Chronische Depression, Trauma und Embodiment: Eine transgenerative Perspektive in psychoanalytischen Behandlungen [1 ed.] 9783666406102, 9783525406106

132 14 549KB

German Pages [73] Year 2017

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Chronische Depression, Trauma und Embodiment: Eine transgenerative Perspektive in psychoanalytischen Behandlungen [1 ed.]
 9783666406102, 9783525406106

Citation preview

Marianne Leuzinger-Bohleber

Chronische Depression, Trauma und Embodiment Eine transgenerative Perspektive in psychoanalytischen Behandlungen

V

Herausgegeben von Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Marianne Leuzinger-Bohleber

Chronische Depression, Trauma und Embodiment Eine transgenerative Perspektive in psychoanalytischen Behandlungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 2 Abbildungen und 2 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-40610-2 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: Paul Klee, Leidende Frucht, 1934/akg‐images © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Vorwort zur Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort zum Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Einführende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2 Chronische Depression – einige Fakten zu einer Zeitkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3 Zur psychoanalytischen Traumaforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 4 Chronische Depression und Trauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 4.1 Transgenerationelle Weitergabe von Trauma und Depression in der LAC-Depressionsstudie . . . . . . . . . . . . . 27 4.2 Einige interdisziplinäre Forschungsergebnisse zu Trauma und Depression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 4.2.1 Frühe emotionale Vernachlässigung, körperlicher und sexueller Missbrauch: erhöhtes Risiko für ­Depressionen im Erwachsenenalter . . . . . . . . . . . . . . 29 4.2.2 Kinder depressiver Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 4.2.3 Ausgewählte Ergebnisse der epigenetischen Forschung zu Trauma und Depression . . . . . . . . . . . 31 4.2.4 Einige neurowissenschaftliche Studien zu Trauma und Stress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 5

5 Embodied Memories: Schlüssel zum Verstehen von unbewusst gewordenen Traumatisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . 37 5.1 Von der klassischen zur Embodied Cognitive Science . . . . . 38 5.2 Entschlüsseln von Embodied Memories und therapeutische Veränderungen. Zwei Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 6 Zur transgenerativen Dimension in psycho­analytischen ­Behandlungen schwer traumatisierter, chronisch depressiver ­Patienten: Kurze Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

6

Inhalt

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrund­lagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich. Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 70 bis 80 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen. Themenschwerpunkte sind unter anderem: ȤȤ Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung. ȤȤ Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internet7

ȤȤ

ȤȤ

ȤȤ

ȤȤ

basierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze. Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen. Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen. Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Arbeit mit Geflüchteten und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Gruppen, Eltern-Säuglings-Psychotherapie. Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann. Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

8

Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

Depressionen sind die häufigsten seelischen Erkrankungen. Weltweit leiden mehr als 300 Millionen Menschen daran. Depressionen sind nicht nur individuelle Schicksalsschläge, sie stellen auch ein Problem von Kindern, Partnern, Familien und der Gesellschaft insgesamt dar. Zudem haben Depressionen auch eine Tendenz zur Chronifizierung. Das vorliegende Buch der bekannten Psychotherapieforscherin Marianne Leuzinger-Bohleber basiert auf einer Studie zu Langzeittherapien bei chronisch depressiven Patienten. Dabei werden die Zusammenhänge von psychischer Traumatisierung und Depression sowie transgenerationale Perspektiven und Aspekte des Körpergedächtnisses (Embodiment = verkörperlichte Erinnerungen) eingehend behandelt. Ungewöhnlich und bereichernd ist, dass der Forschungsperspektive genauso viel Raum eingeräumt wurde wie der sensiblen Fallarbeit – beides große Stärken der Autorin. Nach einer Faktendarstellung zur Zeitkrankheit Depression wird der psychodynamische Traumabegriff klar definiert und in seinem Bedeutungsgehalt umrissen. Dabei kommen auch die wichtigen Themen der Extremtraumatisierung, die dem Schrecken des Holocaust entstammen, zur Sprache. Berichte über psychoanalytische Behandlungen zeigten eindrucksvoll, wie die nicht zu verarbeitenden Traumatisierungen die Grenzen der Generationen in den Opferfamilien aufweichen können. Jahrzehnte später hat sich die Psychoanalyse dann den Täterfamilien zugewandt. Auch dort sind Mechanismen einer »transgenerativen Weitergabe von Traumatisierungen« zu beobachten. Der Zusammenhang von Traumatisierung und Depression ist immer wieder wissenschaftlich beschrieben worden, aber in der klas9

sischen Psychiatrie fast in Vergessenheit geraten. Marianne Leuzinger-Bohleber berichtet, dass auch in ihrer Studie »auffallend viele der chronisch Depressiven« schwere Kindheitstraumatisierungen erlebt haben. Sie bringt ebenso ausgewählte Ergebnisse aus der epigenetischen Forschung zu Trauma und Depression, die einen der biologischen Folgemechanismen von seelischen Verletzungen untersucht hat. »Embodied Memories« – also in körperlichen Prozessveränderungen resultierende traumatische Erfahrungen – können einen der Schlüssel zum Verständnis unbewusst gewordener Traumatisierungen darstellen. Klinische Fallbeispiele bereichern diesen anschaulichen Bericht aus der Forschung und machen die erkannten Mechanismen im Therapiekontext ungemein lebendig. Spannend, innovativ und eine wohltuende Ergänzung zu den klassischen Forschungsergebnissen hinsichtlich genetischer Vulnerabilität und Depression, die ja immer dem schon »Mitgebrachten« die Hauptbedeutung zuschreiben und nicht dem vom Leben dem Menschen »Entgegengebrachten«. Eine wichtige Lektüre für Therapeutinnen und Therapeuten von Patienten und Patientinnen mit Depressionen in allen Lebensaltern. Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch

10

Vorwort zum Band

1  Einführende Bemerkungen

»Das wichtigste Ergebnis meiner Psychoanalyse war, dass ich die Weitergabe meines eigenen Elends an meine Kinder abmildern konnte.« (Frau U.) Frau U. bezeichnete es in den Katamneseinterviews, vier Jahre nach Abschluss ihrer Psychoanalyse, als das wichtigste Ergebnis ihrer Therapie, dass sie ihre Kinder aus einer krankhaften Umklammerung und der »Weitergabe meines eigenen Elends« entlassen konnte. Ihr Vater war in Russland gefallen. Ihre Mutter reagierte auf den Verlust ihres idealisierten, nationalsozialistischen Ehemanns mit schweren Depressionen und drohte ihrer einzigen Tochter während der gesamten Kindheit mit Suizid. Als Dreißigjährige erkrankte Frau U. plötzlich dramatisch an Herz- und Hyperventilationsanfällen. Nach vielen ergebnislosen medizinischen Untersuchungen fragte ein Arzt sie schließlich, was sich am Tag des ersten Herzanfalls ereignet habe. Sie hatte damals ihre Mutter besucht, die ihr beim Abschied hasserfüllt nachrief: »Wenn du so bist, wie du bist, sollst du vom Erdboden verschwinden!« – Die psychosomatische Ursache ihrer Herzbeschwerden wurde deutlich: Der Kardiologe überwies sie in eine Psychoanalyse. Hier sehr kurz zusammengefasst: Die chronisch traumatisierende Beziehung zu der depressiven Mutter wurde in der Übertragung zur Analytikerin wiederbelebt und konnte in ihren Auswirkungen verstanden werden. Danach verschwanden die psychosomatischen Symptome. Die Therapie führte darüber hinaus zu einer Lockerung der krankhaft engen und kontrollierenden Beziehung zu ihrer eigenen Tochter.

Frau U. war eine von vielen ehemaligen Analysandinnen und Analysanden, die im Rahmen der Ergebnisstudie der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung durchschnittlich 6,5 Jahre nach Beendigung der psychoanalytischen Langzeittherapien oder Psychoanalysen inter11

viewt wurden (vgl. Leuzinger-Bohleber, Rüger, Stuhr u. Beutel, 2002). Zu den unerwarteten Ergebnissen dieser repräsentativen retrospektiven Studie mit über 400 ehemaligen Patienten zählte, dass 62 Prozent von ihnen von schweren Traumatisierungen in ihrer Lebensgeschichte berichteten, die ihre Kindheit geprägt hatten, oft in Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg. Für viele von ihnen gehörten die erlittenen Traumatisierungen zu den wesentlichen unbewussten Determinanten, die zu ihren oft jahrzehntelangen chronischen Depressionen geführt hatten. Wie für Frau U. war für viele dieser schwer traumatisierten Menschen das wichtigste Ergebnis ihrer Psychoanalyse, dass diese ihnen ermöglicht hatte, die Weitergabe ihrer Traumatisierungen und Depressionen an die nächste Generation abzumildern oder sogar zu unterbrechen. Auch in der LAC-Depressionsstudie, die Ergebnisse von psycho­ analytischen und kognitiv-behavioralen Langzeittherapien bei chronisch Depressiven vergleicht, gehört das Thema der transgenerativen Weitergabe von Depression und Trauma zu den klinisch eindrücklichsten Befunden. Rund 80 Prozent der chronisch Depressiven gaben im Child-Trauma-Questionnaire an, dass sie in ihrer Kindheit schwere multiple Traumatisierungen erlebt hatten, die schließlich im Leiden an einer oft über Jahre dauernden depressiven Erkrankung mündeten (vgl. Leuzinger-Bohleber, 2015a; Negele et al., 2015). Über 50 Prozent von ihnen verzichteten auf die Realisierung ihres Kinderwunsches aus Angst, ihre Depressionen an die nächste Generation weiterzugeben. Wie wir aus Behandlungsberichten wissen, waren viele von ihnen überzeugt, dass ihre Familien genetisch belastet seien und es daher unverantwortlich sei, das unermessliche Leid von depressiv Erkrankten der nächsten Generation aufzubürden. Auch auf diesem Hintergrund sind neuere Ergebnisse der epigenetischen Forschung äußert relevant, da sie empirisch belegen, dass eine genetische Belastung in depressiven Familien keineswegs ein Schicksal sein muss, sondern, wie die Psychoanalyse immer schon postulierte, erst durch zusätzliche traumatische frühe Beziehungserfahrungen zum Tragen kommt. Diese Konvergenz zwischen epigenetischer 12

Einführende Bemerkungen

und psychoanalytischer Forschung sowie einige weitere ausgewählte Erkenntnisse aus der interdisziplinären Traumaforschung sollen in diesem Band diskutiert werden. Zunächst werden kurz einige Fakten zur chronischen Depression (Kapitel 2) und zur psychoanalytischen Traumaforschung (Kapitel 3) dargestellt, gefolgt von Ausführungen, wie in der heutigen Psychoanalyse das Verhältnis zwischen Depression und Trauma konzeptualisiert wird (Kapitel 4). Dann werden einige Ergebnisse der LACStudie zur transgenerativen Weitergabe von Trauma und Depression zusammengefasst (Kapitel 4.1) und mit Erkenntnissen aus angrenzenden Forschungsgebieten, vor allem aus dem Bereich der Epigenetik und den Neurowissenschaften bzw. aus dem Gebiet der sogenannten »Embodied Cognitive Science«, in Verbindung gebracht (Kapitel 4.2). Das Konzept der »Embodied Memories«, die in der psychoanalytischen Beziehung oft einen Schlüssel bilden, um die ins Unbewusste verbannten Traumatisierungen zu erkennen, wird vorgestellt (Kapitel 5) und mit zwei ausführlichen Fallbeispielen illustriert. Aus den klinischen Beispielen und theoretischen Überlegungen in diesem Band wird deutlich, wie wichtig eine zeitnahe therapeutische Behandlung von Traumatisierungen vor allem bei Kindern und Jugendlichen ist, um depressive Erkrankungen und ihre Chronifizierung zu verhindern. Dies motiviert zurzeit manche Psychoana­ lytikerinnen und Psychoanalytiker, sich in Kriseninterventionen und psychodynamischen Therapien mit traumatisierten Geflüchteten in der aktuellen Flüchtlingskrise zu engagieren, wie abschließend kurz erwähnt wird.

Einführende Bemerkungen

13

2 Chronische Depression – einige Fakten zu einer Zeitkrankheit

Nach verschiedenen Übersichtsartikeln leiden 38,2 Prozent der EUPopulation unter seelischen Störungen. Dabei sind Depressionen die häufigsten seelischen Erkrankungen. Etwa 17 Prozent der Weltbevölkerung erkranken mindestens einmal während ihres Lebens an einer Depression (Beutel et al., 2012). Nach Vorhersagen der Weltgesundheitsorganisation wird Depression 2020 die zweithäufigste Volkskrankheit sein. Weltweit leiden mehr als 300 Millionen Menschen an Depressionen. In Deutschland sind 2,8 Millionen Männer und 3,0 Millionen Frauen betroffen. Dies sind fast 10 Prozent der Bevölkerung. Viele von ihnen leben oft jahrelang mit Depressionen, bevor diese als solche erkannt und entsprechend behandelt werden. Schweres seelisches Leid für die Betroffenen und ihre Angehörigen sowie große (nicht abschätzbare) Kosten für die Gesellschaft (z. B. durch Arbeitsunfähigkeit) sind die Folgen. Nicht selten wird die Krankheit von depressiven Eltern, vor allem Müttern, an ihre Kinder weitergegeben. Die Depression ist somit nicht nur individuelles Schicksal, sondern zugleich auch ein Problem von Familie und Gesellschaft. Zudem haben Depressionen die Tendenz zur Chronifizierung. Nur 50 Prozent aller Depressiven erholen sich innerhalb von sechs Monaten, nur zwei Drittel innerhalb eines Jahres. 6 bis 7 Prozent sind nach 10 bis 15 Jahren immer noch depressiv. Die Hälfte der Patienten hat einen Rückfall nach ihrer ersten depressiven Episode, 70 Prozent nach der zweiten und 90 Prozent nach der dritten Episode. 20 bis 30 Prozent der Patienten reagieren nicht auf Medikamente. Ein Drittel von denen, die positiv auf Medikamente reagieren, erleidet zudem innerhalb eines Jahres einen Rückfall, 75 Prozent 14

innerhalb von fünf Jahren. Da auch die Rückfallquote bei jeder Form der Kurztherapie enorm hoch ist, besteht der Verdacht, dass manchen Gruppen von Depressiven nur durch eine längere, intensivere Psychotherapie geholfen werden kann (vgl. Beutel et al., 2012; ­Leuzinger-Bohleber et al., im Druck a, b). Diese Vermutung motivierten Martin Hautzinger und mich, 2005 eine Therapievergleichsstudie zur Wirksamkeit psychoanalytischer verglichen mit kognitiv-behavioraler Therapie auf den Weg zu bringen: die schon erwähnte LAC-Depressionsstudie. In verschiedenen Publikationen wurde bereits von der Studie berichtet, sodass wir in diesem Rahmen darauf verweisen können und uns auf wenige erste Ergebnisse zum Zusammenhang von chronischer Depression und Trauma sowie transgenerationellen Perspektiven beschränken (vgl. dazu Kapitel 4).

Chronische Depression – einige Fakten zu einer Zeitkrankheit

15

3  Zur psychoanalytischen Traumaforschung

»Alle Worte, die nicht gesagt werden konnten, alle Szenen, die nicht erinnert werden konnten, alle Tränen, die nicht vergossen werden konnten, werden gleichzeitig mit dem Trauma, das der Verlust hervorrief, verschluckt. Werden verschlungen und konserviert. Die unaussprechliche Trauer errichtet im Inneren des Betreffenden eine geheime Gruft.« (Abraham u. Torok, 1979, S. 391 ff.)

