Cosmographia: Eine Erdbeschreibung um das Jahr 700

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N O M IN A GERM ANICA A R K lV F Ü R GERM ANSK N AM N FORSKN IN G XJTGIVET A V J Ö R A N

SAH L G RE N .

10.

RAVENNAS ANONYMUS:

COSMOGRAPHIA EINE

E R D B E S C H R E I B U N G U M D A S J A H R 7 00

ZU M

ERSTEN

MAL

JO SE P H

ÜBERSETZT

VON

SCH N ETZ

U P P S A L A 1951 ALM Q V IST & W IK S E L L S BO K TRYCK ERI AB

Vorwort. Der anonyme Geograph von Ravenna, dessen Wirken, nach gewis­ sen sprachÜchen Indizien zu urteilen, in die ersten Dezennien des achten Jahrhunderts fällt, ist ein in verschiedener Hinsicht wichti­ ger Schriftsteller. Schon allein die Fülle der Namen, die er bietet, macht sein Werk bedeutsam. Der Wert desselben ist umso höher anzuschlagen, als die Namen in ihrem überwiegenden Teile aus dem Altertum stammen; so erscheint unser Autor als Vermittler bezw., soweit das von ihm überlieferte Material aus später verlorenen Quellen genommen ist, als Retter antiken Gutes. Schon längst hat man gesehen, dass der Rav. in erster Linie ein Exemplar jener Karte benutzte, von der die sogenannte Tabula Peutingeriana die einzige auf uns gekommene Kopie darstellt. Dass sich damit ein W eg er­ öffnet, verschiedene mit der Tabula zusammenhängende Fragen auf­ zuwerfen und zu klären, liegt auf der Hand. Ferner ist von W ich­ tigkeit, dass uns eine nicht geringe Zahl von Werken, die der Rav. gelesen zu haben angibt, unbekannt ist. Erweist sich seine Ver­ sicherung als glaubwürdig — und das lässt sich tatsächlich zeigen — , dann ergeben sich besondere Fragestellungen und eine Erweiterung unserer Kenntnis der Geschichte der Geographie. Was aber in der Schrift des Ravennaten direkt einzigartig ist und ihr ein ganz besonderes Interesse verleiht, ist die von ihm im ersten Buch beschriebene Weltkarte. Unser Autor hatte natürlich eine Vorlage; er mag sie — in Schwarz — nachgezeichnet haben, aber er gab — und das war seine eigene Erfindung — seiner Karte eine eigenartige Einteilung. Er schuf nämlich nicht etwa ein aus Meri­ dianen und Parallelkreisen bestehendes Gradnetz, sondern teilte die Erde in 24 Sektoren, in der Weise, dass er zunächst die Südhälfte der Erde ins Auge fasste und, nicht vom Kartenmittelpunkt, son­ dern höchstwahrscheinlich von Ravenna aus, den Lauf der Sonne von ihrem Aufgang bis zu ihrem Untergang, also während eines;

