution für Gegenwartskunst, in der zu diesem Zeitpunkt eine aus vielen Einzelteilen bestehende, raumgreifende Installation ausgestellt war, wurden die Projektmitarbeiterinnen von einer Kollegin aus der Institution mit der Nachricht kontaktiert, es fehle in der Ausstellung ein kleiner papierener Alltagsgegenstand, ein Detail aus einem insgesamt 135 Teile umfassenden Set. Das Fehlen des Gegenstandes sei am Tag nach dem Besuch der Gruppe bemerkt worden. Der Raum sei videoüberwacht; man habe sich bisher nicht die gesamten acht Stunden der Aufzeichnung des Tages angeschaut, sondern nur die Sequenzen, welche die Anwesenheit der Jugendlichen dokumentierten. Aus dem Videomaterial sei nicht hervorgegangen, dass diese den Gegenstand entwendet hätten; dennoch würde sich die Institution nun an die Gruppe wenden, »da sie der einzige greif bare Ansprechpartner sei« 8. Aktuell sei man dabei, mit den Künstlern abzuklären, ob der Vorfall der Versicherung gemeldet werden solle oder ob die 4 | Fachstelle für Rassismusbekämpfung: Rassistische Diskriminierung in der Schweiz, S. 22 ff. 5 | S. Hupka-Brunner et al.: Leistung oder soziale Herkunft? 6 | Siehe www.babauslender.ch/; www.nzz.ch/panorama/menschen/ein-schwamen​ dinger-konkurrenziert-mergim-muzzafer-1.18480222; hierbei handelt es sich um zwei Kulturproduzenten, die für einen Teil der Jugendlichen aus der besagten Gruppe als Rollenmodelle gelten können. 7 | Ein Teil der Jugendlichen arbeitet im Jahr 2016 weiter und entwickelt eigene Formate für das Zürcher Festival Blickfelder (siehe www.blickfelder.ch/). Das Projekt wird gefördert von der Stiftung Mercator Schweiz, der Stadt Zürich und vom Volksschulamt des Kanton Zürich (siehe https://www.zhdk.ch/index.php?id=95062). Es entstand als Ergebnis einer Studie, die das IAE im Auftrag der Abteilung Schule und Kultur des Volksschulamts 2013 durchgeführt hatte (siehe https://www.zhdk.ch/index.php?​i d=​ 96200). 8 | Zitiert aus dem Memo des Gesprächs mit den Institutionsverantwortlichen. Die Institution und die beteiligten Personen bleiben in diesem Text anonym, da es nicht darum geht, eine einzelne Kunstinstitution zu brandmarken oder gar einzelne Personen. Es geht vielmehr darum, von Aktualisierungen historisch gewachsener Diskriminierungen zu berichten.

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Künstler bereit wären, den Gegenstand durch einen neuen zu ersetzen. Wenn der Versicherung Meldung gemacht würde, müsse man gleichzeitig Anzeige gegen Unbekannt erstatten. Wie das genaue weitere Vorgehen der Polizei dann wäre, sei unklar. Dies löste beim Projektteam zuallererst Sorge um die Jugendlichen aus – für manche von ihnen hätte eine Begegnung mit der Polizei unkalkulierbare Folgen gehabt. Hinzu kam die Angst um das Projekt  – der Versuch, innerhalb des Projektes Vertrauen aufzubauen, wäre durch eine Wiederholung der von einigen Mitgliedern vielfach erfahrenen Kriminalisierung ihrer Person wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt gewesen. Daneben dominierten Ohnmacht und Empörung gegenüber der Kunstinstitution, die, wenn auch in unverbindlichem Ton, die jugendlichen BesucherInnen unter einen Generalverdacht stellte. Offenbar waren sie an diesem Tag die einzigen gewesen, die das repräsentierten, was ich in diesem Beitrag als ›BesucherInnen als Intervention‹ bezeichne. Sie hatten habituell nicht in die Szene gepasst, obwohl sie sich, im Rahmen des Projektes gründlich vorbereitet, an die Verhaltensregeln des Ausstellungsraums gehalten hatten. Das Projektteam entschied sich nach genauem Überlegen für ein deeskalierendes Vorgehen, ohne gegenüber den VertreterInnen der Kunstinstitution deren Diskriminierungshandeln offen zu thematisieren, da der Schutz der Teilnehmenden und des Projektes oberste Priorität besaß. Das persönliche Gespräch mit den InstitutionsvertreterInnen wurde gesucht, eine polizeiliche Untersuchung abgewendet; es wurde zugesichert, dass die Jugendlichen auf den Vorfall angesprochen und ihnen die Möglichkeit eröffnet würde, den kleinen, papierenen Alltagsgegenstand anonym zurückzugeben, falls eineR von ihnen diesen im Besitz hätte. Letzteres führte auf Seiten der Gruppe zu keinem anderen Ergebnis als Verblüffung und höflicher Anteilnahme.

A ndere B esucher I nnen als I ntervention Als Leiterin des IAE beobachte ich seit gut sieben Jahren die unterschiedlichen Ausprägungen der insgesamt wachsenden Bemühungen von Kultureinrichtungen insbesondere im deutschsprachigen Raum, ihr Publikum zu pluralisieren.9 Bei den auf Gegenwartskunst ausgerichteten Institutionen scheint dieses Bemühen in vielen Fällen auf besondere Schwierigkeiten zu stoßen. Das Ausstellungsprogramm der hier als Anschauungsbeispiel dienenden Einrichtung zeigt aktuelle oder zukünftige Hotshots der Kunstszene und ihrer ausdifferenzierten Märkte; nicht wenige davon nehmen auf die eine oder andere Weise hegemoniekritische Positionen ein. Getreu einer zentralen These der 9 | Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste: Zeit für Vermittlung.

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durch Peter Bürger vorgelegten Theorie der Avantgarde 10 verbleibt diese Kritik im System Kunst und hat keine Effekte auf die zeigende Einrichtung selbst. Die Ausstellungen richten sich an eine interessierte Fachöffentlichkeit und eine finanziell potente KäuferInnenschicht, die in der betreffenden Region durchaus so stark vertreten sind, dass nur durch sie wahrscheinlich ausreichend BesucherInnenzahlen generiert werden können, um die öffentliche Kulturförderung – in diesem Fall unter anderem die Stadt, in der die Institution angesiedelt ist – zufriedenzustellen.11 Bei gelegentlichen Stippvisiten von Vermittlungsangeboten des Hauses, die sich an ›Familien‹ richteten, traf ich eine homogen wohlhabende, weiße 12 und zahlenmäßig kleine NutzerInnengruppe an. In der Gesamtschau lässt dieses Szenario die Vermutung zu, dass die Begegnung mit Menschen, die von diesem Profil abweichen, für die Institution ungewohnt und auch nicht zwingend erwünscht ist. Soweit, so gut. In einer kapitalistisch verfassten Demokratie westlicher Prägung gibt es keinen Grund, einen Ausstellungsort dafür zu kritisieren, dass er sich sein Publikum aussucht, solange er damit die Auflagen jener Instanzen, die seine Existenz ermöglichen, erfüllt. Dies gehört zu den in dieser Gesellschaftsform anerkannten Freiheiten. Dennoch interessieren mich an dem beschriebenen Fall zwei Ambivalenzen: Zum einen reagierte die betreffende Institution auf die jugendlichen BesucherInnen nicht indifferent, sondern aversiv, 10 | P. Bürger: Theorie der Avantgarde. 11 | H. Munder/U. Wuggenig: Das Kunstfeld. Die hier angeführte Studie basiert auf Befragungen von 810 BesucherInnen von fünf Ausstellungen zeitgenössischer Kunst im Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich 2009 und 2010 auf der Basis von Zufallsstichproben. Sie zeigt auf, dass die große Mehrheit der BesucherInnen von Ausstellungen der Gegenwartskunst in Zürich akademisch gebildet und/oder gut situiert ist. Die Kunstausstellungen hängen daher – wie einer der Autoren in einem zu der Studie erschienenen Artikel zitiert wird – »an der goldenen Nabelschnur« der Eliten (P. Jurt: An der ›goldenen Nabelschnur‹ der Eliten). Allerdings erwächst daraus in der Schweiz, in deren Städten der Anteil der formal Hochgebildeten und Wohlhabenden zumeist hoch ist, nicht zwangsläufig ein Problem für die Kunstinstitutionen. In der hier als Beispiel fungierenden Institution ist selbst das Angebot für Schulklassen schmal, obwohl es in vielen Häusern inzwischen zum ›Courant normal‹ gehört. Ein Check auf der Angebotswebsite zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Beitrags zeigte ein sechs Monate zurückliegendes einzelnes Angebot für einen Schulklassenworkshop, während die Fachsymposien aktuelle Daten aufwiesen. 12 | Ich schreibe den Begriff weiß als identitäre Zuweisung kursiv, um auf die historischen, ideengeschichtlichen, sozialen und kulturellen Konstruktionsprozesse hinzudeuten, welche dieser Kategorie innewohnen. Schwarz schreibe ich demgegenüber groß, um auf die gleichlautende Selbstbezeichnung von Emanzipationsbewegungen zu verweisen.

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indem sie letztere nachträglich des Diebstahls und der Sabotage verdächtigte, anstatt sie – wie andere zahlende Gäste, die sich an die Hausordnung halten –, eintreten, verweilen und wieder ziehen zu lassen. Und zum anderen bleiben Institutionen mit ihrem an Gegenwartskunst und deren Erwerb interessierten Publikum am liebsten unter sich, obwohl sie auf ihren Websites und in ihren Broschüren selten ohne Formulierungen wie »unterschiedliche Besucher/in­nen«, »unterschiedliche Generationen«, »Dialog fördern«, »neue Zugänge schaffen«, »Begegnungsort« etc. auskommen. Anstatt also deutlich zu machen, an wen sich ihr Angebot (nicht) richtet, um Missverständnisse und die daraus resultierenden Unannehmlichkeiten zu vermeiden, generieren sie den Anspruch von Offenheit und unspezifischen, umfassenden Öffentlichkeiten, der sich aber aufgrund des für ebenjene Institutionen konstitutiven Wissens und Nichtwissens nicht einlöst.13 ›Wissen und Nichtwissen‹ bezeichnet die in solchen Institutionen vorhandene und gepflegte – kognitive und habituelle – kunstbezogene Expertise und eine Nicht-zur-Kenntnisnahme der mit dieser verbundenen Ausschlussdimensionen. Letztere bildet die Grundlage dafür, den institutionellen Status Quo zu erhalten. ›Ambivalenz‹ verstehe ich hier im aus der Psychologie stammenden Wortsinn: Dort bezeichnet der Begriff die Gleichzeitigkeit von Abwehr und Begehren.14 Homi Bhaba spricht mit Bezugnahme auf Edward Said vom orientalistischen Stereotyp als dem rassifizierten Anderen, das ambivalente Szenen, geprägt gleichzeitig von Angst und Verlangen, evoziere.15 Produktiv an Bhabas Betrachtung ist, dass sie die dichotome Erzählung von Beherrschern und Beherrschten verkompliziert. Gerade durch die Ambivalenz von Abwehr und Begehren sei der Andere nicht nur unterworfen, sondern auch in einer machtvollen Position, das Begehren erfüllen zu können; er wirke daher gleichzeitig stabilisierend und destabilisierend.16 Diese Referenzen können angesichts der jugendlichen, mit ›Balkan‹ und ›Unterschicht‹ assoziierten Körper direkt auf das konkrete Fallbeispiel angewandt werden: Ihre auf der Überwachungskamera dokumentierte Sichtbarkeit als ›orientalische‹ Gruppe im Ausstellungsraum verwies einerseits auf eine Einlösung des von der Institution gegebenen Versprechens von Offenheit und Öffentlichkeit, andererseits löste sie die Fantasie aus, dass wertvoller Besitz entwendet und der Ort entweiht würde. In diesem Sinne bedeuten ›Andere BesucherInnen‹ eine Intervention im ursprünglichen lateinischen Wortsinn – ein ereignishaftes Dazwischentreten, eine Unterbrechung, welche sowohl die 13 | M. Castro Varela: Verlernen und die Strategie des unsichtbaren Ausbesserns. 14 | E. Bleuler: Die Ambivalenz. 15 | K. Struve: Zur Aktualität von Homi Bhaba, S. 73 ff. 16 | Im Fallbeispiel steht die Gruppe der Jugendlichen auch für eine von der Institution begehrte Öffnung hin zu neuen Öffentlichkeiten. Daher sind sie nicht einfach der mächtigen Institution ausgesetzt, sondern bilden für diese einen potenziellen Mehrwert.

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Hegemonialität der Ausstellungsinstitution als auch die in sie eingeschriebenen Spannungsverhältnisse zum Vorschein bringt.17 Von SkeptikerInnen gegenüber gegenwärtigen Versuchen, Kunstinstitutionen für neue Publika zu öffnen, wird häufig auf den neoliberalen Imperativ der quantitativen Publikumserweiterung verwiesen. Die Versuche führten demnach zu einer Kommerzialisierung und Eventisierung, was auf Kosten herausfordernder und hochkarätiger Inhalte ginge. Ich möchte in diesem Beitrag nicht auf die Implikationen dieser Kritik eingehen und nur kurz darauf hinweisen, dass es erkenntnisleitend sein kann, darauf zu achten, aus welcher Perspektive und mit welchem Zielhorizont, auf Basis welcher zumeist unbenannter Komplizenschaft sie jeweils geäußert wird.18 Hier geht es mir darum zu zeigen, dass die genannte Ambivalenz gegenüber den ›Anderen BesucherInnen‹ bereits in die frühe Geschichte von Kunstinstitutionen eingeschrieben ist. Der Streit darüber, wer aus welchen Gründen und unter welchen Bedingungen das Recht dazu hat, sich in ihnen aufzuhalten, in ihnen repräsentiert zu sein, sie zu nutzen und sie mitzugestalten, aktualisiert sich in verschiedenen historischen Momenten unter jeweils verschiedenen Bedingungen. Kunstinstitutionen sind demnach nicht jenseits der Verhältnisse, vor denen sie und die künstlerische Qualität, die sie produzieren, vermeintlich geschützt werden müssten, positioniert. Im Gegenteil waren und sind sie, ihre Definitionen von Qualität und von dem, was Kunst und was ein Kunstpublikum seien, Bestandteil und Motor ebenjener Verhältnisse. Dies möchte ich im Folgenden am Beispiel von Großbritannien anhand von vier Schlaglichtern auf die Geschichte von Kunstinstitutionen veranschaulichen.19

1760 Im Jahr 1754 gründete der Maler und Sozialreformer William Shipley auf der Basis von Mitgliedsbeiträgen die erste öffentliche Kunstinstitution Englands: Society for the Encouragement of Arts, Manufactures and Commerce (im Fol17 | Der Taschen Heinichen Lateinisch Deutsch, S. 239. 18 | So lohnt sich zum Beispiel ein Vergleich der Perspektiven und der damit verbundenen Argumentationsweisen von W. Ullrich: Stoppt die Banalisierung und J. Mastai: There Is No Such Thing as a Visitor. 19 | Die folgenden Abschnitte basieren auf meiner größeren historischen Studie zur Entwicklung der Kunstvermittlung in England mit dem Titel Die Bildung der Anderen durch Kunst (erscheint 2017). Ich beschränke mich im vorliegenden Text auf die Institutionen, die programmatisch auf das Zeigen von ›Kunst‹ ausgerichtet waren und lasse daher andere, in Bezug auf historische Museumsöffentlichkeiten vieldiskutierte Beispiele (wie das British Museum oder die Londoner Weltausstellung von 1851) außen vor.

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genden als Society for the Arts bezeichnet). Die Society for the Arts machte sich zur Aufgabe, Kenntnisse für die Erlangung von ›Taste‹ möglichst weit in der Bevölkerung zu verbreiten  – ein Wissen über das, was als guter Geschmack erachtet würde und das über Kunstbetrachtung und gestalterische Übungen zu erlangen wäre. ›Taste‹ war ein zentrales Kriterium bei den Aushandlungsprozessen der Frage, wer den Status von MitbürgerInnen in der sich neu als Nation und Empire begreifenden britischen Gesellschaft für sich beanspruchen durfte. Durch die Society for the Arts wurde Kunstkenntnis vom Standesmerkmal zum Bildungsprojekt vor dem Hintergrund des kolonialen Wettbewerbs. Sie betrieb eine Zeichenschule, in der die Gestaltungsregeln von textilen Ornamenten an ArbeiterInnen aus den Manufakturen vermittelt, in der aber gleichzeitig auch KünstlerInnen in Malerei und Skulptur ausgebildet wurden und darin unterrichteten. Dieses Miteinander von ›angewandt‹ und ›frei‹, von ›KünstlerInnen‹ und ›LaiInnen‹ propagierten die VertreterInnen der Society for the Arts als den wahren britischen Weg im Umgang mit den Künsten, in Abgrenzung zu den aristokratisch begründeten Kunstakademien auf dem Kontinent, insbesondere zu Frankreich. Ab 1760 organisierte die Society for the Arts jedes Jahr eine öffentliche Ausstellung mit englischer Gegenwartskunst, für die der Eintritt frei war. Die erste Ausstellung war stark besucht, schätzungsweise 20.000 BesucherInnen kamen in den ersten zwei Wochen. Einige Künstler klagten über »the intrusion of persons whose stations and education disqualified them for judging statuary and painting, and who were made idle and tumultuous by the opportunity of attending a show.«20 In der Folge erhielten Bedienstete der Society for the Arts die Weisung, Zahl und Zusammensetzung des Publikums zu regulieren. ›Unpassende‹ Personen und Verhaltensweisen wurden in der Ausstellung sanktioniert. Dazu gehörten »footsoldiers, livery servants, porters, women with children and forms of disorderly behaviour like smoking and drinking.« Die KünstlerInnen forderten, ein Eintrittsgeld für die Ausstellung zu erheben, »to exclude the lawless and potentially violent mob.«21 Der Initiator weigerte sich jedoch, die Räume der Society for the Arts weiterhin für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen, wenn ein Eintrittsgeld erhoben würde. So kam es zur Abspaltung einer Künstlergruppe, die ihrerseits die Society of the Artists of Great Britain gründete, aus der 1768 die Royal Academy of the Arts hervorging. Sie schloss Frauen von der Mitgliedschaft aus, beschränkte die Ausstellungen auf Gemälde und Skulpturen und praktizierte restriktive Zugangsbeschränkungen. Sie vertrat einen universalistischen, an den ästhetischen Prinzipien der abendländischen Antike orientierten Kunstbegriff. Sie beanspruchte dabei ihrerseits die allei20 | B. Allen: The Society of Arts and the first exhibition of contemporary art in 1760, S. 266. 21 | Ebd., S. 265.

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nige Vertretung einer wahren britisch-nationalen Kunst; mit Verweis darauf, dass sie die Unterstützung der englischen Krone erhielt und nicht auf eine Finanzierung durch Subskriptionen angewiesen war. In diesen beiden ersten englischen Kunstinstitutionen artikulierten sich bereits widerstreitende und gleichzeitig interdependente Umgangsweisen mit den Anderen  – ihren Einschluss aufgrund von Demokratisierungs-, Bildungs- und Kontrollbestrebungen einerseits, sowie ihren Ausschluss zugunsten sozialer Distinktion einer sich gerade etablierenden KünstlerInnenschicht und ihres privilegierten KennerInnen- und KäuferInnenpublikums andererseits. Die Leitung der Society for the Arts wollte durch die Ausstellung eine möglichst breite Öffentlichkeit erreichen und es war ihr wichtig zu erwähnen, dass es sich für viele der BesucherInnen wahrscheinlich um die erste Begegnung mit Kunst gehandelt habe. Die Öffentlichkeit wiederum, die die Künstler der Royal Academy adressieren wollten und zu der sie sich selbst zählten, war eine bürgerliche, durch ›Taste‹ in den Stand gesetzt, über Statuen und Bilder vermeintlich fachgerecht urteilen und diese kaufen zu können. Beide Institutionen nahmen für sich in Anspruch, mit ihrer Strategie jeweils den der nationalen britischen Identität angemessenen Kunstbegriff und einen entsprechend legitimierten Umgang mit Kunstausstellungen zu repräsentieren.

1762 Im Jahr 1762 fanden in London drei Ausstellungen parallel statt – eine von der Society for the Arts, eine von der Society of the Artists of Great Britain und eine dritte vom Nonsense Club organisiert, im Haus des Malers William Hogarth. Der Nonsense Club war eine Gruppe von fünf Schriftstellern, die Zeitschriften herausgab, satirische Lyrik verfasste und sich in die politischen Debatten der Zeit einmischte. Die von ihnen propagierte Ästhetik beinhaltete »contradiction, moral and aesthetic relativism, rebellion against established forms.«22 Die Ausstellung zeigte Ladenschilder aus dem Londoner Stadtraum mit burlesken Darstellungen. Schildermaler verfügten in der Hierarchie des Malerberufs über das geringste symbolische Kapital.23 Die Initiatoren der Sign Painters’ Exhibition propagierten die von der Straße stammenden, sich ohne akademisches Regelwerk entfaltenden, pluralen Bildsprachen der Schilder als ›truly english‹: Hogarth hatte in seiner Schrift Analysis of Beauty (1753) postuliert, dass die strategische Inkongruenz und das Groteske der Satire mit Pluralität und To22 | L. Bertelsen: The Nonsense Club: Literature and Popular Culture, S. 119. Mitglieder des Nonsense Club waren Charles Churchill, Bonnell Thornton, George Colman, William Cowper und Robert Lloyd. William Hogarth beteiligte sich zeitweilig an den Aktivitäten. 23 | E. Kernbauer: Der Platz des Publikums, S. 229.

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leranz korrespondierten und somit ihrerseits charakteristisch für Britishness im Sinne des britischen Liberalismus seien. Dies geschah zu einer Zeit, in welcher der Stadtraum von London unter dem Stichwort ›Butification‹ zunehmend von staatlicher Seite kontrolliert und im sozialen wie hygienischen Sinne gesäubert und geordnet wurde. Die Ausstellung reagierte auf eine staatliche Petition, die gemalten Schilder (nach Pariser Vorbild) ganz zu verbieten. Dies wurde von Hogarth und dem Nonsense Club als unenglisch abgelehnt: Die Ausstellung der Ladenschilder verband in diesem Sinne nationalen Patriotismus mit einer Haltung gegen das Establishment.24 Die Ausstellung machte sich zudem durch kommentierende Beschriftungen und die Gestaltung des eigenen Ausstellungskatalogs über die Eintrittspolitik und die Kunstbegriffe der anderen beiden Ausstellungen lustig. Sie imitierte zum Beispiel den auf ein elitäres Konzept von ›Taste‹ rekurrierenden, schwärmerischen Duktus der Werkbeschreibungen in der Ausstellung der Society of the Artists of Great Britain genauso wie den Nützlichkeits- und Bildungsanspruch, welcher in den Begleittexten zu den Exponaten der Society for the Arts betont wurde. Sie karnevalisierte die umstrittene exklusive Preispolitik der Society of the Artists of Great Britain, indem sie den Zugang zu ihrer Ausstellung symbolisch, auf ironische Weise verkomplizierte: Sie gab eine Eintrittskarte heraus, die aus mehreren, den verschiedenen Räumen zugeordneten Abreißzetteln bestand, wobei angedroht wurde, dass das Abreißen in der falschen Reihenfolge und das Betreten der Ausstellung ohne die Zettel mit harten Strafen nach königlichem Gesetz belegt würden. In der Art ihrer Satire richtete sie sich also zum einen an ein Publikum, welches die Verweise auf die anderen beiden Ausstellungen verstand, weil es die Codes lesen konnte. Zum anderen füllten auch die aus den anderen Ausstellungen Ausgeschlossenen die Ausstellungsräume. Indem sie auf die Möglichkeit multipler Leseweisen der Ausstellung verwiesen, behaupteten die Initatoren der Sign Painters’ Exhibition eine prinzipielle Fluidität zwischen der initiierten und nicht-initiierten Publikumsposition. Gerade das Bewusstsein für diese Fluidität, Varietät und Polysemie galt ihnen als wahrhaft britische Haltung.

1838 Im Jahr 1838 öffnete in London die National Gallery.25 Die Wahl ihres Standorts Pall Mall/Trafalgar Square war Teil einer sich zu diesem Zeitpunkt etablierenden Verschränkung von Bildung, Disziplinierung und Hygiene auf der 24 | B. Taylor: Art for the Nation, S. 15 f. 25 | Die 1824 gegründete und zuvor im Haus des russischen Bankiers Angerstein untergebrachte National Gallery zog 1838 in einen zu diesem Zweck errichteten Neubau ein.

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Ebene der Stadtplanung. In England hatte es 1832 den ersten großen Ausbruch von Cholera gegeben, der 50.000 Tote forderte. Die Ursache wurde unter anderem in der zunehmenden Luftverschmutzung und der hygienischen Situation in den urbanen Armenvierteln vermutet. Die Realisierung des Gebäudes der National Gallery wurde mit der Implementierung neuer symmetrischer Prachtstraßen verbunden, was zur Verdrängung einiger der ärmsten Viertel Londons an den östlichen Stadtrand führte. Taylor verweist darauf, dass mit der Professionalisierung der Figur des Kurators im Zuge der Einrichtung der National Gallery eine Welle staatlich in Auftrag gegebener Gutachten über Hygiene koinzidierte: Eine Aufgabe dieser Kunstinstitution und ihrer Kuratoren war es demzufolge, »to redesign the nation’s public as clean and uncontaminated – just like the pictures they beheld«26. Die National Gallery entstand infolge öffentlicher Debatten, in denen skandalisiert wurde, dass Großbritannien keine staatliche Kunstsammlung besitze. In dieser Zeit kursierte der Begriff ›Exclusion‹ zum ersten Mal in Bezug auf das künstlerische Feld, um die Monopolisierung kultureller Güter durch das Großbürgertum zu brandmarken.27 Eine Nationalgalerie würde demgegenüber allen Bevölkerungsschichten zugänglich sein und diese somit als Mitbesitzende des durch den Kolonialismus erworbenen nationalen Reichtums ausweisen – sie wäre dadurch ein Ort der Versöhnung zwischen den Klassen, ohne dass bürgerliche Privilegien angefochten werden müssten.28 Letztere waren zu dieser Zeit alles andere als unhinterfragt und mussten entsprechend gesichert werden: Zehn Jahre später wurde das Kommunistische Manifest veröffentlicht und in vielen Kolonien kam es zu Aufständen der Kolonisierten. Nur sechs Jahre zuvor war das Wahlrecht auf einen größeren Teil der männlichen Bevölkerung ausgedehnt worden und es war abzusehen, dass weitere Wahlreformen folgen würden. Vor diesem Hintergrund ging es in der National Gallery nun um die Bildung von ›Public Taste‹ als Set von für diese Mitbestimmung als notwendig erachteten bürgerlichen Tugenden. Die Ausstellungsräume zeigten eine chronologische Hängung, durch die sich ein Klassengrenzen überschreitendes, am Fortschritt orientiertes Nationalgefühl als pädagogische Aussage herstellen ließ.29 Durch diese Passage, so die Vorstellung der Initiatoren, könne jedes Individuum – ganz gleich welcher Herkunft oder Gesinnung – geistig über sich hinauswachsen, hinein in eine durch bürgerliche Ideale beMan musste also keine privaten Anwesen mehr betreten, um sie zu besuchen. Zudem war der Eintritt kostenlos und ohne formale Zugangsbeschränkungen. 26 | B. Taylor: Art for the Nation, S. 43. 27 | C. Duncan: Civilizing Rituals, S. 44. 28 | B. Taylor: Art for the Nation, S. 43; C. Klonk: Spaces of Experience. Art Gallery Interiors from 1800 to 2000, S. 20. 29 | C. Duncan: Civilizing Rituals, S. 45.

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stimmte Gemeinschaft von zukünftigen (Wahl-)BürgerInnen. Dies sei die Aufgabe der National Gallery. Dementsprechend müsse sie um ein möglichst großes Publikum bemüht sein. Dieses Publikum machte in der National Gallery jedoch nicht immer das, was es sollte. Zeitgenössische Quellen schildern stillende Kindermädchen, picknickende Familien und deren vom Regen nasse Kleidung als Gefahr für die Räume und die ausgestellte Kunst. Leute, die nur kämen, um sich bei Regen unterzustellen, welche die Räume nutzten, weil sie diese als geeignete Kulisse betrachteten, um dort ihre Freizeitaktivitäten auszuüben, die sich über die Exponate amüsierten wie über ein Kuriositätenkabinett, verfehlten demnach das Ziel, sich von der Begegnung mit Kunst zu guten BürgerInnen erziehen zu lassen. In dem Bestreben nach einem möglichst breiten Publikum einerseits, und der Verurteilung der Nutzungsweisen, die dieses Publikum kultivierte, andererseits, re-artikulierte sich ein der öffentlichen Kunstinstitution seit ihrer ersten Gründungen inhärenter Widerspruch: »While the cultural institution needs the concept of the public, given the economic management, social discipline and cultural organisation of the capitalist state, this public can never be realised.«30 Dies illustriert auch die Tatsache, dass die Kataloge und Begleithefte, die die National Gallery herausbrachte, zwar Vorworte enthielten, die von der Verheißung moralischer, hygienischer und national-identitärer Verbesserung und Läuterung für alle BesucherInnen sprachen, jedoch ansonsten lediglich Werklisten ohne weitere Erläuterungen boten.31 So fanden sich die Anderen in der National Gallery als vom bürgerlichen Bildungsideal angerufene, aber zwangsläufig stets verfehlte und verfehlende wieder.

1881 Im Jahr 1881 fand die erste Easter Loan Exhibition (im Folgenden Easter Exhibitions) in den Räumen der Gemeindeschule eines der Amtskirche müden Pastorenehepaars im Londoner East End statt, einem zu diesem Zeitpunkt ökonomisch und infrastrukturell weitgehend verelendeten Stadtteil, der unter anderem durch die Verdrängungsprozesse im Zuge der Errichtung der National Gallery entstanden war. Die bis Ende der 1890er Jahre jährlich organisierten Ausstellungen lagen bewusst auf den höchsten Feiertagen der Anglikanischen Kirche, um die aus Sicht der OrganisatorInnen bestehende Verbindung zwischen dem Betrachten von Kunst und der Erkenntnis göttlicher Wahrheit hervorzuheben.32 Gezeigt wurden je etwa 300 Leihgaben von SammlerInnen und 30 | C. Trodd: Culture, Class, City, S. 47. 31 | B. Taylor: Art for the Nation, S. 43. 32 | S. Koven: The Whitechapel Picture Exhibitions and the Politics of Seeing, S. 34.

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KünstlerInnen. Die InitiatorInnen kommunizierten dieses Arrangement als für alle Beteiligten lohnend: Durch ihre Leihgaben an die Ausstellung im ›Armenviertel‹ sollten deren BesitzerInnen sich genauso ihrem spirituellen Selbst annähern können wie die BewohnerInnen des Viertels durch die Betrachtung der geliehenen Werke. In den jeweils 20 Tagen der Ausstellung kamen bis zu 73.000 BesucherInnen, sodass das Gelände um die Schule zuweilen von der Polizei abgesperrt wurde, weil die Räume überfüllt waren.33 Der Publikumsandrang verweist zum einen darauf, dass der Besuch von Ausstellungen zu den Konsumpraktiken der arbeitenden Bevölkerung im Viktorianismus gehörte, aber auch darauf, dass die Ausstellung durch freien Eintritt, lange Öffnungszeiten und fehlende Restriktionen in Bezug auf Kleidung, Herkunft und Verhalten zugänglich war. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass in den Easter Exhibitions Werke ausgestellt wurden, die auf dem Kunstmarkt hohe Preise erzielten und als genauso wertvoll galten wie die Werke in der National Gallery. Es gab daher keinen vermeintlich pragmatischen Grund, in einem Raum um die Unversehrtheit der Kunst zu fürchten und im anderen nicht. Die Tatsache, dass sich in den Ausstellungen die Öffentlichkeiten des East Ends und des reichen West Ends mischten, erregte zusammen mit der anerkannten Qualität der ausgestellten Gemälde die Aufmerksamkeit der Presse. Diese forderte die National Gallery dazu auf, sich ein Beispiel an den Easter Exhibitions zu nehmen.34 Der Anspruch, ein Kunstort für alle zu sein, ließ letztere in dieser Debatte als nationaler, im Sinne eines britisch verstandenen Konzepts von StaatsbürgerInnenschaft, erscheinen. Die Frage, ob allerdings die BesucherInnen aus dem East End die läuternden Botschaften der Ausstellung richtig lasen, war auch hier virulent. Henrietta Barnett, eine der beiden InitiatorInnen, berichtete von Abwehrreaktionen: »›Tis all rot and I don’t care!‹ was the verdict I got from a boy of nine when I tried to waken his admiration for a flower […], ›Oh ain’t it beautiful!‹ and he mimicked my voice.«35 Dass die ›Anderen BesucherInnen‹ den aus Sicht der VeranstalterInnen richtigen ›Taste‹ nicht ohne Weiteres entwickelten, wurde unter anderem durch die Ergebnisse eines Voting for your Favourite Pictures vor Augen geführt. Damit sollte ein zusätzlicher Anreiz im Sinne einer Partizipationsmöglichkeit geschaffen werden und die Ergebnisse sollten Hinweise zur geistig-spirituellen Entwicklung der Wählenden liefern.36 Das Publikum aus dem East End wählte mit wenigen Ausnahmen Werke, welche die AusstellungsmacherInnen als künstlerisch und moralisch vergleichsweise wenig wertvoll beurteilten. Dazu kommentierte eine an die Öffentlichkeit des West Ends gerichtete Monatszeitschrift: Die Wahl fiele auf 33 | L. Matthews-Jones: Lessons in Seeing, S. 388. 34 | Ebd., S. 393. 35 | D. Maltz: British Aestheticism and the Urban Working Classes, S. 209. 36 | L. Matthew-Jones: Lessons in Seeing, S. 398 ff.

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Werke, die sich durch ›Cleverness, Action‹ und eine besondere Detailliertheit auszeichneten.37 Die bereits im 18. Jahrhundert virulente Unterscheidung in der ästhetischen Diskussion zwischen dem mit ›Taste‹ verbundenen Sinn für Abstraktion und der mit Vulgarität und Primitivität assoziierten Detailfreudigkeit wurde hier wieder aufgerufen. Eine weitere Herausforderung war, dass das Working-Class-Publikum immer wieder den Geldwert der Werke erfragte, während die AusstellungsmacherInnen versuchten, den materiellen gegenüber dem aus bürgerlicher Sicht wichtigeren ideellen Wert herunterzuspielen.38 Die ›falsche‹ Rezeption führte zu der Entscheidung, personelle Kunstvermittlung in den Easter Exhibitions einzuführen. Unter anderem übernahmen die Aufsichten die Aufgabe, die Bilder zu erklären und so die mental-kognitive, soziale und physische Kontrolle der Ausstellung miteinander zu verbinden.39 Allerdings resultierten diese Spannungsverhältnisse nicht nur in Kontrollhandeln, sondern gaben auch Anlass für die Artikulation von Institutionskritik. In seinen Memoiren berichtet beispielsweise der Künstler Walter Crane, der sich in diesem Kontext engagierte und in der anarchistischen Bewegung aktiv war, von einem Dockarbeiter, der die Ausstellung während eines Streiks auf den Docks besuchte und danach kommentierte, er wäre rückblickend lieber nicht gekommen, da ihm sein eigenes Haus nun umso armseliger, schmutziger und trostloser erscheine.40 Es finden sich neben den gut dokumentierten bürgerlichen Disziplinierungspraktiken auch historische Hinweise auf die Organisierung sozialer Bewegungen im Umfeld dieser Ausstellungen und auf damit einhergehende transversale Bündnisse, welche durch den Anspruch der InitiatorInnen, unterschiedliche Öffentlichkeiten zu adressieren, ermöglicht wurden. Sechs Jahre nach der ersten Ausstellung eröffnete das Pastorenehepaar Toynbee Hall, ein sogenanntes ›Social Settlement‹, in dessen Rahmen sich sowohl die Missionsbestrebungen als auch die transversalen Praktiken systematischer artikulieren konnten.41 KünstlerInnen waren von dort ausgehend zum Beispiel als UnterstützerInnen an zentralen Streiks beteiligt, welche die Position der im Entstehen begriffenen Gewerkschaften entscheidend festigten. Unter anderem William Beveridge, dessen Vorschläge zu sozialen Sicherungssystemen und einem verstaatlichten Bildungswesen die Grundlage für die Etablierung des Wohlfahrtsstaates in Großbritannien nach 1945 bildeten, war in diesem Kontext als Student aktiv.

37 | S. Koven: The Whitechapel Picture Exhibitions and the Politics of Seeing, S. 36. 38 | D. Maltz: British Aestheticism and the Urban Working Classes, S. 77. 39 | S. Koven: The Whitechapel Picture Exhibitions and the Politics of Seeing, S. 29. 40 | Ebd., S. 39. 41 | D. Maltz: British Aestheticism and the Urban Working Classes.

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C ontact Z one (U n) re alised Bennett betont in seiner breit rezipierten Studie über Museen im anglofonen Raum des 19. Jahrhunderts: Especially art galleries, have often been effectively appropriated by social elites so that, rather than functioning as institutions of homogenisation, as reforming thought had envisaged, they have continued to play a significant role in differentiating elite from popular classes. 42

Gerade dieses Spannungsverhältnis mache die soziale Funktion dieser Institutionen aus. Die hier aufgeführten Beispiele bestätigen diese Erkenntnis und weisen doch auch über sie hinaus. Denn ähnlich wie die Sign Painters’ Exhibition gegenüber den beiden Ausstellungen der Society for the Arts und der Society of the Artists of Great Britain Mitte des 18. Jahrhunderts können die Easter Exhibitions und die daraus entstehenden Institutionen gegenüber der National Gallery als gegenhegemoniale Projekte gelesen werden. Gegenhegemonial meint laut Antonio Gramsci gerade nicht eine Gegenbewegung, die sich außerhalb der Verhältnisse positioniert, sondern den emanzipatorischen Kampf um die hegemoniale, das heißt von der Mehrheit legitimierte Position. Dieser Kampf realisiert sich durch die Hinterfragung und die Arbeit an der Verschiebung jeweils bestehender Herrschaftsverhältnisse. Die ›Anderen BesucherInnen‹ waren als Begehrte und Abgewiesene von Beginn an in diesem Ringen um »Hegemonie im Kunstfeld«43 präsent. Sie übten in der sich formierenden bürgerlich-liberalen Gesellschaft eine zentrale Funktion in den Aushandlungsprozessen darüber aus, was ein englisches Kunstpublikum, eine englische Kunstauffassung und ein entsprechendes Konzept von Kennerschaft sei. Damit verbunden war von Anfang an die Fantasie, der Bedrohlichkeit dieser Anderen – markiert als Arme und von Beginn an auch als Rassifizierte – durch deren Inklusion begegnen zu können. Dieses Zivilisierungsbestreben wiederum wurde durch die Anderen durchkreuzt, indem sie als die BesucherInnen, als die sie angerufen waren, nicht zuverlässig funktionierten und sich den Raum für eigene Zwecke aneigneten. Die Easter Loan Exhibitions wie die Sign Painters’ Exhibition können vor diesem Hintergrund in der Geschichte des Ausstellens und Vermittelns als Vorbotinnen dessen gelesen werden, was die Metapher der Kontaktzone für den zeitgenössischen Ausstellungsraum verspricht. Der aus der Ethnologie entlehnte Begriff zur Beschreibung von Begegnungen innerhalb von Gewaltverhältnissen der

42 | T. Bennett: The Birth of the Museum, S. 28. 43 | O. Marchart: Hegemonie im Kunstfeld.

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Kolonisierung44 wurde in den letzten Jahren unter anderem auf das Museum und die Geschichtsvermittlung45 angewandt. Seine Verwendung evoziert das Potenzial, die Konflikthaftigkeit, die aus dem Aufeinandertreffen von durch Ungleichheitsverhältnisse separierten sozialen Gruppierungen in einem geteilten Raum entsteht, für Bildungsprozesse zu nutzen.46 Konflikthaftigkeit konnte in den beiden historischen Ausstellungsräumen auf unterschiedliche Weise und aus unterschiedlichen Gründen produktiv werden: In der Sign Painters’ Exhibition, weil über zeitgenössische soziale Verhältnisse genauso wie über künstlerische Positionierungen informiert wurde, mit der Situation unzufriedene Kulturproduzenten einen Repräsentationsraum schufen, der von den verschiedenen Gruppen betreten und auf unterschiedliche Weise gelesen werden konnte. Auf diese Weise wurden die sich gerade formierenden Werteordnungen und hegemonialen Lesarten des künstlerischen Feldes selbst vorgeführt und dadurch verunsichert. Im Rahmen der Easter Loan Exhibitions, weil die InitiatorInnen gleichermaßen gut informiert und unzufrieden waren und auf dieser Basis nicht aufhörten zu versuchen, die unterschiedlichen Öffentlichkeiten im Ausstellungsraum miteinander zu konfrontieren. Auch wenn dies aus einer auf Versöhnung abzielenden, gemäßigt sozialistischen und streng protestantischen Gesellschaftskritik heraus mit missionarischen Absichten geschah, waren die durch die Ausstellungen und in der Folgeinstitution (Toynbee Hall) entstehenden Handlungsräume offen genug, unwahrscheinliche Allianzen entstehen zu lassen. Die aus diesem Kontext 1901 heraus gegründete Whitechapel Art Gallery produzierte über den Zeitraum von einem guten Jahrhundert hinweg immer wieder Vermittlungsinhalte und -formate, die heute als wegweisende Beispiele von Kuratieren und Vermitteln rezipiert werden.47 Sie resultierten aus der programmatischen Ausrichtung der Institution, lokale Öffentlichkeiten genauso wie das Kunstpublikum nicht nur zu erreichen, sondern für sie jeweils zu gebrauchen zu sein und sich von dem Wissen, das diese unterschiedlichen Öffentlichkeiten mitbringen, gleichermaßen beeinflussen zu lassen. Dieses Programm brachte die Notwendigkeit mit sich, die in die Kunstinstitution eingeschriebenen Spannungsverhältnisse nicht zu eliminieren und stillzustellen, sondern in eine konstitutive konflikthafte Auseinandersetzung mit ihnen zu treten.

44 | M. L. Pratt: Arts of the Contactzone. 45 | J. Clifford: Routes; N. Sternfeld: Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung. 46 | N. Sternfeld: Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung, S. 45 ff. 47 | Vgl. C. Mörsch: Die Bildung der Anderen mit Kunst. Ab Beginn der 2000er Jahre verliert die Whitechapel Art Gallery diese Stellung an andere Institutionen, beispielsweise an die im Artikel von Janna Graham erwähnte Serpentine Gallery.

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Mit Blick auf das Eingangsbeispiel stellt sich die Frage, wie zukunftsfähig Kunstinstitutionen sind, die heute beim Anblick der ›Anderen BesucherInnen‹ weiterhin in Erwägung ziehen, die Ordnungsmacht zu rufen. Möglicherweise wird es für sie auf die Dauer notwendig sein, eine Informiertheit zu erlangen, die es ermöglicht, die historisch in sie eingeschriebenen Ambivalenzen als Grundlage für ihre Arbeit zu verstehen. Dieser Zugang hätte heute, so ließe sich weiterdenken, zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Zusammensetzung ihres Personals und die dadurch vorhandenen Subjektpositionen, die mit ihrem Wissen, ihren Haltungen, Interessen und Erfahrungen ausstellen und vermitteln.

Im post-repräsentativen Museum Nora Sternfeld In avancierten Ausstellungstheorien und kuratorischen Praxen folgten in den letzten Jahren verschiedene ›Turns‹ aufeinander, die den Ausstellungsraum in seinen Funktionen erweiterten. So gab es die Wende zur Bildung,1 zum Diskurs, zur Performativität,2 zum Tanz3 und zum Aktivismus.4 Oftmals wurden diese auch verschränkt. Was haben alle diese Konjunkturen gemeinsam?  – Ausstellungen werden hier nicht mehr als Orte der Aufstellung von wertvollen Objekten und Darstellung von objektiven Werten verstanden. Der Fokus liegt vielmehr auf der Herstellung von Möglichkeitsräumen, auf sozialen sowie körperlichen Erfahrungen,5 unerwarteten Begegnungen und verändernden Auseinandersetzungen, in denen das Unplanbare wichtiger erscheint als genaue Hängepläne. Ausstellungen werden also zu Handlungsräumen. Vor dieser Prämisse verschränken sich Kuratieren und Vermitteln unweigerlich. Mit diesem Text geht es mir darum, diesem Phänomen, das ich als post-repräsentatives Kuratieren beschreibe, nachzuspüren. Dafür möchte ich zuerst zu verstehen versuchen, wie es dazu kam und was die ›Krise der Repräsentation‹ heute bedeutet, um diese in einem zweiten Teil mitten im Neoliberalismus zu verorten. Dies geschieht nicht als Selbstzweck, sondern um drittens eine gegenhegemoniale Praxis vorzuschlagen. Denn wenn wir Bildung und Kultur im Sinne

1 | Vgl. P. O’Neill/M. Wilson: Curating and the Educational Turn; I. Rogoff: Education Actualized (www.e-flux.com/issues/14-march-2010/ vom 31.05.2015) sowie schnittpunkt: educational turn. 2 | Vgl. B. Beöthy: Performativity, siehe http://tranzit.org/curatorialdictionary/index. php/dictionary/performativity/ 3 | Vgl. B. Charmatz: Manifesto for a Dancing Museum (www.borischarmatz.org/en/​l ire/ manifesto-dancing-museum). Boris Charmatz performte 2015 in der Turbine Hall der Tate Modern, siehe www.tate.org.uk/context-comment/articles/boris-char​m atz-​t hedan​c ing-museum. 4 | Vgl. F. Malzacher et al.: Truth is Concrete. 5 | Vgl. L. Reitstätter: Die Ausstellung verhandeln.