In der psychoanalytischen Fachliteratur wird bis heute um ein adäquates Verständnis von Trauma gerungen. In der traumatischen Erfahrung wird der natürliche Reizschutz durch eine plötzliche, nicht vorausgesehene extreme Erfahrung durchbrochen, meist verbunden mit Lebensbedrohung und Todesangst. Das Ich ist einem Gefühl extremer Ohnmacht und Unfähigkeit, die Situation zu kontrollieren oder zu bewältigen, ausgesetzt und wird mit Panik und extremen physiologischen Reaktionen überflutet. Diese Überflutung des Ichs führt zu einem psychischen und physiologischen Schockzustand. Die traumatische Erfahrung zerstört zudem den empathischen Schutzschild, den das verinnerlichte Primärobjekt bildet, und das Vertrauen auf die kontinuierliche Präsenz guter Objekte und die Erwartbarkeit menschlicher Empathie. Im Trauma verstummt das innere gute Objekt als empathischer Vermittler zwischen Selbst und Umwelt (Hoppe, 1962). Psychoanalytiker wissen aus Behandlungen mit schwer traumatisierten Menschen, dass diese nach solchen Erfahrungen nicht mehr in ihr Leben zurückgefunden haben: Sie sind psychisch »nie ganz da«, haben den Boden unter den Füßen dauerhaft verloren, fühlen sich unverbunden mit anderen, nie mehr wirklich als aktives Zentrum ihres eigenen Lebens. Daher fasst Bohleber (2012, S. 7) den heutigen Stand der psychoanalytischen Traumaforschung wie folgt zusammen: »Die psychoanalytischen Traumatheorien haben sich auf der Basis zweier 16

Modellvorstellungen entwickelt: der psychoökonomischen und der hermeneutisch-objektbeziehungstheoretischen. Um das Trauma, seine Phänomene und seine Langzeitfolgen angemessen zu begreifen, benötigen wir beide Modelle. Das psychoökonomische Modell fokussiert auf das Übermaß von Erregung und Angst, das seelisch nicht gebunden werden kann, sondern die psychische Textur durchschlägt. Beim objektbeziehungstheoretischen Modell steht der Zusammenbruch der inneren tragenden Objektbeziehungen und der inneren Kommunikation sowie die Erfahrung gänzlicher Verlassenheit im Mittelpunkt, was bewirkt, dass das Trauma narrativ nicht integriert werden kann.« Psychoanalytiker/-innen gewinnen ihre Erkenntnisse zur Psychodynamik und zur Genese von Traumatisierungen aus der intensiven Arbeit mit einzelnen Patienten und Patientinnen, die sie wegen psychischer oder psycho­somatischer Probleme aufsuchen. Die Einsichten in die unbewussten Determinanten seelischen Leidens erweisen sich oft nicht nur als »heilend« bezüglich der seelischen und körperlichen Symptome, sondern als sinnstiftend in der Weise, als zum Beispiel die bisher unerkannten Auswirkungen erlittener Traumatisierungen nun als Erinnerungen oder Ermahnungen an die eigene, unverwechselbare Lebens­geschichte erkannt und psychisch integriert werden. Diese »narrative«, »sinnstiftende« psychotherapeutische Dimension im Umgang mit traumatisierten Patientinnen und Patienten kann durch keine anderen »wissenschaftlichen« Befunde ersetzt werden. Dank intensiver Forschung der letzten Jahrzehnte ergeben sich, wie im Folgenden kurz aufgezeigt werden soll, faszinierende Parallelen zwischen diesen psychoanalytisch-klinischen Beobachtungen und Befunden neurowissenschaftlicher und epigenetischer Forschungen zum Trauma (vgl. dazu u. a. Leuzinger-Bohleber et al., 2015). In der psychiatrischen und neurowissenschaftlichen Literatur zentriert sich die Auseinandersetzung mit dem Trauma oft um die sogenannte »Posttraumatische Belastungsstörung«. International hat sich deren Definition nach DSM-IV eingebürgert. Sie bildet die Basis vieler interdisziplinärer Forschungsarbeiten, wobei zu beachten ist, Zur psychoanalytischen Traumaforschung

17

dass diese Definition rein deskriptiver Natur ist und keine Aussagen darüber macht, welche psychischen und/oder neurobiologischen Mechanismen psychischen Traumatisierungen zugrunde liegen. Im Sinne des DSM-IV ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) »die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis«. Ein solches Ereignis umfasst »das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder der Bedrohung der persönlichen Unversehrtheit einer anderen Person zu tun hat, oder das Miterleben eines unerwarteten oder gewaltsamen Todes, schweren Leids oder Androhung des Todes oder Verletzung eines Familienmitgliedes oder einer nahestehenden Person« (DSM-IV, 1998, S. 487). Nach Auffassung der WHO ist eine PTBS »ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde« (ICD-10-SGBV, 2000, S. 211). Ein solches Ereignis wirkt von außen als massiver Stressor auf das Subjekt ein und verändert dessen teils genetisch angelegten, teils durch vorgeburtliche und frühkindliche Bindung geprägten, teils durch Erfahrungen gelernten Strukturanteile. Diese Einwirkung wird vom Gehirn als Gefahr identifiziert und führt innerhalb sehr kurzer Zeit zu einer somatischen Stressreaktion, die von heftigen psychischen Reaktionen begleitet ist. Als Symptome einer PTBS zählt das DSM-IV unter anderem auf: intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen, das anhaltende Wiedererleben des traumatischen Ereignisses, die Vermeidung von mit dem Trauma assoziierten Reizen sowie ein anhaltend erhöhter Arousal. Auslöser für traumatisierende Situationen sind beispielsweise Kriege, Naturkatastrophen, schwere Unfälle, aber auch bewusst durch andere Menschen verursachte Schädigungen wie Folter oder Vergewaltigung (DSM-IV, 1998, S. 487). Wichtig ist, dass nicht alle Menschen in analoger Weise auf solche Extremerfahrungen reagieren. Fischer und Riedesser (2009) 18

Zur psychoanalytischen Traumaforschung

stellen nach einer Reihe eigener Untersuchungen fest, dass »nur« etwa ein Viertel bis ein Drittel der Personen nach Ereignissen bzw. Lebensumständen von mittelschwerem bis hohem Belastungsgrad eine Psychotraumatische Belastungsstörung entwickeln. Daher hat sich die Resilienzforschung in den letzten Jahren vermehrt mit der Frage auseinandergesetzt, welche Faktoren bei Menschen dazu führen, keine Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln und sich »erstaunlich normal« zu verhalten. Hauser, Allen und Golden (2006) haben aufgrund einer detaillierten Nachuntersuchung von offen gewalttätigen, schwer traumatisierten Kindern und Jugendlichen nach einem psychiatrischen Aufenthalt postuliert, dass die Einsicht in den eigenen Anteil der schweren Entwicklungskrise sowie minimal unterstützende Bedingungen (mindestens eine vertrauensvolle Objektbeziehung in der frühen Kindheit) die Resilienz dieser Kinder positiv beeinflusste. Egle, Hoffmann und Joraschky (2004) fassten die Ergebnisse vieler internationaler Studien zu einem weiteren Gebiet schwerer Traumatisierung, dem sexuellen Missbrauch, zusammen. Danach entwickeln zwischen 19 und 49 Prozent der sexuell missbrauchten Kinder zunächst keine psychopathologischen Symptome. Gute Objektbeziehungserfahrungen, sichere Grenzen zwischen den Generationen sowie eine altersgemäße Aufklärung erwiesen sich dabei als wichtige Schutzfaktoren (vgl. dazu auch Leuzinger-Bohleber, 2006, 2015b). Allerdings ist aus psychoanalytischer Sicht, wie etwa der eindrucksvolle Behandlungsbericht von Siri Gullestadt (2008) heraushebt, Vorsicht geboten: Klinische Erfahrungen mit Erwachsenen und Kindern nach sexuellem Missbrauch zeigen, dass für die meisten Betroffenen diese Erfahrungen durchaus einen traumatisierenden Effekt hatten, besonders falls der Missbrauch durch nahe Familienangehörige vollzogen wurde. Oft finden sich bei Opfern sexueller Gewalt keine »schreienden« Symptome, sie verlieren aber das Basisvertrauen in schützende, gute innere Objekte. Viele von ihnen entwickeln Jahre nach dem stattgefundenen Missbrauch schwere Ängste und Konflikte besonders in ihren Intimbeziehungen. Zur psychoanalytischen Traumaforschung

19

In diesem Zusammenhang seien einige wissenschaftshistorische Anmerkungen zur Auseinandersetzung mit den Folgen traumatisierender Erfahrungen gestattet, die sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt (Ehlert-Balzer, 2008; Bohleber, 2012; Leuzinger-Bohleber, Roth u. Buchheim, 2008). Die Diskussion im 19. Jahrhundert interpretierte einerseits die Folgen von Eisenbahnund Arbeitsunfällen als »Eisenbahnwirbelsäule« oder als »traumatische Neurose«, setzte sich aber andererseits mit massiver Kindesmisshandlung und sexualisierter Gewalt gegen Kinder auseinander. Pierre Janet und der frühe Sigmund Freud vertraten in der Auseinandersetzung mit dem Krankheitsbild der Hysterie die Position, es handele sich dabei um unerkannte Folgen traumatischer Erfahrungen im Zusammenhang von sexuellem Kindesmissbrauch. So begann die Psychoanalyse als reine Traumatheorie. 1895 entwickelte Freud im »Entwurf einer Psychologie« (1895/1950) ein erstes theoretisches Verständnis des Traumas: Er arbeitete mit einem neuronalen Modell, dessen Haupttendenz darin besteht, alle Erregungsquanten abzuführen oder zu binden. Dem Ich, als einer speziellen Organisation, kommt unter anderem die Aufgabe zu, den Reizschutz gegen die Außenwelt zu garantieren und dadurch das direkte Eindringen der exogenen Energiequanten zu verhindern. Im Fall übergroßer Energiequanten wird der Reizschutz durchbrochen und es kommt zum Trauma. Freud (1896) gab die in diesem Modell enthaltene Verführungstheorie auf. Doch blieb die im Rahmen des neuronalen Modells entwickelte ökonomische Konzeption des Traumas für seine weiteren, nun »rein psychologischen« Theorien weiterhin bestimmend. Er betonte jetzt allerdings die entscheidende Rolle kindlicher Phantasien für die Entstehung von Neurosen. Janet hingegen vertrat weiterhin das Konzept der Traumaätiologie bei hysterischen Erkrankungen. Der Erste Weltkrieg zwang Freud erneut zur Auseinandersetzung mit dem Trauma beziehungsweise mit Patienten, die, wie er es ausdrückte, an einer »Kriegsneurose« litten. Seine Konzepte wurden versuchsweise zur Behandlung traumatisierter britischer und amerikanischer Soldaten eingesetzt. 20

Zur psychoanalytischen Traumaforschung

Der Zweite Weltkrieg und vor allem die Schrecken des Holocaust erzwangen erneut die professionelle Beschäftigung mit dem Trauma: Viele Überlebende des Holocaust wurden im Zusammenhang mit der Begutachtung wegen Wiedergutmachungsansprüchen von Psychoanalytikern untersucht und vermittelten in erschütternder Weise Eindrücke von den extremen, nachhaltigen psychischen und psychosozialen Zerstörungen durch die Schoah (vgl. u. a. Niederland, 1980; Krystal, 1968). Die psychoanalytischen Behandlungen von ihnen und die Behandlung von Kindern der Überlebenden in den nächsten Jahrzehnten vermittelten die erschütternde Einsicht, dass traumatische Erfahrung dieses Ausmaßes auch in das Leben der nächsten Generation eindrang und sie bewusst und unbewusst determinierte. Inzwischen haben viele Schriftsteller davon in ihren Romanen berichtet, unter ihnen Imre Kertész, Philip Roth, Lizzie Doron, Lily Brett und viele andere. Auch Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen versuchten in ihren Arbeiten eine Annäherung an die Erfahrungen des Holocaust (vgl. u. a. Abraham u. Torok, 1979; Bohleber, 2012; Cohen, Brom u. Dasberg, 2001; Faye, 2001; Grünberg u. Markert, 2012; Kellermann, 2001; Kogan, 2002; Krystal, 1968; Niederland, 1980; Oliner, 2000; Weiss u. Weiss, 1999, weitere Literatur: siehe Leuzinger-Bohleber, 2006). Was die Opfer der Schoah erlebten, übersteigt unser aller Vorstellungskraft. Das Unfassbare des Traumas wird in psychoanalytisch-wissenschaftlichen Begriffen wie Extremtraumatisierung (vgl. z. B. Krystal, 1968), sequentielle (Keilson, 1979) oder kumulative Traumatisierung (Khan, 1963) nur in einer groben Annäherung beschrieben. Hans Keilson (1979) charakterisierte Auschwitz auch als einen Ort, »wo unsere Sprache nicht hinreicht«. Die traumatische Erfahrung zerstört den Schutzschild der Bedeutungsstrukturen im Menschen, schreibt sich dem Körper ein und nimmt direkten Einfluss auf die organische Basis psychischer Funktionen. Der psychische Raum und die Symbolisierungsfähigkeit werden vernichtet (Laub, Peskin u. Auerhahn, 1995; Kogan, 2002; Bohleber, 2010b). Zur psychoanalytischen Traumaforschung

21

Die Überlebenden solcher Extremtraumatisierungen zeigten, dass solche Traumatisierungen psychisch nicht zu verarbeiten sind, sondern zu lebenslangen Schädigungen führen (Albträume, Flashbacks, Einsamkeit und Depression, Dissoziations- und Derealisierungserlebnisse, Störungen im Zeit- und Identitätsgefühl, diffuse Panik, Angstund Aggressionsattacken, emotionale Abkapselungen, Zusammenbrechen eines Urvertrauens in das schützende, gute Objekt und basale Sinnstrukturen des Lebens sowie psychosomatische Störungen wie Schlafstörungen, nicht lokalisierbare Schmerzzustände etc.). Faimberg (1987) hat, bezogen auf Opferfamilien des Holocaust, beschrieben, wie die Grenzen der Generationen durch die nicht zu verarbeitenden Traumatisierungen aufgeweicht werden. Sie spricht von einem »telescoping of the generations«. Cournut (1988) diskutiert ein »entlehntes Schuldgefühl«, das oft unbewusst das gesamte Lebensgefühl von Menschen nach einem nicht betrauerten traumatischen Verlust bestimmt. Laub, Peskin und Auerhahn (1995) sprechen von einem »empty circle«. Kogan (2002) und andere verwenden die Metapher des »schwarzen Lochs«. Die extreme Traumatisierung wirke unerkannt als verschlingendes Energiezentrum, das nicht nur das psychische Erleben der ersten, sondern auch der zweiten und dritten Generation von Holocaustüberlebenden determiniert. Abraham und Maria Torok (1979) beschrieben ähnliche Phänomene mit dem Begriff der Inclusion, der Einschließung oder der Krypta. Der traumatische Verlust wird in eine innere Gruft verbannt statt betrauert und entfaltet von dort aus konstant und unerkannt seine Wirkung. Es dauerte, aus begreiflichen Gründen, fast sechzig Jahre, bis sich Psychoanalytiker hier in Deutschland auch den Auswirkungen von schweren Traumatisierungen bei Tätern und Mitläufern in der deutschen Bevölkerung zuwandten. Ungebrochen ist dabei die Sorge, dass durch das Studium dieses Themas die Unvorstellbarkeit und historische Unvergleichbarkeit der Schoah relativiert werden könnte. In der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) war es vor allem die oben schon erwähnte in den 1990er Jahren durchgeführte 22

Zur psychoanalytischen Traumaforschung

repräsentative Ergebnisstudie von Psychoanalysen und psychoanalytischen Langzeittherapien, die die Diskussion um dieses Thema entfachte. Ein völlig unerwartetes Ergebnis der Studie war, dass 62 Prozent der Patientinnen und Patienten, die in den 1980er Jahren bei DPV-Analytikern und -Analytikerinnen in Langzeitbehandlungen waren, schwere Traumatisierungen als Kleinkinder erlebt hatten, meist im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg (siehe dazu u. a. Leuzinger-Bohleber, 2003, 2006; aber auch Radebold, 2000; Radebold, Heuft u. Fooken, 2006). Daher wird heute vermehrt diskutiert, ob manche der Mechanismen der transgenerativen Weitergabe von Traumatisierungen, die in Opferfamilien festgestellt wurden, auch in Täterfamilien gefunden werden können. So wurde beispielsweise anhand einer langen Psychoanalyse bei der Tochter eines hohen SS-Offiziers auf die unbewusste Wiederholung von pathologischen, durch traumatische Erfahrungen determinierten Objektbeziehungen, unbewusste Identifikationen und Introjektionen im Über-Ich und Ich-Ideal sowie auf nicht integrierte, überstimulierte Triebimpulse hingewiesen (Leuzinger-Bohleber, 1998). Zudem spielt der ubiquitäre Mechanismus bei der »Bewältigung« traumatischer Erfahrungen, passiv Erlittenes in aktiv Zugefügtes umzuwandeln, auch bei der transgenerativen Weitergabe von Traumatisierungen in Täter- oder Mitläuferfamilien eine entscheidende Rolle (vgl. dazu auch Schlesinger-Kipp, 2012). Auch unabhängig von Patienten mit Traumatisierungen im Zusammenhang mit Man-Made Disasters wird heute in der psychoanalytischen Fachliteratur der Langzeiteinfluss von Traumatisierungen und Depression vermehrt diskutiert. Es wurde etwa lange kaum erkannt, dass Patienten, die als Kinder an schweren organischen Krankheiten (z. B. Polio) litten, oft in bestimmten Situationen plötzlich in dissoziative Zustände verfallen, da sie unbewusst an die früheren Traumatisierungen erinnert werden (vgl. dazu das erste Fallbeispiel in Kapitel 5.2 sowie Bohleber u. Drews, 2001; Leuzinger-Bohleber, 2008). Solche Zustände zu erkennen und biografisch zuzuordnen erweist sich für den therapeutischen Prozess dieser Patienten als unverzichtbar. Daher Zur psychoanalytischen Traumaforschung

23

haben wir in einigen Arbeiten dafür plädiert, dass die Annäherung an solche »historisch-biografischen Wahrheiten« (d. h. die Rekonstruktion erlittener Traumatisierungen) für die psychische Gesundung dieser Patienten ebenso notwendig ist wie das Wiedererleben und Durcharbeiten der Traumatisierungen in der Übertragungsbeziehung zum Analytiker (vgl. dazu u. a. Gullestad, 2008; Bohleber, 2012; Bohleber u. Leuzinger-Bohleber, 2016).

24

Zur psychoanalytischen Traumaforschung

4  Chronische Depression und Trauma

In der neueren psychoanalytischen Literatur wird oft auf den Zusammenhang zwischen Depression und Trauma hingewiesen (Bohleber, 2010b; Kernberg, 2009). Hugo Bleichmar (1996, 2013) integriert seine jahrzehntelange Erfahrung mit Depressiven in ein Modell zur Psychodynamik der Depression. Er beschreibt verschiedene Pfade, die schließlich in die chronische Depression führen (siehe Abbildung 1). Identifizierung

Aggressivität

der Depression vorausgehende narzisstische Störung

Schuldgefühle

Masochismus

Traumatische Erfahrung (Objektverlust, Krankheit, Missbrauch etc.)

