Christophilos über einige in jetziger Zeit zu wenig geachtete oder nicht recht erkannte Vorzüge des Christenthums 9783111493558, 9783111127194

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Christophilos über einige in jetziger Zeit zu wenig geachtete oder nicht recht erkannte Vorzüge des Christenthums
 9783111493558, 9783111127194

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
I. Das Christenthum eine Heilsanstalt
II. Ganz auf Geschichte beruhend
III. Auf einen Weltheiland uns hinweisend
IV. Dieser ist durch Wunder beglaubigt
V. Glaube ist im Christenthum Alles in Allem
VI. Gegenstand des Glaubens ist die Vergebung der Sünden durch Chriftum
VII. Das Christenthum eine Anstalt zur Mittheilung des heiligen Geistes
VIII. Dasselbe eine Anstalt für das ewige Leben
IX. Schlußbetrachtungen

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C-hristophilos über einige in jetziger Zeit zu wenig geachtete oder nicht recht erkannte

Vorzüge -es Christenthums.

Herausgegeben von

Philipp Ludwig M u z e l, Doctor der Theologie, König!. Conststonal r Rathe bei der Regierung zu Frankfurth an der Oder, Superintendenten und Prediger daselbst, Ritter de6 rothen Adlerorderrs dritter Classe.

Berlin, gedruckt und verlegt bei G. Reimer, 16 30

.

An

des Herrn D. und Professors

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Hochwürden

r« Tübingen.

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Ew. Hoch würden wird

es

befremden,

daß ein

Mann, der Ihnen ganz unbekannt ist und der auch Sie nicht von Person kennt, zueignet.

Ich

habe

aber

Ihnen eine Schrift

diesen Schritt deswegen

gewagt, weil eine Auffordenmg, bei welcher Ihr ver­ ehrter Name stand,

mich zur Abfassung dieses Meu­

chens veranlaßt hat. Als ich nämlich im homiletisch-litur­ gischen Correspondenzblatte gelesen hatte, daß eine Ge­ sellschaft. einen Preis ausgesetzt habe, um welchen die­ jenigen sich bewerben möchten,

welche eine gebildeten

Christen unserer Zeit zusagende Apologie des Christen­ thums zu schreiben sich im Stande und geneigt fühlen würden, und daß von den Preisbewerbern ihre Auf­ sähe an Ew. Hochwürden geschickt werden sollte»,

so regte sich in mir sogleich der Wunsch, zu versuchen, ob ich nicht in Etwas dieser Gesellschaft gnügen und zur Erreichung ihrer mir sehr wichtig dünkenden Ab­ sicht beitragen sonnte.

Da ich in einem vier und zwan­

zig Jahre lang geführten theologischen Professoramte stets besonders bemüht gewesen bin, in meinen Zuhö­ rern die christliche Wahrheit fest zu begründen und gegen allerlei Angriffe unumstößlich zu erhalten,

so

hatte ich Materialien genug, um ein solches Werk, als verlangt wurde,

zu verfertigen, und da dadurch der

Glaube an Christum in mir unerschütterlich geworden ist, konnte ich hoffen, bewirken.

auch eben das bei Andern zu

Ich stand zwar bald davon ab, in die

Schranken mit Andern zu treten, die um diesen Preis würden laufen wollen, theils, weil ich dabei hätte Vie­ les in eben der Art sagen müssen,

als es schon oft

gesagt worden ist, was mir widersteht, theils, weil ich mir nicht die Vollkommenheit des Styls zutraute, auf

welche man doch bei einer solchen Arbeit würde sehen müssen; aber ich beschloß dasjenige zusammen zu ftellen, weshalb mir Christus und sein Werk besonders schützbar ist, ja höchst bewundernswürdig vorkömmt und als gött­ lich erscheint, und was, meiner Meinung nach, auch dazu hilft und helfen muß, einen ähnlichen Eindruck ans alle uneingenommene Gemüther zu machen.

Ich hielt

mich und halte mich noch überzeugt, daß die ehrwür­ dige Gesellschaft, in deren Vollmacht Ew. Hochwür­ den auftreten, eben solche Ansichten vom Christenthum, wie ich, hat und daher es gern sehen wird, daß es von dieser Seite betrachtet worden ist von Einem, der um anderer Ursachen willen keinen Anspruch auf den aus­ gesetzten Preis machen kann. standen.

So ist diese Schrift ent­

Wenn auf dem Titel steht, daß die Vorzüge,

welche sie aushebt, jetzt zu wenig geachtet oder nicht recht erkannt werden, so mußte das geschehn, weil ich eben solchen Lesern, bei denen das wirklich der Fall ist, als"

Apologet des

Christenthums nützlich werden wollte.

Sagt man, daß ihre Zahl seit dem Anfange dieses Jahr­ hunderts sich sehr vermindert hat — daß ich also der jetzigen Zeit einen Vorwurf mache, den sie nicht ver­ dient— meint man, daß ich in jetziger Zeit lieber das Ehristenthnm von der Seite hätte darstellen sollen, wie es allen Schwärmereien, allen Menschcnsatzungen und der Herrschaft über die Gewissen entgegen ist; so muß ich mir das gefallen lassen, indem ich das Letztere gern Andern überlasse, obgleich ich genug dagegen gesichert bin und gesichert zu haben meine;

aber noch immer

erfahre, daß in meiner Nahe die dargestellte Ansicht des Christenthums weder gemein, noch auch beachtet und geachtet genug ist. Wenn ich auch wenig Hoffnung habe, dadurch Un­ gläubige zu gewinnen,

so hoffe ich doch in manchen

Gemüthern die Hochachtung gegen unsere Religion erhö­ hen und christlichen Lehrern dadurch Fingerzeige geben

zu können, wie sie ihre Bemühungen und Vortrage am besten einzurichten haben,

um zu den Absichten

Christi so viel, als möglich, beförderlich zu seyn. Dies bleibt doch immer das Wichtigste, da man, wenn nur das geschieht, es immer zulassen muß, daß Einige ungläubig bleiben. Nachdem ich schon über fünfzig Jahre über theolo­ gische Gegenstände nachgedacht habe und in dem, was ich hier vorgetragen habe, immer fester und fester gewor­ den bin, habe ich Ursache, zu erwarten, auch unter dem Beistände des heiligen Geistes Andre darin zu befesti­ gen, wenn sie nur das Gesagte prüfen und sich daran nicht stoßen wollen, daß sie manche Unvollkommenheiten in der Schreibart bemerken, welche;h vermeiden ich als ein stets viel beschäftigter Mann, der immer mit Eile hat arbeiten müssen, nie, am wenigsten aber jeht, als ein drei und siebenzigjähriger Greis, >m Stande gewesen bin.

Auch E w. Hochwürden bitte ich ergebenst der-

gleichen zu entschuldigen, überlasse aber Ihnen gänz­ lich, wie Sie diese Schrift nach ihrem Inhalte auf­ nehmen, was sie bei Ihnen wirken und ob Sie dieselbe den Gliedern der mehr erwähnten ehrwürdigen Gesellschaft empfehlen wollen. Franksiirth am Ende des Jahres 1829.

Dr. M u z e l.

Inhalt.

Einleitung.

.

............................................... .

.

I. Das Christenthum eine Heilsanstalt..........................— II. Ganz auf Geschichte beruhend....................................— in. Auf einen Weltheiland uns hinweisend. ... IV. Dieser ist durch Wunder beglaubigt....................... —

V. Glaube ist im Christenthum Alles in Allem. ... VI. Gegenstand des Glaubens ist die Vergebung der Sünden durch Christum............................................. —

S.



1. 4. 10. 40. 60.

— 68. 105.

VII. Das Christenthum eine Anstalt zur Mittheilung deS heiligen Geistes............................................. —

VIII. Dasselbe eine Anstalt für das ewige Leben. ... IX. Schlußbetrachtungen............................................. —

150. — 175. 195.

(E>d>on

oft, und gewiß auch von sehr Vielen mit Scharfsinn

und gutem Erfolg,

ist die.Göttlichkeit des Christenthums —

sey es im gewöhnlichen Sinne, oder dem der höchsten Vortrefflichkeit — dargethan worden, und man hat dabei, wenn man nur die letztere im Auge hatte, gesehn,

auf den Inhalt und Zweck

sonst aber auch sich auf die Art, wie dasselbe in der

Welt eingeführt und verbreitet worden ist, mochte man denken,

berufen.

Hiebei,

sey wohl weiter keine Nachlese mehr zu

halten, und schwerlich möchte darüber auch noch etwas Neues und ganz Uebergangenes beigebracht werden können. Manches,

Aber auf

was besonders in neuern Zeiten weniger beachtet

worden ist, wird man, wie ich glaube, mehr, als es geschehen ist, die Aufmerksamkeit hinrichten, wie auch manchen Beweis in andeter Art, als er gegeben ist, führen können.

Das Erstere

möchte ich versuchen; wie das Letztere zu verschiedenen Zeiten immer auf verschiedene Weise geschehen ist und hat geschehen müssen, weil die Gegner, ihre Angriffe und ihre Art anzugreifen nicht einerlei waren,

auch

selbst

unter

den Christen der Grund

ihres Glaubens auf verschiedene Weise gelegt wird.

Ob durch

mein Bemühen die Ueberzeugung von der Göttlichkeit des Chri« stenthums gewinnen wird, darüber will ich das Urtheil jedem Leser überlassen.

Genug, wenn ich Eigenthümlichkeiten unserer

Religion bemerklich mache, die mir große Vorzüge scheinen. Etwas Vollständiges

verspreche ich nicht:

denn wer möchte

diesen Gegenstand je erschöpfen zu können meinen? —

1

Wenn

2 bisher in

den christlich-apologetischen Schriften auf dasjenige,

was ich auszuheben gedenke, zu wenig geachtet worden ist, so hatte dies zu verschiedenen Zeiten verschiedene Gründe.

Die

ältesten Apologeten suchten besonders das Christenthum so viel als möglich den Heiden, auch wohl den Juden — doch weni­ ger diesen als jenen — annehmlich zu machen, fanden nur nöthig, die Einwürfe, die man damals dagegen machte, als unkräftig darzustellen, und bedienten sich, sey es, daß sie auch selbst noch in ehemals heidnischen, oder jüdisch-gelehrten Vor­ stellungen befangen waren,

oder, daß sie sich ihren Gegnern

möglichst nähern wollten, Beweise und Vorstellungsarten, die nur bei solchen Widersachern etwas gelten konnten und das Wesentliche des Christenthums wenig betrafen.

Spatere nahmen

auf den Islamismus Rücksicht, machten es aber eben so.

Die

neuern, seit Grotius und Abba die, hatten entweder schon ein System,

das sie ganz,

Schutz nehmen wollten,

wie es war, begründen und in

vergaßen, daß nur die Grundwahr­

heiten, die bei allen noch so verschiedenen christlichen Systemen voraus gesetzt werden müssen, zu begründen waren und konn­ ten sich auch von der Sprache ihres Systems nicht losmachen, die von Andern leicht gar nicht, oder falsch verstanden werden konnte, und jetzt Vielen widersteht.

Andere, besonders in der

neuern Zeit, suchten sich so viel als möglich nach den Meinun­ gen derer,

die sie zu gewinnen wünschten, zu bequemen und

vergaßen leicht eben das, was jenen nicht zusagte, was aber mir und Vielen sehr beachtungswürdig scheint.

Dies haben

allerdings nicht alle gethan, daher wird man in einigen der letztgedachten Schriften wohl auch das in Erwägung gezogen finden, was hier zu bedenken gegeben werden soll; aber theils psird es doch nicht genug herausgehoben;

theils auch nicht so

ohne alle Systemsprache, als es hier geschehn;

auch nicht in

der Wichtigkeit, die ihm hier gegeben werden soll, dargestellt.

3 Ich glaube, dadurch wird uneingenommenen, am Nachdenken gewöhnten und für Wahrheit und Lugend erwärmten Gemüthern die christliche Religion am besten empfohlen; aber Prediger wer­ den auch dadurch, meiner Meinung nach,

angeleitet werden,

den Zweck Christi auf die sicherste Weise und am besten beför­ dern zu helfen. — In jetzigen Zeiten,

wo Rationalisten und

Supernaturalisten, ohne sich vielleicht recht zu verstehn, (denn alle Christen werden doch annehmen,

etwas übernatürlich Geoffenbartes

und alle werden es vernünftig auffassen und be­

gründen wollen) mit einander im Kampfe liegen, wo die letztem gar zu mystisch und die erstem allem Mysteriösen gar zu ab­ geneigt werden: in diesen Zeiten scheint es am nöthigsten zu seyn,

das Christenthum von solchen Seiten darzustellen,

wie

es beiden zusagen muß und so, daß beide Abwege vermieden werden.

Die Art, wie das sonst geschehn ist, kann den erster»

nicht gefallen,

und die,

empört die erstem. zu vereinigen,

welche die letztem einführen wollen,

Es wird allerdings schwer halten, beide

oder auch nur sich zu beiden in gleicher Nähe

zu halten, so, daß man nicht mit ihnen fortgerissen wird, und gewöhnlich trägt der,

welcher das versuchen will, den Tadel

beider davon; aber nöthig bleibts doch, zu versuchen, ob man den Schatz,

den Christus auf die Erde gebracht hat, so vor

Augen stellen kann,

daß beide Partheien ihn als sehr köstlich

anerkennen müssen, und ihn Andern recht reichlich mittheilen können.

Möge der Herr der Kirche zur Erreichung dieser Zwecke

diese Arbeit eines Mannes, der im Nachdenken über christliche Wahrheiten grau geworden ist, aber auch eine seiner höchsten Freuden gefunden hat, reichlich segnen! —

4

I.

Ehe wir uns in irgend Etwas einlassen, muß vorläufig be­ merkt werden, daß ich das Christenthum nicht gerne allein, oder vornehmlich als einen Inbegriff von Lehren, auch nicht einmal als eine Religion und Religionsverfassung oder Reli­ gionsanstalt betrachte. Nach der Bibel soll es eine Anstalt zur Gründung und Ausbreitung des Reichs Gottes auf Erden und für den Himmel seyn, z.E. Matth. 21, 17. Luc. 1, 31 — 33. Man ist jetzt sehr geneigt zu sagen, das sey eine Vorstellung der damaligen Zeit, welche man nicht nöthig habe in jeder folgenden fortzupflanzen; aber warum sie jetzt aufgegeben wer­ den müßte, ist schwer zu erkennen. Man meint, damit sey nicht mehr gesagt, als wenn man das Christenthum eine Anstalt für die Religion nenne; aber es wird sich zeigen, ob dem so sey. Bei der Bibelerklärung pflegen wir gern jetzige Ausdrücke für die damaligen zu setzen, und meinen den Sinn der letztem dadurch ganz auszudrücken; irren dabei uns aber oft, indem unsere Worte nur vielleicht einen kleinen Theil von dem zu er­ kennen geben, was in jenen enthalten ist. Man erklärt.nun zwar eben darum den Begriff des Reichs Gottes sehr verschie­ den und wendet dabei oft viel Gelehrsamkeit an; aber eigentlich kann es doch genug seyn, zu bemerken, daß es da sey, wo den Gesetzen Gottes von miteinander verbundenen vernünftigen Wesen wirklich gehorcht wird, wenn man nur auch alle Mittel, durch welche dies hervorgebracht wird, wie alle Folgen, die daraus entstehen, als zu demselben gehörig ansieht. Denn in einem Reiche wird Etwas regiert d. h. zu einer gewissen Ab­ sicht hingeleitet; in demselben sind mehrere Genossen, die dazu

5 beförderlich seyn sollen, Mittel, diese Absicht zu erreichen.

Ge­

setze werden gegeben, und die Beobachtung derselben wird mög­ lichst befördert; nach den Gesetzen wird gerichtet. In den mensch­ lichen Reichen finden Uebertretungen der Gebote statt, auch wer­ den nicht alle bemerkt.

So kann es aber doch nicht in dem

Reiche des Allmächtigen und Allwissenden seyn,

oder wmig-

stens kann man sich doch einen Zustand denken, worin es keine Vergehungen giebt.

Allerdings kann man in einem gewissen

Sinne sagen, daß das Reich Gottes überall sey, daß auch alle Menschen Glieder desselben sind, worauf auch die heilige Schrift zuweilen anspielt.

In der Natur gehorcht, sofern der Mensch

nicht darauf wirkt, Alles dem göttlichen Gesetz; auch der Mensch ist an die Gesetze der Natur so gebunden,

daß er ihnen nicht

entgegen handeln kann; aber ihm sind Gebote, Verbote (Ge­ setze der Freiheit) gegeben, kann und oft verletzt. zu befördern,

die Gottes sind und er verletzen

Er muß auch dienen, Gottes Absichten

wenn er gleich es nicht will,

nicht gern thut in Hinsicht auf die,

nicht sucht, es

welche, er erkennt.

Er

kann sich der Herrschaft Gottes nicht entziehen Ps. 139, 7 ff. Er wird daher,

auch selbst wenn er den ihm gekannt gewor­

denen Willen Gottes nicht zu erfüllen bemüht ist, als zu dem Reiche Gottes gehörig;

aber als ein Sclave in diesem Reich

betrachtet, indessen diejenigen, die gern die Gebote Gottes be­ folgen, Gottes Kinder heißen, und als die eigentlichen Reichs­ genossen angesehen werden,

die als Bürger in einem freien

Staate Antheil an der Regierung haben, wovon die andern ausgeschlossen sind.

Man könnte daher auch das, was Christus

leisten wollte, bildlich so ausdrücken: Er wollte, daß der Scla­ venstand in dem Reiche Gottes über die Menschen ganz auf­ hörte, und alle freie Bürger in diesem Reiche würden.

Aber

da doch in dem Reiche des'Allmächtigen Alles gehorchen, und in dem Reiche des Allgütigen Alles auf das willigste gehorchen

6 und glückselig seyn sollte, so bkeibts auch natürlicher, wie es auch das Gewöhnlichere ist, die Ungehorsamen als nicht in dieses Reich gehörig zu betrachten. Das Bild übrigens wird man so wenig ganz fahren lassen können, als man doch von einer Regierung Gottes sprechen, und, wo diese ist, auch jenes annehmen muß. Aber wenn man hiernach zugesteht, daß dies Bild mit Nutzen beibehalten werden könne, so wird man doch vielleicht eben aus dieser kurzen Auseinandersetzung folgern, daß eine Anstalt für die wahre Religion auch Anstalt für das.Reich Gottes sey', pnd wer möchte das leugnen? Wenn Menschen den Geboten Gottes gehorchen sollen, so müssen sie' Gott, und ihr und der Welt Verhältniß mit ihm kennen lernen, so daß das Gefühl der Anbetung des Aller­ höchsten entsteht und fortdauernd sich äußert. Sie werden Zeichen zum Ausdruck dieses Gefühls bedürfen, und dasselbe, wie die Ursachen, aus denen es geschieht und durch welche es unterhalten wird, in sich oft beleben müssen; ja sie werden gerne allen Fleiß anwenden, dies in Andern zu wecken und zu beleben. So entsteht für die freien Bürger des Reichs Gottes Religion, so eine Religionsverfassung, so eine Kirche. Ich meine aber, das sey noch nicht Alles, wodurch das Reich Gottes in der gegebenen höhern Bedeutung des Wortes ent­ steht; wie alle Handlungen der göttlichen Vorsehung dahin zie­ len, so könnte auch durch Christum noch Mehreres, auch viel­ leicht uns ganz Unbekanntes, dazu geschehen sollen. Wir schrän­ ken, glaube ich, die Vorstellung dessen, wodurch Jesus seinen Zweck erreichen will, zu sehr ein, wenn wir ihn nur in der Stiftung und Erhaltung (an welche letztere, so fern sie sein Werk seyn soll, ohnehin wenig gedacht wird) seiner Religion und Kirche setzen, ja auch, wenn wir die Vortheile, die wir als mit der letztem nothwendig vrrbundm erkennen, dazu neh­ men und für die einzigen haltm, die durch ihn zu erwerben

7 sind; und dieser Willkühr möchte ich mich nicht gern schuldig machm. Daher möchte ich den Zweck Christi so beschreiben: Er will durch seine Religion und durch alle dazu wirklich nach dem Rathe Gottes dienende Mittel, mögen sie uns bekannt oder unbekannt seyn, so viel als möglich bewirken, daß alle Men­ schen den göttlichen Geboten willig gehorchen, und dadurch und durch uns vielleicht auch noch unbekannte Mittel will er ihre höchstmögliche Glückseligkeit in Zeit und Ewigkeit, deren Be­ schaffenheit auch vielleicht alle unsere Vorstellungen und Erwar­ tungen übersteigt, befördern. Was wir dazu zu thun haben, ist uns geoffenbart, Etwas von dem, was der Herr dazu thun will, ist uns auch, wenn gleich vielleicht etwas bildlich, ge­ sagt; aber es war gar nicht nöthig, und vielleicht auch nicht möglich, daß uns noch mehr, oder gar die volle Erkenntniß da­ von, gegeben wurde. — Wenn wir die Absicht und das Werk Jesu Christi so auf­ fassen, können wir es auch, so viel ich einsehe, nur als ein göttliches nachweisen, — wir müßten denn damit nichts, als eine hohe Vorttefflichkeit anzeigen wollen. Denn Andere, die die Göttlichkeit der christlichen Religion im hohem und eigent­ lichen Sinne behaupten, berufen sich dabei auf die Einfühmng derselben in die Welt, die mit Wundern geschehen sey, und ich bin ihnen durchaus nicht entgegen. Aber jeder kennt doch die Schwierigkeiten, die man bekämpfen muß, wenn man diesen Beweis gehörig führen will, und dann kann ich nicht anders urtheilen, als, daß das, was Gott auf eine wunder­ bare Weise tu der Welt eingeführt hat, wie das, was in einem höhern Sinne, als in welchem Alles Wahre und Gute von Gott kömmt, von dem Allerhöchsten herrührt, Etwas seyn müsse, was nicht höher gedacht werden kann. Das Einseitige, das Vielseitige selbst, kann ich in diesem Sinne nicht füglich das Göttliche nennen; das Letztere muß allseitig seyn. Ist

6 das Christenthum bloß eine Religion, eine Religionsanstalt, so ists etwas Einzelnes, neben welchem noch vieles Andere in der Welt seyn muß, und man wird mir einwenden, daß dem ja wirklich nicht anders sey; ich meine aber, nach der Absicht Christi solle sein Werk mit der Zeit alle Anstalten, zum Besten der Menschheit, durchdringen und zweckmäßiger machen, und er führe auch noch zu seiner Zeit Begebenheiten herbei, dje mit zu seinem Werke gehören und gleiche Absicht erreichen sollen, und eben dadurch sey das Werk allseitig und das Höchste, das sich denken läßt. Und wahrlich! Ein höhe­ res Ziel, als die höchste Glückseligkeit aller Menschen in aller und jeder Hinsicht in Zeit und Ewigkeit, läßt sich nicht denken; zumal da sie in der wahren Verehrung des höchsten Wesens, des Schöpfers und Regierers der Welt, besteht, und dieselbe alle vernünftigen Geister, wer sie seyn. mögen, haben, ja die­ selbe der Allerhöchste selbst hat. Die.Mittel dazu sind für alle Menschen bestimmt, und alle erhalten sie auch und werden auch dadurch beglückt, wenn sie selbst nur wollen; daß auf ihren Willen etwas ankömmt, und bei denen das Werk Christi nicht fortgeht, oder feinen Nutzen bringt, welche es von sich stoßen oder nicht recht benutzen, kann für keine Einschränkung gelten, weil wider seinen Willen Niemand glücklich gemacht wer­ den kann, wie Niemand zu einem Anbeter Gottes im Geist und in der Wahrheit, und Gott yur freiwillige Verehrer haben will. Wenn nun alles in der Welt dazu dienen soll, diese Absicht Christi zu erreichen, unh er in Allem, was da ist und geschieht, zur Erreichung derselben seine Hand hat, wie er von sich sagt; „Mir ist übergeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden," Matth 28, 18. Wenn das Werk Christi sich mit der Schöpfung der Welt oder, wenn es damals noch nicht nöthig war, mit und bei der ersten Sünde angefangen hat, und, gleich einem Sauerteich durch das Mehl, um es zu einer wohlschmeckenden

y und gesunden Nahrung zu machen, durch die ganze Geschichte der Welt bis auf unsere Zeiten., ja bis auf den Zeitpunkt, wo die Erde nicht mehr geschickt seyn wird zur Wohnung dev Menschen, hindurch geht, und sich für die Menschen naas Mittel zum Zweck. Zn se ch s Tagen, wird erzählt, hat Gott die Wett gemacht, und das ist Einigen anstößig; aber Herder sollte es doch nicht umsonst gesagt haben, daß ohne diese Eintheilung des Schöpfungswerkes in sechs Tagen, die Menschen schwerlich angefangen haben würden, die Zeit anders, als nach Tagen einzutheilen, »der daß sich in allen Anfängen menschlicher Zeit­ rechnungen Spuren von dieser alten ersten Zeitabcheilung finden.

17 Wie dem aber sey,

so fleht jeder leicht, daß dies eine bloße

Einkleidung des Vortrags dieser Thatsache sey, dienen soll,

Menschen zu vermögen,

daß sie bloß

sechs Tage zu arbeiten

und den siebenten Tag, als einen Tag der Ruhe und Gottes­ verehrung, auszusondern.

Denn wenn es 1. Mos. 1, 5. heißt:

„Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag," wie lang wird da der Abend, und wie lang der Morgen gedacht? Das wird gar nicht bestimmt.

Erst im vierten Tagewerk geschieht

Etwas, das die Eintheilung in eigentliche Tage möglich macht. Die Zeit von sechsmal vier und zwanzig Stunden ist daher hier gar nicht in Betrachtung zu ziehn; aber höchst vortrefflich ist gewiß die Absicht, in welcher das,

was einmal als nach

und nach bewirkt dargestellt werden mußte,

gerade in so viel

Zeitabschnitte vertheilt wird; eine Absicht, die wir auch wohl, wenn wir über die Schöpfung der -Welt oder Einrichtung der Erde sprechen,

zu erreichen suchen sollten, und schwerlich auf

eine bessere Weise würden befördern können. — Gewiß, wer durch den Vorttag der Lehre von der Schöpfung der Welt wahre Religiosität befördern will, wird es nicht besser, als durch Benutzung dieser mosaischen Erzählung thun können, und erstaunenswürdig ist's, daß in dieser alten Zeit, aus wel­ cher diese Erzählung herstammt, in einem solchen heiligen Geiste diese Lehre dargestellt worden ist. Wie man aber darüber denken mag,

die Lehre von der

besondern Vorsehung — der Vorsehung über die Menschen, so fern sie, natürliche Freiheit haben — muß,

wenn sie wahr

und erwecklich vorgetragen werden soll, in Geschichte dargestellt werden.

Es gehört dahin nothwendig,

gerichtet hat. Ps. 119, 52. zu geben,

wie Gott von jeher

Um richtige Vorstellungen davon

müssen wir beschreiben,

wie Gott den Menschen

Gesetze gegeben hat, auch Bewegungsgründe, sie zu beobachten, besonders Verheißungen und Drohungen, wie auch ihrer freien

2

18 Natur angemessene Hülfsmittel, wie er aber auch wirklich be­ lohnt oder bestraft, je nachdem seine Gesetze beobachtet oder übertteten werden, auch wohl, so weit es mit seiner Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit bestehen kann, verzeiht, und so auf jede Weise seine Absicht mit den Menschen und mit der Welt auf die allerherrlichste Weise erreicht, welches alles aus der Geschichte eigentlich hervorgehen oder sich wenigstens größtentheils belegen lassen muß. Wie man daher Spuren der Weisheit, Allmacht und Güte Gottes in der Natur aufsuchen und auffinden muß, so muß man Beweise dieser besondern Vorsehung in der Ge­ schichte der Menschheit vorzeigen können. — Es ist wahr, die Geschichte jedes einzelnen Menschen muß Erläuterungen zu dieser Lehre geben können; aber diese sind vielleicht nur sehr schwach und unvollkommen; und sollte sich die Weisheit, Heiligkeit, Gerechtigkeit und Gnade Gottes nicht auch schon in dem Fortgange der sechs Jahrtausende der be­ kannten Menschengeschichte gezeigt haben, so würde es ja wohl so schwer werden an dieselbe zu glauben, als wir überhaupt einen Gott glauben würden, wenn wir nicht Absichten und Mittel zur Erreichung derselben in der Welt anzuerkennen uns gedrungen fühlten. Die Geschichte jedes einzelnen Volks und mehrerer Nationen zusammengenommen, muß zwar ebenfalls Belege hierzu liefern; aber wenn diese auch noch deutlicher und sprechender wären, als man sie bisher bemerkt hat, so würde es doch nöthig seyn, daß sie aufgesucht und daß die Geschichte selbst in einem solchen Geiste betrachtet und behandelt würde, daß diese Absicht im Auge behalten würde, welches noch nie geschehen, auch sehr schwer ist. Die biblische Geschichte ist hierin einzig in ihrer Art; sie beschreibt den Fottgang der be­ sondern göttlichen Vorsehung auf Erden, und hat keinen andern Zweck, als diesen. Sie erzählt uns nicht sowohl was Noah, Abraham, Moses, die Propheten, Jesus, als was Gott durch

19 diese Mittelspersonen gethan hat und hat ausrichten wollen, und Alles bezieht sich, was bei andern Geschichten kaum hat geschehen können, auf den letzten Zweck des Allerhöchsten bei Schöpfung und Erhaltung der Welt. Ueber diesen aus.

drückt man sich allerdings sehr verschieden

Aber nach der Bibel ist es die Ehre Gottes; „Der Herr

schafft Alles um sein selbst willen," heißt es Sprüchw. 16, 4. Niemand wird das so' verstehen, als wolle der Allgenugsame in sich eine Veränderung, in sich eine angenehme Empfindung hervorbringen, dergleichen wir haben, wenn wir uns geehrt wissen: Denn Ehre ist: die Kenntniß,

welche Andere von

unsern Vorzügen haben; und das wird daher als der letzte Zweck Gottes betrachtet,

daß in vernünftigen Wesen Erkennt­

niß und Verehrung des wahren Gottes und seiner Vollkom­ menheiten entstehe.

Fragt man weiter, warum der Höchste

das wolle, so kann darauf allerdings geantwortet werden, weil darin die höchst mögliche Glückseligkeit verständiger Wesen be­ steht, und kann hernach'triumphirend ausrufen, daß ja nicht jene, sondern diese der letzte Zweck Gottes sey, weil jene um dieser willen gewollt werde. Aber wie? wenn diese schon in jener enthalten wäre, würde man dann nicht besser thun, in jener den Endzweck Gottes zu setzen? Ich dachte, aber wenn die Bekanntmachung der göttlichen Vollkommenheiten der End­ zweck Gottes ist, so soll. auch gewiß die Güte, Liebe, Gnade Gottes bekannt gemacht werden; und diese besteht ja darin, daß jedes Geschöpf, das des Wohlseyns fähig ist, das Höchste erhalte, dessen es fähig ist.

Das muß also auch zu dem End­

zwecke Gottes gehören; aber er muß als ein Theil des All­ gemeinen, der Beförderung der göttlichen Ehre,

das heißt,

der rechten Erkenntniß und Verehrung aller göttlichen Eigen­ schaften angesehen werden, nicht als Folge davon; und das ist um so nöthiger, als, wenn man sagt, die höchste Glück-

2

*

20 seligkeit der Menschen sey der letzte Zweck Gottes mit unserem Geschlecht und mit jedem Einzelnen in demselben,

man gar

zu leicht für Manchen etwas Falsches sagt, weil der, welcher das annimmt, sich vielleicht sehr unrichtige Vorstellungen von seiner wahren Glückseligkeit macht. Wird aber das als richtig erkannt, so muß die Geschichte der besondern Vorsehung Gottes besonders in der Geschichte der wahren Religion gegeben werden, und nur diese kann jene liefern; denn sie erzählt, wie Gott seine Vollkommenheiten be­ kannt gemacht habe, und was dadurch ausgerichtet sey.— Sonderbar ists,

daß man schon das eine Offenbarung

Gottes nennt, daß durch die Einrichtung der Natur des Men­ schen und der Welt die Gotteserkenntniß und Gottesverehrung möglich wird: denn wer hat je gesagt, daß Jemand mir schon Etwas wirklich geoffenbaret hat, wenn er mich in den Stand gesetzt hat, es zu erkennen, ich aber es nicht wirklich erkenne? Muß der Mensch durch seine Natur,

bei der Beschaffenheit

der Welt, wie sie ist, nothwendig aus Erkenntniß des wahren Gottes kommen,

welches niemand zu behaupten wagen wird,

welcher weiß, daß die wenigsten Menschen durch sich selbst dazu gelangen,

ja dann hat sich Gott darin geoffenbart.

das nicht nothwendig,

Ist aber

so nimmt man dabei mit Unrecht eine

Offenbarung an, wenn man sie schon die mittelbare nennt; höch­ stens kann man das, was dadurch geschieht, etwas dabei vorläu­ fig nöthiges,

etwas die Offenbarung Vorbereitendes nennen,

was sich außer dem Menschen auf Erden nicht findet.

Die

Geschichte einer wirklichen göttlichen Offenbarung können wir Christen aber nur aus der Bibel hernehmen.

Da aber ohne sie

die Geschichte der besondern Vorsehung über die Menschen, wie gesagt worden, nicht möglich ist und selbst die Ueberzeugung von derselben ohne alle Berufung auf diese Geschichte nicht statt

finden kann,

so kann die hohe Wichtigkeit der biblischen Ge­

schichte für die Religion keinen weitern Zweifel ausgesetzt seyn. Dies wird in einem noch Hellern Lichte erscheinen,

wenn

wir uns an das Allgemeinste derselben erinnern wollen. Nach dieser Geschichte hat der Schöpfer und Herr der Welt es nicht dem Zufall,

nicht der Willkühr der Menschen

überlasten, ob sie ihn erkenneten, sondern er hat sich dem ersten Menschen wirklich zu erkennen gegeben.

Zn welchen Eigen­

schaften? davon wird nichts gesagt, weil es sich von selbst ver­ steht, und

daß er sich ihnen so bekannt gemacht hat, wie ihnen,

ihn zu

wie er ist

erkennen nöthig und heilsam

war.

Nun wird erzählt, daß er ein einziges Menschenpaar, von dem alle Menschen abstammen sollten, damit Alle sich als Glieder einer Familie betrachten sollten, daß er die Menschen sich ähn­ lich geschaffen,

zur Herrschaft über die ganze Erde, sonderlich

über die lebenden Wesen 1. Mos. 1, 26 — 28,

zur Gottes­

verehrung 1. Mos. 2, 1 — 3, zur Arbeit, V. 15,

zur Ehe,

(23. 24.) bestimmt, sie in eine schöne Gegend der Erde versetzt V. 8. 9., ihnen die Sprache gegeben habe. Aber sogleich

V. 19. 20.

findet auch das erste Stück, wodurch die

besondere göttliche Vorsehung über die Menschen sich äußert, dir Gesetzgebung,

verbunden mit einer Drohung,

aber auch mit einer Verheißung Statt. Das Gesetz ist das,

1. Mos. 2, 16. 17.

was allen Menschen gegeben ist.

kannst in vielen Stücken, folgen.

eben damit

Du

aber nicht immer deinen Trieben

Zu deiner Freude ist erstaunlich Vieles um dich her,

aber überall darfst du Freude nicht suchen.

Wir sehn, daß der

Mensch in einen Zustand gesetzt wird, worin er Gelegenheiten und Aufmunterungen und Hülfen erhält, den göttlichen Geboten zu gehorchen, aber ihnen auch zuwider zu handeln sowohl im Stande ist,

als gereizt wird;

in einen Prüfungszustand, in

welchem erkannt wird, ob er gut, oder nicht gut sey.

Nach der Geschichte wird das Gebot übertreten, und das macht eine andre Behandlung des Menschen durch die göttliche Vorsehung nothwendig, als sonst hätte statt finden können. Denn nun mußte der Mensch entweder von Sünde zu Sünde fortgehen seinem Verderben entgegen und konnte seine Bestim­ mung nicht erreichen, oder, da das der allweise und allmäch­ tige Schöpfer nicht zulassen kann, muß Er ihn aus diesem Verderben erlösen, welches indessen nur auf eine solche Weise geschehen kann, wie es auf der einen Seite der Heiligkeit, Ge­ rechtigkeit und Wahrhaftigkeit des Gesetzgebenden Gottes und auf der andern der freien Natur des Menschen gemäß ist. Die biblische Geschichte erzählt, was hierzu geschehen ist. Aus der Erzählung von der ersten menschlichen Sünde lernen wir, wenn wir wollen, daß das Böse nicht von Gott kömmt, nicht in unserer sinnlichen Natur, die Gottes Werk ist, sondern in Sophismen der Vernunft, die man verjagen könnte, wenn sie in uns sich hören lassen, und int Unglauben, welcher die Lüsternheit weckt, ihren Grund hat, oder daß, wie Jacobus sagt, die Lust erst, wenn sie empfangen hat, (durch diese Sophismen gleichsam geschwängert) die Sünde gebiehrt. Jac. 1, 15. Die alten Dogmatiker mögen zu viel Gewicht auf diese Nachricht legen; aber, daß wir geschichtlich, wie die erste Sünde entstanden, nachweisen, und es so nachweisen können, wie es sich noch immer bei der Entstehung jeder ein­ zelnen Vergehung bestätigt, ist ganz gewiß von großer Erheb­ lichkeit. Kaum kann, das hoch genug geschätzt werden, da es so schwer ist, den Ursprung des Bösen so zu erklären, daß auf Gott, der den Menschen frei geschaffen hat, in unsern Gedan­ ken gar keine Schuld fällt; und da selbst die, welche das noch so ernstlich vermeiden wollen, es nicht können, wenn sie diese Erzählung aus dem Auge lassen oder nicht benutzen. Strafen können, nachdem die Sünde unter den Menschen

23 einmal da ist, nicht ausbleiben; seyn,

aber sie müssen von der Art

daß sie selbst helfen können,

Die Arbeit,

die Menschen zu bessern.

zu welcher der Mensch bestimmt ist,

wird nun

beschwerlich; aber beschwerliche Arbeiten übernehmen wird auch leicht heilsam; andern,

die Unterwerfung Eines Menschen unter dem

sonst das Nachgeben

der Gehorsam

aus Zwang

dungsmittel des Menschen.

der Liebe,

wird lästig;

aber

wird auch das vornehmste BilUnruhe des Gewissens, Furcht vor

Strafe entsteht; aber Neue kann ja auch den Wunsch nach Besse­ rung erwecken.

Was zuvor reizt, wird als verächtlich erkannt;

wie viel aber kann dadurch gewonnen werden!

Wenn man

sich nur nicht entschuldigt, wenn man nur nicht Versuche macht, die Strafe los zu werden, ohne das Uebel selbst wegzuschaffen, wenn man nur einige Leiden übernehmen und wider das Böse kämpfen will, so kann, so soll man auch den Sieg davon tragen. Aber so lange dieser Zustand währt,

wird der Tod gefürchtet;

die wahre Glückseligkeit des Menschen ist nicht möglich.

Wie

wird uns das alles in der Erzählung von den Strafen der ersten Sünde sehr deutlich dargestellt.

1. Mos. 3, 7 — 24.

Aber wie die äußern Umstände seyn mögen, sie können immer zwar Aufmunterungen und Hülfen zum Guten, aber auch Rei­ zungen und Erleichterungen des Bösen werden.

Erkenntniß und

Betrachtung von Seiten des Menschen machen sie zu dem Einen oder dem Andern.

Daher kann die Erlösung von der Sünde,

welche nun das Werk der besondern göttlichen Vorsehung wird, nicht anders geschehen, als daß auch die wahre Religion so weit, als es unbeschadet ihrer Würde und Heilsamkeit geschehen kann, dem sündlichen Zustande

der Menschheit,

theils

angemessen

gemacht, theils so erhalten und verbreitet wird. Die Bibel erzählt,

daß Opfer eingeführt worden

sind,

1. Mos. 4, 3 ff, daß man ansieng von des Herrn Namen zu predigen, also Versammlungen zur Gottesverehrung anzustellen,

24 i. Mos. 4, 26.; daß die Menschen zusammenhalten mußten, wenn die wahre Religion fortdauern sollte, 1. Mos. 6, 1. ff., indem einer von dem andern lernen, einer dem andem seine Re­ ligiosität mittheilen, und durch sie die des andern beleben lassen muß, und daß die wahren Gottesverehrer, welche Kinder Gottes heißen, wirklich zusammenhielten. Wer sieht aber nicht, daß da­ durch die Wirksamkeit der Gotteserkenntniß für die Erlösung der Menschen sehr befördert werde? Ohne das wird sie nicht erhalten. Der Verfolg der Geschichte läßt zwar bald uns eine Gräuelthat sehn, von welcher der damals noch unbekannte, aber als Strafe gedrohte, Tod die schreckliche Folge ist. Man lernt, wie das Böse bald sehr fürchterlich ausbricht; aber, was dabei beson­ ders wichtig ist, da der, welcher dabei wahrscheinlich mehr Böses that, als er selbst wissen mochte, an der Gnade Gottes verzwei­ felt und sich von denen, welche die wahre Gottesverehrung unter sich erhielten, entfremdete und entfernte, so verlohren er und seine Nachkommen das Mittel ihrer wahren Bildung und Glückseligkeit, 1. Mos. 4, 13. 14. Dies hatte aber bald eine noch traurigere Folge. Denn hernach vermischten sich die wahren Gottesverehrer mit diesen Irreligiösen, blieben nicht mehr für sich, hielten nicht mehr zu­ sammen, nahmen diesen Sinn an und fast die letzte Spur von Religion verschwand auf der Erde. Die Menschen wurden ganz sinnlich, verlohren alle übersinnliche Begriffe, alle Begriffe von Wahrheit, Ordnung, Recht und Unrecht, Gott und göttlichen Absichten. Gewalt sollte allein herrschen. Ein solches Men­ schengeschlecht konnte seine Bestimmung nicht mehr erreichen und es ward ausgerottet, 1. Mos. 7. 6. Durch Noah wird es wieder erneuert und fortgepflanzt, aber damit die wahre Gottesverehrung sich nie mehr so als es geschehen war, verlieren konnte, erneuert auch der Allerhöchste

25 seine Offenbarungen. Er richtet, heißt es, mit diesem Mann einen Bund auf, d. h. er gab ihm Gesetze und Verheißungen. Mit allen seinen Nachkommen, mit dem ganzen Menschen­ geschlechte sollte dieser Bund geschlossen seyn; aber alle nahmen ihn nicht an. So tief sanken die Menschen zwar nie wieder, als vor der Sündfluth: Denn ohne alle höhere Begriffe, daß sie ganz sinnlich geworden waren, blieben sie nicht. Aber Abgötterei brach ein und drohte allgemein herrschend zu werden. Damit sie es nicht würde, wirkt Gott in Abraham den Entschluß, für sich zu bleiben, sein Vaterland und seine Familie zu verlassen, und in ein Land zu gehen, wo er noch etwas mehr Gottesverehrung erwarten konnte, als in seiner Heimath, (ein Melchisedek war da) wo er aber auch für sich leben und mit den ©einigen sich zur wahren Gottesverehrung versammeln konnte und wollte. Dieser Entschluß ward mit der Hoffnung ihm eingeschärft, daß, wenn er dies thun würde, er eine zahlreiche Nachkommenschaft haben würde; und diese feste Hoffnung hatte er, da er noch gar keine Kinder hatte, und unterhielt sie, ob er gleich alt wurde, ohne daß seine Gattin gebahr. Ja, die sichere Erwartung war damit verbunden, daß er mit den ©einigen überflüssig gesegnet und daß durch seine Nachkommenschaft alle Geschlechter und Völker­ schaften der Erde würden beglückt werden, wenn er bei sich und den ©einigen die wahre Religion aufrecht erhalten würde. 1. Mos. 12, 1. ff. 18, 18. 19. Die letztere Erwartung konnte wohl kaum eine andere seyn, als daß durch seine Nachkommen wahre Gottesverehrung über allerlei Völkerschaften sich verbreiten werde, die der Grund alles Segens und Heils der Menschen und Völker ist. Wie dem sey, so erzählt die Geschichte weiter, daß noch nicht bei allen Nachkommen dieses Gott ehrenden und Gott verttauenden Glaubenshelden sich die wahre Gottesverehrung erhielt, aber sie gieng seitdem auch nie mehr ganz unter. Wirk­ lich ward sie ein bleibender Vorzug der ganzen großen Familie

26 seines Enkels Jakob oder Israels.