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von Antonio Gramsci als umkämpft denken,6 dann lassen sich Ausstellen und Vermitteln als Handlungsformen verstehen, die um Deutungen ringen – entweder indem sie die bestehenden Machtverhältnisse reproduzieren oder im Hinblick auf ihre Infragestellung. Wenn wir uns nun auf die Suche nach Formen des Kuratierens und der Vermittlung als kritische, emanzipative Praxen machen, dann haben diese hegemonietheoretisch gesprochen ein und dieselbe Funktion – übrigens genauso wie die Kunst und die Philosophie: Sie sind organisch intellektuelle Tätigkeiten,7 die Hegemonien herausfordern.

D ie K rise der R epr äsentation Sehr lange stand außer Frage, dass Museen Identität produzieren, ›Eigenes‹ und ›Fremdes‹ zum Thema haben, nationale Unterscheidungen (re-)produzieren, wertvolle Objekte und objektive Werte zeigen. Und obwohl dies geschah, wurde gerade davon in den Museen selbst zumeist nicht gesprochen. So war das Museum ein Akteur, der sich selbst mit scheinbar neutralen ›White Cubes‹ oder anschaulichen Displays unsichtbar machte. Allerdings ging dies seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht ohne Einsprüche vor sich. Und so haben sich etwa in den 1990er Jahren im Umfeld der Cultural Studies zahlreiche Museumsanalysen damit beschäftigt, dass Museen nicht bloß zeigen, was es in der großen Welt außerhalb ihrer Mauern gibt, sondern vielmehr Bedeutung schaffen. Mit ihren Objekten, Kontexten, Texten und visuellen Repräsentationen entwickeln sie »Poetiken« und »Politiken«, konstruieren sie soziale Überzeugungen.8 Folglich bröckelten auch der überzeitliche Wahrheitsanspruch und die Allgemeingültigkeit musealen Wissens: Die selbstverständlichen Prämissen des Museums  – seine scheinbare Neutralität und Objektivität, seine gleichzeitigen folgenreichen Unterscheidungen, die Macht seiner Präsentationsformen und seine zumeist bürgerlichen, westlichen, patriarchalen und nationalen »Gesten des Zeigens«9 – wurden infrage gestellt. Und wir können heute längst sagen: Museen sind in Machtverhältnisse verstrickt. Dieser Vertrauensverlust in die kanonisierende Funktion des Museums und in seine nationalen Ansprüche ist sicherlich ein wesentlicher Aspekt dessen, was heute gerne als Krise der Repräsentation bezeichnet wird. Das Phänomen ist allerdings viel größer, vielschichtig und auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt: Denn Repräsentation ist im 20. Jahrhundert sowohl als Darstel6 | Vgl. A. Gramsci: Erziehung und Bildung. 7 | O. Marchart: Die kuratorische Funktion, S. 172–179 und C. Mouffe: Agonistik, S. 133–160. 8 | Vgl. H. Lidchi: The Poetics and the Politics of Exhibiting Other Cultures, S. 151–222. 9 | Vgl. R. Muttenthaler/R. Wonisch: Gesten des Zeigens.

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lung als auch als Stellvertretung einer umfassenden Kritik in der Theorie (neben den Cultural Studies auch in der feministischen, postkolonialen und poststrukturalistischen politischen Theorie), im künstlerischen Feld (denken wir etwa an die zahlreichen Auf brüche vom russischen Konstruktivismus über das Happening bis zur Institutionskritik) und im Aktivismus (in den neuen sozialen Bewegungen seit 1968 und noch expliziter seit Occupy)10 unterzogen worden. So erfährt das Repräsentationsregime also Angriffe von vielen Seiten. Das ständige Aufploppen neuer ›Turns‹ in ihrer regelmäßigen Abfolge steht einer Analyse im Weg, insofern es die umfassende Krisendimension zur Modeerscheinung reduziert. Statt einzelnen Trends nachzujagen, möchte ich daher vielmehr von einem jahrzehntelangen (wenn nicht sogar seit über 100 Jahren sich anbahnenden) Umbruch beziehungsweise einer Spannung in der Idee des Museums ausgehen. Denn vor dem Hintergrund dieser mannigfachen Krisen der Repräsentation ist das Museum eigentlich in seinen Grundfesten erschüttert. Und es wird dabei zugleich als revolutionärer Handlungsund Bildungsraum aktiviert.

D ie P rozessualisierung des M useums Was geschieht also, nachdem das, was das Museum ausmachte, infrage steht: Was passiert mit seinem nationalen Anspruch, seiner Produktionskraft von Wahrheit und Wert, der dauerhaften Gültigkeit seiner Ordnungen usw.? Ist es zu einem Auslaufmodell geworden? Catherine Grenier, Ko-Direktorin des Centre Pompidou, schreibt in einem Buch gegen das »Ende der Museen« an. Sie plädiert für Museen als aktuelle Institutionen, die sich nicht mehr bloß um sich selbst drehen, sondern sich vielmehr mit den wesentlichen Fragen der Welt und der Gesellschaft auseinandersetzen.11 Und nicht nur bei Grenier, sondern in sehr vielen innovativen Museumsansätzen ebenso wie in neueren Vermittlungsdiskursen scheinen vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Krise die gesellschaftliche Relevanz und Veränderung auf der Tagesordnung zu stehen. So ist heute mehr denn je vom Museum als Plattform, als Arena, als Kontaktzone die Rede. Allerdings ist sowohl die gesellschaftliche Relevanz  – als zunehmendes Kriterium der Mess- und Verwertbarkeit  – als auch das Schlagwort des ›Social Change‹ wie so viele andere aktuelle Begriffe in den beiden öffentlichen Bereichen Museum und Bildung zweischneidig. Denn 10 | Vgl. S. Tormey: Occupy Wall Street, S. 133. 11 | »Si le musée veut pénetrer l’espace intellectuel, où il occupe pour l’instant une place mineure, et y devenir un acteur de référence, il ne peut pas se tenir à l’écart des grandes préoccupationns de la société et du monde.« C. Grenier: La Fin des Musées, S. 125.

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in neoliberalen Transformationsprozessen und neuen gouvernementalen Logiken soll ja gerade Dauerhaftigkeit zugunsten von Unsicherheit und Flexibilisierung zurückgelassen werden. Die Diskurse der Transformation und der Prozessualisierung lassen nun das klassische Museum ganz schön alt und starr aussehen. Sagen wir es mit den Worten des Kommunistischen Manifests: »Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können.«12 Pascal Gielen schreibt hierzu: After all, institutions traditionally represent verticality, historic profundity, canons, tradition, values and dignity, ›grandeur‹, stability and certainty. Within the fluent network society, these qualities too are subjected to being expressed in terms of measurable quantities by measuring output and public outreach and by continuing the number of organized events.13

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Dematerialisierung und Ökonomisierung erscheint es eigentlich interessant, auf die Dauerhaftigkeit der Institution des Museums zurückzukommen.14 Denn wo sich alles ständig verändern soll, kommt es längst nicht mehr darauf an, dass sich etwas verändert, sondern darauf, welche Veränderung der Gesellschaft und ihrer Institutionen mit welchen Mitteln erreicht werden soll. Was aber, wenn die Unterscheidung zwischen dem alten und dem neuen Museum gar nicht so einfach ist? Ebenso wie das Theater nicht immer und nicht immer nur dramatisch war, um dann post-dramatisch zu werden, war das Museum nicht immer nur repräsentativ. So lässt sich die Geschichte des Post-Repräsentativen auch als grundlegender Bestandteil der Museumsgeschichte selbst erzählen. Denn das Museum war über Repräsentation hinaus immer auch Kontext von Aushandlungsprozessen: Es war nicht nur verstaubt und versteinert, sondern Bildungsraum, Kampffeld, Kontaktzone. Anke te Heesen schreibt: Museen waren von Beginn an Treffpunkte und Gesprächsorte, Erziehungsinstrumente bürgerlicher Eltern wie Ermöglichungsorte einer neuen Beziehung. Sie waren – folgt man Klonk – ›Spaces of Experience‹, die nicht nur das Sehen, sondern auch das Gehen und das Sprechen einschlossen.15

Und insofern das moderne Museum aus der Französischen Revolution geboren wurde, war es seit seinen Anfängen auch Kontext für Wiederaneignungen. 12 | K. Marx/F. Engels: Manifest der kommunistischen Partei, S. 465. 13 | P. Gielen: Introduction, S. 2. 14 | Vgl. P. Gielen: Institutional Imagination, S. 11–34. 15 | A. te Heesen: Theorien des Museums zur Einführung, S. 185.

Im post-repräsentativen Museum

Als nach der Französischen Revolution die Entscheidung getroffen wurde, dass die prunkvollen Gegenstände des Adels und der Kirche nun im Louvre allen gehören sollten, fand bekanntlich ein machtvoller politischer Prozess der Dekontextualisierung und Rekontextualisierung statt. Mit Habermas kann dieser als Übergang von der »repräsentativen Öffentlichkeit« zur »politischen Öffentlichkeit« bezeichnet werden.16 Insofern war das moderne Museum möglicherweise immer schon genauso post-repräsentativ, wie es repräsentativ war. Und Museumsgeschichte muss auch als Geschichte von Bedeutungsverschiebungen und Prozessen verstanden werden, in denen Werte nicht nur festgeschrieben, sondern auch umgewertet wurden.

I nvolviertes K ur atieren und V ermit teln Is the Museum a Battlefield? 17 fragt Hito Steyerl in einer Lecture Performance auf der Istanbul Biennale 2013. Sie versteht das Museum dabei in mehrerlei Hinsicht als Kampfzone: Einerseits war es seit der Französischen Revolution Standort von gegenhegemonialen Kämpfen und Reklamationsort. Andererseits ist es selbstverständlich selbst vor allem Niederlassung dominanter Hegemonien und, wie Steyerl zeigt, auch tief verstrickt in die Ökonomien eines militärisch-industriellen Komplexes. Dennoch sind die zahlreichen radikalen Reklamationen und Kämpfe um Repräsentation eben nicht von der Hand zu weisen. Da sie ihre Basis sind, sollen sie von einer post-repräsentativen Perspektive weder hinter sich gelassen, noch delegitimiert werden. Post-repräsentativ heißt also keinesfalls ›nach den Kämpfen um Repräsentation‹. Ganz im Gegenteil, die oben angesprochene Krise der Repräsentation kann nur als Ergebnis dieser Kämpfe verstanden werden. Sie haben sich mit dem mächtigen Wissen der Institutionen aus bürgerlicher, proletarischer, feministischer, antirassistischer und antikolonialer Perspektive angelegt. Und als sie nicht mehr zum Schweigen gebracht werden konnten, haben sie sich diese entweder angeeignet, um sich selbst zu institutionalisieren (wie im Fall der Französischen Revolution), oder sie wurden von den mächtigen Diskursen institutionell integriert. So liegt also die Funktion des Museums sowohl in der Erhaltung der dominanten Hegemonie als auch in ihrer Infragestellung und Herausforderung. Wenn wir nun von einem gesellschaftlich relevanten Museum nach der Krise der Repräsentation ausgehen wollen, gilt es, sich zu entscheiden, auf wel16 | Vgl. J. Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Dazwischen liegt bei Habermas ja bekanntlich noch die literarische Öffentlichkeit des räsonierenden Publikums, die ich hier bewusst übersprungen habe, die aber sicherlich auch eine Funktion in der Museumsgeschichte hat. 17 | H. Steyerl: Is the Museum a Battlefield, siehe http://vimeo.com/76011774.

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che Seite dieses tendieren soll. Ich möchte, mich auf die Hegemonietheorie Chantal Mouffes beziehend, für ein radikaldemokratisches Museum plädieren: »Dem agonistischen Zugang zufolge«, schreibt Mouffe, geht es um eine Praxis, die »Dissens fördert, die sichtbar macht, was der dominante Konsens tendenziell verdunkelt […] mit dem Ziel, all jenen eine Stimme zu geben, die innerhalb des Rahmenwerks der existierenden Hegemonie zum Schweigen gebracht werden.«18 Wie kann nun eine solche »radikale Museologie« aussehen,19 die sie sich als öffentliches und intellektuelles Handeln versteht? Zunächst müsste sie sich in Solidarität mit den bestehenden sozialen Kämpfen formulieren. In diesem Sinne folgt ein involviertes20 Kuratieren und Vermitteln sowohl außerinstitutionellen aktivistischen Logiken als auch dem Umwertungspotenzial des Museums selbst.

Par a -M useum So aktiviert die radikaldemokratische Perspektive eine Sprengkraft des Museums im Hinblick auf sich selbst. Sie stellt die machtvollen Funktionen des Museums anhand von dessen eigenen emanzipatorischen Funktionen infrage – von der Umwertung der Werte über die öffentliche Versammlung bis zur kritischen Bildung. Sie eignet sich das Museum als Museum mit dessen eigenen Mitteln an. Insofern sie dabei auf das Museum mit seinem Veränderungspotenzial und auf die sozialen Kämpfe, welche Herrschaftslogiken durchkreuzen, bezogen ist, ist sie zugleich ganz Teil des Museums und Teil einer anderen Ordnung, die möglicherweise erst im Kommen begriffen ist. Diese komplizierte Beziehung, die weder gegen das Museum ist, noch völlig von ihm definiert wird, lässt sich mit der Vorsilbe ›para‹ beschreiben. Denn das griechische Präfix παρά bedeutet sowohl »von … her, bei, neben … hin, zu … hin, entlang, nebenher« (örtlich) als auch »während, entlang« (zeitlich) und im übertragenen Sinn »im Vergleich, im Unterschied, wider und gegen«. Wobei es im Griechischen noch um die Abweichung geht und nicht um den Gegensatz. Dennoch ist es die Vorsilbe, die im Lateinischen zu ›contra‹ wird. Wenn wir an das Para-Museum als ein Innen denken, das zugleich Außen ist, an eine para-sitäre Beziehung zum Museum, dann könnte uns nun eine Subversion in den Sinn kommen, die das Museum (seine Deutungshoheit und seine Infrastrukturen) bestiehlt. So sagt etwa Marcel Broodthaers über sein 18 | Vgl. C. Mouffe: Agonistik, S. 147. 19 | Vgl. C. Bishop: Radical Museology. 20 | Ich verdanke das Konzept des involvierten Kuratierens zahlreichen Gesprächen mit Katharina Morawek, Direktorin und Geschäftsleitung/kuratorische Leitung der Shedhalle in Zürich.

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Musée d’Art Moderne Département des Aigles: »Das fiktive Museum versucht das offizielle, wirkliche Museum zu bestehlen, um seiner Lüge mehr Macht und Glaubwürdigkeit zu verleihen.«21 Und tatsächlich finden wohl zahlreiche Formen subversiver Entwendung nicht nur in künstlerischen Museen, sondern auch im vemittlerischen Bauch des Para-Museums statt – und zwar vor allem im Schatten der Aufmerksamkeit, in dem VermittlerInnen viele Stunden mit BesucherInnen, AufseherInnen und PortierInnen verbringen, oft am Wochenende, wenn keine JournalistInnen, KuratorInnen oder DirektorInnen anwesend sind. Bestimmt wird in diesen Situationen und Zwischenräumen vieles gewagt, gesagt, genommen und genutzt, was nicht nur den Zwecken der gerade bestehenden Institutionsdefinition entspricht. Stefano Harney und Fred Moten bezeichnen in ihrem Buch The Undercommons22 diese subversive, kriminelle Beziehung zur Institution als den Widerstand der Undercommons, die sich ihren Platz in den Institutionen suchen, deren Zukunft sie beanspruchen, indem sie vor Ort sind, obwohl sie weder eingeladen noch beauftragt wurden. Diese Akte, die quer zu den Normierungen und Verwertungslogiken der Institution verlaufen, nennen sie »Fugitive Practices«. Insofern Kritik von Harney und Moten als zutiefst verstrickt mit den neoliberalen und (neo-)kolonialen Bedingungen erscheint, taugt sie nicht für eine radikale Demokratisierung der Institutionen. So schreiben sie: The undercommons might by contrast be understood as wary of critique, weary of it, and at the same time dedicated to the collectivity of its future, the collectivity that may come to be its future. The undercommons in some ways tries to escape from critique and its degradation as university-consciousness and self-consciousness about university-consciousness, retreating, as Adrian Piper says, into the external world. 23

Was allerdings bei dieser Form der Verweigerung auch aufgegeben wird, ist jede Möglichkeit der Dauerhaftigkeit. Ich möchte demgegenüber eine para-institutionelle Position vorschlagen, die noch mehr will als eine solche bloß subversive Position, indem sie sich dem radikaldemokratischen Anspruch nicht entzieht, um Hegemonie zu kämpfen. Was würde es heißen, auf der Seite der Undercommons die Institution beim Wort zu nehmen? Möglicherweise erscheint eine solche Position für VereinnahmungstheoretikerInnen naiv und sie ist auch sicherlich widersprüchlich. Aber wenn wir Machtverhältnisse mit Foucault und Gramsci analysieren, stellen wir fest, dass diese widersprüchlich und in ihrer Widersprüchlichkeit gleichzeitig sind und dabei unterschiedliche Formen von Widerstand generieren. So hat das Überwachungsregime das Dis21 | Marcel Broodthaers im Interview mit Johannes Cladders, S. 95. 22 | S. Harney/F. Moten: The Undercommons. 23 | Ebd., S. 38.

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ziplinarregime nicht völlig abgelöst. Und auch unter Bedingungen des postindustriellen, kognitiven Kapitalismus gibt es massive industrielle Ausbeutung von globaler Arbeitskraft. Und wie wir oben gesehen haben, ist das post-repräsentative Museum selbst ebenso neoliberal wie emanzipatorisch ausgerichtet. Was ich nun vorschlagen möchte, ist eine para-institutionelle Position, die genauso widersprüchlich sein kann und muss wie die Institutionen selbst. So plädiere ich für ein Para-Museum, in dem sich ›Fugitivity‹ und Kontinuität nicht ausschließen, das Singularität und Kollektivität zusammen denkbar macht, das gleichzeitig auf Kritikalität insistiert und ebenso Formen der Wiederaneignung vorantreibt. Um dieser komplizierten Positionierung gerecht zu werden und sie vor allem mitten im Museum selbst zu verorten, schlage ich eine para-institutionelle Dekonstruktion seiner klassischen Aufgaben vor. Aus den Säulen des Sammelns, Zeigens, Organisierens, Forschens und Vermittelns ergeben sich fünf Strategien einer radikaldemokratischen kuratorischen und vermittlerischen Praxis: 1) Das Archiv herausfordern, 2) Den Raum aneignen, 3) Gegen-Öffentlichkeit organisieren,24 4) Alternatives Wissen produzieren und 5) Bildung radikalisieren. In meiner Forschung sammle ich Situationen – Beispiele für para-museale Strategien. Dabei mache ich bewusst keinen Unterschied zwischen künstlerischen, kuratorischen oder vermittlerischen Ansätzen, denn ich suche ja eben nicht nach Zuschreibungen, sondern frage danach, inwiefern diese Strategien gegenhegemoniale Funktionen entwickeln können. Und so möchte ich hier versuchen, die fünf Stränge ein wenig anschaulicher zu machen: Unter dem Titel ›Das Archiv herausfordern‹ beziehe ich mich auf Situationen, die sich anhand von Auseinandersetzungen mit Geschichte und Sammlungen mit dem »Apparat der Wertekodierung anlegen.«25 Denken wir das Archiv mit Foucault,26 dann geht es darum, den Horizont dessen, was gesagt, gesehen und gedacht werden kann, herauszufordern. Dies geschieht in Kunst, 24 | Der politische Theoretiker Oliver Marchart spricht in diesem Zusammenhang von Ausstellungen als »Ex-Positionen« – im Sinne von Stellungnahme und Positionierung. Für ihn besteht die kuratorische Funktion in der Organisation von Öffentlichkeit und in diesem Zusammenhang ist sie kollektiv, politisch und solidarisch: »[E]ine Praxis, die auf das Unmögliche selbst zielt: auf das nämlich, was in einer bestimmten Situation vom hegemonialen Diskurs als unmöglich definiert wird« (O. Marchart: Die kuratorische Funktion, S. 174). 25 | »You take positions in terms not of the discovery of historical or philosophical grounds, but in terms of reversing, displacing and seizing the apparatus of value-coding« (G. C. Spivak: Outside in the Teaching Machine, S. 63). 26 | M. Foucault: The Historical a priori and the Archive, S. 126–131 und ders.: Lecture one, S. 1–22.

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Theorie, Aktivismus, Vermittlung und kuratorischen Praxen seit vielen Jahrzehnten. Dabei werden Sammlungskategorien und Geschichtsverständnisse verunsichert 27 und neu befragt.28 Alternativen werden in existierende Narrative gewebt.29 Gerade in Schwarzen emanzipatorischen Projekten wird Geschichte oft gegen die rassistische und gewaltvolle Wissensproduktion zurückgeschrieben. Die Schwarze Kulturtheoretikerin bell hooks spricht hier von ›Talking Back‹.30 Diesen Gedanken hat etwa die Recherchegruppe für Schwarze Österreichische Geschichte im Mozartjahr 2006 in einer Ausstellung mit dem Titel Let it be Known31 aufgegriffen, bei der eine Auseinandersetzung mit der fehlenden selbstbestimmten Schwarzen Geschichtsschreibung in Österreich vorangetrieben werden sollte. Diese konnte als fehlende in der Ausstellung gar nicht repräsentiert werden. Anhand eines Hip-Hop-Songs ging es daher um eine Auseinandersetzung mit mächtigen Wissensformen, eigensinnigen sowie widerständigen Strategien und um Aushandlungsprozesse darüber, wie Geschichte anders und neu geschrieben werden kann. Ganz in diesem Sinne sagt der Künstler Meshac Gaba etwa über sein Museum of Contemporary African Art: The Museum of Contemporary African Art [Herv. i. O.] is ›not a model […] it’s only a question.‹ It is temporary and mutable, a conceptual space more than a physical one, a 27 | Für das Ausstellungs- und Rechercheprojekt Double Bound Economies nahm die Kuratorin Doreen Mende etwa ein Fotoarchiv aus der DDR zum Ausgangspunkt, um binäre Logiken von Ost und West anhand von künstlerischen Arbeiten, Interviews und Diskussionen zu dekonstruieren. Das Projekt ist online dokumentiert unter www.double​ boundeconomies.net/ 28 | In The Repair from Occident to Extra-Occidental Cultures zeigt der Künstler Kader Attia vom Krieg zerstörte und reparierte Gesichter und Dinge. Er schafft damit eine materielle Intervention in gewohnte ethnografische Präsentationsmodi und durchkreuzt binäre koloniale Darstellungslogiken. 29 | Vgl. zum Beispiel das Ausstellungs- und Rechercheprojekt Giving Contours To Shadows von SAVVY Contemporary, Berlin 2014, siehe http://savvy-contemporary.com/ index.php/exhibitions/giving-contours-to-shadows/ 30 | Vgl. b. hooks: Talking Back. 31 | LET IT BE KNOWN! Counter histories of the African diaspora in Austria, Wiener Hauptbücherei am Gürtel, 17. Mai bis 31. August 2007, siehe http://translate.eipcp. net/calendar/1178811841#redir. Wesentliche kuratorische und aktivistische Impulse gingen für mich in dem Projekt von meiner Kollegin und Mitkuratorin Araba Evelyn Johnston-Arthur aus, die die Recherchegruppe für Schwarze österreichische Geschichte ins Leben rief. Für die gemeinsame Auseinandersetzung mit bell hooks und deren Bedeutung für Geschichte in Ausstellungen danke ich auch Belinda Kazeem und Claudia Unterweger, beide Teil der Recherchegruppe.

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Nora Sternfeld provocation to the Western art establishment not only to attend to contemporary African art, but to question why the boundaries existed in the first place. 32

In den Strängen ›Den Raum aneignen‹ und ›Gegen-Öffentlichkeit organisieren‹ geht es um Situationen, die sich den Ausstellungsraum zunutze machen, um Öffentlichkeit herzustellen. Gerne wird in diesem Zusammenhang von ›Kontaktzonen‹, ›Versammlungsräumen‹ und umkämpften Orten gesprochen.33 Zahlreiche Ausstellungs- und Vermittlungsprojekte der letzten Jahre haben sich in diesem Sinne Formen des Verhandelns34 und des Handelns gewidmet. Unter dem Titel Es ist ein schönes Haus. Man sollte es besetzen35 erzählt die Kunstvermittlerin Claudia Hummel von solchen Situationen. Anhand konkreter Beispiele aus der Vermittlungspraxis verortet sie solche ›Raumnahmen‹ mitten in Großausstellungen wie der documenta 12 und der 6. Berlin Biennale, nicht ohne zugleich kritisch zu reflektieren, dass was dabei geschah, wohl oft mehr mit Repräsentationen von Öffentlichkeiten und Besetzungen zu tun hatte als mit diesen selbst. Dennoch gelang es ihr zufolge, in Gesprächen und Erinnerungen an Besetzungen wichtige Momente aktivistischen Wissenstransfers zu generieren. Vor allem aber erzählt Hummel zuletzt von einem tatsächlichen ›Museumssturm‹ in Berlin: Am 6. November 2001 stürmte eine Gruppe von 30 Menschen mit großformatigen Farbfotografien um den Hals eine Ausstellung im Kronprinzenpalais in Berlin. Die Ausstellung trug den Titel ›Exodus. Flucht und Heimatlosigkeit 1994–2000‹ und zeigte Werke des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado. […] Die Menschen, die das Museum stürmten, waren Mitglieder der Flüchtlingsinitiative Brandenburg, einer Vereinigung, die sich 1998 aus AsylbewerberInnen aus dem Umland Berlins gebildet hatte, und einige UnterstützerInnen aus aktivistischen Berliner Initiativen. Ziel der Flüchtlingsinitiative Brandenburg war es, unentgeltlich für die Abschaffung der Residenzpflicht im Land 32 | M. Gaba: Tate Shots. Museum of Contemporary African Art, www.tate.org.uk/ whats-on/tate-modern/exhibition/meschac-gaba-museum-contemporary-african-art. 33 | Vgl. etwa das Projekt Und was hat das mit mir zu tun? Transnationale Geschichtsbilder zur NS-Vergangenheit vom Wiener Büro trafo.K (www.trafo-k.at/projekte/und​ washatdasmitmirzutun/), dem meine Dissertation unter dem Titel: Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung. Lernen über den Holocaust in der postnazistischen Migrationsgesellschaft, Wien 2013, gewidmet ist. 34 | Vgl. etwa das Projekt Taking Time, das ich gemeinsam mit Teemu Mäki in der Gallery Augusta in Helsinki im Winter 2013 kuratierte. Ein Gespräch mit der Performance-Theoretikerin Giulia Palladini über die Möglichkeiten und Grenzen des Projekts findet sich hier: G. Palladini: Taking Time Together, siehe https://cummastudies.files.wordpress. com/2013/08/cumma-papers-61.pdf. 35 | C. Hummel: Es ist ein schönes Haus, S. 79–116.

Im post-repräsentativen Museum Brandenburg und überall in Deutschland sowie gegen rassistische Diskriminierung zu arbeiten. Der Zeitpunkt für die Aktion war ausgewählt worden, weil am Folgetag im Bundeskabinett die Verabschiedung eines umstrittenen Gesetzesentwurfs des Zuwanderungs- und Ausländerrechts und das zweite Paket der Anti-Terror-Gesetze auf dem Programm standen. Die mitgebrachten Schwarz-Weiß-Fotografien zeigten den Alltag der AsylbewerberInnen im Asylheim in Rathenow (Brandenburg), einer Kleinstadt vor den Toren Berlins. Untergebracht in einem Plattenbau, warteten sie dort auf die Anerkennung oder Ablehnung ihres Antrags. […] Die AktivistInnen waren gekommen, um eine sich thematisch anschließende Ausstellung in der Ausstellung zu machen. Sie hatten diese professionell vorbereitet, hatten eine Pressemitteilung zur Eröffnung geschrieben, versuchten diese zu verlesen – dies sollte ihnen aber nicht gelingen, denn sie wurden von der Museumsleitung aus dem Museum verwiesen. In einem im Anschluss geschriebenen offenen Brief an Sebastião Salgado, in welchem sie seine Unterstützung und wenn nicht das, so wenigstens seine Meinung suchten, beschrieben sie unter anderem, dass durch den Anruf der Museumsleitung bei der Polizei das Risiko in Kauf genommen wurde, dass 30 Asylsuchende (weil sie die Residenzpflicht verletzt hatten, um in Berlin diese Aktion zu machen) arretiert werden. 36

Auch wenn diese Situation zeigt, dass ein Museum polizeilich gegen Störungen vorgeht, stellt sie für Claudia Hummel ein grundlegendes Moment der Aktualisierung der Idee des Museums dar. Tatsächlich handelt es sich hier nur um eines von zahlreichen Beispielen von Raumnahmen in Museen  – von Occupy Museum bis zur Besetzung der Akademie der bildenden Künste Wien im Herbst 2013 durch Refugee-AktivistInnen. So lässt sich, laut der kritischen Vermittlerin Claudia Hummel, gerade in der Möglichkeit, das Museum zu besetzen, seine wesentliche Funktion als Handlungs- und Erfahrungsraum beschreiben. Mit ›Alternatives Wissen produzieren‹ soll der museale Aspekt der Wissensproduktion und Forschung eine kritische Aufladung erfahren. ›Bildung radikalisieren‹ ist jenen Projekten gewidmet, die in dieser Publikation als kritische Kunstvermittlungspraxen vorgestellt werden und die in den letzten Jahren international an Bedeutung gewonnen haben. Konkret geht es hier um »undisziplinierte Wissensproduktion« an den Schnittstellen zwischen Museum, partizipativer Aktionsforschung und militanten Untersuchungen. Janna Graham spricht von einer »para-sitären Agenda« im Kontext Kunstvermittlung: [Diese] »erhebt nicht den Anspruch, frei zu sein von diesen Abhängigkeiten, sie fordert vielmehr die aktive Besetzung dieses Terrains als Schauplatz für Kritik und Konflikte. So verstanden, profitieren ›para-sitäre‹ Operationen zwar von dem nährenden und zutiefst problematischen Feld kultureller Institutionen, sie verorten jedoch ihre Absichten, Räume und AdressatInnen in einem Hier, das gleichzeitig anderswo ist. Dieses anderswo 36 | Ebd., S. 105–110.

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Nora Sternfeld sollte weniger als ein Ort gedacht werden, sondern vielmehr als eine Landkarte (map) von Affinitäten, Verbindungslinien zwischen all jenen, die für eine Emanzipierung von der Gewalt des Ausschlusses und der Ausbeutung kämpfen.« 37

Sie agieren jeweils situativ kritisch, provokativ, reflexiv, subversiv, affirmativ, produktiv und verweigernd. Die fünf Stränge sind in aller Widersprüchlichkeit zugleich institutionell und para-institutionell. Sie kommen ebenso sehr mitten aus dem Selbstverständnis der Institution, wie sie organischer Teil außerinstitutioneller Ansprüche sind. Sie versammeln Situationen, die den Kanon herausfordern und alternative Infrastrukturen schaffen. Mit diesem Text ging es mir darum zu zeigen, dass diese organisch-intellektuelle Kapazität nicht nur eine ist, die dem Museum gegenübergestellt werden kann, sondern eine, die in ihm selbst liegt. Das post-repräsentative Museum ist also neoliberales Transformationsmodell im Dienst der Wissensökonomie, aber es ist – nehmen wir es in seinem öffentlichen und umwertenden Potenzial ernst – auch selbst Para-Museum.

Abbildung 1: »Frisch zum Kampfe! Frisch zum Streite!« (aus Die Entführung aus dem Serail, 2. Aufzug, Nr. 13 Arie, Pedrillo). Ein Projekt im Wiener Stuwerviertel über Normierung, Rebellion und Ausschlüsse. Kuratiert von Ljubomir Bratic, Nora Sternfeld im Rahmen von Verborgene Geschichte/n Remapping Mozart, ein Projekt von Wiener Mozartjahr 2006.

37 | J. Graham: Para-Sites, S. 131.

Im post-repräsentativen Museum

Abbildung 2: Mounir Fatmi, History is not mine, 2014, vintage Schreibmaschine, Hämmer, Tisch, getippte Blätter, Video und Bilboquet-Spiel.

Abbildung 3: Es ist ein schönes Haus. Man sollte es besetzen. Vortrag von Claudia Hummel im Rahmen der Workshopreihe educational turn von schnittpunkt, 19. September 2010.

Abbildung 4: Taking Time, Gallery Augusta, Helsinki, März 2013, kuratiert von Nora Sternfeld und Teemu Mäki in Kooperation mit Giulia Palladini.

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V ermit tlung in M useen und A usstellungen als ein UND Obwohl Vermittlung in Museen und Ausstellungen gerade in Großbritannien während der letzten Jahre an Bedeutung gewonnen hat, wird sie in vielen Kulturinstitutionen noch oft als ein UND angesehen. Dieses UND funktioniert entweder als Brücke – als Möglichkeit, Museumssammlungen und Ausstellungen für eine Öffentlichkeit zu übersetzen und manchmal auch umgekehrt – oder aber als Ergänzung, als Nachtrag mit der Motivation, größere und besser besuchte Veranstaltungen zu organisieren. Obwohl Vermittlung immer als Existenzberechtigung für Kunstinstitutionen genannt wird, ist sie dennoch der erste Bereich, der Budgetkürzungen zum Opfer fällt. Trotzdem ist dieses UND von Bedeutung. Es ist zwischen Objekten und Besucher_innen verortet, zwischen Thematiken und ihren Konsequenzen, Konzepten und Interessensgruppen, der Öffentlichkeit kultureller Erfahrungen und den materiellen und affektiven Bedingungen, die sie formen. Häufig muss sich das UND der Vermittlung in Museen und Ausstellungshäusern mit einer Kluft zwischen dem Versprechen einer emanzipatorischen Begegnung mit Kultur und dem, was Gayatri Spivak die »Mechanismen der Inszenierung« genannt hat  – die widersprüchlichen Modi, durch welche Kultur produziert wird – auseinandersetzen; mit ihren tiefen Verstrickungen in die bürgerlichen Hierarchen der Geschmacksbildung, in koloniale und staatliche Projekte der Befriedung und neoliberale Managementlogiken. Und gleichzeitig muss es diese Kluft kompensieren. Dieses UND der Vermittlung ist somit ein konstituierender Aspekt des gegenwärtigen ›Kulturmachens‹. Es ist dann nicht mehr nur die Angelegenheit einer dafür spezialisierten Abteilung oder eines Tätigkeitsfelds, sondern tritt auf allen Ebenen kultureller Einrichtungen zum Vorschein  – von den Öffentlichkeiten bis zu den Künstler_innen, von den Reinigungskräften bis zu den Kurator_innen, von den Vermittler_innen bis zu den Wirtschaftsprüfer_innen. Obwohl die Ursachen dieser Spannungen weit in die Geschichte zurückreichen, zirkulieren sie immer noch, oft unbenannt und im Alltag der Kulturarbeit zu wenig beachtet.

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D enken mit/unter B edingungen : 1 D ie zugrunde liegenden B egrifflichkeiten Dort, wo sich Kuratieren und Vermitteln gegenwärtig annähern,2 geht es oft in erster Linie um die Frage, wer wie bezeichnet wird, wer wofür verantwortlich ist und wer wofür qualifiziert ist. Dieser Blick verschleiert und verhindert die Möglichkeit einer breiteren Auseinandersetzung mit dem Widerspruch zwischen der emanzipatorischen Rhetorik in Bezug auf Vermittlung in Kulturinstitutionen und deren tatsächlicher organisationsbezogener Praxis. Ein solches Herangehen ist in doppelter Hinsicht gefährlich: Vermittler_innen, Kurator_innen und andere werden davon abgelenkt, wie ihre Arbeit z. B. von rückschrittlicher Stadt- und Sozialpolitik zur Unterstützung antiemanzipatorischer Prozesse benutzt wird. In dieser spielen sowohl die Vergabe von Kunstaufträgen als auch künstlerische Bildungsprojekte eine zunehmend wichtige Rolle. Darüber hinaus werden sowohl in Hinblick auf die Weiterentwicklung der Praxis als auch auf ihre Theoretisierung, all jene Affinitäten vernachlässigt, die sich jenseits von Stellenbezeichnungen auf eine gemeinsame Basis eines Engagements für sozialen Wandel im Zeichen von Emanzipation beziehen. Was würde es bedeuten, die Konflikte und Widersprüche rund um dieses UND explizit zu benennen und auf sie zu reagieren?  – Konflikte, die in der Alltagsroutine der Kulturarbeit sowie in den bürokratischen Beschreibungen der Beziehung zwischen Vermittler_innen und Kurator_innen unartikuliert bleiben. Welches kulturelle Feld würde auftauchen, wenn es rund um gemeinsame Verbindlichkeiten bezüglich einer emanzipatorischen Pädagogik, einer sozialen Ausrichtung und post-kapitalistischer Existenzen abgesteckt würde? Wer wäre dabei und wer nicht? Welche Analysewerkzeuge gibt uns die Geschichte emanzipatorischer Bildungsentwürfe an die Hand, um diese Bedingungen zu analysieren und unter diesen Bedingungen zu handeln? Dieser Text unternimmt einen bescheidenen Versuch, diese Fragen unter Bezugnahme auf einige methodische Vorschläge aus jenen kritischen Bildungspraxen zu beantworten, die ich an anderer Stelle unter dem allgemeinen Titel »Denken mit/unter Bedingungen« beschrieben habe. Basierend auf meinen eigenen Erfahrungen der Dis-Kontinuitäten zwischen dem, was auf der (oft utopischen) Ebene der Repräsentation des Kultur-Machens gezeigt und dem, was auf der Ebene der kulturellen Produktion tatsächlich erfahren wird, 1 | Die Formulierung »thinking with conditions« ist im Englischen bewusst mehrdeutig und verweist auf eine (post)marxistische Perspektive, die darauf besteht, (Produktions)bedingungen in die Analyse einzubeziehen. »Mit/unter Bedingungen zu denken« meint die Reflexion über Bedingungen, denen wir gleichzeitig unterworfen sind (Anm. d. Übers.). 2 | P. O’Neill/M. Wilson: Curating and the Educational Turn.

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ruft »Denken mit/unter Bedingungen« dazu auf, der Beziehung zwischen diesen beiden Ebenen Aufmerksamkeit zu schenken.3 Oder, wie das britische Konzeptkunstkollektiv Art and Language einmal vorgeschlagen hat, zu verstehen, »what historical conditions we are really in, rather than those we want, need, believe or feel intimidated into supporting […]«4. Das erste Werkzeug, das ich vorstellen werde, stammt aus der Praxis der »Institutionellen Pädagogik«, die 1958 von Jean und Fernand Oury5 mit dem Ziel entwickelt wurde, Lernprozesse in Institutionen nachvollziehen zu können, die über die geplanten Inhalte hinausgehen – was Ivan Illich, ebenfalls emanzipatorischer Pädagoge, als »heimlichen Lehrplan« beschrieben hat.6 Die Institutionelle Pädagogik stellte Praktiker_innen aus Schule und Psychiatrie einen Rahmen zur Verfügung, der es ihnen ermöglichte, die Ausgangsbedingungen jenseits der expliziten architektonischen Formen oder bürokratischen Strukturen der Institutionen und ihrer Ergebnisse zu analysieren. Sie luden Praktiker_innen ein, Institutionen als eine Serie performativer Pädagogiken zu verstehen, die innerhalb und außerhalb der Mauern der Institution stattfinden. Das zweite hier vorgestellte Werkzeug leitet sich aus der Arbeit der lateinamerikanischen Befreiungspädagog_innen ab, deren Grundlagen in der Pädagogik der Unterdrückten7 liegen und die daraus Methoden entwickelt haben, »den Konflikt zu benennen« und die in kolonialen und kapitalistischen Lebenserfahrungen produzierten Widersprüche zu entlarven und sich zu ihnen zu verhalten. Ein drittes Werkzeug wird in der Figur der Para-Sitin8 angeboten. Diese stammt aus der Arbeit des Philosophen Michel Serres und meiner eigenen Arbeit mit zeitgenössischen Aktivist_innen,9 um auf eine Art der institutionellen (Mit)bewohner_innenschaft hinzuweisen, die mitten in Gefügen sitzt, mit welchen sie nicht einverstanden ist und die institutionelle Praxen (von dort aus) re-organisiert, indem sie selbst anders ist und sich anders benimmt. Erforscht werden diese drei Formen des Denkens mit/unter Bedingungen vor 3 | J. Graham: Between a Pedagogical Turn and a Hard Place. 4 | C. Harrison: Conceptual Art and Painting, S. 27. 5 | F. Oury/A. Vasquez: Vers une pédagogie institutionnelle. 6 | I. Illich: Deschooling Society, S. 56. 7 | P. Freire: Pädagogik der Unterdrückten. 8 | Im englischen Original wird das Wortspiel »para-site« verwendet, eine Kombination aus dem griechischen präfix »para« (mit, neben, hin … zu, entlang) und »site«, englisch für Stätte, Platz, Ort. In der Übersetzung funktioniert das Wortspiel nicht wirklich, wird aber dort beibehalten, wo es im Text eine maßgebliche Rolle spielt (Anm. d. Übers.). 9 | Vgl. dazu M. Serres: The Parasite und das Manifest des medienaktivistischen Kollektivs CAMP https://pad.ma/texts/padma:10_Theses_on_the_Archive/10 vom 15.8.​ 2016 sowie den im vorliegenden Text zitierten Auszug aus dem Interview mit der Gruppe x:talk, die sich für die Rechte von Sexarbeiter_innen einsetzt.

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dem Hintergrund der Spannungen und Konflikte während der ersten fünf Entwicklungsjahre des Centre for Possible Studies, einem kuratorischen und vermittlungsbezogenen off-space Projekt der Serpentine Gallery,10 in welchem Künstler_innen, Vermittler_innen und Aktivist_innen »Studien des Möglichen« zu den urbanen Ungleichheiten im Einzugsgebiet der Londoner Edgware Road durchführten. Diese Ungleichheiten sind auf die Lage der Straße im Zentrum Londons, im Bezirk Westminster, zurückzuführen, wo einige der wohlhabendsten Londoner Familien auf Grundstücken leben, die ihnen von der Kirche und der lokalen Aristokratie im sechzehnten Jahrhundert hinterlassen wurden. Gleichzeitig ist der Stadtteil auch als Zentrum für Migrant_innen aus vielen Teilen der Welt bekannt. Die Shishacafés und die Geschäfte im Besitz von Migrant_innen am südlichen Teil der Edgware Road – die an die berühmte ›Speaker’s Corner‹ angrenzt, wo früher übrigens öffentlich gefoltert wurde – eröffnen Migrant_innen sowohl Arbeitsmöglichkeiten wie ein kulturelles Leben, wobei es eher unwahrscheinlich ist, dass sie sich ein Leben in dieser Gegend längerfristig leisten können. Nichtsdestotrotz sind dies Orte informeller Bildungsarbeit, politischer Organisation, kultureller Produktion und des Vergnügens.11 Das neu erwachte Interesse der wohlhabenderen Bewohner_innen und ihrer Tory Vertreter_innen im Westminster Council an einer Aufwertung des Viertels führte zu offenen Bestrebungen, die von Migrant_innen betriebenen Geschäfte in Einklang mit diesen Stadtentwicklungsvisionen zu bringen. Nicht selten werden Ausdrücke aus der plastischen Chirurgie und (hinter verschlossenen Türen) aus der Hygiene zur Beschreibung der Bettler_innen und der Charakterisierung lokaler Geschäfte bemüht.12 Geht man die Edgware Road weiter entlang, kommt man in das sogenannte Church Street Viertel, das gegenwärtig einen klassischen Gentrifizierungsprozess durchläuft. Dies ist die Wohngegend der ›weißen‹ Arbeiter_innenklasse, von neuen Migrant_innen und insbesondere von Geflüchteten, die in großen Wohnblöcken des sozialen Wohnungsbaus leben. Viele dieser Bauten sollen im Namen der ›Erneuerung‹ auf gemeinsame Initiative der kommunalen Stadtverwaltung und privaten Bauträgern abgerissen werden. In Kombination mit den geplanten Veränderungen bei der Wohnbeihilfe führte dies zur Verdrängung der armen Bewohner_innen in andere Teile der Stadt und des Landes.13 An beiden Enden der Straße sehen die treibenden Kräfte hinter dieser Ent10 | J. Graham et al.: On the Edgware Road. 11 | Zur Geschichte migrantischer Geschäfte und deren Interaktion mit der Kommunalpolitik in dem Stadtteil vgl. CAMP, A. Khalaf/J. Graham: Pleasure: A Block Study. 12 | Siehe offizielle Pläne und Sprachgebrauch für den Stadtteil: www.edgwareroad​ partnership.co.uk/ vom 15.8.2016. 13 | Siehe: https://www.westminster.gov.uk/church-street-neighbourhood-regeneration vom 15.8.2016.