Depression

Hilflosigkeit/ Hoffnungslosigkeit

Identifizierung mit depressiven Eltern

Masochismus

Phobie Verfolgungsängste

Ich-Schwäche

Identifizierung

Abbildung 1: Entstehungspfade der Depression nach Hugo Bleichmar 25

Werner Bohleber (2010b, S. 773 f.) fasst die Arbeit von Bleichmar wie folgt zusammen: »Hugo Bleichmar (1996), der explizit ein integratives Modell der Depression entwickeln wollte, sieht die Depression als eine spezifische Reaktion auf den Verlust eines realen oder imaginierten Objekts. Die Reaktion ist durch einen anhaltenden intensiven Wunsch bzw. eine Sehnsucht nach dem verlorenen Objekt gekennzeichnet. Der Wunsch wird aber gleichzeitig als unerfüllbar wahrgenommen. Dieser unerfüllbare Wunsch nimmt einen zentralen Platz in der inneren Welt des Depressiven ein. Das Selbstbild ist erfüllt von Hilf- und Machtlosigkeit. Depression ist nicht nur die Wendung der Aggression gegen das verlorene Objekt, die nach innen gewendet zu Selbstanklagen und Schuldgefühlen führt, sondern für Bleichmar ist die Depression auch eine Folge von zahlreichen anderen Faktoren: eines Traumas sowie früher Verlusterfahrungen und Verlassenheit; einer Identifizierung mit depressiven Eltern; eine Folge narzisstischer Störungen, verursacht durch ein permanent schlechtes Selbstwertgefühl, oder omnipotenten grandiosen Denkens und Phantasierens; eine Folge persekutorischer Ängste oder von Ich-Defiziten im kognitiven, affektiven und interpersonalen Bereich. Bleichmar beschreibt damit unterschiedliche Wege, die besondere psychodynamische Untergruppen der Depression hervorbringen. So spricht er etwa von einer narzisstischen Depression oder einer Schulddepression.« Bleichmar erwähnt auch schwere Traumatisierungen als eine oft verborgene psychodynamische Quelle chronischer Depressionen (vgl. Pfeil von links in der Mitte der Abbildung 1). Allerdings haben wir in verschiedenen Arbeiten diskutiert, dass der Zusammenhang zwischen Trauma und Depression in der psychoanalytischen Literatur immer noch eher marginalisiert wird (Leuzinger-Bohleber, 2015a; Bohleber u. Leuzinger-Bohleber, 2016). Wir begründen diesen Eindruck u. a. mit Ergebnissen und Beobachtungen aus der LAC-Depressionsstudie, auf die ich nun kurz eingehe.

26

Chronische Depression und Trauma

4.1 Transgenerationelle Weitergabe von Trauma und Depression in der LAC-Depressionsstudie In der LAC-Depressionsstudie, die 2007 begonnen wurde, werden psychoanalytische (PAT) mit kognitiv-behavioralen (KVT) Langzeittherapien bei einer chronisch depressiven Patientengruppe miteinander verglichen. Die umfangreiche multizentrische Studie ist eine Kombination eines naturalistischen mit einem experimentellen Studiendesign, in dem der Einfluss von präferierter und randomisierter Verfahrenszuweisung vergleichend untersucht wird. Ein breites Spektrum klinischer und extraklinischer Forschungsmethoden wird angewandt, um Kurz- und Langzeiteffekte beider Therapieverfahren zu untersuchen (vgl. dazu u. a. Beutel et al., 2012; Leuzinger-Bohleber, 2005, 2015b; Leuzinger-Bohleber, Bahrke u. Negele, 2013). Als Beitrag zur Erforschung der Wirkmechanismen von Langzeittherapien ist es u. a. ein Ziel der Studie, Kriterien zur differenziellen Indikation zu untersuchen. Insgesamt wurden 552 Patientinnen und Patienten interviewt. 252 erfüllten die Einschlusskriterien. Die Haupt-Outcome-­ Maße der Studie sind der QIDS-C (Quick Inventory of Depressive Symptoms), von unabhängigen Diagnostikern eingeschätzt, sowie der BDI-2 (Beck Depressionsinventar) als Selbstbeurteilungsinstrument. Die Hypothesen waren, dass beide Psychotherapien zu allen jährlich stattfinden Hauptmesszeitpunkten eine Reduktion der Symptomatik bewirken. Hinsichtlich der Wirkungsverläufe von PAT und KVT werden Unterschiede dahingehend postuliert, dass KVT zu einer rascheren Symptomreduktion führt, PAT hingegen langfristig stabilere Effekte zeigt. Im Juni 2017 wurden die ersten Outcome-­ Ergebnisse bei einer hochrangigen amerikanischen Zeitschrift eingereicht (Leuzinger-Bohleber et al., im Druck a, b). Im Hinblick auf den diskutierten Zusammenhang zwischen Depression und Trauma interessieren die Basisdaten der Studie. In der LAC-Studie wurde eine schwer kranke Population mit einem BDIWert von 32,1 und einem QIDS-C-Wert von 14,3 erreicht. 60 Prozent der 252 Patienten sind nicht verheiratet, 53 Prozent haben keine Transgenerationelle Weitergabe von Trauma und Depression

27

Kinder. Nur ein Drittel der Patienten hatte noch keine vorhergehende Therapie, 28 Prozent haben bereits zwei bis drei vorangegangene Therapien hinter sich, 10 Prozent sogar vier frühere Behandlungen (vgl. Leuzinger-Bohleber et al., im Druck a). Wie schon erwähnt, stellte sich als unerwartetes Ergebnis heraus, dass auffallend viele der chronisch Depressiven der LAC-Studie schwere Kindheitstraumatisierungen erlebt hatten (siehe Tabelle 1). Tabelle 1: Patienteneinschätzungen im Child-Trauma-Questionnaire (aus Negele et al., 2015) CTQ scales

N

%

male

%

female %

Mean

SD

Overall* Emot. abuse Emot. neglect Physical neglect Physical abuse Sexual abuse

264 212 181 111

75.6 60.7 51.9 31.8

78 57 57 30

69.0 50.4 50.4 26.5

186 155 124 81

78.8 65.7 52.5 34.3

63.50 15.47 18.86 12.01

16.49 4.23 2.86 2.23

94

26.9

27

23.9

67

28.4

11.32 3.80

88

25.2

16

14.2

72

30.5

12.20 4.49

* clinical relevant cutoff scores on at least one scale Tabelle 2: Anzahl der erlebten Traumatisierungen (aus Negele et al., 2015) Trauma groups

N

%

male

%

female %

Subthreshold trauma Single trauma Double trauma Multiple trauma Overall

85 72 63 129 349

24.4 20.6 18.1 37.0 100

35 25 22 31 113

41.2 34.7 34.9 24.0 32.4

50 47 41 98 236

58.8 65.3 65.1 76.0 67.6

Aufgrund der Selbsteinschätzungen der Patienten im Child-TraumaQuestionnaire haben 75,6 Prozent der Patienten Kindheitstraumatisierungen erlebt, wobei emotionaler Missbrauch (60,7 Prozent) und emotionale Vernachlässigung (51,9 Prozent) die häufigsten Traumatisierungen darstellen. Ein Viertel aller Patienten erlebte einen sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit. 76 Prozent der Patienten haben 28

Chronische Depression und Trauma

multiple Traumatisierungen erfahren (vgl. Tabelle 2). Diese unerwartete Häufung von schwer traumatisierten Personen in der Stichprobe der LAC-Studie belegt den oben diskutierten Zusammenhang zwischen chronischer Depression und Trauma. Nach Einschätzungen der behandelnden Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker ist die Anzahl der schwer traumatisierten Patienten sogar noch höher (vgl. dazu Negele et al., 2015).

4.2 Einige interdisziplinäre Forschungsergebnisse zu Trauma und Depression Auch Studien aus verschiedenen Nachbardisziplinen diskutieren den Zusammenhang zwischen Trauma und Depression und Möglichkeiten der transgenerativen Weitergabe von familiären Belastungen (Übersicht u. a. in Böker u. Seifritz, 2012; Schore 2012). Dazu möchte ich in diesem Rahmen einige wenige ausgewählte Beispiele nennen: 4.2.1 Frühe emotionale Vernachlässigung, körperlicher und sexueller Missbrauch: erhöhtes Risiko für Depressionen im Erwachsenenalter Hill (2009) betont in seinem Übersichtsartikel, dass zahlreiche Studien inzwischen belegen, dass die Wahrscheinlichkeit, als Erwachsener an einer Depression zu erkranken, sich durch einen frühen Verlust der Eltern oder eine Erfahrung von früher emotionaler Vernachlässigung erhöht (vgl. Bifulco, Brown u. Harris, 1987). Fergusson und Mullen (1999) zeigten ebenfalls in einer großen Literaturübersicht, dass bei Opfern von sexuellem Missbrauch in der Kindheit das Erkrankungsrisiko für Depressionen im Erwachsenenalter um ein Vierfaches erhöht ist. 4.2.2  Kinder depressiver Eltern Nach Murray (2009) ist das wichtigste Ergebnis der großen Cambridge-Longitudinalstudie, dass Kinder depressiver Mütter erhöhte Einige interdisziplinäre Forschungsergebnisse zu Trauma und Depression

29

Risiken aufweisen, begonnen mit problematischen neurobiologischen Reaktionsmustern auf der HPA-Achse bis hin zu depressiv eingefärbten Kognitionen über das Selbst und andere, sozialen Problemen und psychosomatischen Erkrankungen (vgl. dazu auch Kernberg, 2009; Ammaniti, Trentini, Menozzi u. Tambelli, 2014; Schechter, 2014). Es liegt eine ganze Reihe klinischer und empirischer Studien zum Einfluss mütterlicher Depressionen auf die Entwicklung von Babys und Kleinkindern vor (z. B. Ammaniti et al., 2014; Schechter, 2014). Alle stellen fest, wie häufig mütterliche Depressionen zu beobachten sind und welch gravierenden Einfluss sie auf die Entwicklung von Kleinkindern ausüben. Sie diskutieren Implikationen für institutionelle und individuelle Präventionsmöglichkeiten. Breit rezipiert wurden die Arbeiten von Daniel Stern (1995), der durch Videoaufzeichnungen früher Mutter-Kind-Interaktionen spezifische Störungen der Spiegelungsprozesse, des Affect-Attunement und der Affektresonanz bei depressiven Müttern aufzeigte sowie verschiedene Muster des Umgangs mit dem depressiven Primärobjekt beim Baby beschrieb. Diese frühesten Interaktionserfahrungen determinierten weitgehend die weitere Persönlichkeitsentwicklung der Kinder. Hatzinikolaou und Murray (2010) zeigten, dass 28 Prozent der von ihnen untersuchten 68 Mutter-Kind-Paare an schweren postnatalen Depressionen litten. Sie diskutierten genderspezifische Aspekte und deren Einfluss auf den Interaktionsstil zwischen Müttern und ihren Babys. Murray, Fearon und Cooper (2015, S. 155) stellen in ihrer Übersichtsarbeit zusammenfassend fest: »Postnatal depression is a common and dis­abling disorder associated with a range of adverse infant and child outcomes. These occurs principally where the maternal depression is chronic or recurrent, and in the presence of other background risks. Adverse patterns of parenting associated with postnatal depression are likely to play a major role in bringing about poor child outcome«. Einen interessanten Befund legten Meadow, McLanahan und Brooks-Gun (2007) vor. Anhand einer großen Stichprobe (n = 2120) konnten sie zeigen, dass die Depression der Mütter einen signifikanten 30

Chronische Depression und Trauma

Einfluss auf dreijährige Kinder bezüglich ihrer Ängstlichkeit, Depression, Hyperaktivität und ihres oppositionellen Verhaltens hatte. Die Depression der Väter allein zeigte keinen signifikanten Effekt auf diese Entwicklungsstörungen. Waren allerdings beide Eltern depressiv und ängstlich, wurde der negative Einfluss auf die Entwicklung des Kindes verstärkt. Daher gilt inzwischen unbestritten, dass Depressionen in gewissen (traumatisierten) Familien gehäuft vorkommen, und zwar vermutlich durch ein komplexes Zusammenwirken von genetischen und frühen Umweltfaktoren. 4.2.3 Ausgewählte Ergebnisse der epigenetischen Forschung zu Trauma und Depression Inzwischen ist von einer genetischen Vulnerabilität bei Depressiven auszugehen. Doch belegen erste epigenetische Studien, dass diese genetische Veranlagung nur dann zu einer depressiven Erkrankung führt, wenn das Individuum gleichzeitig eine frühe Traumatisierung erlebt. So zeigten Caspi et al. (2003) in einer viel beachteten Studie, dass frühe Separationstraumata das kurze 5-HTTLPR-Allel triggern, das die relevanten Neurotransmitter reguliert und dadurch eine depressive Erkrankung evoziert. Falls kein frühes Trennungstrauma vorliegt, entwickeln sich die Individuen mit einer nachgewiesenen genetischen Vulnerabilität unauffällig und erkranken nicht an Depressionen. Allerdings konnte dieser Befund in einer neueren Metaanalyse nicht repliziert werden, sodass noch fraglich ist, ob der Serotonintransporter-Genotyp und negative (traumatische) Lebensereignisse depressive Erkrankungen wirklich voraussagen (Risch et al., 2009; Rutter, 2009; Kaufman et al., 2006). Goldberg (2009, S. 236) kommt aufgrund seiner Übersicht zur folgenden Einschätzungen: »It is time that the dialogue of the deaf between psychiatric geneticists and psychotherapists came to an end: exiting progress has been made in understanding the interaction between our genetic constitution and social environment that either allows genes to manifest themEinige interdisziplinäre Forschungsergebnisse zu Trauma und Depression

31

selves in the phenotype, or suppress them altogether […]. In humans, the effect of maternal care on hippocampal developments have so far been demonstrated (in females, but not in males). The effects of the environment in promoting gene expression appear to be supported by work showing that the extend of abnormalities in a particular gene, responsible for the metabolism of an important inhibitory neurotransmitter (serotonin), can be shown to be responsible for the sensitivity of the adult to external stress. This gene is also related to the likelihood of secure attachment. Thus the abnormalities observed in the rat also appear to apply to the human as well«. Steven Suomi (2011), ein Schüler von Harlow, konnte dank neuer Untersuchungsmethoden auch auf neuromolekularer Ebene den Einfluss früher Separationstraumata bei Rhesusaffen belegen. Eine frühe Trennung vom Muttertier löste Depressionen, Aggressionen und Ängste sowie massiv gestörtes Sozialverhalten aus. Ohne eine frühe Trennung entwickelten sich die Äffchen jedoch trotz der nachgewiesenen genetischen Vulnerabilität normal (vgl. dazu auch Medina, 2010). Für Psychoanalytiker relevant ist sein Nachweis, dass das Triggern des 5-HTTLPR-Allels gestoppt werden konnte, falls die Äffchen nach einigen Tagen wieder zu einem fürsorglichen Muttertier zurückgegeben wurden: Analog den klassischen Hospitalisationsstudien von René Spitz konnten die psychotoxischen Wirkungen der Traumatisierungen abgemildert werden, falls die Trennungen nicht allzu lange dauerten und ein einfühlsames Ersatzobjekt existierte. Robertson und Robertson haben Spitz’ Befunde in den 1970er Jahren mit ihren berühmten Studien repliziert (Robertson u. Robertson, 1975). Neuere Studien von Gapp et al. (2016), einer Forschergruppe in Zürich, bestätigten übrigens die epigenetischen Ergebnisse von Suomi anhand von Mäuseexperimenten. Der Einfluss früher Traumatisierungen auf die weitere Entwicklung entspricht klinisch-psychoanalytischen Erfahrungen. Goldberg (2009, S. 245 f.) schreibt am Schluss seines Übersichtsartikels dazu: »These interactions between gene and environment, between behaviour and genotype are important in the way they provide explanations of how the many different features that make-up the ›depressive diath32

Chronische Depression und Trauma

esis‹ arise. However, they have a much wider significance. They provide a possible pathway by which changing interpersonal and cultural factors across the generations can be cause as well as effect of genotype, and though which changes in human culture might possibly be operating as an accelerator of evolutionary processes. In summary, we see that adverse environmental conditions are especially harmful to some particular genotypes, leaving the remainder of the population relatively resilient. Research in this area is expanding very fast – and we may expect many more advances in the years to come« (Hervorh. von M. L.-B.; vgl. dazu auch Leuzinger-Bohleber u. Fischmann, 2014). 4.2.4 Einige neurowissenschaftliche Studien zu Trauma und Stress Der Neurowissenschaftler und Psychoanalytiker Bradley Peterson (2013) von der Columbia University in New York berichtete von fmRI-Studien über drei Generationen von Patienten (n = 131, im Alter von sechs bis 54 Jahren) mit einer Major Depression. Seine Forschergruppe stellte fest, dass in diesen Familien eine statistisch signifikante Reduktion der kortikalen Dicke der rechten Hemisphäre festgestellt wurde. »These findings suggest that cortical thinning in the right hemisphere produces disturbances in arousal, attention, and memory for social stimuli, which in turn may increase the risk of development depressive illness« (Petersen et al., 2013, S. 1). Seine Forschergruppe macht allerdings keine Aussagen zu vermehrten Traumatisierungen in diesen Familien. Doch liegt inzwischen eine Vielzahl von Studien vor, die den Einfluss von Stress etwa beim Posttraumatischen Belastungssyndrom auf das Gehirn u. a. bei Depressiven nachgewiesen haben (vgl. dazu u. a. Reinhold u. Markowitsch, 2010). Von vielen Autoren werden daraus auch behandlungstechnische Folgerungen gezogen: »Besonders interessant war das Ergebnis, dass Patienten mit Kindheitstraumata (früher Verlust der Eltern, Gewalterfahrungen, sexueller Missbrauch, Vernachlässigung) deutlich stärker Einige interdisziplinäre Forschungsergebnisse zu Trauma und Depression