Diese ward in einem Theile

Aegyptens zu einem Volke gebildet, hatte bei ihrem Einzuge in das Land, damals das cultivirteste der Welt, für sich zu bleiben verlangt und blieb es auch eine geraume Zeit hindurch.

Nach

einem Jahrhundert etwa, oder nach anderer Berechnung, nach einer noch länger» Zeit aber wurden die Nachkommen Israels in ganz Aegypten zerstreuet und sclavisch behandelt. Gottesverehrung, die sie ohne Zweifel,

Nun ist die

so lange sie für sich

blieben, unter sich erhielten, in Gefahr, zu ersterben; werden durch Mosen befreit. sie in das Land ein,

in

aber sie

Moses und nach ihm Josua führen welchem ihr Ahnherr Abraham als

Fremdling gewohnt und noch ein Eigenthum hatte.

Durch

Moses hatten sie ein Gesetz, eine Staatsverfassung erhalten und die wahre Religion war nun Volksreligion geworden, in wel­ cher zwar auch noch sehr viel Sinnliches war, wie sich dessen viel bei allen 9361sent fand, in der aber doch kein Bild von der Gott­ heit gemacht, nur Ein Gott verehrt wurde und sinnliche Pracht, auch Opfer nur an Einen Ort, an Ein Versammlungszelt, wie nachher an Einen Tempel,

gebunden waren, so daß für die

übrigen Oerter nichts dazu übrig blieb, als Gebet und Betrach­ tung der göttlichen Wahrheit und Uebung gottgefälliger Gesin­ nungen.

Nach dem fernern Verlauf der Geschichte läßt sich das

Volk gar leicht und oft zur Abgötterei verführen; aber es ist stets unglücklich, wenn das geschicht.

93on Gott begeisterte Männer

treten auf, verkündigen, daß das nicht anders seyn könne, daß noch größeres Unheil kommen werde, wenn sie nicht zur wahren Gottesanbetung zurückkehrten; aber verheißen Wohlfahrt, wenn sie sich dazu entschließen würden.

Merkwürdig dabei ist es, daß

stets dasjenige Landesdrangsal erfolgte, was sie mit Bestimmt­ heit vorhersagten, auch die Art des Glückes, die sie verhießen; und daß sie stets auf sehr glückliche Zeiten hinweisen, die, wenn sie der wahren Religion sich wieder ergeben und ihr treu bleiben

27

würden, besonders durch einen großen von Gott zu senden­ den Helfer, kommen würden. Vielleicht wußten sie dabei nicht immer die Zeit, in der das geschehen würde, (weil sie ihnen nicht geoffenbart war) und irrten sich darin; sie erwar­ teten vielleicht das sogleich, was so bald nicht kommen sollte, z. E. Jes. Cap. 8 und 9.; aber die Hoffnung selbst war ihnen gewiß, ward durch sie erhalten und verbreitet. Das Volk ward, (denn je weiter wir in der Geschichte fortschreiten, desto mehr Einzelnes können wir zu unserem jetzigen Zweck über­ gehen) da es den wahren Gott wenig achtete, in die babylo­ nischen Länder zerstreut. Hier blieb es über siebenzig Jahre. Dieser Aufenthalt ist demselben gewiß in mancher Rücksicht schädlich geworden und neuere Gelehrte haben sich sorgfältig bemüht, die Nachtheile zu schildern, welche die Religionslehre der Israeliten dadurch bekommen haben soll; aber historisch gewiß ist, daß nach dieser Zeit eben das Volk, welches bis dahin stets geneigt war, sich zur Abgötterei verführen zu lassen, seinen Nationalstolz darin fand, Einen Gott, den Schöpfer und Herrn Himmels und der Erden, den Gott, den Abra­ ham, Isaak und Jacob verehrt hatten, nach den Vorschriften ihres Gesetzes anzubeten. Die heiligen Urkunden des alten Testaments schließen mit der Erzählung, mit welchem Eifer das Volk aus der Zerstreuung in die babylonischen Länder in das Land seiner Väter zurückgekehrt ist. Spätere jüdische Schriften melden, daß es im Stande gewesen ist, die aller­ größten Verfolgungen eher auszustehen, als seine Gottesver­ ehrung aufzugeben oder zu ändern. Allerdings rissen bald große Verderbnisse ein, und diesen mußte gesteuert werden, wenn nicht aller Segen der wahren Gottesanbetung verloren gehen sollte. Auch mußte was verhei­ ßen und auch ohne Verheißungen, da Gott nicht allein der Juden Gott, sondern aller Menschen Vater seyn will, zu

28 erwarten war, wozu auch durch die immer größer werdende Zerstreuung der ihrer Religion fest anhangenden Juden und andere Umstände mancherlei Vorbereitungen getroffen waren, dafür gesorgt werden, daß die alte abrahamitische Gottes­ anbetung, die durch Mosen Landesreligion geworden war, ohne die Eigenthümlichkeiten, die sie durch letzteren erlangt hatte und ohne die Verderbnisse, durch welche sie ver­ fälscht worden war, unter allerlei Volk zur Beförderung der Ehre Gottes und des Heils der Menschen ausgebreitet werden konnte. Der nach den Verheißungen der Propheten erwartete Heiland — und hiermit fängt sich die Geschichte des neuen Testaments an — erscheint zu diesem Zwecke, er beglaubigt sich, findet Widerspruch, wird verfolgt, gekreuzigt, erhält aber auch einige Freunde und Anhänger, steht von den Todten auf und in ihm werden alle Völker der Erde gesegnet und sollen, — hiemit schließt sich das N. T. — je länger je mehr und auf das Höchste in dieser und jener Welt ewiglich gesegnet werden. Diese Geschichte, die mit einer Weissagung endigt, ist gewiß ewig denkwürdig jedem, der sie für wahr hält, und ich sollte meinen, ihr sey das Gepräge der Wahrheit deutlich auf­ gedrückt. Sie bestätigt sich auch gewissermaßen durch die ganze Weltgeschichte; ja einige haben schon bemerkt, daß sie sich in der Art, wie jeder einzelne Mensch zur wahren Gottesanbetung angebildet wird, bestätigt. Erfunden kann sie gewiß nicht seyn, denn sie wird in Schriften erzählt, von denen die eine immer älter, als die andere ist und mehrere wenigstens schon um drei bis vier Jahrhunderte früher, als die anbetn, da gewesen sind, und nach ihr muß Ein Zeitalter das vorbereiten, was in einem lange nachher folgenden als geschehen erzählt wird. Doch es ist nicht meine Absicht, über die historische Glaub­ würdigkeit der biblischen Geschichte zu sprechen, ich setze viel-

29 mehr voraus, was andere darüber gesagt haben. wahr hält,

Wer sie für

findet darin eine Geschichte der Entstehung und

Verbreitung des Reichs Gottes auf Erden, wo alle Menschen Glieder darin werden können und sollen; aber nur wenige in dem Sinne es wirklich werden, daß sie an der Seligkeit dessel­ ben Theil nehmen; breiten,

wie schon mit dem Bemühen, es auszu­

geschweige mit dem

Wohlfahrt,

Antheil

z. B. bei Abraham,

verbunden ist,

daran,

auch

zeitliche

bei dem israelitischen Volk,

wie Alles in der Welt dazu beförderlich seyn

muß und in dieser Beförderung der Endzweck aller göttlichen Handlungen besteht. Alle theoretischen Lehren lassen sich daraus entwickeln und es erhellt, daß der Vortrag derselben nie so einleuchtend und so kräftig gemacht werden kann, der Acht gelassen,

als

wenn diese Geschichte aus

wenn sie gehörig benutzt wird,

wie

z. B. die Lehre, daß der letzte Zweck Gottes'die Offenbarung seiner Herrlichkeit ist, nur hierdurch allein bestätigt werden kann. Einzelne biblische Erzählungen.sind hierzu, wie zur Erläuterung der christlichen Sittenlehre, stets mit großem Nutzen gebraucht worden und es verdient wahrlich,

sehr geschätzt zu werden,

daß wir zu diesem Zweck einen großen Reichthum haben, womit wir den Religionsunterricht anschaulich und lebendig machen können.

Doch wir sehn vorzüglich auf das Ganze und dabei

ist noch zweierlei in Erwägung zu ziehn: einmal, daß Gott die Menschen ganz nach ihrer natürlichen Freiheit handeln läßt, dann aber, daß, ungeachtet dieser Freiheit der Menschen, doch das völlige Verschwinden der wahren Gottesanbetung verhin­ dert,

dagegen

bewirkt wird,

daß sie sich zuletzt allgemein

ausbreiten muß. Ueber das Erstere ist Nichts zu erinnern; daraus aber wird erklärlich, wie nur so sehr allmählig die wahre Religion durch­ dringt,

und sich leicht verliert oder verdorben wird.

Dies

30 kann nicht befremden; wir haben schon gesagt: Gott will eine freie Huldigung,

keine auf irgend-eine Weise erzwungene.

Aber, wenn erzählt wird, daß zur sichern Beförderniß des Letz­ tem auch Wunder geschehen seyen, so findet man darin Anstoß. Ohne Zweifel würde alle Welt diese Geschichte annehmen und für sehr wichtig halten,

wenn nicht Wunder darin vorkämen.

Aber Wunder! heißt es; wer kann die glauben? glaube ist die Quelle

alles Aberglaubens,

Wunder­

und Aberglaube

die Quelle unzähligen Elendes und Verderbens!

Man hat

daher auch oft gerathen,

diese Wunder auf sich beruhn zu

lassen,

daß es damit ganz natürlich müsse

oder anzunehmen,

zugeganzen seyn.

Aber ich für meinen Theil, wenn ich die bibli­

sche Geschichte in Schutz nehmen will,

wenn ich einen hohen

Vorzug des Christenthums darein setze,

daß es uns diese Ge­

schichte mittheilt, so kann ich die Wunder daraus nicht weglassen?) Die Geschichte würde dadurch , zu einer ganz andern gemacht und die Quelle, aus der ich sie schöpfe, wird mir getrübt, wenn ich Etwas aus ihr für wahr halte,

und Etwas wieder verwerfe.

Ich kann zwar wohl leiden, daß man einige einzelne Thatsachen dahin gestellt seyn läßt; aber sie zu leugnen, darum zu leugnen, weil sie wunderbar sind, dünkt mich verwerflich.

Denn mir ist

es sogar für den Zweck des Christenthums sehr wichtig, daß in der Bibel Wunder glaubwürdig erzählt werden.

Dies mag

Vielen ein Paradoxon seyn, ich kann es auch hier noch nicht ganz in seiner Wahrheit darstellen; aber Etwas muß ich hierüber schon zur Erklärung und zum Beweise sagen, nämlich Folgendes: 1) Bei einem Wunder frage ich gar nicht, wie es sich hat ereignen können, und wie es sich mag ereignet haben; es ist

*) 3m Vorbeigehn muss ich

bemerken,

daß ich die natürliche und

fittliche Freiheit unterscheide, indem nach der erstem frei gehandelt werden kann, nach der andern ftci gehandelt wird.

31

mir eine Thatsache (nicht gerade, die durch die Kräfte der Natur nicht bewirkt seyn kann, denn ich weiß nicht, ob sie nicht dadurch bewirkt worden seyn könne, sondern von der kein Mensch begreift, wie sie durch die Kräfte der Natur und nach den Gesetzen derselben hat geschehen können, ja die vielleicht den Naturgesetzen entgegen zu seyn scheint, aber doch vielleicht, ohne daß Jemand weiß, nach ihnen geschehen seyn mag. 2) Solche Thatsachen nun als geschehen anzunehmen, ist mir für die Religion und ihren Zweck wichtig. Denn: a. In der Religion erkläre ich überhaupt mir nie eine That­ sache, als dadurch, daß ich sage: (wenn sie nicht durch den bösen Willen der Menschen geschehn ist) Gott wollte, daß sie geschah und sie geschah; Gott läßt regnen und die Sonne scheinen. Wenn ich weiß und erkläre, wie das geschieht, gehe ich aus dem Gebiet der Religion heraus. Die Kräfte und Gesetze der Natur, kennen und aus ihnen die Vorfälle, von denen wir Kenntniß erhalten, zu erklären sich bemühn, bleibt zwar immer für uns etwas sehr Nützliches und Erhebliches: wir bilden dadurch un­ sern Verstand und nehmen daraus auch Regeln für unser Ver­ halten her, und wer daraus, daß Wunder geschehn sind, allein oder vornehmlich sich eine Regel für sein Verhalten hernehmen wollte, würde allerdings fehlen; er würde abergläubisch seyn. Unsere Pflichten sind uns vorgeschrieben und Weisheit und Klug­ heit, die nur bei richtiger Erkenntniß der Naturkräfte und Na­ turgesetze (im vollsten Sinne diese Wörter zu nennen) möglich sind, sind stets von uns anzuwenden. Will man die Kenntniß unserer Pflichten und der Vorschriften, die wir als vernünftige Menschen zu beobachten haben, mit zur Religion rechnen, so bleibt für sie allerdings auch die Kenntniß der Natur und der Kunst, aus ihr die Ereignisse der Welt zu erklären, sehr wichtig. Aber ich meine die Vorschriften für unser Herz und Leben, beson­ ders so weit sie religiöse sind, ruhen auf ihrem eigenen Gpunde,

32 und wenn gleich mehrere gegeben werden können, die nur in der Religion gegründet sind, z. B. „ liebe Gott über Alles," so sind doch auch diese, wie die Religion selbst, mehr Ermunterungen und Hülsen zur Uebung unserer Pflichten, als daß sie uns anwie­ sen, was wir dem gemäß im Leben zu thun haben. Was aber jene Anweisung betrifft, so werden sie allerdings um so genauer gegeben werden können, je mehr man die Natur kennt und Er. fahrungen gesammelt hat. Aber ihre Kenntniß gehört nicht noth­ wendig zur Religion, sondern nur das Verhalten nach ;der vor­ handenen und pflichtmäßig zu vernehmenden Erkenntniß aus Gründen und mit Hülfe der Religion. Um uns aber so zum Guten in unserem Verhalten zu ermuntern und uns die Uebung desselben so zu erleichtern, wie es die Religion will, bazu gehört gar nicht die Kenntniß, wie das, was in der Welt geschieht, hat geschehn können, oder noch geschieht. b. Im Gegentheil besteht der religiöse Sinn in der leben­ digen Gewißheit, daß ich meine Pflichten erfüllen kann, wenn ich auch nicht begreife, woher ich die Kräfte dazu erhalten soll, wenn ich auch fühle, daß ich dazu zu schwach bin, so wie daß die Uebung meiner Pflicht für mich und die ganze Welt Vortheilhaft, daß sie das Beste ist, was ich thun kann, wenn ich auch gar nicht begreife, wie daraus etwas Ersprießliches hervorgehen kann, wenn ich auch, so weit ich den Gang der Welt und Natur kenne, meinen muß, es werde Schaden daraus entstehn. Der religiöse Sinn besteht darin, daß ich überzeugt bin, die Wahrheit, das Recht und die Tugend müsse früher oder später über Irrthum, Unrecht und Laster den Sieg davon tragen, wenn auch alle Welt daran zweifeln möchte und kein Mensch begreift, wie das möglich seyn wird. Um das Vertrauen fest halten zu können, haben wir allerdings die Hoffnung des ewigen Lebens, ohne welche es schwerlich fest stehen würde. Aber die Religiosität ver­ liert schon an ihrer Kraft und an ihrem Wesen, wenn darauf

33 allein die Zuversicht sich stützt.

-

Dem Segen Gottes bei Uebung

der menschlichen Pflicht darf der Mensch gar keine Grenzen setzen.

Wie wir nie genug Uebel bei der Sünde befürchten

können, ohne uns gerade auf die natürliche Ordnung der Dinge zu verlassen, die wir nie ganz kennen, (so lange wir nur nicht an der Gnade Gottes ganz verzweifeln) so können wir auch nie genug Segen und Heil von der Uebung unserer Pflicht erwar­ ten.

Nicht für uns allein, sondern auch für Andere,

für die

ganze Welt; nicht allein für das ewige, sondern auch für das gegenwärtige Leben müssen wir es hoffen, so gewiß Gott höchst gerecht und höchst gnädig ist.

Wollen wir unsere Erwartun­

gen nach den Einsichten einschränken, die wir von der Natur der Dinge haben,

so

verlassen wir uns nicht auf den Herrn,

sondern auf unsern Verstand; es ist nicht mehr Religion, son­ dern kluge Berechnung in unserm Herzen. wenn wir meinen,

es können nie,

Wie ist es aber,

es seyen nie Wunder

geschehen, d. h. nie habe sich etwas Anderes ereignet, nie könne sich etwas Anderes ereignen,

als wovon der Mensch begreift,

wie es nach der Ordnung der Natur geschieht? Dann kann er sich ja auf nichts Anderes, als auf diese Ordnung und das heißt:

der Natur

auf die Kenntniß, die er von dieser Ordnung

hat, verlassen und dann dieser Kenntniß gemäß und recht klug, aber nicht religiös handeln.

Wirklich schwindet auch der Glaube

an Gott mit dem Unglauben an das Unbegreifliche.

Denn

das Thun Gottes

höchst

selbst muß zwar als

weise, höchst gütig;

höchst heilig,

aber dabei immer als über

Begriffe erhaben vorgestellt werden. niß dadurch Pantheismus,

alle unsere

Auch wird Gotteserkennt­

in welchem man sich immer nur

auf den Weltlaus, nie auf Gott verläßt, nur die Natur, nicht den Herrn der Natur kennt.

Zwar wäre

dabei immer noch

der Unterschied, ob man den Weltlauf als Weltordnung, sittliche Weltordnung,

und eben darum

3

Absichten,

als

die der

34 Weltschöpfer und Weltregent hat, anerkennt; aber wenn diese Absichten nicht als das Allerhöchste gedacht werden, wozu Alles dienen, denen Alles beförderlich seyn muß, — mögen wir auch nicht begreifen, wie das möglich ist, wenn wir meinen, sie würden nur so weit als, und nur durch das erreicht, was wir begreifen; so ist auch damit der Trost und die Hoffnung der Religion verlohren. Ist man aber überzeugt, daß die letzte Absicht Gottes immer muß erreicht werden, so kann man nicht anders, als Wunder glauben, weil stets Umstände kommen können, in welchen wir Menschen nicht begreifen, wie das möglich ist. Die Grenzen, wie weit der Mensch sich Gott widersetzen kann, kennen wir ohnehin nicht. Wie wollen wir nun die Grenzen angeben, wie weit sich ihm der Allmächtige, der sich nicht spotten lassen kann, widersetzt? Aber will man etwa sagen, wir glauben nicht, daß Gott auch Unbegreifliches thue, um seine letzten Absichten durchzuführen, oder Wünder seyen etwas Mehreres, etwas der Weisheit Gottes zuwider Laufendes? Ach, wer sagt uns denn, daß Wunder, daß die in der Bibel erzählten Wunder, etwas mehr, als allen Menschen unbegreifliche Thatsachen sind? Es ist Stolz, wissen zu wollen, wie und daß sie durch unmittelbare Kraft Gottes, daß sie nicht durch Naturkräfte könnten geschehen seyn. Uns Men­ schen wird es so schwer, unser Urtheil zu suspendiren! und das müssen wir doch so oft! Die erzählten Wunder natür­ lich erklären wollen, meinen, man müsse sie natürlich erklä­ ren können, wenn sie geschehen sind, ist Hochmuth. Ein an­ derer Stolz aber ist es, wenn man durchaus meint annehmen zu müssen, daß sie gar nicht durch Naturkräfte könnten bewirkt seyn. Als Gottesverehrer müssen wir überzeugt seyn, daß wir die Wirkungsart des Mmächtigen, der blos durch seinen Willen wirkt, gar nicht kennen; daß er bei den natürlichen Dingen eben so wirksam ist, wie bei denen, die wir übernatürlich nennen;

35 aber daß gar Vieles in der Welt geschehn kann, und geschehn ist,

wovon Niemand begreift, wie es hat geschehen können.

Diese, wie jene Ueberzeugung, ist der Grund aller Religion. Ohne die Erzählungen von Wundern, zu dieser Ueberzeugung kommen;

würden wir aber nie

aber darum eben sind diese

Erzählungen von hoher Wichtigkeit für den Zweck des Christen­ thums, der ohne dieselben schwer zu erreichen ist. Wir können zwar nicht gerade verlangen, biblische

Geschichte allen

Christen nothwendig

daß die ganze bekannt

seyn

müsse — wir wollen das nicht einmal von dem allgemeinen Umriß derselben sagen, wie wir ihn oben dargelegt haben —; aber ein Schade entsteht immer daraus,

das wird aus dem

Vorigen sattsam erhellen, wenn diese nicht für die Religion benutzt wird,- und auf keinen Fall kann die ganze Geschichte entbehrt werden.

Wenigstens mit dem Leben Jesu und mit

der ersten Entstehung und Ausbreitung der christlichen Kirche müssen doch alle Christen vertraut gemacht, ja muß mehr oder weniger, erlauben,

je

nachdem

und daran kann, die Umstände

es

auch von der Historie des alten Testaments ange­

knüpft werden, indem jene ohne diese niemals ganz verstanden und recht geglaubt werden kann; und das ist auch nicht genug zu schätzen,

daß aus diesem wichtigsten Theil der biblischen

Geschichte zuletzt alle Lehren

des Christenthums mit großem

Nutzen hergeleitet werden können,

wenn etwa die Fähigkeiten

oder Umstände derer, die darin zu unterrichten sind, ein Mehreres zu thun nicht verstatten. Das zu beweisen,

wird nicht weiter nöthig seyn,

fast aus jedem christlichen Catechismus, zum

Grunde legt,

erwiesen

da es

der diese Geschichte

werden kann.

Es

wird

aber

zeigen, wie große Vortheile daraus entstehen, daß in der christ­ lichen Religion Alles auf die Geschichte der Bibel, wie sie ist, gebaut wird.

36 Wir wollen indessen noch Eins zu diesem Zwecke kürzlich hinzusetzen. Nämlich, wmr das Christenthum theils überhaupt, theils insonderheit, als eine göttliche Offenbarung, oder als darin gegründet, angenommen werden soll, es sehr nützlich wird, es durch die Geschichte zu begründen. Den Lehrern muß nämlich, wenigstens im Anfange, immer geglaubt werden: denn umsonst wird man sich bemühn, durch die Kraft der innern Wahrheitsgründe auf die Ueberzeugung gewöhnlicher oder der meisten Menschen genug einzuwirken. Man hat in neuern Zeiten das auf mancherlei Weise versucht und sehr erleichtert; aber wir haben noch wenig Erfahrungen davon, daß es gelungen ist. Höchstens hat man dadurch gemacht, daß man über die Religion reden kann, wie über etwas Ande­ res, was man gut gelernt hat; aber die Wirksamkeit der Gottesverehrung hat man dadurch geschwächt. Man setzte diese Gottesweisheit zu sehr in die Grenzen der menschlichen, und machte sie zu sehr zu einem Gegenstände des Wissens, welches doch oft nur eingebildet war. Bei der Mehrzahl z. B. bei den Kindern der Tagelöhner und gemeiner Ackersleute wird aber immer vergeblich gearbeitet. Ohnehin kann in der Reli­ gionslehre nicht ein Theil nach dem andern gegeben werden; denn, wenn man lehrt: „Es ist ein Gott" und man damit etwas Wahres lehren will, so muß man schon alle wichtigen Vorstellungen von Gott und von dem Verhältniß der Welt zu Gott dabei voraussetzen, weil ja sonst ein solcher Gott ange­ nommen wird, der nicht ist. Man giebt also schon hier das Ganze. Wie will das aber sogleich von jedem Einzelnen gehö­ rig gefaßt, wie will es ihm bewiesen werden? Jeder nimmt es anfangs als Tradition an. Das war auch die Meinung unserer Vorfahren, wie es noch die Meinung der katholischen Kirche ist, eines Luthers z. B., der geradezu in seinem Catechismus sagt: „die Hauptstücke im Christenthum sind

37 folgende," ohne sich darum zu bekümmem, zu zeigen, aus wel­ chem Grunde das die Hauptstücke sind. Das war die Meinung der Verfasser des Heidelbergischen Katechismus, die sagten: „Ein Christ seyn heißt: sein Sündenelend erkennen, die Erlösung durch Christum glauben und dafür recht dankbar werden," daß dem so sey,

aber sich nie kümmerten,

oder sich darauf einzulassen,

zu zeigen,

warum es so

sey, welche Erkenntniß nur erst nach und nach, und nach der Beendigung des ganzen Unterrichts gehörig erfolgen kann.*) Christliche Catechumenen müssen

daher ihren Lehrern glauben,

daß sie ihnen das wahre Christenthum vortragen.

Aber wie?

Aufs Wort der Lehrer sollen die Christen glauben?

Das wäre

doch auf der andern Seite höchst- traurig und dabei die Le­ bendigkeit der Religion sehr

gefährdet?

Gewiß!

Aber wie,

wenn nun die Geschichte vorgetragen und aus der Geschichte Lehren entwickelt werden? Geschichte kann und muß auf das Wort

Anderer geglaubt werden; und', wenn

und Kenntniß

der

Geschichte

heilsam ist und

so kann kein Schade daraus entstehn.

das

geschieht

diese wahr,

Wird aber die Ge­

schichte der Bibel auf das Wort der Lehrer,

die sich von

der Glaubwürdigkeit derselben haben überzeugen können, an-

»} Wenn cs scheint, als ob ich hier kathylicirc, so bitte ich zu erwä­ gen, daß der Unterschied zwischen den Evangelischen und Römischkatholischen nicht darin liegen kann, daß die Religion uns als etwas von früherer Zeit auf uns Gekommenes übergeben wird,

sondern

darin, daß wir nicht Alles, was aus früherer Zeit bis in die spä­ tere den Christen übergeben worden ist, als ursprünglich zuni Chnstcnthum Gehöriges oder bei demselben Nothwendiges erkennen, was diese aber dafür wollen gelten lassen.

5ZBiv übergeben unsern Nach­

kommen den evangelischen Glauben, oder sollten eS; die katholischen Lehrer geben den ihrigen, unchristlichen giebt.

und der Streit ist darüber,

wer den

38 genommen

und

werden daraus die Religionslehren hergelei­

tet und entwickelt,

so haben sie stets ihren Beweis in der für

wahr angenommenen Geschichte. gemacht werden,

Wenn sie dadurch anschaulicher

so werden sie auch dadurch gewiß.

dann auch Manches

von den

Lehren hinzugefügt werden,

Kann

innern Wahrheitsgründen

so ist es desto besser.

der

Auf jeden

Fall aber wird die für wahr gehaltene Geschichte die Lehren, und hernach wieder die als wahr und heilsam erkannten Lehren die Geschichte als wahr bestätigen.

So ward in allen ältern

Christen der christliche Glaube gegründet, und ob ein bequemerer und sicherer Weg dazu, als dieser sey, ist billig zu bezweifeln. Soll aber das Christenthum als auf eine wirklich göttliche Offenbarung gegründet angenommen werden, so ist noch leichter einzusehn, wie dabei die Geschichte unentbehrlich sey.

Denn wir

haben schon gesagt, daß die göttliche Offenbarung eine wirkliche Thatsache seyn müsse.

Sie kann als eine göttliche Einwirkung

in die menschliche Seele betrachtet werden; aber wenn sie mehr, als etwas allen Menschen Wiederfahrnes oder Ertheiltes ange­ sehen werden soll, so muß sie unter einigen besondern Umständen erfolgt und diese, — daher eine Geschichte — müssen bekannt seyn, wenn eine solche Offenbarung geglaubt werden soll.

Aber

immer bleibt es — auch nur das Wenigste zu sagen, glaublich, daß die Offenbarung selbst auch durch einige Thatsachen erfolgt sey, die sich ereignet haben.

Denn theils beruht ja,

wie wir

vorher auseinandergesetzt haben, der Glaube an die göttliche Vor­ sehung zum großen Theil darauf, wie Gott bisher in der Welt gewaltet und gerichtet hat,

theils können besondere Thatsachen

den menschlichen Geist aus besondere Erkenntnisse führen, und wenn man solche kennt, durch welche Menschen auf Religions­ überzeugungen gekommen sind, die sie sonst wohl nicht erhalten hätten, und von denen man urtheilen muß, daß, der Weltregie­ rer sie zu dieser Absicht hat kommen lassen: so liegt ja in ihnen,

39 wenn wir uns auch einer besondern Einwirkung Gottes auf unsere Seele nicht bewußt wären, eine wirkliche Offenbarung Gottes, die eine nähere, eine unmittelbare, heißt, zum Unterschied der entfernteren oder mittelbaren, bei welcher die Gotteserkenntniß nicht nothwendig wirklich wird,

sondern immer nur möglich

bleibt. — Der Weltregent hat uns ja alsdann in diesen That­ sachen geoffenbart und wie könnte er deutlicher als so, zu uns sprechen, zumal da dabei seine innere Einwirkung auf die Seelen der Menschen nicht ausgeschlossen werden kann.

Wer wird aber

nicht, wenn er daran denkt, sich freuen, daß wir die biblische Geschichte, besonders die des Lebens Jesu, habm?

Hierin sind

von Gott gewiß in der Absicht, daß wir ihn dadurch erkennen können und sollen, veranstaltete Thatsachen! Hier eine wirkliche Offenbarung Gottes und ach! wenn darauf gebaut, wenn die Geschichte für wahr gehalten und gezeigt wird, wie man daraus Gott recht erkennen kann und erkennt, wie eben darin gewiß die Absicht der erzählten Begebenheiten und der Erzählung selber be­ steht, auf einen wie festen Grund wird dadurch das Christenthum gebaut! Auf das Zeugniß Gottes selbst, was gezeugt dadurch, daß er diese Begebenheiten veranstaltete, wird Alles begründet und das kann ja von keinen Stürmen des Zweifels umge­ stoßen werden. Welcher Vortheile also berauben sich und ihre Zuhörer die­ jenigen Lehrer, die das Christenthum nicht auf die biblische Ge­ schichte gründen wollen! Ist es ein großes Geschenk Gottes, so ist es das dadurch, daß es auf Geschichte beruht, daß, möchte ich sagen, Geschichte darin Alles in Allem, wenigstens die Grund­ lage von Allem ist.

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HI. DaS Zweite, weshalb mir das Christenthum besonders schätzbar ist, und worauf ich in jetziger Zeit aufmerksam zu machen für sehr nützlich halte, ist das, daß darin die Grundlehre die ist, Jesus sey derWeltheiland, er sey der, durch welchen Gott alle Menschen ohne Unterschied selig, höchst selig machen wolle. Und kann Jemand leugnen, daß das die Grundlehre im Christenthum, das eigenthümlich Unterschei­ dende desselben sey? Einige stellen zwar diesen Satz gleichsam in den Hinter­ grund, geben wohl zu, daß das damals, als unsere Religion in die Welt kam und darin verbreitet wurde, vorzüglich verkün­ digt werden, mußte, halten dies aber nur für eine Zeitidee, für eine damals nöthige und nützliche Vorstellungsart, und meinen, heutiges Tages müsse nur gelehrt werden, was Jesus von Gott und göttlichen Dingen gelehrt hat, und wenn man alsdann gewiß gemacht habe, daß darin eine Anweisung, Ermunterung und Hülfe liege, selig zu werden, wie nirgend wo anders, so habe man eben dadurch dargethan, daß er der wahre Beseliger der Welt sey. Ich will mich aber nicht um diese Vorstellungsart weiter bekümmern; sie mag jedem gelten, was sie kann. Ich will nur die meinige darlegen, zeigen, was ich daran Vorzügliches finde und dann jedem das Urtheil überlassen, ob sie auch heutiges Tags noch brauchbar und nöthig sey. Ich gehe das ganze Evangelium durch, um zu sehen, was Jesus eigentlich gelehrt hat. Er tritt auf mit der Versicherung, das Himmelreich sey nahe d. h. das Reich des Messias, des Weltheilandes; kündigt sich dadurch, wenigstens versteckt, als König in diesem Reiche und als den Weltheiland im und

4L sagt dann allerdings auch, was nöthig sey, ein Genosse dieses Reichs zu werden, Matth. 4, 17. In der Bergpredigt verkündigt er, wer jetzt, da er als Heiland Aufgetreten sey, werde selig werden, und welche Seligkeit jeder erlangen werde, Matth. 5, 3 — 12.; dann giebt er als König Gesetze, d>e in seinem Reiche überhaupt gelten, besonders auch solche, die von den Verkündigern derselben beobachtet werden sollten und giebt letztem zu diesem Geschäft den nöthigen Muth. V. 13 — Cap. 7, 27. Man kann gewiß nicht sagen, daß er als ein bloßer Sittenlehrer auftritt. Ost wiederholt er: Eure Vorgesetzten (die Men) haben euch das und das gesagt; ich aber fordere das (ich fordere es, wenn ihr Glieder meines Reichs werden, wenn ihr durch mich beseligt werden wollt, vgl. V. 5. 20. 34. 39.) Cap. 8, 20. lehrt er, was man bedenken und thun müsse, wenn man sein Jünger werden wolle; Cap. 9. daß er die Macht habe, Sünden zu vergeben V. 6., und hernach, warum er nicht ein solches Leben, wie Johannes der Täufer führe. V. 12 — 17. Nach V. 35. predigte er oft in den Synagogen, aber was? — Das Evan­ gelium von dem Gottesreich, V. 38. wünscht er recht viele Gehülfen zur Verbreitung dieses Reichs zu haben. Cap. 10. sagt er, was seine Jünger verkündigen sollten, nämlich, daß man jetzt in das Reich, des Messias kommen könne; V. 7; außerdem wie sie sich bei dieser Verkündigung zu benehmen und was sie sich dabei zu versprechen haben würden. V. 5 — 42. Cap. 11-, wodurch man sich überzeugen könne, daß er der Weltheiland sey und daß man Johannes den Täufer als seinen Vorläufer bettachten müsse, 4 — 15., daß sowohl dieser, als Er Hindernisse in der Ausbreitung des Reichs Gottes finden; aber daß dies nur denen, die diese Hindernisse ihnen entgegen­ stellten, schädlich seyn,, doch aber das Reich Gottes ausgebrei­ tet werben würde unter solchen, die nach Gottes Gedanken

42 dazu die Geeignetsten waren, und schließt dann mit der bekann­ ten freundlichen Einladung, ihn als Weltheiland anzunehmen V. 16 — 30. Im 12ten Capitel giebt er von sich als Mes­ sias eine Beschreibung V. 8. und rechtfertigt sich wegen Vor­ würfe, die man ihm machte, weissagt seine Auferstehung. Cap. 13. beschreibt er dem Volke in Gleichnissen, die er seinen vertrauten Jüngern auch erklärt, wie es mit der Ausbreitung des Messiasreichs gehn und von welcher Beschaffenheit dasselbe seyn würde. Cap. 14. fordert er Zutrauen zu sich und tadelt den Petrus, daß er dasselbe nicht genugsam erweise. 83.27. 31. Cap. 15 giebt er Sittenlehren, das ist wahr; aber nur auf Veranlassung einer Frage, die man an ihn in Hinsicht auf das Verhalten seiner Jünger that, 3 — 20. Hernach 83. 24 sagt er, daß er gesandt sey zu helfen. Cap. 16 tadelt er die­ jenigen, die aus dem, was« durch ihn geschehn, noch nicht genugsam erkennen wollten, daß er der Weltheiland sey und verweiset sie auf seine Auferstehung als einen noch kräftigern Beweis seiner Heilandswürde, den sie dadurch erhaltm würden 83. 1 — 4; auch seine Jünger tadelt er, daß sie noch nicht genug Vertrauen zu ihm gefaßt hätten und sagt ihnen dabei allerdings auch, daß sie den Pharisäern und Sadducäern nicht ähnlich werden müßten, — wohl zu verstehn, wenn sie seine Absichten befördem wollten, 83. 5 — 12. Hernach verheißt er seinen Aposteln, daß er mehrere zu sich sammeln und eine Gemeine stiften würde, die nie untergchen solle, verkündigt seine Todesleiden und seine Auferstehung und sagt bei dieser Gelegenheit, daß, wer sein Jünger seyn wolle, sich selbst ver­ leugnen müsse. Cap. 17 tadelt er seine Jünger, daß sie noch nicht einen genug starken Glauben an ihn als einen Helfer hätten, 83. 20, und giebt nicht ganz undeutlich zu verstehen, daß sie ihre Liebe zu irdischen Dingm mäßigen müßten, wenn sie recht gläubig an ihn werden wollten, indem er ihnen das

43 Fasten empfiehlt, V. 21, und erklärt fich ziemlich deutlich für den Sohn Gottes, V. 25. 26. Cap. 18. empfiehlt Jesus seinen Jüngern, als Verbreitern seines Reiches, Demuth, Her­ ablassung gegen die, welche die Pharisäer als das Volk der Erde verachteten, sagt von sich, daß er gekommen sey, selig zu machen, was verlohren ist, empfiehlt seinen Aposteln, in ihrem Amte sich sehr nachsichtig gegen menschliche Schwachheiten, Fehler und Vergehungen zu beweisen, und schildert hernach in einem Gleichnisse, wie er als König in seinem Reiche in Hin­ sicht auf die Sünden der Menschen, besonders auch auf die der Verbreiter seines Reichs, verfahren werde. Cap. 19 lehrt der Herr, wie es in der Anstalt, die er errichten wolle, mit der Ehescheidung solle erhalten werden und sagt, daß Alle, die an jener Theil nehmen wollten, kindlich gesinnt seyn und wie überhaupt diejenigen müßten beschaffen seyn, die durch ihn beseligt werden, besonders die, welche ihn als Welcheiland ver­ kündigen wollten, daß, wenn auch eben darum wenige, doch ganz gewiß einige durch ihn zur Seligkeit würden geführt werden. Cap. 20 lehrt er, wie die Belohnungen in seinem Reiche würden ausgetheilt werden, in einem Gleichnisse und hernach auch in eigentlichen Worten. Cap. 21 versichert Christus seinen Aposteln, daß sie sehr viel ausrichten, alle Schwierigkei­ ten überwinden würden, wenn sie recht starken und festen Glauben an ihn, ja, wenn sie nur den allergeringsten wirk­ lichen Glauben an ihn, als den von Gott gesandten Heiland, hatten und dieser mit der Zeit immer stärker und fester würde, zeigt dann den Pharisäern und Volksvorstehern, daß sie sich gegen seinen Vorläufer und ihn sehr wenig wahrheitliebend, sehr schlecht benommen hätten, und stellt ihnen in einem Gleich­ nisse dar, was die Folge davon seyn würde, besonders, da sie in ihm den Sohn Gottes verworfen hätten. Cap. 22 erklärt er sich wiederum in einer Porabel für den Sohn Gottes und

44 giebt zu erkennen, daß Israeliten auS Jrdischgesinntheit ihn verwerfen, andre aber ihn doch annehmen und dann durch ihn beseligt werden würden, wenn sie sich seine Wohlthaten nur recht zu Nutze machten; (das' Hochzeitkleid anzögen, welches er ihnen schenke) er lehrt, daß er als Messias die bürgerliche Ord­ nung nicht umstoßen werde, V. 15 — 21, darauf auch, daß es eine Auferstehung der Todten gebe, daß man Gott über Alles lieben müsse und seinen Nächsten als sich selbst, und daß diese Gebote sich nie einander aufheben könnten, sondem einander ganz gleich seyen, aber nur, wie aus V. 23. 36. erhellt, auf besonders dazu gegebene Veranlassung; bemüht sich aber auch zuletzt, seine Zuhörer davon aus der heiligen Schrift zu überzeu­ gen, daß er der Sohn Gotttzssey V. 41—46. Cap. 23 kommt die scharfe Sttafpredigt über die Schristgelehrten; — aber wer sieht nicht, daß sie mit der Autorität dessen gesprochen ist, der der König im Reiche Gottes und der Weltheiland seyn will? — Welche Sprache ist's, wenn der Redner B. 34 sagt: „Damm siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrten," und V. 37, Jerusalem, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen! Nun endlich die letzten Capitel vorder Leidensgeschichte? Jesus lehrt darin; aber was? daß und wie seine Absichten würden befördert, sein Reich würde ausge­ breitet, seine Wohlthaten würden ausgetheilt werden; Leiden und die Zerstörung Jerusalems, das Ende der ganzen israelitischen Staatsverfaffung, ja eine völlige Umändemng aller Dinge würde erfolgen; aber die damalige Generation werde nicht ganz aus­ sterben, ohne daß sein Werk zu Stande käme. So Etwas, so furchtbar es sey , sey der Anfang, der Vorbote davon; die Zeit, in welcher sein Werk vollendet werden würde, könne nicht bestimmt werden, weil sie ftüher oder später käme, je nachdem die Menschen sich gut oder schlecht gegen ihn und seine Anstalt verhielten, V. 36. aber auch zur Vollendung werde es kommen,

45 feine Apostel müßten nur seine Absichten nach seinem Willen zu befördern suchen; das würden allerdings nicht alle ihre Nach­ folger thun; aber eben darum würden selbst auch nicht Alle, die sich zu ihm sammelten und sein Reich ausbreiten wollten, durch ihn beseligt werden, V. 37 — 51; man müßte mit Ausdauer und Vorsicht dabei verfahren. Cap. 25, 1 — 13. jeder müsse den Theil der Wohlthaten, welchen er durch ihn erhalte (indem nicht Alle gleich viel bekommen) zu den Absichten des Herrn verhältnißmäßig anwenden, indem jeder alsdann auch Verhältniß« mäßig belohnt werde; 53.14 — 30. Er werde daher sich als Richter zeigen, könne Alle, werde aber insonderheit die beseligen, die voll Wohlwollen und Demuth wären, 53. 31 — 46. Ist nun in allem dem, was Christus bis zu der Stunde, da er gefangen genommen wurde, gelehrt, etwas Anderes, als eben das, daß er der Weltheiland, und in welcher Art, und für wen er es seyn werde, enthalten? — Zum Ueberfluß will ich auch noch das Evangelium des Johannes eben so kürzlich durch­ gehn. — Denn dass Markus und Lukas in demselben Geiste, wie Matthäus schreiben, weiß jeder. Mit dem 3ten Capitel fängt dieser Apostel an zu beschreiben, was Jesus gelehrt hat, und er scheint das wirklich noch weitläustiger, als die drei andern Evan­ gelisten, die mehr von seinen Thaten erzählen, thun zu wollen; aber was lehrt Jesus nach dem Berichte des Johannes? — Daß, um in sein Reich zu kommen, es nicht genug sey, von Abraham abzustammen, daß die, welche dahin gelangen wollten, ihre ganze Denkart umändern müßten, daß er der Messias sey, daß er sterben werde, daß auch Heiden würden an seinen Wohlthaten Antheil bekommen, weil jeder, — aber nur unter der Bedin­ gung , daß er die Wahrheit liebe — daran Antheil habe. Cap. 4 erklärt er sich der Samariterin für den Weltheiland, 53. 10—14, giebt zu erkennen, daß er Einrichtungen machen werde, nach welchen nicht mehr feierliche Gottesverehrungen nur an gewissen