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wicklung die Serpentine Gallery und andere Mainstream-Kunstorganisationen als Trumpfkarte in diesem Prozess, da sie nicht nur ›wichtige‹ Künstler_innen für öffentliche Aufträge ausmachen können, sondern auch ein maßgebendes Interesse an der gestalterischen Dimension der Stadtplanung haben. Und obwohl das Centre for Possible Studies keine direkte Förderung von Bauherren oder der Stadtverwaltung erhielt, verbanden uns Geschenke wie die leerstehenden Gebäude, die wir als unsere Basis benutzten, mit diesem Prozess. Dies machte es notwendig, die Situation zu verstehen und dazu Stellung zu beziehen. Der Name des Centre for Possible Studies selbst war eine Reaktion auf diese Prozesse: Viele Bewohner_innen des Viertels spürten die drohende Verdrängung und kritisierten, dass die von Bauherren und Regierung durchgeführten lokalen ›Studien‹ ihre Perspektiven auf das Potential des Stadtviertels nicht einbezogen. Ausgehend von meiner eigenen Erfahrung als offizielle Kuratorin des Edgware Road Projects und von Gesprächsaufnahmen rund um das Projekt, z. B. mit Angestellten der Institution, örtlichen Beamt_innen, Jugendlichen, selbstorganisierten Sexarbeiter_innen und Beteiligten aus der antirassistischen Theaterarbeit wird dieser Text die Affinitäten, Spannungen und Trennungen beleuchten, die durch einen Prozess hergestellt werden, der das »Denken mit/unter Bedingungen« im kulturellen Feld in Szene setzt.

Z u einer P ädagogik der I nstitutionen Was lehren uns die Praxen des Kultur-Machens, wenn sie sich gegen dessen offensichtliche Intentionen richten? Das war eine der Einstiegsfragen in den Seminaren, die ich jahrelang für gegenwärtig tätige und künftige Kulturarbeitende abhielt. In diesen Seminaren veranschaulichten wir die Anatomie der politischen Kunst und der pädagogischen Projekte mittels Diagrammen. Dabei untersuchten wir sie ausgehend von ihren konzeptionellen Grundlagen bis zu ihrer organisationalen Praxis. Oft starten sie in bester Absicht und verfolgen ein hehres Ziel, denn sie wollen »Information über die Zerstörung der Umwelt verbreiten«, »gegen Grenzkontrollen arbeiten« oder »eine Plattform generieren, um den Neo-Liberalismus zu hinterfragen«. Betrachten wir ihre Produktionskreisläufe, taucht dabei immer ein bestimmtes Muster auf: Zunächst gibt die Direktion oder das Kuratorium ein Stichwort, das dann von einer Kuratorin oder einem Vermittler  – oft in Zusammenarbeit mit einer Künstlerin oder einem Künstler – zu einer Idee ausgebaut wird, die schließlich durch Programme, Werbemittel, Hersteller_innen und Monteur_innen, Einlass-, Sicherheits‑, Catering- oder Reinigungspersonal und durch das Publikum an die Öffentlichkeit gebracht wird. Manchmal wird an bestimmte Interessensgruppen oder Gruppen herangetreten, die für die jeweilige Thematik als relevant erachtet werden; dies ge-

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schieht meistens im späteren Verlauf des Projekts. Das für solche Beteiligungen vorgesehene Zeitbudget wird oft beschnitten und ist abhängig von den Ressourcen und dem Zeitfenster, das für das Projekt zur Verfügung steht, ohne die Möglichkeit, den Zeitraum, der aus der Perspektive der kulturellen Macher_innen für die Thematik von Interesse ist, überschreiten zu können. Am Ende der Kette werden die Arbeitsbedingungen immer prekärer und der Produktionsprozesse für die Beteiligten immer intransparenter. Präsentation und Distribution wird in dieser Projektanatomie die größte Aufmerksamkeit zuteil – sogar bei kritischen Ansätzen wie der Institutionskritik. Dabei bleiben die unzähligen anderen Praxen, die mit der Herstellung von Kultur verbunden sind, kaum erforscht und kaum diskutiert. Genau diese Dynamik zwischen den vor-repräsentationellen, repräsentationellen und post-repräsentationellen Aspekten des institutionellen Lebens und seinen offensichtlichen, klar zu Tage tretenden Aspekten nachzuvollziehen, hat sich die von Jean und Fernand Oury 1985 in Frankreich entwickelte Institutionelle Pädagogik zur Aufgabe gemacht. In ihrer Arbeit, die quer zu den ›großen Architekturen‹ institutioneller Dienstleister_innen, wie psychiatrische Kliniken oder Schulen, verlief, beteiligten Praktiker_innen der institutionellen Pädagogik Lehrer_innen, Student_ innen, Eltern, Psychiater_innen, Reinigungspersonal, Dienstleistungsnutzer_ innen und Künstler_innen an einem Prozess, der eine Identifizierung dessen ermöglichte, wie Institutionen sowohl innerhalb ihrer eigenen Wände als auch durch ihre Beziehungen zu Familien, Communities und ihre sozialgeschichtlichen Verortung ›performt‹, gelernt und gelehrt werden. Sie verstanden unter Institutionen sowohl das konkrete Gebäude mit Türen und Fenstern, die bürokratischen Prozesse, die Architekturen und die Regeln, die sie sichtbar strukturieren, aber auch die oft konfliktreichen Narrative und Begehren, die Institutionen formen. So verstanden werden Institutionen eher zu ›Lebensorten‹, die quer zu dem verlaufen und jenseits dessen liegen, was gemeinhin als ›die Institution‹ verstanden wird. Dabei fühlten sie sich nicht nur einer Analyse der expliziten und impliziten Lernpraktiken verpflichtet, die in Institutionen hergestellt werden, sondern wollten auch in diese Praktiken intervenieren, mit ihnen brechen und Alternativen bereit stellen, die Institutionen nach den Prinzipien sozialer Gerechtigkeit radikal umbauen würden. Ausgehend von einem Austausch zwischen Grundschulen der Ecole-Moderne-(oder Freinet)14 -Bewegung im Frankreich der 1940er und 50er Jahre – wo Schüler_innen ermutigt wurden, die Schulorganisation zu reflektieren und durch kollektive Verwendung einer Schuldruckerei und der Klassenversammlung verändernd mitzugestalten  – und niedergelassenen psychiatrischen Institutionen, wo diese Techniken adaptiert wurden, war die Institutionelle Pädagogik gleichermaßen in der Pädagogik und in der Psychiatrie verortet. Indem sie quer zu den ver14 | A. Vasquez/F. Oury: The Educational Techniques of Freinet.

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schiedenen Bildungsbereichen arbeitete, produzierte sie das, was Felix Guattari als »transversale« Analyse der unausgesprochenen Struktur bezeichnete,15 »that makes it possible to use a soap without quarrelling« sowie »the whole of the rules allowing to define what ›can or cannot be done‹«16. Institutionelle Pädagogik verweist auf instituierende Praxen, Mikro-Interessensgruppen und Mikropolitiken der Affinität und Aversion, die jenseits eines monolithischen Verständnisses der Institution und Strukturen von ›wir‹ und ›sie‹ bzw. ›Innen‹ und ›Außen‹ verortet sind und stattdessen auf Begehren und eruptiven Beziehungen auf bauen. Betrachtet man Institutionen auf dieser mikropolitischen Ebene, stellt man fest, dass sie weit mehr umfassen, als die Personen auf ihrer Gehaltsliste, die diese oder jene Funktion innehaben; sie schließen ein weit größeres Gebiet an Interessen, Subjektivitäten und Begehren ein. Sie sind soziale, kreative und produktive Orte. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, sich in Bezug auf kulturelle Institutionen über drei Aspekte klar zu werden: Erstens sitzt das ›Soziale‹ nicht vor den Toren kultureller Produktion oder dessen, was u. a. durch Marketingumfragen als Kunst verkauft wird. Zweitens muss den oft homogenen Lesarten der Kulturinstitutionen widersprochen werden, die – egal ob kritisch oder affirmativ – dazu neigen, ihre Selbstvermarktung wörtlich zu nehmen und damit wenig Raum für die Offenlegung jener konfliktgeladenen Interessen lassen, die dieser Einrichtung und den Lernprozessen, zu denen sie andere auffordert, zugrunde liegen. Schließlich gilt es jene Aspekte des Lernens in den Blick zu nehmen, die am wenigsten sichtbar sind, und die in Kulturinstitutionen oft eine immense Macht haben, die hegemoniale Struktur durch Kulturen des Zwangs, der Unterwerfung und des Verschweigens abzusichern. Methodisch basiert institutionelle Analyse auf ›mikro-monographischen Forschungen‹, die von Menschen durchgeführt werden, die im erweiterten Feld institutioneller Gefüge arbeiten, von Betroffenen, deren Ergebnisse die Basis für ihre Intervention bilden sollen. Dafür ist es entscheidend, die Texte oder Sprechakte aller jener Akteur_innen durchzuarbeiten, die mit der Instituierung verbunden sind. Wie Jacques Pain in seiner Auseinandersetzung mit der institutionellen Analyse und ihrer Beziehung zu Gewalt vorschlägt: »Institutions talk (speak) insofar as there exist places of listening«.17 Hört man Institutionen beim Sprechen genau zu, können ihre konzeptuellen Mechanismen freigelegt, verändert und dahingehend angepasst werden, dass eine Intervention in jene ›Lebensorte‹ ermöglicht wird, die sie hervorbringen. Wenn wir kulturelle Institutionen mittels dieser erweiterten Definitionen – als Orte einer produktiven institutionellen Pädagogik – verstehen, wie kann so eine Analyse dann durchgeführt werden? 15 | F. Guattari: The Transference, S. 63. 16 | Fernand Oury zit. in J. Pain: Institutional Pedagogy, S. 2. 17 | Ebd.

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D ie I nstitution im erweiterten S inn spricht : »S ie bringen eine starke kur atorische V ision in das W ohngebie t « 2008 lud mich die Serpentine Gallery ein, ein Kunstprojekt in der Edgware Road zu entwickeln. Das Projekt war Ergebnis einer langfristigen Beziehung zwischen der Kunstinstitution und den Bewohner_innen der Nachbarschaft und basierte sowohl auf einer klassischen Kunstvermittlung wie Ausstellungsbesuchen der Schulen und Communities, sowie auf Sonderprojekten, das letzte etwa in Form eines zweijährigen Residenzprogrammes mit Künstler_innen in einer lokalen Schule. Nach Projektabschluss meldeten Bewohner_innen den Wunsch nach einer Fortsetzung der Beziehung an.18 Die Hoffnung war es, zwischen kuratorischen Formen, die öffentlich beauftragt würden, und Kunstvermittlung zu experimentieren. Die Kunstinstitution hatte außerdem ein Interesse an dieser Nachbarschaft, weil dort viele Menschen aus dem ›Middle East‹ wohnen und man sich Verbindung zu internationalen Künstler_innen und Institutionen in diesem Teil der Welt erwartete. Später wurde das Projekt neu ausgerichtet, damit es als Akteur und Bündnispartner in den Kämpfen gegen die Gentrifizierungsprozesse in diesem Wohngebiet, wie sie in der Einleitung beschrieben wurden, auftreten konnte. Diese widersprüchlichen Interessen traten schon während einer frühen Projektphase zu Tage. Als solches war es für mich und die in die Projektkonzeptionierung involvierten Künstler_innen und Aktivist_innen notwendig, einen informellen ›Raum (oder eine Praxis) des Zuhörens‹ herzustellen, um die zahlreichen institutionellen Sprechweisen zu dokumentieren, sowohl seitens der Kunstinstitution als auch aus der Sicht der Bewohner_innen des Viertels. Durch diese Haltung des Zuhörens konnten ein paar rhetorische Figuren über die Institution in ihrer erweiterten Form festgemacht werden: • Eine demokratisierende Rhetorik: Dass wir »die Gesellschaft verändern«, »für die am stärksten Marginalisierten eintreten«; »nicht auf die Reichweite der Kunstinstitution fokussiert sind, sondern Werkzeuge für die Nachbarschaft zur Verfügung stellen« wollen, eine »temporäre autonome Zone bilden«, »die Wahrnehmung des Viertels verändern«, »die Praxis verändern«, »Spaltungen zwischen den Vermittler_innen und den Kurator_innen überwinden, einen ›horizontalen‹ und ›Bottom-up‹ Prozess der Entscheidungsfindung statt einer ›Top-Down‹-Kultur der Galerie und der lokalen Stadtverwaltung etablieren«. • Eine bürokratische Rhetorik, die darum bemüht war »Dinge abzuhaken«, »Integration« für lokale migrantische Communities zu fördern, die Gegend »zu revitalisieren«, eine »starke kuratorische Vision« für das Wohngebiet zu bieten; 18 | S. Tallant: Dis-assembly, S. 9–14.

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• Eine avantgardistische Rhetorik, welche vor allem auf die beauftragten Künstler_innen fokussierte, die als »aufstrebend« zu kategorisieren wären und aufgrund ihrer Bekanntheit in der Kunstwelt einen größeren Fokus auf Partizipation und »Community«-Arbeit bringen würden; und • eine Rhetorik rund um die ›Marke‹, die sich mit der folgenden Frage beschäftigt: »Woher wissen die Leute, dass es sich um ein Serpentine Projekt handelt und woran erkennen sie, dass das ›unsere‹ Arbeit war?« Die Widersprüche, die in diese unterschiedliche Rhetoriken eingeschlossen sind, sind bezeichnend für das merkwürdige intersektionelle Terrain, das solche Projekte zur Hochphase des Neoliberalismus gegenwärtig einnehmen: Sie sind gleichzeitig demokratisierend und paternalistisch, sozial- und doch marktorientiert, voller Idealismus und gleichzeitig voller Kompromisse. Ihnen zugrunde liegt eine dualistische Archäologie vergangener kollektiver Kämpfe für soziale Gerechtigkeit und zeitgenössischer Formen hegemonialer Aneignung und Privatisierung. So wiederholen einige dieser Rhetoriken die Argumente der Kunstvermittler_innen während der 1990er Jahre: Dass wir »the temple and the forum« gemeinsam gestalten sollten, wie der Direktor des irischen Museums Moderner Kunst, Declan McGonagle, zu sagen pflegte;19 dass sich Künstler_innen selbst dem Partizipativen, dem Pädagogischen oder dem ›Relationalen‹ zugewandt hatten und dass Vermittlung daher ein wichtiger Aspekt für die Ingangsetzung dieser neuen Formen sei und somit auch als ›Kuratieren‹ bezeichnet werden sollte; dass Vermittlungsprojekte zusätzliche Förderungen durch Staat, Stiftungen oder Privatwirtschaft einbringen könnten; und dass diese Projekte wichtige Erfahrungen für Menschen darstellen könnten, die in weiterer Folge zu Museumsbesucher_innen und -verfechter_ innen werden könnten. Sie befinden sich auch in Einklang mit Veränderungen in der Stadtpolitik im Übergang von den 1970er zu den 1980er Jahren, in welchem Londoner Politiker_innen die urbanen emanzipatorischen Kunstbewegungen als jenes Element wahrnahmen, das der lokalen Bevölkerung die ›positiven Aspekte‹ der Stadtentwicklung vor Augen führte.20 Regierungen und Bauunternehmer werben nun häufig Künstler_innen und Künstlerorganisationen in allen Stufen des Entwicklungsprozesses an, 19 | D. McGonagle: The Temple and the Forum Together, S. 21–24. 20 | vgl. z. B.: GLC: State of the Arts or the Art of the State: Strategies for the Cultural Industries, (Greater London Council, 1985); LCC: An Arts and Cultural Industries Strategy for Liverpool: A Framework Planning Department, (Liverpool City Council, 1987); URBED, Developing the Cultural Industries Quarter in Sheffield, (Sheffield City Council, 1988).

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was David Harvey als Bewegung von der Ethik zu der Ästhetik in der Stadtpolitik der postmodernen Zeit beschreibt.21 Dabei profitieren sie vom widersprüchlichen Status der Kunst, die einerseits zum ›Wohle aller‹ besteht, während sie gleichzeitig Klassenhierarchien und sozialen Elitismus verstärkt. Die Erwartungen eines lokalen Planers, dass die Involvierung einer Kunstinstitution, wie oben zitiert, eine »starke kuratorische Vision in dieses Wohngebiet« bringen würde, kann hinsichtlich der Folgen repräsentationaler Ästhetik verstanden werden, reflektiert aber auch die Ästhetik der organisierenden Praxen, die mit institutioneller Beauftragung von Kunst einhergehen, in denen ›kuratorische Vision‹ synonym für die Abgrenzung von der betroffenen Bevölkerung steht. Über die ›niedrigen‹ Anliegen demokratischer Prozesse gestellt – in Hinblick auf die massive Reduktion von Sozialwohnungen, die Nachhaltigkeit der Preise auf dem freien Markt für Leute aus der Arbeiter_innenklasse etc. – ist das UND der Kunstvermittlung nichts mehr als ein Euphemismus für den auf Zwangsmaßnahmen beruhenden, dabei augenscheinlich sanften diplomatischen Zugang zur Stadtentwicklung. Dieser operiert unter dem Deckmantel vermeintlicher Engagiertheit, um eine Zukunft zu realisieren, die bereits festgeschrieben ist und die durch Absprachen zwischen Regierungen, Stadtentwicklern und Polizei gewaltvoll sichergestellt wird. In dieser Kakophonie ist jedoch auch das Gemurmel der wieder erstarkenden sozialen Bewegungen hörbar. Sie rufen die Künste dazu auf, eine soziale Agenda zu verfolgen und sich den Interessen der Armen anzuschließen. Sie fordern vonseiten der Kunst und Kunstvermittlung eine Rechenschaft gegenüber jenen Kämpfen ein, für die sie eintreten. Sie befinden sich jedoch in einem Spannungsverhältnis mit dem, was Hansel Ndumbe Eyoh in seiner Arbeit über radikale Community-Theatergruppen der 1970er und 80er Jahre als »Domestizierung« der radikalen Kulturbewegung beschreibt, die im Streben nach Anerkennung für ihre Arbeit oft die übergeordneten Zielsetzungen ihres Projektes vergaßen: Die radikale Befreiung der Gesellschaft von Unterdrückung.22 Indem sie dieses Ziel aus den Augen verlieren, bleiben Praktiker_innen in einer ständigen Auseinandersetzung mit jenen Problemen verfangen, die von den Praxen der bürokratischen Organisationen erzeugt werden und fokussieren damit nicht auf die ›unmöglichen‹ Ansprüche, die jenseits der existierenden Logiken nach einem fundamentalen Wandel verlangen. Dieses Management von Forderungen und Begehren ist ein zentraler Bestandteil neoliberaler Regierungsstrategien.

21 | D. Harvey: The Condition of Postmodernity, S. 6. 22 | H. N. Eyoh: Beyond the Theatre.

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K onflik te beim N amen nennen , aber wirklich! Eine der Formen, durch die Expert_innen von sozialen Bewegungen entfremdet worden sind, besteht Hndube Eyoh zufolge im Versäumnis, eine Praxis in jenen Räumen zu entwickeln, in denen die unmöglichen Ansprüche für soziale Gerechtigkeit gestellt werden. In weiterer Folge werden jenen, die über das umfassendste Wissen um und Verständnis von sozialer Ungerechtigkeit verfügen, neue Rollen zugeteilt und sie gelten nun als »Zielgruppe«, »Teilnehmende«, »User_innen« oder »schutzbedürftige Gruppen«. Durch diesen Akt der Benennung werden sie selbst dort zu den ›Anderen‹, wo am klarsten emanzipatorische Ziele von Institutionen formuliert werden, und müssen daher »angelockt«, »erfasst«, »ausgerichtet«, »einbezogen« etc. werden. Wollen wir die Institution tatsächlich in ihrem erweiterten und pädagogischen Sinne verstehen, mittels der Äußerungen und Mikro-Umstände, durch welche sie instituiert wird, müssen wir jenen zuhören, die von Institutionen als ihr Außen erachtet werden. Wir hörten unsererseits daher nicht nur den Gründer_innen des Edgware Road Projekts zu, sondern schufen 2009 in verlassenen Gebäuden in der Umgebung der Edgware Road auch das Centre for Possible Studies als Archiv und Gemeinschaftsressource mit einer klaren Verpflichtung gegenüber sozialer Gerechtigkeit. Für die Communities, Gruppen und Künstler_innen, die in diesen mobilen Einrichtungen arbeiten, wurden die Auseinandersetzung mit und die Umsetzung von emanzipatorischen Bildungskonzepten zu einem zentralen Teil ihrer Arbeit. Dies leitete unser Denken darüber, wie wir wohlüberlegt und kritisch in jene widersprüchlichen Kräfte intervenieren könnten, die bei der Gestaltung unserer Arbeit im Spiel waren. Ähnlich der Institutionellen Pädagogik lädt Befreiungspädagogik Gruppen dazu ein, die Terminologien, mit denen sie die Welt benennen, zu analysieren und neu zu rahmen. In Pädagogik der Unterdrückten schlägt der brasilianische Pädagoge Paulo Freire vor, einen Prozess in Gang zu setzen, in dem Leute kollektive Analysen ihrer Erfahrungen mit Machtstrukturen als Basis für Verstehen und Intervention entwickeln. Diese Praxis, die sowohl repräsentative als auch nicht-repräsentative Methoden einbezog, welche Freire als »Kodifizierung« und »De-Kodifizierung« beschreibt, versucht widersprüchliche Bedingungen zu benennen und gegen sie anzugehen. Freires dialektischer Begriff von Aktion und Dialog unterstreicht dieses Engagement: Für ihn ist Aktion ohne Dialog bloß »Aktivismus«, d. h. nicht durchdachte Reaktion, und Dialog ohne Aktion kommt umgekehrt einem »entfremdenden Blabla« gleich.23 Obwohl sich Freires eigene Schriften viel stärker auf bewusstseinsbildende Prozesse fokussieren und viel weniger auf 23 | P. Freire: Pädagogik der Unterdrückten, Kap. 3.

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die Frage, wie Gruppen ausgehend von diesen Aktivitäten zu revolutionären Aktionen gelangen, begriffen von Freire inspirierte radikale Bildungsarbeitsbücher  – die von den Sandinist_innen, den Anti-NAFTA Bewegungen der späten 1980er und anderen verwendet wurden – Benennungen (und Zuspitzungen) von Konflikten rund um Unterdrückung als wesentlichen Aspekt der Befreiungspädagogik. Benennungen gehen dabei über das Kreieren einer neuen Terminologie hinaus und wollen Aktion fördern. Genau darin liegt der Unterschied zwischen emanzipatorischen Befreiungspädagog_innen auf der einen Seite und ›Praktiker_innen der Partizipation‹ und des ›Engagements‹, die die Methoden der Befreiungspädagogik benutzen, um staatliche und körperschaftliche Macht und die globale Verteilung des Kapitals abzusichern, auf der anderen Seite.24 Während für die letztere Gruppe Befreiungspädagogik einen methodischen Werkzeugkasten zur Verfügung stellt, bedeutet für emanzipatorische Vermittler_innen die ›Benennung des Konflikts‹ eine Verpflichtung, gegen die repressiven Strukturen in enger Verbindung mit jenen Einspruch zu erheben, die sie am einschneidensten erleben. Über den Zeitraum der letzten fünf Jahre des Edgware Road Project haben wir uns in den kollektiven Praxen der ›Konfliktbenennung‹ mit Migrant_innen und Nicht-Migrant_innen in Theaterworkshops engagiert, die als Implicated Theatre bekannt geworden sind. Als eine der immer noch aktiven Kerngruppen des Zentrums adaptierte Implicated Strategien der Befreiungspädagogik und des Theaters, um Projekte ins Leben zu rufen, die unterschiedliche und einander überschneidende Probleme analysieren, mit denen prekär lebende Migrant_innen und Kulturarbeitende aus der Gruppe umgehen müssen. Der Name der Gruppe, Implicated entstand durch die Verwendung von Augusto Boals Theater der Unterdrückten zur Herstellung von Bildern (Boals Ausdruck für Körpertableaux), woraus klar wurde, dass die Formulierung Unterdrückte/ Unterdrückende weder in adäquater Weise reflektiert, in welcher Weise Gruppen ihre eigene Macht erleben, noch die unterdrückenden Kräfte selbst. Während in Boals Arbeit oft die Erwartung besteht, dass diese Kräfte direkt zu Tage treten, zeigte sich der/die Unterdrücker_in in Workshops, die auf gegenwärtigen Bedingungen beruhten, oft in seinen vielen Gesichtern und sein/ihr Leben war mit dem der Gruppenmitglieder verwoben. Übersetzt in die vielen Sprachen der Teilnehmenden, war Implicated jener Begriff, den die Gruppe verwendete, um sowohl diese Bedingungen zu beschreiben, als auch dem Begehren der Gruppe Ausdruck zu verleihen, in das Leben der jeweils anderen durch Akte der Solidarität einbezogen zu werden. 24 | Eine genaue Analyse der Nutzung der Befreiungspädagogik durch progressive Regierungen in Lateinamerika zur Schaffung von Beteiligung ohne gleichzeitige Infragestellung der Grundstrukturen staatlicher Macht bzw. der globalen Verteilung des Kapitals findet sich in R. Zibechi: Territories in Resistance, Kap. 4.

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Die Gruppe benannte eine Anzahl von Konflikten in Zusammenhang mit migrantischen Erfahrungen und entwickelte Theaterstücke, um u. a. folgende Kampagnen in London zu unterstützen: Ein Netzwerk gegen Polizeiübergriffe: eine von Migrant_innen geführten Koalition, die Methoden zur aktivistischen Intervention gegen staatlich sanktionierte Polizeiübergriffe gegen Migrant_innen entwickelt; Justice for Domestic Workers (Gerechtigkeit für Hausangestellte): eine Gruppe, die für bessere Bedingungen für migrantische Hausangestellte arbeitet, sowie die Unite Hotel Workers union (Gewerkschaft der Hotellerieangestellten): eine Untergruppe der Unite union (Gewerkschaftsbund), die in ihrer Arbeit von den Erfahrungen migrantischer Arbeiter_innen ausgeht, um neue Organisationsformen im Hotelsektor zu entwickeln. Gleichermaßen bedeutend war, dass die Gruppe Benennungspraxen verwendete, um ihre eigenen internen Machtbeziehungen sowie die Ressourcenverteilung zu hinterfragen, wie sie von der Beziehung zur Gastgeberorganisation, der Serpentine Gallery, ausgelöst waren. Es gab verschiedene Positionen, von welchen aus diese Benennungspraxen stattfanden, wobei einige der Mitglieder mit der Serpentine Gallery und dem Kontext der zeitgenössischen Kunst in London nicht vertraut waren, während andere sich deren Rolle bewusst und ihr gegenüber sehr kritisch eingestellt waren. Diese Dynamik manifestierte sich in einer Anzahl von Performances, die unterschiedliche Projektbeteiligte einbezogen: Kulturarbeitende, Angestellte der Kunstinstitution, Besucher_innen aus der Mittelschicht, Organisationen für Migrant_innenrechte, die das konfliktbeladene Terrain dieser Beziehung durchdachten. Eine dieser Performances mit dem Titel The Embassy Ball (der Botschaftsball) untersuchte die Dynamik zwischen dem Apparat der bürgerlichen Geschmacksbildung der Kunstinstitution und jenen, die als Reinigungspersonal und, meist temporär beschäftigt, als Cateringservice an einem solchen Ort arbeiten. Durch das Parodieren von Bekleidung, Atmosphäre und des Redenschwingens solcher Veranstaltungen, wurden die Gäste des Theaterstücks (um-positioniert als Gäste dieser privaten Party) Zeug_innen der Inszenierung von Mini-Rebellionen im Prozedere, die auf den Erfahrungen der Arbeiter_innen basieren, mit Diskussionen über die jeweiligen Konflikte, die ein solches Projekt hervorbringen. Die Produktion entstand aus wochenlangen Workshops zu unseren eigenen Verwicklungen in diese generativen Widersprüche. Indem wir die Verteilung von Macht und Ressourcen befragten, begannen wir die Mikroeffekte der Organisationsprinzipien der Kunstinstitution aufzudecken: Dass Projekte von Kurator_innen und Künstler_innen als sogenannte ›Fortbildung‹ für Teilnehmende ins Leben gerufen werden, dass Ressourcen dementsprechend verteilt werden, dass diese Künstler_innen oft deutlicher mit dem Projekt identifiziert werden als ›Teilnehmende‹, die oft überhaupt nicht zur Kenntnis genommen werden; dass ›Teilnehmende‹ Geschichten beisteuern, während die

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ästhetische Verantwortung bei den Künstler_innen und Repräsentant_innen verbleibt – die sich, trotz der bewusst getroffenen Entscheidung gleichberechtigt zu kooperieren, oft in die Arbeitspraxis der Gruppe einschlichen. Als ein Resultat des Prozesses unseren eigenen Konflikt zu benennen, begannen wir, diese Praxen neu zu gestalten. Kollektive Budgetverteilung sollten eine faire Aufwandentschädigung und -verteilung sicherstellen, ›Teilnehmende‹ erlernten die Praxis des Vermittelns und die Entscheidungsfindungen wurden kollektiviert. Das war und ist nicht einfach und führte zu zahlreichen Grundsatzdiskussionen: Sollten die finanziellen Mittel der Kunstinstitution für die Unterstützung und Solidarität der Mitglieder verwendet werden, um sie z. B. im Notfall mit Essen und Wohnung zu unterstützen, sollten alle die politischen ›Begründungen‹ mit denen wir arbeiteten, teilen (z. B. hatten einige in der Gruppe eine bessere Beziehung zur Polizei als andere)? Diese Fragen ermöglichten uns, die Rahmung des Projekts als ›Vermittlung‹ kritisch zu benennen. So verlangen zum Beispiel die meisten Geldgeber_innen von pädagogischen Projekten, dass im Vorfeld einer Gruppe ein ›Problem‹ zugeschrieben wird, und die meisten der beauftragten Projekte erwarten umgekehrt, dass die finanziellen Mittel dem zu Gute kommen, was als ›künstlerische‹ Arbeit gesehen wird und nicht der Umverteilung von Vermögen, ästhetischer Verantwortung und organisatorischer Macht, was wiederum der Wunsch unserer Gruppe war. Um solche Anforderungen zu unterlaufen, war es essentiell, hinreichendes Vertrauen aufzubauen, um in der gemeinsamen Organisation ganz offen sprechen zu können. Konfliktbeladene Bereiche zu identifizieren und entsprechend zu handeln, hatte einige (wenn auch kleinere) weitergehende Auswirkungen auf die Kunstinstitution. Die relevanteste war die Politisierung der Angestellten (konkret in der für Programmentwicklung zuständigen Abteilung), welche daran arbeiteten, die institutionsinterne Gewerkschaft zu revitalisieren und die begannen, ihre hegemonialen Organisationspraxen expliziter zu befragen. Dies stieß bestimmt keine revolutionären Veränderungen dieser Praktiken an, aber doch einen Prozess, in dem Räume für gemeinsames Diskutieren und Handeln eröffnet wurden. Gleichzeitig bleibt noch viel zu tun, insbesondere um die Fördergeber_innen in einen Dialog über die Arbeitsbedingungen der in der Institution beschäftigten Migrant_innen zu bringen. Dieser Prozess brachte die Institution in ihrer Komplexität zum Vorschein. Sie kann nicht nur in Bezug auf die individuellen Auswirkungen gelesen werden: z. B. »das Analysieren von Unterdrückung und unsere Beziehungen als Gruppe«; »viel über Rechte und die Erfahrungen anderer Leute lernen«, oder »Hoffnung angesichts einer sehr schwierigen Situation fassen, in der man viele Dinge einfach nicht machen kann«; sondern auch die kollektive Rahmung durch eine Kunstinstitution (Serpentine), von der viele fanden, dass sie ein »brutales und gewalttätiges Model der kulturellen Produktion« präsentiert,

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»das zutiefst entmenschlichend ist«.25 Er zeigte auch die auseinanderdriftenden Interessen innerhalb der Gruppe: Für Gruppenmitglieder, die Erfahrung in der Kunstwelt mitbrachten, waren Fragen der Rahmung durch die Galerie um vieles relevanter als für jene, die im Projekt gänzlich ohne Beziehung zur Kunstwelt teilnahmen. Für diese wiederum war angebotene gegenseitige Unterstützung wesentlich wichtiger. Die Diskrepanz zwischen diesen Formen der Kritik, zwischen treibenden Faktoren und den Grundvoraussetzungen der Gruppenmitglieder, ist ein konstituierendes Element des Projekts und reflektiert die widersprüchlichen Bedingungen, unter welchen solche Projekte realisiert werden. Wir haben die Grundlage für Affinität und Solidarität zwischen jenen Kulturarbeitenden, die Erfahrung in der Kunstwelt haben und jenen, die zu ihren Außenseitern gemacht werden, eher durch einen kontinuierlichen Reflexionsprozess darüber, wie Dynamiken der Unterdrückung solche Diskontinuitäten produzieren erreicht, denn durch den Versuch uns von ihnen zu befreien. Diese Solidaritäten begannen die Konturen dessen zu zeichnen (oder wie ein Gruppenmitglied vorschlug »zu erproben«), wie ein anderes Modell einer Kulturinstitution aussehen könnte.

D ie I nstitution als V erl aufsbahn : Par a - sitäre B ese t zungen Die von mir beschriebene erweiterte Erfahrung der Kulturinstitution führte – über eine Auseinandersetzung mit den Konflikten und Widersprüchen, die sie für jene produzierte, die sie in ihrem Außen vermutet – zu der Erkenntnis, dass institutionelle Diskontinuitäten auf einer Strecke verlaufen, die sich von völligem Desinteresse zu absoluter Uneinigkeit erstreckt. Diese Verlaufsbahn wurde von einer anderen Gruppe des Centre for Possible Studies, dem x:talk Projekt, aufgezeichnet. Als von Sexarbeiter_innen geleitete Arbeiter_innengenossenschaft bietet sie migrantischen Sexarbeiter_ innen in der Gegend gratis Englischkurse an und setzt dabei Methoden der emanzipatorischen Bildung ein. Die englische Sprache soll dabei als Mobilisierungswerkzeug für Sexarbeiter_innen vermittelt werden, die im Zuge der Gentrifizierung urbaner Stadtviertel zunehmend kontrolliert und überwacht werden. Dieses von und für migrantische Sexarbeiter_innen entwickelte Projekt unterstützt kritische Interventionen rund um die Fragen von Migration, Race, Gender, Sexualität und Arbeit und beteiligt sich an feministischen und antirassistischen Kampagnen. Die Gruppe x:talk verbachte mehr als fünf Jahre im Centre, nachdem sie zuvor hauptsächlich Krankenhäuser als Basis genutzt 25 | Übersetzte Zitate einer Gruppendiskussion der Implicated Theatre Mitglieder, September 2014 (unveröffentlicht).

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hatte, von denen eines ganz in der Nähe der Edgware Road lag. Historisch verbunden mit der Geschichte der Beteiligung von Sexarbeiter_innengruppen an Kampagnen rund um HIV und zur Reduzierung gesundheitsschädlicher Folgen in den 1980er Jahren, trat die Gruppe dem Centre bei, weil sie das Stigma ablegen wollte, das mit »the medical obsession with the prostitute’s body, which has to be prodded and poked to understand its social deviance« verbunden war.26 Mit dem Wechsel in einen künstlerischen Kontext, so die Sprecherin des Kollektivs, Ava Caradonna, »shifted the emphasis off the body of the sex worker, and the idea that sex work is exclusively held within a bodily form«.27 Dennoch bestand bei x:talk eine gewisse Skepsis gegenüber der Beziehung mit der Serpentine Gallery und gegenüber der Überbetonung von Repräsentation in der Welt der Kunst. Ava erklärte in diesem Zusammenhang: Wir werden nicht einfach eine Performance für die Künstler_innen, Forscher_innen und Reporter_innen liefern, die ihr Projekt über Sexarbeit machen wollen […] Unsere Arbeit findet in Solidarität mit der Bewegung statt. 28

Zum Strukturvergleich von Kulturinstitutionen und von oben gelenkten Sexarbeiter_innenorganisationen merkt Ava an: Diese Einbahn-Dynamik kennen wir auch aus Sexarbeiter_innenorganisationen, in denen häufig eine einzelne Sprecher_in mit hohem Bekanntheitsgrad quasi als Solist_ in gegenüber den vielen anderen bevorzugt wird, die an der Basis arbeiten. Als Antwort darauf entwickeln wir organische Repräsentationsformen, die sich auf die Formen des Aktivismus beziehen; um auf diese Weise eine Art Laboratorium für den Aktivismus zu schaffen. 29

Statt also die sogenannte Kulturinstitution direkt als Subjekt von Veränderungen zu adressieren, positionierte x:talk diese als Wirtin für einen para-sitären Eingriff, der den Kontext für Experimente der Organisierung liefert: das bedeutete, dass wir unsere ersten großen Förderungen bekamen, weil wir die vom Centre for Possible Studies gratis zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten im Londoner 26 | Aus einem Interviewtranskript mit Ava Caradonna, Januar 2015 (unveröffentlicht). 27 | Dies und die folgenden Zitate ebd. 28 | »We will not simply perform for the artists, researchers and reporters that want to do their project on sex work. […] Our work is in solidarity with the movement.« 29 | »We are familiar with this one-way dynamic also within sex worker organising, which often favours the solo lone spokesperson celebrity over the many who might be working on the ground. Our response is to create organic modes of representation that lend themselves to kinds of organising, that is, to create a kind of laboratory for organising.«

Die Anatomie eines UND Zentrum als Eigenmittel nutzen konnten […]. Dadurch gewannen wir genug Stabilität für den nächsten Schritt und konnten in East end einen autonomen Raum eröffnen […]. Für uns war es also eine Art Mittelpunkt und ein Laboratorium […]. 30

Das Bekenntnis zur Figur der Para-sitin als nicht-heroische, sondern kritisch und widerständig Handelnde, stellte für viele, die an emanzipatorischen Bildungsprojekten in Museen beteiligt waren und außerhalb der sensationsgierigen Kontexte von Kunst und heroischer Politik nach Orten für ihre eigenen Ausdrucksmöglichkeiten suchten, eine wichtige Re-Positionierung des politischen Subjekts der Avantgarde dar. Beeinflusst durch ihre eigene Lesart feministischer Kampagnen und anti-kolonialer Projekte, beschreibt x:talk para-sitäre Praktiken als Befall einer Organisation, mit der sie grundsätzlich nicht einverstanden sind.31 Indem sie in Opposition zu ihrer Wirtsorganisation arbeiten, weisen sie deren Logik zurück und versuchen nicht, sie zu reformieren, sondern ihr entgegenzuwirken und ihre Ressourcen zu nutzen, um sich für aktivistische soziale Veränderungen einzusetzen. Wie Caradonna beschreibt: »[…] this para-sitic strategy is used by many activists who are challenging essentialised identity categories when they engage with bigger institutions […].« Eine solche Bewertung der Rolle von Kulturinstitutionen schließt die Idee institutioneller Veränderung nicht aus, interveniert jedoch in ihre Diskurse, indem sie die am Spektakel orientierten Bedingungen der Beteiligung, wie sie von den Kulturorganisationen festgelegt werden, ablehnen und sich vielmehr für deren Fähigkeit zur Umverteilung entscheiden. Die Para-sitin wird nicht als Idealtyp einer Figur des Wandels präsentiert, sondern schafft ein Gefühl dafür, was in zutiefst kompromittierten kulturellen Umfeldern möglich ist. Sie ermöglicht Einblick in den para Aspekt der para-sitären Praxis, wie sie von Eyoh beschrieben wird, in die emanzipatorischen Kulturpraxen, deren Verbindlichkeiten vielmehr im Kampf um soziale Gerechtigkeit liegen, als in ihrer bürokratischen Rolle in den Kultur- oder anderen Institutionen. Dies ist keine pauschale Absage an Lobbys für politische Veränderung, Fair Play oder eine fundamentale Umstrukturierung von Kulturinstitutionen rund um emanzipatorische Verantwortlichkeiten, vielstimmige CommunityGremien, oder kooperative Beteiligung an der Kunst. Es ist vielmehr der Vor30 | »it meant that we were able to secure our first big grants, as we could use the free rent in central London offered by the Centre for Possible Studies as match funding […]. Through this we gained enough stability to go on to the next step and open an autonomous space in the East end […] so it was a kind of a mid point and a laboratory, for us […].« 31 | Vgl. dazu z. B. Care Work and the Commons (The Commoner no. 15: www.commo​ ner.org.uk/ vom 18.8.2016), von x:talk-Mitgliedern als Rahmen für gewisse Aspekte ihrer Arbeit verwendet.

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schlag, die para-sitäre Aktivität als einen Lernraum zu verstehen, in dem gefragt wird, wie re-figurierte Kulturinstitutionen aussehen könnten, und in dem wir unseren Kämpfen Nachdruck verleihen.

V on der A natomie eines UND zu einem UND UND UND In seinen Schriften über Godards Fernsehserie Drei Fragen zu six fois deux traf Gilles Deleuze vor vielen Jahren die Unterscheidung zwischen zwei Arten von UND. Einmal ein UND, das das, was links und rechts von der Konjunktion steht, affirmiert und welches naturalisierte Konzepte des Unvermeidlichen und den Status Quo bekräftigt. Das andere ist das UND eines »schöpferischen Stotterns«, das »und …und…und« ist »die Mannigfaltigkeit, die Vielheit, die Zerstörung der Identitäten«: »Das UND ist weder das eine noch das andere, es ist immer zwischen den beiden, es ist die Grenze…«.32 Bei der genauen Betrachtung dieser UND-Funktion in der Pädagogik ist eine Erweiterung unserer Lesart – unseres anatomischen Verständnisses – darüber, was Kulturinstitutionen hervorbringen, entscheidend. Während es viele einschlägige Publikationen über die Verwobenheit von Kulturestablishments und Macht gibt, ist ein Blick auf jene ebenso wichtig, die sich mit diesen einlassen, um eine GegenMacht zu aktivieren, auf jene aktiv handelnden Außenseiter_innen, jene mikropolitischen Kräfte und Erfahrungsbedingungen, die Kunstvermittlung als Terrain für Konflikt und Kampf mobilisieren. Der Beitrag, den die Analyse von Institutionen, das Benennen des Konflikts und die Figur der Para-sitin leisten können, liegt gerade im Bereiten neuer Wege dafür, für ein Denken mit/unter aktuellen Bedingungen, das auf einer neuen Art des Instituierens der Kulturinstitutionen besteht.

32 | G. Deleuze: Unterhandlungen, S. 67 f.

Die Anatomie eines UND

Abbildung 1–4: Der Botschaftsball.

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Wem gehört das Kunstmuseum? #BlankSlates und Geniuses Living Young Syrus Marcus Ware Mit der Frage »Was können wir von dem Museum lernen […]« war das Museum also ein Raum der Möglichkeiten, ein Raum der Potenzialität.1

2011 wurde ich an die Zürcher Hochschule der Künste eingeladen, um im Master of Arts in Art Education ausstellen & vermitteln meine Arbeit an der Art Gallery of Ontario und vor allem meine Tätigkeit als Koordinator des AGO Youth Council (AGO Jugendrat) vorzustellen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gemeinsam mit Jugendlichen an der Art Gallery of Ontario acht Jahre lang Programme und Installationen zu sozialen und politischen Themen gestaltet, die in den Communities von Toronto verwurzelt sind. Toronto zählt mit einer Bevölkerung von 2,7 Millionen zu einer der heterogensten Städte Kanadas. Die Kulturszene ist sehr aktiv und erstreckt sich über die gesamte Stadt. Mit einer Dauerausstellung von über 79.000 Kunstwerken ist die Art Gallery of Ontario Teil dieser Szene und rangiert unter den größten und berühmtesten Kunstmuseen Nordamerikas. Die Art Gallery hat in den Bereichen Politiken, Programmgestaltung und Ausstellungen innovative Ideen umgesetzt, die die Vielfalt der Menschen in Toronto widerspiegeln sollen. Der AGO Youth Council ist eine der politisch engagiertesten Initiativen des Museums und blickt auf eine 15-jährige Geschichte der Programmgestaltung zurück, die im Aktivismus für soziale Gerechtigkeit der Stadt verankert ist. Nachdem ich den Rat und die offenen Jugendprojekte bei diesem Treffen präsentiert hatte, wurde ich gefragt: »Aber was passiert, wenn sie sich kollektiv dafür entscheiden, kein Projekt zu ›produzieren‹? Wäre es noch immer so ›offen‹?« Seither habe ich über diese Frage gegrübelt. Sie spricht ein Schlüsselproblem innerhalb des Bereichs der Kunstvermittlung mit Jugendlichen an: Mit einer Finanzierung geht häufig die Forderung einher, dass Jugendliche (permanent?) Projekte und 1 | I. Rogoff: Wenden, S. 33.