33

von Psychotherapie profitieren als Patienten ohne Traumata. Alleinige Psychotherapie war bei diesen Patienten nicht nur wirksamer als eine medikamentöse Monotherapie, auch die Kombination beider Verfahren [Psychotherapie/medikamentöse Behandlung, M. L.-B.] führte nur zu geringfügig besseren Ergebnissen […]. Der Wissenszuwachs der letzten Jahrzehnte hat komplexe Zusammenhänge zwischen Hormonen, Genen und Umwelteinflüssen auf die menschliche Psyche offenbart und gleichzeitig die Grundlage für individualisierte therapeutische Interventionen eröffnet« (Bosch u. Wetter, 2012, S. 376; vgl. dazu auch Kendler, Gatz, Gardner u. Pedersen, 2006; Hill, 2009, S. 202 ff.). Auch weitere neurowissenschaftliche Befunde illustrieren die Verknüpfung von Trauma und Stress einerseits und Emotionen und Gedächtnis andererseits. Es besteht eine Wechselbeziehung zwischen dem autonomen Nervensystem sowie der zerebralen und extrazerebralen Regulierung innerer Sekretionen, die sich wiederum auf spezifische Hirnareale auswirken, wie die limbischen Strukturen (Amygdala und Hippocampus), den orbitofrontalen Kortex und den Hypothalamus mit der Hypothalamus-Hypophysen-­ Nebennierenrinden-­Achse (HPA-Achse). Allein die hier genannten Hirnstrukturen verweisen auf einen Bezug von Trauma zu Gedächtnis und Emotionen (vgl. Tutté, 2004). Umstritten ist die zweifache Kategorisierung von Gedächtnis, die Kognitionswissenschaftler vorgenommen haben, und damit verbunden die Frage nach Erinnerungen an frühe traumatische Erfahrungen. Häufig wird dabei auf die folgende Grafik von Milner, Squire und Kandel (1998) Bezug genommen, in der kategorisch zwischen dem deklarativen, expliziten und dem prozeduralen, impliziten Gedächtnis unterschieden wird (siehe Abbildung 2). Eine klinisch relevante Kontroverse betrifft Erinnerungen an sehr frühe traumatische Erfahrungen. Nach Olds und Cooper (1997) ist der menschliche Hippocampus bis zum Alter von zwei Jahren unreif, während die Amygdala zu dieser Zeit schon vollständig entwickelt ist. Demnach würden sehr frühe Kindheitsängste im »emotionalen Gedächtnis« der »unreifen« Amygdala-Schaltkreise aufbewahrt 34

Chronische Depression und Trauma

Langzeitgedächtnis

deklarativ explizit

Tatsachen

Ereignisse

Kortex medialer Temporallappen

bewusst

prozedural implizit

Fertigkeiten Gewohnheiten

Striatum

Priming

Neokortex

Konditionieren

Emotionale Reaktionen

Motorik

Amygdala

Zerebellum

Nichtassoziatives Lernen

Reflexbahnen

unbewusst

Abbildung 2: Taxonomie der Gedächtnissysteme (angelehnt an Milner, Squire u. Kandel, 1998)

und dem (erwachsenen) Bewusstsein verbal-narrativ kaum zugänglich sein. Dieser These widerspricht der Befund von Rovee-Collier (1997, 1999) und Rovee-Collier u. Cuevas (2009), dass Kleinkinder von zwei Monaten bereits ein deklarativ-explizites Gedächtnis bilden können. So gebe es keine Phase der Entwicklung, in der ausschließlich prozedural-implizites Gedächtnis entstehe. Die Gedächtnisbildung sei ein vielfältiger, komplexer und variabler Prozess, der Gefühle, Motive (eigene und fremde), Ängste und Konflikte einschließe und schon sehr früh im Leben stattfinde. Eine analoge Auffassung vertritt Gaensbauer (2011), der mit eindrücklichen klinischen Beispielen belegt, dass sich schon Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr an extrem traumatische Ereignisse in ihrem ersten Einige interdisziplinäre Forschungsergebnisse zu Trauma und Depression

35

Lebensjahr (z. B. an die Erschießung des Vaters) erinnern. Schließlich kann mithilfe des Konzepts der Embodied Memories in neuer Weise die freudsche These gestützt werden, dass sich frühe und früheste Erinnerungen »im Körper niederschlagen« (vgl. Kapitel 5 und Leuzinger-Bohleber, Emde u. Pfeifer, 2013; Leuzinger-Bohleber, 2015a; Leuzinger-Bohleber u. Fischmann, 2014). Im Kontext dieses Bandes mag es genügen, dass sich Beziehungserfahrungen und besonders frühe traumatische Erlebnisse im Gedächtnis erhalten und daher, wie die oben zitierten Thesen der epigenetischen Forschung nahelegen, eine genetische Vulnerabilität bei Depressiven »triggern« können.

36

Chronische Depression und Trauma

5 Embodied Memories1: Schlüssel zum Verstehen von unbewusst gewordenen Traumatisierungen

Wie in anderen Arbeiten ausführlich diskutiert, öffnen »Embodied Memories« in psychoanalytischen Behandlungen oft Türen zu unbewusst gewordenen Traumatisierungen der Patientinnen und Patienten. Meine Überlegungen und entsprechende klinische Erfahrungen sollen im Folgenden kurz zusammengefasst werden. Die »klassische« Cognitive Science ging von Analogien des menschlichen Gehirns mit einem Computer aus, in dessen »Langzeitspeicher« sich Informationen einlagern und in einer neuen, aktuellen Problemlösungssituation abgerufen werden können (d. h. ins Kurzzeitgedächtnis transferiert werden müssen). Dieses Verständnis von Problemlösungsprozessen im Gehirn erwies sich als grundsätzlich falsch. Daher war es unumgänglich, grundsätzlich andere Konzeptualisierungen von Gedächtnis zu entwerfen, mit anderen Worten, einen Paradigmenwechsel von der klassischen hin zur sogenannten Embodied Cognitive Science zu vollziehen (vgl. Pfeifer u. Bongard, 2007; Leuzinger-Bohleber, 2015a).

1 Es hat sich eingebürgert, den englischen Fachausdruck zu verwenden, da die deutschen Übersetzungen wie »verkörperlichte Erinnerungen« wenig überzeugend sind. 37

5.1 Von der klassischen zur Embodied Cognitive Science Wie sah dieser Paradigmenwechsel konkret aus? Es ist nicht zufällig, dass die Grundlagenforscher in der Embodied Cognitive Science vermehrt Anleihen bei den sogenannten »Life Sciences« machten, vor allem bei der Biologie, der Genetik, der empirischen Entwicklungsforschung und den modernen Neurowissenschaften, so etwa Gerald Edelman in seinem Buch »Neural Darwinism« (1987, dt. 1993), Antonio Damasio in »Descartes’ Irrtum« (1994, dt. 1997), Lakoff und Johnson in »Philosophy in the flesh. The embodied mind and its challenge to western thought« (1999) sowie Rolf Pfeifer und Joe Bongard in »How the body shapes the way we think« (2007, zusammengefasst in Leuzinger-Bohleber, 2015a). Alle diese Autoren diskutieren, dass der descartsche Dualismus zwischen Geist und Körper zugunsten einer neuen Sichtweise eines »Embodiments« der Seele im Körper revidiert werden muss: Seelische Prozesse werden immer durch aktuelle körperliche Prozesse bestimmt, und zwar in einer viel grundsätzlicheren Weise, als dies bisher von vielen psychoanalytischen Autoren und Autorinnen postuliert wurde, die sich mit psychosomatischen Themen beschäftigen. Vittorio Gallese (2013), einer der Entdecker der Spiegelneuronen, fasste einige faszinierende Ergebnisse der neueren Hirnforschung zusammen, die ebenfalls eine revolutionär neue Konzeptualisierung des Leib-Seele-Problems nahelegen. Analog zum Konzept des Embodiments betont auch er die kontinuierliche Konstruktion von seelischen Zuständen in aktuellen (körperlich stattfindenden) Interaktionssituationen, eine Position, die den »intersubjective turn« in der Psychoanalyse interdisziplinär abstützt (vgl. dazu auch Gallese, 2009; Knox, 2009; Fuchs, Sattel u. Henningsen, 2010). Um dies kurz weiter zu konkretisieren: Edelman (1987, dt. 1993) berücksichtigt konsequent die Prinzipien selbstorganisierender (biologischer) Systeme. Er wendet in seinen Überlegungen systematisch Erkenntnisse aus der Phylogenese und der Ontogenese des Menschen auf die Funktionsweise des Gedächtnisses an. Lebende Systeme 38

Embodied Memories: Schlüssel zum Verstehen

sind (in Gegensatz zu einem Computer mit statischer Hardware) zu einer dauernden Adaptation an ihre Umwelt gezwungen und haben daher selbstregulative Mechanismen entwickelt, um sich in Interaktion mit den momentanen Erfordernissen einer Situation ständig entsprechend verändern zu können. Daher ist für Edelman ein zentrales Ziel seiner Gedächtnistheorie, eine plausible Erklärung zu finden, wie sich ein Organismus adaptiv in einer immer wieder neuen, kaum vorhersehbaren Welt verhalten kann. Damit spricht er eines der zentralen Probleme jeder Form der Psychotherapie an: Wie kann Patienten geholfen werden, dass sie ihr inadäquates Denken, Fühlen und Handeln neuen, aktuellen Beziehungssituationen anpassen, das heißt, in »besser funktionierende psychosoziale Interaktionen« transformieren? Edelman erklärt die für den Organismus funktionale Adaptationsfähigkeit u. a. anhand von Selektionsprozessen überlegener Varianten in einer großen Population von leicht divergierenden Proteinstrukturen bei Immunreaktionen und spricht in diesem Zusammenhang von einem »selektiven Erkennungssystem«. Seine These ist, dass das Immunsystem aufgrund von Erfahrung lernt, also über »Gedächtnis« verfügt, aber nicht, indem es Wissen statisch (analog einem Computer) speichert bzw. Erkennungsprogramme für bestimmte Informationsmuster (Antigene) aufbaut, sondern indem es seine Zellstruktur durch die frühere Erfahrung verändert (mehr Antikörper produziert). Das »Gedächtnis« entsteht also durch eine Interaktion mit der Umwelt (das eindringende Antigen »selektiert« die am besten passende aus einer Vielzahl möglicher Proteinstrukturen und löst dadurch deren Vermehrung aus), die eine Veränderung des Organismus (die Anzahl bestimmter Zellen) zur Folge hat. An diesem Beispiel sehen wir, dass Gedächtnis nicht ohne eine Interaktion mit der Umwelt, aber auch nicht ohne eine ständige (adaptive) Veränderung im Organismus (Embodiment) selbst zu denken ist. Zudem werden die »adäquatesten« Proteinstrukturen (im Gegensatz zu »identischen Mustern« in einer Computerspeicherung, vgl. oben) aus einer großen Vielfalt vorhandener Zellen ausgesucht. Schließlich ist hervorzuheben, dass durch diese Prozesse Von der klassischen zur Embodied Cognitive Science

39

»automatisch« Kategorien (z. B. die Unterscheidung zwischen »Selbst« und »Nicht-Selbst«) entstehen: Sie werden weder von außen vorgegeben noch innerlich statisch gespeichert bzw. durch Detektorenprogramme erkannt. Genau diese Aspekte von Gedächtnis werden nun in Gedächtnistheorien der Embodied Cognitive Science im Gegensatz zu »klassischen Konzeptualisierungen« betont: die Relevanz der System-Umwelt-Interaktion für das Gedächtnis, das Embodiment, das »relativ unpräzise«, aber adaptive In-Beziehung-Setzen von neuer und früherer Information und die ständig sich verändernde, »automatische« Rekategorisierung. Oder wie Clancey (1993) in seiner Definition betont, wird Gedächtnis, analog zu Prozessen von biologischen Systemen, als Fähigkeit definiert, neurologische Prozesse so zu organisieren, dass sie Wahrnehmungen und Bewegungen in analoger Weise miteinander in Beziehung setzen, das heißt, diese koordinieren und dadurch kategorisieren, wie dies in früheren Situationen geschah. Zusammenfassend wird Gedächtnis daher in der Embodied Cognitive Science verstanden als ein aktiver, kreativer Vorgang des gesamten Organismus, der auf sensomotorisch-affektiven Koordinationsprozessen und damit in Zusammenhang stehenden »automatischen«, sich ständig adaptierenden Rekategorisierungsprozessen beruht. Gedächtnisleistungen, wie Erinnern, sind daher keine rein mentalen Prozesse, sondern werden immer durch aktuell, vorwiegend unbewusst ablaufende körperliche Prozesse in der gegenwärtigen Interaktionssituation hervorgebracht. In der psychoanalytischen Fachliteratur finden sich inzwischen verschiedene Arbeiten, die das Konzept des Embodiments aufnehmen, allerdings oft nicht in der radikalen Weise, wie dies hier postuliert wurde (Zusammenfassung in Leuzinger-Bohleber, Emde u. Pfeifer, 2013). Interessant sind die konzeptuellen Integrationen von »embodied simulation« und Studien zu den Spiegelneuronen, die Gaensbauer (2011) vorlegt, um das Reenactment frühester Traumatisierungen zu erklären. Mit drei eindrücklichen Fallbeispielen illustriert er, dass auch sehr kleine Kinder (der zweieinhalbjährige Kevin, die vier Monate alte Jennie und die dreieinhalb Jahre alte Margaret) 40

Embodied Memories: Schlüssel zum Verstehen

erlittene oder beobachtete Traumatisierungen, wie etwa den Tod des Vaters, der in einem Kampf niedergestochen wurde (Kevin), in ihren Spielen präzise wiederholen. Er erklärt diese »embodied Erinnerungen« durch die Funktionsweise der Spiegelneuronen und »embodied simulation«. Er verweist auf ähnliche Erklärungsversuche wie die »deferred imitation«, verschiedene Formen des impliziten, prozeduralen Gedächtnisses oder des »behavioral memory«. Allerdings verwendet auch Gaensbauer (2014) eine spezifische und gleichzeitig breite Definition von Embodiment – als körperlich verankerte Emotionen in menschlichen Interaktionen. Im Gegensatz zu anderen Autoren plädiere ich für eine enge Definition des Embodiments, die über eine allgemeine Betonung der »Körperlichkeit seelischer Prozesse« hinausgeht. So wirft ein eng definiertes Konzept des Embodiments u. a. ein neues Licht auf Entwicklungsprozesse bzw. die determinierende Wirkung von frühen und frühesten Interaktionserfahrungen (vgl. Leuzinger-Bohleber u. Pfeifer, 2013). Wie auch epigenetische Studien zeigen, »triggern« diese frühen Beziehungserfahrungen die genetische Anlage des Säuglings in spezifischer Weise und erhalten sich im Sinne des Embodiments im Körper. Dadurch bestimmen sie späteres Denken, Fühlen und Handeln grundlegend. Sie bilden die Basis der weiteren psychischen und somatischen Entwicklung, und zwar nicht nur, wie dies bisher oft verstanden wurde, als »nonverbales Kommunikationsverhalten«, sondern als basale, konstitutive Elemente psychischer Prozesse ganz allgemein. Embodiment heißt daher nie einfach nur: »nonverbal« oder »körperlich ausgedrückt«, sondern bedeutet, dass im Hier und Jetzt einer neuen Interaktionssituation durch sensomotorische Koordinationen die Analogien zu früheren Situationen (nicht kognitiv, sondern im Körper) erkannt und Erinnerungen jedes Mal neu konstituiert werden und dass dadurch die Interpretation einer aktuellen Problemlösungssituation determiniert wird. Diese Prozesse spielen sich nicht nur im Gehirn ab, sondern vor allem im Körper, in den Sinneswahrnehmungen, die in komplexer, unbewusster Weise zusammenspielen und Denken, Handeln und Fühlen determinieren. Von der klassischen zur Embodied Cognitive Science

41

Dabei folgen sie den Koordinationen, wie sie sich in früheren Interaktionssituationen abgespielt haben: Embodiment ist daher eine Perspektive, die immer den Entwicklungsaspekt berücksichtigt. Dieses Verständnis erweist sich besonders für das Entschlüsseln von sich ständig wiederholenden unbewussten Erinnerungsprozessen an frühkindliche Traumatisierungen in der Übertragungssituation als ausgesprochen fruchtbar (vgl. dazu Leuzinger-Bohleber, 2015a; Bohleber u. Leuzinger-­Bohleber, 2016).

5.2 Entschlüsseln von Embodied Memories und therapeutische Veränderungen. Zwei Fallbeispiele In diesem beschränkten Rahmen kann das innovative Potenzial des Embodiment-Konzepts für das Verstehen klinisch relevanter Verhaltensweisen in psychoanalytischen Behandlungen am ehesten mit Fallbeispielen illustriert werden.2 Embodied Memories weisen oft auf traumatische Körpererfahrungen hin, die sich in seelischen Zuständen und Symptomen niederschlagen, aber der Person nicht bewusst zugänglich sind, obwohl sie aktuelles Denken, Handeln und Fühlen dauernd beeinflussen. Wie der folgende kurze Bericht aus einer dritten Psychoanalyse einer Patientin mit einer traumatischen Erkrankung an einer Poliomyelitis in ihrem vierten Lebensjahr erläutern mag, war das genaue Entschlüsseln ihrer »ver-rückten«, bisher unbewussten Verhaltensweisen Voraussetzung für eine für sie existenziell wichtige Verhaltensänderung. Da ihre Symptome als »psychotisch« diagnostiziert worden waren, war Frau B. mit verschiedenen Psychopharmaka behandelt worden. Allerdings waren dadurch ihre »psychotischen Zusammenbrüche« nicht verschwunden.