46 Settern gehalten werden könnten, sondern allenthalben, wo man Gott innerlich, und, wann es äußerlich geschehe, aufrich­ tig verehre und anbete, V. 23. 24; freut sich, daß hier schon sich Einige finden, die ihn anerkennen, 83. 35 — 41. Cap. 5 tadelt man ihn, daß er am Sabbath Jemanden geheilt habe; er vertheidigt sich und sagt zu dem Ende allerdings Etwas, was jeder Wahrheitslehrer hätte sagen können; aber in welcher Art? — Wie der Vater handelt, so handelt der Sohn; durch den Sohn werden noch Dinge geschehen, die Euch noch viel­ mehr befremden, als das; der Vater zeugt, daß ich der Messias bin, Johannes hat davon gezeugt, die Schrift zeugt davon; hättet ihr rechten Glauben an die Schrift, so würdet ihr auch mich für den anerkennen, für den ich mich ausgebe. Cap. 6 lehrt Jesus, wenn die Leute durch ihn wären gesättiget wor­ den , so sey das nicht darum hauptsächlich oder allein geschehen, ihren Hunger zu stillen, sondern zu zeigen, was er könne und wolle; er wolle den Menschen Heiland seyn; aber aus ihm selbst müßten, sie hernehmen, was sie bedürften, was sie be­ glücken sollte. Allerdings meint er damit wohl auch die Leh­ ren, die aus seinem Munde kämen; aber doch zunächst nur das, daß sie ihn selbst als Helfer gläubig, ohne'zu bestimmen, welches Heil durch ihn kommen werde, und ohne Irdisches gerade zu erwarten anerkennten; und aus 83. 54 — 56 geht hervor, daß seine Schicksale — besonders sein Tod — das­ jenige seyn werde, wodurch vorzüglich das Heil der Men­ schen werde bewirkt werden. Er verheißt dabei denen, die ihm als Weltheiland ihr ganzes Zutrauen schenken und durch ihn wollen selig werden, daß er sie auch gewiß höchst glückselig machen werde; sagt aber auch zugleich, daß eine von Gott gewirkte Gesinnung, die nicht gerade in jedem Israeliten sey, dagegen auch anderswo seyn könne, nöthig sey, wenn man an ihn glauben wolle. Nach den Reden, die im 7. und

47 8. Cap. vorkommen, will Jesus geradehin für den Messias erkannt seyn. Wenn er sich in dem letzt erwähnten Capitel, V. 12, das Licht der Welt nennt, so schränkt man ganz willkührlich das Bild ein, wenn man meint, ernenne sich nur so als Lehrer; denn Licht ist in der Bibel ein Bild der Erkennt­ niß, der Herzensreinheit und der Freude, und wenn daher der Herr sich das Licht der Welt nennt, so beschreibt er sich als den Geber dieser drei Vorzüge. Cap. 9, V. 35. ff. erklärt er sich ganz unverhohlen für den Sohn Gottes, und zeigt, welchen Er­ folg seine Bemühungen zum Heil der Menschen haben werden. Wenn der Herr sich Cap. 10. einen guten Hirten nennt, so ist es gewiß unrichtig, wenn man meint, er nenne sich als Lehrer also, wie es noch unrichtiger ist, wenn christliche Religionslehrer sich dadurch veranlaßt gefunden haben, sich, wenn sie weiter Nichts, als Lehrer sind; auch Hirten (Pastores) zu nennen. Könige hießen von jeher Hirten der Völker; in dieser Ver­ gleichung sagt Christus von sich, Er sey der, durch den eigentlich alle Volksvorsteher als solche müßten eingesetzt werden; andre, die nicht durch ihn angeordnet seyen, suchten nur ihren eignen Nutzen, wenn auch mit dem Verderben ihrer Untergebenen. 53. 8. Er sagt nicht, daß er blos oder hauptsächlich lehre, nein, daß er Leben und volle Gnüge austheile, V. 11; er lasse sein Leben für die Menschen, er werde Unterthanen bekommen, aber auch Heiden dazu machen, V. 12 — 18. 53. 25 versichert Jesus, er habe schon genugsam sich darüber erklärt, daß er der verheißne Weltheiland sey und schließt diese Erklärung mit den bedeutungsvollen Worten: „Ich und der Vater sind Eins," 53. 30. Das Ute Capitel erzählt die Auferweckungs­ geschichte des Lazarus, worin sich Jesus die Auferstehung und das Leben nennt, welches er, wenn er nichts als Lehrer der Wahrheit wäre, doch wohl auf keine Weise thun würde, 53.25.— Weiter ists wohl nicht nöthig, den Inhalt dieses Evangelinms,

48 welches besonders den Geist Jesu uns darlegen will, durch­ zugehen, um zu erkennen, daß auch nach dieser Erzählung und Darstellungsart, eben so, wie nach den übrigen Evangelisten, Jesus etwas Höheres als Lehrer seyn, insonderheit, daß er als Helfer, als Geber, der höchsten Seligkeit angesehn seyn wollte und vornehmlich lehrte, daß er das seyn solle und wie und wann er es seyn werde. Sollte das nur eine für eine gewisse Zeit geltende Vorstellüngsart seyn, so wäre das ganze Christenthum nur für eine gewisse Zeit, und wie sehr würde das dem Inhalt, dem Zweck desselben und der ganzen heiligen Schrift widersprechen! Wie dem aber sey, Alles kommt darauf an, ob es noch j e tz t n ö t h i g und nützlich sey, Jesum nicht blos oder hauptsächlich als Lehrer, auch nicht blos als Heiland, blos durch seine Lehren, sondern als Seligmacher, d. i. als den, der nicht nur lehrt, wie man selig werden könne, und welches die wahre und höchste Seligkeit sey, nicht nur ermuntert, den dazu führen­ den Weg einzuschlagen und nicht zu verlassen, sondern der auch den Weg bahnt, das Gehn auf demselben erleichtert, der Führer auf demselben ist, und auf dem Wege und am Ziele die dazu nöthigen Güter mittheilt, welches allerdings nicht seyn könnte, wenn Gott nicht in ihm wirkte. Ich muß nur hier wieder darauf aufmerksam machen, daß man Jesum nur dann, wenn er der höchste oder einzige Selig­ macher für alle Menschen, aller Zeiten und Völker ist, so daß man etwas Höheres, als ihn, nicht zu denken vermag, und alles Uebrige ihm untergeordnet sich vorstellt, in einem eigentlichen Sinne als von Gott gesandt, von Gott ausgegangen erkennen kann, worauf schon oben hingedeutet ist, wo gesagt wurde, daß etwas nur so fern es das Höchste ist-was wir denken können, im eminenten Sinn als von Gott kommend gedacht werden kann. Daher alle die, welche von der göttlichen Sendung Jesu reden, ihn doch nicht blos als Lehrer betrachten sollten, sondern als den,



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der berufen ist, alle Menschen höchst selig zu machen, wie der Vater der Menschen sie selig haben will. Es kommt aber hier daraus an, ob diese Vorstellungsart nützlich sey. Aber das ist doch gewiß: Nach Glück streben alle Menschen; und bei weitem die meisten nach größerem, als sie haben. Gar Viele fühlen sich unglücklich und Viel? sind es immer auch. Daher wird gewiß jeder, der den Men­ schen Wohlfahrt, größere Wohlfahrt, als sie haben, die höchst mögliche Glückseligkeit verspricht, gern angehört, findet auch bald viele solcher, die Glück bei ihm suchen. Gewiß! hätten die Apostel verkündigt, Jesus habe eine neue Lehre, die vor­ trefflich sey, die verbreitet und angenommen zu werden ver­ diene, so würden sie wenig gewirkt haben. Denn es könnte geschehen seyn, daß einige, ja viele der Lehre Beisall gegeben hätten, indem dieselbe als neu, wahr und wichtig ausgefallen wäre; aber sogar wenn nun auch diese, oder die mehrsten unter diesen ihr Leben darnach eingerichtet hätten, (welches doch nicht gerade von den mehrsten zu vermuthen ist) würden sie es dann sür nöthig gefunden haben, sich deshalb zu einer Gemeine mit mehrern Gleichdenkenden zu sammeln? Das forderten und suchten zwar die Jünger Jesu zu bewirkn; aber konnten nicht viele denken: Ich glaube diese Lehren, ich will sie auch ver­ breiten gelegentlich; aber warum soll ich mich dazu anheischig machen? Ich kann ja das nach Gelegenheit der Umstände thun. Hieß es: „Es soll eine eigne Religionssette gebildet werden, die nicht Judenthum, nicht Heidenthum ist, so konnten das viele unnöthig finden, da sie sich um die Dichterfabeln der Heiden und den Götzendienst nur so viel bekümmetten, als sie um äußerer Umstände willen mußten, vielleicht schon Proselyten des Thors in Hinsicht aus den Mosaismus waren, oder auch um die Juden sich gar nicht kümmerten, oder sich -lange schon ohne Rttigion beholfen hatten und länger ohne sie

4

50 fertig zu werden meinen konnten. Mit der Verachtung der alten, mit Einführung einer neuen Religion und dem Zutritt zu der letztem waren Nachtheile aller Art, selbst Verfolgungen, verbunden. Es war nicht zu erwarten, daß eine große Menge sich dergleichen aussetzen würden, und am wenigsten zu einer Zeit, da alle Religion in Verfall war. Vielleicht ließen einige Juden sich die Einführung des Christenthums als eine Refor­ mation ihrer Religion gefallen, und es bleibt möglich, daß Manche auch dafür enthusiastisch eingenommen wurden. Aber daß die Zahl derselben sehr groß gewesen wäre, wenn nichts Anderes dabei wäre versprochen worden, läßt sich kaum denken. Heiden, die alS Profelyten des Thors schon der Verehrung Eines wahren Gottes günstig waren, konnten für das also verbesserte Judenthum gewonnen werden, da die Anstöße, die sie hatten, um Profelyten der Gerechtigkeit, d. h. völlige Proselyten zu werden, weggeräumt wurden. -Aber wie bei solcher Verkündigung das Christenthum schnell weit um sich gegriffen habe, besonders unter das Volk gekommen seyn würde, ist schwer einzusehn. Denn um Wahrheit bekümmert sich nicht die Menge, prüfen können und wollen die Wenigsten, was wahr sey. Wer bei dem großen Haufen mit einer Lehre Ein­ gang finden will, muß gewöhnlicher Weise Schwärmerei einmi­ schen, und davon wollten sich doch die ersten Verkündiger Christi frei halten. Man findet allerdings Alles möglich, wenn man an eine wunderbare Mitwirkung Gottes denkt und die Geschichte erzählt, daß Wunder geschehen sind. Aber zum Beweise der Wahrheit der Lehre? oder um den Glauben an große Lehren unter die Leute zu bringen? Das habe auch ich wohl lange geglaubt, weil es eine Zeit gab, wo das allgemein für wahr gehalten wurde. Aber jetzt begreife ich auch nicht, wie das eine Lehre als wahr bestätigen kann, daß der Lehrer Wunder gethan hat.

Das Letztere bestätigt nur, daß er große Macht,

51 daß er großes Wissen gehabt hat. Ist das Letztere, wie z. SS. bei Weissagungen der Fall, so kann allerdings Zutrauen da­ durch gegen den Lehrer bewirkt werden, immer aber doch noch nicht ein recht gegründetes, weil Jemand viel wissen und doch einigen Irrthum haben kann. Man schließt: „wer Wunder thut, sey ein göttlicher Gesandter und was ein göttlicher Ge­ sandter lehrt, sey wahr! — Aber wenn wir auch zugeben müssen, daß das, was Jemand, der von Gott als Lehrer gesandt ist, lehrt, als wahr angenommen werden müsse, und wir auch nicht untersuchen wollen, 1) ob (was dem entgegen seyn würde, was ich aus dem ersten Abschnitte dieser llbhandlung kurz vorher wiederholt habe) Gott Jemanden blos für das Geschäft des Lehrers — in dem höchsten Sinne des Worts — senden könne, 2) ob Wunder ein Beweis dafür seyn können, daß Gott Jemanden zum Lehren gesandt habe*), 3) ob es wohl überhaupt der göttlichen Weisheit gemäß sey, einzelne wahre Religionslehren durch nach aller menschlichen Ansicht außer den Naturkrästen liegende Thatsachen unter die Menschen zu brin­ gen, oder 4) ob nicht, wenn dies mit der höchsten Weisheit bestehe, es so, daß Niemand widersprechen könne, geschehen müsse, und zu erwarten sey, daß es so lange geschehen werde, bis die Wahrheit allgemein eingedrungen ist und. nicht wieder verlohren gehen kann; wenn wir auch, sage ich, das Alles nicht untersuchen wollen, so muß doch jeder gestehn, daß dadurch *) Ob dies für alle mögliche Fälle ein Beweis seyn kann, darüber mag ich mich nicht streiten. ES läßt sich, behaupten, cS läßt sich bestreiten, je nachdem man sich darüber erklärt. MoseS lehrt durch Wunder nach der biblischen Geschichte, daß Gott mächtiger als Pharao sey, und dadurch allerdings, daß er von Gott gesandt sey. In anderer Art unstreitig, aber auch in sehr rechter, ( — wie daS Folgende zeigen wird, wenn man c§ noch nicht weiss, —) beweiset auch Christus seine Sendung von Gott.

52 Nichts ausgerichtet werden kann, wenn sich bei dem großen Haufen Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit findet, und diese auch nicht durch Wunder weggeschafft werden soll, welches gewiß nicht in dem Rathe des Allweisen liegt. Solche Gleich­ gültigkeit findet sich aber bei Vielen zu allen Zeiten. Man muß ihnen Vortheile, man muß ihnen Erlösung pon Lasten, von welchen sie sich gedrückt fühlen, man muß ihnen Glück­ seligkeit, überschwengliche Glückseligkeit versprechen, wenn man bei ihnen Etwas ausrichten will. Dann wird man Aufsehn erregen und auf sich aufmerksam machen, und dann kommts allerdings darauf an, daß man Beweise giebt, die hoffen lassen, daß das Versprechen werde erfüllt werden. Unter den Israeliten konnte Jesus noch weniger Etwas ausrichten, wenn er nicht hätte ihr Heiland seyn und heißen, oder wenn er blos durch Lehre es hätte seyn wollen. Denn da sie einen Heiland erwarteten, da Jesus, wie nicht geleugnet werden wird, selbst glaubte, daß ein solcher von den Propheten des Volks verhei­ ßen sey; da er, wie ebenfalls unstreitig ist, sich für einen Ge­ sandten oder für den Sohn Gottes — nicht etwa blos aus­ gab, sondern — hielt und gewiß wußte, daß derjenige, wel­ chen Gott sendet, nur von ihm zum höchsten Heil der Men­ schen gesandt seyn kann: so müssen wir urtheilen, daß er nicht anders auftreten konnte; aber daß dadurch auch Etwas gesche­ hen, ohne welches sein Werk nicht zu Stande gekommen seyn würde. Man wird sich nicht auf die schnelle Ausbreitung des Islamismus, auch nicht auf den schnellen Fottgang der Kir­ chenreformation des 16ten Jahrhunderts berufen können, um zu beweisen, daß man auch Religionslehren weit verbrei­ ten kann. Denn bei dem erstem war ja Tod, oder Tribut gedroht, wenn man ihn nicht annahm, und mit der zweiten waren auch zeitliche Vortheile verbunden z. B. daß nicht mehr so viel Geld nach Rom gieng, und es ward nicht eine neue

53 Religkoy eingeführt,

sondern nur eine uralte von auffallenden

Verderbnissen gereinigt, und in beiden

Fällen war es ganz

anders als zu den Zeiten Jesu, wo jede Religion Landes- und Staatsreligion war, und eine solche, die für sich bestand und in sehr verschiedenen Staaten gleich seyn und von dem Einen im Lande angenommen, von dem Andern

verworfen werden

konnte, gleich einer philosophischen Meinung gar nicht geahnet wurde.

Auch wird man hiebei nicht Erfahrungen anderer Art

anführen, haben.

daß einzelne

Lehrer sich großen Anhang

gemacht

Denn immer war ein solcher Anhang verhältnißmäßig

gegen den, den die Apostel fanden, nur klein; Schwärmerei wirkte dabei; oder es war auch nur eine eigenthümliche Dar­ stellung der schon vorhandenen Religionslehren, durch welche eine andere, die ganz unwirksam geworden zu seyn, oder große Nachtheile mit sich zu führen schien, verjagt werden sollte, und oft dauerte auch der Anhang nur kurze Zeit und fand sich nicht bei dem Volke, sondern nur bei den Vornehmeren. Man wird aber doch auch das nicht einwenden, daß auch die Verkündigung,

Jesus wolle der Wohlthäter

der ganzen

Welt und besonders derer, die sich im rechten Glauben zu ihm bekannten, seyn, schwärmerisch gewesen sey.

Es ist wahr, die

Apostel verbreiteten sie mit Enthusiasmus, Andere, wie nach einiger Zeit die Montanisten,

haben auch dabei geschwärmt;

aber wer überzeugt ist, daß Jesus von Gott gesandt sey, kann von ihm nie zu viel versprechen, wenn er Wohlseyn verspricht und Schwärmerei kann dabei nur Statt finden, Gewalt, Ansehn,

wenn man

menschliche Ueberredungskünste und allerlei

Kunstgriffe gebraucht, damit das Versprechen glaublich werden soll.

Wir wissen aber, daß davon die Apostel frei waren, die

nur redeten, weil und wie sie glaubten, die nur durch die Kraft der Wahrheit und des Geistes Gottes wirken wollten und

wirkten.

Ob nun dabei die Entstehung des Christen-

54 ihums möglich, oder anders, als durch Wunder möglich geweseyn würde, wenn in Jesu blos wäre ein Lehrer der Wahrheit verkündigt worden, mag jedem jetzt zur Beurtheilung überlassen werden.

Dies geben auch recht Viele von denen zu, die Jesum

nicht mehr und anders, als so fern er als Lehrer der Wahrheit berusin ist, für den Heiland der Welt wollen gelten lassen, aber sie meinen, die Erwartung eines Messias sey klüglich von Jesu benutzt worden, um seine Lehre zu verbreiten.

Dies ist aber

schon durch das widerlegt, was ich oben anführte, daß wir nach den Erzählungen, die wir haben, gar nicht anders glauben kön­ nen , als Jesus habe sich selbst für den verheißenen Weltheiland gehalten; aber auch außerdem, wäre die Benutzung dieser Er­ wartung nichts, als ein Kunstgriff, dessen er sich und nach ihm seine Apostel bedient haben, umseine Absichten auszuführen; so hätte er nicht das Vertrauen zu der Wahrheit, zu Gott gehabt, wie jeder Lehrer der Wahrheit es eigentlich haben sollte, so würde er das, was er allein durch Gott hätte ausrichten sollen, durch ein menschlich, ersonnenes Mittel haben befördem wollen, was Niemand von ihm vermuthen kann, der ihn so kennt, wie die Evangelisten ihn beschreiben. Die Gesinnung, die Christus gezeigt hat, sehn nun wohl Viele als dasjenige an, was vorzüglich seine Wirkung in der Welt befördert hat und immerdar befördern muß. gedenken,

Aber nicht zu

daß die Vortrefflichkeit der Denkart Jesu erst dann

recht hervorleuchtet, wenn er als der betrachtet wird, der weiß, daß er der Heiland aller Menschen seyn soll, dies daher auch seyn will, und alle seine Kräfte aufbietet, alle vorkommenden Gele­ genheiten benutzt, und selbst den martervollsten Tod gern über­ nimmt, um es zu werden, weil er weiß, daß dieser dazu nöthig ist, so muß eben das von der Verkündigung der Tugenden Chri­ sten gesagt werden, was schon von der Predigt der Lehre gesagt worden ist,

daß man damit auf Menschen gestoßen seyn würde,

55 von denen die wenigsten darauf geachtet haben, von denen die wenigsten sich dadurch würden bewogen gefunden haben, seine Verehrer und noch weniger Glieder seiner Gemeine zu werden. Also auch daraus kann man die Entstehung der christlichen Kirche nicht erklären. Noch immer aber werden wir mit dem Christenthum wenig Eingang finden und den Zweck Jesu wenig befördern, wenn wir ihn nicht als Heiland, oder nur als solchen durch Lehre und Beispiel verkündigen; denn das Letztere setzt voraus,

daß die

Menschen schon Wahrheit und Tugend werthschätzen und eigent­ lich sollen sie erst durch das Christenthum zu dieser Werthschätzung geführt werden.

Wenn wir auch nicht gerade viel vom natür­

lichen Verderben der Menschen reden wollen, so wird man doch zugeben müssen, daß die meisten, ehe sie durch die Religion auf einen bessern Weg geführt werden, sehr gleichgültig gegen Wahr­ heit und Tugend sind.

Man muß ja diese Güter auch erst

kennen, ehe man sie werthschätzen kann, und eigentlich wird immer Etwas vorhergehen müssen, wodurch man einen Lehrling auf unsinnliche. Gegenstände, dergleichen die Religion enthält, auf­ merksam macht.

Es ist zwar in uns Allen eine natürliche Liebe

zur Erkenntniß und zu dem was Recht ist; aber andre natürliche Neigungen, und besonders die, welche wir unter dem Verlangen nach Wohlseyn und Glück zusammen fassen können, stärker.

sind viel

Daher gewinnen wir gewiß Menschen vielmehr dadurch

für dieSacheJesu, wenn wir ihnen verkündigen, er wolle, solle und könne ihr höchster Seligmacher, ihr Erlöser von den Plagen, die sie eben drücken, werden, und was wir von ihm lehren, solle nur dazu dienen, daß er sie höchst selig machen könne, das werde allerdings nur geschehen, wenn sie von ihm lernten, Matth. 11, 29;

aber nicht dadurch allein, sondern durch seine Gnade und

seine Kraft. feln können.

Ich denke nicht, daß wir das noch werden bezwei­

5b Aber man geht dabei, welches weiter bemerkt werden muß, auch einen Gang, wie man ihn eigentlich allein bei der Reli­ gionslehre einschlagen und gehen kann.

Denn dabei verhält es

sich nicht so, wie bei einer Wissenschaft, wo man eine Wahrheit nach der andern entwickeln, eine aus der andern herleiten kann; ober wenn das auch möglich ist oder scheint, so ist es doch nicht die beste Lehrart in der Religion.

Denn entweder ist in dem

Satze z. 83.: „es ist ein Gott" schon die ganzeReligion gege­ ben, oder man kann sich von dem Gott falsche Vorstellungen machen, macht sie sich, und dann existirt ja ein solcher Gott nicht, wie man sich ihn vorstellte.

Nun ist es bei der gewöhn,

lichen Unterweisungsart nicht möglich, einen einzigen Satz auf­ zufinden, der so umfassend wäre, daß man alle Religionslehre aus ihm selbst herleiten könnte, sondern man muß immer dem, was man gelehrt hat. Etwas hinzusetzen, dabei synthetisch ver­ fahren, wie man auch thut, und nicht analytisch.

Denn wer

kann z. E. eine solche Beschreibung von Gott geben, daß aus ihr die ganze christliche Religion entwickelt werden könnte? wäre aber ohne Zweifel sehr vorttefflich, könnte.

Dies

wenn es geschehen

Denn dann thäte man das Seine, um alle halbwahren

Vorstellungen in der Religion, die so schädlich sind, (z. 83. wenn man die göttliche Gnade ohne Gerechtigkeit und die göttliche Heiligkeit ohne Gnade denkt) zu verhüten.

Dies kann man aber

unbezweifelt, wenn die erste Lehre des Christenthums die ist: „Jesus ist der höchste Heiland der Menschen;" denn darin hat man die ganze Religion; wie man z. 83. sehn kann, wenn man nur die Antwort auf die erste Frage im Heidelbergschen Catechismus in Erwägung zieht, und man darf dann nur Jesum, und wie er der Weltheiland seyn will und ist, richttg nach der Bibel beschreiben, dies der Vernunft, dem Herzen unb Gewissen, möglichst nahe bringen, so hat man die ganze Reli­ gionslehre gegeben.

Man kann dies bald kürzer, bald weitläuf-

57 tigrr,

nachdem

die Lehrlinge sind,

Wahrheit dabei verletzt wird,

vortragen, ohne daß dir

so daß jeder immer Mes hat,

welches bei jeder andern Lehrart, die ich kenne, nach meinem Urtheil und meiner Erfahrung sehr schwierig ist. Wenn man aber gegen dies Mes noch mancherlei Einwen­ dungen machen könnte, so ist doch auch so viel klar, daß Nie­ mand durch Lehren und durch das musterhafte Verhalten allein der gewisse Wohlthäter der Welt seyn kann.

Das Wissen, sagt

Paulus, blähet auch auf und vergrößert die Verantwortung und Strafbarkeit.

Eben so ist es mit der Kenntniß eines Musters in

irgend einer Sache; es kann niederschlagen, wenn man sich dem­ selben unähnlich fühlt, und man wird um so strafbarer, wenn man es kennen gelernt hat und 'sich nicht darnach richtet.

Nie

wird deshalb geleugnet werden, was genug schon zugestanden ist, daß der Mensch lernen muß, wenn er seine Bestimmung, d. i. seine höchste Glückseligkeit, erreichen will, das lernen muß, was Jesus lehrt; aber wie nach dem, was wir schon gesagt haben, durch irgend Etwas auf die Lehre der Religion aufmerksam gemacht werden muß, so ist auch Etwas nöthig, um die Er­ kenntniß fortdauernd zu machen und ihre rechte Wirksamkeit zü befördern.

Das Beispiel Jesu thut dazu viel und Vieles in

seiner Lehre; wer wird das leugnen? Aber wenn dadurch immer nicht Alles geschehen kann, so muß der, welcher ein großer Hei­ land der Menschen seyn will, auch Kraft, Lust und Freudigkeit mittheilen, das Gute unter allen Umständen zu thun, Hülfs­ mittel aller Art und so viel als möglich ist, kann er und muß er noch mittheilen.

Ja es ist auch Stoicismus, wenn wir mei­

nen, die Tugend sey das einzig Nöthige zu unserer Glück­ seligkeit, durch,

und das ist-eine um so gefährlichere Lehre, als da­ wie die Geschichte lehrt,

entweder Hochmuth entsteht,

oder als alle menschliche Tugend sehr unvollkommen bleibt und Unvorsichtigkeit zuweilen

großes

Elend

hervorbringen

kann.

58 Wir dürfen daher nicht vergessen, daß auch die äußern Umstande so geleitet werden müssen, als es zu unserer wahren Wohlfahrt nöthig ist, und wenn das auch bei dem Vertrauen auf Gott geglaubt wird, so ists doch sehr schätzbar,

wenn von Jesu

gelehrt wird, daß ihm alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden, um alle Umstände in dieser und jener Welt (denn auch in jener werden doch äußere Dinge seyn müssen, die uns erfreuen) zu seinem Zweck, d. h. zur höchsten Wohlfahrt aller Menschen zu leiten.

Denn wenn wir auch gerne glauben, daß

alles dienen muß, die göttlichen Absichten zu erfüllen, so ists doch möglich, daß Menschen diese nicht kennen und sie sich falsch vorstellen, z. E. von menschlicher Glückseligkeit und der Art, wie Gott sie geben will, unrichtige Begriffe haben.

Unstreitig

ists daher, wenn wir, da uns die Absichten Jesu nicht unbe­ kannt seyn können, lehren, Gott habe ihn so zum Heiland der Menschen verordnet, daß auch alles was geschieht, ihm beför­ derlich seyn muß.

Gewiß ists also einseitig, wenn man Jesum

nur in so fern für den Weltheiland will gelten lassen, als er ein Lehrer und Urbild der menschlichen Nortrefflichkeit ist. allein kann er es nie werden.

Dadurch

Und soll man ihn gar nicht als

Heiland, oder nur als einen solchen Heiland darstellen? Man sehe sich vor, ob daraus nicht große Nachtheile entstehn. Mir ists ungemein schätzbar, daß ich Christum um seiner Geschichte willen als meinen und aller Menschen einzigen Seligmacher verkündigen und dann sagen kann,

er ist durch seine Lehre,

durch sein Beispiel, aber auch durch seine Schicksale, durch seine Kraft und Wirksamkeit, und auch dadurch, daß er alle Umstände auf Erden und im Himmel zu seinem Zwecke leitet, auf eine mir unbegreifliche Weise für alle die geworden, die durch ihn zu Gott kommen.

Mag nur jeder christliche Lehrer nachdenken, .06

diese Lehrart nicht Vorzüge hat! Einige meinen zwar, dabei werde der Ehre Gottes zu nahe

$y getreten; diese wissen oder bedenken aber nicht, daß wir von Gott sehr falsche Vorstellungen haben, wenn wir ihn anders uns vorstellen, als er sich in Jesu Christo geoffenbart hat, ja auch falsche Vorstellungen von ihm haben können, wenn wir zwar die Worte beibehalten, in welchen Jesus von Gott redet; aber etwas Anderes darunter denken, als sich von den Absichten und der Gesinnung Gottes in dem Verhalten und in der Leitung der Schicksale Jesu zu erkennen giebt, und daß wir daher, wenn wir Jesum unsern höchsten Heiland nennen, nur sagen wollen, daß es Gott in Jesu Christo ist. *)

Einen Menschen können wir

allerdings nicht für unsern höchsten Heiland halten, als so ferne Gott in ihm ist, und in so fern wird der Satz: „Jesus Chri­ stus ist unser Heiland" beinahe gleichbedeutend mit dem: „Gott ist die Liebe;" nur, daß wir bei dem ersteneinmal sicher sind, richtige Vorstellungen von Gott zu erhalten, zwei­ tens wissen, wie Gott die Liebe sey, und sie uns bezeuge, und drittens den ersten Satz leichter beweisen können für den großen Haufen der Menschen, als den letztem, von welchem sich gewöhn­ liche Menschen bei den mancherlei Uebeln des Lebens schwer so überzeugen lassen, als es nöthig ist, bevor sie die Liebe Gottes in Jesu Christo erkannt haben.

Wie gut würde es also seyn,

diese allermeist und eben damit, daß Jesus Christus der Welt­ heiland sey, zu verkündigen. *) Bekanntlich unterscheiden wir auch noch Christum

oder den Sohn

Gottes von Jesu in sofern, als der letztere von jeher zur Erlösung von der Sünde, der erster« aber nur der ist, durch welchen jener feit achtzehn Jahrhunderten gewirkt hat.

60

IV. Jetzt muß ich daran besonders erinnern, das Jesus als Heiland der Menschen durch Wunder beglaubigt worden iß und zwar ohne zu wiederholen, was schon vorher von dem bei der Religion nöthigen Glauben an unbegreifliche Thatsachen, die wir Wunder nennen, gesagt worden ist, es als einen Vor­ zug darstellen. Dahin gehört nun zuerst, daß Weissagungen von einem solchen Heilande da waren, Jesus sich auf dieselben berief und sie in ihm erfüllt worden sind. Dies ist auf jeden Fall höchst merkwürdig, wenn man auch nur erwägt, was Niemand leugnen kann, daß das jüdische Volk vor der Erscheinung Jesu und nachher im Vertrauen, um das Wenigste zu sagen, auf ihre Erklärung mehrer Stellen des alten Testaments einen von Gott zu sendenden Heiland erwartete, und daß Jesus Überzeugs war, (denn wer wird, was einer schon oben gethanen Frage ähnlich ist, sagen oder beweisen können, daß er diese Erwartung nur zu seinem Zweck, ohne sie selbst zu haben, benutzt habe?) er wäre der Zuerwartende. Wir wollen uns auf die Prüfung der Richtigkeit solcher Erklärungen der biblischen Stellen nicht einlassen; dies würde bei unserm Zwecke nicht möglich seyn. Gewiß ist's auch, daß man darin viel zu weit gegangen ist, indem jüdische Gelehrte z. 85. wohl meinten, überall in der Sammlung ihrer heiligen Schriften und besonders da, wo dem Buchstaben nach nichts zur Reli­ gion Gehöriges vorkommen, müsse an den Messas gedacht werden. Ob man aber viele oder wenige Weissagungen im alten Testament von Christo finden möge, gewiß ist doch, daß schon Abraham die Hoffnung hatte, durch seinen Saamen

61 würden alle Völker der Erde gesegnet werden, 1. Mos. 22,18. Heiße das „durch Einen seiner Nachkommen, oder durch seine Nachkommenschaft überhaupt," darauf wird wenig ankommen. Wäre die Erwartung nicht erfüllt worden, oder ließe ihre Erfüllung sich nicht vorhersehen, so wollten wir sie schwärme­ risch nennen. Aber anders konnte sie nicht erfüllt werden, als es in Jesu geschehen ist; denn auf andere Weise, als wie dieser Heiland es hat ausführen wollen, ist allen Völkern gemeinschaftlich nicht zu helfen: durch ihn sind wirklich allerlei Völker beglückt worden, und können und sollen immer mehr und immer mehrere beglückt werden. Da nun auf solche Weise die Hoffnung, die Abraham fast zwei tausend Jahre vor Christo hatte, erfüllt worden ist, so müssen wir dieselbe, besonders da ein frommes Gemüth sie auffaßte und nährte, einer göttlichen Offenbarung und, sofern wir nicht wissen und nicht begreifen können, wie sie in die Seele des Vaters der Gläubigen gekommen ist, einer außerordentlichen wunderbaren Offenbarung Gottes zu­ schreiben. Wenn sich in dem alten Testament hernach mehrere Weissagungen auf den Messias finden, so kann man vielleicht sie nur für Ausmahlungen dieser abrahamitischen Hoffnung ansehn und sie erklärlicher finden; aber was wird damit gewon­ nen werden? Höchst merkwürdig und auffallend bleiben sie immer genug, und unerklärlich wird es immer bleiben, wenn solche bestimmte Beschreibungen des Weltheilandes vorkommen, als wir »«treffen, und wenn man auch noch so viele Stellen, in welchen man sonst dergleichen fand, nicht mehr hieher rech­ nen will, — um das Wenigste zu sagen, bleiben doch mehrere übrig, worin verheißen wird, daß die wahre Gotteserkenntniß, welche die Israeliten hatten, von diesem Volke aus die Heiden sich verbreiten, daß ein König auftreten werde, von dem die Stiftung eines Gottesreiches zu erwarten sey.

Es ist wahr,

von diesem Gottesreiche werden auch sinnliche Freuden und

62 Herrlichkeiten versprochen, es wird davon in Bildern geredet, die von dem israelitischen Gottesdienst hergenommen sind, vergl. Jes. 60, 1 ff., und viele andere Stellen; aber eben um dieser Ausdrücke willen muß erwogen werden, was Petrus sagt: (2. Petr. 1, 20. 21.) die heiligen Propheten haben geredet getrieben durch den heiligen Geist; eben daher müssen ihre Verheißungen nicht nach menschlichsinnlichen Begriffen, sondern in Kenntniß von dem, was wahrhaft gut und beseligend ist, in Erkenntniß und Gesinnung, wie sie der heilige Geist wirkt, ausgelegt, verstanden und angewandt werden. Geschieht aber das, so werden diese sinnlichen Bilder nicht befremden und wenn man dabei erwartet, daß durch den Verheißenen noch viel mehr Heil auf Erden und im Himmel der Menschheit geschafft werden kann und soll, so werden solche Schilderungen uns weiter nicht befremden, sondern wir werden sie in Christo erfüllt finden und erwarten. Wir müssen dazu nehmen, daß alle Thatsachen, welche uns die Bibel des alten Testaments erzählt, auf Christum und das Christenthum haben vorbereiten sollen und vorbereitet haben, welches hier nicht weiter auseinander zu setzen ist, da die Sache aus dem, was über die Geschichte der Bibel schon oben gesagt ist, genugsam erhellt; wobei auch besonders zu bemerken ist, daß das Christenthum als Religion Nichts weiter ist, als die alte patriarchalische und mosaische Religion, wie sie anfangs nur für das Familienleben und hernach für'ein einzelnes Volk und endlich für alle Völker ohne Unterschied bestimmt und zweckmäßig eingerichtet ist. Dies will man zwar neuerlich nicht immer zugeben. Man möchte gern Neues im Christenthum finden; aber man vergißt, daß man für die ersten Grundlehren derjenigen Religion, die ich die allgemein wahre nennen möchte, die Beweisstellen aus dem alten Testamente hernehmen kann, und wenn man dergleichen für die Hoffnung des ewigen Lebens

63 nicht finden will, gleichen nach, steckt

in



so weisen andre Theologen doch auch der­

und auf jeden Fall liegt diese Erwartung ver­

der Grundlehre i>es Mosaismus,

Gottes das

höchste und allein dauerhafte

daß

die Gnade

Gut für die Men­

schen sey, indem dies bei dem, was hier auf Erden geschieht, nicht genug erkannt werden kann. 73ten Psalm.

Vergl. z. B. den 37ten und

Auch wird schon aus dem Vorigen genugsam

erhellen, daß man dem Christenthum keinen Dienst damit, thut, wenn man es für eine neue Religion ausgiebt.

Denn dann

kann man es schwerlich eine (das Wort im höchsten Sinne genommen) göttliche Religion nennen.

Das wird aber dadurch,

wenn Alles, was von jeher für die wahre Religion von Gott geschehen, als Vorbereitung darauf angesehn wird, wenn auch die einzige neue Lehre,

die darin vorkommt:

„daß Jesus

der von Gott gesendete Heiland der Welt sey," Nichts als die

Verkündigung von

Verheißungen*) ist.

jeher

gegebener göttlicher

Darum bleibt es ja sehr beachtungswerth,

daß das neue Testament in dieser Verbindung mit dem alten steht.

Eben dadurch wird das Christenthum als göttlich erkannt;

eben dadurch aber können wir auch lernen, wie einzelne Men­ schen eben so allmahlig, wie das Menschengeschlecht, zur wah­ ren Religion gebildet werden müssen und wie das gewiß geschieht, wenn man den Weg einschlägt, den man dadurch als den rich­ tigen kennen lernt und fich vor allen Abwegen, die Menschen dabei eingeschlagen haben,

hütet.

Dies auszuführen, würde

mich aber zu weit von meinem Zwecke entfernen, und ich will

*) Aus diesem Grunde sehe ich selbst auch die Stelle: 1. Mos. 5, 15. für eine hieher gehörige Verheißung an, in welcher auf reden Fall die Hoffnung gegeben wird, daß der Mensch über Versuchungen zum Bösen siegen und von der Sünde erlöset werden könne, aber nicht anders, als durch vorhergegangene Leiden.

64 nur noch bemerken, daß das Wunderbare in der evangelischen Geschichte mich beftemden würde, wenn ich sie allein, ohne die -es alten Testaments, hätte; daß dies Befremden aber aufhört, wenn ich lernt, daß die Einführung und Erhaltung der wahren Religion auf Erden nie ohne Wunder statt gefunden hat. UeberHaupt ist mir Jesus dadurch als von Gott gesandter Heiland so erwiesen, daß ich Hülfe und Heil auf dem Wege, den er mir zeigt, erwarten kann, ohne mich zu bekümmern, wie es kömmt; dazu helfen mir hernach auch die Wunder, die in dem neuen Testamente erzählt werden. Ich habe wohl kaum nöthig zu wie­ derholen, was schon aus dem oben Gesagten genugsam erhellt, daß ich nicht vorzüglich darauf rechne, daß Gott der alleinige Urheber solcher Thatsachen seyn könne und unmittelbarer Urheber derselben seyn müsse, woraus gewöhnlich sonst die götttiche Sen­ dung Christi gefolgert worden ist. Mir ist es nur wichtig, daß die meisten dieser Wunder wohlthätige Handlungen sind, die zeigen sollen, daß Jesus helfen könne und helfen wolle. Sie werden auch nicht sowohl Beweise, als Zeichen seiner Hei­ landswürde genannt, wodurch auch zu erkennen gegeben wird, wie wir im Vorbeigehen bemerken können, daß der Heiland nicht gerade immer auf eine ganz gleiche Art Noth lindern und Freude schaffen werde, sondern wohl gar auf eine unsichtbare Weise, wie hier sichtbar. Einige solche Handlungen verrichtet er ohne alle Aufforderung z. B. die bei der Hochzeit zu Kanaa und bei Petri Fischzug; aber als er dergleichen gethan hatte, worin er zeigte, wie sehr er helfen könne und wolle, verlangte er Glauben daran und Verlangen nach seiner Hülfe, welches er sodann gerne und ganz erfüllte. Er half dabei blos durch seinen Willen, durch sein Wort, und auf eine ganz unbegreifliche Weise. In Rücksicht auf das Letztere sind nun diese wunderbaren Hülfsleistungen Christi von großer Wichtigkeit, denn wie wir oben schon bemerkt haben, daß in der Religion das Unbegreifliche uns nicht anstößig

65 seyn darf, vielmehr als möglich angenommen werden muß, wenn wir auf Kraft zum Guten, auf Belohnung und den günstigen Erfolg desselben rechnen wollen, so müssen wir auch von Jesu, wenn wir ihn als den höchsten Heiland anerkennen wollen, annehmen, daß er auf eine unbegreifliche Weise es seyn könne und werde. Wir müssen von ihm, wenn wir auf dem Wege, den er uns gezeigt und gebahnt hat, standhaft fort­ wandeln, Seligkeit, und zwar die höchste, erwerben, wenn wir auch nicht begreifen, wie sie unter den vorhandenen Um­ ständen möglich sey, ja wenn uns auch nach unsem Berech­ nungen das Gegentheil gewiß seyn möchte. Zu solcher Hoff­ nung mußte er Gründe geben, und wie sollte das anders geschehen, als durch solche Hülfsleiflungen ganz unbegreiflicher Art? So lange er sichtbar auf Erden lebte, mußte er solche Wunder thun als Zeichen, daß und wie sehr er helfen könne und wolle, und zur Versicherung, daß er es thun werde, wenn man auch nicht begreife, wie er es thun werde. Hätten wir solche Zeichen der Heilandswürde nicht von ihm, so hätten wir auch keine Gründe, ihn für den höchsten Heiland anzuneh­ men. Darum dürfen wir wahrlich diese Begebenheiten nicht dahin gestellt seyn lassen und es ist sehr wichtig, daß sie uns erzählt werden. Sind nun noch andre Wunder Christi übrig, die nicht wohlthätig sind? Ich kenne höchstens Eins; Andre nehmen zwei an. Ueber beide sey noch etwas Weniges gesagt. Das erste, da der Feigenbaum nach der Verheißung, oder wenn man will, auf das Wort Christi verdorret, Marc. 11, 13. 14. 20. 21., hat die Absicht, ein Zeichen und eine Versicherung davon zu geben, daß, wenn seine Jünger sich nicht bemühten, um sich her seine Absichten auszuführeu und dadurch Nutzen zu stiften, sie gestraft werden würdm; hat also auch Beziehung auf seine Heilandswürde, und geschah die Verdorrung nur nach einer Vorhersagung Christi, wer wird seiner Person 5

daraus, daß sie geschah, einen Vorwurf machen?