IV Lichttages, zur Zeit des Frühlingsäquinoktiums beobachtete. Die Dauer des Lichttages drückte er in hergebrachter Weise mit der Zahl von 12 Stunden aus. In jeder dieser 12 Stunden steht die am Eande des Weltmeeres wandelnde Sonne über einem anderen Ozean­ land: so kommt er dazu, die am Ozean in der Südhälfte der Erde lie­ genden Länder auf 12 Stunden zu verteilen, wodurch hora aus einem Zeitbegriff ein Raumbegriff wird. Die gleiche Konstruktion über­ trägt er auf die Kordhähte (KachthäKte) der Erde. So schuf er sich die Möglichkeit, den Lesern seiner Kosmographie ein Bild von der Lage der Länder zu vermitteln, ohne dass dieselben der direkten Anschauung einer Karte bedurften. Bei der mit vielem Aufwand von Worten einhergehenden Erläu­ terung seiner Kartenkonstruktion kommt er, weil er offenbar W i­ derspruch fürchtet und daher das Bestreben hat, allen nur denkba­ ren Einwänden zu begegnen und ihnen von vornherein die Spitze ab­ zubrechen, dazu, verschiedene „Problem e“ zu erörtern. Dadurch aber gewährt er uns einen interessanten Einblick in die Fragen, die ihn und andere bewegten, und überhaupt in das Denken seiner Zeit, das einerseits durch die Rücksichtnahme auf die auch in naturwis­ senschaftlichen Dingen als unbedingte Autorität geltende heilige Schrift, andererseits durch die geozentrische Weltanschauung seine Farbe und sein eigenartiges Gepräge erhält. So ist also die Kosmographie des Ravennaten unleugbar ein wert­ volles Werk. Aber welche Irrwege ist die damit sich beschäftigende Forschung gegangen! Die Kamen, die wohl von jeher die meiste Anziehungskraft auf die Gelehrten ausübten, wurden bei Restitu­ tionsversuchen, oft in erstaunlicher Weise, willkürlich „verbessert“ , weil man es unterliess, zuerst die beim Ravennaten herrschenden paläographischen Verhältnisse festzulegen. Man glaubte ferner, dass sich in dem Periplus des V. Buches, weil dessen Kamensformen oft nicht identisch mit denen des II. bis IV . Buches sind, eine Son­ derquelle des Ravennaten zu erkennen gebe, und berief sich, um diese These zu stützen, auf gewisse Bemerkungen in der Handschrift 0 ; aber man hatte versäumt, die Handschrift G auf ihren W ert hin zu untersuchen, und sah infolgedessen nicht, dass man seine Schlüsse auf wertlosen Interpolationen aufgebaut hatte.1 1 Die Überlieferung der Kosmographie, den Charakter der Handschrift C und die paläographischen Verhältnisse habe ich hauptsächlich in meinen „U ntersu­ chungen zum Geographen von R avenna“ (München 1919) klargestellt.

V Ich sehe davon ab, auf Missverständnisse hinzuweisen, denen das I. Buch mit der Beschreibung der Weltkarte und den damit zusam­ menhängenden Ausführungen ausgesetzt war, und betone nur noch, dass man in der so ausserordentlich wichtigen Frage nach den Q u e l­ len des Ravennaten sich wesentlich nur von vorgefassten Meinun­ gen leiten liess, die nicht selten in geradezu leidenschaftlicher Weise verfochten wurden.1 Zusammenfassend aber ist zu sagen, dass der Fortschritt in der Untersuchung des Bavennaten dadurch gehemmt war, dass es nur äusserst wenige gegeben hat, die das ganze Werk durchstudiert oder auch nur gelesen haben. Schuld daran war hauptsächlich die Dar­ stellungsweise des Schriftstellers; sein Stil mit seinen schleppenden Perioden und dem Mangel einer einfachen, klaren Gedankenent­ wicklung erschwerte die Lektüre ungemein, so dass selbst ein so be­ deutender Forscher wie D ’A v E Z A C 12 erklärte: „il est souvent difficile de decouvrir le sens de ses periodes; pour beaucoup de passages il faut meme y renoncer tout ä fait“ . In Anbetracht dieser unleugbaren Tatsache ist es mehr witi bei vielen anderen Autoren am Platze, einmal die ganze Schrift des Ravennaten zu übersetzen. Eine solche Übersetzung lege ich hier vor und möchte zunächst angeben, nach welchen Gesichtspunkten ich sie anfertigte. Es war nicht meine Absicht, den Inhalt der Kosmographie in einem flüssigen, leicht lesbaren Stil wiederzugeben, vielmehr wollte ich den Stilcharakter des Werkes wahren und mit philologischer Genauigkeit verfahren, so dass es jederzeit möglich ist, die Richtigkeit meiner Übersetzung und die Übereinstimmung mit dem Original nachzuprüfen. Um das Yerständnis zu erleich­ tern, mache ich dann und wann kleine Zusätze in runden Klammern: (. . .). Im I. Buch, das mehr als die übrigen erklärungsbedürftig ist, gebe ich ausserdem den Inhalt eines jeden einzelnen Kapitels (nur Kap. 2 und 3, sowie 9 und 10, endlich 11 und 12 werden zusam­ mengefasst) unter dem Text in knapper Form an. Ich bemerke, dass ich an verschiedenen Stellen meine lateinische Ausgabe des Schriftstellers verbessere. 1 S. hiezu meine „Untersuchungen über die Qnellan der Kosmographie des anonymen Geographen von R avenna“ (Sitzungsberichte der Bayerischen A k a ­ demie der Wissenschaften, Jahrgang 1942, H eft 6). Ich rückte hier dem Quellen­ problem m it den Mitteln der Textvergleichung und Textkritik, besonders aber m it der früher nicht angewandten Methode der sprachwissenschaftlichen Analyse ein­ zelner Namensformen zu Leibe. 2 Le Ravennate et son expose cosmographique (Rouen 1888).