2 Da es u. a. aus Diskretionsgründen schwierig ist, ausführliches Fallmaterial zu publizieren, muss ich bei den beiden Beispielen auf bereits veröffentlichte Fallskizzen zurückgreifen (vgl. u. a. Leuzinger-Bohleber, 2008 und 2015a, S. 168 ff., 2015b). 42

Embodied Memories: Schlüssel zum Verstehen

»Wie viel Leid hätte ich mir, meinem Mann und meinen Kindern erspart, wenn ich früher den Mut aufgebracht hätte, genauer hinzuschauen.« (Frau B.) – ­Psychotischer Kern oder Embodied Memories an schwere Traumatisierungen der Kindheit? Die Motivation zu einer dritten Psychoanalyse Die Motivation der 52-jährigen Frau B., eine weitere Psychoanalyse zu beginnen, waren vor allem die immer noch bestehenden schweren Schlafstörungen, schwere depressive Verstimmungen und die heftigen »psychotischen« Zusammenbrüche, die nun ihre Ehe bedrohten. »Mein Mann hält dies nicht mehr aus, er will sich scheiden lassen … und dies nach all den gemeinsamen Jahren … es wäre für mich und meine beiden Kinder eine Katastrophe … Meine beiden Analysen haben viel gebracht, aber an den Zusammenbrüchen haben sie nichts geändert, aber auch gar nichts, dies ist sehr deprimierend. Ich habe es auch mit Medikamenten versucht, doch vergebens, auch dies nützte nichts … und nun stehe ich vor dem Aus …« Die erste Analyse hatte sie nach einem depressiven Zusammenbruch nach dem Suizid ihres behinderten Bruders im 23. Lebensjahr begonnen. »Dank der Behandlung kam ich aus der schweren Depression raus und zog mit meinem Verlobten in eine andere Stadt … Da ich weiterhin schwere psychosomatische Symptome, Schlaf- und Essstörungen hatte, begann ich mit dreißig Jahren eine weitere Psychoanalyse. Diese half mir, mich von meinem Verlobten zu trennen und mich das erste Mal in meinem Leben wirklich zu verlieben und mit 33 Jahren schwanger zu werden. Mit 38 Jahren bekam ich Zwillinge – ohne Psychoanalyse hätte ich dies nicht geschafft. Dafür bin ich sehr dankbar – aber eben meine ›Psychose‹ hatte sich nicht verändert … Sie ist wie ein Albtraum. Von einem Moment zum anderen bin ich eine völlig andere Person, schreie nur noch und attackiere meinen Mann auch physisch … Ich sitze dann stundenlang im Dunkeln zusammengekauert in einer Ecke, bis mich mein Mann endlich wieder aus dem Zustand herausholt … ich schäme mit dann entsetzlich … kein Mensch würde mir glauben, dass dies dieselbe Person ist, die ein groEntschlüsseln von Embodied Memories

43

ßes Heim für Behinderte leitet, Vorträge im Ausland hält und wichtige Bücher geschrieben hat …« Die ersten Monate der dritten Psychoanalyse: Erinnern an frühere psychoanalytische Einsichten Frau B. ließ sich schnell auf einen erneuten intensiven psychoanalytischen Prozess ein. Erinnerungen an die beiden ersten Psychoanalysen tauchten auf: Der erste Analytiker war offensichtlich vor allem von der amerikanischen Objektbeziehungstheorie geprägt, der zweite fühlte sich einem neokleinianischen Ansatz verbunden. Im dritten Monat der Behandlung starb der Vater von Frau B. Die Analysandin reagierte mit schweren Schuldgefühlen, weil sie auf einer Vortragsreise im Ausland und nicht bei ihm war, als er starb. In den nächsten Wochen schien die Analysandin wie paralysiert, unfähig, irgendwelche Gefühle zu empfinden: »Ich fühle mich wie ein Roboter – alles hat seine Bedeutung verloren – es ist, wie wenn jemand mein Licht ausgedreht hätte …« Während vieler Sitzungen sprach Frau B. kein Wort. Zunehmend besorgte mich die pathologische Trauerreaktion der Analysandin. Schließlich konnte Frau B. einen Traum erinnern, in dem sie neben einer Person in einem Sarg lag. Es war unklar, ob die Person noch lebte oder tot war. »Sie scheinen mir manchmal wie tot hier auf der Couch zu liegen. Könnte es sein, dass Sie Ihr eigenes Leben opfern, weil sie einen erfolgreichen Vortrag in Los Angeles gaben, während Ihr Vater im Sterben lag?« Frau B. erinnerte sich nun an die entsetzlichen Schuldgefühle nach dem Tod ihres behinderten Bruders, die in der ersten Psychoanalyse bearbeitet worden waren. Dieser vier Jahre ältere Bruder war sehr eifersüchtig auf sie als hübsches, gesundes und begabtes Geschwister gewesen. Die Eltern hatten Frau B. vor seinen Eifersuchtsattacken nicht geschützt, wohl ein Grund, warum ihre eigenen aggressiven Impulse übermäßig stimuliert und psychisch nicht integriert werden konnten – und nach seinem Tod eine pathologische Trauer und eine schwere Depression begünstigt hatten. Ihre Aggressionshemmung förderte das Ausbilden einer übermäßig sozialen, altruistischen Persönlichkeit: Sie galt als das integra44

Embodied Memories: Schlüssel zum Verstehen

tive Element in ihren Schulklassen und war eine begabte Schülerin, die aber kaum Freude über ihre exzellenten Leistungen empfinden konnte. Daher ließ sie sich zur Sozialpädagogin ausbilden und wurde eine der führenden Expertinnen in der Behindertenpädagogik. In der zweiten Psychoanalyse stand ihre Aggressionsproblematik im Zentrum der analytischen Arbeit und ermöglichte ihr schließlich die Trennung von ihrem behinderten Verlobten und die Zuwendung zu einem »gesunden, attraktiven« Mann, dem Vater ihrer Kinder. Doch, wie erwähnt, änderte sich an den Zusammenbrüchen nichts. Ihr zweiter Analytiker bezeichnete sie als »psychotischen Kern«, der durch die depressive Mutter übermäßig stimuliert worden und daher psychisch nicht zu integrieren war. »Ich dachte, ich muss wohl damit irgendwie leben … die Zusammenbrüche sind nicht zu behandeln …« Embodied Memories an die schweren Traumatisierungen der Polioerkrankung Die folgende Analysestunde fand ungefähr ein Jahr nach Beginn der Behandlung statt. Nach einem Wochenende im Sommer erschien Frau B. mit einem bleichen, ausdruckslosen Gesicht in einem dicken Wollpullover. Ich fragte mich, ob sie krank sei, und beobachtete, dass sie nur schleppend die Treppen zum Praxiszimmer hochging. Dies erinnerte mich an mich selbst: Letzte Woche hatte ich eine schwere Grippe und war kaum die Treppe hochgekommen. Frau B. legte sich auf die Couch und schwieg in einer bewegungslosen, starren Körperhaltung über eine halbe Stunde lang. Je länger die Pause dauerte, desto intensivere depressive Gefühle breiteten sich in mir aus. Plötzlich fiel mir der oben erwähnte Traum vom Sarg mit den zwei Personen wieder ein. Die Assoziation, dass wir beide warme Wollpullover trugen, obschon draußen die Sonne schien, führte zu dem Einfall: Waren wir die beiden Personen im Sarg? Frau B. wusste nicht, dass auch ich eine schwere Krankheit als Kind durchgestanden hatte, zu deren Langzeitfolgen eine labile Temperaturregulation gehört. Waren die beiden Personen im Sarg nicht nur, wie wir dies in der erwähnten Analysestunde verstanden hatten, der tote Vater und Entschlüsseln von Embodied Memories

45

der behinderte Bruder, sondern vielleicht wir beide und unsere (unbewussten) Erinnerungen an die traumatischen, lebensbedrohlichen Krankheiten, die wir beide als Kinder erlebt hatten? Frau B. schwieg immer noch. Schließlich unterbrach ich das Schweigen: »Fällt es Ihnen heute schwer, zu sprechen? Wo sind Sie mit Ihren Gedanken?« – »Ich mag Ihnen nicht erzählen, was während des Wochenendes geschehen ist – ich will Sie nicht damit belasten, und es hat sowieso keinen Sinn. Auch diese Analyse hilft mir nichts …« – »Haben Sie die Sorge, dass ich es nicht aushalten kann, wenn Sie mich belasten?«, fragte ich zurück und dachte dabei an die Mutter von Frau B. während der Polioerkrankung der Kleinen. Darauf begann Frau B. zögernd zu erzählen: Sie hatte das Wochenende mit ihrem Mann und ihren adoleszenten Kindern in einem Ferienhaus verbracht und sich sehr darauf gefreut, weil sie lange nicht mehr als gesamte Familie etwas unternommen hatten. Die »Katastrophe« ereignete sich während eines Spaziergangs durch die sonnigen Wiesen. Sie hatte sich entspannt und absolut glücklich gefühlt, machte Witze mit ihren Kindern und plauderte mit ihnen. Sie erzählte dann ihrem Mann, dass sie ein Restaurant an einem wunderschönen See reserviert hatte, um seinen Geburtstag mit ihm und Freunden zu feiern. Ihr Mann reagierte nicht, wie sie dies erwartet hatte, erfreut, sondern irgendwie reserviert, fast ärgerlich (später erzählte er ihr, dass er sich überrumpelt und von ihren Plänen ausgeschlossen fühlte). »Von einem Moment auf den anderen war alles anders: Ich hatte furchtbare Kopfschmerzen, konnte kaum noch atmen und hatte den starken Impuls zu erbrechen. Der ganze Körper tat weh. Es war so unerträglich, dass ich anfing zu schreien und körperlich auf meinen Mann loszugehen. Ich schlug wie wild um mich und griff meinen Mann an, verbal und physisch. Und dies alles vor meinen Kindern … Es war schrecklich. Mein Mann war wütend und reiste mit den Kindern ab. Ich war in einem grässlichen Zustand und verkroch mich, zusammengekrümmt wie ein Embryo, in die dunkle Ecke des Schlafzimmers. Ich war wie tot … über Stunden. Mein Mann kam gegen Morgen zurück und versuchte, mich aus dem Zustand raus46

Embodied Memories: Schlüssel zum Verstehen

zuholen – doch ich ertrug keine Körperberührung, sondern fing gleich wieder an zu schreien. – Schließlich, nach weiteren sechs Stunden, konnte ich endlich zulassen, dass er mich in den Arm nahm, und fiel in einen fast bewusstlosen Schlaf … Ich schäme ich so entsetzlich. Nun hat er endgültig genug von mir – und meine Kinder auch …« Frau B. hatte unerträgliche Schuldgefühle und schämte sich. »Es ist wie ein Albtraum. Ich bin wie eine andere Person. Bin ich verrückt, psychotisch?« Während mir Frau B. diese erschreckenden Erfahrungen berichtete, fiel mir ein, dass das Thema »Polio« seit etwa neun Monaten nicht mehr in der Psychoanalyse aufgetaucht war. »Ich kann mir vorstellen, wie beschämend und entmutigend dies alles für Sie ist. Sie hatten so sehr gehofft, dass Ihnen diese dritte Tranche Psychoanalyse helfen kann, dass Sie nicht mehr in solche Zustände geraten – und nun haben Sie dies wieder erleben müssen. Verständlich, dass Sie die Hoffnung verloren haben, dass Ihnen unsere Arbeit helfen kann … Mir ist gerade aufgefallen, dass das Thema ›Polio‹ seit sehr langer Zeit aus der Psychoanalyse hier verschwunden ist. Könnte es sein, dass Ihr Zusammenbruch uns unbewusst an das Thema erinnert? Vielleicht sind es ›verrückte‹ Erinnerungen an den absolut unerträglichen Körperzustand während der Polioerkrankung, verbunden mit Entsetzen, Verzweiflung und Todesangst, Erinnerungen, die normalerweise nicht hier auf der Couch auftauchen …?« Die Analysandin schien berührt zu sein von dieser Vermutung, entspannte sich und begann fürchterlich zu weinen. »Ja, ich habe das Thema wirklich weggeschoben, wollte nicht mehr daran denken, auch hier nicht …« Nach dieser Sitzung recherchierte Frau B. erstmals im Internet nach Details der Polioerkrankung und stellte fest, dass sie wohl an einer »paralytic poliomyelitis« erkrankt war. Sie erinnerte sich nun, dass sie  – ebenfalls im Sommer  – an einem wunderschönen Tag draußen im Garten mit anderen Kindern spielte. Von einem Moment auf den anderen fühlte sie sich hundeelend, musste erbrechen und litt an unerträglichen Kopf- und Ganzkörperschmerzen. Sie telefonierte mit ihrer Mutter, die ihr diese Erinnerungen bestätigte. Sie hatte plötzlich über 40 Grad Fieber und Schüttelfrost. Sie schrie vor Schmerz und Entschlüsseln von Embodied Memories

47

konnte nicht ertragen, wenn jemand sie berühren wollte … und dann trat die Lähmung ein – mehrere Wochen war sie komplett gelähmt und musste künstlich ernährt werden. In den folgenden Sitzungen fielen uns die Analogien zwischen ihren Zusammenbrüchen und diesem absolut plötzlichen Beginn der Polioerkrankung auf. Es schien immer wahrscheinlicher, dass es sich bei diesen Zusammenbrüchen um Embodied Memories handelte: Die auslösende Erfahrung des »Plötzlichen«, »Unerwarteten«, des »abrupten Rückzugs des Ehemanns in einer vertrauensvollen Situation«, die Erfahrung, »dass von einem Moment zum anderen alles anders ist …«, wie auch der unerträgliche Ganzkörperschmerz wiesen eine auffallende Analogie zu dem Beginn der Polioerkrankung auf. Die aktuellen Sinneswahrnehmungen (wenn ihr Mann sich abrupt und völlig unerwartet abwendet und sich in ihrer Wahrnehmung plötzlich verändert) koordinierten vermutlich sensomotorische Stimuli in analoger Weise wie in der eben beschriebenen traumatischen Situation und konstruierten (selbstverständlich unbewusst) körperliche Erinnerungen daran. Vermutlich hatte der absolut unerwartete, plötzliche Einbruch der Polio mit ihren heftigen körperlichen Schmerzzuständen auch die Wahrnehmung ihrer Bezugspersonen – sowie der Realität um sie herum (Sonnenschein im Garten etc.) – »total verändert«. Frau B. hatte diese frühinfantile traumatische Situation nicht bewusst (im deklarativen Gedächtnis) erinnert. Die Erinnerungen waren in ihrem »embodied Verhalten« – ihren Körperreaktionen in einer spezifischen interaktiven Situation (mit ihrem Ehemann) – erhalten und konnten erst durch detaillierte Beobachtungen in der Übertragungsbeziehung sukzessiv entschlüsselt werden. Das Entschlüsseln dieser Embodied Memories und ihr Durcharbeiten in der analytischen Beziehung wirkten wie eine große Befreiung auf Frau B. Sukzessiv konnte sie ihre »psychotischen Zusammenbrüche« kontrollieren, für sie und ihren Mann eine enorme Entlastung. Ich kann in diesem Rahmen nicht weiter auf die Transformationen eingehen, die sich an diese psychische Integration der Embodied Memories anschlossen, sondern nur den Schluss der ausführlicheren Falldarstellung abschließend zitieren: 48

Embodied Memories: Schlüssel zum Verstehen

»In vielen analytischen Sitzungen war Frau B. mit ihrer Trauer beschäftigt: ›Wie viel Leid hätte ich mir, meinem Mann und leider wahrscheinlich auch meinen Kindern erspart, wenn ich früher den Mut aufgebracht hätte, genauer hinzuschauen, statt ständig innerlich auf der Flucht zu sein, überzeugt, dass mich jederzeit eine Katastrophe einholen kann …‹ Vorwürfe an die beiden Analytiker tauchen auf. Sie werden zuweilen in großer Klarheit, ja sogar Härte formuliert, allerdings ohne dadurch die Dankbarkeit zu zerstören, dass ihr beide Psychoanalysen, trotz ihrer Grenzen, viele Tore für ihre Lebensgestaltung aufgestoßen haben« (Leuzinger-Bohleber, 2015a, S. 176).