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gute Laune produzieren sollen. Durch die Hinwendung zu Vermittlung und Kuratieren wird dieser Druck noch verstärkt; so wird nach einer 20-jährigen Praxis im Bereich der Jugendkunst von den Jugendlichen erwartet, dass sie in Vermittlungsprojekten Ausstellungsqualität liefern und traditionelleren kuratorischen Projekten umgekehrt Würze und Perspektive verleihen. Während meiner Zeit am Museum habe ich erlebt, dass die Verflechtungen zwischen Kuratorium und Vermittlung dichter geworden sind und diese Zusammenarbeit hat es ermöglicht, Stimmen aus der Community in Ausstellungsräume zu holen und die Anerkennung von in Vermittlungsräumen gemeinschaftlich hergestellten Inhalten zu erhöhen. In Hinblick auf diese Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen erklärt Gabrielle Moser, was sie unter einer »Kuratorialisierung der Vermittlung« versteht: Kuratieren wird nicht mehr als abgegrenzter Bereich von Aufgaben, Verantwortlichkeiten oder Subjektpositionen erachtet, sondern als eine Reihe diskursiver Gesten und Präsentationstrategien im Feld zeitgenössischer Kunst postuliert. Dies spiegelt die Hypothese der Herausgeber_innen wider, dass die pädagogische Wende die ›Kuratorialisierung‹ von Vermittlung eingeleitet hat, bei der der Vermittlungsprozess oft zum Gegenstand kuratorischer Produktion wird. 2

Wenn Kuratieren eine Abfolge diskursiver Gesten und Präsentationsstrategien ist, läuft dann die Zusammenarbeit zwischen Vermittlung und Kuratieren immer darauf hinaus, dass Vermittlungsprozesse zu Ausstellungsobjekten werden? Und sind diese kuratorischen Produkte immer schon Teil eines größeren neoliberalen Projekts? Janna Graham schreibt dazu: Angesichts aktueller Forderungen nach einer ›Wende‹ zur Pädagogik in der künstlerischen und kuratorischen Praxis muss gefragt werden, wie und warum eine solche Wende geprägt und eingeleitet wird. Jenseits einer thematischen Schwerpunktsetzung – in der sich ›das Politische‹, ›das Archiv‹ oder ›der Raum‹ blitzschnell abwechseln, bloß um neue Spezialgebiete, neue berufliche Laufbahnen, neue Bücher, neue Ausstellungen und zweijährliche Podiumsdiskussionen hervorzubringen – erscheint es wichtig, die ›pädagogische Wende‹ auf zutiefst beunruhigende Entwicklungen zu beziehen, die Kreativität und Vermittlung innerhalb der Politiken und Praktiken des Neoliberalismus konjugieren. 3 2 | G. Moser: Book Review: Curating and the Educational Turn: »Curating is posited not as a discrete set of tasks, responsibilities or subject positions, but as a series of discursive gestures and presentational strategies in the field of contemporary art, reflecting the editors’ hypothesis that the turn to pedagogy has involved the ›curatorialisation‹ of education whereby the educative process often becomes the object of curatorial production.« 3 | J. Graham: Between a pedagogical turn and a hard place, S. 125.

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Ich finde es sehr wichtig, mit Möglichkeiten zu experimentieren, die die Kapitalisierung von ausstellungsbasierten Kunstvermittlungsprojekten mit Jugendlichen in einer Form umgehen, dass dieser Neoliberalismus unterbrochen und Systemwandel innerhalb der Institution gefördert wird. Um diese Möglichkeiten weiter auszuloten, wird dieses Kapitel insbesondere zwei Beispiele der Zusammenarbeit beschreiben: die Jugendprojekte #BlankSlate (Unbeschriebenes Blatt) und Unified Geniuses Living Young (UGLY) (Vereinigte Genies Leben Jung). Ich werde ihren Projektverlauf und Einfluss auf die Teilnehmenden und die Institution untersuchen und dabei u. a. folgenden Schlüsselfragen nachgehen: 1.) Wie beeinflusst die zunehmend kuratorische Dimension von Vermittlung das ›Vermittlungswissen‹,4 z. B. durch seine höhere Sichtbarkeit in Ausstellungsräumen oder als Ergebnis gemeinschaftlichen Kuratierens? 2.) Wie gehen die Projektteilnehmenden mit dem Spannungsfeld zwischen Kooperation, Selbstermächtigung und Instrumentalisierung um? Diese Untersuchung wird eine Reflexion darüber ermöglichen, was es bedeuten kann, wirklich kollaborative Projekte auszuprobieren und zu entwickeln zu versuchen, und was wir5 von diesen Projekten erwarten, um zu strukturellen Veränderungen beizutragen, die zu einer Diversifizierung der gesamten Institution führen können: von Mitarbeiter_innen, Freiwilligen und Besucher_innen gleichermaßen. Dieser Artikel stimmt in einen viel größeren Chor ein, denn wir können mehr und mehr über diesen Wechsel zur Vermittlung lesen. Carmen Mörsch erklärt: Kunstvermittlung befindet sich – auch und gerade im Zuge des ›Educational‹ oder ›Pedagocial Turn in Curating‹ – am Rand des künstlerischen Feldes und der Aufmerksamkeit derer, die darin schreiben. 6

Wir müssen also mehr über unsere Erfahrungen aus der Vermittlung schreiben und besonders jene Geschichten erzählen, in denen Aktivist_innen Struktur- und Systemänderungen anstreben und in Angriff nehmen, Projekt für Projekt vor Ort.

4 | In diesem Kontext beziehe ich mich auf die Entwicklung von Praktiken, Wissensformen und Handlungsweisen innerhalb eines pädagogischen Kontexts. 5 | Ich werde mich während dieses Essays auf ein ›wir‹ beziehen und dabei eine kulturelle Community von Vermittler_innen, Künstler_innen, Aktivist_innen und Museumsmitarbeiter_innen imaginieren, die um soziale Gerechtigkeit bemüht und an einer Veränderung in Museen interessiert sind. 6 | C. Mörsch: Allianzen zum Verlernen von Privilegien, S. 19.

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D er AGO J ugendr at ist UGLY 7 Der AGO Jugendrat ist eine Gruppe von jungen Menschen im Alter von 14–25 Jahren, die gemeinsam mit Gastkünstler_innen und anderen Leuten aus der Community Projekte und Programme für Gleichaltrige in der Greater Toronto Area (GTA) entwickeln. Die Teilnehmenden übernehmen dabei leitende Rollen und lenken den Arbeitsprozess und Output der Gruppe. 2013 initiierte der Rat einen Brainstormingprozess, der auf folgende Idee hinauslief: die Schaffung einer permanenten Ausstellungsinitiative, die die Erfahrungen von Teenagern im öffentlichen Raum erforscht. Zusammen mit der Leitung der Artist-in-Residence-Projekte bespielte der Rat im Herbst 2013 drei Monate lang einen Raum der AGO Community Gallery. Der Rat konnte die Künstlerinnen Echo Railton8 und Mary Tremonte9 als Projektleitung gewinnen, eine Entscheidung, die auf den Erfahrungen der Künstlerinnen in der Verknüpfung von Aktivismus und Kunst, ihrer Arbeit mit Projekten im öffentlichen Raum und ihrer Entwicklung von sozialen Interaktionen im Museum gründete. Mary Tremonte brachte jahrelange Erfahrung mit dem aktivistischen Printkollektiv Just Seeds 10 mit und Echo Railton hatte mit ihrer Gruppe Analog Analogue 11 über Jahre hinweg ein aktivistisch-ästhetisches Element in Kunsträume gebracht. In einem kollaborativen Prozess begannen sie, den Museumsraum neu zu denken. Ein intensives Ausstellungs-›Projekt‹, Unified Geniuses Living Young (UGLY), lief von September 2013 bis Januar 2014. Während dieser Zeit gestaltete das Team den Raum wöchentlich um – die Installationen wurden verändert, um die Diskussionen über den öffentlichen Raum zu reflektieren. Über einen Zeitraum von mehreren Wochen hindurch verwandelte sich der Raum in ein öffentliches Forum: Die Wände wurden mit braunem Packpapier ausgekleidet und Besucher_innen dazu aufgefordert, in einen Dialog einzusteigen. In anderen Wochen verwendeten die Künstler_innen und der Rat die Wände zur Dokumentation ihres gemeinsamen Prozesses  – Treffen wurden direkt an der Wand protokolliert und Zuständigkeiten und Aufgaben für jedes Teammitglied notiert. Der Rat experimentierte im Raum und brütete darin Ideen aus. Die Mitglieder improvisierten Wandgemälde, gestalteten die Wände im Siebdruckverfahren, funktionierten den Raum für ein paar Wochen zu einer Disko um und entwarfen Spiegellabyrinthräume, die Besucher_innen erkunden konnten. Er wurde auch als Veranstaltungsraum für öffentliche Diskussionen über Jugend im öffentlichen Raum verwendet. Zu 7 | Das Akronym UGLY für das Projekt Unified Geniuses Living Young ist ein Wortspiel: Es bedeutet auf Englisch »hässlich«. 8 | Siehe: echorailton.com vom 18.8.2016. 9 | Siehe: http://justseeds.org/artist/marytremonte/ vom 25.8.2016. 10 | Siehe: http://justseeds.org/ vom 18.8.2016. 11 | Siehe: www.analoganalogue.org/ vom 18.8.2016.

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diesem Zweck arbeiteten die Mitglieder mit Professor_innen für Stadtplanung an der Universität Toronto, mit Künstler_innen und anderen Jugendlichen zusammen, um Podiumsdiskussionen und Debatten zu entwickeln. Diese Veranstaltungen waren für die Öffentlichkeit zugänglich und brachten Jugendliche, High School Schüler_innen, Museumsbesucher_innen, Stadtplaner_innen und Vermittler_innen im Ausstellungsraum zusammen. Ihre Interventionen in den ›unberührten‹ Ausstellungsraum waren nicht immer ›schön‹ oder ›vollständig‹. Sie boten einen alternativen Weg der Raumnutzung an  – als Labor, vielleicht sogar als ›Labor des Scheiterns‹.12 Sie schufen einen Raum, um Ideen auszuprobieren, zu experimentieren, großartige Sachen zu machen, Dinge, die nicht funktionierten oder nicht wie erwartet aufgingen, und vielleicht sogar Dinge, die scheiterten.13 Wie Mörsch es formuliert, ermöglichte der Raum »fatale Konsequenzen« für den ästhetischen Glanz des Museumsraumes. Mörsch erklärt: Eine andere [Vorbedingung] wäre, dass in den Kunsträumen einem Verlernen von Privilegien Platz gemacht und die Raumnahme durch aktivistische Positionen forciert würde – mit allen möglicherweise fatalen Konsequenzen, die dies für die ästhetische und intellektuelle Glamourösität der bis dato darin agierenden Bezugsgruppe hätte.14

Das Akronym des Ratsprojekts UGLY öffnete einen liminalen Raum, um ästhetische Erwartungshaltungen und Etiketten zu hinterfragen. Nach Abschluss der kreativen Arbeit organisierte der Rat eine durch die leitenden Künstler_innen moderierte Diskussionsrunde und warf die Frage auf: »Ist das UGLY genug?« Über die gesamte Ausstellung hindurch spielte der Rat mit der Dichotomie zwischen schön/hässlich und genoss es, an einem Performanceabend herauszuposaunen: »Schaut unsere UGLY Schärpen und Schilder an«. Aber der Rat 12 | Um einen Begriff des Jugendprogramms des Museums für Zeitgenössische Kunst Denver zu verwenden. Siehe: http://mcadenver.org/index.php vom 18.8.2016. 13 | Zum Beispiel experimentierte der Rat damit, Tapeten-Camouflage auf Basis ihrer Zeichnungen herzustellen. Sie produzierten riesige gedruckte Bilder und befestigten sie an der Wand. Der Rat war von dem Design überzeugt, doch das Papier stellte sich als zu schwer heraus, um eine Woche an der Wand zu bleiben. Nachdem es mehrmals hinuntergefallen und dabei zerknittert war, beschloss der Rat, eine andere Idee umzusetzen. Sie reflektierten diesen Prozess und entschieden sich zwei Monate später dazu, die Idee wieder aufzugreifen. Sie überarbeiteten ihre Designs und brachten sie im Siebdruckverfahren direkt an den Museumswänden an. Auf dieses Art und Weise konnte ›Scheitern‹ zugelassen und daraus gelernt werden. Anstatt mit einem ›perfekten‹, ausgetesteten Produkt aufzuwarten, spielten wir im Raum und ließen zu, dass manche Ideen NICHT funktionierten. Das eröffnete die Freiheit, unsere Ideen so weit wie möglich voranzutreiben, anstatt davon gefangen zu sein, nur Ideen auszuprobieren, die sofort ›funktionieren‹. 14 | C. Mörsch, Allianzen zum Verlernen von Privilegien, S. 31.

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tat mehr als bloß den Begriff des Hässlichen aufzuwerten und die Dichotomie zwischen schön/nicht schön herauszufordern. Er nutzte seine Arbeit als Intervention in einen Raum, der von einem bewertenden und kontrollierenden Verständnis gestalterischer Ästhetik und vom Umgang mit Besucher_innen geleitet ist. Demgegenüber boten diese Jugendlichen einen egalitären Kontakt mit Besucher_innen an, die eingeladen waren, an der Ausstellung teilzunehmen, indem sie ihre Protokolle und das Projektbrainstorming kommentierten. Dies ging über die gewöhnliche Feedbackstation in einem Museum hinaus; die Einladung gab Besucher_innen die Möglichkeit, die Ausstellung selbst mitzugestalten. Um ihre Vorschläge aufzugreifen, wurde die Ausstellung wöchentlich verändert. Wir fragten uns im Vorhinein, ob die Besucher_innen die Wände wohl mit Inhalten füllen würden, die nichts mit der Ausstellung zu tun haben. Doch sie boten stattdessen bedachte und wohlüberlegte Perspektiven auf unsere Arbeit. Besucher_innen beschrieben die Wände mit Feedback über die sich verändernde Installation, angefangen beim Ausstellunginhalt bis hin zu der Frage, was der Rat zur Halloween-Kostümparty tragen sollte. Ihre zahlreichen inhaltlichen Vorschläge zeigen, dass sie sich als aktiver Teil des Geschehens fühlten. Kurz nach Abschluss des UGLY-Projekts begann der Rat mit Ken Dryden, Star der Hockeynationalmannschaft, Politiker und Akademiker, sowie Andrew Hunter, AGO-Kurator für Kanadische Kunst, zu arbeiten. Während eines Zeitraums von sechs Monaten dachte der Rat gemeinsam mit Hunter und Dryden über folgende Frage nach: »Was erwarten wir von diesem Ort/Kanada/Turtle Island15 für die nächsten 150 Jahre?« Die Frage entstand aus Drydens Interesse am bevorstehenden 150. Jahrestag der Gründung Kanadas. Gemeinsam mit Dryden und Hunter ging der Rat den zahlreichen Implikationen dieser Frage nach, wobei Kanada als koloniales Projekt auf Turtle Island betrachtet wurde. Sie verbrachten Monate damit, zu untersuchen und beforschen, was über die letzten 150 Jahre in dem Land, das viele Ratsmitglieder erst seit kurzem Zuhause nannten, geschehen war. Schließlich begann der Rat politische Leitideen rund um folgende Frage zu formulieren: »Was bauen wir an diesem Ort gemeinsam auf?« Sie wollten herausfinden, wie man dafür sorgen könnte, dass es im nächsten Jahrtausend Communities gäbe, die soziale Gerechtigkeit leben. Gemeinsam mit Dryden und Hunter entwickelten sie ein Sozialforschungsprojekt, das eine Kurzausstellung, Interviews mit AGO-Besucher_innen sowie eine öffentlichen Performance bei einem abendfüllenden zeitgenössischen Kunstfestival im Museum umfasste. Das Projekt hieß #BlankSlate und spielte unter diesem Namen mit mehreren Ideen, nämlich 1.) dem Gedanken, dass Jugendliche nicht Teil eines größeren politischen Dialogs sind, sondern einfach als ›unbeschriebene Blätter‹ verstanden werden, die 15 | Turtle Island bezeichnet Nordamerika. Siehe: »The Creation Story – Turtle Island« unter www.native-art-in-canada.com/turtleisland.html vom 25.8.2016.

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darauf warten, durch Erziehung  – für gewöhnlich formale Bildungsstrukturen – beschrieben zu werden, 2.) an der Vorstellung zu rütteln, dass die Zukunft feststeht und nicht beeinflussbar ist und 3.) den Wunsch zu artikulieren, reinen Tisch mit unserem vorgefertigten Bild von Kanada zu machen,16 das koloniale Projekt in Frage zu stellen und nationale Tropen dessen zu verwerfen, was ›Kanada‹ und Kanadier_in zu sein bedeutet. Während einer Live Performance wurden Teilnehmende gefragt, was sie behalten und was ausmustern würden, wenn sie an ›Kanada‹ als ›nationales Projekt‹ denken. Die Antworten der Teilnehmenden wurden auf während des Interviews von ihnen geschossene Polaroidfotos geschrieben, die wiederum auf einer Peters-Projektionskarte17 von Kanada angebracht wurden. Das Gespräch wurde über soziale Medien landesweit übertragen, Teilnehmende versandten Tweets mit diesen Bildern und verwendeten dabei das Hashtag #BlankSlate. Andrea Smith gibt wertvolle Einblicke in das Konzept der Nation, die für Projekte wie #BlankSlate wichtig sind. Sie argumentiert: Außerhalb der Welt zu denken, in der wir gegenwärtig leben, verlangt eine Kritik zeitgenössischer Regierungsformen, die auf dem Modell des Nationalstaates und dem Glauben basieren, der Staat könne durch Macht, Gewalt und Herrschaft regieren. An diesem Punkt könnten indigene Communities meiner Ansicht nach eine entscheidende Rolle spielen, indem sie – wie es speziell in Lateinamerika der Fall war – die Einheit von Nation und Nationalstaat infrage stellen. Wir dürfen die Konstruktion nationaler Identität nicht als eine Art Modell zur ethnischen Säuberung auffassen – ›wir sind drinnen, ihr seid draußen, zum Teufel mit dem Rest der Welt‹ – sondern vielmehr als tiefgreifende Relationalität, wo Land keine Ware im Besitz einer Gruppe mehr ist, sondern etwas, wofür wir alle Sorge tragen müssen.18 16 | Die englische Redewendung ›to wipe the slate clean‹ bedeutet soviel wie ›reinen Tisch machen‹ oder ›etwas ungeschehen machen‹ (Anm. d. Ü.). 17 | Peters-Projektion ist eine flächentreue Landkarte, die die relative Größe von Kontinenten und Ländern der Erde abbildet. Das steht im Kontrast zur traditionellen Kartographie/Mercator-Projektion, die auf die Form der Landkarte und nicht auf die eigentlichen Größenverhältnisse fokussiert. Es wurde darauf hingewiesen, dass diese traditionellen Projektionen die Landesgröße in Relation zu politischer Macht, Verortung der Kartographen_innen etc. setzen. 18 | S. Khan, D. Hugill/T. McCreary: Building unlikely alliances: »Thinking outside of the world we now live in requires a critique of current systems of governance which are based on a nation-state model and the belief that the state can rule by means of power, violence, and domination. Here is where I think Indigenous people have a critical role to play – as they have in Latin America especially – in questioning the assumption that nationhood equals the nation-state. We can understand nationhood not as a kind of ethnic cleansing model – ›we’re in, you’re out, screw the rest of the world‹ – but rather as

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Eine »tiefgreifende Relationalität zum Land« wollten wir durch dieses Projekt unterstützen, wobei wir uns selbst über den Prozess hinweg und den Besucher_innen während der Performance die herausfordernde Aufgabe gestellt haben, eine Vorstellung von diesem Ort zu entwickeln, »wo Land keine Ware im Besitz einer Gruppe mehr ist, sondern etwas, wofür wir alle Sorge tragen müssen«. Den Hintergrund bot zwar der Jahrestag der Gründung des kanadischen Nationalstaates 2017, das Projekt erlaubte uns aber dennoch weiterführende Überlegungen zu nationalen Identitätskonstruktionen sowie zu unserer Arbeit und unserem Leben in diesem Land, jetzt und in Zukunft. Für dieses Projekt arbeitete der Rat eng mit dem Kurator für Kanadische Kunst zusammen. Hunter gab die Ausrichtung des Projekts nicht vor, sondern nutzte seine Rolle dafür, einen konzeptuellen wie physischen Raum zum Erkunden von Ideen zu gestalten, die unter die Rubrik Kooperation zwischen Kuratorium und Vermittlung im Museum fallen. Diese Form enger Zusammenarbeit ist keineswegs selbstverständlich, was durch den Prozess hindurch anerkannt wurde. Indem der Kurator und wir gleichberechtigte Partner waren, forderten wir die traditionelle Hierarchie innerhalb von Kunstinstitutionen heraus, wo die Entscheidungsmacht auf der Seite der Kuratierenden liegt. Unser Partner fühlte sich diesem Prozess von Zusammenarbeit und gemeinsamen Schaffen gegenüber verpflichtet. Andere Akteur_innen der AGO richteten sich in der Zusammenarbeit jedoch sehr stark nach seinem Wort. Obwohl wir seine volle Unterstützung hatten, gelang es ihm nicht, sich über das Gegebene hinwegzusetzen und bestehende Hierarchien und die sozialen Strukturen in der Institution aus den Angeln zu heben, zumindest nicht langfristig. Wichtig festzuhalten ist, dass er selbst zwar in der Lage war, während unserer Projektkooperation die relative Macht seiner Position mit den jugendlichen Teilnehmenden zu teilen, dieser Machttransfer allerdings nicht unbedingt nachhaltig war. Nach Abschluss des Projektes kehrten wir alle wieder zu unseren Beziehungen und Positionen innerhalb der Museumsmaschinerie zurück.

V ereinigte G enies Um zu meinen Leitfragen zurückzukommen, möchte ich mich anhand dieser beiden sehr unterschiedlichen Projekte damit auseinandersetzen, was bei der zunehmend kuratorischen Dimension von Vermittlung eine Rolle spielt, welche Auswirkungen sich auf Kooperationen innerhalb des Museums ergeben, sowie der Art und Weise, wie Teilnehmende mit den Spannungen zwischen Kooperation, Selbstermächtigung und Instrumentalisierung umgehen. In beia radical relationality to land, in which land is no longer a commodity held by one group of people but something we must all care for.«

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den Projekten spielte Kuratieren eine Rolle. In #BlankSlate fand eine umfangreiche Kooperation mit dem Kurator statt, die sich reziprok anfühlte, wobei dieses Gefühl vielleicht aus dem Heimvorteil der Vermittlung heraus entstand. Weil #BlankSlate während einer durch die Vermittlungsabteilung geleiteten Veranstaltung in einer Museumsräumlichkeit lanciert wurde, konnte das kollaborative Element vom Prozess zur Implementierung beibehalten werden. Dennoch entstand auch in diesem Fall der Eindruck, dass wir es ›geschafft hätten‹, weil wir mit dem Kuratorium zusammenarbeiteten, wodurch die Hierarchie kontinuierlich reproduziert wurde. Ungeachtet der tatsächlichen Arbeitsweise war die Außenperspektive auf unsere Zusammenarbeit, dass der Kurator den Rahmen vorgab und wir zum Spielen eingeladen wurden. Anders ausgedrückt, verhinderten Altersdiskriminierung und relative Marginalität, dass die jugendlichen Teilnehmenden als Innovator_innen oder Projektleiter_ innen anerkannt wurden. UGLY stellte die Funktion des Museums infrage, indem es einen Kunst-Inkubator großzog, der gewissermaßen außerhalb der kuratorischen Reichweite lag, während der Rat gleichzeitig als Kurator für diesen Raum eingesetzt wurde. Unsere Arbeit gründete in aktivistischer Praxis – der Rat und die Gastkünstler_innen waren an systematischer Veränderung innerhalb und außerhalb des Museums interessiert. So versuchten wir umzusetzen, dass »die Raumnahme durch aktivistische Positionen forciert«19 wird. Erschwert wurde dies durch die Notwendigkeit, das Experimentieren und Hinterfragen gegenüber der Institution abzuwägen und den Teilnehmenden dennoch ein sicheres und unterstützendes Umfeld zu bieten, in dem sie entdecken und schaffen konnten. Wir teilten mit den Jugendlichen den Wunsch nach Veränderung, sie waren jedoch angreif barer und besorgter über die tatsächliche Möglichkeit ›Ärger zu bekommen‹. Unsere Rolle als Prozessbegleitung bestand gleichzeitig darin, zu Innovation zu ermutigen, und die Reaktionen vonseiten der Institution auf die innovativeren Elemente ihrer Projekte für die Ratsmitglieder abzufedern. Als wir z. B. über die offene Prozessarbeit die negative Rückmeldung bekamen, die Wände sähen ›unordentlich‹ oder ›unvollständig‹ aus, gaben wir dieses Feedback dem Rat in abgeschwächter Form weiter. Wir nutzten diesen Moment, um die Erwartungen des Museums rund um Darstellung von Materialien zu diskutieren, und verwendeten den in dieser Diskussion geschaffenen Raum, um die Hintergründe dieser Präsentationspraktiken zu befragen. Wir sprachen darüber, was es bedeutet, wenn alles ›präsentabel‹ aussehen muss und von welcher Position aus diese ›Präsentierbarkeit‹ beurteilt wird. Dann sammelten wir dazu Gedanken, wie wir unsere Ziele erreichen und trotzdem innerhalb eines Kunstmuseums arbeiten können; wir fragten uns, wie wir einen für Besucher_innen zugänglichen Raum sicherstellen könnten – unser höchstes Ziel. 19 | C. Mörsch: Allianzen zum Verlernen von Privilegien, S. 31.

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Nach Projektabschluss wurden wir eingeladen, die Arbeit bei Eksperimenta!, einer Triennale für Jugendkunst in Tallinn, Estland, nochmals zu präsentieren. Die Arbeit war Teil des Kanadapavillons und wurde dank dieser Verortung im nationalen Pavillon im wahrsten Sinne des Wortes zum nationalen ›Produkt‹. Der Rat war sehr glücklich über die Anerkennung auf internationaler Ebene und froh, am Festival teilgenommen zu haben. Dennoch gab es Diskussionen darüber, was es bedeutete, unsere Arbeit in diesem Kontext zu zeigen. Wir diskutierten, was Ahmed beschreibt: Eine Phänomenologie von Institutionen könnte danach fragen, wie diese Ziele so vereinbart werden, dass ein persönlicher Erfolg zu einem institutionellen Erfolg wird. Und von einer Institution ist dann zu sprechen, wenn es eine Übereinkunft darüber gibt, was erreicht werden soll, oder was es bedeutet, etwas erreicht zu haben. 20

Künstler_innen und Jugendrat organisieren am Ende ihrer Zusammenarbeit für gewöhnlich eine Ausstellung  – in gewisser Weise muss die Kooperation mit einer Präsentation abgeschlossen werden, die die gemeinsam verbrachte Zeit bezeugt, eine Darstellung eines gemeinsam erarbeiteten Ergebnisses. Ein Produkt und nicht einfach Gefühle oder Gedanken. Es wird zu einem ungeschriebenen Gesetz, das jugendlichen Teilnehmenden beigebracht wird: Dass ein Ereignis immer in irgendeiner Form greif bar sein muss. Wir haben uns bemüht, diese Auffassung infrage zu stellen, die der Grundidee von UGLY widerspricht. Dennoch verpackten wir am Ende dieses Prozesses unser Projekt wieder und präsentierten es im Ausland. Als Kompromiss entschieden wir uns dafür, ein ›Produkt‹ zu schaffen, das so offen und frei wie möglich war. Wir erarbeiteten ein Videospiel nach dem Motto Wähle-dein-eigenes-Abenteuer, das das Projekt imitierte und den Zuschauer_innen und Spieler_innen praktisch unbegrenzte Handlungsmöglichkeiten einräumte, wobei die jeweils gewählte Handlung immer eine Konsequenz hatte. Mit diesem Spiel wurde neben dem Projektablauf auch unser Wunsch repliziert, das Museum als einen Möglichkeitsraum zu denken. Ich habe mich auf diese beiden Projekte bezogen, weil sie Beispiele dafür liefern, wie Vermittlung traditionelle Vorgehensweisen des Kuratierens hinterfragen kann. Als Kulturschaffende und Vermittler_innen können wir Projekte so in Angriff nehmen, dass sie das Fundament destabilisieren, auf dem Machtstrukturen im Museum bauen, vielleicht sogar durch ein »relating across dif-

20 | S. Ahmed: On being included, S. 24: »A phenomenology of institutions might be concerned with how these ends are agreed on, such that an individual accomplishment becomes an institutional accomplishment. And institution is given when there is an agreement on what should be accomplished, or what it means to be accomplished.«

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ference«,21 wie Audre Lorde vorschlägt. Trotzdem bleiben wir an eine Struktur und Umgebung voller Codes und Signifikanten gebunden, die niemals harmlos und immer schon am Werk sind, bevor wir noch mit der Arbeit beginnen. Die Kapitalisierung von ausstellungsbasierten Vermittlungsprojekten mit Jugendlichen durch Marketing, Fundraising und kuratorische Prozesse scheinen in solchen Umgebungen unvermeidlich. Für den Rat jedoch bieten sie die Möglichkeit, die inneren Funktionsweisen dieser Räume kennenzulernen und zu überlegen, wie für ihre Communities der größte Nutzen daraus gezogen werden kann. Als kollektives Team sind sie wahrhaft vereinigt: Vereinigte Genies, die Strategien für langfristige Veränderungen entwickeln. Die Trennung zwischen Vermittlung und Kuratieren zu thematisieren, ist für den Rat Teil einer größeren Bewegung, reinen Tisch zu machen, #BlankSlate-Style, neue Wege zu finden, Menschen rund um Kreativität, Aktivismus und Community zusammenzubringen.

Abbildung 1: #BlankSlate.

Abbildung 2: #BlankSlate.

21 | A. Lorde: Age, Race, Class, and Sex, S. 6.

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Abbildung 3: USPN Badges: Eksperimenta, Estonia, 2014.

Abbildung 4: USPN Badges: Eksperimenta, Estonia, 2014.

Ausstellen und Vermitteln als Dekolonisierung des Museums

Einleitung Nora Landkammer The colonial world is a world divided into compartments. Yet, if we examine closely this system of compartments, we will at least be able to reveal the lines of force it implies. This approach to the colonial world, its ordering and its geographical layout will allow us to mark out the lines on which a decolonized society will be reorganized.1

Museen gehören zu den Institutionen, in denen die Kategorisierung, die Aufteilung und Klassifikation der Welt stattfand und die weiterhin von ihr geprägt sind. Besonders einleuchtend und nicht mehr zu negieren ist das in Ethnologischen Museen beziehungsweise ihren Nachfolgeinstitutionen. Die Verdammten dieser Erde, die Schrift des antikolonialen Theoretikers und Arztes Frantz Fanon, mit einem Abstand von mehr als 50 Jahren gelesen, erinnert daran, dass das Ziel eine dekolonisierte Gesellschaft sein könnte, sein müsste. Die Zielformulierung einer dekolonisierten Gesellschaft stellt für die Positionierung von Ethnologischen Museen in den aktuellen Debatten und Transformationen andere Möglichkeiten in den Raum, als sie die Logik der Reform, um postkolonialer Kritik gerecht zu werden, oder der Verteidigung, wie sie beispielsweise in der Declaration on the Importance and Value of Universal Museums (2002) zum Ausdruck kommt, anbieten. Die Deklaration, unterzeichnet von Institutionen wie dem British Museum oder den Staatlichen Museen Berlin, führt bereits eine der Trennlinien der (post-) kolonialen Welt vor Augen, die Fanon anspricht – zwischen denjenigen, für die der im Titel der Deklaration beschworene ›universelle‹ Charakter der Auf bewahrung von Kulturgut aus allen Teilen der Welt in westlichen Museen tatsächlich gilt, und denjenigen, die mit ›universell‹ offensichtlich nicht

1 | F. Fanon: The Wretched of the Earth, S. 37 f.

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gemeint sind, weil sie sich keine Flugtickets leisten können oder keine Visa erhalten.2 Die Texte in dieser Sektion gehen auf sehr unterschiedliche Weise davon aus, dass die Entwicklung von Ausstellen und Vermitteln in der Gegenwart als Transformation und Erweiterung des Museums, als gesellschaftliche Intervention nicht unabhängig von Dekolonisierung gedacht werden kann. Sie geben einen Einblick in verschiedene Ebenen, auf denen koloniale Ordnungen, Einteilungen und Unterscheidungen im Museum genau analysiert werden müssen, wie Fanon beschreibt. Wie kommt das ›System of Compartments‹ in Museen zum Tragen und welche Linien zeigt es für eine Dekolonisierung auf? Die erste Ebene, die hier angesprochen wird, ist die Ordnung der Sammlungen. Ethnografische Sammlungen spiegeln die Klassifikationssysteme für Objekte und Menschen wider, mit denen sich die Museen heute auseinandersetzen müssen und die auch über die Museen hinaus gesellschaftlich ihre Wirkung gezeigt haben. Die genaue Auseinandersetzung mit den Ordnungen der Sammlungen verweist auf das Wissen, das sie ausblenden und das koloniale Ordnungen zu stören vermag, wie Adriana Muñoz anhand der Niño-KorínSammlung und ihrer Re-Interpretation aufzeigt. Damit verbunden ist die machtvolle Ordnung, wer im Museum spricht und über wen gesprochen wird. Juana Paillalef, Direktorin des Mapuche-Museums Ruka Kimvn taiñ Volil-Juan Cayupi Huechicura in Cañete/Chile, schreibt über Möglichkeiten und Konflikte, die entstehen, wenn diejenigen, die ein Museum repräsentiert, die durch ein Museum ›geehrt‹ werden, sich die Institution aneignen.

2 | S. O. Ogbechie: Who Owns Africa’s Cultural Patrimony?, siehe http://dx.doi.org/ 10.1080/19301944.2010.10781383 vom 13.04.2016. Ogbechie führt dies im Kontext der Frage über die Besitzverhältnisse und den Zugang zu afrikanischer Kunst und Kulturerbe aus: »African artworks in Western museums also do not circulate to Africa and exhibitions of African art usually circulate only among other Western museums and cultural institutions. Through this process, Africans are denied an opportunity for significant interaction with the cultural products of their ancestors, and the discourse of African art largely proceeds as if the intentions and cultural concerns of the African producers of these artworks do not matter to an understanding of their forms, symbolism and meanings. To compound this already injurious situation, Western countries also routinely deny Africans access to these artworks through enforced localization and denial of international access: Africans require transit visas merely to pass through all Western metropolitan airline hubs (which means essentially paying for the privilege of embarking on a plane in a European international airport) and no Western country will grant an African a visa merely to visit any museum in Europe or America, which invalidates their claim of housing the artworks in universal museums.«

Ausstellen und Vermitteln als Dekolonisierung des Museums – Einleitung

Die kolonialen Ordnungen, in die das Museum eingebunden ist, hören an seinem Ausgang nicht auf. In der Arbeit von Mediación Comunitaria in den Museen von Quito/Ecuador wird deutlich – dies wird im Beitrag von Alejandro N. Cevallos und Valeria R. Galarza thematisiert – dass die Nutzung der Stadt und die Rolle der Museen in der Stadt, selbst aus der Kolonialgeschichte hervorgegangen sind – mit einer Konzentration von Museen und kulturellen Institutionen in Stadtvierteln, deren indigene Bevölkerung historisch von diesen Institutionen nicht gemeint ist. Revisiting Collections und Ansätze kollaborativer Museologie rütteln an den Paradigmen, die ethnologische Museen prägen. Während zunehmend die Rechte sowohl von Personen, deren kulturelles Erbe sich in den Sammlungen befindet, als auch von lokalen Bevölkerungsgruppen auf Repräsentation und Nutzung des Museums in den Institutionen wahrgenommen werden, gilt es auch, die Ordnungen zu befragen, die aus den Ansprüchen auf Kollaboration und Inklusion entstehen. Wenn, wie Bernadette Lynch anhand ihrer Forschung in der englischen Museumslandschaft feststellt, kollaborative und partizipatorische Projekte zu einer erneuten Klassifikation unterschiedlicher Anspruchsgruppen führen können – die jedoch in einer Logik von Peripherie und Zentrum die Struktur des Museums unberührt lassen  – wird deutlich, dass Dekolonisierung auch eine Frage der institutionellen Ordnungen ist. Ein Beitrag von Nora Landkammer zu den blinden Flecken zwischen kollaborativen Ansätzen in der Museologie und der Vermittlung ergänzt diese Auseinandersetzung mit institutionellen und diskursiven Ordnungen, die der Perspektive der Dekolonisierung im Weg stehen.

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Wiphala Identität und Konflikt Adriana Muñoz

E inleitung Während der vergangenen Jahrzehnte haben wir uns darum bemüht, unserer Arbeit am Museum of World Culture in Göteborg eine postkoloniale Praxis zugrunde zu legen. Der Ansatz ist in einer Reihe von Ausstellungen erprobt worden und führte in einigen Fällen zu guten Ergebnissen. Die Resultate in anderen Arbeitsbereichen des Museums fielen unterschiedlich aus, so ging zum Beispiel im Bereich des Sammlungsmanagements der Prozess anfangs nur langsam voran, was wahrscheinlich auf die mangelnde Erfahrung der Kurator_innen und Konservator_innen zurückzuführen ist. Generell gestalteten sich die Prozesse aus unterschiedlichen Gründen nicht ganz einfach, die wichtigste Rolle spielte dabei die Tatsache, dass es sich bei dem Museum um eine staatliche Institution handelt und die Problematiken dadurch auch in politischem Zusammenhang gesehen werden müssen. Das Museum wurde von der schwedischen Regierung vor nahezu 20 Jahren gegründet und die Eröffnung liegt elf Jahre zurück. Die Sammlungen entstanden mehrheitlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Anfangs waren sie Teil des Stadtmuseums – das später in das Ethnografische Museum eingegliedert wurde – und gingen 1996 in Staatsbesitz über. Mit der Gründung des neuen Museum of World Culture ergaben sich viele Probleme und Dilemmata. Einen der ersten Konfliktpunkte stellte die Entscheidung dar, ein Weltkulturmuseum mit nicht-europäischen Sammlungen zu schaffen. Die schwedische Regierung legte die staatlichen Museen mit nicht-europäischen Sammlungen und das Ethnografische Museum der Stadt Göteborg zusammen. ›Weltkultur‹ wurde somit ausschließlich durch nichteuropäische Objekte definiert, was einem ›Othering‹ gleichkommt. Problematisch war an dieser politischen Entscheidung ebenfalls, dass ›Weltkultur‹ ausschließlich durch historische Exponate repräsentiert wurde und zeitgenössische Themen nicht in der Sammlung vertreten waren.

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»[T]his is the dilemma when an institution is not grass root based«,1 stellte Jette Sandahl, die Gründungsdirektorin des Museums, fest, womit sie eine der größte Problematiken von europäischen ethnografischen Sammlungen in Europa benennt, die entsteht, wenn Communities keinen verantwortungsvollen Umgang mit den Objekten einfordern. Im Falle Göteborgs wären es migrantische Communities, die diese Institutionen zu einem Wandel zwingen könnten, doch viele dieser Communities verfügen noch nicht über die notwendige politische und wirtschaftliche Macht, um meinungsbildend zu wirken und Druck auszuüben. Andere Communities wiederum haben bislang kein Interesse gezeigt oder sind über die Sammlungen nicht ausreichend informiert. Einen anderen Umgang mit den Sammlungen zu finden, bedeutete einen langwierigen Prozess, in dem sich Einstellungen und Arbeitsweisen verändern mussten. In einer der ersten Ausstellungen mit dem Titel Horizons: Voices from a Global Africa stellten sich die Verhandlungen zwischen Institution, Kurator_innen, Communities und weiterem Museumspersonal als schwierig dar.2 Laurella Rinçon, eine der Kurator_innen der Ausstellung, stellte fest: »The lack of relationships between people with different backgrounds outside the museum was reproduced identically inside.«3 Ich teile ihre Auffassung absolut: Es zeigte sich, dass die Mitarbeiter_innen des Museums keinerlei Erfahrung im Austausch mit Menschen mit anderem Background als ihrem eigenen hatten, sei dies ein anderer ethnischer oder sozialer Hintergrund, oder weil sie sich außerhalb von Geschlechternormen definieren. Wie bei vielen anderen Projekten reproduzierte diese Ausstellung die hierarchischen Beziehungen im Museum, wobei manche als ›Personal‹ und andere als ›Berater_innen, Unterstützer_innen oder Community‹ bezeichnet wurden – Bezeichnungen, die häufig – wie Moraña festgestellt hat – hierarchische (koloniale) Beziehungen repräsentieren, die oft intellektuelle Arroganz, Paternalismus oder koloniale Schuld reproduzieren.4 Die Ausstellung kam bei der Öffentlichkeit und verschiedenen Akteur_innen sehr gut an. Eine der interessantesten Lektionen dieser ersten Jahre war wahrscheinlich, dass »die Institution Konflikt und Kontrollverlust zulassen muss«5. Die Arbeit mit den Sammlungen, die üblicherweise Konservator_innen und Kurator_innen obliegen, war ein anderes Thema. Der Umgang mit Sammlungen ist historisch durch eine bestimmte Form der Wissensproduktion ge1 | J. Sandahl: Fluid Boundaries and False Dichotomies, S. 7. 2 | C. Lagerkvist: Empowerment and anger; L. Rinçon: My voice in a glass box; L. Rinçon: Visiteurs d’origine immigrée; H. Thörn: Har du förståelse för att andra. 3 | L. Rinçon: My voice in a glass box, S. 4. 4 | M. Moraña et al.: Coloniality at Large, S. 16. 5 | J. Sandahl: persönliche Kommunikation mit der Autorin.

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prägt, hervorgebracht von Kurator_innen mit europäischer Ausbildung. Durch die Geschichte rassialisierter Machtverhältnisse hat dieser Umgang, definiert durch westliche und ›weiße‹ Kurator_innen,6 den Anschein von Neutralität erhalten und wirkt normativ. Wir dürfen darüber hinaus nicht vergessen, dass die Konservator_innen von ihrer naturwissenschaftlichen Ausbildung beeinflusst sind, die nahelegt, es gäbe so etwas wie einen neutralen Umgang mit Objekten.7 Ich bin im Rahmen unterschiedlicher Projekte der Frage nachgegangen, wie die Kategorisierungen der Sammlungen historisch entstanden und das westliche Paradigma zu einem Synonym von Neutralität geworden ist.8 In diesem Artikel möchte ich mich mit einem Projekt auseinandersetzen, das 2007 begonnen und 2010 mit einer Ausstellung abgeschlossen wurde. Ich möchte zeigen, wie ein Projekt mit vielen guten Ideen – das Dekolonisierungsansätze umzusetzen versucht – trotzdem in die typischen Fallen eines hegemonialen Paradigmas tappen kann.

N euerschliessung einer S ammlung Der Fall, den ich hier vorstellen möchte, betrifft die Geschichte der bolivianischen Sammlungen, die in Göteborg untergebracht sind, insbesondere die der sogenannten Niño Korin-Sammlung (1970.19). Als wir 2005 zum ersten Mal darüber sprachen, sie auszustellen, startete Jette Sandahl ein Projekt mit dem Namen Tinku, im Rahmen dessen die in Göteborg gelagerten südamerikanischen Sammlungen gezeigt werden sollten. Das Projekt Tinku lief kontinuierlich über einen Zeitraum von 16 Monaten. Während dieser Zeit wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die Wissenschafter_innen aus unterschiedlichen Staaten Südamerikas, Angehörige der unterschiedlichen Nationen in Bolivien und anderen Staaten, sowie Mitglieder der lateinamerikanischen Community Göteborgs umfasste. Die Idee hinter dem Tinku-Projekt war es, materielle Kultur anderer Paradigmen, Kosmologien und Sprachen zu diskutieren und auszustellen. Dann schied Jette Sandahl jedoch als Museumsdirektorin aus, was das Scheitern des Ausstellungsprojekts zur Folge hatte. Von der Gründung des Museum of World Culture bis zu Sandahls Weggang gab es ein spürbares ideologisches Spannungsfeld zwischen ihrem politischen Projekt und dem politischen Establishment. Jan Molin schrieb 1996 in der Stadtzeitung Göteborgs-Posten über die 6 | M. Berger: Sight Unseen; P. McIntosh: Unpacking the knapsack of white privilege. 7 | M. Clavir: The Social and Historic Construction of Professional Values; dies.: Preserving what is valued. 8 | A. Muñoz: From Curiosa to World Culture.

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Gründung des neuen Museums, es gehe um »Vision vs. Reaktion«.9 Nachdem Sandahl das Museum verlassen hatte, wurden die Spannungen geglättet und die Ausstellungsthemen weniger kontrovers. Anstelle des Tinku-Projekts organisierte man eine Ausstellung namens A Stolen World über die sogenannten Paracas‑Textilien. Das Tinku-Projekt war von der Idee geleitet gewesen, andere epistemologische Ansätze zu erforschen, einen Diskurswechsel herbeizuführen und Objekte aus der Perspektive andiner Kosmologien auszustellen. Für A Stolen World wurde hingegen ein traditioneller archäologischer Ausstellungszugang gewählt, jedoch mit besonderem Augenmerk auf Plünderungen und Kolonialschuld. Interessanterweise forderte die peruanische Regierung zum Ende der Ausstellung die Rückführung der Textilien – was verdeutlicht, dass es heute unmöglich ist, kolonialen Spannungen zu entgehen. Seit den Anfängen des Museum of World Culture waren die lateinamerikanischen Sammlungen noch nie zum Schwerpunkt gemacht worden, obwohl sie 75 % der Objekte ausmachen. Die Paracas-Textilien wurden der Öffentlichkeit jedoch schon häufig gezeigt und gelten als Highlights des Museums. Während der kurzen Laufzeit des Tinku-Projekts wurde offensichtlich, dass die bolivianische Sammlung (wie auch andere) dringend auf den aktuellen Stand gebracht und neu interpretiert werden musste. Viele der bolivianischen Objekte erreichten Göteborg zwischen 1915 und 1979, ein großer Teil von ihnen traf in den 1940er Jahren ein. Die meisten Sammlungen gehen auf Forschungen schwedischer Wissenschafter_innen zurück, allen voran Stig Rydén, während der Ursprung anderer Sammlungen ungeklärt ist. Einige der Objekte wurden zu einer Zeit gesammelt, als es Zweck des Museums war, ›exotische‹ Menschen aus entfernten Ländern zu zeigen: ›Indianer_innen‹ Nord- oder Südamerikas waren das typische Thema, für das sich die Öffentlichkeit während der Zeit der klassischen ethnografischen Museen interessierte. Als die Objekte in Göteborg eintrafen, gab es kaum Bolivianer_ innen in der Stadt; heute leben hier etwa 3000 Menschen aus Bolivien oder mit bolivianischen Wurzeln (Statistisches Zentralamt Schweden).10 Im Jahr 2007, während Evo Morales’ erster Amtszeit als Präsident, erhob die bolivianische Regierung Anspruch auf die Rückführung aller bolivianischen Objekte im Besitz schwedischer Nationalmuseen. Im Falle Göteborgs betrifft das 17 % der Sammlungen.11 Zu diesem Zeitpunkt war die liberale Rechtspartei Moderat in Schweden an der Regierung und der Dialog war nicht erfolgreich. Die Aufforderung zur 9 | J. Molin: Trist döma ut museiflytt, Göteborgs-Posten, 4.11.1996. 10 | www.scb.se/ vom 16.8.2016; vgl. dazu A. Muñoz: When the Other become a Neighbour. 11 | A. Muñoz: The Power of Labelling; dies.: Bolivians in Gothenburg.