VI Dankerfüllt möchte ich hervorheben, dass Herr Professor J. SvENNUNG von der Universität in Uppsala mich veranlasst hat, die Übersetzung der Kosmographie anzufertigen, dass er ferner der werdenden Arbeit grosses Interesse entgegenbrachte, den Text des Ravennaten gründlich studierte und in einer Reihe von Fällen kri­ tische Bemerkungen sowie wertvolle eigene Vorschläge machte, wie man insbesondere aus den Fussnoten ersehen kann, die ich mit seinem Namen, geschrieben 8v., kennzeichnete. Auch die Eintei­ lung des Werkes in Paragraphen, die für den Leser den Vorteil einer rascheren Orientierung hat, dem Forscher aber seine wissenschaft­ liche Arbeit in verschiedener Beziehung erleichtert, geht auf seine Anregung zurück. Das Zeichen einer dauernden Hilfsbereitschaft war es, dass er trotz seiner vielfachen beruflichen und wissenschaft­ lichen Inanspruchnahme mir manche Mühe abnahm, z. B. im Ma­ nuskript notwendige Einträge (Einsetzen von Seitenzahlen frühe­ rer lateinischer Ausgaben) machte und die Drucklegung überwachte. Vor allem aber fühle ich mich ihm dafür zu Dank verpflichtet, dass er sich dafür eingesetzt hat, die Publikation meiner Übersetzung zu ermöglichen. Und wie Herrn Professor Svennung, so ist es mir auch ein Be­ dürfnis Herrn Professor JÖRAN SAHLGREN besonderen Dank aus­ zusprechen; denn er hatte die Liebenswürdigkeit, meine Überset­ zung unter die Arbeiten der von ihm herausgegebenen Serie „ N o ­ mina Germanica“ aufzunehmen. Günzburg (Bayern) im März 1950.

Abkürzungen. I.

Der Ravennas Anonymus (Rav.) und sein Abschreiber Guido von Pisa (im J. 1118).1 H andschriften des Ravennaten.

A — Vaticanus Urbinas 961, saeculi x iv . B = Parisinus bibl. nat. 4794, s. x iii. C = Basiliensis F . V . 6, s. x iv , f. 8 5-1 0 8 .

H an dsch riften des G uido. Gb = Bruxellensis 3 89 9 -3 91 8, saec. xiii. Ge = Mutinensis bibliothecae Estensis miscell. a. W . 8. 14, s. x v . Gf = Florentinus Riccardianus 881, s. x iii ex. oder s. x iv in. D ie Handschriften m (16. Jh.), r (15. Jh.), v (15. Jh.) werden in der Übersetzung nicht zitiert.

vm Tab. = Tabula Peutingeriana, ed. K o N R A D M iL L E R : Itineraria Rom ana, S tu tt­ gart 1916. Tac. = Cornelius Tacitus (um 5 5 -1 2 0 n. Chr.) Vulg. — Vulgata der Bibel.