Wie dieses Fallbeispiel illustrieren mag, ist bei Patienten, die an unbewussten Erinnerungen an traumatische Erfahrungen leiden, die sich in ihrem Körper niedergeschlagen haben, das detaillierte Entschlüsseln der sensomotorischen Koordinationen in der aktuellen Beziehung zum Analytiker und der damit ausgelösten (embodied) Gegenübertragungsreaktionen unerlässlich. Sie bieten einen Schlüssel zum Verstehen der Embodied Memories der Patienten und ermöglichen es ihnen, sich dem ursprünglich Unerträglichen – und daher vom Bewusstsein abgespaltenen Entsetzen der Traumatisierung – in der haltenden und containenden Beziehung zum Analytiker oder zur Analytikerin anzunähern. Diese ist die Voraussetzung, um den Sinn bisher »ver-rückten« Verhaltens zu verstehen und seinen unbewuss­ ten Einfluss auf aktuelles seelisches Erleben und Symptome, wie die chronische Depression, einzudämmen (vgl. ausführliche Schilderungen und Überlegungen dazu in Leuzinger-Bohleber, 2015a und Bohleber u. Leuzinger-Bohleber, 2016). Auch in vielen Behandlungen der LAC-Studie erwies es sich als absolut notwendig, die Embodied Memories an die schweren Kindheitstraumatisierungen zu entschlüsseln, auch um ihre transgenerative Weitergabe abzumildern oder im besten Fall zu unterbrechen, wie das folgende Beispiel exemplarisch illustrieren soll. Der Fokus bei der folgenden Fallzusammenfassung liegt auf der Veränderung der Träume, die auch in der heutigen Psychoanalyse noch als ein KönigsEntschlüsseln von Embodied Memories

49

weg zum Unbewussten betrachtet werden. In der LAC-Studie konnten wir die Veränderung der erzählten Träume genau untersuchen, da, falls Analytiker und Patient zugestimmt haben, die Sitzungen auf Tonband aufgezeichnet wurden und nochmals angehört werden konnten. Dadurch gewinnen die narrativen Zusammenfassungen der Behandlungen an Qualität, ersetzen diese allerdings nicht, da Narrationen andere (auch unbewusste) Informationen enthalten als die Tonbandaufzeichnungen (z. B. Beobachtungen zur Übertragung/ Gegenübertragung). »Ich komme mir vor wie ein Haus ohne Fundament, das dauernd vom Zusammenbruch bedroht ist.« (Herr W. aus der LAC-Depressionsstudie) Der Patient wird zur LAC-Studie überwiesen, weil er einen Rentenantrag gestellt hat. Herr W. leidet seit über 25 Jahren an schwersten Depressionen mit massiven körperlichen Symptomen, unerträglichen Ganzkörperschmerzen, gravierenden Ess- und Schlafstörungen. Oft schlafe er gar nicht. Meist erwache er nach eineinhalb, höchstens drei Stunden. Er fühle sich zerschlagen und könne sich kaum konzentrieren. Herr W. hat schon viele erfolglose Therapieversuche hinter sich, eine Verhaltenstherapie, eine Gestalttherapie, eine Körpertherapie sowie mehrere stationäre Aufenthalte in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken. – Er gehört zu der Gruppe von Patienten, die auf Kurztherapien und die meisten Psychopharmaka nicht zu reagieren scheinen und deren Rückfälle sich in immer kürzeren Abständen wiederholen und an Intensität zunehmen. Zu seiner Frühgeschichte ist bekannt, dass er ein »Schreibaby« war. Die Mutter von Herrn W. erkrankte ernsthaft in seinem vierten Lebensjahr. Er wurde mehrere Wochen in ein Kindererholungsheim gebracht, das offenbar noch nach den nationalsozialistischen Erziehungsprinzipien geführt wurde. In der Psychoanalyse wird deutlich, welch eine traumatische Erfahrung dieser Heimaufenthalt für ihn gewesen war. Seine couragierte Tante hatte sich schließlich den Zugang zu ihrem Nef50

Embodied Memories: Schlüssel zum Verstehen

fen buchstäblich erstritten und ihn völlig apathisch und schwer krank in einem Isolierzimmer vorgefunden. Offiziell hatte man den Eltern mitgeteilt, der Kleine sei munter, spiele, es gehe ihm gut. – Die Tante schlug Alarm: Der Vater holte W. gleich ab. Die früheste Kindheitserinnerung von Herrn W. dreht sich um dieses Ereignis: Er erinnert, wie ihn der Vater an der Hand aus dem Heim führt. Eine weitere Erinnerung ist, dass ein Mädchen gezwungen wurde, sein Erbrochenes aufzuessen. Die Mutter schilderte auf Nachfrage, dass W. nach dem Heimaufenthalt völlig verändert war: Er sei verstummt, wollte nicht in den Kindergarten gehen und sei ein schüchterner, tagträumender Junge gewesen, der »sich hauptsächlich in der Natur wohlfühlte …«. In der Psychoanalyse wird deutlich, dass er durch die traumatische Trennung von seinen Liebesobjekten das basale Vertrauen in seine inneren Objekte verloren hatte und während Jahren in einem dissoziativen Zustand lebte. In vielen Träumen erlebt er sich in Todesgefahr, alleingelassen und voll von panischer Angst und Verzweiflung. Trotz der dissoziativen Zustände und seiner sozialen Isolation war Herr W. ein guter Schüler, absolvierte zuerst eine Lehre und später ein Studium. In der Adoleszenz hatte er einen psychosomatischen Zusammenbruch, bekam aber keine Psychotherapie. In der Spätadoleszenz lösten Trennungen von seinen Freundinnen Depressionen aus, die ihn arbeitsunfähig machten und in Therapie führten. Diese brachten zwar Linderung, »aber keine Heilung« (Herr W.). Er ist verheiratet und hat einen zu Beginn der Behandlung dreieinhalb Jahre alten Sohn. Die letzte schwere Depression (vor eineinhalb Jahren) wurde ausgelöst, als ihn seine Frau in einem Zustand der physischen Erschöpfung nach einer monatelangen Doppelbelastung durch die Renovierung der gemeinsamen Wohnung kalt und unempathisch attackierte. Herr W. konnte sich gegen diesen Angriff nicht zur Wehr setzen. Am nächsten Morgen erwachte er in einer schweren, unerträglichen Depression. Um den therapeutischen Transformationsprozess hier kurz zu skizzieren, konzentriere ich mich auf die Veränderung der Träume, den jeweiligen therapeutischen Kontext, in dem sie erzählt wurden, Entschlüsseln von Embodied Memories

51

und stelle die Veränderungen im Umgang mit den schweren Traumatisierungen des Patienten dar.3 Reaktivierung von Todesangst und traumatischer Ohnmacht in ma­nifesten Träumen in der zweiten Hälfte des ersten Behandlungsjahres Der folgende Traum ist charakteristisch für eine ganze Serie von Träumen in der zweiten Hälfte des ersten Behandlungsjahres: »Ich sehe einen Mann am Straßenrand liegen, schwer verletzt – es hängen ihm die Gedärme raus, alles ist voll Blut … Es kommt ein Hubschrauber. Es ist nicht klar, ob man auf den Mann noch schießt oder ob man ihm helfen will. Eine Person kommt – und meint, der Mann sei tot. Ich merke, dass der Mann noch lebt, und wirklich, er öffnet die Augen und sagt: ›Warum hilft mir denn keiner?‹ – Die Person gibt ihm einen Kochdeckel – den solle er sich auf die offene Wunde halten … Ich wache voll Panik auf …« Die Motive der Todesangst und der traumatischen Ohnmacht tauchen in weiteren manifesten Trauminhalten dieser Zeit auf, wie die folgenden Beispiele zeigen. Sie werden aber auch in der Arbeit an den Assoziationen zu den Träumen deutlich, das heißt dem latenten Trauminhalt, der auf destruktive Wünsche gegen das Liebesobjekt verweist, die durch die erlittenen Traumatisierungen übermäßig stimuliert wurden. Diese Zusammenhänge konnten aber in dieser Phase nur sehr vorsichtig in den analytischen Sitzungen thematisiert werden. »Ich bin in einem dunklen Wald, allein. Plötzlich sehe ich, wie ein brennender Hubschrauber abstürzt … ich bekomme Panik und wache auf …«

3 In einer früheren Arbeit haben wir einige Träume aus den ersten drei Jahren der Behandlung herausgegriffen, um zu illustrieren, dass sich der manifeste Trauminhalt im Laufe der Psychoanalyse systematisch veränderte. Wir versuchten, sie mithilfe des Kodierungsmodells von Moser und von Zeppelin (1999) noch präziser zu erfassen. Zudem verglichen wir diese Veränderungen der manifesten Träume in der klinischen Situation mit Aufwachträumen aus dem Schlaflabor (vgl. Leuzinger-Bohleber u. Fischmann, 2017). 52

Embodied Memories: Schlüssel zum Verstehen

»Ich bin in einem Wald in der Nähe von X. und krieche durch einen langen, dunklen Tunnel. Ich komme zu einem Hotel mit einer großen Terrasse mit Blick auf die Schweizer Berge (die Analytikerin ist Schweizerin). Es ist sehr schön, doch habe ich große Angst, ich könnte von der Terrasse in den tiefen Abgrund fallen. Ich getraue mich daher nicht, auf der Terrasse zu bleiben, sondern kehre um, obwohl ich weiß, dass es auf der anderen Seite des Tunnels, im Heimatdorf, auch nicht mehr das Richtige ist …« »Ich hänge über einer tiefen Schlucht – kann mich kaum noch an einem Stein festhalten. Oben sind zwei Frauen. Sie sehen, dass ich in Not bin, helfen mir aber nicht. Sie kommen dann auf die stupide Idee, ein weißes Band über die Schlucht zu werfen, und wollen sich daran entlanghangeln, auf die andere Seite der Schlucht. Ich weiß, dass dies nicht geht, und sehe dann wirklich, wie die beiden zu Tode stürzen. Ich wache in Panik auf …« Die Assoziationen zu dem letzten Traum führen zu Konflikten mit der Ehefrau von Herrn W., aber auch mit der Analytikerin. Aggressive Impulse und Verachtung den »hilflosen«, »dummen« weiblichen Bezugspersonen gegenüber können als Hinweise auf latente Trauminhalte (seine Todeswünsche gegenüber dem Primärobjekt, von dem er sich vor allem in den traumatischen Situationen total abhängig und verlassen fühlte) verstanden und vorsichtig angesprochen werden. Das Ringen um eine aktive Position des Träumers in der zweiten Hälfte des dritten Jahres der Behandlung Im folgenden Traum taucht, wie in anderen Träumen dieser Phase der Behandlung, erstmals eine aktivere Haltung des Traum-Ichs auf, ein Indikator für eine sich anbahnende Veränderung dieses traumatisierten Patienten, der zuvor in allen Träumen passiv von unerträglichen Affekten und Ohnmachtsgefühlen überflutet wurde. Analoges wird immer wieder in der analytischen Arbeit thematisiert, die oft um die traumatische Erfahrung von Verlust und Hilflosigkeit kreist und um das im Trauma zusammengebrochene Urvertrauen in ein helfendes Objekt bzw. um ein Selbst, das sich nicht zur Wehr setzen und schützen kann: Entschlüsseln von Embodied Memories

53

»Ich sitze mit meinem Vater in einem Auto, kann aber den Wagen kaum kontrollieren. Er fährt immer schneller. Plötzlich steht ein hoher Turm mitten auf der Fahrbahn. Das Auto fährt wie wild an seiner Wand hoch und fällt wieder runter. Obschon ich fürchterlich Angst habe, passiert uns nichts. Wir können weiterfahren. – Wir sehen einen Mann, der ebenfalls mit dem Auto den Turm hochrast und auf ähnliche Weise runterplumpst. Auch ihm geschieht nichts. Wir folgen diesem Mann und steigen aus. Er verwandelt sich in einen Mann mit einer glitschig schimmernden Oberfläche, ähnlich wie Data in ›Raumschiff Enterprise‹. Ich weiß nicht, ob er ein Mann oder ein Roboter ist. Er hat einen schwarzen Hund. Der wird immer größer und legt mir seine Pfoten auf die Schultern. Ich habe Panik, der Hund könnte mir die Kehle durchbeißen. Doch dann sehe ich plötzlich, dass der Hund ein Frauengesicht hat und selbst Angst zu haben scheint. Ich sage ihm, er sei ja gar nicht so gefährlich, wie ich zuerst dachte, und mache ihm irgendein Kompliment. Der Hund freut sich offensichtlich darüber …« (Bedrohte) Zeichen von Hoffnung in den manifesten Trauminhalten Ende des dritten Behandlungsjahres? In den Sitzungen kurz vor der Weihnachtspause im dritten Behandlungsjahr berichtet Herr W. folgende Träume, die erstmals neben der depressiven »Wahrheit«, die traumatisierende Katastrophe würde in Trennungssituationen wieder und wieder eintreten, vorsichtig einige hoffnungsvolle Perspektiven enthalten, wie die folgende kurze Zusammenfassung der konkreten klinischen Arbeit mit den Träumen illustrieren mag: W.:  »Ich kann es eigentlich gar nicht begreifen. Letzte Nacht muss ich doch kurz eingeschlafen sein. Ich hatte zwei Träume, die so gar nicht zu meiner jetzigen Verfassung passen. Zuerst träumte ich, dass sich eine Frau in mich verliebte. Ich war verwundert und wusste nicht so recht, ob sie mir wirklich gefällt. Doch sagte sie, dies sei nicht schlimm, es werde schon alles gut … Dann schlief ich wohl nochmals ein und träumte weiter: Ich saß in einem Vorlesungssaal. Eine sehr attraktive Frau setzte sich zu mir und berührte mich an meinen Oberschenkeln. Dies war sehr ange54

Embodied Memories: Schlüssel zum Verstehen

nehm. Sie sagte mir, sie habe sich in mich verliebt. Ich sei so lieb und ruhig. Die Frau gefiel mir sehr. Doch dann überlegte ich noch im Traum, dass ich ihr sagen muss, dass ich nicht ruhig, sondern depressiv bin, dies müsse sie wissen …« A.:  »Ja, Sie sagen ja oft hier, dass Sie nicht mehr schauspielern möchten … Weder in einer Liebesbeziehung noch hier in der Psychoanalyse …« W.:  »Ja, dies stimmt. Meinen Sie wirklich, der Traum könnte einen Funken Hoffnung enthalten?« Herr W. schweigt nun relativ lange und wirkt entspannt. In den nächsten zehn Tagen geht es Herrn W. teilweise sichtbar besser, teilweise aber auch wieder sehr schlecht. Auch in den Sitzungen schwankt Herr W. zwischen Hoffnung und abgrundtiefer Verzweiflung. Die Analytikerin versucht, einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Zuständen herzustellen: A.:  »… der depressive Hund4 scheint sich gegen jede Veränderung zur Wehr zu setzen. Er versucht, den Funken Hoffnung gleich wieder zum Verschwinden zu bringen …« W.:  »Und dann sind die depressiven Löcher und die Körperschmerzen noch schlimmer auszuhalten …« Nach dem Wochenende vor Weihnachten erzählt Herr W., dass er zwei Angstträume hatte, sich aber nur an den einen erinnert, weil ihn seine Frau geweckt habe, da er furchtbar laut geschrien habe: W.:  »Der Traum war wie ein Horrorfilm. Ich hatte komischerweise einen Bruder. Er mutierte in ein gefährliches, unheimliches Wesen, das andere Leute tötete. Ich schaute entsetzt zu und dachte zuerst, er wird mich verschonen, er ist ja mein Bruder. Doch dann entdeckte ich, dass er auch mich töten will. Ich hatte furchtbare Angst und 4 Der Analysand kennt das Buch von Johnstone: »Mein schwarzer Hund. Wie ich meine Depression an die Leine legte« (2005). Der »schwarze Hund« wurde daher zu einer Metapher in dieser Psychoanalyse. Entschlüsseln von Embodied Memories

55

rannte wie verrückt davon, auf einen Platz – und sah hoch oben in einem Gebäude am Fenster meine Mutter. Ich schrie und schrie – doch sie hörte nichts. Da weckte mich meine Frau …« Nach längerem Schweigen assoziiert Herr W.: W.:  »Mir fiel gleich das Heim ein und meine Sehnsucht nach meiner Mutter, die mich ja nicht hörte, wenn ich schrie und verzweifelt war … Komisch, dass ich da einen Bruder hatte …« A.:  »Der in ein gefährliches, unheimliches Wesen mutierte …« W.:  »Und Todesangst auslöste …« A.:  »Und wie Sie bei John5 sahen, hat sich während des Heimaufenthaltes auch das Bild der Eltern verändert – sie wurden vermutlich gefährlich und bedrohlich – der kleine John konnte das liebevolle innere Bild seiner Eltern nicht mehr festhalten – es zerbrach – und wurde zu einem ›mörderischen‹, verfolgenden inneren Bild – eine furchtbare, lebensbedrohliche Erfahrung …« W.:  »Ja, und nachher war nichts mehr, wie es vorher war …« A.:  »Das Vertrauen in Ihre Eltern war dauerhaft zerbrochen – obschon Sie scheinbar wieder ganz normal waren …« W.:  »Aber es war nichts mehr normal … wie in meinem Körper – nichts stimmt mehr, alles tut weh.« A.:  »Und nun steht auch hier eine Trennung bevor – durch die Weihnachtspause. Vielleicht zeigen uns die Träume, wie sehr Sie befürchten, dass auch ich mich während der Trennung in ein ›fremdes Monster‹ verwandeln könnte …«

5 Der Analysand hatte sich die Filme von Robertson und Robertson (1969) angesehen, in denen die Trennungsreaktionen von Kleinkindern gefilmt worden waren. Besonders beeindruckte ihn der kleine John, ein ursprünglich sicher gebundenes zweieinhalbjähriges Kind, das von den Eltern wegen der Geburt eines Geschwisterkindes zehn Tage lang in ein Kinderheim gegeben wurde. Das sukzessive Zusammenbrechen des Urvertrauens von John in seine Eltern während dieser Zeit wird in eindrucksvoller Weise sichtbar. 56