Aber wenn

man auch meint behaupten zu müssen, daß sie auf sein Wort geschehen ist,

so geschah sie doch immer nur darum, weil er

voraus sah,

daß dieser Baum keine Früchte mehr bringen,

am besten also zu verbrennen

seyn würde,

dann nur seine Einsicht bewundern.

und man kann

Das zweite (Matth. 8,

28 — 34.) wobei viel Schweine ihren Untergang fanden, deren Besitzer also Schaden litten, sollte auch lehren, daß rasenden Menschen (auf jeden Fall waren das die dämonischen Menschen, deren hier gedacht wird, wie man auch ihren damaligen, Zu­ stand sich erklären mag) zum rechten Gebrauch der Vernunft verhelfen, etwas

Wichtigeres

sey,

als

das Leben mehrerer

Thiere und der Vortheil, den ihre Eigenthümer daraus 'zögen. Er selbst aber handelte ja dabei nicht,

sondern ließ nur zu,

was sonst auch wohl geschehen wäre (vergl. 93. 28.), und was vielleicht ein Mittel war die Heilung der Raserei oder die Be­ freiung von den Dämonen vorzubereiten, welche vielleicht sonst schwieriger geworden wäre (vgl. 93. 31).

Denn warum sollte

Christus nicht auch der bekannten Kräfte der Natur und der Menschen bei seinen Wundern sich bedient haben,

so lange sie

ausreichten? Unstreitig ward auf solche Weise fernerem Scha­ den,

den diese Rasenden in dortiger Gegend gestiftet haben

würden und der viel größer hätte seyn können, zugelassene, vorgebeugt.

als der jetzt

Aber leicht können wir auch denken,

daß Jesus es für gut finden konnte, die Lehren, die durch diese beiden

Thatsachen

versinnlicht wurden,

auf

diese Weise zu

geben, und wir werden alsdann auch darin Versicherungen haben, i»aß,

wenn Christus bei uns nicht

Nutzen schafft,

und wir

durch ihn nicht Andern nützlich werden, dies ganz gewiß (wenn wir auch nicht wissen und begreifen wie?) gestraft wird, so wie, daß Jesu das Heil der Seelen unendlich wichtiger sey,

als

67 alle irdischen Güter, welches Letztere die damaligen Zeugen des Lebens Jesu so wenig in Erwägung zogen. Gewiß hätte Niemand Jesum für den verheißenen Weltheiland angenommen (und einen solchen wollte man doch und erwartete man, ein solcher konnte, wie wir oben gezeigt haben, auch nur zweckmäßig wirken) wenn man nicht solche unbegreif­ liche Thaten von ihm erfahren hatte. Helfer, der nicht hals? und wohlthat?

Was

ein Wohlthäter,

sollte auch ein

der nicht umherzog

Oder was ein Seligmacher, der nur wohlthat

und half, wie auch wohl viele andre Menschen helfen konnten? Man erwartete nun allerdings nicht,

daß er sterben werde,

und ein todter, ein am Kreuze gestorbener Helfer, der nach seinem Tode noch helfen sollte, der, da er bei seinem Leben nur Einzelnen geholfen hatte,

aber nach den vorhandenm Wün­

schen und Erwartungen dem ganzen Volke und nach der Hoff­ nung

Abrahams

allen

schien ein Unding

Geschlechtern

zu seyn.

der

Erde helfen sollte,

Aber er erstand vom Tode,, er

hob sich vor den Augen seiner Jünger in den Himmel. das glaubte,

zweifelte nicht daran, daß er,

der Menschen hatte seyn wollen,

Wer

der ein Heiland

und sich als solchen beglau­

bigt hatte, nicht nur noch lebe, sondern auch zur höchsten Macht und Herrlichkeit erhöht sey, und, wenn auch unsichtbar und überirdisch, doch über alle Vorstellungen herrlich werde beglücken sinnen und wollen. Wie wichtig es sey,

daß wir auf einen solchen Heiland

gewiesen sind, geht schon aus dem hervor, DI. Abhandlung) gesagt worden ist.

was oben (in der

Als ein solcher konnte er

er nur, wie jeder gestehn wird, der das oben Gesagte erwägt, erwiesen werden, wenn die Weissagungen, nach welchen man auf einen solchen hoffte, erfüllt wurden, und er so unbegreifliche Thaten verrichtete und Schicksale hatte, werden.

als von ihm erzählt

Wie wichtig das Letztere sey, könnte hier noch weiter

5

*

68

ausgeführt, es wird aber ohne das klar genug werden, wenn wir nun bettachten, in welchem Sinne und aus wel­ chem Grunde der Glaube an Christum von uns gefordert wird? und ob auch daraus, daß er und nichts weiter als er gefordert, wird, ein dankenswerther Vorzug des Christenthums entsteht.

V. Das Wort „Glaube" wird in gar vielerlei Bedeutun­ gen genommen und daher oft mißverstanden, welches den bekannten Göttingischen Theologen (Gottfried Leß) vermocht hat, vorzuschlagen, daß man lieber das griechische Wort (ntons), tote es laute, in allen Dogmatiken aller Sprachen gebrauchen möge; was doch keinen Erfolg haben konnte. Wir wollen so deutlich, als uns möglich ist, davon spre­ chen, die verschiedenen Bedeutungen, die hierbei in Anschlag kommen müssen, unterscheiden uud dabei angeben, was davon und warum es im Christenthum nothwendig, und wie vortrefflich es ist, daß darauf ein so hoher Werth gelegt wird. Vor Allem wollen wir bemerken, daß der Glaube etwas Innerliches sey. Dies kann nicht geleugnet, auch kann in dieser Rücksicht kein Mißverstand veranlaßt werden. Dadurch aber unterscheidet sich eine Religion, die auf ihn dringt, von jeder, die vornämlich in Ceremonien besteht oder gesetzt wird; und es war im sechszehnten Jahrhundert, als die christ­ liche Kirche fast zu einer Polizei-Anstalt ausgeartet war, und auf äußere gute Werke ein viel zu hoher Werth gelegt wurde, eben so natürlich, daß man die Paulinische Lehre

vom Glauben aufs Neue einschärfte, als es eben zu Pauli Zeiten im Gegensatz gegen die Israeliten seiner Zeit gewesen war. Auf diesen erhabenen Vorzug

der christlichen Religion auf­

merksam zu machen, werde ich aber überhoben seyn, wenigstens wird es genug seyn können, wenn ich anführe, daß doch Gottesverehrung nur etwas Innerliches im Menschen seyn könne, ja, daß Niemand glücklicher wird, der es nicht innerlich wird, und daß der innerliche Zustand des Menschen nie allein oder vornäm­ lich durch Verbesserung des äußerlichen verbessert und beglückt, dagegen wohl dieser angenehmer und heilsamer durch Verbesserung des erstem wird. Außerdem muß vorläufig erinnert werden, daß der Glaube nicht als etwas in einem einzelnen Acte Bestehendes oder in einem einzelnen Momente Vorübergehendes betrachtet wird, son­ dern etwas Bleibendes seyn muß, und, das muß besonders fest gehalten werden,

daß er nicht ein bloßes Fürwahrhalten,

sondern auch etwas im Gefühl und im Willen Wohnendes seyn, eben daber auf das ganze Leben dessen, der ihn hat, von der Zeit an, wo er da ist, Einfluß haben soll, und zwar einen solchen, wie derselbe dem, was geglaubt wird, angemessen ist.

Schon

als ein Fürwahrhalten ist er so beschaffen nicht unwichtig. Wich­ tiger wird er durch die ihm eigenthümliche Art des Furwahrhaltens; am wichtigsten aber durch das, was als Glaube an Chri­ stum sein Gegenstand ist. Das Erste versteht sich wohl von selbst.

Vorausgesetzt,

daß er nur von erwachsenen Menschen gefordert werden kann, wird jeder gestehn, daß, wer Nichts für wahr halten, wer blos hei dem stehen bleiben wollte-, was er empfindet und ge­ nießt. gar nicht zu einem vernünftigen, glücklichen Menschen könnte gebildet werden.

gut gesinnten und Er würde völlig

ein Thier, und, da dieses bestimmtere Triebe, als der Mensch hat, würde er unter die Thiere herabgewürdigt werden.

Etwas

70 zum

Fürwahrhalten

oder Verwerfen muß jedem

Menschen,

so bald er nur sprechen kann, vorgelegt werden, und sein Ur­ theil über Mes zurückhalten oder Alles bezweifeln, kann keiner. Der größte Zweifler und ärgste Jndifferentist gegen die Wahr­ heit muß wenigstens handeln, als ob er etwas für wahr hielte, und handelt auch so. — Auf die Art des Fürwahrhaltens kömmt aber Mes an. Denn das annehmen und sich nach dem richten, was die Sinne, unsere Empfindungen und Erfahrungen kann nichts Sonderliches seyn.

uns

gewiß machen,

Denn theils sind wir dazu fast

und wenigstens in so fern gezwungen, als wir darauf immer einigermaßen achten und darnach uns in unserem Verhalten richten müssen; theils ist uns das so natürlich, daß wir darin gewöhnlich eher zu viel, unnütz seyn würde, sieht auch das,

als zu wenig thun, so daß es ganz

das als nothwendig darzustellen.

Man

was dadurch erkannt und darin angenommen

wird, nicht gewöhnlich als das an, wozu Glaube nöthig wäre. Zwar erinnerte Fr. H. Jacobi in dem Streite, über Lessing

mit Mendelsohn

führte,

in

dem

den er letzten

Fünftheil des vorigen Jahrhunderts, daß all' unser Wissen vom Glauben ausgehe, vom Glauben an Schöpfer derselben.

unsre Natur,

an den

„Sind Sie," fragte er Mendelsohn, „aus

Vernunstgründen überzeugt,

daß Sie einen Körper

haben?

Ist es nicht der Glaube an das Zeugniß Jhref Sinne, Sie überführt,

daß Dinge außer Ihnen sind?

das

Ist es nicht

eine Offenbarung und der Glaube an dieselbe, was allen Ihren Vernunftschlüssen unterliegt?" — Aus diesem Streit entwickelte sich späterhin noch eine speciellere Vorstellung und Beschreibung von dem, was Glaube sey, nämlich: nicht sowohl das unmit­ telbare Wissen

(Urwissen)

überhaupt,

als das unmittelbare

Ahnen, Annehmen, Wissen pon einer unsichtbaren Welt,

das

71

Gottesgefühl in unserm Innern, wie es mein Brescius nennt.*) Diese Bemerkung ist auch allerdings nichts weniger, als un­ wichtig; aber für so erheblich, nls Einige sie haben angesehn wissen wollen, kann ich sie — für den Zweck, den ich habe, nicht anerkennen. Denn wer zweifelt daran, daß er sey, daß seine Sinne richtig gebraucht ihn nicht trügen; daß Dinge au­ ßer ihm sind, ja daß Recht, Pflicht, Ordnung, Liebe, Gott etwas Wirkliches, wenn auch Unsichtbares sey? Man streite sich darüber, wie, wodurch man zu dieser Annahme kömmt; der Ausgang des Streits kann uns ziemlich gleichgül­ tig seyn; und auf der einen Seite wäre zwar ohne ein solches Fürwahrhalten kein Christenthum möglich; aber durch dasselbe allein m-ird doch auf der andern Niemand schon ein Christ, wenn das wahr ist, was ich im Vorigen ausgeführt habe. Dazu aber, um dies zu seyn, soll Nichts weiter, als Glaube nöthig seyn, wenn uns Christus bekannt wird; und man könnte allerdings behaupten, daß, wenn man mit der Ahnung und dem Wissen einer unsichtbaren Welt, mit dem Gottesgefühl das, was uns von Christo bekannt wird; aufnimmt, damit Alles entstehe, was den wahren Christen macht, und ich will das nicht geradehin leugnen, aber Wenige möchten recht ver­ stehn, was das heißt, und wenn man blos dabei bleibt und nicht näher beschreibt, was dazu gehört, insonderheit wenn man nicht erwägt, wodurch die Wirkung dieses Gottesgefühls gehindert wird und wie es geleitet werden muß, so können daraus, wie ich glaube und hoffentlich aus dem Folgenden näher hervorgehen wird, gefährliche Irrthümer entstehen, oder wenigstens der Nutzen des Glaubens für die Religion wird nicht deutlich genug erkannt werden, wie wir doch zu unserem Zwecke besonders wünschen. *) Neuer Archiv für die Pastoralwiffcnschastcn. Th. 1. S. 89.

72 Wir wollen daher lieber bemerken, daß zu dem'Glauben, den das Christenthum fordert, erstlich die Willigkeit gehört, noch Etwas anzunehmen, was und wovon wir etwas Aehnliches nicht erfahren haben. Jeder wird gestehn, daß unsere Kinder diese Willigkeit haben, daß sie Nichts lernen, nicht recht gebildet werden könnten, wenn sie dieselbe nicht hätten; und auf der andem Seite, daß wir ihrer immer bedürfen, indem immer Etwas sich zeigen kann, was und wovon wir etwas Aehnliches noch nicht erfahren haben, selbst was unsern bisherigen Erfahrungen ganz entgegen ist, das man doch nicht sogleich und geradezu verwerfen kann, wenn es uns um Vermehrung un­ serer Kenntnisse zu thun ist oder wir überhaupt recht urtheilen wollen. Offenbar aber fordert das Christenthum diese Glaubenswilligkeit. Denn es erzählt uns — damit ist Alles ge­ sagt — Wunder, dergleichen wir schon seit Menschengedenken nicht erfahrm haben. Aber eben darum sagt es uns auch: „Wir wandeln hier, im Glauben und nicht im Schauen," 2. Cor. 5, 7. Es will, wir sollen mehr auf das Unsichtbare, als auf das Sichtbare sehn, 2. Cor. 4, 18.; wir sollen hof­ fen, ohne zu sehen, Röm. 8, 24. 25. Wie aber ohne solche Glaubenswilligkeit keine menschliche Bildung überhaupt mög­ lich ist, so kann insonderheit die sittliche nicht ohne sie gesche­ hen und eben dadurch, daß es an ihr fehlt, entsteht und nährt sich alles moralische Verderben. Man will das Böse nicht eher meiden, als bis man das Schädliche davon erfahren hat, erfährt es nicht, und fährt darin fort. Wer glaubt, was er noch nicht erfahren hat, läßt, sich warnen. Aber sogar probiren wollen wir, ob auch Etwas, was uns verboten wird, schädlich seyn 'werde, und thun darum Manches, was nicht Recht ist. Wenn wir Etwas als ein Uebel empfinden, so las­ sen wir uns nicht einreden, daß es zu unserm Besten gerei­ chen könne, gereichen müsse und sind daher ungeduldig dabei.

73 Es ist nicht möglich, daß sich sogleich Mes, was Recht ist, auch als nützlich in der Erfahrung bewahre; aber weil nicht sogleich eine Strafe auf das.Unrecht und eine Belohnung des Guten sich zeigt, wird das Herz voll, Böses zu thun, Pred. Sal. 9, 2. 3.

Wenn man sich schwach fühlt, seine Begier»

den zu überwinden, so glaubt man nicht, daß man es könne, und giebt sich darum keine Mühe.

Gewiß eine der vornehm­

sten Ursachen der menschlichen Vergehungen und Verderbtheit ist der Mangel an Geneigtheit, auch das für wahrzuhalten, was wir für wahr erkennen könnten und würden, wenn es sich nur auch in

unsern Erfahrungen und Empfindungen

bestä­

tigte ; ist die Widersetzlichkeit gegen die Annahme solcher Wahr­ heiten, die alles, nur nicht Empfindung und Erfahrung für sich haben.

Es kann zwar nicht geleugnet werden, daß jeder

Mensch Vieles annimmt, was er nicht erfahren hat; aber wie, wenn das nur so Etwas ist, wobei seine Neigungen gar nicht in Betracht kommen, oder was ihnen wohl gar gemäß ist, was dient, sie um so leichter und mehr zu befriedigen?

Ja,

so Etwas nehmen alle Menschen leicht und mehr, denn zu leicht, an.

Aber von der Art ist die christliche Wahrheit, wie

wir wissen, nicht, und eben daher sträuben sich alle diejenigen gegen die Annahme derselben, die diese Lehren gerne annehmen würden, wenn sie nur ihren Lüsten schmeichelten. schon vorher Gelegenheit, zu bemerken,

Wir hatten

daß nie aus der sinn­

lichen Neigung allein das Böse entsteht; die Lust, sagt Jacobus 1, 16., gebietet, wenn sie empfangen hat, die Sünde. Was ist's aber, was sie schwängert? ich kann das Gegentheil nicht thun,

Es ist der Gedanke:

ich bin zu schwach dazu,

welches man um seines Gefühls willen annimmt, oder der: ich würde Schaden, Nachtheil dabei haben, dabei zu viel aufopfern müssen, wobei man seiner Erfahrung traut, indem selten einmal die Unkenntniß des Gesetzes oder die Verleugnung desselben dabei zum

74 Grunde liegt.

Wo man schon Erfahrung oder Empfindung von

-er Kraft zum Guten oder von den Freuden und dem Segen bei Uebung desselben hat, da thut man es leicht.

Aber da diese

gewöhnlich fehlt und nicht immer daseyn kann, so wird das Herz des Menschen voll Arges.

Zst's aber wohl möglich, die

Empfindung von der Kraft, sich selbst zu überwinden, hervor­ zubringen, wenn sie nicht schon da gewesen ist; oder ist's mög­ lich in Erfahrung

zu zeigen, daß Rechtthun das Nützlichste

und Seligste sey.

Wäre das,-so wäre keine Selbstverläug--

nung, keine Selbstüberwindung, die doch der Anfang und das Ende aller menschlichen Tugend ist.

Nun haben zwar viele

unternommen, die Tugend auf die sittliche Natur des Men­ schen zu gründen,

sie geradehin als Achtung für Vernunft,

Gewissen, Sittengesetz zu empfehlen.

Mer die Erfahrung al­

ler Zeiten hat gelehrt, daß zwar dadurch eine Pflichtenlehre und Tugendlehre entstehen und den Menschen so beigebracht werden kann, daß sie sie annehmen; aber daß sie dabei nicht genug Kraft und Willen erhalten,

sie zu befolgen.

Man beweiset

auch, daß, wenn ein wahrer Gott die Welt regiert, das, was nach den Regeln des Rechts geschieht, auch das Beste und Nützlichste seyn müsse.

Aber eben das bestätigt sich ja nicht in

der Erfahrung sogleich und immer, und wird

eben darum,

selbst wenn es auch nicht geleugnet wird, nicht befolgt.

Will

man daher haben, daß die Sittenlehre wirksam werden soll, so wird man immer erst die Geneigtheit, auch Etwas anzu­ nehmen, was sich nicht in der Erfahrung immer zeigt, oder bestätigt,

voraussetzen

nun das Christenthum.

oder

befördern

müssen.

Das

thut

Es legt uns Etwas zum Annehmen

vor, was wir und wooon wir nichts Aehnliches erfahren haben, was aber, wenn wir es annehmen und uns darnach richten, ge­ wiß alle wahrhaft gute Gesinnungen und Handlungen hervor­ bringen muß.

Auf andre Weise wird man zwar die Tugmd

lehren, aber nie sie befördern können, und das sollte doch geviß für einen großen Vorzug des Christenthums gelten, indem dasselbe dadurch als eine Lehre und Anstalt erscheint, die beson­ ders auf Wegschaffung der Hindernisse wahrer Rechtschaffenheit hinarbeitet; und gewiß! könnte man in Menschen den Glauben, wie sie ihn als Kinder haben, auch nur in dieser Beziehung er­ halten und auf die christliche Wahrheit hinwenden, so hinwenden, daß er nicht wankte und sich in allen Richtungen und von allen Seiten zeigte, so würde man sie wahrhaft gut machen und erhal­ ten. — Das ist doch höchst beherzigungswerth. Doch zu dem Glauben, wie ihn das Christenthum fordert, gehört zweitens auch die Geneigtheit und der Entschluß, auch Etwas anzunehmen, was man nicht eigentlich demonstriren kann, und nicht begreift.

Auch das leidet keinen Zweifel.

Denn die

Bibel demonstrirt eigentlich Nichts, erzählt unbegreifliche That­ sachen, fragt bei Keinem, was sie erzählt oder lehrt, ob wir es begreifen, und sagt fast nie, wie Etwas geschehen oder zu er­ klären sey.

Gott thut darin Alles, und Er will^ so geschiehts;

Er gebietet, so stehts da.

Von Gott soll Alles erwartet wer­

den, und auf ihn sollen wir uns verlassen, und nicht auf un­ sern Verstand.

Offenbar theilt die Bibel uns Geheimnisse mit,

wenigstens in dem Sinne, wo nicht in einem höhern, daß wir sie anfangs hören, oder lesen, ohne sie noch recht zu verstehn, z. E. wenn wir getauft werden auf den Namen des Vaters, Sohnes und heiligen Geistes, und unstreitig will sie, daß solche Lehren eher für wahr gehalten werden sollen, ehe wir sie völ­ lig verstehn und also auch gewiß, ehe wir die innern Gründe davon kennen, daher, wenn wir noch außer Stand sind, De­ monstrationen ihrer Wahrheit zu

geben.

Nun ist zwar der

Wunsch und das Bemühen, Alles, was uns vorgehalten wird, zu begreifen, den innern Gründen von Allem nachzuforschen, und in Dingen

des

Nachdenkens nicht

leicht Etwas ohne

76 Beweise annehmen, etwas Vortreffliches, etwas zur hohem Bil­ dung, die jeder Mensch so viel als möglich empfangen soll, sehr Nothwendiges.

Aber es ist auch sonderbar, wenn man

den Glauben, welchen das Christenthum fordert, dem Nach­ denken geradehin entgegensetzt. nach ihm Statt finden;

Dieses

kann vor ihm und

vor ihm, um die Gründe des

Glaubens zu prüfen, (denn wer sagt, daß er blind seyn und ohne alle Prüfung entstehn soll?) nach ihm, um es an dem, was angenommmen worden, zu üben.

Denn man mag sich

alsdann bemühen, das Geglaubte, so viel man kann, zu be­ greifen und nach den innern Gründen zu fragen; nur wird das als verkehrt betrachtet, wenn man nicht eher glauben will, bis man das Letztere gethan hat und darin glücklich gewesen ist, oder den Glauben aufgiebt, wenn man hierin seinen Zweck nicht erreicht; und muß nicht leicht jeder gestehn, daß das verkehrt sey? — Schon oben ist gesagt worden, daß wir als religiöse Menschen Unbegreifliches annehmen müssen, und hier könnm wir wohl hinzusetzen, daß der gesunde Menschenverstand eigentliche De­ monstrationen selten oder gar nicht verlangt, daß Vieles von dem, was wir doch annehmen müssen, keiner eigentlichen De­ monstration fähig ist, so wie,

daß man mittelst Demonstratio­

nen fast bei keinem Menschen Etwas, am wenigsten aber bei den Armen, denen doch das Evangelium gepredigt werden soll, ausrichtet.

Ist dem also, so werden wir nicht nur erkennen,

daß das Christenthum

die Geneigtheit auch etwas Unbegreifli­

ches und Undemonstrirtes,

selbst Undemonstrirbares anzuneh­

men fordem müsse, sondern auch einsetzn, daß auch hierin ein großer Vorzug desselben liege.

Nur über das Letztere haben

wir Etwas, und auch nur Weniges, hinzuzufügen. ist

nämlich das Christenthum eine

Dadurch

allgemeine Menschen-

Religion, eine Heilsanstalt für alle Menschen, ohne Unter­ schied geworden.

Denn diejenigen, die gern Alles begreifen,

77 und gern nichts Anderes annehmen möchten, als was ihnen demonstrirt werden kann, müssen sich demüthigen und werden, wie andre Menschen, wie die meisten ihrer Brüder. Thun sie das nicht, so erkennen sie nicht die Grenzen ihres Verstandes und wollen seyn wie Gott, und was kann aus diesem Stolze Anderes hervorgehen, als Sünde? Selbst dem Fortgang ihrer Verstandesbildung setzen sie Schranken, indem sie, wenn ihnen etwas Unbegreifliches oder Unerwiesenes als wahr vorgelegt wird, nicht nachdenken, ob und wie es wohl zu erklären, zu erweisen seyn möchte, sondern es, ohne dies Nachdenken ver­ sucht zu haben, sogleich verwerfen, wobei sie sehr voreilig han­ deln können, wie viele Beispiele zeigen von Dingen, die man anfangs für unmöglich gehalten hat, z. E. daß Steine aus der Luft fallen, ohne vorher schon auf der Erde gewesen zu seyn; hernach aber doch nicht hat läugnen und theils schon hat, theils in der Folge noch wird sich erklären können. Besonders aber wird bei der Geneigtheit, auch in der Religion Alles begreifen, erklären und demonstriren zu wollen, dieselbe vorzüglich zur Verstandessache gemacht, was ihrer Wirkung, wie jeder weiß, sehr nachtheilig ist, indem nicht das deutlich Erkannte, sondern nur das lebhaft Vorgestellte auf Herz und Leben wirkt. Inson­ derheit aber muß von der Geneigtheit, Alles erklären und bewei­ sen zu wollen, eben das gesagt werden, was wir oben erst von der Sucht, alles Wahre in seinen Erfahrungen bestätigt zu sehn, gesagt haben, nämlich daß aus ihr eine Quelle des menschlichen Sittenverderbens entspringt und bei ihr wahre Frömmigkeit nicht möglich ist. Denn wenn Frömmigkeit aus der Richtung des Gemüths auf Gott entsteht und Gott selbst weder begriffen, noch demonstrirt werden kann, so ist schon dadurch klar, daß derjenige, der fromm seyn will, auch geneigt seyn müsse, etwas Uner­ weisliches und Undemonstrirbares anzunehmen. Wenn es auch wahr ist, daß wir Nichts thun, als wozu wir uns die strafte

78

zutrauen und was wir für vortheilhaft halten, so wird auch Zeder einsehn, daß selbst der Wille, recht zu thun, nicht mit dem Wunsche, Alles erklärt und erwiesen haben zu wollen, be­ stehen kann, indem wir niemals jemandem die Freiheit, in der er sich selbst überwinden kann, und noch weniger, wie Al­ les, was nach den Gesetzen des Rechts geschieht, auch das Heilsamste seyn müsse, werden erklären oder erweisen können. Was aber die Hauptsache ist, so veranlaßt diese Sucht, Nichts als Begreifliches und Erwiesenes anzunehmen, die Klügeleien und Sophistereien des Verstandes, die theils von dem Thun des göttlichen Willens abhalten, theils zum Ungehorsam dage­ gen verführen. Indem man nämlich z. B. wissen will, warum das Gesetz dies oder jenes verbot, beobachtet man es nicht und während solcher Untersuchung fallen uns allerlei Gedanken rin, die das Böse entschuldigen oder beschönigen. Dergleichen Gedanken gehören auch außer denen, die aus dem Gefühle und der Erfahrung hergenommen werden, zu denen, durch welche die Lust also geschwängert wird, daß sie die Sünde gebiert, durch welche sie eigentlich nur böse wird, so daß sie in dieser Art sich regend verboten ist und werden muß. So ward z. E. Eva verführt. Es ist ja nicht zu begreifen, es ist ja nicht erwiesen, daß Gott das verboten hat! Sollte Gott nicht alle Früchte in Eurer Nähe für Euch bestimmt, soyte er irgend Etwas Euch neidisch entzogen haben? — Er gönnt Euch große Vorzüge nicht, die ihr erlangen könnt; der Baum, von dem ihr nicht essen sollt, heißt der Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses.*) Begreiflich ists, daß ihr, wenn ihr Er heißt darum so, weil er Gelegenheit gab, zu erkennen, ob die Menschen gut oder böse seyn würden.

Daran wird aber nicht ge­

dacht, und das ist eben das Schlimmste, daß in dem Begreiflichen und Unbegreiflichen der Mensch gar zu gerne nur da- annimmt, war seinen Lüsten schmeichelt. —

79 davon Etwas genießt, eure Erkenntnisse vermehrt, nicht vergönnt wird.

was Euch

Solche Gedanken, verbunden mit dem,

daß sie die gedrohte traft noch nicht aus Erfahrung kann­ ten,

erregten erst in ihr die Lüsternheit 1. Mos. 3, 6. und

brachten die Sünde hervor.

Dergleichen Gedanken nannten

unsere Vorfahren teuflische Versuchungen zum Unterschied da­ von, die durch das Fleisch und die Welt entstanden.

Sie

wußten aber wohl, daß selbst das Fleisch oder die Sinn­ lichkeit und die Welt, oder die Einrichtungen und Beschaffen­ heit der irdischen Dinge außer uns nur dann Versuchungen zum Bösen werden, Kraft

geben.

wenn dergleichen Vorstellungen ihnen

Wollte daher Jesus das Nechtthun befördern,

so mußte er, wie Etwas, das sich nicht aus der Erfahrung bestä­ tigt, so auch Etwas, das nicht demonstrirt und nicht begriffen werden kann, der Welt vorlegen, und die Geneigtheit voraussetzen, fordern und hervorbringen, auch dergleichen anzunehmen. Aus dem Beispiele, das ich eben wählte, von der ersten Verführung und Sünde, wird man aber selbst eine Einwendung hernehmen können, daß auch das zum Bösen verführt, wenn man etwas Unbegreifliches und Unbewiesenes annimmt; denn war es nicht unbegreiflich, war es erwiesen, daß der Baum des Erkenntnisses klug machen sollte? Ich könnte darauf erwie­ dern: ja es war erwiesen; denn der Schluß konnte so formirt werden: Wenn der Baum von Erkenntniß des Guten oder Bösen den Namen hat, so muß er klug machen, nun heißt er so, also muß er klug machen.

Der Schluß wäre sehr

falsch; aber das ist eben das Traurigste, daß wir oft falsche Schlüsse für wahre halten, und dann ists doch gewiß besser, wir machen gar keine.

Ich könnte daran erinnern, daß Eva diese

Ermattung daher hatte, weil sie die Schlange für ein höchst kluges und listiges Thier hielt und vielleicht, wie Einige erinnern, dachte oder gesehen hatte, daß sie von dem Baum gegessen habe.

80 Aber dies Alles führt mich allerdings nicht zum Ziele, weil ich zuletzt doch würde zugeben müssen, daß auch die Geneigtheit Etwas, was man nicht erfahren hat, nicht erklären, nicht begrei­ fen kann, annehmen, zur Sünde verführen kann, welches dadurch gewiß ist, daß daraus aller Aberglaube und eben damit, wie allbekannt, großes menschliches Verderben entsteht. Leicht nimmt der Mensch Alles an, was seinen Begierden schmeichelt, auch das nicht Erfahrne, nicht Begreifliche, nicht Zuerweisende — und wird abergläubig; schwer aber nimmt er das, was er nicht erfahren hat, nicht begreift, ihm nicht demonstrirt wird, an, wenn es seinen Wünschen und Neigungen nicht zusagt, sondern entgegen ist; das gaben wir schon vorher zu verstehn. Wenn aber zufolge des eben Gesagten wahre Verstandes - und Herzens­ bildung bei dem nicht von Statten gehen kann, der nichts Ande­ res annehmen will, als was seinen Erfahrungen, Begriffen und Verstandesurtheilen gemäß ist, so kann es doch nicht anders seyn, als daß selbst auf die Gefahr hin, daß Aberglaube entstehen könnte, von allen Menschen eine Geneigtheit gefordert werde bei ihren Fürwahrhaltungen auch über diese Grenzen hinauszugehen, indem, wenn wir aus Furcht vor dem Aberglauben, diese letztere Geneigtheit nicht rege machen, nicht gebrauchen wollten, auch alle Bildung des Menschen zur Weisheit, Gerechtigkeit und Frömmigkeit aufgeben müßten. Christo muß es daher zum Ruhme angerechnet werden, daß er selbst auf die Gefahr hin, den Aberglauben zu befördern, den Glauben fordert und her­ vorbringt, so fern dieser ein Fürwahrhalten auch unerfahrner, Unbegreiflicher und undemonstrirbarer Lehren ist, wenn er nur auf der andern Seite dafür hinlänglich gesorgt hat, daß dem Aberglauben dabei kein Vorschub geschieht, vielmehr demselben gewehrt wird. Wie und wodurch das Letztere geschehen sey, müssen wir daher allerdings noch zeigen. Dies wird schon dadurch genugsam geschehn können, wenn

8l man darauf hinweiset, daß ein bestimmter Gegenstand des Glaubens vorgelegt, daß nicht gesagt wird: du mußt glauben, was du auch nicht erfährst, begreifst und demonstriren kannst, sondern: du mußt an Christum glauben. Denn wenn man diesen Gegenstand, welcher uns zum Glauben vorgelegt wird, recht kennt, so muß jeder gestehn, daß wir vor Aberglauben gesichert sind, so lange wir uns an ihn halten. Es kommen zwar viele Stellen der heiligen Schrift vor, worin dem Glauben an sich ein hoher Werth beigelegt wird; aber darunter ist, wie das Folgende zeigen wird, nicht ein Fürwahrhalten, auch nicht eine bloße Neigung dies oder jenes anzunehmen, sondern eine Gesinnung zu verstehn, und zwar eine solche, als in welcher z. 33. diejenigen handelten, welche im 33rief an die Hebräer als Glaubenshelden aufgeführt wer­ den und doch wird auch dabei, wenigstens gewissermaßen vor­ ausgesetzt, daß man mit dieser Gesinnung zu Christo oder zum Christenthum kommen und diese bei ihm thätig beweisen müsse, wenn man durch ihn, oder wenn man überhaupt unter den vorgekommenen Umständen selig werden wolle. Gewiß ist dabei aber allem Aberglauben vorgebeugt, der im Gegentheil nur dadurch entsteht, wenn der Glaube etwas Anderes oder gar Nichts von dem annimmt, was ihm in dem Christenthum vorgehalten wird. Man würde das wohl allgemein zugeben, wenn von den Lehren und Forderungen Jesu allein die Rede wäre und wenn man den Glauben an Jesum nur auf die innern Gründe der Wahrheit und Vortrefflichkeit dieser Lehren gründete. Aber man rüst: „Sich einem Mann ergeben, der uns verspricht zur Seligkeit zu führen, ohne daß man weiß und geprüft hat, wie er uns dazubringen kann, führt schon zum Aberglauben, und wenn auch wirklich ein solcher Nichts, als heilsame Wahr­ heit, lehrt, so haben wir uns doch dabei, ym das Wenigste 6

82 zu sagen, leichtgläubig bewiesen.- Wir könnten in eben dieser Art auch jedem Betrüger folgen, und wohin könnte dieser uns leiten? Ihr beruft Euch auf göttliche Sendung dessen, dem ihr Euch ergebt; aber wie leicht kann auch ein Schwärmer darauf Euch hinweisen! Wie oft haben es Betrüger gethan! Ihr beruft Euch auf Wunder, die geschehn seyn sollen; aber Wunder glauben heißt abergläubig seyn." Damit will man allen christlichen Glauben als Weg zum Aberglauben verschreien, wenn man nicht eben darum theils die Annahme des Christen­ thums nur auf die innern Gründe seiner Wahrheit und Vor­ trefflichkeit gegründet wissen will, theils die Geschichte entweder ganz dahin gestellt seyn läßt, oder sie nur als Einkleidung der. Lehren ansieht und benutzt. Wir können nun, wie aus dem Bisherigen erhellt, den Ausweg, den Viele hier ergreifen, nicht einschlagen; wir müssen die Geschichte Jesu und des Christenthums in der oben bemerk­ ten Art und aus den oben angeführten Gründen, und mit ihren Wundern bei dem Vortrag nicht nur zum Grunde legen, sondern als wahr voraussetzen oder darstellen, und alles was wir bisher sagten ist vergebens gesagt, wenn man alles das für Aberglauben erklärt, wovon man die Uebereinstimmung mit unsern Erfahrungen nicht nachweisen, und Beweise aus innern Grün­ den nicht beibringen kann; aber 1) wer wird doch darthun können, daß in der Religion gar nicht darnach fragen, wie Gott Etwas bewirkt hat, und annehmen, daß er auch Etwas, bewirken könne und bewirkt habe, was kein Mensch aus den Naturkrästen und den bekannten Naturgesetzen sich erklären kann, Aberglaube sey? Ein solcher Mensch würde alle Religion auf­ heben, wie wir oben gezeigt haben. Mehr aber hat Niemand, wie oben ebenfalls bemerkt worden ist, nöthig anzuerkennen,, und die Wunder der Bibel anzunehmen. Sagt Jemand, die Wunder sind wider die Ordnung der Natur, so behauptet

83 man mehr, als nöthig ist und mehr, als er darthun kann. Jeder müßte das Wort: bekannt dazu setzen, wie vorher schon erinnert worden. 2) Wird ja die Glaubwürdigkeit der Geschichte, wie unten Noch weiter gezeigt werden wird, jedem so weit bewiesen, als es für ihn möglich ist. An der bisher geschriebenen Glaubens­ willigkeit, ohne welche eine Geschichte kaum einmal angehört, geschweige für wahr gehalten wird, darf es dabei allerdings nicht gebrechen. Wer geradehin sagt, das Erzählte sey unmög­ lich, wer es darum leugnet, weil er nichts Aehnliches davon in seinen Erfahrungen findet, dem ist nicht zu helfen; aber diese Forderung haben wir ja auch schon genugsam, nicht nur als nothwendig, sondern auch als wünschenswerth dargestellt. Wir können selbst'hinzufügen, daß ein Auctoritätsglaube dazu gehört. Man traut dem Lehrer, der die Geschichte als wahr erzählt; man ist der Meinung, diese Geschichte müsse wohl wahr seyn, da sie schon so lange und von so Vielen für wahr gehalten wird, da unsere Eltern, Angehörige und Freunde, fast Alle, die wir ehren und lieben, sie für wahr halten; da man uns sagt, die Religion, die so Viele um uns her als ihren cheuersten Schatz ansehn, sey darauf gegründet. Ohne diesen Auctoritätsglauben würden ebenfalls Viele nicht einmal die Geschichte anhören. Er ist, wird man sagen, das, was zu allem Aberglauben führen kann, und das wollen wir zugeben. Aber schadet denn das Können so viel, wenn das, was geschehen kann, nicht wirklich geschieht? wenn nur der Wirk­ lichkeit genugsam vorgebeugt wird? Wie, wenn nun kein an­ derer Weg überhaupt ist, Menschen zu bilden, als eben der des Auctoritätsglaubens? Und wird man nicht zugeben müssen,, daß er'jedem Kinde, jedem Lehrling anfangs nöthig sey? Was würden doch unsere Kinder lernen, wenn das Ansehn Anderer nicht darauf wirkte, daß sie hören, wenn sie nicht anfangs um 6

*

84 des Ansehns Anderer willen Etwas annehmen? Man' kann es selbst nicht hindern, daß sie Lehren blos auf das Ansehn der Lehrer für wahr erklären. Wenn man dies aber nicht wün­ schen kann, wenn man es möglichst zu vermeiden wünscht, so wird es doch gewiß sehr zu loben seyn, daß man ihnen eine Geschichte erzählt, die sie darum, weil ihre Annahme viele Auttoritäten für sich hat, annehmen sollen, aus welcher sie dann selbst die wichtigsten Wahrheiten leicht so herleiten können, daß sie ihnen als in ihr und in sich wohl gegründet erscheinen. Wie kann man doch das eigentlich tadeln, was ohn« großen Nachtheil nicht vermieden werden kann? Fragt Jemand nach Gründen der Glaubwürdigkeit der Geschichte, so giebts ja innere und äußere Gründe genug dafür, von denen jedem um so, mehr vorgelegt werden kann, je mehr er Nachdenken und Kenntniß hat, sie zu beurtheilen und daraus Schlüffe zu ziehn. Man hat Beweise für die Wahrheit dieser Geschichte genug aufgestellt, theils für Jedermann, theils für mehr oder weniger Gelehrte. Es ist wahr, auch Einwendungen sind dagegen genug vorgebracht, aber sie sind auch widerlegt worden; und ich für meinen Theil bin gewiß und Viele werden es mit mir seyn, daß, wenn man keine stärkern Beweise für die Geschichte des neuen Testaments (worauf doch zu allererst Alles ankömmtforderte, als man dafür verlangt, z. B., daß Julius Cäsar die Bücher, die man ihm zuschreibt, verfertigt habe, man die Wahrheit derselben nicht bezweifeln könne. — „ Ja," sagt man, „man muß stärkere Beweise fordern, weil Wunder erzählt werden;" aber, ob man dazu Grund habe, wenn man um der Zeugen willen nur annimmt, was sie uns gesehn zu haben versichern, ob man dabei weiter Etwas nöthig hat, als zu unter­ suchen, ob sie die Wahrheit haben können, und sie getreu und ganz, wie sie sie erfahren haben, haben sagen wollen, bleibt immer noch die Frage, und auch das ist mir gewiß, daß blos

85 die Abgeneigtheit, Wunderbares als geschehen anzunehmen, die Ursache davon ist, wenn man die biblische Geschichte, namentlich die des neuen Testaments verwirft.

Daraus entsteht aber

ein Unglaube, den derjenige ablegen muß, der ein Christ werden will.

Wer ihn hat, bei dem muß man das Bemühn aufgeben,

ihn zum Christen zu bilden.

Wohl aber dagegen der Menschheit,

daß nicht Kinder, nicht große Haufen der Menschen, daß nur wenige diese Abneigung haben,

und daß diese Abneigung, wie

oben gezeigt worden ist, unvernünftig und irreligiös ist.

So

können wir auf den Glauben an die Geschichte der Bibel das Christenthum gründen bei allen denen, die ihn haben und befördern, damit nicht den Aberglauben, indem dieser die Wahr­ heit dessen, was er annimmt, zwar voraussetzt, was auch hier geschehn kann, aber doch nur um des Wunsches willen, den er gern erfüllt, sehn möchte; wir aber nur, was wir wünschen, erreichen wollen, w e n n die Geschichte, die wir erzählen, als wahr angenommen werden kann und wird, der Abergläubige sich um die Wahrheit dessen, wornach er sich richtet, nicht bekümmern würde, wenn er nicht wünschte sich darnach zu richten, wir aber uns nicht darnach richten würden, wenn wir es nicht als wahr erkennten. 3)

Wir können denn noch leicht

bemerken,

daß die

sind, welche nur zu Zeiten,

biblischen Wunder solche

wo der letzte Zweck des Welt-

schöpfers nicht mehr anders erreicht werden konnte, geschehn seyn sollen und können daraus die Folgerungen ziehen, sowohl daß sie zu untergeordneten Zwecken, mehr zu

erwarten sind,

werden kann. 4)

als auch jetzt überhaupt nicht

da dieser Zweck hinlänglich

erreicht

Auch

können

wir

zugeben,

daß

Jedem

unbenommen

bleibt, LU versuchen, ob diese Wunder etwa natürlich zu erklären seyn möchten,

oder auch zu meinen,

daß dies möglich seyn

würde, wenn man alle Umstände genau wüßte?