III. Abhandlungen, Zeitschriften usw. Arch. hist. Ver. Unterfr. = Archiv des historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg. Arch. skbv. Phil. = Archiv für slavische Philologie. M a . Südarm. = Jos. M A R K W A R T , Südarmenien und die Tigrisquellen nach grie­ chischen und arabischen Geographen. W ien 1930. M iller, It. R . = K o N R A D M iL L E R , Itineraria R om ana. Stuttgart 1916. P (oder PP) = P iN D E R -P A R T H E Y : s. oben unter I , Ausgaben. Pall. = J. S v E N N U N G , Untersuchungen zu Palladius und zur lateinischen Fachund Volkssprache. Uppsala 1935. Ph. — Philologus. Zeitschrift für das klass. Altertum . Leipzig. Darin die Aufsätze: J o s E P H ScH N E T Z, Arabien beim Geographen von Ravenna, Bd. 77, p. 3 8 0 -4 1 2. -------- Rigilinus, Bd. 80, p. 109 -1 1 2. -----— Jordanis beim Geographen von Ravenna, Bd. 81, p. 86—100. -------- Neue Beiträge zur Erklärung und K ritik des Textes der Ravennatischen Kosmographie Bd. 87, p. 8 0 -1 1 3 ; Bd. 89, p. 8 5 -1 0 1 ; Bd. 89, p. 2 2 6 -2 4 9 . Quell. = J o sE P H SCHNETZ, Untersuchungen über die Q u e lle n der Kosmographie des anonymen Geographen von Ravenna. Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der W issenschaften, München, Phil.-hist. A bteil., Jg. 1942, H eft 6; S. 1 -8 7 . R E = P A U L Y - W i s s o w A , Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Rechtsrh. A l. = JoS E P H ScH N E T Z, Die rechtsrheinischen Alamannenorte des G eo­ graphen von R avenna, in ,,Arch. hist. Ver. U n te r fr /4 L X (1918). Sch. (oder Schn.) = J. ScH N E T Z. Sv. = J. SVENNUNGr. Thes. = Thesaurus linguae Latinae. Lipsiae 1 90 0 -. XJ. = J o s E P H ScH N E T Z, Untersuchungen zum Geographen von Ravenna. Pro­ gramm des W ilhelmsgymnasiums in München (sowie im Selbstverlag). M ün­ chen 1919. 88 S. Z . Gesch. Oberrheins = Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. N . F . 36 (1921). Z N F = Zeitschrift für Namenforschung, herausgegeben von J o s E P H ScH N E T Z, München & Berlin, seit 1937, früherer Titel: Z O N F = Zeitschrift für Ortsnamenforschung (19 2 5-1937). Hier erschienen ab 1925 folgende Aufsätze: Jo s. ScH N E T Z, Croucingo, Z O N F I 1 7 6 ff. (vgl. V I 247). ------- Tadoriton, Maporiton, Z O N F I I 231; I I I 123. -------- Unnamen beim Geogr. v. R a v ., Z N F X I V 8 5 -9 7 . -------- Namenprobleme beim Geogr. v. R a v ., Z N F X V 8 6 -9 6 . G iA N D O M E N ic o SE R R A , Del sito ignorato di Diovia „oppidum Liguriae“ delT anonimo Ravennate, Z N F X V 1 40-147. Jos. ScH N E T Z, Spätägyptische und koptische Nam en beim Geogr. v. R av ., Z N F X I X 9 -2 4 . Z . Schweiz. Gesch. = Zeitschrift für Schweizerische Geschichte.

korr. [ ] < > ( ) + *

= = = =

korrigiere. das Eingeschlossene ist unecht. das Eingeschlossene ist ergänzt. das Eingeschlossene dient nur zur Erläuterung. bedeutet: v e r d e r b t überliefert. bedeutet: in v e r b e s s e r t e r Gestalt in den T ext gesetzt.

I. Buch, 1. 1. Diejenigen, welche unter dem Befehl Gottes dienen, sein l a s. Gesetz zu beobachten begierig trachten und das Gut eines glück- 1 p seligen Lebens und unbegrenzter Herrlichkeit zu geniessen verlangen, erweisen ohne Arglist des Geistes und ohne Heuchelei ihren Nächsten Liebe entsprechend der häufigen Ermahnung von Seite desjenigen, der im Himmel den Herrscherstab in Händen J**ctf*nnd die Reiche auf Erden in der Gewalt hat, und nehmen es ernsthaft auf sich, allen Bittenden umsonst zu geben, so wie sie von ihm, unserem Gott und Heiland, (umsonst) erhalten haben.*1 2. Deshalb musst d u , ^ mein teuerer Bruder, nachdem du mich göttlichen Anhauch in dir verspürend antriebst, dass ich durch Schwarzzeichnungen dir die W elt genau darstelle, dich erinnern, 2 P . dass der Herr in den heiligen Schriften sagta: ,,W o warst du, als ich die Grundfesten der Erde legte? Sag mir das, wenn du Einsicht hast. W er hat ihre Masse gesetzt, wenn du es weisst, oder wer hat die Mess­ schnur über sie gespannt?“ 3. Und anderswob: ,,Wer hat die Höhe des Himmels und die Breite der Erde und die Tiefe des bodenlosen Meeres gemessen?“ Aber wollen wir nur mit dem Propheten ausrufenc: ,,Wie grossartig sind deine Werke, o Herr! Alles hast du in Weisheit gemacht.“ l b s. K ap . 1.