Embodied Memories: Schlüssel zum Verstehen

In der nächsten Sitzung berichtet Herr W. fast amüsiert, dass er von seinem Nachbarn und einer Betonmaschine geträumt habe: W.:  »Dieser Nachbar baut wie ich an seinem Haus – im Sommer höre ich oft das Geräusch seiner Betonmaschine. Oft habe ich ihn bewundert, weil er so viel Energie zu haben scheint und es mit seiner kleinen Familie irgendwie schafft … – Vielleicht habe ich doch ein Fünkchen Hoffnung, dass auch ich wieder meine Betonmaschine zum Laufen bringe …« Nachträglich erschien diese Sequenz der Psychoanalyse als einer der Wendepunkte der Behandlung: Hat Herr W. sein Trauma in der Übertragung wiedererleben und daher teilweise verstehen und psychisch akzeptieren können? Jedenfalls kommt er nach der anschließenden Weihnachtspause in die erste Sitzung und berichtet, dass er während der Trennung intensiv gegen »den schwarzen Hund« gekämpft habe, mit unterschiedlichem Erfolg. Er habe einen Traum gehabt, der ihn sehr erstaunt habe: »Ich träumte von einem Paar – sie waren wahrscheinlich kein Liebespaar, aber hatten eine warmherzige Beziehung miteinander. Sie hatten ein Geschäft mit Blumen in Afrika … (nun fällt mir ein, dass ich am Tag vorher eine Fernsehsendung über ein Paar gesehen hatte, das in Afrika Weihnachtssterne anpflanzte und damit ein gutes Geschäft machte …). Ich fühlte mich von den beiden und ihrer warmherzigen Ausstrahlung sehr angezogen und bat sie inbrünstig, mich an ihrem Geschäft zu beteiligen, mich einzuschließen. Sie akzeptierten mich – und die Frau nahm mich sogar in ihren Arm. Ich verkaufte mein Haus und wagte einen Neuanfang … Ich war so glücklich, als ich aufwachte, dass ich wünschte, ich könnte nochmals einschlafen und den Traum fortsetzen … Vielleicht verändert sich ja doch etwas in mir …« Dieser Prozess setzte sich fort, doch wie wir aus Psychoanalysen wissen, war dies kein einliniger, aufstrebender Prozess, sondern ein ständiger seelischer Kampf mit vielen Aufs und Abs. Entscheidend war dabei immer wieder die Beziehung zu seinem Sohn. In den ersten Entschlüsseln von Embodied Memories

57

Jahren war es offensichtlich, dass der Sohn unbewusst eine Art Selbstobjekt des Analysanden darstellte: Die inneren Grenzen zwischen ihm und seinem Sohn waren wenig entwickelt. Ein eindrücklicher Indikator dafür war, dass der Sohn noch mit fast vier Jahren Windeln trug, bekanntlich mit der Gefahr, das Zeitfenster für die Stuhlkontrolle zu verpassen. Ein erstes sichtbares Zeichen, dass Herr W. positiv auf die psychoanalytische Behandlung reagierte, war, dass er seinem Sohn beibringen konnte, endlich auf die Windel zu verzichten. – Die sukzessive innere und äußere Trennung der Selbst- und Objektrepräsentanzen sowie der Versuch, die eigene (Trennungs-)Traumatisierung nicht ungebrochen an seinen Sohn weiterzugeben, durchzogen sich wie ein roter Faden durch diese Psychoanalyse. Dabei spielte eine große Rolle, dass auch seine Frau schwer psychisch krank war und sich jahrelang weigerte, ihren Sohn im eigenen Bett schlafen zu lassen. Dazu abschließend lediglich ein Beispiel eines Traumes aus dem vierten Jahr der Psychoanalyse: »Ich war mit einem Jungen – nicht mit meinem Sohn – in einem Schulzimmer und war sehr zärtlich zu diesem Kind. Der Lehrer beachtete mich – ich freute mich, dass er sah, wie gut ich es mit dem Sohn mache. Doch dann entdeckte ich plötzlich, dass sich der hübsche Junge veränderte. Er wurde ganz bleich und aus seinen Augen kam schwarzes Ungeziefer … es war grässlich … Ich wachte in Panik auf …« Herr W. assoziierte: »Die Augen sind die Fenster zur Seele … da kommt dieses schwarze Ungeziefer her – die Seele wurde offenbar von diesem Ungeziefer zerfressen … Ich dachte, der Junge stirbt gleich …« »Sie haben in den letzten Stunden immer wieder davon gesprochen, dass Sie Angst haben, Ihr Sohn könnte schwer krank werden wie Ihre Frau, die mit ihm im Bett liegt und deren Seele von schwarzem Ungeziefer zerfressen scheint …« Herr W. schweigt lange und sagt dann: »Ja, aber irgendwie erinnert mich der Junge auch an mich: Meine Seele wird doch auch immer wieder von schwarzem Ungeziefer zerfressen …« Erneut wird Thema, dass Herr W. seinen Sohn immer wieder wie eine Art Selbstobjekt erlebt und die inneren Grenzen zwischen ihm 58

Embodied Memories: Schlüssel zum Verstehen

und dem Kind verschwimmen. – Das Durcharbeiten dieser Thematik führte schließlich dazu, dass Herr W. aggressive Impulse seinem Sohn gegenüber vermehrt wahrnehmen und daraufhin – wie im manifesten Trauminhalt – seine Verantwortung als Vater in der äußeren Welt eher übernehmen konnte. Dadurch wurden offensichtlich die Trennungsprobleme seines Sohnes gemildert – für uns ein Indikator, dass es gelungen war, die ungebrochene Weitergabe der Separationstraumatisierungen von Herrn W. auf seinen Sohn abzumildern oder, so hoffen wir, sogar zu unterbrechen.

Entschlüsseln von Embodied Memories

59

6 Zur transgenerativen Dimension in psycho­analytischen Behandlungen schwer traumatisierter, chronisch depressiver Patienten: Kurze Zusammenfassung

Wie die beiden Fallbeispiele, die theoretischen Überlegungen sowie die Zusammenfassung einiger ausgewählter Ergebnisse interdisziplinärer Studien zum Zusammenhang von chronischer Depression und Trauma gezeigt haben, besteht bei früh und mehrfach Traumatisierten eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie im Erwachsenenalter eine chronische Depression entwickeln. Zudem haben vor allem die Fallbeispiele illustriert, dass das enorme Leid, das eine chronische Depression für die Betroffenen bedeutet, immer eine transgenerative Perspektive hat. So kann heute angenommen werden, dass in manchen Familien eine genetische Disposition vorliegt, die aber meist nur dann zum Ausbilden einer manifesten Depression führt, wenn zusätzlich frühe Traumatisierungen dazukommen. In der LAC-Depressionsstudie hat sich gezeigt, dass fast 80 Prozent der chronisch Depressiven unter schweren Kindheitstraumatisierungen gelitten hatten. Emotionaler Missbrauch und emotionale Frühverwahrlosung waren dabei die häufigsten Traumatisierungen, die von den Patienten genannt wurden. Zudem hatte ein Viertel der Patienten einen sexuellen Missbrauch erlebt. Diese Daten und die Fallbeispiele weisen darauf hin, dass die Eltern vieler depressiver Patientinnen und Patienten selbst unter einer gravierenden Empathiestörung, zum Teil bedingt durch Post-partum-Depressionen und eigene Traumatisierungen, litten. So waren beide Eltern von Herrn W. traumatisierte Adoleszente während des Zweiten Weltkriegs. Einer der Großväter von Herrn W. verlor im Ersten Weltkrieg ein Bein und hatte, so die Erinnerungen des Vaters von Herr W., gewalttätige affektive Durchbrüche und schlug seine Kinder in brutalster Weise. Auf diesem fami60

liären Hintergrund wird verständlich, warum Herr W. in seiner Psychoanalyse so sehr um eine reife Beziehung zu seinem Sohn rang. Sowohl in der LAC-Studie als auch in der anfangs erwähnten DPVKatamnesestudie erzählten viele der chronisch depressiven Patienten von einer transgenerativen familiären Traumageschichte, geprägt durch die Kriegskatastrophen des 20. Jahrhunderts. Daher gehörte es, wie erwähnt, für viele dieser Patientinnen und Patienten zum wichtigsten Ergebnis ihrer Psychoanalyse, dass sie die ungebrochene Weitergabe ihrer Traumatisierungen an ihre Kinder abmildern oder im besten Fall unterbrechen konnten. Wie diskutiert, werden frühe Traumatisierungen oft im Körper als Embodied Memories erhalten und bestimmen meist unerkannt Denken, Fühlen und Handeln in der Gegenwart. Wie die beiden ausführlichen Fallbeispiele illustriert haben, bilden diese Embodied Memories in der Übertragungsbeziehung zur Analytikerin oder zum Analytiker oft einen Schlüssel zu einem sukzessiven Verstehen der erlittenen Traumatisierungen und eine unverzichtbare Voraussetzung für deren seelische Integration. Alle psychoanalytischen Verfahren teilen die klinische Erfahrung, dass das Verstehen solcher unbewusst gewordenen, seelisch ursprünglich unerträglichen Erlebnisse sich als unverzichtbar für einen seelischen Transformations- und Heilungsprozess erweist. Oft kann zwar die »Historizität des Traumas« nicht in einem Eins-zu-eins-Verhältnis rekonstruiert werden, da sich das Gedächtnis ständig umschreibt. Doch wie wir an anderer Stelle ausführlich diskutiert haben, ist eine Annäherung an das spezifische, individuell erlittene Traumaschicksal unverzichtbar, um den Patienten zu einem Zugang zu seiner idiosynkratischen Lebens- und Traumageschichte zu verhelfen und daher psychopathologische Symptome als Kommunikationsversuch seiner Seele zu verstehen. Werden diese Symptome entschlüsselt, verlieren sie – so die psychoanalytische Erfahrung – ihre fremdbestimmende, ver-rückte Wirkung und erweitern die psychischen Adaptionsmöglichkeiten der Patienten an Anforderungen ihrer aktuellen Lebenswelt (vgl. dazu Leuzinger-Bohleber, 2015a; Bohleber u. Leuzinger-Bohleber, 2016). Zur transgenerativen Dimension in psycho­analytischen Behandlungen

61

Die beiden Fallbeispiele mögen zudem exemplarisch illustrieren, dass besonders Man-Made Disasters, wie dies schon in der Bibel steht, ihre dunklen Schatten bis ins dritte und vierte Glied werfen. Sie stellen oft unerkannte Quellen für unendliches persönliches Leid dar, aber auch oft in verheerender, unerkannter Weise für destruktive gesellschaftliche Konflikte. Zudem verursachen unbearbeitete Traumatisierungen und darauf basierende seelische Krankheiten enorme Gesundheitskosten. Diese Erkenntnisse können Verantwortliche verschiedener Professionen, besonders Psychotherapeutinnen, Sozialarbeiter, Erzieherinnen und Lehrer, aber auch Politiker und die Öffentlichkeit, für die Langzeitfolgen früher und frühester Traumatisierungen sensibilisieren. In diesem Rahmen konnte nicht diskutiert werden, dass akute Traumatisierungen besonders bei Kindern und Jugendlichen noch mit einem relativ geringen psychotherapeutischen Aufwand zu behandeln sind. Bleiben sie aber unbehandelt und führen, wie hier diskutiert, zu chronischen Depressionen, genügen oft, wie die Daten der LAC-Studie zeigen, psychotherapeutische Kurzverfahren nicht mehr, um an den verborgenen Kern, die ins Unbewusste verbannten Embodied Memories, heranzukommen. Bei solchen chronifizierten Patientinnen und Patienten hilft nur noch eine intensive psychotherapeutische Langzeitbehandlung. Das Wissen um die Kurz- und Langzeitwirkungen von Traumatisierungen, besonders nach Man-Made Disasters, motivieren viele Psychoanalytiker und psychodynamisch orientierte Psychotherapeuten, sich für heutige traumatisierte Geflüchtete zu engagieren. Sie hoffen, ihr professionelles Wissen den Traumatisierten zur Verfügung zu stellen, um ihr Leid zu lindern und in Deutschland anzukommen, aber auch im Versuch, die erlittenen Traumatisierungen nicht ungebrochen an ihre Kinder weiterzugeben. Obschon dies angesichts der Dimension der jetzigen Flüchtlingskrise, die selbstverständlich nur politisch gelöst werden kann, lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein darstellt, scheint uns eine solche »aufsuchende Psychoanalyse« gerade aufgrund der hier zusammengefassten Befunde zum Zusam62

Zur transgenerativen Dimension in psycho­analytischen Behandlungen

menhang zwischen chronischer Depression, Trauma und Transgenerativität eine professionelle Selbstverständlichkeit. Mir scheint, dass heute der berühmte Satz von Gandhi – modifiziert – eine hohe Aktualität besitzt: »A society is known by how it treats its minorities …« (zit. nach Akhtar, 2017, S. 112). Auf unsere heutige Situation angewandt: Eine Gesellschaft wird dadurch erkennbar, wie sie mit traumatisierten Geflüchteten umgeht …

Zur transgenerativen Dimension in psycho­analytischen Behandlungen

63

Literatur

Abraham, N., Torok, M. (1979). Kryptonymie. Das Verbarium des Wolfsmanns. Frankfurt a. M.: Ullstein. Akhtar, S. (2017). Mind, culture, and global unrest. Psychoanalytic reflections. London: Karnac Books. Ammaniti, M., Trentini, C., Menozzi, F., Tambelli, R. (2014). Transition to parenthood: Studies of intersubjectivity in mothers and fathers. In R. N. Emde, M. Leuzinger-Bohleber (Eds.), Early parenting research and prevention of disorder: Psychoanalytic research at interdisciplinary frontiers. London: Karnac Books. Beutel, M. E., Leuzinger-Bohleber, M., Rüger, B., Bahrke, U., Negele, A., Haselbacher, A., Fiedler, G., Keller, W., Hautzinger, M. (2012). Psychoanalytic and cognitive-behavior therapy of chronic depression: Study protocol for a randomized controlled trial. Trials, 13, 117. Bifulco, A. T., Brown, G. W., Harris, T. O. (1987). Childhood loss of parent, lack of adequate parental care and adult depression: A replication. Journal of Affective Disorders, 12, 115–128. Bleichmar, H. (1996). Some subtypes of depression and their implications for psychoanalytic treatment. International Journal of Psychoana­lysis, 77, 935–961. Bleichmar, H. (2013). Verschiedene Pfade, die in die Depression führen. Implikationen für spezifische und gezielte Interventionen. In M. Leuzinger-Bohleber, U. Bahrke, A. Negele (Hrsg.), Chronische Depression. Verstehen – Behandeln – Erforschen (S. 82–98). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Bohleber, W. (2010a). Destructiveness, intersubjectivity, and trauma. The identity crises of modern psychoanalysis. London: Karnac Books. Bohleber, W. (2010b). Editorial. Neue Ergebnisse der Depressionsforschung. Erklärungsansätze – Therapiemodelle – Behandlungstechnik. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 64, 771–781.

64

Bohleber, W. (2012). Was Psychoanalyse heute leistet. Identität und Intersubjektivität, Trauma und Therapie, Gewalt und Gesellschaft. Stuttgart: Klett-Cotta. Bohleber, W., Drews, S. (Hrsg.) (2001). Die Gegenwart der Psychoanalyse – die Psychoanalyse der Gegenwart. Stuttgart: Klett-Cotta. Bohleber, W., Leuzinger-Bohleber, M. (2016). The special problem of interpretation in the treatment of traumatized patients. Psychoanalytic Inquiry, 36, 60–76. Böker, H., Seifritz, E. (2012). Psychotherapie und Neurowissenschaften. Bern: Hans Huber. Bosch, O. G., Wetter, T. C. (2012). Stress und Depression. In H. Boeker, E. Seifritz. (Hrsg.), Psychotherapie und Neurowissenschaften (S. 352– 387). Bern: Hans Huber. Caspi, A., Sugden, K., Moffitt, T., Taylor, A., Craig, I., Harrington, H. et al. (2003). Influence of life stress on depression: Moderation by a polymorphism in the 5-HTT gene. Science, 301 (5631), 386–389. Clancey, W. J. (1993). The biology of consciousness: Comparative review of Israel Rosenfield, »The strange, familiar, and forgotten: An anatomy of consciousness« and Gerald M. Edelman, »Bright air, brilliant fire: On the matter of the mind«. Artificial Intelligence, 60, 313–356. Cohen, M., Brom, D., Dasberg, H. (2001). Child survivors of the Holocaust: Symptoms and coping after fifty years. Israel Journal of Psychiatry and Related Sciences, 38 (1), 3–12. Cooper, A. (1986). Toward a limited definition of psychic trauma. In A. Rothstein (Ed.), The reconstruction of trauma (pp. 41–56). Madison, CT: International UP. Cournut, J. (1988). Ein Rest, der verbindet. Das unbewußte Schuldgefühl, das entlehnte betreffend. Jahrbuch der Psychoanalyse, 22, 67–98. Damasio, A. R. (1994, dt. 1997). Descartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. Übers. H. Kober. München: dtv. DSM-IV (1998) – Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen DSM-IV. Hrsg. von der American Psychiatric Association. Dt. Bearbeitung und Einführung von H. Saß (2. Auflage). Bern u. a.: Hogrefe. Edelman, G. (1987, dt. 1993). Unser Gehirn – ein dynamisches System. Die Theorie des neuronalen Darwinismus und die biologischen Grundlagen der Wahrnehmung. Übers. v. F. Griese. München: Piper. Egle, T., Hoffmann, S. O., Joraschky, P. (Hrsg.) (2004). Sexueller Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung. Erkennung, Therapie und Prävention der Folgen früher Störungen. Stuttgart: Schattauer. Literatur