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Rückführung der Objekte wurde als unangebracht betrachtet. Die schwedische Regierung und die Verwaltung der National Museums of World Culture konnten nicht nachvollziehen, dass »reclaiming the past by a newly independent people is a necessary element for regaining political sovereignty«.12 Die Rückführung scheiterte also im Jahr darauf, jedoch ermöglichte uns die Forderung der bolivianischen Regierung, Nachforschungen zur Sammlung Niño Korin (1970.19) anzustellen. Diese wurde 1970 von Henry Wassén, dem ehemaligen Direktor des Etnografiska Museet gekauft und war das Ergebnis einer Plünderung, die Wassén selbst nach einer Bolivienreise in Auftrag gegeben hatte.13 Im Jahr 2006, als eine Rückführung möglich schien, standen uns Mittel zur Verfügung, um uns noch einmal mit der Sammlung auseinanderzusetzen. Die bisherige Forschung dazu war von Wassén durchgeführt worden14 und wir ›wussten‹ beispielsweise, dass die Objekte der Tiwanaku-Zeit15 zugerechnet werden konnten. Deshalb beschlossen wir, uns bei dieser Neuerschließung der Sammlung auf die Frage zu konzentrieren, wie das Wissen über die Objekte konstruiert worden war. Zu diesem Zweck luden wir Walter Alvarez Quispe (Arzt und Kallawaya), Carmen Beatriz Loza (PhD in Geschichte) und Walter Mignolo (Duke University) ein, arbeiteten mit ihnen zwei Wochen lang zusammen und stellten dabei die Objekte in den Mittelpunkt. Es gab auch einige öffentliche Präsentationen sowie eine Zeremonie in der Nachbarschaft Hammarkullen in Göteborg.16 Das Projekt trug den Titel The Power of Labelling und zielte darauf ab, Kategorisierungen zu erforschen und darüber zu reflektieren, wie in der Geschichte des Museums Klassifizierungen vorgenommen wurden. Der wichtigste Aspekt dieses Prozesses war ein Paradigmenwechsel hinsichtlich der Frage, wie Wissen über die Objekte konstruiert wurde. In den 1970er Jahren interpretierte Wassén diese Artefakte, die vor 1000 Jahren entstanden und in einem Grab in Tiwanaku gefunden worden waren, als Kultgegenstände eines Schamanen.17 Walter Alvarez Quispe interpretierte sie hingegen als medizinische Instrumente eines Arztes, möglicherweise eines

12 | K. Mulcahy: Combating coloniality, S. 2. 13 | A. Muñoz: The Power of Labelling; dies.: Bolivians in Gothenburg. 14 | S. H. Wassén: A Medicine-man’s Implements. 15 | Andine Region zwischen 500–1000 n. Chr., basierend auf der traditionellen Einteilung der andinen Vergangenheit in Abschnitte. Für eine weiterführende Diskussionen siehe C. Mamani Condori: History and Prehistory in Bolivia. 16 | Siehe den Film von Sergio Joselovsky über das Projekt https://vimeo.com/​1031​ 9288 vom 15.8.2016. 17 | H. Wassén: A Medicine-man’s Implements and Plants in a Tiahuanacoid Tomb.

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Gynäkologen.18 Der Unterschied zwischen den beiden Interpretationen, die unterschiedliche Perspektiven zum Ausdruck bringen, ist beträchtlich: Wasséns Darstellung  – mit den Stichworten Kultgegenstände, Schamane und Drogen – stellt die Objekte in einen Kontext von ›Otherness‹ und Exotismus. Walter Alvarez Quispe bettet die Objekte hingegen in einen medizinischen Zusammenhang ein und betrachtet Kallawayas als Ärzte. Unter Bezug auf Walter Mignolos Konzept des »Delinking« versuchten wir mit diesem neuen Rahmen schrittweise die Spielregeln der Debatte zu ändern und nicht nur den Inhalt.19 Der nächste Schritt, die Vorbereitung der Ausstellung, war eine weitere große Unternehmung und nahm drei Jahre in Anspruch. Im Museum of World Culture sind viele Stimmen an der Produktion einer Ausstellung beteiligt. Von Anfang an arbeiten Kurator_innen, Vermittler_innen, die Programmabteilung und Gestalter_innen zusammen. In diesem Falle dauerte es allerdings drei Jahre, was auch im Licht der politischen Situation betrachtet werden muss. Das Museum of World Culture wurde von der schwedischen Sozialdemokratie gegründet, 2006 kam jedoch ein rechtes Parteienbündnis an die Regierung und die Zielsetzung des Museums änderte sich. Um die Wiphala-Ausstellung unter diesen Bedingungen zu eröffnen, war ein langer Aushandlungsprozess nötig.

D ie A usstellungspl anung Ein Ausstellungsprozess kann Institutionen in unterschiedliche ideologische Lager spalten: Während manche das Bewahren und Ausstellen in den Vordergrund stellen wollen, sehen sich andere als Vermittler_innen gegenüber der Öffentlichkeit.20 Ausstellungen bedeuten immer einen langen Verhandlungsprozess zwischen unterschiedlichen Akteur_innen und Abteilungen. Anders als in anderen Institutionen liegt im Museum of World Culture die Entscheidung über das Ausstellungsnarrativ nicht bei den Kurator_innen, sondern oft bei dem/der Museumsdirektor_in, eventuell in Zusammenarbeit mit der Verwaltungsdirektion. Häufiger wird ein Team aus Vermittler_innen und Mitgliedern der Programm- und Marketingabteilungen zusammengestellt, die den Inhalt einer Ausstellung letztendlich festlegen. Im Falle der Wiphala-Ausstellung sahen wir uns mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass die Expert_innen für die Inhalte nicht in Göteborg sondern in Bolivien waren. Eine Aus18 | B. C. Loza/W. Quispe Alvarez: Report on the Niño Korin Collection at the Museum of World Culture. 19 | W. D. Mignolo: DELINKING. 20 | A. Blackwood/D. Purcell: Curating Inequality, S. 240.

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stellung auf Basis einer einzigen Sammlung zu gestalten, bedeutete für das Museum darüber hinaus eine völlig neue Arbeitsweise. Frühere Ausstellungen hatten immer bestimmte Themen angesprochen und an Beispielen aus unterschiedlichen Teilen der Welt veranschaulicht. Im Falle der Ausstellung über die Wiphala gingen wir jedoch von einer Sammlung aus und erweiterten die Problematik um Fragen zu Identität und Konflikt. Mit diesen beiden Begriffen wurden zwei schwierige Wörter in den Ausstellungstitel aufgenommen, und die Ausstellung war wahrscheinlich auch die letzte Gelegenheit, bei der Konflikt im Museum öffentlich präsentiert und diskutiert werden konnte. Den kolonialen Ursprung der Sammlungen zu akzeptieren, stellte sich als langwieriger Prozess dar. Koloniale Abhängigkeit auf wirtschaftlicher und politischer Ebene kann stattdessen leicht als Frage kultureller Differenz und asymmetrischer Beziehungen zwischen Institutionen, Menschen und Staaten adressiert werden.21 Der ›Versuch‹ eines Dekolonisierungsprozesses bezüglich des Inhalts von Objekten und Sammlungen braucht Zeit und äußert sich in vielen Fällen als schmerzhaft.22 Das Museum of World Culture sah sich bei der Einführung einer dekolonialen Praxis mit komplexen Schwierigkeiten konfrontiert. Erstens bedeutete der Regierungswechsel 2006 für uns als staatliche Institution, dass wir die von Jette Sandahl zum Zeitpunkt der Museumseröffnung etablierte Praxis nicht in dieser Form weiterführen konnten. Anstelle eines Raums für Konflikt und Diskussion, wie Sandahl das Museum zu gestalten versucht hatte, wurde eine Verlagerung des Schwerpunkts auf ›Wohlfühlen‹ und ›Gemeinsamkeiten‹ deutlich. Zweitens wurde das Budget für die Einladung von Menschen aus dem nichteuropäischen Ausland und für Kooperationen mit Künstler_innen, Wissenschafter_innen etc. drastisch gekürzt. Drittens könnte man natürlich argumentieren, dass unsere Arbeit als Museumsmitarbeiter_innen nun wieder ›bequemer‹ wurde. Die Dekolonisierung von Wissen ist ein Prozess des Macht- und Kontrollverlustes und stellt eine schmerzhafte und kostenintensive Entwicklung (sowohl in Bezug auf Zeit als auch Geld) für leitende Angestellte und Mitarbeiter_innen dar. Die Planung einer Ausstellung über die Wiphala rückte einige Probleme in den Fokus: Erstens gibt es in Bolivien keinen Konsens über die Wiphala, zweitens ist die Beziehung zwischen dem Museum und der bolivianischen Community Göteborgs nicht homogen und drittens war die interne Diskussion darüber, wie wir das Narrativ gestalten und der Öffentlichkeit unsere Ideen präsentieren wollen, schwierig. Zur gleichen Zeit wurden die Schwedendemokraten (SD, Sverigedemokraterna, eine nationalistische Rechtspartei, die einen harten Anti-Migrationskurs 21 | K. V. Mulcahy: Combating coloniality. 22 | L. Rinçon: My voice in a glass box; L. Rinçon: Visiteurs d’origine immigrée.

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vertritt) auf der schwedischen politischen Bühne zu einem wichtigen Akteur. Zu ihren prägnantesten kulturpolitischen Vorschlägen zählt die Rückkehr zu einer ›authentischen‹ schwedischen nationalen Identität (d. h. einer romantischen Sichtweise der Nation, wie sie im 19. Jahrhundert entstanden ist). Einer der ersten Kritikpunkte der SD war die bloße Existenz eines Weltkulturmuseums. Als wir die Ausstellung dieser Sammlung unter diesen Gegebenheiten diskutierten, fiel deswegen die Entscheidung, Identität (auf lokaler, nationaler und globaler Ebene) zu thematisieren. Die Idee, die Wiphala ins Zentrum der Ausstellung zu rücken, entstand, als Walter Alvarez Quispe während der Arbeit an der Sammlung feststellte, dass ein kleiner Gegenstand, der als Tasche zur Auf bewahrung von Kokablättern klassifiziert worden war, die Farben und das Muster der Wiphala trug. Dieses kleine Täschchen, ein in der Geschichte des Museums bisher unbedeutendes Objekt, wurde zu einer Wiphala,23 einem für viele Menschen vieldeutigen Symbol. In Südamerika wurde die Wiphala zu einem Symbol der Einheit der indigenen Bewegungen. In manchen großen Städten wie Buenos Aires kommt sie bei Demonstrationen zum Einsatz, in Ecuador sieht man sie als Symbol der Lesben (anstelle des Regenbogens). Für bestimmte migrantische Communities, besonders die lateinamerikanische in Göteborg, stellt die Flagge ein Symbol der Identität und Globalisierungskritik dar.

D ie A usstellung : A ufgaben und M issverständnisse Das Ausstellungsnarrativ wurde von den Kurator_innen, den Vermittler_innen und der Programmabteilung festgelegt. Eine der ersten Aufgaben war es, das Konzept der ›Ethnografie‹ zu diskutieren. Wir stellten uns die Frage, wie wir ein Objekt verwenden konnten, das ursprünglich dieser Kategorie zugeordnet worden war, von Walter Alvarez Quispe jedoch als Wiphala neuentdeckt wurde und wie wir seine ›Klassifizierung‹ gegebenenfalls ändern konnten. Wir wollten im Rahmen der Ausstellung über unsere Praxis reflektieren und versuchten, uns einer dekolonialen Interpretation anzunähern. Eine andere Aufgabe bestand darin, das Konzept des Kulturerbes und des Umgangs damit zu hinterfragen. Wem gehört das Kulturerbe und wer entscheidet, wie damit umgegangen werden soll? Ausgehend vom Wiphala-Fund in Tiwanaku, einer UNESCO-Weltkulturerbestätte (und damit auch Kulturerbestätte der Menschheit), wollten wir konkret feststellen, inwiefern dieses Symbol die Rechte von heute lebenden Menschen repräsentiert. Eine Diskussion drehte sich darum, dass wir mit dem abstrakten Konzept der ›Menschheit‹ die tatsächlichen Menschen verlieren würden, die das Symbol in ihrem Alltag 23 | A. Muñoz: From Curiosa to World Culture, S. 135–137.

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verwenden und ihre Identität auf diesem Erbe auf bauen. Wir erläuterten auch, wie die Wiphala von einem ›indigenen‹ Symbol zu einem der nationalen Symbole des plurinationalen Staats Bolivien geworden war. Wir erweiterten jedoch unsere Perspektive und legten diese Metapher auch auf die aktuelle Situation Göteborgs um, wobei wir uns nicht nur auf das nicht-schwedische Kulturerbe bezogen, sondern auch die Bedeutung von ›pluri‹ gegenüber ›multi‹ hervorhoben. Als ›Community‹ dieser Ausstellung verstanden wir weniger die ›andine, bolivianische, lateinamerikanische‹ Diaspora, sondern hauptsächlich Menschen mit transnationalen Identitäten und Hintergründen, die einer global-lokalen (›glokalen‹) Diskussion und Perspektive gegenüber offen waren. Wir stellten Identität und Konflikt ins Zentrum, um anhand eines ›archäologischen‹ Objekts zu zeigen, dass Kulturerbe immer ein kritisches Thema ist. Wir wollten zeigen, dass Kulturerbe nichts Nationales ist und viele Symbole die Kraft besitzen, transnational zu wirken. Eine der grundlegenden Ideen war es, anhand dieses Symbols hegemoniale Annahmen über westliche Kulturwerte in Frage zu stellen24 und inmitten eines wachsenden ›weißen‹ schwedischen Nationalismus zu zeigen, dass es so etwas wie eine nationale Identität in Wirklichkeit nicht gibt. Im Rahmen der Ausstellung arbeitete ich aktiv mit den Menschen in Göteborg zusammen, die eine Beziehung zur Wiphala hatten. Eines meiner ersten Vorhaben war es, das Konzept der ›ethnischen Community‹ aufzulösen, das so oft verwendet wird, um zu zeigen, dass es bei ›Community‹ um gemeinsame Interessen, Erfahrungen, Traumata und Träume geht. Außerdem wollten wir zeigen, dass es innerhalb dieser ›Communities‹ viele Stimmen, Konflikte und Dilemmata gibt. Bei der sogenannten bolivianischen Community der Stadt sprechen wir von drei Generationen, von denen nur die älteste in Bolivien geboren wurde. ›Bolivianer_in‹ zu sein bedeutet in den unterschiedlichen Generationen teilweise etwas gänzlich anderes. Besonders in Göteborg sind ›Bolivianer_innen‹ beim städtischen Karneval aktiv, in manchen Gruppen kommen die besten Tänzer_innen der ›traditionellen bolivianischen Tänze‹ jedoch aus Rumänien, Nigeria, Schweden etc. und wir wollten auch diese Stimmen einbinden. Für die Ausstellung wurden fünf Interviews mit unterschiedlichen Personen geführt; zwei davon gehörten zur ersten Generation, wovon sich eine Person mit der Wiphala identifizierte und für Evo Morales’ Projekt aussprach, während die zweite aus dem Tiefland stammte, ohne historische Beziehung zur Wiphala. Wir sprachen auch mit einer Person aus Schweden, die viele Jahre über in Bolivien gearbeitet hatte und mit einer starken Beziehung zur Wiphala und profundem Wissen über Koka nach Schweden zurückkam. Für den 24 | K. V. Mulcahy: Combating coloniality, S. 3.

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jungen Vertreter der zweiten Generation, der sich stark mit der Wiphala identifizierte, jedoch noch nie in Bolivien gewesen war, drückt die Wiphala Globalisierungskritik und die Möglichkeit einer anderen Lebensweise aus. Unser letzter Interviewpartner war der bolivianische Botschafter in Schweden, der eine offizielle Stellungnahme abgab. Wir zeigten als Einführung auch einen kurzen Film über den Karneval, in dem die Wiphala ständig sichtbar ist. Die Ausstellung zeigte die gesamte Sammlung. Dies führte meiner Meinung nach auch zu einem der ersten Probleme. Es war uns sehr wichtig, keine Repräsentationen von Drogen und schamanistischen Kultgegenständen in die Ausstellung einzubauen. Stattdessen wählten wir ein Ausstellungsdesign, das die Interpretation der Sammlung als Instrumente eines Arztes unterstützte. Wir entschieden uns also für ein weißes, steriles Design, das einem schwedischen Krankenhaus glich. In dieser weißen, sauberen und sterilen Atmosphäre platzierten wir die Gegenstände in einem kleinen geschützten Raum und zeigten einen Film, der während des Forschungsprojekts entstanden war. Bevor die Besucher_innen diesen Raum betraten, kamen sie in einen weißen Raum mit wandfüllenden Wiphala (die einzigen Farben im Raum waren jene der Wiphala). Ein Jahr später fragte ich mich, ob die weiße Farbe, die Idee des Sterilen, die richtige Entscheidung war. In mancher Hinsicht mag sie das gewesen sein, weil die schwedischen Besucher_innen das Konzept der Medizin mit etwas in Verbindung bringen konnten, das sie kennen. Das Konzept des Weißseins als ›steril‹ zu forcieren oder das Stichwort ›richtige Umgebung‹ sind jedoch hegemoniale westliche Werte. Museumsmitarbeiter_innen neigten also unbewusst dazu, das dominante kulturelle Narrativ von Weißsein und weiße Privilegien zu reproduzieren.25 Diese unbewussten Entscheidungen resultierten vermutlich daraus, dass wir in diesem System aufgewachsen sind und die Mehrheit der Mitarbeiter_innen keinen anderen Hintergrund als den der weißen Mittelschicht hat. Wie Blackwood und Purcell betonen, ist es schwierig kulturelle Narrative zu verschieben,26 wenn Mitarbeiter_innen, Vorstandsmitglieder, Geldgeber_innen und Politiker_innen (hinsichtlich Klasse, Ethnizität und vermutlich Geschlecht) zur selben Gruppe gehören – auch wenn wir versuchen, dies zu ändern, bleiben wir Teil eines weißen Narrativs. In Bezug auf die weißen Wände frage ich mich also, ob wir für die Besucher_innen nicht tatsächlich genau jene soziale Realität reproduzierten, in der sie aufgewachsen sind und die festlegt, was als normal und legitim anerkannt wird. Weiß ist gesund; weiß ist sauber; weiß ist normal; und jene, die nicht Teil des weißen Diskurses sind, können daher ganz subtil marginalisiert werden.

25 | A. Blackwood/D. Purcell: Curating Inequality, S. 240. 26 | A. Blackwood/D. Purcell: Curating Inequality.

Wiphala

Wahrscheinlich definierten wir in unseren Kommentaren zu viel, da wir meinten, allem ein Adjektiv hinzufügen zu müssen, das nicht unter die Kategorie ›neutral‹ fällt: Alternativmedizin, Oral History, emotionales Wissen etc. Damit tappten wir erneut in die Falle, von einer vermeintlichen Neutralität auszugehen. Ein weiteres Problem war die wirtschaftliche Unmöglichkeit, eine größere Anzahl an Vermittler_innen mit einer emotionalen Beziehung zur Wiphala in die Ausstellung einzubinden. Jette Sandahl zeigte auf, dass Mitarbeiter_innen, die nicht nur über ›akademisches‹ Wissen verfügen, sondern auch über persönliche Erfahrungen und eine emotionale Beziehung zu den Themen der Ausstellung, am besten mit den Besucher_innen in einen Dialog treten können. Nur ein Mitglied des Museumspersonals hatte jedoch eine Beziehung zur Ausstellung. In Zukunft müssen wir pluri-versale27 Ansätze anwenden, und zwar nicht nur in der fachlichen, sondern auch der alltäglichen Museumspraxis, was eine sorgfältige Auswahl des Personals umfasst. Die Ausstellung wurde 2012 eröffnet und läuft noch immer. Zu Beginn war das Publikum interessiert, jedoch konnte das Programm aus finanziellen Gründen nicht durch ein Begleitprogramm ergänzt werden. Die Zusammenarbeit mit Communities ist ein kontinuierlicher Prozess und es ist schwierig, eine langfristige Zusammenarbeit zu finanzieren. Eine Lektion im Prozess der Zusammenarbeit mit der ›Community‹ um die Wiphala war auch, dass eine Bevormundung seitens der Institution schwer zu verhindern war. Zusammenarbeit wird von der Community oft als ›Arbeit für die Institution‹ wahrgenommen. In diesem Fall stellten einige Personen fest, dass es schwierig war, den Dialog weiterzuführen und im Anschluss an das Projekt weiter mit den Sammlungen zu arbeiten. Ein Mangel an Zeit, Personal und zu wenig Personaleinbindung wies uns bei kommenden Projekten in die Schranken. Bis zum Jahr 2005 gab es im Museum of World Culture einen Liaison Officer, eine Position, die es heute nicht mehr gibt, und niemand hat die Ressourcen oder die Zeit, die Kontakte auf institutioneller Ebene aufrecht zu erhalten.

A bschliessende W orte Während des Projekts Power of Labelling und der Ausstellung Wiphala zeigte sich deutlich, dass sozialer Raum, symbolische Macht, Race und Exklusion unbewusst in unserer Praxis verankert sind; dass wir Erzählungen, Farben und Design unseren persönlichen Erfahrungen entsprechend auswählen, die notwendigerweise eine kulturelle Verortung haben. Im Rahmen eines nächsten

27 | W. D. Mignolo: DELINKING.

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Projekts, The State of Things, begannen wir, die Konstruktion dieser alltäglichen, unhinterfragbaren und ›neutralen‹ Praktiken zu erforschen. Wie ich bereits anfangs erwähnte, war eines der von Jette Sandahl identifizierten Dilemmata, dass die Institution nicht basisorientiert funktionierte. Das führte wahrscheinlich zur Reproduktion alter Praktiken und verhinderte, dass die Institution jemals zur Veränderung gezwungen wurde. Uns wurde auch klar, dass wir trotz unseres dekolonialen Ansatzes in unserer Arbeit alte Muster reproduzierten, die wir als neutral hinnahmen. Wie Walter Mignolo feststellte, liegt der Kampf für eine epistemische Dekolonisierung in diesem nächsten Schritt: Nach einer Analyse der Konsequenzen kolonialer Praktiken müssen wir beginnen, in einer Grammatik der Dekolonialität zu arbeiten; die ethischen, politischen und ästhetischen Konsequenzen unserer kuratorischen Entscheidungen neu überdenken; den Versuchungen eines ›Uni-versellen‹, das sich als bester Weg darstellt, widerstehen und uns zu einer pluri-versalen Praxis hinbewegen.28 Um abschließend Eduardo Galeano zu paraphrasieren: Die ausgestellten Objekte verkörpern die ›Niemande‹, die, die keine Kultur haben, sondern Folklore, keine Religion, sondern Aberglauben – und unsere Aufgabe ist es, die historische Ablehnung nicht-westlicher Kulturen, die in diese Perspektive eingeschrieben ist, aufzuheben.29

28 | W. D. Mignolo: DELINKING. 29 | E. Galeano: Das Buch der Umarmungen, S. 65.

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Abbildung 1: Eingangsbereich der Ausstellung.

Abbildung 2: Wiphala.

Abbildung 3: Wiphala Display.

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Dekolonisierung des Mapuche-Museums in Cañete Juana C. Paillalef

Ein Museumsnarrativ zu dekonstruieren, damit es die Aktualität einer Bevölkerung widerspiegelt, die sich geweigert hat zu verschwinden – die sich weder physisch zum Verschwinden hat bringen lassen, noch durch die Dekrete eines Staates, der bis heute trotz historischer Übereinkommen ihre Existenz nicht anerkennt  – das ist das zentrale geschichtliche Motiv für den Beginn einer multidisziplinären Arbeit. Es geht darum, diese bisher unsichtbar gemachte Realität ins Licht zu rücken.

D as M useum Das Museo Mapuche de Cañete (Mapuche-Museum in Cañete) ist eine der Dirección de Bibliotecas Archivos y Museos (Bibliotheken und Museumsverwaltung, DIBAM) unterstellte Institution und liegt etwa 700 Kilometer südlich von Santiago in Chile, Südamerika. Im Jahr 1969 gegründet, wurde das Museum einem chilenischen Expräsidenten mit Geburtsort Cañete gewidmet, während es auf der anderen Seite mit einer Dauerausstellung den Mapuche, den Bewohner_innen der Region, seit der Zeit vor der Kolonisierung gewidmet war. Die Dauerausstellung bestand bis 2009, als das Museum für eine Erweiterung und Erneuerung der Ausstellung und ihres Konzepts ein Jahr geschlossen wurde. Die DIBAM beschloss 2001 in dem Bewusstsein, dass in den von ihr verwalteten und subventionierten Museen Verbesserungen nötig sind, ein Programm zur Erneuerung der Museen DIBAM. Das Programm baut auf einem multidisziplinären Team auf, das im Fall von Cañete nicht nur Vertreter_innen unterschiedlicher Disziplinen der Museumsarbeit beinhaltet, sondern auch Mitglieder der Mapuche-Gemeinschaft der umliegenden Provinz Arauco. Im Zuge des Erneuerungsprojekts wurden die Bedingungen der Museumssammlung verbessert, denn bis zu diesem Zeitpunkt (2006) hatten weder präventive konservatorische Maßnahmen noch eine Bestandsaufnahme des konservatori-

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schen Zustands der Sammlungen stattgefunden. Aufgrund neuer archäologischer Ausgrabungen in den Mapuche-Gebieten der Region wächst der Bestand weiter. Zudem wurde ein System zur Aufbewahrung und Verpackung der Sammlungsobjekte geschaffen sowie das Inventarsystem substanziell verbessert. Die Sammlung umfasst 2.000 archäologische, ethnografische, historische und zeitgenössische Objekte. Ebenfalls erwähnenswert sind die fotografischen Sammlungen. Der Auftrag des Museums ist, die Mapuche-Kultur in Zusammenarbeit mit den Communities des Territoriums Arauco weiterzugeben und zu fördern, um diese zu stärken und zu erhalten. Die Formulierung dieser Zielsetzung war Teil des Strategieprozesses, der mit dem Museumspersonal sowie interessierten Externen zur Unterstützung des Museums stattfand. In diesem Fall war es maßgeblich, Vertreter_innen der Mapuche-Organisationen der Region einzuladen – eine Einladung, die viele annahmen und ihre Meinung äußerten. Ihre Präsenz war zentral: Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie noch nie eine Einladung erhalten, um ihre Meinungen zu diesen Fragen kundzutun. »Wozu brauchen wir ein Museum, wenn wir Mapuche doch leben?«, fragte ein Junge, wie Lienlaf berichtet, ein Mapuche-Dichter, Schriftsteller und Drehbuchautor, der uns während des ganzen Prozesses begleitete: Auch wenn sie trivial scheint, macht diese Frage Sinn, sobald wir überlegen, was wir unter Museum verstehen, ob wir ein klassisches Bild des Museums annehmen oder ihm eine neue Richtung geben. Mir fällt daher nichts anderes ein, als auf die legendäre Geschichte zurückzugreifen, wie die Welt der Mapuche zum Pferd kam, und ich fragte den Peñi zurück: ›Warum nutzen wir nicht das Museum, und entledigen es der Last, die das Konzept Museum mit sich trägt, so wie wir es mit dem Pferd gemacht haben? Nehmen wir ihm den Sattel herunter und reiten es ohne Sattel.‹

Es war also nötig, über unser Idealmodell nachzudenken, um uns Schritt für Schritt einer Dekolonisierung des Denkens anzunähern und ein reflexives, aktuelles und partizipatives Ausstellungsnarrativ zu generieren.1 Ich möchte dazu Dekolonisierung als Diskurs kultureller Reform definieren, mit dem Ziel, die mächtigen Komplexe von Über- und Unterlegenheit, die weiterhin unsere Gesellschaft durchziehen und die kolonialen Ursprungs sind, zu überwinden. Es geht darum, eine unterentwickelte Wissensproduktion und einen Diskurs der sozialen Domestizierung hinter uns zu lassen und eine kulturelle Reform auszurufen, für Praxen der Involvierung der Bevölkerung in die Themen, die ein Museum ausstellt, in seine Funktion und die ihm zugrundeliegenden Zielsetzungen.2 1 | R. Bautista: Bolivia, S. 2. 2 | Vgl. S. R. Cusicanqui: Interview.

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Um das zu realisieren, war es unabdingbar, mit den Erben des gesamten symbolischen, sozialen und kulturellen Kapitals, das das Museum bewahrt hat und heute noch beherbergt, zusammenzuarbeiten. Vertreter_innen verschiedener Lof 3 nahmen die Einladung an, sich als aktive und effektive Akteur_innen an der Organisation der uns bevorstehenden Arbeit zu beteiligen, während der positiven Momente und der Rückschläge, die wir zu meistern hatten. Die DIBAM auf der anderen Seite ging auf die Herausforderungen des Museums durch die Beteiligung von Mapuche-Vertreter_innen ein. Die Mapuche-Bevölkerung, die sich beteiligen wollte, tat das in einem horizontalen Verhältnis. Denn auf der einen Seite war das Museum auf eine neue Erzählung auf Basis der Sammlung angewiesen, auf der anderen Seite vertraten die Lof das Immaterielle, in das die Sammlung eingebettet ist, wie ihre Beschreibung, Interpretation, Erinnerungen und Geschichte der Objekte und des Landes. Die Mapuche-Gelehrten nahmen es als moralische Verpflichtung an, einen Teil ihres Wissens einem Ort weiterzugeben, der Wissen validiert und verbreitet, und so auch dazu beizutragen, dass ihre Nachkommen ihre Identität anerkennen und über ihre Vorfahren und die Gesellschaft, der sie angehören, Bescheid wissen. Die gemeinsame Beteiligung von weisen Älteren und von Jugendlichen erinnert an eine Gemeinschaft, die ihr Territorium neu kartiert und die Erinnerung an verlorene, nicht gehörte Geschichten zurückgewinnt  – Geschichten die ausgeblendet, negiert oder unsichtbar gemacht wurden. Einige Kommentare dazu waren: »Jetzt haben wir das Gefühl, beteiligt zu sein […] In den Prozessen, die jetzt im Museum laufen, sagen wir unsere Meinung und bringen Ideen ein, denn das ist vorher nie der Fall gewesen.« oder »Man darf Partizipation nicht mit Konsultation oder der Genehmigung von etwas Vorgefertigtem, das bereits als gegeben vorausgesetzt wird, verwechseln; das ist es nämlich, was die Institutionen bis jetzt in der Praxis getan haben.« Wir ›ritten das Museum also ohne Sattel‹ und brachten damit Unruhe einerseits in die Region, in der die Leute zunehmend erwartungsvoll beobachteten, was im Museum passierte, andererseits in einige Regierungsstellen, die diese wichtige Arbeit der Kooperation und Vernetzung nicht verstehen konnten. Den letzten Punkt erwähne ich, da es zwei Interventionen der chilenischen Kriminalpolizei in diese Arbeit gab: Mein Haus wurde von der Polizei durchsucht, die unsere gesamten Arbeitsergebnisse mitnahm, und dasselbe passierte Lienlaf, der nach einer Sitzung mit den Szenografen in Santiago widerrechtlich festgenommen wurde. Wichtiges Material für die Katalogtexte und die Dauerausstellung wurde konfisziert. All das geschah unter dem Vorwand, Ideologen der Mapuche-Bewegung zu verfolgen. Es handelte sich um 3 | Lof ist eine Basisorganisation von Mapuche-Familien, die in einem bestimmten Territorium leben. Die Grundlage der Lof sind die reñma (Familien). Ein Lof kann aus mehreren reñma bestehen. In diesem Territorium sind es bis zu 30 Familien.

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Personen, die ich als ebenfalls wichtige Quelle für das Verständnis des aktuellen Mapuche-Denkens im Museum einbeziehen wollte, des Denkens von Jugendlichen und Erwachsenen, die aus verschiedenen Gründen einen sie negierenden und letztlich repressiven Staat nicht akzeptieren. Wir mussten mit Erwartungen umgehen und ebenso mit der Forderung, bestimmte Themen aus der Ausstellung auszuschließen. So wurde die Entfernung von zeremoniellen oder heiligen Symbolen und Gegenständen gefordert. Chemamvj und rewe sollten zum Beispiel nicht in einem Haus stehen, da ihre Funktion ist, mit der Erde in Verbindung zu stehen, aus der die Energien kommen und sich auf Lebewesen übertragen, die sie anrufen. Sie sollten im Außenraum stehen und an den Orten, die die Lof oder die/der Machi festlegten. Können Sie sich das Gesicht der Sammlungskonservatoren vorstellen, als sie diese Forderung hörten? Die Architektur des Museums ist von den einfachen Linien des MapucheHauses (Ruka) inspiriert, jedoch dreistöckig angelegt. Das Museum befindet sich auf einem neun Hektar großen Grundstück, auf dem sich ein Park mit autochthonen Bäumen, Pfade, ein Mapuche-Haus, ein Gillatuwe (ein offener Platz, auf dem die Mapuche-Community Zeremonien an von ihnen bestimmten Daten durchführt) sowie ein Palin-Platz (Mapuche-Ritual) befinden. Jedes Jahr finden unterschiedliche rituelle, religiöse, politische und kulturelle Veranstaltungen statt. Unterschiedliche Mapuche-Gemeinschaften sowie Institutionen, die in ihre Politik Programme für indigene Bevölkerungsgruppen integriert haben, organisieren hier Aktivitäten, die von Mapuche-Gelehrten beraten und geleitet werden. Organisationen und/oder Mapuche-Communities treffen sich bereits mit mehreren Monaten Vorlauf, um die Arbeiten für ein Ritual dieser Art zu koordinieren, denn es geht nicht um eine Vorführung. Es werden die nötigen Auf bauten und Vorbereitungen geleistet, wie das Säubern des Ortes, die Einrichtung eines Rewe (Kreis für die Begegnung), der Auf bau der Kvni (Zweige), die den Eingeladenen und Organisatoren als Schutz dienen, und die Vorbereitung des Feuerholzes, um das Essen zuzubereiten, das mit den Gästen und teilnehmenden Familien geteilt werden soll. Es ist also eine Menge Arbeit nötig, um einen Anlass wie geplant durchzuführen und die Aktivitäten dauern einen Sonnenkreislauf lang, das heißt 24 Stunden am Stück. Das bedeutet auch organisatorische Arbeit im Museum, damit für ein großes Publikum von älteren Personen, Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern zu Zeiten, die nicht unbedingt den Öffnungszeiten des Museums entsprechen, die grundlegenden Einrichtungen zur Verfügung stehen. Das ist die Lebendigkeit und Relevanz, die das Museum erhält. Das Ausstellungsprogramm wird ebenfalls von der Mission des Museums geleitet. Unter diesem Gesichtspunkt haben unterschiedliche positiv wahrgenommene Wechsel- und Wanderausstellungen stattgefunden, die sowohl durch die Qualität der Objekte als auch ihre Präsentation und Interpretation

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zur Positionierung des Museums beigetragen haben. Der Stellenwert des Museums für die Ausstellungsmacher_innen ist aufgrund der wenigen in der Region zur Verfügung stehenden Orte für thematische und vielfältige Ausstellungen nicht zu unterschätzen. Das Vermittlungsprogramm ist als Erweiterung der Dauerausstellung eng mit der Museumstätigkeit verknüpft. Es greift Elemente der Dauerausstellung auf und bereitet sie in unterschiedlichen Einheiten auf, etwa in Programmen zu Geräuschen und Lauten der Natur in der Umgebung, zur Töpferei oder Silberschmiedekunst. Seit Neuestem gibt es auch Mapuche-Karaoke für das Sprachlernen über den Gesang in der Mapuche-Sprache. Es wird zudem didaktisches Material zur Verfügung gestellt.4 Der Museumsshop gehört zum Rundgang und wird von Expertinnen des Kunsthandwerks mit unterschiedlichen Materialien betreut, die dort ihre von aktuellen und historischen Mapuche-Elementen inspirierten Arbeiten ausstellen. Ebenfalls angeboten wird Naturmedizin, was sehr großen Anklang bei den Besucher_innen gefunden hat, da viele Naturprodukte in der Region aufgrund der Umweltzerstörung durch die Pinien- und Eukalyptus-Monokulturen, die die Landschaft immer stärker einnehmen, im Verschwinden begriffen sind. Administrativ ist das Museum eine der 26 von der DIBAM in ganz Chile verwalteten Institutionen. Dadurch ist es Teil des nationalen, regionalen und lokalen Museumsnetzwerks, das es mit anderen Museen und Ausstellungen an den entferntesten Orten verbindet. In der Region Bío-Bío5 gibt es an unterschiedlichen Orten insgesamt 22 in ihrer Geschichte und Thematik diverse Museen und Ausstellungen. Im Museum werden viele Feste gefeiert, zum Beispiel Wiñol Xipantv, das Mapuche-Neujahrsfest, das jedes Jahr im Juni, genauer gesagt zur Wintersonnenwende, begangen wird und dem Feste bei allen indigenen Völkern Lateinamerikas entsprechen. Diese Feier ist mittlerweile in Mapuche- und Nicht-Mapuche-Institutionen in verschiedenen Regionen des Mapuche-Siedlungsgebiets verankert. Vom Museum aus wurden zudem andere Anlässe, wie die Feier des Internationalen Tages der indigenen Frau am 5. September, eingeführt. Das Museum setzte als erstes den Impuls, nun wird der Tag im ganzen Land gewürdigt und bietet Gelegenheit für Zusammentreffen rund um Themen, die uns als indigene und nicht-indigene Frauen, als Frauen allgemein beschäftigen. Die fixe Belegschaft des Museums zählt sieben Mitarbeiter_innen für die unterschiedlichen Funktionen. Drei wissenschaftliche Angestellte übernehmen einzelne Bereiche, wie zum Beispiel die Sammlungskonservation, wobei 4 | Herunterladen können es die Nutzer_innen über www.zonadidacticamuseos.cl vom 13.04.2016. 5 | Anm. d. Ü.: Region (eine von 15 Regionen, in die Chile administrativ unterteilt ist) mit Zentrum in Concepción, in der auch Cañete liegt.

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zu dieser Verantwortung auch die Dauer- und die Wechselausstellungen im Mehrzwecksaal des Museums sowie die Wanderausstellungen gehören, mit denen das Museum außerhalb des Hauses aktiv ist. Die Vermittlung wiederum wird von einem wissenschaftlichen Mitarbeiter geleistet, dessen Aufgabe die Publikumsbetreuung ist, mit Schwerpunkt auf Schüler_innen/Student_ innen und unterschiedliche Gruppen, die das Museum besuchen und/oder mit speziellen Anliegen an das Museum herantreten. Die Vermittlung von spezifischen und regelmäßig abgefragten Themenbereichen ist in unterschiedlichen Programmen auf bereitet, um auf die Anforderungen derer zu reagieren, die die Mapuche-Kultur, wie wir sie an diesem Ort zeigen und mit dem Publikum teilen, intensiver kennenlernen wollen. Das bedeutet nicht, dass die Vermittlung bei dem im Museum Gezeigten stehenbleibt. Häufig ist es notwendig, eine_n Vertreter_in einer Mapuche-Organisation einzuladen, um auf Themen, die nur diese besprechen können, einzugehen, falls dies nötig wird.

D ie V itrinen öffnen , um den B lick zu erweitern Als archäologisches und ethnografisches Museum arbeiten wir auch mit diversen Ansätzen und Techniken, um die unterschiedlichen Sichtweisen von interessierten Teilnehmer_innen unserer Öffentlichkeitsarbeit, Bildungstätigkeit und Weiterentwicklung zugrunde zu legen. Wir haben beispielsweise einen Teil der Sammlung mit Jugendlichen, die Sammlungs- und Ausstellungsobjekte zeichnen oder malen wollten, bearbeitet. Ilustración Viajante (Illustration auf Reisen) nahm die archäologischen Pfeifen aus der Kulturerbe-Sammlung des Museums als Ausgangspunkt für die Arbeit mit Jugendlichen. Diese lernten nicht nur Zeichentechniken und -materialien kennen, sondern erhielten archäologische, historische und ethnografische Information über die entsprechende Sammlung. Der Workshop war ausgebucht und reich an Resultaten, die im Museum ausgestellt wurden, bevor die Teilnehmer_innen sie als Erinnerung mitnahmen. Der leitende Lehrer evaluierte den Workshop positiv und betonte, dass der Blick der Schüler_innen auf die Objekte, die sie ausgewählt hatten, über die ästhetische Betrachtung hinausging und sich mit der Bedeutung der Objekte und ihrer Verbindung zum Heute beschäftigte. Die Teilnehmenden waren Jungen und Mädchen zwischen 10 und 18 Jahren. Das Kuratieren von Objekten ist ein Schritt, der immer wieder aufgenommen und mit neuen Informationen und Perspektiven angereichert werden kann, damit eine vergangene Lebensweise, die den Objekten Leben und Sinn gegeben hat, die Bedeutung erhält, die die Objekte mit den hier geschilderten künstlerischen Aktionen wieder aufleben lassen. Es haben auch Ausstellungen in Verbindung mit dem kulturellen Kontext stattgefunden, initiiert von einer Künstlerin aus Cañete, die seit drei Jahren

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einen Schulwettbewerb mit kooperierenden Schulhäusern durchführt. Jedes Jahr entstehen um die 150 Arbeiten in frei wählbarer Technik und die Beteiligung steigt jedes Jahr. Die inhaltlichen Vorgaben werden vom Museum und von Künstler_innen erarbeitet, die in der Jury mitwirken und die Auswahl aus den eingereichten Arbeiten treffen. Im ersten Jahr war der Wettbewerb unterschiedlichen Aspekten der Mapuche-Frau gewidmet. Vorbereitende Informationen wurden an die Lehrpersonen verteilt. Die Mehrzahl der Teilnehmer_innen konzentrierte sich auf den spirituellen Aspekt des Themas, da die Leitfigur in spirituellen Angelegenheiten bei den Mapuche meist eine Frau ist. Im folgenden Jahr war das Thema Importancia del Agua en el Pueblo Mapuche (Die Bedeutung des Wassers bei den Mapuche). Wie zuvor wurde dafür ein schriftliches Dossier vorbereitet, mit Informationen zum Wasser in Erzählungen, die die Mapuche bis in die Gegenwart überliefert haben. Diese Ressource ist sehr umfangreich und in verschiedenen Territorien in Chile und Argentinien sind die Geschichten heute mit den spirituellen Orten und mit dem Überleben verknüpft. Die Ergebnisse und die Beteiligung waren beeindruckend, da das Thema an aktuelle Fragestellungen auf nationaler Ebene anknüpft. Einige Arbeiten mussten zurückgewiesen werden, da sie erst nach der Deadline eingetroffen waren. Die künstlerischen Einreichungen nahmen Elemente der Dauerausstellung auf, wodurch wir einen Besucher_innen-Ansturm im Zusammenhang mit dem Wettbewerb verzeichneten. Der Wettbewerb machte es nötig, auch die Informationen der Vermittlungsabteilung zu ergänzen, um auf die Ausstellungsteile, in denen das Wasser als Element auftaucht, stärker einzugehen. Das Projekt machte uns klar, dass Wasser das inspirierende Element für das Leben in allen seinen Erscheinungsformen ist – bis hin zum Regen, der unsere Region prägt, die vom Küstengebirge (von den Mapuche Nahuelbuta genannt) bis zum Meer in der Provinz Arauco reicht. Der künstlerische Zugang vermittelt die Ausstellungsinhalte des Museums auf andere Weise und gibt uns als Museumsmitarbeiter_innen und Träger_innen einer alten Kultur die Möglichkeit, zu forschen und unser Wissen zu ergänzen. Das ist auch zum Vorteil der Schüler_innen und derjenigen Lehrer_innen, die ein Interesse daran haben, dass die Lernenden den Blick über das hinaus öffnen, was die Schule als Bildungsinstitution zu lernen und anzueignen zulässt. Die unterschiedlichen Kenntnisse nutzen wir auch, um unsere Präsentationen zu verbessern, indem die Künstler_innen das Kuratieren der Wettbewerbsausstellung unter dem Gesichtspunkt der Bildenden Kunst übernehmen, während das Museum das dem Wettbewerbsthema zugrundeliegende Wissen beiträgt. Auch Schüler_innen, die ein Praktikum im Museum machen, haben Aktivitäten im Rahmen ihrer Ausbildung organisiert. Schüler_innen einer technischen Schule in Cañete organisierten eine Veranstaltung rund um den Mapuche-Gesang, in der indigenen Sprache VL (ül) genannt, was singen bedeutet. Die Initiative fand im Sommer statt, einer besonders schwierigen Zeit, um Kinder einzula-

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den, da sie in den Ferien schwer zu erreichen sind. Das führte zu einer intensiven Werbung für die Veranstaltung, um die Anmeldungen zusammenzubekommen, die als Ziel gesetzt waren. Die Vorgaben für diesen Wettbewerb verlangten unter anderem, ein selbst gewähltes Lied zu 50 Prozent in der Mapuche-Sprache zu singen. Die Lieder waren nicht nur frei wählbar, sie konnten auch adaptiert werden. Die teilnehmenden Kinder wurden von ihren Familien begleitet, die sich sehr enthusiastisch in die Dynamik der Veranstaltung einbrachten, wodurch eine umfangreiche Beteiligung zustande kam. Eine solche Aktion, die einen wichtigen Teil des immateriellen Kulturerbes der Mapuche in der Region einschließt, hatte im Museum vorher noch nicht stattgefunden. Die Kleinen kannten zum Teil Lieder, die sie in ihren Schulen gelernt hatten, und einige traten in typischer Mapuche-Kleidung auf. Es wurden nicht nur Lieder gesungen, sondern einige nutzen die Möglichkeit, Gedichte in Mapuche-Sprache zu rezitieren, da Mapuche-Dichtung singend vorgetragen wird. Eine dreiköpfige Jury wurde eingeladen, die Auftritte zu bewerten, zum einen ein Sprecher der Mapuche-Sprache und Vlkantufe (Mapuche-Sänger), zum anderen eine Person aus dem Bildungsbereich und die Direktorin des Museums. Die organisierenden Schüler_innen und das Museumspersonal schlossen aus der Erfahrung, dass auch Veranstaltungen zum immateriellen Kulturerbe von den Kindern, Eltern, Begleitpersonen und vom beteiligten Publikum gut angenommen werden. Der kuratorische Prozess und sein vermittlerischer Aspekt zeigten, dass Aktionen wie diese eine Gelegenheit für die Übung, Verbreitung und Wertschätzung der Sprache und ihrer Ausdrucksformen sind. Zugleich ist der Gesang eines der bedeutendsten Medien für den Lernprozess der Kinder. Eine der Siegerinnen meinte: »Es hat mir sehr gefallen, mit einem Grußlied für die Mapuche-Schwestern und -Brüder mitzumachen. Außerdem habe ich viele Geschenke bekommen, um weiter zu lernen und ich habe ein kulxun und eine Fahne, die mir sehr gefallen, außerdem habe ich eine CD bekommen mit der ich mehr Lieder lernen kann und wie man Wörter ausspricht. Ich will jetzt noch ein Lied lernen und wieder mitmachen, marichiweu« (Laura González, 7 Jahre).