Veranlassung zur Abfassung des W erkes.

römischen Kaiser sind Quellen des Autors.

Schriften aus der Zeit der

Einteilungsprinzip

seiner Karte.

D er in 12 Stunden sich vollziehende Gang der Sonne entlang dem Südrand der Erdscheibe wird zur Zeit des Frühlingsäquinoktiums beobachtet und dieser vom Ozean gebildete Saum nach dem Muster der Sonnenuhr in zwölf Stunden einge­ teilt. a Job 38, 4.5.

b Sirach 1, 2.

0 Psalm. 103, 24.

1 Ph. 89, 93. Aber gratis dare . . . acceperunt ist nicht zu ändern, weil Reminiszenz aus N . T ., Matth. 10, 8 {Sv.). 1 - o 0 64 5 o

3 P.

2 a S.

4 P.

4. Aber was mit m e n s c h lic h e m Yerstand möglich ist: ich habe die Bücher vieler Gelehrten mit Christi Hüfe gelesen, soweit ich solches vermag. 5. Ich sage dir: mag ich auch nicht in Indien ge­ boren und nicht in Irland auferzogen sein, mag ich auch nicht Mauritanien durchwandert, zugleich auch nicht Skythien durchforscht haben oder überhaupt in allen vier Himmelsrichtungen1 der W elt gewandert sein, so habe ich mir doch auf dem Wege t h e o r e t is c h e r Belehrung die Kenntnis der ganzen W elt und der Siedlungsräume der verschiedenen Völker einverleibt, so wie diese W elt in den Büchern derselben ( = der Gelehrten) zur Zeit vieler K a is e r beschrieben worden ist. 6. So sagt ja ein gewisser Gelehrter*1: „Hie Römer haben, indem sie sowohl durch ihre Weisheit sich sehr viele versicherten als auch sehr viele durch Dienstleistungen ergötzten oder durch Waffengewalt niederkämpften, sich die ganze Welt innerhalb langer Zeiträume untertan gemacht.“ Das bestätigt mir auch das heilige Evangelium Christi, unseres Gottes, mit den Wortenb: „E s ging ein Befehl von Kaiser Augustus aus, es solle die ganze Erde beschrieben werden.“ 7. Aber auch die Lehre der heiligen Apostel wurde über die ganze W elt verbreitet wie geschrieben istc: „E s ging über die ganze Erde ihr Schall aus und an die Enden des Erdkreises ihre W orte.“ 8. Ich werde nun wie vorausgeschickt, mit Christi Hilfe deinem Befehl verschiedenes genau zu erzählen, wenn möglich nachkommen, es müsste denn sein, dass verschiedene Völker wegen ihres grossen Übermutes fremde beziehungsweise bessere Länder begehrend oder vielleicht von anderen Völkern schwer bedrängt von dem Heimatboden weg in einen anderen Siedlungsraum übertraten und vielleicht, wie es barbarische Gepflogenheit ist, die Länder, Städte und Flüsse jetzt anders benannt werden, als sie vordem geheissen haben. 9. Aber um zu meinem Thema zu kommen: Allen Gebildeten ist bekannt, dass der gütige Baumeister des Universums, Christus, unser allmächtiger Herr, alles aus nichts geschaffen und grosse Leuchten zum Schmuck des Himmels gemacht hat, mittels welcher geschickte Männer nach dem Willen des Schöpfers die Zeitabschnitte berechnen a V gl. Jamblichus bei Jordanis R om ana p. 3 Mo. b Luc. 2, 1. c Psaim. 18, 5. 1 *quadr-igo,

eine Büdung wie surd-igo, mell-!go, ist etwas, was mit „vier“

in Beziehung steht.

W ie nun impetigines „räudige Stellen“

heisst, so bedeutet

quadrigines „die vier (Haupt-)Stellen oder Gegenden, die vier Himmelsgegenden“ .