65

Ehlert-Balzer, M. (2008). Trauma. In W. Mertens, B. Waldvogel (Hrsg.), Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe (3. Aufl., S. 767–772). Stuttgart: Kohlhammer. Emde, R. N., Leuzinger-Bohleber, M. (Eds.) (2014). Early parenting and prevention of disorder: Psychoanalytic research at interdisciplinary frontiers. London: Karnac Books. Faimberg, H. (1987). Die Ineinanderrückung (Telescoping) der Generationen. Zur Genealogie gewisser Identifizierungen. Jahrbuch der Psychoanalyse, 20, S. 114–142. Faye, E. (2001). Missing the »real« trace of trauma. American Imago, 58, 525–544. Fergusson, D. M., Mullen, P. E. (1999). Childhood sexual abuse: An evidence based perspective. Thousand Oaks, CA: Sage. Fischer, G., Riedesser, P. (2009). Lehrbuch der Psychotraumatologie (4., aktual. und erw. Aufl). München u. Basel: Reinhardt. Fischmann, T., Leuzinger-Bohleber, M., Kächele, H. (2012). Traumforschung in der Psychoanalyse: Klinische Studien, Traumserien, extraklinische Forschung im Labor. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 66, 833–861. Freud, S. (1895/1950). Entwurf einer Psychologie, Nachtragsband (S. 375– 486). Frankfurt a. M.: Fischer. Freud, S. (1896). Zur Ätiologie der Hysterie. GW I (S. 425–459). Frankfurt a. M.: Fischer. Fuchs, T., Sattel, H., Henningsen, P. (Eds.) (2010). The embodied self: Dimensions, coherence and disorders. Stuttgart: Schattauer. Gaensbauer, T. J. (2011). Embodied simulation, mirror neurons, and the reenactment of trauma in early childhood. Neuropsychoanalysis, 13, 91–107. Gaensbauer, T. J. (2014). Frühes Trauma und seine Repräsentation über die Lebensspanne vom frühkindlichen Stadium bis zum Beginn des Erwachsenenalters. Eine Falldarstellung. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 68, 997–1029. Gaensbauer, T. J., Jordan, L. (2009). Psychoanalytic perspectives on early trauma: Interviews with thirty analysts who treated an adult victim of a circumscribed trauma in early childhood. Journal of the American Psychoanalytic Association, 57, 947–977. Gallese, V. (2009). Mirror neurons, embodied simulation, and the neural basis of social identification. Psychoanalytic Dialogues, 19, 519–536. Gallese, V. (2013). Mirror neurons, embodied simulation and a second-person approach to mindreading. Cortex, 49, 2954–2956. 66

Literatur

Gapp, K., Bohacek, J., Grossmann, J., Brunner, A. M., Manuella, F., Paolo Nanni, P., Mansuy, I. M. (2016). Potential of environmental enrichment to prevent transgenerational effects of paternal trauma. Neuropsycho­ pharmacology, June 9. Goldberg, D. (2009). The interplay between biological and psychological factors in determining vulnerability to mental disorders. Psychoanalytic Psychotherapy, 23 (3), 236–247. Grünberg, K., Markert, F. (2012). A psychoanalytic grave walk – Scenic memory of the Shoah. On the transgenerational transmission of extreme trauma in Germany. American Journal of Psychoanalysis, 72 (3), 207– 222. Gullestad, S. (2008). Die Dynamik der Dissoziation am Beispiel der Multi­ plen Persönlichkeitsstörung. In M. Leuzinger-Bohleber, G. Roth, A.  Buchheim (Hrsg.), Psychoanalyse  – Neurobiologie  – Trauma (S. 55–66). Stuttgart: Schattauer. Hatzinikolaou, K., Murray, L. (2010). Infant sensitivity to negative maternal emotional shifts: Effects of infant sex, maternal postnatal depression and interactive style. Infant Mental Health Journal, 31 (5), 591–610. Hauser, S. T. (2008). The interplay of genes, environments, and psychoana­ lysis. Journal of the American Psychoanalytic Association, 56, 509–514. Hauser, S., Allen, E. Golden, J. P. (2006). Narrative in the study of resilience. Psychoanalytic Study of the Child, 61, 205–227. Hill, J. (2009). Developmental perspectives on adult depression. Psychoana­ lytic Psychotherapy, 23, 200–212. Hoppe, K. D. (1962). Verfolgung, Aggression und Depression. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 16, 521–537. ICD-10-SGBV (2000) – Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme. 10. Revision. Hrsg. vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI. Version 1.3, Stand Juli 1999. Grünwald: Börm Bruckmeier. Johnstone, M. (2005). Mein schwarzer Hund. Wie ich meine Depression an die Leine legte. München: Kunstmann. Kaufman, J., Yang, B. Z., Douglas-Palumberi, H., Grasso, D., Lipschitz, D., Houshyar, S., Krystal, J. H., Gelernter, J. (2006). Brain-derived neurotrophic factor-5-HTTLPR gene interactions and environmental modifiers of depression in children. Biological Psychiatry, 59, 673–680. Keilson, H. (1979). Sequentielle Traumatisierung bei Kindern. Stuttgart: Enke. Kellermann, N. P. (2001). Transmission of Holocaust trauma – An integrative view. Psychiatry: Interpersonal & Biological Processes, 64 (3), 256–267. Literatur

67

Kendler, K. S. K., Gatz, M. M., Gardner, C. O. C., Pedersen, N. L. N. (2006). A Swedish national twin study of lifetime major depression. The Ame­ rican Journal of Psychiatry, 163 (1), 109–114. Kernberg, O. F. (2009). An integrated theory of depression. A commentary. Neuropsychoanalysis, 11, 76–80. Khan, M. M. (1963). The concept of cumulative trauma. The Psychoanalytic Study of the Child, 18, 286–306. Knox, J. (2009). Mirror neurons and embodied simulation in the development of archetypes and self-agency. Journal of Analytical Psychology, 54, 307–323. Kogan, I. (2002). »Enactment« in the lives and treatment of Holocaust survivors’ offspring. Psychoanalytic Quarterly, 71 (2), 251–272. Krystal, H. (1968). Massive psychic trauma. New York: Int. Univ. Press. Lakoff, G., Johnson, M. (1999). Philosophy in the flesh. The embodied mind and its challenge to western thought. New York: Basic Books. Laub, D., Peskin, H., Auerhahn, N. C. (1995). Der zweite Holocaust: Das Leben ist bedrohlich. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 49 (1), 18–40. Leuzinger-Bohleber, M. (1998). Pathogenes Leiden an der Schuld der Väter – eine Fallskizze. In M. Leuzinger-Bohleber, H. Lahme-Gronostaj, T. Meyer-Stoll, M. Michel (Hrsg.), Psychoanalyse im Spannungsfeld zwischen Klinik und Kulturtheorie (S. 79–99). Kassel: Institut für Psychoanalyse. Leuzinger-Bohleber, M. (2003). Die langen Schatten von Krieg und Verfolgung. Kriegskinder in Psychoanalysen. Beobachtungen und Berichte aus der DPV-Katamnesestudie. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 57, 982–1016. Leuzinger-Bohleber, M. (2005). Chronifizierende Depression: eine Indikation für Psychoanalysen und psychoanalytische Langzeitbehandlungen. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 59, 789–815. Leuzinger-Bohleber, M. (2006). Kriegskindheiten, ihre lebenslangen Folgen – dargestellt an einigen Beispielen aus der DPV-Katamnesestudie. In H. Radebold (Hrsg.), Kindheiten im Zweiten Weltkrieg. Kriegserfahrungen und deren Folgen aus psychohistorischer Perspektive (S. 61–82). München: Juventa. Leuzinger-Bohleber, M. (2008). Biographical truths and their clinical consequences: Understanding »embodied memories« in a third psycho­ analysis with a traumatized patient recovered from severe poliomyelitis. International Journal of Psychoanalysis, 89, 1165–1187. 68

Literatur

Leuzinger-Bohleber, M. (2014). Den Körper in der Seele entdecken – Embodiment und die Annäherung an das Nicht-Repräsentierte. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 68, 922–950. Leuzinger-Bohleber, M. (2015a). Finding the body in the mind – embo­died memories, trauma, and depression. International Psychoanalytical Association. London: Karnac Books. Leuzinger-Bohleber, M. (2015b). Working with severely traumatized, chroni­cally depressed analysands. International Journal of Psychoana­ lysis, 96, 3, 611–636. Leuzinger-Bohleber, M. et al. (im Druck a). Outcome of psychoanalytic and cognitive behavioral longterm treatments with chronic depressed patients. A controlled trial with preferential and randomized treatment. Submitted June 2017. Leuzinger-Bohleber, M. et al. (im Druck b). Structural changes as a mechanism of transformations and symptom reduction in long-term psychotherapies. Submitted June 2017. Leuzinger-Bohleber, M., Bahrke, U., Beutel, M., Deserno, H., Edinger, J., Fiedler, G., Haselbacher, A., Hautzinger, M., Kallenbach, L., Keller, W., Negele, A., Pfenning-Meerkötter, N., Prestele, H., Strecker-von Kannen, T., Stuhr, U., Will, A. (2010). Psychoanalytische und kognitiv-verhaltenstherapeutische Langzeittherapien bei chronischer Depression: Die LAC Depressionsstudie. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 64, 782– 832. Leuzinger-Bohleber, M., Bahrke, U., Negele, A. (Hrsg.) (2013). Chronische Depression. Verstehen – Behandeln – Erforschen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Leuzinger-Bohleber, M., Emde, R. (2014). Early parenting research and prevention of disorder. Psychoanalytic research at interdisciplinary frontiers. London: Karnac Books. Leuzinger-Bohleber, M., Emde, R., Pfeifer, R. (2013). Embodiment – ein innovatives Konzept für Entwicklungsforschung und Psychoanalyse. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Leuzinger-Bohleber, M., Fischmann, T. (2014). Transgenerationelle Weitergabe von Trauma und Depression: Psychoanalytische und epigenetische Überlegungen. In V. Lux, J. T. Richter (Hrsg.), Kulturen der Epigenetik: vererbt, codiert, übertragen (S. 69–88). Berlin: de Gruyter. Leuzinger-Bohleber, M., Fischmann, T. (2017). Veränderungen von Träumen als Indikatoren für Therapieerfolg. Teil 1: Manifeste Trauminhalte von traumatisierten Patienten in Psychoanalysen. Trauma. Zeitschrift für Psychotraumatologie und ihre Anwendungen. 15, 2, 70–80. Literatur

69

Leuzinger-Bohleber, M., Fischmann, T., Boker, T., Northoff, G., Solms, M. (Hrsg.) (2015). Psychoanalyse und Neurowissenschaften. Chancen – Grenzen – Kontroversen. Stuttgart: Kohlhammer. Leuzinger-Bohleber, M., Pfeifer, R. (2002). Remembering a depressive primary object: Memory in the dialogue between psychoanalysis and cognitive science. International Journal of Psychoanalysis, 83 (1), 3–33. Leuzinger-Bohleber, M., Pfeifer, R. (2013). Embodiment: Den Körper in der Seele entdecken – Ein altes Problem und ein revolutionäres Konzept. In: Leuzinger-Bohleber, M., Emde, R., Pfeifer, R. (Hrsg.), Embodiment – ein innovatives Konzept für Entwicklungsforschung und Psychoanalyse. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Leuzinger-Bohleber, M., Roth, G., Buchheim, A. (2008). Psychoanalyse – Neurobiologie – Trauma. Stuttgart: Schattauer. Leuzinger-Bohleber, M., Rüger, B., Stuhr, U., Beutel, M. (2002). »Forschen und Heilen« in der Psychoanalyse. Ergebnisse und Berichte aus Forschung und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer. Meadow, S. O., McLanahan, S. S. Brooks-Gun, J. (2007). Parental Depression and Anxiety and Early Childhood Behavior Problems Across Family Types. Journal of Marriage and Family, 69, 1162–1177. Medina, J. J. (2010). The epigenetics of stress. Psychiatric Times, 27. Milner, B. B., Squire, L. R. L., Kandel, E. R. E. (1998). Cognitive neuro­science and the study of memory. Neuron, 20 (3), 24–24. Moser, U., v. Zeppelin, I. (1999). Der geträumte Traum. Wie Träume entstehen und sich verändern (2. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Murray, L. (2009). The development of children of postnatally depressed mothers: Evidence from the Cambridge longitudinal study. Psycho­ analytic Psychotherapy, 23, 185–199. Murray, L., Fearon, P., Cooper, P. (2015). Postnatal depression, mother-infant interaction, and child development: Prospects for screening and trea­ ting. In J. Milgrom, A. W. Gemmill (Eds.), Identifying perinatal depression and anxiety. Evidence-based practice in screening, psychological assessment and management (pp. 139–164). Chichester: Wiley Blackwell. Murray, L. Halligan, S., Adams, C., Patterson, P., Goodyer, I. M. (2006). Socioeconomical development in adolescents at risk for depression: The role of maternal depression and attachment style. Development and Psychopathology, 18, 489–516. Negele, A., Bahrke, U., Kaufhold, J., Balaban, C., Ernst, M., Görlach, N., Kallenbach, L., Schött, M., Leuzinger-Bohleber, M. (2013). Trauma und Depression in der LAC-Depressionsstudie. Unveröff. Vortrag, gehalten auf der Joseph Sandler Psychoanalytic Research Conference: »Finding 70

Literatur

the body in the mind. Researchers and clinicians in dialogue«, Frankfurt a. M., 01.–03.03.2013. Negele, A., Kaufhold, J., Kallenbach, L., Leuzinger-Bohleber, M. (2015). Childhood trauma and its relation to chronic depression in adulthood. Depression Research and Treatment, Article ID 650804. Niederland, W. G. (1980). Folgen der Verfolgung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Olds, D., Cooper, A. M. (1997). Dialogue with other sciences: Opportunities for mutual gain. International Journal of Psychoanalysis, 78 (2), 219–225. Oliner, M. (2000). The unsolved puzzle of trauma. Psychoanalytic Quarterly, 69 (1), 41–61. Peterson, B. S., Warner, V., Bansal, R., Zhu, H., Hao, X., Liu, J., Durkin, K., Adams, P. B., Wickramaratne, P., Weissman, M. M. (2013). Cortical thinning in persons at increased familial risk for major depression. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 106 (16), 6273–6278. Pfeifer, R., Bongard, J. (2007). How the body shapes the way we think: A new view of intelligence. Cambridge: MIT Press. Radebold, H. (2000). Abwesende Väter. Folgen der Kriegskindheit in Psychoanalysen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Radebold, H., Heuft, G., Fooken, I. (Hrsg.) (2006). Kindheiten im Zweiten Weltkrieg. Kriegserfahrungen und deren Folgen aus psychohistorischer Perspektive. Weinheim u. München: Juventa. Reinhold, N., Markowitsch, H. J. (2010). Stress und Trauma als Auslöser für Gedächtnisstörungen: Das mnestische Blockadesyndrom. In M. Leuzinger-Bohleber, G. Roth, A. Buchheim (Hrsg.), Psychoanalyse – Neurobiologie – Trauma (S. 118–131). Stuttgart: Schattauer. Risch, N. et al. (2009). Interaction between the serotonin transporter gene (5-HTTLPR), stressful life events, and risk of depression: A meta-ana­ lysis. Journal of the American Medical Association, 301 (23), 2462–2471. Robertson, J., Robertson, J. (1969). John [Nine days in a residential nursery]. A scientific film. www.robertsonfilms.info. Robertson, J., Robertson, J. (1975). Reaktionen kleiner Kinder auf kurzfristige Trennung von der Mutter im Lichte neuer Beobachtungen. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 7, 626–664. Rovee-Collier, C. C. (1997). Dissociations in infant memory: Rethinking the development of implicit and explicit memory. Psychological Review, 104 (3), 467–498. Literatur

71

Rovee-Collier, C. C. (1999). The development of infant memory. Current Directions in Psychological Science, 8 (3), 80–85. Rovee-Collier, C. C., Cuevas, K. K. (2009). Multiple memory systems are unnecessary to account for infant memory development: An ecological model. Developmental Psychology, 45 (1), 160–174. Rutter, M. (2009). Gene-Environment Interactions. Biologically valid pathway or artifact? Archives of General Psychiatry, 66, 1287–1289. Schechter, D. (2014). Understanding how traumatized mothers process their toddlers’ affective communication under stress: Towards preventive intervention for families at high risk for intergenerational violence. In R. N. Emde, M. Leuzinger-Bohleber (Eds.), Early parenting and prevention of disorder: Psychoanalytic research at interdisciplinary frontiers. London: Karnac Books. Schlesinger-Kipp, G. (2012). Kindheit im Krieg und Nationalsozialismus. Gießen: Psychosozial-Verlag. Schore, A. N. (2012). The science of the art of psychotherapy. New York: Norton. Spitz, R. (1946). Anaclitic depression. Psychoanalytic Study of the Child, 2, 313–341. Stern, D. N. (1995). The motherhood constellation. London: Karnac Books. Suomi, S. (2011). Trauma und Epigenetik. In M. Leuzinger-Bohleber, R. Haubl (Hrsg.), Psychoanalyse: interdisziplinär – international – intergenerationell (S. 295–315). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Tutté, J. (2004). The concept of psychical trauma: A bridge in interdisciplinary space. International Journal of Psycho-Analysis, 85 (4), 897–921. Weiss, M., Weiss, S. (1999). Second generation to Holocaust survivors: Enhanced differentiation of trauma transmission. American Journal of Psychotherapy, 54 (3), 372–385.

72

Literatur