Aber geben zu

86 bedenken — wie. oben bemerkt — daß Jeder,

der das thut,

aus dem Gebiete der Religion (die Nichts dergleichen erklären will in dem Thun Gottes) hinaustritt in das Gebiet des Phy­ sikers, und daß er unnützen Grübeleien sich überläßt, aus denen nie ein Ende zu finden ist, und wodurch, wenn man sie in der Geschichte anbringt, die Geschichte theils eine ganz andre, theils, wenn auch die Begebenheiten bleiben,

aus einer heiligen eine

Profanhistorie wird und nicht mehr für die Religion, sondern zu andern Zwecken dient. verwahren,

Auch müssen wir uns durchaus davor

daß Niemand meinen darf, alles, was

geglaubt

werden soll, müßte auch natürlich erklärt werden, indem, was wir nicht zu oft wiederholen können, dadurch alle Religion unter­ graben und Gottes Macht nach menschlichen Gedanken Grenzen gesetzt werden würden. 5) Werden uns heutiges Tags Begebenheiten als geschehn erzählt, von denen wir meinen,

daß Niemand sie werde aus

den bekannten Gesetzen der Natur erklären können, wir allerdings,

so werden

im Glauben an die biblischen Wunder,

nicht

sogleich darüber absprechen, daß Betrug dabei sey, daß sie nicht wahr seyn könnten; aber wir werden sie entweder dahin gestellt seyn lassen, da wir ihrer gar nicht bedürfen können, (nach dem was oben ad 3 gesagt worden ist) oder wir werden, wenn wir sie nicht leugnen können oder wollen,

selbst nachdenken, wie sie

wohl zu erklären seyn möchten, oder erwarten, daß dies wohl von Andern geschehn sey oder noch werde. So sind wir gewiß bei dem Glauben an die biblischen Wun­ der vor allem Aberglauben gesichert; wir haben nur den Glauben, daß der Mmächtige mehr thun könne, als wir verstehn und seine letzte Absicht nie unerreicht lassen werde, sosehr sich auch Menschen widersetzen mögen.*)

*) Wie Jemand

Anweisungen von dem, was wir zu thun

jetzt steh überzeugen kann, daß Jemand die Macht

87 haben, besitzen wir im göttlichen Wort, und wenn wir sie auf einzelne Umstände anwenden wollen, dürfen wir dazu nichts Anderes, als unsere Erfahrungen und unsre Kenntniß der gött­ lichen Ordnung in der Natur und Weltgeschichte benutzey. Auf Wunder dabei warten und dadurch sich in seinem Thu)» aufhalten oder ändern zu lassen, würde heißen: seine christlichen Pflichten verletzen. Aber bei möglichst redlicher und möglichst verständiger Uebung seiner Pflicht erwarten, daß uns der Höchste über alle unsere Begriffe und Hoffnungen, wie wir sie nach unsern Berechnungen fassen können, segnen könne und werde, ist, wenn man nicht auf ein bestimmtes irdisches Gut Rechnung macht (was nie verheißen ist), gewiß nicht Aber­ glaube, sondern rechter Glaube an Gott, und indem das Chri­ stenthum diesen hervorbringen will, sichert es endlich gewiß hinlänglich vor jenem. Wir können und wollen nun aber noch den Quellen alleF Aberglaubens näher treten, um ihn von dem Glauben, den das Christenthum haben will, zu unterscheiden. Er entsteht davon, daß man gerne bestimmte irdische Zwecke oder auch den höchsten, die Erlangung der göttlichm

habe, Im Namen Jesu wunderbare Hülfe in zeitlichen Wohlthaten zu ertheilen, ist mir ganz unbegreiflich,

da uns keine bestimmte

irdische Wohlthaten, z. E. Genesung aus einer Krankheit, verheißen, und da wir angewiesen sind,

alle Hülfe in zeitlichen Dingen nur

in llnterwcrfung unter die bekannte göttliche Ordnung zu suchen. Bittet Jemand z. E. um die Genesung eines Andern, oder um seine eigne, so muß er sich in den Willen Gottes ergeben, ob die erbetene Wohlthat erfolgt, oder nicht.

Man hat darüber nicht eine Verhei­

ßung , daß sic erfolgen müsse, und gesetzt, zehnmal 'sey ein solches Gebet auf diese Weise erhört, so kann diese Erhorung im eilsten Male ausbleiben, und gewiß will Christus als Heiland nicht weiter durch solche wunderbare Heilungen letzt erkannt werden.

68 Gnade und des Himmels, auf einem leichtern Wege, als auf dem des Nachdenkens und der Pflicht erreichen möchte, oder seine Pflichten

selbst nicht

recht kennt.

In ihm glaubt der

Kranke leicht dem Quacksalber und Wunderthater,

und wenn

er gerne recht wohlfeil zur Genesung kommen will, nimmt er jeden Rath an, den man ihm ertheilt,

dessen Befolgung nur

seinen Wünschen entspricht, lieber, als daß er einen verständigen Arzt annimmt und ihm folgt.

In solchem Aberglauben folgt

man Traumen, die uns Reichthümer versprechen, oder Schatz­ gräbern, wenn man den Müßiggang liebt, und doch gerne viel Vermögen haben möchte.

Ja, in ihm läßt man sich selbst

Opfer und Kasteiungen gefallen, wenn jene zu geben und diese zu dulden uns leichter wird, als Sünde zu meiden, wir aber doch Lern einen gnädigen Gott haben wollen.

Gewiß derjenige,

der nur auf dem Wege des Nachdenkens und der Pflicht sein Heil sucht, kaun nicht abergläubig seyn; er müßte denn dabei dieses oder jenes bestimmte irdische Gut,

z. E. dieses Amt,

diese Verbindung, oder Geld, Gesundheit und dergleichen mit Gewißheit schwärmerisch erwarten. kennt,

Wer aber das Christenthum

der muß gestehn, daß es uns hinweiset auf Weisheit

und Pflicht und keine bestimmte irdische Güter, sondern alles Irdische selbst bei dem pflichtmäßigsten Verhalten nur in Er­ gebung in den Willen Gottes und erwarten

läßt.

Es verstopft also

in Hoffnung alle

Quellen

auf Gott des Aber­

glaubens. Wollte man sagen, man sey doch wenigstens so lange, als man diese Erkenntniß noch nicht hat, bei dem Glauben an Chri­ stum und an Wunder nicht vor Aberglauben gesichert, so wird sich dieser Einwurf erst im Folgenden heben lassen.

Hier wollen

wir nur wiederholen, daß der wahrhaft Gläubige sich an Chri­ stum haltm, von ihm lernen, ihm in Allem Beifall geben muß und gewiß wird Niemand dabei abergläubig werden.

89 Wir wollen hinzunehmen, daß bey dem wahrett Glaubett der Grundsatz zum Grunde liegen muß: Ich will bey dem, was mir jetzt vorgelegt wird, vernünftig denken, ich will mei­ nem Wahrheitssinn trauen.

Es wird dabei vorausgesetzt, daß

die Wahrheit einen ganz andern Eindruck auf die menschliche Seele macht, als die Irrthümer.

Man kann die Verschieden-

heit dieses Eindrucks schwerlich beschreiben; als vorhanden annehmen.

aber man muß sie

Sie kann mit der Zeit in einigen

Menschen sehr verringert werden,

vielleicht ganz verschwinden,

ja vielleicht sich so verändern, daß der Irrthum das in uns aufregt, was die wahre Vorstellung aufregen sollte.

Dies ist

aber ein Verderben des Menschen, das verhindert werden kann, wenn die letztere früh, und so vor die Seele kommt, daß kein Interesse

der Begierde sich ihr entgegen stellt, wohl gar sie

dem Hörer interessant wird.

So will aber das im Christen­

thum zu Glaubende dem Menschen nahe gebracht seyn.

Nie

soll um eines Jnteresse's willen allein, als um das, was der Mensch natürlich an der Wahrheit hat und an dieser, wenn er sie kennt, haben muß, es für wahr angenommen werden. Dieses gründet sich auf die Maxime: Ich will ein vernünf­ tiger Mensch seyn.

Fehlt es an diesem Grundsätze ganz,

so könnte das Christenthum in keinem Menschen so wie es uns beigebracht seyn will.

entstehn,

Dieser Grundsatz umfaßt

allerdings die ganze Moralität des Menschen; denn er schließt den ein: Ich will vernünftig (eben daher auch recht) denken, gesinnt seyn und handeln.

Wäre dieser schon in einem Men?

schen, so könnte in ihm der Glaube, wie er im Christenthum seyn soll,

am besten gegründet werden.

Joh. 7, 17.

Dies

ist aber nicht vorauszusetzen, indem eben durch den Glauben an Christum diese Denkart erst hervorgebracht werden soll.

Es

ist aber auch genug, wenn nur bei jedem Vortrag einer einzel­ nen christlichen Wahrheit der Maxime gefolgt wird:

Ich will

90 jetzt und in dieser Rücksicht vernünftig oder, wenn man will, verständig urtheilen; und ferner: Nachdem ich einmal einen Satz angenommen habe, so muß ich, da

ich

vernünftig denken will,

auch den anneh­

men, den ich als verständiger Mensch gern muß.

daraus fol­

Es ist dabei gar nicht nöthig, daß man sich

dieser Maxime immer bewußt werde, wenn man nur ihr ge­ mäß denkt und zugiebt, was man, wenn man sie annimmt, nicht läugnen kann. len.

Aber das Letztere darf durchaus nicht feh­

Bei dem Aberglauben

aber fehlt es leicht, indem man

bei ihm auch das Unvernünftigste annimmt, wenn man nur wünscht, daß es wahr seyn möchte, Nichts darum annimmt, weil es wahr ist und sich in unserm Wahrheitssinn, sondern nur, weil es einer

sinnlichen Neigung

oder einem Wunsche

nach einem bestimmten irdischen Gut sich empfiehlt. — Empfehlen muß sich allerdings auch das, was wir als Christen glauben sollen; denn wenn es nicht als etwas für uns sehr Wichtiges angesehn würde, könnte es ja nicht zu unserer Religion gehören!

Aber schon

unserer Lern- und Wißbegierde

kann es sich empfehlen; doch das ist noch nicht genug. Beste wäre,

Das

wenn wir es darum gerne annehmen, weil wir

sonst nicht würden recht gesinnt seyn und handeln können, weil wir merken, daß es uns dazu aufmuntert, hilft und stärkt. Darauf haben auch Einige, wie bekannt, den christlichen Glau­ ben allein gründen wollen.

Aber damit wäre doch zu viel ge­

fordert, weil es möglich ist — was ich als das Gewöhnlichste annehme — -aß der Wille,

überall recht zu handeln,

erst

durch das Christenthum entsteht, und zwar erst dadurch, daß schon Vieles im Christenthum

für wahr angenommen wird.

Man muß aber durchaus fordern, daß kein anderes In­ teresse, als das der Wahrheit und des Rechts entste­ hen soll, weil sonst der Aberglaube gewiß auch seine Nahrung

91

suchet. Von dem Interesse des Rechts mfiffett wir aber eben das sagen, was wir von dem der Wahrheit gesagt haben, nämlich: Wir haben von Natur ein moralisches Ge­ fühl, ein Gewissen, wie wir einen Wahrheitssinn haben, auf welches unsere und Anderer Gesinnungen und freie Handlungen, wenn wir sie uns zu Gemüthe führen, einen ganz verschiedenen Eindruck machen, so daß wir einige billigen, andre tadeln, uns einiger freuen, über andere uns betrüben, bei einigen uns oder Andere unschuldig nennen, oder wohl ihnen einen Werth, ein Verdienst zuschreiben, bei andern eine Schuld beimessen; bei den erstem eine Belohnung erwarten oder für recht halten, bei dem andern eine Strafe fürchten. Dies Gefühl macht, daß wir immer einigermaßen wünschen müssen, recht zu handeln. Dieser Wunsch läßt sich auch bei keinem Menschen ganz ver­ tilgen, indem jeder, auch derjenige, bei welchem er unter vie­ len andern Wünschen der schwächste ist, doch lieber diese so er­ füllt sieht, daß dabei recht gehandelt wird, als so, daß dabei etwas Unrechtmäßiges geschieht. Eben darum intereffirt auch uns schon Etwas einigermaßen, was von freien Handlungen uns so bekannt wird, daß wir es nach diesem sittlichen Gefühl be­ urtheilen können, und noch wichtiger ist uns das, (selbst ohne daß wir immer darauf achten) was uns aufmuntert und stärkt, diesem Gefühl gemäß zu handeln, wenn wir dazu oft. zu schwach sind. Wir können kaum anders, als so Etwas auch für wahr zu halten, weil wir nach Einigkeit mit uns selbst streben, .und die Uebereinstimmung dessen, was das Gewissen billigt, mit dem, was dem Wahrheitssinn angemessen ist, vorauszusetzen, durch unsere Natur angewiesen scheinen. Wie dem aber sey, so wird es stets zu billigen seyn, wenn man das zu erkennen strebt und für wahr annimmt, was uns aufmuntert und stärkt, unserm Gewissen gemäß zu

92 handeln, weil wir dadurch Einigkeit in uns selbst bringen. Darnach aber fragt der Abergläubische gar nicht. — Es kömmt dazu, daß wir in uns eine Unzuftiedenheit mit allem Unvollkommnen bemerken; daher Alles gern vollkommen denken, sehen und haben möchten. Dies treiben wir so weit, als wir können, und ruhen nicht eher, als bis wir zu dem Allervollkommensten mit unsern Gedanken emporgestiegen sind, und dabei denken, daß auch dieses noch vollkommner seyn könne, werde und müsse, als wir es zu denken im Stande sind. Wir machen uns Ideale, welche oder wovon wir Eins oder mehrere in Einem voraussetzen müssen. Ich kann nicht rathen, dies so als wirklich vorauszusetzen, wie man es sich gerade denkt; denn aus dem, was ich eben sagte, folgt, daß man es sich noch vollkommener vorstellen muß, als man es sich denken kann. Auch kann ich aus ähnlichen Gründen nicht rathen', alles das für wahr zu halten, was den Ideen, wie wir sie uns gemacht haben, entspricht; denn wir können selbst sie uns sehr unvollkommen gebildet haben. Man fügt wohl hinzu: wie die Vernunft für sich bilden muß; aber wer soll darüber urtheilen, wie sie es müsse? Menschen ha­ ben z. E. im Götzendienste, sich gar zu niedrig gestellt. Aus jeden Fall aber müssen wir diese Sehnsucht nach dem Un­ endlichen, die ich dem gemäß in uns Menschen annehme, doch immer, wenigstens einigermaßen und möglichst, zu be­ friedigen suchen. Sie allein? — Das könnte zur Schwärme­ rei'führen; aber in Verbindung mit dem Wahrheitssinn Und dem Gewissen sie befriedigen wollen und befriedigt finden, das ist's, was den Glauben, wie ihn das Christenthum fordert, hervorbringt.

Das, was man am Christenthum zu erkennen

Gelegenheit hat, darum für wahr halten, weil man bemerkt, daß es dem Wahrheitssinn, dem Gewissen und der Sehnsucht nach dem Unendlichen in uns entspricht, ist die Grundlage bei

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dem Christlichen Glauben. Vielleicht könnte ich kürzer gesagt haben: was der Vernunft gemäß ist; das Wort ist mir aber nicht bestimmt genug. Denkt Jemand alles das dabei, was ich eben mit drei Motten ausgedrückt habe, so versteht sich von selbst, daß ich mit ihm eins bin. Halt aber Jemand die Ver­ nunft blos für das Vermögen, Ideen zu haben, oder ein An­ derer für das Vermögen, kunstmäßige Schlüsse zu machen, oder noch ein Anderer für das Vermögen, nach theoretischen Grün­ den Wahres vom Falschen zu unterscheiden, oder gar mit vie­ len Mystikern für ein Vermögen, durch Sophistereien seine unlauter» Begierden vertheidigen zu können, so müßte ich den Letzter» in der Verachtung der Vernunft beistimmen und es würde mir schwer werden, den drei Erstem darin Recht zu geben, daß sie das einzige Kriterium der Wahrheit seyn soll« Quelle der Erkenntniß ist sie dem christlich Gläubigen ohne, hin nie, sondern das ist ihm der Unterricht, den er nach der Bibel erhält. Aber, was sollte ihm dieser, wenn er nicht mit seinem Wahrheitssinn, mit seinem Gewissen und mit seiner Sehnsucht nach dem Unendlichen übereinstimmte, wenn er ihn nicht als ein vernünftiger Mensch für wahr und richtig zu erkennen im Stande wäre? Ja, was hilft er ihm, wenn er ihn nicht dafür erkennt? Es ist wahr, es kömmt so viel nicht darauf an, aus welchen Gründen die christliche Lehre, als darauf, daß sie nur als wahr und wichtig anerkannt wird. Aber wenn sie auch um äußerer Gründe willen also angenom­ men wird, so muß sie doch einigermaßen um innerer Gründe willen wenigstens für wichtig anerkannt werden; denn sonst kann sie nie zur Religion gehören oder führen, die doch für uns immer etwas Wahres und Wichtiges seyn muß. Kann nun auch Jemand dahin kommen oder gebracht werden, daß er z.B. um der lluctorität anderer Menschen willen die Religionswahrhekten, die ihm vorgetragen werden, für wahr und wichtig an-

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nimmt, so darf doch dergleichen kein Lehrer fordern, keiner darf wenigstens dabei stehn bleiben, wenn er es gleich dulden kann und muß. Besonders muß dem entgegengearbeitet wer­ den, daß nicht um äußerer irdischer Vortheile willen Etwas in der Religion für wahr gehalten wird; denn das ist immer der Weg zum Aberglauben, und die rechte Glaubenswilligkeit, wie sie das Christenthum fordert, ist immer nur da, wo man geneigt ist, auch das, was man nicht begreifen, nicht sich demonstriren kann und wovon man auch nichts Aehnliches er­ fahrt, doch darum anzunehmen, weil man es mit seinem Wahr­ heitssinn, seinem Gewissen und mit seiner Sehnsucht nach dem Unendlichen übereinstimmend findet. Ist es z. B. Jemandem möglich, das Daseyn der Teufel oder des Teufels damit über­ einstimmig zu finden, so darf wahrlich Niemand ihn, so weit er diese Uebereinstimmung nachweisen kann, eines Aberglau­ bens beschuldigen. Nimmt er aber blos das Daseyn der Teu­ fel an, ohne daß er eine solche Uebereinstimmung nachweisen kann, so kann ja diese Meinung, so wahr sie seyn mag, nicht zu seiner Religion gehören. — Es ist nun wohl Nichts weiter darüber mehr hinzuzusetzen, daß diese Glaubenswilligkeit von allem Aberglauben weit un­ terschieden ist. Oder will man noch darauf hinweisen, daß der Aberglaube' doch Etwas für wahr hält, was ihm Furcht und Schrecken macht, so möchte ich auf der einen Seite be­ haupten, daß auch dadurch der christliche-Glaube von ihm sich Unterscheidet, der vorzüglich etwas Erfreuliches als wahr darstellen und vorhalten soll; auf der andern aber muß ich daran.erinnern, daß die Furcht des Abergläubigen nur daraus entsteht, weil derselbe seine Pflicht nicht erfüllen mag, dies aber bei dem christlich Gläubigm niemals statt finden kann; so wie, daß er das Furchtbare nur darum annimmt, weil die Erreichung eines andern auf das Irdische gehenden Wunsches

95 ihm höchst wichtig ist, und darauf meint, Verzicht leisten zu müssen, wenn er das Furchtbare nicht für wahr hielte, daß dabei also immer ein solcher Wunsch, um welches willen der Christ nichts in der Religion annimmt, zum Grunde liegt. Nach dieser Betrachtung, denke ich, wird Jeder zugestehen müssen, daß von dieser Seite betrachtet der Glaube, den das Christenthum fordert, nicht nur etwas Vernünftiges, sondern auch Nothwendiges, und es daher ein großer Vorzug des Chri­ stenthums sey, daß auf ihn Alles-gebaut wird. — Es ist wirklich höchst traurig, daß einige christliche Leh­ rer den Christen — selbst Kindern —

Alles in der Religion,

demonstriren, Alles begreiflich machen wollen, wie es traurig ist, wenn man nicht eher, als bis das geschehn ist, irgend Et­ was in der Religion als wahr annehmen will.

Es ist traurig,

wenn man aus dem Menschm selbst Alles, was das Christen­ thum lehrt, herauszulocken sich bemüht, da es ihm doch äußer­ lich gegeben werden muß, wenn er es haben soll und es ge­ nug ist, wenn man die Lehren desselben in Verbindung mit dem Wahrheitssinn, mit dem sittlichen Gefühl und der Sehttsucht nach dem Unendlichen stellt und es damit übereinstimmig etkennen läßt,

Daß es traurig sey, wenn man die Geschichte

der Bibel dabei übergeht, habe ich hier nicht mehr nöthig zu wiederholen.

Wenn

man dagegen denen,

die

die oben be­

schriebene Glaubenswilligkeit auch nur einigermaßen fortgesetzt beweisen, erst die biblische Geschichte vorträgt und an diese die Lehren unserer Religion anknüpft, so wird die Annahme der Geschichte das Fürwahrhalten der Lehre, und dies Fürwahr­ halten dann wieder die Annahme der Geschichte befestigen; und. wie viel wird dadurch gewonnen seyn! Nun

darf aber

gar

nicht

vergessen werden,

daß der

Glaube, den das Christenthum fordert, nicht blos Glaubens­ willigkeit, sondern auch und insonderheit Glaubenstreue

96 ist d. i. darin besteht, daß man der im Christenthum erkann­ ten und angenommenen Wahrheit gemäß denken, gesinnt seyn und handeln will. Wir sagten schon oben, der Glaube solle den ganzen Men­ schen durchdringen und dies forderte Jesus, wenn er den Glau­ ben an sich verlangte. Vertrauet euch mir an, wollte er sa­ gen, wenn ihr mich für den verheißnen Weltheiland anerken­ net. Diese Erkenntniß kann ja auch, wo sie ist, nicht ganz unfruchtbar bleiben. Denn von dem, welchen man für einen Heilbringer anerkennt, wird man ja auch Heil erwartm. Wenn er Etwas befiehlt, wird man sich bewogen fühlen, es zu thun jn der Hoffnung, daß es wohlchätig seyn würde. Lehrt er, so wird man von ihm lernen; den Weg, den er für den Weg des Heils ausgiebt, wird man gehn wollen. Darin zeigt sich gewiß der Glaube an einen Weltheiland und zwar als Glaube in der Art, daß man diesen Weg gehen will, wenn man auch noch nicht weiß, zu welchem Gute und wie er dazu führt, und daß man sich blos darum dazu entschließt, weil der, welchen man für den von Gott gesandten Heiland erkennt, uns nothwendig zum höchsten Glück führen muß, wenn wir ihm folgen, mögen wir auch nicht wissen, wie und zu welchem Glücke, mögen uns seine Vorschriften auch nicht gefallen. Mit einem bloßen Herr, Herr sagen war Christo ja nicht gedient, Matth. 7, 21. und im Anerkennen Seiner für den Herrn, ohne ihm folgen zu wollen, ist ja Etwas, was sich selbst wi­ derspricht. Selbst die That kann nicht ganz fehlen, wenn Ge­ legenheit und Kraft da ist, und Kraft liegt in dem Glauben an einen Heiland selbst, obgleich so, daß sie anfangs gering seyn kann; doch auch so, daß sie mit der Zeit immer stärker werden muß; denn wer will nicht sein Wohl befördem? Das ist's nun auch vornehmlich, was dem Glauben einen Werth giebt, nämlich: daß der dabei angenommenen Wahrheit

97 gemäß gedacht und gehandelt wird, und von einem andern Glauben weiß auch Paulus nicht.

Er setzt ihn, wie bekannt,

den Werken des Gesetzes entgegen; warum? —

Man meint

gewöhnlich, (denn von denen, die unter den letztem ganz willkührlich nur die Beobachtung des

mosaischen Ceremonialge-

setzes verstehn, glaube ich nicht nöthig zu haben, zu reden) daß es dämm geschehe, weil man das Gesetz Gottes nie vollkommen erfüllen kann, und also entweder, wenn man seine Seligkeit davon erwartet, mit sich selbst zufrieden wird, ohne Ursache dazu

zu

haben,

oder

dann

seine Seligkeit

nicht

erwarten

kann, weil man unruhig wird, keinen rechten Muth, rechte Freudigkeit bekömmt.

Aber

keine

man muß, so wahr das

ist, doch auch hinzudenken, daß man gesetzmäßig legal han­ deln kann, ohne sittlich gut zu handeln, das Gesetz zu beobachten hat,

dem

es

und daß der nur bekannt gemacht ist

und der Gelegenheit hat, es zu erfüllen.

Denn, wenn das

Erstere statt findet, daß man nur legal handelt, wie kann das zur Seligkeit genug seyn?

Und wie kann in den beiden andern

Fällen das Handeln nach dem Gesetze gefordert werden?

Auch

aus diesem Grunde kann das Gesetz nicht alle Menschen zur Seligkeit führen.

Aber der Glaube kann es nach der Lehre

des Apostels, indem dieser allerdings darin besteht, daß man aus Etwas mit Zuversicht hofft, was man nicht sieht, nicht begreift, nicht demonstriren kann und doch wohl gegründet ist auf das Zeugniß, auf die Verheißungen Gottes.

Hebr. 11, 1.

Er wird es, wenn er auf das, was von Jesu damals in der Welt zuerst bekannt gemacht wurde,

angewandt und

dann

dem, was davon mit Zuversicht angenommen wird, so gemäß gehandelt wird, als zu ihrer Zeit ein Abraham und selbst eine Rahab und die

ganze Wolke von Glaubenshelden,

die

der

Apostel Cap. 11. im Briefe an die Hebräer aufführt, dem, 7

98 was zu ihrer Zeit sie mit Zuversicht erwarteten, gemäß zu han­ deln, den Muth und die Kraft gehabt haben.*) Dies ist nun wahrlich eine für die menschliche Moralität höchst wichtige Lehre; denn sittlich gut ist man doch nie durch das, was man thut, allein, wenn es auch dem Gesetz gemäß ist. Der Eine kann davon nicht so viel, als der Andere, der Eine darf nicht einmal immer das, was der Andere thun. Man kann von Niemanden etwas Anderes und Mehreres fordem, als daß er seiner besten Erkenntniß gemäß denkt und handelt. Thut Jemand das nicht, so wird er getadelt und gestraft; kann man Jemanden nicht nachweisen, daß er eine bessere Erkenntniß gehabt habe, als der er gefolgt ist, so ent­ schuldigt man ihn wenigstens und hält ihn für ganz straflos, wenn er die bessere Erkenntniß zu erhalten keine Gelegenheit gehabt hat. Nun ist's gewiß, daß dabei noch große Verbre­ chen begangen werden können. Wenn man z. SS. noch nicht rechte Begriffe vom Eigenthum hat, und sie selbst zu haben keine Gelegenheit hat, so kann man sich erlauben zu stehlen. Aber das wird ja bei der Empfehlung des Glaubens im Chri­ stenthum vorausgesetzt, daß man Gelegenheit hat, von dem Christenthum Etwas zu lernen, was uns zum Glauben und eben damit zur Richtschnur unsers Denkens und Handelns vorgelegt wird; und daß dies solche Wahrheiten sind, durch de­ ren Annahme wir auf richtige Erkenntniß des göttlichen Ge*) ES wird oft übcrschn, worauf hier hingedeutet wird, daß der Ver­ fasser seine Leser nur aufmuntern will in Hinsicht, auf daS,

was

ihnen jetzt vorgetragen und verheißen wird, ein- solche GlaubenSwilligkeit und Glaubenstreue zu beweisen,

als die hier genannten

Personen gegen das bewiesen haben, was ihnen zu ihrer Zeit bekannt gemacht und versprochen war,

daß daher V. 1. nur eine Beschrei­

bung der Gesinnung ist, die man gegen das Christenthum zeigen soll,

oder deS formellen Glaubens, der dabei nöthig ist. —

99 setzes kommen.

Dies aber vorausgesetzt, wird das im vollen

Lichte erscheinen, worauf wir schon früher hinwiesen, daß der­ jenige, der an Christum also glaubt,

daß er dem, was er

durch ihn lernen kann und lernt, gemäß denkt und handelt, gewiß gut gesinnt und rechtschaffen ist und es je länger, je mehr wird.

Dies setzt auch voraus, oder führt zu dem, was

Paulus sagt, daß die, die

ohne Gesetz (d. h. ohne das mo­

saische Gesetz) gesündigt, d. h. wider ihnen anderweitig bekannt gewordene Gesetze sich vergangen haben, auch ohne Gesetz d. i. ohne die Drohungen des mosaischen Gesetzes gekannt zu haben, gestraft werden, Röm. 2, 12.

Denn Jeder wird gestraft, wenn

er seiner bessern Erkenntniß nicht gemäß gehandelt hat.

Zu

der höchsten Stufe der Sittlichkeit können Menschen, die das Gesetz der Freiheit, nach welchem wir als Christen gerichtet werden, nicht kennen, schwerlich gelangen; aber eine so hohe Sittlichkeit wird auch von ihnen nicht gefordert. Luc. 12, 48. Wir können eben dadurch, daß wir Christum kennen, zu der höchsten und

eben damit zu der wahren Seligkeit gelangen,

wenn wir dieser Erkenntniß gemäß denken und handeln, wozu eben auch das gehört, daß wir auch von Christo, der uns zur Weisheit gemacht ist, zu lernen und also die trefflichsten Ge­ legenheiten, die wir zur Vervollkommnung unserer Erkenntnisse haben, auch gewissenhaft zu benutzen suchen.

Denken wir nun

an die Hindernisse wahrer Sittlichkeit bei den Menschen, so .werden wir finden, daß die vornehmsten oder alle schwinden, wenn wir den Glauben an Christum, wie er nun eben be­ schrieben worden ist, in menschlichen Seelen hervorbringen kön­ nen.

In dem Mangel an Erkenntniß, oder im Irrthum liegt

doch gewiß eins; er kann im Christenthum gar nicht vorkom­ men.

In der Gleichgültigkeit gegen Erkenntniß der Wahrheit

liegt ein anderes; sie ist bei dem Glauben nicht möglich. Wenn man Vieles weiß und nicht das Rechte, so leidet die Sittlich7 *

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feit Gefahr; der Glaube weiset uns auf das hin, was uns zur Rechtschaffenheit aufmuntern und stärken muß. Wenn dies gekannt, aber nicht bedacht, vergessen wird, so wirkt es wenig oder gar nicht. Im Glauben an Christum müssen wir die Wahrheit oft betrachten und betrachten sie gerne. Wenn man sich begnügt mit dem Guten, was man an sich hat, strebt man nicht nach größerer Vollkommenheit; man wird nicht bes­ ser und da man sich nicht ganz gleich bleiben kann, wird man schlechter. Der Glaube ist dieser Selbstzufriedenheit entgegen; denn er giebt Muth zum Weiterschreiten, fördert das. Die­ sen Muth bedarf man; sonst thut man Nichts. Auch muß man dazu Mittel gebrauchen. Das hält der Ungläubige für unnöthig; aber im Glauben haben und gebrauchen wir sie. Wenn man mit äußerer Legalität zuftieden ist, wird man nicht sittlich gut; der Glaube ist es nie. Nehmen wir dazu, was oben schon hat gesagt werden müssen, daß alle Unsittlichkeit daraus folgt, daß man nur dem folgt, was uns nach unsern Erfahrungen und Empfindungen gewiß ist, und daß nie wahre Rechtschaffenheit dadurch entsteht, daß wir Achtung für das Gesetz haben, (woran es keinem Menschen fehlen kann, auch dem allerlasterhaftesten nicht) oder daraus, daß wir nach un­ serer Berechnung bestimmte Vortheile von unserm Thun er­ warten, wobei die Tugend Lohnsucht würde; so müssen wir Christum bewundern, der dadurch uns zur wahren sittlichen Vollkom­ menheit führen will, daß er uns nicht nach unsern Erfahrun­ gen, nicht nach unsern Berechnungen und nicht nach unsern Begriffen, doch aber im Glauben an ihn und an den, der ihn gesandt hat, Glück, ewiges Glück und ein so höheres Glück in Zeit und Ewigkeit erwarten läßt, je mehr wir in die­ sem Glauben geheiligt worden sind. Wollen wir noch hinzu­ fügen, daß wir im Glauben an Christum Wohlthaten Gottes annehmen, die uns die Güte Gottes, welche, bei den man-

101

cherlei traurigen Erfahrungen in der Welt, kaum anders, als im Glauben zu erkennen ist, so zu Gemüthe führen, daß in uns Dankbarkeit und Zutrauen zu Gott erweckt und belebt wird; wollen wir erwägen, daß Hoffnung damit verbunden ist, und bedenken, daß Dankbarkeit, Vertrauen und Hosftmng zu Gott die besten Principien zu wahrer Rechtschaffenheit des Herzens und Lebens sind; daß nie das bloße Gesetz allein oder mit den Drohungen verbunden, die Furcht erregen, und mit den Verheißungen verknüpft, deren Bedingung schwer zu er­ füllen scheint, so viel leisten kann, so wird man noch mehr die Vortrefflichkeit des von Christo und seinen Aposteln uns ge, zeigten Weges zu wahrer Gottgefälligkeit anerkennen und bewun­ dern, der in dem Glauben an Christum uns gezeigt wird.— Man kann uns vorwerfen, daß doch die Predigt vom Glau­ ben, als dem zur Seligkeit allein Nothwendigen, gar sehr ge­ schadet hat, weil man dabei nur an das Fürwahrhalten gewisser Lehren, höchstens an das Bekenntniß zu Christo und den fleißi­ gen Gebrauch der christlichen Gnadenmittel gedacht hat. Man kann auch wiederholen, daß Viele dabei das Nachdenken über die Religion und die eigne Prüfung ihrer Lehren für überflüssig gehalten und dadurch Uebel veranlaßt haben. Aber wer kann bei dem, was er lehrt, allem Mißverstand vorbeugen? und daß solcher Schaden nur aus Mißverstand der Lehre vom Glau­ ben entstehen kann, ergiebt sich von selbst, wenn man dabei eben das denkt, was wir. Es kann christliche Lehrer dahin bringen, daß sie nicht sowohl oft sagen, der Glaube sey allein nöthig zur Seligkeit, als vielmehr, daß sie öfter das Einzelne als nothwendig anempfehlen, was bei dem wahren Glauben seyn muß und denselben ausmacht, ja daß sie dies nicht so­ wohl empfehlen, als es hervorzubringen suchen. „Sagt nicht," möchte ich jedem zurufen, „sagt nicht sowohl: der Glaube ist nothwendig, als bemüht euch, es glaubwürdig darzustellen, daß

102

3esuS der höchste Heiland der Welt sey. Sucht die Hinder­ nisse der wahren Heiligung wegzuheben, die im Unglauben und im Aberglauben, in der Unbekanntschast mit Christo, in der Gleichgültigkeit gegen das Christenthum, oder in dem geistli­ chen Stolze u. s. w. liegen, damit der Glaube entstehe. Sagt nicht sowohl, daß er Frucht bringen müsse in guten Werken, sondern predigt das, was dem Christen zum Glauben vorge­ halten wird, so, daß es in allen glaubenswilligen und glau­ benstreuen Menschen gute Gesinnungen und Handlungen her­ vorbringen und befördern muß; predigt die Liebe und den Ernst Gottes, die Gnade Jesu Christi rc. so, daß Dankbarkeit, Zu­ trauen, Demuth, die Quellen aller Tugenden daraus ihren Ursprung und ihre Nahrung erhalten und auch so, daß die Anwendung dieser guten Gesinnungen auf einzelne Fälle des Lebens möglich gemacht und erleichtert wird; so werdet ihr je­ den Mißverstand Eurer Lehre vom Glauben vorbeugen und doch den Glauben so befördern, daß Menschen gebessert und geheiligt werden. Auf Menschen, die gar nicht oder zu zyenig über und in der Religion nachdenken wollen, werdet ihr we­ nig wirken können; aber auch Philosophen, wenn sie nicht glau­ ben wollen, werdet ihr nicht bessern können. Fordert jeden auf, daß er das, was er im Glauben annimmt, durch seinen eignen Verstand — wenigstens von einer gewissen Seite, — als wahr, und für sein Herz als wichtig -zu erkennen suche; sagt ihm, daß er es bei Seite legen könne, wenn er nichts für sich Wichtiges darin erkennt; nur aber es darum nicht ver­ werfen dürfe, weil er noch nichts davon erfahren hat, oder es nicht ganz begreift." Gewiß, hat die Lehre vom Glauben der Sittlichkeit gescha­ det, so ists nur geschehen, wenn man sie nicht recht gekannt, vorgetragen und angewendet hat. Wenn Lehrer sie kennen und im Auge behalten, können sie allen dem entgegen arbei-

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teil, wodurch die wahre christliche Tugend behindert wird, Pre­ digten aber sollen und können das bewirken, woraus sie entsteht. Sie können das selbst nicht, ohne auch die Tugend richtig zu be­ schreiben und zu empfehlen; aber sie thun viel mehr, als das. — Sollte das Manchem noch nicht einleuchtend genug seyn, so wird es aus dem Folgenden noch deutlicher erhellen. Hier haben wir nur noch zur Empfehlung des Glaubens an Chri­ stum zu erinnern, daß die Absicht Christi nicht die Beförderung blos der Tugend, sondern auch und vornehmlich der Seligkeit sey. Biele werden sagen, das wäre Eins, und das ist's auch, in so fern Tugend und Seligkeit zu gleichen Schritten geht; aber nicht so, daß die erstere die zweite allein hervorbringt. Wir wollen zugeben, daß wahre Tugend auch immer eine freudige seyn müsse, aber wir müssen auch bedenken, daß sie, da' alle menschliche unvollkommen bleibt, nicht immer eine solche ist. Ach wie trübe, wie finster ist manche! In diesem Betracht wird es dann schon ein Verdienst Christi seyn und ein Vorzug des Glaubens, daß der letztere eine freudige Tu­ gend hervorbringt. Ware es auch möglich, daß der Mensch blos aus Achtung vor dem Sittengesetz tugendhaft würde, welches, wie wir bemerkt haben, nicht gewöhnlich ist, so fragt sich, ob dabei auch Freude entstehen werde. Wir wollen das nicht ganz leugnen, indem ein Stolz auf eigenen Werth ent­ stehen kann; da dieser aber der wahren Lugend entgegen ist, so kann er nicht in Betrachtung kommen und davon abgesehn, wo ist dann Freude, da Selbstverleugnung dabei nothwendig ist, und diese oft schwer genug wird? Das Verttauen aber, das aus dem Glauben entsteht, bringt Ruhe in die Seele und Hoffnung und giebt daher Muth und Freudigkeit. Dem kann nicht anders seyn und das ist unstreitig demselben sehr hoch anzurechnen. Sonderbar aber ists doch auch gewiß immer, wie schon

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bei einer andern Gelegenbeit bemerkt ist, wenn man bei der Glückseligkeit, die man sucht, Gottes, als des Lenkers unserer Schicksale, vergißt. Das sollte man doch nicht, wenn man es gleich so oft thut, als man von der menschlichen Tugend allein Glück erwartet. Stoicismus und selbst Unvernunft ist es, wenn man vergißt, daß auch die äußeren Umstände zu unserem Glück beitragen müssen, die der Tugendhafte nicht nach seinem Willen herbeiführen kann. Wird das bedacht, wie will man ohne Glauben an Gott Freudigkeit haben? Wie kann man Wohlseyn anders, als im Glauben an den Weltregierer, der das Gute belohnt und das Böse bestraft, erwarten? Von ihm muß man selbst Kraft und Lust zu allem Guten im Glau­ ben hoffen, daher (und auch das ist ein hiebei nicht zu ver­ gessender Vorzug, der aus dem Glauben entstehn wird) zu ihm fleißig darum beten, seinem Segen über all' unser Wissen und Verstehen und der ewigen Glückseligkeit, die wir hier noch nicht kennen und auch dieser, selbst unter von ihm zutreffenden, uns ganz unbekannten, beglückseligenden Einrichtungen, ent­ gegen sehen. Im Glauben hoffen wir auch von der Erfüllung unserer Pflichten das Beste für unsere Mitmenschen, für die ganze Welt, für das Reich Gottes, und auch das verdient dem­ selben hoch angerechnet zu werden, indem dabei die Erwartung von Glück bei der Tugend niemals ganz eigennützig werden kann. Wahrlich, wir wandeln hier im Glauben und nicht im Schauen, und wohl uns, wenn wir von denen find, die da glauben und die Seele erretten!

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VI. Bei betn Glauben, sagten wir vorher, kömmt gar viel auf das an, was sein Gegenstand ist; und im Allgemeinen meine ich gezeigt zu haben, daß der Gedanke, auf welchem er uns hinweiset: Jesus ist unser und der Menschen höchster oder einziger Heiland, der Inbegriff alles dessen ist, was wirklich standhaft und lebendig geglaubt zum höch­ sten und besten Ziele führt. Aber allerdings mußten wir dabei voraussetzen daß man in diesem Glauben, wenn auch nicht sogleich eine .leberzeugung und Erfahrung von der Größe des durch Christum zu erlangenden Guts, so doch bald einige richtige Erkenntniß von der Beschaffenheit desselben und von der Art, wie es erlangt wird, bekömmt, woran es ja bei ihm, da wir die heilige Schrift und die Kirche') haben, nicht fehlen kann. Ich möchte nur auf den einen Umstand aufmerksam machen, daß man vielleicht bei dem Unterricht im Christen­ thum überhaupt und insonderheit bei Heidenbekehrungen eine Zeitlang dabei stehen bleiben könnte, die Hauptbegebenheiten der biblischen Geschichte, besonders aber das Leben Jesu zu erzählen und dabei zu lehren, daß er habe der Heiland der ganzen Welt seyn wollen und wodurch er sich als solchen *) Es beruht gewiß auf «inen Mißverstand, wenn man den Dienst der Kirche hiebei vergißt: denn diese übergicbt uns die heilige Schrift; aber jede Kirche muß sich gefallen lassen, daß man nach der Bibel entweder beurtheilt, ob sie die wahre Kirche sey, «der, indem man voraussetzt, daß sie, wie jede menschliche Gesellschaft, gemeinschaftliche Irrthümer haben kann, nur nach der heikigeu Schrift entscheidet,

ob sie dergleichen habe, wie manche Kirchen-

parthel dergleichen gehabt hat.