3 können. 10. Also können wir, da die Sonne den ganzen Tag ( = die Zeit der Helle) am Südrand auf Befehl des mächtigen Schöpfers wandelt und eine jede einzelne Tagesstunde zur Äquinoktialzeit, wie eine Sonnenuhr durch ihre Einteilung, durch ihren Lauf bezeichnet, aller Völker Länder, die in einem w^eiten Umkreis am Gestade des unpassierbaren Ozeans gelegen sind, bestimmen und mit Christi Hilfe genau bezeichnen. 2. 1. Ungefähr in der ersten Stunde des Tagesabschnittes findet man die Geschlechter der In d e r , hinter deren Rücken in der östlichen Gegend etwas seitwTärts ganz nahe ( = hinter dem Rücken) eine menschenleere1 und ungangbare Wüste liegt, die, wie man finden 2 b S. wird, mit menschlichen Schritten auf keine Weise ganz durchmessen 5 P. wird. Auf der Stirnseite des genannten Indien aber sind benachbart die unteren Perser, d. h. die Parther, aber auch andere Völker kom­ men dem genannten Indien nahe; zwischen diesen und der gering ausgedehnten Wüste der Agareni geht das alte Land Madian-Nabathei durch. 2. Ungefähr in der zweiten Stunde des Tagesabschnittes ist das Land der P e rse r, in welchem.der sehr grosse PersischeMeerbusen hingeschrieben ist, der zum Ozean des obersten Teiles des Südab­ schnittes gehört. 3. Ungefähr in der dritten Stunde des Tagesabschnittes ist das Gewürze hervorbringende Land der A r a b e r , in welchem, wie es heisst, der vom südlichen Ozean sich erstreckende sehr grosse Arabi­ sche Meerbusen ist, wofür man auch Rotes Meer schreibt. 4. Ungefähr in der vierten Stunde des Tagesabschnittes ist das Land der Ä t h io p e n v o n A u x u m is , d e r K a n d a k is c h e n u n d d e r T r o g lo d y t i s c h e n Ä t h io p e n ; in diesen findet sich neben wüsten und sandigen nicht weit vom Ozean entfernten Gegenden auch der sehr grosse See Nusaclis, durch den der Nilfluss fliesst. Diese Athiopen nähren sich in sehr grosser Zahl von Drachen, wie 6 P. der Psalmist bezeugta.‘ An der Stirnseite dieses Landes, sozusagen am Mittelmeer liegt eine grosse Wüste, die auch die Nitrensische heisst, K ap . 2 und 3.

Aufzählung d erzw ölf O ze a n la n d e rd e sS iid (= Tages)-Abschnit-

tes der Erde und der wichtigsten Länder, die ad frontem derselben liegen. a Psalm 73, 13.14. 1 liegt“ .

Sv. möchte ändern: proximus solis: „ganz nahe der Sonne eine . . . W ü ste

4

und weiterhin das weitgedehnte Ägypten und das berühmte Alexan­ drien. 5. Ungefähr in der fünften Stunde des Tagesabschnittes l Ä t h io p ie n d er G a ra m a n te n ; in diesem L andefliesstnichtw eit vom Ozean ein Fluss, der Ger heisst, in sehr weiter Ausdehnung. In diesem Lande sind Berge, die die Berge der Naubabes genannt 3 a S. werden. In diesem Äthiopien ist ein See, der Licumedis heisst, und auch ein See, der Augitta heisst. An der Stirnseite dieses Landes der Garamanten hegt — es mag um den Betrag von vielen Bäumen davor in der Mitte sein1 — d. h. am Gestade des Mittelmeeres das Land Mauritania Cyrenensis. 3, 1. Ungefähr in der sechsten Stunde des Tagesabschnittes liegt Ä t h io p ie n B ib lo b a tis ,w o e in S e e m itN a m e n T a g e is t. Dadieses 7 P . Land sehr heiss ist, hat es am Gestade des Ozeans eine sehr ausge­ dehnte Wüste. In diesem Land sind Berge, die Cumatodi ( = wellen­ förmige Berglandschaft) heissen. In diesem Lande fliesst im Küsten­ gebiet des Ozeans ebenfalls der wilderregte Fluss Ger. An der Stirn­ seite dieses weiträumigen Landes Biblobatis liegt, unermessliche Bäume davor in der Mitte, sozusagen am Gestade des Mittelmeeres die ganze afrikanische Gegend, Numidien und Mauritania Cesariensis. 2. Ungefähr in der siebenten Stunde des Tagesabschnittes ist hingeschrieben M a u r ita n ia P e r o s is und L a n d d er S a lz s t ä t ­ ten. In diesem Land ist (augenscheinlich) wiederum eine gewaltige Hitze. In ihm ist ein grosser Wüstenraum und Berge, die Litricus heissen. Fern im Bücken dieses Landes findet man innerhalb des Ozeans drei grosse Inseln. An der Stirnseite dieses Landes, viele Bäume davor in der Mitte, das heisst am Gestade des Mittelmeeres ist Mauritania Tingitana hingeschrieben, das an das oben verzeichnete Mauritania Cesariensis angrenzt. 3 b S. 3. Ungefähr in der achten Stunde des Tagesabschnittes heisst es 8 p - M a u r it a n ia E g e l. In diesem Lande sind neben einer Einbuchtung des Ozeans Berge und es ist (auf der Karte) hinzugeschrieben, dass sie brennen. In diesem Lande sind am Gestade des genannten Ozeans Berge, die Brace heissen. An der Stirnseite dieses Landes liegt über den Baum vieler Meilen hinweg, d. h. an der Küste des Mittelmeeres 1 Ich korrigiere jetzt in dem Passus multis pro medio e et (so B !) espatiis das überlieferte e et in eet {d. i. esset) und fasse den Satz multis bis espatiis als Schalt­ satz {abweichend von Ph. 87 p. 112 sq. und meiner Aufgabe). jetzt die Stellen p. 37, 13 sq. und p. 41, 34.