L ernprozesse und N e t z werke Durch Aktivitäten wie diese wird das Museum erweitert, statt auf seine Dauerausstellung beschränkt zu bleiben. Sie führen dazu, dass in der Verbindung zwischen allen direkt und indirekt beteiligten Personen spezifische Interessen zusammenkommen, die in den Programmen öffentlich werden, und so Netzwerke entstehen, die einen Wissenszuwachs zu gemeinsamen Themen und Interessen ermöglichen. Diese Netzwerke können an einem Ort der Reflexion und Interaktion, wie es das Museum ist, verstärkt werden.

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Vielleicht ist auffallend, dass wir uns stark an Kinder und Jugendliche richten. Viele haben bereits einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung ihres Wissens und ihrer Einstellungen geleistet. Ihr Vorwissen beinhaltet oft negative Vorurteile gegenüber dem Mapuche-Thema, wesentlich beeinflusst durch die Medien sowie durch die ›Bildung‹, die sie in ihren Klassenzimmern erhalten. Wir befinden uns, das möchte ich hervorheben, diesbezüglich in einem langsamen Prozess, der bereits zu Allianzen mit unterschiedlichen Bildungsinstitutionen, und insbesondere mit Mitarbeiter_innen der Bildungsdirektion, geführt hat. Ziel ist, dass das Museum mit seinen diversen Aktivitäten Stimuli schafft, in denen Kunst, Kulturerbe, ein vertieftes Geschichtsverständnis und immaterielles Erbe für die Vermittlung, Begegnung und Reflexion zusammenwirken. Diese Analyseperspektive ist deshalb so relevant, weil die Herausbildung des Staates, verbunden mit einer kontinuierlichen Praxis der Enteignung, zu einer kolonialen Konfiguration von politischer, ökonomischer und/oder symbolischer Macht geführt hat, die in der Eroberung und dem Raub von Land und Gütern, die diese ermöglicht haben und weiter vorantreiben, begründet ist. Daraus entstand eine spezifische soziopolitische und kulturelle Konstruktion, die die Enteignung und die Kolonisierung der Körper und Subjektivitäten durch Arbeits-, religiöse und schulische Disziplinen, die als zivilisatorische Maßnahmen gerahmt wurden, förderte. Dieser Kolonisierungsprozess hat dazu geführt, dass über viele Generationen hinweg Minderwertigkeitskomplexe internalisiert wurden. Dieser letzte Punkt ist eine der massivsten und erschütterndsten Charakteristiken des kolonialen Phänomens.6 Sicherlich sind noch viele Fragen offen, wenn wir über Methoden, Prozesse und über mögliche Partner_innen nachdenken, die unser Anliegen, einen anderen Blick auf die Vorgänge in der Region zu vermitteln, teilen. Die Schulbildung der Menschen, mit denen wir im Museum interagieren, ist in allem, was über die indigenen Gesellschaften Chiles und Lateinamerikas gelernt wird, von negativen Bildern durchdrungen. Die Kolonisierung der Chilen_innen (die auch Mapuche betrifft, die sich in der nationalen chilenischen Gesellschaft assimiliert haben und ihr Mapuche-Sein negieren) verlangt von unseren Vermittler_innen eine intensive Vorbereitung, um mit großem Respekt, aber auch Vehemenz, auf die vorgeprägten Ansichten und Vorstellungen der Besucher_innen zu reagieren. Bis zu einem gewissen Grad gelingt das, es wird jedoch schwierig, wenn der Wille für einen respektvollen und interkulturellen Dialog fehlt. Zusammenfassend sprechen die durchgeführten und aktuellen Aktivitäten von einer engen Verbindung zu den Zielen und zur Mission des Museums. Dennoch haben nicht alle Geschichte/n einer lebendigen Bevölkerung in einem Museum Platz – ein solcher Raum muss anstreben, sowohl der Geschichte als auch der Aktualität und den Zukunftserwartungen Raum zu geben. 6 | H. N. Moreno: Formación colonial del estado y desposesión en Ngulumapu, S. 126.

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Es ist eine große Verantwortung, eine kolonisierende Institution dazu zu bringen, ein aktuelles Narrativ anzunehmen, insbesondere wenn es um eine bestehende und lebendige Bevölkerung geht. Wir haben daher versucht, die Kultur einer Bevölkerung darzustellen, die sich weigert, zu verschwinden, trotz der vielfältigen Todesurteile, die bereits über sie gefällt wurden, insbesondere in Räumen wie den Museen. Museen an Orten weit weg von den großen Städten zu betreiben, ist sicherlich ein steiniger Weg, dennoch haben wir uns vorgenommen, es zu schaffen und können relativ gute Erfolge verbuchen. Diese Erfolge sind immer auch von bestimmten Bedingungen abhängig, die Aktionen möglich machen, wie das Wetter, die richtige Einladungsform etc. Die beschriebenen Programme sind das, was in unserem Fall bislang funktioniert. Auf der anderen Seite sind die Ressourcen knapp, während die Anforderungen steigen, indem weitere Personen und Institutionen den Raum nutzen und merken, dass Vernetzung und die Anbindung an das Kulturerbe nötig sind, um ihren jeweiligen Projekten eine Basis zu geben. Insofern steigt der Druck und es ist uns nicht möglich, weitere Unterstützung in unterschiedlicher Form zu leisten. Das Museum ist nun zu einer Bühne und einem Display der Region geworden, die einem Netzwerk von Mapuche-Gemeinschaften in der Zone, wo es seit fast 50 Jahren steht, Identität gibt. Die geschilderten Wettbewerbe haben für mich eine besondere Bedeutung, da in diesen Formaten die Kinder dazu beitragen, dass wir unsere Geschichte und Kultur in unserer Umgebung wahrnehmen – durch das bloße Schauen, Hören und Fühlen wird das Wundervolle unserer Kultur greifbar. Ich habe dadurch erlebt, dass die neuen Generationen bereit sind zu lernen und zu forschen, ohne Angst, ihre Gefühle zu zeigen, und dass sie sich der Mapuche-Kultur anschließen, sie in sich aufnehmen, auch wenn sie ihr nicht direkt angehören.

Abbildung 1: Panoramabild des Museums.

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Abbildung 2: Auftritt einer Gruppe von Mapuche-Jugendlichen bei einer Veranstaltung zur Unterstützung der Familien von Mapuche in politischer Gefangenschaft.

Abbildung 3: Ansicht des Museums mit einer Mapuche-Flagge, einem Geschenk von MapucheFrauen an das Museum zum Internationalen Tag der Indigenen Frau am 5. September 2007.

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Abbildung 4: Diskussion und Vorstellung von Vorschlägen für einen neuen Namen des Museums.

Abbildung 5: Präsentation des geplanten neuen Ausstellungskonzepts für das Museum vor Ort durch die Gestalter_innen für die MapucheCommunity, 2008.

Bildung in Museen, Community-Vermittlung und das Recht auf Stadt im historischen Zentrum von Quito Alejandro N. Cevallos, Valeria R. Galarza

C ommunit y -V ermit tlung  – G emeinschaf tliche V ermit tlung Mediación Comunitaria1 ist ein übergreifender Arbeitsbereich in der Verwaltung von fünf Museen2 in Quito, die in der Fundación Museos de la Ciudad (FMC, städtische Museumsstiftung) zusammengefasst sind.3 Im Sinne unseres Auftrags, die Museen mit ihrem sozialen Umfeld zu vernetzen, haben wir uns zum Ziel gesetzt, in den Museen die nötigen institutionellen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Prozesse sozialer Organisation und Partizipation auf die Entscheidungsstrukturen über Praxen und Politiken in den Museen einwirken können, und entsprechende Verhandlungsräume entstehen. Uns interessiert Zusammenarbeit als Prinzip der Arbeit zwischen Museen und Communities. Zusammenarbeit bedeutet, dass Ziele und Wirkungen der gemeinsamen Tätigkeit nur dann eine Bedeutung erlangen, wenn sie durch 1 | Anm. d. Ü.: Die Spanische Bezeichnung »mediación comunitaria« trägt die Bedeutung der Vermittlung mit »comunidades« (Gemeinschaften) in sich. Als Adjektiv weist sie aber vor allem auf »gemeinschaftliche« Vermittlung hin. Im Folgenden wird Mediación Comunitaria mit Community-Vermittlung übersetzt. 2 | Museo Interactivo de Ciencia (Interaktives Wissenschaftsmuseum); Museo del Carmen Alto (Museum Carmen Alto); Parque Museo del Agua YAKU (YAKU Wassermuseum); Centro de Arte Contemporáneo de Quito (Zentrum zeitgenössischer Kunst Quito); Museo de la Ciudad (Stadtmuseum); Mediación Comunitaria. Weiterführende Informationen siehe www.mediacioncomunitaria.gob.ec/ und www.fundacionmuseosquito.gob.ec/ (spanisch) vom 13.04.2016. 3 | Unser Dank gilt María Dolores Parreño, Forscherin im Bereich mediación comunitaria, Javier Rodrigo und den Ausstellungs- und Community-Vermittler_innen der Fundación Museos de la Ciudad, mit denen wir Gespräche führten, aus denen die Reflexionen in diesem Beitrag hervorgegangen sind.

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einen Dialog unterschiedlicher Wissensformen und im spezifischen lokalen Kontext verankerte, kollektive Produktionsprozesse zustandekommen und so Vorstellungen der Konstruktion und der Pflege des Gemeinguts4 ermöglichen. Operativ bedeutet das, dass jede Community-Vermittlerin in einem der fünf Museen der FMC angesiedelt ist und die Aufgabe hat, Debatten aus dem das Museum umgebenden Viertel aufzugreifen und dazu Dialoge und Verhandlungen mit unterschiedlichen Öffentlichkeiten zu initiieren. Diese Aufgabe beinhaltet auch eine interne Verhandlung der institutionellen Programmplanung und der Aktivitäten mit den Kolleg_innen im Museum (zum Beispiel den Ausstellungsvermittlerinnen, den Kurator_innen oder dem für das Gebäude zuständigen Sicherheitspersonal). Die Community-Vermittler_innen werden durch ein achtköpfiges Team unterstützt, das die Rolle eines ›Toolkit‹ einnimmt. So gibt es beispielsweise einen technischen Berater für urbanen Gartenbau, einen Zuständigen für Eigenbau und partizipative Architektur, einen Zuständigen für die Gesamtplanung, einen Grafiker, eine administrative Assistenz für die Buchhaltung sowie seit dem letzten Jahr zwei Forscherinnen im Bereich Bildung, die sich mit pädagogischen Methoden und Fragestellungen in den kollaborativen Prozessen beschäftigen und darauf reagierend Weiterbildungen für die Beteiligten entwickeln.5 In der Organisationsstruktur befindet sich die Koordination der Community-Vermittlung auf derselben Ebene mit der Koordination eines Museums. Das jährliche Budget wird autonom verwaltet. Das Personal der Community-Vermittlung ist angestellt und arbeitsrechtlich abgesichert – was angesichts der Prekarisierung der Vermittlung und dem zu beobachtenden Outsourcing der Arbeit mit Communities in Kulturinstitutionen weltweit betont werden muss. Bei den Bedingungen und Arbeitsstrukturen der Community-Vermittlung handelt es sich nicht um ein konsolidiertes Modell. Vielmehr entsprechen sie einer spezifischen institutionellen Situation. Sie sind aus drei Jahre dauernden Verhandlungen – in denen der Arbeitsbereich sich je nach der momentanen Situation in der fragilen Kulturpolitik der Stadt und der Fundación ausgedehnt und wieder verkleinert hat – sowie aus dem Prinzip Versuch und Irrtum her4 | Vgl. M. Garcés: Un mundo común. Mit der »Konstruktion und Pflege des Gemeinguts« meinen wir eine kollektive Auseinandersetzung damit, dass wir in einer gemeinsamen Welt miteinander verstrickt sind; eine Anerkennung und Neugestaltung unserer wechselseitigen Abhängigkeit voneinander – und das auf eine Weise, die soziale Gerechtigkeit als bestimmendes Prinzip wählt, nach dem wir – mit unseren Differenzen und unterschiedlichen Interessen – die Verwaltung und Aufteilung jener Ressourcen und Güter, die von niemandem monopolisiert oder privatisiert werden können, imaginieren. Teil dieses Gemeinguts sind die Bildung, die öffentliche kulturelle Infrastruktur und die kulturellen Praxen der Communities. 5 | Siehe www.mediacioncomunitaria.gob.ec/assets/infografia_mediacion_comunita​ ria.pdf (spanisch) vom 13.04.2016.

Bildung in Museen, Community-Vermittlung und das Recht auf Stadt

vorgegangen. Dennoch ist die Gestaltung dieses Arbeitsbereichs institutionell ein großer Schritt, der ein Gegengewicht zu Community-Programmen setzen kann, die sich als ›soziale Verantwortung‹ oder ›Publikums-Management außer Haus‹ verstehen, zwei Konzepte, die Konflikte im sozialen Raum einebnen und gegenüber den Machtspielen in der sogenannten ›Demokratisierung des Kulturangebots‹ blind sind.6

Z wischen Tr ansformation und R eproduktion des M useums Wie wir selbstkritisch feststellen, haben – obwohl wir Teil der Museen sind – die Aktivitäten der Community-Vermittlung in den letzten drei Jahren größtenteils jenseits der Wahrnehmung der Kurator_innen und der Interessen der Ausstellungsvermittler_innen stattgefunden. Unser Engagement in lokalen Problematiken führte dazu, dass wir unsere Arbeit von einer marginalen Position aus verstanden. Wir grenzten uns von den Ausstellungsthemen ab und lehnten es ab, die kuratorischen Konzepte zum bestimmenden Leitmotiv7 für den Dialog zwischen Institution und Communities werden zu lassen, womit uns auch die Möglichkeiten entgingen, das Zentrum des Museums selbst als öffentlichen Raum zu betrachten, etwa in der Gestaltung von Displays und der Ausstellungsvermittlung. Die Arbeit außerhalb des Museums mit kollaborativen Ansätzen, Kritik und Experiment zu assoziieren, und die Tätigkeit innerhalb des Museums mit den Zwängen des Besucherdienstes und einer Affirmation des kuratorischen Diskurses und des Museumsdiskurses, ist nicht immer korrekt. Es handelt sich aber um eine Dichotomie, die aus einer bestimmten Politik von Kulturinstitutionen hervorgegangen ist. Die Politik der Flexibilität erlaubt es Kulturinstitutionen, einerseits Legitimität in kritischen und akademischen Diskursen wiederzugewinnen, andererseits Verpflichtungen und Rollen einzunehmen, die ihre Funktion in der Stadtentwicklung, der Kreativwirtschaft, dem Kulturtourismus und anderen neuen Formen des Kapitalismus erfüllen. Diese Dichotomie wird auch durch Faktoren wie die historisch gewachsene Ungleichheit der Arbeitsbedingungen in den Kulturinstitutionen und eine Budgetpolitik 6 | Im Kontext Quito steht die ›soziale Verantwortung‹ meist direkt oder indirekt in Verbindung mit den Interessen und Ideologien der privaten Firmen und Organisationen, die solche Programme initiieren. So wird zum Beispiel eine Reihe von Fortbildungen im Service für Touristen, die für Kollektive in den Stadtvierteln oder Straßenhändler angeboten werden, als im Interesse des Gemeinwohls dargestellt. Im Fall der Kulturinstitutionen beschäftigen sich die Publikumsbetreuung außer Haus hauptsächlich mit der Produktion von Kulturevents, paradoxerweise gerade dort, wo die Gentrifizierungsprozesse die soziale Partizipation und die alltäglichen Nutzungen des öffentlichen Raums aufgelöst haben. 7 | Im Orig. Deutsch.

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geprägt, die Ressourcen für kulturelle Initiativen ungleich verteilt, je nachdem in welchem Bereich sie angesiedelt sind (Vermittlung – Kunst und Kuratieren). In dem nun geschilderten Szenario stellt sich für uns die Frage: Welche Reichweite und welche Auswirkungen hat die Zusammenarbeit mit Communities in den Strukturen der Institution selbst? Wenn wir bislang die Arbeit mit Communities als spezialisierten Auftrag realisiert haben, der außerhalb der regulären Abläufe vonstattengeht, wie können wir diesem Ausnahmestatus und der Interventionsgeste entkommen, um regulärere und nachhaltigere Prozesse zu entwickeln? Das Ziel wäre, die Zusammenarbeit mit Communities als Form der ReflexionAktion und eines kollektiven Lernraums zu verstehen, der zu einer Neudefinition von Anliegen und Vermittlungsmethoden im Museum führen kann. Unsere anfängliche Haltung der Selbst-Marginalisierung war in Wirklichkeit eine elitäre: Wir sind die einzige Abteilung, die viel Zeit für Recherche und Ethnografie aufwenden kann, ohne für einen unmittelbaren Nutzen für die Museen rechenschaftspflichtig zu sein. Die Community-Vermittler_innen haben unterschiedliche, spezialisierte Ausbildungen und bessere Arbeitsbedingungen als die Ausstellungsvermittler_innen. Die Einladung zu einer Verschränkung der Arbeitsbereiche Community- und Ausstellungsvermittlung sowie zu einer gemeinsamen Diskussion über kollaborative Praxen machte daher zunächst eine interne Debatte über die Arbeitsbedingungen, Hierarchien, Logiken und Rhythmen der Arbeit nötig. Damit kommen wir zur Frage, die diesen Beitrag leitet und die uns aufgrund der beschriebenen Aufstellung unserer Abteilung und unseres Auftrags in der Institution beschäftigt: Wann dienen kollaborative Projekte dazu, die bestehenden Machtverhältnisse zu legitimieren und wann führen sie zu konkreten Veränderungen? Die Überlegung, dass Kulturinstitutionen eine Dimension des Gemeinsinns und der kritischen Bildung im Kontext sozialer Debatten und Problematiken haben könnten, geht nicht allein aus theoretischen Überlegungen oder aus der Krise der Repräsentation und des Museums als moderner Institution hervor: Dieser Entwurf entsteht, im Gegenteil, aus den situierten und lokalen Entwicklungen, die das Nachdenken über öffentliche Institutionen in der Region geprägt haben.8 Es sind die Konflikte, die Formen gesellschaftlicher 8 | Rufen wir uns die museologische Tradition in Lateinamerika in Erinnerung: die mesa de Santiago de Chile von 1972; die Erfahrungen gemeinschaftlicher Verwaltung in einigen archäologischen Museen im Kontext der Forderungen nach Anerkennung indigener Identitäten in Ecuador in der 1970er und 1980er Jahren, das museo del barro in Uruguay (www.museodelbarro.org/ vom 13.04.2016), das Museo Mapuche de Cañete in Chile (www.museomapuchecanete.cl/641/w3-channel.html vom 13.04.2016) oder das öffentlich-gemeinschaftliche Museo del Puerto de Ingeniero de White in Argentinien (http://museodelpuerto.blogspot.com vom 13.04.2016).

Bildung in Museen, Community-Vermittlung und das Recht auf Stadt

Organisierung sowie ihre Imagination und Forderungen, die Risse in den ehemals so monolithisch scheinenden Institutionen verursacht haben. Dieser Hinweis ist wichtig, ist es doch genau die Anerkennung dieser Kämpfe und ihrer Aktualität, das Zurückgreifen auf ihre Erfahrungen und das Aufgreifen ihrer Forderungen gegenüber der öffentlichen Verwaltung, die eine einfache Instrumentalisierung kritischer Arbeit in den Institutionen verhindern kann.

M ercado S an R oque : D as R echt auf S tadt Die zentrale Fragestellung dieses Beitrags möchten wir anhand einer Erfahrung behandeln, die sich zwischen der Arbeit mit Communities und der musealen Vermittlung bewegt – die Etablierung einer Zusammenarbeit zwischen den Museen und dem Markt San Roque in Quito. Es handelt sich um einen Ort, der im Zusammenhang von Politiken der Vertreibung, Stadterneuerung, Tourismus und Kulturerbe seit mindestens 20 Jahren um sein Recht auf Stadt in Quito kämpft.9 Im Jahr 1978 ernannte die UNESCO, überzeugt vom Glanz der Kolonialarchitektur, Quito zum Weltkulturerbe. Dieser Status wurde in den 1990er Jahren zum Argument, auf Tourismus und Immobilienspekulation zu setzen, was zu einer erhöhten Verschuldung der Stadt und vermehrt zu privaten Investitionen in die Renovierung von Baudenkmälern führte. Es entstanden private und öffentliche Organisationen, die die Nutzung des öffentlichen Raums und die Gestaltung des Straßenbildes reglementieren. Im Jahr 2000 entstand aufgrund einer Empfehlung der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) an die Stadt, sie solle Institutionen für die Förderung der Kultur und die Wahrnehmung des Kulturerbes, die Fundación Museos (FMC). Wenn auch das Postkartenbild der Stadt das spanische Kulturerbe zeigt, ist Quito eine vom indigenen Ecuador durchdrungene Stadt. 22 Prozent der Bewohner_innen des Stadtzentrums (Achse San Roque) identifizieren sich selbst als indigen, wobei ein großer Teil dieser Bevölkerung mit den Märkten in Verbindung steht.10 Der Mercado San Roque, historisch aus einem Programm ent9 | Wenn hier vom Recht auf Stadt gesprochen wird, impliziert das in der Stadt Quito auch eine Debatte über die Durchlässigkeit zwischen dem urbanen und dem ruralen Raum und die indigene Präsenz in den Städten. Begriffe wie Bürger_innenschaft, öffentlicher Raum oder Umwelt werden im Kontext Quito durch die Komplexität der Kämpfe historisch zurückgedrängter Identitäten, die populären Handelsnetze, die das Konzept des Urbanen sprengen, und eine ganze Reihe von Vorstellungen und sozialen und kulturellen Praxen, die innerhalb der Stadt um die Anerkennung ihrer Differenz zum ›Urbanen‹ kämpfen, rekonfiguriert. 10 | Die Achse San Roque besteht aus acht Vierteln in Nachbarschaft des Marktes San Roque. Es handelt sich um denselben Stadtteil, in dem sich auch die drei meistbesuch-

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standen, den informellen Handel systematisch von den Straßen und Plätzen der Innenstadt zu vertreiben und an einen anderen Ort zu verlagern,11 ist einer dieser Märkte. Mit ca. 3.000 Arbeitsplätzen und einem (nicht bezifferten) Netzwerk von informellem Handel und Straßenhandel bedient der Markt etwa 204.000 Kund_innen wöchentlich; San Roque deckt 17 Prozent des Grundnahrungsmittelbedarfs von Quito ab, beliefert kleinere Märkte und gewährleistet damit die Ernährungssouveränität der Stadt. Neben den Händler_innen umfasst der Markt Handwerk und im Alltag verankerte Praxen wie Naturheilkunde und indigene Medizin. Es wird geschätzt, dass von den am Markt Beschäftigten 31 Prozent im historischen Stadtzentrum leben.12 Hervorzuheben ist auch die selbstverwaltete interkulturelle zweisprachige Schule, die von einer Organisation Quichua sprechender Händler_innen betrieben wird. Sie wurde mit dem Ziel gegründet, die Sprache zu erhalten und den Kindern der Händler_innen eine Bildung mit rural-indigenen Werten zu ermöglichen, vor allem aber auch, um der Diskriminierung der Kinder in den spanischsprachigen Schulen zu entgehen. In Ecuador gibt es 2.305 staatliche interkulturelle zweisprachige Schulen. Diese sind aus einem Kampf der politisch-sozialen indigenen Bewegung hervorgegangen, der sich insbesondere Ende der 1980er Jahre in der Forderung nach staatlicher Anerkennung der autonomen indigenen Bildung konkretisierte und der Bildung eine zentrale gesellschaftliche Rolle in den Debatten um Identität zuschrieb.13 Trotz der starken indigenen Präsenz gibt es in Quito nur 17 Schulen dieses Typs, und nur zwei davon im urbanen Raum. Eine dieser beiden Schulen, mit 210 Schüler_innen, ist die von San Roque.

ten Museen der FMC befinden: Parque Museo del Agua YAKU, Museo de la Ciudad und Museo del Carmen Alto. 11 | Vgl. E. Kingman: Los trajines callejeros, Ebds.: Coord. San Roque. Weitere Informationen www.mediacioncomunitaria.gob.ec/documentos.html vom 13.04.2016. 12 | Vgl. Gesculturas: Cuentan los vecinos. 13 | Vgl. A. Conejo: Educación intercultural bilingüe. Die Anerkennung einer sprachlich und kulturell differenzierten Bildung ist in Ecuador seit 1924 in der Verfassung verankert. Dennoch nahm die Bildung erst ab den 1940er Jahren eine verstärkte Rolle in der sozialen Organisierung als Mittel für das politische und gesellschaftliche Bewusstsein ein. 1988 wurde die Dirección Nacional de Educación Indígena Intercultural Bilingüe (DINEIB, Nationale Behörde für die interkulturelle zweisprachige indigene Bildung) gegründet, die 1992 die technische, verwalterische und budgetäre Autonomie im Rahmen der nationalen Bildungsgesetzgebung erhielt. Dieser Status wurde in der Verfassung von 1998 mit der Anerkennung des plurinationalen und plurikulturellen Staates ratifiziert.

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M ercado S an R oque /C ommunit y -V ermit tlung / M useumsvermit tlung : E rfahrungen und M öglichkeiten Wir haben den Auf bau der Abteilung Community-Vermittlung und unsere Auseinandersetzung mit der institutionellen Struktur dargestellt und erläutert, warum kontroverse Dialoge mit dem Bereich Ausstellungsvermittlung über unsere Arbeitsfelder im Rahmen der kulturellen Ökonomie und der Wissensproduktion nötig sind. Ebenfalls dargestellt haben wir das konflikthafte Szenario, in dem unsere Arbeit stattfindet, durchzogen von den Kämpfen der Händler_innen im Stadtzentrum. Im Folgenden werden wir die zentralen Punkte der Aushandlungsprozesse mit Communities und Ausstellungsvermittler_innen darlegen, die eine längerfristige Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit im regulären Museumsbetrieb unterstützen.

Der Ausstellungsraum: Rückwirkung und Kommunikationsstrategie In den letzten fünf Jahren verhielt sich die Stadtverwaltung intransparent in Bezug auf die Regierungspläne im Bereich Stadtentwicklung. Die Verlagerung des Marktes an einen anderen Standort und eine Verkleinerung wurden in unterschiedlichsten Versionen diskutiert, jedoch zirkulierte, statt einer offiziellen Ankündigung, die Information informell unter den Händler_innen. Anfang 2013 hatte die Unsicherheit und Beunruhigung ein solches Ausmaß erreicht, dass die Händler_innen dem Personal der öffentlichen Verwaltung den Zugang zum Marktgebäude verwehrten. Der Widerstand rührte daher, dass Ergebnisse von Erhebungen der Verwaltung am Markt nicht öffentlich kommuniziert wurden, und wenn doch, die technische, spezialisierte Sprache das Verständnis erschwerte. Die Händler_innen wussten nicht, wem die gesammelte Information nutzen sollte und welchen Interessen sie diente. Das Instituto Metropolitano de Patrimonio (städtisches Institut für das Kulturerbe) hatte den Auftrag, eine Umgestaltung des Marktgebäudes zu planen. Das Institut lud das Team der Community-Vermittlung ein, ein Forschungsteam zu bilden und zu leiten, das verschiedene Workshops mit den Händler_innen am Markt durchführen sollte. Das nicht explizit geäußerte Ziel dieser Einladung war, durch einen »partizipativ« entwickelten Vorschlag die architektonische Umgestaltung zu legitimieren.14 In Versammlungen mit 15 Organisationen von 14 | Weitere Informationen www.mediacioncomunitaria.gob.ec/assets/informe-consul​ toria-del-mercado-san-roque.pdf vom 13.04.2016. Die Beratungsgruppe wurde von Mediación Comunitaria (Alejandro Cevallos, Lennin Santacruz, Paulina Vega, Andrés Rueda) geleitet. Beteiligt war die Beraterin der FMC Henar Diez, zwei lokale Künstler_innen Gary Vera und Tania Lombeida, die Anthropolog_innen Wendy Morán und Casandra Herrera sowie das Kollektiv Transductores (kollektive Pädagogiken).

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Händler_innen wurden diese Ziele einer gemeinsamen Re-Definition unterzogen und zwei Bedingungen gestellt: Die Ergebnisse der Untersuchung sollten zur Verfügung gestellt und der Schlussbericht von der Marktorganisation gegengelesen werden, bevor die Auftraggeber_innen ihn erhielten. Bürger_innenbeteiligung ist ein theoretisch in vielen Prozessen der Stadtplanung enthaltenes Konzept. In der Praxis jedoch war es nötig, einige problematische Punkte aufs Tapet zu bringen: Wer lädt wen zur Beteiligung ein und unter welchen Bedingungen? Inwiefern ist Mitbestimmung über die Themen, Ziele und die Reichweite solcher Prozesse möglich? Indem der Reflexion über Partizipation in der Erhebung selbst Platz eingeräumt wurde, waren auch die Marktorganisationen und ihre politischen Leiter_innen (deren primäres Interesse darin bestand, die kommerziellen Aspekte des Marktes und seine Dienstleistungsinfrastruktur aufzuzeigen) bereit, minoritäre Stimmen wie die der Schüler_innen der interkulturell-zweisprachigen Schule, der Lehrer_innen, der Mütter oder der prekarisierten, nicht organisierten Straßenhändler_innen oder Träger_innen in die Debatte zu integrieren. Die beauftragenden Behörden mussten dagegen akzeptieren, dass sich die Studie neben der architektonischen Dimension auch möglichen Verwaltungsmodellen für den Markt in Verbindung zur Stadt widmen würde. Die Studie untersuchte auch die Beziehungen zwischen dem Markt und seiner unmittelbaren Umgebung. Sie analysierte die mediale Stigmatisierung des Marktes sowie seine Rolle in der Stadtplanung, wobei gezeigt werden konnte, dass andere Märkte in der Zone schrumpften. Ebenso wurde deutlich, dass die kulturelle Infrastruktur, die in dem Gebiet eigentlich in Fülle vorhanden ist, auf das Viertel und die Communities praktisch keine Auswirkungen hatte. Die aus der Studie hervorgegangene Information wurde kollektiv in Karten, Schaubildern, metaphorischen Bildern und Timelines übersetzt, in denen sich die beteiligten Gruppen in der Vielfalt ihrer Anliegen erkennen konnten. Der Markt wurde zur Diskussion gestellt, aber nicht als Kern des Problems, sondern als Teil eines komplexen sozialen und urbanen Ökosystems. Aus diesem Material entstand eine Ausstellung. Die Ausstellung stellte die gesammelte Information zur Verfügung, war aber auch ein Ort der strategischen Aushandlung unter den Beteiligten über Repräsentation und Sichtbarkeit und das, was der internen Diskussion vorbehalten und unsichtbar bleiben sollte. Die Ausstellung war ein strategischer Schritt im Umgang mit der Stadtverwaltung und strebte weder den Anschein von Objektivität noch die harmonisierende Ästhetik kollaborativer Projekte an. Die Hoffnung, damit direkte Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung der Behörden zu haben, erfüllte sich jedoch nicht. Diese Begrenztheit führte zunächst zu Frustration, stieß aber letztlich eine Vervielfältigung der Strategien der Community-Vermittler_innen an, die nun nicht mehr wegen des ›Auftrags‹, sondern aus einer Verpflichtung gegenüber

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den Gruppen am Markt agierten. So entstanden Plakate zur Ernährungssouveränität, Zeitschriften zu unsichtbaren Geschichten des Marktes, ein Video, dessen Drehbuch gemeinsam mit den Marktorganisationen erarbeitet wurde, und eine Infografik.15 Wir gingen von der Ausnahmesituation der Ausstellung zu einem Engagement des Teams in den Museen für eine erweiterte Diskussion über die Situation des Marktes über, aber: Wie konnte dieses Anliegen und diese Arbeit in die Abläufe der Museen eingehen?

Schritte für ein gemeinsames Programm mit den Ausstellungsvermittler_innen Ein erster Schritt hierfür waren die Identifizierung gemeinsamer Ziele (über die einzelnen Museen und die beiden Abteilungen Ausstellungs- und Community-Vermittlung hinaus) und die Debatte über die Bedingungen, die für die Zusammenarbeit nötig waren  – die Überarbeitung der Lohnstufen und Arbeitszeiten, Fokusgruppen, um Bedarf an Weiterbildung und Selbstbildung festzustellen, und die Etablierung von Räumen für einen selbstgestalteten regelmäßigen Austausch. In diesem Prozess stellte sich als gemeinsames Anliegen die Arbeit zu interkultureller Zweisprachigkeit im Bildungskontext und im Zusammenhang mit der Migration von ruralen Gebieten in die Stadt heraus. Wie können die Museen interkulturelle Vermittlungsaktivitäten im Kontext von Debatten wie der um San Roque entwickeln? Ein Großteil der Ausstellungsvermittler_innen war bereits in Kontakt mit Gruppen im Viertel, hauptsächlich auf der Ebene von Einladungen zu Rundgängen in den Museen oder zu spezifischen Veranstaltungen. Das zeigte, dass es Erfahrungen und Anliegen gab, die aber bislang nicht herangezogen worden waren, um daraus weniger sporadische Vermittlungsprogramme zu entwickeln. Auf dieser Basis wurden zwei Aktivitäten parallel in Gang gesetzt. Einerseits wurden thematische Weiterbildungen geplant, andererseits nahmen die Vermittlungsabteilungen gemeinsam mit den Communities im Bildungsbereich rund um den Markt Kontakt für einen Wissensaustausch auf. Bislang fanden Workshops mit externen Vermittler_innen und Wissenschaftler_innen zu pädagogischen Theorien und Modellen, zur Programmplanung in der informellen Bildung, zu kritischer Pädagogik und Bildung in mehrsprachigen Kontexten, zu Vermittlungsstrategien in nicht-geleiteten Settings sowie zu Inklusion und Diversität in der Bildung statt.

15 | Dokumentation »Mercado San Roque: una casa para todos« (Markt San Roque: Ein Zuhause für alle, spanisch), siehe https://www.youtube.com/watch?v=kvjAjftCehE vom 13.04.2016, weitere Dokumente und Materialien unter www.mediacioncomunita​ ria.gob.ec (spanisch) vom 13.04.2016.

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Der beschriebene Prozess läuft seit elf Monaten und hat zu Projekten geführt, von denen einige bereits angelaufen, andere in Planung sind. So entstand ein Bildungs- und Freizeitprogramm für die Schulferien, das von 17 Ausstellungs- und Community-Vermittler_innen in drei Museen in vernetzter Weise durchgeführt wird und so das gängige und konventionelle Format des Ferienprogramms in eine Aktion verwandelt, die im lokalen Kontext Stellung bezieht. Ebenfalls geplant ist eine Wanderausstellung und Vermittlungsaktivitäten zu den Informations- und Bildungsmaterialien, die im Rahmen der Studie am Markt entstanden sind, um diese einerseits mit Händler_innen an ihrem Arbeitsort zu diskutieren, andererseits mit Besucher_innen der Museen. Obwohl spektakuläre Großveranstaltungen weiterhin viel Zeit und Ressourcen in den Institutionen binden, sind wir der Ansicht, dass die Zusammenarbeit zwischen Ausstellungs- und Community-Vermittlung  – in einem gemeinsamen Engagement in den Debatten des umgebenden sozialen Raums  – konventionelle Vermittlungsstrategien zu politischen Räumen entwickelt und die Machtverteilung in der Entscheidungsfindung über Prioritäten in der Institution diskutierbar werden lässt. Wir hoffen, auf diese Weise kollaborative Vermittlung als kollektiven Prozess zu realisieren, indem wir lernen, Forderungen zu stellen und die regulären Abläufe öffentlicher Kulturinstitutionen in die Verantwortung zu nehmen.

Abbildung 1: Workshop der Community-Vermittlung mit dem Frente de defensa del mercado San Roque (Verteidigungsfront des Markts San Roque).

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Abbildung 2: Infografik zu den sozialen Räumen und dem Netzwerk von Akteuren am Markt.

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Abbildung 3 + 4: Infografik zur Ernährungssouveränität; Vertrieb von Kräutern am Markt San Roque.

»Schön für dich, aber mir doch egal!« Kritische Pädagogik in der Vermittlungs- und kuratorischen Praxis im Museum Bernadette Lynch

E inleitung Der vorliegende Text beschäftigt sich mit dem Wohlwollen und der Großzügigkeit des Kulturbetriebs gegenüber seinen Publika, und zeigt damit verbundene Problematiken auf. Im großartigen Roman Duniyas Gaben des somalischen Autors Nuruddin Farah finden sich einige Passagen, in denen Duniya, alleinerziehende Mutter und Krankenschwester in Mogadishu, allen Grund dazu hat, die Spendabilität anderer in Frage zu stellen. Duniya misstraut den ›Freigiebigen‹.1 Wie ein roter Faden zieht sich, so meine These, eine Kultur des ›Gebens‹, des Tuns ›für andere‹ oder ›im Namen anderer‹ nach wie vor durch den Kulturbetrieb und erfasst gleichermaßen die Vermittlungs- wie die kuratorische Praxis. Denn bekanntlich haben Museen im Kern zwei Zuständigkeitsbereiche aus der Zeit des Kolonialismus beibehalten: Sammeln und Ausstellen.2 Museen bilden, wie uns Boast zutreffend in Erinnerung ruft  – ein weiterer Überrest aus der Zeit des Kolonialismus und eines der wesentlichen Ziele der neuen Museologie über die letzten Jahrzehnte.3 Wie der Philosoph Jonathan Ralston Saul 2014 in einer kanadischen Zeitung schrieb: Das eigentliche Problem ist, [dass Menschen] ›Rechte‹ haben und diese aufgehoben wurden. Wenn sie diese Rechte im vollen Sinne des Wortes hätten, müsste man kein Mitleid empfinden. Mitleid ist eine Möglichkeit, sich nicht mit den zentralen Fragen [sozialer Ungleichheit] auseinanderzusetzen. 4 1 | N. Farah: Gifts. 2 | S. Ashley: First Nations on View, S. 31. 3 | R. B. Boast: Neocolonial Collaboration. 4 | »The actual problem is [that people] have ›rights‹, and they’ve been removed [or never allowed]. If they had their rights … in the full sense of the word, you wouldn’t have

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So betrachtet unterminieren derartige Emotionen das Engagement und die Partizipation jener, an die sich die Bestrebungen richten, weil sie als passive Opfer betrachtet und ihrer Würde, Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung beraubt werden. Dies führt häufig zu Wut oder Gleichgültigkeit bei jenen, die wir mit Museumsprojekten zu erreichen suchen. Mit den Worten einer jungen Besucherin lassen sich die Ergebnisse all unserer Bemühungen um Inklusion und Anerkennung dann in einem Satz zusammenfassen: »Schön für dich, aber mir doch egal«.5 Zu den umfangreichen Aktionsforschungsprojekten, die ich in den letzten vier Jahren in Großbritannien durchgeführt habe, gehört Whose Cake is it Any­way? (Wem gehört der Kuchen eigentlich?), ein Bericht für die Paul Hamlyn Foundation. Darin werden die Auswirkungen von Beteiligung und Partizipation in Museen in Großbritannien untersucht.6 In der Erfahrung der Teilnehmenden überwog eine Art ›Empowerment Light‹.7 Mitgestalten bzw. Mitkuratieren werden dabei häufig als oberflächliche politische Geste entlarvt. Meist handelt es sich um Alibiberatungen ohne wirkliche Entscheidungsmacht im Rahmen entmachtender und bevormundender Verhältnisse. Die ›Service‹-Rhetorik versetzt dabei weiterhin das Subjekt in die Rolle eines/r ›Bittsteller_in‹ oder ›Lernenden‹ und die Anbieter_innen (das Museum und sein Personal) in die Rolle von ›Lehrenden/Sorgenden‹ und führt dadurch ein Defizitmodell fort, das von ›Leerstellen‹ bei den Adressierten ausgeht, die durch eine Intervention seitens des Museums zu füllen sind, und nicht von einem Konzept des Wandels mit eigenständigen Menschen als aktiv Handelnde im Zentrum. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass die Museumspartner_innen und -teilnehmenden aus der Community häufig Unzufriedenheit und Frustration zum Ausdruck bringen, finden sie sich doch auf der Empfänger_innenseite musealer Praxen wieder, die ihre Handlungsfähigkeit behindern, indem sie in ihnen permanent bedürftige Individuen sehen. Ungeachtet ihrer anfänglichen Erwartungen ist das die harte Lektion, die Teilnehmende aus der Community schon bald lernen. In »invited spaces« 8 – wie sie Fraser einpräg-

to feel sympathy. Sympathy is a way of not dealing with the central issues of [social inequality].« 5 | Für diese negative Reaktion auf die Positionierung als ›Empfänger_innen‹ des Museums gibt es zahlreiche Belege in meinen umfangreichen Forschungsarbeiten der letzten Zeit zum Thema Engagement und Teilhabe im Museumssektor (B. Lynch: Whose Cake is it Anyway?). 6 | B. Lynch: Whose Cake is it Anyway? 7 | A. Cornwall/V. S. P. Coelho: Spaces for change? 8 | N. Fraser: Die halbierte Gerechtigkeit.

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sam genannt hat – inkludiert zu werden, ist keine Garantie für Teilhabe. Auch Cornwall ruft uns in Erinnerung, dass: einen Platz am Tisch zu haben, eine notwendige, jedoch nicht ausreichende Bedingung ist, von der eigenen Stimme Gebrauch zu machen. Genauso wenig ist die Anwesenheit [der Institution] am Tisch gleichbedeutend mit dem Willen, zuzuhören und darauf einzugehen. 9

Problematisch ist an dieser Situation, dass die Begrifflichkeiten von Zentrum/ Peripherie, von ›wir‹ und ›sie‹ aufrecht erhalten werden und weiterhin die Bemühungen um Lernen und Partizipation seitens all der wohlmeinenden Museen und Museumsmitarbeiter_innen untergraben. Indem es Menschen als ›Empfänger_innen‹ positioniert, übt das Museum unsichtbare Macht aus und beraubt sie ihrer aktiven Handlungsfähigkeit und notwendigen Widerstandsmöglichkeiten. Museen stecken daher weiterhin in dem von Mark O’Neill so genannten »Wohltätigkeitsmodell«10 fest.

D as W ohltätigkeitsmodell muse aler B ildungs - und A usstellungspr a xis In den vergangenen Jahrzehnten gab es intensive Diskussionen über einen wahrgenommenen Konflikt zwischen Bildung/Vermittlung und Kuratorium in Museen. Dabei wurde die kuratorische Arbeit als konservative Kraft in Bezug auf eine Öffnung des Museums für eine Beteiligung der Öffentlichkeit positioniert. In der jüngeren Vergangenheit wurden die Grenzen zwischen Kuratieren und Vermitteln im Zuge des ›Educational Turn‹ in der neuen Museologie bewusst verwischt. In Großbritannien waren Museen seit den 1990er Jahren Teil eines öffentlichen Sektors, der sich zunehmend aktiv um Beteiligung der Öffentlichkeit bemühte: So gab es in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wohnen und Soziales zum Beispiel Beteiligungsverfahren oder Möglichkeiten zum Einsitz in Projektgremien. Angesichts der Erwartungen an stärkere öffentliche Teilhabe und zivilgesellschaftliches Engagement nicht nur in Großbritannien sondern weltweit, wie der rasante Anstieg im Bereich Social Media zeigt, haben sich auch die Museen der direkteren Zusammenarbeit mit Communities zugewandt. Unter dem Druck der Fördergremien der Regierung und der Gemeinden wurde Bürger_innenbeteiligung in Museen 9 | A. Cornwall: Democratising Engagement, S. 13: »having a seat at the table is a necessary but not sufficient condition for exercising voice. Nor is presence at the table [on the part of institutions] the same as a willingness to listen and respond.« 10 | M. O’Neill: From the Margins to the Core?