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beglaubigt habe, ohne sogleich über die Beschaffenheit und die Bedingungen des durch ihn zu erlangenden Heils sogleich Etwas zu bestimmen. Die christlichen Lehrer, die Miffionarien inson­ derheit, sollten stets einige Zeit damit zubringen, auf das Unglück überhaupt aufmerksam zu machen, unter dem die Menschen um sie her wirklich seufzen, auf die Mängel, auf die Hindernisse ihrer Wohlfahrt, die bald zu bemerken sind, und dann versichern, daß es damit in dem jetzigen Zustande des zu Belehrenden nicht anders seyn könne; aber Mes würde anders und viel besser, ja höchst möglich gut werden, wenn sie nur Christum als ihren Heiland, im unbegrenzten Zutrauen zu ihm, anneh­ men wollten. Wenn Missionare, wie die aus der Brüder­ gemeine zu thun pflegen, sogleich auf das Sündenelend, auf die Unfähigkeit zum ewigen Leben hinweisen, so scheint mir das zu voreilig. Dies setzt erst richtige Erkenntniß des göttlichen Gesetzes voraus, ohne welche eben so gut eine Traurigkeit über etwas Erlaubtes, das gethan ist, als über das wirklich Uner­ laubte entstchen kann; aber auf die natürliche Erkenntniß des Menschen davon kann man sich, nach meiner, im Vorigen schon gemachten Bemerkung, nicht ganz verlassen. Bei Erzählung der biblischen Geschichte kann man sie geben; aber man thut viellÄcht noch besser, wenn man sie erst giebt, wann der Glaube an den Weltheiland geweckt ist und schon so viel gewirkt hat, daß man von ihm lernen will. Die Unruhe über den Dieb­ stahl kann ich mir auch bei den wilden Bölkem nicht groß oder als leicht erregbar vorstellen, und die Hoffnung des ewi­ gen Lebens wirkt vielleicht auch nicht viel; aber nach Verbesse­ rung seines Zustandes verlangt jeden Menschen. Hindernisse der Glückseligkeit wird Jeder in sich und um sich her gewahr; größere Glückseligkeit wünscht Jeder, hofft sie so gar leicht, wenn man sie verspricht. Diese verspreche man also. Ich sage nicht, daß man einzelne irdische Vortheile versprechen soll; denn

107 sie erwarten ist nicht Glaube; aber verheißen kann und muß man den Zubekehrenden, daß es über alle Erwartung besser, daß das Glück überschwänglich groß und auf unbegreifliche Weise, und so, daß sie selbst höchst zufrieden damit seyn wür­ den, ihnen zu Theil werden würde. Ich bin überzeugt, daß Gott noch jetzt Männer, die in diesem Glauben Christum ver­ kündigten, über alle ihre Erwartungen unterstützen und ihre Bemühungen mit überschwänglich gesegnetem Erfolg krönen würde. Hätten sie auf solche Weise auch nur einen kleinen Haufen um sich gesammelt, der nun von Christo durch sie mehr lernen wollte, den Wenigen würde dann allmählig allerdings die wahre Beschaffenheit und die Bedingungen des durch Chri­ stum zu erlangenden Heils nicht nur bekannt gemacht, sondern auch empfohlen und erleichtert werden müssen, und dies müßte hernach, was ich eben jetzt zu zeigen und als einen der zu wenig anerkannten Vorzüge des Christenthums darzustellen gedenke, so geschehn, daß man das Heil, das durch Christum zu erlangen steht, in der Vergebung der Sünden bei Gott und in nichts Anderem setzte. Die Apostel konnten ihre Verkündigung von Jesu, nach­ dem seine Geschichte bekannt war, sogleich damit anfangen (nach Apostelgesch. 10, 43.): Von diesem zeugen alle Propheten, daß durch seinen Namen Alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen! Denn Gott war denen bekannt, zu welchem sie sprachen, so wie, was Sünde sey, und Vergebung der Sünde war ihnen etwas Erwünschtes. Daß sie die Propheten kannten, und, wenn sie überzeugt wurden, daß dadurch, daß durch Christum Vergebung der Sünden zu erlangen stehe, ihre Weissagungen erfüllt seyn, so trug auch dies dazu bei, diese Belehrung wichtig zu machen. Aber bei andern Zuhörern, die solche Vorkenntnisse nicht haben, werden doch diese erst mit-

108 getheilt werden müssen.

Sie liegen zwar immer schon einiger­

maßen in der Verkündigung, daß Gott Jesum zum Heiland der Menschen verordnet habe.

Denn dabei ist ja zuerst

von

Gott, dann von dem Unglück der Menschen ohne Christum die Rede; wie konnte man doch von Beidem sprechen,

ohne bald

auch von Sünde und Sttafen der Sünde zu belehren? können daher,

ja wir müssen,

Wir

wenn wir auch auf eine kurze

Zeit und zuweilen diese Gedanken in

einiger Dunkelheit lassen

und durch Christum nur überhaupt Wohlseyn versprechen, doch auch bald auseinandersetzen,

daß er uns alle Glückseligkeit in

der Vergebung unserer Sünden bei Gott verheißt und mittheilt. Würde das unterbleiben,

so würde

Denkart und Seligkeit entstehn.

nie die rechte

christliche

Wird aber der Glaube der

Christen darauf hingewiesen, so wird jene gewiß befördert. Dies wünsche ich nun darzuthun, und ich muß vorläufig die Bemerkung machen oder wiederholen, der Zweck Jesu Christi sicher besser,

wie schon

dadurch

als in anderer Art beför­

dert wird, daß die ganze Religionslehre immer nur in Einem Satze vorgetragen und dieser ;e länger je mehr entwickelt wird. Denn so gehts in der Grundlehre des Christenthums: ist der Heiland der Welt. sten

zu glauben haben,

Darin liegt Alles, was Chri­

wenn sie nur

Er wird entwickelt in den:

Jesus

Jesum recht kennen.

Jesus ist dadurch der Welthei­

land, daß er Macht und Geneigtheit hat die Sünden zu

vergeben.

In

diesem Satze

liegt

Christenthum, wenn er richtig gefaßt wird. weiter entwickelt werden und zwar so,

wieder

das ganze

Auch er muß zwar

daß alles, was hernach

in der Religionslehre noch vorgettagen wird, dient, ihn auf die

rechte Weise

aber,

und mit voller

wenn wir erwägen,

Kraft wirksam zu machen;

worauf schon einmal hingewiesen

ist, daß man, wenn man Jrtthümer in der Religion verhüten will, stets das, was man vorträgt, so sich denken muß, daß es

109 das Ganze umfaßt oder doch mit demselben übereinstimmt, ja daß man nicht füglich

von andern Belehrungen einen Theil

des zu Lernenden nach

dem andern vortragen kann, so würde

man sich freuen, daß wir als Christen den Gedanken: Jesus ist der Heiland der Welt, der unsre ganze Religion um­ faßt, bald näher und so erweitert finden,

daß er immer noch

ganz derselbe bleibt, weil eben das höchste Heil der Menschen in Vergebung der Sünde besteht Luc. 1, 17., aber doch von einer Seite dargestellt wird,

von welcher er fruchtbarer und

heilsamer werden kann und soll.

Leicht ist doch auch einzusehen,

daß ein Lehrer nur dadurch zur Beförderung wahrer Religiosi­ tät beitragen kann,

wenn er die Religionslehren so vorträgt,

daß bei ihren einzelnen Sätzen stets das Ganze gedacht werden kann.

Denn wie ist es,

z. E. die, will?

wenn

er auch eine einzelne Lehre

daß Gott allwissend sey,

recht fruchtbar machen

Es muß doch dabei gedacht werden, daß Gott heilig,

auch gnädig sey, sich um die Menschen bekümmere, sie richte und richten werde, sie zu großen Dingen bestimmt habe. Dies und wie viel Anderes noch mehr muß recht erkannt werden, wenn der rechte Eindruck gemacht werden soll. können doch nicht in jedem Moment, religiösen Princip

Ueberhaupt alle

in welchem nach einem

gehandelt werden soll, dem Gemüthe aber

einzelne Religionslehren vorschweben, und, wenn es unzählig viele giebt, die, richtig verstanden und in vollkommener Wahr­ heit gedacht, hierin treffliche Dienste leisten können, wie z. B. die Maxime: wider

den

Wie sollt' ich ein so großes Uebel thun, und

Herrn, meinen Gott sündigen!

Christenthum hohe Bewunderung,

so verdient

das

daß es uns solche aufstellt,

die in wenigen Worten das Ganze umfassen, besonders, wenn sie auch, (da sie fast nie das Rechte wirken können) erfreulich und so beschaffen sind,

daß sie wirklich recht erkannt,

rechte Wirkung nicht bleiben können.

ohne

110 Ob dazu aber die Lehre, daß und wie wir in Christo Ver­ gebung der Sünden bei Gott erhalten, gehöre, muß jetzt untersucht werden. Luther war gewiß dieser Meinung, wenn er sagte: WoVergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit, und als den allumfassenden Gegenstand des Glaubens die Lehre ansah, daß uns in Christo alle Sünden ver­ geben seyen. Auch des Apostels Paulus Anwendung des Davidi­ schen Ausspruchs: Wohl dem Menschen, dem die Missethat ver­ geben und die Sünde bedeckt ist Röm. 4, 6 — 8. kann nur bei solcher Vorstellung recht verstanden werden. Wir müssen aber, tim dies zeigen zu können, daran erinnern, was Vergebung der Sünden bei Gott sey, welches auch darum um so wichtiger ist, weil dieser Begriff gar zu oft mehr, als gut ist, im Dunkeln gelassen, selbst oft so verstanden wird, daß er im Verhältniß des Menschen mit Gott gar nicht Statt finden kann. Es mag zwar nicht nützlich seyn, wenn er so deutlich gemacht wird, daß gar nichts Anthropopatisches dabei mehr übrig bleibt; denn dadurch würde er alle seine Wirksamkeit bei den Menschen verlieren. Aber von Jrrthümem oder halb wahren Vorstellungen, die dabei sich einschleichen können, muß man ihn doch reinigen und dafür sorgen, daß Nichts als Wahres und Heilsames dabei gedacht werde. Dem zufolge wollen wir selbst nicht eine ganz philosophische Erklärung dieser Gnadenwohlthat geben, müssen aber doch im Allgemeinen an das erinnem, was uns dadurch gegeben wird. Ehe das aber geschieht, wollen wir noch im Allgemeinen darauf Hinweisen, daß es leicht als etwas höchst Erfreuliches und als etwas Erreichbares dargestellt werden kann; denn Vergebung ist Etwas, was keinem gleichgültig seyn kann, Etwas, dessen Erwartung jedem Freude machen muß, der nur dahin gebracht werden kann, daß er ihrer zu bedürfen glaubt, und dahin braucht also nur das Bemühen gerichtet zu seyn, dies Bedürfniß zu wecken

111 und zu beleben. Wird dann gesagt, Christus hat Alles gethan, um die Vergebung uns zu verschaffen, so sehn wir ja, daß wir sie leicht erhalten können, und das muß uns aufmuntern. Das Christenthum will nicht durch Furcht, es will durch Freude und Hoffnung wirken. Wohl uns daher, daß es uns zuruft: Sey getrost, dir sind deine Sünden vergeben! Des Menschen Sohn hat Macht und Geneigtheit Sünden zu vergeben! Um aber näher anzuzeigen, was göttliche Sündenvergebung sey, erinnern wir daran, daß in ihr eine göttliche Aufhebung der Strafen der Sünde gedacht werden müsse. Es ist hier nicht zu fragen, wie eine solche möglich sey; Theologen sagen; die Strafe fallt weg oder hört auf Strafe zu seyn, wird Wohlthat und kann und soll als Wohlthat erkannt werden. Dies muß im Glauben angenommen werden. Denn was wäre das für eine Vergebung, wenn die Strafe fortdauerte? Wird jene, so wird die Aufhebung dieser versprochen. Sie unvollkommen, nur zum Theil von Gott erwarten, wie könnte man das von dem Geber aller guten und vollkommenen Gabe? Man denkt zu oft nur an die Befreiung von den Strafen der zukünftigen Welt dabei; aber in der heiligen Schrift ist dazu gar kein Anlaß. Nach ihr wird man schon hier dadurch glücklich, daß Einem die Sünden von Gott vergeben sind. Einige haben wohl gar nur von der Auf­ hebung der Übeln Folgen der Erbsünde geredet, die durch Chri­ stum Allen versprochen und bewirkt worden seyn soll; aber sonder­ bar genug! Andre haben die durch -Christum gestiftete Vergebung nur auf die vor der Bekehrung, noch Andre gar nur auf die durch Juden und Heiden zur Zeit der Apostel begangenen Sün­ den einschränken wollen; aber es wäre leicht zu zeigen, daß dazu kein Anlaß im neuen Testament sey, wenn dies nöthig wäre. Im Folgenden wird Gelegenheit seyn, hierüber die Begriffe zu berichtigen. Genug es muß geglaubt werden, daß durch Chri­ stum eine Anstalt zur völligen-Aufhebung der göttlichen Strafen

112 der Sünde gestiftet worden ist, wenn wir Bergebung der Sün­ den bei Gott erwarten; und so paradox das klingen mag, so ge­ traue ich mir doch darthun zu können, daß die wirksame Annahme einer solchen Anstalt etwas ungemein Vortreffliches und dem Chri­ stenthum eben darum es hoch anzurechnen ist, daß es sich als eine solche uns darbietet, da es das so thut, wie es Gottgeziemend und für die Menschen beseligend ist. — Darauf noch hinzuweisen, daß nicht nur die Vergebung der Sünden versichert, sondern auch ertheilt wird, ist wohl unnöthig, da wir überhaupt schon das Christenthum nicht als bloße Lehre, sondern als Anstalt haben betrachtet wissen wollen, und da das, was versichert wird, doch auch muß gegeben wer­ den, wenn die Versicherung wahr seyn soll, und es ja nichts hülfe, wenn die Aufhebung der Strafen versichert würde, ehe sie erfolgt wäre. Wenn man blos an die Strafen der künfti­ gen Welt denkt, kann man wohl so sprechen; aber das ist, wie schon gesagt, nicht der Bibel gemäß. — Man kann indessen die göttliche Sündenvergebung auch noch anders beschreiben, nämlich: daß damit die göttliche Gnade gegeben wird, in so fern diese noch nicht alle Menschen haben und so fern man sie durch die Sünde verscherzt hat. Diese muß im Glauben an Gott für die höchste Wohlthat, die den Menschen zu Theil werden kann, ja für Etwas angesehen wer­ den, ohne welches man nicht glücklich seyn kann, wo­ durch man aber höchst glücklich wird. Man kann zwar in einem gewissen Sinne sagen, daß Gott allen Menschen Gnade erweise, so fern er ihnen asten ohne und über Verdienst wohlthut; aber stets hat man geglaubt, daß man sich das Mißfallen, die Ungnade Gottes zuziehen könne, daß Gott zwar allen Menschen die Liebe des Wohlwollens, aber nicht allen, wie sie in jedem Moment sind, die Liebe des Wohlgefallens beweise; und wenn alle Menschen von



113

Gott einige Wohlthaten unverdient erhalten, so theilt er doch nur einigen, welche seine Kinder, auch seine Freunde genannt werden, die höchsten mit. In den Zeiten Jestr hat­ ten die Israeliten die Meinung (die sie, wenn sie ihrem Sy­ stem nach immer noch einen Messias erwarten, auch noch haben müssen), daß Gott denen, an welchen er sein Wohlgefal­ len habe, auch vorzügliche Wohlthaten im Irdischen zufließen lassen müsse. Dies ist nun nicht christliche Lehre, wie man sie auch durch Nichts, am wenigsten durch die Erfahrung, beweisen kann. Aber auf der andern Seite hat man auch gar nicht nö­ thig, die Wohlthaten der göttlichen Gnade einzig in dem Leben nach dem Tode zu erwarten, selbst nicht in dem ewigen Leben, so fern man nach Johannes die innere Glückseligkeit als einen Ansang davon mit hinzu nimmt. Denn nie können, oder warum sollen wir das einschränken, was Gott in seiner Gnade seinen Kindern Gutes giebt? Sie müssen denken: der Herr ist mein Hirt, mir wird nichts mangeln, Gutes und Barmherzigkeit wer­ den mir folgen mein Leben lang rc. Pf. 23, 1 — 6. Die Ver­ leihung der sogenannten Gnadenmittel, wenn sie recht gebraucht werden, und den rechten Nutzen haben, wird jeder als Wirkung der göttlichen Gnade bettachten, da man sie selbst schon ohne die­ sen rechten Gebrauch dahin rechnet; aber eben sowohl werden alle Führungen Gottes mit seinen Kindern durch dies Leben aus derselben hergeleitet und es wird nicht nur angenommen werden müssen, daß diese gewiß so eingerichtet sind, daß sie ihnen zum Besten dienen, Störn. 8, 28., sondern auch, daß Gott sie wird für sie erfteulich seyn lassen, wenn nicht Leiden noch für sie zu ihrer Läuterung und Seligkeit nöthig oder ihnen heilsam sind. So muß man von der göttlichen Gnade der Sündenvergebung das höchst mögliche Glück der Menschen in Zeit und Ewigkett erwarten, nur daß man nicht bestimmen will, welche irdische Wohlthaten sie ertheilen müsse, ob z. B. langes Leben, und

8

114 daß man diese nie als das letzte Ziel, nie als die höchsten und nie als nothwendig damit verbunden bettachte. — Auf diese Weise kann ich es mir nur allein erklären, wie ich wohl im Vorbeigehen bemerken kann, warum unser Herr nie­ mals geradezu widersprach, wenn man ihn für einen weltlichen Heiland hielt. Er wollte ja auch das seyn, nur in der rechten Art, und nur in der nicht, nach welcher die Juden ihn als sol­ chen wollten. Sein Tod und seine Auferstehung mußten die, welche an ihn glaubten, bald eines Bessern und davon belehren, daß die innere und ewige Glückseligkeit vor allen Dingen ge­ sucht werben müsse und durch ihn zu erlangen sey, dann aber auch die zeitliche wahre für jeden einzelnen Menschen und für das Zusammenleben der Menschen erfolgen werde. Aber wie geht daraus die Vortrefflichkeit der Verkündigung der durch ihn zu erhaltenden Vergebung der Sünden bei Gott hervor? — Man wird das leugnen, vielleicht nicht begreifen, wird wie­ derholen, was man unzählige Male gesagt hat, daß es an­ stößig, gefährlich sey, dem Menschen, ungeachtet seiner Sün­ den, das göttliche Wohlgefallen, die höchsten göttlichen -Wohl­ thaten durch Christum zu versichern. SBenn ich hinzusetze, was ich, wie das Folgende zeigen wird und jeder evangelische Dog­ matiker mir zugeben sollte, kann, daß diese Versicherung, und also der Rathschluß Gottes darüber, als der Besserung vor­ hergehend gedacht werden muß, so wird der Anstoß noch ver­ größert werden. Wir wollen uns aber darum für jetzt noch nicht kümmem, sondern, ohne darauf zu achten, zuerst das Treffliche auseinandersetzen, was unbezweifelt darin liegt, wenn geglaubt werden soll und muß, durch Jesum sey eine göttliche Sündenvergebung (nach der bis jetzt davon gegebenen Erklä­ rung) gestiftet, und wenn das geschehn ist, wollen wir schn, ob nicht aller Anstoß an dieser Lehre in Bewunderung dersel­ ben sich verwandeln kann und wird. —

115

Man glaubt dabei, wie gesagt, die Strafen der Sünde werden aufgehoben. Wie nun, wenn man in der Meinung steht, alle vermeidlichen Leiden seyen Strafen der Sünde t Diese Meinung hatten die Juden und auch die Heiden, wie bekannt. Ihnen die Aushebung der göttlichen Strafen verkün­ digen, hieß daher: ihnen Befreiung von allen vermeidlichen Leiden versprechen, und ist das bei uns anders? Einige Lei­ den, z. E. daß wir sterben müssen, sind in den Gesetzen der Natur, wie wir sie kennen, gegründet; von diesen begehren wir sogleich nicht frei, sondern nur in ihnen getröstet und über sie erhoben zu werden. Auch können wir nicht befreit von denen zu werden verlangen, die wir nur durch unrechtmäßige Mittel wegschaffen können. Nur von denen dürfen wir daher Befreiung wünschen, die Folgen menschlicher Sünden sind, und dazu Hoffnung zu haben, ist doch wohl immer etwas Großes. Wir hoffen sie in der Vergebung der Sünde je län­ ger, je mehr noch hier auf Erden, wir hoffen sie ganz in der zukünftigen Welt erfüllt zu sehn. Das wird ja Alles umfas­ sen, was zu wünschen ist. — Oder die Sache von der andern Seite betrachtet, bei der Vergebung der Sünden wird das höchste Gut, die höchste Glückseligkeit in der Gnade Gottes verheißen. Der Anfang davon soll sogleich mitgetheilt werden und so, daß die Vollen­ dung zu erwarten ist. — Zeitliches Wohlergehen, welches die Juden vornehmlich erwarteten, ist, wie wir gesehn haben, davon gar nicht ausge­ schlossen, und am wenigsten schloß es der damalige Jude aus, wenn ihm Vergebung versprochen ward und er sich derselben getröstete. Ja, keiner der damaligen Menschen schloß es aus; denn alle leiteten das irdische Unglück von der Ungnade der himmlischen Mächte her und erwarteten von der Gnade ihrer Götter das Gegentheil. In so fern war es also immer trefflich; 8 ’

116 rs wird ja aber auch gut seyn, das zeitliche Wohlergehen nicht auszuschließen, da wir Menschen doch immer darnach verlangen, und es doch auch immer in Verbindung mit dem innern Glück stehn muß. Kein bestimmtes irdisches Gut, z. SB. nicht Herr­ schaft der Juden, über die Römer, wird versprochen, sondern nur die Gnade Gottes, der überlassen werden muß, wie sie ihren Freunden wohl thun wolle und werde. — Aber ohne innere Seelenruhe und Freudigkeit und Antheil an ewiger Seligkeit (da die letztere doch geglaubt ward) konnte die Ver­ heißung doch auch nie gedacht werden. In so fern war sie also auch höchst wohlthätig und muß es zu jeder Zeit seyn. Denken wir nun daran, daß den Menschen, ehe sie zum Christenthum kommen, die geistlichen und ewigen Güter noch we­ nig werth sind, daß sie den Juden und Heiden in der Apo­ stel Zeit wenig werth waren, Alles aber die Gnade Gottes, die Befreiung von göttlichen Strafen wünschen muß, wenn man auch nur an das Irdische denkt, so können wir nicht verken­ nen, daß, indem den Menschen Vergebung der Sünden ver­ sprochen wird, sie eine Verheißung erhalten, die sie reizt, die sie aber immer doch etwas, da sie an Gott dabei denken, über die Erde erhebt, und ein Mittel werden kann, sie höher und bis zum Heiligen, bis zum Ewigen zu erheben, ja, die sie wirklich schon etwas über alles Zeitliche erhebt, wenn sie dabei auch Sttafen in der zukünftigen Welt gefürchtet haben. Wir müssen hinzunehmen, daß man vor den Zeiten Christi die Religion und Alles in ihr überall und von jeher als Mittel zur Versöhnung mit Gott, als Mittel der Vergebung der Sünden ansah, wie jedem Kenner der Religionsgeschichte be­ kannt ist. Alle Religionsgebräuche hatten vornehmlich diese Absicht; daher ists auch, um nur dies Einzige beiläufig anzu­ führen, zu erklären, wie Johannes in seinem ersten Brief (5, 6.) mit Hinweisung auf das, was er im Evangelio (19, 34. 35.)

— 117 erzählt hat, wenn er beweisen will, daß Jesus der wahre Messias sey, darauf einen so hohen Werth legt, daß er ge­ kommen sey mit Wasier und Blut. Denn Wasser und Blut waren in der mosaischen Religion die gewöhnlichen Mittel, die angewandt wurden, wenn man von Sünden gereinigt werden, b. h. Vergebung der Sünden erhalten wollte, 3. Mos. 15, 1. ff. Hebr. 9, 22., und da das Vornehmste davon Blut war, und Jesus sein Blut vergossen hatte zur Vergebung der Sünde, setzt Johannes hinzu: Nicht mit Wasser allein, sondern mit Wasser und Blut, muß aber allerdings, als ein wahrer Jünger Jesu, der weiß, daß äußere Dinge nie den Menschen innerlich reinigen, noch hinzusetzen: „der Geistder uns Jesum Christum recht kennen lehtt, bezeugt eben das, daß er die eigentlichen Mittel zur Reinigung von Sünden giebt, und Geist ist Wahrheit: Auch muß. alles dies auf das Innere angewandt werden." Ob man diese Erklärung annehmen wird, weiß ich nicht: aber bestreiten wird man so wenig, daß alle Religionen Mittel zur Versöhnung mit Gott seyn sollten, als, daß Jesus diese in Vergebung der Sünden hat stiften wollen. Oder muß ich auch noch den Begriff der Versöhnung erklären, nachdem er einmal vorgekommen ist? Viele haben in neuerer Zeit gar sehr darauf gedrungen, daß nicht gesagt werden soll, Gott sey mit der Welt, sondern die Welt sey mit Gott versöhnt. Aber auch die erstere Redensart kömmt vor, wenigstens im alten Testamente, z. E. Mich. 6, 6. 2. Sam. 21, 14., und von großer Bedeutung scheint mir diese Unterscheidung nicht; denn es. versteht sich von selbst, daß in Gott keine Veränderung hat bewirkt werden können, sondern nur im Verhältniß der Men­ schen mit Gott und daß alle dazu nöthige Veränderung nur in dem Menschen selbst seyn kann, sey es, daß sie nur als möglich, oder als wirklich gedacht wird, wo dann im erstem



118



Fall gesagt werden kann, die Versöhnung sey für alle, im letz-, lern, sie sey nur für einige gestiftet. Wird dahei Gott als Feind der Menschen betrachtet, so geschieht es nicht, weil er es war, sondern weil sie ihn als solchen ansahen, nicht gern an ihn dachten, seinen Vorschriften entweder gar nicht, oder vur mit Widerwillen gehorchten, Mißwauen gegen ihn hatten oder doch ©trafen, die sie ungern auf sich nehmen wollten, von ihm befürchteten, oder auch, weil der Heilige ihre Gesin­ nung nicht mit Wohlgefallen bewachten konnte (aus Liebe zu ihnen), und er wird nun oder kann werden, von Allem das Gegentheil, ihr Freund, wie sie aus Feinden Gottes, die sei­ nen bekannten Absichten entgegenhandeln wollten, seine Freunde und Kinder werden, die mit Freuden ihm dienen. Der Begriff ist daher ganz mit Vergebung der Sünde einerlei. Da­ durch aber, daß Jesus verkündigt wird als der, welcher diese Wohlthat mittheilt, wird das, was er stiften wollte, Religions­ anstalt nach den damaligen Begriffen der Völker, die eben in ihren Religionen Versöhnung mit Gott suchten. Denn dadurch erkannten Juden und Heiden, wenn sie Jesum für den Hei­ land der Welt annahmen, daß sie in ihren bisherigen Religionsgebräuchen keine Mittel zur Erhaltung der Sündenverge­ bung bei Gott mehr finden konnten, so daß sie sich zu Christo bekennen, sich taufen lassen und im Abendmahl sich seines To­ des, als eines Mittels zur Vergebung der Sünden, gewösten mußten, um so durch Wasser und Blut vermittelst des Geistes von Sünden gereinigt und mit Gott versöhnt zu werden. Wie auf andere Weise durch Christum eine besondere Religionsverfassung hatte gestiftet werden können, ist, wenn man sich die Geschichte so vorstellt, wie sie erzählt wird, und an die damaligen Volksvorstellungen von Religion denkt, kaum zu erklären; aber eben das, daß auf solche Weise die christliche

119

Kirche hat gestiftet werden können, verdient wohl immer, wie mit Dank, so mit Bewunderung betrachtet zu werden. — Außerdem muß aber doch auch besonders erwogen werden, daß auf diese Weise die Verheißung des durch Christum zu erwar­ tenden Heils mit dem sittlichen Zustande derer, die sie annah­ men, in Verbindung gesetzt wurde. Sie mußten sich für Sün­ der erkennen, die Sünde hassen, Sttafen der Sünde von Gott befürchten, alle Wohlthaten, die ihnen durch den Heiland zu Theil werden sollen, als unverdient betrachten, das heißt: sie mußten demüthig werden. Das ist gewiß vorttefflicher, als Viele es gelten lassen wollen und wird es immer seyn! — Bekannt ist, darf aber hier nicht unberührt bleiben', daß Juden wohl die Heiden Sünder nannten, sich aber nicht, wenn sie das mosaische Gesetz beobachteten, oder, falls sie es übertre­ ten hatten, sich nach den Vorschriften desselben reinigten. Solche Juden mußten von dem Heil ausgeschlossen werden, wenn es als Vergebung der Sünde angeboten wurde; denn sie glaubten so Etwas gar nicht nöthig zu haben, oder schon zu besitzen. Hier­ über mußten sie anderes Sinnes werden, sie mußten Buse thun, sich', auch bei noch so sorgfältiger Beobachtung des Gese­ tzes, also wegen Ueberttetung des Moralgesetzes als Sünder er­ kennen und dies mit Traurigkeit empfinden, deshalb ©träfe be­ fürchten, sonst war ihnen durch den Messias, der nur zur Sün­ denvergebung führen sollte, nicht zu helfen. Aber zugestan­ den und bekannt ist ja auch, daß die Juden, so viel sie auch auf ihre Gesetze und deren Beobachtung hatten mochten, selbst, wenn sie die pharisäische Strenge übten, sehr verderbt in ihren Gesinnungen und Sitten waren. Die Heiden waren es auch; das wird Niemand leugnen. Aus dem sittlichen Verderben folgt überwiegendes Elend; bei demselben ist wahre Glückseligkeit nicht möglich. Das Elend, die Sttafen der Sünde mußten erst aufgehoben d. i. die Sünden mußttn erst vergeben werden,

120



ehe irgend ein wahrhaftes Heil geschenkt werden konnte. Wer muß es nicht vortrefflich finden, daß dies dem Glauben darge­ stellt und Vergebung der Sünden verheißen wurde? Was Gott forderte, wird dabei recht erkannt, wie die wahre Ursache alles menschlichen Verderbens und die Aufhebung desselben; ja die Ertheilung der höchsten Glückseligkeit ward versprochen. Ist es aber jetzt anders? Es ist gar nicht einmal nöthig, die Erbsünde anzunehmen, die Allen anklebt. Wenn man sie annimmt, so ist das immer das Wenigste, worüber wir zu klagen haben. Menschen, die eine Zeitlang ohne wahre Reli­ gion leben, sind Sünder; ja, wir bleiben es, wenn wir auch wahre Religion haben, mehr oder weniger, so lange wir noch auf Erden sind, müssen das anerkennen, wenn wir Hülfe bei Christo suchen und sie fortgesetzt benutzen wollen. Aber wenn wir das anerkennen, müssen wir nicht Gottes Mißfallen, Got­ tes Strafe befürchtend Es kömmt wenigstens dabei nichts Gu­ tes heraus, wenn man dabei gleichgültig ist und meint, da­ mit habe es nichts zu sagen, und nicht Gottes Mißfallen scheut und seine Strafe fürchtet. Ja, haben wir nicht, in so fern wir Sünder sind, schon jenes uns zugezogen, und leiden diese? Was kann uns doch erwünschter, was wird uns nöthiger seyn, als Vergebung? Ohne sie ist uns gar nicht zu helfen, das müssen wir anerkennen. Sie muß uns, wenn uns geholfen werden soll, vor allen Dingen dargereicht werden. Man kann das vergessen, unbeachtet lassen, wie man oft thut; aber wahr bleibt es und nöthig zu erkennen, wenn man nicht geistlich stolz oder fleischlich sicher werden, ja wenn man bei Christo Hülfe zu suchen anfangen und nie aufhören und Heil bei ihm finden will. Darum wollen wir ihn ja segnen, durch welchen wir die Erlösung haben, die in Vergebung der Bünden besteht. Doch Sündenvergebung verheißen, anbieten und schenken, kann allerdings etwas Schlechtes, Gefährliches und Nachtheil!?

121 ges seyn. Darum hat man eben zuweilen einen Anstoß daran gefunden, und diesen Anstoß müssen wir nun, nachdem wir die Lichtseite dieser Lehre gezeigt haben, zu heben uns bemühn. Dies wird aber dadurch geschehn, wenn wir wissen und erwä­ gen, wie durch Christum Vergebung der Sünden verkündigt und ertheilt wird. Daß auf bessere Weise, wie in jeder frü­ hern oder andern Religionsverfassung, wird man im Allgemei­ nen zugeben; aber dies ist nicht genug. Wir müssen darüber gründlicher sprechen. Man begnügt sich heutiges Tags damit, den Vorzug des Christenthums darin zu setzen, daß es Vergebung der Sünden nur verheißt und ertheilt, wenn man sich bessere, ohne das nicht; aber dabei auch gewiß und ohne daß sonst Etwas von unserer Seite nöthig wäre. Aber dabei verdient Zweierlei in Be­ trachtung gezogen zu werden. Einmal war das nicht die Meinung derjenigen Menschen, denen zuerst das Christenthum gegeben werden mußte, daß bloße Besserung die Vergebung der Sünde» verschaffe. Sie suchten sie wohl ohne sie, und wenn dies gleich sehr falsch und nachtheilig war, so mußte doch um so mehr auf ihre Vorstellungen Rücksicht genommen wer­ den, als doch auch diese Lehre vielen Mißbräuchen ausgesetzt ist, indem man meinen kann, Sündigen schade Nichts, wenn man sich nur bessere, welches doch ein abscheulicher Wahn ist. Dann aber ists auch besonders nöthig oder doch gewiß vor­ trefflich, wenn die Besserung nicht blos zur Bedingung gemacht, sondern auch bewirkt wird. Man hat vor Christo in der ganzen bekannten Welt Opfer und Reinigungen für nöthig gehalten; um ihretwillen ward, wie wir gesagt haben, besonders die Religion für nöthig gehal­ ten. Dies waren immer in gewisser Rücksicht Strafen, indem der, welcher sich vergangen hatte, Etwas von seinem Vermögen aufopferte und hergab, oder etwas Beschwerliches, was er sonst

122

nicht würde gethan haben, that, um einen Nachtheil von sei­ nem Vergehn zu heben und dasselbe wieder gut zu machen. Dadurch konnte also eine Ermunterung, nicht mehr sich also zü vergehn, erweckt werden. Außerdem waren es symboli­ sche Handlungen, bei welchen man dachte, es sey nicht genug, künftig sich vor dem Fehler zu hüten, dessen man eingedenk war, sondem man müsse auch einen Nachtheil von dem began­ genen haben, auch wenn Thiere geschlachtet wurden, ein ähnliches Schicksal habe man als Strafe verdient; die Gottheit sey belei­ digt gewesen, nach dem Opfer aber wieder versöhnt. Unvollkommm, sehr unvollkommen, falsch sogar muß man solche Vorstellungen nennen. Auf keinen Fall konnten Vergehungen dadurch gut gemacht werden. Die Priesterschaft unterhielt solche Meinung. Eigentlich konnte dadurch, selbst bei den Israeliten, nur, wie der Verfasser des Briefs an die Hebräer sagt, eine äußere Reinigung gewonnen werden, das heißt: dem, der geopfert hatte, durfte man keine Vorwürfe mehr über seine Vergehungen machen, er wird nicht weiter mit äußerlichen Strafen belegt; man durfte wieder mit ihm umgehn; er durfte wieder den Tempel betteten; aber das Gewissen konnte damit nicht von den todten Werken gereinigt, (Hebr. 9, 14.) dies mußte durch Veränderungen im Innern des Gemüths bewirkt werden. Denn es war ein falscher Wahn, daß Gott um des Opfers willen dem Opfernden sein Wohlgefallen schenke, und es war selbst ein schädlicher, indem er Anlaß gab, die Sünden nicht zu scheuen, wenn man etwa nur geneigt war, das Opfer zu bringen, oder die Reinigung vorzunehmen, und man also meinen konnte, gleichsam das Recht zur Wahl des einen oder des ««betn zu haben, wodurch wahre Sittlichkeit immer und schrecklich gefährdet wird. Opfer, besonders blutige, würden überhaupt zu der neuem, weiter fortschreitenden Menschenbildung z. E. unserer jetzigen,

sich nicht mehr

geschickt

haben.

Darum ist's wohl sehr zu

preisen, daß das Evangelium eine Sündenvergebung ohne alle Opfer ankündigt, und in dieser Hinsicht ganz umsonst. Aber

das

mußte nicht nur gelehrt,

solche

Ceremonien

mußten abgeschafft werden und nicht durch äußere Einrichtun­ gen

ohne

Aenderung der Meinungen,

sondern

durch

diese.

Mußte es aber nicht schwer halten, einen so lange hergebrachten Ueinigungs- und Opferdienst abzuschaffen,

die Welt zu über­

zeugen, daß er unnöthig, daß er schädlich sey? Wir stellen uns das heutiges Tages nicht also vor;

aber die Juden, um nur

von diesen und nicht von den Heiden zu reden, glaubten, durch Mosen habe Gott selbst einen solchen Dienst anbefohlen. gesagt,

das mosaische Gesetz sey nicht von Gott,

schwer gehalten haben,

so würde es

diese Ueberzeugung zu geben.

Heiland und die Apostel hatten sie auch selbst nicht. ward daher auch Christus,

nirgends

lehrte Paulus,

gelehrt.

Gal. 3, 24.

Wäre

Unser Dies

Des Gesetzes Ende ist

25,

%bet wenn das

mosaische Gesetz als von Gott gegeben, angesehen wurde,

so

mußte auch eine Thatsache dargestellt werden, aus welcher erhellte, daß Gott das Gesetz aufgehoben habe, wie man das Gesetz für von Gott in einer äußern Thatsache gegeben erkannte. solche fand man nun in dem Kreuzestod Christi. hier Jesum,

den Sohn

Gottes,

höchste Wohlgefallen hatte, Strafe leiden,

die

Eine

Man sahe

an welchem der Vater das schwerste

und

schmachvollste

die das Gesetz über Jemanden verhängte und

lernte also, daß man die empfindlichsten Strafen des Gesetzes, den großen Bann und Alles, was das Gesetz seinen Uebertretern drohte, ausstehn und doch bei Gott in hohen Gnaden seyn könne, wie Christus, daß die Oberpriester mit allen ihren Dro­ hungen und ihrer

Macht nicht also zu fürchten seyen, daß,

wenn sie straften, auch Gott strafe, ja selbst,

daß ihre Dro­

hungen und Sttafen zu verachten seyen, wenn man wie Jesus

124 gesinnt wäre, Gal. 3,13. (Sol. 2, 14.15. So ward gezeigt, daß das mosaische Gesetz nicht mehr beobachtet zu werden braucht, um Gott gefällig zu seyn und so drang diese Lehre allmählig bei den Anhängem Jesu durch. Ob alles Lehren von Gott und dem Men­ schen ohne die Berufung auf eine solche Thatsache dies würde ausgerichtet haben, steht zu bezweifeln. Wie dem sey, damit lernte man doch, daß die mosaischen Opfer bei vorgegangenen Versündigungen nicht noch

nöthig

seyen und nicht mehr Gottes Gnade verschaffen könnten, was die Propheten oft gelehtt hatten,

ohne Eingang

zu finden.

Aber wenn man eine Religionsanstalt ohne Opfer immer wohl schwerlich angenommen haben würde, und das Christenthum eine solche seyn sollte, so hätte es 'wohl nicht durchgedrungen unter die Menschen, wenn man nicht Christum als ein Sündund Sühnopfer hätte darstellen können, und es ist wohl, wie sehr bemerkenswürdig, so sehr bewundernswerth, daß man ihn also dargestellt hat;

denn daß dies geschehn ist,

wird

jetzt

nicht leicht Jemand leugnen« so sehr es auch von Socinianem und denen, die ihnen gleich denken, versucht worden ist. Hiebei läßt sich nun fragen, ob die Hinweisung auf Jesum, als das Opfer für unsere Sünden, immer noch nöthig,

oder

wenigstens noch bei dem Glauben an Vergebung der Sünde bei Gott heilsam ist;

und ich kann daran für meinen Theil

um so weniger zweifeln, als ich eben darin,

daß wir zu der­

selben berechtigt sind, einen großen, zu allen Zeiten erheblichen Vorzug des Christenthums finde, wie ich jetzt zu zeigen habe, indem ich die biblische Wahrheit, die Lehre selbst, voraussetze. Es kömmt, wie gesagt und jeder zugiebt, darauf an, daß die Lehre von der Vergebung der Sünden bei Gott nicht schäd­ lich , sondem vielmehr beförderlich zur wahren Sittlichkeit werde. Wenn man dies dadurch hinlänglich und. sicher zu bemerken meint, wenn man lehrt, daß ohne Besserung keine Vergebung sey, so'

125 habe ich schon oben angedeutet, daß dem nicht also sey.

Ich

kann und muß jetzt noch weiter ausführen, daß aber nach den christlichen Vorstellungen vorangehen muß.

die Vergebung

Es versteht sich,

ich davon gegeben habe,

jeder Besserung

nach der Erklärung,

die

daß man nicht bloß die Befreiung

von den Strafen der zukünftigen Welt darunter versteht.

Ver­

gebung der Sünde ist Aufhebung der göttlichen Sündenstrafen überhaupt; diese aber bestehn zunächst darin, daß auf die Sünde Unruhe des Geistes folgt, oder immer größere Verschlimmerung des

menschlichen

Gemüthes

oder Beides.

Vor Allem nun

müssen diese Strafen aufgehoben werden.

Die Unruhe des

Geistes muß in der Reue da gewesen seyn,

aber aufhören;

und was würde geschehn, wenn sie nicht aufhörte? du mein Herz tröstest,

„Wenn

so laufe ich den Weg deiner Gebote"

heißt es Psalm 119, 32.

In Unruhe, in Besorgniß, in Furcht

thun wir entweder gar Nichts, oder zu wenig, oder doch nicht das Rechte.

Die Freudigkeit, in welcher im Christenthum gehan­

delt werden soll, ist ihr geradezu und um so mehr entgegen, als ihr höchster Grad zur Verzweiflung führen könnte.

Sie

muß also aufgehoben werden,

wenn ich mich bessern soll von

den Sünden, die ich bereue;

und wie ist es mit der andern

Strafe der Sünde, die darin besteht, daß das Sündigen, oder eine Art desselben,

uns dadurch,

leichter und lieber wird?

daß wir es thun,

immer

Dabei kann es ja unmöglich bleiben,

wenn ich mich bessern soll.

Unverdiente Mittel der Besserung

müssen mir gereicht oder es muß bewirkt werden, daß die vor­ handenen Mittel, deren Wirksamkeit durch meine Sünde gehin­ dert ist, wieder wirksamer bei mir werden, wodurch dann auch wieder eine Strafe der Sünde aufgehoben wird. erfolgen,

wenn das nicht geschähe?