Ähnlich beurteile ich

5 Mauritania mit Kamen G a d i t a n a. Dieses Gaditana heisst in barba­ rischer Weise A b r i d a . 1 Dieses Land grenzt am Gestade des Mittel­ meeres an das vorher genannte Mauritania Tingitana. In diesem Lande Gaditana wurde das Volk der Wandalen von Belisarius völlig geschlagen, floh nach Afrika und kam niemals1 2 zum Vorschein. Die­ sem Lande Gaditana ist, wie geschrieben ist, die Meerenge Septemgaditanus sehr nahe. 4. Ungefähr in der neunten Stunde des Tagesabschnittes ist das berühmte Land der S p a n ie r. 5. Ungefähr in der zehnten Stunde des Tagesabschnittes ist das Land G a llit ia und das Land der s p a n is c h e n B a s k e n .3 Dieses 9 P . Gallitia gehört zu dem vorher genannten Spanien. 6. Ungefähr in der eKten Stunde des Tagesabschnittes ist das Land der B a sk e n , das v o r a lte r s A q u it a n ia hiess.4 7. Ungefähr in der zwöKten Stunde des Tagesabschnittes ist das Land der B r e to n e n . Im Bücken desselben liegt innerhalb des Ozeans, wo für solche, die mit günstigem Winde segeln, die Beise länger ist als zwei Tage mit ihren Kächten, die grosse Insel B r i t t a n i a , welche Gelehrte der Griechen gewissermassen eine „halbe W elta 4 a s. nennen. Und jenseits des genannten Brittaniens, wo der W eg länger als dreihundert Meilen ist, findet man die Insel der Schotten, die man auch Ybernia schreibt. Aber noch weiter hinaus ungefähr in der westlichen Gegend (der Erde) wird von Menschen ein Land durchaus nicht gefunden. 4. 1. Und nun blasen über alle zwölf Länder, die wir als Stunden des Tagesabschnittes bezeichnet haben, auf Geheiss Gottes, der die Winde aus seinen Kammern hervorziehta, sechs Winde. 2. Wenn aber einer sagen wollte, dass man in ungelehrter Weise 10 P . geglaubt hat, dass die Länder in e in z e ln e n Stunden des Tages­ abschnittes liegen, weil, obwohl in der e r s te n Stunde des Tages­ abschnittes die Sonne der Berechnung nach über dem Lande der K ap . 4. W en n auch die Sonne immer über die ganze Erde scheint, so kulmi­ niert sie doch in den einzelnen Stunden jeweils in einem Ozeanland. a Vulgata Ps. 134, 7. 1 Quell. 7 2-74 . 2 s. Stangl in Wochenschr. f. kkiss. Ph. 1920 Sp. 407 über nusquam comparuit. 3 Spanouasconum (zur Korrektur s . Ph. 8 7 ,1 0 4 ) ist eine Bildung wie z. B . Κελτοσκύθαι, „die keltischen Skythen“ . 4 s. hierüber Z . Gesch. Oberrheins N . F . 36 S . 340.

6

4 b S. 11 P .