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ausgebaut, verbunden mit der Anforderung bei Entwicklungsprojekten umfangreiche Konsultationsprozesse durchzuführen, Inputs des Publikums bei Neuaufstellungen von Sammlungen einzubeziehen und Politiken und Strategien in Ko-Entwicklungsprozessen zu definieren. Die Beteiligung von Communities an der aktiven Rolle der Museen in der Stadtentwicklung in ihrem Umfeld wurde in den letzten Jahren ebenfalls zu einem wesentlichen Faktor für die Förderung der Museen. Strategien für eine nachhaltige CommunityArbeit bauten unter anderem auf dem Vorschlag auf, mit Communities stärker in die Museumsarbeit eingebundene Partnerschaften einzugehen. Dies führte seitens der Museen zu einer veränderten Wahrnehmung ihrer Beziehung zu den Besucher_innen von »users and choosers to makers and shapers«,11 eine Entwicklung, die je nach Reaktion des jeweiligen Museums auf diese Anforderungen rasch oder schrittweise, enthusiastisch oder extrem zurückhaltend vonstatten ging. Seitdem stehen Museen in Großbritannien zunehmend unter Druck, Möglichkeiten für öffentliche Partizipation zu bieten. Wie wir jedoch sehen werden, hat es bis zu einem gewissen Grad immer institutionellen Widerstand dagegen gegeben; in vielen Fällen reichten Spannungen und Widersprüche in diese kooperativen Prozesse hinein. Stark von James Cliffords Arbeiten über das Museum als Kontaktzone beeinflusst,12 verfolgen viele Museen in Großbritannien und überall dort, wo es große indigene oder Diaspora-Gruppen gibt, bewusst eine postkoloniale Museumspraxis. Vor einem Jahrzehnt stellte Ruth Phillips fest, dass »new models of partnership and collaboration […] are creating ever more opportunities for Aboriginal intervention into the traditional orientation of the Western museum«13.

11 | A. Cornwall/J. Gaventa: From users and choosers, S. 127. 12 | J. Clifford, Routes. James Clifford (1997) wandte den Begriff »Kontaktzonen« von Mary Louise Pratt (1992) auf den Museumskontext an, um Museen als Orte umkämpfter und kooperativer Beziehungen und Interaktionen vorzuschlagen. Dies hatte großen Einfluss und wurde in den letzten zehn Jahren intensiv diskutiert. Einerseits wurde diese begriffliche Vision als bloße Rekonstruktion staatlicher Reformagenden kritisiert (Bennett 1998). In anderen Untersuchungen jedoch wurde gezeigt, dass das Museum als Ort wirken kann, an dem ein komplexes Gefüge von Anforderungen und Artikulationen zum Ausdruck gebracht, verhandelt und angefochten wird (Macdonald, 2002, McCarthy, 2007, Witcomb, 2003). Eine weitere Perspektive kritisiert Inhalt und Form der Kooperation in kollaborativen Projekten nach dem Modell der Kontaktzone (Boast, 2011) und die Beziehung zwischen Prozess und Produkt (Lynch und Alberti 2010) im musealen Kontext. 13 | R. B. Phillips: Community collaboration in exhibits, S. 96–97.

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Die ›partizipatorische Wende‹ im Museum wird am besten durch den Fokus auf Museumsethik14 und die vorangegangene breite Bewegung für stärkere soziale Inklusion, Verantwortlichkeit und erhöhtes Engagement des Museums als gesellschaftliche Einrichtung verständlich.15 Im Zuge der weit verbreiteten Bestrebungen, eine ›kollaborative Museologie‹ zu begründen, versuchten die Museen in den vergangenen Jahrzehnten durch die Zusammenarbeit mit Communities, sowohl vor Ort als auch in den Herkunftsregionen von Objekten, den Wissensbestand zu ihren ethnografischen Sammlungen zu öffnen und sie partizipatorisch neu zu erschließen.16 Bemängelt wird an partizipatorischen Praxen jedoch, dass sie eine Illusion von Partizipation anbieten, während Entscheidungen in Wirklichkeit tendenziell erzwungen oder aufgrund der institutionellen Kontrolle über Wissensproduktion und ‑verbreitung bzw. mit Berufung auf die Agenda oder die strategische Planung der Institution durchgepeitscht werden.17 In jüngeren Diskussionen wird die Effektivität partizipatorischer Praxen in Museen hinterfragt, insbesondere ihr Unvermögen, institutionelle Macht zu überwinden.18 Trotz guter Absicht kann Partizipation nicht immer ihren Anspruch einlösen, demokratisch abzulaufen. Meist werden die Agenden der Institution dort widergespiegelt, wo Prozesse wie das Recht auf inhaltliche Endredaktion streng durch das Museum kontrolliert werden.19 So betrachtet war das imaginierte Museum als Kontaktzone Boast zufolge immer »an asymmetric space where the periphery comes to gain some small, momentary and strategic advantage, but where the centre ultimately gains […]«20. Im Zuge einer ›partizipatorischen Wende‹ in der neuen ethischen, demokratischen und dialogischen Museologie wurde die Vermittlung bei der Umsetzung einer emanzipatorischen, dekolonisierenden Praxis ins Zentrum ge14 | J. Marstine: The Routledge Companion to Museum Ethics. 15 | R. Sandell/E. Nightingale (Hg.): Museums, Equality and Social Justice; R. Sandell, Social inclusion. 16 | J. Marstine: The Routledge Companion to Museum Ethics; C. Kreps: Liberating Culture; N. Simon: The Participatory Museum. 17 | H. Graham/R. Mason/N. Nayling: The Personal is Still Political; B. Lynch/S. J. M. M. Alberti: Legacies of prejudice; B. Lynch: Collaboration, Contestation, and Creative Conflict; J. Marstine: The Routledge Companion to Museum Ethics; R. Sandell: Museums and the combating of social inequality; R. Sandell: Social inclusion, the museum. 18 | E. Crooke: Museums and Community; B. Lynch/S. J. M. M. Alberti: Legacies of pre­ judice; L. Peers/A. Brown (Hg.): Museums and source communities. 19 | K. Fouseki: Community voices, curatorial choices; B. Lynch: Whose Cake is it Anyway? 20 | R. B. Boast: Neocolonial Collaboration, S. 66.

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stellt und geriet dabei oft mit der kuratorischen Praxis in Konflikt, besonders wenn es um die Interpretation ethnographischer Sammlungen ging. Es zeigt sich jedoch, dass Vermittlung weniger stark Emanzipation repräsentiert, als sie es von sich selbst annimmt. Bewusst möchte ich nicht darauf fokussieren, was den Unterschied zwischen Vermittlung und Kuratierung in ihrem Beitrag zur Aufrechterhaltung von Disempowerment ausmacht, sondern die Aufmerksamkeit auf ihre diesbezüglichen Gemeinsamkeiten lenken.

B eispiele für U n -/B e teiligung Die Erfahrung aus zwei jüngeren Projekten in Großbritannien stützt diese Sichtweise: Das Projekt im Rahmen der Olympischen Spiele 2012 Stories of the World und das Projekt Engaging Curators. Zentral für Stories of the World, das größte je durchgeführte Jugendprojekt in englischen Museen,21 waren zahlreiche Partnermuseen, die mit Jugendlichen World Collections interpretierten und ausstellten. Obwohl Sammlungen im Mittelpunkt des Projekts standen, wurde es nicht von Kurator_innen der ethnografischen Sammlungen, sondern von Mitarbeiter_innen der Bereiche Outreach und Vermittlung geleitet. Die an Stories of the World beteiligten Museen strebten mit ihren ›Kontaktzonen‹-Programmen aktiv eine Verknüpfung der lokalen partizipatorisch ausgerichteten Arbeit mit ihrer kuratorischen Forschung (und Partnerschaften) sowohl mit Diaspora-Gruppen als auch mit Herkunftskulturen aus der ganzen Welt an. Dabei hatten sich die an Stories of the World beteiligten Museen die Schaffung von Räumen für Jugendliche zum Ziel gesetzt, in denen diese ihre eigenen Forschungsprojekte durchführen und aus den Sammlungen ihrer jeweiligen Museen eigene Ausstellungen kuratieren konnten. Die Museen wollten so einen Dialog zwischen drei Communities vermitteln: Menschen in der Diaspora, Gruppen in den Herkunftsländern der Sammlungsobjekte, und Jugendliche, die sich als Kurator_innen versuchen wollten. So entstand ein Hocker, der wackelig auf drei Beinen stand.22 Schon bald zeigte sich, dass sich die Museen selbst bezüglich der ethischen Aspekte und der Wirksamkeit der jeweiligen Praxen nicht im Klaren waren  – was die Begleitung und Unterstützung der Jugendlichen beim Übernehmen der

21 | Siehe: www.artscouncil.org.uk/what-we-do/our-priorities-2011-15/london-2012/​ stories-world/ vom 16.8.2016. 22 | Der dreibeinige Hocker: 1) indigene Communities und Communities in der Diaspora 2) die Mitarbeiter_innen der »Institutionen« (Vermittlung und Kurator_innen – gar nicht so unterschiedlich, wie wir sehen werden) und 3) die Jugendlichen.

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Verantwortung für die Konsequenzen eines derartig komplexen und sensiblen Austausches erschwerte.23 Ein/e Mitarbeiter_in, der/die an der Durchführung des Projekts in einer Region Großbritanniens beteiligt war, berichtete von einem Machtproblem, das dazu führte, dass sich die Beteiligten schlecht gewappnet und machtlos fühlten, die bestehende Hegemonie des Museums infrage zu stellen und die beteiligten Jugendlichen manchmal sich selbst überlassen blieben. 24

Zu Projektende (nach Entwicklung der ›koproduzierten‹ Stories of the WorldAusstellungen, die die Fördergeber_innen gefordert hatten), äußerten beteiligte Jugendliche in manchen Landesteilen, dass die Präsenz des Museums bei all ihren Entscheidungsprozessen spürbar war.25 Im gesamten Prozess kam es nachweislich dazu, was Gaventa als »falschen Konsens«26 bezeichnet. Dabei resultiert das pädagogische Verantwortungsgefühl des Museums in einer subtilen Lenkung der Jugendlichen zum von Giroux so bezeichneten »korrekten Denken«, in welchem dem Diktat der institutionellen Autorität gefolgt wird.27

U n - be teiligte K ur ator _ innen Kurz nach Programmende von Stories of the World zeigten damit verbundene Erfahrungen aus dem Projekt Engaging Curators der Museum Ethnographers Group (MEG) (Berufsverband der Museumsethnolog_innen), dass sowohl bei Kurator_innen als auch bei Vermittler_innen hinsichtlich partizipatorischer, dekolonisierender Praxen Verwirrung herrschte.

23 | Vgl. dazu Journey of Discovery, die Evaluation von Stories of the World im Nordosten Großbritanniens unter Einbeziehung des Tyne and Wear Museums in Newcastle und einer Gruppe regionaler Museen, die mit Jugendlichen aus der Region arbeiten: www. twmuseums.org.uk/geisha/assets/files/Journeys%20of%20Discovery%20eva​l u​a tion. pdf vom 29.6.2015. 24 | »a power problem, so that those involved felt ill-equipped and powerless to challenge the existing museum hegemony, and the young people involved were sometimes left somewhat adrift« (Anonyme/r Mitarbeiter_in). 25 | Vgl. die beeindruckende und in hohem Maße reflektierte Analyse der unmittelbar an der Durchführung von Stories of the World Beteiligten im Nordosten von England: N. Morse/M. Macpherson/S. Robinson, Developing dialogue in coproduced exhibitions. 26 | J. Gaventa: Power and Powerlessness, S. 3. 27 | H. Giroux: Paulo Freire and the Politics of Postcolonialism, S. 4.

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In seiner negativen Reaktionen auf Stories of the World bekräftigte die MEG die ›Wichtigkeit‹ kuratorischer Expertise. Die MEG kritisierte, dass landesweit in Museen Vermittler_innen und Mitarbeiter_innen der Community-Arbeit mit der Leitung eines derart anspruchsvollen nationalen Projekts betraut wurden, in dem es um ethnographische Sammlungen ging. Als Reaktion darauf initiierte die MEG ein Projekt unter dem Titel Engaging Curators,28 um die Rolle von Kurator_innen in den entstehenden partizipatorischen musealen Praxen zu diskutieren und zu stärken. Doch dieses Projekt brachte unbeabsichtigt genauso viele Unsicherheiten bezüglich ›dekolonisierender‹ Praxen zutage wie die Projekte der Kolleg_innen aus Vermittlung und Outreach im Rahmen von Stories of the World.29 Durch Engaging Curators sollte die individuelle und institutionelle Reflexion über die Gestaltung kooperativer Praxen auf konzeptueller wie praktischer Ebene gefördert werden, insbesondere was die Rolle von Kurator_innen in der Community-Arbeit anbelangt. 2013 wurden zwei herausfordernde Workshops (im Londoner Horniman Museum und dem Great North Museum Hancock in Newcastle) mit dem Ziel veranstaltet, die Nutzung ethnografischer Sammlungen in der Community-Arbeit und die Rolle der Kurator_innen dabei zu diskutieren und zu dokumentieren. Zu den Workshops wurden internationale Vortragende eingeladen, um aktuelle Aspekte der Arbeit mit Communities in Museen weltweit zu diskutieren und um persönliche Kontakte zwischen Laien, Expert_innen und der MEG zu knüpfen. Bei den beiden landesweiten Workshops wurde durch die Verwendung von Begriffen wie ›Eignung‹, ›Legitimität‹ der ›Informant_innen‹ oder ›Lernenden‹ im Kontext ›partnerschaftlich geteilter‹ Interpretationen von Sammlungen mit beispielsweise Herkunftscommunities oder Diaspora/lokalen Gruppen klar, in welchem Ausmaß die Institutionen in Kooperationsbekenntnissen der Museen sprachlich nach wie vor im Zentrum stehen. Einmal mehr operierte die Institution offensichtlich innerhalb des Zentrum/Peripherie-Modells und war darin »fest verstrickt«, wie es ein/e Workshopteilnehmer_in formulierte.30 Es war auffallend, wie sehr im gesamten Projekt der MEG weiterhin die Institution die Regeln der Zusammenarbeit definierte. Wie Boast es formuliert: »No matter how much museum studies have argued for a pluralistic approach  […] the intellectual control has largely remained in the hands of the 28 | Siehe: www.museumethnographersgroup.org.uk/en/projects/329-engaging-cura​ tors.html vom 10.8.2016. Internationale Fallstudien des Projekts über partizipatorische Praxen: www.museumethnographersgroup.org.uk/en/resources/400-engagingcura​t ors-case-studies.html vom10.8.2016. 29 | Die Bezeichnung ›Outreach‹ impliziert bereits ein Zentrum-Peripherie-Modell und wurde in vielen Museen durch ›Öffentliche Beteiligung und Partizipation‹ abgelöst. 30 | Anonyme Workshopteilnehmer_in: Engaging Curators Workshop 2013.

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museum«31. Unwillkürlich bleibt aus einer bequemen Position des kolonialen Blicks heraus die Perspektive des Museums weitgehend »panoptic and thus dominating«32 . Vielleicht müssen wir uns in Anlehnung an Borsa in den Museen von den kulturellen, theoretischen und ideologischen Grenzen verabschieden, die uns innerhalb »those places and spaces we inherit and occupy, which frame our lives in very specific and concrete ways«33 Sicherheit geben. Einigen Museumsexpert_innen zufolge, die an den beiden gut besuchten Engaging Curators Workshops teilnahmen (die – wie oben beschrieben – in zwei bekannten Museen mit großen ethnographischen Sammlungen in unterschiedlichen Landesteilen stattfanden), besteht das Problem darin, dass Institutionen weiterhin mit den Konzepten ›wir‹ und ›sie‹ arbeiten, welche die Bemühungen dieser wohlmeinenden Museen um Kooperation und Partizipation unterminieren. Sie stellten folgende Frage in den Raum: Wer ist ›wir‹? – Individuen? – Institutionen? Wie wäre es mit einem Museum, das als Teil oder als Ausdrucksform der Community gedacht wird – zu der man nicht erst eine Verbindung herstellen muss?34

Beide Projekte, sowohl Stories of the World als auch Engaging Curators, haben gezeigt, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die institutionellen Denkweisen bei Kooperationsversuchen mit Menschen außerhalb des Museumskontexts immer effektiv in Frage gestellt werden. Tatsächlich zeigen solche gut gemeinten Versuche der Museen oft eine Situation auf, in der sich das Museum soziale Veränderungen zum Ziel gesetzt hat, sich selbst als Institution jedoch als nur schwer veränderbar erweist.35 31 | R. B. Boast: Neocolonial Collaboration, S. 60. 32 | A. R. JanMohamed: Worldliness-Without-World, Homelessness-as-Home, S. 10. 33 | J. Borsa: Towards a Politics of Location, S. 36. 34 | »Who are ›we‹? – individuals? – institutions? What about thinking of the museum as part of community, or an emanation of community – not as needing to connect to ›it‹«? (Anonyme/r Workshopteilnehmer_in: Engaging Curators Workshop). 35 | An dieser Stelle ist festzuhalten, dass es bemerkenswerte Ausnahmen in manchen Museen gibt, insbesondere unter denen, die an den Fallstudien von Engaging Curators teilgenommen haben. Diese Museen versuchen sehr bewusst ihre Institutionskultur zu verändern und sprechen in bewundernswerter Offenheit über ihre Schwierigkeiten dabei. Siehe: www.museumethnographersgroup.org.uk/en/resources/400-engagingcurators-case-studies.html vom 10.8.2016. Ein besonders interessantes Beispiel sind die National Museums of World Culture in Göteborg (Schweden): The State of Things: www.varldskulturmuseerna.se vom 10.8.2016. (Siehe auch den Film zum Projekt). Für weitere Informationen über das Projekt vgl. auch A. Muñoz: La creación del Museo de la Cultura del Mundo, Gotemburgo, Suecia.

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Warum können Museen ihre Praxis nicht dekolonisieren? Warum ist es so schwierig, ein klareres Verständnis für den sich entwickelnden Auftrag von Museen zu entwickeln? Und warum blieben so viele Fragen am Schluss der Projekte Stories of the World und Engaging Curators unbeantwortet? Was liegt der Unsicherheit der Museen in dieser Arbeit zugrunde? Robert Young vertritt die These, dass die sich durch alle Bereiche des Museums ziehende Bildungspraxen selbst in die lange Geschichte des europäischen Kolonialismus verwickelt sind und […] noch immer sowohl die institutionellen Bedingungen von Wissen als auch die gegenwärtigen institutionellen Praxen bestimmen. 36

Dass sowohl Vermittlung als auch kuratorische Praxis weiterhin in den kolonialen Politiken westlicher Museen eingebettet sind, zeigt sich darin, dass Anerkennungs- und Repräsentationsprozesse sowie die Vermittlung nach wie vor in Praxen sozialer Inklusion verwurzelt sind, die das Museum ins Zentrum stellen und dem europäischen Aufklärungsprojekt verpflichtet sind. Zeitgenössische Vermittlungspraxen und -systeme sind noch immer von kolonialen und neokolonialen Ideologien durchtränkt.37 Das Museum hat sich nicht über das sichere Terrain ›sozialer Inklusionspraxen‹ hinaus entwickelt. Mit den Worten eines/einer Vermittler_in: »Wir stecken fest!«

Wo steht nun die kritische Pädagogik im Museum als Kontaktzone? Der Bereich der Vermittlung wurde in Großbritannien in den letzten Jahrzehnten maßgeblich von der kritischen Pädagogik beeinflusst, inspiriert von der progressiven Pädagogik der 1970er Jahre, allen voran von Paulo Freire.38 Wie auch bei James Cliffords »Kontaktzone«39 besteht die Problematik darin,

36 | R. J. C. Young: White Mythologies, S. viii: »have themselves been implicated in the long history of European colonialism and…continue to determine both the institutional conditions of knowledge as well as the terms of contemporary institutional practices.« 37 | A. R. Hickling-Hudson/J. Matthews/A. F. Woods (Hg.): Disrupting preconceptions; vgl. auch J. Willinsky: Learning to Divide the World. 38 | P. Freire: Pädagogik der Unterdrückten. Später aufgegriffen von Erziehungswissenschafter_innen, z. B. Henry Giroux (1988, 2001, 2009, 2011a, b, Giroux/Witkowski 2011c; 2012) und Museumspädagog_innen, am bekanntesten Eilean Hooper-Greenhill (1994). 39 | J. Clifford: Routes.

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dass Paolo Freires kritische Pädagogik40 bei der Übertragung in den Museumskontext in Bezug auf die Einheit ihrer dekolonisierenden, demokratischen und ›aktivistischen‹ Botschaft falsch interpretiert und übernommen wurde. Das ist angesichts der traditionellen Rolle des Museums für den Staat nicht weiter verwunderlich. Wie Young schreibt, werden Freires Arbeiten oft zitiert und gelehrt, jedoch »without any consideration of imperialism and its cultural representation. This lacuna itself suggests the continuing ideological dissimulation of imperialism today.« 41

In der kritischen pädagogischen Praxis in den Museen scheint in Vergessenheit geraten zu sein, dass die kritische Pädagogik nie nur eine Theorie und Philosophie der Erziehung, sondern immer auch eine ›praxisorientierte soziale Bewegung‹ (Herv. d. Autorin) war.42 Basierend auf marxistischer Theorie bezieht sich kritische Pädagogik auf radikale Demokratie, Anarchismus, Feminismus und andere Bewegungen, die ihrer Definition nach soziale Gerechtigkeit anstreben. Kritische Pädagogik befindet sich heute in einer sehr seltsamen Position. Während sie anscheinend komfortabel verortet ist und seitens so vieler liberaler, postkolonialer, multi-kulturalistischer, postmoderner und feministischer Theoretiker_innen positiv aufgenommen wird […], wird sie durch die gegenwärtige Ordnung der Dinge gezähmt, besänftigt oder sogar kastriert […]. 43

Kritische Pädagogik muss heute, trotz ihrer unbestreitbar großen Bedeutung, mit den Worten von Gur-Ze’ev, leider »much more as part of normalising education and less as part of worthy counter-education [verstanden werden]« 44 .

40 | P. Freire/A. Faundez: Learning to Question; P. Freire/D. Macedo: Literacy. Reading the Word and the World. 41 | R. J. C. Young: White Mythologies, S. 158. 42 | I. Shor: Empowering Education, S. 129. 43 | I. Gur-Ze’ev (Hg.): Critical Theory and Critical Pedagogy Today, S. 6: »Critical Pedagogy faces today a very strange situation. While being positioned in a seemingly comfortable position and warmly received by so many liberals, post-colonialists, multi-culturalists, postmodernists, and feminists […] it is being domesticated, appeased, or even castrated by the present order of things […].« 44 | Ebd.: S. 8.

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K ritische P ädagogik als permanente A useinanderse t zung Ich glaube nicht an Wohltätigkeit. Ich glaube an Solidarität. Wohltätigkeit ist vertikal und somit erniedrigend. Sie verläuft von unten nach oben. Solidarität ist horizontal. Sie respektiert den anderen Menschen und lernt von ihm. Ich kann eine Menge von anderen Menschen lernen. E duardo G aleano 45

Dekolonisierung kann nicht vom politischen Ziel globaler sozialer Gerechtigkeit entkoppelt werden, die auf Solidarität mit anderen basiert. Dabei wird Ausbeutung durch gegenseitiges Empowerment durch nachhaltige, auf lokalen Wissenssystemen und Ressourcen basierende soziale Veränderungen ersetzt.46 Es geht um Solidarität, Aktivismus und Kampf. Vielleicht ist es notwendig, die Rolle der Kurator_innen und Vermittler_innen zu überdenken, um eine neue Art kritischer Pädagogik voranzutreiben, die das Museum in Anlehnung an Mouffe als lebendigen Ort der Auseinandersetzung und Aushandlung nützt, in der unterschiedliche Sichtweisen produktiv gegenübergestellt werden,47 und zwar auf Basis der Begrifflichkeit eines kreativen Kampfes, aus dem neue Identitäten als aktiv Handelnde hervorgehen. Daher liegt die Hauptaufgabe jedes Ansatzes, der eine ›Rückkehr zum Politischen‹ in der kritischen Vermittlung anstrebt, nicht in einer Absage an Konflikt oder, wie Mouffe es formuliert, an »Leidenschaft und Partisanentum.« Vielmehr müssen gerade die Konflikte für demokratische Zielsetzungen genutzt werden, indem Museumsexpert_innen und Community-Partner_innen gemeinsam an der Schaffung kollektiver Formen der Identifikation rund um demokratische Ziele arbeiten.48 Die Museen brauchen daher für ihre Dekolonisierung einen emanzipatorischen Prozess und keine Versöhnung. Unsere Verantwortung als Kurator_innen und Vermittler_innen in dieser im Aufruhr befindlichen Museumswelt besteht darin, uns gemeinsam mit anderen innerhalb und außer45 | E. Galeano: Interview with David Barsmian, S. 146: »I don’t believe in charity. I believe in solidarity. Charity is vertical, so it’s humiliating. It goes from the top to the bottom. Solidarity is horizontal. It respects the other person and learns from the other person. I have a lot to learn from other people.« 46 | Robert Young konzipiert Postkolonialismus als aufstrebende Politik mit sowohl aktivistischen als auch theoretischen Elementen (Young, Postcolonialism). 47 | C. Mouffe: On the Political, S. 5. 48 | Mouffe merkt an, dass Carl Schmitt die Begriffe als »wertneutral« und »utopisch« ablehnte, die suggerieren, dass Politik jeglicher agonistischer Energie entblößt werden könne, da Konflikte der Existenz an sich inhärent seien (Mouffe, The Challenge of Carl Schmitt).

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halb des Museums im Sinne einer kritischen Pädagogik als praxisorientierte soziale Bewegung zu organisieren.49 Robert Janes, ein anerkannter kanadischer Museumsexperte, hat ein Buch mit dem Titel Museums in a Troubled World: Renewal, Irrelevance or Collapse geschrieben.50 Darin argumentiert er, dass das Unvermögen der Museen, sich in diesen Umbruchszeiten über ihren öffentlichen Auftrag klar zu werden, dazu führen wird, dass diejenigen, mit denen sie kooperieren möchten, sie bald als irrelevant erachten und im Regen stehen lassen werden. Deswegen müssen wir uns dringend die Frage stellen, worin nun eine dekolonisierende und sozial gerechte Museumspraxis besteht und, verbunden damit, welche kritische Pädagogik zur Entwicklung der kritischen Fähigkeiten nötig ist, um mit der Umsetzung beginnen zu können. Dieser neue Trend wird insbesondere in Museen deutlich, deren Ansatz auf eine stärker reflexive Praxis51 sowie soziale Verantwortung und ›soziale Gerechtigkeit‹ abzielt, was auch bedeutet, die Kultur des eigenen Museums so zu verändern, dass diese Verantwortung effektiv übernommen werden kann.52 Die einzige Möglichkeit, um sicherzustellen, dass Beteiligung in Museen eingebettet und wirksam werden kann, besteht in diesem konstanten Kreislauf reflexiver Praxis.53 Reflexive Praxis im Museum bedeutet, auf individueller und kollektiver Ebene das Bewusstsein dafür zu stärken, wie unser in sozialen Prozessen erworbenes Wissen und unsere Werte die Qualität unserer Beziehungen zu anderen und die Machtverhältnisse, die diesen zu Grunde liegen, formen. Reflexive Praxis ist keine Nabelschau, sondern besteht vielmehr darin, sich harten Wortgefechten zwischen Museumsmitarbeiter_innen und Community-Partner_innen zu stellen – Vertrauen und Brücken zu bauen, um die Konstruktion von ›wir und sie‹ zu destabilisieren. Dann könnte sich das Museum von einer isolierten Einheit zu einer Ausdrucksform der Community hin entwickeln. Um eine solche kooperative Reflexivität umzusetzen, müssen neue Analysetools für die Bereiche soziale Gerechtigkeit, Partizipation und Konflikt sowie neue Formen partizipatorischer Kommunikation (Dialog und Debatte) entwickelt werden, die auf ein breiteres Spektrum von Fachgebieten, Berufen und sozialen Feldern zugreifen. Mehr Beachtung sollte den Diskursen zukommen, von denen die Sprache geprägt ist, 49 | B. Lynch: Generally Dissatisfied. 50 | R. R. Janes: Museums in a Troubled World. 51 | B. Lynch: Custom-made. 52 | Siehe: Museum Social Justice Alliance: http://sjam.org/ vom 2.7.2015. 53 | Reflexive Praxis ist definiert als »die Fähigkeit, über Handlungen zu reflektieren und dadurch kontinuierlich Lernprozesse zu durchlaufen«, was nach Schön, von der der Ausdruck stammt, »eines der Definitionsmerkmale professioneller Praxis« ist (Schön, The Reflective Practitioner), jedoch nicht als Selbstzweck – sondern immer mit dem Ziel von informierten weiteren Planungs- und Handlungsschritten. Die Anwendung ist weit verbreitet, zum Beispiel unter Gesundheits- und Bildungsexpert_innen.

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die wir in Bezug auf Formen der Partizipation verwenden.54 Solche neuen Fähigkeiten müssen, wie uns Tuhiwai Smith ins Gedächtnis ruft, das Erlernen von Schauen und Hören (und eventuell Sprechen) und das Finden von Sprecher_innenpositionen mit einschließen.55 Das bedeutet, einem Hinweis von Spivak folgend, »listening seriously, not with [a] kind of benevolent imperialism«.56 Wird das Museum als partizipatorische Einrichtung in der Mitte der Zivilgesellschaft positioniert, werden auch Teilnehmende aus der Community nicht länger als ›Empfänger_innen‹, sondern als ›kritische Freund_innen‹ gesehen. Damit wird das Museum zu einem Ort der Auseinandersetzung und Aushandlung, was Amartya Sens Forderung entspricht, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Stimme zu finden und ihre Fähigkeiten zu entwickeln.57 Cornwall und Coelho verweisen auf die Notwendigkeit, das komplexe Wirkungsgefüge zu durchschauen, das zu einer derartigen Stimulation von Partizipation von unten notwendig ist, damit Kooperationen über ein bloßes Abnicken hinausgehen.58 Eine substantielle Form demokratischer Beteiligung durch Partizipation an Museen wird zu einer Erfahrung, bei der die Teilnehmenden ihre politischen Agenden als Bürger_innen ausüben können, was Mobilisierungsprozesse und lokalen kulturellen und sozialen Aktivismus einschließen kann. Das Programm Our Museum59 (derzeit finanziert von der Paul Hamlyn Foundation) ist ein groß angelegtes Experiment, das sich diesen radikalen Veränderungen in der Museumskultur widmet. Es ist ein Programm für kulturelle Veränderung mit einer Laufzeit von mehr als vier Jahren in neun Museen in ganz Großbritannien (darunter große Nationalmuseen) mit dem Ziel, die neue Fokussierung auf Partizipation und reflexive Praxis in Museen und museumsübergreifend zu verankern.60 Our Museum zielt somit nicht ›nur‹ auf Partizipation und Beteiligung ab, sondern auch auf die Nachhaltigkeit in den Museen, indem die Reflexivität in Bezug auf die Beteiligung von Öffentlichkeiten und soziale Verantwortung signifikant gestärkt werden. Diese neuerliche Fokussierung auf die Politik des Museums, seine Werte und Praxen ebnet den Weg für eine kritische Pädagogik, die, wie es der Philosoph John Searle in einem anderen Kontext ausgedrückt hat, auf ›die Schaffung politischer Aktivist_innen‹ 54 | M. A. Hajer: Discourse coalitions and the institutionalisation of practice, S. 45. 55 | L. Tuhiwai Smith: On tricky ground. 56 | G. Chakravorty Spivak: Questions of multiculturalism, S. 60. 57 | A. Sen: Annual DEMOS Lecture, S. 151. 58 | A. Cornwall/V. S. P. Coelho: Spaces for change? 59 | Siehe: http://ourmuseum.ning.com/ vom 1.7.2015. 60 | B. Lynch: Our Museum. A Five Year Perspective. Die vier Evaluationskriterien von Our Museum (abgeleitet aus Whose Cake is it Anyway? Bericht der Autorin, siehe oben) werden detailliert dargestellt in einem pdf-Dokument: http://ourmuseum.ning.com/ page/evaluation-1 vom 1.7.2015.

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abzielt. Er unterstreicht damit das, was wir als umstrittene und antagonistische, moralische und politische Basis für Vermittlungsarbeit als soziale Kraft61 zu verstehen beginnen. Ein derartiger Prozess erfordert eine kooperative Auseinandersetzung damit – wie sie im Rahmen von Our Museum passiert –, was der kritische Pädagoge Ira Shor wie folgt definiert: Denk-, Lese-, Schreib- und Sprechgewohnheiten, die unterhalb die Bedeutungsoberfläche, erste Eindrücke, dominante Mythen, offizielle Behauptungen, traditionelle Klischees, altbekannte Weisheiten und bloße Meinungsäußerungen gehen, um die tiefen Bedeutungen, Ursachen, den sozialen Kontext, die Ideologie und die persönlichen Auswirkungen jedes Handelns, Ereignisses, Gegenstandes, Prozesses, Diskurses, jeder Organisation, Erfahrung, Thematik, Politik oder der Massenmedien zu verstehen. 62

Ein solcher Selbstevaluations- und Veränderungsprozess auf Organisationsebene kann Vermittler_innen und Kurator_innen eine Zusammenarbeit mit ihren kommunalen Partner_innen ermöglichen, in der Ausstellungen und Bildungsprogramme entwickelt werden, die explizit darauf achten und hinterfragen, wer die Kontrolle über die Produktion von Wissen, Werten und Fähigkeiten hat.63 Diese kooperative kritische Analyse kann aufzeigen, wie Wissen, Identitäten und Autorität innerhalb bestimmter sozialer Beziehungsnetze konstruiert werden, jene des Museums miteingeschlossen. Das bedeutet, dass wir als Kurator_innen und Vermittler_innen die Verantwortung haben, die künstlich geschaffenen professionellen Grenzen zu überwinden und bewusst zusammenzuarbeiten, um einen Raum zu schaffen, in dem herrschende soziale Beziehungen, Ideologien und Praxen, die uns die manchmal widerständige Stimme des/der Anderen überhören lassen, endlich wirksam hinterfragt und überwunden werden können. Es bedeutet zu überlegen, welche gemeinsamen Zukunftsaussichten eine derartige Ermächtigung für jeden von uns – Museumsmitarbeiter_innen und ihre Kooperationspartner_innen  – mit sich bringen könnte. Die Entwicklung einer solchen ehrlichen, reflexiven und kooperativen Praxis ist dringend nötig, damit wir unsere soziale Verantwortung wirksamer erfüllen und unsere globalen, öffentlichen Institutionen nützen können – und diese Aufgabe in kollegialer Zusammenarbeit bewältigen. 61 | J. Searle: The Storm Over the University. 62 | I. Shor: Empowering Education, S. 129: »habits of thought, reading, writing, and speaking which go beneath surface meaning, first impressions, dominant myths, official pronouncements, traditional clichés, received wisdom, and mere opinions, to understand the deep meaning, root causes, social context, ideology, and personal consequences of any action, event, object, process, organization, experience, text, subject matter, policy, mass media, or discourse.« 63 | H. Giroux: On Critical Pedagogy.

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Abbildung 1: Projekt Unser Museum: Kommunen und Museen als aktive Partner: Nachdenken mit Projektbeteiligten.

Abbildung 2: Aus dem Bericht Unser Museum. Eine Fünf-Jahres-Perspektive eines kritischen Freundes.

Besucher_in oder Community? Kollaborative Museologie und die Rolle der Vermittlung in ethnologischen Museen Nora Landkammer Bei einer Tagung zu Zukunftsentwürfen für das ethnografische Kuratieren 2015 fragte ich eine der Referentinnen, die ausführlich über den kollaborativen Prozess der Produktion einer Ausstellung an einem ethnologischen Museum mit Communities am Ausstellungsort und international berichtet hatte, nach den Vermittlungsprogrammen zur selben Ausstellung. Was bedeutete dieser kollaborative Ansatz für die Vermittlung? Sie hätten Programme für unterschiedliche Zielgruppen durchgeführt, war die Antwort. Eine Verbindung zwischen dem Anspruch auf horizontale Zusammenarbeit in der Ausstellungsproduktion und der Vermittlungsarbeit zu ziehen, schien nicht naheliegend. Im englischsprachigen Raum, in Auseinandersetzung mit den Folgen des britischen Empire, würde »kaum ein Museum mit ethnologischen, oder auch archäologischen Sammlungen in Erwägung ziehen, eine Ausstellung zu machen, ohne irgend eine Form von Konsultation durchzuführen«, wie Robin Boast beschreibt.1 Wenn auch in Deutschland, der Schweiz und Österreich kaum von einer solchen postkolonialen Reflexivität gesprochen werden kann, sondern viele Ausstellungen weiterhin scheinbar problemlos ›Kulturen‹ überall außerhalb Europas darstellen, hat das Paradigma der kollaborativen Museologie in ethnologischen Museen auch im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Doch nicht nur die Museumsethnologie wendet sich Konsultation und Kollaboration zu. Die Kritik an einer homogenen Stimme der Institution wird auch von der kritischen Kunst- und Kulturvermittlung geäußert. Auch im Feld der Vermittlung findet ein Wandel zu horizontalen Kooperationen mit unterschiedlichen für das Museum relevanten Öffentlichkeiten und gemeinsamer

1 | R. Boast: Neocolonial Collaboration, S. 56, Übers. d. A.

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Wissensproduktion statt.2 Vermittlungsprogramme, die längerfristige Netzwerke etablieren und Zusammenarbeit an die Stelle von einseitigem Wissenstransfer setzen, wie auch Beiträge in diesem Band zeigen, stellen die Grenzen vom Innen und Außen des Museums sowie zwischen den traditionellen Aufgabenbereichen Kuratieren und Vermitteln infrage. Dabei hat sich die Praxis und Debatte über kollaborative Vermittlungsprojekte bisher kaum den ethnologischen Museen zugewandt. Umgekehrt gibt es in der in Deutschland, Österreich und der Schweiz intensiv geführten Diskussion um die Möglichkeiten der Transformation und/oder Dekolonisierung von Völkerkundemuseen kaum Beiträge zur Vermittlung,3 während zugleich kolonialismuskritische Bildung und Vermittlung außerhalb der ethnologischen Museen stattfindet.4 In dieser Situation scheint es sinnvoll, die Schnittstelle zwischen Vermittlung und kollaborativer Museologie genauer zu betrachten. Ich möchte dazu auf einige der Schlüsseltexte zum kollaborativen Paradigma in ethnologischen Museen eingehen, das sich zunächst in Auseinandersetzung mit indigenen Rechten und Forderungen in Nordamerika, Australien und Neuseeland entwickelt hat und das den wesentlichen Referenzdiskurs auch für die deutschsprachige ethnomuseologische Debatte darstellt,5 und diese, sowie Beiträge 2 | Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine: Collaboration; Schnittpunkt et al.: educational turn; N. Landkammer: Vermittlung als kollaborative Wissensproduktion; M. Guarino-Huet/O. Desvoignes/microsillons: Autonomy within the institution. 3 | Eine aktuelle Ausnahme bildet der Band: Irgendwas zu Afrika. Herausforderungen der Vermittlung am Weltkulturen Museum (S. Endter/C. Rothmund) des Vermittlungsteams am Frankfurter Weltkulturen Museum. 4 | Beispiele sind etwa das Projekt Weiße Flecken der Erinnerung, Stadtteilschule Eidelstedt/Kulturagenten für Kreative Schulen in Hamburg (siehe www.afrika-hamburg. de/eidelstedt.html vom 13.04.2016), Projekte von Berlin Postkolonial, zum Beispiel das Vermittlungsprogramm zur Ausstellung Freedom Roads (siehe www.freedom-roads.​d e/frrd/willkom.htm vom 13.04.2016) oder Far, far away? Kolonialrassismus im Unterricht/Globales Geschichtslernen vor Ort, Berlin Postkolonial/Institut für diskriminierungsfreie Bildung/Entwicklungspolitisches Informationszentrum EPIZ Berlin (siehe www.berlin-postkolonial.de/cms/index.php?option=com_content&view=article&id=1 vom 13.04.2016), das Theaterprojekt Vergessene Biografien, Judith Raner (siehe www. vergessene-biografien.de vom 13.04.2016) oder das Angebot Kolonialismus. Macht. Gegenwart, Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt (siehe www.bs-anne-frank.de/work​ shops/kolonialismus-macht-gegenwart/ vom 13.04.2016). 5 | R. B. Phillips: Community Collaboration in Exhibitions; L. Chandler: Journey without maps; I. Karp/C. Mullen Kraemer/S. D. Lavine: Museums and communities; L. Kelly/P. Gordon: Developing a Community of Practice; L. Peers/A. Brown: Introduction; J. Clifford: Routes.

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aus der englischen Museologie, darauf hin befragen, wie ›Vermittlung‹ in kollaborativer Museologie auftaucht. Durch dieses Querlesen und die Zusammenfassung bestehender Kritiken und Debatten6 möchte ich argumentieren, dass eine Reflexion über die unterschiedlichen Traditionen kollaborativer Projekte und ihre gemeinsame Hinterfragung nötig ist, wenn kollaborative Museologie nicht nur zu mehr Legitimation der Museen, sondern zu einer Dekolonisierung 7 und Demokratisierung sowie zu mehr Gerechtigkeit gegenüber unterschiedlichen Anspruchsgruppen 8 auf den Ort und die Sammlungen führen soll. Wie taucht nun Vermittlung und Lernen in der Literatur zu kollaborativen Projekten auf?

V ermit tlung für G ruppen , deren materielle K ultur im M useum gesammelt wurde Von ›Education‹ wird als Teil kollaborativer Praxis erstens gesprochen, wenn es darum geht, die Museumsbestände längerfristig für die Communities nutzbar zu machen, mit denen das Museum zusammenarbeitet. Im Kontext der ›Source Community Collaboration‹ sprechen Peers und Brown von Vermittlungsaktivitäten und Lehrmaterialien als einem möglichen Ergebnis der Zusammenarbeit: Educational materials designed by community members which utilise museum and archival resources, for instance, have become a means through which people can learn

6 | Dieser Text baut stark auf der Arbeit von Bernadette Lynch auf (Lynch 2014a; Lynch 2014b; Lynch/Alberti 2010; Lynch 2011). Einige zentrale Thesen stellt sie auch im Artikel in diesem Band dar (S. 279 ff.). 7 | Dekolonisierung ist ein seit den antikolonialen Befreiungsbewegungen entwickelter und zum Beispiel zwischen postkolonialer Theorie und dekolonialen Ansätzen kontrovers diskutierter Begriff. Gemeinsam ist dem Anspruch der Dekolonisierung, im Gegensatz zu anderen emanzipatorischen Theorien, dass von einer Geprägtheit der Gegenwart im globalen Süden und Norden auf politischer, ökonomischer und epistemologischer Ebene durch den Kolonialismus ausgegangen und ein Handeln gegen diese koloniale Kontinuität gefordert wird. 8 | Ein Anspruch auf das Museum kann unter anderem definiert sein durch Besitzansprüche auf Sammlungsobjekte, Expertise zu Ausstellungsthemen, den Status als Steuerzahler_in, die eine öffentliche Institution mitfinanziert, das Recht auf Selbstrepräsentation, das Recht, exotisierenden oder rassistischen Displays nicht ausgesetzt zu sein, oder das Recht auf Bildung.

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K oll abor ation als V ermit tlung Ruth Phillips, ehem. Leiterin des als Vorreiter kollaborativer Museologie geltenden Museum of Anthropology der University of British Columbia (MOA), beschreibt den Wandel ethnologischer Museen im englischsprachigen Raum unter anderem als Verschiebung von Produkt- zu Prozessorientierung: Der Fokus liegt nicht mehr nur auf der Ausstellung, sondern Ausstellungsproduktion wird erweitert zum Projekt, das ein weites Spektrum an Aktivitäten umfasst – für Forschung, Bildung und Innovation.10 Phillips hebt den pädagogischen Aspekt ernst gemeinter kollaborativer Arbeit hervor: Sie beschreibt sie als beiderseitigen Lernprozess im Sinne einer kritischen Pädagogik, als »bilateral version of the radical pedagogy advocated by Paulo Freire«11. Aus erfolgreichen Kollaborationsprozessen gehen sowohl die Institution als auch die Kooperationspartner_innen mit neuen Erkenntnissen und Verständnissen hervor. Phillips Perspektive steht so für einen Ansatz, in dem kuratorische Arbeit als Kollaboration mit den Herkunftscommunities zugleich Vermittlungsarbeit in einem kritischen pädagogischen Verständnis ist.12 Vermittler_innen kommen jedoch in diesem für die Entwicklung der kollaborativen Museologie einflussreichsten Entwurf als Akteur_innen nicht vor – so wie in vielen Texten, die sich mit Prozessen der ›Community Consultation‹ oder weitergehender kollaborativer Arbeit in ethnologischen Museen beschäftigen. Auch Peers und Brown heben in ihrer Einleitung zum viel rezipierten Band Museums and Source Communities Kollaboration als Prozess von »Learning und Unlearning«13 hervor. Vermittler_innen des Museums tauchen jedoch im Text nur als eine weitere Kategorie von Museumspersonal auf, neben anderen Mitarbeitenden wie zum Beispiel Verkäufer_innen im Museumsshop, die mit kollaborativen Projekten ebenfalls in Berührung kommen sollten. Man 9 | L. Peers/A. Brown: Introduction, S. 6. Eine weitere interessante Arbeit in diesem Bereich ist die Zusammenarbeit von Vermittlungsabteilungen mit indigenen Museen in der kollaborativen Erarbeitung von Programmen (J. R. Baird: Landed Wisdoms). 10 | R. B. Phillips: Community Collaboration in Exhibitions, S. 160 f. 11 | Ebd., S. 162. 12 | Vgl. auch L. Kelly/P. Gordon: Developing a Community of Practice, S. 153; das Museum als ›vermittelnde‹ Institution vgl. K. Message: Multiplying sites of sovereignty through Community and Constituent Services at the National Museum of the American Indian?; R. Mason: Culture Theory and Museum Studies. 13 | L. Peers/A. Brown: Introduction, S. 8.