Ich würde

schlechter, nicht besser werden, da ich hossen muß,

Was würde ja

immer

daß meine

Besserung mir noch helfen, mir noch das Wohlgefallen Gottes

126



verschaffen werde; ich muß mich der Bergebung der Sünden getieften, ich muß sie also haben, wenn ich mich bessern soll. Denn die Besserung muß aus dem Glauben kommen. Dies bedenke man doch und sage, ob Besserung ohne vorhergegangene Vergebung der Sünde entstehen oder auch nur gesordert werden kann, ob man nicht diese als geschehen versichern müsse, wenn man zu jener erwecken will? Wenn man zu ihr aufmuntert in Hoffnung auf Vergebung, so scheint man zwar denselben Zweck erreichen zu können, aber man vergißt, daß, wenn derAufmunterung Folge geleistet werden soll, schon das vorhanden seyn muß, worauf man erst hoffen soll, oder wenigstens Etwas davon, nämlich: unverdiente Mittel der Besserung, Ruhe des Gewissens, Gewißheit der göttlichen Gnade, ungeachtet der begangenen Sünden und vorhandenen Sündhaftigkeit. Von Vergebung der Sünden scheint man unrichtige, nicht christliche Begriffe zu haben, vielleicht bloß darunter zu denken, daß sie im künftigen Leben erst zu Statten kommen soll, oder wenig­ stens nicht zur, sondern erst nach der Besserung. Vielleicht begnügt man sich, worauf ich oft aufmerksam machen muß, nur zu fordern, was nöthig ist, nämlich die Besserung, wenn man gesündigt hat, ohne sich darum zu bekümmern, wie sie entstehen soll, welches doch nie genug seyn kann. Kann nun aber, wohl verstanden, nicht gelehrt werden, daß die Besserung zur Erhaltung der göttlichen Sündenverge­ bung nothwendig, sondern muß man vielmehr sagen, daß sie die Folge davon seyn müsse- so muß doch nothwendig im Menschen Etwas seyn, was ihn der sündenverzeihenden Huld Gottes fähig macht, da doch diese nicht jedem zu Theil wird. Hiebei sich auf eine Prädestination zu berufen, kann Nichts helfen und möchte auch von Niemanden jetzt gebilligt werden, würde auch in so fern, um das Wenigste zu sagen, als unzulänglich erkannt werdrn, da wir, ehe wir darauf

127

zurückkommen können, doch erst sehen müssen, ob uns nicht Bedingungen dabei, oder Erfordernisse dazu bekannt gemacht sind, und uns ja gelehrt ist, was uns Christen dieser Gnade fähig macht, nämlich: d-er Glaube an den gekreuzigten Christus, und, wie über alle Vorstellung herrlich es sey, daß dies gelehrt werde, wünsche ich jetzt zu zeigen. „Aus Gnaden seyd ihr selig geworden!" ruft zwar Pau­ lus den Christen zu; aber damit sagt er nichts Anderes, als: ihr habt Vergebung der Sünden erhalten, indem ihr jetzt selig werdet. Er erinnert auch an den Ausspruch Gottes bei Moses: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; aber das heißt doch im Munde des Apostels, und kann im Munde eines Chri­ sten immer nur heißen: Ich erweise meine Gnade, oder die Vergebung der Sünden nicht immer denen, von welchen die Menschen.meinen, daß sie ihnen geschenkt, werden müßte, wie das z. B. bei dem Auftreten des Messias der Fall war, wo die Juden meinten, ihnen allein und nicht den Heiden, könne die unverdiente Wohlthat der Aufnahme in das Messiasreich widerfahren; wo aber bedacht werden mußte, daß Gott nach seinem Ermessen und nicht nach dem Gutdünken der Men­ schen seine Wohlthaten erweise. Dadurch konnten die Juden, die von ihren Vorurtheilen nicht lassen wollten, allein zum Schweigen gebracht werden. Aber das muß doch gewiß seyn und hätte auch bei den Streitigkeiten über die Prädestination mehr erwogen werden sollen, als geschehn ist: daß Gott nie aus bloßer Gnade, wie nie aus bloßer Gerechtig­ keit, sondern immer so handle, wie es allen seinenEigensch asten (menschlich, und wie es gewöhnlich ist, zu reden) gemäß ist, und daraus folgt sodann, was hier besonders erwogen werden muß, daß er nicht Sünden vergeben kann, wenn nicht auch seiner Heiligkeit, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Weisheit ein vollkommenes Gnüge geschieht.

128 Durch die Menschen, die gesündigt haben, kann daS nun nicht geschehn, und es kann sehr verderblich werden, wenn das Gegentheil gelehrt wird. Denn wenn man meint, eine Sünde wieder gut machen zu können, sey es durch die nachherige Besse­ rung oder dadurch, daß man eine vielleicht selbst erwählte Strafe übernimmt oder Opfer bringt, oder irgend etwas anderweitig Gutes thut, so wird man gegen das Böse gleichgültig, oder scheut es weniger, als man sollte, und, daß man damit etwas Falsches lehrt, ist schon so oft gezeigt worden, daß man sich eines aber­ maligen Beweises überheben kann. Dem gemäß kann es ja aber kaum geleugnet werden, daß, wenn Jesus den Menschen eine gottgeziemende Sündenvergebung verschafft hat, er auch der göttlichen. Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Weisheit genug gethan hat und genug thun mußte. Wie es aber nachtheilig ist, wenn der Mensch, welcher Sündenvergebung bei Gott bedarf und wünscht, meint, selbst hierin Gott genug thun zu können, so ists auch gewiß schädlich, wenn Jemand solche Genugthuung nicht für nöthig hält. Mit Recht sagten ältere Theologen gegen die Socinianer , daß auch keine acceptilatio dessen, womit der Mensch Gott genug thun könnte, von Seiten Gottes statt finden könne, denn das würde so viel heißen, als: so sehr genau nehme es Gott mit seinen Gesetzen nicht; solche Gedanken aber können nur Leichtsinn hervorbringen. Aber man möchte, wenn man auch damit einverstanden wäre, meinen, wie Spalding in seinem Buche über die Nutzbarkeit deS Predigtamtes schon ohne Rücksicht auf solchen Glauben an eine durch Christum geleistete Genugthuung behauptet hat, es sey genug im Glauben an das Wort Christi sich der Vergebung der Sünden bei Gott zu getrösten, ohne Etwas davon zu wissen, wie und wodurch die gött­ liche Gerechtigkeit durch Christum ein Genüge geleistet oder bewirkt worden sey, daß Gott unbeschadet derselben uns unsere Sünden vergeben könne. Dagegen wäre auch so viel nicht

129 anzuwenden, einmal, wenn dieser oder jener Christ nicht weiter zu führen wäre, und dann,

wenn dieser Glaube fruchtbar

genug gemacht werden könnte.

Auf jeden Fall muß doch etwas

in dem entstehen, der Vergebung bei Gott empfangen soll und etwas da seyn und angewendet werden, was dies hervorbringt, und wer die Bibel mit Verstand liefet, wird gewiß darauf geleitet werden, daß der Tod Christi nöthig war und bewirkt hat, daß uns durch Christum Vergebung der Sünden zu Theil werden kann und soll,

z. E. Matth. 26 , 28. Ephes. 1,

7

rc.

und es kann im Allgemeinen schwerlich für hinlänglich für ver­ ständige Christen gelten,

wenn dies, aber auch Nichts weiter,

gelehrt würde, als Jesus habe durch seinen Tod eine her Ge­ rechtigkeit,

Wahrhaftigkeit und Weisheit Gottes angemessene

Sündenvergebung gestiftet.

Wie das geschehn sey, kann und

muß zwar immer als ein Geheimniß betrachtet werden;

aber-

wenn uns Etwas von diesem Geheimniß in der Bibel geossenbart ist, dürfen wir doch das, was uns davon geoffenbart ist, (wenn es auch nicht Alles seyn sollte) nicht unbeachtet lassen, zumal, wenn es fruchtbar zur Beruhigung und Heiligung wird. Die kirchliche Theologie sagt, wie bekannt,

darüber Vieles,

was von Vielen seit einiger Zeit bestritten worden ist, jetzt aber wieder mehr Beifall zu gewinnen anfängt, wie es lange, sonst fast allgemein, angenommen war.

Ich muß hier das Wesent­

liche davon berühren, indem sonst die Vortheile, welche meiner Meinung nach aus der Art entstehn, wie im Christenthum Ver­ gebung der Sünde verkündigt wird, nicht deutlich genug einge­ sehen werden können.

Man lehrt nämlich nach

der Schrift,

daß die vollkommene Tugend und Heiligkeit Christi uns von Gott zugerechnet werde, und Christus die Strafen unserer Sünden auf sich

genommen und erduldet, und dadurch dem göttlichen

Gesetz und der göttlichen Gerechtigkeit für uns d. h. an unsere Stelle, eine Genüge geleistet habe.

Ich kann mich hier nicht 9

130 mit denen streiten, welche das nicht für Lehre der Bibel halten wollen; ich will auch Jedem gern zugeben, daß die Worte in einem Sinne genommen werden können, worin sie offenbar etwas Falsches aussagen; aber das Letztere wird nicht hindern, daß sie richtig erklärt, auch eine wahre und wichtige Lehre ent­ halten können. Wird dadurch eine biblische Lehre ausgedrückt, so muß das Letztere der Fall seyn und man muß alsdann jede Bedeutung, in der man die Worte nehmen könnte, und in der sie etwas Falsches oder wohl gar Schädliches enthalten könnten, wegzuschaffen bemüht seyn; übrigens aber die Lehre für ein Geheimniß erklären, das dem Glauben vorgehalten wird und, das man suchen muß sich praktisch nützlich zu machen, nachdem man dabei so viel Wahres und Wichtiges, als mög­ lich, in der Ueberzeugung, daß man alles Herrliche darin nie in diesem Leben wird ergründen können, gedacht hat. Ich muß selbst mit dem Letztem hier einen Versuch machen, indem ich Folgendes als gewiß gefunden habe. Das Verdienst Christi kann Gott nicht für meines anerkennen, Gott hat keinen Unwillen auf Christum, als er für die Menschen starb, gewor­ fen ; das kann Jedem gewiß seyn. Aber erstlich: zurechnen heißtauch: mit Recht urtheilen, daß Jemandem die Folgen einer freien Handlung zukommen sollen. Wenn uns nun die Folgen des Verdienstes Jesu zu Gute kommen, muß das nicht auf ein Urtheil Gottes beruhen und kann dieses Urtheil blos gütig und nicht auch gerecht seyn? Muß also nicht eine Zu­ rechnung des Verdienstes Christi an uns Statt finden? Ich sage nicht, daß damit die ganze Lehre von der Zurechnung der Tugenden Christi an uns erschöpft und erklärt sey $ aber ich habe damit gewiß etwas Wahres, etwas Unzubezweifelndes gedacht. Ob auch etwas Wichtiges, das wird sich aus dem Folgenden ergeben und ich überlasse es nun Andem, ob sie darin noch mehr, als ich, Wahres und Wichtiges erkennen,

131 wie ich es Gott anheimstelle, ob er mir selbst davon noch mehr offenbaren will.

Zweitens aber kann ich allerdings

nicht

lehren, daß Jesus die Strafen unserer Sünde getragen hat, wenn man das Wort Strafe so erklärt,

daß es nur das

Uebel sey, was der Verbrecher selbst duldet, in welchem Sinne man etwas Unmögliches, etwas Gott Unwürdiges, etwas uns Schädliches ausdrücken würde, sie für uns ausgestanden.

wenn man lehrte, Jesus habe

Aber wie, wenn ich sage:

Stra­

fen Gottes sind Uebel, welche nach gerechtem Urtheil Gottes auf die Sünde folgen

und von

ihm

um der Sünde willen

(sey es auf den, der gesündigt hat oder auf Andere) verhängt werden.

Dies ist eine Erklärung des Wortes „Strafe," wie

es nicht nur in der Bibel genommen, sondern wie es auch oft verstanden wird.

Wir Menschen sollten zwar eigentlich nur die

Verbrecher strafen;

aber daß dies nicht immer geschehen kann,

ohne auch auf die Kinder, Angehörige und Freunde Uebel zu verhängen, liegt am Tage.

Wir sagen dann allerdings sehr

oft mit Recht, daß diese Uebel für sie nicht Strafe seyn sollen. Aber wie oft wird auch gesagt, daß auch sie dadurch bestraft werden?

Das Letztere geschieht auf jeden Fall factisch, und ob

auch in einigen Fällen mit Recht,

das wird

nun erhellen,

wenn wir uns den Begriff „Strafe" noch etwas mehr auf­ hellen.

Man vergißt nämlich dabei leicht Etwas,

nothwendig

damit

verbunden

ist,

nämlich,

daß

was doch Nichts

Strafe sey, wenn nicht eine Erkenntniß derSchuld dabei statt« findet.

Es ist möglich, daß Jemand ein durch die Sünde ihm

zugekommenes Uebel

fühlt,

ohne sich

dabei

für schuldig zu

fühlen; dann wird es aber darauf ankommen,

ob er dabei

richtig urtheile, ob andere ihm eine Schuld dabei zuschreiben, ob die Wahrheit, oder Gott.

Im letztern Falle fühlt es der

Leidende nicht als Strafe; andre aber erklären es dafür, und wenn sie Recht haben, sollte es auch der Leidende dafür annehmen.

9

'

132 Jesus ward gekreuzigt; nicht einmal in den Augen des Pilatus war der Kreuzestod für den Heiligen eine Strafe, auch nach dem Urtheile Vieler nicht, die seine Unschuld erkannten, und doch seinen Tod wollten. Haben einige ihn wirklich für einen falschen Messias, für einen Aufrührer, für einen Gotteslästerer gehalten, so haben diese zwar geurtheilt, er sey gestraft für eigne Sünden, aber, wie Jeder weiß, ihm großes Unrecht gethan. Daß Jesus für eigene Sünden gestraft sey, lehrt nun Niemand, und wer das sagte, müßte Jesum nicht kennen/ oder ihn lästern. Aber 1) Leiden hat er gefühlt, die Folgen menschlicher Sünden waren. 2) Es war von Gott beschlossen, daß er sie über sich neh­ men und tragen sollte. Apgsch. 2, 23. 3) Dies war um der menschlichen Sünden willen beschlossen worden, Röm. 4, 25. Denn wenn die Menschen nicht gesün­ digt hätten, wäre ihnen ein Heiland, der gekreuzigt werden mußte, nicht nöthig, ja er wäre nicht möglich gewesen. 4) Abscheu gegen die Sünden, die an dem Tode Christi Schuld waren, soll dadurch entstehen. 5) Jesus selbst empfand in seinen Leiden, welch' ein gro­ ßes Elend die Sünden hervorbringe. Gewiß war ihm in seinen Seelenleiden Matth. 26, 38 ff. nicht das das eigentlich Schmerz­ lichste, daß er Schande und Tod litt, sondern, daß die Men­ schen frevelhaft an ihm gehandelt, daß viele dabei eine Sünde wider den heiligen Geist begangen, daß ein Petrus ihn ver­ leugnet, ein Judas ihn verrathen hatte, daß selbst ein gut­ gesinnter, ihn für unschuldig erkennender Pilatus das Tvdesurtheil über ihn zu sprechen sich verführen ließ. Gewiß, er fühlte die ttaurigen Folgen der Sünde an sich selbst, und 6) wir? sollen wir nicht dabei erkennen, daß wir auch noch solche Sünden an uns haben, als um deretwillen und durch die

133 Jesus so schrecklich leiden mußte?

sollen solche Sünden,

an den gewaltsamen Tod Schuld waren, abscheuungswürdig erscheinen?

die

uns nicht als ver­

Sollte das

nicht

die Absicht

Gottes dabei seyn?

7)

Das können und sollen wir,

und wenn es geschieht,

so sagen wir theils in dem Andenken an das,

mit weichet

tiefen Traurigkeit Jesus aus das Elend der menschlichen Sün­ den hinabgesehn, und wie Schreckliches er durch sie hat erdul­ den müssen,

theils in dem Gefühl, des Abscheus,

den wir

dadurch gegen die Sünden empfinden und im Bewußtseyn der unsrigen zu Jesu: Ich, ich und meine Sünden, Die sich wie Körner finden Des Sandes au dem Meer, Die haben Dir erreget Das Elend, das Dich schlüget, Und das betrübte Marterheer. 8) Wir können nicht leugnen, daß der Kreuzestod Christi nach einem Rathschlnß Gottes erfolgt,

daß dieser in höchster

Gerechtigkeit gefällt ist und daß auch die Absicht Gottes war, daß Christus das Elend, das die menschlichen Sünden anrich­ ten , an sich erfahren, daß seinen Gläubigen dadurch die Sün­ den verabscheuungswürdig werden sollten;

und so sagen wir:

Gott hat die menschlichen Sünden an Christo gestraft. Ich höre nun freilich Manchen sprechen, wie Luther über Erasmus einst sprach: „Wer heißt ihn so verworren sprechen? Er soll so gut, als Andere, den geraden Gang gehn und sich seiner doppelzüngigen

Manier mäßigen.

Würde man ein so

sträfliche Lizens verstatten, so könnte man am Ende Alles leid­ lich und füglich erklären, was nur jemals die Ketzer Berdammungswürdiges vorgebracht haben."

Solchen Vorwurf muß

134 ich befürchten, wenn ich von Zurechnung das Verdienstes Christi und Erduldung von Strafen unserer Sünden durch ihn in einem Sinne spreche, den Viele nicht gelten lassen wollen oder können, aber ich thue zuletzt doch Nichts, als die Sprache der Bibel erklären. Sollte dies nicht nützlicher seyn, als sie ändern oder gar sie als falsch darstellen? Alles aber wird zuletzt darauf ankommen, ob diese Vorstellungen nützlich und wichtig sind. Als schädlich sind sie leicht zu erkennen, wenn auch der­ jenige meint, ihm werde das Verdienst Christi zugerechnet, der Christo nicht nachfolgen will, an ihn nicht wirklich glaubt. Aber wer hat auch je gelehrt, daß das geschehn könne oder solle? Verderblich würde es seyn, wenn derjenige meinte, Jesus habe die Strafen seiner Sünden getragen, der doch sich nicht für einen Sünder erkannte, oder der nicht Strafen der Sünde befürchtete, oder sich nicht mit Jesu in Verbindung denkt, daß es ihm sehr leid wird, daß Jesus um seiner Sünden, d. h. um Sünden willen, die auch er noch an sich hat, habe den Kreuzestod erdulden müssen. Aber ein solcher Mensch würde ja auch bloße Worte denken, aber Nichts, was in ihm wirklich seyn kann; denn er kann ja nicht mit Wahrheit von S trafen seiner Sünden reden, die Jesus für ihn erduldet haben soll. Er widerspricht sich damit nur selbst. Denn Strafe seiner Sünden ist's ja nur, wenn er dabei erkennt, daß er solche Sünden an sich habe, als wodurch die Leiden Christi verursacht worden sind, und wenn er sein Verschulden bei diesen Sünden erkennt. Allerdings bedenken einige Theologen selbst nicht genug, was sie sagen, wenn sie lehren, daß Christus die Strafen aller mensch­ lichen Sünden erduldet, für alle genug gethan habe. Wenn sie sich deutlicher darüber also erklärten, daß das Verdienst Christi allen Menschen ohne Unterschied zu Gute kommen kann, daß es nie an Gott, oder an der Kraft dieses Verdienstes liegt, wenn es dem nicht heilsam wird, der Gelegenheit hat mit Christo

135 bekannt zu werden, daß es Jedem, der wirklich auf eine leben« dige Weise an Christum glaubt (einem Andern aber nicht, obgleich auch er unter andern Umständen und bei anderer Denkart dazu gelangen könnte) wirklich zugerechnet wird, so würde das, wenn Christus nur recht verkündigt,

der Glaube und diese Wirkung

desselben recht beschrieben wird, keinen Nachtheil haben können. Aber wohl entsteht dieser, wenn angenommen wird, was doch kein verständiger Lehrer des Christenthums gelehrt hat, daß Jesus die Strafen der Sünden allerund jedes Menschen, auch derer, die ihre Sünden nicht erkennen, (welches, wie wir eben sagten, sich auch selbst aufheben würde) erduldet,

oder daß sein Verdienst

auch denen zugerechnet wird, die gar nichts Gutes an sich, auch nicht einmal den rechten Glauben an ihn haben. Wenn man aber vor solchen Auswüchsen der Lehre sich ver­ wahrt, so kann sie sich als sehr wohlthätig erweisen, wie aus folgenden Erwägungen hervorgehen wird. Jedermann giebt zu, daß Reue bei uns nothwendig ist vor der göttlichen Sündenvergebung; daher auch solche Sünden, bei welchen die Reue nicht erfolgen wird, für unverzeihlich gehalten werden.

Hebr. 10, 26. 27.

Matth. 12, 31. 32.

Aber sehr

viel kömmt darauf an, was bereuet wird, durch welche Vor­ stellungen die Reue entsteht, und daß sie Etwas und was sie im Menschen wirkt; auch das wird Jeder zugestehn.

Denn

wenn nur einiges Böse gehaßt wird und nicht Alles, was wider das göttliche Gebot ist, in Gedanken, Worten und Wer­ ken, so kann dieser Sündenhaß nicht hinlänglich seyn.

Ein Ab­

scheu wieder alles Sündliche, wider die Quelle alles Sündlichen muß erregt werden.

Wir wollen nicht in Abrede stellen, daß dies

durch allerlei Vorstellungen geschehen könne;

aber durch den

Glauben, Christus mußte sterben um der menschlichen Sünde willen,

ohne das hätte sie uns nicht vergeben werden können,

geschieht es gewiß in der allerbesten Art.

Denn nicht um einer

136 einzelnen Art von Sünde, sondem um der Sünde willen über­ haupt mußte Christus in den Tod gegeben werden, und Irdisch» gesinnt heit, in der man einen solchen Heiland, als Jesus seyn wollte, verwarf, und Unglaube, in dem man ihn bei den göttlichen Zeugnissen, die für ihn sprachen, nicht annahm, weil er der Jrdischgeflnntheit nicht gefiel, brachten Jesum vor­ nämlich an das Kreuz, und diese Gesinnungen, welche Quellen alles menschlichen Verderbens finbv müssen uns um so mehr abscheulich werden, je mehr wir den lieben und verehren, der durch sie in die ärgsten Martern und grausamste Todespein gebracht wurde, und in je nähere Verbindung wir uns mit ihm, unserem größten Wohlthäter, denken. Durch sie mußte der Sohn Gottes so viel leiden! Da wir nun nie leugnen können, daß wir immer noch Etwas von diesen Verderbnissen und Greueln an uns haben"), so kann kein Christ ohne Reue darüber bleiben. Aber ist das Reue und Reue rechter Art? wird man fragen. Reue ist Trau­ rigkeit über etwas begangenes Gesetzwidrige mit dem. Bewußtseyn eigner Verschuldung dabei. Nun, als gesetzwidrig erkennt man diese Denkart, die man an sich hat, leicht, und leicht auch, daß sie nicht in uns seyn sollte, daß wir sie anders haben könnten. Das Aufsehen auf Christum, der im Tode höchst glaubensvoll und himmlischgesinnt sich zeigte; und eben für Wahrheit und Pflicht, im Gehorsam gegen Gott und Liebe zu den Menschen am Kreuze starb, fuhrt ja am leichtesten zu der Ueberzeugung, daß auch wir anders seyn könnten und sollten, als wir sind.

*) Es ist ein Fehler vieler Predigten

über die Leidensgeschichte Jesu,

daß die Denkart und das Verhalten derer,

die an

den Leiden

Christi Schuld waren, so beschrieben wird , als sey er etwas höchst Seltenes.

Man muß darauf aufmerksam machen, wie di« Menschen

sich oft eben so zeigen.

137 Aber zu erwägen ist besonders, daß allerdings, wie man meint, die Reue aus dem Bewußtseyn, das göttliche Gesetz übertreten zu haben, bei uns entstehen sollte, aber daß dieses Bewußtseyn bei Menschen, wie sie gewöhnlich sind, nicht die gehörige Kraft hat, die Reue recht lebhaft zu machen. Daher hat der Schö­ pfer unserer Natur selbst nöthig gefunden, bei der Uebertretung seiner Gesetze Strafen zu drohen. Wären solche Drohungen nicht gegeben, oder würden sie nicht erfüllt, so würden die göttlichen Gesetze für den Menschen, der nicht ein blos ver­ nünftiges, sondem ein vernünftiges und sinnliches -Wesen zu­ gleich ist, nicht Kraft genug haben. Eben dadurch aber wird bewirkt, daß die Reue über das Böse durch die Erfahrung des Nachtheiles, den es uns gebracht hat, und durch Furcht vor Strafe, die noch kommen kann, hervorgebracht wird. Kann man dies aber für hinlänglich halten? Wer blos, oder nur hauptsächlich aus Schaden klug wird, oder nur aus Furcht vor Strafe das Böse meidet, wird es gewiß nur zum Theil meiden und immer nicht aus den rechten Gründen. Er wird vielleicht das Böse unterlassen, ohne recht emsig das Entgegen­ gesetzte, Gute, zu thun, besonders wenn die Furcht sein Haupt­ motiv ist, vergl. Matth. 25, 25 — 28., oder kömmt wohl gar auf den Ausweg, daß er die Strafe der Sünde zu meiden sucht, ohne die Sünde zu stiehen, welches am allergefährlich­ sten ist. Hier tritt das Christenthum nun freundlichst schonend und zum Heil der Menschen in die Mitte. Es macht uns aufmerksam, daß die Sünde auf den Unschuldigsten und Hei­ ligsten unter den Menschen, auf den, welchen wir göttlich ver­ ehren, die schrecklichsten Leiden gebracht hat, daß diese Leiden nöthig, waren, wenn uns unsre Sünden von Gott vergeben werden sollten. Aeltem soll es schrecklich seyn, wenn sie den­ ken, daß ihre Kinder und ihre Kindeskinder noch durch ihre Vergehungen, und um derselben willen viel leiden sollen.;

138 Kindern, wenn sie wissen, daß sie ihre Aeltern mit Herzeleid in die Grube bringen durch den Verdruß über ihre unordent­ liche Lebensart. Men Menschen soll es schrecklich seyn, wenn ihre Sünde, und daß die menschliche überhaupt, auch auf die unschuldigsten und besten Menschen öfters Trübsale und Noth bringt. So soll es. auch uns höchst traurig machen, daß Sün­ den, wie wir sie immer noch an uns haben, über Christum die größten Martern verhängt haben, und das wird geschehn, je mehr wir Christum lieben und in je genauerer Verbindung wir uns mit ihm als dem Freunde unserer Seele, als unserm Bruder und doch ihn als den Sohn des Allerhöchsten dmken. Wenn nun aus solchen Gründen die Reue über unsere Sün­ den entsteht, ist sie da nicht edel? kann sie unwirksam bleiben? Sollte man noch zwischen ihr und der, die aus dem Gedanken an die Würde und an die geschehene Verachtung des Gesetzes entsteht, einen Unterschied machen, so wird sie doch gewiß allmählig zur Achtung gegen das Gesetz führen. Ihr Grund ist die Verehrung des Heiligen und die Liebe. Denkt man auf der andem Seite daran, aus wie schlechten Gründen das, was man Reue nennt, entstehen kann, so wird man gewiß das Christenthum segnen, das uns hier Etwas anweiset, woraus sie entstehen soll, leicht entstehn kann und höchst wohlthätig wird. Es ist ja auch der Gedanke dabei, daß zwar nicht meine Person, aber doch meine Sünde an den Leiden Jesu Schuld habe, also, daß sie abscheulich sey. Wie heilsam kann sie da­ durch werden! — Ist nun durch solche Erinnerung an den Kreuzestod Christi die Reue lebendig geweckt, so ist erforderlich, daß sie nicht zu weit gehe. Sie kann nicht als der Grund oder die Ursache der Sünden­ vergebung angesehn werden, weil es sich widersprechen würde, daß aus ihr, die Traurigkeit ist, das hervorgehn solle, was bestimmt ist, Freudigkeit zu bewirken. Wenn sie zu weit geht, kann

139 leicht Verzweiflung daraus werden: Meine Sünde ist größer, denn daß sie mir vergeben werden könnte, 1. Mos. 4,13. und daß aus letzterer so wenig etwas Gutes entstehen könne, als daraus, wenn Jemand so viel Schulden hat, daß er verzwei­ felt, im Stande zu seyn, sie zu bezahlen, liegt am Tage, und läßt sich leicht aus der Natur der menschlichen Seele erklären. Wenn nun der Glaube an Vergebung der Sünden bei Gott hinzukommen muß,

wie auch schon aus dem oben Gesagten

klar ist, so wird er bei dem an den gekreuzigten Heiland nicht nur nothwendig, sondern höchst ersprieslich.

Kann er sich auf

die Liebe Gottes gründen, so sehn wir die Liebe Christi, als Bild der göttlichen, in der Uebernahme und während der Er­ duldung seiner Todesleiden in dem allerhellstm und herrlichsten Glanze strahlen, daß wir die göttliche nur im höchsten Grade denken können.

Wir setzen mit dem Apostel hinzu: „der Vater,

der auch seines eignen Sohnes nicht verschonet, sondern ihn für uns Alle dahin gegeben hat, wie sollte er uns mit ihm nicht Alles schenken?" Nöm. 8, 32. der himmlische Vater denen,

Ja, indem wir sehn, daß

welche seinen eingebornen Sohn

gekreuzigt hatten, doch noch das Heil anbietet und schenkt, das durch diesen zu erlangen ist,

haben wir in dieser Thatsache

einen Beweis,

daß Gott Sünden vergiebt und Missethaten

nicht zurechnet.

Wir können nicht mehr daran zweifeln, da

wir diese Thatsache dafür sprechend haben.

Da wir sie ken­

nen, müssen wir glauben, daß Gott Sünden vergiebt;

aber

da doch nicht alle die, welche an Jesu sich versündigt hatten, das durch Christum zu erlangende Heil wirklich erhielten,' wenn es ihnen auch angeboten wurde, so bleiben immer noch Zweifel bei dem Einzelnen, ob auch ihm seine Sünden vergeben seyen. Wir sagten ohnehin schon oben, daß dies von der Liebe oder Gnade Gottes allein nicht erwartet werden darf, da es nicht dieser Eigenschaft allein, sondern allen göttlichen Eigenschaften gemäß

140 seyn muß, wenn es geschieht. Aber wie sollen wir wissen, was allen göttlichen Eigenschaften, z. E. was seiner uns nie ganz zu «rforschlichen Weisheit gemäß ist? Es muß uns geoffenbaret werden; und da es uns geoffenbaret ist, daß Gott Sünden ver­ gibt, so können und müssen wir das glauben; aber, da ganz gewiß hinzugesetzt ist, daß wir Christen diese Sündenvergebung nur durch den Glauben an Christum erhalten können, so dürfen wir auch jene nur unter dieser Bedingung uns zueignen. Daß aber mit diesem Glauben das ganze Bemühen, sich von allen Befleckungen des Geistes und Fleisches zu reinigen, und in allen Gott gefälligen Gesinnungen zu wachsen, verbunden ist und seyn muß, ist oben genugsam gezeigt worden, woraus folgt, daß das Mittel, welches uns die göttliche Sündenvergebung versichert, nicht sowohl sie unter der Bedingung der Besserung versichert, sondern die Bessemng hervorbringt. — Blos eine wahre Reue setzt sie voraus; Buße sagt man nach der Sprache der alten Kirche und Dogmatik; aber es ist hier ein leicht zu entdeckender Fehler der theologischen Dogma­ tiker, daß sie Buße und Glauben so beschreiben, daß keine dieser Gesinnungen ohne die andere gedacht werden kann, was allerdings geschehn muß, wenn man jede in ihrer Vollkommen­ heit hat; aber doch so geschehen müßte, daß die einzelnen Theile, wie sie auf einander folgen, so angegeben werden, daß man erkennte, beide tägen nicht außer, sondern in einander; ein Theil der Buße müsse dem Glauben vorgehn, und ein Theil des Glaubens der Buße, und wenn jener irgendwo ganz sey, so sey auch diese vorhanden. Dem gemäß ist Reue, und zwar eine solche Reue, wie sie durch Kenntniß und Bettachtung des Kreuzestodes Jesu nach unserer obigen Beschreibung entsteht, vor dem wahren Glauben an Christum nöthig. Da sie aber weder der Glaube ist, noch auch ihn hervorbringt, so muß immer noch Etwas

141 hinzukommen, wenn er entstehen soll. Das soll nun wiederum die Kenntniß und Betrachtung des gekreuzigten Christus seyn. Aber, wenn es nun nicht genug seyn kann, daß darin die Liebe und Gnade Gottes angeschaut wird, wie wir vorher be­ merkten, so muß diese Betrachtung noch von andern Seiten angestellt werden, und das um so mehr, wenn, wie es nicht geleugnet werden kann, die heilige Schrift uns dazu Veran­ lassung giebt. — Denken wir aber auch ohne diese Beziehung über göttliche Sündenvergebung nach, so können wir nur dann, aber auch dann mit Gewißheit glauben, daß Gott uns Sünden vergiebt, das heißt: für uns die Strafe aufhören läßt, wenn der Zweck der Strafe erreicht ist. Denn sind Strafen auch nach dem Urtheile des Weltrichters noch nöthig, so wird der Heilige sie nicht erlassen; ohne Noth und wenn ihr Zweck auf andere Weise erreicht wird, wird er sie aber auch nicht weiter verhän­ gen. Wir müssen also jetzt über den Zweck der göttlichen Strafen nachdenken. Man sagt: Gott kann dabei nichts An­ deres beabsichtigen, als die Besserung dessen, der Strafe verdient hat; und wenn das wenigstens in so fern gewiß ist (ob auch in anderer Hinsicht, wird sich bald zeigen) als die gött­ lichen Strafen gewiß aufhören, wenn die Besserung erfolgt ist, so sieht man doch leicht ein, daß, wenn Strafen sie nicht be­ wirken sollten, etwas Anderes nöthig ist, sie hervorzubringen. Dies ist nun gewiß der Glaube an den Kreuzestod Jesu, so fern er den Sündenhaß wirkt und belebt, aber auch so fern er Verehrung Christi, Liebe und Dankbarkeit gegen Jesum, der sein Leben für uns dahingegeben hat, damit wir für ihn leben sollen, und Zutrauen zu Gott, der also die Welt geliebt hat, daß er seinen eingebornen Sohn in den Tod gab, damit Me, die an ihn glauben, nicht verlohren gehen, sondern das ewige Leben haben, auf das allerlebendigste in unserm Gemüthe wirkt.

142 Leicht können wir die Ueberzeugung fassen, daß Gott dem, bei welchem die Bettachtung des Todes Jesu Christi diesen Ein­ druck macht, die ©trafen der Sünde erläßt, nicht nöthig sind.

weil sie für ihn

Er glaubt, — der Gerechtigkeit Gottes sey

durch Christum genug geschehn,

Christus

habe

sür ihn die

Strafen der Sünde erduldet, und liebt nun Christum um so mehr. Aber kann man mit Wahrheit sagen, daß der Zweck der göttlichen ©trafen kein anderer sey, als Besserung dessen, der die Sünde begangen hat, welche ©träfe verdient? doch

erwägen,

hervorbringen.

daß die ©trafen nicht

Man muß

immer die Besserung

Diese kann nie erzwungen werden, sie hängt

ganz von dem Gestraften selbst ab.

Wollte man behaupten,

Gott werde seine Strafen nach der höchsten Weisheit wohl so eingerichtet haben,

daß, wenn sie auch nicht immer sogleich,

wenn auch zuweilen nur nach langer Zeit und bei öfterer Schär­ fung, doch zuletzt diesen Zweck erreichen müßten, so ist uns das doch nicht geoffenbaret, und da wir die Besserung stets als der menschlichen Freiheit anheim gestellt denken müssen und die Grenzen

wie weit diese gehn und sich Gott in Halsstar­

rigkeit widersetzen kann, nicht kennen, so haben wir auch nicht hinlänglichen Grund, dies anzunehmen. Aus der Bibel können wir sogar das Gegentheil schließen, z. E. Matth. 25, 46.

Sollte es

aber als möglich gedacht werden können, daß die Strafen Got­ tes bei irgend einem Menschen die Besserung nicht bewirken, so kann man auch nicht füglich diese als den allgemeinen und einzigen Endzweck der göttlichen Strafen

ansehn, weil man

von dem Allmächtigen füglich nicht sagen kann, daß er Zwecke habe, die er nicht erreicht.

Ja man wird auch nicht sagen

wollen, daß Jemand, wenn er sich nicht bessert, und wenn alle ©trafen zu diesem Zweck vergeblich gewesen sind, mit die­ sen alsdann verschont bleibt.

Menschen handeln wohl zuweilen

143 dem gemäß; aber Niemand kann sagen, daß es recht sey. Im Gegentheil verdient Jemand um so mehr Strafe, je halsstar­ riger er ist. — Die Natur jedes Gesetzes bringt es aber auch, so weit wir diese kennen und menschlich auffassen, mit sich, daß mit dem Gesetz Strafen verbunden seyn müssen. Denn die Ge­ setze Gottes sagen einen Rathschluß Gottes aus, der uns nur in der Alternative bekannt gemacht ist: Du thust das ent­ weder, oder du wirst gestraft! Mithin sind Strafen oder die Drohung derselben, die ohne Effect nicht bleiben kann, dasjenige, was das Gesetz zum Gesetz macht, und gegeben, daß das Gesetz als Gesetz anerkannt werde. Diesen Zweck haben sie immer und sollen daher dienen, und dienen >immer dazu, daß der Rathschluß Gottes, wie er uns bekannt gemacht ist, in seiner Kraft bleibe, und daß die Sünde, wenn auch nicht von dem, der sie begangen hat, so doch von Andern, von mög­ lichst Vielen als abscheulich erkannt werde. So strafen Men­ schen auch um des Beispiels willen, um das Gesetz in Kraft zu halten, und wer das eben Gesagte überlegt, wird es Gott nicht unanständig finden, auch deshalb zu strafen, da er darum die Strafen nicht unterlassen kann, weil der, der sie verdient hat, sich nicht bessern will. — Dies wohl überlegt, wird man erkennen, daß durch den Tod Christi der Zweck der göttlichen Strafen bei Allen, die die Geschichte desselben recht kennen, erreicht wird. Denn sie sehen daran den Ernst Gottes gegen die Sünde, sie lernen die Sünde, wie wir schon hinlänglich dargethan haben, als verabscheuungswürdig erkennen. Die Leiden Jesu, die nach dem Vorigen als Strafen der menschlichen Sünden nach der Bibel betrachtet werden, haben diesen Zweck erreicht, oder er­ reichen helfen. Wie wäre es doch geschehn, oder wie hätte es geschehn können, wenn ein solches qllgeyiein bekannt geworde-

144

nes Denkmal der göttlichen Heiligkeit und Gnade nicht ausge­ stellt worden wäre? Wenn nun dadurch bei dem einzelnen Christen die Besserung selbst bewirkt wird, warum soll ihn der Höchste noch strafen? An ihm ist der Zweck der Strafen er­ reicht, ja er ist schon dadurch genug gestraft, daß er die Un­ ruhe des Gewissens, die eine der vornehmsten göttlichen Strafen ist, gefühlt und sie auf Anlaß einer von Gott gewirkten Thatsache und so gefühlt hat, wie sie dadurch von Gott in ihm angeregt ist. Auch hat die ganze christliche Welt um ihn her schon bei dem Tode Jesu und in dem Andenken daran genug Belehrung erhalten, daß Gott die Sünde haßt, bestraft und daß sie etwas Abscheuliches in Gottes und unsern Augen seyn muß. Nun kann und muß man also glauben, daß Gott, unbeschadet seines Gesetzes und seiner Gerechtigkeit, Sün­ den vergeben kann und dem sie vergiebt, der also an den Tod Christi glaubt. — Wenn wir nichts dergleichen hätten, würden wir entwe­ der mit Leichtsinn von der bloßen Gnade Gottes, im Verges­ sen seiner Wahrhaftigkeit, Weisheit, Heiligkeit und Gerechtig­ keit, Vergebung erwarten, und könnten sie dann doch nicht erhalten, oder wir müßten zu Opfern oder selbst erwählten Strafen unsere Zuflucht nehmen, wodurch zwar die Vergebung möglich wird; aber wobei es auch mehr, als wahrscheinlich ist, daß sie nicht erfolgt, ja welches gar zu gefährlich wird, wie aus dem Vorigen erhellen muß und der höher gebildeten Menschheit durchaus nicht angemessen seyn kann. Wenn wir die Geschichte des Opfers kennen, das Jesus Christus am Kreuze dargebracht hat, so wissen wir auch, welche Opfer Gott wohl gefallen, wir wissen, daß ihm solche, als man sonst ihm darbrachte, nicht mehr gefallen, nicht gefallen können. Solche Gott darzubringen, wie Christus dargebracht hat, werden wir selbst geneigt. Röm. 12, 1.

145 Ach! wollte doch Gott, daß man einsähe, man dürfe den Christen, im Glauben an den gekreuzigten Christus und in der gläubigen Betrachtung seines Todes, Vergebung der Sün­ den bei Gott verkündigen, ohne ihn niemals; aber dadurch erhalte man sie auch gewiß. Denn dann kann Niemand, bei aller Zuversicht darauf, diese Gnadenwohlthat mit Leichtsinn erwarten, Niemand wird wähnen, daß er die begangenen Sünden durch irgend Etwas wieder gut machen kann, auch nicht durch die Besserung, die ja immer unvollkommen bleibt, und zu der er ohnehin und von jeher schon verpflichtet gewesen ist; Jeder wird sie so erwarten, daß er nicht nur erkennt, er müsse sich bessern, (denn das möchte noch allenfalls leicht zu erkennen seyn) sondern, was doch das Wichtigste ist, daß auch die Besserung in ihm gehörig bewirkt wird. — Ich muß hier noch an Etwas erinnern, was schon zum Theil aus dem früher Gesagten einigermaßen folgt, nämlich: daß durch den Tod Jesu, eigentlich nur aus dem, was Chri­ stus that, eine solche Religionsanstalt geworden ist, als er hat stiften wollen. Wäre er nicht gestorben, so hätte man ihn für einen weltlichen Heiland gehalten und, da ohne seine Aufer­ stehung keine christliche Kirche entstanden wäre, so war doch auch vor dieser eben sein Tod nöthig. Immer konnte Jesus daher in einem viel umfassendem Sinne sich mit dem Weizenkorn verglei­ chen, das erst in die Erde geworfen werden und ersterben muß, ehe es Frucht bringt, Joh. 12, 24. Es folgt aber' daraus auch das: Wenn das ganze^ Werk Christi als Stiftung einer gottge­ ziemenden Sündenvergebung beschrieben werden kann, muß und wird, Apstgesch. 10, 43., so muß man die Sündenvergebung für, durch den Tod Christi erworben erkennen und zwar so, wie nun alle Christen sie haben können, ja einigermaßen erhalten, einige aber, die wahrhaft gläubigen, sie wirklich völlig bekommen. Von allen Christen heißt es nun einigermaßen und von einigen 10

146 recht kräftig: Ihr seyd theuer erkauft durch das Blut Christi, 1. Petr. 1, 18, 19.

Durch Christi Tod ist es geschehen, daß

euch die unverdiente Gnade, Christen zu seyn, oder auch die wirkliche Sündenvergebung zu Theil geworden ist.

Man bleibt

um so lieber dabei stehen, da der Tod Jesu eine Aufopferung kostete, die Dank verdient.

Dies führt uns aber auch darauf,

unsern Antheil an den Anstalten der Kirche schon als eine un­ verdiente Wohlthat Gottes zu erkennen, sie aber eben darum auch, weil sie uns durch den Kreuzestod Christi erworben sind, mit um so herzlicherer Dankbarkeit anzunehmen und sehr werth zu schätzen, und die darin vorhandenen Mittel der Heiligung recht zu gebrauchen.

Wie wenig geschieht das doch, wenn man

sich nicht für einen Sünder erkennt, nicht die Sünde haßt, oder durch sich selbst meint, um seiner Reue und Besserung willen, Vergebung der Sünden bei Gott zu erhalten und besser und heilig werden zu können! und dagegen, wie wird die Hei­ ligung bewirkt werden, wenn wir alle diese- Wohlthaten, als durch den Tod Christi uns erworben und zu Theil geworden, recht demüthig

und gläubig

benützen!