Inder steht, sie dennoch in der gleichen Stunde des Tages auf die g a n z e W e lt scheint: 3. so antworten wir darauf, dass es wahr ist, dass wenn in der ersten Stunde des Tagesabschnittes die Sonne nach der Berechnung ungefähr über dem Lande der Inder scheint, sie über die ganze Welt hin leuchtet, nicht nur in der ersten Stunde, sondern auch in allen zwölf Tagesstunden; aber auch wenn die Sonne in der zwölften Stunde des Tagesabschnittes ungefähr über dem Lande der Schotten der Schätzung nach ist, so ist zu glauben, dass sie sowohl über das genannte Scotia als auch über das äusserste Indien hinaus und überhaupt in den vier Himmelsgegenden der Welt und so in einem Umfange, den (nur) Gott kennt, über den ganzen Erd­ kreis scheint« 4. Aber, wie wir gesagt, es ist zu glauben, an irgend einem Ort ungefähr ste h e die Sonne, wie in der heiligen Schrift enthalten ista: „Damals redete Josue Nave zu dem Herrn an dem Tage, an dem er die Amorriter im Angesicht der Söhne Israels preisgab; er sagte vor ihnen: Sonne, bewege dich nicht gegen Gabaon und, Mond, gegen das Tal Achilon.“ 5. 0 ihr klugen Männer, wenn die Sonne gegenüber dem Ort der Gabaoniten stand, schien sie denn nicht auf der ganzen Welt? Und wenn ein solcher Diener Gottes geglaubt hat, dass sich die Sonne nicht vom genannten Ort wregbewrege, was hindert zu glauben, dass in den einzelnen Stunden des Tagesabschnittes das Scheinen über v e r s c h ie d e n e Länder, wie gesagt, gleichsam mit mathematischer Sicherheit festgestellt würd? 6. Und wenn wir m it­ tels einer kleinen in Metall gezeichneten Sonnenuhr den ganzen Tag durch Zählungen der Stunden genau unterscheiden ( = unterschei­ dend angeben), wrie viel mehr können, wie erwähnt, kluge Männer, die die ganze Welt für einen ringsherum gehenden Stundenweiser ( = Zifferblatt einer Uhr mit 24 Stunden)1 halten, durch eine genaue Zahlenangabe sagen, welche Länder in der ganzen W elt ringsum am Saume des Ozeans in allen (einzelnen) Stunden gelegen sind«2 a Jos. 10, 12. 1 PL· 87, 8 1 -8 4 , besonders 84. 2 Erster Einwand der von Gegnern gegen die vom Ravennaten gemachte E in ­ teilung der Tageshälfte des Ozeanrandes in zwölf Stunden und gegen die Zuweisung der Ozeanländer an diese zwölf Stunden erhoben wird: W ie kann m an sagen, dass die Sonne in irgend einer Tagesstunde ü b e r

e in e m

L a n d e steht, da sie doch

immer auf die g a n z e E r d e scheint? R av. begründet die Berechtigung seiner E in ­ teilung 1) durch den Hinweis auf Josue 10, 12, 2) durch den Vergleich m it der Ein-

7 5. 1. Und wenn vielleicht einer von den Streitsüchtigen einwerfen wollte, indem er geltend macht, wie es zu glauben sei, dass in der ersten Stunde des Tagesabschnittes die Sonne s o f o r t auf das Land der Inder scheint, besonders da gesagt worden ist, dass eine unpassier­ bare Wüste im Rücken des genannten Indiens sich ausdehnt, und 12 deshalb anzunehmen ist, dass die Sonne wegen der bedeutenden Länge der genannten Wüste Aufenthalt macht ( = Zeit braucht) bis zum Kommen nach Indien, da ferner allen bekannt ist, dass die Sonne je n s e it s der Grenzen der Länder aufgeht und untergeht: so sagen wir zu diesen: 2. wie beispielsweise ein Mensch in Irland steht, wo dar­ über hinaus ein Land nicht mehr mit menschlichen Augen gefunden wird und wo es völlig klar ist, dass die Sonne sicher 12 Stunden des 5 a Tages vollendet und in der Nähe untergeht, und dieser, falls er un­ klugerweise seine Reise fortsetzend als Forscher die Grenzlinie des Sonnenunterganges auskundschaften möchte, sie keineswegs finden kann, weil sie nur dem Schöpfer des Alls bekannt ist: 3. ebenso ist es auch bei der Ostseite zu glauben, dass auf der Ostseite