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könnte hier vielleicht von einer ›anwesenden Abwesenheit‹ von Vermittlung sprechen: Zum einen wird das Museum als inhärent ›vermittelnd‹ betrachtet und Lernen wird hervorgehoben, zum anderen ist die Vermittlung als Funktion und als spezifische Akteurin textuell abwesend.

›The G ener al P ublic ‹ und die E rziehung ›Education‹ scheint in Texten über eine veränderte Konzeption des ethnologischen Museums häufig mit einem rein instruktiven Bildungsverständnis verbunden zu sein und meint dann Information, Aufklärung oder Erziehung. Robert Sullivan, zuständig für den Bereich Public Programmes am National Museum of Natural History der Smithsonian Institution, das auch eine Anthropologieabteilung beinhaltet, bezeichnet Museen als »moral educators«14, die die Verantwortung haben – als traditionell selbst sexistische und rassistische Institutionen, wie Sullivan klarstellt – Wissen, Glauben und Gefühle von Besucher_innen zu verändern.15 Sehr deutlich formuliert einen ›aufklärenden‹ Bildungsauftrag Amy Lonetree in ihrer Besprechung der von indigenen Communities verantworteten Ausstellung am National Museum of the American Indian in Washington D. C. Zielrichtung der Kritik ist die Lesbarkeit von Ausstellungen im Sinn einer Bildungsfunktion für die Nation: Abstraction isn’t a correct choice for a museum hoping to educate a nation with a willed ignorance of its treatment of Indigenous peoples and the policies and practices that led to genocide in the Americas.16

Das Museum soll gegenüber der Mehrheitsgesellschaft gerade wieder als die von der Neuen Museologie infrage gestellte Autorität des Wissens auftreten – von marginalisiertem, verschwiegenem Wissen. Hier wird eine Trennung zwischen ›Besucher_innen‹, die erzogen werden, und Communities, die mitgestalten sollen, eingeführt. Eine fundamentale Kritik an der ›erzieherischen‹ Mission des Museums, die hier wieder zutage tritt, formuliert Tony Bennett. Er stellt diese Funktion in die Tradition des Museums als zivilisatorisches Instrument: »[Are] museums not still concerned to beam their improving messages of cultural tolerance and diversity into civil society as far as they can reach?«17 Das Museum als ›Contact Zone‹ sei eine Fortführung

14 | R. Sullivan: Evaluating the Ethics and Consciences of Museums, S. 257. 15 | Ebd. 16 | A. Lonetree: Missed Opportunities, S. 640 f. 17 | T. Bennett: Culture, S. 213.

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der gouvernementalen Funktion des Museums, diesmal jedoch für die Ideologie des Multikulturalismus. Schultz formuliert die Kritik, dass sich die Debatte um eine kollaborative Museologie auf die Zusammenarbeit zwischen Museum und Kooperationspartner_innen beschränkt und dadurch die Beteiligung eines weiteren Publikums zu wenig Beachtung erhält: Importantly, in pledging themselves to collaboration museums indicate their ongoing commitment to it as a form of social activism, reflecting their belief that its relevance extends beyond those immediately participating in the process. Such a belief, however, implies the need for the visiting public to be a part of the process, a group that is frequently overlooked in discussions of collaboration.18

Dieser undifferenzierte Blick auf das ›Publikum‹, den auch Schultz kritisiert, zeigt sich insbesondere in Beiträgen, die in USA/Kanada/Australien mit einem klaren Konzept von ›Source Community‹ arbeiten und diese Zusammenarbeit am radikalsten hin zu einer tatsächlichen Verschiebung der Machtverhältnisse umgesetzt haben. Das Konzept der ›Source Communities‹ kann prinzipiell kritisiert werden, da es ein instrumentelles Verhältnis zwischen Museen und Gruppen nahelegt. Die Community wird hier als ›Quelle‹ der Sammlungen betrachtet. Die doppelte Verhandlung von gegenseitigem Lernen in kollaborativen Projekten und instruktiver Bildung gegenüber einem Publikum wird aber insbesondere problematisch, wenn der kollaborative Ansatz auf die ehemaligen imperialen Zentren und europäische Migrationsgesellschaften übertragen wird. Kollaborative Museologie meint in den ›Zentren‹ sowohl die Zusammenarbeit mit Akteur_innen in den Ländern, aus denen die Sammlungen stammen als auch die Zusammenarbeit mit der Diaspora in Europa. In den Worten von Wayne Modest und Helen Mears ist ›Source Community‹ dabei mit einem auf Ursprung fixierten Identitätsverständnis verknüpft und läuft Gefahr, die historische Klassifizierung von Menschen, die in den Sammlungen angelegt ist, fortzusetzen. Das Modell der ›Quelle‹ wiederhole, so Modest und Mears,

18 | L. Schultz: Collaborative Museology and the Visitor, S. 2. Interessant ist mit Blick auf das Auftauchen einer edukativen Dimension in mueologischen Texten eine Reihe von Beiträgen, die sich mit der Rezeption kollaborativer Ausstellungen und BesucherInnenperspektiven beschäftigen (vgl. C. Krmpotich/D. Anderson Collaborative Exhibitions and Visitor Reactions; L. Schultz: Collaborative Museology and the Visitor; K. Message: Multiplying sites of sovereignty through Community and Constituent Services at the National Museum of the American Indian?).

Besucher_in oder Community? simplistic approaches based on what are seen as fixed cultural markers for historically unchanging, visibly ›different‹ homogeneous groups; the kinds of groups curators can find historically ›described‹ by groups of material culture and their documentation in museum collections.19

So trägt das Source Community-Konzept weder einem aktuellen Verständnis von Identität (als zusammengesetzt und durch verschiedene Zugehörigkeiten geprägt) Rechnung, noch kann es die Ansprüche auf Mitgestaltung von Museen in einer Migrationsgesellschaft erfassen: Ist die Legitimität von Interessen und Rechten auf Mitsprache lediglich über die ›Herkunft‹ der Sammlungen definiert? Ich verschiebe nun meinen Fokus auf die Debatte in England, um die Frage der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Communities weiter zu differenzieren20 und andere Beziehungen zwischen Vermittlung und kollaborativer Museologie aufzuzeigen, etwa in von Vermittlungsabteilungen durchgeführten kollaborativen Projekten.

K oll abor ative V ermit tlungsprojek te Eine Theoretisierung eines solchen Ansatzes für die Vermittlung in ethnologischen Museen hat Viv Golding aufgrund ihrer Praxis am Horniman Museum in London vorgelegt. Beispielhaft für diese Arbeit ist die Zusammenarbeit mit der Carribean Women Writers Alliance (CWWA) am Horniman Museum bereits in den 1990er Jahren.21 Die Workshops unter dem Titel re-writing the museum mit etablierten und jungen Schriftsteller_innen widmeten sich nicht nur Sammlungsobjekten, sondern auch der Institution, den bestehenden Displays des Museums und dem darin zum Vorschein kommenden Rassismus und Exotismus. So wurde in der Schreibarbeit ein Panel bearbeitet, das weiterhin die »races of man« (sic!) zeigte. Golding beschreibt Vermittlung als Arbeit an den ›Museum Frontiers‹, die ein Umschreiben ermöglichen: »The museum frontier marks a boundary that is also a space of transformation.«22 Golding spricht von der Grenze (frontier) und nicht von der ›Contact Zone‹, da der Begriff in ihren Augen stärker die Notwendigkeit hervorhebt, aktiv an einer Veränderung zu arbeiten. In einer Zone kann man sich einfach aufhalten. Im Sprechen von 19 | W. Modest/H. Mears: Museums, African Collections and Social Justice, S. 300. 20 | Ebd.; W. Modest: Co-Curating with Teenagers at the Horniman Museum. 21 | Die Carribean Women Writers Association ist eine internationale Organisation. An den Projekten am Horniman Museum nahmen hauptsächlich LehrerInnen und DozentInnen in England teil, die Mitglied der CWWA sind. 22 | V. Golding: Learning at the museum frontiers, S. 49.

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der Grenze wird deutlich, dass sie mit Risiko, mit Gefahr und Angst verbunden ist. Die langfristige Zusammenarbeit führte, Golding gemäß, zu vielen unterschiedlichen Resultaten, etwa zu Schulprojekten (Arbeit mit poetischen Texten von Schüler_innen, bei der Schriftstellerinnen als Vermittlerinnen involviert waren), zu einer Publikation (Anim-Addo 2004) oder zur Etablierung einer jährlich stattfindenden Veranstaltung zum Emancipation Day am Horniman (zur Erinnerung an den Jahrestag des britischen Slavery Abolition Act). Golding schlägt zwar in ihrer Beschreibung des Projekts eine Brücke zum kollaborativen Paradigma in der Museologie, wie es Phillips aus der Arbeit in Kanada entwirft, bezieht sich jedoch auf Literatur aus dem Bereich der Vermittlung und Pädagogik. Sie geht andere Wege als die im Konzept der ›Source Community‹ angelegten: Zusammengearbeitet wird mit einer Organisation von Schriftstellerinnen sowohl aufgrund ihrer Arbeit als auch ihrer Positionierung als Schwarze Frauen23 und ihrer politischen Anliegen. Das Projekt steht in der Tradition der Auseinandersetzung von Museen mit Gruppen, deren Stimmen in der dominanten Erzählung des Museums als ausgeschlossen wahrgenommen werden. Die insbesondere in England durch die New-Labour-Regierung geförderte Vermittlungs- und Community-Arbeit der Museen hat zu einer breiten Verankerung von Vermittlungsarbeit nicht nur in den Ausstellungen, sondern in langjährigen Kooperations- und Mitbestimmungsprojekten in den Museen geführt sowie zu einem intensiven Diskurs über deren Theoretisierung und kritische Weiterentwicklung beigetragen.24 Wie Modest die Entwicklung in England beschreibt: At first, many of these initiatives were delivered by peripheral elements [sic!] of the museum: by the education and then freshly-formed outreach teams, but increasingly they have moved closer to the core of museum business and used collections in achieving those outcomes. 25

Anthony Shelton verweist in einem Text über seine Tätigkeit als Kurator am Horniman Museum auf die Durchlässigkeit zwischen den Tätigkeitsberei23 | Zur Schreibweise: »Schwarz (in der Gegenüberstellung zum konstruierten weiß) bezieht sich hier nicht auf biologistische Merkmale, sondern auf das Selbstverständnis einer Personengruppe, die als Reaktion auf die Abwertung ihrer afrikanischen Herkunft im rassistisch-konstruierten Machtgefüge von weiß/Schwarz ihr Bewusstsein genau daher ableitet, Schwarz als positiv umdeutet und dies durch Großschreibung signifikant macht« (Autor_innenkollektiv rassismuskritischer Leitfaden 2015, S. 5). 24 | R. Sandell/E. Nightingale (Hg.): Museums, Equality and Social Justice; B. Lynch: Whose Cake is it Anyway?; A. Dewdney/D. Dibosa/V. Walsh: Post Critical Museology; E. Hooper-Greenhill: Museums and the interpretation of visual culture. 25 | W. Modest/H. Mears: Museums, African Collections and Social Justice, S. 296.

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chen: Die Kontingenzeffekte dieser Prozesse, schreibt er, »today are as likely to be mediated by a museum or exhibitions manager, or an educationalist, as a curator.«26

K oll abor ative P rojek te z wischen A usstellungs - und V ermit tlungsarbeit – P l ädoyer für eine wechselseitige B efr agung In der kollaborativen Praxis insbesondere in Großbritannien treffen zwei unterschiedliche Konzepte und Praxen zusammen – erstens, die aus der kuratorischen Selbstkritik in der Ethnologie und indigenen Forderungen entstandene, vom Begriff der ›Source Community‹ geprägte Idee mit den ehemals ›Beforschten‹ Beziehungen der Zusammenarbeit aufzubauen, und zweitens, die Forderung nach Beteiligung und Zusammenarbeit mit vom Kulturbetrieb als marginalisiert wahrgenommenen Gruppen, mit dem Ziel der demokratischen Nutzung von Kulturinstitutionen, die zentral Projekte der Vermittlung antreibt. Das Auseinanderdividieren der beiden Diskurse ist deshalb wichtig, weil die jeweilige Verortung Konsequenzen dafür hat, wie die Kooperationspartner_innen angesprochen und eingeladen werden und welche Rolle ihnen in Projekten zukommt. Obwohl Shelton bereits vor 15 Jahren von einer Durchlässigkeit unterschiedlicher Rollen in dieser Community-Arbeit ausgeht, bilden sich die unterschiedlichen Diskurse und die Gaps zwischen ihnen doch in der Debatte ab. Wayne Modest schreibt über die Anforderung als Kurator mit Jugendlichen zusammenzuarbeiten und fragt in seinem Text über eines der meistdiskutierten jüngeren kollaborativen Projekte an ethnologischen Museen (Initiative Stories of the World im Rahmen der Londoner Olympiade) rhetorisch: I was especially interested in what yield could be gained by working with a group of people based around age categories as opposed to a source. Were they also a source or even a community?27

Aus der Frage spricht ein von der Verknüpfung zu Menschen über die Geschichte der Sammlungen geprägter Diskurs kollaborativer Projekte, der sich vom Vermittlungsdiskurs der Beteiligung von Publikumsgruppen unterscheidet. In einer Reflexion zum selben Großprojekt, das auch von Bernadette Lynch28 in dieser Publikation diskutiert wird, stellen Morse, Macpherson und 26 | A. Shelton: Curating African Worlds, S. 5. 27 | W. Modest: Co-Curating with Teenagers at the Horniman Museum, S. 100. 28 | Vgl. S. 279 ff.

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Robinson wiederum fest, dass in ihrer Projektanlage – eine Ausstellung in Zusammenarbeit zwischen dem Vermittlungsteam des Museums, jugendlichen Ko-Kurator_innen und Personen, deren Geschichte mit der Herkunft der Objekte verknüpft ist, produzieren zu wollen – die politischen Fragen der ›Source Community Collaboration‹ zu kurz kamen: The main tension in the rhetoric here is around the language of youth empowerment and creativity and the use of world cultures collections, without a direct acknowledgement of the politics of working with originating communities, or reference to museum practice in this area. 29

Ich gehe ich davon aus, dass das Zusammentreffen der beiden kollaborativen Ansätze, der Neugestaltung der Beziehung zu den ›Source Communities‹ aus dem kuratorischen Diskurs und der Zusammenarbeit mit diversen Publika aus dem Vermittlungsdiskurs, produktiv ist, wenn sie sich gegenseitig befragen. Denn beide Traditionen sind mit Problematiken verbunden. Der Fokus auf die Sammlungen und auf das Recht, über die Institution mitzubestimmen, der die kollaborative Museologie prägt, kann dazu beitragen, das oftmals paternalistische Verständnis von Beteiligung in der Vermittlung zu hinterfragen. Die Tradition der ›sozialen Inklusion‹ und ›Partizipation‹ sind das Erbe, mit dem kritische und kollaborative Vermittlung bis heute kämpft. So beschreibt auch Modest bei Stories of the World die Befürchtungen der Vermittlerinnen, die Jugendlichen könnten frustriert werden, wenn sie mit zu schwierigen Aufgaben konfrontiert werden.30 Er kritisiert die im Museum verbreiteten Vorannahmen über das Verhalten und die Interessen von Jugendlichen. Die Gefahr paternalistischer Bevormundung, indem die Vermittler_innen bereits im Vorfeld zu wissen glauben, wozu und wie die Teilnehmer_innen ermächtigt werden sollen, ist eine der inhärenten Spannungen in Kollaborationen, die aus der Tradition der Vermittlung, Gruppen ins Museum zu ›inkludieren‹, kommen. Eine Konzeption der Kooperationspartner_innen als Expert_innen eines im Museum nicht vorhandenen Wissens und die Perspektive eines Rechts auf Mitbestimmung, wie sie in der kollaborativen Museologie angelegt ist, statt einer Einladung zur Teilhabe, ist für den Diskurs kollaborativer Vermittlung nötig. Eine zweite Problematik kollaborativer Vermittlungsprojekte ist ihre traditionelle Verortung an den Rändern der Institution. So schreibt Golding über die zuvor beschriebene Zusammenarbeit mit der CWWA: »CWWA collaboration occurs ›at the margins‹ of the main museum discourse, which left the 29 | N. Morse/M. Macpherson/S. Robinson: Developing dialogue in co-produced exhibitions, S. 95. 30 | Modest: Co-Curating with Teenagers at the Horniman Museum, S. 106.

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centre of the museum unchanged.«31 Das ›Umschreiben‹ des Museums durch die Projektteilnehmer_innen hätte die zentrale Definitionsmacht über die Ausstellungen, die Selbstdefinition des Museums und seine Strukturen unberührt gelassen. Wenn auch Bemühungen vorhanden sind, die Beschäftigung mit unterschiedlichen Öffentlichkeiten »from the margins to the core«32 zu bringen, wie Richard Sandell einfordert, bestimmt die Vermittlungstradition des ›Community Engagement‹ weiterhin eine Struktur von Zentrum und Peripherie, in der das Museum Communities als ›außen‹ in Projekte einbindet. Wie Lynch kritisiert, bleibt durch die Struktur Zentrum-Peripherie das Museum in seiner Machtposition, während unterschiedliche Communities in die Rolle von Bittsteller_innen gedrängt werden, die über einzelne Projekte Stücke vom Kuchen abbekommen.33 Eine Dekolonisierung muss sich dagegen auf Organisationsentwicklung konzentrieren und ›Community Engagement‹ als Institutionen durchdringende Praxis verstehen.34 Ein Zusammendenken mit kollaborativer Praxis, die direkt die Sammlungen und die Definitionsmacht über diese betrifft und eine langfristige Veränderung der Verantwortlichkeiten für Objekte beinhaltet, wie sie zum Teil in der indigenen Aneignung von Museen stattfindet, kann für diese Entwicklung von ›Community Engagement‹ allgemein hilfreich sein. Umgekehrt kann die Aufmerksamkeit für den Prozess gegenüber dem Produkt und die Expertise in der Interessensfindung in Gruppenprozessen aus der Vermittlung den Objektfokus hinterfragen, der kuratorische kollaborative Projekte häufig prägt. Die Gefahr, dass das Interesse des Museums an den Sammlungsobjekten die (vielseitigen, nicht nur auf Objekte fokussierten) Interessen von Communities dominiert, ist dem Begriff ›Source Community‹ inhärent: Die Vorstellung einer Quelle ist nicht nur mit einem auf Ursprung fixierten Identitätsverständnis verknüpft, wie oben ausgeführt, sondern auch von den Sammlungsobjekten aus definiert. Dies legt nahe, Kollaboration als instrumentell für die Notwendigkeit des Museums zu begreifen, mit der Sammlung umzugehen und Kooperationspartner_innen zu den ›Informant_innen‹ zu machen, von denen in einem weiterhin kolonialen Setting Information bezogen wird. So zitiert Fouseki eine/n Teilnehmer_in eines Konsultationsprozesses: »People at the museum just had a fascination about all the objects they got, ›oh look at this object‹, you know, and not thinking so much about the people who were talking in the museum.«35 31 | V. Golding: Learning at the museum frontiers, S. 60. 32 | R. Sandell/E. Nightingale (Hg.): Museums, Equality and Social Justice. 33 | B. Lynch: Whose Cake is it Anyway?, S. 16 f. 34 | Ebd., S. 22 f. 35 | K. Fouseki: Community voices, curatorial choices, S. 186 f. Das Beispiel bezieht sich auf ›Community Consultation‹ im Rahmen der Ausstellungen in London 2007 zur

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Die gemeinsame Hinterfragung der beiden kollaborativen Traditionen ist nötig – und dies ist mein zentraler Punkt –, um das Konzept der ›Community‹ zu reflektieren. Weder ein ausschließliches Verständnis von Communities als Anspruchsgruppen auf die Sammlungsobjekte noch eine Ansprache von Gruppen unter dem Gesichtspunkt tatsächlicher oder imaginierter Benachteiligung, wie es noch immer viele Vermittlungsprojekte prägt, wird der Komplexität möglicher Interessen, Expertisen und Ansprüche auf Mitsprache in ethnologischen Museen gerecht  – zumal in aktuellen Migrationsgesellschaften. Wenn die Transformation ethnologischer Museen nicht reiner »Transformismus«36 sein soll, in dem kollaborative Projekte den harmonisierenden Nachweis der Beteiligung erbringen, sondern ethnologische Museen zu kritischen Forschungs-, Ausstellungs- und Lernorten werden wollen, muss das Museum sich in die Komplexität der Verortungen möglicher Communities hineinbegeben – in Bezug auf Rassismus, Interessen, Geografie, berufliche und soziale Positionen, Selbst- und Fremddefinitionen. Es muss sich mit vielen, vielleicht auch überschneidenden und konfligierenden selbstdefinierten Communities in Prozesse des Lernens und Verlernens begeben sowohl in kollaborativen Projekten als auch in der ›alltäglichen‹ Arbeit von Vermittler_innen mit Schulklassen und anderen Besucher_innengruppen. Der spanische Vermittler und Theoretiker Javier Rodrigo Montero beschreibt eine solche Arbeit: »Das Museum wäre dann nicht der zentrierende Brennpunkt der Kultur, nicht einmal ein Katalysator, sondern ein weiterer Vermittler in einem Netzwerk diverser, differenter und selbst antagonistischer sozialer Akteure.«37 Dann ist es vielleicht möglich, dass das Museum zum politischen Raum und zum Post-Museum wird, wie es Eilean Hooper Greenhill entwirft, »where diverse groups and subgroups, cultures and subcultures may push against and permeate the allegedly unproblematic and homogeneous borders of hegemonial cultural practices.«38

Erinnerung an das Verbot des Sklavenhandels 1807. Es handelt sich dabei zwar nicht um Projekte in ethnologischen Museen, aber da es um den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit und Kooperation mit afrikanischen und karibischen Diaspora-Organisationen in England geht, kann die hier thematisierte Problematik daran illustriert werden. 36 | N. Sternfeld: Erinnerung als Entledigung. 37 | J. R. Montero: Experiencias de mediación crítica y trabajo en red en museos, S. 78, Übers. d. A. 38 | E. Hooper-Greenhill: Museums and the interpretation of visual culture, S. 140.

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Whitehead, Christopher/Eckersley, Susannah/Lloyd, Katherine/Mason, Rhiannon (Hg.): Museums, Migration and Identity in Europe. Peoples, Places and Identities, Farnham: Ashgate 2015. Williams, Paul: Memorial Museums. The Global Rush to Commemorate Atrocities, Oxford/New York: Berg 2007. Willinsky, John: Learning to Divide the World. Education at Empire’s End, Minneapolis: University of Minnesota Press 1998. Witcomb, Andrea: Re-imagining the Museum. Beyond the Mausoleum, London: Routledge 2003. Wonisch, Regina/Hübel, Thomas (Hg.): Museum und Migration. Konzepte, Kontexte, Kontroversen, Bielefeld: transcript 2012. Wonisch, Regina: »Museum und Migration. Einleitung«, in: Regina Wonisch/ Thomas Hübel (Hg.), Museum und Migration. Konzepte, Kontexte, Kontroversen, Bielefeld: transcript 2012, S. 9–32. Young, Robert J. C.: Postcolonialism. A Very Short Introduction, Oxford: Oxford University Press 2003. Young, Robert J. C.: White Mythologies. Writing History and the West, New York: Routledge 1990. Zhuang, Justin J.: »How Chinese Urbanism Is Transforming African Cities«, in: ArchDaily vom 20.07.2014, siehe www.archdaily.com/?p=529000 vom 13.04.2016. Zibechi, Raúl: Territories in Resistance. A Cartography of Latin American Social Movements, Oakland: AK Press 2012.

Autor/innen und Herausgeber/innen

Bonita Bennett, Direktorin, District Six Museum, Cape Town, Südafrika. Seit 2008 Direktorin des District Six Museum, nachdem sie am selben Museum seit 2005 den Bereich Sammlungen und Forschung geleitet hat. Sie ist ausgebildete Pädagogin und hat einen Hintergrund als Anti-Apartheid-Aktivistin. Auf ihren BA-Abschluss an der Universität Kapstadt (1982) folgten ein postgradualer Abschluss in Erziehungswissenschaft (1984) und ein Master of Philosophy in Angewandter Soziolinguistik (2005), bei dem ihr Forschungsschwerpunkt die Erzählungen traumatischer Erlebnisse von Menschen waren, die aus verschiedenen Bereichen Kapstadts vertrieben wurden. Alejandro N. Cevallos, Koordinator der Abteilung Forschung und CommunityVermittlung Städtische Museen, Quito, Ecuador. Er studierte Kunst an der Universidad Central del Ecuador und visuelle Anthropologie an der Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales. Er unterrichtete Kunst an der Sekundarschule, war Teil des Kunst/Forschungskollektivs El Bloque (2007–2010) und Forscher am Instituto de la Ciudad (2011). Den Bereich Mediación Comunitaria gestaltete er zunächst am Centro de Arte Contemporáneo de Quito, bevor er die Koordination der Abteilung Forschung und Community-Vermittlung der städtischen Museen von Quito übernahm. Er ist Forscher im Netzwerk Another Roapmap School und kooperiert mit der Plattform Gescultura-Chawpi. Barbara Coutinho, Gründungsdirektorin und Programmleiterin MUDE – Museu do Design e da Moda, Colecção Francisco Capelo, Lissabon (seit 2006)/GastAssistenzprofessorin für Architekturtheorie und -geschichte, Instituto Superior Técnico, Universität Lissabon, Portugal. Master in zeitgenössischer Kunstgeschichte. Abschluss eines Postgraduiertenstudiums für Kunstpädagogik im Bereich Kunstgeschichte. Zur Zeit Arbeit an der Promotion über den Ausstellungsraum in Museen des 21. Jahrhunderts. Das Spektrum ihrer Arbeit umfasst Forschung, Lehre, Kuratieren und Pub-

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lizieren. Von 1998 bis 2006 Leiterin der Abteilung Vermittlung im Ausstellungsbereich am Kulturzentrum von Belem. Valeria R. Galarza, Mitarbeiterin Mediación Comunitaria, Städtische Museen, Quito, Ecuador. Studium der Erziehungswissenschaften und Soziologie; aktuell Masterstudium in Erziehungswissenschaften. Ihre Erfahrungen aus der Schulpraxis mit Kindern und Jugendlichen bringt sie aktuell in ihre Tätigkeit im Bereich Mediación Comunitaria der Städtischen Museen in Quito ein. Interessenschwerpunkte ihrer Arbeit sind die Weiterbildung von Vermittler_innen, die interkulturelle zweisprachige Bildung und Bildungspolitiken. Jan Gerchow, Direktor Historisches Museum Frankfurt, Frankfurt a. M., Deutschland. Studium der Geschichte, Germanistik, Philosophie und Promotion in mittelalterlicher Geschichte (Universität Freiburg i. Br.), Wissenschaftlicher Assistent Universität Freiburg i. Br. (Historisches Seminar), Wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für Geschichte, Göttingen. Kurator Ruhrlandmuseum Essen (1993–2004), seit 2004 Direktor des Historischen Museums Frankfurt und dort seit 2006 mit der Umbauplanung und Neukonzeption des Museums befasst. Seit 2014 Mitglied der Jury des European Museum of the Year Award (EMYA). Janna Graham, Leiterin Public Programmes und Forschung, Nottingham Contemporary, Nottingham, Grossbritannien. Nachdem sie ursprünglich Geographie studiert hat, hat Janna Graham innerhalb und ausserhalb der Kunst eine ganze Reihe von pädagogischen und künstlerischen Projekten sowie mehrere Forschungsprojekte initiiert und aktiv an ihrer Umsetzung mitgewirkt. Sie war Projektkuratorin an der Serpentine Gallery, wo sie mit anderen zusammen daran arbeitete, das Centre for Possible Studies aufzubauen, einen Ort für Residencies für Künstler/innen, Forschung und Bildung in der Tradition von popular education im Umfeld der Londoner Edgeware Road. Graham ist auch Mitglied des zwölf Personen umfassenden internationalen Klangkunstkollektivs Ultra-red. Susan Kamel, Professorin im Fachbereich Gestaltung und Kultur, Lehrgebiet »Sammeln und Ausstellen in Theorie und Praxis«, HTW Berlin, Deutschland/ Projektleiterin, Goethe Institut Golf-Region, Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate. Ist an den Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Praxis, Kuratieren und Vermitteln tätig. Zurzeit arbeitet sie für ein Kooperationsprojekt der Staatlichen Museen zu Berlin und des Sharjah Museums Department für das Goethe-

Autor/innen und Herausgeber/innen

Institut Abu Dhabi. Sie war nacheinander verantwortlich für zwei Forschungsprojekte über die Vermittlung islamischer Kunst- und Kulturen an Museen der Arabischen Welt und an deutschen Museen. Nora Landkammer, Kunstvermittlerin und stellvertretende Leiterin des Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste, Zürich, Schweiz. Dort forscht sie aktuell im Projekt »TRACES – Transmitting Contentious Cultural Heritage with the Arts« und wirkt im internationalen Netzwerk »Another Roadmap for Arts Education« mit. Nach dem Lehramtsstudium in Wien war sie als Vermittlerin in Ausstellungen zeitgenössischer Kunst tätig. Sie lehrt im Master of Arts in Art Education Curatorial Studies der Zürcher Hochschule der Künste und arbeitet an einem Dissertationsprojekt zu dekolonisierenden Perspektiven in der Vermittlung an ethnologischen Museen. Andres Lepik, Professor für Architekturgeschichte und Kuratorische Praxis/ Direktor Architekturmuseum, Technische Universität München, Deutschland. Studierte Kunstgeschichte und Germanistik an den Universitäten Augsburg und München. Ab 1994 war er Kurator an den Staatlichen Museen zu Berlin, ab 2007 am Museum of Modern Art, New York. 2011 Loeb-Fellow an der GSD, Harvard University, seit 2012 Professor für Architekturgeschichte und kuratorische Praxis an der TU München und Direktor des Architekturmuseums. Hanno Loewy, Direktor, Jüdisches Museum Hohenems, Österreich. Ist Literatur- und Filmwissenschaftler, Ausstellungsmacher und Publizist. Von 1990 bis 2000 Auf bau des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt a. M. als Gründungsdirektor. Promotion über Medium und Initiation, Filmtheorie und Märchen bei Béla Balázs. Lehrbeauftragter an der Universität Konstanz. Seit 2004 Direktor des Jüdischen Museum Hohenems, seit 2012 Präsident der Association of European Jewish Museums. Zahlreiche Publikationen über Mediengeschichte, Jüdische Gegenwart und Vergangenheit. Bernadette Lynch, Autorin, Forscherin und Consultant, London/Manchester, Grossbritannien. Ist eine international bekannte Expertin im akademischen und musealen Bereich mit 25-jähriger Erfahrung im Management britischer und kanadischer Museen. Die ehemalige stellvertretende Direktorin des Manchester Museum (Universität Manchester, Grossbritannien) forscht, berät und publiziert zu einem breiten Spektrum von Aspekten der partizipativen Demokratie in Museen und der Dekolonisierung der Museumspraxis. Sie ist Honorary Research Associate am University College London (UCL).

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Adriana Muñoz, Kuratorin, National Museums of World Culture, Göteborg, Schweden. Hat an der Universität Göteborg in Archäologie promoviert. Für das International Council of Museums (ICOM) hat sie sich eingehend mit den Problemen im Zusammenhang mit dem illegalen Import/Export von aus Plünderungen stammenden archäologischen Objekten aus Lateinamerika beschäftigt. In ihrer Dissertation hat sie die Beziehung zwischen politischen Paradigmen und der Art und Weise untersucht, wie Sammlungen interpretiert wurden. Seit 1998 war sie an mehreren Forschungsprojekten beteiligt, wobei sie sich in den letzten Jahren mit Methoden der Dekolonisierung befasst hat. Franziska Mühlbacher, Kuratorin Vermittlung, Museum für Gestaltung Zürich, Schweiz. Studium der Kunstpädagogik an der Universität für angewandte Kunst Wien. Zertifikatskurs Kunst- und Kulturvermittlung am Institut für Kulturkonzepte Wien. Kuratorin Vermittlung am Museum für Gestaltung Zürich und Lehrbeauftragte im Master of Arts in Art Education Curatorial Studies an der Zürcher Hochschule der Künste. Zuvor selbstständige Kunst- und Kulturvermittlerin u. a. am MAK Wien und an der Österreichischen Nationalbibliothek. Zahlreiche Vermittlungsprojekte im Themenbereich Kunst- und Kulturgeschichte, visuelle Gestaltung, Architektur und Gegenwartskunst. Carmen Mörsch, Professorin und Leiterin des Institute for Art Education (IAE) der Zürcher Hochschule der Künste, Zürich, Schweiz. Ausgebildet als Künstlerin, Kulturwissenschaftlerin und Kunstvermittlerin. Seit 1994 Arbeit in der Kunstvermittlung und kulturellen Bildung. Von 2004 bis 2008 Juniorprofessorin für Materielle Kultur und ihre Didaktik an der Universität Oldenburg. Seit April 2008 Leiterin des Institute for Art Education (IAE) der Zürcher Hochschule der Künste. Ihr Forschungsinteresse gilt der Geschichte und Gegenwart von Kunstvermittlung als hegemoniekritischer Praxis. Juana C. Paillalef, Direktorin, Museo Mapuche de Cañete Ruka kimvn taiñ volil Juan Cayupi Huechicura, Cañete, Chile. Ich bin eine Mapuche, Mutter und Grossmutter, aus Maquehue in der Region Araukanien im Süden Chiles. Ich habe an der Universidad de la Frontera in Temuco studiert und ein Stipendium der Universidad de San Simón in Cochabamba (Bolivien) erhalten, wo ich meinen Master of Arts in Interkultureller zweisprachiger Bildung (educación intercultural bilingüe) gemacht habe. Als Leiterin des Museo Mapuche in Cañete konnte ich durch dessen Modernisierung und Dekolonisierung einen Beitrag zu einer Neuinterpretation der Geschichte dieses Gebiets leisten.

Autor/innen und Herausgeber/innen

Angeli Sachs, Professorin, Leiterin des Master of Arts in Art Education und der Vertiefung Curatorial Studies an der Zürcher Hochschule der Künste/Kuratorin am Museum für Gestaltung Zürich, Schweiz. Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Soziologie an den Universitäten Augsburg und Frankfurt a. M. Vor ihren jetzigen Tätigkeiten Leiterin Ausstellungen am Museum für Gestaltung Zürich, Programmleiterin für Architektur und Design beim Prestel Verlag München, Assistentin am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Architektur Museum in Frankfurt a. M. und Pressereferentin des Frankfurter Kunstvereins. Zahlreiche Ausstellungen und Publikationen zu Architektur, Design, Kunst und Kultur des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart. Julia Schäfer, Kuratorin und Kunstvermittlerin, Stiftung Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, Deutschland. Studium der Freien Kunst, Kunstvermittlung und Germanistik. Seit 2003 Kuratorin und Kunstvermittlerin an der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, 2001–2003 Volontariat an der GfZK. 2000 Assistenz am New Museum of Contemporary Art, New York, 1999–2001 freie Mitarbeiterin am Kunstmuseum Wolfsburg. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Vermittlung als kuratorische Praxis. Lehraufträge an der Burg Giebichenstein, Halle/Saale, an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig, an der Akademie der Künste, Wien und der Bundesakademie für Kulturelle Bildung, Wolfenbüttel. Thomas Sieber, Professor, Zürcher Hochschule der Künste, Zürich, Schweiz. Hat in Hamburg und Basel Geschichte und Germanistik studiert und im Anschluss das Diplom für das Höhere Lehramt erworben. Schwerpunkte seiner Lehre im Master of Arts in Art Education, Vertiefung Curatorial Studies und Bachelor Art Education sind Geschichte und Theorie von Museum, Ausstellung und Kulturvermittlung. Seit 2005 war er in verschiedenen Leitungsfunktionen an der Zürcher Hochschule der Künste tätig. Zuvor arbeitete er u. a. als Kurator am Landesmuseum Zürich, Leiter Weiterbildung und Entwicklung an der HGK Basel und Leiter der Abteilung Bildung & Vermittlung am Historischen Museum Basel. Paul Spies, Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin und Chef-Kurator des Landes Berlin im Humboldt-Forum, Berlin, Deutschland. Abschluss in Kunstgeschichte und Archäologie an der Universität Amsterdam. 1987 gründete er D’arts, ein Beratungsbüro, das Museumskonzepte, Ausstellungen, Publikationen, Marketingkampagnen etc. erarbeitet hat. 2009 wurde er Leiter des Amsterdam Museum und des Willet-Holthuysen-Museums. Paul Spies hat die Erneuerung der Präsentationen und der Organisation dieser Museen geleitet.

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Nora Sternfeld, Professorin und Leiterin Curating and Mediating Art, Aalto University Helsinki, Finnland/Co-Leiterin ecm – educating, curating, managing – Masterlehrgang für Ausstellungstheorie und Praxis, Universität für angewandte Kunst, Wien, Österreich. Sie ist Mitbegründerin und Vorstandsmitglied des Wiener Büro trafo. K, das an Forschungs- und Vermittlungsprojekten an der Schnittstelle von Bildung, Kunst und kritischer Wissensproduktion arbeitet sowie im Kernteam des Wiener Netzwerks schnittpunkt. ausstellungstheorie & praxis. Sonja Thiel, Wissenschaftliche Koordinatorin museOn | weiterbildung & netzwerk, Universität Freiburg/Kuratorin und Projektleiterin »Freiburg sammelt«, Städtische Museen Freiburg, Deutschland. Studium der Geschichte und Philosophie in Leipzig und Berlin, momentan laufendes Promotionsprojekt zum partizipativen Sammeln. Zuvor Volontariat und freie Mitarbeit am historischen museum frankfurt (2011–2014) als Kuratorin des Ausstellungsformats »Stadtlabor unterwegs«. Linda Vlassenrood, Programmdirektorin China und Indien, International New Town Institute, Almere/Programm Managerin Eindhoven, Het Nieuwe Instituut, Rotterdam, Niederlande. Die Architekturhistorikerin wurde im Jahr 2000 Kuratorin am Netherlands Architecture Institute (NAI), dessen Chefkuratorin sie von 2008 bis 2011 war. In dieser Funktion prägte Linda Vlassenrood ein stärker publikumsorientiertes und auf gesellschaftlichem Engagement beruhendes Programm. Ihre Abteilung entwickelte erfolgreich ein vielseitiges Programm von Ausstellungen, Vorträgen, Veranstaltungen und museumspädagogischen Aktivitäten sowohl für Fachleute als auch für breitere Bevölkerungsgruppen. Derzeit arbeitet sie als freie Kuratorin, Autorin und Consultant für Architektur, Stadtplanung und Design. Syrus Marcus Ware, Program Coordinator of the AGO Youth Program, Art Gallery of Ontario, Toronto, Kanada. Ist bildender Künstler, Aktivist und Kunstvermittler. In den vergangenen zehn Jahren war er Programmkoordinator des Jugendprogramms der Art Gallery of Ontario. In dieser Funktion leitete er mehrere preisgekrönte Projekte und Kooperationen, darunter »The Living Room Project« und »The Youth Solidarity Project«. Er ist Doktorand an der York University in Toronto.

Abbildungsnachweise

Den Radius erweitern  | 19 Abb. 1: © Katrien Franken. Abb. 2–4: © Mike Bink.

Ausstellen & Vermitteln als integriertes Konzept  | 33 Abb. 1–4: © Museum für Gestaltung Zürich/ZHdK.

Im Dialog mit den Besuchern  | 47 Abb. 1–4: © Ulrike Myrzik.

PUZZLE  | 57 Abb. 1–4: © GfZK, Foto: Sebastian Schröder. Abb. 5: V-Team der GfZK/Christin Müller, September 2010. Abb. 6: Team der GfZK, Julia Kurz und Christin Müller.

Kuratieren auf dem Weg zu einer neuen Beziehung zwischen Menschen, Orten und Dingen  | 69 Abb. 1: Foto: Luisa Ferreira. Abb. 2: Foto: Luke Hayes. Abb. 3: Foto: Luisa Ferreira.

Identität und Zweideutigkeit  | 87 Abb. 1–4: © Jüdisches Museum Hohenems, Foto: Dietmar Walser.

Partizipation in Stadtgeschichtemuseen  | 97 Abb. 1: © Amsterdam Museum, Foto: Monique Vermeulen. Abb. 2: © Amsterdam Museum, Foto: Caro Bonink. Abb. 3: © Amsterdam Museum, Foto: Monique Vermeulen. Abb. 4: © Amsterdam Museum, Foto: Richard Lotte.

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Migration exponieren  | 109 Abb. 1–2: © Schweizerisches Nationalmuseum, Foto: Danilo Rüttimann. Abb. 3: © Shedhalle Zürich, Foto: Susi Bodmer. Abb. 4: © Shedhalle Zürich, Foto: Guido Henseler.

How AccessIting?  | 125 Abb. 1–2, 4–6: © Susan Kamel. Abb. 3: © bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte

Das partizipative Stadtmuseum  | 141 Abb. 1: © hmf, Foto: Fred Kochmann. Abb. 2: Grafik: Gardeners. Abb. 3: © hmf, Foto: Petra Welzel. Abb. 4: © hmf, Foto: Alex Urban. District Six Museum  | 153 Abb. 1 + 3: © District Six Museum. Abb. 2 + 4: © District Six Museum, Foto: Paul Grendon.

Im post-repräsentativen Museum  | 189 Abb. 1: Foto: Lisl Ponger. Abb. 2: Mit freundlicher Genehmigung vom Künstler und ADN Galeria, Barcelona. Foto: Jens Ziehe für NBK, Berlin. Foto für das Videostandbild: mounir fatmi. Abb. 3: Foto: Werner Prokop. Abb. 4: Foto: Nora Sternfeld.

Die Anatomie eines UND  | 203 Abb. 1–4: © Marcus Kern.

Wem gehört das Kunstmuseum?  | 223 Abb. 1–4: © Syrus Marcus Ware.

Wiphala  | 241 Abb. 1 + 3: © Världskultmuseet. Abb. 2: © Världskultmuseet, Foto: Ferenc Schwetz.

Dekolonisierung des Mapuche-Museums in Cañete  | 255 Abb. 1–5: © Museo Ruka Kimvn taiñ Volil-Juan Cayupi Huechicura.

Abbildungsnachweise

Bildung in Museen, Community-Vermittlung und das Recht auf Stadt im historischen Zentrum von Quito  | 267 Abb. 1: Foto: Antonio Collados. Abb. 2: Inhalte: Mediación comunitaria, Fundación Museos de la Ciudad. Design: Cristian Tapia. Abb. 3 + 4: Inhalte: Mediación comunitaria, Fundación Museos de la Ciudad. Design: Jaime Villaroel.

»Schön für dich, aber mir doch egal!«  | 279 Abb. 1: http://ourmuseum.org.uk/reflecting-with-stakeholders-bernadette-lynch/. Abb. 2: http://ourmuseum.org.uk/wp-content/uploads/A-five-year-perspective-fr​ om-a-critical-friend.pdf.

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Edition Museum Ulli Seegers Ethik im Kunstmarkt Werte und Sorgfaltspflichten zwischen Diskretion und Transparenz Mai 2017, ca. 200 Seiten, kart., ca. 28,99 €, ISBN 978-3-8376-2625-4

Michael Kraus, Karoline Noack (Hg.) Quo vadis, Völkerkundemuseum? Aktuelle Debatten zu ethnologischen Sammlungen in Museen und Universitäten 2015, 378 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3235-4

Robert Gander, Andreas Rudigier, Bruno Winkler (Hg.) Museum und Gegenwart Verhandlungsorte und Aktionsfelder für soziale Verantwortung und gesellschaftlichen Wandel 2015, 176 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3335-1

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Leo von Stieglitz, Thomas Brune (Hg.) Hin und her – Dialoge in Museen zur Alltagskultur Aktuelle Positionen zur Besucherpartizipation 2015, 144 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2761-9

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Katerina Kroucheva, Barbara Schaff (Hg.) Kafkas Gabel Überlegungen zum Ausstellen von Literatur 2013, 328 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2258-4

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Felix Ackermann, Anna Boroffka, Gregor H. Lersch (Hg.) Partizipative Erinnerungsräume Dialogische Wissensbildung in Museen und Ausstellungen 2013, 378 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2361-1

Monika Kaiser Neubesetzungen des Kunst-Raumes Feministische Kunstausstellungen und ihre Räume, 1972-1987 2013, 298 Seiten, kart., zahlr. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-2408-3

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