Christus hat inson­

derheit in seiner Kirche das heilige Abendmahl zum Gedächt­ niß seines Todes und zu einem Mittel der Vergebung der Sünden eingesetzt.

Was wäre das Christenthum ohne diese

Feierlichkeit? und was ist diese Feierlichkeit selbst, wenn darin nicht die durch den Tod Jesu zu erlangende Sündenvergebung uns versichert wird? — Das Letztere will ich nicht weiter aus­ führen, sind.

da alle Materialien dazu in dem Vorigen enthalten

Vergessen kann man es; aber nie ohne Schaden für

christliche Gemüther. — Wenn aber durch den Glauben an den gekreuzigten Hei­ land und durch

den Gebrauch der durch seinen Tod uns

erworbenen Gnadenmittel auf solche Weise die Besserung und Heiligung der Christen bewirkt wird, so bleibt sie immer noch

147 unvollkommen, und muß als unvollkommen erkannt werden, damit theils nicht Selbsttäuschung entstehe, theils nicht die De­ muth fehle. Immer müssen wir daher und bis ans Ende unsers Lebens, selbst noch auf dem Todbette der Vergebung der Sünde zu bedürfen versichert seyn; aber wie? So daß wir wähnen, bei unserer Rechtschaffenheit vergebe Gott Sün­ den, wenn jene nur wirklich vorhanden sey? Wie leicht kön­ nen wir eine falsche für die wahre halten! Wie leicht gegen Wachsthum in der Frömmigkeit und einzelne Sünden, die wir noch begehen, gleichgültig werden! Hier lehrt nun die Schrift, oder wenn man das bezweifeln wollte, was ich hier nicht be­ weisen kann, die Kirche: Es kommt darauf an, daß du an Christum glaubst, Christo nachfolgest, dir ihn und seine sittliche Vortrefflichkeit, wie sie sich besonders in seinen Leiden zeigt, zum Ziele setzest, und in ihm das Ziel zu erreichen fortgesetzt und standhaft strebest und hoffst; dann sieht dich Gott an und belohnt dich, nicht nach dem, was du bist, sondern nach dem, was in Christo du zu werden suchst. An sich kann dein Be­ streben ihm noch nicht gnügen; aber das, was du Aehnliches mit Christo schon hast, gefällt ihm, so wie das Trach­ ten, ihm immer ähnlicher zu werden. Da es ihm aber doch in der Unvollkommenheit, die sich dabei findet, nicht gefallen kann, so kannst du dir vorstellen, daß die Tugenden Christi, die du dir zu eigen zu machen suchst, die Lücken der Deinigen ausfüllen; kannst dir vorstellen, du werdest von Gott ange. sehn und behandelt, als hättest du diese Tugenden, in welchen du Christo ähnlich zu werden suchst, schon wirklich an dir; Er hat dich sich angenehm gemacht in dem Geliebten, Ephes. 1,6. Man muß zugeben, daß dies nur eine menschliche Vor­ stellung ist, aber sie sagt im Grunde nichts weiter, als, in einem aufrichtigen und bis ans Ende fortgesetzten Streben nach Aehnlichkeit mit Christo vergebe Gott auch uns um Christi 10 *

148 willen diejenigen Sünden, welche dabei wider Willen immer noch in uns bleiben, das Aufsehn auf Jesum und sein erhabe­ nes Vorbild helfe dazu und Jesus habe so heilig seyn müssen, als er es gewesen ist, um uns Vergebung der Sünden zu verschaffen, auch durch seine Tugenden sey sie uns erworben. Aufmunternd kann daher diese Vorstellung werden, wie sie es gewiß oft geworden ist; aber schädlich nur dann, wenn Jemand wahnen wollte, der Gehorsam Christi könne auch von dem als stellvertretend für die ihm fehlenden Tugenden betrachtet werden, der nicht hinlänglich nach Aehnlichkeit mit Christo strebt. Aber vor solchen Mißverständnissen, kann man ja wohl Jeden bewah­ ren, und wer kann auf der andern Seite eine Religionslehre vortragen, die nicht mißverstanden und gemißbraucht werden kann? Den Unreinen ist Alles unrein, den Verkehrten Alles verkehrt. Aber an sich kann die Lehre, daß Gott aus bloßer Gnade die Sünde vergiebt, gewiß noch leichter gemißbraucht werden, als die, daß er gewiß Sünden vergiebt, aber nachdem er so gnädig gewesen ist zu verfügen, daß Christus seiner Gerechtigkeit, Weisheit und Wahrhaftigkeit ein vollkommenes Gnüge that, und nur wenn das lebendig geglaubt wird. Wer im Glauben daran Vergebung der Sünden bei Gott hofft, der hat sie schon, indem er an Jesum Christum den gekreuzigten glaubt, und hofft ihre wohlthätige Wirkung je länger je mehr auf Erden, am meisten aber nach dem Tode zu erfahren. Er hat Friede mit Gott und in seinem Gewissen, und eben daher Muth und Freudigkeit das Gute zu thun. Er übt sich in der Gottseligkeit und kömmt darin immer weiter, nie aber durch sich selbst, sondern durch die Anwendung der durch Christi Tod ihm geschenkten Gnade Gottes und Gnadenmittel, und nie so weit, daß er nicht immer noch der göttlichen Verzeihung bedurfte und darum bäte. Er getröstet sich ihrer sein ganzes Leben hin­ durch und hofft in ihr, die ihn zu stetem Wachsthum in allem

149

Guten gebracht und in der Demuth gehalten hat, Gnade von dem Weltrichter und das Erbtheil der Kinder Gottes. Gelehrt hat man zu aller Zeit und bei aller christlichen Lehrmethode, daß man solche Hoffnungen auf Gott haben und in denselben das Gute thun müsse. Aber ob man bei jeder andern eben so leicht und eben so gewiß den Zweck bei den Menschen, wie sie sind, erreicht, glaube ich nicht und eben darum rechne ich es dem Christenthum hoch an, und danke Gott herzlichst dafür, daß uns in Christo ein Heiland dargestellt wird, in wel­ chem wir eine Gott geziemende Sündenvergebung erhalten können und sollen. Spricht man noch immer davon, oder befürchtet man noch immer, daß man Schaden stiften werde, wenn man Vergebung der Sünden durch den Glauben Allen verkündigt, wenn man nicht lehre, ohne Besserung sey bei Gott keine Vergebung, so frage ich nur, wie man das mit Wahrheit lehren könne; da bei sündigenden Menschen nicht nur die göttliche Sündenvergebung, sondern auch der Glaube daran vorhergehen muß, wenn die Besse­ rung erfolgen soll, und ich frage, wie man dann die Besserung, die man allerdings fordern kann, besser hervorbringen wolle, als durch den Glauben an den gekreuzigten Christus und ob man nicht lieber suchen müsse sie hervorzubringen, als sie nur für nothwendig zu erklären? Wahrlich, durch das Letztere erfolgt sie nicht, oder doch niemals recht und hinlänglich. Entsteht Schaden durch diese Lehre, so entsteht er nur dadurch, wie ich eben zu bemerken gab, weil den Unreinen Alles unrein ist, oder dadurch, daß man auch n u r l e h r t, der Glaube an den gekreuzigten Christus sey nöthig zur Vergebung der Sün­ den und verschaffe sie sicher, aber sich nicht genug bemüht, den Glauben so zu wecken und zu beleben, daß in den Christen eine Gesinnung entsteht, bei welcher Gott ihnen die Sünden in seiner

150

Heiligkeit und in seiner Gnade verzeiht. Möchten wir Prediger doch das je länger je mehr lernen und uns darin je länger je mehr üben!

vir. Wir haben zuletzt noch das im Christenthum als bewun­ dernswürdig darzustellen, daß uns durch Christum der heilige Geist nicht nur verheißen, sondern geschenkt wird. Frei­ lich, wenn das Nichts weiter heißen soll, als, daß wir durch Christum Hülfe, Kraft und Gottes Beistand zur Heiligung erhalten, so wird dadurch uns nichts Besonderes versprochen. Denn wenn auch alte Philosophen wohl gesagt haben: Gebe mir Gott nur die äußern Güter, die innern, die Tugend, will ich mir wohl selbst verschaffen, so kann doch das nicht so gemeint seyn, als wenn wir Gottes Beistand gar nicht zu letzteren bedürften, oder es ist gar leicht widerlegt und am leichtesten als eine unchristliche Meinung dargestellt. Insonderheit aber liegt in der Hoffnung der Ver­ gebung der Sünden, nach der oben gegebenen Erklärung, schon eben das, daß uns von Gott unverdiente Kräfte und Mittel zur immer großem Besserung gegeben werden und selbst bewirkt wird, daß diese, was sie sonst nicht waren, wirksam werden und das hervorbringen, was sie sollen. Aber welcher verstän­ diger Leser des neuen Testaments möchte auch behaupten, daß in allen den Stellen, worin gesagt wird, daß wir durch Chri­ stum den heiligen Geist erhalten, Nichts weiter damit gemeint sey, als daß Gott uns beistehe, um sittlich zu werden und zu bleiben. In viele Stellen möchte eine solche Auslegung baaren

151 Unsinn bringen.

Ich spreche von denen nicht,

Gottes als Urheber gewisser Veränderungen gestellt wird,

z. E.

1. Cor. 12,

11.,

wo der Geist

und Gaben vor­

sondern von solchen,

worin Etwas, was in den Christen nicht nur seyn kann, (wel­ ches die Hülfe Gottes zum Guten seyn möchte) sondern, was in ihnen wirklich ist und seyn soll, der heilige Geist heißt. Kann, um nur ein Beispiel von unzähligen anzuführen, Röm. 8, 16.:

„Der Geist giebt Zeugniß

Gottes Kinder sind," übersetzt werden: die Gott uns giebt,

daß wir

die Hülfe zum Guten,

wirkt das Zeugniß?

Etwas die Rede seyn, kann, sondern ist;

unserm Geist,

Nein, es muß von

was in dem Christen nicht nur seyn

daher kann man noch weniger hier Geist

durch Evangelium übersetzen, wodurch noch weniger immer dieses Zeugniß entsteht, wenn es gleich dadurch entstehen kann und soll.

Nein, wie das,

was

das Evangelium in einigen

Menschen wirkt, auch der Geist Christi heißt, darum, weil es die Denkart ist,

die in Jesu Christo war,

Geist Gottes, der Sinn,

so ist es auch als

der in Gott ist,

oder,

um

denselben etwas weitläuftiger zu beschreiben, die Erkenntnisse, Kräfte, Gesinnungen und Freuden, die Gott selbst hat; daher sagt die Verheißung des heiligen Geistes, daß wir solchen göttlichen Sinn durch Gott selbst in unserm Innern erhalten.

Das Mittel und die Bedingung für uns

Christen dabei ist: der Glaube an Christum.

Aber das

ist allerdings sonderbar dabei, daß auch dieser schon ein Werk des heiligen Geistes oder Etwas von dem heiligen Geiste selber heißt.

Hiebei erregt es schon einigen Anstoß,

daß diese. Wir­

kung des Christenthums Gottes Geist selbst heißen und seyn soll;

aber noch mehr entsteht ein anderer daraus, wenn man

lehrt, daß diese innern Wirkungen und Wohlthaten Jesu Christi durch Gott ganz allein, und,

wie man nach einem kirchlichen

Sprachgebrauch hinzusetzt, unmittelbar uns

zu

Theil werden

152 sollen, zumal, wenn selbst das erste dazu Nöthige, der Glaube an Christum, ein Werk Gottes in uns heißt.

Man hält sogar

heute eine solche Lehre, die ich für höchst heilsam halte, gefährlich. müssen,

Wir werden uns

daher

um beurtheilen zu können,

darüber

näher

für

erklären

ob darin ein Vorzug des

Christenthums liegt. Hat man gegen das Erstere,

daß uns durch Christum

göttliche Erkenntnisse, göttliche Gesinnungen, Kräfte und Freu­ den mitgetheilt werden sollen,

Etwas einzuwenden,

so wird

doch Jeder gestehn, daß das das Höchste und Beste sey, was verheißen, und durch eine göttliche Anstalt bewirkt werden kann. Es muß hinzugefügt werden, daß dieser Geist ein Gemeingeist werden, allen Menschen ohne Unterschied zu Theil, und in der christlichen Gemeine, wo nicht allgemein wirklich verbreitet, so doch herrschend und eben dadurch zuletzt ganzen Erde werden soll;

herrschend auf der

daß, wo dieser Geist wirkt,

Alles

neu geschaffen und zur höchstmöglichen Vollkommenheit gebracht werden soll und muß; fragen,

und dann kann man jeden Menschen

ob er etwas Erhabeneres zu denken und zu wünschen

im Stande ist? Leugnen kann man nicht, daß Christus dieses Ziel sich gesetzt hat; aber bei dieser Ueberzeugung ists unstreitig höchst bewundernswürdig, erhebt,

nicht

daß uns das Christenthum so hoch

nur so viel verspricht,

sondern

auch

so

viel

darreicht. Das Einzige, was man dawider einwenden könnte, wäre, daß die Verheißung schwärmerisch, daß mehr versprochen werde, als zu leisten möglich sey. die göttlichen Einsichten, gerade in

Allein es wird nicht gesagt, daß Gesinnungen, Kräfte und Freuden

höchstem Grade sogleich Jedem zu Theil werden,

sondern nur, daß Jeder sie um so mehr bekomme, 1) je mehr er ihrer bedarf, langt,

3) je

2) je sehnlicher er

besser

er

das,

was

darnach

ver­

er davon hat,

153 anwendet, Luc. 11, 13. 12, 48. nicht Zeder selbst weiß,

Eben dämm aber, weil

wie viel er bedarf,

theils für fich,

theils, um auf Andre zu wirken, Mancher auch wohl meinen kann, daß er, oder Andre, mehr oder weniger darnach verlan­ gen,

als

nach

der Wahrheit behauptet werden kann,

auch

Mancher sie vielleicht besser oder schlechter anwenden mag, als man weiß; heißt es auch, daß der Geist seine Gaben austheilt nach dem er will,

1. Cor. 12, 11.

Beachtungswerth ist nun

dabei insonderheit, daß keine Grenze bestimmt wird, innerhalb welcher die Gaben des heiligen Geistes nur ausgetheilt oder der heilige Geist selbst mitgetheilt wird; und eben das ist das Eigenthümliche und nicht genug zu Schätzende in den Verheißungen und Wirkungen des Christenthums, daß man von diesem göttlichen Sinne je länger,

je mehr bekommen,

wenn man auch noch so viel davon schon hat, noch mehr davon erhalten kann und soll, aus der Fülle

daß,

man immer

sollte man es auch

der göttlichen Allmacht selbst erwarten müssen,

so wie, daß die Stufenfolge, in welcher immer mehr von die­ sem göttlichen Geiste unser Theil wird, gar keiner menschlichen -Berechnung unterliegt.

Eben um des letzteren Grundes willen

heißt auch der geringste Grad davon schon der heilige Geist, indem der Eine sehr schnell zu einem sehr reichlichen Maaße desselben gelangen

kann, indeß dem Andem derselbe vielleicht

viel langsamer und allmähliger mitgetheilt wird, ohne daß die Ursachen davon immer angegeben werden können.

Uebrigens ist

Er doch auch das, was Gott hat, wenn gleich nicht dem Grade, so doch der Sache nach, z. B. Freude am Rechte und Wohlthun und unterschieden von dem, was der Geist der Welt heißt. Wird das von uns als Christen geglaubt, so muß nothwen­ dig die geringste Wirkung, welche durch Christum im Innern des Menschen vorgeht,

sehr hochgeschätzt werden, ohne daß man

doch darüber stolz werden kann, so fern sie in uns selbst ist.

Die

154 geringste christliche Erkenntniß und Gesinnung, die man' an Anbertt erblickt, muß man hoch ehren, als den heiligen Geist in ihnen.

Man muß aber auch einen beständigen Wachsthum darin

für sich und. Andere für möglich halten und kann nie glauben, daß man schon so am Ziele sey, daß man nicht noch weiter kom­ men könnte.

Auch kann man nie verzweifeln, so schwach man

sich auch fühlen möchte, wenn man nur wirklich mehr Stärke verlangt, mehr bedarf, und die Kräfte, die man hat, recht anzuwenden bemüht ist. Ob diese Vortheile auch auf andere Weise zu erringen sind, will ich nicht untersuchen; aber daß sie, in dieser Art vorgestellt, die höchste Verehrung erhalten und auf diele Weise gewiß beför­ dert werden, wird nicht leicht Jemand in Abrede stellen. Vielleicht würde Mancher, wenn wir ihm die einzelnen innern Wirkungen, die durch Christum in ihm entstehen sollen, namhaft machen, sie nicht einmal recht schätzen.

Denn Paulus sagt: der natürliche

Mensch vernimmt Nichts von dem, was des Geistes Gottes ist, 1. Cor. 2, 14.

Aber wenn man ihm sagt, daß er Gottes Sinn

und Geist bekomme, so kann er doch nichts Anderes, als das Allerhöchste darunter denken, was Jeder mit der Zeit auch immer höher und höher schätzen lernt, je mehr er davon bekommen hat. Wie wird man aber den Anstoß an dieser Lehre haben, der daraus entsteht, daß von Gott auch wohl unmittelbar diese göttlichen Einsichten, Gesinnungen, Kräfte und Freuden erwartet und uns ertheilt werden sollen? Dabei, fürchtet man, werde aller Trägheit im Guten Vorschub geschehn, dabei alle Ermahnungen unnütz, alle Belohnungen und Strafen unzulässig werden, und was man sonst nicht noch mehr Nachtheiliges von solcher Behauptung erwartet. Man will auch wohl beweisen, das sey nicht christliche Lehre, wenigstens so vorgetragen, wie es in allen evangelischen Lehrbüchern geschehn sey, sey sie es nicht.

Wir kümmern uns

155 aber nicht über den Vortrag, wie er zuweilen gewesen seyn mag. Wir bestehn nur darauf, daß das Göttliche nur könne von Gott mitgetheilt werden. Die Ordnung ist uns bekannt gemacht, in welcher das gewöhnlicher Weise geschieht, in dem Glauben an Jesum Christum. Ich sage „gewöhnlicher Weise," denn das muß angenommen werden, daß in außerordent­ lichen Fällen, auch durch unbekannte Mittel, der heilige Geist in menschliche Seelen kömmt, wie auch Calvin selbst zugiebt, (Inst. L. II. c. 3. § 4.) daß, wenn sich Männer unter den Heiden fänden, die sich durch besondere Tugenden ausgezeichnet hätten, dies einer besondern Gnade Gottes zuzuschreiben sey, wie sie auch wohl solchen, die Christum nicht kennen, (dem Einen, so wie dem Andern nicht,) ertheilt würden. Wer aber die bekannt gemachte Ordnung kennt, muß sich in dieselbe fügen, sonst kann er nicht hoffen des heiligen Geistes theilhaftig zu werden. Aber wenn man nun lehrt, daß der heilige Geist selbst diesen Glauben wirken muß und er nicht das Werk des Men­ schen ist, wie Paulus Eph. 2, 8., was folgt daraus? Ich meine Nichts weiter, als daß in gewöhnlichen Fällen Niemand durch sich selbst diesen Glauben erhält, sondern durch einen Andern, und zwar zuletzt gewiß, durch Einen, der schon den heiligen Geist hat, und daß in Jedem, der ihn wahrhaft erhält, nicht er selbst ihn, sondern Gott ihn wirkt. Sollte nun das so etwas Absurdes, sollte diese Lehre gefährlich seyn? Gewiß ists doch, daß wir das, was wir als Christen glauben, aus der heiligen Schrift hernehmen, mithin, wie wir überzeugt sind, durch Männer erhalten, die den heiligen Geist hatten, ja daß jeder Einzelne das Christenthum erhält durch seine Lehrer, durch die Kirche. Es gehört doch zu den außerordentlichen Fällen, die nur wenig in Betrachtung kommen können, wenn Jemand durch sich selbst auch nur auf Erkenntniß der Grund-

156

lehren aller wahren Religion kömmt; Erfahrung und Geschichte zeigen, daß bei weitem die Meisten bei der Religion bleiben, die sie von Andem erhalten und gleichsam mit der Muttermilch ein­ gesogen haben. Wenn es nun auch mit der christlichen diese Bewandniß hat, ja, wenn es mit dieser nothwendig also beschaffen seyn muß, weil sie auf Geschichte beruht, die Niemand selbst erfinden kann, sondern die Jedem von Andern überliefert werden muß, was kann man dagegen haben, wenn gelehrt wird, daß Niemand den Glauben an Christum durch sich selbst bekömmt? Warum sagt man aber nicht geradehin: in Jedem muß durch andre Menschen der Gmnd dazu gelegt werden? Darüber ist die Antwort leicht. Denn, wenn das von jedem Einzelnen gesagt werden muß, daß er seine Religion von andem nur bekömmt, so muß zuletzt doch der erste Grund davon in Gott gelegt werden, her in dem Menschen wirkt, oder in dem heiligen Geist. Denn von dem Einen zu dem Andern hinaufgestiegen, wo wollen wir zuletzt enden, als in Gott, der außerordentlich auf Einige Men­ schen gewirkt haben muß, damit sie die Lehrer anderer haben werden können und sollen. Aber zu erwägen ist insonderheit, daß Christen wünschen und fordem sollen, einmal, daß nicht blos auf äußeres Bekenntniß, auch selbst nicht vornämlich auf Er­ kenntniß, sondem in dieser auf Gesinnung, Kraft und Freudig­ keit, also nicht auf etwas Einzelnes, sondern auf das Ganze, was doch nie der Mensch allein, sondern Gott in seiner Gewalt hat, hingearbeitet werde; dann, daß nicht alle und jede Mittel, nicht Zwang, nicht menschliches Ansehn, nicht Ueberredungskünste gebraucht, sondern nur die Wahrheit in rechter Liebe und Kraft gepredigt werden soll. Geschieht das, so wirkt der heilige Geist durch die Lehrer auf dm Glauben des Lemenden. Wenn es aber aber auch nicht unmöglich ist, auch manchmal geschehen mag, daß der Glaube auch in Jemandem durch Lehrer bewirkt wird, welche in dieser Bedeutung nicht in und mit dem heiligen

157 Geiste ihren Zweck erreichen wollen, so ist doch das, was als­ dann den Glauben in uns hervorbringt und erhält, nicht das bloße Menschenwort, sondern das, was der Geist Gottes gelehrt hat, und nur das, und nichts Anderes sollte in göttlicher Er­ kenntniß, Gesinnung und Kraft gelehrt werden. Die Lehre bringt auch gewiß nicht nothwendig den rechten Glauben her­ vor; denn sonst müßte er in Allen, die sie kennen lernen, ent­ stehn. Man kann auch nicht einmal sagen, daß er ein Werk des Willens und Wunsches in dem sey, der ihn erhält. Denn Mancher erhält vielleicht den dazu helfenden Unterricht wider oder ohne seinen Willen, und ohne allen Zweifel ist in allen Menschen Etwas, was der rechten Wirkung desselben wider­ strebt und sie hindert. Wahrlich sie kommt nicht dadurch, daß man sagt: „Ich will glauben!" Sie kommt durch die Kraft der Wahrheit und auch nicht immer. Umstände müssen der Wirkung des Unterrichts beförderlich seyn. Denn wie verschieden ist sie, wenn die Wahrheit als Wort zu seiner Zeit, oder zur Unzeit vorgetragen wird! Und sollte nicht auch eine eigenthümliche Seelenstimmung, wie sie gerade zu der Zeit ist, wo die Wahrheit den rechten Eindruck macht, dazu nöthig seyn, daß die Erkenntniß und der Entschluß jetzt entsteht, die zu anderer Zeit nicht entstanden seyn würden? Ich kann mir nicht vor­ stellen , daß Jemand das leugnen wird. Eine Stelle in einer Predigt macht vielleicht auf uns einen Eindruck, den sie nicht auf Andere, und heute einen, den sie nicht zu anderer Zeit auf uns machen würde. Ist aber dem also, muß die Wahrheit, wie der heilige Geist sie gelehrt hat, unter Umständen, die wir Menschen nie ganz in unserer Gewalt haben, und in einer besondern Gemüthsstimmung, zu der wir und andere Menschen uns weder immer vorbereiten können, noch wollen, gelehrt werden, wenn der Glaube dadurch entstehn soll, warum wollen wir anstehen zu lehren, daß er durch den heiligen Geist müsse

158 gewirkt werden; mögen wir blos das, was hiebei auf die See­ len der Menschen, die naher, oder entfernter dazu beitragen, von Gott gewirkt, oder Alles, was durch die göttliche Vor­ sehung dazu vorbereitet wird, dazu rechnen. Nur darf nicht das Letzte allein dabei gemeint und auch das Wort Gottes, wie es in Jesu Christo erschienen und verkündigt ist, nicht dabei übersetzn werden, ohne welches keine Wirkung des heiligen Geistes nach der Bibel gedacht werden kann. Wir setzen selbst hinzu, daß der rechte Glaube ohne Zu­ thun des Menschen, der ihn erhält, und können selbst hören, daß er ohne Zuthun derer, die ihn in Andern befördern, entsteht, ja, ohne das entstehen muß. Aber wie wird das zu denken seyn? Es wird Niemand bezweifeln, daß der Eine leh­ ren, der Andre hören muß, und so sollte man ja wohl behaup­ ten, daß dazu von Menschen mitgewirkt werden müsse. Wenn man aber Bedenken getragen hat das zu lehren, warum hat man es gethan? Man hat nur das eine Mitwirkung zu Etwas genannt, welches in der Absicht geschieht, den Zweck hervorzubringen, wie eine Vorbereitung dasjenige nicht blos, wodurch das Entstehen einer Sache erleichtert wird, son­ dern wodurch sie absichtlich erleichtert werden soll, wie man z. B. nicht sagt, daß man sich zu einem Feste vorbereitet hat, wenn man geschickt ist, es zu feiern, sondern nur dann, wenn man Etwas absichtlich vorgenoinmen hat, um sich dazu geschickt zu machen. Nun, wollte man darauf aufmerksam machen, daß, wenn ein Lehrer die christliche Wahrheit vortragt, z. B. um sich mit diesem Vortrage Ehre zu machen, er also nicht den rechten Nutzen beabsichtigt, dieser doch entstehen kann, worauf wir oben schon hingewiesen haben, so wie, daß Jemand diesen Nutzen haben kann, wenn er ihn auch nicht sucht, wenn er z. B. in ganz anderer Absicht, als belehrt und gebessert zu werden, die Wahrheit kennen gelernt hat. Ist so Etwas

159 möglich, so kann auch gesagt werden, daß ohne Zuthun oder Mitwirkung der Menschen der Glaube in Jemandem entstehe. Sind nun, Menschen

wie man

verderbt,

mit Gründen

behaupten kann,

alle

so kann man die erste Entstehung des

Glaubens in Einzelnen sich nie anders vorstellen, als daß er ohne absichtliches Suchen, (wie wir lieber sagen wollen, statt: ohne Zuthun, ohne Mitwirkung, ohne Vorbereitung) in ihnen entstanden sey, wie auch der Heiland zu seinen Jüngern sagt:

„Nicht ihr habt mich, sondern ich habe euch erwählt,"

Joh. 15. 16., und die Geschichte des Berufes der Apostel, wie wir sie haben, kann dies genugsam erläutern, um daraus zu folgern, was hier behauptet wird, daß sie sich nicht absichtlich vorbereiteten, um an Christum zu glauben. Man kann erwiedern: sie müssen aber doch vorbereitet gewesen seyn; und das kann man gern zugeben; aber wodurch?

Durch Eigenschaften, die Andere

um sie her, die um Jesum sich nicht bekümmerten, oder von ihm abgeneigt waren, wenn sie ihn gleich kennen lernten, nicht hatten? Höchst wahrscheinlich oder vielmehr gewiß! — Aber dadurch allein?

Nicht auch durch die eigenthümliche Gemüthsstimmung,

in der sie sich gerade damals befanden, als Jesus zu ihnen sagte: Folget mir nach?

Nicht durch besondrre Umstände, die auf

eingewirkt hatten? Und wollen wir nicht auch die Wahrheitsliebe, die sie gehabt haben mögen,

Gott verdanken?

sagen: sie haben Nichts in der Absicht gethan,

Genug wir um an Chri­

stum zu glauben; es ist durch den heiligen Geist in ihnen gewirkt worden. Wenn hernach Jemand den heiligen Geist, und in ihm den rechten Glauben hat, so kann ein Solcher allerdings Etwas dazu mitwirken, daß der letztere in Andern entsteht, indem seine Ab­ sicht dahin gerichtet ist und er zur Erreichung derselben auch nur in heiliger Erkenntniß, Gesinnung, Kraft und Freude wirken will, und er wirkt nun viel.

Mer er kann und soll doch Nichts

~

160

dazu thun, als in diesem Sinne die Wahrheit lehren; aber kann es wohl nur allein seine Absicht seyn, Glaube entstehen soll?

daß der wahre

Er wünscht das, er bemüht sich dahin,

er will das; aber Jeder weiß, und es folgt aus dem Vorigen von selbst,

daß der Erfolg nicht von ihm selbst abhängt.

Er

muß also auch noch eine weiter gehende Absicht haben, gleich dem Propheten Hesekiel, der dachte, hören sie mich oder hören sie mich nicht, so sollen sie doch wissen, daß ein Prophet unter ihnen ist, Hesek. 2, 5. Paulus predigte so, daß Jeder, der ihn hörte, das Evangelium rühmen und erkennen mußte, daß es Gott zür Ebre gereichte; aber, indem er den wahren Glauben selbst durch sich nicht hervorbringen konnte, wußte er, daß seine Predigten nur Einigen heilsam, 14 — 16.

Andern verderblich würden, 2 Cor. 2,

Das muß jeder Lehrer bedenken, und dem gemäß

muß jeder zu lehren suchen. Aber muß er eben dabei nicht gestehn, daß er Nichts dazu thun kann, den Glauben hervorzubringen; er kann blos dazu thun, ihn möglich zu machen, ihn vorzuberei­ ten, aber er kann selbst Anlaß dazu geben, daß die Widersetzlich­ keit gegen die Wahrheit noch größer, und er selbst gehaßt und verfolgt wird;

und sollte es nicht nützlich seyn, wenn er dies

weiß, bedenkt, aber doch in diesem Gedanken seine Pflicht thut und es Gott und seinem Geiste überläßt, was daraus entsteht? Ohne diesen heiligen Geist wird er gewiß Nichts ausrichten. Möchte doch das mehr bedacht werden, als es geschieht! Was weiter aber die betrifft, in welchen der wahre Glaube entsteht, so wie er durch Lehrer der Wahrheit vorbereitet wird, so ist nach dem, was schon in Rücksicht auf die Apostel gesagt ist, über sie nichts Besonderes hinzuzufügen.

Sie suchen vielleicht

den Religionsunterricht gar nicht, sondern erhalten ihn ungesucht, oder suchen ihn in ganz anderer Absicht,

als um daran und

dadurch gläubig zu werden, und erreichen doch vielleicht diesen Zweck.

Es ist wahr, sie müssen dazu geeignet seyn, da die

161 Umstande und die besondere Gemüthsstimmung zu einer gewissen Zeit stets vielen Antheil daran hat. Entsteht aber der wahre Glaube in ihnen, so haben sie das nicht sich zu danken, da sie es nicht suchten, sondem dem heiligen Geiste. Sie konnten auch Nichts dazu thun, ihn in sich hervorzubringen, da sie das den Umständen, ihrer Gemüthsstimmung, dem heiligen Geiste überlassen mußten, obgleich sie vielleicht die Mittel gebrauchen mußten, wodurch er nach dem Willen und der Wirkung des heiligen Geistes hervorgebracht wurde. Das scheint eine unnütze Unterscheidung zu seyn, aber sie ist in der Wahrheit gegründet, wie das Gesagte gezeigt haben wird. Sie darf auch durchaus nicht übersehen werden, weil derjenige, welcher gläubig oder gut seyn will, es schon ist, wir aber hier Jemanden voraus­ setzen müssen, der es noch nicht ist, aber werden soll. Wenn wir diesem sagen: Du mußt glauben! so fühlt er theils bald, daß das nicht von ihm abhängt, theils hört er auf unsern Zuruf nicht, weil ihm der Zweck noch nicht wichtig genug ist. Er versteht es auch vielleicht falsch, indem er bald meinen wird, es sey von einem bloßen Fürwahrhalten die Rede, oder es werde zu viel oder etwas wenig Nöthiges von ihm gefordert. Die Sache des Lehrers ist, das Bedürfniß des Glaubens zu wecken, und die Glaubwürdigkeit Christi darzustellen. Fällt dann nur dieser Saame in ein gutes, von dem heiligen Geiste zubereitetes Land, so bringt er, der Mensch mag wollen oder nicht, gute Früchte. Man bezweifelt so Etwas noch immer, indem man an die Freiheit des Menschen denkt; aber man vergißt, daß der Mensch zuletzt das doch nicht leugnen kann, was ihm als wahr erscheint, oder daß, wenn er es leugnet, er nur äußerlich Etwas thut, was seinem Innern widerspricht. Man vergißt, daß gewisse Vorstellungen zu gewisser Zeit nach ihrer und des Menschen Natur einen großen Eindruck machen müssen, z. B. daß, wenn ich Jemanden überzeuge, daß ein 11

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Anderer ihm mit Aufopferung seines Lebens das Leben gerettet hat, sich einiges Gefühl der Dankbarkeit in ihm regen muß'; genug, daß der Mensch nicht so frei ist, daß die wirklich erkannte Wahrheit, die ihm einen möglichen und wichtigen Vortheil ver­ spricht, ohne allen Eindruck auf seinen Willen bleiben könnte. Der Mensch hat es in seiner Willkühr, zu beten, oder nicht zu beten, zu arbeiten, oder nicht zu arbeiten, wohlzuthun, oder nicht wohlzuthun, wer wird das leugnen? Wer es leugnen will, verwickelt sich in unnütze Speculationen. Aber er kann nur alles ihm glaubwürdig Vorkommende glauben, und alles ihm als liebenswürdig Erscheinende lieben. Er wäre ja sonst das sich selbst am meisten widersprechende Geschöpf, wenn er das Gegentheil könnte, und eben so wird man sagen müssen: das uns glaubwürdig Erscheinende müssen wir glauben, das von uns als liebenswürdig Erkannte müssen wir lieben. Unserer Freiheit wird dadurch wahrlich! nicht zu nahe getreten. Nun kann aber auch Niemand Etwas dazu thun, daß ihm Etwas als glaubwürdig und liebenswerth erscheint, oder kann er es? Ja er kann sich die Gründe der Glaubens- und Liebenswürdig­ keit oft vorhalten. Aber wird Jemand das thun, um zu glau­ ben und zu lieben? Nein, was man für wichtig erkennt, daran denkt man; was man liebt, das betrachtet man wohl oft. Aber Niemand denkt an Etwas oft, um es wahr und wichtig zu finden: so Etwas muß ihm schon, von einer gewissen Seite wenigstens, wichtig seyn. Niemand betrachtet Etwas oft, um es zu lieben, er liebt es schon, wenn er es oft betrachtet. Will man also in Andern Glauben wecken, so hat man Nichts zu thun, als den Gegenstand glaubwürdig darzustellen. Hören muß allerdings der, welcher zum Glauben gebracht werden soll; aber er kömmt nicht in der Absicht, um zu glauben; er kann also, ja er muß anfangs in einer andern kommen. Er bereitet sich also nicht darauf vor; er thut zu diesem Zweck Nichts;

163 was er thut, trägt wohl dazu bei, — ohne das würde der Erfolg schwerlich kommen; aber er will weder diesen Erfolg, noch hängt derselbe von seinem Willen ab. Er hängt von so Vielem ab, daß wir nicht anders sagen können, als: der hei­ lige Geist bringe ihn hervor. Ist nun der Glaube hervorgebracht, so kömmt die Sache etwas anders zu stehen. Denn nnn kann die Absicht die seyn, sich im Glauben zu stärken, immer besser und gottgefälliger zu werden, und dadurch wird der Erfolg unfehlbar sehr befördert. Aber verursacht? In dieser Hinsicht bleibt die Sache immer noch dieselbe. Was ihm vorgetragen wird, die äußern Um­ stände, unter welchen, und seine besondere Gemüthsstimmung haben unfehlbar darin einen großen Einfluß. Einiger Wider­ stand im menschlichen Herzen bleibt auch immer noch übrig. Warum sollen wir nicht sagen, auch die Bewahrung in der Heiligung sey ein Werk nicht des Menschen, sondern des heiligen Geistes. Die Gnadenmittel muß der Christ gebrauchen, wenn der heilige Geist wirken soll. Das versteht sich von selbst, so wie auch nie geleugnet werden wird, daß er das könne. Es muß selbst gelehrt werden, wie wir schon vorher bemerkten, daß er alle einzelne gute Gesinnungen annehmen und alle einzelne gute Handlungen verrichten könne. Dazu kann er also auch ermahnt, dazu kann er selbst durch Menschen erzogen und gebildet wer­ den, aber warum wollen wir, wenn es gelingt, die Wirkung Gottes ausschließen? Allerdings können wir auch einander zur Buße^ zum Glauben ermahnen. Aber möchte man doch über­ haupt bedenken, was Ermahnungen helfen? Wenig, wenn nicht Hülfsmittel gegeben werden, wenn nicht eine Zucht und Uebung dazu kömmt. Nun kann man Jemanden zur Arbeitsamkeit und andern einzelnen Tugenden erziehen, daß man ihn anfangs wider Willen, oder gleich nach der geschehenen Ermahnung sie

164 üben läßt, und geschieht das, so entsteht zuletzt die einzelne Tugend. So kann man es aber nicht mit dem Glauben ma­ chen; den können wir nicht wider unsern Willen haben, wenn gleich sein Entstehen ohne unsern Willen, wie wir vorher zeigten, bewirkt werden kann. Das heißt: Er kann wohl ohne daß wir es wollen in uns entstehn, nicht aber, ohne unsern Willen in uns seyn, da z. B. ein Freudigkeit mit ihm in uns ist. Ob Er sogleich entsteht, wenn wir dazu ermahnen, wissen wir nicht. Wir können, wenn wir ermahnen, höchstens davon überzeugen, daß er nothwendig und etwas Vortreffliches sey. Aber diese Erkenntniß kann wieder verschwinden, ohne daß sie wirksam wird. Ein Anderes ist, wenn wir das, was geglaubt werden soll, als glaubwürdig darstellen aus Wahrheitsgründen, aber dann wirken die Wahrheitsgründe und nicht der alleinige Wille des Menschen. Genug jeder Christ muß die Mittel des Glau­ bens gebrauchen. Anfangs thut er es ohne die rechte Absicht, und doch kann durch den heiligen Geist der Glaube in ihm gewirkt werden. Mit der Zeit thut er es in der rechten Absicht; aber dann ist der Glaube schon in ihm und wird wohl gestärkt und belebt, aber wahrlich nicht durch seine Absicht (da das Wichtigere ohne dieselbe geschehn sehn muß) durch Vielerlei, das außer ihm und in ihm geweckt werden muß, wovon wenig­ stens das Letztere, wo nicht Alles dem heiligen Geiste zuge­ schrieben wird. Wer kann Etwas dagegen haben? Man stößt sich nur daran, daß der heilige Geist unmittelbar wirken soll; aber das heißt doch nicht, daß er gewöhnlicher Weise ohne alle Mittel wirkt. Denn gewöhnlicher Weise wirkt er, wie jeder evangelische Theologe lehrt, durch das göttliche Wort und die Sacramente und nicht ohne sie. Ob er gewirkt hat, muß wieder aus und nach dem göttlichen Worte beurtheilt werden. Aber gelehrt wird, daß die Mittel nicht durch sich wirken, son­ dern nur durch den heiligen Geist, und dies muß ja gelehrt

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werden, da sie bei dem Einen das Rechte, bei dem Andem nicht, und auch bei Verschiedenen das Eine oder das Andere in sehr verschiedenen Graden wirken. Man findet daher die Wirkung des heiligen Geistes für nöthig, und warum? Das muß aus dem Vorigen genugsam erhellen. Aber wie man überhaupt alle göttliche Mitwirkung für eine unmittelbare göttliche Handlung erklären muß, weil man Alles, was die Geschöpfe zu dem thun, wozu Gott mitwirkt, von der Handlung Gottes absondert, und von der Handlungsart Gottes Nichts weiß, als: „Er will, und es geschieht; er gebietet, und es steht da;" so muß man es auch hier machen und kann daher das, was der heilige Geist zur Bekehrung und Heiligung der Menschen rhut, nur als eine unmittelbare göttliche Handlung beschreiben, und muß das um so mehr, weil von einer Wirkung die Rede ist in dem Willen des Menschen, die der Mensch, wie wir gesagt haben, oft selbst nicht will, wenn er auch Mittel dazu in anderer Ab­ sicht gebraucht, die also ihm gar nicht zugeschrieben werden kann, also dem heiligen Geiste, der auf sein Gemüth wirkt, allein zugeschrieben werden muß. Würde man sich auch gewöhnen theils bei Allem, was in der Welt geschieht, nur Etwas, sofern es eine Einschränkung des Vollkommenen ist, den Geschöpfen, aber, so fern es gut ist, Gott zuzuschreiben, wie das nach einer religiösen Denkart geschehen muß, und in der Bibel geschieht, und würde man überall eine unmittelbare Handlung Gottes annehmen, wo man das, was Gott dazu gethan hat, nicht ganz angeben und erklären kann, so würde man gegen eine solche Behauptung durchaus Nichts einzuwenden haben. Man hält aber diese Lehre, daß alles Gute unmittelbar von dem heiligen Geiste in den Christen gewirkt werden muß, in mehreren Hinsichten für sehr schädlich. Wie wollen wir darin einen Vorzug setzen? — Man folgert, daß alsdann das

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Böse nicht mehr dem Menschen könne angerechnet und ihm dabei werde eine Schuld beigemessen, er werde nicht belohnt, nicht bestraft werden können; auch müßten alle Vorschriften und Ermahnungen aufhören, weil sie vergeblich seyen, und wenigstens werde er, wenn er glaube, daß er nur durch den heiligen Geist gut werden und bleiben könne, sagen, daß er auf die Wirkung desselben warten und dabei sich ganz leidentlich verhalten wolle. Ich meine aber, diese Bedenklichkeiten seyen durch die Art, wie diese Lehre eben vorgetragen worden ist, schon genugsam gelöset, oder können doch bei einigem Nachdenken darüber leicht gelöset werden. Denn es darf nur erwogen werden: 1) daß allerdings der Mensch von Natur zu allen einzel­ nen guten Gesinnungen und Handlungen fähig ist, wie wir schon zweimal bemerkt haben, also auch nach allem Urtheil der ewigen und von Menschen zu erkennenden Wahrheit, ihm dafür die damit verbundenen angenehmen und unangenehmen Folgen rechtlich zukommen, d. h. er dafür, daß er sie an sich hat und thut, belohnt, dafür, daß sie ihm fehlen, bestraft, ja daß er durch Vorschriften, durch Drohungen und Verheißungen zu ihrer Uebung gebracht werden kann. Nur das wird geleugnet, daß er durch sich selbst und ohne den heiligen Geist dahin kommen kann, daß er diese guten Gesinnungen im Glauben an Gott und Liebe zu Gott habe und übe. Deshalb scheinen nun 2) allerdings die Vorschriften und Ermahnungen: „Glaube